Offenbarung und Gericht: Fundamentaltheologie und Eschatologie bei Guardini, Rahner und Ratzinger 9783666563683, 9783525563687, 9783647563688

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Offenbarung und Gericht: Fundamentaltheologie und Eschatologie bei Guardini, Rahner und Ratzinger
 9783666563683, 9783525563687, 9783647563688

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Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie

Herausgegeben von Christine Axt-Piscalar und Gunther Wenz Band 135

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Wilko Teifke

Offenbarung und Gericht Fundamentaltheologie und Eschatologie bei Guardini, Rahner und Ratzinger

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-56368-7 ISBN 978-3-647-56368-8 (E-Book)  2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Druck und Bindung: a Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

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Vorwort Der vorliegende Band wurde unter dem Titel „Offenbarung und Gericht. Das Verhältnis von Offenbarung und Eschatologie als fundamentaltheologisches Problem untersucht anhand der Konzeptionen von Romano Guardini, Karl Rahner und Joseph Ratzinger“ als Dissertation im Fach Systematische Theologie von der evangelisch-theologischen Fakultät der Eberhard-KarlsUniversität zu Tübingen im Wintersemester 2010/11 angenommen. Das Manuskript wurde im Frühjahr 2009 abgeschlossen und für die Drucklegung nur geringfügig überarbeitet. Die Entstehung dieser Arbeit war ein langer Prozess, an dem in unterschiedlichen Phasen viele Menschen Anteil genommen haben. Dafür habe ich zu danken. Mein Dank gilt zunächst Prof. Dr. Christoph Schwöbel, der mein Interesse an der Systematischen Theologie zu Beginn des Studiums in Kiel geweckt hat. Am Ökumenischen Institut der Universität Heidelberg ist im Gespräch mit ihm die Idee für das Thema der Arbeit entstanden und er hat die Arbeit bis zu ihrem Abschluss in Tübingen betreut. Für die Übernahme des Zweitgutachtens danke ich Prof. Dr. Eilert Herms. Zu danken habe ich ferner Prof. Dr. Dr. Günter Meckenstock, der es mir ermöglicht hat, mehrere Jahre während der Zeit der Promotion als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Schleiermacher-Forschungsstelle der Universität Kiel tätig zu sein. Die parallele Beschäftigung mit der Vorbereitung der Edition von Schleiermachers Predigten haben mir wichtige Kontexte eröffnet. Prof. Dr. Hans Mercker danke ich für die freundliche Unterstützung bei der Einsicht ins Romano-Guardini-Archiv der Katholischen Akademie München. Ich danke Prof. Dr. Christine Axt-Piscalar und Prof. Dr. Dr. h.c. Gunther Wenz für die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe „Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie“. Ich danke allen, die die Veröffentlichung dieser Arbeit durch die Gewährung von Druckkostenzuschüssen unterstützt haben – insbesondere der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche. Meinen Eltern, Schwiegereltern und Geschwistern danke ich für Unterstützung – insbesondere für die mühevolle Arbeit des Korrekturlesens – und Anteilnahme während des Entstehungsprozesses dieser Arbeit. Der Dank, den ich meiner Frau Fenja Otto und unseren vier Kindern schulde, ist nicht zu ermessen und lässt sich nicht in Worte fassen. Kiel, im Oktober 2011

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Wilko Teifke

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Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teil 1: Guardinis Suche nach dem außerweltlichen Standpunkt . . . . 1. Guardinis Lebensweg und der religiöse Gehorsam . . . . . . . . 2. Die Lehre vom Gegensatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Das System der Gegensätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die Gegensätze in ihrem Zusammenhang . . . . . . . . . . 2.3 Die Gegensatzlehre als Philosophie des Lebendig-Konkreten 3. Katholische Weltanschauung und Offenbarung . . . . . . . . . . 3.1 Die Entfaltung seines Offenbarungsverständnisses . . . . . 3.2 Die Inkommensurabilität: Ist Gott der ganz Andere? . . . . 3.3 Die Offenbarung durch das Dasein: Das Dasein ist nicht notwendig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Die Offenbarung als Selbstoffenbarung Gottes in Christus . 4. Die Kirche als Inexistenz Christi und ihre Gleichzeitigkeit mit Christus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil 2: Die Eschatologie innerhalb der Transzendentaltheologie Karl Rahners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vom transzendentalphilosophischen Ansatz zur Transzendentaltheologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Rahners Fundamentaltheologie zwischen Extrinsezismus und Intrinsezismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Rahners transzendentalphilosophischer Ansatz nach „Hörer des Wortes“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Rahners theologischer Ansatz als „Ontologie der visio beatifica“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Der Versuch der Vermittlung von transzendentalphilosophischem und theologischem Ansatz beim frühen Rahner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Das übernatürliche Existential . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Offenbarungsverständnis unter den Bedingungen der Rahnerschen Transzendentaltheologie . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Transzendentale und kategoriale Offenbarung . . . . . . . . . 2.2 Offenbarung als Selbstmitteilung Gottes . . . . . . . . . . . . 3. Die eschatologische Dimension der Theologie Rahners . . . . . . 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

Teil 3: Der kirchliche Wahrheitsanspruch bei Ratzinger . . . . . . . . . 1. Der Wahrheitsanspruch als bestimmendes Moment . . . . . . . . 1.1 Die geschichtliche Kontinuität metaphysischer Wahrheit . . . 1.2 Die Wahrheit im Verhältnis zur Freiheit und zum Gewissen des Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Die Wahrheit in der Gemeinschaft der Kirche . . . . . . . . . 2. Das Individuum in Ratzingers Theologie . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Unsterblichkeit in communaler Kontinuität? Zur Stellung der individuellen Eschatologie in Ratzingers Theologie . . . . . . 3. Die Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Die Kirche und Ratzingers relationaler Ansatz . . . . . . . . . 3.2 Die Wir-Struktur der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil 4: Offenbarung und Eschatologie – Auswertung . . . . . . . . . 1. Die untersuchten fundamentaltheologischen Konzeptionen im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Guardini und Rahner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Guardini und Ratzinger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Ratzinger und Rahner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die eschatologische Dimension der Ansätze im Vergleich . . .

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Teil 5: Offenbarung und Gericht – das Eschatologische der Theologie in protestantischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die eschatologische Grundspannung von schon jetzt und noch nicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Die eschatologische Grundspannung und die Vielzahl der eschatologischen Spannungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Die eschatologische Dialektik in ihrem Zusammenhang mit der theologischen Dialektik insgesamt . . . . . . . . . . . . 2. Das Gericht als symbolischer Ausdruck der eschatologischen Grundspannung und eschatologischer Ausdruck der innerweltlichen Zweideutigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Das Gericht – ein Ausdruck der Gnade? . . . . . . . . . . . 2.2 Das Gericht und die Zweideutigkeiten der Welt . . . . . . . 3. Das Prinzip der Universalität und sein Verhältnis zur Partikularität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Göttlicher Geist und menschlicher Geist . . . . . . . . . . . . .

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. 253 . 254 . 259 . 262 . 265

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281

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Einleitung Die theologiegeschichtliche Entwicklung des dogmatischen Traktates „Von den letzten Dingen“ im 20. Jahrhundert hat das Verhältnis von Fundamentaltheologie und Eschatologie verändert.1 Die fundamentaltheologische Bedeutung der Eschatologie hat in der protestantischen Theologie unbestreitbar zugenommen. In dieser Arbeit wird untersucht, wie die leitende Bedeutung der Eschatologie in den drei ausgewählten Konzeptionen der katholischen Fundamentaltheologie verarbeitet wird. Die Bedeutungsverschiebung der Eschatologie wird dabei zum Ausgangspunkt gewählt, um die eschatologische Dimension in den fundamentaltheologischen Ansätzen von Romano Guardini, Karl Rahner und Joseph Ratzinger aufzuspüren, wobei jeweils deren theologische Grundeinsichten herausgearbeitet werden. Die Eschatologie war am Beginn des 20. Jahrhunderts nur ein Topos, der eben auch noch am Ende der dogmatischen Arbeit behandelt werden musste, nachdem schon alles Wesentliche gesagt war. So lässt sich in der von Troeltsch vorgetragenen Einschätzung der Eschatologie für die moderne Theologie: „Ein moderner Theologe sagt: das eschatologische Bureau sei heutzutage zumeist geschlossen.“2 noch der Stellenwert der Eschatologie, den sie für die Theologie des 19. Jahrhunderts hatte, erkennen. Hier ist zunächst an Schleiermacher zu erinnern, der die Eschatologie nicht eigens als Lehre von den Letzten Dingen vorgetragen hat, sondern diese – orientiert an den Fragen nach der Vollendung der Kirche und nach dem „Zustand der Seelen im künftigen Leben“3 – unter der Überschrift „Von der Vollendung der Kirche“ in die Ekklesiologie einordnet. Nimmt er damit die für die Ausgestaltung der eschatologischen Ansätze im 20. Jahrhundert wichtige Unterscheidung von kollektiver und individueller Eschatologie vorweg, so geschieht diese Verschiebung in die Ekklesiologie insgesamt in dem Bewusstsein, dass der Eschatologie „jedoch der gleiche Wert wie den bisher behandelten Lehren nicht kann beigelegt werden.“4 Im 19. Jahrhundert hatten sich vor allem Johannes Weiß und Albert Schweitzer um die Eschatologie verdient gemacht, indem sie den eschatologischen Charakter der Botschaft Jesu herausarbeiteten. Da diese Bemühung allerdings im Rahmen der historischen Leben-Jesu-Forschung angesiedelt war, die eine Vorstellung vom Reich Gottes in der Botschaft Jesu feststellt, welche in 1 Zu den unterschiedlichen Bedeutungen der Eschatologie im 20. Jh. vgl. Schwçbel, Die Letzten Dinge zuerst?, 437 – 468. 2 Troeltsch, Glaubenslehre, 36. 3 Schleiermacher, Der christliche Glaube (1830/31), § 159. 4 Schleiermacher, Der christliche Glaube (1830/31), § 159.

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Einleitung

dem Sinne konsequent eschatologisch sei, dass sie als strikte Weltverneinung aufgefasst werden müsse, zeigt sich, dass die Eschatologie hier über die historische Forschung hinaus keine Bedeutung gewinnt.5 Ihre Auffassung steht zudem im Gegensatz zu der Reich-Gottes-Vorstellung Albrecht Ritschls, dass das Reich Gottes ein gemeinsames Produkt des Handelns Gottes wie der Menschen sei. Endgültig ändert sich dies dann im 20. Jahrhundert. So ist schon auf Troeltsch zu verweisen, der in einem Artikel zur Eschatologie die Differenzierung der Eschatologie in eine axiologische und eine teleologische Eschatologie einführt.6 Diese Unterscheidung ist für Paul Althaus leitend gewesen, indem er vor allem in der ersten Auflage seiner Eschatologie „Die letzten Dinge“ aus dem Jahr 1922 die axiologische Eschatologie zur Leitperspektive erhoben hat, was er in den folgenden Auflagen jedoch zugunsten der teleologischen Eschatologie abschwächt. Das Verdienst von Althaus besteht aber darin, sich um eine methodische Herangehensweise an eschatologische Fragestellungen bemüht zu haben. Vor allem die Abwehr, Eschatologie als eine biblizistische Reportage zu betreiben, und sein Bemühen, die Eschatologie in einen der Moderne angemessenen theologischen Diskurs zurückzuführen, sind zu erwähnen. In demselben Jahr wie Althaus’ Eschatologie ist auch die zweite Auflage von Karl Barths Römerbriefkommentar erschienen mit dem prägnanten Diktum: „Christentum, das nicht ganz und gar und restlos Eschatologie ist, hat mit Christus ganz und gar und restlos nichts zu tun.“7 Mit diesem Spitzensatz der dialektischen Theologie zur Bedeutung der Eschatologie wird die Eschatologie zum Grundthema der christlichen Theologie erhoben, wenn sie die Offenbarung Gottes zum Thema hat. Rudolf Bultmann steht so vor dem Problem, wie die Theologie als Wissenschaft begründet werden kann: Die Wissenschaftlichkeit der Theologie kann nur ihrem Gegenstande entsprechen und darf nicht nach einem Maßstab fragen, den eine andre Wissenschaft liefern könnte. Sie unterscheidet sich von jeder anderen Wissenschaft dadurch, daß ihr Gegenstand – Gottes eschatologisches Handeln – dem außergläubigen Dasein nicht sichtbar ist,

5 Von daher ist Christoph Schwöbel zuzustimmen, wenn er schreibt: „Die historische Wiederentdeckung der Eschatologie hat keine konstruktiven theologischen Implikationen.“ Schwçbel, Die Letzten Dinge zuerst?, 442. 6 Troeltsch beschreibt zwei Formen der Eschatologie, „deren eine die letzten Dinge nur als immer gegenwärtige, deren andere sie nur als den innerlich-kontinuierlich notwendigen Abschluß der Lebensentwicklung begreifen kann. Es ist die pantheistische und die personalistische, die immanente, d. h. die auf das überall gegenwärtige zeitlose absolute Sein bezogene, und die transzendente, d. h. die auf den Ideen der Freiheit und des Werdens beruhende, Form der Lehre von den letzten Dingen. Zwischen diesen Formen ist, soweit nicht der alte Mythos oder auch die völlige Gedankenlosigkeit herrscht, unser heutiges religiöses Leben geteilt, und beide Formen bekämpfen sich lebhaft.“ Troeltsch, Art.: Eschatologie, 625 f. 7 Barth, Römerbrief, 298.

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Einleitung

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sondern erst sichtbar wird, wenn dieses Dasein die Umkehrung seiner selbst glaubend erfährt.8

Das eschatologische Handeln als Grund der Theologie unterstreicht nicht nur die fundamentaltheologische Bedeutung der Eschatologie, sondern auch hier wird die Eschatologie selbst zur Prinzipienlehre erhoben. Im Zusammenhang des vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis weit in die zweite Hälfte des Jahrhunderts andauernden Wandels der Eschatologie hat Hans-Joachim Birkner von der Eschatologie als einem qualifizierten Begriff gesprochen.9 Zugleich stellt er fest, dass die Eschatologie dadurch von einem Ineinander von Motiven charakterisiert wird, das insofern eine problematische Situation darstelle, als es zu Unsicherheit und Undeutlichkeit der Argumentation führe, weshalb Birkner für eine kritische Besinnung eschatologischer Rede anhand des Begriffs der Erfahrung plädiert.10 Dadurch wird die Eschatologie von ihrem prinzipiellen Status zurückgedrängt, gleichwohl muss deshalb die fundamentaltheologische Funktion der Eschatologie nicht einfach aufgegeben werden. So steht die Eschatologie wie jeder Gegenstand der Theologie – sei es Gott selbst oder die Offenbarung Gottes – vor dem Problem, dass Aussagen über das Sein und das Handeln Gottes in Zeit und Ewigkeit nicht aus bloßen Erfahrungen des Menschen gemacht werden können und zugleich nichts anderes als Aussagen von Erfahrungen sein können. Bei der Auseinandersetzung mit der Eschatologie als einem fundamentaltheologischen Problem ist es insofern nicht angemessen, die Eschatologie per se oder auch den Begriff der Offenbarung zum Zentralbegriff zu erklären. Eilert Herms und Christoph Schwöbel plädieren deshalb für eine wechselseitige Auslegung der Begriffe Offenbarung und Erfahrung. So schreibt Herms: „Offenbarung geschieht – nota bene: unverfügbar – in, mit und unter Erfahrung in ihrer ganzen Normalität und Regelmäßigkeit.“11 Die Unverfügbarkeit der Offenbarung ist dabei ein wesentliches Kriterium für die Unterscheidung von Offenbarung und Erfahrung. Der Zusammenhang von Offenbarung als Selbstmitteilung Gottes und Erfahrung wird von Schwöbel so dargestellt,12 dass deutlich wird, dass die an sich unverfügbare Offenbarung als

8 Bultmann, Theologie als Wissenschaft, 467. 9 „Eschatologie wird einer der qualifizierten Begriffe, die dazu dienen, das totaliter-aliter, das zwischen der Wirklichkeit Gottes und der Wirklichkeit des Menschen waltet, zu umschreiben. Eschatologie wird einer der qualifizierten Begriffe, die das prädizieren, was geschieht, wenn Offenbarung und Glaube ,geschieht‘. Eschatologie bekommt einen prinzipiellen Sinn. Theologie, sofern sie christliche Theologie ist und sein will, sofern sie die im Neuen Testament bezeugte Offenbarung Gottes zum Thema hat, ist per se Eschatologie.“ Birkner, Eschatologie und Erfahrung, 35. 10 Vgl. Birkner, Eschatologie und Erfahrung, 36 f. 11 Herms, Offenbarung und Erfahrung, 266. 12 „Die Selbstmitteilung des trinitarischen Gottes als die Erschließung des Bestimmtseins der Wirklichkeit durch sein Handeln in Schöpfung, Versöhnung und Vollendung ist der Grund der Möglichkeit menschlicher Erfahrung als der in Deutungs- und Gestaltungsakten vollzogenen Bestimmung der Wirklichkeit und der Grund ihrer Wahrheit in Übereinstimmung der

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Einleitung

Grund der Möglichkeit von Erfahrung nur auf Grund von Erfahrung zu ihrem Ziel, der Übereinstimmung von Gott und Mensch, führt. Die Eschatologie thematisiert die Vollendung und das Eschaton ist deshalb unverfügbar. Gleichwohl gilt es, die Bezogenheit des Eschatons auf die Geschichte zur Geltung zu bringen. Ohne im Verdacht zu stehen, die Eschatologie an den Rand der Theologie zu drängen, hat Tillich das Eschaton auf die Erfahrung des Menschen bezogen, indem er es als den „transzendenten Geschehenssinn“ einführt.13 Das Eschaton ist auf die Erfahrung bezogen, weil es als Sinn des Geschehens seinen Ort in der Geschichte hat.14 Damit steht Tillich einerseits in einer Reihe mit Barth und Bultmann, weil das Eschaton das Pathos des Letztgültigen hat. Andererseits steht die Rede vom Eschaton in einer Korrelation zum Begriff der Erfahrung.15 Die Rede vom Eschaton steht also in einer Spannung von Erfahrung und Offenbarung. In dieser Spannung geht es um die Verhältnisbestimmung des Unbedingten zum Bedingten bzw. um die Erkenntnis Gottes durch die endliche Erfahrung des Menschen. Diese Arbeit steht unter dem Titel Offenbarung und Gericht, um die eschatologische Dimension dieser Spannung zu thematisieren. Denn die Rede vom Gericht hat das Potential, als eschatologisches Symbol für das menschliche Leben in seiner Grundspannung zu dienen. Von dieser Grundthese ausgehend werden die drei Autoren nach der Bedeutung der Eschatologie innerhalb ihres fundamentaltheologischen Ansatzes befragt. Dabei ist hervorzuheben, dass sich die Darstellung aus einer protestantischen Perspektive ergibt, für die die eschatologische Grundspannung von schon jetzt und noch nicht ein Ausdruck theologischer Dialektik bleibt, in der die Erkenntnis Gottes und seiner Ewigkeit eben nur im Rahmen endlicher Erfahrung mit all ihrer Zweideutigkeit gemacht werden kann. Das Unbedingte oder auch die Erfüllung von Geschichte bzw. gemachter Erfahrung bleibt transzendent,16 so dass Offenbarung nicht nur unverfügbar, sondern zugleich stets fragmentarisch bleibt. Die Analyse der drei fundamentaltheologischen Ansätze geschieht unter der Fragestellung, in welcher Weise die Spannung von Offenbarung und Erfahrung zum Tragen kommen. Es stellt sich die Frage, ob es in der auf Universalität abhebenden katholischen Fundamentaltheologie Spuren zu entdecken gibt, die besagen, dass alle religiöse Erfahrung, die zwar auf die Ewigkeit bezogen ist und eine auf Vollendung hoffende Erfahrung sein kann, eine unter den Bedingungen der Endlichkeit von Raum und Zeit gemachte Erfahrung bleibt und deshalb fragmentarisch bleibt.

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menschlichen Bestimmung von Wirklichkeit mit ihrem Bestimmtsein durch Gott.“ Schwçbel, Offenbarung und Erfahrung, 126. „Denn das Eschaton ist der transzendente Geschehenssinn.“ Tillich, Eschatologie und Geschichte, 109. Vgl. Tillich, Eschatologie und Geschichte, 114. So steht die Theologie Tillichs insgesamt durch die „Methode der Korrelation“ unter dem Vorzeichen, Botschaft und Situation, menschliche Existenz und göttliche Selbstoffenbarung im Zusammenhang zu verstehen. Vgl. Tillich, Systematische Theologie Bd. 1, 15. Vgl. Tillich, Systematische Theologie Bd. 3, 448.

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Einleitung

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In der folgenden Analyse wird es nun darum gehen, die Bedeutung der Eschatologie bei drei katholischen Theologen zu untersuchen. Dass die Eschatologie auch innerhalb der katholischen Theologie des 20. Jahrhunderts eine zentrale Stellung einnahm, liegt nach einer Äußerung Hans Urs von Balthasars, der die Eschatologie als den „Wetterwinkel der Theologie“ bezeichnet hat,17 auf der Hand. Deshalb wird in dieser Arbeit anhand von drei katholischen fundamentaltheologischen Konzeptionen nach der Bedeutung der Eschatologie gefragt. Bei allen drei Konzeptionen ist die eschatologische Dimension ihrer Theologie nicht unmittelbar greifbar. Die Aufgabe besteht gerade darin, sie jeweils aufzuzeigen, um im Anschluss nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden dieser exemplarischen Vielfalt katholischer Positionen zu fragen. Die Auswahl der Konzeptionen von Romano Guardini, Karl Rahner und Joseph Ratzinger bringt von vornherein eine innerkatholische Spannung mit sich, die sich zum einen aus chronologischen Gründen, zum anderen aber auch aus inhaltlich-positionellen Gründen ergibt. Guardini ist als Vordenker einer Strömung des deutschsprachigen Katholizismus zu sehen, die die Stimmung des Zweiten Vatikanischen Konzils mitgeprägt hat. Ratzinger und Rahner haben an der Erarbeitung der Konzilstexte mitgewirkt und wurden nach dem Konzil zu Vertretern gegenläufiger Rezeptionen desselben. Alle drei Theologen haben auf ihre Weise die Auseinandersetzung mit dem Denken ihrer Zeit gesucht. Guardini ist gleichsam ein Vordenker einer katholischen Theologie der Kultur gewesen und bietet als solcher viele Anknüpfungspunkte, bei der Verhältnisbestimmung von Offenbarung und Erfahrung, Glaube und Vernunft bzw. der für katholische Fundamentaltheologie grundlegenden Verhältnisbestimmung von Natur und Gnade eine eigene theologische Dialektik zu entwickeln. Als Ausgangspunkt dafür erscheint seine Gegensatzlehre in hervorragender Weise geeignet zu sein. In der Analyse der Entwicklung seiner theologischen Arbeiten zeigt sich jedoch, dass Guardini sich von einer Grundthese, die dem Potential seiner Gegensatzlehre entgegensteht, nicht lösen kann. Hier lässt sich eine innere Spannung im Werk Guardinis beobachten: Die Grundthese seines Ansatzes, die darin besteht, katholische Weltanschauung, indem sie mit dem Blick Jesu Christi auf die Welt identifiziert wird, als einen außerweltlichen Standpunkt zu begreifen, vermag er nicht mit seiner Vorstellung von Anschauung, wie er sie als Blick auf die Welt bzw. auf das „Lebendig-Konkrete“ in seiner Gegensatzlehre entfaltet, zu vermitteln. Katholische Weltanschauung hat insofern eine eschatologische Dimension, als sie als außerweltlicher Standpunkt aus der Zweideutigkeit aller innerweltlichen Erfahrungen herausführt. In besonderer Weise wird der eschatologische Charakter der katholischen Weltanschauung bei Guardini durch das Diktum: „Jeder wirklich Glaubende ist ein lebendiges Gericht der Welt.“18 herausgestellt. Dabei ist allerdings zu beachten,

17 Vgl. von Balthasar, Eschatologie, 404. 18 Guardini, Weltanschauung, 33.

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Einleitung

dass in der Konzeption Guardinis nur im Gehorsam gegenüber der Kirche wirklicher Glaube lebendig sein kann. Rahner hingegen stellt sich von vornherein dem Problem, wie sich Natur und Gnade aufeinander beziehen und miteinander vermitteln lassen. Die große Faszination, die die Theologie Karl Rahners – gerade im Gegenüber zu Guardini und Ratzinger – bis heute ausübt, liegt in dem Sich-Einlassen auf das Denken der Moderne und den Menschen als Thema der Theologie. Rahners Ansatz sticht unter den drei Konzeptionen auch dadurch hervor, dass er es vermag, die Kirche als Institution in seine Theologie zu integrieren, ohne ständig auf sie verweisen zu müssen. In der Studie zu Rahner wird die Entwicklung seiner Transzendentaltheologie nachvollzogen. Dabei wird das Theologumenon des übernatürlichen Existentials als wichtiger Entwicklungsschritt zur Transzendentaltheologie erörtert. Durch die Rede vom übernatürlichen Existential versucht Rahner das Vermittlungsproblem von Natur und Gnade aufzulösen, indem er die Hinordnung des Menschen zur Gnade als realontologische Bestimmung beschreibt. Von hier aus geht Rahner weiter und entfaltet den Gedanken einer „transzendentalen Offenbarung“ neben einer „kategorialen Offenbarung“, wobei sich bei der Frage der Vermittlung beider Aspekte des Offenbarungsbegriffs die Probleme, die er bei der Vermittlung von Natur und Gnade zu umgehen versucht hat, erneut stellen. Bei der Diskussion dieser Vermittlungsprobleme wird zugleich auf eine eschatologische Dimension der Rahnerschen Transzendentaltheologie in ihrer Grundkonzeption verwiesen, auf die ein stärkeres Gewicht gelegt wird als auf die Darstellung seiner transzendentaltheologischen Eschatologie. Vielmehr wird diskutiert, ob Rahners Transzendentaltheologie im Ganzen nicht eher als eschatologische Theologie denn als transzendentalphilosophische Theologie zu verstehen ist. Ratzinger ist wiederum derjenige unter den drei Theologen, der die Kirche am deutlichsten in den Mittelpunkt seines theologischen Interesses stellt. Dies tut er jedoch derart, dass er die gesellschaftlichen Veränderungen seiner Zeit nicht außer Acht lässt. Durch die Wahl zum Papst im April 2005 hat seine Theologie auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts ein erhebliches Gewicht. Bei der Analyse seines fundamentaltheologischen Ansatzes wird wiederum die Entwicklung seiner Grundeinsichten berücksichtigt. Gerade die sich in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts herausbildende fundamentaltheologisch zentrale Stellung der Ekklesiologie Ratzingers bestimmt auch die eschatologische Dimension seiner Theologie, weil letztlich alles in der sakramental begründeten Kirche vereint ist: sowohl die Synthese von Glaube und Vernunft, die in der Kirche gefeiert wird, als auch das Reich Gottes, das im sakramentalen Leben der Kirche antizipiert wird. Hergeleitet wird diese schon metaphysisch zu beschreibende Funktion der Kirche – vermittelt über den Gedanken vom Leib Christi – durch die Vorstellung von der kirchlichen Gemeinschaft als Abbild der trinitarischen Gemeinschaft.19 19 Vgl. Ratzinger, Theologische Prinzipienlehre, 23 f.

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Teil 1: Guardinis Suche nach dem außerweltlichen Standpunkt 1. Guardinis Lebensweg und der religiöse Gehorsam Romano Michele Antonio Maria Guardini wird am 17. Februar 1885 als ältester von vier Söhnen des Importkaufmanns Romano Tullo Guardini und dessen Frau Paola Maria in Verona geboren. Die Familie siedelt ein Jahr später nach Mainz über, wo Romano Guardini aufwächst und 1910 die Priesterweihe empfängt. Um auch den kirchlichen Schulunterricht erteilen zu können, erhält er die hessische Staatsangehörigkeit. Er ist dann das einzige Familienmitglied, das in Deutschland bleibt, als die Familie wegen der Position des Vaters während des Ersten Weltkrieges 1915 Deutschland verlässt und nach dessen Tod 1919 endgültig nach Italien zurückkehrt. Der Familiensitz in Isola Vicentina bleibt zwar für Guardini ein regelmäßiger Anlaufpunkt, doch ist bereits eine Entwicklung zu einer eigentümlichen Heimatlosigkeit Guardinis erkennbar, wobei der Kontext Italien-Deutschland stets verbunden ist mit dem Eingebundensein seines eigenen Lebens in seine Familie.1 Zu dieser die Lebensgeschichte Guardinis prägenden Spannung zur Familie gehört nicht nur die deutsch-italienische Differenz, sondern auch seine Studienwahl. Erst nachdem er in Tübingen ein Studium der Chemie begonnen hat und dann zur Nationalökonomie zuerst nach München und später nach Berlin gewechselt ist, beginnt er gegen den Willen der Eltern 1906 in Freiburg das Studium der Theologie, das er an der Universität in Tübingen fortsetzen kann, bevor er in das Mainzer Priesterseminar eintreten muss. Der Entscheidung zum Studium der Theologie und zum Priesterberuf, über die er während des Berliner Semesters (Wintersemester 1905/06) Klarheit gewinnt, ist eine innere, religiöse Krise vorangegangen, die er in den vorangehenden Semestern in München durchlebt hat.2 In den Semesterferien kommt es durch Gespräche 1 Vgl. Gerl, Romano Guardini, 25 – 30. 2 Guardini beschreibt sie in seinen autobiographischen Aufzeichnungen: „Meine religiösen Überzeugungen fingen nämlich an zu wanken. Einen besonderen Anlaß kann ich dafür nicht nennen. Auch nicht den, welchen die pädagogische Weisheit gern als Regel annahm, daß ich in irgendwelche erotische Beziehungen geraten wäre, denn das ist nicht geschehen. Nicht, daß ich solchen Dingen mit Absicht aus dem Wege gegangen wäre, sondern es kam eben nicht dazu.. Eigentlich ist der Ausdruck, die religiösen Überzeugungen seien wankend geworden, nicht richtig, sondern sie wurden immer weniger. Wenn ich abends mein Abendgebet sprechen wollte, wußte ich nicht, wohin ich es richten solle und habe manches Mal – eine groteske Sache – einen Gottesbeweis rekapituliert, um zu wissen, daß es einen Gott gebe, zu dem ich beten könne. Eines Abends kam ich mit einem Studenten – einem Kunsthistoriker, der ein sehr kostspieliges Leben

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Guardinis Suche nach dem außerweltlichen Standpunkt

mit seinem Freund Karl Neundörfer zu einer Wende. Rund vierzig Jahre später berichtet Guardini von einer Szene, die gleich einem Bekehrungserlebnis in seinen autobiographischen Aufzeichnungen inszeniert wird. In seiner Dachkammer des Elternhauses erörtert er mit Karl Neundörfer die ihn umtreibenden religiösen Fragen. Das Gespräch spitzt sich zu in dem Mt 10, 39 interpretierenden Satz: „Wer seine Seele festhält, wird sie verlieren; wer sie aber hergibt, wird sie gewinnen.“ Sodann schildert er die Lösung seiner Krise, die er im Alleinsein in folgendem weiterführenden Gedanken findet: Meine Seele hergeben – aber an wen? Wer ist im Stande, sie mir abzufordern? So abzufordern, daß darin nicht doch wieder ich es bin, der sie in die Hand nimmt? Nicht einfachhin „Gott“, denn wenn der Mensch es nur mit Gott zu tun haben will, dann sagt er „Gott“ und meint sich selbst. Es muß eine objektive Instanz sein, die meine Antwort aus jeglichem Schlupfwinkel der Selbstbehauptung herausziehen kann. Das aber ist nur eine einzige: die katholische Kirche in ihrer Autorität und Präzision. Die Frage des Behaltens oder Hergebens der Seele entscheidet sich letztlich nicht vor Gott, sondern vor der Kirche.3

Diese Bindung an die Kirche zieht sich durch Guardinis Leben, das er gleichwohl in relativer Freiheit von der damaligen Institution röm.-kath. Kirche führen kann. Es ist deswegen nicht überraschend, dass er während des Modernistenstreits an seinem religiösen Gehorsam festhält. Und doch geht er eigene Wege, nicht zuletzt weil er durch die Berufung auf den besonderen Lehrstuhl nach Berlin sein Fach verliert. Seine Arbeiten sind von diesem Zeitpunkt an durch seine Auseinandersetzung mit der Kultur seiner Zeit geprägt. Als herausgehobene Beispiele seien seine Auslegungen der Werke von Rainer Maria Rilke, Wilhelm Raabe und Fjodor Dostojewski erwähnt. Überhaupt durchziehen die Darstellungen des Denkens herausragender Persönlichkeiten wie Sokrates, Augustinus, Dante, Pascal, Hölderlin und Kierkegaard sein Werk. Der Zeit seines Lebens von Schwermut geplagte Guardini übt trotz allen Zweifels, der ihn auch umtreibt, der Kirche gegenüber Gehorsam. Das wird pointiert in einer Anekdote veranschaulicht, in der er als Todkranker einem Freund „auf die Frage, weshalb er Zeit seines Lebens den Glauben bewahrt habe[, antwortet]: ,Weil ich es meinem Bischof bei der Priesterweihe versprochen habe.‘“4

führte und Kantianer zu sein behauptete – über religiöse Fragen ins Gespräch. Ich legte ihm die üblichen Argumente für die Existenz Gottes dar, und er erwiderte mit den Gedankengängen der kantischen Kritik. Damals ist mir der ganze Glaube zerronnen; richtiger gesagt, ich habe gemerkt, daß ich keinen mehr hatte. Das war im Sommer 1905.“ Guardini, Berichte, 68 f. 3 Guardini, Berichte, 72. 4 Gerl, Romano Guardini, 60.

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2. Die Lehre vom Gegensatz Guardinis Werk liegt eine eigenständige Gegensatzlehre zu Grunde, die besagt, dass alles Lebendige nur im Spannungsgefüge von Gegensätzen existiert. An diesem Modell des Gegensatzes hat Guardini auf seinem Lebensweg als theologischer und philosophischer Denker immer weiter gearbeitet. Als Monographie greift „Der Gegensatz. Versuche zu einer Philosophie des LebendigKonkreten“ von 1925 bereits auf eine Vorstudie aus dem Jahr 19145 zurück. Es ist somit ein Werk aus der Berliner Zeit, das gleichwohl stark von den Anfängen seines Denkens geprägt ist. Er versucht darin sowohl den Denkansatz zu erläutern als auch eine vollständige Darstellung von Gegensatzformen zu bieten.6 Diesem Buch ist schon „äußerlich“ anzumerken, dass es zugleich ein Versuch ist, seine bisherigen Denkbewegungen zu bündeln. Indem Guardini es seinem Freund Karl Neundörfer widmet, bekundet er zugleich die gemeinsame Autorschaft und betrachtet die aus gemeinsamen Gesprächen – angefangen in der oben beschriebenen religiösen Krise des Jahres 1905 – erwachsenen Gedanken als den Ursprung „alles Wesentlichen“ dieses Bandes. Gleichwohl zeichnen sich Veränderungen ab. Bleibt die inhaltliche Darstellung der Gegensatzformen in der Studie von 1914 zwar weitgehend identisch mit der späteren Ausarbeitung von 1925, so wird die Gegensatzlehre als Denkform vor einem veränderten Hintergrund in Guardinis Gedankenwelt integriert. Er selbst merkt an: „Die Wesenszüge sind die alten geblieben; nur hat sich alles deutlicher um das Problem des Konkreten gesammelt.“7 In gleicher Weise, wie die Akzentuierung auf das Konkrete zunimmt, wird der Anspruch, den die Gegensatzlehre erfüllen soll, abgeschwächt. Handelt es sich 1914 noch um ein System, so wird 1925 nur noch ein Versuch präsentiert. Über die stärkere Bedeutung des Konkreten bei der Behandlung des Gegensatzthemas zeichnet sich die Ausarbeitung von 1925 auch dadurch aus, dass Guardini die Gegensatzidee mit einem erkenntnistheoretischen Problem verbunden hat, was ihn selbst u. a. dazu veranlasst hat, den ganzen Entwurf auch 1925 noch bzw. erst dann als vorläufigen Versuch anzusehen.8 Was Guardini selbst als möglichen Nachteil betrachtet hat, hat sicherlich dazu geführt, dass seine Gegensatzlehre zu seinem Offenbarungsverständnis in Beziehung gesetzt worden ist, was abschließend noch betrachtet werden soll. Nun soll zunächst der Inhalt der Gegensatzlehre – das System der Gegensätze – dargestellt werden und sodann ihre Einbettung in die erkenntnistheoretischen Probleme, wie sie Guardini in 5 Guardini, Gegensatz und Gegensätze. 6 „Diese Reihe von Gegensätzen tritt sogar mit dem Anspruch auf, außer ihr gebe es keine derartigen letzten Gegensatzformen mehr.“ Guardini, Der Gegensatz, 29. 7 Guardini, Der Gegensatz, 11. 8 Vgl. Guardini, Der Gegensatz, 12.

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dem Entwurf von 1925 selbst vorgenommen hat. Da er Letzteres durch die Konzentration auf das Konkrete vorgenommen hat, ist auch die Frage virulent, ob es sich hierbei, wie Eugen Biser vorschlägt, um eine Theorie mit einem latenten Antiplatonismus handelt,9 oder ob nicht insgesamt der Gedanke des Gegensatzes ein genuin platonischer Ansatz ist.10

2.1 Das System der Gegensätze In der Vorstudie „Gegensatz und Gegensätze“ von 1914 stellt Guardini bereits ein System von acht Gegensätzen vor. Zwei Grundgegensätze, die er als transzendental zusammenfasst, stellt er voran: „Ähnlichkeit und Verschiedenheit“ und „Verbundenheit und Geschiedenheit“. Diese beiden Gegensatzpaare, die bezogen auf die Grundgegebenheit von Gegensätzlichkeit zu verstehen sind, unterscheidet er, indem er das erste Paar als Gegensatz in Bezug auf die Qualität bzw. die Eigenschaft versteht und das zweite in Bezug auf die Struktur. Die weiteren sechs Gegensatzpaare bezeichnet er als kategorische Gegensätze, wobei er kategorisch im Sinne antiker formaler Logik und nicht im Sinne Kants apriorisch versteht. Sie beziehen sich im Unterschied zu den transzendentalen Gegensätzen auf die Erfahrungswirklichkeit und sind noch einmal unterteilt in metaphysische und physische Gegensätze. Die metaphysischen Gegensätze beziehen sich hier deshalb auf die Erfahrungswirklichkeit, weil es darum geht, wie sich ein vorausgesetztes metaphysisches Einheitsprinzip innerhalb der Erfahrung auswirkt. Es handelt sich dabei um die Gegensätze „Produktion und Disposition“, „Anomie und Nomie“ und „Immanenz und Transzendenz“. Als physische Gegensätze versteht er „Fülle und Form“, „Dynamik und Statik“ und „Besonderheit und Allgemeinheit“. Diese Gegensätze ergeben durch unterschiedliche Gewichtung sowie durch Kreuzung und Reihung unterschiedlicher Gegensatzpaare eine Typologie, die an Dinge und Dingsysteme der Wirklichkeit angelegt werden kann. Mit Hilfe dieser Typologie möchte Guardini die Grundstrukturen des Seins beschreiben, ohne dabei eine metaphysische Ontologie bieten zu wollen. Lediglich am Konkreten soll das Sein in seinen Gegensätzen gedeutet werden, wobei das Gegensatzdenken dazu führen soll, nicht einseitig, sondern zweiseitig die Wirklichkeit zu betrachten: „Das Sein verwirklicht stets den ganzen Gegensatz, nicht bloß eine Seite von ihm, wenn dies auch in unendlich verschiebbarem Quantitätsverhältnis geschieht.“11 Diesen „Entwurf eines Systems der 9 Biser, Interpretation und Veränderung, 53. 10 „Der Gedanke der Gegensätzlichkeit oder Polarität scheint zum Grundbestand des ,platonisch‘ gerichteten Denkens zu gehören. Man kann die Probleme bezeichnen, bei denen in diesem Denken, sobald es sich frei bewegt, der Gegensatzgedanke auftaucht. So wird er in der Geschichte vor allem dann lebendig, wenn die platonische Denkweise wieder auflebt.“ Guardini, Der Gegensatz, 24. 11 Guardini, Gegensatz und Gegensätze, 18 f.

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Typenlehre“ nimmt Guardini in der späteren Ausarbeitung im zweiten Kapitel („Das System der Gegensätze“12) auf, wo er im ersten Abschnitt „Die Gegensätze im einzelnen“13 darstellt und im zweiten Abschnitt „Das Verhältnis der Gegensätze zueinander“14 in Beziehung setzt. Die acht Gegensatzpaare bleiben erhalten; sie werden allerdings teilweise umbenannt. Die Unterscheidung von kategorialen und transzendentalen Gegensätzen bleibt bestehen sowie die Unterteilung der kategorialen Gegensätze, wobei sie nun als intraempirische und transempirische betrachtet werden. Das Tableau von Gegensätzen gestaltet sich wie folgt: Kategoriale Gegensätze

Transzendentale G.

Intraempirisch

Transempirisch

1. Dynamik – Statik

1. Produktion – Disposition

1. Verwandtschaft – Besonderung

2. Form – Fülle

2. Ursprünglichkeit – Regel

2. Einheit – Mannigfaltigkeit

3. Einzelnes – Gesamtes

3. Innewohnen – Darüberstehen

2.1.1 Die kategorialen Gegensätze Die intraempirischen Gegensätze, mit denen Guardini die Darstellung der acht Gegensatzpaare 1925 eröffnet, gründen in der Selbsterfahrung des Individuums und in dessen Gestalt von Leib und Seele, wobei das Verhältnis von innen und außen von vornherein im Blick ist: „Wir gehen von unserem menschlichen Seinsbestand aus, wie er sich innerer und äußerer Erfahrung darbietet.“15 So beginnt Guardini seine Betrachtungen zu den einzelnen Gegensätzen. Bezogen auf den Körper als auch analog zur „seelischen Welt“ wird zunächst das Leben als Akt-Erfahrung beschrieben oder auch als Wandel.16 Davon ausgehend wird das erste Gegensatzverhältnis von Dynamik und Statik entfaltet. Zunächst entwickelt er die Dynamik anhand der Begriffe Kraft, Akt, Wandel und Strom, um sie sodann an ihre Grenze zu führen, indem er feststellt, dass diese Begriffe nicht rein verwirklicht werden können. Den Akt gebe es nicht ohne statisches Moment, den Strom nicht ohne Dauer oder Stand.17 Auch diese gegenläufigen Momente werden in der Selbsterfahrung verankert, so dass der Gegensatz von Dynamik und Statik insgesamt erfahrungsgesättigt erscheint: „So erfahren wir uns als etwas Dauerndes: als ruhende Selbigkeit im 12 13 14 15 16 17

Guardini, Der Gegensatz, 33 – 126. Guardini, Der Gegensatz, 33 – 79. Guardini, Der Gegensatz, 80 – 92. Guardini, Der Gegensatz, 33. Vgl. Guardini, Der Gegensatz, 34. Vgl. Guardini, Der Gegensatz, 36 f.

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Wandel; als beharrende Stetigkeit im Ablauf; als bleibende Grundgestalt in aller Veränderung.“18 So wie die beiden Seiten des Gegensatzes nicht in reiner Form zu finden sind, führt der Versuch, das Leben von einer Gegensatzseite ausgehend zu gestalten, zur Unmöglichkeit. Entweder führt er in die dynamische Krise „des zerrüttenden Dynamismus und Relativismus; oder in die statische der erstarrenden Bewahrung und Härte.“19 Schon in der Darstellung des ersten Gegensatzpaares kommt Guardini zu dem für die Gegensatzlehre insgesamt wichtigen Ergebnis, dass es zur Überwindung dieser Krise nicht durch eine Synthese der gegenläufigen Seiten komme, sondern indem „innerhalb der betreffenden Lebensrichtung die sinngemäß entgegengesetzte aufgefunden, zugelassen, zur Entfaltung freigegeben wird“20. So muss er zu der Einschätzung kommen, dass das Leben wesentlich paradox ist, weil der Gegensatz, bei dem es sich um ein Urphänomen handelt, „die Tatsache wechselseitiger Ausschließung und Einschließung zugleich ist“.21 Und er hält fest, „daß zwei Momente, deren jedes unableitbar, unüberführbar, unvermischbar in sich steht, doch unablöslich miteinander verbunden sind; ja gedacht werden können an und durch einander.“22 Von hier aus betrachtet sind die beiden anderen intraempirischen Gegensätze Weiterführungen, die dem Gegensatz von Dynamik und Statik verwandt sind. Den zweiten Gegensatz – Form und Fülle – siedelt er auf einer eigenen Sinnlinie an.23 Wurde das erste Gegensatzpaar noch in gleicher Weise anhand von außen und innen entfaltet, konzentriert sich, insbesondere durch den wiederholten Bezug auf das Motiv des Aktes, die Darstellung des Gegensatzsystems auf den Innenbezug – wie auch die Vertiefung des Formlosen durch die Fülle. Diese Engführung auf das Innere wird durch den dritten intraempirischen Gegensatz fortgeführt: „Die Gestalt des Lebens baut sich von innen her auf; sein Akt geht aus eigenem Ursprung hervor.“24 Dieser dritte und letzte intraempirische Gegensatz beschreibt in der Dynamik von innen und außen das Verhältnis der Gegensatzpole Einzelnes und Gesamtes als zwei Richtungen, in die das Leben strebt. Dieser Gegensatz wird auch als Integration und Differenzierung dargestellt25 und so schreibt Guardini von integrierender und differenzierender Tendenz.26 Die Unmöglichkeitsgrenzen dieses Gegensatzes sind die tote Abstraktion in der Richtung auf das Gesamte und der zusam-

18 19 20 21 22 23 24 25

Guardini, Der Gegensatz, 38. Guardini, Der Gegensatz, 39. Guardini, Der Gegensatz, 39. Guardini, Der Gegensatz, 40. Guardini, Der Gegensatz, 41. Vgl. Guardini, Der Gegensatz, 41. Guardini, Der Gegensatz, 45. Vgl. Gerl, Leben in ausgehaltener Spannung, 224; vgl. Gerl, Romano Guardini, 258; vgl. Knoll, Glaube und Kultur, 81. 26 Vgl. Guardini, Der Gegensatz, 49.

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menhanglose Punkt in der Richtung auf das Einzelne.27 Die Betrachtungen der intraempirischen Gegensätze werden dieser Engführung folgend mit einem Abschnitt über den Begriff des Inneren abgeschlossen, die zugleich zu den transempirischen Gegensätzen hinführt. Als Ergebnis hält er fest, dass das lebendige Sein von „innen nach außen bzw. von außen nach innen geschichtet“28 ist, und stellt nun den psychischen Bereich als Innerlichkeit dem körperlichen gegenüber, wobei er von unzähligen nach innen gerichteten Tiefenschichten ausgeht. Dies führt schließlich dazu, dass Guardini die erfahrene Innerlichkeit des lebendigen Seins als nicht mehr erfahrbar beschreibt: „Das alles weist auf ein letztes endgültiges ,Innen‘ hin, dem gegenüber alles andere ,Außen‘ ist. Es selbst kann nicht erfahren werden. Es liegt allem physisch wie psychisch Erfahrbaren inne.“29 Dieses „Innen“ wird im folgenden auch als „Ursprungspunkt“30 des Lebens oder im Zusammenhang mit den Akten des menschlichen Lebens als „transempirisches Zentrum“31 beschrieben. Da dieses Innen des Lebens dem Erfahrungsbereich entzogen ist, obwohl es auf ihn bezogen werden muss, werden die intraempirischen Gegensätze durch die transempirischen Gegensätze erweitert. Die drei transempirischen Gegensätze, in denen es um die Hervorbringung von etwas aus dem Inneren geht, werden in ähnlicher Weise wie die intraempirischen entwickelt. Auch sie werden jeweils von einem Pol entfaltet, so dass sich die Gegensatzseite als Korrektiv ergeben muss, wenn die Ausgangsseite nicht in der Unmöglichkeit verhaftet bleiben soll, und auch sie sind – insbesondere die ersten beiden Gegensatzpaare – miteinander verwandt. „Produktion“ und „Disposition“ sowie „Ursprünglichkeit“ und „Regel“ beschreiben die Spannung des schöpferischen Aspekts des Lebens. In beiden Fällen handelt es sich um eine Ursprünglichkeit des lebendigen Schaffens, die auf das Innere bezogen wird: „Überall sehen wir es in solchem Schaffen aus dem Innern hervorsteigen; hervorgebracht durch den Tiefenpunkt, durch den Schoß des Lebens.“32 Beim ersten Gegensatzpaar wird dieser schöpferische Aspekt von vornherein mit einem Gegenüber in ein wechselseitiges Verhältnis gesetzt: Nun gibt es gewiß kein bloß hervorbringendes Schaffen. Alles Schaffen braucht Stoff. […] Das innere Leben braucht Wahrnehmungen, Gefühlsspannungen, Anregung, Hilfe und Widerspruch, alles was im natürlichen, geschichtlichen und gesellschaftlichen Zusammenhang steht.33 27 28 29 30 31

Vgl. Guardini, Der Gegensatz, 48 f. Guardini, Der Gegensatz, 50. Guardini, Der Gegensatz, 51. Guardini, Der Gegensatz, 51. „Das ganze Aktwesen des Lebens zeigt sich so geartet, daß es auf ein transempirisches Zentrum weist.“ Guardini, Der Gegensatz, 52. 32 Guardini, Der Gegensatz, 54. 33 Guardini, Der Gegensatz, 55.

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An dieser Stelle verwundert es, dass Guardini nicht nur die Angewiesenheit des schöpferischen Aktes allen endlichen Lebens auf einen Stoff heranzieht, um eine reine Ursprünglichkeit als Produktion der Unmöglichkeit zu überführen. Daneben verweist er auf Gott: „Nur Gott schafft ,aus dem Nichts‘ – wie überhaupt die ,reine‘ Verwirklichung der gegensätzlichen Lebensfunktionen nie im Endlichen, nur im absoluten Leben Gottes möglich ist[.]“34 Das Schaffen endlichen Lebens bleibt also auf Vorhandenes angewiesen. So ergeben sich hier wieder zwei Wesensrichtungen: „Die Wesensrichtung des Schaffens ging auf Offenbarung, die ihren Sinn in sich selber trug; die Wesensrichtung des Ordnens und Verfügens geht auf Zweck, und auf die notwendigen Mittel, ihn zu erreichen.“35 Letztere Wesensrichtung läuft in Reinform wiederum ins Leere: Soll Disposition nicht im Formalen aufgehen, soll sie Verbindung mit den Dingen, Sachbeziehung behalten, dann muß sie schaffend sein. Verfügen kann man im Letzten nur über das, was man irgendwie hervorbringen kann.36

Der zweite transempirische Gegensatz hat wieder die schöpferische Ursprünglichkeit zum Ausgangspunkt, nun aber unter dem Aspekt der Kontingenz, dass alles Schaffen, wann und wie es will, kommt.37 Der schöpferische Vorgang unterstehe keiner Regel und öffne neue Möglichkeiten, was in extremer Polarität jedoch zur Haltlosigkeit führe und auf ein Mindestmaß an Zusammenhang angewiesen sei, weshalb als Gegenseite die Regel ohne Zwang in wechselseitigem Verhältnis zur Ursprünglichkeit das Sein endlichen Lebens begrenze.38 Oft wird der dritte transempirische Gegensatz durch Immanenz und Transzendenz beschrieben, doch m. E. ist die zunächst unschärfer erscheinende Bezeichnung von Innewohnen und Darüberstehen treffender, weil hier die Innerlichkeit des Lebens, das sich selbst als innewohnend erfahrende Leben, zum Ausgangspunkt genommen wird.39 Unter der Annahme, dass das Innere der Wesenskern des Einzelnen ist, wäre dieser dritte Gegensatz m. E. dem dritten intraempirischen Gegensatz frappierend ähnlich. Der Unterschied dieser Gegensätze besteht gerade darin, dass der dritte transempirische Gegensatz ein dieser Annahme gegenläufiges Moment zum Ergebnis hat. Denn das Sich-Selbst-Innewohnende wird durch diesen Gegensatz an seine Grenze geführt. So gilt: Sich inne kann nur sein, was zum mindesten die Möglichkeit hat, außer sich selbst zu stehen. Mehr : was tatsächlich, und sei’s auch nur mit einem noch so geringen Teil des 34 35 36 37 38 39

Guardini, Der Gegensatz, 56. Guardini, Der Gegensatz, 57. Guardini, Der Gegensatz, 59. Vgl. Guardini, Der Gegensatz, 60. Vgl. Guardini, Der Gegensatz, 60 – 66. Vgl. Guardini, Der Gegensatz, 66.

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eigenen Bestandes, außer sich steht. Sonst ist kein Sich-Inne-Sein, sondern ein ZuGrunde-Gehen, oder gar mechanische Selbigkeit.40

Dieses Außer-Sich-Stehen wird schon durch die Erfahrung der Zeitlichkeit bestimmt. Reine Innerlichkeit wäre demnach bloße Gegenwart, Reduktion auf einen Punkt. Der Gegensatz von Innewohnen und Darüberstehen ist schließlich ein Gegensatz von lebendigem Innenpunkt und Erfahrungsbestand.41 Das veranlasst Guardini, die Rede vom Innenpunkt als dem Ursprungspunkt zu modifizieren: Nun bemerken wir, daß dieser Innenpunkt in Wahrheit auch ,Außenpunkt‘ ist und Außenhaltung begründet. So können wir jene Bezeichnung nicht mehr aufrecht halten. Ich habe nach einem einigermaßen sprechbaren Wort gesucht, aber keines gefunden. Es handelt sich eben um gegensätzliche Funktionen des Lebens, für die ein gemeinsamer Ausdruck nicht mehr möglich ist. So wollen wir ihn den transempirischen Punkt des Lebens nennen.42

Durch die Rede vom transempirischen Punkt unterscheidet sich Guardinis Vorstellung vom Lebendig-Konkreten von einer reinen Innerlichkeit des Subjekts. Denn das Subjekt selbst wird hier als Träger des Lebendig-Konkreten von vornherein in einer Dynamik der Gegensätzlichkeit von innen und außen betrachtet. Von daher bringt der transempirische Punkt nicht ein vertieftes Verständnis des Inneren eines Subjekts zum Ausdruck, sondern problematisiert gerade die Möglichkeit, das Subjekt als isolierten Innenpunkt zu betrachten.43 2.1.2 Die transzendentalen Gegensätze Im Unterschied zu den kategorialen Gegensätzen werden die transzendentalen Gegensätze nicht unmittelbar aus dem Bereich der Erfahrung des Lebens erhoben, sondern aus der „Tatsache der Gegensätzlichkeit als solcher.“44 Guardini benennt die beiden transzendentalen Gegensatzpaare mit den Begriffen Verwandtschaft und Besonderung sowie Einheit und Mannigfaltigkeit. Insofern ähneln diese Gegensatzpaare in gewisser Weise jeweils dem dritten Gegensatzpaar der kategorialen Gegensätze. Doch müssen sie wegen des grundlegenden Charakters der transzendentalen Gegensätze unterschieden werden. Es geht um die Verwandtschaft und Besonderung von „Teilakten eines geschlossenen Gesamtlebens“45 sowohl von Individuen als auch von überin40 41 42 43

Guardini, Der Gegensatz, 67 f. Vgl. Guardini, Der Gegensatz, 70. Guardini, Der Gegensatz, 71. Gegen Paulys Vorschlag, Guardinis Rede vom transempirischen Punkt und Kierkegaards Struktur des Subjekts in seiner Selbstbezüglichkeit analog zu betrachten. Vgl. Pauly, Subjekt und Selbstwerdung, 151 – 153. 44 Guardini, Der Gegensatz, 72. 45 Guardini, Der Gegensatz, 73.

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dividuellen Einheiten. Der erste transzendentale Gegensatz unterscheidet sich vom zweiten, indem er sich „auf das Qualitative des Gegensatzphänomens“46 richtet, während der zweite Gegensatz sich auf die struktive Seite des Zusammenhangs des Lebens richtet.

2.2 Die Gegensätze in ihrem Zusammenhang Nachdem Guardini die acht Gegensätze herausgearbeitet hat, erläutert er ihren Zusammenhang durch Einheit, Kreuzung und Reihung. Während Kreuzung und Reihung der einzelnen Gegensätze jeweils neue Gegensatzgruppen in je anderen Beziehungsgeflechten hervorbringen, bezieht sich die Einheit nun aber auf den Gegensatz als solchen. Der Gegensatz wird als Spannungseinheit verstanden, durch die sich das Lebendig-Konkrete auszeichnet und in der es sich bewegt. Bei aller Vielzahl der Gegensätze geht es Guardini um diese Spannungseinheit des Lebens, das immer in einem Gegensatzverhältnis steht, so dass schließlich die Vielzahl der Gegensätze dahinein zurücktreten: Im Grunde freilich gibt es nur einen einzigen Gegensatz […]. Er kann aber nicht in einem Begriffspaar ausgesprochen werden. […] Der eine, einzige Grundgegensatz alles Lebendigen, der tatsächlich alles umfaßt, kann daher – außer in Symbolen – nur in einer Vielheit von besonderen Begriffen ausgesprochen werden: eben den beiden enantiologischen Reihen.47

Dadurch, dass es die Einheit des Lebendig-Konkreten nur in Form dieser durch die Tatsache der Gegensätze gegebenen Spannungseinheit gibt, nimmt Guardini die Momente des Maßes und des Rhythmus’ in seine Gegensatzlehre auf, um so die Spannung der Gegensätze beschreiben zu können. Maß und Rhythmus sind gleichsam der zeitliche Aspekt, in dem sich die Gegensätze bewegen. Das Maß ist zunächst aber auch ein quantifizierender Aspekt. In der Entfaltung der einzelnen Gegensätze ist stets die Rede von dem Mindestmaß der Gegenseite. Die extremen Punkte der Gegensatzeinheit sind gekennzeichnet durch die reine Verwirklichung einer Seite, die selbst unmöglich ist und deshalb außerhalb der Gegensatzeinheit steht. Somit sind die eigentlichen Grenzwerte die Steigerung einer Gegensatzseite, in der ein Mindestmaß der anderen Seite vorhanden ist. Durch die Betrachtung des Maßes ergibt sich allerdings ein weiterer Grenzpunkt, der im Gleichgewicht der Gegensatzseiten steht: „Das Verhältnis des Gleichgewichtes ist eine Ausnahmestellung; nur möglich als Übergang. Als dauernd genommen bildet es wiederum einen Grenzfall, der nur im Untergang des Lebens, im Tod verwirklicht werden 46 Guardini, Der Gegensatz, 72. 47 Guardini, Der Gegensatz, 92.

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könnte.“48 Somit ist das Maß im Regelfall ein gleitendes – vom festen Maß geht Guardini als Ausnahme aus, die noch einmal vom Gleichgewicht als vollendeter Harmonie unterschieden ist – und untersteht so dem Wandel. Diesem Wandel stellt er, da es sich um lebendigen Wandel handeln muss, etwas Festes, eine Regel in Gestalt des Rhythmus, gegenüber. Schließlich führt Guardini noch aus, dass die Gegensatzreihen in keiner Weise sich gegenseitig an Wert überwiegen, dass es sich bei dem System der Gegensätze um ein offenes System handelt. Diese Offenheit führt auch dazu, dass sich „Individualsysteme“ zu Gruppen und diese wiederum zu „Gruppengefügen“ verknüpfen können, die je weitere Gegensatzeinheiten bilden.49 Hier stellt sich nun die Frage, ob auch für diese verknüpften Systeme von einem transempirischen Punkt auszugehen sei. Während Guardini das im Fall der Ehe für die Familie50 oder im Verhältnis von Regierung und Volk für den Staat51 annimmt, scheint es ihm im Fall der Kirche als „metaphysisch gegründete Einheit“52 besonders deutlich. Allerdings lässt er bei der Anwendung der Gegensatzlehre auf die Kollektivsysteme Vorsicht walten, die dazu führt, das Individuum als herausgehobene Gegensatzeinheit zu betrachten: Nun hieße es freilich der Wirklichkeit um einer vorgefaßten Theorie willen Gewalt antun, wollte man Einzelnen und Sozietät als parallele Glieder einander gegenüberstellen. Vielmehr besitzt der Einzelne eine ganz andere Dichtigkeit, Leibhaftigkeit, Unausweichlichkeit als jede Gesellschaftsbindung.53

Ist die Gegensatzlehre als Philosophie des Lebendig-Konkreten angelegt und ist somit der Träger des Gegensatzsystems das Leben, was näherhin als endliches und insbesondere menschliches Leben bestimmt wird, so ist vor allem das lebendige menschliche Individuum in vielem der eigentliche Träger des Gegensatzsystems. Allerdings wird dies eher verwischt, was gerade an der Rede vom transempirischen Punkt deutlich wird. Denn genau hier ließe sich eine Subjektivitätsvorstellung, die sich gerade durch die Spannung von Selbstbezogenheit und Außenbeziehung kennzeichnet, eintragen.

2.3 Die Gegensatzlehre als Philosophie des Lebendig-Konkreten Die Einbettung des Gegensatzsystems in eine Philosophie des LebendigKonkreten, die einerseits dazu führt, den Charakter des Systems zugunsten des Versuchs abzuschwächen, bringt andererseits einen erkenntnistheoreti48 49 50 51 52 53

Guardini, Der Gegensatz, 98. Vgl. Guardini, Der Gegensatz, 111 – 115. Vgl. Guardini, Der Gegensatz, 118. Vgl. Guardini, Der Gegensatz, 126. Guardini, Der Gegensatz, 126. Guardini, Der Gegensatz, 125 f.

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schen Aspekt mit hinein. Mit der Gegensatzidee möchte Guardini einen Weg finden, Erkenntnis aus einem einseitigen Rationalismus zu lösen. Dadurch, dass das Lebendig-Konkrete zum Gegenstand der Erkenntnis gemacht und gleichzeitig postuliert wird: „Das Lebendig-Konkrete als solches kann durch Begriffe nicht erfaßt werden, denn die richten sich ihrer Natur nach auf das Allgemeine.“, bedarf es neben der begrifflichen, rationalen und abstrakten Erkenntnisweise „eine[r] irgendwie ,intuitive[n]‘“54. So ist lebendige Erkenntnis bzw. Erfassung des Lebendig-Konkreten eine Gegensatzeinheit von Rationalismus und Intuitionalismus, die Rationalität und Intuition überwölbt, weil der über-rationale Charakter des Lebendig-Konkreten gewahrt bleiben müsse.55 Der Erkenntnis-Akt, der die Spannung von Begriff und Intuition umfasst, ist dann die Anschauung. Hier fügt sich dann auch die Konzeption der Weltanschauung Guardinis ein. Doch wird letztere noch einmal abgehoben von der Anschauung des Konkreten: Der weltanschauende Blick deckt sich nicht mit jenem, der das Konkrete sieht. Dieser ist vielmehr in jenem enthalten, erschöpft ihn aber nicht. Damit die Anschauung des Konkreten zur Schau des Welthaften werde, muß noch jener eigentümliche Abstand hinzukommen, den erst der außerweltliche Standpunkt, der Glaube, gibt.56

Mit diesem Zitat sind nun die Probleme des Verhältnisses von Guardinis Gegensatzlehre und seinem Offenbarungsverständnis offenkundig. Denn kann es einen Standpunkt außerhalb des Spannungsgeflechtes der Gegensatzeinheiten geben? Und ist so ein Standpunkt überhaupt notwendig? Dagegen lässt sich fragen, ob nicht der Standpunkt des Glaubens, die christliche Weltanschauung, innerhalb der lebendigen Spannungseinheiten zu verorten wäre. Dazu ein kurzer Ausblick auf Guardinis Modell der katholischen Weltanschauung und eine Beobachtung zu seinem Offenbarungsverständnis.

3. Katholische Weltanschauung und Offenbarung Die katholische Weltanschauung ist Guardinis Fach seit seiner Berufung auf den Berliner Lehrstuhl im Jahr 1923. Seine damalige Antrittsvorlesung „Vom Wesen katholischer Weltanschauung“57 ist sein Programm. Hier grenzt er durch den Blick auf das Konkrete die Weltanschauung von Metaphysik ab;58 Metaphysik hingegen ist auf das Allgemeine gerichtet. Der weltanschauende Blick wird erst „von der geschichtlichen, übernatürlichen Offenbarung“59 54 55 56 57 58 59

Guardini, Der Gegensatz, 143. Vgl. Guardini, Der Gegensatz, 19. Guardini, Der Gegensatz, 177. Guardini, Weltanschauung, 21 – 43. Vgl. Guardini, Weltanschauung, 24. Guardini, Weltanschauung, 32.

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möglich. Das Ergebnis ist dann: „Christus hat den vollen Blick der Weltanschauung. Der weltanschauende Blick ist der Blick Christi.“ Und weiter : „Im Glaubenden erneuert sich, wenn auch in noch so geringem Maße, die Haltung Christi. Jeder wirklich Glaubende ist ein lebendiges Gericht der Welt.“60 Das ist nun katholische Weltanschauung und sie ist die einzig gültige, weil sie gegenüber dem sonstigen Konzept der Weltanschauung jeglicher Relativität entkommt, gleichwohl gibt es den Typus der katholischen Weltanschauung in verschiedenen Ausprägungen. Als Beispiele benennt er mit Tertullian, J.M. Sailers, Augustinus, Ignatius von Loyola, Thomas und Kardinal Newman unterschiedliche Vertreter derselben Weltanschauung.61 Durch den außerweltlichen Standpunkt, der hier mit dem Blick Christi identifiziert wird, schlägt die Weltanschauung aber doch irgendwie in Metaphysik um. In seinem Offenbarungsbuch von 1940 unterscheidet Guardini dann auch allgemeine und ausdrückliche Offenbarung, und zwar genau an der Stelle des der Welt gegenüberstehenden Standpunktes.62 Sehr schön lässt sich das an einem Aufsatz mit dem Titel „,Offenbarung‘ als Form des Lebensvollzugs“, der auch aus dem Jahr 1940 stammt, beobachten. Dort schreibt er : Im Unterschied zum Leblosen, das kein Inneres hat, sondern einfachhin „da“ ist, kann man die Seinsweise des Lebendigen die der Selbst-Offenbarung nennen. […] Die Form des Bestehens begründet auch die Art der Erkennbarkeit. Das Leblose kann ohne weiteres aufgefaßt werden. Es verbirgt nichts. Wenn der Blick scharf genug ist, sieht er alles. Das Wesen des Lebendigen hingegen muß aus seiner Selbsterschließung entgegengenommen werden.63

Das hier vorgestellte Verständnis von Offenbarung als Selbsterschließung eines Lebendigen wird dann aber noch einmal schroff von seinem Verständnis der eigentlichen Offenbarung abgehoben: Das Gesagte erklärt gar nichts vom Wesen jener Offenbarung, um die es eigentlich geht: in welcher der Lebendige Gott zum Menschen kommt, sein Angesicht enthüllt und seinen Willen kundtut. […] Dennoch haben die Überlegungen wie die voraufgehende einen Sinn: an die Art zu gewöhnen, wie die Dinge des Lebens und des Geistes vor sich gehen; anders als die leblosen, angestrengter, gefährdeter, edler.64

Welche Auswirkung haben diese Beobachtungen nun auf das Verhältnis von Guardinis Gegensatzphilosophie zu seinem Offenbarungsverständnis? Dieses Verhältnis wird sehr unterschiedlich bestimmt. Zum einen gibt es die Deutung, dass die aus der frühen Denkphase stammende Gegensatzphilosophie auch seine Lehre von der Offenbarung bestimmt, zum anderen wird genau die 60 61 62 63 64

Guardini, Weltanschauung, 33. Vgl. Guardini, Weltanschauung, 37. Vgl. Guardini, Die Offenbarung, 47. Guardini, „Offenbarung“ als Form des Lebensvollzugs, 135. Guardini: „Offenbarung“ als Form des Lebensvollzugs, 139 f. Das Zitat ist auch zu entnehmen aus: Guardini, Die Offenbarung, 6.

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gegenteilige Interpretation vorgetragen, dass sein Offenbarungsverständnis bereits die Idee vom Gegensatz als einer Philosophie des Lebendig-Konkreten geprägt habe. Sodann wird der Vorschlag gemacht, die Bedeutung einer Verbindung von Offenbarung und Gegensatzlehre im Denken Guardinis möglichst gering zu veranschlagen, was wiederum zur Folge hat, dass die Gegensatzidee lediglich das Denken des frühen Guardini präsentiert.65 So betrachtet Heinrich Fries u. a. die Offenbarungslehre Guardinis als „Anwendung des Gegensatzprinzips auf das Phänomen der Religion“66, indem er das Verhältnis von natürlicher Religion und Offenbarung bei Guardini als Erprobung der Gegensatzlehre einführt und wie folgt bestimmt: „Offenbarung aber – das ist Guardinis geläufigste Formulierung – steht zu dieser natürlichen Religion quer.“67 Demgegenüber fragt Peter Eicher, ob nicht schon die Gegensatzphilosophie Guardinis auf ein zugrunde liegendes Offenbarungsverständnis hin entworfen ist, weil für ihn die postulierte Einheit der Gegensätze nur in der christlichen Offenbarungsgestalt letztlich denkbar ist und die Überwindung von Wesensmetaphysik und Intuitionismus schon im Vor-Blick auf die lebendige Offenbarungsmetaphysik geschieht.68

Diesen beiden Interpretationsperspektiven ist gemeinsam, dass sie unabhängig davon, ob die Gegensatzlehre die Offenbarungslehre beeinflusst oder umgekehrt, die Lehre vom Gegensatz stets verbunden mit einem erkenntnistheoretischen Problem behandeln. Alfons Knoll betrachtet im Unterschied zu beiden vorgenannten Positionen Gegensatzphilosophie und Offenbarung als gleichursprünglich für das Werk Guardinis und sieht in der Gegensatzphilosophie zunächst eine Beschreibung von Strukturen menschlichen Lebens ohne religiösen bzw. weltanschaulichen Kontext: Die Gegensatzphilosophie kann ganz und gar ohne Glaubensvoraussetzung verstanden werden; dies macht gerade ihre Sonderstellung innerhalb von Guardinis Werk aus. Sie dokumentiert das bewußte Einlassen auf die möglichen „Strukturen“ menschlichen Selbst- und Weltverständnisses, um erst dann – dies allerdings mit großem Nachdruck – die Gesamtheit dieser Phänomene auch glaubend zu interpretieren.69

Es ist schließlich nicht nur zu klären, ob die Gegensatzlehre in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Offenbarungsverständnis steht – in welcher Richtung auch immer – oder nicht. Wenn letzteres gelten sollte, dann ist zu klären, 65 Alfons Knoll sieht in dem Gegensatz-Buch auch den Abschluß einer zwanzigjährigen Reflexion am Ende der ersten von drei Phasen der Werkgeschichte. Vgl. ders.: Glaube und Kultur, 535. 66 Fries, Religionsphilosophie, 282. 67 Fries, Religionsphilosophie, 279. 68 Eicher, Offenbarung, 262 f. 69 Knoll, Glaube und Kultur, 75.

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ob sie dadurch eine Sonderstellung in Guardinis Werk einnimmt oder aber ob sie als „Struktur von Guardinis Denken“70 gesehen werden kann. Betrachten wir das Verhältnis unter dem Eindruck, dass der postulierte außerweltliche Standpunkt gar nicht recht zur Gegensatzlehre passen will, so bedeutet es, dass Fries mit der Beobachtung des „Quer-Stehens“ von natürlicher Religion und Offenbarung etwas Richtiges gesehen hat. Jedoch trifft dies m. E. nicht die Pointe des Gegensatzgedankens. Ferner ist festzuhalten, dass sich durch diesen außerweltlichen Standpunkt ein extrem extrinsezistischer Charakter seines Offenbarungsverständnisses ergibt. Das ist wiederum die treffende Beobachtung von Peter Eicher. Doch bei ihm bleibt fraglich, ob die Einheit der Gegensätze nur oder überhaupt erst in der christlichen Offenbarungsgestalt möglich ist. Bei Eicher wird insgesamt das Motiv der Spannungseinheit nicht ausreichend gewürdigt. Bleibt noch die Deutung Knolls. Dort befriedigt nicht die behauptete Sonderstellung der Gegensatzidee. So mögen Gegensatzlehre und Offenbarungsverständnis zwar gleichursprünglich sein. Dennoch bilden sie einen Gegensatz, der selbst nicht durch die Gegensatzlehre Guardinis erklärt werden kann. Es könnte sich gar um einen Widerspruch handeln, der sich aus dem Grundgedanken der Weltanschauungsidee fortsetzt und durch den eigentümlichen Abstand, den außerweltlichen Standpunkt, ergibt.

3.1 Die Entfaltung seines Offenbarungsverständnisses Das Verhältnis von Guardinis im letzten Sinne übernatürlichem Verständnis von Offenbarung zu seiner zunächst phänomenologisch orientierten Gegensatzlehre lässt sich nur bestimmen, indem untersucht wird, inwieweit die phänomenologischen Ansätze seines Denkens bei der Entfaltung in seine Offenbarungslehre integriert werden. Denn hier zeigt sich, dass sich die Spannung von einer phänomenologischen Anschauung des Lebendig-Konkreten, wie sie in der Gegensatzlehre vorliegt, zum extrinsezistischen Charakter seines Offenbarungsverständnisses in seinen Versuchen zur Offenbarung widerspiegelt und sich dabei zunächst zuspitzt, später jedoch wechselseitig aufeinander bezogen wird. Genauer lässt sich diese Spannung in der Unterscheidung von Offenbarung als Erfahrung des Phänomens des Religiösen und Offenbarung, „deren literarischen Ausdruck das Alte und das Neue Testament bilden“71, benennen. Sie ist noch einmal anders zu deuten als jene Spannungen, die sich durch die Polaritäten der Gegensätze in Bezug auf die Beschreibung des Lebendig-Konkreten ergeben. Guardini ringt mit ihr bis zum Schluss seiner wissenschaftlichen Tätigkeit und kommt in dieser Frage zu keiner abschließenden Lösung. 70 Gerl, Romano Guardini, 250. 71 Guardini, Die Existenz des Christen, 16.

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So ist auch die Quellenlage zum Themenbereich Offenbarung nicht eindeutig. Als Publikationen, in denen Guardini seine Offenbarungslehre entfaltet, sind vor allem zu nennen: „Das Wesen des Christentums“ von 1938, das als Vorstudie zu seinem Buch „Offenbarung“ von 1940 betrachtet werden kann. Neben diesen beiden Werken ist dann „Religion und Offenbarung“ von 1958 von Bedeutung. Letzteres Werk ist als zweite Auflage seiner Offenbarungsstudie angelegt, thematisiert allerdings nur deren ersten, religionsphänomenologischen Teil in einem wesentlich breiteren Umfang72. Zu einer Publikation des zweiten Teils ist es nicht mehr gekommen. Dass Guardini das Werk jedoch ursprünglich als zweibändige Darstellung konzipiert hat, wird schon äußerlich dadurch erkennbar, dass „Religion und Offenbarung“ in der ersten Auflage von 1958 als Erster Band tituliert wird. Außerdem ist seinen Tagebüchern aus dem Zeitraum zwischen 1942 und 1964, die seit 1980 unter dem Titel „Wahrheit des Denkens und Wahrheit des Tuns“ vorliegen, zu entnehmen, dass Guardini im Frühjahr 1954 eine Vorlesung zum Thema Offenbarung gehalten hat, bei der er an eine Veröffentlichung gedacht hat.73 Im Umfeld der Vorbereitungen für diese Vorlesung treibt Guardini der Gedanke um, „wie es möglich sein solle, daß der absolute Gott Endliches bewirken – vor allem aber, mit Endlichem in Ihn bindende Beziehung treten könne.“ Als Antwort auf diese, seine religiöse Gewissheit hinterfragenden, Gedanken formuliert er : durch die Undenkbarkeit des Verkündeten wurde auf etwas schlechthin Unbegreifliches in Gott, in seinem Wesen, seiner Gesinnung und seinem Werk hingedeutet – und das sei das Eigentlich-Geoffenbarte und der Sinn von allem. Der Gedanke hat mir Ruhe gegeben. Er hält die Eindeutigkeit der Offenbarung fest und öffnet dem Blick das Inkommensurable.74

Durch diese Vorlesung scheint also eine wichtige Entwicklungsstufe innerhalb seines Offenbarungsverständnisses dokumentiert zu sein. Denn der Bruch zwischen Offenbarung als religiösem Phänomen und Offenbarung als unmittelbarem Ausdruck der christlichen Botschaft wird hier in einer Weise mit dem Begriff der Inkommensurabilität markiert, dass die Inkommensurabilität durch die Eindeutigkeit der Offenbarung zugleich überwunden wird. Doch wie der geplante zweite Band von „Religion und Offenbarung“ ist auch die Vorlesung von 1954 bisher nicht erschienen. Die Denkbewegungen Guardinis zur Offenbarung in den 1950er Jahren lassen sich jedoch anhand von unveröffentlichten Archivalien rekonstruieren. 72 Die Studie von 1940 behandelt den Einstieg zur Frage der Offenbarung über die religiöse Erfahrung auf 46 Seiten, dieser Teil wächst auf 202 Seiten, die den ersten Band und damit den einzig publizierten von „Religion und Offenbarung“ bilden. 73 Im Tagebuch notiert er am 16. 05. 1954: „Außerdem lese ich den zweiten Teil der ,Offenbarung‘, die nachher auch gedruckt werden soll. Zweite Auflage, aber fast ganz – nein, zu einem großen Teil neu geschrieben.“ Guardini, Wahrheit des Denkens, 232. 74 Guardini, Wahrheit des Denkens, 230.

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Im Romano-Guardini-Archiv der Katholischen Akademie in Bayern werden die Typoskripte aufbewahrt, die – so ist zu vermuten – den letzten Stand der überarbeiteten Vorlesungen für eine projektierte zweite Auflage des Offenbarungs-Buches dokumentieren.75 Bei der Überarbeitung seiner Typoskripte scheint Guardini so verfahren zu sein, dass er sowohl eine Erstschrift als auch eine Durchschrift der jeweils letzten Redaktionsstufe aufbewahrt hat, wobei er in der Regel die Durchschrift, gelegentlich aber auch die Erstschrift zur Überarbeitung verwendet hat. Durch die Angabe der jeweiligen Redaktionsstufe in der Kopfzeile jeder Seite ist zwar eine relative Chronologie zu erkennen, aber eine Zuweisung zu konkreten Vorlesungen oder eine exakte Datierung lässt sich den Archivalien nicht entnehmen. Dass es sich um die 1950er Jahre handelt, ist jedoch sicher. Denn zum einen befindet sich unter den Archivstücken die Druckvorlage zu „Religion und Offenbarung“ von 195876 und zum anderen hat Guardini in diesem Jahrzehnt hierzu Vorlesungen an der Universität in München angekündigt. Vom Winter-Semester 1953/54 bis zum Sommer-Semester 1955 hat er in drei Teilen eine Vorlesung unter dem Titel „Religion und Offenbarung. Grundzüge einer Theorie der religiösen Existenz“ angekündigt und dann noch einmal nur unter dem Haupttitel „Religion und Offenbarung“ eine Vorlesung in zwei Teilen im akademischen Jahr 1957/58.77 Da die Archivstücke in drei Teilen aufbewahrt werden, ließe sich vermuten, dass sie in einem Zusammenhang zu der dreiteiligen Vorlesung stehen, die Guardini in den Jahren 1953 bis 1955 angekündigt hatte. Doch da die drei Teile von „Religion und Offenbarung“, die im Archiv aufbewahrt werden, von sehr unterschiedlichem Charakter sind, ist die Zuordnung zu einer fortlaufenden Vorlesung eher unwahrscheinlich. An den verschiedenen Redaktionsstufen lässt sich zeigen, dass der erste Teil zugleich die Druckvorlage für den 1958 erschienenen ersten Band von „Religion und Offenbarung“ ist, der zweite Teil sich hingegen in einem unabgeschlossenen redaktionellen Bearbeitungszustand befindet, während am dritten Teil der Vorlesungscharakter deutlich zu erkennen ist – so sind u. a. die letzten Kapitel nur noch skizzenhaft ausgeführt worden. Das eigentlich Bemerkenswerte an dem Verhältnis der unterschiedlichen Teile ist aber nicht der formale Unterschied in der jeweiligen redaktionellen Ausführung, sondern der im dritten Teil vorgenommene inhaltliche Einstieg, der den zweiten Teil noch einmal neu bearbeitet. Beide Teile setzen jeweils mit Ausführungen über die Offenbarung anhand des Alten Testaments ein. Der zweite Teil der Archivstücke zu „Religion und Offenbarung“ ist überschrieben mit „Biblische Offenbarung und Glaube“ und ist somit angelehnt an die Ab75 Es handelt sich um die Nr. 1597 – 1602 des Romano-Guardini-Archivs. 76 Bei der Nr. 1598 des Romano-Guardini-Archivs, die mit „Religion und Offenbarung / R7 (gedruckt) / Erster Teil, Seite 1 – 250“ betitelt ist, handelt es sich wohl um die Druckvorlage. Die Nr. 1597 dokumentiert wohl die vorletzte Redaktionsstufe: Sie hat den Titel: „Religion und Offenbarung / R6 in R7 / Erster Teil / Seite 1 – 246“. 77 Vgl. Bibliographie Romano Guardini, Nr. 932. 992. 1040. 1182. 1233.

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schnitte „Die ausdrückliche Offenbarung im Alten Testament“ und „Die ausdrückliche Offenbarung im Neuen Testament“ von „Die Offenbarung“ aus dem Jahr 1940. Doch werden in ihm nicht beide Abschnitte geboten, sondern nur der erste Abschnitt „Die Offenbarung im Alten Testament“. Dieser Abschnitt ist dann in zwei Kapitel unterteilt. Das erste Kapitel ist wiederum eng angelehnt an den Entwurf von 1940 und thematisiert zunächst „Möglichkeit und Wirklichkeit“ der Offenbarung im Alten Testament, und geht dann wie 1940 schon auf das Handeln Gottes, die Geschichtlichkeit und den Vorgang der Offenbarung ein. Folgte in „Die Offenbarung“ unmittelbar darauf der Abschnitt zum Neuen Testament, so hat Guardini hier ein zusammenfassendes und weiterführendes zweites Kapitel eingeschoben, in dem er „Die Überwindung des Mythischen“, „Die Überwindung der autonomen Metaphysik“ und „Die Überwindung der Absolutheit des Staates“ als „Die im Alten Testament vollzogenen Entscheidungen“ präsentiert. Analog zur Dreiteilung, wie sie Guardini 1940 durch den Abschnitt „Die Offenbarung durch das Sein der Welt“ und die beiden Abschnitte zur „ausdrücklichen Offenbarung“ gewählt hat, wäre nun im dritten Teil die überarbeitete Ausführung zur Offenbarung im Neuen Testament zu erwarten. Doch der dritte Teil der Archivalien setzt wieder beim Alten Testament ein, wobei Guardini sich stärker von der Einteilung auf die beiden Testamente löst. Formal ist der Aufbau dem des zweiten Teils noch ähnlich. So hat der dritte Teil eine Gesamtüberschrift: „Die positive Offenbarung: ihr Inhalt“ und eine Aufteilung in Abschnitte, wobei wieder nur der erste Abschnitt – hier unter dem Titel „Der Inhalt der alttestamentlichen Offenbarung“ – ausgeführt wird. Doch dieser Abschnitt ist nunmehr in vier Kapitel eingeteilt, wobei das vierte schon in einen nächsten Abschnitt führt, zumindest dann, wenn die Annahme richtig ist, dass Guardini formal noch einen zweiten Abschnitt zum Inhalt der neutestamentlichen Offenbarung vorgesehen hat. Insgesamt ist die Gliederung des dritten Teils gegenüber dem zweiten Teil gänzlich geändert. Der erste Abschnitt zur alttestamentlichen Offenbarung ist systematisch aufgebaut und umreißt die Offenbarung durch die drei Themen Gott, Mensch und Welt. So versucht Guardini im ersten Kapitel („Die Gotteswirklichkeit“) ein alttestamentliches Gottesbild zu entfalten, indem er sich an drei Erzählungen orientiert: dem Ereignis auf dem Horeb, der Erschaffung der Welt und der Bundesschließung. Von diesen Ausgangspunkten wird auf die Geistigkeit Gottes abgehoben. Das zweite Kapitel („Der Mensch“) nimmt die beiden Schöpfungsberichte zum Ausgangspunkt, um dann in einem langen Abschnitt über „Die Todesfreiheit und das Paradies“ zu meditieren. Das Thema Welt wird von Guardini in den letzten beiden Kapiteln bearbeitet. Das dritte Kapitel („Die erste Welt und ihr Untergang“) setzt protologisch bei der Entfaltung eines Weltbegriffs ein, indem hier anhand des Paradieses die Bestimmung der Welt und des Menschen in ihr skizziert wird. Im vierten Kapitel („Die zweite und die dritte Welt“) werden sodann die Erlösungsbedürftigkeit der Welt und des Menschen herausgestellt und in der zweiten Hälfte dieses Kapitels, in der Guardini u. a. „Die Gnade“,

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„Das Kommen Gottes“ und „Die Menschwerdung“ thematisiert, ist dann der Übergang zum nicht mehr durchgeführten zweiten Abschnitt der neutestamentlichen Offenbarung vollzogen. An der Tatsache, dass dieser Abschnitt nicht mehr ausgeführt ist, dass die zweite Hälfte des vierten Kapitels im Gegensatz zu allen anderen Abschnitten nur skizzenmäßig vorliegt und dass Guardini in einer separaten Mappe neben einem Entwurf zu einer Vorbemerkung ein Typoskript aufbewahrte, das den Text der letzten zwei Drittel des Abschnitts „Die ausdrückliche Offenbarung im Neuen Testament“ von „Die Offenbarung“ (1940) wiedergibt, ist zu sehen, dass Guardini das Manuskript für einen geplanten zweiten Band von „Religion und Offenbarung“ nicht abgeschlossen hat. Gleichwohl ist nicht anzunehmen, dass er dieses Projekt irgendwann aufgegeben hat. Denn die noch aufbewahrten Teile des Manuskripts des Entwurfs von 1940 wird er wohl zur Überarbeitung für die noch fehlenden Teile mit dem Ziel zurückgelegt haben, tatsächlich den zweiten Band von Religion und Offenbarung zu vollenden. Neben den bisher erwähnten Archivalien, die unter den Nummern 1597 – 1602 im Guardini-Archiv der Katholischen Akademie in Bayern aufbewahrt werden, gibt es eine weitere Archivalie zu diesem Buchprojekt, die im selben Archiv aufbewahrt wird, aber aus dem Nachlass des Verlegers Guardinis, Hans Waltmann aus Würzburg, stammt.78 Zusammen mit einer elfseitigen Vorbemerkung Guardinis zum Buchprojekt „Religion und Offenbarung“ wird dort eine Mitteilung des Verlegers an die Besteller aufbewahrt, aus der hervorgeht, dass Guardini das Buch „Religion und Offenbarung“ einstweilen zurückgezogen hatte und unter dem neuen Titel „Die Offenbarung Gottes durch das unmittelbare Dasein“ angekündigt hatte. Hans Mercker hat diese Mitteilung so gedeutet, „daß die Gedanken des ursprünglich geplanten 2. Bandes in eine neue Auflage des vorliegenden 1. Bandes eingearbeitet werden sollten, für welche der Titel ,Die Offenbarung Gottes durch das unmittelbare Dasein‘ vorgesehen war.“79 Diese Deutung muss allerdings voraussetzen, dass jene Mitteilung über das Zurückziehen und den neuen Titel erst nach dem Erscheinen des ersten Bandes von „Religion und Offenbarung“, also nach 1958, zu datieren ist. Doch im Zusammenhang mit der beiliegenden Vorbemerkung ist die Mitteilung auf das Jahr 1955 zu datieren und damit vor dem Erscheinen des ersten Bandes. Die Vorbemerkung bringt einen Datierungshinweis, der auf das Jahr 1955 hindeutet,80 und sie ist als erste Redakionsstufe gekennzeichnet, so dass im Vergleich zu den Redaktionsstufenangaben der übrigen Archivstücke eine späte Datierung unwahrscheinlich ist. Außerdem ist nicht anzunehmen, dass die Mitteilung des Verlegers aus einem späteren Zeitraum als die 78 Romano-Guardini-Archiv, Nr. 142. 79 Mercker, Christliche Weltanschauung, 121, Anm. 86. 80 Unter Bezugnahme auf das Offenbarungsbuch von 1940 schreibt Guardini auf Seite 10 dieser Vorbemerkung: „Im Laufe der letzten fünfzehn Jahre haben sich die Gedanken weiter entwickelt, sodaß der Umfang des Buches um ein Beträchtliches angewachsen ist.“

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Vorbemerkung stammt. Ist die Datierung auf das Jahr 1955 zutreffend, dann ist davon auszugehen, dass Guardini eine zweite Auflage des Offenbarungsbuches von 1940 geplant hatte, dass die Zweitauflage erheblich erweitert werden sollte und beim Verleger Waltmann schon unter dem Titel „Religion und Offenbarung“ angekündigt war und dass die gleichnamige Vorlesung aus den Jahren 1953 – 1955 zur Vorbereitung dieses Buchprojektes diente. Noch während er diese Vorlesung hielt, wird er das Projekt dahingehend geändert haben, dass er eine schon bald geplante Veröffentlichung zunächst aufschiebt und dem Projekt den neuen Titel „Die Offenbarung Gottes durch das unmittelbare Dasein“ gibt. Durch diese Titeländerung wird deutlich, dass Guardini anscheinend das schroffe Auseinandertreten von der „Offenbarung durch das Sein der Welt“ und der „ausdrücklichen Offenbarung“ im Alten und Neuen Testament, wie er es 1940 vorgenommen hatte, zu relativieren bemüht ist. Der schon zitierte Satz – „Das Gesagte erklärt vom Wesen jener Offenbarung […] nicht das geringste.“81 –, mit dem Guardini das zueinander querstehende Verhältnis von Religion und Offenbarung noch 1940 von vornherein zu bestimmen suchte, fehlt im späteren Entwurf. In „Religion und Offenbarung“ wird demgegenüber gleich zu Beginn von einer Wechselseitigkeit gesprochen: Seinem Titel gemäß handelt dieses Buch von der „Religion“ und der „Offenbarung“. Die erste der beiden Bezeichnungen meint jenes allgemein-menschliche Phänomen der Beziehung zum Göttlichen, dessen Untersuchung einen Teil der Kulturwissenschaft bildet; die zweite jene Kundwerdung Gottes, von welcher die Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments redet und die Antwort, zu der sie den Hörenden befähigt. Diese beiden Phänomenkreise aber sollen von vornherein in ihrer wechselseitigen Beziehung gesehen werden.82

Damit werden Religion und Offenbarung zwar noch voneinander geschieden, aber die Weise, wie die Rede vom „Querstehen“ von Religion und Offenbarung zu verstehen sei, verschiebt sich erheblich, so dass das „Querstehen“ von Religion und Offenbarung kaum noch greifbar wird. An einer Stelle taucht es modifiziert wieder auf, indem Guardini das „Querstehen“ der Offenbarung durch ein „Querhindurchgehen“ durch menschliche Erfahrungen ersetzt.83 Doch ist er letztlich mit diesem Projekt nicht an ein Ende gelangt, was der fragmentarische und skizzenhafte Charakter der Archivalien in den letzten Teilen zeigt. Von daher ließe sich erklären, dass Guardini 1958 doch wieder auf den Titel „Religion und Offenbarung“ zurückgriff. Denn der 1955 angedachte neue Titel scheint doch eher für einen Gesamtentwurf seines Offenbarungs81 Guardini, Die Offenbarung, 6. 82 Guardini, Religion und Offenbarung, 11. 83 „Die Aussage der Offenbarung ist nicht Deutung weltimmanenter Sinngehalte, sondern Anruf, Botschaft, Weisung, die Gott aus seiner Souveränität an den Menschen richtet. Sie geht durch alle oben genannten Erfahrungen und Redeweisen quer hindurch und nimmt sie unter die Kritik, welche ,Gericht‘ heißt.“ Romano-Guardini-Archiv, Nr. 1601, 454.

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verständnisses geeignet. Da dieser 1958 noch ausbleiben muss, ist der Rückgriff auf den Titel „Religion und Offenbarung“ plausibel. Ist damit das Buchprojekt des zweiten Bandes von Religion und Offenbarung insgesamt in einem fragmentarischen Stadium von Guardini nicht mehr weitergeführt worden, so lassen sich doch gerade durch die bisher unveröffentlichten Archivalien zu diesem Projekt die Bezüge zu seiner Glaubenslehre herstellen. Sie ist aus den Vorlesungen, die er in den letzten Jahren seiner Tätigkeit an der Universität in München gehalten hat, erwachsen. Diese Vorlesungen sind postum unter dem Titel „Die Existenz des Christen“ erschienen. Hier ist allerdings wieder ein Rückschritt zur Rede vom Querstehen von Religion und Offenbarung zu beobachten. Wenn seine Auseinandersetzung mit dem „Inkommensurablen“ in den Blick kommt, lässt sich der Stellenwert seiner Philosophie des Gegensatzes im Rahmen seiner Theologie ergründen. Denn die Inkommensurabilität von Welt und Offenbarung unterscheidet Guardini noch einmal von dem „Querstehen“, von Offenbarung und religiöser Erfahrung. Während er das Motiv des „Querstehens“ sowohl z. B. 1934 in dem Aufsatz „Religiöse Erfahrung und Glaube“ als auch in der postum erschienenen Schrift „Die Existenz des Christen“ zur Beschreibung von Offenbarung anwendet,84 so grenzt er sich auch jeweils von der Vorstellung der Inkommensurabilität von Offenbarung und Welt, die er in der dialektischen Theologie beobachtet, ab.85 Bleibt diese Unterscheidung innerhalb der Entfaltung seines Offenbarungsverständnisses konstant, so ist dann die Entwicklung anhand des Beziehungspunktes von Offenbarung und Welterfahrung nachzuzeichnen. Der Beziehungspunkt ist die Existenz Christi.86 3.2 Die Inkommensurabilität: Ist Gott der ganz Andere? Die Frage nach der Inkommensurabilität von unendlich-absolutem Gott und endlichem Sein des Menschen hat in den Veränderungen der Konzeption von Offenbarung in den 1950er Jahren, wie es den Tagebüchern Guardinis zu entnehmen ist, eine nicht zu überschätzende Rolle gespielt. Anhand dieser Frage lässt sich zugleich seine Auseinandersetzung mit der dialektischen Theologie beobachten, wobei einerseits die Aufnahme religionskritischer Momente und andererseits im engen Zusammenhang damit die Rede von Gott als dem „Ganz Anderen“87 bei ihm festzustellen sind. Das Problem der Inkommensurabilität von Gott und Mensch betrifft ferner 84 Vgl. Guardini, Religiöse Erfahrung und Glaube, 61; vgl. ders.: Die Existenz des Christen, 16. 85 Vgl. Guardini, Religiöse Erfahrung und Glaube, 70; vgl. ders.: Die Existenz des Christen, 303. 86 „Alles hat einen Beziehungspunkt, der neu in die Welt eingetreten ist, und das ist die Existenz Christi.“ Guardini, Die Existenz des Christen, 303. 87 Zur Rede von Gott als dem ganz Anderen in der dialektischen Theologie vgl. Fischer, Prostestantische Theologie, 21.

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für die Entfaltung der Theologie Guardinis einen wichtigen Punkt. Denn je stärker er sich auf das Inkommensurabilitätsproblem einlässt, desto schwieriger fällt die Rede vom außerweltlichen Standpunkt. So scheint der Ansatz in „Die Offenbarung“ von 1940 in dieser Hinsicht den Scheitelpunkt zu bilden. Hier gilt es zwar noch einen „Standort gegenüber der Welt zu finden“88, doch das Inkommensurable zwischen Gott und Mensch ist hier am stärksten ausgeprägt. Und nach 1940 wird die Rede vom außerweltlichen Standpunkt von Guardini nicht mehr thematisiert, dafür gibt es mehrere Strategien, den Gedanken der Inkommensurabilität zu überwinden. Zuvor stellte sich ihm das Problem der Inkommensurabilität nicht in dem Maße. Im Jahr 1926 vertritt er in einem Vortrag noch sein Konzept des außerweltlichen Standpunktes, in dem sich dieser Standpunkt aus einem Wechselverhältnis von Transzendenz und Immanenz ergibt: Es ist die Transzendenz des aller „Welt“ gegenüber andersartigen und unabhängigen Gottes. Und hier ist eine neue Immanenz. Denn jener Gott, der nicht „von dieser Welt“ ist; der dem Glaubenden ermöglicht, dorthin zu treten, wo er selbst steht, und so wirklich und qualitativ die Welt zu „überwinden“ – dieser selbe Gott steht in einer neuen Weise „in der Welt“. Er öffnet im Glaubenden eine neue, nicht nur tiefere, sondern andersartige Innerlichkeit. Das „Verborgensein mit Christus in Gott“. So kommt der Welt gegenüber ein neuer Standpunkt zur Geltung: wirklich „außer“ ihr ; das heißt qualitativ anders und unabhängig. Und wirklich „innert“ ihrer; das heißt ihren ganzen Bestand nach innen überschreitend.89

Im Rahmen dieses Konzepts setzt er allerdings noch die klassische Unterscheidung von Natur und Gnade voraus anhand der Formel „Gratia supponit naturam et perficit; die übernatürliche Wirklichkeit setzt die natürliche als Grundlage voraus und vollendet sie.“90 und kann sowohl von Antinomie und Analogie im Verhältnis von Offenbarung und Natur bzw. Kultur sprechen.91 Dieser Rahmen von Natur und Gnade wird dann modifiziert. In den Abhandlungen „Welt und Person“ von 1939 weist Guardini das diastatische Denken zurück, ohne das klassische Schema von Natur und Gnade in Anschlag zu bringen. Im Rahmen seiner Weltkonzeption92 setzt er sich unter der Überschrift „Gott und ,der Andere‘“93 mit dem Problem von Autonomie und Heteronomie, das sich durch die Rede von Gott als dem Anderen ergibt, auseinander. Autonomie und Heteronomie werden von vornherein in der Weise aufeinander bezogen, dass ihr Verhältnis an die Spannungspole einer Gegensatzeinheit im Sinne Guardinis erinnert.94 Die reine Heteronomie wird 88 89 90 91 92 93 94

Guardini, Die Offenbarung, 47. Guardini, Christentum und Kultur, 176. Guardini, Christentum und Kultur, 180. Vgl. Guardini, Christentum und Kultur, 176 – 180. Vgl. dazu den Teil „Die Welt“. Guardini, Welt und Person, 15 – 105. Guardini, Welt und Person, 36 – 44. So erkennt auch Joachim Reber in der Gegensatzlehre den erkenntnistheoretischen und onto-

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genauso zurückgewiesen wie die reine Autonomie: „Im Verhältnis zu Gott ist die Heteronomie genau so falsch wie die Autonomie.“95 Um das Verhältnis von Gott und Welt durch ein Ineinander von Autonomie und Heteronomie zu verstehen, setzt Guardini beim Schöpfungsgedanken ein: Denn Gott ist nicht „der Andere“, sondern Gott. Daran, daß das erkannt werde, hängt die Erkenntnis der Schöpfung und das Selbstverständnis der Menschen. Gott ist das einzige Wesen, von dem ich nicht sagen kann, es sei mir gegenüber der Andere, worin letztlich alle Heteronomie besteht.96

Die Schöpfungsvorstellung, die Guardini zu Grunde legt, zeichnet sich gerade dadurch aus, dass er die Schöpfung als Gnade und als Tat der Liebe betrachtet, so dass er von vornherein nicht in der Gefahr steht, Natur und Gnade in einem Zweistufenmodell auseinander fallen zu lassen.97 Vielmehr gilt durch die Schöpfung, dass der Mensch in Bezug auf Gott in der Spannung von Heteronomie und Autonomie steht. Die Inkommensurabilität zwischen Gott und Mensch besteht dann nicht darin, dass Gott der ganz Andere ist, sondern das logische Problem liegt in der Aussage: „Der Satz des Widerspruchs – wonach A, eben als A, nicht B ist – gilt zwischen Gott und dem Menschen nicht einfachhin.“98 Dieser Problematik begegnet Guardini in der Weise, dass er das Geschaffensein als „eine Relation, in welcher der Satz des Widerspruchs seiner wahrenden Bedeutung nach aufrecht erhalten, zugleich aber auf ein Unausdrückbares hin überwunden ist“99, versteht. Das Problem von Identität und Differenz wird dann so überwunden, dass das Unausdrückbare dem Menschen einsichtig wird. Diese Möglichkeit ergibt sich vor dem Hintergrund, dass schon die Schöpfung als Gnade verstanden wird, wobei das religiöse Bewusstsein dem Menschen überhaupt ermöglicht, die Gnade Gottes zu erkennen: Dieses Unsagbare ist aber dem religiösen Bewußtsein unmittelbar einsichtig; ja man darf vermuten, ebendiese Einsichtigkeit mache das Wesen dieses Bewußtseins aus. Im Begriff der eigentlichen Gnade findet das Verhältnis dann seine letzte Klarheit und Erfüllung.100

Hiermit ist an signifikanter Stelle innerhalb von Guardinis Gesamtkonzeption das religiöse Bewusstsein als ein zentraler Gedanke eingeführt. Gleichwohl ist zu beachten, dass jenes religiöse Bewusstsein selbst noch nicht zur Klarheit und Erfüllung führe, sondern erst die „eigentliche Gnade“. Diese unscharfe

95 96 97 98 99 100

logischen Rahmen für die Auseinandersetzung um Heteronomie und Autonomie im Bezug auf das Verhältnis von Gott und Mensch. Vgl. Reber, Die Welt des Christen, 253. Guardini, Welt und Person, 38. Guardini, Welt und Person, 40 f. Vgl. Guardini, Welt und Person, 29. 40. Guardini, Welt und Person, 41. Guardini, Welt und Person, 41. Guardini, Welt und Person, 42.

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Formulierung deutet an, dass Versuche einer trennscharfen Unterscheidung von Natur und Gnade bei Guardini durch den Gedanken, dass die Schöpfung selbst schon Gnade ist, erschwert werden.101 So schreibt Guardini selbst: Die Unterscheidung von Natur und Gnade, mit der unser religiöses Denken arbeitet, hat ihre Stelle erst innerhalb einer alles umgreifenden Gnadenentscheidung, aus welcher das ganze Dasein hervorgeht und der es gefallen hat, daß überhaupt Welt sei.102

Hier ist schon angedeutet, dass Guardini einen Weltbegriff zu Grunde legt, in dem die Welt als Gegenstand von Erfahrung dient, diese Erfahrung aber stets – wie in „Der Gegensatz“ schon anvisiert – in der Spannungseinheit von Rationalismus und Intuitionalismus zu verstehen ist. Von daher ist weltliche Erfahrung nicht nur „natürliche“ Erfahrung oder immanente Erfahrung. Denn nach seinem Verständnis von Gott als Schöpfer sind die Kategorien von Immanenz und Transzendenz als einander inkommensurable Größen nicht anwendbar, weil Gott selbst nicht einfachhin transzendent ist: Eine nur transzendente Gottheit wäre das genaue Widerspiel zu einer bloß immanenten, die nicht über die Welt hinausreichte, sondern nur deren Innerlichkeit darstellte. Beide Vorstellungen würden einander gegenseitig bedingen und jener der Offenbarung gleichmäßig fremd sein. Die Vorstellung des echten Schöpfers geht durch alle in den verschiedenen Religionen sich findenden anderen quer hindurch. Die Schöpfung ist weder „transzendent“ noch „immanent“. Sie kann mit diesen Begriffen überhaupt nicht erfaßt werden, sondern ist die Gott allein vorbehaltene Weise des Wirkens – dem Gott vorbehalten, der wirklich Gott und nicht nur „eine Göttlichkeit“ ist.103

Diese Wechselwirkung von Immanenz und Transzendenz führt noch 1939 in „Welt und Person“ dazu, dass Gott eben nicht der ganz Andere ist. „Von jedem Wesen gilt dieser Satz: es ist nicht ich, also ein Anderes. Von Gott gilt dieser Satz nicht; und eben daß er nicht gilt, drückt Gottes Wesen aus.“104 Ein Jahr später scheint sich das Gewicht dann in „Die Offenbarung“ stärker zugunsten der Transzendenz Gottes zu verlagern. Einerseits ist das anhand der – durchaus mit dem Impetus der dialektischen Theologie vergleichbaren – religionskritischen Haltung zu entnehmen, die sich folgendermaßen äußert:

101 Ob die Würdigung Guardinis durch Ulrich Kühn, „so ist als charakteristisches Merkmal die kategoriale Unterscheidung von Natur und Gnade hervorzuheben, die im Grunde eine Unterscheidung von zwei Seiten, von Anlage und Erfüllung in der einen personalen Ich-DuBeziehung zu Gott ist“, dem Gnadencharakter der Schöpfung schon ausreichend gerecht wird, ist noch zu diskutieren. Khn, Natur und Gnade, 64. 102 Guardini, Welt und Person, 31. 103 Guardini, Welt und Person, 29. 104 Guardini, Welt und Person, 40.

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Was Christus gebracht hat, ist aber gar nicht „das Religiöse“! […] Denn er ist gekommen, um dem Menschen eine Höhe über aller „Frömmigkeit“ […] zu geben. […] Er ist gekommen, um ihn nicht nur vom Bösen, sondern auch vom MenschlichGuten; nicht nur von der Gottlosigkeit, sondern auch von der menschlichen Frömmigkeit zu erlösen. […] sich dem Gericht zu unterstellen.105

Andererseits zeigt sich das in der Darstellung der religiösen Erfahrung durch die Rede vom „Heilig-Anderen“, die die Funktion hat, menschliche Erfahrung und damit auch religiöse Erfahrung als Erfahrung der Grenze zu bestimmen.106 Demgegenüber ist dann in der postum veröffentlichten Vorlesung „Die Existenz des Christen“ wiederum eine stärkere Ablehnung des Inkommensurablen zu entnehmen, indem Christus selbst den Beziehungspunkt bildet: Der Tatbestand der Welt bleibt der gleiche, die Stoffe des Daseins sind die nämlichen. Alles hat aber einen Beziehungspunkt, der neu in die Welt eingetreten ist, und das ist die Existenz Christi. Deshalb muß das christliche Bewußtsein mit einer unbeirrbaren Unterscheidungskraft darüber wachen, daß die Person Christi weder in die Welt hinein aufgelöst werde, wie das durch jede historische, psychologistische oder wie immer relativierende Vorstellung geschieht, noch aber ins Irreal-Ideelle abgedrängt, wie das alle Formen der Inkommensurabilitätslehre tun. Christi Person und Tat ist in der Welt, aber nicht in sie verfangen. Sie steht in ihr und außerhalb ihrer zugleich.107

Bevor aber das Verständnis der Offenbarung in Christus, die Guardini schon in den 1930er Jahren durch seine Wesensbestimmung des Christentums bearbeitet hatte, dargestellt wird, ist ein weiterer Gedanke, durch den Guardini die Inkommensurabilitätsproblematik umgeht, zu betrachten – die Nichtnotwendigkeit des Daseins.

3.3 Die Offenbarung durch das Dasein: Das Dasein ist nicht notwendig Es ist die Auseinandersetzung mit der Rede von Gott als dem ganz Anderen gepaart mit seiner Vorstellung von der Schöpfung, die bei Guardini zur Nichtnotwendigkeit des Daseins führt. Diese Schöpfungsvorstellung hat zwei Seiten: Der Begriff der Schöpferschaft, der das Verhältnis Gottes zum Menschen ausdrückt, sagt ein Doppeltes aus: Einmal, daß der Mensch wirklich in sein eigenes Sein gestellt ist; dann aber und zugleich, daß Gott kein Anderer neben ihm, sondern die schlechthinnige Quelle seines Seins ist und ihm näher, als er sich selbst.108 105 106 107 108

Guardini, Die Offenbarung, 88 f. Vgl. Guardini, Die Offenbarung, 7 – 25. Guardini, Die Existenz des Christen, 302 f. Guardini, Welt und Person, 41.

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Hat Guardini durch die Zurückweisung der Vorstellung von Gott als dem ganz Anderen einerseits versucht, das Problem der Inkommensurabilität von Gott und Welt zu umgehen, das er als wesentliches Problem der dialektischen Theologie betrachtet, so übernimmt er andererseits mit Nachdruck das Festhalten an der freien Souveränität Gottes gegenüber der Welt. Ist Letzteres von Guardini stärker in „Die Offenbarung“ akzentuiert worden, so bleibt insgesamt festzuhalten, dass es ihm darum geht, die Inkommensurabilität von Gott und Welt zu umgehen. Denn wegen der schon mehrfach angesprochenen schroffen Gegenüberstellung von eigentlicher Offenbarung und „natürlicher Daseinserschließung“109 hat Guardini eine Vorstellung davon, wie durch die religiöse Erfahrung als Grenzerfahrung über die Welt hinaus gefragt werden kann. An diesen Grenzen entzündet sich die Frage, ob das Dasein überhaupt notwendig ist. Bei Guardini ist diese Frage allerdings stets im engen Zusammenhang mit dem der Welt gegenüber freien Schöpfergott zu stellen, so dass zu klären ist, ob bei Guardini die Nichtnotwendigkeit des Daseins als eine Offenbarung des Daseins selbst bzw. als religiöse Erfahrung zu verstehen ist, oder aber ob nicht auch die Nichtnotwendigkeit des Daseins schon als Offenbarung des personalen Gottes verstanden werden muss, weil sie nichts anderes als das Gegenstück zur Souveränität Gottes ist. Nun ist bei Guardini die Bedeutung der Offenbarung durch das Dasein innerhalb der Entfaltung seines Offenbarungsverständnisses jeweils unterschiedlich ausgebildet. Anhand der Nichtnotwendigkeit des Daseins in ihrem Verhältnis zur Gottesfrage lässt sich dieser Umstand genauer beobachten. Bevor die Entwicklung dieser Fragestellung referiert wird, sei darauf hingewiesen, dass sich an der Herausstellung der Nichtnotwendigkeit in besonderer Weise der Einfluss des phänomenologischen Denkens Max Schelers auf Guardini zeigt.110 Scheler hat den Gedanken, „[d]aß die Welt notwendig aus Gottes Wesen hervorgehe“,111 als irrige Lehre betrachtet, die er – als Beispiele nennt er Spinoza und Hegel – „stets mit irgendeiner Form des Pantheismus“, genauer mit einem akosmistischen Pantheimus verbunden sieht. Was für ihn bedeutet, dass es sich um eine Lehre handelt, „die an erster Stelle die Kontingenz und das Realsein der Welt und die Unableitbarkeit ihrer Dinge und Vorgänge aus den in ihr realisierten Wesensbeziehungen und Wesenheiten verkennt.“ Und weiter führt er aus: Nur wer die Realität dieser Welt nicht sieht, kann dieser Anschauung huldigen. Und nur wer den Wesenszusammenhang von Realsein und Gewolltsein verkennt, könnte,

109 Guardini, Die Offenbarung, 1. 110 Vgl. dazu Gerl, Romano Guardini, 130 f; zum Einfluss Schelers auf die katholische Theologie im allgemeinen und auf Guardini im besonderen vgl. Fries, Religionsphilosophie, 271 f. 111 Scheler, Vom Ewigen im Menschen, 221.

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trotzdem er die Realität der Welt sieht, ihr Dasein auf einen puren Verstandesgeist zurückführen.112

Scheler hat sicherlich insofern einen Einfluss auf Guardini ausgeübt, indem die Konzentration auf das Lebendig-Konkrete sich als Weltanschauung entfaltet und sich von den Notwendigkeiten der Metaphysik verabschiedet, so dass in der Folge das Dasein nur in seiner Kontingenz erfahren werden kann und somit nicht notwendig ist. Gleichwohl ist der Unterschied zwischen Scheler und Guardini zu bedenken, der gerade in einem anders verstandenen Personalismus liegt. Während Scheler ein aktualistisches Verständnis der Person entwickelt hat, ist Guardinis Personalismus, wie wir sehen werden, von ontologischem Charakter. Die Rede von der Nichtnotwendigkeit des Daseins ist immer auf einen Personalismus bezogen, da sie stets zusammen mit der Person des absoluten Gottes gedacht wird. So ist in Guardinis frühen Entwurf zur Offenbarung (1940) die Rede von der Nichtnotwendigkeit allenfalls vorbereitet, indem das Dasein vom Unendlich-Absoluten unterschieden wird: „Dieses Dasein ist weder unendlich noch absolut; eben das Absolute aber muß gewollt werden.“113 Die Zuordnung zum Absoluten wird von ihm schon im ersten Abschnitt zur Offenbarung durch das Sein der Welt, dem erst noch die Abschnitte zur eigentlichen, christlichen Offenbarung folgen, vorgenommen. Doch bereits an dieser Stelle wird die Vorstellung vom Absoluten personal verstanden, so dass das Dasein der Welt auf den personalen Gott weist: Hier wird nicht aus einem Bedürfnis Gott konstruiert, sondern die Person erfährt sich selbst als etwas, das wesenhaft auf das absolute Du hingeordnet ist. Die Analyse der Person zeigt, daß letztere nur auf die absolute Person hin bestehen kann: die liegt aber dort, wo das Heilig-Andere ist.114

Der letzte Satz versucht zwar, die Bezogenheit menschlicher Personalität auf ein personal verstandenes Absolutes zunächst als Hinweis auf das HeiligAndere zu reduzieren, was von der Anlage seines Offenbarungskonzepts von 1940 so zu verstehen ist, dass hier „die unmittelbare Offenbarung aus der Welt auf eine andere hinweist“115. Dennoch ist festzuhalten, dass die schon implizierte Vorstellung von einem personalen Gott eine Voraussetzung für die eigentliche Offenbarung bildet, die aber von der Anlage her eigentlich voraussetzungslos sein sollte, wie Guardini es programmatisch seinem Entwurf vorangestellt hatte: Der erste Satz jeder Lehre von der Offenbarung lautet: Was diese ist, kann nur sie selbst sagen. Sie bildet keine Stufe in der Folge der natürlichen Daseinserschlie112 113 114 115

Scheler, Vom Ewigen im Menschen, 221. Guardini, Die Offenbarung, 33. Guardini, Die Offenbarung, 34. Guardini, Die Offenbarung, 25.

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ßungen, sondern kommt aus dem reinen, göttlichen Anfang. Sie bildet auch keine notwendige Selbstmitteilung des höchsten Wesens, sondern ein freies Tun des persönlichen Gottes. […] „Gott offenbart“ heißt vor allem: „Gott handelt“.116

So ist vor allem in „Die Offenbarung“ die nur angedeutete Vorstellung von der Nichtnotwendigkeit des Daseins deshalb von Interesse, weil sie gerade mit der Vorstellung eines personalen Gottes zusammenfällt. Das Überraschende daran ist, dass dies anscheinend von der Anlage seines frühen Entwurfs gar nicht intendiert war. Es muss an dieser Stelle allerdings in Rechnung gestellt werden, dass Guardini die Überlegungen, die die Nichtnotwendigkeit des Daseins vorwegnehmen, im Abschnitt „Denken und Gestalten“117 anstellt. In diesem Abschnitt wird der unmittelbaren Erfahrung, um die es im vorangehenden Abschnitt „Religiöse Erfahrung und Symbolschau“118 geht, „die geistige Arbeit in ihrer Mannigfaltigkeit, das Denken, Schätzen, Deuten, Gestalten und Schaffen“119 hinzugestellt. Erst so werde das Phänomen der religiösen Erfahrung zu einem Ganzen. Die geistige Arbeit bedeutet in der Folge, dass der religiösen Erfahrung metaphysische Klärungen in Form von Gottesbeweisen beigeordnet werden. Gottesbeweise sind genau die Gedankengänge, die die geistige Arbeit an der religiösen Erfahrung hervorruft, und es sind nicht bloße logische Operationen.120 Andererseits betont er : Wir sagen nicht, daß man glauben müsse, damit die Gottesbeweise logisch in Ordnung seien, sondern daß zu ihnen, wie zu jedem Gedankengang, eine entsprechende Tatsachen-Erfahrung gehöre; „ein Gebendes“, auf dem die Gedanken ruhen, und durch das sie in ihre Richtung gewiesen werden.121

Dadurch stehen die Unmittelbarkeit religiöser Erfahrung und die Reflexion in der geistigen Arbeit bis hin zu den Gottesbeweisen als zwei Gegensatzpole gegenüber. Doch es bleibt zu klären, welchen Stellenwert die religiöse Erfahrung tatsächlich haben kann, wenn die Offenbarung letztlich stets zur Religion quer stehe. Sind dann die metaphysischen Klärungen der Gottesbeweise gegenüber der religiösen Erfahrung, die den gedanklichen Ansatzpunkt bildet, tatsächlich sekundär?122 Letztere Einordnung der metaphysischen Ansätze innerhalb von Guardinis Konzeption wird dann durch „Drei Kapitel zur 116 117 118 119 120 121 122

Guardini, Die Offenbarung, 1. Guardini, Die Offenbarung, 25 – 37. Guardini, Die Offenbarung, 7 – 25. Guardini, Die Offenbarung, 25. Vgl. Guardini, Die Offenbarung, 34. Guardini, Die Offenbarung, 35. Vgl. Brske, Die Aporie der Religion, 94: „Offensichtlich trennt Guardini die religiöse Erkenntnis ab von ihrer metaphysischen Vermittlung. Zwar wird er an späterer Stelle unserer Schrift die Verbindung zwischen Metaphysik und religiöser Erfahrung wiederherzustellen suchen (nämlich im Abschnitt ,Denken und Gestalten‘), aber dies zeigt genau die gewandelte Struktur seines Vorgehens gegenüber dem traditionellen Traktat an. Die metaphysische Klärung der religiösen Erfahrung ist ihr gegenüber grundsätzlich sekundär.“

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Deutung des Daseins“, die er unter dem Titel „Freiheit – Gnade – Schicksal“123 veröffentlicht hat, zunächst bestärkt, indem hier die religiöse Erfahrung zum Ausgangspunkt genommen wird, die die Metaphysik erst noch zu neuen Klärungen herausfordert. Guardini greift dabei auf die religionstheoretischen Ansätze von Friedrich Schleiermacher und Rudolf Otto zurück, um die Eigenständigkeit des Religiösen hervorzuheben, und verweist darauf, dass die Klärung des Verhältnisses von Religion und Offenbarung noch ausstehe.124 Wie schon erwähnt, ist Guardini selbst mit dieser Aufgabe nicht zu einem Abschluss gekommen. Denn unabhängig davon, ob Erfahrung und Metaphysik im Sinne seiner Lehre vom Gegensatz in einem Spannungsverhältnis stehen, gelingt es ihm nicht, Religion und Offenbarung als Gegensatzpole aufeinander zu beziehen, obwohl er sich dies doch in der Einleitung von „Religion und Offenbarung“ zum Ziel gesetzt hatte, indem er beide Phänomenkreise von vornherein in ihrer wechselseitigen Beziehung betrachten wollte.125 Dass er dieses selbst gewählte Ziel nicht erreichen kann, liegt m. E. an der Rede von der Nichtnotwendigkeit des Daseins. Denn einerseits fungiert sie als Ergebnis religiöser Erfahrung und andererseits ist sie nur vor dem Horizont des Verständnisses eines personalen Schöpfergottes, der unabhängig von der Welt gedacht wird, zu verstehen. Dass es sich bei dem Gedanken der Nichtnotwendigkeit des Daseins gleichwohl um ein ernsthaftes Bemühen Guardinis handelt, Religion und Offenbarung stärker aufeinander zu bezie123 Guardini, Freiheit – Gnade – Schicksal. 124 „Es hat eines langen Weges bedurft, um das Phänomen des Religiösen zu Gesicht zu bekommen – sagen wir richtiger, es wieder zu Gesicht zu bekommen, nachdem die Neuzeit es aus den Augen verloren hatte. Die Aufklärung meinte, das Wesen des Religiösen bestehe in vernünftiger Erkenntnis und sittlichem Tun. Der Positivismus des 19. Jahrhunderts faßte die Theorie historisch und sah im Religiösen die primitive Form des Daseinsverständnisses, welche dann zur philosophischen fortschreitet, um sich in der exakt-wissenschaftlichen zu vollenden. Nach der Ansicht des Materialismus ist die Religion Aberglaube, oder gar bewußter, sozialen und wirtschaftlichen Zwecken dienlicher Betrug. Dem Rationalismus gegenüber versuchte schon Schleiermacher das Eigenwesen des Religiösen zu erweisen, und seine Einsichten wurden durch die Philosophie und Mythenforschung der Romantik vertieft. Empirismus und Relativismus der zweiten Jahrhunderthälfte verdrängten sie aber, und es bedurfte der Entdeckung Rudolf Ottos und der auf ihr weiterbauenden Arbeit der Phänomenologie, um die Ursprünglichkeit des Religiösen wieder vor Augen zu bringen. Von da an schreitet die Forderung rasch voran. Die Psychologie untersucht die Struktur des religiösen Erfahrens des Einzelnen wie der Gesamtheit, wobei besonders die Erforschung des Unbewußten und der Mythen wichtige Hilfe leistet. Die Philosophie sucht den Sinnkern des Phänomens zu erfassen und fragt nach seiner Bedeutung für das Dasein überhaupt wie für das Leben der Person. Die Theologie endlich sieht, daß sie über allzu einfache Formulierungen der Metaphysik und Fundamentaltheologie hinausgehen, das Verhältnis des Allgemein-Religiösen zu dem, was die christliche Botschaft Offenbarung und Glaube nennt, klären und die Problematik aufhellen muß, die in jenem Religiösen selbst liegt. Die Aufgaben sind groß. Der erfahrungsmäßige Sachverhalt muß tiefer verstanden und die auf Schritt und Tritt durch die historische, psychologistische und idealistische Betrachtungsweise verursachten Verschiebungen und Verfälschungen müssen überwunden werden.“ Guardini, Freiheit – Gnade – Schicksal, 55 f. 125 Vgl. Guardini, Religion und Offenbarung, 11.

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hen, um die religiöse Erfahrung und ihre Eigenständigkeit im Unterschied zum Offenbarungs-Entwurf von 1940, in dem die religiöse Erfahrung lediglich den Menschen auf die Offenbarung vorzubereiten vermag,126 aufzuwerten, ist schon allein daran zu erkennen, dass in den Schriften, in denen die Nichtnotwendigkeit des Daseins am deutlichsten herausgearbeitet wird, die Rede vom außerweltlichen Standpunkt ausbleibt. Zum einen sind das die drei Kapitel „Freiheit – Gnade – Schicksal“ und zum anderen „Religion und Offenbarung“ im Zusammenhang mit den nicht mehr publizierten Teilen der gleichnamigen Vorlesung. Anhand dieser Quellenbasis soll im Folgenden die Rede von der Nichtnotwendigkeit des Daseins bei Guardini näher betrachtet werden. In „Freiheit – Gnade – Schicksal“ ist durch alle drei Kapitel hindurch die Kontingenz des Daseins das entscheidende Thema. So endet das Kapitel zur Freiheit in der Einsicht in die Nichtnotwendigkeit, wobei sich diese Deutung des Daseins von vornherein von einer denkbaren nihilistischen Weltdeutung unterscheidet, indem er fragt: Kann das endliche Sein als solches, die Welt in ihrer zwar ungeheuerlichen, aber doch endlichen Größe, ihrer zwar unabschätzbar reichen, aber doch charakteristisch definierten Eigenart als notwendig begriffen werden? Offenbar nicht. Notwendig, das heißt so, daß man einsähe, sie könne nicht nicht sein, wäre nur eine unendlichabsolute Welt. Die gibt es aber nicht. Was es gibt, ist die so und so gemessene, so und so qualifizierte, gebaute, bewegte endliche Welt. Von ihr kann nicht eingesehen werden, daß sie sein müsse, sondern nur erfahren, daß sie ist. Sie ist in der Form eines Faktums, nicht einer Notwendigkeit gegeben. Sie kann nicht abgeleitet, sondern muß entgegengenommen werden. Liegt hierin nicht der erste Vorentwurf und Erwartungsgrund für die Freiheit im eigentlichen Sinne? Sind die aufgezählten Tatsachen nicht untereinander verwandt? Stehen sie nicht unter einer Form der Verursachung, die anderer Art ist als die der Notwendigkeit?127

Es fällt auf, dass die Nichtnotwendigkeit des Daseins, die hier explizit als Nichtnotwendigkeit des endlichen Seins und der Welt thematisiert wird, von der Gegenüberstellung der Welt, wie sie ist, zu einer unendlich-absoluten Welt abgeleitet wird. Wird an dieser Stelle nicht unmittelbar der Bezug zum personalen Schöpfergott ersichtlich, so deutet Guardini aber durch die letzte Frage auf einen Zusammenhang, in dem die Welt als ein Bündel von Tatsachen sinnvoll verstanden werden kann. Im Kapitel zur Gnade wird dann die Nichtnotwendigkeit der Welt als Inhalt christlicher Offenbarung verstanden, indem die Welt als Schöpfung Gottes begriffen wird: „Die Offenbarung lehrt, Gott habe die Welt in der Souveränität seines Willens aus Nichts erschaffen; damit ist aber auch gesagt, daß die Welt 126 Vgl. Guardini, Die Offenbarung, 6. 127 Guardini, Freiheit – Gnade – Schicksal, 97 f.

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nicht sein muß.“128 Erst unter dieser Voraussetzung ist für Guardini die Rede von der Notwendigkeit sinnvoll: „Sobald die Welt da ist, gibt es innerhalb ihrer auch die Notwendigkeit mit all ihren Formen; nicht aber ist notwendig, daß diese Welt selbst, so wie sie ist, […] da sein müsse.“129 Gegen einen vermeintlich neuzeitlichen Begriff von Natur, an dem Guardini gerade den Drang, die Welt absolut zu machen, beobachtet, setzt er die Vorstellung von der Welt als Schöpfung: „Im Raum der Offenbarung ist die Welt nicht ,Natur‘, sondern Schöpfung, ,Werk‘. Sie ruht nicht in sich, sondern geht aus Gottes Tat hervor; so ist sie kein Notwendig-Seiendes, sondern ein Getanes, ein ,Faktum‘, eine ,Tat-Sache‘.“130 Auch an dieser Stelle wird von Guardini auf den personalen Gott verwiesen, der die Welt aus absoluter Freiheit schafft, was auch bedeutet, dass dieser Gott auch ohne die Welt wäre, womit Guardini an einen Gedanken aus dem Kapitel zur Freiheit anknüpft, in dem er über Gott sagt: „Gott ist nur und ganz Er-selbst. Er bedarf der Welt nicht, um zu sein, sondern wäre, auch wenn die Welt nicht wäre, und ,es würde nichts fehlen‘. Die Welt aber ist ganz und gar durch ihn: urgebildet, geschaffen, getragen und regiert.“131 Dieser Verweis auf den Gott als den unabhängigen Schöpfer deutet aber auch an, dass sich bei Guardini der Begriff der Natur wandelt. Wie schon im Zusammenhang mit der Frage nach der Inkommensurabilität vom absoluten Gott und dem Dasein des endlichen Menschen ließe sich auch hier die für die katholische Theologie klassischer Weise bedeutsame Verhältnisbestimmung von Natur und Gnade auf ihre Tragfähigkeit in der Konzeption Guardinis befragen. Doch da sich die Probleme des Verhältnisses von Natur und Gnade in seinem Ansatz auf die Verhältnisbestimmung von Religion und Offenbarung verlagern, scheint es sinnvoller, erst im Anschluss an die Untersuchung seines Offenbarungsverständnisses die hier beobachteten Verschiebungen anhand der katholischen Grundunterscheidung von Natur und Gnade noch einmal nachzuvollziehen. Der geeignete Ort wird dann die Betrachtung zum Weltverständnis Guardinis sein. Denn das schon angedeutete Wechselverhältnis von Natur und Gnade durch die Betonung der Schöpfung als Gnade, wird dann unter Hinzunahme des Weltbegriffs weiter durchgeführt. Dies geschieht unter anderem im Kapitel zur Gnade: So trägt die Welt letztlich nicht den Charakter der „Natur“, sondern der „Geschichte“. Innerhalb der Welt gibt es Natur: nach bestimmten Wesensgrenzen gebaute, unbewußt-unfreie Wirklichkeit, welche sich diesen Gesetzen entsprechend verhalten muß. Die Welt als Ganzes hingegen kann mit dem Begriff der Natur nicht gedacht werden. Ebensowenig freilich mit dem Begriff, welchen der Idealismus dem der Natur gegenübergestellt hat: eines mit ihr ringenden und ebendarin von ihr abhängigen

128 129 130 131

Guardini, Freiheit – Gnade – Schicksal, 121. Guardini, Freiheit – Gnade – Schicksal, 121 f. Guardini, Freiheit – Gnade – Schicksal, 122. Guardini, Freiheit – Gnade – Schicksal, 59.

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Weltgeistes oder Weltbewußtseins oder Weltwillens. Ein solcher „Geist“ wäre letztlich, wenn auch auf höherer Ebene, selbst wiederum „Natur“.132

Diese Zurückdrängung des Naturbegriffs zu Gunsten des Geschichtsbegriffs, der stets in ein Weltverständnis zu integrieren ist, gibt noch nicht Anlass zu der Annahme, Guardini würde insgesamt die Kategorie von Natur und Gnade durch ein heilsgeschichtliches Modell aufheben. Der Rückgriff auf den Begriff der Geschichte hat an dieser Stelle eher die Funktion, die Freiheit Gottes unangetastet zu lassen und insofern die Schöpfung als Raum einer Freiheitsgeschichte Gottes zu interpretieren, was allerdings nicht dazu führen soll, sich gänzlich von der Gegenüberstellung von Natur und Gnade zu verabschieden. Denn diese soll dann doch in sein Modell eingezeichnet werden: Nur von hier aus ist das Verhältnis Gottes zur Welt, wie die Offenbarung es beschreibt, zu verstehen. Jener Unterschied von „Gnade“ und „Natur“, der im Laufe des Mittelalters und der Neuzeit herausgearbeitet worden ist, liegt erst innerhalb des Daseins, das als Ganzes den soeben bestimmten gnadenhaften Charakter trägt.133

Festzuhalten bleibt, dass die Betonung dieses gnadenhaften Charakters des Daseins im Unterschied zu einem starken Naturbegriff gerade die Kontingenz des Daseins unterstreicht. Auch im Kapitel über das Schicksal ist die Nichtnotwendigkeit des Daseins der Ausgangspunkt, von dem aus der Mensch als Person vor seinem Schicksal steht, das sich aus dem undurchsichtigen Zusammenhang von Tatsachen und Notwendigkeiten des Daseins ergibt. Das Schicksal selbst, anders als Freiheit und Gnade, wird von Guardini mit dem Numinosen identifiziert: Das Schicksal ist ein „Es“. Ja es ist „das Es“ schlechthin. Wenn der Mensch aus dem Unwillkürlichen heraus „es“ sagt, meint er das Schicksal und die Preisgegebenheit an dessen Macht, welche im Letzten weder Gerechtigkeit noch Weisheit, weder Ehrfurcht noch Güte kennt; auf deren Grund Kälte, Gleichgültigkeit, Sinnlosigkeit, ja das Böse selbst zu liegen scheinen. Das Gefühl davon drückt als dumpfe Last im Gemüt. Es bildet den inneren Kern der Schwermut. Dieses Schicksal gibt es im Raum der Offenbarung nicht. Sobald im Leben des Menschen der christliche Glaube mächtig wird, wandelt sich das Schicksalsgefühl. Die Antwort auf die Frage, wie das zugehe, muß im Quellpunkt der Offenbarung, in der Person Jesu gesucht werden.134

Die Bewältigung des Schicksals wird nun erst durch die Offenbarung Gottes in Jesus Christus geleistet. Also durch die eigentliche Offenbarung, durch die Menschwerdung des Sohnes Gottes, die Guardini auch als „nach der Erschaffung der Welt ,die Tatsache‘ schlechthin“135 bezeichnet. Doch es fällt auf, dass das Schicksal, das „Es“ schlechthin, durch die Offenbarung nicht einfach 132 133 134 135

Guardini, Freiheit – Gnade – Schicksal, 123. Guardini, Freiheit – Gnade – Schicksal, 124. Guardini, Freiheit – Gnade – Schicksal, 190 f. Guardini, Freiheit – Gnade – Schicksal, 193.

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wegfällt. War es bisher so, dass das Absolute, das auch unabhängig von der Offenbarung den Charakter des unpersönlichen „Es“ hatte, durch die Offenbarung mit dem absolut freien und personalen Gott identifiziert werden konnte, bleibt das Schicksal nicht einfach aus, sondern es verändert sich unter den Bedingungen der Offenbarung zur Vorsehung. Damit ist das Bedrohliche des vormals Schicksalhaften nicht gänzlich aufgehoben. Denn unter Bezugnahme auf Mt 6, 35136 schreibt Guardini: Die Vorsehung, welche Jesus verkündet, soll aus diesem Einvernehmen des gläubigen Menschen mit dem handelnden und schaffenden Gotteswillen erwachsen. Damit kehrt auf neuer Ebene und mit neuem Charakter jene Struktur wieder, die im Schicksalsbezug aufgezeigt wurde. Richtiger gesagt: Die Spannung des Schicksalsbezugs zwischen dem Daseinsganzen und dem Einzelnen ist das Verfallsbild jenes Bezuges, den der vorsehende Gott zwischen sich und dem glaubenden Menschen möglich macht.137

In diesem Ineinander von absoluter Freiheit Gottes und endlicher Freiheit des Menschen, das den geschichtlichen Charakter des Daseins beschreibt, liegt der Grund für den letztlich eschatologischen Charakter der Vorsehung,138 deren trotz des Unterschiedes zum Schicksal bestehende Spannungen erst im Gericht aufgelöst werden: Im Gericht enthüllt Gott seine Vorsehung. Da stellt Er sich den Urfragen nach dem Sinn des Daseins, welche durch die ganze Geschichte hin aus dem Menschenherzen kommen: „Warum ist mir das geschehen? Warum bin ich so, wie ich bin? Warum bin ich überhaupt?“ Das Schicksal ist ewig stumm; der vorsehende Gott wird im Gericht antworten.139

Doch die auf ihre sich im Gericht vollziehende eschatologische Vollendung angewiesene Geschichte, deren Begriff ja für die Weltdeutung insgesamt dem der Natur vorzuziehen sei, hat bei Guardini trotz der Tatsache, dass sie letztlich sub specie aeternitatis verstanden werden muss, keinen fragmentarischen, sondern eher einen stabilisierenden Charakter. Denn die Geschichte ist nicht nur auf das Ende hin orientiert, sondern aufgespannt von Anfang und Ende. Dieser Anfang ist präsent in der Erinnerung der Menschen an das Paradies: Am Beginn der Menschheitslinie stehen nicht die ersten Menschen mit ihrem „natürlichen“ Seinsbestande in einer ebenso „natürlichen“ Welt, sondern ein Daseinsganzes, das die Schrift das Paradies nennt (Gen 2 – 3). Gott tritt den Menschen in ausdrücklicher Weise entgegen, ruft sie an, nimmt sie in seine Gemeinschaft auf und 136 „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit, und alles andere wird euch hinzugegeben werden.“ 137 Guardini, Freiheit – Gnade – Schicksal, 215. 138 Vgl. Guardini, Freiheit – Gnade – Schicksal, 215. 139 Guardini, Freiheit – Gnade – Schicksal, 223.

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läßt daraus ein Dasein hervorgehen, worin Mensch und Welt von Gott her bestimmt sind. Dieses Ganze zerbricht dann. Die Menschen sündigen und verlieren das Paradies; der Eindruck aber, den es auf sie gemacht hat, bleibt.140

Dieses wenn auch in gebrochener Weise Aufgespanntsein der Geschichte zwischen Paradies und Eschaton, das Guardini schon 1940 in „Die Offenbarung“ vorträgt, wird dann von ihm in „Religion und Offenbarung“ zur „Erinnerung an die Urbegegnung mit Gott“141 ausgebaut. Dieser geschichtstheologische Rahmen, durch den die Vorstellung einer personalen Gottesbeziehung des Menschen stets vorausgesetzt werden muss, ist auch bei der Rede von der Nichtnotwendigkeit des Daseins in „Religion und Offenbarung“ im Hintergrund mitzudenken, gerade deshalb, weil sie im Unterschied zu „Die Offenbarung“ explizit durchgeführt wird und ihr Zusammenhang mit dem Gedanken des „absoluten Du“ vordergründig ausbleibt. Denn in dem Entwurf von 1958 thematisiert Guardini die Nichtnotwendigkeit des Daseins im sechsten und letzten Abschnitt des Kapitels „Die NichtSelbstverständlichkeit des Daseins“142, wobei diese Nichtselbstverständlichkeit des Daseins in der Behauptung der Nichtnotwendigkeit gipfelt. Zunächst setzt er mit der Erfahrung, dass das Dasein nicht aus ihm selbst heraus verstanden werden kann,143 ein und gibt ihm eine für das Wesen des Religiösen entscheidende Bedeutung: „Dieses Erfahren hat unmittelbar religiöse Bedeutung – so sehr, daß man den irreligiösen Menschen geradezu als jenen bezeichnen kann, für den das Dasein selbstverständlich ist.“144 Die Selbstverständlichkeit wird hier also buchstäblich genommen, indem etwas aus sich selbst heraus verstanden wird, so dass die Ablehnung der Selbstverständlichkeit des Daseins bei Guardini von vornherein einen auf Transzendenz hin orientierten Religionsbegriff zur Grundlage hat. Das aus sich selbst nicht zu verstehende Dasein als religiöse Grunderfahrung beleuchtet Guardini in verschiedene Richtungen, wobei vor allem das Beunruhigende, Schreckliche und Unheimliche dieser Erfahrung im Mittelpunkt steht. So unterscheidet er die Erfahrung der Nichtselbstverständlichkeit des Daseins als Erfahrung der Unsicherheit, als Erfahrung des Chaos, als Erfahrung der Gefährdung, als Erfahrung der Unordnung und kommt schließlich zum Ergebnis, dass die Nichtselbstverständlichkeit des Daseins als Unbekanntheit und Nichtnotwendigkeit des Daseins verstanden werden müsse. Das Verstörende, was Guardini seinen Lesern zumutet, ist der Umstand, dass es sich sämtlich um Erfahrungen handelt, die einen eher negativen Zustand des Daseins beschreiben und es sich insofern um Erfahrungen handelt, die es eigentlich zu überwinden gilt. Doch Guardini versucht gerade die Überwindungsstrategien 140 141 142 143 144

Guardini, Die Offenbarung, 39. Guardini, Religion und Offenbarung, 185 – 189. Guardini, Religion und Offenbarung, 44 – 65. Vgl. Guardini, Religion und Offenbarung, 44. Guardini, Religion und Offenbarung, 44.

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der mit der Nichtselbstverständlichkeit des Daseins zusammenhängenden negativen Erfahrungen zu kritisieren. So ist das Chaos nicht nur eine periphere, sondern eine zentrale Unordnung, die nicht endgültig bezwungen werden kann, weshalb er die Vorstellung vom mythischen Helden, der das Chaos überwindet, ablehnt.145 Das Chaos und auch die Unordnung durchziehen das Dasein, das „selbst nicht ,in Ordnung‘“146 ist. So ist die Unordnung des Daseins, die ihren Ursprung außerhalb des unmittelbar Wirklichen hat, ein Geheimnis.147 So wie das Dasein aus sich selbst heraus nicht verstanden werden kann, muss also auch seine Ordnung von Anderswo herkommen. Die starke Betonung des „Anderen“, das in diesem Zusammenhang von Guardini mit dem Numinosen gleichgesetzt wird, ist nicht zuletzt aufgrund der historischen Situation zu erklären. Guardini selbst geht davon aus, dass gerade die Vorgänge seiner Zeit – also das Verarbeiten der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft und des Zweiten Weltkrieges in den 1950er Jahren – nicht einfach aus dem Dasein selbst zu verstehen seien, z. B. als „bloße wirtschaftliche Krisen oder politische Umlagerungen“148, sondern er sieht hier Anderes: Die furchtbaren Zerstörungen, die sich zugetragen haben, die kalten Unmenschlichkeiten, die verübt worden sind, bringen dazu, trotz aller Aufklärung Anderes am Werk zu sehen. Ob man dann von Schicksalskatastrophen, oder von dämonischen Mächten, oder von göttlichen Prüfungen spricht, ist Sache der näheren Deutung. Auf jeden Fall wird ein religiöses Moment empfunden, das mit Schuld zusammenhängt.149

Diese Schuld sei auch in der Vorstellung auffindbar, dass der jeweilige geschichtliche Zustand – insbesondere wenn dieser Zustand die Unordnung des Daseins in besonders drastischer Weise zum Ausdruck bringt – als Verfallsform eines vergangenen gedacht wird. Das ist dann wiederum ein Umgang mit der Unordnung, wie ihn der Mythos nahelegt. Eine Strategie also, die Guardini schon abgelehnt hat, die er aber in sein von der Offenbarung herkommendes Wirklichkeitsverständnis wie folgt integrieren kann: „Diese Mythen stellen sich im Licht der Offenbarung als mehr oder weniger verblaßte und verwirrte Erinnerungen an die Ursünde dar, von welcher die ersten Kapitel der Genesis berichten.“150 Die Unterscheidung von biblischem Schöpfungsbericht und Mythos bringt zweierlei mit sich. Einerseits versteht Guardini das Paradies als realen Ursprung der Geschichte, während dieser Ursprungszustand andererseits von allen anderen geschichtlichen Zuständen dadurch unterschieden ist, dass er nicht aus dem weiteren geschichtlichen Dasein wiederhergestellt werden kann. In einem anderen Zusammenhang stellt Guardini den ent145 146 147 148 149 150

Vgl. Guardini, Religion und Offenbarung, 46 f. Guardini, Religion und Offenbarung, 50. Vgl. Guardini, Religion und Offenbarung, 50. Guardini, Religion und Offenbarung, 50. Guardini, Religion und Offenbarung, 50. Guardini, Religion und Offenbarung, 51.

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scheidenden Unterschied an Gottes Unabhängigkeit von der Welt heraus, so dass der Schöpfungsbericht kategorial von jeglichem Mythos unterschieden wird.151 Im unveröffentlichten zweiten Teil von „Religion und Offenbarung“ wird dieser Unterschied nicht mehr in dieser Schärfe durchgeführt, sondern auch an den biblischen Schöpfungsberichten wird Mythisches erkannt – was allerdings auch als Abgrenzung vom Bultmannschen Programm der Entmythologisierung geschieht. Die mythischen Elemente der biblischen Offenbarung werden als Urmythos vom heidnischen Mythos unterschieden.152 Und der heidnische Mythos ist gerade dadurch charakterisiert, dass das Göttliche im Weltlichen aufgeht, so dass auch hier die Überlegungen zum Mythos zeigen sollen, dass das Dasein stets auf ein „Anderes“ bezogen sein muss. Daran gelte es nach Guardini festzuhalten, da er in der Umkehrung, der Überwindung der Vorstellung vom „Anderen“, gerade die Gefahren der Neuzeit erblickt: Wenn aber gefordert wird, der Mensch solle die Gefühle des vom „Anderen“ kommenden Gehaltenseins, der Sicherung und Führung überwinden und sich auf sich selbst stellen, wie das Feuerbach, Nietzsche, Marx, Hartmann, der französische Existentialismus und so fort tun, so wird daraus die vielleicht furchtbarste Gefahr erwachsen, welcher der Mensch je ausgesetzt war : der Verlust der existentiellen Basis, damit die absolute Überanstrengung und, als Folge davon, die Preisgabe an die Kollektivmacht, den Staat. Dieser wird die Rolle jenes „Anderen“ übernehmen wollen, von dem wir sprachen. Wie das dann konkret aussieht, hat sich bereits gezeigt.153

Die Betonung des Anderen am Göttlichen, das nicht einfach in der Welt aufgehen mag, zeigt sich hier als Reflex auf Guardinis historische Situation während und nach dem Nationalsozialismus. Die Gegenüberstellung von Christentum, das sich auf einen der Welt gegenüber Anderen, nämlich einen ihr entzogenen Schöpfer und Erlöser, bezieht, und Mythos vollzieht Guardini besonders prägnant in dem Aufsatz „Der Heilbringer in Mythos, Offenbarung und Politik“von 1946, in dem er den Nationalsozialismus und die Person Adolf Hitler von ihrem religiösen Aspekt her betrachtet und die Zeit von 1933 bis 1945 als einen religiösen Rückfall in einen neuen Mythos wertet.154 Die nationalsozialistische Blut- und Rassenideologie betrachtet er als Mythos, der 151 „Die Genesis hingegen sagt: Gott hat die Welt wirklich geschaffen, ganz und gar ; das Chaos erscheint erst innerhalb der Schöpfung. Gott hat die Welt auch nicht aus seinem Wesen hervorgehen lassen, denn zwischen Ihm und der Welt liegt ein absoluter Unterschied. So gibt es den reinen Anfang. Die Welt, die ,zuerst‘ nicht war, wurde seiend durch das Wort des souveränen Gottes. Mit einem Mal ist die Atmosphäre des Mythos verschwunden. Der Gott, von dem hier gesprochen wird, gehört nicht zur Welt.“ Guardini, Der Mythos und die Wahrheit, 20. 152 „Die Offenbarung des Alten Testamentes steht überall in einer Kampfstellung gegen das Mythische. Nicht gegen den Urmythos, sondern gegen den zweiten, den heidnischen.“ RomanoGuardini-Archiv, Nr. 1599, 307. 153 Guardini, Religion und Offenbarung, 53. 154 Vgl. Guardini, Der Heilbringer, 189 – 199.

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sich in Konkurrenz zum Christentum ausbreitet. Einerseits erinnert er dabei an den rassenideologischen Entwurf von Alfred Rosenberg „Der Mythus des zwanzigsten Jahrhundert“ von 1930, andererseits weist er aus der Perspektive von 1946 auf zahlreiche Momente des Führerkultes um die Person Hitler hin, und er resümiert: „Was ist da geschehen? Das nicht mehr durch Christus überwundene und zugleich erfüllte Grundmotiv des Heilbringers ist ins Heidnisch-Unerlöste zurückgefallen und hat sich als solches zur Geltung gebracht.“155 Dieser religiöse Rückfall bringt dann die Unfreiheit des an diesen Mythos Glaubenden mit sich: Der neue Mythos vom irdischen Heilbringer sollte Christus und seine Erlösung aufheben und den Menschen in diese Welt hineinbannen. Wer ihm glaubte, hatte keine Möglichkeit mehr, auch nur innerlich dem Griff, der nach ihm faßte, zu entgehen.156

Diese Beobachtung erfahrener Unfreiheit und die prägnante Wahrnehmung des religiösen Aspektes des Nationalsozialismus sind für unseren Zusammenhang aus zweierlei Gründen von Bedeutung. Erstens wird so die starke Betonung des Anderen in Guardinis Schriften seit 1939 verständlich. Hat er die Rede von Gott als dem Anderen 1938 in „Welt und Person“ noch in einer ausgewogenen Spannung von Transzendenz und Immanenz vorgetragen, setzt er 1940 in „Die Offenbarung“ einen stärkeren Akzent auf die Transzendenz Gottes. Diese Verschiebung ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass Guardini in diesem kurzen Zeitraum begann, in besonderer Weise die politische Situation seiner Zeit stärker in sein Denken zu integrieren. Als Anlass für diese neue Qualität der Reflexion ließe sich die Aufhebung seines Berliner Lehrstuhls im März 1939 angeben. Dass sich die Rede vom Anderen in dieser historischen Situation bewährt, dafür gibt auch der Aufsatz aus dem Jahr 1946 Zeugnis. Denn hier kontrastiert Guardini Christus und Hitler gerade an diesem Punkt. Die religiöse Verblendung bzw. der Rückfall in mythische Religiosität, die sich durch die heidnische Unerlöstheit auszeichne,157 zeigt sich am Beispiel des Nationalsozialismus gerade daran, dass von Hitler behauptet wurde, „daß er nämlich ein übermenschliches Wesen sei, ein Heilbringer, ein Heiland.“158 Im Gegensatz dazu wird die Erlösung durch Christus unter Bezug auf das Andere charakterisiert: „Er offenbart, daß es das Andere gibt – das wahrhaft und absolut Andere, das keine Dimension der Welt mehr ist. Er selbst ist dieses Andere, und zwar so, daß man zu ihm kommen kann.“159 An der Selbstoffenbarung Christi, die darin besteht, dass er sich der Welt als Anderer offenbart, ist vor allem die 155 156 157 158 159

Guardini, Der Heilbringer, 198. Guardini, Der Heilbringer, 199. Vgl. Guardini, Der Heilbringer, 198. Guardini, Der Heilbringer, 195. Guardini, Der Heilbringer, 177.

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Freiheit von der Welt hervorzuheben. Der Mythos wurde hingegen durch ein weltimmanentes Daseinsverständnis bestimmt, das sich anhand der religiösen Interpretation des Nationalsozialismus in Guardinis Kontext als System radikaler Unfreiheit präsentiert. Insofern erhellt der historische Kontext zweitens den Zusammenhang von Nichtnotwendigkeit des Daseins und Freiheit. Für Guardini liegt in der Nichtnotwendigkeit des Daseins die Möglichkeit der Freiheit: „Das alles heißt: das Dasein hat im Ganzen nicht den Charakter der Notwendigkeit, sondern der Tatsache. Einen Charakter also, der mit Freiheit zusammenhängt.“160 In diesem Zusammenhang ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass Guardinis Freiheitsbegriff sich gegen neuzeitliche Autonomievorstellungen richtet und im Einklang steht mit einer religiösen Gehorsamsvorstellung.161 Die Auseinandersetzung mit dem Gedanken der Autonomie führt Guardini dann in seiner Neuzeitkritik „Das Ende der Neuzeit“. Sie entzündet sich u. a. an der Veränderung der soziologischen Struktur, durch die aus dem autonomen Subjekt im Rahmen der bürgerlichen Freiheit ein Mensch der Masse wird, der letztlich im Griff des Staates ist und damit unfrei.162 Vor dem Hintergrund des unmittelbaren historischen Kontextes gewinnen solche Überlegungen eine gewisse Plausibilität. Von daher sind auch die Ergebnisse, die Guardini in dem unveröffentlichten zweiten Teil von „Religion und Offenbarung“ als „Die im Alten Testament vollzogenen Entscheidungen“ mit „Die Überwindung des Mythischen“, „Die Überwindung der autonome Metaphysik“ und „Die Überwindung der Absolutheit des Staates“ benennt, in ihrer geschichtlichen Situation zu verstehen.163 Guardinis Ansatz bei der Nichtnotwendigkeit ist aber nicht einfach eine Überwindung der Metaphysik, sondern er setzt einer (autonomen) Metaphysik, die vom Begriff der Notwendigkeit auf das Absolute schließt, eine Metaphysik entgegen, die das Absolute als personale Entität begreift: Sobald die Philosophie Gott als das absolute Wesen denkt, und dieses Absolute im Gefälle der Vollkommenheitstendenz zum Neutrum wird, verliert es seinen Eigen160 Guardini, Religion und Offenbarung, 63. 161 Guardini beschreibt dies im Kapitel zur Freiheit: „Die neuzeitliche Ethik behauptet, wenn der Mensch dem Gebote Gottes gehorche, werde er heteronom, fremdhörig; das Wesen der Freiheit aber bestehe in der Autonomie, der reinen Eigengehörigkeit. Diese Behauptung bestimmt Freiheit als absolute Freiheit; setzt also die menschliche Freiheit mit der göttlichen gleich. Träfe das zu, dann würde der Gehorsam gegen Gott allerdings die Freiheit des Menschen aufheben. In Wahrheit ist aber Gott allein Gott, der Mensch hingegen sein Geschöpf. Die Freiheit des Menschen ist geschaffen; so verwirklicht sie sich grundlegenderweise vor Gott und im Gehorsam gegen Ihn – um so mehr, als Er ja nicht nur der Schöpfer des Seins, sondern auch der Grund der Wahrheit und Wurzel des Guten ist, so daß der Gehorsam gegen Ihn nicht Unterwürfigkeit gegen die überlegene Macht, sondern Tun des einfachhin Rechten bedeutet.“ Guardini, Freiheit – Gnade – Schicksal, 82. 162 Vgl. Guardini, Das Ende der Neuzeit, 51 f. 163 Vgl. dazu auch Guardini, Die Existenz des Christen, 447.

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stand und tritt in Kontinuität zur Welt. Die Offenbarung hebt diese Kontinuität auf, indem sie Gott als den im strengsten Sinne Personalen kundtut. Damit ist Er in jedem Sinne Herr seiner selbst. Er bedarf der Welt nicht; sie aber bedarf in jedem Sinne Seiner, nach Wesen und Wirklichkeit, nach Bestand und Führung, nach Auftrag und Gericht.164

Das hat allerdings zur Folge, dass Guardini allmählich im Gegensatz zum klassischen Verhältnis von Natur und Gnade die Gnade voran stellen muss: Daß Welt überhaupt sei, ist schon und wesentlich Gnade. Damit formulieren wir den schärfsten Widerspruch gegen den neuzeitlichen Begriff der „Natur“, dessen metaphysischer Sinn ja darauf geht, Gott überflüssig zu machen. Die Welt ist nur, weil Gott gewollt hat, daß sie sei. Das hat Er aber nicht – wie der Pantheismus sagt – wollen müssen, sondern sein Wollen ist absolute Freiheit.165

Zu diesem Abschnitt aus „Die Existenz des Christen“ wird im Anhang eine ergänzende Notiz Guardinis geboten, in der es u. a. heißt: „Der Ernst der Welt. Kein Schein, der übergehbar wäre. Der Glaubende darf sich nicht ,bloß‘ an Gott halten. Er muß die Natur und die Geschichte ernst nehmen, denkend und handelnd.“166 Wenn hier vom Ernstnehmen der Welt die Rede ist und sogar die relative Eigenständigkeit des Menschen betont wird, so dass der glaubende Mensch und der souveräne Gott die Pole des Daseinsverständnisses bilden, dann ist es erstaunlich, dass in „Die Existenz des Christen“ in dem Abschnitt „Der Anfang aller Dinge“ die Freiheit Gottes, die keiner Notwendigkeit unterworfen ist, ähnlich wie in „Freiheit – Gnade – Schicksal“ mit folgender Aussage über Gott einhergeht: „Er wäre, der Er ist, auch wenn die Welt nicht wäre.“167 Bei diesem Gedanken ist es die Souveränität der absoluten Person Gottes, die ihn umtreibt, so dass er sich stets in der Gefahr sieht, diese anzutasten, Gott selbst in einen neuzeitlichen Pantheismus aufzulösen, um schließlich der Autonomie des Subjekts das Wort zu reden. Hat er das Problem von Autonomie und Heteronomie bzw. Transzendenz und Immanenz in Bezug auf das Verhältnis Gottes zum Endlichen dahingehend bewältigt, dass er Autonomie und Heteronomie bzw. Transzendenz und Immanenz als Pole eines Wechselverhältnisses betrachtet, so gelingt ihm das nicht bei der Frage nach der Notwendigkeit. Erst nach seiner Vorlesungstätigkeit verschiebt sich in den „Theologischen Briefen“ an seinen Freund Josef Weiger die Spitzenaussage von der Vorstellung der Nichtnotwendigkeit des Daseins, die besagt, dass nichts fehlen würde, wenn die Welt nicht wäre, indem er in später Auseinandersetzung mit Teilhard de Chardin im Brief vom 20. Juni 1964 schreibt: „Die Welt und ihr Werden ist 164 165 166 167

Romano-Guardini-Archiv, Nr. 1599, 316. Guardini, Die Existenz des Christen, 74. Guardini, Die Existenz des Christen, 514. Guardini, Die Existenz des Christen, 84.

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wichtig; wichtig für Gott und wichtig für den Menschen als Christen.“168 Doch auch hier gelingt es ihm nicht, die Kontingenz des Daseins der Welt als eine Spannung von Freiheit und Notwendigkeit zu begreifen. Denn wenn die Welt in dem Sinne nicht notwendig ist, dass nichts fehlen würde, wenn es die Welt nicht gäbe, dann wird der Mensch immer wieder auf die Frage, „wie es möglich sein solle, daß der absolute Gott Endliches bewirken – vor allem aber, mit Endlichem in Ihn bindende Beziehung treten könne“169, zurückgeworfen. Hat er sich an dieser Frage schon durch die Überlegungen zu Gott, der gerade nicht der ganz Andere ist, abgearbeitet, so stellt sie sich wieder neu, wenn er im Brief vom 4. August 1963 fragt: „Wie kann neben Gott Endliches sein?“170 Guardini kann diese Frage nur mit einhergehenden Skrupeln beantworten. Diese kommen daher, dass es für ihn die größere Sorge darstellt, ob die Majestät Gottes im gläubigen Bewußtsein steht, als die Sorge um das Heil des Menschen.171 Sein zaghafter Antwortversuch lautet: „Gott ist, lebt und hat das Schlechthinnige – nur eines nicht: das Endliche. Ebendieses will Er aber.“172 In diesem Willensakt Gottes zeigt sich auch hier seine Gesinnung, die Liebe: Gott, der Absolute, hat das Endliche in sein Leben aufgenommen. Er hat das Einzige, was Er vom Wesen nicht ist, für sich gewonnen. Das freilich in einer Weise, die auszusprechen man zögert. Es ist die Weise, welche sich in dem so viel zerstörten Wort „Liebe“ ausdrückt.173

Doch auch in diesem Versuch, das Beieinander von Gott und Welt zu beschreiben, wittert er die Gefahr, „Gott ins Endliche zu ziehen“174, obwohl er erstens dieser Gefahr dadurch ausweicht, dass er die Schöpfung nicht mit Notwendigkeit vom Wesen Gottes herleitet und zweitens dadurch, dass er auch die Vorstellung von Gott als übersprudelndem Quell der Liebe vermeidet. Die Abgrenzung zu diesen beiden Deutungsmöglichkeiten wird dadurch verstärkt, dass er Liebe als Selbstentäußerung versteht.

3.4 Die Offenbarung als Selbstoffenbarung Gottes in Christus Vor dem Hintergrund, dass Guardini sich mit seiner Theologie insgesamt unter den Gehorsam gegenüber der Kirche stellt, ist auch sein Offenbarungsverständnis in diesem Horizont zu betrachten. Guardini selbst erklärt 168 169 170 171 172 173 174

Guardini, Theologische Briefe, 47. Guardini, Wahrheit des Denkens, 230. Guardini, Theologische Briefe, 7. Vgl. Guardini, Theologische Briefe, 7 f. Guardini, Theologische Briefe, 9. Guardini, Theologische Briefe, 12 f. Guardini, Theologische Briefe, 13.

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von daher in seiner Bonner Antrittsvorlesung von 1921175 die Kirche zum Erkenntnissubjekt der Offenbarung: Die Kirche allein erkennt Gott, soweit Endliches den Unendlichen erkennen kann. Ihr ist die Offenbarung anvertraut. […] Der Einzelne aber ist dem theologischen Objekt gegenüber nur in dem Maß zuständig, als er in dies Gesamtsubjekt eingeordnet ist.176

Diese Rückbindung an die Kirche, die von Beginn an die Entwicklung seines theologischen Denkens begleitet, ist zwar stets zu beachten, jedoch unterliegt auch sie einer Entwicklung, die dann eigens zu untersuchen sein wird. Diese Entwicklung ist gekennzeichnet von einer Konzentration / Reduktion (Biser)177 auf die Christologie, durch die Person und Tat Christi in den Mittelpunkt gerückt werden, wobei ein Christozentrismus jedoch vermieden werden soll: „Christus ist nicht Zentrum, sondern Mittler ; Gesendeter und Heimholender“.178 Besonders signifikant wird der Christus-Bezug bei Guardini in seiner Bestimmung des Wesens des Christentums, die er in einem Aufsatz 1929 vornimmt, der 1938 noch einmal verändert und erweitert als Monographie erschienen ist.179 Durch diesen Bezug auf die Person Christi ist in seiner Konzeption zugleich ein Ausgangspunkt gewählt, der sich als außerweltlicher Standpunkt qualifiziert. Im Gegenzug weist er eine Reihe von Wesensbestimmungen des Christentums zurück, die er im Einzelnen nicht nennt und auch nicht ihren Urhebern zuordnet, sondern nur typisierend anführt. Von daher ist es nicht von Belang, sie noch einmal aufzuführen, vielmehr ist es zur Erfassung seines eigenen Versuchs von Interesse, welche Gründe zur Ablehnung anderer Ansätze führen, weil sich dadurch zeigt, nach welchen Kriterien Guardini sich dem Wesen des Christentums nähert. So ist zunächst von Bedeutung, dass „die freie Fülle der christlichen Gesamtwirklichkeit“180 nicht eingeschränkt wird. Zweitens dürfe das Wesen des Christentums nicht unter allgemeinen Begriffen dargestellt werden, „denn so wird es auf natürliche Voraussetzungen zurückgeführt.“181 Insgesamt gilt: „Man kann das Christliche nicht von welthaften Voraussetzungen herleiten und sein Wesen nicht mit natürlichen Kategorien bestimmen, weil dadurch das Eigentliche aufgehoben wird.“182 Als positives Kriterium formuliert er : „Das Christliche selbst muß befragt, und die Antwort von ihm entgegengenommen werden; dann erst

175 176 177 178 179

Guardini, Anselm von Canterbury, 386 – 417. Guardini, Anselm von Canterbury, 414. Vgl. Biser, Interpretation und Veränderung, 80. Guardini, Das Wesen des Christentums, 67. Vgl. als Erstfassung von „Das Wesen des Christentums“: Guardini, Das Wesen des Christentums (1929), 129 – 152. 180 Guardini, Das Wesen des Christentums, 11. 181 Guardini, Das Wesen des Christentums, 12. 182 Guardini, Das Wesen des Christentums, 13.

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zeichnet sich sein Wesen als etwas Eigenes, in das Übrige nicht Auflösbares ab.“183 Diese Abhebung des Christlichen von jeglichen welthaften Voraussetzungen führt konsequent zur Abgrenzung Christi von anderen Religionsstiftern. Guardini führt dies exemplarisch am Beispiel Buddhas vor, dessen religiöse Bedeutung er als „äußerstes Maß“184 zu würdigen weiß und von dem auch gelte, er habe unbedingte Autorität.185 Und doch kommt er zu dem Schluß, dass die Person des Buddha selbst nicht im Religiös-Eigentlichen stehe.186 Denn letztlich unterscheide sich Buddha grundsätzlich nicht von anderen Menschen, auch wenn er ihnen ein religiöser Führer ist: Die Menschen bedürfen also seiner als des Führers; aber nur tatsächlich, weil sie nun einmal gerade sind, wie sie sind, nicht grundsätzlich. Grundsätzlich vermöchte jeder den gleichen Weg zu gehen, wenn er sich zur vollkommenen Reinheit durchdränge.187

Doch auf gleicher Ebene wie Buddha grenzt er auch Propheten und Apostel von Christus ab. Er bestimmt deren Funktion als Träger der Botschaft, zu deren Inhalt sie selbst nicht gehören.188 Damit hat er in der Umkehrung schon die erste Aussage über Christus selbst gemacht. Das Herzstück seiner Wesensbestimmung des Christentums, das er unter die Überschrift „Die Person Christi und das Christlich-Eigentliche“ stellt, beginnt folgerichtig nach der Abgrenzung Christi von anderen Religionsstiftern und Propheten mit der Abgrenzung seiner eigenen Christologie unter dem Titel „Das Wesen des Christentums“ von der eines Adolf von Harnack. Hatte Harnack in der achten Vorlesung seiner Vortragsreihe über „Das Wesen des Christentums“ 1899 gleichwohl von der Gottessohnschaft Jesu ausgehend darauf aufmerksam gemacht, dass die Christologie selbst nicht Inhalt der Predigt Jesu gewesen sei, und ausgerufen: „Nicht der Sohn, sondern allein der Vater gehört in das Evangelium, wie es Jesus verkündigt hat, hinein.“189, so setzt Guardini mit der Ablehnung dieses Ansatzes ein – ohne Harnack dabei überhaupt zu erwähnen. Er beginnt: „Es ist oft behauptet worden, Jesus habe in seiner eigenen Botschaft nicht gestanden.“ Und nach kurzer Darstellung – deren Sachgemäßheit hier nicht näher diskutiert zu werden braucht – dieser Position kommt er zu dem lapidaren Schluß: „Diese Theorie geht fehl.“190 Und so ist Guardinis Bestimmung des Wesens des Christentums als Gegenentwurf zu lesen, der sich zum Ziel setzt, gerade die Bedeutung der Person Christi herauszuarbeiten, um zu folgendem Schluss zu kommen: 183 184 185 186 187 188 189 190

Guardini, Das Wesen des Christentums, 13. Guardini, Das Wesen des Christentums, 19. Vgl. Guardini, Das Wesen des Christentums, 17. Vgl. Guardini, Das Wesen des Christentums, 19. Guardini, Das Wesen des Christentums, 18. Vgl. Guardini, Das Wesen des Christentums, 20 f. von Harnack, Das Wesen des Christentums, 90. Guardini, Das Wesen des Christentums, 23.

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Es gibt keine Lehre, kein Grundgefüge sittlicher Werte, keine religiöse Haltung und Lebensordnung, die von der Person Christi abgelöst, und von denen dann gesagt werden könnte, sie seien das Christliche. Das Christliche ist er selbst; das was durch Ihn zum Menschen gelangt und das Verhältnis, das der Mensch durch Ihn zu Gott haben kann.191

Gerade der letzte Satz, der die Wesensbestimmung des Christentums als Kurzformel präsentiert, zeigt eine gewisse Nähe, zugleich aber auch eine Differenz zu Schleiermachers Bestimmung des Wesens des Christentums an. Schleiermacher hat in der zweiten Auflage seiner Glaubenslehre das Wesentliche des Christentums an der Erlösung durch Jesus aufgezeigt und wie folgt in der Einleitung als Leitsatz zu § 11 formuliert: Das Christenthum ist eine der teleologischen Richtung der Frömmigkeit angehörige monotheistische Glaubensweise, und unterscheidet sich von andern solchen wesentlich dadurch, daß alles in derselben bezogen wird auf die durch Jesum von Nazareth vollbrachte Erlösung.192

Guardini und Schleiermacher ist gemeinsam, dass sie das Wesen des Christentums um die Erlösung zentrieren. Dies wird dann bei beiden durchgeführt in der Unterscheidung von Person und Tat bzw. Geschäft Christi, wobei diese Unterscheidung nur in der wechselseitigen Bezogenheit von Person und Tat zu verstehen ist. Und doch sind es unterschiedliche Akzente, die Guardini und Schleiermacher bei ihrer Wesensbestimmung des Christentums setzen. Hat Schleiermacher die Einheit von Person und Geschäft Christi bzw. von der eigentümlichen Tätigkeit und der ausschließenden Würde des Erlösers im Selbstbewusstsein der Gläubigen gesehen,193 scheint Guardini gerade nicht das Selbstbewusstsein der Gläubigen in den Mittelpunkt zu setzen, sondern zunächst unabhängig von dessen Vermittlung das Sein Gottes in Christus. So ist der unterschiedliche Kontext in Rechnung zu stellen, wenn Guardini anhand der Erlösung die Bedeutung der Person neben die Tat setzt: 191 Guardini, Das Wesen des Christentums, 68. Thomas Ruster hat diese Wesensbestimmung Guardinis, seine ihm eigentümliche Konzentration und Reduktion auf Christus, als Startpunkt für ein „toraloses“ Christentum gewertet. Vgl. Ruster, Romano Guardini. Unabhänig davon, wie bedeutsam die ab den 1960er Jahren virulent gewordene Frage nach dem Verhältnis der beiden biblische Testamente unter Berücksichtigung der Tatsache ist, dass das Alte Testamet zugleich die jüdische Bibel ist, scheint die Charakterisierung Guardinis als Vertreter eines „toralosen Christentums“ nur dann möglich, wenn die Konzentration auf Jesus von Nazareth, die Guardini in „Das Wesen des Christentums“ vornimmt, mit dem von Guardini selbst abgelehnten Christozentrismus ineins gesetzt wird. Gänzlich zu hinterfragen ist Rusters These schließlich vor dem Hintergrund der bisher nicht veröffentlichen Teile von „Religion und Offenbarung“, in denen Guardini verstärkt vom Alten Testament her argumentiert und in einer Vorbemerkung „Zur Methode des letzten Teils“ formuliert: „Die Aussagen des Neuen Testaments ruhen überall auf denen des Alten.“ Romano-Guardini-Archiv, Nr. 1600, 329a. 192 Schleiermacher, Der christliche Glaube (1830/31), § 11. 193 Vgl. Schleiermacher, Der christliche Glaube (1830/31), § 92.

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Wir sind Christen aufgrund der Erlösung. Erlösung aber bedeutet keine Tat, deren Wirkung von der Person, die sie hervorgebracht hat, abtrennbar wäre, und sei es auch nur so weit, wie überhaupt Taten vom Täter abgetrennt und als in sich stehende Sinngebilde und Wirkungszusammenhänge genommen werden können. Die Tat hat vielmehr nur als Tat dieses Tuenden Erlösungssinn und –kraft. Der Täter muß mit der Tat verbunden bleiben.194

Die Person wird hier ja deshalb neben der Tat hervorgehoben, um sich von Harnacks Position abzugrenzen. Dies bedeutet aber zugleich, dass Guardini die ganze Debatte um den historischen Jesus, die durch die Leben-Jesu-Forschung seit Schleiermacher eine Krise der Christologie ausgelöst hat und derentwegen Harnack überhaupt nur veranlasst war, die Person Christi von seinem Evangelium zu trennen, nicht weiter berücksichtigt. Auf derselben Ebene ist auch Guardinis Verhältnis zur exegetischen Wissenschaft zu beschreiben ist. Einen Zugang zu den biblischen Texten unter Berücksichtigung der historisch-kritischen Methodik sucht man bei ihm vergebens.195 Gleichwohl betreibt Guardini biblische Theologie. Doch sowohl in „Das Wesen des Christentums“ als auch in seinen anderen Schriften über Christus196 legt er eine eigene Methode zu Grunde, die er an den vorangegangenen Betrachtungen großer Persönlichkeiten erprobt hat,197 und beschreibt sie im Vorwort zu „Das Christusbild“ als Versuch einer psychologischen Analyse mit dem Ziel, die „echte und zugleich einzigartige Menschlichkeit“198 Jesu sichtbar zu machen. Diese psychologische Analyse trete allerdings zugleich an ihre Grenze. Denn im Aufweis der Unmöglichkeit derselben werde das Wesentliche deutlich, das darin bestehe, dass der psychologische Aufbau der Gestalt durch die Entwicklung der theologischen Zusammenhänge ein Gegenwicht erhält. Was nichts anderes bedeute, als dass die psychologische Analyse ihr Gegengewicht „ganz von der Offenbarung her“ empfange.199 Doch genauso wie seine Methode darin besteht, im komplementären Aufbau von Psychologie und Offenbarung die Gestalt Jesu zu zeichnen, räumt er ein, dass auch die historische Analyse im folgenden Sinne durchgeführt werden müsste: „Die Untersuchung müßte das, was Jesus ,ewig‘ ist, aus der geschichtlichen Wirk194 Guardini, Das Wesen des Christentums, 45. 195 Vgl. zum Ausbleiben der historisch-kritischen Methode: Wechsler, Guardini als Kerygmatiker, 174 – 179; Kleiber, Glaube und Erfahrung, 179 – 183. 196 Vgl. Guardini, Der Herr ; Guardini, Das Christusbild; Guardini, Jesus Christus; Guardini, Die menschliche Wirklichkeit. 197 „Die Methode hat sich im Laufe längerer Zeit herausgebildet. An einer Reihe großer Persönlichkeiten bin ich der Frage nachgegangen, wie sich das psychologische Element mit dem sinnhaft-wertmäßigen, dem metaphysischen und dem theologischen verbindet. Meine Arbeiten über Augustinus, Dante, Pascal, Hölderlin und Dostojewskij waren in gewissem Sinne Vorübungen für den Versuch, die Gestalt Dessen zu zeichnen, der der Sohn Gottes und der Menschensohn ist.“ Guardini, Das Christusbild, 14. 198 Guardini, Das Christusbild, 14. 199 Vgl. Guardini, Das Christusbild, 14.

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lichkeit heraus erfassen und dabei den Schwierigkeiten standhalten, welche von der historischen Forschung kommen.“200 Insofern lässt sich mit Eugen Biser von einem konkurrierend-kompensatorischen Verhältnis zur historisch-kritischen Methode sprechen, von einer Methode, die sich als vollgültige Alternative zum historisch-kritischen Verfahren versteht.201 Guardini stellt seinen Ansatz zwar als einseitig dar, hofft aber, sich „den gleichen Charakter theologischer Wissenschaftlichkeit zu sichern, wie ihn die historische Methode […] beansprucht.“202 Dabei nimmt er die Betonung auf den Kanon der neueren Methodendiskussion vorweg, indem er seinen Methodenansatz neutestamentlicher Textauslegung beschreibt: Er nimmt das Neue Testament als kanonischen Text, der bei allen Bedingtheiten seiner Teile nach außen und allen Unterschieden nach innen eine Einheit darstellt, die ihrem eigentlichen Sinn nach gleichartig und an den Menschen einfachhin gerichtet ist.203

Diese Besinnung auf den von Guardini selbst eingestandenen Mangel im Hinblick auf die historischen Zusammenhänge gibt zu erkennen, dass Jesus Christus als die Offenbarung, in der sich Gott selbst zeigt, eigentlich schon vor der geschichtlichen Vermittlung von einem außerweltlichen Standpunkt betrachtet wird und im Gegensatz zu Schleiermacher eben nicht als Ausdruck des gläubigen Selbstbewusstseins zu verstehen ist. Um diese Differenz noch etwas genauer darzustellen, sollen im Folgenden einige Gedankengänge aus dem „Wesen des Christentums“ herausgehoben werden. Dabei soll es nicht darum gehen, welcher Ansatz eher als „Christologie von unten“ oder als „Christologie von oben“ zu werten wäre. Auch eingedenk der Rede von oben und innen als Daseinspole menschlicher Personen204 kann bei Guardini nicht einfachhin von einer „Christologie von oben“ gesprochen werden, allerdings auch nicht von einer „Christologie von innen“, auf die Guardini sich nach Biser in letzter Konsequenz im Gefolge Kierkegaards und vor allem Pascals nicht eingelassen habe, was Biser als „Fall einer ,theologischen Tragik‘“205 wertet. Bei Schleiermachers Christologie ließe sich analog zur Dynamik von innen und oben bei Guardini von einer Dynamik von innen und außen sprechen, durch die sich das fromme Selbstbewusstsein bildet. Deshalb aber auf eine Christologie von unten zu schließen, ist auch verfehlt, da jene Dynamik das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit impliziert. An Guardinis Ansatz ist hingegen der Bezug zur Geschichtlichkeit problematisch. Kann er die historische Fragestellung im Hinblick auf den histo200 201 202 203 204 205

Guardini, Das Christusbild, 15. Vgl. Biser, Interpretation und Veränderung, 66. Guardini, Das Christusbild, 15. Guardini, Das Christusbild, 15. Vgl. Guardini, Welt und Person, 45 – 51. Biser, Interpretation und Veränderung, 71.

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rischen Jesus und die Quellen einfach ausblenden, wenn er gleichzeitig das konkrete Dasein der geschichtlichen Person Jesus von Nazareth in den Mittelpunkt seiner Betrachtung zum Wesen des Christentums stellt? Dieser Bezug auf die Geschichtlichkeit Jesu, den er an den Anfang seiner Abhandlung stellt,206 zieht sich wie ein roter Faden durch sie hindurch. Doch dabei ist ihm gerade nicht an einem historischen Nachweis der Existenz Jesu gelegen, sondern es geht hier um eine Aussage, die in der Dialektik von Glaube und Nichtglaube steht und die deshalb Bejahung oder Ärgernis hervorruft. In der Kurzfassung von 1929 ist dies noch kurz und in enger Anlehnung an Kierkegaards Rede vom Ärgernis207 zusammengefasst: Die Möglichkeit des Ärgernisses stammt daraus, daß für das menschliche Gefühl geschichtliche Einmaligkeit der absoluten Heilsbedeutung inkommensurabel ist, und gerade aus der scheinbar sehr hochwertigen Haltung, welche das Ewig-Absolute rein bewahren will, der Einwand gegen die konkrete Gestalt und ihren Anspruch gezogen wird.208

Liegt hier noch stärker eine Nähe zu Kierkegaard vor, der ja gerade diese Inkommensurabilität von geschichtlicher Einmaligkeit und absoluter Heilsbedeutung als Ausgangspunkt des absoluten Paradoxes wählt, verschiebt sich dieser Eindruck in der ausführlicheren Fassung. Guardini beschreibt sein Ergebnis zwar selbst als Paradox,209 jedoch nicht als ein absolutes, und so intendiert er eine christliche Wissenschaftlichkeit, die sich der Gefahr des Ärgernisses aussetzt.210 In der späteren Fassung stellt er das Ärgernis schon differenzierter dar : Das Phänomen des Ärgernisses ist geradezu kritische Rückprobe auf das, was uns hier beschäftigt. Eine „Lehre“ von absoluter Wahrheit, eine „Weisung“ von entscheidendem Gewicht, eine „Kraft“, die in heilige Lebendigkeit hebt, sind für das natürliche Empfinden ohne weiteres erörterbar und werden mit Zustimmung oder Ablehnung beantwortet. Ganz anders erregend und „stoßend“ aber ist es, wenn eine geschichtliche Gestalt selbst Anspruch auf absolute Heilsbedeutung erhebt. Für das unmittelbare Gefühl stehen die beiden durch ihn verbundenen „Momente“ außer Verhältnis. Um den Anspruch anzuerkennen, muß der Hörende seinen Autonomiewillen in einer Weise opfern, wie sie nur durch Glauben und Lieben möglich ist. Wird das abgelehnt, dann erwacht ein elementarer Gegenstoß; und dieser vermag seinen Einwand gegen die konkrete Gestalt und ihren Anspruch mit der scheinbar

206 207 208 209

Vgl. Guardini, Das Wesen des Christentums, 14. Vgl. Kierkegaard, Philosophische Brocken, 46 – 51. Guardini, Das Wesen des Christentums (1929), 140. Vgl. Guardini, Das Wesen des Christentums (1929), 151; Guardini, Das Wesen des Christentums, 68. 210 Vgl. Guardini, Das Wesen des Christentums, 69.

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sehr hochwertigen Absicht zu rechtfertigen, das Ewig-Absolute müsse vor jeder Vermengung mit Geschichtlichem bewahrt werden.211

Hier wird stärker die Überwindung des Ärgernisses durch den Glauben betont. Wie sich durch den Glauben der Autonomiewille verwandelt, das ist anhand der Überlegungen zur Mittlerschaft und der Inexistenz Christi im Gläubigen zu beobachten. Dadurch tritt der Inkommensurabilität von Geschichtlichkeit und Absolutheit etwas Vermittelndes entgegen. Von daher, und nicht so sehr vom Paradox aus betrachtet, lässt sich dann auch die spätere Kritik an der Neuzeit verstehen, die sich auch als Kritik an der Autonomie des Subjekts charakterisieren lässt. In der Vorstellung der Mittlerschaft Christi wird nun die Inkommensurabilität aufgehoben, aber so, dass das Verhältnis zu Gott an den Mittler gebunden ist. Diese Gebundenheit ist jedoch nicht nur in der Initiation des Verhältnisses gegeben. Und zwar bedeutet diese Vermittlung nicht etwa nur den ersten Eingang. Sie meint nicht, daß das, was von Gott zu uns kommt und von uns zu Gott geht, wohl zuerst durch den Mittler entdeckt, erobert, gebracht, durch ihn erlitten, gewagt, erprobt werden müsse, um aber dann unmittelbare Bahn zu haben. Die Vermittlung bildet vielmehr die wesenhafte Form des christlichen Gottesverhältnisses und kann niemals aufgehoben werden, wenn nicht dessen Wesen selbst zerstört werden soll.212

Dieser stetige Bezug auf den Mittler deutet wiederum auf die Wesensbestimmung des Christentums in Christus selbst hin. Vermittlung und Mittler werden von Guardini so eng aufeinander bezogen, dass man von einer Vermittlung im Sein Christi selbst sprechen könnte. Wieder im Unterschied zu Harnack geschieht die Offenbarung des Vaters nicht nur in der Verkündigung oder Lehre Jesu, „sondern durch sein ganzes Sein. Alles, was Er ist, macht den Vater offenbar.“213 Dem Rationalismus stellt er hier einen „ontischen Wortbegriff“ gegenüber : Der Rationalismus, der ja das christliche Denken tief beeinflußt hat, setzt das Wesen des Offenbarens ganz in den Gedanken und das ihn aussprechende Wort. Das Wort des Mundes ist aber nur ein Teil eines umfassenderen: jenes Wortes, das in der Fülle des Seins besteht. Christus ist Wort, auch wenn er nicht „seinen Mund auftut und spricht“. Sein ganzes Wesen ist es, Miene, Gebärde und Haltung, Tun und Werk, die Motive seines Verhaltens und der Zusammenhang seines Schicksals.214

An dieser ontischen Zuspitzung zeigt sich ein weiteres Mal die Differenz zu Schleiermacher. Durch die Ableitung der Mittlerschaft Christi von seinem Sein als Offenbarung wird die Denkfigur des Mittlers bei Schleiermacher 211 212 213 214

Guardini, Das Wesen des Christentums, 32. Guardini, Das Wesen des Christentums, 34. Guardini, Das Wesen des Christentums, 40. Guardini, Das Wesen des Christentums, 40.

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umgedreht, weil bei ihm allererst durch die Mittlerrolle Christi von einem Sein Gottes in ihm auszugehen ist. Erst beim späteren Schleiermacher lässt sich die Einzigkeit Christi ableiten. Diese Differenz zu Schleiermacher verfestigt sich durch die unterschiedliche Auffassung vom Gedanken des Urbildes. Dass in Jesus ein Sein Gottes ist, wird bei Schleiermacher aus der Einzigkeit seiner Mittlerrolle, die sich als Kräftigkeit des Gottesbewusstseins auszeichnet, geschlossen und spiegelt sich in der Rede vom Urbild wider. Insgesamt handelt es sich bei dem Urbild-Modell um eine anthropologische Zielperspektive, weil sich das (durch die Erlösung von Christus gestiftete) neue Gesamtleben der Gläubigen durch die Kräftigkeit des Gottesbewusstseins auszeichnet. Bei Guardini findet sich hingegen ein doppeltes Modell des Urbildes, das auch über den Menschen hinaus ausgeweitet ist auf die ganze Welt. Christus ist deshalb „Urbild und Urwort der Welt“215, weil er Ebenbild des Vaters, des ewigen Urbildes, ist.216 Was bei Schleiermacher bewusstseinstheoretisch als ein Sein Gottes aufgefasst werden kann, wird bei Guardini von vornherein ontologisch betrachtet. Das Urbild-Modell fungiert bei ihm als Flankierung der für ihn typischen Inexistenz-Christologie. Der Abschluss zu den Überlegungen zum Urbild veranschaulicht dies: Zwischen dem Menschen und der Welt auf der einen und Christus auf der anderen Seite kann das Verhältnis der Wechsel-Inexistenz sein, da Christus die jedes mögliche Geschaffene absolut übergreifende Fülle des Logos in sich trägt.217

Den Ausdruck der Inexistenz übernimmt Guardini von der paulinischen Formel „in Christus“. Dieses Sein in Christus macht er in Anlehnung an Röm 6, 3 – 11 an der Taufe fest. Dies versteht er aber auch als ein durch den Geist gewirktes Geschehen: „Der Begriff des christlichen ,In‘ ist die grundlegende pneumatische Kategorie.“218 Somit versteht er den Glauben, der wiederum an die Taufe gebunden wird, im Gegensatz zu allem Psychologischen oder Ethischen als etwas Pneumatisch-Reales.219 Anhand der Weise, wie er die Bedeutung des Pfingstereignisses in diesem Zusammenhang beschreibt, stellt sich einmal mehr die Frage, ob für die Geschichtlichkeit Christi der historische Jesus überhaupt bedeutsam ist. So schreibt er : Der Zusammenhang wird auch von der Frage her beleuchtet, was das Pfingstereignis für die christliche Existenz bedeute. Vorher hat Christus mit den Seinigen „vor“ den Menschen gestanden. Zwischen ihnen und Ihm lag eine Kluft. Sie haben ihn nicht begriffen. Er ist ihnen nicht „inne“ geworden. Durch das Pfingstereignis ändert sich

215 216 217 218 219

Guardini, Das Wesen des Christentums, 57. Vgl. Guardini, Das Wesen des Christentums, 57 f. Guardini, Das Wesen des Christentums, 59. Guardini, Das Wesen des Christentums, 47. Vgl. Guardini, Das Wesen des Christentums, 47.

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das Verhältnis. Christus, seine Person, sein Leben und erlösendes Tun werden ihnen nun „inne“ und „offen“.220

So wird Jesus von Nazareth tatsächlich erst nachösterlich zum Mittler. Doch durch diese pneumatische Dimension erreicht er, dass die Erlösung zwar „eine damals vollzogene, aber aus der Ewigkeit her jedem späteren Augenblick beibestehende Wirklichkeit“221 ist. Die durch die Inexistenz beschriebene Teilhabe an dieser pneumatisch-realen Wirklichkeit hat nach Guardini zwei Seiten. Einerseits ist sie individuell und andererseits ist sie auf eine Ganzheit bezogen. Zunächst betrachtet er die Inexistenz anhand von Gal 2, 19 f bezogen auf den individuellen Glaubenden. Sodann steht dieser individuellen Vorstellung die ganzheitliche gegenüber, die er durch den Gedanken vom „Leib Christi“ verwirklicht sieht. Das glaubende Individuum und die Kirche als Gesamtheit stehen hier gleichursprünglich nebeneinander. Wie zu den Einzelnen, so steht Christus auch zum Ganzen. Er macht aus dem Menschgesamt die christliche Ganzheit, die mehr ist als nur die Summe der Einzelnen. Er ist gleichsam ihre Entelechie; ihre innere Gestalt und organisierende Macht. Erst dadurch wird Kirche.222

Von dieser Gleichursprünglichkeit der Menschheit als Ganzes und des Menschen als Einzelnen ausgehend wird im nächsten Abschnitt gerade nach der Bedeutung der individuellen Seite der Inexistenz Christi für die Kirche zu fragen sein, während das Weltverständnis Guardinis auch unter dem Vorzeichen der Inexistenz Christi verstanden werden kann. Denn die beiden Seiten werden noch erweitert: Ihre letzte, gleichsam kosmische Aufgipfelung erhalten diese Gedanken in der Lehre von der anakephalaiosis, die bereits im Begriff des geistlichen „Leibes Christi“ grundgelegt ist. Die ganze Schöpfung wird durch die wirkende Kraft des Erlösers ergriffen, von ihm durchdrungen und ins Neue geformt.223

Unter dieser Voraussetzung deutet sich an, dass sein Weltverständnis aus der Perspektive des Glaubens von vornherein von der Gnade her verstanden werden muss.

220 221 222 223

Guardini, Das Wesen des Christentums, 47. Guardini, Das Wesen des Christentums, 47. Guardini, Das Wesen des Christentums, 50. Guardini, Das Wesen des Christentums, 53.

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4. Die Kirche als Inexistenz Christi und ihre Gleichzeitigkeit mit Christus Die Rede von der Inexistenz Christi ist ausdrücklich erst in „Das Wesen des Christentums“ von 1929 bei Guardini greifbar. Doch in seinen ekklesiologischen Vorträgen „Vom Sinn der Kirche“ aus dem Jahr 1922 bereitet er sie schon vor, wenn er sagt: „Er [Christus] ist in mir, in Dir, in uns allen. Wir alle wiedergeboren vom Vater, in Christus, durch den Heiligen Geist. Er in uns, wir in ihm.“224 In diesen frühen Vorträgen müht sich Guardini im Sinne seines Gegensatzdenkens, das Sein der Kirche von den Gegensatzpolen Individualität und Gemeinschaft zu erfassen. Der erste Satz des ersten Vortrags – „Ein Vorgang von unabsehbarer Tragweite hat eingesetzt: Die Kirche erwacht in den Seelen.“225 – ist eines seiner bekanntesten Zitate, mit dem er die Lebendigkeit des Glaubens aus dem individuellen Vollzug heraus wieder auf die Kirche als Ganzheit beziehen möchte. Und so beschreibt er den Vorgang von unabsehbarer Tragweite gegen Ende des ersten Vortrags als Polarität von Ich und Gemeinschaft: „Das religiöse Leben kommt nicht mehr nur vom Ich, sondern erwacht zugleich im Gegenpol, in der objektiven, geformten Gemeinschaft. Es lebt auch von dort, also von zwei Polen her.“226 Und doch ist schon innerhalb dieser Vorträge der Gedanke der wechselseitigen Polarität gestört; dann nämlich, wenn er die Wechselbeziehung von Kirche und Persönlichkeit so als Ziel vorgibt, dass „die Kirche den Vorrang hat“227. Dieser Vorrang hängt eben an der starken Betonung der objektiven Seite der Kirche im Gegensatzverhältnis von Kirche und Personalität und wird anhand von Ordnungs- und Autoritätsvorstellungen eingeführt: Den Vorrang der Ordnung besitzt die Kirche. Sie hat Gewalt gegenüber den Einzelnen. Der Einzelne ist ihr untergeordnet; sein Wille dem ihren, sein Urteil dem ihren, seine Interessen denen der Kirche. Die Kirche trägt Gottes Hoheit, vertritt sie in sichtbarer Weise gegenüber dem Einzelnen und der Summe der Einzelnen. Sie hat – in den Grenzen, die durch ihr und der Persönlichkeit Wesen gezogen sind – die Gewalt, die Gott dem Geschöpf gegenüber hat: sie ist Autorität.228

Der zweite Vortrag „Kirche und Persönlichkeit“ vermittelt einen ambivalenten Eindruck. Guardini entfaltet, abgesehen von dem behaupteten Vorrang der Kirche, ein Wechselverhältnis, von dem zunächst nur die Gleichursprünglichkeit von Persönlichkeit und Kirche ins Auge fällt.229 Dies gelingt ihm, 224 225 226 227 228 229

Guardini, Vom Sinn der Kirche, 90. Guardini, Vom Sinn der Kirche, 19. Guardini, Vom Sinn der Kirche, 29. Guardini, Vom Sinn der Kirche, 54. Guardini, Vom Sinn der Kirche, 43. Vgl. Guardini, Vom Sinn der Kirche, 43.

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Die Kirche als Inexistenz Christi

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indem er die Spannungseinheit von Kirche und Persönlichkeit anhand des Begriffs „Neues Leben“ beschreibt230 : Neues, aus der Wiedergeburt der Gnade hervorgehendes Leben – das ist der Inbegriff des Christentums. Was Christus gewesen ist, was er gelehrt, getan, geschaffen und gelitten hat, läuft darin zusammen: Er hat das Neue Leben gebracht.231

Ferner beschreibt er es als Ergriffenwerden vom Schöpfer, einerseits so, dass die Menschheit als Ganzes ergriffen wird, wobei gilt: „Was ist Kirche? Das ,Neue Leben‘ in der Menschenheit.“232, andererseits wird die einzelne Seele ergriffen. Die Wechselseitigkeit des Neuen Lebens als Leben der Menschheit und als individuelles Leben veranschaulicht er in zahlreichen Bildern, wie z. B. im folgenden: „Das gleiche Neue Leben pulst in der Kirche und in der christlichen Persönlichkeit. Ihrer beider Stand entspricht sich, wie der Wasserspiegel in verbundenen Röhren.“233 Jedoch sieht Guardini auch, dass es im Vollzug dieser Wechselseitigkeit zu Störungen kommen kann: Wir fühlen eine Spannung zwischen Kirche und Persönlichkeit, darüber helfen alle begeisterten Reden nicht hinweg. Und zwar nicht jene im Wesen der Sache liegende, aufbauende Spannung, von der wir gesprochen haben, die gesund und lebendig hält, sondern eine unnatürliche, zerstörende.234

Diese Störungen werden dann aber einseitig auf die neuzeitliche Entwicklung der Subjektivität bezogen, nicht hingegen durch Fehlformen kirchlicher Autorität erklärt. Als Modell steht ihm dabei ein idealisiertes Bild des Mittelalters vor Augen, wo sich das Verhältnis von Persönlichkeit und Kirche im ungestörten Einklang befand: Dem Mittelalter war die objektive Wirklichkeit der Kirche, wie der Gemeinschaft überhaupt, unmittelbar gegenwärtig gewesen. Die Persönlichkeit hatte sich eingegliedert und im übrigen ihr Sondersein unbefangen ausgewirkt.235

Es sei die Kernaufgabe seiner Zeit, dieses Verhältnis wieder so zu betrachten, dass beide Seiten so aufeinander bezogen werden, dass bei größtmöglicher Wechselseitigkeit die Autorität der Kirche in diesem Verhältnis selbst begründet wird.236 Dies hat natürlich Auswirkungen für die Sichtweise auf die Kirche. Guar230 An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass Guardini erst in der 3. Auflage von 1933 vom „Neuen Leben“ spricht, wo vorher vom „Reich Gottes“ die Rede war. Vgl. Knoll, Glaube und Kultur, 116 A. Die Vermutung, dass dieser terminologische Wechsel durch Schleiermachers Begriff des „neuen Gesamtlebens“ beeinflusst ist, liegt nahe. 231 Guardini, Vom Sinn der Kirche, 35. 232 Guardini, Vom Sinn der Kirche, 35. 233 Guardini, Vom Sinn der Kirche, 43. 234 Guardini, Vom Sinn der Kirche, 44. 235 Guardini, Vom Sinn der Kirche, 44. 236 Vgl. Guardini, Vom Sinn der Kirche, 45.

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Guardinis Suche nach dem außerweltlichen Standpunkt

dini geht es darum, die Bedeutung der Persönlichkeit, die er stets strikt von einer Vorstellung eines isolierten Individuums unterscheidet, einerseits durch die Betonung der Polarität von Kirche und Persönlichkeit für den antimodernistischen Katholizismus überhaupt herauszuarbeiten, und gleichzeitig zu versuchen, die Kirche in ihrem Sein als unveränderlich zu stabilisieren. Es geht ihm also darum, die Sichtweise des modernen Menschen auf die Kirche dahingehend zu verändern, dass er sich zunächst auf diese ungleiche Wechselbeziehung einlässt: Die Persönlichkeit geht zugrunde in verlassener Einsamkeit, wenn sie nicht den Zusammenhang mit der lebendigen Gemeinschaft gewinnt. Und die Kirche ist nicht zu ertragen, wenn wir sie nicht als Voraussetzung des eigensten persönlichen Lebens begreifen; wenn wir in ihr nur eine vor uns stehende Macht sehen, die unseren innersten Lebenswillen nichts angeht, ihn gar bedroht oder erdrückt.237

Durch den Hinweis darauf, dass die Kirche bei der falschen Haltung des Individuums nicht zu ertragen sei, macht Guardini sein Kirchenverständnis gegen vielerlei Kritik immunisierbar, zumal er da die Lösung der Kernaufgabe, die letztlich darin besteht, „daß wir die Kirche lieben können“238, als Gnade betrachtet. Ist diese Voraussetzung erfüllt, „dann ist mir die Kirche nicht mehr geistige Polizei, sondern Blut von meinem Blut.“239 Auf der Linie dieser Partizipationsmetaphorik liegt dann auch seine Vorstellung von der Kirche als mystischem Leib Christi, durch die noch einmal die Immunisierbarkeit der Kirche verstärkt wird, indem Kritik an der Kirche auf menschliche Unzulänglichkeiten zurückgeführt werden kann: Die Kirche aber ist sein „Leib“. Ist so die Kirche selbst der mystisch fortlebende Christus, das konkrete Wahrheitsleben und die gottmenschliche Heilsfülle; kann man die Heilswerte nicht von ihr ablösen und anderswo suchen, sondern sind sie im geschichtlichen Sein der Kirche verkörpert, dann ist die Not um so bitterer, wenn dies heilspendende Wesen so tief in menschliche Unzulänglichkeiten eingefangen ist.240

Im Zusammenhang der frühen ekklesiologischen Vorträge wird das unzertrennbare Geflecht von menschlicher Unzulänglichkeit am mystischen Leib in seiner geschichtlichen Verwirklichung als im Wesen der Kirche angelegte Tragik verstanden: Diese Tragik ist der Kirche wesentlich, sie wurzelt in ihrem Kern, denn „Kirche“ heißt, daß Gott in menschliche Geschichte eingetreten sei, daß Christus nach Wesen und Kraft und Wahrheit mystischerweise darin weiterlebe. Erst im Himmel endet sie, wenn aus der streitenden die verklärte Kirche geworden ist.241 237 238 239 240 241

Guardini, Vom Sinn der Kirche, 44 f. Guardini, Vom Sinn der Kirche, 46. Guardini, Vom Sinn der Kirche, 46. Guardini, Vom Sinn der Kirche, 50. Guardini, Vom Sinn der Kirche, 51.

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Dieses Moment des Tragischen in der Dialektik von streitender und verklärter Kirche wird dann in Analogie zum Kreuz Christi noch etwas zugespitzt: Christus lebt in der Kirche weiter ; aber Christus, der Gekreuzigte. Fast möchte man das Gleichnis wagen, die Mängel der Kirche seien Christi Kreuz. Des mystischen Christus ganzes Sein: seine Wahrheit, seine Heiligkeit und Gnade, seine anbetungswürdige Persönlichkeit ist an sie geheftet, wie einst sein Leib an die Balken des Kreuzes. Und wer Christus will, muß sein Kreuz mitnehmen. Wir lösen ihn davon nicht los.242

Durch diese kreuzestheologische Zuspitzung wird schon das Motiv der Gleichzeitigkeit der Kirche mit Christus, das in den späten ekklesiologischen Meditationen von 1965 eine zentrale Stellung einnimmt, vorbereitet. Denn die postulierte Gleichzeitigkeit der Kirche mit Christus erschließt sich ihm anhand des Ärgernisses. So wie der Anspruch, dass Gott in Christus als Mensch in die Geschichte eintritt, und der Kreuzestod ein Ärgernis darstellen, ist nun der Anspruch der Kirche trotz ihrer Mangelhaftigkeit, die in den menschlichen Unzulänglichkeiten besteht, vermittelnde Instanz zwischen Gott und Mensch zu sein. In der Weise, wie Guardini die Mängel der Kirche in Analogie zu Christus als dem Ärgernis betrachtet, wird schon, bevor er die Idee der Gleichzeitigkeit mit Christus von Kierkegaard übernimmt, seine eigenständige Position vorweggenommen, mit der er sich gerade von Kierkegaard abgrenzt. Sicherlich ist Guardini und Kierkegaard gemeinsam, dass sie durch die Rede von der Gleichzeitigkeit Verengungen historistischer Art überwinden wollen. Doch was bei Kierkegaard nicht nur als Kritik am Historismus, sondern auch als Kritik an der Kirche zu verstehen ist,243 wendet Guardini zu einem die Kirche fundierenden Moment. Das Ambivalente an der Einbeziehung der Idee Kierkegaards wird schon in der ersten Aufnahme durch Guardini deutlich. Im Aufsatz „Der Glaube im Neuen Testament“ schreibt er 1930: Kierkegaard hat gesagt, der eigentliche Glaube sei jener, der sich im gleichzeitigen Hörer gegenüber dem dastehenden Offenbarungsträger vollziehe. Hier allein liege das Wagnis; hier allein der echte Index der Glaubenssituation, nämlich die Mög242 Guardini, Vom Sinn der Kirche, 53. 243 So sind die Kirchen bei Kierkegaard gerade beteiligt, die Situation der Nichtgleichzeitigkeit durch „törichtes Gerede“ zu verschärfen: „Nur in einer einzigen Hinsicht könnte ich versucht sein den (in unmittelbarem Sinne) Gleichzeitigen glücklicher zu preisen als den Späteren. Nehmen wir nämlich an, Jahrhunderte seien verlaufen zwischen jener Begebenheit und dem Leben des Späteren, so wird ja wohl unter den Menschen viel Geredes über diese Sache aufgekommen sein, so viel törichten Geredes, daß die unwahren und verwirrten Gerüchte, welche der (in unmittelbarem Sinne) Gleichzeitige über sich ergehen lassen mußte, die Möglichkeit des rechten Verhältnisses schlechterdings nicht so schwierig machten, und das um so mehr als nach menschlicher Wahrscheinlichkeit der hundertjährige Widerhall, gleich dem Widerhall in unsern Kirchen, es nicht bloß um den Glauben schallen und hallen läßt, sondern den Glauben zum bloßen Schalle und Halle macht, […].“ Kierkegaard, Philosophische Brocken, 67 f.

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lichkeit des Ärgernisses. Der Gedanke enthält etwas tief Wahres. Allein die Gleichzeitigkeit, die hier gefordert wird, kann nicht die unmittelbar-geschichtliche zu Jesus-Christus sein, denn die ist definitiv vorbei. Die Forderung aber, sie durch geistiges Versenken und Vergegenwärtigen, durch Verzicht auf alle Deutung und Hilfskonstruktion wieder aufzubauen, wie es die „Einübung ins Christentum“ will, ist unerfüllbar, ja phantastisch. Christus ist nun einmal nicht mehr gleichzeitig. An einer anderen Stelle aber tritt die göttliche Gleichzeitigkeit hervor, und wahrlich ohne daß der Einzelne etwas dafür zu „üben“ brauchte: Aus der gegenwärtigen Kirche. „Wer euch hört, der hört mich.“ Hier ist Christus. Und hier ist auch die Möglichkeit des Ärgernisses.244

Es ist nämlich lediglich das Ärgernis, das die Analogie herstellt. Was Guardini weglässt, ist aber gerade die Dialektik von Gleichzeitigkeit und Ungleichzeitigkeit, die Kierkegaard durch die Differenzierung von wirklicher und unmittelbarer Gleichzeitigkeit erreicht.245 Von daher geht seine Abgrenzung von Kierkegaard im obigen Zitat nicht auf. Denn die Forderung der „Einübung ins Christentum“ kann nicht phantastisch sein, weil sie gar nicht die unmittelbargeschichtliche Gleichzeitigkeit zu Christus herstellen soll. Die wirkliche Gleichzeitigkeit, die dann auch den unendlich klaffenden Unterschied von Gott und Mensch überwindet, wird nach Kierkegaard im Glauben erreicht, was noch einmal im kritischen Gegenüber zur Kirche steht. Bei Guardini jedoch fällt die kirchenkritische Tendenz weg, sie wird aufgehoben, indem die menschliche Unzulänglichkeit als sich wiederholende Möglichkeit des Ärgernisses betrachtet wird, was schließlich dazu führt, dass die Idee der Gleichzeitigkeit mit Christus, durch die Kierkegaard ein unmittelbares Gottesverhältnis zum Ausdruck bringen wollte, von Guardini wieder durch die Kirche in eine vorgegebene Vermittlungsstruktur eingefügt wird. Dadurch wird erreicht, dass er die Gleichzeitigkeit mit Christus durch ihre Bindung an die Kirche objektivieren kann, weshalb seine große Lebensfrage nach der Inkommensurabilität von Gott und Mensch im Gegenüber zur Kirche zur Ruhe kommt. Denn die Idee der Gleichzeitigkeit scheint in dem Zusammenhang, in den sie von Guardini gestellt wird, die Verbindung von Paradies und Eschaton in der Gegenwart zu sein. Doch damit bringt Guardini etwas zum Ausdruck, was auch schon in „Vom Sinn der Kirche“ ohne Rückgriff auf Kierkegaards Begriff der Gleichzeitigkeit anders gesagt ist: „In der Kirche ragt die Ewigkeit in die Zeit herein.“246 Ferner fällt auf, dass er die Gleichzeitigkeit der Kirche mit Christus oft im Zusammenhang mit anderen für ihn wesent244 Guardini, Der Glaube im Neuen Testament, 21. 245 M.E. tritt sie besonders deutlich in den „Philosophischen Brocken“ hervor: „[D]er Gleichzeitige kann dessen ungeachtet der Nicht-Gleichzeitige sein; der wirkliche Gleichzeitige ist dies nicht vermöge der unmittelbaren Gleichzeitigkeit, somit muß auch der (im unmittelbaren Sinne) Nicht-Gleichzeitige der Gleichzeitige sein können durch jenes andere, durch das der Gleichzeitige der wirkliche Gleichzeitige wird.“ Kierkegaard, Philosophische Brocken, 64. 246 Guardini, Vom Sinn der Kirche, 66.

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licheren Aspekten vorträgt. Schon 1930 hat er den Gleichzeitigkeitsgedanken als Präzisierung seiner Inexistenzidee eingeführt.247 Hier wird die christliche Innerlichkeit oder auch der christliche Subjektsbereich durch die Inexistenz Christi im Menschen anhand von Gal 2, 20 und Joh 14, 23 als eine Sphäre beschrieben, die im Wechselbezug zur Sphäre der christlichen Objektivität steht. Unter christlicher Objektivität versteht er den Bereich der christlichen Gegenständlichkeit, den er – wie zuvor die Innerlichkeit vom Psychologischen – von allen kulturellen und soziologisch-historischen Zusammenhängen abgesetzt wissen möchte. Positiv gewendet ist diese Gegenständlichkeit als Sphäre, die z. B. durch Symbol und Liturgie präsent ist, gemeint. Diese beiden Sphären betrachtet er als „durch das Pneuma“ begründet und aus ihrem Wechselbezug trete Christus entgegen. Erinnert diese Denkfigur an das Wechselverhältnis von Persönlichkeit und Kirche in „Vom Sinn der Kirche“, so ist hier jedoch eine Verschiebung festzustellen. Denn an die Stelle der Kirche ist innerhalb dieses Wechselverhältnisses lediglich die Sphäre der Gegenständlichkeit getreten. Doch der Vorrang der Kirche vor der Persönlichkeit wird hier insofern stärker herausgearbeitet, als sie zum Zentrum wird, wo sich beide Sphären aufeinander beziehen, und dadurch auch zu ihrer Grenze: Beide Sphären aber, die innere der christlichen Erfahrung sowohl, wie die objektive der christlichen Gegenständlichkeit, schweben nicht frei, sondern haben ihren Ort in der Geschichte; ihre geschichtliche Gestalt, von welcher aus die Entscheidungsforderung an den einzelnen herantritt: Die Kirche. Jene Innerlichkeit ist nicht individualistisch isoliert, sondern von vornherein Glied der christlichen Ganzheit. Und die christliche Gegenständlichkeit ist nicht frei strömendes Kulturgeschehen, sondern hat einen geschichtlichen Träger, eben jenes sichtbare Gefüge, in welchem mit Amtsbefugnis das Wort gesprochen und die heilige Handlung vollzogen wird.248

Dadurch, dass genau an dieser Stelle die Idee der Gleichzeitigkeit eingefügt wird, tritt Christus nicht einfach im Wechselspiel beider Sphären hervor, sondern ist noch einmal gebunden an die Kirche: Die Glaubenssituation entfaltet sich nun gegenüber dem aus dem geschichtlichen Ort der Kirche hervortretenden Christus und dem Menschen; auf beiden Ebenen der Objektivität und der Innerlichkeit; durch das christliche Hören und Tun, und durch die christliche Erfahrung.249

Unter dieser Voraussetzung ist es konsequent, dass in Guardinis Entwurf zur Offenbarung von 1940 alles auf die Kirche zulaufen muss. Ist hier von vornherein die Offenbarung als ein Handeln Gottes thematisiert worden, so wird auch die Möglichkeit des Inne-Werdens Gottes als Wirken des Geistes be247 Vgl. Guardini, Der Glaube im Neuen Testament, 19 – 22. 248 Guardini, Der Glaube im Neuen Testament, 21. 249 Guardini, Der Glaube im Neuen Testament, 22.

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schrieben.250 Jedoch endet damit sein Ansatz nicht, sondern dieses Wirken des Geistes wird noch einmal rückgebunden an die Kirche: „Christus hat sein Bild und seine Botschaft nicht einfachhin dem freien Strömen des Geistes und den schöpferischen Kräften des Herzens anvertraut, denn er hat nicht nur den Geist gesendet, sondern auch die Kirche gegründet.“251 Dies schließe ein, dass auch die Ordnung und Autorität der Kirche als Werk des Geistes betrachtet werden müssen. Die Kirche in ihrem institutionellen Charakter ist auch bei Guardini, der sich an dem Ganzheitscharakter, der Lebendigkeit der Kirche und damit verbunden auch an dem Ineinander von individuellem Glauben und Gemeinschaft orientiert, als stets mitgedachter Horizont präsent, wenn er schreibt: „Auch die im Amt verfaßte und mit Verbindlichkeit anordnende Kirche ist Werk des Geistes; und um sie zu formen und zu führen, ist der Geist gekommen. Mit ihr ist Christus unlöslich verbunden.“252 Doch dass dieser institutionelle Charakter der Kirche für Guardini nicht der zentrale Ansatzpunkt ist, lässt sich nicht zuletzt daran erkennen, dass sich alles „erst in der Form der Annäherung, unter Hüllen verborgen und vom Widerspruch alles dessen, was sich gegen Gottes Reich stellt, durchkreuzt“253 verwirkliche. Erst daraufhin führt Guardini die Rede von der Gleichzeitigkeit in „Die Offenbarung“ ein, indem er fragt: „Wurde jenen, welche dem Offenbarungsträger persönlich begegneten, das Glauben leichter, als den Späteren, die mit ihm und seinem Wort nur durch Überlieferung und Kirche in Berührung kamen?“254 Es ist zwar nicht direkt das Motiv des Ärgernisses, sondern in gewisser Weise taucht dieses Motiv nur abgeschwächt als Unverständnis und Ablehnung der Gleichzeitigen wieder auf. Dann aber ist dies wiederum die Parallele, die die Späteren durch die Kirche in die Gleichzeitigkeit stellt: Die Botschaft ist vom Glauben der Früheren, von der Überzeugung der Lehrenden, von der Autorität des Amtes getragen. Gewiß legt das alles auch seine Menschlichkeiten auf sie. Was je in der Kirche an Mißlichem und Unwürdigem war, spricht gegen die Botschaft, und die Unzulänglichkeit des Lehrenden zeugt wider das, was er lehrt – insofern kann man sagen, für die Späteren übernehme die Kirche die Funktion der Gleichzeitigkeit, welche den Glaubenswillen erprobt.255

Insgesamt ist aber der Umgang mit dem Gleichzeitigkeitsgedanken in „Die Offenbarung“ ein sehr vorsichtiger. Denn die Vorrangstellung der Kirche steht hier nicht im Vordergrund, vielmehr wird das Wesen der Kirche durch das Miteinander der Glaubenden illustriert: „sie [die Kirche] ist jene Gemein250 „,Offenbarung‘ muß also auch bedeuten, daß Gott die Bedingung gibt, durch welche eine Gemeinsamkeit des Seins, eine Fähigkeit des Aufnehmens hergestellt wird: ebendas geschieht durch den Heiligen Geist.“ Guardini, Die Offenbarung, 115 f. 251 Guardini, Die Offenbarung, 123 f. 252 Guardini, Die Offenbarung, 124. 253 Guardini, Die Offenbarung, 128. 254 Guardini, Die Offenbarung, 128. 255 Guardini, Die Offenbarung, 133.

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schaft, in welcher der eine dem andern glauben hilft; die Bewährung des einen sich beim andern zum Unterpfand der Wahrheit macht; der eine den andern in die religiöse Bewegung mitnimmt.“256 Die Gleichzeitigkeit der Kirche steht hier vor allem für diese gegenseitige Bewährung des Glaubens, was Guardini als helfende Mächte gegenüber den durch den historischen Abstand zu Christus auftretenden hindernden Mächten betrachtet, so dass er die Situation des Späteren hier nicht einfach als die bessere Situation bestimmen kann. „Die Offenbarung“ endet dann auch mit folgendem Satz: Immer bedeutet Glauben, die Wirklichkeit auf den göttlichen Sinn hin zu durchdringen; die ewige Gestalt aus dem zeitlichen Vorgang herauszuschauen; im Gewirr der irdischen Vorgänge und Zustände sich auf das zu beziehen, was von Gott kommt. Das aber wird wohl immer gleich schwer und gleich leicht sein.257

Dass Guardini mit diesem Satz sein Offenbarungs-Buch enden lässt, ist allerdings überraschend. Es ist geradezu eine beruhigende Enttäuschung. Denn es zeigt doch, dass im Gewirr der irdischen Vorgänge und zeitlichen Zustände auch aus der Perspektive des Glaubens trotz der Gleichzeitigkeit mit Christus in der Kirche der außerweltliche Standpunkt eine Grenzvorstellung bleibt. Es scheint sozusagen auch nach dem Durchgang durch die ausdrückliche Offenbarung etwas von der Schwermut hindurch, die am Ende des Teils zur Offenbarung durch das Sein der Welt stand.258 Nach dieser trotz der Aufnahme des Gleichzeitigkeitsgedankens im Vergleich zu früheren Äußerungen relativ schwach ausgebildeten Vorstellung von der Kirche, die dahingehend eine Schwäche zeigt, dass sie dem glaubenden Einzelnen lediglich eine Hilfe gibt, die Inkommensurabilität von Gott und Mensch zu durchbrechen, ordnet Guardini die Idee der Gleichzeitigkeit in späteren Texten so an, dass dadurch von vornherein das Überwinden dieser Schwäche angegangen wird. Zum einen tut er dies in einem Vortrag vor einer evangelischen Gemeinde aus dem Jahr 1958,259 indem er sich dem Thema biographisch nähert und genau die Problematik der religiösen Krise, die er auch in seinen autobiographischen Schriften zum Ausgangspunkt nimmt, wählt.260 Zum anderen ist dieser Vortrag als Kapitel „Die Kirche und die Gleichzeitigkeit zu Jesus Christus“261 in seine ekklesiologischen Meditationen „Die Kirche des Herrn“ von 1965 eingegangen. Insofern schließt sich an dieser Stelle ein Kreis, an dem die Bedeutung der Kirche für die christliche Existenz des Romano Guardini deutlich wird. In „Die Kirche des Herrn“ tritt diese Bedeutung gerade im Unterschied zu „Die Offenbarung“ prägnanter hervor. 256 Guardini, Die Offenbarung, 134. 257 Guardini, Die Offenbarung, 135. 258 „Eine große Schwermut liegt in der religiösen Geschichte der Menschheit.“ Guardini, Die Offenbarung, 46. 259 Guardini, Kirche und Dogma, 340 – 353. 260 Vgl. Guardini, Berichte, 72. 261 Guardini, Die Kirche des Herrn, 150 – 161.

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Denn die Kirche ist hier die Instanz, vor der sich der Mensch entscheidet. Dabei wird allerdings nicht einfach die Schwierigkeit dieser Entscheidung aufgehoben. Dem besagten Kapitel stellt Guardini in „Die Kirche des Herrn“ das Kapitel „Offenbarung und Verhüllung“262 voran. Er beginnt mit der Dialektik von Offenbarung und Verhüllung in Christus, die sich in der Kirche fortsetzt: Was in Jesus den Sohn Gottes offenbaren soll, daß sich nämlich in Ihm die Göttlichkeit ins Menschliche übersetzt und geschaut werden kann – dieses nämliche Verhältnis verhüllt Ihn auch, so daß eine Schwebe entsteht, in der Entscheidung fällt: zum Ja oder zum Nein.263

Die Kirche wird als Instanz betrachtet, die die Funktion von Offenbarung und Verhüllung in der geschichtlichen Gegenwart ausübt.264 Daran schließt Guardini nun seine biographische Erfahrung an, die in der Frage bestand, wo im Anschluss an Mt 10, 39 das Weggeben der eigenen Seele geschieht, ohne dass das Selbst insgeheim bei sich bleibe.265 Dabei ist nicht die Frage, dass dies vor Gott geschieht, wohl aber wie. Denn nach seinem Dafürhalten scheidet die Möglichkeit aus, dass dies unmittelbar vor Gott geschieht: „Hier fehlt eine Instanz, welche Gewähr gibt, daß man nicht, wenn man ,Gott‘ sagt, in Wahrheit ,ich‘ meine.“266 Diese Leerstelle füllt dann die Kirche in ihrer Gleichzeitigkeit mit Christus aus. In diesem Zusammenhang ist es wieder die Unzulänglichkeit der Kirche, die das verhüllende Moment darstellt, so dass er seine eigene Erfahrung mit der Instanz Kirche so beschreibt: „Die ganze Härte dessen, was Kierkegaard das ,absolute Paradox‘ genannt hat, stürzt über einen. Aber dahindurch führt der Weg des Glaubens, denn durch das erfahre ich ja von Christus.“267 Guardinis Ansatz ist von dieser Erfahrung geprägt, dass die Inkommensurabilität von Gott und Mensch in dieser Instanz Kirche überwunden wird, ohne dass sie sich einfach auflöst. Denn die Dialektik von Verhüllung und Offenbarung bleibt bestehen und gibt der Kirche insgesamt einen eschatologischen Charakter.268

262 263 264 265 266 267 268

Guardini, Die Kirche des Herrn, 141 – 149. Guardini, Die Kirche des Herrn, 145. Vgl. Guardini, Die Kirche des Herrn, 147. Vgl. Guardini, Die Kirche des Herrn, 151. Guardini, Die Kirche des Herrn, 152. Guardini, Die Kirche des Herrn, 160. Vgl. Guardini, Die Kirche des Herrn, 182 – 193.

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Fazit

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5. Fazit Der Gang durch die Entwicklung des Offenbarungsverständnisses Guardinis hat als ein Ergebnis gezeigt, dass sich das Verhältnis von Natur und Gnade dahingehend ändert, dass der Naturbegriff zurückgedrängt wird und die Gnade der Natur, oder besser dem Weltbegriff, vorangeht. Dieses Zwischenergebnis war bereits in der 1939 erschienenen Abhandlung „Welt und Person“ erreicht.269 Von diesem Zwischenschritt ausgehend ließ sich die Rede von der Nichtnotwendigkeit des Daseins einzeichnen und es schien so, als sei damit die Rede vom außerweltlichen Standpunkt abgelöst. Die Tatsache, dass der außerweltliche Standpunkt als Folge der Offenbarung in der späten Vorlesung „Die Existenz des Christen“ genauso wie das Quer-Stehen von Offenbarung und Religion wieder aufgenommen wird,270 zeigt, dass auch die Rede von der Nichtnotwendigkeit des Daseins in ähnlicher Weise wie die vom außerweltlichen Standort nicht im Einklang mit Guardinis Gegensatzlehre steht; gerade wenn es darum geht, dass dieser außerweltliche Standort schon in der Welt aus der Zweideutigkeit herausführe. Von daher ist noch einmal nach der Bedeutung des eschatologischen Charakters der Kirche zu fragen und zu klären, welche Funktion das Gericht bei Guardini einnimmt. Ist es durchgehend in seinem Werk so zu verstehen, dass der weltanschauende Blick des Glaubens das Gericht ist,271 oder ist es eher so zu verstehen, dass das Gericht immer ausstehend bleibt, weshalb er auch sagen kann, dass die Kirche in ihrer Unzulänglichkeit erst noch vor dem Gericht stehen wird.272 Diese Frage ist dahingehend zu beantworten, dass das Gericht immer im ersten Sinne zu verstehen ist, wenn es darum geht, aus der Zweideutigkeit herauszuführen. Denn schon die Kirche, die aufgrund ihres eschatologischen Charakters dem Gericht ausgesetzt bleibt, schafft als sichtbare Kirche Eindeutigkeit.273 Im zweiten Sinne ist „Das Gericht als Vollendung der Liebe“274 zu bestimmen. 269 In folgender Äußerung ist dies greifbar : „Hier muß das gläubige Bewußtsein eine grundlegende Unterscheidung vollziehen: die Welt ist nicht ,Natur‘, sondern Schöpfung; Schöpfung im reinen Sinn des durch freie Tat hervorgebrachten Werkes. Sie ist nichts ,Natürliches‘, Selbstverständliches, sich durch sich selbst Rechtfertigendes, sondern bedarf der Begründung; und begründet wird sie von der Instanz her, die sie nach Wesen und Wirklichkeit geschaffen hat.“ Guardini, Welt und Person, 28. 270 „Sie [die Offenbarung; W.T.] öffnet die Verschlossenheit der Welt. Sie gibt die Möglichkeit, in deren Zweideutigkeiten zu unterscheiden. Sie schafft einen Standort ,außerhalb‘ der Welt, von dem her eine echte Stellungnahme zu ihr möglich wird. Sie vollzieht, christlich gesprochen, ,Gericht‘ über das, was ,Welt‘ heißt, die Erscheinungen des Unmittelbar-Religiösen mit eingeschlossen.“ Guardini, Die Existenz des Christen, 16. 271 „Jeder wirklich Glaubende ist ein lebendiges Gericht der Welt.“ Guardini, Weltanschauung, 33. 272 Vgl. Guardini, Die Kirche des Herrn, 193. 273 „Wenn Gott will, daß Kirche sei, im klaren Sinn geschichtlicher Eindeutigkeit, bindet Er sich selbst in die Liebe, seine Gnade durch sie zu verwirklichen – ebendamit bin ich aber gebunden, sie als das anzunehmen, als was Er sie gewollt hat.“ Guardini, Die Kirche des Herrn, 181. 274 Guardini, Theologische Briefe, 31.

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Guardini setzt diese beiden Bestimmungen des Gerichts allerdings nicht in ein Verhältnis zueinander. Das Potential, eine Spannung von Erfahrung und Offenbarung in der eschatologischen Dimension seiner Theologie fruchtbar zu machen, schöpft er nicht aus. Gerade in der Vorstellung vom weltanschauenden Blick des Glaubenden als Gericht der Welt ließe sich die Eindeutigkeit der Offenbarung innerhalb der endlichen – und damit stets der Zweideutigkeit der Welt ausgesetzten – Erfahrungen des Einzelnen in ihrem fragmentarischen Charakter beschreiben. Doch dazu müsste vorausgesetzt werden, dass das Individuum konsequent als Subjekt des Glaubens betrachtet wird. Nun hat sich bei der Analyse des fundamentaltheologischen Ansatzes von Guardini gezeigt, dass die Kirche gerade im Bezug auf die Lebendigkeit des Glaubens eine Vorrangstellung gegenüber dem Individuum einnimmt, so dass schließlich sämtliche Spannungen durch die Kirche aufgelöst scheinen. Bei Guardini sind es vor allem die spannungsgeladenen Verhältnisbestimmungen von Religion und Offenbarung und von Individualität und Gemeinschaft, die durch das Beharren auf der Eindeutigkeit der Kirche ungeklärt bleiben.

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Teil 2: Die Eschatologie innerhalb der Transzendentaltheologie Karl Rahners Karl Rahner ist wohl der wirkmächtigste Theologe des deutschsprachigen Katholizismus im zwanzigsten Jahrhundert gewesen. Die Gründe dafür sind vielfältig und lassen sich kaum gewichten. Zu erwähnen sind die Fülle seiner Publikationen, seine Tätigkeit als Herausgeber der wichtigsten katholischen theologischen Lexika und anderer Schriftenreihen,1 seine Teilnahme am Zweiten Vatikanischen Konzil, sein Einfluss auf den deutschsprachigen Katholizismus, der bis heute nachwirkt und nicht zuletzt das Glaubensverständnis vieler katholischer Laien in Deutschland mitgeprägt hat. Inhaltlich hat Rahner sicherlich so eine große Wirksamkeit erreicht, weil er zu einer immensen Vielfalt von Themen gearbeitet hat, aber vor allem, weil seine Theologie sich dadurch auszeichnet, dass sie zwischen den traditionellen katholischen Lehrbestand und dem Denken der Moderne vermittelt. Diese Grundtendenz, die nicht einfach kontinuierlich in gleichen Denkkategorien von Rahner durchgeführt wurde, wird anhand der gängigen Charakterisierung der Rahnerschen Theologie als anthropologisch gewendete Theologie oder auch als Transzendentaltheologie sogleich ersichtlich. Fragt man nach der Fundamentaltheologie Rahners, geht es eben um die Entwicklung dieser Transzendentaltheologie, die von einer Vermittlung transzendentalphilosophischen Denkens im Anschluss der Aufklärung und insbesondere Kants mit scholastischem Denken insbesondere im Anschluss an Thomas ausgeht. Insofern ist Rahner geprägt von der Schule Joseph Marchals.2 Hierin liegt der Unterschied zu Guardini und Ratzinger, denen gerade die Ablehnung eines neuzeitlichen Subjektdenkens, die sich bei Guardini nicht zuletzt in seiner Neuzeitkritik und bei Ratzinger programmatisch bis in sein Pontifikat hinein in der Rede von der Diktatur des Relativismus zeigt, gemeinsam ist. Im Gegensatz dazu steht der Name Karl Rahner für die Verbindung von katholischer Theologie und Modernität, durch die auch das menschliche Subjekt einen besonderen Stellenwert bekommt. Einen Stellenwert, den sowohl Guardini durch seinen Rekurs auf den Gehorsam gegenüber der Kirche und die Ab1 Rahner war an der Herausgabe des Lexikons für Theologie und Kirche (LThK) und an dem Handbuch „Sacramentum Mundi“ (SM) maßgeblich beteiligt. Darüber hinaus hat er zusammen mit Heinrich Schlier die viel beachtete Reihe „Quaestiones Disputatae“ (QD) begründet, um nur die wichtigsten Herausgeber-Funktionen zu nennen. 2 Zum Einfluss Marchals auf Rahner vgl. z. B.: Raffelt/Verweyen, Karl Rahner, 24 – 28. Zur transzendentalen Methode Rahners in Beziehung zu Thomas, Kant und Marchal vgl. Muck; Die transzendentale Methode; vgl. Muck, Thomas – Kant – Marchal, 31 – 56.

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lehnung des Autonomie-Gedankens als auch Ratzinger durch die sakramentale Einbettung in ein übergeordnetes ekklesiales Wir-Subjekt gerade bemüht sind zu nivellieren. Es ist die anthropologische Wende3, die Rahner vollzogen hat, und die Entwicklung seiner Transzendentaltheologie, durch die sich Rahners Ansatz auszeichnet. Inwiefern Rahner dabei über die auch bei Guardini trotz dessen Neuzeitkritik entwickelten anthropologischen Neuansätze, die in seiner Lehre vom Gegensatz und seiner Aufnahme personalen Denkens enthalten sind, hinausgeht, wird zu fragen sein, nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass sich der frühe Rahner immerhin skeptisch zu Guardini äußerte, wie in einer Rezension zu „Welt und Person“ aus dem Jahr 1941: „Da und dort wird man vielleicht nicht ganz mitgehen: so, wenn eine Gegensatzeinheit die Analogie vertritt oder Person und christliche Person ähnlich wie bei Ebner oder Brunner zu nahe aneinander gerückt werden.“4 Jedenfalls fügt sich die Kritik des frühen Rahner an Guardini in ein Rahnerbild, das die Dimension des Personalen bei Rahner zu wenig ausgebildet findet und das von daher auch den Anlass bietet, seinen transzendentaltheologischen Ansatz wie folgt insgesamt unter den Vorwurf des Subjektivismus zu stellen: Die in dieser Weise erfolgte Inanspruchnahme der sogenannten transzendentalen Methode hat übersehen, daß der transzendentale Schritt, wie mehrfach expliziert, gerade nicht nur eine Methode ist, sondern die Totalität der Wirklichkeit von einer ganz bestimmten Perspektive aus zu begreifen versucht: Es ist dies der transzendentale Standpunkt der Grund-setzenden Subjektivität, die aus sich und somit von sich her bestimmt, als was das Ganze der Wirklichkeit zu sein hat.5

Dieser von Greiner formulierte Vorwurf wurde mehrfach mit dem Argument zurückgewiesen, dass es sich hier schon um ein Missverständnis bei der Interpretation Kants handelt, weil die Unterscheidung von empirischem Ich und transzendentalem Ich nicht hinreichend berücksichtigt werde.6 Tatsächlich ist es der Rekurs auf eine von Kant begründete Transzendentalphilosophie, in dem das Interesse an Rahner für die moderne katholische Theologie besteht. Rahner zeichnet sich gerade dadurch aus, dass er sich von seinem Selbstverständnis als katholischer Theologe auf neuzeitliche Fragestellungen in einer Weise eingelassen hat, die gerade nicht wie Guardini auf einen außerweltlichen Standpunkt rekurriert,7 womit neuzeitliches Denken letztlich abgelöst wird. So wie Dilthey von Schleiermacher als Kant der Theologie gesprochen hat,8 ließe sich dieses Diktum auf Rahner als Kant der katholischen Theologie anwenden.9 Gleichwohl sind die Abweichungen Rahners von Kants tran3 4 5 6 7 8 9

Zur anthropologischen Wende bei Rahner vgl. Eicher, Die anthropologische Wende. Rahner, Rez.: Welt und Person, 50. Greiner, Die Menschlichkeit der Offenbarung, 135. Vgl. Knoepffler, Der Begriff „transzendental“, 196 – 198. Vgl. Guardini, Die Offenbarung, 47; Guardini, Der Gegensatz, 177. Vgl. Dilthey, Leben Schleiermachers, 531. Nach Thomas Pröpper ist Schleiermacher und Rahner zumindest gemeinsam, dass sie die

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szendentaler Philosophie stets mitzubedenken, so dass auch alle Konzeptionen transzendentaler Theologie im katholischen Raum stets in einem Verhältnis zu Rahners Werk stehen, das sowohl als weiterführend, aber auch im kritischen Widerspruch stehend bezeichnet werden kann.10 Diese kritische Rahnerrezeption, die aus der Perspektive erstphilosophischen Denkens bzw. des Gedankens der Letztbegründung vollzogen wird, ist in ihrer Doppelseitigkeit des post und secundum Rahner nicht zuletzt durch die werkimmanente Entwicklung der Rahnerschen Theologie geprägt.11 Denn aus dieser Perspektive wird Rahners frühe Phase, die durch seine philosophische Thomasinterpretation „Geist in Welt“ und seinen kurz darauf folgenden ersten fundamentaltheologischen Entwurf „Hörer des Wortes“ repräsentiert wird, noch als erstphilosophischer Ansatz gesehen, von dem er sich dann insbesondere durch die Einführung des Gedankens vom „übernatürlichen Existential“ entfernt hat.12 In dieser frühen Phase lässt sich Rahners Ansatz einer philosophia perennis zurechnen,13 was sich beim späten Rahner ändert. Als Zäsur ist dabei die Einführung des Theologumenons vom übernatürlichen Existential noch genauer zu betrachten, weshalb in dieser Arbeit als grobe Einteilung zwischen frühem und spätem Rahner das Jahr 1950 angesetzt wird, weil das Theologumenon des übernatürlichen Existentials ab 1950 explizit von Rahner in Zusammenhang mit der Frage nach dem Verhältnis von Natur und Gnade zur Anwendung gebracht wird, wenngleich die Diskussion um die Anfänge dieses Theologumenons seit mehreren Jahrzehnten äußerst kontrovers geführt wird.

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Theologie – Schleiermacher die evangelische und Rahner die katholische – aus einem Rückfall der Theologie in einen Extrinsezismus herausgeführt haben. Vgl. Prçpper, Schleiermachers Bestimmung, 133. Klaus Müller, der neben seiner eigenen Position vor allem Hansjürgen Verweyens und Thomas Pröppers Weiterführungen transzendentaler Theologie im Blick hat, weist auf diese Spannung zu Rahner hin, wenn er die Aufnahme Kantischer Philosophie bedenkt: „Und alle – es sind bislang drei – tun das im prinzipiell affirmativen, aber im Detail ausgesprochen kritischen Anschluß an denjenigen, der im Raum der katholischen Theologie zuerst von transzendentaler Theologie sprach, dies aber auf eine Weise tat, die markante Abweichungen von Kant je länger, je mehr erzwang: Karl Rahner. Insofern ist geboten, mit der Nachzeichnung gegenwärtig in der katholischen Theologie wirksamer Kantischer Potentiale an diesem binnentheologischen Abstoßpunkt einzusetzen und von dort her dann die genannten, dezidierter als Rahner Kant verpflichteten, Begründungsprogramme in Blick zu nehmen.“ Mller, Zur Bedeutung Kants, 425. Vgl. Fçssel, Letztgültiger Sinn, 102 – 117. So hat Thomas Pröpper schon in den achtziger Jahren angemahnt, diese Veränderung in der Gesamtkonzeption Rahners zu beachten: „[I]ch gehe davon aus, daß mit der Konzeption des ,übernatürlichen Existentials‘ und endlich der ,transzendentalen Offenbarung‘ eine Veränderung im Gesamtgefüge seines Denkens und namentlich in der Verhältnisbestimmung von Theologie und Philosophie einherging, die jede Rahner-Interpretation zu berücksichtigen hat.“ Prçpper, Erlösungsglaube und Freiheitsgeschichte, 125. Vgl. Knoepffler, Der Begriff „transzendental“, 57; Rahner bezeichnet seinen Ansatz selbst als philosophia perennis. Vgl. Rahner, Hörer des Wortes, 81.

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Unabhängig davon wird gerade die Theologie des späten Rahner durchweg als Transzendentaltheologie charakterisiert, wobei allerdings in Rechnung zu stellen ist, dass es sich nunmehr um einen Ansatz handelt, der die Transzendentalphilosophie aufhebt in Transzendentaltheologie. Insgesamt stellt sich dann auch die übergreifende Frage nach dem Verhältnis von Theologie und Philosophie bei Rahner, das sich bei ihm dahingehend entwickelt, dass es in der späten Phase zunehmend weniger bestimmt wird, weil Rahner in dem Maße, wie er die Transzendentalphilosophie in Transzendentaltheologie aufhebt, auch von einer Trennung von Theologie und Philosophie absieht. Dies mündet darin, dass nach Auffassung des späten Rahner die Theologie der Philosophie immer schon voraus geht, wie er es in folgender These zum Ausdruck bringt: „In jeder Philosophie wird schon unvermeidlich, unthematisch Theologie getrieben, weil kein Mensch es in der Hand hat, auch wenn er es reflex nicht weiß, ob er von Gottes offenbarender Gnade verfolgt sein will oder nicht.“14 Da diese universale Präsenz der Theologie in der Philosophie gnadentheologisch begründet ist, ist es nur folgerichtig, dass nach Rahner das Verhältnis von Philosophie und Theologie selbst wiederum nur innerhalb der Verhältnisbestimmung von Natur und Gnade zu klären ist, wobei insbesondere dem späten Rahner auch das letztere Verhältnis ungeklärt erscheint.15 Von daher muss zunächst darauf geachtet werden, inwiefern mit dem frühen Rahner dieses Verhältnis noch mit größerer Klarheit beschrieben werden kann. Wenn bei der Diskussion der Rahnerschen Denkbewegungen in dieser Untersuchung zwischen dem frühen und späten Rahner unterschieden wird, diese Unterscheidung insbesondere anhand der Frage des Verhältnisses von Theologie und Philosophie demonstriert wird und zugleich kritisch festgestellt wird, dass der späte Rahner keine klare Unterscheidung zwischen Theologie und Philosophie vornimmt, ist das noch keine Option für diejenige Unterscheidung von Philosophie und Theologie, die beim frühen Rahner noch vorhanden ist. Deshalb wird im Anschluss an die kritische Darstellung der Entwicklung von Rahners Transzendentaltheologie zu diskutieren sein, ob überhaupt eine erstphilosophische Reflexion, wie sie bei Rahners „Hörer des Wortes“ konstatiert wird, eine angemessene Voraussetzung zur Unterscheidung von Theologie und Philosophie bildet oder aber ob gerade das erstphilosophische Denken nicht besonders anfällig ist, letztlich die Distinktionen von Philosophie und Theologie zu unterlaufen. Doch dazu ist zunächst der transzendentalphilosophische Ansatz des frühen Rahner zu betrachten. Insbesondere das fundamentaltheologische Konzept, das Rahner in „Hörer des Wortes“ schon 1937 entfaltet hat, ist hier 14 Rahner, Philosophie und Theologie, 91 – 103. 15 So schreibt Rahner 1962 zum Verhältnis von Philosophie und Theologie: „Die Frage ist im Grunde nur eine Teilfrage innerhalb der größeren theologischen Frage nach dem Verhältnis zwischen Natur und Gnade.“ Und er fügt hinzu: „Wenn wir dies feststellen, müssen wir allerdings gleich hinzufügen, daß mit diesem Hinweis nicht viel gewonnen ist, weil das Verhältnis dieser beiden Größen auch nicht klarer ist.“ Rahner, Philosophie und Theologie, 92.

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aufschlussreich, weil er sein erstes fundamentaltheologisches Werk, das er selbst zur Zeit der Abfassung als „ideale Fundamentaltheologie“16 einschätzt, von vornherein in der Unterscheidung von Philosophie und Theologie konzipiert. Dass die Philosophie in diesem Zusammenhang ausschließlich als Religionsphilosophie behandelt wird, unterstreicht das Bemühen, Philosophie und Theologie zu unterscheiden, indem er anhand der Verhältnisbestimmung von Religionsphilosophie und Theologie gerade zwei Wissenschaften miteinander vergleicht, die zwar unterschieden sind, aber gerade im Bezug auf ihre Begründung aufs engste aufeinander bezogen sind. So erscheint es sinnvoll, diesen Ansatz Rahners, den er wie gesagt einerseits als „ideale Fundamentaltheologie“ begreift und mit dem er andererseits, wie der Untertitel dokumentiert, den Anspruch erhebt, eine „Grundlegung der Religionsphilosophie“ zu leisten, von vornherein als Vermittlung von Fundamentaltheologie und Religionsphilosophie, von Theologie und Philosophie zu verstehen. Damit können die Kritiken an „Hörer des Wortes“ an dieser Stelle zurückgestellt werden, weil sie dem Ansatz vor allem aus dem Grund, er sei zu theologisch, absprechen, Religionsphilosophie bzw. Fundamentaltheologie zu sein, weil er zu philosophisch sei.17 Diese Kritiken konzentrieren sich von daher meist auf die Stellung des Offenbarungsbegriffs, der in der Tat ins Zentrum dieser Verhältnisbestimmung von Religionsphilosophie und Theologie gestellt wird, wobei die Religionsphilosophie „als Ontologie der potentia oboedientialis für Offenbarung“18 verstanden wird. Somit handelt es sich um eine Verhältnisbestimmung von Theologie und der „Ontologie der potentia oboedientialis für Offenbarung“. Da in „Hörer des Wortes“ die „grundsätzliche Eigenständigkeit und Andersartigkeit von Theologie“19 von einer Offenbarung als freier Selbsterschließung Gottes abgeleitet werden kann und diese freie Selbstmitteilung in der visio beatifica gipfelt, lässt sich als erste These festhalten: Das Verhältnis von Philosophie und Theologie im Umfeld von „Hörer des Wortes“ lässt sich als ein Spannungsverhältnis von einer „Ontologie der potentia oboedientialis für Offenbarung“ und einer „Ontologie der visio beatifica“ beschreiben. Gleichwohl ist zu bemerken, dass Rahner in 16 Vgl. Rahner, Hörer des Wortes, 32. Zu dem Anspruch des frühen Rahner, ideale Fundamentaltheologie zu treiben, vgl. Seckler, Intrinsezistische Fundamentaltheologie, 243. 17 Es seien nur stellvertretend für die eine oder andere Richtung der Kritik an Rahners „Hörer des Wortes“ zitiert: „Rahners Religionsphilosophie leistet für die Religionsphilosophie zu wenig, weil sie sich in metaphysischer Anthropologie erschöpft, sie leistet z u v i e l , weil sie nach seinen Worten eine fundamentaltheologische Anthropologie sein will und faktisch auch ist. Rahner setzt die Tatsache der Existenz Gottes und die Möglichkeit der Offenbarung als gegeben voraus – und wie eindrucksvoll hätte gerade von einer Metaphysik des Seins und des Erkennens aus ein Weg zu Gott, dem absoluten Sein und Logos erschlossen und damit die Wahrheitsfrage der Religion gelöst werden können – und entwirft daraufhin die Grundlegung einer Religionsphilosophie und die Grundzüge einer metaphysischen Anthropologie.“ Fries, Religionsphilosophie, 259. 18 Rahner, Hörer des Wortes, 8. 19 Rahner, Hörer des Wortes, 103.

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„Hörer des Wortes“ bemüht ist, im Rahmen einer fundamentaltheologischen Anthropologie die Ontologie der potentia oboedientialis für Offenbarung, soweit es ihm irgend möglich erscheint, auszuziehen. Dies erreicht er über das Motiv des Vorgriffs als Ergebnis einer transzendentalen Deduktion, die er in einem Teil zur Offenheit des Seins entfaltet. Die Ontologie der visio beatifica hat in der Konzeption von „Hörer des Wortes“ insofern einen bedeutenden Stellenwert, als die in der visio beatifica gipfelnde Freiheit der Selbstmitteilung Gottes hier im Gegenüber zur Offenheit des Seins unter der Überschrift „Die Verborgenheit des Seins“ zum Tragen kommt. Positiv entfaltet hat Rahner die „Ontologie der visio beatifica“ hingegen innerhalb seiner Gnadenlehre. Zu verweisen ist hier auf den Aufsatz „Zur scholastischen Begrifflichkeit der ungeschaffenen Gnade“ von 1939. Wird diese Ontologie der visio beatifica von Rahner im Zusammenhang einer Erkenntnismetaphysik thematisiert, so ist doch die eschatologische Dimension der visio beatifica zu erinnern. Hier liegt ein verborgenes Element, die Transzendentaltheologie Rahners von ihren Anfängen her als einen Ansatz zu verstehen, der das Potential zu einer eschatologischen Transzendentaltheologie in sich trägt. Gleichwohl hat Rahner selbst den Zusammenhang von Transzendentaltheologie und Eschatologie lediglich in umgekehrter Richtung thematisiert, nämlich in der Forderung nach einer transzendentaltheologischen Eschatologie. So hat der späte Rahner die Eschatologie als ein Beispiel für die Notwendigkeit der Umsetzung einer transzendentaltheologischen Methode angeführt, um zu einem neuen Verständnis der Eschatologie zu führen: Das doch allgemein empfundene Unbehagen am Zustand der traditionellen Eschatologie könnte durch eine transzendentaltheologische Eschatologie behoben werden, wenn diese in einer transzendentalen Anthropologie, die die Selbstmitteilung Gottes an den Menschen mitbedenkt, den Menschen versteht als das Wesen einer absoluten Zukunft.20

Doch dieser von Rahner selbst vorgeschlagene Weg, von einer Methode der Transzendentaltheologie her die Eschatologie neu zu formulieren, den er selber in seinen vielfältigen Äußerungen zu eschatologischen Themen eingeschlagen hat, ist von daher für die Fragestellung dieser Untersuchung nur von nachrangigem Interesse.21 Vielmehr ist eben darauf zu achten, inwiefern die eschatologische Dimension, die in „Hörer des Wortes“ aufgezeigt werden kann, durch das Theologumenon des übernatürlichen Existentials in ihrer Eigenständigkeit aufgehoben wird und in welcher Weise das letztlich Auswirkungen auf den Stellenwert der Eschatologie im Ganzen der Theologie Rahners hat. Denn die Forderungen des späten Rahner, die Eschatologie, womit die materialdogmatischen Themen der Eschatologie gemeint sind, neu 20 Rahner, Überlegungen zur Methode, 111. 21 Zur Entfaltung der transzendentaltheologischen Eschatologie bei Rahner informiert umfassend: Fritsch, Vollendende Selbstmitteilung Gottes.

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zu formulieren, sind im Zusammenhang mit der Feststellung Rahners zu sehen, dass die Eschatologie selbst nur eine Wiederholung dessen ist, was in der Theologie vom Menschen, der sein Menschsein durch die freie Selbstmitteilung Gottes konstituiert weiß, zu sagen war.22 Um hier zu einem Ergebnis zu kommen, ist zunächst einmal der Weg Rahners vom transzendentalphilosophischen Ansatz zu seiner Transzendentaltheologie zu skizzieren, wobei die Einführung des Theologumenons des übernatürlichen Existentials einen entscheidenden Entwicklungsschritt bildet.

1. Vom transzendentalphilosophischen Ansatz zur Transzendentaltheologie Die Charakterisierung Rahners als Transzendentaltheologen hat mehrere Aspekte. So ist damit zunächst ganz allgemein die Aufnahme transzendentalphilosophischen Denkens, das in der Tat die gesamte Entwicklung des Rahnerschen Denkens begleitet, angesprochen. Doch dies allein macht die Bezeichnung der Rahnerschen Theologie als Transzendentaltheologie noch nicht aus. Wäre damit zwar auch die Anthropologie als Ausgangspunkt der Rahnerschen Theologie impliziert, so ist der Begriff „Transzendentaltheologie“ so konzipiert, dass diese Theologie nicht in einem Anthropozentrismus aufgeht, sondern zugleich anthropozentrisch wie theozentrisch zu verstehen ist. Dieser zweite Aspekt kennzeichnet auch schon die Konzeption von „Hörer des Wortes“, in der Rahner die Frage nach dem Wesen des Menschen als den gemeinsamen Grund der beiden Wissenschaften Theologie und Religionsphilosophie darstellt.23 Doch dadurch, dass er die Frage nach dem Wesen des Menschen durch die Ontologie der potentia oboedientialis beantwortet, ist in diesem Ansatz immer schon der Bezug zum Offenbarungswort Gottes mitgegeben, wenngleich in der von Rahner hier durchgeführten metaphysischen Fragestellung dieser Bezug stets nur als eine Möglichkeit gedacht werden kann. Allerdings zeichnet sich auch in dieser Konzeption zugleich ein Vorrang der Theologie vor der Religionsphilosophie ab. Diese Vorrangstellung ist dann aber nur einer „möglichen Theologie“ vorbehalten, weil die Theologie eben ihre Selbständigkeit gegenüber der Religionsphilosophie in der Weise erhält, dass sie durch die freie Selbstmitteilung Gottes, durch eine geschichtlich ergehende Offenbarung bestimmt ist, also erst durch das Hören des Wortes als 22 Vgl. Rahner, Grundkurs des Glaubens, 414. 23 „Die Frage nach dem Verhältnis von Theologie und Religionsphilosophie ist die metaphysische Frage nach dem einen Grund, aus dem heraus beide je für sich erstmals sich konstituieren, und ist somit auch die Frage nach dem Wesen des Menschen als des Seienden, das diese Wissenschaften notwendig treibt.“ Rahner, Hörer des Wortes, 14.

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positive Theologie konstituiert ist,24 während diese geschichtlich ergehende Offenbarung religionsphilosophisch stets nur im Modus einer Möglichkeit gedacht werden kann.25 Von daher ist die sich hier andeutende Vorrangstellung der Theologie gegenüber der Religionsphilosophie wiederum nur im Zusammenhang mit der religionsphilosophischen Begründung der Theologie zu sehen.26 Rahner schließt „Hörer des Wortes“ mit folgenden Sätzen: Wer mit der Möglichkeit rechnet, daß ein bestimmtes Stück menschlicher Geschichte mit Ausschluß anderer Gottesgeschichte sein könne, der kann eigentlich nicht mehr anders als katholisch sein und werden. Eben dieses Rechnenmüssen mit einer solchen Möglichkeit war das, worin wir den wesentlichen Kern der Religionsphilosophie sahen und worin deren wesentlichste Beziehung zur Theologie zu finden ist.27

Mit diesem Schluss ist es immer noch der Modus der Möglichkeit, durch den das Konzept von „Hörer des Wortes“ von einem dritten Aspekt der Transzendentaltheologie unterschieden ist. Ein dritter Aspekt der Transzendentaltheologie besteht nämlich in der Aufhebung der Transzendentalphilosophie in der Transzendentaltheologie, wie es Nikolaus Knoepffler zutreffend beschreibt: Die „Transzendentaltheologie“ ist diejenige Theologie, die die Transzendentalphilosophie in sich „aufhebt“, indem sie zeigt, daß die transzendentale Verfaßtheit des Subjekts faktisch immer schon übernatürlich erhoben da ist und als transzendentale Offenbarung verstanden werden kann. Sie hebt die Transzendentalphilosophie in sich auf, weil diese zu einem Moment an ihr wird und auf diese Weise bewahrt bleibt. Sie hebt die Transzendentalphilosophie auf eine neue Stufe, weil diese als ihr Moment nicht mehr ihre ursprüngliche Eigenständigkeit behält, sondern Teil eines größeren Ganzen wird.28

Diese Beschreibung Knoepfflers nennt mit dem Begriff „transzendentale Offenbarung“ und dem Motiv der übernatürlichen Erhobenheit der transzendentalen Verfasstheit des Subjekts zwei Merkmale der Transzendentaltheologie, an denen die Unterschiede zur Transzendentalphilosophie ersichtlich werden, und setzt diese von Rahner unterschiedenen Begriffe in ein Verhältnis der inkludierenden Aufhebung. Rahner selbst hat m. W. nicht von einer Aufhebung der Philosophie in der Theologie gesprochen. So zutreffend die Beobachtungen Knoepfflers auch sind, soll doch auf einige Gedankengänge 24 Vgl. Rahner, Hörer des Wortes, 16 f. 25 Vgl. Rahner, Hörer des Wortes, 22 f. 26 „Insofern eine solche Metaphysik das Wesen des Menschen bestimmt als das eines wesentlich geschichtlichen Seienden, das auf eine möglicherweise ergehende Offenbarung Gottes horchen muß, wird die Religionsphilosophie zu der von unten her einzig möglichen Begründung der Theologie.“ Rahner, Hörer des Wortes, 22 f. 27 Rahner, Hörer des Wortes 229. 28 Knoepffler, Der Begriff „transzendental“, 177 f.

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Rahners in diesem Zusammenhang hingewiesen werden, die seine Deutung nahe legen und gleichzeitig den späten Rahner von dem Vorwurf entlasten würden, die Philosophie abzuwerten. Dass Transzendentaltheologie eine Transzendentalphilosophie in sich aufhebt, liegt daran, dass der späte Rahner von folgendem Sachverhalt ausgeht: Der philosophische Mensch steht in seinem Denken immer wirksam unter einem theologischen Apriori der transzendentalen Bestimmung auf die Unmittelbarkeit Gottes hin, welche Bestimmung durchaus bewußt, wenn auch darum noch nicht ohne weiteres reflektierbar ist. Es gibt also keinen reinen Philosophen, auch nicht in der Dimension seines Bewußtseins. Und es gibt also auch keine reine Philosophie, wenn darunter der Selbstvollzug des konkreten Menschen verstanden wird, der Philosophie treibt.29

Dabei ist Rahners Ergebnis, dass es keine reine Philosophie gebe, für die Frage seiner Denkentwicklung vom transzendentaltheologischen Ansatz zur Transzendentaltheologie zunächst zurückzustellen. Denn es muss an dieser Stelle noch offen bleiben, ob Rahners Konzeption in „Hörer des Wortes“ noch von einer reinen Philosophie ausgeht. Von größerer Bedeutung hingegen ist der Grund für das Wegfallen einer reinen Philosophie, der in dem theologischen Apriori der transzendentalen Bestimmung besteht. Dieses theologische Apriori ist m. E. mit dem, was Rahner als übernatürliches Existential einführt, zu identifizieren, zumal er in einem Lexikonartikel zum Stichwort „Transzendentaltheologie“ das übernatürliche Existential gerade als transzendentale Verfasstheit des Menschen benennt, das im Gegenüber zum aposteriorischen Charakter der Offenbarung als Heilsgeschichte eben als apriorische Möglichkeit des Menschen betrachtet wird: Die Reflexion auf die transzendentale Bezogenheit des Menschen wird durch die Geschichtlichkeit und Freiheit der Heilsereignisse, durch ihren aposteriorischen Charakter, ihre von Gott frei verfügte Faktizität nicht unmöglich gemacht. Denn das erste und eigentlichst frei von Gott Verfügte ist gerade das bleibende, übernatürliche Existential der Gnade als angebotene Selbstmitteilung Gottes, also eine „transzendentale“ Verfaßtheit des Menschen. Und diese freie Gnade als transzendentale Bestimmung des Menschen hat ihre eigene Geschichte in dem, was wir Heils- und Offenbarungsgeschichte nennen, die gar nicht als solche sein und erfaßt werden kann ohne diese apriorische Möglichkeit des Menschen, (Glaubens-) Gnade genannt.30

Es gilt nun zu zeigen, dass in der ersten Auflage von „Hörer des Wortes“ noch nicht von einem theologischen Apriori die Rede ist. Wenn dem so ist, dann lassen sich auch noch keine Spuren vom Theologumenon des übernatürlichen Existentials nachweisen. Das wäre insofern ein klärender Befund, als dass in der noch darzustellenden Diskussion zur Entwicklung dieser Konzeption von 29 Rahner, Zum heutigen Verhältnis, 71 f. 30 Rahner, Art.: Transzendentaltheologie, 989.

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vielen Seiten auf ein hier schon implizites Vorhandensein verwiesen wird. Allerdings wird dies vor allem an der Gnadenlehre des frühen Rahner festgemacht, und die erste Auflage von „Hörer des Wortes“ wird dann auf diesen Befund hin interpretiert, wenn nicht von vornherein auf die von Johann Baptist Metz besorgte zweite Auflage zurückgegriffen wird. Diese zweite Auflage ist nun aber genau in dieser Hinsicht unbrauchbar, weil Metz versucht hat, die Neuerungen in der Theologie Rahners und somit das Theorem vom übernatürlichen Existential in die ursprüngliche Konzeption von „Hörer des Wortes“ zu integrieren. Dies lässt sich u. a. auch an der Rede von einer transzendentalen Offenbarung beobachten, die in der ersten Auflage weder explizit noch implizit eine Rolle spielt. Wenn die Konzeption des frühen Rahner als transzendentalphilosophischer Ansatz bezeichnet wird, dann ist dies zunächst in Abweichung zu seiner späteren Konzeption der „Transzendentaltheologie“ zu sehen. So sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass der Terminus „Transzendentaltheologie“ einer Charakterisierung des späten Rahner vorbehalten werden sollte, jedenfalls wenn dieser Begriff im engeren Sinne, so wie ihn Rahner selbst entfaltet hat, verstanden werden soll.31 Und in diesem engeren Sinne ist eben der Aspekt des Aufhebens der Transzendentalphilosophie in die Transzendentaltheologie hinein ein Kriterium, was schließlich eine Unterscheidung von Theologie und Philosophie, von Glauben und Denken und, wie im Zusammenhang dieser Arbeit noch hinzugefügt werden muss, von Eschatologie und Anthropologie unmöglich macht. Ferner gilt für den transzendentalen Ansatz des frühen Rahner ähnliches, wie es der späte Rahner für die Transzendentaltheologie bemerkt, nämlich dass es sich um eine bestimmte Methode handle, die aber nicht das Ganze der Theologie sei.32 Für „Hörer des Wortes“ gilt entsprechend, dass darin nicht einfach eine transzendentalphilosophische Konzeption entfaltet wird, sondern wie schon angedeutet, liegt hier ein transzendentalphilosophisch orientierter Versuch vor, Religionsphilosophie und Fundamentaltheologie zu vermitteln.

1.1 Rahners Fundamentaltheologie zwischen Extrinsezismus und Intrinsezismus Stimmt die Einschätzung, dass „Hörer des Wortes“ als Vermittlungsansatz zu lesen ist, sind zwei neuere bzw. immer noch aktuelle Interpretationsperspektiven zu problematisieren. Zum einen ist das die von Max Seckler und seinem Schüler Winfried Werner vorgetragene These, dass es sich bei „Hörer 31 So hat Rahner den Begriff „Transzendentaltheologie“ erst in den späten sechziger Jahren eingeführt. Vgl. Rahner, Art: Transzendentaltheologie; vgl. Rahner, Überlegungen zur Methode, 79 – 126. 32 Vgl. Rahner, Überlegungen zur Methode, 95.

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des Wortes“ um einen extrinsezistischen Ansatz handle, zum andern ist es die am prominentesten von Hansjürgen Verweyen vorgetragene These, dass es sich bei „Hörer des Wortes“ um eine reine Philosophie handle. Diese beiden Perspektiven liegen in gewisser Weise in ihrer Einschätzung gerade im Verhältnis zum späten Rahner dicht beieinander. Sie unterscheiden sich jedoch in der Bewertung der Entwicklung Rahners. Während Seckler, der die Entwicklung als einen „Wechsel vom Grundparadigma des fundamentaltheologischen Extrinsezismus zum ,neuen‘ Grundparadigma eines fundamentaltheologischen Intrinsezismus“33 beschreibt, den Abschluss dieser Entwicklung als „den Königsweg der künftigen Fundamentaltheologie“34 würdigt, so ist Verweyens Urteil davon gänzlich unterschieden. Spricht er von der Konzeption in „Hörer des Wortes“ als von „einer dezidiert philosophischen Aufgabenstellung“35, so beklagt er den „Fortfall einer methodisch autonomen Philosophie“36, was er an anderer Stelle auch als „Ausfall einer erstphilosophischen Reflexion beim späten Rahner“37 beschreibt. Dass Verweyen zu dieser von Seckler abweichenden Bewertung der Entwicklung Rahners kommt, ist wohl nicht zuletzt bereits in der unterschiedlichen Einschätzung von „Hörer des Wortes“ selbst begründet. Denn mit Verweyen ist davon auszugehen, dass schon der frühe Rahner und insbesondere die Konzeption von „Hörer des Wortes“ als ein Versuch zu lesen ist, den Gnadenextrinsezismus, der die katholische Theologie seit der Neuscholastik als Problem beschäftigt, zu überwinden. So fasst Verweyen die Grundausrichtung des frühen Rahner wie folgt zusammen: Es geht um den philosophischen Aufweis, daß die Hinordnung auf Offenbarung zu den notwendigen Charakteristika des Daseins gehört. Soll Offenbarung nicht über den Kopf des Menschen hinweg und an seinem Herzen vorbei reden, dann muß es eine anthropologische Dimension geben, eine prinzipielle Anlage der Existenz, die immer schon auf ein in der Geschichte ergehendes Wort Gottes ausgerichtet ist.38

Die Gegenüberstellung von Seckler und Verweyen trägt an dieser Stelle etwas kuriose Züge. Denn auch Secklers Äußerungen zu „Hörer des Wortes“ stehen erstens nicht unbedingt im Gegensatz zu dem letzten Zitat von Verweyen und zweitens ist auch die von Seckler referierte herkömmliche Sicht des Begriffs „Extrinsezismus“ von der Art, dass auch dem frühen Rahner der Vorwurf eines Extrinsezismus nicht gemacht werden kann. Seckler referiert die Bedeutung dieses Begriffs bis zu seiner eigenen Neudefinition nämlich folgendermaßen:

33 34 35 36 37 38

Seckler, Intrinsezistische Fundamentaltheologie, 250. Seckler, Intrinsezistische Fundamentaltheologie, 254. Verweyen, Wie wird ein Existential übernatürlich?, 120. Verweyen, Wie wird ein Existential übernatürlich?, 128. Verweyen, Gottes letztes Wort, 122 – 129. Verweyen, Wie wird ein Existential übernatürlich?, 117.

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Es war bis dahin üblich, diese beiden Begriffe [Neben dem Extrinsezismus spielt Seckler auf den Begriff Intrinsezismus an. W.T.] in der Bedeutung, die Maurice Blondel ihnen gegeben hatte (und die dann z. B. vor allem in der Nouvelle Thologie aufgegriffen worden war), zu verstehen. Die Kritik Blondels am theologischen Extrinsezismus war anthropologisch und gnadentheologisch orientiert. Blondel hatte die Auffassung, wonach die übernatürliche Berufung allein von außen her an die menschliche Natur ergeht, als Extrinsezismus bezeichnet, und er suchte mit seiner Methode der Immanenz diesen Extrinsezismus zu überwinden.39

In diesem Sinne wäre wie gesagt auch nach Seckler der Ansatz des frühen Rahner als Überwindung des Extrinsezismus zu werten. Doch nach Secklers eigener Definition der Begriffe Extrinsezismus und Intrinsezismus verschiebt sich diese Einschätzung. So hat Seckler schon zwei Jahrzehnte zuvor an anderer Stelle für eine Übertragung „der ontologischen Fragestellungen der Gnadenlehre auf die Methodologie der Fundamentaltheologie“40 plädiert, wenn man die Begriffe Extrinsezismus und Intrinsezismus heranziehen möchte. Dies hätte dann den Effekt, die beiden Begriffe systemtheoretisch zu verstehen, was am Bezug zum Inhalt verdeutlicht wird. Seckler kann deshalb aufs kürzeste Intrinsezimus bzw. Extrinsezismus definieren, wenn er schreibt, dass mit diesen beiden Begriffen „die Verweisung der fundamentaltheologischen Arbeit auf die Inhalte der christlichen Botschaft bzw. die Tabuisierung dieser Inhalte für sie“41 gemeint seien. Im Rahmen seiner These vom Paradigmenwechsel bei Rahner spitzt er diese Definition an der Stelle zu, wo er die fundamentaltheologische Konzeption von „Hörer des Wortes“ als im Gegensatz zur verbreiteten Auffassung nicht intrinsezistisch sondern extrinsezistisch interpretiert, indem er schreibt: Der springende Punkt des fundamentaltheologischen Intrinsezismus liegt nicht im Subjekt des Glaubens und nicht in der Subjektivität des Glaubenden, also nicht in der fides qua creditur, sondern in der fides quae creditur. Als extrinsezistisch muß demnach jeder Systembegriff der Fundamentaltheologie gelten, bei dem die fides quae creditur in ihrer doktrinalen und kognitiven Inhaltlichkeit keine tragende Rolle spielt, sondern z. B. der Dogmatik vorbehalten bleibt; im intrinsezistischen Konzeptionstyp ist die Arbeit der Fundamentaltheologie dagegen auf die Inhalte des christlichen Glaubens bezogen.42

Da diese systemtheoretische Unterscheidung zwischen Extrinsezismus und Intrinsezismus als Voraussetzung für den von Seckler namhaft gemachten Paradigmenwechsel in der Fundamentaltheologie Rahners dient, dürfte die Kritik Verweyens an dieser terminologischen Differenzierung innerhalb eines zustimmenden Votums zur Darstellung der fundamentaltheologischen Auf39 40 41 42

Seckler, Intrinsezistische Fundamentaltheologie, 251. Seckler, Fundamentaltheologie, 513. Seckler, Fundamentaltheolgie, 511 f. Seckler, Intrinsezistische Fundamentaltheologie, 251.

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gabe Secklers doch mehr sein als nur eine kritische Randbemerkung.43 Denn die Forderung nach einer autonomen bzw. reinen Philosophie wäre mit dieser „systemtheoretischen Unterscheidung“ dem Verdacht des Extrinsezismus ausgesetzt. Es scheint ohnehin, als habe sich diese systemtheoretische Verwendung der beiden Begriffe ein wenig verselbständigt, wenn Secklers Schüler Werner zwar klar sieht, dass Rahner diese Unterscheidung für sich selbst nicht teilt und Werner zugleich den bewussten Verzicht Rahners als ein Theoriedefizit beklagt: Er kann weder Hörer des Wortes als „extrinsezistische“ Fundamentaltheologie noch den Grundkurs als „intrinsezistisch“ bezeichnen. Er kennt nur die gnadentheologische Dimension dieser Terminologie und verwendet sie nur in diesem Sinn. Allerdings sieht er wie seine Rezipienten Ansätze zu einem gnadentheologischen Intrinsezismus in Hörer des Wortes, den er unter dem schillernden und bereitwillig übernommenen Schlagwort der „anthropologischen Wende“ für seine Reflexion auf das Subjekt des Glaubens einräumt. Die Wahrnehmung dieser Art von Innerlichkeit verstellt aber wiederum den Blick für die systemtheoretische Bewandtnis seiner fundamentaltheologischen Begründungsvorgänge. […] Unter dem Gesichtspunkt der systemtheoretischen Charakteristik seines fundamentaltheologischen Denkweges vom Extrinsezismus zum Intrinsezismus dürfte sich eine Wende in der Rahner-Interpretation abzeichnen.44

Ob nun dieser von Seckler und Werner wahrgenommene Paradigmenwechsel eine Wende in der Rahner-Interpretation einleitet, entscheidet sich an der Tragfähigkeit dieser Unterscheidung. Die Explikationen dieser terminologischen Differenzierung zeigen, dass sie zwar als „systemtheoretische Charakteristik“ verstanden werden soll, aber als solche nicht auf einer Meta-Ebene liegt, weil sie selbst erst aus der Entwicklung der fundamentaltheologischen Konzeptionen Rahners abgeleitet ist. Dabei ist eine kleine Differenz zwischen Seckler und Werner zu bedenken. Während Seckler seine Neubestimmung beider Begriffe auf Rahner selbst zurückverfolgt, indem er Rahners „neue Fundamentaltheologie“ als Kritik auch an dessen alter Fundamentaltheologie und damit die Wertung, dass „Hörer des Wortes“ als Fundamentaltheologie von extrinsezistischem Charakter zu bestimmen sei,45 Rahner selbst zu43 So schreibt Verweyen in einer Rezension zum Handbuch der Fundamentaltheologie über den Beitrag Secklers, in dem er erstmals die begriffliche Unterscheidung von Extrinsezismus und Intrinsezismus im oben beschriebenen Sinne vornimmt: „Es wird gut sein, die wichtigen Unterscheidungen, die S. trifft, nicht aus dem Auge zu verlieren – auch wenn man die terminologischen Differenzierungen (z. B. ,adversative‘ und ,transpositive Apologetik‘, ,Intrinsezismus‘ vs. ,Extrinsezismus‘) nicht immer für gelungen halten mag.“ Verweyen, Rez. Handbuch, 44. 44 Werner, Fundamentaltheologie, 454. 45 „Rahner selbst hat denn auch den Extrinsezismus der ,üblichen‘ Fundamentaltheologie (auch den von ,Hörer des Wortes‘!) mit zunehmender Bestimmtheit kritisiert.“ Seckler, Intrinsezistische Fundamentaltheologie, 250. Ein ähnliches Bild – wenn auch noch vorsichtiger formuliert – ergibt sich schon bei Secklers erster Beschreibung von Extrinsezismus und Intrinsezismus. Vgl. Seckler, Fundamentaltheologie, 512 f.

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schreibt, ist – wie sich aus obigem Zitat ergibt – Werner diese Selbstkritik Rahners nicht ersichtlich und so betrachtet er deren Ausbleiben als Theoriedefizit.46 Stimmt Werners Deutung, dass Rahner selbst die Kritik an „Hörer des Wortes“ nicht teilt, ist die Theorie, deren Ausbleiben bei Rahner als defizitär beklagt wird, von ihren Voraussetzungen schon falsch und somit defizitär. Stimmt Secklers Deutung, dass Rahner sich sehr wohl in eine kritische Distanz zu seiner frühen Konzeption gestellt habe und diese dann auch als extrinsezistisch bezeichnet habe, ist zumindest Werners Vorwurf des Theoriedefizits Rahners unzutreffend. Bei einem Durchgang der Belegstellen, die Seckler für die Kritik des späten Rahner am frühen Rahner anführt, fällt allerdings auf, dass Rahner eher nicht dazu neigt, seine eigene Entwicklung kritisch zu reflektieren. Problematischer an Secklers Neubestimmung erscheint jedoch die Tatsache, dass es durch die Ansiedlung dieser Begriffe auf einer Meta-Ebene wohl kaum gelingen mag, die negative Konnotation, die vor allem dem Begriff Extrinsezismus seit der Kritik Blondels an der neuscholastischen Gnadenlehre anhaftet, zu neutralisieren. Da ferner Secklers terminologische Differenzierung sehr schematisch operiert, erscheint mir das Festhalten an der gnadentheologischen Bedeutung des Begriffs Extrinsezismus sinnvoll, nicht zuletzt deshalb, weil dadurch auch immer schon der Verweis auf die Inhalte der christlichen Botschaft mit angesprochen ist, wenn auch subtiler. Selbst unter der Voraussetzung, dass Secklers terminologische Differenzierung in Anschlag zu bringen wäre, wäre also noch einmal zu fragen, ob „Hörer des Wortes“ überhaupt extrinsezistisch verstanden werden kann. Auf die gnadentheologische Begrifflichkeit eines Extrinsezismus wird dann noch einmal bei der Betrachtung des übernatürlichen Existentials näher eingegangen.

1.2 Rahners transzendentalphilosophischer Ansatz nach „Hörer des Wortes“ Es muss nun gezeigt werden, inwiefern die fundamentaltheologische Konzeption, die Rahner in „Hörer des Wortes“ zwischen 1937 und 1941 entfaltet hat, sowohl ein erstphilosophischer als auch in keiner Weise extrinsezistischer Ansatz ist. Werden dadurch die beiden Positionen von Verweyen und Seckler als Ausgangspunkte genommen, geht es insgesamt darum, die Seckler und Verweyen gemeinsame Beobachtung nachzuvollziehen, dass in diesem fundamentaltheologischen Hauptwerk des frühen Rahner noch nicht die transzendentaltheologische Konzeption vorliegt, die der späte Rahner erst nach Einführung des Theologumenons vom übernatürlichen Existential vorgelegt hat. Wenn dadurch auch eine bestimmte Interpretationslinie, nämlich die, dass es sich bei „Hörer des Wortes“ um den Versuch handelt, philosophisch 46 Vgl. Werner, Fundamentaltheologie, 454.

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die Frage nach der Möglichkeit einer geschichtlich ergangenen Offenbarung zu erörtern, im Mittelpunkt steht, ist damit nicht gesagt, dass es sich bei „Hörer des Wortes“ um ein rein philosophisches Werk handelt. Vielmehr geht es darum, die schon angesprochene These, dass es hier um eine Vermittlung von Religionsphilosophie und Fundamentaltheologie gehe, in den Focus zu rücken, um dann zu fragen, ob der von Rahner in „Hörer des Wortes“ vorgelegte Vermittlungsversuch es zu leisten vermag, die katholische Fundamentaltheologie nicht nur aus der Problemzone des Extrinsezismus und des Antimodernismus herauszuführen, sondern darüber hinaus das Verhältnis von Philosophie und Theologie und damit das dabei stets mitlaufende Verhältnis von Natur und Gnade befriedigend bestimmt zu haben. Als zentralen Begriff dieser Vermittlung wurde der Terminus Offenbarung schon genannt. In der Konzeption von „Hörer des Wortes“ ist allerdings darauf zu achten, dass Rahner hier nicht explizit ein Offenbarungsverständnis entfaltet, sondern dass der Begriff der Offenbarung in der Verhältnisbestimmung von Religionsphilosophie und Theologie virulent wird. Doch zunächst wird dieses Verhältnis anhand der gemeinsamen Begründung, die in einer metaphysischen Anthropologie besteht, bestimmt. Ob es sich dabei überhaupt um eine für beide Wissenschaften gemeinsame Begründung handelt, erörtert Rahner von beiden Seiten herkommend. Für die Religionsphilosophie setzt er dafür die Richtigkeit der katholischen Religionsphilosophie im Allgemeinen und die der thomistischen Metaphysik im Besonderen voraus. Von daher wird Religionsphilosophie verstanden als Erkenntnis Gottes und Gott in diesem Zusammenhang als der absolute Grund des Seienden und der Seinserkenntnis.47 Rahner steht damit vor der Schwierigkeit: Wir sollen einerseits Religionsphilosophie als Wissenschaft wissenschaftstheoretisch durch die Metaphysik begründen, anderseits ist die Wissenschaft, um die es sich in unserem Falle handelt, gar nichts als eben die Metaphysik selbst, durch die sie begründet werden soll.48

Und er umgeht diese Schwierigkeit, indem er die Frage der Begründung von Religionsphilosophie zur „Selbstbegründung der Metaphysik selbst“49 erklärt, was er dann anthropologisch durch folgende Aufgabenstellung der Religionsphilosophie einholt: „Die Frage nach der Religionsphilosophie wird zur Frage, warum der Mensch notwendig Metaphysik treibe, was diese sei und wie eine menschliche Metaphysik zu Gott komme.“50 Dadurch, dass Rahner schon im Ansatz von „Hörer des Wortes“ auf die thomanische Metaphysik zurückgreift, reiht er sich in die Tradition der Schule

47 48 49 50

Vgl. Rahner, Hörer des Wortes, 15. Rahner, Hörer des Wortes, 15. Rahner, Hörer des Wortes, 16. Rahner, Hörer des Wortes, 16.

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Marchals ein.51 Transzendental ist Rahners Ansatz insofern von vornherein in einer von Kant unterschiedenen Weise. Während sich Kants Transzendentalphilosophie dadurch auszeichnet, dass die apriorischen Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis des Subjekts als transzendental verstanden werden und somit nur gnoseologische Funktion haben, tritt bei Rahner zu diesem Verständnis von transzendental das absolute Sein als transzendentaler Horizont der Erkenntnis für das Subjekt hinzu, so dass im Unterschied zu Kant sein transzendentaler Ansatz stets eine ontologische Dimension hat.52 Bevor dieser ontologische Grundansatz in „Hörer des Wortes“ zu betrachten ist, ist noch auf Rahners Erörterung der metaphysischen Anthropologie als Begründung der Theologie einzugehen. Denn an dieser Stelle wird der Begriff der Offenbarung relevant, weil Theologie auf Offenbarung beruht, was umgekehrt bedeutet: „Theologie ist in ihrem ursprünglichen Wesen gar nicht so etwas wie eine Wissenschaft, deren Konstituierung durch den Menschen selbst vollzogen wird.“53 Das Moment der Unverfügbarkeit von Offenbarung ist somit in der Problemstellung von „Hörer des Wortes“ präsent. Gleichwohl scheint Rahner das Problem, wie die unverfügbare, weil auf eine freie Handlung des sich selbsterschließenden Gottes beruhende, Offenbarung auch als ergangene Offenbarung wissenschaftstheoretisch für die Theologie konstitutiv sein kann, zu umgehen, wenn er schreibt: Ob dann zur Konstitution einer wirklichen Theologie im Menschen nur noch erfordert ist, daß die Botschaft als äußeres Offenbarungswort den Menschen treffe, oder ob außer der in einer metaphysischen Anthropologie feststellbaren menschlichen Empfänglichkeit für diese Botschaft noch eine innere gnadenhafte Erhöhung des Menschen wesentlich erfordert sei, damit die gehörte Botschaft wirklich Theologie sei, diese Frage bleibt außerhalb unserer Betrachtung. Es ist dies eine bis heute in der katholischen Theologie strittige Frage nach der Bedeutung des übernatürlichen Lichtes der Gnade für den Glauben und damit für eine auf dem Glauben und seinen Prinzipien gründende Theologie.54

Dieses Problem bleibt also von Rahner an dieser Stelle unbearbeitet, worin der Kern für die spätere Änderung seiner fundamentaltheologischen Konzeption liegt. Denn anstatt dieses Problem direkt anzugehen, schlägt er zwei alternative Wege zur Klärung des Verhältnisses von Theologie und Religionsphilo51 Vgl. hierzu Eicher, Immanenz oder Transzendenz?, 42. Eicher stellt hier gegen die Kritik Balthasars zu Recht die Frage: „Darf Rahners Denken, das der Metaphysik gewiß ihren reichen Tribut gezahlt hat, damit einfachhin als kantische Philosophie abgetan werden?“ Eicher geht damit auf die Kritik Balthasars an Rahner ein, die darüber hinaus den Vorwurf erhebt, dass der Glaube bei Rahner zu leicht gemacht werde und sich vor allem an der Theorie vom anonymen Christen entzündet. Am schärfsten hat er sie vorgetragen in: von Balthasar, Cordula oder der Ernstfall. 52 Vgl. hierzu v. a. Knoepffler, Der Begriff „transzendental“, 173 f. 53 Rahner, Hörer des Wortes, 16. 54 Rahner, Hörer des Wortes, 18.

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sophie vor. Den ersten, der darin bestünde, vom übernatürlichen Licht der Gnade und somit von der ergangenen unverfügbaren Offenbarung auszugehen – Es wäre der Weg von oben nach unten: von der Konstitution des durch Offenbarung und Glaubenslicht (also von „Theologie“) bestimmten gläubigen Menschen zu einer metaphysischen Analytik des „natürlichen“ Menschen, d. h. des Wissens, das der Mensch hat, wenn von Offenbarung und Glaubenslicht abgesehen wird, also vom Ganzen zu einem Restbestand, von Theologie zu Religionsphilosophie.55

– schlägt er hier bewusst nicht ein. Es wird dann allerdings genau der Weg sein, den er mit der Einführung der Theorie vom übernatürlichen Existential beschreiten wird, während er hier noch den anderen Weg wählt: Wir gehen aber hier den umgekehrten Weg: von dem natürlich erkennenden Menschen nicht zwar zu seiner gläubigen Theologie in deren innerem Wesen, was nach dem Gesagten aus dem Wesen der Theologie heraus unmöglich ist, wohl aber zu einer Analytik der Möglichkeit, die Offenbarung Gottes zu vernehmen, als der Seinsmöglichkeit, die eigentlich erst den Menschen grundsätzlich in seinem vollen entfalteten Wesen konstituiert.56

Die Entscheidung für den letzteren Weg ist allerdings noch keine Entscheidung dafür, den Inhalt der Offenbarung gänzlich unberücksichtigt zu lassen. Auch wenn Rahner in „Hörer des Wortes“ keine auf Offenbarung beruhende Theologie, sondern auf diesem zweiten Weg religionsphilosophisch die Möglichkeit von Offenbarung entfaltet, geschieht auch dies schon im Verhältnis zu einem vorläufigen Wissen von Theologie.57 Dieses Wissen ist durch den Gedanken der Unverfügbarkeit von Offenbarung, der sich wiederum aus dem Bewusstsein, dass sich Offenbarung einem Handeln Gottes in freier Selbsterschließung verdankt, stets präsent. Von daher steht Rahner nach der Wahl des zweiten Weges vor der Schwierigkeit zu klären, warum die Theologie durch die Metaphysik begründet wird und sei es nur in dem von Rahner anvisierten Sinne „als Frage nach der apriorischen, im Wesen des Menschen liegenden Möglichkeit des Hörenkönnens einer möglicherweise ergehenden Offenbarung Gottes.“58 Bei der Erörterung dieser Schwierigkeit dient das vorläufige Wissen von Theologie als ein Wissen um die freie Offenbarung, das zugleich die innere Selbständigkeit der Theologie begründet, als eine Begrenzung der Religionsphilosophie, die darin zu bestehen hat, dass es nicht zur Aufgabe der Religionsphilosophie gehört, durch Konstruktion einer natürlichen Religion eine in sich ruhende Religion zu stiften. Gott selbst ist als 55 56 57 58

Rahner, Hörer des Wortes, 18. Rahner, Hörer des Wortes, 19. Rahner, Hörer des Wortes, 19. Rahner, Hörer des Wortes, 19 f.

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der freie Unbekannte schon die Grenze der Religionsphilosophie, von der Rahner fordert: Die Metaphysik, die in sich schon Religionsphilosophie ist, muß derart sein, daß sie Gott als den freien Unbekannten erkennt und den Menschen als ein in seinem eigensten Geistesleben geschichtliches Wesen begreift, ihn an seine Geschichte verweist und ihm gebietet, auf ein möglicherweise ergehendes Offenbarungswort dieses freien, unbekannten Gottes in seiner Geschichte zu horchen.59

Für das Verhältnis von Religionsphilosophie und Theologie bedeutet diese Forderung, dass es so gestaltet sein sollte, wenn sich die beiden Wissenschaften nicht gegenseitig aufheben sollen, dass die Religionsphilosophie als Metaphysik einer möglichen Theologie den Vorrang lässt und so „zu der von unten her einzig möglichen Begründung der Theologie“60 wird. Hat Rahner somit versucht, in der Ausarbeitung seiner Fragestellung unter der Überschrift „Religionsphilosophie als Ontologie der potentia oboedientialis für Offenbarung“61 das Verhältnis von Theologie und Religionsphilosophie zu umreißen, wird die metaphysische Anthropologie als gemeinsamer Grund weiter stärker betont. Nach dieser Einführung in die Fragestellung von „Hörer des Wortes“ soll nun auf einige Punkte aufmerksam gemacht werden, die sich aus den wichtigen hier angesprochenen Konstruktionspunkten ergeben. Rahner beschließt seine Einführung mit zwei Aspekten der metaphysischen Anthropologie, die den Menschen zum einen als Geist, der „wesentlich vor dem unbekannten Gott steht“ und zum anderen als ein geschichtliches Wesen, das „hingerichtet ist auf das geschichtliche Vorkommnis einer Offenbarung“62 begreift. Diese Aspekte wiederholen sich dann im ersten Satz der metaphysischen Anthropologie: „Der Mensch ist die absolute Offenheit für alles Sein, oder, um dieses in einem Wort zu sagen, der Mensch ist Geist. Die Transzendenz auf das Sein überhaupt ist die Grundverfassung des Menschen.“63 Rahner entfaltet diesen Aspekt im zweiten Teil von „Hörer des Wortes“ „Die Offenheit des Seins und des Menschen“ und im vierten Teil „Der Ort der freien Botschaft“. Das Ziel dieses Teils formuliert er schon zu Beginn: „Der Mensch ist als geschichtliches Wesen Geist. Der Ort seiner Transzendenz ist immer auch ein geschichtlicher Ort. Und damit ist der Ort einer möglichen Offenbarung immer und notwendig auch die Geschichte des Menschen.“64 Durch die Betonung dieser beiden Aspekte wird schon trotz aller Verschiedenheit zur Konzeption des späten Rahner eine Gemeinsamkeit erkennbar, die das Verhältnis von Transzendentalität und Kategorialität betrifft. Wird beim späten Rahner die Offenba59 60 61 62 63 64

Rahner, Hörer des Wortes, 22. Rahner, Hörer des Wortes, 23. Rahner, Hörer des Wortes, 9. Rahner, Hörer des Wortes, 23 f. Rahner, Hörer des Wortes, 68. Rahner, Hörer des Wortes, 143.

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rung selbst als ein Geschehen mit transzendentalem und kategorialem Aspekt betrachtet, so besteht hier nur das Problem, inwiefern die Geschichtlichkeit des Menschen metaphysisch – im Rahmen einer metaphysischen Anthropologie – zu begreifen ist. So entfaltet Rahner auch schon in „Hörer des Wortes“ eine in metaphysischem und theologischem Sinne differenzierte Vorstellung von Offenbarung, die sich aus dem Verhältnis von Offenheit und Verborgenheit des Seins ergibt.

1.2.1 „Die Offenheit des Seins und des Menschen“ In der Durchführung von „Hörer des Wortes“ geht Rahner an dieses Problem nun von einer strikt philosophischen Seite heran. Hierin zeigt sich der transzendentalphilosophische Grundansatz dieses Werkes, der immer unter der Voraussetzung, dass Rahner transzendental stets in einer ontologisch-metaphysischen Weise versteht, zu sehen ist. In Folge dessen ist es nicht die Geschichte des Menschen als Ort der Offenbarung, von der die Konzeption in einem wechselseitigen Verhältnis zum Wesen des Menschen als Geist entfaltet wird, sondern der Startpunkt ist die Frage nach dem Sein, die erst zum Menschen als Geist in einer transzendentalen Hinordnung auf das Sein hinführt. Insofern ist der in „Hörer des Wortes“ durchgeführte Vermittlungsversuch von Theologie und Religionsphilosophie auch eine Fortführung seiner philosophischen Thomas-Interpretation, die er mit „Geist in Welt“65 vorgelegt hat.66 Die Frage nach dem Sein wird unter den drei Aspekten, dass nach Sein überhaupt gefragt wird, dass nach Sein gefragt werden muss und dass dabei zwischen Sein und Seiendem unterschieden werden muss, als Notwendigkeit einer Analytik der Metaphysik vorangestellt.67 Und es sind diese drei Aspekte, die die Konzeption von „Hörer des Wortes“ als einen transzendentalen Ansatz kennzeichnen, weil das Sein insgesamt nur als Frage thematisiert werden kann.68 Vom ersten Aspekt wird der erste Satz einer allgemeinen Ontologie abgeleitet: „Das Wesen des Seins ist Erkennen und Erkanntsein in einer ursprünglichen Einheit, die wir das Beisichsein oder die Gelichtetheit des Seins nennen wollen“69, sowie der erste Satz einer metaphysischen Anthropologie: „Das Wesen des Menschen aber ist absolute Offenheit für alles Sein, oder, um dies mit einem Wort zu sagen, der Mensch ist Geist.“70 Es gibt mehrere Aspekte, die jeweils zu Formulierungen ontologischer Sätze führen. Führt der Aspekt der Fraglichkeit des Seins erst im Teil 65 Rahner, Geist in Welt. 66 Zum Anschluss von Hörer des Wortes an Geist in Welt vgl. Raffelt/Verweyen, Karl Rahner, 40; vgl. Verweyen, Gottes letztes Wort, 116; vgl. Knoepffler, Der Begriff „transzendental“, 41. 67 Vgl. Rahner, Hörer des Wortes, 49. 68 Vgl. Prçpper, Erlösungsglaube und Freiheitsgeschichte, 126 f. 69 Rahner, Hörer des Wortes, 50. 70 Rahner, Hörer des Wortes, 50.

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„Die Verborgenheit des Seins“ zu einem zweiten Satz einer allgemeinen Ontologie und der dritte im Teil „Der Ort der freien Botschaft“ zu einem Ziel, ergeben sich schon an dieser Stelle wichtige Folgerungen aus ihnen. So wird aus dem Aspekt des Fragen-Müssens die Endlichkeit des Menschen abgeleitet: Weil aber nicht bloß die Fragbarkeit des Seins zur Grundverfassung des Menschen gehört, weil der Mensch fragen muß, darum ist der Mensch auch nicht das absolute Bewußtsein, sondern gerade in seiner Metaphysik, also als „transzendentales Bewusstsein“ endlicher Geist; in seiner metaphysischen Frage manifestiert sich nicht das absolute Bewußtsein; es kommt nicht im Menschen, auch nicht in seinem transzendentalen Bewußtsein zu sich selber, sondern in der Frage nach dem Sein als einem Fragenmüssen zeigt sich gerade die Endlichkeit seines Geistes, allerdings so, daß sich die Grundverfassung des Seins an sich doch darin manifestiert, daß sich doch zeigt, daß Sein an sich Beisichsein, Gelichtetheit ist, die ursprünglichste Einheit von Erkennen und Erkanntsein.71

Und der Aspekt, dass zwischen Sein und Seiendem unterschieden werden muss, führt bei Rahner zu der These von der „Insichselberständigkeit“ des Menschen, die sich aus dem Verhältnis vom Seienden zu seiner Welt, welches Rahner als Subjekt-Objekt-Verhältnis beschreibt, ergibt. So mache der Mensch „die Umwelt seines physikalisch-biologischen Lebens zu seinem ,Gegenstand‘, zu seiner Welt. Er erfährt und erlebt seine Umwelt nicht bloß, sondern er urteilt über die Welt und über die einzelnen Dinge aus denen sich seine Welt aufbaut. Er ist Subjekt einem Objekt gegenüber.“72 Des Weiteren fragt er nach dem letzten Grund der Möglichkeit der Insichselberständigkeit und greift dabei auf den in diesem Zusammenhang aus der thomistischen Erkenntnismetaphysik übernommenen Begriff der Abstraktion zurück, und zwar auf die Abstraktion als Fähigkeit des Menschen, die er bei Thomas als intellectus agens beschrieben findet.73 An dieser Stelle greift schließlich das Motiv des Vorgriffs, das er schon als Interpretation des intellectus agens bei Thomas in „Geist in Welt“ vorgetragen hat74 : Der Vorgriff ist die Bedingung der Möglichkeit des allgemeinen Begriffs, der Abstraktion, die hinwiederum die Ermöglichung der Objektivierung des sinnlich Gegebenen und so der wissenden Insichselberständigkeit ist. […] Er ist ein a priori mit dem menschlichen Wesen gegebenes Vermögen der dynamischen Hinbewegung des Geistes auf die absolute Weite aller möglichen Gegenstände, eine Hinbewegung, in der die Einzelgegenstände gleichsam als Einzeletappen dieser Zielbewegung ergriffen und so im Vorblick auf diese absolute Weite des Erkennbaren wissend erfaßt werden.

71 72 73 74

Rahner, Hörer des Wortes, 65 f. Rahner, Hörer des Wortes, 69. Vgl. Rahner, Hörer des Wortes 75. Vgl. Rahner, Geist in Welt, 98 – 100.

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[…] Der Vorgriff ist die bewußtmachende Eröffnung des Horizontes, innerhalb dessen das einzelne Objekt der menschlichen Erkenntnis gewußt wird.75

Bis hierher hat Rahner, die metaphysischen Grundannahmen Thomas’ voraussetzend, aus der Frage nach dem Sein die Möglichkeit des Hörens einer Offenbarung herausgearbeitet, indem er durch den Vorgriff auf das Sein den Menschen in einen unbegrenzten Horizont stellt, der zur Ontologie einer potentia oboedientialis für eine mögliche Offenbarung notwendig sei. Jeder engere Horizont der menschlichen Erkenntnis würde sofort und a priori mögliche Sachverhalte einer Offenbarung außerhalb dieses Horizontes fallen lassen und sie dadurch von der Möglichkeit, geoffenbart zu werden, ausschließen.76

Rahner kann als Ergebnis des Teils „Die Offenheit des Seins und des Menschen“ also festhalten: Ausgehend von dem ersten Aspekt unserer allgemeinen Seinsfrage, wonach in dieser Frage nach allem Sein überhaupt und im allgemeinen gefragt wird, ergaben sich auf der einen Seite unser erster Satz einer allgemeinen Ontologie: Das Wesen des Seins ist Erkennen und Erkanntsein in seiner ursprünglichen Einheit, die wir das Beisichsein oder die Gelichtetheit des Seins nannten; und auf der anderen Seite unser erster Satz einer metaphysischen Anthropologie: Zur Grundverfassung des Menschen gehört die apriorische absolute Transzendenz auf das Sein schlechthin, weshalb der Mensch Geist genannt wird. Aus dem ersten Satz ergab sich die Einsicht in die grundsätzliche Möglichkeit einer Eröffnung alles Seins im Wort, aus dem zweiten Satz die Einsicht, daß mindestens von vornherein der Mensch Raum für jegliche Erkenntnis ist und er so a priori den Umfang einer möglichen Offenbarung nicht einschränkt.77

An diesem Ergebnis ist besonders hervorzuheben, dass bei Rahner die „apriorische absolute Transzendenz auf das Sein schlechthin“ nur eine im Vorgriff gegebene Bedingung der Möglichkeit für den Empfang von Offenbarung bleibt. Die Offenbarung selbst ist dadurch zwar möglich, weil der Vorgriff auf das Sein apriorisch ist, aber sie wird erst wirklich in ihrer Erscheinung und bleibt deshalb stets aposteriorisch, was Rahner anhand des Vorgriffs zu differenzieren vermag: Der Vorgriff als solcher ist also nicht ein apriorisches Wissen eines Gegenstandes, sondern die mit dem Wesen des Menschen gegebene und in diesem Sinn apriorische Weise der Hinnahme eines aposteriorisch gegebenen sinnlichen Gegenstandes, eine apriorische Weise der Erkenntnis einer aposteriorischen Erscheinung. Er ist nicht ein in sich ständiger Griff auf das Sein überhaupt, sondern der Vorgriff auf das Sein, der nur möglich ist im Begreifen der Erscheinung.78 75 76 77 78

Rahner, Hörer des Wortes, 77. Rahner, Hörer des Wortes 86. Rahner, Hörer des Wortes, 88 f. Rahner, Hörer des Wortes, 181.

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Im nächsten Schritt steht Rahner vor der Aufgabe, die sich daraus ergebende Verborgenheit des Seins transzendentalphilosophisch nachzuvollziehen.

1.2.2 „Die Verborgenheit des Seins“ Während Rahner – wie oben nachvollzogen – die Offenheit des Seins in der Vermittlung von thomanischer Metaphysik und transzendentaler Fragestellung deduziert hat, indem er den Menschen als Geist in seiner Endlichkeit durch die Fähigkeit der Abstraktion in einen transzendentalen Horizont stellt, in dem er zu Gott als dem absoluten Sein in einem Verhältnis steht, das sich als Vorgriff beschreiben lässt, und dabei insgesamt elementare Züge seiner Religionsphilosophie grundgelegt hat, wird dieser Ansatz erst im Teil zur Verborgenheit des Seins wieder in eine Beziehung zur Theologie gestellt, wobei sich wieder die Grundschwierigkeit seines Vorhabens zeigt, die Eberhard Simons treffend beschrieben hat: Das Problem heißt also: Ist die Geisttranszendenz wesensnotwendig Offenbarkeit Gottes, dann ist freie Offenbarung nicht mehr möglich, weil Gott als Entsprechung der Transzendenz die Offenbarung seiner selbst immer schon schuldig wäre. Ist jedoch die Offenbarkeit Gottes nicht das Wesen der Geisttranszendenz, dann ist der Mensch ursprünglich nicht auf Gott hingeordnet, und damit wäre auch die Möglichkeit der (besonderen) Selbstoffenbarung von vornherein ausgeschlossen.79

Dieses Problem sieht Rahner selbst auch, wenn er schreibt: Ganz allgemein gesprochen besteht die gemeinte Schwierigkeit darin, daß es nach unseren bisherigen Überlegungen scheinen könnte, daß es eine Offenbarung als freie Enthüllung eines an sich wesentlich Verborgenen deshalb nicht geben könne, weil alles Sein grundsätzlich schon immer offenbar sei, also nicht mehr geoffenbart werden könne.80

Es stellt sich also die Frage, ob sich seine rein philosophisch entfaltete Theorie von der Offenheit des Seins, die zugleich der Horizont für eine freie Offenbarung Gottes ist, aufrecht erhalten lässt, wenn diese Offenheit nun auf die Offenbarung selbst bezogen wird. Auf der einen Seite darf eben die Offenbarung als freie Selbsterschließung Gottes nicht vorweggenommen werden, weil sie sonst nicht mehr frei wäre, und auf der anderen Seite muss dieser Aspekt in Beziehung gesetzt werden zur Vernehmbarkeit der Offenbarung, die nur möglich ist, wenn der Mensch in dem transzendentalen Horizont steht: So erhebt sich also die Frage, wie eine christliche Anthropologie und Metaphysik das Wesen des Menschen so explizieren könne, daß unbeschadet seiner Transzendenz auf 79 Simons, Philosophie der Offenbarung, 43. 80 Rahner, Hörer des Wortes, 91.

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das Sein überhaupt und unbeschadet der inneren Gelichtetheit des Seins diese Transzendenz den Inhalt einer möglichen Offenbarung nicht vorwegnimmt, so daß eine freie Selbsterschließung des freien persönlichen Gottes möglich bleibt, und dieser doch wiederum habe, an dem er sein freies Offenbarungswort so richten kann, daß es für den Menschen vernehmbar ist.81

Um diese beiden Aspekte in Beziehung zu setzen, bemüht sich Rahner auch in diesem Teil, rein philosophisch vorzugehen und die Verborgenheit des Seins durch transzendentale Deduktion herzuleiten. Dem Beisichsein als gelichtete Offenheit des Seins, stellt er deshalb das Beisichalleinsein als Grad der Verborgenheit des Seins gegenüber : Es ist also die Frage zu stellen, warum das reine Sein in dem Grade, da es dies ist, als Beisichseiendes auch Verborgenes, Beisichalleinseiendes ist. Es ist also die transzendentale Deduktion der Gelichtetheit des Seins noch einmal so durchzuführen, daß sie die transzendentale Deduktion des Beisichalleinseins, der Unzugänglichkeit des ewigen Lichtes wird, die es von sich selber her an sich hat. Dann ist das Entsprechende auch in einem weiteren Gang an unserem ersten Satz der Anthropologie ins Werk zu setzen.82

Um nun die Verborgenheit trotz der Gelichtetheit des Seins verständlich zu machen, setzt er noch einmal bei dem zweiten Aspekt der metaphysischen Analytik des Seins, der Fraglichkeit des Seins, an: Aus der Fraglichkeit des Seins überhaupt zeigt es sich, daß wir uns beim einzelnen endlichen Seienden aufhalten. Ausdrücklich können wir daher das (immer schon an der absoluten Weite des Vorgriffs gekannte) unendliche Sein nur dadurch erkennen, daß wir auf diesen endlichen Gegenstand hinblicken und die im Vorgriff über ihn hinaus immer schon notwendig enthaltene Verneinung ausdrücklich machen, indem wir die Endlichkeit des endlichen Gegenstandes verneinen.83

Doch hier spitzt sich das Problem zu, was Rahner selbst sieht. Denn der sich aus der Fraglichkeit ergebende Aufweis der Endlichkeit des Seienden schließe nämlich nicht aus, dass unter der Annahme, dass der Mensch ohne im Gegenüber eines endlichen Gegenstandes von sich aus der absoluten Weite des Vorgriffs bewußt würde. Dann wäre eine Offenbarung als möglich ausgeschlossen, weil der Mensch schon von sich aus das Absolute erfasst hätte.84 Diese Annahme betrachtet Rahner ausdrücklich nicht als bloße Denkmöglichkeit, die aus systematischen Gründen ausgeschlossen werden müsste, sondern er meint darin „die Grundauffassung aller nichtchristlichen Mystik im wesentlichen getroffen zu haben“85, die auch in mystischen Frömmigkeiten 81 82 83 84 85

Rahner, Hörer des Wortes, 92. Rahner, Hörer des Wortes, 93. Rahner, Hörer des Wortes, 95. Vgl. Rahner, Hörer des Wortes, 96. Rahner, Hörer des Wortes, 97.

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des Christentums aufzuzeigen sei. Andererseits würde die Vorstellung noch nicht ausgeschlossen sein, dass die unmittelbare Anschauung Gottes, auch wenn sie noch einer Tat Gottes bedürfe, die endgültige Erfüllung der absoluten Weite des Geistes sei. Dann wäre die visio beatifica das natürliche Ziel des Menschen als Geist.86 Hier gilt: [W]enn die visio beatifica (die das Wesen Gottes mehr enthüllt als jede mögliche Offenbarung im bloßen Wort und in endlichen Zeichen!) als das natürliche Ziel des Menschen erscheint, ist eine Offenbarung als in ihrem innersten Wesen freie Tat des sich aus freier Gnade selbst erschließenden Gottes nicht mehr denkbar.87

Mit dieser Aussage möchte Rahner aber noch nicht die Unmöglichkeit der visio beatifica als Ziel des natürlichen Menschen manifestieren. Denn es geht ihm ja nicht nur einseitig darum, die Ungeschuldetheit der freien Selbstmitteilung Gottes zu wahren, sondern auch die Bejahung der Ungegrenztheit der Transzendenz des menschlichen Geistes durchzuhalten, weil sie nicht zuletzt eine „Bedingung der Möglichkeit einer gegenständlichen Erkenntnis des endlichen Seienden“88 sei. So kommt er in der Frage nach der Möglichkeit einer visio beatifica zu dem Ergebnis: Ja, da wir in einer philosophischen Anthropologie nur von einer menschlichen Erkenntnis wissen, in der außer dieser einen Bedingung der Möglichkeit, außer dem Vorgriff auf das Sein überhaupt auch noch die Vorstellung eines endlichen Gegenstandes gehört, auch gerade damit dieser Vorgriff selbst bewußt werde, so läßt sich philosophisch über die Möglichkeit der Erfüllung dieser transzendentalen Weite des Geistes ohne das Mittel eines endlichen sinnlichen Gegenstandes nichts ausmachen. Die innere Möglichkeit und erst recht die Geschuldetheit einer visio beatifica müßte also dahingestellt bleiben.89

Hieran, dass Rahner nicht einfach die Ungeschuldetheit der visio beatifica setzt und damit die visio strikt vom Vorgriff unterscheidet, zeigt sich, dass Rahner die Verhältnisbestimmung von Vorgriff und visio nicht anders als aporetisch zu erklären vermag. Denn würde er die visio beatifica als schlechthin ungeschuldet klassifizieren, wäre wiederum der transzendentale Horizont des Seins zu eng, als dass in ihm überhaupt eine ergangene Offenbarung empfangen werde könnte, deshalb bleibt er an diesem Punkt äußerst ausweichend: Aber die Erkenntnis, daß die visio beatifica nicht eindeutig als natürliches Ziel des Menschen aufgewiesen werden kann, ist noch kein Beweis, daß sie wesentlich übernatürlich ist und dem Menschen schlechthin ungeschuldet, daß also Gott dem Menschen trotz seiner absoluten Transzendenz als der immer noch Unbekannte 86 87 88 89

Vgl. Rahner, Hörer des Wortes, 98. Rahner, Hörer des Wortes, 99. Rahner, Hörer des Wortes, 99. Rahner, Hörer des Wortes, 100.

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gegenübersteht und so überhaupt ein Gegenstand einer möglichen Offenbarung vorhanden ist.90

Dieses Ausweichen in den Modus der Möglichkeit rührt daher, dass für Rahner die Übernatürlichkeit der visio beatifica aus theologischen Gründen besteht, die er an diesem Punkt nur noch in der Weise mit einer philosophischen Fragestellung vermitteln kann, indem er die Möglichkeit einer visio beatifica offenlässt. Die visio beatifica ist ja gerade deshalb die äußerste Weise der Offenbarung Gottes, weil sie die unmittelbare Erkenntnis Gottes zum Ausdruck bringt. Die Unmittelbarkeit ist aber nicht die Weise der natürlichen Erkenntnis, sondern für Rahner ist Erkenntnis unter der Voraussetzung des In-der-Welt-Seins immer nur möglich anhand eines Gegenstandes bzw. als gegenständliche Erkenntnis. Dass Rahner dabei lediglich mit einem SubjektObjekt-Verhältnis argumentiert, ohne in irgendeiner Weise Erkenntnis in einen intersubjektiven Kontext zu stellen, ist der wesentliche Kritikpunkt an Rahners Konzeption von „Hörer des Wortes“.91 Auf der gleichen Linie wie das Ausbleiben der Intersubjektivität wird auch die nur eingeschränkte Wahrnehmung der personalen Dimension kritisiert. Die einzige Form des Verhältnisses vom Subjekt als eines Selbstseienden zu einem anderen Selbstsein tritt bei Rahner im Gottesverhältnis auf.92 Jedoch ist dies insofern nur als ein mögliches Verhältnis beschrieben, als der Mensch vor Gott als dem Unbekannten steht: Der Mensch steht vor Gott als dem wenigstens vorläufig Unbekannten. Denn er ist der Unendliche, der in seiner Unendlichkeit vom Menschen nur erkannt wird in dem verneinenden Verweis auf das Jenseits aller Endlichkeit, welcher Verweis die Bedingung der gegenständlichen Erfassung eines endlichen Seienden ist. Bei solcher Weise der Gotteserkenntnis bleibt aber Gott in dem positiven Inhalt seiner Unendlichkeit verhüllt.93

Was hat Rahner damit erreicht, wenn der Inhalt von Gottes Unendlichkeit verborgen bleibt? Zweierlei ist damit gewahrt. Zum einen bleibt Gottes Gnade selbst ungeschuldet und von daher wäre Offenbarung als freie Selbsterschließung Gottes möglich. Steht der Mensch aber vor Gott als dem Unbekannten und ergeht dann an ihn diese freie Offenbarung, dann ist aus dem Sein des Menschen zu folgern, dass dieser Offenbarung Gehorsam zu leisten ist. Die Disposition zum Leisten des Gehorsams, was zum Hören auf das Wort der Offenbarung bedeutet, ist im Menschen angelegt und wird nicht erst durch die Faktizität der Offenbarung gefordert. Darin liegt der antiextrinsezistische Zug der Konzeption des frühen Rahner. Dieser Zug wird noch weiter ausge90 Rahner, Hörer des Wortes, 100. 91 „Die Frage, ob es Rahner überhaupt je gelungen ist, Intersubjektivität angemessen zu erfassen, ist seitdem nicht mehr verstummt.“ Raffelt/Verweyen, Karl Rahner, 45. 92 Vgl. Simons, Philosophie der Offenbarung, 97. 93 Rahner, Hörer des Wortes, 101 f.

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baut, indem Rahner schließlich von einer Notwendigkeit der Offenbarung sprechen kann. Dabei schleicht sich allerdings ein zweifaches Verständnis von Offenbarung in die Konzeption ein. Denn durch die Rede von der Notwendigkeit von Offenbarung lässt sich nicht mehr klar unterscheiden zwischen der Offenbarung als freier Selbsterschließung im ergangenen Wort und der Offenbarung durch Gott als freiem Unbekannten, der durch sein Schweigen auch im Modus der Verborgenheit dem Menschen offenbar ist. Notwendigkeit der Offenbarung bedeutet zwar nicht, dass „sie dem Menschen kraft seiner Natur notwendig zukomme.“94 Notwendig ist sie in dem Sinne, dass der Mensch als Geist immer schon vor Gott stehe, der sich deshalb notwendig zeige entweder als Verschlossener oder Erschlossener : Denn wer als Freier vor einem anderen steht, zeigt immer schon sich selbst: eben als der, der er dem anderen gegenüber sein will: der Verschlossene oder der Erschlossene. In diesem Sinn geschieht Offenbarung notwendig. Und weil Offenbarung in diesem Sinne notwendig geschieht (nicht bloß geschehen könnte), muß der Mensch notwendig mit der Offenbarung im üblichen theologischen Sinne rechnen: mit einem möglichen Reden Gottes, das sein Schweigen bricht und seine Tiefen dem endlichen Geiste erschließt.95

Nun hat Rahner Offenbarung in zweierlei Sinn eingeführt. Der hier näher bestimmte theologische Sinn von Offenbarung ist eben schon eingebettet in einen metaphysischen Sinn von Offenbarung, der gerade in ihrer Notwendigkeit besteht. Und zum Verhältnis dieser beiden Sinne von Offenbarung sagt Rahner : Gerade weil Offenbarung in dem gesagten metaphysischen Sinne notwendig und der Mensch von ihr immer betroffen ist, gerade darum ist Offenbarung im theologischen Sinn frei. Denn im theologischen Sinn ist Offenbarung nicht die freie Entscheidung Gottes im Sicheröffnen oder Sichverschließen, sondern die tatsächliche Eröffnung seines verborgenen Wesens.96

Auf das Problem, das sich bei Rahners Verhältnisbestimmung von Offenbarung im metaphysischen Sinne und im theologischen Sinne ergibt, hat schon Friedemann Greiner hingewiesen: Rahner beugt sich zunächst der aus der unbegrenzten Transzendentalität des Menschen sich ergebenden Konsequenz, eine notwendige Korrelation zwischen dem transzendentalen Subjekt und dem zu fordernden göttlichen Offenbarungsbegriff, der das Schweigen sowohl wie das Sprechen Gottes als ein zu hörendes definiert. Insofern jedoch das Schweigen als ein zu hörendes und zu vernehmendes die Verschlossenheit Gottes als „Erschließung seines Wesens“ zur Sprache bringt und in dieser Weise eine sinnvolle Antwort darstellt, ist nicht mehr einzusehen, wie unter 94 Rahner, Hörer des Wortes, 115. 95 Rahner, Hörer des Wortes, 115. 96 Rahner, Hörer des Wortes, 115.

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dieser Voraussetzung beredten Schweigens die göttliche Offenbarung ungeschuldet sein soll.97

Um dem zu entgehen, wird die Offenbarung im metaphysischen Sinne letztlich doch nicht als Offenbarung im eigentlichen Sinne aufgefasst. Damit gibt es allerdings nicht nur zwei Sinne von Offenbarung, sondern auch zwei unterschiedliche, nicht in Übereinstimmung zu bringende Auffassungen des sogenannten metaphysischen Sinnes von Offenbarung. So ist die Offenbarung im metaphysischen Sinne einerseits mögliche Offenbarung und doch andererseits wirkliche Offenbarung, wenn für das Horchen gelten soll: Denn wenn er im selben Augenblick und aus demselben Grund, da und aus dem er vor Gott steht, so vor Gott einer möglichen Offenbarung steht, begibt sich eigentlich immer so etwas wie eine Offenbarung: nämlich das Reden oder das Schweigen Gottes.98

Daran ist dann gerade das, was Greiner als beredtes Schweigen Gottes angesprochen hat, abzulesen, weil der Mensch als Horcher auf eine mögliche Offenbarung unter der Hand zum Hörer wird: „Und der Mensch hört immer und wesentlich das Reden oder das Schweigen des freien in sich allein ständigen Gottes; er wäre sonst nicht Geist.“99 Wird diese Offenbarung im metaphysischen Sinne mit der Offenbarung im theologischen Sinne kontrastiert, dann wird aus dem beredten Schweigen ein leeres Schweigen, weil es ein Schweigen ist, das durch die Offenbarung im theologischen Sinne, dem tatsächlichen Reden Gottes, gebrochen wird.100 Das Hören des Schweigens verharrt doch beim Horchen auf die tatsächliche Offenbarung und ist von daher kein tatsächliches Hören: Aber damit bleibt die Theologie doch in sich selbst gegründet, denn einmal ist mit dem Horchen kein tatsächliches Hören notwendig verbunden (weder nach Tatsächlichkeit noch nach Inhalt), denn das Vernehmen des Schweigens Gottes ist ebenso eine Antwort, die das Horchen sinnvoll macht, weil auch durch das abweisende Schweigen Gottes der Mensch zu dem werden kann, was er allerdings sein muß[.]101

Insofern ist die Offenbarung im metaphysischen Sinne auch keine Offenbarung im eigentlichen Sinne. Aber auch nur dann scheint sowohl die Freiheit und Ungeschuldetheit der Offenbarung als auch die Eigenständigkeit der Theologie gewahrt zu bleiben. Doch damit ist die Fraglichkeit des Seins und der daraus gefolgerte zweite Satz einer allgemeinen Ontologie schon nicht mehr rein philosophisch. Dieser Satz lautet: „Das reine Sein ist das freie und 97 98 99 100 101

Greiner, Die Menschlichkeit der Offenbarung, 206. Rahner, Hörer des Wortes, 114. Rahner, Hörer des Wortes, 114. Vgl. Rahner, Hörer des Wortes, 115. Rahner, Hörer des Wortes, 221.

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damit nicht von vornherein und notwendig bei dem Endlichen, ist unser zweiter Satz.“102 Er ließe sich rein philosophisch verstehen, wenn sich die Notwendigkeit der Offenbarung im metaphysischen Sinne als eine tatsächliche Offenbarung erweisen könnte. Doch dieser Gedanke ist nicht mit der Offenbarung als unmittelbare Erkenntnis Gottes in der visio beatifica zu vereinen, weshalb die zeitlich parallel zur Konzeption von „Hörer des Wortes“ gnadentheologisch relevante „Ontologie der visio beatifica“ an dieser Stelle mit in die Erörterung einbezogen werden soll.

1.3 Rahners theologischer Ansatz als „Ontologie der visio beatifica“ Der Gedanke der visio beatifica hat sich in „Hörer des Wortes“ als ein entscheidender Punkt in der Verhältnisbestimmung von Religionsphilosophie und Theologie erwiesen, weil deren innere und geschuldete Möglichkeit einerseits dahingestellt bleiben musste und andererseits die visio beatifica gerade aus theologischen Gründen nicht das natürliche Ziel des Menschen sein kann. Von daher ist die bei Rahner innerhalb der Gnadenlehre bedeutsame Rede von der „Ontologie der visio beatifica“103 als genuin theologischer Ansatz zu betrachten, um so auch den Stellenwert der visio beatifica in „Hörer des Wortes“, wo die Vorstellung von der visio beatifica letztlich nicht mehr rein philosophisch vermittelt werden konnte, noch einmal zu bedenken. Denn von daher ließe sich auch an Rahners früher transzendentalphilosophischer Konzeption ein eschatologischer Grundzug ausmachen, der für die Theologie Rahners an der Vorstellung der visio beatifica zu erkennen ist.104 Dieser Grundzug ergibt sich insofern, als es sich bei Rahners transzendentalphilosophischer Konzeption um die Vermittlung von Philosophie und Theologie handelt und diese Vermittlung immer in einem Zusammenhang mit der Frage nach dem Verhältnis von Natur und Gnade steht. Ist die Gnade aber ein Zentralthema der Theologie im Allgemeinen und auch der Rahners im Besonderen, dann ist zu beachten, dass diese Theologie der Gnade von der visio beatifica her zu bestimmen ist: „Die innere Natur der diesseitigen Gnade als Ganzes muß also sich näher bestimmen lassen von der Natur der ontologischen Voraussetzungen der unmittelbaren Gottesschau her.“105 Um die Ontologie der visio beatifica zu entfalten, setzt er pneumatologisch ein: Der Besitz des Geistes ist nach der Schrift Angeld und Erstlingsgabe der endgültigen beseligenden Begnadigung, also nicht bloß ihr „Pfand“ und Rechtstitel, sondern ein

102 103 104 105

Rahner, Hörer des Wortes, 116. Rahner, Zur scholastischen Begrifflichkeit, 354. Vgl. Fritsch, Vollendende Selbstmitteilung, 272. Rahner, Zur scholastischen Begrifflichkeit, 354.

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zwar noch verborgener, nur im Glauben als vorhanden gewußter, aber seinshaft wirklich schon gegebener Anfang der Glorie.106

Dies ist die Prämisse, von der aus sich alles, was zur Ontologie der visio beatifica zu sagen ist, auch auf eine Ontologie der Gnade anwenden lässt. Rahner setzt auch hier die thomanische Erkenntnismetaphysik voraus. Er geht also von der Erkenntnisfähigkeit als Beisichsein aus, was in Bezug auf die visio beatifica bedeute, dass hier „das Wesen Gottes selbst die species (impressa) im geschaffenen Geist“107 vertrete. Diese Voraussetzung sei zum einen notwendig, denn es ist bei diesem species-Begriff leicht einzusehen, daß eine unmittelbare nichtanaloge Schau Gottes nicht begründet werden kann durch eine geschaffene species, da eine solche ihren Gegenstand, das unendliche Sein Gottes, nur offenbaren könnte in dem Maß ihrer eigenen Seinsmächtigkeit als einer endlichen Bestimmung des erkennenden Subjekts108 ;

zum anderen problematisch, wenn gesagt wird, Gottes Sein selber trete an die Stelle einer geschaffenen species des endlichen Geistes, so ist damit eine reale „Beziehung“ (zunächst vorsichtig gesagt!) zwischen Geschöpf und Gott behauptet, die nicht begründet ist in einer akzidentellen, realen, absoluten Veränderung eines der Bezogenen in sich und zu sich selber.109

Die visio beatifica ist deshalb nicht in so einer Veränderung begründet, weil Rahner einerseits von der Unveränderlichkeit Gottes ausgeht und sie andererseits nicht von einem geschöpflichen Sein her denken kann, weil sie nur von außen hinzutretende und damit immer geschaffene Qualität bleibe. Rahner löst dieses Problem auf eine Weise, wie sie auf rein philosophischem Wege nicht möglich wäre, indem er sich der Rede vom Geheimnis bedient: Ein solches neues „Verhältnis“ Gottes zum Geschöpf, das nicht unter die Kategorie der effizienten Wirkursächlichkeit gebracht werden kann, sondern unter die einer formalen Ursächlichkeit, ist nun einerseits ein Begriff, der ein streng übernatürliches Geheimnis umschreibt, und darf anderseits in seiner Möglichkeit nicht durch rein rationale Überlegungen angezweifelt werden.110

Um aber trotz des Geheimnischarakters mit der eschatologischen Vorstellung der visio beatifica arbeiten zu können und das heißt vor allem, die dem Menschen entzogene und auch innerhalb der metaphysischen Ontologie nicht durchführbare – aber auch nicht unmögliche – Zielperspektive der visio beatifica gnadentheologisch fruchtbar zu machen, setzt Rahner ein „quasi“ 106 107 108 109 110

Rahner, Zur scholastischen Begrifflichkeit, 354. Rahner, Zur scholastischen Begrifflichkeit, 355. Rahner, Zur scholastischen Begrifflichkeit, 356. Rahner, Zur scholastischen Begrifflichkeit, 356 f. Rahner, Zur scholastischen Begrifflichkeit, 357.

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vor die Beschreibung der Kategorie der visio beatifica als neuer Seinsform. Sie ist unter der Kategorie der quasi-formalen Ursächlichkeit zu verstehen, um so auch die Unveränderlichkeit Gottes in seiner Transzendenz zu wahren: Man mag auf diese Überkategorialität der transzendent bleibenden formalen Ursächlichkeit Gottes durch ein vorausgesetztes „quasi“ ausdrücklich aufmerksam machen und so in unserm Fall mit Recht sagen, daß das Sein Gottes in der Schau Gottes eine quasi-formale Ursächlichkeit ausübe. Dieses „Quasi“ besagt aber nur, daß diese „forma“ trotz ihrer formalen Ursächlichkeit, die wirklich ernst genommen werden muß, in ihrer absoluten Transzendenz (Unberührtheit, „Freiheit“) verbleibt. Dieses Quasi besagt nicht, daß die Aussage, Gott nehme in der visio beatifica in einer formalen Ursächlichkeit die Stelle einer species ein, eine unverbindliche Redensart sei, sondern ist das Quasi, das vor jeder Anwendung einer an sich innerweltlichen Kategorie auf Gott gesetzt werden muß.111

Diese Quasi-Formalursächlichkeit wird mit dem Besitz des Geistes umschrieben, der als Anfang der visio beatifica aufgefasst wird, und das ist die Voraussetzung für die geschaffene Gnade, durch die die kategoriale Beziehung des Menschen zu Gott ausgedrückt werden kann.112 Dadurch wird die eschatologische Rede von der unmittelbaren Gottesschau zur Voraussetzung für die Theologie als Gnadenlehre im Ganzen: Wie die Gnade überhaupt als seinsmäßige übernatürliche Erhöhung des Menschen inhaltlich nur näher beschrieben werden kann von ihrer endgültigen Entfaltung, der visio her (wenn auch diese „Entfaltung“ und „Enthüllung“ nicht einfach bloßes „Wachsen“ aus innerem Trieb zu einem Endstadium, sondern auch neuer eschatologischer Einbruch des immer noch in sich verborgenen Gottes ist), so ist auch die ungeschaffene Gnade von der visio her zu bestimmen, sie ist der gleichartige, jetzt schon gegebene, wenn auch noch verborgene und zu entfaltende Anfang jener in formaler Ursächlichkeit geschehenden Mitteilung des göttlichen Seins an den geschaffenen Geist, die die ontologische Voraussetzung der visio ist.113

Die Tatsache, dass Rahner die ungeschaffene Gnade zur Voraussetzung der geschaffenen Gnade nimmt, macht es m. E. erst verständlich, weshalb er die visio beatifica in „Hörer des Wortes“ innerhalb seiner transzendentalen Deduktion zumindest als ontologische Möglichkeit offen lassen musste. Hätte er sie von vornherein nur als eine Zielperspektive für den Hörer, der das ergangene Wort vernommen und angenommen hat, aufgefasst, dann wäre sie als Ausdruck der ungeschaffenen Gnade nur unter der Voraussetzung der geschaffenen Gnade möglich, was er wegen der formalontologischen Begrifflichkeit der formalen Ursächlichkeit ablehnen musste. So wie die Rede von der formalen Ursächlichkeit durch die visio beatifica in die Konzeption von 111 Rahner, Zur scholastischen Begrifflichkeit, 358 f. 112 Vgl. Rahner, Zur scholastischen Begrifflichkeit, 362. 113 Rahner, Zur scholastischen Begrifflichkeit, 363.

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„Hörer des Wortes“ hineinragt, bestimmt sie als ontologische Voraussetzung der Selbstmitteilung Gottes die ganze Theologie Rahners durch alle fundamentaltheologischen Veränderungen hindurch. Diese Konstante in der konzeptionellen Entwicklung Rahners lässt sich u. a. anhand des Begriffs des Geheimnisses aufzeigen. Denn im Geheimnis sieht Rahner eine Möglichkeit, die visio beatifica, die als transzendenter Zielbegriff fungiert, was nur durch Offenbarung gewußt werden kann, gleichzeitig als Voraussetzung für eine geschichtliche Offenbarung zu setzen. So schreibt er erst 1959, weit nachdem er über die Konzeption von „Hörer des Wortes“ hinausgeschritten ist, in den Vorlesungen „Über den Begriff des Geheimnisses in der katholischen Theologie“: Daß dieses heilige Geheimnis nicht bloß als das unerreichte Woraufhin der Transzendenz bei einer kategorialen Erfahrung des Endlichen und so immer durch das Endliche vermittelt gegeben sein kann, sondern als es selbst, aber wesenhaft Geheimnis bleibend, unvermittelt dem kreatürlichen Geist sich mitteilen kann, das bleibt von der Kreatur aus und von dem philosophischen Begriff des Geheimnisses durchaus fraglich und kann nur durch die Offenbarung gewußt werden, wenn freilich auch die diese Frage beantwortende Offenbarung als Wortoffenbarung und als Offenbarung in der Mitteilung der Gnade als innere, ungegenständlich bewußte Dynamik auf eben diese visio beatifica hin verstanden werden muß.114

Die Ontologie der visio beatifica als eine theologische Ontologie, die rein philosophisch nicht hergeleitet werden kann, scheint deshalb Schwierigkeiten bei der Vermittlung mit der philosophisch erreichten Ontologie der potentia oboedientialis für Offenbarung aufzuzeigen, weil sie selbst schon eine Metaphysik freisetzt.

1.4 Der Versuch der Vermittlung von transzendentalphilosophischem und theologischem Ansatz beim frühen Rahner In der Konzeption von „Hörer des Wortes“ wird nach der Verborgenheit des Seins noch im Teil „Der Ort der freien Botschaft“ vor allem das Phänomen der Geschichtlichkeit thematisiert. Wobei Rahner zu Recht darin kritisiert worden ist, dass die Geschichte in dem, was er Geschichtlichkeit nennt, unterbestimmt bleibt. Der Grund für die jeweilige Unterbestimmung der Intersubjektivität auf der einen Seite wie der Geschichte auf der anderen Seite liegt in der Konzentration auf die metaphysische Ontologie. Der Mensch als Subjekt steht als Seiender vor dem Sein. Dieses Problem spiegelt sich konsequenter Weise in der Verhältnisbestimmung von Religionsphilosophie und Theologie wider, die Rahner – wie skizziert – in der gemeinsamen Grundlegung in der Metaphysik vorgenommen hat, wobei die Ausgangsfrage eine metaphysische An114 Rahner, Über den Begriff des Geheimnisses, 84.

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thropologie war, die sich im Zuge seiner Erörterungen schließlich zu einer fundamentaltheologischen Anthropologie gewendet hat, so dass Rahner schließlich sagen kann: Wenn wir nun zurückdenken an das früher Gesagte, ist leicht einzusehen, daß solche Anthropologie, die ein inneres Moment der Religionsphilosophie ist, notwendig zu einer fundamentaltheologischen Anthropologie wird in dem vorhin bestimmten Sinn. Denn diese metaphysische Anthropologie, die wir trieben, und zwar mit rein philosophischen Mitteln, zeigte eben den Menschen als das Seiende, das in Freiheit notwendig vor dem Gott einer möglichen Offenbarung steht, daß also eine solche metaphysische Anthropologie fundamentaltheologisch ist.115

Waren Religionsphilosophie und Theologie in dieser Verhältnisbestimmung noch stets unterschieden, so stellt sich die Frage, ob der Ausgangspunkt der gemeinsamen Grundlegung nicht schon ein späteres Ineinander-Auflösen nahelegt. Dabei ist noch einmal daran zu erinnern, dass Rahner, indem er in der einleitenden Ausarbeitung der Fragestellung von „Hörer des Wortes“ das Verhältnis von Religionsphilosophie und Theologie so bestimmt, dass Religionsphilosophie als Metaphysik deshalb die einzig mögliche Begründung der Theologie sei, weil sie ihr vorausgeht, ihr dann Platz macht und den Vorrang lässt,116 hier schon mit einer theologisch eigenständigen Metaphysik, die sich durch die geschichtliche Offenbarung objektiviert, rechnet. Doch dadurch, dass Rahner die Geschichtlichkeit erst ins Spiel bringt, nachdem er schon den indifferenten Begriff der notwendigen Offenbarung im metaphysischen Sinne transzendental voraussetzt, ist sein Offenbarungsverständnis nicht mehr abhängig von der Geschichte als Ort der freien Botschaft. Zur Bestimmung diesen Ortes hat er drei Sätze zum Verhältnis von Transzendenz und Innerweltlichkeit des Menschen formuliert: „1. Das Sein überhaupt ist nur in der Erscheinung für den Menschen eröffnet.“117, „2. An der Erscheinung ist für den Menschen alles Sein eröffnet.“118 und „3. Alles Seiende kann an der Erscheinung durch das Wort zur Erscheinung gebracht werden.“119 Diese Sätze scheinen nahezulegen, dass die freie Offenbarung als geschichtlich ergehendes Wort kategorial und aposteriorisch sein müsste. Doch dann wäre zu erwarten, dass Rahner auch eine metaphysische Anthropologie entfaltet, die nicht zwangsläufig fundamentaltheologisch wäre, eine Anthropologie, die sich ergeben würde, wenn Rahner die Offenbarung im metaphysischen Sinne als beredtes Schweigen weiter entfaltet hätte. Wenn es jedoch stimmt, dass gerade an diesem Punkt die gnadentheologisch relevante Ontologie der visio beatifica schon in die Konzeption von „Hörer des Wortes“ hineinragt, ist es nicht 115 116 117 118 119

Rahner, Hörer des Wortes, 218. Vgl. Rahner, Hörer des Wortes, 22 f. Rahner, Hörer des Wortes, 184. Rahner, Hörer des Wortes, 186. Rahner, Hörer des Wortes, 190.

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verwunderlich, dass Rahner seine auf philosophischem Wege erreichte Notwendigkeit von Offenbarung in ihrer Doppelseitigkeit weiter durchführt. Es zeigt sich hieran aber zweierlei: Erstens, dass die Konzeption von „Hörer des Wortes“ nicht im Sinne Secklers als extrinsezistische Fundamentaltheologie betrachtet werden kann, weil durch das Hineinragen der Ontologie der visio beatifica die Theologie auch in ihrer Inhaltlichkeit präsent ist. Vorzuwerfen wäre Rahner dann nur, dass er diesen Bezug innerhalb von „Hörer des Wortes“ nicht problematisiert hat. Zweitens zeigt sich, dass Rahner hier noch rein philosophisch versucht, eine Vermittlung von Religionsphilosophie und Theologie zu leisten. Diese Vermittlung weist zwar ihre Probleme auf und ihr Ergebnis deutet insofern schon auf den von Rahner später eingeschlagenen Weg hin, als Religionsphilosophie immer eine fundamentaltheologische Anthropologie sein müsse.120 Dieser Weg führt zur Transzendentaltheologie, in der Philosophie immer schon aufgehoben ist in Theologie, weil schließlich die Selbstmitteilung Gottes als absolutes Geheimnis aufgrund eines transzendentalen Aspektes der Offenbarung zur transzendentalen Struktur eines jeden Menschen gehört. Nach Peter Eicher, der in der Durchführung von „Hörer des Wortes“ die faktisch ergangene, geschichtliche Offenbarung Gottes als eine Voraussetzung für die religionsphilosophisch postulierte Pflicht zum Hören auf diese Offenbarung ausmacht, ist die Vermittlung deshalb nicht gelungen, weil Eicher in ihr einen „Zwang der Ontologie“121 sieht, der sich wiederum aufgrund der nicht gelungenen Vermittlung von Philosophie und Theologie aus der potentia oboedientialis ergibt. Bei der Interpretation Eichers scheint dann der nächste Schritt Rahners, der im Einschlagen des Weges von einer Theologie zu einer Philosophie besteht, als Lockerung jenes Zwanges betrachtet zu werden, wenn er schreibt: In der späteren Entwicklung wird Rahner zwar diese „potentia“ durch die Gnadenlehre taufen und zum übernatürlichen Existential konstituieren, aber die ursprüngliche Intention, durch solche Theologie die zum Existieren des Menschen gehörende Pflicht des Hörens auf das Wort aufzuweisen, wird er nie aufgeben.122

Nur das Stehen vor dem Gott, auf dessen Wort der Mensch zu hören habe, wird durch das übernatürliche Existential anders beschrieben, weil Rahner nunmehr den oben erwähnten alternativen Weg einschlägt, um das Verhältnis von Theologie und Philosophie zu bestimmen. Dass Rahner diesen Weg auch schon in „Hörer des Wortes“ als gangbar aufweist, zeigt sich daran, dass der rein philosophische Charakter dieser Schrift zur Lösung des Problems einer Verhältnisbestimmung von Theologie und Philosophie nicht zureichend ist.123 120 121 122 123

Vgl. Rahner, Hörer des Wortes, 219. Eicher, Offenbarung, 381. Eicher, Offenbarung, 382. Es ließe sich auch von einer wissenschaftstheoretisch heiklen Bestimmung innerhalb des Verhältnisses von Theologie und Philosophie sprechen. Vgl. Raffelt/Verweyen: Karl Rahner, 47.

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Doch es ist nicht gesagt, dass die Vermittlung von Philosophie und Theologie bzw. von Natur und Gnade dadurch besser gelingt, dass vermittels eines übernatürlichen Existentials jeder Mensch schon durch ein ungeschuldetes Gnadenhandeln Gottes bestimmt ist und insofern vor Gott steht – nun nicht mehr notwendig vor einem Unbekannten, sondern faktisch reflex oder unbewusst. Denn der Ausgangspunkt wird nunmehr bei der Theologie und das bedeutet: bei der schon ergangenen Offenbarung, gewählt. Dadurch wird, wenn die Konzeption von „Hörer des Wortes“ abgesehen von diesem Ausgangspunkt ihre Relevanz behalten soll, die Philosophie als eigenständige Form in ihrer begründenden Funktion der Metaphysik gar nicht mehr in Erwägung gezogen werden können, weil sie dann schon der Theologie den Vorrang gelassen und ihr Platz gemacht hat.

1.5 Das übernatürliche Existential Für die spezifische Bedeutung des Begriffs „Transzendentaltheologie“, der – wie schon gezeigt – in dieser Bedeutung und als Begriff überhaupt erst beim späten Rahner auftritt, ist das Theorem des übernatürlichen Existentials ein bestimmendes Element. Es bildet die Mitte von Rahners später Theologie und ist zugleich ein viel umstrittenes Element derselben. Es bildet deshalb die Mitte, weil es m. E. sämtliche Entscheidungen der Theologie des späten Rahner beeinflusst und bei allen grundlegenden Fragestellungen präsent ist. Es ist gleichwohl nicht der Zentralbegriff seiner Theologie. Bei einem Denker wie Karl Rahner, der eine in einer dynamischen Weise vorwärtstreibende denkerische Entwicklung durchmacht, ohne dabei selbst die eigenen Phasen dieser Entwicklung in ein kritisches Verhältnis zu setzen, und dessen Theologie im Ganzen unter den Überschriften, die eine Einheitlichkeit der Entwicklung suggerieren, wie Transzendentaltheologie und anthropologische Theologie eingeordnet werden, fällt es ohnehin schwer, einen Zentralbegriff seiner Theologie auszumachen. Trotz dieser Schwierigkeiten wurde vorgeschlagen, die Selbstmitteilung Gottes als Zentralbegriff der Rahnerschen Theologie zu benennen124 und ihn seiner Theologie voranzustellen.125 In der Entwicklung des Verständnisses von der Selbstmitteilung Gottes ist jedoch der Begriff des übernatürlichen Existentials von zentraler Bedeutung. Zunächst ist er als ein Vermittlungsbegriff die Mitte der Rahnerschen Theologie, weil er das Instrument ist, dessen Rahner sich bedient, um im Unterschied zu seiner früheren Konzeption, wie sie noch in „Hörer des Wortes“ vorlag, den dort schon beschriebenen alternativen Weg der Vermittlung von Religionsphilosophie und Theologie zu beschreiten bei gleichzeitigem Bemühen, nun „von oben nach unten: von der Konstitution des durch Offenbarung und Glaubenslicht 124 Vgl. Vorgrimler, Leben – Denken – Werke, 77. 125 Vgl. van der Heijden, Karl Rahner, 3 – 19.

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(also von ,Theologie‘) bestimmten gläubigen Menschen zu einer metaphysischen Analytik des ,natürlichen‘ Menschen“126 immer noch Theologie und Religionsphilosophie transzendental zu vermitteln. So wie dieser Weg in „Hörer des Wortes“ weiter beschrieben wird, ist die Religionsphilosophie dann nur ein Restbestand. Durch die Einführung des Theologumenons vom übernatürlichen Existential wird dieser Weg konsequent auf die Anthropologie übertragen, indem jeder Mensch immer schon auf die Gnade hingeordnet ist und somit die Natur des Menschen im Gegenüber zur Gnade, was Rahner nun als theologischen Begriff von Natur versteht und auch reine Natur (natura pura) nennt, zu einem Restbestand wird, der faktisch vom Wesen des Menschen immer schon unterschieden ist. Später avanciert der Begriff des übernatürlichen Existentials vom Vermittlungsbegriff zu einem Ausdruck des Zentralbegriffs, indem er als „Angebot der Selbstmitteilung“127 qualifiziert wird. Terminologisch hat Rahner das übernatürliche Existential geprägt und durch ihn hat es Eingang in die wichtigen Enzyklopädien der deutschsprachigen katholischen Theologie gefunden. So hat er die Artikel „Existential, übernatürliches“ bzw. „Existential“ in den von ihm herausgegebenen Lexika verfasst.128 Das übernatürliche Existential wird dort jeweils als ein Sachverhalt beschrieben, den Rahner als realontologische Bestimmung qualifiziert: Dem Begriff des ü. E. liegt sachlich folgender Verhalt zugrunde: im voraus zur Rechtfertigung durch die sakramental oder außersakramental empfangene Gnade steht der Mensch schon immer unter dem allgemeinen Heilswillen Gottes, ist er schon erlöst u. absolut verpflichtet auf das übernatürliche Ziel. Diese „Situation“ ist eine realontologische Bestimmung des Menschen, die zwar gnadenhaft zu seiner Natur hinzutritt (darum: übernatürlich), in der realen Ordnung faktisch aber niemals fehlt.129

An dieser kürzesten von Rahner selbst gegebenen Darstellung des übernatürlichen Existentials sind vier Aspekte hervorzuheben: Erstens fällt auf, dass Rahner hier keine Definition des Begriffs „übernatürliches Existential“ liefert. Zweitens wird deutlich, dass das übernatürliche Existential in einer Gegenüberstellung von Natur und Gnade weder der Natur noch der Gnade zugeordnet werden kann. Das übernatürliche Existential ist insofern stets als ein Vermittlungsbegriff in der Verhältnisbestimmung von Natur und Gnade zu betrachten. Gleichwohl ist zu bedenken, dass Rahner in dem relativ späten Lexikonartikel das übernatürliche Existential als einen Begriff vorstellt, dessen Verhältnis zu Natur und Gnade „noch einer eingehenderen Untersu126 Rahner, Hörer des Wortes, 18. 127 Rahner, Grundkurs des Glaubens, 132. 128 Rahner, Existential, in: LThK2, 1301; Rahner, Existential, in: Kleines theologisches Wörterbuch, 107; Rahner, Existential, in: SM, 1298 – 1300. 129 Rahner, Existential, in: Kleines theologisches Wörterbuch, 107.

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chung“130 bedürfe. Dies deutet schon darauf hin, dass die Schwierigkeit, das übernatürliche Existential zu definieren, mit seiner Funktion innerhalb des Verhältnisses von Natur und Gnade zusammenhängt. Drittens ist die Universalität des übernatürlichen Existentials hervorzuheben, die Rahner vom allgemeinen Heilswillen Gottes ableitet. Dabei ist darauf zu achten, dass er das gnadenhafte Hinzutreten des übernatürlichen Existentials zur menschlichen Natur von dem Gnadenempfang in der Rechtfertigung unterscheidet.131 Eine Unterscheidung, die von daher der Unterscheidung von sakramentalem und außersakramentalem Empfang der Gnade vorausgeht. Rahner kann deshalb viertens vom übernatürlichen Existential als von einer realontologischen Bestimmung des Menschen sprechen. Dadurch, dass es sich bei dem übernatürlichen Existential um eine realontologische, anthropologische Bestimmung handelt, ist der Anschluss an Heideggers Begriff „Existenzial“ noch am ehesten gewährleistet. Die Übernatürlichkeit hingegen folgt aus den anderen Aspekten, während ein Existential als realontologische Bestimmung noch nicht übernatürlich sein muss. Im Folgenden sollen bei der Auseinandersetzung mit dem Rahnerschen Theologumenon des übernatürlichen Existentials diese vier Aspekte in umgekehrter Reihenfolge leitend sein, wobei aber auch die über mehrere Jahrzehnte anhaltende Kontroverse zur Genese und zur Leistungsfähigkeit dieses zentralen Lehrstücks Rahnerscher Theologie, das sich nicht zuletzt anhand der Vermittlung von Theologie und Philosophie zu bewähren hat, mit einbezogen werden soll.

1.5.1 Zur Genese des Theologumenons des übernatürlichen Existentials als realontologische Bestimmung des Menschen Rahner versucht den aus der Daseinsanalytik Heideggers übernommenen Begriff des „Existenzials“ durch die weitere Bestimmung „übernatürlich“ theologisch fruchtbar machen. Hatte Heidegger den Begriff Existenzial eingeführt, um im Rahmen seiner Daseinsanalytik die durch die Existenzialität des Daseins bestimmten Seinscharaktere im Unterschied zu den Kategorien zu benennen, die hingegen die Seinsbestimmung des nicht daseinsmäßigen Seienden beschreiben,132 so hat der Begriff Existential bei Rahner einen gegenüber Heidegger modifizierten Sinn. Nikolaus Knoepffler hat darauf hingewiesen, dass Rahner zwar einerseits die phänomenologisch zu verstehende Bedeutung des Begriffs bei Heidegger übernimmt, um die Wirklichkeit des konkreten Menschen zu beschreiben, aber andererseits dahingehend verän130 Rahner, Existential, in: LThK2, 1301; Vgl. Rahner, Existential, in: SM, 1299. 131 Diese Unterscheidung spiegelt sich wider in der Rede von der „objektiven Rechtfertigung“, die dem freien Handeln des Menschen vorgegeben sei und der „subjektiven Annahme durch die Heiligung“. Vgl. Rahner, Existential, in: LThK2, 1301; Rahner, Existential, in: SM, 1298. 132 Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 44.

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dert, dass er die Heideggersche Begrifflichkeit mit der scholastischen Sicht des Seins zusammendenke: „Denn aus einer Weise zu sein in phänomenologischer Deutung wird ein scholastischer Seinsbereich, von dem gesagt werden kann, daß er zur Gesamtwirklichkeit gehört.“133 Knoepffler spielt hier auf den Begriff „innerst übernatürlicher existentialer Bereich“ an, den Rahner schon in dem auf das Jahr 1942 zurückgehenden Aufsatz „Priesterliche Existenz“ entwickelt hat. Bevor das Theologumenon des übernatürlichen Existentials in Rahners Grundkonzept, das sich nicht einseitig existenzphilosophisch in Heideggerscher Lesart bestimmen lässt, sondern auch transzendentalphilosophisch und scholastisch beeinflusst ist, eingeordnet werden kann, soll auf die unterschiedliche Einschätzung der Genese des übernatürlichen Existentials eingegangen werden. So hat Nikolaus Schwerdtfeger in seiner Studie zur Theorie der anonymen Christen von 1982 die Rede vom „innerst übernatürlichen existentialen Bereich“ in „Priesterliche Existenz“ als Hauptbeleg dafür angeführt, dass Rahner die Theorie schon vor 1950 entfaltet hat. Hat Schwerdtfeger erstmalig auf die terminologische Nähe im Aufsatz von 1942 hingewiesen,134 so kann er bereits auf mehrere Studien zurückgreifen, die die Entwicklung dieser zentralen Rahnerschen Theorie sachlich schon weit vor 1950 ansiedeln.135 Bis 1970 ist allerdings herrschende Meinung in der Auseinandersetzung mit Rahner, dass er das Theologumenon vom übernatürlichen Existential 1950 in der Auseinandersetzung mit der Nouvelle Thologie um das Verhältnis von Natur und Gnade entwickelt habe. Diese Auffassung war insofern nahe liegend, als Rahner explizit mit dem Begriff „übernatürliches Existential“ 1950 in dem Aufsatz „Über das Verhältnis von Natur und Gnade“ an die Öffentlichkeit tritt. Zu einem Zeitpunkt, der als Höhepunkt des Streits um die Nouvelle Thologie gilt, hat Rahner als Antwort auf eine Darstellung der Anliegen der Nouvelle Thologie durch Emile Delaye136 von einem „inneren übernatürlichen Existential“ gesprochen, um damit das Anliegen der französischen Theologen um Henri de Lubac, einen Extrinsezismus bei der Verhältnisbestimmung von Natur und Gnade zu verhindern, aufzunehmen und zugleich auch den Forderungen des katholischen Lehramts gerecht zu werden und den Begriff der Natur als theologischen Begriff nicht aufzugeben. Trotz der seit 133 Knoepffler, Der Begriff „transzendental“, 63. 134 Vgl. Schwerdtfeger, Gnade und Welt, 166. 135 Vor allem ist hier die Studie von Tuomo Mannermaa zu nennen, in der er schon 1970 zu dem Ergebnis kam: „Nach der hier vorliegenden Untersuchung des spontanen Elements der Glaubenserkenntnis ist die allgemeine Auffassung, nach der Rahner die Lehre von dem sog. übernatürlichen Existential erst am Ende der Vierzigerjahre in dem Gespräch über das Verhältnis von Natur und Gnade entwickelt haben soll, falsch. Sachlich gesehen bildet das übernatürliche Existential schon am Anfang der Dreißigerjahre die Voraussetzung einiger Theologoumena Rahners.“ Mannermaa, Lumen fidei, 152. 136 Der besagte Aufsatz Rahners erschien ursprünglich zusammen mit folgendem anonymen Beitrag: [Delaye], Ein Weg zur Bestimmung des Verhältnisses von Natur und Gnade, 138 – 141. Rahners Aufsatz folgt im unmittelbaren Anschluss auf den S. 141 – 145.

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über drei Jahrzehnten andauernden Kontroverse um die Genese des Theorems vom übernatürlichen Existential ist nach wie vor unumstritten, dass es sich dabei um den Dreh- und Angelpunkt von Rahners Lösungsweg zum Problem der Verhältnisbestimmung von Natur und Gnade handelt. Allerdings ist durch die weitergehende Rahnerforschung seit 1970 deutlich geworden, dass die Einführung des übernatürlichen Existentials nicht nur dadurch motiviert gewesen ist, dass Rahner hier einen kirchenpolitischen Schachzug anwendet, um selbst der Verurteilung durch das Lehramt zu entgehen.137 Vor allem durch die erwähnte Studie Schwerdtfegers ist seit den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts die gängige Auffassung in der Rahner-Forschung, dass das übernatürliche Existential schon in den 1930er Jahren sachlich und spätestens Anfang der 1940er Jahre auch terminologisch vorbereitet bzw. in Rahners Theologie auffindbar ist. Eine Zäsur dieser Lesart bildet nun die Untersuchung zum übernatürlichem Existential und dem Begriff der natura pura bei Rahner von Paul Rulands aus dem Jahr 2000.138 Rulands kommt zu dem Ergebnis: Es läßt sich in Rahners „Frühwerk“ bis zu dem Aufsatz „Zur Theologie des Todes“ keine Konzeption eines übernatürlichen Existentials im Sinne eines gnadenhaften (unmittelbar aus dem allgemeinen Heilswillen Gottes resultierenden) universalen und in diesem Sinne transzendentalen Aprioris jedes menschlichen Subjektes (= real-ontologische Bestimmung jedes Einzelnen unabhängig von Taufe und Rechtfertigung) ausmachen.139

Rulands wirft der bisherigen Forschung vor, dass sie insbesondere Rahners Frühwerk mit einer „synchronen Betrachtungsweise“ interpretiere. Indem er mit diesem Vorwurf beginnt, möchte er versuchen, stärker diachron an das Frühwerk heranzugehen.140 Dazu stellt er in Bezug auf die Frage nach dem übernatürlichen Existential die im obigen Zitat genannten Kriterien auf. Er kommt zu dem Schluss, dass vor allem die Universalität dessen, was andere schon in ganz frühen Schriften Rahners als Vorbereitung des übernatürlichen Existentials erkennen, nicht gegeben sei. Er grenzt hingegen das, was z. B. in „Priesterliche Existenz“ als „innerer übernatürlicher Bereich“ bezeichnet wird, auf die Existentialität der Getauften ein.141 Doch gerade im Blick auf die universale Gegebenheit des übernatürlichen Existentials, die Rulands für den frühen Rahner bis ins Jahr 1947 anscheinend nicht erkennen kann, hat er wiederum den schärfsten Widerspruch erfahren.142 Diese Kontroverse lässt sich abschließend wohl nur durch eine detaillierte Diskussion des Frühwerks und der dazu schon vorliegenden Arbeiten klären. Um zu einer diese Kon137 138 139 140 141 142

Vgl. Verweyen, Wie wird ein Existential übernatürlich?, 120. Rulands, Menschsein. Rulands, Das übernatürliche Existential, 238. Vgl. Rulands, Zur Genese des Theologumenons. Vgl. Rulands, Menschsein, 127 – 140. Vgl. Vorgrimler: Karl Rahner. Gotteserfahrung, 180; Hbner, Rez. Rulands, Menschsein, 806 – 809.

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troverse berücksichtigenden Arbeitshypothese zur Genese der Theorie vom übernatürlichen Existential zu gelangen, wird es an dieser Stelle genügen, nur die in diesem Zusammenhang wichtigsten Passagen aus „Priesterliche Existenz“ und deren Interpretation zu skizzieren. Sowohl von Rulands als auch schon von Schwerdtfeger wird ein relativ langer Abschnitt angeführt, der auch die Wendung „innerst übernatürliche[r] existentiale[r] Bereich“ enthält. Rulands zitiert ihn in der frühesten unveröffentlichten Fassung von 1939, die als Typoskript im Rahner-Archiv in Innsbruck einsehbar ist, und teilt die Varianten zu den Fassungen von 1942 und 1956 mit.143 Da diese mit einer Ausnahme, die darin besteht, dass 1939 noch von einer „über-natürliche[n] Dimension“ die Rede war, während erst ab 1942 statt dessen von einem „Bereich des Menschen“ die Rede ist, keine inhaltlichen Bedeutungsveränderungen mit sich bringen, sei der Abschnitt hier in der am meisten verbreiteten Fassung von 1956 wiedergegeben: Weil wir seinshaft Kinder Gottes durch den Geist mit Christus, dem ungeschaffenen Sohn des Vaters, sind, darum müssen wir von diesem unserm Sein und damit um das trinitarische Geheimnis Gottes in Christo wissen. In diesen Geheimnissen aber ist die ganze Offenbarung einbeschlossen. Nun ist diese Tiefe des Daseins des Menschen, die im Glauben zum Bewußtsein kommt, – noch unabhängig davon, ob er sie erfüllt oder nicht – begründet durch Christus allein schon bevor ein Wort unserer Verkündigung den Menschen trifft. Die Verkündigung des Wortes trifft also grundsätzlich einen Menschen, der seinshaft existential – was nicht gleich ist mit „existentiell übernommen habend“ – schon im Bereich jener Wirklichkeit steht, die von der Botschaft ausgesprochen wird. Nur weil zu seinem Dasein schon das Medium der Gnade („Kirche“) gehört, ist er ein möglicher Hörer der christlichen Glaubensbotschaft. Diese ist somit eigentlich ein, wenn auch absolut notwendiges, Erwecken des christlichen Selbstbewußtseins, das mit der „Salbung“, die in uns ist, grundsätzlich schon gestiftet ist. So bringt die Predigt nicht eigentlich etwas Neues und Fremdes an den Menschen heran, das bisher außerhalb der Sphäre seiner menschlichen Begriffe und Symbole lag. Damit soll selbstverständlich nicht im geringsten gesagt sein, daß der Mensch in derjenigen begrifflichen Ausdrücklichkeit, die für die existentielle Entscheidung über sich selbst absolut notwendig ist, diesen übernatürlichen Tiefen des Seins auch ohne das von außen kommende, immer schon begriffliche Wort der gehorsamsfordernden Offenbarung durch eine bloß reflexe „Ausdeutung“ seines religiösen Erlebnisses haben könnte. Der innerst übernatürliche existentiale Bereich des Menschen bezeugt sich für die in Sätzen aussagbare, gegenständliche Reflexion des Menschen nicht von sich selbst allein her im Erlebnis des Menschen – das wäre modernistische Irrlehre, die im Letzten die übernatürliche Tiefe dieses Bereichs unterschätzt –, sondern wird nur als vorhanden eindeutig im gesprochenen Wort der Offenbarung aussagbar bezeugt.144 143 Vgl. Rulands, Menschsein, 128 – 130. 144 Rahner, Priesterliche Existenz, 299 f.

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Schwerdtfeger sieht hier anhand von vier Aspekten die Entwicklung des übernatürlichen Existentials schon vorweg genommen. Erstens stehe durch die Gnade Christi jeder konkrete, geschichtliche Mensch in einem übernatürlichen existentialen Bereich. Durch dieses Einbezogensein in die „Kirche“ als Raum der Geschichte, zu dem Christus gehört, sei der Mensch zweitens schon durch die Gabe des Heiligen Geistes, wobei auch auf die Rede von der Salbung Bezug genommen wird, zu einem möglichen Hörer des Wortes konstituiert, was drittens nicht mit der angenommenen Gnade verwechselt werden dürfe, sondern als angebotene Gnade zu verstehen sei. Weshalb viertens die Notwendigkeit der von außen kommenden christlichen Glaubensbotschaft bekräftigt werde, die aber eine Einheit mit dem übernatürlichen existentialen Bereich des Menschen bilde.145 An dieser Deutung hat Rulands vor allem die universalistische Dimension kritisiert, weil er die Rede vom innerst übernatürlichen Bereich in diesem Beitrag Rahners eingegrenzt verstanden wissen möchte, indem er behauptet, dass sie nur auf die Getauften anzuwenden sei. Als Argumente dafür führt er an, dass der inhaltliche Kontext des gesamten Textes darauf hindeute, weil es sich um „das Verhältnis des durch den Priester verkündigten Wortes zum Gläubigen“ handle.146 Ferner sei die Verwendung der Begriffe „Salbung“ und „Kind-Gottes-Sein“ ein Hinweis darauf, dass der übernatürlich existentiale Bereich, von dem in diesem frühen Text Rahners die Rede ist, auf die Getauften bezogen sei, so dass sich Rulands zu folgender Annahme veranlasst sieht: Denn die Tiefe des Daseins, in der der Mensch „seinshaft existential“ steht, wird von Rahner hier unmißverständlich auf den Getauften bezogen, da er diese „übernatürliche Tiefe“ als seinshaftes „Kind-Gottes-sein“ durch den Geist mit Christus, den ungeschaffenen Sohn des Vaters, charakterisiert, eine Bestimmung, die er mit Sicherheit nie – selbst in seinen späten Überlegungen dem Nichtgetauften zusprechen würde.147

An diesem Punkt wurde Rulands aufs Schärfste widersprochen.148 Es ist hier nicht weiter von Interesse, ob Rahner tatsächlich auch später Nichtgetaufte als anonyme Christen nicht doch Kinder Gottes genannt hat. Viel problematischer ist, dass der Kontext, mit dem Rulands argumentiert, anhand des Textes nur äußerst vage mit einer Taufvorstellung identifiziert werden kann. Vielmehr ist dem Text zu entnehmen, dass Rahner einen sehr weiten Begriff von Kirche zur Diskussion stellt. So rühren die Differenzen in der Auslegung dieser Passage daher, dass Rahner in diesem Text einen zweifachen Begriff von Kirche verwendet, was Rulands m. E. nicht hinreichend würdigt. Neben dem Begriff von Kirche als sichtbarer Organisation benutzt Rahner einen weiteren 145 146 147 148

Vgl. Schwerdtfeger, Gnade und Welt, 167 f. Vgl. Rulands, Menschsein, 130. Rulands, Menschsein, 130. Vgl. Hbner, Rez. Rulands, Menschsein, 808; vgl. Vorgrimler, Gotteserfahrung, 180 f.

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Begriff von Kirche, der immer dann gemeint ist, wenn er das Wort „Kirche“ in Anführungszeichen setzt. An den für die strittige Frage zentralen Passagen führt er diesen weiten Begriff von Kirche ein, der einen über die sichtbare Organisation hinaus und ihr voraus gehenden geschichtlichen Raum bildet: Raum menschlicher Geschichte, zu der Christus gehört, ist schon „Kirche“; noch nicht zwar im Sinne einer sichtbaren, die Sichtbarkeit des Heilswillens Gottes in Christus fortsetzenden, sichtbar von Christus selbst autoritativ organisierten Gesellschaft derer, die sich existentiell („glaubend“) dieser fordernden Wirklichkeit unterworfen haben; wohl aber in dem Sinne, daß der geschichtliche Raum menschlich existentieller Entscheidung durch Menschwerdung und Kreuz schon im voraus zu einer solchen sichtbaren Organisation der Kirche ein anderer ist, als wenn Christus nicht wäre; daß darum die sichtbare Organisation der Kirche diesen Raum nicht erst schafft, sondern selber von ihm getragen wird und nur sein notwendiger Ausdruck ist. Dieser „kirchliche“ Raum darf nicht verwechselt werden mit einem „übergeschichtlichen“, fälschlich als innerlich notwendig gedachten, „allgemeinen“ (also abstrakten), ideenhaften Heilswillen Gottes; denn einmal ist der wahre Heilswille Gottes selber schon freie Tat Gottes, also gott-geschichtlich, und zweitens ist er selbst auch durch Christus als einer menschlich geschichtlichen Wirklichkeit menschlich-geschichtlich. Nichts anderes meinten z. B. die Väter, wenn sie von einer kirchenbildenden Ehe zwischen dem Logos und der Menschheit durch die Menschwerdung reden; oder wenn die heutige Theologie noch sagt, daß es Gnade Christi (nicht bloß Gottes) auch außerhalb der Kirche gebe und doch außerhalb der „Kirche“ kein Heil sei.149

Die hier ausgeführte Differenz von Kirche als sichtbarer Organisation und Kirche als geschichtlichem Raum gibt Rahner die Möglichkeit, die Gnade Christi und das Heil des Menschen über die Kirche im engeren Sinne – nämlich als sichtbare Organisation – hinaus zu denken und dennoch an Kirche im weiteren Sinne anzubinden. Von daher ist Rulands’ Perspektive nicht plausibel, zumal er die hier eingeführte Vorstellung von Kirche, die über die sichtbare Kirche als Organisation offensichtlich hinausführt, nicht positiv füllen kann. Rulands selbst behauptet, dass erst in dem Aufsatz „Die Gliedschaft in der Kirche nach der Lehre der Enzyklika Pius’ XII. ,Mystici Corporis Christi‘“ von 1947 davon die Rede sei, dass jeder einzelne Mensch zum übernatürlichen Leben bestimmt ist, weil erst hier Rahner davon ausgeht, dass durch die Menschwerdung Christi eine „faktische Bestimmung des Menschengeschlechtes im ganzen auch eine real-ontologische Bestimmung des Wesens eines jeden Menschen“150 in geschichtlicher Dimension geworden sei.151 Dieser Beobachtung ist insofern zuzustimmen, als die universale Dimension des Heilswerks expressis verbis an jene realontologische Bestim149 Rahner, Priesterliche Existenz, 295. 150 Rahner, Die Gliedschaft in der Kirche, 88. 151 Vgl. Rulands, Menschsein, 136.

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mung eines jeden Menschen geknüpft wird. Das lässt sich aber leicht durch den Umstand begründen, dass Rahner die weitere Entfaltung der universalen Dimension von Kirche, wie er sie in dem Aufsatz „Priesterliche Existenz“ angedacht hatte, durch die Enzyklika „Mystici Corporis Christi“ von 1943 verbaut war, weil nun eine wesentlich stärkere Konzentration des Kirchenbegriffs auf seine sichtbare Dimension und die Gliedschaft an der Kirche als Organisation vorgegeben war. Rulands ist zwar einerseits zuzugestehen, dass bei Rahner die Hinordnung auf die Gnade in „Priesterliche Existenz“ über die Kirche verstanden wird, doch andererseits ist festzuhalten, dass er die universale Dimension der Kirche verkennt. In dem Aufsatz von 1947 ändert sich dann das Verhältnis von Gnade und Kirche in der Weise, dass die rechtfertigende Gnade ihre universale Dimension zwar nicht unabhängig von der Kirche hat, aber doch so, dass die Gnade auf die Kirche hinordnet und nicht die Kirche auf die Gnade: Wo immer also der Mensch im freien Akt einer gnadenhaften Rechtfertigung durch Glaube und Liebe als Person seine konkrete Naturwirklichkeit total übernimmt, wird die Gliedschaft am Volke Gottes Ausdruck dieses rechtfertigenden Aktes. Der Rechtfertigungsakt hat also selbst als seinen Ausdruck eine von ihm verschiedene Wirklichkeit bei sich, die die Gliedschaft am Volke Gottes ist, welche selbst wiederum eine reale Hinordnung auf die Gliedschaft an der Kirche im eigentliche Sinne hat.152

Es ist von daher festzuhalten, dass die Rede vom innerst übernatürlich existentialen Bereich auch schon in „Priesterliche Existenz“ universale Bedeutung hat, so dass jeder Mensch seinshaft existential in diesem Bereich steht. Gleichwohl nennt Rahner dieses Phänomen noch nicht eine realontologische Bestimmung und es ist auch noch nicht die Rede von einer transzendentalen Verfasstheit. Insofern ist Rulands zuzugestehen, dass erst am Ende der 1940er Jahre alle Aspekte des übernatürlichen Existentials entfaltet sind, wobei sich im Unterschied zu Rulands noch einmal fragen ließe, ob das Verständnis des übernatürlichen Existentials als realontologische Bestimmung schon gleichbedeutend ist mit der Transzendentalität und Apriorität des übernatürlichen Existentials.153 Unverständlich bleibt aber die massive Kritik von Rulands an Knoepffler, der die Rede vom Kind-Gottes-Sein in „Priesterliche Existenz“ schon auf jeden Menschen bezieht. Denn diese Interpretation ist gerade deshalb so plausibel, weil er sie mit der – schon bei der Erörterung der Ontologie der visio beatifica relevanten – Idee der quasiformalursächlichen Selbstmitteilung in einen Zusammenhang stellt.154 Dadurch scheint Knoepffler schließlich die Rede vom innerst übernatürlichen Bereich nicht nur als Vorbereitung des übernatürlichen Existentials zu betrachten sondern sie auch als 152 Rahner, Die Gliedschaft in der Kirche, 91. 153 Vgl. Rulands, Menschsein, 139. 154 Vgl. Knoepffler, Der Begriff „transzendental“, 63 – 66.

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verständliche Weiterführung der Konzeption von „Hörer des Wortes“ einzuordnen: Diesem innerst übernatürlichen Bereich wird das gesprochene Wort der Offenbarung als dessen Bezeugung gegenübergestellt. Auf diesem Hintergrund wird auch das Verhältnis von Philosophie und Theologie in „Hörer des Wortes“ nachträglich noch verständlicher : Da der Mensch immer schon Kind Gottes ist, wird seine Philosophie im letzten Theologie, die allerdings erst durch das gesprochene Wort der Offenbarung ihre adäquate Aussageform findet.155

Dabei ist allerdings noch nicht der Neuansatz Rahners genügend beachtet, der in dem Einschlagen des Weges von oben nach unten besteht. Dieser tritt deutlicher hervor, wenn man den neuen Ausgangspunkt in der Theologie auch in seiner eschatologischen Dimension betont. Denn so wird der Zusammenhang von quasiformalursächlicher Mitteilung, deren eschatologische Dimension in der visio beatifica als deren ontologischer Voraussetzung besteht, und dem übernatürlichen Existential noch deutlicher. Schon in „Priesterliche Existenz“ tritt diese Dimension hervor, indem Rahner den übernatürlichen Bereich aus der eschatologischen Qualität der Menschwerdung Christi herleitet: Es ist zunächst die eschatologische Einmaligkeit und Endgültigkeit des Priestertums Christi zu beachten. Die sakramentale Heilswirklichkeit Christi – in Menschwerdung und Kreuzesopfer – ist die einzige und endgültige Heilstat Gottes in der Welt und so die einzige und endgültige Vermittlung zwischen Gott und Mensch. Insofern sie endgültig ist, d. h. nicht mehr durch irgendein Geschehen weder von Gott noch von den Menschen her überboten werden kann, ist die Heilsgeschichte grundsätzlich am Ende; das Ende der Zeiten ist da, die Heilswirklichkeit Christi ist eschatologisch.156

Und weiter heißt es: Da Christus der geschichtlich sakramentale Heilswille Gottes und Mensch der einen Menschheit und beides endgültig ist, ist mit ihm grundsätzlich immer schon „Kirche“ gesetzt, weil immer schon bleibende Gnade (Geist) und ein bleibendes, sichtbares (geschichtliches) Medium dieses Geistes im Raum der Geschichte der Menschheit vorhanden ist. Jeder Mensch lebt schon immer in einem Daseinsraum, zu dem diese Wirklichkeit Christi gehört.157

An dieser eschatologischen und geschichtlichen Einbettung wird allerdings noch der aposteriorische Charakter des Heilswillens Gottes deutlich, aus dem heraus der übernatürliche Bereich eines jeden Menschen abgeleitet wird. Durch die Beobachtungen zur Entwicklung der Theologie Rahners anhand des Aufsatzes „Priesterliche Existenz“ zeigt sich, dass das übernatürliche 155 Knoepffler, Der Begriff „transzendental“, 67. 156 Rahner, Priesterliche Existenz, 294. 157 Rahner, Priesterliche Existenz, 294.

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Existential als eine realontologische Bestimmung eines jeden Menschen schon in den ontologischen Voraussetzungen, die Rahner in seiner frühen Gnadentheologie aus dem eschatologischen Verhältnis von Gott und Mensch anhand der visio beatifica darstellt, angelegt ist, aber sich erst in den späten 1940er Jahren in der Zuspitzung zur realontologischen Bestimmung von seiner aposteriorischen Einbettung löst. Damit hat Rahner in der Verhältnisbestimmung von Philosophie und Theologie schließlich den anderen Weg eingeschlagen. In einer stärkeren Konzentration auf das Verhältnis von Natur und Gnade ist auch noch an einem anderen frühen Text versucht worden, das übernatürliche Existential vor 1950 aufzuzeigen. So ist nach Winfried Werner, der Rulands noch nicht berücksichtigt, das übernatürliche Existential auch schon in dem Text „Theos im Neuen Testament“ von 1942 vorausgesetzt.158 Auf folgenden Abschnitt spielt Werner dabei an: Nach der Lehre der Kirche ist die Welt, in der wir leben, tatsächlich übernatürlich, d. h. eine Welt, die als Ganzes auf den persönlichen, überweltlichen, dreipersönlichen Gott hingeordnet ist. Sie ist als Ganzes eine auf ein übernatürliches Ziel hingeordnete, ursprünglich als ganze begnadete, dann als ganze (da ja auch die „Schöpfung nach Erlösung seufzt“) gefallene, aber dennoch immer unter dem verpflichtenden Anruf des Gottes des übernatürlichen Lebens stehende, von den Strahlen der Uroffenbarung durchblitzte und auch vor Christus durch die Gnade bewegte, endlich in Christus als ganze erlöste Welt. Alle Natur ist also immer schon in einen übernatürlichen Zusammenhang eingebettet.159

Werner argumentiert mit dem letzten Satz, um den Sachverhalt des übernatürlichen Existentials in diesem Text nachzuweisen.160 Hervorzuheben ist auch die Terminologie der Hinordnung auf ein übernatürliches Ziel, gleichwohl ist trotz dieser vorbereitenden terminologischen Nähe zum übernatürlichen Existential darauf hinzuweisen, dass Rahner in diesem Text im Zusammenhang mit der Frage nach dem Verhältnis von Natur und Gnade gerade noch nicht auf den Sachverhalt eines übernatürlichen Existentials verweist, wenn er schreibt: Nur wenn er von sich aus irgendwie etwas mit Gott zu tun hat, kann er die tatsächlich ergehende, offenbarende Selbsterschließung Gottes als eine frei und ungeschuldete erfahren, mit anderen Worten: gerade damit die Offenbarung Gnade sein könne, muß der Mensch grundsätzlich wenigstens mit Gott von einem Punkt aus etwas zu tun haben, der nicht schon Gnade ist.161

158 159 160 161

Vgl. Werner, Fundamentaltheologie, 240. Rahner, Theos im Neuen Testament, 93. Vgl. Werner, Fundamentaltheologie, 240 A. Rahner, Theos im Neuen Testament, 96.

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Es kann deshalb nicht die Rede davon sein, dass schon in diesem frühen Text die Theorie vom übernatürlichen Existential getroffen ist, weil jener Punkt, von dem aus der Mensch etwas mit Gott zu tun habe, konsequenter Weise zur Natur des Menschen gerechnet werden muss, die durch die Konzeption des übernatürlichen Existentials zwar noch vorhanden ist, aber als Restbegriff spekulativ bleibt, so dass jener Punkt nicht zu fassen wäre. Der Text liegt somit eher auf einer Linie mit der zeitnahen Konzeption der „Ontologie der potentia oboedientialis für Offenbarung“, wie Rahner sie in „Hörer des Wortes“ 1941 entwickelt hat.162 Deshalb ist es auch folgerichtig, dass Rahner an dieser Stelle in einer Anmerkung auf „Hörer des Wortes“ verweist und gleichzeitig darauf hinweist, dass die Offenheit des Menschen auf Gott hin stets überlagert sei durch ein übernatürliches Existential. Mit diesem korrigierenden Verweis, der erst 1950 dem schon 1942 verfassten Text beigefügt wurde, gibt Rahner selbst den Nachweis, dass das Theologumenon des übernatürlichen Existentials für seine frühe fundamentaltheologische Grundschrift „Hörer des Wortes“ noch nicht vorausgesetzt werden kann. Dieser Befund macht nach einem groben Durchgang durch die Diskussion der gnadentheologischen Texte, die für die Genese der Theorie vom übernatürlichen Existential von Belang sind, deutlich, dass Rahner mit diesem Theorem Spuren aus seiner gnadentheologischen Arbeit aufnimmt. Diese gnadentheologischen Spuren betreffend wäre zunächst die Ungeschuldetheit der Gnade zu nennen, dann ein allen Menschen geltender Heilswille Gottes. Doch dies bedeutet nicht, dass jene Spuren, auf denen die Theorie vom übernatürlichen Existential aufbaut, schon unmittelbar die von so einem übernatürlichen Existential ausgehende Fundamental162 Damit ist auch das Ergebnis, das Werner zur zeitlichen Einordnung des übernatürlichen Existentials vorschlägt, problematisch. Unter der Voraussetzung, die m. E. nicht gegeben ist, dass in „Theos im Neuen Testament“ der Sachverhalt des übernatürlichen Existentials schon vorausgesetzt sei, kommt er zu dem Schluss: „Dies kann nicht anders als eine 1942 im Rahmen der Vorarbeiten für das Dogmatik-Projekt entstandene Korrektur der fundamentaltheologischen Konzeption von Hçrer des Wortes gewertet werden.“ (240) Als ein weiteres Argument, zieht er eine Anmerkung, die in der ersten Veröffentlichung 1950 dem obigen Zitat beigefügt ist, hinzu. Diese Anmerkung lautet: „Vgl. zu diesen Gedankengängen: K. Rahner, Hörer des Wortes, München 1941. Es muß dabei freilich beachtet werden, daß diese notwendige ,natürliche‘ Offenheit des Menschen auf Gott hin in der faktischen Ordnung immer und notwendig (d. h. auch dort, wo der Mensch nicht in der rechtfertigenden Gnade steht) ,überlagert‘ ist durch ein übernatürliches ,Existential‘ der Hinordnung der geistigen Person auf den Gott des ewigen Lebens.“ Rahner, Theos im Neuen Testament, 96 A. Im Anschluss daran verweist Werner noch auf den für das übernatürliche Existential zentralen Aufsatz „Über das Verhältnis von Natur und Gnade“. Da auch er diese Anmerkung erst auf das Jahr 1950 datiert, irritiert die Schlussfolgerung, es handle sich in dem Aufsatz selbst um eine Korrektur an der fundamentaltheologischen Konzeption von „Hörer des Wortes“, während sowohl die Chronologie als äußeres Kriterium wie auch die inhaltliche Nähe insbesondere der entsprechenden Textstelle zur Konzeption von „Hörer des Wortes“ es nahe legen, dass es sich bei der Anmerkung um eine Korrektur der Ontologie der potentia oboedientialis in beiden Texten, „Hörer des Wortes“ und „Theos im Neuen Testament“, handelt, eine Korrektur, die vor dem Hintergrund des 1950 explizit eingeführten Theologumenons des übernatürlichen Existentials in der Verhältnisbestimmung von Natur und Gnade notwendig geworden ist.

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theologie vorweggenommen hätten. Vielmehr ist festzuhalten, dass nicht zuletzt das Motiv der Ungeschuldetheit der Gnade auch schon in „Hörer des Wortes“ im Verständnis von der Offenbarung als freier Selbsterschließung Gottes präsent ist.163 Gleichzeitig aber haben diese Spuren noch keinen Niederschlag der Theorie vom übernatürlichen Existential in der fundamentaltheologischen Konzeption bzw. dem religionsphilosophischen Ansatz bewirkt, was die Betrachtung von „Hörer des Wortes“ schon ergeben hatte. Eine diachrone Perspektive auf die Genese des übernatürlichen Existentials kann die Ergebnisse derjenigen Arbeiten seit 1970 aufnehmen, die das übernatürliche Existential schon für die frühesten theologischen Arbeiten Rahners voraussetzen, weil die gnadentheologischen Vorüberlegungen, die dann zur Entfaltung dieses Theologumenons führten, durchaus wahrgenommen werden können und zugleich der Wandel von der Konzeption von „Hörer des Wortes“ zu der späteren von vornherein vom übernatürlichen Existential bestimmten Konzeption erkannt werden kann, so dass auch die Kritikpunkte von Hansjürgen Verweyen, Thomas Pröpper und Klaus Müller aufgenommen werden können. Denn diese drei Theologen, denen gemeinsam ist, dass sie sich noch im Anschluss an Rahners „Hörer des Wortes“ in der ersten Auflage einer erstphilosophischen Reflexion verpflichtet fühlen, sehen im Zusammenhang mit der Theorie des übernatürlichen Existentials eine Veränderung in der Verhältnisbestimmung von Theologie und Philosophie.164 Dies lässt sich näher betrachten anhand der Vermittlungsfunktion des übernatürlichen Existentials bei der Verhältnisbestimmung von Natur und Gnade.

1.5.2 Das übernatürliche Existential als Lösungsansatz des Natur-Gnade-Problems Rahner hat 1950 in dem Aufsatz „Über das Verhältnis von Natur und Gnade“ die Idee vom übernatürlichen Existential als Lösungsansatz in der Diskussion um das Verhältnis von Natur und Gnade vorgestellt. Die Diskussion war zu dem Zeitpunkt beherrscht von der Frage um die Legitimität der sogenannten Nouvelle Thologie, der es darum ging, den Extrinsezismus der Gnadenlehre in der neuscholastischen Schultheologie zu überwinden, indem sie die Natur durch einen Dynamismus schon auf die Gnade hingeordnet versteht, wodurch die strikte Trennung von Natur und Gnade aufgehoben ist und in der Folge dessen auch eine Vorstellung von einer reinen Natur (natura pura) ausgeschlossen ist.165 Durch die Enzyklika „Humani Generis“ erreichte die Diskussion im Jahr 1950 einen Höhepunkt, weil hier die Vermittlung von Natur 163 Vgl. Rahner, Hörer des Wortes, 103. 164 Vgl. Prçpper, Erlösungsglaube und Freiheitsgeschichte, 125; vgl. Verweyen, Gottes letztes Wort, 122 f.; vgl. Mller, Vernunft und Glaube, 150 – 153. 165 Vgl. Mhlen, Gnadenlehre, 163 – 170.

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und Gnade durch jenen Dynamismus zurückgewiesen wird, um die Ungeschuldetheit der Gnade zu sichern.166 Rahners Ansatz versucht durch die Einführung des übernatürlichen Existentials beiden Seiten gerecht zu werden. Es geht ihm bei der Vermittlung von Natur und Gnade stets um die Ungeschuldetheit der Gnade: Daß die Gnade absolut ungeschuldet ist, daß dieser Satz der selbstverständliche Ausgangspunkt aller Überlegungen ist, das war auch für die „neue“ Lehre unbezweifelbares Axiom, das sie ebenso wie jede andere Theologie annimmt. Die Frage kann also nur sein, ob dieses Axiom sachlich vereinbar ist mit dem Theorem einer unbedingten Hinordnung auf die Gnade kraft der Natur als solcher.167

Ohne den Vorwurf, den die Enzyklika den Vertretern der Nouvelle Thologie macht, gänzlich zu teilen, grenzt sich Rahner nun von dem Gedanken der Hinordnung der Natur auf die Gnade ab. Ob dieser Vorwurf im einzelnen auf jede Position der unterschiedlichen Vertreter dieser Theologie-Strömung zutrifft – insbesondere für de Lubac wird dies angezweifelt168 – sei nur als Problem angezeigt. Rahner jedenfalls nimmt dies zum Anlass, sich an dieser Stelle von der Nouvelle Thologie abzugrenzen, und etabliert in seiner Theologie die Vorstellung von der natura pura als einem theologischen Restbegriff. Rahner geht dabei allerdings sehr vorsichtig vor, indem er zunächst die Anliegen der Nouvelle Thologie teilt. Gemeinsam wird eine zu starre Abgrenzung von Natur und Gnade in der Schuldogmatik abgelehnt: Eine genaue Abgrenzung zwischen Natur und Gnade (falls sie überhaupt möglich ist) und so ein wirklich reiner Begriff von der reinen Natur könnte also auf jeden Fall erst mit Hilfe der Offenbarung vorgenommen werden, die uns sagt, was an uns Gnade ist, und so erst gestattet, diese Gnade vom Gesamtbestand unserer existentiellen Erfahrung vom Menschen abzuziehen und so die reine Natur (in ihrer Ganzheit) als „Rest“ zu gewinnen.169

Dieses Verständnis von einer reinen Natur ist der Versuch, am Naturbegriff als komplementärem Begriff zur Gnade festzuhalten und gleichzeitig der Gefahr eines Extrinsezismus zu entgehen: Die ontologischen Voraussetzungen dieses Extrinsecismus sind ebenso problematisch. Es ist nämlich durchaus nicht einleuchtend (was aber stillschweigend vor166 In der Enzyklika von 1950 hat Papst Pius XII. die Unterscheidung von Natur und Gnade durch folgenden Passus eingefordert: „Alii veram ,gratuitatem‘ ordinis supernaturalis corrumpunt, cum autument Deum entia intellectu praedita condere non posse, quin eadem ad beaticam visionem ordinet et vocet“ – „Andere nehmen der übernatürlichen Ordnung die Eigenart einer wirklich ungeschuldeten Gabe, da sie behaupten, Gott könne keine vernunftbegabten Wesen schaffen, ohne sie zu seiner beseligenden Anschauung zu bestimmen und zu berufen.“ DH 3891. 167 Rahner, Über das Verhältnis von Natur und Gnade, 330. 168 Vgl. Mhlen, Gnadenlehre, 168 f; vgl. Seckler: „Potentia oboedientialis“, 708 f. 169 Rahner, Über das Verhältnis von Natur und Gnade, 327 f.

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ausgesetzt wird), daß, wo die Gnade den zur Freiheit erwachten Menschen noch nicht rechtfertigend ergriffen hat, seine verpflichtende Hingeordnetheit auf das übernatürliche Ziel nur in einem dem Menschen noch äußerlichen Dekret Gottes bestehen könnte. Selbst wenn man eine solche verpflichtende Hingeordnetheit nicht zu den Konstitutiven der menschlichen Natur als solcher rechnet, wer kann beweisen, daß sie dem Menschen nur als schon rechtfertigende Gnade innerlich sein könne, daß ein inneres übernatürliches Existential des erwachsenen Menschen nur in der in Glaube und Liebe schon ergriffenen Rechtfertigungsgnade bestehen könne? Muß nicht vielmehr, was Gott über den Menschen verfügt, eo ipso „terminativ“ ein inneres ontologisches Konstitutiv seines konkreten Wesens sein, selbst wenn es nicht ein Konstitutiv seiner „Natur“ ist?170

Hat Rahner nun mit dem inneren übernatürlichen Existential einen Begriff etabliert, der die Vermittlung von Natur und Gnade leistet? Und ist nun die Hinordnung auf die Gnade, dadurch dass sie durch das Existential übernatürlich ist, erst ungeschuldet? Nach Rahner galt dies für das Modell der Hinordnung in der Nouvelle Thologie gerade nicht, weil sie dort als ein natürlicher Dynamismus verstanden wird und deshalb falsch sei: „Ist also die Hinordnung nicht von der Natur abhebbar, dann ist die Erfüllung dieser Hinordnung, gerade von Gott her gesehen, geschuldet. Und eben das ist, wie alle zugeben, falsch.“171 Diese Fragen lassen sich nur klären, wenn nach der Einführung des übernatürlichen Existentials noch einmal nach der potentia oboedientialis gefragt wird. Es ist nunmehr nach dem Verhältnis vom übernatürlichen Existential zur potentia oboedientialis zu fragen und wie sich die Vorstellung der reinen Natur in diesen Zusammenhang einordnet. 1.5.3 Übernatürliches Existential, potentia oboedientialis und natura pura Die Begriffe potentia oboedientialis und übernatürliches Existential sollen an dieser Stelle deshalb in ein Verhältnis gesetzt werden, weil sie ähnliche Funktionen in den unterschiedlichen fundamentaltheologischen Konzeptionen Rahners haben. So steht der Begriff der potentia oboedientialis gleichsam als Chiffre für die in „Hörer des Wortes“ entfaltete Konzeption, während das übernatürliche Existential die Weichenstellung zu einer von der faktischen Offenbarung übernatürlich erhobenen Fundamentaltheologie markiert. Da das übernatürliche Existential bei Rahner mit dem theologischen Naturbegriff der reinen Natur als Rest korrespondiert, ist dazu eine Vorbemerkung voranzustellen. Der spezifische Gebrauch des Begriffs natura pura als theologischer Restbegriff ist bei Rahner als Komplementärbegriff zum Theologumenon des übernatürlichen Existentials zu verstehen und sollte deshalb nicht als Vor170 Rahner, Über das Verhältnis von Natur und Gnade, 328. 171 Rahner, Über das Verhältnis von Natur und Gnade, 332.

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aussetzung der potentia oboedientialis, wie Rahner sie in Hörer des Wortes entfaltet, verwendet werden.172 Ferner ist davon auszugehen, dass Rahner zwei unterschiedliche Begriffe von Natur verwendet. Er kann nach wie vor einen philosophischen Begriff der Natur, der dann mit dem Wesen des Menschen identisch ist, verwenden, während der theologische Naturbegriff sich von diesem vortheologischen Verständnis der menschlichen Natur abhebt: Der Philosoph hat natürlich von sich aus einen berechtigten Begriff von der Natur des Menschen: der unaufhebbare Bestand des menschlichen Seins, der von der menschlichen Erfahrung festgestellt wird unabhängig von der Wortoffenbarung. Dieser Begriff mag sich weithin mit dem theologischen Begriff der Natur des Menschen decken, insofern ohne Offenbarung das meiste, was über diese theologische „Natur“ hinausgeht, nicht erfahren wird und jedenfalls ohne deutende Hilfe der Offenbarung nicht als übernatürlich erkannt wird. Aber grundsätzlich braucht der Inhalt dieses philosophischen Begriffs vom Menschen sich nicht einfach zu decken mit dem Inhalt des theologischen Begriffs der „reinen Natur“ des Menschen.173

Ist aus diesem Zitat einerseits ersichtlich, dass das Verständnis von Natur, auf dem die potentia oboedientialis in „Hörer des Wortes“ basiert, gerade nicht der theologische Begriff von Natur als reiner Natur ist, so ist andererseits auch deutlich, dass der theologische Begriff von Natur die reine Natur als Restbegriff ist. Somit sind die Natur als Restbegriff und der Begriff der natura pura als regulativer Grenzbegriff identisch. Nikolaus Schwerdtfeger unterscheidet dagegen noch einmal zwischen dem theologischen Naturbegriff als Restbegriff und dem Begriff der reinen Natur als regulativem Grenzbegriff: Die theologische Natur als Restbegriff ist also ein Moment am wirklich existierenden Menschen. Insofern ist sie nicht einfach mit einer „reinen Natur“ (natura pura) in einer bloß angenommenen Ordnung zu identifizieren, obschon es vorkommt, daß Rahner den Unterschied zwischen beiden verwischt und die theologische Natur schon „reine Natur“ nennt.174

Da Rahner, wie Schwerdtfeger selbst einräumt, die Begriffe reine Natur und theologische Natur als Restbegriff verwische, ist dieser Eindruck genauer zu betrachten. Es handelt sich m. E. nicht nur um ein Verwischen zweier Begriffe aufgrund einer systematisch nicht genügend vorgenommenen Trennschärfe Rahners. Vielmehr wird die Identifizierung von reiner Natur und theologischer Natur als Restbegriff von Rahner an zentraler Stelle vorgenommen, nämlich in dem Aufsatz „Über das Verhältnis von Natur und Gnade“, in dem er, wie oben schon zitiert, mit dem Theologumenon des übernatürlichen Existentials auch die Rede von der theologischen Natur als Restbegriff ein172 Gegen Werner, Fundamentaltheologie, 134 – 136. 173 Rahner, Über das Verhältnis von Natur und Gnade, 341. 174 Schwerdtfeger, Gnade und Welt, 193.

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führt und von der reinen Natur als Rest spricht.175 Für das Verhältnis von übernatürlichem Existential und potentia oboedientialis ist also festzuhalten, dass der Begriff der reinen Natur der theologische Begriff von Natur als ein Restbegriff ist und dass dieser Begriff gerade durch den Charakter des Restes erst nach der Einführung der Theorie vom übernatürlichen Existential sinnvoll wird. Das Verhältnis vom übernatürlichen Existential und der potentia oboedientialis bedarf nun einer näheren Betrachtung, weil keineswegs deutlich ist, ob Rahner diese Theologumena immer klar voneinander trennt und vor allem, ob sie, wenn die erste Bedingung erfüllt wäre, durchgängig aufeinander bezogen werden könnten. Wollte man sie voneinander trennen, ist es sinnvoll, im Anschluss an Max Seckler von der potentia oboedientialis als einem natürlichen Existential zu sprechen. Doch welche Schwierigkeiten sich auch noch trotz dieser Unterscheidung ergeben, wird deutlich, wenn man einmal versucht, die Frage zu beantworten, ob die potentia oboedientialis als natürliches Existential bei Rahner zum Bestand der sogenannten reinen Natur gehört. Dazu ist ferner notwendig, zwischen den Begriffen „menschliche Natur“ und „reine Natur“ des Menschen zu unterscheiden. Seckler geht jedenfalls – ohne die hier vorangestellten Vorbemerkungen zum Naturbegriff zu teilen – davon aus, dass die potentia oboedientialis als natürliches Existential zur reinen Natur gehöre.176 Dennoch soll seine Verhältnisbestimmung hier zur Diskussion gestellt werden. Sie setzt mit der Unterscheidung von zwei Existentialen ein: Wir haben es nun also mit zwei Existentialen zu tun, einem natürlichen und einem übernatürlichen. Das eine steht für die potentia oboedientialis der Natur, das andere für die gnadenhafte Ausrüstung der transzendentalen Subjektivität im berufenen Menschen: das eine steht somit für die der Natur eignenden Finalität und deren Seinsverfaßtheit, das andere für die Finalität der Berufungsgnade und für deren Seinsverfaßtheit im Menschen.177

Das Verhältnis von Natur und Gnade wiederholt sich hier : Die Geistnatur ist für das Übernatürliche berufbar, aber es ist eine Berufbarkeit für etwas, wofür sie potentiell gemacht ist. Dafür steht die potentia oboedientialis als natürliches Existential. Die Berufungsgnade hingegen, deren anthropologisches Medium „übernatürliches Existential“ heißt, bringt in einem ersten Schritt vom andern Ufer her jene Bewegung in Gang, die in die Unmittelbarkeit zu Gott führt. Es liegt in der Fluchtlinie der potentia oboedientialis, überbietet sie aber unendlich und 175 Vgl. Rahner, Über das Verhältnis von Natur und Gnade, 327 f. 176 Diese Zuordnung ist ihm deshalb möglich, weil Seckler erstens auch unabhängig vom Theorem des übernatürlichen Existentials von reiner Natur bei Rahner sprechen kann und zweitens die potentia oboedientialis strikt als Möglichkeit versteht. Vgl. Seckler, „Potentia oboedientialis“, 705 f. 177 Seckler, „Potentia oboedientialis“, 711.

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stellt sich gleichwohl als unermeßliche Aktuierung dieser potentia oboedientialis dar.178

Betrachtet Seckler das sich bei Rahner ergebende Problem als Verlagerung des Problems von Natur und Gnade, das nun in der Verhältnisbestimmung der beiden Existentiale, des natürlichen als potentia oboedientialis und des übernatürlichen als realontologische gnadenhafte Bestimmung des Menschen, besteht, geht er zumindest davon aus, dass die potentia oboedientialis als natürliches Existential im Unterschied zum übernatürlichen Existential stets auf die menschliche Natur zu beziehen sei. Ob Rahner damit allerdings die Lösung des Problems bei der Bestimmung des Verhältnisses von Natur und Gnade gelungen ist, lässt sich erst dann zeigen, wenn sich das Verhältnis dieser Existentiale genauer beschreiben ließe. Seckler stellt dieses Verhältnis als unendliche Überbietung dar, Rahner selbst spricht auch von Überlagerung.179 Doch angesichts dieser vagen Bestimmungen ist doch die Frage zu stellen, ob nach Einführung des übernatürlichen Existentials überhaupt noch von der potentia oboedientialis auf Gott hin die Rede sein kann oder ob dieses natürliche Existential durch Überbietung bzw. Überlagerung, wenn nicht verloren, so doch zumindest erhoben sein muss zu einem übernatürlichen Existential. Ferner schließt sich die Frage an, ob dieses natürliche Existential bei Rahner ein Konstitutiv der mit dem übernatürlichen Existential eingeführten reinen Natur als theologisch verstandener Restbegriff gedacht ist und ob diese Konzeption der faktisch nie einholbaren reinen Natur überhaupt sinnvoll erscheint. Zu diesem Fragenkomplex tritt zudem die Bedeutung der fundamentaltheologischen Entwicklung Rahners nach „Hörer des Wortes“. In der Systematik der Interpretation der potentia oboedientialis als natürliches Existential bei Rahner durch Seckler beruht die Konzeption von „Hörer des Wortes“ auf der natura-pura-Idee,180 wobei es Rahner hier noch nicht im Unterschied zu de Lubac um die Integration von Gnadenelementen in die Geistnatur gehe, weshalb Seckler auch die Überarbeitung von „Hörer des Wortes“ für die zweite Auflage durch Metz, in der das übernatürliche Existential eingearbeitet wurde, als mit der Logik von „Hörer des Wortes“ nicht kompatibel bezeichnet. Soweit ist der Heuristik von Seckler zu folgen. Doch muss sich diese Bedeutung der potentia oboedientialis zugunsten des übernatürlichen Existentials nicht verändern, so dass alles, was Seckler an „Hörer des Wortes“ als theologisches Fundierungsziel an einer an sich philosophischen Argumentation feststellt, 178 Seckler, „Potentia oboedientialis“, 712. 179 Vgl. Rahner, Theos im Neuen Testament, 96 A. 180 „,Potentia oboedientialis‘ ist bei Rahner der Name für das mit der naturalen Struktur des Geistes gegebene Vermögen zum Hören-Können und Gehorchen-Müssen. Die Konzeption von ,Hörer des Wortes‘ beruht in dieser Hinsicht auf der natura-pura-Idee. Rahner kam es nun […] darauf an, diese Verfaßtheit des Geistes auch methodologisch umzusetzen in einen fundamentaltheologischen Begründungsdiskurs.“ Seckler, Intrinsezistische Fundamentaltheologie, 248.

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wegfällt? Der Gedanke dabei ist, dass es sich nach Einführung des übernatürlichen Existentials bei der natura-pura-Idee nur noch um eine reduzierte Vorstellung von Natur handelt, die gegenüber dem, was in „Hörer des Wortes“ als Geistnatur bezeichnet werden kann, einen anderen Zielcharakter hätte. Wenn Seckler die Konzeption von „Hörer des Wortes“ als fundamentaltheologischen Begründungsdiskurs beschreibt, der als ein naturales Verfahren zu werten sei, stellt sich nämlich die Frage, ob hier tatsächlich von der naturapura-Idee gesprochen werden kann: Dieser Diskurs hat, da er streng rational (im Sinne philosophischer Rationalität) erfolgen soll, selbst den Charakter eines „naturalen“ Verfahrens. Genau deswegen wird er von ihm damals „fundamentaltheologisch“ genannt. Für den Rahner von „Hörer des Wortes“ heißt „fundamentaltheologisch“ also soviel wie: philosophische („naturale“) Argumentation an einem naturalen Objekt im Interesse eines theologischen Fundierungszieles.181

Es ist Seckler zwar ausdrücklich in der Beschreibung von potentia oboedientialis und übernatürlichem Existential bei Rahner im Hinblick darauf zu folgen, dass er einen Paradigmenwechsel zwischen der Konzeption von „Hörer des Wortes“ und derjenigen Konzeption, die sich erst durch die Einführung des übernatürlichen Existentials ergibt, analysiert. Doch scheint die andere Seite dieses Paradigmenwechsels m. E. noch nicht gänzlich erfasst zu sein, nämlich die Reduktion des Naturbegriffs auf reine Natur im Sinne eines Restbegriffs. Die Korrelation der natura-pura-Idee mit der Konzeption von „Hörer des Wortes“ erscheint doch nur aufgrund einer synchronen Perspektive auf Rahners Theologie, die Seckler aber gerade nicht einnimmt, sinnvoll. Der von Seckler auf den ersten Blick nur am Rande und scheinbar nebensächlich hergestellte Zusammenhang zwischen der Idee der natura pura und der fundamentaltheologischen Konzeption einer Ontologie der potentia oboedientialis auf der Grundlage von „Hörer des Wortes“ ist allerdings nicht zu unterschätzen. Denn dies ist die Grundlage für die Interpretation des fundamentaltheologischen Typus von „Hörer des Wortes“ als Extrinsezismus und für die Interpretation der Entwicklung des fundamentaltheologischen Denkens Rahners als totaler Paradigmenwechsel, den Seckler zwischen den Werken „Hörer des Wortes“ und „Grundkurs des Glaubens“, wie schon erörtert, annimmt. Unabhängig von Secklers Unterscheidung zwischen natürlichem und übernatürlichem Existential wurde schon vor ihm angezweifelt, ob das Theorem des übernatürlichen Existentials überhaupt das Problem der Verhältnisbestimmung von Natur und Gnade zu lösen vermag. So schreibt Bert van der Heijden, der die diesbezüglichen Einwände gegen das übernatürliche Existential zusammengefasst hat: 181 Seckler, Intrinsezistische Fundamentaltheologie, 248.

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Eine zweite Gruppe Einwände gegen das Existential sagt, daß es die Frage nach der Versöhnung von Ungeschuldetheit und Intrinsezismus der Gnade nicht löst, sondern sie nur um eine Stufe verschiebt. Die „Lösungs“-Theorie Rahners würde einen progressus in infinitum mit sich bringen: Gnade erfordert eine Anlage im Menschen (Existential); diese ist übernatürlich und erfordert also eine andere Anlage für sich; auch diese wäre aber wieder übernatürlich und würde wieder eine Anlage fordern und so fort. Denn sobald eine Anlage gegeben ist, ist die gleich höher liegende Stufe dieser gegenüber exigitive naturalis. Das ist in der Tat der Fall: Das Existential ist übernatürlich, und die einfache Behauptung, die Anlage zu diesem Existential sei identisch mit der Natur, löst das Problem von der Versöhnung von Gratuität und positiver Ausgerichtetheit noch nicht. Man kann bezweifeln, ob Rahner dies am Anfang schon klar gesehen hat. Als erstes wurde ihm wohl die Notwendigkeit einer Mittelstufe deutlich. Je mehr aber klar wurde, daß das Existential selber schon Gnade (das dauernde Angebot der Selbstmitteilung Gottes) und nicht nur eine einfache Anlage ist, desto mehr wurde klar, daß die Frage der Ungeschuldetheit nicht durch das Existential gelöst wird.“182

Und genau dieses Problem lässt sich an der Verhältnisbestimmung von potentia oboedientialis und übernatürlichem Existential beobachten. Denn einerseits löst das übernatürliche Existential die Rede von der potentia oboedientialis ab, ohne mit ihr identisch zu sein, so wie Peter Eicher davon gesprochen hat, dass durch das übernatürliche Existential die potentia oboedientialis getauft werde,183 weshalb noch einmal zu betonen ist, dass die potentia oboedientialis nicht auf einem Naturbegriff im Sinne eines Rests basieren kann. Andererseits fungiert der Begriff der potentia oboedientialis in „Hörer des Wortes“ gerade als eine Vorstellung, die nicht nur konstitutiv für das Wesen des Menschen, sondern auch für seine Natur ist. So unterscheidet Tuomo Mannermaa zwei Arten von potentia oboedientialis. Zum einen spricht er von einer potentia oboedientialis für die Übernatur als die seinshafte Erhebung des Menschen zur Teilnahme am Leben Gottes und zum anderen von einer potentia oboedientialis des Hörens auf eine möglicherweise erfolgende Rede Gottes. Diese Unterscheidung, die er bei Rahner selbst in „Hörer des Wortes“184 nachweist, dient ihm als Kritik an der Interpretation von „Hörer des Wortes“ bei Simons und Gerken,185 die wiederum am stärksten die Unterbestimmung des personalen Aspekts und der Intersubjektivität kritisierten.186 Diese Doppelseitigkeit des Begriffs potentia oboedientialis dient bei Mannermaa allerdings als Argument dafür, dass die Theologie Rahners schon vor „Hörer des Wortes“ wesentlich durch das Theologumenon 182 183 184 185 186

van der Heijden, Karl Rahner, 34 f. Vgl. Eicher, Offenbarung, 382. Vgl. Rahner, Hörer des Wortes, 33. Vgl. Mannermaa, Eine falsche Interpretationstradition, 205 f. Vgl. Simons, Philosophie der Offenbarung; vgl. Gerken: Offenbarung und Transzendenzerfahrung.

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vom übernatürlichen Existential bestimmt gewesen sei. Wenn jedoch im folgenden jene Doppelseitigkeit erörtert wird, geschieht dies im Gegensatz zu Mannermaas Interpretationsansatz, um anhand dieser Doppelseitigkeit die Änderung, die sich erst mit der Einführung der Theorie vom übernatürlichen Existential ergibt, nachzuvollziehen. Erwähnt werden soll aber, dass im Sinne Mannermaas Rahner selbst schon in „Hörer des Wortes“ von zwei unterschiedlichen Weisen der potentia oboedientialis spricht: Wenn wir die Angelegtheit auf etwas potentia nennen und uns dabei bewußt bleiben, daß es sich in unserem Fall nicht um eine Angelegtheit handelt, die von sich aus ihr Ziel als ihr Recht fordern kann, sondern nur von ihm angerufen und zu Gehorsam – zu oboedientia – in Anspruch genommen wird, wenn das Ziel dieser Anlage sich frei von sich aus schenken will, dann können wir dieses Stück der Fundamentaltheologie, das uns hier beschäftigen soll, auch bezeichnen als die Ontologie der potentia oboedientialis für die freie Offenbarung Gottes. Bei dieser Formulierung muß schon jetzt beachtet werden, daß es sich nicht um die potentia oboedientialis für die Übernatur als der seinshaften Erhebung des Menschen zur Teilnahme am Leben Gottes handelt, sondern nur um die potentia oboedientialis des Hörens auf eine möglicherweise erfolgende Rede Gottes, die, falls sie geschieht, mindestens zunächst einmal auch im Bereich seines natürlichen Erkennens, d. h. durch menschliche Begriffe und Worte, erfolgt.187

Ferner spricht für Mannermaas Sicht, dass Rahner im Aufsatz „Über das Verhältnis von Natur und Gnade“ ganz im Sinne der diesem Kapitel vorangestellten Vorbemerkung zur natura pura den Anschein erweckt, als sei die potentia oboedientialis tatsächlich auf die reine Natur bezogen, wenn er, nachdem er noch einmal das Wesen des Menschen in übernatürliches Existential und reine Natur als Rest dieses Wesens, nachdem das übernatürliche Existential abgezogen ist, einteilt, als spekulative Theologie folgende Verhältnisbestimmung vorträgt: Von da aus ist es für eine spekulative Theologie nicht mehr zu vermeiden, sich Gedanken zu machen über das Verhältnis des Übernatürlichen (einschließlich des übernatürlichen Existentials) und der Natur an sich. Man wird dann ruhig zu dem von de Lubac verschmähten Begriff der potentia oboedientialis greifen dürfen. Die geistige Natur wird so sein müssen, daß sie eine Offenheit nicht bloß als NichtWidersprüchlichkeit denken, sondern als eine innere Hinordnung, vorausgesetzt nur, daß sie nicht unbedingt ist. Man wird an diesem Punkt ruhig auf den unbegrenzten Dynamismus des Geistes hinweisen dürfen, der für D. das natürliche Existential unmittelbar für die Gnade selbst ist. Nur wird man sich hüten müssen, diesen unbegrenzten Dynamismus der Geistnatur einfach apodiktisch zu identifizieren mit jenem Dynamismus, den wir in dem Abenteuer unseres konkreten geistigen Daseins erfahren (oder zu erfahren glauben), weil in diesem schon – wie sich 187 Rahner, Hörer des Wortes, 32 f.

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nachträglich von der Offenbarung her herausstellt – das übernatürliche Existential am Werk sein kann. Und man wird sich hüten, diesen naturalen Dynamismus als unbedingte Forderung für die Gnade zu behaupten.188

Von dieser Aussage her gesehen ließe sich unschwer ein plausibles Verhältnis von potentia oboedientialis und übernatürlichem Existential in der Weise nachvollziehen, dass die potentia oboedientialis für Offenbarung, so wie sie Rahner in „Hörer des Wortes“ entfaltet, als ein natürliches Existential betrachtet werden könnte und das übernatürliche Existential durch die Gnade selber auf die Gnade hingeordnet ist. Es ist also zu zeigen, warum dieses Verhältnis nicht in dieser Weise beschrieben werden kann. Der Grund dafür liegt in der unterschiedlichen Perspektivität, die Rahner in „Hörer des Wortes“ durch die Metaphorik der zwei Wege selber beschrieben hat und die er dort nicht hinreichend aufeinander bezogen hat und auf die er nach Einführung des übernatürlichen Existentials nur noch indirekt eingeht. Nehmen wir aber diesen Perspektivwechsel zum Ausgangspunkt, dann ist die potentia oboedientialis in „Hörer des Wortes“ zwar nicht die potentia oboedientialis für die Übernatur, aber sie ist als potentia oboedientialis die Potenz des faktischen Wesens des Menschen. Durch den Perspektivwechsel, der mit der Einführung des übernatürlichen Existentials vollzogen ist, ist nun vom faktischen Menschen die Rede und dessen potentia oboedientials für die Übernatur. Insofern löst die von Mannermaa zwar zu Recht beobachtete und angemahnte Differenzierung der potentia oboedientialis noch nicht das Problem der Verhältnisbestimmung von Natur und Übernatur, weil durch den neuen Ausgangspunkt der schon durch Gottes Gnade übernatürlich erhobene Mensch nicht mehr ins Verhältnis zu seiner reinen Natur gesetzt werden kann. Seckler hat die strukturelle Ähnlichkeit von übernatürlichem Existential und potentia oboedientialis treffend beschrieben: Der identische Begriff „Existential“ verweist zunächst zwar nur auf ihre strukturelle Gleichartigkeit. Aber das übernatürliche Existential koexistiert Rahner zufolge nicht neben seinem natürlichen Pendant, sondern trägt sich in dessen Strukturen und Entelechien ein und erhebt diese in die Konnaturalität zum Übernatürlichen. Es bewirkt eine Auflichtung des transzendentalen Horizontes und eine Ertüchtigung der transzendentalen Subjektivität.189

Von daher geht es vor allem darum, die Potenz des Menschen für die Gnade zu beschreiben, wobei sie zur Verhältnisbestimmung von Natur und Übernatur nicht mehr aussagekräftig ist, weil sie selbst schon übernatürlich erhoben ist. Dies ist einerseits schon in dem Aufsatz aus dem Jahr 1950 ersichtlich, wenn Rahner schreibt:

188 Rahner, Über das Verhältnis von Natur und Gnade, 342. 189 Seckler, „Potentia oboedientialis“, 712.

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Der Mensch soll diese Liebe, die Gott selbst ist, empfangen können: er muß eine Kongenialität für solche Liebe haben. Er muß (also die Gnade, die Gottesschau) aufnehmen können als einer, der Raum und Weite, Verständnis und Verlangen nach ihr hat. Er muß also eine reale „Potenz“ für sie haben. Er muß sie immer haben. Er ist ja der immer von dieser Liebe Angeredete und Angeforderte. Denn, so wie er faktisch ist, ist er für sie geschaffen; damit sie sich schenken könne, ist er gedacht und ins Dasein gerufen. Insofern ist diese „Potenz“ sein Innerstes und Eigentlichstes, die Mitte und der Wurzelgrund dessen, was überhaupt ist. […] Die Fähigkeit für den Gott der persönlichen Liebe, die sich selber schenkt, ist das zentrale und bleibende Existential des Menschen, wie er wirklich ist.190

Dann ist schon vom Ansatz her eine Verschleifung der Konzeptionen von der potentia oboedientialis und dem übernatürlichen Existential gegeben. Denn was Rahner im obigen Zitat als Existential beschreibt, ist vom Kontext her als übernatürliches Existential gemeint und ist doch zugleich eine Potenz. Und andererseits wird dann in einem viel späteren Artikel aus dem Jahr 1969 die potentia oboedientialis von beiden Seiten her wie folgt beschrieben: Die p[otentia] o[boedientialis] muß also identisch sein mit dem geistig-personalen Wesen des Menschen überhaupt. Wegen seiner unbegrenzten Transzendentalität in Erkenntnis und Freiheit kann dieses Wesen Potenz für die Selbstmitteilung Gottes sein, da es so für diese Selbstmitteilung aufnahmefähig ist, ohne durch diese Selbstmitteilung aufgehoben zu werden und aufzuhören, menschliches und kreatürliches Wesen zu sein. Dieses Wesen ist bloße p[otentia] oboedientialis, weil diese unbegrenzte natürliche Transzendentalität in Erkenntnis und Freiheit als Bedingung der Möglichkeit von Personalität und Freiheitsgeschichte auch einen Akt und somit Sinn hat ohne diese Selbstmitteilung Gottes, d. h., wenn die darin gegebene Verwiesenheit auf Gott immer nur aktualisiert würde als bloße Bedingung der erkennenden und tätigen Begegnung von Welt (Mitwelt und Umwelt). Erkennt man anderseits diese Transzendentalität als das Materiale der p[otentia] o[boedientialis], dann wird auch klar, daß die Gnade doch die Erfüllung der geistigen Natur selber ist, also nicht etwas, das dem Menschen willkürlich „extrinsezistisch“ hinzugefügt wäre, d. h., daß die Natur also nicht bloß „Potenz“ für Gnade ist im Sinn einer bloßen negativen „non-repugnantia“, wie es in der neueren Theologie oft dargestellt wird. Diesem Mißverständnis der p[otentia] o[boedientialis] gegenüber behält die Lehre des Thomas von dem „desiderium naturale“ für die Anschauung Gottes ihr Recht. Wesenserfüllung und ihre Ungeschuldetheit sind beim geistigen Wesen keine widersprüchlichen Begriffe.191

Vor dem Hintergrund, dass Rahner das übernatürliche Existential als realontologische Bestimmung des Menschen, womit das konkrete geschichtliche Wesen des Menschen in Abgrenzung zur Natur des Menschen gemeint war, als Theorem eingeführt hat, um der Gefahr des Extrinsezismus zu entgehen, ist es 190 Rahner, Über das Verhältnis von Natur und Gnade, 338 f. 191 Rahner, Art.: Potentia Oboedientialis, 1246 f.

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erstaunlich, dass er in den späten 1960er Jahren die potentia oboedientialis mit dem Wesen des Menschen identifiziert und nicht als konstituierendes Merkmal der menschlichen Natur beschreibt. Außerdem stellt sich die Frage, welche Funktion das übernatürliche Existential noch hat, wenn durch die potentia oboedientialis schon gewährleistet wäre, dass Wesenserfüllung und ihre Ungeschuldetheit keine widersprüchlichen Begriffe wären. Es fällt jedenfalls auf, dass Rahner die Doppelseitigkeit der potentia oboedientialis weniger hervorhebt, was sich auch schon 1952 in einem Vortrag auf dem Österreichischen Katholikentag „Würde und Freiheit des Menschen“ andeutet. Rahner nennt dort mehrere Existentiale des Menschen, er spricht davon, dass die Pluralität von existentialen Dimensionen unterschieden werden müsse, aber nicht voneinander geschieden werden könne. Denn es gelte: Die unterste Dimension ist von der obersten bedingt und umgekehrt; in jeder einzelnen muß sich das ganze Wesen des Menschen auswirken. Jede Verselbständigung und Autarksetzung einer Dimension, auch nur in ihrem eigenen Bereich, widerspricht der Tatsache, daß der Mensch, unbeschadet einer wahren echten Pluralität seiner Seinsmomente, zuerst und zuletzt, ursprünglich und zielhaft einer ist. Es gibt daher zum Beispiel keine „reine“ Autonomie der Wirtschaft und ihrer Gesetzlichkeit von den Gesetzen des Geistig-Personalen, der Ethik.192

Die für die Frage nach der Natürlichkeit der potentia oboedientialis wichtige Pointe besteht m. E. darin, dass Rahner sie hier zwar nicht expressis verbis, aber der Sache nach wie folgt zu jener Pluralität von Existentialen des Menschen rechnet: „Er [Der Mensch] ist ein religiöses, gottbezogenes Wesen (von Natur und Gnade) mit einer ,Kirche‘, in einer Heils- und Unheilsgeschichte.“193 Dabei unterläuft er gerade die Unterscheidung von Natur und Gnade bzw. von Natur und „Übernatur“. Die Gottbezogenheit des Menschen ist hier eine Beschreibung des Wesens des Menschen und nicht seiner Natur im Sinne eines theologischen Restbegriffs. Wird dadurch zwar die nicht durchgeführte Vermittlung von Natur und Übernatur verdeckt, ist die Vermutung Rulands’, dass Rahner sich zunehmend an die Position von de Lubac angenähert habe, die er am Ausbleiben des Attributes übernatürlich festmacht, nicht zutreffend, weil es nach der Einführung des übernatürlichen Existentials nicht nur um die Hinordnung auf die übernatürliche Gnade geht, sondern stets darum, dass diese Hinordnung schon übernatürlich sei. So führt Karl-Heinz Menke gegen die These Rulands’, dass der späte Rahner bis auf einen kleinen Rest mit de Lubac übereinstimme, kritisch an: Doch einmal abgesehen davon, dass die weitgehende Vermeidung des Attributes „übernatürlich“ noch keine Änderung in der Sache bedeutet, übersieht Rulands den entscheidenden Differenzpunkt: De Lubac bezeichnet die Hinordnung des Menschen 192 Rahner, Würde und Freiheit, 253 f. 193 Rahner, Würde und Freiheit, 253.

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auf Gott nicht als eine immer schon von der Gnade erhöhte Natur, sondern einfach als die Natur des Menschen. Rahner hingegen meint die Ungeschuldetheit der Erlösungsgnade (gratia Christi) nur dadurch retten zu können, dass er die der Geistnatur des Menschen eingeschriebene Hinordnung auf die ewige Gemeinschaft mit Gott als eine irgendwie „immer schon“ (antizipativ) vorhandene Wirkung derselben Erlösungsgnade erklärt.194

Das ist also der bleibende Unterschied zu de Lubac, dass Rahner einen hypothetischen Naturbegriff als Restbegriff beibehält. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass die Philosophie selbst beim späteren Rahner zu einem Restbestand wird. Darüber kann auch eine, wenn im Vollzug auch immer indifferente Aufwertung der potentia-oboedientialis-Vorstellung nicht hinwegtäuschen. Das Problem des Theologumenons vom übernatürlichem Existential liegt darin, dass Vernunft zu einem Restbegriff wird. Dieses Problem übersteigt das Problem der Ungeschuldetheit der Gnade, das Rahner damit gelöst zu haben meint.195 Denn nun ist eine Vermittlung gar nicht mehr möglich, wenn eine der zu vermittelnden Größen schon in die andere aufgehoben ist. Stimmt die Beobachtung, dass anhand des Verhältnisses von übernatürlichem Existential und potentia oboedientialis das Verhältnis von Philosophie und Theologie kaum mehr zu beschreiben ist, dann bleibt letztlich auch das Problem des Verhältnisses von Natur und Gnade ungelöst. Dies ist nicht zuletzt an den umstrittenen Termini Extrinsezismus und Intrinsezismus zu beobachten. Friedemann Greiner hat die gegenläufigen Tendenzen zu einem Extrinsezimus einerseits und zu einem Intrinsezismus andererseits, die das Theorem vom übernatürlichen Existential mit sich bringt, herausgearbeitet. Im Hinblick auf die schon problematisierte Rede vom Extrinsezismus und Intrinsezismus und deren Verhältnis, die später durch Max Seckler Eingang in die Rahner-Forschung gefunden hat, ist vor allem die Tendenz zum Extrinsezismus von Belang. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass es dabei im Unterschied zu Secklers begrifflicher Neubestimmung um die gnadentheologische Dimension des Terminus Extrinsezismus geht. Ging es Rahner darum, das Verhältnis von Natur und Gnade so zu bestimmen, dass gerade die Tendenz zum Extrinsezismus vermieden wird, dann unterstreicht der Befund Greiners noch einmal, dass die Einführung des übernatürlichen Existentials das Problem der Verhältnisbestimmung von Natur und Gnade eher verschärft als es zu lösen. Diese extrinsezistische Tendenz in der theologischen Reflexion 194 Menke, Das Kriterium des Christseins, 175. 195 Verweyen hat vor allem die Unnötigkeit der natura-pura-Idee zur Sicherung der Ungeschuldetheit hervorgehoben: „Die hypothetische Annahme einer ,natura pura‘ erscheint mir aber nicht nur unnötig zur Sicherung der Gratuität der Gnade, auf die alle geschaffene Vernunft tatsächlich hingeordnet ist. Ich sehe überdies nicht, wie eine solche theologisch konzipierte ,Restnatur‘ selbst als bloßes Gedankenexperiment überhaupt vernünftig vollziehbar wäre. Dies einmal aus der Perspektive, die für eine auf diese Weise angenommene Restvernunft verbliebe, zum anderen und insbesondere aber auch im Blick auf das Wesen Gottes selbst.“ Verweyen, Wie wird ein Existential übernatürlich?, 127.

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beobachtet Greiner bei Rahner an zwei Punkten. Zum einen liege die Tendenz zu einem Extrinsezismus darin begründet, dass Rahner durch die Einführung des Begriffs der natura pura sein eigenes Reflexionsprinzip theologischer Anthropologie desavouiere. Dieses Reflexionsprinzip bestimmt Greiner in der Voranstellung der religiösen Empfänglichkeit menschlicher Subjektivität vor die Souveränität der Offenbarung Gottes. Um diese sicherzustellen, habe Rahner die natura pura eingeführt.196 Zum anderen sieht er, dass im Argumentationszusammenhang des übernatürlichen Existentials die Vermittlung von religiöser Subjektivität zum göttlichen Offenbarungshandeln rein äußerlich bleibe.197 Insgesamt kommt Greiner zu folgendem Schluss: Das Transzendental-Allgemeine weiß das Geschichtlich-Besondere nicht mehr als seine konstitutive Möglichkeitsbedingung einzuholen. Die Folge ist das emphatischappellative Abheben auf den Vorgang einer in radikaler Unmittelbarkeit ergehenden göttlichen Offenbarung in der Tiefe menschlicher Subjektivität. Rahner verstrickt sich somit in eine Verkehrung seiner theologischen Absicht: der Weg unvermittelter Unmittelbarkeit führt, insofern er die Einsicht in die unaufgebbare Relevanz der geschichtlichen Kundgabe göttlicher Offenbarung im Blick auf die endgültige Wesensbestimmung menschlichen Daseins nicht zu vermitteln vermag, in die Aporie eines theologischen Extrinsezismus zurück.198

Es ist hier vor allem die unvermittelte Unmittelbarkeit hervorzuheben, die den von Greiner diagnostizierten Extrinsezismus bei Rahner charakterisiert. Insofern lässt sich festhalten, dass die Einführung des Begriffs vom übernatürlichen Existential als eines Vermittlungsbegriffs zwischen Natur und Gnade gerade die in der Konzeption von „Hörer des Wortes“ noch unbefriedigende Vermittlung nicht zu leisten vermag, sondern durch die unvermittelte Unmittelbarkeit, die durch dieses Theologumenon suggeriert wird, wird die Frage nach einer Vermittlung von Natur und Gnade ausgeblendet.

1.5.4 Auswirkungen des Theologumenons des übernatürlichen Existentials Am stärksten wirkt sich das Theologumenon des übernatürlichen Existentials auf das Verhältnis von Philosophie und Theologie aus, das Rahner nach der Einführung dieser Theorie nicht mehr adäquat beschreiben konnte. Wurde einerseits schon angemerkt, dass Rahners Theologumenon des übernatürlichen Existentials unterschätzt würde, wenn man dessen Etablierung im Streit um das Verhältnis von Natur und Gnade im Kontext von „Humani Generis“ als einen theologiepolitischen Schachzug ansehen würde, darf andererseits auch nicht das Verdienst Rahners für eine anthropologische Vermittlung vor dem 196 Vgl. Greiner, Die Menschlichkeit der Offenbarung, 219. 197 Vgl. Greiner, Die Menschlichkeit der Offenbarung, 224. 198 Greiner, Die Menschlichkeit der Offenbarung, 231.

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kirchenpolitischen Hintergrund vergessen werden. Dazu hat sich Verweyen geäußert: Bei der Beurteilung der Rahnerschen Theorie darf nicht aus dem Blick verloren werden, wie befreiend sie in theologiegeschichtlicher Hinsicht zunächst gewirkt hat. Die im neuscholastischen Denkhorizont kaum lösbare Problematik des Verhältnisses von Natur und Gnade wurde durch diese Theorie wenigstens so weit neutralisiert, daß der Weg für eine anthropologische Vermittlung der Theologie auch nach dem Erscheinen von „Humani generis“ frei blieb.199

Gleichzeitig ist auch mit Verweyen auf das Problem dieser Neutralisierung, dass die Verhältnisbestimmung von Natur und Gnade dadurch keineswegs gelöst sei, sondern, „daß sie seitdem gleichsam gut wattiert in einer Seitenschublade der Theologie ruht, ohne wirklich spekulativ durchgestanden zu sein“200, hinzuweisen. So kann Verweyen seine Kritik am übernatürlichen Existential, wie es Rahner als Lösungsvorschlag zur Natur-Gnade-Problematik in die Diskussion eingebracht hat, im Ausfall einer autonomen Philosophie zusammenfassen: Nach Rahner impliziert das ü[bernatürliche] E[xistential] die Unmöglichkeit einer methodisch autonomen Philosophie, weil die menschliche Vernunft auch in ihrer apriorischen Strukturiertheit sich faktisch universal „immer schon“ als ein mixtum compositum aus einer rein-natürlichen und einer geschichtlich-übernatürlich aufgelichteten Transzendentalität vorfindet, ein mixtum, das sich nicht adäquat entflechten läßt.201

Diese Verflechtung von rein-natürlicher und geschichtlich-übernatürlicher Transzendentalität ist noch anhand des Verhältnisses von Transzendentalität und Kategorialität in Rahners Offenbarungsverständnis zu betrachten. Es gibt neben Verweyen auch Stimmen, die zwar auch den Ausfall erstphilosophischer Reflexion beim späten Rahner feststellen, diesen aber nicht in einen Zusammenhang stellen wollen mit dem übernatürlichen Existential, wie Tobias Licht anmerkt: Daß Rahner sich in seiner späten Phase von erstphilosophischer Reflexion abgewandt und offensichtlich auch ihre theologische Notwendigkeit nicht gesehen hat, ist eine Grenze, auf die Verweyens Kritik zurecht hinweist. Sie bleibt aber biographischwerkgeschichtlicher Natur und ist in der Sache in der Theorie vom übernatürlichen Existential nicht angelegt.202

Licht argumentiert gegen Verweyen, dass die Frage des übernatürlichen Existentials aber schon auf einer anderen Ebene liege: 199 200 201 202

Verweyen, Gottes letztes Wort, 242. Verweyen, Wie wird ein Existential übernatürlich?, 121. Verweyen, Wie wird ein Existential übernatürlich?, 129. Licht, Karl Rahners Theorie, 147.

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Schon auf Grund seines apriorischen Charakters als transzendentaler Struktur des Subjekts liegt das übernatürliche Existential dann aber der Ebene voraus, auf der eine Einflußnahme auf die methodische Autonomie der Philosophie möglich wäre.203

Doch hierin – dass durch diese transzendentale Struktur die Philosophie schon im Ansatz von der Theologie überformt sei – liegt m. E. der Grund für die berechtigte Kritik Verweyens an Rahner. Ferner verwundert, dass Licht nicht darauf eingeht, dass bei Rahner immer wieder die Verhältnisbestimmung von Philosophie und Theologie eingeordnet ist in das Verhältnis von Natur und Gnade, und somit gerade das übernatürliche Existential als Lösungsweg dieses Verhältnisses notwendig auf das Verhältnis von Philosophie und Theologie Auswirkungen haben muss. So beschreibt Rahner das Verhältnis von Philosophie und Theologie betreffend zur Frage nach Natur und Gnade: Alle dazugehörenden Einzelfragen führen als theologische zurück zu der umfassenderen Frage nach dem Verhältnis von Natur und Gnade (natürlich samt der Frage, ob diese traditionelle Fragestellung ursprünglich und angemessen heute noch so zu stellen ist), und diese Frage impliziert die nach der Freistellung des Weltlichen in seine eigenständige Weltlichkeit, also nach der ursprünglichen Konstitution des Verhältnisses von Natur und Gnade durch Gott, der die Gnade ist und diese nicht nur gibt.204

Allenfalls ist Licht zuzugestehen, dass außer den inneren Gründen für Rahners Verhältnis zur Philosophie, die an der Entwicklung seiner Theologie zur Transzendentaltheologie und insbesondere an der Einführung des übernatürlichen Existentials ersichtlich werden, auch noch äußere Gründe eine Rolle spielen, die in der Pluralisierung der Philosophie zu finden wären und auf die Rahner auch eigens eingeht, um die Schwierigkeiten zur Verhältnisbestimmung von Philosophie und Theologie zu benennen: Die „philosophierende“ Theologie findet sich heute – im Unterschied zu früher – einem Pluralismus von Philosophien gegenüber, denen sie sich stellen muß, mit denen sie arbeitet, die aber weder durch sich selbst noch durch die Theologie adäquat synthetisiert werden können.205

Die Wahrnehmung des Phänomens pluraler Philosophie und deren Aufwertung zu Gesprächspartnern der Theologie hat allerdings Verweyen auch gesehen und das als eine Folge des übernatürlichen Existentials gekennzeichnet: [D]as ü[bernatürliche] E[xistential] wurde weitgehend wie der quasi-offizielle theologische Segen für eine philosophische Welle empfunden, die mit Macht von allen Ecken und Enden (etwa der Hermeneutik Gadamers und Ricoeurs oder der angelsächsischen Sprachphilosophie, insbesondere im Anschluß an den späten 203 Licht, Karl Rahners Theorie, 146 f. 204 Rahner, Philosophie, 66. 205 Rahner, Philosophie, 73.

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Wittgenstein) über eine soeben vom Studium der Philosophie des Aquinaten dispensierten Theologen-Generation hereinbrach.206

Ohne die Generalkritik an Philosophien, die selbst nicht erstphilosophisch ausgerichtet sind, teilen zu wollen, lässt sich jedoch festhalten, dass Rahner sich zu neuen Formen der Philosophie nicht in ein dialogisches Verhältnis gesetzt hat. So sind auch die Stimmen, die der Aufhebung der Transzendentalphilosophie in Transzendentaltheologie gegenüber insofern aufgeschlossen sind, als sie eine Anschlussfähigkeit an die postmodernen Ansätze sehen, noch nicht durch die Intention Rahners gedeckt. Rolf Bauerdick betrachtet, ausgehend vom „Tod des Subjekts“207, den Foucault verkündet hat, und einer negativen Dialektik im Sinne Adornos, Rahners transzendentaltheologischen Ansatz als dialektische Theologie der Überschreitung, die schließlich als Überschreitung der Theologie beschrieben wird. Dabei wird abgehoben auf den Aspekt mystischer Gotteserfahrung im Zusammenhang mit der Vorstellung von Gott als dem absoluten Geheimnis. Für Rahners Theologie gilt dann letztlich, dass sie keine transzendentale Theologie sei, „sondern eine dialektische Theologie mystischer Gotteserfahrung.“208 Den Unterschied zum transzendentalen Ansatz Kants beschreibt er folgendermaßen: Im Gegensatz zu Kant, der das konkrete Objekt beschlagnahmt, indem er es dem zu richtenden Verstand übereignet, der an ihm nur das erkennt, was sein Kategoriensystem a priori ihm gestattet, durchbricht Rahner in seiner Geistmetaphysik die Immanenz des Erkenntnissubjekts. Das Rahnersche Subjekt läßt sich in seinem Selbst-sein vom Anderen ihm Nichtidentischen affizieren, wobei das Selbstsein der Begegnung mit dem Anderen nicht apriorisch vorausliegt, sondern sich in der Erfahrung des Außen zum Bei-sich-sein dialektisch vermittelt.209

Doch diese Interpretation Bauerdicks ist m. E. nicht mit der Intention Rahners in Einklang zu bringen, weil Rahner überhaupt nicht an einer dialektischen Vermittlung gelegen ist. Das Problem, dass bei Rahner die Affizierung des Selbst-Seins vom Anderen apriorisch als transzendentale Verfasstheit des Subjekts dem Selbst-Sein vorausgeht, was gerade durch das übernatürliche Existential zum Ausdruck gebracht werden soll, sieht Bauerdick dabei nicht. Vor allem ist aber das Gott-Mensch-Verhältnis bei Rahner nicht dialektisch zu fassen. Es ergibt sich vielmehr aus dem Verhältnis von Transzendentalität und Kategorialität der Offenbarung als Selbstmitteilung Gottes, das aber bei Rahner nicht dialektisch vermittelt wird, sondern im Falle eines gelungenen Verhältnisses eine Synthese bildet.210 Diese pneumatologisch begründete 206 Verweyen, Wie wird ein Existential übernatürlich?, 129. 207 Vgl. Foucault, Die Ordnung der Dinge, 460 f; zu den Gemeinsamkeiten und Unterschieden des Subjektdenkens Foucaults und Rahners vgl. Kolf-van Melis, Tod des Subjekts?, 243 – 254. 208 Bauerdick, Transzendentale Subjektivität, 301. 209 Bauerdick, Transzendentale Subjektivität, 303. 210 Vgl. Rahner, Erfahrung des Geistes, 50.

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Synthese ist anhand des Offenbarungsverständnisses noch genauer zu erörtern. Doch an dieser Stelle ist vor allem darauf hinzuweisen, dass der Begriff des absoluten Geheimnisses die Theologie gerade nicht in ein dialektisches Verhältnis zur Philosophie setzt, sondern eher dazu beiträgt, die Philosophie von ihrem Status als Grundwissenschaft gerade durch das übernatürliche Existential zu verdrängen: Versteht sich aber die Ph[ilosophie] ihrer ganzen Tradition entsprechend als transzendentale Reflexion, dann ist zu sagen: Eine solche holt die Konkretheit des Daseins material nie adäquat ein, obwohl dieses Konkrete selbst als existenzbegründend und nicht als gleichgültiger Rest erfahren wird […]. Gehört aber diese Aussage als Selbstbescheidung der Ph[ilosophie] zu ihren grundlegenden Aussagen, gerade insofern sie „erste“ (Grund-) Wissenschaft ist, die keine ihr als solcher vorgeordnete Wissenschaft (wohl aber die größere, vollzogene Wirklichkeit) mehr als ihren Grund über sich hat, dann verweist die Ph[ilosophie] als Lehre von der Transzendenz des Geistes auf Gott als das absolute Geheimnis „in Person“, konstituiert in ihrer Anthropologie und Religionsphilosophie des Menschen als möglichen „Hörer des Wortes“ dieses lebendigen Gottes (vielleicht schon unter dem Einfluß des übernatürlichen Existentials) und verweist als bloße Reflexivität und unvollendbare Vermittlung den als geschichtlich und bloß reflex zu sich ver-mittelten Menschen für seinen Daseinsvollzug in die Geschichte selbst. Die Ph[ilosophie] ist also von sich aus nicht Grundwissenschaft derart, daß sie den Anspruch machen würde, allein das konkrete Dasein des Menschen zu erhellen und zu verwalten. Sie ist, wenn sie sich recht versteht und ihre Freiheit (durch die geheime Gnade Gottes befreit) von ihr recht verstanden wird, jene erste reflexe Daseinserhellung, die dem Menschen den Mut macht, das Konkrete und die Geschichte ernst zu nehmen. Dann aber gibt sie ihn in die Möglichkeit frei, in der konkreten Geschichte Gott zu finden, der sich selbst durch die Menschwerdung dem Menschen vermittelt hat.“211

Ist die Philosophie durch den Verweis auf das absolute Geheimnis immer schon auf die Theologie verwiesen, mündet schließlich das Verhältnis von Philosophie und Theologie als Folge des übernatürlichen Existentials in die Aufhebung der Philosophie: Wo die amtliche, explizit christliche Offenbarung die Philosophie als Bedingung ihrer eigenen Möglichkeit sich voraussetzt und in ihre Freiheit einsetzt, geschieht dies gar nicht als die Setzung der reinen Möglichkeit, sondern schon als unweigerlich in irgendeinem Umfang christlich aktuierte Philosophie. Und zwar nicht nur dann, wenn ausdrücklich sich als Christen wissende Menschen Philosophie treiben, sondern auch dann, wenn jene Menschen Philosophie treiben, die wir – anonyme Christen nennen können (und das gilt prinzipiell für alle Menschen, die sich nicht explizit Christen nennen), weil sie, ob sie es wissen oder nicht, ob sie es vom Licht ihrer natürlichen Vernunft unterscheiden oder nicht, erleuchtet sind von dem Licht 211 Rahner, Art. Philosophie und Theologie, 1208 f.

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der Gnade, das Gott keinem Menschen versagt. Von da aus ist der Satz richtig: In jeder Philosophie wird schon unvermeidlich, unthematisch Theologie getrieben, weil kein Mensch es in der Hand hat, auch wenn er es reflex nicht weiß, ob er von Gottes offenbarender Gnade verfolgt sein will oder nicht.212

Ist mit dem übernatürlichen Existential also der Punkt erreicht, an dem die Philosophie der Theologie den Vorrang lässt, so ist durch diese Aufhebung der Philosophie in Theologie keine Auflösung der Philosophie an sich vollzogen. Lediglich das Problem, dass durch die Vermittlung einer reinen Philosophie mit der Theologie, deren Eigenständigkeit gefährdet scheint, was Rahner schon in „Hörer des Wortes“ gesehen hat, scheint dahingehend gelöst zu sein, dass zur Sicherung der Ungeschuldetheit der Gnade die Eigenständigkeit der Theologie so sehr in den Mittelpunkt rückt und infolgedessen die Vermittlung mit der Philosophie ausbleibt. Die Philosophie fügt sich in der Weise in die Theologie ein, dass er sagen kann: „Eine unphilosophische Theologie wäre eine schlechte Theologie.“213 Doch die Probleme, die bei der Vermittlung von Philosophie und Theologie auftreten, sind dadurch nicht behoben, sondern sie kehren alle innerhalb dieser Transzendentaltheologie wieder. Thomas Pröpper weist von hier ausgehend auf die Probleme hin, die sich im Begriff der Offenbarung bei Rahner ergeben: Die Unterscheidung von Philosophie und Theologie dagegen, obwohl formal aufrechterhalten, verliert in eben dem Maß an methodischer Bedeutung, als Rahner mit einer durch die christliche Verkündigung anrufbaren übernatürlichen Bestimmtheit der menschlichen Transzendenz rechnet. Wird so die Vermittlungsproblematik von Philosophie und Theologie gewissermaßen sistiert, gewinnt nun jedoch das Offenbarungskonzept selbst eine Spannung, die trotz zahlreicher Modifikationen zumindest insofern nicht gelöst scheint, als das Verhältnis von menschlicher Transzendentalität und Geschichte nicht in einer dem Inhalt der Offenbarung entsprechenden Weise geklärt, sondern das Gewicht des transzendentalen und kategorialen Moments der Offenbarung – den jeweiligen Intentionen entsprechend – nur abwechselnd akzentuiert wird.214

Bevor die Verhältnisbestimmung von Transzendentalität und Kategorialität eigens erörtert wird, sei schon darauf hingewiesen, dass die von Pröpper angesprochene Spannung innerhalb des Offenbarungskonzepts im Idealfall bei Rahner stets durch eine Synthese aufgelöst wird, was zum Ausdruck kommt in der Behauptung: „Offenbarung als transzendentale Gnadenerfahrung und Offenbarung als Geschichte widersprechen sich darum gegenseitig nicht, sondern sind die sich gegenseitig bedingenden Momente ein und desselben Ereignisses.“215 Nachdem nun die Verhältnisbestimmung von Philo212 213 214 215

Rahner, Philosophie und Theologie, 100. Rahner, Philosophie und Theologie, 101. Prçpper, Erlösungsglaube und Freiheitsgeschichte, 135. Rahner, Überlegungen zur Methode der Theologie, 122.

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Das Offenbarungsverständnis

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sophie und Theologie durch die Einführung des übernatürlichen Existentials problematisiert wurde, sei nur noch auf zwei weitere Auswirkungen des übernatürlichen Existentials in der Theologie Rahners aufmerksam gemacht. Zum einen folgt das Rahnersche Verhältnis von Weltgeschichte und Heilsgeschichte, das er als koexistent bestimmt, unmittelbar aus dem Theorem vom übernatürlichen Existential, was er wie folgt beschreibt: Das „übernatürliche Existential“ hat selber eine Geschichte. Ist der Mensch so das Wesen der Subjekthaftigkeit, der Transzendenz, der Freiheit und der partnerhaften Verwiesenheit auf das heilige Geheimnis, das wir Gott nennen; ist er das Ereignis der absoluten Selbstmitteilung Gottes, und dies alles immer und unausweichlich und von Anfang an; ist er aber gleichzeitig als ein solches Wesen vergöttlichter Transzendenz das Wesen der Geschichte individuell und kollektiv, dann hat dieses immer gegebene und übernatürliche Existential der Verwiesenheit auf das heilige Geheimnis und auf die kollektiv und individuell eine Geschichte, und diese ist in einem Geschichte des Heils und der Offenbarung.216

Und zum anderen ist die Konzeption Rahners zum Verhältnis von Christentum und den anderen Religionen, das er in der Theorie vom anonymen Christentum entfaltet, auch nur unter der Voraussetzung des übernatürlichen Existentials denkbar.217

2. Das Offenbarungsverständnis unter den Bedingungen der Rahnerschen Transzendentaltheologie 2.1 Transzendentale und kategoriale Offenbarung Im Folgenden werden die Auswirkungen der Rahnerschen Transzendentaltheologie auf das Verständnis von Offenbarung untersucht. Dies steht in einem engen Zusammenhang mit den Auswirkungen des Theologumenons vom übernatürlichen Existential. Sie werden eigens thematisiert, weil es sich hierbei um die Entwicklung des Zentrums seiner Theologie handelt. Denn wenn die Selbstmitteilung Gottes als Zentralbegriff seiner Theologie zu verstehen ist, dann ist die Entwicklung bzw. die Veränderung seines Offenbarungsverständnisses, nicht nur eine Folge einer sich erst innerhalb des Denkens Rahners entwickelnden Theorie. Allerdings ist das Theorem vom übernatürlichen Existential als konstitutives Element der Transzendentaltheologie im Sinne Rahners auch der entscheidende Theorieansatz, um überhaupt zu einer transzendentalen Offenbarung zu kommen. Denn die Rede von einer transzendentalen Offenbarung ist das für die Theologie des späten, des 216 Rahner, Grundkurs, 146. 217 Vgl. zum anoymen Christentum Schwerdtfeger, Gnade und Welt.

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Transzendentaltheologie Karl Rahners

transzendentaltheologischen Rahner eigentümliche Merkmal. Hierin besteht die wesentliche Veränderung in seiner Theologie der Selbstmitteilung Gottes. Die sich durchhaltende Gemeinsamkeit des Offenbarungsverständnisses Rahners liegt dagegen in der prinzipiellen Zweiteilung der Offenbarung, die schon für die Konzeption von „Hörer des Wortes“ in der Differenzierung von der Offenbarung im metaphysischen Sinne, die als notwendige Offenbarung bezeichnet wird, und der Offenbarung im theologischen Sinne, die als Wortoffenbarung im eigentlichen Sinne die freie Offenbarung ist. Durch die Einführung des Theologumenons vom übernatürlichen Existential als realontologischer Bestimmung des Menschen und Beschreibung seiner transzendentalen Verfasstheit ist es Rahner möglich, von einer transzendentalen Offenbarung zu sprechen, die dann im Verhältnis zur kategorialen Offenbarung steht. Lässt sich dadurch sowohl für den frühen als auch für den späten Rahner eine Zweiteilung des Offenbarungsbegriffs ausmachen, deren Veränderung des uneigentlichen, aber für die eigentliche Offenbarung vorauszusetzenden Aspekts von der Offenbarung im metaphysischen Sinne zum transzendentalen Moment der Offenbarung durch die Einführung des übernatürlichen Existentials nachvollzogen werden kann, ist diese Veränderung erst in einer allmählichen Entwicklung Rahners nachzuzeichnen. Knoepffler weist schon auf die Auswirkungen des Theologumenons vom übernatürlichen Existential hin und stellt folgenden Sachzusammenhang zur transzendentalen Offenbarung her : Durch sein Theorem vom übernatürlichen Existential, vom Menschen als Ereignis der transzendentalen Selbstmitteilung Gottes, vom Menschen als von Gott quasiformalursächlich überformten, ist jede transzendentale Erfahrung immer schon als transzendentale Offenbarung gedeutet. Die transzendentale Offenbarung ist faktisch immer schon gegeben. Das geschichtliche Christusereignis bringt diese Offenbarung in absoluter Form zu sich und ist zugleich ihre Finalursache. Transzendentalphilosophie wird in Transzendentaltheologie „aufgehoben“ und durch Offenbarungstheologie im strengen Sinn bestätigt und begründet.218

Rulands wiederum, der diesen Zusammenhang zwar nicht abstreitet, verweist gleichwohl darauf, dass das übernatürliche Existential erst ab Mitte der 1950er Jahre als transzendentale Offenbarung im Werk Rahners greifbar ist.219 Doch auch Knoepffler sieht die Rede von der transzendentalen Offenbarung als Endpunkt einer Entwicklung, die die Bedeutung des übernatürlichen Existentials präzisiert: Die transzendentale Offenbarung ist dabei mit dem identisch, was Rahner bereits in den fünfziger Jahren terminologisch mit „übernatürliches Existential“ faßte, die quasiformalursächliche Wirklichkeit Gottes im Menschen (Akt) und die daraus 218 Knoepffler, Blondels „action“, 144. 219 Vgl. Rulands, Menschsein, 260 – 266.

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Das Offenbarungsverständnis

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entspringende übernatürliche Erhöhung seiner transzendentalen Erfahrung, also auch des intellectus agens. Freilich ist der Gebrauch des Artikels „Über das Verhältnis von Natur und Gnade“, in dem das übernatürliche Existential als Hinordnung auf Gott verstanden wurde, damit überholt.220

Mit dieser von Knoepffler angedeuteten Entwicklung des übernatürlichen Existentials als realontologische Hingeordnetheit des Menschen auf die Gnade zur transzendentalen Offenbarung, wodurch das übernatürliche Existential selbst zum Ausdruck der gnadenhaften, übernatürlichen Erhobenheit des Menschen wird, wird die zentrale Funktion des Theorems deutlich, indem es weit über die im Kontext von „Humani Generis“ strittige Frage des Verhältnisses von Natur und Gnade hinaus die Theologie Rahners prägt und letztlich im „Grundkurs des Glaubens“ von ihm mit dem Angebot der Selbstmitteilung Gottes identifiziert wird. Ohne die Schritte, durch die das übernatürliche Existential von dem Aufsatz „Über das Verhältnis von Natur und Gnade“ aus dem Jahr 1950 bis zum „Grundkurs des Glaubens“ von 1976 modifiziert wird, im einzelnen nachzuzeichnen – die Entfaltung von Rahners Vorstellung einer transzendentalen Offenbarung setzt ab Mitte der 1950er Jahre ein und ist in den 1960er Jahren greifbar –, ist aber das für den späten Rahner bedeutsame Verhältnis von Transzendentalität und Kategorialität der Offenbarung zu erörtern. Rahner selbst hat die Konzeption von „Hörer des Wortes“ mit einem in metaphysischem und theologischem Sinne differenzierten Offenbarungsbegriff durch das Einschlagen des Weges von oben nach unten in der Verhältnisbestimmung von Theologie und Religionsphilosophie, nicht mehr weiterverfolgt, was sich am Begriff des übernatürlichen Existentials gezeigt hat. Die dort auftretende Aporie im Offenbarungsverständnis, der religionsphilosophisch nur durch den Modus der Möglichkeit ansatzweise begegnet werden konnte, hat sich verlagert, indem sie sich nun im Verhältnis von Natur und Wesen des Menschen oder auch im Verhältnis der bei Rahner auftretenden Begriffe der potentia oboedientialis und des übernatürlichen Existentials widerspiegelt. Von daher wäre von einer gelungenen Vermittlung von Transzendentalität und Kategorialität beim späten Rahner nur dann zu sprechen, wenn er sich diesem Problem stellen würde. In dem Beitrag „Bemerkungen zum Begriff der Offenbarung“ aus dem Jahr 1964 stellt Rahner die Differenzierung des Offenbarungsbegriffs in einen transzendentalen und einen kategorialen Aspekt als Vermittlung zwischen Immanentismus und Extrinsezismus vor.221 So fasst Rahner die zentrale Stellung des übernatürlichen Existentials für das Ineinander von Transzendentalität und Kategorialität und letztlich von Geschichte und Offenbarungsgeschichte in zwei Sätzen zusammen: 220 Knoepffler, Der Begriff „transzendental“, 88 f. 221 Vgl. Rahner, Bemerkungen zum Begriff der Offenbarung, 12.

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Transzendentaltheologie Karl Rahners

Wenn Transzendenz immer in Geschichte west, immer geschichtlich vermittelt ist, und wenn es eine transzendentale Verfaßtheit des Menschen gibt, die durch das als bleibendes Existential des Menschen gegeben ist, was wir vergöttlichende Gnade durch Selbstmitteilung Gottes und nicht durch kausale Effizienz eines anderen nennen, dann hat eben diese absolute Transzendenz auf die absolute Nähe des sich selbst dem Menschen schenkenden unsagbaren Geheimnisses hin eine Geschichte, und sie ist die, die wir Offenbarungsgeschichte nennen. Das Offenbarungsereignis selbst hat somit immer einen doppelten Aspekt: die Konstitution der übernatürlich erhobenen Transzendenz des Menschen als sein bleibendes, wenn auch gnadenhaftes, aber immer und überall wirksames, auch im Modus der Ablehnung noch vorhandenes Existential, die transzendentale Erfahrung der absoluten und vergebenden Nähe Gottes, auch wenn sie nicht für jeden und in einer beliebigen Weise gegenständlich objektiviert werden kann, einerseits, und die geschichtliche Vermittlung, die gegenständliche Objektivierung dieser übernatürlich transzendentalen Erfahrung anderseits, die in der Geschichte geschieht, als ganze die ganze Geschichte ausmacht (so daß die willkürliche theologische Reflexion des Einzelnen zwar auch zu dieser Geschichte gehört, sie aber nicht primär begründet und bildet) und die im üblichen Sinn dort Offenbarungsgeschichte heißt, wo sie wirklich Geschichte der wahren Selbstauslegung dieser übernatürlich transzendentalen Erfahrung ist und nicht deren Mißdeutung, und wo sie darum wirklich Ergebnis dieser transzendentalen Selbstmitteilung Gottes in der Gnade ist, darum unter dem Willen dieser Selbstmitteilung, also unter einer übernatürlichen Heilsprovidenz Gottes geschieht und überdies als solche erfaßt wird.222

Wird hier das Aufeinanderbezogensein von Transzendenz und Geschichte zwar postuliert, so ist doch zu beobachten, dass Rahner von einer Universalität der Selbstmitteilung Gottes in der transzendentalen Verfasstheit des Menschen ausgeht, während die geschichtliche Objektivierung anscheinend partikular zu verstehen ist, zumindest dann, wenn unter der geschichtlichen Objektivierung die wahre Selbstauslegung der transzendentalen Selbstmitteilung verstanden wird. Es bleibt dann aber nicht verständlich, wie Rahner wiederum die partikulare geschichtliche Vermittlung der universalen Transzendentalität so denken kann, dass dieser transzendentale Aspekt der Offenbarung in seiner Universalität gesichert bleibt. Rahner geht hier von einer Vermittlung aus, die er nicht wirklich durchführt. Andere sehen in der Betonung der universal zu verstehenden Transzendentalität vor allem einen Geschichtsverlust.223 Rahner selbst hat schon versucht, die Rede von der transzendentalen Offenbarung gegen den Vorwurf, dass die kategoriale Offenbarung dadurch an Bedeutung verliere, folgendermaßen aufrecht zu erhalten:

222 Rahner, Bemerkungen zum Begriff der Offenbarung, 14 f. 223 Vgl. Eicher, Offenbarung, 402 f.

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Das Offenbarungsverständnis

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Natürlich ist solche Offenbarung nicht einfach identisch mit der Offenbarung, wie sie (mit Recht) gewöhnlich verstanden wird; selbstverständlich wäre vieles zu sagen über das Verhältnis jener „transzendentalen“ Offenbarung oder besser : des transzendentalen Momentes der Offenbarung zu der kategorialen, geschichtlichen, worthaften Offenbarung bzw. des kategorialen Momentes der – einen – Offenbarung; gewiß wäre dieses Verhältnis so zu denken, daß das transzendentale (durch die Gnade selbst konstituierte) Moment der Offenbarung das kategoriale nicht überflüssig macht oder in dessen Bedeutung bedroht erscheinen läßt. Aber wenn man erstens bedenkt, daß auf jeden Fall dieses transzendentale Moment bei Offenbarung und Glaube gegeben ist, weil das Offenbarungswort kategorialer, worthaft objektivierender Art nur im „Pneuma“ gesprochen und glaubend gehört werden kann, wenn man zweitens nicht zu Aushilfen greifen will, die unwahrscheinlich sind (Uroffenbarung oder Privatoffenbarung), und wenn man drittens dennoch an der Möglichkeit eines heilshaften übernatürlichen Glaubens und somit der Gegebenheit von Offenbarung für alle Menschen mit dem Konzil festhalten will, dann bleibt wohl gar keine andere Möglichkeit als zu sagen: Gnadenhafte Erhebung der freiangenommenen Transzendentalität des Menschen ist schon von sich her Offenbarung, weil das damit gegebene, apriorische, nicht notwendig reflektierte Formalobjekt des geistigen Vollzugs des Menschen von keinem natürlichen geistigen Vermögen (als Formalobjekt) erreicht werden kann, sondern der gnadenhaften Selbstmitteilung Gottes entspringt, jene Offenbarung ist, ohne die eine kategorial-geschichtliche Wortoffenbarung als gehörte und geglaubte zwar als Wort von Gott her und „über“ Gott, aber nicht im eigentlichsten Sinn „Wort Gottes“ sein könnte.224

Mit dieser Argumentationskette schafft Rahner in gewisser Weise den Anschluss an das Problem des doppelten Offenbarungsbegriffs in „Hörer des Wortes“ mit dem Unterschied, dass es in „Hörer des Wortes“ noch um eine Offenbarung im metaphysischen Sinne geht, die dem Menschen von seiner Natur als geistigem Wesen notwendig zu Teil wird, während sie nun zwar apriorisch sein soll, doch dem Menschen faktisch nicht von Natur her notwendig zu Teil wird. Gemeinsam ist diesen beiden Konzeptionen, dass sowohl die Offenbarung im metaphysischen Sinne als auch das transzendentale Moment der Offenbarung jeweils notwendig sind, damit die Offenbarung als Wortoffenbarung gehört werden kann. Der Unterschied besteht dann aber darin, dass Rahner von der Offenbarung im metaphysischen Sinne als einer dem Menschen als Geistnatur notwendig zukommenden Weise der Offenbarung sprechen konnte, während die transzendentale Offenbarung jedem Menschen zwar faktisch gegeben ist, ihm aber gerade nicht von Natur her zukommt, sondern schon selbst Ausdruck der freien Selbstmitteilung Gottes ist. Dies hat zur Folge, dass der transzendentale Aspekt der Offenbarung beim späten Rahner im Unterschied zur Offenbarung im metaphysischen Sinne beim frühen Rahner selbst schon als Wortoffenbarung verstanden werden 224 Rahner, Atheismus und implizites Christentum, 209 f.

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kann. So stellt es sich zumindest dar, wenn Rahner schreibt: „Und diese gnadenhafte Grundbefindlichkeit des Menschen, der auf den Gott des dreifaltigen Lebens ausgerichtet ist, kann durchaus auch schon als Wortoffenbarung verstanden werden“225 ; an anderer Stelle wird hingegen das transzendentale Moment der Offenbarung wieder von der Wortoffenbarung unterschieden, wobei aber dann das Ergebnis ist, dass es sich um Offenbarung im eigentlichen Sinne handele,226 was wiederum in der Konzeption von „Hörer des Wortes“ der Wortoffenbarung vorbehalten war. Doch dadurch, dass es sich bei dem transzendentalen Aspekt der Offenbarung um Offenbarung im eigentlichen Sinne handelt, ist das Problem, das anhand des doppelten Offenbarungsbegriffs in „Hörer des Wortes“ auftrat, noch nicht gelöst. Denn bei der Vermittlung von transzendentalem und kategorialem Aspekt von Offenbarung stellt sich das Problem, ob das Transzendentale überhaupt noch apriorisch verstanden werden kann. Es verschiebt sich nämlich die Bedeutung des Apriorischen, wenn das Transzendentale dem übernatürlichen Existential und nicht mehr der natura pura zugeordnet ist, wie es Knoepffler treffend analysiert hat: Solange Rahner das Wort „transzendental“ im Sinne der Wendung „apriorisches Bedingung-der-Möglichkeit-Sein des Subjekts für Erkenntnis und Freiheit“ im Zusammenhang mit der natura pura gebrauchte, umfaßte dieser Terminus „apriorisch“ als strengen Gegenbegriff zu „aposteriorisch“. Das Apriorische war als dasjenige des menschlichen Subjekts verstanden, was in keiner Weise durch empirische und damit geschichtliche Vorgaben bedingt ist, was also notwendig von vornherein dem menschlichen Subjekt aufgrund der Schöpfungsordnung zukommt. Jetzt bezeichnet das Apriorische nur noch dasjenige, was im menschlichen Subjekt faktisch immer gegeben ist, da die Schöpfungsordnung in der Erlösungsordnung aufgehoben ist. Insofern ist dieses Apriorische auch nicht mehr geschichtlich unbedingt, sondern das geschichtliche Christusereignis ist die Finalursache seiner Wirklichkeit, ist also die geschichtliche Ursache dafür, daß dieses Apriorische im menschlichen Subjekt faktisch immer gegeben ist.227

Das Problem an der Offenbarungstheologie des späten Rahner ist von daher auch nicht die Frage, ob das kategoriale Moment der Offenbarung durch das 225 Rahner, Bemerkungen zum Begriff der Offenbarung, 17. 226 So schreibt Rahner zur übernatürlichen, transzendentalen Erfahrung: „Dieses gleichsam transzendentale, immer und überall im menschlichen Geistesvollzug in Erkenntnis und Freiheit anwesende, aber unthematische Wissen ist ein von der satzhaften Wortoffenbarung als solcher zu unterscheidendes Moment, verdient aber trotzdem auch als solches durchaus das Prädikat göttlicher Selbstoffenbarung. Dieses transzendentale Moment der Offenbarung ist die von Gott dauernd bewirkte gnadenhafte Modifikation unseres transzendentalen Bewußtseins, aber solche Modifikation ist wirklich ein ursprüngliches, bleibendes Moment an unserem Bewußtsein als der ursprünglichen Gelichtetheit unseres Daseins, und es ist als durch Selbstmitteilung Gottes konstituiertes Moment unserer Transzendentalität im eigentlichen Sinne schon Offenbarung.“ Rahner, Grundkurs, 154. 227 Knoepffler, Der Begriff „transzendental“, 102.

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transzendentale Moment überflüssig werde, sondern gerade das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Dadurch dass bei Rahner das Apriorische letztlich so konstruiert wird, dass es geschichtlich bedingt ist, wird durch die versuchte Differenzierung der Offenbarung in einen transzendentalen und einen kategorialen Aspekt das Apriorische immer einen aposteriorischen Kern beibehalten, so dass es im eigentlichen Sinne nicht mehr apriorisch ist, was wiederum die Bedingung dafür ist, dass man überhaupt zu einem Begriff der transzendentalen Offenbarung oder auch schon der transzendentalen Erfahrung kommen kann. Diesem Vorwurf setzt sich Rahner gleichsam selber aus, indem er die transzendentale Erfahrung nicht eindeutig als apriorisch oder eindeutig als aposteriorisch ausweist. So spricht er im „Grundkurs“ einerseits allgemein von der transzendentalen Erfahrung als apriorisch, wenn er erstens von ihr sagt: „Diese Erfahrung wird transzendentale Erfahrung genannt, weil sie zu den notwendigen und unaufhebbaren Strukturen des erkennenden Subjekts selbst gehört“228 und zweitens schon vorangestellt hat: „Die Struktur des Subjekts ist vielmehr selber eine apriorische, d. h., sie bildet ein vorgängiges Gesetz dafür, was und wie etwas sich dem erkennenden Subjekt zeigen kann.“229 Doch wenn er die transzendentale Erfahrung auf die Erkenntnis Gottes bezieht, dann gilt: Was wir transzendentale Erkenntnis oder Erfahrung Gottes nennen, ist zwar insofern eine aposteriorische Erkenntnis, als die transzendentale Erfahrung des Menschen von seiner freien Subjekthaftigkeit sich immer nur in der Begegnung mit der Welt und vor allem der Mitwelt ereignet.230

An dem Problem, ob die transzendentale Erfahrung und schließlich auch der transzendentale Aspekt der Offenbarung apriorisch oder aposteriorisch zu verstehen sind, wird Rahner wieder eingeholt von dem generellen Problem der Vermittlung von Natur und Gnade bzw. von Philosophie und Theologie und es zeigt sich hieran, dass Rahner nicht nur, wie Thomas Pröpper es beobachtet hat, abwechselnd den transzendentalen und den kategorialen Aspekt der Offenbarung akzentuiert,231 sondern dass sich eine abwechselnde Akzentuierung hier auch noch einmal innerhalb des Begriffs der Transzendentalität wiederholt. Woran liegt es nun aber, dass Rahner trotz der Modifikationen, die er in der Entwicklung seines Versuchs der Vermittlung von Philosophie und Theologie bzw. von Natur und Gnade angefangen von der „Ontologie der potentia oboedientialis für Offenbarung“ in „Hörer des Wortes“ über die Etablierung des „übernatürlichen Existentials“ in „Über das Verhältnis von Natur und Gnade“ bis zur transzendentalen Offenbarung in den „Bemerkungen zum Begriff der Offenbarung“ diese Vermittlung nicht gelingt? Als 228 229 230 231

Rahner, Grundkurs, 31. Rahner, Grundkurs, 30. Rahner, Grundkurs, 61. Vgl. Prçpper, Erlösungsglaube und Freiheitsgeschichte, 135.

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Konstante ist stets das Bemühen zu beobachten, die Ungeschuldetheit der Gnade nicht zu gefährden. Dies wird auch bei der Frage der Apriorität der transzendentalen Bezogenheit des Subjekts auf die Gnade Gottes virulent, wenn Rahner gleichzeitig eine apriorische Deduktion der Gnade aus dem Wesen des Menschen ablehnt: Wenn wir hier auch von dem Problem des genaueren Verhältnisses zwischen Natur und Gnade ausdrücklich absehen, so kann und muß doch gesagt werden, daß diese transzendentale Bezogenheit auf eine Wirklichkeit der übernatürlichen Wortoffenbarung, auf ein Offenbarungsgeheimnis immer als durch Gottes Gnade selbst konstituiert gedacht ist, der Versuch einer solchen transzendentaltheologischen Entdeckung einer apriorischen Bezogenheit des Subjekts auf eine von Gott frei gesetzte übernatürliche Heilswirklichkeit also nicht dem Vorwurf ausgesetzt ist, man versuche, die Mysterien dieser ungeschuldeten Heilswirklichkeit a priori aus dem bloßen Wesen des Menschen zu deduzieren.232

Dieses stete Bewusstsein, dass die Gnade ungeschuldet bleiben muss, wird von Rahner von Anfang an mit dem Begriff der Selbstmitteilung wachgehalten. Es stellt sich also die Frage, ob sich das Problem der Vermittlung von Natur und Gnade durch den Begriff der Selbstmitteilung Gottes in Rahners Konzeption lösen lässt. 2.2 Offenbarung als Selbstmitteilung Gottes Es gilt nun zu zeigen, inwiefern sich das transzendentaltheologische Offenbarungsverständnis in seiner versuchten Vermittlung von Transzendentalität und Kategorialität mit dem Rahnerschen Zentralbegriff der Selbstmitteilung identifizieren lässt und welche Rolle das Verständnis vom trinitarischen Gott als Geber und Gabe dieser Selbstmitteilung in Rahners Transzendentaltheologie einnimmt. Dabei fällt auf, dass Rahner weniger um eine Vermittlungsleistung bemüht ist, als vielmehr darum, die Unmittelbarkeit der göttlichen Selbstmitteilung als das absolute Geheimnis zu erklären: Diese Unmittelbarkeit Gottes in seiner Selbstmitteilung ist gerade die Entbergung Gottes als des bleibenden absoluten Geheimnisses. Aber daß dies geschehen kann, daß der ursprüngliche Horizont Gegenstand werden kann, daß das vom Menschen her unerreichbare Ziel doch der wirkliche Ausgangspunkt des vollendeten Selbstvollzugs des Menschen werden kann, das ist in der christlichen Lehre gesagt, nach der Gott den Menschen die unmittelbare Anschauung in sich selbst als Vollendung des geistigen Daseins des Menschen schenken will.233

Das Sich-Selbst-Schenken Gottes in der Selbstmitteilung wird ontologisch als „innere formale Ursächlichkeit“ verstanden und „ist in der transzendentalen 232 Rahner, Überlegungen zur Methode der Theologie, 105. 233 Rahner, Grundkurs, 126.

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Erfahrung der Verwiesenheit jedes endlichen Seienden auf das absolute Sein und Geheimnis Gottes gegeben.“234 Dass es sich bei dieser transzendentalen Erfahrung wiederum um etwas handelt, das in einer Zweideutigkeit von Apriorität und Aposteriorität verbleibt, zeigt sich u. a. daran, dass Rahner bei der Beschreibung der Unmittelbarkeit der Selbstmitteilung auf den Heiligen Geist als christliches Lehrstück zurückgreift: Das ist in der christlichen Lehre gesagt, nach der in der Gnade, d. h. in der Mitteilung des Heiligen Geistes Gottes, dieses Ereignis der Unmittelbarkeit zu Gott in der Vollendung des Menschen so vorbereitet ist, daß schon jetzt vom Menschen gesagt werden muß, er sei des göttlichen Wesens teilhaftig, ihm sei das göttliche Pneuma gegeben, das die Tiefen der Gottheit erforscht, er sei jetzt schon Sohn Gottes, und es müsse nur offenbar werden, was er jetzt schon ist.235

Der Heilige Geist als die Selbstmitteilung Gottes in der transzendentalen Verwiesenheit des Menschen auf Gott durch die ungeschaffene Gnade in der quasiformalen Kausalität ist von daher Ausdruck der transzendentalen Offenbarung. Und doch ist der Heilige Geist nicht im Sinne einer Apriorität schlechthin transzendental, weil letztlich doch die Moment des Sich-Schenken-Gottes als Selbstmitteilung Gottes Ausdruck des Heiligen Geistes ist. Zur Offenbarung Gottes bezogen auf den Heiligen Geist gehört also stets ein kategorialer Aspekt. Dies hat Rahner zumindest an anderer Stelle, wo er die Selbstmitteilung Gottes trinitarisch versteht, ausgesagt: Die absolute Selbstmitteilung Gottes an die Welt als nahekommendes Geheimnis heißt in ihrer absoluten Ursprünglichkeit und Unableitbarkeit Vater, als selbst handelndes und zu dieser freien Selbstmitteilung notwendig innerhalb der Geschichte selbst handeln müssendes Prinzip Sohn und als geschenktes und von uns angenommenes Heiliger Geist.236

Rahner stellt geradezu einen Zusammenhang zwischen dem innertrinitarischen Verhältnis von Sohn und Geist und dem aufeinander Bezogensein von Geschichte und Transzendenz her, wenn er schreibt: „Insofern dabei Geschichte Transzendenz vermittelt, sendet der Sohn den Geist; insofern Transzendenz Geschichte schafft, bewirkt der Geist die Inkarnation des Logos.“237 An dieser Aussage wird aber die Betonung der Transzendentalität des Geistes, weil er dem Menschen in der Selbstmitteilung als transzendentale Erfahrung gegeben ist, deutlich, die Rahner auch an anderer Stelle gegen die Schultheologie vorträgt, indem er das Problem von Transzendenz und Geschichte unter der Voraussetzung betrachtet, 234 235 236 237

Rahner, Grundkurs, 128. Rahner, Grundkurs, 126. Rahner, Über den Begriff des Geheimnisses, 95. Rahner, Bemerkungen zum Begriff der Offenbarung, 16.

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daß […] die Begnadigung durch den göttlichen Geist selbst primär eine wahre Selbstmitteilung Gottes in der Transzendentalität des Menschen, nicht aber eine innere oder äußere kategoriale Wirklichkeit für das menschliche Bewußtsein ist, gleichsam das Material für die freien Entscheidungen des Menschen.238

Der Geist steht bei Rahner gleichsam für die geglückte Synthese von Transzendenz und Geschichte, so dass sich auch das Problem der Zuordnung der Geisterfahrung zur Transzendentalität dahingehend verflüchtigt, dass Rahner die transzendentale Erfahrung des Geistes als gnadenhafte Selbstmitteilung Gottes als denkbare Synthese von Transzendentalität und Kategorialität beschreibt: Nun geht jedoch die transzendentale Erfahrung Gottes in seiner gnadenhaften Selbstmitteilung nicht auf eine Sache, nicht auf ein bloß notwendiges Wesen, sondern auf eine personale Wirklichkeit in Freiheit, der man sich als solcher gerade dann übergibt, wenn man sich dem in notwendiger transzendentaler Erfahrung gegebenen Gott auf Grund der eigenen Freiheit des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe überantwortet. Überall, wo sich menschliche Freiheit verwirklicht, wird sie thematisch oder unthematisch als Geschenk des freien Gottes und als Fortsetzung seiner schöpferischen Tat in das Leben der Kreatur hinein erfahren. Diese verdankt sich mithin nicht nur in ihrem substantiellen Wesen, sondern auch in ihrem freien Vollzug dauernd Gott. Von da aus gesehen ist eine solche Synthese von Transzendentalität und Kategorialität an sich denkbar ; das in Freiheit gewollte Kategoriale kann erlebt werden als das von Gottes Freiheit schöpferisch Gesetzte.239

Ist in dieser Weise gewährleistet, dass sich die Erfahrung des Geistes anthropologisch durch die Transzendentalität des Menschen beschreiben lässt, ist andererseits zu fragen, inwiefern die Erfahrung des Geistes christologisch fundiert ist. Doch auch an dieser Stelle wird das Problem der Vermittlung von Transzendentalität und Kategorialität weitergereicht. Denn die Verwiesenheit des Geistes auf Christus bietet noch nicht die Vermittlung zwischen der Transzendentalität des Menschen zur Kategorialität, indem auf das Christusereignis als ein geschichtliches Ereignis verwiesen wäre, sondern innerhalb der Christologie, die Rahner als transzendentale Christologie konzipiert, stellt sich erneut die Frage nach der Vermittlungsleistung von Rahners Transzendentaltheologie. Die transzendentale Christologie Rahners ist durch ihren Zentralbegriff der hypostatischen Union charakterisiert. Der Begriff der hypostatischen Union ist der Versuch, die traditionelle Christologie im Sinne der chalkedonischen Zweinaturenlehre so zu formulieren, dass sie innerhalb einer Theologie, die sich als transzendentale Anthropologie versteht, integriert werden kann. Die hypostatische Union als christologischer Zentralbegriff wird von Rahner im „Grundkurs des Glaubens“ vermittels der Idee der Selbsttranszendenz zur 238 Rahner, Erfahrung des Geistes, 41. 239 Rahner, Erfahrung des Geistes, 49 f.

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menschlichen Transzendenz ins Verhältnis gesetzt,240 so dass das geschichtliche „Ereignis der Inkarnation einerseits und der Selbsttranszendenz der Gesamtgeisteswelt in Gott durch die Selbstmitteilung Gottes andererseits“241 als eine innere Einheit verstanden wird. Ist damit die Christologie als transzendentale Christologie der Ort, an dem Rahner die Vermittlung von Transzendentalität und Geschichte gelingt oder bleibt in seiner transzendental konzipierten Christologie die Geschichte letztlich der Transzendentalität untergeordnet, so dass auch hier keine Vermittlung nachvollzogen werden kann?242 Das Problem, dass die geschichtliche Dimension des Christusereignisses bzw. der kategoriale Aspekt der Offenbarung in Christus bei Rahner stets in der Gefahr steht, vernachlässigt zu werden, hängt gerade mit der Stärke der Rahnerschen Christologie zusammen, die darin besteht, dass er die Inkarnation anthropologisch vermittelt, indem er die Menschwerdung Gottes als den „einmalig höchsten Fall des Wesensvollzugs der menschlichen Wirklichkeit“243 versteht.244 Von daher ist es Rahner möglich, die Christologie von vornherein von der Anthropologie her zu entfalten und er muss nicht am christologischen Dogma ohne Bezug zum Menschen festhalten. Gleichwohl wiederholt sich innerhalb seiner transzendentalen Christologie, gerade indem hier versucht wird, sie zur menschlichen Transzendenz ins Verhältnis zu setzen, die Unentscheidbarkeit von Apriorität und Aposteriorität dessen, was Rahner mit hypostatischer Union meint. So schließen sich Apriorität und geschichtliche Bedingtheit bei ihm anscheinend nicht aus, wenn er schreibt: Wenn wir sagen, es müsse auch in einer transzendentalen Theologie eine apriorische Lehre vom Gottmenschentum – wenigstens heute – erstellt werden, dann bedeutet dies natürlich nicht, daß zeitlich und geschichtlich eine solche apriorische Lehre vor der faktischen Begegnung mit dem Gottmenschen sich ereignen könne.245

Ohne die Durchführung der Christologie im Einzelnen zu erörtern, scheint mir für die Frage nach dem Verhältnis von Transzendentalität und Geschichte bzw. von Apriorität und Aposteriorität eine Beobachtung an Rahners Interpretation des Begriffs der hypostatischen Union von entscheidender Bedeutung. Die hypostatische Union ist nicht nur in der Spannung von gottmenschlicher Einheit als transzendental zu erfassendem Ziel des Menschen 240 Vgl. Rahner, Grundkurs, 198 ff. 241 Rahner, Grundkurs, 200. 242 So erörtert Greiner die Christologie Rahners als den besonderen Ort, wo sich die Leistungsfähigkeit der Transzendentaltheologie zu erweisen hat. Vgl. Greiner, Die Menschlichkeit der Offenbarung, 251. Dabei kommt er allerdings zu dem Urteil, dass selbst innerhalb der Christologie das geschichtliche Geschehen nur von seiner transzendental-anthropologischen Basis her verstanden werden könne. Vgl. Greiner, Die Menschlichkeit der Offenbarung, 284. 243 Rahner, Grundkurs, 216. 244 Zur Bedeutung der Christologie Rahners, die sich an diesem Punkt erweist, vgl. Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 2, 331 f. 245 Rahner, Grundkurs, 179.

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und gottmenschlicher Einheit als einmaligem geschichtlichen Ereignis in Christus zu betrachten. Denn die hypostatische Union wird darüber hinaus von Rahner durch die eschatologische Vorstellung der visio beatifica interpretiert246 und nur durch diese Interpretation ist es überhaupt erst möglich, den Begriff der hypostatischen Union mit dem Ziel des Menschen, mit seiner Selbsttranszendenz in das Leben Gottes hinein, in Verbindung zu bringen. So kommt Rahner zu folgendem Schluss bei der Verhältnisbestimmung des aus der metaphysischen Christologie stammenden Begriffs der hypostatischen Union mit der menschlichen Transzendenz: Die hypostatische Union wirkt sich für die angenommene Menschheit des Logos als solche innerlich gerade in dem und eigentlich nur in dem aus, was allen Menschen als Ziel und Vollendung zugeschrieben wird, nämlich in der unmittelbaren Anschauung Gottes, die die geschaffene menschliche Seele Christi genießt.247

Die Einmaligkeit der hypostatischen Union wird mit ihrer universalen Bedeutung zusammengedacht, indem auf das Ziel und die Vollendung aller Menschen rekurriert wird. Und weil diese Vollendung gerade als unmittelbare Anschauung Gottes beschrieben wird, ist es wiederum die eschatologische Vorstellung der visio beatifica, durch die der Gedanke der Selbstmitteilung Gottes, die eben die unmittelbare Anschauung Gottes zum Ziel hat, Rahners Begriff der Transzendentalität des Menschen einen metaphysisch-ontologischen Rahmen voraussetzt. Erst dieser von Anfang an bei Rahner im Hintergrund präsente metaphysisch-ontologische Rahmen ermöglicht es also, dass Rahner die in Christus – der bei ihm als absoluter Heilsbringer auch begrifflich eine eschatologische Dimension hat – schon realisierte Vollendung zum Ziel der menschlichen Selbsttranszendenz setzt: Wo aber Gott die Selbsttranszendenz des Menschen derart bewirkt, daß beides die unwiderrufliche und in einem Menschen schon zur Vollendung gelangte Verheißung an alle Menschen ist, da haben wir eben das, was unio hypostatica meint.248

Das Abheben auf die Notwendigkeit der geschichtlichen Einmaligkeit der hypostatischen Union in Christus unterstreicht die irreversible Bedeutung des Geschichtlichen innerhalb seiner transzendentalen Christologie. Doch wenn man diese konstitutive Bedeutung des Geschichtlichen ernst nimmt, bleibt wiederum die Schwierigkeit bestehen, dies mit einer apriorischen Idee der hypostatischen Union zu vermitteln. Das zeigt, dass sich innerhalb von Rahners transzendentaler Christologie, die gleichsam das zentrale dogmatische Lehrstück für die Durchführung seines Zentralbegriffs der Selbstmit246 Die unmittelbare Gottesschau wird von Rahner in einem Vortrag aus dem Jahr 1961 als inneres und unaufgebbares Moment der hypostatischen Union verstanden. Vgl. Rahner, Dogmatische Erwägungen, 245. 247 Rahner, Grundkurs, 200. 248 Rahner, Grundkurs, 201.

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Die eschatologische Dimension

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teilung bildet, die Probleme seines Begriffs der Transzendentalität wiederholen, die die Frage nach Apriorität und Aposteriorität unentscheidbar lassen, weil dieser Begriff der Transzendentalität eine metaphysische Dimension aufweist. Dieser metaphysischen Dimension ist auch die anthropologische Zielperspektive, die in der eschatologischen Gottesschau besteht, zu eigen. Hierin zeigt sich noch einmal, dass die Transzendentaltheologie des späten Rahner nicht mehr in der Spannung zwischen einer transzendentalphilosophischen Ontologie der potentia oboedientialis und einer theologischen Ontologie der visio beatifica steht, wie es noch für die fundamentaltheologische Konzeption von „Hörer des Wortes“ charakteristisch war, sondern dass die Rahnersche Transzendentaltheologie vielmehr eine eschatologische Theologie ist als eine transzendentalphilosophische Theologie.

3. Die eschatologische Dimension der Theologie Rahners Das Christentum ist die Offenhaltung der Frage nach der absoluten Zukunft, die sich als solche selbst in Selbstmitteilung geben will, diesen ihren Willen in Jesus Christus eschatologisch irreversibel festgemacht hat und Gott heißt.249 Diese futurologische Kurzformel ist die letzte von drei Kurzformeln des Glaubens, mit denen Rahner seinen Grundkurs beschließt. Er erläutert sie selbst dahingehend, dass sich die Transzendentalität des Menschen als Verwiesenheit auf Zukunft, als Zukünftigkeit interpretieren lasse.250 Wäre es nicht angebracht – gerade im Hinblick auf die Probleme, die der Rahnersche Begriff der Transzendentalität aufwirft –, Rahners Theologie als eine eschatologische Theologie statt einer transzendentalen Theologie zu bezeichnen? Zumindest ist es bedenkenswert, ob es überhaupt einen Unterschied zwischen der Transzendentaltheologie Rahners und einer transzendentalen Eschatologie gibt. Letztere entspräche genau der Forderung Rahners an die Eschatologie. Es soll sich dabei um eine Eschatologie handeln, die heutigen Ansprüchen angemessen sei, indem sie den Menschen als das sich auf die offene Zukunft entwerfende Wesen versteht,251 wobei es dann nicht um eine Reportage des Jenseitigen gehe, sondern um das gegenwärtige eschatologisch begnadete Dasein.252 Der Eindruck, dass sich eine Eschatologie in transzendentaler 249 250 251 252

Rahner, Grundkurs, 439. Rahner, Grundkurs, 439. Vgl. Rahner, Theologie und Anthropologie, 64. „Eine transzendentale Grundlegung der Eschatologie würde erkennen lassen, daß sie gar keine antizipierende Reportage der Phänomenalität künftiger Ereignisse ist, geliefert von Gott, der ihnen jetzt schon zuschaut, sondern die notwendige, zum Wesen des Menschen unabdingbar gehörende Interpretation seines gegenwärtigen eschatologisch begnadeten Daseins auf den Horizont seiner absoluten Zukunft hin.“ Rahner, Theologie und Anthropologie, 65.

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Transzendentaltheologie Karl Rahners

Grundlegung von einer Transzendentaltheologie, die durch die Zielbestimmung der menschlichen Selbsttranszendenz in der unmittelbaren Anschauung Gottes ihrerseits eschatologisch motiviert ist, nur schwer unterscheiden lässt, wird von Rahner im neunten Gang seines „Grundkurs des Glaubens“ zur Eschatologie verstärkt, wenn er schreibt: Es zeigt sich, daß eine solche christliche Eschatologie gar nichts anderes ist als die Wiederholung all dessen, was bisher gesagt worden ist vom Menschen, insofern er der von Gottes Selbstmitteilung begnadete, freie, kreatürliche Geist ist. Eschatologie ist nicht eigentlich etwas Zusätzliches, sondern sagt noch einmal den Menschen aus, so wie ihn das Christentum versteht: als den von seiner jetzigen Gegenwart weg auf seine Zukunft hin eksistierenden. Der Mensch kann sich selber nur sagen, was er ist, indem er sich sagt, was er will und werden kann. Und er kann sich als Kreatur im Grunde nur sagen, was er in Freiheit will, wenn er sich sagt, was er in Freiheit hofft als das ihm Zugeschickte und von seiner Freiheit Angenommene. Christliche Anthropologie ist also vom Wesen des Menschen her christliche Futurologie, christliche Eschatologie.253

Wenn in einer anthropologisch-transzendental orientierten Theologie die christliche Anthropologie christliche Eschatologie ist, wo sollten noch Unterschiede zwischen der Eschatologie und der Theologie als Ganzes aufzuspüren sein? M.E. besteht der Unterschied gerade darin, in welcher Weise die transzendentale und die eschatologische Dimension aufeinander bezogen sind. Erscheint es so, dass die Eschatologie nun tatsächlich transzendental begründet ist und es sich von daher in der Eschatologie bei Rahner nicht um „antizipierende Reportagen einer ausständigen Zukunft“254 handelt, so ist im Unterschied dazu die eschatologische Dimension der Rahnerschen Transzendentaltheologie gerade nicht transzendental zu begründen. Durch ihren unvermittelten Rekurs auf eine Ontologie der visio beatifica als Einheit stiftendes Moment von menschlicher Selbsttranszendenz und göttlicher Selbstmitteilung ist der eschatologische Kern der Transzendentaltheologie Rahners selbst nicht mehr transzendental sondern metaphysisch-ontologisch begründet. Diese Begründung der eschatologischen Dimension der Theologie Rahners wird nicht in einer Weise, durch die ihre konstitutive Bedeutung für den entscheidenden Begriff der Selbstmitteilung Gottes hinreichend zur Geltung gebracht würde, innerhalb der transzendentaltheologischen Konzeption reflektiert. Dadurch ergibt sich nicht nur das Problem der Unentscheidbarkeit von Apriorität und Aposteriorität alles dessen, was bei Rahner als transzendental verstanden wird, sondern m. E. ist damit auch das Problem, dass sich der Unterschied von transzendentaltheologischer Eschatologie und eschatologisch dimensionierter Transzendentaltheologie nicht fruchtbar machen lässt, verbunden. Dies liegt wiederum daran, dass sich die Begrün253 Rahner, Grundkurs, 414. 254 Rahner, Grundkurs, 414.

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Die eschatologische Dimension

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dungsprobleme der Transzendentaltheologie schließlich auch in einer Eschatologie widerspiegeln müssen, wenn letztere transzendentaltheologisch begründet sein soll. Somit sind die transzendentaltheologisch begründete Eschatologie und die eschatologisch konstituierte Transzendentaltheologie zwar nicht identisch, aber doch unentwirrbar miteinander verflochten. Dieses Ineinander von Eschatologie und Transzendentaltheologie, das Rahner in der Konzeption von „Hörer des Wortes“ noch versucht hat zu vermeiden, hängt nun wiederum mit dem für die Transzendentaltheologie zentralen Theologumenon des übernatürlichen Existentials zusammen. Denn durch die realontologische Hinordnung des konkreten Menschen auf die Gnade ist es erst möglich, vom Menschen als dem Wesen der Transzendenz auf Gott hin zu sprechen. Denn die Hinordnung auf die Gnade bedeutet Hinordnung auf die Vollendung in der Anschauung Gottes: Der Mensch ist als der durch die Gnade erhöhte dasjenige geistige Wesen, das ontologisch auf die visio beatifica ausgerichtet ist. Gnade als streng übernatürliche ist im Grunde visio beatifica oder deren ontologische Voraussetzung.255

Aber nach der Einführung des Theologumenons vom übernatürlichen Existential kann Rahner sogar die visio zusammen mit dem Begriff der potentia oboedientialis zum Wesen der geistigen Kreatur erklären: Wenn aber die „potentia oboedientialis“ für Gnade und die „visio“ identisch ist mit dem Wesen der geistigen Kreatur, dann ist dieses Wesen eben nur wahrhaft vollendet, wenn es in der „visio“ durch die Gnade die absolute Nähe zu Gott gefunden hat.256

Wird hier durch seine Gnadentheologie die Eschatologie mit der Anthropologie verbunden, so ist andererseits der Tod bei Rahner ein Thema der Anthropologie.257 Aber auch hier bewirkt die Rede vom übernatürlichen Existential, dass die Anthropologie in sich verwoben wird mit der Eschatologie. So schreibt er in dem Text „Zur Theologie des Todes“ an einer Stelle, wo er in einer Spannung zur Bedeutung des Todes als natürliches Vorkommnis, wie es innerhalb der katholischen Schultheologie gesehen wird – Rahner hält zwar an dieser Deutung fest, möchte sie aber nicht auf den Tod des Menschen reduzieren – die Nichtselbstverständlichkeit des Todes mit dem übernatürlichen Existential begründet: Denn der Mensch der konkreten Ordnung lebt, ob er in der Gnade lebt oder nicht, in einer Ordnung, in der der Tod nicht sein sollte: in der Hinordnung auf die Gnade und

255 Rahner, Über den Begriff des Geheimnisses, 75. 256 Rahner, Immanente und transzendente Vollendung, 603. 257 So hat Rahner in seinem noch zusammen mit Hans Urs von Balthasar im Jahr 1939 aufgezeichneten „Aufriß einer Dogmatik“ die Theologie des Todes der theologischen Anthropologie der Erlösten zugeordnet. Vgl. Rahner/von Balthasar, Aufriß einer Dogmatik, 442 – 446.

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Transzendentaltheologie Karl Rahners

das übernatürliche Ziel der Teilnahme am Leben Gottes ist realontologisch in jedem Menschen ein Existential gegeben, das dem Tod widerspricht.258

Wie ist nun die Verwobenheit von Eschatologie, Geschichte und Transzendenz zu bewerten? Auch wenn aufgezeigt werden konnte, dass Rahners Theologie nicht zweifelsfrei transzendental genannt werden kann, wäre sicherlich nicht viel erreicht, wenn sie statt dessen einfach als eschatologische Theologie bezeichnet werden würde. Denn dadurch lässt sich die Verwobenheit der unterschiedlichen Frageebenen nicht aufheben. An dieser Stelle sei im Anschluss an Verweyen darauf hingewiesen, dass die ontologische Überfrachtung der transzendentalen Hingeordnetheit des Menschen auf Offenbarung bei Rahner leicht zur Vermischung der unterschiedlichen fundamentaltheologischen Frageebenen führen kann. Verweyen unterscheidet die Frage nach dem Sinn als Frage der philosophischen Vernunft und die Frage nach der Faktizität als Frage der historischen Vernunft.259 Rahner stellt sich dem Problem der Vermischung nicht, vielmehr scheint es aufgehoben in der Rückführung in das eine Geheimnis – „reductio in unum mysterium“.260 Im „Grundkurs des Glaubens“, der von ihm als eine Einführung in den Begriff des Christentums auf der ersten Reflexionsstufe konzipiert ist,261 geht es letztlich auch nur um dieses eine Geheimnis: „Und dieses eine Mysterium läßt sich dem Menschen durchaus nahebringen, wenn er sich als den versteht, der in das Geheimnis verwiesen ist, das wir Gott nennen.“262 Der Charakter des Geheimnisses wird trotz der Selbstmitteilung Gottes aufrecht erhalten, was sich wiederum in Rahners wegweisendem Aufsatz zur Eschatologie „Theologische Prinzipien der Hermeneutik eschatologischer Aussagen“ in der dritten von insgesamt sieben Thesen niederschlägt, in der es um den Verborgenheitscharakter der Vollendung geht. So schreibt Rahner hier : „Das Eschatologische ist in seiner Offenbarung gerade da als das Geheimnis.“ Und weiter : „Der Verborgenheitscharakter des Eschatologischen in seiner Geoffenbartheit ist für es absolut wesentlich.“263 Doch dies gelte nicht nur für die Offenbarung des Eschatologischen in der Geschichte, sondern Gott bleibe auch in der eschatologischen Schau Geheimnis: Wenn so Gnade das geistige Subjekt auf die Unmittelbarkeit zu Gott hinordnet, in der eine gegenständlich-kategoriale Vermittlung des Wissens um Gott durch eine geschöpfliche Gegenständlichkeit nicht mehr gegeben ist, so kann diese Wesensbestimmung der Gnade nicht bedeuten, daß diese Unmittelbarkeit die Aufhebung der transzendentalen Notwendigkeit sei, daß Gott das heilige Geheimnis wesenhaft ist.264 258 259 260 261 262 263 264

Rahner, Zur Theologie des Todes, 35. Vgl. Verweyen, Gottes letztes Wort, 245. Vgl. Rahner, Überlegungen zur Methode der Theologie, 113 – 126. Vgl. Rahner, Grundkurs, 26. Rahner, Grundkurs, 24. Rahner, Theologische Prinzipien, 409 f. Rahner, Über den Begriff des Geheimnisses, 75.

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Rahner begründet dies mit der Unbegreiflichkeit Gottes und die visio beatifica sei „wie der unmittelbare Blick auf das Geheimnis als solches“265. Mit diesem radikalen Verständnis von Gott als Geheimnis setzt er durch den bleibenden Charakter des Geheimnisses ein positives Verständnis von Geheimnis gegen ein negatives Verständnis von Geheimnis als etwas „bloß vorläufig noch nicht Begriffene[s] und Durchschaute[s]“266. Damit möchte er konfrontiert mit dem Diktum Wittgensteins – „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen.“267 –, das er als Inbegriff eines negativen Verständnisses von Geheimnisses betrachtet, nicht zuletzt den wissenschaftlichen Charakter der Theologie wahren. Eberhard Jüngel nimmt dieses positive Verständnis von Geheimnis auf, um genau wie Rahner trotz Wittgensteins Diktum268 die Sagbarkeit Gottes in menschlicher Rede zu wahren, indem er von Gott als dem Geheimnis der Welt spricht.269 Dabei bestimmt er die Struktur eines positiven Geheimnisbegriffs einerseits im Anschluss an Rahner und Ebeling, indem er sagt, „daß es, wenn man es ergreift, nicht aufhört, Geheimnis zu bleiben.“270 Andererseits grenzt er sich von Rahner ab, wenn er sagt, „daß es dem Geheimnis wesentlich ist, sich ergreifen zu lassen.“271, wobei er auf folgendes Zitat Rahners verweist: Geheimnis ist vielmehr dasjenige, was gerade als das Undurchschaubare – da ist, gegeben ist […] als der unbeherrschbar herrschende Horizont allen Begreifens, der anderes begreifen läßt, indem er selbst als der unbegreifliche daseiend sich verschweigt.272

Jüngel setzt gegen das Motiv des Sich-Verschweigens ein Verständnis des positiven Geheimnisses im Sich-Ergreifen-Lassen. Dies konkretisiert er, indem er den Ereignischarakter der Menschwerdung Gottes betont und so den Sohn als Gleichnis Gottes deutet,273 um schließlich zu einer metaphorischen Redeweise von Gott zu gelangen. Jüngel erklärt diese Differenz zu Rahner damit, dass Gott als Geheimnis sich in einem transzendentaltheologischen Ansatz mit eherner Notwendigkeit verschweigen müsse.274 Stimmt diese Deutung und ist das Sich-Verschweigen Gottes gerade ein Ausdruck der transzendentaltheologischen und damit anthropologischen Seite der Rahnerschen Theologie, dann ist andererseits auch zu betonen, dass die Rede von Gott als Geheimnis und die Forderung der Rückführung in dieses Geheimnis genauso aus der eschatologischen Dimension Rahner, Über den Begriff des Geheimnisses, 76. Rahner, Überlegungen zur Methode der Theologie, 114. Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus, 85. Vgl. Jngel, Gott als Geheimnis der Welt, 340. Vgl. Jngel, Gott als Geheimnis der Welt, 307 – 408. Jngel, Gott als Geheimnis der Welt, 341. Jngel, Gott als Geheimnis der Welt, 341. Rahner, Zur Theologie der Menschwerdung, 141. Dieses Zitat mit seiner entscheidenden Pointe im Motiv des Sich-Verschweigens hat Rahner auch in der überarbeiteten Fassung dieses Aufsatzes beibehalten: Rahner, Grundkurs, 215 f. 273 Jngel, Gott als Geheimnis der Welt, 393 f. 274 Jngel, Gott als Geheimnis der Welt, 341, Anm. 11.

265 266 267 268 269 270 271 272

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Transzendentaltheologie Karl Rahners

seiner Theologie resultiert. Von daher kommt zu der Unentscheidbarkeit von Apriorität und Aposterioriät der Offenbarung in Rahners Theologie eine weitere Unentscheidbarkeit seiner Theologie insgesamt. Es bleibt unentscheidbar, ob sie im Letzten anthropozentrisch oder theozentrisch ist. Der Grund dafür scheint mir darin zu liegen, dass Rahner dazu neigt, Gott und Mensch synthetisch aufeinander zu beziehen. Es ist von daher noch einmal danach zu fragen, ob Gott auch in der visio beatifica Geheimnis bleibt. Abgesehen von Wolfhart Pannenbergs Offenbarungsverständnis als Selbstoffenbarung, das im eschatologischen Sinne gerade darauf gerichtet ist, dass Gott seine Gottheit, seine Herrlichkeit offenbart,275 ist dies wohl auch mit Paul Tillich anzuzweifeln. Bei Letzterem steht man jedenfalls nicht in der Gefahr, den Geheimnischarakter der Offenbarung anzweifeln zu müssen. So hat schon Tillich die Offenbarung als „die Manifestation des Mysteriums des Seins“276 beschrieben. Setzt man einmal voraus, dass diese Manifestation des Geheimnisses in der Offenbarung in einem Zusammenhang steht mit dem Leben des Offenbarungsempfängers in seiner Zweideutigkeit, dann wird mit der Überwindung der Zweideutigkeit im ewigen Leben277 auch das Geheimnis überwunden sein.

4. Fazit Rahners fundamentaltheologische Konzeption weist durch alle ihre Entwicklungsstufen hindurch eine eschatologische Dimension auf. Dennoch stellt er seine Theologie nicht in eine eschatologische Spannung hinein, die sich als eine Spannung von schon jetzt und noch nicht oder auch als eine Spannung von Offenbarung und Erfahrung thematisieren ließe. Der Gang durch seine fundamentaltheologischen Entwicklungsstufen lässt sich auch als ein immer wiederkehrender Versuch des Überschreitens von Aporien in der Verhältnisbestimmung von Natur und Gnade verstehen. Steht Rahner zu Beginn bei der Beschreibung des Verhältnisses von Religionsphilosophie und Theologie durch den Begriff der Offenbarung vor der Aporie der Offenheit und Verborgenheit des Seins, so handelt er sich über das Theologumenon des übernatürlichen Existentials und schließlich über die Idee einer transzendentalen Erfahrung die Probleme der Ununterscheidbarkeit von Apriorität und Aposteriorität des Transzendentalen und der Ununterscheidbarkeit von Anthropozentrik und Theozentrik der Theologie ein. Er löst damit zwar die Aporien nicht auf, hält aber an einer Universalität seines Ansatzes fest, die er im Unterschied zu Guardini und Ratzinger ohne Rekurs auf die Kirche zur Geltung zu bringen vermag.

275 Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 1, 261. 276 Tillich, Systematische Theologie Bd. 1, 154. 277 Vgl. Tillich, Systematische Theologie Bd. 3, 454.

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Teil 3: Der kirchliche Wahrheitsanspruch bei Ratzinger 1. Der Wahrheitsanspruch als bestimmendes Moment 1.1 Die geschichtliche Kontinuität metaphysischer Wahrheit Für die Theologie Joseph Ratzingers ist charakteristisch, dass sie nicht nur nach Wahrheit fragt, sondern vielmehr den Anspruch erhebt, prinzipiell die Wahrheit objektiv erkennen zu können, und in Folge dessen den Anspruch an die Theologie in Wissenschaft und Kirche stellt, diese starke Wahrheit zu vertreten. Den Wahrheitsanspruch Ratzingers als einen Anspruch auf eine starke Wahrheit zu kennzeichnen, ergibt sich daraus, dass Wahrheit stets ontologisch im Rahmen einer Metaphysik gedacht ist, die sich durch geschichtliche Kontinuität auszeichnet. So wird Ratzingers Ansatz auch als „Theologie im Anspruch von Geschichte und Wahrheit“1 bezeichnet, wobei Wahrheit als ein Thema der Metaphysik eingeführt wird und somit Geschichte und Metaphysik die Pole eines methodischen Spannungsgefüges in der Theologie Ratzingers bilden.2 Durch diese Deutung wird seine Theologie als Versuch einer Synthese von Geschichtsbewusstsein und Metaphysik gewürdigt. Dabei fällt auf, dass der Grund für diese Synthese bereits in einem Gedanken aus der Dissertation Ratzingers über Augustin angelegt ist, wonach das Christusgeschehen als geschichtliches Ereignis die Einheit von Geschichte und Metaphysik ermöglicht: Dadurch, daß Augustin das geschichtliche Faktum voraussetzt, daß Gott in diese Welt eintrat, kann er zugleich die Religion auf diesen Gott beziehen, d. h. sie in voller Einheit mit der Metaphysik verstehen. Die beiden scheinbar disparaten apologetischen Prinzipien des Christentums: Bindung an die Geschichte und Bindung an die Metaphysik, zeigen hier ihre wurzelhafte Einheit.3

Im Anschluss daran stellt sich allerdings die Frage, ob hier tatsächlich eine Synthese von Geschichtsbewusstsein und Metaphysik vorliegt, oder aber ob die Bindung an die Geschichte überhaupt ernst genommen wird, d. h. inwieweit die geschichtliche Vermittlung des Christusereignisses als „geschichtliches Faktum“ so thematisiert wird, dass das Fragmentarische und auch die 1 Kaes, Theologie im Anspruch. 2 Vgl. Kaes, Theologie im Anspruch, 36 – 38. 3 Ratzinger, Volk und Haus Gottes, 275.

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Der kirchliche Wahrheitsanspruch bei Ratzinger

Diskontinuität dieser Vermittlung in Betracht gezogen wird und damit die Geschichte als Ort der Erkenntnis von Wahrheit auch in gleicher Weise konstitutiv für die Bildung christlicher Wahrheitsansprüche ist wie die „Bindung an die Metaphysik“. Die Alternative, die sich bei Ratzinger andeutet, ist die Überordnung der Metaphysik über die Geschichte. Die Geschichte wird zwar als Ort der Erkenntnis von Wahrheit gewürdigt, indem sie als Träger von Wahrheit fungiert. So bedarf es aber einer Kirche, die in ihrer „Bindung an die Metaphysik“ die Kontinuität der christlichen Wahrheit in der Geschichte gewährleistet. Es wird sich zeigen, dass sich Ratzingers Theologie primär an einem metaphysischen Wahrheitsbegriff orientiert und sich die geschichtliche Vermittlung des christlichen Glaubens darin einfügt bzw. einzufügen hat. Zur Diskussion über die Entwicklung vom frühen Ratzinger, der des Öfteren als reformfreudiger Theologe – gerade im Zusammenhang mit dem Zweiten Vaticanum – gesehen wird, zum reaktionären Kurienkardinal, der in seiner Eigenschaft als Präfekt der Glaubenskongregation gelegentlich als moderner Inquisitor betrachtet wurde, ist die Frage nach dem Stellenwert der Geschichte ein wichtiger Indikator für die Akzentverschiebung innerhalb seiner Theologie. Gleichwohl sollte diese Entwicklung in ihrer Bedeutung nicht überschätzt werden. Es handelt sich dabei tatsächlich um eine Akzentverschiebung und nicht um eine radikale Kehrtwendung in den Grundzügen. Wenn es stimmt, dass der Wandel des Stellenwertes der Geschichte charakteristisch für die Akzentverschiebungen in Ratzingers Theologie ist, dann müssen die Veränderungen in der Eschatologie, aber auch in der Ekklesiologie, die noch analysiert werden, als Implikationen eines Gefälles des Stellenwertes der Geschichte bestimmt werden können. In der Umkehrung bedeutet dies, dass bei abfallender Bedeutung der Geschichte als konstitutives Merkmal für den christlichen Wahrheitsanspruch die metaphysische Grundlegung an Bedeutung gewinnt.

1.1.1 Das Verhältnis von Geschichte und Metaphysik Die oben angedeutete Überordnung der Metaphysik über die Geschichte ist tatsächlich nur das Ergebnis, welches sich nach einer längeren Entwicklung einstellt. Um Ratzingers Theologie im Anspruch von Geschichte und Wahrheit zu betrachten, muss somit einer m. E. längst abgeschlossenen Entwicklungsstufe ein nach wie vor hoher Stellenwert eingeräumt werden. Im zeitlichen Umfeld von seinem ersten großen Entwurf, den er 1968 mit seiner „Einführung ins Christentum“ vorgelegt hat, beleuchten zwei Aufsätze das Verhältnis von Metaphysik und Geschichte in der Weise, dass es zunächst den Anschein hat, dass er zu diesem Zeitpunkt von einer Überordnung der Geschichte über die Metaphysik ausgeht. Ausdrücklich nimmt Ratzinger die Umwertung dieses Verhältnisses 1982 in einem Kommentar zu einem Beitrag in seiner Aufsatz-

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sammlung „Theologische Prinzipienlehre“, der fünfzehn Jahre zuvor schon einmal erschienen ist, vor: Stärker, als es hier geschehen ist, würde ich angesichts der fundamentalen Bedeutung des „Ist“ [Dieses „Ist“ steht als Kurzformel für die Sätze „Jesus ist Christus, Gott ist Mensch“; W.T.] heute die Unersetzlichkeit und Erstrangigkeit des Ontologischen und damit der Metaphysik als Grundlage jedweder Geschichte betonen. Gerade auch als Bekenntnis zu Jesus Christus ist christlicher Glaube – darin dem Glauben Abrahams vollkommen treu – Glaube an den lebendigen Gott. Daß der erste Glaubensartikel das Fundament allen christlichen Glaubens bildet, schließt theologisch den grundlegenden Charakter der ontologischen Aussagen und die Unverzichtbarkeit des Metaphysischen, das heißt des allem Werden vorausgehenden Schöpfer-Gottes ein.4

Dorothee Kaes sieht hier eine zugunsten der Metaphysik verschobene Akzentuierung, bleibt jedoch insgesamt bei ihrer Wertung Ratzingers, den sie gerade in seiner Synthese von Geschichte und Metaphysik als „Anwalt des Ganzen“5 betrachtet. Bevor diese Verschiebung in Ratzingers Theologie genauer dargestellt werden soll, sei auch auf die Deutung Gerhard Nachtweis hingewiesen. Nachtwei entdeckt in Ratzingers theologischem Grundsatz ein konsequent dialogisches Verständnis, das sich gerade trotz aller Veränderungen und Entwicklungen innerhalb seines Ansatzes kontinuierlich als Grundmuster zu erkennen gibt. Die Verlagerung auf die Metaphysik wird dabei gesehen und so interpretiert, dass „die dialogische Konzeption jetzt in einem umfassenderen Rahmen“6 reflektiert werde, der dialogische Grundansatz dadurch nicht aufgegeben, sondern zu einem „Onto-Dialogischen“ präzisiert werde. Auffallend an den Beobachtungen Nachtweis ist, dass dieses Aufwerten des metaphysischen Elements, wie aus Aufsätzen Ratzingers selbst deutlich wird, parallel zur Kritik an Karl Rahner und insbesondere an der vollzogenen Entwicklung Rahners im Vergleich der Werke „Hörer des Wortes“ und „Grundkurs des Glaubens“ betrachtet wird. Doch nicht nur diese Parallelität, sondern auch Ratzingers Kritik an Rahner weist eine starke Ähnlichkeit zur Kritik Walter Kaspers an Ratzinger auf, wie sie in einer Rezension zu „Einführung in das Christentum“ zum Ausdruck kommt.7 Diese Ähnlichkeit besteht darin, dass Kasper einerseits dem Entwurf Ratzingers 1969 vorwirft, in der Synthese von Positivität und Zufälligem die „Quadratur des Zirkels der Theologie“8 zu vollziehen, wobei schließlich die herausgestellte Positivität des Christlichen aufgehoben werde, und Ratzinger andererseits 1978 zum Entwurf Rahners in ungleich schärferem Ton anmerkt, dass Rahner zuviel gewollt habe und in der Identifikation von Allgemeinem und Besonderem das Besondere 4 5 6 7 8

Ratzinger, Heilsgeschichte, 199. Kaes, Theologie im Anspruch, 221. Nachtwei, Dialogische Unsterblichkeit, 214. Vgl. Kasper, Das Wesen des Christlichen, 182 – 188. Kasper, Das Wesen des Christlichen, 184.

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Der kirchliche Wahrheitsanspruch bei Ratzinger

des Christentums überflüssig mache. Nachtwei spricht von einem „frappierenden Rollentausch der Kritik Kaspers und Ratzingers“9 und tatsächlich vermutet auch Ratzinger beim Entwurf Rahners eine „Quadratur des Kreises“10. Aber vor allem der Vorwurf eines geschlossenen Systems, in dem aus der Freiheit Notwendigkeit wird, so dass sich letztlich die Wahrheit in Notwendigkeit auflösen lasse, ist diesen Kritiken gemeinsam.11 Einen ersten Unterschied markiert hier der von Ratzinger vorgenommene Verweis auf den Ansatz Hans Urs von Balthasars als einer offenen Synthese.12 Da es insbesondere wegen der Entstehungszeiträume der entsprechenden Texte Ratzingers nahe liegt, werden von Nachtwei dieser Rollentausch Ratzingers vom Kritisierten zum Kritiker in inhaltlich scheinbar ähnlicher Konstellation und das Aufwerten der Metaphysik innerhalb seiner Theologie parallel betrachtet. Doch was wird dadurch erreicht? Vor dem Hintergrund, dass Nachtwei insgesamt die Entwicklungen Ratzingers letztlich im Rahmen eines dialogischen Grundansatzes verständlich zu machen vermag und neben den Parallelen der Entwürfe Rahners und Ratzingers bzw. vielmehr deren Kritiken auch die Unterschiede derselben im Sinne der Kritik Ratzingers an Rahner skizziert, scheint er die Aufwertung der Metaphysik bei Ratzinger auf einer Ebene mit der Idee einer offenen Synthese anzusiedeln. Von daher stellt sich die Frage, inwiefern die von Ratzinger im Rahmen der Kritik an Rahner aufgestellte Forderung – „Eine der spirituellen Spannung des Christlichen gemäße Synthese muß daher eine offene Synthese sein, die auf eine abschließende, das Ganze umfassende Logik verzichtet.“13 – in seiner eigenen Konzeption Berücksichtigung findet. Diese Frage führt zurück zu den schon erwähnten Aufsätzen, in denen noch von einer Überordnung der Geschichte über die Metaphysik die Rede ist.14 Hier nähert sich Ratzinger der Frage nach dem Verhältnis von Geschichte und Metaphysik über die unterschiedlichen Phasen, die jeweils innerhalb der evangelischen Theologie des 20. Jahrhunderts diskutiert wurden und auch die

9 10 11 12 13 14

Nachtwei, Unsterblichkeit, 213. Ratzinger, Heil und Geschichte, 171. Vgl. Ratzinger, Heil und Geschichte, 178; vgl. Kasper, Das Wesen des Christlichen, 186. Vgl. Ratzinger, Heil und Geschichte, 178 f. Ratzinger, Heil und Geschichte, 178. Gemeint ist zum einen der schon erwähnte Aufsatz „Heil und Geschichte“, der erstmals abgedruckt wurde in: Wort und Wahrheit 25, 3 – 13 und für den Wiederabdruck in der „Theologischen Prinzipienlehre“ stark überarbeitet und vor allem um einen Teil, in dem die Kritik an Rahners „Grundkurs des Glaubens“ vorgetragen wird, ergänzt wurde; zum anderen handelt es sich um den auch schon erwähnten Aufsatz „Heilsgeschichte, Metaphysik und Eschatologie“, der unmittelbar im Anschluss in der „Theologischen Prinzipienlehre“ abgedruckt ist, 1967 erstmals veröffentlich wurde und für den Wiederabdruck lediglich durch die bereits zitierte Fußnote und einen kleinen Absatz, in dem die Befreiungstheologie kritisiert wird (S. 189), ergänzt worden ist. Beide Aufsätze sind in der „Theologischen Prinzipienlehre“ unter der Überschrift „Glaube und Geschichte“ zusammengefasst.

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Der Wahrheitsanspruch

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katholische Theologie zunehmend in Beschlag genommen hat.15 In einer ersten Phase wird die „Heilsgeschichte als Antithese zu Metaphysik“16 betrachtet. Dahinter verbirgt sich u. a. die bei Karl Barth und in weniger scharfer Form bei Emil Brunner durchgeführte Ablehnung einer theologia naturalis. Dieser Phase kann Ratzinger noch etwas abgewinnen: Wie leicht ersichtlich, geht es bei der so gestellten Antithese von heilsgeschichtlicher und metaphysischer Theologie nicht um geschichtstheologische Konzeptionen und Konstruktionen, sondern um ein methodisches Grundprinzip: um die Geschichtsgebundenheit des Glaubens, um seine Gebundenheit an das factum historicum der Heilstat Gottes in Jesus Christus und in der ganzen Bundesgeschichte Gottes mit den Menschen, deren großes Ja er ist. So ging es aber zugleich um das Prae des göttlichen Redens vor dem menschlichen Denken, oder, wissenschaftstheoretisch ausgedrückt: des Historischen vor dem Spekulativen.17

Die Geschichtsgebundenheit des Glaubens im Christusereignis wird als Ansatzpunkt heilsgeschichtlicher Theologie betrachtet und insofern wird heilsgeschichtliches Denken – und das bedeutet für Ratzinger zugleich die Schriftgebundenheit der Theologie – zu einem entscheidenden Kriterium. Gleichwohl macht er darauf aufmerksam, dass es bei der Aufnahme der Ideen heilsgeschichtlicher Theologie in die katholische Theologie darum geht, dieses am Konkret-Historischen orientierte Denken gerade nicht als Antithese zum abstrakt-metaphysischen Denken zu betrachten, sondern darum, wie beides zu vermitteln sei. Dabei geht es dann auch um die Frage der Hermeneutik von Schrift und Tradition bzw. Dogma.18 Insgesamt deutet Ratzinger mit Verweis auf seinen Lehrer Gottlieb Söhngen an, die „Gebundenheit des Heils an geschichtlich Geschehenes“ und demgegenüber „die Frage der Vergegenwärtigung“19 zu vermitteln, sei ein vielversprechendes Projekt. Die Idee des Gedächtnisses und des Gedenkens, wie es das Alte Testament bietet, wird als Vermittlungsfigur angedacht. Eine weitere Phase, die er als „Die neue Front: Eschatologie als Antithese zu Heilsgeschichte“20 bezeichnet, betrachtet er jedoch wesentlich kritischer. Für Ratzinger mündet der Aufbruch der evangelischen Theologie, der mit einer starken Betonung der Eschatologie zusammenhängt und nicht zuletzt auf Karl Barth zurückgeht, in der Theologie Bultmanns, bei dem Eschatologie dann antithetisch zur Heilsgeschichte stehe.21 Das zeige sich daran, dass die Frage 15 Ratzinger spricht vom stürmischen Wandel, „der die katholische Theologie seit wenigen Jahrzehnten ergriffen hat“. Ratzinger, Heilsgeschichte, 180. 16 Ratzinger, Heilsgeschichte, 180. 17 Ratzinger, Heilsgeschichte, 182. 18 Vgl. Ratzinger, Heilsgeschichte, 182 f; das Verhältnis von Schrift und Dogma und der damit verbundene Stellenwert der Exegese für die Theologie Ratzingers werden noch erörtert. 19 Ratzinger, Heilsgeschichte, 183. 20 Ratzinger, Heilsgeschichte, 183. 21 Vgl. Ratzinger, Heilsgeschichte, 184.

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der Vergegenwärtigung zum zentralen theologischen Problem wird und dass im Zuge dessen das Wort bzw. das Kerygma als „eschatologisches Ereignis“ zum entscheidenden Heilsereignis wird. Nach Ratzinger ist das Heil dadurch enttemporalisiert, dass Historie von Geschichte getrennt wird. Während die katholische Theologie bei der Aufnahme heilsgeschichtlichen Denkens vor dem Problem stand, dies mit ihren metaphysischen Grundannahmen zu vermitteln, verlagerte sich nun das Problem auf die Transformierung eines metaphysischen Ansatzes in einen eschatologisch-existenzialen. Doch diesen Schritt mag Ratzinger, soweit dann doch dem heilsgeschichtlich orientierten Denken verhaftet, nicht mitgehen.22 Denn nicht zuletzt bedeutet die Geschichtsgebundenheit der Theologie für ihn, wenn sie als Schriftgebundenheit verstanden werden will, ein Festhalten an der Historizität der von der Schrift berichteten Tatsachen.23 An diesem Punkt wird der Gegensatz zu Bultmann offensichtlich. Nun versucht Ratzinger einen eigenen Ansatz, die Mitte des Christlichen von dieser Ausgangslage der doppelten Antithese – Heilsgeschichte als Antithese zur Metaphysik und Eschatologie als Antithese zur Heilsgeschichte – zu beschreiben. Dabei muss beachtet werden, dass Ratzinger sich zunehmend – je weiter sich seine Theologie entwickelt, desto mehr – selbst in Konfrontation mit allen möglichen theologiegeschichtlichen Strömungen begibt. In diesem relativ frühen Aufsatz aus dem Jahr 1967 geschieht dies noch sehr moderat, indem eben die besprochenen Strömungen als im Gegensatz zur katholischen Theologie stehend betrachtet werden, wobei er allerdings ausdrücklich auf die Bedeutung des Gesprächs zwischen evangelischer und katholischer Theologie hinweist24. Zum einen ergibt sich ein Gegensatz zur heilsgeschichtlichen Theologie aufgrund der Ablehnung der Metaphysik und zum anderen zur eschatologisch-existenzialen Theologie, weil sie dem Gedanken der Kontinuität widerspricht. Dagegen wird die Konfrontation in einem 1982 ergänzten Abschnitt dieses Aufsatzes ungleich schärfer, indem er als Ergebnis der jeweils neuen Überlegungen zum Stellenwert der Geschichte die politische Theologie, die Theologie der Befreiung oder die Theologie der Revolution betrachtet. Darin sieht er das vorläufige Ende der Theologie, in dem das Scheitern von sowohl der heilsgeschichtlichen Theologie als auch der eschatologisch-existenzialen Theologie zu Tage trete: Im Grunde ist mit den politischen „Theologien“ Theologie als Theologie aufgegeben, die Selbstaufhebung der Theologie vollzogen. Damit ist aber zugleich ihre Grundlegungsfrage neu gestellt – sie kann offenbar weder von einem exklusiven heilsgeschichtlichen Ansatz noch gar von einem streng existenzialistischen Ausgangspunkt her bestehen.25 22 23 24 25

Vgl. Ratzinger, Heilsgeschichte, 187. Vgl. Ratzinger, Heilsgeschichte, 182. Vgl. Ratzinger, Heilsgeschichte, 189. Ratzinger, Heilsgeschichte, 189.

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Ratzingers Lösungsversuch besteht nun darin, sich bei der Frage nach der Mitte des Christlichen am christologischen Bekenntnis – „Jesus, der Mensch, ist Gott.“26 – zu orientieren, und er versucht diese ontologische Aussage im Rahmen einer Theologie der Auferstehung sowohl auf ihre geschichtliche als auch auf ihre existenziale Dimension hin zu interpretieren. Es wird also das Bekenntnis zu Christus ins Zentrum theologischen Denkens gestellt, indem es als Bekenntnis zum Auferstandenen, als Theologie der Auferstehung in vier Punkten entfaltet wird. Zuerst, indem die Auferstehung als Handeln Gottes in der Geschichte verstanden wird. An dieser Stelle wird dann auch die Überordnung der Geschichte vor der Metaphysik explizit: Die Mitte des Evangeliums besteht in der Auferstehungsbotschaft und damit in einer Botschaft vom Handeln Gottes, das allem menschlichen Tun vorausgeht. […] Denn wenn es so ist, daß für die Theologie das Prae des Handelns Gottes gilt, daß der Glaube an eine actio Dei allen anderen Aussagen vorausgeht, dann ist zunächst der Primat der Geschichte vor der Metaphysik, vor aller Wesens- und Seinstheologie klargestellt.27

Doch wie nahe beieinander die Geschichtsgebundenheit und die Gebundenheit an eine ontologische Metaphysik bei Ratzinger selbst hier schon liegen, wird deutlich, wenn er sein Verständnis vom Handeln Gottes beschreibt: Prae des Handelns Gottes: das bedeutet nun aber nicht bloß den Vorrang der Geschichte vor der Metaphysik, es bedeutet auch das Nein zu einer bloß existenzialen Fassung der Botschaft, ganz einfach weil es den Primat des „an sich“ vor dem „für mich“ bedeutet, die schon bei Luther eingeleitete und in der Existenztheologie zu ihrer äußersten Radikalität gelangte Verschmelzung des „an sich“ mit dem „für mich“ ausschließt, jene Verschmelzung, die schließlich dahin getrieben wurde, daß es ein „an sich“ außerhalb des „für mich“ gar nicht gebe28.

Der Primat der Geschichte vor der Metaphysik ist somit gleichsam dem Primat des „an sich“ vor dem „für mich“ bzw. einem Primat der Metaphysik vor der Existenzialität untergeordnet. Damit gibt es im strengen Sinne auch hier keinen Primat der Geschichte vor der Metaphysik. Geschichtlichkeit ist eigentlich nur eine Facette des Handelns Gottes, mit der aber, wenn sie strikt unterschieden wird vom existenzialen Verständnis, zugleich ein Primat des Handelns vor dem Wort ausgedrückt werden soll: Die Realitätstiefe des Offenbarungsereignisses reicht tiefer als das Verkündigungsereignis, das im menschlichen Wort die Tat Gottes auszulegen versucht. Und dies ist der Ausgangspunkt für das sakramentale Prinzip, der Grund also, weshalb das Tatwort Gottes vom Menschen in Worte und Zeichen aufgenommen werden muß.29 26 27 28 29

Ratzinger, Heilsgeschichte, 191. Ratzinger, Heilsgeschichte, 194. Ratzinger, Heilsgeschichte, 194 f. Ratzinger, Heilsgeschichte, 195.

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Der Primat des Handelns Gottes vor dem Wort führt schon in Ansätzen von der Frage nach dem Verhältnis von Geschichte und Metaphysik hinaus zur sakramentalen Grundlegung von Ratzingers Theologie gegen jede Form einer anthropologischen, sei es einer transzendentalphilosophischen, subjektivitätstheoretischen oder existenzialistischen Grundlegung. In einem zweiten Schritt wird die Auferstehungstheologie, die vor allem als Theologie des Handelns Gottes zu verstehen ist, in ihrer eschatologischen Dimension beschrieben. Neben dem geschichtlichen Handeln Gottes ist das eschatologische Handeln Gottes von Bedeutung, weil die Auferstehung sowohl ein geschichtliches Ereignis als auch ein eschatologisches Ereignis ist. Eschatologisch wird dann in diesem Zusammenhang als „die Geschichte überschreitend“30 gesehen. Von daher kann Ratzinger den Auferstehungsglauben im Gegenzug zum Impuls für eine Transponierung der Eschatologie in die Geschichte hinein erklären31 und kommt so zu einer Eschatologie mit präsentischen Zügen, in der die Aussagen „an die Auferweckung Jesu glauben“, „an das Eschaton in der Geschichte glauben“ und „an die Geschichtlichkeit von Gottes eschatologischem Handeln glauben“32 auf einer Ebene liegen. Doch damit bleibt seine Theologie der Auferstehung nicht bei einer präsentischen Eschatologie stehen. Vielmehr wird sie in einem dritten Schritt, in dem es weiterhin um das eschatologische Handeln Gottes geht, um einen kosmischen und zukunftsbezogenen Charakter erweitert. Damit macht er sich zwar die Spannung von „schon“ und „noch nicht“ als Kriterium christlicher Eschatologie zu eigen33, doch sein Interesse zielt dahin, das zukunftsbezogene Moment des christlichen Hoffnungsglaubens als „den ganzen Kosmos umspannende Verheißung“ auf den Menschen so zu beziehen, dass es als „Nein zur Vereinzelung des Menschen“ und als „Zuordnung des Ich auf das Wir hin“34 verstanden wird. Und wie schon das geschichtliche Handeln Gottes auf das sakramentale Prinzip hinzielte, so ist diese „Zuordnung des Ich auf das Wir“ so zu verstehen, dass die eschatologische Dimension des Handelns Gottes – und vor allem hier in ihrem zukunftsbezogenen Charakter – auf die Kirche als dem Wir hinzielt. Deshalb mündet seine Theologie der Auferstehung in einem vierten Schritt in eine eigenwillige Deutung der Existenz, die seine Theologie insgesamt durchzieht. Das in der Auferweckung Jesu Christi deutlich werdende Handeln Gottes wird auf die „Mitte der menschlichen Existenz bezogen“35. Dieser „existentiale Aspekt des Handelns Gottes, der 30 Ratzinger, Heilsgeschichte, 196. 31 Vgl. Ratzinger, Heilsgeschichte, 196. Ob die religionsgeschichtliche Deutung, die Ratzinger in dieser Stelle andeutet, dass die Eschatologie sich durch den Auferstehungsglauben gegenüber der „spätjüdischen“ Erwartung, der zufolge Eschatologie erst am Ende der Geschichte und noch nicht in der Geschichte angesiedelt sei, verwandle, so einfach ist, sei dahingestellt. 32 Vgl. Ratzinger, Heilsgeschichte, 196. 33 Vgl. Ratzinger, Heilsgeschichte, 197. 34 Ratzinger, Heilsgeschichte, 196. 35 Ratzinger, Heilsgeschichte, 198.

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nicht neben, sondern in dessen kosmischem und eschatologischem Charakter gegeben ist“36, wird von vornherein auf den heilsgeschichtlichen Aspekt bezogen, indem Heilsgeschichte als „Exodus-Geschichte“ betrachtet wird und von daher zur Theologie der Existenz werden soll. Denn Theologie der Existenz beschreibt er so: Theologie des ex-sistiere, jenes Exodus des Menschen von sich selber fort, durch den allein er zu sich selber finden kann. In dieser Bewegung des ex-sistere aber fallen letztlich Glaube und Liebe ineinander – beide meinen zutiefst jenes „Exi“, jenen Ruf zur Überschreitung und Preisgabe des Ich, der das Grundgesetz der Bundesgeschichte Gottes mit den Menschen und eben darum auch das wahre Grundgesetz alles menschlichen Daseins ist.37

Das Bild, das in der Erstfassung des Aufsatzes „Heilsgeschichte, Metaphysik und Eschatologie“ gezeichnet wird, kommt der Überordnung der Metaphysik über die Geschichte, wie sie in der korrigierenden Fußnote der späteren Fassung zum Ausdruck gebracht wird, sehr nahe. Es ist ein Widerspruch in dieser Erstfassung zu vermuten und nicht so sehr im Vergleich von frühem und spätem Ratzinger. Denn seine Theologie der Auferstehung, die er hier als Lösungsansatz im Spannungsfeld von heilsgeschichtlichen, eschatologischexistentialen und metaphysischen Theologiekonzeptionen skizziert, setzt gerade mit dem christologischen „Ist“ ein, das in dieser späteren Korrektur den Ausschlag gibt, auch explizit der Metaphysik und Ontologie den Vorrang zu geben. Ratzingers Interesse an der Geschichte gilt vornehmlich dem Aspekt der Kontinuität, mit der sich Gott in seinem Handeln in der Geschichte zeigt. Von daher bilden Metaphysik und Geschichte bei ihm eine harmonische Einheit. Sehr deutlich wird dies in dem Aufsatz „Heil und Geschichte“. Sein Geschichtsverständnis zeichnet sich im Unterschied zur Bedeutung von Geschichte gerade in der evangelischen Theologie38 durch die Gewährung von Kontinuität aus. Mit der Reformation und insbesondere mit Luther gebe es eine alternative Deutung: „Wenn bisher konstitutiv für das Verständnis von Christentum als Heilsgeschichte die Kontinuität eben dieser Geschichte gewesen war, so erscheint nun Christentum wesentlich unter dem Vorzeichen der Diskontinuität.“39 Und von Luther ausgehend wird dies theologiegeschichtlich auf die jüngeren Konzeptionen und inhaltlich auf die Bedeutung der Ontologie sowie das Verhältnis von Heil und Sünde ausgedehnt. Denn daraus, dass die Sünde des Menschen bei Luther dialektisch mit dem Heil zusammengedacht wird, „so daß alles Tun des Menschen in bezug auf das Heil nur Sünde sein 36 Ratzinger, Heilsgeschichte, 198. 37 Ratzinger, Heilsgeschichte, 199. 38 „[D]ie Teilung der Christenheit hängt gerade mit der Teilung des Verhältnisses zur Geschichte zusammen und artikuliert sich wesentlich in gegensätzlichen Formen des Geschichtsbewußtseins.“ Ratzinger, Heil und Geschichte, 162. 39 Ratzinger, Heil und Geschichte, 164.

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könnte und umgekehrt auch die Sünde diese neue Existenz nicht aufzuheben vermöchte“, folgert er : Hier ist beides in strenger Diskontinuität gedacht und damit im Prinzip die Ontologie, das heißt eine die Differenzen der Geschichte umgreifende Kontinuität und Identität des Wesens, bereits nicht mehr gegeben. Diesem Ansatz sind alle jene oft recht gegensätzlichen Bemühungen verpflichtet, die Heilsgeschichte radikal im Gegensatz zur Metaphysik konstruieren wollen – sei es der frühe Barth, der Glauben als die menschlich anknüpfungslose Tat Gottes im und am Menschen beschreibt; sei es Rudolf Bultmann, der in Ablehnung linearer Kontinuität den Glauben als das jeweilige Jetzt der Entscheidung beschreibt, das sich nur im Aktpunkt des Augenblicks zuträgt; sei es auch die nun umgekehrt auf die kollektiven Dimensionen abhebende Theologie der Hoffnung bei Moltmann, die den Auftakt zur politischen Theologie und zur Theologie der Revolution bildete.40

Geschichte wird von Ratzinger hingegen unter dem Vorzeichen der Kontinuität gedacht, so dass in Bezug auf das Heil gilt: Heil kommt durch die Geschichte, die darum auch die unmittelbare Form des Religiösen darstellt. Geschichte ist deswegen bergend, deswegen der Existenz wahre Essenz gewährend (und nicht deren Entfremdung), weil diese Geschichte göttlich gegründet ist und gerade im Empfangen des Geschichtlichen das Übergeschichtliche, Ewige gegenwärtig wird.41

Geschichte unter dem Vorzeichen von Kontinuität übernimmt so die Funktion der Vermittlung. Anhand der Adam-Christus-Typologie beschreibt Ratzinger dies so, dass trotz Differenz von erstem Adam und zweitem Adam primär deren Einheit des Adam-Seins, die sich aus der Geschöpflichkeit, aus dem Schöpfungsgedanken Gottes ableite, zu beachten sei.42 Für das Verhältnis von Geschichte und Metaphysik bedeutet dies, dass Geschichte dadurch an Bedeutung gewinnt und insofern die These, Ratzingers Hermeneutik als Gebundensein an Geschichte und Wahrheit zu werten, eine gewisse Berechtigung hat. Jedoch darf dabei nicht übersehen werden, durch welches Geschichtsverständnisses diese Synthese überhaupt möglich ist. Dann zeigt sich nämlich, dass ein Verständnis von Geschichte vorausgesetzt wird, in dem Geschichte ihrerseits immer schon metaphysisch begründet ist, eben als Geschichte der Schöpfung bzw. als Geschichte des Handelns Gottes und eben erst so als Heilsgeschichte. Ratzinger muss nun seinerseits nach der Einheit von Geschichte und Wesen fragen. Hierin sieht er die große Aufgabe der katholischen Theologie. Die Geschichte vermittelt also Wahrheit, objektive Wahrheit, die die Geschichte übersteigt und gleichzeitig ihr Wesen und das Wesen alles Geschichtlichen bestimmt. Deshalb ist hier die Ontologie 40 Ratzinger, Heil und Geschichte, 168. 41 Ratzinger, Heil und Geschichte, 160. 42 Vgl. Ratzinger, Heil und Geschichte, 169.

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abhängig von der Vermittlung der Geschichte und damit abhängig von geschichtlicher Kontinuität gedacht. Dass Ratzinger im Zuge dessen den oben angesprochenen evangelischen Ansätzen, in denen Geschichte unter dem Vorzeichen der Diskontinuität erscheint, die prinzipielle Absage an die Ontologie unterstellt, ist nur von daher zu verstehen und macht zugleich deutlich, dass hier versäumt wird, jene Konzeptionen, mit denen man sich durch Ablehnung profilieren zu können meint, nicht immer zu Ende zu denken. Doch die Frage der Ontologie in einem durch Diskontinuität charakterisierten Geschichtsverständnis muss an anderer Stelle erörtert werden. Bei dem Versuch, die Einheit von Geschichte und Wesen zu beschreiben, „entsteht in besonderer Schärfe das Dilemma zwischen Allgemeinem und Besonderem, zwischen partikulärer Geschichte und universalem Anspruch.“43 Aber damit verbunden tritt noch ein weiteres Problem auf. Denn das Problem von Universalität und Partikularität im Rahmen eines unter dem Vorzeichen der Kontinuität stehenden Geschichtsbewusstseins ist in den Lösungsansätzen eng mit dem Verhältnis von Freiheit und Notwendigkeit verbunden, was sich gerade in diesem Zusammenhang an der Auseinandersetzung Ratzingers mit Karl Rahner beobachten lässt. Dabei orientiert er sich an dessen Frühwerk „Hörer des Wortes“, das er als „den wirksamsten und wohl eindringlichsten Versuch“44 zu diesem Problem bezeichnet, und an dem Begriff des anonymen Christen, den Rahner später entfaltet hat und der für Ratzinger ein wichtiger Schlüsselbegriff für die Kritik an Rahners spätem Werk „Grundkurs des Glaubens“ ist. Insgesamt stellt Ratzinger an Rahners Lösungsversuch zwei Schritte heraus, wobei er den ersten mitgeht und den zweiten scharf kritisiert. Der erste Schritt ist eng verbunden mit Rahners Buchtitel „Hörer des Wortes“. Die Konstruktion des Menschen als Hörer des Wortes wird von Ratzinger so nachgezeichnet, dass der Mensch als Wesen erscheint, das „wesensnotwendig Ausschau hält nach dem, was doch nur in Freiheit von außen her sich ihm zueignen kann.“45 Der Hörer des Wortes, der nach Offenbarung Ausschau hält, warte notwendig auf das Freie. Der Mensch bestehe in seinem Wesen aber nicht nur in einer Paradoxie von Notwendigkeit und Freiheit, sondern genauso ist es die Paradoxie des Menschen, „nur in der Ausgespanntheit auf das Partikuläre einer von außen kommenden Geschichte das Universale seines Selbst zu finden[.]“46 Diese Bestimmung des Wesens Mensch, der als Hörer des Wortes notwendig frei ist, kommt dem sehr nahe, was Ratzinger als Positivität des Christlichen unter einem Primat des Empfangens zu einem Wesensmerkmal des Christentums erklärt.47 So macht er sich die Ablehnung eines fundamentaltheologischen Extrinsezismus Rahners 43 44 45 46 47

Ratzinger, Heil und Geschichte, 169. Ratzinger, Heil und Geschichte, 169. Ratzinger, Heil und Geschichte, 170. Ratzinger, Heil und Geschichte, 170. Vgl. Ratzinger, Einführung, 250 – 254; siehe dazu auch Kap. 1.1.3.

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zu eigen.48 Jedoch die Folgerungen, die er als zweiten Schritt Rahners betrachtet, werden kritisiert: „Wenn Offenbarungsgeschichte nicht kategorialextrinsezistisch gefaßt werden darf, sondern auf die Menschheit als ganze bezogen ist, so folgert Rahner nun, dann muß sie auch in der Menschheit als ganzer anwesend sein.“49 Die Anwesenheit der Offenbarung in der ganzen Menschheit, die bei Rahner dadurch ermöglicht wird, dass er Offenbarungsgeschichte koexsistent zur Weltgeschichte versteht, gefährdet nach Ratzinger gerade das Freie und Partikulare des Christentums. Auf der Suche nach dem, was das Christentum in seiner Unterscheidung vom Allgemeinen auszeichnet, verschiebe sich in der Konzeption Rahners das Spezifische des Christlichen von der Ereignisebene auf die Reflexionsebene: „Das Besondere des Christlichen gegenüber der sonstigen Geschichte wird nun im Bereich der Reflexion angesiedelt; im Christentum findet man reflektiert, was an sich immer und überall ist.“50 Was einzig auf der geschichtlichen Ebene an Besonderem übrigbleibe, sei die Gestalt Jesu Christi. Doch damit werde der Rahner’sche Ansatz des Primats des Allgemeinen vor dem Besonderen nicht aufgehoben, sondern vielmehr könne die Einmaligkeit Jesu Christi als „absoluter Heilsbringer“ beibehalten werden, „weil [Rahner] diese Gestalt zuvor schon aus allgemeinen Prinzipien als notwendig und universal erwiesen hat.“51 An dieser Stelle verweist Ratzinger auf das Motiv der „Selbsttranszendenz“, das bei Rahner gerade im Zusammenhang mit dem „absoluten Heilsbringer“ entfaltet werde, und gleichsam als Ziel menschlichen Wesens betrachtet werden könne. Da Selbsttranszendenz immer als „Selbsttranszendenz in das Leben Gottes hinein“52 zu verstehen sei und Christus als absoluter Heilsbringer durch seine Menschwerdung die Selbstmitteilung Gottes sei, komme in dem Begriff „hypostatische Union“53 beides zusammen. Das Ziel der Selbsttranszendenz liegt in der hypostatischen Union, die eben in der Menschwerdung gegeben ist: Wo aber Gott die Selbsttranszendenz des Menschen in Gott hinein durch absolute Selbstmitteilung an alle Menschen derart bewirkt, daß beides die unwiderrufliche und in einem Menschen schon zur Vollendung gelangte Verheißung an alle Menschen ist, da haben wir eben das, was unio hypostatica meint.54 48 „Die christliche Geschichte verliert ihren extrinsezistischen Anstrich, sie ist die notwendig-freie Antwort auf die freie Notwendigkeit und die notwendige Freiheit des Wesens Mensch.“ Ratzinger, Heil und Geschichte, 170. 49 Ratzinger, Heil und Geschichte, 171. 50 Ratzinger, Heil und Geschichte, 172. 51 Ratzinger, Heil und Geschichte, 172. 52 Rahner, Grundkurs, 198. 53 „Die hypostatische Union wirkt sich für die angenommene Menschheit des Logos als solche innerlich gerade in dem und eigentlich nur in dem aus, was allen Menschen als Ziel und Vorstellung zugeschrieben wird, nämlich in der unmittelbaren Anschauung Gottes, die die geschaffene menschliche Seele Christi genießt.“ Rahner, Grundkurs, 200. 54 Rahner, Grundkurs, 201.

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An diesem Modell der Selbsttranszendenz entzündet sich die Kritik Ratzingers, der die Gefahr eines Ontologismus sieht, so dass zumindest für ihn „die Verschmelzung von Transzendentalität und Transzendenz, von allgemeiner Seinsstruktur und Gottesbegriff zu nahtlos“55 bleibt. Seine Kritik mündet dann darin, dass Rahner mit diesem Versuch – das Christlich-Besondere beizubehalten und zugleich von einer Identifikation zwischen dem Besonderen und dem Allgemeinen auszugehen, indem er auf den Begriff der „hypostatischen Union“ rekurriere – letztlich das Christentum überflüssig mache. So schreibt er : Aber die Frage bleibt, ob nicht in dieser Verallgemeinerung das Christliche dann doch gegenstandslos wird, ob es nicht, indem es logisch und anthropologisch zwingend gemacht wird, zugleich aufgehoben und gleichgültig wird.56

Am deutlichsten wird dies für Ratzinger in der Grundformel zur christlichen Existenz, die er bei Rahner ausmacht und in der er die Selbstbestätigung des Menschen spirituell umgesetzt vermutet. Sie lautet: „Wer … sein Dasein annimmt, … der sagt … zu Christus ja.“57 In dieser gekürzten Version des Rahner-Zitats unterschlägt Ratzinger allerdings die Theorie des übernatürlichen Existentials, die in Rahners Ansatz die Voraussetzung für die dann in der Tat problematische Vermittlung von Transzendentalität und Transzendenz bildet. Von daher verlieren die vernichtenden Folgerungen, die Ratzinger aus seiner Analyse Rahners zieht, ihre sachliche Angemessenheit.58 So folgert Ratzinger, dass die transzendentale Deduktion und damit die Überordnung des Allgemeinen vor dem Besonderen, was bei Ratzinger in diesem Zusammenhang immer als Überordnung des Allgemein-Menschlichen vor dem Christlich-Besonderen bedeutet, nicht nur dazu führe, dass das Christentum überflüssig werde. Hinzu kommt noch – und dadurch soll wohl die These von der Gefahr der Gegenstandslosigkeit des Christentums bekräftigt werden –, dass diese transzendentale Deduktion in der Generation nach Rahner, wobei dieser dafür nicht verantwortlich gemacht werden soll, in marxistisch inspirierte Theologien umgeschlagen sei.59 Insofern sieht er Rahners Versuch in gewisser Weise als gescheitert an, weil dieser zu viel gewollt habe, indem er in seiner Synthese von Geschichte und Wesen gleichsam nach der philosophischen und theologischen Weltformel gesucht habe, einem Unternehmen, dem das Mysterium der Freiheit entgegen stehe.60 So attestiert er Rahner auch einen Freiheitsbegriff, der weitgehend aus der idealistischen Philosophie übernommen sei und der, weil er wohl das Spannungsgefüge aus Verfügung und Verfügtsein des christlichen Begriffs von Freiheit in letzter Konsequenz nicht 55 56 57 58 59 60

Ratzinger, Vom Verstehen des Glaubens, 180. Ratzinger, Vom Verstehen des Glaubens, 180. Vgl. Ratzinger, Heil und Geschichte, 174 f.; vgl. Rahner, Grundkurs, 225 f. Vgl. Verweyen, Joseph Ratzinger, 104. Vgl. Ratzinger, Heil und Geschichte, 175 f. Vgl. Ratzinger, Heil und Geschichte, 177.

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ausreichend zur Geltung bringe, nicht auf den Menschen, sondern allein auf Gott passe.61 Demgegenüber fordert Ratzinger nun, wie schon erwähnt, eine offene Synthese, die er durchaus als denkerische Schwäche bezeichnen mag, wobei allerdings gelten soll: „Die Schwäche der christlichen Synthese ist ihre Stärke.“62 Dabei fühlt er sich dem Ansatz Hans Urs von Balthasars verpflichtet und insbesondere dessen Geschichtstheologie mit dem programmatischen Titel „Das Ganze im Fragment“.63 Doch trotz der Kritik am scheinbaren Vorhaben, eine Weltformel aufzustellen, und des Plädoyers für ein offenes System darf nicht vergessen werden, dass Ratzinger das Ansinnen Rahners, die Einheit von Geschichte und Wesen zu bestimmen, grundsätzlich teilt. Er ist sich zwar dessen bewusst, dass es unmöglich ist, eine Weltformel aufzustellen. Aber immerhin macht er es sich zur Aufgabe, an Stelle der von Rahner aufgestellten spirituellen Formel („Wer sein Dasein annimmt, der sagt zu Christus ja.“), die überhaupt die Grundlage für eine im Rahmen transzendentaler Deduktion zu erreichende Weltformel bildet, eine bessere Formel zu suchen: Ich würde vorweg sagen, die Richtung müsse sein eine Spiritualität der Bekehrung, der Ek-stase, der Selbstüberschreitung, was ja auch ein Grundbegriff Rahners ist, der indes in seiner Synthese schließlich seinen konkreten Sinn weitgehend verliert.64

Hier zeigt sich, dass es das Modell der Selbsttranszendenz ist, an dem sich die Ansätze Rahners und Ratzingers unterscheiden. Ratzinger nennt sein Verständnis von Selbstüberschreitung sicher deshalb nicht Selbsttranszendenz, weil es nicht transzendental ist. Es geht also in diesem Modell von Selbstüberschreitung nicht um Selbstannahme, sondern um Überwindung allgemeinmenschlichen Daseins. Der Weg zur Selbstüberschreitung besteht in der Bekehrung, die zugleich Zuwendung zur christlichen Geschichte und damit zu einer partikularen Geschichte ist. Dadurch allerdings findet der Mensch erst sein Wesen, das bei Ratzinger eben nicht von vornherein frei ist, weil die Freiheit außerhalb seiner selbst ist. Die Idee, dass der Mensch sich selbst nicht in sich, sondern nur außer sich selbst, also doch extrinsisch findet, bestimmt auch sein Verhältnis von Geschichte und Ontologie: Die Spannung zwischen Ontologie und Geschichte hat letztlich ihren Grund in der Spannung des menschlichen Wesens selbst, das außer sich sein muß, um bei sich sein zu können; sie hat ihren Grund im Geheimnis Gottes, das Freiheit ist und daher jeden einzelnen bei seinem Namen ruft, den die anderen nicht kennen: so, im Besonderen, übereignet sich ihm das Ganze.65 61 62 63 64 65

Vgl. Ratzinger, Heil und Geschichte, 177. Ratzinger, Heil und Geschichte, 179. Vgl. Ratzinger, Heil und Geschichte, 177 f. Ratzinger, Heil und Geschichte, 176. Ratzinger, Heil und Geschichte, 179.

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Die Partikularität christlicher Geschichte wird hier immer wieder betont und als Bedingung für die Erkenntnis des Ganzen, des Allgemeinen angegeben. In der Folge bedeutet dies, dass das christliche Wahrheitsverständnis aufgrund dieser Partikularität selbst fragmentarisch und partikular bleiben muss, weil es sich eigentlich nur um ein jeweils subjektives Wahrheitsverständnis handeln kann. Doch dies ist bei Ratzinger gerade nicht der Fall. Er hält trotz der Partikularität daran fest, dass das christliche Wahrheitsverständnis nicht nur aus christlicher Perspektive universale Gültigkeit beansprucht, sondern zugleich objektiv ist. Dieses Wahrheitsverständnis ist unter der Voraussetzung zu betrachten, dass Ratzinger sein christliches Wahrheitsverständnis als objektiv und universal ansieht, obwohl er sich dessen bewusst ist, dass es sich geschichtlich um ein partikulares Verständnis handelt. 1.1.2 Christliches Wahrheitsverständnis im Gegenüber zum modernen Wahrheitsverständnis Eine Schwierigkeit bei der Analyse des Wahrheitsbegriffs Ratzingers besteht darin, dass, obwohl auf die Wahrheit permanent verwiesen wird, der Begriff Wahrheit nicht expliziert wird, sondern sich nur stellenweise sehr vage abzeichnet. Einen wichtigen Fundort, gerade wenn es um das Verhältnis von Wahrheit und Geschichte geht, stellt dabei ein Abschnitt in dem wohl bedeutendsten Werk des frühen Ratzingers, der „Einführung in das Christentum“, dar. Unter der Überschrift „Die Grenze des modernen Wirklichkeitsverständnisses und der Ort des Glaubens“66 referiert er hier, wie „sich im neuzeitlichen Denken und Existieren allmählich ein neuer Begriff von Wahrheit und Wirklichkeit herausgebildet“67 habe. Als erstes Stadium der Entwicklung wird „Die Geburt des Historismus“68 eingeführt. Erläutert wird dies anhand des Übergangs von der scholastischen Formel „Verum est ens“ zur Formel „Verum quia factum“, mit der Giambattista Vico im 18. Jahrhundert „das eigentliche Ende der alten Metaphysik“69 markiert habe. In einem zweiten Stadium vollzieht sich dann „Die Wende zum technischen Denken“70, der von Ratzinger die Formel „Verum quia faciendum“71 vorangestellt wird. Wird mit dem ersten Übergang, mit der Konzentration der Wahrheitsfrage auf das geschichtlich Gewordene bzw. das Gemachte, die Historie zur wissenschaftlichen Leitdisziplin erhoben, so erhält durch den zweiten Übergang die Technik eine hervorgehobene Stellung, indem sich alles auf das Planbare und Machbare zu konzentrieren scheint. Für den Letzteren 66 67 68 69 70 71

Ratzinger, Einführung, 51 – 61. Ratzinger, Einführung, 52. Ratzinger, Einführung, 52. Ratzinger, Einführung, 53. Ratzinger, Einführung, 56. Ratzinger, Einführung, 57.

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Prozess ist charakteristisch, dass der Mensch, nachdem er zum Faktum geworden sei, sich nun selbst neu erschaffen könne – sich selbst seine Zukunft schaffe. Als Pate wird von Ratzinger Karl Marx genannt.72 Die Grenze des dadurch veränderten, modernen Wirklichkeitsverständnisses besteht gerade in den Begrenzungen der Erkenntnis und wird damit auch zur Beschränkung des Wahrheitsbegriffs, der nur noch in diesen Grenzen gebraucht werden kann. Im ersten Fall bedeutet die Begrenzung: Die Welt ist nur noch als vom Menschen gemachte wissbar. Über sich vermag der Mensch im Letzten nicht mehr hinauszuschauen, es sei denn wieder auf der Ebene des Faktums, wo er sich selber als Zufallsprodukt uralter Entwicklungen erkennen muss.73

Im zweiten Stadium zeigt diese Begrenzung Folgen, indem sie zur Voraussetzung für eine neue Zielperspektive werden kann: „Die Reduktion des Menschen auf ein ,Faktum‘ ist die Voraussetzung für sein Verständnis als ein Faciendum, das aus Eigenem in eine neue Zukunft geführt werden soll.“74 In beiden Fällen deutet sich an, dass es hier darum geht, eine Konzentration auf das Individuum bzw. auf das Subjekt nicht als notwendige Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis anerkennen zu wollen, sondern als reduzierte Erkenntnisform zu werten. Diesen Begrenzungen ist aus der Perspektive des christlichen Glaubens so zu begegnen, dass ihre Reduktion der Wahrheit auf das Faktum durchbrochen wird. Jedenfalls wird der Glaube verdeckt, wo er „ganz auf die Ebene des Faktums oder der Machbarkeit“75 verlegt wird. Gleichzeitig versucht Ratzinger hier, sich auf beide Entwicklungen und ihre Früchte in der Theologie, die einerseits in einer starken Konzentration auf die Geschichte im heilsgeschichtlichen Denken zu beobachten sind und andererseits als politische Theologie den christlichen Glauben zur Weltveränderung und Weltgestaltung herausfordern, zu beziehen. Zu beidem deutet sich ein ambivalentes Verhältnis an, indem Einseitigkeit abgelehnt wird und doch wohlwollend bescheinigt wird, „dass beide Male etwas von der wirklichen Meinung des christlichen Glaubens zum Vorschein kommt, das früher allzusehr verdeckt geblieben war.“76 Von daher lässt sich Ratzingers Position nicht ohne weiteres als Versuch des Rückschritts in ein vormodernes Wirklichkeitsverständnis bewerten, in dem Wahrheit das Sein ist und dieses Sein abgehoben von der geschichtlichen Erfahrung des Menschen Sinn stiftet. Seine Bemühungen, Geschichtlichkeit und Veränderungen positiv aufzunehmen, kommen in einem weiteren Aufsatz aus demselben Jahr zum Ausdruck.77 Die obige Skizze 72 73 74 75 76 77

Vgl. Ratzinger, Einführung, 56. Ratzinger, Einführung, 56. Ratzinger, Einführung, 59. Ratzinger, Einführung, 61. Ratzinger, Einführung, 61. Ratzinger, Geschichtlichkeit der Dogmen, 59 – 70.

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der Entwicklung von Wahrheit und Wirklichkeit wird auch hier eingeführt und noch pointierter wird das Programm des „verum quia faciendum“ auf Marx bezogen und wie folgt bestimmt: „Die Wahrheit des Menschen liegt in dem, was er sich selber schafft“. Zugleich gilt: Diese Philosophie ist ohne Zweifel alles andere als christlich, und trotzdem gibt sie, entsprechend ihrer Herkunft aus dem jüdischen Hoffnungsglauben, den Horizont an, in dem das Dogma sinngemäß verstanden werden muß. Es bewegt sich im Spannungsraum von factum und faciendum; es ist nicht ewigen Wesenswahrheiten zugeordnet, sondern es ist Zeugnis von einer Geschichte (factum), die als Angebot der Hoffnung (faciendum) geglaubt wird und darin dem Menschen Grund gibt, worauf er stehen und bestehen kann.78

So versucht Ratzinger – wenn auch in engen Grenzen – die Veränderungen in der Vorstellung von Wahrheit und Wirklichkeit positiv aufzunehmen, doch nur unter der Voraussetzung, dass das Dogma in diesem Spannungsraum unveränderlich bleibt. Nun ist hier zwischen Dogma und Wahrheit zu unterscheiden. Dogma wird unter bestimmten Bedingungen als ein dynamischer Begriff eingeführt. Ratzinger verweist in Aufsätzen und Monographien aus den 1960er Jahren des Öfteren darauf, dass der Begriff Dogma letztlich auf altkirchliche Formen des Taufbekenntnisses zurückgeht. Diese Taufbekenntnisse bezeichnet er als interrogatorisch – der Täufling bekennt seinen Glauben im Dialog mit der Gemeinschaft. Sie entwickeln sich weiter vom Credo zum Symbol. Von daher ergeben sich zwei Charakteristika dessen, was sich hinter dem Begriff Dogma verbirgt. Zum einen ist es der „Charakter der einen Hälfte, des Unfertigen und Unzulänglichen“79, so dass das Dogma nur die Wahrheit sage, indem es über sich hinaus verweist und nur durch diese Gebrochenheit des Dogmas hindurch der Mensch in Selbstüberschreitung zu Gott komme.80 Zum anderen der „wesentlich kommunitäre, liturgische, worthafte Charakter“81, der das Dogma strikt in den Vollzug kirchlicher Gemeinschaft einordne. Denn das Dogma mit seinem Wortcharakter ermögliche die Gemeinschaft des Wortes, die wiederum die Gemeinschaft des Geistes erst ermöglichen kann. Letztlich kommt das Dogma nur im Wortgeschehen des Gottesdienstes zu seiner Wirklichkeit, die hier individueller Erfahrung und individueller Gewissheit übergeordnet wird, indem die Wirklichkeit des Dogmas im Wort, das dem gemeinsamen Gottesdienst zugeordnet ist, zu haben und deshalb der „individuellen Willkür entzogen“82 sei. An dieser Stelle deutet sich die Vermittlungsfunktion des Dogmas zwischen einem metaphysischen Wahrheitsbegriff und einem nach Ratzinger historisierenden oder technischen Wahr78 79 80 81 82

Ratzinger, Geschichtlichkeit der Dogmen, 63. Ratzinger, Geschichtlichkeit der Dogmen, 66. Vgl. Ratzinger, Geschichtlichkeit der Dogmen, 66. Ratzinger, Geschichtlichkeit der Dogmen, 66. Ratzinger, Geschichtlichkeit der Dogmen, 66.

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heitsbegriff an. Bewegt sich das Dogma nämlich im Spannungsraum von factum und faciendum, so verweist es doch aus diesem hinaus auf einen Grund. Dieser Grund scheint aber nur den Menschen Stand und Bestand zu gewähren, wenn das Dogma zu seiner Wirklichkeit kommt. Da bei Ratzinger die Begriffe Wirklichkeit und Wahrheit changieren, lässt sich auch von einem Wahrwerden des Dogmas als einem Ereignis, in dem sich die Unterscheidung von Dogma und Wahrheit aufhebt, sprechen. Dieses Ereignis ist aber nicht nur einfach an die Kirche gebunden, sondern gerade um der Wahrheit willen eine Wirklichkeit, die jeglicher individuellen Erfahrung und Erkenntnis und damit individueller Gewissheit enthoben ist. Trotz der Unzulänglichkeit und Unfertigkeit, mit der die Wahrheit im Wort des Dogmas Wirklichkeit und so erfahrbar wird, besteht für Ratzinger kein Zweifel an der prinzipiellen Objektivität der Wahrheit.83 In der Umkehrung bedeutet dies, dass die Unzulänglichkeit und Unfertigkeit, die Wahrheit zu Wort kommen zu lassen, gerade nicht mit Hilfe einer subjektiven Erschließung der Wahrheit erklärt werden kann. Von daher wird Subjektivität immer als reduziertes Verständnis der Wirklichkeit betrachtet – ein Verständnis, in dem der Mensch auf sich und auf das von ihm selbst Geschaffene (factum) und Machbare (faciendum) reduziert ist, was letztlich zum Verlust der Wahrheit führt. Auch wenn Ratzinger die geistesgeschichtlichen Entwicklungen, nach denen der Mensch im Spannungsraum von factum und faciendum steht, insofern positiv rezipieren kann, als er den Menschen als ein Wesen, das in einen geschichtlichen Kontext eingebunden ist und vor einer offenen Zukunft steht, versteht, lehnt er doch die vorgetragenen Formeln der Entwicklung – verum quia factum und verum quia faciendum – ab, lehnt die Reduktion der Wahrheit auf diesen Spannungsraum ab, hält an der Formel verum est ens fest und versucht dem begrenzten modernen Wirklichkeitsverständnis ein christliches Wirklichkeitsverständnis gegenüberzustellen. Während das erste nach seinem Dafürhalten Wirklichkeit und Wahrheit mit der „Relation Wissen – Machen“84 erfasst, ist das christliche Wirklichkeitsverständnis durch die „Relation Stehen – Verstehen“85 charakterisiert. Ratzinger fordert in diesem Zusammenhang, den christlichen Glauben gerade nicht mit Hilfe der Kategorien von Wissen und Machen zu beweisen, und geht von zwei nicht aufeinander zurückführbaren Grundformen menschlichen Verhaltens zur Wirklichkeit aus.86

83 84 85 86

Vgl. Ratzinger, Heilsgeschichte, 199. Ratzinger, Einführung, 61. Ratzinger, Einführung, 61. Vgl. Ratzinger, Einführung, 63.

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1.1.3 Der Primat des Empfangens, die christliche Positivität und die Strukturen des Christlichen Grundlegend für die zwei nicht aufeinander zurückführbaren Grundformen menschlichen Verhaltens zur Wirklichkeit ist für Ratzinger der Primat des Unsichtbaren. Dieser Primat des Unsichtbaren über das Sichtbare ist zugleich ein Primat des Empfangens über das Selbstgemachte und Machbare, demzufolge das christliche Wirklichkeitsverständnis mehr ist als der Positivismus bzw. Phänomenologismus des modernen Wirklichkeitsverständnisses. Gleichwohl wird ein christlicher Positivismus postuliert, der gerade aufgrund des Primats des Empfangens notwendig ist und sicherstellen soll, dass das Empfangene nicht spekulativ erkannt wird, nicht der Freiheit des Empfängers entspringt, sondern dem Menschen notwendig zukommt. Dieses Verhältnis des Primats des Empfangens mit seiner impliziten Ablehnung des Positivismus zu einer christlichen Positivität erläutert Ratzinger in einem Exkurs seiner „Einführung“, in dem es mit entsprechendem Achtergewicht als letztes von sechs Prinzipien, die die Strukturen des Christlichen zusammenfassen sollen, eingeführt wird.87 Doch auch die anderen fünf Prinzipien, die er hier anführt, sind zum Verständnis seiner Theologie insgesamt von Bedeutung, so dass sie zunächst in ihrem Zusammenhang skizziert werden müssen, auch deshalb, weil er versucht, mit Hilfe dieser Prinzipien den Fragen nach dem Kern des christlichen Glaubens allgemein verstehbar zu begegnen, und dabei das Christliche nicht in Allgemeinheiten aufzulösen, ein Phänomen, was er nicht selten zu beobachten glaubt.88 So lassen sich diese Prinzipien bereits als Gegenentwurf u. a. zur Theologie Karl Rahners verstehen. Das erste Prinzip nimmt dann auch das Problem von Partikularität und Universalität, von Allgemeinem und Besonderem auf, allerdings diesmal unter der Überschrift „Der Einzelne und das Ganze“89. Der Ausgangspunkt ist der einzelne Mensch und sein Heil, und es wird festgestellt, dass es sich dabei um eine Unmittelbarkeit zwischen Gott und dem Menschen handelt: Das Heil des Einzelnen als Einzelnen kann und könnte Gott je direkt und unmittelbar besorgen, und das geschieht ja auch immer wieder. Er bedarf keiner Zwischenschaltungen, um in die Seele des Einzelnen einzutreten, dem er innerlicher ist als er sich selbst; nichts kann näher und tiefer in den Menschen hineinreichen als Er, der dieses Geschöpf im innersten Punkt seiner Innerlichkeit berührt.90

87 88 89 90

Vgl. Ratzinger, Einführung, 229 – 254. Vgl. Ratzinger, Einführung, 229. Ratzinger, Einführung, 230. Ratzinger, Einführung, 230.

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Diese Unmittelbarkeit des Gottesverhältnisses wird aber nicht zum Prinzip erklärt. Vielmehr ist es an dieser Stelle als eingestehende Vorbemerkung zu verstehen, die womöglich jeglichen Verdacht von einer Einschränkung der Freiheit Gottes in seiner Bindung an die Kirche an entscheidender Stelle zu entkräften sucht, um sogleich die prinzipielle Verwiesenheit des Menschen auf das Ganze um so stärker zu betonen. So ist der Einzelne erst durch sein Verhältnis zur Menschheit, zur Geschichte, zum Kosmos, von Bedeutung. Der Fokus wird von der Individualität auf die Sozialität des Christen verschoben: „Christsein ist seiner ersten Zielrichtung nach nicht ein individuelles, sondern ein soziales Charisma.“91 Doch dass sich dadurch noch nicht dieses erste Prinzip in ein Prinzip „Nur das Ganze“ auflöst, wird nicht durch einen Rückgriff auf obige Unmittelbarkeit Gottes zum Einzelnen erreicht, sondern durch den Bezug auf Jesus Christus als den Einzelnen, der das Heil des Ganzen ist: Weil das Christentum auf das Ganze bezogen ist und nur von der Gemeinschaft her und auf sie hin verstanden werden kann, weil es nicht Heil des isolierten Einzelnen, sondern Indienstnahme für das Ganze ist, dem er weder entfliehen kann noch darf, eben darum kennt es in letzter Radikalität ein Prinzip „Einzelner“. Der unerhörte Skandal, dass ein Einzelner, Einziger: Jesus Christus, als das Heil der Welt geglaubt wird, hat hier den Punkt seiner inneren Notwendigkeit.92

Die Rede von einer inneren Notwendigkeit wird an dieser Stelle eingeführt und ist erst im Zusammenhang mit der Rede von der christlichen Positivität zu verstehen. Die darauf folgenden Prinzipien ergeben sich unmittelbar aus der christologischen Zentrierung des Motivs vom Einzelnen im ersten Prinzip. Das zweite Prinzip Für steht zunächst für die „Existenz Christi als Existenz ,für die vielen‘“93 und wird auf das Sein des Christen ausgedehnt: „Christsein bedeutet wesentlich den Übergang vom Sein für sich selbst in das Sein füreinander.“94 Dieser Übergang wird dann genauer erfasst und anhand des Bildes vom Exodus beschrieben, indem er in eine Reihe von Abraham, dem Auszug aus Ägypten bis hin zu Kreuz und Auferstehung gestellt wird. Dabei gilt für den, der zu dem Gottesvolk gehört: „Er ist zum fortwährenden Exodus der Selbstüberschreitung gerufen.“95 Auch hier wird das letzte Prinzip schon vorbereitet, indem das Motiv des Empfangens als Bedingung für alle Selbstüberschreitungen erscheint. Die nächsten Prinzipien sind dann nähere Beschreibungen des Empfangens bzw. zum Wie der Erscheinung des Für in Jesus Christus. Das dritte Prinzip „Das Gesetz des Inkognito“ erinnert an die Unzuläng91 92 93 94 95

Ratzinger, Einführung, 234. Ratzinger, Einführung, 235. Ratzinger, Einführung, 236. Ratzinger, Einführung, 237. Ratzinger, Einführung, 238.

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lichkeit der Erkenntnis von Wahrheit, wie sie schon für Symbol und Dogma festgestellt wurde. Das Erscheinen Gottes in der Welt und in Jesus Christus wird gerade in seiner Verborgenheit beschrieben, indem Gott als der „ganz Andere“ erkannt wird. Den Gedanken, „dass Gott der ganz Andere ist, der schlechthin Verborgene und Unvergleichbare“96, betrachtet Ratzinger als Gemeinsamkeit von theologischer und philosophischer Einsicht. Den Unterschied zwischen in diesem Sinne negativer Philosophie und negativer Theologie markiert das Kreuz. Was er zunächst im Anschluss zur Kreuzestheologie Luthers einführt, versucht er sogleich mit einer theologia gloriae zu harmonisieren, indem er von einer „doppelten Erscheinungsweise Gottes in der Welt“97 ausgeht. So ist für ihn die kosmische Macht Gottes die eine Erscheinungsweise, die er zum Anlass nimmt, an der Berechtigung von Gottesbeweisen der scholastischen Theologie festzuhalten.98 Die andere Weise, in der dann das Kreuz eingereiht wird, stellt er unter „das Zeichen des Niedrigen, das kosmisch-quantitativ gemessen völlig unbedeutend, geradezu ein reines Nichts ist.“99 Doch dies gipfelt nicht im Kreuz, sondern das Kreuz ist nur ein Teil der Reihe „Erde – Israel –Nazareth – Kreuz – Kirche“100. Das Prinzip des Inkognito durchzieht damit die positiven Größen, an denen Gott erkannt wird, und für die Kirche gilt: Da ist endlich die Kirche, das fragwürdige Gebilde unserer Geschichte, die der bleibende Ort seiner Offenbarung zu sein beansprucht. Wir wissen heute nur allzusehr, wie wenig auch in ihr die Verborgenheit der göttlichen Nähe aufgehoben ist.101

Durch dieses Zusammendenken von Positivität und Inkognito umgeht Ratzinger das Problem der Dialektik von offenbarem und verborgenem Gott, auch umgeht er im vierten Prinzip „Das Gesetz des Überflusses“ das Problem der für die lutherische Rechtfertigungslehre charakteristischen Dialektik von Gerechtigkeit und Sündhaftigkeit des Menschen, indem die überfließende Gerechtigkeit Gottes – dargestellt im Gegenüber zur unvollkommenen Gerechtigkeit des Menschen – mit der Eucharistie identifiziert wird.102 Dadurch kann er den Überfluss der göttlichen Gerechtigkeit in Jesus Christus zur „Definition der Heilsgeschichte“103 erheben und diese erreicht dadurch eine Positivität, die 96 Ratzinger, Einführung, 239 f. 97 Ratzinger, Einführung, 240. 98 „Wie sehr wir uns auch gegen Gottesbeweise sträuben, wie viel auch philosophische Reflexion berechtigterweise gegen ihre einzelnen Schritte einwenden mag, es bleibt dabei, dass durch die Welt und ihre geistige Struktur der schöpferische Urgedanke und seine gründende Macht hindurchschimmern.“ Ratzinger, Einführung, 240. 99 Ratzinger, Einführung, 240. 100 Ratzinger, Einführung, 240. 101 Ratzinger, Einführung, 241. 102 Vgl. Ratzinger, Einführung, 245 f. 103 Ratzinger, Einführung, 246.

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sich der Spannung von Sünde und Gerechtigkeit entzieht. Nur so kann er davon sprechen, dass durch die überfließende Gerechtigkeit „das Versagen des Menschen unendlich überholt“104 wird. Um die Positivität der Heilsgeschichte geht es auch im fünften Prinzip „Endgültigkeit und Hoffnung“. Das Thema Endgültigkeit und Hoffnung des christlichen Glaubens wird entfaltet an Christus als der Offenbarung Gottes. Wie Ratzinger die beiden Seiten, die Abgeschlossenheit und die Offenheit für die Zukunft der Offenbarung in Christus, miteinander verbindet, wird besonders an folgendem Zitat deutlich: Dass in Christus das Ziel der Offenbarung und in ihm das Ziel der Menschen erreicht ist, weil Gottsein und Menschsein in ihm sich berühren und vereinen, bedeutet zugleich, dass das erreichte Ziel nicht eine starre Grenze, sondern ein offener Raum ist. Denn die Vereinigung, die an dem einen Punkte Jesus von Nazareth geschehen ist, muss die ganze Menschheit, den ganzen einen „Adam“, erreichen und ihn zum „Leib Christi“ umwandeln. Solange diese Totalität nicht gewonnen ist, solange sie auf einen Punkt beschränkt dasteht, bleibt das in Christus Geschehene Ende und Anfang zugleich.105

Hier wird der Leib Christi, also die Kirche, zum Scharnier zwischen Endgültigkeit und Hoffnung. Zur Endgültigkeit des Glaubens gehören so auch endgültige Aussagen in Dogma und Symbol.106 Deshalb wehrt er in diesem Zusammenhang die schon im Mittelalter überwundene Idee eines „dritten Reiches“ als Zeit des Geistes, das das zweite Reich des Sohnes ablösen könne, ab. Dass die Abwehr dieser geschichtstheologischen Spekulation aus dem Mittelalter ihn auch an anderen Stellen umtreibt,107 bietet einen Anhaltspunkt dafür, dass er vor diesem Hintergrund zurückhaltend bleibt, eine eigene Pneumatologie zu entwickeln. Diese Zurückhaltung ist so stark, dass er eine eigenständige Pneumatologie geradezu ablehnt.108 Damit lässt sich m. E. insgesamt sagen, dass Ratzinger die Hoffnung im Prinzip „Endgültigkeit und Hoffnung“ und damit die Offenheit des Glaubens auf die Zukunft, auf den geschichtlichen Fortschritt der Kirche einzuschränken versteht. Diese Reduktion auf die Kirche hat bei Ratzinger die Funktion, zu gewährleisten, dass der Mensch sich seine Zukunft nicht selber schafft. An dieser Stelle greift wieder die Kritik an den Ideen der Machbarkeit in einem technischen Wirklichkeitsverständnis, deren bedeutendster Vertreter, Marx, auch ein analoges zum oben angedeuteten Geschichtsbild, weil fortschreitendes Geschichtsbild, vertrete.109 104 105 106 107 108 109

Ratzinger, Einführung, 244. Ratzinger, Einführung, 247 f. Vgl. Ratzinger, Einführung, 249. Vgl. Ratzinger, Eschatologie und Utopie, 211 – 226. Vgl. Ratzinger, Der Gott Jesu Christi, 91. So schreibt Ratzinger an anderer Stelle: „So mittelalterlich-mönchisch Joachims Aussagen im einzelnen sind, strukturell ist damit der Weg zu Hegel und Marx geöffnet: Die Geschichte ist ein

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Die Kritik an der Machbarkeit, an der „aktiven Form des Klassenkampfes“110, leitet sodann die Überlegungen zum sechsten und wichtigsten Prinzip „Der Primat des Empfangens und die christliche Positivität“ ein. Bemerkenswert ist daran, dass die oben beobachtete Kritik Ratzingers am neuzeitlichen Positivismus ihn nicht daran hindert, seinerseits eine christliche Positivität zu postulieren.111 Die Betonung des Charakters des Empfangens des Eigentlichen des Menschen ist gerade im Gegenüber, in der von ihm selbst zugespitzten Frontstellung zum Marxismus verständlich, zumal sich in dieser Gegenüberstellung das Thema Freiheit als Freiheit Gottes widerspiegelt. Doch die Verbindung von Freiheit und Notwendigkeit, die er in der skizzierten Auseinandersetzung mit Karl Rahner bei Rahner so vehement kritisiert, wird, wie oben schon erwähnt, genau an dieser Stelle von ihm selbst vollzogen: Mir scheint, von hier aus lasse sich sozusagen die Quadratur des Zirkels der Theologie vollziehen, nämlich die innere Notwendigkeit der scheinbaren geschichtlichen Zufälligkeit des Christlichen zeigen, das Muss seiner uns anstößigen Positivität als von außen zukommendes Ereignis. Der von Lessing so nachdrücklich betonte Gegensatz von vrit de fait (zufällige Tatsachenwahrheit) und vrit de raison (notwendige Vernunftwahrheit) wird hier überwindbar. Das Zufällige, Äußerliche ist das dem Menschen Notwendige; nur im Zukommen von außen eröffnet sich sein Innen. Das Inkognito Gottes als Mensch in der Geschichte „muss“ sein – mit der Notwendigkeit der Freiheit.112

Walter Kasper hat in seiner Kritik an Ratzingers Entwurf, wie er sich in der „Einführung“ darstellt, diese Synthese vom Primat des Unsichtbaren, der sich im Primat des Empfangens wieder findet, mit der Positivität als latenten Idealismus beschrieben.113 Diese Kritik wird von Kasper noch einmal erweitert, indem er die folgende Identifikation von Glaube und Liebe als latenten

110 111

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vorwärtsdrängender Prozeß, in dem der Mensch aktiv an seinem Heil baut, das aus der bloßen Logik der Gegenwart nicht zu erkennen ist, aber durch die Logik der Geschichte gewährleistet wird.“ Ratzinger, Eschatologie und Utopie, 223. Ratzinger, Einführung, 250. Vgl. dazu: „Der Primat des Empfangens schließt die christliche Positivität ein und erweist ihre innere Notwendigkeit. Wir hatten festgestellt, dass der Mensch das Eigentliche nicht aus sich heraus setzt; es muss ihm zukommen als das nicht von ihm Gemachte, nicht sein Produkt, sondern freies Gegenüber, das sich ihm schenkt. Wenn es aber so steht, dann heißt das auch, dass unsere Gottesbeziehung letztlich nicht auf unserem eigenen Entwurf, auf einer spekulativen Erkenntnis beruhen kann, sondern die Positivität dessen verlangt, was uns gegenübersteht, auf uns zukommt als ein Positives, zu Empfangendes.“ Ratzinger, Einführung, 252. Ratzinger, Einführung, 252. Vgl. Kasper, Das Wesen des Christlichen, 185; So schreibt Kasper zur entsprechenden Passage in der „Einführung“: „Mit dieser erstaunlichen These akzeptiert R[atzinger] faktisch die Antwort, die Schelling und Hegel auf die Lessingfrage gegeben haben. Auch ihnen ging es darum, das geschichtlich Zufällige als das Notwendige und damit die Identität von Freiheit und Notwendigkeit zu erweisen.“ Kasper, Das Wesen des Christlichen, 184.

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Säkularismus bezeichnet.114 Diese Identifikation nimmt Ratzinger vor, um unter der Überschrift „Das ,Wesen des Christentums‘“ die sechs Prinzipien, die er als Strukturen des Christlichen herausgearbeitet hat, in einem Prinzip zusammenzufassen: Wir haben in den sechs Prinzipien gleichsam die Elementarteilchen des Christlichen erkannt, aber muss es nicht dahinter eine einzige, einfache Mitte des Christlichen geben? Es gibt sie, und ich denke, wir können jetzt nach allem Gesagten, ohne in die Gefahr einer bloßen sentimentalen Phrase zu verfallen, sagen, dass die sechs Prinzipien sich zuletzt in das eine Prinzip Liebe zusammenziehen.115

Sodann versucht er Liebe und Glaube aufeinander zu beziehen: Das Prinzip Liebe schließt freilich, wenn es wahr sein soll, den Glauben ein. Nur so bleibt es, was es ist. Denn ohne den Glauben, den wir als Ausdruck für ein letztes Empfangenmüssen des Menschen, für das Ungenügen aller eigenen Leistung verstehen gelernt haben, wird Liebe zur eigenmächtigen Tat. Sie hebt sich auf und wird zur Selbstgerechtigkeit: Glaube und Liebe bedingen sich und fordern sich gegenseitig.116

Vor allem in einem Punkt ist der Kritik Kaspers zuzustimmen: wenn er den latenten Idealismus und Säkularismus in einem „platonisierenden Ausgangspunkt“ begründet sieht und von daher in „der platonischen Dialektik von sichtbar – unsichtbar“117 die Methode von Ratzingers systematischer Theologie erkennt. Ob sich die von Ratzinger herausgestellte Positivität des Christlichen dadurch selber aufhebt, wie Kasper es behauptet, ist zu diskutieren. Grundsätzlich ist dazu bei der Lesart von Ratzingers Entwurf anzusetzen. Während Kasper zunächst völlig zu Recht Ratzingers Interpretation als eine anthropologische betrachtet und diese abgrenzt von dem fünfzig Jahre zuvor erschienenen Entwurf Karl Adams, „Wesen des Katholizismus“, den er als primär ekklesiologische Interpretation versteht,118 ist zu überlegen, ob es sich bei Ratzingers Einführung, die zwar anthropologisch anzusetzen scheint, nicht um eine latent ekklesiologische Interpretation des Christentums handelt. Gerade in den sechs Prinzipien, die die Strukturen des Christlichen bilden, zeigt sich durchgehend eine Akzentuierung auf die Kirche. Deshalb wird sich die Frage der Positivität des Christlichen bei Ratzinger nur im Rahmen der Ekklesiologie klären lassen. Ohne Zweifel liegt hier eine eingeschränkte Weise von Positivität vor. Sie ist reduziert auf die Kirche und wird damit hinein genommen in die Dialektik von sichtbar und unsichtbar. Das 114 „Die Synthese von Vernunft und Geschichte wirkt sich theologisch als Identifizierung von Glaube und Liebe aus. […] Die Ineinssetzung von Glaube und Liebe […] muß logisch zu Ende gedacht ebenso zur Säkularisierung […] führen.“ Kasper, Das Wesen des Christlichen, 185. 115 Ratzinger, Einführung, 253. 116 Ratzinger, Einführung, 254. 117 Kasper, Das Wesen des Christlichen, 185. 118 Vgl. Kasper, Das Wesen des Christlichen, 183.

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deutet einmal mehr darauf hin, dass Ratzingers Entwurf nicht in einer Synthese von Wahrheit und Geschichte aufgeht, sondern diese Synthese nur reduziert auf die Kirche sinnvoll erscheinen kann.

1.1.4 Geschichtliche Quellen der Wahrheit Wird in einem theologischen Entwurf die Frage nach Wahrheit in den Mittelpunkt des Interesses gestellt und dabei das Problem der geschichtlichen Vermittlung von Wahrheit als zentrale hermeneutische Frage betrachtet, so müssen auch die geschichtlichen Quellen für das Verständnis von Wahrheit benannt werden und ihr Verhältnis zur Wahrheitsfindung geklärt sein. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass gerade die Verhältnisbestimmung von Offenbarung, Schrift und Überlieferung einen Themenkomplex bildet, der von Ratzinger häufiger behandelt wird. Neben seinen ekklesiologischen Schriften und seiner Eschatologie ist dies ein Schwerpunkt seines theologischen Schaffens. Entfaltet hat er seine Position zunächst am Anfang der 1960er Jahre im Kontext der Diskussionen zum Verhältnis von Schrift und Tradition, die vor und während des Zweiten Vatikanischen Konzils geführt wurden. Doch auch in den Debatten zum Verhältnis von Exegese und Lehramt in den Jahren, in denen er Präfekt der Glaubenskongregation war, hat er diese Position vertreten. In der ersten Phase ist seine Position insofern bemerkenswert, als er bei aller Notwendigkeit der Tradition für das Christentum immer auch ein traditionskritisches Moment betont.119 Doch daraus folgt noch nicht, dass er in der Umkehrung das Verhältnis von Schrift und Tradition von einer Überordnung der Schrift – etwa im Sinne des protestantischen Schriftprinzips sola scriptura – her bestimmt. In der katholischen Diskussion am Vorabend des Zweiten Vatikanischen Konzils war es Josef Rupert Geiselmann, der am ehesten in diese Richtung dachte, indem er das Tridentinum in seiner Aussage zum Verhältnis von Schrift und Tradition so interpretierte, dass das entsprechende Dekret Sacrosanta ergebnisoffen zu lesen sei und sich gewissermaßen ein katholisches sola scriptura aus dem Konzil von Trient ableiten lasse. Diese Interpretationsmöglichkeit ergibt sich für Geiselmann durch eine signifikante Formulierungsänderung des Dekretentwurfs. Formulierte der Entwurf noch: „hanc veritatem partim contineri in libris scriptis, partim sine scripto traditionibus“, so ist die partim-partim-Formel im endgültigen Dekret ersetzt worden durch ein bloßes „et“. Deshalb ist nach Geiselmann durch das Konzil von Trient gerade nicht das Verhältnis von Schrift und Tradition abschließend geklärt, sondern das Konzil sei einer Verhältnisbestimmung aus119 Vgl. Ratzinger, Art.: Tradition, 293.

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gewichen,120 so dass er zu dem Ergebnis kommt, dass die Schrift in Bezug auf den Glauben inhaltlich suffizient sei. Doch diese inhaltliche Suffizienz der Schrift weiß Geiselmann deutlich vom reformatorischen Schriftprinzip abzugrenzen, zum einen dadurch, dass seine Untersuchungen zum Verhältnis von Schrift und Tradition neben der inhaltlichen Suffizienz der Schrift in Bezug auf den Glauben wiederum der Tradition in Bezug auf die „mores und consuetudines“ den Status einer „traditio constitutiva“ zuschreibt,121 zum anderen, weil er das reformatorische Schriftprinzip nicht einfach mit der inhaltlichen Suffizienz gleichsetzt, sondern ganz zu Recht darüber hinaus zwei weitere Momente feststellt, mit denen er keine Übereinstimmung erzielt. So betrachtet er die These von der sich selbst auslegenden Schrift (scriptura sui ipsius interpres) und die Funktion der Schrift als Glaubensnorm (scriptura norma normans et iudex controversiarum) als bestehende Gegensätze auch zu seiner Verhältnisbestimmung von Schrift und Tradition. Diese Abgrenzung ist zunächst deshalb von Bedeutung, weil die schärfsten Kritiker Geiselmanns ihm gerade vorwerfen, die katholische Verhältnisbestimmung von Schrift und Tradition zugunsten des reformatorischen Schriftprinzips aufzugeben. Allen voran war es Heinrich Lennerz, der Geiselmanns Thesen ablehnte. Deshalb sei auch seine Position kurz skizziert, bevor auf Ratzingers Konzeption eingegangen wird. Im Gegensatz zu Geiselmann lehnt Lennerz die These von der inhaltlichen Suffizienz der Schrift ab und vertritt die Auffassung, dass die Tradition neben der Schrift als eine zweite Quelle der Glaubenswahrheit zu betrachten sei.122 Auch Lennerz rekurriert an dieser Stelle auf die Verhältnisbestimmung von Schrift und Tradition durch das Tridentinum. Die Änderung der Formulierung im Tridentiner Dekret – vom „partim-partim“ zum „et“ – jedoch zugunsten seiner These zu interpretieren, bereitet ihm insofern Schwierigkeiten, als er das „et“ bedeutungsgleich mit der Formel „partimpartim“ versteht. Dazu muss er der Formulierungsänderung des Entwurfs eine möglichst geringe Bedeutung beimessen. Und genau hier setzt seine Argumentation ein, indem er versucht, die Beiläufigkeit, mit der am Ende des Konzils die Formulierungsänderung durchgeführt wurde, zu rekonstruieren. So verweist er darauf, dass das Konzil, schon bevor es zur Änderung kam, die Frage inhaltlich zugunsten des „partim-partim“ entschieden habe und lediglich zwei Konzilsväter – am Ende des Konzils nur noch einer – anders optiert hätten.123 Von daher ergibt sich für Lennerz, dass das Tridentinum einer Klärung des Verhältnisses von Schrift und Tradition nicht ausgewichen sei und die Formulierungsänderung nur im Kontext einer bereits herbeigeführten Klärung zu verstehen sei. Jedoch vermag er es nicht, genaue Gründe, die dann noch zu dieser Änderung führen konnten, anzugeben. Dieser Streit 120 121 122 123

Vgl. Geiselmann, Die heilige Schrift, 93. Vgl. Geiselmann, Die heilige Schrift, 282. Vgl. Lennerz, Historisch-dogmatische Interpretation, 40. Lennerz, Historisch-dogmatische Interpretation, 46 ff.

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zwischen Geiselmann und Lennerz kann hier historisch nicht entschieden werden. Doch er veranschaulicht die komplexe Diskussionslage, die die katholische Kirche während des Zweiten Vaticanums geprägt hat und deren Niederschlag sich in der Konstitution Dei Verbum widerspiegelt. Die Tatsache, dass Geiselmann und Lennerz, wenn sie eigentlich über das Verhältnis von Schrift und Tradition streiten, über das Tridentinum streiten und diese Diskussion in ein Konzil hineintragen, macht deutlich, dass, indem das Verhältnis von Schrift und Tradition zu bestimmen versucht wird, zum einen die Gebundenheit an bestimmte Traditionen dokumentiert wird und zum anderen, dass es sich hierbei um ein zentrales kontroverstheologisches Thema handelt, weshalb es in dieser innerkatholischen Debatte in besonderer Weise um die Vergewisserung der eigenen konfessionellen Identität geht. Bedenkt man dabei, dass die Position Geiselmanns gerade deshalb kritisiert wird, weil sie im Verdacht steht, sich vom protestantischen Schriftprinzip nicht deutlich genug zu unterscheiden, so wird dadurch im innerkatholischen Diskurs implizit die Konzeption Geiselmanns auch in eine Nähe zur reformatorischen Kritik an der Tradition, die als bloße Menschensatzung verstanden würde, und zur Kritik an der Heilsbedeutung der Kirche insgesamt gerückt. Dagegen ist die Position Lennerz’ nicht nur als ein Festhalten an der Tradition als Offenbarungsquelle, sondern auch als ein Versuch, der traditionsbildenden Funktion der Kirche in Form ihres Lehramtes die theologische Grundlage zu sichern, zu verstehen. Vom Tridentinum ausgehend, ist schließlich der Verlauf der katholischen Diskussion um das Verhältnis von Schrift und Tradition dadurch bestimmt, dass zunehmend mit der Kirche als Lehr- und Auslegungsautorität dieses Verhältnis eine dritte Größe neben Schrift und Tradition prägt. Als wichtige Zäsur in der theologiegeschichtlichen Entwicklung dieser Fragestellung ist nicht zuletzt das Erste Vatikanische Konzil zu nennen. Wenn es auch das Verhältnis von Schrift und Tradition in ähnlicher Weise wie das Tridentinum ergebnisoffen beschreibt, bringt es durch das Infallibilitätsdogma einen wichtigen Aspekt hinzu, wodurch sich das Beziehungsgeflecht von Schrift, Tradition und Kirche stark zugunsten der Kirche durch die Konzentration auf ihre Lehrautorität verschiebt.124 Betonte das Tridentinum schon die Rolle des Lehramtes als Instanz der Schriftauslegung, so lässt sich der Kontext des Vaticanum I so charakterisieren, dass aus dem Traditionsprinzip ein Autoritätsprinzip geworden sei, was besonders deutlich der Satz Pius’ IX. „La tradizione sono io“ illustriert, indem hier die Tradition mit dem Lehramt gleichgesetzt wird.125 Die Diskussion um Geiselmann und Lennerz kurz vor dem Vaticanum II ist dann allerdings durch den Eindruck geprägt, dass es eine Diskrepanz zwischen Lehramt und Schriftauslegung gibt, nachdem die moderne Exegese in Form historisch-kritischer Forschung vom Lehramt durch seinen antimodernistischen Kurs am Anfang des 20. Jahrhunderts massiv 124 Vgl. Hauschild, Art.: Tradition, 715 f. 125 Vgl. Drumm, Art.: Tradition, 154.

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behindert wurde. Die katholische Theologie stand also vor der Aufgabe, diesem Dilemma zu entgehen und dabei die bisherigen Entwicklungen zu bewahren. So ist es nicht verwunderlich, dass die Konzilskonstitution über die göttliche Offenbarung (Dei Verbum) in besonderer Weise zu den vorhergehenden Konzilien in Beziehung gesetzt wird. Im Proömium der Offenbarungskonstitution geschieht dies durch die Formel „Conciliorum Tridentini et Vaticani I inhaerens vestigiis“126. Gerade anhand der Interpretation dieser Formel ergibt sich wiederum eine ganze Bandbreite von unterschiedlichen Vorstellungen, in welchem Kontext das Zweite Vaticanum zu betrachten sei bzw. inwiefern z. B. Tridentinum und Erstes Vaticanum so einen Kontext mitbestimmen.127 Eine vielbeachtete Deutung der Formel „inhaerens vestigiis“ hat Ratzinger in seinem Kommentar zu Dei Verbum vorgelegt und bezieht sich dabei zugleich auf Karl Barth: Unsere Konstitution stellt eine relecture der entsprechenden Texte von Vaticanum I und Trient dar, in der das Damalige auf heutige Weise gelesen und damit zugleich auf sein Wesentliches wie auf sein Ungenügendes hin neu interpretiert wird. So wird man Karl Barths Vorschlag durchaus zustimmen können, unsere Formel zu übersetzen: „von den Spuren jener Konzilien her vorwärtsgehend“. Vielleicht wird man das Zueinander dieses Textes zu seinen Vorgängern von da aus geradezu als ein Anschauungsbeispiel dogmatischer Entwicklung, der inneren relecture des Dogmas in der Dogmengeschichte bezeichnen dürfen.128

Diese „relecture“, durch die die Tradition bzw. die Dogmen geschichtlich eingeordnet werden, wird ähnlich wie das Barthsche „vorwärtsgehend“ als weiterführend verstanden.129 Damit wird hier in gewisser Weise ein dynamischer Traditionsumgang deutlich, der sich auch in seiner Enttäuschung darüber, dass das Konzil „das traditionskritische Moment so gut wie völlig übergangen“130 habe, äußert. An dieser Stelle hätte sich Ratzinger eine andere Diskussion als die um das Verhältnis von Schrift und Tradition gewünscht: [I]n der Tat wäre die Herausarbeitung einer positiven Möglichkeit und Notwendigkeit innerkirchlicher Traditionskritik ökumenisch fruchtbarer gewesen als der durchaus fiktiv zu nennende Streit um die quantitative Vollständigkeit der Schrift.131

Von daher ergibt sich eine Ausgangslage, nach der Ratzingers Position einerseits zwischen Geiselmann und Lennerz anzusiedeln ist, andererseits nicht durch das Spannungsfeld dieser Diskussion zu klären ist, weil sich Ratzinger der Thematik von einer anderen Ebene nähert. 126 127 128 129 130 131

DV 1. Vgl. Buckenmaier, „Schrift und Tradition“, 243 – 247. Ratzinger, Kommentar, 505. Das Zitat von Barth ist entnommen aus: Barth, Ad Limina, 49. Vgl. Ratzinger, Kommentar, 521. Ratzinger, Kommentar, 520. Ratzinger, Kommentar, 520.

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Die These von der Suffizienz der Schrift in Bezug auf den Glauben macht sich Ratzinger jedenfalls nicht zu eigen. Auch wenn er formuliert – „Schrift ist Materialprinzip der Offenbarung (vielleicht das einzige, vielleicht eins neben anderen – das mag zunächst offenbleiben), aber sie ist nicht die Offenbarung selbst.“132 – so lässt sich daraus noch nicht schließen, dass er im Unterschied zur Schrift als Materialprinzip die Tradition als Formalprinzip der Offenbarung betrachtet.133 Darauf deutet schon die Einschränkung in der Klammer des obigen Zitats hin. Auch scheint die Einschätzung der Überlieferung als Formalprinzip m. E. missverständlich zu sein, weil so gerade die Ratzingersche Abwehr der materialen Suffizienz der Schrift verdeckt bliebe. Sodann ist festzuhalten, dass er die Rede von der Schrift als Materialprinzip der Offenbarung nun gerade nicht so versteht, dass von einer Suffizienz der Schrift auszugehen sei. Als Argument dient ihm dabei der Verweis auf die christologischen und trinitarischen Dogmen der ersten fünf Jahrhunderte als auch die Dogmen von 1854 und 1950, die eben allesamt als Offenbarungswahrheit zu glauben seien, aber gerade nicht hinreichend aus der Schrift begründet werden könnten.134 Aber auch die Lennerzsche „Zwei-Quellen-Theorie“ ist mit Ratzingers Position unvereinbar. Dies scheint auch trotz der folgenden, nur vorsichtig ablehnenden Formulierung ersichtlich: Die Frage, ob gewisse, schon ausgedrückte Aussagen von Anfang an neben der Schrift mitüberliefert wurden, ob es ein zweites und von Anfang an selbständiges Materialprinzip neben der Schrift gibt, wird […] ganz sekundär ; man wird sie wahrscheinlich eher mit nein beantworten müssen.135

Hierbei ist m. E. zu beachten, dass dieses vorsichtig ablehnende Votum gegenüber der Überlieferung als einer zweiten Quelle der Offenbarung neben der Schrift aus dem Motiv der innerkirchlichen Traditionskritik zu verstehen ist. Unter der Voraussetzung, dass die Diskussion um Schrift und Tradition zwischen Geiselmann und Lennerz insgesamt als ein Streit um den Stellenwert kirchlicher Autorität zu werten sei, wobei hier gegenseitig der implizite Vorwurf im Raum steht, dass der jeweils andere diesen Stellenwert unterbestimmt und damit die katholische Identität in ihrer ekklesiologischen Konzentration unterläuft, gilt es bei den Beiträgen zur Diskussion nach Geiselmann und Lennerz, die in unmittelbarem Zusammenhang zu Dei Verbum stehen, von vornherein den ekklesiologischen Bezug wahrzunehmen. So lässt sich klären, inwiefern die Überlieferung bzw. die Tradition einen normativen Stellenwert hat, wenn sie einerseits nicht oder zumindest nicht primär als materiales 132 Ratzinger, Offenbarung und Überlieferung, 34. 133 Auf diese Formel bringt Sottopietra das Verhältnis von Schrift und Tradition bei Ratzinger. Vgl. Sottopietra: Wissen aus der Taufe, 194. 134 Vgl. Ratzinger, Offenbarung und Überlieferung, 32 f. 135 Ratzinger, Offenbarung und Überlieferung, 46.

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Prinzip der Offenbarung verstanden werden soll und andererseits die Überlieferung auch nicht als Formalprinzip der Offenbarung betrachtet werden kann. In Ratzingers Entwurf wird das Problem einer „Zwei-Quellen-Theorie“ umgangen, indem hinter die „positiven Quellen Schrift und Überlieferung“ zurückgegriffen wird „auf deren inneren Quell: die Offenbarung, das lebendige Wort Gottes, aus dem Schrift und Überlieferung hervorkommen und ohne das beide nicht zu verstehen sind in der Bedeutung, die sie für den Glauben haben.“136 Durch diese Unterordnung der positiven Quellen unter die Offenbarung selbst zeichnet sich Ratzinger als ein katholischer Offenbarungstheologe aus,137 was er durch folgendes Votum noch einmal bekräftigt: „Schrift kann gehabt werden, ohne daß Offenbarung gehabt wird. Denn Offenbarung wird immer und nur erst da Wirklichkeit, wo Glaube ist.“138 Die primäre Gebundenheit der Offenbarung an den Glauben und erst sekundär an ihre positiven Quellen darf allerdings nicht den Eindruck erwecken, dass die Tradition bzw. die Überlieferung in diesem Zusammenhang ausgeblendet wären. Vielmehr hat die Tradition eine bedeutende hermeneutische Funktion, weil das Subjekt des Glaubens in der Theologie Ratzingers stets die Kirche ist.139 Der einzelne Christ ist deshalb zuerst an die Kirche gewiesen und kann sich nicht unmittelbar in seinem Glauben auf die Schrift berufen: „Der Christ kann sich in seinem Glauben nicht auf die Schrift zurückziehen, sondern empfängt ihn durch die Vorlage der Kirche, die als solche und ganze für ihn verbindliche Glaubensnorm ist.“140 Diese Einbindung der Schrift in die Kirche, in den dynamischen Vollzug des Glaubens der Kirche ist nach Ratzinger notwendig aufgrund der Inkongruenz von Schrift und Offenbarung. Anders ausgedrückt ist es die Notwendigkeit einer Auslegung der Schrift, die der Einbindung in die Kirche vorausläuft, weil die Kirche als Subjekt des Glaubens die maßgebliche und Einheit schaffende Auslegungsinstanz ist. Die Konzentration auf die Kirche wird von Ratzinger erst in den achtziger Jahren explizit vorgeführt, was die beiden folgenden Zitate unterstreichen. So schreibt er 1983: Wenn aber die Bibel Niederschlag eines viel größeren, nie auszuschöpfenden Offenbarungsvorganges ist und wenn so ihr Inhalt beim Leser erst ankommt, wenn dies Größere ihn berührt hat, dann vermindert dies ihre Bedeutung nicht, es verwandelt aber von Grund auf die Frage der Auslegungskompetenzen. Denn das bedeutet, daß sie einem Verweisungszusammenhang zugehört, in dem der lebendige Gott sich in Christus durch den Hl. Geist mitteilt. Es bedeutet, daß sie Ausdruck und Instrument 136 Ratzinger, Offenbarung und Überlieferung, 33. 137 So stellt er sich durchaus in eine gewisse Reihe mit protestantischen Vertretern wie Karl Barth und Emil Brunner. Vgl. Ratzinger, Offenbarung und Überlieferung, 35. 138 Ratzinger, Offenbarung und Überlieferung, 35. 139 Vgl. Ratzinger, Theologische Prinzipienlehre, 24. 140 Ratzinger, Zur Katechismuslehre, 223.

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jener Kommunion ist, in der das Ich Gottes und das Du des Menschen sich in dem durch Christus eröffneten Wir der Kirche berühren. Sie ist dann Teil eines lebendigen Organismus, durch den sie überhaupt geworden ist; eines Organismus, der in den Wandlungen der Geschichte dennoch seine Identität bewahrt hat und daher gleichsam mit Urheberrechten über die Bibel als über sein Eigenes sprechen kann.141

Während an obigem Zitat u. a. der pneumatologische Charakter des ekklesialen Organismus hervorzuheben ist, so fällt im folgenden Zitat aus dem Jahr 1989 auf, dass gerade die Tätigkeit der Kirche in der Auslegung der Schrift das Phänomen der Tradition hervorruft: Die Schrift ist eins von ihrem durchgehenden geschichtlichen Träger her, von dem einen Volk Gottes. Sie als Einheit lesen, heißt daher, sie von der Kirche als von ihrem Existenzort her lesen und den Glauben der Kirche als den eigentlichen hermeneutischen Schlüssel ansehen. Das bedeutet zum einen, daß die Tradition den Zugang zu ihr nicht verbaut, sondern öffnet; es heißt zum anderen, daß der Kirche in ihren amtlichen Organen das entscheidende Wort in der Schriftauslegung zukommt.142

Auch wenn diese Konzentration auf die Kirche als Instanz, der die Schrift gleichsam gehört und der die Auslegungskompetenz zukommt, erst rund zwanzig Jahre nach dem Zweiten Vaticanum in unmissverständlicher Eindeutigkeit formuliert wird, ist sie doch schon in den Texten aus dem zeitlichen Umfeld des Konzils aufzuspüren. Vor allem die Studie „Ein Versuch zur Frage des Traditionsbegriffs“ aus dem Jahr 1965 ist hier heranzuziehen, um zu veranschaulichen, wie der Traditionsbegriff auf seine ekklesiale Konzentration hin entfaltet wird, ohne dass diese explizit vorangestellt wäre. Das Phänomen der Tradition entfaltet Ratzinger hier ausgehend vom Begriff der Offenbarung, wobei die Inkongruenz von Offenbarung und Schrift vorausgesetzt wird. Offenbarung identifiziert er mit der Christuswirklichkeit, „die ihre zwiefach-eine Anwesenheit im Glauben und in der Kirche hat“143. Diese doppelte Anwesenheit in Glaube und Kirche betrachtet er analog zu einer „Doppelgestalt der Offenbarung in Altem und Neuem Bund“144, einerseits als „Auslegung des Alten Testaments vom Christusereignis her und auf das Christusereignis hin“ und andererseits als „Auslegung des Christusereignisses selbst vom Pneuma her und d. h. zugleich von der kirchlichen Gegenwart her.“145 Die Vorstellung einer unterschiedlichen „Bedeutung der Schrift im Alten und Neuen Bund“146, die hier herangezogen wird, führt letztlich zu einer Differenzierung von vier Stufen der Theologie, die geschichtlich bedingt sind. So unterscheidet er „eine alttestamentliche Theologie des Alten Testaments“ 141 142 143 144 145 146

Ratzinger, Glaubensvermittlung und Glaubensquellen, 94 f. Ratzinger, Schriftauslegung im Widerstreit, 20. Ratzinger, Offenbarung und Überlieferung, 40. Ratzinger, Offenbarung und Überlieferung, 40. Ratzinger, Offenbarung und Überlieferung, 40. Ratzinger, Offenbarung und Überlieferung, 36.

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von einer „neutestamentliche[n] Theologie des Alten Testaments“ einerseits und „eine neutestamentliche Theologie des Neuen Testaments“ von einer „kirchliche[n] Theologie des Neuen Testaments“147 andererseits. Dabei ergibt sich der Übergang von der jeweils ersten Stufe zur zweiten Stufe durch einen hermeneutischen Mehrwert der Offenbarung. So gilt für die alttestamentliche Theologie und entsprechend für die neutestamentliche Theologie des Neuen Testaments, dass sie „der Historiker aus dem Inneren“148 des jeweiligen Testaments erheben könne. Bei der neutestamentlichen Theologie des Alten Testaments handelt es sich um „eine aus der bloß historischen Betrachtung des Alten Testaments allein nicht hervorkommende Neuauslegung im Licht des Christusereignisses.“149 Wird hier, beim Übergang von der ersten zur zweiten Stufe, die neue Perspektive auf das Alte Testament durch das Christusereignis als Offenbarung begründet, so wird der Übergang von der dritten zur vierten Stufe wiederum aufgrund von Offenbarung vollzogen, nur dass hier die Offenbarung im oben erwähnten zweiten Sinne als Auslegung des Christusereignisses vom Pneuma her verstanden wird. Diese Stufe, die hermeneutisch von beiden Weisen der doppelgestaltigen Offenbarung abgesichert zu sein scheint und als kirchliche Theologie des Neuen Testaments eingeführt wird, identifiziert Ratzinger mit der Dogmatik.150 In diesem Zusammenhang wird nun die Tradition ins Offenbarungsgeschehen integriert, indem behauptet wird: „Das eigentümliche ,Mehr‘, das demnach die Dogmatik von der biblischen Theologie unterscheidet, nennen wir in einem präzisen Sinn die Tradition.“151 An dieser viergeteilten Stufung der Theologie zur Erläuterung der Doppelgestalt der Offenbarung fällt zunächst auf, dass sich das Christusereignis in diesem Zusammenhang lediglich hinter dem Adjektiv „neutestamentlich“ verbirgt. Das Christusereignis vermag damit bezogen auf das Alte Testament nur den hermeneutischen Mehrwert der Offenbarung zu markieren und bezogen auf das Neue Testament gar nur das dem Historiker zugängliche Innere – im Sinne einer Reduktion und nicht eines tieferen Verständnisses – desselben zu eröffnen. Diese Beobachtung ist insofern verwunderlich, als das Christusereignis doch die markanteste Gestalt der Offenbarung sein müßte, zumal es sich in Ratzingers Konzeption bei der Offenbarung um die Christuswirklichkeit handelt und sich seine Theologie wie oben skizziert im wesentlichen um das Sein und die Geschichtlichkeit Jesu Christi zentriert. Diese Unstimmigkeit wird auch dann nicht relativiert, wenn man in Rechnung stellt, dass Ratzinger den Offenbarungsprozess bewusst nicht vom Inneren der Texte Ratzinger, Offenbarung und Überlieferung, 42 f. Ratzinger, Offenbarung und Überlieferung, 42 f. Ratzinger, Offenbarung und Überlieferung, 43. „Es gibt eine kirchliche Theologie des Neuen Testaments, die wir Dogmatik heißen. Sie verhält sich zur neutestamentlichen Theologie des Neuen Testaments so, wie sich die neutestamentliche Theologie des Alten Testaments zur alttestamentlichen Theologie des Alten Testaments verhält.“ Ratzinger, Offenbarung und Überlieferung, 43. 151 Ratzinger, Offenbarung und Überlieferung, 43.

147 148 149 150

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des Alten und Neuen Testaments abkoppelt: „Das Phänomen des Weiterwachsens von Texten in neuen Situationen, des Weiterwachsens der Offenbarung durch Neuauslegung des Alten strukturiert schon das Innere des Alten Testaments selber ganz wesentlich.“152 Denn so ließe sich lediglich erklären, weshalb auch der Blick des Historikers auf das Neue Testament hermeneutisch vom Geschehen der Offenbarung im Christusereignis geleitet wird. Nicht jedoch lässt sich die Doppelgestalt der Offenbarung – die Doppelgestalt der Christuswirklichkeit – im Christusereignis und in der kirchlichen Gegenwart, wie Ratzinger den Geist umschreibt, erklären. Somit führt die an dieser Stelle von Ratzinger zur Illustration der Offenbarung und ihrer Doppelgestalt durchgeführte Differenzierung der Theologie nicht weiter – zumindest was die Doppelgestalt angeht, ruft sie Unstimmigkeiten hervor. Gleichzeitig erreicht er durch die Überlappung der einzelnen Stufen die Integration von Schrift und Tradition in den Offenbarungsprozess mit dem Ergebnis, dass sich seine Position formal von jeglicher „Zwei-Quellen-Theorie“ unterscheidet, weil er durch die Integration der Quellen in die übergeordnete Offenbarung die Quellen in Bezug auf ihre Suffizienz nicht mehr als distinkte Größen betrachtet. So sind auch die vier Stufen nur modellhaft zu betrachten und nicht als voneinander abgeschlossene Einheiten. Vielmehr ist die vorgenommene Differenzierung gerade dadurch motiviert, den Traditionsprozess nicht von der Schrift zu trennen, sondern Schrift und Tradition gleichsam ineinander als eine materiale Quelle der Offenbarung zu betrachten, deren Auslegung nur in der Kirche die Wahrheit erhellt, so dass hier von einer Gegenwart des Christusereignisses, von der Anwesenheit der Christuswirklichkeit gesprochen werden kann. Damit schließt Ratzinger im Übrigen an eine noch frühere Kritik an der „Zwei-Quellen-Theorie“ aus einem Aufsatz von 1958 an,153 bei der er, wie auch im eben untersuchten Text, von der Inkongruenz der Begriffe „Schrift“ und „Offenbarung“, die er auf der Grundlage scholastischer Theologie herausgearbeitet hat, ausgeht und deshalb die Identifikation der Offenbarung mit ihrem Materialprinzip ablehnt, was dann sowohl für den altprotestantischen Biblizismus als auch für einen Traditionsbegriff, der als Materialprinzip verstanden wird, gelte.154 In diesem frühen Aufsatz ist noch die Rede von der 152 Ratzinger, Offenbarung und Überlieferung, 42; vgl. analog zum Neuen Testament S. 43. 153 Vgl. Ratzinger, Offenbarung – Schrift – Überlieferung, 27. 154 „Weil die Scholastiker das formale Prinzip ,Offenbarung‘ von dem materialen der Schrift deutlich abhoben, konnten sie nun umgekehrt unbefangen ein materiales sola scriptura behaupten, d. h. die Schrift als einziges Materialprinzip des Glaubens auffassen, ohne die fragwürdige Konstruktion materialer mündlicher Überlieferungen versuchen zu müssen. Diese Vorstellung wird vielmehr erst in dem Augenblick nötig, in dem die Offenbarung irrtümlich mit ihrem Materialprinzip identifiziert und so eine restlose materiale Vollständigkeit der Offenbarung von Anfang an gefordert werden muß. Auf dieser falschen Objektivierung des Offenbarungsbegriffs ruht sowohl der altprotestantische Biblizismus wie auch die nachtridentinische materiale Auslegung des Traditionsbegriffes auf, die immerhin in ihrer ungelen-

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Offenbarung als formalem Prinzip des Glaubens, das im Grunde als gemeinsamer Nenner der scholatischen Theologie eingeführt wird. Lediglich Thomas von Aquin wird hier etwas anders akzentuiert dargestellt, indem seine Lösung folgendermaßen immerhin noch im Unterschied zur „Zwei-QuellenTheorie“ präsentiert wird: Sie kennt nämlich nicht zwei materiale Prinzipien der Dogmengeschichte – Schrift und Überlieferung, sondern nur je ein materiales und ein formales Prinzip: die Schrift (die material vollständig ist) und die die Schrift auslegende auctoritas ecclesiae bzw. Romani pontificis.155

Seine eigene in diesem Aufsatz abschließende Sicht ist im Unterschied dazu eher an Bonaventura und Augustinus orientiert und stellt sich so dar : „Offenbarung“ im Sinn innerer Zuwendung Gottes zum Menschen muß auf jeden Fall je neu erfolgen auch in einer Zeit, in der die objektive Seite der göttlichen Selbsterschließung längst abgeschlossen ist. So kann die Vorstellung aufkommen, daß an dieser und jener Stelle der Geschichte die „Offenbarung“ wieder besondere Mächtigkeit erlangt: Die Kirche in ihrer gesamten geschichtlichen Erstreckung wird als pneumatische Gemeinde im paulinischen Sinn, als geistdurchwirkte Mönchsgemeinde im benediktinischen Sinn verstanden, in der bald hier, bald dort der Geist zu reden beginnt, in den jüngeren Generationen ebensogut wie in den älteren. Motive urchristlicher Charismatik und platonisch-augustinische Erkenntnislehre vermählen sich hier. Denn indirekt ist hier nun doch die Illuminationstheorie Augustinus’ wirksam: Indem sie ganz allgemein die Innerlichkeit der geistigen Erkenntnis lehrt, schreibt sie auch dem revelatio-Gedanken seinen Raum vor, zwingt ihn in die Innerlichkeit und damit zugleich in eine gewisse Freiheit gegenüber der Geschichte.156

Spätestens hier wird deutlich, dass die Position Ratzingers von 1963157 viel stärker den ekklesialen Charakter seines Offenbarungsbegriffs akzentuiert, während er in jenem frühen Text von 1958 die Innerlichkeit der Illuminationstheorie Augustinus’ betont, was vor dem Hintergrund seiner späteren Abwehr jeglicher subjektivitätstheoretischer Position bemerkenswert ist. Wenn dies auch an dieser Stelle im Rahmen der Kirche als pneumatischer Gemeinschaft geschieht, so lässt sich die Bedeutung des Subjekts des Glaubens, um dessen Innerlichkeit es geht, nicht übersehen. Doch auch hier lässt sich die Entwicklung Ratzingers nicht einfach als Widerspruch zu früheren Positionen darstellen. Denn in der Entwicklung seiner Position passiert es, dass er die frühere These von der Offenbarung als dem Formalprinzip des ken Art die Erkenntnis bewahrt, daß ,Offenbarung‘ niemals restlos in ,Schrift‘ aufgelöst werden darf.“ Ratzinger, Offenbarung – Schrift – Überlieferung, 27. 155 Ratzinger, Offenbarung – Schrift – Überlieferung, 20. 156 Ratzinger, Offenbarung – Schrift – Überlieferung, 26. 157 Die Entstehung des Textes von Offenbarung und Überlieferung, der 1965 erschienen ist, geht bereits auf Vorträge aus dem Jahr 1963 zurück. Vgl. Ratzinger, Offenbarung und Überlieferung, 7.

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Glaubens entfaltet, ohne dabei die Kirche als formales Prinzip im Sinne Thomas’ zu behaupten. Dass seine frühere These weitergeführt werden musste, wird schon durch die Verschiebung des Bezugs dieser Prinzipien ersichtlich. So geht es doch darum, ein materiales und ein formales Prinzip in Bezug auf dieselbe Sache zu unterscheiden. Während zunächst von der Schrift als dem materialen Prinzip der Offenbarung die Rede ist, geht es später um ein materiales und formales ein Prinzip des Glaubens.158 Diese terminologische Verschiebung hat m. E. nur den Sinn, die Rede von der Offenbarung als formalem Prinzip der Offenbarung zu vermeiden. Doch dazu reicht es nicht, nun von einem formalen Prinzip des Glaubens zu sprechen, sondern der Offenbarungsbegriff muss zunächst genauer erfasst werden, um dann das formale Prinzip der Offenbarung zu benennen. Nach allem bisher bei Ratzingers theologischem Vorgehen Beobachteten geht es darum, das formale Prinzip der Offenbarung in dem Geschehen von Offenbarung zu suchen, d. h. da, wo die Christuswirklichkeit zur Gegenwart kommt. Nun fällt auf, dass in seinen späteren Beiträgen gar nicht mehr von einem Formalprinzip der Offenbarung die Rede ist. Anscheinend scheut er sich davor, Aussagen wie: „die Tradition ist das formale Prinzip der Offenbarung“ oder „die Kirche ist das formale Prinzip der Offenbarung“ zu formulieren, was in seiner Konzeption auch angebracht ist. Denn dass die Tradition hier ausscheidet, ist klar, wenn es stimmt, dass Schrift und Tradition in Ratzingers Konzeption als ineinander integrierte materiale Quelle und somit als materiales Prinzip der Offenbarung zu verstehen sind. Die Kirche als formales Prinzip der Offenbarung zu betrachten, würde schon eher zutreffen. Doch wäre damit nicht der Übergang von der Innerlichkeit der geistigen Erkenntnis zur Formel von Thomas vollzogen? Wäre dann nicht die Kirche das formale Prinzip der Offenbarung? Doch warum erhebt Ratzinger die Kirche dann nicht ausdrücklich zum formalen Prinzip der Offenbarung? Zum einen sicherlich deshalb nicht, um sich von Thomas’ empirischem Kirchenbegriff abzugrenzen. Denn das Phänomen, welches er anfangs mit der Innerlichkeit der geistigen Erkenntnis beschreibt, prägt nach wie vor – auch bei einer stärkeren Akzentuierung der Kirche – seinen Ansatz. So schreibt er auch später noch: „Offenbarung ist vielmehr erst da angekommen, wo außer den sie bezeugenden materialen Aussagen auch ihre innere Wirklichkeit selbst in der Weise des Glaubens wirksam geworden ist.“159 Doch diese innere Wirklichkeit des Glaubens ist aber nur dann Offenbarung und Christuswirklichkeit, wenn sie den einzelnen als Subjekt des Glaubens nicht losgelöst von der Kirche betrachtet. Denn die Christusgegenwart verbirgt sich aber auch unter dem paulinischen Wort vom „Leib Christi“, welches ja besagen will, daß die Gemeinde der Gläubigen – die Kirche – das An-Wesen Christi in 158 Vgl. Ratzinger, Offenbarung – Schrift – Überlieferung, 27. 159 Ratzinger, Offenbarung und Überlieferung, 35.

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dieser Welt darstellt, in das er die Menschen hineinversammelt, durch das er sie seiner machtvollen Gegenwart teilhaftig macht.160

Ohne dass Ratzinger nun ein formales Prinzip der Offenbarung genannt hätte, wird dennoch sein Offenbarungsverständnis klarer. Zunächst ist Offenbarung die Wirklichkeit Christi, die historisch im Christusereignis greifbar wird, und außerdem geschieht Offenbarung da, wo sich der Gegenwartscharakter der Christuswirklichkeit zeigt. Dazu bedarf es als materiales Prinzip Quellen, die das Christusereignis bezeugen, was zunächst die Schrift leistet. Ferner ist diese materiale Quelle so auszulegen, dass sich Christus gegenwärtig offenbart. Als Kriterium für die Gegenwart Christi dient die Kirche, in der der Geist wirkt. Die Dynamik dieses an die Institution Kirche gebundenen Offenbarungsverständnisses zeigt sich dann anhand der Tradition, die nichts anderes als das Ergebnis eines geschichtlichen Auslegungsprozesses ist und als solches selbst zu einer materialen Quelle wird. Dass die Kirche selbst in diese Dynamik der Offenbarung einbezogen ist, zeigt sich nicht zuletzt an Ratzingers Deutung der Funktion des Lehramtes. Das Lehramt hat bei Ratzinger die Funktion der Repräsentanz des Ich der Kirche. Als Instanz ist es erst vom Ersten Vaticanum geschaffen worden, um in analoger Weise wie die Symbole in der Alten Kirche zu Beginn des historischen Zeitalters Folgendes zu leisten: Eindeutigkeit und Klarheit. Diese Klarheit und Eindeutigkeit schaffende Repräsentanz des Lehramtes sieht Ratzinger gleichwohl nicht als unangreifbar an, was ihm die Entwicklung der römisch-katholischen Kirche vom Ersten Vaticanum zum Zweiten Vaticanum hinreichend vor Augen führt.161 Dies veranlasst ihn aber nicht, sich von der Idee des Lehramtes prinzipiell zu distanzieren. Ratzinger vermag es zwar – und darin zeigt sich sein positives Verhältnis zur Traditionskritik – Irrtümer in den Entscheidungen des Lehramtes zu benennen,162 doch versucht er prinzipiell die Idee des Lehramtes, die für ihn darin besteht, „daß hier der Glaube jederzeit konkret in seiner Eindeutigkeit auffindbar ist“163, und der er eine wichtigere Funktion zubilligt als einzelnen lehramtlichen Aussagen, zu stützen, indem er einen wichtigen Aspekt zur Beurteilung des Lehramtes zur Diskussion stellt. Er erinnert an die Funktion des Lehramtes, die, wie schon erwähnt, analog zum Symbol in der Alten Kirche darin besteht, Eindeutigkeit herzustellen, wo über bestimmte Fragen die Interpretation der Schrift allein strittig bleibt. Die entscheidende Pointe, die hier dem Lehramt beigegeben 160 Ratzinger, Offenbarung und Überlieferung, 39 f. 161 So formuliert er z. B.: „Wir wissen alle, wie sehr heute dieses scheinbar ganz eindeutige Prinzip, das der Kirche der letzten hundert Jahre eine in dieser Weise vordem unbekannte Klarheit, Sicherheit, Einheitlichkeit und Eindeutigkeit gab, verunsichert und damit weitgehend funktionsunfähig geworden ist: Gerade die Geschichte der lehramtlichen Äußerungen dieser letzten hundert Jahre (aber doch nicht nur sie) zeigt überdeutlich die Grenzen des lehramtlichen Könnens an.“ Ratzinger, Maßstäbe der Evangeliumsverkündigung, 32 f. 162 Vgl. Ratzinger, Maßstäbe der Evangeliumsverkündigung, 33. 163 Ratzinger, Maßstäbe der Evangeliumsverkündigung, 32.

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wird, ist, dass es als repräsentierende Instanz nicht aus sich selbst heraus, sondern durch die Repräsentation der Kirche als eines lebendigen Organismus Eindeutigkeit beanspruchen kann. Grundsätzlich werden die Funktionen von Symbol und Lehramt unter folgende Beobachtung gestellt: „Die ,Durchsichtigkeit‘ stammt letztlich nicht von einem Text, sondern von etwas Lebendigem, von der lebenden Stimme (viva vox) der Kirche, die das allzeit lebendige Subjekt der Schrift und des in ihr verwahrten Glaubens ist.“164 Das Lehramt wird so eingeführt, dass es selbst seine Funktion nur wahrnehmen kann, wenn es sich seinerseits der lebenden Stimme des lebendigen Subjekts Kirche unterordnet. So ist das Lehramt an sich noch kein Maßstab, sondern nach Ratzinger gilt: „Maßstab der Verkündigung ist das lebendige Lehramt der lebendigen Kirche.“165 Mit dieser Bezeichnung liegt er auf der Linie von Dei Verbum.166 Es bleibt zu fragen, wie das Lehramt als lebendiges Lehramt erkannt wird, ob es Kriterien gibt, die das Lehramt in seiner Repräsentation des Subjektes Kirche als solches qualifizieren – und das bedeutet in dieser Konzeption auch, die es als rechtmäßige Instanz der Schriftauslegung qualifizieren. Ratzinger nennt ein Kriterium: „Das Gewicht lehramtlicher Aussagen entspricht dem Maß ihrer Universalität.“167 Insofern ergibt sich trotz des prinzipiellen Anspruchs des Lehramtes auf Gehorsam die Möglichkeit zum Widerspruch, wenn es sich um partikulare Anordnungen handelt.168 Der Widerspruch darf aber nicht von individuellem Interesse geleitet sein. Denn das Kriterium der Universalität soll helfen, die Wahrheit des lebendigen Glaubens der ganzen Kirche bzw. der Gesamtkirche erkennbar werden zu lassen, wobei gilt, dass das Subjekt dieses lebendigen Glaubens immer schon die Kirche ist, an der die Einzelnen nur durch Selbstüberschreitung partizipieren können. Im Zusammenhang der Verhältnisbestimmung von Schrift und Tradition ist es durchaus signifikant, dass Ratzinger den Begriff der Universalität nicht nur synchron, sondern vor allem diachron gebraucht und dabei nicht nur den Glauben der Gesamtkirche in der Vergangenheit thematisiert, sondern insbesondere die Offenheit auf die Zukunft, in der der Glaube der Kirche erst „zu seiner Gänze“169 kommt, betont.170 Korrespondierend zur

164 Ratzinger, Maßstäbe der Evangeliumsverkündigung, 32. 165 Ratzinger, Maßstäbe der Evangeliumsverkündigung, 28. Neben dem lebendigen Lehramt nennt Ratzinger an dieser Stelle die Schrift, die Glaubensbekenntnisse der Gesamtkirche und den konkreten Glauben der Kirche in den Gemeinden als Maßstäbe der Verkündigung. 166 „Munus autem authentice interpretandi verbum Dei scriptum vel traditum soli vivo Ecclesiae Magisterio concreditum est, cuius auctoritas in nomine Iesu Christi exercetur.“ – „Die Aufgabe aber, das geschriebene oder überlieferte Wort Gottes verbindlich zu erklären, ist nur dem lebendigen Lehramt der Kirche anvertraut, dessen Vollmacht im Namen Jesu ausgeübt wird.“ DV 10. 167 Ratzinger, Maßstäbe der Evangeliumsverkündigung, 38. 168 Vgl. Ratzinger, Maßstäbe der Evangeliumsverkündigung, 38. 169 Ratzinger, Maßstäbe der Evangeliumsverkündigung, 38. 170 „Diachronisch mit der ganzen Kirche glauben muß auch heißen: den Glauben der Kirche als

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Der kirchliche Wahrheitsanspruch bei Ratzinger

Unzulänglichkeit und Unfertigkeit der Erkenntnis von Wahrheit, kann auch das Lehramt im Sinne eines lebendigen Lehramtes den Glauben und seine Grenzen nicht immer klar und eindeutig fixieren.171 Und dennoch gilt, dass die Kirche die Instanz bleibt, die autoritativ die Schrift auszulegen beanspruchen kann, und die der Ort bleibt, an dem Wahrheit erkannt wird.

1.2 Die Wahrheit im Verhältnis zur Freiheit und zum Gewissen des Einzelnen Wenn die Kirche als Ort der Wahrheit bestimmt wird, hat das Auswirkungen auf das Individuum, das erst zu seiner Freiheit kommt, indem es sich der Wahrheit unterordnet. In diesem Zusammenhang hat der Gewissensbegriff bei Ratzinger eine zentrale Funktion. Deshalb soll die individuelle Freiheit in Bezug auf die Wahrheit im Folgenden anhand des Gewissens betrachtet werden. Das Verhältnis von Freiheit und Wahrheit wird im Anschluss an die Abwehr jeglichen neuzeitlichen Subjektivismus resp. Individualismus von der – trotz unzulänglicher Erkennbarkeit – immer objektiven Wahrheit her bestimmt. Die Freiheit des Menschen hat sich der Wahrheit unterzuordnen, so dass sich menschliche Freiheit erst aus der Wahrheit ableiten lässt. Nicht aber wird die Freiheit um der Wahrheit willen gefordert, Freiheit ist also nicht notwendig zur Erkenntnis von Wahrheit. Wie diese objektive Wahrheit erkennbar wird, und zwar dem individuellen Menschen erkennbar wird, versucht Ratzinger anthropologisch am Begriff des Gewissens zu erläutern. Das Gewissen ist für ihn das Organ, das für die Einheit des Menschen steht.172 Und als solches übernimmt es zugleich die Funktion der Vermittlung von Freiheit und Wahrheit, die er in der gegenwärtigen öffentlichen Meinung zu seinem Unbehagen als gegenläufige Begriffe wahrnimmt. Doch nicht nur zwischen Freiheit und Wahrheit als Handlungsprinzipien soll das Gewissen vermitteln, sondern auch zwischen Autonomie und Heteronomie des Subjekts. Außerdem nimmt er in der Gegenwart den „neuzeitlichen“ Gewissensbegriff als konträr zu seiner Vorstellung vom Gewissen wahr : In der Gegenwart hingegen erscheint das Gewissen als Ausdruck für die Absolutheit des Subjekts, […] Was Moral und Religion angeht, ist das Subjekt die letzte Instanz. Das ist logisch, wenn die Wahrheit als solche unzulänglich ist. So ist im neuzeitlichen einen bis zur Wiederkunft des Herrn hin offenen und erst dann zu seiner Gänze kommenden anzunehmen.“ Ratzinger, Maßstäbe der Evangeliumsverkündigung, 38. 171 Vgl. Ratzinger, Maßstäbe der Evangeliumsverkündigung, 39. 172 Vgl. Ratzinger, Glaube, Wahrheit und Kultur, 166.

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Gewissensbegriff das Gewissen die Kanonisierung des Relativismus, der Unmöglichkeit gemeinsamer sittlicher und religiöser Maß- stäbe […].173

Seinen eigenen Gewissensbegriff bestimmt er im Anschluss an Paulus: „Für Paulus ist das Gewissen das Organ der Transparenz des einen Gottes in allen Menschen, die ein Mensch sind.“174 Dabei wird jedoch dem Gewissen nicht nur eine konstitutive Bedeutung für die Identität des Menschen und für seine Gottesbeziehung zugesprochen, sondern dies geschieht gerade durch Vermeidung jeglicher subjektiven Deutung, was sich insbesondere in der Trennung von Gewissen und Gewissheit zeigt. Aus der Transparenz des menschlichen Subjekts für das Göttliche und deren Verortung im Gewissen folgt für Ratzinger : „Der Mensch kann die Wahrheit Gottes auf dem Grund seines Geschöpfseins sehen. Sie nicht zu sehen ist Schuld. Sie wird nicht gesehen, wenn und weil sie nicht gewollt wird.“175 Das Gewissen ist somit auch die Fähigkeit des Menschen zur Erkenntnis der objektiven Wahrheit. Gewissheit hingegen bleibt stets im Subjektiven verhaftet. Und so wird die Trennung von Gewissen und Gewissheit dadurch begründet, dass gilt: „Die Reduktion des Gewissens auf subjektive Gewißheit bedeutet zugleich den Entzug der Wahrheit.“176 An dieser Stelle zeichnet sich eine grundlegende Gleichung für den theologischen Ansatz Ratzingers ab: Subjektivität ist gleich Wahrheitsverlust. Nun geht es bei Ratzinger nicht darum, den Gewissensbegriff von seiner Verortung im Individuum gänzlich zu lösen. Das Gewissen als moraltheologischer Begriff zur Bildung ethischer Urteile bleibt auch bei ihm letztlich subjektiv. Doch das ist nur die eine Ebene des Gewissens. Denn diese subjektiven Urteile werden an die objektive Wahrheit, die als Maßstab fungiert, gebunden. Dazu dient ihm die in der scholastischen Theologie durchweg vollzogene Unterscheidung von Synteresis und Conscientia im Phänomen Gewissen. Die Probleme, die in der Scholastik mit dem Begriff Synteresis verbunden sind, werden allerdings ausgeblendet. Ratzinger erörtert nicht die Frage, ob die Synteresis, die so etwas wie ein normierendes Urgewissen darstellt, als Habitus (Thomas) oder als Potenz (Bonaventura) zur Natur des Menschen gehört, sondern er modifiziert diese Ebene des Gewissens von vornherein, indem er Synteresis durch den Begriff „Anamnesis“ ersetzt. Unter Anamnesis versteht er, dass dem Menschen eine Urerinnerung an das Gute 173 174 175 176

Ratzinger, Glaube, Wahrheit und Kultur, 167. Ratzinger, Glaube, Wahrheit und Kultur, 166. Ratzinger, Gewissen und Wahrheit, 37. Ratzinger, Gewissen und Wahrheit, 39; es scheint hier „subjektive Gewißheit“ mit „oberflächlicher Überzeugtheit“ gleichgesetzt zu sein. Denn der entsprechende Absatz beginnt wie folgt: „Die Identifikation des Gewissens mit dem Oberflächenbewußtsein und die Reduktion des Menschen auf seine Subjektivität befreit nicht, sondern versklavt […]. Wer das Gewissen mit oberflächlicher Überzeugtheit gleichsetzt, identifiziert es mit einer schein-rationalen Sicherheit, die aus Selbstgerechtigkeit, Konformismus und Trägheit gewoben ist.“ Ratzinger, Gewissen und Wahrheit, 39.

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und an das Wahre eingefügt ist. Dies bezeichnet er als „ontologische Schicht des Phänomens Gewissen“177. Allerdings deutet sich dabei an, dass er nicht die thomanische Sicht teilt und Anamnesis analog zur Synteresis bei Thomas als Habitus betrachtet. Eher tendiert er zur Sicht Bonaventuras, in der Synteresis als Potenz, als Seelenvermögen, die normierende Wahrheit zu erkennen, verstanden wird. So wird diese ontologische Schicht auch als „eine innere Seinstendenz des gottebenbildlich geschaffenen Menschen auf das Gottgemäße hin“178 beschrieben. Noch deutlicher wird die Anlehnung an Bonaventura durch zwei Kennzeichen der Anamnesis. Zum einen bedarf sie der Nachhilfe von außen und ist dem Menschen nicht unvermittelt gegeben. Andererseits ist nicht klar, ob das Gewissen nicht schon auf dieser ontologischen Schicht der Anamnesis irren kann oder ob auf der zweiten Ebene, der Conscientia, auf der man durch Rückbindung an die Anamnesis zum Gewissensurteil gelangt, auch die Irrtümer angelegt sind, die zu einem Widerspruch der Anamnese führen. Es gilt aber, dass einem irrigen Gewissen Folge zu leisten ist: Es ist nie Schuld, der gewonnenen Überzeugung zu folgen – man muß es sogar. Aber es kann sehr wohl Schuld sein, daß man zu so verkehrten Überzeugungen gelangt ist und den Widerspruch der Anamnese des Seins niedergetreten hat.179

Das Problem in der Gewissenskonzeption bei Ratzinger besteht darin, dass gerade dieser Widerspruch gegen das Sein, die Wahrheit so interpretiert wird, dass die subjektive Gewissheit des Menschen als Gegenpol zur Wahrheit betrachtet wird. Wahrheit kann bei ihm eben nicht im Modus von Gewissheit erkannt werden, sondern Wahrheit wird erkannt durch den Anstoß von außen. Genau an diesem Punkt tritt m. E. eine Inkonsistenz auf, die darin besteht, dass die Erkenntnis von Wahrheit innerhalb der Kirche über sonstige Erkenntnis hinausgehe. Es werden hier zwei Formen der Anamnese unterschieden. Neben die Schöpfungsanamnese setzt Ratzinger „die neue Anamnese des Glaubens“, die er auch als „Anamnesis des neuen Wir“180 bezeichnet und die immer sakramental empfangen wird. Während die Funktionsweise der Schöpfungsanamnese im Dunkeln bleibt, wird die Urerinnerung in der sakramentalen Wir-Gemeinschaft, in der Kirche, etwas genauer skizziert. Hier wird die Heteronomie des Subjekts zur Bedingung seiner Autonomie, weil es durch den Anstoß von außen, der aus der sakramentalen Existenz der Kirche kommt, erst zu seinem eigenen Sein vorstößt. Ein weiteres Problem ergibt sich dann sofort, das noch im Rahmen der Ekklesiologie und deren fundamentaltheologischer Bedeutung genauer untersucht werden muss und in dem Subjektwechsel besteht, der bei der sakramentalen Eingliederung des Men177 178 179 180

Ratzinger, Gewissen und Wahrheit, 51. Ratzinger, Gewissen und Wahrheit, 51. Ratzinger, Gewissen und Wahrheit, 58. Ratzinger, Gewissen und Wahrheit, 54.

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schen in die Kirche als Leib Christi vollzogen wird. Denn dadurch bleibt das Gewissen nicht nur Organ für die Identität und Einheit des Menschen, sondern es wird in gewisser Weise kollektiviert. Dieses Problem wird von Ratzinger nicht explizit betrachtet. Es wird insofern umgangen, als auch bei ihm das Gewissen letztlich an eine konkrete Person gebunden bleibt. Denn über diesen Gewissensbegriff wird der Primat des Papstes begründet: „Der wahre Sinn der Lehrgewalt des Papstes besteht darin, daß er Anwalt des christlichen Gedächtnisses ist.“181 Diese Konzentration auf ein konkretes Subjekt lässt sich bei aller Ablehnung subjektivistischer Tendenzen nur in der sakramentalen Einbettung des Amtes in die katholische Theologie denken. Diese Personalisierung des Gewissens bleibt allerdings sehr optimistisch, weil sie die Person hinter dem Papstamt als einen verläßlichen Zeugen des christlichen Glaubens voraussetzen muss. Aber auch der Papst bleibt nur Zeuge bzw. höchster Repräsentant der Wahrheit, die in der Kirche, in ihrer sakramentalen Existenz, gefunden wird.

1.3 Die Wahrheit in der Gemeinschaft der Kirche Das Verhältnis von Wahrheit und Kirche hat einen ambivalenten Charakter. Einerseits gilt für die Kirche, dass auch sie unter dem Primat des Empfangens steht, d. h. für die Wahrheitsfrage, dass die Kirche ihren Glauben und damit ihre Wahrheit stets empfängt und immer nur vorfindet und niemals in der Lage sein kann, Wahrheit selbst zu schaffen. Die Wahrheit steht demnach der Kirche gegenüber. Andererseits gibt es eine Tendenz, die Kirche theologisch so stark aufzuladen, dass sie als Subjekt der neuen Communio, als Leib Christi, ontologisch nur noch äußerst unscharf von Christus selbst unterschieden werden kann. Da aber Christus selbst die Wahrheit ist, ist das Sein der Kirche von der Wahrheit kaum zu unterscheiden. Sicherlich wird dies nicht ohne weiteres von der sichtbaren Kirche und ihren Irrtümern behauptet. Aber immerhin wird diese prinzipielle Positivität der Kirche auf ihre Wirklichkeit als Ganze angewendet, so dass eine grundsätzliche Unfehlbarkeit zu ihrem Wesen gerechnet wird.182 Ein großes Problemfeld in der fundamentaltheologischen Bestimmung der Kirche ist vorab festzuhalten. Die Bestimmung der Kirche als Communio geht bei Ratzinger stets einher mit einem problematischen Subjektwechsel. So heißt es z. B.: „Das Ich des Credo schließt also den Übergang vom privaten 181 Ratzinger, Gewissen und Wahrheit, 55. 182 Vgl. dazu folgendes Zitat: „Denn aus der Tatsache, daß das Offenbarungswort Gottes nicht anders als durch die lebendig bezeugende Vermittlung der Kirche, durch sie aber wirklich in der Welt ist, ergibt sich eine grundsätzliche Unfehlbarkeit ganz von selbst: Die Gegenwart des göttlichen Wortes, die mit der Menschwerdung Christi in dieser Welt gesetzt ist, kann nicht mehr erlöschen, die Wahrheit nicht einfach mehr Lüge, das Licht nicht mehr im Dunkel untergehen.“ Ratzinger, Das neue Volk Gottes, 148.

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Ich zum ekklesialen Ich ein.“183 Dieser Subjektwechsel ist umso problematischer aufgrund seines theologischen Begründungsmusters, das die „sakramental-reale communio“ in Entsprechung zur „trinitarischen communio“ betrachtet.184 Denn auch in dem Verständnis der trinitarischen communio besteht das Problem des Subjektwechsels. Die Relationen von Vater, Sohn und Geist bilden gleichsam das Subjekt des einen Gottes. Insbesondere vom Geist wird gesagt: Er erweist sich als trinitarischer Geist, als Geist des dreipersönlich-einen Gottes, eben dadurch, daß er nicht als getrenntes und trennbares Selbst hervortritt, sondern verschwindet in den Sohn und in den Vater hinein. Die Unmöglichkeit, eine gesonderte Pneumatologie zu entwickeln, gehört geradezu zu seinem Wesen.185

Damit ist in der Gotteslehre ein Defizit angelegt, das nur mit der metaphysischen Aufladung der Kirche gelöst wird. Denn die Vergegenwärtigung der in Christus zum historischen Ereignis gewordenen Wahrheit hängt an der Vermittlung der Kirche und ihrem Lehramt. Durch das Eintreten Gottes mittels der Inkarnation seines Sohnes in die Geschichte kommt die metaphysische Wahrheit in die Geschichte. Sie bleibt in der Geschichte durch die Kontinuität der geschichtlichen Vermittlung der Kirche. Verschwindet der Geist hingegen nicht in Sohn und Vater hinein, lässt sich die Gegenwart der Wahrheit in Christus als durch den Geist gewirkte verstehen und ist deshalb auch ohne eine durch geschichtliche Kontinuität ausgezeichnete Instanz Kirche gegeben. Dann gibt es zwar auch nur eine Wahrheit, aber weil die kognitive Instanz, der diese Wahrheit in der Vergegenwärtigung Christi durch den Geist gibt, kein kollektives Subjekt Kirche ist, sondern viele menschliche, individuierte Subjekte, gibt es eben viele Wahrheitsverständnisse. Das Ratzingersche Wahrheitsverständnis in seiner Bindung an die Kirche als kollektives Subjekt, das die Wahrheit von Gott her empfängt, bringt das Problem mit sich, dass alle anderen Wahrheitsverständnisse von vornherein als relativistisch abgetan werden. In der Folge bedeutet dies, dass letztlich jede subjektivistische Wahrheitssuche, die nicht in der Unterordnung unter die Kirche geschieht, als Auflehnung gegen die Wahrheit betrachtet werden muss. Es tritt außerdem das Problem auf, dass ein modernes Wirklichkeitsverständnis, geschweige denn ein postmodernes, mit seinem christlichen Wirklichkeitsverständnis als inkommunikabel beschrieben werden muss. Dann stellt sich jedoch die Frage nach der Kompatibilität von Glaube und Vernunft. Da Ratzinger seinerseits seinen Entwurf als Synthese von Glaube und Vernunft versteht, wird noch einmal die Frage der Notwendigkeit, die sich innerhalb der Rede von der christlichen Positivität stellte, 183 Ratzinger, Theologische Prinzipienlehre, 23. 184 Vgl. Ratzinger, Theologische Prinzipienlehre, 27. 185 Ratzinger, Der Gott Jesu Christi, 91.

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Das Individuum

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im Rahmen der Ekklesiologie zu stellen sein. Denn, wenn seine Konzeption aufgehen soll, dann ist die Kirche nicht nur aus theologischer Perspektive notwendig – in Bezug auf das Heil –, sondern auch aus philosophischer, um zu einer Synthese von Glaube und Vernunft zu gelangen, was schließlich erst zu einem wahrheitsgemäßen Gebrauch der Vernunft führt. Gegen Ratzinger muss angemahnt werden, dass sowohl über die Vorzüge von subjektiver Gewissheit, in der es überhaupt erst zum Bewusstsein von Wahrheit kommen kann und die sich gleichzeitig im Horizont allgemeiner Gewissheiten bildet, als auch über das Verhältnis von Gewissen und Gewissheit, nachzudenken ist. Das mehrfach angedeutete Problem der Selbstüberschreitung im Subjektwechsel muss im Rahmen der Ekklesiologie genauer erörtert werden, aber auch bei der Behandlung der Eschatologie. In der Eschatologie deutet sich schon vorab an, dass Ratzingers Entwurf nicht aus sich selbst heraus das erhoffte Relativierungspotential liefert. Denn die Eschatologie ist nicht als Lehrstück über die u. a. noch ausstehende Verifikation christlicher Wahrheitsansprüche durch die Gegenwart Gottes zu verstehen. Vielmehr ist sie selbst schon der Wahrheit untergeordnet. Diskontinuität ist hier kein Thema. Eher wird sich Ratzingers Eschatologie als Versuch, die Inkommensurabilität von Zeit und Ewigkeit aufzuheben, lesen lassen. Dies geschieht in der Kontinuität der Memoria Gottes in der Kirche.

2. Das Individuum in Ratzingers Theologie 2.1 Die Einführung der Relationalität vor dem Hintergrund einer abgelehnten Subjektivitätsthematik Bevor die Eschatologie Ratzingers, die vor allem von der individuellen Eschatologie handelt, untersucht wird, soll in diesem Abschnitt noch einmal eigens auf das Problem der Subjektivität und der anthropologischen Richtung seines theologischen Entwurfes eingegangen werden. Vor dem Hintergrund, dass er die anthropologische Signatur der theologischen und philosophischen Entwicklung im 20. Jahrhundert, die, von der Aufklärung ausgehend, schon das 19. Jahrhundert geprägt hat, bei der Entfaltung seiner Theologie zunächst aufnimmt, aber in der Ausgestaltung die Kategorie der Subjektivität zurückweist, scheint dies angemessen zu sein, um so seine Eschatologie schließlich in seinen Gesamtentwurf integrieren zu können. Ein Thema, mit dem Ratzinger sich philosophie- wie theologiegeschichtlich konfrontiert sieht, ist dabei das Verhältnis von Glaube, Vernunft und Gefühl. Auf diese Fragestellung geht er in zwei Vorträgen ein, die mit ihren Vortragsdaten 1969 und 1998 sein gerade nicht mehr frühes und sein spätes Werk

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rahmen.186 Er setzt zunächst in dem frühen Vortrag mit einer Diagnose zum Verhältnis von Glaube und Philosophie ein, für das nach der Aufklärung gelte, daß sich der Glaube von der Philosophie im Stich gelassen findet und sich damit plötzlich sozusagen im luftleeren Raum gestellt sieht. In der Antike und im Mittelalter wurde der Glaube dem Menschen dadurch ermöglicht, daß die Philosophie ihm ein Weltbild anbot, in dem dieser Glaube sinnvoll seinen Platz einnehmen konnte.187

Im darauf folgenden skizzenartigen Gang durch einige Entwicklungen der Theologie – in diesem Fall der evangelischen Theologie, die in besonderer Weise als Versuch, der Aufklärung auch in Bezug auf den Glauben Rechnung zu tragen, angeführt wird – und der Philosophie seit Kant stellt er jedoch fest: „Die philosophische Ortlosigkeit des Glaubens weist nicht auf seine Überholtheit, sondern auf die generelle Bewußtseinskrise hin, in der wir stehen.“188 In dieser Situation sieht er es geboten, dass der Glaube dem Positivismus ausweicht, indem er sowohl nach dem „Ganzen der Wirklichkeit“ als auch nach der Wahrheit und so nach einer eigenen philosophischen Vernunft fragt.189 Dabei muss sich der Glaube „deutlich auf eine nicht mehr rückgängig zu machende Pluralität des menschlichen Geistes einstellen“.190 Die Anerkennung dieser Pluralität dokumentiert m. E. die realistische Einschätzung der geistesgeschichtlichen Situation, von der aus Ratzinger argumentiert, weshalb er nicht einfach als anachronistisch zu betrachten ist, auch wenn er in der metaphysischen Grundlegung seiner Theologie an vormoderne Positionen anknüpft. Vielmehr kann Ratzinger gerade darin Aktualität beanspruchen, weil er in dem Bewusstsein der Pluralität des menschlichen Geistes, die heute wohl noch mehr als vor 35 Jahren das Denken bestimmt, seine Theologie entfaltet. Insofern handelt es sich hier um einen Vorschlag, wie die Theologie auf die durch die Aufklärung aufgeworfenen Fragen reagieren könnte. Dies geschieht zunächst in der Problematisierung von vorliegenden Antworten auf eine durch die Aufklärung hervorgerufene reine Vernunftreligion des Rationalismus. Insbesondere geht Ratzinger auf die Ansätze von Friedrich Schleiermacher und Karl Barth ein. Zu Schleiermacher führt er aus, dass jener Verstand, Wille sowie Gefühl als drei nicht aufeinander zurückführbare Provinzen des menschlichen Gemüts betrachte, wobei Verstand und Wissenschaft, Willen und Ethos und Gefühl und Religion jeweils miteinander korrespondieren. In diesem Zusammenhang 186 Es handelt sich dabei zum einen um den Radiovortrag „Glaube und Philosophie“, der 1969 im Bayerischen Rundfunk gesendet wurde und abgedruckt erschienen ist in: Ratzinger, Glaube und Zukunft, 65 – 91; zum anderen um den Vortrag „Glaube zwischen Vernunft und Gefühl“, der 1998 entstanden und abgedruckt ist in: Ratzinger, Glaube – Wahrheit – Toleranz, 112 – 147. 187 Ratzinger, Glaube und Philosophie, 67. 188 Ratzinger, Glaube und Philosophie, 89. 189 Vgl. Ratzinger, Glaube und Philosophie, 89 f. 190 Ratzinger, Glaube und Philosophie, 90.

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Das Individuum

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nennt Ratzinger die bekannten Beschreibungen von Religion wie „Anschauung und Gefühl des Universums bzw. als Sinn und Geschmack für das Unendliche“191 aus Schleiermachers Reden „Über die Religion“ und die spätere nicht weniger bekannte wie das „Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit“ aus der Glaubenslehre. Nach Ratzingers Würdigung hat Schleiermacher dadurch die Unabhängigkeit der Religion von der Metaphysik, von der bloßen Vernunft, erreicht, indem Religion hier Erleben ist. Vor allem aber weiß Ratzinger zu würdigen, dass der Sinn für die geschichtlich gewachsenen Religionen wieder erweckt worden sei.192 Doch im Anschluss an diese Würdigung hält er seine vernichtende Kritik an diesem Ansatz nicht zurück: Die Inhalte, in denen Religion sich ausdrückt, sind dann nur Formen des frommen Bewußtseins, die letztlich sekundär sind […]. Das Wichtige an der Sprache der Religion wäre demnach nicht ihr Inhalt, sondern allein ihr Daß, weswegen Schleiermacher auch sagen kann, für den wahrhaft Frommen komme es nicht darauf an, die Heilige Schrift zu kennen, er könne vielmehr selbst eine schaffen.193

Die Kritik findet dann ihren Höhepunkt in der Abwehr der Christologie Schleiermachers, die er wie folgt beurteilt: Jesus ist nicht Gott, sondern er hat das höchste Bewußtsein von Gott; Bewußtsein wird nicht mehr überschritten auf Sein hin, oder umgekehrt: an die Stelle von Sein tritt Bewußtsein. Die Grenze der Subjektivität öffnet sich nicht mehr, darin bleibt Schleiermacher der Gefangene der Kantischen Wende ins Subjekt hinein.194

Die Frage, ob diese Interpretation Schleiermacher gerecht wird, oder ob Schleiermachers Ansatz, das Selbstbewusstsein als Ausgangspunkt zu wählen und damit der Subjektivität eine entscheidende Bedeutung bei der Frage nach Wahrheit beizulegen, gerade deshalb vielversprechend ist, weil er sehr wohl vom Selbstbewusstsein ausgehend die Grenze der Subjektivität überschreitet, was sich nicht zuletzt an der Urbildhaftigkeit Christi für das neue Gesamtleben der Christen, das sich durch die Kräftigkeit des Gottesbewusstseins auszeichnet, zeigt,195 kann an dieser Stelle nicht geklärt werden. Doch vor allem aber die Rede vom Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit zeigt, dass es sich bei Schleiermacher nicht um einen in den Grenzen der Subjektivität Gefangenen handelt, oder anders ausgedrückt, dass hier kein „introvertierter Subjektivismus“ vorliegt.196 In Ratzingers Interpretation wird jedoch ganz bewusst Nicht wörtliches Zitat bei Ratzinger, Glaube und Philosophie, 69. Vgl. Ratzinger, Glaube und Philosophie, 70. Ratzinger, Glaube und Philosophie, 71. Ratzinger, Glaube und Philosophie, 71. Hierzu sei ferner angemerkt, dass Schleiermachers Begriff von Urbildlichkeit in diesem Zusammenhang auch die „schlechthinnige Vollkommenheit“ beschreibt. Vgl. Schleiermacher, Der christliche Glaube (1830/31), § 93. 196 Vgl. dazu die Beurteilung der Christologie Schleiermachers durch Gerhard Ebeling: „Soll hier etwa Christus auf eine Bewußtseinstatsache reduziert, als bloßer Ausdruck des christlichen

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dieser Aspekt übergangen. Denn ließe sich Schleiermacher als Gefangener der Kantischen Wende ins Subjekt hinein betrachten, so wäre die Folge der gewonnenen Unabhängigkeit der Religion von der Vernunft, die durch die Rede vom Gefühl erreicht wurde, dass diese Religion nicht mehr Glaube ist.197 Dieser Verlust des Glaubens, der sich ins Gefühl der Religion verflüchtigt habe, böte in der Folge der Vernunft eine Monopolstellung in der Frage nach Wahrheit, weil das Verhältnis von Vernunft und Glaube nicht mehr bestimmt würde. Die genaue Alternative dazu erkennt Ratzinger in der Konzeption Karl Barths: „Der Glaube braucht gar keinen Anknüpfungspunkt in der Vernunft, ja er kann und darf keinen haben[.]“198 Und insofern wird hier Barths Ansatz im Gegenüber zu Schleiermacher entfaltet: Das Wort Gottes zeigt sich wieder als Gegenüber des menschlichen Geistes, es ist nicht mehr eine Form unseres Bewusstseins, sondern gerade das, was von außen an uns herantritt und uns in Beschlag belegt. Der Glaube tritt gegenüber dem Rückzug Schleiermachers auf die subjektive Frömmigkeit wieder hervor in seiner Objektivität und in seiner Unverfügbarkeit für den Menschen.199

Doch diese Objektivität des Glaubens bleibt gerade wegen seiner Unverfügbarkeit in einer „Unbegründetheit“200, die zwei Möglichkeiten zulässt: Zum einen würde der Mensch Atheist oder alternativ entfaltete sich der Inhalt des Glaubens unter der Voraussetzung des Paradoxes völlig neu. Die letztere Möglichkeit sieht Ratzinger in Barths „Kirchlicher Dogmatik“ als einer Art von „Neo-Orthodoxie“201 verwirklicht, während die erste Möglichkeit für ihn in der Fortführung des frühen Barth, die schließlich zur „Theologie des Todes Gottes“202 führe, besteht. Wird durch die Zentralstellung des anknüpfungslosen Glaubens, der seinerseits gänzlich vom Begriff der Religion gelöst wird, die Vernunft entmachtet, so gilt nach Ratzinger für Barth und Schleiermacher in gleicher Weise, dass deren Ansätze in eine Diastase von Vernunft und Glaube münden. Diese Diastase aber sei es, die zum Untergang von Religion führe. Das habe sich am Zusammenbruch der antiken Religion gezeigt und so

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Selbstbewußtseins verstanden werden? Schleiermacher selbst empfindet an dieser Stelle anscheinend keine Schwierigkeit. Ihm liegt die Denkweise fern, die man im Banne Feuerbachs ihm zu unterstellen pflegt, die aber auch schon F. Chr. Baur ihm zur Last gelegt hat: ein introvertierter Subjektivismus […], der […] die Relevanz des Externen nicht gelten läßt […]. Nun ist aber für Schleiermacher bereits das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl als solches wesenhaft eine Externbeziehung.“ Ebeling, Interpretatorische Bemerkungen, 127. Vgl. Ratzinger, Glaube und Philosophie, 72. Ratzinger, Glaube und Philosophie, 73. Ratzinger, Glaube und Philosophie, 75. Ratzinger, Glaube und Philosophie, 76. Ratzinger, Glaube und Philosophie, 76. Ratzinger, Glaube und Philosophie, 76.

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eine Diastase würde genauso zu einem Zusammenbruch des Christentums führen: Die christliche [Religion] hätte kein anderes Schicksal zu erwarten, wenn sie sich auf eine gleichartige Abschneidung von der Vernunft und auf einen entsprechenden Rückzug ins rein Religiöse einließe, wie ihn Schleiermacher gepredigt hat und wie er in gewissem Sinn paradoxerweise auch bei Schleiermachers großem Kritiker und Gegenspieler Karl Barth vorliegt.203

Ratzinger setzt dieser Diastase eine Synthese entgegen. So betrachtet er in dem Aufsatz „Glaube zwischen Vernunft und Gefühl“ das „Christentum als Synthese von Glaube und Vernunft“204. In diesem Aufsatz aus dem Jahr 1998 ist nach wie vor der Ausgangspunkt für die Beschreibung der gegenwärtigen Krise des Christentums die Theorie des religiösen Gefühls Schleiermachers, die er auch hier als Ursache für eine sektoriale Aufteilung von Religion und Wissenschaft betrachtet.205 Im scheinbaren Gegensatz zu Schleiermacher sieht Ratzinger die Funktion von Religion einer Sektorialisierung entgegengesetzt: Sie ist gerade dazu da, den Menschen zu seiner Ganzheit zu integrieren, Gefühl, Verstand und Wille aneinander zu binden und ineinander zu vermitteln und eine Antwort auf die Herausforderung des Ganzen, auf die Herausforderung von Leben und Sterben, von Gemeinschaft und Zukunft zu geben.206

Doch neben der Reduktion des Religiösen in das Gefühl wird hier als Parallele die Trennung von subjektiven und objektiven Bereichen vorangestellt. Zusammengefasst geht es um folgende Ausgangslage: „Die Krise der Gegenwart beruht eben darauf, daß die Vermittlung zwischen dem subjektiven und objektiven Bereich ausfällt, daß Vernunft und Gefühl auseinanderdriften und dabei beide krank werden.“207 Die Ablehnung dieser Trennung von Subjekt und Objekt scheint einen relativ hohen Stellenwert zu besitzen, so dass auch die starke Zurückdrängung des Individuums im fundamentaltheologischen Ansatz Ratzingers zu einem nicht geringen Maß darauf zurückzuführen sein dürfte. Die Parallele von Cartesianismus und Schleiermachers Bestimmung der Frömmigkeit als „Bestimmtheit des Gefühls oder des unmittelbaren Selbstbewußtseins“208 ist dabei nur ein Hinweis. Im Hintergrund steht hier m. E. die Luther-Deutung Paul Hackers.209 Die Grundthese dieser Auseinan203 204 205 206 207 208 209

Ratzinger, Einführung, 128 f. Ratzinger, Glaube zwischen Vernunft und Gefühl, 125. Vgl. Ratzinger, Glaube zwischen Vernunft und Gefühl, 115. Ratzinger, Glaube zwischen Vernunft und Gefühl, 115. Ratzinger, Glaube zwischen Vernunft und Gefühl, 116. Schleiermacher, Der christliche Glaube (1830/31), § 3. So bezieht sich Ratzinger in dem oben schon erörterten Aufsatz (Anm. 11), wo es um das Prae des Handelns Gottes im vermeintlichen Gegensatz zum lutherischen pro me ging, auf Hacker : Vgl. Ratzinger, Heilsgeschichte, 186. 195. Zur persönlichen gegenseitigen Einflussnahme aus ihrer gemeinsamen Zeit in Bonn und Münster, in der Hackers Luther-Buch, dem Ratzinger ein

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dersetzung mit Luther besteht wiederum in der Entfaltung einer These von Max Scheler, die besagt, dass schon, bevor Descartes den Cartesianismus für die Philosophie begründet hat, Luther dies für die Religion getan habe.210 Hacker selbst spitzt sie wie folgt zu: Wie der „Reformator der Philosophie“ Descartes die Wahrheit des Seienden auf der Selbstgewißheit des denkenden Ich zu begründen unternahm, so hatte schon ein Jahrhundert früher der „Reformator“ der christlichen Religion das Heil (das man das wahrhafte Sein des Menschen nennen könnte) derart an die Gewißheit des glaubenden Ich von diesem Heil geknüpft, daß in seiner Lehre die Gewißheit des Ich das Heil setzt.211

Es ist vor allem die Folgerung, dass die Heilsgewißheit des religiösen Subjekts, die ohne Zweifel in der evangelischen Theologie bereits durch die Reformatoren konstitutiv für die Erkenntnis des Heils im Glauben ist, hier hingegen für das Heil selbst als konstitutiv bei Luther erklärt wird. Ohne die Argumentation Hackers im Einzelnen erörtern zu müssen, fällt auf, dass er meint, den lutherischen Gedanken, den Glauben als göttliches Werk zu betrachten, in seinem Argumentationsgang nicht berücksichtigen zu müssen.212 Genau dieses Ausblenden einer asymmetrischen Konstitution des Glaubens bei Luther, bei der sich das Ich im Glauben gerade rein passiv verhält, liegt Ratzingers Verhältnisbestimmung vom Prae des Handelns Gottes zum pro me, die oben schon angeführt wurde, zu Grunde, und genau hier liegt m. E. die Parallele zur Beurteilung der Theologie Schleiermachers, in der die externe Bestimmung des Selbstbewusstseins, die durch das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit zum Ausdruck gebracht wird, nicht hinreichend gewürdigt wird. Die Folge ist, dass sich in Ratzingers Sicht eine Integration von Glaube und Vernunft gerade nicht durch eine Würdigung des individuellen Subjektes ergeben kann, und von daher muss der Ansatz beim Subjekt, sei es bei der individuellen Heilsgewissheit oder beim Selbstbewusstsein, von vornherein als Beginn des Zusammenbruchs gewertet werden. Dies bleibt immer im Hintergrund, wenn er seine Synthese von Glaube und Vernunft entfaltet. Stimmt diese Interpretation seines fundamentaltheologischen Ansatzes, dann ist es zunächst verwunderVorwort beigegeben hat, entstanden ist, siehe auch Ratzingers biographische Erinnerungen, in denen er Hackers Werk im Allgemeinen und insbesondere dessen Luther-Buch seinen Lesern empfiehlt; vgl. Ratzinger, Aus meinem Leben, 96 f., 187. 210 Vgl. Scheler, Vom Ewigen im Menschen, 241. 211 Hacker, Das Ich im Glauben, 12. 212 „In unserer Untersuchung lassen wir Luthers Gedanken über den Glauben als ein ,göttliches Werk‘ beiseite. Diese Gedanken sagen über die Entstehung des Glaubens etwas Theologisches aus. Wir fragen hier aber nicht nach der theologischen Entstehung des Glaubens, auch nicht nach Luthers Ansicht darüber. Wir setzen vielmehr voraus, daß der Glaube entstanden ist und daß Luther bestimmte Ansichten über seine Entstehung hat; unsere Aufmerksamkeit richten wir allein auf das Verhalten des von Luther gelehrten Glaubens, als ein menschliches Verhalten zu Gott.“ Hacker, Das Ich im Glauben, 46.

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lich, dass die Synthese von Glaube und Vernunft über die Kategorie der Relationalität, die in engem Zusammenhang mit der Kategorie der Geschichtlichkeit steht, vorbereitet wird. Dies geschieht, indem Ratzinger den christlichen Glauben als geschichtlichen Weg beschreibt, der religionsgeschichtlich mit Abraham einsetzt. Zentrales Merkmal ist dabei, dass es sich bei dem Gott Abrahams um den Gott einer Person handelt, einen Gott, der Abraham als Person anredet und mit dem Abraham im Dialog steht.213 Sodann skizziert Ratzinger die Entfaltung dieses Glaubens zum Glauben an den Gott eines Volkes, der sich im Zusammenhang mit dem Exil auf den Weg zu einer Universalreligion begibt, indem sich aus dem Glauben an einen Gott des Volkes der Glaube an den einen Gott entfaltet. In der nachexilischen Zeit sieht er die weitere Entfaltung des Monotheismus, der den Grund einer späteren Universalreligion bildet, in der Verbindung mit einer rationalen Welterklärung. Zwei Merkmale dafür hebt er heraus. Erstens ist es die Weisheit der nachexilischen alttestamentlichen Literatur, die Gott und Welt verknüpft,214 und zweitens eine Nähe zum Hellenismus, wobei beide Merkmale harmonisch aufeinander bezogen werden: Die ganze Thora, das Lebensgesetz Israels, wird nun als Selbstdarstellung der Weisheit, als ihre Übersetzung in menschliche Rede und Weisung aufgefaßt. Aus all dem ergibt sich von selbst eine Nähe zum griechischen Geist, einerseits zu Motiven des Platonismus, andererseits zu der stoischen Verknüpfung von göttlicher Deutung der Welt und Moral.215

Sind die Weisheitsbücher das literarische Zeugnis, das aus dem Glauben Israels heraus die Nähe zum Hellenismus andeutet, so ist die Septuaginta das literarische Zeugnis, das sie dokumentiert.216 Der so vorbereitete Übergang des Glaubens Israels zur Universalreligion finde dann jedoch erst durch Jesus Christus seine Vollendung, so dass erst das Christentum die Synthese von Glaube und Vernunft einleite, zum einen, weil erst in Christus die Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft, die sich von dem einen Gott angesprochen weiß, nicht mehr an eine Volksgemeinschaft gebunden sei, zum anderen, weil in Christus die Synthese von Gott und Mensch personal werde. An dieser Stelle wird das bereits erwähnte Prinzip Liebe wieder ins Spiel gebracht: „Christus 213 214 215 216

Vgl. Ratzinger, Glaube zwischen Vernunft und Gefühl, 118. Vgl. Ratzinger, Glaube zwischen Vernunft und Gefühl, 122. Ratzinger, Glaube zwischen Vernunft und Gefühl, 122. Das faszinierende Ineinander von Glaube und Vernunft beschreibt Ratzinger am Beispiel der Septuaginta: „Der ins Griechische übersetzte Glaube Israels, wie er sich in seinen heiligen Büchern spiegelte, wurde alsbald zu einer Faszination für den aufgeklärten Geist der Antike, deren Religionen seit der sokratischen Kritik immer mehr ihre Glaubwürdigkeit eingebüßt hatten. Im sokratischen Denken war aber […] nicht der Skeptizismus oder gar der Zynismus oder der bloße Pragmatismus bestimmend; mit ihm war zugleich die Sehnsucht nach der angemessenen und doch das eigene Vermögen der Vernunft überschreitenden Religion aufgebrochen.“ Ratzinger, Glaube zwischen Vernunft und Gefühl, 124.

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war für diese Menschen zur Entdeckung der schöpferischen Liebe geworden; die Vernunft des Weltalls hatte sich als Liebe offenbart – als jene größere Rationalität, die auch das Dunkle und Irrationale in sich aufnimmt und heilt.“217 Hier ist es der relationale Begriff der Liebe, der letztlich die Synthese zwischen Glaube und Vernunft herstellt. Doch um die Kategorie der Relationalität innerhalb dieser Synthese von Glaube und Vernunft einordnen zu können, muss noch einmal unabhängig von der Subjektivitätsthematik die Frage von Glaube und Vernunft, wie sie sich im frühen Werk Ratzingers darstellt, behandelt werden, wobei sie wieder näher an das Verhältnis von Geschichte und Metaphysik heranrückt. Das Verhältnis von Glaube und Vernunft unter Berücksichtigung der Personalität Gottes wird vom frühen Ratzinger unter der Überschrift „Der Gott des Glaubens und der Gott der Philosophen“218 behandelt. Auch hier sind es schon Descartes, Kant und Schleiermacher, deren Ansätze das Problem nach seinem Dafürhalten radikal zuspitzen: Jetzt ist der Graben zwischen Metaphysik und Religion unüberbrückbar, Metaphysik, d. h. theoretische Vernunft hat keinen Zugang zu Gott; Religion hat keinen Sitz im Raum der ratio: Sie ist Erleben, das sich der wissenschaftlichen Messbarkeit entzieht; diese dennoch versuchen, bedeutet aus ihr ein unwirkliches Schema abziehen, den „Gott der Philosophen“.219

Um zu einer Lösung des Problems vom Auseinanderfallen der Gottesvorstellungen vorzustoßen, orientiert er sich zunächst an den gegensätzlichen Ansätzen von Thomas von Aquin und Emil Brunner. Bei Thomas stellt er das Verhältnis von Philosophie und Glaube so dar, dass Philosophie mit einer religio naturalis identifiziert wird, so dass der Gott einer natürlichen Religion mit dem Gott der Philosophen übereinstimmt. Für den Gott des christlichen Glaubens jedoch gelte, dass er zwar dem Gottesbild der Philosophen nicht widerspreche, es aber übersteige, was Ratzinger so zusammenfasst: „Der christliche Glaube verhält sich zur philosophischen Gotteserkenntnis etwa so wie sich die endzeitliche Gottesschau zum Glauben verhält. Es handelt sich um drei Stufen eines einheitlichen Gesamtweges.“220 Diese letztlich auf eine eschatologische Perspektive zielende harmonische Vermittlung der Gotteserkenntnis kontrastiert er zu Recht mit der Gotteslehre Brunners. Vor allem anhand des Motivs des Namens Gottes221 entfaltet Ratzinger den Gegensatz. Für Brunner ist das biblische Motiv des Namens Gottes von ent217 Ratzinger, Glaube zwischen Vernunft und Gefühl, 125 f. 218 Dies ist zugleich der Titel seiner Antrittsvorlesung auf dem fundamentaltheologischen Lehrstuhl in Bonn von 1959: Ratzinger, Der Gott des Glaubens, 40 – 59; vgl. auch Ratzinger, Einführung, 126 – 138. 219 Ratzinger, Der Gott des Glaubens, 42. 220 Ratzinger, Der Gott des Glaubens, 44. 221 Dieses Motiv hat Brunner im zwölften Kapitel des ersten Bandes seiner Dogmatik ausgearbeitet: Brunner, Die christliche Lehre, 121 – 140.

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scheidender Bedeutung, weil Gott durch die Kundgabe seines Namens sein personales Wesen offenbart und sich so in die Gemeinschaft mit den Menschen begibt. Dass diese Gottesvorstellung dem philosophischen Denken als Anthropomorphismus erscheint, beschreibt Brunner – und an dieser Stelle scheint die Faszination seiner Theologie für Ratzinger offensichtlich zu sein – als Folge des „sich selbst genügenden Vernunftdenken[s]“222 des Cartesianismus. Andererseits erhebt Ratzinger Widerspruch gegenüber Brunner, wenn dessen Kritik am philosophischen Denken auch das griechische Denken der Antike bzw. die frühchristliche Synthese von biblischem Denken und griechischem Denken trifft. Im Zusammenhang mit dem Motiv des Namens Gottes stößt die Übersetzung der Bibelstelle Ex 3, 14 in der Septuaginta auf die Kritik Brunners. Hier handele es sich um ein in seinen Wirkungen verheerendes Mißverständnis, als die griechischen Kirchenväter darauf verfielen, aus dem Jahwe-Namen […] eine ontologische Definition herauszulesen. Das „Ich bin, der ich bin“ darf nicht definitorisch-spekulativ übersetzt werden: Ich bin der Seiende.223

Ratzingers Beurteilung dieser Übersetzung ist dem entgegengesetzt und so sieht er gerade in der griechischen Version von Ex 3, 14 ein wichtiges Motiv für die so nötige Verbindung von Philosophie und biblischem Glauben: Was der oberste Begriff der Ontologie und der Schlußbegriff der philosophischen Gotteslehre ist, erscheint hier als die zentrale Selbstaussage des biblischen Gottes. Das Wort verbürgt damit die Einheit von Schrift und Philosophie und wird zu einer der wichtigsten Klammern, die beides verbinden.224

Auch die Kritik Brunners an Augustinus, der einen Bindestrich zwischen neuplatonischer Ontologie und biblischer Gotteserkenntnis hergestellt habe, versucht Ratzinger dann in seiner Verbindung von philosophischem und biblischem Gottesbegriff zu entkräften. Er möchte die harmonische Stufung von Philosophie und Glaube bei Thomas mit der für Brunner so entscheidenden Gemeinschaft des sich offenbarenden Gottes mit den Menschen verbinden und sieht sowohl in dem augustinischen Bindestrich als auch in der Identifizierung des personalen Gottes Abrahams, Isaaks und Jakobs mit dem „Absoluten“ als dem Gott der Philosophen einen vielversprechenden Ansatz.225 Doch die Bejahung dieses Bindestrichs kann nicht als einseitige Rezeption des thomanischen Ansatzes betrachtet werden. Denn den relationalen Ansatz möchte er befördern und so heißt es in diesem frühen Aufsatz: Die Erkenntnis, daß Gott ein welt- und menschenbezogener Gott ist, der in die Geschichte hineinwirkt, tiefer gesagt: Die Erkenntnis, daß Gott Person ist, Ich, das 222 223 224 225

Brunner, Die christliche Lehre, 130. Brunner, Die christliche Lehre, 125. Ratzinger, Der Gott des Glaubens, 47. Vgl. Ratzinger, Der Gott des Glaubens, 53.

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dem Du begegnet, diese Erkenntnis erfordert zweifellos auf der ganzen Linie eine neue Überprüfung und Durchdenkung der philosophischen Aussagen, die noch nicht genügend geleistet ist. In dieser Aufgabe einer neuen und vertieften Aneignung des Gottesbegriffes könnten sich evangelische und katholische Theologie von verschiedenen Seiten kommend auf eine neue Weise begegnen.226

Die gegenseitige Offenheit konfessionell verschiedener Theologien in der Gotteslehre,227 die trotz der Differenzen an zentraler Stelle auch in der Auseinandersetzung mit Brunner deutlich wird, macht er hiermit zum Programm am Beginn seiner professoralen Tätigkeit und weist zugleich auf deren notwendige Unabgeschlossenheit hin.228 Wird die Kategorie der Relationalität in diesem frühen Text aufgenommen, um sie mit dem metaphysischen Gottesbegriff, der die Gottesidee mit dem Absoluten bzw. mit dem Seienden identifiziert, zu vermitteln, so spitzt sich diese Vermittlung im späten Text zu, in dem der relationale Begriff „Liebe“ selbst die Synthese von Glaube und Vernunft darstellt. Denn vor dem Hintergrund, dass Ratzinger zeitlich zwischen den beiden Aufsätzen die Liebe zum Prinzip erklärt hat und dies gleichzeitig mit dem notwendigen Ineinander des Primats des Empfangens und der christlichen Positivität geschieht,229 erscheint der Begriff „Liebe“ nicht primär als relational, sondern die Semantik des Liebesbegriffs verschiebt sich unter der Bedingung der Notwendigkeit, so dass am Ende „Liebe“ zum metaphysischen Prinzip wird. So gewendet lassen sich dann Geschichtlichkeit und Relationalität in das metaphysische Gesamtkonzept integrieren. Gleichwohl sind die Kategorien der Geschichtlichkeit und der Relationalität jeweils der metaphysischen Fragestellung in Ratzingers Fundamentaltheologie untergeordnet. Inwiefern dies für die Geschichte gilt, ist bei der Betrachtung des Verhältnisses von Geschichte und Metaphysik hinreichend herausgearbeitet. In Bezug auf die Relationalität scheint dies ebenfalls zu gelten, gerade unter der Voraussetzung, dass „Liebe“ als Prinzip des Christentums im Sinne einer Synthese von Empfangscharakter und Positivität des christlichen Glaubens gewertet wird. Insgesamt ergibt sich eine parallele Struktur mehrerer Verhältnisbestimmungen. Das Verhältnis von Glaube und Vernunft ist – vermittelt über das Verhältnis von Gott des Glaubens und Gott der Philosophen – parallel zum Verhältnis von Relationalität und Metaphysik zu betrachten. Außerdem hatte sich eine Parallele des Verhältnisses von Glaube und Vernunft zum Verhältnis 226 Ratzinger, Der Gott des Glaubens, 59. 227 Dass Metaphysik im Unterschied zu Brunner ein Thema innerhalb der evangelischen Theologie ist, zeigt u. a. ein Aufsatz von Pannenberg, auf den Ratzinger seinerseits verweist und der die Metaphysik zur Aufgabe der Theologie erklärt: „Es könnte ja sein, daß die Theologie heute, in der Weise einer kritischen Sichtung ihrer eigenen überlieferten Gotteslehre, das Erbe der Metaphysik mitzuverwalten hätte.“ Pannenberg, Der philosophische Gottesbegriff, 45. 228 „Die Aufgabe der Theologie bleibt in dieser Weltzeit notwendig unabgeschlossen.“ Ratzinger, Der Gott des Glaubens, 60. 229 Vgl. Ratzinger, Einführung, 252 – 254.

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von Subjekt und Objekt ergeben, so dass die sich durch die Ratzingersche Theologie ziehende Ablehnung des Subjektivismus parallel zur Relationalität stehen müsste, was bedeuten würde, dass es sich letztlich um eine Ablehnung der Kategorie der Relationalität handeln würde. Doch da es Ratzinger offensichtlich versteht, die Relationalität in sein metaphysisches Gesamtkonzept zu integrieren, bleibt die Frage noch offen, warum den Subjekten, die in Relation stehen, so wenig Bedeutung beigemessen wird.

2.2 Unsterblichkeit in communaler Kontinuität? Zur Stellung der individuellen Eschatologie in Ratzingers Theologie Die aufgetretene Frage, wie der Ratzingersche Ansatz als Modell für eine relationale Theologie zu verstehen ist, obwohl Ratzinger sich auffallend von Individualisierungstendenzen abzugrenzen versucht, was zu einem Ausbleiben einer Würdigung des Individuums an sich in fundamentaltheologischen Zusammenhängen führt, lässt sich anhand seiner Eschatologie weiterverfolgen. So ist auch hier der einzelne Mensch der kirchlichen Wahrheit untergeordnet. Der schnelle Zugriff auf Ratzingers Eschatologie ist durch sein 1977 erstmals erschienenes Lehrbuch „Eschatologie – Tod und ewiges Leben“, in dem seine Positionen zur Eschatologie am ausführlichsten vorgetragen werden, zu haben. Darüber hinaus ist die Entwicklung seiner Position zu diesem Lehrstück durch eine Reihe von Aufsätzen, die in zwei Jahrzehnten vor Erscheinen der Eschatologie entstanden sind, zu rekonstruieren.230 In der Einleitung seiner Eschatologie polemisiert er gegen „die Individualisierung des Christentums“231, die er als Verlust betrachtet, als „Verlust dessen, was einst Herzstück der Eschatologie und der christlichen Botschaft überhaupt gewesen war : die zuversichtliche und gemeinschaftliche Hoffnung auf das bald bevorstehende Heil der Welt.“232 Somit deutet sich bereits in der Einleitung an, dass Eschatologie nur in ihrer Wahrheit verstanden werden kann, wenn sie ekklesiologisch begriffen wird. Auch wenn sich der umfangreichste Teil seiner Eschatologie der individuellen Dimension derselben widmet, steht dieser Teil insofern stets im Zusammenhang mit der ekklesiologischen Dimension, als sich seine eigenständigen Gedanken in diesem Teil wie in dem gesamten Entwurf, mit den Stichworten „Memoria-Zeit“ und „Dialogische Unsterblichkeit“ wiedergegeben werden können, wodurch die individuelle Dimension immer eingebettet in einen relationalen Rahmen verstehbar wird. Doch nicht nur wegen einer – 230 So eine Rekonstruktion der Entwicklung der Eschatologie Ratzingers liegt vor bei: Nachtwei, Dialogische Unsterblichkeit. 231 Ratzinger, Eschatologie, 20. 232 Ratzinger, Eschatologie, 20 f.

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oft nur am Rande auftauchenden – ekklesiologischen Fundierung wirkt Ratzingers Eschatologie – vor allem für die protestantische Theologie – befremdlich, sondern vor allem als Widerspruch zur herrschenden Meinung, die in einer „entplatonisierten“ Eschatologie besteht.233 Damit ist die Entwicklung zurück zur kirchlichen Überlieferung der „Unsterblichkeit der Seele“ gemeint. Innerhalb der evangelischen Theologie wird die Hoffnung auf ein ewiges Leben als Hoffnung auf eine Auferstehung von den Toten entfaltet. Dies geschieht unter dem Eindruck der sogenannten „Ganztodtheorie“, wie in der katholischen Theologie die von Paul Althaus und noch verschärfter von Carl Stange234 entwickelte Position, die die Rede von einer Unsterblichkeit der Seele aus der Eschatologie verbannt,235 bezeichnet wird. In der katholischen Eschatologie hingegen wird – allerdings erst um einige Jahrzehnte verschoben – die Diskussion innerhalb der individuellen Eschatologie geführt, die das Verhältnis von „Unsterblichkeit der Seele“ und „Auferstehung des Leibes“ immer neu versucht zu bestimmen, wobei diese zuweilen als Chiffren für grundsätzlich unterschiedliche Ansätze betrachtet werden können. Wenn Ratzinger nun selbst von einer Entwicklung seiner Eschatologie jeweils quer zur herrschenden Meinung spricht, dann meint er damit die Entwicklung von seinen frühen Beiträgen zur Eschatologie zu seiner 1977 entfalteten Eschatologie. In dem Artikel aus dem Jahre 1957 zur „Auferstehung des Fleisches“ im Lexikon für Theologie und Kirche schreibt er : So ist christlicher Unsterblichkeitsglaube wesentlich Auferstehungshoffnung. Nur so wird auch wirklich deutlich, daß das Endheil des Menschen nicht aus der Eigenmacht der menschlichen Natur, sondern allein aus der Macht Gottes kommt, die sich in Christus Jesus offenbart hat.236

Ist hier noch die Rede von einem Unsterblichkeitsglauben aber nicht von der Unsterblichkeit der Seele, so lässt sich der Entwurf von 1977 als Rehabilitierung der „Unsterblichkeit der Seele“ verstehen und will als solche u. a. auch 233 „Ich hatte kühn mit jenen Thesen begonnen, die – damals noch ungewohnt – sich heute auch im katholischen Raum fast allgemein durchgesetzt haben, d. h. ich hatte versucht, eine „entplatonisierte“ Eschatologie zu konstruieren. Je länger ich aber mit den Fragen umging, je mehr ich mich in die Quellen vertiefte, desto mehr zerfielen mir die aufgebauten Antithesen unter der Hand und desto mehr enthüllte sich die innere Logik der kirchlichen Überlieferung. So steht das hier vorliegende Ergebnis zweier Jahrzehnte nun in umgekehrter Weise quer zur herrschenden Meinung als meine ersten Versuche es damals taten – nicht aus Lust am Widerspruch, sondern vom Zwang der Sache her, wobei freilich auch und gerade jetzt das neue Fragen vertiefend, reinigend und klärend das Ganze meiner Sicht bestimmt.“ Ratzinger, Eschatologie, 14 f. 234 „Im Christentum findet der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele keinen Platz, sondern an seine Stelle tritt der Glaube an die Auferstehung von den Toten.“ Stange, Die Unsterblichkeit der Seele, 140. 235 Oscar Cullmann hat die „Unsterblichkeit der Seele“ als „eines der größten Mißverständnisse des Christentums“ bezeichnet. Cullmann, Unsterblichkeit der Seele, 19. 236 Ratzinger, Art.: Auferstehung des Fleisches, 1051.

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verstanden werden. Dabei möchte er seine Rede von der Unsterblichkeit der Seele in eine Kontinuität mit der kirchlichen Lehre seit der Scholastik stellen, interpretiert diese aber so, dass sie nicht dem Vorwurf ausgesetzt bleibt, dass hier Unsterblichkeit „substanzialistisch“ verstanden wird.237 Insgesamt ist voranzustellen, dass sich die Position Ratzingers zunächst erkennbar an den evangelischen Ansätzen, vor allem an die Eschatologie Althaus’, anlehnt, und er erst später die traditionelle katholische Lehre von den Eschata stark zu machen versucht, letzteres allerdings auf sehr originäre Weise. Wie auch in Bezug auf Ratzingers fundamentaltheologischen Ansatz nicht von einer grundsätzlichen Veränderung auszugehen ist, sondern allenfalls von einer Entwicklung in Form von Akzentuierungen, so gibt es auch in der Entwicklung der Eschatologie keinen grundlegenden Widerspruch zwischen einem frühen und einem späten Ratzinger. Vielmehr ist Gerhard Nachtwei zuzustimmen, dass in Ratzingers Eschatologie und Theologie von einer dialogischen Grundthese auszugehen sei und von da aus die „Wandlung von einer Antithese zum griechischen Denken zu einer Antithese zur ,modernen‘ katholischen Theologie“238 vollzogen werde. Diese dialogische Grundthese, die auch das Stichwort von der „dialogischen Unsterblichkeit“ hervorgebracht hat, ist also der Rahmen, in dem der ansonsten sperrige Ansatz gesehen werden kann. Nicht nur wegen seiner Rückkehr zur „Unsterblichkeit der Seele“ ist er umstritten – auch in der katholischen Diskussion –, sondern auch wegen seiner Auffassung von der Auferstehung des Leibes am Jüngsten Tag als Auferstehung des irdischen, geschichtlichen Leibes wie der daraus folgenden Lehre von einem Zwischenzustand. Vor dem Hintergrund der oben vollzogenen Verhältnisbestimmung von Relationalität und Metaphysik ist zur dialogischen Grundthese der Ratzingerschen Eschatologie, die von Nachtwei nicht nur für die Eschatologie im Besonderen aufgestellt wird, sondern die er auf seinen theologischen Gesamtentwurf ausweitet, Folgendes zu bemerken: Die Relationalität hat bei Ratzinger eine ganz andere Funktion als in der protestantischen Eschatologie. Gerade im Vergleich zu Althaus, von dem Ratzinger m. E. den für ihn zentralen Gedanken der Gottesgemeinschaft in gewisser Weise übernimmt,239 lässt sich das beobachten. Bei Althaus ist die Eschatologie in ihren zwei Dimensionen von axiologischer und teleologischer Eschatologie interessant, weil die axiologische Eschatologie die fundamentaltheologische Funktion der Eschatologie hervorhebt, indem die Beziehung von Gott und Mensch – auch wenn dies bei Althaus eher phänomenologisch als personal durchgeführt wird – begründet wird. Diese Gottesbeziehung ist der Grund für die Heilsgewissheit sowie für die Unsterblichkeitsgewissheit,

237 Vgl. Ratzinger, Eschatologie, 127. 238 Nachtwei, Dialogische Unsterblichkeit, 11. 239 Zur Rezeption der Althausschen Eschatologie bei Ratzinger vgl. Nachtwei, Dialogische Unsterblichkeit, 13 – 16.

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aus der die teleologische Eschatologie erst abgeleitet werden kann.240 Wenn Ratzinger den Gedanken der Gottesgemeinschaft von Althaus und damit den Gedanken der Relationalität für seine dialogische Grundthese übernimmt, dann geschieht dies bezogen auf die Eschatologie allein in ihrer teleologischen Dimension. 2.2.1 Tod Die Vorstellung vom Tod und gerade die Ablehnung der sogenannten Ganztodthese bildet erst die Grundlage, von der aus die Konzeption der Unsterblichkeit der Seele von Ratzinger wieder eingeholt wird. Den Paragraphen zum Tod beginnt Ratzinger in seiner Eschatologie mit einer Meditation darüber, dass der Tod in der gegenwärtigen Gesellschaft weitestgehend verdrängt wird. Dies bedauert Ratzinger und im Zuge dessen sieht er gleichzeitig eine Verdrängung des Metaphysischen: „Dem Tod soll der Charakter der Einbruchstelle des Metaphysischen genommen werden“.241 Er legt nun seinerseits größten Wert darauf, dass der Tod in einem Zusammenhang zum Metaphysischen betrachtet wird, und verweist auf Schleiermacher, der wie er meint, einmal von Geburt und Tod als „durchgehauenen Aussichten“ auf das Unendliche gesprochen habe.242 Nachdem Ratzinger nun die Bagatellisierung des Todes beklagt hat, kommt er zu dem Schluss, dass die Fragen von Tod und Leben auch nicht auf positivistische oder materialistische Weise beantwortet werden können, sondern aus der „in der Weisheit der Überlieferung eingeborgenen Erfahrung“243 und dass deshalb die Theologen von ihrer Profession her dies leisten müssten. Die Forderung, dass der Tod als Einbruchstelle des Metaphysischen betrachtet werden soll, geht mit der Frage nach dem Menschen einher : „Mit der Einstellung zum Tod ist die Einstellung zum Leben mitentschieden: Der Tod wird so zum Schlüssel für die Frage, was eigentlich der Mensch ist.“244 Doch hier kommt er zur nächsten Klage: Der Befund bei den Theologen sei ziemlich deprimierend. Dies liege vor allem an der These vom Ganztod, als deren maßgebliche Vertreter er in seiner Eschatologie Paul Althaus und Eberhard Jüngel nennt. Während Ratzinger auf Althaus im Zusammenhang mit der Lehre von der Unsterblichkeit und dort auch auf Carl Stange eingeht, werden die Positionen von Althaus245 und Jüngel an dieser Stelle nicht weiter differenzierend dargestellt, was insofern bedauerlich ist, als 240 Vgl. Althaus, Die letzten Dinge (1. Aufl.), 16 – 21. 241 Ratzinger, Eschatologie, 67. 242 Zu diesem angeblichen Schleiermacher-Zitat wird allerdings kein Fundort angegeben. M.E. handelt es sich auch nicht um ein Zitat von Schleiermacher. Vgl. Ratzinger, Eschatologie, 67. 243 Ratzinger, Eschatologie, 68. 244 Ratzinger, Eschatologie, 68. 245 „Im Tod werden wir uns ganz genommen.“ Althaus, Die letzten Dinge, 5. Aufl., 83, „Der Tod ist die Grenze dessen, was wir als Leben kennen; aber er ist nicht die Grenze unseres Gottesverhältnisses, sondern ein Moment desselben.“ Althaus, Die letzten Dinge, 5. Aufl., 110.

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Ratzinger in seinen früheren Äußerungen durchaus positiv auf Althaus zurückgreift und sich seine dialogische Grundthese, die er in der Eschatologie dann versucht biblisch als Theologisierung und später als Christologisierung zu entfalten246, wohl wesentlich stärker Althaus verdankt als eigener biblischexegetischer Besinnung. So erscheinen Althaus und Jüngel in diesem Zusammenhang als Vertreter der These vom Ganztod. Zu dieser These ist zu sagen, dass sie in dieser Terminologie weder bei Althaus noch bei Jüngel zu finden ist. Sie ist auch nichts anderes als eine katholische Deutung der evangelischen Positionen, die die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele ablehnen.247 Der Terminus „Ganztod“ ist mithin ein Urteil über die Ablehnung der „Unsterblichkeit der Seele“ und möchte m. E. eine Grenze markieren, über die hinaus die Endlichkeit und Sterblichkeit des Menschen als die im Tod zu Tage tretende Diskontinuität menschlichen Seins so stark akzentuiert wird, dass jegliche Hoffnung auf ein ewiges Leben als Vollendung oder als Kontinuität personaler Identität nicht mehr vermittelbar bleibt. Bei den Autoren, denen die These vom Ganztod zugeschrieben wird, sind jedoch lediglich solche Formulierungen wie „Im Tod werden wir uns ganz genommen“248 oder „Der Tod ist das Geschick des ganzen Menschen“249 zu finden. Wenn man vom Ganztod spricht, eine Sprachregelung, die mittlerweile Eingang in die evangelische Theologie gefunden hat250, dann muss darauf geachtet werden, in welcher Weise die unterschiedlichen Vertreter, die unter dieser These subsumiert werden, das Problem von Diskontinuität und Kontinuität angehen. Denn so wird bei Althaus, sogar in der ersten Auflage seines eschatologischen Entwurfs „Die Letzten Dinge“ von 1922, durchaus ein Konzept von Unsterblichkeit als Unsterblichkeitsgewissheit, die sich aus der Heilsgewissheit, welche sich wiederum aus der Gottesgewissheit ableitet, entfaltet. Und dahinter steht kein anderer Gedanke als der der Unzerstörbarkeit des Gottesverhältnisses. Nun zurück zu Ratzinger. Gleichsam als dritte Klage stellt er eine Radikalisierung der These vom Ganztod in der theologischen Literatur fest, sowohl evangelischer- als auch katholischerseits, deren Suggestivkraft in literarkritischer Manipulation bestehe. Aber letztlich habe dies zur Folge, „daß der Glaube als Instanz einer Antwort auf die letzten Fragen des Menschen abdankt und auf die allgemein empfundene Sinnlosigkeit als letztes Wort verweist.“251 Weder die Vorstellung von dem Nicht-Abbrechen-Können des Gottesverhältnisses252, die gleichwohl in einer Spannung von Gegenwartsbesitz des

246 247 248 249 250 251 252

Vgl. Ratzinger, Eschatologie, 101. Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 3, 599. Althaus, Die letzten Dinge, 5. Aufl., 83. Joest, Dogmatik, Bd. 2, 649. Vgl. Hrle, Dogmatik, 631 ff. Ratzinger, Eschatologie, 70. „Denn das Ich-Du-Verhältnis zwischen Gott und dem Menschen ist unaufhebbar, wo es einmal

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ewigen Lebens und ewigem Leben als Hoffnungsziel des weltgebundenen Lebens steht,253 mit der Althaus die letzten Fragen bedenkt, noch die Vorstellung von Erlösung bei Jüngel werden hier ansatzweise gewürdigt.254 Statt dessen wird gerade die Notwendigkeit der Revision jeglicher Todesvorstellungen als Ganztod, die m. E. in dieser simplifizierten Form niemand je vertreten hat, suggeriert und der Unsterblichkeitsgedanke vorbereitet, der dann näher in den Überlegungen zur Unsterblichkeit der Seele entfaltet wird. Dabei wird auf Platon verwiesen, nicht um dessen Unsterblichkeitslehre einseitig zu rezipieren, aber um ein Naturrecht des Seins abzuleiten, von dem gilt, „daß die Gerechtigkeit die eigentliche Wahrheit und diese Wahrheit die eigentliche Wirklichkeit ist, daß also Wahrheit wirklicher ist als bloßes biologisches Leben und Sich-Durchsetzen.“255 Deshalb gelte letztlich, dass der Mensch sterben können müsse für ein eigentlicheres Leben,256 weil sich hier die Hingabe an die Wahrheit, die Hingabe an die Wirklichkeit zeige. Der Gehalt der Eschatologie besteht für Ratzinger in der „Inanspruchnahme unseres Lebens für Wahrheit, Recht, Liebe.“257 Diese Haltung kann oder darf dem Tod nicht ausweichen und deshalb darf der Mensch im Tod nicht vor dem Nichts stehen.258 Ratzinger ist bemüht, sein Bild vom Tod aus der Botschaft des Alten und Neuen Testaments abzuleiten. Gleichsam als Summe der divergierenden alttestamentlichen Aussagen erscheint „die Unzerstörbarkeit der Gottesgemeinschaft“259, aus der heraus das ewige Leben streng theologisch folgt. Diese theologische Konzentration des Alten Testaments wird durch das Neue Testament, durch Martyrium und Auferstehung Jesu, konkretisiert. Vor allem das Martyrium wird als Zeugnis der Liebe entfaltet, durch das Tod und Leben in einen Zusammenhang gestellt werden. Auf die Frage „Aber wie sieht der Augenblick aus, in dem der Mensch erfährt, was Leben ist?“ antwortet Ratzinger : Es ist der Augenblick der Liebe, der für ihn zugleich zum Augenblick der Wahrheit, der Entdeckung des Lebens wird. Das Unsterblichkeitsverlangen steigt nicht aus der isolierten, in sich verschlossenen Existenz auf, die unbefriedigend ist, sondern aus der Erfahrung der Liebe, der Gemeinschaft, des Du. Es entsteht aus der Forderung,

253 254

255 256 257 258 259

in Kraft trat und bewußt wurde. Es hat an Gottes Ewigkeit teil.“ Althaus, Die letzten Dinge, 1. Aufl., 28. Vgl. Althaus, Die letzten Dinge, 1. Aufl., 58. Bei Jüngel heißt es: „Erlösung wäre also Rettung des gelebten Lebens durch Gott, wäre Teilhabe des irdischen, begrenzten Lebens an Gottes Leben, Teilhabe befristeter Lebenszeit an Gottes Ewigkeit, Teilhabe schuldig gewordener Existenz an Gottes Ehre. […] Das endliche Leben wird als endliches verewigt.“ Jngel, Tod, 152. Ratzinger, Eschatologie, 72 f. Vgl. Ratzinger, Eschatologie, 73 f. Ratzinger, Eschatologie, 89. Vgl. Ratzinger, Eschatologie, 74. Ratzinger, Eschatologie, 76.

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die das Du an das Ich stellt und umgekehrt. Die Entdeckung des Lebens schließt ein Überschreiten des Ich, ein Zurücklassen des Ich mit ein. Sie trägt sich nur dort zu, wo der Mensch sich wegwagt von sich selbst und sich fallen läßt. Wenn das Mysterium des Lebens mit dem Mysterium der Liebe identisch ist, dann ist es auch an ein Todesgeschehen gebunden.260

Schließlich wird der Tod als Wagnis der Liebe klassifiziert. Diese radikalisierte Relationalität bei Ratzinger, die m. E. in der Forderung der Selbstüberschreitung besteht, welche sich in der Beteiligung an der Martyria Christi realisiert,261 bildet den Rahmen für seine Theologie. Zugleich wird dadurch allerdings das Festhalten an der Unsterblichkeit der Seele und der Auferstehung des Fleisches als materielles Geschehen nur schwer verständlich, da es dabei doch gerade um die Fortexistenz individuellen Seins geht.

2.2.2 Unsterblichkeit der Seele als „Dialogische Unsterblichkeit“ Nachdem Ratzinger am Anfang seiner eschatologischen Entwicklung der Rede von einer Unsterblichkeit der Seele selbst kritisch gegenüber eingestellt war und wie schon erwähnt, die Auferstehungshoffnung als das Wesentliche des christlichen Unsterblichkeitsglaubens ansah, deutet sich die Wendung zurück zum Begriff Seele in Etappen an: 1965 schreibt er in einer kleinen Schrift: Was die Theologie mit dem Begriff „Seele“ zu umschreiben sucht, ist ja gar nichts anderes als die Tatsache, daß der Mensch in anderer Weise von Gott gekannt und geliebt ist als alle anderen Wesen unter ihm – gekannt, um wieder zu erkennen, geliebt, um wieder zu lieben. Diese Art von Stehen im Gedächtnis Gottes ist das, was den Menschen ewig leben macht – denn Gottes Gedächtnis endet nie.262

Wenn bei Ratzinger von der Seele die Rede ist, dann ist dies nur verständlich im Rahmen des Gottesverhältnisses des Menschen. Von daher ist seiner Rede von der Unsterblichkeit der Seele zuzugestehen, dass sie nicht der Vorwurf z. B. Carl Stanges trifft, dass der Gedanke der Unsterblichkeit der Seele heidnisch sei, weil er eine eigenständige Fortexistenz des Menschen zum Ausdruck bringen will. Dies trifft auf Ratzingers Konzeption nicht zu, weil die Seele eben nicht substanzialistisch gedacht ist. Gehen wir noch einige Jahre in der Entwicklung der Vorstellungen Ratzingers zur Eschatologie zurück, kann man anhand von zwei Aufsätzen aus dem Jahr 1959 beobachten, dass es die Relation zwischen Gott und den Menschen ist, die das Zentrum seiner eschatologischen Konzeption bildet, auch wenn er 1959 noch nicht von einer Unsterblichkeit der Seele gesprochen hat: 260 Ratzinger, Eschatologie, 85. 261 Vgl. Ratzinger, Eschatologie, 89. 262 Ratzinger, Die sakramentale Begründung, 18.

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Der kirchliche Wahrheitsanspruch bei Ratzinger

Die Schrift mißt dem Dualismus von Leib und Seele im Menschen eine sehr viel geringere Bedeutung bei als dies die griechische Philosophie tut. Viel entscheidender als diese Dualität ist in der Bibel eine andere Zweiheit, diejenige von Schöpfer und Geschöpf. […] Diese völlig anders geartete Gegenüberstellung Schöpfer-Geschöpf (statt Seele-Leib) steht am Wurzelpunkt der biblischen Heilslehre und bestimmt den […] ganzheitlichen Ansatz, der sich in der Auferstehungsidee eine zentrale Ausdrucksform geschaffen hat. […] Ist […] einmal an die Stelle der Idee der anima separata die Vorstellung von dem einen, letztlich unteilbaren Geschöpf „Mensch“ gesetzt, so ist damit ein weiter Umkreis dessen mitausgesagt, was zu diesem Menschen untrennbar gehört. „Mensch“ ist seinem Wesen nach immer zugleich „Mitmensch“.263

Ist dem Text, aus dem dieses Zitat stammt, noch ein gewisses Aufbegehren gegen traditionelle Lehre anzumerken, das sich im Übrigen den Ideen derjenigen verdankt, die später von Ratzinger als Ganztodthesenvertreter kritisiert werden, so ist gleichwohl festzuhalten, dass es die dahinter stehenden Gedanken der Relationalität von Gott und Mensch sowie Mensch und Mitmenschen sind, die sich durch die Entwicklung in der Eschatologie Ratzingers durchziehen und auch seine Revision und Rehabilitation der Unsterblichkeit der Seele überdauern und bestimmen. Dass auch der spätere Ratzinger nicht von einer „anima separata“ nach dem Tod ausgeht, wird u. a. in einem Lexikonartikel von 1967 ersichtlich, in dem erstmals sein eschatologisches Programm unter dem Stichwort „Dialogische Unsterblichkeit“ präsentiert wird.264 Drei Elemente zeichnen zu diesem Zeitpunkt dieses Programm aus: Erstens die Vorstellung der Unsterblichkeit des Menschen aufgrund seines Gottesverhältnisses,265 zweitens die Dimension der Mitmenschlichkeit in der Unsterblichkeit,266 die drittens eine anima separata ausschließt: „Wo die communio sanctorum geglaubt wird, ist die Idee der anima separata letztlich überholt.“267 Mit diesen drei Elementen liegt das Gerüst vor, das zur Konsequenz hat, so etwas wie die Seele, gleichwohl unterschieden von einer anima separata, wieder einzuführen, weil das zweite Element Ratzinger nötigt, die leibliche Auferstehung erst am Jüngsten Tag anzusetzen, erst nachdem die Geschichte in ihrer sozialen wie kosmischen Dimension an ihr Ende gekommen sein wird. Wie aber wird die Unsterblichkeit der Seele gedacht, wenn sie nicht substanzialistisch, nicht als anima separata vorgestellt wird? In einem Aufsatz aus dem Jahre 1972, in dem der Begriff Seele bei Ratzinger endgültig wieder eingeführt wird, stellt sich das Problem wie folgt dar :

263 Ratzinger, Auferstehung und ewiges Leben, 311 f. 264 Vgl. Ratzinger, Art.: Auferstehung des Fleisches, 226. 265 „Der Mensch kann deshalb nicht mehr total untergehen, weil er von Gott gekannt u. geliebt ist.“ Ratzinger, Auferstehung des Fleisches, 226. 266 Vgl. Ratzinger, Auferstehung des Fleisches, 227. 267 Ratzinger, Auferstehung des Fleisches, 227.

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Das Individuum

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„Seele“ und „Wahrheitsfähigkeit“ beziehungsweise „Berufensein in den unzerstörbaren Dialog mit der ewigen Wahrheit und Liebe“ sind jeweils Ausdrucksformen für ein und dasselbe. Seele ist nicht ein okkultes Etwas, das man hat; ein Substanzstück, das irgendwo verborgen im Menschen steckt; sie ist die Dynamik einer unendlichen Offenheit, die zugleich Teilhabe an der Unendlichkeit, am Ewigen bedeutet.268

Dieser Versuch, die Seele dynamisch zu funktionalisieren und damit die Unsterblichkeit der Seele aus dem Verdacht der substanzhaften Fortexistenz des Menschen zu lösen, wird dann noch stärker als in dem Aufsatz von 1972 in der Eschatologie von 1977 auf Thomas von Aquins Seelenbegriff zurückgeführt. In der aristotelischen Formel „anima forma corporis“ (die Seele / der Geist ist die Form des Leibes) wie sie bei Thomas verwendet wird, sei der christliche Begriff von Seele erst geformt. Im Unterschied zu Aristoteles, wo Form und Materie sich gegenseitig bedingen, so dass der Geist allein nicht zugleich Form der Materie und das Persönliche bildet, wird gerade dies bei Thomas möglich: „Die Seele gehört dem Leib zu als ,Form‘, aber das was ,Form‘ des Leibes ist, ist doch Geist, macht den Menschen zur Person und öffnet ihn so auf Unsterblichkeit hin.“269 So meint Ratzinger zumindest, dass die Möglichkeit einer Unsterblichkeit der Seele gegeben sei, ohne in eine dualistische Anthropologie zu verfallen. Doch bleibt dies nicht eine merkwürdige Hilfskonstruktion, die versucht, die Identität des individuellen Menschen zu bewahren bis zum Jüngsten Tag, an dem sich dann erst die eigentliche dialogische Unsterblichkeit ereignet? Wäre es nicht konsequenter, bei seinem Ansatz gar nicht mehr von einer Seele des individuellen Menschen zu reden, weil diese ohnehin in seiner Konzeption nicht mehr als individuiertes Sein bestehen bleibt, sondern durch Selbstüberschreitung letztlich in dem trinitarischen Sein Gottes aufgeht?270 Wahrscheinlich muss man hier von der anderen Seite her ansetzen, von der Unsterblichkeit der Seele, von der überhaupt erst eine Würdigung des Subjekts bei Ratzinger einsetzen kann. So wie die Relationalität insgesamt seiner metaphysischen Grundlegung untergeordnet ist, so ist dann auch das Subjekt diesem Beziehungsgefüge untergeordnet, das erst in dieser eschatologischen Perspektive und d. h. in einer metaphysischen Zielperspektive zu seiner Bestimmung kommt. So muss auch die Frage nach der eigentlichen Motivation für den Zwischenzustand, für den allein in seiner Konzeption die Rede von der Unsterblichkeit der Seele virulent wird, auf dieser Linie betrachtet werden. Zwar bestünde mit der Auferstehung am Jüngsten Tag nicht mehr das Problem einer leibfreien Seele, doch dann wäre sein Konzept von Kontinuität durchbrochen,

268 Ratzinger, Jenseits des Todes, 241. 269 Ratzinger, Eschatologie, 126. 270 „Der Dialog der Menschen untereinander wird dadurch ewigkeitshaltig, daß er in der communio sanctorum ins trinitarische Gespräch einbezogen wird.“ Ratzinger, Eschatologie, 134.

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Der kirchliche Wahrheitsanspruch bei Ratzinger

Kontinuität, die dem Individuum deshalb zukommen muss, weil es nur in der Zielperspektive der vollendeten Gemeinschaft zu sich selber findet.

2.2.3 Der Zwischenzustand bis zur Auferstehung der Toten am Jüngsten Tag als „Memoria-Zeit“ In der Eschatologie des 20. Jahrhunderts ist die Rede davon, dass Ewigkeit und Zeit inkommensurable Größen seien.271 Von daher stellt sich hier nicht das Problem des Zwischenzustandes. Oder anders formuliert, kann auch die Vorstellung eines Zwischenzustandes dann nicht das Problem der Dialektik von Zeit und Ewigkeit lösen. Diese Inkommensurabilität von Zeit und Ewigkeit wurde angedacht bei Troeltsch, ist für die Dialektische Theologie zentral und auch für die eschatologischen Entwürfe aus der lutherischen Theologie eine wichtige Voraussetzung, weshalb sie überhaupt die Auferstehung als einzige Hoffnungsperspektive auf ein ewiges Leben zulassen kann. In der katholischen Theologie wird dieser Gedanke im Zusammenhang mit der Vorstellung einer Auferstehung im Tod aufgenommen, der vor allem von Gisbert Greshake verfochten,272 aber in Ansätzen etwas breiter diskutiert wird, wenn es darum geht, das Assumptio-Dogma theologisch zu begründen.273 Ratzinger weist alle diese Vorstellungen zurück, natürlich nicht das Assumptio-Dogma, welches er wegen der Sündlosigkeit Mariens auch in seiner Konzeption retten kann.274 Die Auferstehung im Tod betrachtet er als Geschichtsentwertung und fragt: „Kann ein Mensch ganz fertig und am Ende sein, solange seinetwegen noch gelitten wird, solange Schuld, die von ihm ausgeht, auf Erden weiterglimmt und Menschen leiden macht?“275 Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Relationalität des Menschen möglichst weit ausgedehnt wird, ohne dabei allerdings die differenzierten Bedingungen von Relationalität, also das Verhältnis von Aktivität und Passivität oder extreme Formen der Asymmetrie von Relationen, gänzlich zu Ende zu denken, um dann noch einmal genauer zu prüfen, ob es nicht auch möglich ist, auf anderem Wege eine Geschichtsentwertung zu umgehen. Trotz alledem muss noch ein Blick auf die Konzeption des Zwischenzustandes bei Ratzinger geworfen werden. Wie sieht seine Vorstellung der Größen Zeit und Ewigkeit aus, so dass sie nicht schlechthin inkommensurabel 271 „Die Frage des Zwischenzustandes entsteht aus der Vorstellung zeitlicher Abstände zwischen dem Sterben in der Welt und der endgültigen Vollendung in der Ewigkeit. Diese beiden Seiten der Sache aber sind inkompatibel. […] Eine dogmatische Begründung besteht nicht. Jedoch, dies wird immer häufiger bestritten.“ Ratschow, Art.: Eschatologie, 354. 272 Gisbert Greshake hat seine eschatologischen Ansatz der Auferstehung im Tod entfaltet in: Greshake, Die Auferstehung der Toten. 273 Vgl. Vorgrimler, Der Tod als Thema, 42 ff. 274 Vgl. Ratzinger, Eschatologie, 155. 275 Ratzinger, Eschatologie, 155.

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Das Individuum

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bleiben? Denn darauf muss es hinauslaufen. Bei diesem Projekt bedient er sich der Zeitvorstellung Augustins, wie sie in den Confessiones vorgetragen wird, wo die Linerarität der Zeit, also das stetige Vergehen und Nicht-Bleiben von Augenblicken bzw. von Gegenwart, die, wenn sie geschieht, sofort zur Vergangenheit wird, dazu führt, dass das Problem der Existenz von Zeit auftritt. Dieses Problem wird so gelöst, dass die drei Modi der Zeit, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, jeweils als Gegenwart, als Gegenwart der Vergangenheit in der Erinnerung, als Gegenwart der Gegenwart in der Erfahrung und als Gegenwart der Zukunft in der Erwartung, verstanden werden, der Mensch also gleichsam fähig ist, die Zeit aus ihrer Linearität zu lösen. Ratzinger erkennt bei Augustinus eine Unterscheidung von physikalischer Zeit und anthropologischer Zeit, wobei die anthropologische Zeit nun zwischen Zeit, genauer physikalischer Zeit, und Ewigkeit vermittelnden Charakter hat.276 Diese anthropologische Zeit wird von Ratzinger in seiner Eschatologie „Memoria-Zeit“ genannt. Die zentrale Größe ist eben das Gedächtnis und damit die Gegenwart der Vergangenheit. Damit ist diese anthropologische Zeit einerseits an die Geschichte gebunden als Möglichkeit des Menschen, den Verlauf der physikalischen Zeit zu reflektieren und somit der unmittelbaren Verfallenheit der aufeinander folgenden Augenblicke in die Nichtexistenz nicht ausgeliefert zu sein. Andererseits wird diese Memoria-Zeit an die Ewigkeit gebunden: Die Gegenwart des Bewußtseins, das Vergangenes ins Heute des Erinnerns heben kann, ermöglicht dann zugleich eine Anschauung dessen, was „Ewigkeit“ ist: reine memoria, die das Ganze der wechselnden Bewegung der Welt im umfassenden Präsens des schöpferischen Bewußtseins trägt und es je in seiner Qualität, an seinem chronologischen Punkt dennoch ganz als es selber umgreift.277

Insgesamt geht Ratzinger also von vier Klassifikationen aus, physikalischer Zeit, anthropologischer Zeit bzw. Memoria-Zeit, wobei der Mensch vor seinem Tod außerdem an die physikalische Zeit gebunden ist, während er dann in die reine Memoria-Zeit eintritt, die aber noch einmal von der reinen Memoria als Ewigkeit unterschieden wird.278 Mit dieser Konzeption meint Ratzinger nun ein weitaus überlegeneres Modell zu präsentieren – zumindest gegenüber anderen Modellen wie denen von Greshakes Auferstehung im Tod oder Lohfinks Überlegungen zum Ävum-Begriff.279 Diskutiert wird dabei jedoch gar

276 „Die anthropologische Zeit bietet zwar ein Modell, um Ewigkeit wenigstens denken zu können, ist aber nicht Ewigkeit.“ Ratzinger, Jenseits des Todes, 236. 277 Ratzinger, Jenseits des Todes, 237. 278 Vgl. Ratzinger, Eschatologie, 152. 279 Ratzinger bezieht sich dabei zum einen auf die schon erwähnte Studie Greshakes (Die Auferstehung der Toten) und zum anderen auf einen von Greshake und Gerhard Lohfink 1975 herausgegebenen Band (Naherwartung – Auferstehung – Unsterblichkeit), vgl. Ratzinger, Eschatologie, 150. Ab der dritten Auflage enthält der Band von Greshake und Lohfink weitere

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Der kirchliche Wahrheitsanspruch bei Ratzinger

nicht, wie leistungsfähig die Konzeption Augustins zur Lösung dieser Fragen heute ist. Einerseits wurde Augustins Modell gerade im 20. Jahrhundert quasi wiederentdeckt, allerdings dabei so rezipiert, dass Zeit als subjektiv erfahrbares Phänomen verstanden wird. Andererseits wird inzwischen darauf verwiesen, dass Augustins Zeitmodell im Rahmen seiner metaphysischen Ontologie von Urbild und Abbild betrachtet werden müsse. Die Zeit ist dann also das Abbild der Ewigkeit bzw. die eigentliche Gegenwart das Abbild der Ewigkeit.280 Dies scheint dann auch der Ratzingerschen Interpretation zu entsprechen.

2.2.4 Das Problem der doppelpoligen Eschatologie Der Hintergrund für diesen Lösungsvorschlag ist das Problem der doppelpoligen Eschatologie, also die Frage, wie das individuelle Ende bzw. die Vollendung menschlichen Lebens mit dem Ende aller Menschen und mit dem Ende der Welt zusammenhängt. Für Ratzinger im Besonderen wie für die katholische Theologie im Allgemeinen ist dabei die Vollendung des Menschen in seiner Mitmenschlichkeit von besonderer Bedeutung, die eben auch dazu führt, dass das Ende des Menschen nicht isoliert werden kann von dem Ende der ganzen Menschheit, weil in diesem Rahmen die Kirche als Antizipation des Eschatons mitgedacht wird. In der evangelischen Theologie stellt sich zwar ganz genauso das Problem einer doppelpoligen Eschatologie, die aber ganz anders aufgebaut wird, weil hier nicht die Kirche etwas antizipiert, sondern die Ewigkeit subjektiv im Gottesverhältnis antizipiert wird und somit auch viel gelassener das Problem beispielsweise in einer dialektischen Spannung von Glauben und Hoffen angegangen werden kann, die Lehre von den Eschata mithin metaphorisch als Hoffnungsbilder durchgeführt werden könnte. Die Eschatologie hat dadurch eine für das Individuum sowohl sinnstiftende als auch relativierende Funktion. Bei Ratzinger hat sie dies nicht unmittelbar. Denn für das Individuum hat sie nur vermittelt über die Ekklesiologie eine sinnstiftende Funktion. Eine relativierende Funktion muss sie dann für das Individuum ohnehin nicht einnehmen, weil das Individuum stets durch seine Bezogenheit auf die Gemeinschaft relativiert ist. Ob die Eschatologie dennoch eine relativierende Funktion ausübt, lässt sich bei Ratzinger deshalb nicht im Rahmen seiner individuellen Eschatologie beantworten, sondern kann überhaupt nur auf eine Gemeinschaft, in diesem Fall die katholische Kirche, bezogen sein.

Beiträge, die die Kritik Ratzingers zurückweisen. Vgl. Lohfink, Das Zeitproblem; Greshake, Die Leib-Seele-Problematik. 280 Vgl. Mesch, Augustinus als Wegbereiter.

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Ratzingers relationaler Ansatz

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3. Die Kirche 3.1 Die Kirche und Ratzingers relationaler Ansatz Der bisherige Verlauf dieser Studie zur Fundamentaltheologie und Eschatologie Ratzingers zeigt, dass sich seine Theologie stets auf die Kirche zu bewegt. Stimmt es, dass die Kirche, bezogen auf sein Wahrheitsverständnis, der Ort in der Geschichte ist, an dem die Individuen durch Partizipation erst Zugang zur Wahrheit haben, und dass die Kirche das Subjekt des Glaubens ist, während die individuellen Subjekte durch Selbstüberschreitung erst selbst zu Gläubigen werden und zu sich selbst finden, dann ist die Ekklesiologie von wichtiger Bedeutung für die Fundamentaltheologie. Von daher geht es in diesem Zusammenhang darum, wie das Ratzingersche Modell von Relationalität in der Kirche verwirklicht ist, wie hier die Relationen sowohl von Gott und Mensch wie auch von Mensch und Mitmensch zusammengedacht werden. Das primäre Interesse zielt dabei darauf, die fundamentaltheologische Funktion dieser Relationen zu erfassen. Deshalb geht es im Folgenden nicht darum, die Ekklesiologie Ratzingers um ihrer selbst willen darzustellen, auch nicht darum, sie auf ihren Einfluss und ihre Nähe zur Konstitution über die Kirche des Zweiten Vatikanischen Konzils (Lumen gentium) zu untersuchen. Zu diesen Fragestellungen liegen im Übrigen schon Arbeiten aus der katholischen Theologie vor.281 Eine die Untersuchung der Theologie Ratzingers stets begleitende Frage ist die nach der Entwicklung seines Ansatzes, wobei schon einige Akzentverschiebungen, die vor allem in der Zuspitzung auf die metaphysische Grundlegung seiner Theologie bestehen, wahrgenommen worden sind. Diese Frage wird diesen Teil begleiten. Denn diese Zuspitzungen müssen sich in der Ekklesiologie widerspiegeln. Der materiale Aufbau seiner Kirchenlehre ist von stärkerer Kontinuität gekennzeichnet, als es in der Eschatologie der Fall ist. Jedoch scheint sich die Akzentuierung gerade auf die fundamentaltheologische Bedeutung der Kirche auszuwirken.282

281 Zur Einflussnahme Ratzingers auf die Ekklesiologie des Konzils vgl. Weiler, Volk Gottes – Leib Christi; zur Bedeutung von Lumen gentium für die Ekklesiologie Ratzingers nach dem Konzil vgl. Heim: Joseph Ratzinger. 282 Hier besteht m. E. eine Differenz zu einer vorliegenden Arbeit, die die erkenntnistheoretische Funktion der Kirche im Werk Ratzingers untersucht. So nimmt Paolo Sottopietra zwar auch eine Akzentverschiebung wahr, die er allerdings durch kontextuelle Unterschiede zu erklären vermag, weshalb er die Texte Ratzingers aus fünf Jahrzehnten synchron betrachtet. Vgl. Sottopietra, Wissen aus der Taufe, 9.

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Der kirchliche Wahrheitsanspruch bei Ratzinger

3.2 Die Wir-Struktur der Kirche Die Ergebnisse seiner Ekklesiologie konsequent fundamentaltheologisch auszuwerten, scheint ein Schritt zu sein, den Ratzinger erst in den 1970er Jahren vollzieht. Diesen Vorgang stellt er dann selbst erst 1982 unter die Überschrift „Die Wir-Struktur des Glaubens als Schlüssel zu seinem Gehalt“.283 Diese Wir-Struktur übernimmt in seinem theologischen Ansatz eine entscheidende Funktion, weil sie die Vermittlung von Subjekt und Objekt des Glaubens zum Ausdruck bringt. Dies vollzieht Ratzinger in jener späteren Phase seines Werkes im Anschluss an Henri de Lubac, indem die Wir-Struktur als communio begriffen wird und damit Subjekt und Objekt des Glaubens gleichermaßen vereinigt. Communio als Objekt des Glaubens bezieht sich an dieser Stelle auf die Trinität: „Von daher läßt sich verstehen, wieso die Einheit des Objekts auch die des Subjekts einschließt: Trinitarischer Glaube ist communio, trinitarisch glauben heißt communio werden.“284 Bei diesem „Werden“ handelt es sich um jene schon mehrfach beobachtete Selbstüberschreitung, die sich nur in die Kirche hinein ereignen kann: Das Ich des Credo schließt also den Übergang vom privaten Ich zum ekklesialen Ich ein. In der Subjektform ist demgemäß das Ich der Kirche vom Credo strukturell vorausgesetzt: Nur in der communio der Kirche spricht sich dieses Ich aus; die Einheit des bekennenden Subjekts ist die notwendige Entsprechung und Folge des bekannten „Objekts“, des glaubend bekannten Gegenüber, das darin aufhört, bloßes Gegenüber zu sein.285

Dieses Ineinander vom göttlichen, trinitarischen Objekt des Glaubens und dem ekklesialen Ich als dem Subjekt ist m. E. in Entsprechung zu TheosisVorstellungen zu sehen. Besonders deutlich wird dieses Motiv der Theosis an ganz anderer Stelle: Der Mensch will Gott werden, und er soll es. Wo er es aber, wie im ewigen Gespräch mit der Paradiesesschlange, dadurch zu erreichen versucht, daß er sich von Gott und seiner Schöpfung emanzipiert, sich auf und in sich selber stellt, wo er mit einem Wort ganz erwachsen, ganz emanzipiert wird und das Kindsein als Weise des Existierens völlig beiseite wirft, endet er im Nichts, weil er gegen seine Wahrheit steht, die Verwiesenheit heißt. Nur wenn er den innersten Kern des Kindseins wahrt, die von Jesus vorgelebte Sohnesexistenz, tritt er mit dem Sohn ins Gottsein ein.286 283 So überschreibt er einen Abschnitt, der drei Aufsätze umfasst, die zwischen 1975 und 1977 entstanden sind und die die fundamentaltheologische Bedeutung der relationalen Verfasstheit der Kirche beleuchten. Dieser Abschnitt ist ein Teil seiner 1982 erschienenen „Bausteine zur Fundamentaltheologie“. Vgl. Ratzinger, Theologische Prinzipienlehre, 15 – 57. 284 Ratzinger, Theologische Prinzipienlehre, 23. 285 Ratzinger, Theologische Prinzipienlehre, 23. 286 Ratzinger, Der Gott Jesu Christi, 59.

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Die Wir-Struktur der Kirche

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Diese Vergottungsvorstellungen, die erst in den Beiträgen aus den 1970er Jahren greifbar sind und den dreieinigen Gott in seiner Dreiheit thematisieren, wobei es letztlich immer auf die Einheit hinausläuft, markieren einen neuen Aspekt und sind zugleich schon in den früheren Arbeiten zur Ekklesiologie vorbereitet. Besonders deutlich wird dies in der Christusbeziehung des Menschen. Denn die Beziehung zu Christus thematisiert er anhand des Begriffsmotivs „Leib Christi“. Dies geschieht in Auseinandersetzung mit dem für das Zweite Vatikanische Konzil zentral gewordenen Begriffsmotiv „Volk Gottes“.287 Das Verhältnis von Volk Gottes und Leib Christi lässt sich bei Ratzinger zugunsten des zweiten bestimmen. Bereits vor dem Konzil schreibt er (1956): „Das neue Volk Gottes ist Volk vom Leib Christi her.“288 Dieses Motto, das den Gedanken vom Volkscharakter der Kirche in die Leib-Christi-Metaphorik integriert, wird in einer Skizze des paulinischen Kirchenbegriffs zugespitzt: „Die Kirche ist ,Volk‘ dadurch, daß sie eins ist mit Christus Jesus, real vereinigt mit ihm.“289 Diese reale Vereinigung mit Christus ist es, die ihn dazu führt – wieder in Anlehnung an Lubac – das paulinische Leib-Christi-Verständnis abzugrenzen von dem Verständnis vom Leib Christi, das seit dem 19. Jahrhundert in der katholischen Theologie vorherrschend war und die Rede vom mystischen Leib Christi geprägt hat. Denn: Für Paulus ist die Kirche nicht bloß „mystischer“, sondern „wahrer“ Leib Christi, oder, weniger anstößig gesagt: Für Paulus ist das Wort vom „Leib Christi“, der die Christen sind, nicht bloß ein Vergleich, sondern es drückt eine entscheidende Wirklichkeit des Wesens der Kirche aus.290

Damit ist allerdings noch nichts über eine Identifikation von Kirche mit dem Leib Christi, die in der Enzyklika Mystici corporis noch von mystischem Leib Christi und der Kirche behauptet wurde, ausgesagt. Vielmehr gelte: „Kirche ist jene Gemeinschaft, die in der sichtbaren und geordneten Kultversammlung ihr unsichtbares Wesen als Leib Christi bestätigt und erfüllt.“291 Zu diesem Ergebnis führt Ratzinger allerdings erst der Weg über das Sakrament. So sind es Taufe und Eucharistie, durch die dieser Leib gebildet wird. Die Taufe beschreibt den Vorgang, wie der Einzelne „aus seiner Vereinzelung herausgerissen und in den Leib Christi hineinvereinigt wird.“292 Diese Vorstellung von Taufe und Leib Christi antizipiert schon die spätere Rede vom Subjektwechsel. 287 Zur Bedeutung der Formulierung „Volk Gottes“ für die Kirchenkonstitution vgl. Pesch, Das Zweite Vatikanische Konzil, 141 – 144. 174 – 179; vgl. Heim, Joseph Ratzinger, 80 f. 288 Ratzinger, Das neue Volk Gottes, 80. Zur zentralen Bedeutung der Leib-Christi-Vorstellung gegenüber der Volk-Gottes-Vorstellung in den frühen ekklesiologischen Schriften Ratzingers vgl. Weiler, Volk Gottes – Leib Christi, 41 – 68. 289 Ratzinger, Das neue Volk Gottes, 81. 290 Ratzinger, Das neue Volk Gottes, 83. 291 Ratzinger, Das neue Volk Gottes, 85. 292 Ratzinger, Das neue Volk Gottes, 82.

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Der kirchliche Wahrheitsanspruch bei Ratzinger

Besonders deutlich wird dies an seiner Deutung der Bibelstelle Gal 3, 28, die letztlich definitiv dazu führt, von der Kirche als Volk Gottes nur unter der Voraussetzung, dass sie Leib Christi ist, zu sprechen: Gewiß, die Christen sind das neue Volk Gottes, aber sie sind es allein dadurch, daß sie mit Christus ein einziger, daß sie „Sohn im Sohne“ (Eckhart) sind. „Ihr alle seid ein einziger in Christus Jesus“ drückt es Paulus aus (Gal 3, 28b). Man könnte auch sagen: Die Christen sind Volk Gottes allein dadurch, daß sie Leib Christi sind.293

Ob hier eine exegetisch haltbare Interpretation der Paulusstelle vorliegt, ist höchst umstritten.294 Sie zeigt jedoch, dass Ratzingers Ekklesiologie von Anfang an auf eine Einzigkeit der Kirche ausgerichtet ist. Und dass sich genau in dieser Forderung des „ein einziger sein in Christus“ seine spätere Vorstellung vom Subjektwechsel anbahnt, verdeutlicht eine Passage aus dem 1960 erschienenen Bändchen „Die christliche Brüderlichkeit“: Tatsächlich wird aus dem Glauben, daß wir alle ein einziger, neuer Mensch in Christus Jesus geworden sind, immer neu die Forderung erwachsen, die trennende Besonderheit des vereinzelnden Ich, die Selbstbehauptung des naturhaften Egoismus hineinzerbrechen zu lassen in die Gemeinsamkeit des neuen Menschen Jesus Christus. Wer an Jesus Christus glaubt, […] ist zum Hineinzerbrechen des bloß privaten Ich in die Einheit des Christus-Leibes gefordert.295

Auch wenn hier noch die Rede von der Kirche als dem neuen Subjekt des Glaubens fehlt, wird die Individualität der Subjekte, die den Leib Christi bilden, nur negativ als naturhafter Egoismus gewertet. Gleichwohl ist Ratzingers Vorstellung von Relationalität in diesem Stadium noch so konzipiert, dass er das Christusereignis – bevor er es in die Einzigkeit des Leibes Christi gipfeln lässt – so darstellt, dass die Gottesbeziehung des Einzelnen zunächst anthropologisch und nicht nur ekklesiologisch zu erklären ist: Der Mensch Jesus steht als solcher in der Gesprächsgemeinschaft, die alle Menschen als Wesen gleichen Ranges grundsätzlich miteinander verbindet. Der Mensch Jesus kann angesprochen werden von jedem Menschen, aber in ihm wird Gott angesprochen. Es gibt so letztlich nicht mehr die Frage, wie denn der veränderliche Mensch den ganz anderen, unveränderlichen Gott anreden kann.296

Von daher ist den frühen Texten Ratzingers, auch wenn sie letztlich schon die Abwertung der Individualität präsentieren, etwas von dem abzuspüren, was die Interpretation des Volk-Gottes-Gedankens in der Zeit nach dem Konzil u. a. zur Forderung nach mehr Freiheit und Mitbestimmung der Laien in der 293 Ratzinger, Das neue Volk Gottes, 82. 294 Vgl. Eckstein, Verheißung und Gesetz, 223 f. 295 Ratzinger, Die christliche Brüderlichkeit, 77 f. Auch in diesem Text bezieht er sich bei der Entfaltung des Einzigkeit-Gedankens auf Gal 3, 28 (69). 296 Ratzinger, Die christliche Brüderlichkeit, 66.

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Die Wir-Struktur der Kirche

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Kirche veranlasst hat und durch Formulierungen wie „alle Menschen als Wesen gleichen Ranges“ hier zum Ausdruck kommt. Jedoch ist diese Gemeinschaftlichkeit aller Menschen bzw. jener Menschen, die diesem Volk Gottes angehören, bei Ratzinger stets christologisch und deshalb vom Leib Christi her zu betrachten. Hatte das Konzil das Bild vom Volk Gottes zum Zentralbegriff erhoben, um der problematischen Verengung der Vorstellung vom mystischen Leib Christi zu entgehen, wie sie in Mystici corporis durch die Identifikation mit der Kirche als Körperschaft enthalten ist, so ist der VolkGottes-Gedanke eine Korrektur an der Leib-Christi-Vorstellung, die das Konzil vorgenommen hat und die darin besteht, die Kirche als geschichtliches Beziehungsgefüge, das sich auf der Pilgerschaft zu seinem eschatologischen Heil befindet, zu betrachten.297 Die dadurch gewonnene Dynamik der Kirche nimmt Ratzinger zwar auf, kann sie jedoch seinerseits schon in die Rede vom Leib Christi integrieren. Zum einen ist für ihn bereits die Differenzierung vom mystischen und wahren Leib, die er von Lubac übernimmt und die den LeibChristi-Gedanken an die Eucharistie bindet, eine Korrektur an den Verengungen in Mystici corporis.298 Zum anderen ist es der dynamische Charakter des Leibes Christi selbst, mit dessen Betonung der Leib-Christi-Begriff geweitet werden kann.299 Am Volk-Gottes-Gedanken kritisiert Ratzinger, dass er allein soziologisch interpretiert werden könne. Vor allem gepaart mit der Forderung nach einer Demokratisierung der Kirche weist er ihn zurück: Was den Begriff Volk Gottes angeht, so wird darauf verwiesen, daß im Konzil den Kapiteln über die Hierarchie und über die Laien ein Kapitel über das Volk Gottes vorangestellt worden ist, zu dem beide gleichermaßen gehören: Der Volk-GottesBegriff drücke so die fundamentale Gleichheit aller Getauften aus. Das ist richtig. Um so verfehlter ist es dann, wenn etwa vom Wahlrecht des „Gottesvolkes“ gesprochen wird; wenn man hört, die Rolle des „Volkes Gottes“ sei nicht nur passiv zu sehen oder wenn ein Verständnis des bischöflichen Amtes kritisiert wird, dessen Inhaber eine Absolutheit besitze, die nur am Papst, aber nicht am Volk Gottes ihre Grenze finde. In 297 Ratzinger selbst beschreibt die Präferenz des Konzils für den Volk-Gottes-Begriff folgendermaßen: „Wenn man also in Schlagworten zusammenfassen will, welches die herausragenden Elemente des Volk-Gottes-Begriffes sind, die dem Konzil wichtig waren, so könnte man sagen, hier werde der geschichtliche Charakter der Kirche deutlich, die Einheit der Gottesgeschichte mit den Menschen, die innere Einheit des Gottesvolkes über die Grenzen der sakramentalen Stände hinweg, die eschatologische Dynamik, die Vorläufigkeit und Gebrochenheit der immer erneuerungsbedürftigen Kirche und endlich auch die ökumenische Dimension, d. h. die verschiedenen Weisen, in denen Verbindung und Zuordnung zur Kirche auch über die Grenzen der katholischen Kirche hinaus möglich und wirklich sind.“ Ratzinger, Die Ekklesiologie, 24 f. 298 Vgl. Ratzinger, Die Ekklesiologie, 22. 299 So schreibt er, dass die Einheit, die der paulinische Leib-Christi-Begriff impliziere, „nicht eine solche der Identifizierung, sondern eine solche der dynamischen Vereinigung darstellt.“ Ratzinger, Das neue Volk Gottes, 239.

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Der kirchliche Wahrheitsanspruch bei Ratzinger

allen diesen Fällen besagt „Volk Gottes“ nicht mehr das Ganze der Kirche, das der Teilung in Amt und Laien vorausliegt, sondern ausschließlich die Laien, die nun als eine Gruppe in der Kirche mit diesem Titel belegt werden. Gegen dieses praktisch rein soziologische Verständnis des Volk-Gottes-Begriffs muß aber ganz entschieden Protest angemeldet werden.300

Diese Ablehnung einer auf demokratische Strukturen in der katholischen Kirche zielende Deutung des Volk-Gottes-Begriffs entstammt dem Jahr 1970 und damit aus den Jahren, in denen sich durch die nun beginnende verschiedenartige Rezeption des Konzils die Positionen stärker akzentuieren, so dass diejenigen Ratzinger-Interpreten, die von einem Wandel vom frühen zum späten Ratzinger ausgehen, in den Jahren 1968 – 1970 den Bruch markieren, der dann nicht zuletzt unter dem Eindruck der Studentenbewegung in Tübingen bedingt ist und sich auch an seinem Wechsel nach Regensburg abzeichnet.301 Bedeutsam an Ratzingers Option für eine christologische Deutung des Volk-Gottes-Begriffs und gegen jegliche soziologische Interpretation ist der Rekurs auf das Ganze. Damit verbunden ist nichts anderes als eine Betonung der Hierarchie der Ämter gegenüber einer Kirche der Laien. Was er wenige Jahre nach dem Konzil ganz unmissverständlich zum Ausdruck bringt, ist allerdings schon vor dem Konzil in seiner Ekklesiologie antizipiert. Denn vor allem die Eucharistie ist notwendig für sein Bild vom dynamischen Leib Christi. Wie durch die Taufe die Einzelnen in den Leib eingepfropft werden, so ist die Eucharistie der Vollzug des Kirche-Seins der Kirche als Leib Christi: „Die Kirche ist Leib Christi und wird es je neu von der Eucharistie her.“302 Dies setzt zugleich ein sakramental eingesetztes Amt mit einer Hierarchie voraus: So ist aber eine Kirche, die sich von der Eucharistie her als Leib Christi versteht, nicht nur eine Kirche der Liebenden, sondern ebenso notwendig eine Kirche heiliger Ordnung, eine hierarchisch gegliederte Kirche (Hierarchie = heilige Ordnung). Tatsächlich ist auch hier in der Eucharistiefeier, die als Einheitsband der Kirche verstanden wurde, der älteste Ansatzpunkt des Primatsdenkens zu suchen, der uns zugleich noch immer am besten den wahren Sinn des päpstlichen Primates und seinen rechten theologischen Ort aufzuschließen scheint.303

Zur Repräsentanz des Ganzen in der Kirche kann an dieser Stelle nur auf die bereits erörterte Funktion des Lehramtes verwiesen werden.304 Dadurch, dass durch die Sakramente und das Verständnis der Kirche als Sakrament, das gleichsam die sieben Sakramente umfasst, ohne ein eigenes achtes zu bilden, nach Ratzinger die cartesianische Differenz von Subjekt und 300 301 302 303 304

Ratzinger, Demokratisierung der Kirche?, 27 f. Vgl. Hring, Theologie und Ideologie, 22 – 30. Ratzinger, Das neue Volk Gottes, 82. Ratzinger, Das neue Volk Gottes, 87. Vgl. Kap. I.1.3.

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Die Wir-Struktur der Kirche

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Objekt aufgehoben ist305 und sich mit dieser Erkenntnis, die den schon erwähnten Texten aus der Mitte der 1970er Jahre entnommen werden kann, seine religionsphilosophische Grundfrage löst, bieten die ekklesiologischen Studien aus der Zeit danach eine neue Akzentuierung, in der die Selbstunterscheidung der Kirche als Leib Christi von Christus kaum noch durchgehalten werden kann. Die Interpretation der paulinischen Leib-Christi-Vorstellung wird dabei noch schärfer von einer soziologischen Interpretation abgegrenzt: Paulus sagt nämlich nicht: Wie es im Organismus viele zusammenwirkende Glieder gibt, so ist es auch in der Kirche. Das wäre ein rein soziologisches Kirchenmodell. In dem Augenblick, in dem er das antike Bild verläßt, verlegt er vielmehr den Gedanken auf eine ganz andere Ebene, indem er sagt: Wie es mit Leib und Gliedern ist, „so ist der Christus“ (1 Kor 12, 12). Das gegenübergestellte Subjekt ist nicht die Kirche, denn die ist nach Paulus überhaupt kein getrenntes und in sich selbst stehendes Subjekt. Das neue Subjekt ist vielmehr „der Christus“ selbst, und die Kirche ist nichts anderes als der Raum dieser neuen Subjekteinheit, die damit viel mehr ist als bloße soziale Interaktion.306

Durch die Sakramentalität der Kirche entstehe eine Subjekteinheit mit Christus, die letztlich in eine gott-menschliche Einheit führe. Dieses Motiv, durch das Gott und Kirche ineinander gefügt werden und an der Kirche gegenüber ihrem geschichtlichen Charakter stärker ihr metaphysischer Charakter betont wird, schlägt sich auch in seinem ekklesiologischen Entwurf von 1991 nieder. Hier wird Gal 3, 28 wieder herangezogen und noch verschärfter auf eine gott-menschliche Einheit bezogen: Durch die Taufe, so antwortet Paulus, sind wir in Christus eingefügt, in die Subjekteinheit mit ihm versetzt; nicht mehr viele nebeneinander, sondern „ein einziger in Christus Jesus“ (Gal 3, 16. 26 – 29). Nur die Selbstidentifizierung Christi mit uns, nur unser Eingeschmolzenwerden in ihn macht uns zu Trägern der Verheißung: Das äußerste Ziel der Sammlung geht auf völlige Einheit hinaus – auf das „Einer“ werden mit dem Sohn, das dann zugleich Hineintreten in die lebendige Einheit Gottes selbst bewirkt, damit Gott alles in allem sei (1 Kor 15, 28).307

Diese Rede von der Subjekteinheit mit Christus in den späten Arbeiten zur Ekklesiologie ist gepaart mit der Rede vom Subjektwechsel, der wiederum eine Interpretation einer Galaterstelle bildet. Neben Gal 3, 28 beschreibt er Gal 2, 20, „Ich lebe, doch nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir“, als eine von Paulus vollzogene Verbindung von persönlicher Erfahrung und objektiver

305 Vgl. Ratzinger, Theologische Prinzipienlehre, 29. 306 Ratzinger, Wesen und Auftrag der Theologie, 46. 307 Ratzinger, Zur Gemeinschaft gerufen, 30.

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Der kirchliche Wahrheitsanspruch bei Ratzinger

Realität.308 Der Subjektwechsel wird dann als pointiertes Verständnis von Bekehrung eingeführt: Bekehrung ist im paulinischen Sinn etwas sehr viel Radikaleres als etwa die Revision der Meinungen und Einstellungen. Sie ist ein Todesvorgang. Anders ausgedrückt: Sie ist ein Subjektwechsel. Das Ich hört auf, autonomes, in sich selbst stehendes Subjekt zu sein. Es wird sich selbst entrissen und in ein neues Subjekt eingefügt. Das Ich geht nicht einfach unter, aber es muß sich in der Tat einmal ganz fallen lassen, um sich dann in einem größeren Ich und zusammen mit diesem neu zu empfangen.309

Am Subjektwechsel vollzieht sich die fundamentaltheologische Bedeutung der Kirche: „Es geht um einen sakramentalen, d. h. um einen ekklesialen Vorgang. Das Passiv des Christwerdens verlangt das Aktiv der handelnden Kirche, in der sich die Subjekteinheit der Glaubenden leibhaft und geschichtlich darstellt.“310 Die zunehmende Identifikation der Kirche als irdisches Abbild der trinitarischen Gemeinschaft vollzieht sich hier nicht nur in der dynamischen Subjektverschmelzung mit Christus in seinen Leib, sondern bietet nun das schon zitierte Hineintreten in die Einheit Gottes. Dieses Geschehen wird auch pneumatologisch gewendet. Mit Bezug auf Johannes führt Ratzinger den Gedanken des rechten Verstehens der Wahrheit des Seins ein und damit des rechten Verstehens des christologischen Seins: Nur der Paraklet kann ihn bekanntmachen, der Geist, der der Geist des Vaters und des Sohnes selber ist. Man kann jemand nur durch sich selbst verstehen. Wenn man näher zuhört, sieht man bald, daß der Verweis auf die Pneumatologie Einweisung in die Ekklesiologie ist und daß es sich dabei um einen genau umschriebenen Verstehensvorgang handelt. Denn wie wirkt der Geist? Zunächst einmal dadurch, daß er Erinnern gibt, ein Erinnern, in dem sich das einzelne zusammenfügt zur Ganzheit, die dem vorher unverstandenen einzelnen seine rechte Bedeutung verleiht. […] Er wirkt einen Raum des Hörens und Erinnerns, ein „Wir“, das bei Johannes Kirche als Stätte der Erkenntnis umschreibt.311

Hiermit ist das theologische Verständnis der Kirche so weit zugespitzt, dass es kein Handeln Gottes außerhalb der Kirche gibt. Die Tatsache, dass die Kirche dabei immer eine aus soziologischer Perspektive zu betrachtende Institution bleibt, lässt sich in diesem Modell lediglich dadurch erklären, dass sich die göttliche Wahrheit im Sein der Kirche zwar objektiv, aber immer nur gebrochen abbildet.

308 309 310 311

Vgl. Ratzinger, Vom geistlichen Grund, 43. Ratzinger, Vom geistlichen Grund, 44. Ratzinger, Vom geistlichen Grund, 45. Ratzinger, Vom geistlichen Grund, 47.

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Fazit

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4. Fazit Die eschatologische Dimension der fundamentaltheologischen Konzeption Ratzingers zeigt sich in dessen ekklesiologischem Grundansatz, weil die Kirche als Antizipation des eschatologischen Reiches Gottes zu verstehen ist. Durch die gleichsam metaphysische Aufladung seines Kirchenverständnisses, die ihn grundlegend vom Ansatz Rahners unterscheidet, ist bei Ratzinger eine eschatologische Spannung von Offenbarung und Erfahrung gar nicht mehr denkbar. Denn im Rahmen seiner Fundamentaltheologie ist es ohnehin nur sinnvoll, Erfahrung als Erfahrung der Kirche zu thematisieren, weil die Kirche schließlich das Subjekt des Glaubens ist, in dem die Subjektivität der Individuen aufgehoben ist. Diese Erfahrung steht aber nicht in einer Spannung zum Begriff der Offenbarung, weil Gott sich den Menschen durch die Kirche offenbart und Ratzinger zum Wesen der Kirche daher eine grundsätzliche Unfehlbarkeit zählt. Die Konzentration auf die Kirche als ein sakramental vermitteltes ontologisches Abbild der göttlichen Gemeinschaft (trinitarische communio) hat eine andere Qualität als der Rekurs Guardinis auf die Vorrangstellung der Gemeinschaft der Kirche gegenüber dem Einzelnen, weil Guardini noch neben der Kirche als geformte Gemeinschaft das Ich als einen zweiten Pol, aus dem das religiöse Leben erwache, thematisiert.312

312 Vgl. Guardini, Vom Sinn der Kirche, 29.

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Teil 4: Offenbarung und Eschatologie – Auswertung 1. Die untersuchten fundamentaltheologischen Konzeptionen im Vergleich Im Folgenden werden die drei dargestellten fundamentaltheologischen Konzeptionen verglichen. Auch dies kann nur exemplarisch gelingen, und deshalb konzentrieren sich die Vergleiche, die jeweils zwischen zwei der drei untersuchten Ansätze vorgenommen werden, auf die Frage, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede sich bei der Vermittlung von Theologie und Philosophie, von Glaube und Kultur bzw. von Glaube und Vernunft zeigen. Mit Tillich lässt sich fragen, ob diese Vermittlungsversuche im Sinne der Methode der Korrelation geglückt sind, d. h. ob sie die aus einem Offenbarungsgeschehen sich ergebenden Glaubensinhalte in wechselseitiger Abhängigkeit mit der menschlichen Situation zu vermitteln vermögen.1

1.1 Guardini und Rahner Die Konzeptionen Guardinis und Rahners miteinander zu vergleichen ist insofern interessant, als die Personen Romano Guardini und Karl Rahner auf sehr unterschiedliche Weise ein sehr breites Spektrum angesprochen haben und jeder zu seiner Zeit den Katholizismus in Deutschland mitgeprägt hat. So hat Guardini eine Grundstimmung in der katholischen Jugendbewegung gestaltet und wichtige Impulse für die liturgische Bewegung gegeben. Insgesamt hat er dadurch das katholische Selbstbewusstsein gerade der Laien positiv beeinflusst. Dies hat auch Rahner getan. Allerdings unterscheidet sich in dieser Hinsicht nicht nur der Zeitraum des Wirkungsgrades beider. Während Guardini seit den 1920er Jahren prägend gewirkt hat und sein Einfluss auf die Laien durch seine akademische Tätigkeit an den Universitäten in Berlin und München, durch die er sich vor allem an Hörer aller Fakultäten und damit an ein breites Publikum interessierter Laien richtete, über seine Emeritierung 1962 bis zu seinem Tod 1968 anhielt, setzt die breite Wirkung Rahners auf den deutschsprachigen Katholizismus erst in diesen Jahren ein. Rahner ist durch seine Teilnahme am Zweiten Vatikanischen Konzil (1962 – 1965) auf einem Höhepunkt seines Wirkens, das bis weit über seinen Tod im Jahr 1984 hinaus prägend bleibt. Doch Rahner löst den gut 20 Jahre älteren Guardini in seinem 1 Vgl. Tillich, Systematische Theologie Bd. 1, 74 – 79.

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Offenbarung und Eschatologie – Auswertung

Wirkungsbereich nicht ab, obwohl er ihm auf dessen Münchner Professur in diesen Jahren (1964) nachfolgt. Guardini hat es vermocht, in der Professur ad personam für Religionsphilosophie und Christliche Weltanschauung ein großes Auditorium um sich zu versammeln. Rahner sagt man die Entvölkerung des Guardini-Hörsaals nach. Rahner hat diese Tendenz wahrgenommen und schrieb an seinen Schüler und Freund Herbert Vorgrimler : Meine Vorlesungen gelten als zu schwer. […] Letztlich ist mir die Klage eigentlich wurst. Denn wenn ein vernünftiges Buch da herauskommt, ist der Kirche mehr gedient, als wenn ich ein paar hundert dumme Leute wie Guardini erbaue.“2

Bei diesem Buch, das schließlich gut ein Jahrzehnt später erschienen ist, handelt es sich um den „Grundkurs des Glaubens“. Auch wenn Rahner diese Publikation nicht als die Summe seines theologischen Werkes ansehen möchte, ist es ihm gelungen, mit dem „Grundkurs“ eine „reife systematische Synthese“3 in Buchform vorzulegen. Auch Ratzinger hat trotz aller kritischen Einwände gegen Rahners späte Theologie den „Grundkurs“ als ein „großes Buch“ bezeichnet und entsprechend gewürdigt: Man muß dankbar sein, daß Rahner als Frucht seiner Bemühungen diese imponierende Synthese geschaffen hat, die eine Quelle der Inspiration bleiben wird, wenn einmal ein Großteil der heutigen theologischen Produktion vergessen ist.4

Guardini bleibt es verwehrt, eine große Synthese zu hinterlassen. Seine Versuche einer Synthese, die er in den Münchner Vorlesungen ausprobierte, sind fragmentarisch geblieben und auch erst postum veröffentlicht – „Die Existenz des Christen“ sehr bald nach seinem Tod, die „Ethik“ erst 1993. Der fragmentarische Charakter dieser postum veröffentlichten Vorlesungen deutet es an und anhand des nicht veröffentlichten zweiten Teils der Vorlesung „Religion und Offenbarung“ wird offensichtlich, dass er nicht mehr zu einer Synthese seines Werkes gelangt ist. Liegt in diesem unterschiedlichen Genre ihrer Werke eine Differenz, die auch damit zusammenhängt, dass Rahner die Nachfolge Guardinis an der Münchner Universität weder für sich selbst noch für Guardinis Hörer befriedigend ausfüllen konnte, so dass er schon 1967 von München nach Münster wechselte, um dort wieder an einer Theologischen Fakultät zu lehren, so darf dabei nicht die Gemeinsamkeit beider fundamentaltheologischer Konzeptionen übersehen werden. Sie besteht zunächst einmal darin, dass beide versuchen, ihr theologisches Denken auf die kulturellen oder philosophischen Fragen ihrer Zeit zu beziehen. Insofern sind beide Ansätze in ihrer Grundintention korrelativer Art. Guardini müht sich ja gerade um eine Synthese von Religion und Offenbarung, indem er beide wechselseitig aufeinan2 Brief vom 30. 05. 1964 an H. Vorgrimler, in: Vorgrimler, Karl Rahner verstehen, 218 f. 3 Lehmann, Einführung: Karl Rahner, 19*. 4 Ratzinger, Vom Verstehen des Glaubens, 186.

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der beziehen möchte. Und Rahner versucht stets, Anthropologie und Theologie in Beziehung zu setzen mit dem Ergebnis, dass beide schließlich nicht mehr zu unterscheiden sind. Auch wenn mit dem „Grundkurs“ eine beeindruckende Synthese seines Werkes vorliegt, bleibt festzuhalten, dass auch hier das Vermittlungsproblem von Anthropologie und Theologie bzw. von Philosophie und Theologie nicht gelöst wird. Die Tatsache, dass Rahner den „Grundkurs“ ausdrücklich nicht als Synthese oder Summe seines Werkes verstanden wissen möchte, mag ein Indiz dafür sein, dass er die Probleme, die bei der Frage der Vermittlung von Theologie und Philosophie innerhalb seines Ansatzes auftreten, schon selbst gesehen hat.5 Trotz des Unterschiedes zwischen Guardini und Rahner sind es bei beiden ähnliche Probleme, die jeweils den Versuch einer Synthese in eine Aporie führen. Klaus Müller sieht diese Aporie in der Identifizierung des Christlichen mit dem konstitutiv Menschlichen und belegt das anhand der Ethik-Vorlesung Guardinis,6 die er dann mit dem Zentralgedanken des „Grundkurses“ Rahners vergleicht. Dieser Zentralgedanke ist auch nach Auffassung von Müller das Theologumenon des übernatürlichen Existentials, das zur Folge hat, dass die Unterscheidbarkeit von Natur und Gnade – und damit auch von Philosophie und Theologie – aufgegeben wird.7 Es sind also zwei Gemeinsamkeiten hervorzuheben: Erstens das Ringen um einen korrelativen Grundansatz und zweitens die letztlich nichtgeglückte Synthese. Wie unterschiedlich sich diese Gemeinsamkeiten bei beiden Autoren darstellen, soll jetzt gegenübergestellt werden.

1.1.1 Die unterschiedlichen Vermittlungsversuche Die erste Gemeinsamkeit der fundamentaltheologischen Ansätze von Guardini und Rahner besteht darin, dass sie beide um eine wechselseitige Vermittlung bemüht sind. Es handelt sich also bei beiden um einen korrelativen Grundansatz. Doch die Unterschiede treten auf, wenn man fragt, was sie eigentlich miteinander vermitteln. Geht es bei Rahner eher um die Vermittlung von Anthropologie und Theologie, von Heilsgeschichte und Weltgeschichte 5 Rahner hat sich im Vorwort des „Grundkurses“ zum Charakter des Buches selbst geäußert: „Wenn hier eine Einführung geboten wird, dann darf der Leser auch nicht erwarten, daß dieses Buch eine abschließende Zusammenfassung der bisherigen theologischen Arbeit des Verfassers sei. Das ist es nicht, und das will es nicht sein, wenngleich dieser Grundkurs von seinem Thema her einen etwas umfassenderen und systematischeren Charakter hat, als man es bei den sonstigen theologischen Veröffentlichungen des Autors gewohnt sein mag.“ Rahner, Grundkurs, 9. 6 „Unterm Strich jedenfalls muss man sagen: Die vollständige Ausarbeitung der ,Ethik‘ dürfte daran gescheitert sein, dass Guardini letztendlich nicht mehr sah, wie er eine Offenbarungsethik hätte konzipieren sollen, die mehr gewesen wäre als eine christlich getönte Wiederholung seiner bereits zu Papier gebrachten ,natürlichen Ethik‘. Er hatte dafür einfach das Christliche weitgehend mit dem konstitutiv Menschlichen identifiziert. Das macht die Aporie der Guardinischen ,Ethik‘ aus.“ Mller, Vernunft und Glaube, 149. 7 Vgl. Mller, Vernunft und Glaube, 150 f.

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Offenbarung und Eschatologie – Auswertung

und letztlich stets um die Vermittlung von Natur und Gnade, so ist die letztere Vermittlung zwar auch bei Guardini eine zentrale Frage, doch er erörtert sie als Vermittlung von Glaube und Kultur, von allgemeiner Religion und ausdrücklicher Offenbarung oder von allgemeiner Ethik und christlicher Ethik. Diese Unterschiede lassen sich werkbiographisch nachvollziehen. Rahner setzt in der Auseinandersetzung mit der Transzendentalphilosophie bei der Verhältnisbestimmung von Philosophie und Theologie an. Bei Guardini ist der Gedanke der Vermittlung nicht so sehr auf die Frage nach dem Verhältnis von Philosophie und Theologie bezogen, sondern die Vermittlung wird von Guardini als ein philosophischer Gedanke in seiner Philosophie des Gegensatzes entfaltet. Das führt dazu, dass er auch seine Theologie, die von der ausdrücklichen Offenbarung ausgeht, stets in eine Beziehung zu seinem Weltverständnis stellen muss. Bei einem Vergleich von Rahner und Guardini fällt auf, dass die Entwicklung des Vermittlungsgedankens in sehr unterschiedlichen Formen geschieht. Bei der Interpretation von Rahners fundamentaltheologischem Grundansatz ist vor allem die Zäsur hervorzuheben, die mit der Einführung des Theologumenons des übernatürlichen Existentials verbunden ist. Die Interpretation von Guardinis Ansatz steht vor dem Problem, dass er oszillierend die Schwerpunkte verlagert. Das Grundproblem ist dabei, wie er den christlichen Glauben, den er im Rahmen seiner katholischen Weltanschauung als außerweltlichen Standpunkt betrachtet, auf seine Philosophie des Gegensatzes bezieht. Die Rede vom außerweltlichen Standpunkt steht in engem Zusammenhang mit dem Bild des Querstehens von Religion und Offenbarung. Doch Guardini modifiziert dieses Bild; und der Lösungsweg, auf dem er die Offenbarung mit der Religion als allgemein menschliches Phänomen in Beziehung setzen möchte, besteht darin, dass die Rede vom außerweltlichen Standpunkt durch die Rede von der Nichtnotwendigkeit des Daseins abgelöst wird. Betrachtet man die Rede von der Nichtnotwendigkeit des Daseins werkgeschichtlich als Möglichkeit, die Frage nach der Inkommensurabilität von Gott und Welt zu umgehen, dann ist mit diesem Gedanken bei Guardini ein wichtiger Punkt erreicht, um unabhängig von der Inkommensurabilitätsfrage, an der sich vor allem der oszillierende Charakter seiner Überlegungen zeigt, wechselseitig Religion und Offenbarung zu vermitteln. Allerdings ist das Problem der Inkommensurabilität dadurch noch nicht gelöst, so dass die Vermittlung von Religion und Offenbarung schließlich wieder vor ähnlichen Problemen steht. Dies liegt daran, dass die Rede von der Nichtnotwendigkeit des Daseins das Problem der Inkommensurabilität von Gott und Welt nicht zu lösen vermag und deshalb auch nicht als Vermittlungsmodell von Gott und Welt in Betracht zu ziehen ist. Die Rede von der Nichtnotwendigkeit des Daseins ist bei Guardini vor dem Hintergrund zu verstehen, dass das Dasein deshalb nicht notwendig ist, weil es von Gott, einer Person, die zugleich das absolute Sein ist, geschaffen wurde. Von daher ist die Tatsache der Offenba-

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rung, die den außerweltlichen Standpunkt setzt, bei der Idee der Nichtnotwendigkeit des Daseins stets mitzudenken. Der Unterschied zur bloßen Rede vom außerweltlichen Standpunkt besteht darin, dass nun versucht wird, diesen Standpunkt als ein Phänomen am unmittelbaren Dasein aufzuzeigen. Auch wenn der Gedankengang bei Rahner ganz anders verläuft, ist doch die Problemlage sehr ähnlich. Unter der Voraussetzung, dass die Etablierung der Transzendentaltheologie Rahners als Aufhebung seines transzendentalphilosophischen Grundansatzes zu interpretieren ist, ist auch der Vermittlungsansatz von Theologie und Philosophie in diese Entwicklung einzuzeichnen. Rahner hat dabei zwar zu keinem Zeitpunkt ein Querstehen von Theologie und Philosophie vertreten, und doch vermag er es letztlich nicht, beides miteinander zu vermitteln. Vor allem dadurch, dass Rahner mit der Einführung der Theorie vom übernatürlichen Existential einen anderen Weg einschlägt, auf dem er das Vermittlungsproblem zu umgehen meint, birgt sein Lösungsansatz – ähnlich wie der Guardinis – das Problem in sich, dass die ungelösten Fragestellungen an anderer Stelle wieder hervortreten. Es müssen also die unterschiedlichen Probleme einander gegenübergestellt werden, die die Lösungsansätze für das Vermittlungsproblem ergeben. Die Theorie des übernatürlichen Existentials ist mit der These von der Nichtnotwendigkeit des Daseins zu vergleichen.

1.1.2 Die unterschiedlichen Probleme der Vermittlungsversuche Die zweite Gemeinsamkeit der fundamentaltheologischen Ansätze Guardinis und Rahners besteht darin, dass beiden die Vermittlungsversuche nicht geglückt sind. Bei Guardini ist das aufgrund der Quellenlage schon daran zu sehen, dass er seinen Vermittlungsversuch nicht vollenden konnte. Rahner hingegen hat nicht zuletzt mit dem „Grundkurs“ einen durchdachten Versuch einer Synthese vorlegen können. Doch diese Synthese des späten Rahner bleibt unter der Voraussetzung, dass das übernatürliche Existential die Mitte des im „Grundkurs“ entfalteten theologischen Programms bildet, mit den Problemen behaftet, die das Theologumenon des übernatürlichen Existentials aufwirft, so dass letztendlich auch bei Rahner nicht von einer geglückten Synthese gesprochen werden kann. Das Ausbleiben eines solchen Versuchs der Synthese in publizierter Form bei Guardini ist aber nicht der einzige Unterschied zu Rahners Ansatz. Wenn die Theorie des übernatürlichen Existentials mit der These von der Nichtnotwendigkeit des Daseins verglichen wird, ist von vornherein die unterschiedliche Ausgangslage dieser beiden Ansätze zu berücksichtigen. Durch den Gedanken der Nichtnotwendigkeit des Daseins wird bei Guardini überhaupt erst die Wechselseitigkeit der Phänomene von Religion und Offenbarung ermöglicht. Bei Rahner verhält es sich genau umgekehrt. Denn durch die Einführung des Theologumenons des übernatürlichen Existentials wird ge-

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Offenbarung und Eschatologie – Auswertung

rade die Wechselseitigkeit von Theologie und Philosophie zurückgedrängt. Bei dieser Entwicklung verabschiedet sich Rahner allmählich von einer transzendentalphilosophisch ausgerichteten Erstphilosophie und nimmt stärker die zunehmende Pluralisierung der Philosophie wahr. Im Unterschied zu Guardini geht Rahner auch wesentlich unbefangener mit der Situation des Pluralismus in Theologie und Philosophie um,8 wobei wohl nicht nur der chronologische Abstand beider ausschlaggebend ist. Doch auch wenn die Einführung des übernatürlichen Existentials und die damit einhergehende Abkehr von einer Erstphilosophie von Verweyen als „theologischer Verstärker für ein allgemein pluralistisches und relativistisches Bewußtsein in der zeitgenössischen Philosophie“9 interpretiert wird, ist der fundamentaltheologische Ansatz des späten Rahner selbst gerade nicht pluralistisch, will er doch auf einer ersten Reflexionsstufe letztlich die reductio in unum mysterium erreichen. Auf diesem inklusivistischen Weg wird nicht der Pluralismus gestärkt, sondern die ganze den Pluralismus auszeichnende Vielfalt wird zu einer ununterscheidbaren Einheit gebracht. Deshalb hat Rahner stets das Problem, das Geschichtliche des Christentums zu betonen. Die geschichtliche Dimension möchte er mit dem Universalitätsanspruch des Christentums vermitteln10 und deshalb muss er Transzendentalität und Geschichtlichkeit miteinander vermitteln, weil er durch den (problematischen) transzendentalen Aspekt der Offenbarung den universalen Charakter sichert. Ganz anders als bei Rahner, aber mit dem gleichen Ergebnis, zeigt sich bei Guardini die Sicherung der Universalität. Guardini beginnt im Unterschied zu Rahner nicht transzendentalphilosophisch. Von daher hat er auch nicht das Problem, wie er einen transzendentalen Aspekt der Offenbarung mit einem geschichtlichen bzw. kategorialen Aspekt der Offenbarung in Beziehung setzen muss, sondern er setzt gerade beim geschichtlichen Aspekt an. Die Offenbarung ist geschichtlich und konkret in der katholischen Weltanschauung. Aber auch Guardini möchte an einem Universalismus festhalten. Auch er macht das Ganze des Christentums zum Thema. Und beide halten in gewisser Weise an einem metaphysischen Gedankengebäude fest. Doch während Rahner immer bemüht ist, jenes Gedankengebäude mit dem Denken seiner Zeit in der Weise zu vermitteln, so dass beides ineinander gedacht wird, hat Guardini kein Problem damit, unmittelbar das Ganze des Christentums am Einheitsdenken mittelalterlicher Metaphysik festzumachen. An dieser Stelle ergeben sich dann die Berührungspunkte zwischen den Konzeptionen von Guardini und Ratzinger.

8 Vgl. Rahner, Grundkurs, 18 – 20. 9 Verweyen, Wie wird ein Existential übernatürlich?, 130. 10 Vgl. Rahner, Grundkurs, 143 f.

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Die untersuchten Konzeptionen im Vergleich

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1.2 Guardini und Ratzinger Zwischen Guardini und Ratzinger gibt es noch weniger biographische Berührungspunkte als zwischen Rahner und Guardini. Ratzinger hat zwar in München studiert, als Guardini von Tübingen auf seine letzte Professur dorthin wechselte, aber er scheint sich mehr auf den zügigen Abschluss des Theologiestudiums konzentriert zu haben, so dass er in der unübersichtlichen Situation der unmittelbaren Nachkriegszeit den an der Philosophischen Fakultät lehrenden Guardini nicht mehr selbst gehört haben wird.11 Auch während seiner Arbeit an der Habilitation über Bonaventura scheint er keinen Kontakt zu Guardini, der seine beiden Qualifikationsarbeiten über Bonaventura erstellt hat, gehabt zu haben. Womöglich liegt darin der Grund dafür, dass Ratzinger es versteht, Guardini aus einer ganz bestimmten Perspektive wahrzunehmen. Guardini scheint für Ratzinger immer dann von Interesse zu sein, wenn es um die Kritik an der Neuzeit geht, wenn es um den Gehorsam gegenüber der Kirche geht und wenn es in beidem um Wahrheit geht.12 Diese Themenfelder bilden unbestreitbar eine Gemeinsamkeit von Guardini und Ratzinger und dennoch wird Guardini durch diese einseitige Rezeption gerade der spannenden Aspekte seines Denkens beraubt. Das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft in Bezug auf die Kirche ist zwar letztlich bei beiden so zu bestimmen, dass die Gemeinschaft eindeutig den Vorrang vor dem Individuum hat. Doch während Guardini zumindest um die Frage ringt, ob nicht beides gleichursprünglich in einer Spannungseinheit konstitutiv für die Kirche ist, wird bei Ratzinger das Individuum als Subjekt aufgehoben. In dieser Weise übersteigt die Subjektivismuskritik Ratzingers sogar bei weitem die Neuzeitkritik Guardinis, die sich nicht zuletzt an der Kritik der Autonomie des Subjekts entzündet. Das Individuum wird allenfalls im Rahmen eines Personalismus gewürdigt. Hier besteht die verbindende Gemeinsamkeit von Guardini und Ratzinger. Beide entfalten ein Verständnis von Person, das sich durch die Hinordnung auf den personalen Gott auszeichnet. Beiden ist ferner gemeinsam, dass Gott in seiner Personalität zugleich das absolute Sein darstellt. Dieser Gedanke ist dann vor allem für die Verhältnisbestimmung von Glaube und Vernunft bei Ratzinger grundlegend. Denn bei diesem Gottesverständnis handelt es sich um die Bestimmung der Synthese von Glaube und Vernunft im Christentum, die in seiner Konzeption der Ausgangspunkt für eine Vermittlung des Glaubens in neuzeitlichen Kontexten bleibt. Dies tritt in der Spannung zu Rahners Ansatz prägnant hervor. 11 Es deutet in Ratzingers autobiographischen Aufzeichnungen aus der Zeit jedenfalls nichts auf einen biographischen Bezug zu Guardini hin, während die erste Begegnung mit Karl Rahner sorgfältig notiert wird. Ratzinger, Aus meinem Leben, 82. 12 Vgl. Ratzinger, Von der Liturgie zur Christologie, 141.

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Offenbarung und Eschatologie – Auswertung

1.3 Ratzinger und Rahner In den Ansätzen von Ratzinger und Rahner treffen gewissermaßen zwei Gegenentwürfe aufeinander. Die Kritik Ratzingers an Rahner macht dies offensichtlich. Ist der Gegensatz beider Ansätze vor allem in dem Jahrzehnt nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil den unterschiedlichen pragmatischen Kontexten beider Theologen geschuldet, die sich durch Kirchenkritik und Reformkritik voneinander abgrenzen?13 Und sind hinter diesen kontextuellen Unterschieden doch starke Gemeinsamkeiten verborgen, dass von einer notwendigen Komplementarität beider Theologien gesprochen werden kann?14 Sicherlich ist anzumerken, dass Wiedenhofer, der die pragmatischen Kontexte hervorhebt, darüber hinaus als wichtiges Unterscheidungsmerkmal beider Theologien die Spiritualität nennt – „eine ausgeprägte mystische Spiritualität bei Rahner“ wird „einer ausgeprägten sakramental-kirchlichen Spiritualität bei Ratzinger“15 gegenübergestellt. Doch diese unterschiedlich ausgeprägte Spiritualität und ihr Einfluss auf die jeweiligen Theologien sind auch für Wiedenhofer insofern komplementär, als er die Theologien insgesamt als „starken Akzentunterschied, der im Sinne einer wechselseitigen Auslegung und Korrektur fruchtbar gemacht werden kann“16, betrachtet. Es ist also noch einmal der Kritik Ratzingers an Rahner nachzugehen. Der schärfste Vorwurf scheint mir darin zu bestehen, dass Ratzinger bei Rahner die Daseinsformel (Wer sein Dasein annimmt, der sagt zu Christus ja.)17 so zugespitzt herausstellt, dass er darin „die Auflösung des Besonderen ins Allgemeine“18 befürchtet. Es handelt sich bei diesem Vorwurf nicht nur um eine Auseinandersetzung über die richtige Verhältnisbestimmung von Allgemeinem und Besonderem, von Universalität und Partikularität, sondern hier schwingt immer der Verdacht mit, dass es sich um die Auflösung des Christlichen überhaupt handelt. Denn für Ratzinger ist die Partikularität für das Christentum durchaus konstitutiv. Vor diesem Hintergrund ist der Vorwurf, dass Rahner dem Zwang des Universalitätsgedankens unterliegt, als ein Aufeinanderprallen von Gegensätzen zu verstehen. Dieser Vorwurf scheint mir der zentrale Kritikpunkt Ratzingers in seiner Rezension zum „Grundkurs des Glaubens“ zu sein, und doch weist Ratzinger in der Rezension von 1978 noch auf die innere Spannung in der Theologie Rahners hin, wenn er schreibt:

13 14 15 16 17

Vgl. Wiedenhofer, Bemerkungen, 324 – 326. Vgl. Miggelbrink, Plädoyer, 327 – 329. Wiedenhofer, Bemerkungen, 326. Wiedenhofer, Bemerkungen, 326. Vgl. Ratzinger, Vom Verstehen des Glaubens, 183; vgl. Ratzinger, Heil und Geschichte, 174; Ratzinger bezieht sich jeweils auf Rahner, Grundkurs, 225 f. 18 Ratzinger, Heil und Geschichte, 174.

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Ist das Verhältnis des allgemein-Menschlichen und des Christlichen richtig bestimmt oder ist Christentum nicht doch etwas ganz anderes als die Annahme, sozusagen die Reduplikation des Daseins und seine Reflexion? […] Ein Ansatz in dieser Richtung ist gegeben, wo R[ahner] Schöpfung und Gnade unterscheidet, die Selbstmitteilung als die in der Transzendentalität an sich nicht mitgegebene Antwort beschreibt. Aber schließlich wird unter Zwang des Universalitätsgedankens doch auch diese Antwort zu dem unabweisbar immer Gegebenen erklärt und so ins Dasein als solches schon eingebaut, so daß Daseinsannahme je auch schon Annahme dieser Antwort ist.19

Hier ist die Problematik der Rede von der transzendentalen Offenbarung als übernatürlichem Existential angesprochen, wobei Ratzinger der Konzeption Rahners noch zugesteht, dass die Ebenen von natürlicher und übernatürlicher Offenbarung prinzipiell unterschieden würden.20 Dieser Rekurs auf das übernatürliche Existential bleibt in der etwas späteren Kritik im Aufsatz „Heil und Geschichte“ in der Fassung von 1982, in der erst von der Auflösung des Besonderen die Rede ist, aus.21 Der Gegensatz beider Theologien erscheint dadurch sehr viel schroffer, weil die inhaltliche Auseinandersetzung über die unterschiedlichen Ansätze der Vermittlung von Allgemeinem und Besonderem bzw. von Universalität und Partikularität nicht mehr geführt wird. Denn um so eine Vermittlung geht es auch Ratzinger. Legt er den Akzent auch stärker als Rahner auf die Dimension des Geschichtlichen, so dass tatsächlich nicht von einem Zwang des Universalitätsgedankens gesprochen werden kann, so zeigt seine Theologie doch auch einen Zug zur Universalität. In beiden Theologien wird die zunehmende Pluralisierung der Gesellschaft und des wissenschaftlichen Diskurses gesehen. Beide Konzeptionen sind jede auf ihre Weise auch als eine Reaktion auf den Kontext der Pluralisierung zu werten. Bei Rahner zeigt sich diese Reaktion darin, dass er die Universalität seiner Theologie fortschreitend unabhängiger von der Philosophie entwickelt. Im Unterschied dazu ist Ratzingers Reaktion auf die Pluralisierung gerade dadurch gekennzeichnet, dass er die Kirche als Sozialgestalt des christlichen Glaubens als eine partikulare und zunehmend kleiner werdende historische Größe betrachtet.22 Am stärksten ist Ratzingers Ausgangspunkt bei der Partikularität m. E. in einem späten Text greifbar. In dem von der breiten Öffentlichkeit vielbeachteten Gespräch zwischen Jürgen Habermas und ihm im Januar 2004 spricht er von einer „faktischen Nichtuniversalität“23 des christlichen Glaubens und der säkularen Rationalität. Er spricht außerdem von „Pathologien in der Religion“ und von „Pathologien der Vernunft“24 und 19 20 21 22

Ratzinger, Vom Verstehen des Glaubens, 183 f. Vgl. Ratzinger, Vom Verstehen des Glaubens, 180. Vgl. dazu auch Verweyen, Joseph Ratzinger, 104 f. Dies ist schon sehr früh im Werk Ratzingers zu erkennen. So z. B. an der Rede von den neuen Heiden: Vgl. Ratzinger, Das neue Volk Gottes, 325 – 338. 23 Ratzinger, Was die Welt zusammenhält, 54. 24 Ratzinger, Was die Welt zusammenhält, 56.

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davon, dass sich diese Pathologien von „einer notwendigen Korrelationalität von Vernunft und Glaube, Vernunft und Religion“25 beheben ließen. Ferner entsteht der Eindruck, dass Ratzinger der faktischen Nichtuniversalität eine Kontextualität der Vernunft zur Seite stellt: Tatsache ist jedenfalls, dass unsere säkulare Rationalität, so sehr sie unserer westlich geformten Vernunft einleuchtet, nicht jeder Ratio einsichtig ist, dass sie als Rationalität, in ihrem Versuch, sich evident zu machen, auf Grenzen stößt. Ihre Evidenz ist faktisch an bestimmte kulturelle Kontexte gebunden, und sie muss anerkennen, dass sie als solche nicht in der ganzen Menschheit nachvollziehbar und daher in ihr auch nicht im Ganzen operativ sein kann.26

Doch alle diese Beobachtungen scheinen der Freundlichkeit gegenüber Habermas in dieser Begegnung geschuldet zu sein, genauso wie das Ausbleiben der Rede von der Synthese von Glaube und Vernunft. Diese Synthese setzt für Ratzinger in der frühchristlichen Begegnung von biblischem Glauben und griechischem Fragen ein27 und ist für ihn die wahre Aufklärung. Diese Grundthese Ratzingers ist auch im Gespräch mit Habermas virulent. Denn bei der Nichtuniversalität handelt es sich lediglich um eine faktische Nichtuniversalität, die die Folge von Brüchen für das europäische Bewusstsein zu Beginn der Neuzeit ist. Zum einen nennt Ratzinger die Entdeckung Amerikas und die dadurch folgende Begegnung mit Völkern, mit denen es keine Rechtsgemeinschaft gibt; zum anderen ist es die Spaltung der Christenheit in gegenüberstehende Glaubensgemeinschaften.28 Und die Kontextualität der Vernunft bezieht sich auf die säkulare Rationalität und ist von daher keineswegs prinzipiell zu verstehen. Selbst die eingeforderte notwendige Korrelationalität von Glaube und Vernunft ist noch einmal genauer zu betrachten. Die säkulare Rationalität wird hier nicht als korrigierendes Gegenüber der Religion angesprochen, um zur Heilung der Pathologien in der Religion zu dienen, sondern „das göttliche Licht der Vernunft“ ist „sozusagen als ein Kontrollorgan anzusehen, von dem her sich Religion immer wieder neu reinigen und ordnen lassen muss“.29 Der faktischen Nichtuniversalität der Kultur des christlichen Glaubens steht die wahre Vernunft, die mit dem Glauben im Christentum eine Synthese bildet, gegenüber und insofern zielt Ratzingers Theologie auf eine Universalität, weil er für sich die Wahrheit in Anspruch nimmt. Die universale Dimension der Theologie Ratzingers ist jedenfalls nicht zu unterschätzen, wie auch schon die Analyse seiner Verhältnisbestimmung von Geschichte und Metaphysik erhellt hat. So ist auch trotz des Auseinandertretens der Theologien von Ratzinger und Rahner die Komplementarität 25 26 27 28 29

Ratzinger, Was die Welt zusammenhält, 57. Ratzinger, Was die Welt zusammenhält, 55. Vgl. Ratzinger, Glaube, Vernunft und Universität, 18 – 22. Vgl. Ratzinger, Was die Welt zusammenhält, 49 f. Ratzinger, Was die Welt zusammenhält, 56.

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beider Ansätze erkennbar. Gleichwohl scheinen sich beide Ansätze durch einen wechselseitigen Bezug nicht einfach harmonisieren zu lassen, sondern ihre Komplementarität ist eher als Problemanzeige zu verstehen. Das Problem liegt allerdings in dem beiden Theologien gemeinsamen Anspruch, eine Synthese von Glaube und Vernunft bzw. von Theologie und Philosophie erreichen zu wollen. Die Gemeinsamkeit beider Theologien liegt darin, dass sie gleichsam unter der Voraussetzung einer gelungenen Synthese operieren, während der Unterschied beider Theologien darin zu bestehen scheint, dass sie jeweils von der anderen Seite her die Vermittlung angehen. Wiederum gemeinsam ist beiden Theologien, dass die jeweils andere Seite, die mit dem Ausgangspunkt vermittelt werden soll, immer schon für den Ausgangspunkt konstitutive Funktion hat. Bei Rahner wird dies deutlich bei der Entwicklung seiner Transzendentaltheologie. Hier wäre die universale Dimension der Ausgangspunkt, indem Rahner vom Allgemein-Menschlichen her nach der Offenbarung fragt, durch die sich Gott als Gnade den Menschen selbst mitteilt. Die Vermittlung zum Glauben, der auf den Empfang der göttlichen Selbstmitteilung in der Gnade zurückgeht, versucht er über die Konzeption des übernatürlichen Existentials zu erreichen. Doch dadurch wird der gnadentheologische Ansatz selbst dem allgemein-menschlichen Ausgangspunkt vorangestellt, so dass der Vermittlungsversuch eher zu einer Ununterscheidbarkeit als zu einer Vermittlung führt. Ratzinger hingegen versucht die Synthese von Glaube und Vernunft vom Glauben her zu erreichen. Hier wäre die partikulare Dimension der Ausgangspunkt, indem von der im Glauben der Kirche empfangenen Wahrheit her nach Kriterien für einen Vernunftbegriff gefragt wird. Der Vernunftbegriff Ratzingers ist selbst schon Ausdruck des Glaubens. Denn die Vernunft, von der er spricht, deren Radius sich wieder weiten müsse,30 ist eben gerade das göttliche Licht der Vernunft. Die Vernunft bildet in der Konzeption Ratzingers eine Synthese mit dem Glauben, weil Gott selbst, auf den sich der Glaube bezieht, der Gott ist, „der sich als Logos gezeigt und als Logos liebend für uns gehandelt hat“31. Die Synthese von Glaube und Vernunft, die Ratzinger zu entfalten versucht, verdichtet sich in seinem Gottesverständnis, das sich als Synthese von Vernunft / Logos und Liebe auszeichnet. Dieses Ineinander von Logos und Liebe schlägt sich auch in seiner ersten päpstlichen Enzyklika „Deus caritas est“ nieder : Das philosophisch und religionsgeschichtlich Bemerkenswerte an [der] Sicht der Bibel besteht darin, dass wir einerseits sozusagen ein streng metaphysisches Gottesbild vor uns haben: Gott ist der Urquell allen Seins überhaupt; aber dieser

30 Vgl. Ratzinger, Glaube zwischen Vernunft und Gefühl, 128. 31 Ratzinger, Glaube, Vernunft und Universität, 22.

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schöpferische Ursprung aller Dinge – der Logos, die Urvernunft – ist zugleich ein Liebender mit der ganze Leidenschaft wirklicher Liebe.32

Damit wird bei Ratzinger zwar deutlich, was er unter dem von ihm geforderten weiten Begriff der Vernunft versteht,33 aber nicht, wie er sich die Ausweitung des Vernunftbegriffs im neuzeitlichen Kontext vorstellt, und d. h. wie er die für ihn wichtige Synthese des Christentums von Glaube und Vernunft in einen neuzeitlichen Kontext übersetzen möchte, wie er die Universalität des göttlichen Lichts der Vernunft in den pluralen Kontexten verortet.34 So stellt sich die Frage, welche Vernunft – die des göttlichen Lichts, des liebenden Logos oder die Vernunft der säkularen Rationalität – in die notwendige Korrelation zum Glauben treten soll. So lange diese Frage nicht geklärt ist – und sie kann so lange nicht zu einer Klärung kommen, so lange die säkulare Vernunft lediglich als Verfallsprodukt, das durch die Enthellenisierung in die Welt trat, gewertet wird – lässt sich auch nicht von einer gelungenen Synthese von Glaube und Vernunft im neuzeitlichen Kontext sprechen.35

2. Die eschatologische Dimension der Ansätze im Vergleich Auf jeweils unterschiedliche Weise hat sich in der Untersuchung der fundamentaltheologischen Konzeptionen von Guardini, Rahner und Ratzinger gezeigt, dass ihre Versuche der Vermittlung von christlichem Glauben und gegenwärtiger Situation des Menschen, seines Denkens und seiner Kultur in eine Synthese münden sollen, wobei die gegenwärtige Situation des Menschen in den drei fundamentaltheologischen Konzeptionen unterschiedlich gedeutet wird. Rahner nimmt die existentielle Dimension des Menschen auf und wählt 32 Benedikt XVI., Enzyklika Deus Caritas est, 10. 33 Kurt Flasch hat in seiner Reaktion auf die Regensburger Rede, in der er die historische Fragwürdigkeit von Ratzingers dort entfalteter Kritik an der Enthellenisierung entlarvt, selbst das angezweifelt: „Der Papst will das Christentum als Erbe der antiken Vernunft. Dafür fordert er einen ,weiten‘ Begriff von ,Vernunft‘, ohne zu sagen, was das ist, außer dass die Vernunft mit dem Glauben harmoniert.“ Flasch, Von Kirchenvätern und anderen Fundamentalisten, 44. 34 Ausgerechnet Walter Kasper erklärt dies zum Ziel, wobei er die Rede des Papstes gegen die Kritik von protestantischer Seite verteidigt. Vgl. Kasper, Glaube und Vernunft, 81 f. 35 Gegen Kurt Hübner, der in der Theologie Ratzingers einen erweiterten Vernunftbegriff erkennt, der sowohl den Vernunftbegriff der Aufklärung als auch den der Offenbarung umfasse: „Die bisher diskutierten Theologen [darunter auch Rahner] untersuchten zwar die Bedeutung des aufgeklärten, wissenschaftlichen Vernunftbegriffs und der mit ihm verbundenen Ontologie für die Theologie, aber indem sie beides gleichsam naiv voraussetzten, wurden sie ihnen, wenn man von Guardinis mehr dichterischer Vision absieht, nicht selbst zum Gegenstand der Kritik. Indem nun Joseph Ratzinger, nunmehr Papst Benedikt XVI., eben dies tut, stößt er zu einem erweiterten Begriff der Vernunft vor, der denjenigen der Aufklärung wie denjenigen der Offenbarung ebenso in ihren Unterscheidungen wie in ihrem Zusammenhang umfaßt. Der Weg der Theologie in die Moderne kam damit ebenso zu einem Abschluß wie zu einem Neuanfang.“ Hbner, Irrwege und Wege der Theologie, 256.

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Die eschatologische Dimension im Vergleich

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sie zum Ausgangspunkt, den er dann harmonisierend mit dem christlichen Glauben vermittelt, weil die Gnade Gottes als Grund des Glaubens das Wesen des Menschen bewusst oder unbewusst immer schon bestimme. Bei Guardini erkennt man durchgehend das Bemühen, den Glauben in seiner Wechselseitigkeit mit der existentiellen Dimension des Menschen zu bestimmen. Diese Wechselseitigkeit als Blickrichtung auf das Leben hat er zu Beginn seines theologischen und religionsphilosophischen Schaffens in seiner Lehre vom Gegensatz entwickelt und angewendet, indem er den christlichen Glauben in seinen kulturellen Ausdrucksformen gedeutet hat. Doch diesem Bemühen steht zugleich die Betonung der Heiligkeit Gottes als des ganz Anderen entgegen. So stehe der Gegensatzlehre als Beschreibung des Blicks auf das Konkrete von vornherein der weltanschauende Blick gegenüber, der sich vom Blick auf das Konkrete durch einen eigentümlichen Abstand, einen außerweltlichen Standpunkt unterscheide. Wie diese beiden Perspektiven miteinander zu vermitteln sind, ist m. E. zu Guardinis nicht abgeschlossenem Lebensthema geworden. Doch eine Folge seiner Denkbewegungen ist die Ablehnung einer von ihm beobachteten verbreiteten Deutungsperspektive, was sich in der Kritik der Autonomie des neuzeitlichen Subjekts im Rahmen seiner Neuzeitkritik „Das Ende der Neuzeit“ in besonderer Schärfe zeigt. Diese Diagnose der geistesgeschichtlichen Situation ist wiederum der Ausgangspunkt für Ratzinger. Bei ihm ist allerdings infolgedessen das Bemühen, den christlichen Glauben mit der existentiellen Situation des Menschen wechselseitig zu vermitteln, darauf gerichtet, dass die in der lebendigen Tradition der Kirche bewahrte und im Sakrament gefeierte Synthese von Glaube und Vernunft auch die Vernunft des Menschen in seiner existentiellen Situation weitet, so dass die säkulare Rationalität wieder über sich hinausweisen möge, indem sie von woanders her empfängt. Die eschatologische Dimension in diesen sich unterschiedlich entwickelnden Theologien steht in einem engen Zusammenhang mit dem Vermittlungsansatz, der jeweils versucht wird. Doch da es bei allen drei Ansätzen auf einen Versuch der Synthese von christlichem Glauben und Vernunft hinausläuft und insofern alle drei fundamentaltheologischen Ansätze eine Universalisierungstendenz aufweisen, ist die eschatologische Dimension ihrer Theologien auch so angelegt, dass sie nur eine geringe selbstrelativierende Funktion ausübt. Stände die eschatologische Dimension in einer stärkeren Spannung zum theologischen Grundansatz, ließe sich auch eine stärkere Spannung von christlichem Glauben und existentieller Situation des Menschen in einen theologischen Entwurf integrieren. Die Voraussetzung dafür scheint mir darin zu bestehen, dass auch der glaubende Blick auf das Ganze als ein fragmentarischer Blick und vor allem als ein immer auch innerweltlicher Standpunkt gedeutet wird. Bevor diese These weiter ausgeführt werden kann, soll kurz die eschatologische Dimension der drei Theologien in ihrem Zusammenhang mit dem Versuch einer fundamentaltheologisch leitenden Universalsynthese beleuchtet werden.

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Am stärksten ausgeprägt ist die harmonisierende Integration der eschatologischen Dimension ins Ganze des fundamentaltheologischen Entwurfs bei Ratzinger. Die entscheidende Bedeutung der Kirche in seiner Theologie spiegelt sich gerade in ihrer eschatologischen Funktion wider. So ist das Verhältnis von Kirche und eschatologischem Reich Gottes bei Ratzinger durch Antizipation bestimmt. Dieses antizipatorische Verhältnis ist die Folge der theologischen Aufladung seines Kirchenverständnisses. Die Kirche in ihrer Dynamik des neuen Wir, durch die ihre Glieder im Sakrament in die trinitarische communio Gottes hineingenommen werden, wird gleichsam zu einer metaphysischen Größe, durch die dem Menschen ein Ort gegeben ist, an dem er an der ewigkeitshaltigen Wahrheit Gottes partizipieren kann. Die Wahrheit des ewigen Gottes bildet eine Synthese mit dem Menschen, weil die Kirche die Gestalt ist, in der der irdische Leib Christi verwirklicht ist. Damit ist eine eschatologische Spannung nicht mehr gegeben, weil sich so die Ewigkeit in der Geschichte verwirklicht. Die Vollendung dieses Prozesses besteht dann darin, dass die faktische Nichtuniversalität der Kirche – der verwirklichten Synthese von Glaube und Vernunft – durch Läuterung der Menscheit mit dem Zu-EndeKommen der Geschichte aufgehoben wird. Die eschatologische Dimension in Ratzingers Theologie hat damit zwar eine relativierende Funktion für den einzelnen Menschen, nicht aber für die Kirche, in der noch unvollendet, aber auf ewig die Gott-menschliche Einheit verwirklicht ist. Deshalb gehört die Kirche selbst zur Offenbarung, durch die sich Gott selbst den Menschen zeigt. Auch für Guardini hat die Kirche eine entscheidende fundamentaltheologische Bedeutung. Die Kirche ist bei ihm die Instanz, die die katholische Weltanschauung verbürgt. Sie ist die Garantie für den außerweltlichen Standpunkt. Gleichwohl ist die existentielle Bedeutung der Kirche für den einzelnen Menschen in Guardinis Weltanschauungskonzept nicht zu unterschätzen. Zum einen zeigt sich das in dem Versuch, den außerweltlichen Standpunkt, der sich durch die Tatsache der Offenbarung ergibt, durch die Rede von der Nichtnotwendigkeit des Daseins vom unmittelbaren Dasein aus zu beleuchten, und zum anderen ist im Unterschied zu Ratzinger nicht von einem Subjektwechsel vom Ich zum Wir die Rede. Der weltanschauende Blick ist bei Guardini auch ein Blick des Glaubenden. Stimmt es, dass Guardini in der Entwicklung seines Offenbarungsverständnisses immer auch darum bemüht ist, die Tatsache der Offenbarung mit seiner Lehre vom Gegensatz zu vermitteln, dann ist nicht zuletzt das von ihm beschriebene Verhältnis vom weltanschauenden Blick (als einem außerweltlichen Standpunkt) zu seinem Gegensatzdenken (als der Anschauung des Konkreten) ein Grund dafür, dass es Guardini nicht gelingt, das Verhältnis von Religion und Offenbarung wechselseitig zu bestimmen. Tritt bei den Vermittlungsversuchen das Problem auf, dass in der Beschreibung des Phänomens des Religiösen immer schon das Phänomen der Offenbarung implizit mitgedacht ist, so verhält es sich schließlich mit der eschatologischen Dimension ebenso. Durch die Tatsache der Offenbarung, durch die der außerweltliche Standpunkt zu den Span-

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nungseinheiten des Gegensatzdenkens transzendent ist und nicht selbst wiederum in Spannungseinheiten steht, bekommt der weltanschauende Blick seine Bedeutung für die eschatologische Dimension von Guardinis Weltanschauungslehre. Der außerweltliche Standpunkt wird gerade mit der Offenbarung und schließlich mit dem Gericht identifiziert. Durch die Tatsache der Offenbarung rettet sich Guardini aus der Zweideutigkeit der Welt ins Gericht als Vollendung der Erlösung – „Im Gericht vollendet sich die Erlösung.“36 – und der Liebe – „Das Gericht als Vollendung der Liebe“37. Er entzieht sich damit den ihn bedrängenden Spannungen, auch wenn er dadurch nicht in haltlose Jenseitsvorstellungen flieht. Der Glaubende lebt nicht mehr in einer verschlossenen Welt, sondern seine Welt ist von Gott her durch den Vorgang der Offenbarung geöffnet – derart, daß sie dadurch unter das Urteil des Gottes kommt, dessen Heiligkeit Ihn wesenhaft vom Zustand des unmittelbaren Daseins unterscheidet.38

Dieses späte Zitat ist Ausdruck der stetigen Bemühung Guardinis, das unmittelbare Dasein – und dahinter steht auch die existentielle Situation des Menschen, die in Kultur und Religion zum Ausdruck kommt – mit der Offenbarung zu vermitteln. Gleichwohl ist nicht zu erkennen, wie nun zwischen beiden ein Wechselverhältnis entstehen kann. Auch bei Guardini ist keine dialektische Spannung von unmittelbarem Dasein und Offenbarung gegeben. Von daher bleibt diese Spannung auch in der eschatologischen Dimension seiner Theologie aus. So gilt: „Jeder wirklich Glaubende ist ein lebendiges Gericht der Welt.“39 Es ist bei Guardini der weltanschauende Blick, der die durch die Geschichte der Welt entstandene Lücke von der „Erinnerung an die Urbegegnung mit Gott“40 und der Vollendung der Offenbarung am Ende der Zeiten schließt. Denn: „Das Gericht […] setzt der Geschichte ein Ende“.41 In der Transzendentaltheologie Rahners ist der antizipatorische Charakter, den Ratzinger durch die fundamentaltheologische Bedeutung der Kirche und Guardini durch den weltanschauenden Blick als einen außerweltlichen Standpunkt erreichen, scheinbar weitaus weniger ausgeprägt. Rahner grenzt sich selbst von einem antizipierenden Charakter der Eschatologie ab. Dies tut er allerdings vor allem in der Unterscheidung von Apokalyptik und Eschatologie und nicht etwa gegen einen das Eschaton antizipierenden Charakter der Kirche, der vor allem bei Ratzinger zu beobachten ist. So schreibt Rahner in dem vielbeachteten Aufsatz zur Hermeneutik eschatologischer Aussagen:

36 37 38 39 40 41

Guardini, Die letzten Dinge, 105. Guardini, Theologische Briefe, 31. Guardini, Die Existenz des Christen, 25. Guardini, Weltanschauung, 33. Guardini, Religion und Offenbarung, 185 – 189. Guardini, Die letzten Dinge, 123.

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Wo immer eine Rede über die Zukunft für deren gemeinte Inhaltlichkeit die antizipierte Reportage des Zuschauers beim künftigen Ereignis ist, welche Reportage als die über ein der menschlichen Geschichte angehöriges Ereignis, das an sich keinen absoluten Geheimnischarakter haben kann, dem eschatologischen Ereignis seinen Verborgenheitscharakter nehmen würde, ist falsche Apokalyptik am Werk, oder eine richtige eschatologische Aussage ist wegen einer apokalyptischen Aussageweise inhaltlich falsch apokalyptisch verstanden worden.42

Entscheidend ist hierbei, dass das Argument gegen die falsche Apokalyptik in der antizipierenden Reportage der absolute Geheimnischarakter ist. Dieser absolute Geheimnischarakter des Eschatologischen wird im ersten Teil der dritten These des erwähnten Aufsatzes als Verborgenheitscharakter entfaltet, der für Offenbarung, für die Selbstmitteilung Gottes, insgesamt gilt: Offenbarung ist hier noch mehr als sonst nicht die Überführung des bisher Nichtgewußten in das Stadium des nun Gewußten und durchschaut Verfügbaren, sondern das erste Aufgehen und Nahekommen des Geheimnisses als eines solchen. Der Verborgenheitscharakter des Eschatologischen in seiner Geoffenbartheit ist für es absolut wesentlich.43

Der Eindruck, dass Rahners Eschatologie keinen antizipierenden Charakter habe, verändert sich, wenn man die eschatologische Dimension seines transzendentaltheologischen Ansatzes mit der Konsequenz, dass Gott als absolutes Geheimnis auch in der eschatologischen Perspektive der visio beatifica als Geheimnis geschaut wird, berücksichtigt. Dann ist im Menschen als Wesen der absoluten Zukunft diese unmittelbare Schau Gottes als absolutes Geheimnis durch die übernatürliche Hinordnung zur übernatürlichen Gnade im übernatürlichen Existential antizipiert. Dieser antizipatorische Charakter ist dadurch gegeben, dass die visio beatifica durch die quasi formale Ursächlichkeit und schließlich im Modus des übernatürlichen Existentials im Wesen, wenn auch nicht in der Natur, des Menschen antizipiert ist. Das sich jeweils anders darstellende Problem der Antizipation in den eschatologischen Dimensionen der Theologien von Romano Guardini, Karl Rahner und Joseph Ratzinger besteht vor allem darin, dass sich die Antizipation des Eschatons mit dem Versuch einer auf Universalität zielenden Synthese von Glaube und Vernunft paart. Insbesondere in den Konzeptionen von Guardini und Ratzinger verschärft sich dieses Problem dadurch, dass in der Kirche die Synthese von Glaube und Vernunft als eine das Reich Gottes realisierende Instanz die Antizipation des Eschatons verobjektiviert ist. Dadurch besteht die Gefahr, dass die kritische Dimension der Selbstunterscheidung vom Eschaton unterschlagen wird. Letztlich geht es bei dieser Selbstunterscheidung stets um die Unterscheidung von Gott und Mensch. Bei allen drei untersuchten katholischen Theologen ist die Einhaltung dieser 42 Rahner, Theologische Prinzipien, 410. 43 Rahner, Theologische Prinzipien, 409 f.

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Die eschatologische Dimension im Vergleich

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Unterscheidung zwar angelegt, doch durch den Versuch der Synthese wird sie nicht hinreichend eingehalten. Bei Ratzinger scheint sich das Bemühen, diese Unterscheidung zu ziehen, am stärksten im vehementen Insistieren darauf, dass die christliche Eschatologie und jegliche Form von Utopie gänzlich unterschieden seien, zu zeigen. In Guardinis Ansatz ist es in dem durch die Akzentverschiebungen seiner Theologie sich hindurchziehenden Ringen um die Verhältnisbestimmung von Religion und Offenbarung zu spüren, wobei hier zugleich sein eigenes Problem, dieses Verhältnis zu bestimmen, deutlich hervortritt. Ähnlich ist es bei Rahner, bei dem ja gerade das Problem der Verhältnisbestimmung von Natur und Gnade darum kreist, die Selbstunterscheidung des Menschen von Gott zu markieren, was durch den Rahnerschen Lösungsansatz des übernatürlichen Existentials allerdings zum Problem wird.

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Teil 5: Offenbarung und Gericht – das Eschatologische der Theologie in protestantischer Perspektive 1. Die eschatologische Grundspannung von schon jetzt und noch nicht 1.1 Die eschatologische Grundspannung und die Vielzahl der eschatologischen Spannungen Die untersuchten Ansätze repräsentieren eine Vielfalt katholischer Ansätze in der Theologie des 20. Jahrhunderts und lassen sich nicht einfach auf einen konfessionalistisch verengten gemeinsamen Nenner bringen. Auch die Probleme der Universalisierung und der Antizipation, die sich bei allen drei Konzeptionen auf unterschiedliche Weise wiederfinden, sollten nicht als katholische Grundparameter missverstanden werden, die protestantische Theologie dagegen von vornherein als Rahmen für eine rechtverstandene Auslegung der eschatologischen Spannung verstanden werden. Wird die Spannung von schon jetzt und noch nicht als Ausgangspunkt der Entfaltung einer eschatologischen Theologie gewählt, so gilt dies sowohl für katholische als auch protestantische Theologie in gleicher Weise. Am deutlichsten ist es m. E. bei Ratzinger zu sehen, wie das Gegenüber von schon jetzt und noch nicht auch so gedeutet werden kann, dass es sich bei einer prinzipiellen Synthese von Geschichte und Metaphysik als harmonisch aufeinander abfolgendes Gegenüber heilsgeschichtlicher Größen darstellt, das am geeignetsten durch Antizipation zu beschreiben wäre.1 Demgegenüber soll im Folgenden die Spannung von schon jetzt und noch nicht dialektisch verstanden werden. Von dieser Ausgangsbasis sollen allerdings aus protestantischer Perspektive einige Überlegungen zur fundamentaltheologischen Bedeutung der Eschatologie angestellt werden. Dabei sei vorab festgestellt, dass diese Spannung in der Geschichte der evangelischen Theologie der letzten beiden Jahrhunderte, in denen sich die Eschatologie als letztes dogmatisches Lehrstück vom Schattendasein hin zu einem Zentralthema der Theologie mit unklarem Ausgang gewandelt hat, keineswegs stets hinreichend beachtet wurde. Dies lässt sich kurz an den Spannungen, in denen die unterschiedlichen Konzep1 Zumindest in Bezug auf die Kirche als eschatologische Größe. Das Moment des „noch nicht“ macht sich bei ihm vor allem in politischer Perspektive bemerkbar, was sich in der Ablehnung von Utopien zeigt. Vgl. Ratzinger, Eschatologie und Utopie, 211 – 226.

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Offenbarung und Gericht in protestantischer Perspektive

tionen zur Eschatologie innerhalb der evangelischen Theologie stehen, veranschaulichen. Am Anfang des 20. Jahrhunderts charakterisiert die Unterscheidung von axiologischer und teleologischer Eschatologie die Diskussion zum Stellenwert der Eschatologie in der Systematischen Theologie.2 Paul Althaus, der seine Eschatologie zunächst in dieser Spannung – von axiologischer und teleologischer Eschatologie – entfaltet, setzt sich sowohl von einer uneschatologischen Theologie, die er bei Schleiermacher und Ritschl konstatiert,3 als auch von einer nureschatologischen Theologie im Gefolge Karl Barths ab. Damit sind schon zwei miteinander zusammenhängende Spannungen benannt. Neben diese Spannungen, die den Charakter der jeweiligen Theologie im Ganzen kennzeichnen, treten die Spannungen von präsentischer und futurischer Eschatologie sowie von immanenter und transzendenter Eschatologie. Also soziale Utopien, wie sie bspw. in marxistischer Denkweise denkbar wären, sind Formen von futurisch, immanenter Eschatologie. Die von Althaus angesprochene axiologische Eschatologie ist eine Kombination aus präsentisch, immanenter Eschatologie. Die teleologische Eschatologie ist eher futurisch und transzendent. Die Eschatologie bewegt sich also in einem Koordinatensystem mit mehreren Dimensionen. Eine Dimension spannt sich zwischen den Polen immanent und transzendent auf, eine andere zwischen den Polen präsentisch und futurisch, und eine weitere Dimension stellt die Bedeutung der Eschatologie für das Ganze eines theologischen Entwurfs dar, die zwischen den Polen uneschatologisch und nureschatologisch aufgespannt ist. Von der Ausgangsfrage nach der eschatologischen Spannung von schon jetzt und noch nicht ergibt sich also ein komplexeres Bild. Schon jetzt und noch nicht bilden zwar nur die Pole der einen Dimension von präsentischer und futurischer Eschatologie ab, sind aber zugleich auch, wie z. B. die Rede von axiologischer und teleologischer Eschatologie zeigt, stets verbunden mit der Dimension von immanenter und transzendenter Eschatologie. Insofern soll die auf Paulus zurückgehende Frage von schon jetzt und noch nicht4 im Folgenden im Zusammenhang mit den anderen auftretenden eschatologischen Spannungen stehen. Die Eschatologie in dem Verhältnis von schon jetzt und 2 Vgl. Troeltsch, Art.: Eschatologie; vgl. Althaus, Die letzten Dinge (1. Aufl.), 16 – 27. 3 Dass der Vorwurf, den Althaus gegenüber Schleiermacher erhebt, noch nichts über eine zu vermutende Defizienz von Schleiermachers Eschatologie aussagt, zeigt sich daran, dass Schleiermacher im Zusammenhang seiner Glaubenslehre auch die Eschatologie als Inhalt des christlich-frommen Bewusstseins darzustellen vermag. Unterschieden wird die Eschatologie von allen anderen Aussagen dieses Bewusstseins, weil sie eine Perspektive und nicht einen Zustand des Bewusstseins beschreibt. Im Unterschied zum Inhalt der eschatologischen Hoffnung befindet sich das Bewusstsein stets unter dem Gegensatz von Sünde und Gnade. Mit dem Hinweis auf diesen semantischen Unterschied der dogmatischen Aussagen bei Schleiermacher hat Eilert Herms die Defizienz- und Häresievorwürfe gegen Schleiermacher zurückgewiesen. Vgl. Herms, Schleiermachers Eschatologie, 137. 4 Vgl. 1 Kor 13, 12.

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Die eschatologische Grundspannung

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noch nicht als eine dialektische Spannung zu interpretieren und zugleich in dem oben beschriebenen Sinne zu erweitern, birgt viele Möglichkeiten in sich. Wird diese dialektische Spannung für die Theologie insgesamt fruchtbar gemacht, dann ist damit ein Weg geebnet, weder nureschatologisch noch uneschatologisch Theologie zu treiben. Genauso ist die Eschatologie weder ausschließlich transzendent noch rein immanent. Sie ist weder rein futurisch noch ausschließlich präsentisch. In einem solchen Grundverständnis von Eschatologie ließe sich auch der „Fehler eindimensionaler Eschatologie“5 vermeiden. Fundamentaltheologisch ist dabei bedeutsam, dass dadurch die Zweideutigkeit der Welt ernst genommen werden kann und zugleich die Unzweideutigkeit des Heils, die nur durch das Gericht Gottes in religiöser symbolischer Sprache gegeben ist, tatsächlich gehofft werden kann, weil sie in der Erfahrung des Glaubens anbricht. Dabei kommt es allerdings darauf an, dass die individuell subjektive Seite des christlichen Glaubens gewürdigt wird. Denn die Unzweideutigkeit des Heils ist nur im Modus subjektiver Heilsgewissheit erfahrbar, weshalb sie nicht einfach unmittelbar gegeben ist, sondern gerade durch den religiösen Vollzug in Gemeinschaft als eine erlebte Differenz stets dem Zweifel und damit der immanent präsentischen Zweideutigkeit aller menschlichen Erfahrungen ausgesetzt bleibt.6 Ein weiterer Aspekt der konsequenten Erweiterung der eschatologischen Spannungen besteht darin, dass die Spannung von schon jetzt und noch nicht durch diese mehrdimensionale Erweiterung nicht auf eine heilsgeschichtlich orientierte und damit linear eschatologische Realdialektik reduziert bleibt.

5 Schwçbel, Die Letzten Dinge zuerst?, 465. 6 Dalferth weist deshalb darauf hin, dass der Glaube auch auf die Erfahrung anderer ruht: „Gerade weil im eigenen Erleben und Erfahren Gott immer wieder dunkel zu werden droht, ist es unerläßlich, auf das Erfahren anderer Bezug nehmen zu können.“ Dalferth, Malum, 543. Dalferth schränkt hier in gewisser Weise die subjektive Dimension der Lebenserfahrung als Modus der Erfahrung unzweideutigen, wenn auch fragmentarischen Heils ein, indem er den Blick auf die Erfahrung anderer weitet, um den „Zusammenhang von Wohltun und Wohlergehen“ (542) zu durchbrechen, und dennoch ist m. E. daran festzuhalten, dass die Erfahrungen anderer und somit die Tradition zumindest einen Anhaltspunkt an der eigenen, also an der subjektiven Erfahrung haben müssen, weil die Erfahrungen anderer, wenn auch unter Umständen kontrafaktisch zum eigenen Erleben, zu eigenen Erfahrungen gemacht werden. Dalferth ist deshalb uneingeschränkt zuzustimmen, wenn er schreibt: „Nichts ist so gut, wie es sein könnte und vor Gott sein sollte, aber jeder Mensch ist so, dass Gott das Lebensfragment dieses Menschen zum Ort macht, wo seine Güte eschatologisch in Erscheinung treten wird. Hoffnung auf Gott ändert daher nichts im Leben, sondern sie ändert die Einstellungen der Menschen zum Leben, indem sich Menschen in der Hoffnung so auf Gott beziehen, dass sie sich von ihrem unmittelbaren Erleben und Erfahren distanzieren und dieses von Gott her und im Licht seines Wirkens in der Schöpfung in den Blick fassen können.“ (545) Diese Einstellung zum Leben in Beziehung zu Gott ist m. E. eine Erfahrung des glaubenden Subjekts.

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Offenbarung und Gericht in protestantischer Perspektive

1.2 Die eschatologische Dialektik in ihrem Zusammenhang mit der theologischen Dialektik insgesamt Die entfaltete Mehrdimensionalität der eschatologischen Spannung steht in einem Zusammenhang mit der theologischen Dialektik insgesamt. Dies ergibt sich schon daraus, dass die eschatologische Spannung von schon jetzt und noch nicht nicht nur unter einem zeitlich-linearen Aspekt betrachtet wird, sondern auch in der Spannung von Transzendenz und Immanenz steht, wodurch es sich überhaupt um Gleichzeitigkeit und Ausstehen des Eschatons handelt. Eine eschatologische Dialektik steht also stets in einem Verhältnis zur theologischen Dialektik insgesamt, die innerhalb der evangelischen Prinzipienlehre als eine Dialektik von Gesetz und Evangelium thematisiert wird und in der katholischen Fundamentaltheologie in der Verhältnisbestimmung von Natur und Gnade erörtert wird. Exemplarisch lässt sich dieser Zusammenhang insbesondere am Begriff des Gerichts entfalten. Die Rede vom Gericht ist jedoch nicht unproblematisch. Einerseits ist sie in ihrer Bildhaftigkeit eng verknüpft mit der Vorstellung eines Ereignisses am Ende der Zeit und steht von daher in der Gefahr ausschließlich zeitlich linear verstanden zu werden, andererseits ist die Vorstellung vom Gericht deshalb äußerst problembehaftet, weil sie sofort auf die Frage nach einem doppelten Ausgang des Gerichts stößt. Das Gericht ist jedoch deshalb von erheblicher Bedeutung, weil sich an der Rede vom Gericht eine signifikante Differenz der untersuchten katholischen theologischen Konzeptionen zu einer angemessen durchgeführten protestantischen Verhältnisbestimmung von Fundamentaltheologie und Eschatologie ergibt. In den katholischen Ansätzen ist das Gericht – unabhängig davon, wie mit der Frage nach einem doppelten Ausgang des Gerichts umgegangen wird – Ausdruck der Gnade innerhalb der für die katholische Theologie und in den untersuchten Ansätzen am deutlichsten bei Rahner zu beobachtenden fundamentaltheologische Grundspannung von Natur und Gnade. Für eine protestantische Theologie ist es jedoch angemessen, die Rede vom Gericht als eschatologischen Ausdruck der für eine protestantische Prinzipientheorie klassischen Grundspannung von Gesetz und Evangelium zu verorten. Um das Gericht als Ausdruck dieser Spannung zu bestimmen, bedarf es der Diskussion, warum es nicht vielmehr ein Ausdruck der Gnade sei7 oder im Gegensatz dazu doch eher im Horizont des Gesetzes zu verstehen sei.

7 Vgl. Jngel, Das jüngste Gericht, 37 – 73.

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Das Gericht als symbolischer Ausdruck

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2. Das Gericht als symbolischer Ausdruck der eschatologischen Grundspannung und eschatologischer Ausdruck der innerweltlichen Zweideutigkeit Die Rede vom Gericht markiert eine Differenz zwischen den untersuchten katholischen fundamentaltheologischen Ansätzen und einer eschatologischen Dimension, die für eine protestantische Prinzipienlehre angemessen wäre. Das hängt damit zusammen, dass die Rede vom Gericht die eschatologische Grundspannung von schon jetzt und noch nicht zum Ausdruck zu bringen vermag, weil das Gericht – als eschatologisches Symbol für die Spannung von Gesetz und Evangelium – gerade die Dialektik von Gesetz und Evangelium präsent hält. Diese Dialektik hört nicht einfach auf, indem der christliche Glaube irgendwelche Jenseitsvorstellungen antizipiert, die außerhalb innerweltlicher Erfahrungen liegen. Deshalb bedarf es gerade innerhalb der protestantischen Theologie einer verantworteten Rede vom Gericht um des unzweideutigen Heils willen. Denn beim unzweideutigen Heil handelt es sich, mit Tillich gesprochen, gerade um das ewige Leben.8 Nun hat sich die protestantische Theologie – und auch die katholische Theologie – seit Schleiermacher schwer getan mit dem Gerichtsbegriff.9 Das größte Problem bei der Rezeption dieses Begriffs besteht wohl vor allem darin, dass er stets in einem engen Zusammenhang mit dem doppelten Ausgang des Gerichts, mit Verdammung und Verherrlichung, gestanden hat. Und es hat den Anschein, dass der neuzeitliche Protestantismus die Rede vom Gericht nur deshalb nicht aufgegeben hat, weil er über das biblische Zeugnis – die Reden Jesu über das Gericht – nicht einfach hinwegsehen konnte.10 Dabei ist jedoch eine Interpretation des Gerichtsbegriffs vorbereitet worden, an der die gegenwärtige Theologie nicht vorübergehen sollte, und nicht nur deshalb, weil es sich beim Gericht um ein jesuanisches Traditionsstück handelt. Ähnlich wie um die Begriffe Gesetz und Sünde in der gegenwärtigen Theologie gerungen wird,11 muss auch der Gerichtsbegriff wieder neu rezipiert werden. Die Gefahr liegt hier vor allem darin, dass diese Begriffe womöglich missverstanden werden, indem sie als Grundbegriffe für ein dualistisches Welt- und Wirklichkeitsverständnis betrachtet werden könnten.12

8 Vgl. Tillich, Systematische Theologie Bd. 3, 131 f. 9 So schreibt Hans Blumenberg spöttisch: „Vielleicht ist von allen Verlusten, die mit der Entkräftung des Christentums einhergegangen sind, der des Credostücks von Jesu Wiederkehr zum Gericht über die Lebenden und die Toten der unersetzlichste. Die Theologen geniert es als Drohung, da sie doch Verheißungen für ,werbewirksamer‘ halten.“ Blumenberg, Gerichtsverlust, 65. 10 Vgl. Schleiermacher, Der christliche Glaube (1830/31), § 160. 11 Vgl. Gestrich, Die Wiederkehr des Glanzes. 12 Vgl. dazu Janowski, Allerlösung.

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Offenbarung und Gericht in protestantischer Perspektive

Demgegenüber ist mit allem Nachdruck zu betonen, dass sie nicht dualistisch, sondern dialektisch zu verstehen sind. Beim Versuch der neuzeitlich protestantischen Theologie, den Gerichtsbegriff in ihr Denken zu integrieren, geht es gerade um die Transformation eines dualistischen in einen dialektischen Begriff. Diese Transformation zeigt sich dann z. B. in der Glaubenslehre Schleiermachers, in der die Rede vom Gericht als Scheidung von Kirche und Welt, von Gut und Böse aufgenommen wird, diese Scheidung aber nicht als äußere, sondern als innere Scheidung gedeutet wird.13 In diesem Sinne ist die These vom Gericht als eschatologischem Ausdruck der Spannung von Gesetz und Evangelium zu verstehen. Das Gericht Gottes kann dabei nicht nur im Horizont des Gesetzes stehen, weil mit dem Gericht auch die Hoffnung auf eine Vollendung des Heils in seiner Unzweideutigkeit als ewiges Leben verbunden ist. Andererseits wäre es ebenso eine Verkürzung des dialektischen Potentials des Gerichtsgedankens, wenn er nur im Horizont des Evangeliums gedeutet wird. Diese Deutung ist nun nicht nur auf die katholische Theologie beschränkt, sondern auch protestantische Stimmen vertreten die Vorstellung vom Gericht als Ausdruck der Gnade.14 Der unbestreitbar positive Effekt dieser Deutung ist darin zu sehen, dass sich damit tatsächlich der theologische Missbrauch der Rede vom Gericht durch angstmacherische Drohungen aufheben lässt. Insofern ist es durchaus positiv zu würdigen, dass es der katholischen Theologie im 20. Jahrhundert gelungen ist, einen Weg zu finden, die Rede vom Gericht so zu wenden, dass sie nicht mehr zwangsläufig auf einen doppelten Ausgang des Gerichts und damit in erster Linie als ein kirchliches Drohmittel verwendet und auf ein Instrument institutioneller Machtausübung reduziert wird. Diese Wende in der Rede vom Gericht besteht gerade darin, das Gericht pointiert als Ausdruck der Gnade Gottes zu deuten, und in allen drei untersuchten theologischen Ansätzen ist diese Deutung auffindbar.

2.1 Das Gericht – ein Ausdruck der Gnade? In der Weise, wie Guardini den Gerichtsbegriff in seine Theologie einfließen lässt, tritt die Deutung des Gerichts als Gnade besonders hervor und darin zeigen sich zugleich die Stärken und Schwächen seines Ansatzes. So kann bei Guardini das Gericht gar nicht anders als ein Ausdruck der Gnade Gottes beschrieben werden, weil bei ihm Offenbarung und Gericht eng aufeinander bezogen sind bis hin zu einer Identifikation der Offenbarung mit dem Gericht. 13 Vgl. Schleiermacher, Der christliche Glaube (1830/31), § 162. Dieser Gedanke ist zwar nicht originär neuzeitlich – so weisen auch Schleiermacher und Tillich auf Origenes hin – doch geht es bei dieser inneren Scheidung tatsächlich darum, der Dialektik von Sünde und Gnade gerecht zu werden, während es sich bei Origenes wiederum um ein dualistisches Verständnis des Menschen handelt, das eher leibfeindlich ausgerichtet ist. 14 Vgl. Jngel, Das jüngste Gericht.

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Das Gericht als symbolischer Ausdruck

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Diese Identifikation tritt am deutlichsten in seiner programmatischen Berliner Antrittsvorlesung „Vom Wesen katholischer Weltanschauung“15 hervor. Durch die Vorstellung vom wahrhaft Glaubenden – also eine Vorstellung vom außerweltlichen Standpunkt – als einem lebendigen Gericht einerseits und der Rede vom Gericht als Vollendung andererseits wird nicht nur die zentrale Bedeutung des fundamentaltheologischen Grundgedankens vom außerweltlichen Standpunkt für die Struktur der Antizipation des Eschatons bei Guardini erkennbar, sondern auch die Abwehr aller innerweltlichen Zweideutigkeit des Lebens, mit der er vom Grundgedanken seiner Gegensatzlehre eigentlich produktiv umzugehen versteht. Die Zweideutigkeit des Lebens ist gerade im Gegenüber zu Guardini von erheblicher Bedeutung, weil sie als eine Signatur der innerweltlichen Erfahrung gedeutet werden kann und insofern die Möglichkeit einer Theologie ausschließt, die sich nicht zu einem außerweltlichen Standpunkt erheben muss. Im Vergleich zu Guardinis Lehre vom Gegensatz zeigt sich sowohl die Nähe als auch der Abstand zu seiner Konzeption, die eben dadurch die Gemeinsamkeiten wieder einbüßt, dass Guardini sein Modell der Gegensätze wiederum in seine katholische Weltanschauung aus der Perspektive des außerweltlichen Standpunktes einordnet und sie damit unterordnet und relativiert. In seiner Eschatologie „Die letzten Dinge“ äußert sich die Identifikation von Gericht und Offenbarung in der Weise der Personalunion von Richter und Erlöser in Christo dann auch als Identifikation von Gericht und Erlösung16 : Christus ist aber nicht nur Richter, sondern auch Erlöser. Als Richter ist er Erlöser. Das Gericht ist nicht die Rache des beleidigten Gottessohnes; sein persönlicher Triumph über seine Feinde. Wenn gesagt wurde, die Wahrheit und das Gute seien Person, Er, Christus, dann sind sie damit nicht aus ihrer reinen Gültigkeit ins „Persönliche“ abgeglitten, sondern das Gericht bleibt lautere Gerechtigkeit. Aber eine Gerechtigkeit, die nicht für sich steht, sondern lebendige Gesinnung Christi und mit seiner Liebe verbunden ist. Im Gericht vollendet sich die Erlösung.17

Doch nicht nur durch den Gedanken, dass sich die Erlösung im Gericht vollendet, ist in seiner Eschatologie ein wesentlich stärkerer Schwerpunkt auf die zeitliche Dimension des Gerichts enthalten. Der Bezug des Menschen zum Ewigen ist dadurch nicht einfach ausstehend bis zum Ende der Geschichte, sondern ist verankert in der Personhaftigkeit Christi. Diesen personalen Bezug hat dann Hans Urs von Balthasar in seiner Theodramatik weiter ausgemalt18 u. a. mit zwei Folgen: Erstens hat er durch seine Idee des Karsamstags ein Modell für die Erlösung aller erreicht und m. E. in konsequenter Weise den 15 Vgl. Guardini, Vom Wesen katholischer Weltanschauung, 33. 16 Doch auch in seiner Eschatologie gilt: „Die Lehre vom Gericht ist also im Letzten eine Offenbarung Christi.“ Guardini, Die letzten Dinge, 105. 17 Guardini, Die letzten Dinge, 105. 18 Vgl. Engelhard, Im Angesicht des Erlöser-Richters, 235 – 240.

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Offenbarung und Gericht in protestantischer Perspektive

Gedanken vom Gericht als Ausdruck der Gnade zu Ende gedacht. Doch zweitens ist dieser Ansatz insgesamt geprägt von einem stark heilsgeschichtlichen Denken. Und diese heilsgeschichtliche Dimension, durch die wiederum der zeitliche lineare Aspekt der eschatologischen Grundspannung von schon jetzt und noch nicht ein starkes Gewicht bekommt, zeigt sich bei Guardini in dem Gedanken vom Gericht als dem Ende der Geschichte: „Am Ende der Geschichte muß das Gericht stehen. Darin wird die Geschichte aufhören und sich vollenden zugleich.“19 Guardini bringt somit zwei Aspekte des Gerichtsbegriffs, die auf ihre Weise in der Identifikation mit der Offenbarung oder als Vollendung der Erlösung in ihrer Bezogenheit auf die Person Christi als Ausdruck der Gnade zu verstehen sind. Der erste Aspekt ist gleichsam eine axiologische Deutung des Gerichts in dem Spitzensatz „Jeder wirklich Glaubende ist ein lebendiges Gericht der Welt.“20, wobei jedoch das Problem entsteht, wie diese Perspektive – der außerweltliche Standpunkt – des Glaubenden mit seinem innerweltlichen Dasein in Beziehung gesetzt werden kann. Diesen Bezug zu konstruieren wird dann durch den zweiten Aspekt, der das Gericht in eine teleologische Dimension stellt, erschwert, weil nun die Frage entsteht, ob der Glaubende eigentlich in der Lage ist, einen außerweltlichen Standpunkt einzunehmen oder ob er an die irreführende Zweideutigkeit der Geschichte21 gebunden bleibt. Bei Ratzinger sind auch ein axiologischer und ein teleologischer Aspekt auszumachen und die Konzentration auf die Person Christi scheint hier einerseits noch einmal verstärkt zu werden, wobei sie andererseits auch von der Person Christi auf seinen Leib und damit auf die Kirche ausgeweitet wird. Doch im Unterschied zu Guardini teilt Ratzinger nicht ohne weiteres die Identifikation von Richter und Erlöser in der Person Christi. Ratzinger geht zunächst von dem Gedanken aus, dass Gott Richter ist und Christus Retter, und formuliert mit Rekurs auf das Evangelium nach Johannes: Die Unterscheidung, die zwischen Christi eigenem Tun und der Wirkung seines Wortes gemacht wird, erlaubt hier eine letzte Reinigung der Christologie und des Gottesbegriffs. Christus teilt niemandem Verderben zu, er selbst ist reine Rettung, und wer bei ihm steht, steht im Raum der Rettung und des Heils. Das Unheil wird nicht von ihm verhängt, sondern es besteht da, wo der Mensch von ihm ferne geblieben ist; es entsteht durch das Verbleiben im Eigenen. Das Wort Christi als das Angebot des Heils wird dann sichtbar machen, daß der Verlorene selbst die Grenze gezogen hat und sich vom Heil trennte.22

Doch auch bei Ratzinger ist das Gericht letztlich ein Ausdruck der Gnade; verbliebe es in der Natur der Welt, würde sich der Mensch vermutlich selbst 19 20 21 22

Guardini, Die letzten Dinge, 91. Guardini, Weltanschauung, 33. Vgl. Guardini, Die letzten Dinge, 86. Ratzinger, Eschatologie, 169.

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Das Gericht als symbolischer Ausdruck

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zum Richter machen. Denn letztlich geht es ihm um die Aufdeckung der Wahrheit, wobei er zu einer erlösenden Umprägung des Gerichtsgedankens kommt, weil die endgültige Wahrheit nur eine von göttlichem Charakter sein könne und Gott als die Wahrheit selbst Richter sei der Art, dass Gott für den Menschen als Mensch Gewordener Wahrheit und Maßbild des Menschen sei, was Gott in und durch Christus sei.23 Von diesen eher auf den teleologischen Aspekt des Gerichts zielenden Gedanken kommt Ratzinger dann allerdings auf die axiologische Dimension, die ganz im Sinne seines fundamentaltheologischen Ansatzes zugleich eine ekklesiologische Dimension darstellt, zu sprechen: „Die eschatologische Grenzlinie wird, wenn es so steht, nicht erst im Tod überschritten, sondern bereits im Akt des Glaubens.“24 Ist das endgültige Aufdecken der Wahrheit eines Menschen zwar Gott allein vorbehalten,25 so weist Ratzinger doch darauf hin, dass die Wahrheit eines Menschen an seinem Verhältnis zur Kirche hänge: Schließlich müssen wir uns dabei noch daran erinnern, daß Christus nicht allein dasteht – der ganze Sinn seines irdischen Lebens war, sich einen Leib zu bauen, sich seine „Fülle“ zu erschaffen. […] Deswegen hängt unser Geschick, unsere Wahrheit, gerade wenn sie theologisch und christologisch verfaßt ist, von unserem Verhältnis zu seinem Leib und seinen leidenden Gliedern ab – insofern „richten“ die „Heiligen“.26

Bei Ratzinger ist das Gericht insofern Ausdruck der Gnade, als die innergeschichtlich zu machende Erfahrung mit der Offenbarung Gottes im sakramentalen Raum der Kirche die Vollendung und die damit einhergehende Transzendierung der Geschichte antizipiert. Das Gerichtsthema ist in der Theologie und Eschatologie Rahners eher hintergründig anwesend.27 Doch auch bei ihm wird das Gericht als Ausdruck der Vollendung thematisiert,28 und schließlich auch als Ausdruck der Gnade, indem es als Offenbarwerden der Liebe Gottes bezeichnet wird.29 Im Vergleich zu Guardini und Ratzinger ist Rahner jedoch wesentlich zurückhaltender in seinen Aussagen zum Gericht. So gibt es bei ihm neben der positiven Deutung des Gerichts einige Belege, die das Gericht gerade im Gegenüber zum Heil30 und sogar im Gegenüber zur Vollendung31 betrachten. Können diese wenigen 23 24 25 26 27 28 29

Vgl. Ratzinger, Eschatologie, 169. Ratzinger, Eschatologie, 169 f. Vgl. Ratzinger, Eschatologie, 171. Ratzinger, Eschatologie, 170. Vgl. Fritsch, Vollendende Selbstmitteilung, 458. Vgl. Rahner, Art.: Gericht, 734 – 736. „[Die Parusie] Christi zum Gericht ist aber das Offenbarwerden der Liebe Gottes, weil Gott die Welt richtet durch die Tat der Liebe, die alle heimholt, die sich heimholen lassen wollen, und diesen Willen selbst schenkt[.]“Rahner, Art.: Parusie, 1038. 30 Vgl. Rahner, Experiment Mensch, 283. 31 „Der Tod des Menschen ist vielmehr das Kommen der vollendeten Freiheitsgeschichte in Un-

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Offenbarung und Gericht in protestantischer Perspektive

negativen Belegstellen zwar nicht die grundsätzlich positive Deutung des Gerichts aufheben, ist Rahner jedoch der einzige der drei untersuchten Theologen, bei dem das Gericht in einem produktiven Zusammenhang steht mit der innergeschichtlichen Zweideutigkeit, wenn er feststellt: Die Profangeschichte im allgemeinen und ganzen ist zwar hinsichtlich der Frage, was an ihr Heil und Unheil sei, zweideutig und von sich her nicht mit Sicherheit interpretierbar, sie wird sich einer eindeutigen Interpretation in dieser Hinsicht erst öffnen in dem, was wir Endgericht nennen, das selbst nicht ein Moment der Geschichte ist, sondern ihre enthüllende Aufhebung.32

Doch auch dieser Zusammenhang von Gericht und innergeschichtlicher Zweideutigkeit birgt eine gewisse Ununterscheidbarkeit in sich, die wiederum aus dem Problem der Vermittlung von Gnade als Selbstmitteilung Gottes und der allgemein-menschlichen Situation entsteht, so dass sich bei Rahner die Spannung von Heil und innergeschichtlicher Zweideutigkeit verflüchtigt. Mit folgendem Zitat: „Da jeder von Gott mit Namen genannt ist, da jeder in der Zeit vor dem Gott steht, der Gericht und Heil ist, ist jeder ein Mensch der Ewigkeit, und nicht nur die erlauchten Geister der Geschichte.“33 scheint es bei Rahner doch eher darauf hinauszulaufen, dass das Gericht als Vollendung dessen, was durch das übernatürliche Existential universal jedem Menschen innewohnt, schließlich nur ein Ausdruck der Gnade sein kann. Der Befund, dass trotz der Unterschiedlichkeit der drei untersuchten katholischen Autoren bei allen in je eigener Weise das Gericht nur im Horizont der Gnade gedeutet werden kann, weist darauf hin, dass es ein spezifisch katholisches Verständnis des Gerichts ist. Und doch gibt es auch in der jüngeren evangelischen Theologie Positionen, die gerade dieses Verständnis des Gerichts vertreten. So hat Eberhard Jüngel das jüngste Gericht als Akt der Gnade bezeichnet.34 Was ist nun das Problem an dieser Deutung? Dieser Interpretation des Gerichtsgedankens ist keineswegs vorzuwerfen, das Gericht in verharmlosender Weise als Vollendung der Offenbarung Gottes, als Vollendung seiner Liebe zu den Menschen zu beschreiben. Die Deutung des Gerichts als ein Akt der Gnade ist nur unter dem Aspekt seines eschatologischen Ausgangs nachvollziehbar, der gekennzeichnet ist von der Aufrichtung einer eschatologischen Rechtsordnung des Friedens35 und der Vollendung der Erlösung. Und der fragmentarische Charakter der Erlösung ist dabei auch Anlass genug, auf diesen eschatologischen Ausgang die christliche Hoffnung zu legen, die

32 33 34 35

mittelbarkeit vor das Geheimnis Gottes als selige Vollendung oder als Gericht.“ Rahner, Theologische Erwägungen, 333. Rahner, Weltgeschichte und Heilsgeschichte, 117. Rahner, Grundkurs, 423. Vgl. Jngel, Das jüngste Gericht. Vgl. Jngel, Das jüngste Gericht, 58 f.

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Das Gericht als symbolischer Ausdruck

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aus der Gewissheit, dass die Gnade Gottes seine Gerechtigkeit umhüllt und das Evangelium das Gesetz umschließt. Dennoch stellt sich die Frage, ob die Dialektik von Gesetz und Evangelium und ob die eschatologischen Spannungen von schon jetzt und noch nicht durch die Deutung vom Gericht als Ausdruck der Gnade nicht aufgehoben sind oder allenfalls auf eine zeitlichlineare Dimension reduziert werden, so dass die Eschatologie wiederum auf eine eschatologische Realdialektik beschränkt wäre. Mithin erscheint die Deutung des Gerichts als Gnade in einer solchen Weise von einer Antizipation des Ausgangs des Gerichts geprägt zu sein, dass es nicht verwundert, wie sehr die Fragmentarität der innerweltlich erfahrenen Erlösung, die eben gerade durch die innergeschichtliche Zweideutigkeit des Lebens gekennzeichnet ist, nur noch ein Randproblem bleibt, so dass schließlich auch die dialektischen Spannungen wegfallen. Mit dem Ausbleiben der Spannung von Gesetz und Evangelium fällt auch die Relevanz des Gesetzesbegriffs weg und schließlich die Bedeutung des Gerichts. Die Deutung des Gerichts als Gnade ist somit nicht angemessen, weil es sich eher um eine formale Aufrechterhaltung des Gerichtsbegriffs handelt, die gerade das widerständige und ambivalente Potential der Rede vom Gericht relativiert und zu stark einer antizipatorischen Deutung des Eschatons Vorschub leistet. Im Folgenden geht es um die weitere Entfaltung der These, dass das Gericht symbolischer Ausdruck der eschatologischen Grundspannung ist und als solcher gerade die Dialektik von Gesetz und Evangelium aufnimmt. Von großer Bedeutung scheint mir dabei das Verhältnis von Gericht und innerweltlicher Zweideutigkeit zu sein.

2.2 Das Gericht und die Zweideutigkeiten der Welt Mit den Zweideutigkeiten innerhalb der Welt hat sich vor allem Paul Tillich auseinandergesetzt. So ließe sich der dritte Band seiner Systematischen Theologie, der mit der Pneumatologie und Eschatologie den vierten und fünften Teil derselben umfasst, auch unter die Überschrift „Die Zweideutigkeiten des Lebens und deren endgültige Überwindung“ stellen. Bei Tillich steht alles in Korrelation zur menschlichen Situation, die zumindest stets durch die Zweideutigkeiten des Lebens geprägt ist, so auch das Gericht. Wenn davon zunächst einmal abgesehen wird, so ähneln sich in gewisser Weise die Bedeutung des Gerichts bei Guardini und Tillich, weil das Gericht eine Instanz ist, die Eindeutigkeit schafft, weil erst durch das Gericht, nämlich durch die Enthüllung des Negativen als negativ und die dadurch überwundene Zweideutigkeit des Lebens36, unzweideutiges Heil zugesprochen wird. Doch der Unterschied besteht gerade darin, dass bei Guardini eine Dialektik des Gerichtsgedankens nicht mehr auffindbar ist. Diese Dialektik ist aber nur in ihrer Korrelation zur Zweideutigkeit der Welt und aller in ihr gemachten Erfah36 Vgl. Tillich, Systematische Theologie Bd. 3, 454.

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Offenbarung und Gericht in protestantischer Perspektive

rungen präsent. Vor allem bei Guardini fällt sie durch die Perspektive eines außerweltlichen Standpunktes von vornherein weg. Auch Tillich setzt wie Guardini Erlösung und Offenbarung ineinander und kann von daher sagen: „So lange die Offenbarung als Gericht erfahren wird, ist auch die Erlösungskraft wirksam.“37 Und doch steht diese Erfahrung des Gerichts in einer Spannung zur Erlösung, womit sich auch schon der Unterschied zur Gleichsetzung von Offenbarung und Gericht, vom weltanschauenden Blick der Kirche und dem weltanschauenden Blick Christi, wie sie bei Guardini zu finden ist, abzeichnet. Denn die Spannung von Erlösung und Gericht zeigt sich darin, dass die religiös symbolische Rede vom Gericht auf die Erlösungsbedürftigkeit abzielt. An dieser Stelle kommt dann auch die Zweideutigkeit zum Tragen: Im zeitlichen und geschichtlichen Prozeß sind Offenbarung und Erlösung zweideutig. Deshalb weist die christliche Botschaft auf eine letzte Erlösung hin, die unverlierbar ist, weil sie Wiedervereinigung mit dem Seinsgrund ist. Diese letzte Erlösung ist auch die letzte Offenbarung, die oft beschrieben wird als das „Schauen Gottes“. Dann ist das Mysterium des Seins offenbar ohne den fragmentarischen und vorläufigen Charakter jeder Offenbarung.38

Auch wenn bei Tillich damit die letzte Erlösung und letzte Offenbarung sich als vollendet und nicht mehr zweideutig darstellen, ist es von Bedeutung, dass das Gericht gerade in dieser auch therapeutischen Funktion39 als Symbol, das noch im Horizont der Zweideutigkeit und des Gesetzes steht, verstanden wird. Dies wird vor allem deutlich, wenn Tillich das Jüngste Gericht als „Enthüllung des Negativen als negativ“40 wie folgt bestimmt: Im Lichte unserer Interpretation des Endes und Zieles der Geschichte als dem immer gegenwärtigen Ende und der dauernden Erhebung des positiven Inhalts der Geschichte in die Ewigkeit erhält das Symbol vom Jüngsten Gericht die folgende Bedeutung: hier und jetzt, in dem dauernden Übergang vom Zeitlichen zum Ewigen wird das Negative vernichtet mit seinem Anspruch, ein Positives zu sein, einem Anspruch, den es geltend macht, indem es sich des Positiven bedient und sich auf zweideutige Weise mit ihm mischt.41

Das Gericht ist dann bezogen auf die Zweideutigkeiten des Lebens, gerade weil sie im Jüngsten Gericht überwunden werden.42 Es steht insofern im Horizont des Gesetzes, weil das Gesetz gerade die Wurzel der Zweideutigkeit darstellt,43 37 38 39 40 41 42 43

Tillich, Systematische Theologie Bd. 1, 174. Tillich, Systematische Theologie Bd. 1, 174. Vgl. Jngel, Das jüngste Gericht, 65. Tillich, Systematische Theologie Bd. 3, 450. Tillich, Systematische Theologie Bd. 3, 451. Vgl. Tillich, Systematische Theologie, Bd. 3, 454. Vgl. Peters, Gesetz und Evangelium, 149.

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Das Gericht als symbolischer Ausdruck

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sei es als moralisches Gesetz44, als staatliches oder ziviles Gesetz45 oder in Formulierung und Anwendung von Gesetzen.46 Damit steht das Gericht unweigerlich in einem Zusammenhang zur Zweideutigkeit des innerweltlichen Lebens und hat mit dem Gesetz und dessen Zweideutigkeit seine Grenze, wo unzweideutiges Leben ermöglicht wird. Unzweideutiges Leben ist ewiges Leben, das im Neuen Sein anbricht. Das Gesetz ist das essentielle Sein des Menschen, das gegen seine Existenz steht, indem es gebietet und richtet. In dem Maße, in dem das essentielle Sein in die Existenz des Menschen hineingenommen und in ihr verwirklicht wird, hat das Gesetz aufgehört, Gesetz für ihn zu sein. Wo Neues Sein ist, gibt es kein Gebot und kein Gericht. Wenn wir daher Jesus als den Christus das Neue Sein nennen, dann sagen wir mit Paulus, daß der Christus das Ende des Gesetzes ist.47

Vor dem Hintergrund der Spannung von Existenz und Essenz und der eschatologischen Spannung von schon jetzt und noch nicht und der Zweideutigkeiten des Lebens, die Tillich in diesem Kontext mitbedenkt,48 ist es konsequent, den in Christus verwirklichten Begriff des Neuen Seins prozesshaft zu verstehen. So umschreibt er den klassischen Terminus Heiligung der reformatorischen Theologie als Prozess des Neuen Seins, der sich u. a. in der wachsenden Freiheit vom Gesetz ausdrückt: „Da die Wiedervereinigung mit unserem wahren Wesen nur fragmentarisch gelingt, ist auch die Freiheit vom Gesetz immer nur fragmentarisch.“49 Zum prozesshaften Charakter des Neuen Seins gehört dann auch, dass die Bewusstwerdung der aktuellen Situation deutlicher wird und dass das Neue Sein als Prozess zum Bewusstwerden der Zweideutigkeiten des Lebens führt.50 Tillich meint mit fragmentarisch allerdings nicht, dass das Neue Sein zweideutig sei. Es ist an sich unzweideutig, und fragmentarisch bedeutet, dass es insofern unvollendet sei, als es – an sich unzweideutig – in die Zweideutigkeiten des Lebens hingezogen ist. Der Gerichtsgedanke spiegelt die Dialektik von Gesetz und Evangelium wider und ist insofern nicht einfach ein Ausdruck der Gnade Gottes. Allerdings geht der Charakter der Gnade nicht zu Gunsten des Gesetzes verloren. So wie sich aus der Perspektive des christlichen Glaubens das Verhältnis von Gesetz und Evangelium zwar nie in seiner Dialektik aufhebt, doch aber von der Hoffnung und Gewissheit geprägt ist, dass das Evangelium und die Gnade Gottes das Gesetz und auch den Zorn Gottes umfangen, so steht der Gedanke des Gerichts als eschatologischer Ausdruck der Dialektik von Gesetz und Evangelium auch im Horizont der Hoffnung, dass das Gericht zugleich ein 44 45 46 47 48 49 50

Vgl. Tillich, Systematische Theologie, Bd. 3, 54 f. Vgl. Tillich, Systematische Theologie, Bd. 3, 103. Vgl. Tillich, Systematische Theologie, Bd. 3, 303. Tillich, Systematische Theologie Bd. 2, 130. Vgl. Tillich, Systematische Theologie Bd. 2, 131. Tillich, Systematische Theologie Bd. 3, 267. Vgl. Tillich, Systematische Theologie Bd. 3, 266.

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Ende dieser Dialektik bedeutet. Um diese teleologische Dimension nicht ausschließlich auf eine lineare heilsgeschichtliche und somit zeitliche Dimension zu reduzieren, ist dabei auf den fragmentarischen Anbruch der Unzweideutigkeit in der Erlösung hinzuweisen, in deren Horizont die Entsprechung von Gericht und Offenbarung zu sehen ist. Das Gericht bleibt im Horizont des Gesetzes und doch ist es wie das Gesetz selbst vom Horizont des Evangeliums umgriffen. So lässt sich, ohne eine eschatologische Realdialektik51 bemühen zu müssen, die symbolische Rede von einem letzten Gericht als Ausdruck der Hoffnung auf ein Ende der Zweideutigkeit verstehen. Dieses Ende der Zweideutigkeit ist dann allerdings in dem Sinne eschatologisch zu verstehen, dass es in der Dialektik von schon jetzt und noch nicht steht. Die Erfahrung unzweideutigen Heils gibt es schon jetzt, sie wird aber auf Grund der Endlichkeit des menschlichen Daseins immer nur innerhalb der Zweideutigkeit der Welt gemacht und ist insofern nicht vollendet, sondern bleibt fragmentarisch. Es ist der fragmentarische Charakter des unzweideutigen Heils innerhalb der zweideutigen Welt, der sowohl den Grund für die eschatologische Grundspannung von schon jetzt und noch nicht in ihrer mehrdimensionalen Entfaltung darstellt als auch das erfahrene unzweideutige Heil wiederum in eine Spannung zu aller Zweideutigkeit der lebensweltlichen Erfahrungen stellt. Vor dem Hintergrund dieser Spannungen ist auch das Problem des Verhältnisses von Universalität und Partikularität der Heilserfahrungen in der Zweideutigkeit zu betrachten.

3. Das Prinzip der Universalität und sein Verhältnis zur Partikularität Der fragmentarische Charakter des Heils als einer in der zweideutigen Welt zu machenden Erfahrung von Unzweideutigkeit und Ewigkeit spiegelt sich in dem Verhältnis von Gemeinschaft und Individualität christlichen Lebens wider. Das Neue Sein bleibt fragmentarisch und unvollendet, weil es weder im Selbstbewusstsein des Individuums noch in der Gemeinschaft der Kirche verfügbar ist, sondern als die Ewigkeitsdimension der Geschichte selbst nicht geschichtlich ist. Tillich stellt die Rede vom Neuen Sein in diese Spannung: Das Neue Sein als Erfüllung ist die Ewigkeitsdimension der Geschichte, in der die Zweideutigkeit der Geschichte aufgehoben ist. Diese Ewigkeitsdimension wirkt 51 Vgl. Peters, Gesetz und Evangelium, 30 – 38. Oder auch „Ist der endzeitliche Gerichtshorizont verblaßt, so läßt sich die Rechtfertigung umfunktionieren auf eine Grundfigur personaler Existenz oder als eine Stufe im gott-menschlichen Freiheitsprozeß ansehen.“ Peters, Rechtfertigung, 238. Dieses Insistieren auf einen endzeitlichen Horizont hat wiederum Korsch kritisiert: Vgl. Korsch, Glaubensgewißheit und Selbstbewußtsein, 5.

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Das Prinzip der Universalität

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hinein in die Geschichte und schafft Neues Sein in der Geschichte, aber wird wieder und wieder verzerrt durch das Dämonische in der Geschichte.52

In dieses Geflecht von aufgehobener Zweideutigkeit in der fragmentarischen Erfüllung des Neuen Seins und deren Verzerrung durch die Geschichte mit ihrer Zweideutigkeit ist auch die Kirche in ihrer Dialektik von Universalität und Partikularität einzuordnen. Die Zweideutigkeit der Geschichte ist der Grund für die Selbstunterscheidung der Kirche vom Reich Gottes. Zwischen den Polen Kirche und Reich Gottes sieht Tillich eine weitere Größe, die Geistgemeinschaft: Die Geistgemeinschaft ist unzweideutig, sie ist Neues Sein, geschaffen durch den göttlichen Geist. […] Die Geistgemeinschaft ist eine unzweideutige, wenn auch fragmentarische Schöpfung des göttlichen Geistes. „Fragmentarisch“ bedeutet hier, daß sie unter den Bedingungen der Endlichkeit erscheint, aber Entfremdung und Zweideutigkeit siegreich überwindet.53

Unterschieden von der Kirche, aber auch vom Reich Gottes in letzter Vollendung54 ist die Geistgemeinschaft bei Tillich wegen ihrer Unzweideutigkeit „das Kriterium für die Universalität religiöser Gruppen.“55 Die Partikularität der Kirchen steht dann bei Tillich mit folgendem Paradox: Das Paradox der Kirchen besteht darin, daß sie auf der einen Seite an den Zweideutigkeiten des religiösen und des Lebens im allgemeinen teilnehmen, daß sie aber auf der andern Seite an dem unzweideutigen Leben der Geistgemeinschaft teilhaben.56

In diese paradoxe Struktur zeichnet Tillich auch die Prädikate der Kirche ein. Heiligkeit, Einheit und Universalität sind jeweils von paradoxem Charakter.57 „So universal die Kirchen auch zu sein versuchen, ihre Universalität ist immer nur paradox in ihrer Partikularität gegenwärtig.“58 Dabei kritisiert Tillich auch den Positivismus der Theologie: Wird eine partikulare Kirche im rein positivistischen Sinne bejaht, so wird damit ihr Wesensanspruch auf Universalität aufgegeben. Dieser Anspruch kann nur aufrecht erhalten werden, wenn man versteht, daß das Universale paradox im Partikularen gegenwärtig ist. Das, was bloß „positiv“ gegeben ist, z. B. eine partikulare christliche Kirche, kann nicht universal verstanden werden.59 52 53 54 55 56 57 58 59

Tillich, Das Neue Sein, 380. Tillich, Systematische Theologie Bd. 3, 177. Vgl. Tillich, Systematische Theologie Bd. 3, 184. Tillich, Systematische Theologie Bd. 3, 185. Tillich, Systematische Theologie Bd. 3, 194. Vgl. Tillich, Systematische Theologie Bd. 3, 197 – 200. Tillich, Systematische Theologie Bd. 3, 200. Tillich, Systematische Theologie Bd. 3, 201 f.

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An dieser Stelle ergibt sich ein Problem bei der Rezeption von Tillich: Warum beschreibt er das Verhältnis von Universalität und Partikularität als paradox? Ist es nicht geradezu eine Signatur der Zweideutigkeit der Welt und aller Lebenserfahrung in ihr, dass das Universale, sei es Gott, sei es die Wahrheit oder sei es unzweideutiges Leben, immer nur fragmentarisch angeeignet wird? Fragmentarisch ist es deshalb, weil sich diese Aneignung – oder besser –, weil sich das Universale und Ewige im geschichtlichen Prozess erschließt. Bei Tillich ist auch eine Tendenz zur Universalisierung und Antizipation des Reiches Gottes bei der Entfaltung des Neuen Seins nicht von der Hand zu weisen. Deshalb handelt es sich bei ihm um ein paradoxes Verhältnis von Universalität und Partikularität. Noch stärker als Tillich es tut, ließe sich das Fragmentarische der Offenbarung Gottes betonen, wenn das Verhältnis von Universalität und Partikularität nicht paradox, sondern dialektisch beschrieben wird, was zur Folge hätte, dass der Charakter der Partikularität in einer Weise gewürdigt werden kann, die von einer Positivität ausgeht. Schlägt man dagegen mit Tillich einen Weg ein, der eine klare Tendenz zur Universalität aufweist, um dem paradoxen Verhältnis von Universalität und Partikularität zu entgehen, steht man schließlich wieder vor dem Problem des Geheimnisses, das sich in seiner ganzen Schärfe bei Rahner zeigt und das sich bei Tillich in dem Gedanken vom Gott über Gott abzeichnet: „The God above God is a name for God who appears in the radicalism and the seriousness of the ultimate question, even without an answer.“60 Der bleibend sich verschweigende Gott, der bei Rahner das absolute Geheimnis ist, ist um der Universalität willen, die keine Partikularität dulden kann, eben ein Verharren im Geheimnis. Die Universalität der Kirche als Geistgemeinschaft ist auch nicht abhängig von der Universalität einer Kirche. Und ganz im Einklang mit Tillich ist festzuhalten: „Das Prinzip der Universalität ist nur dann verletzt, wenn ein Element oder mehrere Elemente zu absoluter Gültigkeit erhoben und andere Elemente ausgeschlossen werden.“61 Es gilt also mit Tillich und gegen Tillich, die Universalität des Neuen Seins in dessen partikularen Erscheinungsformen aufzusuchen. Der universale Charakter ist so wie das Neue Sein insgesamt ein eschatologisches Symbol, so dass sich die Dialektik von Universalität und Partikularität einfügt in die eschatologische Dialektik von schon jetzt und noch nicht. Doch letztlich ist auch bei Tillich die Dialektik von Universalität und Partikularität gewahrt, indem sich das Neue Sein in Christus verwirklicht. Hier zeigt sich, dass das Konkrete universal sein kann und damit partikular erkannt wird mit dem Effekt, dass diese Erkenntnis hier und jetzt fragmentarisch bleibt.62

60 Tillich, The God above God, 418. 61 Tillich, Systematische Theologie Bd. 3, 200. 62 Vgl. Tillich, Das Neue Sein, 373.

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Göttlicher Geist und menschlicher Geist

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4. Göttlicher Geist und menschlicher Geist Die Universalität des Neuen Seins ist nicht zuletzt deshalb eine eschatologisch zu verstehende Qualität, weil das Neue Sein in Christus verwirklicht ist und eine durch den Geist vergegenwärtigte Vereinigung des Menschen mit Gott darstellt. Daher ist sie nur vom göttlichen Geist her zu verstehen. Ein universales Neues Sein wäre das eschatologisch vollendete Reich Gottes, während sich, wie schon dargestellt, das Neue Sein in menschlicher Erfahrung partikular als Geistgemeinschaft ereignet. Da die Geistgemeinschaft stets eine Gemeinschaft von Menschen ist, müssen menschlicher Geist und göttlicher Geist in Beziehung gestellt werden. Sie bleiben jedoch in der zweideutigen Welt, in der der Geist Gottes den menschlichen Geist ergreift und das Neue Sein in seiner Unzweideutigkeit fragmentarisch bleibt. Das Verhältnis von menschlichem und göttlichem Geist ist nur vorläufig zu beschreiben, weil sich in ihm die eschatologische Dialektik von schon jetzt und noch nicht widerspiegelt, gleichwohl lassen sich einige Aussagen zu dieser Dialektik vom menschlichen und göttlichen Geist machen: 1. Der göttliche Geist erhebt den menschlichen Geist zum unzweideutigen Leben in der Vereinigung mit Gott.63 2. Der Mensch kann sich nicht selbst zu unzweideutigem Leben erheben.64 3. Die Teilhabe des menschlichen Geistes am göttlichen Geist orientiert sich an der Gegenwart Christi durch den Geist.65 4. Der Christusbezug ist und bleibt Unterscheidungsmerkmal des göttlichen Geistes vom menschlichen Geist. 5. Jegliche Antizipation des Eschatons ist allein verbürgt durch den göttlichen Geist und damit durch Gott selbst. Und zugleich ist das Eschaton erfahrbar in der Gemeinschaft des Geistes und in der individuellen unmittelbaren Gewissheit des Einzelnen. 6. Die Kontinuität des Neuen Seins, das in Christus angebrochen ist, ist durch den Geist verbürgt.66 7. Der göttliche Geist stellt den menschlichen Geist in eine Gemeinschaft, die als Geistgemeinschaft in der Kirche sichtbar wird. 63 Nach Tillich gilt vom göttlichen Geist: „[E]r erhebt den menschlichen Geist in die transzendente Einheit unzweideutigen Lebens und gibt ihm die unmittelbare Gewißheit der Wiedervereinigung mit Gott[.]“Tillich, Systematische Theologie Bd. 3, 153. 64 „Der Mensch in seiner Selbst-Transzendierung kann nach dem göttlichen Geist verlangen, aber er kann ihn nicht auf sich herabzwingen – er muß von ihm ergriffen werden. Der Mensch bleibt immer er selbst.“ Tillich, Systematische Theologie Bd. 3, 135. 65 Vgl. Tillich, Systematische Theologie Bd. 3, 171 – 176. 66 „Da die Menschheit von Gott niemals alleingelassen ist, sondern ständig unter dem Einfluß des göttlichen Geistes steht, ist zu allen Zeiten Neues Sein in der Geschichte. Immer und überall ist Partizipation an der transzendenten Einheit unzweideutigen Lebens vorhanden. Aber diese Partizipation ist ,fragmentarisch‘.“ Tillich, Systematische Theologie Bd. 3, 166.

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Offenbarung und Gericht in protestantischer Perspektive

8. Der menschliche Geist ist jedoch auch durch die geistgewirkte Teilhabe am Neuen Sein Christi nicht der Welt entzogen. Er kann keinen außerweltlichen Standpunkt einnehmen.67 9. Bei allem bleibt die Undefinierbarkeit des Geistes eine letzte Gemeinsamkeit von göttlichem und menschlichem Geist. Es gibt keinen festen Begriff des Geistes.68 Dieser Versuch einer Verhältnisbestimmung kann wegen des letzten Satzes nur annäherungsweise erfolgen. Doch es stellt sich die Frage für Theologie und Kirche, wie denn nun das unzweideutige Leben in der Gegenwart des Geistes beschrieben werden kann, so dass auch die religiöse Sehnsucht des Menschen nach unzweideutigem Heil gestillt wird. Antworten auf die Frage sind nur im Rahmen der Spannung von schon jetzt und noch nicht möglich und in dem Bewusstsein, dass die religiöse Sehnsucht nur durch die Gegenwart des Geistes selbst gestillt werden kann. Um die Gegenwart des Geistes und damit die Gegenwart des unzweideutigen Heils zum Ausdruck zu bringen, hat Trillhaas von einer „Potenzierung des Geistes im Menschen“69 gesprochen. Doch gerade weil diese Potenzierung nicht quantitativ – sei es in spiritueller Hinsicht oder in intellektueller Hinsicht – zu verstehen ist, scheint es mir vor allem von Bedeutung, dass bei jeglichem Versuch der Beschreibung der Gegenwart des Geistes deren fragmentarischer Charakter gewahrt bleibt. So lassen sich auch eschatologische Bilder – sei es in der Rede vom Himmel oder sei es in der Vorstellung von einem ewigen Friedensreich – gebrauchen, um das Neue Sein in der Geistgemeinschaft zu beschreiben. In der Untersuchung der Ansätze von Guardini, Rahner und Ratzinger aus protestantischer Perspektive hat sich gezeigt, dass der Versuch, die Gegenwart des Eschatons zu beschreiben, ein gemeinsames Thema beider Konfessionen ist, das sich noch vor den Fragen nach den konfessionellen Unterschieden stellt. Die Annäherungsversuche haben gemeinsam, dass sie sich in je eigener Weise auf die Verwirklichung des Eschatons im Christusgeschehen beziehen. Gegenüber diesen Versuchen ist es aus protestantischer Perspektive angemessen, das Fragmentarische der Gegenwart des Geistes zu betonen. Dadurch wird die individuelle und gemeinschaftliche Erfahrung der Gegenwart Gottes zum Ausdruck gebracht, ohne dass die Verzerrungen durch die Zweideutigkeiten der Welt unberücksichtigt bleiben. Dies ermöglicht es, die faktisch 67 „Wo der Logos-Charakter des menschlichen Geistes vernichtet wird, handelt es sich nicht um das Wirken des göttlichen Geistes, sondern um dämonische Besessenheit.“ Tillich, Systematische Theologie Bd. 3, 135. 68 Vgl. Trillhaas, Dogmatik, 433. 69 „Der göttliche Geist bringt eine Potenzierung des Geistes im Menschen zustande. Diese Potenzierung darf nach dem Gesagten nicht quantitativ verstanden werden. Sie bedeutet keine Zunahme an ,Spiritualität‘ oder ,Intellektualität‘, sondern sie bezeichnet ganz bestimmte Vorgänge, deren Eigenart darin zu suchen ist, daß sie einerseits den Menschen für Gott erschließen und daß sie andererseits sich ganz und gar in den Bahnen und Regeln unseres geistigen Lebens vollziehen.“ Trillhaas, Dogmatik, 437.

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Göttlicher Geist und menschlicher Geist

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erlebte Differenz und Partikularität des christlichen Glaubens ernst zu nehmen. Die universale Dimension ist jedoch deshalb nicht aufgehoben, sondern ist in der Unzweideutigkeit des Heils zu suchen, das fragmentarisch anbricht. Im Unterschied zu Guardini wäre dann gewahrt, dass die Perspektive des christlichen Glaubens stets als ein innerweltlicher Standpunkt zu verstehen ist. Und durch diesen Standpunkt wäre dennoch die Unterscheidung des Christlichen ein Thema. Diese Unterscheidung des Christlichen ist dann mit dem innerweltlichen Standpunkt des Glaubens in Beziehung zu setzen, so dass menschlicher und göttlicher Geist unterschieden werden. Dabei ist vor allem zu beachten, dass die Bezogenheit des göttlichen auf den menschlichen Geist – die sich in der Teilhabe an der Geistgemeinschaft zeigt – stets als Erfahrung zu beschreiben ist. Diese Erfahrung ist dann im Unterschied zu Rahner nicht apriorisch zu deuten, sondern stets aposteriorisch, weshalb der unvollendete, fragmentarische Charakter von vornherein in einem Zusammenhang mit den Verstrickungen in die Zweideutigkeiten der Welt steht. Um mit diesen Verstrickungen und ihren Verzerrungen angemessen umzugehen, ist es notwendig, die Teilhabe an der Geistgemeinschaft in ein kritisches Verhältnis zur Kirche zu setzen. Dies gilt um so mehr, wenn das Bild der Geistgemeinschaft durch das Bild der trinitarischen communio (Ratzinger) ersetzt wird, so dass von einer Teilhabe an der trinitarischen Gemeinschaft die Rede ist. Die Erfahrung unzweideutigen Heils kann nur als vollendet verstanden werden, wenn das Leben der Menschen nicht von den Zweideutigkeiten der Welt gekennzeichnet ist. Die Überwindung dieser Zweideutigkeiten ist das Thema des letzten Gerichts.

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Denzinger, Heinrich: Enchiridon Symbolorum definitionum et declarationum de rebus fidei et morum / Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen, hrsg. v. P. Hünermann. DV Das Zweite Vatikanische Konzil: Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung „Dei verbum“, DH 4201 – 4235. SW Karl Rahner : Sämtliche Werke. SzTh Karl Rahner : Schriften zur Theologie. Alle weiteren Abkürzungen von Zeitschriften, Lexika und Reihen folgen Schwertner, Siegfried M., Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete (IATG), Berlin u. a. 21992.

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Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Band 133: Andreas Losch Jenseits der Konflikte

Band 126: Maike Schult Im Banne des Poeten

Eine konstruktiv-kritische Auseinandersetzung von Theologie und Naturwissenschaft

Die Theologische Dostoevskij-Rezeption und ihr Literaturverständnis

2011. 285 Seiten mit 2 Abb. und einer Tab., geb. ISBN 978-3-525-56366-3

2010. 430 Seiten mit 12 Abb., gebunden ISBN 978-3-525-56349-6

Band 132: Stefan Dienstbeck Transzendentale Strukturtheorie

Band 125: Reinhard Leuze Das Christentum

Stadien der Systembildung Paul Tillichs

Grundriss einer monotheistischen Religion

2011. 491 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-56364-9

2010. 204 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-56358-8

Band 131: Gunther Wenz Band 124: Christina Costanza Grundfragen ökumenischer Theologie Einübung in die Ewigkeit Gesammelte Aufsätze Band 2 2010. 368 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-56362-5

Band 129: Florian Ihsen Eine Kirche in der Liturgie Zur ekklesiologischen Relevanz ökumenischer Gottesdienstgemeinschaft 2010. 313 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-56360-1

Julius Kaftans eschatologische Theologie und Ethik 2009. 375 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-56351-9

Band 123: Michael Coors Scriptura efficax. Die biblisch-dogmatische Grundlegung des theologischen Systems bei Johann Andreas Quenstedt Ein dogmatischer Beitrag zu Theorie und Auslegung des biblischen Kanons als Heiliger Schrift

Band 128: Christian Johannes Neddens Politische Theologie und Theologie des Kreuzes

2009. 398 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-56397-7

Werner Elert und Hans Joachim Iwand

Band 122: Katrin Dieckow Gespräche zwischen Gott und Mensch

2010. 917 Seiten mit 6 Abb., gebunden ISBN 978-3-525-56354-0

Studien zur Sprache bei Kierkegaard

Band 127: Ulrich Beuttler Gott und Raum – Theologie der Weltgegenwart Gottes

2009. 238 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-56356-4

2010. 624 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-56400-4

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Bonner Biblische Beiträge Olaf Rölver

Antonius Kuckhoff

Christliche Existenz zwischen den Gerichten Gottes

Psalm 6 und die Bitten im Psalter

Untersuchungen zur Eschatologie des Matthäusevangeliums Juni 2010, 642 Seiten, gebunden, € 74,90 D ISBN 978-3-89971-767-9

Ein paradigmatisches Bitt- und Klagegebet im Horizont des Gesamtpsalters November 2010. Ca. 274 Seiten, gebunden, ca. € 43,90 D ISBN 978-3-89971-776-1

Ein neuer Blick auf die Gerichtsaussagen des Matthäusevangeliums

Die Sprache des Gebets: Inhalt und poetische Gestalt von biblischen Bittgebeten

Bernd Biberger

Stefan Schapdick

Endgültiges Heil innerhalb von Geschichte und Gegenwart

Eschatisches Heil mit eschatischer Anerkennung

Zukunftskonzeptionen in Ez 38–39, Joel 1–4 und Sach 12–14 November 2010. Ca. 460 Seiten, gebunden, ca. € 57,90 D ISBN 978-3-89971-609-2 Zukunftskonzeptionen in Ezechiel 38–39, Joel 1–4 und Sacharia 12–14: Protoapokalyptische Texte?

Exegetische Untersuchungen zu Funktion und Sachgehalt der paulinischen Verkündigung vom eigenen Endgeschick im Rahmen seiner Korrespondenz an die Thessalonicher, Korinther und Philipper Dezember 2010. Ca. 508 Seiten, gebunden, ca. € 64,90 D ISBN 978-3-89971-610-8 Die Zusammenstellung eschatologischer Motive bei Paulus: tagesaktuell und nie auf Systematisierbarkeit angelegt

www.vr-unipress.de | Email: [email protected] | Tel.: +49 (0)551 / 50 84-301 | Fax: +49 (0)551 / 50 84-333

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