Physik für Studierende der Biowissenschaften, Chemie und Medizin [1. Aufl.] 9783662612576, 9783662612583

Dieses Lehrbuch bietet eine klar strukturierte Einführung in die Physik, wobei die Grundlagen, wie sie für Studierende m

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German Pages XVIII, 476 [486] Year 2020

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Physik für Studierende der Biowissenschaften, Chemie und Medizin [1. Aufl.]
 9783662612576, 9783662612583

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XVIII
Einführung und Überblick (Gerhard Rufa)....Pages 1-11
Mathematische Grundlagen (Gerhard Rufa)....Pages 13-42
Mechanik eines Massenpunktes (Gerhard Rufa)....Pages 43-130
Mechanik eines Systems von Massenpunkten (Gerhard Rufa)....Pages 131-168
Zustandsformen der Materie (Gerhard Rufa)....Pages 169-217
Thermodynamik (Gerhard Rufa)....Pages 219-248
Schwingungen (Gerhard Rufa)....Pages 249-280
Wellen (Gerhard Rufa)....Pages 281-322
Optik (Gerhard Rufa)....Pages 323-340
Klassische Elektrodynamik (Gerhard Rufa)....Pages 341-405
Atom- und Quantenphysik (Gerhard Rufa)....Pages 407-457
Back Matter ....Pages 459-476

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Gerhard Rufa

Physik für Studierende der Biowissenschaften, Chemie und Medizin

Physik für Studierende der Biowissenschaften, Chemie und Medizin

Gerhard Rufa

Physik für Studierende der Biowissenschaften, Chemie und Medizin

Prof. Dr. Gerhard Rufa Fakultät für Biotechnologie Institut für Naturwissenschaftliche Grundlagen Hochschule Mannheim Mannheim, Deutschland

ISBN 978-3-662-61257-6 ISBN 978-3-662-61258-3  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-61258-3 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Margit Maly Springer Spektrum ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany

Die Dinge sind gekommen, aber wir wissen nicht woher. Wir sind da und wissen nicht warum. Die Dinge und wir werden gehen, doch wir wissen nicht wohin. Warum haben wir trotz allem so viel Freude an den Naturwissenschaften?

Vorwort

Dieses Buch ist entstanden aus Vorlesungen, die ich für die Studiengänge Biotechnologie, Biologische Chemie und Chemische Technik gehalten habe. Es richtet sich an Studierende der Biowissenschaften, der Chemie und der Medizin. Es ist angepasst an die Erfordernisse der einzelnen Bereiche der Biowissenschaften, der Chemie bzw. der Medizin und versucht, die in diesen Bereichen benötigten physikalischen Begriffe und Gesetzmӓßigkeiten möglichst schnell bereitzustellen. Besonderer Wert wird darauf gelegt, dem unterschiedlichen Eingangsniveau der Studierenden sowie der hohen Belastung der Studierenden im Rahmen der neuen Bachelorstudiengänge Rechnung zu tragen. Diese resultiert aus der Tatsache, dass in den Biowissenschaften nach wie vor das gesamte physikalische Grundlagenwissen benötigt wird, während die zur Vermittlung dieses Wissens zur Verfügung stehende Zeit jedoch im Rahmen der Bachelorumstellung gekürzt werden musste. Vorkurse in Physik helfen den Studierenden, erlerntes Schulwissen aufzufrischen; doch sie helfen nicht den Studierenden, die die Physik nicht in der erforderlichen Tiefe in der Schule gelernt haben. Diese Lücke muss im Rahmen der gekürzten zwei-semestrigen Physikvorlesung, den Übungen und des Physikpraktikums geschlossen werden. Ferner wird oft aus Zeitgründen das Physikpraktikum parallel zur Physik II-Vorlesung angeboten, sodass sich die Studierenden das für die Versuche erforderliche physikalische Wissen selbst aneignen müssen. Ziel dieses Buches ist den Studierenden zu helfen, diese schwierige Aufgabe zu bewӓltigen. Der Schwerpunkt liegt in einer leicht verstӓndlichen Darstellung der physikalischen Begriffe und Gesetzmӓßigkeiten sowie deren Anwendungen in den unterschiedlichen Bereichen der Biowissenschaften und der Chemie, sodass die Studierenden das erforderliche physikalische Grundlagenwissen möglichst schnell und ohne zu hohen Zeitaufwand lernen können. Das vielleicht schwierigste Problem besteht darin, Studierende davon zu überzeugen, dass sie die Physik in ihrem Studium brauchen, und ihnen zu zeigen, für welche Fächer die Physik grundlegend ist. Hierbei sollte man nicht die Gesamtheit der Naturwissenschaften aus dem Auge verlieren. In Abb. 0.1 sind unterschiedliche Gebiete der

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Vorwort

Abb. 0.1   Zur Beziehung der Physik zu Gebieten der Biowissenschaften, Chemie und Medizin

Biowissenschaften und der Chemie dargestellt, in denen physikalische Begriffe und Gesetzmäßigkeiten sowie Messmethoden eine wichtige Rolle spielen. Die allgemeine und anorganische Chemie benötigt bereits zu Beginn des 1. Semesters das Atommodell und setzt die Kenntnis von vielen physikalischen Begriffen aus der Mechanik, der Elektrodynamik, der Thermodynamik und der Atomphysik voraus, die eine Physikvorlesung erst parallel bereitstellen kann. Absorptionsspektren liefern eine wichtige Methode zur Charakterisierung und Identifizierung chemischer Substanzen, insbesondere in der organischen Chemie. In der Analytik finden vor allem spektroskopische Methoden Anwendung wie z. B. die IR-Spektroskopie, UV-vis, NMR oder die Massenspektroskopie, für deren Verstӓndnis elektromagnetische Wellen, die Optik und die Quantenphysik grundlegend sind. Für Trennmethoden in der Analytik ist das Verstӓndnis von Adsorptionsisothermen und physikalischen Eigenschaften von Lösungsmitteln wie die elektrische Polaritӓt der Moleküle wichtig. Die mechanische Verfahrenstechnik wie auch die Bioreaktionstechnik beschӓftigen sich unter anderem mit der spezifischen Konstruktion von Maschinen, was die Kenntnis physikalischer Begriffe und Gesetzmӓßigkeiten sowie spezielle Methoden der klassischen Mechanik voraussetzt. Ziel der thermischen Verfahrenstechnik ist dagegen die Trennung von Stoffgemischen in Einzelkomponenten unter Verwendung thermischer Verfahren, für deren Verstӓndnis mechanische Eigenschaften von Festkörpern, Flüssigkeiten und Gasen als auch die Thermodynamik grundlegend sind. In der Mess- und Regelungstechnik sowie der optischen Messtechnik geht es darum, wie und welche Größen man möglichst genau messen kann. Damit setzt die

Vorwort

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Messtechnik Grundkenntnisse der Elektrizitӓtslehre wie Leitfӓhigkeit oder Impedanz (zur Bestimmung von Lebendzellzahlen), der elektrischen Schaltungstechnik sowie der Optik voraus. In der Medizintechnik werden Methoden der analytischen Messtechnik auf medizinische Probleme angewandt, wie z. B. die Anwendung optischer Techniken zu Gewebeuntersuchungen oder die Kernspinresonanzspektroskopie als bildgebende Methode. In der Biomechatronik versucht man z. B., durch spezielle Sensoren Signale abzugreifen und auszuwerten wie beim EKG. Dieses Buch beginnt mit einer Darstellung der Zielsetzung und Vorgehensweise der Physik und beschreibt die Beziehung der Physik zu den Ingenieur- und den anderen Naturwissenschaften. Nach einer Diskussion von physikalischen Größen, Einheiten und Maßsystemen wird im Hinblick auf die parallel angebotene Chemievorlesung ein kurzer Überblick über den atomaren Aufbau der Materie und die Wechselwirkungen gegeben. Danach werden die verschiedenen Gebiete der Physik mit vielen Beispielen aus dem tӓglichen Leben, den Biowissenschaften, der Chemie und der Medizin dargestellt (siehe Abb. 0.2). Kap. 3 und 4 umfassen die klassische Mechanik, die sich mit grundlegenden Bewegungsvorgӓngen von Massenpunkten oder Systemen von Massenpunkten beschӓftigt, und vermittelt eine Vielzahl an physikalischen Begriffen und Erhaltungssӓtzen, die in anderen Gebieten benötigt werden. In Kap. 5 werden die verschiedenen Zustandsformen der Materie diskutiert. Mechanische Eigenschaften von Flüssigkeiten sind z. B. für das Verstӓndnis des Flusses von Körperflüssigkeiten (Konvektion, Diffusion, Permeation) wichtig. Die Begriffe thermische Energie und

Abb. 0.2   Die für die Biowissenschaften, Chemie und Medizin relevanten Gebiete der Physik

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Vorwort

Temperatur, ideale und reale Gase sowie Phasenübergӓnge und Phasengleichgewichte sind ferner grundlegend in der Chemie, der physikalischen Chemie sowie der Verfahrenstechnik. Im Rahmen der Thermodynamik werden in Kap. 6 die thermischen Eigenschaften von Festkörpern, Flüssigkeiten und Gasen sowie die Hauptsӓtze der Thermodynamik vorgestellt. Schwingungen und deren Interferenz, die für ein Verstӓndnis der Schwingungsspektren von Molekülen und der Analyse von Spektren in der Analytik wichtig sind, werden in Kap. 7 betrachtet. Für ein Verstӓndnis der Emission, Absorption und Streuung von Licht in Materie sind Wellen von grundlegender Bedeutung, die mit Beispielen aus der Wellenoptik in Kap. 8 diskutiert werden. Zum Verstӓndnis des Auges und von Fehlsichtigkeiten sind Grundbegriffe der Optik sowie optische Abbildungen wichtig, die im Rahmen der geometrischen Optik in Kap. 9 bereitgestellt werden. Von besonderer Bedeutung in den Biowissenschaften, der Chemie und der Medizin ist die in Kap. 10 dargestellte klassische Elektrodynamik, die nicht nur ein elementares Verstӓndnis der chemischen Bindungen liefert, sondern auch mit Begriffen wie Spannung, Strom und Potential das Entstehen z. B. eines Elektrokardiogramms (EKG) beschreibt und ein Verstӓndnis der Funktion von Neuronen ermöglicht. In Kap. 11 zur Atom- und Quantenphysik werden unsere modernen Vorstellungen der Vorgӓnge im Mikrokosmos dargestellt, die uns in unserer makroskopischen Welt so fremdartig vorkommen, mit dem Ziel, das Periodensystem der Elemente, die unterschiedlichen Eigenschaften der Substanzen und die Grundlagen der verschiedenen spektroskopischen Methoden, der Messtechnik und der Laseranwendungen besser zu verstehen. Großer Wert wird auf eine prӓzise Definition der physikalischen Begriffe und Gesetzmӓßigkeiten gelegt, weshalb die Vektorrechnung unerlӓsslich ist. Da nicht alle Studierenden im 1. Semester ausreichende Kenntnisse der Vektorrechnung haben, sind die mathematischen Grundlagen in Kap. 2 kurz zusammengefasst. Schließlich werden in diesem Buch viele Rechenschritte ausführlich erlӓutert, sodass die Studierenden auch die erforderliche Mathematik lernen können. Dieses Buch wird ergӓnzt durch ein Übungsbuch [1], das eine Vielzahl von Übungsserien zu verschiedenen Themenbereichen und Testserien enthӓlt, die durch anwendungsorientierte Aufgaben ergӓnzt werden. Zu allen Aufgaben werden ausführliche Lösungen und Erklӓrungen bereitgestellt, was insbesondere schwӓcheren Studierenden helfen soll, den Stoff zu erarbeiten und im Rahmen der Lösung einfacher physikalischer Probleme die Anwendung physikalischer Rechenmethoden und die hierfür erforderliche Mathematik zu lernen. Das Übungsbuch ist damit eine große Hilfe bei den Klausurvorbereitungen und bildet zusammen mit diesem Lehrbuch die Basis für weiterführende Lehrveranstaltungen. Meinen Kollegen Jürgen Backhaus und Winfried Storhas sowie Randolf Pohl von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz möchte ich an dieser Stelle für wertvolle Diskussionen und viele Anregungen danken. Ich bedanke mich herzlich bei Margit Maly,

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Carola Lerch, Sandrina Kastner, Simone Jordan und Roopashree Polepalli vom Springer Verlag für die freundliche Unterstützung und hilfreiche Hinweise bei der Realisierung dieses Buches. Schließlich danke ich all meinen Studierenden für die vielen positiven Rückmeldungen und die Ermutigung, dieses Buch zu publizieren. Mainz 4. Februar 2020

Gerhard Rufa

Inhaltsverzeichnis

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Einführung und Überblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1 Zur Zielsetzung und Vorgehensweise der Physik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.2 Ein Statusbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1.3 Die Beziehung der Physik zu den Ingenieur- und Biowissenschaften. . . 6 1.4 Physikalische Größen und ihre Einheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

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Mathematische Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2.1 Der 1-, 2- und 3-dimensionale Punktraum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 2.1.1 Die Gerade und die Menge der reellen Zahlen . . . . . . . . . . . . . 14 2.1.2 Die euklidische Ebene und der R2. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 2.1.3 Der euklidische Raum und der R3. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2.2 Skalare und vektorielle Größen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2.3 Zum Rechnen mit Vektoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2.3.1 Skalarmultiplikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2.3.2 Addition und Subtraktion von Vektoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2.3.3 Das Skalarprodukt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2.3.4 Das Vektorprodukt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2.4 Differentiation von Vektoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2.4.1 Abbildungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2.4.2 Vektorfunktionen und Kurven im R3. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2.4.3 Differentiation von Vektorfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

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Mechanik eines Massenpunktes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 3.1 Kinematik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 3.1.1 Grundlegende Begriffe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 3.1.2 Ortsvektor und Bahnkurve. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 3.1.3 Geschwindigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 3.1.4 Beschleunigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 3.2 Die Newton’schen Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 3.3 Beispiele für Kräfte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

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3.3.1 Die Schwerkraft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 3.3.2 Die Federkraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 3.3.3 Reibungskräfte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 3.3.4 Die Zentripetalkraft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 3.3.5 Die Gravitationskraft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 3.3.6 Explizit zeitabhängige Kräfte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 3.4 Einfache Bewegungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 3.4.1 Die gleichmäßig beschleunigte Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . 73 3.4.2 Die ungedämpfte harmonische Schwingung eines elastischen Federpendels. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 3.4.3 Der freie Fall unter Reibungseinfluss. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 3.5 Arbeit, Energie und Leistung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 3.5.1 Arbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 3.5.2 Potentielle Energie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 3.5.3 Kinetische Energie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 3.5.4 Arbeit gegen Reibungskräfte und thermische Energie. . . . . . . . 101 3.5.5 Energieerhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 3.5.6 Leistung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 3.6 Impuls und Impulserhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 3.7 Drehbewegungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 3.7.1 Die Kinematik der Drehbewegung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 3.7.2 Die Dynamik der Drehbewegung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 3.7.3 Drehimpuls und Drehimpulserhaltung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 3.7.4 Die Rotationsenergie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 3.8 Bezugssysteme und Scheinkräfte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 3.8.1 Inertialsysteme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 3.8.2 Die Trägheitskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 3.8.3 Die Zentrifugalkraft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 3.8.4 Die Coriolis-Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 3.8.5 Auswirkungen von Scheinkräften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 4

Mechanik eines Systems von Massenpunkten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 4.1 Systeme von Massenpunkten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 4.1.1 Translations- und Schwerpunktsbewegung. . . . . . . . . . . . . . . . 133 4.1.2 Die Drehbewegung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 4.2 Stoßvorgänge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 4.2.1 Der elastische Stoß. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 4.2.2 Der unelastische Stoß. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 4.3 Der starre Körper. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 4.3.1 Die Drehung um eine vorgegebene Achse. . . . . . . . . . . . . . . . . 147 4.3.2 Die Bewegungsgleichung der Drehbewegung. . . . . . . . . . . . . . 151

Inhaltsverzeichnis

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4.3.3 4.3.4

Die Drehimpulserhaltung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Die Präzession. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166

5

Zustandsformen der Materie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 5.1 Aggregatzustände. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 5.2 Mechanische Eigenschaften von Festkörpern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 5.2.1 Dehnung, Stauchung und Querkontraktion. . . . . . . . . . . . . . . . 173 5.2.2 Biegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 5.2.3 Scherung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 5.2.4 Torsion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 5.2.5 Kompression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 5.3 Mechanische Eigenschaften von Flüssigkeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 5.3.1 Hydrostatik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 5.3.2 Hydrodynamik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 5.4 Gase. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 5.4.1 Stoffmenge und atomare Masseneinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 5.4.2 Thermische Energie und thermodynamische Temperatur. . . . . 199 5.4.3 Die Zustandsgleichung idealer Gase. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 5.4.4 Zustandsänderungen idealer Gase. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 5.4.5 Reale Gase. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 5.5 Phasenübergänge und Phasengleichgewichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 5.5.1 Phasendiagramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 5.5.2 Verdampfung und Kondensation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215

6 Thermodynamik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 6.1 Thermische Eigenschaften deformierbarer Medien. . . . . . . . . . . . . . . . . 220 6.1.1 Zur Längenänderung von Festkörpern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 6.1.2 Zur Volumenänderung von Festkörpern und Flüssigkeiten. . . . 221 6.1.3 Zum thermischen Verhalten von Gasen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 6.2 Wärmeenergie und Wärmekapazität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 6.2.1 Energieerhaltung und thermische Energie. . . . . . . . . . . . . . . . . 223 6.2.2 Die Wärmekapazität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 6.2.3 Umwandlungswärmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 6.3 Der 1. Hauptsatz der Thermodynamik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 6.4 Zustandsänderungen thermodynamischer Systeme. . . . . . . . . . . . . . . . . 235 6.4.1 Zustandsänderungen und thermodynamisches Gleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 6.4.2 Zustandsgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 6.5 Der 2. Hauptsatz der Thermodynamik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 6.6 Wärmekraftmaschinen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244

XVI

Inhaltsverzeichnis

7 Schwingungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 7.1 Grundlegende Begriffe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 7.2 Die ungedämpfte harmonische Schwingung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 7.3 Die gedämpfte harmonische Schwingung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 7.4 Erzwungene Schwingungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 7.5 Zur Überlagerung von harmonischen Schwingungen. . . . . . . . . . . . . . . 267 7.5.1 Die Überlagerung zweier harmonischer Schwingungen. . . . . . 267 7.5.2 Die Überlagerung beliebig vieler harmonischer Schwingungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 7.6 Gekoppelte Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 8 Wellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 8.1 Grundlegende Begriffe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 8.2 Interferenz von Wellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 8.2.1 Zur Interferenz zweier harmonischer Wellen. . . . . . . . . . . . . . . 294 8.2.2 Wellengruppen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 8.2.3 Stehende Wellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 8.2.4 Kohärenz von Wellen und stationäre Interferenzmuster . . . . . . 302 8.3 Das Huygens-Fresnel’sche Prinzip und die Ausbreitung von Wellen. . . 304 8.3.1 Zur Beschreibung der Wellenausbreitung durch Elementarwellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 8.3.2 Reflexion und Brechung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 8.3.3 Beugung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 8.3.4 Absorption und Streuung von Licht durch Materie. . . . . . . . . . 318 8.3.5 Der Doppler-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 9 Optik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 9.1 Grundlegende Begriffe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 9.2 Die Gesetze der geometrischen Optik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 9.3 Optische Abbildungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 9.3.1 Abbildung durch ebene Spiegel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 9.3.2 Abbildung durch Linsen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 9.4 Das menschliche Auge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 10 Klassische Elektrodynamik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 10.1 Elektrische Ladung und elektrische Ströme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 10.2 Elektrostatik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 10.2.1 Das Coulomb’sche Gesetz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 10.2.2 Das elektrische Feld. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 10.2.3 Potentielle Energie, elektrisches Potential und Spannung. . . . . 357 10.2.4 Spannung und Kapazität eines Kondensators . . . . . . . . . . . . . . 362 10.2.5 Materie im elektrischen Feld. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 10.2.6 Die Energie des elektrischen Feldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368

Inhaltsverzeichnis

XVII

10.3 Gleichströme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 10.3.1 Grundlegende Begriffe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 10.3.2 Einfache elektrische Schaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 10.4 Bewegte Ladungen und magnetische Felder. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 10.4.1 Das Ampere’sche Gesetz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 10.4.2 Das magnetische Feld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 10.4.3 Kräfte im magnetischen Feld. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 10.4.4 Materie im magnetischen Feld. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 10.5 Elektromagnetische Induktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 10.5.1 Die Induktionsspannung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 10.5.2 Der magnetische Fluss. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 10.5.3 Das Faraday’sche Induktionsgesetz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 10.5.4 Selbstinduktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 10.5.5 Die Energie des magnetischen Feldes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 10.6 Zeitabhängige Ströme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 10.6.1 Ein- und Ausschaltvorgänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 10.6.2 Wechselstromschaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 10.6.3 Der elektrische Schwingkreis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 11 Atom- und Quantenphysik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 11.1 Zur Struktur von Materie und Strahlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 11.1.1 Die Teilchenstruktur der Materie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 11.1.2 Die Wellennatur der Materie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 11.1.3 Die Wellennatur der Strahlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 11.1.4 Die Teilchenstruktur der Strahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 11.2 Materie und Strahlung als Energieformen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 11.2.1 Photoeffekt und Bremsstrahlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 11.2.2 Der Compton-Effekt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 11.2.3 Paarerzeugung und Paarvernichtung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 11.3 Das Standardmodell der Elementarteilchenphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 11.3.1 Die fundamentalen Elementarteilchen und ihre Eigenschaften. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 11.3.2 Zur Wechselwirkung von Elementarteilchen. . . . . . . . . . . . . . . 424 11.3.3 Radioaktivität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 11.4 Gesetzmäßigkeiten der Quantenphysik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 11.4.1 Wahrscheinlichkeitsaussagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 11.4.2 Unschärferelationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 11.5 Atombau und das Periodensystem der Elemente. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 11.5.1 Atomspektren und die Quantisierung der Energie. . . . . . . . . . . 430 11.5.2 Feinstruktur von Spektrallinien und die Quantisierung des Bahndrehimpulses. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 11.5.3 Das Wasserstoffatom und die Alkaliatome . . . . . . . . . . . . . . . . 436

XVIII

Inhaltsverzeichnis

11.5.4 Mehrelektronenatome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 11.5.5 Das Periodensystem der Elemente. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 11.5.6 Hyperfeinstruktur und der Kernspin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 Anhang A  Das Periodensystem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 Anhang B  Naturkonstanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465

1

Einführung und Überblick

Inhaltsverzeichnis 1.1 1.2 1.3 1.4

Zur Zielsetzung und Vorgehensweise der Physik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein Statusbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Beziehung der Physik zu den Ingenieur- und Biowissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . Physikalische Größen und ihre Einheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 3 6 7

Bevor wir uns mit den unterschiedlichen Gebieten der Physik und mit einer Vielzahl von Phänomenen, physikalischen Begriffen und Gesetzmäßigkeiten beschäftigen, ist es nützlich über die Frage nachzudenken, was die Zielsetzung und die Vorgehensweise der Physik ist. Nach einem kurzen Überblick über unser aktuelles Verständnis vom Aufbau der Materie und die fundamentalen Wechselwirkungen, die den Naturvorgängen zugrunde liegen, diskutieren wir den Zusammenhang zwischen der Physik und den Ingenieur- und Biowissenschaften. Zur Formulierung physikalischer Gesetzmäßigkeiten verwenden wir physikalische Größen, die wir in Grundgrößen und abgeleitete Größen klassifizieren können, wobei diese Einteilung a priori nicht vorgegeben ist. Durch die Wahl eines Satzes von Grundgrößen legen wir ein Maßsystem fest, wobei wir in diesem Buch das Internationale Maßsystem oder SI-System verwenden. Schließlich betrachten wir die Dimension einer physikalischen Größe und führen Vielfache und Teile von Einheiten ein.

1.1

Zur Zielsetzung und Vorgehensweise der Physik

Die Physik beschreibt das Verhalten von Materie und anderer Formen von Energie in Raum und Zeit. Doch was meinen wir damit?

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Rufa, Physik für Studierende der Biowissenschaften, Chemie und Medizin, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61258-3_1

1

2

1 Einführung und Überblick

Das Ziel der Physik Die Physik entwickelte sich aus der Naturphilosophie, deren Ziel es war, ein grundlegendes Verständnis der Natur der Dinge und Vorgänge im Kleinen und im Großen zu entwickeln [2]. Was aber bedeutet „Verstehen“, und was meinen wir mit den „Dingen“ und „Vorgängen“? Unser „naiver“ Standpunkt der Physik lautet: • Die Dinge sind da, zu ihrer Unterscheidung geben wir ihnen einen Namen, und die Vorgänge können wir beobachten. Mit den Dingen und Vorgängen meinen wir also alles, was uns umgibt und was wir mit unseren Sinnen erfahren und mit komplizierten Messapparaturen beobachten können. • Mit Verstehen meinen wir, dass wir etwas Neues auf etwas bereits Bekanntes zurückführen können. Verstehen bedeutet also Zusammenhänge erkennen! Mit den bekannten Dingen haben wir gelernt umzugehen, wir kennen ihre Eigenschaften und wissen, wie sie sich im Zusammenspiel untereinander verhalten. Was die Dinge, wie z. B. ein Elektron, wirklich sind, wissen wir jedoch letztlich nicht! Es gibt eine unermessliche Vielfalt an Dingen und Vorgängen in der Natur, und es stellt sich unwillkürlich die Frage, ob es möglich ist, Ordnung in diese Vielfalt zu bringen? Sind Erde, Luft und Wasser grundverschiedene und voneinander unabhängige Dinge mit ganz spezifischen Eigenschaften, oder ist es vielleicht so, dass es Gemeinsamkeiten zwischen ihnen gibt? Ist z. B. Wasser aus einigen wenigen fundamentalen Bausteinen aufgebaut, die ihrerseits gewisse Eigenschaften besitzen, und können wir Wasser verstehen als ein kompliziertes Zusammenspiel dieser Bausteine? Können wir Erde, Luft, Proteine, Zellen und alle anderen Dinge ebenso verstehen als ein solches Zusammenspiel derselben fundamentalen Bausteine? Die Basis der Physik Wir glauben daran, dass die unermessliche Vielfalt an Dingen und Vorgängen in der Natur zurückgeführt werden kann auf einige wenige fundamentale Bausteine mit wohldefinierten Eigenschaften, deren Zusammenspiel untereinander auf eine wohldefinierte Weise erfolgt. Wir glauben ferner daran, dass es fundamentale Regeln für dieses Zusammenspiel gibt, die wir Naturgesetze nennen und von denen wir annehmen, dass sie universell sind in dem Sinne, dass die hier und jetzt gefundenen Gesetze überall im Universum und zu jeder Zeit gelten. Zur Vorgehensweise der Physik Wenn jemand diese Naturgesetze kennt, dann ist es die Natur selbst. Wir beobachten also die Dinge und Vorgänge in der Natur, die uns umgeben. Grundlegend für die Physik ist damit das Experiment, mit dem wir gezielt Fragen stellen. Die experimentellen Ergebnisse, d. h. die Antworten, interpretieren wir, wir suchen nach Zusammenhängen und versuchen,

1.2

Ein Statusbericht

3

die zugrunde liegenden Gesetzmäßigkeiten zu erraten und zu formulieren. Aufgrund dieser Gesetzmäßigkeiten machen wir weitergehende Aussagen über die Natur, die wir wiederum experimentell überprüfen. Wenn die experimentellen Ergebnisse mit den Vorhersagen übereinstimmen, so sagen wir, dass wir den Teil der Natur verstehen, den wir untersuchen. Durch diese Vorgehensweise können wir allerdings die erratenen Gesetzmäßigkeiten nicht beweisen! Wir können jedoch versuchen, unser Bild von der Natur zu verfeinern und zu vervollständigen, und hoffen, dass wir einmal auf die fundamentalen Bausteine und die alles beschreibenden Naturgesetze stoßen und dass wir einmal die Natur als Ganzes verstehen. Was die Dinge sind, warum es die Dinge gibt, woher sie kommen und was die Vorgänge am Laufen hält, werden wir jedoch durch die Vorgehensweise der Physik niemals erfahren können!

1.2

Ein Statusbericht

An dieser Stelle ist es von Interesse zu fragen, was wir in der Vergangenheit erreicht haben, was der aktuelle Stand unserer Kenntnis der Natur ist und ob überhaupt unsere Zielsetzung und Vorgehensweise sinnvoll ist? Die unterschiedlichen Gebiete der Physik Aufgrund der Komplexität der Natur konnte man nicht erwarten, das oder die alles umfassenden Naturgesetze auf Anhieb zu finden. Man beschränkte sich also zunächst auf unterschiedliche Teilbereiche der Natur, die man untersuchte und zu verstehen suchte. Auf diese Weise sind sowohl die einzelnen Naturwissenschaften als auch die unterschiedlichen Gebiete der Physik entstanden: • Mechanik, Akustik, Hydrodynamik, Thermodynamik, Elektrizitätslehre, Magnetismus und Optik, zu denen die Gebiete, die sich mit der Struktur der Materie beschäftigen, • Festkörperphysik, Molekülphysik, Atomphysik, Kernphysik und Elementarteilchenphysik, hinzugekommen sind. Die meisten dieser Gebiete der Physik werden im Rahmen dieses Buches behandelt. Es zeigte sich, dass diese unterschiedlichen Gebiete der Physik nicht unabhängig voneinander sind. So entdeckte man, dass Elektrizität, Magnetismus und Optik wesensgleich sind und zur klassischen Elektrodynamik zusammengefasst werden konnten (siehe Kap. 10). Ferner fand man, dass Akustik und Wärme in mechanischen Vorstellungen und im atomaren Aufbau der Materie ihre Deutung fanden. Was aber verstehen wir darunter?

4

1 Einführung und Überblick

Die atomare Struktur der Materie Wir meinen damit, dass alle uns umgebenden materiellen Dinge unserer makroskopischen Welt, also insbesondere alle chemischen Substanzen, Zellen oder der menschliche Körper, aus Atomen aufgebaut sind. Das sind irgendwelche kleinen Objekte mit einem Durchmesser von ca. 10−10 m, die in permanenter Bewegung sind, die einander anziehen, wenn wir versuchen, sie voneinander zu entfernen, und die sich jedoch stark abstoßen, wenn sie gegeneinander gedrückt werden. Diese Kenntnis vom atomaren Aufbau der Materie ist ausreichend, um ganz unterschiedliche Dinge und Vorgänge in der Natur zu verstehen. Dies soll anhand einiger Beispiele erläutert werden: • Die unterschiedlichen Eigenschaften von Festkörpern, Flüssigkeiten und Gasen wie Schmelzpunkt, Siedepunkt, Löslichkeit usw. verstehen wir als Ergebnis der Wirkung unterschiedlich starker Kräfte zwischen Atomen oder Atomverbänden, die wir Moleküle nennen (siehe Kap. 5 und 11). • Das Verdampfen einer Flüssigkeit verstehen wir als einen Vorgang, bei dem einzelne Moleküle die Flüssigkeit verlassen (siehe Abschn. 5.5.2). • Schall verstehen wir als Schwingungen von Atomen oder Molekülen, die sich als Wellen i. Allg. im Raum ausbreiten (siehe Kap. 7 und 8). • Wir verstehen Wärme als ungeordnete Bewegung von Atomen oder Molekülen: Je heftiger sie sich bewegen, desto höher ist die Temperatur (siehe Kap. 6). • Ferner verstehen wir die Vielzahl chemischer Reaktionen als Vorgänge, bei denen gewisse Ausgangssubstanzen ein oder mehrere Atome oder Atomgruppen austauschen, wobei neue Substanzen mit anderen Eigenschaften entstehen. Dabei gehen weder Atome verloren noch entstehen neue. Die Suche nach den elementaren Bausteinen Die Atome sind jedoch nicht die fundamentalen Bausteine, die wir suchen, obwohl man dies lange Zeit glaubte. Wir wissen heute, dass alle Atome und damit alle materiellen Dinge, die uns umgeben, aus fundamentaleren Bausteinen aufgebaut sind, die wir Leptonen und Quarks nennen (siehe Kap. 11). Der wichtigste Vertreter der Leptonen ist das Elektron (e− ), von denen sehr viele als elektrischer Strom durch unsere elektrischen Leitungen fließen (siehe Kap. 10). Von den Quarks sind für uns die up-Quarks (u) und down-Quarks (d) am wichtigsten, weil aus diesen die uns umgebende stabile Materie besteht. Wie aber sind die Atome aus Elektronen und Quarks aufgebaut [2]? Zur Struktur der Atome Der schematische Aufbau eines Atoms aus Elektronen, up- und down-Quarks ist in Abb. 1.1 am Beispiel des Lithiumatoms gezeigt. Ein Atom besteht aus einem Atomkern mit einem Durchmesser von ca. 10−15 m, um den irgendwie die Elektronen schwirren und das bilden,

1.2

Ein Statusbericht

5

Abb. 1.1 Schematischer Aufbau eines Litiumatoms

was wir die Atomhülle nennen, wobei ein Atom einen Durchmesser von etwa 10−10 m besitzt. Der Atomkern wiederum besteht aus Protonen (p) und Neutronen (n), die auch Nukleonen heißen. Schließlich bilden zwei up- und ein down-Quark ein Proton, während ein Neutron aus einem up- und zwei down-Quarks besteht. Im Normalfall ist in einem Atom die Zahl der Elektronen gleich der Zahl der Protonen im Kern, im Falle des Li-Atoms also 3. Ferner stimmt in einem Atomkern die Zahl der Protonen in etwa mit der Zahl der Neutronen überein. Die grundlegenden Wechselwirkungen Die Eigenschaften der Leptonen und Quarks kennen wir mittlerweile recht gut, und wir wissen auch, wie sie wechselwirken. Unter einer Wechselwirkung zwischen Dingen verstehen wir ganz allgemein eine Art gegenseitiger Beeinflussung. Eine solche Wechselwirkung zwischen Elementarteilchen kann z. B. zu einer gegenseitigen Anziehung oder Abstoßung, d. h. zu einer Kraft, zwischen ihnen führen (siehe Kap. 11). Eine Wechselwirkung kann sich aber auch in radioaktiven Zerfällen instabiler Atomkerne oder in der Emission, Absorption und Streuung von Strahlung durch Materie äußern (siehe Kap. 8 und 11). Wie viele verschiedene Wechselwirkungen kennen wir? Im Rahmen all unserer Beobachtungen im makroskopischen und mikroskopischen Bereich sind wir auf nur vier verschiedene Wechselwirkungen gestoßen: 1. Die starke Wechselwirkung Die starke Wechselwirkung ist die stärkste aller Wechselwirkungen, und auf sie beziehen wir die Stärke aller anderen Wechselwirkungen. Ihre Reichweite ist auf den Bereich des Atomkerns, d. h. ca. 10−15 m, beschränkt. An ihr nehmen die Quarks und die Nukleonen teil, aber nicht die Leptonen, wie z. B. das Elektron. Sie ist verantwortlich für den Zusammenhalt der Nukleonen bzw. der Atomkerne.

6

1 Einführung und Überblick

2. Die elektromagnetische Wechselwirkung Die elektromagnetische Wechselwirkung ist 100-mal schwächer als die starke Wechselwirkung. Ihr unterliegen alle geladenen Objekte (siehe Kap. 10), wie z. B. Elektronen, up- und down-Quarks, Protonen oder irgendwelche geladenen, makroskopischen Dinge. Weil die elektromagnetische Wechselwirkung eine sehr große Reichweite hat (man sagt, ihre Reichweite ist unendlich), bestimmt sie fast alle Erscheinungen unseres täglichen Lebens und insbesondere alle chemischen und biologischen Vorgänge! 3. Die schwache Wechselwirkung Die schwache Wechselwirkung ist 100 000-mal schwächer als die starke Wechselwirkung. An ihr nehmen Quarks, Protonen, Neutronen und Leptonen teil. Ihre Reichweite ist extrem kurz und beträgt etwa 10−18 m. Sie ist z. B. verantwortlich für radioaktive Zerfälle instabiler Atomkerne (siehe Kap. 11). 4. Die Gravitationswechselwirkung Die Stärke der Gravitationswechselwirkung oder kurz Gravitation, bezogen auf die starke Wechselwirkung, beträgt 10−38 . Damit ist die Gravitation die schwächste aller Wechselwirkungen, und ihr unterliegen alle massenbehafteten Dinge. Wie die elektromagnetische Wechselwirkung besitzt sie eine unendliche Reichweite und ist für diejenigen Phänomene des täglichen Lebens verantwortlich, die nicht elektromagnetischer Natur sind (siehe Kap. 3 und 4).

Zusammenfassend:

Wir verstehen heute alle makroskopischen Dinge und Vorgänge, die wir beobachten können, als eine komplizierte Wechselwirkung zwischen Leptonen und Quarks! 

1.3

Die Beziehung der Physik zu den Ingenieur- und Biowissenschaften

Das Ziel der Physik und allgemeiner der Naturwissenschaften ist also, Wissen über die Natur zu schaffen. Es geht darum, die Dinge und Vorgänge, die wir beobachten können, als Ganzes zu verstehen! Dabei stehen Anwendungen dieses Wissens für unser tägliches Leben zunächst im Hintergrund. Wenn wir aber einen Vorgang auslösen, sodass er einen bekannten und erwünschten Verlauf nimmt, so stellen wir das naturwissenschaftliche Grundlagenwissen in den Dienst menschlicher Ziele, und hier kommen die Ingenieurwissenschaften ins Spiel. Die Grundidee der Ingenieurwissenschaften ist, das Grundlagenwissen der Naturwissenschaften in Technologien umzusetzen mit dem Ziel der Nutzbarmachung für das tägliche Leben, wie z. B. zum Bau von Energieanlagen, von Maschinen der unterschiedlichsten Art oder von elektrischen, elektronischen, optischen und diagnostischen Geräten, zur Entwicklung von Bioreaktoren, von Anlagen zur Datenverarbeitung und -übertragung oder zur Synthese von chemischen und pharmazeutischen Substanzen. So entwickelten sich

1.4

Physikalische Größen und ihre Einheiten

7

die unterschiedlichen Zweige der Ingenieurwissenschaften wie der Maschinenbau, die Energietechnik, die Elektrotechnik, die Informationstechnik, die chemische Technik, die Verfahrenstechnik, die Medizintechnik oder die Biotechnologie. Weil also die Physik die Basis der Natur- und Ingenieurwissenschaften ist, sind die physikalischen Begriffe und Gesetzmäßigkeiten für ein Studium der Biowissenschaften, der Chemie, der Ingenieurwissenschaften und auch der Medizin von grundlegender Bedeutung!

1.4

Physikalische Größen und ihre Einheiten

Zur Formulierung physikalischer Gesetzmäßigkeiten und zur Beschreibung von Vorgängen verwenden wir Begriffe wie Zeit, Ort, Geschwindigkeit, Kraft oder Energie. Für die Physik sind nur solche Begriffe von Bedeutung, die gemessen werden können. Wir sprechen in diesem Zusammenhang auch von Observablen, Messgrößen, physikalischen Größen oder kurz Größen [5, 13]. Physikalische Größen Jede physikalische Größe G setzt sich zusammen aus einer reellen Zahl, die wir Maßzahl nennen, und einer willkürlich gewählten Einheit: G = Maßzahl EINHEIT

(1.1)

Die Länge eines Tisches beträgt z. B. l = 1,7 m, worin 1,7 die Maßzahl und m (Meter) die Längeneinheit bedeuten. Im Grunde genommen könnte man für jede physikalische Größe eine eigene Einheit einführen, was man aber aus Zweckmäßigkeitsgründen nicht macht. Man geht vielmehr folgendermaßen vor: Die physikalischen Größen sind durch Gleichungen miteinander verknüpft. So ist z. B. die Geschwindigkeit v der gleichförmig geradlinigen Bewegung gegeben durch s v= , (1.2) t worin s die in der Zeit t zurückgelegte Strecke bezeichnet. So ist durch die Beziehung (1.2) die Größe Geschwindigkeit mit der Länge (der Wegstrecke) und der Zeit verknüpft. Durch diese Verknüpfungsgleichungen kann die Menge der physikalischen Größen unterteilt werden in sogenannte Grundgrößen und abgeleitete Größen. Unter einer abgeleiteten Größe verstehen wir eine Größe, die wir mithilfe einer Verknüpfungsgleichung auf die Grundgrößen zurückführen können. Die Grundgrößen können frei gewählt werden, und diese Wahl ist eine Frage der Zweckmäßigkeit und nicht eindeutig bestimmt! Maßsysteme Durch die Wahl eines Satzes von Grundgrößen legt man ein Maßsystem fest. In diesem Buch verwenden wir das Internationale Maßsystem SI (Système international d’unités) mit den Grundgrößen [6]

8

1 Einführung und Überblick

• Zeit, Länge, Masse, Temperatur, Stromstärke, Stoffmenge und Lichtstärke, das am 20. Mai 2019 grundlegend reformiert wurde. Für jede dieser Größen wird die zugehörige Einheit festgelegt. Für das SI-System sind das • Sekunde (s), Meter (m), Kilogramm (kg), Kelvin (K), Ampere (A), Mol (mol) und Candela (Cd), die nun über Naturkonstanten definiert sind. Diese sind die Frequenz Δ νCs des Hyperfein133 Cs, die Lichtgeschwindigkeit strukturübergangs beim Grundzustand des Caesium Isotops 55 im Vakuum c, das Planck’sche Wirkungsquantum h, die Boltzmann-Konstante k, die Elementarladung e, die Avogadro-Konstante N A und das Photometrische Strahlungsäquivalent K cd , die im neuen System exakt sind (siehe Anhang B). Der entscheidende Vorteil liegt darin, dass die SI-Einheiten nicht mehr „willkürlich“ festgelegt werden, sondern anhand der vorgegebenen Naturkonstanten mit der aktuell möglichen Genauigkeit gemessen und realisiert werden können. Dadurch wird die Definition der SI-Einheiten universal: Je genauer wir messen können, desto präziser können die Einheiten realisiert werden! Im neuen System ist eine Einheit in der Regel über mehrere Naturkonstanten definiert, beim Meter sind es z. B. zwei und beim Kilogramm drei. Eine Änderung am Einheitensystem hat natürlich Auswirkungen auf alle Messprozesse. Die Neudefinitionen sind jedoch so durchgeführt worden, dass sie auf das tägliche Leben, die Wirtschaft und die Technik keinen merklichen Einfluss haben. Die Körpertemperatur eines gesunden Menschen wird auch im neuen System bei 37 ◦ C liegen, das große Blutbild, das im medizinischen Labor bestimmt wird, 2 kg Kartoffeln, die man auf dem Markt kauft, oder die Stromrechnung werden, verglichen mit dem alten System, unverändert sein. Die Sekunde als Zeiteinheit Die Zeiteinheit Sekunde definieren wir heute wie folgt1 : „Die Sekunde (s) ist die SI-Einheit der Zeit. Sie ist definiert, indem für die Cäsiumfrequenz Δ νCs , der Frequenz der Strahlung des ungestörten Hyperfeinstrukturübergangs des Grundzustands des Cäsiumatoms 133 55 Cs, der Zahlenwert 9 192 631 770 festgelegt wird, ausgedrückt in der Einheit Hz, die gleich s −1 ist: 1 s = 9 192 631 770 / Δ νCs .“

Bemerkungen: • Damit entspricht eine Sekunde der Zeitspanne von 9 192 631 770 Schwingungen der Caesium Strahlung, die beim Hyperfeinstrukturübergang absorbiert oder emittiert wird (siehe Abschn. 11.5.6). 1 Countdown zum neuen SI, Physikalisch Technische Bundesanstalt, CODATA 2017 special adjustment.

1.4

Physikalische Größen und ihre Einheiten

9

• Da wir Frequenzen ν, d. h. Schwingungen pro Sekunde (siehe Kap. 7), sehr genau messen können, ist die Sekunde zurzeit mit einer Genauigkeit von Δν = 10−16 ν

(1.3)

realisierbar. Der Meter als Längeneinheit All unsere Erfahrungen sind im Einklang mit dem Naturgesetz, dass die Lichtgeschwindigkeit c unabhängig von äußeren Einflüssen in allen Bezugssystemen den gleichen Wert besitzt. Deshalb basieren wir die Definition des Meters auf zwei Naturkonstanten, die Lichtgeschwindigkeit c im Vakuum sowie Δ νCs 2 : „Der Meter (m) ist die SI-Einheit der Länge. Er ist definiert, indem für die Lichtgeschwindigkeit in Vakuum c der Zahlenwert 299 792 458 festgelegt wird, ausgedrückt in der Einheit m/s, wobei die Sekunde mittels Δ νCs definiert ist: 1 m = 30,663 318 . . . c / Δ νCs .“

Bemerkungen: • Damit ist der Meter zurzeit ebenfalls mit einer Genauigkeit von 10−16 realisierbar. • Ein Meter entspricht also der Strecke s, die das Licht im Vakuum in der Zeit t = 1cm = 1/299 792 458 s zurücklegt. Damit gilt für die Lichtgeschwindigkeit c=

s = 299 792 458 m/s  3 · 108 m/s. t

(1.4) 

Abgeleitete Einheiten Wie die anderen Grundeinheiten des SI-Systems definiert sind, wird in den folgenden Kapiteln beschrieben. Die Einheiten der abgeleiteten Größen ergeben sich dann durch die Verknüpfungsgleichungen aus den Einheiten der Grundgrößen. Betrachten wir als Beispiel noch einmal die Geschwindigkeit, die entsprechend der Verknüpfungsgleichung (1.2) wie folgt von den Grundgrößen Länge und Zeit abhängt: Geschwindigkeit =

L ange ¨ Z eit

(1.5)

(lies: „Länge pro Zeit“), sodass sich als Einheit für die Geschwindigkeit m/s (lies: „Meter pro Sekunde“) ergibt. Man beachte jedoch, dass im neuen SI-System auch die abgeleiteten Einheiten letztlich auf die Naturkonstanten zurückgeführt werden können und sie deshalb

2 Countdown zum neuen SI, Physikalisch Technische Bundesanstalt, CODATA 2017 special adjustment.

10

1 Einführung und Überblick

gleichwertig zu den Einheiten der Grundgrößen sind. In diesem Sinne entfällt im neuen System die Unterscheidung zwischen Grundeinheiten und abgeleiteten Einheiten. Zur Dimension einer physikalischen Größe Die Einheit einer physikalischen Größe ist a priori nicht vorgegeben und muss definiert werden. Eine physikalische Größe hängt ferner nicht davon ab, in welcher Einheit sie ausgedrückt wird, d. h., sie ändert sich nicht, wenn man sie auf eine andere Einheit umrechnet. Man sagt, sie ist invariant gegenüber einem Wechsel der Einheit. So kann man z. B. die Geschwindigkeit eines Autos in km/h oder in m/s angeben. Unabhängig davon wird das Auto jedoch gleich schnell fahren. Im Gegensatz zur Einheit ist jedoch die grundlegende Abhängigkeit der Größe Geschwindigkeit von den Grundgrößen Länge und Zeit durch (1.5) eindeutig festgelegt. Eine solche Abhängigkeit einer physikalischen Größe G von den Grundgrößen heißt Dimension [G]. Sie folgt aus den Verknüpfungsgleichungen.

Merke:

Die Dimension der Geschwindigkeit ist Länge/Zeit und nicht m/s! Dimension und Einheit sind also zu unterscheiden! Man sollte stets nachprüfen, ob eine berechnete Größe die richtige Dimension besitzt. 

Tab. 1.1 Vielfache und Teile von Einheiten Zehnerpotenz

Bezeichnung

1018

Zeichen

Beispiel

Exa

E

Es

1015

Peta

P

Pm

1012

Tera

T

Tm

109

Giga

G

Gm

106

Mega

M

Ms

103

Kilo

k

kg

10−1

Dezi

d

dm

10−2

Zenti

c

cm

10−3

Milli

m

mg

10−6

Mikro

μ

μs

10−9

Nano

n

nm

10−12

Piko

p

pF

10−15

Femto

f

fm

10−18

Atto

a

am

1.4

Physikalische Größen und ihre Einheiten

11

Vielfache und Teile von Einheiten In den einzelnen Bereichen der Natur treten sehr verschiedene Größenordnungen für die einzelnen Größen auf. Es ist daher bequem, für Vielfache und Teile von Einheiten ein allgemein gültiges System von Abkürzungen einzuführen, das in Tab. 1.1 dargestellt ist. So liegt z. B. der Durchmesser von Atomkernen im Bereich 10−15 m ≡ fm, während der Abstand der Erde von der Sonne ungefähr 1,5 · 1011 m ≡ 0,15 T m beträgt.

2

Mathematische Grundlagen

Inhaltsverzeichnis 2.1

2.2 2.3

2.4

Der 1-, 2- und 3-dimensionale Punktraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Die Gerade und die Menge der reellen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Die euklidische Ebene und der R2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Der euklidische Raum und der R3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Skalare und vektorielle Größen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zum Rechnen mit Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Skalarmultiplikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Addition und Subtraktion von Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Das Skalarprodukt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.4 Das Vektorprodukt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Differentiation von Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Vektorfunktionen und Kurven im R3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3 Differentiation von Vektorfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

14 14 14 18 19 23 23 25 31 36 38 38 39 41

Vorgänge finden im Allgemeinen im Raum statt. So kann sich z. B. ein Körper entlang einer Geraden, in einer Ebene oder im Raum bewegen. Hierbei stellt sich zunächst die Frage, wie wir eine Gerade, eine Ebene oder den Raum mathematisch beschreiben können? Danach klassifizieren wir physikalische Größen in skalare Größen und vektorielle Größen. Wir führen physikalische oder geometrische Vektoren ein, fassen ihre Eigenschaften zusammen und zeigen, wie wir mit ihnen rechnen können. Als eine geometrische Anwendung betrachten wir dann Geraden und Kreise im Raum. Zur Definition von physikalischen Größen wie z. B. der Geschwindigkeit oder der Beschleunigung benötigen wir ferner den Begriff der Vektorfunktion, der auf dem allgemeinen Abbildungsbegriff basiert, und den wir zunächst einführen, sowie deren Ableitungen [11].

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Rufa, Physik für Studierende der Biowissenschaften, Chemie und Medizin, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61258-3_2

13

14

2.1

2 Mathematische Grundlagen

Der 1-, 2- und 3-dimensionale Punktraum

Die Gerade, die Ebene und der Raum sind Punktmengen, die wir mit den Mengen R, R2 und R3 identifizieren können. Was verstehen wir darunter?

2.1.1

Die Gerade und die Menge der reellen Zahlen

Indem wir auf einer Geraden (willkürlich) einen Nullpunkt festlegen, dem wir die reelle Zahl 0 zuordnen, können wir die Gerade mit der Menge der reellen Zahlen R identifizieren: Jedem Punkt P der Geraden entspricht umkehrbar eindeutig eine reelle Zahl x ∈ R (siehe Abb. 2.1), und wir schreiben hierfür kurz: P = x, x ∈ R

(2.1)

Aufgrund dieser Identifizierung können wir Punkte einer Geraden durch reelle Zahlen beschreiben, und umgekehrt können wir uns reelle Zahlen als Punkte einer Geraden anschaulich vorstellen. Somit können wir klassisch einen „Zeitpunkt“ als einen Punkt auf einer reellen Zeitachse auffassen und die „Zeit“ durch die Punkte einer reellen Zahlengeraden beschreiben (siehe Kap. 3).

2.1.2

Die euklidische Ebene und der R2

Die Menge R2 von Paaren (x, y) reeller Zahlen

R2 := {(x, y) | x, y ∈ R}

(2.2)

heißt 2-dimensionaler Punktraum. Die Elemente (x, y) ∈ R2 heißen 2-Tupel. Beispiele (1, 2) ∈ R2 , (−

√ 2, ln 8) ∈ R2 

Indem wir in einer euklidischen Ebene ein kartesisches Koordinatensystem einführen, können wir die Ebene mit dem R2 identifizieren: Jedem Punkt P der Ebene entspricht umkehrbar eindeutig ein 2-Tupel (x, y) (siehe Abb. 2.2), und wir schreiben kurz:

Abb. 2.1 Die reelle Zahlengerade

2.1

Der 1-, 2- und 3-dimensionale Punktraum

P = (x, y), x, y ∈ R

15

(2.3)

Aufgrund dieser Identifizierung können wir Punkte einer Ebene durch 2-Tupel beschreiben, und umgekehrt können wir uns 2-Tupel als Punkte einer Ebene anschaulich vorstellen. Koordinaten Das Koordinatensystem unterteilt die Ebene in die Quadranten I, II, III und IV. Der Punkt O = (0, 0) heißt Ursprung des Koordinatensystems, und die reellen Zahlen x und y heißen kartesische Koordinaten des Punktes P. Außer durch seine kartesischen Koordinaten können wir einen Punkt P der Ebene auch durch seine ebenen Polarkoordinaten r und ϕ beschreiben (siehe Abb. 2.2). Hierbei bezeichnet r den Abstand des Punktes P vom Ursprung O, und er ist gegeben durch:  r = x 2 + y2, 0 ≤ r < ∞ (2.4) Der Polarwinkel ϕ beschreibt den Winkel, den die Strecke O P mit der positiven x-Achse einschließt. Er ist gegeben durch (siehe Abb. 2.2): y , 0 ≤ ϕ < 2π (2.5) x In Abhängigkeit davon, in welchem Quadranten der Punkt P = (x, y) liegt, folgt dann für ϕ: tan ϕ =

Abb. 2.2 Die euklidische Ebene und der R2

16

2 Mathematische Grundlagen

y

, y ≥ 0, x >0 xy    x 0, x =0 2 3π ϕ= , y < 0, x =0 2 Umgekehrt gilt für die kartesischen Koordinaten als Funktion der Polarkoordinaten: I : ϕ=

ar ctan

x = r · cos ϕ y = r · sin ϕ Der Polarwinkel ϕ kann auf zwei Arten angegeben werden: in Grad rad.

(2.7) ◦

und im Bogenmaß

Das Grad Per Definition entspricht ein „voller Kreis“ einem Winkel von 360◦ . Ein Grad 1◦ ist dann definiert als der 360. Teil eines Vollkreises. Ein Grad ist weiter unterteilt in Winkelminuten (’) und Winkelsekunden (”). Es gelten:  60

1 Grad ≡ 1◦ = (2.8) 1 =  60

Beispiel 13,5◦ = 13◦ 0,5 · 60 = 13◦ 30

 Das Bogenmaß Eine größere Bedeutung besitzt jedoch die Angabe des Winkels im Bogenmaß (siehe Abb. 2.3). Schneidet der Winkel ϕ aus einem Kreis mit dem Radius r einen Kreisbogen der Länge s aus, dann ist der Winkel ϕ im Bogenmaß definiert durch: s (2.9) r Als Einheit verwendet man oft die Bezeichnung Radiant (rad). Wenn s dem Kreisumfang U = 2πr entspricht, so erhält man nach (2.9) für den „vollen Winkel“ im Bogenmaß ϕ = 2πr r = 2 π . Es gelten dann die folgenden Beziehungen: ϕ :=

2.1

Der 1-, 2- und 3-dimensionale Punktraum

17

Abb. 2.3 Zum Bogenmaß eines Winkels

360◦ 180◦ 90◦ 1◦

=  2π „Vollkreis“ =  π „Halbkreis“ =  π2 „rechter Winkel“ =  2 π/360 = 0,0174 rad

Umgekehrt gilt: 1 rad = 

360◦ = 57,3◦ 2π

(2.10)

(2.11)

Beispiel 2.1 Polarkoordinaten Dem Punkt P = (3, −4), der im 4. Quadranten liegt, entsprechen die Polarkoordinaten: r=



32 + (−4)2 =

√ 25 = 5

−4 |= 2 π − ar ctan 1,33 = 5,36 rad =  306,9◦ 3 Umgekehrt besitzt der Punkt P mit den Polarkoordinaten r = 2 und ϕ = π4 die kartesischen Koordinaten: ϕ = 2 π − ar ctan |

x = r · cos ϕ = 2 · cos

√ π = 2 4

y = r · sin ϕ = 2 · sin

√ π = 2 4 

18

2 Mathematische Grundlagen

Abb. 2.4 Zum Raumwinkel

Der Raumwinkel Zur Definition photometrischer Größen (siehe Abschn. 9.1) benötigen wir ferner den Begriff des Raumwinkels (siehe Abb. 2.4). Schneidet ein Kegel, dessen Spitze im Mittelpunkt einer Kugel mit dem Radius r liegt, aus dieser die Fläche A aus, dann ist der Raumwinkel  definiert durch: A (2.12) r2 Als Einheit verwendet man oft die Bezeichnung Steradiant (sr). Wenn A der gesamten Kugeloberfläche A = 4πr 2 entspricht, so erhält man nach (2.12) für den „vollen Raum2 winkel“  = 4πr = 4 π . Anlog zum Winkel im Bogenmaß ist auch der Raumwinkel r2 dimensionslos, sodass die Einheit sr wie das rad weggelassen werden kann.  :=

2.1.3

Der euklidische Raum und der R3

Die Menge R3 von Tripeln (x, y, z) reeller Zahlen

R3 := {(x, y, z) | x, y, z ∈ R}

(2.13)

heißt 3-dimensionaler Punktraum. Die Elemente (x, y, z) ∈ R3 heißen 3-Tupel. Beispiele (1, 2, 3) ∈ R3 , (−5, ln 2, 0) ∈ R3 

2.2

Skalare und vektorielle Größen

19

Abb. 2.5 Der euklidische Raum und der R3

Indem wir im (euklidischen) Raum ein kartesisches Koordinatensystem einführen, können wir den Raum mit dem R3 identifizieren: Jedem Punkt P des Raumes entspricht umkehrbar eindeutig ein Tripel (x, y, z) reeller Zahlen (siehe Abb. 2.5), und wir schreiben kurz: P = (x, y, z), x, y, z ∈ R

(2.14)

Aufgrund dieser Identifizierung können wir Punkte des Raumes durch 3-Tupel beschreiben, und umgekehrt können wir uns 3-Tupel als Punkte des Raumes anschaulich vorstellen. Der Punkt O = (0, 0, 0) heißt Ursprung des Koordinatensystems, und die reellen Zahlen x, y und z heißen kartesische Koordinaten des Punktes P. Außer durch seine kartesischen Koordinaten können wir einen Raumpunkt auch durch seine sphärischen Polarkoordinaten r , ϕ und θ beschreiben (siehe Abb. 2.5).

2.2

Skalare und vektorielle Größen

In der Natur spielen skalare und vektorielle Größen eine wichtige Rolle. Was verstehen wir darunter? Skalare Unter einem Skalar S verstehen wir eine Größe, die wir durch eine reelle Zahl s ∈ R beschreiben können. Damit entsprechen die Addition und die Multiplikation von skalaren Größen den entsprechenden Operationen in R. Beispiele für skalare Größen sind Temperatur, Druck, Masse oder Stromstärke.

20

2 Mathematische Grundlagen

Vektoren Unter einem (physikalischen oder geometrischen) Vektor a verstehen wir eine Größe, die wir durch drei reelle Zahlen a1 , a2 und a3 beschreiben können und die wir zu einem Spaltenvektor zusammenfassen. Wir schreiben: ⎞ a1 a = ⎝ a2 ⎠ a3 ⎛

(2.15)

Die reellen Zahlen a1 , a2 und a3 heißen skalare Komponenten des Vektors a . Die Menge dieser Vektoren bezeichnen wir mit V p . Beispiele für vektorielle Größen sind Kraft, Ort, Geschwindigkeit oder elektrische und magnetische Felder an einem Raumpunkt. Nullvektor Der eindeutig bestimmte Vektor, dessen skalare Komponenten alle null sind, heißt Nullvektor 0: ⎛ ⎞ 0 0 := ⎝ 0 ⎠ 0

(2.16)

Gleichheit von Vektoren ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ a1 b1 Zwei Vektoren a = ⎝ a2 ⎠ und b = ⎝ b2 ⎠ sind genau dann gleich, wenn ihre skalaren a3 b3 Komponenten gleich sind: a = b ⇐⇒ a1 = b1 , a2 = b2 , a3 = b3

(2.17)

Beispiel

⎛ ⎞ ⎛ ⎞ x 1 Genau dann gilt ⎝ b ⎠ = ⎝ 2 ⎠, wenn x = 1 und b = 2 ist. 3 3 

Betrag und Richtung von Vektoren ⎛ ⎞ a1 Jeder Vektor a = ⎝ a2 ⎠  = 0 hat einen Betrag und eine Richtung, und wir stellen ihn a3 geometrisch durch einen Pfeil dar (siehe Abb. 2.6). Die skalaren Komponenten a1 , a2 und a3 von a beziehen wir immer auf ein vorgegebenes Koordinatensystem. Wenn wir ein

2.2

Skalare und vektorielle Größen

21

Abb. 2.6 Zur geometrischen Darstellung eines Vektors a ∈ V p



⎞ a1 solches System einführen, so können wir den Vektor a = ⎝ a2 ⎠ als gerichtete Strecke a3 vom Koordinatenursprung zum Punkt P = (a1 , a2 , a3 ) zeichnen (siehe Abb. 2.6), dessen Koordinaten mit den skalaren Komponenten des Vektors a übereinstimmen. Den Betrag | a | von a definieren wir durch:  a ≡ | a | := (a1 )2 + (a2 )2 + (a3 )2 ≥ 0, (2.18) und er beschreibt die Länge des Vektorpfeiles. Die Richtung von a beschreiben wir durch den Richtungsvektor: ⎛ a1 ⎞ ⎜ a⎟ ⎜ a2 ⎟ ⎟ (2.19) aˆ := ⎜ ⎜ a⎟ ⎝ ⎠ a3 a aˆ besitzt den Betrag 1, und wir nennen allgemein einen Vektor mit der Länge 1 Einheitsvektor. Beispiel 2.2 Betrag und Richtung ⎛ ⎞ 1 Gegeben sei der Vektor a = ⎝ 2 ⎠. Dann erhalten wir für seinen Betrag: 2  √ a = | a | = 12 + 22 + 22 = 9 = 3 sowie für seinen Richtungsvektor:

22

2 Mathematische Grundlagen

⎛ 1⎞ ⎜ 3⎟ ⎜ ⎟ ⎜ 2⎟ aˆ = ⎜ ⎟ ⎜ 3⎟ ⎝ ⎠ 2 3  Parallele und antiparallele Vektoren Weiter heißen zwei Vektoren ungleich dem Nullvektor parallel, wenn sie die gleiche Richtung besitzen, und antiparallel, wenn sie in entgegengesetzte Richtung zeigen.

Translationsinvarianz Wir können einen Vektor a  = 0 parallel verschieben, wobei sich sein Betrag und seine Richtung nicht ändern. Vektor und parallel verschobener Vektor sind also gleich! Diese Eigenschaft von Vektoren heißt Translationsinvarianz.

Beispiel 2.3 Der Ortsvektor Zu einem beliebigen Zeitpunkt t befindet sich ein „Massenpunkt“ an einem bestimmten Raumpunkt P (siehe Abschn. 3.1). Indem wir im Raum ein kartesisches Koordinatensystem einführen, können wir diesen Raumpunkt durch das 3-Tupel P = (x, y, z) beschreiben. Da sich der Ort des Massenpunktes i. Allg. mit der Zeit ändert, sind die Koordinaten des Punktes P zeitabhängig, und wir schreiben hierfür x(t), y(t) und z(t). Den Ort des Massenpunktes beschreiben wir dann durch den Ortsvektor

2.3

Zum Rechnen mit Vektoren

23

Abb. 2.7 Ortsvektor und Bahnkurve eines Massenpunktes

⎞ x(t) r (t) := ⎝ y(t) ⎠ ∈ V p , z(t) ⎛

(2.20)

der vom Ursprung des Koordinatensystems zu dem Raumpunkt zeigt, an dem sich der Massenpunkt zum Zeitpunkt t befindet (siehe Abb. 2.7). Die Menge aller Raumpunkte, die der Massenpunkt zu allen möglichen Zeitpunkten t passiert, heißt Bahnkurve des Massenpunktes. 

2.3

Zum Rechnen mit Vektoren

2.3.1

Skalarmultiplikation ⎛

⎞ a1 Für jeden Vektor a = ⎝ a2 ⎠ ∈ V p definieren wir eine Multiplikation mit einer beliebigen a3 reellen Zahl s ∈ R, die wir Skalarmultiplikation nennen, durch ⎞ ⎛ ⎞ s · a1 a1 s · a = s · ⎝ a2 ⎠ := ⎝ s · a2 ⎠ ∈ V p , a3 s · a3 ⎛

wobei das Ergebnis wieder ein Vektor ist.

(2.21)

24

2 Mathematische Grundlagen

Beispiel

⎞ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ 5 5·1 1 5 · ⎝ 2 ⎠ = ⎝ 5 · 2 ⎠ = ⎝ 10 ⎠ −35 5 · (−7) −7 ⎛

 Damit können wir jeden Vektor a  = 0 in der Form „Betrag · Richtungsvektor“ ⎛ a1 ⎞ ⎜ a⎟ ⎜ a2 ⎟ ⎟ a = a · ⎜ ⎜ a ⎟ = a · aˆ ⎝ ⎠ a3 a

(2.22)

schreiben. Zur geometrischen Bedeutung der Skalarmultiplikation Wenn wir einen Vektor a  = 0 mit einer reellen Zahl s > 0 multiplizieren, so ist s · a parallel zu a . Ist jedoch s < 0, so sind s · a und a antiparallel. In beiden Fällen ist der Betrag jedoch gegeben durch: | s · a |=| s | · | a |=| s | ·a (2.23)

Ist also | s | > 1, so wird der Vektor a gestreckt, und ist 0 < | s | < 1, so wird der Vektor a gestaucht.

Rechenregeln für die Skalarmultiplikation

Für einen beliebigen Vektor a ∈ V p und beliebige reelle Zahlen s1 , s2 , s ∈ R gilt: 1 · a = a 0 · a = 0 s · 0 = 0 (s1 + s2 ) · a = s1 · a + s2 · a (s1 · s2 ) · a = s1 · (s2 · a )

(2.24)

2.3

Zum Rechnen mit Vektoren

2.3.2

25

Addition und Subtraktion von Vektoren

⎛ ⎞ ⎞ b1 a1 Die Addition zweier beliebiger Vektoren a = ⎝ a2 ⎠ und b = ⎝ b2 ⎠ definieren wir durch a3 b3 ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ a1 b1 a1 + b1 a + b = ⎝ a2 ⎠ + ⎝ b2 ⎠ := ⎝ a2 + b2 ⎠ ∈ V p , (2.25) a3 b3 a3 + b3 ⎛

wobei das Ergebnis wieder ein Vektor ist. Beispiel ⎞ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎛ ⎞ ⎛ −2 1 + (−3) −3 1 ⎝0⎠ + ⎝ 2 ⎠ = ⎝ 0 + 2 ⎠ = ⎝ 2 ⎠ 5

2

2+5

7 

Die Subtraktion der Vektoren a und b ist definiert durch ⎛

⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ a1 − b1 a1 − b1 = ⎝ a2 ⎠ + ⎝ − b2 ⎠ = ⎝ a2 − b2 ⎠ ∈ V p , a − b := a + (− b) a3 − b3 a3 − b3

(2.26)

worin ⎞ − b1 − b = (− 1) · b = ⎝ − b2 ⎠ − b3 ⎛

(2.27)

den inversen Vektor zu b bezeichnet. Wir subtrahieren also den Vektor b vom Vektor a , indem wir den inversen Vektor −b zu a addieren. Damit wird die Subtraktion auf die Addition zurückgeführt. Beispiel Nach (2.26) erhalten wir: ⎞ ⎛ ⎞ ⎞ ⎛ ⎛ ⎞ 2 1 − (−1) −1 1 ⎝ 5 ⎠ − ⎝ 2 ⎠ = ⎝ 5 − 2 ⎠ := ⎝ 3 ⎠ −10 −3 − 7 7 −3 ⎛

26

2 Mathematische Grundlagen

⎞ ⎛ ⎞ 1 −1 Ferner ist der inverse Vektor zu b = ⎝ 2 ⎠ gegeben durch − b = ⎝ −2 ⎠. −3 3 ⎛



Geometrische Addition und Subtraktion von Vektoren Zwei Vektoren a  = 0 und b  = 0 können auch, wie in der folgenden Abbildung gezeigt, geometrisch addiert bzw. subtrahiert werden. Wir verschieben den Vektor b parallel, sodass sein Anfangspunkt auf dem Endpunkt des Vektors a zu liegen kommt. Verbinden wir dann so erhalten wir den Vektor a + b. Die den Anfangspunkt von a mit dem Endpunkt von b, Subtraktion beider Vektoren ist definiert durch die Addition des inversen Vektors von b zu a , den wir erhalten, indem wir den Vektor b einfach umklappen. Verbinden wir dann den so erhalten wir den Vektor a − b. Anfangspunkt des Vektors a mit dem Endpunkt von − b,

Rechenregeln für die Addition

c ∈ V p und eine beliebige reelle Zahl s ∈ R gilt: Für beliebige Vektoren a , b, a + b = b + a „Kommutativgesetz“ + c = a + (b + c ) „Assoziativgesetz“ ( a + b) a + 0 = a

(2.28)

= 0 b + (− b) = s · a + s · b s · ( a + b)

Die Gerade im Raum Unter einer Geraden G verstehen wir eine Punktmenge G ⊆ R3 im Raum, die wir durch Einführung eines kartesischen Koordinatensystems durch einen Punkt A der Geraden, zu dem der Ortsvektor a gehört, und einen Richtungsvektor u = 0 beschreiben können. Die Punkte der Geraden sind dann gegeben durch den Ortsvektor r (t) = a + t · u , t ∈ R,

(2.29)

2.3

Zum Rechnen mit Vektoren

27

Abb. 2.8 Die Gerade im Raum

der vom Parameter t abhängt (siehe Abb. 2.8). Indem wir den Parameter t variieren, durchläuft der Ortsvektor r (t) alle Punkte der Geraden. Weiter seien A und B Raumpunkte, zu denen die Ortsvektoren a und b gehören. Durch diese Punkte verläuft eine eindeutig bestimmte Gerade (siehe Abb. 2.9). Ein Richtungsvektor a , sodass wir die Gerade beschreiben können dieser Geraden ist dann gegeben durch u := b− durch: r (t) = a + t · (b − a ), t ∈ R (2.30) Die Beziehung (2.30) heißt Zwei-Punkte-Form der Geradengleichung.

Beispiel 2.4 Gerade im Raum Eine Gerade G werde beschrieben durch: ⎞ ⎞ ⎛ ⎛ 4 1 r (t) = ⎝ −2 ⎠ + t · ⎝ −2 ⎠ , t ∈ R 2 3

Abb. 2.9 Zur Zwei-Punkte-Form der Geradengleichung

28

2 Mathematische Grundlagen

Wie kann man entscheiden, ob die Punkte P1 = (3, −3, 4) bzw. P2 = (3, 0, 2) auf der Geraden liegen? Wenn der Punkt P1 = (3, −3, 4) auf der Geraden liegt, so muss sein Ortsvektor r 1 = ⎞ ⎛ 3 ⎝ −3 ⎠ die Geradengleichung erfüllen, d. h., es muss einen Parameterwert t1 geben, sodass 4 ⎞ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎛ 1 3 4 r 1 = ⎝ −3 ⎠ = ⎝ −2 ⎠ + t1 · ⎝ −2 ⎠ = r (t1 ) 3 4 2 gilt. Hieraus folgt: ⎛ ⎞ ⎞ 1 + 4 t1 3 ⎝ −3 ⎠ = ⎝ −2 − 2 t1 ⎠ 4 3 + 2 t1 ⎛

Gleichheit von Vektoren bedeutet Gleichheit der entsprechenden Komponenten. Damit erhalten wir die drei Komponentengleichungen: 3 = 1 + 4 · t1 −3 = −2 − 2 t1 4 = 3 + 2 t1

Aus der letzten Gleichung folgt t1 = 21 . Da auch die beiden anderen Gleichungen für diesen Parameterwert erfüllt sind, liegt der Punkt P1 auf der Geraden. ⎛ ⎞ 3 Analog erhalten wir für den Punkt P2 = (3, 0, 2), zu dem der Ortsvektor r 2 = ⎝ 0 ⎠ 2 gehört, die Vektorgleichung: ⎞ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎛ 1 3 4 r 2 = ⎝ 0 ⎠ = ⎝ −2 ⎠ + t2 · ⎝ −2 ⎠ = r (t2 ) 3 2 2 mit den Komponentengleichungen: 3 = 1 + 4 t2 0 = −2 − 2 t2 2 = 3 + 2 t2

2.3

Zum Rechnen mit Vektoren

29

Aus der ersten Gleichung folgt t2 = 21 , aus der zweiten t2 = −1 und aus der dritten t2 = − 21 , sodass es keinen Parameterwert t2 gibt, für den alle drei Gleichungen erfüllt sind. Deshalb liegt der Punkt P2 nicht auf der Geraden.  Einheitsvektoren in x-, y- und z-Richtung ⎛ ⎞ x1 Einen beliebigen Vektor x = ⎝ x2 ⎠ ∈ V p können wir stets wie folgt zerlegen: x3 ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ 0 0 x1 x1 x = ⎝ x2 ⎠ = ⎝ 0 ⎠ + ⎝ x2 ⎠ + ⎝ 0 ⎠ x3 0 x3 0 ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ 1 0 0 = x1 · ⎝ 0 ⎠ + x2 · ⎝ 1 ⎠ + x3 · ⎝ 0 ⎠ 0

0

(2.31)

1

Es gibt offenbar drei Vektoren in V p derart, dass wir alle Vektoren x ∈ V p durch diese gemäß der Vorschrift (2.31) in eindeutiger Weise „erzeugen“ können. Wir bezeichnen sie mit ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ 1 0 0 ⎠ ⎠ ⎝ ⎝ ⎝ eˆ1 = 0 , eˆ2 = 1 , eˆ3 = 0 ⎠ . 0 0 1

(2.32)

Weil eˆ1 in x-Richtung, eˆ2 in y-Richtung und eˆ3 in z-Richtung zeigen, heißen sie Einheitsvektoren in x-, y- und z-Richtung, und wir bezeichnen sie deshalb auch mit eˆx , eˆ y und eˆz .

Vektorielle Komponenten Mithilfe dieser Einheitsvektoren können wir also jeden Vektor x ∈ V p schreiben als:

30

2 Mathematische Grundlagen

Abb. 2.10 Vektorielle Komponenten in x-, y- und z-Richtung



⎞ x1 x = ⎝ x2 ⎠ = x1 · eˆ1 + x2 · eˆ2 + x3 · eˆ3 x3

(2.33)

Die Beziehung (2.33) bedeutet offenbar, dass wir den Vektor x durch Addition der drei Vektoren x1 eˆ1 , x2 eˆ2 und x3 eˆ3 erhalten (siehe Abb. 2.10). Wir nennen deshalb die Vektoren x1 eˆ1 , x2 eˆ2 und x3 eˆ3 vektorielle Komponenten des Vektors x in x-, y- und z-Richtung.

Beispiel 2.5 Vektorielle Komponenten auf einen Körper, der sich auf einer schiefen Ebene befindet, können Die Schwerkraft G p parallel und eine vektorielle Komponente wir zerlegen in eine vektorielle Kompontente G s senkrecht zur schiefen Ebene (siehe Abb. 2.11), wobei gilt: G = G p + G s G 

Abb. 2.11 Vektorielle Komponenten der Schwerkraft

2.3

Zum Rechnen mit Vektoren

2.3.3

31

Das Skalarprodukt



⎞ ⎛ ⎞ a1 b1 Das Skalarprodukt zweier beliebiger Vektoren a = ⎝ a2 ⎠ und b = ⎝ b2 ⎠ ist definiert a3 b3 durch: ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ b1 a1 (2.34) a · b = ⎝ a2 ⎠ · ⎝ b2 ⎠ := a1 · b1 + a2 · b2 + a3 · b3 ∈ R, a3 b3 wobei das Ergebnis eine reelle Zahl ist! Ferner gilt die Beziehung: a · b = a · b · cos β = a · b · cos (2 π − β),

(2.35)

worin β den Winkel zwischen a und b bezeichnet, während a = | a | bzw. b = | b | die Beträge der Vektoren sind.

Beispiel 2.6 Skalarprodukt

⎞ ⎛ ⎞ 3 0 Gegeben seien die Vektoren a := ⎝ −1 ⎠ und b := ⎝ 4 ⎠. Dann gelten: 5 1 ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ 3 0 a · b = ⎝ −1 ⎠ · ⎝ 4 ⎠ = 0 · 3 + (−1) · 4 + 1 · 5 = 1 5 1  √ a =| a |= 02 + (−1)2 + 12 = 2 ⎛

b = | b |=



32 + 42 + 52 =

√ √ 2 · 25 = 5 · 2

Für den Winkel β zwischen a und b erhalten wir nach (2.35) cos β =

1 a · b 1 = √ = 0,1, √ = a·b 10 2·5· 2

d. h. β = ar ccos 0,1 = 84,3◦ . 

32

2 Mathematische Grundlagen

Rechenregeln für das Skalarprodukt

(i) Das Skalarprodukt zweier senkrecht aufeinander stehender Vektoren (β = π2 ) ist null: π a · b = a · b · cos = 0, falls a ⊥ b (2.36) 2 Die Vektoren a und b heißen dann orthogonal. (ii) Sind a und b parallel, so gilt: a · b = a · b · cos 0 = a · b, falls a  b

(2.37)

Insbesondere gilt für jeden Vektor a ∈ V p : a 2 := a · a = a · a = a 2

(2.38)

(iii) Für alle Vektoren a , b ∈ V p gilt: a · b = b · a

(2.39)

c ∈ V p gilt: (iv) Für alle Vektoren a , b, a · (b + c ) = a · b + a · c

(2.40)

Zum Schnitt zweier Geraden Wenn sich zwei Geraden G1 und G2 schneiden, die wir durch r 1 = a + t · u und r 2 = b + t · v beschreiben, dann können wir ihren Schnittpunkt S und den Schnittwinkel α bestimmen (siehe Abb. 2.12). Der Schnittwinkel α entspricht dem spitzen Winkel zwischen den Geraden, den wir mithilfe der Richtungsvektoren u und v bestimmen können. Ist der Winkel zwischen den Richtungsvektoren u und v größer als 90◦ , d. h. gilt u · v < 0 (siehe Abb. 2.13(a)), so

Abb. 2.12 Zum Schnitt zweier Geraden

2.3

Zum Rechnen mit Vektoren

33

Abb. 2.13 Zum Schnittwinkel zwischen den Geraden

entspricht dieser nicht dem Schnittwinkel α der Geraden, sondern dem Winkel π − α. In diesem Fall gilt mit cos (π − α) = − cos α: u · v u·v Ist dagegen der Winkel zwischen den Richtungsvektoren u und v kleiner als 90◦ , d. h. gilt u · v > 0 (siehe Abb. 2.13(b)), dann entspricht dieser dem Schnittwinkel, und es gilt: u · v = u · v · cos (π − α) = − u · v · cos α



cos α = −

u · v u·v In beiden Fällen ist also der Schnittwinkel α gegeben durch: u · v = u · v · cos α



cos α =

| u · v | | u · v | ⇒ α = ar ccos (2.41) u·v u·v Den Schnittpunkt S beschreiben wir durch seinen Ortsvektor r s (siehe Abb. 2.12). Weil S auf beiden Geraden liegt, muss es Parameterwerte ts und ts geben, sodass der Schnittpunkt durch beide Geraden beschrieben werden kann, d. h., es gilt: cos α =

r s = a + ts · u = b + ts · v

(2.42)

Aus (2.42) erhalten wir drei Komponentengleichungen für die gesuchten Parameterwerte ts und ts . Indem wir diese in r 1 = a + t · u bzw. r 2 = b + t · v einsetzen, erhalten wir den Ortsvektor r s des Schnittpunktes. Beispiel 2.7 Zum Schnitt zweier Geraden Gegeben seien die Geraden G1 und G2 , die wir durch ⎛ ⎞ ⎞ 1 −1 r 1 (t) = a + t · u = ⎝ −1 ⎠ + t · ⎝ 0 ⎠ , t ∈ R 1 1 ⎛

und

34

2 Mathematische Grundlagen

⎞ ⎛ ⎞ 1 0 r 2 (t) = b + t · v = ⎝ −4 ⎠ + t · ⎝ 1 ⎠ , t ∈ R 0 1 ⎛

beschreiben. Wenn sich die Geraden schneiden, dann muss es Parameterwerte ts und ts

geben, für die die Vektorgleichung r s = a + ts · u = b + ts · v d. h. explizit ⎞ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎛ ⎞ 1 1 0 −1 ⎝ −1 ⎠ + ts · ⎝ 0 ⎠ = ⎝ −4 ⎠ + ts · ⎝ 1 ⎠ , 0 1 1 1 ⎛

erfüllt ist, aus der wir die Komponentengleichungen für die Parameter ts und ts

− 1 + ts = 1 − 1 = − 4 + ts

1 + ts = ts

erhalten. Aus der ersten Gleichung folgt ts = 2 und aus der zweiten ts = 3. Da auch die dritte Gleichung für diese Parameterwerte erfüllt ist, schneiden sich die Geraden. Für den Ortsvektor des Schnittpunktes erhalten wir damit ⎛

⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ −1 1 1 r s = ⎝ −1 ⎠ + 2 · ⎝ 0 ⎠ = ⎝ −1 ⎠ , 1 1 3 sodass der Schnittpunkt gegeben ist durch S = (1, −1, 3). Ferner erhalten wir mit ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ 0 1 ⎠ ⎝ ⎝ u · v = 0 · 1 ⎠ = 1 · 0 + 0 · 1 + 1 · 1 = 1 1 1 √ √ 1+0+1= 2 √ √ v = | v |= 0 + 1 + 1 = 2

u = | u |=

für den Schnittwinkel α = ar ccos

1 | u · v | = ar ccos = 60◦ u·v 2



2.3

Zum Rechnen mit Vektoren

35

Abb. 2.14 Der Kreis im Raum

Der Kreis im Raum Unter einem Kreis K verstehen wir eine Punktmenge K ⊆ R3 im Raum, die wir durch Einführung eines kartesischen Koordinatensystems durch den Mittelpunkt M, den wir durch den Ortsvektor a beschreiben, eine reelle Zahl R > 0, die wir Radius nennen, und einen Normalenvektor n  = 0 senkrecht zum Kreis beschreiben können (siehe Abb. 2.14). Zur Punktmenge „Kreis“ gehören all diejenigen Raumpunkte P = (x, y, z), deren Abstand vom Mittelpunkt M gleich R ist, für die also | r − a | = R ⇔ | r − a |2 = R 2 ⇔ ( r − a )2 = R 2 (x − a1 )2 + (y − a2 )2 + (z − a3 )2 = R 2

(2.43)

gilt und die in einer Ebene senkrecht zum Normalenvektor n liegen. Das bedeutet, dass die Punkte zusätzlich die Beziehung n · ( r − a ) = 0

(2.44)

erfüllen müssen. Beispiel 2.8 Kreis in der x, y-Ebene Ein Kreis in der x, y-Ebene möge den Radius R = 3 besitzen. Als Normalenvektor ⎛ ⎞ 0 ⎝ können wir den Einheitsvektor in z-Richtung n = eˆz = 0 ⎠ wählen. Die Punkte des 1 Kreises haben alle die z-Komponente z = 0. Der Mittelpunkt des Kreises sei M = (2, 3, 0), ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ 2 a1 zu dem der Ortsvektor a = ⎝ a2 ⎠ = ⎝ 3 ⎠ gehört. Mit z = a3 = 0 und R 2 = 9 lautet 0 a3 nach (2.43) die Gleichung dieses Kreises: (x − 2)2 + (y − 3)2 = 9

36

2 Mathematische Grundlagen

Indem wir für x spezielle Werte wählen, erhalten wir beispielhaft folgende Kreispunkte: : (y − 3)2 = 9 y1 y2 x = −1 : (y − 3)2 = 0 y1 x = 5 : (y − 3)2 = 0 y1 x =2

2.3.4

=6 =0 = y2 = 3 = y2 = 3

P1 P2 P3 P4

= (2, 6, 0) = (2, 0, 0) = (−1, 3, 0) = (5, 3, 0)



Das Vektorprodukt ⎛

⎞ ⎛ ⎞ a1 b1 Das Vektorprodukt zweier beliebiger Vektoren a = ⎝ a2 ⎠ und b = ⎝ b2 ⎠ ist definiert a3 b3 durch ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ b1 a 2 · b3 − a 3 · b2 a1 (2.45) a × b = ⎝ a2 ⎠ × ⎝ b2 ⎠ := ⎝ a3 · b1 − a1 · b3 ⎠ ∈ V p , a3 b3 a 1 · b 2 − a 2 · b1 wobei das Ergebnis ein Vektor ist, also einen Betrag und eine Richtung besitzt. Für den Betrag gilt | a × b |= a · b · sin β, 0 ≤ β ≤ π, (2.46) worin β den Winkel zwischen a und b bezeichnet, während a =| a | bzw. b =| b | die Beträge der Vektoren sind.

Dabei entspricht | a × b | geometrisch dem Flächeninhalt des durch die Vektoren a und b aufgespannten Parallelogramms. Für die Richtung von a × b gilt die 3-Fingerregel: „Zeigt der Daumen der rechten Hand in Richtung von a und der Zeigefinger in Richtung von so zeigt der Mittelfinger in die Richtung von a × b.“ b,

Merke:

Der Vektor a × b steht stets senkrecht auf a und b. 

2.3

Zum Rechnen mit Vektoren

37

Rechenregeln für das Vektorprodukt

(i) Für alle Vektoren a , b ∈ V p gilt: b × a = − a × b

(2.47)

Merke:

Es kommt also auf die Reihenfolge der Vektoren an! 

(ii) Für alle Vektoren a ∈ V p gilt: a × a = 0

(2.48)

c ∈ V p gilt: (iii) Für alle Vektoren a , b, a × (b + c ) = a × b + a × c

Beispiel 2.9 Vektorprodukt

⎛ ⎞ ⎛ ⎞ 1 2 Gegeben seien die Vektoren a := ⎝ 0 ⎠ und b := ⎝ 2 ⎠. Dann gelten: 1 1 ⎞ ⎞ ⎛ ⎛ ⎞ ⎛ ⎛ ⎞ −2 0·1 − 1·2 2 1 a × b = ⎝ 0 ⎠ × ⎝ 2 ⎠ = ⎝ 1 · 2 − 1 · 1 ⎠ = ⎝ 1 ⎠ 2 1·2 − 0·2 1 1  √ a =| a |= 12 + 02 + 12 = 2 b =| b |=



22 + 22 + 12 =

√ 9 = 3

Ferner erhalten wir für den Betrag von a × b: | a × b |=



(−2)2 + 12 + 22 =

√ 9=3

Damit folgt für den Winkel zwischen a und b nach (2.46) sin β =

3 1 | a × b | =√ =√ , a·b 2·3 2

(2.49)

38

2 Mathematische Grundlagen

d. h. 1 β = ar csin √ = 45◦ . 2 

2.4

Differentiation von Vektoren

2.4.1

Abbildungen

Es seien A und B nichtleere Mengen. Eine Abbildung f von A in B liegt genau dann vor, falls jedem Element von A genau ein Element in B zugeordnet ist. Wir schreiben dann: f : A −→ B

(2.50)

a −→ b = f (a) ∈ B , a ∈ A

(2.51)

und f

Wir nennen b das Bild von a und a ein Urbild von b unter der Abbildung f . Weiter heißt A Definitionsbereich und B Zielbereich von f (siehe Abb. 2.15). Spezielle Abbildungen Indem wir für A und B spezielle Mengen wählen, erhalten wir spezielle Abbildungen. Ist A ⊆ R und B = R, so heißt f eine (reellwertige) Funktion einer Variablen, ist dagegen A ⊆ R2 oder A ⊆ R3 und B = R, so heißt f eine (reellwertige) Funktion von zwei bzw. drei Variablen.

Abb. 2.15 Zum Abbildungsbegriff

2.4

Differentiation von Vektoren

39

Abb. 2.16 Funktionen einer Variablen

Beispiel 2.10 Funktion einer Variablen Es seien A = B = R. Durch die Vorschrift y = f (x) := x 2 , x ∈ R

(2.52)

wird jedem x ∈ A = R genau ein y = f (x) = x 2 ∈ B = R zugeordnet. Durch (2.52) wird also eine Abbildung f : R −→ R, d. h. eine Funktion einer Variablen, definiert (siehe Abb. 2.16). 

2.4.2

Vektorfunktionen und Kurven im R3

Zur Einführung der Begriffe Vektorfunktion und Kurve im R3 betrachten wir als ein Beispiel den Flug von Frankfurt nach München (siehe Abb. 2.17). Das Flugzeug starte um 7:00 Uhr in Frankfurt, überfliege um 7:30 Uhr Nürnberg und lande um 8:00 Uhr in München. Die Bahnkurve, die das Flugzeug beschreibt, ist eine Punktmenge im R3 . Wie können wir sie beschreiben? Zu jedem Zeitpunkt t zwischen 7 und 8 Uhr befindet sich der „Massenpunkt“ Flugzeug an genau einem Raumpunkt P = (x, y, z) ∈ R3 . Da sich aber das Flugzeug i. Allg. zu verschiedenen Zeitpunkten an verschiedenen Raumpunkten befindet, ändern sich die Koordinaten x, y und z mit der Zeit, d. h., sie sind selbst Funktionen der Zeit t, und wir schreiben deshalb x(t), y(t) und z(t). Den Ort des Flugzeuges zur Zeit t beschreiben wir dann durch den Ortsvektor ⎞ x(t) r (t) := ⎝ y(t) ⎠ ∈ V p , z(t) ⎛

(2.53)

40

2 Mathematische Grundlagen

Abb. 2.17 Vektorfunktionen und Kurven im R3

der vom Koordinatenursprung zu dem Raumpunkt P zeigt, an dem sich das Flugzeug zum Zeitpunkt t befindet. Durch die Vorschrift (2.53) ordnen wir also jedem Zeitpunkt t aus dem Intervall [a, b] = [7, 8] genau einen Vektor r (t) ∈ V p zu, und eine solche Abbildung r : [a, b] → V p heißt Vektorfunktion. Beispiel 2.11 Die Warteschleife über München Die Vektorfunktion r : [0 , 2π ] −→ V p sei definiert durch: ⎞ ⎞ ⎛ 2 · cos t x(t) r (t) := ⎝ y(t) ⎠ = ⎝ 2 · sin t ⎠ , t ∈ [0, 2π ] 5 z(t) ⎛

Abb. 2.18 Die Wartescheife über München

2.4

Differentiation von Vektoren

41

Die zugehörige Bahnkurve ist ein Kreis mit dem Radius r = 2 in einer zur x, y-Ebene parallelen Ebene (siehe Abb. 2.18). 

2.4.3

Differentiation von Vektorfunktionen

Die Vektorfunktion r : [a, b] −→ V p sei definiert durch: ⎞ x(t) r (t) := ⎝ y(t) ⎠ , t ∈ [a, b] z(t) ⎛

(2.54)

Dann definieren wir die 1. Ableitung von r nach der Variablen t durch: ⎞ ⎛ d x(t) ⎜ dt ⎟ ⎟ ⎜ ⎜ d y(t) ⎟ d r (t) ⎟ , t ∈ [a, b] ⎜ (2.55) := ⎜ ⎟ dt ⎜ dt ⎟ ⎝ d z(t) ⎠ dt Die 1. Ableitung ist also wieder ein Vektor, dessen Richtung tangential an die Bahnkurve im Punkt P ist (siehe Abb. 2.19). Analog definieren wir die 2. Ableitung von r nach der Variablen t durch: ⎞ d 2 x(t) 2 ⎟ ⎜   ⎜ dt ⎟ 2 2 ⎜ d y(t) ⎟ d r (t) d d r (t) ⎟ , t ∈ [a, b] =⎜ := ⎟ ⎜ dt 2 dt dt ⎜ dt 2 ⎟ ⎠ ⎝ 2 d z(t) dt 2 ⎛

r (t) Abb. 2.19 Zur Richtung von d dt

(2.56)

42

2 Mathematische Grundlagen

Abb. 2.20 Zur Ableitung von Vektorfunktionen

Beispiel 2.12 Differentiation von Vektorfunktionen Die Vektorfunktion r : [0 , 2π ] −→ V p sei definiert durch: ⎞ ⎛ ⎞ 2 · cos t x(t) r (t) = ⎝ y(t) ⎠ := ⎝ sin t ⎠ , t ∈ [0, 2π ] 0 z(t) ⎛

Sie beschreibt eine Ellipse um den Ursprung in der x, y-Ebene. Für die Ableitungen erhalten wir: ⎞ ⎛ d x(t) ⎜ dt ⎟ ⎞ ⎛ ⎟ ⎜ −2 sin t ⎟ d r (t) ⎜ d y(t) ⎟ ⎝ cos t ⎠ =⎜ ⎜ dt ⎟ = dt ⎟ ⎜ 0 ⎝ d z(t) ⎠ dt und ⎞ ⎞ ⎛ ⎛ −2 cos t −2 sin t d 2 r (t) d ⎝ = cos t ⎠ = ⎝ − sin t ⎠ = − r (t) dt 2 dt 0 0 r (t) Für jeden Parameterwert t ist die erste Ableitung d dt tangential an den Kreis und die zweite

Ableitung

d 2 r (t) dt 2

radial nach innen zum Kreismittelpunkt gerichtet (siehe Abb. 2.20). 

3

Mechanik eines Massenpunktes

Inhaltsverzeichnis 3.1

3.2 3.3

3.4

3.5

3.6 3.7

Kinematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Grundlegende Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Ortsvektor und Bahnkurve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Geschwindigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.4 Beschleunigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Newton’schen Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beispiele für Kräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Die Schwerkraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Die Federkraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Reibungskräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.4 Die Zentripetalkraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.5 Die Gravitationskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.6 Explizit zeitabhängige Kräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einfache Bewegungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 Die gleichmäßig beschleunigte Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2 Die ungedämpfte harmonische Schwingung eines elastischen Federpendels . . . . . 3.4.3 Der freie Fall unter Reibungseinfluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arbeit, Energie und Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.1 Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.2 Potentielle Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.3 Kinetische Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.4 Arbeit gegen Reibungskräfte und thermische Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.5 Energieerhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.6 Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Impuls und Impulserhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Drehbewegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7.1 Die Kinematik der Drehbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7.2 Die Dynamik der Drehbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7.3 Drehimpuls und Drehimpulserhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7.4 Die Rotationsenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Rufa, Physik für Studierende der Biowissenschaften, Chemie und Medizin, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61258-3_3

44 45 46 51 53 57 60 60 63 64 68 68 71 73 73 81 88 92 92 96 100 101 103 105 106 108 109 112 115 117 43

44 3.8

3 Mechanik eines Massenpunktes Bezugssysteme und Scheinkräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.8.1 Inertialsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.8.2 Die Trägheitskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.8.3 Die Zentrifugalkraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.8.4 Die Coriolis-Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.8.5 Auswirkungen von Scheinkräften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

119 119 121 123 125 128

Im Folgenden beschäftigen wir uns mit Bewegungsvorgängen, d. h. mit der Beschreibung der Bewegung von Körpern im Raum, die wir uns zunächst der Einfachheit halber als irgendwelche idealisierten Objekte ohne endliche Ausdehnung vorstellen, und die wir Massenpunkte nennen. Wir beginnen mit der Kinematik, d. h., wir führen diejenigen Größen ein, mit deren Hilfe wir die Bewegung von Massenpunkten beschreiben. Danach beschäftigen wir uns mit der Dynamik und fragen nach den grundlegenden Gesetzmäßigkeiten, die den zeitlichen Ablauf der Bewegungsvorgänge bestimmen und die wir Newton’sche Gesetze nennen. Zu ihrer Formulierung benötigen wir die Begriffe Masse und Kraft. Wir führen solche Kräfte ein, die zur Beschreibung von Bewegungsvorgängen wichtig sind, und betrachten einige einfache Bewegungen unter Einwirkung dieser Kräfte. Schließlich diskutieren wir die Bedeutung der Energie-, Impuls- und Drehimpulserhaltung für die Bewegungsvorgänge [13–15].

3.1

Kinematik

Die allgemeine Bewegung eines Körpers setzt sich zusammen aus drei unterschiedlichen Bewegungsformen, die wir Translation, Eigendrehung und Eigenschwingung nennen. Wir führen die kinematischen Variablen Ortsvektor, Geschwindigkeit und Beschleunigung ein und diskutieren, wie wir durch eine geschickte Wahl eines Bezugssystems die Beschreibung der allgemeinen Bewegung von Massenpunkten im Raum vereinfachen können, was wir anhand der gleichförmig geradlinigen Bewegung und der gleichförmigen Kreisbewegung verdeutlichen.

Abb. 3.1 Zur Translationsbewegung eines Körpers

3.1

Kinematik

45

Abb. 3.2 Zur Eigendrehung eines Körpers

3.1.1

Grundlegende Begriffe

Bewegungsformen Unter einer Translation verstehen wir eine Bewegung, bei der alle Punkte eines Körpers kongruente, d. h. deckungsgleiche, Bahnen beschreiben. Diese Bahnen können durchaus gekrümmt sein. Ordnen wir dem Körper ein körpereigenes Koordinatensystem fest zu, so können wir die Translationsbewegung auch dadurch charakterisieren, dass sich bei der Translationsbewegung des Körpers die Orientierung dieses körpereigenen Systems in Bezug auf ein raumfestes, äußeres System nicht ändert (siehe Abb. 3.1). Unter einer Eigendrehung verstehen wir eine Bewegung, bei der alle Punkte eines Körpers konzentrische Kreise um eine Drehachse durch den Körper beschreiben, die durch den sogenannten „Massenschwerpunkt S“ (siehe Abschn. 4.1.1) verläuft. Legen wir das körpereigene System so fest, dass eine Achse mit der Drehachse zusammenfällt, so können wir die Eigendrehung auch so charakterisieren, dass der Ursprung des körpereigenen Systems bezüglich des äußeren Systems in Ruhe bleibt und lediglich eine Änderung der Orientierung des körpereigenen Systems in Bezug auf das raumfeste System stattfindet (siehe Abb. 3.2). Unter einer Eigenschwingung verstehen wir schließlich eine Bewegung, bei der sich Teile des Körpers gegeneinander bewegen (siehe Abb. 3.3).

Abb. 3.3 Zur Eigenschwingung eines Körpers

46

3 Mechanik eines Massenpunktes

Massenpunkte Wir beschränken uns zunächst auf Translationsbewegungen. Es zeigt sich, dass die äußere Form und die endliche Ausdehnung eines Körpers auf die Translationsbewegung keine Auswirkungen haben (bis auf Reibungseffekte (siehe Abschn. 3.3.3)) und seine Bewegung so stattfindet, als wäre der gesamte Körper auf einen Punkt, den Massenschwerpunkt S, zusammengezogen. Deshalb ist es gerechtfertigt, bezüglich einer Translationsbewegung einen Körper als Massenpunkt zu beschreiben, also als irgendein „idealisiertes Objekt“ ohne endliche Ausdehnung, aber mit einer endlichen Masse. Der Massenpunkt ist also unser einfachstes „Bild“ von einem Körper. Bezugssysteme Grundlegend für die Beschreibung der Bewegung eines Massenpunktes ist die Angabe des Ortes, an dem er sich zu einem bestimmten Zeitpunkt befindet. Wir können den „Ort“ oder die „Lage“ von Dingen relativ zu anderen Dingen angeben oder anders ausgedrückt, wir können die Frage nach dem wo beantworten, wenn wir über ein Bezugssystem verfügen. Ein solches Bezugssytem ist a priori nicht vorgegeben; sondern wir müssen es festlegen oder definieren! Bezugssysteme können z. B. markante Punkte in der Landschaft oder die Wände eines Zimmers sein. Für quantitative Aussagen sind jedoch kartesische Koordinatensysteme als Bezugssysteme besonders nützlich (siehe Kap. 2).

3.1.2

Ortsvektor und Bahnkurve

Zur Beschreibung der Bewegung eines Massenpunktes legen wir also als Bezugssystem ein kartesisches Koordinatensystem fest. Zu jedem Zeitpunkt t können wir dann den Ort des Massenpunktes bezüglich unseres Koordinatensystems durch dessen x-, y- und zKoordinaten beschreiben. Im Allgemeinen wird sich der Massenpunkt zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Raumpunkten befinden, die diesbezüglichen Koordinaten werden also verschieden sein. Um diese Zeitabhängigkeit auszudrücken, schreiben wir x(t), y(t) und z(t). Den Ort des Massenpunktes beschreiben wir dann durch den Ortsvektor ⎞ x(t) r(t) := ⎝ y(t) ⎠ , z(t) ⎛

(3.1)

der vom Ursprung des Koordinatensystems zu dem Raumpunkt zeigt, an dem sich der Massenpunkt zum Zeitpunkt t befindet (siehe Abb. 3.4). Die Menge aller Raumpunkte, an denen sich der Massenpunkt zu allen möglichen Zeitpunkten t befindet, heißt Bahnkurve des Massenpunktes. Man beachte, dass die Beschreibung der Bahnkurve durch den Ortsvektor von der Wahl des Koordinatensystems abhängt, d. h. der Ortsvektor in verschiedenen Systemen verschieden ist.

3.1

Kinematik

47

Abb. 3.4 Ortsvektor und Bahnkurve eine Massenpunktes

Beispiel 3.1 Ortsvektor und Bahnkurve der gleichförmig geradlinigen Bewegung Die Bahnkurve der gleichförmig geradlinigen Bewegung eines Massenpunktes ist eine Gerade im Raum (siehe Abb. 3.5(a)). Sie wird durch den folgenden Ortsvektor beschrieben r(t) = r0 + v0 · t, ⎛







(3.2)

v1 r1 worin t die Zeit und v0 = ⎝ v2 ⎠ bzw. r0 = ⎝ r2 ⎠ konstante Vektoren sind. Der Vektor v3 r3 r0 beschreibt den Ort des Massenpunktes zum Zeitpunkt t = 0 s, während v0 geometrisch der Richtungsvektor der Geraden ist.

Abb. 3.5 Ortsvektor und Bahnkurve der gleichförmig geradlinigen Bewegung

48

3 Mechanik eines Massenpunktes

Explizit gilt ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎛ ⎞ ⎞ v1 r 1 + t · v1 x(t) r1 r(t) = r0 + t · v0 = ⎝ r2 ⎠ + t · ⎝ v2 ⎠ = ⎝ r2 + t · v2 ⎠ ≡ ⎝ y(t) ⎠ , z(t) r3 v3 r 3 + t · v3 ⎛

(3.3)

sodass wir für die Koordinatenfunktionen x(t) = r1 + t · v1 y(t) = r2 + t · v2 z(t) = r3 + t · v3

(3.4)

erhalten.  Zur Reduktion auf ein eindimensionales Problem Man beachte, dass die spezielle Form der Koordinatenfunktionen von der Wahl des Bezugssystems abhängt! Durch eine geschickte Wahl des Bezugssystems können wir die Koordinatenfunktionen einfach halten und unter Umständen die Zahl der Koordinaten, die wir zur Beschreibung der Bewegung benötigen, auf zwei oder eine reduzieren, d. h., statt der allgemeinen dreidimensionalen Bewegung können wir eine zweidimensionale Bewegung in der Ebene oder gar eine eindimensionale Bewegung entlang einer Geraden erhalten! Wenn wir im Beispiel 3.1 das Koordinatensystem so wählen, dass z. B. die x-Achse mit der Geraden zusammenfällt (siehe Abb. 3.5(b)), so sind die y- und z-Koordinaten des Ortsvektors für alle Zeiten identisch null und brauchen also nicht mehr betrachtet zu werden. Wir haben es also effektiv mit einem eindimensionalen Problem zu tun! Den Ort des Massenpunktes auf unserer Koordinatenachse können wir dann durch eine reellwertige Funktion s(t) beschreiben. Es folgt also: x(t) ≡ s(t) = s0 + v0 · t y(t) ≡ 0 m z(t) ≡ 0 m

(3.5)

worin v0 und s0 reelle Zahlen sind. s0 beschreibt den Ort des Massenpunktes zur Zeit t = 0 s.

Orts-Zeit-Diagramm Für ein eindimensionales Problem können wir s(t) in einem sogenannten Orts-ZeitDiagramm graphisch darstellen, indem wir s(t) gegen die Zeit t auftragen (siehe Abb. 3.6).

3.1

Kinematik

49

Abb. 3.6 Orts-Zeit-Diagramme einiger Bewegungsformen

Beispiel 3.2 Ortsvektor und Bahnkurve der gleichförmigen Kreisbewegung Die gleichförmige Kreisbewegung ist eine zweidimensionale Bewegung, die in einer Ebene stattfindet. Die Koordinatenfunktionen des Ortsvektors werden besonders einfach, wenn wir das Koordinatensystem so wählen, dass der Ursprung im Mittelpunkt des Kreises und der Kreis selbst in der x, y-Ebene liegt (siehe Abb. 3.7(a)). Dann ist die z-Koordinate für alle Zeiten identisch null, sodass wir effektiv nur noch die x- und y-Koordinaten zu betrachten haben (siehe Abb. 3.7(b)). Die Bahnkurve der gleichförmigen Kreisbewegung wird dann beschrieben durch den Ortsvektor ⎞ ⎞ ⎛ ⎛ r · cos ϕ(t) x(t) (3.6) r(t) = ⎝ y(t) ⎠ = ⎝ r · sin ϕ(t) ⎠ , 0 z(t)

Abb. 3.7 Ortsvektor und Bahnkurve der gleichförmigen Kreisbewegung

50

3 Mechanik eines Massenpunktes

worin t die Zeit und r den Radius der Kreisbahn bezeichnen. Für den Betrag des Ortsvektors erhalten wir   | r (t)| = x(t)2 + y(t)2 + z(t)2 = r 2 · cos 2 ϕ(t) + r 2 · sin 2 ϕ(t) + 02 (3.7)  = r 2 · {sin 2 ϕ(t) + cos 2 ϕ(t)} = r = konstant, der also dem Radius des Kreises entspricht. Der Richtungsvektor ist gegeben durch ⎛ ⎞ cos ϕ(t) 1 rˆ (t) = · r(t) = ⎝ sin ϕ(t) ⎠ . r 0

(3.8)

Den Ortsvektor können wir also auch in der Form r(t) = r · rˆ (t)

(3.9)

schreiben. Man beachte, dass bei der gleichförmigen Kreisbewegung die Zeitabhängigkeit allein im Winkel ϕ(t) steckt, den der Ortsvektor mit der positiven x-Achse einschließt (siehe Abb. 3.7) und der gegeben ist durch ϕ(t) = ω · t, ω = konstant,

(3.10)

worin ω eine reelle Konstante bezeichnet. Welche physikalische Bedeutung hat ω? Hierzu betrachten wir den Ortsvektor zu verschiedenen Zeiten. Zum Zeitpunkt t = 0 s befindet sich der Massenpunkt am Raumpunkt P0 = (r , 0, 0) auf der positiven x-Achse, den wir durch den Ortsvektor ⎞ ⎛ ⎞ r r · cos 0 r(0) = ⎝ r · sin 0 ⎠ = ⎝ 0 ⎠ 0 0 ⎛

π beschreiben. Zur Zeit t = 2ω hat er sich bis zum Raumpunkt P1 = (0, r , 0) auf der positiven y-Achse fortbewegt, der durch den Ortsvektor

⎛ r · cos π  = ⎝ r · sin r 2ω 0

π 2 π 2

⎛ ⎞ 0 ⎠ = ⎝r ⎠ 0 ⎞

beschrieben wird. Dagegen ist der Massenpunkt zum Zeitpunkt t = x-Achse am Raumpunkt P2 = (−r , 0, 0) mit dem Ortsvektor ⎞ ⎞ ⎛ −r r · cos π = ⎝ r · sin π ⎠ = ⎝ 0 ⎠ , r ω 0 0 π 



π ω

auf der negativen

3.1

Kinematik

51

während er sich zum Zeitpunkt t = y-Achse mit dem Ortsvektor

3π r 2ω



3π 2ω

am Raumpunkt P3 = (0, −r , 0) auf der negativen



r · cos = ⎝ r · sin 0

3π 2 3π 2

⎞ 0 ⎠ = ⎝ −r ⎠ 0 ⎞



befindet. Schließlich ist er zum Zeitpunkt t = 2π ω zum ersten Mal wieder am Raumpunkt P0 = (r , 0, 0). Für einen ganzen Umlauf benötigt der Massenpunkt also die Zeit T =

2π , ω

(3.11)

die wir Umlaufdauer nennen. Damit ist die Konstante ω gegeben durch ω = 2π/T , d. h., sie ist umgekehrt proportional zur Umlaufdauer.

3.1.3

Geschwindigkeit

Eine weitere wichtige Größe zur Beschreibung der Bewegung von Massenpunkten ist die Geschwindigkeit v(t). Sie ist wie der Ortsvektor ein Vektor und ändert sich i. Allg. wie dieser mit der Zeit t. Ist r(t) gegeben, dann ist die Geschwindigkeit zum Zeitpunkt t definiert durch: ⎛ ⎞ d x(t)

dt d r(t) ⎜ dy(t) ⎟ v(t) := = ⎝ dt ⎠ dt dz(t)

(3.12)

dt

bzw. im eindimensionalen Fall

ds(t) . dt

(3.13)

L¨ange , Zeit

(3.14)

v(t) := Die Dimension der Geschwindigkeit ist [v] = und ihre SI-Einheit lautet: m/s

Zur Bedeutung der Geschwindigkeit Die Geschwindigkeit beschreibt die Ortsänderung pro Zeit: Die Strecke, die ein Massenpunkt pro Zeiteinheit im Bereich des betrachteten Bahnpunktes P zurücklegt, wird durch den Betrag der Geschwindigkeit beschrieben, während die Richtung der Geschwindigkeit zum Zeitpunkt t tangential an die Bahnkurve im Punkt P ist (siehe Abb. 3.8).

52

3 Mechanik eines Massenpunktes

Abb. 3.8 Zur Geschwindigkeit eines Massenpunktes

Anschaulich Betrachten wir einen Massenpunkt, der sich zum Zeitpunkt t1 am Raumpunkt P1 befindet und zu dieser Zeit einen Geschwindigkeitsbetrag v = | v | = 5 m/s besitzt. Wenn man ihn von diesem Zeitpunkt an unbeeinflusst ließe, so würde er sich von P1 entlang der Tangenten an diesem Punkt mit konstanter Geschwindigkeit bewegen und pro Sekunde 5 m zurücklegen. Wenn wir aber auf ihn einwirken, sodass er sich entlang der Bahnkurve bewegt, so ändert sich dabei i. Allg. sowohl der Betrag als auch die Richtung der Geschwindigkeit von Raumpunkt zu Raumpunkt (siehe Abb. 3.8).  Bemerkung: Im Orts-Zeit-Diagramm (siehe Abb. 3.6) entspricht die Geschwindigkeit v(t) der Steigung der Ortsfunktion s an der Stelle t.  Gleichförmig geradlinige Bewegung Ändert sich die Richtung von v nicht, aber eventuell der Betrag, so heißt die Bewegung geradlinig. Ändert sich dagegen der Betrag von v nicht, aber eventuell die Richtung, so heißt die Bewegung gleichförmig. Eine gleichförmig geradlinige Bewegung ist dann eine Bewegung mit konstanter Geschwindigkeit v (siehe Abb. 3.6 und 3.9). Gilt insbesondere v = 0 m/s, so sagen wir, „der Massenpunkt befindet sich im Zustand der Ruhe“ (siehe Abb. 3.6). Bemerkung: Der Ortsvektor (3.2) mit den Koordinatenfunktionen (3.3) beschreibt tatsächlich eine gleichförmig geradlinige Bewegung, denn die Geschwindigkeit ist konstant: ⎛ v(t) =

d r(t) ⎝ = dt

d dt (r1 d dt (r2 d dt (r3

⎞ ⎛ ⎞ v1 + v1 · t) + v2 · t) ⎠ = ⎝ v2 ⎠ = v0 = konstant + v3 · t) v3

(3.15)

3.1

Kinematik

53

Im eindimensionalen Fall gilt: v(t) =

d ds(t) = (s0 + v0 · t) = v0 = konstant dt dt

(3.16) 

Geschwindigkeits-Zeit-Diagramm Für ein eindimensionales Problem können wir die Geschwindigkeit v(t) in einem Geschwindigkeits-Zeit-Diagramm darstellen (siehe Abb. 3.9), indem wir v(t) gegen die Zeit t auftragen.

3.1.4

Beschleunigung

Die dritte wichtige Größe zur Beschreibung der Bewegung eines Massenpunktes ist die Beschleunigung a (t). Sie ist wie der Ortsvektor und die Geschwindigkeit ein Vektor und wie diese i. Allg. zeitabhängig. Die Beschleunigung a (t) eines Massenpunktes zum Zeitpunkt t definieren wir durch: ⎞ ⎛ 2 d x(t)

a (t) :=

d v(t) = dt

d 2 r(t) dt 2

2 ⎟ ⎜ d 2dty(t) ⎟ =⎜ ⎝ dt 2 ⎠

(3.17)

d 2 z(t) dt 2

bzw. im eindimensionalen Fall a(t) :=

Abb. 3.9 GeschwindigkeitsZeit-Diagramme einiger Bewegungsformen

dv(t) d 2 s(t) = . dt dt 2

(3.18)

54

3 Mechanik eines Massenpunktes

Die Dimension der Beschleunigung ist [a] =

Geschwindigkeit L¨ange = , Zeit Zeit2

(3.19)

und ihre SI-Einheit lautet: m/s 2 . Zur Bedeutung der Beschleunigung Die Beschleunigung beschreibt die Änderung der Geschwindigkeit pro Zeiteinheit zum betrachteten Zeitpunkt. Die Richtung der Beschleunigung zum Zeitpunkt t ist tangential an die Geschwindigkeitskurve (siehe Abb. 3.10).

Beispiel Die Erdbeschleunigung Der Betrag der Erdbeschleunigung ist 9,81m/s 2 , d. h., pro Sekunde nimmt die Geschwindigkeit um v = 9,81m/s zu. Ihre Richtung zeigt radial zum Erdmittelpunkt.  Die Kinematik der gleichförmig geradlinigen Bewegung Da für eine gleichförmig geradlinige Bewegung die Geschwindigkeit konstant ist, folgt sofort, dass für diese Bewegung die Beschleunigung verschwindet: ⎛ dv1 ⎞ ⎛ ⎞ 0 dt d v(t) ⎜ dv ⎟ a (t) = = ⎝ dt2 ⎠ = ⎝ 0 ⎠ = 0 m/s 2 (3.20) dt dv3 0 dt

Abb. 3.10 Zur Richtung der Beschleunigung eines Massenpunktes

3.1

Kinematik

55

oder eindimensional

dv(t) dv0 = = 0 m/s 2 (3.21) dt dt Zusammenfassend erhalten wir also für die kinematischen Größen der gleichförmig geradlinigen Bewegung: r(t) = r0 + v0 · t (3.22) v(t) = v0 = konstant a (t) = 0 m/s 2 a(t) =

bzw. eindimensional

s(t) = s0 + v0 · t v(t) = v0 = konstant a(t) = 0 m/s 2

(3.23)

Die Kinematik der gleichförmigen Kreisbewegung Der Ortsvektor der gleichförmigen Kreisbewegung ist nach Beispiel 3.2 gegeben durch: ⎞ ⎛ ⎞ cos(ω t) r · cos(ϕ(t)) r(t) = ⎝ r · sin(ϕ(t)) ⎠ = r · ⎝ sin(ω t) ⎠ ≡ r · rˆ (t), ϕ(t) = ω · t 0 0 ⎛

(3.24)

Für die Geschwindigkeit erhalten wir dann ⎞ ⎞ ⎛ −sin(ω t) −ω sin(ω t) d r(t) v(t) = ˆ = r · ⎝ ω cos(ω t) ⎠ = r ω · ⎝ cos(ω t) ⎠ ≡ v · v(t), dt 0 0 ⎛

(3.25)

worin v=r · ω

(3.26)

den konstanten Betrag der Geschwindigkeit und ⎞ −sin(ω t) v(t) ˆ = ⎝ cos(ω t) ⎠ 0 ⎛

(3.27)

den Richtungsvektor der Geschwindigkeit bezeichnen (siehe Abb. 3.11). Die Geschwindigkeit ist stets tangential zur Bahnkurve, d. h., sie steht bei der gleichförmigen Kreisbewegung zu jedem Zeitpunkt t senkrecht zum Ortsvektor, denn es gilt: ⎞ ⎛ ⎞ cos ϕ(t) −sin ϕ(t) v(t) ˆ · rˆ (t) = ⎝ cos ϕ(t) ⎠ · ⎝ sin ϕ(t) ⎠ 0 0 ⎛

= −sin ϕ(t) · cos ϕ(t) + cos ϕ(t) · sin ϕ(t) = 0

(3.28)

56

3 Mechanik eines Massenpunktes

Abb. 3.11 Zur Kinematik der gleichförmigen Kreisbewegung

Für die Beschleunigung erhalten wir ⎞ ⎛ −ω cos(ω t) d v(t) = r ω · ⎝ −ω sin(ω t) ⎠ = −r ω2 · rˆ (t) ≡ a · a(t) ˆ ≡ az (t), a (t) = dt 0

(3.29)

worin

v2 ≡ az r den konstanten Betrag der Beschleunigung und a = r · ω2 =

⎞ sin(ω t) a(t) ˆ = −ˆr(t) = ⎝ −cos(ω t) ⎠ 0

(3.30)



(3.31)

den Richtungsvektor der Beschleunigung bezeichnen (siehe Abb. 3.11). Die Beziehung (3.31) bedeutet, dass die Beschleunigung zu jedem Zeitpunkt t entgegengesetzt zum Ortsvektor, d. h. radial nach innen, gerichtet ist (siehe Abb. 3.11). Die gleichförmige Kreisbewegung ist also eine beschleunigte Bewegung, und die Beschleunigung heißt Zentripetalbeschleunigung az . Beispiel 3.3 Der Hammerwurf Bevor ein Hammerwerfer seinen Hammer mit einer (Arm + Seil) Länge von 1m loslässt, führe er eine Umdrehung pro Sekunde durch. Die Umlaufdauer des Hammers beträgt dann T = 1 s, womit wir nach (3.11) ω=

2π = 6,3 s −1 T

3.2

Die Newton’schen Gesetze

57

erhalten. Damit folgt für seine konstante Bahngeschwindigkeit: v = ω · r = 6,3 s −1 · 1 m = 6,3 m/s Für den konstanten Betrag der Zentripetalbeschleunigung erhalten wir nach (3.30): (6,3 m/s)2 v2 = = 39,7 m/s 2 r 1m Lässt der Hammerwerfer den Hammer los, so fliegt der Hammer tangential zum Kreis mit einer Geschwindigkeit vom Betrag 6,3 m/s davon und legt pro Sekunde 6,3 m zurück. az = r · ω2 =

 Die gleichmäßig beschleunigte Bewegung Ändert sich die Richtung von a nicht, aber eventuell der Betrag, so sprechen wir von einer geradlinig beschleunigten Bewegung. Ändert sich dagegen der Betrag von a nicht, aber eventuell die Richtung, so liegt eine gleichförmig beschleunigte Bewegung vor. Schließlich heißt eine Bewegung mit konstantem Betrag und Richtung der Beschleunigung, für die also a = konstant ist, gleichförmig geradlinig beschleunigte Bewegung oder kurz gleichmäßig beschleunigte Bewegung (siehe Abb. 3.6 und 3.9).

3.2

Die Newton’schen Gesetze

Bisher haben wir uns mit der Kinematik, d. h. der Beschreibung der Bewegung von Massenpunkten, beschäftigt. Im Folgenden behandeln wir die Frage, wie wir die Bewegung von Massenpunkten vorhersagen können, d. h., wir stellen die Frage nach den zugrunde liegenden Gesetzmäßigkeiten. Diese Gesetzmäßigkeiten sind als Newton’sche Gesetze bekannt. Zu ihrer Formulierung benötigen wir die Begriffe Kraft und Masse, die wir zunächst einführen. Kraft Wenn sich die Geschwindigkeit eines Körpers ändert, er also beschleunigt wird, sprechen wir von einer Änderung der Bewegung oder des Bewegungszustandes. Beschleunigungen kann man absolut messen, d. h., man kann stets feststellen, ob ein Körper beschleunigt ist oder nicht! Mit einer Änderung des Bewegungszustandes, d. h. mit einer Beschleunigung, verbinden wir umkehrbar eindeutig die physikalische Größe Kraft. Wirkt auf einen frei beweglichen Körper eine Kraft (wir nennen sie eine bewegende Kraft), so wird er beschleunigt, und erfährt umgekehrt ein Körper eine Beschleunigung, so wirkt auf ihn eine Kraft. Die Kraft F ist eine vektorielle Größe, und wir schreiben: ⎛ ⎞ Fx F = ⎝ Fy ⎠ = F · Fˆ (3.32) Fz

58

3 Mechanik eines Massenpunktes

Masse Wir finden weiter, dass gleiche Kräfte unterschiedliche Körper verschieden stark beschleunigen. Somit besitzen Körper eine Eigenschaft, einer Änderung des Bewegungszustandes entgegenzuwirken. Diese Eigenschaft heißt Trägheit, und ein Maß für die Trägheit ist die Masse m. Jedem Körper ordnen wir also eine Masse zu. Im Gegensatz zur Kraft ist die Masse eine skalare Größe!

Merke:

Je größer die Masse eines Körpers ist, desto träger ist er, d. h. desto schwerer ist es, seine Geschwindigkeit und damit seinen Bewegungszustand zu ändern. 

Die Newton’schen Gesetze Über den Zusammenhang zwischen Kraft, Masse und Beschleunigung geben die Newton’schen Gesetze Auskunft. Sie sind Grundaussagen oder Postulate, die nicht bewiesen werden können (und müssen)! Sie lauten [9]:

(I)

Das Trägheitsprinzip

Jeder Körper verharrt im Zustand der Ruhe oder der gleichförmig geradlinigen Bewegung, wenn er nicht durch einwirkende Kräfte gezwungen wird, seinen Bewegungszustand zu ändern. (II)

Das Aktionsprinzip

Die Änderung der Bewegung ist der Einwirkung der bewegenden Kraft proportional und geschieht in der Richtung derjenigen geraden Linie, nach welcher jene Kraft wirkt, d. h., es gilt: F = m · a (3.33) oder komponentenweise Fx = m · ax Fy = m · a y Fz = m · az (III)

(3.34)

Das Reaktionsprinzip

Die Kraftwirkungen zweier Körper aufeinander sind stets betragsmäßig gleich und von entgegengesetzter Richtung. Das bedeutet: Bezeichnen F12 die Kraft von Körper 1 auf Körper 2 und F21 die Kraft von Körper 2 auf Körper 1, so gilt: F12 = − F21

(3.35)

3.2

Die Newton’schen Gesetze

59

Beispiel 3.4 Die Kräfte beim Hammerwurf Wir betrachten als Beispiel zum Reaktionsprinzip wieder den Hammerwurf. Der rotierende Hammer übt auf den Werfer eine Kraft F21 aus, die radial nach außen gerichtet ist. Umgekehrt übt der Werfer eine Kraft F12 auf den Hammer aus, die jedoch zum Werfer, also radial nach innen zeigt. Nach dem Reaktionsprinzip sind beide Kräfte betragsmäßig gleich und entgegengesetzt gerichtet (siehe Abb. 3.12).  Bemerkungen:  • Das Trägheitsprinzip folgt aus dem Aktionsprinzip, denn verschwindet die Kraft F = 0,  so folgt a = 0 und damit d v(t) 0 = a = dt



v(t) = v0 = konst.

Damit liegt eine gleichförmig geradlinige Bewegung vor oder im Falle v0 = 0 m/s der Zustand der Ruhe.

Abb. 3.12 Die Kräfte beim Hammerwurf

60

3 Mechanik eines Massenpunktes

• In (3.33) ist mit F die Gesamtkraft Fges auf den Körper gemeint. Wirken also auf einen Körper mehrere Kräfte F1 , F2 , . . ., so werden sie vektoriell zur Gesamtkraft addiert: Fges = F1 + F2 + . . .

(3.36)

• Streng genommen ist die Masse m eines Körpers keine Konstante, sondern hängt über dessen Geschwindigkeit v(t) implizit von der Zeit t ab gemäß: m(t) =

mo  2 1 − v(t) c

(3.37)

Hierin bezeichnen c die Lichtgeschwindigkeit und m o die Ruhemasse, das ist diejenige Masse, die man misst, wenn der Körper in Ruhe ist. Anstelle von (3.33) ist dann das Aktionsprinzip in der Form d F = (m · v) (3.38) dt zu verwenden. Da für die Bewegungen, die wir betrachten, v  c gilt, können wir m als zeitlich konstant betrachten, und (3.38) reduziert sich dann auf (3.33). • Sind die Kraftkomponenten Fx , Fy und Fz unabhängig voneinander, so sind es auch die Bewegungen in x-, y- und z-Richtung; denn die Gl. (3.34) können dann unabhängig voneinander gelöst werden! Dadurch wird das dreidimensionale Problem auf drei eindimensionale Probleme zurückgeführt, die in der Regel einfacher zu lösen sind (siehe Abschn. 3.4.1). 

3.3

Beispiele für Kräfte

Es gibt eine Vielzahl von Kräften, die die Bewegung von Körpern bestimmen. Solche Kräfte können konstant sein, wie die Schwerkraft, sie können wie die Federkraft ortsabhängig sein oder wie einige Reibungskräfte von der Geschwindigkeit und sogar, wie während eines Stoßvorganges wirkende Kräfte, von der Zeit abhängen. Allgemein schreiben wir:  r , v, t) F = F(

(3.39)

Man beachte jedoch, dass letzlich alle makroskopischen Kräfte auf die fundamentalen Wechselwirkungen zurückgeführt werden können (siehe Kap. 1).

3.3.1

Die Schwerkraft

Die Erfahrung lehrt, dass alle Körper in der Nähe der Erdoberfläche (und im luftleeren Raum) eine konstante Beschleunigung erfahren, die wir Erdbeschleunigung g nennen, deren Betrag g = 9,81m/s 2 konstant ist und die radial zum Erdmittelpunkt gerichtet ist. Mit

3.3

Beispiele für Kräfte

61

Abb. 3.13 Zur Schwerkraft

 dieser Erdbeschleunigung verbinden wir nach Newton eine Kraft, die wir Schwerkraft G, Gewichtskraft oder kurz Gewicht eines Körpers nennen. Nach dem Aktionsprinzip besitzt die Schwerkraft die gleiche Richtung wie die Erdbeschleunigung, sie ist also ebenfalls radial zum Erdmittelpunkt gerichtet (siehe Abb. 3.13). Da alle Körper trotz unterschiedlicher Masse die gleiche Erdbeschleunigung erfahren, folgt aus dem Aktionsprinzip Fges = G = m · a a=

G = g = 9,81 m/s 2 , m

(3.40)

weshalb der Betrag der Schwerkraft auf einen Körper proportional zu dessen Masse m ist, d. h., es gilt:  =m·g G = |G| (3.41) Die Schwerkraft ist also ein Beispiel für eine konstante Kraft, die weder orts- oder geschwindigkeitsabhängig noch zeitabhängig ist. Man beachte ferner, dass Masse m und Gewicht G verschiedene physikalische Größen sind, die durch (3.41) miteinander verknüpft sind! Die Einheit der Masse Im SI-System ist die Masse eine Grundgröße, die im neuen System über das Plancksche Wirkungsquantum h definiert ist1 :

1 Countdown zum neuen SI, Physikalisch Technische Bundesanstalt, CODATA 2017 special adjustment.

62

3 Mechanik eines Massenpunktes „Das Kilogramm (kg) ist die SI-Einheit der Masse. Es ist definiert, indem für die PlanckKonstante h der Zahlenwert 6,626 070 15 · 10−34 festgelegt wird, ausgedrückt in der Einheit J s, die gleich kgm 2 /s ist, wobei der Meter und die Sekunde mittels c und  νCs definiert sind: 1 kg = 1,475 521 . . . · 1040 h  νCs / c2 .“

Bemerkungen: • 1kg entspricht ziemlich genau der Masse eines Liters Wasser bei 4 ◦ C und 1bar Luftdruck (siehe Kap. 5). • Mithilfe der Schwerkraft und einer Waage kann man sehr leicht die Masse m K eines Körpers direkt messen, d. h. mit der SI-Einheit kg vergleichen.

 Die Massendichte Die Masse eines Körpers hängt von seinem Volumen V ab. Um die Masse eines Körpers unabhängig von seinem Volumen zu charakterisieren, verwenden wir die physikalische Größe Massendichte oder kurz Dichte ρ. Für einen homogenen Körper ist sie definiert durch m ρ= , (3.42) V worin m die Masse und V das Volumen des Körpers bezeichnen. Ihre Dimension ist [ρ] =

Masse , 3 L ange ¨

(3.43)

sodass ihre SI-Einheit kg/m 3 lautet. In der Chemie wird häufig auch die Einheit g/cm 3 benutzt. Für den Zusammenhang gilt: 1 g/cm 3 = 103 kg/m 3

(3.44)

So beträgt z. B. die Dichte von Luft ρ = 1,29 · 10−3 g/cm 3 oder die Dichte von Quecksilber ρ = 13,6 g/cm 3 . Ist die Dichte einer Substanz überall gleich, so heißt sie bezüglich der Massendichte homogen, ansonsten inhomogen.

3.3

Beispiele für Kräfte

63

Die Einheit der Kraft Aufgrund der Definitionsgleichung (3.33) folgt für die Dimension der Kraft: [F] =

Masse L ange ¨ Z eit 2

(3.45)

Ihre SI-Einheit heißt Newton N . Es gilt der Zusammenhang: N = kg m/s 2

3.3.2

(3.46)

Die Federkraft

An eine Spiralfeder hängen wir einen Körper der Masse m (siehe Abb. 3.14), den wir als Massenpunkt betrachten. Ist der Massenpunkt in Ruhe, so verschwindet nach dem Aktionsprinzip die Gesamtkraft Fges = 0 auf ihn, weshalb neben der Schwerkraft eine betragsmäßig gleich große, aber entgegengesetzt gerichtete Kraft auf den Massenpunkt wirken muss, die offensichtlich von der Feder ausgeübt wird und deshalb Federkraft FF heißt. Wir finden ferner, dass der Betrag dieser Federkraft proportional zur Längenänderung s der Feder ist: Verdoppelt man die an der Feder hängende Masse, d. h. verdoppelt sich der Betrag der Schwerkraft und damit auch der Federkraft auf den Massenpunkt, so verdoppelt sich die Auslenkung der Feder (siehe Abb. 3.14(b) und 3.14 (c)). Für die Federkraft gilt also das Hooke’sche Gesetz FF = −D · s (3.47)

Abb. 3.14 Zur Federkraft

64

3 Mechanik eines Massenpunktes

oder vektoriell

FF = −D · s · sˆ = FF · Fˆ F ,

(3.48)

worin FF = D · s den Betrag und Fˆ F = −ˆs den Richtungsvektor der Federkraft bezeichnen. Das Minuszeichen besagt, dass die Federkraft entgegengesetzt zur Richtung der s-Achse zeigt. Die Konstante D heißt Federkonstante, und ihre SI-Einheit ist N /m. Die Federkraft ist also ein Beispiel für eine ortsabhängige Kraft. Kraftmessung Spiralfedern eignen sich besonders dazu, Kräfte zu messen. Hierzu muss zunächst die Federkonstante bestimmt werden. Hängen wir an die Feder einen Körper der Masse m, so wirken auf ihn die Schwerkraft und die Federkraft. Befindet sich der Körper im Zustand der Ruhe, so verschwindet die Gesamtkraft auf ihn:  = 0 Fges = FF + G

(3.49)

Das bedeutet insbesondere, dass die Beträge beider Kräfte gleich sind:  FF = −G



FF = G



D · s=m · g

Hieraus folgt für die Federkonstante: D=

m·g s

(3.50)

Beispiel 3.5 Kraftmessung Mit einer Masse von m = 0,05 kg und der Auslenkung s = 0,12 m erhalten wir für die Federkonstante: D=

0,05 kg · 9,81 m/s 2 = 4,09 N /m 0,12 m

Indem nun D für die betrachtete Feder bekannt ist, können wir jetzt „beliebige“ Kräfte indirekt messen über die Auslenkung s der Feder. Eine Auslenkung von s = 0,2 m entspricht also einem Betrag der auslenkenden Kraft von F = D · s = 4,09 N /m · 0,2 m = 0,82 N . 

3.3.3

Reibungskräfte

Reibungskräfte treten überall dort auf, wo miteinander in Berührung stehende materielle Dinge gegeneinander bewegt werden. Sie beruhen letztlich auf der elektromagnetischen Wechselwirkung zwischen den Atomen der beteiligten Materie. Reibungskräfte sind stets der

3.3

Beispiele für Kräfte

65

Bewegungsrichtung entgegengesetzt, sie „hemmen“ die Bewegung. Wir betrachten Reibung zwischen Festkörpern und Reibung zwischen einem Festkörper und einem Fluid, d. i. eine Flüssigkeit oder ein Gas (siehe Kap. 5). Reibung zwischen Festkörpern (Coulomb-Reibung) Wir betrachten im Folgenden zwei Körper, die sich mit ebenen Oberflächen berühren, wie z. B. ein quaderförmiger Klotz auf einer Tischoberfläche. Einer Bewegung der Festkörper gegeneinander wirken Reibungskräfte entgegen, wobei wir zwischen Haftreibung und Gleitreibung unterscheiden. Mit der Haftreibung verbinden wir eine Kraft FH , die überwunden werden muss, um eine Bewegung zwischen vorher ruhenden Körpern hervorzurufen. Mit der Gleitreibung verbinden wir eine Kraft FG , die kompensiert werden muss, um eine konstante Geschwindigkeit zwischen den Körpern aufrechtzuerhalten. Die Beträge von Haftreibungskraft und Gleitreibungskraft sind gegeben durch: 0 ≤ FH ≤ FHmax = μ H · FN FG = μG · FN

(3.51)

Hierin bezeichnen FN den Betrag der Normalkraft, mit der die Körper gegeneinander gepresst werden bzw. mit der ein Körper auf eine Unterlage drückt, und FHmax den maximalen Betrag, den die Haftreibungskraft annehmen kann. Die Normalkraft ist senkrecht zur Berührungsoberfläche gerichtet. μ H heißt Reibungskoeffizient der Haftreibung und μG Reibungskoeffizient der Gleitreibung. Beide sind dimensionslose Größen! Beispiele Stahl − Stahl μ H = 0,2 μG = 0,1 Gummi − Asphalt μ H = 0,9 μG = 0,5  Vergleicht man beide Reibungsarten, so findet man, dass die Haftreibung größer als die Gleitreibung ist, d. h., es gilt: μ H > μG (3.52) Haft- und Gleitreibungskraft sind Beispiele für konstante Kräfte. Merke:

Beide Reibungsarten hängen stark von der Oberflächenbeschaffenheit ab. Durch Schmieren und Ölen, d. h. einer Veränderung der Oberflächenbeschaffenheit, kann man die Reibung erheblich verringern! 

66

3 Mechanik eines Massenpunktes

Beispiel 3.6 Zur Bestimmung des Haftreibungskoeffizienten Wir betrachten einen quaderförmigen Klotz, der auf einer schiefen Ebene liege, die um den Winkel α geneigt sei (siehe Abb. 3.15). Sein Gewicht ist gegeben durch G = m · g, womit wir für den Betrag der Normalkraft FN = G · cos α = m g · cos α

(3.53)

erhalten. Die Kraftkomponente FP der Schwerkraft wirkt parallel zur Auflagefläche, und ihr Betrag ist gegeben durch: FP = G · sin α = m g · sin α

(3.54)

Solange sie durch die entgegengesetzt gerichtete Haftreibungskraft kompensiert werden kann, bleibt der Klotz in Ruhe. Für den maximalen Betrag der Haftreibungskraft erhalten wir: FHmax = μ H · FN = μ H · m g · cos α (3.55) Wenn wir den Winkel α vergrößern, so wird irgendwann FP gleich FHmax sein. Ab diesem Grenzwinkel αg kann die Haftreibungskraft die parallele Komponente der Schwerkraft nicht mehr kompensieren, und der Klotz rutscht die schiefe Ebene hinab. Aus FP = FHmax oder m g · sin αg = μ H · m g · cos αg erhalten wir für den Haftreibungskoeffizienten: μH =

sin αg = tan αg cos αg

(3.56)

Über die Bestimmung des Grenzwinkels αg kann man also nach (3.56) den Haftreibungskoeffizienten indirekt messen.  Abb. 3.15 Zur Bestimmung des Haftreibungskoeffizienten

3.3

Beispiele für Kräfte

67

Reibung zwischen Festkörper und Fluid Wir betrachten im Folgenden die Reibung zwischen einem Festkörper und einem Fluid. Findet z. B. der freie Fall eines Körpers nicht im Vakuum, sondern in einem Fluid statt, so beobachten wir, dass die Beschleunigung langsam abnimmt und schließlich verschwindet. Es liegt dann eine gleichförmig geradlinige Bewegung mit konstanter Geschwindigkeit vor. Diese Erscheinung können wir z. B. bei einem Fallschirmspringer, bei frei fallenden Regentropfen oder bei Kugeln beobachten, die in einer „zähen“ Flüssigkeit sinken. Offenbar wirkt auf den Körper neben der konstanten Schwerkraft als weitere Kraft eine Reibungskraft, die mit der Geschwindigkeit zunimmt, bis schließlich die Gesamtkraft auf den Körper, d. h.  + FR = die vektorielle Summe aus Schwerkraft und Reibungskraft, verschwindet: Fges = G 0 N . Wie hängt diese Reibungskraft von der Geschwindigkeit ab? In Abhängigkeit von der erreichten Endgeschwindigkeit des Körpers unterscheiden wir zwischen Stokes-Reibung und Newton-Reibung (siehe Abschn. 5.3.2.2). Stokes-Reibung Nicht zu große Körper, die sich „nicht zu schnell“ durch das Fluid bewegen, erfahren eine bremsende Reibungskraft FR , deren Betrag proportional zu ihrem Geschwindigkeitsbetrag v(t) ist. Für eine Kugel mit dem Radius r , die in einer zähen Flüssigkeit sinkt, gilt z. B.: FR (t) = 6πr · η · v(t)

(3.57)

Hierin beschreibt η eine Eigenschaft des Fluids, die man Viskosität oder Zähigkeit nennt (siehe Abschn. 5.3.2.2). So beträgt z. B. die Viskosität von Glyzerin bei einer Temperatur von 20 ◦ C : η = 1,528 N s/m 2 . Newton-Reibung Größere Körper, die sich mit einer größeren Geschwindigkeit durch ein Fluid bewegen, wie z. B. ein Fallschirmspringer in Luft, erfahren eine bremsende Reibungskraft FR , deren Betrag proportional zum Quadrat der Geschwindigkeit ist: FR (t) =

1 cw · ρ · A · v(t)2 2

(3.58)

Hierin beschreibt A den Querschnitt des Körpers in Bewegungsrichtung, ρ die Dichte des Fluids und cw den Widerstandskoeffizienten, der von der Form des Körpers bestimmt wird (siehe Abschn. 5.3.2.2). Bei einer „Stromlinienform“ ist cw < 1, bei einer Kugel ist cw 1 und bei einer hydrodynamisch ungünstigen Form ist cw > 1. Die Stokes’sche und Newton’sche Reibungskraft sind Beispiele für geschwindigkeitsabhängige Kräfte.

68

3 Mechanik eines Massenpunktes

3.3.4

Die Zentripetalkraft

In Abschn. 3.1.4 haben wir die Kinematik der gleichförmigen Kreisbewegung betrachtet. Ein Körper der Masse m, der sich mit dem Geschwindigkeitsbetrag v auf einem Kreis bewegt, 2 erfährt die Zentripetalbeschleunigung mit einem Betrag von az = ω2 · r = vr und die zum Kreismittelpunkt gerichtet ist. Mit dieser Beschleunigung verbinden wir nach Newton eine Kraft, die Zentripetalkraft FZ heißt, und die den Körper auf der Kreisbahn hält. Sie ist nach dem Aktionsprinzip wie die Zentripetalbeschleunigung zum Kreismittelpunkt gerichtet und besitzt den Betrag m · v2 FZ = m · a z = m · ω 2 · r = . (3.59) r Beispiel 3.7 Zentripetalkraft Wir betrachten nochmals den Hammerwurf. Wenn der Hammer mit einer Masse von m = 1 kg und einem Geschwindigkeitsbetrag von v = 6,3 m/s auf seiner Kreisbahn mit einem Radius r = 1 m umläuft, dann übt der Hammerwerfer auf den Hammer die Zentripetalkraft vom Betrag 1 kg · (6,3 m/s)2 m · v2 = = 39,69 N r 1m aus, die radial nach innen gerichtet ist. FZ = F12 =



3.3.5

Die Gravitationskraft

Die Kraft, die einen Apfel vom Baum fallen lässt, ist die gleiche, die den Mond auf seine Umlaufbahn um die Erde zwingt. Diese Kraft heißt Gravitationskraft, und sie ist eine Folge der Graviationswechselwirkung (siehe Kap. 1). Ihr unterliegen alle massenbehafteten Dinge. Das Gravitationsgesetz

Zwei Massenpunkte mit den Massen m 1 und m 2 , die sich im Abstand r voneinander befinden, üben aufeinander die Gravitationskraft Fg aus. Ihr Betrag ist gegeben durch Fg = G ·

m1 · m2 , r2

worin G = 6,674 30 · 10−11

N m2 kg 2

(3.60)

(3.61)

3.3

Beispiele für Kräfte

69

Abb. 3.16 Zur Gravitationskraft

die universelle Gravitationskonstante2 bezeichnet. Die Gravitationskraft ist stets attraktiv. Entsprechend dem Reaktionsprinzip sind die Kräfte F12 von m 1 auf m 2 sowie F21 von m 2 auf m 1 betragsmäßig gleich und von entgegengesetzter Richtung (siehe Abb. 3.16(a)).

Vektorielle Schreibweise Wählen wir das Koordinatensystem so, dass sich z. B. die Masse m 1 im Ursprung befindet, dann zeigt der Ortsvektor r = r · rˆ der Masse m 2 von m 1 nach m 2 (siehe Abb. 3.16(b)). Dann können wir das Gravitationsgesetz auch in der Form m1 · m2 · rˆ = − F21 F12 = −G · r2

(3.62)

schreiben. Die Gravitationskraft ist ein Beispiel für eine ortsabhängige Kraft. Bemerkung: Die Schwerkraft, die auf einen Körper der Masse m in der Nähe der Erdoberfäche wirkt, ist nichts anderes als die Gravitationskraft zwischen dem betrachteten Körper und der Erde. Es folgt m ME m ME G ME Fg = G · G· =m· = m · g, (3.63) r2 R 2E R 2E

2 CODATA Internationally recommended 2018 Values of the Fundamental Physical Constants.

70

3 Mechanik eines Massenpunktes

worin M E = 5,972 · 1024 kg die Masse und R E = 6 371 km den Radius der Erde bezeichnen. Für die Erdbeschleunigung in der Nähe der Erdoberfläche erhalten wir damit: g=

G ME 9,81 m/s 2 R 2E

(3.64)

Die Erdbeschleunigung in einem beliebigen Abstand r vom Erdmittelpunkt ist gegeben durch G ME (3.65) g(r ) = r2 und nimmt quadratisch mit dem Abstand r ab!  Das Gravitationsfeld Das Gravitationsgesetz beschreibt die Gravitationskräfte zweier Massenpunkte m 1 und m 2 aufeinander; es macht jedoch keine Aussage darüber, wie diese Kräfte zustande kommen. Diese Fragestellung führt auf unsere moderne Vorstellung der Feldtheorie, die wir am Beispiel des Gravitationsfeldes erläutern. Das Gravitationsgesetz (3.62) können wir wie folgt schreiben: m1 · m2 F12 = −G · · rˆ = m 2 · g( r) r2 Der Vektor

m1 rˆ (3.66) r2 heißt Gravitationsfeld der Masse m 1 am Raumpunkt P, den wir durch den Ortsvektor r = r · rˆ beschreiben. Er ist radial nach innen zur Masse m 1 gerichtet (siehe Abb. 3.17). Das Gravitationsfeld ist kugelsymmetrisch, d. h., der Betrag g( r ) := −G ·

3.3

Beispiele für Kräfte

71

Abb. 3.17 Zum Gravitationsfeld der Masse m 1

| g( r ) |= G ·

m1 r2

(3.67)

des Vektors g( r ) hängt nur vom Abstand r vom Massenpunkt m 1 ab und nicht von der Richtung. Die Gesamtheit all dieser Vektoren an allen Raumpunkten heißt Gravitationsfeld der Masse m 1 . Jeder Körper erzeugt also um sich herum ein solches Gravitationsfeld (siehe Abb. 3.17). Wie aber kommt die Gravitationskraft zwischen m 1 und m 2 zustande? Bringen wir nun den Massenpunkt m 2 in das Gravitationsfeld des Massenpunktes m 1 an den Raumpunkt P, so wechselwirkt der Massenpunkt m 2 lokal an diesem Punkt mit dem Gravitationsfeld des Massenpunktes m 1 , woraus die Gravitationskraft m1m2 r ) = −G · · rˆ F12 = m 2 · g( r2

(3.68)

von m 1 auf m 2 resultiert. Der Massenpunkt m 2 spürt also nur etwas von der Existenz des Massenpunktes m 1 aufgrund der Gravitationswechselwirkung lokal an dem Ort, an dem er sich befindet.

3.3.6

Explizit zeitabhängige Kräfte

Viele Vorgänge in der Natur können als Zusammenstöße von Dingen aufgefasst werden, wie z. B. das Schlagen eines Tennisballs, der Zusammenstoß eines Autos mit einem Baum oder die Kollision zweier Luftmoleküle. Die Kräfte, die hier wirksam sind, hängen i. Allg. explizit von der Zeit ab, was wir durch F(t) beschreiben. Sie wirken ferner nur von einem Anfangszeitpunkt t1 bis zu einem Endzeitpunkt t2 , d. h. über die Zeitspanne

72

3 Mechanik eines Massenpunktes

t = t2 − t1 .

(3.69)

Innerhalb dieser Zeitspanne beeinflussen sich die Körper gegenseitig, danach sind sie wieder kräftefrei. Im Allgemeinen kann die explizite Form der wirkenden Kräfte nicht angegeben werden. Ein möglicher funktionaler Zusammenhang zwischen der wirkenden Kraft und der Zeit ist in Abb. 3.18 dargestellt. In jedem Fall bewirkt jedoch die Kraft eine Geschwindigkeitsänderung: v = v2 − v1

(3.70)

Der Tennisball wird von der Anfangsgeschwindigkeit v1 = 0 m/s auf die Endgeschwindigkeit v2 beschleunigt, das Auto dagegen von der Aufprallgeschwindigkeit v1 auf v2 = 0 m/s abgebremst. Diese Geschwindigkeitsänderung ist gegeben durch: t2

t2 F(t) dt =

t1

t2 m · a(t) dt = m ·

t1

d v(t) dt dt

t1

(3.71)

= m · {v(t2 ) − v(t1 )} = m · (v2 − v1 ), d. h. 1 v = · m

t2 F(t) dt

(3.72)

t1

Die Größe

t2

F(t) dt heißt Kraftstoß. Wenn auch die wirkende Kraft F(t) als Funktion

t1

der Zeit i. Allg. nicht bekannt ist, so können wir dennoch eine mittlere Kraft Fm durch t2 F(t) dt = Fm · t definieren, die während des Stoßvorganges wirkt (siehe Abb. 3.18). t1

Abb. 3.18 Explizit zeitabhängige Kräfte

3.4

Einfache Bewegungen

73

Damit folgt:

Fm · t (3.73) m Für diese mittlere Kraft, die ein Maß für die zwischen t1 und t2 wirkenden Kraft ist, erhalten wir schließlich: m · v (3.74) Fm = t v =

3.4

Einfache Bewegungen

Wie aber kann man Bewegungsvorgänge mithilfe der Newton’schen Gesetze vorhersagen? Dies soll am Beispiel weiterer einfacher Bewegungsformen verdeutlicht werden: an der gleichmäßig beschleunigten Bewegung unter dem Einfluss einer konstanten Kraft, der ungedämpften harmonischen Schwingung eines elastischen Federpendels sowie dem freien Fall unter Reibungseinfluss.

3.4.1

Die gleichmäßig beschleunigte Bewegung

Als erstes Beispiel zur Vorhersage der kinematischen Variablen anhand der Newton’schen Gesetze betrachten wir die Bewegung eines Massenpunktes mit der Masse m unter dem Einfluss einer konstanten Kraft K . Hierbei gehen wir in folgenden Schritten vor: (1) Das Bezugssystem Als Erstes legen wir zur Beschreibung der Bewegung als Bezugsstem ein kartesisches Koordinatensystem fest. (2) Die Anfangsbedingungen Bezüglich unseres Bezugssystems möge sich der Massenpunkt zum Anfangszeitpunkt t = 0 s am Raumpunkt P befinden, den wir durch den Ortsvektor r0 beschreiben, und die Anfangsgeschwindigkeit v0 besitzen: ⎛

⎞ r1 r(0) = r0 = ⎝ r2 ⎠ , r3



⎞ v1 v(0) = v0 = ⎝ v2 ⎠ v3

(3.75)

(3) Die Gesamtkraft Nach unserer Voraussetzung ist die Gesamtkraft auf den Massenpunkt gegeben durch: ⎛

Fges

⎞ Kx = K = ⎝ K y ⎠ = konstant Kz

(3.76)

74

3 Mechanik eines Massenpunktes

(4) Die Bewegungsgleichung Setzen wir in Fges = m · a die Gesamtkraft (3.76) ein, so erhalten wir die Bewegungsgleichung des Massenpunktes, d. i. eine Gleichung, die die Bewegung des Massenpunktes bestimmt: K = m · a (3.77) oder komponentenweise K x = m · ax K y = m · ay K z = m · az

(3.78)

Da die Kraftkomponenten unabhängig voneinander sind, können wir die drei Komponentengleichungen unabhängig voneinander lösen, d. h., die Bewegungen in x-, y- und z-Richtung sind unabhängig voneinander. (5) Die kinematischen Variablen Für die Beschleunigung des Massenpunktes erhalten wir sofort aus (3.78): ax = ay = az =

kx m ky m kz m

= konstant = konstant

(3.79)

= konstant

bzw. vektoriell

1 · K = konstant (3.80) m Integrieren wir die Gl. (3.80) nach der Zeit, so erhalten wir die Geschwindigkeit. Für die x-Komponente vx (t) gilt beispielsweise a =

d vx (t) = ax = konstant, dt

(3.81)

vx (t) = ax · t + c

(3.82)

woraus wir erhalten. Die Integrationskonstante c ist durch die Anfangsbedingung (3.75) festgelegt. Es folgt: vx (0) = c = v1 (3.83) Insgesamt erhalten wir für die Komponenten der Geschwindigkeit: vx (t) = ax · t + v1 v y (t) = a y · t + v2

(3.84)

vz (t) = az · t + v3 bzw. vektoriell v(t) = a · t + v0

(3.85)

3.4

Einfache Bewegungen

75

Indem wir nun die Gl. (3.85) nach der Zeit integrieren, erhalten wir den Ortsvektor r(t). Für die x-Komponente gilt d x(t) = vx (t) = ax · t + v1 , dt

(3.86)

woraus wir

1 · a x · t 2 + v1 · t + d (3.87) 2 erhalten. Die Integrationskonstante d ist durch die Anfangsbedingung (3.75) festgelegt. Es folgt: (3.88) x(0) = d = r1 x(t) =

Insgesamt erhalten wir für die Komponenten des Ortsvektors: 1 a x t 2 + v1 t + r 1 2 1 y(t) = a y t 2 + v2 t + r2 2 1 z(t) = az t 2 + v3 t + r3 2

x(t) =

(3.89)

bzw. vektoriell

1 a t 2 + v0 t + r0 (3.90) 2 Für eine eindimensionale Bewegung längs einer Geraden lauten die kinematischen Variablen: s(t) = 21 a t 2 + v0 t + s0 (3.91) v(t) = a t + v0 K a(t) = a = m = konstant r(t) =

Bemerkungen: • Im Allgemeinen ist die Bahnkurve der Bewegung unter dem Einfluss einer konstanten Kraft eine Parabel, d. h., die Bewegung findet in einer Ebene statt. • Wirkt jedoch die konstante Kraft K parallel oder antiparallel zur Richtung der Anfangsgeschwindigkeit v0 , so liegt eine geradlinige Bewegung vor.  Zusammenfassend:

Wir konnten also 1. unter der Kenntnis des Ortes und der Geschwindigkeit des Massenpunktes zu einem Zeitpunkt t = 0 s, wir nennen dies die Anfangsbedingungen,

76

3 Mechanik eines Massenpunktes

2. sowie der Kenntnis der auf den Massenpunkt wirkenden Gesamtkraft unter Verwendung des Aktionsprinzips die Bewegungsgleichung des Massenpunktes aufstellen, 3. deren Lösung die kinematischen Variablen zu allen Zeiten liefert, und auf diese Weise die Bewegung vorhersagen! 

Beispiel 3.8 Der schiefe Wurf Als ein Beispiel für eine gleichmäßig beschleunigte Bewegung betrachten wir den Wurf eines Steines im Gravitationsfeld der Erde. (1) Das Bezugssystem Das Koordinatensystem legen wir wie in Abb. 3.19 dargestellt fest. (2) Die Anfangsbedingungen Der Stein werde mit einem Geschwindigkeitsbetrag v0 unter einem Winkel ϕ zur Erdoberfläche (x-Achse) geworfen. Bezüglich unseres Koordinatensystems gilt dann für die Anfangsbedingungen (siehe Abb. 3.19): ⎞ ⎛ ⎞ r1 0 r(0) = r0 = ⎝ r2 ⎠ = ⎝ 0 ⎠ m 0 r3 ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ v1 v0 · cosϕ ⎠ v(0) = v0 = ⎝ v2 ⎠ = ⎝ 0 v0 · sinϕ v3 ⎛

Abb. 3.19 Zum schiefen Wurf

(3.92)

(3.93)

3.4

Einfache Bewegungen

77

(3) Die Gesamtkraft Auf den Stein wirkt die konstante Schwerkraft ⎞ ⎛ ⎞ Kx 0  = −mg · zˆ = ⎝ 0 ⎠ = ⎝ K y ⎠ = K = G −mg Kz ⎛

Fges

(3.94)

d. h., für die Kraftkomponenten gilt: Kx = 0 Ky = 0 K z = −m · g

(3.95)

(4) Die kinematischen Variablen Für die Beschleunigung des Massenpunktes erhalten wir nach (3.79): kx =0 m ky =0 ay = m kz az = = −g m

(3.96)

⎞ 0 a = ⎝ 0 ⎠ = −g · zˆ = konstant −g

(3.97)

ax =

bzw. vektoriell



Die Geschwindigkeitskomponenten sind nach (3.84) gegeben durch:

bzw. vektoriell

vx (t) = ax · t + v1 = v0 · cosϕ v y (t) = a y · t + v2 = 0 vz (t) = az · t + v3 = −g · t + v0 · sinϕ

(3.98)

⎞ v0 · cosϕ ⎠ v(t) = a · t + v0 = ⎝ 0 −g · t + v0 · sinϕ

(3.99)



Schließlich erhalten wir für die Komponenten des Ortsvektors nach (3.89): x(t) = 21 ax t 2 + v1 t + r1 = v0 · cosϕ · t y(t) = 21 a y t 2 + v2 t + r2 = 0 z(t) = 21 az t 2 + v3 t + r3 = − 21 · g · t 2 + v0 · sinϕ · t bzw. vektoriell

(3.100)

78

3 Mechanik eines Massenpunktes

⎛ 1 r(t) = a · t 2 + v0 · t + r0 = ⎝ 2

⎞ v0 · cosϕ · t ⎠ 0 1 2 − 2 · g · t + v0 · sinϕ · t

(3.101)

In x-Richtung liegt also eine gleichförmige Bewegung und in z-Richtung eine gleichmäßig beschleunigte Bewegung vor. Aufgrund unserer Wahl des Bezugssystems gilt y(t) ≡ 0 für alle Zeiten, d. h., die Bewegung findet in der x-, z-Ebene statt. Die Bahnkurve ist eine Parabel. Charakteristische Größen der Bewegung Die Flugzeit Die Flugzeit tg des Steines ist durch die Bedingung z(tg ) = 0

(3.102)

festgelegt. Es folgt mit (3.100):   1 1 z(tg ) = − · g · tg 2 + v0 · sinϕ · tg = tg · − · g · tg + v0 · sinϕ = 0 2 2 Die Lösung tg = 0 s dieser Gleichung entspricht dem Anfangszeitpunkt und scheidet aus. Also gilt 1 − · g · tg + v0 · sinϕ = 0, 2 woraus wir für die Flugzeit tg =

2 · v0 · sinϕ g

(3.103)

erhalten. Die Steigzeit und die maximale Flughöhe Die maximale Flughöhe h erreicht der Stein nach der Steigzeit ts , die durch die Bedingung vz (ts ) = 0

(3.104)

festgelegt ist. Es folgt mit (3.98) vz (ts ) = −g · ts + v0 · sinϕ = 0, weshalb die Steigzeit gegeben ist durch: ts = Für die maximale Flughöhe h gilt:

1 v0 · sinϕ = · tg g 2

(3.105)

3.4

Einfache Bewegungen

79

h = z(ts )

(3.106)

Es folgt: 1 h =− ·g· 2



v0 · sinϕ g

2 + v0 · sinϕ ·

d. h. h=

1 v0 2 · sin 2 ϕ v0 2 · sin 2 ϕ v0 · sinϕ =− ·g· , + g 2 g2 g

1 v0 2 · sin 2 ϕ · 2 g

(3.107)

Für den Winkel ϕ = π/2 ist die maximale Flughöhe bei gleicher Anfangsgeschwindigkeit v0 maximal! Die Wurfweite Die Wurfweite s erhalten wir aus der Beziehung s = x(tg ).

(3.108)

Mit (3.100) folgt s = v0 · cosϕ ·

2 · v0 2 · cosϕ · sinϕ 2 · v0 · sinϕ = , g g

und mit der Beziehung sin(2x) = 2 sinx cosx erhalten wir schließlich für die Wurfweite: s=

v0 2 · sin(2ϕ) g

(3.109)

Die maximale Wurfweite wird erreicht für den Winkel ϕ = π/4.  Das effektive eindimensionale Problem In dem Spezialfall, dass die konstante Kraft K parallel oder antiparallel zur Anfangsgeschwindigkeit v0 wirkt, findet die Bewegung längs einer Geraden statt, d. h., es handelt sich um ein effektives eindimensionales Problem! Es ist dann zweckmäßig, eine der Koordinatenachsen längs der Geraden zu legen, die wir dann s-Achse nennen. Wir können dann vom Vektorcharakter der kinematischen Größen absehen, wenn wir die folgende Vorzeichenregel beachten: Regel:

Eine vektorielle Größe, die entlang der s-Achse gerichtet ist, erhält ein „+“-Zeichen und eine Größe, die entgegengesetzt zur s-Achse gerichtet ist, ein „−“-Zeichen; denn alle vektoriellen Größen haben entweder den Richtungsvektor sˆ oder −ˆs . 

80

3 Mechanik eines Massenpunktes

Beispiel 3.9 Der freie Fall ohne Reibung Als ein Beispiel für eine eindimensionale gleichmäßig beschleunigte Bewegung betrachten wir den freien Fall eines Körpers ohne Reibung im Gravitationsfeld der Erde. (1) Das Bezugssystem Da die Bewegung längs einer Geraden erfolgt, legen wir unsere Koordinatenachse wie in Abb. 3.20 dargestellt fest. (2) Die Anfangsbedingungen Zum Anfangszeitpunkt t = 0 s sei der Körper in der Höhe h und möge sich in Ruhe befinden. Die Anfangsbedingungen lauten also: s(0) = s0 = h v(0) = v0 = 0 m/s

(3.110)

(3) Die Gesamtkraft Da wir die Reibung vernachlässigen, ist die einzige auf den Körper wirkende Kraft die Schwerkraft. Da sie entgegengesetzt zur festgelegten s-Achse zeigt, können wir vom Vektorcharakter der Schwerkraft absehen und versehen sie nach unserer Regel mit einem „−“Zeichen. Fges = G = −m · g (3.111)

Abb. 3.20 Zum freien Fall

3.4

Einfache Bewegungen

81

(4) Die kinematischen Größen Da die Gesamtkraft auf den Körper konstant ist, liegt eine gleichmäßig beschleunigte Bewegung vor. Für die Beschleunigung erhalten wir dann: a(t) =

Fges −mg = = −g = konstant m m

(3.112)

Die Geschwindigkeit ist gegeben durch: v(t) = a · t + v0 = −g · t

(3.113)

Für den Ort des Massenpunktes zum Zeitpunkt t erhalten wir schließlich s(t) =

1 2 1 a t + v0 t + s0 = − g t 2 + h. 2 2

(3.114)

Die Fallzeit Aus der Beziehung 1 s(tg ) = 0 = − g tg2 + h 2 folgt für die Fallzeit tg des Körpers:  tg =

2h g

Die Aufprallgeschwindigkeit Die Aufprallgeschwindigkeit va ist schließlich gegeben durch:   2h = 2hg va = |v(tg )| = | − g · tg | = g · g

(3.115)

(3.116) 

3.4.2

Die ungedämpfte harmonische Schwingung eines elastischen Federpendels

Im Folgenden betrachten wir einen an einer elastischen Feder hängenden Körper mit der Masse m. (1) Das Bezugssystem Das kartesische Koordinatensystem legen wir wie in Abb. 3.21 gezeigt fest. Wenn sich der Körper in Ruhe befindet, ist die Feder um die Strecke s0 ausgelenkt (siehe Abb. 3.21(a)).

82

3 Mechanik eines Massenpunktes

Abb. 3.21 Zum elastischen Federpendel

Dann verschwindet die Gesamtkraft auf den Körper, d. h. insbesondere, dass die Beträge der Schwerkraft und der Federkraft auf den Körper gleich sind: m · g = D · s0

(3.117)

(2) Die Anfangsbedingungen Wir lenken nun den Massenpunkt um die Strecke x0 aus seiner Ruhelage nach unten aus (siehe Abb. 3.21(b)) und lassen ihn zum Anfangszeitpunkt t = 0s los. Die Anfangsbedingungen lauten dann: s(0) = s0 + x0 (3.118) v(0) = 0 m/s (3) Die Gesamtkraft Auf den Massenpunkt wirken die Schwerkraft und die Federkraft, sodass die Gesamtkraft zu einem beliebigen Zeitpunkt t gegeben ist durch: Fges (t) = G + FF (t) = m · g − D · s(t)

(3.119)

(4) Die Bewegungsgleichung Setzen wir diese Gesamtkraft in Fges = m · a ein, so erhalten wir die Bewegungsgleichung Fges (t) = m · g − D · s(t) = m ·

d 2 s(t) = m · a(t). dt 2

(3.120)

3.4

Einfache Bewegungen

83

Dies ist eine Differentialgleichung für die gesuchte Funktion s, in der neben s(t) auch 2 vorkommt. Um sie zu lösen ist diejenige Funktion s zu suchen, für die 2. Ableitung d dts(t) 2 die diese Gleichung (3.120) und die Anfangsbedingungen (3.118) erfüllt sind. (5) Die Lösung Um die Gleichung (3.120) zu vereinfachen, führen wir die Auslenkung x(t) aus der Ruhelage des Massenpunktes ein, die wir auf die neue x-Achse beziehen (siehe Abb. 3.21(c)): x(t) = s(t) − s0

(3.121)

Dann folgt aus (3.120) mit s(t) = s0 + x(t): m · g − D · {s0 + x(t)} = m ·

  d x(t) d2 d 0 + {s + x(t)} = m · 0 dt 2 dt dt

Wegen (3.117) gilt mg − Ds0 = 0, womit wir d 2 x(t) dt 2 erhalten, d. h., x(t) genügt der „einfacheren“ Differentialgleichung −D · x(t) = m ·

D d 2 x(t) · x(t) = 0. + 2 dt m

(3.122)

Zur Lösung dieser Gleichung machen wir den Ansatz x(t) = A · sin(ωt + ϕ).

(3.123)

Dann gilt: v(t) =

d x(t) dt

a(t) =

d 2 x(t) dt 2

= A · ω · cos(ωt + ϕ) (3.124) = −A

· ω2

· sin(ωt + ϕ) =

−ω2

· x(t)

Setzen wir diesen Ausdruck in (3.122) ein, so folgt:   D D −ω2 · x(t) + · x(t) = −ω2 + · x(t) = 0 m m Damit diese Gleichung für alle t erfüllt ist, muss der Koeffizient von x(t) null sein, woraus wir für die Konstante ω

D ω= (3.125) m erhalten, die wir Kreisfrequenz nennen. Die noch offenen Konstanten A und ϕ erhalten wir aus den Anfangsbedingungen (3.118):

84

3 Mechanik eines Massenpunktes

x(0) = s(0) − s0 = s0 + x0 − s0 = x0 v(0) = 0 m/s

(3.126)

Mit (3.123) und (3.124) erhalten wir die Gleichungen: x(0) = A · sinϕ = x0 v(0) = A · ω · cosϕ = 0 m/s Wegen cos π2 = 0 ist die 2. Gleichung erfüllt für ϕ = π2 und aus der 1. Gleichung erhalten wir dann wegen sin π2 = 1 für die noch fehlende Konstante A = x0 . Die kinematischen Variablen Diejenige Lösung der Differentialgleichung (3.122), die unsere spezielle Anfangsbedingung (3.126) enthält, lautet also  π x(t) = x0 · sin ωt + = x0 · cos(ωt), (3.127) 2 wobei wir die Beziehung sin(x + π2 ) = cosx verwendet haben. Für die Geschwindigkeit erhalten wir d x(t) v(t) = = −x0 · ω · sin(ωt) = −vmax · sin(ωt), (3.128) dt worin vmax = x0 · ω den maximalen Betrag der Geschwindigkeit bezeichnet. Die Beschleunigung ist schließlich gegeben durch a(t) =

dv(t) = −x0 · ω2 · cos(ωt) = −amax · cos(ωt) dt

(3.129)

mit dem maximalen Beschleunigungsbetrag amax = x0 · ω2 . Die Bewegungsform, die durch diese kinematischen Variablen beschrieben wird, heißt ungedämpfte harmonische Schwingung (siehe Abb. 3.22). Die allgemeine Lösung Man beachte, dass die Lösung (3.127), (3.128) und (3.129) der Bewegungsgleichung (3.122) die speziell gewählte Anfangsbedingung (3.126) enthält. Allgemein gilt für die kinematischen Variablen: x(t) = x0 · sin(ωt + ϕ) (3.130) v(t) = x0 · ω · cos(ωt + ϕ) 2 2 a(t) = −x 0 · ω · sin(ωt + ϕ) = −ω · x(t) Hierin bezeichnen ω die Kreisfrequenz (3.125) und x0 die betragsmäßig größte Auslenkung des Massenpunktes aus seiner Ruhelage, die wir Amplitude der harmonischen Schwingung nennen. Der Winkel ϕ heißt Phasenwinkel (siehe Abschn. 7.2) und ist durch die vorgegebene Anfangsbedingung festgelegt. So gilt zum Beispiel:

3.4

Einfache Bewegungen

85

Abb. 3.22 Zur ungedämpften harmonischen Schwingung

ϕ 0 π 2

π

3π 2

: : : :

x(0) 0 x0 0 - x0

, , , ,

v(0) vmax 0 - vmax 0

Schwingungsdauer und Frequenz Ferner erkennen wir, dass der Massenpunkt nach der Zeit

2π m = 2π · T = ω D

(3.131)

genau eine Schwingung durchgeführt hat (siehe Abb. 3.22). Wir nennen T Schwingungsdauer, und der Kehrwert von T heißt Frequenz ν der Schwingung: 1 ω 1 ν= = = · T 2π 2π

D m

(3.132)

Merke:

Je größer die Masse m, d. h. je größer die Trägheit des Körpers ist, desto niedriger ist die Frequenz. Je größer die Federkonstante D, d. h. je stärker die Federkraft ist, desto größer ist die Frequenz. 

Die Frequenz gibt an, wie viele Schwingungen der Massenpunkt pro Sekunde durchführt. Die SI-Einheit der Frequenz heißt Hertz (Hz), und es gilt: H z = 1/s

(3.133)

86

3 Mechanik eines Massenpunktes

Beispiele Pulsfrequenz ∼ 1,2 H z technischer Wechselstrom 50 H z Kammerton a 440 H z  Die Energie beim Federpendel Wir betrachten schließlich die Bewegungsgleichung (3.122) in der Form dv(t) = −D · x(t) | · v(t), dt die wir auf beiden Seiten mit der Geschwindigkeit v(t) multiplizieren. Es folgt: m·

m· Mit

d 2 dt {v(t)}

= 2 v(t) dv(t) dt erhalten wir für die linke Seite dieser Gleichung: LS =

Weiter gilt Seite

dv(t) · v(t) = −D · x(t) · v(t) dt

d 2 dt {x(t)}

1 d{v(t)}2 d m = 2 dt dt



1 m v(t)2 2



d = 2 x(t) dt x(t) = 2 x(t) v(t), womit wir andererseits für die rechte

1 d{x(t)}2 d RS = − D =− 2 dt dt



1 D x(t)2 2



erhalten. Insgesamt folgt: d dt



   d 1 1 m v(t)2 = − D x(t)2 2 dt 2

oder d dt



 1 1 2 2 m v(t) + D x(t) = 0 2 2

Was bedeutet das? Diese Beziehung besagt, dass der Ausdruck in Klammern als Funktion der Zeit eine Konstante ist, sich also während des gesamten Bewegungsablaufes nicht ändert. Eine Größe, die sich zeitlich nicht ändert, heißt Konstante der Bewegung. Weil also der obige Ausdruck eine Konstante der Bewegung ist, gibt man ihm einen Namen. Die Größe E ges =

1 1 m v(t)2 + D x(t)2 = konstant 2 2

(3.134)

3.4

Einfache Bewegungen

87

heißt Gesamtenergie, mechanische Energie oder kurz Energie des Massenpunktes an der Feder (siehe Abb. 3.23). Mit (3.127) und (3.128) folgt für ihren Wert E ges =

1 1 1 m x02 ω2 sin 2 (ωt) + D x02 cos 2 (ωt) = D x02 {sin 2 (ωt) + cos 2 (ωt)}, 2 2 2

und mit der Beziehung sin 2 x + cos 2 x = 1 erhalten wir schließlich: E ges =

1 · D · x02 = konstant 2

(3.135)

Kinetische und potentielle Energie Die Energie (3.134) des Massenpunktes an der Feder besteht aus zwei Anteilen. Der erste Anteil enthält die Masse und die Geschwindigkeit und hat offenbar etwas mit der Bewegung des Massenpunktes zu tun: Ist die Geschwindigkeit 0 m/s, so verschwindet der erste Anteil. Wenn jedoch der Massenpunkt durch seine Ruhelage schwingt, so ist die Geschwindigkeit und damit der erste Anteil maximal. Weil weiter in diesem Fall der zweite Anteil verschwindet, steckt offenbar die gesamte Energie in der Bewegung! Wir nennen deshalb den ersten Anteil Bewegungsenergie oder kinetische Energie E kin des Massenpunktes. Damit gilt: E kin (t) =

1 · m · v(t)2 2

(3.136)

Der zweite Anteil enthält die Federkonstante D und die Auslenkung des Massenpunktes, er hat also etwas mit der Federkraft zu tun. Er ist am größten, wenn die Feder am stärksten

Abb. 3.23 Zur Energie des Massenpunktes an der Feder

88

3 Mechanik eines Massenpunktes

ausgelenkt ist, d. h., wenn die Federkraft maximal ist. In diesem Fall verschwindet die kinetische Energie, und die gesamte Energie steckt nun offenbar in der Auslenkung des Massenpunktes aus seiner Ruhelage. Deshalb nennen wir den zweiten Anteil potentielle Energie E pot des Massenpunktes an der Feder, und es gilt: E pot (t) =

1 · D · x(t)2 2

(3.137)

Man beachte, dass diese Ausdrücke für die kinetische und potentielle Energie aus (3.122), d. h. letztlich aus dem Aktionsprinzip, folgen. Insgesamt können wir die Beziehung (3.134) auch folgendermaßen formulieren: Die Summe aus kinetischer und potentieller Energie des Massenpunktes an der Feder, d. h. seine Gesamtenergie, ist konstant, kurz: E ges = E kin (t) + E pot (t) = konstant

(3.138)

Interpretation Offenbar bedeutet (3.138), dass die Energie des Massenpunktes an der Feder in zwei mechanischen Energieformen vorkommt, die wir kinetische und potentielle Energie nennen. Diese beiden Energieformen können ferner ineinander umgewandelt werden. Nach (3.138) findet diese Energieumwandlung jedoch immer so statt, dass die Summe aus kinetischer und potentieller Energie, d. h. die Gesamtenergie, konstant ist! Deshalb heißt (3.138) mechanischer Energieerhaltungssatz, auf den wir am Beispiel des Federpendels gestoßen sind. Woher die Energie kommt, die der Massenpunkt an der Feder besitzt, und unter welchen Voraussetzungen der mechanische Energieerhaltungssatz gilt, werden wir in Abschn. 3.5 diskutieren. 

3.4.3

Der freie Fall unter Reibungseinfluss

Als ein Beispiel für eine Bewegung unter Reibungseinfluss betrachten wir den freien Fall einer Kugel mit der Masse m und dem Radius r in einer zähen Flüssigkeit, die die Viskosität η (siehe Abschn. 5.3.2.2) besitzt. (1) Das Bezugssystem Als Bezugssystem legen wir die s-Achse wie folgt fest:

3.4

Einfache Bewegungen

89

(2) Die Anfangsbedingungen Zu Beginn möge sich die Kugel in Ruhe und im Nullpunkt der s-Achse befinden. Die Anfangsbedingungen lauten also: s(0) = s0 = 0 m v(0) = v0 = 0 m/s

(3.139)

(3) Die Gesamtkraft Auf die Kugel wirkt die konstante Schwerkraft G = +m · g

(3.140)

sowie die Stoke’sche Reibungskraft (siehe Abschn. 3.3.3) FR (t) = −6πr · η · v(t) = −β · v(t),

(3.141)

wobei wir der Einfachheit halber die Konstante β := 6πr · η

(3.142)

einführen. Die Gesamtkraft auf die Kugel zu einem beliebigen Zeitpunkt t ist dann gegeben durch: Fges (t) = G + FR (t) = m · g − β · v(t) (3.143) (4) Die Bewegungsgleichung Setzen wir diese Gesamtkraft in Fges = m · a ein, so erhalten wir die Bewegungsgleichung Fges (t) = m · g − β · v(t) = m ·

dv(t) = m · a(t). dt

(3.144)

90

3 Mechanik eines Massenpunktes

Zur Lösung dieser Differentialgleichung formen wir sie wie folgt um:   β β m·g dv(t) = g − · v(t) = · − v(t) dt m m β

(3.145)

und führen die Bezeichnungen τ :=

m·g m , v∞ = = g·τ β β

(3.146)

ein, wobei die Konstante τ die Dimension einer Zeit und v∞ die Dimension einer Geschwindigkeit haben. Damit erhalten wir die Differentialgleichung in der einfacheren Form: 1 dv(t) = · { v∞ − v(t) } (3.147) dt τ Gesucht ist eine Funktion v, die diese Differentialgleichung sowie die Anfangsbedingung (3.139) erfüllt. (5) Die kinematischen Variablen Die Lösung lautet: t

v(t) = v∞ · {1 − e− τ }

(3.148)

Durch Integration erhalten wir s(t) t s(t) =

t

v(t ) dt = v∞ · (t − τ ) + v∞ · τ · e− τ ,

(3.149)

0

während wir die Beschleunigung durch Differentiation erhalten: a(t) =

t dv(t) v∞ − t = · e τ = g · e− τ dt τ

(3.150)

Diskussion Wir betrachten die kinematischen Variablen für kleine und für große Zeiten: Kleine Zeiten Für kleine Zeiten ist die Geschwindigkeit klein und damit die Reibungskraft vernachlässigbar gegenüber der Schwerkraft. Die Kugel führt somit einen freien Fall ohne Reibung durch, d. h., für kleine Zeiten sind die kinematischen Variablen näherungsweise gegeben durch: s(t) ∼ 21 · g · t 2 v(t) ∼ g · t a(t) ∼ g

(3.151)

3.4

Einfache Bewegungen

91

Große Zeiten Mit wachsender Geschwindigkeit macht sich jedoch die Reibung immer stärker bemerkbar, bis schließlich für sehr große Zeiten die Reibungskraft die Schwerkraft kompensiert. Dann verschwindet die Gesamtkraft und damit die Beschleunigung, und die Kugel führt dann eine gleichförmig geradlinige Bewegung mit konstanter Geschwindigkeit v∞ durch, d. h., für große Zeiten sind die kinematischen Variablen näherungsweise gegeben durch (siehe Abb. 3.24): s(t) ∼ v∞ · (t − τ ) ∼ v∞ · t m·g v(t) ∼ v∞ = m·g β = 6πr ·η = konstant a(t) ∼ 0 m/s 2

Abb. 3.24 Zum freien Fall unter Reibungseinfluss

(3.152)

92

3 Mechanik eines Massenpunktes

3.5

Arbeit, Energie und Leistung

Am Beispiel des Federpendels sind wir auf die physikalische Größe Energie gestoßen. Wir beschäftigen uns nun allgemein mit der Frage, wie man die Energie eines Massenpunktes oder allgemeiner eines Systems, wie z. B. eines thermodynamischen Systems (siehe Abschn. 6.4), ändern kann. Dies kann dadurch erfolgen, dass wir gezielt einzelne Energieformen ändern. Wenn wir z. B. den Massenpunkt am Federpendel durch Ausübung der Kraft Fa um die Strecke x auslenken, so ändern wir die potentielle Energie der Masse an der Feder (siehe Abschn. 3.4.2). Wirkt andererseits auf einen freien Massenpunkt die Kraft Fa , so wird er beschleunigt, weshalb sich seine Geschwindigkeit und damit die kinetische Energie ändert. Wir können also durch Ausübung einer Kraft die Energie eines Massenpunktes ändern. Dabei kommt es jedoch nicht nur darauf an, dass eine Kraft wirkt, sondern auch, wie diese Kraft wirkt, und genau das wird durch die physikalische Größe Arbeit ausgedrückt. In vielen Fällen interessiert man sich nicht nur für die verrichtete Arbeit, sondern auch für die Arbeit pro Zeiteinheit, d. h. die Leistung. Im Folgenden führen wir allgemein die Größen Energie, Energieformen, Arbeit und Leistung ein und diskutieren die Erhaltung der Energie.

3.5.1

Arbeit

Wir betrachten im Folgenden wieder das Federpendel. Befindet sich der Massenpunkt in der Ruhelage, so verschwinden die Auslenkung x(t) und die Geschwindigkeit v(t) für alle Zeiten, und damit gilt auch für die Gesamtenergie des Massenpunktes an der Feder E ges = 21 Dx(t)2 + 21 mv(t)2 ≡ 0 J . Um die harmonische Schwingung hervorzurufen, lenken wir den Massenpunkt nun um die Strecke x0 aus. Wenn wir ihn loslassen, schwingt er um seine Gleichgewichtslage und besitzt dann die Gesamtenergie E ges = 21 Dx02 (siehe Abschn. 3.4.2). Woher stammt diese Energie? Um den Massenpunkt aus der Ruhelage auszulenken, müssen wir eine Kraft Fa ausüben, die der Federkraft entgegengerichtet ist, die also in Richtung der Auslenkung wirkt (siehe Abb. 3.21(b)). Diejenige Kraft Fa , für die der Massenpunkt in jeder Auslenkung x in Ruhe ist, erfüllt die Bedingung Fges = G + Fa + FF = 0, (3.153) d. h. m g + Fa (x) − D · (s0 + x) = 0, sodass wir mit m · g − D · s0 = 0 Fa (x) = D · x

(3.154)

3.5

Arbeit, Energie und Leistung

93

erhalten. Die Kraft Fa kompensiert denjenigen Teil der Federkraft, der nicht durch die Schwerkraft ausgeglichen wird. Berechnen wir nun das Integral x0

x0 Fa (x) d x = D

W = 0

0

x0  1 1 2 x d x = D x  = D x02 , 2 2 0

(3.155)

worin x0 die maximale Auslenkung des Massenpunktes aus seiner Ruhelage bezeichnet, so finden wir, dass dieses Integral gleich der Gesamtenergie (3.135) des Massenpunktes ist. Offenbar haben wir im Rahmen der Auslenkung durch das Ausüben der Kraft Fa dem Massenpunkt einen Energiebetrag zugeführt, der durch das Integral (3.155) gegeben ist. Damit stellt die Beziehung (3.155) den Zusammenhang zwischen der ausgeübten Kraft Fa und der Gesamtenergie des Massenpunktes an der Feder her. Deshalb ist dieses Integral wichtig, und wir nennen W die Arbeit der Kraft Fa . Zusammenfassend:

Indem wir durch Ausübung der Kraft Fa den Massenpunkt an der Feder um die Strecke x0 auslenken, verrichten wir am Massenpunkt gegen die Federkraft die Arbeit W = 21 D x02 , die dann der Massenpunkt als Gesamtenergie E ges = 21 D x02 besitzt. Indem wir also an einem Massenpunkt Arbeit verrichten, können wir dessen Energie erhöhen! Wenn wir allgemeiner an einem System die Arbeit W verrichten, erhöhen wir dessen Energie um diesen Betrag. Umgekehrt kann ein System auch Arbeit an seiner Umgebung verrichten, wobei die Energie des Systems dann entsprechend verringert wird (siehe Abschn. 6.3).  Im Falle des Federpendels wirkt die Kraft Fa in Bewegungsrichtung. Im allgemeinen Fall kann die Kraft Fa jedoch in eine andere Richtung zeigen als in die Bewegungsrichtung, die wir durch d r(t) = v(t) dt beschreiben (siehe Abb. 3.25(a)). In diesem Fall ist nur die Kraftkomponente Fa ·cosϕ in Bewegungsrichtung für die verrichtete Arbeit wirksam. Genau das wird durch das Skalarprodukt Fa · d r ausgedrückt! Die Arbeit der Kraft Fa ist dann wie folgt definiert: Die allgemeine Definition der Arbeit Wird ein Massenpunkt durch Ausübung der Kraft Fa von einem Raumpunkt P1 entlang der Bahnkurve zum Raumpunkt P2 bewegt, so verrichtet die Kraft Fa am Massenpunkt die Arbeit W, die definiert ist durch:  (3.156) W := Fa · d r

94

3 Mechanik eines Massenpunktes

Abb. 3.25 Zur Definition der Arbeit

Eindimensional Wirkt die Kraft Fa längs einer Geraden vom Ort x1 zum Ort x2 in Richtung der Bewegung des Massenpunktes (siehe Abb. 3.25(b)), so ist die Arbeit der Kraft Fa gegeben durch x2 Fa (x) d x,

W =

(3.157)

x1

d. h., das Kurvenintegral reduziert sich auf ein normales bestimmtes Integral. Ist insbesondere die Kraft Fa konstant, so folgt W = Fa · (x2 − x1 ) = Fa · s,

(3.158)

worin s = x = x2 − x1 die zurückgelegte Strecke bezeichnet. Die Dimension der Arbeit ist: 2 Masse L ange ¨ [W ] = K ra f t L ange ¨ = (3.159) Z eit 2 Ihre SI-Einheit heißt Joule (J), und es gilt der Zusammenhang J = N m = kg m 2 /s 2 .

(3.160)

Bemerkungen: • Aus der Definition (3.156) der Arbeit folgt sofort, dass eine Kraft, die stets senkrecht zur Bewegungsrichtung wirkt, keine Arbeit verrichtet! So verrichtet die Zentripetalkraft bei der gleichförmigen Kreisbewegung keine Arbeit, da sie stets senkrecht zur Bewegungsrichtung steht. Deshalb wird die Energie des Massenpunktes durch das Wirken dieser Kraft nicht erhöht.

3.5

Arbeit, Energie und Leistung

95

• Ist die Kraft Fa im eindimensionalen Fall entgegengesetzt zur s-Achse gerichtet, so folgt aus (3.156), dass die Arbeit W negativ ist. • Die Arbeit einer Kraft kann also positiv (W > 0 J ), null (W = 0 J ) oder (W < 0 J ) negativ sein.  In der Definition der Arbeit wird explizit von der Bahnkurve gesprochen, entlang derer der Massenpunkt bewegt wird. Deshalb hängt die Arbeit im Allgemeinen vom Weg ab! Diese Wegabhängigkeit der Arbeit diskutieren wir im Folgenden genauer. Zur Wegabhängigkeit der Arbeit Als ein Beispiel zur Wegabhängigkeit der Arbeit betrachten wir einen Körper der Masse m, den wir von der Erdoberfläche in die Höhe h bringen. Wir können ihn einerseits direkt entlang des Weges 1 hochheben oder andererseits längs der Bahnkurve 2 entlang einer schiefen Ebene (reibungsfrei) hochziehen (siehe Abb. 3.26). In beiden Fällen ist die konstante Kraft Fa längs einer Geraden und in Bewegungsrichtung gerichtet. Die Arbeit der Kraft Fa ist also gegeben durch W = Fa · s. Im 1. Fall kompensiert die Kraft Fa die Schwerkraft G, d. h., es gilt Fa = +m · g, und die zurückgelegte Strecke s ist gleich der Höhe h. Damit folgt: W = Fa · s = m g h

(3.161)

Im 2. Fall kompensiert die Kraft Fa die zur schiefen Ebene parallele Komponente der Schwerkraft F p = −m g sinα, d. h. es gilt Fa = + m g sinα. Für die zurückgelegte Strecke h folgt s = l = sinα . Die Arbeit entlang des Weges 2 ist dann gegeben durch: h = mgh (3.162) sinα Offenbar ist die Arbeit, die wir verrichten müssen, um den Körper in die Höhe h zu bringen, für beide Wege gleich. Gilt das allgemein? W = Fa · s = m g sin α ·

Abb. 3.26 Zur Wegabhängigkeit der Arbeit

96

3 Mechanik eines Massenpunktes

Konservative und dissipative Kräfte Ob die Arbeit, die eine Kraft Fa verrichtet, unabhängig vom Weg ist oder nicht, hängt von den Kräften ab, gegen die die Arbeit verrichtet wird! Deshalb führen wir zur Unterscheidung konservative und dissipative Kräfte ein. Eine Kraft heißt konservativ, falls das Kurvenintegral (3.156) wegunabhängig ist. Dann hängt die verrichtete Arbeit nicht vom Weg, sondern nur vom Anfangs- und Endpunkt der Bahnkurve ab. Beispiele Federkraft, Schwerkraft, Gravitationskraft, elektromagnetische Kraft, . . . Dagegen heißt eine Kraft dissipativ, wenn das Kurvenintegral (3.156) und damit die verrichtete Arbeit vom Weg abhängen. Beispiele Gleitreibungskraft, Stokes’sche und Newton’sche Reibungskraft, . . .

Zusammenfassend:

Weil also die Schwerkraft konservativ ist, kommt es nicht darauf an, auf welchem Weg wir den Körper in die Höhe h bringen. Die Arbeit, die wir hierbei verrichten müssen, ist stets W = m g h. 

3.5.2

Potentielle Energie

Indem wir den Massenpunkt an der Feder auslenken, verrichten wir also gegen die Federkraft, d. h. eine konservative Kraft, die Arbeit W = 21 D x02 . In der Ruhelage des Massenpunktes besitzt er nach (3.137) die potentielle Energie E pot (0) = 0 J . Wenn wir dagegen den Massenpunkt um die Strecke x0 auslenken, so besitzt er die potentielle Energie E pot (x0 ) = 21 D x02 . Indem wir also durch Ausübung der Kraft Fa den Massenpunkt an der Feder auslenken, führt die hierbei verrichtete Arbeit zur Erhöhung der potentiellen Energie des Massenpunktes um genau diesen Betrag W = E pot = E pot (x0 ) − E pot (0) =

1 1 D x02 − 0 J = D x02 2 2

und damit der Gesamtenergie. Diese Aussage gilt allgemein. Merke:

Indem wir durch Ausübung der Kraft Fa gegen konservative Kräfte an einem Massenpunkt die Arbeit W verrichten und wenn dabei lediglich eine Ortsänderung des Massenpunktes vom Raumpunkt P1 , den wir durch den Ortsvektor r1 beschreiben,

3.5

Arbeit, Energie und Leistung

97

zum Raumpunkt P2 , zu dem der Ortsvektor r2 gehört (siehe Abb. 3.25(a)) und keine Geschwindigkeitsänderung stattfindet, dann führt die am Massenpunkt verrichtete Arbeit ausschließlich zu einer Erhöhung der potentiellen Energie E pot des Massenpunktes gemäß W = E pot = E pot ( r2 ) − E pot ( r1 ). (3.163) 

Bemerkungen: • Die potentielle Energie besitzt die gleiche Dimension und Einheit wie die Arbeit. • Nur für konservative Kräfte gibt es eine potentielle Energie. • Man beachte, dass wir nach (3.163) nur die Differenz der potentiellen Energie an zwei Raumpunkten bestimmen können! Damit gibt es keine „absolute potentielle Energie“ eines Massenpunktes. Wir müssen also in jedem Fall den Nullpunkt der potentiellen Energie angeben, den wir jedoch frei wählen können.  Im Folgenden führen wir die potentielle Energie eines Massenpunktes für die konservative Federkraft, Schwerkraft und Gravitationskraft ein. Die potentielle Energie beim Federpendel In Abschn. 3.5.1 haben wir die Arbeit W = 21 Dx 2 berechnet, die wir verrichten, wenn wir den Massenpunkt aus seiner Ruhelage um die Strecke x auslenken. Nach (3.163) ist dann die Differenz der potentiellen Energie gegeben durch: W = E pot = E pot (x) − E pot (0) =

1 D x2 2

Indem wir den Nullpunkt der potentiellen Energie beim Federpendel in die Ruhelage des Massenpunktes legen, d. h. indem wir E pot (0) = 0 J

(3.164)

setzen, erhalten wir also für die potentielle Energie des Massenpunktes an der Feder in der Auslenkung x bezogen auf den Nullpunkt „Ruhelage des Massenpunktes“: E pot (x) =

1 D x2 2

(3.165)

Die potentielle Energie bei der Schwerkraft Indem wir einen Körper der Masse m, den wir als Massenpunkt betrachten, vom Erdboden in die Höhe h bringen, verrichten wir am Körper die Arbeit W = mgh (siehe Abschn. 3.5.1). Diese führt zu einer Änderung der potentiellen Energie des Massenpunktes im Gravitationsfeld der Erde gemäß

98

3 Mechanik eines Massenpunktes

W = E pot = E pot (h) − E pot (0) = m g h. Indem wir die Erdoberfläche als Nullpunkt der potentiellen Energie bei der Schwerkraft wählen, d. h. indem wir E pot (0) := 0 J (3.166) setzen, erhalten wir für die potentielle Energie eines Massenpunktes mit der Masse m in der Höhe h bezogen auf den Nullpunkt „Erdoberfläche“: E pot (h) = m g h

(3.167)

Die potentielle Energie bei der Gravitationskraft Da auch die Gravitationskraft konservativ ist, besitzt ein Körper der Masse m im Gravitationsfeld der Erde mit der Masse M eine potentielle Energie. Um sie zu bestimmen, berechnen wir zunächst die Arbeit, die wir verrichten, um den Körper, der den Abstand r vom Erdmittelpunkt besitzt, ins „Unendliche“ zu bringen (siehe Abb. 3.27). Wir bewegen den Körper entlang der direkten Verbindungslinie Erdmittelpunkt−Körper. Die Kraft Fa , die die Gravitationskraft in einem beliebigen Abstand x kompensiert, ist gegeben durch: m·M Fa (x) = G · = −Fg (3.168) x2 Die Kraft Fa wirkt in Bewegungsrichtung, sodass die Arbeit nach (3.157) gegeben ist durch ∞ ∞ a 1 1 Fa (x) d x = G m M d x = G m M lim dx W = 2 a→∞ x x2 r

= G m M lim

a→∞

1 a→∞ a

womit wir mit lim

r

 −

1 x

r



a

= G m M lim r

= 0 für die Arbeit

Abb. 3.27 Zur Arbeit im Gravitationsfeld der Erde

a→∞



 1 1 + , a r

3.5

Arbeit, Energie und Leistung

99

W =G·

m·M r

(3.169)

erhalten. Diese Arbeit führt zu einer Änderung der potentiellen Energie des Körpers im Gravitationsfeld der Erde gemäß: W = E pot = E pot (∞) − E pot (r ) = G ·

m·M r

Indem wir den Nullpunkt der potentiellen Energie ins „Unendliche“ legen, d. h. indem wir E pot (∞) := 0 J (3.170) setzen, erhalten wir für die potentielle Energie eines Körpers mit der Masse m im Gravitationsfeld der Erde, der sich im Abstand r vom Erdmittelpunkt befindet, bezogen auf den Nullpunkt „unendlich“ (siehe Abb. 3.28): E pot (r ) = −G ·

m·M r

(3.171)

Das Gravitationspotential In Abschn. 3.3.5 haben wir das Gravitationsfeld g( r ) eines Massenpunktes der Masse m 1 eingeführt g( r ) = g(r ) · rˆ mit g(r ) = −G ·

Abb. 3.28 Zur potentiellen Energie im Gravitationsfeld der Erde

m1 . r2

100

3 Mechanik eines Massenpunktes

Mit diesem Gravitationsfeld verbinden wir das (Gravitations-)Potential V(r) des Massenpunktes m 1 . Schreiben wir die potentielle Energie eines Massenpunktes mit der Masse m 2 im Gravitationsfeld des Massenpunktes m 1 in der Form  m1 · m2 m1  = m 2 · −G · = m 2 · V (r ), (3.172) E pot (r ) = −G · r r so erhalten wir für das Potential des Massenpunktes m 1 : V (r ) = −G ·

m1 r

(3.173)

Zwischen dem Gravitationsfeld und dem Potential gilt der Zusammenhang: g(r ) = −

3.5.3

d V (r ) dr

(3.174)

Kinetische Energie

Im letzten Abschnitt haben wir den Fall betrachtet, dass eine Kraft Fa gegen konservative Kräfte Arbeit verrichtet derart, dass lediglich eine Ortsänderung eines Massenpunktes stattfindet und keine Geschwindigkeitsänderung. Wir haben gesehen, dass dadurch die potentielle Energie des Massenpunktes um diese Arbeit geändert wird. Wir betrachten nun den Fall, dass die Arbeit der Kraft Fa nicht gegen konservative Kräfte, sondern an einem frei beweglichen Massenpunkt verrichtet wird. Welche Energieform ändert sich nun? Die Kraft Fa wirke von einem Zeitpunkt t1 bis zum Zeitpunkt t2 . Die Geschwindigkeit des Massenpunktes der Masse m zu diesen Zeiten seien v1 = v(t1 ) und v2 = v(t2 ). Ferner ordnen wir jedem Massenpunkt zum Zeitpunkt t die kinetische Energie E kin (t) :=

1 1 · m · v(t)2 = · m · v(t)2 2 2

(3.175)

zu (siehe Abschn. 3.4.2). Dann bewirkt die von der Kraft Fa am Massenpunkt verrichtete Arbeit W eine Änderung der kinetischen Energie um diese Arbeit: W = E kin = E kin (t2 ) − E kin (t1 ) =

1 1 m v22 − m v12 2 2

(3.176)

Bemerkungen: • Die kinetische Energie besitzt die gleiche Dimension und Einheit wie die Arbeit. • Die Arbeit legt nur die Differenz der kinetischen Energie fest. Da ferner Geschwindigkeiten nicht absolut, sondern immer nur relativ zu einem Bezugssystem gemessen werden können, macht auch der Begriff der „absoluten kinetischen Energie“ keinen Sinn! Auch die kinetische Energie können wir nur relativ zu einem Bezugssystem angeben!

3.5

Arbeit, Energie und Leistung

101

• Wirkt die Kraft Fa in Richtung der Bewegung des Massenpunktes, so ist die Arbeit W positiv, und die kinetische Energie des Massenpunktes nimmt zu. Wirkt die Kraft dagegen entgegengesetzt zur Bewegungsrichtung, so ist die Arbeit W negativ, und die kinetische Energie des Massenpunktes nimmt ab! 

3.5.4

Arbeit gegen Reibungskräfte und thermische Energie

Bisher haben wir die Arbeit betrachtet, die gegen konservative Kräfte oder an einem freien Körper verrichtet wird. Wir betrachten nun die Arbeit gegen Reibungskräfte, d. h. dissipative Kräfte, und fragen, welche Energieform sich nun verändert? Ein quaderförmiger Klotz der Masse m werde mit konstanter Geschwindigkeit v unter Einwirkung der bewegenden Kraft Fa vom Ort x1 zum Ort x2 , d. h. die Strecke s = x = x 2 − x1 , auf einer ebenen Unterlage gezogen (siehe Abb. 3.29). Dann ist die Kraft Fa stets entgegengesetzt gleich der Gleitreibungskraft FG = −μG · FN = −μG · m · g, d. h., es gilt: Fa = μG · m · g = konstant

(3.177)

Für die Arbeit, die die Kraft Fa gegen die Gleitreibungskraft FG verrichtet, folgt W = Fa · (x2 − x1 ) = Fa · s = μG · m · g · s,

(3.178)

worin s = x = x2 − x1 die zurückgelegte Strecke bezeichnet. Bei diesem Vorgang hat sich aber weder die kinetische Energie (keine Geschwindigkeitsänderung) noch die potentielle Energie im Gravitationsfeld der Erde (keine Höhendifferenz) geändert! Welche Energieform wird jetzt durch die Arbeit verändert? Thermische Energie Durch die Reibung haben sich der Klotz und seine Umgebung „erwärmt“. In diesem Beispiel stoßen wir also auf eine weitere Energieform, die wir thermische Energie nennen (siehe Abschn. 5.4.2). Unter der thermischen Energie E th eines Körpers oder eines Fluids verstehen wir „klassisch“ die Summe der kinetischen Energien aller Teilchen (Atome oder Moleküle), die in der „ungeordneten Bewegung“ der Teilchen steckt: Je wärmer ein Körper oder ein Fluid

Abb. 3.29 Zur Arbeit gegen dissipative Kräfte

102

3 Mechanik eines Massenpunktes

ist, desto heftiger bewegen sich die Teilchen! Jedem Körper, jedem Fluid oder allgemeiner jedem System ordnen wir also neben kinetischer und potentieller Energie eine thermische Energie E th zu.

Zusammenfassend:

Wird Arbeit ausschließlich gegen Reibungskräfte verrichtet, so führt sie vollständig zur Erhöhung der thermischen Energie des Körpers und seiner Umgebung, d. h. des betrachteten Systems. Damit gilt: W = E th = E th (t2 ) − E th (t1 )

(3.179) 

Bemerkungen: • Die thermische Energie besitzt die gleiche Dimension und Einheit wie die Arbeit. • Die thermische Energie eines Körpers, eines Fluids oder allgemeiner eines Systems ist ein Teil der inneren Energie des Systems (siehe Abschn. 6.3). Unter der inneren Energie U eines Systems verstehen wir die Summe aller Energieformen, die das System besitzt, wie zum Beispiel die thermische Energie, die chemische Bindungsenergie der Moleküle, die elektrische und magnetische Energie der Elektronen in den Atomen (siehe Kap. 10 und 11) usw., d. h., es gilt: U = E th + E B + E el + E mag + . . .

(3.180)

• Da die thermische Energie ein Teil der inneren Energie des betrachteten Systems ist, können wir die Beziehung (3.179) auch in der Form W = U

(3.181)

schreiben. (3.181) ist ein Spezialfall des 1. Hauptsatzes der Thermodynamik, der eine Aussage über die Energiebilanz thermodynamischer Systeme macht (siehe Abschn. 6.3). • Schließlich hängt die thermische Energie E th wie folgt von der thermodynamischen Temperatur T ab (siehe Abschn. 5.4.2): E th =

f · N ·k·T 2

(3.182)

worin f die Zahl der Freiheitsgrade der Teilchen, N die Zahl der Teilchen des Systems und k die Boltzmann-Konstante bezeichnen. Die an einem Körper gegen Reibungskräfte verrichtete Arbeit W führt also nach (3.179) und (3.182) zu einer Erhöhung der Temperatur des Körpers und seiner Umgebung. 

3.5

Arbeit, Energie und Leistung

3.5.5

103

Energieerhaltung

Konservative Systeme Im Falle des Federpendels haben wir gesehen, dass die Summe aus kinetischer und potentieller Energie eine Konstante ist. Diese Aussage folgt allgemein für einen Massenpunkt, auf den nur konservative Kräfte wirken, d. h., es gilt:

Mechanischer Energieerhaltungssatz

Sind alle Kräfte auf einen Massenpunkt konservativ, so ist die Summe aus kinetischer und potentieller Energie, d. h. die mechanische Energie, konstant: E ges = E kin (t) + E pot (t) = konstant

(3.183) 

Nichtkonservative Systeme Für nichtkonservative Systeme ist die mechanische Energie keine Erhaltungsgröße! Betrachten wir hierzu nochmals den freien Fall einer Kugel unter Reibungseinfluss (siehe Abschn. 3.4.3). Wenn wir die Kugel loslassen, so sinkt sie in der Flüssigkeit, wobei ihre potentielle Energie abnimmt. Gleichzeitig nimmt aber die Geschwindigkeit und damit die kinetische Energie zu. Es findet also am Anfang eine vollständige Umwandlung von potentieller Energie in kinetische Energie statt. Nach einiger Zeit aber erreicht die Sinkgeschwindigkeit der Kugel einen konstanten Wert, sodass nun die kinetische Energie konstant bleibt! Nach wie vor wird aber potentielle Energie frei, weil die Kugel sinkt. Damit ist die mechanische Energie keine Konstante! Die frei werdende potentielle Energie wird nun durch die Reibung vollständig in thermische Energie umgewandelt. Wenn wir also die thermische Energie mitberücksichtigen, so ist die Gesamtenergie des Systems „Kugel−Flüssigkeit“, d. h. die Summe aus mechanischer Energie und thermischer Energie, konstant: E ges = E kin (t) + E pot (t) + E th (t) = konstant

(3.184)

Verschiedene Energieformen Wir finden, dass Energie in verschiedenen Energieformen vorkommt, wie potentielle Energie, kinetische Energie, thermische Energie, Strahlungsenergie, elektrische Energie, magnetische Energie, (chemische) Bindungsenergie, . . . . Auch Masse betrachten wir als eine Energieform. Wir ordnen jedem Objekt allein aufgrund seiner Masse m die Energie E m := m · c2

(3.185)

104

3 Mechanik eines Massenpunktes

zu, worin c die Lichtgeschwindigkeit bezeichnet (siehe Abschn. 1.4). Wir finden weiter, dass wir diese verschiedenen Energieformen ineinander umwandeln können, wobei aber niemals Energie verloren geht oder neu entsteht! Genau das wird durch den allgemeinen Energieerhaltungssatz ausgedrückt.

Der Energieerhaltungssatz

In einem abgeschlossenen System, das also vom Rest des Universums isoliert ist, ist die Gesamtenergie, d. h. die Summe aller vorkommenden Energieformen, konstant: E ges := E kin (t) + E pot (t) + E th (t) + . . . = konstant

(3.186) 

Beispiel 3.10 Die Aufprallgeschwindigkeit beim freien Fall ohne Reibung Wir betrachten einen Körper der Masse m, der sich zum Anfangszeitpunkt t = 0 s in Ruhe und in der Höhe h über dem Erdboden befindet (siehe Beispiel 3.9). Die Aufprallgeschwindigkeit va kann alternativ auch mithilfe des Energieerhaltungssatzes bestimmt werden. Hierzu betrachten wir die Gesamtenergie des Massenpunktes zu zwei „geschickt“ gewählten Zeitpunkten. Zum Zeitpunkt t = 0 s beträgt die Gesamtenergie des Massenpunktes: E ges = E kin (0) + E pot (0) = 0 J + m g h = m g h Schlägt der Körper nach der Fallzeit tg auf den Boden auf, so gilt andererseits für die Gesamtenergie: E ges = E kin (tg ) + E pot (tg ) =

1 1 m va 2 + 0 J = m va 2 2 2

Die Energieerhaltung liefert dann E ges =

1 m va 2 = m g h, 2

woraus wir für die Aufprallgeschwindigkeit  va = 2 · g · h erhalten. 

3.5

Arbeit, Energie und Leistung

3.5.6

105

Leistung

Oftmals ist nicht nur der Betrag der verrichteten Arbeit W wichtig, sondern mehr noch, in welcher Zeit die Arbeit verrichtet wurde. Dies führt auf den Begriff der Leistung P. Sie ist definiert durch: d W (t) (3.187) dt In dem Spezialfall, dass die Leistung zeitlich konstant ist, folgt durch unbestimmte Integration von (3.187) W (t) = P · t, d. h. P(t) :=

W (t) = konstant, (3.188) t worin W (t) die zur Zeit t verrichtete Arbeit bezeichnet. Für eine gleichmäßig beschleunigte Bewegung eines Massenpunktes längs einer Geraden unter dem Einfluss einer konstanten Kraft F ist die Leistung gegeben durch P=

P(t) = F · v(t),

(3.189)

worin v(t) die Geschwindigkeit des Massenpunktes bezeichnet (siehe Abschn. 3.4.1). Die Dimension der Leistung ist: 2 Ar beit Masse L ange ¨ = Z eit Z eit 3 Ihre SI-Einheit heißt Watt (W), und es gilt:

[P] =

W = J /s = kg m 2 /s 3

(3.190)

(3.191)

Beispiele Kraftwerk ∼ 0,1 − 1 GW Durchschnittsleistung eines Menschen ∼ 100 W Energiesparlampe ∼ 7W  Beispiel 3.11 Die Leistung beim Treppensteigen Eine Person mit einer Masse von m = 75 kg benötigt für das Aufsteigen mit konstanter Geschwindigkeit in das 4 m höher gelegene 1. Stockwerk eine Zeit von 30 s. Die von der Person zur Zeit t = 30 s verrichtete Arbeit ist gegeben durch: W = m g h = 75 kg · 9,81 m/s 2 · 4 m = 2 943 J

106

3 Mechanik eines Massenpunktes

Für die Leistung der Person beim Treppensteigen erhalten wir: P=

2 943 J W = = 98,1 W t 30 s 

3.6

Impuls und Impulserhaltung

Wenn auf einen Massenpunkt mit der Masse m keine Kraft wirkt, dann bewegt er sich nach dem Trägheitsprinzip gleichförmig geradlinig, d. h. mit konstanter Geschwindigkeit v. Dann ist aber auch der Vektor m · v konstant. Hat diese Größe irgendeine Bedeutung? Zum Stoß zweier Kugeln Wir betrachten den Stoß zweier Kugeln mit den Massen m 1 und m 2 . Qualitativ Vor dem Stoß und nach dem Stoß bewegen sich die beiden Kugeln mit konstanten Geschwindigkeiten (siehe Abb. 3.30(a) und (c)). Während des kurzzeitigen Stoßvorganges üben beide Kugeln aufeinander die Kräfte F12 von Kugel 1 auf Kugel 2 und F21 von Kugel 2 auf Kugel 1 aus (siehe Abb. 3.30(b)). Aufgrund dieser Kräfte werden die Kugeln kurzzeitig beschleunigt, weshalb sich ihre Geschwindigkeiten ändern. Quantitativ Nach dem Reaktionsprinzip gilt für diese Kräfte: F21 = − F12

Abb. 3.30 Zum Stoß zweier Kugeln

3.6

Impuls und Impulserhaltung

107

Das Aktionsprinzip liefert F21 = m 1 · a1 = m 1 · F12 = m 2 · a2 = m 2 ·

d v1 (t) dt d v2 (t) dt ,

womit wir das Reaktionsprinzip in der Form m1 ·

d v1 (t) d v2 (t) = −m 2 · dt dt

erhalten. Hieraus folgt: d {m 1 · v1 (t) + m 2 · v2 (t) } = 0 dt Diese Beziehung bedeutet, dass der Ausdruck in Klammern eine Konstante der Bewegung ist (siehe Abschn. 3.4.2), d. h., der Ausdruck ist sowohl vor, während als auch nach dem Stoß konstant. Insbesondere gilt also: m 1 · v1 + m 2 · v2 = m 1 · v 1 + m 2 · v 2 „vor dem Stoß“

(3.192)

„nach dem Stoß“

Der Impuls eines Massenpunktes Offenbar spielt die Größe m · v eines Massenpunktes bei Stoßvorgängen eine wichtige Rolle, weil für sie ein Erhaltungssatz gilt. Deshalb ordnen wir jedem Massenpunkt mit der Masse m, der die Geschwindigkeit v besitzt, den Impuls p zu gemäß p := m · v.

(3.193)

p := m · v

(3.194)

Eindimensional gilt: Damit bedeutet (3.192), dass die Summe der Impulse der Massenpunkte vor dem Stoß gleich der Summe der Impulse nach dem Stoß ist (siehe Abschn. 4.1.1). Die Dimension des Impulses ist Masse L ange ¨ [ p] = Masse Geschwindigkeit = , (3.195) Z eit und seine SI-Einheit lautet: kg m/s. Beispiel 3.12 Zum Impuls eines Massenpunktes Ein Massenpunkt mit der Masse m = 20 kg bewegt sich gleichförmig geradlinig mit einer konstanten Geschwindigkeit v vom Betrag v = 3 m/s. Der Impuls des Massenpunktes p = m · v besitzt dann die gleiche Richtung wie die Geschwindigkeit sowie den Betrag

108

3 Mechanik eines Massenpunktes

p = 20 kg · 3 m/s = 60

kg m . s 

Ferner können wir verschiedene physikalische Größen, die wir für einen Massenpunkt eingeführt haben, auf den Impuls umschreiben: • In Abschn. 3.3.6 haben wir den Kraftstoß eingeführt. Wegen t2 F(t) dt = m · v =  p

(3.196)

t1

können wir diese Beziehung auch so interpretieren, dass ein Kraftstoß zu einer Änderung des Impulses führt. • Die kinetische Energie eines Massenpunktes ist definiert durch E kin = 21 mv 2 . Mithilfe des Impulses (3.193)/(3.194) können wir die kinetische Energie auch schreiben als p2 p 2 = . 2m 2m • Auch das Aktionsprinzip können wir auf den Impuls umschreiben. Es gilt: E kin =

d {m · v(t)} d p(t) d v(t) Fges = m · a = m · = = dt dt dt

(3.197)

(3.198)

Die Beziehung (3.198) können wir auch so interpretieren, dass die Gesamtkraft Fges auf einen Massenpunkt eine Impulsänderung bewirkt. Anders formuliert gilt:

Impulserhaltungssatz für einen Massenpunkt

Verschwindet die Gesamtkraft Fges auf einen Massenpunkt, so ist sein Impuls p konstant: Fges = 0



p = m · v = konstant

(3.199) 

3.7

Drehbewegungen

In Abschn. 3.1 haben wir am Beispiel der gleichförmigen Kreisbewegung eines Massenpunktes eine einfache Drehbewegung kennengelernt. Wir behandeln nun die allgemeine Drehbewegung eines Massenpunktes und führen diejenigen Größen ein, die für ihre Beschreibung wichtig sind. Schließlich spielen der Drehimpuls und die Rotationsenergie eines

3.7

Drehbewegungen

109

Massenpunktes bei Drehbewegungen eine wichtige Rolle, da auch für diese Größen Erhaltungssätze gelten.

3.7.1

Die Kinematik der Drehbewegung

Der Drehwinkel Wir betrachten einen Massenpunkt der Masse m, der sich auf einer Kreisbahn mit dem Radius r um einen Drehpunkt bewegt, den wir als Ursprung unseres Koordinatensystems wählen (siehe Abb. 3.31). Den Ort des Massenpunktes auf der Kreisbahn zum Zeitpunkt t können wir in eindeutiger Weise durch den Drehwinkel ϕ(t) im Bogenmaß beschreiben, den der Ortsvektor zum Zeitpunkt t mit der positiven x-Achse einschließt. Wir wählen unser Koordinatensystem so, dass ϕ(0) = ϕ0 = 0 gilt. Dann folgt s(t) = r · ϕ(t),

(3.200)

worin s(t) die in der Zeit t vom Massenpunkt zurückgelegte Strecke (Kreisbogen) bezeichnet. Die Winkelgeschwindigkeit Für die Geschwindigkeit des Massenpunktes auf der Kreisbahn, d. h. seine Bahngeschwindigkeit v B (t), folgt mit (3.200): d ϕ(t) d s(t) =r· dt dt Diese Beziehung legt die Definition der Winkelgeschwindigkeit ω nahe: v B (t) =

Abb. 3.31 Zur Kinematik der Drehbewegung

(3.201)

110

3 Mechanik eines Massenpunktes

d ϕ(t) (3.202) dt Damit lautet der Zusammenhang zwischen der Bahngeschwindigkeit und der Winkelgeschwindigkeit: ω(t) :=

v B (t) = r · ω(t)

(3.203)

Die Dimension der Winkelgeschwindigkeit ist [ω] =

uber ¨ strichener W inkel , Z eit

(3.204)

und ihre SI-Einheit lautet: 1/s. Bemerkung: Zum Vektorcharakter der Winkelgeschwindigkeit Die Winkelgeschwindigkeit ist wie die Bahngeschwindigkeit vB und der Ortsvektor r ein Vektor ω  = ω · ω, ˆ der den Betrag d ϕ(t) besitzt und senkrecht zur Bahnkurve des dt Massenpunktes steht (siehe Abb. 3.32). Für den Richtungsvektor ωˆ gilt die Rechte-HandRegel: „Zeigt der Daumen der rechten Hand in die Richtung von ω, ˆ so zeigen die restlichen Finger in die Bewegungsrichtung des Massenpunktes.“

Zusammenfassend gilt die Beziehung: vB = ω  × r

(3.205) 

Die Winkelbeschleunigung Für den Betrag der Bahnbeschleunigung a B des Massenpunktes folgt mit (3.203): a B (t) =

Abb. 3.32 Zum Vektorcharakter der Winkelgeschwindigkeit

d ω(t) d v B (t) =r· dt dt

(3.206)

3.7

Drehbewegungen

111

Diese Beziehung legt die Definition der Winkelbeschleunigung α nahe α(t) :=

d ω(t) d 2 ϕ(t) = , dt dt 2

(3.207)

womit wir die Bahnbeschleunigung in der Form a B (t) = r · α(t)

(3.208)

schreiben können. Die Dimension der Winkelbeschleunigung ist [α] =

W inkelgeschwindigkeit uber ¨ strichener W inkel = , Z eit Z eit 2

(3.209)

und ihre SI-Einheit lautet: 1/s 2 .

Merke:

Bahngr oße ¨ = Radius · W inkelgr oße ¨ 

Man beachte, dass die Bahnbeschleunigung a B eine zu vB parallele Beschleunigung ist (siehe Abb. 3.31), die wir deshalb auch Tangentialbeschleunigung nennen. Sie beschreibt die Änderung des Betrages der Bahngeschwindigkeit. Mit der Richtungsänderung der Bahngeschwindigkeit verbinden wir die Zentripetalbeschleunigung az . Ihr Betrag ist durch az = ω2 r gegeben, und sie ist radial nach innen zum Kreismittelpunkt gerichtet (siehe Abschn. 3.1.4), weshalb wir sie auch Radialbeschleunigung nennen. Die Beschleunigung a des Massenpunktes bei der allgemeinen Drehbewegung ist dann gegeben durch (siehe Abb. 3.31): a (t) = a B (t) + az (t)

(3.210)

Die Kinematik der gleichförmigen Kreisbewegung Bei der gleichförmigen Kreisbewegung ist die Winkelgeschwindigkeit konstant, d. h., in gleichen Zeitspannen überstreicht der Ortsvektor den gleichen Winkel. Dann folgt sofort, dass die Winkelbeschleunigung verschwindet. Ferner erhalten wir aus (3.202) durch unbestimmte Integration den Drehwinkel. Damit lauten die kinematischen Variablen bei der gleichförmigen Kreisbewegung ϕ(t) = ω0 · t + ϕ0 = ω0 · t ω(t) = ω0 =

2π = konstant T

α(t) = 0 s −2 ,

(3.211)

112

3 Mechanik eines Massenpunktes

wobei wegen der Wahl unseres Bezugssystems ϕ0 = 0 gilt (siehe Abschn. 3.1.4).  Die Kinematik der gleichförmig beschleunigten Kreisbewegung Für die gleichförmig beschleunigte Kreisbewegung ist die Bahnbeschleunigung a B und damit die Winkelbeschleunigung α konstant: α(t) = α = konstant

(3.212)

Dann folgt durch unbestimmte Integration von (3.207) für die Winkelgeschwindigkeit ω(t) = α · t + ω0 ,

(3.213)

worin ω0 die Winkelgeschwindigkeit zum Anfangszeitpunkt t = 0 s bezeichnet. Schließlich erhalten wir aus (3.202) für den Drehwinkel ϕ(t) =

1 · α · t 2 + ω0 · t (+ϕ0 ), 2

(3.214)

worin ϕ0 den Drehwinkel zum Zeitpunkt t = 0 s bezeichnet. Wir können unser Koordinatensystem jedoch stets so wählen, dass sich der Massenpunkt zum Anfangszeitpunkt t = 0 s auf der positiven x-Achse befindet, sodass ϕ0 = 0 gilt.

3.7.2

Die Dynamik der Drehbewegung

Wir betrachten nun die Bewegungsgleichung der Drehbewegung und führen die zu ihrer Formulierung notwendigen physikalischen Größen ein. Zunächst beschäftigen wir uns mit der Frage, durch welche physikalische Größe eine Drehbewegung überhaupt hervorgerufen wird, was auf das Drehmoment einer Kraft führt. Die Trägheit eines Massenpunktes, die einer Änderung der Drehbewegung entgegen wirkt, beschreiben wir durch das Trägheitsmoment. Die Bewegungsgleichung Um eine Drehbewegung hervorzurufen, ist das Wirken einer Kraft erforderlich. Hierbei kommt es jedoch nicht nur darauf an, dass eine Kraft wirkt, sondern auch wie diese Kraft wirkt! Wir betrachten hierzu einen dünnen Stab, dessen Masse wir vernachlässigen. Das eine Ende des Stabes ist im Punkt O drehbar gelagert, am anderen Ende ist im Abstand rm ein Körper befestigt, den wir als Massenpunkt mit der Masse m betrachten (siehe Abb. 3.33). Eine Kraft F1 gegen den Drehpunkt oder die Kräfte F2 und F3 entlang des Stabes gegen den Massenpunkt bewirken keine Drehbewegung! Eine Drehbewegung wird dagegen durch die Kraft Fs hervorgerufen, die im Abstand r F vom Drehpunkt und stets senkrecht zum Stab angreift. Nicht jede Kraft ruft also eine Drehbewegung hervor! Was bewirkt die Kraft Fs ?

3.7

Drehbewegungen

113

Abb. 3.33 Zur Dynamik der Drehbewegung

Die Kraft Fs in unserem Beispiel besitze einen konstanten Betrag Fs . Dann ruft sie eine konstante Winkelbeschleunigung α hervor, die jedoch von verschiedenen Faktoren abhängt: • Je größer der Betrag der Kraft Fs ist und je weiter entfernt vom Drehpunkt die Kraft angreift, d. h. je größer r F ist, desto größer ist die Winkelbeschleunigung α. • Je größer die Masse m des Massenpunktes ist und je weiter dieser vom Drehpunkt entfernt ist, d. h. je größer rm ist, desto kleiner ist α. • Wirkt eine Kraft F nicht senkrecht zum Stab, sondern unter einem Winkel β, so ist für die Drehbewegung nur die Kraftkomponente Fs = F · sinβ senkrecht zum Stab wirksam. Der quantitative Zusammenhang lautet: α=

r F · Fs m · rm2

(3.215)

Hieraus folgt: r F · F · sin β = m · rm2 · α

(3.216)

Das ist die Bewegungsgleichung der Drehbewegung des Massenpunktes. Wie interpretieren wir sie? Das Drehmoment Die linke Seite von (3.216) enthält die wirkende Kraft sowie den Abstand r F des Angriffspunktes dieser Kraft vom Drehpunkt. Offenbar wird die Drehbewegung hervorgerufen durch die Größe N := r F · F · sin β, (3.217) die wir als Betrag eines Vektors interpretieren, den wir Drehmoment N der Kraft F nennen.

114

3 Mechanik eines Massenpunktes

Bezeichnen wir mit rF den Vektor vom Drehpunkt zum Angriffspunkt der Kraft, so werden all unsere experimentellen Erfahrungen beschrieben durch die Beziehung  N := rF × F.

(3.218)

Der Betrag des Drehmoments ist durch (3.217) gegeben. Das Drehmoment steht stets  Die Dimension des Drehmoments ist senkrecht zu rF und F. [N ] = K ra f t L ange ¨ =

2 Masse L ange ¨ , Z eit 2

(3.219)

und seine SI-Einheit lautet: N m. Merke:

Es ist also das Drehmoment einer Kraft, das eine Drehbewegung hervorruft! 

Bemerkung: Man beachte, dass zwar die Dimension von Drehmoment und Arbeit übereinstimmen, dass aber dennoch beide Größen grundverschieden sind: Die Arbeit ist eine skalare Größe, das Drehmoment dagegen eine vektorielle Größe! Man vermeide also für das Drehmoment die Einheit Joule.  Das Trägheitsmoment Einer Änderung der Drehbewegung wirkt die Trägheit des Massenpunktes am Stab entgegen. Die rechte Seite von (3.216) enthält die Masse und den Abstand des Massenpunktes vom Drehpunkt. Offensichtlich ist für die Trägheit eines Massenpunktes bei Drehbewegungen nicht nur seine Masse m, sondern auch sein Abstand rm vom Drehpunkt wesentlich! Ein Maß für die Trägheit bei Drehbewegungen ist also das Trägheitsmoment J des Massenpunktes, das definiert ist durch: J := m · rm 2 (3.220) Die Dimension des Trägheitsmoments ist

3.7

Drehbewegungen

115 2 [J ] = Masse L ange ¨ ,

(3.221)

und seine SI-Einheit lautet: kg m 2 . Mit den neuen Größen können wir die Bewegungsgleichung (3.216) der Drehbewegung eines Massenpunktes in der folgenden Form N = J ·α = J · schreiben bzw. vektoriell

3.7.3

d ω(t) dt

d ω(t)  . N = J · dt

(3.222)

(3.223)

Drehimpuls und Drehimpulserhaltung

Analog zum Aktionsprinzip (3.198) schreiben wir die Bewegungsgleichung der Drehbewegung in der Form: d d ω(t)  = {J · ω(t)}  N = J · dt dt Diese Beziehung legt die Einführung einer neuen vektoriellen Größe nahe, die wir Drehimpuls L des Massenpunktes nennen und der wie folgt definiert ist  := J · ω(t) L(t) 

(3.224)

L(t) = J · ω(t)

(3.225)

Für den Betrag gilt: Die Dimension des Drehimpulses ist 2 Masse L ange ¨ , Z eit

[L] =

(3.226)

und seine SI-Einheit lautet: kg m 2 /s. Impuls und Drehimpuls Für den Zusammenhang zwischen dem Impuls p = m · v und dem Drehimpuls L = J · ω eines Massenpunktes bei der Kreisbewegung erhalten wir mit der Bahngeschwindigkeit v = ω · r: L = J · ω = m r 2 · ω = m r · (ω r ) = m r · v = r · m v = r · p Allgemein gilt

L = r × p,

(3.227)

worin r den Ortsvektor und p den Impuls des Massenpunktes bezeichnen (siehe Abb. 3.34).

116

3 Mechanik eines Massenpunktes

Abb. 3.34 Impuls und Drehimpuls

Merke:

Der Drehimpuls steht stets senkrecht auf r und p ! 

Zusammenfassend:

Wir können schließlich die Bewegungsgleichung der Drehbewegung in der endgültigen Form  d ω(t)  d L(t) =J· N ges = dt dt schreiben. Für die Beträge gilt: dω(t) d L(t) =J· = J ·α N ges = dt dt

(3.228)

(3.229) 

Hierin bezeichnet N ges das Gesamtdrehmoment, d. h. die vektorielle Summe aller auf den Massenpunkt wirkenden Drehmomente. Ein Gesamtdrehmoment auf einen Massenpunkt ruft also eine Änderung der Winkelgeschwindigkeit und damit eine Winkelbeschleunigung hervor und bewirkt eine Drehimpulsänderung. Anders formuliert gilt:

Drehimpulserhaltungssatz für einen Massenpunkt

Verschwindet das Gesamtdrehmoment N ges auf einen Massenpunkt, so ist sein Drehimpuls L konstant: N ges = 0



L = J · ω  = konstant

(3.230) 

3.7

Drehbewegungen

3.7.4

117

Die Rotationsenergie

Im Folgenden betrachten wir die Frage, welche Energie in der Drehbewegung steckt? Die kinetische Energie, die ein Massenpunkt auf seiner Kreisbahn besitzt, ist durch E kin = 21 mv 2 gegeben, worin v = ω ·r den Betrag seiner Bahngeschwindigkeit bezeichnet. Schreiben wir die kinetische Energie auf die Winkelgeschwindigkeit ω und das Trägheitsmoment J = m r 2 um, so folgt: 1 1 1 1 mv 2 = m (ω r )2 = mω2 r 2 = J ω2 2 2 2 2 Jedem Massenpunkt, der bezüglich seiner Drehbewegung um einen Drehpunkt das Trägheitsmoment J und die Winkelgeschwindigkeit ω besitzt, ordnen wir deshalb die Größe E kin =

1 · J · ω(t)2 (3.231) 2 zu, die wir Rotationsenergie des Massenpunktes nennen. Sie ist keine neue Energieform, sondern entspricht der kinetischen Energie des Massenpunktes, die in der Drehbewegung steckt! Er ot (t) :=

Beispiel 3.13 Das einsitzige Karussell Wir betrachten ein Karussell, bei dem ein Sitz im Abstand rm = 2 m von einem Drehpunkt an einer Stange befestigt sei, deren Masse wir vernachlässigen. Auf diesem Sitz möge sich ein Kind befinden, wobei wir Sitz und Kind als einen Massenpunkt mit der Masse m = 40 kg betrachten.

Eine Person möge im Abstand r F = 1,5 m vom Drehpunkt eine Kraft F mit dem Betrag F = 80 N senkrecht zur Stange und damit ein Drehmoment N vom Betrag N = | rF × F | = r F · F · sin 90◦ = 1,5 m · 80 N = 120 N m ausüben, wodurch sie eine Drehbewegung mit einer konstanten Winkelbeschleunigung α hervorruft, die durch die Bewegungsgleichung N = J ·α gegeben ist. Das Trägheitsmoment unseres Massenpunktes beträgt:

118

3 Mechanik eines Massenpunktes

J = m · rm 2 = 40 kg · (2 m)2 = 160 kgm 2 Damit erhalten wir für die Winkelbeschleunigung: α=

120 N m N = = 0,75 s −2 J 160 kgm 2

Zu Beginn möge das Karussell ruhen. Die diesbezüglichen Anfangsbedingungen für die gleichförmig beschleunigte Kreisbewegung lauten also: ϕ(0) = ϕ0 = 0 ω(0) = ω0 = 0 s −1 Dann gilt nach (3.214) für den Drehwinkel zum Zeitpunkt t ϕ(t) =

1 1 2 α t + ω0 t + ϕ 0 = α t 2 , 2 2

und die Winkelgeschwindigkeit ist nach (3.213) gegeben durch: ω(t) = α t + ω0 = α t Die Person möge die Kraft und damit das Drehmoment genau einen Umlauf ausüben. Die Zeit t1 für den ersten Umlauf erhalten wir dann aus ϕ(t1 ) = 2 π =

1 α t1 2 2

zu

4π = 4 s. α Wenn die Person nach dem ersten Umlauf loslässt, dreht sich das Karussell mit der konstanten Winkelgeschwindigkeit: t1 =

ω1 = ω(t1 ) = α t1 = 0,75 s −2 · 4 s = 3 s −1 Es liegt dann eine gleichförmige Drehbewegung vor mit der Umlaufdauer T =

2π = 2 s. ω1

Ferner besitzt das Karussell einen Drehimpuls, dessen Betrag L(t1 ) = J · ω1 = 160 kgm 2 · 3 s −1 = 480

kg m 2 s

nach dem ersten Umlauf konstant ist. Für die Rotationsenergie erhalten wir analog:

3.8

Bezugssysteme und Scheinkräfte

Er ot (t1 ) =

119

1 1 J ω1 2 = · 160 kgm 2 · (3 s −1 )2 = 720 J 2 2

Diese Energie hat die Person aufgrund der durch die Kraft verrichteten Arbeit in das Karussell gesteckt, wobei gilt: W = Er ot = Er ot (t1 ) − Er ot (0) = 720 J 

3.8

Bezugssysteme und Scheinkräfte

Zur Beschreibung der Bewegung von Körpern verwenden wir Bezugssysteme. Solche Bezugssysteme sind a priori nicht vorgegeben, sondern müssen definiert werden. Bisher haben wir uns nicht um den Bewegungszustand von Bezugssystemen gekümmert und stillschweigend vorausgesetzt, dass unser Bezugssystem nicht beschleunigt ist, insbesondere als wir die Newton’schen Gesetze formulierten. In beschleunigten Bezugssystemen haben die Newton’schen Gesetze nicht die im Abschn. 3.2 angegebene Form. In Fges = m · a meinen wir bisher mit Fges die vektorielle Summe aller realen Kräfte auf den Massenpunkt, die wir in nichtbeschleunigten Systemen feststellen können, wie z. B. die Kräfte, die wir in Abschn. 3.3 beschrieben haben. In beschleunigten Systemen treten neben diesen realen Kräften zusätzliche Kräfte auf, die wir Scheinkräfte nennen und die von der Beschleunigung des Bezugsystems herrühren. Diese Kräfte heißen Scheinkräfte, weil sie scheinbar „verschwinden“, wenn wir in ein nichtbeschleunigtes Bezugssystem überwechseln. Sie unterscheiden sich jedoch hinsichtlich ihrer Wirkung auf Körper in beschleunigten Systemen nicht von den realen Kräften, sie sind also in diesem Sinne durchaus „real“! Je nach Art der Beschleunigung des Bezugssystems unterscheiden wir die Trägheitskraft sowie die Zentrifugalkraft und die Coriolis-Kraft. Nach einer Klassifizierung der Bezugssysteme führen wir diese Scheinkräfte ein und diskutieren einige ihrer Auswirkungen.

3.8.1

Inertialsysteme

Beschleunigungen kann man absolut messen. Man kann also durch Experimente stets feststellen, ob ein Körper oder ein Bezugssystem beschleunigt ist oder nicht. Deshalb ist es sinnvoll, Bezugssysteme nach ihrem Bewegungszustand zu klassifizieren: Nichtbeschleunigte Bezugssysteme heißen Inertialsysteme, beschleunigte Bezugssysteme heißen Nichtinertialsysteme. Man beachte, dass je zwei beliebige Inertialsysteme relativ zueinander in Ruhe sind oder sich relativ zueinander mit konstanter Geschwindigkeit bewegen. Ferner haben in allen Inertialsystemen die Newton’schen Gesetze diejenige Form, die in Abschn. 3.2 beschrieben wurde.

120

3 Mechanik eines Massenpunktes

Bemerkungen: • Im Gegensatz zu Beschleunigungen kennen wir kein Experiment, mit dem wir die Geschwindigkeit eines Körpers oder eines Bezugssystems „absolut“ messen könnten. Wir können eine Geschwindigkeit immer nur relativ zu einem Beobacher bzw. einem Bezugssystem angeben. Deshalb kommen „absolute Geschwindigkeiten“ auch nicht in unseren Gesetzmäßigkeiten vor! • In Inertialsystemen gilt also Fges = m · a , worin Fges die vektorielle Summe aller auf einen Massenpunkt wirkenden realen Kräfte bezeichnet. Ist insbesondere ein Körper „kräftefrei“, d. h., verschwindet diese vektorielle Summe aller realen Kräfte auf ihn, so bewegt sich der Körper gleichförmig geradlinig, also mit konstanter Geschwindigkeit. Das gilt nicht mehr in Nichtinertialsystemen. Hier bewegen sich „kräftefreie“ Körper aufgrund der Scheinkräfte nicht gleichförmig geradlinig. Somit haben wir ein Kriterium zur Feststellung, ob ein Bezugssystem beschleunigt ist oder nicht!  Beispiel 3.14 Das ICE-Bordrestaurant als Bezugssystem Wir betrachten ein ICE-Bordrestaurant. Auf einem Tisch möge ein Glas Wein stehen. Ferner bewege sich der ICE mit konstanter Geschwindigkeit v (siehe Abb. 3.35).

Abb. 3.35 Das ICE-Bordrestaurant als Bezugssystem

3.8

Bezugssysteme und Scheinkräfte

121

Die Geschwindigkeit des Weinglases Für einen Beobachter B im Restaurant hat das Glas die Geschwindigkeit v B = 0 m/s. Für einen Beobachter A außerhalb des Zuges, der sich relativ zur Erdoberfläche in Ruhe befindet, besitzt das Glas die Geschwindigkeit v A = v des Zuges! Merke:

Die Geschwindigkeit eines Körpers geben wir also immer relativ zu einem Beobachter oder einem Bezugssystem an!  Die realen Kräfte auf das Glas  sowie eine vom Betrag her gleich Auf das Glas wirken als reale Kräfte die Schwerkraft G  große, aber entgegengesetzt gerichtete Kraft FT isch , die vom Tisch aufgebracht wird, sodass für die Gesamtkraft auf das Glas  + FT isch = 0 N Fges = G gilt. Für beide Beobachter ist das Glas also „kräftefrei“, d. h. nicht beschleunigt! Zum Auftreten einer Beschleunigung Plötzlich stellt jedoch der Beobachter B im ICE fest, dass das Glas auf dem Tisch beschleunigt auf ihn zu rutscht. Er stellt aber keine reale Kraft fest, die diese Beschleunigung bewirkt! Welche Kraft aber ruft dann diese Beschleunigung für B hervor? 

3.8.2

Die Trägheitskraft

Um das für B „mysteriöse“ Auftreten der Beschleunigung im Beispiel 3.14 zu verstehen, nehmen wir an, der ICE stehe im Bahnhof. Der Beobachter B sitze im ICE-Bordrestaurant, und der Beobachter A stehe auf dem Bahnsteig. Wir nehmen an, dass das Glas „reibungsfrei“ auf dem Tisch gleiten kann. Nun möge der ICE mit konstanter Beschleunigung a = a · sˆ anfahren. Beide Beobachter stellen dann fest, dass das Glas auf dem Tisch in Richtung B zu rutschen beginnt. Wie beschreiben beide den Vorgang? Der Beobachter B Der Beobachter B stellt fest, dass das Glas eine Beschleunigung erfährt mit dem Betrag a und die auf ihn zu gerichtet ist, die also den Richtungsvektor −ˆs besitzt (siehe Abb. 3.35). Er kann jedoch keine reale Kraft ausfindig machen, die das Glas beschleunigt. Deshalb verbindet B mit dieser Beschleunigung eine Scheinkraft, die wir Trägheitskraft Ft nennen. Indem B das Glas mit einem Kraftmesser „festhält“, kann er den Betrag Ft = m · a dieser Kraft und damit den Betrag der Beschleunigung a auch messen. Diese Trägheitskraft ist wie die von ihm festgestellte Beschleunigung des Weinglases auf ihn zu gerichtet, d. h., es gilt

122

3 Mechanik eines Massenpunktes

Ft = −m · a · sˆ = −m · a . Durch dieses Auftreten der Trägheitskraft schließt der Beobachter B, dass sein Bezugssystem die Beschleunigung a = a · sˆ erfährt, die der Beschleunigung des Glases entgegengerichtet ist, weshalb er sich also in keinem Inertialsystem befindet! Der Beobachter A Für den Beobachter A ist das Glas nach wie vor nicht beschleunigt, sodass es für ihn in Ruhe ist. Für A kommt der Gleitvorgang so zustande, dass mit dem Anfahren des Zuges der Tisch unter dem Glas hinweggezogen wird. Im Inertialsystem von A tritt also die Trägheitskraft nicht auf! Zusammenfassend:

In jedem mit konstanter Beschleunigung a beschleunigten Bezugssystem erfährt jeder Körper der Masse m die Trägheitskraft Ft , die durch Ft = −m · a

(3.232)

gegeben ist. Das „−“-Zeichen bedeutet, dass sie stets der Beschleunigung a des Bezugssystems entgegengerichtet ist. 

Beispiel 3.15 Der Fahrstuhl In einem ruhenden Fahrstuhl hat ein Körper der Masse m das Gewicht G = m g (siehe Abb. 3.36(a)), das ein Beobachter anhand eines Kraftmessers mit der betragsmäßig gleich großen Federkraft identifiziert. Wenn der Fahrstuhl mit einer konstanten Beschleunigung vom Betrag a nach oben oder unten fährt, so wirkt auf den Körper, wenn er sich im Zustand der Ruhe befindet, im Bezugssystem „Fahrstuhl“ die Gesamtkraft Fges = G + FF + Ft = 0, wobei die Schwerkraft G sowie die Federkraft FF die realen Kräfte und die Trägheitskraft Ft die Scheinkraft auf den Körper sind. Fährt der Aufzug nach oben, so folgt Fges = −m g + FF − m a = 0, woraus wir für die Federkraft FF = mg + ma = m · (g + a) erhalten. In diesem Fall führt also die Trägheitskraft zu einer scheinbaren Vergrößerung des Gewichtes des Körpers (siehe Abb. 3.36(b)). Fährt jedoch der Aufzug nach unten, so führt dies im Bezugssystem „Fahrstuhl“ durch das Wirken der Trägheitskraft zu einer scheinbaren Verringerung des Gewichtes (siehe Abb. 3.36(c)). Denn aus Fges = −m g + FF + m a = 0

3.8

Bezugssysteme und Scheinkräfte

123

Abb. 3.36 Zur Trägheitskraft im Fahrstuhl

folgt für die Federkraft: FF = m g − m a = m · (g − a)

3.8.3

Die Zentrifugalkraft

Wir betrachten nun eine mit konstanter Winkelgeschwindigkeit ω rotierende Scheibe als Bezugssystem (siehe Abb. 3.37). Im Mittelpunkt der Scheibe möge der Beobachter B sitzen, der sich mit der Scheibe dreht. In der Hand hält er einen Kraftmesser, an dem wiederum ein Körper mit der Masse m befestigt ist, den wir als Massenpunkt betrachten. In Bezug auf die rotierende Scheibe, d. h. für B, befindet sich der Massenpunkt in Ruhe. Neben der rotierenden Scheibe stehe der Beobachter A in einem Inertialsystem. Wie beschreiben beide den Vorgang? Der Beobachter B B stellt fest, dass er eine reale Kraft über die Feder auf den Massenpunkt ausübt, deren Betrag er am Kraftmesser ablesen kann. Da sich für ihn der Massenpunkt aber in Ruhe befindet, muss in seinem Bezugssystem eine zusätzliche Kraft wirken, die die von ihm ausgeübte reale Kraft gerade kompensiert. Da er keine reale Kraft feststellen kann, handelt es sich um eine Scheinkraft. Weiter findet er, dass diese Scheinkraft proportional zum Abstand r des Massenpunktes von ihm anwächst, weshalb es sich nicht um die von r unabhängige Trägheitskraft handeln kann. Diese in rotierenden Bezugssystemen auftretende Scheinkraft

124

3 Mechanik eines Massenpunktes

Abb. 3.37 Zum Auftreten der Zentrifugalkraft

heißt Zentrifugalkraft FZ . Der Beobachter B schließt aus ihrem Auftreten, dass er sich in einem rotierenden, d. h. beschleunigten, Bezugssystem befindet. Der Beobachter A Der Beobachter A im Inertialsystem sieht die gleichförmige Kreisbewegung des Massenpunktes, die für ihn durch die zum Kreismittelpunkt gerichtete Zentripetalkraft hervorgerufen wird und die der Beobachter B ausübt. Der Betrag der Zentripetalkraft FZ = mω2 r kann am Kraftmesser abgelesen werden. Für den Beobachter A gibt es also die Zentrifugalkraft nicht!

Zusammenfassend:

In jedem mit konstanter Winkelgeschwindigkeit ω  rotierenden Bezugssystem erfährt jeder Körper der Masse m, der sich im Abstand r vom Drehpunkt befindet, die Zentrifugalkraft FZ , die durch FZ = −m · ω  × (ω  × r)

(3.233)

gegeben ist. Hierin bezeichnet r den Ortsvektor vom Drehpunkt zum Körper (siehe Abb. 3.37). Die Zentrifugalkraft ist stets radial nach außen gerichtet und besitzt den Betrag FZ = m · ω 2 · r , (3.234) sofern ω  senkrecht auf r steht. Mit der Zentrifugalkraft verbinden wir die ebenfalls radial nach außen gerichtete Zentrifugalbeschleunigung a Z mit die den Betrag

a Z = −ω  × (ω  × r),

(3.235)

a Z = ω2 · r

(3.236)

besitzt. 

3.8

Bezugssysteme und Scheinkräfte

125

Beispiel 3.16 Die Ultrazentrifuge Wir betrachten eine Ultrazentrifuge, die sich mit einer konstanten Drehfrequenz von ν = 60.000 U mdr ehungen/min dreht. Die Winkelgeschwindigkeit ist dann gegeben durch: ω = 2π ·ν =

2 π · 60.000 = 6,28 · 10 3 s −1 60 s

Damit folgt für die Zentrifugalbeschleunigung im Abstand r = 5 cm von der Drehachse: a Z = ω2 · r = (6,28 · 103 s −1 )2 · 5 · 10−2 m = 2 · 10 6 m/s 2 Das entspricht der 200 000-fachen Erdbeschleunigung! Mithilfe einer Ultrazentrifuge kann man Substanzen mit verschiedenen Massen trennen. 

3.8.4

Die Coriolis-Kraft

Wenn der Beobachter B auf der Scheibe den Körper loslässt, erfährt dieser die radial nach außen gerichtete Zentrifugalkraft. Sie ist aber nicht die einzige Kraft, die auf den Körper in seinem Bezugssystem wirkt. Er beobachtet eine weitere, von der Geschwindigkeit v des Körpers in seinem rotierenden Bezugssystem abhängige Scheinkraft, die wir anhand des folgenden Beispiels einführen. Wir betrachten den Fall, dass der Beobachter B auf der rotierenden Scheibe einen Ball mit konstanter Geschwindigkeit v radial nach außen in Richtung des Punktes P wirft (siehe Abb. 3.38). Beide Beobachter stellen fest, dass der Ball nach der Flugzeit T nicht im Punkt P, sondern im Punkt P auftrifft. Wie beschreiben beide den Vorgang?

Abb. 3.38 Zum Auftreten der Coriolis-Kraft

126

3 Mechanik eines Massenpunktes

Der Beobachter B Für B beschreibt der Ball eine gekrümmte Bahn (siehe Abb. 3.39)! Da B keine reale Kraft ausfindig macht, muss also für B eine Scheinkraft auf den Ball wirken, die die tangentiale Ablenkung hervorruft. Da die Zentrifugalkraft stets radial nach außen wirkt, handelt es sich um eine andere Scheinkraft, die wir Coriolis-Kraft Fc nennen. Sie hängt von der Geschwindigkeit v des Balles im rotierenden Bezugssystem ab, die tangential zur Flugbahn des Balles gerichtet ist. Für B kommt also die gekrümmte Bahn durch das Wirken zweier Scheinkräfte, der Zentrifugalkraft und der Coriolis-Kraft, zustande. Aus ihrem Auftreten schließt er, dass er sich in einem rotierenden, d. h. beschleunigten, Bezugssystem befindet! Der Beobachter A Für den außenstehenden Beobachter A im Inertialsystem bewegt sich der Ball gleichförmig geradlinig mit konstanter Geschwindigkeit v radial nach außen (siehe Abb. 3.40). Das Auftreffen im Punkt P’ kommt für ihn so zustande, dass sich die rotierende Scheibe „unter dem Ball“ während seines Fluges wegdreht! Für den Beobachter A gibt es also die Coriolis-Kraft nicht! Zusammenfassend:

In jedem mit konstanter Winkelgeschwindigkeit ω  rotierenden Bezugssystem erfährt jeder Körper der Masse m, der sich in diesem System mit der Geschwindigkeit v bewegt, die Coriolis-Kraft FC , die durch FC = −2 m · ω  × v gegeben ist. Mit ihr verbinden wir die Coriolis-Beschleunigung aC mit

Abb. 3.39 Die Flugbahn im rotierenden System

(3.237)

3.8

Bezugssysteme und Scheinkräfte

127

Abb. 3.40 Die Flugbahn im Inertialsystem

aC = −2 · ω  × v.

(3.238)

Die Richtung der Coriolis-Kraft bzw. der Coriolis-Beschleunigung ist stets senkrecht zu ω  und v. In dem Spezialfall, dass ω  senkrecht zu v ist, gilt für die Beträge: FC = 2 m ω · v aC = 2 ω · v

(3.239) 

Bemerkung: Da die Erde mit konstanter Winkelgeschwindigkeit rotiert, ist die Erdoberfläche kein Inertialsystem! Es treten also Zentrifugal- und Coriolis-Kräfte auf (siehe Abschn. 3.8.5). Nur dann, wenn diese im Vergleich zu anderen realen Kräften vernachlässigbar sind, können wir die Erdoberfläche als „Quasiinertialsystem“ betrachten.  Beispiel 3.17 Der Hörsaal als Bezugssystem Aufgrund der Erdrotation erfahren alle Körper im Bezugssystem Hörsaal die Zentrifugalbeschleunigung a Z = ω2 · r . Die Umlaufdauer der Erde beträgt T = 1T ag = 8,64 · 104 s. Damit folgt für die Winkelgeschwindigkeit der Erdrotation: ω=

2π = 7,27 · 10−5 s −1 T

128

3 Mechanik eines Massenpunktes

Abb. 3.41 Zum Hörsaal als Bezugssystem

Weiter befindet sich der Hörsaal ungefähr auf dem 50. Grad nördlicher Breite, d. h., es gilt ϕ = 50◦ (siehe Abb. 3.41). Mit dem Radius R E = 6 378 km der Erde erhalten wir für den Radius r der Kreisbahn, die jeder im Hörsaal ruhende Körper um die Drehachse der Erde beschreibt: r = R E · cos ϕ = 4,1 · 10 6 m Für die Zentrifugalbeschleunigung eines Körper im Hörsaal erhalten wir damit: a Z = ω2 · r = (7,27 · 10 −5 s −1 ) 2 · 4,1 · 10 6 m = 2,17 · 10 −2 m/s 2 Schließlich bewegt sich die Erde um die Sonne. Die diesbezügliche Zentrifugalbeschleunigung beträgt: a Z Sonne = 0,006 m/s 2 Der Hörsaal ist also kein Inertialsystem! 

3.8.5

Auswirkungen von Scheinkräften

Scheinkräfte unterscheiden sich von realen Kräften lediglich in ihrer Entstehung, nicht aber hinsichtlich ihrer Wirkung! Wird ein komplexes System, wie z. B. ein Flugzeug mit Insassen, der menschliche Körper, usw., beschleunigt, dann müssen die auftretenden Scheinkräfte innerhalb des Systems durch reale Kräfte ausgeglichen werden! Fehlen diese oder sind sie zu schwach, so kommt es zu (Zer-) Störungen im System.

3.8

Bezugssysteme und Scheinkräfte

129

Beispiele • Wird ein Astronaut in einer Rakete sitzend nach oben beschleunigt, so wird das Blut aufgrund der Trägheitskraft aus dem Kopf nach unten gedrückt, wodurch Blutleere im Gehirn mit bleibenden gesundheitlichen Schäden auftreten kann. • Wird ein Boxer am Kopf getroffen, so muss das Gehirn die Trägheitskraft ausgleichen. Ist das nicht der Fall, so werden Teile des Gehirns zerquetscht! • Fährt ein Auto mit der Geschwindigkeit v in eine Kurve, die den Krümmungsradius r besitzt, so wirkt auf das Auto im rotierenden System, in dem das Auto ruht, die Zen2 trifugalkraft mit dem Betrag FZ = mvr . Diese muss durch die reale Haftreibungskraft ausgeglichen werden. Ist die Geschwindigkeit zu groß, dann ist der Betrag der Zentrifugalkraft größer als der maximale Betrag der Haftreibungskraft FZ > FHmax = μ H · m g, sodass „das Auto aus der Kurve fliegt“ (siehe Abb. 3.42)! Wenn ferner beim Stoß gegen einen Baum die Karosserie die auftretende Trägheitskraft nicht ausgleichen kann, so kommt es zu „bleibenden Beulen“ am Auto. • Aufgrund der Erdrotation wirkt auf jeden auf der Erdoberfläche ruhenden Körper die Zentrifugalkraft, deren radiale Komponente Fr senkrecht zur Erdoberfläche an einem Breitengrad ϕ  = 90o zu einem scheinbar geringeren Gewicht führt, d. h., die Erdbeschleunigung g variiert ein wenig in Abhängigkeit vom Breitengrad (siehe Abb. 3.41).

Abb. 3.42 Ein Auto in der Kurve

130

3 Mechanik eines Massenpunktes

Abb. 3.43 Zur Struktur von Tiefdruckgebieten

• Die ungleiche Erwärmung der Erdatmosphäre in äquatorialen und polaren Gegenden führt zu Druckunterschieden und damit zu Luftströmungen in Nord-Süd-Richtung. Trotzdem erfahren Winde eine Abweichung in Ost-West-Richtung. Dies liegt an der Coriolis-Kraft, die auf der Nordhalbkugel zu einer Rechtsablenkung bezüglich der Geschwindigkeitsrichtung führt. Hierdurch ergibt sich die charakteristische Struktur der Tiefdruckgebiete (siehe Abb. 3.43). 

4

Mechanik eines Systems von Massenpunkten

Inhaltsverzeichnis 4.1

4.2

4.3

Systeme von Massenpunkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Translations- und Schwerpunktsbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Die Drehbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stoßvorgänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Der elastische Stoß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Der unelastische Stoß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der starre Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Die Drehung um eine vorgegebene Achse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Die Bewegungsgleichung der Drehbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3 Die Drehimpulserhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4 Die Präzession. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

132 133 139 142 142 146 147 147 151 159 166

In der Mechanik geht es um die Beschreibung der Bewegung von Körpern. Bisher haben wir einen Körper als einen Massenpunkt betrachtet, unser einfachstes Modell eines Körpers, mit dem wir zwar die Translationsbewegung, aber keine Eigendrehung oder Eigenschwingung beschreiben können. Hierzu benötigen wir ein anderes Modell. Es beruht auf der Vorstellung, dass makroskopische Körper, Flüssigkeiten oder Gase aus Atomen bzw. Molekülen aufgebaut sind und wir jedes Atom oder Molekül selbst als einen klassischen Massenpunkt betrachten. Somit können wir einen makroskopischen Körper oder auch ein Fluid (siehe Kap. 5) als ein System von Massenpunkten auffassen. Wir übertragen zunächst die physikalischen Größen Impuls, Drehimpuls, kinetische Energie usw., die wir für einen Massenpunkt eingeführt haben, auf ein System von Massenpunkten. Danach diskutieren wir, welche Bewegungsformen ein solches System durchführen kann und wie wir die Bewegung eines Systems von Massenpunkten beschreiben können. Als ein Anwendungsbeispiel betrachten wir Stoßvorgänge, die in der Natur sehr häufig vorkommen. So stoßen z. B. permanent die Teilchen eines Gases oder einer Flüssigkeit zusammen. Abschließend diskutieren wir als einen Spezialfall für ein System von Massenpunkten das © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Rufa, Physik für Studierende der Biowissenschaften, Chemie und Medizin, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61258-3_4

131

132

4 Mechanik eines Systems von Massenpunkten

Modell des starren Körpers, mit dem wir die Überlagerung einer Translationsbewegung und einer Eigendrehung von Festkörpern beschreiben können [14, 15, 17]. Eigenschwingungen von Festkörpern, Flüssigkeiten oder Gasen werden wir mit stehenden Wellen in kontinuierlichen Medien identifizieren, die wir in Abschn. 8.2.3 betrachten.

4.1

Systeme von Massenpunkten

Als ein Beispiel für ein System von Massenpunkten betrachten wir ein dreiatomiges Molekül (siehe Abb. 4.1). Entsprechend unserer Vorstellung fassen wir jedes der Atome als einen klassischen Massenpunkt auf. Zur Beschreibung der Bewegung einzelner Massenpunkte des Systems Die Atome besitzen die Massen m 1 , m 2 und m 3 . Die Bewegung eines einzelnen Atoms beschreiben wir durch die kinematischen Variablen, die wir für einen Massenpunkt eingeführt haben. So beschreiben wir z. B. den Ort des Atoms 1 durch den Ortsvektor r1 (t), seine Geschwindigkeit durch v1 (t) = d rdt1 (t) sowie seine Beschleunigung durch a1 (t) = d vdt1 (t) = d dtr12(t) . Weiter sind z. B. seine kinetische Energie und sein Impuls gegeben durch E 1kin = 21 m 1 v12 bzw. p1 = m 1 v1 . 2

Zu den Kräften auf die Massenpunkte Wir unterscheiden zwischen inneren und äußeren Kräften. Innere Kräfte sind Kräfte, die die Atome des Moleküls selbst aufeinander ausüben. Sie genügen i. Allg. dem Reaktionsprinzip. So gilt z. B. F12 = − F21 , d. h., die Kraft F12 von Atom 1 auf Atom 2 ist entgegengesetzt gleich der Kraft F21 von Atom 2 auf Atom 1 (siehe Abb. 4.1), weshalb F12 + F21 = 0 gilt. Die

Abb. 4.1 Ein dreiatomiges Molekül als ein System von Massenpunkten

4.1

Systeme von Massenpunkten

133

gesamte innere Kraft auf z. B. den Massenpunkt 1 unseres Systems ist gegeben durch F1int = F21 + F31 . Da sich die inneren Kräfte paarweise aufheben, verschwindet die vektorielle 3  Äußere Kräfte hingegen haben ihren Ursprung Summe aller inneren Kräfte i=1 F int = 0. i

außerhalb des Systems. Die Atome unseres Moleküls können z. B. mit anderen Molekülen zusammenstoßen oder sich in einem äußeren Kraftfeld befinden. Die gesamte äußere Kraft auf einen Massenpunkt i unseres Systems bezeichnen wir mit Fiext . Schließlich ist die ges Gesamtkraft Fi = Fiint + Fiext auf einen Massenpunkt des Systems die vektorielle Summe aller auf ihn wirkenden äußeren und inneren Kräfte. Sie ruft nach dem Aktionsprinzip ges Fi = m i · ai die Beschleunigung des Massenpunktes hervor. Bewegungsformen eines Systems von Massenpunkten Unser Molekül kann eine Translation durchführen, d. h. sich „als Ganzes“ fortbewegen, ohne die Orientierung im Raum zu ändern und ohne dass die Atome gegeneinander schwingen. Das Molekül kann ferner eine Eigendrehung durchführen, d. h. um eine Symmetrieachse rotieren, die, wie wir sehen werden, durch den Massenschwerpunkt S verläuft (siehe Abb. 4.1). Weiter können die Atome des Molelüls auch gegeneinander schwingen, was wir eine Eigenschwingung des Systems nennen. Schließlich kann das Molekül auch eine Überlagerung dieser Bewegungsformen durchführen (siehe Abschn. 3.1.1). Im Allgemeinen können die Massenpunkte eines Systems also sehr komplizierte und ungeordnete Bewegungen durchführen (siehe Kap. 5 und 6). Bemerkung: Die Rotationsfrequenzen von Molekülen liegen im Mikrowellenbereich (ν ∼ 1010 Hz), die Schwingungsfrequenzen dagegen im Infrarotbereich (ν ∼ 1013 Hz). Indem man die Rotations- und Schwingungsspektren eines Moleküls untersucht, erhält man Informationen über die Atomabstände und die Massen der Atome, d. h. Informationen über die Struktur des Moleküls! Solche Strukturuntersuchungen sind Gegenstand der Analytik. 

4.1.1

Translations- und Schwerpunktsbewegung

Zur Beschreibung der Translationsbewegung eines Systems von N Massenpunkten führen ext sowie die wir die Gesamtmasse M, den Gesamtimpuls Pges , die äußere Gesamtkraft Fges kin kinetische Energie des Gesamtsystems E ges wie folgt ein:

134

4 Mechanik eines Systems von Massenpunkten

M := m 1 + m 2 + · · · + m N =

N 

mi

i=1

Pges := p1 + p2 + · · · + pN =

N 

pi

i=1 ext := F1ext + F2ext + · · · + FNext = Fges

N 

(4.1) Fiext

i=1 kin E ges := E 1kin + E 2kin + · · · + E kin N =

N 

E ikin

i=1

Der Massenschwerpunkt Wir definieren ferner einen „fiktiven Massenpunkt“, dem wir die Gesamtmasse M des Systems zuordnen und der sich am Raumpunkt S befindet, zu dem der Ortsvektor rs gehört, und der wie folgt definiert ist: 1 1  · { m 1 r1 + · · · + m N rN } = · m i ri M M N

rs :=

(4.2)

i=1

Wir nennen ihn den Massenschwerpunkt des Systems (siehe Abb. 4.1). Beispiel 4.1 Massenschwerpunkt Bezüglich einer r -Achse befinde sich der Massenpunkt 1 mit der Masse m 1 = 1 kg am Ort r1 = 2 m und der Massenpunkt 2 mit der Masse m 2 = 3 kg am Ort r2 = 6 m.

Die Gesamtmasse des Systems beträgt: M = m 1 + m 2 = 1 kg + 3 kg = 4 kg Der Massenschwerpunkt S des Systems wird dann beschrieben durch die Ortskoordinate rs =

1 1 · { m 1 r1 + m 2 r2 } = · { 1 kg · 2 m + 3 kg · 6 m} = 5 m. M 4 kg

Unserem System aus zwei Massenpunkten ordnen wir also einen „fiktiven Massenpunkt“ zu, der die Masse M = 4 kg besitzt und der sich am Ort rs = 5 m auf der r -Achse befindet. 

4.1

Systeme von Massenpunkten

135

Im Folgenden zeigen wir, dass die Translationsbewegung eines Systems von Massenpunkten mit der Massenschwerpunktsbewegung identifiziert werden kann. Es ist dann bezüglich einer reinen Translationsbewegung gerechtfertigt, das System von Massenpunkten auf den Massenschwerpunkt S „zusammenzuziehen“, dem wir die Gesamtmasse M zuordnen, wobei dann nur noch die Bewegung dieses „fiktiven Massenpunktes“ zu bestimmen ist. Geschwindigkeit und Impuls des Massenschwerpunktes Für die Geschwindigkeit des Massenschwerpunktes erhalten wir: d d rs (t) vs (t) = = dt dt =

1 · M

N 



 N N 1  1  d ri (t) · · m i · ri (t) = mi · M M dt i=1

m i · vi (t) =

i=1

1 · M

i=1

N 

pi (t),

i=1

d. h.

1  · Pges (t) M Damit folgt für den Impuls des Massenschwerpunktes: vs (t) =

(4.3)

Ps (t) = M · vs (t) = Pges (t)

(4.4)

Merke:

Der Impuls des Massenschwerpunktes ist gleich dem Gesamtimpuls des Systems! 

Wodurch ist die Bewegung des Massenschwerpunktes festgelegt? Für jeden Massenpunkt i des Systems gilt das 2. Newton’sche Gesetz: ges Fi (t) = m i · ai (t)

Dann folgt, wenn wir beachten, dass sich die inneren Kräfte paarweise aufheben und deshalb N  int = 0 gilt: i=1 Fi ext (t) = Fges

=

N 

Fiext (t) =

N 

i=1

i=1

N 

N 

i=1

ges Fi (t) =

i=1

Fiext (t) +

N 

Fiint (t) =

i=1

mi ·

d 2 ri (t) dt 2

N 

{ Fiext (t) + Fiint (t) }

i=1

=

d2 dt 2

N  i=1

m i · ri (t)

136

4 Mechanik eines Systems von Massenpunkten

Schließlich erhalten wir mit M · rs (t) = die Beziehung

N

i=1 m i

s (t) · ri (t) und M · d rdt = M · vs (t) = Ps (t)

d 2 rs (t) d Ps (t) ext . (t) = M · = Fges 2 dt dt

(4.5)

Zusammenfassend:

ext , das Die Bewegung des Massenschwerpunktes ist durch die äußere Gesamtkraft Fges 2. Newton’sche Gesetz sowie durch die Anfangsbedingungen festgelegt. Innere Kräfte ändern nicht die Massenschwerpunktsbewegung! 

Beispiel 4.2 Feuerwerkskörper Ein abgeschossener Feuerwerkskörper bewegt sich entlang einer Parabel. Wenn er explodiert, so bewegen sich seine Teile, d. h. die Massenpunkte des Systems, so weiter, dass der Massenschwerpunkt dieses Systems von Massenpunkten auf der Parabel weiterläuft.

 Das Massenschwerpunktsystem Die Beschreibung der Bewegung eines Systems von vielen Massenpunkten ist i. Allg. sehr kompliziert. Wir können die Beschreibung der Bewegung eines solchen Systems jedoch vereinfachen, indem wir durch eine geschickte Wahl des Bezugssystems die Translationsbewegung „ausblenden“. Ein solches Bezugssystem, dessen Ursprung im Massenschwerpunkt liegt, heißt (Massen-)Schwerpunktsystem. Die Lage der Massenpunkte des Systems beschreiben wir bezüglich des Schwerpunktsystems durch die Ortsvektoren ri  (t). Der Zusammenhang mit den „alten Koordinaten“ ri (t) lautet (siehe Abb. 4.2): ri (t) = rs (t) + ri  (t), i = 1, 2, 3, . . . , N

(4.6)

4.1

Systeme von Massenpunkten

137

Abb. 4.2 Schwerpunktsystem und Relativkoordinaten

Die ri  (t) beschreiben die Eigendrehung und Eigenschwingung des Systems von Massenpunkten, d. h. die Bewegung der Massenpunkte relativ zum Massenschwerpunktsystem. Wir sagen auch, dass sie die Relativbewegung der Massenpunkte untereinander beschreiben, weshalb wir die ri (t) auch Relativkoordinaten nennen. Translations- und Schwerpunktsbewegung Eine reine Translationsbewegung bedeutet für unser Molekül, dass die Atome, also die Massenpunkte des Systems, keine Relativbewegung durchführen. Dann sind die ri  konstante Vektoren: ri  (t) = ai = konstant (4.7) Ist dann der Ort des Massenschwerpunktes, d. h. der Ortsvektor rs (t), zu jedem Zeitpunkt t bekannt, so ist der Ort jedes Massenpunktes des Systems durch die Beziehung ri (t) = rs (t) + ai

(4.8)

bestimmt. Deshalb können wir die Translationsbewegung eines Systems von Massenpunkten mit der Schwerpunktsbewegung identifizieren!

Merke:

Die Translationsbewegung eines Systems von Massenpunkten, wie z. B. unseres Moleküls oder eines Körpers, ist durch die Massenschwerpunktsbewegung eindeutig bestimmt, und wir beschreiben die Translationsbewegung des Systems durch die Massenschwerpunktsbewegung. 

138

4 Mechanik eines Systems von Massenpunkten

Energie- und Impulserhaltung für ein System von Massenpunkten Wegen Ps = Pges können wir die Beziehung (4.5) auch in der Form ext (t) = Fges

d Pges (t) dt

(4.9)

schreiben. Das bedeutet, dass nur die Einwirkung einer äußeren Gesamtkraft auf ein System von Massenpunkten den Gesamtimpuls des Systems ändern kann. Innere Kräfte ändern den Gesamtimpuls des Systems nicht. Anders formuliert gilt:

Impulserhaltungssatz für ein System von Massenpunkten

ext auf ein System von Massenpunkten, so ist Verschwindet die äußere Gesamtkraft Fges der Gesamtimpuls Pges des Systems konstant: ext Fges = 0



Pges = p1 (t) + p2 (t) + · · · + pN (t) = konstant

(4.10) 

Sind weiter die inneren und äußeren Kräfte des Systems konservativ, so gibt es eine potenpot tielle Energie E ges des Gesamtsystems. Beispiel Befindet sich unser Molekül im Schwerefeld der Erde in der Höhe h, so besitzt jedes Atom pot die potentielle Energie E i = m i · g · h.

Die gesamte potentielle Energie des Systems im Gravitationsfeld der Erde beträgt damit in der Höhe h: pot

pot

E ext = E 1

pot

+ E2

pot

+ E3

= m1 g h + m2 g h + m3 g h = M g h pot

Addieren wir hierzu noch die gesamte potentielle Energie E int aufgrund der inneren (elektromagnetischen) Kräfte (siehe Kap. 10), so erhalten wir die gesamte potentielle Energie unseres Moleküls: pot pot pot E ges = E int + E ext 

4.1

Systeme von Massenpunkten

139 pot

kin und der potentiellen Energie E Die Summe aus der kinetischen Energie E ges ges des Systems von Massenpunkten ergibt die Gesamtenergie E ges des Systems. Für diese Gesamtenergie gilt:

Mechanischer Energieerhaltungssatz für ein System von Massenpunkten

Sind die inneren und äußeren Kräfte auf ein System von Massenpunkten konservativ, so ist die Summe aus kinetischer Energie und potentieller Energie des Gesamtsystems, d. h. die mechanische Energie, konstant: pot

kin E ges = E ges (t) + E ges (t) = konstant

(4.11) 

4.1.2

Die Drehbewegung

Auch die physikalischen Größen, die wir zur Beschreibung der Drehbewegung eines Massenpunktes eingeführt haben, können in einfacher Weise auf ein System von Massenpunkten übertragen werden. Für eine reine Eigendrehung eines Systems von Massenpunkten um eine Drehachse durch den Massenschwerpunkt haben die Relativkoordinaten einen konstanten Betrag | ri  (t)| = ai = konstant (siehe Abb. 4.1 und 4.4). ext , den Drehimpuls L  ges und Zunächst definieren wir das äußere Gesamtdrehmoment N ges das Trägheitsmoment Jges des Gesamtsystems bezüglich einer vorgegebenen Drehachse wie folgt: N  ext ext ext ext     N ges := N1 + N2 + · · · + N N = Niext i=1

L ges := L 1 + L 2 + · · · + L N =

N 

L i

(4.12)

i=1

Jges := J1 + J2 + · · · + J N =

N 

Ji

i=1

Die Dynamik der Drehbewegung ist durch die Bewegungsgleichung ext (t) = N ges

d L ges (t) d ω(t)  = Jges · dt dt

(4.13)

festgelegt. Hierin bezeichnet ω(t)  die Winkelgeschwindigkeit der Drehbewegung bezüglich der vorgegebenen Drehachse. Für den Zusammenhang zwischen der Winkelgeschwindigkeit und dem Gesamtdrehimpuls L ges gilt: L ges (t) = Jges · ω(t) 

(4.14)

140

4 Mechanik eines Systems von Massenpunkten

Die Beziehung (4.13) bedeutet, dass nur ein äußeres Gesamtdrehmoment den Gesamtdrehimpuls des Systems ändern kann. Anders formuliert gilt:

Drehimpulserhaltungssatz für ein System von Massenpunkten

ext auf ein System von MassenpunkVerschwindet das äußere Gesamtdrehmoment N ges ten, so ist der Gesamtdrehimpuls L ges des Systems konstant: ext N ges = 0



L ges = L 1 (t) + L 2 (t)+· · ·+ L N (t) = Jges ·ω  = konstant (4.15) 

Beispiel 4.3 Das Kinderkarussell Wir betrachten ein Karussell mit 4 Sitzen, die jeweils an einer Stange befestigt seien, deren Massen wir vernachlässigen und die alle einen Abstand von ri = 2m, i = 1, . . . , 4 vom Drehpunkt O besitzen. Auf jedem Sitz möge sich ein Kind befinden, wobei wir jeden Sitz plus Kind als einen Massenpunkt mit der Masse m i = 40 kg, i = 1, . . . , 4 betrachten.

Zwei Personen mögen nun im Abstand r F = 1,5 m vom Drehpunkt jeweils eine Kraft mit dem Betrag F = 80 N senkrecht zu zwei verschiedenen Stangen ausüben und dadurch die Drehmomente N 1ext und N 2ext mit den Beträgen N1ext = N2ext = r F · F = 1,5 m · 80 N = 120 N m erzeugen. Da beide Drehmomente in die gleiche Richtung zeigen, addieren sich ihre Beträge ext : zum Betrag des Gesamtdrehmoments N ges ext | = | N1ext + N2ext | = N1ext + N2ext = 240 N m | N ges

Dieses Gesamtdrehmoment ruft eine Drehbewegung mit einer konstanten Winkelbeschleuext = J nigung α hervor, die durch die Bewegungsgleichung N ges ges · α gegeben ist. Die Träg-

4.1

Systeme von Massenpunkten

141

heitsmomente Ji , i = 1, . . . , 4 der einzelnen Massenpunkte unseres Systems sind gegeben durch: Ji = m i · ri 2 = 40 kg · (2 m)2 = 160 kgm 2 Für das Trägheitsmoment unseres Systems von Massenpunkten erhalten wir: Jges = J1 + J2 + J3 + J4 = 4 · 160 kgm 2 = 640 kgm 2 Damit folgt für die Winkelbeschleunigung: α=

ext N ges

Jges

=

240 N m = 0,38 s −2 640 kgm 2

Zu Beginn möge das Karussell ruhen. Die diesbezüglichen Anfangsbedingungen für die gleichförmig beschleunigte Kreisbewegung lauten also: ϕ(0) = ϕ0 = 0 ω(0) = ω0 = 0 s −1 Dann gilt nach (3.203) für den Drehwinkel zum Zeitpunkt t ϕ(t) =

1 1 2 α t + ω0 t + ϕ 0 = α t 2 , 2 2

und die Winkelgeschwindigkeit ist nach (3.202) gegeben durch: ω(t) = α t + ω0 = α t Die Personen mögen die Kräfte und damit die Drehmomente genau zwei Umläufe ausüben. Die Zeit t2 für die ersten zwei Umläufe erhalten wir dann aus ϕ(t2 ) = 4 π =

1 α t2 2 2



zu

8π = 8,13 s. α Ab diesem Zeitpunkt dreht sich das Karussell mit der konstanten Winkelgeschwindigkeit t2 =

ω2 = ω(t2 ) = α t2 = 0,38 s −2 · 8,13 s = 3 s −1 . Wenn beide Personen nach dem 2. Umlauf loslassen, liegt dann eine gleichförmige Drehbewegung vor mit der Umlaufdauer T =

2π = 2 s. ω2

142

4 Mechanik eines Systems von Massenpunkten

Ferner besitzt das Karussell dann einen konstanten Drehimpuls, dessen Betrag gegeben ist durch: kg m 2 L ges (t2 ) = Jges · ω2 = 640 kgm 2 · 3 s −1 = 1 920 s 

4.2

Stoßvorgänge

Als eine Anwendung von Impuls- und Energiesatz für ein System von Massenpunkten betrachten wir den Stoß zweier Kugeln mit den Massen m 1 und m 2 . Ein Stoß ist eine kurzzeitige Wechselwirkung. Vor und nach dem Stoß bewegen sich beide Kugeln kräftefrei, d. h. mit konstanten Geschwindigkeiten und damit Impulsen und kinetischen Energien. Wenn beim Stoßvorgang keine kinetische Energie in andere Energieformen wie Wärme- oder Deformationsenergie umgewandelt wird, so ist die Summe der kinetischen Energien der Kugeln vor und nach dem Stoß gleich. Ein solcher Stoß heißt elastisch. Wird jedoch während des Stoßvorganges Bewegungsenergie in Wärme- oder Deformationsenergie umgewandelt, so heißt der Stoß unelastisch.

4.2.1

Der elastische Stoß

Wir betrachten im Folgenden zwei Kugeln, von denen sich die erste mit einem bekannten Impuls p1 (reibungsfrei) auf die zweite ruhende Kugel zu bewegt (siehe Abb. 4.3). Nach dem Stoß bewegen sich die beiden Kugeln unter bestimmten Streuwinkeln ϕ und θ zur Einfallsrichtung der ersten Kugel und mit veränderten Impulsen und kinetischen Energien weiter. Hierbei stellen sich folgende Fragen:

Abb. 4.3 Zum elastischen Stoß zweier Kugeln

4.2

Stoßvorgänge

143

• Welcher Impuls und welche Energie werden beim Stoß von der Kugel 1 auf die Kugel 2 übertragen? • Was kann man allgemein über die Streuwinkel aussagen? Zur Beantwortung dieser Fragen betrachten wir den Energie- und Impulssatz für unser System aus zwei Massenpunkten: p1 = p1  + p2  p1 2 2 m1

=

p1  2 2 m1

+

Impulssatz

p2  2 2 m2

Energiesatz

(4.16)

Für den Impuls- und Energieübertrag von der Kugel 1 auf die Kugel 2 erhalten wir dann Δ p = p1 − p1  = p2  ΔE kin =

p1 2 p1  2 p2  2 − = , 2 m1 2 m1 2 m2

(4.17)

d. h., wir müssen lediglich den Vektor p2  bestimmen. Hierzu eliminieren wir p1  mithilfe des Impulssatzes p1  = p1 − p2  (4.18) und erhalten hiermit aus dem Energiesatz: ( p1 − p2  ) 2 p2  2 p1 2 p1 · p2  p2  2 p2  2 p1 2 = + = − + + 2 m1 2 m1 2 m2 2 m1 m1 2 m1 2 m2   1 1 m1 + m2  · 2 m1 · m2 0=− p1 · p2  + p2  2  m1 2 m1 · m2 m1 + m2 2  2  m2 m2 m2 p2  2 − 2 p1 · p2  + p1 = p1 m1 + m2 m1 + m2 m1 + m2 Insgesamt folgt: 

p2  −

m2 p1 m1 + m2

2

 =

m2 m1 + m2

2 · p12 ≡ ρ 2

(4.19)

2 Das ist die Gleichung eines Kreises mit dem Radius ρ = m 1m+m p1 um den Mittelpunkt M, 2 m2 der durch den Ortsvektor a = m 1 +m 2 p1 beschrieben wird,

( x − a )2 = ρ 2

⇐⇒

| x − a | = ρ

(4.20)

144

4 Mechanik eines Systems von Massenpunkten

wobei wir den Ursprung O unseres Koordinatensystems in den Raumpunkt legen, an dem die beiden Kugeln zusammenstoßen. Zusammenfassend: Wir konstruieren den Impulsvektor p2  der Kugel 2 nach dem Stoß wie folgt (siehe Abb. 4.4): 2 Vom Koordinatenursprung tragen wir den Vektor a = m 1m+m p1 ab, der in Einfallsrich2 tung der Kugel 1 zeigt. Um die Spitze dieses Vektors zeichnen wir dann einen Kreis mit dem 2 Radius ρ = m 1m+m p1 . Die Spitze des Impulses p2  liegt nun irgendwo auf diesem Kreis. 2 Der Winkel zwischen p1 , d. h. der Einfallsrichtung, und p2  heißt Streuwinkel θ . Für den Betrag von p2  , d. h. für den Betrag des Impulsübertrages, erhalten wir dann als Funktion von θ (siehe Abb. 4.4): Δp = p2  = 2 · ρ · cos θ =

2 m2 2 m1 m2 p1 cos θ = v1 cos θ m1 + m2 m1 + m2

(4.21)

Die Richtung von p2  ist durch den Streuwinkel θ gegeben, der im Bereich −

π π r0 ist dagegen die Coulomb-Kraft zwischen beiden Atomen attraktiv, sodass die potentielle Energie zwischen beiden Atomen mit wachsendem Abstand r zunimmt und asymptotisch gegen null strebt. In diesem Bereich ist die Steigung von E pot positiv. Aufgrund dieser zwischenatomaren Kraft werden die beiden

5.1

Aggregatzustände

171

Abb. 5.1 Zur potentiellen Energie zwischen zwei Atomen

Atome in eine stabile Gleichgewichtslage mit einem gegenseitigen Abstand r0 gebunden, und wir sagen: Sie bilden ein (zweiatomiges) Molekül. Analoge elektromagnetische Kräfte wirken auch zwischen Molekülen. Sie heißen dann van der Waals-Kräfte oder London-Kräfte (siehe Abschn. 10.2.2). Solche zwischenatomaren und -molekularen Kräfte sind letztlich verantwortlich für den Aufbau und die Eigenschaften makroskopischer Dinge, die aus einer sehr großen Anzahl (∼ 1023 ) von Atomen bzw. Molekülen bestehen. Bindungsenergie und thermische Energie Die potentielle Energie, die die beiden Atome der Abb. 5.1 im Abstand r0 besitzen, heißt (chemische) Bindungsenergie E B . Sie entspricht derjenigen Energie, die wir aufbringen müssen, um beide Atome wieder zu trennen. Die Bindungsenergie ist also keine neue Energieform, sondern entspricht einer potentiellen Energie. Ferner sind die Atome nie in völliger Ruhe, sondern führen stets Schwingungen um die Gleichgewichtslage durch. Schließlich kann unser zweiatomiges Molekül auch rotieren, und es wird permanent mit anderen Molekülen zusammenstoßen, wobei sich seine Geschwindigkeit und damit seine kinetische Energie ändern. Die Summe aller mit diesen „ungeordneten Bewegungen“ der Teilchen verbundenen kinetischen Energien heißt thermische Energie E th (siehe Abschn. 5.4.2). Bemerkung: In Abschn. 5.4.2 werden wir die physikalische Größe Temperatur als Maß für die mittlere kinetische Energie der Atome bzw. Moleküle auffassen, die in dieser ungeordneten Bewegung steckt.  Das Verhältnis zwischen thermischer Energie und Bindungsenergie der Teilchen (Atome, Ionen oder Moleküle) einer Substanz ist entscheidend dafür, in welcher Zustandsform oder anders ausgedrückt in welchem Aggregatzustand die Substanz vorliegt. Wir unterscheiden die Aggregatzustände gasförmig, flüssig und fest.

172

5 Zustandsformen der Materie

Gase (E th >> E B ) Ist die thermische Energie der Teilchen viel größer als ihre Bindungsenergie, so sind die Bindungskräfte der Teilchen untereinander vernachlässigbar, und die Teilchen können sich nahezu „frei“ bewegen. Unter einem Gas verstehen wir also eine Zustandsform der Materie, in der die Teilchen frei sind und die deshalb eine ungeordnete Bewegung ausführen können. Demzufolge ist ein Gas leicht deformierbar und komprimierbar. Es besitzt weder eine bestimmte Form noch ein bestimmtes Volumen, d. h., es nimmt stets den ihm zur Verfügung stehenden Raum ein. Deshalb ist im Mittel der Abstand zwischen den Gasteilchen groß im Vergleich zu ihrer Größe. Flüssigkeiten (E th  E B ) Ist die thermische Energie der Teilchen vergleichbar mit der Bindungsenergie, so bewirken die Kräfte zwischen den Teilchen eine Art „Zusammenhalt aller Teilchen“. Trotz dieser Bindung können die Teilchen dennoch eine ungeordnete Bewegung durchführen und sind leicht gegeneinander verschiebbar. Diese Zustandsform der Materie heißt Flüssigkeit. Flüssigkeiten haben ein definiertes Volumen, aber keine bestimmte Form, sie sind leicht deformierbar, aber schwer komprimierbar. Festkörper (E th 0 d l d · l

(5.6)

definiert ist. μ ist eine dimensionslose Größe und liegt im Bereich 0 ρ Fl Ist die Dichte des Körpers größer als die Dichte der Flüssigkeit, so ist das Gewicht größer als die Auftriebskraft, und der Körper sinkt.

Abb. 5.9 Zum Auftrieb

182

5 Zustandsformen der Materie

(b) Schweben ρ K = ρ Fl Sind die Dichten von Körper und Flüssigkeit und damit Gewicht und Auftriebskraft gleich, so schwebt der Körper in der Flüssigkeit. (c) Schwimmen ρ K < ρ Fl Ist dagegen die Dichte des Körpers kleiner als die Dichte der Flüssigkeit, so taucht ein Körper gerade so weit in die Flüssigkeit ein, dass das Gewicht der verdrängten Flüssigkeitsmenge mit dem Volumen V  , d. h. seine Auftriebskraft, gleich dem Gewicht des Körpers ist (siehe Abb. 5.10). Die Bedingung für Schwimmen lautet also G = ρ K · g · V = ρ Fl · g · V  = FA ,

(5.27)

V ρ Fl =  V ρK

(5.28)

woraus wir

erhalten. Das bedeutet: Bei einem schwimmenden Körper verhält sich das Gesamtvolumen V des Körpers zum Volumen V  des eingetauchten Teils wie die Dichte der Flüssigkeit zur Dichte des Körpers.  Beispiel 5.4 Der Druck auf einen Taucher Der Luftdruck auf die Wasseroberfläche, d. h. der Kolbendruck, betrage PK = 105 Pa. In einer Tiefe von 20 m unter der Wasseroberfläche wirkt auf einen Taucher der Schweredruck PS = ρ H2 O · g · h = 103 kg/m 3 · 9,81 m/s 2 · 20 m = 19,62 · 104 Pa, worin ρ H2 O = 103 kg/m 3 = 1 g/cm 3 die Dichte von Wasser bezeichnet. Der hydrostatische Druck auf den Taucher beträgt dann: P = PK + PS = 105 Pa + 19,62 · 104 Pa = 2,96 · 105 Pa

Abb. 5.10 Zur Eintauchtiefe eines schwimmenden Körpers

5.3

Mechanische Eigenschaften von Flüssigkeiten

183

In einer Tiefe von 20 m hat sich also der Druck auf den Taucher gegenüber dem Druck an der Wasseroberfläche nahezu verdreifacht. 

5.3.1.2 Kohäsion und Adhäsion Jede Flüssigkeit ist durch ihre Oberfläche von der „Umgebung“ getrennt. Die Kräfte, die ein Flüssigkeitsmolekül im Inneren einer Flüssigkeit durch seine Nachbarn erfährt, heben sich im Mittel auf, d. h., die zwischenmolekulare Gesamtkraft auf das Molekül verschwindet im Inneren der Flüssigkeit (siehe Abb. 5.11(a)). Befindet sich das Molekül jedoch an der Randfläche, so sehen die Kräfteverhältnisse anders aus. Aufgrund der Wechselwirkung mit den anderen Flüssigkeitsmolekülen erfährt ein Randmolekül Kräfte, die nach innen gerichtet sind und die wir Kohäsionskräfte nennen (siehe Abb. 5.11(b)). Grenzt die betrachtete Randfläche an das Vakuum, so sind diese Kohäsionskräfte die einzigen Kräfte auf die Randmoleküle, und sie bewirken einen „Zusammenhalt“ aller Flüssigkeitsmoleküle. Grenzt die betrachtete Randfläche jedoch an ein anderes Medium, so üben die Atome (oder Moleküle) dieses Mediums ebenfalls Kräfte auf ein Flüssigkeitsmolekül des Randbereiches aus, die in das angrenzende Medium gerichtet sind und die wir Adhäsionskräfte nennen. Bemerkung: Aufgrund der Adhäsionskräfte haftet Farbe auf Papier oder einer Wand bzw. kann man Körper durch „Kleben“ miteinander verbinden.  Kohäsions- und Adhäsionskräfte führen zu charakteristischen Erscheinungen an der Flüssigkeitsoberfläche bzw. der Berührungsfläche zwischen verschiedenen Medien wie die Oberflächenspannung, Benetzung, Kapillarität oder auch die chemische Katalysewirkung mancher Substanzen, was wir im Folgenden diskutieren.

Abb. 5.11 Kräfte auf ein Molekül im Inneren der Flüssigkeit und an der Randfläche

184

5 Zustandsformen der Materie

5.3.1.3 Spezifische Oberflächenenergie und Oberflächenspannung Flüssigkeitslamellen Ziehen wir einen Drahtbügel der Breite b senkrecht aus einer Flüssigkeit, so bildet sich eine Flüssigkeitslamelle der Länge s (siehe Abb. 5.12). Soll die Länge der Lamelle um s vergrößert werden, so muss man gegen die Schwerkraft und eine tangential zur Lamellenoberfläche angreifende Kraft Ft , die von den Kohäsionskräften herrührt, die Flüssigkeitshaut hochziehen. Die Arbeit der Kraft Fa , die die Kraft Ft kompensiert, ist gegeben durch: W = Fa · s (5.29) Wo steckt diese Arbeit? Die spezifische Oberflächenenergie Die Arbeit W steckt in der neu geschaffenen Flüssigkeitsoberfläche (siehe Abb. 5.12): A = 2b · s

(5.30)

Der Faktor 2 tritt auf, weil die Lamelle eine Vorder- und Rückseite besitzt. Um die Flüssigkeitslamelle zu vergrößern, muss man zusätzliche Flüssigkeitsmoleküle an die Oberfläche bringen. Hierbei verrichtet man gegen die Kohäsionskräfte Arbeit, die zu einer Erhöhung der potentiellen Energie dieser Moleküle um E pot = W führt. Zur Beschreibung dieser Energiezunahme führen wir den Begriff der spezifischen Oberflächenenergie ein. Unter der spezifischen Oberflächenenergie  einer Flüssigkeit verstehen wir das Verhältnis der Änderung der potentiellen Energie E pot zur Änderung der Oberfläche A der Flüssigkeit: E pot (5.31)  := A

Abb. 5.12 Zur Oberflächenspannung

5.3

Mechanische Eigenschaften von Flüssigkeiten

185

Ihre SI-Einheit ist J /m 2 . Aus (5.29) und (5.30) folgt für die spezifische Oberflächenenergie einer Flüssigkeitslamelle: E pot Fa · s Fa = = (5.32) = A 2b · s 2b Bemerkung: • Die spezifische Oberflächenenergie ist eine temperaturabhängige Stoffkonstante, die mit zunehmender Erwärmung abnimmt. Weiter ist sie äußerst empfindlich gegen Verunreinigungen, die sich an der Oberfläche ansammeln. • Ein System ist stets bestrebt, seine potentielle Energie zu minimieren. Weil  konstant ist, besitzt diejenige Flüssigkeitsform die minimale potentielle Energie, für die die Oberfläche minimal ist. Aus diesem Grund nehmen Tropfen und Seifenblasen Kugelform an, wenn keine äußeren Kräfte einwirken.  Die Oberflächenspannung Die Kohäsionskräfte in einer Flüssigkeit können zwar nicht das Volumen der Flüssigkeit verändern, sie haben aber einen Einfluss auf die Form der Oberfläche. Von diesen Kohäsionskräften rührt eine tangential zur Flüssigkeitsoberfläche wirkende Gesamtkraft Ft her, die stets so gerichtet ist, dass sie die Oberfläche zu verkleinern sucht (siehe Abb. 5.12). Mit dieser Kraft verbinden wir die Oberflächenspannung. Unter der Oberflächenspannung σ verstehen wir die auf die Längeneinheit bezogene tangentiale Kraft an die Oberfläche Ft σ = , (5.33) l worin l die Länge des Randes der Flüssigkeitsoberfläche bezeichnet, entlang dessen die Kraft Ft wirkt. Die SI-Einheit der Oberflächenspannung ist N /m. Beispiel Für die Lamelle wirkt die Kraft Ft längs des oberen Randes der Lamelle (siehe Abb. 5.12). Da die Lamelle zwei Oberflächen besitzt, gilt für die Lamelle l = 2b, womit wir σ =

Ft Fa = 2b 2b

erhalten. Wegen Fa = Ft sind für die Lamelle die spezifische Oberflächenenergie und die Oberflächenspannung zahlenmäßig gleich. Die spezifische Oberflächenenergie und die Oberflächenspannung sind jedoch verschiedene physikalische Größen, was wir durch die verschiedenen SI-Einheiten ausdrücken. 

186

5 Zustandsformen der Materie

5.3.1.4 Benetzung und Kapillarität Zur Tropfenbildung auf Glas Auf sauberem Glas unterscheidet sich ein Wassertropfen (H2 O) in seiner Form von einem Quecksilbertropfen (H g) (siehe Abb. 5.13). Das unterschiedliche Verhalten rührt vom unterschiedlichen Verhältnis zwischen den Kohäsions- und Adhäsionskräften auf die Flüssigkeitsteilchen an der Grenzfläche zum Glas her. Benetzung Sind für ein System aus Flüssigkeit und Festkörper die Kohäsionskräfte kleiner als die Adhäsionskräfte, so breitet sich die Flüssigkeit selbständig über große Bereiche der Festkörperoberfläche aus (siehe Abb. 5.13(a)). Wir sprechen dann von einer den Festkörper benetzenden Flüssigkeit. Sind dagegen die Kohäsionskräfte größer als die Adhäsionskräfte (siehe Abb. 5.13(b)), so ist die Berührungsfläche der Flüssigkeit mit dem Festkörper klein, und wir sprechen dann von einer nichtbenetzenden Flüssigkeit. Kapillarität Auf dieser Benetzung beruht die Kapillarwirkung feiner Röhrchen, die auch Kapillaren heißen. Tauchen wir ein enges Röhrchen mit dem Radius r in eine benetzende Flüssigkeit wie z. B. Wasser ein, so bildet sich aufgrund der Adhäsionskräfte an der Innenfläche des Röhrchens eine dünne Wasserhaut aus. Diese Wasserhaut zieht aufgrund der Oberflächenspannung Ft σ = (5.34) 2πr

Abb. 5.13 Zur Tropfenbildung von benetzenden und nichtbenetzenden Flüssigkeiten

5.3

Mechanische Eigenschaften von Flüssigkeiten

187

eine Wassersäule hoch, was wir Kapillarattraktion nennen (siehe Abb. 5.14(a)). Hierin bezeichnet Ft die nach oben gerichtete tangentiale Kraft an die Wasserhaut, die entlang des Umfangs l = U = 2πr des Kreisröhrchens wirkt. Das Gewicht der Flüssigkeitssäule ist gegeben durch G = m · g = ρ · V · g = ρ · r 2 π · h · g,

(5.35)

worin h die Steighöhe bezeichnet. Aus der Bedingung G = Ft ,

(5.36)

d. h. explizit ρ · r 2 π · h · g = 2πr · σ, erhalten wir für die Steighöhe: h=

2σ ρ ·r ·g

(5.37)

Für nichtbenetzende Flüssigkeiten beobachtet man eine sogenannte Kapillardepression (siehe Abb. 5.14(b)). Beispiel 5.5 Zur Kapillarwirkung in Bäumen Der Saft in einem Baum, der im Sommer in der Hauptsache aus Wasser besteht, steigt in einem System aus Kapillaren, die einen Radius von r = 2 · 10−5 m besitzen. Bei 20 ◦ C beträgt die Oberflächenspannung von Wasser σ = 7,28 · 10−2 N /m und die Dichte ρ H2 O = 103 kg/m 3 . Für die Steighöhe des Wassers in den Kapillaren erhalten wir nach (5.37): h=

2 · 7,28 · 10−2 N /m = 0,74 m 103 kg/m 3 · 2 · 10−5 m · 9,81 m/s 2

Abb. 5.14 Zur Kapillarwirkung

188

5 Zustandsformen der Materie

Das bedeutet, dass die Kapillarität ein, aber nicht der einzige Grund ist, warum der Saft in Bäumen über Meter hoch steigt. 

5.3.2

Hydrodynamik

Wenn in einem Rohrleitungssystem die Flüssigkeit ruht, so können wir nach (5.20) an jedem Punkt der Flüssigkeit den hydrostatischen Druck bestimmen. Im Folgenden betrachten wir die Frage, welcher Druck an einem beliebigen Punkt im Rohrleitungssystem herrscht, wenn die Flüssigkeit strömt, und welche Flüssigkeitsmenge pro Zeit fließt? Wir beschränken uns dabei auf stationäre Strömungen, bei denen die Strömungsverhältnisse zeitlich konstant sind, wobei wir jedoch zwischen idealen und realen Flüssigkeiten unterscheiden (siehe Einführung Abschn. 5.3).

5.3.2.1 Zur Strömung idealer Flüssigkeiten Geschwindigkeitsprofil Wir betrachten eine durch ein Rohr fließende ideale Flüssigkeit, die in jedem Punkt des Rohres eine Strömungsgeschwindigkeit v besitzt (siehe Abb. 5.15). Wegen der fehlenden Reibung an der Rohrwand und innerhalb der Flüssigkeit ist diese Strömungsgeschwindigkeit über den Rohrquerschnitt A konstant. Ordnen wir jedem Punkt der Querschnittsfläche den Geschwindigkeitsvektor der Flüssigkeit in diesem Punkt zu, so liegen die Pfeilspitzen auf einer Fläche, die wir Geschwindigkeitsprofil der Flüssigkeit nennen. Für eine ideale Flüssigkeit ist das Geschwindigkeitsprofil eine Ebene. Volumenstärke Als ein Maß für die z. B. durch ein Rohr fließende Flüssigkeitsmenge führen wir die Volumenstärke ein (siehe Abb. 5.16). Unter der Volumenstärke I verstehen wir das in der Zeit

Abb. 5.15 Das Geschwindigkeitsprofil einer idealen Flüssigkeit

5.3

Mechanische Eigenschaften von Flüssigkeiten

189

Abb. 5.16 Zur Volumenstärke

t durch den Rohrquerschnitt A fließende Flüssigkeitsvolumen V . Es gilt: I :=

V t

(5.38)

Ihre SI-Einheit ist m 3 /s. Mit V = A · s = A · v · t

(5.39)

erhalten wir für die Volumenstärke einer idealen Flüssigkeit: I =

V = A · v = konstant t

(5.40)

Für eine stationär fließende, ideale Flüssigkeit ist die Volumenstärke zeitlich und räumlich konstant, wenn längs des Rohres weder Flüssigkeit hinzukommt noch verlorengeht. Die Kontinuitätsgleichung Strömt eine ideale Flüssigkeit durch ein Rohr mit veränderlichem Querschnitt (siehe Abb. 5.17), so folgt aus der Konstanz der Volumenstärke, dass die Strömungsgeschwindigkeit der Flüssigkeit nicht konstant sein kann. Der Zusammenhang zwischen Querschnittsfläche und Strömungsgeschwindigkeit wird durch die Kontinuitätsgleichung ausgedrückt: A 1 · v 1 = A 2 · v2

=⇒

v1 A2 = v2 A1

(5.41)

Merke:

Die Strömungsgeschwindigkeiten verhalten sich umgekehrt wie die Rohrquerschnitte. 

190

5 Zustandsformen der Materie

Abb. 5.17 Zur Kontinuitätsgleichung

Bemerkung: Die Kontinuitätsgleichung ist eine Folge der Inkompressibilität einer idealen Flüssigkeit und drückt die Erhaltung des strömenden Flüssigkeitsvolumens aus.  Die Bernoulli-Gleichung Wie in einer ruhenden Flüssigkeit herrscht auch in strömenden Flüssigkeiten an jedem Punkt ein bestimmter hydrostatischer Druck P, der sich insbesondere auch als Druck auf die Rohrwand bemerkbar macht. Für eine stationär strömende, ideale Flüssigkeit ist dieser Druck an einem beliebigen Punkt der Flüssigkeit durch die Bernoulli-Gleichung gegeben (siehe Abb. 5.18): 1 P + ρ Fl · g · y + · ρ Fl · v 2 = konstant (5.42) 2 Hierin bezeichnen ρ Fl die Dichte der Flüssigkeit, v die Strömungsgeschwindigkeit am betrachteten Punkt und y die Höhe dieses Punktes über dem Nullpunkt der potentiellen Energie (im Schwerefeld der Erde).

Erläuterungen • Die Größe

1 · ρ Fl · v 2 (5.43) 2 heißt Staudruck. Dieser Staudruck bedeutet, dass der hydrostatische Druck in einem betrachteten Punkt umso kleiner ist, je größer die Strömungsgeschwindigkeit in diesem Punkt ist. • Zur Bedeutung des Terms ρ Fl · g · y betrachten wir zwei beliebige Punkte innerhalb eines Rohrsystems, wie in Abb. 5.18 gezeigt. Wenn die Flüssigkeit an beiden Punkten mit der gleichen Geschwindigkeit v1 = v2 strömt, so erhalten wir für den Zusammenhang zwischen den hydrostatischen Drücken P1 und P2 an diesen Punkten aus der BernoulliGleichung P1 + ρ Fl · g · y1 = P2 + ρ Fl · g · y2 , PSt =

5.3

Mechanische Eigenschaften von Flüssigkeiten

191

Abb. 5.18 Zur Bernoulli-Gleichung

und mit h = y2 − y1 folgt P1 = P2 + ρ Fl · g · (y2 − y1 ) = P2 + ρ Fl · g · h = P2 + PS , d. h., die hydrostatischen Drücke unterscheiden sich um den Schweredruck PS = ρ Fl ·g·h. • Die Bernoulli-Gleichung besagt, dass der hydrostatische Druck in einer strömenden Flüssigkeit abnimmt, wenn sie schneller und/oder aufwärts strömt und umgekehrt.  Zum Druckverlauf in einer stationär strömenden, idealen Flüssigkeit Für Punkte, die die gleiche Höhe h über dem Nullpunkt der potentiellen Energie besitzen, lautet die Bernoulli-Gleichung: P + 21 ·ρ Fl ·v 2 = konst. Wenn eine ideale Flüssigkeit durch ein Rohr fließt, dessen Querschnitt abnimmt, so vergrößert sich nach (5.41) die Strömungsgeschwindigkeit und damit der Staudruck. Damit nimmt aber der hydrostatische Druck in der Flüssigkeit nach der Bernoulli-Gleichung ab (siehe Abb. 5.19).

Abb. 5.19 Zum Druckverlauf in einer stationär strömenden, idealen Flüssigkeit

192

5 Zustandsformen der Materie

Abb. 5.20 Zum hydrodynamischen Paradoxon

Beispiel 5.6 Das hydrodynamische Paradoxon Aus einem Rohr, an dessen Ende sich ein kreisförmiger Flansch befindet, strömt eine Flüssigkeit gegen eine zum Flansch parallele Platte und seitlich weg (siehe Abb. 5.20). Überraschenderweise wird die Platte i. Allg. nicht abgestoßen, sondern angezogen, was wir hydrodynamisches Paradoxon nennen. Das liegt daran, dass die Flüssigkeit parallel zum Flansch und der Platte strömt, weshalb der Druck in dieser Radialströmung kleiner ist als der hydrostatische Druck unterhalb der parallelen Platte (Pi < Pa ). 

5.3.2.2 Zur Strömung realer Flüssigkeiten Innere Reibung Ideale Flüssigkeiten gibt es in der Natur nicht. Bei einer realen Flüssigkeit spielt die innere Reibung eine wichtige Rolle, auf der z. B. die Zähigkeit oder Viskosität einer Flüssigkeit beruht. Wir beschreiben sie durch die stoffspezifische Konstante η, die wir Viskosität oder den Koeffizienten der inneren Reibung nennen. Mit zunehmender Erwärmung nimmt die Viskosität ab. Die innere Reibung äußert sich in einer Reibungskraft FR . Hierzu betrachten wir eine dünne Flüssigkeitsschicht der Dicke d zwischen einer festen und einer beweglichen Platte, die beide die Querschnittsfläche A besitzen (siehe Abb. 5.21). Aufgrund der Adhäsionskräfte haften Flüssigkeitsmoleküle an beiden Platten. Um die bewegliche Platte mit einer konstanten Geschwindigkeit vom Betrag v zu bewegen, ist die Kraft Fa erforderlich, welche die durch die innere Reibung hervorgerufene Reibungskraft FR kompensiert, die gegeben ist durch: v FR = η · A · (5.44) d Diese Reibungskraft und die innere Reibung sind eine Folge der zwischenmolekularen Kräfte. Verschieben wir die Platte um die Strecke s, so verrichtet die Kraft Fa die Arbeit

5.3

Mechanische Eigenschaften von Flüssigkeiten

193

Abb. 5.21 Zur inneren Reibung

W = Fa · s, die zu einer Erhöhung der thermischen Energie der Flüssigkeit um E th = W führt (siehe Abschn. 3.5.4). Allgemein gilt, dass infolge der inneren Reibung bei allen Strömungsvorgängen mechanische Energie in thermische Energie umgewandelt wird, was eine Erwärmung der Flüssigkeit und ihrer Umgebung zur Folge hat!

Laminare und turbulente Strömung Die innere Reibung ist der Grund, warum wir letztlich zwischen zwei Strömungsarten unterscheiden müssen, die wir laminare und turbulente Strömung nennen. Zur Charakterisierung beider Strömungsarten führen wir den Begriff der Stromlinie ein. An jedem Punkt der Flüssigkeit besitzt diese eine Strömungsgeschwindigkeit v. Um die Gesamtheit all dieser Geschwindigkeitsvektoren anschaulich darzustellen, verwenden wir Stromlinienbilder. An einem beliebigen Punkt der Flüssigkeit ist die Strömungsgeschwindigkeit v tangential an die Stromlinie durch den betrachteten Punkt. Bei einer stationär fließenden Flüssigkeit entspricht eine Stromlinie der Bahnkurve, die von einem Flüssigkeitsmolekül oder einem roten Blutkörperchen im Blut durchlaufen wird. Verlaufen die Stromlinien einer Flüssigkeit wie in Abb. 5.22(a) dargestellt, so heißt die Strömung laminar. Mit steigender Strömungsgeschwindigkeit beginnen sich die Stromlinien jedoch zu verwirbeln und zu durchdringen. Solche Wirbel können sich bilden, wenn die Flüssigkeit ein Hindernis, wie z. B. ein Blutgerinnsel in einer Ader, umströmt. Die Strömung heißt dann turbulent (siehe Abb. 5.22(b)). Die Blutzirkulation durch die Adern ist normalerweise laminar, dagegen ist der Fluss von Wasser in einem Bach i. Allg. turbulent. Mithilfe der Reynolds-Zahl ρ ·l ·v R = (5.45) η kann man die verschiedenen Strömungstypen charakterisieren. Hierin bezeichnet ρ die Dichte, v die Strömungsgeschwindigkeit und η die Viskosität der Flüssigkeit, während l den Durchmesser des durchströmten Rohres bzw. der Ader oder eines umströmten Hin-

194

5 Zustandsformen der Materie

Abb. 5.22 Stromlinienbilder

dernisses bezeichnet. Die Reynolds-Zahl ist eine dimensionslose Größe. Ist R > 1, so ist die Strömung turbulent. Sobald die Reynolds-Zahl einen kritischen Wert Rc erreicht oder überschreitet, kann eine vorher laminare Strömung turbulent werden und umgekehrt. Die kritische Reynolds-Zahl Rc hängt von den Randbedingungen ab. Solche Randbedingungen ergeben sich aus der Form des durchströmten Rohres (Ader) oder eines Hindernisses (Blutgerinnsel) in der Strömung, aber auch aus thermischen, elektrischen und magnetischen Eigenschaften des Fluids und seiner Umgebung. Die kritische Reynolds-Zahl liegt in den meisten praktisch vorkommenden Fällen zwischen 1 und 10 000. Beispiel Bei einer umströmten Kugel beträgt die kritische Reynolds-Zahl etwa RC = 10. Für die Strömung durch ein Rohr mit kreisförmigem Querschnitt beträgt sie RC = 2 320. Die kritische Reynolds-Zahl für nichtrunde Rohrprofile und für Hindernisse verschiedener Form findet man in der strömungstechnischen Literatur.  Bisher haben wir stillschweigend vorausgesetzt, dass der Übergang von laminar zu turbulent bei der kritischen Reynolds-Zahl Rc auch wirklich eintritt. Das ist nicht immer so! Unterhalb von Rc gibt es durchaus (keine dauerhaften) Turbulenzen, und auch oberhalb von Rc ist eine laminare Strömung möglich. Das ist dann der Fall, wenn keine genügend große Strömung auftritt, deren Anwachsen zu Turbulenzen führen würde. Diese Situation ist ähnlich zum Zustandsübergang flüssig − gasförmig (siehe Abschn. 5.5). Hier gibt es „überhitzte Flüssigkeiten“ und „unterkühlte Gase“. Beim Übergang von einer laminaren zu einer turbulenten Strömung wächst der Strömungswiderstand stark an. Mit dem Strömungswiderstand verbinden wir eine Kraft, die ein Körper in einer umströmenden Flüssigkeit (allgemeiner einem Fluid) erfährt und die der Reibungskraft zwischen dem Körper und dem Fluid entspricht (siehe Abschn. 3.3.3). Bei laminarer Strömung ist der Strömungswiderstand für kugelförmige Körper mit dem

5.3

Mechanische Eigenschaften von Flüssigkeiten

195

Radius r gegeben durch die Stokes’sche Reibungskraft FR = 6πr · η · v, die proportional zur Geschwindigkeit v ist. Wirbel werden durch die innere Reibung verursacht und führen zu einem Anwachsen des Strömungswiderstandes. Bei turbulenter Strömung ist der Strömungswiderstand gegeben durch die Newton’sche Reibungskraft FR = 21 · cw · A · ρ · v 2 , die proportional zum Quadrat der Geschwindigkeit zunimmt. Der Einfluss der Körperform auf den Strömungswiderstand wird beschrieben durch die Querschnittsfläche A in Strömungsrichtung und den Widerstandskoeffizienten cw . Bei einer „Stromlinienform“ ist cw < 1, für eine Kugel gilt cw ∼ 1, und bei einer hydrodynamisch ungünstigen Form ist cw > 1. Merke:

Je größer der Strömungswiderstand ist, desto geringer ist die pro Zeiteinheit fließende Flüssigkeitsmenge! Wo es also auf einen geringen Strömungswiderstand ankommt, wie z. B. dem Blutkreislauf, ist Turbulenz schädlich! 

Zur laminaren Strömung durch ein Rohr Fließt eine Flüssigkeit laminar durch ein Rohr, so ist die Flüssigkeitsschicht direkt an der Wand stets in Ruhe. Zur Rohrmitte hin gleiten zylinderförmige, konzentrische Flüssigkeitsschichten mit steigender Geschwindigkeit ineinander. Das Geschwindigkeitsprofil einer laminaren Strömung durch ein Rohr ist ein Rotationsparaboloid (siehe Abb. 5.23). Die Volumenstärke einer Flüssigkeit der Viskosität η, die aufgrund der Druckdifferenz P = P2 − P1 durch ein Rohr der Länge l und mit einem Radius r laminar strömt, ist durch das Hagen-Poiseuille’sche Gesetz gegeben: I =

V π r 4 P = · · t 8 η l

(5.46)

Betrachten wir schließlich den Druckverlauf in einer strömenden realen Flüssigkeit (vgl. Abb. 5.19), so finden wir in Strömungsrichtung auch bei konstantem Rohrquerschnitt einen Druckabfall, der von der inneren Reibung herrührt (siehe Abb. 5.24).

Abb. 5.23 Das Geschwindigkeitsprofil einer laminaren Strömung durch ein Rohr

196

5 Zustandsformen der Materie

Abb. 5.24 Zum Druckabfall in einer strömenden realen Flüssigkeit

Beispiel 5.7 Arteriosklerose Unter Arteriosklerose verstehen wir eine Erkrankung der Arterien, die zu Ablagerungen von Blutfetten, Thromben, Bindegewebe und in geringeren Mengen auch Kalk in den Gefäßwänden führt. Nimmt also z. B. der Querschnitt einer Arterie durch intra- und extrazelluläre Einlagerungen ab, so erhöht sich nach der Kontinuitätsgleichung die Strömungsgeschwindigkeit des Blutes durch die Arterie, weshalb nach der Bernoulli-Gleichung der hydrostatische Druck kleiner wird. Ferner nimmt nach dem Hagen-Poiseuille’schen Gesetz die Volumenstärke des Blutflusses durch die Arterie mit der 4. Potenz des Radius ab. Verringert sich der Radius einer Arterie z. B. auf die Hälfte, so reduziert sich die Volumenstärke auf 1/16 des ursprünglichen Wertes. Um den systolischen Blutdruck konstant und die Durchblutung aufrechtzuhalten, muss das Herz eine höhere Pumpleistung erbringen. Die Situation wird entscheidend verbessert durch Medikamente, die einerseits das Blut „dünnflüssiger“ machen, d. h., die die Dichte und die Viskosität von Blut verringern, und andererseits die Arterien weiten. 

5.4

Gase

Unter einem idealen Gas verstehen wir ein Modell eines Gases, bei dem wir annehmen, dass die Gasteilchen (Atome oder Moleküle) außer beim Zusammenstoß keine Kräfte aufeinander ausüben und der Durchmesser der Teilchen klein ist gegenüber dem mittleren Abstand zu den Nachbarteilchen. Das bedeutet, dass wir ihr „Eigenvolumen“ vernachlässigen und sie als „punktförmige“ Teilchen, d. h. klassische Massenpunkte, betrachten können. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, so sprechen wir von einem realen Gas. Ideale Gase werden durch das ideale Gasgesetz beschrieben, reale Gase dagegen durch die van der Waals-Gleichung. Zu ihrer Formulierung benötigen wir die physikalischen Größen Stoffmenge und thermodynamische Temperatur, die wir zuvor einführen.

5.4

Gase

5.4.1

197

Stoffmenge und atomare Masseneinheit

Im Folgenden führen wir einen Mengenbegriff für Substanzen ein, der die Teilchenstruktur der Materie berücksichtigt. Stoffmenge und Mol Unter der Stoffmenge einer Substanz verstehen wir ein Maß für die in der Substanz enthaltene Teilchenzahl N . Im SI-System ist die Stoffmenge eine Grundgröße (siehe Kap. 1), und ihre Einheit ist im neuen SI-System über die Avogadro-Konstante N A = 6,022 140 76 · 1023 mol −1

(5.47)

definiert1 : „Das Mol (mol) ist die SI-Einheit der Stoffmenge. Ein Mol enthält genau 6,022 140 76 · 1023 Einzelteilchen. Diese Zahl entspricht dem für die Avogadro-Konstante N A geltenden festen Zahlenwert, ausgedrückt in der Einheit mol −1 : 1 mol = 6,022 140 76 · 1023 / N A .“

Die Stoffmenge n, d. h. die „Zahl der Mole“ einer betrachteten Substanzprobe, ist dann definiert durch: N N = mol (5.48) n := NA 6,022 140 76 · 1023 Wir verfügen nunmehr über drei physikalische Größen, mit denen wir die „Menge“ einer Substanz beschreiben können: das Volumen, die Masse und die Stoffmenge. Beziehen wir die physikalischen Eigenschaften einer Substanz auf diese Größen, so erhalten wir die folgende Klassifizierung physikalischer Größen: • Größen, die auf das Volumen bezogen sind, heißen Dichten. Beispiel: Massendichte (kg/m 3 ), Energiedichte (J /m 3 ), Teilchendichte (T eilchen/m 3 ) • Größen, die auf die Masse bezogen sind, heißen spezifisch. Beispiel: spezifisches Volumen (V /kg), spezifische Ladung (Cb/kg) • Größen, die auf die Stoffmenge bezogen sind, heißen molar. Beispiel: molare Masse (kg/mol), molare Verdampfungswärme (J /mol) Unter der molaren Masse oder der Molmasse M einer Substanz verstehen wir die Masse eines Mols dieser Substanz. Die SI-Einheit der Molmasse lautet kg/mol. Besteht eine Substanz aus Teilchen der Sorte X und bezeichnen wir deren Masse mit m X , so ist die Molmasse gegeben durch: MX = N A · m X (5.49) 1 Countdown zum neuen SI, Physikalisch Technische Bundesanstalt, CODATA 2017 special adjustment

198

5 Zustandsformen der Materie

Atomare Masseneinheit Da die Massen von Atomen, Molekülen, Ionen, . . . sehr klein sind, ist es zweckmäßig, zur Beschreibung solcher Teilchenmassen eine geeignetere Einheit als das Kilogramm einzu1 führen, die wir atomare Masseneinheit oder Unit (u) nennen. Ein Unit ist definiert als 12 12 2 der Masse des Kohlenstoffisotops 6 C6 [6]. Es gilt : 1u :=

1 · m 12 C = 1,660 539 066 60 · 10−27 kg 6 6 12

(5.50)

Durch diese Definition entspricht 1u ungefähr der Masse eines Protons oder Neutrons (siehe Abschn. 11.1.1). Relative Atom- und Molekülmassen Wenn wir Atom- bzw. Molekülmassen in der Einheit u ausdrücken, dann gelangen wir zu den relativen Atommassen bzw. den relativen Molekülmassen Mr (siehe Abschn. 11.1.1). Betrachten wir Atome oder Moleküle der Sorte X , so gilt also: m X = Mr u

(5.51)

Mr = m X /u

(5.52)

oder Die relativen Atommassen können dem Periodensystem der Elemente entnommen werden (siehe Anhang A). Ferner ist die relative Molekülmasse durch die Summe der relativen Atommassen derjenigen Atome gegeben, aus denen das Molekül besteht. Wegen M X = N A · m X = N A · Mr u = Mr g/mol

(5.53)

ist die Molmasse einer Substanz X ebenfalls durch die relative Atom- bzw. Molekülmasse gegeben, bezogen aber auf die Einheit g/mol. Schließlich kann man die Masse einer Probe auch durch die Stoffmenge n und die Molmasse ausdrücken: m = N · m X = n · MX

(5.54)

Beispiel 5.8 Molekül- und Molmasse von Wasser Wasser besteht im Wesentlichen aus den Molekülen H2 O. Aus dem Periodensystem der Elemente entnimmt man für Wasserstoff (H ) die relative Atommasse Mr = 1,008 und für Sauerstoff (O) Mr = 15,999. Damit erhalten wir für die relative Molekülmasse von Wasser: Mr = 2 · 1,008 + 15,999 = 18,015 Die Masse eines Wassermoleküls beträgt 2 CODATA Internationally recommended 2018 Values of the Fundamental Physical Constants

5.4

Gase

199

m H2 O = 18,015 u = 18,015 · 1,66 · 10−27 kg  3 · 10−26 kg, und ein Mol Wasser besitzt dann die Masse: M H2 O = 18,015

g mol

Damit entspricht 200 g Wasser einer Stoffmenge von: n=

m 200 g = 11,1 mol = M H2 O 18,015 g/mol 

5.4.2

Thermische Energie und thermodynamische Temperatur

Ein Atom oder Molekül bewegt sich gleichförmig geradlinig, bis es mit einem anderen Teilchen zusammenstößt. Hierbei ändern sich Betrag und Richtung der Geschwindigkeiten beider Teilchen (siehe Abschn. 4.2.1). Die durchschnittliche Entfernung, die ein Teilchen zwischen zwei aufeinanderfolgenden Stößen zurücklegt, heißt mittlere freie Weglänge λ. So beträgt z. B. die mittlere freie Weglänge von Stickstoffmolekülen (N2 ) bei einem Druck von 1,013 bar und 0 ◦ C etwa 6,5 μm. Die Maxwell-Boltzmann-Verteilung Aufgrund dieser ungeordneten Bewegung infolge der Stöße der Teichen untereinander besitzen die N Teilchen eines Gases zu einem bestimmten Zeitpunkt i. Allg. eine unterschiedliche Geschwindigkeit, deren Betrag v = | v | im Bereich 0 ≤ v < ∞ variieren kann, und damit auch eine unterschiedliche kinetische Energie. Wie viele der Gasteilchen dabei einen bestimmten Geschwindigkeitsbetrag v besitzen, wird durch die Maxwell-Boltzmann-Verteilung beschrieben, die in eindeutiger Weise durch die Wahrscheinlichkeitsdichte f : R → R mit ⎧  3 m·v 2 m 2 ⎪ · v 2 · e− 2kT v≥0 ⎨ π2 · k·T (5.55) f (v) := f¨ur ⎪ ⎩ 0 v, die durch 8k T < v >= (5.57) πm

gegeben ist, zeitunabhängig. Die mittlere Geschwindigkeit ist etwas größer als die häufigste Geschwindigkeit < v >  1,13 · vh , da die Maxwell-Boltzmann-Verteilung nicht symmetrisch ist. Die Wahrscheinlichkeit P(V > v), dass ein Gasteilchen eine Geschwindigkeit größer als v besitzt, entspricht der schraffierten Fläche unter dem Graphen von f (siehe Abb. 5.25). Ferner ist die Zahl der Teilchen, die einen Geschwindigkeitsbetrag in einem vorgegebenen Intervall v1 ≤ v ≤ v2 besitzen, gegeben durch

v2 N1 = N · P(v1 < V < v2 ) = N · f (v) dv, (5.58) v1

3 Countdown zum neuen SI, Physikalisch Technische Bundesanstalt, CODATA 2017 special adjustment

5.4

Gase

201

worin P(v1 < V < v2 ) die Wahrscheinlichkeit bezeichnet, dass die Geschwindigkeit eines Teilchens in diesem Intervall liegt. Die thermodynamische Temperatur Die mittlere kinetische Energie < E kin > eines Teilchen einer Substanz ist gegeben durch < E kin >=

N N 1 2 1 1 1 kin · m· < v 2 >= · m · · · vi = Ei , 2 2 N N i=1

(5.59)

i=1

worin m die Teilchenmasse und vi die Geschwindigkeit des i-ten Teilchens bezeichnen. Die thermodynamische Temperatur oder absolute Temperatur T ist ein Maß für die mittlere kinetische Energie der Teilchen, die in ihrer ungeordneten Bewegung steckt. Sie ist definiert durch f · k · T, (5.60) < E kin > =: 2 worin k die Boltzmann-Konstante (5.56) bezeichnet. Bemerkungen: • Die Beziehung (5.60) bedeutet, dass bei konstanter Temperatur die mittlere kinetische Energie für alle Teilchen unabhängig von ihrer Masse gleich ist! In einem Gasgemisch wie Luft fliegen also massivere Teilchen im Mittel langsamer. • Da die kinetische Energie nicht negativ ist, folgt aus (5.60), dass die thermodynamische Temperatur keine negativen Werte annehmen kann!  Im SI-System ist die thermodynamische Temperatur eine Grundgröße (siehe Kap. 1), deren Einheit im neuen System über die Boltzmann-Konstante definiert ist4 : „Das Kelvin (K ) ist die SI-Einheit der thermodynamischen Temperatur. Es ist definiert, indem für die Boltzmann-Konstante k der Zahlenwert 1,380 649 · 10−23 festgelegt wird, ausgedrückt in der Einheit J /K , die gleich kgm 2 s −2 K −1 ist, wobei das Kilogramm, der Meter und die Sekunde mittels h, c und  νCs definiert sind: 1 K = 2,266 665 . . .  νCs h / k.“

Die Einheit Kelvin K entspricht der Einheit Celsius ◦ C. Der Zusammenhang zwischen der thermodynamischen Temperatur T in K und der Temperatur ϑ in ◦ C lautet: T /K = 273,15 + ϑ/◦ C, 1 K = 1 ◦ C

(5.61)

So entspricht z. B. die Zimmertemperatur 20 ◦ C einer thermodynamischen Temperatur von 293,15 K . Der Nullpunkt der thermodynamischen Temperatur T = 0 K ist nach (5.60) äquivalent damit, dass die Teilchen keine thermische Energie besitzen, d. h. „in Ruhe“ sind. Aus 4 Countdown zum neuen SI, Physikalisch Technische Bundesanstalt, CODATA 2017 special adjust-

ment

202

5 Zustandsformen der Materie

(5.61) folgt für den Nullpunkt der thermodynamischen Temperatur in der Einheit Celsius: ϑ N P = −273,15 ◦ C

(5.62)

Da jedoch nach den Heisenberg’schen Unschärferelationen (siehe Abschn. 11.4.2) ein Teilchen nie in vollständiger Ruhe ist, kann der absolute Nullpunkt grundsätzlich nicht erreicht werden, d. h., es gilt T > 0 K . Die thermodynamische Temperatur kann mithilfe eines Gasthermometers gemessen werden. Es besteht aus einem Glaskolben mit einem konstanten Volumen V , an den ein U-Rohr-Manometer angebracht ist (siehe Abb. 5.26). Der äußere Luftdruck betrage P0 . Dann folgt für den Gasdruck P im Glaskolben: P = P0 + ρ H g · g · h,

(5.63)

worin PS = ρ H g · g · h den Schweredruck (siehe Abschn. 5.3.1.1) der Quecksilbersäule Gas bezeichnet. Die Gasmenge n = m MGas innerhalb des Kolbens erhält man durch die Messung der Masse und mit der Molmasse des Gases. Die thermodynamische Temperatur ist dann nach (5.70) gegeben durch V·P V·P T = = , (5.64) n · NA · k n·R worin R = N A · k die universelle Gaskonstante bezeichnet (siehe (5.69)). Die Zahl der Freiheitsgrade und das Äquipartitionstheorem Ferner bezeichnet in (5.60) f die Zahl der Freiheitsgrade eines Teilchens. Darunter verstehen wir „klassisch“ die Zahl der unabhängigen Koordinaten, die wir zur Beschreibung der Bewegung eines Teilchens benötigen. Ein Teilchen, wie z. B. ein Atom, besitzt f = f trans = 3 Translationsfreiheitsgrade entsprechend der x-, y- und z-Koordinaten, die wir zur Beschreibung der Translationsbewegung benötigen (siehe Abschn. 3.1). Wenn wir bei einem zweiatomigen Molekül die Drehung um die Molekülachse (x-Achse) und Schwingun-

Abb. 5.26 Gasthermometer von Jolly

5.4

Gase

203

gen der Atome gegeneinander vernachlässigen, kommen zu den Translationsfreiheitsgraden noch fr ot = 2 Rotationsfreiheitsgrade hinzu, die den Drehungen des Moleküls um die yund z-Achse entsprechen und die wir durch die Drehwinkel ϕ y und ϕz beschreiben (siehe Abb. 5.27). Bei einem zweiatomigen Molekül ist also die Zahl der Freiheitsgrade bei Raumtemperatur gegeben durch f = f trans + fr ot = 2 + 3 = 5. Die Zahl der Freiheitsgrade eines Gasteilchens kann man z. B. über die molare Wärmekapazität bei konstantem Volumen bzw. Druck messen (siehe Abschn. 6.2.2). Mit jedem Freiheitsgrad ist eine bestimmte Energieform verbunden, mit den 3 Tanslationsfreiheitsgraden die kinetische Energie in x-, y- und z-Richtung bzw. mit den 2 Rotationsfreiheitsgraden die Rotationsenergie um die y- und z-Achse. Das Äquipartitionstheorem besagt nun, dass im thermodynamischen Gleichgewicht (siehe Abschn. 6.4.1) auf jeden Freiheitsgrad eines Teilchens die gleiche mittlere Energie von 21 k T entfällt. Das ist der Inhalt der Beziehung (5.60)! Die thermische Energie Unter der thermischen Energie E th einer Substanz verstehen wir „klassisch“ die Summe der kinetischen Energien ihrer Teilchen, die in der ungeordneten Bewegung der Teilchen steckt (siehe Abschn. 5.1 und 5.4.2). Besteht die betrachtete Substanz aus N Teilchen, so folgt aus (5.59) und (5.60) für die thermische Energie: E th :=

N

E ikin = N · < E kin >=

i=1

f · N ·k·T 2

(5.65)

Bemerkung: Bei sehr hohen Temperaturen finden wir einerseits, dass z. B. bei einem zweiatomigen Molekül auch Schwingungen der Atome gegeneinander auftreten können, die wir durch ihren

Abb. 5.27 Freiheitsgrade eines zweiatomigen Moleküls

204

5 Zustandsformen der Materie

gegenseitigen Abstand d beschreiben (siehe Abb. 5.27). Andererseits treten auch Drehungen um die Molekülachse auf, weshalb sich die Zahl der Freiheitsgrade dann entsprechend erhöhen kann. Das liegt daran, dass Atome bzw. Moleküle letztlich „Quanten“ oder „Quantensysteme“ und ihre Rotations- und Schwingungsspektren „quantisiert“ sind (siehe Kap. 11), wobei die zur Verfügung stehende thermische Energie normalerweise nicht ausreicht, um höher liegende Rotations- und Schwingungszustände anzuregen. Wir sagen auch, dass der Schwingungsfreiheitsgrad und der Rotationsfreiheitsgrad um die Molekülachse „eingefroren sind“ und erst bei sehr hohen Temperaturen „auftauen“. Ferner ist zu berücksichtigen, dass der Schwingungsfreiheitsgrad mit zwei Energieformen verbunden ist, da die Schwingungsenergie aus der kinetischen und der potentiellen Energie besteht, weshalb die Zahl f vib der Schwingungsfreiheitsgrade doppelt gezählt werden muss. Damit ist die Zahl der Freiheitsgrade in (5.65) gegeben durch f = f trans + fr ot + 2 · f vib .  Beispiel 5.9 Die thermische Energie von Wasserstoffmolekülen Bei 20 ◦ C beträgt die mittlere kinetische Energie eines Wasserstoffmoleküls H2 mit f = 5 Freiheitsgraden: < E kin >=

5 f · k · T = · 1,38 · 10−23 J /K · 293,15 K = 1,01 · 10−20 J 2 2

Mit der Molekülmasse m H2 = 2,016 u = 3,35 · 10−27 kg folgt für die mittlere Molekülgeschwindigkeit: 8k T 8 · 1,38 · 10−23 J /K · 293,15 K = = 1,75 · 103 m/s < v >= πm π · 3,35 · 10−27 kg Ferner besitzt ein Mol Wasserstoff bei 20 ◦ C eine thermische Energie von: E th =

N

E ikin = N A · < E kin >= 6,022·1023 1/mol ·1,01·10−20 J = 6,09·103 J /mol

i=1



5.4.3

Die Zustandsgleichung idealer Gase

Zur Beschreibung des Zustandes idealer Gase Ist unsere Kenntnis eines physikalischen Systems derart, dass wir die Werte aller am System messbaren Größen zu einem Zeitpunkt t berechnen können, so sagen wir, dass wir den Zustand des Systems zu diesem Zeitpunkt t kennen. Wenn wir den Zustand des Systems zu allen Zeiten kennen, so ist unsere Kenntnis des Systems vollständig. Kennen wir also den Zustand eines idealen Gases, so meinen wir damit, dass wir alle am Gas messbaren physikalischen Größen zu allen Zeiten angeben können. Wie aber bestimmen wir den Zustand eines idealen Gases, und wie beschreiben wir ihn?

5.4

Gase

205

Jedes Gas besitzt ein bestimmtes Volumen V , einen Druck P und eine Temperatur T . Wir finden, dass alle messbaren Eigenschaften eines Gases durch diese Größen ausdrückbar sind, weshalb der Zustand eines Gases durch diese drei Größen bestimmt ist, und wir beschreiben umgekehrt den Zustand eines Gases durch die Angabe der Werte dieser Größen zum betrachteten Zeitpunkt (siehe Abschn. 6.4.2). Weil also die Größen P, V und T den Zustand eines idealen Gases bestimmen, heißen sie Zustandsgrößen des idealen Gases. Die Zustandsgrößen P, V und T sind jedoch nicht unabhängig voneinander, sondern durch eine Gleichung miteinander verknüpft, die wir Zustandsgleichung des idealen Gases nennen. Deshalb ist der Zustand eines idealen Gases bereits durch zwei der drei Größen P, V und T eindeutig bestimmt. Wie aber lautet diese Zustandsgleichung idealer Gase? Die kinetische Gastheorie Die kinetische Gastheorie führt die Eigenschaften idealer Gase zurück auf die Bewegungsvorgänge der einzelnen Gasteilchen. Entsprechend dieser Vorstellung entsteht der Druck eines Gases auf seine Behälterwände durch den Impulsübertrag infolge der elastischen Stöße der Teilchen gegen die Wände. Die kinetische Gastheorie basiert auf den Annahmen, dass • das Gas die Teilchendichte ν = VN besitzt, • die Gasteilchen die Masse m haben und • diese sich mit der mittleren kinetischen Energie < E kin >= 21 m < v 2 >, d. h. mit dem  √

N 2 vi , bewegen. Geschwindigkeitsbetrag vm := < v 2 > = N1 · i=1 Weiter betrachten wir ein quaderförmiges Gasvolumen, das mit der Fläche A an eine Behälterwand grenzt und eine Länge s = vm · t besitzt, wobei die Zeitspanne t beliebig ist (siehe Abb. 5.28). Das Volumen des Quaders beträgt V = A · s = A · vm · t. Die Zahl der Teilchen in diesem Volumen ist dann gegeben durch: N = ν · V = ν · A · s = ν · A · vm · t

Abb. 5.28 Zum Gasdruck auf die Behälterwand

206

5 Zustandsformen der Materie

Da im thermodynamischen Gleichgewicht die Geschwindigkeit der Teilchen in x-, y- und z-Richtung gleichverteilt ist, bewegen sich im Mittel 1/6 der N Teilchen in x-Richtung auf die Wand zu, stoßen gegen die Wand und werden zurückgestreut. Vor dem Stoß besitzen die  = −m · v , sodass jedes Teilchen den Impulsbetrag pm = m · vm und nach dem Stoß pm m  − p | = 2 m v an die der N /6 Teilchen bei seinem Stoß den Impulsbetrag  p = | pm m m Wand überträgt. Da in der Zeitspanne t alle N /6 Teilchen auf die Wand treffen, beträgt der Gesamtimpulsübertrag all dieser Teilchen auf die Wand:  pges =

N 1 2 · 2 m v m = ν · A · vm · t · m 6 3

2 =< v 2 >: Für den Druck P auf die Wand erhalten wir schließlich mit vm

P=

F = A

 pges t

A

=

1 1 2 ν · m · vm = ν · m· < v 2 > 3 3

Mit der mittleren kinetischen Energie < E kin >= schließlich für den Gasdruck die Beziehung P =

1 2

m < v 2 > eines Teilchens erhalten wir

2 · ν· < E kin >, 3

(5.66)

die wir Grundgleichung der kinetischen Gastheorie nennen.

Merke:

Der Druck P eines Gases auf seine Behälterwand ist proportional zur Teilchendichte ν und zur mittleren kinetischen Energie der Gasteilchen! 

Die Zustandsgleichung idealer Gase Die Teilchen eines idealen Gases betrachten wir als „strukturlos“ und „punktförmig“, d. h. als klassische Massenpunkte (siehe Abschn. 3.1.1 und 4.1), sodass die Zahl der Freiheitsgrade eines Gasteilchens durch die f = 3 Translationsfreiheitsgrade gegeben ist. Deshalb beträgt die mittlere kinetische Energie eines Gasteilchens < E kin >= 23 k T , und mit der Teilchendichte ν = VN folgt aus (5.66) P=

N 2 N 3 · · kT = · k · T, 3 V 2 V

sodass wir die Grundgleichung der kinetischen Gastheorie in der Form P ·V = N ·k·T

(5.67)

5.4

Gase

207

erhalten. Beträgt schließlich die Gasmenge n = N = n · N A Gasteilchen enthalten, und es folgt:

N NA

mol, so sind im Volumen V genau

P · V = n · NA · k · T

(5.68)

An dieser Stelle ist es zweckmäßig, die universelle Gaskonstante R 5 mit R = N A · k = 8,314 462 618

J K mol

(5.69)

einzuführen. Zusammenfassend erhalten wir dann die Zustandsgleichung idealer Gase in der Form P · V = n · R · T. (5.70) Abschließend diskutieren wir Folgerungen aus der Zustandsgleichung idealer Gase.

Molvolumen und Avogadro’sches Gesetz

Aus dem idealen Gasgesetz (5.70) folgt sofort das Avogadro’sche Gesetz: „Gleiche Volumina zweier verschiedener Gase enthalten bei gleichem Druck und glei cher Temperatur dieselbe Teilchenzahl.“

Umgekehrt nimmt die gleiche Anzahl von Teilchen zweier Gase bei gleichem Druck und gleicher Temperatur das gleiche Volumen ein. Um Gasvolumina miteinander vergleichen zu können, müssen sie auf „einheitliche Bedingungen“ bezogen werden. Deshalb führen wir die Normalbedingungen eines Gases wie folgt ein: Normaltemperatur: T0 := 273,15 K , ϑ0 = 0 ◦ C Normaldruck: P0 := 1,013 bar = 101.325 Pa

(5.71)

Unter Normalbedingungen beträgt dann das Molvolumen Vmol eines idealen Gases: Vmol =

R · T0 V = = 22,4 l/mol n P0

(5.72)

Die Zustandsgleichung für Gasgemische Bringen wir mehrere verschiedene Gase in ein gemeinsames Gefäß, so breitet sich jedes Gas so über das ganze Volumen V aus, als wären die anderen Gase nicht vorhanden. Wir sprechen dann von einem Gasgemisch. So ist z. B. Luft ein Gasgemisch aus 20,93 % Sauerstoff O2 , 0,03 % Kohlendioxid C O2 und 79,04 % Stickstoff N2 sowie Edelgasen. Da das Mischen von Gasen zu keiner Änderung der mittleren kinetischen Energie und damit der Temperatur 5 CODATA Internationally recommended 2018 Values of the Fundamental Physical Constants

208

5 Zustandsformen der Materie

führt, übt jedes Gas den Druck aus, den es allein im Behälter ausüben würde. Dieser Druck heißt Partialdruck Pi der Gaskomponente i = 1, 2, 3, . . . , N .

Damit folgt das Dalton’sche Gesetz: „Der Gesamtdruck Pges eines Gasgemisches ist gegeben durch die Summe der Partialdrücke der einzelnen Gase.“

Pges =

N

Pi = P1 + P2 + . . . + PN

(5.73)

i=1



Ferner gilt für jede Gaskomponente i die Zustandsgleichung Pi · V = n i · R · T , i = 1, 2, 3, . . . , N ,

(5.74)

worin n i die Stoffmenge der i-ten Gaskomponente bezeichnet. Bilden wir die Summe über alle Gaskomponenten, so erhalten wir die Zustandsgleichung eines Gasgemisches Pges · V = n ges · R · T , worin n ges =

N

ni = n1 + n2 + . . . + n N =

i=1

(5.75)

N ges NA

(5.76)

die Molsumme aller im Volumen V vorhandenen Gase bezeichnet. Sind also die Partialdrücke der einzelnen Gaskomponenten gegeben, so erhält man den Gesamtdruck des Gasgemisches nach dem Dalton’schen Gesetz (5.73). Ist umgekehrt der Gesamtdruck Pges gegeben, so ist der Partialdruck der Gaskomponente i gegeben durch: Pi = Die Größe

ni n ges

ni · Pges n ges

(5.77)

heißt Molenbruch der Gaskomponente i .

Beispiel 5.10 Partialdrücke Ein Gasgemisch aus 20 g Sauerstoff O2 , 79 g Stichstoff N2 und 1 g Helium H e besitzt einen Gesamtdruck von Pges = 1 bar . Die Molmasse von Sauerstoff beträgt M O2 = 32 g/mol. Damit entsprechen m O2 = 20 g Sauerstoff nach (5.54) einer Stoffmenge von n1 =

m O2 20 g = 0,63 mol. = M O2 32 g/mol

5.4

Gase

209

Analog entsprechen 79 g Stickstoff einer Stoffmenge von n2 =

m N2 79 g = 2,82 mol. = M N2 28 g/mol

Da Helium ein einatomiges Gas ist, erhalten wir für seine Molmasse M H e = 4 g/mol, sodass m H e = 1 g Helium einer Stoffmenge von n3 =

m He 1g = 0,25 mol = MHe 4 g/mol

entspricht. Die Molsumme ist damit gegeben durch: n ges = n 1 + n 2 + n 3 = 3,70 mol Für den Partialdruck des Sauerstoffs erhalten wir dann P1 =

n1 0,63 mol · 1 bar = 0,17 bar · Pges = n ges 3,70 mol

und für den Partialdruck von Stickstoff P2 =

n2 2,82 mol · 1 bar = 0,76 bar , · Pges = n ges 3,70 mol

während wir für den Partialdruck von Helium P3 =

n3 0,25 mol · 1 bar = 0,07 bar · Pges = n ges 3,70 mol

erhalten.

5.4.4



Zustandsänderungen idealer Gase

Wenn sich der Zustand eines Gases ändert, dann ändern sich auch die Zustandsgrößen P, V und T . Die einfachsten Zustandsänderungen erhalten wir, wenn eine der drei Größen P, V oder T bei der Zustandsänderung konstant gehalten wird. Diese Zustandsänderungen können in einem P, V -Diagramm graphisch dargestellt werden (siehe Abb. 5.29), indem wir den Druck als eine Funktion des Volumens auftragen. Isotherme Zustandsänderungen (T = konstant) Bei einer isothermen Zustandsänderung ist die Temperatur konstant. Für den Zusammenhang zwischen dem Druck und dem Volumen erhalten wir dann aus dem idealen Gasgesetz (5.70) das Gesetz von Boyle-Mariotte: P · V = cis = konstant

(5.78)

210

5 Zustandsformen der Materie

Abb.5.29 Zustandsänderungen eines idealen Gases

Betrachten wir den Druck P als eine Funktion des Volumens V P = f (V ) =

cis , V > 0, V

(5.79)

so erhalten wir Hyperbeln, die wir auch Isothermen des idealen Gases nennen (siehe Abb. 5.29). Isobare Zustandsänderungen (P = konstant) Bei einer isobaren Zustandsänderung ist der Druck konstant: P = f (V ) = P0 = konstant

(5.80)

Im P, V -Diagramm wird die isobare Zustandsänderung durch eine Parallele zur V -Achse dargestellt (siehe Abb. 5.29). Ferner folgt aus dem idealen Gasgesetz, dass bei einer isobaren Zustandsänderung V und T proportional sind: V = f (T ) =

n·R · T = c1 · T , P0

(5.81)

was wir auch 1. Gesetz von Gay-Lussac nennen. Isochore Zustandsänderungen (V = konstant) Bei einer isochoren Zustandsänderung bleibt das Volumen konstant. Im P, V -Diagramm entspricht die isochore Zustandsänderung einer Parallelen zur P-Achse (siehe Abb. 5.29): V = V0 = konstant

(5.82)

Weiter sind in diesem Fall P und T proportional: P = f (T ) =

n·R · T = c2 · T , V0

was auch als 2. Gesetz von Gay-Lussac bekannt ist.

(5.83)

5.4

Gase

211

Adiabatische Zustandsänderungen (Q = 0 J ) Bei einer adiabatischen Zustandsänderung findet kein Austausch von Wärmeenergie Q (siehe Abschn. 6.2) zwischen dem Gas und der Umgebung statt. Hierbei erfolgt eine Änderung aller drei Zustandsgrößen P, V und T . So wie die Isotherme durch das Gesetz von Boyle-Mariotte (5.78) festgelegt ist, so legt die Adiabatengleichung P · V κ = cad = konstant

(5.84)

die Adiabate fest. Der Exponent κ heißt Adiabatenexponent, der durch κ =

f +2 f

(5.85)

gegeben ist und im Bereich 1 < κ ≤ 53 variiert. Hierin bezeichnet f die Zahl der Freiheitsgrade der Gasteilchen (siehe Abschn. 5.4.2). Während z. B. für ein einatomiges Gas wie Helium κ = 53 = 1,67 ist, erhalten wir für ein zweiatomiges Gas wie Sauerstoff κ = 75 = 1,4. Betrachten wir wieder den Druck P als eine Funktion des Volumens V , so gilt für die Adiabate: cad (5.86) P = f (V ) = κ , V > 0 V Da der Adiabatenexponent stets größer als 1 ist, fällt die Adiabate stärker ab als die Isotherme (siehe Abb. 5.29).

5.4.5

Reale Gase

Das Modell des idealen Gases basiert auf den Annahmen, dass das „Eigenvolumen“ der Gasteilchen und ihre „gegenseitige Wechselwirkung“ vernachlässigbar sind. Für Gase mit geringer Dichte ρ = MRmol · TP , d. h. bei hohen Temperaturen bzw. niedrigen Drücken, sind diese Annahmen gut erfüllt, und wir können ein Gas in guter Näherung durch das ideale Gasgesetz (5.70) beschreiben. Die van der Waals-Gleichung Erhöhen wir jedoch die Dichte durch Druckerhöhung und/oder Temperaturerniedrigung, so machen sich die van der Waals-Kräfte bzw. die London-Kräfte (siehe Abschn. 10.2.2) zwischen den Gasteilchen und ihr Eigenvolumen bemerkbar. Wir sprechen dann von einem realen Gas, das durch die van der Waals-Gleichung (P +

n2 · a ) · (V − n · b) = n · R · T V2

(5.87)

beschrieben wird (vgl. (5.70)). Die Gasteilchen am Rand des Gases erfahren aufgrund der zwischenatomaren bzw. -molekularen Kräfte eine nach „innen“ gerichtete resultierende

212

5 Zustandsformen der Materie

Kraft, die zum sogenannten Binnendruck nV ·a 2 führt, der zum äußeren Druck P hinzukommt. Ferner ist vom Gasvolumen V das Kovolumen n ·b abzuziehen, das denjenigen Raumbereich beschreibt, der aufgrund des Eigenvolumens der Gasteilchen der freien Bewegung nicht zur Verfügung steht. Das Kovolumen entspricht ungefähr dem vierfachen Eigenvolumen eines Gasteilchens. Die Konstanten a und b heißen van der Waals-Konstanten und sind gasspezifisch. Für Wasserstoff (H2 ) gilt z. B. a = 0,248 bar l 2 /mol 2 und b = 0,0266 l/mol, während wir für Wasser (H2 O) a = 5,536 bar l 2 /mol 2 und b = 0,0305 l/mol erhalten. 2

Die Isothermen realer Gase Tragen wir bei konstanter Temperatur T den Druck P als Funktion des Volumens V nach (5.87) auf, so erhalten wir die Isothermen realer Gase (siehe Abb. 5.30). Während die Isothermen idealer Gase Hyperbeln sind (siehe Abb. 5.29), zeigen die Isothermen realer Gase ein komplizierteres Verhalten. Komprimiert man ein Gas isotherm unterhalb einer bestimmten, für jedes Gas charakteristischen Temperatur, die wir kritische Temperatur TK nennen, dann erhöht sich der Druck. Ab einem bestimmten Punkt A bleibt der Druck jedoch bei fortgesetzter Volumenverringerung konstant, bis der Punkt B erreicht ist. Innerhalb dieses Bereiches findet eine Verflüssigung des Gases statt. Ab dem Punkt B liegt die Substanz vollständig als Flüssigkeit vor, und eine weitere Volumenverringerung bedeutet wegen der geringen Kompressibilität von Flüssigkeiten einen hohen Druckanstieg. Betrachten wir den gleichen Vorgang bei einer Temperatur T1 > TK oberhalb der kritischen Temperatur, so stellen wir keine Gasverflüssigung fest, und mit wachsender Temperatur nähern sich die Isothermen realer Gase den Isothermen idealer Gase an. Führt man schließlich die Volumenverringerung bei der kritischen Temperatur durch, so gibt es keinen Volumenbereich mehr, in dem Flüssigkeit und Gas koexistieren, sondern nur noch einen einzigen Punkt, der dem Wendepunkt der Isothermen entspricht. Dieser

Abb. 5.30 Isothermen realer Gase

5.5

Phasenübergänge und Phasengleichgewichte

213

Tab. 5.1 Kritische Temperatur und kritischer Druck für einige Substanzen Gas

TK /K

PK /bar

He

5,2

2,3

N2

126,3

34,0

O2

154,6

50,4

H2 O

647,4

220,5

Punkt (VK , PK ) heißt kritischer Punkt. Er ist charakterisiert durch die kritische Temperatur TK , den kritischen Druck PK und das kritische Volumen VK . In Tab. 5.1 ist die kritische Temperatur und der kritische Druck für einige Substanzen zusammengefasst.

Merke:

Oberhalb der kritischen Temperatur TK ist eine Gasverflüssigung nicht möglich!



Bemerkung: Die kritische Temperatur ist ein Maß für die Stärke der zwischenatomaren bzw. -molekularen Kräfte zwischen den Gasteilchen. So sind z. B. die Kräfte zwischen Wassermolekülen sehr stark im Vergleich zu den Kräften zwischen Heliumatomen. 

5.5

Phasenübergänge und Phasengleichgewichte

Eine Materieprobe, die hinsichtlich ihrer Zusammensetzung und ihrer physikalischen Eigenschaften einheitlich ist, heißt Phase. Demzufolge betrachten wir den festen, flüssigen und gasförmigen Zustand einer Substanz als verschiedene Phasen. Besteht eine Probe nur aus einer Phase, so heißt sie homogen, besteht sie dagegen aus mehreren Phasen, so heißt sie heterogen. Ein Gemisch aus Eis und Wasser ist z. B. eine heterogene Substanzprobe. Im Folgenden betrachten wir sowohl Vorgänge, bei denen Umwandlungen zwischen den drei Zustandsformen stattfinden, und die wir Phasenübergänge nennen als auch Phasengleichgewichte, d. h. solche Zustände, bei denen zwei oder drei Phasen gleichzeitig nebeneinander koexistieren.

5.5.1

Phasendiagramme

Der Zustand einer homogenen Substanz ist durch zwei der Zustandsgrößen P, V und T eindeutig bestimmt. Verwenden wir die Zustandsgrößen Druck P und Temperatur T , so

214

5 Zustandsformen der Materie

Abb. 5.31 Das Phasendiagramm von Wasser

entspricht jeder Punkt im P, T -Diagramm umkehrbar eindeutig einem Zustand der betrachteten Substanz. Diejenigen Bereiche im P, T -Diagramm, in denen die Substanz in der gasförmigen, flüssigen oder festen Phase vorliegen, sind durch drei Kurven getrennt. Die Trennungskurve zwischen der festen und der flüssigen Phase heißt Schmelzpunktskurve, zwischen der festen und gasförmigen Phase Sublimationskurve und zwischen der flüssigen und gasförmigen Phase Dampfdruckkurve. Die Dampfdruckkurve endet am kritischen Punkt (siehe Abschn. 5.4.5 und 5.5.2). Derjenige Punkt, an dem alle drei Kurven zusammentreffen, heißt Tripelpunkt. Ein solches Diagramm heißt Phasendiagramm der betrachteten Substanz. Als ein Beispiel ist in Abb. 5.31 das Phasendiagramm von Wasser dargestellt. Bemerkung: Zur Anomalie von Wasser Das Phasendiagramm von Wasser (und einigen anderen Substanzen wie Antimon und Wismut) unterscheidet sich in einem Punkt wesentlich von den übrigen Substanzen. Die Steigung der Schmelzpunktskurve von Wasser ist negativ, während die Schmelzpunktskurve sonst eine positive Steigung besitzt. Das bedeutet insbesondere, dass Eis bei konstanter Temperatur durch Druckerhöhung geschmolzen werden kann, wobei es gleichzeitig sein Volumen verringert (siehe Abschn. 6.1).  Durch geeignete Zustandsänderungen können die Trennungskurven im Phasendiagramm überschritten werden, wobei Übergänge zwischen den einzelnen Phasen stattfinden. Für die möglichen Phasenübergänge sind besondere Bezeichnungen gebräuchlich, die in Abb. 5.32 zusammengefasst sind. Während in den Zuständen zwischen den Trennungskurven im Phasendiagramm eine Substanz nur in einem Aggregatzustand vorliegt, gibt es Zustände, bei

5.5

Phasenübergänge und Phasengleichgewichte

215

Abb. 5.32 Phasenübergänge

denen zwei Phasen der Substanz im Gleichgewicht koexistieren. Diese Zustände liegen auf den Trennungskurven. Auf der Sublimationskurve sind die feste und gasförmige Phase, auf der Schmelzpunktskurve die feste und flüssige Phase und auf der Dampfdruckkurve die flüssige und gasförmige Phase im Gleichgewicht. Schließlich gibt es genau einen Punkt im Phasendiagramm, bei dem alle drei Phasen im Gleichgewicht sind und den wir Tripelpunkt nennen. Was aber bedeutet Phasengleichgewicht?

5.5.2

Verdampfung und Kondensation

Die Geschwindigkeit von Flüssigkeitsmolekülen wird durch die Maxwell-BoltzmannVerteilung beschrieben (siehe Abschn. 5.4.2). Infolge von Stößen mit anderen Molekülen ändert sich die Geschwindigkeit und damit die kinetische Energie eines Flüssigkeitsmoleküls ständig. Deshalb gibt es zu jedem Zeitpunkt Moleküle an der Flüssigkeitsoberfläche, die eine genügend große kinetische Energie besitzen, um die zwischenmolekularen Anziehungskräfte überwinden und die Gasphase wechseln zu können. Dieser Prozess heißt Verdampfung. Umgekehrt können Flüssigkeitsmoleküle auch wieder in die flüssige Phase zurückkehren, was wir Kondensation nennen. Merke:

• Die Verdampfung einer Flüssigkeit erfolgt bei jeder Temperatur! Je höher jedoch die Temperatur ist, desto mehr Teilchen besitzen die zum Verlassen der Flüssigkeit notwendige Energie, d. h. desto schneller verdampft sie. • Wenn die hochenergetischen Moleküle die Flüssigkeit verlassen, nimmt die mittlere kinetische Energie der restlichen Flüssigkeitsmoleküle ab, weshalb die Temperatur der Flüssigkeit sinkt. Wir sprechen dann von Verdunstungskälte. 

216

5 Zustandsformen der Materie

Diejenige Energie, die nötig ist, um ein Mol einer Flüssigkeit bei einer gegebenen Temperatur und unter Normaldruck zu verdampfen, heißt molare Verdampfungswärme (siehe Abschn. 6.2.3). Der gleiche Energiebetrag wird bei der Kondensation wieder frei und heißt dann molare Kondensationswärme. Dampfdruck Gase, die in Kontakt mit ihrer flüssigen Phase stehen, heißen Dämpfe. Bringt man eine Flüssigkeit in ein völlig evakuiertes Gefäß, so verdampfen Flüssigkeitsmoleküle. Umgekehrt können auch Moleküle aus der Dampfphase wieder in die Flüssigkeit zurückkehren. Die Zahl der kondensierenden Moleküle hängt von der Teilchendichte in der Dampfphase ab: Je größer die Teilchendichte in der Dampfphase ist, desto mehr Teilchen werden pro Zeiteinheit kondensieren. Aufgrund dieser gegenläufigen Vorgänge stellt sich nach einiger Zeit ein dynamischer Gleichgewichtszustand zwischen der flüssigen und der gasförmigen Phase ein, bei dem gleich viele Teilchen verdampfen wie kondensieren. In diesem Gleichgewichtszustand bleibt dann die Teilchendichte in der Gasphase zeitlich konstant. Der Druck des Dampfes, der sich mit der Flüssigkeit im Gleichgewicht befindet, heißt Sättigungsdampfdruck PD , und wir sprechen dann von einem gesättigten Dampf. Doch wovon hängt der Sättigungsdampfdruck ab? Der Sättigungsdampfdruck hängt nur von der Temperatur des Flüssigkeit-Dampf-Systems ab, nicht aber vom Volumen! Mit wachsender Temperatur nimmt der Sättigungsdampfdruck zu. Trägt man den Sättigungsdampfdruck gegen die Temperatur auf, so erhält man die Dampfdruckkurve der betrachteten Substanz. In Abb. 5.33(b) ist die Dampfdruckkurve von Wasser und ihr Zusammenhang mit den Isothermen im P, V -Diagramm dargestellt. Hierin bezeichnet z. B. P1 = PD (T1 ) den Sättigungsdampfdruck bei der Temperatur T1 bzw. PD (Tsi ) = P0 = 1,013 bar den Sättigungsdampfdruck bei der Siedetemperatur Tsi = 373,15 K von Wasser bei Normaldruck.

Abb. 5.33 Isothermen und Dampfdruckkurve von Wasser

5.5

Phasenübergänge und Phasengleichgewichte

217

Die Dampfdruckkurve endet am kritischen Punkt (siehe Abschn. 5.4.5). Verringert man bei konstanter Temperatur das Volumen des Gefäßes, in dem sich die Flüssigkeit und der Dampf befinden, so ändert sich der Sättigungsdampfdruck nicht (siehe Abb. 5.33(a)). Das liegt daran, dass ein Teil des Dampfes kondensiert derart, dass die Teilchendichte in der Dampfphase konstant bleibt. Der umgekehrte Vorgang passiert bei Volumenvergrößerung. Bei konstanter Temperatur bleibt also der Sättigungsdampfdruck über einen großen Volumenbereich konstant. Erst wenn durch eine Volumenvergrößerung die gesamte Flüssigkeit verdampft ist, nimmt mit wachsendem Volumen der Gasdruck ab, und die Eigenschaften des Gases nähern sich immer mehr denen idealer Gase an. Bemerkungen: • Entsprechende dynamische Gleichgewichte bestehen auch auf der Schmelzpunkts- und Sublimationskurve. • Während eines Phasenüberganges (z. B. beim Schmelzen von Eis) bleibt die Temperatur konstant!  Sieden Eine Flüssigkeit beginnt zu sieden, wenn ihr mit steigender Temperatur wachsender Sättigungsdampfdruck ebenso groß ist wie der über der Flüssigkeit herrschende Gasdruck. Dann kann sich Dampf auch in Form von Dampfblasen im Inneren der Flüssigkeit bilden, wobei der in der Blase herrschende Dampfdruck gerade gleich dem Sättigungsdampfdruck ist, der dem äußeren Gasdruck entspricht. Bemerkungen: • Es ist jedoch möglich, eine Flüssigkeit wie z. B. Wasser auf eine höhere Temperatur als die Siedetemperatur zu erhitzen, wobei sie im „eigentlich gasförmigen Bereich“ noch in der flüssigen Phase vorliegt, und wir sprechen dann von einer überhitzten Flüssigkeit. Dieses Phänomen heißt Siedeverzug. Es tritt z. B. auf, wenn durch eine glatte Gefäßoberfläche und eine reine, partikelfreie Flüssigkeit die Bildung einer stabilen gasförmigen Phase verhindert wird. Dieser anomale Zustand, in dem sich die Flüssigkeit befindet, ist instabil, wobei sich schon bei einer geringen Erschütterung innerhalb kürzester Zeit eine Gasblase ausbilden kann. • Umgekehrt kann eine solche Substanz auf eine Temperatur unter der Siedetemperatur abgekühlt werden, wobei sie im „eigentlich flüssigen Bereich“ noch als Gas existiert, und wir sprechen dann von einem unterkühlten Gas. Dieses Phänomen nennen wir Kondensationsverzug. Analoge Phänomene gibt es auch beim Phasenübergang zwischen der festen und der flüssigen Phase. 

6

Thermodynamik

Inhaltsverzeichnis 6.1

6.2

6.3 6.4

6.5 6.6

Thermische Eigenschaften deformierbarer Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1 Zur Längenänderung von Festkörpern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.2 Zur Volumenänderung von Festkörpern und Flüssigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.3 Zum thermischen Verhalten von Gasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wärmeenergie und Wärmekapazität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Energieerhaltung und thermische Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2 Die Wärmekapazität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.3 Umwandlungswärmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der 1. Hauptsatz der Thermodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zustandsänderungen thermodynamischer Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1 Zustandsänderungen und thermodynamisches Gleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.2 Zustandsgrößen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der 2. Hauptsatz der Thermodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wärmekraftmaschinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

220 221 221 222 223 223 225 228 231 235 236 238 240 244

Die Teilchen einer Substanz sind in ständiger Bewegung, wobei sie auch miteinander zusammenstoßen. Dabei wird Energie und Impuls zwischen den Teilchen ausgetauscht, weshalb sie unter anderem permanent ihre Bewegungsrichtung ändern, was zu einer ungeordneten Teilchenbewegung führt. Mit dem Begriff Wärme verbinden wir physikalisch diese ungeordnete Teilchenbewegung einer Substanz. Die Summe der kinetischen Energien der Teilchen, die in dieser ungeordneten Bewegung steckt, entspricht der thermischen Energie E th der Substanz (siehe Abschn. 5.4.2). Ein Maß für die thermische Energie ist die Temperatur: Je heftiger sich die Teilchen bewegen, desto höher ist die Temperatur. Wenn wir eine Substanz erwärmen, so erhöht sich dabei ihre thermische Energie. Andererseits führt diese Erwärmung zur Änderung all derjenigen Größen, die temperaturabhängig sind. Bevor wir die thermische Energie als eine Energieform genauer betrachten und diskutieren, wie wir die Änderung der thermischen Energie einer Substanz bestimmen können, betrachten wir die thermischen Eigenschaften von Festkörpern, Flüssigkeiten und Gasen. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Rufa, Physik für Studierende der Biowissenschaften, Chemie und Medizin, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61258-3_6

219

220

6 Thermodynamik

Noch ehe man etwas über die atomare Struktur der Materie wusste, studierte man Vorgänge, bei denen die thermische Energie eine Rolle spielt. Zur Beschreibung der beobachteten Phänomene formulierte man dann die Hauptsätze der Thermodynamik, die zwar das Naturgeschehen richtig wiedergeben, jedoch damals nicht weiter interpretiert werden konnten. Unsere heutige Kenntnis vom Wesen der Wärme als ungeordnete Teilchenbewegung ermöglicht dagegen eine anschauliche Interpretation dieser Gesetze. Der 1. Hauptsatz der Thermodynamik macht eine Aussage über die Energiebilanz eines thermodynamischen Systems bei Zustandsänderungen. Zu seiner Formulierung benötigen wir die physikalische Größe innere Energie, die wir zuvor einführen. Während nach dem 1. Hauptsatz alle Vorgänge möglich sind, bei denen die Energie erhalten ist, beobachten wir in der Natur aber, dass viele Vorgänge von selbst nur in einer bestimmten Richtung ablaufen, obwohl energetisch die umgekehrte Richtung auch möglich wäre. Der 2. Hauptsatz der Thermodynamik ergänzt den 1. Hauptsatz in dem Sinne, dass er eine Aussage macht, in welcher Richtung ein Vorgang von allein abläuft. Anders ausgedrückt macht der 2. Hauptsatz eine Aussage über die Entropiebilanz eines thermodynamischen Systems und seiner Umgebung bei Zustandsänderungen. Zur Unterscheidung von umkehrbaren und nicht umkehrbaren Vorgängen führen wir die Begriffe reversible und irreversible Zustandsänderungen eines Systems ein. Ferner definieren wir als eine weitere Zustandsgröße die Entropie, die wir zur Formulierung des 2. Hauptsatzes benötigen. Abschließend betrachten wir Wärmekraftmaschinen und den Carnot’schen Kreisprozess, d. h. die Umwandlung von thermischer Energie in Arbeit und damit andere Energieformen [13, 14].

6.1

Thermische Eigenschaften deformierbarer Medien

Im Folgenden betrachten wir einige temperaturabhängige Eigenschaften von Substanzen.

Abb. 6.1 Zur Anomalie von Wasser

6.1 Thermische Eigenschaften deformierbarer Medien

6.1.1

221

Zur Längenänderung von Festkörpern

Erwärmen wir einen Festkörper, so dehnt er sich aus. Bei einer bestimmten Anfangstemperatur betrage die Länge eines Stabes l0 . Erwärmen wir ihn um die Temperatur ϑ, so vergrößert sich seine Länge um l. Diese Längenänderung ist gegeben durch: l = α · l0 · ϑ

(6.1)

Hierin bezeichnet α den linearen Ausdehnungskoeffizienten, der über einen weiten Temperaturbereich als temperaturunabhängig angesehen werden kann. Er ist stoffabhängig und besitzt die SI-Einheit 1/K . Beispiel 6.1 Zur Längenänderung von Festkörpern Ein Aluminiumstab mit der Anfangslänge l0 = 40 cm wird um ϑ = 400 ◦ C = 400 K erwärmt. Für Aluminium beträgt der lineare Ausdehnungskoeffizient α = 2,3 · 10−5 1/K . Die Längenänderung ist damit gegeben durch: l = 2,3 · 10−5 1/K · 0,4 m · 400 K = 3,68 · 10−3 m Die relative Längenänderung beträgt also: 3,68 · 10−3 m l = = 0,92 % l 0,4 m 

6.1.2

Zur Volumenänderung von Festkörpern und Flüssigkeiten

Erwärmen wir einen Festkörper oder eine Flüssigkeit mit dem Anfangsvolumen V0 um die Temperatur ϑ, so ändert sich das Volumen um V . Diese Volumenänderung ist gegeben durch: V = γ · V0 · ϑ (6.2) γ heißt kubischer Ausdehnungskoeffizient oder Volumenausdehnungskoeffizient. Wie α ist auch γ stoffabhängig und nur in gewissen Temperaturintervallen konstant. Für Festkörper gilt näherungsweise γ  3 α. Bemerkung: Zur Anomalie von Wasser Wasser zeigt bezüglich seiner thermischen Ausdehnung ein anomales Verhalten. Zwischen 0 ◦ C und 4 ◦ C zieht sich Wasser bei Erwärmung zusammen, sodass γ H2 O in diesem Temperaturbereich negativ ist! Oberhalb von 4 ◦ C ist γ H2 O positiv, sodass eine Ausdehnung von

222

6 Thermodynamik

Wasser bei einer Erhöhung der Temperatur erst oberhalb von 4 ◦ C erfolgt (siehe Abb. 6.1). Damit besitzt Wasser bei 4 ◦ C die größte Dichte! 

6.1.3

Zum thermischen Verhalten von Gasen

Bei Gasen sind Druck und Volumen temperaturabhängig, wobei wir diese Temperaturabhängigkeiten bei konstantem Druck bzw. bei konstantem Volumen betrachten. Isobare Temperaturänderung (P = konst) Bei der Normaltemperatur T0 = 273,15 K = 0 ◦ C besitze ein Gas das Volumen V0 . Nach dem idealen Gasgesetz (4.72) gilt dann V0 = n RPT0 . Erwärmen wir nun das Gas auf die Temperatur T , so erhalten wir: V (T ) =

n R T0 T nR T ·T = · = V0 · P P T0 T0

(6.3)

Mit T = T0 + T und T /K = ϑ/◦ C folgt dann für die Abhängigkeit des Volumens von der Temperatur ϑ in ◦ C V (ϑ) = V0 ·

T0 + ϑ = V0 · (1 + γ · ϑ), T0

(6.4)

wobei für den kubischen Ausdehnungskoeffizienten eines Gases γ =

1 273,15 ◦ C

(6.5)

gilt. Beispiel 6.2 Isobare Temperaturänderung Ein Gas hat bei der Temperatur ϑ1 = 60 ◦ C ein Volumen von V1 = 90 ml. Bei konstantem Druck wird die Temperatur dann auf ϑ2 = 10 ◦ C reduziert. Aus (6.4) folgt dann für das Volumen V2 bei dieser Temperatur: 1 + γ · ϑ2 V2 = , V1 1 + γ · ϑ1 d. h. 1+ 1 + γ · ϑ2 V2 = · V1 = 1 + γ · ϑ1 1+

10 ◦ C ◦ 273,15 C 60 ◦ C ◦ 273,15 C

· 90 ml = 76,49 ml 

6.2 Wärmeenergie und Wärmekapazität

223

Isochore Temperaturänderung (V = konst) Bei der Normaltemperatur T0 = 273,15 K = 0 ◦ C besitze ein Gas den Druck P0 , der nicht unbedingt gleich dem Normaldruck sein muss. Erhöhen wir nun die Temperatur des Gases auf den Wert T , so folgt nach dem idealen Gasgesetz P(T ) =

nR n R T0 T T ·T = · = P0 · , V V T0 T0

(6.6)

und mit T = T0 + T erhalten wir für die Abhängigkeit des Druckes von der Temperatur ϑ in ◦ C: P(ϑ) = P0 ·

6.2

T0 + ϑ = P0 · (1 + γ · ϑ) T0

(6.7)

Wärmeenergie und Wärmekapazität

Im Folgenden betrachten wir die Frage, bei welchen Vorgängen sich die thermische Energie einer Substanz ändert und in welche Energieformen sie dabei umgewandelt wird. Wir diskutieren, welche Wärmeenergie zu- oder abgeführt werden muss, um die Temperatur einer Substanz um einen bestimmten Betrag zu ändern, und was wir durch die Wärmekapazität einer Substanz quantitativ beschreiben. Schließlich untersuchen wir die Energiebilanz bei Phasenübergängen, d. h. diejenige Wärmeenergie, die bei einem Phasenübergang zugeführt werden muss oder von der Substanz abgegeben wird und die wir Umwandlungswärme nennen.

6.2.1

Energieerhaltung und thermische Energie

In Abschn. 3.5.5 haben wir gesehen, dass Energie in verschiedenen Energieformen wie kinetische Energie E kin , potentielle Energie E pot , Strahlungsenergie E γ , chemische Bindungsenergie E B usw. vorkommt und dass diese Energieformen ineinander umgewandelt werden können, wobei jedoch stets die Gesamtenergie, d. h. die Summe aller Energieformen, eines abgeschlossenen Systems konstant ist. Auch die thermische Energie E th ist eine solche Energieform, die in andere Energieformen umgewandelt werden kann, was durch viele Vorgänge in der Natur bestätigt wird, von denen wir im Folgenden einige beschreiben. Wärmeenergie und thermische Energie Die thermische Energie einer Substanz können wir ändern, indem wir sie erhitzen, wobei wir ihr die Wärmeenergie Q zuführen, oder die Substanz kann die Wärmeenergie Q abgeben, wobei sie sich abkühlt. Die Änderung der thermischen Energie ist dabei gegeben durch (vgl. Abschn. 3.5.4):

224

6 Thermodynamik

E th = Q

(6.8)

Damit entspricht die SI-Einheit der zu- oder abgeführten Wärmeenergie Q dem Joule (J). Kinetische Energie und thermische Energie Wenn die geradlinige Bewegung eines Körpers infolge der Reibung zur Ruhe kommt, dann wird die „gleichgerichtete“ geradlinige Bewegung der Atome des Körpers umgewandelt in eine „ungeordnete“ Bewegung der Körperatome, die zu einer Erhöhung der thermischen Energie des Körpers und der Auflagefläche führt, was wir als Temperaturerhöhung messen können. Bei diesem Vorgang wird also die kinetische Energie, die in der Translationsbewegung des Körpers steckt, vollständig in thermische Energie umgewandelt, wobei aufgrund der Energieerhaltung E th = E kin

(6.9)

gilt. Auch der umgekehrte Prozess der Umwandlung von thermischer Energie in kinetische Energie ist möglich und findet in Wärmekraftmaschinen statt (siehe Abschn. 6.6). Bemerkung: Wir haben jedoch nie einen Vorgang beobachtet, bei dem ein ruhender Körper sich unter Abkühlung in Bewegung versetzt, was nach dem Energieerhaltungssatz durchaus möglich wäre. Warum?  Potentielle Energie und thermische Energie Beim freien Fall unter Reibungseinfluss haben wir gesehen, dass bei einem in einem Fluid frei fallenden Körper nach Erreichen seiner konstanten Endgeschwindigkeit die frei werdende potentielle Energie aufgrund der Reibung vollständig in thermische Energie umgewandelt wird (siehe Abschn. 3.5.4 und 3.5.5). Analog findet im Verlauf einer chemischen Reaktion eine Änderung der (chemischen) Bindungsenergie zwischen den Atomen der Ausgangs- und der Endprodukte statt, d. h. eine Änderung der (elektromagnetischen) potentiellen Energie. Diese führt zu einer Änderung der kinetischen Energie der Teilchen, die in der ungeordneten Bewegung steckt, und damit der thermischen Energie. Bei exothermen Reaktionen wird Wärmeenergie abgegeben, während bei endothermen Reaktionen permanent Wärmeenergie zugeführt werden muss, bis die chemische Reaktion abgelaufen ist. Auch bei chemischen Reaktionen findet also letztlich eine Umwandlung zwischen potentieller und thermischer Energie statt. Strahlungsenergie und thermische Energie Schließlich kann ein Körper auch durch Absorption von Wärmestrahlung (IR-Strahlung) erwärmt werden und umgekehrt durch Emission von Wärmestrahlung abkühlen (siehe Kap. 11). Bei dieser Emission und Absorption von Strahlung findet also eine Umwandlung

6.2 Wärmeenergie und Wärmekapazität

225

von Strahlungsenergie und thermischer Energie statt, wobei auch hier wegen der Energieerhaltung E th = E γ

(6.10)

gilt. Wärmeleitung Bringen wir zwei Körper mit unterschiedlicher Temperatur in Berührung, dann wird an der Berührungsfläche auf atomarer Ebene infolge der elastischen Stöße zwischen den Atomen kinetische Energie der Atome des wärmeren Körpers auf die Atome des kälteren Körpers übertragen. Entsprechend der Energieerhaltung führt die thermische Energie, die der wärmere Körper abgibt, vollständig zur Erhöhung der thermischen Energie des kälteren Körpers. Dieser Prozess heißt Wärmeleitung, und er findet so lange statt, bis die mittlere kinetische Energie aller Atome oder Moleküle, d. h. die Temperatur beider Körper, gleich ist. Bemerkung: Wir haben jedoch nie einen Vorgang beobachtet, bei dem unter Abkühlung des kälteren Körpers Wärmeenergie auf den wärmeren Körper übergeht und dieser dadurch noch wärmer wird. Ein solcher Vorgang wäre nach dem Energieerhaltungssatz durchaus möglich. Wärmeleitung erfolgt offenbar immer nur vom wärmeren zum kälteren Körper. Warum? 

6.2.2

Die Wärmekapazität

Um die zu- oder abgeführte Wärmeenergie Q, die eine Temperaturänderung T hervorruft, quantitativ beschreiben zu können, führen wir den Begriff der Wärmekapazität ein. Unter der Wärmekapazität C einer Substanz verstehen wir diejenige Wärmeenergie Q, die nötig ist, um die Temperatur der Substanz um T zu erhöhen oder zu erniedrigen, d. h., es gilt: C :=

Q T

(6.11)

oder Q = C · T

(6.12)

Die SI-Einheit der Wärmekapazität ist J /K . Die Wärmekapazität einer Substanz können wir auf verschiedene Mengenbegriffe beziehen (siehe Abschn. 5.4.1). Die spezifische Wärmekapazität Unter der spezifischen Wärmekapazität c einer Substanz verstehen wir die Wärmekapazität bezogen auf 1 kg der betrachteten Substanz. Besitzt also die Substanz die Masse m, so gilt:

226

6 Thermodynamik

c :=

Q C = m m · T

(6.13)

oder Q = c · m · T

(6.14)

Die SI-Einheit der spezifischen Wärmekapazität lautet J /K kg. Die molare Wärmekapazität Unter der molaren Wärmekapazität Cmol einer Substanz verstehen wir die Wärmekapazität bezogen auf 1 mol der betrachteten Substanz. Für eine Substanz mit der Stoffmenge n gilt also: Cmol :=

Q C = n n · T

(6.15)

oder Q = Cmol · n · T

(6.16)

Die SI-Einheit der molaren Wärmekapazität lautet J /K mol. Bemerkungen: • Bezeichnet M die Molmasse der betrachteten Substanz, dann besteht zwischen der spezifischen und der molaren Wärmekapazität der Zusammenhang Cmol = M · c.

(6.17)

• Cmol und c sind stoffspezifische Konstanten. Sie bezeichnen diejenige Wärmeenergie in J oule, die nötig ist, um die Temperatur von 1 mol bzw. 1 kg der betrachteten Substanz um 1 K = 1 ◦ C zu erhöhen.  Beispiel 6.3 Erwärmung von Wasser Die spezifische Wärmekapazität von Wasser bei 20 ◦ C beträgt c = 4,182 · 103 J /K kg. Um 60 kg Wasser eines Behälters von 20 ◦ C auf 26 ◦ C zu erhöhen, benötigt man eine Energie von Q = c · m · T = 4,182 · 103 J /K kg · 60 kg · 6 ◦ C = 1,5 · 106 J = 1,5 M J . 

6.2 Wärmeenergie und Wärmekapazität

227

Zur Wärmekapazität von Gasen Bei Gasen muss man unterscheiden, ob die Wärmeenergie Q bei konstantem Volumen oder konstantem Druck zugeführt wird; denn bei konstantem Volumen dient die gesamte zugeführte Wärmeenergie zur Temperaturerhöhung, während bei konstantem Druck das Volumen des Gases zunimmt, wobei ein Teil der zugeführten Energie für die Arbeit bei der Expansion gegen den äußeren Druck verwendet wird (siehe (6.36)). Deshalb unterscheiden wir bei Gasen zwischen der Wärmekapazität bei konstantem Druck und bei konstantem Volumen. Für die molare Wärmekapazität bei konstantem Volumen Cmol,V gilt: f · R, (6.18) 2 während die molare Wärmekapazität bei konstantem Druck Cmol,P gegeben ist durch (siehe Abschn. 6.3): Cmol,V =

f +2 ·R (6.19) 2 Hierin bezeichnen f die Zahl der Freiheitsgrade der Gasteilchen und R die universelle Gaskonstante (siehe Abschn. 5.4.2). Damit gilt für ihre Differenz Cmol,P =

Cmol,P − Cmol,V = R,

(6.20)

wobei der Quotient der molaren Wärmekapazitäten gerade gleich dem Adiabatenexponenten ist (siehe (5.85)): f +2 Cmol,P =κ = Cmol,V f

(6.21)

Beispiel 6.4 Molare Wärmekapazitäten von Gasen Für ein einatomiges ideales Gas mit f = 3 Freiheitsgraden gilt Cmol,P =

J 5 · R = 20,79 2 K mol

(6.22)

J 3 · R = 12,47 , 2 K mol und für ein zweiatomiges ideales Gas mit f = 5 Freiheitsgraden folgt: Cmol,V =

Cmol,P =

J 7 · R = 29,10 2 K mol

(6.23)

J 5 · R = 20,79 2 K mol Zum Vergleich sind für einige reale Gase die gemessenen Werte in Tab. 6.1 zusammengefasst.  Cmol,V =

228

6 Thermodynamik

Tab. 6.1 Molare Wärmekapazitäten von Gasen Gas

J Cmol,P / K mol

J Cmol,V / K mol

He

20,9

12,6

H2

28,5

20,2

O2

29,3

21,0

N2

29,0

20,7

Wie aber misst man die Wärmekapazität von Substanzen? Kalorimetrie Die spezifische Wärmekapazität eines Körpers können wir mithilfe eines Kalorimeters messen, d. i. ein wärmeisoliertes Gefäß, dessen Wärmekapazität C K al bekannt ist. In diesem Gefäß befinde sich Wasser mit der Masse m 0 und der Anfangstemperatur ϑ0 . Die spezifische Wärmekapazität von Wasser beträgt c0 = 4,18·103 J /kg K . Erwärmt man nun den betrachteten Körper mit der Masse m, dessen spezifische Wärmekapazität c gemessen werden soll, auf die Temperatur ϑ > ϑ0 und gibt man diesen Körper ins Wasser des Kalorimeters, dann wird der heißere Körper so lange Wärmeenergie an das Wasser abgeben, bis sich nach einer gewissen Zeit eine Mischungstemperatur ϑm eingestellt hat. Aufgrund der Energieerhaltung ist dann die vom Körper abgegebene Wärmeenergie Q K or ¨ per = c · m · (ϑm − ϑ) < 0 betragsmäßig gleich der vom Kalorimeter aufgenommenen Wärmeenergie Q K al = (c0 · m 0 + C K al ) · (ϑm − ϑ0 ) > 0, sodass wir für die gesuchte spezifische Wärmekapazität des Körpers c=

(c0 · m 0 + C K al ) (ϑm − ϑ0 ) · m (ϑ − ϑm )

(6.24)

erhalten.

6.2.3

Umwandlungswärmen

Unter der Umwandlungswärme verstehen wir die bei einem Phasenübergang zugeführte oder frei werdende Wärmeenergie. In Abschn. 5.5 haben wir Phasenübergänge und Phasengleichgewichte der Zustandsformen gasförmig, flüssig und fest betrachtet. Im Folgenden beschäftigen wir uns am Beispiel von Wasser mit der Energiebilanz bei diesen Phasenübergängen.

6.2 Wärmeenergie und Wärmekapazität

229

Führen wir Eis mit der Masse m = 1 kg und der Temperatur T = 250 K bei einem konstanten Druck von P0 = 1,013 bar Wärmeenergie zu, so steigt nach (6.14) seine Temperatur entsprechend an (siehe Abb. 6.2). Haben wir eine Wärmeenergie von 53 k J zugeführt, so beträgt die Temperatur des Eises Tsm = 273,15 K = 0 ◦ C. Diese Temperatur bleibt nun auch bei einer weiteren Energiezufuhr zunächst konstant, bis wir insgesamt pro kg Eis eine Energie von 388 k J zugeführt haben. Hierbei findet der Phasenübergang fest − flüssig statt. Die Temperatur Tsm heißt Schmelztemperatur, und die Energie qsm = (388 − 53) k J /kg = 335 k J /kg, die wir benötigen, um 1 kg Eis zu verflüssigen, heißt spezifische Schmelzwärme von Eis. Wenn umgekehrt Wasser bei 0 ◦ C gefriert, dann wird der gleiche Energiebetrag als Kristallisationswärme wieder frei. Führen wir nun dem Wasser weiter Wärmeenergie zu, so führt diese zu einer Erhöhung der Temperatur des Wassers. Eine Wärmeenergie von Q = (806 − 388) k J = 418 k J führt dabei zu einer Temperaturerhöhung um T = 100 K auf den Wert der Siedetemperatur Tsi = 373,15 K = 100 ◦ C. Bei einer weiteren Energiezufuhr bleibt dann die Temperatur zunächst wieder konstant, bis wir dem Wasser insgesamt eine Wärmeenergie von 3 066 k J zugeführt haben. Hierbei findet nun der Phasenübergang flüssig − gasförmig statt. Die Energie qv = (3 066 − 806) k J /kg = 2 260 k J /kg, die notwendig ist, um 1 kg Wasser zu verdampfen, heißt spezifische Verdampfungswärme von Wasser. Wenn umgekehrt Wasserdampf bei 100 ◦ C kondensiert, wird der gleiche Energiebetrag als Kondensationswärme wieder frei. Eine weitere Zufuhr von Wärmeenergie erhöht dann die Temperatur des Wassergases. In Abb. 6.3 ist die beschriebene isobare Zustandsänderung im Phasendiagramm von Wasser dargestellt.

Abb. 6.2 Phasenübergänge von Wasser

230

6 Thermodynamik

Abb. 6.3 Normaler Schmelz- und Siedepunkt von Wasser

Die Energie, die beim Schmelzen, Verdampfen und Sublimieren zugeführt werden muss, wird beim umgekehrten Vorgang wieder frei. Entsprechend den einzelnen Phasenübergängen sprechen wir von Schmelz- und Kristallisationswärme, Verdampfungs- und Kondensationswärme sowie von Sublimations- und Kondensationswärme. Beziehen wir die Umwandlungswärmen auf die Masse, so sprechen wir von einer spezifischen Umwandlungswärme qu , beziehen wir sie dagegen auf die Stoffmenge, so sprechen wir von einer molaren Umwandlungswärme Q u . Ihre SI-Einheiten lauten entsprechend J /kg bzw. J /mol. Bemerkungen: • Die Verdampfungswärme einer Flüssigkeit nimmt mit steigender Temperatur ab und erreicht bei der kritischen Temperatur den Wert 0 J . Innerhalb eines nicht zu großen Temperaturbereiches kann die Verdampfungswärme jedoch als konstant angesehen werden. • Unter der normalen Siedetemperatur einer Flüssigkeit verstehen wir diejenige Temperatur, bei der der Sättigungsdampfdruck der Flüssigkeit gleich dem Normaldruck P0 = 1,013 bar ist (siehe Abb. 6.3). Der normale Siedepunkt einer Flüssigkeit ist dann charakterisiert durch den Normaldruck P0 und die normale Siedetemperatur. Analoges gilt für die normalen Schmelz- und Sublimationspunkte. • Die Siedetemperatur einer Flüssigkeit bei einem beliebigen äußeren Druck P kann der Dampfdruckkurve entnommen werden, indem man diejenige Temperatur bestimmt, bei der der Sättigungsdampfdruck der Flüssigkeit gleich dem äußeren Druck P ist. Analoges gilt auch für die Schmelz- und Sublimationstemperaturen.

6.3

Der 1. Hauptsatz der Thermodynamik

231

• Während eines Phasenüberganges bleibt die Temperatur und damit die mittlere kinetische Energie der Teilchen konstant, sodass die zugeführte Wärmeenergie die potentielle Energie der Teilchen erhöht (der Teilchenabstand wird größer). Ist dagegen ein Phasenübergang abgeschlossen, so führt die weiter zugeführte Wärmeenergie zu einer Erhöhung der Temperatur der Phase, d. h. der mittleren kinetischen Energie der Teilchen und damit der thermischen Energie.  Beispiel 6.5 Schwitzen Die Leistung eines Sportlers betrage 200 W . Während eines einstündigen Trainings t = 1 h produziert er die Wärmeenergie Q = P · t, die ausschließlich durch Schwitzen abgegeben werde. Die spezifische Verdampfungswärme von Wasser beträgt qv = 2,26 · 106 J /kg, d. h., man benötigt eine Wärmeenergie von 2,26·106 J , um 1 kg Wasser bei 20 ◦ C zu verdampfen. Die vom Sportler produzierte Wärmeenergie führt dann dazu, dass er in einer Stunde eine Wassermenge von m=

Q P ·t 200 J /s · 3 600 s = 0,32 kg = = qv qv 2,26 · 106 J /kg

verdampft.

6.3



Der 1. Hauptsatz der Thermodynamik

Die innere Energie Unter der inneren Energie U eines Systems verstehen wir die Summe aller Energieformen (thermische Energie, chemische Bindungsenergie, . . .) des Systems: U = E th + E B + . . .

(6.25)

Bei einatomigen Gasen ist die innere Energie bei thermodynamischen Vorgängen ausschließlich durch die kinetische Energie der Translationsbewegung der Gasteilchen bestimmt, die in der ungeordneten Bewegung steckt. Bei mehratomigen Gasen kommen die Rotations- und Schwingungsenergien der Moleküle dazu, wobei sich die Schwingungsenergie aus kinetischer und potentieller Energie zusammensetzt. Zur inneren Energie gehört auch die (elektromagnetische) potentielle Energie, die mit den zwischenatomaren und – molekularen Kräften verbunden ist. Auch bei der chemischen Bindungsenergie E B der Atome in Molekülen oder Festkörpern handelt es sich letztlich um eine solche potentielle Energie. Die innere Energie hängt über die thermische Energie von der thermodynamischen Temperatur T ab, d. h., es gilt U=

f f · N · k · T = · n · R · T, 2 2

(6.26)

232

6 Thermodynamik

worin f die Zahl der Freiheitsgrade, k die Boltzmann-Konstante (siehe (5.56), N die Zahl der Teilchen des betrachteten Systems und R die universelle Gaskonstante bezeichnen. Eine Temperaturänderung T bewirkt also nach (6.26) eine Änderung der inneren Energie um U = 2f n R T . Umgekehrt muss aber eine Änderung der inneren Energie nicht unbedingt eine Temperaturänderung bewirken. So ändert sich z. B. bei einem Phasenübergang die innere Energie um U , was jedoch keine Temperaturänderung (d. h. keine Änderung der thermischen Energie) nach sich zieht, sondern eine Änderung der potentiellen Energie der Teilchen, die von den zwischenatomaren bzw. -molekularen Kräften herrührt. Schließlich ist die innere Energie wie die Größen Druck, Volumen und Temperatur eine Zustandsgröße, d. h., sie kann verwendet werden, um den Zustand eines Systems zu beschreiben. Wie im Fall der kinetischen und der potentiellen Energie gibt es auch keine „absolute innere Energie“. Nur die Differenz der inneren Energie zwischen zwei Zuständen ist messbar und durch diese Zustände eindeutig bestimmt: U := U (2) − U (1),

(6.27)

worin U (2) die innere Energie des Endzustandes und U (1) die innere Energie des Anfangszustandes bezeichnen. Wir sind nun in der Lage, den 1. Hauptsatz der Thermodynamik zu formulieren, der nichts anderes darstellt als den Energieerhaltungssatz für ein thermodynamisches System unter Einbeziehung der mit seiner Umgebung ausgetauschten Wärmeenergie und Arbeit.

Der 1. Hauptsatz

Die Änderung der inneren Energie U eines thermodynamischen Systems ist gleich der Summe aus der dem System zu- oder abgeführten Wärmeenergie Q und der am oder vom System verrichteten Arbeit W , d. h., es gilt: U = Q + W

(6.28) 

Bemerkungen: • Q und W können positiv oder negativ sein. Wird dem System Wärmeenergie zugeführt, so ist Q > 0 J , gibt dagegen das System Wärmeenergie ab, so ist Q < 0 J . Entsprechend ist W > 0 J , wenn am System Arbeit verrichtet wird, und W < 0 J , wenn das System Arbeit verrichtet. • Um z. B. die Temperatur und damit die innere Energie U eines idealen Gases zu erhöhen, können wir dem Gas entweder Wärmeenergie zuführen oder am Gas Arbeit verrichten, was durch Kompression geschieht. In beiden Fällen wird kinetische Energie auf die Gasteilchen übertragen, im ersten Fall mikroskopisch durch die elastischen Stöße zwischen

6.3

Der 1. Hauptsatz der Thermodynamik

233

den Teilchen und der Umgebung (Gefäßwand) und im zweiten Fall makroskopisch durch die Bewegung des Kolbens bei der Kompression. • Wird an einem System Arbeit verrichtet (W > 0 J ), während gleichzeitig das System Wärmeenergie abgibt (Q < 0 J ), so kann die Änderung der inneren Energie U positiv oder negativ sein, je nachdem ob W > |Q| oder W < |Q| gilt und umgekehrt. • Der 1. Hauptsatz bedeutet insbesondere, dass es kein Perpetuum mobile 1. Art gibt, d. h. keine Maschine, die kontinuierlich Arbeit verrichtet, ohne in ihrer Umgebung Veränderungen hervorzurufen, nämlich ihr die entsprechende Energie zu entziehen.  Im Folgenden betrachten wir die Arbeit W , die verrichtet werden muss, um ein Gas von einem Volumen V1 auf das Volumen V2 < V1 zu komprimieren, oder die das Gas bei einer entsprechenden Expansion verrichten muss, sowie einige Folgerungen aus dem 1. Hauptsatz. Druckarbeit  Auf einen Kolben mit der Querschnittsfläche A wirke die Kraft F mit dem Betrag F = | F| senkrecht zu A, sodass auf das Gas im Zylinder der Kolbendruck F (6.29) A ausgeübt wird (siehe Abb. 6.4). Diesem Kolbendruck PK wirkt der Gasdruck P entgegen, wobei sich stets dasjenige Volumen V einstellt, bei dem P = PK gilt. Die Arbeit W , die wir verrichten müssen, um den Kolben um die Strecke s = s2 − s1 zu verschieben und damit das Volumen des Gases um V = V2 − V1 < 0 zu verkleinern, ist gegeben durch: PK =

s2

s2 F ds = −

W =− s1

Abb. 6.4 Zur Druckarbeit

V2 PK · A ds = −

s1

V2 PK d V = −

V1

P dV V1

(6.30)

234

6 Thermodynamik

Bei einer Kompression des Gases verrichten wir am Gas die Arbeit W , sodass wegen V2 < V1 die Arbeit positiv ist, während bei einer Expansion das Gas gegen den Kolbendruck PK dagegen die Arbeit W verrichtet, weshalb wegen V2 > V1 die Arbeit nun negativ ist. Isochore Erwärmung eines Gases Bei einer isochoren Erwärmung eines Gases bleibt das Gasvolumen V konstant, sodass nach (6.30) W = 0 J gilt. Dann führt die dem Gas mit der Stoffmenge n und der molaren Wärmekapazität Cmol,V bei konstantem Volumen zugeführte Wärmeenergie Q allein zur Erhöhung der inneren Energie des Gases, wobei wir mit (6.16) und (6.26) U = Q = Cmol,V · n · T = erhalten. Hieraus folgt sofort Cmol,V =

f 2

f · n · R · T 2

(6.31)

· R (siehe (6.18)).

Adiabatische Kompression eines Gases Bei einer adiabatischen Kompression eines Gases findet kein Wärmeaustausch mit der Umgebung statt, d. h., es gilt Q = 0 J . In diesem Fall führt nach (6.30) die bei der Kompression am Gas verrichtete Arbeit W > 0 J vollständig zu einer Erhöhung der inneren Energie und damit zur Temperaturerhöhung gemäß f · n · R · T . 2 Entsprechend kühlt sich ein Gas bei einer adiabatischen Expansion ab. W = U =

(6.32)

Bemerkung: Um einen Prozess adiabatisch durchzuführen, muss man für eine gute Wärmeisolation des Systems gegen die Umgebung sowie einen schnellen Prozessablauf sorgen, sodass kein Wärmeaustausch mit der Umgebung stattfinden kann.  Isotherme Expansion eines Gases Bei einer isothermen Expansion eines Gases bleibt die Temperatur konstant, sodass sich nach (6.26) die innere Energie des Gases nicht ändert. Aus dem 1. Hauptsatz folgt dann wegen U = Q + W = 0 J ,

(6.33)

dass das Gas während der Expansion die der Arbeit entsprechende Wärmeenergie Q = −W > 0 J aus der Umgebung aufnehmen muss!

(6.34)

6.4

Zustandsänderungen thermodynamischer Systeme

235

Merke:

Verrichtet ein System isotherm Arbeit, dann muss ihm die entsprechende Energie gleichzeitig als Wärmeenergie von außen zugeführt werden. Wird umgekehrt Arbeit am System verrichtet, so muss es gekühlt werden! 

Isobare Expansion eines Gases Bei einer isobaren Expansion eines Gases ist der Druck P konstant, sodass für die vom Gas verrichtete Arbeit nach (6.30) V2 W =−

P d V = − P · (V2 − V1 ) = − P · V < 0

(6.35)

V1

gilt. Wird dem Gas gleichzeitig die Wärmeenergie Q > |W | zugeführt, so dient nur ein Teil dieser Wärmeenergie zur Erhöhung der inneren Energie, d. h. zur Temperaturerhöhung des Gases: U = Q + W = Q − P · V =

f · n · R · T 2

(6.36)

Bemerkung: Aus (6.36) folgt mit (6.31) für die Wärmeenergie: f · n · R · T = P · V + n · Cmol,V · T 2 Bei konstantem Druck P folgt aus dem idealen Gasgesetz P · V = n · R · T , sodass wir Q = P · V +

Q = n · (R + Cmol,V ) · T ≡ n · Cmol,P · T erhalten. Hieraus folgt Cmol,P = R + Cmol,V , und mit Cmol,V =

f 2

R erhalten wir schließlich (siehe (6.19)): Cmol,P =

f +2 ·R 2 

6.4

Zustandsänderungen thermodynamischer Systeme

Ein thermodynamisches System ist durch Grenzflächen von seiner Umgebung getrennt, wobei die Wechselwirkung mit seiner Umgebung im Austausch von Arbeit W und Wärmeenergie Q besteht. Ist das System von seiner Umgebung isoliert, d. h. findet kein Aus-

236

6 Thermodynamik

tausch von Arbeit und Wärmeenergie zwischen System und Umgebung statt, so sprechen wir von einem abgeschlossenen thermodynamischen System. Nach dem 1. Hauptsatz der Thermodynamik folgt dann U = 0J , d. h., die innere Energie eines abgeschlossenen thermodynamischen Systems ist konstant!

6.4.1

Zustandsänderungen und thermodynamisches Gleichgewicht

Vorgänge, die wir in der Natur beobachten, können wir als Zustandsänderungen von Systemen auffassen. Den Zustand eines thermodynamischen Systems (und auch seiner Umgebung) beschreiben wir durch Zustandsgrößen. Durch eine äußere Einwirkung kann der Zustand eines solchen Systems verändert werden, was wir durch eine Änderung der Zustandsgrößen beschreiben. Überlassen wir dann das System sich selbst, so findet aufgrund der Wechselwirkung des Systems mit seiner Umgebung eine weitere Änderung seines Zustandes statt. Nach einer gewissen Zeit stellt sich jedoch ein Zustand ein derart, dass sich die Zustandsgrößen nicht weiter verändern und den wir thermodynamisches Gleichgewicht nennen. Ohne weitere Beeinflussung von außen verbleibt dann das System in diesem Gleichgewichtszustand! Reversible und irreversible Zustandsänderungen In der Natur beobachten wir viele Vorgänge, die von selbst immer nur in einer bestimmten Richtung ablaufen. Die umgekehrten Vorgänge, die nach dem 1. Hauptsatz ebenfalls möglich sind, beobachten wir jedoch nie! Beispiele • Wenn beim Turmspringen ein Sportler von einem 10-Meter-Turm springt, so wird seine potentielle Energie in kinetische Energie und diese dann durch die Reibung beim Eintauchen in das Wasser vollständig in thermische Energie umgewandelt. Den umgekehrten Vorgang, bei dem der sich unter Wasser befindliche Springer durch seine eigene Abkühlung und der seiner Umgebung „Wasser“ diejenige Energie gewinnt, um auf den 10-Meter-Turm zurückzufliegen, beobachten wir nicht. • Bei einem auf einer Ebene bewegten Körper wird aufgrund der Reibung seine gesamte kinetische Energie in thermische Energie umgewandelt. Der umgekehrte Vorgang, dass unter Abkühlung des Körpers und seiner Umgebung ein ruhender Körper beschleunigt wird, findet nicht statt. • Durch Wärmeleitung fließt von selbst Wärme vom Körper höherer Temperatur auf einen mit ihm in Verbindung stehenden kälteren Körper, aber nicht umgekehrt. • Eine Pflanze, die wir in einen luft- und lichtdichten Raum bringen, wird verwelken und verwesen. Den umgekehrten Vorgang haben wir nie beobachtet. • Wenn wir einen mit Gas gefüllten Raum mit einem gasleeren Raum verbinden, dann strömt so lange Gas in den Letzteren, bis sich ein Druckgleichgewicht eingestellt hat.

6.4

Zustandsänderungen thermodynamischer Systeme

237

Dass Gas von selbst aus einem Teil des ihm zur Verfügung stehenden Raumes wieder herausströmt, kommt nicht vor.  Deshalb unterscheiden wir zwei Arten von Zustandsänderungen: reversible und irreversible Zustandsänderungen. Bei einer reversiblen Zustandsänderung befindet sich das System immer im Gleichgewicht mit seiner Umgebung. Solche Zustandsänderungen können rückgängig gemacht werden, ohne dass in der Natur Änderungen zurückbleiben, die beobachtet werden könnten. Bei einer irreversiblen Zustandsänderung befindet sich dagegen das System nicht ständig im Gleichgewicht mit seiner Umgebung. Wenn man solche Zustandsänderungen rückgängig macht, kann man stets irgendwelche Veränderungen in der Natur beobachten. Bemerkung: Man beachte, dass der Begriff der reversiblen Zustandsänderung eine Idealisierung ist. Denn wenn sich ein System im thermodynamischen Gleichgewicht mit seiner Umgebung befindet, dann wird es von selbst diesen Zustand nicht verlassen. Das System muss also durch eine kleine äußere Störung in einen Nichtgleichgewichtszustand überführt werden, aus dem es dann in einen neuen Gleichgewichtszustand übergeht. Die Zustandsänderung besteht dann aus einer Folge benachbarter Gleichgewichtszustände. Im Grenzfall infinitesimaler Störungen erhalten wir dann eine reversible Zustandsänderung.  Beispiel 6.6 Zur Durchführung einer (näherungsweisen) reversiblen Zustandsänderung Eine näherungsweise reversible Temperaturerhöhung eines Körpers kann man wie folgt durchführen: Wir betrachten eine große Zahl von Kalorimetern (siehe Abschn. 6.2.2), deren Temperaturen ausgehend von der Anfangstemperatur T1 in kleinen Schritten bis zur Endtemperatur TN ansteigt. Wir bringen nun einen Körper nacheinander in die einzelnen Behälter und warten jeweils, bis er die Temperatur Ti des entsprechenden Wasserbades i angenommen hat.

238

6 Thermodynamik

Bei dieser Temperaturerhöhung des Körpers von T1 auf TN ist der Körper nahezu im Gleichgewicht mit seiner Umgebung, und je kleiner die Temperaturunterschiede der Wasserbehälter gewählt werden, desto besser stellt die beschriebene Zustandsänderung des Körpers einen reversiblen Prozess dar.  Merke:

Alle realen physikalischen Vorgänge, die wir in der Natur beobachten können, sind irreversibel! 

6.4.2

Zustandsgrößen

Zustandsgrößen, durch die wir den Zustand eines thermodynamischen Systems beschreiben, haben eine wichtige Eigenschaft, die wir im Folgenden ausführlicher diskutieren. Damit der Zustand eines Systems eindeutig durch die Werte von Zustandsgrößen in diesem Zustand festgelegt ist, darf der Wert, den eine Zustandsgröße in diesem Zustand annimmt, nicht davon abhängen, wie das System in den Zustand gebracht wurde, d. h. weder von der Art der Prozessführung (reversibel oder irreversibel) noch vom Weg im Zustandsdiagramm, auf dem der Zustand erreicht wurde (siehe Abb. 6.5).  Mathematisch bedeutet die Wegunabhängigkeit, dass das Kurvenintegral dG wegun

abhängig ist, womit die Änderung der Zustandsgröße G gegeben ist durch  dG G = G(2) − G(1) := 

Abb. 6.5 Zustandsänderungen und Zustandsgrößen

(6.37)

6.4

Zustandsänderungen thermodynamischer Systeme

239

und worin G(2) den Wert der Zustandsgröße im Endzustand und G(1) den Wert von G im Anfangszustand bezeichnen. Beispiele für solche Zustandsgrößen sind Druck P, Volumen V , Temperatur T oder die innere Energie U (siehe (6.27)). Die einem System zugeführte oder abgeführte Wärmeenergie Q und die an einem oder von einem System verrichtete Arbeit W sind jedoch keine Zustandsgrößen, wie das folgende Beispiel zeigt. Beispiel 6.7 Zur isothermen Expansion eines Gases Wir betrachten die isotherme Expansion eines Gases bei einer reversiblen und einer irreversiblen Prozessführung.

Reversible Prozessführung Das Gas verrichtet bei seiner Expansion gegen den äußeren Druck Pa die Arbeit Wr ev . Reversible Prozessführung bedeutet P = Pa ,

(6.38)

worin der Gasdruck P durch das ideale Gasgesetz P ·V =n·R·T

(6.39)

gegeben ist. Für die Arbeit Wr ev erhalten wir dann nach (6.30): V2 Wr ev = −

V2 P dV = − n R T

V1

V1

  1 V2 < 0 d V = − n R T ln V V1

(6.40)

Da die Expansion isotherm durchgeführt werden soll (T = konst), nimmt das Gas während der Expansion den dieser Arbeit entsprechenden Energiebetrag aus seiner Umgebung auf:   V2 Q r ev = − Wr ev = n R T ln > 0 (6.41) V1

240

6 Thermodynamik

Man beachte, dass für die Änderung der inneren Energie U = Q r ev + Wr ev = 0 J

(6.42)

gilt! Irreversible Prozessführung Bei einer vollständig irreversiblen Prozessführung verschwindet der äußere Druck. Damit verrichtet das Gas keine Arbeit und nimmt auch aus der Umgebung keine Wärme auf, d. h., es gilt: Wirr = Q irr = 0 J ,

(6.43)

und für die Änderung der inneren Energie gilt trivialerweise: U = Q irr + Wirr = 0 J

(6.44) 

Zusammenfassend:

• Die zwischen dem System und seiner Umgebung ausgetauschte Wärmeenergie Q und Arbeit W sind also von der Prozessführung abhängig! Ähnlich zeigt man, dass sie auch vom gewählten Weg im Zustandsdiagramm abhängen (siehe Abb. 6.5). • Die Integrale   d Q und dW (6.45) 



sind wegabhängig und hängen von der Prozessführung ab, weshalb die Wärmeenergie Q und die Arbeit W keine Zustandsgrößen sind! 

6.5

Der 2. Hauptsatz der Thermodynamik

Die Entropie Die Erfahrung zeigt nun aber, dass das Integral  1 d Q r ev T 

(6.46)

6.5

Der 2. Hauptsatz der Thermodynamik

241

wegunabhängig und unabhängig von der Prozessführung ist, worin Q r ev die bei der reversiblen Prozessführung und bei der Temperatur T vom System aufgenommene bzw. abgegebene Wärmeenergie bezeichnet. Das bedeutet, dass durch dieses Integral die Änderung einer weiteren Zustandsgröße gegeben ist, die wir Entropie S nennen. Für die Entropieänderung zwischen den Zuständen 1 und 2 gilt damit:   1 d Q r ev , S = S(2) − S(1) = d S := (6.47) T 



worin S(2) den Wert der Entropie des Systems im Endzustand und S(1) den Wert der Entropie im Anfangszustand bezeichnen. Ist insbesondere die Temperatur T während der Zustandsänderung konstant (isotherme Zustandsänderung), so folgt aus (6.47) Q r ev , (6.48) T worin Q r ev die gesamte während der reversiblen, isothermen Zustandsänderung zwischen dem System und seiner Umgebung ausgetauschte Wärmeenergie bezeichnet. Die Dimension der Entropie ist S = S(2) − S(1) =

[S] =

Energie Masse L¨ange2 = , Temperatur Zeit2 Temperatur

(6.49)

und ihre SI-Einheit lautet: J /K . Bemerkungen: • Das Integral (6.47) legt nur die Entropieänderung zwischen einem Anfangs- und Endzustand fest, weshalb es, wie im Falle der potentiellen Energie, keine absolute Entropie gibt. Den Nullpunkt der Entropie können wir also immer beliebig wählen. • Da die Entropie eine Zustandsgröße ist, hängt die Änderung der Entropie nur von den Entropiewerten des Anfangs- und Endzustandes ab. Wenn wir also die Zustandsänderung irreversibel durchführen, so ist auch für diesen Prozess die Entropieänderung durch (6.47) gegeben. • Die Bedeutung der reversiblen Zustandsänderung besteht darin, dass wir die Entropieänderung nach (6.47) berechnen können.  Beispiel 6.8 Zur Entropieänderung eines Gases bei einer isothermen Expansion Bei einer isothermen Expansion eines Gases ändert sich die Entropie des Gases. Da die Entropie eine Zustandsgröße ist, ist diese Entropieänderung unabhängig von der Prozessführung! Da wir aber die Entropieänderung S im Falle einer reversiblen Prozessführung berechnen können, betrachten wir die reversible Zustandsänderung. Mit der während der

242

6 Thermodynamik

reversiblen Expansion des Gases mit der Umgebung ausgetauschten Wärmeenergie (6.41) folgt aus (6.48):     n R T ln VV21 Q r ev V2 S = > 0 (6.50) = = n R ln T T V1   Die Entropie nimmt also bei der Expansion des Gases um n R ln VV21 zu! Experimentell kann man diese Entropieänderung messen, indem man das System in ein Kalorimeter gibt und eine reversible, isotherme Expansion des Gases vom Anfangszustand 1 in kleinen Schritten in den Endzustand 2 durchführt. Im i-ten Schritt misst man die mit der Umgebung ausgetauschte Wärmeenergie Q i,r ev . Die Entropieänderung bei der isothermen Expansion ist dann näherungsweise gegeben durch: S = S(2) − S(1) =

 Q i,r ev Q r ev  T T

(6.51)

i

 Bemerkung: Wie schon bemerkt, hängt die ausgetauschte Wärmeenergie Q vom tatsächlichen Weg im Zustandsdiagramm ab (siehe Abb. 6.5). Bei irreversiblen Zustandsänderungen ist dieser Verlauf jedoch unbekannt! Bei irreversiblen Zustandsänderungen kann man die Entropieänderung also nicht analog zu (6.47) berechnen. Vergleicht man die reversible und irreversible Prozessführung, so findet man Q r ev > Q irr

(6.52)

Wr ev < Wirr ,

(6.53)

U = Q r ev + Wr ev = Q irr + Wirr

(6.54)

und

wobei jedoch nach dem 1. Hauptsatz

gilt. Für irreversible Zustandsänderungen erhalten wir also nach (6.52) anstelle von (6.47)  1 d Q irr (6.55) S = S(2) − S(1) > T 

und im Spezialfall einer isothermen Zustandsänderung (vgl. (6.48)) S = S(2) − S(1) >

Q irr , T

(6.56)

6.5

Der 2. Hauptsatz der Thermodynamik

243

worin Q irr die während der irreversiblen, isothermen Zustandsänderung ausgetauschte Wärmeenergie bezeichnet.  Wir sind nun in der Lage, den 2. Hauptsatz der Thermodynamik zu formulieren, der eine Aussage über die Entropiebilanz eines thermodynamischen Systems und seiner Umgebung macht. Der 2. Hauptsatz

Befindet sich ein thermodynamisches System, das mit seiner Umgebung vom Rest des Universums isoliert ist, nicht im thermodynamischen Gleichgewicht, so verlaufen alle irreversiblen Zustandsänderungen in einer bestimmten Richtung ab, die dadurch ausgezeichnet ist, dass hierbei die Entropie des Systems und seiner Umgebung zunimmt. Ist der thermodynamische Gleichgewichtszustand erreicht, dann bleibt die Entropie konstant, und die Entropie des Systems besitzt in jedem Gleichgewichtszustand einen eindeutig bestimmten Wert. Zustandsänderungen eines thermodynamischen Systems, das mit seiner Umgebung von dem Rest des Universums isoliert ist, können nicht von selbst ablaufen, wenn dabei die Entropie des Systems und seiner Umgebung abnimmt: S > 0 f¨ur einen irreversiblen Prozess S = 0 im thermodynamischen Gleichgewicht S < 0 ist f¨ur ein System, das mit seiner Umgebung vom Rest des Universums isoliert ist, nicht m¨oglich

(6.57)



Merke:

Der 2. Hauptsatz macht eine Aussage über den Verlauf von Vorgängen: Von selbst verlaufen nur Vorgänge ab, bei denen die Entropie des Systems und seiner Umgebung zunimmt.  Bemerkungen: • Man beachte, dass sich in (6.57) die Entropieänderung S auf das System und seine Umgebung als Ganzes bezieht. • Insbesondere ist die Entropie des Systems und seiner Umgebung bei einer reversiblen Zustandsänderung konstant. Nimmt also z. B. die Entropie bei der reversiblen Expansion eines Gases nach (6.50) zu, so nimmt entsprechend die Entropie der Umgebung um den gleichen Betrag ab. • Zustandsänderungen, bei denen die Entropie des Systems abnimmt, sind möglich, wenn dabei die Entropie der Umgebung entsprechend zunimmt.

244

6 Thermodynamik

• Die Entropie des Systems und seiner Umgebung kann durchaus abnehmen, wobei für diese Entropieänderung jedoch von außen eine Energiezufuhr notwendig ist.  Zu einem tieferen Verständnis der Entropie und des 2. Hauptsatzes gelangt man, wenn man den Zusammenhang zwischen Entropie und Wahrscheinlichkeit betrachtet. Die Entropie ist ein Maß für die Zahl der möglichen „Mikrozustände“ und damit ein Maß für die Wahrscheinlichkeit des betrachteten „Makrozustandes“ eines Systems. Hierzu betrachten wir als ein Beispiel eine Schachtel, die wir zur Hälfte mit schwarzem Sand füllen und darüber ebenso viel weißen Sand schichten. Wenn wir nun die Schachtel eine Zeitlang schütteln, ist das Ergebnis „Mischmasch“. Nie wieder wird sich durch Schütteln der ursprüngliche geordnete Zustand von selbst wieder einstellen. Der Übergang von Ordnung zur Unordnung, bewirkt durch Mischen, ist ein typisch irreversibler Prozess, und er findet deshalb von selbst statt, weil der ungeordnete Zustand sehr viel wahrscheinlicher ist als der geordnete. Statt zu sagen, „ein Vorgang findet von allein statt, weil dabei ein Zustand niedrigerer Entropie in einen Zustand höherer Entropie übergeht“, kann man auch sagen, dass der Vorgang deshalb von allein stattfindet, „weil ein unwahrscheinlicherer Zustand in einen wahrscheinlicheren Zustand übergeht“.

6.6

Wärmekraftmaschinen

Unter einer Wärmekraftmaschine verstehen wir eine Vorrichtung, die nichts anderes bewirkt, als thermische Energie in Arbeit umzuwandeln, sich aber dabei nicht verändert. Dies wird dadurch erreicht, dass die Maschine einen Kreisprozess durchläuft, wobei sie stets wieder in den Ausgangszustand zurückkehrt. Wie aber funktioniert eine solche Wärmekraftmaschine? Perpetuum mobile 2. Art Im einfachsten Fall könnte eine Wärmekraftmaschine einem Wärmereservoir, das eine Temperatur T besitzt, bei jedem Umlauf eine bestimmte Wärmeenergie Q > 0 entziehen und in Form von Arbeit W nach außen abgeben (siehe Abb. 6.6). Eine solche Maschine heißt

Abb. 6.6 Perpetuum mobile 2. Art

6.6 Wärmekraftmaschinen

245

Perpetuum mobile 2. Art. Sie ist nach dem 1. Hauptsatz möglich, sofern W = −Q gilt. Mit einem solchen Perpetuum mobile 2. Art könnte man also dem Meer Wärmeenergie entziehen und die von dieser Maschine verrichtete Arbeit zum Antrieb eines Schiffes verwenden. Eine solche Maschine ist jedoch nach dem 2. Hauptsatz nicht möglich!

Zur Konstruktion einer Wärmekraftmaschine Eine Wärmekraftmaschine können wir jedoch unter Verwendung zweier Wärmereservoirs konstruieren (siehe Abb. 6.7). Hierbei entnimmt die Maschine K dem Wärmereservoir 1 mit der Temperatur T1 die Wärmeenergie Q 1 > 0 und gibt an das Reservoir 2 mit einer Temperatur T2 < T1 die Wärmeenergie −Q 2 mit 0 < Q 2 < Q 1 ab. Die Differenz dieser Wärmeenergien W = −(Q 1 −Q 2 ) entspricht dann der von der Maschine verrichteten Arbeit. Führen wir den Prozess reversibel durch, so gilt für die Entropiebilanz der Maschine: S =

Q1 Q2 − =0 T1 T2

(6.58)

Damit folgt für das Verhältnis der Wärmeenergien: Q1 T1 = Q2 T2

(6.59)

Der Wirkungsgrad η einer Wärmekraftmaschine ist definiert als das Verhältnis des Betrages der verrichteten Arbeit W und der zugeführten Wärmeenergie Q 1 . Mit (6.59) folgt: |W | Q1 − Q2 η := = = Q1 Q1

Abb. 6.7 Zur Funktionsweise einer Wärmekraftmaschine

Q1 Q2 − 1 Q1 Q2

=

T1 T2

−1 T1 T2

=

T1 − T2 T1

(6.60)

246

6 Thermodynamik

Bemerkungen: • Bei dem beschriebenen Vorgang wird stets ein Teil der thermischen Energie des wärmeren Reservoirs zum kälteren Reservoir transportiert, sodass dieser Anteil nicht nutzbar ist. Das bedeutet letztlich, dass thermische Energie nie vollständig in andere Energieformen umgewandelt werden kann! • Da T2 = 0 K nicht möglich ist, hat jede Wärmekraftmaschine einen Wirkungsgrad, der kleiner als 1 ist! • Bei einer Wärmepumpe verläuft der Prozess genau umgekehrt. Hierbei dient die am System verrichtete Arbeit dazu, Wärmeenergie vom Reservoir 2 zum Reservoir 1 zu „pumpen“ (siehe Abb. 6.8).  Wie aber funktioniert die Umwandlung von thermischer Energie in Arbeit? Der Carnot’sche Kreisprozess Der Carnot’sche Kreisprozess ist ein idealisiertes Modell, das die Umwandlung von Wärmeenergie in Arbeit verdeutlicht. Als „Arbeitsmedium“ dient ein ideales Gas. Ferner basiert der Carnot’sche Kreisprozess auf vier reversiblen Zustandsänderungen (siehe Abb. 6.9).

Abb. 6.8 Zur Funktionsweise einer Wärmepumpe

6.6 Wärmekraftmaschinen

247

Abb. 6.9 Der Carnot’sche Kreisprozess

(i) Während der isothermen Expansion vom Zustand 1 in den Zustand 2 verrichtet das Gas nach (6.41) die Arbeit   V2 W1 = − n R T1 · ln = −Q 1 < 0 J , (6.61) V1 wobei der entsprechende Energiebetrag dem Gas vom Wärmereservoir 1 als Wärmeenergie Q 1 zugeführt wird. (ii) Im Verlauf der adiabatischen Expansion vom Zustand 2 in den Zustand 3 erfolgt kein Wärmeaustausch mit der Umgebung, sodass die vom Gas verrichtete Arbeit W2 der Abnahme der inneren Energie U entspricht infolge der Abkühlung des Gases auf die Temperatur T2 . Nach (6.31) gilt: W2 = U =

f · n · R · T = Cmol,V · n · (T2 − T1 ) < 0 J 2

(6.62)

(iii) Während der isothermen Kompression vom Zustand 3 in den Zustand 4 wird nun am Gas die Arbeit     V4 V3 W3 = −n R T2 · ln = n R T2 · ln = Q2 > 0 J (6.63) V3 V4 verrichtet, die als Wärmeenergie −Q 2 < 0 J an das Wärmereservoir 2 abgegeben wird. (iv) Schließlich führt die im Verlauf der anschließenden adiabatischen Kompression vom Zustand 4 in den Zustand 1 am Gas verrichtete Arbeit W4 zur Erhöhung der inneren Energie U des Gases, die mit der Temperaturerhöhung von T2 auf T1 verbunden ist. Somit gilt: W4 = U = Cmol,V · n · (T1 − T2 ) > 0 J

(6.64)

248

6 Thermodynamik

Bilden wir nun die Summe der Ausdrücke (6.61)–(6.64), so folgt wegen W2 + W4 = 0 J , dass das Gas während eines Umlaufes insgesamt die Arbeit 

V3 W = W1 + W2 + W3 + W4 = n R T2 · ln V4





V2 − n R T1 · ln V1

 (6.65)

verrichtet. Aufgrund der Adiabatengleichung (5.84) gilt P2 · V2 κ = P3 · V3 κ und P1 · V1 κ = P4 · V4 κ ,

(6.66)

woraus wir (P2 · V2 ) V2 κ−1 = (P3 · V3 ) V3 κ−1 und (P1 · V1 ) V1 κ−1 = (P4 · V4 ) V4 κ−1

(6.67)

erhalten. Für die Isothermen gilt P1 · V1 = n · R · T1 = P2 · V2 und P4 · V4 = n · R · T2 = P3 · V3 ,

(6.68)

womit wir durch Division der Gl. (6.67) (V2 /V1 )κ−1 = (V3 /V4 )κ−1 ,

(6.69)

V2 V3 = V4 V1

(6.70)

also

erhalten. Insgesamt folgt für die von der Maschine an der Umgebung verrichtete Arbeit:     V2 V2 W = n R (T2 − T1 ) · ln = −n R (T1 − T2 ) · ln < 0J (6.71) V1 V1

7

Schwingungen

Inhaltsverzeichnis 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5

7.6

Grundlegende Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die ungedämpfte harmonische Schwingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die gedämpfte harmonische Schwingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erzwungene Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Überlagerung von harmonischen Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5.1 Die Überlagerung zweier harmonischer Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5.2 Die Überlagerung beliebig vieler harmonischer Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . Gekoppelte Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

250 254 257 262 267 267 273 276

Neben geradlinigen Bewegungen und Drehbewegungen spielen in der Natur Schwingungen eine wichtige Rolle, die wir in diesem Kapitel ausführlicher diskutieren. Zunächst führen wir einige grundlegende Begriffe ein und verallgemeinern dann die in Abschn. 3.4.2 diskutierte ungedämpfte harmonische Schwingung eines elastischen Federpendels. Ein realer Oszillator wird jedoch z. B. aufgrund von Reibungseffekten permanent Energie an seine Umgebung abgeben, weshalb die Amplitude der Schwingung kontinuierlich abnimmt. Wir sprechen dann von einer gedämpften Schwingung. Ferner können wir durch Ausübung einer äußeren Kraft über eine mehr oder weniger starke Verbindung, die wir Kopplung nennen, auf einen Oszillator einwirken und eine Schwingung erzwingen. Dabei verrichten wir am System Arbeit und pumpen Energie in das schwingungsfähige System. Andererseits kann ein Oszillator gleichzeitig mehrere Schwingungen durchführen, die sich dann ungestört überlagern. Diesbezüglich diskutieren wir einige wichtige Spezialfälle zur Überlagerung von harmonischen Schwingungen sowie das Theorem von Fourier, das besagt, dass jede periodische Bewegung als eine Überlagerung von i. Allg. unendlich vielen harmonischen Schwingungen aufgefasst werden kann. Wenn wir schließlich mehrere Oszillatoren koppeln, dann beeinflussen sich die Schwingungen der Oszillatoren gegenseitig. Das System der Oszillatoren führt dann eine gekoppelte Schwingung durch, wobei wir als ein Beispiel die gekoppelten Schwingungen zweier harmonischer Oszillatoren diskutieren [13, 14, 18]. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Rufa, Physik für Studierende der Biowissenschaften, Chemie und Medizin, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61258-3_7

249

250

7.1

7 Schwingungen

Grundlegende Begriffe

Was verstehen wir unter einer Schwingung? Ein Vorgang, der sich in festen zeitlichen Abständen wiederholt, heißt periodisch. Eine Schwingung ist ein periodischer Vorgang, mit dem eine sich periodisch wiederholende Umwandlung von Energieformen verknüpft ist, wie z. B. eine Umwandlung von kinetischer und potentieller Energie oder von elektrischer und magnetischer Energie. Ein System, das Schwingungen durchführen kann, heißt Oszillator. Unter der Schwingungsdauer T verstehen wir die Zeitspanne für genau eine Schwingung. Ferner gibt die Frequenz ν die Zahl der Schwingungen pro Sekunde an. Ihre SI-Einheit heißt Hertz (Hz), und es gilt H z = 1/s. Zwischen der Frequenz und der Schwingungsdauer besteht der Zusammenhang 1 . T Die Kreisfrequenz ω der Schwingung ist schließlich definiert durch ν=

ω = 2π · ν =

2π , T

(7.1)

(7.2)

und sie besitzt die SI-Einheit 1/s. Beispiel 7.1 Periodische Bewegung und Schwingung • Die gleichförmige Kreisbewegung (siehe Abschn. 3.1) ist eine periodische Bewegung, aber keine Schwingung, da mit ihr keine periodische Umwandlung von Energieformen verbunden ist! Die kinetische und potentielle Energie des Massenpunktes ist während des gesamten Bewegungsablaufes konstant! • Die Bewegung eines elastischen Federpendels ist periodisch (siehe Abschn. 3.4.2). Da ferner während des Bewegungsablaufes eine periodische Umwandlung von kinetischer und potentieller Energie stattfindet, führt das Federpendel eine Schwingung durch.  Wie kommt es zu einer Schwingung? Voraussetzung dafür, dass ein System wie z. B. ein Federpendel, ein zweiatomiges Molekül oder ein elektrischer Schwingkreis eine Schwingung durchführen kann, sind Kräfte, die das System in eine stabile Gleichgewichtslage binden. Wenn man das System in irgendeiner Weise aus dieser Gleichgewichtslage auslenkt, wirken rücktreibende Kräfte FR K , die zur Gleichgewichtslage gerichtet sind. Überlässt man dann das System sich selbst, so bewirken diese rücktreibenden Kräfte eine Schwingung um die Gleichgewichtslage.

7.1

Grundlegende Begriffe

251

Abb. 7.1 Die Kräfte beim Federpendel

Beispiel 7.2 Die Kräfte beim Federpendel Betrachten wir hierzu nochmals das Federpendel (siehe Abb. 7.1). Auf den Massenpunkt  und die betragsmäßig proportional zur Auslenkung wirken die konstante Schwerkraft G zunehmende Federkraft FF , die einander entgegengerichtet sind. In der Gleichgewichtslage sind beide Kräfte betragsmäßig gleich. Lenken wir die Masse nach unten aus, so wird die Federkraft betragsmäßig größer als die Schwerkraft und erzeugt eine rücktreibende Kraft, die zur Ruhelage gerichtet ist. Schwingt die Masse über die Ruhelage hinaus, so wird die Federkraft betragsmäßig kleiner als die Schwerkraft, die nun ihrerseits eine rücktreibende Kraft in Richtung Ruhelage hervorruft. Sich selbst überlassen führen diese rücktreibenden Kräfte zu Schwingungen des Federpendels um die Gleichgewichtslage.  Wie beschreiben wir eine Schwingung? Eine Schwingung beschreiben wir durch eine sich periodisch ändernde physikalische Größe, die wir Schwingungsgröße nennen. Im Falle mechanischer Systeme ist die Schwingungsgröße die Auslenkung x(t) aus der Ruhelage, die wir auch Elongation nennen. Im Falle elektromagnetischer Oszillatoren werden wir die elektrische Stromstärke I (t) oder die Spannung U (t) als Schwingungsgrößen kennenlernen (siehe Abschn. 10.6.3). Der betragsmäßig größte Wert der Schwingungsgröße heißt Amplitude A der Schwingung. Der momentane Schwingungszustand des Systems heißt Phase. Die Phase oder der Zustand eines Massenpunktes ist zu einem beliebigen Zeitpunkt t festgelegt durch seinen Ort und seine Geschwindigkeit zum betrachteten Zeitpunkt. So sprechen wir z. B. beim Federpendel von der „Phase der maximalen Auslenkung des Massenpunktes in x-Richtung“ oder der „Phase der maximalen Geschwindigkeit des Massenpunktes in negativer x-Richtung“. Tragen wir die Schwingungsgröße gegen die Zeit t auf, so erhalten wir ein Oszillogramm. Geräte zur Darstellung von Oszillogrammen heißen Oszillographen. Für verschiedene Schwingungen zeigen die Oszillogramme eine charakteristische Gemeinsamkeit: Sie

252

7 Schwingungen

bestehen aus einer periodischen Folge von Maxima und Minima. Die konkreten Graphen der Schwingungsgrößen unterscheiden sich jedoch in der Regel voneinander. Beispiel 7.3 Oszillogramme einiger Schwingungen Tragen wir die Auslenkung x(t) des Federpendels gegen die Zeit auf, so erhalten wir das Oszillogramm einer ungedämpften harmonischen Schwingung (siehe Abschn. 3.4.2).

Lassen wir einen elastischen Ball aus der Höhe h 0 reibungsfrei fallen, und tragen wir die Höhe h(t) als Funktion der Zeit auf, so erhalten wir das folgende Oszillogramm.

7.1

Grundlegende Begriffe

253

Schalten wir eine Gleichspannungsquelle (Batterie) periodisch ein und aus, so entsteht ein Rechteckimpuls.

Das Elektrokardiogramm (EKG) entsteht aufgrund einer Potentialdifferenz, d. h. Spannung (siehe Abschn. 10.2.3), zwischen zwei verschiedenen Punkten der Körperoberfläche, die durch die periodische Herztätigkeit hervorgerufen wird.

 Harmonische und nichtharmonische Schwingungen Ändert sich die Schwingungsgröße mit der Zeit sinusförmig, so heißt die Schwingung harmonisch. Wie die Beispiele zeigen, gibt es harmonische und nichtharmonische Schwingungen. Die Bedeutung der harmonischen Schwingung liegt einerseits darin, dass jede Schwingung bei genügend kleiner Schwingungsamplitude näherungsweise harmonisch ist (siehe Beispiel 7.5), und andererseits darin, dass man jede beliebige nichtharmonische periodische Bewegung auffassen kann als eine Überlagerung, d. h. Addition, von i. Allg. unendlich vielen harmonischen Schwingungen.

254

7.2

7 Schwingungen

Die ungedämpfte harmonische Schwingung

Beobachten wir einen realen Oszillator nur eine kurze Zeitspanne, sodass in dieser Zeit der Verlust an Schwingungsenergie vernachlässigbar ist, so sprechen wir von einer ungedämpften Schwingung, bei der die Amplitude also zeitlich konstant ist. Wie aber kommt eine harmonische Schwingung zustande? Wir betrachten im Folgenden ein schwingungsfähiges mechanisches System und bezeichnen mit x(t) die Auslenkung aus seiner Gleichgewichtslage. Wenn die rücktreibende Kraft proportional zur Auslenkung ist, d. h., wenn FR K (t) = − D · x(t)

(7.3)

mit einer Proportionalitätskonstanten D gilt, so heißt die Kraft harmonisch. Ein Beispiel für eine harmonische Kraft ist die Federkraft (siehe Abschn. 3.3.2). Eine harmonische rücktreibende Kraft ruft eine harmonische Schwingung hervor, und ein schwingungsfähiges System, das eine harmonische Schwingung durchführt, heißt harmonischer Oszillator. Die Bewegungsgleichung des ungedämpften harmonischen Oszillators Setzen wir (7.3) in das zweite Newton’sche Gesetz Fges = m · a ein, so erhalten wir die Bewegungsgleichung des ungedämpften harmonischen Oszillators (siehe Abschn. 3.4.2) − D · x(t) = m ·

d 2 x(t) dt 2

oder d 2 x(t) + ω0 2 · x(t) = 0 dt 2

(7.4)

mit  ω0 =

D . m

(7.5)

Die Lösung Die allgemeine Lösung der Differentialgleichung (7.4) lautet: x(t) = x0 · sin(ω0 t + ϕ)

(7.6)

Diskussion Eine harmonische Schwingung besitzt also ein sinusförmiges Oszillogramm und umgekehrt. x(t) bezeichnet die Auslenkung des Systems aus der Gleichgewichtslage zum Zeitpunkt t und x0 die Amplitude der Schwingung, die für eine ungedämpfte Schwingung eine Konstante

7.2

Die ungedämpfte harmonische Schwingung

255

ist! Ferner ist die Kreisfrequenz ω0 der ungedämpften harmonischen Schwingung gegeben durch: 2π ω0 = 2 π · ν0 = = T0



D m

(7.7)

Hierin bezeichnen T0 die Schwingungsdauer und ν0 die Eigenfrequenz der ungedämpften harmonischen Schwingung, weil der Oszillator mit dieser Frequenz schwingt, wenn er sich selbst überlassen ist. ϕ heißt Phasenwinkel. Er hat folgende Bedeutung (siehe Abb. 7.2): • Zwei Schwingungen mit der gleichen Eigenfrequenz, die sich jedoch im Phasenwinkel unterscheiden, erreichen in einem festen zeitlichen Abstand den gleichen Schwingungszustand oder die gleiche Phase. • Mithilfe des Phasenwinkels kann die Phase oder der Schwingungszustand zu einem beliebigen Zeitpunkt festgelegt werden. Man wählt üblicherweise den Anfangszeitpunkt t = 0 s. Beispiel 7.4 Zum Phasenwinkel Wir betrachten im Folgenden zwei harmonische Schwingungen mit der gleichen Eigenfrequenz ν0 , die sich im Phasenwinkel unterscheiden. Wir beschreiben sie durch: x1 (t) = A1 · sin(ω0 t), ϕ = 0 x2 (t) = A2 · sin(ω0 t + ϕ), ϕ > 0 Die Schwingungsgröße x2 (t) erreicht also eine Zeitspanne von  t = gleichen Schwingungszustand als x1 (t).

Abb. 7.2 Zum Phasenwinkel

ϕ ω0

früher den 

256

7 Schwingungen

Die Energie des ungedämpften harmonischen Oszillators Mit einer Schwingung ist eine periodische Umwandlung von Energieformen verbunden, bei mechanischen Systemen eine Umwandlung von kinetischer und potentieller Energie, bei elektrischen Systemen dagegen von elektrischer und magnetischer Energie (siehe Kap. 10). Für die Gesamtenergie des harmonischen Oszillators gilt: 1 · D · x02 = konstant, (7.8) 2 worin D die Stärke der rücktreibenden Kraft kennzeichnet (siehe (7.3)) und x0 die Amplitude bezeichnet. Bei einem ungedämpften harmonischen Oszillator ist die Amplitude und damit die Gesamtenergie konstant! E ges =

Merke:

Konstanz der Amplitude bedeutet Konstanz der Energie!



Beispiel 7.5 Harmonische Oszillatoren Das Federpendel führt eine ungedämpfte harmonische Schwingung durch, die wir in Abschn. 3.4.2 ausführlich diskutiert haben. Im Folgenden betrachten wir als ein weiteres Beispiel das Fadenpendel. Als Fadenpendel oder mathematisches Pendel bezeichnen wir einen Körper mit der Masse m, der an einem masselosen Faden der Länge l hängt (siehe Abb. 7.3). Die Gleichgewichtslage befindet sich senkrecht unter dem Aufhängepunkt. Lenkt man den Massenpunkt um den Winkel ϕ bzw. den Kreisbogen s = ϕ · l aus, so wirkt die tangentiale Komponente der Schwerkraft Ft = −G · sin ϕ als rücktreibende Kraft

Abb. 7.3 Zum Fadenpendel

7.3

Die gedämpfte harmonische Schwingung

257

mit FR K (t) = Ft (t) = − G · sin ϕ(t) = − m g sin ϕ(t),

(7.9)

2

die nicht harmonisch ist. Sie ruft die Bahnbeschleunigung a(t) = d dts(t) hervor. Setzen 2 wir diese rücktreibende Kraft in das zweite Newton’sche Gesetz Fges = m · a ein, so folgt − m g sin ϕ(t) = m ·

d 2 s(t) , d t2

und mit s(t) = l · ϕ(t) erhalten wir d 2 ϕ(t) + g · sin ϕ(t) = 0. (7.10) dt 2 Wegen des Sinus ist (7.10) für beliebige Winkel ϕ keine Differentialgleichung des harmonischen Oszillators! Für kleine Winkel gilt jedoch sinϕ  ϕ, womit wir l·

d 2 ϕ(t) g (7.11) + · ϕ(t) = 0 dt 2 l erhalten, sodass also für kleine Winkel das mathematische Pendel eine ungedämpfte harmonische Schwingung mit der Kreisfrequenz  ω0 =

2π g = l T0

(7.12)

bzw. der Schwingungsdauer  T0 = 2 π ·

l g

(7.13)

durchführt. Man beachte, dass die Schwingungsdauer nicht von der Masse, sondern nur von der Länge l des Fadens abhängt. 

7.3

Die gedämpfte harmonische Schwingung

Bei einem realen Oszillator nimmt die Amplitude infolge eines permanenten Verlustes von Schwingungsenergie, z. B. aufgrund von Reibungseffekten, kontinuierlich ab. Wir sprechen dann von einer gedämpften Schwingung. Im Folgenden betrachten wir als wichtigen Spezialfall die gedämpfte harmonische Schwingung. Die Bewegungsgleichung des gedämpften harmonischen Oszillators Die Reibungskraft ist der Bewegung entgegengerichtet, und wir nehmen an, dass sie proportional zur Geschwindigkeit ist (siehe Abschn. 3.3.3), d. h., es gelte:

258

7 Schwingungen

d x(t) (7.14) dt Die auf den Oszillator wirkende Gesamtkraft ist dann gegeben durch die Summe aus der Reibungskraft und der rücktreibenden Kraft: FR (t) = − k · v(t) = − k ·

d x(t) (7.15) dt Setzen wir diese Gesamtkraft in das zweite Newton’sche Gesetz ein, so erhalten wir die Bewegungsgleichung des gedämpften harmonischen Oszillators: Fges (t) = FR K (t) + FR (t) = − D · x(t) − k ·



d 2 x(t) d x(t) + D · x(t) = 0 +k· dt 2 dt

(7.16)

Die Lösung Die allgemeine Lösung der Differentialgleichung (7.16) lautet (siehe Abb. 7.4): x(t) = x0 (t) · sin(ωe t + ϕ)

(7.17)

Diskussion Auch bei der gedämpften harmonischen Schwingung bezeichnet x(t) die Auslenkung des Oszillators aus seiner Gleichgewichtslage zum Zeitpunkt t. Im Gegensatz zur ungedämpften harmonischen Schwingung ist jedoch die Amplitude zeitabhängig. Bezeichnet x0 die Amplitude zum Anfangszeitpunkt t = 0 s, so gilt: x0 (t) = x0 · e−δ·t ,

Abb. 7.4 Das Oszillogramm der gedämpften harmonischen Schwingung für ϕ = 0

(7.18)

7.3

Die gedämpfte harmonische Schwingung

259

d. h., sie nimmt exponentiell mit der Zeit ab (siehe Abb. 7.4). Die Konstante k (7.19) 2m heißt Dämpfungskonstante. Je stärker die Dämpfung, d. h. je größer δ ist, desto schneller nimmt die Amplitude ab. Diesen zeitlichen Abfall beschreiben wir durch die Halbwertszeit t1/2 . Das ist diejenige Zeit, in der die Amplitude auf die Hälfte des Anfangswertes x0 abgefallen ist (siehe Abb. 7.4), d. h., für die δ :=

x0 (t1/2 ) :=

x0 = x0 · e−δ·t1/2 2

(7.20)

gilt. Hieraus folgt 1 = e−δ·t1/2 2 − ln2 = ln

|

ln

1 = ln e−δ·t1/2 = − δ · t1/2 , 2

sodass wir für die Halbwertszeit ln2 (7.21) δ erhalten. In der Abklingzeit τ ist die Amplitude per Definition auf den e-ten Teil des Anfangswertes x0 abgefallen, d. h., es gilt t1/2 =

x0 (τ ) :=

x0 = x0 · e−1 = x0 · e−δ·τ , e

(7.22)

woraus δ · τ = 1, d. h. 1 (7.23) δ folgt. Zwischen der Halbwertszeit und der Abklingzeit gilt nach (7.21) und (7.23) der Zusammenhang τ=

t1/2 = ln2 · τ.

(7.24)

Der Phasenwinkel ϕ beschreibt wie bei der ungedämpften harmonischen Schwingung den Schwingungszustand oder die Phase. Die Kreisfrequenz ωe der gedämpften harmonischen Schwingung ist schließlich gegeben durch:  ωe = ω0 2 − δ 2 =

 k2 D − m 4 m2

(7.25)

Sie ist gegenüber der ungedämpften harmonischen Schwingung nach kleineren Werten hin verschoben!

260

7 Schwingungen

Merke:

Dämpfung senkt die Frequenz!



Die Dämpfung kann so stark sein, dass überhaupt keine Schwingung mehr stattfindet. In Abhängigkeit von ω0 und δ unterscheiden wir drei Fälle: (1) Der Schwingfall Ist ω0 > δ, d. h. 4 m D > k 2 , so ist ωe reell und positiv. Der Oszillator führt dann eine gedämpfte harmonische Schwingung, wie in Abb. 7.4 dargestellt, durch. (2) Der aperiodische Grenzfall Ist ω0 = δ, d. h. 4 m D = k 2 , so ist ωe = 0 s −1 , und es gilt für die Schwingungsgröße: x(t) = x0 · sin ϕ · e−δ·t

(7.26)

Es findet also überhaupt keine Schwingung um die Gleichgewichtslage mehr statt. Die Dämpfung ist so groß, dass das System exponentiell in die Gleichgewichtslage zurückkehrt. (3) Der Kriechfall Ist ω0 < δ, d. h. 4 m D < k 2 , so ist ωe rein imaginär, also eine komplexe Zahl. Auch in diesem Fall findet keine Schwingung um die Gleichgewichtslage statt; sondern der Oszillator kehrt ebenfalls exponentiell in die Gleichgewichtslage zurück, allerdings mit einer kleineren Dämpfungskonstanten:  

δ =δ−

D k2 − 4 m2 m

(7.27)

Im Kriechfall benötigt der Oszillator also länger als im aperiodischen Grenzfall, um in die Gleichgewichtslage zurückzukehren. Die Energie des gedämpften harmonischen Oszillators Auch beim gedämpften harmonischen Oszillator findet eine Umwandlung zwischen verschiedenen Energieformen statt, wobei jedoch die Schwingungsenergie des Oszillators aufgrund von z. B. Reibungseffekten kontinuierlich abnimmt. Für die Schwingungsenergie gilt E ges (t) = worin E 0 =

1 2

1 1 · D · x0 (t)2 = · D · x02 · e−2δt = E 0 · e−2δt , 2 2

(7.28)

D x02 die Gesamtenergie zum Anfangszeitpunkt t = 0 s bezeichnet.

7.3

Die gedämpfte harmonische Schwingung

261

Zur Halbwertszeit t1/2 ist die Energie auf die Hälfte abgefallen, d. h., es gilt: E ges (t1/2 ) :=

1 · E 0 = E 0 · e−2δt1/2 2

Hieraus folgt (vgl. 7.21): ln2 2δ Nach der Abklingzeit τ ist sie auf den e-ten Teil abgefallen. Aus t1/2 =

E ges (τ ) :=

(7.29)

1 · E 0 = E 0 · e−2δτ e

folgt (vgl. 7.23): 1 (7.30) 2δ Auch im Falle der Energie gilt zwischen der Halbwertszeit und der Abklingzeit der Zusammenhang τ=

t1/2 = ln2 · τ.

(7.31)

Beispiel 7.6 Zur Energie des gedämpften Federpendels Wir betrachten ein gedämpftes Federpendel, das zum Zeitpunkt t = 0 s die Gesamtenergie E 0 = 0,08 J besitzen möge und das ferner mit der Schwingungsdauer T = 0,7 s schwingt. Die Energie des Federpendels nimmt infolge von Reibungseffekten in der Zeit t1/2 = 9,5 s auf die Hälfte ab. Aus t1/2 = ln2 2 δ erhalten wir dann für die Dämpfungskonstante δ=

ln2 ln2 = 0,036 s −1 = 2 · t1/2 19 s

sowie für die Abklingzeit t1/2 9,5 s = = 13,7 s. ln 2 ln2 Nach einer Schwingung ist die Energie des Federpendels auf den Wert τ=

E ges (T ) := E 0 · e−2δT = 0,08 J · e−2 · 0,036 s

−1 · 0,7 s

= 0,076 J

abgefallen. Der Energieverlust während der ersten Schwingung beträgt damit: E = E 0 − E(T ) = 0,08 J − 0,076 J = 0,004 J 

262

7 Schwingungen

7.4

Erzwungene Schwingungen

Eine äußere Kraft kann über eine mehr oder weniger starke Verbindung, die wir Kopplung nennen, auf ein schwingungsfähiges System einwirken. Wie reagiert der Oszillator auf die Einwirkung dieser Kraft? Die Bewegungsgleichung Wir betrachten im Folgenden einen gedämpften harmonischen Oszillator, der, wenn man ihn sich selbst überlässt, mit der Kreisfrequenz ωe schwingt. Auf diesen Oszillator wirke nun eine weitere sinusförmige äußere Kraft F(t) = F0 · sin ωt, die zur Rückstellkraft und zur Reibungskraft hinzukommt. Die auf den Oszillator wirkende Gesamtkraft ist dann gegeben durch:

Fges (t) = F(t) + FR K (t) + FR (t) = F0 · sin ωt − D · x(t) − k ·

d x(t) dt

(7.32)

Setzen wir diese Gesamtkraft in das zweite Newton’sche Gesetz ein, so erhalten wir die Bewegungsgleichung des Oszillators in der Form m·

d x(t) d 2 x(t) + D · x(t) = F0 · sin ωt. +k· dt 2 dt

(7.33)

Die Lösung Die Reaktion des Oszillators auf die Einwirkung der äußeren Kraft ist eine erzwungene Schwingung. Das bedeutet, dass der Oszillator eine harmonische Schwingung durchführt, allerdings nicht mit der Kreisfrequenz ωe , sondern mit der Kreisfrequenz ω der äußeren Kraft. Ferner besteht eine Phasendifferenz zwischen der äußeren Kraft und der Oszillatorschwingung, die wie die Amplitude von ω abhängt. Insgesamt lautet die Lösung der Bewegungsgleichung (7.33) x(t) = x0 (ω) · sin(ω t + ϕ(ω))

(7.34)

mit x 0 (ω) =





F0 (ω2 −ω0 2 )2 +4 δ 2 ω2

⎧ 2 δω (7.35) 0 ≤ ω < ω0 ⎪ ⎨ arctan{ ω2 −ω0 2 } ϕ(ω) = − π2 f¨ur ω = ω0 , ⎪ ⎩ − π + arctan{ 2 δ ω } ω > ω0 2 2 ω −ω0 D worin ω0 = m die Kreisfrequenz des ungedämpften harmonischen Oszillators und δ=

k 2m

die Dämpfungskonstante bezeichnen.

7.4

Erzwungene Schwingungen

263

Abb. 7.5 Zur Amplitude einer erzwungenen Schwingung

Abb. 7.6 Zur Phasenverschiebung einer erzwungenen Schwingung

Diskussion x(t) beschreibt die Auslenkung des Oszillators aus der Gleichgewichtslage zu einem beliebigen Zeitpunkt t. In Abb. 7.5 ist die Amplitude x0 (ω) und in Abb. 7.6 die Phase ϕ(ω) als Funktion von ω und für vier verschiedene Dämpfungskonstanten dargestellt. Die Kurven in Abb. 7.5 heißen Resonanzkurven. In Abhängigkeit von ω und ω0 unterscheiden wir drei charakteristische Fälle:

264

7 Schwingungen

Abb. 7.7 Die erzwungene Schwingung im Fall ω  ω0

1. Fall ω  ω0 Ist ω  ω0 , so sind der Oszillator und die äußere Kraft in Phase, d. h., beide erreichen in etwa zur gleichen Zeit den gleichen Schwingungszustand (siehe Abb. 7.7). Die Amplitude der erzwungenen Schwingung ist ungefähr x0 ∼ FD0 , während die Leistungsaufnahme des Systems aufgrund der Einwirkung der äußeren Kraft nahezu null ist (siehe Abb. 7.10). 2. Fall ω = ω0 Ist ω = ω0 , so tritt Resonanz auf. Bei einem ungedämpften Oszillator (δ0 = 0) steigt dann die Amplitude der erzwungenen Schwingung ins „Unendliche“ an, und wir sprechen dann von der Resonanzkatastrophe. Aufgrund der Dämpfung bleibt die Amplitude jedoch endlich, wobei allerdings das Maximum leicht nach kleineren ω-Werten hin verschoben ist und an der Stelle  ωm =

k2 D − m 2 m2

(7.36)

liegt. Die Amplitude nimmt an dieser Stelle ihren maximalen Wert (x0 )max =

F0 F0 = k ωe 2 m δ ωe

(7.37)

an. Mit wachsender Dämpfung, d. h. mit zunehmendem δ bzw. k, verschiebt sich das √ Maximum von ω0 aus nach links. Für Werte k ≥ 2m D ist die Dämpfung so stark, dass überhaupt kein Resonanzmaximum mehr existiert, und die Amplitude nimmt streng monoton mit wachsendem ω ab. Im Resonanzfall besteht schließlich zwischen Oszillator und äußerer Kraft eine Phasenverschiebung von ϕ = − π2 , d. h., der Oszillator „hinkt“ der äußeren Kraft genau eine Viertelperiode hinterher (siehe Abb. 7.8). Schließlich ist die Leistungsaufnahme des Systems im Resonanzfall maximal. Würde die Energiezufuhr durch die

7.4

Erzwungene Schwingungen

265

Abb. 7.8 Die erzwungene Schwingung im Resonanzfall

erregende Kraft nicht aufgrund der Reibung an die Umgebung abgegeben, so würde die Energie des Oszillators, und damit die Amplitude, ins „Unendliche“ anwachsen!

3. Fall ω ω0 Wächst die Kreisfrequenz ω weiter an, so nimmt die Amplitude der erzwungenen SchwinF0 gung wieder ab und strebt für ω → ∞ wie x0 (ω) ∼ mω 2 gegen null. Weiter schwingen nun der Oszillator und die äußere Kraft gegenphasig, d. h., der Oszillator hinkt der äußeren Kraft um eine halbe Schwingungsperiode hinterher, sodass die Phasenverschiebung ϕ = −π beträgt (siehe Abb. 7.9). Die Leistungsaufnahme des Systems ist in diesem Fall wieder nahezu null (siehe Abb. 7.10).

Abb. 7.9 Die erzwungene Schwingung im Fall ω ω0

266

7 Schwingungen

Abb. 7.10 Die durchschnittliche Leistungsaufnahme des Oszillators

Zur Leistungsaufnahme des Oszillators Die durchschnittliche Leistungsaufnahme P, d. h. die durchschnittliche Energie pro Zeit, die der Oszillator aufgrund der Einwirkung der äußeren Kraft aufnimmt, ist gegeben durch: P(ω) =

k · F02 · ω2 1 · 2 2 m · [(ω2 − ω0 2 )2 + 4 δ 2 ω2 ]

(7.38)

Sie ist im Resonanzfall ω = ω0 maximal und besitzt in diesem Fall den Wert F02 . (7.39) 2·k Die dem Oszillator durch die äußere Kraft zugeführte Energie wird aufgrund der Reibung wieder an die Umgebung abgegeben. Pmax = P(ω0 ) =

Einschwing- und Abklingvorgänge Die Amplitude eines gedämpften Oszillators erreicht nach dem Einschalten der äußeren Kraft nicht sofort ihren stationären Wert, sondern wächst innerhalb der von der Dämpfung abhängigen Zeitspanne t von null auf den stationären Wert an (siehe Abb. 7.11). Dieser Vorgang heißt Einschwingvorgang, während dem der Oszillator mit der Kreisfrequenz ω der äußeren Kraft schwingt. Entsprechend ist die Amplitude nach dem Abschalten der äußeren Kraft nicht sofort null, sondern strebt exponentiell gegen null. Während dieses Abklingvorganges führt der Oszillator eine gedämpfte harmonische Schwingung mit der Kreisfrequenz ωe durch.

7.5

Zur Überlagerung von harmonischen Schwingungen

267

Abb. 7.11 Einschwing- und Abklingvorgang

7.5

Zur Überlagerung von harmonischen Schwingungen

Ein Oszillator kann gleichzeitig mehrere voneinander unabhängige Schwingungsvorgänge durchführen, wobei sich die einzelnen Schwingungen nicht gegenseitig beeinflussen. Die Gesamtbewegung des Systems ergibt sich dann als Summe der Schwingungsgrößen der einzelnen Schwingungen, und wir sprechen dann von einer Überlagerung von Schwingungen. Was ist das Ergebnis einer solchen Überlagerung von harmonischen Schwingungen? Wir betrachten zunächst einige Spezialfälle zur Überlagerung zweier harmonischer Schwingungen und danach die Überlagerung beliebig vieler harmonischer Schwingungen. Es zeigt sich, dass die Überlagerung endlich vieler harmonischer Schwingungen mit der gleichen Frequenz und Schwingungsrichtung wieder eine harmonische Schwingung ergibt. Die Überlagerung unendlich vieler harmonischer Schwingungen mit gleicher Frequenz ergibt zwar noch eine periodische Bewegung, aber i. Allg. keine harmonische Schwingung mehr! Dagegen ergibt die Überlagerung von harmonischen Schwingungen mit beliebiger Frequenz i. Allg. weder eine harmonische Schwingung noch eine periodische Bewegung! Schließlich kann umgekehrt jede periodische Bewegung als eine Überlagerung von i. Allg. unendlich vielen harmonischen Schwingungen dargestellt werden, was der Inhalt des Theorems von Fourier ist, das wir abschließend diskutieren.

7.5.1

Die Überlagerung zweier harmonischer Schwingungen

Wir betrachten im Folgenden ein schwingungsfähiges System, das zwei unabhängige harmonische Schwingungen durchführen kann. Diese Schwingungen können sich i. Allg. in

268

7 Schwingungen

Abb. 7.12 Schwingungen mit gleicher Frequenz und verschiedener Schwingungsrichtung

Schwingungsrichtung, Amplitude, Frequenz und Phase unterscheiden. Wir betrachten im Folgenden drei Spezialfälle. (1) Schwingungen mit gleicher Frequenz und verschiedener Schwingungsrichtung Wir betrachten zunächst einen Oszillator, der zwei unabhängige harmonische Schwingungen durchführen kann, deren Schwingungsrichtungen senkrecht zueinander stehen und die die gleiche Frequenz besitzen (siehe Abb. 7.12). Die beiden Schwingungen beschreiben wir durch: x(t) = x0 · sin(ω t + ϕx ) y(t) = y0 · sin(ω t + ϕ y )

(7.40)

Das Ergebnis der Überlagerung Das Ergebnis der Überlagerung beider Schwingungen, d. h. die Summe beider Schwingungsgrößen r(t) = x(t) · eˆx + y(t) · eˆ y = (x(t), y(t)) , (7.41) ergibt i. Allg. eine Ellipse in der x, y-Ebene (siehe Abb. 7.13(a)). Sind die Phasen beider Schwingungen gleich, d. h. gilt ϕx = ϕ y , so entartet die Ellipse zu einer Geraden (siehe Abb. 7.13(b)). Ist dagegen die Phasendifferenz π2 , d. h. gilt ϕx = ϕ y ± π2 , so liegen die Ellipsenachsen auf der x- und y-Achse des Koordinatensystems (siehe Abb. 7.13(c)). Sind in diesem Fall schließlich noch die Amplituden gleich, d. h. gilt x0 = y0 , so entartet die Ellipse zu einem Kreis.

7.5

Zur Überlagerung von harmonischen Schwingungen

269

Abb. 7.13 Zur Überlagerung zweier senkrechter Schwingungen mit gleicher Frequenz

Bemerkung: Haben die Schwingungen in x- und y-Richtung verschiedene Frequenzen, so wird die Ellipse zur Rosette oder Lissajous-Schleife. In diesem Fall ändert sich die Phase ϕ(t) zwischen beiden Schwingungen linear mit der Zeit, denn es gilt: x(t) = x0 · sin(ω1 t) y(t) = y0 · sin(ω2 t) = y0 · sin(ω1 t + (ω2 − ω1 )t) ≡ y0 · sin(ω1 t + ϕ(t))

(7.42)

Ist das Verhältnis zwischen beiden Frequenzen rational, so schließt sich die Schleife (siehe Abb. 7.14(a)), andernfalls füllt die Lissajous-Schleife das gesamte Rechteck aus (siehe Abb. 7.14(b)). 

Abb. 7.14 Zur Überlagerung zweier senkrechter Schwingungen mit verschiedenen Frequenzen

270

7 Schwingungen

(2) Schwingungen mit gleicher Frequenz und gleicher Schwingungsrichtung Im Folgenden betrachten wir die Überlagerung zweier harmonischer Schwingungen mit gleicher Frequenz und gleicher Schwingungsrichtung, die sich jedoch in der Amplitude und im Phasenwinkel unterscheiden und die wir wie folgt beschreiben: x1 (t) = A1 · sin(ωt + ϕ1 ) x2 (t) = A2 · sin(ωt + ϕ2 )

(7.43)

Das Ergebnis der Überlagerung Das Ergebnis der Überlagerung beider Schwingungen, d. h. die Summe beider Schwingungsgrößen, ist wieder eine harmonische Schwingung mit derselben Frequenz, deren Amplitude und Phase jedoch von den Amplituden und Phasen beider Einzelschwingungen abhängen: x(t) = x1 (t) + x2 (t) = A · sin(ω t + ϕ)

(7.44)

mit 

A1 2 + A2 2 + 2 A1 A2 cos(ϕ2 − ϕ1 )

ϕ1 + A2 sin ϕ2 ϕ = ar ctan AA11 sin cos ϕ1 +A2 cos ϕ2 A=

(7.45)

Diskussion Ist die Phasendifferenz zwischen beiden Schwingungen ϕ = ϕ2 − ϕ1 = 0, so addieren sich die Amplituden der Einzelschwingungen zur Gesamtamplitude A = A1 + A2 der überlagerten Schwingung (siehe Abb. 7.15(a)). Ist dagegen die Phasenverschiebung ϕ = π , so entspricht die Gesamtamplitude A = | A1 − A2 | der Differenz der Einzelamplituden (siehe Abb. 7.15(b)). Sind im letzten Fall noch die beiden Amplituden gleich, so heben

Abb. 7.15 Überlagerung zweier Schwingungen mit verschiedenen Amplituden und Phasenwinkeln

7.5

Zur Überlagerung von harmonischen Schwingungen

271

sich beide Schwingungen gegenseitig auf, und es findet eine vollständige Auslöschung der Schwingungen statt. (3) Schwebungen Als letzten Spezialfall betrachten wir zwei harmonische Schwingungen, die die gleiche Schwingungsrichtung und die gleiche Amplitude besitzen, die sich jedoch geringfügig in der Frequenz unterscheiden (ω1  ω2 ). Ferner seien zur Anfangszeit t = 0 s die Phasenwinkel beider Schwingungen gleich null, d. h., es gelte: x1 (t) = A · sin(ω1 t) x2 (t) = A · sin(ω2 t)

(7.46)

Das Ergebnis der Überlagerung Bilden wir die Summe beider Schwingungsgrößen x(t) = x1 (t) + x2 (t) = A · {sin(ω1 t) + sin(ω2 t)},

(7.47)

so erhalten wir mit der Beziehung sinα + sinβ = 2 · cos

α+β α−β · sin 2 2

insgesamt das Ergebnis (siehe Abb. 7.16)



ω1 + ω2 ω 1 − ω2 t · sin t . x(t) = x0 (t) · sin ω t = 2 A cos 2 2

Abb. 7.16 Zur Schwebung

(7.48)

(7.49)

272

7 Schwingungen

Diskussion Das Ergebnis der Überlagerung ist wieder eine harmonische Schwingung, deren Kreisfrequenz ω1 + ω2 2 dem arithmetischen Mittelwert von ω1 und ω2 entspricht. Die Amplitude

ω1 − ω2 x0 (t) = 2 A · cos t 2 ω=

(7.50)

(7.51)

ist jedoch zeitabhängig und ändert sich periodisch zwischen den beiden Extremwerten null, d. h. Auslöschung, und 2 A, d. h. Addition, mit der Frequenz ω ω1 − ω2 = (7.52) 2π 2π Auslöschung findet statt, wenn beide Schwingungen gegenphasig sind, und Addition, wenn beide in Phase schwingen. Dieses periodische An- und Abschwellen der Amplitude heißt Schwebung (siehe Abb. 7.16) und νs Schwebungsfrequenz. Unter der Schwebungsdauer Ts verstehen wir die Zeitspanne zwischen zwei Schwebungsminima bzw. -maxima. Zwischen der Schwebungsfrequenz und der Schwebungsdauer gilt der Zusammenhang νs = ν1 − ν2 =

Ts =

1 2π . = νs ω

(7.53)

Beispiel 7.7 Die Stimmgabel Zwei Stimmgabeln, die mit gleicher Amplitude, aber etwas verschiedener Frequenz schwingen, ergeben einen periodisch an- und abschwellenden Ton, also eine Schwebung. Überschreitet die Schwebungsfrequenz die physiologische Flimmergrenze von ca. 10–18 Hz, so verschmelzen die Teilschwingungen zu einem einheitlichen, meist dissonanten Klang.  Bemerkungen: • Die Überlagerung zweier harmonischer Schwingungen mit beliebiger Frequenz und gleicher Schwingungsrichtung ergibt im Allgemeinen weder eine harmonische Schwingung noch eine periodische Bewegung. Ist das Verhältnis der beiden Frequenzen jedoch rational, so erhält man im Allgemeinen zwar keine harmonische Schwingung, aber dennoch eine periodische Bewegung. • Eine zeitliche Änderung der Amplitude einer Schwingung heißt Amplitudenmodulation. Eine Schwebung ist also ein einfaches Beispiel für eine Amplitudenmodulation. 

7.5

Zur Überlagerung von harmonischen Schwingungen

7.5.2

273

Die Überlagerung beliebig vieler harmonischer Schwingungen

Die Überlagerung endlich vieler harmonischer Schwingungen mit gleicher Schwingungsrichtung und gleicher Frequenz ergibt wieder eine harmonische Schwingung, deren Amplitude und Phasenwinkel von den Amplituden und Phasenwinkeln der Einzelschwingungen abhängen, d. h., es gilt: x(t) =

N 

N 

xi (t) =

i=1

Ai · sin (ω t + ϕi ) = A · sin (ω t + ϕ)

(7.54)

i=1

mit √ a 2 + b2 , ϕ := ar ctan ab N N   b := Ai · sin ϕi , a := Ai · cos ϕi A :=

i=1

(7.55)

i=1

Die Überlagerung unendlich vieler harmonischer Schwingungen mit gleicher Schwingungsrichtung und gleicher Frequenz ν ergibt eine periodische Bewegung mit der Periodendauer T = ν1 = 2ωπ , aber i. Allg. keine harmonische Schwingung mehr. Damit stellt sich die Frage, ob umgekehrt jede periodische Bewegung als eine Überlagerung von harmonischen Schwingungen aufgefasst werden kann? Das Theorem von Fourier Im Folgenden betrachten wir eine beliebige periodische Bewegung, die wir durch x(t) beschreiben und die die Periodendauer T besitzt, d. h., für die x(t + T ) = x(t), t R

(7.56)

gilt (siehe Abb. 7.17). Das Theorem von Fourier besagt nun, dass jede periodische Bewegung mit der Periodendauer T durch folgende unendliche Reihe dargestellt werden kann: x(t) =





n=1

n=1

 a0  + an cos(nωt) + bn sin(nωt), t = n · 2π, 2

(7.57)

worin die Fourier-Koeffizienten gegeben sind durch: an := bn :=

2 T

·

2 T

·

T 0 T

x(t) · cos(nωt) dt , n = 0, 1, 2, . . . (7.58) x(t) · sin(nωt) dt , n = 1, 2, . . .

0

Die Fourier-Reihe können wir auch in der Form

274

7 Schwingungen ∞

a0  + x(t) = An · sin(nωt + ϕn ), t = n · 2π 2

(7.59)

n=1

mit ω =

2π T

und An :=

an an2 + bn2 , tan ϕn := , n = 1, 2, 3, . . . bn

(7.60)

schreiben, d. h. physikalisch betrachtet als eine Überlagerung von i. Allg. unendlich vielen harmonischen Schwingungen. Ein Beispiel für eine solche periodische Bewegung ist die in Abb. 7.17 dargestellte Kippschwingung mit der Periodendauer T = 2π s und der Kreisfrequenz ω = 2Tπ = 1 s −1 . Wir können sie durch die folgende stückweise definierte Funktion beschreiben: ⎧ .. ⎪ ⎪ ⎪ . ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ t + 2 π −2π < t < 0 ⎪ ⎨ x(t) := t 0 < t < 2π ⎪ ⎪ ⎪ ⎪t − 2π 2π < t < 4π ⎪ ⎪ ⎪ .. ⎪ ⎩ . Für diese Kippschwingung sind die Fourier-Koeffizienten bzw. die Amplituden und Phasenwinkel der Teilschwingungen gegeben durch: a0 = 2 π, an ≡ 0, bn = − n2 , ∀n ∈ N An =

2 n , ϕn

= π, ∀n ∈ N ,

womit wir für die Kippschwingung die folgende Fourier-Zerlegung erhalten:

Abb. 7.17 Das Oszillogramm einer Kippschwingung

(7.61)

7.5

Zur Überlagerung von harmonischen Schwingungen

275

∞  2 · sin(n t + π ) x(t) := π + n n=1

= π+

∞  n=1

2 (− ) · sin(n t) n

= π − 2 sin(t) − sin(2 t) −

(7.62) 2 sin(3 t) − . . . 3

Die physikalische Bedeutung Physikalisch bedeutet die Fourier-Zerlegung (7.59) der Funktion x(t) Folgendes: Für n = 1 besteht sie aus einer harmonischen Schwingung, die wir Grundschwingung nennen und deren Frequenz ν1 , die Grundfrequenz, gegeben ist durch: 1 (7.63) T Ihre Schwingungsdauer entspricht damit der Periodendauer der periodischen Bewegung. Alle anderen harmonischen Schwingungen heißen Oberschwingungen. Sie besitzen die Frequenzen ν1 =

νn = n · ν1 =

1 n = , n = 2, 3, . . . T Tn

(7.64)

und die Schwingungsdauern Tn =

T , n = 2,3, . . . n

(7.65)

Somit kann man jede periodische Bewegung physikalisch als eine Überlagerung von Grund- und Oberschwingungen auffassen! Bei unserer Kippschwingung betragen z. B. die Grundfrequenz und die Frequenzen der Oberschwingungen: ν1 =

1 −1 n −1 1 n = s , νn = = s , n = 2,3, . . . T 2π T 2π

(7.66)

Das Spektrum einer periodischen Bewegung Trägt man die Amplituden An der harmonischen Teilschwingungen gegen die Frequenz ν auf, so erhält man das Spektrum der periodischen Bewegung. Das Spektrum einer beliebigen periodischen Bewegung mit der Periodendauer T = ν11 besteht also aus einer Anzahl diskreter Linien an den Stellen ν1 , ν2 = 2 ν1 , ν3 = 3 ν1 , . . .. Das Spektrum unserer Kippschwingung ist in Abb. 7.18 dargestellt. Für die konkrete funktionale Form x(t) des periodischen Vorgangs ist das Verhältnis der Amplituden von Grund- und Oberschwingungen wesentlich!

276

7 Schwingungen

Abb. 7.18 Das Spektrum der Kippschwingung

7.6

Gekoppelte Schwingungen

Wir betrachten ein System, das aus mehreren gekoppelten Oszillatoren besteht. Wird dieses System zu Schwingungen angeregt, so beeinflussen sich die einzelnen Oszillatoren aufgrund der Kopplung gegenseitig. Die einzelnen Schwingungen der Oszillatoren sind dann nicht mehr unabhängig voneinander, und wir sprechen dann von einer gekoppelten Schwingung des Gesamtsystems. Ist die Zahl der gekoppelten Oszillatoren „unendlich groß“, so werden wir auf das Modell eines elastischen Mediums, wie z. B. eines Seiles oder von Luft, geführt. In einem solchen elastischen Medium können sich Oszillatorschwingungen aufgrund der Kopplung im Medium räumlich ausbreiten, wobei wir auf den Begriff der „Welle“ geführt werden (siehe Kap. 8). Zwei gekoppelte Oszillatoren Als ein Beispiel betrachten wir ein System aus zwei gekoppelten Fadenpendeln der Länge l, an denen jeweils ein Körper der Masse m befestigt ist und die über eine weiche, „masselose“ Feder schwach gekoppelt sind (siehe Abb. 7.19). Die Fundamentalschwingungen des Gesamtsystems Eine Schwingung eines Systems von gekoppelten Oszillatoren heißt Fundamentalschwingung oder Eigenschwingung, wenn alle Oszillatoren des Systems gleichzeitig durch ihre Gleichgewichtslage schwingen und wenn alle Oszillatoren die gleiche Frequenz besitzen, die wir Fundamentalfrequenz oder Eigenfrequenz des Systems nennen. Im Gegensatz zu einem

ω0 1 einzelnen Fadenpendel, das im ungedämpften Fall mit der Eigenfrequenz ν0 = 2π = 2π · gl schwingt, besitzt unser System aus zwei gekoppelten Pendeln genau zwei Eigenfrequenzen, die zu zwei speziellen Fundamentalschwingungen gehören und die wir im Folgenden beschreiben.

7.6

Gekoppelte Schwingungen

277

Abb. 7.19 Zwei gekoppelte Fadenpendel

Die erste Fundamentalschwingung Zum einen können die gekoppelten Pendel mit gleicher Amplitude, Frequenz und Phase schwingen, sodass zu jeder Zeit ϕ1 (t) = ϕ2 (t) gilt (siehe Abb. 7.20(a)). Die Feder ist dann ständig entspannt, und die rücktreibende Kraft besteht allein aus der tangentialen Komponente der Schwerkraft Ft = −mgϕ(t) (siehe Beispiel 7.5). Beide Pendel, d. h. das gekoppelte System, schwingen dann mit der ersten Fundamentalfrequenz ν1 , die der Eigenfrequenz ν0 der einzelnen Fadenpendel entspricht. Somit gilt:  ω1 = ω0 =

g l

(7.67)

Die erste Fundamentalschwingung wird dann beschrieben durch: 1 (t) = 0 · sin ( ω1 t + α1 )

(7.68)

Wählen wir als spezielle Anfangsbedingung 1 (0) = 0 , so folgt für den Phasenwinkel α1 = schwingung:

π 2,

(7.69)

und wir erhalten für die erste Fundamental-

1 (t) = 0 · cos ω1 t

(7.70)

Für die Schwingungen der beiden Pendel gilt in diesem Fall: ϕ2 (t) = ϕ1 (t) = 1 (t) = 0 · cos ω1 t

(7.71)

278

7 Schwingungen

Abb. 7.20 Die Fundamentalschwingungen der gekoppelten Pendel

Die zweite Fundamentalschwingung Zum anderen können beide Pendel mit gleicher Amplitude und gleicher Frequenz, aber gegenphasig schwingen, d. h. mit einer Phasendifferenz von ϕ = π (siehe Abb. 7.20(b)). In diesem Fall gilt zu jeder Zeit ϕ1 (t) = − ϕ2 (t), und die rücktreibende Kraft ist nun die Summe aus der tangentialen Schwerkraftkomponente Ft und der Federkraft FF . Deshalb ist die zweite Fundamentalfrequenz ν2 größer als ν1 , d. h., es gilt genauer: ω2 2 = ω0 2 + 2 · Im Falle schwacher Kopplung, d. h.

D m

D g , ω0 2 = m l

(7.72)

 ω0 2 , gilt

ω2 = ω0 +

D , m ω0

(7.73)

worin D die Federkonstante bezeichnet. Die zweite Fundamentalschwingung wird dann beschrieben durch 2 (t) = 0 · cos ω2 t,

(7.74)

wobei wir als Anfangsbedingung wieder 2 (0) = 0 gewählt haben. In diesem Fall gilt: ϕ2 (t) = − ϕ1 (t) = 2 (t) = 0 · cos ω2 t

(7.75)

Die allgemeine Bewegung der gekoppelten Pendel Die allgemeine Bewegung der beiden gekoppelten Pendel beschreiben wir durch eine Linearkombination der beiden Fundamentalschwingungen. Mit den speziellen Anfangsbedingungen

7.6

Gekoppelte Schwingungen

279

ϕ1 (0) = 2 · 0 , ϕ2 (0) = 0

(7.76)

d ϕ2 d ϕ1 (0) = 0, (0) = 0 dt dt folgt insbesondere v1 (0) = l ·

d ϕ1 (0) = 0 dt

(7.77)

d ϕ2 (0) = 0, dt weshalb beide Pendel zum Anfangszeitpunkt t = 0 s in Ruhe sind. Die Auslenkwinkel zu einem beliebigen Zeitpunkt t sind schließlich gegeben durch: v2 (0) = l ·

ϕ1 (t) = 1 (t) + 2 (t) = 0 · cos ω1 t + 0 · cos ω2 t

(7.78)

ϕ2 (t) = 1 (t) − 2 (t) = 0 · cos ω1 t − 0 · cos ω2 t Diskussion Da beide Auslenkwinkel gegeben sind als eine Überlagerung zweier harmonischer Schwingungen mit gleicher Amplitude und geringfügig verschiedener Frequenz, führen beide Pendel eine Schwebung durch (siehe Abb. 7.21). Die Schwebungsfrequenz ist gegeben durch νs =

1 D ω2 − ω1 = · , 2π 2 π m ω0

(7.79)

1 m ω0 = 2π · νs D

(7.80)

womit die Schwebungsdauer Ts =

beträgt. Zu Beginn führt das Pendel 1 eine Schwingung mit der maximalen Amplitude 2 0 durch, während sich das Pendel 2 in Ruhe befindet. Mit der Zeit überträgt jedoch Pendel 1 über die Federkopplung Energie auf das Pendel 2, sodass die Amplitude des ersten Pendels abnimmt und die des zweiten Pendels zunimmt. Beide Pendel schwingen dann mit der Kreisfrequenz ω1 + ω2 . (7.81) 2 Diese Energieübertragung findet so lange statt, bis die gesamte Energie vom Pendel 1 auf das Pendel 2 übertragen wurde. Das Pendel 1 befindet sich dann in Ruhe, während das Pendel 2 nun eine Schwingung mit maximaler Amplitude 2 0 durchführt. Nun beginnt der ω=

280

7 Schwingungen

Abb. 7.21 Die Schwebung der gekoppelten Pendel

Vorgang von neuem, nur mit vertauschten Rollen. Die Schwingungsenergie oszilliert somit periodisch zwischen beiden Pendeln hin und her. Bemerkungen: • Die allgemeine Bewegung der beiden gekoppelten Pendel können wir als eine gegenseitig erzwungene Schwingung auffassen, wobei allerdings die erregende Schwingung keine beliebig große Energie besitzt und deshalb die Amplitude aufgrund des Energieübertrages an das andere Pendel abnimmt. • Eine stärkere Kopplung zwischen beiden Pendeln bewirkt einen schnelleren Energieaustausch, d. h. eine schnellere Schwebung. • Sind die Längen beider Pendel nicht gleich, d. h. besitzen die Pendel etwas verschiedene Eigenfrequenzen oder sind beide Pendelmassen verschieden, so ist der Energieaustausch nicht vollständig. Der Energiefluss kehrt sich dann um, bevor die Energie vollständig auf das jeweils andere Pendel übertragen wurde. • Koppelt man nicht nur zwei, sondern allgemein N Oszillatoren mit gleicher Eigenfrequenz, so besitzt das System der gekoppelten Oszillatoren N Fundamentalschwingungen mit den dazugehörigen N Fundamentalfrequenzen. Wir sagen auch, dass das System N Freiheitsgrade besitzt. 

8

Wellen

Inhaltsverzeichnis 8.1 Grundlegende Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Interferenz von Wellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.1 Zur Interferenz zweier harmonischer Wellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.2 Wellengruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.3 Stehende Wellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.4 Kohärenz von Wellen und stationäre Interferenzmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Das Huygens-Fresnel’sche Prinzip und die Ausbreitung von Wellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.1 Zur Beschreibung der Wellenausbreitung durch Elementarwellen . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.2 Reflexion und Brechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.3 Beugung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.3.1 Licht und Schatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.3.2 Die Beugung am Spalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.3.3 Die Beugung am Gitter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.3.4 Röntgenbeugung an Kristallen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.4 Absorption und Streuung von Licht durch Materie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.5 Der Doppler-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

282 293 294 296 298 302 304 304 307 310 310 311 314 317 318 320

Bisher haben wir Schwingungen eines einzelnen Oszillators oder eines Systems von gekoppelten Oszillatoren betrachtet. In allen Fällen hat das System Schwingungen durchgeführt, die sich jedoch nicht räumlich ausbreiten konnten, da das System isoliert war in dem Sinne, dass seine Umgebung den Oszillatorschwingungen nicht folgen konnte. Wir betrachten nun einen Oszillator, der über eine mehr oder weniger starke Verbindung an ein elastisches Medium gekoppelt ist. Über diese Kopplung werden die Oszillatorschwingungen in das umgebende Medium übertragen und breiten sich dort mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung aus. Auf diese Weise werden wir auf den Begriff der Welle geführt. Zunächst führen wir einige grundlegende Begriffe ein. Danach beschäftigen wir uns mit der Ausbreitung sowie der Interferenz von Wellen, für deren Verständnis das HuygensFresnel’sche Prinzip grundlegend ist. Als Anwendungen betrachten wir dann Reflexion, © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Rufa, Physik für Studierende der Biowissenschaften, Chemie und Medizin, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61258-3_8

281

282

8 Wellen

Brechung und Beugung von (Licht-)Wellen sowie die Absorption und Streuung von Licht in Materie [13, 14, 18].

8.1

Grundlegende Begriffe

Was verstehen wir unter einer Welle? Wir betrachten im Folgenden einen Oszillator, der an ein elastisches Medium gekoppelt ist, das der periodischen Bewegung folgen und die Schwingung des Oszillators dadurch weiterleiten kann. Diese i. Allg. räumliche Ausbreitung von Oszillatorschwingungen heißt Welle. Als wir dann erkannten, dass auch Licht Welleneigenschaften besitzt, das sich aber auch unabhängig von einem Medium im Vakuum ausbreiten kann, mussten wir die Vorstellung von Wellen abändern: Allgemein verstehen wir unter einer Welle einen periodischen Vorgang, bei dem sich eine physikalische Größe als Funktion des Ortes und der Zeit periodisch ändert. Dies soll im Folgenden anhand einiger Beispiele erläutert werden. Beispiel 8.1 Wellen a) Seilwelle Wir betrachten ein Seil, das an einem Ende fest eingespannt ist und das wir am anderen Ende mit der Hand festhalten. Bewegen wir nun die Hand periodisch auf und ab, dann erzeugen wir eine Seilwelle, die am Seil entlang läuft. Dabei koppelt der Oszillator Hand an das elastische Medium Seil, indem wir das Seil festhalten. Die physikalische Größe, die sich periodisch mit dem Ort und der Zeit ändert, ist die Auslenkung u(x, t) des Seiles aus der Ruhelage. Da sich Seilwellen entlang einer Geraden ausbreiten, sprechen wir von einer eindimensionalen Welle.

8.1

Grundlegende Begriffe

283

b) Wasserwelle Tauchen wir einen Stein in festen zeitlichen Abständen in eine Wasseroberfläche, so erzeugen wir eine sich konzentrisch ausbreitende Wasserwelle. Die sich periodisch mit dem Ort und der Zeit ändernde physikalische Größe ist die Auslenkung der Wasseroberfläche aus der Ruhelage. Da sich Wasserwellen in einer Ebene ausbreiten, sprechen wir von zweidimensionalen Wellen.

c) Schallwelle Regen wir eine Stimmgabel zu Schwingungen an, so entsteht eine Schallwelle, die sich im Raum ausbreitet. Die sich periodisch mit dem Ort und der Zeit ändernde physikalische Größe ist der Luftdruck bzw. die Dichte der Luft. Schallwellen können sich im Raum ausbreiten, weshalb wir von dreidimensionalen Wellen sprechen.

d) Elektromagnetische Welle Eine Antenne ist ein metallischer Stab, in dem ein elektrischer Strom (siehe Kap. 10) hin und her fließt. Dieser Oszillator ist Ausgangspunkt einer elektromagnetischen Welle, die sich auch unabhängig von einem Medium im Vakuum ausbreiten kann. Damit sind elektromagnetische Wellen auch dreidimensionale Wellen. Die sich periodisch mit dem Ort und der Zeit ändernde physikalische Größe ist das elektromagnetische Feld. 

284

8 Wellen

Abb. 8.1 Zur Zeitabhängigkeit einer eindimensionalen Welle am Ort x0

Wie beschreiben wir eine Welle? Eine Welle beschreiben wir durch eine physikalische Größe u( x , t), die sich als Funktion des Ortes x und der Zeit t periodisch ändert. An einem beliebigen festen Raumpunkt P, den wir durch den Ortsvektor x0 beschreiben, schwingt die Größe u( x0 , t) mit der gleichen Frequenz ν = T1 , mit der der Oszillator schwingt (siehe Abb. 8.1). An zwei verschiedenen Raumpunkten werden die Schwingungen der Größe u( x , t) jedoch i. Allg. eine Phasenverschiebung besitzen. Es gibt jedoch in regelmäßigen Abständen Punkte, an denen die Größe u( x , t) in Phase schwingt, d. h., an denen die Größe u( x , t) zur gleichen Zeit den gleichen Schwingungszustand besitzt. Der Abstand zweier benachbarter Punkte in Ausbreitungsrichtung mit gleicher Phase heißt Wellenlänge λ (siehe Abb. 8.2).

Abb. 8.2 Zur Ortsabhängigkeit einer eindimensionalen Welle zur Zeit t0

8.1

Grundlegende Begriffe

285

Zur Ausbreitungsgeschwindigkeit einer Welle Wir betrachten einen bestimmten Schwingungszustand des Oszillators (siehe Abb. 8.2). Während der Oszillator in der Zeit T (Schwingungsdauer) genau eine Schwingung durchgeführt hat, ist der betrachtete Schwingungszustand im Medium um eine bestimmte Strecke fortgeschritten. Es gibt dann einen benachbarten Punkt, an dem die Schwingung der Größe u( x , t) in Phase ist mit der Oszillatorschwingung. Der Abstand dieses Punktes vom Oszillator ist per Definition gleich der Wellenlänge λ. In der Zeit T breitet sich also ein Schwingungszustand des Oszillators um die Strecke λ aus! Diese Ausbreitungsgeschwindigkeit eines Schwingungszustandes des Oszillators heißt Phasengeschwindigkeit c der Welle. Sie ist gegeben durch: λ c = = ν·λ (8.1) T Merke:

Bei der Phasengeschwindigkeit einer Welle handelt es sich nicht um die Geschwindigkeit irgendwelcher Teile des Mediums, sondern um die Geschwindigkeit, mit der sich ein Oszillatorzustand ausbreitet. 

Beispiel 8.2 Der Kammerton a Der Kammerton a besitzt die Frequenz ν = 440 H z. Ferner beträgt die Schallgeschwindigkeit, d. i. die Phasengeschwindigkeit von Schallwellen, in Luft c = 344 m/s, weshalb wir für die Wellenlänge des Kammertons a in Luft λ =

c 344 m/s = = 0,78 m ν 440 1/s

erhalten. Der Abstand zweier benachbarter Punkte, an denen die Luftmoleküle in Phase schwingen, beträgt also 0,78 m.  Wovon hängt die Phasengeschwindigkeit ab? Die Phasengeschwindigkeit einer Welle hängt entscheidend von den Eigenschaften des Mediums ab, in dem die Welle läuft. Für mechanische Wellen in einem homogenen, elastischen Medium ist die Phasengeschwindigkeit umso größer, je kleiner die Dichte des Mediums ist und „je schwerer es sich deformieren lässt“. Bemerkung: Bei Festkörpern beschreiben wir diese Eigenschaft eines Mediums, sich leicht oder schwer deformieren zu lassen, durch den Elastizitätsmodul, bei Flüssigkeiten durch den Kompressionsmodul und bei Gasen durch den Druck (siehe Abschn. 5.2). 

286

8 Wellen

Beispiel 8.3 Schallgeschwindigkeit In Luft beträgt die Schallgeschwindigkeit 344 m/s, in Wasser besitzt sie den Wert 1480 m/s und nimmt in Stahl den Wert 5900 m/s an.  Ferner ist in der Regel die Phasengeschwindigkeit mechanischer Wellen in einem elastischen Medium unabhängig von der Frequenz der Welle, d. h., Wellen mit verschiedener Frequenz laufen im gleichen Medium gleich schnell. Das gilt jedoch nicht allgemein für alle Wellenarten. So ist z. B. die Phasengeschwindigkeit von Licht, d. i. eine elektromagnetische Welle, in Materie frequenzabhängig. In Glas nimmt die Phasengeschwindigkeit von Licht i. Allg. mit wachsender Frequenz von Rot nach Blau ab. Diese Abhängigkeit der Phasengeschwindigkeit von der Frequenz heißt Dispersion. Zur Ausbreitung von Wellen Die Ausbreitung von Wellen beschreiben wir durch „Wellenfronten“ und „Strahlen“. Unter einer Wellenfront verstehen wir eine Fläche im Raum oder eine Kurve in der Ebene, an deren Punkte die physikalische Größe u( x , t) in Phase schwingt (siehe Abb. 8.3). Der Abstand zweier benachbarter Wellenfronten ist gleich der Wellenlänge λ. Als Strahlen bezeichnen wir Linien, die vom Oszillator ausgehen und senkrecht durch die Wellenfronten verlaufen. Sie zeigen in Ausbreitungsrichtung der Wellen. Wellen können sich ganz unterschiedlich ausbreiten, was wir durch die Form der Wellenfronten beschreiben. Ist der Oszillator punktförmig und die Phasengeschwindigkeit der Welle richtungsunabhängig und überall gleich, dann sind die Wellenfronten Kugelflächen. Wir sprechen dann von einer Kugelwelle und sagen, die Welle breitet sich kugelförmig aus (siehe Abb. 8.3(a)). Ist der Oszillator sehr weit entfernt oder eine Fläche, die überall mit gleicher Phase schwingt, dann sind die Wellenfronten Ebenen, und wir sprechen von ebenen Wellen (siehe Abb. 8.3(b)). Im Falle von zweidimensionalen Wellen ergeben sich analog Kreise und Geraden.

Abb. 8.3 Wellenfronten und Strahlen einer Kugelwelle und einer ebenen Welle

8.1

Grundlegende Begriffe

287

Longitudinale und transversale Wellen Bisher haben wir uns nicht um die Schwingungsrichtung der Größe u( x , t) gekümmert. In Bezug auf die Ausbreitungsrichtung der Welle unterscheiden wir zwei Fälle: Bei transversalen Wellen ist die Schwingungsrichtung der Größe u( x , t) stets senkrecht zur Ausbreitungsrichtung. Somit liegt die Schwingungsrichtung immer innerhalb einer Ebene senkrecht zur Ausbreitungsrichtung (siehe Abb. 8.4). Mit der Zeit kann sich die Schwingungsrichtung innerhalb dieser Ebene jedoch ändern. Wenn sich die Schwingungsrichtung unregelmäßig ändert, so heißt die Welle unpolarisiert (siehe Abb. 8.4(a)). Dagegen nennen wir die Welle linear polarisiert, wenn die Schwingungsrichtung zeitlich konstant ist (siehe Abb. 8.4(b)), die dann die Polarisationsrichtung beschreibt. Bemerkung: Viele Insekten wie die Honigbiene orientieren sich anhand der Polarisationsrichtung von linear polarisiertem Licht.  Wenn schließlich die Schwingungsrichtung mit konstanter Winkelgeschwindigkeit umläuft und einen Kreis beschreibt, so sprechen wir von einer zirkular polarisierten Welle (siehe Abb. 8.4(c)). Beispiele für transversale Wellen sind Seilwellen, Wasserwellen und elektromagnetische Wellen. Bei longitudinalen Wellen ist dagegen die Schwingungsrichtung der Größe u( x , t) stets parallel zur Ausbreitungsrichtung (siehe Abb. 8.5). Ein Beispiel für longitudinale Wellen sind Schallwellen in Luft.

Abb. 8.4 Zur Schwingungsrichtung transversaler Wellen

288

8 Wellen

Abb. 8.5 Zur Schwingungsrichtung longitudinaler Wellen

Merke:

Im Gegensatz zu transversalen Wellen sind longitudinale Wellen nicht polarisierbar!  Harmonische Wellen Eine besonders wichtige Klasse von Wellen bilden die ebenen oder harmonischen Wellen. Die allgemeinste Form einer in positiver x-Richtung laufenden harmonischen Welle lautet: u(x, t) = u 0 · sin(ω t − k x + ϕ)

(8.2)

Hierin bezeichnen u 0 die Amplitude, ω = 2π ·ν =

2π T

die Kreisfrequenz der Welle und ϕ einen allgemeinen Phasenwinkel. Die Größe 2π k = λ

(8.3)

(8.4)

heißt Wellenzahl. Für eine harmonische Welle sind nach (8.2) sowohl die Schwingungen der Größe u(x, t) an einem festen Ort als auch das räumliche Wellenprofil zu einer festen Zeit sinusförmig. Zur Bedeutung des Phasenwinkels Wir betrachten im Folgenden die harmonische Welle (8.2) zum Zeitpunkt t = 0 s für verschiedene Phasenwinkel ϕ (siehe Abb. 8.6): u(x, 0) = u 0 · sin(−k x + ϕ) = −u 0 · sin(k x − ϕ)   Wegen sin(k x m − ϕ) = sin − π2 = −1 liegt ein Maximum an der Stelle xm =

π λ  π 1  · ϕ− = · ϕ− . k 2 2π 2

Für ϕ = 0 befindet sich das Maximum an der Stelle xm = − λ4 , für ϕ = π2 dagegen an der   Stelle xm = 0, d. h., unser Zustand wurde um die Strecke x = 0 − − λ4 = λ4 verschoben. Für ϕ = π liegt das Maximum an der Stelle xm = λ4 , was einer Verschiebung von x = λ2 entspricht. Für einen Phasenwinkel ϕ = n ·2π erhalten wir eine Verschiebung um x = n ·λ (siehe Abb. 8.6).

8.1

Grundlegende Begriffe

289

Abb. 8.6 Zur Bedeutung des Phasenwinkels

Merke:

Eine Änderung von ϕ bedeutet eine Verschiebung der Welle. Damit kann der Phasenwinkel ϕ dazu verwendet werden, zum Anfangszeitpunkt t = 0 s die Phase, d. h. den Schwingungszustand, der Welle an einem beliebigen Ort festzulegen.  Zum Gangunterschied zweier harmonischer Wellen Wir betrachten nun zwei harmonische Wellen mit gleicher Frequenz und Wellenlänge, die sich jedoch im Phasenwinkel unterscheiden, d. h., die gegeneinander verschoben sind. Das bedeutet, dass sie i. Allg. am gleichen Ort und zur gleichen Zeit verschiedene Schwingungszustände annehmen. Anders ausgedrückt gibt es Orte x1 und x2 , an denen sie zum gleichen Zeitpunkt den gleichen Schwingungszustand besitzen (siehe Abb. 8.7). Da es sich um denselben Schwingungszustand handelt, sind die Argumente der Sinusfunktion gleich, d. h., es gilt ωt − kx1 + ϕ1 = ωt − kx2 + ϕ2 , woraus k(x2 − x1 ) = ϕ2 − ϕ1 folgt. Merke:

Zwei Wellen mit gleicher Frequenz und Wellenlänge, die sich jedoch im Phasenwinkel unterscheiden und eine Phasenverdifferenz ϕ = ϕ2 − ϕ1 besitzen, sind gegeneinander um die Strecke x = x2 − x1 mit

290

8 Wellen

Abb. 8.7 Zum Gangunterschied zweier Wellen

x =

λ ϕ = · ϕ k 2π

(8.5)

verschoben, die wir Gangunterschied der Wellen nennen.



Bemerkungen: • Ein Gangunterschied zweier Wellen an einem Raumpunkt kann dadurch hervorgerufen werden, dass die Wellen unterschiedliche Strecken zurücklegen und/oder die Oszillatoren der Wellen phasenverschoben schwingen. • Der Gangunterschied von Wellen ist wichtig bei ihrer Überlagerung bzw. Interferenz (siehe Abschn. 8.2).  Zur Ausbreitungsrichtung und Phasengeschwindigkeit einer harmonischen Welle Wir betrachten im Folgenden einen beliebigen Zustand der harmonischen Welle u(x, t), der sich zum Zeitpunkt t1 am Ort x1 befindet und der sich mit der Phasengeschwindigkeit c ausbreitet. Zum Zeitpunkt t2 > t1 befinde er sich am Ort x2 (siehe Abb. 8.8). Da wir denselben Schwingungszustand betrachten, gilt u(x1 , t1 ) = u 0 · sin(ω t1 − k x1 + ϕ) = u 0 · sin(ω t2 − k x2 + ϕ) = u(x2 , t2 ), womit wieder die Argumente der Sinusfunktion gleich sind ωt1 − kx1 + ϕ = ωt2 − kx2 + ϕ

8.1

Grundlegende Begriffe

291

Abb. 8.8 Zur Phasengeschwindigkeit einer harmonischen Welle

und woraus wir k · (x2 − x1 ) = ω · (t2 − t1 ) > 0

(8.6)

erhalten. Da (t2 − t1 ), ω und k positive Größen sind, folgt: x2 − x1 > 0

d. h.

x2 > x1

Deshalb beschreibt (8.2) eine sich in positiver x-Richtung ausbreitende harmonische Welle. Analog beschreibt u(x, t) = u 0 · sin(ω t + k x + ϕ) (8.7) eine in negativer x-Richtung laufende harmonische Welle. Für die Phasengeschwindigkeit der harmonischen Welle erhalten wir aus (8.6): c =

x2 − x1 ω = t 2 − t1 k

(8.8)

Zur Energie einer Welle An einem festen Ort x führt die Größe u( x , t) eine Schwingung durch, deren Energie proportional zum Quadrat der Amplitude ist (siehe (7.8)). Die „Summe“ dieser Schwingungsenergien der Größe u( x , t) an allen Raumpunkten, durch die die Welle läuft, heißt Energie der Welle. Dreidimensionale Wellen breiten sich im gesamten Raum aus. Die räumliche Energieverteilung beschreiben wir durch die Energiedichte ( x , t), d. i. die Energie pro Volumeneinheit, die vom Ort und der Zeit abhängen kann. Die mittlere Energiedichte einer mechanischen harmonischen Welle in einem elastischen Medium mit der Dichte ρ ist z. B. gegeben durch 1 <  >= ρ · ω2 · u 0 2 , (8.9) 2 worin ω die Kreisfrequenz und u 0 die Amplitude der Welle bezeichnen.

292

8 Wellen

Mit jeder sich ausbreitenden Welle wird Energie transportiert, die der Oszillator aufbringt und die der Welle durch einen anderen Oszillator an einem entfernten Punkt, durch den die Welle läuft, zumindest teilweise wieder entzogen werden kann. Insbesondere kann man mit Wellen auch Informationen übertragen, wie das Beispiel von Radiowellen zeigt. Die Intensität einer Welle Unter der Intensität I einer Welle verstehen wir diejenige Energie E, die in der Zeitspanne  t durch eine gegebene Fläche A transportiert wird (siehe Abb. 8.9): I =

E A · t

(8.10)

Die SI-Einheit der Intensität ist W /m 2 = J /m 2 s. Die Intensität einer ebenen Welle ist als Funktion des Abstandes r vom Oszillator konstant. Dagegen nimmt die Intensität einer Kugelwelle mit wachsendem Abstand r vom Oszillator proportional zu 1/r 2 ab: 1 f¨ur Kugelwellen (8.11) I (r ) ∼ 2 r Das liegt daran, dass die Kugeloberfläche ( A = 4πr 2 ) der sich ausbreitenden Wellenfronten mit wachsendem Abstand r vom Oszillator quadratisch zunimmt, während der Energiefluss durch diese Flächen aber konstant bleibt. Bemerkung: Bei mechanischen Wellen in einem elastischen Medium findet stets innerhalb des Mediums eine Umwandlung eines Teils der Energie der Welle in Wärme statt. Mit diesem Energieverlust ist ebenfalls eine Abnahme der Intensität verbunden, auch bei ebenen Wellen! 

Abb. 8.9 Zur Intensität einer Welle

8.2

Interferenz von Wellen

293

Beispiel 8.4 Intensität und Energiedichte des Sonnenlichtes Unter der Solarkonstanten S verstehen wir die mittlere Intensität des Sonnenlichtes auf der Erdoberfläche. Sie beträgt: S = 8,13

J cm 2 min

= 0,14

W cm 2

(8.12)

Wir betrachten im Folgenden eine senkrecht zur Sonnenstrahlung befindliche Fläche A.

In der Zeitspanne t trifft dann diejenige Energie auf diese Fläche, die in dem Quader mit der Querschnittsfläche A und der Länge s = c · t enthalten ist, worin c die Lichtgeschwindigkeit bezeichnet. Mit der mittleren Energiedichte <  > des Sonnenlichtes auf der Erde beträgt dann die Strahlungsenergie im Quader: E = <  > · V = <  > · A · s = <  > · A · c · t Für die mittlere Intensität S des Sonnenlichtes auf der Erde erhalten wir dann: S =

E <  > ·A · c · t = =<  > · c A · t A · t

(8.13)

Mit der Solarkonstanten S = 0,14 J /cm 2 s und der Lichtgeschwindigkeit c = 3 · 1010 cm/s folgt dann für die mittlere Energiedichte des Sonnenlichtes auf der Erde: <  >=

8.2

0,14 cmJ2 s S = = 4,7 · 10−12 J /cm 3 c 3 · 1010 cm s



Interferenz von Wellen

Breiten sich in einem Medium oder im Vakuum gleichzeitig mehrere gleichartige Wellen aus, die wir durch die gleiche physikalische Größe u 1 ( x , t), u 2 ( x , t), . . . beschreiben, so entsteht eine resultierende Welle u( x , t), die durch die Summe der sich nicht gegenseitig störenden Einzelwellen gegeben ist:

294

8 Wellen

u( x , t) = u 1 ( x , t) + u 2 ( x , t) + . . . An jedem Raumpunkt, durch den die Wellen laufen, ist dann die Schwingung der Größe u( x , t) durch die Überlagerung der Schwingungen der Einzelgrößen u 1 ( x , t), u 2 ( x , t), …an diesem Raumpunkt gegeben (siehe Abschn. 7.5). Wir sprechen dann von einer Überlagerung oder Interferenz von Wellen. Im Folgenden betrachten wir einige Spezialfälle zur Überlagerung zweier harmonischer Wellen, die sich grundsätzlich in Amplitude, Frequenz, Wellenlänge, Phasenwinkel und Ausbreitungsrichtung unterscheiden können. Insbesondere ergibt die Überlagerung zweier harmonischer Wellen mit gleicher Amplitude und Ausbreitungsrichtung, die sich jedoch geringfügig in der Frequenz unterscheiden, Wellengruppen oder Wellenpakete, die sich als Ganzes mit einer charakteristischen Geschwindigkeit ausbreiten und die Gruppengeschwindigkeit heißt. Stehende elastische Wellen, die wir mit Eigenschwingungen kontinuierlicher Systeme identifizieren (siehe Abschn. 3.1.1), erhalten wir durch Überlagerung zweier harmonischer Wellen mit gleicher Frequenz, aber entgegengesetzter Ausbreitungsrichtung. Schließlich diskutieren wir die Kohärenz von Wellen, die für die Ausbildung stationärer Interferenzmuster wesentlich ist, die aus Punkten einer Verstärkung oder Auslöschung der interferierenden Wellen bestehen.

8.2.1

Zur Interferenz zweier harmonischer Wellen

Wir betrachten im Folgenden die Überlagerung zweier harmonischer Wellen mit gleicher Frequenz, Wellenlänge und Ausbreitungsrichtung, die sich jedoch in der Amplitude und im Phasenwinkel unterscheiden können. Im eindimensionalen Fall beschreiben wir sie durch: u 1 (x, t) = A1 · sin(ω t − k x + ϕ1 ) u 2 (x, t) = A2 · sin(ω t − k x + ϕ2 )

(8.14)

Aufgrund der Phasendifferenz ϕ = ϕ1 − ϕ2 besitzen sie den Gangunterschied x =

ϕ λ = · ϕ. k 2π

(8.15)

Ist ϕ2 > ϕ1 , so eilt die Welle u 2 der Welle u 1 die Strecke x voraus. Das Ergebnis der Überlagerung Das Ergebnis der Überlagerung ist wieder eine harmonische Welle mit derselben Frequenz ν und Wellenlänge λ, die mit der gleichen Phasengeschwindigkeit in die gleiche Richtung läuft wie die beiden interferierenden Wellen. Die Amplitude und der Phasenwinkel hängen jedoch von den Amplituden und Phasenwinkeln beider Teilwellen ab:

8.2

Interferenz von Wellen

295

Abb. 8.10 Zur Überlagerung zweier harmonischer Wellen mit gleicher Frequenz und Ausbreitungsrichtung, deren Gangunterschied x = n · λ beträgt

u(x, t) = u 1 (x, t) + u 2 (x, t) = A · sin(ω t − k x + ϕ)

(8.16)



mit

A1 2 + A2 2 + 2 A1 A2 cos(ϕ2 − ϕ1 )   A1 sin ϕ1 + A2 sin ϕ2 ϕ = ar ctan A1 cos ϕ1 + A2 cos ϕ2

A=

(8.17)

Diskussion Ist die Phasendifferenz beider Wellen ϕ = n · 2π, n = 0, 1, 2, . . ., so beträgt der Gangunterschied x = n · λ, und die Amplituden beider Wellen addieren sich (siehe Abb. 8.10). Das bedeutet, dass sich Wellen bei ihrer Überlagerung verstärken können! Ist dagegen die Phasendifferenz ϕ = (n + 1/2) · 2π, n = 0, 1, 2, . . ., so beträgt der Gangunterschied x = (n +1/2)·λ, und die Amplituden subtrahieren sich A = | A1 − A2 |. Wellen können sich bei ihrer Überlagerung also auch schwächen! Sind zusätzlich beide Amplituden gleich, so erfolgt eine völlige Auslöschung beider Wellen (siehe Abb. 8.11).

Abb. 8.11 Zur Überlagerung zweier harmonischer Wellen mit gleicher Frequenz, Amplitude und Ausbreitungsrichtung, deren Gangunterschied x = (n + 1/2) · λ beträgt

296

8.2.2

8 Wellen

Wellengruppen

Wir betrachten als einen weiteren Spezialfall die Interferenz zweier harmonischer Wellen mit gleicher Ausbreitungsrichtung und Amplitude, die sich jedoch geringfügig in der Frequenz und damit der Wellenlänge unterscheiden. Weiter mögen die Phasenwinkel beider Wellen gleich sein, und es gelte ϕ1 = ϕ2 = 0. Beide Wellen erfüllen also die Anfangsbedingung u 1 (0, 0) = u 2 (0, 0) = 0. Im eindimensionalen Fall beschreiben wir sie durch: u 1 (x, t) = A · sin(ω1 t − k1 x)

(8.18)

u 2 (x, t) = A · sin(ω2 t − k2 x) Das Ergebnis der Überlagerung Bilden wir die Summe u(x, t) = u 1 (x, t) + u 2 (x, t) = A · {sin(ω1 t − k1 x) + sin(ω2 t − k2 x)}, so erhalten wir mit der Beziehung sinα + sinβ = 2 · cos

α−β α+β · sin 2 2

das Ergebnis u(x, t) = 2 A · cos



ω1 −ω2 2

t −

k1 −k2 2

2 x · sin ω1 +ω t − 2

≡ A(x, t) · sin {ω t − k x}.

k1 +k2 2

x

(8.19)

Diskussion Die Überlagerung beider harmonischer Wellen ergibt wieder eine harmonische Welle mit einer mittleren Kreisfrequenz ω und einer mittleren Wellenzahl k, die gegeben sind durch: ω :=

ω1 + ω2 , 2

k :=

k1 + k2 2

(8.20)

Die Amplitude A(x, t) ändert sich periodisch mit dem Ort und der Zeit. An einem festen Ort x0 führt die Größe u(x0 , t) eine Schwebung mit der Schwebungsfrequenz νs = T1S = ν1 −ν2 1 und der Schwebungsdauer TS = ν1 −ν = ω12π −ω2 durch (siehe Abschn. 7.5.1). Ein analoges 2 An- und Abschwellen der Amplitude ergibt sich auch zu einer festen Zeit t0 als Funktion des Ortes (siehe Abb. 8.12). Wir erkennen einzelne Wellengruppen oder Wellenpakete, die durch Orte sehr kleiner Amplitude voneinander getrennt sind. Die zeitliche Breite einer Schwebung am Ort x0 entspricht der Schwebungsdauer Ts = ω12π −ω2 . Die räumliche Breite b einer Wellengruppe zu einer Zeit t0 ist gegeben durch:

8.2

Interferenz von Wellen

297

Abb. 8.12 Wellengruppen

b :=

2π λ1 · λ2 = k1 − k2 λ2 − λ1

(8.21)

Gruppen- und Phasengeschwindigkeit Eine solche Wellengruppe bewegt sich als Ganzes mit einer charakteristischen Geschwindigkeit, die wir Gruppengeschwindigkeit cgr nennen und die wie folgt definiert ist: cgr :=

d ω(k) dk

(8.22)

Mit ω = c · k erhalten wir für die Gruppengeschwindigkeit allgemein: cgr =

d c(k) d c(λ) d c(ν) d (c · k) = c + k· = c − λ· = c + ν· dk dk dλ dν

(8.23)

In unserem Fall der Überlagerung der beiden harmonischen Wellen (8.18) ist die Gruppengeschwindigkeit gegeben durch cgr =

ω 1 − ω2 c1 · k 1 − c2 · k 2 = , k1 − k2 k1 − k2

(8.24)

wobei die Phasengeschwindigkeiten c1 und c2 der beiden interferierenden Wellen verschieden sein können! Die Phasengeschwindigkeit der Wellengruppe ist dagegen nach (8.20) gegeben durch: ω ω 1 + ω2 c = = (8.25) k k1 + k2

298

8 Wellen

Zusammenfassend:

Im Allgemeinen Fall sind die Gruppen- und Phasengeschwindigkeit einer Wellengruppe verschieden. Nur in dem Fall, dass keine Dispersion vorliegt, d. h. die Phasengeschwindigkeit unabhängig von der Wellenlänge bzw. der Frequenz ist und c1 = c2 = c bzw. ddc(ν) ν = 0 gilt, stimmen die Gruppengeschwindigkeit und die Phasengeschwindigkeit einer Wellengruppe überein. 

Bemerkung: Zur Überlagerung beliebig vieler harmonischer Wellen Durch die Überlagerung beliebig vieler harmonischer Wellen mit unterschiedlichen Frequenzen und Wellenlängen kann man Wellenpakete der unterschiedlichsten Form erzeugen, d. h., das Ergebnis der Überlagerung ist im allgemeinen Fall keine harmonische Welle mehr.

Ein solches Wellenpaket bewegt sich mit der Gruppengeschwindigkeit cgr fort. Liegt Dispersion vor, so ist die Phasengeschwindigkeit c verschieden von der Gruppengeschwindigkeit, und das Wellenpaket läuft auseinander, man sagt „es zerfließt“ mit der Zeit!  Beispiel Wirft man einen Stein ins Wasser, so erzeugt man ein zweidimensionales Wellenpaket, das sich mit der Gruppengeschwindigkeit ausbreitet und mit der Zeit zerfließt. 

8.2.3

Stehende Wellen

Als letzten Spezialfall betrachten wir die Überlagerung zweier harmonischer Wellen mit gleicher Amplitude und Frequenz, aber mit entgegengesetzter Ausbreitungsrichtung. Diese Situation liegt z. B. vor, wenn eine Welle reflektiert wird, sodass sich die einlaufende und die reflektierte Welle überlagern (siehe Abb. 8.13).

8.2

Interferenz von Wellen

299

Abb. 8.13 Zur Bildung einer stehenden Welle

Das Ergebnis der Überlagerung Das Ergebnis der Überlagerung ist eine stehende Welle, die durch folgende Merkmale charakterisiert ist: (i) Es gibt Punkte, an denen die Größe u(x, t) für alle Zeiten null ist. Diese Punkte heißen Knoten der stehenden Wellen (siehe Abb. 8.13). Der Abstand zweier benachbarter Knoten ist λ/2, sodass der Abstand beliebiger Knoten n · λ2 mit n = 1, 2, 3, . . . beträgt. (ii) An allen Punkten zwischen zwei Knoten schwingt die Größe u(x, t) mit der Frequenz ν, die gleich der Frequenz der beiden interferierenden Wellen ist. Außerdem schwingt die Größe u(x, t) an all diesen Punkten gleichzeitig durch die Gleichgewichtslage, entweder in Phase oder gegenphasig. Die Schwingungsamplitude ist jedoch i. Allg. an verschiedenen Punkten unterschiedlich. (iii) In der Mitte zwischen zwei benachbarten Knoten schwingt die Größe u(x, t) mit maximaler Amplitude. Diese Punkte heißen Bäuche der stehenden Welle (siehe Abb. 8.13). (iv) Es wird keine Energie transportiert, d. h., die Energie ist in dem Bereich der stehenden Welle eingeschlossen! Bemerkung: Bei stehenden Wellen in einem elastischen Medium ist es so, dass alle Teile des Mediums mit gleicher Frequenz schwingen und alle gleichzeitig durch die Gleichgewichtslage gehen. Da wir ein kontinuierliches elastisches Medium, wie z. B. ein Seil, als ein System gekoppelter

300

8 Wellen

Oszillatoren auffassen können, sind stehende Wellen nichts anderes als Eigenschwingungen (siehe Abschn. 3.1.1) oder Fundamentalschwingungen des Mediums, das nun allerdings „unendlich viele“ Freiheitsgrade besitzt (siehe Abschn. 7.6).  Stehende Seilwellen Als ein Beispiel betrachten wir stehende Seilwellen. Wir diskutieren den Fall, dass beide Enden fest eingespannt sind, und den Fall, dass das linke Ende fest und das rechte Ende lose ist. In beiden Fällen findet am rechten Ende eine nahezu vollständige Reflexion der einlaufenden Welle statt, sodass eine Überlagerung zweier gegenläufiger Wellen mit gleicher Frequenz, Wellenlänge und Amplitude vorliegt. Stehende Wellen können sich jedoch nur für Wellen mit bestimmten Wellenlängen ausbilden, was wir im Folgenden ausführlicher betrachten. Sind beide Seilenden fest, so liegen an beiden Enden Knoten vor (siehe Abb. 8.14). Da der Abstand zweier beliebiger Knoten gerade n · λ2 beträgt, erhalten wir als Bedingung für die Wellenlänge λ λ L = n· , n = 1, 2, 3 . . . , (8.26) 2 sodass die Wellenlängen der sich ausbildenden stehenden Wellen durch λn =

Abb. 8.14 Stehende Seilwellen mit festen Enden

2·L , n

n = 1, 2, 3 . . .

(8.27)

8.2

Interferenz von Wellen

301

Abb. 8.15 Stehende Seilwellen mit einem losen Ende

gegeben sind. Ist dagegen das rechte Seilende frei, so liegt an diesem Ende ein Schwingungsbauch vor (siehe Abb. 8.15), und die Bedingung für die Wellenlänge lautet λ 1 · , n = 1, 2, 3 . . . , (8.28) L = n − 2 2 sodass die Wellenlängen der sich ausbildenden stehenden Wellen gegeben sind durch: λn =

4·L , 2n − 1

n = 1, 2, 3 . . .

(8.29)

Mithilfe der Zahl n können die verschiedenen Eigenschwingungen des Seiles charakterisiert werden. Für n = 1 erhalten wir die Grundschwingung, für n = 2 die 1. Oberschwingung usw. Beispiel 8.5 Die Gitarrensaite Für eine Gitarrensaite gilt die Beziehung (8.27). Die Zahl n entspricht der Zahl der Schwingungsbäuche, die sich auf der Gitarrensaite ausbilden. Die Grundschwingung erhalten wir für n = 1, und ihre Wellenlänge beträgt λ1 = 2 · L,

302

8 Wellen

worin L die Länge der Saite ist. Indem man eine Saite stimmt, ändert man nicht die Wellenlänge, sondern über die mechanischen Eigenschaften der Saite die Phasengeschwindigkeit und damit die Frequenz einer im „Medium Saite“ laufenden Welle. Die Frequenz der Grundschwingung ist gegeben durch: c c = ν1 = λ1 2L Für n = 2, 3, 4, . . . erhalten wir die Oberschwingungen der Saite. Da bei einer Gitarrensaite keine Dispersion vorliegt, ist die Phasengeschwindigkeit unabhängig von der Frequenz, und aus c = νn · λn erhalten wir: c c ·n = νn = λn 2L Hieraus folgt für das Verhältnis der Frequenzen von Grund- und Oberschwingungen νn n , = νn+1 n+1 d. h. explizit ν1 : ν2 : ν3 . . . = 1 : 2 : 3 . . . In Anlehnung an den musikalischen Sprachgebrauch nennt man Eigenschwingungen harmonisch, wenn ihre Frequenzen im Verhältnis einfacher ganzer Zahlen stehen. Die Eigenschwingungen einer Gitarrensaite sind also harmonisch. Indem man unterschiedlich an einer Saite „zupft“, ändert man das Amplitudenverhältnis zwischen Grund- und Oberschwingungen und damit den Klang. 

8.2.4

Kohärenz von Wellen und stationäre Interferenzmuster

In den Abschn. 8.2.1 und 8.2.3 haben wir uns mit der Interferenz von harmonischen Wellen mit gleicher Frequenz und Wellenlänge beschäftigt, die sich zwar in der Phase unterscheiden konnten, bei denen aber die Phasendifferenz ϕ zeitlich konstant war. In jedem Fall, ob die interferierenden Wellen nun die gleiche Ausbreitungsrichtung hatten oder gegenläufig waren, verstärkten sich die Wellen an Punkten, an denen der Gangunterschied der Wellen n · λ beträgt, und schwächten sich an Punkten mit einem Gangunterschied (n − 1/2) · λ. Entsprechendes gilt auch für Kugelwellen! Wir betrachten zwei punktförmige Oszillatoren, die beide in Phase schwingen. Das Ergebnis der Interferenz der entstehenden Kugelwellen ist in Abb. 8.16 dargestellt. In diesem Fall kommt der Gangunterschied beider Wellen an einem beliebigen Punkt lediglich durch die unterschiedliche Laufstrecke beider Wellen zustande. An solchen Punkten, an denen der Gangunterschied n · λ beträgt, verstärken sich die Wellen bei ihrer Überlagerung, und wir finden dort Wellenbäuche. An Punkten, an denen der Gangunterschied (n −1/2)·λ ist, findet Auslöschung statt, und wir treffen dort Wellenknoten an. Wellenbäuche und -knoten liegen

8.2

Interferenz von Wellen

303

Abb. 8.16 Stationäres Interferenzmuster zweier Kugelwellen

auf Hyperbeln. Dieses zeitlich unveränderliche System von Wellenknoten und -bäuchen heißt stationäres Interferenzmuster. Unter welcher Voraussetzung erhalten wir ein solches Interferenzmuster? Ändert man die relative Phase zwischen beiden Oszillatoren, so ändert sich das Interferenzmuster. Abb. 8.16 erhält man z. B. für den Fall, dass beide Oszillatoren phasengleich schwingen. Ändert man bei einem Oszillator die Phase um π , so ändert sich der Gangunterschied der Wellen um λ/2. In diesem Fall tauschen gerade die Wellenbäuche und die Wellenknoten ihren Ort. Wechseln schließlich die Oszillatoren unregelmäßig ihre Phasen, so kann sich kein stationäres Interferenzmuster ausbilden! Haben die interferierenden Wellen verschiedene Frequenzen bzw. Wellenlängen, so äußert sich das ebenfalls in einer zeitabhängigen Phasendifferenz zwischen den Wellen, und auch in diesem Fall ergibt sich kein stationäres Interferenzmuster.

Zusammenfassend:

Stationäre Interferenzmuster entstehen nur, wenn die interferierenden Wellen monochromatisch sind, d. h. eine gleiche Frequenz sowie eine gleiche Wellenlänge besitzen, und wenn zwischen diesen Wellen eine konstante Phasendifferenz besteht. Solche Wellen heißen kohärent. Sind diese Bedingungen zwischen den interferierenden Wellen nicht erfüllt, so bezeichnet man die Wellen als inkohärent. 

304

8.3

8 Wellen

Das Huygens-Fresnel’sche Prinzip und die Ausbreitung von Wellen

Wir beschäftigen uns im Folgenden mit der Frage, wie sich die Ausbreitung einer Welle ändert, • wenn die Welle auf eine Grenzfläche zwischen zwei Medien mit unterschiedlichen Eigenschaften trifft oder • wenn Hindernisse die Ausbreitung der Welle stören. Im ersten Fall stellen wir fest, dass ein Teil der Welle an der Grenzfläche reflektiert wird und der andere Teil unter Änderung seiner Ausbreitungsrichtung im anderen Medium weiterläuft, d. h. gebrochen wird. Im zweiten Fall finden wir, dass die Welle sich auch um ein Hindernis herum ausbreiten und damit in Bereiche vordringen kann, die bei einer geradlinigen Ausbreitung der Welle nicht erreichbar wären, was wir als Beugung bezeichnen. Zum Verständnis dieser Phänomene hat sich ein Prinzip bewährt, das wir HuygensFresnel’sches Prinzip nennen und das die Ausbreitung von Wellen durch Interferenz von sogenannten Elementarwellen beschreibt. Zunächst formulieren wir dieses Prinzip und zeigen dann, wie wir mithilfe dieses Prinzips die obigen Phänomene beschreiben können. Insbesondere betrachten wir als Anwendungen die Röntgenbeugung an Kristallen und die Absorption und Streuung von Licht in Materie. Schließlich haben wir bisher stillschweigend vorausgesetzt, dass der Oszillator und der Beobachter einer Welle relativ zum Medium, in dem sich die Welle ausbreitet, ruhen. Eine Bewegung von Oszillator und/oder Beobachter relativ zum Medium führt, in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit relativ zum Medium, zu einer vom Beobachter messbaren Frequenzverschiebung, was wir Doppler-Effekt nennen.

8.3.1

Zur Beschreibung der Wellenausbreitung durch Elementarwellen

Die Vorstellung Wir betrachten ein elastisches Medium wie z. B. eine Wasseroberfläche. Wird ein beliebiger Punkt des Mediums zu Schwingungen angeregt, so ist dieser Punkt Ausgangspunkt einer sich im Medium ausbreitenden Kugelwelle. Dabei ist es irrelevant, wie diese Schwingung am betrachteten Punkt zustande kommt, ob z. B. durch eine direkte Kopplung an den Oszillator oder durch die Beeinflussung durch benachbarte Bereiche aufgrund der Kopplung im Medium. Somit ist jeder Punkt des Mediums Ausgangspunkt einer Kugelwelle, die wir Elementarwelle nennen. Die sich im Medium ausbreitende Welle ist dann das Ergebnis der Interferenz all dieser Elementarwellen, die an allen Punkten entstehen, durch die die Welle läuft, und nicht nur an den Punkten, an denen der Oszillator an das Medium koppelt! Wie aber kann man die Ausbreitung von Wellen in einfacher Weise vorhersagen?

8.3

Das Huygens-Fresnel’sche Prinzip und die Ausbreitung von Wellen

305

Hierzu dient das Huygens-Fresnel’sche Prinzip, mit dem wir die Wellenfronten, die wir zur Beschreibung der Ausbreitung von Wellen benutzen, in einfacher Weise konstruieren können.

Das Huygens-Fresnel’sche Prinzip

Jeder Punkt einer Wellenfront ist Ausgangspunkt einer Elementarwelle. Die äußere Einhüllende dieser Elementarwellen ergibt die Wellenfront zu einem späteren Zeitpunkt. Beobachtet wird stets nur die durch Interferenz aller Elementarwellen entstehende Welle.  Bemerkung: Die Bedeutung des Oszillators liegt darin, dass er der Ursprung der Welle ist und er die Energie aufbringt, die in der Welle steckt. Für die Ausbreitung der Welle sind jedoch die Schwingungen der physikalischen Größe u( x , t) an allen Raumpunkten maßgeblich, durch die die Welle läuft. Eine einmal erzeugte Welle wird sich auch dann weiter ausbreiten, wenn der Oszillator abgeschaltet ist!  Anwendungsbeispiele Als ein Beispiel für die Anwendung des Huygens-Fresnel’schen Prinzips betrachten wir zunächst die Ausbreitung von ebenen Wellen und Kugelwellen. In Abb. 8.17 ist die Konstruktion einer neuen Wellenfront aus einer gegebenen Wellenfront (dicke Linie) gezeigt. An jedem Punkt der dicken Linie denken wir uns Halbkreise gezeichnet, deren Radius gleich der Wellenlänge ist. Die Einhüllende ist die gesuchte Wellenfront zu einem späteren Zeitpunkt.

Abb. 8.17 Zum Huygens-Fresnel’schen Prinzip

306

8 Wellen

Das Entscheidende ist nun, dass das Huygens-Fresnel’sche Prinzip auch dann die Ausbreitung von Wellen beschreibt, wenn diese sich nicht ungestört ausbreiten können, weil z. B. ein Hindernis im Weg steht. So sind in Abb. 8.18 zwei Fälle dargestellt, wobei eine ebene Welle zum einen auf ein Objekt trifft, dessen Ausdehnung ungefähr gleich der Wellenlänge der einlaufenden Welle ist, und zum anderen nur einseitig an einem Hindernis vorbeilaufen kann. Wie man erkennt, breitet sich die Welle in „neue Richtungen“ aus. Bemerkungen: • Im Falle der Abb. 8.18(a) muss die Ausdehnung des Hindernisses ungefähr gleich der Wellenlänge sein, damit die Größe u( x , t) am Rand des Hindernisses nahezu überall mit gleicher Phase schwingt. Die am Rand des Hindernisses entstehenden Elementarwellen verstärken sich dann bei ihrer Interferenz und ergeben eine Kugelwelle, die wir Streuwelle nennen. Wir sagen auch, dass die Welle am Hindernis gestreut wird. • Wie Abb. 8.18(b) zeigt, kann sich eine Welle auch um ein Hindernis herum ausbreiten. Einerseits nimmt die Intensität der Welle in diesem Bereich mit 1/r 2 ab, da sie sich hier als Kugelwelle ausbreitet, und andererseits schwankt die Intensität aufgrund eines sich in diesem Bereich ausbildenden Interferenzmusters infolge der Überlagerung der Elementarwellen (siehe Abschn. 8.3.3). 

Abb. 8.18 Zur Ausbreitung von Wellen um ein Hindernis

8.3

Das Huygens-Fresnel’sche Prinzip und die Ausbreitung von Wellen

8.3.2

307

Reflexion und Brechung

Im Folgenden beschäftigen wir uns mit der Frage, was passiert, wenn eine in einem Medium 1 laufende Welle auf die Grenzfläche zu einem Medium 2 trifft. Die Medien haben i. Allg. unterschiedliche physikalische Eigenschaften, sodass sich an dieser Grenzfläche die Phasengeschwindigkeit und damit auch die Wellenlänge der Welle ändert. Wie ändert sich die Ausbreitung der Welle? Die Anwendung des Huygens-Fresnel’schen Prinzips Eine ebene Welle treffe im Medium 1 unter einem Winkel α zur Normalen (Lot) auf die Grenzfläche zum Medium 2 (siehe Abb. 8.19). Wir betrachten die Wellenfront AC. Da diese ebenfalls um den Winkel α gegen die Grenzfläche geneigt ist, werden die einzelnen Punkte der Grenzfläche zu verschiedenen Zeiten von der Wellenfront erfasst, sodass an diesen Punkten die Schwingungen der Größe u( x , t) phasenverschoben sind. Die an den einzelnen Punkten der Grenzfläche entstehenden Elementarwellen breiten sich in beiden Medien mit unterschiedlichen Phasengeschwindigkeiten c1 und c2 aus. Durch die Überlagerung dieser Elementarwellen entsteht im Medium 1 eine reflektierte Welle und im Medium 2 eine gebrochene Welle (siehe Abb. 8.19), deren Ausbreitungsrichtungen sich aus einer geometrischen Betrachtung ergeben. Die reflektierte Welle In der Zeit τ ist die Wellenfront AC bis zum Punkt B auf der Grenzfläche vorgedrungen, wobei die Länge dieser Strecke gegeben ist durch BC = c1 · τ . In der gleichen Zeit hat sich aber die Elementarwelle, die im Punkt A entsteht, bereits ausgebreitet und besitzt im Medium 1 den Radius AC  = c1 ·τ = BC. Die Einhüllende aller auf der Strecke AB der Grenzfläche entstehenden Elementarwellen ergibt im Medium 1 die neue Wellenfront BC  , die mit der Grenzfläche den Winkel α  einschließt. Da die beiden rechtwinkligen Dreiecke AC  B und AC B dieselbe Hypotenuse sowie zwei gleiche Katheten AC  = BC besitzen, sind sie kongruent. Deshalb sind auch die beiden Winkel α und α  gleich, und es gilt: Das Reflexionsgesetz

Wird eine ebene Welle an einer Grenzfläche zwischen zwei verschiedenen Medien reflektiert, so ist der Reflexionswinkel α  gleich dem Einfallswinkel α α  = α,

(8.30)

die beide gegen die Normale zur Grenzfläche gemessen werden (siehe Abb. 8.19).



Die gebrochene Welle Derjenige Teil der Welle, der in das Medium 2 eindringt, erfährt i. Allg. eine Richtungsänderung. Während im Medium 1 die einlaufende Welle in der Zeit τ von C nach B läuft, breitet sich die im Punkt A entstehende Elementarwelle im Medium 2 bis zum Punkt D aus

308

8 Wellen

Abb. 8.19 Reflexion und Brechung

und legt die Strecke AD = c2 · τ zurück (siehe Abb. 8.19). Die Strecken BC und AD sind wegen der unterschiedlichen Phasengeschwindigkeit in beiden Medien jedoch verschieden, wobei c1 BC c1 · τ = (8.31) = c2 · τ c2 AD gilt. Die Einhüllende aller auf der Strecke AB der Grenzfläche entstehenden Elementarwellen ergibt im Medium 2 die neue Wellenfront B D, deren Ausbreitungsrichtung durch den Winkel β gegeben ist. Mit sin α = BC und sin β = AD folgt: AB

AB

8.3

Das Huygens-Fresnel’sche Prinzip und die Ausbreitung von Wellen

309

Das Brechungsgesetz

Wird eine ebene Welle an einer Grenzfläche zwischen zwei verschiedenen Medien gebrochen und tritt die Welle vom Medium 1 mit der Phasengeschwindigkeit c1 in das Medium 2 mit der Phasengeschwindigkeit c2 über, dann gilt zwischen dem Einfallswinkel α und dem Brechungswinkel β: c1 sin α = sin β c2

(8.32)

Beide Winkel werden gegen die Normale zur Grenzfläche gemessen (siehe Abb. 8.19).  Zur Auswirkung der Dispersion auf den Brechungswinkel Tritt in einem Medium Dispersion auf, so hängt bei gleichem Einfallswinkel α der Brechungswinkel β von der Frequenz der auf die Grenzfläche zu diesem Medium auftreffenden Welle ab. Dadurch ist die Möglichkeit gegeben, eine durch Überlagerung von Wellen mit verschiedenen Frequenzen entstandene Welle in einzelne monochromatische Anteile mit gleicher Frequenz bzw. Wellenlänge zu zerlegen. Beispiel 8.6 Die spektrale Zerlegung von „weißem“ Licht durch ein Prisma

Die Phasengeschwindigkeit von Licht in Glas hängt von der Frequenz ab (siehe Abschn. 8.1). Fällt „weißes“ Licht mit einem von α = 0◦ verschiedenen Winkel auf ein Prisma, so wird aufgrund der Dispersion nach (8.32) rotes Licht weniger stark gebrochen als violettes Licht. Man erhält auf diese Weise eine spektrale Zerlegung des Lichtes.  Bemerkung: Man beachte, dass die Phasengeschwindigkeit von Licht im Vakuum unabhängig von der Frequenz ist, sodass im Vakuum keine Dispersion auftritt! 

310

8.3.3

8 Wellen

Beugung

In Abschn. 8.3.1 haben wir gesehen, dass das Huygens-Fresnel’sche Prinzip insbesondere den Effekt erklärt, dass sich Wellen auch um ein Hindernis herum ausbreiten und damit in Bereiche vordringen können, die bei einer geradlinigen Ausbreitung der Welle nicht erreichbar wären. Allgemein sprechen wir von der Beugung einer Welle, wenn in einem homogenen Medium eine Abweichung von der geradlinigen Ausbreitungsrichtung auftritt. Da diese Änderung der Ausbreitungsrichtung zustande kommt durch die Interferenz von i. Allg. unendlich vielen Elementarwellen, ist die Beugung von Wellen ein Interferenzphänomen! Besonders gut kann man Beugungseffekte anhand von Lichtwellen studieren.

8.3.3.1 Licht und Schatten Fällt eine ebene Lichtwelle auf eine Lochblende, so schneidet sie ein Lichtbündel aus, das auf einem Schirm einen mehr oder weniger scharf begrenzten Lichtfleck erzeugt (siehe Abb. 8.20). Analog erzeugt ein Hindernis auf einem Schirm einen Schattenbereich, der ebenfalls nicht scharf begrenzt ist. An der geometrischen Schattengrenze beobachtet man z. B. noch etwa 50 % der Intensität, die dort ohne das Hindernis vorhanden wäre. Kann man die Begrenzung von Licht und Schatten schärfer machen? Verkleinert man die Lochblende bzw. das Hindernis, so stellt man fest, dass Lichtfleck und Schatten schärfer werden. Versucht man, durch fortgesetzte Verkleinerung die Begrenzung von Licht und Schatten immer schärfer zu machen, so findet man, dass dies nur bis zu einem gewissen Grad möglich ist. Das liegt daran, dass an den Punkten in der Lochblende bzw. am Hindernis Elementarwellen entstehen, die sich auch in den „Schattenbereich“ ausbreiten. Ist die Ausdehnung von Lochblende bzw. Hindernis groß im Vergleich zur Wellenlänge des Lichtes (d  λ), so löschen sich die Elementarwellen bei ihrer Interferenz in Richtung des Schattenbereiches nahezu vollständig aus, sodass die Intensität des Lichtes im Schattenbereich nicht nennenswert ist. Man kann dann die Beugung des Lichtes in den Schattenbereich vernachlässigen. Ist jedoch die Ausdehnung von Loch bzw. Hindernis ungefähr gleich der Wellenlänge des Lichtes (d ∼ λ), so gibt es Richtungen, in denen sich die Elementarwellen bei ihrer Interferenz verstärken, weshalb es Orte im eigentlichen Schattenbereich gibt, an denen die Intensität des Lichtes nennenswert von null verschieden ist. Ferner gibt es Richtungen, in denen sich die Elementarwellen bei ihrer Interferenz auslöschen. Zusammenfassend finden

Abb. 8.20 Licht und Schatten

8.3

Das Huygens-Fresnel’sche Prinzip und die Ausbreitung von Wellen

311

Abb. 8.21 Beugungsmuster einer Lochblende

wir abwechselnd zu beiden Seiten Maxima und Minima der Lichtintensität. Diese Struktur von Intensitätsmaxima und -minima heißt Beugungsmuster, das vollkommen analog zu den Interferenzmustern ist (siehe Abb. 8.21). Merke:

Beugungseffekte spielen immer dann eine Rolle, wenn Wellen durch Blenden begrenzt werden oder auf Hindernisse treffen, deren Ausdehnung ungefähr gleich der Wellenlänge ist. Beugungseffekte sind typische Welleneigenschaften. Sie entstehen durch Interferenz von Elementarwellen. 

Dies wird im Folgenden anhand einiger Beispiele erläutert. Insbesondere werden wir auch eine Antwort auf die Frage geben, warum die Begrenzung von Licht und Schatten nicht scharf ist.

8.3.3.2 Die Beugung am Spalt Wir betrachten eine ebene Lichtwelle, die auf eine schmale Öffnung der Breite d in einem Hindernis trifft (siehe Abb. 8.22). An allen Punkten innerhalb des Spaltes entstehen Elementarwellen, die sich auch in den Schattenbereich ausbreiten. Durch Interferenz dieser Elementarwellen entsteht auf einem Schirm ein charakteristisches Beugungsmuster. Neben einem zentralen Intensitätsmaximum folgen zu beiden Seiten abwechselnd Minima und Maxima mit abnehmender Intensität, was wir anhand der folgenden qualitativen Betrachtung erläutern. Die Lage der Minima Wir denken uns das gesamte Lichtbündel in zwei Teilbündel B1 und B2 zerlegt, die den Winkel α zur Einfallsrichtung besitzen mögen. Es gibt dann einen Winkel α1 , sodass die beiden Elementarwellen, die zu den Randstrahlen gehören, den Gangunterschied x = d · sin α1 = λ besitzen. Dann gibt es zu jeder Elementarwelle im Bündel B1 eine Elementarwelle im Bündel B2 derart, dass diese den Gangunterschied λ/2 besitzen und sich deshalb bei der Interferenz in dieser Richtung auslöschen. Für diesen Winkel α1 , für den zum ersten Mal durch Interferenz Auslöschung erfolgt, gilt:

312

8 Wellen

Abb. 8.22 Beugungsmuster am Spalt

sin α1 =

λ d

(8.33)

Allgemein findet Auslöschung statt, wenn der Gangunterschied zwischen den Elementarwellen, die zu den Randstrahlen gehören, x = d · sin αn = n · λ beträgt. Die Bedingung für die Winkel αn , unter denen Intensitätsminima auftreten, lautet damit: sin αn =

n·λ , n = 1, 2, 3 . . . d

(8.34)

Die Lage der Maxima Wir denken uns nun das gesamte Lichtbündel in drei Teilbündel B1, B2 und B3 zerlegt, die den Winkel β zur Einfallsrichtung besitzen (siehe Abb. 8.23). Für β = 0◦ ist der Gangunterschied zwischen allen Elementarwellen null, sodass sie sich bei der Überlagerung verstärken und so das zentrale Intersitätsmaximum bilden (siehe Abb. 8.22). Ferner gibt es einen Winkel β1 derart, dass die beiden am Spaltrand entstehenden Elementarwellen einen Gangunterschied von x = d · sin β1 = 32λ haben. In diesem Fall gibt es zu jeder Elementarwelle im Bündel B1 eine Elementarwelle im Bündel B2, sodass diese den Gangunterschied λ/2 besitzen und sich deshalb bei der Interferenz in dieser Richtung auslöschen. Da der Gangunterschied zwischen den Elementarwellen des Bündels B3 kleiner als λ2 ist, löschen sie sich bei der Interferenz nicht aus und erzeugen so das 1. Nebenmaximum, dessen Intersität wegen der teilweisen Auslöschung in Richtung β1 geringer ist als die des zentralen Intensitätsmaximums (siehe Abb. 8.22). Allgemein gilt für den Winkel βn , unter dem wir das n-te Nebenmaximum finden, die Bedingung: λ 1 · , n = 1, 2, 3 . . . (8.35) sin βn = n + 2 d Bemerkung: Zum Grenzbereich von Licht und Schatten

8.3

Das Huygens-Fresnel’sche Prinzip und die Ausbreitung von Wellen

313

Abb. 8.23 Zur Lage der Maxima

Wird d >> λ, so verschwinden die Beugungseffekte, da das Verhältnis λ/d mit wachsendem d gegen null strebt. Damit rutschen die Nebenmaxima immer näher an das zentrale Intensitätsmaximum, das die Nebenmaxima allerdings dominiert. So prägt sich der Schattenraum immer mehr aus, und es entsteht eine „mehr oder weniger“ scharfe Abgrenzung zwischen „Licht“ und „Schatten“.

 Zum Auflösungsvermögen optischer Geräte Optische Instrumente (Auge, Mikroskop, Kamera, . . .) erzeugen ein Bild eines betrachteten Gegenstandes, wobei wegen der Beugung ein Gegenstandspunkt nicht als „Bildpunkt“, sondern als ein „Beugungsscheibchen“ abgebildet wird (siehe Abb. 8.24). Liegen die Gegenstandspunkte zu dicht beisammen, so überlappen sich die Beugungsscheibchen, und die Punkte können nicht mehr als getrennt wahrgenommen werden. Bezeichnet g den kleinsten Abstand zweier Gegenstandspunkte, die noch getrennt wahrgenommen werden können, dann heißt

314

8 Wellen

Abb. 8.24 Zum Auflösungsvermögen optischer Geräte

A :=

1 g

(8.36)

Auflösungsvermögen A des betrachteten optischen Gerätes. Das Auflösungsvermögen optischer Instrumente ist also durch die Beugung des Lichtes begrenzt, welche durch die Begrenzung von Lichtbündeln durch Fassungen von Linsen oder Blenden hervorgerufen wird. Beispiel 8.7 Das Auflösungsvermögen des menschlichen Auges Das Auflösungsvermögen des menschlichen Auges ist physikalisch durch die Beugung begrenzt, die durch die Pupillenöffnung d = 0,25 cm hervorgerufen wird. In der sogenannten deutlichen Sehweite, d. h. einem Abstand von 25 cm vom Auge, können zwei Punkte nur dann als getrennt wahrgenommen werden, wenn ihr Abstand nicht kleiner als 0,1 mm beträgt. Das Auflösungsvermögen des menschlichen Auges beträgt also in der deutlichen Sehweite A = 0,11mm = 104 m −1 . 

8.3.3.3 Die Beugung am Gitter Ein Beugungsgitter besteht aus einer Vielzahl parallel angeordneter Spalte, die alle den gleichen Abstand g besitzen (siehe Abb. 8.25). g heißt Gitterkonstante. Die Gitterkonstante sei groß gegenüber der Spaltbreite. Ist die Breite der Spalte sehr klein, so entsteht in jedem Spalt eine Elementarwelle. Der Gangunterschied zwischen zwei benachbarten Elementarwellen in Richtung β zur Einfallsrichtung der ebenen Welle beträgt: x = AC = g · sin β

(8.37)

8.3

Das Huygens-Fresnel’sche Prinzip und die Ausbreitung von Wellen

315

Abb. 8.25 Zur Beugung am Gitter

Ist dieser Gangunterschied x = n · λ, so verstärken sich die Elementarwellen bei ihrer Interferenz. Die Winkel βn , unter denen wir Intensitätsmaxima finden, sind also gegeben durch: n·λ , n = 0, 1, 2 . . . (8.38) sin βn = g Hierin bezeichnet n die Ordnung der einzelnen Maxima, d. h., wir sprechen vom Maximum 0. Ordnung, 1. Ordnung usw. Ist die Zahl der Spalte groß (≥1000), so löschen sich die Elementarwellen zwischen den Intensitätsmaxima nahezu vollständig aus. Zur Bestimmung der Wellenlänge von Licht mit einem Gitter Mit dem Abstand d = l · tan βn des n-ten Maximums vom zentralen Intensitätsmaximum (siehe Abb. 8.26) erhalten wir für kleine Winkel βn : n·λ d = tan βn sin βn = l g

Abb. 8.26 Zur Bestimmung der Wellenlänge von Licht mit einem Gitter

316

8 Wellen

Indem wir d, l und g messen, können wir dann die Wellenlänge von Licht gemäß λ =

g·d l ·n

(8.39)

bestimmen. Zum spektralen Auflösungsvermögen von Spektralapparaten Indem man bei einem Gitter die Spaltenzahl N bei gleichbleibendem gegenseitigem Abstand g der Spalte erhöht, ändern die Intensitätsmaxima (8.38) nicht ihre Lage, sondern sie werden schmaler! Ist die Zahl der Spalte groß genug, so ist eine Auflösung, d. h. Trennung, von Wellenlängen λ1 λ2 für Intensitätsmaxima höherer Ordnung n > 0 möglich. Während sich für das zentrale Maximum mit n = 0 keine Aufspaltung ergibt, liegen in höheren Ordnungen n > 0 die Beugungsmaxima für eine kleinere Wellenlänge (z. B. Blau) bei einem kleineren Winkel als für eine größere Wellenlänge (z. B. Rot) (siehe Abb. 8.25). Damit eignen sich optische Gitter in besonderer Weise zur spektralen Analyse optischer Spektren von Atomen und Molekülen (siehe Abschn. 11.5). Wenn ein Spektralapparat (Spektrograph) zwei Wellenlängen λ1 λ2 λ mit λ = λ2 − λ1 „gerade noch trennen“ kann, so besitzt er das Auflösungsvermögen A :=

λ . λ

(8.40)

Wir finden empirisch, dass man zwei Wellenlängen „gerade noch trennen kann“, wenn der Abstand der Maxima größer ist als die Halbwertsbreite der Spektrallinie (siehe Abb. 8.27). Für ein Beugungsgitter ist das Auflösungsvermögen gegeben durch: A =

λ = n·N λ

(8.41)

Hierin bezeichnen N die Zahl der Spalte und n die Ordnung des Beugungsmaximums.

Abb. 8.27 Zum spektralen Auflösungsvermögen

8.3

Das Huygens-Fresnel’sche Prinzip und die Ausbreitung von Wellen

317

Beispiel 8.8 Spektrales Auflösungsvermögen Ein Beugungsgitter besitze N = 150 000 Spalte. Für die n = 2-te Ordnung beträgt dann das Auflösungsvermögen des Gitters A = 300 000. Das bedeutet, dass zwei Wellenlängen λ1 λ2 λ = 6000 Å (1Å = 10−8 cm = 10−10 m) noch getrennt werden können, wenn ihre Differenz 6000 Å λ λ = λ2 − λ1 = = = 2 · 10 −2 Å A 300 000 beträgt. Damit können z. B. die beiden Wellenlängen λ1 = 6000,00 Å und λ2 = 6000, 02 Å noch getrennt werden. 

8.3.3.4 Röntgenbeugung an Kristallen Kristallstrukturen kann man durch Beugung von Röntgenstrahlen analysieren. Hierbei wird eine einfallende Röntgenwelle an den einzelnen Atomen von parallelen Atomebenen oder Netzebenen gestreut, wodurch eine am Kristall reflektierte Welle entsteht (siehe Abb. 8.28). Eine solche am Kristall reflektierte Welle findet man aber nur für bestimmte Einfallswinkel θn . Hierbei stellen sich folgende Fragen: • Warum entsteht eine solche reflektierte Welle nur für bestimmte Einfallswinkel? • Welche Information steckt in diesen Winkeln? An jedem Atom entsteht eine kugelförmige Streuwelle. Alle Streuwellen einer Ebene interferieren und bilden so eine an der Netzebene reflektierte Welle, deren Ausfallswinkel gleich dem Einfallswinkel der einlaufenden Welle ist. Da aber an einer Ebene nur ein geringer Bruchteil der einfallenden Welle reflektiert wird, kann diese tief in den Kristall eindringen, sodass an sehr vielen (∼ 104 ) Netzebenen reflektierte Wellen entstehen, die alle interferieren. Nur dann, wenn der Gangunterschied x = 2 d sin θ dieser interferierenden Wellen ein ganzzahliges Vielfaches der Wellenlänge der einfallenden Strahlung ist, verstärken sich

Abb. 8.28 Zur Röntgenbeugung an Kristallen

318

8 Wellen

die reflektierten Wellen bei ihrer Interferenz und ergeben die am Kristall reflektierte Welle. Deshalb finden wir nicht für beliebige Einfallswinkel θ eine am Kristall reflektierte Welle, sondern nur für solche Winkel θn , die der Bragg-Bedingung genügen 2 · d · sin θn = n · λ , n = 1, 2, 3, . . . ,

(8.42)

worin d den Abstand der Netzebenen bezeichnet. Diese am Kristall stattfindenden Reflexionen heißen Bragg-Reflexionen und werden entsprechend den Werten von n als Reflexionen 1., 2., . . . Ordnung bezeichnet. Mit steigender Ordnung wird jedoch die Intensität der am Kristall reflektierten Welle schwächer. Bemerkungen: • Damit Bragg-Reflexionen auftreten können, muss die einfallende Welle an den einzelnen Atomen gestreut werden können, d. h., die Wellenlänge muss vergleichbar sein mit dem Atomdurchmesser (λ d ≈ 1 Å), der etwa dem Abstand d der Netzebenen entspricht. Deshalb kann kein sichtbares Licht (λ ∼ 4000–8000 Å) verwendet werden. • Nicht nur an Ebenen, die durch die Flächen der Elementarzellen (kubisch, tetragonal, orthorhombisch, monoklin, triklin, hexagonal, rhoboedrisch) gebildet werden, sondern an jeder Ebene, die regelmäßig angeordnete Atome enthält, können Reflexionen auftreten! Aus ihrer Analyse erhält man Informationen über die Kristallstruktur. 

8.3.4

Absorption und Streuung von Licht durch Materie

Beim Durchgang durch Materie wird Licht geschwächt. Dies geschieht zum einen durch Absorption, wobei Strahlungsenergie in andere Energieformen, wie z. B. Wärme, umgewandelt wird, und Streuung, wobei ein Teil der Strahlung nur die Ausbreitungsrichtung ändert, aber Strahlung bleibt. Interessiert man sich lediglich für die gesamte Abschwächung des Lichtes beim Durchgang durch eine Substanz, so fasst man beide Effekte zusammen und spricht von Extinktion. Zur Schwächung von Licht beim Durchgang durch Materie Die Intensität I (x) einer Lichtwelle nimmt exponentiell mit der Schichtdicke x der durchquerten Materie ab.

8.3

Das Huygens-Fresnel’sche Prinzip und die Ausbreitung von Wellen

Es gilt genauer:

I (x) = I0 · e− α x

319

(8.43)

Hierin bezeichnet I0 die Intensität der Strahlung vor und I (x) die Intensität nach Durchqueren der Materie. α heißt Extinktionskoeffizient oder, wenn keine Streuung vorliegt, Absorptionskoeffizient. Absorptionsspektrum Aufgrund ihrer unterschiedlichen Eigenschaften absorbieren und streuen verschiedene chemische Substanzen Licht ganz unterschiedlich. Deshalb ist das (Absorptions-)Spektrum α(λ) eines der wichtigsten Mittel zur Charakterisierung von Substanzen, besonders in der organischen Chemie. So ist z. B. in Abb. 8.29 das Absorptionsspektrum von Hämoglobin dargestellt. Es hat ein langgestrecktes Minimum im Bereich 610–700 nm, d. h. im Bereich des roten Lichtes (siehe Abb. 9.1). Rotes Licht wird also durch Hämoglobin weniger stark absorbiert als Licht anderer Wellenlängen, weshalb Blut rot erscheint. Warum die Absorptionsspektren so sind, wie sie sind, ist in der Regel allerdings nicht bekannt. So ist das Spektrum von Hämoglobin überhaupt nicht und das von Chlorophyll nur zum Teil verstanden. Das Lambert-Beer’sche Gesetz für verdünnte Lösungen Die physikalische Größe Extinktion E ist definiert durch: I0 = α · x · log e E := log I

Abb.8.29 Absorptionsspektrum von Hämoglobin

(8.44)

320

8 Wellen

Im Falle von verdünnten Lösungen ist der Extinktionskoeffizient α = α  · c proportional zur Konzentration c (in g/l oder mol/l) der gelösten Stoffe in einem durchsichtigen Lösungsmittel. Dann gilt für die Extinktion E das Lambert-Beer’sche Gesetz: E = ·c·x

(8.45)

Hierin bezeichnen x die Schichtdicke der Lösung und  = α  · log e den spezifischen Extinktionskoeffizienten. Das Lambert-Beer’sche Gesetz gestattet in einfacher Weise die Bestimmung der Konzentration c, gilt aber nur für verdünnte Lösungen!

8.3.5

Der Doppler-Effekt

Bisher haben wir stillschweigend vorausgesetzt, dass der Oszillator einer Welle sowie ein Beobachter relativ zum Medium, in dem sich die Welle ausbreitet, ruhen. Bewegen sich der Oszillator und der Beobachter relativ zueinander, so stellt der Beobachter eine Frequenzänderung fest, was wir Doppler-Effekt nennen. Handelt es sich um mechanische Wellen in einem elastischen Medium, so hängt diese Frequenzänderung davon ab, wer von beiden sich tatsächlich gegenüber dem Medium bewegt. Bewegter Beobachter Wir betrachten zunächst einen relativ zum Medium ruhenden Oszillator, der mit der Frequenz ν0 schwingt (siehe Abb. 8.30). Die Frequenz, die der Beobachter misst, entspricht der Zahl der Wellenberge, die ihn pro Sekunde passieren. Wenn der Beobachter ruht, so passieren ihn pro Sekunde ν0 = λc0 Wellenberge. Bewegt er sich aber mit der Geschwindigkeit v auf den Oszillator zu, so legt er pro Sekunde die Strecke s = v · 1 s zurück. Er passiert dabei s v·1s v λ0 = λ0 zusätzliche Wellenberge, weshalb er pro Sekunde λ0 zusätzliche Schwingungen zählt.

Abb. 8.30 Zum Doppler-Effekt für einen bewegten Beobachter

8.3

Das Huygens-Fresnel’sche Prinzip und die Ausbreitung von Wellen

321

Zusammenfassend:

• Bewegt sich der Beobachter mit der Geschwindigkeit v auf den ruhenden Oszillator zu, so misst er die Frequenz v v v

ν = ν0 + . (8.46) = ν0 + · ν0 = ν0 · 1 + λ0 c c • Bewegt er sich dagegen mit der Geschwindigkeit v vom ruhenden Oszillator fort, so misst er die Frequenz v

. (8.47) ν = ν0 · 1 −  c

Bewegter Oszillator Der Beobachter möge nun relativ zum Medium ruhen und der Oszillator sich mit der Geschwindigkeit v bewegen (siehe Abb. 8.31). In diesem Fall ändert sich die Wellenlänge der Welle in Richtung zum Beobachter und damit auch die Frequenz. Bewegt sich der Oszillator auf den Beobachter zu, so legt er in der Zeit T (Schwingungsdauer) die Strecke s = v · T zurück. In dieser Zeit hat der Oszillator genau eine Schwingung durchgeführt. Der Abstand zu einem benachbarten Punkt mit dem gleichen Schwingungszustand entspricht aber gerade der Wellenlänge λ, die der Beobacher B messen kann. Sie ist genau um die Strecke s = v · T kürzer als die Wellenlänge λ0 im Falle des ruhenden Oszillators. Damit gilt: v v

λ = λ0 − v · T = λ0 − = λ0 · 1 − ν0 c

Abb. 8.31 Zum Doppler-Effekt für einen bewegten Oszillator

322

8 Wellen

Zusammenfassend:

• Bewegt sich der Oszillator mit der Geschwindigkeit v auf den ruhenden Beobachter zu, so misst dieser die Frequenz ν =

c c 1 = · λ λ0 1 −

v c

= ν0 ·

1 1−

v c

.

(8.48)

• Bewegt sich der Oszillator dagegen mit der Geschwindigkeit v vom ruhenden Beobachter fort, so misst er die Frequenz ν = ν0 ·

1 1+

v c

.

(8.49) 

Bemerkungen: • In den Gl. (8.46)–(8.49) bezeichnet v die Relativgeschwindigkeit von Beobachter bzw. Oszillator zum Medium. Da aber der jeweils andere ruht, entspricht v auch der Relativgeschwindigkeit vr el zwischen Oszillator und Beobachter. Der Vergleich von z. B. (8.47) mit (8.49) zeigt aber, dass wegen 1−

1 v = c 1+

v c

= 1−

 v 2 v + ∓ ··· c c

es nicht egal ist, wer von beiden sich tatsächlich relativ zum Medium bewegt, obwohl die Relativgeschwindigkeit zwischen beiden gleich ist! • Für Licht (und allgemeiner elektromagnetische Wellen) gilt die beschriebene Herleitung nicht, da die Ausbreitung elektromagnetischer Wellen nicht an ein Medium gebunden ist. Ferner gibt es im Falle von Licht keinen Unterschied zwischen bewegtem Beobachter und bewegter Lichtquelle, sodass der Doppler-Effekt für Licht nur von der Relativgeschwindigkeit vr el zwischen Beobachter und Lichtquelle abhängt (Ausdruck der Relativität)! Bewegen sich z. B. beide voneinander fort, so gilt (vgl. (8.47)):

  1 − vrcel 1  vr el 2 vr el ν = ν0 · + = ν0 · 1 − ∓ ... (8.50) 1 + vrcel c 2 c 

9

Optik

Inhaltsverzeichnis 9.1 Grundlegende Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Die Gesetze der geometrischen Optik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3 Optische Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.1 Abbildung durch ebene Spiegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.2 Abbildung durch Linsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.2.1 Brennpunkt, Brennweite und Brechkraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.2.2 Abbildungsgleichung und Abbildungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.2.3 Zur Bildkonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.2.4 Abbildungsfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4 Das menschliche Auge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

323 328 331 332 333 333 335 336 337 339

Nach einer Klassifizierung von optischen Phänomenen in Wellenoptik und geometrische Optik führen wir als zentralen Begriff der geometrischen Optik Strahlenbündel oder Lichtstrahlen ein. Wir diskutieren optische Abbildungen und im Detail die Abbildungseigenschaften von Spiegeln, Linsen und Linsensystemen, die wir auch Objektive nennen, sowie Abbildungsfehler. Als ein Beispiel für ein optisches Instrument betrachten wir dann den Aufbau und die Funktionsweise des menschlichen Auges [13, 14].

9.1

Grundlegende Begriffe

Das Spektrum des Lichtes Die Optik beschäftigt sich mit dem Bereich der elektromagnetischen Strahlung, den das menschliche Auge wahrnehmen kann, und den wir Licht nennen (siehe Abschn. 11.1.3). Diesen Bereich können wir durch Frequenz und Wellenlänge kennzeichnen (siehe Abb. 9.1).

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Rufa, Physik für Studierende der Biowissenschaften, Chemie und Medizin, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61258-3_9

323

324

9 Optik

Abb. 9.1 Das Spektrum des Lichtes

Die Gebiete der Optik Die Optik gliedert sich in „Wellenoptik“ und „geometrische Optik“. Die Wellenoptik beschäftigt sich mit Phänomenen der Interferenz, Beugung und Polarisation des Lichtes, d. h. mit Erscheinungen, die auf den Wellencharakter des Lichtes zurückgeführt werden können und die wir bereits im 8. Kapitel diskutiert haben. In diesem Kapitel betrachten wir ausführlicher die geometrische Optik, die den Bereich der Optik umfasst, in dem die Wellennatur des Lichtes bei der Ausbreitung keine Rolle spielt. Die Ausbreitung von Licht können wir dann durch parallele Strahlen beschreiben, die senkrecht zu den Wellenfronten stehen. Lichtstrahlen Fällt eine ebene Lichtwelle auf eine Lochblende mit dem Durchmesser d, so schneidet diese ein Lichtbündel aus, das wir in der geometrischen Optik durch die das Bündel begrenzenden Strahlen beschreiben (siehe Abb. 9.2). Der Durchmesser d der Blende sei groß gegenüber der Wellenlänge λ. Statt von einem Lichtbündel sprechen wir auch von einem Strahlenbündel oder kurz einem Lichtstrahl. Eine Abweichung von der geradlinigen Ausbreitung von Licht in einem homogenen Medium rührt von Beugungseffekten her! Betrachten wir z. B. das Beugungsmuster am Spalt, so finden wir, dass nach (8.33) das zentrale Intensitätsmaximum von zwei Minima unter einem Winkel α mit λ sin α = (9.1) d

9.1

Grundlegende Begriffe

325

Abb. 9.2 Lichtstrahlen der geometrischen Optik

begrenzt wird. In Abschn. 8.3.3 haben wir ferner gesehen, dass die Nebenmaxima mit größer werdendem Durchmesser d des Spaltes gegen das zentrale Intensitätsmaximum streben. Im Fall d  λ können wir davon ausgehen, dass die Intensität des Lichtstrahls praktisch im zentralen Intensitätsmaximum enthalten ist, d. h., der Lichtstrahl breitet sich innerhalb des Öffnungswinkels 2α aus! Deshalb ist jeder Lichtstrahl aufgrund der Beugung (wenn auch nur geringfügig) divergent. Wie klein dürfen Blenden sein, dass wir von einer geradlinigen Ausbreitung eines Lichtstrahls ausgehen können? Wir finden experimentell, dass eine Abweichung des Strahlenganges von einer geradlinigen Ausbreitung unerheblich ist, wenn α ≤ 0,06 ◦ , d. h. sin α ≤ 0,001, ist. Für eine mittlere Wellenlänge des sichtbaren Spektralbereiches λ = 6 · 10−7 m = 600 nm = 6 000 Å folgt dann nach (9.1): d =

λ 6 · 10−7 m = = 0,6 mm sin α 10−3

(9.2)

Zusammenfassend:

Sind also Blendendurchmesser nicht kleiner als ca. 0,6 mm, so können wir von einer geradlinigen Ausbreitung von Lichtstrahlen ausgehen.  Brechungsindex Materie und Licht, d. h. allgemeiner elektromagnetische Strahlung, „wechselwirken“ miteinander (siehe Abschnitte 1.2 und 11.3.2), weshalb sich Licht in Materie nicht ungehindert ausbreiten kann. Neben der bereits diskutierten Absorption und Streuung von Licht in Materie ist eine Folge dieser Wechselwirkung, dass die Lichtgeschwindigkeit cm in einem Medium kleiner ist als die Lichtgeschwindigkeit co im „materiefreien Raum“ oder

326

9 Optik

Vakuum. Das bedeutet insbesondere, dass eine Brechung von Licht beim Übergang zwischen verschiedenen Medien auftritt (siehe Abschn. 8.3.2). Es ist in der Optik zweckmäßig, den Einfluss der Materie auf die Lichtgeschwindigkeit durch eine stoffspezifische Größe zu beschreiben, die wir Brechungsindex nennen. Der Brechungsindex oder die Brechzahl n m einer Substanz ist definiert als das Verhältnis der Lichtgeschwindigkeit co im Vakuum zur Lichtgeschwindigkeit cm im betrachteten Medium co n m := , (9.3) cm worin co = 299 792 458 m/s  3 · 108 m/s die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum bezeichnet. Der Brechungsindex ist eine dimensionslose Größe. Da ferner cm stets kleiner als co ist, sind die Brechzahlen n m stets größer als 1. In Tab. 9.1 sind die Brechzahlen einiger Substanzen für Licht der Wellenlänge λ = 589 nm zusammengefasst. Da sich die Frequenz von Licht bei einem Übergang zwischen zwei verschiedenen Medien mit den Brechzahlen n 1 und n 2 nicht ändert, findet wegen cm = ν · λm = ncmo eine Änderung der Wellenlänge statt. Aus co co = ν = λ1 · n 1 λ2 · n 2 folgt:

λ2 n1 = λ1 n2

(9.4)

Die Wellenlängen eines Lichtstahls in verschiedenen Medien verhalten sich also umgekehrt wie die Brechzahlen. Ferner heißt ein Medium 1 optisch dichter als ein Medium 2, wenn für die Brechzahlen n 1 > n 2 gilt, und das Medium 2 heißt dann auch optisch dünner als das Medium 1. Normale und anomale Dispersion Die Abhängigkeit der Phasengeschwindigkeit von der Frequenz heißt Dispersion (siehe Abschn. 8.1). Die Lichtgeschwindigkeit co im Vakuum ist unabhängig von der Frequenz! Da die Phasengeschwindigkeit cm von Licht in einem Medium aber von der Frequenz bzw. der (Vakuum-)Wellenlänge abhängt, ist eine weitere Konsequenz der Dispersion, dass nach (9.3) auch der Brechungsindex n m von der Frequenz abhängt. Für die meisten Substanzen

Tab. 9.1 Brechzahlen einiger Substanzen Substanz

nm

Vakuum

1

Luft (Normalbedingungen)

1,000 3

Wasser

1,333

Glas

1,5 − 1,8

Diamant

2,417

9.1

Grundlegende Begriffe

327

Abb. 9.3 Normale Dispersion

nimmt n m mit wachsender Wellenlänge ab (siehe Abb. 9.3). Dieses Verhalten heißt normale Dispersion. Seltener ist der Fall, dass der Brechungsindex mit der Wellenlänge zunimmt, was wir anomale Dispersion nennen. Photometrische Größen Unter dem Lichtstrom Φv verstehen wir das gesamte durch eine Lichtquelle, wie z. B. einer Kerze oder einer Taschenlampe, ausgesendete Licht. Die SI-Einheit des Lichtstroms heißt Lumen (lm). Eine Lichtquelle wird jedoch ihr Licht i. Allg. in verschiedene Raumrichtungen unterschiedlich aussenden, weshalb der Lichtstrom vom Raumwinkel Ω, gemessen in Steradiant (sr), abhängt (siehe Abschn. 2.1.2). Diese Richtungsabhängigkeit beschreiben wir durch die Lichtstärke Iv . Sie ist definiert durch: Iv :=

d Φv (Ω) dΩ

(9.5)

In dem Spezialfall, dass die Lichtstärke Iv konstant ist, folgt aus (9.5) Φv (Ω) = Iv · Ω oder Iv =

Φv (Ω) = konstant. Ω

(9.6)

Die Lichtstärke ist eine Grundgröße im SI-System (siehe Kap. 1), deren Einheit Candela im neuen System über das photometrische Strahlungsäquivalent K cd definiert ist1 . Darunter verstehen wir den Quotienten aus dem Lichtstrom der betrachteten elektromagnetischen Strahlung und ihrer Strahlungsleistung. Je größer das photometrische Strahlungsäquivalent ist, desto größer ist der, bei gegebener Strahlungsleistung einer Lichtquelle, für das Auge nutzbare Lichtstrom. 1 Countdown zum neuen SI, Physikalisch Technische Bundesanstalt, CODATA 2017 special adjustment

328

9 Optik

„Die Candela (cd) ist die SI-Einheit der Lichtstärke in einer bestimmten Richtung. Sie ist definiert, indem für das photometrische Strahlungsäquivalent K cd der monochromatischen Strahlung der Frequenz 540 · 1012 H z der Zahlenwert 683 festgelegt wird, ausgedrückt in der Einheit lm/W , die gleich cd sr W −1 oder cd sr kg −1 m −1 s 3 ist, wobei das Kilogramm, der Meter und die Sekunde mittels h, c und Δ νCs definiert sind: 1 cd = 2,614 830 . . . · 1010 (Δ νCs )2 h K cd .“

Nach (9.6) folgt dann für den Zusammenhang zwischen den Einheiten Lumen und Candela: cd = lm/sr oder lm = cd sr . Beispiel 9.1 Lichtstrom und Lichtstärke Eine normale Kerze erzeuge einen Lichtstrom von 12 lm und strahle diesen isotrop, d. h. richtungsunabhängig, in den vollen Raumwinkel Ω = 4π sr ab. Nach (9.6) beträgt dann die durch die Kerze erzeugte konstante Lichtstärke: Iv =

12 lm Φv =  1 cd Ω 4π sr 

9.2

Die Gesetze der geometrischen Optik

Im Folgenden fassen wir die grundlegenden Gesetze der geometrischen Optik zusammen:

Übersicht

(1) Das Gesetz der geradlinigen Ausbreitung von Licht Lichtstrahlen breiten sich in einem homogenen Medium geradlinig aus (siehe Abb. 9.4). (2) Das Reflexionsgesetz Wird ein Lichtstrahl an einer ebenen Grenzfläche zwischen zwei verschiedenen Medien reflektiert, so ist der Reflexionswinkel α  gleich dem Einfallswinkel α (siehe Abb. 9.5), die beide gegen die Normale zur Grenzfläche gemessen werden. Einfallender Strahl, reflektierter Strahl und die Normale liegen in einer Ebene (vgl. Abschn. 8.3.2). (3) Das Brechungsgesetz Wird ein Lichtstrahl von einem Medium 1 mit der Brechzahl n 1 in ein Medium 2 mit der Brechzahl n 2 gebrochen, dann gilt für den Zusammenhang zwischen dem Einfallswinkel α und dem Brechungswinkel β: sin α c1 n2 = = sin β c2 n1

(9.7)

9.2

Die Gesetze der geometrischen Optik

329

Abb. 9.4 Zur geradlinigen Ausbreitung von Licht

Verläuft der Lichtstrahl vom optisch dünneren ins optisch dichtere Medium, dann wird er zum Einfallslot hin gebrochen (siehe Abb. 9.5).

Reflexions- und Transmissionsgrad Die Richtungen von reflektiertem und gebrochenem Strahl werden durch das Reflexionsgesetz und das Brechungsgesetz beschrieben. Wie aber bestimmt man, welcher Anteil des einfallenden Lichtstrahls reflektiert bzw. gebrochen wird? Hierüber geben der „Reflexionsgrad“ und der „Transmissionsgrad“ Auskunft.

Abb. 9.5 Zum Reflexions- und Brechungsgesetz

330

9 Optik

Der Reflexionsgrad R beschreibt denjenigen Anteil des auf die Grenzfläche zwischen zwei Medien mit den Brechzahlen n 1 und n 2 einfallenden Lichtstrahls, der reflektiert wird. Er ist definiert als das Verhältnis der Intensitäten von reflektiertem und einfallendem Strahl. Fällt insbesondere der einfallende Strahl senkrecht auf die Grenzfläche (α = 0◦ ), so gilt: R :=

Ir e f (n 2 − n 1 )2 = Iein (n 1 + n 2 )2

(9.8)

Dagegen beschreibt der Transmissionsgrad T denjenigen Anteil des auf die Grenzfläche zwischen den Medien einfallenden Lichtstrahls, der gebrochen wird und in das Medium 2 übergeht. Er ist definiert als das Verhältnis der Intensitäten von gebrochenem und einfallendem Strahl. Für einen senkrecht auf die Grenzfläche auftreffenden Strahl (α = 0◦ ) gilt insbesondere: Igeb 4 n1 n2 T := = (9.9) Iein (n 1 + n 2 )2 Bemerkungen: • Reflexions- und Transmissionsgrad werden für beliebige Einfallswinkel α = 0◦ durch die Fresnel’schen Gleichungen beschrieben [13]. • Die Gl. (9.8) und (9.9) gelten für den Fall, dass keine Absorption stattfindet. Dann ist als Folge des Energieerhaltungssatzes die Summe der Intensitäten von reflektiertem und gebrochenem Lichtstrahl gleich der Intensität des einfallenden Strahls: Ir e f + Igeb = Iein

| :

Iein

Hieraus erhalten wir die folgende Beziehung zwischen Transmissions- und Reflexionsgrad: R + T = 1 (9.10)  Totalreflexion Tritt ein Lichtstrahl von einem optisch dichteren Medium in ein optisch dünneres Medium über, so wird er vom Lot weggebrochen. Es gibt dann einen Einfallswinkel αT , sodass der Brechungswinkel β = 90◦ ist (siehe Abb. 9.6). Dieser Winkel αT heißt Grenzwinkel der Totalreflexion. Er ist gegeben durch: sin αT =

sin αT n2 = < 1 ◦ sin 90 n1

(9.11)

Überschreitet der Einfallswinkel α des Lichtstrahls diesen Grenzwinkel der Totalreflexion, so wird der Lichtstrahl an der Grenzfläche vollständig reflektiert. Dieses Phänomen heißt Totalreflexion. Die Intensität des reflektierten Strahls ist dann gleich der Intensität des einfallenden Strahls, d. h., es gilt R = 1 und T = 0.

9.3

Optische Abbildungen

331

Abb. 9.6 Totalreflexion

Beispiel 9.2 Totalreflexion Nach (9.11) erhalten wir für den Grenzwinkel der Totalreflexion beim Übergang eines Lichtstrahls von Glas mit der Brechzahl n = 1,5 in Luft mit n  1: sin αT =

1 = 0,67 1,5



αT = 42◦ 

9.3

Optische Abbildungen

Hauptanliegen der geometrischen Optik ist es, Bilder von Gegenständen zu erzeugen. Hierbei wird durch eine geschickte Anordnung von reflektierenden und brechenden Flächen in einem optischen Instrument jeder Gegenstandspunkt auf einen Bildpunkt abgebildet. Einen Gegenstandspunkt auf einen Bildpunkt abbilden heißt, die vom Gegenstandspunkt ausgehenden Lichtstrahlen so zu führen, dass sie in einem Punkt, dem Bildpunkt, wieder vereinigt werden. Die Gesamtheit aller Bildpunkte heißt Bild des Gegenstandes. Die Erzeugung eines Bildes von einem Gegenstand heißt optische Abbildung. Bei optischen Abbildungen unterscheiden wir zwischen „reellen“ und „virtuellen Bildern“. Bei einem reellen Bild schneiden sich die Lichtstrahlen, die von einem Gegenstandspunkt ausgehen, tatsächlich im Bildpunkt. Diese Bildpunkte können z. B. auf einer Leinwand sichtbar gemacht oder mit einer Digitalkamera elektronisch aufgenommen werden. So erzeugt z. B. ein Beamer auf einer Leinwand ein reelles Bild. Wenn wir ein reelles Bild betrachten, so kommen die Lichtstrahlen tatsächlich von dem Ort, wo wir das Bild sehen. Bei einem virtuellen Bild schneiden sich die von einem Gegenstandspunkt ausgehenden Strahlen nicht wirklich in dem „Bildpunkt“, den wir sehen. Erst durch das zusätzliche optische Instrument „Auge“ werden die Strahlen in einem Punkt auf der Netzhaut vereinigt, wodurch auf der Netzhaut ein reeller Bildpunkt entsteht, und „wir sehen dann das virtuelle Bild“ (siehe Abb. 9.7). So erzeugt z. B. ein Spiegel ein virtuelles Bild von einem Gegenstand.

332

9 Optik

Das Licht kommt aber nicht wirklich von den Bildpunkten „hinter dem Spiegel“, wo wir das Bild des Gegenstandes „sehen“!

9.3.1

Abbildung durch ebene Spiegel

Ein Spiegel besteht aus einer Grenzfläche zwischen einem durchsichtigen und einem undurchsichtigen Medium. Bei einem Spiegel entsteht ein Bild aufgrund der Reflexion von Lichtstrahlen. Als Beispiel betrachten wir einen Gegenstand, der sich im Abstand l vor einem ebenen Spiegel befinden möge (siehe Abb. 9.7). Von jedem Punkt P des Gegenstandes gehen Lichtstrahlen aus. Fallen diese auf den Spiegel, so gilt für jeden Strahl das Reflexionsgesetz. Die reflektierten Strahlen scheinen für einen vor dem Spiegel stehenden Beobachter von einem Bildpunkt P  hinter dem Spiegel herzukommen. Der Beobachter „sieht“ ein Bild von dem Gegenstand, das sich für ihn im Abstand l „hinter“ dem Spiegel befindet. Dabei handelt es sich um ein virtuelles Bild, da sich die Lichtstrahlen nicht wirklich im Bildpunkt P  schneiden, den er sieht. Zusammenfassend:

Ein ebener Spiegel entwirft von einem im Abstand l vor dem Spiegel befindlichen Gegenstand ein virtuelles, gleich großes und aufrecht stehendes Bild, das sich scheinbar im Abstand l hinter dem Spiegel befindet. 

Abb. 9.7 Abbildung durch einen ebenen Spiegel

9.3

Optische Abbildungen

9.3.2

333

Abbildung durch Linsen

Eine Linse besteht aus einem durchsichtigen Material, das von zwei kugelförmigen Grenzflächen mit den Krümmungsradien r1 und r2 begrenzt wird (siehe Abb. 9.8). Sind beide Grenzflächen konvex, d. h. nach außen gekrümmt (siehe Abb. 9.8(a)), so heißt die Linsenform bikonvex. Sind dagegen beide Grenzflächen konkav, d. h. nach innen gekrümmt (siehe Abb. 9.8(b)), so heißt die Linsenform bikonkav. Die Krümmungsradien besitzen ein Vorzeichen. Per Definition ist ein Radius positiv, wenn der zugehörige Mittelpunkt des Krümmungskreises vom Gegenstand aus gesehen hinter der Linse liegt, und negativ, wenn er vor der Linse liegt. Die optische Achse und die Hauptebene H sind, wie in Abb. 9.8 dargestellt, definiert. Bei einer Linse entsteht ein Bild aufgrund der Brechung der Lichtstrahlen an den Grenzflächen. Ist die Dicke d der Linse klein im Vergleich zum Abstand eines Gegenstandes von der Linse, so sprechen wir von einer dünnen Linse. Bei einer dünnen Linse ersetzen wir der Einfachheit halber die Brechung der Lichtstrahlen an beiden Grenzflächen durch eine (fiktive) Brechung an der Hauptebene (siehe Abb. 9.8).

9.3.2.1 Brennpunkt, Brennweite und Brechkraft Ist ein Gegenstand sehr weit von einer Linse entfernt, so sind die von ihm ausgehenden Lichtstrahlen (nahezu) parallel zur optischen Achse. Fallen diese Strahlen auf eine Bikonvexlinse und ist die Brechzahl des Linsenmaterials größer als die des umgebenden Mediums n 2 > n 1 , so schneiden sich die Lichtstrahlen aufgrund der Brechung in einem Punkt auf der optischen Achse, den wir bildseitigen Brennpunkt F  nennen (siehe Abb. 9.9(a)). Befindet sich dagegen der Gegenstand im gegenstandsseitigen Brennpunkt F, so verlaufen die von ihm ausgehenden Strahlen nach der Brechung durch die Linse parallel zur optischen Achse.

Abb. 9.8 Linsen

334

9 Optik

Abb. 9.9 Brennpunkte und Brennweite

Für eine Bikonkavlinse ist die Lage der Brennpunkte F und F  vertauscht gegenüber einer Bikonvexlinse (siehe Abb. 9.9(b)). Befindet sich die Linse in einem umgebenden Medium mit der Brechzahl n 1 , so ist der Abstand beider Brennpunkte von der Hauptebene gleich und heißt Brennweite f . Die Brennweite hängt von den Krümmungsradien r1 und r2 der Grenzflächen ab sowie von den Brechzahlen n 2 der Linse und n 1 des umgebenden Mediums. Es gilt:   n2 − n1 1 1 1 (9.12) = · − f n1 r1 r2 Wir sprechen von einer Sammellinse, wenn die Brennweite positiv ist, und von einer Zerstreuungslinse, wenn die Brennweite negativ ist. Merke:

f > 0 f < 0

⇒ ⇒

Sammellinse Zerstreuungslinse 

Ist also n 2 > n 1 , so wirkt eine Bikonvexlinse als Sammellinse und eine Bikonkavlinse wegen r1 < 0 und r2 > 0 als Zerstreuungslinse. Schließlich heißt der Kehrwert der Brennweite Brechkraft D der Linse 1 (9.13) D := , f und die Einheit der Brechkraft heißt Dioptrie d pt = 1/m.

9.3

Optische Abbildungen

335

Bemerkung: Die Stärke von Brillen wird in Dioptrie angegeben.



9.3.2.2 Abbildungsgleichung und Abbildungsmaßstab Bei einer optischen Abbildung interessiert man sich für die „Lage“ und die „Größe“ des Bildes. Bei einer Linse sind sie durch die „Abbildungsgleichung“ bzw. den „Abbildungsmaßstab“ gegeben. Der Abstand eines Gegenstandes von der Hauptebene H heißt Gegenstandsweite g und der Abstand des Bildes von der Hauptebene Bildweite b. Von jedem Punkt P des Gegenstandes gehen Lichtstrahlen aus. Ist g > f , so schneiden sich bei einer Sammellinse die Lichtstrahlen durch die Brechung der Linse tatsächlich im Bildpunkt P  (siehe Abb. 9.10(a)). Das gilt für alle achsennahen Strahlen, das sind solche Strahlen, die unter einem Winkel ϕ ≤ 5◦ zur optischen Achse verlaufen. Im Falle g > f erzeugt eine Sammellinse also ein reelles Bild. Bei einer Zerstreuungslinse schneiden sich die Lichtstrahlen nicht wirklich im Bildpunkt P  , weshalb eine Zerstreuungslinse ein virtuelles Bild des Gegenstandes erzeugt (siehe Abb. 9.10(b)). Gegenstandsweite g, Bildweite b und Brennweite f sind durch die Abbildungsgleichung miteinander verknüpft: 1 1 1 + = (9.14) g b f Unter dem Abbildungsmaßstab V verstehen wir das Verhältnis von Bildgröße B zur Gegenstandsgröße G. Es gilt die Beziehung: V :=

Abb. 9.10 Zur Abbildungsgleichung

B |b| = G g

(9.15)

336

9 Optik

Tab. 9.2 Bildeigenschaften einer Sammellinse Gegenstandsweite Richtung

Bildeigenschaft Typ

Größe

g >2f

Umgekehrt

Reell

Verkleinert

g =2f

Umgekehrt

Reell

Unverändert

f < g 1, so sprechen wir von einer Vergrößerung und im Fall V < 1 von einer Verkleinerung. Merke:

• Für eine Sammellinse gilt f > 0 und für eine Zerstreuungslinse dagegen f < 0. • Die Gegenstandsweite g ist stets positiv. Für reelle Bilder ist b positiv, und für virtuelle Bilder ist b negativ. • Eine Zerstreuungslinse kann nur virtuelle Bilder erzeugen. Eine Sammellinse erzeugt im Fall g > f reelle Bilder, für g < f dagegen virtuelle Bilder. 

Die Bildeigenschaften sind für eine Sammellinse als Funktion der Gegenstandsweite in Tab. 9.2 zusammengefasst. Linsensysteme Ordnet man mehrere dünne Linsen mit den Brennweiten f 1 , f 2 , . . . so hintereinander an, dass der Abstand zwischen den Linsen klein im Vergleich zu den Brennweiten ist, so sprechen wir von einem Linsensystem oder Objektiv. Für die Brechkraft eines Objektivs gilt D :=

1 1 1 = + + ..., f f1 f2

(9.16)

mit der die Abbildungsgleichung (9.14) ihre Gültigkeit behält.

9.3.2.3 Zur Bildkonstruktion Mithilfe der Abbildungsgleichung und dem Abbildungsmaßstab kann die Lage und Größe eines Bildes berechnet werden. Das Bild eines Gegenstandes kann aber auch in einfacher Weise konstruiert werden. Wir verwenden zur Konstruktion eines Bildpunktes solche Strahlen, deren Verlauf ohne Zuhilfenahme des Brechungsgesetzes angegeben werden kann. Diese sind (siehe Abb. 9.11):

9.3

Optische Abbildungen

337

Abb. 9.11 Zur Bildkonstruktion

(i) der Parallelstrahl, der von einem Gegenstandspunkt parallel zur optischen Achse verläuft und durch die Linse durch den bildseitigen Brennpunkt F  gebrochen wird, (ii) der Mittelpunktstrahl, der durch den Schnittpunkt von optischer Achse und Hauptebene geht und nicht gebrochen wird sowie (iii) der Brennstrahl, der von einem Gegenstandspunkt durch den gegenstandsseitigen Brennpunkt F verläuft und durch die Linse so gebrochen wird, dass er nach ihrem Durchgang parallel zur optischen Achse ist. Je zwei Strahlen genügen, um einen Bildpunkt zu ermitteln. In Abb. 9.11 ist die Konstruktion eines reellen Bildes an einer Sammellinse und eines virtuellen Bildes an einer Zerstreuungslinse gezeigt.

9.3.2.4 Abbildungsfehler Wesentliche Voraussetzungen dafür, dass die von einem Gegenstandspunkt ausgehenden Lichtstrahlen wieder in einem Punkt, dem Bildpunkt, vereinigt werden, sind, dass die Strahlen achsennah und monochromatisch sowie die Grenzflächen der Linse kugelförmig sind. Wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, so ist die Brennweite nicht für alle von einem Gegenstandspunkt ausgehenden Strahlen gleich. Ein Gegenstandspunkt kann dann auf mehrere Bildpunkte abgebildet werden, und die Bildpunkte eines Gegenstandes besitzen i. Allg. nicht mehr die gleiche Bildweite. Wir sprechen dann von Abbildungsfehlern, und als Konsequenz sind dann die Bilder unscharf, verschwommen bzw. verzerrt. Wir unterscheiden folgende Abbildungsfehler:

338

9 Optik

Abb. 9.12 Zur sphärischen und chromatischen Aberration

(1) Sphärische Aberration Sphärische Aberration (oder Öffnungsfehler genannt) tritt auf, wenn auch achsenferne Lichtstrahlen, die durch äußere Zonen der Linse verlaufen, zur Abbildung beitragen. Für achsenferne Stahlen ist die Brennweite kleiner als für achsennahe Strahlen (siehe Abb. 9.12(a)). Die sphärische Aberration kann vermieden werden, indem man die achsenfernen Strahlen ausblendet. (2) Chromatische Aberration Chromatische Aberration beruht auf der Dispersion von Licht. Die Abhängigkeit der Brechzahl von der Wellenlänge führt dazu, dass für Sammellinsen der Brennpunkt für blaues Licht näher bei der Linse liegt als für rotes Licht (siehe Abb. 9.12(b)). (3) Astigmatismus Sind die Grenzflächen einer Linse nicht kugelförmig, so beobachtet man den Astigmatismus. Ist eine Grenzfläche der Linse z. B. oval, so besitzt sie zwei zueinander senkrechte Ebenen mit maximalem r1 bzw. minimalem r2 Krümmungsradius. Da der Krümmungsradius r dieser Grenzfläche zwischen diesen variiert, besitzt die Linse unterschiedliche Brennpunkte, die auf zwei „Brennlinien“ liegen. Verschiedene Teile des Bildes sind dann in unterschiedlichen Bildweiten scharf.

Beim menschlichen Auge wird der Astigmatismus durch eine Hornhautverkrümmung hervorgerufen, aufgrund derer die Hornhaut nicht kugelförmig, sondern oval ist oder Dellen hat. Die von einem Gegenstandspunkt ausgehenden Lichtstrahlen werden dann nicht auf einen Bildpunkt, sondern als verschwommene Linien auf der Netzhaut abgebildet. Deshalb spricht man statt von Astigmatismus auch von Stabsichtigkeit.

9.4

9.4

Das menschliche Auge

339

Das menschliche Auge

Das Auge ist unser wichtigstes Sinnesorgan. In Abb. 9.13 ist der schematische Aufbau des Auges dargestellt. Der Augapfel (Bulbus oculi) ist nahezu kugelförmig. Licht, das durch die durchsichtige, formstabile Hornhaut, die Pupille, die Linse und den gelartigen Glaskörper in das Auge eindringt, erzeugt auf der Netzhaut (Retina) ein Bild, das durch Sehzellen in elektrische Signale umgewandelt und über den Sehnerv an das Gehirn weitergeleitet wird. Die Pupille, die Öffnung des Auges, wirkt als Blende und kann durch die Regenbogenhaut (Iris) dynamisch die Lichtintensität des auf die Netzhaut treffenden Lichtes regulieren. Die Bildweite ist beim Auge fest und entspricht dem Durchmesser des Augapfels, also ungefähr b = 2,5 cm. Damit Gegenstände, die sich in unterschiedlichen Entfernungen vom Auge befinden, auf der Netzhaut scharf abgebildet werden können, muss die Brechkraft des Auges variabel sein. Die Brechkraft D des Auges wird zu etwa 75 % durch die Hornhaut und 25 % durch die Linse hervorgerufen, wobei auch die Brechzahlen des Kammerwassers und des Glaskörpers eine Rolle spielen. Damit Gegenstände von der deutlichen Sehweite g = 25 cm bis unendlich „g = ∞“ scharf abgebildet werden können, muss die Brechkraft des Auges entsprechend der Abbildungsgleichung (9.14) im Bereich 40 d pt =

1 1 1 1 ≤ ≤ + = 44 d pt 0,025 m f 0,025 m 0,25 m

(9.17)

variieren, den man Akkommodationsbreite nennt. Diese Variabilität der Brechkraft wird durch die elastische Linse bewirkt, die mithilfe des Ziliarmuskels verformt werden kann. Ist die Brechkraft des Auges (bezogen auf den Augapfel) zu groß, so liegen die Bildpunkte vor der Netzhaut, was wir „Kurzsichtigkeit“ nennen. Bei „Weitsichtigkeit“ ist die Brechkraft des Auges dagegen zu gering, weshalb die Bildpunkte hinter der Netzhaut entstehen. Im Falle von Kurzsichtigkeit ist das Bild eines weit entfernten Gegenstandes und bei Weitsichtigkeit

Abb. 9.13 Der schematische Aufbau des Auges

340

9 Optik

das Bild eines nahen Gegenstandes auf der Netzhaut unscharf. „Alterssichtigkeit“ dagegen beruht auf der nachlassenden Akkommodationsfähigkeit des Auges. Das liegt daran, dass sich die Linse mit dem Alter verfestigt und damit die Elastizität verloren geht. Es gibt dann nur noch einen Abstandsbereich, in dem Gegenstände scharf gesehen werden können.

Klassische Elektrodynamik

10

Inhaltsverzeichnis 10.1 Elektrische Ladung und elektrische Ströme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Elektrostatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.1 Das Coulomb’sche Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.2 Das elektrische Feld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.3 Potentielle Energie, elektrisches Potential und Spannung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.4 Spannung und Kapazität eines Kondensators . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.5 Materie im elektrischen Feld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.6 Die Energie des elektrischen Feldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3 Gleichströme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.1 Grundlegende Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.2 Einfache elektrische Schaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4 Bewegte Ladungen und magnetische Felder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4.1 Das Ampere’sche Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4.2 Das magnetische Feld. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4.3 Kräfte im magnetischen Feld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4.4 Materie im magnetischen Feld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.5 Elektromagnetische Induktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.5.1 Die Induktionsspannung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.5.2 Der magnetische Fluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.5.3 Das Faraday’sche Induktionsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.5.4 Selbstinduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.5.5 Die Energie des magnetischen Feldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.6 Zeitabhängige Ströme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.6.1 Ein- und Ausschaltvorgänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.6.2 Wechselstromschaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.6.3 Der elektrische Schwingkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

342 346 346 348 357 362 365 368 369 370 374 378 379 380 384 388 391 391 392 393 393 394 395 396 399 403

In diesem Kapitel beschäftigen wir uns mit Phänomenen der elektromagnetischen Wechselwirkung. Zunächst betrachten wir zeitlich unveränderliche Ladungsverteilungen und Ströme, wobei die durch sie hervorgerufenen elektrischen und magnetischen Felder oder die durch © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Rufa, Physik für Studierende der Biowissenschaften, Chemie und Medizin, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61258-3_10

341

342

10 Klassische Elektrodynamik

den Stromfluss hervorgerufene Joule’sche Wärme ebenfalls zeitunabhängig sind. Zeitlich veränderliche Ladungsverteilungen und Ströme rufen dagegen zeitlich veränderliche elektrische und magnetische Felder und diesbezügliche Erscheinungen hervor. Wir finden, dass ein sich zeitlich änderndes elektrisches Feld ein magnetisches Feld und umgekehrt ein sich zeitlich änderndes magnetisches Feld ein elektrisches Feld hervorruft, wir sagen induziert, und sprechen in diesem Zusammenhang von Phänomenen der elektromagnetischen Induktion. Schließlich betrachten wir einfache elektrische Schaltungen und führen die zu ihrer Beschreibung notwendigen physikalischen Größen ein. Da bis auf diejenigen makroskopischen Vorgänge, die auf die Gravitation zurückzuführen sind, alle Vorgänge der makroskopischen Welt und insbesondere auch alle chemischen und biologischen Vorgänge elektromagnetischer Natur sind, hat die elektromagnetische Wechselwirkung für unser tägliches Leben eine besondere Bedeutung. So wie alle „massenbehafteten“ Dinge der Gravitationswechselwirkung unterliegen, so nehmen alle „elektrisch geladenen“ Dinge an der elektromagnetischen Wechselwirkung teil [14, 19]. Was aber verstehen wir unter elektrischer Ladung bzw. elektrischen Strömen, und wie äußert sich die elektromagnetische Wechselwirkung?

10.1

Elektrische Ladung und elektrische Ströme

Elektrische Ladung Neben der Masse ordnen wir allen Dingen eine physikalische Größe zu, die wir elektrische Ladung Q nennen. Im SI-System ist die elektrische Ladung eine abgeleitete Größe, und ihre Einheit heißt Coulomb C (siehe Abschn. 10.3). Elektrische Ladung ist also stets mit irgendwelchen Dingen verbunden! In diesem Zusammenhang sprechen wir auch von Ladungsträgern, das sind irgendwelche materiellen Objekte wie z. B. Elementarteilchen, Atome, Moleküle, makroskopische Körper,..., die Ladung tragen. Verschwindet die Ladung eines solchen Objektes, so nennen wir es elektrisch neutral, ansonsten heißt es elektrisch geladen. Elektromagnetische Kraft So wie zwei massenbehaftete Körper aufgrund der Gravitationswechselwirkung die Newton’sche Gravitationskraft aufeinander ausüben (siehe Abschn. 3.3.5), so äußert sich die elektromagnetische Wechselwirkung zwischen zwei geladenen Objekten in einer elektromagnetischen Kraft zwischen ihnen. Im Gegensatz zur Gravitationskraft, die stets attraktiv ist, kann die elektromagnetische Kraft attraktiv (anziehend) oder repulsiv (abstoßend) sein. Als eine Konsequenz unterscheiden wir zwei Arten von Ladungen, die wir positiv und negativ nennen. Wir finden weiter, dass diese elektromagnetische Kraft zweier Ladungsträger aufeinander aus zwei vektoriellen Komponenten besteht (siehe Abb. 10.26):

10.1

Elektrische Ladung und elektrische Ströme

343

• Die eine Komponente hängt nur vom Relativabstand r zwischen den Ladungsträgern ab und nicht direkt von ihrer Geschwindigkeit. Sie wirkt also sowohl, wenn die Ladungsträger in Ruhe sind, als auch, wenn sie sich relativ zueinander bewegen. Diese Kraftkomponente heißt Coulomb-Kraft F C . • Die andere Komponente hängt dagegen von der Geschwindigkeit der Ladungsträger ab und verschwindet, wenn sich die Ladungsträger in Ruhe befinden. Diese Kraftkomponente heißt Lorentz-Kraft F L . Die vektorielle Summe beider Kräfte ergibt die elektromagnetische Kraft F em der beiden Ladungsträger aufeinander: F em = F C + F L

(10.1)

Die elektromagnetische Wechselwirkung äußert sich schließlich auch in der Emission, Absorption und Streuung von elektromagnetischer Strahlung durch Materie, wie z. B. von Licht. Die Quantisierung der elektrischen Ladung Während das Neutron (n) elektrisch neutral ist, besitzen die Ladungen von Elektron (e− ) und Proton ( p) ein entgegengesetztes Vorzeichen und stimmen betragsmäßig sehr genau überein (bis auf 20 Stellen nach dem Komma!): Q e = −1,602 176 634 · 10−19 C ≡ − e Q p = 1,602 176 634 · 10−19 C ≡ e Qn = 0 C

(10.2)

Da Atome, Moleküle und alle makroskopischen Objekte aus Elektronen, Protonen und Neutronen aufgebaut sind (siehe Abschn. 11.1.1), ist die Gesamtladung Q des betrachteten Objektes gegeben durch Q = − Ne · e + N p · e = (N p − Ne ) · e,

(10.3)

worin Ne die Zahl der Elektronen und N p die Zahl der Protonen des Objektes bezeichnen. Gilt N p = Ne , so verschwindet die Gesamtladung, und das Objekt ist elektrisch neutral. Das ist normalerweise der Fall. Die Beziehungen (10.2) und (10.3) bedeuten, dass die elektrische Ladung Q quantisiert ist, d. h., die Ladung Q der betrachteten Objekte kommt nur als ein ganzzahliges Vielfaches der Elementarladung e1 vor, die gegeben ist durch: e = 1,602 176 634 · 10−19 C

(10.4)

1 Countdown zum neuen SI, Physikalisch Technische Bundesanstalt, CODATA 2017 special adjustment.

344

10 Klassische Elektrodynamik

Die Ladungserhaltung

In einem abgeschlossenen System ist die Summe aller Ladungen konstant.



Bemerkung: Elementarteilchen können zwar „erzeugt“ oder „vernichtet“ werden, und damit werden auch Ladungen erzeugt oder vernichtet, doch geschieht das nur in der Weise, dass die Summe aus allen positiven und negativen Ladungen konstant ist. Das bedeutet nicht notwendigerweise, dass ihre Anzahl konstant ist (siehe Abschn. 11.2.3)!  Zur Trennung von Ladungen Ladungen können zwar einzeln nicht erzeugt oder vernichtet werden, wir können sie aber trennen. Das kann durch „Ionisierung“ von Atomen und Molekülen oder durch „Dissoziation“ von Molekülen erfolgen, was wir im Folgenden genauer beschreiben. So ist es möglich, durch Energiezufuhr aus einem neutralen Atom oder Molekül ein oder mehrere Elektronen herauszulösen, was wir Ionisierung nennen: A + E I −→ A+ + e−

„Ionisierung“

(10.5)

Auf diese Weise zerlegen wir ein neutrales Atom bzw. Molekül (A) in ein positiv geladenes Ion bzw. Molekülion (A+ ) und ein freies Elektron. Diejenige Energie, die notwendig ist, um ein oder mehrere Elektronen herauszulösen, heißt Ionisierungsenergie E I . Den umgekehrten Vorgang nennen wir Rekombination. Hierbei wird der gleiche Energiebetrag als Bindungsenergie E B des Elektrons oder der Elektronen wieder frei: A+ + e− −→ A + E B

„Rekombination“

(10.6)

Ebenso kann auch ein elektrisch neutrales Atom oder Molekül ein oder mehrere freie Elektronen aufnehmen, und wir sprechen dann von einem negativ geladenen Ion bzw. Molekülion. Eine weitere Form der Ladungstrennung ist die Dissoziation von Molekülen. Führt man einem elektrisch neutralen Molekül Energie zu, so kann es sich in zwei unterschiedlich geladene Ionen aufspalten, man sagt dissoziieren. Diejenige Energie, die hierzu notwendig ist, heißt Dissoziationsenergie E D : (AB) + E D −→ A+ + B −

„Dissoziation“

(10.7)

Auch hier wird bei der Rekombination der gleiche Energiebetrag als Bindungsenergie wieder frei.

10.1

Elektrische Ladung und elektrische Ströme

345

Beispiel 10.1 Der p H -Wert In Wasser stoßen die Wassermoleküle aufgrund der thermischen Bewegung permanent zusammen. Bei diesen Stößen wird Energie zwischen den Molekülen ausgetauscht (siehe Abschn. 4.2.1). Ist dieser Energieübertrag groß genug, dann dissoziiert ein Wassermolekül in ein H + - und ein O H − -Ion: H2 O + E D −→ H + + O H − Umgekehrt können ein H + - und ein O H − -Ion auch wieder rekombinieren und ein H2 OMolekül bilden. Im Gleichgewichtszustand sind die Dissoziations- und Rekombinationsrate gleich, weshalb die Zahl der H + -Ionen in Wasser dann konstant ist. Im Gleichgewichtszustand beträgt die Konzentration der H + -Ionen in Wasser [H + ] = 10−7 mol/l. Mit der Definition des p H -Wertes [H + ] =: 10− p H mol/l folgt dann für den p H -Wert von Wasser p H = −log[H + ]/(mol/l) = 7.



Elektrische Ströme Mit bewegten Ladungsträgern verbinden wir den Begriff elektrischer Strom und meinen damit diejenige Ladung, die pro Sekunde durch eine senkrecht zur Flussrichtung der Ladungsträger befindliche Fläche A hindurchfließt (siehe Abb. 10.1). Es gibt verschiedene Mechanismen des Ladungstransportes, d. h. verschiedene Formen der Stromleitung. In jedem Fall sind zur Stromleitung jedoch frei bewegliche Ladungsträger notwendig. Stoffe mit mehr oder weniger frei beweglichen Ladungsträgern heißen Leiter und Stoffe, die keine frei beweglichen Ladungsträger enthalten, heißen Isolatoren oder Nichtleiter. Metalle Metalle sind Festkörper, in denen Elektronen „ihr“ Atom verlassen und sich praktisch frei im gesamten Festkörper bewegen können. Diese Elektronen heißen Leitungselektronen. Strom

Abb. 10.1 Zum Begriff des elektrischen Stroms

346

10 Klassische Elektrodynamik

bedeutet hier also „Fluss von Elektronen“ durch das Metall, und wir sprechen auch von einem metallischen Leiter. Elektrolyte Wenn durch Dissoziation neutraler Flüssigkeitsmoleküle Ionen entstehen, werden Flüssigkeiten leitend. Als Ladungsträger treten hier positive und negative Ionen auf. Strom bedeutet also hier „Fluss von Ionen“durch eine Flüssigkeit. Strom leitende Flüssigkeiten heißen Elektrolyte. Plasma Gase bestehen im Normalzustand aus freien, elektrisch neutralen Atomen oder Molekülen. Durch Energiezufuhr, z. B. durch Erwärmung, können sie jedoch ionisiert werden, was im Wesentlichen durch thermische Stöße der Gasteilchen erfolgt und was wir Stoßionisation nennen. Als Ladungsträger treten in Gasen vorzugsweise positive Ionen und Elektronen auf. Strom bedeutet also hier „Fluss von positiven Ionen und Elektronen“durch ein Gas. Ein Strom leitendes Gas heißt Plasma.

10.2

Elektrostatik

Die Elektrostatik beschäftigt sich mit Phänomenen, die mit stationären, d. h. zeitlich unveränderlichen, Ladungsverteilungen verbunden sind. In der Elektrostatik tritt also die LorentzKraft nicht auf, und die elektromagnetische Kraft zwischen den einzelnen Ladungsträgern besteht dann lediglich aus der Coulomb-Kraft.

10.2.1 Das Coulomb’sche Gesetz Befinden sich zwei „punktförmige“ Ladungsträger mit den Ladungen q und Q im Abstand r voneinander, so üben sie aufeinander die Coulomb-Kraft F C aus, deren Betrag gegeben ist durch: 1 q·Q FC = · 2 (10.8) 4π 0 r Die Konstante2

C2 (10.9) N m2 heißt elektrische Feldkonstante. Die Coulomb-Kräfte, die die Ladungsträger aufeinander ausüben, sind entlang der direkten Verbindungslinie zwischen beiden Ladungsträgern gerichtet (siehe Abb. 10.2(a)). Für gleichartige Ladungen ist die CoulombKraft repulsiv, für ungleichartige Ladungen ist sie attraktiv. 0 = 8,854 187 812 8 · 10−12

2 CODATA Internationally recommended 2018 Values of the Fundamental Physical Constants.

10.2

Elektrostatik

347

Merke:

Aufgrund der Coulomb-Kraft stoßen sich gleichartige Ladungen ab, während sich ungleichartige Ladungen anziehen! 

Vektorielle Schreibweise Wählen wir das Koordinatensystem so, dass sich z. B. die Punktladung Q im Ursprung befindet, dann zeigt der Ortsvektor r = r · rˆ der Punktladung q von Q nach q (siehe Abb. 10.2(b)). Dann übt die Punktladung Q auf die Punktladung q die Coulomb-Kraft FqC =

1 q·Q · 2 · rˆ 4π 0 r

(10.10)

aus. Bemerkungen: • Das Coulomb’sche Gesetz gilt in der Form (10.8) oder (10.10) nur für „kleine“ Ladungsträger, deren Ausdehnung klein ist im Vergleich zu ihrem Abstand r . Ist das erfüllt, so sprechen wir von Punktladungen. Ein Elektron ist z. B. in guter Näherung eine Punktladung. Ein Ion können wir nur dann als eine Punktladung auffassen, wenn wir „weit genug“ von ihm entfernt sind. • Wenn die Punktladung Q auf die Punktladung q die Coulomb-Kraft (10.10) ausübt, so übt nach dem Reaktionsprinzip (siehe Abschn. 3.2) auch die Punktladung q auf die Punktladung Q die Coulomb-Kraft

Abb. 10.2 Zur Coulomb-Kraft

348

10 Klassische Elektrodynamik

FQC = −

1 q·Q · 2 · rˆ = − FqC 4π 0 r

(10.11)

aus. Die Kräfte FQC und FqC sind betragsmäßig gleich und entgegengesetzt gerichtet. • Üben mehrere Punktladungen Q 1 , Q 2 , . . . , Q N die Coulomb-Kräfte F1C , F2C , . . . , FNC auf die Punktladung q aus, so ist die Gesamtkraft auf q gegeben durch die vektorielle Summe dieser Einzelkräfte: FqC = F1C + F2C + . . . + FNC

(10.12)

(siehe Abb. 10.3). Diese Gesetzmäßigkeit heißt Superpositionsprinzip. 

10.2.2 Das elektrische Feld Das Coulomb’sche Gesetz macht eine Aussage über die elektromagnetische Kraft zweier Punktladungen aufeinander. Wie aber kommt diese Kraft zwischen ihnen zustande? Diese Fragestellung führt auf den Begriff des „elektrischen Feldes“. Das elektrische Feld einer Punktladung Die Coulomb-Kraft (10.10) der Punktladung Q auf die Punktladung q können wir in der Form  r) FqC = q · E(

(10.13)

schreiben mit  r) = E(

Abb. 10.3 Zum Superpositionsprinzip

Q 1 · 2 · rˆ . 4π 0 r

(10.14)

10.2

Elektrostatik

349

 r ) heißt elektrisches Feld und sein Betrag elektrische Feldstärke der PunktDer Vektor E( ladung Q am Raumpunkt P, den wir durch den Ortsvektor r = r · rˆ beschreiben. Die SI-Einheit des elektrischen Feldes ist N /C. Bemerkungen: • Das elektrische Feld der Punktladung Q am Raumpunkt P ist also ein Vektor mit dem Betrag E =

1 |Q| · 2 , 4π 0 r

(10.15)

der in Richtung rˆ zeigt, wenn Q positiv ist, bzw. in Richtung −ˆr zeigt, wenn Q negativ  r ) zeigt also für eine positive Punktladung Q radial nach außen und ist. Der Vektor E( für eine negative Punktladung Q radial nach innen (siehe Abb. 10.4(a)).

 r ) bedeutet, dass der Vektor E vom Ortsvektor r des Raumpunk• Die Schreibweise E( tes P abhängt, an dem wir das elektrische Feld betrachten. Der Vektor E besitzt also an verschiedenen Raumpunkten i. Allg. einen unterschiedlichen Betrag und eine unterschiedliche Richtung. Das elektrische Feld ist dann die Gesamtheit all dieser Vektoren an allen Raumpunkten (siehe Abb. 10.4(b)). 

Abb. 10.4 Zum Vektorcharakter des elektrischen Feldes

350

10 Klassische Elektrodynamik

Das elektrische Feld einer diskreten Ladungsverteilung Ein System von Punktladungen Q 1 , . . . , Q N an verschiedenen Raumpunkten heißt diskrete  r ), das diese Ladungsverteilung an einem RaumLadungsverteilung. Das elektrische Feld E( punkt P erzeugt, zu dem der Ortsvektor r gehört, ist gegeben durch die vektorielle Summe der elektrischen Felder der einzelnen Punktladungen am Raumpunkt P, was eine Folge des Superpositionsprinzips (10.12) ist (siehe Abb. 10.5):  r ) = E1 ( E( r ) + . . . + E N ( r) 1 Q1 1 QN = rˆ1 + . . . + rˆN 4π 0 r12 4π 0 r N2

(10.16)

Als ein Beispiel für eine diskrete Ladungsverteilung ist in Abb. 10.9 das elektrische Feld eines elektrischen Dipols gezeigt. Das elektrische Feld einer kontinuierlichen Ladungsverteilung Betrachten wir makroskopische, geladene Körper, so ist die Zahl der Elementarladungen so groß, dass wir die (eigentlich) diskreten Ladungsträger nicht mehr erkennen können. Wir sprechen dann von einer kontinuierlichen Ladungsverteilung, die wir durch die Ladungsdichte ρ( r ) beschreiben. Sie gibt die Ladung Q pro Volumen V an, und ihre SI-Einheit ist C/m 3 . Weiter ist die Ladungsdichte i. Allg. an verschiedenen Orten verschieden, und wir sprechen dann von einer inhomogenen Ladungsverteilung. Ist die Ladungsdichte kugelförmig und hängt die Ladungsdichte nur vom Abstand r vom Mittelpunkt der Ladungsverteilung ab, so ist sie auf einer Kugeloberfläche konstant, und wir sprechen dann von einer kugelsymmetrischen Ladungsverteilung ρ(r ) (siehe Abb. 10.6). Ist schließlich die Ladungsdichte ρ unabhängig vom Ort konstant, so heißt die Ladungsverteilung homogen. Bezeichnet Q die in einem Volumen V enthaltene Ladung, so gilt:

Abb. 10.5 Zum elektrischen Feld einer diskreten Ladungsverteilung

10.2

Elektrostatik

351

Abb. 10.6 Kugelsymmetrische Ladungsverteilung

Q = konstant (10.17) V Als ein Beispiel für das elektrische Feld einer kontinuierlichen Ladungsverteilung ist in Abb. 10.10 das elektrische Feld eines Plattenkondensators gezeigt. ρ =

Bemerkungen: • Eine kugelsymmetrische Ladungsverteilung erzeugt außerhalb des Bereiches der Ladungsdichte ein elektrisches Feld, das dem einer Punktladung (10.14) entspricht, wobei Q die Gesamtladung der Ladungsverteilung bezeichnet. Ist insbesondere die Gesamtladung Q = 0 C, so verschwindet außerhalb der kugelsymmetrischen Ladungsverteilung das elektrische Feld. So deutet z. B. die chemische Reaktionsträgheit der Edelgase auf eine kugelsymmetrische Ladungsverteilung hin.

• Für eine beliebige inhomogene Ladungsverteilung gilt das nicht! So kann z. B. die Gesamtladung dieser Ladungsverteilung Q = 0 C sein, wobei das elektrische Feld außerhalb dieser Ladungsverteilung nicht verschwindet. So beruhen z. B. die verschiedenen chemischen Bindungsarten darauf, dass das elektrische Feld in der Nähe eines elek-

352

10 Klassische Elektrodynamik

Abb. 10.7 Elektrische Feldlinien

trisch neutralen Atoms oder Moleküls nicht verschwindet und andere Ladungsträger in diesem Feld Coulomb-Kräfte erfahren (siehe Beispiel 10.2). Insbesondere beruhen die unterschiedlichen Eigenschaften von Substanzen wie Schmelz- und Siedepunkt, Löslichkeit, Oberflächenspannung (siehe Kap. 5) usw. auf solchen Kräften zwischen elektrisch neutralen Molekülen.  Elektrische Feldlinien Elektrische Felder sind ziemlich abstakt. Um ein elektrisches Feld, das durch eine Ladungsverteilung erzeugt wird, anschaulich darzustellen, zeichnen wir sogenannte Feldlinienbilder. Eine Feldlinie beginnt an einer positiven und endet an einer negativen Ladung. Der Vektor  r ) des elektrischen Feldes an einem beliebigen Raumpunkt P ist tangential zur Feldlinie E( durch P und zeigt in Richtung der Linie (siehe Abb. 10.7). Die „Dichte“der Feldlinien ist ein

Abb. 10.8 Das elektrische Feld einer Punktladung

10.2

Elektrostatik

353

Abb. 10.9 Das elektrische Feld eines elektrischen Dipols

 r ), d. h. die elektrische Feldstärke: Je größer die Dichte Maß für den Betrag des Vektors E( der Feldlinien ist, desto größer ist die elektrische Feldstärke. Die Richtung der Feldlinie gibt die Richtung der Coulomb-Kraft auf eine positive Ladung an; die Coulomb-Kraft auf eine negative Ladung ist entgegengesetzt! Das elektrische Feld einiger Ladungsverteilungen In Abb. 10.8 ist das elektrische Feld einer positiven und einer negativen Punktladung dargestellt. Eine Ladungsverteilung, die aus zwei entgegengesetzt gleichen Punktladungen +Q und −Q mit Q > 0 besteht und die einen Abstand l voneinander besitzen, heißt elektrischer Dipol (siehe Abb. 10.9). Einen elektrischen Dipol charakterisieren wir durch das Dipolmoment p. Sein Richtungsvektor pˆ verläuft von der negativen zur positiven Ladung, und sein Betrag ist gegeben durch: p = Q ·l

(10.18)

Seine SI-Einheit ist Cm. Bemerkungen: • Obwohl ein Wassermolekül H2 O im Normalfall elektrisch neural ist, besitzt es ein Dipolmoment, und seine Ladungsverteilung erzeugt im Außenraum des Moleküls ein elektrisches Dipolfeld. • Bringen wir einen elektrischen Dipol in ein homogenes elektrisches Feld, sodass das Dipolmoment p parallel zur Feldrichtung liegt, dann verschwindet die vektorielle Summe

354

10 Klassische Elektrodynamik

der Kräfte auf beide Punktladungen, d. h. die Gesamtkraft Fges = F1 + F2 auf den elektrischen Dipol. Für den Betrag gilt also: Fges = | F1 + F2 | = + Q · E − Q · E = 0 N

(10.19)

• Schließt p jedoch mit der Feldrichtung den Winkel α ein, so wirkt auf den Dipol ein  das den Betrag Gesamtdrehmoment N ges = p × E, N ges = p · E · sinα

(10.20)

besitzt. Aufgrund dieses Drehmoments dreht sich der Dipol so lange, bis α = 0◦ ist und der Dipol in Richtung des elektrischen Feldes liegt.

 Ein Plattenkondensator besteht aus zwei ebenen, parallelen Metallplatten der Fläche A, die sich im Abstand d voneinander befinden. Die eine Platte trägt die Ladung +Q, die andere die Ladung −Q. Die kontinuierliche Ladungsdichte beider Platten beträgt dann ±σ mit Q . (10.21) A Das elektrische Feld ist zwischen beiden Platten homogen, d. h., der Vektor des elektrischen Feldes besitzt an jedem Punkt zwischen den Platten den gleichen Betrag und die σ =

10.2

Elektrostatik

355

Abb. 10.10 Das elektrische Feld eines Plattenkondensators

gleiche Richtung, und wir beschreiben das Feld durch parallele Feldlinien (siehe Abb. 10.10). Für den Betrag gilt: E =

σ 1 Q = · 0 A 0

(10.22)

Am Rand des Plattenkondensators ist das Feld jedoch inhomogen. Wie kommt die Coulomb-Kraft zustande? Wir betrachten eine Punktladung Q oder allgemeiner eine diskrete oder kontinuierli r ), das wir als „real exische Ladungsverteilung als Quelle eines elektrischen Feldes E( tent“ansehen. Für eine kompliziertere Ladungsverteilung hat das elektrische Feld eine kompliziertere Gestalt als das elektrische Feld einer Punktladung. Bringen wir nun eine Punktladung q an einen Raumpunkt P, den wir durch den Ortsvektor r beschreiben, im elektrischen  r ) dieser Ladungsverteilung, so „wechselwirkt“sie lokal an diesem Raumpunkt mit Feld E( dem elektrischen Feld. Aufgrund dieser lokalen Wechselwirkung erfährt sie die CoulombKraft (siehe Abschn. 11.3.2):  r) FqC ( r ) = q · E(

(10.23)

Die Ladung q „spürt“ also nur etwas von dem Vorhandensein der Ladungsverteilung aufgrund des elektrischen Feldes, das die Ladungsverteilung erzeugt. Beispiel 10.2 Chemische Bindungen Auch wenn ein Atom elektrisch neutral ist, verschwindet i. Allg. aufgrund der inhomogenen Ladungsverteilung sein elektrisches Feld im Außenraum nicht. Kommen sich also zwei elektrisch neutrale Atome sehr nahe, so befinden sich die Elektronen eines Atoms

356

10 Klassische Elektrodynamik

sowohl im elektrischen Feld des „eigenen“als auch im Feld des „anderen“Atoms. Gerade die äußeren Elektronen fühlen sich dann mehr oder weniger stark zum „eigenen“und zum „fremden“Atom hingezogen. Die ionische Bindung So kann es passieren, dass ein äußeres Elektron eines Atoms ein stärkeres elektrisches Feld des anderen Atoms spürt und aufgrund der resultierenden Coulomb-Kraft ins andere Atom hinüberwechselt. Dadurch entsteht ein positives und ein negatives Ion, die sich dann aufgrund der Coulomb-Kraft sehr stark anziehen. Wir sprechen dann von einer ionischen Bindung. Die kovalente Bindung Sind dagegen die elektrischen Feldstärken der beiden Atome und damit die resultierende Coulomb-Kraft auf die äußeren Elektronen vergleichbar, so wechseln diese zwischen beiden Atomen hin und her, d. h., man kann die äußeren Elektronen nicht mehr allein einem Atom zuordnen. Beide Atome „teilen“sich dann diese äußeren Elektronen, die man auch Bindungselektronen nennt. Sie halten sich dann vorzugsweise zwischen den Atomen auf. Aufgrund der Coulomb-Kraft zwischen diesen negativen Bindungselektronen und den positiven Rumpfatomen entsteht dann die kovalente Bindung der Atome zu einem Molekül. Die metallische Bindung Bei Metallen oder Legierungen gibt jedes der Atome des Festkörpers ein oder mehrere Elektronen ab, die sich dann „frei“ im Festkörper bewegen können. Wir sprechen auch von einem Elektronengas. Die metallische Bindung kommt zustande durch die Coulomb-Kraft zwischen den positiven Rumpfatomen und dem Elektronengas. Van der Waals-Kräfte Betrachten wir die kovalente Bindung zwischen Atomen, so können die Bindungselektronen durchaus näher zu einem der Atome hingezogen sein. So sind z. B. in einem BrCl-Molekül die äußeren Elektronen mehr zum Cl-Atom hingezogen, man sagt „es ist elektronegativer“. Die Elektronegativität ist ein Maß für die Stärke des elektrischen Feldes im Außenraum eines Atoms. Deshalb ist die Ladungsverteilung um das Cl-Atom „negativer“und um das BrAtom „positiver“. Wir sprechen dann von einem polarisierten Molekül, das ein permanentes Dipolmoment besitzt. Aufgrund dieser Ladungsverteilung verschwindet das elektrische Feld im Außenraum eines solchen elektrisch neutralen Moleküls nicht (siehe Abb. 10.9). Somit üben auch Moleküle aufeinander Coulomb-Kräfte aus, die wir allgemein van der WaalsKräfte nennen. London-Kräfte Auch wenn Moleküle kein permanentes Dipolmoment besitzen, können sie aufeinander Kräfte ausüben. Diese basieren darauf, dass „spontan“ein temporäres Dipolmoment in einem

10.2

Elektrostatik

357

ansonsten unpolarisieren Molekül entstehen kann, das wiederum bei Nachbarmolekülen Dipolmomente induziert. Die Coulomb-Kräfte zwischen solchen Molekülen heißen LondonKräfte. Wasserstoffbrücken Sind H -Atome an kleine, sehr elektronegative Atome wie z. B. ein Cl-Atom gebunden, so übt das elektronegativere Atom eine sehr starke Coulomb-Kraft auf die Bindungselektronen aus, wodurch die Ladungsverteilung um das H -Atom stark positiv ist. Das H -Atom dieses Moleküls und ein „einsames Elektronenpaar“ (siehe Abschn. 11.5.4) an einem elektronegativeren Atom eines anderen Moleküls ziehen sich dann gegenseitig aufgrund der Coulomb-Kraft an und bilden eine sogenannte Wasserstoffbrücke. 

10.2.3 Potentielle Energie, elektrisches Potential und Spannung  r ) gegen die Wenn wir einen Ladungsträger mit der Ladung q in einem elektrischen Feld E( konservative Coulomb-Kraft unter Ausübung der Kraft Fa von einem Raumpunkt P1 , zu dem der Ortsvektor r1 gehört, zu einem Raumpunkt P2 mit dem Ortsvektor r2 bewegen, so verrichten wir am Ladungsträger die Arbeit W . Wenn wir dabei so vorgehen, dass sich die kinetische Energie des Ladungsträgers nicht ändert, so bewirkt diese Arbeit ausschließlich eine Änderung der potentiellen Energie (siehe Abschn. 3.5.2) gemäß: W = E pot = E pot ( r2 ) − E pot ( r1 )

(10.24)

Weiter wird ein „freier“Ladungsträger im elektrischen Feld durch die Coulomb-Kraft beschleunigt. Die Änderung der kinetischen Energie des Ladungsträgers entspricht dabei aufgrund der Energieerhaltung der Änderung seiner potentiellen Energie im elektrischen Feld E kin = E pot ,

(10.25)

wenn wir Sekundäreffekte vernachlässigen können, aufgrund derer der Ladungsträger Energie an die Umgebung abgibt. Welche potentielle Energie aber besitzt eine Punktladung q im elektrischen Feld? Arbeit und potentielle Energie im elektrischen Feld einer Punktladung Wir betrachten eine positive Punktladung Q > 0, in deren Feld sich die negative Punktladung q < 0 im Abstand r befindet (siehe Abb. 10.11). Bringen wir nun die Punktladung q entlang der direkten Verbindungslinie zwischen beiden Punktladungen ins „Unendliche“, so müssen wir durch Ausübung der Kraft Fa gegen die attraktive Coulomb-Kraft

358

10 Klassische Elektrodynamik

Abb. 10.11 Zur Arbeit gegen die konservative Coulomb-Kraft

1 q·Q · 2 4π 0 x

FqC (x) =

(10.26)

die Arbeit W verrichten. Die Kraft Fa wirkt in Bewegungsrichtung, sodass die Arbeit nach (3.146) gegeben ist durch ∞ W = r

= −

= − womit wir mit

q Q lim 4π 0 a→∞

lim 1 a→∞ a

q Q Fa (x) d x = − 4π 0

q Q lim 4π 0 a→∞  −

1 x

a

1 dx x2

r

1 dx x2

r

a = − r

∞

1 q Q 1 lim { − + } , 4π 0 a→∞ a r

= 0 für die Arbeit W = −

q Q 1 · 4π 0 r

(10.27)

erhalten. Diese Arbeit entspricht dann der Änderung der potentiellen Energie der Punktladung q im elektrischen Feld der Ladung Q gemäß: W = E pot = E pot (∞) − E pot (r ) = −

1 q Q · 4π 0 r

(10.28)

Indem wir den Nullpunkt der potentiellen Energie ins „Unendliche“legen, d. h. indem wir (10.29) E pot (∞) = 0 J

10.2

Elektrostatik

359

Abb. 10.12 Potentielle Energie der Punktladung q < 0 im Feld der Punktladung Q>0

setzen, erhalten wir für die potentielle Energie einer Punktladung q, die sich im elektrischen Feld der Punktladung Q im Abstand r befindet, bezogen auf den Nullpunkt „unendlich“ (siehe Abb. 10.12): 1 q Q (10.30) · E pot (r ) = 4π 0 r Das elektrische Potential Analog zu (10.13) schreiben wir die potentielle Energie (10.30) der Punktladung q im elektrischen Feld der Punktladung Q in der Form E pot (r ) = q · φ(r )

(10.31)

mit φ(r ) =

E pot (r ) 1 Q = · . q 4π 0 r

(10.32)

Die skalare Funktion φ heißt elektrisches Potential der Punktladung Q. Zwischen dem elektrischen Feld (10.15) und dem elektrischen Potential (10.32) der Punktladung Q gilt der Zusammenhang  dφ(r ) E(r ) = − bzw. φ(r ) = − E(r ) dr + c. (10.33) dr Wegen (10.33) ist das elektrische Potential φ durch das elektrische Feld E nur bis auf eine willkürliche, additive Konstante c festgelegt.

360

10 Klassische Elektrodynamik

Merke:

Allgemein gibt es zu jeder Ladungsverteilung, d. h. zu jedem elektrischen Feld, ein elektrisches Potential φ, das i. Allg. vom Raumpunkt P, zu dem der Ortsvektor r gehört, abhängt. Dieses Potential ist nur bis auf eine willkürliche, additive Konstante festgelegt. Die Einheit des elektrischen Potentials heißt Volt (V). Nach (10.31) gilt: V = J /C = N m/C

(10.34) 

Die potentielle Energie einer Punktladung q, die sich in diesem elektrischen Feld am Raumpunkt P mit dem Ortsvektor r befindet, ist dann gegeben durch: E pot ( r ) = q · φ( r)

(10.35)

Bemerkung: Durch die Wahl des Nullpunktes der potentiellen Energie ist auch der Nullpunkt des elektrischen Potentials festgelegt und umgekehrt.  Da das elektrische Potential nur bis auf eine willkürliche Konstante bestimmt ist, haben nur Potentialdifferenzen physikalisch eine Bedeutung! Durchläuft eine Punktladung q die Potentialdifferenz  φ = φ( r2 ) − φ( r1 ), so folgt mit (10.35)  E pot = E pot ( r2 ) − E pot ( r1 ) = q · φ( r2 ) − q · φ( r1 ) = q ·  φ,

(10.36)

d. h., es wird entweder die potentielle Energie  E pot frei oder die Ladung gewinnt die Energie  E pot , wobei wir dann allerdings die Arbeit W =  E pot aufbringen müssen. Merke:

Eine Potentialdifferenz bedeutet also eine Änderung der potentiellen Energie der Punktladung q. 

Es ist deshalb zweckmäßig, für die Potentialdifferenz zwischen zwei Raumpunkten in einem elektrischen Feld eine neue physikalische Größe einzuführen. Die elektrische Spannung Die Potentialdifferenz zwischen zwei Raumpunkten in einem elektrischen Feld, die wir durch die Ortsvektoren r1 und r2 beschreiben, heißt elektrische Spannung U (siehe Abb. 10.13), d. h., es gilt:

10.2

Elektrostatik

361

Abb. 10.13 Elektrische Spannung und Potentialdifferenz

U :=  φ = φ( r2 ) − φ( r1 )

(10.37)

Die SI-Einheit der elektrischen Spannung entspricht der SI-Einheit des elektrischen Potentials, dem Volt V. Zur Beschreibung von Bindungsenergien oder Ionisierungsenergien von Atomen und Molekülen (siehe Abschn. 11.5.5) ist in der Chemie das Elektronenvolt als Energieeinheit im Mikrokosmos wichtig. Wie ist es definiert? Das Elektronenvolt Die kinetische Energie, die ein freies Elektron beim Durchlaufen der Spannung 1 V gewinnt, heißt Elektronenvolt 1 eV (siehe Abb. 10.13). Nach (10.25) und (10.36) gilt (siehe Anhang B): E kin = E pot = q ·  φ = e · U = 1,602 176 634 · 10−19 C · 1 V d. h.

1 eV = 1,602 176 634 · 10−19 J

(10.38)

Äquipotentialflächen Flächen, auf denen das elektrische Potential konstant ist, heißen Äquipotentialflächen. Die Äquipotentialflächen einer Punktladung oder einer kugelsymmetrischen Ladungsverteilung sind also nach (10.32) Kugelflächen (siehe Abb. 10.14).

Merke:

Feldlinien stehen stets senkrecht auf einer Äquipotentialfläche.



362

10 Klassische Elektrodynamik

Abb. 10.14 Äquipotentialflächen einer Punktladung

Bemerkungen: • Wird eine Punktladung auf einer Äquipotentialfläche verschoben, so gilt wegen (10.36) W = E pot = q ·  φ = 0 J ,

(10.39)

d. h., man verrichtet dabei keine Arbeit! • Da in einem metallischen Leiter Elektronen frei beweglich sind, darf im stationären Fall (Elektrostatik) das elektrische Feld auf der Leiteroberfäche keine Komponente parallel zur Oberfläche besitzen, da die Coulomb-Kraft auf die Leitungselektronen sonst eine Verschiebung der Elektronen entlang der Oberfläche bewirken würde! Da also die elektrischen Feldlinien senkrecht auf einer Leiteroberfläche stehen, ist eine Leiteroberfläche eine Äquipotentialfläche. 

10.2.4 Spannung und Kapazität eines Kondensators Im Inneren eines Plattenkondensators ist das elektrische Feld homogen und besitzt den Betrag E = σ0 = 0Q·A (siehe Abschn. 10.2.2). Welche Spannung, d. h. welche Potentialdifferenz, besteht zwischen den Kondensatorplatten?

10.2

Elektrostatik

363

Arbeit und potentielle Energie im homogenen Feld eines Plattenkondensators Wir betrachten eine positive Punktladung q, auf die im elektrischen Feld eines Plattenkondensators die Coulomb-Kraft wirkt. Wenn wir sie die Strecke x von der negativen zur positiven Platte bewegen, so ändert sich ihre potentielle Energie um die Arbeit W , die wir durch Ausübung der Kraft Fa = −FqC gegen die konservative Coulomb-Kraft FqC = −q · E an ihr verrichten (siehe Abb. 10.15). Im Abstand x von der negativen Platte gilt für die verrichtete Arbeit mit Fa = q · E: W = Fa · x = q · E · x

(10.40)

Diese Arbeit entspricht der Änderung der potentiellen Energie der Punktladung: W = E pot = E pot (x) − E pot (0) = q · E · x

(10.41)

Indem wir den Nullpunkt der potentiellen Energie an der negativen Platte wählen, d. h., indem wir E pot (0) = 0 J setzen, folgt für die potentielle Energie der Punktladung q im Abstand x von der negativen Platte: E pot (x) = q · E · x

(10.42)

Die Spannung des Kondensators Eine Änderung der potentiellen Energie entspricht aber nach (10.36) einer Potentialdifferenz φ, d. h. einer Spannung U , zwischen den Kondensatorplatten. Mit x = d folgt E pot = q · φ = q · U = q · E · d, woraus wir für die Spannung zwischen den Kondensatorplatten

Abb. 10.15 Zur Arbeit und potentiellen Energie beim Plattenkondensator

(10.43)

364

10 Klassische Elektrodynamik

U = E ·d =

σ ·d Q·d = 0 0 · A

(10.44)

erhalten. Die Kapazität Aus (10.44) folgt, dass das Verhältnis UQ = 0d·A = C unabhängig von Q konstant ist. Allgemein bezeichnet man eine Anordnung von leitenden Flächen, für die dieses Verhältnis Q/U als Funktion von Q konstant ist, als Kondensator. Die Kapazität C eines Kondensators ist definiert als das Verhältnis von aufgebrachter Ladung Q zur Spannung U zwischen den Leiterflächen: Q (10.45) U Die SI-Einheit der Kapazität heißt Farad F. Es gilt F = C/V . Da die Kapazität 1 F ziemlich groß ist, verwendet man in der Regel Bruchteile davon, wie 1 nF oder 1 pF. Nach (10.44) erhalten wir also für die Kapazität eines Plattenkondensators: C :=

C =

Q 0 · A = U d

(10.46)

Beispiel 10.3 Ein Ion im Plattenkondensator Zwei parallele Metallplatten der Fläche A = 100 cm 2 besitzen einen Abstand d = 2 cm. Sie tragen die Ladung Q = ± 10−9 C. Die Ladungsdichte σ auf den Platten beträgt damit: 10−9 C Q = = 10−7 C/m 2 A 100 · 10−4 m 2 Zwischen den Platten ist das elektrische Feld homogen und besitzt den Betrag σ =

E =

σ Q 10−7 C/m 2 = = = 1,13 · 104 N /C. 0 · A 0 8,85 · 10−11 C 2 /N m 2

Damit erhalten wir für die Spannung zwischen den Kondensatorplatten: U = E · d = 1,13 · 104 N /C · 2 · 10−2 m = 2,26 · 102 J /C = 226 V Ein einfach positiv geladenes Ion mit der Ladung q = 1,6 · 10−19 C erfährt in diesem Feld die Coulomb-Kraft FqC = q · E = 1,6 · 10−19 C · 1,13 · 104 N /C = 1,81 · 10−15 N . Aufgrund dieser Kraft wird das freie Ion in Richtung zur negativen Platte beschleunigt. Indem das Ion von der positiven zur negativen Platte fliegt, durchläuft es die Potentialdif-

10.2

Elektrostatik

365

ferenz φ, d. h. die Spannung U zwischen den Platten, wobei seine potentielle Energie bis zur negativen Platte um E pot = q · φ = q · U = 1,6 · 10−19 C · 226 V = 3,62 · 10−17 J abnimmt. Diese Änderung der potentiellen Energie ist gleich der Änderung der kinetischen Energie des Ions. Ruht also das Ion an der positiven Platte, so ist seine kinetische Energie an der negativen Platte gegeben durch: E kin = E pot = 3,62 · 10−17 J 

10.2.5 Materie im elektrischen Feld Wir betrachten im Folgenden die Frage, wie sich Materie verhält, die in ein elektrisches Feld gebracht wird? Metallischer Leiter im elektrischen Feld Bingen wir einen ungeladenen metallischen Leiter in ein elektrisches Feld, so wirkt auf die frei beweglichen Leitungselektronen die Coulomb-Kraft entgegengesetzt zur Feldrichtung (siehe Abb. 10.16(a)). Da sie das Metall in der Regel nicht verlassen können, sammeln sie sich auf einer Oberflächenseite des Metalls, die dann eine negative Oberflächenladung trägt. Die Oberflächenladung der gegenüberliegenden Seite ist dann wegen des Elektronenabzugs positiv (siehe Abb. 10.16(b)). Dieser Prozess der Elektronenwanderung im Metall kommt zum Stillstand, wenn das durch diese Oberflächenladungen erzeugte elektrische Feld das äußere Feld im Inneren des Leiters genau kompensiert. Diese Ladungstrennung in einem Leiter durch ein äußeres elektrisches Feld heißt Influenz. Die hierbei auftretenden Oberflächenladungen heißen Influenzladungen. Im stationären Fall ist das Innere eines Leiters

Abb. 10.16 Zur Influenz

366

10 Klassische Elektrodynamik

feldfrei! Das gilt sowohl für einen massiven als auch für einen hohlen Metallkörper, den man auch Faraday-Käfig nennt (siehe Abb. 10.16(c)). Bemerkung: Aufgrund der Blechkarosserie ist ein Auto ein Faraday-Käfig. Wenn ein Blitz einschlägt, bleibt das Innere feldfrei, sodass die Insassen geschützt sind.  Isolatoren im elektrischen Feld Isolatoren besitzen keine frei beweglichen Ladungsträger. Dennoch hat ein äußeres Feld eine Wirkung auf einen Isolator. Es bewirkt eine „Verzerrung“oder „Verschiebung“der Ladungsverteilung von Atomen bzw. Molekülen, aus denen der Isolator aufgebaut ist. Man sagt, „die Teilchen werden polarisiert“, wodurch Dipolmomente induziert werden (siehe Abb. 10.17(b)). Dieser Vorgang heißt Verschiebungspolarisation. Schließlich gibt es eine Gruppe von Substanzen, bei denen zu dieser Verschiebungspolarisation ein weiterer Effekt hinzukommt, den man Orientierungspolarisation nennt. Die Orientierungspolarisation tritt auf, wenn die Moleküle einer Substanz ein permanentes Dipolmoment besitzen, wie z. B. Wasser. Im äußeren Feld werden diese Dipole dann in Feldrichtung ausgerichtet (siehe Abschn. 10.2.2). Was ist die Konsequenz beider Polarisationsarten? Während sich im Inneren des Isolators die benachbarten positiven und negativen Ladungen nahezu kompensieren, bleiben nur an den Oberflächen Flächenladungsdichten übrig, die ein elektrisches Feld erzeugen, das dem äußeren Feld entgegengerichtet ist. Aufgrund der Verschiebungs- und Orientierungspolarisation wird das äußere elektrische Feld, das die Polarisation hervorruft, im Inneren des Isolators geschwächt. Da das elektrische Feld, wenn auch geschwächt, durch die Substanz hindurchdringt, heißen Isolatoren auch Dielektrika. Diese Schwächung des elektrischen Feldes innerhalb eines Dielektrikums beschreiben wir durch die Dielektrizitätszahl . Sie ist definiert als das Verhältnis des elektrischen Feldes E 0 „ohne Materie“ (siehe Abb. 10.17(a)) zum elektrischen Feld E M in der betrachteten Substanz

Abb. 10.17 Zur Polarisation eines Dielektrikums

10.2

Elektrostatik

367

Tab. 10.1 Dielektrizitätszahlen einiger Substanzen Substanz

Bedingungen



Luft

Normalbedingungen

1,000 6

Wasser

bei 0 ◦ C

88

Glas

5–10

Papier

3,7 bei 20 ◦ C

Ethanol

 =

25,8

E0 ≥ 1. EM

(10.47)

Für das Vakuum ist  = 1, sodass E ≡ E M = E 0 gilt. Die Dielektrizitätszahlen für einige Substanzen sind in Tab. 10.1 zusammengefasst.

Dielektrikum im Kondensator Bringen wir ein Dielektrikum vollständig in den Zwischenraum eines Kondensators, so kann dies bei konstanter Ladung oder bei konstanter Spannung geschehen. Konstante Ladung Halten wir beim Einbringen des Dielektrikums die Ladung Q des Kondensators konstant, so ist wegen E 0 = 0Q·A das äußere Feld, das das Dielektrikum durchdringt, konstant. Im Dielektrikum wird es gemäß E M = 1 · E 0 geschwächt. Damit ändert sich dann auch wegen E M · d = 1 · E 0 · d die Spannung am Kondensator wie folgt: U =

1 · U0 , 

(10.48)

worin die Spannung am Kondensator ohne Dielektrikum gegeben ist durch U0 = E 0 · d . Beim Einbringen des Dielektrikums ändert sich ferner die Kapazität des Kondensators wie folgt: Q Q  · 0 · A CM = = · , (10.49) =  · C0 = U U0 d worin C0 =

0 ·A d

die Kapazität des Kondensators ohne Dielektrikum bezeichnet.

Konstante Spannung Halten wir dagegen die Spannung U konstant, dann ändert sich die Ladung Q des Kondensators nach (10.49) gemäß Q = C M · U =  · C0 · U =  · Q 0 ,

(10.50)

368

10 Klassische Elektrodynamik

worin Q 0 = C0 · U die Ladung des Kondensators ohne Dielektrikum ist. Beispiel 10.4 Ladung eines Plattenkondensators Ein Plattenkondensator mit der Plattenfläche A = 10 cm 2 und dem Plattenabstand d = 0,2 mm wird vollständig mit einem Dielektrikum gefüllt, das die Dielektrizitätszahl  = 3,7 besitzt. Die Kapazität C M des Kondensators beträgt dann CM =

3,7 · 8,85 · 10−12 C 2 /N m 2 · 10 · 10−4 m 2  · 0 · A = = 164 p F, d 2 · 10−4 m

wobei bezüglich der Einheiten C 2 /N m = C 2 /V C = C/V = F gilt. Wird dieser Plattenkondensator mit einer Spannungsquelle verbunden, die die Spannung U = 6 V liefert, dann fließt auf den Kondensator die Ladung Q = C M · U = 164 · 10−12 F · 6 V = 9,84 · 10−10 C. Ohne Dielektrikum würde der Kondensator die Ladung Q0 =

9,84 · 10−10 C Q = = 2,66 · 10−10 C  3,7

tragen.



10.2.6 Die Energie des elektrischen Feldes Um einen Kondensator aufzuladen, müssen wir von der einen Platte kleine Ladungsmengen gegen die wachsende Spannung U auf die andere Platte transportieren. Dabei verrichten wir gegen die Coulomb-Kraft die Arbeit W . Mit W = E pot = q · U und dW = dW dq dq = q U dq = C dq erhalten wir W

Q dW =

W = 0

0

 1 1 2  Q 1 1 1 Q2 q dq = · q  = · = Q · U = C · U 2 , (10.51) C C 2 2 C 2 2 0

worin Q die Gesamtladung und U = CQ die Endspannung zwischen beiden Platten bezeichnet. Welche Energieform wird durch diese Arbeit geändert, und wo steckt diese Energie? Mit C = C0 = 0d·A folgt

W =

1 1 0 A 0 C · U2 = · · U2 = · Ad · 2 2 d 2



U d

2 =

1 · 0 · V · E 2 , 2

(10.52)

10.3

Gleichströme

369

worin E = Ud die elektrische Feldstärke und V = A · d das Volumen zwischen den Kondensatorplatten bezeichnen. Diese Beziehung besagt, dass die Arbeit als elektrische Energie E el 1 · 0 · V · E 2 (10.53) 2 im Feld des Kondensators gespeichert ist. Um diese elektrische Energie unabhängig vom Volumen V zu charakterisieren, führen wir die Energiedichte des elektrischen Feldes el ein, die die elektrische Energie pro Volumeneinheit beschreibt. Es folgt: E el :=

el :=

1 E el = · 0 · E 2 V 2

(10.54)

Ihre SI-Einheit ist J /m 3 . Bemerkungen: • Ein Kondensator kann also als Energiespeicher verwendet werden. • Die Beziehung (10.54) beschreibt ganz allgemein die Energiedichte des elektrischen Feldes. 

10.3

Gleichströme

Eine Spannungsquelle besitzt zwei Pole, das sind zwei Punkte mit unterschiedlichem Potential. Indem eine Spannungsquelle Arbeit an den frei beweglichen Ladungsträgern verrichtet, hebt sie die Ladungsträger vom niedrigeren Potential auf das höhere Potential (siehe Abschn. 10.3.2). Der Pol, an dem sich positive Ladungen ansammeln, heißt Pluspol, und der Pol mit einer negativen Ladungsansammlung heißt Minuspol. Werden die Pole einer Spannungsquelle über einen Leiter miteinander verbunden, so breitet sich im Leiter das elektrische Feld aus. Die im Leiter befindlichen freien Ladungsträger werden dann aufgrund der Coulomb-Kraft, abhängig vom Vorzeichen ihrer Ladung, in oder entgegengesetzt zur Feldrichtung in Bewegung versetzt, und wir sagen „es fließt ein elektrischer Strom“. Die folgenden grundlegenden Begriffsbildungen beziehen sich auf alle Stromarten, also auf Ströme von Elektronen in Metallen, Ionenströme in Elektrolyten oder frei durch ein Plasma oder das Vakuum fliegende Elektronen und Ionen.

370

10 Klassische Elektrodynamik

10.3.1 Grundlegende Begriffe

Stromrichtung Als Stromrichtung definieren wir die Bewegungsrichtung positiver Ladungsträger. Für positive Ladungen ist der Pluspol das höhere Potential, sodass sie sich vom Pluspol zum Minuspol der Spannungsquelle bewegen (siehe Abb. 10.18). Für negative Ladungen ist es genau umgekehrt! Bemerkungen: • Diese Definition der Stromrichtung ist willkürlich! • In Metallen bewegen sich die Elektronen entgegengesetzt zur definierten Stromrichtung.  Elektrische Stromstärke Die elektrische Stromstärke I (t) beschreibt die Änderung der durch eine Fläche A hindurchtretende Ladung Q(t) pro Zeiteinheit (siehe Abb. 10.1). Sie hängt i. Allg. von der Zeit ab und ist definiert durch: d Q(t) (10.55) dt In dem Spezialfall, dass in festen zeitlichen Abständen t die gleiche Ladung Q durch die Fläche A hindurchfließt, ist die Stromstärke I (t) = I = konstant. Aus (10.55) folgt dann Q(t) = I · t, d. h., es gilt: I (t) :=

I =

Abb. 10.18 Zur Stromrichtung

Q(t) = konstant t

(10.56)

10.3

Gleichströme

371

Abb. 10.19 Gleich- und Wechselströme

Im SI-System ist die elektrische Stromstärke eine Grundgröße (siehe Kap. 1), deren Einheit im neuen System über die Elementarladung e definiert ist 3 : „Das Ampere (A) ist die SI-Einheit der elektrischen Stromstärke. Es ist definiert, indem für die Elementarladung e der Zahlenwert 1,602 176 634 · 10−19 festgelegt wird, ausgedrückt in der Einheit C = A s, wobei die Sekunde mittels  νCs definiert ist: 1 A = 6,789 686 . . . · 108 e  νCs .“

Stromdichte Um die Stromstärke unabhängig von der Fläche A zu charakterisieren, führen wir die Stromdichte j( x , t) ein, die i. Allg. vom Ort und der Zeit abhängen kann. Sie ist definiert als diejenige Ladung, die pro Zeiteinheit durch eine Flächeneinheit hindurchtritt. In dem Spezialfall, dass die Stromdichte orts- und zeitunabhängig ist, gilt: j =

I Q = A A·t

(10.57)

Ihre SI-Einheit ist A/m 2 . Im Folgenden klassifizieren wir elektrische Ströme. Gleich- und Wechselströme Fließt ein Strom stets in die gleiche Richtung, so sprechen wir von einem Gleichstrom. Bei einem Gleichstrom kann sich die Stromstärke durchaus mit der Zeit ändern (siehe Abb. 10.19(a)). Im engeren Sinne spricht man jedoch von einem Gleichstrom, wenn zusätzlich zur Stromrichtung auch die Stromstärke konstant ist (siehe Abb. 10.19(b)). Ändert jedoch der Strom regelmäßig in festen zeitlichen Abständen die Stromrichtung, so sprechen wir von einem Wechselstrom. Die wichtigste Form ist der sinusförmige Wechselstrom (siehe Abb. 10.19(c)). Elektrische Ströme, deren Stromstärken mit der Zeit variieren, heißen allgemein zeitabhängige Ströme I (t). 3 Countdown zum neuen SI, Physikalisch Technische Bundesanstalt, CODATA 2017 special adjustment.

372

10 Klassische Elektrodynamik

Elektrischer Widerstand Jeder Leiter setzt dem Stromfluss, d. h. der Bewegung der Ladungsträger, durch Stöße mit den Leiteratomen einen „Widerstand“entgegen, aufgrund dessen die Bewegung der Ladungsträger zum Stillstand kommen würde. Um einen Stromfluss aufrechtzuerhalten, muss die den Strom hervorrufende Spannung beibehalten werden. Der elektrische Widerstand R eines Materials ist definiert als das Verhältnis der angelegten Spannung U zur Stromstärke I des Stromes, der durch das Material fließt: U I Die SI-Einheit des elektrischen Widerstandes heißt Ohm . Es gilt: R :=

= V /A

(10.58)

(10.59)

Spezifischer Widerstand und elektrische Leitfähigkeit Der elektrische Widerstand hängt von der geometrischen Form eines Leiters und dem verwendeten Material ab. Dabei besteht folgende Abhängigkeit des elektrischen Widerstandes eines zylindrischen Leiters von der Querschnittsfläche A und der Länge l des Leiters: l (10.60) A Die Konstante ρ ist eine formunabhängige, materialspezifische Größe und heißt spezifischer Widerstand. Seine SI-Einheit ist m. Der Kehrwert R = ρ·

σ :=

1 ρ

(10.61)

heißt elektrische Leitfähigkeit. Zur Temperaturabhängigkeit des elektrischen Widerstandes Der spezifische Widerstand (und damit auch der elektrische Widerstand R) hängt i. Allg. von der Temperatur ϑ ( in ◦ C ) ab. Für Metalle steigt er linear mit der Temperatur an: ρ(ϑ) = ρ0 · (1 + α · ϑ),

(10.62)

worin ρ0 den spezifischen Widerstand bei ϑ = 0 ◦ C und α den Temperaturkoeffizienten des elektrischen Widerstandes bezeichnen. Dagegen nimmt der spezifische Widerstand für Elektrolyte mit steigender Temperatur ab. Bemerkung: Aufgrund der Temperaturabhängigkeit eignen sich Metallwiderstände sehr gut zur Temperaturmessung. 

10.3

Gleichströme

373

Das Ohm’sche Gesetz

Wird die Temperatur eines Leiters konstant gehalten, dann ist für viele Leiter die elektrische Stromstärke proportional zur angelegten Spannung, und der elektrische Widerstand ist dann unabhängig von der Stromstärke konstant. Für solche Leiter gilt das Ohm’sche Gesetz: U R = = konstant (10.63) I Allgemein heißen Leiter, die dieses Gesetz erfüllen, ohmsche Leiter. Zu ihnen gehören die Metalle und die Elektrolyten, Ausnahmen bilden Gasentladungen in Bogenlampen oder Leuchtstoffröhren.

Bemerkungen: • Man beachte, dass dieses Gesetz nur bei konstanter Temperatur gilt. In jedem Leiter entsteht durch den Stromfluss Wärme. Nur solange diese vernachlässigbar klein ist oder geeignet abgeführt wird, kann man eine Proportionalität zwischen U und I erwarten. • Man beachte ferner den Unterschied zwischen dem Ohm’schen Gesetz (10.63) und der Definition des elektrischen Widerstandes (10.58). Während der elektrische Widerstand stets als Verhältnis von Spannung zur Stromstärke definiert ist, ist der Inhalt des Ohm’schen Gesetzes, dass dieses Verhältnis konstant ist.  Trägt man den Strom als Funktion der angelegten Spannung auf, so erhält man eine sogenannte Strom-Spannungskennlinie eines Leiters. Für einen ohmschen Leiter erhält man eine Gerade (siehe Abb. 10.20). Da mit wachsender Stromstärke der elektrische Widerstand eines Glühfadens in einer Glühlampe aufgrund der Erwärmung des Fadens zunimmt, weicht die Glühlampe für höhere Spannungen vom ohmschen Verhalten ab.

Abb. 10.20 Strom-Spannungskennlinien

374

10 Klassische Elektrodynamik

Die Leistung des elektrischen Stromes Wenn vom Pluspol einer Spannungsquelle ein Ladungsträger mit der Ladung q > 0 durch einen Leiter zum Minuspol fließt, so nimmt seine potentielle Energie um W = E pot = q·U ab, worin U = φ die Spannung oder Potentialdifferenz zwischen den Polen bezeichnet. Zumindest ein Teil dieser Energie kann in einem elektrischen Gerät in andere Energieformen wie kinetische Energie (Motor), Strahlungsenergie (Lampe) oder Wärmeenergie (Heizung) umgewandelt werden. Die nicht genutzte Energie wird in Form von Wärme an den Leiter und seine Umgebung abgegeben. Die durch den Stromfluss hervorgerufene Wärmeenergie heißt Joule’sche Wärme. Das Joule’sche Gesetz

Ist die Stromstärke I konstant, dann ist die in der Zeit t durch die Gesamtladung Q verrichtete Arbeit gegeben durch die Änderung der potentiellen Energie W = E pot = Q · U = I · t · U , und die Leistung P des elektrischen Stromes beträgt dann: P =

W U2 = I · U = R · I2 = t R

(10.64)

Für zeitabhängige Ströme I (t) ist die Leistung zeitabhängig. Sie ist gegeben durch: P(t) =

d {Q(t) · U } d Q(t) d W (t) = = · U = I (t) · U dt dt dt

(10.65)

Die Regel „Leistung ist Stromstärke mal Spannung“ gilt also auch für zeitabhängige Ströme. Für die Einheit der Leistung, das Watt W , erhalten wir schließlich: W = J /s = A V

(10.66)

10.3.2 Einfache elektrische Schaltungen Eine elektrische Schaltung besteht aus einer oder mehreren Spannungsquellen sowie unterschiedlichen elektrischen Bauteilen, von denen wir nur Widerstände, Kondensatoren und Spulen betrachten, für die wir in elektrischen Schaltungen die im Folgenden dargestellten Symbole verwenden.

Spannungsquellen stellen wir durch ihre Pole oder im Falle eines galvanischen Elementes durch die Metallplatten im Elektrolyten dar. Alle Bauteile und die Spannungsquelle(n) sind durch Leiter miteinander verbunden, die wir durch eine gerade Linie darstellen. Den

10.3

Gleichströme

375

Abb. 10.21 Eine einfache elektrische Schaltung

ohmschen Widerstand dieser Leiter betrachten wir als vernachlässigbar gegenüber dem ohmschen Widerstand der Widerstandsbauteile. Soll ein „Strom fließen“, so müssen Spannungsquelle und Bauteile zu einem Stromkreis geschlossen werden. Hierbei stellt sich die Frage, wie sich der elektrische Strom auf die Leiter und Bauteile im Stromkreis verteilt (siehe Abb. 10.21)? Für die Verteilung des elektrischen Stromes in einer elektrischen Schaltung gelten die Kirchhoff’schen Regeln: die Knoten- und die Maschenregel. Die Knotenregel

In einem Knotenpunkt einer elektrischen Schaltung ist die Summe aller zufließenden Ströme gleich der Summe aller abfließenden Ströme (siehe Abb. 10.22).

Abb. 10.22 Zur Knotenregel

376

10 Klassische Elektrodynamik

Abb. 10.23 Zur Maschenregel

Die Maschenregel

In einem geschlossenen Stromkreis, d. h. einer Masche, ist die Summe aller Spannungen der enthaltenen Spannungsquellen gleich der Summe aller Spannungsabfälle an den elektrischen Bauteilen. Hierbei müssen die Vorzeichen der Spannungen beachtet werden. Eine Spannungsquelle pumpt von „+ nach −“. Wenn die Spannung in Richtung der Masche gerichtet ist, erhält sie ein „+“-Zeichen, im anderen Fall ein „−“-Zeichen (siehe Abb. 10.23).

Bemerkungen: • Fließt durch einen Widerstand R der Strom I , so fällt die Spannung an diesem Widerstand um U = R · I ab. Was bedeutet das physikalisch? Wir betrachten hierzu den folgenden Potentialverlauf in einem elektrischen Stromkreis.

10.3

Gleichströme

377

Die Spannungsquelle hebt die Ladung q vom Potential φ(A) = 0 V (Minuspol = Nullpunkt) auf das Potential φ(B) = U (Pluspol), wobei diese Potentialdifferenz der Spannung U = φ(B) − φ(A) = φ(B) der Spannungsquelle entspricht. Dabei verrichtet die Spannungsquelle an der Ladung q die Arbeit W = E pot = q · U , die die Ladung dann als potentielle Energie besitzt. Durchläuft die Ladung q nun den Widerstand R1 , so gibt sie dabei die potentielle Energie E 1pot = q · {φ(B) − φ(C)} = q · U1 in Form von Wärme ab, weshalb das Potential um die Spannung U1 auf den Wert φ(C) abfällt. Die verbleibende potentielle Energie E 2pot = q · {φ(C) − φ(A)} = q · U2 gibt die Ladung q beim Durchlaufen des Widerstandes R2 ebenfalls in Form von Wärme ab, weshalb das Potential schließlich um die Spannung U2 auf den Wert φ(A) = 0 V abfällt. • Die Knotenregel ist eine Folge der Ladungserhaltung! An einem Knotenpunkt können Ladungen weder entstehen noch verschwinden. • Die Maschenregel ist eine Folge der Energieerhaltung! Die fließenden Ladungsträger können in den elektrischen Bauteilen nicht mehr Energie abgeben, als sie durch die Spannungsquelle mitbekommen haben.  Eine elektrische Schaltung, in der neben Spannungsquellen nur Widerstände vorkommen, heißt Widerstandsschaltung. Die angelegte Spannung sei U , und durch die Schaltung fließe der Gesamtstrom I , d. h., der Gesamtwiderstand der Schaltung ist gegeben durch R = UI . Wie setzt sich dieser Gesamtwiderstand aus den Einzelwiderständen zusammen? Die Reihenschaltung In einer Reihenschaltung sind Widerstände hintereinander angeordnet (siehe Abb. 10.24). Aus der Maschenregel folgt: U = U1 + U2 = R1 · I + R2 · I = (R1 + R2 ) · I

Abb. 10.24 Die Reihenschaltung

378

10 Klassische Elektrodynamik

Abb. 10.25 Die Parallelschaltung

Hieraus erhalten wir für den Gesamtwiderstand R = teter Widerstände R1 und R2 : R = R1 + R2

U I

zweier hintereinander geschal(10.67)

Die Parallelschaltung In einer Parallelschaltung sind Widerstände parallel angeordnet (siehe Abb. 10.25). Aus der Knotenregel folgt:   U U 1 1 I = I1 + I2 = ·U + = + R1 R2 R1 R2 Hiermit erhalten wir für den Gesamtwiderstand R zweier parallel geschalteter Widerstände R1 und R2 aus der Beziehung R1 = UI : 1 1 1 = + R R1 R2

10.4



R =

R1 · R2 R1 + R2

(10.68)

Bewegte Ladungen und magnetische Felder

 r ) erfährt eine ruhende Ladung q die Coulomb-Kraft F C = In einem elektrischen Feld E( q · E (siehe Abschn. 10.2). Ferner finden wir, dass auf eine bewegte Ladung q zusätzlich zur Coulomb-Kraft eine Kraft wirkt, die Lorentz-Kraft F L heißt. Diese Lorentz-Kraft führen  r ) nennen. wir auf die Existenz eines weiteren Feldes zurück, das wir magnetisches Feld B( So wie eine Ladung in einem elektrischen Feld die Coulomb-Kraft erfährt, so wirkt auf eine bewegte Ladung in einem magnetischen Feld die Lorentz-Kraft. Während elektrische Ladungen ein elektrisches Feld erzeugen, gibt es keine analogen „magnetischen Ladungen“, die wir als Quelle eines magnetischen Feldes auffassen könnten. Wie aber können wir dann die Entstehung von magnetischen Feldern verstehen?

10.4

Bewegte Ladungen und magnetische Felder

379

Abb. 10.26 Kräfte auf bewegte Ladungen

10.4.1 Das Ampere’sche Gesetz Kräfte auf bewegte Ladungen Bewegen sich zwei gleichartige Ladungen mit gleicher, konstanter Geschwindigkeit v parallel zueinander, so ist die Coulomb-Kraft zwischen ihnen repulsiv, die Lorentz-Kraft dagegen attraktiv (siehe Abb. 10.26(a)). Bewegen sich dagegen ungleichartige Ladungen parallel zueinander, so ist die Coulomb-Kraft attraktiv, die Lorentz-Kraft dagegen repulsiv (siehe Abb. 10.26(b)). Wenn sich schließlich zwei gleichartige Ladungen antiparallel zueinander bewegen, so sind Lorentz- und Coulomb-Kraft repulsiv (siehe Abb. 10.26(c)). Offenbar ist für die Richtung der Lorentz-Kraft nicht nur das Vorzeichen der Ladung, sondern auch die Richtung der Geschwindigkeit des Ladungsträgers wichtig. Wie aber kann man allein die Lorentz-Kraft untersuchen? Betrachten wir einen stromdurchflossenen Metalldraht, so enthält er gleich viele positive wie negative Ladungen, d. h., von außen betrachtet ist er elektrisch neutral. Während sich die positiven Ladungen „in Ruhe“befinden, bewegen sich die Leitungselektronen durch den Draht, d. h., es fließt ein Strom I . Betrachten wir also zwei stromdurchflossene Drähte, so besteht die elektromagnetische Kraft beider Drähte aufeinander allein aus der Lorentz-Kraft, wobei wir den folgenden Zusammenhang finden.

Das Ampere’sche Gesetz

Zwei parallele Metalldrähte der Länge l, die sich im Abstand r voneinander befinden und durch die die Ströme I1 und I2 fließen, üben aufeinander die Lorentz-Kraft F L aus, deren Betrag gegeben ist durch: FL =

μ0 I 1 · I 2 · ·l 2π r

(10.69)

380

10 Klassische Elektrodynamik

Abb. 10.27 Zur Lorentz-Kraft zwischen zwei Metalldrähten

Die magnetische Feldkonstante μ0 4 besitzt den Wert μ0 = 4 π · 10−7 N /A2 1,256 637 062 12 · 10−6 V s/A m.

(10.70)

Die Lorentz-Kraft der Metalldrähte aufeinander ist anziehend, wenn die Ströme gleichgerichtet sind (siehe Abb. 10.27(a)), und abstoßend, wenn sie entgegengesetzt gerichtet sind (siehe Abb. 10.27(b)).

Bemerkung: Zwischen der elektrischen Feldkonstanten 0 , der magnetischen Feldkonstanten μ0 und der Vakuumlichtgeschwindigkeit c0 besteht der Zusammenhang 1 . c0 = √ 0 · μ 0

(10.71)

Darin kommt die enge Verknüpfung zwischen elektrischen, magnetischen und optischen Phänomenen zum Ausdruck, die alle Erscheinungen einer Wechselwirkung, der elektromagnetischen Wechselwirkung, sind. 

10.4.2 Das magnetische Feld Das Biot-Savart’sche Gesetz Schreiben wir das Ampere’sche Gesetz (10.69) in der Form F L = l · I2 · B(r ),

(10.72)

4 CODATA Internationally recommended 2018 Values of the Fundamental Physical Constants.

10.4

Bewegte Ladungen und magnetische Felder

381

so folgt:

μ0 I 1 · (10.73) 2π r  r ) an einem Raumpunkt P, den wir Wir betrachten B(r ) als Betrag eines Vektors B( durch den Ortsvektor r beschreiben und der den Abstand r vom Leiter besitzt. Wir nennen ihn magnetisches Feld des vom Strom I1 durchflossenen geraden Leiters am Raumpunkt  r ) ist senkrecht zur Stromrichtung und tangential an einen Kreis um den Leiter mit P. B( dem Radius r =| r | gerichtet. Sein Betrag heißt magnetische Feldstärke (siehe Abb. 10.28). Die Gesamtheit all dieser Vektoren an allen Raumpunkten heißt magnetisches Feld B des stromdurchflossenen, geraden Leiters. Die SI-Einheit des magnetischen Feldes heißt Tesla T . Es gilt: B(r ) :=

T = N /Am

(10.74)

Schließlich können wir die Beziehung (10.73) auch wie folgt interpretieren:

Merke:

Elektrische Ströme, d. h. bewegte Ladungen, erzeugen ein magnetisches Feld!



Bemerkung: Das allgemeine Biot-Savart’sche Gesetz Eine beliebige Stromdichte j( x ) erzeugt am Raumpunkt P, zu dem der Ortsvektor r gehört, das magnetische Feld  ( r − x)  r ) = μ0 · j( B( d 3 x. (10.75) x) × 4π | r − x |3  Abb. 10.28 Zum magnetischen Feld eines geraden, stromdurchflossenen Leiters

382

10 Klassische Elektrodynamik

Abb. 10.29 Zum magnetischen Feld einer positiven Punktladung

Das magnetische Feld einer Punktladung Eine Punktladung q, die sich mit der Geschwindigkeit v bewegt, erzeugt am Raumpunkt P, den wir durch den Ortsvektor r beschreiben, nach (10.75) das magnetische Feld (siehe Abb. 10.29)  r ) = μ0 · q · v × r , r = | r | . B( 4π r3

(10.76)

Magnetische Feldlinienbilder Um ein magnetisches Feld anschaulich darzustellen, zeichnen wir magnetische Feldlinienbilder. An jedem Raumpunkt P ist der Vektor des magnetischen Feldes B tangential an die Feldlinie durch diesen Punkt (vgl. Abb. 10.28 und 10.30). Die Dichte der Feldlinien ist ein  r ), d. h. die „Stärke“ des magnetischen Feldes. MagnetiMaß für den Betrag des Vektors B( sche Feldlinien sind stets geschlossen und umschlingen den Strom, der das Feld erzeugt. Das bedeutet, dass es keine „magnetischen Ladungen“ gibt, die wir als „Quelle“ eines magnetischen Feldes auffassen könnten! In Abb. 10.30 ist das magnetische Feld eines geraden, stromdurchflossenen Leiters dargestellt. Die magnetischen Feldlinien sind konzentrische Kreise. Eine vom Strom I durchflossene, beliebig geformte, ebene Leiterschleife erzeugt das Feld eines magnetischen Dipols (siehe Abb. 10.31). Einen magnetischen Dipol beschreiben

Abb. 10.30 Das Feldlinienbild eines geraden, stromdurchflossenen Leiters

10.4

Bewegte Ladungen und magnetische Felder

383

Abb. 10.31 Magnetisches Dipolmoment einer ebenen Leiterschleife

wir durch das magnetische Dipolmoment μ  m , das senkrecht zur Leiterschleife gerichtet ist und dessen Betrag durch μm = | μ m | = I · A

(10.77)

gegeben ist, worin A die Querschnittsfläche der Leiterschleife bezeichnet. Wir ordnen einem magnetischen Dipol einen Südpol S und einen Nordpol N zu derart, dass die Richtung des magnetischen Moments vom Süd- zum Nordpol zeigt. Diese Richtung stimmt überein mit der Richtung des magnetischen Feldes im Inneren der Schleife (siehe Abb. 10.32). Eine Spule besteht aus N aneinandergefügten Leiterschleifen und besitzt die Länge l (siehe Abb. 10.33). Im Inneren einer Spule ist das magnetische Feld homogen, d. h., der Vektor des magnetischen Feldes besitzt an allen Punkten den gleichen Betrag und die gleiche Richtung, und wir beschreiben das Feld durch parallele Feldlinien. Die magnetische Feldstärke im Inneren der Spule ist gegeben durch:

Abb. 10.32 Das Feldlinienbild eines magnetischen Dipols

384

10 Klassische Elektrodynamik

Abb. 10.33 Das magnetische Feld einer stromdurchflossenen Spule

N · I, (10.78) l worin I die durch die Spulenwindungen fließende elektrische Stromstärke bezeichnet. Insgesamt erzeugt auch eine Spule ein magnetisches Dipolfeld. B = μ0 ·

10.4.3 Kräfte im magnetischen Feld Die Beziehung (10.72) bedeutet offenbar, dass ein vom Strom I durchflossener Leiter der Länge l in einem magnetischen Feld B die Lorentz-Kraft F L erfährt. Da Ströme bewegte Ladungen sind, ist diese Lorentz-Kraft auf einen stromdurchflossenen Leiter die vektorielle Summe aller Lorentz-Kräfte auf die einzelnen bewegten Ladungen. Welche Lorentz-Kraft aber wirkt auf eine einzelne Punktladung? Die Lorentz-Kraft auf eine bewegte Punktladung  Bewegt sich eine Punktladung q mit der Geschwindigkeit v in einem magnetischen Feld B, so wirkt auf die Punktladung die Lorentz-Kraft (siehe Abb. 10.34)  F L = q · v × B.

(10.79)

Die Lorentz-Kraft steht stets senkrecht auf der Geschwindigkeit v und dem magnetischen  Die gesamte elektromagnetische Kraft F em auf eine Punktladung q, die sich in einem Feld B. elektrischen Feld E und einem magnetischen Feld B mit der Geschwindigkeit v bewegt, ist dann gegeben durch die vektorielle Summe von Coulomb- und Lorentz-Kraft:  r ) + v × B(  r )} F em ( r ) = F C ( r ) + F L ( r ) = q · { E(

(10.80)

10.4

Bewegte Ladungen und magnetische Felder

385

Abb. 10.34 Zur Lorentz-Kraft auf eine Punktladung

Beispiel 10.5 Die Larmor-Frequenz Tritt eine Punktladung q mit der Geschwindigkeit v senkrecht in ein homogenes magnetisches Feld B ein, so wirkt auf die Ladung an jedem Bahnpunkt die Lorentz-Kraft senkrecht zu v und B radial nach innen und zwingt sie auf eine Kreisbahn (siehe Abb. 10.35). Die Lorentz-Kraft F L wirkt also als Zentripetalkraft FZ , deren Betrag gegeben ist durch 2 FZ = mrv (siehe Abschn. 3.3.4), worin m die Masse des Ladungsträgers bezeichnet. Damit folgt für die Beträge der Kräfte: m v2 = | q | ·v · B (10.81) r Mit v = ω L · r erhalten wir für die Winkelgeschwindigkeit ω L , mit der die Punktladung auf der Kreisbahn umläuft

Abb. 10.35 Negative Punktladung in einem homogenen magnetischen Feld

386

10 Klassische Elektrodynamik

ωL =

|q| · B, m

(10.82) 

die wir Larmor-Frequenz nennen. Bemerkungen:

• Da die Lorentz-Kraft F L stets senkrecht zur Geschwindigkeit v der Ladung q steht, verrichtet sie an der Ladung keine Arbeit. • Ein Elektron, das in einem homogenen magnetischen Feld auf seiner Kreisbahn umläuft, stellt physikalisch einen Kreisstrom I dar, analog zu einer vom Strom I durchflossenen Leiterschleife. Auf seiner Kreisbahn erzeugt also das Elektron ein magnetisches Dipolfeld, das durch das Dipolmoment μ m = −

e · l 2 me

(10.83)

beschrieben wird (siehe Abb. 10.31 und 10.35), worin m e die Masse des Elektrons, e die Elementarladung und l = m e r × v den Bahndrehimpuls des Elektrons auf seiner Kreisbahn bezeichnen (siehe Abschn. 11.5.2).  Die Lorentz-Kraft auf einen geraden, stromdurchflossenen Leiter Fließt ein Strom I durch einen geraden Leiter der Länge l, der sich in einem homogenen magnetischen Feld B befindet, so wirkt auf jedes Elektron die Lorentz-Kraft (10.79). Die vektorielle Summe all dieser Lorentz-Kräfte auf die einzelnen Elektronen ergibt die LorentzKraft auf den stromdurchflossenen Leiter (siehe Abb. 10.36). Abb. 10.36 Zur Lorentz-Kraft auf einen stromdurchflossenen Leiter

10.4

Bewegte Ladungen und magnetische Felder

387

Die Elektronen bewegen sich mit einer mittleren Geschwindigkeit v durch den Leiter. Dann folgt für die Lorentz-Kraft auf den Leiter L FLeiter =



 (−e) · v × B = Q · v × B,

(10.84)

alleElektr onen

worin Q < 0 die Gesamtladung der durch den Leiter fließenden Elektronen bezeichnet. Wenn wir dagegen den Strom I zur Ermittlung der Lorentz-Kraft auf den Leiter heranziehen, so erhalten wir alternativ L  = I · l × B, FLeiter

(10.85)

 dessen Betrag der worin wir den Strom I als positive Größe betrachten und der Vektor l, Leiterlänge l entspricht, in Stromrichtung zeigt, also entgegengesetzt zur Bewegungsrichtung der Elektronen. Für den Betrag der Lorentz-Kraft auf den stromdurchflossenen Leiter erhalten wir schließlich L FLeiter = I · l · B · sin α,

(10.86)

worin α den Winkel zwischen dem Leiter und dem magnetischen Feld bezeichnet (siehe Abb. 10.36).

Das Drehmoment auf einen magnetischen Dipol Bringen wir einen magnetischen Dipol, den wir durch das Dipolmoment μ  m beschreiben,  so wirkt auf ihn das Drehmoment in ein magnetisches Feld B, N = μ  m × B

Abb. 10.37 Zum Drehmoment auf einen magnetischen Dipol

(10.87)

388

10 Klassische Elektrodynamik

mit dem Betrag N = μm · B · sin α,

(10.88)

worin α den Winkel zwischen dem Dipolmoment und der Feldrichtung bezeichnet. Aufgrund dieses Drehmoments wird der Dipol so lange gedreht, bis das Dipolmoment parallel zu den Feldlinien orientiert ist (siehe Abb. 10.37).

10.4.4 Materie im magnetischen Feld Im Folgenden betrachten wir die Frage, wie Materie reagiert, wenn sie in ein magnetisches Feld gebracht wird? Bringt man eine Substanz in ein magnetisches Feld, so ist die Reaktion der betrachteten Substanz eine Magnetisierung, d. h., die Substanz wird „als Ganzes“ zu einem magnetischen Dipol, erzeugt also selbst ein magnetisches Feld, das dem äußeren Feld gleichgerichtet oder entgegengerichtet sein kann. Diese Magnetisierung ist für verschiedene Substanzen unterschiedlich. Für viele Substanzen finden wir, dass die Magnetisierung proportional zum äußeren Feld zunimmt. Diese Reaktion einer Substanz auf das äußere Feld beschreiben wir deshalb durch eine stoffspezifische, dimensionslose Größe, die wir Permeabilität μ nennen. Sie ist definiert als das Verhältnis des magnetischen Feldes B M mit Materie (siehe Abb. 10.38(b)) zum magnetischen Feld B0 ohne Materie (siehe Abb. 10.38(a)): μ :=

BM B0

Abb. 10.38 Zur Magnetisierung einer Substanz in einem magnetischen Feld

(10.89)

10.4

Bewegte Ladungen und magnetische Felder

389

Für das Vakuum ist μ = 1, sodass B ≡ B M = B0 gilt. Wir nennen eine Substanz • diamagnetisch, wenn μ etwas kleiner als 1 und unabhängig vom äußeren Feld ist (z. B. Wismut μ − 1 = −157 · 10−6 ), • paramagnetisch, wenn μ etwas größer als 1 und unabhängig vom äußeren Feld ist (z. B. Aluminium μ − 1 = +24 · 10−6 ) sowie • ferromagnetisch, wenn μ sehr viel größer als 1 ist und zudem vom äußeren Feld abhängt (z. B. Eisen μ ∼ 103 ). Wie aber können wir Dia-, Para- und Ferromagnetismus verstehen? Obwohl wir nicht sagen können, dass sich die Elektronen in einem Atom auf einer Kreisbahn bewegen, können wir ihnen dennoch aufgrund ihrer Bewegung im Atom einen Bahndrehimpuls l zuordnen, mit dem ein magnetisches Dipolmoment nach (10.83) verbunden ist. Ferner finden wir, dass außer diesem mit dem Bahndrehimpuls verbundenen Dipolmoment ein Elektron ein „inneres magnetisches Dipolmoment“ besitzt, das wir auf einen Eigendrehimpuls oder Spin s zurückführen. Diese Bahn- und Eigendrehimpulse der Elektronen eines Atoms setzen sich zu einem Gesamtdrehimpuls J der Elektronenhülle zusammen (siehe Abschn. 11.5.4), wobei sich die Drehimpulse der Elektronen im Atom vollständig kompensieren können! Somit gibt es Atome mit einem Gesamtdrehimpuls J = 0 sowie Atome mit  Solche Atome, die wie z. B. Eisen einen nichtverschwindenden Gesamtdrehimpuls J = 0.  J besitzen, haben ein permanentes magnetisches Dipolmoment. Diamagnetismus (B M = μ · B0 , μ(B0 ) = konstant) Ein Elektron wird in einem äußeren homogenen magnetischen Feld B0 durch die LorentzKraft auf eine Kreisbahn gezwungen, wodurch ein magnetisches Dipolmoment erzeugt wird (siehe Abschn. 10.4.2). Bringen wir die Atome einer Substanz in ein äußeres magnetisches Feld, so werden analog magnetische Dipolmomente „induziert“, die dem äußeren Feld entgegengerichtet sind. Ist ein solches induziertes Dipolmoment das einzige Dipolmoment eines  so führt es zu einer Schwächung des äußeren Feldes. In diesem Fall ist B M Atoms ( J = 0), kleiner als B0 , d. h., es ist μ < 1, was wir Diamagnetismus nennen. Dieser Diamagnetismus tritt bei allen Substanzen auf, jedoch ist er nur dann beobachtbar, wenn er nicht durch den stärkeren Para- bzw. Ferromagnetismus überdeckt wird! Paramagnetismus (B M = μ · B0 , μ(B0 ) = konstant) Paramagnetismus tritt auf, wenn die Atome einer Substanz ein permanentes magnetisches  Normalerweise zeigen diese statistisch gleichverteilt in alle Dipolmoment besitzen ( J = 0). Richtungen. Durch das Anlegen eines äußeren Feldes werden diese permanenten Dipolmomente in Richtung des äußeren Feldes ausgerichtet, wobei dieser Ausrichtung jedoch die thermischen Stöße der Atome entgegenwirken. Deshalb ist die resultierende Magnetisierung einer Substanz in der Regel sehr gering, jedoch nimmt die Magnetisierung proportional zum äußeren Feld zu.

390

10 Klassische Elektrodynamik

Ferromagnetismus (B M = μ(B0 ) · B0 , nichtlinearer Zusammenhang) Bei ferromagnetischen Substanzen, wie z. B. Eisen, Nickel oder Kobalt, kann die ungeordnete Wärmebewegung der Atome eine zumindest lokale Ausrichtung der atomaren Dipole nicht verhindern. Somit besitzen ferromagnetische Substanzen viele kleine Bereiche, die man Weiß’sche Bezirke nennt, in denen die magnetischen Dipolmomente der Atome aufgrund ihrer gegenseitigen Wechselwirkung völlig parallel liegen. Da diese Ausrichtung von selbst erfolgt, sprechen wir von einer spontanen Magnetisierung. Das magnetische Moment eines Bereiches ist die Summe der ausgerichteten atomaren Dipolmomente. Im „unmagnetisierten Fall“ zeigen diese magnetischen Momente der einzelnen Weiß’schen Bezirke gleichverteilt in alle Raumrichtungen. In einem äußeren magnetischen Feld orientieren sich diese Bereiche jedoch mehr und mehr in Feldrichtung, bis eine völlige Ausrichtung erreicht ist. Für ferromagnetische Substanzen ist die Permeabilität μ keine Konstante, sondern hängt vom äußeren Feld sowie der Vorbehandlung des Materials ab. Trägt man B M gegen B0 auf, so findet man einen nichtlinearen Zusammenhang, den wir Hysteresisschleife nennen (siehe Abb. 10.39). Für einen unmagnetischen, ferromagnetischen Körper nimmt B M mit wachsendem äußerem Feld B0 entsprechend der gestrichelten Kurve zu. Schaltet man das Feld B0 wieder ab, so geht das B M -Feld nicht gegen null, d. h., es bleibt eine remanente Magnetisierung übrig. Aus dem ferromagnetischen Körper ist ein Permanentmagnet geworden, der ebenfalls ein Dipolfeld erzeugt. Erst durch Anlegen eines entgegengesetzt gerichteten Feldes durch Umkehrung des Stromes, der das äußere Feld erzeugt, wird B M wieder null!

Abb. 10.39 Hysteresisschleife

10.5

10.5

Elektromagnetische Induktion

391

Elektromagnetische Induktion

Bisher haben wir lediglich zeitunabhängige elektrische und magnetische Felder betrachtet, die durch zeitunabhängige Ladungsverteilungen und Ströme, d. h. bewegte Ladungen, erzeugt werden. Betrachten wir lediglich Phänomene, die durch zeitunabhängige Ladungsund Stromverteilungen hervorgerufen werden, so erscheinen magnetische und elektrische Felder als unabhängig voneinander. Sind sie das wirklich? Wir finden, dass diese Unabhängigkeit der Felder verschwindet, wenn wir zeitlich veränderliche Ladungsverteilungen und Ströme betrachten, die zeitlich veränderliche Felder hervorrufen. Wir finden weiter, dass ein zeitlich veränderliches magnetisches Feld ein elektrisches Feld und ein sich zeitlich änderndes elektrisches Feld ein magnetisches Feld hervorruft, wir sagen auch induziert und bezeichnen diese Vorgänge als elektromagnetische Induktion. Deshalb können wir letztlich elektrische und magnetische Felder nicht mehr trennen, und wir sprechen dann von einem elektromagnetischen Feld.

10.5.1 Die Induktionsspannung In Abschn. 10.4.3 haben wir einen stromdurchflossenen Leiter in einem homogenen magnetischen Feld betrachtet. Die Leitungselektronen und damit der Leiter selbst erfahren die Lorentz-Kraft, die den Leiter, wenn wir ihn loslassen, in Bewegung versetzt. Umgekehrt können wir auch eine Leiterschleife, an der keine äußere Spannung anliegt und durch die also kein elektrischer Strom fließt, mit konstanter Geschwindigkeit v in das homogene magnetische Feld schieben (siehe Abb. 10.40(a)). Wir finden dann, dass auf die Elektronen im Leiter, wie in Abb. 10.40(a) gezeigt, die Lorentz-Kraft wirkt, aufgrund derer sie zur Klemme 1 „gepumpt“ werden. Dadurch wird die Klemme 1 negativ und die Klemme 2 positiv aufgeladen,

Abb. 10.40 Zur Induktionsspannung

392

10 Klassische Elektrodynamik

d. h., zwischen beiden Klemmen entsteht eine Spannung, die wir Induktionsspannung Uind nennen. Verbinden wir beide Klemmen miteinander, so fließt ein Strom, der Induktionsstrom heißt. Weiter finden wir, dass eine solche Induktionsspannung nicht nur auftritt, wenn wir die Leiterschleife in das zeitlich konstante magnetische Feld schieben, sondern auch, wenn wir die Schleife in diesem Feld drehen (siehe Abb. 10.40(b)) oder wenn die Schleife im Feld ruht und sich das magnetische Feld durch die Leiterschleife jedoch zeitlich ändert, z. B. beim Ein- und Ausschalten des magnetischen Feldes (siehe Abb. 10.40(c)). Wie können wir das Auftreten der Induktionsspannung in all diesen Fällen verstehen?

10.5.2 Der magnetische Fluss Allen drei Fällen ist gemeinsam, dass sich der „magnetische Fluss“ des Feldes durch die Leiterschleife zeitlich ändert. Der magnetische Fluss φ durch eine Leiterscheife mit der Querschnittsfläche A in einem magnetischen Feld B ist definiert durch (siehe Abb. 10.41)  φ := B · nˆ da, (10.90) A

worin nˆ den Normaleneinheitsvektor senkrecht zur Leiterschleife bezeichnet. In dem Spezialfall, dass die Leiterschleife senkrecht von einem homogenen magnetischen Feld B durchdrungen wird, gilt: φ = B·A

(10.91)

Die SI-Einheit des magnetischen Flusses heißt Weber W b, und es gilt: W b = T m2 = V s

Abb. 10.41 Zum magnetischen Fluss durch eine Leiterschleife

(10.92)

10.5

Elektromagnetische Induktion

393

Anschaulich Je mehr Feldlinien durch die Leiterschleife hindurchtreten, d. h., je größer die magnetische Feldstärke durch die Leiterschleife ist, desto größer ist der magnetische Fluss durch diese Leiterschleife (siehe Abb. 10.41). 

10.5.3 Das Faraday’sche Induktionsgesetz Die zeitliche Änderung des magnetischen Flusses φ durch eine Leiterschleife oder allgemeiner eine Spule, d. h. N parallele Schleifen, erzeugt an den Enden der Schleife bzw. der Spule die Induktionsspannung Uind = − N ·

dφ . dt

(10.93)

Diese Induktionsspannung sowie der bei geschlossener Schleife fließende Induktionsstrom sind so gerichtet, dass sie der Ursache ihrer Entstehung entgegenwirken, was wir Lenz’sche Regel nennen. Bewegen wir z. B. einen Stabmagneten auf eine ruhende, geschlossene Leiterschleife zu, so ändert sich der magnetische Fluss des inhomogenen Dipolfeldes des Stabmagneten durch die Leiterschleife, wodurch nach dem Faraday’schen Induktionsgesetz eine Induktionsspannung an der Schleife induziert wird. Nach der Lenz’schen Regel sind diese Spannung und der dann fließende Induktionsstrom so gerichtet, dass das durch den Induktionsstrom erzeugte magnetische Dipolfeld dem Feld des Stabmagneten entgegengerichtet ist (siehe Abb. 10.42).

10.5.4 Selbstinduktion Induktionsspannungen treten unabhängig davon auf, wodurch eine Änderung des magnetischen Flusses durch eine Spule hervorgerufen wird. Ändert sich z. B. der durch eine Spule

Abb. 10.42 Zur Lenz’schen Regel

394

10 Klassische Elektrodynamik

fließende Strom, so ändert sich nach (10.78) das magnetische Feld und damit auch der magnetische Fluss dieses Feldes durch die Spule. Dadurch wird nach dem Faraday’schen Induktionsgesetz an derselben Spule eine Spannung induziert, und wir sprechen dann von Selbstinduktion. Nach der Lenz’schen Regel wirkt die induzierte Spannung der Stromänderung entgegen. Der magnetische Fluss des magnetischen Feldes durch die Spule mit dem Querschnitt A ist gegeben durch φ = B · A, sodass wir mit (10.91) und (10.93) für die Induktionsspannung Uind = − N ·

d {B(t) · A} dφ N d I (t) = −N · = − N A · μ0 · dt dt l dt

oder Uind = − L 0 ·

d I (t) dt

(10.94)

mit N2 A (10.95) l erhalten. Die Konstante L 0 heißt Induktivität der Spule. Ihre SI-Einheit heißt Henry H , und es gilt: L 0 := μ0 ·

H = V s/A

(10.96)

Bringen wir eine Substanz in das Innere einer Spule, so ändert sich die Induktivität L M mit Materie im Vergleich zur Induktivität L 0 ohne Materie gemäß N2 A , l worin μ die Permeabilität der betrachteten Substanz bezeichnet. L M = μ · L 0 = μ μ0 ·

(10.97)

10.5.5 Die Energie des magnetischen Feldes Wir betrachten eine Spule in einem Stromkreis (siehe Abb. 10.43). Beim Einschalten des Stromes wird der Strom nicht sofort vom Anfangswert I0 = 0 A auf den Endwert I∞ ansteigen, da die an der Spule induzierte Spannung der Stromänderung entgegenwirkt. Das bedeutet, dass die „Elektronen gegen diese induzierte Spannung anlaufen müssen“, wobei sie Energie abgeben, die dann in der Spule gespeichert ist. Diese Energie ist gegeben durch: E Spule = Wo aber steckt diese Energie?

1 2 · L · I∞ 2

(10.98)

10.6

Zeitabhängige Ströme

395

Abb. 10.43 Spule in einem Stromkreis

Mit L = L 0 = μ0 E Spule =

N2 A l

und B0 = μ0

N l

I∞ erhalten wir

1 1 1 N2 A 2 N · μ0 · I∞ = I∞ }2 · A l = · {μ0 · B02 · V , 2 l 2 μ0 l 2 μ0

worin V = A · l das Volumen der Spule bezeichnet. Offenbar steckt die Energie im magnetischen Feld der Spule, weshalb wir sie magnetische Energie E magn nennen. InsgeM samt erhalten wir für die magnetische Energie E magn ohne Materie bzw. E magn mit Materie: E magn =

1 1 M 2 · BM · B02 · V und E magn = ·V 2 μ0 2 μ0 μ

(10.99)

Für die Energiedichte des magnetischen Feldes ohne und mit Materie folgt:

magn =

M E magn E magn 1 1 M 2 = = · BM · B02 und magn = V 2 μ0 V 2 μ0 μ

(10.100)

Bemerkung: Die Beziehung (10.100) gilt ganz allgemein für ein beliebiges inhomogenes magnetisches Feld. 

10.6

Zeitabhängige Ströme

Wenn wir elektrische Stromkreise betrachten, in denen eine zeitlich konstante Spannung einen zeitlich konstanten Strom fließen lässt, dann sind alle auftretenden Phänomene, wie z. B. ein durch den Strom hervorgerufenes magnetisches Feld oder durch den Strom erzeugte

396

10 Klassische Elektrodynamik

Joule’sche Wärme, ebenfalls zeitlich konstant. Im Folgenden betrachten wir das Verhalten zeitabhängiger Stöme, die bei Ein- und Ausschaltvorgängen auftreten oder durch eine sinusförmige Wechselspannung hervorgerufen werden.

10.6.1 Ein- und Ausschaltvorgänge

Die Schaltung Als ein Beispiel für Ein- und Ausschaltvorgänge betrachten wir das Laden und Entladen eines Kondensators in einem Stromkreis (siehe Abb. 10.44). Der Stromkreis enthalte eine Spannungsquelle, die eine konstante Spannung U0 liefert. Befindet sich der Schalter in Stellung 1, so wird der Kondensator mit der Kapazität C über den ohmschen Widerstand R geladen, wobei der Ladestrom I1 fließt. In der Schalterstellung 2 hingegen wird der Kondensator über den ohmschen Widerstand entladen, wobei der Entladestrom I2 jedoch in entgegengesetzter Richtung zu I1 durch R fließt. Welchen zeitlichen Verlauf besitzen der Lade- und Entladestrom, der Spannungsabfall am Widerstand bzw. die Ladung des Kondensators? Der Ladevorgang Während des Ladevorgangs fließt der Strom I1 (t). Dieser zeitlich veränderliche Strom ruft einen zeitlich veränderlichen Spannungsabfall am Widerstand U R (t) = R · I1 (t)

(10.101)

sowie am Kondensator UC (t) =

Q(t) C

Abb. 10.44 Zum Laden und Entladen eines Kondensators

(10.102)

10.6

Zeitabhängige Ströme

397

hervor. Nach der Maschenregel gilt zu jedem Zeitpunkt: U R (t) + UC (t) = R · I1 (t) +

Q(t) = U0 = konstant C

(10.103)

Hieraus folgt durch Differentiation d d U0 d 1 {R · I1 (t)} + { · Q(t)} = , dt dt C dt

(10.104)

d. h. R· Mit I1 (t) =

d Q(t) dt

d I1 (t) 1 d Q(t) + · = 0. dt C dt

(10.105)

erhalten wir für den gesuchten Ladestrom die Differentialgleichung: 1 d I1 (t) + · I1 (t) = 0 dt RC

(10.106)

Die Lösung Die Lösung von (10.106) lautet t

I1 (t) = I0 · e− τ , worin I0 =

U0 R

(10.107)

die Stromstärke zum Anfangszeitpunkt t = 0 s bezeichnet. Die Konstante τ := R · C

(10.108)

heißt Zeitkonstante. Sie bestimmt den zeitlichen Verlauf des Ladevorgangs: Je größer die Zeitkonstante ist, desto langsamer verläuft der Ladevorgang. Nach der Zeit t = τ ist der Ladestrom auf das 1e -fache des Anfangswertes I0 abgefallen (siehe Abb. 10.45). Mithilfe des Ladestromes (10.107) können wir alle übrigen Größen berechnen. Für den Spannungsabfall am Widerstand folgt t

t

U R (t) = R · I1 (t) = R · I0 · e− τ = U0 · e− τ

(10.109)

mit U0 = R·I0 . Der Spannungsabfall am Kondensator ist nach der Maschenregel (10.103) gegeben durch: t

UC (t) = U0 − U R (t) = U0 · {1 − e− τ }

(10.110)

Für die Ladung des Kondensators folgt schließlich nach (10.102) t

t

Q(t) = C · UC (t) = C · U0 · {1 − e− τ } = Q ∞ · {1 − e− τ },

(10.111)

worin Q ∞ = C · U0 die maximale Ladung des Kondensators bezeichnet. Die zeitlichen Verläufe von I1 (t), U R (t) und Q(t) sind in Abb. 10.45 dargestellt.

398

10 Klassische Elektrodynamik

Abb. 10.45 Strom-, Ladungs- und Spannungsverlauf einer RC-Schaltung

Der Entladevorgang Für den Entladestrom I2 (t) und den durch ihn am Widerstand hervorgerufenen Spannungsabfall erhalten wir analog t

I2 (t) = − I0 · e− τ

(10.112)

sowie t

U R (t) = − U0 · e− τ ,

(10.113)

d. h., Strom und Spannung am Widerstand ändern ihre Richtung gegenüber dem Ladevorgang. Da weiter im Entladestromkreis die Spannungsquelle U0 nicht enthalten ist, folgt aus der Maschenregel U R (t) + UC (t) = 0 für den Spannungsabfall am Kondensator: t

UC (t) = − U R (t) = U0 · e− τ

(10.114)

Damit erhalten wir für die Ladung des Kondensators t

t

Q(t) = C · UC (t) = C U0 · e− τ = Q 0 · e− τ ,

(10.115)

worin Q 0 = C · U0 die Anfangsladung des Kondensators bezeichnet. Die zeitlichen Verläufe von I2 (t), U R (t) und Q(t) sind in Abb. 10.45 dargestellt. Bemerkung: In einer elektrischen Schaltung können wir einen Kondensator bzw. eine Spule als „Bauteil“ oder als „Spannungsquelle“ betrachten und dementsprechend in der Maschenregel auf der Seite der Spannungsquellen oder der Bauteile berücksichtigen. Ist in einer Schaltung die Maschenrichtung durch die Spannungsquelle U0 vorgegeben (siehe Abb. 10.43 und 10.44) und betrachten wir Kondensator und Spule als Spannungsquellen, so setzen wir für sie

10.6

Zeitabhängige Ströme

399

d I (t) UC = − Q(t) C bzw. U L = −L · dt an, weil sie der Spannungsquelle U0 entgegenwirken. Betrachten wir sie dagegen als Bauteile, so sind die Spannungsabfälle an diesen Bauteilen d I (t) gegeben durch UC = + Q(t) C bzw. U L = +L · dt . 

10.6.2 Wechselstromschaltungen

Wechselspannung und Wechselstrom In einer elektrischen Schaltung mit Gleichspannungsquellen beeinflussen Spule und Kondensator den Strom- und Spannungsverlauf nur während der Ein- und Ausschaltphase (siehe Abschn. 10.6.1). Im Folgenden betrachten wir elektrische Schaltungen mit einer Spannungsquelle, die eine sich sinusförmig ändernde Spannung liefert und die wir Wechselspannung nennen (siehe Abb. 10.46): U (t) = U0 · sin(ωt)

(10.116)

U0 ist der maximale Spannungswert und heißt Spitzenspannung. Die Größe U0 Ue f f := √ 2

(10.117)

heißt Effektivwert der Wechselspannung und ω Kreisfrequenz. Sie hängt mit der Frequenz ν gemäß ω = 2π · ν

(10.118)

zusammen. Eine Wechselspannung ruft einen sich zeitlich ändernden Strom hervor, den wir Wechselstrom I (t) nennen. Auch im Falle eines Wechselstromes ist die Leistung gegeben durch „Spannung mal Stromstärke“

Abb. 10.46 Ohmscher Widerstand im Wechselstromkreis

400

10 Klassische Elektrodynamik

P(t) = U (t) · I (t)

(10.119)

und ist wie diese zeitabhängig. Wie beeinflussen ohmsche Widerstände, Kondensatoren oder Spulen in einem Wechselstromkreis das zeitliche Verhalten des Wechselstromes? Ohmscher Widerstand im Wechselstromkreis Wird eine Wechselspannung (10.116) an einen ohmschen Widerstand R angelegt (siehe Abb. 10.46(a)), so ist der Wechselstrom I (t) zu jedem Zeitpunkt durch die Maschenregel U (t) = U R (t) = R · I (t) gegeben. Es folgt I (t) = worin I0 =

U0 R

U (t) = I0 · sin(ωt), R

(10.120)

den Maximalwert bezeichnet. Die Größe I0 Ie f f := √ 2

(10.121)

heißt Effektivwert des Wechselstromes. Zwischen Strom und Spannung an einem ohmschen Widerstand besteht also keine Phasenverschiebung, d. h., sie erreichen beide zur gleichen Zeit ihren Maximalwert (siehe Abb. 10.46(b)). Für die Leistung des Wechselstromes in einer Schaltung mit einem ohmschen Widerstand folgt: P(t) = I0 · U0 · sin 2 (ωt)

(10.122)

In der Praxis interessiert man sich jedoch mehr für den zeitlichen Mittelwert der Leistung, der gegeben ist durch: < P >=

1 · I 0 · U0 = I e f f · Ue f f 2

(10.123)

Bemerkung: Die Effektivwerte von Strom und Spannung sind so definiert, dass ihr Produkt der mittleren Leistung entspricht.  Kondensator im Wechselstromkreis Legen wir die Wechselspannung (10.116) an einen Kondensator an (siehe Abb. 10.47(a)), so folgt für den Wechselstrom mit der Maschenregel U (t) = UC (t) = Q(t) C d U (t) d Q(t) dsin(ωt) = C· = C · U0 · = C U0 ω · cos(ωt), dt dt dt und mit cos(ωt) = sin(ωt + π2 ) folgt I (t) =

10.6

Zeitabhängige Ströme

401

I (t) = I0 · sin(ωt +

π ) 2

(10.124)

mit der maximalen Stromstärke I 0 = ω · C · U0 .

(10.125)

Es besteht also eine Phasenverschiebung zwischen dem Wechselstrom (10.124) und der Wechselspannung (10.116), d. h., der Strom „eilt“ der Spannung um eine Viertelperiode (ϕ = π2 ) voraus (siehe Abb. 10.47(b)). Die Größe RC :=

U0 1 = I0 ωC

(10.126)

heißt kapazitiver Widerstand, Wechselstromwiderstand oder Impedanz eines Kondensators in einem Wechselstromkreis. Der kapazitive Widerstand ist frequenzabhängig. Für ω → 0 (Gleichstrom) wird er unendlich, für große ω wird er klein. Befinden sich mehrere Kondensatoren in einem Stromkreis, so addieren sich bei einer Parallelschaltung die Kapazitäten C = C1 + C2 + . . . ,

(10.127)

während sich bei einer Reihenschaltung die Kehrwerte zum Kehrwert der Gesamtkapazität C addieren: 1 1 1 = + + ... C C1 C2

Abb. 10.47 Kondensator im Wechselstromkreis

(10.128)

402

10 Klassische Elektrodynamik

Spule im Wechselstromkreis Legen wir an eine Spule die Wechselspannung (10.116) an (siehe Abb. 10.48(a)), so wird aufgrund des zeitlich veränderlichen Stromes an der Spule die Spannung U L induziert. Betrachten wir die Spule als Bauteil, so folgt nach der Maschenregel: d I (t) dt Mit U (t) = U0 · sin(ωt) erhalten wir für den Wechselstrom die Gleichung U (t) = + U L (t) = + L ·

1 U0 d I (t) = · U (t) = · sin(ωt). dt L L Unbestimmte Integration liefert  U0 U0 sin(ωt) d t = − I (t) = · cos(ωt), L Lω

(10.129)

(10.130)

(10.131)

und mit −cos(ωt) = sin(ωt − π2 ) erhalten wir schließlich π ), 2 wobei die maximale Stromstärke gegeben ist durch: I (t) = I0 · sin(ωt −

(10.132)

U0 (10.133) ωL Auch im Falle einer Spule besitzen Strom und Spannung eine Phasenverschiebung, wobei nun allerdings der Strom der Spannung eine Viertelperiode „hinterherhinkt“ (siehe Abb. 10.48(b)). I0 =

Abb. 10.48 Spule im Wechselstromkreis

10.6

Zeitabhängige Ströme

403

Die Größe R L :=

U0 = ω·L I0

(10.134)

heißt induktiver Widerstand, Wechselstromwiderstand oder Impedanz einer Spule in einem Wechselstromkreis. Der induktive Widerstand ist frequenzabhängig und verschwindet für ω → 0 (Gleichstrom) und nimmt mit wachsendem ω zu! Befinden sich mehrere Spulen in einem Stromkreis, so addieren sich bei einer Reihenschaltung der Spulen die Induktivitäten zur Gesamtinduktivität L = L1 + L2 + . . . ,

(10.135)

während sich bei einer Parallelschaltung die Kehrwerte addieren: 1 1 1 = + + ... L L1 L2

(10.136)

10.6.3 Der elektrische Schwingkreis Eine elektrische Schaltung, die aus einem Kondensator und einer Spule besteht, heißt elektrischer Schwingkreis (siehe Abb. 10.49). Wie ändern sich die Kondensatorspannung UC (t), die Spannung U L (t) an der Spule und der durch die elektrische Schaltung fließende Strom I (t) mit der Zeit? Betrachten wir den Kondensator und die Spule als Bauteile, so gilt nach der Maschenregel d I (t) U L (t) + UC (t) = 0 V . Mit UC (t) = Q(t) C und U L (t) = L · dt erhalten wir: L·

d I (t) Q(t) + = 0 dt C

Differenzieren wir diese Gleichung, dann erhalten wir mit I (t) =

Abb. 10.49 Elektrischer Schwingkreis

(10.137) d Q(t) dt :

404

10 Klassische Elektrodynamik

1 d 2 I (t) · I (t) = 0 (10.138) + 2 dt LC Das ist die Differentialgleichung einer ungedämpften harmonischen Schwingung (siehe Abschn. 7.2). Mit der Anfangsbedingung I (0) = 0 A besitzt sie die spezielle Lösung I (t) = I0 · sin(ωt),

(10.139)

worin ω = √

1

= 2π ·ν =

2π T

(10.140) LC die Kreisfrequenz des Oszillators bezeichnet. Für die Spannung an der Spule gilt d I (t) π = L ω I0 · cos(ωt) = U0 · sin(ωt + ), (10.141) dt 2 und für die Spannung am Kondensator erhalten wir dann mit −cosx = sin(x − π2 ) U L (t) = L ·

UC (t) = − U L (t) = +L ω I0 · sin(ωt −

π π ) = U0 · sin(ωt − ), 2 2

(10.142)

worin U0 = L ω I0 die Maximalspannung am Kondensator bzw. der Spule bezeichnet. Wir finden also, dass sich der Strom und die Spannung periodisch ändern und zwischen ihnen eine Phasendifferenz ϕ = π besteht. Dabei handelt es sich nicht nur um einen periodischen Vorgang, sondern um eine harmonische Schwingung, da der periodische Vorgang mit einer periodischen Umwandlung von elektrischer und magnetischer Energie verbunden ist. Der Schwingungsvorgang Die Schwingungsdauer ist nach (10.140) gegeben durch: √ 2π = 2π · L C (10.143) ω Der Schwingungsvorgang läuft dabei wie folgt ab (siehe Abb. 10.49): (a) Zur Zeit t = 0 s ist der Kondensator geladen, es fließt kein Strom, und die gesamte Energie steckt im elektrischen Feld des Kondensators. Mit zunehmender Zeit t beginnt sich der Kondensator über die Spule zu entladen, wobei sich das elektrische Feld abbaut. Durch den hierbei anwachsenden Strom wird an der Spule eine Spannung induziert, die dem Strom entgegenwirkt und zugleich das magnetische Feld der Spule aufgebaut. (b) Zur Zeit t = T4 ist der Kondensator vollständig entladen, das elektrische Feld abgebaut, und der Strom hat seinen Maximalwert erreicht. Die gesamte Energie steckt jetzt im magnetischen Feld der Spule. Nun könnte der Strom aufhören zu fließen, doch wieder verhindert die Spule eine zu rasche Änderung des bestehenden Zustandes, d. h. des Stromflusses. Der abnehmende Strom durch die Spule ruft nun eine Induktionsspannung an der Spule hervor, die den Stromfluss noch eine Zeitlang in die gleiche Richtung aufrechterhält. T =

10.6

Zeitabhängige Ströme

405

(c) Demzufolge lädt sich der Kondensator nun mit entgegengesetztem Vorzeichen wieder auf, während die Stromstärke abnimmt. Zum Zeitpunkt t = T2 ist das magnetische Feld abgebaut, die Stromstärke ist 0 A, und die Energie steckt wieder im elektrischen Feld des Kondensators. (d) Schließlich entlädt sich der Kondensator wieder über die Spule, sodass zum Zeitpunkt t = 43 T die gesamte Energie im magnetischen Feld der Spule steckt, während das elektrische Feld des Kondensators abgebaut ist. Die Abnahme des Stromflusses durch die Spule ruft wieder eine Induktionsspannung an der Spule hervor, die den Stromfluss in die gleiche Richtung eine Zeitlang aufrechterhält, wodurch der Kondensator erneut aufgeladen und der ursprüngliche Zustand wieder erreicht wird! Bemerkungen: • Solange der elektrische Schwingkreis keine Energie an die Umgebung abgibt, wiederholt sich der Schwingungsvorgang beliebig oft. • Infolge z. B. eines ohmschen Widerstandes im Stromkreis treten Verluste auf, die zu einer gedämpften Schwingung führen. Je größer der Widerstand ist, desto größer ist die Dämpfung und desto schneller kommt der Schwingungsvorgang zum Erliegen (siehe Abschn. 7.3). • Durch das Anlegen einer Wechselspannung können erzwungene Schwingungen erzeugt werden. Stimmt die Erregerfrequenz mit der Eigenfrequenz des Schwingkreises überein, so tritt Resonanz auf (siehe Abschn. 7.4)! 

Atom- und Quantenphysik

11

Inhaltsverzeichnis 11.1 Zur Struktur von Materie und Strahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.1 Die Teilchenstruktur der Materie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.2 Die Wellennatur der Materie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.3 Die Wellennatur der Strahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.4 Die Teilchenstruktur der Strahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2 Materie und Strahlung als Energieformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.1 Photoeffekt und Bremsstrahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.2 Der Compton-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.3 Paarerzeugung und Paarvernichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3 Das Standardmodell der Elementarteilchenphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.1 Die fundamentalen Elementarteilchen und ihre Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.2 Zur Wechselwirkung von Elementarteilchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.3 Radioaktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4 Gesetzmäßigkeiten der Quantenphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4.1 Wahrscheinlichkeitsaussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4.2 Unschärferelationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5 Atombau und das Periodensystem der Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5.1 Atomspektren und die Quantisierung der Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5.2 Feinstruktur von Spektrallinien und die Quantisierung des Bahndrehimpulses . 11.5.3 Das Wasserstoffatom und die Alkaliatome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5.4 Mehrelektronenatome. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5.5 Das Periodensystem der Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5.6 Hyperfeinstruktur und der Kernspin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

408 408 413 415 416 417 418 419 420 421 421 424 424 427 427 428 429 430 432 436 441 450 455

Bisher haben wir uns lediglich mit makroskopischen Vorgängen beschäftigt, wobei wir alle makroskopisch auftretenden Dinge einer von zwei Gruppen zuordnen konnten, die wir Materie und Strahlung nennen. So ordnen wir z. B. Licht, Mikrowellen oder Radiowellen der Strahlung zu, Steine, Wasser oder Luft dagegen der Materie. Wenn wir jedoch im Folgenden die Frage nach den grundlegenden mikroskopischen Vorgängen bei Stoffumwandlungen oder © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Rufa, Physik für Studierende der Biowissenschaften, Chemie und Medizin, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61258-3_11

407

408

11 Atom- und Quantenphysik

der Absorption und Emission von Strahlung durch Materie stellen, so interessieren wir uns für die Struktur von Materie und Strahlung sowie ihrer gegenseitigen Wechselwirkung [14]. Materie und Strahlung können wir als weitere Energieformen auffassen, wobei wir insbesondere die Umwandlung von Materie in Strahlung und umgekehrt diskutieren. Zum tieferen Verständnis dieser Vorgänge ist die Teilchenphysik wichtig. Wir beschreiben das Standardmodell der Elementarteilchenphysik, die Eigenschaften sowie die Wechselwirkung der Elementarteilchen, wobei wir auch die Radioaktivität und deren Anwendung in der Medizin betrachten. Um die Eigenschaften und die Anordnung der chemischen Elemente im Periodensystem verstehen zu können, ist eine tiefere Kenntnis der Atomphysik grundlegend, wobei wir den Atombau und das Periodensystem der Elemente ausführlicher diskutieren. Schließlich ist für ein Verständnis der NMR-Spektroskopie der Kernspin und die Hyperfeinstrukturaufspaltung von Spektrallinien von Bedeutung, die wir abschließend betrachten.

11.1

Zur Struktur von Materie und Strahlung

Vom makroskopischen Standpunkt betrachtet erscheinen uns Materie und Strahlung als grundverschieden. Sind sie das wirklich?

11.1.1 Die Teilchenstruktur der Materie Chemische Elemente Alle makroskopischen, materiellen Dinge des täglichen Lebens kommen in verschiedenen Zustandsformen gasförmig, flüssig oder fest vor (siehe Abschn. 5.1), und wir finden, dass letztlich alle aus unterschiedlichen chemischen Elementen aufgebaut sind. Es ist die Aufgabe der Chemie, die Struktur, die Umwandlung sowie die chemischen Eigenschaften von Stoffen und Substanzen zu erforschen. Jedem chemischen Element ordnen wir ein Elementsymbol zu, dem Element Sauerstoff z. B. das Symbol O. Wir haben 118 verschiedene Elemente gefunden, die im Periodensystem der Elemente systematisch nach der Ordnungszahl Z angeordnet sind, die von 1 bis 118 läuft (siehe Anhang A). Die atomare Struktur der Materie Weiter finden wir, dass jedes chemische Element aus Atomen aufgebaut ist, sodass also letztlich alle makroskopischen, materiellen Dinge aus Atomen bestehen. Ein Atom wiederum besitzt einen Atomkern, auch Nukleus genannt, um den „irgendwie“ Elektronen (e− ) „herumschwirren“ und damit das bilden, was wir die Atomhülle nennen. Der Atomkern selbst ist aus Protonen (p) und Neutronen (n) aufgebaut, die auch Nukleonen heißen. Protonen und Neutronen sind schließlich wie in Abb. 11.1 dargestellt aus up-Quarks (u) und down-Quarks (d) zusammengesetzt.

11.1

Zur Struktur von Materie und Strahlung

409

Abb. 11.1 Schematischer Aufbau eines Lithiumatoms

Zusammenfassend:

Insgesamt finden wir also, dass Materie, d. h. alle makroskopischen, materiellen Dinge des täglichen Lebens, aus den grundlegenden Elementarteilchen Elektronen, up- und down-Quarks bestehen. 

Eigenschaften der Nukleonen, Elektronen und Quarks Wir finden, dass die Elektronen, up- und down-Quarks eine Masse besitzen [2] m e = 9,109 383 701 5 · 10−31 kg m u = 3,85 · 10−30 kg m d = 8,33 · 10

−30

(11.1)

kg

und elektrisch geladen sind Q e− = −e 2 Qu = + e 3 1 Q d = − e, 3

(11.2)

worin e = 1,602 176 634 · 10−19 C die Elementarladung bezeichnet. Protonen und Neutronen besitzen die Massen1 m p = 1,672 621 923 69 · 10−27 kg m n = 1,674 927 498 04 · 10−27 kg.

(11.3)

1 CODATA Internationally recommended 2018 Values of the Fundamental Physical Constants.

410

11 Atom- und Quantenphysik

Während Protonen eine elektrische Ladung tragen, sind die Neutronen elektrisch neutral, d. h., für ihre Ladungen gilt: Q p = +e (11.4) Qn = 0 C Wir finden ferner, dass Elektronen, die Quarks, Protonen und Neutronen einen Eigendrehimpuls oder Spin s besitzen. Das Eigenartige ist, dass dieser Spin, nicht wie man es klassisch erwarten würde, einen beliebigen Betrag annehmen kann, sondern den definierten festen Wert   1 3 |s | = s(s + 1) ·  = · , s = (11.5) 4 2 besitzt. Wir nennen die Zahl s = 21 Spinquantenzahl und sagen auch, dass „Elektronen, die Quarks, Protonen und Neutronen den Spin 1/2 besitzen“. Die Konstante  (lies: h quer) ist definiert durch h = 1,054 571 817 · 10−34 J s mit h = 6,626 070 15 · 10−34 J s, (11.6) 2π worin h Planck’sches Wirkungsquantum2 heißt. Weiter kann auch die z-Komponente des Spins nur die folgenden zwei Werte annehmen: 1 sz = m s ·  , m s = ±s = ± (11.7) 2 Wir nennen m s magnetische Spinquantenzahl. Die x- und y-Komponenten des Spins kann man weiter nicht bestimmen und sind damit vollkommen unbekannt. Das bedeutet, dass der Spin s irgendwie um die z-Achse präzessiert derart, dass sein Betrag und seine z-Komponente konstant sind (siehe Abb. 11.2).  =

Abb. 11.2 Zum Spin von Elektronen, Protonen, Neutronen und den Quarks 2 Countdown zum neuen SI, Physikalisch Technische Bundesanstalt, CODATA 2017 special adjust-

ment.

11.1

Zur Struktur von Materie und Strahlung

411

Nuklide Im Normalfall ist ein Atom elektrisch neutral, d. h., es besitzt gleich viele Elektronen und Protonen. Weil die chemischen Eigenschaften eines Elementes durch die Atomhülle, d. h. letztlich durch die Zahl der Elektronen, bestimmt ist und die gleich der Zahl der Protonen ist, wird ein Element in eindeutiger Weise durch die Zahl der Protonen Z im Kern charakterisiert, die der Ordnungszahl Z im Periodensystems entspricht. Die Zahl der Neutronen N im Kern spielt hingegen für die chemischen Eigenschaften und die Klassifizierung der chemischen Elemente keine Rolle. Damit kommen in der Regel chemische Elemente in verschiedenen „Atomsorten“ vor, die die gleiche Protonenzahl besitzen, sich jedoch in der Zahl der Neutronen und damit in der Zahl der Nukleonen A unterscheiden, die durch A := Z + N

(11.8)

definiert ist. Die verschiedenen Atomsorten heißen Nuklide, und wir beschreiben sie durch Symbole der Form A (11.9) Z XN, worin X das Elementsymbol bezeichnet. Die verschiedenen Nuklide eines chemischen Elementes, für die also Z konstant ist, heißen Isotope. So besitzt z. B. das Element „Sauerstoff“ die Isotope 16 17 18 8 O8 , 8 O9 , 8 O10 . Ferner heißen Nuklide mit gleicher Nukleonenzahl A Isobare 14 5 B9 ,

14 6 C8 ,

14 7 N7

und Nuklide mit gleicher Neutronenzahl N Isotone: 14 6 C 8,

15 7 N8 ,

16 8 O8

Relative Atommasse Im Periodensystem ist schließlich die relative Atommasse Mr der einzelnen Elemente angegeben (siehe Anhang A). Sie ist definiert als die Atommasse bezogen auf die atomare Masseneinheit unit (u)3 (siehe Abschn. 5.4.1) mit 1u = 1,660 539 066 60 · 10−27 kg.

(11.10)

Hat man also im Periodensystem die relative Atommasse eines Elementes X ermittelt, dann ist die durchschnittliche Atommasse des Elementes X gegeben durch m X = Mr u

(11.11)

sowie seine Molmasse durch 3 CODATA Internationally recommended 2018 Values of the Fundamental Physical Constants.

412

11 Atom- und Quantenphysik

M X = Mr g/mol.

(11.12)

Die relative Atommasse ist nahezu identisch zur Nukleonenzahl A; denn die Masse eines Atoms ist im Wesentlichen gegeben durch die Masse der Protonen und Neutronen im Kern mit m p ∼ = A u, d. h. Mr ∼ = mn ∼ = 1u, sodass wir m X = Mr u ∼ = A, erhalten. Es mag jedoch verwundern, dass die durchschnittliche Masse der Sauerstoffatome kleiner ist als die Summe der Massen von 8 Protonen und 8 Neutronen, was wir Massendefekt nennen. Das liegt daran, dass die Masse i. Allg. nicht additiv ist, d. h., die Masse eines Atomkerns ist nicht gleich der Summe der Massen der freien Nukleonen, die den Atomkern bilden. Wenn sich die Protonen und Neutronen zum Atomkern binden, wird die entsprechende Bindungsenergie der Nukleonen im Kern frei, die der Energie, die in der Masse der Nukleonen steckt, entstammt. Der Massendefekt ist also ein Beispiel für die Umwandlung von Masse in Bindungsenergie, d. h. potentielle Energie (siehe Abschn. 3.5.5 und 11.2). In den relativen Atommassen der Elemente im Periodensystem ist dieser Massendefekt berücksichtigt. Schließlich sind die Mehrzahl der natürlich vorkommenden Elemente Isotopenmischungen. Weil das Mischungsverhältnis praktisch unabhängig vom Ursprung einer Substanzprobe ist, beschreibt die relative Atommasse den Durchschnittswert aller Atommassen der natürlich vorkommenden Isotope des betrachteten Elementes, gewichtet mit ihrem Mischungsverhältnis. Das ist sinnvoll, da auch in einer sehr kleinen Probe eine sehr große Anzahl von Atomen vorhanden ist, sodass die Masse der Probe gleich der Anzahl der enthaltenen Teilchen mal deren Durchschnittsmasse ist. Betrachten wir hierzu als Beispiel eine Probe Sauerstoff, die a Nuklide des Typs 16 8 O8 , b 18 O enthalte, sodass die Gesamtzahl der Nuklide vom Typ 17 O und c Nuklide des Typs 8 9 8 10 Nuklide in der Probe N = a + b + c beträgt. Die durchschnittliche Atommasse m O der Sauerstoffisotope ist dann gegeben durch mO =

a · m O16 + b · m O17 + c · m O18 = p1 · m O16 + p2 · m O17 + p3 · m O18 =: Mr u, N

worin

a b c , p2 = und p3 = N N N die Mischungsverhältnisse der Isotope bezeichnen. Für die relative Atommasse von Sauerstoff erhalten wir p1 =

Mr = m O / u = { p1 · m O16 + p2 · m O17 + p3 · m O18 } / u = 15,999, und die Masse der Probe m ist dann gegeben durch m = a · m O16 + b · m O17 + c · m O18 = m O · N ,

11.1

Zur Struktur von Materie und Strahlung

d. h.

„Masse = Durchschnittsmasse mal Zahl der Teilchen in der Probe“.

413

Beispiel 11.1 Sauerstoffmoleküle Mit der relativen Atommasse von Sauerstoff Mr = 15,999 folgt für die durchschnittliche Masse eines Sauerstoffmoleküls: m O2 = 2 · Mr u = 2 · 15,999 u = 2 · 15,999 · 1,66 · 10−27 kg = 5,3 · 10−26 kg Die Zahl der Sauerstoffmoleküle in 1 kg Sauerstoffgas beträgt also: N =

m 1 kg = 1,9 · 1025 = m O2 5,3 · 10−26 kg 

11.1.2 Die Wellennatur der Materie Die im letzten Abschnitt diskutierte Teilchenstruktur der Materie legt die Idee nahe, dass die fundamentalen Bausteine der Materie, die Elektronen und Quarks, klassische Massenpunkte sind und durch die Gesetzmäßigkeiten der klassischen Mechanik beschrieben werden, d. h. Protonen, Neutronen, Atome, . . . also Systeme von Massenpunkten im Sinne der klassischen Mechanik sind. Ist diese Idee richtig? Elektronenbeugung an einem Spalt Wir betrachten einen Strahl aus „identischen“ Elektronen, die alle mit der gleichen konstanten Geschwindigkeit auf einen Spalt der Breite x auftreffen (siehe Abb. 11.3). Ferner fragen wir, an welchem Ort auf einem Schirm, den wir in einem bestimmten Abstand vom Spalt aufstellen, die Elektronen auftreffen. Wenn die Elektronen sich wie klassische Massenpunkte verhalten würden, dann müssten sie auf dem Schirm einen Fleck mit einem Durchmesser x erzeugen. Messen wir, wie viele Elektronen in einem Abstand y vom Nullpunkt auf dem Schirm auftreffen, so finden wir eine Häufigkeitsverteilung der Elektronen, wie in Abb. 11.3 gezeigt. Diese Häufigkeitsverteilung der Elektronen erinnert an die Intensitätsverteilung von Licht bei der Beugung an einem Spalt (siehe Abschn. 8.3.3.2). So können einerseits Elektronen in den „Schattenbereich“ eindringen, was bei einer gleichförmig geradlinigen Ausbreitung der Elektronen nicht möglich wäre, und andererseits gibt es Orte auf dem Schirm, an denen überhaupt keine Elektronen auftreffen (Minima), sowie Orte, an denen relativ viele Elektronen gemessen werden (Maxima). Aufgrund dieser Analogie sprechen wir von der Beugung von Elektronen am Spalt. Wellenlängen von Elementarteilchen So wie wir die Beugungsstruktur von Licht an einem Spalt durch die Wellenlänge λ der Lichtwelle beschreiben (siehe Abschn. 8.3.3.2), so können wir analog die Minima- und

414

11 Atom- und Quantenphysik

Abb. 11.3 Elektronenbeugung an einem Spalt

Maximastruktur bei der Elektronenbeugung beschreiben, indem wir einem Elektron, das den Impuls p = m · v besitzt, eine Wellenlänge λ zuordnen gemäß λ :=

h , p

(11.13)

worin h das Plank’sche Wirkungsquantum ist (siehe (11.6)). Wir schreiben auch p =

h 2π h = · = ·k λ 2π λ

(11.14)

mit k := 2π λ . Allgemein können wir jedem materiellen Objekt mit einem Impuls p gemäß (11.13) eine Wellenlänge zuordnen. Was bedeuten die Ergebnisse der Elektronenbeugung an einem Spalt?

Zusammenfassend:

a) Auch wenn sehr viele identische Elektronen, die auf einen Spalt treffen, Welleneigenschaften zeigen und auf einem Schirm eine typische Beugungsstruktur erzeugen, so bedeutet doch das diskrete Auftreffen der Elektronen auf dem Schirm, dass sich die Elektronen als Gesamtheit nicht wie eine „klassische Welle“ verhalten. b) Elektronen verhalten sich offenbar auch nicht wie „klassische Massenpunkte“, denn wir können weder vorhersagen, wo auf dem Schirm ein Elektron auftreffen, noch, welche Bahnkurve es beschreiben wird. 

Was aber sind Elektronen dann?

11.1

Zur Struktur von Materie und Strahlung

415

11.1.3 Die Wellennatur der Strahlung Das elektromagnetische Spektrum Es zeigt sich, dass die scheinbar unterschiedlichen Strahlungsarten, die wir Radiowellen, Mikrowellen, Infrarotstrahlung, Licht, Ultraviolettstrahlung, Röntgenstrahlung und Gammastrahlung nennen, nicht alle grundverschieden sind, sondern dass sie alle elektromagnetische Strahlung sind. Das gesamte elektromagnetische Spektrum ist in Abb. 11.4 gezeigt. Gerade die Interferenz- und Beugungserscheinungen von elektromagnetischer Strahlung, wie z. B. von Licht (siehe Abschn. 8.2 und 8.3), deuten darauf hin, dass es sich bei elektromagnetischer Strahlung um eine „klassische Welle“ handelt, die wir durch die Frequenz ν und die Wellenlänge λ beschreiben können und die sich im Vakuum mit der Lichtgeschwindigkeit

Abb. 11.4 Das elektromagnetische Spektrum

416

11 Atom- und Quantenphysik

c = ν · λ = 299 792 458 m/s

(11.15)

ausbreitet. Auch hier stellt sich die Frage, ob elektromagnetische Strahlung wirklich eine klassische Welle ist?

11.1.4 Die Teilchenstruktur der Strahlung Wir betrachten die Beugung von Licht an einem Spalt. Wenn wir die Intensität des auf den Spalt treffenden Lichtes kontinuierlich reduzieren, so nimmt auch die Intensität des auf den Schirm auftreffenden Lichtes ab, und die Beugungsstruktur wird lichtschwächer. Irgendwann finden wir jedoch, dass am Schirm die Strahlungsenergie nicht mehr kontinuierlich in einem Messgerät ankommt, sondern in einzelnen diskreten „Energieportionen“. Drehen wir die Lichtintensität immer weiter zurück, so reduziert sich die Zahl dieser Energieportionen, die pro Sekunde durch einen Quadratzentimeter hindurchtritt, nicht aber deren Energie! Photonen Das bedeutet, dass Licht und allgemeiner elektromagnetische Strahlung keine klassische Welle ist und wie die Materie aus fundamentalen Elementarteilchen besteht, die wir Photonen (γ ) nennen. Photonen stellen sich uns als „punktförmige“ Objekte ohne irgendeine erkennbare innere Struktur dar. Jedem Photon ordnen wir eine Frequenz ν und eine Wellenlänge λ zu. Sie bewegen sich mit der Lichtgeschwindigkeit c, wobei die Beziehung c = ν·λ

(11.16)

gilt. Ferner sind Photonen masselos sowie elektrisch neutral m γ = 0 kg Qγ = 0 C

Abb. 11.5 Zum Spin von Photonen

(11.17)

11.2

Materie und Strahlung als Energieformen

417

und besitzen den Spin S = 1, wobei die magnetische Spinquantenzahl m s nur die Werte m s = ±1 annimmt, weshalb der Spin nur in oder entgegengesetzt zur Bewegungsrichtung des Photons gerichtet sein kann (siehe Abb. 11.5). Schließlich besitzt ein Photon der Frequenz ν und der Wellenlänge λ die Energie E = h · ν =  · ω mit ω = 2π ν

(11.18)

und den Impuls

h 2π =  · k mit k = , λ λ worin h wieder das Planck’sche Wirkungsquantum bezeichnet (siehe 11.6). p =

(11.19)

Zusammenfassend:

• Bei allen Vorgängen, an denen eine sehr große Zahl von Photonen beteiligt ist, wie z. B. beim Empfang von Radiowellen, wobei noch in 100 km Entfernung von einem UKW-Sender ein Fluss von ca. 1012 Photonen pro Sekunde durch einen cm2 auftritt, verhält sich die Gesamtheit der Photonen, d. h. die elektromagnetische Strahlung, als klassische Welle. Andererseits bedeutet jedoch das diskrete Auftreten der Strahlung auf dem Schirm, dass es sich letztlich bei elektromagnetischer Strahlung um keine klassische Welle handeln kann. • Photonen verhalten sich aber auch nicht wie klassische Massenpunkte, denn wir können weder vorhersagen, wo auf dem Schirm ein Photon auftreffen, noch, welche Bahnkurve es beschreiben wird.  Was aber sind Photonen dann?

11.2

Materie und Strahlung als Energieformen

So wie wir jedem Photon die Energie E = h · ν zuordnen, so besitzen auch Elektronen, die Quarks, Protonen und Neutronen und damit alle materiellen Dinge eine Energie E := m · c2 ,

(11.20)

worin c die Lichtgeschwindigkeit bezeichnet, die wir allein ihrer Masse m zuschreiben. Beispiel 11.2 Ruheenergie des Elektrons Diejenige Energie, die ein Elektron aufgrund seiner Masse von m e = 9,109 38 · 10−31 kg besitzt, beträgt also (siehe Anhang B) E = m e · c2 = 9,109 38 · 10−31 kg · (2,997 92 · 108 m/s)2 = 8,187 08 · 10−14 J ,

418

11 Atom- und Quantenphysik

und mit 1J = 6,241 51 · 1018 eV (siehe (10.38)) erhalten wir (1 MeV = 106 eV ): E = m e · c2 = 8,187 08 10−14 · 6,241 51 · 1018 eV = 0,511 MeV Diese Energie heißt Ruheenergie des Elektrons.



Die Konsequenz ist offenbar, dass wir Materie und Strahlung als weitere Energieformen analog zur kinetischen Energie, potentiellen Energie, chemischen Bindungsenergie, thermischen Energie usw. auffassen können. Wenn aber Materie und Strahlung Energieformen sind, dann sollte es möglich sein, sie in andere Energieformen wie z. B. kinetische Energie und sogar Materie in Strahlung und umgekehrt Strahlung in Materie umzuwandeln. Diese Auffassung wird durch eine Vielzahl von Vorgängen bestätigt, von denen wir im Folgenden einige beschreiben.

11.2.1 Photoeffekt und Bremsstrahlung Bestrahlt man Alkalimetalle mit Ultraviolett (UV)-Strahlung, so werden aus dem Metall Elektronen herausgelöst, die sich dann außerhalb des Metalls mit der kinetischen Energie E kin bewegen, was wir Photoeffekt nennen. Wir finden, dass die Intensität der UV-Strahlung keinen Einfluss auf die kinetische Energie der herausgelösten Elektronen hat, sondern nur auf ihre Anzahl! Die kinetische Energie der Elektronen hängt ausschließlich von der Frequenz ν der UV-Strahlung ab, d. h., es gilt: E kin = h · ν − E a

(11.21)

Hierin bezeichnet E a die Austrittsarbeit, die der Bindungsenergie eines Leitungselektrons im Metall entspricht, d. i. diejenige Energie, die man aufbringen muss, um das Elektron aus dem Metallverband herauszulösen. Unser heutiges Verständnis ist, dass ein Leitungselektron ein Photon γ der UV-Strahlung mit der Energie E = h · ν „absorbiert“, wobei diese Strahlungsenergie in kinetische Energie des Elektrons umgewandelt wird. Dieser Vorgang ist symbolisch in Abb. 11.6(a) dargestellt und findet in einem kleinen Raum-Zeit-Bereich statt, den wir Wechselwirkungsbereich nennen. Von der Energie h · ν, die das Elektron durch die Absorption des Photons gewinnt, muss noch die Austrittsarbeit E a abgezogen werden, sodass die kinetische Energie des Elektrons außerhalb des Metalls durch (11.21) gegeben ist. Der umgekehrte Vorgang, bei dem ein Elektron (im Coulomb-Feld eines Kernes) abgebremst wird und dabei das Elektron ein Photon der Energie E = h · ν = E kin emittiert, heißt Bremsstrahlung (siehe Abb. 11.6(b)). Während also beim Photoeffekt Strahlungsenergie in kinetische Energie umgewandelt wird, findet bei der Bremsstrahlung eine Umwandlung von kinetischer Energie in Strahlungsenergie statt.

11.2

Materie und Strahlung als Energieformen

419

Abb. 11.6 Photoeffekt und Bremsstrahlung

11.2.2 Der Compton-Effekt Streut man Röntgenstrahlung an freien Elektronen, so findet man, dass die Wellenlänge λ der gestreuten Strahlung größer ist als die Wellenlänge λ der einfallenden Strahlung. Die Differenz λ = λ − λ hängt mit dem Streuwinkel θ zwischen der einfallenden und der gestreuten Strahlung gemäß λ = λc · (1 − cos θ ) (11.22) zusammen. Die Konstante4 λc :=

h = 0,024 263 102 386 Å , 1Å = 10−10 m me c

(11.23)

heißt Compton-Wellenlänge. Die Wellenlängenänderung λ ist unabhängig von der Wellenlänge der einfallenden Strahlung.

Unser heutiges Verständnis ist, dass dieser Compton-Effekt auf einem elastischen Stoß zwischen einem Photon der einfallenden Strahlung und einem freien Elektron beruht, wobei 4 CODATA Internationally recommended 2018 Values of the Fundamental Physical Constants.

420

11 Atom- und Quantenphysik

Abb. 11.7 Zum Compton-Effekt

Energie und Impuls vom Photon auf das Elektron übertragen werden. Das bedeutet, dass auch beim Compton-Effekt Strahlungsenergie in kinetische Energie des Elektrons umgewandelt wird! Die Quantenelektrodynamik QED, unsere Theorie der Wechselwirkung von Materie mit elektromagnetischer Strahlung, liefert uns auch eine anschauliche Vorstellung, was im Wechselwirkungsbereich passiert und was wir durch sogenannte Feynman-Diagramme darstellen (siehe Abb. 11.7). Wie andere Materieteilchen werden Elektronen durch eine gerade Linie dargestellt, Photonen dagegen durch eine Wellenlinie. Einerseits kann das einlaufende Elektron zuerst das auslaufende Photon emittieren, wobei es sich dann in ein virtuelles Elektron verwandelt (blaue Linie), das nicht direkt beobachtbar ist, und dann das einlaufende Photon absorbieren, wobei sich das virtuelle Elektron wieder in ein reales Teilchen verwandelt und sich vom Wechselwirkungsbereich entfernt. Andererseits kann das einlaufende Elektron zuerst das einlaufende Photon absorbieren und dann das auslaufende Photon emittieren. Hierbei sind noch viele weitere Feynman-Diagramme möglich, deren Beiträge bei der Berechnung des Compton-Effektes jedoch immer kleiner werden.

11.2.3 Paarerzeugung und Paarvernichtung Zur Beschreibung der Paarerzeugungs- und Paarvernichtungsprozesse am Beispiel des Elektrons benötigen wir sein Antiteilchen, das Positron (e+ ) heißt. Die Eigenschaften des Positrons sind identisch zu denen des Elektrons, d. h. insbesondere, dass das Positron die gleiche Masse wie das Elektron besitzt. Es unterscheidet sich von ihm lediglich in der entgegengesetzten Ladung Q e+ = +e. In Feynman-Diagrammen werden Antiteilchen ebenfalls durch gerade Linien dargestellt, wobei allerdings der Zeitpfeil „rückwärts“ zeigt. Wenn nun z. B. ein Elektron mit einem Positron zusammentrifft, so können sie einander „vernichten“, wobei zwei Photonen entstehen (siehe Abb. 11.8). So kann das einlaufende

11.3

Das Standardmodell der Elementarteilchenphysik

421

Abb. 11.8 Paarvernichtung von Elektron und Positron

Elektron das auslaufende Photon γ1 emittieren, bevor es mit dem einlaufenden Positron vernichtet und das auslaufende Photon γ2 erzeugt wird, oder es kann das einlaufende Positron das auslaufende Photon γ1 emittieren, bevor es mit dem einlaufenden Elektron vernichtet und das auslaufende Photon γ2 entsteht. Bei der Paarvernichtung findet also eine Umwandlung von Materie (Elektron, Positron) in Strahlung (Photonen) statt. Beim umgekehrten Prozess der Paarerzeugung wird dagegen Strahlung in Materie umgewandelt (siehe Abb. 11.9).

11.3

Das Standardmodell der Elementarteilchenphysik

11.3.1 Die fundamentalen Elementarteilchen und ihre Eigenschaften Elektronen, Photonen sowie die up- und down-Quarks sind jedoch nicht die einzigen Elementarteilchen, die wir kennen [2]. Nach dem Standardmodell der Elementarteilchenphysik

Abb. 11.9 Paarerzeugung von Elektron und Positron

422

11 Atom- und Quantenphysik

           νμ ντ u c t νe , , , die Quarks , , , d s b e− μ− τ− die jeweils in drei „Familien“ vorkommen, sowie die Bosonen. Diese Elementarteilchen, die mittlerweile alle experimentell nachgewiesen wurden, erscheinen uns nach unserem heutigen Wissen als „punktförmige“ Objekte ohne eine erkennbare innere Struktur. Dennoch können wir ihnen eine Masse, einen Spin und eine Ladung zuordnen. 

unterscheiden wir die Leptonen

Leptonen Die Leptonen Elektron (e− ), Myon (μ− ) und Tau (τ − ) besitzen identische Eigenschaften, wie z. B. die gleiche elektrische Ladung Q e− = Q μ− = Q τ − = −e oder den Spin s = 1/2. Sie unterscheiden sich lediglich in ihrer Masse5 : m e = 9,109383701 · 10−31 kg m μ = 1,883531627 · 10−28 kg m τ = 3,16754 · 10

−27

(11.24)

kg

und darin, dass das Myon und das Tau instabil sind, wobei das Myon mit einer Lebensdauer von 2,2 · 10−6 s (siehe Abb. 11.10(b)) und das Tau mit einer Lebensdauer von 3,4 · 10−13 s zerfallen. Ferner gehören das Elektron-Neutrino νe , das Myon-Neutrino νμ und das Tau-Neutrino ντ zu den Leptonen. Da alle Neutrinos elektrisch neutral sind, nehmen sie nicht an der elektromagnetischen Wechselwirkung, sondern lediglich an der schwachen Wechselwirkung teil, weshalb sie sehr schwer nachzuweisen sind. Obwohl man anfangs annahm, dass sie masselos seien, zeigen neuere Experimente, dass sie doch eine (wenn auch sehr kleine) Masse besitzen, von denen bisher allerdings nur Obergrenzen angegeben werden können. Quarks Das up-Quark (u) besitzt zwei instabile Verwandte, das char m-Quark (c) und das topQuark (t), die alle die gleiche elektrische Ladung Q u = Q c = Q t = + 23 e besitzen. Die ebenfalls instabilen Verwandten des down-Quarks (d) sind das strange-Quark (s) und das bottom-Quark (b). Sie tragen alle die elektrische Ladung Q d = Q s = Q b = − 13 e. Für ihre Massen hat man folgende Werte gemessen6 : m u = 3,85 · 10−30 kg m c = 2,26 · 10−27 kg m t = 3,08 · 10−25 kg m d = 8,33 · 10−30 kg

(11.25)

m s = 1,66 · 10−28 kg m b = 7,45 · 10−27 kg 5 CODATA Internationally recommended 2018 Values of the Fundamental Physical Constants. 6 M. Tanabashi et al. (Particle Data Group), Phys. Rev. D 98, 030001 (2018) and 2019 update.

11.3

Das Standardmodell der Elementarteilchenphysik

423

Da die Protonen und Neutronen nur aus den up- und down-Quarks aufgebaut sind, spielen c-, s-, t- und b-Quarks im täglichen Leben, in der Chemie, der Biologie und der Medizin keine große Rolle. Die Leptonen und die Quarks besitzen den Spin s = 1/2 und nehmen an der schwachen Wechselwirkung teil. Aufgrund ihrer elektrischen Ladung unterliegen die geladenen Leptonen und die Quarks der elektromagnetischen Wechselwirkung. Die Quarks besitzen jedoch noch ein weiteres Merkmal, die sogenannte Farbladung (in Abb. 11.1 blau, rot und grün dargestellt), aufgrund derer die Quarks zusätzlich der starken Wechselwirkung unterliegen. Bosonen Zu den Bosonen gehören neben dem bereits diskutierten Photon (γ ) das Z -Boson (Z), die W + - und W − -Bosonen (W), acht Gluonen (g) sowie das Higgs-Boson (H). Das Z-Boson ist wie das Photon elektrisch neutral Q Z = 0 C, während das W + -Boson die Ladung Q W + = +e und das W − -Boson die Ladung Q W − = −e tragen. Wie das Photon besitzen sie den Spin 1, und ihre Massen betragen7 : m Z = 1,624 · 10−25 kg m W + = m W − = 1,433 · 10−25 kg

(11.26)

Die Gluonen sind schließlich wie das Photon masselos, elektrisch neutral und besitzen den Spin 1, tragen aber wie die Quarks Farbladungen. Das Higgs-Boson bzw. Higgs-Teilchen schließlich ist das Quant des Higgs-Feldes, das den gesamten Raum erfüllt. Nach dem Standardmodell der Elementarteilchenphysik wechselwirken alle massiven Elementarteilchen mit dem Higgs-Feld und werden durch diese Wechselwirkung „träge“. Ein Maß für die Trägheit ist die Masse: Je stärker die Wechselwirkung eines Elementarteilchens mit diesem Higgs-Feld ist, desto größer ist seine Masse. Photonen und Gluonen wechselwirken nicht direkt mit dem Higgs-Feld, weshalb sie masselos sind. Das Higgs-Boson ist elektrisch neutral, hat den Spin 0 und eine Masse von 2,229 · 10−25 kg 8 . Schließlich finden wir, dass es zu jedem Elementarteilchen wie dem Elektron, dem Elektron-Neutrino, den Quarks, dem Proton und dem Neutron usw. ein Antiteilchen gibt, das wir Antielektron-Neutrino (¯νe ), Antiproton ( p), ¯ Antineutron (n), ¯ . . . nennen, mit Ausnahme des „Antielektrons“, das, wie schon erwähnt, Positron (e+ ) heißt. Ein Antiteilchen stimmt in allen Eigenschaften mit seinem Teilchen überein außer, dass es eine entgegengesetzte Ladung trägt. Dabei kann es vorkommen, dass ein Teilchen wie das Z -Boson sein eigenes Antiteilchen ist, das wir dann Majorana-Teilchen nennen.

7 M. Tanabashi et al. (Particle Data Group), Phys. Rev. D 98, 030001 (2018) and 2019 update. 8 M. Tanabashi et al. (Particle Data Group), Phys. Rev. D 98, 030001 (2018) and 2019 update.

424

11 Atom- und Quantenphysik

Abb. 11.10 Elektromagnetische und schwache Wechselwirkung

11.3.2 Zur Wechselwirkung von Elementarteilchen Das Photon, die Z , W ± -Bosonen und die Gluonen heißen auch Wechselwirkungsteilchen, da durch den Austausch dieser Teilchen zwischen Leptonen und Quarks die unterschiedlichen Wechselwirkungen vermittelt werden (siehe Kap. 1). Diese Austauschteilchen sind virtuell, d. h. nicht direkt beobachtbar. Die starke Wechselwirkung findet durch den Austausch von virtuellen Gluonen statt. Die elektromagnetische Wechselwirkung dagegen basiert auf dem Austausch von virtuellen Photonen. Zum Beispiel kommt die Coulomb-Kraft zwischen zwei Elektronen dadurch zustande, dass die Elektronen untereinander Photonen austauschen (siehe Abb. 11.10(a)). Die Z- und W- Bosonen schließlich vermitteln die schwache Wechselwirkung. Indem z. B. ein Myon ein virtuelles W − -Boson emittiert, wandelt es sich in ein Myon-Neutrino um. Das W − -Boson zerfällt nach kurzer Zeit in ein Elektron und ein Antielektron-Neutrino (siehe Abb. 11.10(b)).

11.3.3 Radioaktivität Schließlich äußert sich die schwache Wechselwirkung im radioaktiven Zerfall instabiler Kerne. Viele der bekannten Nuklide sind instabil, d. h., sie wandeln sich mit einer gewissen Lebensdauer durch Aussendung von radioaktiver Strahlung in stabile Kerne um. Natürliche radioaktive Nuklide wie Actinium, Thorium oder Uran zerfallen sehr langsam. Bei radioaktiver Strahlung unterscheiden wir α-, β- und γ -Strahlung.  2+ Ein α-Strahler wie Uran oder Thorium sendet beim α-Zerfall einen Heliumkern 42 H e aus, wobei zusätzlich der Energiebetrag E frei wird: A Z XN

−→

A−4 Z −2 Y N −2

+

4 2

H e2 + E

11.3

Das Standardmodell der Elementarteilchenphysik

425

Abb. 11.11 Zum β-Zerfall

Dabei nimmt die Ordnungszahl also um zwei ab, d. h., das beim Alphazerfall entstehende neue Element steht im Periodensystem zwei Stellen links vom Ausgangselement. β-Strahlung dagegen besteht aus Elektronen, die beim β-Zerfall eines radioaktiven Kernes ausgesendet werden. Hierbei emittiert ein down-Quark eines Neutrons im Kern ein W − -Boson und wird dabei zu einem up-Quark. Dadurch wandelt sich das Neutron in ein Proton um. Beim Betazerfall nimmt also die Ordnungszahl um eins zu, d. h., ein Element wandelt sich in das im Periodensystem folgende Element um. Das virtuelle W − -Boson zerfällt nach kurzer Zeit in ein Elektron und ein Antielektron-Neutrino (siehe Abb. 11.11). In der Strahlentherapie werden β-Strahler wie 90 Sr oder 106 Ru in der Brachytherapie genutzt, bei der die Strahlquelle innerhalb oder in unmittelbarer Nähe des zu bestrahlenden Gebietes im Körper plaziert wird. Bei der γ -Strahlung handelt es sich schließlich um hochenergetische elektromagnetische Strahlung. Sie entsteht, wenn sich nach einem α- oder β-Zerfall der Tochterkern in einem angeregten Zustand befindet, der dann durch spontante Emission eines Photons (E γ > 100 keV ) in einen Zustand niedrigerer Energie oder den Grundzustand wechselt (vgl. Abschn. 11.5.1). Auch γ -Strahlung aus radioaktiven Quellen wie 60 Co wird in der Strahlentherapie verwendet. Kurzlebige Gammastrahler wie z. B. 131 I werden dagegen in der Szintigrafie, ein bildgebendes Verfahren der nuklearmedizinischen Diagnostik, eingesetzt. Das Zerfallsgesetz Der Zerfall eines radioaktiven Nuklids ist dem Zufall unterworfen, d. h., man kann nicht mit Sicherheit vorhersagen, wann ein solches Nuklid zerfällt. Betrachtet man eine Probe einer radioaktiven Substanz, die eine sehr große Anzahl von radioaktiven Nukliden enthält, so findet man, dass die Zahl der pro Sekunde zerfallenden Nuklide proportional zur Zahl der zur Zeit t noch vorhandenen radioaktiven Nuklide ist. Unter der Aktivität A versteht man

426

11 Atom- und Quantenphysik

die Zahl der pro Sekunde stattfindenden radioaktiven Zerfälle. Da die Zahl der radioaktiven Nuklide in der Probe abnimmt, gilt: A := −

d N (t) = λ · N (t) dt

(11.27)

Die SI-Einheit der Aktivität heißt Becquerel Bq = 1/s. Eine Aktivität von 1 Bq bedeutet also, dass pro Sekunde ein radioaktives Nuklid zerfällt. Aus (11.27) folgt das Zerfallsgesetz: N (t) = N0 · e−λ·t

(11.28)

Hierin bezeichnen λ die Zerfallskonstante und N0 die Zahl der zu Beginn vorhandenen radioaktiven Nuklide. Das Zerfallsgesetz besagt also, dass die Zahl N (t) der zur Zeit t vorhandenen radioaktiven Nuklide in einer Substanzprobe exponentiell mit der Zeit abnimmt. Diesen exponentiellen Abfall beschreiben wir durch die Halbwertszeit t1/2 . Sie ist definiert als diejenige Zeit, zu der noch 50 % der ursprünglichen Zahl an radioaktiven Nukliden vorhanden sind. Sie ist gegeben durch: ln 2 (11.29) λ Dagegen beschreibt die mittlere Lebensdauer τ diejenige Zeit, zu der noch der e-te Teil der ursprünglich vorhandenen radioaktiven Nuklide nicht zerfallen sind, für die also N (τ ) = 1/e · N0 gilt. Hieraus folgt: 1 (11.30) τ = λ Wenn zu Diagnose- oder Therapiezwecken einem Patienten ein radioaktives Präparat zugeführt wird, dann nimmt die Zahl der radioaktiven Nuklide im menschlichen Körper nach dem Zerfallsgesetz mit der Zeit ab. Zusätzlich wird die Konzentration des radioaktiven Präparates auch durch den natürlichen Stoffwechsel reduziert, aufgrund dessen das Präparat aus dem Körper ausgeschieden wird. Beide Effekte führen zur biologischen Halbwertszeit des Präparates im menschlichen Körper. Dringen α- oder β-Strahlen in Materie ein, so geben die Teilchen der Strahlung durch elastische Stöße mit den Atomen der Materie kinetische Energie an diese ab. Neben einer Anregung können die Atome auch ionisiert werden (siehe Abschn. 11.5.1). Da α- und βStrahlen sehr hohe Energien im Bereich MeV = 106 eV besitzen, können sie längs ihrer Flugbahn ca. 105 Ionen erzeugen, bevor sie zur Ruhe kommen. Bei einer Energie von 1 MeV beträgt die Reichweite von α-Strahlen in Luft etwa 0,3 cm und in Gewebe 4 μm, für β-Strahlen beträgt die Reichweite in Luft ungefähr 3 m und in Gewebe 5 mm. Die Reichweite von γ -Strahlen ist in der Regel sehr groß und hängt sowohl von der Energie der Gammaquanten als auch vom Material ab. Die Intensität der Gammastrahlung nimmt aufgrund von Absorption und Streuung exponentiell mit der Strecke der durchquerten Materie ab (siehe Abschn. 8.3.4). t1/2 =

11.4

Gesetzmäßigkeiten der Quantenphysik

427

Wird z. B. ein Wassermolekül durch radioaktive Strahlung ionisiert, so zerfällt es unter Bildung von Radikalen H ∗ und H O ∗ , die sehr reaktiv sind. Diese Radikale greifen chemische Bindungen an und können zur Zerstörung von organischen Molekülen in Zellen führen. Mögliche Folgeerscheinungen sind z. B. Krankheiten wie Leukämie, Magenblutungen oder Krebs.

11.4

Gesetzmäßigkeiten der Quantenphysik

Wie das Beispiel der Beugung am Spalt zeigt, verhalten sich Elektronen und Photonen vollkommen analog. Während Materie und Strahlung vom makroskopischen Standpunkt aus als grundverschieden erscheinen, sieht das also mikroskopisch betrachtet ganz anders aus! Elektronen und Photonen treten einzeln als Teilchen auf, sie sind also lokalisierbar und können z. B. aneinander gestreut werden, wobei sie sich aber letztlich nicht wie klassische Massenpunkte verhalten. Als Gesamtheit vieler identischer Elektronen bzw. Photonen zeigen sie typische Welleneigenschaften, sie können interferieren und Beugungsstrukturen auf einem Schirm erzeugen, wobei sie sich aber letztlich auch nicht wie eine klassische Welle verhalten. Elektronen, Photonen, die Quarks usw. bezeichnen wir deshalb als Quantenteilchen oder kurz Quanten, die den Gesetzmäßigkeiten der Quantenphysik unterliegen [25].

11.4.1 Wahrscheinlichkeitsaussagen Anhand der Beugungsexperimente haben wir gesehen, dass der Ort, an dem ein einzelnes Quant auf dem Schirm auftrifft, nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden kann. Wir können lediglich für die Gesamtheit aller Quanten eine Häufigkeitsverteilung bestimmen, die im Limes „Zahl der gebeugten Quanten gegen unendlich“ gegen eine Wahrscheinlichkeitsverteilung konvergiert. Für ein einzelnes Quant kann man also lediglich eine Wahrscheinlichkeit angeben, mit der es sich zu einer bestimmten Zeit in einem bestimmten Raumbereich befindet. Analog kann man für ein Quant auch nur eine Wahrscheinlichkeit dafür angeben, dass sein Impuls zu einer bestimmten Zeit in einem bestimmten Intervall liegt. Merke:

• Für ein einzelnes Quant können wir also i. Allg. keine genauen Vorhersagen, sondern nur irgendwelche Wahrscheinlichkeitsaussagen machen. • Da wir den Ort und den Impuls eines Quants nicht für alle Zeiten genau kennen, existiert der „klassische Bahnbegriff“ im Mikrokosmos nicht! Ein Quant bewegt sich also nicht entlang einer eindeutig bestimmten „Bahnkurve“. 

428

11 Atom- und Quantenphysik

Abb. 11.12 Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichte des Elektrons im H -Atom

Beispiel 11.3 Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Elektrons im Wasserstoffatom Als ein Beispiel ist in Abb. 11.12(a) die räumliche Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichte des „(1s)-Elektrons“ im H -Atom gezeigt, die wir Orbital nennen. Multiplizieren wir diese mit der Elektronladung Q e = −e, so erhalten wir die Ladungsdichte des H -Atoms im „1S-Zustand“, die kugelsymmetrisch ist (siehe Abschn. 11.5.4). Ferner ist in Abb. 11.12(b) die radiale Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichte f (r ) für das (1s)-Elektron im Wasserstoffatom dargestellt, das Elektron in einem bestimmten Abstand r vom Kern zu finden. Wie man erkennt, ist die Wahrscheinlichkeit, das Elektron in einem Abstand im Bereich des Bohr’schen Radius9 a0 = 0,529177210903 · 10−10 m zu finden, am größten. Die radiale Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichte f (r ) für das „(2s)-Elektron“ des H Atoms ist in Abb. 11.12(c) gezeigt. Man erkennt, dass sich das Elektron bevorzugt in zwei Abstandsbereichen vom Kern mit einer höheren Aufenthaltswahrscheinlichkeit befindet, getrennt von einem Bereich, in dem es sehr selten anzutreffen ist. 

11.4.2 Unschärferelationen Quantenteilchen haben noch weitere ganz merkwürdige Eigenschaften. „Je genauer wir z. B. wissen wollen, wo ein solches Quant sich befindet, desto ungenauer wissen wir, wohin es fliegt und sich in der Zukunft befinden wird“. Oder, „je genauer wir wissen wollen, was passiert, desto ungenauer wissen wir, wann es passiert“. Diese Eigenschaften von Quantenteilchen finden ihren Ausdruck in den Heisenberg’schen Unschärferelationen. Für den Ort x und den Impuls p eines Quantenteilchens oder die Energie E und die Zeit t lauten diese Unschärferelationen x ·  p ≥

  bzw. E · t ≥ , 2 2

(11.31)

9 CODATA Internationally recommended 2018 Values of the Fundamental Physical Constants

11.5

Atombau und das Periodensystem der Elemente

429

worin x,  p, E und t die Ungenauigkeit des Ortes, des Impulses, der Energie und der Zeit bezeichnen. Die Beziehung (11.31) besagt offenbar, dass z. B.  p umso größer wird, je kleiner wir x machen. Wir können also für ein Quantenteilchen den Ort und den Impuls oder die Energie und die Zeit nicht gleichzeitig exakt bestimmen. Allgemeiner folgt aus den Heisenberg’schen Unschärferelationen, dass wir nicht beliebig viele physikalische Größen gleichzeitig exakt bestimmen können, was klassisch durchaus möglich ist! Welche Größen man gleichzeitig exakt bestimmen kann und mit deren Hilfe wir Zustände von Atomen beschreiben können, diskutieren wir im Folgenden ausführlicher.

11.5

Atombau und das Periodensystem der Elemente

Um die Eigenschaften und die Anordnung der chemischen Elemente im Periodensystem verstehen zu können, ist eine tiefere Kenntnis der Atomphysik wichtig. Da es die Elektronen sind, die die chemischen Eigenschaften eines Atoms bestimmen, ist deren Verteilung und Verhalten im Atom von grundlegender Bedeutung. Wie aber können wir dieses „Quantensystem Atom“ beschreiben [22]? Wir sagen, dass wir ein System, wie z. B. ein Atom, kennen, wenn dessen Zustand zu allen Zeiten vollständig bekannt ist. Wenn wir den Zustand eines Systems kennen, so meinen wir damit, dass wir alle am System messbaren physikalischen Größen zu jedem Zeitpunkt angeben können. Wir finden, dass der Zustand eines Atoms festgelegt ist, wenn wir die Energie, die Beträge von Bahndrehimpuls und Spin sowie deren z-Komponenten für alle Elektronen des Atoms kennen. Durch Summation der Größen der einzelnen Elektronen erhalten wir die entsprechenden Größen des Systems „Atom“. Addieren wir also z. B. die Drehimpulse aller Elektronen, so erhalten wir den Gesamtdrehimpuls der Elektronenhülle und, wenn wir noch den Kernspin addieren, den Gesamtdrehimpuls des Atoms. Es zeigte sich, dass die Energie und die Drehimpulse eines Elektons in einem Atom nicht beliebige, kontinuierliche Werte annehmen können, sondern nur bestimmte diskrete Werte. Demzufolge sagen wir, dass Energie, Bahndrehimpuls und Spin eines Elektrons und damit auch des gesamten Atoms gequantelt oder quantisiert sind. Zunächst betrachten wir Atomspektren und die Quantisierung der Energie. Danach diskutieren wir die Quantisierung des Drehimpulses und als eine Konsequenz der Spin-Bahn-Wechselwirkung die Verschiebung und die Feinstruktur von Spektrallinien. Als einfache Beispiele beschreiben wir dann das Termschema des Wasserstoffatoms und der Alkaliatome, die wir als effektives Einelektronenproblem auffassen können, sowie das Termschema des Heliumatoms als ein Beispiel für ein Mehrelektronenatom. Schließlich haben wir erkannt, dass es in einem Atom keine zwei Elektronen gibt, die in all ihren Energie- und Drehimpulswerten übereinstimmen. Diese Gesetzmäßigkeit heißt PauliPrinzip, das wie die Hund’sche Regel für den Aufbau der Atomhülle und das Verständnis des Periodensystems wichtig ist. Abschließend diskutieren wir dann die Hyperfeinstruktur von Spektrallinien und den Kernspin.

430

11 Atom- und Quantenphysik

11.5.1 Atomspektren und die Quantisierung der Energie Atome können elektromagnetische Strahlung absorbieren und emittierten. Demzufolge unterscheiden wir Absorptions- und Emissionsspektren von Atomen. Was verstehen wir darunter, und wie kommen sie zustande? Optische Spektren Unter einem Spektrum verstehen wir die in einer elektromagnetischen Strahlung enthaltenen Frequenz- bzw. Wellenlängenanteile. Bei optischen Spektren unterscheiden wir zwischen Linien- und kontinuierlichen Spektren. Linienspektren bestehen aus einzelnen Linien, die zu charakteristischen Serien zusammengefasst werden. In Abb. 11.13 ist z. B. die Balmer-Serie von atomarem Wasserstoff in Emission gezeigt. Sie sind typisch für Atome. Kontinuierliche Spektren werden von leuchtenden Festkörpern oder Gasen hoher Dichte, wie z. B. der Sonne, ausgestrahlt. Wir finden weiter, dass z. B. im kontinuierlichen Spektrum des Sonnenlichtes eine Reihe von dunklen Linien auftritt, die wir Fraunhofer-Linien nennen. Diese Linien kommen daher, dass Licht dieser Wellenlängen von Atomen „kühlerer“ Gase in den äußeren Sonnenschichten absorbiert wird. Ein solches Spektrum heißt deshalb Absorptionsspektrum (siehe Abb. 11.14). Wenn dagegen eine zu untersuchende Substanz selbst leuchtet, so emittieren die Atome dieser Substanz Licht, und das Spektrum dieses Lichtes heißt dann Emissionsspektrum (siehe Abb. 11.13). Wie aber findet diese Absorption und Emission von Strahlung durch Atome mikroskopisch statt?

Atomzustände Aus dem Auftreten von Linienspektren schließen wir, dass die Energie eines Atoms, d. h. die Summe der Energien aller gebundenen Atomelektronen, nicht beliebige kontinuierliche Werte annimmt, sondern nur bestimmte, diskrete Werte (siehe Abb. 11.15). Wir sagen auch, dass die Energie quantisiert ist. Die Gesamtheit aller Atomzustände mit wohldefi-

Abb. 11.13 Die Balmer-Serie in Emission

11.5

Atombau und das Periodensystem der Elemente

431

Abb. 11.14 Absorptionsspektrum

nierten, diskreten Energiewerten heißt Termschema eines Atoms, die einzelnen diskreten Atomzustände heißen auch Terme. Jedes Atom besitzt einen Zustand niedrigster Energie E 1 , den wir Grundzustand nennen. Indem wir auf irgendeine Weise dem Atom eine passende Energie zuführen, wechselt es in einen angeregten Zustand, der die Energie E i , i = 2, 3, 4, . . . besitzt, und wir sprechen dann von einer Anregung des Atoms. Emission und Absorption von Strahlung Eine solche Anregung von Atomen kann auf verschiedene Weise erfolgen, z. B. durch Stöße von Atomen untereinander oder durch Stöße von „freien“ Elektronen mit Atomen, wobei kinetische Energie der Elektronen in Anregungsenergie der Atome umgewandelt wird. Die Anregung der Atome kann aber auch dadurch erfolgen, dass ein Atomelektron ein Photon der passenden Energie E γ absorbiert (siehe Abb. 11.15). So kann z. B. ein Atom im Grundzustand, wir nennen ihn den Anfangszustand E a , ein Photon absorbieren, dessen Energie gerade der Energiedifferenz zwischen einem der angeregten Zustände, wir nennen ihn den Endzustand E e , und dem Grundzustand entspricht: Eγ = h · ν = Ee − Ea = Ei − E1

(11.32)

Das Atom wechselt dann vom Grundzustand in diesen angeregten Zustand. Auf diese Weise entstehen die Absorptionsspektren von Atomen. In einem solchen angeregten Zustand verweilt ein Atom in der Regel ca. 10−8 s, um dann unter Aussendung eines Photons wieder in einen Zustand niedrigerer Energie, d. h. einen weiteren angeregten Zustand oder den Grundzustand selbst, zu wechseln (siehe Abb. 11.15). Die Energie des Photons entspricht dabei wieder genau der Energiedifferenz zwischen dem Anfangs- und dem Endzustand. Auf diese Weise entstehen die Emissionsspektren von Atomen. Auch diese Abregung von Atomen kann auf eine andere Weise erfolgen, z. B. durch Stöße zwischen den Atomen, wobei die Anregungsenergie in kinetische Energie der Atome umgewandelt wird.

432

11 Atom- und Quantenphysik

Abb. 11.15 Termschema eines Atoms

Die Emission und Absorption von Photonen durch Atomelektronen ist insbesondere ein Beispiel für die Umwandlung von Strahlungsenergie in potentielle Energie (des Atoms) und umgekehrt (siehe Abschn. 3.5.5 und 11.2). Wenn weiter ein Atom durch Emission oder Absorption von Photonen Atomzustände wechselt, so sprechen wir von optischen Übergängen. Indem wir also optische Spektren von Atomen untersuchen, erhalten wir Informationen über die Energie der einzelnen Atomzustände. Wir erhalten weiter Informationen darüber, welche Übergänge zwischen welchen Atomzuständen möglich sind. Durch solche Untersuchungen haben wir z. B. herausgefunden, dass optische Übergänge nicht zwischen allen vorhandenen Atomzuständen möglich sind, was wir durch sogenannte Auswahlregeln beschreiben.

11.5.2 Feinstruktur von Spektrallinien und die Quantisierung des Bahndrehimpulses Spektrallinien sind nicht scharf, sondern über einen kleinen Wellenlängenbereich verschmiert (siehe Abb. 8.27). Untersucht man sie mit einer höheren Auflösung, so finden wir bei vielen Spektrallinien, dass sie eigentlich aus zwei oder mehreren Spektrallinien bestehen (siehe Abb. 11.18). Wie können wir diese Feinstruktur der Spektrallinien verstehen?

11.5

Atombau und das Periodensystem der Elemente

433

Die Quantisierung des Bahndrehimpulses  ≥ 0 annehmen, und seine Klassisch kann der Bahndrehimpuls l einen beliebigen Betrag |l|  ≤ l z ≤ |l|  ändern. Das bedeutet, z-Komponente l z kann sich beliebig im Bereich −|l|  dass klassisch der Bahndrehimpuls l bezüglich einer gewählten z-Achse eine „beliebige“  kann er insbesondere auch exakt in z-Richtung Stellung einnehmen kann. Wegen l z = |l| zeigen (siehe Abb. 11.16(a)). Auch wenn sich ein Elektron in einem Atom nicht entlang einer klassischen Bahnkurve bewegt, so können wir ihm dennoch einen Bahndrehimpuls l zuordnen. Wie der Spin s ist auch dieser Bahndrehimpuls quantisiert (vgl. Abschn. 11.1.1). Das bedeutet: (i) dass der Betrag des Bahndrehimpulses nur ganz bestimmte diskrete Werte annehmen kann, nämlich   = l(l + 1) ·  , l = 0, 1, 2, . . . , |l| (11.33) (ii) und dass die z-Komponente l z nur die folgenden diskreten Werte besitzt: l z = m l · , m l = l, l − 1, . . . , 1, 0, −1, . . . , −l + 1, −l

(11.34)

Wir nennen l Bahndrehimpulsquantenzahl, die nur ganze Zahlen 0, 1, 2, . . . annimmt, während m l magnetische Quantenzahl heißt. Für eine gegebene Bahndrehimpulsquantenzahl l kann die magnetische Quantenzahl m l nur die 2l +1-Werte l, l −1, . . . , 0, . . . , −l +1, −l annehmen. Wenn weiter für ein Elektron z. B. die Bahndrehimpulsquantenzahl l = 3 ist, so sagen wir, dass es den „Bahndrehimpuls 3 besitzt“. Beispiel 11.4 Bahndrehimpuls Für ein Elektron mit der Bahndrehimpulsquantenzahl l = 3 besitzt der Bahndrehimpuls den Betrag  √  = 3(3 + 1) ·  = 2 3 ·  3,46 , |l| und seine z-Komponente kann dann die diskreten Werte l z = 3 , 2 , 1 , 0 , −1 , −2 , −3  annehmen.



Die Beziehungen (11.33) und (11.34) bedeuten, dass der Bahndrehimpuls l nicht genau in Richtung der z-Achse zeigen kann. Wie beim Spin kann man ferner nur eine Komponente des Bahndrehimpulses genau messen, wobei man üblicherweise die z-Komponente wählt. Damit präzessiert der Bahndrehimpuls irgendwie um die z-Achse derart, dass sein Betrag und seine z-Komponente konstant sind (siehe Abb. 11.16(b)).

434

11 Atom- und Quantenphysik

Abb. 11.16 Zur Quantisierung und Orientierung des Bahndrehimpulses

Merke:

Für ein Elektron kann man die Energie, die Beträge von Bahndrehimpuls und Spin sowie die z-Komponenten von Bahndrehimpuls und Spin gleichzeitig genau messen. Nach den Heisenbergschen Unschärferelationen sind dann die x- und y-Komponenten von Bahndrehimpuls und Spin unbekannt. 

Magnetische Momente Mit dem Bahndrehimpuls l ist das magnetische Dipolmoment μ  l = − gl ·

e e · l = − · l 2 me 2 me

(11.35)

verknüpft (siehe Abschn. 10.4.3), worin die Konstante gl = 1 g-Faktor heißt. Für den Betrag des magnetischen Moments folgt dann: μl =

  e  = e · l(l + 1)  ≡ l(l + 1) · μ B · |l| 2 me 2 me

(11.36)

Die Konstante10 μB =

e = 9,2740100783 · 10−24 Am 2 2 me

(11.37)

heißt Bohr’sches Magneton, das wir als Einheit des magnetischen Moments auf atomarer Ebene verwenden. Analog hat ein Elektron aufgrund seines Spins s das magnetische Moment (siehe Abb. 11.17) 10 CODATA Internationally recommended 2018 Values of the Fundamental Physical Constants.

11.5

Atombau und das Periodensystem der Elemente

435

Abb. 11.17 Spin und magnetisches Dipolmoment des Elektrons

μ  s = − gs ·

e · s 2 me

(11.38)

mit dem Betrag μs = gs ·

 e · |s | = gs · s(s + 1) · μ B , 2 me

(11.39)

wobei der g-Faktor beim Spin den Wert gs = 2,00231930436256 besitzt11 . Bemerkungen: • Vergleicht man die beiden Beziehungen (11.35) für den Bahndrehimpuls und (11.38) für den Spin, so stellt man als wesentlichen Unterschied den Faktor gs = 2, 002 319 304 362 56 beim magnetischen Moment des Spins fest, während dieser g-Faktor beim magnetischen Moment des Bahndrehimpulses dem klassisch zu erwartenden Wert gl = 1 entspricht (siehe 10.83). • Wegen der negativen Ladung des Elektrons besitzen Spin s und magnetisches Dipolmoment μ  s entgegengesetzte Richtungen (siehe Abb. 11.17). • Ein s-Elektron besitzt den Bahndrehimpuls l = 0, weshalb sein Bahnmoment verschwindet, sodass für ein s-Elektron nur der Spinmagnetismus auftritt.  Spin-Bahn-Wechselwirkung Die elektromagnetische Wechselwirkung zwischen den magnetischen Momenten von Bahndrehimpuls und Spin führt zu einem weiteren Energieterm E L S , der zur Coulomb-Energie E C hinzukommt, und dazu, dass die Bahndrehimpulse und Spins der Elektronen im Atom „koppeln“. Das bedeutet einerseits, dass die Spin-Bahn-Wechselwirkung eine Verschiebung und Aufspaltung von Atomzuständen hervorruft (vgl. Abb. 11.20 und 11.21), weil die Energie eines Atomzustandes davon abhängt, wie die magnetischen Momente μ  l und μ  s zueinander stehen. Diese geringfügige Aufspaltung der Energieniveaus, die z. B. bei den Alkaliatomen in der Größenordnung von 10−3 bis 10−4 eV liegt, führt zur Feinstruktur von Spektrallinien (siehe Abb. 11.18).

11 CODATA Internationally recommended 2018 Values of the Fundamental Physical Constants.

436

11 Atom- und Quantenphysik

Abb. 11.18 Zur Feinstruktur der Natrium D-Linie

Andererseits bewirkt die Spin-Bahn-Wechselwirkung eine Addition der Drehimpulse der Elektronen im Atom, was schließlich den Gesamtdrehimpuls J der Elektronenhülle des Atoms ergibt. Dies kann jedoch auf verschiedene Weise erfolgen. Wenn die Spin-BahnWechselwirkung der einzelnen Elektronen kleiner ist als die gegenseitige Kopplung der Bahnmomente und der Spinmomente untereinander, dann koppeln für die einzelnen Elektronen die Bahndrehimpulse li zum Gesamtbahndrehimpuls L = l1 +l2 +. . . und die Spins si zum Gesamtspin S = s1 + s2 + . . .. Diese addieren sich wiederum vektoriell zum Gesamtdrehimpuls J = L + S der Elektronenhülle. Wir sprechen dann von einer LS-Kopplung oder Russel-Saunders-Kopplung. Bei massereicheren Atomen liegt jedoch die sogenannte jj-Kopplung vor, d. h., die Spin-Bahn-Wechselwirkung für die einzelnen Elektronen ist größer als die gegenseitige Kopplung der Bahnmomente und der Spinmomente untereinander, sodass der Bahndrehimpuls und der Spin zum Gesamtdrehimpuls ji = li + si eines Elektrons koppeln und diese sich dann vektoriell zum Gesamtdrehimpuls J = j1 + j2 + . . . der Elektronenhülle addieren. In diesem Fall existieren jedoch der Gesamtbahndrehimpuls L und der Gesamtspin S der Elektronenhülle nicht, wie zum Beispiel bei den Actiniden (siehe Abb. 11.25(a) und 11.25(b)).

11.5.3 Das Wasserstoffatom und die Alkaliatome

Atomzustände und charakteristische Serien beim Wasserstoffatom Den Hauptbeitrag zur Energie eines Wasserstoffatoms liefert die Coulomb-Energie E C , d. i. die potentielle Energie des Elektrons im elektrischen Feld des Protons (siehe Kap. 10). Die diskreten Energieniveaus des H -Atoms sowie mögliche optische Übergänge sind in Abb. 11.19 dargestellt. Während die Balmer-Serie sichtbar ist (siehe Abb. 11.13), liegt die Lyman-Serie im UV-Bereich, die Paschen-, Brackett- und Pfund-Serie dagegen im IRBereich des elektromagnetischen Spektrums.

11.5

Atombau und das Periodensystem der Elemente

437

Abb. 11.19 Atomzustände und optische Übergänge des Wasserstoffatoms

Die diskreten Energien der Atomzustände des Wasserstoffatoms sind gegeben durch E n = −R∞ ·

1 n2

(11.40)

mit der Rydberg-Konstanten 12 : R∞ =

m · e4 = 13, 605 693 122 994 eV , 32 · π 2 · 02 · 2

(11.41)

die der Ionisierungsenergie des H -Atoms entspricht. Die Zahl n heißt Hauptquantenzahl und besitzt die Werte: n = 1, 2, 3, . . . (11.42) Wir finden weiter, dass für eine gegebene Hauptquantenzahl n die Bahndrehimpulsquantenzahl l eines Elektrons im Atom die Werte l = 0, 1, 2, . . . , n − 1

(11.43)

annehmen kann. Offenbar hängt die Energie nur von der Hauptquantenzahl und nicht von der Bahndrehimpulsquantenzahl ab, d. h., bis auf den Grundzustand mit n = 1 sind die Atomzustände entartet. Das bedeutet, dass Zustände mit gleichem n, aber unterschiedlichem 12 CODATA Internationally recommended 2018 Values of the Fundamental Physical Constants.

438

11 Atom- und Quantenphysik

Abb. 11.20 Termschema des Wasserstoffatoms ohne Spin-Bahn-Wechselwirkung

l, dieselbe Energie E n besitzen (siehe Abb. 11.20). Wie aber können wir die einzelnen Atomzustände beschreiben? Zur Beschreibung von Atomzuständen  Zur Beschreibung des Zustandes eines Atoms benötigen wir den Gesamtbahndrehimpuls L, den Gesamtspin S und den Gesamtdrehimpuls J der Elektronenhülle. Für das Wasserstoffatom sind der Gesamtbahndrehimpuls und der Gesamtspin der Elektronenhülle gegeben durch den Bahndrehimpuls L = l und den Spin S = s des Elektrons, die zum Gesamtdrehimpuls J = L + S der Elektronenhülle koppeln. Für die Beträge gilt     = L(L + 1) ·  , | S|  = S(S + 1) ·  , | J| = J (J + 1) · , | L| (11.44) worin die Gesamtbahndrehimpulsquantenzahl L = l und die Gesamtspinquantenzahl S = s = 1/2 der Elektronenhülle durch die entsprechenden Quantenzahlen des Elektrons gegeben sind. Elektronen mit den Quantenzahlen l = 0, 1, 2, 3, . . . heißen s, p, d, f , . . . Elektronen. Während wir einzelnen Elektronen kleine Buchstaben zuordnen, bezeichnen wir Atomzustände mit Großbuchstaben S, P, D, F . . ., entsprechend den Gesamtbahndrehimpulsquantenzahlen L = 0, 1, 2, . . .. Neben der Gesamtbahndrehimpulsquantenzahl L ist zur Beschreibung der einzelnen Atomzustände die Gesamtspinquantenzahl S und die Gesamtdrehimpulsquantenzahl J wichtig, die beim Wasserstoffatom die Werte J = L + S = l +s , J = |L − S| = |l −s| d. h. J = l +1/2 , J = |l −1/2| (11.45) annehmen kann.

11.5

Atombau und das Periodensystem der Elemente

439

Merke:

Bezeichnet allgemein für ein Atom n die Hauptquantenzahl des höchsten angeregten Elektrons, so werden die einzelnen Terme des Atoms im Falle der LS-Kopplung mit n 2·S+1 L J beschrieben, worin 2S + 1 die Multiplizität der Terme bezeichnet (siehe Abschn. 11.5.4). 

Beispiel: • Besitzt das Elektron des H -Atoms die Quantenzahlen n = 3 und l = 2, so nennen wir es ein (3d)-Elektron. Wir sagen dann auch, „das Elektron besetzt den 3D-Zustand“ und „das H -Atom befindet sich im 3D-Zustand“. • Ferner besitzt das Elektron den Spin s = 1/2 und damit die Elektronenhülle des H Atoms den Gesamtspin S = 1/2. Die Multiplizität der Terme des Wasserstoffatoms beträgt also 2 · S + 1 = 2 · 21 + 1 = 2. Befindet sich das H -Atom im 2P-Zustand mit der Gesamtbahndrehimpulsquantenzahl L = 1, so können Bahndrehimpuls und Spin zum Gesamtdrehimpuls mit J = L + S = 1 + 1/2 = 3/2 und J = |L − S| = 1 − 1/2 = 1/2 koppeln, weshalb das Wasserstoffatom die Atomzustände 2 2 P3/2 und 2 2 P1/2 besitzt (siehe Abb. 11.21). Für die Gesamtbahndrehimpulsquantenzahl L = 0 gilt jedoch J = L + S = S = 1/2, weshalb die n 2 S1/2 -Zustände „einfach“ sind.  Das vollständige Termschema des Wasserstoffatoms In Abb. 11.21 ist das vollständige Termschema des Wasserstoffatoms unter Berücksichtigung der Spin-Bahn-Wechselwirkung und sogenannter „relativistischer Korrekturen“ gezeigt. Einerseits erkennt man, dass die Terme gegenüber dem Termschema der Abb. 11.20 (gestrichelte Linien) nach unten verschoben sind und dass andererseits die Terme n P, n D, . . . aufgespalten sind, was zur Feinstruktur der Spektrallinien beim H -Atom führt. Die Energie der Terme hängt nur von der Hauptquantenzahl und der Gesamtdrehimpulsquantenzahl ab, nicht aber von der Gesamtbahndrehimpulsquantenzahl. Das bedeutet, dass Terme mit gleicher Hauptquantenzahl und gleicher Gesamtdrehimpulsquantenzahl, jedoch verschiedener Gesamtbahndrehimpulsquantenzahl entartet sind. Die Feinstrukturenergie E F S beim Wasserstoffatom ist jedoch sehr klein und schwer zu messen. Bemerkung: Bei noch höherer Auflösung findet man, dass letzlich auch die Bahndrehimpulsentartung aufgehoben ist, d. h., dass die Niveaus mit gleicher Hauptquantenzahl und gleicher Gesamtdrehimpulsquantenzahl, aber verschiedener Gesamtbahndrehimpulsquantenzahl nicht exakt zusammenfallen. Man findet z. B., dass der 2 2 S1/2 -Term ca. 10 % der Energiedifferenz zwischen den 2 2 P3/2 - und 2 2 P1/2 -Termen höher liegt als der 2 2 P1/2 -Term. Diese Verschiebung heißt Lamb-Shift, die erst im Rahmen der Quantenelektrodynamik verstanden werden kann (siehe Abschn. 11.2.2). 

440

11 Atom- und Quantenphysik

Abb. 11.21 Das vollständige Termschema des H -Atoms

Zum Termschema der Alkaliatome Nach dem Wasserstoffatom haben die Alkaliatome das nächst einfachere Termschema. Das liegt daran, dass die Alkaliatome ein schwach gebundenes äußeres Elektron besitzen, das wir Valenzelektron nennen. Die inneren Elektronen der Hülle sind stärker an den Kern gebunden und befinden sich in der Regel näher am Kern. Ferner heben sich für die inneren Elektronen alle Bahndrehimpulse und Spins auf, sodass, wie beim Wasserstoffatom, der Gesamtbahndrehimpuls L = l und der Gesamtspin S = s gegeben sind durch den Bahndrehimpuls und Spin des Valenzelektrons, die wiederum zum Gesamtdrehimpuls J = L + S der Elektronenhülle koppeln. Die Bahndrehimpulsquantenzahl L = l und die Spinquantenzahl S = s = 1/2 der Elektronenhülle entsprechen den Quantenzahlen des Valenzelektrons. Damit können wir auch die Alkaliatome als effektives „Einelektronenproblem“ betrachten. In Abb. 11.22 ist das Termschema des Natriumatoms gezeigt, bei dem neben der Coulomb-Wechselwirkung auch die Spin-Bahn-Wechselwirkung berücksichtigt ist. Wir finden, dass für eine gegebene Hauptquantenzahl n der S-Zustand niedriger liegt als die P-Zustände und diese niedriger liegen als die D-Zustände. Die gelbe Farbe von Natriumlampen wird durch die Natrium D-Linie hervorgerufen (siehe Abb. 11.18), die aus den Übergängen 3 2 P3/2 −→ 3 2 S1/2 und 3 2 P1/2 −→ 3 2 S1/2 besteht. Die Bindungsenergie des (3s)-Elektrons beim Natriumatom beträgt −5, 12eV . Aufgrund der größeren Atommasse ist bei den Alkaliatomen die Feinstrukturenergie  E F S größer als beim Wasserstoffatom.

11.5

Atombau und das Periodensystem der Elemente

441

Abb. 11.22 Das Termschema des Natriumatoms

Auswahlregeln bei optischen Übergängen Wir finden schließlich, dass optische Übergänge nicht zwischen beliebigen Termen möglich sind, sondern dass für optische Übergänge sogenannte Auswahlregeln gelten. Diese lauten für das Wasserstoffatom und die Alkaliatome: J =  j = 0 , ±1 L = l = ±1

(11.46)

Verboten ist also z. B. der Übergang 3 2 D5/2 −→ 3 2 P1/2 , da für diesen Übergang J = 5/2 − 1/2 = 2 gilt, oder der Übergang 4 2 P3/2 −→ 3 2 P1/2 , denn es gilt L = 1 − 1 = 0. Einige erlaubte Übergänge sind in Abb. 11.22 dargestellt. Wie man anhand des Termschemas erkennt, sind im Natriumspektrum die Linien der Hauptserie (Übergang 3S ↔ n P) und der 2. Nebenserie (Übergang 3P ↔ nS) Dubletts, während die Linien der 1. Nebenserie Übergang 3P ↔ n D) Tripletts sind.

11.5.4 Mehrelektronenatome Elektronenkonfigurationen Bei allen Atomen außer dem H -Atom stellt sich die Frage, wie denn die einzelnen Atomelektronen auf die verschiedenen Atomzustände verteilt werden? Eine bestimmte Belegung oder Besetzung der Zustände eines Atoms mit Elektronen heißt Elektronenkonfiguration

442

11 Atom- und Quantenphysik

des Atoms. Informationen über die Verteilung der Elektronen liefern die Edelgase und die Ionisierung von Atomen. Edelgase sind chemisch besonders stabil. Ferner finden wir, dass Atome sehr leicht gerade so weit ionisiert werden, dass ihre Ionen die Elektronenzahl eines neutralen Edelgases annehmen. Beispiel 11.5 Chemische Wertigkeit und Ionisierung von Atomen Natrium mit der Ordnungszahl Z = 11 bildet bevorzugt einwertige positive Ionen, gibt also leicht ein Elektron ab, während das benachbarte Magnesium mit Z = 12 bevorzugt zwei Elektronen abgibt und zweiwertige positive Ionen bildet. Sauerstoff mit der Ordnungszahl Z = 8 hingegen bildet durch die Aufnahme von zwei weiteren Elektronen bevorzugt zweiwertige negative Ionen. Offenbar haben diese Atome durch die Aufnahme bzw. Abgabe der Elektronen die Konfiguration des Edelgases Neon mit der Ordnungszahl Z = 10 erreicht und sind dann besonders stabil.  Offenbar werden solche Elektronen eines Atoms, die eine Edelgaskonfiguration gerade übersteigen, relativ leicht herausgelöst und solche, die an einer Edelgaskonfiguration gerade fehlen, leicht aufgenommen. Was also ist das Besondere an den Edelgaskonfigurationen? Weitere Hinweise zur Verteilung der Elektronen in einem Atom liefert die Untersuchung von Röntgenspektren von Atomen. Sie entstehen dadurch, dass durch Elektronenbeschuss ein inneres Elektron, z. B. des 1S-Zustandes mit der Hauptquantenzahl n = 1, aus dem Atom herausgeschlagen wird, was wir Stoßionisation nennen. Die so entstandene „Lücke“ wird nun durch einen Übergang eines Elektrons aus einem energetisch höheren Zustand unter Emission eines Photons geschlossen, wobei die Energie des Photons nach (11.32) der Energiedifferenz von Anfangs- und Endzustand entspricht. Die entsprechenden Linien des Röntgenspektrums werden K α , K β , K γ usw. genannt und bilden die K -Serie, die der LymanSerie des Wasserstoffatoms entspricht (siehe Abb. 11.19). Die so entstehenden Lücken in höheren Zuständen werden nun sukzessive durch analoge Übergänge geschlossen. Besitzt der Endzustand die Hauptquantenzahl n = 2, so heißen die zugehörigen Röntgenlinien L α , L β , L γ . . ., und man spricht von der L-Serie. Für n = 3 nennt man sie Mα , Mβ , Mγ . . . Linien, die die M-Serie bilden. Im Gegensatz zu den bisher diskutierten optischen Spektren ist eine Absorption der K α -, K β -, K γ - usw. Linien jedoch nicht möglich, da die entsprechenden Endzustände durch Elektronen besetzt sind. Durch Absorption eines Photons kann ein (1s)-Elektron also nur in einen der obersten unbesetzten gebundenen Zustände oder in den kontinuierlichen Energiebereich oberhalb der Ionisierungsgrenze übergehen. Da die Energiedifferenzen der Terme für große Hauptquantenzahlen n vernachlässigbar klein sind, kann ein (1s)-Elektron durch Photonabsorption praktisch nur in das Seriengrenzkontinuum überwechseln. Somit gibt es Röntgenlinien nur in Emission und nicht in Absorption, und die Röntgenabsorptionsspektren bestehen ausschließlich aus Seriengrenzkontinua, deren Grenzlinien Absorptionskanten heißen.

11.5

Atombau und das Periodensystem der Elemente

443

Schalen und Teilschalen Jedes Atomelektron beschreiben wir durch seine Energie, seinen Bahndrehimpuls und seinen Spin, wobei die Angabe der entsprechenden Quantenzahlen n, l, m l und m s genügt. Unsere experimentellen Ergebnisse legen nahe, dass alle Atomelektronen in sogenannten Schalen und Teilschalen angeordnet sind. Eine Schale ist durch die Hauptquantenzahl n = 1, 2, 3, . . . charakterisiert, d. h., alle Elektronen mit der gleichen Hauptquantenzahl gehören zu einer Schale. Die Schalen mit n = 1, 2, 3, . . . nennen wir auch K , L, M, . . . Schalen. Teilschalen hingegen werden durch die Quantenzahlen (nl) charakterisiert. Eine Schale mit der Hauptquantenzahl n besitzt dann entsprechend den Werten der Drehimpulsquantenzahl l = 0, 1, . . . , n − 1 genau n Teilschalen. Da es zu jeder Bahndrehimpulsquantenzahl l genau 2l +1 Werte der magnetischen Quantenzahl m l = l, l −1, . . . 1, 0, −1, . . .−l +1, −l und zu jedem Zahlenpaar (l, m l ) genau zwei magnetische Spinquantenzahlen m s = ±1/2 gibt, haben in der Teilschale (nl) genau 2(2l + 1) Elektronen Platz. Die Maximalzahl der Elektronen in der Schale mit der Hauptquantenzahl n beträgt dann: n−1 

2 · (2 l + 1) = 2 n 2

(11.47)

l=0

Wie viele Elektronen sich in einer Teilschale befinden, geben wir durch eine hochgestellte Zahl an. So bedeutet z. B. (2 p)2 , dass in der Teilschale (2 p) 2 Elektronen vorhanden sind.

Beispiel 11.6 Schalen und Teilschalen • In der Teilschale (2 p) mit l = 1 haben also 2 · (2 · 1 + 1) = 6 und in der Teilschale (4d) mit l = 2 haben insgesamt 2 · (2 · 2 + 1) = 10 Elektronen Platz. • Ferner befinden sich in der K -Schale mit n = 1 insgesamt 2·12 = 2 Elektronen, während in der L-Schale mit n = 2 die Gesamtzahl der Elektronen 2 · 22 = 8 beträgt.  Tab. 11.1 Edelgaskonfigurationen Elektronenkonfiguration

Z

Element

1. Ionisierungsenergie / eV

(1s)2

2 10 18 36 54 86

He Ne Ar Kr Xe Rn

24, 58 21, 56 15, 76 14, 00 12, 13 10, 75

(2s)2 (2 p)6 (3s)2 (3 p)6 (4s)2 (3d)10 (4 p)6 (5s)2 (4d)10 (5 p)6 (6s)2 (4 f )14 (5d)10 (6 p)6

444

11 Atom- und Quantenphysik

Schließlich heißen die Elektronenkonfigurationen der Tab. 11.1 Edelgaskonfigurationen. Diese Elektronenkonfigurationen sind dadurch ausgezeichnet, dass alle Teilschalen von (1s) bis jeweils (np) voll besetzt sind und sich bei ihnen alle Bahndrehimpulse und Spins der Elektronen und damit alle magnetischen Momente kompensieren, weshalb für diese Atome der Gesamtdrehimpuls der Elektronenhülle J verschwindet. Ferner besitzen Edelgase eine kugelsymmetrische Ladungsverteilung und eine relativ hohe 1. Ionisierungsenergie (siehe Tab. 11.1), d. i. diejenige Energie, die man dem Atom zuführen muss, um das 1. Elektron herauszulösen. Deshalb sind sie besonders stabil. Nur bei Helium und Neon sind die Schalen vollständig besetzt, die übrigen Edelgase besitzen lediglich abgeschlossene Teilschalen. Offenbar ist für die Stabilität der Edelgase nur entscheidend, dass sie abgeschlossene Teilschalen besitzen. Ferner stellt sich anhand der Tab. 11.1 die Frage, wie die Elektronen konkret auf die einzelnen Teilschalen verteilt werden und in welcher Reihenfolge die Teilschalen gefüllt werden? Zur Verteilung der Elektronen auf die Teilschalen Zur Verteilung der Atomelektronen auf die einzelnen Schalen und Teilschalen sind das PauliPrinzip, die Hund’sche Regel sowie die energetische Reihenfolge der Teilschalen wichtig, die in Abb. 11.23 dargestellt ist. Nach dem Pauli-Prinzip müssen sich je zwei Elektronen in mindestens einer Quantenzahl unterscheiden. Zwei Elektronen mit gleichen Quantenzahlen n, l und m l , die sich jedoch in der magnetischen Spinquantenzahl m s unterscheiden, die, wie man sagt, „entgegengesetzte Spins“ besitzen, heißen gepaarte Elektronen. Gepaarte Elektronen besetzen dasselbe Orbital, das eindeutig durch die Quantenzahlen (n, l, m l ) definiert ist. Die Teilschale (2 p) besitzt also 2l + 1 = 3 Orbitale. Nach der Hund’schen Regel werden die Teilschalen so

Abb. 11.23 Energetische Reihenfolge der Teilschalen

11.5

Atombau und das Periodensystem der Elemente

445

Tab. 11.2 Quantenzahlen und Elektonenkonfigurationen der K - und L-Schalen Schale n

l

ml

ms

Elektronenkonfiguration

Element

K

0 0

0 0

+ 1/2 - 1/2

(1s)1 (1s)2

1H

+ 1/2 - 1/2 ··· + 1/2 + 1/2 + 1/2 - 1/2 - 1/2 - 1/2

(1s)2 (2s)1

3 Li

(1s)2 (2s)2 ··· (1s)2 (2s)2 (2 p)1 (1s)2 (2s)2 (2 p)2 (1s)2 (2s)2 (2 p)3 (1s)2 (2s)2 (2 p)4 (1s)2 (2s)2 (2 p)5 (1s)2 (2s)2 (2 p)6

4 Be

L

1 1 2 2 ··· 2 2 2 2 2 2

0 0 ··· 1 1 1 1 1 1

0 0 ··· 1 0 -1 1 0 -1

2He

··· 5B 6C 7N 8O 9F 10 N e

besetzt, dass man die größtmögliche Anzahl ungepaarter Elektronen erreicht. In Tab. 11.2 ist das Auffüllen der K - und L-Schalen, d. h. die Elektronenkonfiguration und Quantenzahlen der Elektronen für die Elemente von Wasserstoff bis Neon, gezeigt. Elektronenkonfigurationen und Atomzustände von Mehrelektronenatomen Wie bereits diskutiert, können die Alkaliatome als effektive „Einelektronenatome“ betrachtet werden, bei denen nur ein Elektron für die Charakterisierung der Atomzustände maßgeblich ist. Im Folgenden betrachten wir Verallgemeinerungen auf Mehrelektronenatome. Beim Heliumatom besetzen beide Elektronen im Grundzustand die K -Schale, die Elektronenkonfiguration lautet also (1s)2 . Regen wir das Heliumatom an, so bleibt in der Regel ein Elektron in der K -Schale, während das andere in eine höhere Schale wechselt. Mögliche angeregte Zustände sind (1s)1 (2s)1 oder (1s)1 (2 p)1 , wobei das 2. Elektron in die Teilschale (2s) bzw. (2 p) wechselt. Die Bahndrehimpulse l1 und l2 beider Elektronen koppeln zum Gesamtbahndrehimpuls L der Elektronenhülle gemäß L = l1 + l2 , der den Betrag

 = | L|



L(L + 1) · 

(11.48)

(11.49)

besitzt, wobei die Gesamtbahndrehimpulsquantenzahl L ≥ 0 die Werte L = l1 + l2 , l1 + l2 − 1, . . . , |l1 − l2 |

(11.50)

446

11 Atom- und Quantenphysik

annehmen kann. Sie bestimmt den Termcharakter, d. h., zu den Quantenzahlen L = 0, 1, 2, . . . gehören die Terme S, P, D, . . .. Analog koppeln die Spins s1 und s2 beider Elektronen zum Gesamtspin S gemäß S = s1 + s2 mit dem Betrag

 = | S|



(11.51)

S(S + 1) · ,

(11.52)

wobei die Gesamtspinquantenzahl S ≥ 0 die Werte S = s1 + s2 , |s1 − s2 | d. h. S = 1/2 ± 1/2,

(11.53)

also S = 0 oder S = 1, annimmt. Somit besitzt das Heliumatom Terme mit der Multiplizität 1 und 3, die man Singulett- und Triplett-Systeme nennt. In Mehrelektronenatomen können allgemeiner entsprechend den Werten 2S + 1 folgende Multiplizitäten auftreten: 2 Elektronen: 3 Elektronen: 4 Elektronen: 5 Elektronen:

S S S S

=0 = 1/2 =0 = 1/2

Singulett Duplett Singulett Dublett

S S S S

=1 = 3/2 =1 = 3/2

Triplett Quartett Triplett Quartett

S=2 S = 5/2

Quintett Sextett

Schließlich koppeln der Gesamtbahndrehimpuls L und der Gesamtspin S zum Gesamtdrehimpuls J = L + S mit dem Betrag  | J| = J (J + 1) · , (11.54) wobei die Gesamtdrehimpulsquantenzahl J ≥ 0 die Werte J = L + S, L + S − 1, . . . , |L − S|

(11.55)

annehmen kann. Für das Heliumatom gilt z. B.: J = L f¨ur das Singulettsystem J = L + 1, L, |L − 1| f¨ur das Triplettsystem

(11.56)

Im Triplettsystem des Heliumatoms spalten also alle Terme mit L = 0 in drei Terme auf, die sich in der Gesamtdrehimpulsquantenzahl J unterscheiden. Für L = 0 ist J = 1, weshalb die nS-Terme im Triplettsystem einfach sind.

11.5

Atombau und das Periodensystem der Elemente

447

Auswahlregeln bei optischen Übergängen Wir finden schließlich, dass optische Übergänge nicht zwischen beliebigen Termen eines Mehrelektronenatoms möglich sind, sondern dass auch hier sogenannte Auswahlregeln zu erfüllen sind. Diese lauten: J = 0, ±1 S = 0 L = 0 , ±1 l = ±1  j = 0, ±1

¨ Uberg¨ ange J = 0 =⇒ J  = 0 sind verboten (11.57) f¨ur ein Einzelelektron f¨ur ein Einzelelektron bei jj-Kopplung

Bemerkung: L = 0 bedeutet, dass sich die Bahndrehimpulsquantenzahlen von zwei Elektronen gleichzeitig und entgegengesetzt ändern, was nur bei starker Kopplung möglich ist. Ferner bedeutet S = 0, dass es keine optischen Übergänge zwischen Zuständen mit verschiedenem Gesamtspin gibt, wie z. B. dem Singulett- und Triplettsystem (siehe Abb. 11.24).  Das Termschema des Heliumatoms Als ein Beispiel ist in Abb. 11.24 das Termschema des Heliumatoms gezeigt. Das Helium im Singulett-Zustand heißt auch Parahelium und im Triplett-Zustand Orthohelium. Beim Termschema des Paraheliums sind alle Terme einfach, d. h., es gibt keine Feinstruktur im zugehörigen Spektrum. Dagegen findet man beim Orthohelium wie bei den Alkaliatomen eine Feinstruktur, die von der Aufspaltung der Terme mit L = 0 in drei Terme herrührt. Aus Gründen der Einfachheit wurde in der Abbildung jedoch die Aufspaltung der Terme nicht dargestellt, sondern nur in der Bezeichnungsweise der Terme, wie z. B. 2 3 P2,1,0 , darauf hingewiesen, wobei die unteren Indizes für die Werte der Gesamtdrehimpulsquantenzahl, z. B. J = 2, 1, 0, stehen. Im Grundzustand des Heliumatoms befinden sich beide Elektronen in der K -Schale. Die Grundzustandskonfiguration lautet also (1s)2 . Aus ihren Hauptquantenzahlen n 1 = n 2 = 1 folgt dann für die Bahndrehimpulsquantenzahlen l1 = l2 = 0 und die magnetischen Quantenzahlen m l1 = m l2 = 0. Nach dem Pauli-Prinzip müssen sich dann aber die beiden Elektronen in der magnetischen Spinquantenzahl unterscheiden, d. h., es gilt: m s1 = +1/2 und m s2 = −1/2. Deshalb koppeln beide Spins zum Gesamtspin mit S = 0, während wir für die Gesamtbahndrehimpulsquantenzahl L = 0 erhalten. Gesamtbahndrehimpuls und Gesamtspin koppeln dann zum Gesamtdrehimpuls mit J = L + S = 0. Für die Multiplizität erhalten wir 2S + 1 = 1, sodass der Grundzustand beschrieben durch 1 1 S0 . Er gehört also zum Parahelium. Wenn jedoch ein Elektron in der K -Schale bleibt und das andere in die Teilschale (2s) wechselt, dann lautet die Elektronenkonfiguration (1s)1 (2s)1 . Für ihre Quantenzahlen erhalten wir dann: n 1 = 1, n 2 = 2, l1 = l2 = 0 und m l1 = m l2 = 0. Da die Elektronen sich bereits in der Hauptquantenzahl unterscheiden, können nun die beiden Spins zum Gesamt-

448

11 Atom- und Quantenphysik

Abb. 11.24 Das Termschema des Heliumatoms und mögliche optische Übergänge

spin mit den Quantenzahlen S = 0 oder S = 1 koppeln. Mit der Gesamtdrehimpulsquantenzahl L = 0 erhalten wir dann J = 0 oder J = 1. Je nach Kopplung der Drehimpulse kann also die Elektronenkonfiguration (1s)1 (2s)1 zum Singulettzustand 2 1 S0 oder zum Triplettzustand 2 3 S1 führen (siehe Abb. 11.24). Beide Zustände haben jedoch aufgrund der Auswahlregeln eine besondere Eigenschaft: Wegen der Auswahlregel S = 0 sind keine Interkombinationen zwischen dem Parahelium und dem Orthohelium erlaubt, d. h., die optischen Übergänge vom tiefsten Triplettzustand 2 3 S1 in den Grundzustand 1 1 S0 oder vom Singulettzustand 2 1 S0 in den Tripplettzustand 2 3 S1 sind verboten. Ferner folgt aus der Auswahlregel L = ±1, dass auch kein optischer Übergang zwischen dem zweittiefsten Singulettzustand 2 1 S0 und dem Grundzustand 1 1 S0 möglich ist. Beide Zustände 2 1 S0 und 2 3 S1 sind deshalb metastabil, d. h., ihre Lebensdauer ist lang im Vergleich zur üblichen Lebensdauer von 10−8 s eines angeregten Zustandes. Das Heliumatom verweilt also relativ lange in diesen beiden metastabilen Zuständen. Zur Bestimmung des Grundzustandes von Atomen Im Folgenden betrachten wir Grundzustandskonfigurationen von Atomen, das sind solche Elektronenkonfigurationen, bei denen die energetisch niedrigsten Atomzustände eines

11.5

Atombau und das Periodensystem der Elemente

449

Atoms besetzt sind. Die Grundzustände des Wasserstoffatoms 1 2 S1/2 , des Natriumatoms 3 2 S1/2 und des Heliumatoms 1 1 S0 haben wir bereits diskutiert. Wie aber kann man für die anderen Atome die Grundzustände n 2 S+1 L J bestimmen? Hierzu gelten die folgenden Regeln: (1) Die Bahndrehimpulse und Spins der Elektronen in einer voll besetzten Teilschale heben sich gegenseitig auf und tragen damit nicht zum Gesamtdrehimpuls bei. Es sind also nur die Elektronen in einer angebrochenen Teilschale zu berücksichtigen. (2) Entsprechend der Hund’schen Regel werden Elektronen mit gleicher Bahndrehimpulsquantenzahl l so auf eine Teilschale verteilt, dass der resultierende Gesamtspin maximal wird, d. h., dass Spinabsättigung erst erfolgt, wenn mehr als die Hälfte der Elektronen einer Teilschale vorhanden sind. Zunächst werden also Elektronen mit „Spin-up“ (m s = +1/2) eingebaut. Addiert man schließlich alle m s -Werte, so erhält man die Gesamtspinquantenzahl S ≥ 0. (3) Unter Berücksichtigung des Pauli-Prinzips werden nun die m l -Werte so zugeordnet, dass sich bei ihrer Addition ein Maximum ergibt. Die Summe der m l -Werte ergibt die Gesamtbahndrehimpulsquantenzahl L ≥ 0. (4) Ist in der betrachteten Schale oder Teilschale mehr als die Hälfte der Elektronen vorhanden, so ist die Gesamtdrehimpulsquantenzahl des Grundzustandes gegeben durch J = L + S, ansonsten durch J = |L − S|.

Merke:

• Je höher die Multiplizität 2S + 1 ist, desto mehr Spins stehen parallel. • Zustände mit höherer Multiplizität liegen energetisch niedriger. So liegen TriplettZustände tiefer als die entsprechenden Singulett-Zustände (siehe Abb. 11.24). 

Beispiel 11.7 Zum Grundzustand von Atomen Als ein Beispiel betrachten wir die Bestimmung des Grundzustandes von Kobalt 27 Co mit der Ordnungszahl Z = 27. Die diesbezügliche Elektronenkonfiguration lautet: (1 s)2 (2 s)2 (2 p)6 (3 s)2 (3 p)6 (4 s)2 (3d)7 Da die vollen Teilschalen (1s), (2s), (2 p), (3s), (3 p) und (4s) keinen Beitrag liefern, sind nur die Elektronen in der angebrochenen (3d) Teilschale zu berücksichtigen, die mit maximal 10 Elektronen aufgefüllt werden kann. Die Elektronen werden nun so in diese Teilschale eingebaut, dass nach der Regel 2 Spinabsättigung erst ab dem 6. eingebauten Elektron erfolgt. Damit sich nach der Regel 3 bei der Addition der m l -Werte ein Maximum ergibt, ordnen wir dem ersten Elektron die magnetische Quantenzahl m l = 2, dem zweiten m l = 1 usw. zu (siehe Tab. 11.3).

450

11 Atom- und Quantenphysik

Tab. 11.3 Die Quantenzahlen der Elektronen in der (3d)-Teilschale n

l

ml

ms

3 3 3 3 3 3 3

2 2 2 2 2 2 2

2 1 0 −1 −2 2 1

1/2 1/2 1/2 1/2 1/2 −1/2 −1/2

Addieren wir nun die m l -Werte und die m s -Werte, so erhalten wir die Gesamtbahndrehimpulsquantenzahl L = 3 und die Gesamtspinquantenzahl S = 3/2. Da schließlich die (3d) Teilschale mehr als zur Hälfte besetzt ist, folgt nach der Regel 4 für die Gesamtdrehimpulsquantenzahl J = L + S = 3 + 3/2 = 9/2. Der Grundzustand von Kobalt wird also beschrieben durch 3 4 F9/2 . Analog erhalten wir die Grundzustände von Bor 2 2 P1/2 , Sauerstoff 2 3 P2 oder Lutetium 5 2 D3/2 (siehe Abb. 11.25(a)). 

11.5.5 Das Periodensystem der Elemente Schließlich ist in Abb. 11.25(a und b) das Periodensystem der Elemente mit den Grundzuständen, den Elektronenkonfigurationen und den Ionisierungsenergien der Atome bis zur Ordnungszahl 105 dargestellt13 . Die Ionisierungsenergie entspricht der Energie, die einem Atom zugeführt werden muss, um das erste Elektron herauszulösen. Sie nimmt i. Allg. mit wachsender Kernladung zu und mit wachsendem Atomradius ab, da die inneren Elektronen die Kernladung mehr oder weniger stark abschirmen. Ferner hängt die Ionisierungsenergie davon ab, wie stark das am wenigsten gebundene Elektron in die Elektronenwolke der inneren Elektronen eindringt. Hierbei nähern sich s-Elektronen mehr dem Kern an als pElektronen derselben Schale, während sich ein d-Elektron noch weniger dem Kern nähert als ein p-Elektron usw. Die äußersten Elektronen spielen bei chemischen Bindungen eine entscheidende Rolle und werden Valenzelektronen genannt [27]. Die Eigenschaften der Elemente wie Atom- und Ionenradien, Brechungsindex, Dichte, Ionisierungsenergie, elektrische und thermische Leitfähigkeit, Schmelz- und Siedepunkt, Elektronegativität oder Verdampfungswärme, die letztlich von der Elektronenkonfiguration bestimmt werden, ändern sich periodisch mit zunehmender Ordnungszahl. Elemente mit ähnlichen Eigenschaften werden im Periodensystem in senkrechten Spalten angeordnet, die man Gruppen nennt, während eine Zeile von Elementen Periode heißt. So enthält z. B. die erste Periode nur die Elemente Wasserstoff und Helium. 13 Periodic Table: Atomic Properties of the Elements (Version 13), NIST SP 966, 2018.

11.5

Atombau und das Periodensystem der Elemente

451

In Abhängigkeit von der Elektronenkonfiguration unterscheiden wir die Elementtypen: Hauptgruppenelemente, Übergangselemente und die inneren Übergangselemente. Das Periodensystem enthält acht Hauptgruppen: Alkalimetalle (Gruppe I), Erdalkalimetalle (Gruppe II), Borgruppe (Gruppe III), Kohlenstoff-Silizium-Gruppe (Gruppe IV), Stickstoff-PhosphorGruppe (Gruppe V), Chalkogene (Gruppe VI), Halogene (Gruppe VII) und die Edelgase (Gruppe VIII). Zu den inneren Übergangselementen gehören die Lathaniden (Seltene Erden) und Actiniden. Die Zuordnung eines Elements zu einer dieser Gruppen wird durch die Besetzung der Teilschalen bestimmt. Bei den Atomen der Hauptgruppenelemente sind die (ns)- und (np)Teilschalen der inneren Schalen vollständig besetzt, während die (nd)-Teilschale der zweitäußersten Schale entweder unbesetzt (Alkali- und Erdalkalimetalle) oder ebenfalls vollständig besetzt sind (alle anderen Hauptgruppenelemente). Bei den Übergangselementen sind die beiden äußersten Schalen nicht vollständig besetzt, wobei in der zweitäußersten Schale die (nd)-Teilschale aufgefüllt wird. Diese d-Elektronen und die äußersten s-Elektronen bilden die Valenzelektronen. Schließlich wird bei den inneren Übergangselementen die (4 f )bzw. (5 f )-Teilschale der drittäußersten Schale besetzt, während die Zahl der Elektronen der zweitäußersten und der äußersten Schale im Wesentlichen konstant bleiben. Alkalimetalle zeichnen sich dadurch aus, dass sie jeweils ein einzelnes, schwach gebundenes s-Valenzelektron in einer neu begonnenen Schale besitzen. Damit sind sie leicht durch Abgabe dieses Valenzelektrons zu ionisieren, wobei sie ein einfach positiv geladenes Ion (Kation) bilden. Sie besitzen ein niedriges Ionisierungspotential und sind chemisch einwertig. In jeder Periode hat das Element der 1. Hauptgruppe den größten Atom - bzw. Ionenradius. Wegen ihrer relativen Größe und der geringen Ionenladung bilden Alkaliatome Ionenverbindungen und haben nur eine geringe Tendenz zur Bildung von Komplexen. Die Erdalkalimetalle sind leichte, mit Ausnahme des sehr harten Berylliums nur mäßig harte Metalle von guter elektrischer Leitfähigkeit. Sie bilden zweiwertige positive Ionen, und die zur Abspaltung eines zweiten Elektrons benötigte Energie ist sehr viel höher als die erste Ionisierungsenergie. Wegen der höheren Kernladung hat ein Erdalkaliatom einen kleineren Radius als dasjenige Alkaliatom in der gleichen Periode. Aufgrund der beiden Valenzelektronen ist die Bindung im Metall fester, was sich in höheren Schmelz- und Siedepunkten, Dichten und Härten der Erdalkalimetalle im Vergleich zu den Alkalimetallen zeigt. Der Radius des Boratoms ist erheblich kleiner als die Radien der Atome der anderen Elemente der Gruppe III, weshalb sich Bor sehr stark von den übrigen Elementen dieser Gruppe unterscheidet. Die Ionisierungsenergien für Bor sind wegen der geringen Atomgröße so hoch, dass es als einziges Element dieser Gruppe keine freien Ionen der Ladung +3 bildet, die wir eigentlich für die Valenzelektronenkonfiguration (ns)2 (np)1 erwarten. In Borverbindungen sind die Atome kovalent gebunden (siehe Abschn. 10.2.2), während bei den Verbindungen der übrigen Elemente dieser Gruppe kovalente Bindungen oder Ionenbindungen vorkommen. Gallium, Indium und Thallium können auch Ionen der Ladung +1 bilden.

452

11 Atom- und Quantenphysik

Abb. 11.25 (a) Elektronenkonfigurationen und Grundzustände der Elemente 1 bis 54

11.5

Atombau und das Periodensystem der Elemente

Abb. 11.25 (b) Elektronenkonfigurationen und Grundzustände der Elemente 55 bis 105

453

454

11 Atom- und Quantenphysik

Die Elemente der Gruppe IV besitzen aufgrund der Valenzelektronenkonfiguration (ns)2 (np)2 die Wertigkeiten oder Oxidationszahlen +II und +IV. Daher bilden alle Elemente dieser Gruppe Dioxide wie Sn O2 , GeO2 oder PbO2 . Die ersten beiden Elemente dieser Gruppe, Kohlenstoff und Silizium, nehmen eine besondere Stellung ein. Sie verdanken diese ihrer Elektronenkonfiguration und ihrer Atomgröße. Da die vier Valenzelektronen bei der Bildung von Atomverbänden gleichwertig werden, ergibt sich für die vier, durch Kovalenzbindungen an das C- bzw. Si-Atom, gebundenen Liganden eine hohe Symmetrie in Bezug auf die räumliche Struktur und Ladungsverteilung. Die symmetrische Ladungsverteilung und damit verbunden die weder besonders hohe noch kleine Elektronegativität bewirken, dass für Kohlenstoff die Bindungen gleicher Atome untereinander und die Bindungen zwischen Wasserstoff- und Kohlenstoffatomen bei Raumtemperatur sehr beständig und für Silizium die Bindungen mit Sauerstoff besonders stabil sind. Wie auch bei anderen Elementgruppen nimmt der Metallcharakter mit zunehmender Ordnungszahl zu. In der Gruppe V ist diese Tendenz, dass der metallische Charakter der Elemente mit zunehmender Ordnungszahl zunimmt, besonders ausgeprägt. Die erste Ionisierungsenergie beim Stickstoff entspricht den typischen Werten für Nichtmetalle, während Wismut eine Ionisierungsenergie hat, die für ein Metall charakteristisch ist. Den Elementen der Gruppe V fehlen drei Elektronen zur Edelgaskonfiguration, weshalb man die Bildung von dreifach negativen Ionen erwartet. Bei schwereren Elementen dieser Gruppe beobachtet man durch Abgabe von Elektronen die Bildung von positiven Ionen (Kationen), die für Metalle charakteristisch ist. Alle fünf Valenzelektronen können jedoch nicht abgegeben werden wegen zu hoher Ionisierungsenergien, weshalb es keine Ionen mit der Ladung +5 gibt. Die Oxidationszahlen +III und +V werden nur in kovalenten Bindungen erreicht. Den Atomen der Chalkogene fehlen zwei Elektronen zur Edelgaskonfiguration. Sie haben daher eine Tendenz, zwei Elektronen aufzunehmen. Die Elektronegativitäten nehmen mit zunehmender Ordnungszahl ab. Sauerstoff ist nach Fluor das elektronegativste Element. Deshalb sind die Bindungen in den Oxiden der meisten Elemente überwiegend ionisch (siehe Abschn. 10.2.2). Der metallische Charakter nimmt mit wachsender Ordnungszahl, der zunehmenden Atomgröße und der abnehmenden Ionisierungsenergie zu. Die Halogene Fluor, Chlor, Brom, Iod und Astatin besitzen in der äußersten Schale die Elektronenkonfiguration (ns)2 (np)5 , sodass sie ein Elektron weniger haben als die nachfolgenden Edelgase. Ihr chemisches Verhalten beruht darauf, abgeschlossene s- und pTeilschalen zu bilden, d. h. ein Elektron aufzunehmen, um ein einfach negativ geladenes Ion (Anion) zu bilden oder um eine kovalente Bindung einzugehen (siehe Abschn. 10.2.2). Somit kommen alle Halogene als zweiatomige Moleküle vor. Ihre Elektronegativität ist relativ hoch und nimmt wie die Ionisierungsenergie mit zunehmender Ordnungszahl ab. Bei den massereicheren Halogenen sind die Außenelektronen weniger fest gebunden. Mit Ausnahme des Heliumatoms mit der Elektronenkonfiguration (1s)2 besitzen alle Edelgasatome in ihrer äußersten Schale die Konfiguration (ns)2 (np)6 (siehe Tab. 11.1). Die sehr stabile Elektronenkonfiguration der Edelgase äußert sich in ihren physikalischen Eigenschaften. In jeder Periode hat das Edelgas die höchste Ionisierungsenergie. Mit zuneh-

11.5

Atombau und das Periodensystem der Elemente

455

mender Ordnungszahl werden die Elektronen in der äußeren Schale jedoch weniger stark gebunden, weshalb die Ionisierungsenergie von Helium zum Radon abnimmt. Die Anziehungskräfte zwischen den Edelgasatomen sind London-Kräfte (siehe Abschn. 10.2.2) und damit sehr gering, was sich in den niedrigen Schmelz- und Siedepunkten zeigt. Helium hat den niedrigsten Schmelz- und Siedepunkt aller Elemente. Der mit der Ordnungszahl zunehmende Atomradius führt jedoch zu einer Zunahme der London-Kräfte und damit zu einem Anwachsen der Schmelz- und Siedepunkte vom Helium zum Radon. Die Übergangselemente gehören zu den Nebengruppen des Periodensystems. Sie sind Metalle mit hohen Schmelzpunkten, Siedepunkten und Verdampfungswärmen, wobei die Elemente der zweiten Nebengruppe Zink, Cadmium und Quecksilber Ausnahmen sind. Quecksilber ist bei Raumtemperatur flüssig, Zink und Cadmium haben relativ niedrige Schmelzpunkte, und alle drei verdampfen leicht. Die Übergangselemente sind gute elektrische Leiter. Das besondere Merkmal der Übergangselemente ist die schrittweise Besetzung der (nd)-Teilschalen, deren Hauptquantenzahl um eins niedriger ist als die der äußersten Schale. Die Übergangselemente verdanken ihre Farbe und den Paramagnetismus (siehe Abschn. 10.4.4) diesen nicht aufgefüllten inneren (3d)-, (4d)- bzw. (5d)-Teilschalen (siehe Abb. 11.25(a)). Die unterschiedliche Wertigkeit folgt daraus, dass die äußeren Valenzelektronen energetisch nahe bei den inneren (nd)-Elektronen liegen, die sehr leicht zwischen den Schalen wechseln können. Die Atom- und Ionenradien der Nebengruppenelemente sind i. Allg. kleiner als die der Hauptgruppenelemente in der gleichen Periode, weshalb die Nebengruppenelemente eine vergleichsweise große Ladungsdichte besitzen. Ferner erkennt man anhand der Abb. 11.25(b), dass bei den Lathaniden (Seltenen Erden) die energetisch höher liegende (4 f )-Teilschale (siehe Abb. 11.23) aufgefüllt wird. Da sie aufgrund der vollständig gefüllten (6s)-Teilschale nach außen hin eine ähnliche Ladungsverteilung haben, besitzen sie ähnliche chemische Eigenschaften. Wie bei den Übergangselementen rühren die Farbe und der Paramagnetismus von den inneren (4 f )-Elektronen her. Bei den Actiniden wird dagegen die (5 f )-Teilschale aufgefüllt, weshalb sie ähnliche Eigenschaften wie die Lathaniden besitzen. Auch die Verbindungen von Lathaniden und Actinicen sind paramagnetisch und überwiegend farbig.

11.5.6 Hyperfeinstruktur und der Kernspin Bei einer noch höheren spektralen Auflösung finden wir eine Hyperfeinstruktur von Spektrallinien, d. h. eine weitere Aufspaltung der Terme von Atomen. Diese führen wir auf die Existenz eines Spins I und eines damit verbundenen magnetischen Moments μ  I von Atomkernen zurück. Für den Betrag des Kernspins gilt:  | I| = I (I + 1) ·  (11.58) Wie beim Bahndrehimpuls und Spin von Elektronen nimmt auch die z-Komponente Iz des Kernspins nur bestimmte, diskrete Werte an:

456

11 Atom- und Quantenphysik

Iz = m I  , m I = I , I − 1, . . . , −I

(11.59)

Die Kernspinquantenzahl I kann die Werte 0, 1/2, 1, 3/2, 2, . . . annehmen. Für das mit dem Kernspin verbundene magnetische Dipolmoment gilt (vgl. Abschn. 11.5.2) e · I 2mp

(11.60)

 e · | I| = g I · I (I + 1) · μk . 2mp

(11.61)

μ  I = gI · mit dem Betrag |μ  I | = gI · Hierin bezeichnen μk =

e = 5, 050 783 746 1 · 10−27 Am 2 2mp

(11.62)

das Kernmagneton14 , das wir als Einheit des magnetischen Kernmoments verwenden und g I den g-Faktor des Kernes. Im Fall g I > 0 hat das magnetische Kernmoment die gleiche Richtung wie der Spin, ist dagegen der g-Faktor negativ g I < 0, so zeigen Kernspin und magnetisches Kernmoment entgegengesetzt zueinander. So hat z. B. der Kern des Wasserstoffatoms, das Proton, den Spin I = 1/2 und den g-Faktor g I = +5, 585 694 689 3, weshalb beim Proton Kernspin und magnetisches Dipolmoment in die gleiche Richtung zeigen. Das magnetische Moment μ  J des Gesamtdrehimpulses der Elektronenhülle und das magnetische Kernmoment μ  I wechselwirken miteinander. Einerseits führt diese Wechselwirkung zur Hyperfeinstrukturaufspaltung der Atomzustände, die etwa tausendmal kleiner ist als die Feinstrukuraufspaltung, und andererseits zur Kopplung des Gesamtdrehimpulses J der Elektronenhülle und des Kernspins I zum Gesamtdrehimpuls F des Atoms F = J + I mit dem Betrag

 = | F|



F(F + 1) · ,

(11.63)

(11.64)

wobei die Gesamtdrehimpulsquantenzahl F die Werte F = J + I , J + I − 1, . . . , |J − I |

(11.65)

annehmen kann.

14 CODATA Internationally recommended 2018 Values of the Fundamental Physical Constants.

11.5

Atombau und das Periodensystem der Elemente

457

Abb. 11.26 Zur Hyperfeinstrukturaufspaltung des Wasserstoffgrundzustandes

Als ein Beispiel betrachten wir die Hyperfeinstrukturaufspaltung beim Wasserstoffatom. Die Spins des Protons I = s = 1/2 und des Elektrons J = s = 1/2 können im Grundzustand parallel oder antiparallel sein, weshalb wir nach (11.65) die Quantenzahlen F = 1/2 + 1/2 = 1 (parallel) und F = 1/2 − 1/2 = 0 (antiparallel) erhalten. Die Hyperfeinstrukturaufspaltung des Grundzustandes 1 2 S1/2 ist in Abb. 11.26 dargestellt.

A

Das Periodensystem

Abb. A.1 Das Periodensystem der Elemente. (Periodic Table: Atomic Properties of the Elements (Version 13), NIST SP 966, 2018) © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Rufa, Physik für Studierende der Biowissenschaften, Chemie und Medizin, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61258-3

459

B

Naturkonstanten

Naturkonstanten1 kommen in unseren physikalischen Gesetzmäßigkeiten vor, ohne dass unsere physikalischen Theorien ihre Werte vorhersagen könnten. Sie müssen also gemessen werden bis auf die Naturkonstanten, über die wir heute die SI-Einheiten festlegen und die per Definition exakt sind (siehe Kap. 1). Die folgende Tabelle enthält die wichtigsten Naturkonstanten, die in diesem Buch vorkommen, mit der zurzeit gültigen Genauigkeit. Vakuumlichtgeschwindigkeit Gravitationskonstante Atomare Masseneinheit Avogadro-Konstante Boltzmann-Konstante Universelle Gaskonstante Elementarladung Elektrische Feldkonstante Magnetische Feldkonstante Ruhemasse des Elektrons Ruhemasse des Protons Ruhemasse des Neutrons Planck’sches Wirkungsquantum Compton-Wellenlänge Rydberg-Konstante Bohr’scher Radius Bohr’sches Magneton Kernmagneton g-Faktor des Elektrons g-Faktor des Protons

c = 299 792 458 m/s (exakt) G = 6,674 30 · 10−11 N m 2 /kg 2 u = 1,660 539 066 60 · 10−27 kg N A = 6,022 140 76 · 1023 1/mol (exakt) k = 1,380 649 · 10−23 J /K (exakt) R = 8,314 462 618 . . . J /K mol (exakt) e = 1,602 176 634 · 10−19 C (exakt) 0 = 8,854 187 812 8 · 10−12 C 2 /N m 2 μ0 = 1,256 637 062 12 · 10−6 N /A2 m e = 9,109 383 701 5 · 10−31 kg m p = 1,672 621 923 69 · 10−27 kg m n = 1,674 927 498 04 · 10−27 kg h = 6,626 070 15 · 10−34 J s (exakt) λc = 2,426 310 238 67 · 10−12 m R∞ = 13,605 693 122 994 eV a0 = 0,529 177 210 903 · 10−10 m μ B = 9,274 010 078 3 · 10−24 Am 2 μk = 5,050 783 746 1 · 10−27 Am 2 ge = 2,002 319 304 362 56 g p = 5,585 694 689 3

1 CODATA Internationally recommended 2018 Values of the Fundamental Physical Constants

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Rufa, Physik für Studierende der Biowissenschaften, Chemie und Medizin, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61258-3

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Literatur

1. Rufa, G.: Übungsbuch Physik für Studierende der Biowissenschaften, Chemie und Medizin. Springer (2020) 2. Feynman, R.P., Leighton, R.B., Sands, M.: Vorlesungen über Physik. Akademische Verlagsgesellschaft (1980) 3. Bethge, K., Schröder, U.F.: Elementarteilchen und ihre Wechelwirkungen. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt (1986) 4. Tanabashi, M. et al.: (Particle Data Group), (2018) and 2019 update. Phys. Rev. D 98, 030001 5. Walcher, W.: Praktikum der Physik. Teubner Studienbücher Physik (1971) 6. Physikalisch Technische Bundesanstalt: Das neue Internationale Einheitensystem (SI). (2017) 7. Physikalisch Technische Bundesanstalt: Leitfaden für den Gebrauch des Internationalen Einheitensystems. (1996) 8. International Council of Scientific Unions (ICSU): Internationally recommended 2018 Values of the Fundamental Physical Constants. (2018) 9. Physikalisch Technische Bundesanstalt: Die gesetzlichen Einheiten in Deutschland. (2016) 10. Kramida, A., Olsen, K., Ralchenko, Y.: Periodic Table: Atomic Properties of the Elements (Version 13), NIST SP 966. (2018) 11. Bourne, D.E., Kendall, P.C.: Vektoranalysis. Teubner Studienbücher (1967) 12. Luh, W.: Mathematik für Naturwissenschaftler II, Studientext. AULA-Verlag, Wiesbaden (1982) 13. Gerthsen, C., Kneser, H.O., Vogel, H.: Physik. Springer (1989) 14. Seibt, W.: Physik für Mediziner. Thieme (1986) 15. Kittel, J.C., Knight, W., Ruderman, M.A.: Berkeley Physik Kurs 1, Mechanik. Vieweg (1975) 16. Goldstein, H.: Klassische Mechanik. Akademische Verlagsgesellschaft (1974) 17. Scheck, F.: Theoretische Physik 1, Mechanik. Springer (2003) 18. Crawford, F.S.: Berkeley Physik Kurs 3, Schwingungen und Wellen. Vieweg (1974) 19. Purcell, E.M.: Berkeley Physik Kurs 2, Elektrizität und Magnetismus. Vieweg (1976) 20. Scheck, F.: Theoretische Physik 3, Klassische Feldtheorie. Springer (2004) 21. Jackson, J.D.: Classical Electrodynamics. Wiley (1962) 22. Haken, Wolf: Atom- und Quantenphysik. Springer (1996) 23. Finkelnburg W.: Einführung in die Atomphysik. Springer (1976) 24. Wichmann, E.H.: Berkeley Physik Kurs 4, Quantenphysik. Vieweg (1974) 25. Scheck, F.: Theoretische Physik 2, Nichtrelativistische Quantenmechanik. Springer (2006) © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Rufa, Physik für Studierende der Biowissenschaften, Chemie und Medizin, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61258-3

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Stichwortverzeichnis

Symbols g-Faktor, 434, 456 n-Tupel, 14, 18

A Abbildung, 38 optische, 331 Abbildungsfehler, 337 Abbildungsgleichung, 335 Abbildungsmaßstab, 335 Aberration chromatische, 338 sphärische, 338 Abklingvorgang, 266 Abklingzeit, 259, 261 Absorption, 318 Absorptionskante, 442 Absorptionskoeffizient, 319 Absorptionsspektrum, 319, 430 Achse, optische, 333, 337 Actiniden, 455 Adhäsionskräft, 183 Adiabatenexponent, 211, 227 Aggregatzuständ, 170 Akkommodationsbreite, 339 Aktionsprinzip, 58 Aktivität, 425 Alkaliatom, 440 Alkalimetalle, 451 Alterssichtigkeit, 340 Ampere’sches Gesetz, 379

Amplitude, 251, 254, 258, 263, 288 Amplitudenmodulation, 272 Analyse, spektrale, 316 Anion, 454 Anomalie von Wasser, 221 Antiteilchen, 423 Äquipartitionstheorem, 203 Äquipotentialflächen, 361 Arbeit, 92 Astigmatismus, 338 Atom, 4, 408 Atombau, 429 Atomebene, 317 Atomhülle, 5, 408 Atomkern, 408 Atommasse, 411 relative, 198, 411 Atomspektrum, 429 Atomzuständ entartete, 437, 439 Atomzustände, 430, 439 des Wasserstoffatoms, 437 Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichte räumliche, 428 radiale, 428 Auflösung, 316 Auflösungsvermögen, 314, 316 spektrales, 316, 317 Auftriebskraft, 181 Auge, 339 Ausdehnungskoeffizient kubischer, 221, 222

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Rufa, Physik für Studierende der Biowissenschaften, Chemie und Medizin, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61258-3

465

466 linearer, 221 Austrittsarbeit, 418 Auswahlregeln, 432, 441, 447 Avogadro’sches Gesetz, 207

B Bahndrehimpulsquantenzahl, 433 Bahnkurve, 23, 46 Balmer-Serie, 430 Bauteile, elektrische, 374 Benetzung, 186 Bernoulli-Gleichung, 190 Beschleunigung, 53 Beschreibung von Atomzuständen, 438 Beugung, 310, 325 am Gitter, 314 am Spalt, 311 Beugungsgitter, 314 Beugungsmuster, 311 Bewegung gleichförmig geradlinige, 47, 52, 54 gleichmäßig beschleunigte, 57, 73 Bewegungsgleichung, 74, 89, 112, 151 Bezugssystem, 46, 119 Biegung, 174 Bild, 331 reelles, 331, 335 virtuelles, 331, 335 Bildgröße, 335 Bildkonstruktion, 336 Bildpunkt, 331 Bildweite, 335 Bindung chemische, 355 ionische, 356 kovalente, 356 metallische, 356 Bindungsenergie, 171, 344 Binnendruck, 212 Biot-Savart’sches Gesetz, 380 Bogenmaß, 16 Bohr’scher Radius., 428 Bohr’sches Magneton, 434 Boltzmann-Konstante, 102, 200, 232 Borgruppe, 451 Bosonen, 423 Bragg-Bedingung, 318 Bragg-Reflexion, 318

Stichwortverzeichnis Brechkraft, 334 Brechung, 307, 333 Brechungsgesetz, 309, 328 Brechungsindex, 325 Brechungswinkel, 309 Brechzahl, 326 Bremsstrahlung, 418 Brennpunkt bildseitiger, 333 gegenstandsseitiger, 333 Brennstrahl, 337 Brennweite, 334

C Candela, 328 Carnot’scher Kreisprozess, 246 Celsius, 201 Chalkogene, 454 Compton-Effekt, 419 Compton-Wellenlänge, 419 Coriolis-Kraft, 125 Coulomb’sches Gesetz, 346 Coulomb-Kraft, 343, 346, 379 Coulomb-Reibung, 65

D Dalton’sches Gesetz, 208 Dampf, gesättigter, 216 Dampfdruck, 216 Dampfdruckkurve, 215, 216 Dämpfungskonstante, 259, 262 Dehnung, 173 Diamagnetismus, 389 Dielektrikum, 366 Dielektrizitätszahl, 366 Differentialgleichung, 83 Dimension einer Größe, 10 Dioptrie, 334 Dipol elektrischer, 353 magnetischer, 382 Dipolmoment, 353, 366 magnetisches, 382, 434, 456 permanentes, 366, 389 Dispersion, 286, 298, 309 anomale, 327 normale, 327

Stichwortverzeichnis Dissoziation, 344 Dissoziationsenergie, 344 Doppler-Effekt, 320 Drehbewegung, 108, 139 Drehimpuls, 115, 139, 158 Drehimpulserhaltung, 116, 140, 159 Drehmoment, 113 auf einen elektrischen Dipol, 354 auf einen magnetischen Dipol, 387 Drehwinkel, 109 Druck, 177, 285 hydrostatischer, 179 Druckarbeit, 233 Dynamik, 44, 112, 139

E Edelgase, 442, 454 Edelgaskonfiguration, 442, 444 Effektivwert der Wechselspannung, 399 des Wechselstromes, 400 Eigendrehung, 45, 133 Eigenfrequenz, 255 Eigenschwingung, 45, 133, 276, 300 harmonische, 302 Einfallswinkel, 307 Einhüllende, 305, 308 äußere, 305 Einheit, 7 Einheitsvektor, 21, 29 Einschwingvorgang, 266 Elastizitätsmodul, 173, 285 Elektrokardiogramm, 253 Elektrolyt, 346 Elektron, 4, 408 gepaartes, 444 virtuelles, 420 Elektronenbeugung, 413 Elektronenkonfiguration, 442 Elektronenvolt, 361 Elektrostatik, 346 Elementarladung, 343, 409 Elementarwelle, 304 Elementarzelle, 318 Elemente, chemische, 408 Elementsymbol, 408 Elongation, 251 Emissionsspektrum, 430

467 Energie, 1, 87, 256, 260 des elektrischen Feldes, 368 des magnetischen Feldes, 394 einer Welle, 291 innere, 231 kinetische, 87, 100, 133, 224 magnetische, 395 potentielle, 88, 96, 224, 359 thermische, 101, 171, 203, 223 Energiedichte, 291 des elektrischen Feldes, 369 des magnetischen Feldes, 395 des Sonnenlichtes, 293 Energieerhaltung, 103, 223 Energieerhaltungssatz, mechanischer, 103, 139 Entropie, 240 Erdalkalimetalle, 451 Erdbeschleunigung, 54 Erwärmung, isochore, 234 Euklidische Ebene, 14 Expansion isobare, 235 isotherme, 234 Extinktion, 318, 319 Extinktionskoeffizient, 319 spezifischer, 320

F Fadenpendel, 256 Fall, freier ohne Reibung, 80 unter Reibungseinfluss, 88 Faraday’sches Induktionsgesetz, 393, 394 Faraday-Käfig, 366 Farbladung, 423 Federkraft, 63 Federpendel, elastisches, 81 Feinstruktur von Spektrallinien, 432, 435 Feinstrukturenergie, 439, 440 Feld elektrisches, 348 homogen, 354 inhomogen, 355 elektromagnetisches, 283, 391 magnetisches, 380 einer Punktladung, 382 einer Spule, 384 eines geraden Leiters, 382

468 eines magnetischen Dipols, 383 Feldkonstante elektrisch, 346 magnetische, 380 Feldlinie elektrische, 352 Feldlinienbild magnetische, 382 Feldlinienbilder elektrische, 352 Feldstärke elektrische, 349 magnetische, 381 Ferromagnetismus, 390 Festkörper, 172 Feynman-Diagramm, 420 Flüssigkeit, 172 ideale, 188 reale, 188 Überhitzte, 217 Flüssigkeitslamelle, 184 Fluss, magnetischer, 392 Fourier-Koeffizient, 273 Fourier-Reihe, 273 Fraunhofer-Linie, 430 Freiheitsgrad, 280, 300 Frequenz, 85, 250 Fresnel’sche Gleichungen, 330 Fundamentalschwingung, 276, 300

G Gangunterschied, 290, 295, 312, 317 Gas, 172 ideales, 196 reales, 196, 211 unterkühltes, 217 Gaskonstante, universelle, 227, 232 Gastheorie, kinetische, 205 Gasthermometer, 202 Gay-Lussac 1. Gesetz von, 210 2. Gesetz von, 210 Gegenstandsgröße, 335 Gegenstandspunkt, 331 Gegenstandsweite, 335 Gerade, 14, 26, 32 Gesamtbahndrehimpuls, 436 Gesamtbahndrehimpulsquantenzahl, 438

Stichwortverzeichnis Gesamtdrehimpuls, 139, 456 Gesamtdrehimpulsquantenzahl, 438, 456 Gesamtdrehmoment, 147 äußeres, 139 Gesamtkraft, 133 Gesamtladung, 343 Gesamtmasse, 133 Gesamtspin, 436 Gesamtspinquantenzahl, 438 Geschwindigkeit, 51 Geschwindigkeits-Zeit-Diagramm, 53 Geschwindigkeitsprofil, 188 Gitterkonstante, 314 Gleichgewicht, thermodynamisches, 203, 236 Gleichgewichtsarten, 149 Gleichgewichtslage, stabile, 250 Gleichstrom, 369, 371 Gleitreibungskraft, 65 Gluonen, 423 Größe physikalische, 7 Größe, abgeleitete, 7 Größen Photometrische, 327 Grad, 16 Gravitation, 6 Gravitationsfeld, 70 Gravitationsgesetz, 68 Gravitationskraft, 68 Gravitationspotential, 99 Gravitationswechselwirkung, 6 Grenzfall, aperiodischer, 260 Grenzfläche konkave, 333 konvex, 333 kugelförmig, 337 Grenzwinkel der Totalreflexion, 330 Grundfrequenz, 275 Grundgröße, 7 Grundschwingung, 275, 301 Grundzustand, 431, 447, 449 Grundzustandskonfiguration, 447, 448 Gruppe, 450 Gruppengeschwindigkeit, 297, 298

H Haftreibungskraft, 65 Hagen-Poiseuille’sches Gesetz, 195

Stichwortverzeichnis Halbwertsbreite, 316 Halbwertszeit, 259, 261, 426 Halogene, 454 Hauptebene, 333 Hauptgruppenelemente, 451 Hauptquantenzahl, 437 Hauptsatz der Thermodynamik erster, 232 zweiter, 243 Heisenberg’sche Unschärferelation, 202 Heliumatom, 445 Higgs-Boson, 423 Hooke’sches Gesetz, 63, 173 Hund’sche Regel, 444, 449 Huygens-Fresnel’sches Prinzip, 305 Hydrostatik, 179 Hyperfeinstruktur, 455 Hyperfeinstrukturaufspaltung, 456 Hysteresisschleife, 390

I Impedanz, 401, 403 Impuls, 107 Impulserhaltung, 108, 138 Induktion, elektromagnetische, 391 Induktionsspannung, 392 Induktionsstrom, 392 Induktivität, 394 Inertialsystem, 119 Influenz, 365 Influenzladung, 365 Intensität, 292, 318 Intensitätsmaximum, 312, 315 Intensitätsminimum, 312 Interferenz, 294 Interferenzmuster, 306 stationäres, 303 Ion, 344 Ionisierung, 344 Ionisierungsenergie, 344, 437, 450 Isobar, 411 Isolator, 345, 366 Isothermen realer Gase, 212 Isotone, 411 Isotope, 411 Isotopenmischungen, 412

469 J jj-Kopplung, 436 Joule’sche Wärme, 374, 396 Joule’sches Gesetz, 374

K Kalorimetrie, 228 Kapazität, 364 Kapillarität, 186 Kation, 451 Kelvin, 201 Kernmagneton, 456 Kernspin, 455 Kernspinquantenzahl, 456 Kinematik, 44, 112 Kippschwingung, 274 Kirchhoff’sche Regeln, 375 Knotenpunkt, 375 Knotenregel, 375 Kohäsionskräfte, 183 Kohlenstoff-Silizium-Gruppe, 454 Kolbendruck, 179 Komponente skalare, 20 vektorielle, 30 Kompressibilität, 177 Kompression, adiabatische, 234 Kompressionsmodul, 177, 285 Kondensation, 215 Kondensationsverzug, 217 Kondensationswärme, 229 Kondensator, 374 Kontinuitätsgleichung, 189 Koordinaten, kartesische, 15, 19 Koordinatensystem, kartesisches, 14 Körper, starrer, 147 Kovolumen, 212 Kraft, 5, 57, 63 dissipative, 96 elektromagnetische, 342, 384 harmonische, 254 konservative, 96 rücktreibende, 250, 256 zwischenatomare, 170 zwischenmolekulare, 170 Kraftstoß, 72 Kreis, 35, 41 Kreisbewegung, gleichförmige, 49, 55, 111

470 Kreisfrequenz, 83, 250, 255, 259, 262, 279, 288, 399 Kreisprozess, 244 Kriechfall, 260 Kristallisationswärme, 229 Krümmungsradius, 334 Kugelwelle, 286 Kurzsichtigkeit, 339

L Ladung, elektrische, 342 Ladungsdichte, 350, 354 Ladungserhaltung, 344 Ladungsträger, 342 Ladungstransport, 345 Ladungstrennung, 344 Ladungsverteilung, 346 diskrete, 350 homogene, 350 inhomogene, 350 kontinuierliche, 350 kugelsymmetrische, 350 Lage indifferente, 150 labile, 150 stabile, 150 Lamb-Shift, 439 Lambert-Beer’sches Gesetz, 320 Larmor-Frequenz, 385 Lathaniden, 455 Lebensdauer, 422 mittlere, 426 Leistung, 105, 399 des elektrischen Stromes, 374 Leistungsaufnahme, 266 Leiter, 345 metallischer, 365 ohmscher, 373 Leitfähigkeit, elektrische, 372 Leitungselektronen, 345 Lenz’sche Regel, 393, 394 Leptonen, 4, 422 Licht, 310, 323 Lichtbündel, 324 Lichtgeschwindigkeit, 9 Lichtstärke, 327 Lichtstrahl, 324 Lichtstrom, 327

Stichwortverzeichnis Linienspektrum, 430 Linse, 333 bikonkav, 333 bikonvexe, 333 dünne, 333 Lissajous-Schleife, 269 Lochblende, 310, 311 London-Kräfte, 211, 356 Lorentz-Kraft, 343, 379 auf eine Punktladung, 384 auf einen stromdurchflossenen Leiter, 386 Lumen, 327

M Magnetisierung, 388 Majorana-Teilchen, 423 Masche, 376 Maschenregel, 375 Masse, 58, 61 Massendefekt, 412 Massendichte, 62 Masseneinheit, atomare, 198 Massenpunkt, 46 Massenschwerpunkt, 134 Massenschwerpunktsystem, 136 Materie, 1, 4 Maxwell-Boltzmann-Verteilung, 199, 215 Maßsystem, 7 Maßzahl, 7 Medium optisch dünner, 326 optisch dichtes, 326 Mehrelektronenatome, 442 Messgröße, 7 Metall, 345 Meter, 9 Minuspol, 369 Mittelpunktstrahl, 337 Molekülion, 344 Molekülmasse, relative, 198 Molenbruch, 208 Molmasse, 411 Molsumme, 208 Molvolumen, 207 Multiplizität, 439, 446

Stichwortverzeichnis N Natrium D-Linie, 436, 440 Naturgesetze, 2 Nebengruppen, 455 Neutrinos, 422 Neutron, 5, 408 Newton’sche Gesetze, 58 Newton-Reibung, 67, 195 Nichtleiter, 345 Nordpol, 383 Normalbedingungen, 207 Normale, 307 Nukleonen, 5, 408 Nukleus, 408 Nuklide, 411 Nullvektor, 20

O Oberflächenenergie, spezifische, 184 Oberflächenspannung, 185 Oberschwingung, 275, 301 Objekt elektrisch geladenes, 342 elektrisch neutrales, 342 Ohm’sches Gesetz, 373 Optik, 323 geometrische, 324 Orbital, 428, 444 Ordnungszahl, 408, 411 Orientierungspolarisation, 366 Orthohelium, 447 Orts-Zeit-Diagramm, 48 Ortsvektor, 22, 46 Oszillator, 250 harmonischer, 254 ungedämpfter harmonischer, 254 Oszillogramm, 251 Oszillograph, 251

P Paarerzeugung, 421 Paarvernichtung, 421 Paradoxon, hydrodynamisches, 192 Parahelium, 447 Parallelschaltung, 378 Parallelstrahl, 337 Paramagnetismus, 389

471 Pauli-Prinzip, 444, 449 Periode, 450 Periodensystem, 408, 450 Permeabilität, 388 Perpetuum mobile erster Art, 233 zweiter Art, 244 p H -Wert, 345 Phase, 213, 251, 263 heterogene, 213 homogene, 213 Phasendiagramm, 214 Phasengeschwindigkeit, 285, 297 Phasengleichgewicht, 215 Phasenverschiebung, 284 Phasenwinkel, 255, 288 Photoeffekt, 418 Photonen, 416 Planck’sches Wirkungsquantum, 410, 414 Plasma, 346 Plattenkondensator, 354, 368 Pluspol, 369 Poisson’sche Zahl, 174 Pol, 369 Polarisationsrichtung, 287 Polarkoordinaten ebene, 15 Polarkoordinatensphärische, 19 Polarwinkel, 15 Positron, 420 Potential, elektrisches, 359 Potentialdifferenz, 360 Präzession, 166 Proton, 5, 408 Punkt, kritischer, 217 Punktladung, 347 Punktraum, n-dimensionaler, 14, 18

Q Quanten, 427 Quantenelektrodynamik, 420 Quantenphysik, 427 Quantenzahl, magnetische, 433 Quantisierung der elektrischen Ladung, 343 der Energie, 430 des Bahndrehimpulses, 433 Quark, 4, 422

472 down, 4, 408 up, 4, 408 Querkontraktion, 174 Querkontraktionszahl, 174

R Radiant, 16 Radioaktivität, 424 Raum, 1, 19 Raumwinkel, 18 RC-Schaltung, 396 Reaktion endotherme, 224 exotherme, 224 Reaktionsprinzip, 58, 347 Reflexion, 307, 332 Reflexionsgesetz, 307, 328 Reflexionsgrad, 330 Reflexionswinkel, 307 Reibung, innere, 192 Reibungskräft, 64 Reihenschaltung, 377 Rekombination, 344 Relativbewegung, 152 Relativgeschwindigkeit, 322 Resonanz, 264 Resonanzkatastrophe, 264 Reynolds-Zahl, 193 Richtgröße, 176 Richtungsvektor, 21 Röntgenbeugung, 317 Röntgenspektren, 442 Rotationsenergie, 117, 154 Rotationsfreiheitsgrad, 203 Rotationsfrequenz, 133 Ruheenergie des Elektrons, 417 Russel-Saunders-Kopplung, 436

S Sättigungsdampfdruck, 216 Südpol, 383 Sammellinse, 334 Schale, 443 Schallgeschwindigkeit, 286 Schaltung, elektrische, 374 Schatten, 310 Schattengrenze, geometrische, 310

Stichwortverzeichnis Scheinkräft, 119 Scherung, 175 Schmelzpunkt, normaler, 230 Schmelzpunktskurve, 215 Schmelztemperatur, 229 Schmelzwärme, spezifische, 229 Schubkraft, 175 Schubmodul, 176 Schubspannung, 176 Schweben, 182 Schwebung, 271, 279, 296 Schwebungsdauer, 272, 279, 296 Schwebungsfrequenz, 272, 279, 296 Schweredruck, 179 Schwerkraft, 60 Schwerpunktsbewegung, 152 Schwimmen, 182 Schwingfall, 260 Schwingkreis, elektrischer, 403 Schwingung, 250 erzwungene, 262 gedämpfte harmonische, 257 gekoppelte, 276 harmonische, 253, 404 nichtharmonische, 253 ungedämpfte, 254 Schwingungsdauer, 85, 250, 255, 404 Schwingungsfrequenz, 133 Schwingungsgröße, 251 Sehweite, deutliche, 314 Seilwelle, stehende, 300 Sekunde, 8 Selbstinduktion, 393 SI-System, 7 Sieden, 217 Siedepunkt, normaler, 230 Siedetemperatur, 229 normale, 230 Siedeverzug, 217 Sinken, 181 Skalar, 19 Skalarmultiplikation, 23 Skalarprodukt, 31 Solarkonstante, 293 Spannung elektrische, 360 Spannung des Kondensators, 363 Spannungsquelle, 369, 374 Spektralapparat, 316

Stichwortverzeichnis Spektrum, 275 elektromagnetisches, 415 kontinuierliches, 430 optische, 430 Spiegel, 332 Spin, 410 Spin-Bahn-Wechselwirkung, 435, 440 Spinquantenzahl, 410 magnetische, 410 Spitzenspannung, 399 Spule, 374, 383 Stabsichtigkeit, 338 Standardmodell der Elementarteilchenphysik, 421 Stauchung, 173 Steiner’scher Satz, 155 Steradiant, 18, 327 Stickstoff-Phosphor-Gruppe, 454 Stoffmenge, 197 Stokes-Reibung, 67, 195 Stoß elastischer, 142 unelastischer, 146 zentraler, 145 Stoßionisation, 442 Stoßvorgänge, 142 Ström zeitabhängige, 371, 395 Strömung laminare, 193 turbulente, 193 Strömungswiderstand, 194 Strahlen, 286 achsennahe, 335, 337 monochromatisch, 337 Strahlenbündel, 324 Strahlung α-, 424 β-, 425 γ -, 425 elektromagnetische, 415 radioaktive, 424 Strahlungsäquivalent, Photometrisches, 327 Strahlungsenergie, 224 Streuung, 318 Streuwelle, 306, 317 Strom elektrischer, 345, 369 Strom-Spannungskennlinie, 373

473 Stromdichte, 371 Stromkreis, 375 Stromleitung, 345 Stromlinie, 193 Stromlinienbilder, 193 Stromrichtung, 370 Stromstärke, elektrische, 370 Sublimationskurve, 215 Sublimationspunkt, normaler, 230 Superpositionsprinzip, 348, 350 System thermodynamisches, 235 von Massenpunkten, 132

T Teilschale, 443 Teilschale, abgeschlossene, 444 Temperatur kritische, 212 thermodynamische, 102, 201 Temperaturänderung isobare, 222 isochore, 223 Temperaturkoeffizient, 372 Term, 431 Termschema, 431 des Heliumatoms, 447 des Natriumatoms, 440 des Wasserstoffatoms, 439 Theorem von Fourier, 273 Torsion, 176 Torsionsmodul, 176 Totalreflexion, 330 Trägheitskraft, 121 Trägheitsmoment, 114, 139, 155 Trägheitsprinzip, 58 Translation, 45, 133 Translationsfreiheitsgrade, 202 Translationsinvarianz, 22 Transmissionsgrad, 330 Tripelpunkt, 215

U U-Rohr-Manometer, 202 Übergänge, optische, 432 Übergangselement, 451, 455 inneres, 451

474 Überlagerung von Schwingungen, 267 Umlaufdauer, 51 Umwandlungswärme, 228 molare, 230 spezifische, 230 ungedämpfte harmonische Schwingung, 84 Unschärferelationen, 428

V Valenzelektron, 440, 450 van der Waals-Gleichung, 211 van der Waals-Konstante, 212 van der Waals-Kräft, 211, 356 Vektor, 20 Vektorfunktion, 40 Vektorprodukt, 36 Verdampfung, 215 Verdampfungswärme, spezifische, 229 Verdrillung, 176 Vergrößerung, 336 Verkleinerung, 336 Verschiebungspolarisation, 366 Viskosität, 192 Volumenstärke, 188 Vorgang, periodischer, 250

W Wahrscheinlichkeitsaussage, 427 Wärmeenergie, 223 Wärmekapazität, 225 molare, 226, 227 spezifische, 225 Wärmekraftmaschine, 244 Wärmeleitung, 225 Wasserstoffbrücken, 357 Wechselspannung, 399 Wechselstrom, 371, 399 Wechselstromschaltung, 399 Wechselwirkung elektromagnetische, 6, 380, 423, 424 schwache, 6, 423, 424 starke, 5, 423, 424 Wechselwirkungsbereich, 418 Wechselwirkungsteilchen, 424 Weitsichtigkeit, 339 Weiß’scher Bezirk, 390 Welle, 282

Stichwortverzeichnis dreidimensionale, 283 ebene, 286 eindimensionale, 282 elektromagnetische, 283 harmonische, 288 inkohärente, 303 kohärent, 303 linear polarisierte, 287 longitudinale, 287 monochromatisch, 303 reflektierte, 317, 318 stehende, 299 transversale, 287 unpolarisierte, 287 zirkular polarisierte, 287 zweidimensionale, 283 Wellenbauch, 299 Wellenfront, 286 Wellengruppe, 296 Wellenknoten, 299 Wellenlänge, 284 Wellenoptik, 324 Wellenpaket, 296 allgemeine, 298 Wellenzahl, 288 Wertigkeit, chemische, 442 Widerstand, 374 elektrischer, 372 induktiver, 403 kapazitiver, 401 spezifischer, 372 Widerstandskoeffizient, 195 Widerstandsschaltung, 377 Winkelbeschleunigung, 110 Winkelgeschwindigkeit, 109, 139, 158 Wirkungsgrad, 245 Wurf, schiefer, 76

Z Zahl der Freiheitsgrade, 102, 202, 227, 232 der Neutronen, 411 der Nukleonen, 411 der Protonen, 411 Zahlengerade reelle, 14 Zeit, 1 Zeitkonstante, 397

Stichwortverzeichnis Zentrifugalkraft, 123 Zentripetalbeschleunigung, 56 Zentripetalkraft, 68 Zerfallsgesetz, 426 Zerfallskonstante, 426 Zerlegung, spektrale, 309 Zerstreuungslinse, 334 Zustand, 204, 429 angeregter, 431 metastabiler, 448 Zustandsänderung, 209, 236

475 irreversible, 237 isobare, 210 isochore, 210 isotherme, 209 reversible, 237 Zustandsänderung, adiabatische, 211 Zustandsformen, 170 Zustandsgleichung für Gasgemische, 207 idealer Gase, 207 Zustandsgröße, 205, 232, 238