NS-Zwangsarbeit: Der Standort Linz der Reichswerke Hermann Göring AG Berlin, 1938-1945
 9783205128731, 3205994175, 9783205994176

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STANDORTPLAN DER REICHSWERKE

" Reichswerke AG für Erzbergbau u. Eisenhütten WATENSTEDT-SALZGITTER

Ewald-Köni Ludwig

Stahlwerke Braunschweig"

Steinkohlengewerkschaft

Schachtbau

Bergbau-AG Erzbergbau

Steine und Erden

8.000 Hiittenverwaltung Westmark

Anmerkung: Die Ziffern in den Kreisen stellen den Belegsehaftsstand 1944 dar.

Bergwerksverwaltung Kleinrossel

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Reichswerke AQ .. für Berg- u. Hüttenbetriebe | „MONTANBLOCK"

1.200

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Ich bestätige hiermit eidesstattlich, dass dieser Plan aus den von mir verwalteten Akten der Hermann-Göringwerke stammt. Nürnberg, den 12.7.48

( Walter Scharlipp Sudeteniändischer Bergbau r

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Treibstoffwerke

Bergwerksverwaltung

68.000

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18.000

1

Poldihütte

52.000 Wittkowitz n / S

eifwerke ierdonau Alpine Montanbetriebt!

Eisenwerke Krieglach,,,

Steirische Gußstahlwerl

Graz-Köfiacher Eisenìishn- u. Bergbau

Oberschlesien

böhlauWien

Oliver Rathkolb (Hg.) NS-Zwangsarbeit: Der Standort Linz der Reichswerke Hermann Göring AG Berlin, 1938-1945

Band 1:

Christian Gonsa, Gabriella Hauch, Michael John, Josef Moser, Bertrand Perz, Oliver Rathkolb, Michaela C. Schober Zwangsarbeit - Sklavenarbeit: Politik-, sozial- und wirtschaftshistorische Studien

Band 2:

Karl Fallend Zwangsarbeit - Sklavenarbeit in den Reichswerken Hermann Göring am Standort Linz (Auto-)Biographische Einsichten

Christian Gonsa, Gabriella Hauch, Michael John, Josef Moser, Bertrand Perz, Oliver Rathkolb, Michaela C. Schober

Zwangsarbeit - Sklavenarbeit: Politik-, sozial- und wirtschaftshistorische Studien

Böhlau Verlag Wien • Köln • Weimar

Gedruckt mit der Unterstützung durch die VOEST ALPINE AG , Linz

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhäldich ISBN 3-205-99417-5 Das Werk ist urheberrechdich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Ubersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ähnlichem Wege, der Wiedergabe im Internet und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2001 by Böhlau Verlag Ges. m. b. H. und Co. K G , Wien • Köln • Weimar http ://www.boehlau.at Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefreiem Papier Druck: Berger, Horn

Inhalt

Oliver Rathkolb E I N L E I T U N G U N D H I N T E R G R U N D ZU P R O J E K T U N D B U C H

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Michael John ZWANGSARBEIT UND

NS-INDUSTRIEPOLITIK

AM S T A N D O R T L I N Z

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Michaela C. Schober Z W A N G S A R B E I T E R I N N E N DER REICHSWERKE H E R M A N N G Ö R I N G AM S T A N D O R T L I N Z STATISTIKBERICHT UNTER

-

BERÜCKSICHTIGUNG

DER D E U T S C H E N S T A A T S A N G E H Ö R I G E N

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Oliver Rathkolb A M B E I S P I E L PAUL P L E I G E R S U N D SEINER M A N A G E R IN L I N Z - E L I T E N Z W I S C H E N W I R T S C H A F T S T R Ä U M E N , N S - E R O B E R U N G S - UND

RÜSTUNGSPOLITIK,

ZWANGSARBEIT UND NACHKRIEGSJUSTIZ

287

Josef Moser A u s ÖKONOMISCHER SLCHT: D l E B E D E U T U N G DES E I N S A T Z E S AUSLÄNDISCHER ARBEITSKRÄFTE,

ZWANGSARBEITERINNEN,

K R I E G S G E F A N G E N E R U N D K Z - H Ä F T L I N G E IN D E N EISEN- UND STAHLWERKEN

LINZER 323

Gabriella Hauch Z W A N G S A R B E I T E R I N N E N U N D IHRE K I N D E R : Z U M G E S C H L E C H T DER Z W A N G S A R B E I T

355

BERTRAND PERZ K Z - H Ä F T L I N G E ALS Z W A N G S A R B E I T E R DER R E I C H S W E R K E „ H E R M A N N G Ö R I N G " IN L I N Z

449

CHRISTIAN GONSA G R I E C H E N I N L I N Z : D E R „ A R B E I T S E I N S A T Z " BEI D E N REICHSWERKEN AM GRIECHISCHEN BEISPIEL

REGISTER

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Oliver Rathkolb

Einleitung und Hintergrund zu Projekt und Buch

Selten hat ein österreichzentriertes Forschungsprojekt aus dem zeithistorischen Bereich mit einem derart internationalen medialen Paukenschlag begonnen: „A commission investigating Nazi slave labor in an Austrian factory found more than 30,000 files containing information about foreign workers forced to work in the plant during World War II" (Associated Press, George Jahn, 16. Dezember 1998). Diese Agenturmeldung ging um die Welt, wobei sich die Schlagzeilen deckten: „Descubren las fichas de 30.000 prisioneros empleados por empresas nazis" (El Mundo, 16. Dezember 1998). Diese spanische Version findet sich in ähnlicher Textierung in ganz Europa, in den USA und anderen Ländern sowohl in Printmedien als auch in Rundfunkmeldungen - zum Beispiel in Kalifornien - wieder. Seit Anfang 1996 war die internationale Medienöffentlichkeit zunehmend an den Verhandlungen über „schlafende Konten" von Holocaustopfern in der Schweiz und damit an allen Fragen betreffend nationalsozialistische Ausbeutungspolitik interessiert, wobei das Faktum an sich weder im historischen Bereich noch im unmittelbaren Nachkriegsdiskurs unbekannt war. Es hatte aber bis 1996 keinen öffentlichen und damit keinen medialen und politischen Wert. Die „schlafenden Konten" von Exilanten und Holocaustopfern waren nach 1945 durchaus bekannt, doch die Schweizer Banken verweigerten in den meisten Fällen die konkrete materielle Auseinandersetzung mit diesem Thema. Daß die nachfolgenden Argumente, Zahlenangaben und vieles andere im öffentlichen Diskurs völlig überzogen waren, ist eine Folge der politischen Debatte, die sich 1995 die Schweiz mit einer internationalen Expertenkommission ersparen hätte können. In dem Moment, als jede Kooperationsbereitschaft: abgelehnt wurde und in einem Fall Akten zum Thema vernichtet hätten werden sollen, war die Diskussion für einige Zeit nicht mehr moderierbar und hat den Schweizer Banken ein Vielfaches dessen an Schadensbegrenzungsmaßnahmen gekostet, als diese Konten wert waren. Der Diskurs über eine Entschädigung von Zwangsarbeiterinnen hat bereits in den 1980er Jahren in der Bundesrepublik Deutschland begonnen - mit ersten Publikationen, ausgehend von Ulrich Herbert, zahlreichen regionalen Studien und einer Wanderausstellung. Diese öffentlichen Debatten führten sowohl zu deutschen Gerichtsverfahren als auch zu einer Bundestagsdebatte. Dies war ein innerdeutscher Diskurs ohne jede Beteiligung von US-Lobbies. Die US-Debatte knüpfte dann sehr rasch an diese Vordiskussion an, die die Grünen im Bundestag bereits unterstützt und dann realpolitisch in die Koalition mit der SPD eingebracht hatten. In Osterreich blieben die Arbeiten von Florian

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Oliver Rathkolb

Freund und Bertrand Perz zum Thema ohne jede politische Folge und erhielten nur geringe, meist punktuelle mediale Resonanz. Festgehalten werden sollte, daß auch in den USA eine breite Sensibilisierung für die materiellen Auswirkungen des NS-Regimes im allgemeinen und die ZwangsarbeiterProblematik im besonderen spät erfolgte, da die Nachkriegsprobleme und der Kalte Krieg diese Thematik zugedeckt hatten. Erst ab Mitte der 1970er Jahre beginnt in der US-Gesellschaft eine breite gesellschaftliche Reorientierung in der eigenen Bewertung des Zweiten Weltkrieges und des Holocaust, eine Debatte, die aber heute bereits weiter geht und Menschenrechtsfragen an sich und die Bedeutung individueller Rechte in Diktaturen zunehmend in den Vordergrund stellt. Am Rande sei bemerkt, daß die Breite des US-Diskurses in Europa und Osterreich im speziellen völlig übersehen wird, da er längst das Thema „Holocaust" und Entschädigung für in der NS-Zeit erlittenes Unrecht verlassen hat - sowohl im juristischen als auch medialen Diskurs stehen Fragen wie Class Actions aus der Afro-American Community wegen Sklaverei, aber auch die Frage nach Restitution und das Recht auf Rückkehr für palästinensische Flüchtlinge nach Israel bereits im Zentrum von Auseinandersetzungen. Hingegen ist dieser Trend, individuelle Rechte selbst gegen Staaten und große Unternehmen mittels juristischer Mittel durchzusetzen - häufig von NGOs getragen - , nach wie vor wirksam, wie Urteile auf Entschädigungszahlungen gegen Kriegsverbrecher im ehemaligen Jugoslawien dokumentieren. Primär geht es aber bei diesen Auseinandersetzungen nicht um konkrete Entschädigung, sondern um eine politische Anerkennung des Unrechtscharakters eines diktatorischen Regimes. Der „globale Medien-Marktwert" des gegenständlichen Themas NS-Zwangsarbeit und Sklavenarbeit (letztere bezieht sich auf Zwangsarbeit von KZ-Häftlingen) wurde durch den Beginn einer Reihe von „Sammelklagen" - zuerst gegen Schweizer Banken, dann gegen deutsche Banken, Unternehmen und Versicherungen (sowie mit Verzögerung auch gegen österreichische und französische Pendants) - wesentlich erhöht und damit auch eine breite politische Debatte ausgelöst. Diese liefen unter anderem zusätzlich zu Kompensationen für noch nicht geleistete Entschädigung für „Arisierungen" (d. h. dem durch scheinlegale Konstrukte getarnten Raub des Eigentums von Juden und Jüdinnen im NS-Regime) auf Entschädigungen für Zwangsarbeit in der NS-Zeit hinaus. Diesem internationalen Diskurs wollte sich das VA Stahl A G Spitzenmanagement nicht entziehen, und der Vorstand nominierte den Finanzvorstand, Dr. Wolfgang Eder, sich mit diesem Themenbereich auseinanderzusetzen und umfassende Klarheit über die historischen Rahmenbedingungen und Auswirkungen zu bekommen. Das Faktum, daß die Linzer Eisen- und Stahlindustrie auf eine NS-Gründung durch die Reichswerke Hermann Göring AG Berlin zurückzuführen war, ist gerade in Linz durchaus im öffentlichen Bewußtsein präsent und in der wissenschaftlichen Literatur seit den Arbeiten Helmut Fiereders Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre, aber auch in Firmenfestschriften entsprechend dokumentiert. Das Faktum des Einsatzes von KZ-Häftlingen wurde

Einleitung und Hintergrund zu Projekt und Buch

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nicht nur bereits im Nürnberger Prozeß analysiert, sondern spätestens Ende der 1970er Jahre in der historischen Literatur in Osterreich wieder reflektiert. Unklar war aber, welche konkreten Arbeits- und Lebensbedingungen Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen in den Linzer Betrieben vorfanden, d. h. der Hütte Linz, den Eisenwerken Oberdonau und der kleinen StahlbaugesmbH sowie in den Versorgungsbetrieben und in den zahlreichen Baufirmen, die den Aufbau der Göring-Werke in Linz durchführten. Trotz einiger Diplomarbeiten Ende der 1980er und in den frühen 1990er Jahren standen Einzelfälle im Vordergrund, die Tiefen- und Gesamtanalyse blieb aus, da dies mit einem zeitund kostenintensiven Forschungsaufwand verbunden war. Völlig offen war die Gesamtzahl der eingesetzten Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen und ihre jeweilige nationale Zuordnung - ganz zu schweigen von den Namen der heute noch Lebenden. Genau diese Fragen wollte der Vorstand der V A Stahl A G beantwortet sehen, nichts soll verschwiegen werden, alle Fakten sollen umfassend dokumentiert von einer unabhängigen Historikergruppe analysiert werden. Ausschlaggebend für die Wahl des Projektleiters war ein Projekt, das ich seit Februar 1998 für die Postsparkasse im Auftrag des damaligen Generaldirektors Max Kothbauer leitete. Auch hier standen die Gesamtheit der 7.000 in der NS-Zeit beschlagnahmten Konten und die dahinter stehenden individuellen Schicksale der verfolgten und vertriebenen Kunden und Kundinnen nach 1938 im Vordergrund. Daher war ich nur bereit, dieses Projekt in Linz zu übernehmen, wenn ich sicher sein konnte, daß ich nicht nur unabhängig arbeiten würde, sondern daß dem Projektteam alle noch vorhandenen internen Materialien ähnlich wie bei der Postsparkasse zur Verfügung gestellt werden würden. Nach mehreren Gesprächen mit Dr. Eder und Vertretern des mittleren Managements - vor allem auch mit dem Leiter der Rechtsabteilung Dr. Markus Geier und dem Leiter der Offendichkeitsarbeit Wilhelm Nitterl - wurden mögliche historische Materialsammlungen in diversen Konzernabteilungen lokalisiert. Dabei wurde dieser oben beschriebene Fund gemacht, als in einem Keller unter einem ehemaligen „Luftschutzturm" die größte Sammlung von detaillierten Lohn- und Personalunterlagen ehemaliger Zwangsarbeiterinnen in der NS-Zeit - außerhalb der Krankenkassen - gemacht wurde. Diese Informationen gingen aber in vielen Bereichen, wie dem Beitrag von Michaela C. Schober in diesem Band (S. 147 ff.) zu entnehmen ist, über die Grundinformationen der Krankenkasse hinaus, die jedoch ebenfalls in die Datenbank des Projekts eingearbeitet wurden. Dadurch haben die Opfer des NS-Regimes wieder ihre Namen bekommen, und eine umfassende empirische Analyse war durchführbar geworden. Es sollte aber nicht verschwiegen werden, daß 1983 die V O E S T offiziell ein Forschungsansuchen der Historiker Florian Freund und Bertrand Perz, das auf Materialsuche innerhalb des Werkes zum Thema Zwangsarbeit angelegt war, abschlägig beschieden hat. . An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, daß ohne die organisatorische, inhaltliche und finanzielle Unterstützung des Vorstands (Generaldirektor Strahammer und Direktor Eder, der als ständiger Ansprechpartner zur Verfügung stand) und der Kommunika-

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,Luftschutzturm" nach einem Bombenangriff, 1944

tionsabteilung mit Herrn Nitterl und Frau Marie-Luise Hütteneder sowie zahlreicher anderer Abteilungen der VOEST ALPINE AG, Linz ausgehend von der Rechtsabteilung Dr. Geiers, dieses Projekt nicht zustande gekommen wäre. Am 20. April 2001 hat die Projektgruppe diesen vorliegenden Bericht an das V O E S T ALPINE Management übergeben, das ihn ohne den geringsten Einwand akzeptierte. Bei diesem langen Gespräch wurde deudich, daß Generaldirektor Strahammer und Direktor Eder unsere historischen Erkenntnisse auch in den Betrieb, unter das Management und die Arbeiter und Arbeiterinnen bringen werden. Ich bedaure aufrichtig, daß aufgrund des tragischen Unfalltodes Dr. Strahammer seine beeindruckende Reformpolitik im Unternehmen - zu der ganz am Rande auch das Geschichtsverständnis gehört - nicht mehr persönlich mittragen kann. Direktor Eder garantiert aber auch hier Kontinuität. Das Interesse auf uneingeschränkte historische Aufklärung reduzierte sich nicht nur auf die Innenarbeit, sondern führte auch dazu, daß „Rohdaten" aus der Datenbank - trotz des „Damokles-Schwerts" der Sammelklagen in den USA - zu Weihnachten 1999 Dr. Mark Spoerer für seine statistische Schätzung der überlebenden Zwangsarbeiterinnen zur Verfügung gestellt wurden. Mit diesen Informationen konnte er für die Historikerkommission der Republik Osterreich eine präzisere Altersstrukturberechnung erstellen, da bisher derartige Informationen nur höchst fragmentarisch verfugbar waren. Kleine ähnliche Projekte in österreichischen Unternehmen haben dies trotz Funktion ihres Projekdeiters in der Historikerkommission jedoch nicht getan. Diese retrospektiv perfekte Zusammenarbeit mit dem Unternehmen, das auch die Ressourcen zur Errichtung eines permanenten Historischen Archivs unter der Leitung von Frau Dr. Michaela C. Schober zur Verfügung stellte und auch weiterhin stellt, ging

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Einleitung und Hintergrund zu Projekt und Buch

über die enge wissenschaftliche Projektarbeit hinaus. Inzwischen wurden alle historisch relevanten Unterlagen der V A Stahl A G ebenso wie bei zahlreichen anderen Industrieunternehmen, Banken und Versicherungen mit Entstehungszeitpunkt vor 1967 vom Generaldirektor des Osterreichischen Staatsarchivs per Bescheid auf der Basis des Archivgesetzes unter Vernichtungsverbot gestellt. Die Projektunterlagen, die dem Historischen Archiv der V O E S T

ALPINE

A G , Linz über-

geben wurden, umfassen auch zahlreiche Kopien aus externen Archiven (US National Archives, College Park, Maryland; Sonderarchiv Moskau, Memorial Moskau; Bundesarchiv Berlin; Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik, Wien; Linzer Stadtarchiv; Oberösterreichisches Landesarchiv, Archiv Salzgitter in der Preussag A G , Hannover; Public Record Office, Kiew; Zentrales Staatsarchiv, Prag; Archiv des Griechischen Außenministeriums, Athen u. a.) Bewußt wurden sowohl für das höhere und mittlere Führungsmanagement der V A Stahl A G , als auch für die Betriebsräte des Gesamtkonzerns Informations- und Diskussionsveranstaltungen durchgeführt, um den aktuellen politischen Diskurs mit historischem Wissen und Informationen zu hinterfragen. Daß man bei derartigen Veranstaltungen noch mit allgemeinen negativen Vorurteilen bezüglich Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern konfrontiert wurde, ist aufgrund des breiteren Debattenstranges in der Offendichkeit klar. Gleichzeitig war dieser Dialog eine Möglichkeit, Vorurteilsbilder zu hinterfragen, und die grundsätzliche Bereitschaft des Unternehmens V A Stahl A G , aktiv die Lösung des Versöhnungsfonds mitzutragen, auch in der Unternehmensbelegschaft plausibler zu machen. Ohne hier in nähere Details einzugehen, sollte festgehalten werden, daß die V A Stahl A G , und hier vor allem Direktor Dr. Wolfgang Eder, hinter den Kulissen bei zahlreichen Unternehmenstreffen auf unterschiedlichen Ebenen sehr früh - früher als viele politische Entscheidungsträger der letzten Großen SPO-OVP-Koalition und des Parlaments - eine österreichische Versöhnungsfondslösung vorgeschlagen und letzdich erfolgreich mitvertreten hat. Erst gegen Ende der letzten Großen Koalition stand vertraulich auch Dr. Maria Schaumayer als Regierungsbeauftragte fest, um nimmehr eine politische Lösung mit den Unternehmen rasch umzusetzen. Ein Ziel des Projekts, Entscheidungsgrundlagen für die V A Stahl A G , aber auch andere Unternehmen zu entwickeln, ob und in welcher Höhe der Versöhnungsfonds mitfinanziert wird, war bereits Ende 1999, Mitte 2000 aufgrund der Zwischenberichte und laufenden Informationen erfüllt. Zwar verlagerte sich damit das mediale Interesse auf andere Ebenen der Debatte, doch verdichteten sich dadurch die Projektergebnisse der wissenschaftlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Historikerkommission. In diesem Sinne erscheint eine entsprechende Nachbereitung und Diskussion über die Projektergebnisse und der Vergleich mit ähnlichen Unternehmen in Deutschland sowie in anderen „besetzten" Ländern durchaus wichtig zu sein. Erst dann wird es möglich sein, jenen Mythos zu brechen, der im Linz der Nachkriegszeit dominierte - die V O E S T als „die"

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Hermann-Göring-Werke anzusehen. Selbst US-Anwalt Ed Fagan konnte dann in seiner Sammelklage gegen die VA Stahl AG nicht mehr unterscheiden, da er einen „falschen" Kläger in seiner Sammelklage anführte, einen ehemaligen Auschwitz-Häftling, der für ein anderes Unternehmen der Reichswerke Hermann Göring AG Berlin gearbeitet hatte. Die Leistungen des (Wieder-)Aufbaus der Linzer Eisen- und Stahlindustrie nach 1945 werden um so stärker im öffentlichen Bewußtsein verankert sein, je weniger Unwissen über die Gründung sowie Rolle und Funktion des Standorts Linz unter der Leitung der Reichswerke Hermann Göring A G Berlin in der NS-Zeit bestehen. Besonders wichtig ist es dabei, auf die Arbeiter- und Arbeiterinnen, aber auch auf die Angestellten und das Management jener Zeit genauer einzugehen, ohne dabei eine zentrale Gruppe ab 1938/1939, die „Fremdarbeiter" und später ab 1940/1941 die Zwangsarbeiterinnen, Kriegsgefangenen und KZ-Häftlinge auszusparen oder deren Ausbeutung zu nivellieren („wir waren alle Zwangsarbeiter"). In diesem Sinne sollte diese Studie dazu beitragen, ein neues umfassendes Geschichtsverständnis über einen der zentralen Industriebetriebe der Zweiten Republik, ein heute höchst erfolgreiches international agierendes Unternehmen, zu entwickeln. Gerade das bevorstehende Jubiläum zur Entwicklung des LD-Verfahrens bietet eine gute Gelegenheit zu einer grundlegenden Neupositionierung des historischen Verständnisses der V O E S T A L P I N E AG. Abschließend möchte ich allen Autoren und Autorinnen sowie allen Projektmitarbeitern und Mitarbeiterinnen, Frau Mag. Sonja Mittermayr sowie den EDV-Eingabekräften Margit Auer, Mag. Birgit Berndl, Karin Blumberger, Daniela Busta, Elisabeth Hessel, Roman Hofer, Michaela Hölzl, Sabine Molnar, Elfriede Niederwimmer, Barbara Petermichl, Doris Rössel, Margit Schmalzer, Silvia Skorvic und Danuta Szyrajew sehr herzlich für die gute Kooperation und aufrichtig für die höchst interessanten Einzelstudien danken. Ohne die Spannung auf die Beiträge von Christian Gonsa, Gabriella Hauch, Michael John, Josef Moser, Bertrand Perz und Michaela C. Schober und den umfangreichen II. Band von Karl Fallend vorwegnehmen zu wollen, sollen einige der Highlights der Texte bereits hier skizziert werden, wobei ich mich wortgetreu an die Zusammenfassungen der jeweiligen Autorinnen und Autoren halte: Michael John konzentrierte sich auf den Bereich Zwangsarbeit und NS-Industriepolitik mit folgenden zentralen Thesen: • Zwangsarbeit ist während der NS-Herrschaft kein Phänomen gewesen, das auf Linz und Oberösterreich beschränkt war. Das Land nahm allerdings in dieser Hinsicht eine Sonderstellung ein. Oberösterreich galt als „Heimatgau des Führers", Linz als seine „Heimatstadt". Schon am 13. März 1938 wurde Linz zur „Gründungsstadt des Großdeutschen Reiches" ausgerufen. Binnen weniger Monate nach dem,Anschluß" wurde mit den Planungen in den Bereichen Infrastruktur, Kultur bzw. Großindustrie und deren Umsetzung begonnen. • Nur wenige städtebauliche Projekte wurden tatsächlich realisiert. Die „Führerstadt Linz" war auch ein Propaganda-Mythos. Industrielle Anlagen, die von rüstungswirt-

Einleitung und Hintergrund zu Projekt und Buch

schaftlicher Relevanz waren, wurden am Stadtrand von Linz jedoch tatsächlich gebaut. Nun waren diese Betriebe im regionalen Rahmen von wirtschaftlicher Bedeutung, dennoch wurden auch sie überschätzt: Im öffentlichen Gedächtnis firmieren die Linzer Betriebe der Reichswerke Hermann Göring bis heute als eine Art Zentrum des Gesamtkonzerns, was nicht der Realität entspricht. • Der Firmenkomplex Reichswerke Hermann Göring in Linz wurde ab 1938 errichtet, ging 1941 sukzessive in Betrieb. Als neu errichtetes Unternehmen fehlte ihm eine Stammarbeiterschaft, ebenso überschritt die Dimension der Linzer Großindustrie bei weitem das regionale und lokale Arbeitskräfteangebot. Dazu kamen fortlaufende Militäreinberufungen im gesamten Deutschen Reich. Dies führte bald zu einem besonders ausgeprägten Arbeitskräftemangel. 1944 wurde ein Beschäftigtenstand von nahezu 18.000 Personen erreicht, davon waren 62 % Ausländerinnen (KZ-Arbeiter nicht mit eingerechnet). Damit wird jedoch das reale Ausmaß des Einsatzes manueller Arbeit noch unterschätzt, da hierbei auch die Angestelltenränge mitgezählt wurden, die jedoch im Regelfall kaum mit ausländischen Arbeitern besetzt wurden. In manchen Betriebsbereichen des HGW-Komplexes, etwa in Stahlwerk, Gießerei oder Schmiede, lag daher der Ausländeranteil bei rund 90 %. • Die Behandlung und Rekrutierung der Zwangsarbeiterinnen folgte entlang der vorbestimmten ethnischen Kategorien jenen Richtlinien, die im gesamten Deutschen Reich üblich waren: Diskriminierung in Befolgung rassischer Hierarchien, hoher Arbeitsdruck, Strafen, Arbeitslager, in letzter Instanz schließlich Ubergabe an die Gestapo oder die SS. In ganz Oberdonau ebenso wie in den Hermann-Göring-Werken in Linz war ein erheblicher Prozentsatz von sogenannten „Ostarbeitern" und „Ostarbeiterinnen" zu registrieren sowie von Polen und Polinnen und von KZ-Insassen, die zur Arbeit herangezogen wurden. Dies legt einen vergleichsweise insgesamt hohen Repressionsgrad nahe. Die vorliegenden Quellen legen den Schluß nahe, daß einheimische und reichsdeutsche Arbeiter und Angestellte sowie die einheimische Bevölkerung im Alltagsleben das Zwangsarbeits- und Diskriminierungssystem in den H G W Linz eher nachhaltig stützten und gestalteten als ihm entgegenzuhandeln. •

In zwei großen Verfahren der nationalsozialistischen Justiz, die die Hermann-GöringWerke betrafen, wurde ein Netzwerk von Korruption und Schlamperei bloßgelegt. In diesem Zusammenhang wurden den Zwangsarbeiterinnen große Mengen von Nahrungsmitteln entzogen. Eine der Hauptpersonen dabei war der ehemalige Oberbürgermeister der Stadt Linz und nachmalige stellvertretende Direktor und Prokurist der Hermann-Göring-Werke, Sepp Wolkersdorfer. Nach den bisherigen Recherchen dürfte die privilegierte „Führerstadt" allerdings geradezu eine „Hauptstadt der Korruption" gewesen sein: in den Hermann-Göring-Werken, dem Magistrat der Stadt Linz oder in den Amtsstellen des Gaus Oberdonau.

• Bereits 1946 richtete Simon Wiesenthal namens des Jewish Central Committee mehrere Schreiben an die Vereinigten Oesterreichischen Eisen- und Stahlwerke

Oliver Rathkolb

(VOEST), in denen er um Entschädigungen für die Zwangsarbeit während der NSZeit einkam. Die V O E S T argumentierte in ihren Antwortschreiben mit den Kosten einer diesbezüglichen Regelung, lehnte eine freiwillige Zahlung ab und ließ sich klagen. Die jüdische Organisation hatte in Fragen der Zwangsarbeit auch den Kontakt mit polnischen und ukrainischen Zwangsarbeitern gesucht, eine Kooperation ist aber gescheitert. Namens jüdischer KZ-Insassen, die in den H G W zur Arbeit gezwungen worden waren, brachte Simon Wiesenthal im August 1947 vor dem Linzer Arbeitsgericht die Klage ein. Das Gericht wies die Klage gegen die V O E S T ab. Erst 1998 begann sich die Haltung der diversen zuständigen Stellen zu verändern. Michaela C. Schober leitete die umfangreiche Dateneingabe und weitete auch den Statistikbericht aus. Dieser basiert auf den EDV-mäßig1 erfaßten Personalunterlagen, die am Gelände der heutigen V O E S T A L P I N E AG in Linz wiedergefunden wurden. Die Datenbank wurde aus diversen externen Quellen (Dokumentationsarchiv des Osterreichischen Widerstandes, Archiv der Stadt Linz, Sozialversicherungsunterlagen, Nationalarchiv der USA, Archive in Polen) ergänzt, wobei die Daten der KZ-Häftlinge ausschließlich aus externen Quellen stammen. Zu Vergleichszwecken wurden nicht nur die Ausländer erfaßt, sondern auch die Inländer - soweit dokumentiert. Die Auswertung erfolgte zu den einzelnen Fragestellungen sowohl nach Gesamtzahlen als auch aufgeschlüsselt nach Geschlecht. Folgende Bereiche wurden ausgewertet: Nationalität, Geburtsjahrgänge, Familienstand, Rekrutierungsart, Betriebe und Unterbetriebe/Abteilungen, Ein- und Austritte, Austrittsgründe, Unfälle und Todesfälle (einschließlich jener Beschäftigten, die bei Bombenangriffen starben oder verwundet wurden), Strafgründe und Strafmaßnahmen, Verteilung nach Wohnlagern, Urlaube und Heimreisen sowie als besonders gepeinigte Gruppe KZ-Häftlinge. Die größten Kontingente der Ausländerinnen stellen Italiener, Franzosen, Russen/Ukrainer, Tschechen, Griechen, Bulgaren, Polen, Niederländer und Kroaten. Frauen repräsentierten nur eine kleine Gruppe. Die Fluktuation war hoch, wie sich an der Zahl der Ein- und Austritte ersehen läßt. Der hohe Anteil an Eintritten einzelner Nationalitäten in bestimmten Jahren ist signifikant hoch. So heben sich die Eintrittszahlen einzelner Nationalitäten gegenüber anderen deutlich ab, wie die der Russen/Ukrainer für 1942, Franzosen 1943 und Italiener 1944. Ab 1942 wurden Russen und Ukrainer erstmals in großen Zahlen eingesetzt. Der hohe Anteil der Italiener und Franzosen ist auf den ab diesen Jahren erfolgten Einsatz von Militärinternierten bzw. Kriegsgefangenen zurückzuführen. In manchen Betriebsbereichen, wie etwa in der Bauabteilung, der Gesenkschmiede, der Stahlgießerei und im Stahlwerk, lag der Ausländeranteil bei über 80 %. 1

Datenbank, Historisches Archiv der VOEST ALPINE A G , Linz.

Einleitung und Hintergrund zu Projekt und Buch

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Als (häufigste) Austrittsgründe werden in den Personalunterlagen u. a. angegeben: Uberstellung zu einer anderen Firma, zur Reichsbahn, zum Bergbau etc., Anordnung/Zustimmung des Arbeitsamtes, Austausch, Freigabe, irrtümliche Einstellung, gesundheitliche Gründe, Haft, Tod, Verschickung in ein KZ, Arbeitsvertragsbruch/Arbeitsflucht/Lagerflucht, Schwangerschaft, „Bauvorhaben-Aktion Gauleiter". Die Strafen, die detailliert aufgeschlüsselt werden, reichen von Geldbußen und Ordnungsstrafen über „Strafantrag und Uberstellung zur Gestapo" bis zur Einweisung in ein KZ. Begründet werden diese Bestrafungen mit „Bummelei, Disziplinlosigkeit, minderwertiger Arbeit, Schlafen während der Arbeitszeit, vorzeitigem Entfernen vom Arbeitsplatz, Zuspätkommen, „Verlassen des Kranes", „widerrechtlicher Benutzung eines Durchgangs", Arbeitsvertragsbruch u. v. m. Die Höhe der Löhne (Bruttostundenlöhne) wird exemplarisch an einzelnen Nationalitäten und Beschäftigungen dargestellt. Die Urlaube und Heimreisen werden nach dem Jahr der Inanspruchnahme aufgelistet. Berücksichtigt werden auch Urlaubsabgeltungen. Neben der Basisauswertung von Nationalitäten, Geburtsjahrgängen, werden bei den KZ-Häftlingen die Lager, die Häftlingskategorien, Geflüchtete und Wiederergriffene, Vermißte und die Anzahl der Todesfälle und deren Ursache (Bombenangriff, „auf der Flucht erschossen", Freitod, Unfall, Krankheiten und allgemeiner Körperverfall) untersucht. Oliver Rathkolb konzentriert sich auf eine Elitenstudie und die Frage der Funktionalität der Manager in der Debatte mit der Politelite in der NS-Zeit über den Einsatz von ausländischen Zwangsarbeiterinnen, Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen, wobei zentrale Argumentationsstränge analysiert werden. Diese Selbstreflexionen werden kritisch mit dem empirischen Erkenntnissen der vorliegenden Studie in Beziehung gesetzt - vor dem Hintergrund der stark politisch motivierten Gesamtkonzernpolitik in den im Angriffskrieg eroberten Ländern, aber auch in Österreich und der Tschechoslowakei 1938/1939. In den Betrieben der „Reichswerke" wirkten „Strafen" als Druckmittel zur Straffung der „Arbeitsmoral" (von Gehalts- und Urlaubskürzung bis zur Einweisung in ein Arbeitserziehungslager bzw. Konzentrationslager), wobei auch hier die werksinternen und -externen Verantwortungsstrukturen rekonstruiert werden. Punktuell wird die Situation von Zwangsarbeiterinnen in den Betrieben der Alpine Montan in der Steiermark und in Kärnten skizziert. Die Reichswerke Hermann Göring AG Berlin übte massiven politischen Druck aus, um nach 1938 die Kontrolle über die Alpine-Montan-Betriebe zu erlangen. Neben einer Kurzanalyse soll ein Überblick bezüglich des Umfanges und der Rahmenbedingungen für Zwangsarbeiterinnen in diesen Stahlbetrieben, aber auch in den entsprechenden Bergbaubetrieben in der Steiermark und Kärnten gegeben werden. In weiter Folge werden die politischen Bewertungen der Zwangsarbeit in den USNachkriegsplanungen und den ersten Berichten über das Unternehmen nach der Zer-

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schlagung des NS-Regimes durch die Alliierten thematisiert. Eine weitere Argumentations- und Rechtfertigungsschiene folgt den Zeugen- und Beschuldigtenaussagen in den Kriegsverbrecherprozessen in Nürnberg (Verfahren gegen Pleiger bzw. Vorerhebungen gegen Malzacher). Besonders wichtig ist in diesem Beitrag die Bewertung der Einflußnahmen der zentralen reichsdeutschen Managerelite in dem Wechselspiel mit der Verantwortung von Österreichs mittlerer Führungsebene. Josef Moser skizziert die ökonomische Bedeutung der Zwangs- und Sklavenarbeit auf der Basis betriebs- und volkswirtschaftlicher Methoden. Die Linzer Eisen- und Stahlindustrie gilt als Symbol der Industrialisierung während des Zweiten Weltkrieges auf dem Gebiet des heutigen Osterreich. Bis in die Gegenwart fungieren die daraus hervorgegangenen Unternehmen für die regionale Wirtschaft als Leitbetriebe. Der Bau der Hütte Linz bildete eines der größten von den Nationalsozialisten in der „Ostmark" durchgeführten Projekte. Allerdings wurde die Hütte Linz nur teilweise fertiggestellt. Auf dem Hüttengelände entstand daneben eines der größten Panzerwerke des „Dritten Reiches". Der Wert der errichteten Anlagen wurde zum 15. Mai 1945 mit 196 Millionen R M angegeben. Rechnet man die getätigten Abschreibungen (normale Abschreibungen, verlorene Zuschüsse und Kriegsschäden) dazu, so wurden in den Jahren 1938 bis 1945 Anlagenwerte von ca. 600 Millionen R M erarbeitet. Die Anlagen entsprachen dem neuesten Stand der Technik. Sie waren in diesem Sinne modern und repräsentierten Werte, welche nach Kriegsende eine weitere Nutzung für sinnvoll erscheinen ließen. Allerdings mußten noch beträchtliche Mittel aufgewendet werden, um die einzelnen Werke aufeinander abzustimmen und für eine weltmarktorientierte Produktion auszurichten. Im letzten Kriegsjahr betrug der ausgewiesene Umsatz aller Unternehmen 285 Millionen RM, die Wertschöpfung insgesamt ca. 85 Millionen RM. Damit leisteten sie einen Beitrag von ca. 7 bis 8 Prozent zum Bruttoregionalprodukt (bezogen auf den „Gau Oberdonau"). Nach Kriegsende konnte dieses Potential zunächst nicht mehr genützt werden, weil es nicht nur an Rohstoffen etc. fehlte, sondern weil ein wesentlicher Teil der Wertschöpfung im Krieg aus der Produktion von Rüstungsgütern stammte. Ohne Einsatz ausländischer Arbeitskräfte hätten diese Anlagen in Linz nicht gebaut und die Rüstungsgüter nicht produziert werden können. Am inländischen Arbeitsmarkt waren die dafür benötigten Arbeitskräfte nicht verfügbar. 1944 erreichte der Beschäftigtenstand der Werke ihren Höhepunkt mit ca. 6.500 österreichischen und deutschen Beschäftigten, 13.000 ausländischen Arbeitskräften und Zwangsarbeitern, 2.200 Kriegsgefangenen und 5.500 KZ-Häftlingen. Im Schnitt betrug der Ausländeranteil (ohne Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge) zwei Drittel, in einzelnen Produktionssparten sogar mehr als 90 %. Die ausländischen Zwangsarbeiter wurden durchschnittlich um 20 bis 25 % (einzelne Gruppen wie Ostarbeiter um 40 Prozent) geringer entlohnt und mußten zudem ver-

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schiedene Sonderabgaben leisten. Für KZ-Häftlinge wurde an die SS ca. 50 % des Preises einer normalen Arbeitskraft bezahlt. Kriegsgefangene kosteten die Werke ebenfalls nur ca. 60 Prozent. Bei Annahme, daß anstatt der ausländischen Arbeitskräfte dieselbe Anzahl Inländer beschäftigt gewesen wären, hätten sich die Lohnkosten 1939 bis 1945 in Summe um ca. 40 Millionen R M erhöht. Die Produktivität der ausländischen Arbeitskräfte war bedingt durch das System der Zwangsarbeit allerdings geringer. Mangelnde industrielle Erfahrung und zeitraubende Anlernphasen, Verständigungsprobleme, Überwachungs- und Kontrollmechanismen, zunehmender Arbeitsdruck und sich verschlechternde Arbeitsbedingungen, die schlechtere Verpflegung, entwürdigende Behandlung, offene Gewaltanwendung - all das sind Dinge, die die Produktivität massiv beeinträchtigten. Der Facharbeitermangel war eines der größten Hindernisse in der deutschen Rüstungsindustrie, das durch den Masseneinsatz ausländischer Beschäftigter unter Zwangsbedingungen nicht behoben werden konnte. Erstmals werden für das Gebiet des heutigen Osterreich Zwangsarbeiterinnen und ihre Kinder am Beispiel der Reichswerke Hermann Göring, Standort Linz, von Gabriella Hauch analysiert. Die Wirkungsmacht der Kategorie „Geschlecht" gilt für die Geschichtsschreibung der NS-Zwangsarbeit in besonderem Maße. Frauen schlicht unter „Zwangsarbeiter" zu subsumieren heißt, sie als Personen mit spezifischen Lebensbedingungen zu ignorieren und in gewohnter Geschlechtsneutralität die Dominanz des männliches Bildes von Zwangsarbeit zu akzeptieren. Frauenspezifische Diskriminierungen verschwinden dahinter. Gabriella Hauch verfolgt in ihrem Beitrag konsequent die geschlechtsspezifischen Facetten, denen die ca 2.100 ausländischen Arbeiterinnen in den Hermann-Göring-Werken - ungefähr 10 % der ausländischen Arbeiterinnen am Standort Linz - ausgesetzt waren. Aufgrund der Fragestellung zum „Geschlecht der Zwangsarbeit" gelingt es der Autorin nicht nur, frauenspezifisches Erleben der Rekrutierung und Verschleppung und das Leben und die Arbeit im Lager der H G W sichtbar zu machen, sondern grundsätzliche Thesen, die den bisherigen Forschungsstand zur Geschichte der Zwangsarbeit prägen, neu zu diskutieren und differenzierendere Antworten zu geben. Der Fokus liegt dabei im Umgang der NS-Behörden mit dem Bereich der Sexualität und der Gebärfähigkeit von Ostarbeiterinnen und Polinnen. Der Beitrag von Gabriella Hauch ist die erste Untersuchung zu Geburten und Abtreibungen bei Ostarbeiterinnen und Polinnen in der Ostmark/Osterreich, Oberdonau/Linz. Damit thematisiert sie eines der bislang vielfach ausgeblendeten Tabuthemen des Erinnerungsbildes von Zwangsarbeit. Seit der Niederlage von Stalingrad wurde der Druck auf diese Frauen immer stärker, eine Abtreibung vornehmen zu lassen, während bei deutschen Frauen die Durchfuhrung von Abtreibung unter die Todesstrafe gestellt wurde. Seit Anfang 1944 konnten zudem Dienstgeberinnen, Arbeitsamt oder Polizei den Abbruch von Schwangerschaften bei Ostarbeiterinnen und Polinnen beantragen, im Sinne der NS-Herrschaft, die Ar-

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beitskraft Frau maximal auszunutzen. Die Abtreibungen bei HGW-Zwangsarbeiterinnen waren beinahe doppelt so hoch wie die Geburten. Für die Neugeborenen, auch von HGW-Arbeiterinnen, fungierte der Gau Oberdonau mit seinem ersten unter Aufsicht der N S V errichteten „Fremdvölkischen Säuglingsheim" im März 1943 in Spital a. Pyhrn als eine Art Versuchsmodell, wo katastrophale physische und psychische Lebensbedingungen herrschten. Nur die Hälfte der Babys überlebte. Die H G W hingegen hatten seit Herbst 1943 im Lager 57 eine „Kinderkrippe" eingerichtet, in der sich die Arbeiterinnen bei der Beaufsichtigung der Kleinen abwechselten - eine Lebensform, die die Möglichkeit zu überleben ungleich erhöhte. Ein weiteres Gebiet, das die Autorin in ihrem Beitrag beleuchtet, ist die Bedeutung von Freundschaft und Liebe für die Lebenswelten als Zwangsarbeiterinnen. Die Autorin verfolgt die Geschichte der HGW-Angestellten Ida Blutreich, eine Jüdin, die gemeinsam mit ihrer Freundin Anna Frankel versuchte, als ukrainische Zwangsarbeiterin getarnt, zu überleben. In einer weiteren Fallgeschichte schildert Gabriella Hauch die „verbotene" Frauenfreundschaft zwischen einer deutschen und einer Ostarbeiterin, deren Bedeutung von den Betroffenen bis heute betont wird. Bertrand Perz legt eine umfassende Tiefenanalyse der KZ-Häftlinge auf der Basis völlig neuer Quellenfunde vor. In den R W H G Linz wurden zwischen Ende 1942 und Mai 1945 in zwei auf dem Firmengelände eingerichteten Außenlagern des K Z Mauthausen über 7.367 männliche KZ-Häfdinge eingewiesen und als Zwangsarbeiter in der Hütte Linz, den Eisenwerken Oberdonau und der Stahlbau GesmbH eingesetzt. Darüber hinaus arbeiteten die Häftlinge für Handwerks-, Installations- und Baufirmen, die im Auftrag der Reichswerke Arbeiten durchführten, ebenso wie bei Aufräumungsarbeiten nach Luftangriffen auf das Werk, die Reichsbahn oder die Stadt Linz. Die Gründe für die Kooperation von Reichswerken und SS lagen im gegenseitigen Interesse. Im Herbst 1941 waren die ersten beiden Hochöfen der Hütte Linz der Reichswerke angeblasen worden, zur Verwertung der anfallenden Hochofenschlacke fehlten jedoch die Arbeitskräfte. Die Reichswerke unterbreiteten der SS-Führung deshalb den Plan, diese durch KZ-Häfdinge verarbeiten zu lassen und die Gewinne daraus zu teilen. Die SS, interessiert an stärkerem wirtschaftlichen Einfluß, und die Reichswerke, interessiert an den Arbeitskräften, einigten sich nach langen zähen Verhandlungen im November 1942: Die SS-eigene Firma D E S T baute die Schlackenfabrik samt Konzentrationslager auf und pachtete beide von den Reichswerken, die Reichswerke lieferten im Gegenzug die Schlacke und erhielten Vorzugspreise bei den Produkten. Mitte Dezember 1942 trafen die ersten Häftlinge zum Aufbau des Lagers „Linz I" auf dem Hüttengelände ein. Zeitweise befanden sich fast 1.000 Häfdinge in diesem KZ. Schon kurze Zeit nach Einrichtung des Lagers begannen sich die Reichswerke für eine Ausweitung des Häftlingseinsatzes auf andere Produktionsbereiche zu interessieren, insbesondere für den Ausbau der Hütte und die Panzerproduktion in den Eisenwerken

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Oberdonau. Mit der Einrichtung des Lagers „Linz III" im Frühjahr 1944 wurde der Häftlingseinsatz äußerst intensiviert. Im Herbst 1944 befanden sich in diesem Lager bereits über 5.600 männliche Häftlinge. Diese wurden an die Reichswerke als Fach- oder Hilfsarbeiter gegen die Bezahlung eines täglichen „Entgeltes" an den Konzern verliehen und waren mehr oder weniger in allen Produktionsbereichen der Reichswerke eingesetzt. Während das Lager Linz HI bis Kriegsende bestand, wurde das Lager Linz I nach einem schweren alliierten Luftangriff im Juli 1944, bei dem ca. 140 Häfdinge ums Leben kamen, aufgelöst. Für die „gemieteten" Häftlinge, die insgesamt ca. 1 Million Tag- und Nachtschichten in den Reichswerken leisteten, überwiesen diese der SS an die 4,3 Millionen Reichsmark und investierten nochmals etwa 320.000 Reichsmark in den Lagerbetrieb. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen für die Häfdinge waren äußerst schwierig. Schwere Arbeit und mangelnde materielle Versorgung, Mißhandlungen durch SS, Häftlingscapos und zivile Werkmeister prägten den Alltag. Insbesondere in den letzten Monaten vor der Befreiung der Lager durch amerikanische Einheiten herrschten katastrophale Zustände. Die Hälfte der Häftlinge war krank, in den letzten neun Wochen verstarben über 460 Häfdinge. Insgesamt verstarben in den beiden Linzer Lagern über 830 Häfdinge, über 1.300 Häftlinge wurden nach Mauthausen rücküberstellt, ein Großteil davon abgearbeitet. Ihr Schicksal ist ungewiß. In amerikanischen Militärgerichtsprozessen in Dachau wurde 1947 und 1948 gegen 31 ehemalige SS-Angehörige und zivile Werkmeister, die in die Geschehnisse in den beiden Lagern involviert waren, Anklage erhoben. Gegen 13 Personen wurden Todesurteile verhängt. Zehn der Todesurteile wurden vollstreckt. Christian Gonsa konzentriert seine Arbeit auf eine kleine, aber in der Bedeutung signifikante Gruppe von Zwangsarbeitern, die Griechen, im ,Arbeitseinsatz" in Linz. Im Frühjahr 1942 trafen die ersten Transporte griechischer Arbeiter und Arbeiterinnen im Deutschen Reich ein. Auch im Linzer Stadtbild waren sie bald eine vertraute Erscheinung. In den geheimen Lageberichten des Sicherheitsdienstes der SS machte man sich rasch ein negatives Bild: „Von Anfang an zeichneten sich die Griechen bereits durch einen Rekord von unentschuldigtem Fernbleiben, Arbeitsunlust und Faulheit aus", hieß es 1942 aus Linz. Die Unterlagen zu 1.020 ehemaligen Arbeitern und Arbeiterinnen der Reichswerke Hermann Göring Linz, die sich in den Archiven der V A Stahl A G und der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse fanden, bieten mehr Information als die Spitzel des N S Regimes. Die Unterlagen geben Splitter von Arbeiterbiographien: Name, Alter, Herkunft, Arbeit, Lohn und Strafe. Da es sich um griechische Lebensläufe handelt, gewinnen sie aber nur in einem griechischen Kontext Sinn. Ihr Verständnis erfordert die Beschäftigung mit der griechischen Wirklichkeit der vierziger Jahre; mit der Chronologie der Ereignisse, der politischen Landkarte des besetzten Griechenlands und mit der „Werbung" für Deutschland.

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Diese Beschäftigung mit einem der vielen „Geberländer" rückt den „Empfanger" Linz in das Zentrum eines europäischen Rekrutierungssystems. Das Beispiel Griechenland lenkt den Blick auf die grenzüberschreitenden Dimensionen der Unternehmung. Es gibt Einblick in die Mechanismen, die Widersprüche der Aktion, vor allem auch auf lokale Widerstände gegen die Werbung von deutscher, aber auch von griechischer Seite. Damit fällt der Blick auf die griechische Beteiligung am „Reichseinsatz"; auf die Athener Kollaborationsregierung, auf den Widerstand, die Verschickten selbst und ihre Verwandten. Auch Angehörige von besetzten Staaten wie Griechenland waren Akteure in Hitlers Europa, eine Tatsache, die leicht aus den Augen verloren wird. Das Quellenmaterial trägt diesem Zugang Rechnung. Für die vorliegende Arbeit wurden auch Quellen des griechischen Außenministeriums aus den Jahren 1944 bis 1946 verarbeitet. Im April 1941 hatte Adolf Hitler die Entlassung der griechischen Kriegsgefangenen angeordnet. Die deutsche Militärverwaltung in Griechenland behinderte in der Folge eine Werbung großen Stils, sie benötigte Zwangsarbeiter im Land. Überdies hatte sie prinzipielle Einwände gegen die in ihrer Arbeitsleistung niedrig bewerteten und als politisch unzuverlässig geltenden Arbeiter und Arbeiterinnen. Insgesamt stellen sie auch eines der kleinsten Kontingente im „Reichseinsatz". Im Deutschland des „totalen Krieges" aber wurden Bedenken beiseite geschoben. Der Arbeitermangel und der sich abzeichnende Rückzug der Wehrmacht aus dem Balkan kurbelten die „Werbung" im zweiten Halbjahr 1943 und 1944 an. Neben den deutschen Arbeitsdienst traten nun Geiselnahmen und Razzien von SS und Wehrmacht als Mittel der Rekrutierung. Der Abschub ins Reich in großem Maßstab scheiterte im Frühjahr und im Sommer 1944 aber an Truppenknappheit und mangelnder Transportkapazität. 1942 trug der Einsatz in Deutschland aus der Sicht beider Seiten Züge „normaler" Beschäftigung. Rasch stellten die griechischen „Fremdarbeiter" aber fest, daß weder Arbeit, Unterkunft, Ernährung und Bekleidung noch die Endohnung den Versprechungen entsprachen. Handel am schwarzen Markt wurde zu einer lebensnotwendigen Tätigkeit. Auch ursprünglich freiwillig gekommene Arbeiter wurden drakonisch bestraft, zur Schanzarbeit abgeordnet. Die Ankunft ausgehungerter, kranker Arbeiter und Arbeiterinnen im Reich, ihre Unzuverlässigkeit und ihr Widerstandsgeist führten zu einem raschen Abstieg in der rassistischen Nationenhierarchie der Nationalsozialisten. Man setzte sie bereits 1943 mit „Zigeunern" gleich. Vielleicht auch aus diesem Grund wurden sie überdurchschnittlich oft Opfer der brutalen Disziplinierungsmethoden des Regimes. Die Zusammensetzung der Belegschaft der EWO im Jahr 1944 ist aber auch ein Spiegel der immer schlechter werdenden Lebensbedingungen in Griechenland: Partisanenkampf, Säuberungsaktionen, Hunger, Krieg und Bürgerkrieg waren Ursachen für die Reise nach „Deutschland". In der griechischen Literatur wurde der „Arbeitseinsatz" völlig vom Thema des Widerstands überlagert. Es ist kein Zufall, daß Personen über Zwangsarbeit schrieben,

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die aktiv im Widerstand tätig waren. Aus denselben Gründen war unter griechischen Forschern und Forscherinnen das Interesse für Zwangsarbeit gering. Die Medien beschäftigten sich nicht mit dem Thema, in der Öffentlichkeit ist die Tatsache, daß Griechen in Deutschland arbeiteten, nicht bekannt. Die Arbeit von Karl Fallend, die den ganzen Band 2 umfaßt, ist methodisch als Kontrapunkt zum Beitrag von Michaela C. Schober zu sehen. Während die Arbeit von Michaela Schober darin bestand, die ca. 40.000 Personalunterlagen der ehemaligen HermannGöring-Werke quantitativ auszuwerten, liefert die Arbeit von Karl Fallend, durch psychoanalytisch orientierte lebensgeschichtliche Erinnerungsinterviews mit Zeitzeuginnen, Einsichten in psychische Realitäten der ehemaligen Zwangsarbeiterinnen. Der Autor führte insgesamt 37 intensive Gespräche mit Zeitzeuginnen (davon 18 ehemalige Zwangsarbeiterinnen und acht KZ-Häftlinge) in Tschechien, Polen, der Ukraine, Moldawien und Italien, in denen zwar die Erlebnisse in Linz im Mittelpunkt standen, aber auch der familiäre Hintergrund, der gebrochene Lebensentwurf sowie die Jahre nach der nationalsozialistischen Unterdrückung zum Thema gemacht wurden. Die Studie von Karl Fallend erlaubt - allein aufgrund der großen Zeitdistanz konnten nur ehemals jüngere Zwangsarbeiterinnen interviewt werden - keine statistische Repräsentativität. Vielmehr stehen subjektive Sichtweisen von Zeitzeuginnen im Mittelpunkt, die bestimmte - aber nicht untypische - Lebenswelten in den Linzer Hermann-Göring-Werken im biographischen Kontext näher beleuchten. Die Arbeit ist in acht Teile strukturiert: Ein Aufruf via Zeitungsinserat motivierte vier Osterreicherinnen, um über ihre Erfahrungen in den H G W zu berichten. Drei lebensgeschichtliche Erzählungen führen u. a. in das Lohnbüro der Eisenwerke Oberdonau und geben einen Einblick in das hierarchische Privilegiensystem als Teil nationalsozialistischer Repression und warum Linz gar als „Garten Eden" erscheinen konnte. Ehemalige Zwangsarbeiterinnen aus Vinnitsa (Ukraine) sind Zeuginnen für die Verschleppung ganzer Menschengruppen, die dann in Linz zur gemeinsamen Arbeit eingeteilt wurden. Ihre frauenspezifische Sicht auf ihre Lebenswelten in Linz läßt auch für Gefühle wie Liebe breiten Raum. Das ausführlichste biographische Gespräch führte der Autor mit Dr. Oledij Derid (Universitätsprofessor für Metallurgie) in Moldawien, der als Jugendlicher die Tortur eines Linzer Arbeitserziehungslagers erleiden mußte. Den Erlebnisweisen von Kindern und Jugendlichen, die zu Hunderten in Linz als Zwangsarbeiter schuften mußten, ist ein eigener Abschnitt gewidmet. Ehemalige Häftlinge des Außenlagers des K Z Mauthausen, Linz III in den HGW, berichten über ihre Erfahrungen und machen deutlich, daß der Erzählung enge sprachliche Grenzen gesetzt sind. Abschließend widmet sich eine eigene Studie der medizinischen Versorgung in den Hermann-Göring-Werken (insbesondere dem Leiter, Dr. Ernst Kortschak), die trotz vieler neuer Erkenntnisse Fragen offenlassen mußte. Wien, im September 2001

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Zwangsarbeit und NS-Industriepolitik am Standort Linz

Zwangsarbeit ist während der NS-Herrschaft bekannterweise kein Phänomen gewesen, das regional auf Linz und Oberösterreich beschränkt gewesen wäre.2 Das Bundesland, von den Nationalsozialisten Gau bezeichnet, nahm allerdings in dieser Hinsicht doch eine Sonderstellung ein. Oberösterreich galt als „Heimatgau des Führers", Linz als seine „Heimatstadt". Sofort nach der Bekanntgabe des ,Anschlusses" begann man mit vielfachen Aktivitäten zur baulichen, industriellen, aber auch zur rüstungswirtschaftlichen Ausgestaltung der Landeshauptstadt ebenso wie des Landes Oberösterreich. Noch am 13. März 1938 wurde Linz zur „Gründungsstadt des Großdeutschen Reiches" erhoben.3 Was - in der Perspektive breiter Teile der städtischen Bevölkerung - mit Arbeitsbeschaffungsund Industrialisierungsprogrammen begann, endete in Linz zuerst mit Vertreibung, dann mit Zwangsarbeit und „Vernichtung durch Arbeit" für von den NS-Machthabern definierte Minderheiten bzw. für die verschleppten „Fremdvölkischen". Rücksichtslose Ausbeutung der Arbeitskraft ziviler ausländischer Zwangsarbeiter, Kriegsgefangener und KZ-Häftlinge kennzeichnete den Alltag in der Linzer Großindustrie und der ihr zuarbeitenden mittelbetrieblichen Wirtschaft. Auch die Stadt Linz rekrutierte Zwangsarbeiter und kooperierte dabei mit den Hermann-Göring-Werken und anderen Großbetrieben.4 Schließlich wurden im Zuge des Interessengeflechts Rüstung - Stadt Linz - SS Linzer Großbetriebe im Stadtgebiet bzw. teilweise auch auf Werksgelände Zwangsarbei-

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Der Sozialwissenschafter Mark Spoerer legte in einer neuen Arbeit nunmehr eine Gesamtbilanz zur Zwangsarbeit im Dritten Reich und in den von diesem okkupierten Ländern vor; rund 13,5 Millionen Menschen wurden demnach vom nationalsozialistischen Zwangsarbeitssystem erfaßt. Mark Spoerer, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Dritten Reich und im besetzten Europa 1938-1945, Stuttgart 2001.

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Vgl. Walter Schuster, Osterreichische Stadtgeschichtsforschung zum Nationalsozialismus. Leistungen Defizite - Perspektiven. In: Pro Civitate Austriae. Informationen zur Stadtgeschichtsforschung in Österreich, Neue Folge Heft j (2000), S. 37.

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Vgl. dazu Hermann Rafetseder, Der „Ausländereinsatz" zur Zeit des NS-Regimes am Beispiel der Stadt Linz. In: Fritz MayrhoferAValter Schuster (Hg.), Nationalsozialismus in Linz, Band 2, Linz 2001, S. 1107-1269; Walter Schuster, Franz Langoth. Eine NS-Laufbahn. Deutschnational - Nationalsozialistisch - Entnazifiziert, Linz 1999, S. 197-203; Bertrand Perz, „Auf Wunsch des Führers ..." Der Bau von Luftschutzkellern in Linz durch Häftlinge des Konzentrationslagers Linz II. In: Zeitgeschichte 1995 (22. Jg.), Heft 9/10, S. 342-356.

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terlager, ein sog. „Arbeitserziehungslager" und letztlich auch Konzentrationslager eingerichtet. Linz war nicht das, aber zeitweise ein wichtiges Zentrum der industriellen Zwangsarbeit, nicht nur im Raum der ehemaligen Ersten Republik Osterreich, sondern bis zu einem gewissen Grad auch im gesamten Deutschen Reich. 5 Für den Neuaufbau arbeitsintensiver Industriebetriebe und die Errichtung der notwendigen Infrastruktur benötigte man unter Kriegsbedingungen besonders viele ausländische Arbeitskräfte. Dennoch sei an dieser Stelle vorweggenommen, daß es gilt, die Balance zu wahren: Aus einer austrozentrierten Sichtweise heraus wird die Bedeutung von Linz im Rahmen des Deutschen Reichs oft überschätzt. Die „Führerstadt Linz" stellte auch einen Propaganda-Mythos dar. Einerseits war Linz für den deutschen Reichskanzler und NS-Führer Adolf Hitler ohne Zweifel aus biographischen Gründen von Bedeutung. Hider beschäftigte sich auch persönlich mit der Neugestaltung von Linz. Dennoch wurden nur wenige städtebauliche Projekte tatsächlich realisiert.6 Linz konnte in der Realität nicht ernsthaft mit der Bedeutung von Berlin, München, Hamburg oder Nürnberg, den formal gleichgestellten anderen „Führerstädten", und auch nicht mit der Bedeutung Wiens konkurrieren.7 Ohne Zweifel war auch der Stellenwert von Städten wie Köln, Leipzig, Breslau, Dresden, Dortmund oder Essen höher. Industrielle Anlagen, die von wirtschaftlicher Relevanz waren, wurden am Stadtrand von Linz jedoch tatsächlich gebaut. Nun waren diese Betriebe von volkswirtschaftlicher Bedeutung (insbesondere wenn man das Territorium der Republik Österreich als Maßstab zugrunde gelegt), dennoch wurden auch sie überschätzt: Im öffentlichen Gedächtnis firmieren die Linzer Betriebe der „Reichswerke Hermann Göring" bis heute als eine Art Zentrum des Gesamtkonzerns, was nicht der Realität entspricht. 8 Um es in aller Kürze auf den Punkt zu bringen: Hinsichtlich der Stadt Linz wurden viele Planungen durchgeführt, einige Pläne, insbesondere die Errichtung von Industrieanlagen wurden realisiert. In Linz und in Hinblick auf Linz wurden während der NS-Zeit viele Aktivitäten gesetzt; die Entscheidungen dazu sind allerdings

5

Vgl. dazu in einem breiter angelegten Zugang Michael John, Bevölkerung in der Stadt.,Einheimische' und

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Vgl. Ingo Sarlay, Stadtplanung Linz 1938-1945. In: Wilhelm Rausch (Hg.), Die Städte Mitteleuropas im

,Fremde' in Linz (19. und 20. Jahrhundert), Linz 2000, S. 2 2 1 - 2 3 6 , 280-283. 20. Jahrhundert (Beiträge zur Geschichte der Städte Mitteleuropas 8), Linz 1984, S. 1 6 7 - 1 8 5 ; ders., Hitlers Linz, Die Stadtplanung von Linz an der Donau 1938-1945. Kulturelle und wirtschaftliche Konzeptionen, Planungsstellen und Wirtschaftspläne, tech. Diss., Graz 1985; ders., Baukunst im Dritten Reich. Hitlers Linz. Städtebauliche Detailplanung und Architektur. 2 Bände, masch. Habilitationsschrift Technische Universität Graz 1987. 7

Einen Überblick zu den „Führerstädten" bieten Jost Dülffer/Jochen Thies/ Josef Henke, Hitlers Städte. Baupolitik im Dritten Reich. Eine Dokumentation, Köln/Wien 1978.

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Zur Richtigstellung dieser Perspektive vgl. Gerd Wysocki, Arbeit für den Krieg: Herrschaftsmechanismen in der Rüstungsindustrie des „Dritten Reiches"; Arbeitseinsatz, Sozialpolitik und staatspolizeiliche Repression bei den Reichswerken „Hermann Göring" im Salzgitter-Gebiet 1937/38 bis 1945, Braunschweig 1992; August Meyer, Hiders Holding. Die Reichswerke „Hermann Göring", München/Wien 1999.

Zwangsarbeit und NS-IndustriepoIitik am Standort Linz

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nicht in der oberösterreichischen Landeshauptstadt bzw. in der „Gauhauptstadt Oberdonaus" gefallen, sondern in anderen Zentren des Deutschen Reichs. 9 Dieser Beitrag versucht einen Uberblick über das Ausmaß der Zwangsarbeit im Raum Linz während der NS-Zeit zu geben; sozial- und wirtschaftshistorische Details wie Rekrutierung, Entlohnung, Arbeitsbedingungen, Lebensbedingungen der Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen, Repression im Betrieb sind darin ebenso enthalten wie eine Erörterung des Verhältnisses der inländischen Bevölkerung zu den ausländischen Arbeitern und Arbeiterinnen. Auch werden die ersten Forderungen von Opferseite nach Entschädigung beschrieben; diese Bemühungen datieren zurück bis ins Jahr 1946.

1. DER STANDORT L I N Z Durch die nationalsozialistische Machtübernahme in Österreich 1938 begann sich die geopolitische, die demographische und die wirtschafdiche Situation der Stadt Linz nachhaltig zu verändern. Aus einer Landeshauptstadt im Kleinstaat Osterreich wurde die Hauptstadt des vergrößerten Gaus Oberdonau im großflächigen Deutschen Reich. Linz ist als alleinige „Patenstadt des Führers und deutschen Reichskanzlers Adolf Hitler" in eine privilegierte Stellung aufgestiegen. Gemeinsam mit Hamburg, München, Berlin und Nürnberg wurde - wie erwähnt - Linz zusätzlich zu einer der fünf sogenannten „Führerstädte", ein enormer Aufstieg in der Wertigkeit der Stadt. In Hitlers Überlegungen nahmen Linz und Oberösterreich zweifelsohne einen wichtigen Platz ein, Oberösterreich spielte aber auch als Standort für die strategischen Überlegungen der nationalsozialistischer Planer und anderer Machtgruppen des Deutschen Reichs eine bedeutsame Rolle. Hier sollte ein kriegswirtschaftlich und industriell bedeutender Standort forciert werden. Josef Moser betont in seiner Analyse der wirtschafdichen Veränderungen in Oberösterreich 1938-1945, daß die Errichtung der Linzer Großbetriebe in erster Linie mit erheblichen Standortvorteilen begründet werden kann: mit den günstigen Bedingungen in Hinblick auf vorhandenes Humankapital und vor allem hinsichtlich der Topographie der Stadt. Die geographische Lage von Linz sei im Jahre 1938 den nationalsozialistischen Planern hinsichtlich der militärischen und politischen Expansionspläne als sehr günstig erschienen.10 U m diese Vorteile realisieren zu können, mußte aber die Infrastruktur ausgebaut und die Energieversorgung sichergestellt werden. Es war geplant, Linz zu einem überregionalen Zentrum mit 250.000 bis 400.000 Einwohnern auszubauen, das die für die Industrieansiedlungen notwendigen Funktionen (Wirtschaftsdienste, Kommunikationsinfrastruktur, Verwaltungszentrum) garantieren sollte. In einer Selbstdarstellung der 9

Vgl. dazu Fritz Mayrhofer, Die „Patenstadt des Führers". Träume und Realität. In: Mayrhofer/Schuster (Hg.), Nationalsozialismus in Linz, Band 1, S. 327-386.

10 Vgl. Josef Moser, Oberösterreichs Wirtschaft von 1938 bis 1945, Wien/Köln/Weimar 1995, S. 200-204.

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Kommune wurde Linz im „Schnittpunkt wichtiger Kraftlinien" und in einem Atemzug mit einer Reihe europäischer Städte genannt, und zwar: London, Paris, Lyon, Mailand, Venedig, Triest, Wien, Omsk, Danzig, Prag, Warschau, Konstantinopel.11 Der geplante Ausbau zu einer Donaumetropole mit entsprechenden kulturellen, wissenschafdichen, sozialen, politischen und touristischen Einrichtungen machte den Raum Linz für Neuansiedlungen attraktiv. Die Wehrmacht zeigte sich an dem Standort stark interessiert. Die vor Fliegerangriffen schützende Binnenlage wurde für den Auf- und Ausbau von Rüstungsbetrieben hervorgehoben. Die Entscheidung für die Forcierung des Raumes Linz wurde auf den Schreibtischen der Wirtschafts-, Militär- und Raumplaner des Dritten Reiches vorbereitet, 12 getroffen Adolf Hider erklärt seine Linz-Planungen, undatiert und verkündet wurde sie von Adolf Hitler, der in Oberösterreich geboren ist. Er selbst wünschte eine Reihe von Monumentalverbauungen und hat sich an einigen Planungen selbst beteiligt. Es war auch Hitlers Wunsch, Linz zu einer „Kulturhauptstadt" Europas auszubauen, mit Opernhaus, Operettentheater, Spitzenorchester und einer riesigen Gemäldesammlung, deren Beschaffung mit der Bezeichnung „Sonderauftrag Linz" versehen wurde.' 3 Nach einer griffigen Formulierung bei Hermann Giesler sollte Linz nach dem Willen Hitlers zum „Paris Mitteleuropas" werden.14 Seitens Hitlers waren bei seinem Einsatz für Linz mit Sicherheit persönliche Emotionen im Spiel. Hier hatte er einen Teil seiner Jugendzeit verlebt, war mit dem deutschnationalen Milieu in Kontakt geraten und hatte die Musik Richard Wagners kennengelernt. 15 Angesichts der begrenzten Zeitspanne, die Hitler in Linz verbrachte - er 11 12 13

Linz, Oberdonau. Patenstadt des Führers, hg. von der Stadt Linz, Linz 1939, S. 2. Vgl. Josef Moser, Oberösterreichs Wirtschaft von 1938 bis zur Gegenwart. In: Oberösterreichische Wirtschafechronik, Linz 1994, S. 23-47. Vgl. Charles de Jaeger, das Führer- Museum. Sonderauftrag Linz, Esslingen-München 1988. Vgl. ferner Evan Bukey, Patenstadt des Führers. Eine Politik- und Sozialgeschichte von Linz 1908-1945, Frankfurt 1993, S. 283-291.

14 Vgl. Hermann Giesler, Ein anderer Hider: Bericht seines Architekten, Leoni am Starnberger See 1978, S. 99-103. 15 Vgl. Ian Kershaw, Hitler 1889-1936, Stuttgart 1998, S. 10-104; Brigitte Hamann, Hitlers Wien. Lehr-

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lebte maximal sieben Jahre im Raum Linz und angesichts der vollständigen Abnabelung von seiner Verwandtschaft nach dem Tod der Mutter, wirken sein öffentliches Eintreten und sein enormes Engagement für die Stadt dennoch in gewisser Weise disproportioniert. Für die Errichtung der geplanten Monumentalverbauungen, der Anlage eines neuen Hafens, der Großindustrie und für den Bau zahlreicher Wohnhäuser waren ursprünglich große Eingemeindungen vorgesehen. Sie sollten ein Gebiet von Ottensheim über Puchenau, Gramastetten, Lichtenberg bis Steyregg nördlich und von Asten über St. Florian, Ansfelden, Traun und Hörsching südlich der Donau einschließen. Von diesen Vorhaben sind lediglich die Eingemeindungen von Ebelsberg und St. Magdalena durchgeführt worden. Schließlich wurde im Jahr 1939 Keferfeld als Teil Leondings mit Linz vereint, womit die Stadt in etwa ihre heute gültige Größe erreicht hatte.'6 Die Strategie der Stadtplaner lief darauf hinaus, die Nord-Süd-Struktur verstärkt durch Stadterweiterungen auf der Ost-West-Achse zu korrigieren. Ebenso sollte die Zentrierung auf die Innenstadt überwunden werden. Von den seitens Hiders veranlaßten städtebaulichen Planungen für Linz wurde nur wenig verwirklicht, etwa die Nibelungenbrücke sowie die Brückenkopfgebäude samt Wasserstraßenamt. Krieg und militärische Niederlage waren eine wesendiche Ursache dafür, daß die nationalsozialistische Stadtplanung im Stadtzentrum ein Torso blieb. 17 An dieser Stelle gilt es, den Stellenwert von Linz etwas zu problematisieren; dies wäre letztlich nur in Form einer genauen komparativen Studie möglich, die eine Reihe von Städten des Deutschen Reichs in Hinblick auf Planungen und Realisierung von Bau- und Infrastrukturvorhaben überprüft. Nun stellt Komparatistik wohl eine Achillesferse österreichischer Zeitgeschichtsforschung dar, auch an dieser Stelle kann dieses Defizit nicht verringert werden.' 8 Allerdings soll eine mögliche Uberschätzung des Stellenwerts der Stadt Linz aus einer austrozentrierten Sicht heraus zurückgestellt und die Position die-

jahre eines Diktators, München 1996, S. 1 1 - 8 6 ; Harry Slapnicka, Hitler und Oberösterreich. Mythos, Propaganda und Wirklichkeit um den „Heimatgau" des Führers, Grünbach 1998; Ernst Hanisch, Ein Wagnerianer namens Adolf Hider. In: Ursula Müller (Hg.), Richard Wagner 1883-1983. Die Rezeption im 19. und 20. Jahrhundert. Gesammelte Beiträge des Salzburger Symposions, Stuttgart 1984, S. 65-75. 16

Der Linzer Oberbürgermeister Wolkerstorfer hatte ab Oktober 1938 die Eingemeindung von Asten, Puchenau, Traun und Leonding betrieben. Unter nachhaltigem Einsatz der Hermann-Göring-Werke befahl Gauleiter Eigruber am 12. August 1939 die zwangsweise Eingemeindung des Leondinger Ortsteils Keferfeld; weiterreichende Pläne wurden in diesem Zusammenhang nicht realisiert. Nach Kriegsbeginn stellte die Stadt Linz ihre Bemühungen um ein „Groß-Linz" mit ca. 290 km 1 Stadtfläche ein.

17

Vgl. Giesler, Ein anderer Hitler, S. 3 1 4 - 3 2 0 .

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An dieser Stelle sei die Arbeit des Wiener Architekturhistorikers Helmut Weihsmann angeführt; diese dokumentiert die nationalsozialistische Bau- und Gestaltungspolitik anhand von 49 deutschen Städten und zehn Beispielen aus Osterreich. Vgl. dazu auch Helmut Weihsmann, Bauen unterm Hakenkreuz. Architektur des Untergangs, Wien 1998.

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ser „Patenstadt des Führers" kurz überdacht werden. Während der NS-Jahre hatte die Bevölkerungszahl von Linz von 112.000 auf 195.000 zugenommen; rund 40.000 Bewohner lebten gegen Ende der NS-Jahre in Barackensiedlungen.19 Es waren zwar rund 11.000 neue Wohnungen errichtet worden, dennoch stand Linz städtebaulich erst am Beginn des Ausbaus, und es wurde ein großer Wohnungsfehlbestand errechnet.20 Linz war auch am Ende der NS-Herrschaft nicht in die Top twenty der reichsdeutschen Städte gelangt. Mit Voluntarismus und der Erhöhung in die Kategorie einer „Führerstadt" konnten eben langfristige Entwicklungen nicht in einem sehr kurzfristigen Zeitraum abgeändert werden. Außerdem existierten neben Hitler eine Reihe weiterer Machtgruppierungen im Dritten Reich, deren Interessen eben anders gelagert waren. Es bestand eine Konkurrenz der Standorte, die Ressourcen waren knapp. Polykratie und multizentrische Struktur des Dritten Reiches bedeutete eben auch die Konkurrenz unterschiedlicher Interessen.21 Die „Führerstädte" sollten in erster Linie Städte sein, in denen architektonische und städtebauliche Monumentalleistungen die Weltgeltung des Deutschen Reichs und des Deutschtums dokumentieren sollten. Allerdings wurden in beinahe jeder größeren Stadt im Raum des damaligen Deutschen Reiches Planungen durchgeführt, die daraufhinausliefen, ein Ensemble mit festgelegten Bauten für Partei und Staat zu errichten, die Bahnanlagen auszubauen und Straßenzüge zu Boulevards zu verbreitern.22 Alle „Führerstädte" wurden gleichzeitig als „Neugestaltungsstädte" definiert, in denen ein erweitertes Enteignungsrecht zugunsten der jeweiligen Magistrate bzw. des Deutschen Reichs angewendet werden konnte. Ferner galten auch Augsburg, Bayreuth, Breslau, Dresden, Düsseldorf, Graz, Münster, Oldenburg, Posen, Salzburg, Saarbrücken, Hannover, Köln, Innsbruck, Königsberg, Stettin, Weimar und Würzburg offiziell als „Neugestaltungsstädte".23 In einem programmatischen Schreiben von Reichsbauminister Albert Speer an den Reichsschatzmeister der NSDAP, in dem die diversen „Neugestaltungsstädte" verglichen wurden und auch Speer selbst gegen Linz gerichtete Präferenzen erkennen ließ,

19

Statistisches Jahrbuch der Stadt Linz, Band 1 (1946), S. 2 4 - 2 6 .

20

Vgl. Brigitte Kepplinger, Hitlers Linz. Nationalsozialistische Stadtplanung und gesellschaftliche Realität in Linz 1 9 3 8 - 1 9 4 5 . In: Brigitte Kepplinger/Reinhard Kannonier (Hg.), Irritationen. Die Wehrmachtsausstellung in Linz, Linz 1997, S. 67.

21

Vgl. Peter Hüttenberger, Essay über Führer und Polykratie im Nationalsozialismus. In: Geschichte und Verantwortung (1988), S. 1 2 3 - 1 3 7 ; Ernst Hanisch, Nationalsozialistische Herrschaft in der Provinz: Salzburg im Dritten Reich. In: 1 j . Österreichischer Historikertag Salzburg 1 9 8 1 , Salzburg 1984, S. 4 5 9 f; Hans-Ulrich Thamer, Führergewalt und Polykratie in Österreich. In: Österreich, Deutschland und die Mächte, hg. v. Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1990, S. 4 9 7 - 5 0 2 ; Horst Möller/ Andreas Wirsching/Walter Ziegler (Hg.), Nationalsozialismus in der Region, München 1996.

22

Karl Arndt, Tradition und Unvergleichbarkeit. Z u Aspekten der Stadtplanung im nationalsozialistischen

23

Vgl. Dülffer/Thies/Henke, Hiders Städte, S. 64 f.

Deutschland. In: Wilhelm Rausch (Hg.), Die Städte Mitteleuropas im 20. Jahrhundert, Linz 1984, S. 159 f.

Zwangsarbeit und NS-Industriepolitik am Standort Linz

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hieß es in Hinblick auf die „Patenstadt" lapidar: „Das Interesse für Linz ist beim Führer außerordentlich."24 Daneben betrieben eine Reihe von Städten Neugestaltung auf eigene Initiative. In Oberdonau, dem „Heimatgau" Hitlers, waren dies neben Wels und Steyr selbst wesentlich kleiner dimensionierte Orte wie Braunau (Hitlers Geburtsort) oder Rohrbach im oberösterreichischen Mühlviertel, das für seine Größe in gigantischem Ausmaß plante.25 Schließlich war auch Linz nicht eine von wenigen Städten, die mit einem „Ehrentitel" ausgestattet worden war, sondern eine von vielen. Walter Schuster hat der propagandistischen Bedeutung der Städte für den Nationalsozialismus nachgespürt und eine längere Liste an NS-Auszeichnungen für Städte zusammengestellt: So war München beispielsweise die „Hauptstadt der Bewegung" und die „Hauptstadt der deutschen Kunst", Nürnberg die „Stadt der Reichsparteitage", Landsberg die „Stadt der Jugend", Stuttgart die „Stadt der Auslandsdeutschen", Frankfurt am Main die „Stadt des deutschen Handwerks", Goslar die „Reichsbauernstadt", Salzgitter die „Stadt der HermannGöring-Werke" und Wolfsburg die „Stadt des KdF-Wagens"; im ehemaligen Osterreich wurde Graz zur „Stadt der Volkserhebung", Wels zur „Stadt der Bewegung" und zur „Patenstadt von Hermann Göring", Salzburg zur „Stadt der Lebensforschung" und Innsbruck zur „Stadt der deutschen Bergsteiger".26 Es ist auffällig, daß Wien weder in der Liste der Neugestaltungsstädte noch im Kontext besonderer Auszeichnungen vorkommt. Die Vorbehalte Adolf Hiders gegen die ehemalige „Reichshaupt- und Residenzstadt Wien" der multiethnischen Habsburgermonarchie, gegen das „verjudete Völkerbabel" seiner Jugendzeit, sind hinlänglich bekannt. Schließlich schätzte Hider selbst verbal Linz immer wieder höher ein als Wien. Realiter war die zentralörtliche und wirtschafdiche Bedeutung Wiens mit der von Linz auch während der NS-Jahre nicht zu vergleichen. Ungeachtet der propagandistischen Bemerkungen Hiders über den Kretinismus der Wiener Bevölkerung beschäftigten sich die nationalsozialistischen Planungsstäbe in Berlin und München schon ab dem März 1938 mit einer Vergrößerung Wiens nach dem Muster von „Groß-Hamburg". Aus raumpolitischen, wirtschafdichen, militärischen und verkehrstechnischen Gründen war an eine starke Ausweitung Wiens gedacht, das nach dem am weitesten gehenden Entwurf durch die Einbeziehung von Gebieten zwischen St. Pölten und der burgenländischen Grenze von 278 km2 auf nahezu 8.500 km2 angewachsen wäre. Dies hätte etwa der Flächenausdehnung des Bundeslandes Salzburg entsprochen; schließlich wurde das Stadtgebiet von Wien tatsächlich auf 1.215 km2 ausgedehnt. Der Fläche nach wurde Wien zur sechst-

24

Albert Speer an den Reichsschatzmeister der N S D A P vom 19. Februar 1942. Zum Stand der städtebaulichen Arbeiten in den Gaustädten, zit. nach Dülffer/Thies/Henke, Hitlers Städte, S. 7 1 .

25

Vgl. Josef Moser, „Die Vereinigten Staaten von Oberdonau". Zum Wandel der Wirtschafts- und Beschäftigtenstruktur einer Region während der nationalsozialistischen Herrschaft am Beispiel Oberösterreichs (Univ. Diss.), Linz 1991, S. 106 f.

26

Schuster, Stadtgeschichtsforschung zum Nationalsozialismus, S. 36 f.

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Präsentation eines Linz-Modells mit Adolf Hitler, Architekt Hermann Giesler (links) und Reichsorganisationsleiter Robert Ley, undatiert

größten Stadt der Welt, es wurden insgesamt 97 Gemeinden einverleibt.27 Wien hatte damals 26 Bezirke und rd. 2,1 Millionen Einwohner, Linz rund 120.000.28 Dennoch bleibt unbestritten, daß Adolf Hitler der Stadt Linz besonderes Augenmerk schenkte. Helmut Weihsmann verwendet im Zusammenhang mit Linz den Terminus „nationalsozialistische Machtphantasien". Tatsächlich war es von hohem Symbolwert in Hinblick auf jedwede „Machbarkeit", als man sich, von Hitler selbst angeordnet, sofort nach dem ,Anschluß" propagandistisch anschickte, die nicht sehr bedeutende Provinzhauptstadt zu einem der Brennpunkte des Deutschen Reichs zu machen. Es wurden berühmte Architekten wie Albert Speer, Hermann Giesler (schließlich zum wichtigsten Planer aufgerückt) und Paul Baumgarten angewiesen, für Linz zu planen. Schließlich ist der nicht minder prominente Architekt Roderich Fick zum „Reichsbaurat für die Stadt Linz an der Donau" eingesetzt worden, sein Büro war allerdings bis knapp vor Kriegsende in München.29 München war auch eine Schaltstelle des bereits erwähnten „Sonder-

27

Weihsmann, Bauen unterm Hakenkreuz, S. 1021 f.

28

Zur Ausdehnung der Stadt vgl. Felix Olegnik, Historisch-Statistische Ubersichten von Wien, 1. Teil (= Mitteilungen aus Statistik und Verwaltung der Stadt Wien, Jahrgang 195Ö, Heft 1), S. 60-70.

29

Die Stadt Linz hatte im Kampf um die Planungskompetenzen einige Kompetenzen in der Zeit von 1940 bis 1943 hinzugewonnen, Ende 1943 verlor die Stadt in dieser Hinsicht aber jegliches Selbstbestimmungsrecht.

Zwangsarbeit und NS-Industriepolitik am Standort Linz

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auftrags Linz", wobei es um die Errichtung eines „Führer-Museums" und die Beschaffung einer „Linzer Sammlung" ging.30 Der „Sonderauftrag" wurde im Juni 1939 durch die Ernennung eines Sonderbeauftragten, des Direktors der Dresdner Gemäldegalerie Hans Posse, realisiert. Bis dahin war „die Idee des Linzer Museums ... ein auf Hitlers Ideen basierendes, emotional veranlaßtes und inhaltlich unausgegorenes Gedankenkonstrukt".3' Die Reichshauptstadt Berlin sowie München und Dresden waren die Schaltstellen des Linzer Mega-Museums, das Fiktion blieb. Während ab 1943 infolge der Kriegslage realistischerweise in den deklarierten „Neugestaltungsstädten" jede Planungstätigkeit eingestellt wurde, war dies hinsichtlich von Linz nicht der Fall. Bis in die letzten Kriegstage des Jahre 1945 wurde geplant. Helmut Weihsmann analysiert dazu: „Im fertiggestellten Modell der zum Teil von ihm selbst entworfenen Donauuferbebauung, das ihm Giesler Mitte Februar 1945 in der Reichskanzlei übergab und das er im Führerbunker immer wieder stolz allen Besuchern vorführte, fand Hitler in den letzten Wochen vor seinem Tod die Erfüllung seines Linz-Traumes, eine absurde Flucht aus der Realität des sich abzeichnenden Zusammenbruchs in eine heile Welt architektonischen Größenwahns."32 Von nachhaltiger Bedeutung waren für Linz die Gründungen neuer Industrieunternehmen. Diese schienen noch im Jahre 1941 ungebrochen das Hauptziel der nationalsozialistischen Planungen darzustellen. Von besonderer Wichtigkeit war, wie es in einer programmatischen Rede des damaligen Gauwirtschaftsberaters von Oberdonau hieß, „die einmalige und gigantische Aufgabe des Aufbaus der Stadt Linz ... nach dem Willen des Führers". Eine Stadt solle entstehen, so Hinterleitner, „nach vorbildlicher Planung ... mit einer Wirkung nach außen, wie dies sonst einer Stadt in dreifacher Größe eigen ist... Die Hütte der Göring-Werke, ein Werk, an dem sonst zehn Jahre gebaut wird, ist trotz des Krieges so hochgewachsen, daß noch heuer die ersten Hochöfen anlaufen. Nach gänzlicher Fertigstellung werden dort 20.000 Menschen arbeiten. Daneben das Stahlbauwerk ... Die Stickstoffwerke werden in nicht langer Zeit ihre Produktion aufnehmen, die Zellstoffwerke in Lenzing erzeugen bereits seit längerer Zeit große Mengen dieses wichtigen Rohstoffes. Durch das Verkehrskreuz Ost-West und Nord-Süd, das in Linz seinen Schnittpunkt hat, wird die Stadt mit ihren Hafenanlagen zu einem gewaltigen Umschlagplatz werden."33

30 Vgl. dazu grundsätzlich Ernst Kubin, Sonderauftrag Linz. Die Kunstsammlung Adolf Hitler. Aufbau, Vernichtungsplan, Rettung. Ein Thriller der Kunstgeschichte, Wien 1989. 31 Birgit Kirchmayr, Sonderauftrag Linz. Zur Fiktion eines Museums. In: Mayrhofer/Schuster (Hg.), Nationalsozialismus in Linz, Band 1, S. 563 f. 32 Weihsmann, Bauen unterm Hakenkreuz, S. 944. 3 3 Oberdonau im großdeutschen Wirtschaftsraum. Rede des Gauwirtschaftsberaters Oskar Hinterleitner anläßlich der Abschlußkundgebung der Arbeitsgemeinschaft für Betriebsführer in Linz am 25. April 1941, Linz 1941, S. 14 f.

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Kommunalpolitische Kundgebung in Linz (Volksgartensaal), 1941, mit überdimensioniertem Hitler-Kopf

Die wichtigsten Projekte im Raum Linz, die ab 1938 mit verschiedenen Zielvorstellungen, vor allem aber auch als Arbeitsbeschaffüngsmaßnahmen begonnen wurden, galten der Errichtung von Industrieanlagen und dem Ausbau der Infrastruktur. Letztere stellte für die geplante Erweiterung, Erneuerung und Neuansiedlung von Industriebetrieben eine wichtige Prämisse dar. Die Gründung der industriellen Großbetriebe (das Hüttenwerk der Reichswerke Hermann Göring, die Eisenwerke Oberdonau, die Ostmärkischen Stickstoffwerke Linz) war in diesem Konzept zentral, ebenso wie der Ausbau der Linzer Schiffswerft zum Rüstungsbetrieb.34 Linz als Standort für Schwerindustrie zu bestimmen, hatte - von der nachzuvollziehenden planerischen Seite her - seine Wurzeln im Ergebnis einer Machbarkeitsstudie der Reichswerke Berlin, in der resümiert wurde, daß die Stadt wie kein anderer Standort in Österreich für die Errichtung einer neuen Hütte geeignet war. Es wurden dabei als Gründe angegeben: Linz lag nach verkehrsgeographischen Gesichtspunkten optimal zwischen den Rohstoffbasen in Deutschland (den Kohlerevieren an der Ruhr und der Saar im Westen und Oberschlesien im Osten sowie den Erzvorkommen in Oberfiranken) und dem steirischen Erzberg. Die Versorgung mit elektrischem Strom konnte durch die Nutzung der Wasserkraft der Donau gesichert werden. 34

Die infolge der Weltwirtschaftskrise ökonomisch angeschlagene Linzer Schiffswerft A G wurde in die Reichwerke Aktiengesellschaft für Binnenschiffahrt „Hermann Göring", Berlin übergeführt.

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33

Von Vorteil im Rahmen der Errichtung von Großbetrieben in Linz war der Umstand, daß mit den Steyr-Werken in unmittelbarer Nähe bereits ein ausbaufähiger Produzent von Fahrzeugen und Rüstungsgütern vorhanden war. Schließlich hatte man auch die bereits angesprochene Nutzung der Donau als Wasserstraße bedacht, was eine Versorgung des Wiener Raumes mit Fahrzeugen und Rüstungsgütern ebenso problemlos erscheinen ließ wie eine Belieferung Südosteuropas.35 Ferner wurden in Linz Bauvorhaben im Straßenverkehr begonnen, wie der Bau der Reichsautobahn, der Bau der Nibelungenbrücke, der die beiden diesseits und jenseits der Donau gelegenen Stadtteile von Linz verband, und die Elektrifizierung von Bahnstrecken. Als weiterer Programmpunkt ist die Erweiterung des Flughafens Linz-Hörsching anzusehen. Als die Bevölkerungszahl der Stadt in kurzer Zeit deudich gestiegen war, begann man im speziellen auch für die deutschen bzw. einheimischen Facharbeiter in den Hermann-Göring-Werken und in den Stickstoffwerken vergleichsweise großzügig ausgestaltete Wohnsiedlungen zu errichten.30 In zweiter Linie fielen in diese Schwerpunktsetzung auch weitere Wohnungsneubauten in den Stadtteilen Froschberg, Urfahr und Kleinmünchen. Die Neugründungen von Großunternehmen und der Ausbau der Infrastruktur und der Rüstungsindustrie führte in ganz Oberösterreich zu einschneidenden Veränderungen der Betriebs- und der Beschäftigtenstruktur. 1934 waren ca. 35 % der Berufstätigen in der Bauindustrie und im Baunebengewerbe beschäftigt. Auf die Branchen Eisen- und Metallverarbeitung entfielen ca. 17 %, auf die Textilindustrie 12,7 % und auf die Papierindustrie sowie die Nahrungsmittelindustrie zwischen 9 % und 10 %. 1943 waren hingegen 57 % allein in der Eisen- und Metallindustrie konzentriert. Kein weiterer Industriezweig konnte mehr als 6 % auf sich vereinen. Die Konsumindustrie war unter den größten fünf Industriezweigen nicht mehr vertreten. Arbeiteten 1930 ca. 60 % der Industriebeschäftigten in Betrieben mit mehr als 100 Mitarbeitern, so ist dieser Anteil bis 1943 bereits auf 90 % angestiegen. In der Stadt Linz selbst hatten die Neugründungen bereits bei der Volks- bzw. Berufszählung vom 17. Mai 1939 ihren Niederschlag gefunden. Lag der Anteil der Berufstätigen in Linz an der Wirtschaftsklasse Industrie- und Gewerbe 1910, 1923 und 1934 zum Teil deudich unter 30 %, so waren es 1939 schon 32,8 %. Der Anteil der Arbeiter an den Berufstätigen erreichte die für Linz hohe Ziffer von 47,2 % (Selbständige 10,3 %; mithelfende Familienangehörige 2,0 %, Beamte/öffendicher Dienst 18,4 %, Angestellte 22,1 %).37 Linz entwickelte sich in raschem Tempo zur Arbeiter- und Industriestadt.

35 Vgl. Helmut Fiereder, Die Hütte Linz und ihre Nebenbetriebe von 1938 bis 1945. In: Historisches Jahrbuch der Stadt Linz (HJbStL) 1981, Linz 1982, S. 185 f. 36 Vgl. dazu Brigitte Kepplinger, Wohnen in Linz. Zur Geschichte des Linzer Arbeiterwohnbaues von den Anfängen bis 1945, Wien/Köln/Graz 1989, S. 73-85. 37 Statistische Übersichten für den Reichsgau Oberdonau, 3. Jahrgang, Wien 1943, S. 9.

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Daß die rasche Entwicklung bereits bald zu gravierenden Problemen führte, belegte die Denkschrift des damaligen Linzer Oberbürgermeisters Leo Sturma „Uber die durch den Bevölkerungszuwachs in der Gauhauptstadt entstandene schwierige Lage" aus dem Jänner 1941. 38 Schon sein Vorgänger Wolkersdorfer hatte den Leiter des Einwohner- und Meldeamtes einmal wöchentlich zum Rapport vorgeladen.39 Laut Oberbürgermeister Sturma könne das schnelle Wachstum in Linz nur durch einen organisierten Großeinsatz von Stadt, Gau und Reich in geordnete Bahnen gelenkt werden: „Der Großeinsatz (kann)", so Sturma, „am xten Tag nach Kriegsende nur dann mit Aussicht auf Erfolg anlaufen, wenn bis zu diesem Zeitpunkt die bis heute fehlenden technischen, rechtlichen und finanziellen Voraussetzungen dazu geschaffen sind."40 Realiter gab es damals unkontrollierte Bautätigkeiten der Großindustrie, Barackenlager wurden in großer Zahl errichtet. Bereits damals traf das Diktum von Ernst Koref zu, wonach sich Linz unter nationalsozialistischer Herrschaft von der „Barock- zur Barackenstadt" entwickelt habe.4' Oberbürgermeister Sturma schloß an seine systemkonform vorgetragene Schilderung der schwierigen. Situation Forderungen nach enormen Finanzmitteln an, mit denen die Errichtung von Infrastruktur und Unterkünften bewerkstelligt werden sollte, beendete die Denkschrift aber - zu diesem Zeitpunkt so wie die gesamte NS-Elite vom „Endsieg" überzeugt - optimistisch: „Linz ist die kleinste unter den Neugestaltungsstädten. Bei entsprechender Zusammenstellung aller Kräfte und Mittel dürfte es hier am raschesten gelingen, der Welt das Musterbeispiel nationalsozialistischen Städtebaues vorzuführen."42

2. D I E „REICHSWERKE HERMANN GÖRING" Am 15. Juli 1937 wurde in Berlin auf Veranlassung von Hermann Göring, dem Beauftragten des Vierjahresplanes, die „Reichswerke Aktiengesellschaft für Erzbergbau und Eisenhütten Hermann Göring" gegründet. Göring ernannte Paul Pleiger zum alleinigen Vorstandsmitglied, Firmensitz war Berlin, der Schwerpunkt der Produktion lag im Raum Braunschweig. Ein großes Hüttenwerk wurde in Salzgitter errichtet. Es sollte der im deutschen Vierjahresplan vorgesehenen Sicherung der wehrwirtschaftlichen Autarkie dienen. Im Jahre 1938 wurden in der Firmenagglomeration in Braunschweig-Salzgitter rund 10.000 Personen beschäftigt, im Dezember 1944 lag die Zahl der Beschäftigten bei rund 38 Archiv der Stadt Linz (AStL), Nationalsozialismus, Sch. B 20, Denkschrift des Oberbürgermeisters der Stadt Linz an der Donau über die durch den Bevölkerungszuwachs in der Gauhauptstadt entstandene schwierige Lage, 22. Jänner 1941. 39 AStL, Nationalsozialismus, Sch. B 18, Vorladungen an den Leiter des Wahl- und Einwohneramts 1939-40. 40 Denkschrift Oberbürgermeister 1941, Sofortprogramm, S. 1. 41 Linz heute. Linz today. Linz aujourd'hui - Buch der Stadt Linz 1950, Linz 1950, S. 7. 42 Denkschrift Oberbürgermeister 1941, Sofortprogramm, S. 21

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58.000 Personen. 43 Es war vorgesehen, weitere Hüttenwerke im Rahmen dieses Konzerns zu errichten, eines davon in Franken. Bereits 1937 bekundeten Pleiger und Göring massives Interesse an der österreichischen Erzbasis und an der österreichischen Eisenindustrie, besonders an der „Alpine Montangesellschaft". 44 Der ,Anschluß" veränderte die Situation für die „Reichswerke Hermann Göring", die einen raschen Expansionskurs steuerten und damit die traditionelle Stahlindustrie unter Druck setzten. Der Beschluß der Errichtung einer Eisenhütte in Franken wurde noch im März 1938 zugunsten einer österreichischen, im speziellen zugunsten einer oberösterreichischen Destination abgeändert. Unter drei bzw. vier Varianten wurde bei der Bestimmung des genauen Standorts dem Raum St. Peter-Zizlau der Vorzug gegeben. Abgesehen von den Gutachten deutscher Ökonomen dürfte Hitler persönlich nicht nur bei stadtplanerischen und kulturellen Weichenstellungen Linz betreffend eingegriffen, sondern auch die Standortwahl der industriellen Neugründungen mitbestimmt haben. In seinen „Spandauer Tagebüchern" schrieb Albert Speer dazu: „Im Dunkeln rief ich mir wieder die heftigen Diskussionen in Erinnerung, die Hitlers schon 1938 gefaßter Plan eines riesigen Industriewerkes bei Linz ausgelöst hatte. Göring begrüßte ihn wegen des Vierjahresplanes, aber Todt und vor allem die Raumplaner waren dagegen. Hitler persönlich hatte den Bauplatz nahe der Stadt ausgesucht und alle Einwände wegen der zu erwartenden Belästigung durch Rauch, Abgase und Gerüche auf Grund der ständigen Ostwinde im Stromtal der Donau beiseite geschoben. Dr. Todts Vorhaltungen, daß Hitler sein schönes, altes Linz auf diese Weise in eine verrußte Industrie- und Arbeiterstadt wie Essen verwandele, wies er ebenso zurück, wie meinen Einwand, daß das riesige Werk die Ausdehnung der Stadt zur Donau, dem städtebaulich wertvollsten Gelände, blockieren werde. Er argumentierte damit keineswegs romantisch, sondern ganz nüchtern und rechnerisch: seine weitreichenden Pläne seien auf die Dauer nur möglich, wenn die Stadt selbst die Unterhaltungskosten für die Neubauten tragen könne. Mit den steuerlichen Einkünften aus den Hermann-Göring-Werken sei die Zukunft von Linz für alle Zeiten gesichert." 45 Adolf Hitler erklärte bei einem Besuch der Hütte Linz im Frühjahr 1941: „Ich bin doch sehr froh, daß ich mich für diesen Plan entschieden habe, weil ich immer wollte, daß das Hüttenwerk das wirtschaftliche Rückgrat der Stadt Linz werde." Daß Hider wesentlichen Einfluß auf die Standortentscheidung zugunsten von Linz nahm, ist bei den meisten Autoren unbestritten. Helmut Fiereder betont in seinen Arbeiten allerdings auch die Rolle des „Vierjahresplanbeauftragten" Hermann Göring; dieser habe sich in Absprache mit Paul Pleiger schon am Nachmittag des 16. März 1938 für ein neues Hüttenwerk im Raum Linz entschieden.46 43

Wysocki, Arbeit für den Krieg, S. 7 1 .

44

Vgl. Helmut Fiereder, Reichswerke „Hermann Göring" in Österreich (1938-1945), Wien/Salzburg 1983,

45

Albert Speer, Spandauer Tagebücher, Frankfurt/Berlin/Wien 1975, S. 261.

46

Fiereder, Reichswerke „Hermann Göring", S. 73.

S. 68.

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Der Spatenstich der Reichswerke in Linz wurde am 13* -Mai 193^ von Hermann Göring vorgenommen. Die ca. 4.500 Bewohner der dörflichen Siedlung St. Peter-Zizlau sind im Zuge der Planungen in keiner Weise konsultiert oder vorinformiert worden, man hat sie kurzfristig abgesiedelt. Organisiert wurden Grundstücksrequirierung und Absiedlung von dem jungen Juristen Johannes Meissner. Die rasch umgesetzten Maßnahmen betrafen 1 andwirtschaftliche Betriebe wie auch einige kleinere Gewerbe- und Dienstleistungsunternehmen, die sich in St. Peter befanden. Einem Gastwirt wurde etwa während der Verköstigung seiner Gäste telephonisch befohlen, sofort seinen Betrieb zu sperren.47 Die Hermann-Göring-Werke leiteten rasch die erforderlichen Enteignungsverfahren ein.48 Die propagandistische Verlautbarung der Absiedlung erfolgte in einem autoritären Ton und verband Antisemitismus mit sozialdemagogischen Formulierungen.49 So veröffendichte der Gaupressedienst am 5. Mai 1938 folgende Erklärung: „Wie groß das Entgegenkommen der Hermann-Göring-Werke und ihr soziales Verständnis ist, beweist auch, daß sie den Bauern, die durch die Errichtung der Werke ihren Grundbesitz verlieren, an anderer Stelle vollkommen gleichwertigen, ja meist sogar höherwertigen Grundbesitz als Entschädigung dafür übergeben. Zu diesem Zweck werden vor allem Güter von Juden und anderen volksfremden Elementen aufgekauft, so zum Beispiel der Besitz des berüchtigten Heimwehr-Juden Mahler ... Die verantwortliche Führung des Gaues Oberösterreich und der Stadt Linz erwartet, daß alle Volksgenossen die großzügige Arbeit der Hermann-Göring-Werke unterstützen."50 Die Aufbauarbeiten der Werksanlagen standen unter der Leitung des Göring-Freundes und Reichswerkevorstandsvorsitzenden Paul Pleiger, sie wurden bis Kriegsbeginn von der Firma des Deutschamerikaners Hermann Brassert durchgeführt. Die mit Göring affiliierten Interessengruppen beabsichtigten nicht nur die Förderung und Verhüttung der eisenarmen deutschen Erze in den Linzer Werken durchzuführen, sondern sie betrieben auch einen ausgeprägten Expansionismus. Während in Linz mit dem Bau der Werksanlagen begonnen und dieser fortgeführt wurde, versuchten die Reichswerke die Alpine Montangesellschaft zur Sicherstellung ihrer Rohstoffbasis zu übernehmen; Verhandlungen wurden eingeleitet. Sowohl Pleiger, der im Auftrag von Hermann Göring agierte, als auch Generaldirektor Albert Vogler von der „Vereinigten Stahlwerke AG" in Düsseldorf als Mehrheitseigner der Alpine Montangesellschaft, beharrten auf ihren Verhandlungspositionen. Da aber die Vereinigten Stahlwerke hinsichtlich der Lieferung der

47

Vgl. Maria Karl/Stefan Kurowski, Mit heißen Wünschen, Hermann Gering. Vom Dorf St. Peter, das Hitlers Plänen für ein Hüttenwerk im Wege stand, Linz 1998, S. 74. 48 Ebenda, S. 61-70. 49 Juden wurden hier aus propagandistischen Gründen erwähnt; es trifft zwar zu, daß der Beauftragte der Hermann-Göring-Werke Grundstücke jüdischer Eigentümer aufkaufte, für das Gesamtprojekt war dieser Kauf jedoch in keiner Weise von Bedeutung. 50 AStL, Linzer Tagesberichte 1938, 1. Teil, S. 207 (Bericht der Gaupressestelle vom 5. Mai 1938).

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Wohnbauten für Aussiedler

Anlagen zur Erzaufbereitung und des Erzkonzentrats von den Reichswerken abhängig waren und Pleiger den Stahlwerken Garantien für den Erzbezug und auf die Einflußnahme über das Ausmaß des Abbaues gab, schlössen sie einen langfristigen Liefervertrag mit den Göring-Werken. Im März 1939 verkauften die unter starkem politischen Druck stehenden Vereinigten Stahlwerke 56 % des Aktienkapitals der Alpine Montangesellschaft an die Reichswerke Hermann Göring; letztlich hatte sich die Göring-Gruppe durchgesetzt.51 Mit der Fusion der beiden Unternehmen wurde der Sitz der neuen Gesellschaft nach Linz verlegt und der Name auf „Reichswerke A G Alpine Montan A G .Hermann Göring' Linz" geändert. Als Generaldirektor bestellte die Generalversammlung Paul Pleiger, Hans Malzacher von der Alpine Montangesellschaft wurde Stellvertreter.52 Der Standort Linz ist damit enorm aufgewertet worden. Die Reichswerke A G Alpine Montan A G „Hermann Göring" Linz verfugte nunmehr über folgende Standorte: Linz, Wien (Verwaltungsstandort), Ternberg, Traisen, Radmer, Neuberg, Gloggnitz, Eisenerz, Seegraben, Krieglach, Kindberg, Donawitz, Leoben, Fohnsdorf, Judenburg, Zeltweg, Köflach, Graz, Hüttenberg und Ferlach.53 Es ent51 Vgl. Gerhard Mollin, Montankonzerne und ,Drittes Reich', Göttingen 1988, S. 123 f. 52 Vgl. Fiereder, Reichswerke „Hermann Göring", S. 124. 53 Historisches Archiv der V O E S T A L P I N E AG, Linz, Aufstellung der Reichswerke A G Alpine Montanbetriebe „Hermann Göring" Linz, Standorte der Betriebe, 1940.



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wickelte sich in diesem Firmengeflecht ein Machtkampf um die Firmenzentrale der neuen Reichswerke A G Alpine Montan, denn bislang war die Generaldirektion in W e n untergebracht. An diesem Punkt setzten die Interventionen August Eigrubers, des Gauleiters und Landeshauptmannes (bzw. späterhin des Reichsstatthalters) von Oberdonau, ein: Er wünschte eine Ubersiedlung der Generaldirektion nach Linz und einen schnellen Ausbau der Hütte Linz, denn dies stellte für ihn die Garantie wirtschaftlicher Prosperität für die Stadt Linz und den Gau Oberdonau dar. Dagegen opponierten die Interessengruppen der Alpine, die Wiener Konzernzentrale und der Gauleiter der Steiermark. Nach Helmut Fiereder war es Eigruber gelungen, Adolf Hider selbst zu einer Entscheidung zu bringen. Hitler entschied im September 1940, daß die Generaldirektion definitiv von Wien nach Linz übersiedeln müsse, Eigruber hatte einen wichtigen Prestigeerfolg erzielen können. Malzacher und das alte Alpine-Management hatten sich gegen diese Ubersiedlung gewehrt.54 Die Durchsetzung der Position des Gauleiters von Oberdonau war, so Fiereder weiter, „aber auch für die Zentrale des Reichswerke-Konzerns ein nicht zu übersehendes Signal: Eigruber hatte seinen direkten Zugang zur Reichskanzlei bewiesen. Außerdem war damit auch signalisiert, daß Hitlers Interesse an der Hütte Linz keineswegs erloschen war."55 Zweifellos war Gauleiter und Reichsstatthalter Eigruber in diesem Machtpoker eine Hauptfigur; sein Hauptverbündeter war dabei der Vorstandsvorsitzende Paul Pleiger von der Reichswerke-Konzernleitung.56 Es unterstreicht das Nahverhältnis Eigruber Reichswerke, wenn man in Betracht zieht, daß der oberösterreichische Gauleiter auch Aufsichtsratsfunktionen wahrnahm: Er war im Rahmen der Reichswerke A G für Bergbau und Hüttenbetriebe „Hermann Göring", Berlin Aufsichtsrat der Reichswerke A G Alpine Montanbetriebe „Hermann Göring", Linz (bis April 1942) und im Rahmen der Reichswerke AG für Waffen- und Maschinenbau „Hermann Göring", Berlin Aufsichtsrat der Steyr-Daimler-Puch AG, Steyr.57 Die von ihm angeführte SA bot sich für Bewachungsdienste in den Reichswerken in Linz an; dies betraf Bewachungsfunktionen, die üblicherweise von der SS durchgeführt wurden.58 Neben Eigruber zählten zu den uneingeschränkten Befürwortern der Großindustriegründungen im Raum Linz nicht nur der Beraterstab des Gauleiters, sondern auch seine persönlichen Gefolgsleute, zu denen der Linzer Oberbürgermeister Sepp Wolkerstorfer - von 1938 bis 1940 im Amt - zählte. Dieser unterstützte die Reichswerke-Politik von Anfang an, kooperierte in allen Belangen, was Eingemeindungen, Bereitstellung von Grundstücken usw. anlangte. Als Wol-

54 Fiereder, Reichswerke „Hermann Göring", S. 152. 55 Ebenda. 56 Ebenda, S. 243. 57 Vgl. Meyer, Hitlers Holding, S. 350, 357. 58 Oberösterreichisches Landesarchiv (OOLA), Linz. Landeswirtschaftsamt (LWA), Sch. 15, Teil 17 (Rüstungskommission Linz), Sitzungsprotokoll vom 22. Dezember 1944, S. 1 (Vorschlag SA-Führer Faller).

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Gauleiter Eigruber bei einer Werksbesichtigung

kerstorfer seine Funktion als Oberbürgermeister verlor, wurde er beruflich von den Hermann-Göring-Werken (HGW) aufgefangen; nebenbei erhielt er in der NSDAP Oberdonau die Funktion des „Politischen Leiters".59 Es waren vor allem hohe Parteikreise, regionale SA und SS, die durchgehend mit den Reichswerken Hermann Göring kooperierten. Dagegen gab es in der zeitgenössischen Gesellschaft auch Kreise, die den Reichswerken mit Skepsis begegneten, wie die „Denkschrift der Wirtschaftskammer Oberdonau an den Herrn Reichswirtschaftsminister anläßlich des Besuches des Herrn Staatssekretärs Dr. Landfried in Oberdonau vom 7.-9. September 1940" belegt. Die Abfassung dieser Denkschrift wurde vor allem von der klein- und mittelbetrieblichen Wirtschaft betrieben, die sich von den entstehenden großen Industriebetrieben unter Druck gesetzt fühlte; die Bedeutung der Klein- und Mittelbetriebe war in massiver Abnahme begriffen. Einerseits war es der Arbeitskräftemangel in der Kriegssituation, der die lokalen und regionalen Wirtschaftstreibenden auf den Plan rief. Die Fertigstellung der Linzer Großbetriebe in Oberdonau ließ einen zusätzlichen Arbeitskräftebedarf von 8.000 bis 10.000 Industrie- und Facharbeitern erwarten, wobei die oberösterreichischen Klein- und Mittelbetriebe befürchteten, daß ein Großteil dabei von ihren Unternehmen abgezogen werde. Die Denkschrift enthielt die Forderung nach Beendigung der großindustriellen 59 Vgl. Schuster, Langoth, S. 174-179.

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Gründungen: „Die Wirtschaftskammer bittet daher ... den Herrn Reichswirtschaftsminister, im Rahmen der weiteren Industrieplanung des Reiches von einer weiteren Gründung bzw. Zulassung von industriellen Großbetrieben im Gau Oberdonau abzusehen und als Gegengewicht zu der seit dem Anschluß eingetretenen Entwicklung eine großzügige Förderung der Mittel- und Kleinbetriebe in die Wege zu leiten."60 Die Betonung des Mittelstandes, seine Bedrohung durch die Großindustrie einerseits und die Ausweitung der Arbeiterschaft andererseits waren die wichtigsten Ansätze in dieser Schrift, der Wunsch nach Erhaltung und Stärkung des „bodenverwurzelten Bauerntums" kann in erster Linie als rhetorische Floskel angesehen werden. Es wurde eine „größtmögliche Stärkung der selbständig schöpferischen Elemente in der gewerblichen Wirtschaft" gefordert, um einer „Amerikanisierung", worunter man die „Zunahme der Zahl der Lohnempfänger auf Kosten der Selbständigen" verstand, entgegenzuwirken.61 In diesem Kontext befürchtete die Wirtschaftskammer auch, daß sich „der Heimatgau des Führers ... zu einer Art,Vereinigte Staaten von Oberdonau' entwickeln werde", und obwohl die Zahl der „Fremdarbeiter" 1940 noch vergleichsweise niedrig war, wurde in der Denkschrift vor den „volkspolitischen Gefahren der fremdblütigen Unterwanderung" gewarnt.62 Der Meinungsdruck auf der Tagung der Wirtschaftskammer Oberdonau im September 1940 war stark: Gerüchte kursierten, daß in Linz „zwölf Hochöfen, fünf bis zehn Großbetriebe und im übrigen Lande eine Serie eisenverarbeitender Werke" vorgesehen seien.63 Jedenfalls soll der anwesende Staatssekretär Ernst Landfried, dem die Denkschrift zugeeignet war, auf der Tagung erklärt haben: „Bis hierher und nicht weiter. Es muß nun unsere Aufgabe sein (muß), dieses schöne Land davor zu bewahren, eine Waffenschmiede nach Muster des Ruhrgebiets zu werden."64 Auch der Gauwirtschaftsberater und ehemalige Wirtschaftslandesrat Oskar Hinterleitner soll sich gegen eine weitere Industrialisierung und gegen Großlösungen eingesetzt haben. Als Handelskammerfunktionär und Vertreter der gewerblichen Wirtschaft stand er mit Sicherheit in einem Interessengegensatz zur Linzer Großindustrie.65 Daß Hinterleitner mit Nachdruck agie-

60

Denkschrift der Wirtschaftskammer Oberdonau an den Herrn Reichswirtschaftsminister anläßlich des Besuches des Herrn Staatssekretärs Dr. Landfried in Oberdonau vom 7.-9. September 1940, S. 11.

61

Denkschrift 1940, S. 3.

62

Denkschrift 1940, S. 19 f.

63

Vgl. Erich Maria Meixner, Wirtschaftsgeschichte des Landes Oberösterreich, Band 2 (Männer, Mächte, Betriebe), Linz 1952, S. 385. Meixner war in der NS-Zeit einer der engsten Mitarbeiter des Gauwirtschaftsberaters Oskar Hinterleitner. Nach dem Krieg war er, ebenso wie Hinterleitner, für die oberösterreichische Handelskammer tätig.

64 Meixner, Wirtschaftsgeschichte Oberösterreich, Band 2, S. 385. 65

Zum Gegensatz Großindustrie versus Klein- und Mittelbetriebe vgl. Kurt Tweraser, Die Linzer Wirtschaft im Nationalsozialismus. Anmerkungen zur strukturellen Transformation („Modernisierung") und zum NS-Krisenmanagement. In: Mayrhofer/Schuster (Hg.), Nationalsozialismus in Linz, Band 1, S. 431-441; zur Person Oskar Hinterleitner, S. 525-527.

Zwangsarbeit und NS-Industriepolitik am Standort Linz

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ren konnte, ist jedoch wenig wahrscheinlich; überdies war Hinterleitner ein hoher nationalsozialistischer Parteifunktionär, der sich auch unterordnete und schließlich in der Papiererzeugungsbranche persönlich zum maßgeblichen Konstrukteur einer Holding wurde.66 Die Vorstellung, die Industrialisierung und Rüstungsorientierung in Oberösterreich hintanzuhalten, war zu diesem Zeitpunkt unrealistisch. Bereits 1939 waren die Reichswerke Hermann Göring darangegangen, die Eisen- und eisenverarbeitende Industrie im ehemaligen Osterreich in einer Hand zu vereinen bzw. über Beteiligungen den Einfluß sicherzustellen: Wie bereits erwähnt, gerieten die Österreichische Alpine Montangesellschaft, des weiteren aber auch Steyr-Daimler-Puch, die Simmeringer Waggonfabrik, die Gußstahlwerke Judenburg, die Floridsdorfer Paukerwerke, die Donaudampfschiffahrtsgesellschaft, die Linzer Schiffswerft und weitere Betriebe in den Einflußbereich der Reichswerke.67 Die nationalsozialistischen Interessengruppen um Hermann Göring verfolgten Ziele, die über die Hegemonie in der (ehemaligen) österreichischen Schwerindustrie weit hinausgingen. Dieses Machtkartell konstruierte einen Wirtschaftsgiganten, der als nationalsozialistisches Parteiinstrument ein Herrschaftssystem neben dem Staats- und Regierungsapparat darstellen sollte. Die Reichswerke, und dies galt auch für die Linzer Großindustrie als Teil derselben, waren neben der Unterordnung unter nationalsozialistische Interessen gleichzeitig aber auch ein selbständiges Machtinstrument, geführt von ideologisch gebundenen Eliten. 68 Dies stand nicht im Widerspruch zur Tatsache, daß einzelne Manager technokratisch dachten und formulierten. Sie setzten jedenfalls ohne weitere Diskussionen die Ideologie der Nationalsozialisten um, handelten im wesendichen ohne große moralische Bedenken, ohne Rücksicht auf die Wahl der Mittel, wenn sie einen bestimmten Zweck erfüllten.Paul Pleiger umriß 1940 das grundlegende Konzept der Reichswerke: 1. Die Abhängigkeit der deutschen Eisenindustrie von der ausländischen Erzeinfuhr so weit wie möglich zu beseitigen. 66

Laut Meixner hat Hinterleitner gegen die „Rüstungsmaschine des Reiches" opponiert; Meixner war während der NS-Zeit einer der engsten Mitarbeiter sowie ein persönlicher Freund des NS-Politikers. Daß Hinterleitner gegen die „NS-Rüstungsmaschine" opponierte, würde ihn zu dem Zeitpunkt, als das Buch geschrieben wurde - 1951

in gewisser Weise entlasten. Hinterleitner war als Gauwirtschaftsberater eine

zentrale Figur bei der ,.Arisierung" und „Entjudung" nicht„arischen" Vermögens in Oberösterreich, er wirkte als hochrangiger Wirtschaftsfunktionär der N S D A P selbst an der Gestaltung von Großbetriebskonstruktionen mit. Tatsache ist allerdings, daß die großindustriekritische Denkschrift der Wirtschaftskammer nicht ohne die Unterstützung Hinterleitners hätte formuliert werden können. Meixner, Wirtschaftsgeschichte Oberösterreich, Band 2, S. 384. 67

Vgl. Meyer, Hitlers Holding, S. 1 1 3 - 1 1 6 .

68

Ebenda, S. 10.

69

Zu Geschäftspraxis und Einstellung der Managereliten der Reichswerke Hermann Göring vgl. den grundlegenden Beitrag von Oliver Rathkolb in diesem Band, S. 288 fi.

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2. Die deutsche Roheisen- und Stahlerzeugung so zu steigern, daß dem Deutschen Reich die Führung in der europäischen Eisenwirtschaft gesichert wird. 3. Aus den Stammwerken den größten europäischen Konzern zu entwickeln und mit ihm die wirtschaftspolitische Führung in der deutschen Montanindustrie zu übernehmen.70 Die in Linz entstehende Schwerindustrie war in Hinblick auf den gesamtdeutschen Bedarf dimensioniert, war jedoch in den Planungen nicht von vornherein auf Kriegsproduktion ausgerichtet. Mit Kriegsbeginn bzw. vor allem mit der Ausweitung des Krieges wurde die Linzer Großindustrie jedoch zur Gänze der Logik der Kriegsproduktion untergeordnet. Unkoordinierte Planungen und Mangel an Material und Arbeitskräften verzögerten den vorerst raschen Aufbau des Werks; letztendlich konnte es sukzessive erst 1941 in Betrieb gehen, nachdem man gewisse Reduktionen des ursprünglichen Bauprogramms vorgenommen hatte. Im Zuge der Krisenbesprechungen während des Sommers 1941 bot der Generaldirektor der Alpine, Hans Malzacher, seinen Rücktritt an, weil ihm die Führung der Reichswerke und auch die Gauleitung Oberdonau die Verantwortung für die Verzögerung der Inbetriebnahme anlasteten. Schließlich konnte der erste Hochofen am 15. Oktober 1941 nur deshalb termingerecht angeblasen werden, da Malzacher mit einer Blitzentscheidung einen der beiden Eisenerzer Hochöfen stillegen ließ und die damit frei gewordenen Erz- und Koksmengen in Linz zur Verfügung standen.71 Materialmangel, Probleme der Materialorganisation und Mangel an Arbeitskräften bestimmten von Beginn an den laufenden Betrieb. Im Einklang mit den Zielvorgaben nationalsozialistischer Industriepolitik wurde versucht, die Probleme mit immer rigideren, diktatorischen Maßnahmen zu kontrollieren. Einzelentscheidungen standen im Mittelpunkt. Im Großraum Linz wurden weitere Betriebe im Kontext von Rüstungsinteressen errichtet: 1939 sind die „Eisenwerke Oberdonau" (EWOD oder EWO) als Tochtergesellschaft der Reichswerke Hermann Göring, Linz gegründet worden. Die EWOD nahmen 1940 die Erzeugung von Panzerteilen auf und avancierten später zum größten deutschen Panzerwerk. In einer Sachverhaltsdarstellung der Hermann-Göring-Werke wurde festgehalten: „Die Eisenwerke sind von den Göringwerken-Alpine in jeder Beziehung vollkommen abhängig, denn den Göringwerken-Alpine gehören 100 % des Stammkapitals, die Anlagen der Eisenwerke werden auf Grund und Boden der Göringwerke-Alpine errichtet und die Eisenwerke sind vollkommen angewiesen auf die Energieversorgung durch die Hütte Linz ... Die Göringwerke teilen ihren Einfluß auf die Eisenwerke lediglich mit den öffentlichen Stellen, die an den Eisenwerken interessiert sind. Der Einfluß der Göringwerke ist daher nur insoweit berücksichtigt, als öffentliche Interessen zu 70

Vgl. Fiereder, Reichswerke „Hermann Göring", S. 62.

71

Fiereder, Die Hütte Linz, S. 203 f.

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Hütte Linz, Hochöfen und Reste des Dorfes St. Peter

berücksichtigen sind."72 Als Komplementärbetrieb zu den Reichswerken hat man die in unmittelbarer nördlicher Nachbarschaft vom Werksgelände der E W O D und der Hütte Linz seit 1940 errichteten „Stickstoffwerke Ostmark" verstanden. Bauträger war der deutsche Konzern I G Farben.73 Die Werke dienten der Stickstoffgewinnung, der für die Düngemittelerzeugung gebraucht wurde; im Rahmen des „Pulver-Schnellplans" sollte in Linz aber auch Stickstoff für die Erzeugung von Sprengstoff erzeugt werden. 74 Im Auftrag der Reichswerke A G für Waffen- und Maschinenbau „Hermann Göring", Berlin wurde ab 1940 im 20 km von Linz entfernten St. Valentin das „Nibelungenwerk" seitens der ebenfalls zum Konzern gehörenden Steyr-Daimler-Puch A G errichtet. Es war auf den serienmäßigen Zusammenbau von Vollkettenfahrzeugen (Panzer etc.) ausgerichtet.75 Zur Jahreswende 1941/1942 schied Hans Malzacher definitiv aus der Alpine aus; für die Reichswerke-Alpine-Gruppe hatte dies auch organisatorische Konsequenzen. Die autonome Komponente der Alpine-Gruppe hinsichtlich der Organisation wurde reduziert.76 Die Neuorganisation der Reichswerke Aktiengesellschaft Alpine Montanbetriebe

72

Österreichisches Staatsarchiv (ÖStA), Wien. Bestand Alpine-Montangesellschaft, Sch. 96. Reichswerke A G Alpine Montanbetriebe „Hermann Göring": Sachverhaltdarstellung Eisenwerke Oberdonau vom 19. Mai 1941, S. 4.

73

Unter Ausnützung des Kokereigases der Hütte Linz wurde in der Folgezeit die Herstellung von Salpe-

74

Vgl. Helmut Lackner/Gerhard Stadler, Fabriken in der Stadt. Eine Industriegeschichte der Stadt Linz,

tersäure für die Sprengmittelproduktion forciert. Linz 1990, S. 416 ff. 75

Gerhard Stadler, Steyr-Waffen in aller Welt. In: Michael John/Roman Sandgruber (Hg.), Tradition - Innovation. Industrie im Wandel, Steyr 1998, S. 37 f.

76

Vgl. Fiereder, Reichswerke „Hermann Göring", S. 169 f.

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„Hermann Göring" wurde mit i. April 1942 wirksam. Den untergeordneten Betrieben wurde mitgeteilt, daß nunmehr Linz alleiniger Sitz der Generaldirektion sei.77 Kursorisch zur Organisation einige Details - Leiter der Direktion war zu diesem Zeitpunkt Wolfgang Kehrl, sein Vertreter Hugo de Verga, bei dessen Verhinderung Dr. Fritz Hoynigg; die beiden erstgenannten Manager waren kaum operativ tätig, das Sekretariat der Generaldirektion wurde kommissarisch von Johannes Meissner verwaltet. Zusammen mit seiner Position als Abteilungsdirektor der Hauptabteilung II (Grundstücks- und Wohnungswesen) hatte Meissner in der Gesamtverwaltung der Reichswerke-Alpine damit eine einflußreiche Stellung inne.78 Hauptabteilung I (Administration) wurde von Walter Geiblinger geleitet, Hauptabteilung III (Personalangelegenheiten für Angestellte) von Dr. Erwin Buchmarin, Hauptabteilung IV (Rechtsangelegenheiten) von Dr. Hoynigg. Das Riesenressort der Hauptabteilung V (Sozial- und Gefolgschaftswesen) war Sepp Wolkerstorfer, dem ehemaligen Oberbürgermeister der Stadt Linz, übertragen worden; es beinhaltete die Referate Sozialpolitik, Arbeitseinsatz, Arbeitsordnung, Wohnlagerverwaltung, Wohnlagerbetreuung, Gesundheitswesen, Familienfürsorge, Küchen bzw. Lebensmitteleinkauf und lagerung. Aus der genaueren Jobdeskription geht hervor, daß Wolkerstorfer für die „Beschaffung von Arbeitskräften", die „Blaumacherbekämpfung", den gesamten „Wohnlagerbereich", insbesondere dessen Kontrolle sowie für die Versorgung aller Beschäftigten verantwortlich war.79 Damit war Wolkerstorfer für nahezu sämtliche elementaren Lebensbereiche der ausländischen Zivilarbeiter innerhalb der Reichswerke zuständig. Die bereits angesprochene Größendiskussion der Hermann-Göring-Werke in Linz wurde im November 1942 erneut in Gang gebracht, diesmal von Adolf Hitler persönlich; in den Erörterungen Hitlers mit Roderich Fick, dem „Reichsbaurat für die Stadt Linz", aus München. Anhand dieser Diskussion wird die nationalsozialistische Vorstellung des Primats der Politik über die Wirtschaft deutlich, ebenso wie eine mechanistische Vorstellung von Demographie, die die Bevölkerungszahl mit der Zahl von Hochöfen in einen direkten Zusammenhang stellte. In einem Brief von Fick an den HGW-Generaldirektor Pleiger teilt ihm dieser mit, daß Fick unlängst mit Hitler ein Gespräch über den weiteren Ausbau der Hochofenanlagen in Linz (bis zu zwölf Ofen) und die daraus resultierenden städtebaulichen Folgen gesprochen habe: „Der Führer möchte gern verhindern, daß Linz über eine Bevölkerungszahl von 3 50.000 Einwohnern anwächst. Ich habe dem Führer dargelegt, daß mit der erörterten zweiten Ausbaustufe der Hütte ... diese Bevölkerungszahl um ca. 70.000 Einwohner überschritten werden wird."80 Etwas abgehoben von der Realität (der dritte Hochofen war gerade angeblasen

77 78 79 80

Archiv Salzgitter, Bestand 24/150/6, Rundschreiben Nr. 8 Neuorganisation vom 10. März 1942, S. 1. Ebenda, S. 2 f. Ebenda, S. 5 f. Archiv Salzgitter, Bestand 24/150/6, Der Reichsbaurat fär die Stadt Linz Roderich Fick an Generaldirektor Pleiger vom 1. Dezember 1942, S. 1.

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worden), hatte Hitler über den weiteren Ausbau der Stahlindustrie in Linz diskutiert. Tatsächlich erteilte man per i. Dezember 1942 Pleiger den Auftrag, „eine Wirtschaftlichkeitsberechnung im Zusammenhang mit der Gesamtstahlerzeugung und Stahlverarbeitung des ganzen europäischen Wirtschaftsraumes" erstellen zu lassen.81 Der gesamte Reichswerke-Konzern wurde mit der Fortdauer des Krieges zu einem Unternehmen von sehr großem Ausmaß und hohem politisch-gesellschaftlichem Stellenwert ausgebaut. Der auch in Osterreich tätig gewesene, zeitweilige Präsident des Aufsichtsrats der Reichswerke, späterhin Leiter des Rohstoff- und Planungsamts im Ministerium Speer, Hans Kehrl, hatte mit der Konzeption der Reichsvereinigung Eisen (RVE) 1942 dabei mitgewirkt. Mit der Verbindung von gesamtwirtschaftlicher Aufgabe und unternehmerischer Durchführung erhielten die großen Branchenunternehmen weitreichende staatliche Hoheitsbefugnisse.82 Das riesige Firmengeflecht der Reichswerke mit dem zentralen Firmensitz in Berlin umfaßte schließlich ehemals tschechische, französische, polnische, rumänische, sowjetische und polnische Industrieanlagen, Förderund Abbauanlagen, chemische Industrien, Rüstungsbetriebe, mit einer weit über drei Millionen hinausgehenden Anzahl von Beschäftigten (1943/44).83 Allein im DnjeprDonez-Gebiet wurden mehr als 20 Rüstungswerke kontrolliert. August Meyer errechnete für den gesamten Göring-Komplex um die Jahreswende 1943/44 allein mit einer Zwangsarbeiterzahl von nahezu 1,6 Millionen Personen, ausschließlich der Kriegsgefangenen und KZ-Insassen.84 Der Reichswerke-Konzern in diesem riesigen Umfang war ein integraler Bestandteil des nationalsozialistischen „Großwirtschaftsraums" im besetzten Europa.85 Der Standort Linz spielte in diesem Wirtschaftsgeflecht keine zentrale Rolle, hatte steuernde Funktionen nur im alpenländischen Raum, aber nicht darüber hinaus.

3 . D E R E I N S A T Z AUSLÄNDISCHER A R B E I T E R IN L I N Z Mit einem ambitiösen Rüstungs- und Industrieprogramm wurde in Oberösterreich und speziell im Großraum Linz nach der nationalsozialistischen Machtergreifung die Arbeitslosigkeit rasch reduziert.86 Das aktionistische Programm führte zu einer überhitzten Konjunktur, nach relativ kurzer Zeit herrschte ein deudicher Mangel an Arbeitskräften. 81 82 83 84 85

86

Ebenda, S. 1 f. Rolf-Dieter Müller, Der Manager der Kriegswirtschaft. Hans Kehrl: Ein Unternehmer in der Politik des „Dritten Reiches", Essen 1999, S. 89. Meyer, Hitlers Holding, S. 177 f. Ebenda, S. 192. Vgl. dazu Dietrich Eichholtz, Institutionen und Praxis der deutschen Wirtschaftspolitik im NS-besetzten Europa. In: Richard J. Overy/Gerhard Otto/Johannes Houwink ten Cate (Hg.), Die „Neuordnung" Europas. NS-Wirtschaftspolitik in den besetzten Gebieten, Wien 1997, S. 29-62. Vgl. Monatsberichte des Wiener Instituts für Wirtschaftsforschung, Jg. 1939, Heft 2/3, S. 41.

4

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Genauso wie im gesamten Deutschen Reich wurde auch in Oberösterreich die „Arbeitskraftreserve Frau" nicht in dem für die nationalsozialistischen Zielsetzungen erforderlichen Maß mobilisiert. „Bei den weiblichen Arbeitskräften dürften noch gewisse Reserven vorhanden sein", hieß es in einem Briefwechsel unter nationalsozialistischen Wirtschaftsfunktionären: „Immerhin muß aber bei einem Rückgriff auf die weibliche Arbeitskraft aus den verschiedensten Gründen Zurückhaltung geübt werden." 87 Das ideologische Postulat der Nationalsozialisten von der biologischen Bestimmung der Frau zur Mutter und Hausfrau war zwar mit dem obligatorischen weiblichen Arbeitsdienst aufgeweicht worden, aber bei allen weiteren Schritten zur Arbeitskraftmobilisierung wurde hier weiter Zurückhaltung gezeigt.88 Bei Ausschöpfung der lokalen, regionalen männlichen Arbeitskräfte bot sich in der Folge nur ein Ausweg an: ausländische Arbeiter. Bereits im Frühjahr 1939, noch vor Kriegsausbruch, waren in Linz ausländische Bauarbeiter beschäftigt worden. Drehscheibe des Ausländereinsatzes waren, nicht nur in Linz, sondern in gesamten Deutschen Reich, die Arbeitsämter.89 Nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges, als der Großteil der Männer in der Wehrmacht oder im Reichsarbeitsdienst eingesetzt worden ist und selbstbestimmte Migrationsbewegungen unmöglich wurden, hat man den „Ausländereinsatz" in den nationalsozialistischen Machtzirkeln intensiv diskutiert. Mit der Fortdauer des Krieges begann sich die Zahl der unter Zwang rekrutierten ausländischen Arbeitskräfte sukzessive zu erhöhen.

Der Zwangscharakter Vorweg eine Begriffsklärung: Sowohl bei Ulrich Herbert als auch Florian Freund und Bertrand Perz finden sich Definitionen als auch Diskussionen des Begriffs „Zwangsarbeit". Dieser Ausprägung des Begriffe wird auch hier gefolgt. Demnach ist unter Zwangsarbeit in dem hier verwendeten Sinn von Zwang als „außerökonomischem Zwang zur Arbeit" die Rede. Dieser Begriff der Zwangsarbeit schließt,Arbeitsverhältnisse aus, die deutschen Staatsangehörigen zwar vorübergehend zugeordnet werden konnten (Reichsarbeitsdienst, Landjahr, Dienstverpflichtungen usw.), aber auf Grund der Gesamtwürdigung der Lebensumstände nicht als Zwangsarbeit zu bewerten sind".9°

87 Zit. nach Ulrich Herbert, Fremdarbeiter. Politik und Praxis des „Ausländer-Einsatzes" in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Bonn 1999, S. 55 f. 88 Vgl. Herbert, Fremdarbeiter, S. 53-55. 89 Per 1. September 1939 hatte man 5.918 Tschechen, 1.137 Slowaken, 68 Jugoslawen, 62 Italiener, 73 Bulgaren, 149 Ungarn und 13 Polen in Linz eingesetzt. OOLA, Gauselbstverwaltung, Sch. 24, Wirtschaftsbericht des Wehrwirtschaftsamtes Wehrkreis XVII, September 1939. 90 Ulrich Herbert, Zwangsarbeiter im „Dritten Reich" - ein Überblick. In: Klaus Barwig/Günter Saat-

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Von Zwangsarbeit im Nationalsozialismus ist also dann zu sprechen, wenn außerökonomischer Zwang ausschlaggebend dafür war, daß eine Person arbeitete, nicht nur abhängig von ihrer Profession und Fähigkeit, sondern allein abhängig von ihrer Herkunft (national, ethnisch, religiös). Von Zwangsarbeit ist auch „dann zu sprechen, wenn diskriminierende arbeitsrechtliche Sonderbedingungen geschaffen wurden, die eine definierte Gruppe von Personen bei Strafe zur Arbeit anhielten. Es geht um Personen, die aufgrund einer speziellen nationalsozialistischen Politik geschädigt wurden." Darunter war die Verfolgung aus rassistischen und/oder politischen Gründen zu zählen, ebenso wie Zwangsmaßnahmen gegen „Fremdvölkische". 91 Die Lebensverhältnisse jener Ausländer und Ausländerinnen, die unter diesen Begriffsmantel der Zwangsarbeit subsumiert werden konnten, sind selbst in hohem Maß unterschiedlich gewesen. Dies trifft insbesondere zu, wenn man zusätzlich die Zwangsarbeit von Juden bzw. die Zwangsarbeit von KZ-Insassen in Betracht zieht.92 Die bis zum 3 1 . August 1939 im Deutschen Reich aufgebaute Arbeitsverwaltung wurde bald nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs auf die eroberten Teile des polnischen Territoriums ausgedehnt. Schon in der ersten Hälfte des Oktobers 1939 wurde in diesen nunmehr von den Deutschen besetzten und ins Deutsche Reich eingegliederten Gebieten ein dichtes Netz selbständiger Arbeitsämter eingerichtet. Alle Angelegenheiten hinsichtlich der Beschäftigung von Arbeitskräften, darunter auch die Verschickung von polnischen Arbeitskräften in „Ostmark" und „Altreich", wurden diesen übertragen.93 Eine stärker zentralisierte Form erhielt von Seiten der NS-Behörden die Arbeitsverwaltung im Generalgouvernement Polen. Als Teil des Amtes des Generalgouverneurs wurde die Hauptabteilung Arbeit eingerichtet. Diese verwaltete wiederum die Arbeitsabteilungen der Distrikte, in denen sich die Arbeitsämter befanden.94 Die deutschen Okkupationsbehörden führten die Zwangsbewirtschaftung der Ressource Arbeitskraft in den besetzten polnischen Gebieten ein und setzten diese dort sogleich flächendeckend durch. Im Generalgouvernement wurde am 26. und am 31. Oktober 1939 eine Verordnung ausgegeben, die eine Arbeitsverpflichtung für die polnische

hoff/Nicole Weyde (Hg.), Entschädigung für NS-Zwangsarbeit. Rechtliche, historische und politische Aspekte, Baden-Baden 1998, S. 17. 91 Florian Freund/Bertrand Perz, Zwangsarbeit von zivilen Ausländerinnen, Kriegsgefangenen, KZ-Häftlingen und ungarischen Juden in Osterreich. In: Emmerich Tälos/Ernst Hanisch/Wolfgang Neugebauer/Reinhard Sieder (Hg.), NS-Herrschaft in Osterreich. Ein Handbuch, Wien 2000, S. 646. 92 Vgl. dazu den Beitrag von Bertrand Perz über Konzentrationslager in Linz in diesem Band, S. 355 ff. 93 Die rasche Gleichschaltung war darauf zurückzuführen, daß sich deutsche Stellen schon vor dem Kriegsbeginn mit der organisatorischen Struktur in den neu zu verwaltenden polnischen Gebieten beschäftigten. Landesarbeitsämter in Brandenburg, Ostpreußen, Pommern und Schlesien wurden von der deutschen Regierung verpflichtet, in speziell benannten polnischen Orten aktive Filialen zu bilden. 94 Czeslaw Luczak, Zwangsarbeit der Polen im Dritten Reich im Zweiten Weltkrieg (masch. Manus; deutsche Ubersetzung), Warschau 1999, S. 5 f.

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Ankunft italienischer Arbeiter im Mai 1941 in Linz

Bevölkerung vom 18. bis zum 60. Lebensjahr definierte. Am 14. Dezember 1939 wurden die Bezirksleiter berechtigt, diese Maßnahme auf die Bevölkerung ab dem 14. Lebensjahr zu erweitern. 1939 und 1940 wurde Zwang primär zur Durchsetzung von Arbeiten im lokalen und regionalen Rahmen angewendet, beispielsweise bei der Ernte oder bei Reinigungsarbeiten für die Quartiere der deutschen Soldaten. Verschickungen in die „Ostmark" waren in der ersten Phase seltener, die Methoden subtiler: Man forderte etwa von jungen Männern eine Meldung für Arbeitseinsätze in Deutschland, ansonsten Lebensmittelkarten für die Familien nicht ausgestellt würden. Ein Paket von Maßnahmen - die sog. „Polenerlässe" - schuf die Grundlagen dafür, daß man ab März 1940 hinsichtlich polnischer Arbeiter tatsächlich in vielen Fällen korrekterweise bereits von massenhafter Zwangsrekrutierung sprechen konnte.95 Bei der Bereitstellung von Arbeitskräften wurden ab diesem Zeitpunkt systematisch Zwangsmaßnahmen angewendet: An die Auszahlung der Arbeitslosenunterstützung wurde die Bedingung geknüpft, sich zur Arbeit im Deutschen Reich zu verpflichten. Weiters setzten die deutschen Behörden bzw. die jeweiligen Arbeitsämter Pflichtkontingente an Arbeitskräften fest, die zur Verfügung gestellt werden mußten, wenn sich nicht genügend Freiwillige meldeten. Es wurden Straßenrazzien in den Städten organisiert, in denen der Widerstand gegen die deutschen Zwangsmaßnahmen groß war. Am 24. April 1940 wurde schließlich eine Verordnung herausgegeben, die alle Polen der Jahrgänge 95 Vgl. Ulrich Herbert, Fremdarbeiter, S. 85-94.

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Sowjetische Kriegsgefangene beim Kraftwerksbau in Staning, Oberösterreich

1915 bis 1925 zur Arbeit im Deutschen Reich verpflichtete. Die „Polenerlässe" legten auch fest, daß sich Polen im Deutschen Reich durch Tragen des Buchstabens „P" kennzeichnen mußten - noch bevor der Judenstern verpflichtend eingeführt worden war.96 Kriegsbedingt herrschte ab 1940 in Linz ebenso wie im gesamten Gau Oberdonau starker Arbeitskräftemangel, viele junge Männer waren zur Wehrmacht eingezogen worden. Polen wurden damals bereits häufig unter Zwang rekrutiert, dies war jedoch noch von Fall zu Fall verschieden. Es gab polnische Arbeiter, die sich 1940 und 1941 freiwillig nach Linz gemeldet hatten. Alle aber waren sie, wie in den Polenerlässen vorgesehen, dazu verpflichtet, das „P" zu tragen.97 Einzelne Gerichtsakten weisen daraufhin, daß anfangs in einigen Fällen dies nicht getan wurde, um offenkundiger Schlechterstellung seitens von Berufskollegen oder im Alltagsleben auszuweichen. Große Kontingente angeworbener italienischer Arbeiter kamen 1941 in Linz an. Diese hatten Zeitkontrakte abgeschlossen, galten zu diesem Zeitpunkt als Angehörige einer verbündeten Nation und wurden von offizieller Seite am Bahnhof willkommen geheißen; für sie hatte man sogar vorgesehen, qualitativ anspruchsvollere Quartiere zu errichten, was letztlich nicht geschah.98 Italienische Arbeiter konnten von 1940 bis 1943 Chianti- und Rufinowein sehr

96 Vgl. Barbara Hopmann/Mark Spoerer/Birgit Weitz/Beate Brüninghaus, Zwangsarbeit bei Daimler-Benz, Stuttgart 1994, S. 39. 97 OÖLA, Politische Akten, Sch. 69, Kennzeichnungspflicht für Polen, November 1940. 98 AStL, Besatzungsamt, Stadtkämmerei, Arbeiterlager, Organisation Todt (ohne Schachtel-Nr.)

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billig beziehen, er wurde in den Lagern verteilt. Aus den Akten des Linzer Überwachungsamts läßt sich entnehmen, daß in der Folge Hunderte Flaschen Chianti von italienischen Arbeitern aus den Hermann-Göring-Werken auf dem Schwarzmarkt verkauft wurden." Dem Arbeitskräftemangel war ab Sommer 1941 auch mit Verwaltungsvereinfachungen begegnet worden. Gegenüber anderen Firmen waren die Hermann-Göring-Werke auf dem Arbeitsmarkt privilegiert; die Hauptverwaltung der H G W Linz stellte die Anträge auf Zulassung ausländischer Arbeitskräfte auch für ihre Vertragsfirmen beim Arbeitsamt. In einer Aussendung zu dieser Sonderregelung hielt der Reichsarbeitsminister fest: „Für die bezeichneten ausländischen Arbeitskräfte braucht also künftig nur einmal jährlich die Durchfuhrung des Ausländergenehmigungsverfahrens beantragt werden ... Das vereinfachte Verfahren vermeidet trotz der erheblichen verwaltungsmäßigen Entlastung, daß dem Arbeitsamt die Ubersicht über den tatsächlichen Einsatz der Ausländer verloren geht. Der Betrieb erhält die Möglichkeit, alle von ihm beschäftigten ausländischen Arbeitskräfte ... fest in die Hand zu bekommen."100 Ab 1942 ist der Zwangscharakter der Arbeiterrekrutierung durchgängig. In diesem Jahr wurden massenhaft sowjetische Staatsbürger, vornehmlich Russen und Ukrainer, in Oberösterreich eingesetzt. Ab Februar 1942 wurde für diese sogenannten „Ostarbeiter" die Kennzeichnung „Ost" eingeführt. („Ostarbeiterinnen" wird oft synonym für sowjetische Zivilarbeiterinnen verwendet; dies ist nicht ganz zutreffend. Nach der Definition der Nationalsozialisten stammten Ostarbeiter aus den Gebieten „ösdich des Reichskommissariates Ostland, ohne Weißruthenien, d. h. ösdich der früheren ßaltenstaaten Estland, Lettland und Litauen sowie östlich des Bezirks Bialystok und des Generalgouvernements. Für sie gilt die Verordnung über die Einsatzbedingen der Ostarbeiter vom 30. Juni 1942 [RGBl. I, S. 419].") 101 Personen, die aus dem Gebiet des ehemaligen Galizien kamen, waren demnach keine „Ostarbeiter" bzw. „Ostarbeiterinnen". In verstärktem Ausmaß verschickte man in der Folge auch Polen in die Reichswerke Hermann Göring. Sie wurden in größeren Transporten ins Land gebracht, die im Regelfall nicht auf Freiwilligkeit beruhten.102 Im Generalgouvernement kam den Arbeitsämtern dabei gesteigerte Bedeutung zu, sie hatten eine weiterreichende Kompetenz als die Arbeitsämter in Deutschland. Sie wurden ermächtigt, an Polen die Prügelstrafe durchzuführen, und zwar in der Form, daß sie arbeitsunwillige Polen der Polizei bzw. der Gendarmerie übergaben mit der Forderung, an den Betroffenen die Prügelstrafe durch99 AStL, Uberwachungsamt, Sch. 25, Anzeige vom Mai 1943; die Italiener wurden nicht ausgeforscht (Hinweis auf diesen Akt: Hermann Rafetseder). 100 OOLA, Landeswirtschaftsamt, Sch. 14, Reichsarbeitsminister an den Präsidenten des Landesarbeitsamtes Oberdonau vom 4. Juni 1941, S. 3. 101 Historisches Archiv der V O E S T A L P I N E AG, Linz, Hermann Göring Werke Linz - Karte des Herkunftsgebietes der Ostarbeiter, 1942 (beinhaltet die schriftliche Definition). 102 Vgl. Moser, Oberösterreichs Wirtschaft 1938 bis 1945, S. 3 1 1 .

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zuführen. Es lag im Ermessen der Arbeitsämter, polnische Arbeiter direkt der Gestapo zu übergeben. Der Reichsstatthalter des (auf ehemals polnischem Staatsgebiet gelegenen) Warthegaus berechtigte beispielsweise aufgrund einer Verordnung vom April 1942 die Arbeitsämter, daß sie Polen, welche die ihnen bestimmte Arbeit im Deutschen Reich verweigerten, direkt zur Aburteilung durch Polizeistandgerichte schicken konnten. Deutsche Arbeitsämter in den eingegliederten Ostgebieten konnten Polen, die versuchten, die Registrierung durch das Amt zu umgehen, ganz offiziell die Ausgabe von Lebensmittelund Kleiderkarten verweigern. 103 Im Gau Oberdonau wurden den polnische Arbeitern und Arbeiterinnen dann zweisprachige Formulare vorgelegt, in denen diese zur Kenntnis nehmen mußten, daß sie ihren Arbeitsplatz nur mit Zustimmung des Arbeitsamtes verlassen dürfen: „Ferner nimmt er - sie - " , heißt es weiter, „davon Kenntnis, daß jedes unentschuldigte Fernbleiben von der Arbeit, Verweigerung einer Arbeit, böswilliges Zurückhalten mit der Arbeit oder Störung des Betriebs- und Arbeitsfriedens, gleichgültig auf welche Art und Weise, verboten ist. Ein wiederholter Verstoß gegen das vorstehende Verbot wird mit den schärfsten staatspolizeilichen Maßnahmen und Einweisung in ein Konzentrationslager bestraft." io4 Die Gestapo bzw. der Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei hatten im November 1942 eindeutige Bestimmungen erlassen. Danach waren die „fremdvölkischen Zivilarbeiter" auf der Basis einer neunteiligen Skala zu behandeln: Auf Platz 1 standen ,^Arbeitskräfte germanischer Abstammung" (Flamen, Holländer, Dänen, Norweger), danach Arbeitskräfte befreundeter/verbündeter souveräner Staaten (Italiener, Spanier, Slowaken, Kroaten, Bulgaren, Ungarn), auf Platz 3 Arbeitskräfte aus Frankreich und Belgien; dann folgten Serben und Griechen, schließlich Arbeitskräfte aus dem Protektorat Böhmen und Mähren nichtdeutscher Abstammung (Protektoratsangehörige). Auf Platz 6 folgen Arbeitskräfte aus den ehemaligen baltischen Staaten, auf 7 Weißrussen und Ukrainer aus ostpolnischen Gebieten und dem Distrikt Lemberg („Galizianer"), auf 8 die Polen, und am Ende der Skala rangierten die „Ostarbeiter".IOS Polen und „Ostarbeiter" hatten eine durch wesentlich stärkere Diskriminierung und Repression gekennzeichnete Sonderstellung: Zur Kennzeichnung waren nur Polen und „Ostarbeiter" verpflichtet. Polnische Zivilarbeiter in der Industrie sollten in geschlossenen Lagern untergebracht werden, ferner hieß es: „Ostarbeiter sind grundsätzlich in geschlossenen und ständig bewachten Lagern unterzubringen." Polen war es verboten, ohne polizeiliche Genehmigung den Einsatzort zu verlassen, „Ostarbeiter durften sich außerhalb ihres Lagers und

103 Vgl. Luczak, Zwangsarbeit der Polen, S. 5. 104 O O L A , Politische Akten, Sch. 69, Formular für polnische Zivilarbeiterinnen. 105 Geheime Staatspolizei, Staatspolizeileitstelle Dresden. Merkblatt für die Beauftragten der N S D A P bei der Überwachung fremdvölkischer Arbeitskräfte zur Begegnung volkspolitischer Gefahren, zit. nach Herrenmensch und Arbeitsvölker. Ausländische Arbeiter und Deutsche 1939-1945. Beiträge zur nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik Band 3, Berlin 1986, S. 136 f.

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Arbeitsplatzes nicht ohne Bewachung bewegen". Schließlich war die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel „den Polen ohne besondere schriftliche, polizeiliche Genehmigung, den Ostarbeitern jedoch grundsätzlich verboten". 106 Weitere einschlägige Bestimmungen festigten die abgehobene Position dieser osteuropäischen Arbeitskräfte, die - von Ausnahmen im Falle kooperierender Personengruppen abgesehen - am stärksten dem Zwangscharakter der deutschen Arbeitskräftemobilisierung ausgesetzt waren. Ein Detail aus den Personalunterlagen der Reichswerke in Linz zeigt - abseits bekannter Dokumente - die Bedeutung der nationalen Einstufimg für die Lebensumstände der Betroffenen auf. So wurden in 106 Fällen Eintragungen aufgefunden, die zeigen, daß es Unstimmigkeiten in Fragen der nationalen Zuordnung gegeben hatte: Entweder hatte die Verwaltung der Reichswerke eine andere Nationalität moniert, oder die betroffene Person hatte reklamiert. 107 Das damals bereits in erheblichem Maß multiethnisch geprägte Frankreich hatte in der Zwischenkriegszeit und davor viele Arbeitsmigranten aufgenommen; dies stellte für die rassistischen Kategorisierungen der Nationalsozialisten prinzipiell ein Problem dar. So war Edmund Kohli ursprünglich als Pole eingestuft worden. Er lebte aber in Toulouse und besaß offenbar die französische Staatsbürgerschaft; er wurde schließlich doch als in der nationalsozialistischen „Rassen"-Hierarchie höherstehender Franzose eingetragen, erhielt eine Heimreise bezahlt, ebenso wie ihm Trennungsgeld ausbezahlt wurde, was bei polnischen Zwangsarbeitern in der Regel nicht der Fall war. Auch Alois Lupinski war anfangs als Pole geführt worden, in der Folge aber als Protektoratsangehöriger. August Gross wiederum wurde vorerst als Litauer geführt, dann aber als deutscher Staatsangehöriger, der in der Arbeiterhierarchie ganz anders eingestuft wurde und Anrecht auf Sonderzahlungen hatte. Das Personalbüro wurde aber auch in umgekehrter Weise aktiv: Vasile Nikolei hat man zuerst - da er in St-Etienne geboren und wohnhaft war - als Franzosen geführt; Frankreich wurde in der Folge durchgestrichen und Rumänien eingefügt. 108

Forcierte Arbeitskräftemobilisierung Die allgemeine Belegschaftsentwicklung in den Hermann-Göring-Werken in Linz zeigt, zu welchem Zeitpunkt die NS-Wirtschaftsplaner nachhaltig unter Druck gerieten und - angesichts der Tatsache, daß inländische Arbeitskräfte infolge der Kriegsereignisse nicht mehr zur Verfügung standen - wann man verstärkt ausländische Arbeitskräfte unter steigender Repression zu beschaffen begann. Es waren die Jahre 1942 und 1943, in denen eine Steige106 Ebenda. 107 Historisches Archiv der V O E S T A L P I N E AG, Linz, Datenbank Personalstandslisten Hermann GöringWerke 1941-1945, Linz, Detailabfrage abweichende Staatsangehörigkeit. 108 Ebenda, Fallbeispiele Kohli, Lupinski, Gross, Nikolei.

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rung der Belegschaft um nahezu 8.000 Personen bewerkstelligt werden sollte, 1944 wurde eine nochmalige Steigerung erreicht. Vom 31. Dezember 1941 bis 31. Dezember 1944 wurde der Belegschaftsstand in Linz um nahezu 100 % gesteigert, eine Ausweitung, die unter den damaligen Umständen nur mit massivsten Zwangsmaßnahmen durchgeführt werden konnte. Daß der Einsatz administriert und geplant werden konnte, ist ebenfalls nur mit sehr repressiven, nicht mit zivilen Mitteln möglich gewesen. Hatte das Verhältnis blue collar/Produktion zu white collar/Administration/Techniker etc. per 31. Dezember 1939 1 zu 2,4 betragen, per 31. Dezember 1940 1 zu 3,0 betragen (dies war die Aufbauphase, Bauarbeiter waren im Belegschaftsstand nicht berücksichtigt, weil es sich um Vertragsfirmen handelte), so wurde Ende Dezember 1942 ein Verhältnis 1 zu 5,8 ausgewiesen, ein Level, der in etwa bis Kriegsende beibehalten wurde. Unter den nunmehr zivileren Nachkriegsbedingungen hatte das genannte Verhältnis am 31. Dezember 1945 dann wiederum 1 zu 3,3 betragen.'09 Belegschaftsentwicklung im Hermann Göring-Komplex, Linz 1938-1945

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* Zählungsdatum immer per 3 1 . Dezember des Jahres, im April 1945 ohne exakte Angabe eines Tages. Quelle: Historisches Archiv der VOEST ALPINE AG, Linz, Vereinigte Osterreichische Eisen- und Stahlwerke, Linz (Hg.), Die Personalabteilung, zusammengestellt von Karl Görtz, o. J . , S. 2.

109 Historisches Archiv der VOEST ALPINE A G , Linz, Vereinigte Österreichische Eisen- und Stahlwerke, Linz (Hg.), Die Personalabteilung, zusammengestellt von Karl Görtz, o. J . , S. 2

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Im Jahre 1942 wurde in Osteuropa systematisch unter Anwendung physischer Gewalt rekrutiert, junge Burschen und Mädchen rasch zu Unterschriften genötigt und in Waggons verfrachtet. Die Aushebung verlief in der ehemaligen Sowjetunion, in Rußland und in der Ukraine oft unter brutalen Bedingungen. „Ohne Rücksicht ins Reich zu verbringen", lautete ein diesbezüglicher Befehl. In den deutsch besetzten Gebieten der Sowjetunion wurde Terror eingesetzt (z. B. Zerstörung von Dörfern, welche die geforderten Kontigente an Arbeitern nicht beibrachten), und es wurden Männer und Frauen zur Rekrutierung auch auf offener Straße aufgegriffen. 110 1942 und 1943 war die Sicht auf die einzusetzenden Sowjetbürger in erster Linie geprägt von den Begriffen „Menschenmaterial" und „Untermenschen". So sagte Erich Koch, der Reichskommissar für die Ukraine, am 5. März 1943 in einer Rede vor in Kiew versammelten Parteimitgliedern: „Wir sind ein Herrenvolk, das bedenken muß, daß der geringste deutsche Arbeiter rassisch und biologisch tausendmal wertvoller ist, als die hiesige Bevölkerung." Und der Reichsfahrer der SS Heinrich Himmler erklärte den Führern der Hitler-Jugend sieben Monate später: „Ob die anderen (östlichen) Völker in Wohlstand leben oder ob sie verrecken vor Hunger, das interessiert mich nur so weit, als wir sie als Sklaven fiir unsere Kultur brauchen, anders interessiert mich das nicht. Ob bei dem Bau eines Panzergrabens 10.000 russische Weiber an Entkräftung umfallen oder nicht, interessiert mich nur insoweit, als der Panzergraben für Deutschland fertig wird." 111 Die Vorgangsweise bei den Rekrutierungen hing mitunter aber auch davon ab, wie entgegenkommend die jungen Männer und Mädchen waren. Es wurden auch Werbekampagnen durchgeführt, um eine Arbeitsverpflichtung in Deutschland zu bewerben, es wurden auch tatsächlich freiwillige und „freiwillige" Meldungen abgegeben. Es gab Fälle, die so gelagert waren, daß sich die Betroffenen bessere Chancen ausrechneten, im Zentrum des Deutschen Reiches in der Industrie oder in der Landwirtschaft zu überleben als im Sondierungsgebiet militärischer Auseinandersetzungen, wo man leicht in den Verdacht der Partisanentätigkeit geriet oder als Ausgleichsopfer bei Partisanenübergriffen zu Tode kommen konnte. Ebenso kam es zu freiwilligen Meldungen von politischen Gegnern des Sowjetsystems. Im Vergleich zu den besetzten Gebieten der Sowjetunion befand sich die Repression gegenüber zu rekrutierenden Arbeitskräften in Böhmen und Mähren (Protektorat) im Jahre 1942 auf einem anderen Level: Gewaltsame Aushebungen wie in der Sowjetunion sind hier nicht bekannt, man schickte allerdings Verpflichtungsbescheide (Vymer o prikazani) aus: „Verpflichtungsbescheid auf Grund der Regierungsverordnung vom 4. Mai 1942, Slg. Nr. 154/42 ... Sie werden hiermit für die Zeit

110 Vgl. Ulrich Herbert, Der „Ausländereinsatz". Fremdarbeiter und Kriegsgefangene in Deutschland 1939 - 1945 - ein Uberblick. In: Herrenmensch und Arbeitsvölker. Ausländische Arbeiter und Deutsche 1939-1945, Berlin 1986, S. 30 f. 1 1 1 Zit. nach Gitta Sereny, Albert Speer. Das Ringen mit der Wahrheit und das deutsche Trauma, München 1997, S. 363.

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vom 25.10.1942 bis auf Kriegsdauer als ... bei Eisenwerke Oberdonau, Linz verpflichtet. Sie haben sich pünktlich am 24.10.1942, 18 Uhr zur Abfahrt am Bahnhof... (z. B. Budweis/Ceske Budejovice) einzufinden. Die Nichtbefolgung oder Verletzung der Ihnen auferlegten Verpflichtungen werden ... mit einer Geldbuße von 100.000 Kronen oder mit Arrest bis zu sechs Monaten oder mit beiden Strafen zugleich bestraft." 112 In der Regel war der Verpflichtung von der Verständigung bis zur Abfahrt in einem Zeitraum von 24 bis 48 Stunden nachzukommen. Insbesondere ab der Ausrufung des „totalen Krieges" nahm auch in Böhmen und Mähren die Rigidität der Rekrutierung zu. Nach dem Frankreichfeldzug wurde eine große Zahl französischer Kriegsgefangener zur Arbeit in der Landwirtschaft und allmählich auch in Gewerbe und Industrie eingesetzt. In den besetzten Ländern Westeuropas und in den befreundeten Staaten Süd- und Osteuropas wie Bulgarien, Slowakei etc. wurde nun ebenfalls die Anwerbung von zivilen Arbeitskräften verstärkt. Nach dem Scheitern der Blitzkriegstrategie gegen die Sowjetunion konnte mit einer raschen Rückkehr eingezogener deutscher Arbeiter nicht gerechnet werden. Der „Ostarbeitereinsatz" reichte noch immer nicht aus, schließlich forcierte man auch den Einsatz qualifizierterer Arbeitskräfte aus entwickelteren Ländern: In Frankreich, Holland, Belgien, Griechenland und Jugoslawien wurde im Laufe des Jahres 1942 jeweils eine Art .Arbeitsdienstpflicht" eingeführt, die unter der Androhung von Repressionen administriert wurde. Französische Arbeitskräfte wurden in Linz stark nachgefragt, man nahm an, daß sie qualifizierter und „wertvoller" seien als „Ostarbeiter" und Polen. 1 ' 3 1943 wurde schließlich versucht, die Engpässe, speziell bei den Eisenwerken Oberdonau, durch die Einstellung von Reichsangehörigen zu beheben. So heißt es im Monatsbericht vom September 1943 der Eisenwerke: „Durch die AZS-Aktion (Auskämmung des zivilen Sektors) wurden uns aus Spinnereien, Textilfabriken, aus Industriebetrieben Stein und Erde, Kleinbetrieben usw. einige hundert, teilweise gut brauchbare Arbeitskräfte vom Arbeitsamt zugewiesen." Durch Rückberufungen von der Wehrmacht konnten die E W O damals zusätzlich rd. 300 Arbeitskräfte beschäftigen. 114 Trotz der Zuführung einiger hundert Arbeitskräfte war im Reichswerke-Alpine-Konzern bereits ab dem ersten Halbjahr 1943 klar, daß der Masseneinsatz zwangsverpflichteter Ausländer im Rahmen der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft: keine vorübergehende Notlösung, keine kurzfristige Improvisationsmaßnahme, sondern eine systemimmanente, längerfristige Notwendigkeit darstellte."5 112 Historisches Archiv der Voest Alpine AG, Linz, Formular Vordruck A 22. Verpflichtungsbescheide/ Vymef o prikazani 1942. 113 Vgl. OOLA, LWA, Sch. 14, 243g, Rüstungskommission Linz, Sitzungsprotokoll vom 9. Februar 1944, S. 1. 114 National Archives, Washington (USA). World War II Records Division, Record Group 1040, Serie 77, Berichte der Eisenwerke Oberdonau, Monatsbericht September 1943, S. 8. 115 Vgl. dazu Friederike Littmann, Ausländische Zwangsarbeiter in der Hamburger Kriegswirtschaft 1940 bis 1945. Die Ausländerbeschäftigung als kriegsbedingte Improvisationsmaßnahme? In: Frank Bajohr/Joachim Szodrzynski (Hg.), Hamburg in der NS-Zeit. Ergebnisse neuerer Forschungen, Hamburg 1995, S. 175-202.

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An dieser Stelle sei darauf aufmerksam gemacht, daß die Auskämmaktionen den Zweck hatten, der kriegswirtschaftlichen Notwendigkeit von ausländischen Zwangsarbeitern entgegenzusteuern. Das gleiche Ziel hatten auch die sog. UK-Stellungen vom Wehrdienst ( U K = unabkömmlich, dies bedeutete Freistellung von der Wehrmacht). In Linz war allerdings die Zahl der Freistellungen in rüstungswirtschaftlich wichtigen Betrieben geringer als in vergleichbaren deutschen Städten. Kurt Tweraser konnte zeigen, daß auf dem Gebiet der UK-Stellungen in den Hermann-Göring-Werken Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen diversen Interessengruppen ausgetragen wurden: „Als das Wehrbezirkskommando Linz in Zusammenarbeit mit der Industrie- und Handelskammer Linz die UK-Stellung zweier deutscher Arbeiter der Versorgungsbetriebe der Reichswerke Linz aufhob, beklagte sich der Direktor der Versorgungsbetriebe in pathetischen Worten, dass die Animosität der Handelskammer, vertreten durch Gauwirtschaftsberater Hinterleitner und seinem Untergebenen Meixner sowie einem Oberstleutnant der Heeresstelle, vormals Angestellter der Handelskammer, gegen die Großindustrie den Grund für die Aufhebung abgegeben habe und durch diese Aktion die ,Überfremdung' der Versorgungsbetriebe fortschreite." 1 ' 6 Ab Herbst 1943 wurden Zwangsrekrutierungen auch in Italien durchgeführt, und man beendete damit die größten Personalengpässe. Italienische Arbeitskräfte waren im Raum Linz schon länger im Einsatz, zuerst als Arbeitskräfte des verbündeten Mussolini-Italien mit Zeitverträgen. Aus diesen wurden dann rasch „Badoglio-Schweine", Image und Status änderten sich." 7 Nach der Entmachtung Mussolinis hatte die italienische Regierung unter Marschall Badoglio am 8. September 1943 mit den Westmächten einen Waffenstillstand geschlossen. Deutsche Truppen besetzten Italien, entwaffneten das italienische Heer und nahmen ca. 600.000 Soldaten gefangen. Diese hat man ins Deutsche Reich gebracht und zur Arbeit gezwungen. Im Raum Linz wurden sie vor allem seitens der Stadt Linz, der Göring-Werke und der Stickstoffwerke eingesetzt, im industriellen Arbeitsprozeß, bei Aufräumarbeiten und Reparaturen. Mit der Begründung, Deutschland befände sich mit Italien nicht im Kriegszustand, wurde den Italienern der Kriegsgefangenen-Status verwehrt, man hat diese als „italienische Militärinternierte" (IMI) bezeichnet. Im Sommer 1944 wurden sie als Militärinternierte endassen und als zivile Ausländer zur Arbeit gezwungen." 8 Ab 1942 wurden auch griechische und armenische Arbeitskräfte eingesetzt, wobei lediglich die Griechen ein größeres Kontingent stellten: Zuerst kamen angeworbene Arbeitskräfte, deren Motivation die Hungersnöte waren, die in Griechen-

116 Vgl. Tweraser, Linzer Wirtschaft im Nationalsozialismus, S. 443. 1 1 7 Zum Begriff „Militärinternierte" vgl. Herrenmenschen und Badoglioschweine. Italienische Militärinternierte in deutscher Kriegsgefangenschaft 1 9 4 3 - 1 9 4 5 . Erinnerungen von Attilio Buldini und Gigina Querze aufgezeichnet von Christoph Schminck-Gustavus. In: Herrenmensch und Arbeitsvölker, S. 56-57. 118 Freund/Perz, Zwangsarbeit, S. 647.

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land zu zehntausenden Toten geführt hatten, schließlich wurde auch gewaltsam rekrutiert, etwa in Saloniki und in Athen. Besonderes Augenmerk richtete man angesichts der sich verschärfenden Arbeitskräftesituation nun auch auf Partisanen: Personen, die „in „Bandenkämpfe verwickelt" seien, „mit Partisanen sympathisierende Bevölkerung" und Personen, die der „Bandenhilfe verdächtig waren" lauteten die nationalsozialistischen Termini." 9 Rekrutierungen in diesem Personenbereich wurden immer gewaltsam bzw. unter massivem Zwang durchgeführt. Man hatte bereits 1941 begonnen, den Arbeitseinsatzbereich zu zentralisieren. Das Rüstungsministerium und der „Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz" (GBA) waren die zentralen Planungsstellen, in den Rüstungskommissionen bzw. -unterkommissionen wurden die geplanten und gesetzten Schritte auf regionaler Ebene diskutiert, die Gauarbeitsämter waren die ausführenden Organe des Arbeitskräfteverschubs. Die Kompetenzen der einzelnen Firmen scheinen dabei allem Anschein nach in den Hintergrund geschoben worden zu sein. Zweifellos waren die Reichswerke Alpine Montan Aktiengesellschaft „Hermann Göring", Linz eine rüstungswichtige Firmenagglomeration und privilegiert, auf den Arbeitskräfteverschub scheinen die Reichswerke aber keinen direkten Einfluß gehabt zu haben; zu Recht kann man hier von einem europaweiten Rekrutierungssystem sprechen, kontrolliert vom Berliner Rüstungsministerium und dem GBA. Aus den geheimen Besprechungen der Rüstungsunterkommission Oberdonau wird deutlich, daß in diesem regionalen Planungsorgan Firmenvertreter keinen Sitz hatten, sie wurden lediglich als Gäste beigezogen. Den Firmen wurden Quoten zugeteilt, unbürokratische Lösungen, dezentrale Entscheidungen gehen aus den Protokollen der Rüstungsunterkommissionen nicht hervor: „Ein dem Rü-Bereich Oberdonau zugewiesenes Arbeitskräftekontingent für Februar 1944 (1700 Arbeitskräfte, hievon 500 im eigenen Bereiche aufzubringen) wurde zahlenmäßig auf Bedarfsträger der Vorrangstufe und der Stufe I der Rangfolge für Zuweisung von Arbeitskräften aufgeteilt", wurde im Laufe der Sitzung vom 9. Februar 1944 protokolliert; und weiter: „Obwohl durch die angeordneten Betriebsumsetzungen eine Zahl von Arbeitskräften gewonnen wird, ist es zweifelhaft, ob hiedurch die Zahl der im eigenen Bereich aufzubringenden 500 Arbeitskräfte erreicht wird. Von den 1200 angesagten Franzosen sind bisher 1 1 eingetroffen. Es ist fraglich, ob in nächster Zeit mit größeren Zufuhren gerechnet werden kann ... bei Behandlung allgemeiner Arbeitseinsatzfragen wurde die Möglichkeit des Ausländerausgleichs zwischen Betrieben mit hohem und niederem Ausländeranteil als nicht durchführbar festgestellt. Die Möglichkeit des Einsatzes kriegsgefangener italienischer Offiziere wird überprüft. Die Klagen der Betriebe über den Ausfall französischer Arbeitskräfte durch Nichtrückkehr vom Urlaub wurde bespro-

1 1 9 Vgl. dazu den Beitrag von Christian Gonsa in diesem Band, S. 606.

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chen ... Den Wünschen der Eisenwerke Oberdonau nach raschem Einsatz der angesagten Franzosen kann vorerst nicht entsprochen werden."120 In der Sitzung vom 12. Juni 1944 wurde der Abzug von 280 italienischen Militärinternierten aus den H G W Linz und den Eisenwerken Oberdonau besprochen, die Reichswerke wollten diese in Eisenerz einsetzen. Seitens der Rüstungsunterkommission wurde ein Arbeitskräftedefizit für Linz konstatiert. „Die Rüstungskommission kann einem derartigen Verfahren auf keinen Fall zustimmen", heißt es ablehnend. Vorher müsse ein Ersatz gesichert sein. Im Zusammenhang mit der Frage des Abzugs der italienischen Militärinternierten stellte der Vertreter des Gauarbeitsamts fest, „daß für die Reichswerke beim Beauftragten des Gauarbeitsamtes für den Südostraum in Belgrad ein Auftrag auf 800 Arbeitskräfte vom Gauarbeitsamt Oberdonau gestellt wurde. Auf Grund dieses Auftrages ging ein Fernschreiben beim Gauarbeitsamt ein, nach dem in Belgrad 700 bandenverdächtige Griechen zur Verfügung stehen. Es ist ungeklärt, ob diese als Häftlinge oder freie Arbeitskräfte zum Einsatz kommen sollen."121 Direkter Einfluß der H G W auf die einzusetzenden Arbeitskräfte, deren Herkunft, Qualifikation etc. war in dieser Phase offenbar nicht gegeben. Arbeitskräfte erscheinen hier als reines Verschubgut zentraler Stellen mit grenzüberschreitender Dimension. Der Zwangscharakter des Arbeitseinsatzes wurde dabei besonders deutlich. Die Sitzung der Rüstungskommission vom 29. September 1944 stand im Zeichen der weiteren Eskalation des Arbeitskräftemangels; im weiteren Kriegsverlauf sind fortlaufend bislang verfügbare Inländer eingezogen worden.,Auskämmaktionen" wurden erneut erwogen sowie eine strengere Kontrolle der Meldepflicht. Die Frauenreferentin des Gauarbeitsamtes war als ordentliches Sitzungsmitglied anwesend. Auch war offenbar eine nochmalige Verschärfung der Rekrutierung von weiblichen Arbeitskräften besprochen worden, der Präsident des Gauarbeitsamtes Oberdonau „erklärte dazu, daß es sinnlos ist, halbkranke Frauen aus der Meldepflichtaktion einzusetzen. Wenn eine Frau wirklich krank ist, wird sie nicht eingesetzt."122 Schließlich wurden Berichte der sog. „Arbeitseinsatzingenieure" diskutiert, die die Ressourcenorganisation der Betriebe evaluierten. Im HGW-Komplex wurde ein „großer Facharbeitermangel" konstatiert, die Ressourcenorganisation wurde kritisiert. Im Protokoll wurde sodann vermerkt: „Dir. Röser der Fa. Eisenwerke Oberdonau GmbH., Linz spricht über Arbeitseinsatz der Eisenwerke: Gegenüber der Beschwerde des Gauarbeitseinsatzingenieurs über die Nichtanlernung von Hilfsarbeitern durch die Eisenwerke Od. weist Dir. Röser hin, daß eigene Lehrwerkstätten infolge des Mangels an Maschinen und Ausbildungspersonal nicht gebildet werden können."123 Eine Ausweitung des Ausländereinsatzes war zum Zeitpunkt der Sitzung 120 OÖLA, LWA, Sch. 14, 243g, Rüstungskommission Linz, Sitzungsprotokoll vom 9. Februar 1944, S. 1. 121 O Ö L A , LWA, Sch. 14, 243g, Rüstungskommission Linz, Sitzungsprotokoll vom 12. Juni 1944, S. 1. 122 OÖLA, LWA, Sch. 14, 243g, Rüstungskommission Linz, Sitzungsprotokoll vom 29. September 1944, S. 1. 123 Ebenda, S. 2.

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kaum möglich, die deutschen Trappen befanden sich überall auf dem Rückzug, der vom „Dritten Reich" beherrschte Raum schrumpfte Woche für Woche. 124 Als Arbeitskraftreserve im Raum Linz soll im Kontext der Zwangsmigrationen schließlich noch eine weitere, spezifische Gruppe angeführt werden: „Umsiedler", zum Großteil deutschsprachige Minderheiten, die im Zuge des Hitler-Stalin-Pakts aus Osteuropa ausgesiedelt wurden. Ein erstes Kontingent bestand aus Bessarabien-Deutschen, ab 1942 wurden in Linz aus der Bukowina stammende Personen untergebracht, die zumeist nicht die deutsche Staatsbürgerschaft besaßen125 und deren „Eindeutschungsfähigkeit" in Zweifel stand.126 Insgesamt handelte es sich um mehr als 4.000 Personen. Genau diese Personengruppe (ohne deutsche Staatsbürgerschaft) war in ihrer Bewegungsfreiheit stark beschränkt und von zusätzlichen repressiven Maßnahmen betroffen. 127 Ein Teil der „Umsiedler" wurde im HGW-Komplex in Linz eingesetzt. Als Zwangsarbeiter im engeren Sinn sind diese allerdings nicht zu bezeichnen, da sie als ausländische Zivilarbeiter als potentielle „Volksdeutsche" wesendich besser behandelt wurden. 128

Bombenangriffe und die Beseitigung der Schäden In den letzten neun Monaten nationalsozialistischer Herrschaft wurde die disproportionale Gefährdung durch Bombenangriffe zu einem Charakteristikum der in Linz eingesetzten ausländischen Arbeitskräfte. Mittlerweile konnten die britischen und US-amerikanischen Kampfflieger ohne größere Probleme in den oberösterreichischen und niederösterreichischen Raum vorstoßen. Ein bezeichnendes Licht auf die Behandlung der ausländischen Arbeitskräfte wirft die Aufstellung der Opfer des ersten Bombenangriffs auf Linz, der primär den Hermann-Göring-Werken und den Eisenwerken Oberdonau ge124 Moser, Oberösterreichs Wirtschaft 1938-1945, S. 302 f. 125 Vgl. Rudolf Wagner, Die Umsiedlung der Buchenlanddeutschen vor 50 Jahren. In: Irma Bomemann/Rudolf Wagner (Hg.), Mit Fluchtgepäck die Heimat verlassen, Stuttgart/München 1990, S. 24 f. 126 Vgl. Robert Kohl, Die Umsiedlerlager der Buchenlanddeutschen in Linz-Ebelsberg und ihre Bedeutung für den Aufbau der Linzer Großindustrie (unveröff. Dipl.-Arb.), Linz 1996, S. 68. 127 So erhielt ein Bukowiner in Linz-Ebelsberg beispielsweise folgende Mitteilung: „Sie haben weiterhin auf ihrem Arbeitsplatz zu verbleiben, da eine Siedlung (in der Bukowina) womöglichst erst nach Kriegsende erfolgen wird. Das eigenmächtige Verlassen des Arbeitsplatzes und eine Abreise ... würde eine strenge Bestrafung zur Folge haben." Volksdeutsche Mittelstelle, Umsiedlung-Linz an Adolf Kohl, Ebelsberg vom 25. April 1944, zit. nach Kohl, Umsiedlerlager, S. 40. 128 Dies gilt ebenfalls für jene Angehörigen deutschsprachiger Minderheiten in Südosteuropa, die ab dem Herbst 1944 nach Linz kamen und deren Deutschtum ebenso wie die kulturellen Eigenheiten - „kennen nicht einmal Schwarzbrot" - von obersten Stellen kritisch kommentiert wurde. „Umsiedler" und Geflüchtete aus der Bukowina, aus Bessarabien und aus anderen Teilen Rumäniens sind in den Reichswerken in den Monaten vor Kriegsende eingesetzt worden, sie wurde als Deutsche bezeichnet und als V D (= Volksdeutsche) in der Betriebsstatistik geführt.

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Je mehr der Stahl geglutet, Je besser wird das Schwert. Je mehr das Herz geblutet. Je größer ist sein Wert

Opfer des Fliegerangriffes v. 25.744 auf die Reichswerke AG. Alpine MontBetr J-IERMANN-GÖRIN6"

Lim

Eisenwerke Oberdonau G.m.b.H. Gedenkschrift der Reichswerke Hermann Göring, Linz anläßlich des Fliegerangriffs vom 25. Juli 1944, Losungen

gölten hatte. Von den 186 Opfern des Luftangriffs am 25. Juli 1944 wurden 15 als unbekannte Tote registriert. Die übrigen 171 wurden in die Kategorien Deutsche (88), Ausländer (43), Kriegsgefangene (33) und Wehrmacht (7) eingeteilt. Kriegsgefangene und Ausländer stellten demnach einen Anteil von 44,4 % der identifizierten Bombenopfer. KZ-Insassen wurden als Opfer nicht angeführt. Im Erfahrungs- und Schlußbericht des Amtes für Luftschutz beim Oberbürgermeister der Stadt Linz werden für denselben Angriff vom 25. Juli 176 Bombenopfer genannt, davon 84 Reichsdeutsche, 47 Ausländer, 36 Militärinternierte, neun Unbekannte. Nach dieser Aufstellung wären 49,7 % der Todesopfer Ausländer und Kriegsgefangene/Militärinternierte gewesen.129 Im Betriebslazarett wurden 36 Verletzte angegeben, davon 22 Militärinternierte und Kriegsgefangene.'30 In einer eigenen Werksaufstellung „Opfer des Fliegerangriffes" vom 25. Juli 1944 wurden nur für den HGW-Bereich 93 reichsangehörige Opfer (53 %) und 84 Ausländer bzw. Kriegsgefangene/Militärinternierte (45 %) genannt; 143 Verletzte wurden angeführt, davon 75 Ausländer bzw. Kriegsgefangene/Militärinternierte (52,5 %) und 68 Reichsangehörige (47,5).131 Die offizielle Opfer- und Verletztenaufstellung war mit der Uberschrift „Klagt nicht - schafft!" übertitelt. Jeder Teilbereich des Firmenkomplexes hatte 129 AStL, Nationalsozialismus, Sch. B 31, Erfahrungs- und Schlußbericht des Amtes für Luftschutz beim Oberbürgermeister der Stadt Linz über den 1. Fliegerangriff auf Linz am 25. Juli 1944, S. 1 ff. 130 Ebenda. 1 3 1 Historisches Archiv der

VOEST ALPINE

AG, Linz, Ordner Statistiken - Graphische Darstellungen - Ge-

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Die für das Vaterland

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starben,

ehren wir am besten, wenn wir für das Vaterland leben.

Stahlbau G.m.b.H.

ein eigenes Motto hinsichtlich der der jeweiligen Firma zugeordneten Opfer gewählt, und zudem gab es einen zentralen Slogan: „Wer sein Volk liebt, beweist es einzig durch die Opfer, die er für dieses zu bringen bereit ist" (Adolf Hitler). Angesichts der hohen Opferbilanz insgesamt, des beträchtlichen Frauen- und Kinderanteils sowie nicht zuletzt angesichts des hohen Opferanteils bei Zwangsarbeitern, Kriegsgefangenen, Militärinternierten und KZ-Insassen, muten nicht nur diese Formulierung, sondern auch die anderen Leitsprüchen in erster Linie zynisch an: „Die für das Vaterland starben, ehren wir am besten, wenn wir für das Vaterland leben. (Stahlbau G.m.b.H.)" sowie „Dass ich lebe, ist nicht notwendig, wohl aber, dass ich meine Pflicht tue (Friedrich der Grosse, VertragsFirmen)". Und schließlich: ,Je mehr der Stahl geglutet, Je besser wird das Schwert. Je mehr das Herz geblutet, Je größer ist sein Wert. (Peter Rosegger, Eisenwerke Oberdonau G.m.b.H.)" 132 Der Angriff vom 10. Dezember 1944 war ebenfalls gegen die Linzer Großindustrie gerichtet, im Luftschutzbericht ist von acht Toten, davon drei Reichsangehörigen und fünf Ausländern, die Rede. 1.032 Lagerinsassen mußten umgesiedelt werden, das Arbeiterlager Schiantenfeld wurde fast vollständig zerstört, rund 800 ausländische Arbeiter zerstreuten sich im Stadtgebiet; um 2i h 3o desselben Tages erging an alle Polizeireviere der folgschaftsbewegung, Die Opfer des Fliegerangriffs vom 25. 7. 1944 auf die Reichswerke A G Alpine Mont. Betr. „Hermann Goring" Linz, Gesamtüberblick. 132 Ebenda, Losungen.

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Rundspruch, die im Stadtgebiet befindlichen Ausländer ausfindig zu machen.' 33 Schließlich hatte bei einem weiteren großen Luftangriff, der auf die Großindustrie zielte, dem Angriff vom 15. Dezember 1944, der Anteil der Kriegsgefangenen und Ausländer laut städtischer Totenlisten 47% betragen, 51 Personen starben.'34 Auch der Bombenangriff vom 20. Dezember galt den Rüstungsbetrieben. Kutschera hält dazu in seiner Standardarbeit zu den Fliegerangriffen fest: „Die Zahl der Obdachlosen war diesmal überdurchschnittlich groß; vor allem Ausländer waren in Mitleidenschaft gezogen, 400 von ihnen wurden vom Schicksal der Obdachlosigkeit betroffen. Die Zahl der Toten hatte 14 betragen, davon sechs Reichsangehörige und acht Ausländer."' 35 Schließlich zeigt der Angriff vom 20. Jänner 1945 (auf Streuziele in der Innenstadt, in Urfahr und auf die Großindustrie) infolge detaillierter Aufzeichnungen ebenfalls klar auf, wie stark Ausländer betroffen waren: Bei diesem Angriff starben 39 Reichsangehörige, d. w. 40,6% (36 in Luitschutzräumen, drei außerhalb) und 25 ausländische Zivilarbeiter, 17 Kriegsgefangene und 25 KZ-Insassen, zusammen 59,4%. Von jenen, die außerhalb der Luftschutzräume umkamen, waren 3 Reichsangehörige, 1 ausländischer Zivilarbeiter, 5 Kriegsgefangene und 25 KZ-Häftlinge; 35 schwerverletzte Inländer (47%) standen 22 Ausländern und 17 KZ-Insassen gegenüber.' 36 Ausländische Arbeiter waren den Bombenangriffen in hohem Maß ausgesetzt. Was Ulrich Herbert für Essen, den zentralen Standort der westdeutschen Stahlindustrie, herausgefunden hat, gilt in modifizierter Weise auch für Linz.' 37 Die Quote der Opfer unter den Ausländern war deswegen so hoch, weil die Wohnlager der Zwangsarbeiter in der Regel nahe an der Fabrik und damit im Zentrum der Angriffe gelegen waren. Lag etwa der Schwerpunkt der Bombenangriffe auf der Linzer Innenstadt, so war die Opferanzahl bzw. der prozentuelle Anteil der Ausländer und Ausländerinnen deutlich niedriger.' 38 Verhängnisvoll wirkten sich die mangelhaften Luftschutzvorkehrungen der Lager aus. „Ostarbeiter", Polen und Kriegsgefangene durften wohl Werksbunker, nicht aber die großen öffentlichen Bunker betreten. In den meisten Lagern aber waren lediglich einfache Erdgräben aufgeworfen worden, die nur begrenzten Schutz boten. Schließlich wurden Ausländer auch vorrangig zur Beseitigung der Bombenschäden eingesetzt. Dabei konnte man sich verletzen, mehr noch, die US-Air Force warf auch Bomben mit Langzeitzündung ab, die erst wesentlich später explodierten.'39 Aus Quellen, die die Bombenangriffe auf die Industriebetriebe betreffen, wird deutlich, daß unter der Aufsicht von 133 Vgl. Richard Kutschera, Die Fliegerangriffe auf Linz im zweiten Weltkrieg. In: HJbStL 1966, Linz 1967, S. 296 f. 134 Vgl. Schuster, Langoth, S. 198. 135 136 137 138 139

Kutschera, Fliegerangriffe, S. 302. OOLA, LWA, Sch. 1 j , ZI. 35g, Luftschutzschadensmeldung 20. Jänner 1945, Schlußmeldung. Vgl. Herbert, Fremdarbeiter, S. 334. Vgl. Kutschera, Fliegerangriffe, S. 304-313. Ebenda, S. 287.

Zwangsarbeit und NS-Industriepolitik am Standort Linz

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Wehrmachtsangehörigen Italiener, Holländer und Ukrainer unmittelbar nach Angriffen eingesetzt wurden, ukrainische Hilfskräfte in den H G W auch während eines Bombenangriffs, wie es in dem Bericht des Oberbürgermeisters heißt.140 Die Organisation der Aufräumarbeiten und Opferbergung nach dem erster Fliegerangriff vom 25. Juli 1944 wurde seitens der Linzer Polizei einer nachhaltigen Kritik unterzogen, die vor allem die Hermann-Göring-Werke betraf: „Der Werkschutz hat bei der Totenidentifizierung völlig versagt", fiel im Rahmen einer geheimen Sitzung, und: „Die Leichen wurden auch nicht zu den Sammelstellen getragen, sondern liegen gelassen, obwohl eine Menge von Gefolgschaftsmitgliedern untätig herumstanden ... Die fehlenden Personalien hätten vom Werk selbst raschest beigebracht werden sollen, dies ist jedoch nicht geschehen ... es wurde versucht, beim leitenden Direktor diesbezüglich Rücksprache herbeizufuhren, derselbe hat jedoch niemand empfangen." 14 ' Schließlich geht auch aus den Personalunterlagen der Reichswerke Hermann Göring, Linz hervor, daß die ausländischen Arbeitskräfte von den Bombenangriffen stark betroffen waren. Diese Aufzeichnungen sind nicht vollständig, sie zeichnen aber die sich abzeichnenden Tendenzen nach. In den Personalunterlagen sind 222 Personen verzeichnet, die bei Luftangriffen starben, davon 1 1 4 Ausländer, 43 Inländer und 65 Personen ohne Angaben der Nationalität. 142 Laut Personalunterlagen war insgesamt die Zahl der verstorbenen Beschäftigten bei ausländischen Beschäftigten wesentlich höher; Wehrmachtseinsatz einerseits, Tötungen in K Z , Arbeitserziehungslager etc. andererseits sind in dieser Statistik nicht enthalten. Der Tod trat während der Zeit der tatsächlichen Beschäftigung ein, hauptsächliche Ursachen der Todesfälle waren Bombenangriffe, Unfälle, Krankheiten: In den Personalunterlagen wurden von 1943 bis 1945 546 Todesfälle verzeichnet, 487 Männer und 59 Frauen. 143

140 AStL, Nationalsozialismus, Sch. B 31, Erfahrung?- und Schlußbericht über den 1. Fliegerangriff auf Linz am 25. Juli 1944, S. 1. 141 AStL, Nationalsozialismus, Sch. B 31, Bericht vom 2 8. Juli über die Erfahrungen des Luftangriffs auf Linz vom 25. Juli 1944 unter dem Vorsitz von Pol. Präs. Dr. Plakolm, S. 3. 142 Historisches Archiv der VOEST ALPINE AG, Linz, Datenbank Personalstandslisten Hermann GöringWerke, Linz, Detailabfrage Todesursache Fliegerangriffe. 143 Historisches Archiv der VOEST ALPINE AG, Linz, Datenbank Personalstandslisten Hermann GöringWerke, Linz, Detailabfrage Todesfälle. Die Auflistung der Toten ist mit Sicherheit nicht vollständig.

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„ R E I C H S A N G E H Ö R I G E " UND „ A U S L Ä N D E R "

-

S O Z I A L S T A T I S T I S C H E A N G A B E N ZUM A R B E I T S E I N S A T Z

Im August 1941 waren im gesamten Gau Oberdonau 54.848 ausländische Zivilarbeitskräfte im Einsatz, im August 1942 78.246, genau ein Jahr später 87.127, und im August 1944 waren es 89.583. Im Winter von 1942 auf 1943 wurden mehr als 5.000 männliche Ausländer aus dem Gau zu anderen Einsatzorten gebracht; im Frühjahr 1943 ist wiederum ein Plus von 4.300 ausländischen Arbeitskräften in Oberdonau zu konstatieren. Von Ausländern verlangte man hohe Flexibilität, was Arbeitsort und Art der Tätigkeit betraf.144 Ein großer Teil dieses Anstiegs der ausländischen Arbeitskräfte war auf weibliche Arbeitskräfte zurückzufuhren. Von August 1941 bis August 1944 stieg die Zahl ausländischer weiblicher Beschäftigter von 4.954 auf 28.297, der Anteil an der Gesamtzahl weiblicher Beschäftigter wuchs von 9,0 % auf 31,6 %. 145 Primär wurden Frauen in der Landwirtschaft eingesetzt, weniger in der Linzer Großindustrie. Zwar stieg ihr Anteil auch dort an, ohne aber die 10-%-Marke zu erreichen. Diese Entwicklung verlief parallel zum Einsatz inländischer Frauen. 1943 stieg die Zahl der beschäftigten inländischen Frauen in Oberdonau erneut an, 21.502 Frauen (+20,6 %) konnten zusätzlich in der Produktion eingesetzt werden. Dies war auf die Durchführung einer Meldepflichtaktion zurückzuführen, ebenso wie auf den Einsatz weiblicher Reichsangehöriger aus anderen Gauen. Lediglich 1.657 Frauen aus der Meldepflichtaktion waren aber laut Rüstungskommando Linz in der Rüstungsindustrie einsetzbar.146 Die ethnische Zusammensetzung der ausländischen Arbeiterbevölkerung hatte sich zwischen 1941 und 1943 nachhaltig verändert: In den Jahren des Kriegsgefangenen- und Zwangsarbeitereinsatzes wurden, wie bereits erwähnt, aus der Sowjetunion und aus Polen stammende Arbeiter zur wichtigsten Gruppe; nach wie vor zahlenstark waren die nunmehr via Zwangsrekrutierung geholten tschechischen Arbeiter, hinzu kam der Einsatz von griechischen und armenischen Zwangsarbeitern. Schließlich folgten im September/Oktober 1943 noch Tausende Italiener, die in dieser Tabelle noch nicht berücksichtigt sind.

144 Vgl. Moser, Oberösterreichs Wirtschaft 1938-1945, S. 321. 145 Moser, „Vereinigte Staaten von Oberdonau", S. 288-291. 146 Das Rüstungskommando Linz kommentierte dieses Ergebnis folgendermaßen: „Das verhältnismäßig geringe Ergebnis des Einsatzes aus der Meldepflicht erklärt sich aus dem hauptsächlichsten Anfall minder einsatzfähiger Frauen, die von den schwerindustriellen Rüstungsbetrieben nur in beschränktem Umfang beschäftigt werden können." National Archives, Washington, DC., World War II Records Division, Record Group 1040, T 83, Roll 77, Kriegstagebuch Nr. 14, Rüstungskommando Linz, abgeschlossen am 31. März 1943, o. S.

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Tabelle 1: Ausländereinsatz nach Nationalitäten und Geschlecht, Oberdonau, August 1943

Belgien Frankreich Italien Serbien Kroatien Niederlande

weiblich

835 4-45 2

53 931 78

33 1 1.582

"5 406

898

66

7-785

gesamt

in %

888 8.716

1,0 % 10,0 %

4-53° 446

0,5 %

1.988 964

5,2 % 2,3 % 1,1 %

230

1.070

1,2 %

13.924

28.420

32,7 %

Polen

12.310

6.786

19.096

21,9%

Tschechen

11.902

12.458

7.072

556 1.469

14.3 % 9,8 %

62.513

24.614

87.127

100,0 %

Sowjetunion

Griechen, Sonst. Gesamt

00

850 14.496

3-

Ungarn

männlich

Quelle: Der Arbeitseinsatz in Oberdonau, September 1943, S. 12 f., zit. nach Josef Moser, Oberösterreichs Wirtschaft 1938 bis 1945, Wien 1995, S. 329.

Der „Wirtschaftsbericht von Oberdonau" aus dem Jahre 1943 zeigt, daß in der Linzer Großindustrie nunmehr von 82.547

Oberdonau eingesetzten „Ausländern und Fremd-

völkischen" mehr als die Hälfte, nämlich 42.693 Personen, aus Polen und der Sowjetunion stammten.'47 Nunmehr sind auch - eine Folge der deutschen Expansion auf dem Balkan - Griechen eingesetzt worden. Nach einer Statistik vom 18. Februar 1943 wurde in den Eisenwerken Oberdonau ein Ausländeranteil von 60 % , in den Linzer Stickstoffwerken sogar ein Anteil von 70 % erreicht.

Tabelle 2: Ausländeranteile (inkl. Kriegsgefangenen) in einzelnen Betrieben im Raum Linz (in %) 31.1.1941 Eisenwerke OD, Linz Schiffswerft Linz

1.1.1942

28,6

22,1

7,8

14,7

Stickstoffwerke Linz

28.2.1943 60,7 53,1 69,7

Stahlbau GmbH

58,2

Hütte Linz

45,0

Vertragsfirmen beim Bau der Hütte Linz

63,1

Quelle: Wirtschaftsbericht Oberdonau, Kriegstagebuch Okt. 1942 - Dezember 1943, zit. nach Josef Moser, Oberösterreichs Wirtschaft 1938 bis 1945, Wien 1995, S. 327. 147 Wirtschaftsbericht über den Reichsgau Oberdonau 1938 - 1943, hg. von Oskar Hinterleitner, Linz 1943, o. S., Punkt 19.

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Die Durchschnittsziffern führen jedoch zu einer Unterschätzung des realen Ausmaßes des Ausländeranteils an manueller Arbeit, da im Rahmen der Werksstatistik auch die Angestellten mitgezählt wurden. Ausländer wurden eher seltener als Angestellte eingesetzt. In manchen Betriebsbereichen, etwa in Stahlwerk, Gießerei oder Schmiede, lag der Ausländeranteil bei rund 85-90 %. Die Eisenwerke Oberdonau, die ab 1944 mit Tausenden KZ-Insassen ihre Produktion fortsetzten, sind somit im Raum Linz jener Betrieb, der im Bereich der industriellen Zwangsarbeit in der Praxis nahezu vollständig die manuellen Tätigkeiten durch Zwangsarbeiter und KZ-Insassen durchfuhren ließ. Inländische Arbeitskräfte waren meist als Angestellte, Spezialisten oder Kontrollorgane tätig, wobei zu letzteren auch bereits Meister, Poliere, Vorarbeiter, Kolonnenführer zu zählen waren sowie die eigendichen Sicherheitsorgane in Werkschutz und Lagerverwaltung.

Tabelle 3: Der Einsatz von ausländischen Arbeitskräften in den Eisenwerken Oberdonau, per 30. September 1943 Gesamtzahl d. Beschäftigten Stahlwerke Blechwalzwerk Stahlgießerei Gesenkschmiede Bearb. Werkstatt Vergüterei Nebenbetriebe Baubetrieb Werksaufbau (Vertragsfirmen) Werkswohnungen (WAG)

544 169 567 489 3488 412 H54 582 1586 2

53

Ausländer

473 120 484 439 2160

Prozentsatz der ausländ. Arbeitskräfte 87,0 % 71,0% 85,4 % 83,7 %

497

61,9% 54,1 % 66,0 % 85,4 %

1206 203

76.0 % 80,2 %

22 3 960

Quelle: National Archives, Washington, DC., (USA). World War II Records Division, Record Group 1040, T 83, Roll 77, Berichte der Eisenwerke Oberdonau, Monatsbericht September 1943, S. 7.

Unter Verwendung technokratischer Formulierungen wurde im Wirtschaftsbericht der Eisenwerke Oberdonau von Anfang März 1943 die konkreten Arbeitskräftebeschaffungsmaßnahmen auf Betriebsebene diskutiert. Zu diesem Zeitpunkt herrschte bereits eine starke Konkurrenz der unterschiedlichen Betriebe hinsichdich der Zuteilung von Arbeitskräften. Die H G W meldeten ihren Bedarf an, die Arbeitsämter hatten die Aufgabe, die Zwangsrekrutierungen zu organisieren, Sonderaktionen und Interventionen kamen hinzu. Der genannte Bericht gibt einen Einblick in die konkrete Handhabung der Rekrutierung:,Aufgrund des Führerbefehls", heißt es dort, „wurden uns zu Beginn des Monats Februar eine besonders erfreulich hohe Anzahl von Franzosen zugewiesen, und

Zwangsarbeit und NS-Industriepolirik am Standort Linz

67

zwar wurden eingesetzt insgesamt 1.866, davon 1.674 in der Fertigung, 192 im Bau. Aus der Fluktuation erhielten wir vom Arbeitsamt 189 Ausländer zugewiesen, an deutschen Kräften erhielten wir aus der Aktion R V E (Fachkräfte für Stahlwerk und Walzwerk) 39, aus der Fluktuation 48 (deutsche), 48 männlich, 41 weiblich ... Unter den Franzosen befindet sich eine erfreulich große Anzahl guter Fachkräfte, leider aber auch eine große Anzahl von gar nicht oder minder einsatzfahigen Kräften. Es wurden insgesamt 35 landwirtschaftliche Ostarbeiter aus unserem Betrieb gegen Metallarbeiter aus der Landwirtschaft ausgetauscht. Aufgrund der Meldepflicht wurden von uns insgesamt 627 deutsche weibliche Arbeitskräfte angefordert... Der Ausländeranteil beträgt... (im) Gesamtdurchschnitt 67,3 %. Unter Einschluß der Vertragsfirmen, deren Ausländerquote sich auf 76,2 % beläuft, beträgt der Gesamtdurchschnitt 69,7 %. Von der Abteilung Arbeitsordnung wurden insgesamt 1.561 Fehlmeldungen bearbeitet, wobei 430 sich auf Inländer, 1 . 1 3 1 auf Ausländer bezogen." 148 Uber das Jahr 1943 hin wurden laufend Statistiken über die „Fehlschichten" (Fehlmeldungen) in allen Betrieben der Reichswerke A.G. Alpin Montan Betriebe „Hermann Göring", Linz geführt. Die nationalsozialistische Statistik unterschied dabei Kranke, Personen im Urlaubsstand, entschuldigte Freizeit (z. B. gesonderte Erholungsaufenthalte nur fiir Inländer, KdF-Aktionen etc.), Entfall durch Unfälle und sog. „Blaumacher", ein in Oberösterreich vor 1938 nicht im Gebrauch stehender Begriff für unentschuldigte Fehlstunden. Dabei zeigt sich, daß diese Erscheinung am stärksten in den Eisenwerken Oberdonau (mit extrem hohem Arbeitsdruck, der längsten Arbeitszeit und einem hohen Anteil an Zwangsarbeitern) aufgetreten ist. "49 Lag die Durchschnittsziffer der Fehlstunden fiir den gesamten Reichswerke-Alpine-Komplex üblicherweise bei 2-3 % der vorgesehenen Arbeitsstunden, so waren es in Judenburg zwischen o und 1 %, in Eisenerz ebenfalls 0 - 1 % und in Donawitz kurzfristig Anfang des Jahres bei 4,8 %, sodann immer unter 1 %. In den Eisenwerken Oberdonau oszillierte die Kurve zwischen 4 und 7,5 %, erreichte im September anläßlich der Badoglio-Krise mehr als 11 %, blieb auf hohem Niveau von 7-8 %. Die Hütte Linz wies eine Kurve auf, die zwischen 2 und 5 % schwankte, Stahlbau Linz G.m.b.H. zwischen 2 und 4 %, Vertragsfinnen der Hütte Linz ebenfalls zwischen 2 und 5 %. Die inländischen Angestellten der Hauptverwaltung Linz gingen zur Arbeit und hielten den Betrieb immer aufrecht. Das Ausmaß der Fehlstunden lag in diesem Betriebsteil das gesamte Jahr über permanent unter 0,5 %.' s °

148 OÖLA, LWA, Sch. 13, Betriebsbericht der Hermann Goring-Werke, Linz/Donau vom März 1943, S. 18 f. 149 Der Monatsbericht der Eisenwerke vom Juni 1943 hielt dazu fest: „Wegen unentschuldigten Fernbleibens vom Arbeitsplatz wurden ... 1,3 % des (deutschen) Gefolgschaftsstandes, im Vormonat 2,5 % , und 4,6 % des Gefolgschaftsstandes (der Ausländer), im Vormonat 6,3 %, zur Rechenschaft gezogen." National Archives, World War II Records Division, Record Group 1040, T 83, Roll 77, Berichte der Eisenwerke Oberdonau, Monatsbericht Juni 1943, S. 8. 150 Historisches Archiv der VOEST ALPINE A G , Linz, Ordner Statistiken - Graphische Darstellungen - G e -

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Im Jahr 1944 stieg die Zahl der ausländischen Arbeitskräfte nochmals an. In ganz Oberösterreich waren im Mai 1944 bereits 119.484 Personen im Ausländereinsatz (mit Kriegsgefangenen, ohne KZ-Insassen). Mit 33,3 % lag der Ausländeranteil in Oberösterreich deutlich über dem Österreich-Durchschnitt von 25,3 % der Beschäftigten. Diese Prozentsätze ausländischer Beschäftigter wurden während der gesamten Zweiten Republik weder in Osterreich noch in Oberösterreich erreicht.151 „Im Bezirk des Arbeitsamtes Linz", heißt es in einem Bericht des Oberlandesgerichtspräsidenten, „sind ausgewiesen 59.579 Fremdländer, also rund 31 %; bei den Männern beträgt der Anteil sogar 42,2 %, so daß hier fast jeder zweite männliche Beschäftigte Ausländer ist, ein Prozentsatz, der insbesondere das Straßenbild der Stadt stark beeinflußt. Damit steht Linz an der Spitze aller Landesarbeitsbezirke des Deutschen Reiches.'"52 Im Mai 1944 wurden bei den 102.079 Industriebeschäftigten des Gaus Oberdonau ein Anteil von 42,5 % Ausländern und Kriegsgefangenen registriert.'53 Im zweiten Halbjahr 1944 erreichte der Ausländeranteil in der Linzer Großindustrie durchwegs 60 %.' 54 Rechnet man die eingesetzten Kriegsgefangenen/Militärinternierten hinzu, so wurde in den Eisenwerken Oberdonau und in der Stahlbau G.m.b.H. gegen Ende des Jahres 1944 ein Ausländeranteil von mehr als 70 % erreicht. Im gesamten Reichswerke-Alpine-Komplex, also mit Donawitz, Eisenerz, Judenburg etc., lag der Ausländeranteil bei zwei Drittel der Beschäftigten (ohne KZ-Insassen). Ein Detail zur Reichswerke-Statistik: Man unterschied Kriegsgefangene, zivile Ausländer, sodann weibliche Arbeitskräfte, Jugendliche, unproduktive Arbeitskräfte, Verwaltung und „Führungskräfte und vollwertige (= männliche) Produktivkräfte".155 Sieht man die Monatsberichte des Jahres 1944 durch, so bekommt man nicht den Eindruck, daß sich die Firmenleitung nachhaltig um zusätzliche weibliche Arbeitskräfte bemüht hätte; trotz enormen Arbeitskräftemangels ist von der zusätzlichen Rekrutierung von Frauen nicht mehr die Rede. Überlegungen zur weiteren Rekrutierung von Ausländern, Kriegsgefangenen sowie die Qualifizierung und Umschulung von Arbeitskräften dominierten die Berichte. folgschaftsbewegung, Reichwerke A G Alpine Montan Betriebe „Hermann Göring" Linz, Schaubildliche Darstellung der Fehlschichten 1943. 151 Vgl. Florian Freund, Zwangsarbeit von zivilen Ausländern und Ausländerinnen in Osterreich 1938 bis 1945. In: Ingrid Böhler/Rolf Steininger (Hg.), Österreichischer Zeitgeschichtetag 1993, Innsbruck 1995, S. 219. 152 Widerstand und Verfolgung in Oberösterreich, hg. v. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Band 2, Wien 1982, S. 424. 153 OOLA, Gauselbstverwaltung, Sch. 14, Gauwirtschaftskammer Oberdonau, Abtlg. Industrie, LWA 100 g/44 (Industriebeschäftigung in Linz, Mai 1944). 154 Diese Angabe stammt aus einem Luftschutzbericht: „300 Kriegsgefangene" vermittelt den Eindruck einer rasch hingeschriebenen Pauschalziffer. OOLA, LWA, Sch. 14, Aktenteil 21, Fliegerschadensbericht in der Linzer Industrie, Detailbericht vom 4. August 1944. 155 Historisches Archiv der VOEST ALPINE AG, Linz, Ordner Statistiken - Graphische Darstellungen - Gefolgschaftsbewegung, Reichwerke A G Alpine Montan Betriebe „Hermann Göring" Linz, Schaubildliche Darstellung der Gefolgschaft.

Zwangsarbeit und NS-Industriepolitik am Standort Linz

6
3

I

keine

132,1

KrizJohann Hilfsarbeiter Wien, Ottakring 179V2 Std.**

7I>2

181 Vgl. Mark Spoerer, Untersuchung über die vorenthaltenen Lohneinkommen bei Zwangsarbeitern, Kriegsgefangenen und KZ-Häfdingen (unveröff. masch. Manus.), Hohenheim 2000, S. 5. 182 Ebenda, S. 42. 183 Siehe die Lohnlisten der Eisenwerke Oberdonau. 184 An anderer Stelle werden in diesem Band ebenfalls Lohnlisten der Reichswerke besprochen; dies steht in einem anderen Kontext und beinhaltet weitere Beispiele. Vgl. Josef Moser, Aus ökonomischer Sicht; In diesem Band, S. 338 ff. 185 Dies war an sich nicht einfach: Unter allen Lohnlisten des Buchstaben K wurde kein einziger Hilfsarbeiter aus Linz aufgefunden; daher mußte auf den nächsten Buchstaben ausgewichen werden.

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Tabelle (Fortsetzung): Lohnbeispiele aus den Eisenwerken Oberdonau, Jänner 1943, in R M Name Beruf Stundenzahl Reichsangebörige: Macheiner Franz Hilfsarbeiter Linz, Rudolfsstraße 190 Std."

Lohnsatz

Zulagen*

Bruttolohn

Abzüge

Ostarb.abgabe (Steuer)

AusZahlung

0,75

ja

159,2

72,5

keine

86,6

ausländische Zivilarbeiter/in: Kraamen Pieter Anstreicher Holland, Utrecht 149 Std. 0,9

ja

173,7

92'1

keine

81,6

IO

3>9

73,7

keine

30,2

Kozeljaroslaus Hilfearbeiter Protektorat 139 V2 Std.

0,67

nein

Kozinska Janina Putzfrau Polen 156 Std.

0,5

nein

78,5

64,3

keine

14,2

Ostarbeiter/in: Krisanow Feodor Hilfsarbeiter Ostarbeiter 288 Std. pauschal

nein

193,5

60,0

99

34,5

Kramar Anna Sidorowna Hilfskranführerin Ostarbeiterin 264 Std. pauschal

nein

I2

4>5

55

48

21,5

Krafzewitsch Iwan Arbeiter Ostarbeiter pauschal 173 Std. 95,2

nein

93,0

56

27

10,0

* ohne Familien- und Wohnbeihilfen (nicht einberechnet) ** beinhaltet teilbezahlte Feiertagsstunden, die nicht tatsächlich geleistet wurden Quelle: Historisches Archiv der VÖEST ALPINE AG, Linz, Lohnlisten Eisenwerke Oberdonau 1943, Buchstabe K-M.

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Die in der Tabelle unter „Abzüge" angegebenen Beträge enthalten hier bei inländischen und ausländischen Zivilarbeitern (ausgenommen „Ostarbeiter") Lohnsteuer, Sozialversicherung, Beiträge zur Unterkunft, Verpflegung, Eisernes Sparen; Inländer wurden Beiträge zur D A F und zum Winterhilfswerk abgezogen. „Ostarbeiter" bezahlten keine Lohnsteuer, keine Sozialversicherung, hingegen eine „Ostarbeiterabgabe" sowie Abgaben für Unterkunft und Verpflegung. Trotz vieler Angaben auf den Lohnbögen blieben kleine Rätsel zu lösen. In den Lohnmonat Jänner fielen einige Urlaubs- und Feiertage, daraus resultieren unterschiedliche Arbeitszeiten: „Ostarbeiter" durften Linz nicht verlassen, sie mußten durcharbeiten. So arbeitete Feodor Krisanow 288 Stunden, Anna Kramar 264 Stunden, Iwan Krafzewitsch war trotz Krankheit 173 Stunden im Einsatz. Demgegenüber wurden bei den Reichsangehörigen Stunden mit verrechnet, in denen die Arbeiter nicht tatsächlich anwesend waren. Das reale Ausmaß der gearbeiteten Stunden läßt sich nicht feststellen (bei Johann Kriz waren etwa elf Feiertage notiert). Ferner erhielten Inländer eine betriebsinterne Familienzulage, evtl. eine Trennungszulage und andere Zuschläge. Das ausbezahlte Einkommen der inländischen Hilfearbeiter lag um mehr als das Dreifache über dem der „Ostarbeiter". Bei „Ostarbeitern" war kein Stundenlohn angegeben, sondern jeweils eine Pauschale; es wurden trotz der enormen Arbeitszeiten keinerlei Zuschläge verrechnet. Eine Position in der Mitte nahmen die anderen ausländischen Zivilarbeiter ein; sie hatten über die Feiertage nicht gearbeitet. Der holländische Zivilarbeiter Pieter Kraamen erhielt eine Zulage, im Falle der beiden anderen Beschäftigten war dies nicht der Fall; der Stundenlohn des tschechischen Hilfearbeiters ebenso wie der Stundensatz der polnischen Putzfrau waren sehr niedrig, der ausbezahlte Lohn dieser beiden Arbeitskräfte stand in keiner Relation zu dem der Inländer. Untergebracht wurden die Zwangs- und Fremdarbeiter in den meisten Fällen in Schlafsälen (Männer) oder Stuben (Frauen). Diese befanden sich fast ausschließlich in Baracken und diese in Wohnlagern. Die übliche Normal-Baracke maß etwa 40 x 8 Meter und bot in fünf Räumen und einer Sanitäreinheit etwa 100 Personen in Stockbetten Platz; man hat aber auch, wie geschehen, 120 oder mehr Personen darin einquartiert. Eine Sanitäreinheit bestand aus zwei Waschzellen und zwei Klosetten; schließlich war laut Bauplan eine mit Dachpappe ausgelegte „Pißrinne" vorgesehen, die entlang der Wand verlief.' 86 Wie bereits erwähnt, wurden dafür den Arbeitern unterschiedliche Beträge abgezogen, ebenso wie für die Verpflegung. Es gab reichsweit immer wieder Auseinandersetzungen um den Wert von Verpflegung und Unterkunft, mitunter führte dies zu Unmutsäußerungen und Arbeitsverweigerungen seitens der ausländischen Arbeitskräfte.l8? Helmut Lackner hat über die Linzer Lagerlandschaft der vierziger Jahre eine detaillierte Studie verfaßt: Danach hatten die Reichswerke für ihre Arbeiter bis Kriegsende in 186 AStL, Pläne, städtisches Wohnlager 48/49. 187 Vgl. dazu Herbert, Fremdarbeiter, S. 132 f.

8o

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Linz insgesamt 18 Barackenlager fiir rund 14.000 Personen eingerichtet. Es handelte sich dabei vorrangig um die großen Lagergruppen 44/48/49 auf dem Gelände des heutigen Wirtschaftsförderungsinstituts, 51 bis 53 (später 65) in Niedernhart und 55/57 im Lißfeld und die Lager 23,47, 50 und 53 im Werksgelände in St. Peter mit jeweils zwischen 1.000 und 2.000 Arbeitern. Die Sonderstellung der Reichswerke wird etwa daraus deutlich, daß 1939/40 entgegen den gesetzlichen Bestimmungen nach Ansicht des Linzer Magistrats von den H G W einige Lager ohne Bewilligung gebaut wurden, dies aber folgenlos blieb.'88

Tabelle 8: Die Barackenlager bei Kriegsende (1. Mai 1945) Zahl der Lager

Bauträger, Eigentümer

Personen

18 2 1 2

Reichswerke „Hermann Göring" Eisenwerke Oberdonau „Ostmärkische Stickstoffwerke" div. Firmenlager (Vertragsfirmen) Reichsbahn Reichspost Arbeitsamtslager NS-Volkswohlfahrt bzw. Volksdeutsche Mittelstelle Stadt Linz

14.122 2.928 2.300 6.650 2.033 827

Gesamt

39-375

Reichswerke, Konzentrationslager I (bis August 1944) RGW, Konzentrationslager III

790 5.600

4 1 1 12 9 62 zusätzlich: 2

1-937 6.077 6.650

Quelle: Archiv der Stadt Linz (AStL), Neue Reihe, Akten des Besatzungsamtes, Sch. B 55: Zusammenstellung aller Lager der Gauhauptstadt Linz per 1. Mai 1945.

Wie aus der obigen Aufstellung ersichdich ist, verfugten die Eisenwerke Oberdonau über zwei Lager, und zwar das Lager 25 (später Nr. 115) für „Ostarbeiter" in Ebelsberg östlich der SS-Kasernen und anschließend an das Lager 53 der Reichswerke ein Montagelager; ferner wurden im Reichswerke-Bereich 13 Firmenlager für Vertragsfirmen bzw. Baufirmen errichtet (Porr, Ferro-Betonit-Werke AG, Rella, Mayreder, Kraus & Co., Peters & Pascher, Hamberger, Universale, Pirkl & Eysert, Negrelli, Weiß & Freytag). Schließlich befand sich in diesem geographischen Raum, konkret beim heutigen Oltankhafen, das sog. Stickstofflager der „Ostmärkischen Stickstoffwerke Linz" fiir 2.300 Per188 Vgl. Helmut Lackner, Von der Gartenstadt zur Barackenstadt und retour. In: HJbStL 1986, Linz 1987, S. 229.

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sonen.'89 Die „Städtischen Arbeitslager", also jene von der Stadt Linz verwalteten Lager, befanden sich mehrheitlich jenseits der Donau in Urfahr und waren räumlich vom Reichswerke-Bereich über Kilometer getrennt.' 90 Möglicherweise hat man dabei auch aus sicherheitspolitischen Überlegungen einer zu starken Konzentration der Zwangsarbeiter entgegengewirkt. In den Barackenlagern waren nicht nur ausländische Arbeiter untergebracht; für die in der Linzer Großindustrie eingesetzten „Ostarbeiter" und Polen waren als Unterkünfte ausschließlich Barackenlager möglich, Gleiches galt für die Kriegsgefangenen. In besser ausgestatteten Baracken lebten aber auch Volksdeutsche Arbeitskräfte, reichsdeutsche und aus dem ehemaligen Osterreich stammende Arbeiter. Der Anteil dieser Gruppe an der Gesamtzahl der Lagerbewohner war durch Veränderungen gekennzeichnet, bewegte sich aber meist zwischen einem V4 bis zu einem V3 der Gesamtzahl. 19 ' An dritter Stelle lagen Lagerbewohner aus dem Protektorat Böhmen und Mähren. Für mehrheitlich dauerhaft im Raum Linz lebende Arbeiter und Facharbeiter ebenso wie Angestellte, Ingenieure etc. der Reichswerke wurden die Siedlungen Spallerhof, Bindermichl und Keferfeld errichtet, mit mehr als 3.000 Wohnungen für rund 12.000 Bewohner. Kinderreiche Familien von Reichsangehörigen erhielten großzügige Mietbeihilfen. Bauträger und Verwalter der Anlagen war die nach Braunschweig ressortierende Reichswerke-Tochtergesellschaft „Wohnbauaktiengesellschaft (WAG) Hermann Göring Linz".' 92

6 . K R I E G S G E F A N G E N E U N D D E R A U S L Ä N D E R E I N S A T Z IN O B E R D O N A U ; DER E I N S A T Z VON K Z - I N S A S S E N Neben Fremdarbeitern und Zwangsarbeitern wurden in Oberösterreich auch Kriegsgefangene eingesetzt. Von einer Beschäftigung in der Industrie nahm man bis zum Jahre 1942 Abstand. Die großen Bauvorhaben in Oberdonau machten die Beschäftigung auf Baustellen notwendig, so daß 1940/41 der Großteil der neu hereingebrachten Gefangenen in der Bauwirtschaft zum Einsatz kamen. Das Rüstungskommando Linz stellte dazu fest: „Durch Einsatz von Protektoratsangehörigen und teilweise auch von Kriegsgefangenen war es möglich den Bedarf bei Bauvorhaben der Dringlichkeitsstufe I und II zu einem erheblichen Teil zu decken. Erst gegen Ende der Berichtsperiode wurden Kriegsgefangene insbesondere der Weststaaten (1.700 im Bereich Linz) bei Bauvorhaben ein-

189 Ebenda, S. 227. 190 Schuster, Langoth, S. 200. 191 AStL, Neue Registratur, Nationalsozialismus, B 72. Bevölkerungsstatistik 1941-1944. Wohnlager in Linz nach Nationalitäten [Statistiken 1939—1945]. 192 Vgl. Lackner/Stadler, Fabriken in der Stadt, S. 225.

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Desinfektion sowjetischer Kriegsgefangener im Lager Linz-Auhof, Jänner 1942

gesetzt.'" 93 Im zweiten Halbjahr 1940 stieg im gesamten Gau die Zahl der eingesetzten Kriegsgefangenen stark an, Ende Juli 1940 waren es 9.720, Ende Dezember bereits 19.174. In der Hauptsache handelte es sich dabei um Franzosen.194 Auch hinsichtlich der Kriegsgefangenen konnten bislang nur wenige gedruckte oder maschinschriftlich verfaßte Aufzeichnungen über die genaue Zahl von Kriegsgefangenen in den einzelnen Betrieben aufgefunden werden. Daten aus dem gesamten Gau mögen eine gewisse Orientierungshilfe bieten. Die Struktur der Kriegsgefangenenbeschäftigung änderte sich zwischen 1941 und 1943, und zwar ähnlich jenen Transformationen, die man bei den zivilen ausländischen Arbeitskräfte feststellen konnte. Im August 1943, also noch vor der Italien-Krise, wurden in Oberdonau insgesamt 21.501 Kriegsgefangene fiir verschiedene Arbeiten herangezogen. Der Anteil der in der Bauwirtschaft Beschäftigten lag bei 15 %, jener in Industrie und Gewerbe war auf 18 % gestiegen, die meisten Kriegsgefangenen arbeiteten aber in der Landwirtschaft (56 %). Auch bei der Reichsbahn kamen Kriegsgefangene zum Einsatz (6 %). 195 Von der Rüstungsindustrie und damit auch von den Göring-Werken dürfte man die Kriegsgefangenen, zumindest im Jahr 1942, fiir das verläßliche Zahlen vorliegen, eher ferngehalten haben. Der Anteil der Kriegsgefangenen 193 Vgl. Moser, Oberösterreichs Wirtschaft, S. 330. 194 Vgl. Freund/Perz, Zwangsarbeit, S. 652. 195 Vgl. Moser, Oberösterreichs Wirtschaft, S. 3 31.

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hatte dort nur rund 6 % betragen. Vom Juni 1942 an entwickelte sich die Zahl der Kriegsgefangenen in der Rüstungsindustrie nur wenig: Im Juni wurden 1.072 Kriegsgefangene eingesetzt, im August 1.268, im November 1.278, und im Dezember 1942 waren es 1.485 (im selben Zeitraum war die Zahl der ausländischen Zivilarbeiter von 5.693 auf 12.227 gestiegen).'96 Daten für den gesamten Gau erlauben es, die Verschiebungen von 1943 auf 1944 im Einsatz der Kriegsgefangenen nachzuzeichnen. Die in der Tabelle deutlich werdenden Veränderungen sind auf den Einsatz Tausender italienischer Kriegsgefangener (die als Militärinternierte bezeichnet wurden) zurückzuführen. Diese wurden in erster Linie in der Industrie und in der Bauwirtschaft eingesetzt (siehe Tabelle 9). Aus dem Kriegstagebuch des Rüstungskommandos Linz wird dies am Beispiel der Eisenwerke Oberdonau deutlich: Waren dort im August 1943 57 Kriegsgefangene eingesetzt, Ende September 163, so stieg erster die Zahl Ende Oktober auf 2.219, Linie handelte es sich um italienische Mi197 litärinternierte. Die größte Gruppe der Kriegsgefangenen war das französische Kontingent, gefolgt von den italienischen Kriegsgefangenen; mit Abstand sind sowjetische und jugoslawische Soldaten zu nennen. Sowjetische Kriegsgefangene kamen in der Rüstungsindustrie kaum zur Verwendung.'98 Es ist unklar, ob in der Endphase des Arbeitseinsatzes griechische „Bandenverdächtige" als eine Art „Gefangene" oder als „Häftlinge" geführt worden sind. Slowakische Soldaten hat man in den letzten Kriegsmonaten als Kriegsgefangene in Linz zu Reparaturarbeiten und zur Schadenbeseitigung eingesetzt.'99 Tabelle 9: Eingesetzte Kriegsgefangene nach Wirtschaftssektoren Gau Oberdonau, 1943-1944 August 1943 Land/Forstwirtschaft Investitionsgüterindustrie Konsumgüterindustrie Bauwirtschaft sonstige Industrie Handel/Verkehr Diensdeistungen Gesamt

12.095

1

-759

1.493 3.269

Mai 1944 "•357

40,7

%

%

4.726

15,7

%

6,9 %

1.388

4.6 %

56,3 % 8,2

%

6.280

20,9 %

629

15,2

2,9 %

621

2,0 %

I.251

5,8 %

2.317

7,7 %

I.OO5

4.7 %

2.536

8,4 %

2I.5OI

100,0 %

30.225

100,0 %

Quelle: Der Arbeitseinsatz in Oberdonau. Statistisches Mitteilungsblatt des Gauarbeitsamtes Oberdonau, Jg. 1 9 4 3 / 1 9 4 4 , S . 2 ff.

196 Freund/Perz, Zwangsarbeit, S. 667. 197 OOLA, LWA, Sch. 20, Kriegstagebuch des Rüstungskommandos Linz (Wehrkreis VII), Okt.-Dez. 1943, Einsatz Rü-Industrie. 198 Vgl. Der Arbeitseinsatz in Oberdonau. Statistisches Mitteilungsblatt des Gauarbeitsamtes Oberdonau, Jg. 1 9 4 3 / 1 9 4 4 , S . 2 ff.

199 Vgl. auch Schuster, Langoth, S. 202 f.

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Nach offizieller NS-Definition waren Kriegsgefangene Angehörige von Feindstaaten, die sich, wie die Standardphrase in Gerichtsurteilen hieß, „zusammen mit den anderen Feinden die Vernichtung des deutschen Volkes zum Ziel gesetzt hatten".200 Die gesetzlichen Bestimmungen des NS-Staates besagten, daß jeglicher Umgang mit Kriegsgefangenen und jede Beziehung zu ihnen untersagt war, sofern dies nicht durch die Ausübung einer Dienst- oder Berufspflicht oder durch ein Arbeitsverhältnis der Kriegsgefangenen zwangsläufig bedingt war.201 Das Dritte Reich verstieß in der Behandlung der Kriegsgefangenen mehrfach gegen internationale Vereinbarungen. Die Genfer Konvention von 1929 (vom Deutschen Reich unterzeichnet) erlaubte den Arbeitseinsatz von Kriegsgefangenen, und deutsche Kriegsgefangene wurden auch in England, Kanada, den USA und der Sowjetunion zur Arbeitsleistung eingesetzt.202 Nicht vorgesehen laut Genfer Konvention war aber die Arbeit in Frontnähe oder in Rüstungsfabriken, wie dies vor allem in Oberösterreich, in den HGW-Firmen oder in den Steyr-Werken der Fall war. Da die Sowjetunion das Genfer Abkommen nicht unterzeichnet hatte, sah sich das NSRegime in der Behandlung sowjetischer Kriegsgefangener nicht an die Genfer Konvention gebunden. Die Deportation von Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion in das K Z Mauthausen und die Tötung endaufener Kriegsgefangener stellten besonders schwere Verstöße gegen die Genfer Konvention dar.203 Wie bereits erwähnt, wurde italienischen Soldaten der offizielle KriegsgefangenenStatus verweigert; dies hatte eine Reihe von Gründen, ermöglichte aber auch einen problemloseren Arbeitseinsatz. Wie bereits erwähnt, waren Kriegsgefangene zudem sehr preisgünstig. Da nicht der Kriegsgefangene selbst, sondern das jeweilige Stammlager in das Arbeitsverhältnis mit dem Unternehmer trat, erhielt dieses auch den Lohn. Der Kriegsgefangene erhielt nach Abzug aller Kosten den Rest meist in Form eines Lagergeldes. Die Unternehmer mußten weder Kranken- noch Rentenversicherung bezahlen, da die Kriegsgefangenen bei Krankheit entweder im Stammlager oder in einem Lazarett versorgt wurden.204 Kriegsgefangene/Militärinternierte waren aufgrund ihres Status gegenüber Zivilarbeitern, auch wenn es sich um Zwangsarbeiter handelte, benachteiligt; spezifische Regelungen, wie etwa die sehr repressiven Bedingungen für „Ostarbeiter" und Polen, konnten diese Unterschiede in der Alltagsrealität allerdings verändern.

200 Heinz Boberach (Hg.), Richterbriefe. Dokumente zur Beeinflussung der deutschen Rechtsprechung 1942-1944 (= Schriften des Bundesarchivs Koblenz 21), Boppard 1975, S. 87. 201 Ebenda, S. 87-91. 202 Ausgenommen waren Offiziere und Unteroffiziere. 203 Siegwald Ganglmair, Fremdarbeiter und Kriegsgefangene. In: Widerstand und Verfolgung in Oberösterreich, Band 2, S. 410. 204 Vgl. Moser, Wirtschaft 1938 bis 1945, S. 330-332.

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KZ-Insassen In einem separaten Beitrag dieser Studie (S. 449 ff.) analysiert Bertrand Perz die Situation in den Konzentrationslagern Linz I/III, die für den Bedarf der Reichswerke Hermann Göring eingerichtet worden waren. An dieser Stelle sei aus Vollständigkeitsgründen nur ein kurzer Uberblick über den Einsatz von KZ-Insassen in den Hermann-Göring-Werken gegeben. Die Existenz eines Konzentrationslagers auf dem Werksgelände war lange Jahre in der lokalen Offendichkeit weitgehend unbekannt. 1965 war ein Gedenkstein zur Erinnerung an die Existenz der Konzentrationslager Linz I/III errichtet worden. 1999 wurde eine Dauerausstellung zur Gedenkstätte eingerichtet und seitens der Betriebsratskörperschaften der Voest-Alpine Stahl Linz GmbH, eine Gedenkschrift publiziert.205 Die ersten Überlegungen zum Einsatz von KZ-Insassen in den Hermann-GöringWerken in Linz reichen in das Jahr 1941 zurück. Die SS wandte sich mit einem Angebot an die Konzernfiihrung. Die Steyr-Werke setzten nämlich bereits seit 1941 KZ-Insassen aus Mauthausen als Arbeitskräfte ein.206 Im Oktober/November 1941 begannen die Gespräche zwischen der Direktions-Etage der Reichswerke Hermann Göring bzw. der Eisenwerke Oberdonau und der SS hinsichtlich des Einsatzes von KZ-Insassen in Linz. Die ersten beiden Hochöfen der Hütte Linz wurden angeblasen, zur Verwertung der anfallenden Hochofenschlacke fehlten die Arbeitskräfte. Die Reichswerke interessierten sich daher für den Einsatz von KZ-Insassen und präsentierten der SS-Führung den Plan, die Hochofenschlacke der Hütte Linz durch KZ-Häftlinge verarbeiten zu lassen. Wie Helmut Fiereder herausgefunden hat, verhandelte der Göring-Konzern konkret mit der Deutschen Erd- und Steinwerke G m b H (DEST), einer SS-eigenen Firma, die unter anderem das Konzentrationslager Mauthausen betrieb. Bei einer Besprechung kamen der Reichswerke-Vorstandsvorsitzende Pleiger und der Reichsführer SS Himmler überein, KZ-Insassen bei der Schlackenverwertung als Arbeitskräfte einzusetzen. Der zu erwartende Gewinn sollte geteilt werden. Die Hermann-Göring-Werke Linz strebten zwar den Einsatz der KZ-Häftlinge an, lehnten aber eine 50%ige Gewinnbeteiligung der SS ab. Die Konzernvertreter versuchten die Gespräche mit der SS-Wirtschaftsbürokratie zu verschleppen, eine Taktik, die bei den Verhandlungen mit privaten Unternehmen meist erfolgreich war. Die SS reagierte jedoch verärgert. Der Reichsfiihrer SS Himmler schrieb an Pleiger: „Seien Sie doch so nett und weisen Sie Ihre Leute an, daß für alle Unternehmen Pleiger - SS Fifty-Fifty das heilige Grundgesetz ist."207 Nach langen Verhandlungen einigten sich SS und Reichswerke Anfang November 1942. In der Gründungsvereinbarung versprachen die Geschäftspartner, in Zukunft den 205 Gedenkstatte K Z Linz I/III, hg. von dem Betriebsratskörperschaften der Voest-Alpine Stahl Linz GmbH, und dem Jubiläumsfond ,50 Jahre VOEST', Linz 1999. 206 Vgl. Moser, Oberösterreichs Wirtschaft, S. 335. 207 Zit. nach Fiereder, Die Hütte Linz, S. 206.

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Grundsatz „Treu und Glauben" einzuhalten.208 Mitte Dezember 1942 wurden die ersten Häftlinge zum Aufbau eines KZ-Außenlagers auf dem Reichswerke-Gelände nach Linz gebracht. Zeitweise befanden sich über 800 KZ-Insassen in diesem Konzentrationslager. Das K Z Linz war bereits 1942 für die Reichswerke Hermann Göring eingerichtet worden. Es ist von der SS als Lager Linz I bezeichnet worden.209 Daneben wurden K Z Insassen direkt vom Hauptlager Mauthausen oder von Nebenlagern tageweise zum Arbeitseinsatz in die Rüstungsindustrie gebracht. Im Frühjahr 1944 wurden zwei weitere Außenlager des K Z Mauthausen in Linz errichtet. Zum einen sollten die Luftschutzräume der Stadt erweitert werden, 380 männliche Häftlinge wurden von der SS beim Märzenkeller direkt in den Stollen unter der Bezeichnung Lager Linz II untergebracht.210 Etwa zur selben Zeit, ebenfalls 1944, wurde bei den Reichswerken ein drittes Lager aufgebaut, Linz III. Die KZ-Insassen dieses Lagers waren als Arbeitskräfte beim Panzerbau in den zu den Reichswerken gehörenden Eisenwerken Oberdonau eingesetzt, die trotz eines Ausländeranteils von rund 60 % einen ständigen Mangel an Arbeitskräften aufwiesen. Zeitweise befanden sich über 5.600 männliche Häftlinge in diesem Lager auf dem Werksgelände. Das Lager III war das größte K Z in Linz. 211 KZ-Insassen aus den Linzer Lagern und aus dem Hauptlager Mauthausen wurden 1944/45 verstärkt bei den Aufräumarbeiten nach Bombenangriffen eingesetzt, sowohl im Stadtzentrum als auch auf dem Gelände der Reichswerke. Bei Luftangriffen befanden sie sich nicht immer in gesicherten Räumen - KZ-Insassen durften nicht in öffentlichen Luftschutzräumen Unterstand suchen. Sie schienen in keiner Arbeitsmarktstatistik auf, im Gegensatz zu Kriegsgefangenen wurden sie auch nicht in der Ausländerstatistik des Arbeitseinsatzes geführt. KZ-Insassen wurden damals während ihres Arbeitseinsatzes in der Regel nicht entlohnt oder entschädigt. Die Häftlinge waren ausschließlich Gegenstand der Vereinbarungen zwischen der SSFührung und den Reichswerken Hermann Göring, Linz und niemals selbst - also als Individuum - auch nur zum Schein Subjekt von Vereinbarungen. Sie wurden strikt von den anderen Arbeitskräften getrennt, waren schärfster Repression unterworfen und wurden in der ersten Zeit von der SS bzw. mit dieser in Zusammenhang stehenden eigenen Wachmannschaften bewacht.212 Später wurden in den Industriebetrieben und auch insbesondere in den Göring-Werken einheimische Vorarbeiter, Capos und der Werkschutz zu Bewachungsaufgaben herangezogen.2'3 208 Ebenda. 209 Bertrand Perz, Das Konzentrationslager Mauthausen und die Außenlager in Linz. In: Fritz Mayrhofer/Walter Schuster (Hg.), Bilder des Nationalsozialismus in Linz, Linz 1997, S. 96 f. 210 Vgl. Bertrand Perz, „Auf Wunsch des Führers ...", S. 342-356. 211

Perz, Konzentrationslager Mauthausen, S. 97.

212 Vgl. dazu auch Helmut Fiereder, Nebenlager des Konzentrationslagers Mauthausen in der Hütte Linz der Reichswerke „Hermann Göring". In: H J b S t L 1985, Linz 1986, S. 9 5 - 1 1 3 . 213 OOLA, LWA, Schachtel 11, Rundschreiben vom November 1944, S. 2.

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7 . „ F R E M D V Ö L K I S C H E A R B E I T E R " IM S P I E G E L ZEITGENÖSSISCHER B E R I C H T E UND D O K U M E N T E

In der Frühphase der Ausländerbeschäftigung im ehemaligen Osterreich (1938 bis 1940) fehlte im wesentlichen der weitgehende Zwangscharakter. Obgleich also in dieser Phase noch kaum Zwangsverschickungen vorkamen, reagierten die Verantwortlichen etwa auf tschechische Arbeiter in Linz, die „Fremdarbeiter" der ersten Stunde, mit grundsätzlichen Überlegungen in Richtung Segregation, Überwachung und Unterordnung - Richtlinien, die in späteren Jahren radikaler und konsequenter beachtet wurden. Vom 9. August 1939 datiert ein Schreiben der Steyr-Werke über tschechische Fremdarbeiter an den Vorstandsdirektor der Hermann-Göring-Werke, Sprick: „In Steyr besonders niedrige Leistung der Tschechen. 20 der Arbeitsunwilligsten werden nach hier (Linz) überfuhrt, wo mit geeigneten Mitteln ihre Arbeitsunlust gebrochen wird. Für die in Steyr verbleibenden Tschechen muß die Gestapo ebenfalls brutalere Methoden einfuhren, mit Festnahmen und körperlichen Strafen."" 4 Hinsichtlich tschechischer Arbeiter zogen die nationalsozialistischen Behörden sowie die „Betriebsfiihrer" in den gerade in Bau befindlichen Großbetrieben jedoch auch den Einsatz von „Incentives" in Betracht. Im November 1939 überlegte man den Bau eines eigenen Bordells für die tschechischen Arbeiter der Hermann-Göring-Werke. Aus dem SD-Bericht: „Soweit die Tschechen als ausländische Arbeiter in deutschen Wirtschaftsunternehmungen der Ostmark und des Altreiches eingesetzt sind, bedeuten sie zugleich ein rassisches Problem. Mit Rücksicht auf das leider immer wieder festgestellte mangelnde Rassebewußtsein bestimmter weiblicher Kreise dieser Bezirke kommt beispielsweise aus Linz (Reichswerke Hermann Göring) die Anregung, für diese Tschechen ein Bordell mit rassegleicher Besetzung einzurichten ... (und) Vorkehrungen getroffen werden müssen, daß der Besuch dieser Häuser auf die Tschechen beschränkt bleibt." 2 ' 5 Schon in der Frühphase des Ausländereinsatzes wurde ein System der Apartheid gegenüber „Fremdarbeitern" aufgebaut. In einem Bericht aus dem Mai 1940 wurde der Schwerpunkt wieder stärker auf die Aspekte Überwachung und Repression gesetzt: „Bei verschiedenen für die HermannGöring-Werke beschäftigten Baufirmen des Linzer Gebiets haben Tschechen erhebliche Beschädigungen an Betonmischmaschinen vorgenommen und größere Mengen Baumaterials vernichtet oder unbrauchbar gemacht... Ein in der letzten Zeit immer häufiger

214 O Ö L A , LWA, Sch. 15, Schreiben der Steyr-Werke an den Vorstand der Reichwerke Hermann Göring vom 9. August 1939. 215 SD-Bericht zur innenpolitischen Lage (Nr. 17) vom 17. November 1939, zit. nach Heinz Boberach (Hg.), Meldungen aus dem Reich. Die geheimen Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS 1938-1945, Band 3 (Nov. 1939 - März 1940), Herrsching 1984, S. 475.

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auftretendes provokatorisches Verhalten zeigen die Tschechen aus dem Linzer Gebiet auch außerhalb der Arbeit. In den Außenbezirken der Stadt Linz versammeln sich in als verrufen bekannten Gasthäusern kleinere Gruppen von Tschechen, die anschließend planmäßig nächdiche Ruhestörungen veranstalten (staatspolizeiliche Maßnahmen sind geplant)." 216 Per 30. Mai 1940 wurde der Beschäftigungsstand mit 8.909 Arbeitern in der Hütte in Linz (und Vertragsfirmen) angegeben sowie mit 2.624 bei der Wohnbaugesellschaft W A G Linz (und Vertragsfirmen). Für das zweite Quartal wurde in Linz ein Soll-Bedarf von 4.000 ausländischen Arbeitern ausgewiesen sowie die Anforderung von je 1.000 Kriegsgefangenen für die Hütte Linz und die Eisenwerke Oberdonau bestätigt. Wie bereits erwähnt, wurde ein nach völkischen Kriterien differenziertes System der Behandlung dieser Arbeitskräfte entwickelt. Die nationalsozialistische Staats- und Herrschaftspraxis basierte auf Abstufungen, die jedem suggerierten, daß es immer noch ethnisch definierte Personengruppen gebe, über die man kommandieren könne. Gerade die privilegierte Stellung von inländischen gegenüber ausländischen Arbeitskräften war ein wesentliches Kalkül für das Funktionieren des Zwangsarbeitssystems. Z u diesem System zählte auch die Observierung der „anderen" - jedes Quartal wurden Arbeiter verschiedener Ethnien einer summarischen Beobachtung unterzogen. Die Reichswerke in Linz gehörten zu den ersten Großbetrieben im ehemaligen Osterreich, die Erfahrungen im Masseneinsatz ausländischer Arbeiter aufzuweisen hatten. In einem Bericht des Gauwirtschaftsamts Oberdonau über die Monate April-Juni 1940 wurde dies hervorgehoben. Ferner wurde die besondere Stellung der Arbeitsämter im Gau betont; diese gingen gegen den Arbeitskräftemangel in der Metall- bzw. Rüstungsindustrie mit unterschiedlichen Rekrutierungsschritten vor: Zum einen wurden kinderlose Frauen herangezogen, zum zweiten führte man „Herausziehung von qualifizierten Arbeitern aus minderwichtigen Betrieben und deren innerbetriebliche Umschulung" durch 217 und zum dritten wurde eine großangelegter Ausländereinsatz betrieben. Bereits der erste Bericht aus den H G W war mit jenen Diskriminierungen gegenüber bestimmten Ethnien ausgestaltet, die später für die Berichte charakteristisch werden sollten. So wurde in den Bericht hineingeschreiben: „Was leistungsmässige Wertung betrifft, steht der Tscheche dem Deutschen Arbeitskameraden bei weitem nach, da er deshalb arbeitet, um zu verdienen. E r hat nicht die Uberzeugung des unbedingten Zusammenlebens mit dem Deutschen und meckert viel... Die schlechtesten Arbeiter sind aus Prag, Pilsen und Brünn. Es ist festgestellt worden, dass ein Teil der Tschechen bei Familienheimfahrten oder Urlauben eigenmächtig im Protektorat verbleibt und auf die Arbeitsplätze nicht zurückkehrt. Besonders in der letzten Zeit nahm die Lagerflucht zu. Die Slowaken sind 216 Meldungen aus dem Reich (Nr. 88) vom 16. Mai 1940, zit. nach Boberach, Meldungen, Band 4 (März 1940-Juli 1940), S. 1144. 217 OÖLA, LWA, Sch. 14, Kriegstagebuch Mai - Juni 1940, S. 1 f.

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größtenteils fleißige und ehrliche Arbeiter (ausgenommen Pressburger), sehr sparsam und fühlen sich hier wohl... Die Bulgaren sind ähnlich veranlagt wie die Slowaken. Der bulgarische Arbeiter chrisdichen Glaubens ist fleissig, bescheiden und ausdauernd. Der bulgarische Mohammedaner ist jedoch faul, unrein und nicht verläßlich. Letztere haben wir nur sehr wenige. Zivilarbeiter polnischen Volkstums: Die Polen verhalten sich vollständig still, pflegen keinen Verkehr mit anderen Nationalitäten und sind arbeitswillig. Eine verschärfte Aufsicht ist jedoch hier notwendig." 218 Lage- und Situationsberichte zur Stimmung in der Bevölkerung, zu oppositionellen Bestrebungen oder hinsichdich von Störungen der öffendichen Ordnung waren charakteristisch für das NS-System. Am bekanntesten sind wohl die Berichte des S D (Sicherheitsdienstes) der SS. Diese stellen eine Fortsetzung und zugleich eine bis dato unbekannte Steigerung der „Volksüberwachung" dar. 2 ' 9 Neu ist die Einführung derartiger Situationsberichte in der Wirtschaftswelt gewesen. Mit der Fortdauer des Krieges wurden die Berichte aus der Linzer Großindustrie detaillierter, verstärkten die Klischees und wurden auch zunehmend kritischer. So heißt es beispielsweise in einem „Erfahrungsbericht" vom Oktober 1940: ..1. Bei den tschechischen Arbeitern: In der letzten Zeit häufen sich besonders unter den Tschechen, die ja als Nörgler und Unruhestifter in erster Linie in Frage kommen, die Klagen über zu geringe Brotrationen und Fleischrationen. Diese Knappheit wird von den Tschechen weidlich ausgenützt, aufgebauscht und darin ein Grund für die Nörglereien und Stimmungsmachereien gesucht. Die Arbeitsleistung bleibt hinter der der deutschen Arbeiter bedeutend zurück. In der letzten Zeit häufen sich die Fälle über Lagerflucht bzw. eigenmächtiges Verlassen der Arbeitsstätte ... 2. Bei den slovakischen Arbeitern: Die Leistungen der slovakischen Arbeiter sind im allgemeinen zufriedenstellend. Eine Abwanderung der Slowaken ist in der letzten Zeit zu bemerken, die auf die landwirtschaftlichen Arbeiten wie das Einbringen der Kartoffel, Maisernte, Bestellung der Felder zurückzufahren ist. 3. Bei den jugoslavischen Arbeitern: Die jugosl. Arbeiter sind im allgemeinen gut, nur kam es in der letzten Zeit vereinzelt zu Klagen wegen der Endohnung. Viele Jugoslaven sind nämlich von Beruf Steinmaurer und können daher erst nach Anlernung als Ziegelmaurer verwendet werden. Für die Zwischenzeit gilt natürlich eine niedrigere Lohnstufe ... 5. Bei den Zivilarbeitern belgischen und polnischen Volkstums: Die Zivilbelgier beschweren sich häufig über zu kleine Brotrationen und führen an, daß sie nicht auskommen können, wenn man bedenkt, daß die Arbeitszeit 10 Stunden beträgt... 6. Bei den Kriegsgefangenen: Die Arbeitsleistung gegenüber den deutschen Arbeitern beträgt ungefähr 40-60 %. Das dürfte wohl zurückzuführen sein auf die ungewohnte Arbeit, sowie sind teilweise die Gefangenen unter-

218 Ebenda, S. 2. 219 Vgl. David Bankier, Die öffentliche Meinung im Hitler-Staat, Berlin 1995, S. 1 1 f.



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ernährt, sodaß mit einem vollen Einsatz der Kräfte nicht gerechnet werden kann. Alpine Montan Aktiengesellschaft,Hermann Göring', Linz. Der Abwehrbeauftragte."220 Im September 1940 äußerte die Wirtschaftskammer Oberdonau in einem offiziellen Schreiben deutliche Kritik am Einsatz von „Fremdarbeitern": „Der starke Abzug von deutschen Arbeitern und der gleichzeitige Zuzug von fremdländischen Arbeitskräften hatte jedoch, wie zu erwarten war, starke Unterwanderungserscheinungen und eine fallweise schon beachdiche Schwächung des deutschen Elements zu Folge ... Alle zuständigen Stellen ... setzen daher alle ihre Kräfte ein, um den Heimatgau des Führers nicht zu einer Art,Vereinigte Staaten von Oberdonau' werden zu lassen und das deutsche Element nach Möglichkeit zu stärken, da ja mit einer allmählichen Ansiedlung eines wesentlichen Teiles der Ausländer gerechnet werden muß und an eine Rücksendung derselben in das Protektorat, die Südstaaten usf. auch auf lange Sicht angesichts der vorliegenden Bauprogramme nicht gerechnet werden kann."221 Ebenfalls aus dem September 1940 stammt ein Rundschreiben des Kommandeurs der Gendarmerie in Oberdonau, in dem der Fall eines polnischen Arbeiters angesprochen wurde, den man eines sexuellen Vergehens beschuldigt hat. Der ermittelnde Beamte habe bei der Amtshandlung zu dem Polen gesagt: „Bist eh ein armer Kerl usw." Dem Rundschreiben folgend, „haben doch diese Worte bei anwesenden Personen das Gefühl gehabt, daß der Gendarm diesem Polen gegenüber ein ganz ungehöriges Mitleid zum Ausdruck bringen wollte". Nun heißt es weiter: ,Jede - wie immer geartete Mitleidsäußerung ist fehl am Platze! Sie paßt nicht in unsere nationalsozialistische Weltanschauung, sie ist geradezu ein Verbrechen ... Ich nehme diesen Vorfall nach eindringlicher Verwarnung des in Frage kommenden Beamten zum Anlaß, neuerdings alle Offiziere und Beamten zu ermahnen, gegenüber Angehörigen polnischer Nationalität hart zu sein und hart zu bleiben!"222 Sexualität und der mögliche Kontakt der „Fremdarbeiter" bzw. Zwangsarbeiter zu als „deutsch" bezeichneten Frauen und Mädchen beschäftigte die nationalsozialistischen Führungsorgane in Oberösterreich nachhaltig. Ende 1940 waren die bereits angesprochenen Pläne hinsichtlich der Errichtung eines Bordells in der Phase der Realisierung. Wie Hermann Rafetseder herausgefunden hat, wurde in Linz, auf der Höhe der Wankmüllerhofstraße 39, tatsächlich ein sogenanntes „Tschechenhaus" für vorwiegend slawi-

220 O Ö L A , LWA, Sch. 13, Betriebsbericht der Hermann Göring-Werke, Linz/Donau vom 19. Oktober 1940, S.7f. 221 Denkschrift der Wirtschaftskammer Oberdonau an den Herrn Reichswirtschaftsminister anläßlich des Besuches des Herrn Staatssekretärs Dr. Landfried in Oberdonau vom 7. - 9. September 1940, Linz 1940, S.i. 222 O O L A , Politische Akten Sch. 47, O Ö 5/10, Der Kommandeur der Gendarmerie vom 21. September 1940.

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sehe Arbeiter eingerichtet." 3 Der Eröffnung im März 1941 ging ein „Bericht der Gauleitung Oberdonau" voraus, in dem die wichtigsten Richtlinien des Projekts dargelegt wurden: „Die Arbeitskräfte der Reichswerke Hermann Göring in Linz bestehen zu einem wesentlichen Teil aus Tschechen, Slowaken, Bulgaren und Italienern. Um immer wiederkehrendem unerwünschten Verkehr dieser ausländischen Arbeitskräfte mit deutschen Frauen entgegenzuwirken, wurde von der Gauleitung unter besonderer Mitwirkung des Rassenpolitischen Amtes und Unterstützung der Kriminalpolizei, des Sicherheitsdienstes und der Gemeinde Linz die Errichtung eines Bordells ins Auge gefaßt. Als Bauherr tritt die Stadtgemeinde Linz auf... Der Bauplatz wurde so gewählt, daß er in der Nähe der größten Barackenlager für ausländische Arbeiter liegt, gegenüber der Offendichkeit aber leicht abgeschlossen werden kann ... Leiter des Bordells ist der Pächter, der im Einvernehmen mit der Kriminalpolizei ausgesucht wurde ... Die Kriminalpolizei wird nur die Einstellung nicht deutschblütiger Insassinnen arischer Abstammung dulden. Im Laufe der Zeit sollen noch mehrere Häuser eingerichtet werden und stets werden die Häuser nach Möglichkeit mit Mädchen von dem Volke belegt, dessen Angehörige in den nächstgelegenen Baracken wohnen ... Es wird streng dafür gesorgt, daß keine Deutschen in Häuser, die mit fremden Mädchen belegt sind, gehen und keine fremden Arbeiter in die bisher schon in der Stadt vorhandenen deutschen Häuser [vor allem Eisenbahngasse, Flügelhofgasse und Tiefer Graben] kommen." 224 In einem Kommentar von Hitlers Stabsleiter Martin Bormann hob dieser nochmals als wesendich hervor, „daß in den für fremdvölkischen Arbeiter bestimmten Bordellen deutschblütige Mädchen nicht eingestellt werden und daß deutsche Volksgenossen diese Häuser nicht besuchen dürfen". 225 Entgegen den Planungen wurden weitere Häuser nach diesem Pilotprojekt nicht errichtet; laut Rafetseder gibt es allerdings Hinweise auf ein werkseigenes Bordell der Hermann-Göring-Werke, über das jedoch keine genaueren Angaben vorliegen.226

Zur Lebensmittelversorgung Das Lager Schlantenfeld unterstand direkt dem Oberbürgermeister bzw. der Stadt Linz; es waren dort ausländische Zivilarbeiter, aber auch Kriegsgefangene untergebracht, die in Betrieben des Reichswerke-Konzerns arbeiteten. Bereits einige Monate nach der Übernahme durch die Stadt Linz sind Beschwerden hinsichdich der Behandlung, vor

223 Vgl. dazu Rafetseder, .Ausländereinsatz", S. 1 1 6 3 - 1 1 6 7 . 224 Bundesarchiv Berlin, NSDAP-Parteikanzlei, N S 6/334, Mikrofiche 1: Bericht der Gauleitung Oberdonau vom 27. Dezember 1940, zit. nach Rafetseder, „Ausländereinsatz", S. 1 1 6 4 - 1 1 6 5 . 225 Ebenda. 226 Angesichts der Ungenauigkeit der Adresse besteht die Möglichkeit, daß es doch nur ein Bordell gegeben hat.

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allem aber hinsichtlich der Ernährung laut geworden. Eine von staatlichen Zentralstellen in Auftrag gegebene Untersuchung ergab, daß der zuständige Verwalter in Zusammenarbeit mit einem Linzer Kaufmann von den zugeteilten Lebensmitteln 5.400 Kilo Fleisch abgezweigt hatte.22? In der Folge wurden wiederholt Kontrollen der Werksküchen durchgeführt, wobei Unregelmäßigkeiten, vor allem in der Werksküche der zu den Reichswerken zählenden Linzer Schiffswerft, entdeckt wurden. In den Reichswerken selbst wurden wohl die beiden größten Skandale aufgedeckt.228 Im November 1940 hat man den Leiter der Versorgungsbetriebe der HGW, Dipl.Kfrn. Rolf Mayer, wegen des Verdachts der Veruntreuung und des Betrugs gern § 1 Kriegswirtschaftsverordnung in Verbindung mit § 4 der sogenannten Volksschädlingsverordnung vom 5. September 1939 verhaftet. Man machte ihn für folgende Mißstände verantwortlich: „Lebensmittel wurden zu Unrecht bezogen bzw. doppelt angefordert... infolge unsachgemäßer Lagerung fielen Lebensmittel tonnenweise dem Verderb anheim; weiters waren die Lagerräume kaum gegen Eindringlinge von außen abgesichert und die Warenbestände oft gar nicht erfaßt, sodaß Diebstähle häufig unbemerkt blieben ... Abgesehen von Speisen, die aus verdorbenen Lebensmitteln zubereitet wurden, entsprach die Verpflegung auch mengenmäßig nicht den Vorschriften." In dem Verfahren, das ein Netzwerk von Korruption und Schlamperei bloßlegte, wurden neben Mayer in weiterer Folge der Küchenbetriebsleiter von Linz, der Küchenleiter der HGW-Niederlassung Eisenerz, der Prokurist und Küchenleiter der Versorgungsbetriebe der H G W Braunschweig und der HGW-Lagerverwalter von Linz beschuldigt. Noch im Zuge der Ermittlungen, die sich von 1940 bis 1942 erstreckten, sind weitere Mißstände entdeckt worden. Alarmiert von den Verhältnissen in den HGW-Versorgungsbetrieben wurden das Linzer Gesundheitsamt, die Lebensmittelpolizei und das Ernährungsamt tätig. Vergiftungserscheinungen von Arbeitern führten zu einer langen Reihe von Lebensmitteluntersuchungen. Die Ergebnisse waren eindeutig: Bis auf wenige Ausnahmen waren die Nahrungsmittel durchwegs verdorben und sogar gesundheitsschädlich, die Küche der H G W war verunreinigt, es gab kein Warmwasser. Lagernde Lebensmittel waren oft verdorben, dazu kam ein nennenswerter Abgang, der nicht erklärt werden konnte. Nach mehreren Ver- und Enthaftungen setzte sich das Ernährungsamt mit Reichsstatthalter Eigruber in Verbindung, der antwortete, daß die Angelegenheit der Versorgungsbetriebe genügend lange untersucht worden ist; von einer Weiterverfolgung des Falles könne abgesehen werden. Das Verfahren gegen Rolf Mayer wurde daher im Mai 1942 eingestellt, in anderen Verfahren wurden Freisprüche verkündet bzw. einige Ordnungsstrafen verhängt.229 Da im genannten Zeitraum die Hälfte der Belegschaft aus Ausländern bestand,

227 AStL, Nationalsozialismus, Sch. B 23, Rechnungsprüfungen, Endbericht 1941. 228 AStL, Nationalsozialismus, Sch. B 20, Kontrolle der Werksküchen, Orts-Polizeiamt Linz, Juni - Sept. 1944. 229 OÖLA, Pol. Gerichtsakten, Sch. 981, Aktjs 655/1940 (Rolf Mayer, Hermann-Göring-Werke, Linz).

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bzw. deren Anteil bei den körperlich schwer arbeitenden, unbedingt auf hinreichende Ernährung angewiesenen manuellen Arbeitern noch höher war, kann von einem nachhaltigen Einfluß des Lebensmittelskandals auf die Ernährung und die Lebenshaltung der in den H G W tätigen Kriegsgefangenen, „Fremdarbeiter" und Zwangsarbeiter ausgegangen werden. Der zweite Skandal betraf den ehemaligen Oberbürgermeister der Stadt Linz, Sepp Wolkerstorfer. Der persönliche Bekannte Hitlers fungierte, wie bereits erwähnt, nach seinem unfreiwilligen Abgang aus dem Bürgermeisteramt als stellvertretender Direktor (Abteilungsdirektor) und Prokurist der Hermann-Göring-Werke. Ihm unterstanden u. a. die Lebensmittelbevorratung sowie die Unterbringung und Verpflegung der Zwangsarbeiter. Im Februar 1942 ermittelte die Staatsanwaltschaft wegen unsachgemäß gelagerter und deshalb verdorbener 250.000 Kilogramm Kartoffeln in den Göring-Werken. Wolkerstorfer wurde verhaftet, nach einer Intervention des Gauleiters und Reichsstatthalters Eigruber aber wieder freigelassen. Wolkerstorfer nutzte seine Freilassung, um sich mit Zeugen und anderen Beschuldigten abzusprechen. Er wurde daraufhin erneut verhaftet. Der Fall sorgte reichsweit für Aufsehen, und Reichspropagandaminister Joseph Goebbels hatte aus diesem Anlaß in sein Tagebuch eingetragen: „Auch werden jetzt gegen führende Persönlichkeiten schärfere Strafen verhängt, wenn sie sich gegen die Kriegsnotverordnungen vergangen haben. Es hat sich zum Beispiel als notwendig erwiesen, den (ehemaligen) Oberbürgermeister von Linz zu verhaften, da er durch Sorglosig-

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keit und Laxheit schwere Verfehlungen auf dem Gebiet der Lebensmittelversorgung hat einreißen lassen."2-^ Schließlich intervenierte der aus Oberösterreich stammende Staatssekretär Ernst Kaltenbrunner, der 1943 Chef des Reichssicherheitsamtes in Berlin werden sollte, persönlich für Wolkerstorfer. Er wurde freigelassen und schließlich wegen „Mißwirtschaft" und wegen Meineides zu 3.000 R M Geldstrafe verurteilt, was weniger als drei Monatgehälter des Werksdirektors ausmachte. Seinen Job in den Göring-Werken konnte er behalten.231 Grundsätzlich kann man davon ausgehen, daß die Justiz und ein Teil der Ordnungskräfte den Anweisungen aus dem Innen-, dem Justiz- und vor allem aus dem Kriegsministerium Folge leisteten; bei krasser Fehlversorgung ermittelten die Beamten, wie vorgesehen, gegen „Volksschädlinge" sowie im Sinne der Kriegsnotverordnungen. Immer wieder wurde versucht, sich an den doch großen Lebensmittelbeständen für die Zwangsarbeiter zu bereichern, oder aber es wurden Verfehlungen im Bereich der Versorgung von Zwangsarbeitern aufgedeckt. Beispielsweise beschwerten sich russische Arbeiter einer oberösterreichischen Baufirma bei der Polizei über völlig mangelhafte Ernährung: „Die Russen klagten über die schlechte Kost." Es stellte sich heraus, daß der Koch zusammen mit Helfern ein Netzwerk aufgebaut hatte, wobei Lebensmittel, die für die Zwangsarbeiter bestimmt waren, entwendet und verkauft wurden.232 Es paßt hier auch ins Bild, daß die Zwangsarbeiterin Zofia Drzewicz aus ihrer Zeit in Linz berichtet: „Der Hunger hat uns getrieben ... Unser Frühstück, das waren etwa zehn Deka Brot, mit oder ohne Margarine, wie es halt kam, und ein bitterer schwarzer Kaffee. Mittags gab es dann zwei ungeschälte Kartoffeln mit einer Art Salat aus längst ungenießbaren Gurken .. ." 233 In Fällen offensichtlicher Fehlversorgung wurde manchmal die Polizei tätig, und der Rüstungsobmann verlangte strenge Strafen. Man wollte offensichtlich die Zwangsarbeiter nicht unnötig provozieren. Für das hohe Ausmaß an Korruption im Zusammenhang mit dem Lagersystem existierten auch strukturelle Ursachen: In den Arbeitserziehungslagern waren die Insassen auf die Dauer ihrer Einweisung praktisch rechtlos, die Machtbefugnisse des Lagerpersonals waren erheblich, die Kontrolle von außen gering. Dies führte beispielsweise dazu, daß in den Arbeitserziehungslagern häufig ohne Konsequenzen vom Lagerpersonal das Eigentum der Häftlinge einschließlich des Bargeldes, unterschlagen oder für persönliche Zwecke verwertet wurde.234 Wie Beispiele auch aus dem nord- und westdeutschen Raum zeigen, fanden in den Zwangsarbeiterlagern nicht nur Unterschlagungen von Lebensmitteln statt, sondern es existierte eine breite Palette von 230 Die Tagebücher von Joseph Goebbels, hg. von Elke Fröhlich, Band II/4, München 1995, S. 202. 231 Vgl. Schuster, Langoth, S. 178. 232 OÖLA, Sondergericht Linz, KLS-Akt 604/1943 (Ludwig Heckenblaichner). Strafanzeige vom 23. Mai 1943, Die Belegschaft des Arbeiter-Lagers der Bau A.G. Vianova (Geschädigte). 233 Zit. nach Reinhard Engel/foana Radzyner, Sklavenarbeit unterm Hakenkreuz. Die verdrängte Geschichte der österreichischen Industrie, Wien 1999, S. 62. 234 Frank Bajohr, Parvenüs und Profiteure. Korruption in der NS-Zeit, Frankfurt 2001, S. 97.

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Spielarten der Korruption; oft kam es auch zu Arrangements mit bestimmten Arbeitercliquen. 235 Durch die - verglichen mit den Konzentrationslagern, aber auch mit den Arbeitserziehungslagern - deutlich geringer ausgeprägte Kontrolle der Wohnlager der Zwangsarbeiter, schuf die Bestechlichkeit des Lagerpersonals den ausländischen Arbeitskräften potentielle Freiräume. 236 Das nationalsozialistische Klientel- und Patronagesystem war in Linz bzw. im Gau Oberdonau dermaßen ausgeprägt und die an den verantwortlichen Stellen plazierten Personen so korrupt, daß man - abgesehen von der geplanten Minderernährung im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie - hier auch elementare Versorgungs-Infrastrukturprobleme nicht in den Griff bekam. Walter Schuster, der den Fall Wolkerstorfer in den Akten entdeckt hat, zeichnet für Linz insgesamt ein System der Mißwirtschaft, der Unterschlagung, der Entwendung, des Mißbrauchs und der Korruption und zugleich eines der Intervention zugunsten der Beschuldigten, gleich, ob dies in den HermannGöring-Werken, dem Magistrat der Stadt Linz oder in den Amtstellen des Gaus Oberdonau der Fall war. Nahezu der gesamte Stadtrat, hohe Magistratsbeamte und hohe Linzer Parteistellen waren während der Amtszeit dieses Oberbürgermeisters in einschlägige gerichtliche bzw. parteigerichtliche Verfahren verwickelt. 237

8 . P R O F E S S I O N A L I S I E R U N G DER Z W A N G S A R B E I T

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E R L E I C H T E R U N G E N FÜR Z W A N G S A R B E I T E R ? Anhand der Fallbeispiele einiger deutscher Großbetriebe wurde die These formuliert, daß es ab 1942 zu einer „Professionalisierung" der Zwangsarbeit gekommen sei; einerseits sei rationalisiert und in Maschinenparks investiert worden, andererseits hätten sich die Lebensumstände der Zwangsarbeiter ab 1942 verbessert. Neil Gregor vertritt in seiner Studie über die Daimler-Benz-Werke die Ansicht, daß der Konzern 1942 und 1943 seine Arbeiter besser behandelte; man habe auch höhere Lebensmittelrationen ausgegeben. Bei Daimler-Benz wurden auch „Ostarbeiter" und „Ostarbeiterinnen" systematisch in Fachberufen angelernt.238 Für die Hermann-Göring-Werke in Linz läßt sich ein Befund in dieser Pauschalität nicht ableiten. Es gibt Zeitphasen, in denen auch in Linz „Ostarbeiter" und „Ostarbeiterinnen" angelernt wurden; dies ist aber kein generell gültiges Muster. Eine Rücknahme des Drucks auf die Zwangsarbeiter in den letzten Mona-

235 Vgl. Herbert, Fremdarbeiter, S. 234-239. 236 Vgl. Bajohr, Parvenüs und Profiteure, S. 97. 237 Vgl. dazu Schuster, Nationalsozialistische Kommunalpolitik. In: Mayrhofer/Schuster (Hg.), Nationalsozialismus in Linz, Band 1, S. 254-259. 238 Vgl. Neil Gregor, Daimler-Benz in the Third Reich, New Häven/London 1998, S. 188.

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ten vor Kriegsende ist teilweise - wenngleich nicht durchgängig - aus den bislang bekannten Quellen ableitbar. Die Niederlage des Dritten Reichs war damals bereits für breite Bevölkerungsschichten absehbar. Eine generelle Verbesserung im Jahre 1943 kann jedoch keineswegs angenommen werden. Der Ausländer- und Kriegsgefangeneneinsatz wurde insgesamt in erster Linie im Sinne von Arbeitsverrichtungen gesehen und in eine rassistisch hierarchisierte Gesellschaft eingebaut.239 Nach der Linzer „Tages-Post" sei der Zweck des Ausländereinsatzes lediglich „eine anständige Arbeitsleistung zu erzielen", und laut nationalsozialistischer „Volksstimme" hätten sie „keine Ansprüche zu stellen, sondern sich zu fügen."240 Es sei selbstverständlich, daß „ein anständiger und national bewußter Volksgenosse", so ein Richterbrief aus dem Jahre 1942, „den Umgang mit den ausländischen Zivilarbeitern meidet."2*1 Umgekehrt waren im speziellen Kriegsgefangenen und „Ostarbeitern", vor allem in den späteren Phasen des Ausländereinsatzes, persönliche Kontakte mit Einheimischen verboten, geschlechtlicher Umgang wurde bereits ab 1942 fallweise mit dem Tod bestraft. In Oberösterreich ist auch eine Reihe von Fällen bekanntgeworden, bei denen polnische Arbeiter von der Gestapoleitstelle Linz im Falle sexueller Kontakte im Schnellverfahren gehängt wurden. Dies ist dokumentiert worden, da die Generalstaatsanwaltschaft Linz „aufgrund der Umgehung der gesetzlichen Bestimmungen" darauf „mit Befremden" reagiert hatte.242 Die betroffenen einheimischen Mädchen wurden in Konzentrationslager deportiert, wobei der bloße Verdacht genügte.243 Das Gros der ausländischen Zivilarbeiter konnte sich allerdings abends und an Sonntagen vergleichsweise frei bewegen, Gaststätten, Tanzveranstaltungen besuchen, die öffendichen Verkehrsmittel benützen usw. Ausgang wurde bis 2 r Uhr bzw. 22 Uhr (im Sommer) gewährt. Nach eigenem Gutdünken zu kündigen bzw. die Arbeitsstätte zu verlassen war ihnen hingegen untersagt und wurde streng bestraft.244 Inländischen Arbeitern gegenüber bzw. im Umgang mit „deutschen Volksgenossen" waren sie in keinem Fall gleichberechtigt.245 Ungeachtet der Existenz inländischer Barackenbewohner, kann

239 Vgl. Erfahrungen mit dem Einsatz südosteuropäischer Arbeiter unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse im Landesarbeitsamtsbezirk Wien - Niederdonau, Wien 1943. 240 Vgl. Tages-Post vom 2. Juni 1943; Volksstimme vom 25. Juli 1940. 241 Boberach, Richterbriefe, S. 9 1 . 242 Bericht der Generalstaatsanwaltschaft Linz an den Staatssekretär im Reichsjustizministerium, Franz Schlegelberger, betreffend Hinrichtung von polnischen Zivilarbeitern vom 22. April 1942, zit. nach Widerstand und Verfolgung in Oberösterreich, Band 2, S. 439 f. 243 Vgl. Harry Slapnicka, Oberösterreich als es „Oberdonau" hieß, Linz 1978, S. 164-176. 244 Vgl. Rundschreiben der Gefolgschaftsfiihrung der Eisenwerke Oberdonau Ges.m.b.H. an alle Betriebe, Abteilungen und Vertragsfirmen betreffend Bestrafung von Gefolgschaftsmitgliedern wegen Arbeitsvertragsbruchs vom 20. November 1943, zit. nach Widerstand und Verfolgung in Oberösterreich, Band 2, S. 425 f. 245 Vgl. Ganglmair, Fremdarbeiter und Kriegsgefangene. In: Widerstand und Verfolgung in Oberösterreich, Band 2, S. 4 1 0 - 4 1 3 .

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man letztlich von einer starken Segregation der ausländischen Arbeitskräfte ausgehen. Ein richtiggehender „Barackengürtel", ein Lagerarchipel umgesiedelter, zwangsverpflichteter oder verschleppter Menschen umsäumte an der Peripherie die Stadt.246 Aus dem Jänner 1943 datiert eine Meldung vom SD-Abschnitt Linz, die die Sicht der nationalsozialistischen Betriebsmanager zu diesem Zeitpunkt verdeutlicht - die vorgegebene Arbeitsleistung war nicht erreicht worden. Die Voraussetzungen zur Leistungssteigerung waren angesichts der heterogenen Arbeiterschaft, die gezwungenermaßen und damit weitgehend demotiviert zur Produktion genötigt wurde, ungünstig. Allgemein läßt sich sagen, daß die praktizierte Form der Zwangsarbeit der von den Managern und kriegswirtschafdichen Planern gewünschten Produktivitätssteigerung sehr hinderlich war. Fehlende Motivation, schlechte körperliche Verfassung und unzulängliche Ausbildung standen dieser entgegen. Die Nationalsozialisten hatten ideologisch bedingt in erster Linie auf die Durchsetzung von Zwangsarbeit bei „Fremdvölkischen" gesetzt, anstelle auf innerbetriebliche Modernisierungen. In Osterreich wurden, auch in neuen Werken, in der Produktion nur teilweise Fließfertigungen durchgeführt, eine Fertigungstechnik, die etwa in den Vereinigten Staaten bereits lange eingeführt war.247 Eingangs wurde in dem Bericht vom Jänner 1943 zur mangelnden Produktivität Stellung genommen: „Die Ursachen dieses Zustandes liegen einmal in der außerordentlichen Zunahme der ausländischen Arbeitskräfte, zum anderen aber auch in der Minderwertigkeit der noch verbliebenen deutschen Fachkräfte, da sich diese meist aus Jugendlichen oder aus nicht mehr wehrfähigen Männern bzw. aus neu zum Einsatz gekommenen Frauen zusammensetzten. Im Durchschnitt beträgt der Ausländeranteil in den einzelnen Rüstungsfirmen des Gaues Oberdonau etwa 70 bis 80 % und der Prozentsatz der ausländischen Facharbeiter liegt in den hiesigen Werken zwischen 60 % und 70 %. Die Belastungen der einzelnen deutschen Gruppenführer ist derart groß, daß die Überwachung des Arbeitsfleißes und der Leistung der Ausländer den Mann völlig in Anspruch nimmt «248 ]sj ac h den Erfahrungen der nationalsozialistischen Manager stieg die Arbeitsleistung parallel zur gesteigerter Repression, offenbar konnten die ideologisch präformierten Betriebsleiter keine anders gelagerten Motivationsmittel anbieten: „Sowohl bei den Hauptbetriebsstätten der Hermann-Göring-Werke als auch bei den Steyr-Werken wird festgestellt", heißt es in dem Schreiben weiter, „daß man die schlechtesten Erfahrungen mit den männlichen ausländischen Arbeitskräften machen mußte. Bemerkenswert ist da-

246 Vgl. die zeitgenössische Abhandlung: Die Wohnverhältnisse in Linz. Beiträge zur Statistik der Gauhauptstadt Linz, Linz 1943, S. 21 ff. Vgl. ferner Lackner, Von der Gartenstadt zur Barackenstadt, S. 217 ff. 247 Vgl. Roman Sandgruber, Ökonomie und Politik. Osterreichische Wirtschaftsgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Wien 1995, S. 430. 248 Dokumentationsarchiv des Osterreichischen Widerstandes (DOW), Wien. Mikrofilm 54, Meldungen des SD-Abschnitts Linz über die Erhöhung des Anfalles an Schrott und des Werkzeugverbrauchs durch verstärkten Ausländereinsatz im Reichsgau Oberdonau vom 1 1 . Jänner 1943.

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bei, daß in dieser Hinsicht die sogenannten französischen und teilweise auch tschechischen Facharbeiter an erster Stelle stehen, während man mit den Ostarbeitern und den russischen Kriegsgefangenen etwas bessere Erfahrungen machte ... Den Meldungen zufolge ist aber bemerkenswert, daß der erhöhte Verschleiß an Werkzeug und der stärkere Schrottanfall bei der Produktion weniger auf Böswilligkeit und Sabotage, sondern vielmehr auf Gleichgültigkeit und verhältnismäßig mindere Arbeitsmoral, aber auch auf schlechte Verständigungsmöglichkeiten zurückzuführen ist."249 Nach der bisherigen Quellenlage ist anzunehmen, daß der Ausländereinsatz mit seiner rassisch abgestuften Diskriminierung von erheblichen Teilen der einheimischen Bevölkerung akzeptiert und unterstützt worden ist.2 50 Zumindest dürfte dies auf den städtischen Raum Linz zutreffen. Während man auf dem Lande oftmals integrative Tendenzen beobachten konnte, lassen die bislang bekannten Quellen ähnliche Schlüsse für Linz nicht zu: So heißt es in einer Meldung des SD-Abschnitts Linz im April 1943: Es seien in weiten Bevölkerungskreisen Befürchtungen laut geworden, „daß uns diese Ausländerwelle noch einmal über den Kopf wachsen würde". Nicht nur, daß, wie gerüchteweise immer wieder erzählt würde, Frauen und Mädchen in den Abendstunden von den Ausländern belästigt würden, sei man als Deutscher in den öffendichen Verkehrsmitteln den Unhöflichkeiten und dem rücksichtslosen Benehmen der Ausländer ausgesetzt, die sich in ihrem Verhalten, offensichtlich gestärkt durch ihr gruppenweises Auftreten, keinerlei Zwang auferlegten. Die bestehenden polizeilichen Ausländerbestimmungen seien „eben viel zu milde und würden zu lax gehandhabt".251 Im Juli 1943 verfaßte der SD-Abschnitt Linz der SS auf der Basis ihrer Spitzelberichte folgenden Bericht: „Der Umgang Jugendlicher mit Angehörigen der Ostvölker (Polen und Ukrainer), aber auch Italienern, Bulgaren, Rumänen und Griechen blieb bisher auf das unumgängliche Maß beschränkt. Gespräche mit Angehörigen dieser Nationen werden nur dann geführt, wenn es die gemeinsame Arbeit erfordert, doch ergeben sich hieraus keinerlei nähere Berührungspunkte oder freundschaftliche Bindungen. Von der reiferen Jugend werden besonders die Polen und Ukrainer mit großer Zurückhaltung, häufig sogar ablehnend behandelt. Die Gefahr einer Annäherung und volkspolitischen Beeinträchtigung des deutschen Volkes ist deshalb kaum gegeben."252 Schließlich sei in diesem Zusammenhang ein kurzer zeitlicher Vorgriff vorgenommen. Aus Aktennotizen geht hervor, daß aus der Bevölkerung mehrmals Beschwerde darüber

249 Ebenda. 250 Freund, Zwangsarbeit, S. 222. 251 Meldungen des SD-Abschnitts Linz über die allgemeine Stimmung und Lage im Reichsgau Oberdonau vom 28. April 1943, zit. nach Widerstand und Verfolgung in Oberösterreich, Band 2, S. 435. 25 2 Meldungen des SD-Abschnitts Linz über das Verhalten Jugendlicher gegenüber Fremdarbeitern und Kriegsgefangenen im Reichsgau Oberdonau vom 9. Juli 1943, zit. nach Widerstand und Verfolgung in Oberösterreich, Band 2, S. 436 f.

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erhoben wurde, daß das größte städtische Freibad, das „Parkbad", von Fremd- und Zwangsarbeitern besucht werden durfte. Tatsächlich wurde im Sommer 1944 das Bad häufig von dazu befugten ausländischen Zivilarbeitern aus den Reichswerken und den Stickstoffwerken besucht. Die sogenannten „Ostarbeiter" waren davon ausgenommen. Ende Juli wurde die einschlägige Beschwerde eines Unteroffiziers im Stadtrat besprochen.253 Der Mann hatte von einer „Überschwemmung des Bades mit Ausländern" geschrieben. Der füir das Parkbad zuständige Hafendirektor der Stadt Linz hielt hinsichtlich der Badeerlaubnis der ausländischen Arbeiter fest, „daß dies für Deutsche körperlich und seelisch unangenehm ist". 254 Den Ausländern grundsätzlich den Besuch des Parkbades zu verbieten, sei aber aus sanitären Gründen nicht anzuraten, weil man der Seuchengefahr Vorschub leisten würde. Das Auftreten von Seuchen sei jedoch nicht nur wegen der Gefährdung der eigenen Bevölkerung zu verhindern, sondern liege auch im Interesse des Deutschen Reiches, das „an der Erhaltung der Arbeitskraft der Ausländer sehr interessiert ist". 255 Zurück ins Jahr 1943: In Hinblick auf italienische und französische Zivilarbeiter berichtete der Sicherheitsdienst der SS am 2. August 1943, daß der Sturz Mussolinis für große Unruhe unter diesen Arbeitern in Linz gesorgt habe: „Die Verwirrung wurde durch die von einem italienischen Lager-Betreuer ausgehende Aufforderung vergrößert, sofort alle Koffer zu packen und zu trachten, so schnell wie möglich, nach Italien zu kommen, weil sie sonst im Reich als Kriegsgefangene eingezogen würden." Nachdem sich die Überraschung gelegt hatte, sei aber nunmehr von der Mehrheit der Italiener der Rücktritt Mussolinis „mit stürmischem Beifall und überströmender Freude" aufgenommen worden". Die Arbeit wurde von den Italienern vorerst niedergelegt, dann sei es aber gelungen, sie zu überreden, diese wiederaufzunehmen. Besonders auffällig hätten sich die französischen Arbeiter verhalten: „In Linz haben zahlreiche französische Arbeitskräfte in ihrer Leistung stark nachgelassen und das Bestreben an den Tag gelegt, Schwierigkeiten zu bereiten. So erschienen am 26. und 27. Juli einige Kolonnen französischer Arbeitskräfte der Hermann-Göring-Werke nicht auf ihren Arbeitsplätzen. In den Meldungen wird der Vermutung Ausdruck verliehen, daß die Franzosen bemüht sind, im nachteiligen Sinne auf die übrigen ausländischen Arbeitskräfte einzuwirken. Französische Kriegsgefangene hätten nicht nur ,zur Feier des Tages' bis spät in die Nacht hinein Spottlieder auf Italien und Mussolini gesungen, sondern in einem Fall sogar in ihrem Lager die Trikolore gehißt und den ganzen Tag nicht gearbeitet."256

253 Vgl. dazu Schuster, Langoth, S. 206. 254 AStL, Stadtratsprotokolle, fol. 490-493, Besprechung der Stadträte am 3 1 . Juli 1944, S. 7. 255 Ebenda, S. 7 - 1 0 . 256 SD-Berichte zu Inlandsfiragen vom 2. August 1943 (Blaue Serie), zit. nach Boberach, Meldungen, Band 14 (Mai 1943 - Sept. 1943), S. 5567-5569.

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Die Lage der italienischen Arbeiter hat sich nach dem 2. August 1943 massiv verschlechtert. „Zahlreiche Klagen aus allen Teilen des Reichs über das Verhalten und die Arbeitsleistung der italienischen Militärinternierten, vor allem soweit sie zur Beseitigung von Luftkriegsschäden abkommandiert sind, haben Veranlassung gegeben, den Chef des Oberkommandos der Wehrmacht um Abhilfe zu bitten. Dieser hat nach Vortrag beim Führer den nachstehenden Befehl an die Wehrbezirkskommandos gerichtet: Runderlaß vom 12. April 1944. Auf vielseitige Klagen über Faulheit ital. Mil. Intern, fordert Führer, daß diese im Arbeitseinsatz durch Bewachungsmannschaften zu emsigster Arbeit mit scharfen Maßregeln angehalten und bei Nachlässigkeit mit harten Methoden angefaßt werden. Nur voll befriedigende Leistung gibt Anrecht auf volle Verpflegungssätze, Verpflegung ist daher grundsätzlich nach Leistung abzustufen, bei unbefriedigender Leistung für gesamte Arbeitseinheit ohne Rücksicht auf einzelne Willige zu kürzen. Entscheidung über Einstufung und Kürzung trifft Unternehmer; er ist bei Durchführung durch Wachpersonal zu unterstützen ... Chef O K W wird jeden Vorgesetzten zur Rechenschaft ziehen, der bei Klagen über geringe Arbeitsleistung und Zucht der ital. Mil. Int. nicht scharf durchgreift. Wer sich nicht durchsetzt, treibt Sabotage an der deutschen Kriegsfiihrung. Chef O K W deckt jeden, der seiner Autorität Deckung verschafft."257 Die Situation polnischer Zwangsarbeiter beschreibt der bulgarische Zwangsarbeiter B. L. Tödor, der u. a. in Linz eingesetzt war: „Am meisten wurden die Polen und die aus Rußland Herbeigeschleppten betroffen. Die Polen trugen auf jedem ihrer Kleidungsstücke zur Bezeichnung ihrer Herkunft auf gelbem, viereckigem Stoff ein lila ,P' - wohnten in extra geschlossenen Lagern mit besonders scharfer Aufsicht. Die ganze Bewegungsfreiheit war in geschlossenen Kolonnen, auf dem Arbeitsplatz, sowie in geschlossenen Kolonnen, allerdings mit Aufsicht, zurück ins Lager zu marschieren. In dem Büro, wo ich arbeitete, waren auch zwei polnische Konstrukteure ... Meine zwei polnischen Arbeitskollegen stammten aus Skarsuszko-Kamienna. Auf meine Anfrage unter welchem Umständen sie gekommen sind, erzählten sie: ,Wir waren mit Tausenden anderen Volksgenossen in der dortigen Kriegsindustrie dienstverpflichtet. An einem Vormittag wurde gesagt, daß die polnischen Arbeiter im Betriebshof antreten sollten. Nach kurzer Musterung packte man uns auf Lastautos ... Unsere Eltern haben abends umsonst auf uns gewartet, und wir konnten sie erst von hier aus verständigen ...' Die Verpflegung in den polnischen Lagern war bedeutend schlechter als in den Lagern anderer Nationen. Sie kamen immer hungrig zur Arbeit. Am häufigsten bekamen sie Weißkraut, mit nur selten Kartoffelbeilage. Noch schlechtere Behandlung als die Polen, hatten die aus Rußland herbeigeschleppten Arbeitskräfte."258 257 OÖLA, LWA, Sch. 13, Der Reichswirtschaftsminister vom 5. Mai 1944, Arbeitseinsatz der italienischen Militärinternierten. 258 Yad Vashem Archives, Jerusalem. Akt O - 37/ 70 [3] B. L. Todor, Erlebnisse ausländischer Zwangsarbeiter in der deutschen Kriegsindustrie, o. O. 1945, S. 7.

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Anders war die Situation der tschechischen Arbeiter; diese waren zwar dem Repressionssystem in den Betrieben unterworfen wie andere Zwangsarbeiter auch. Trotz aller historischen Vorbehalte, die es gerade in Osterreich gegenüber Tschechen und Tschechinnen gab, hatten sie aber grundsätzlich einen anderen Status. Mit dem massenhaften Einsatz von „Ostarbeitern und -arbeiterinnen" erschien es den verantwortlichen Stellen notwendig, diesen Status in Erlässen und Rundbriefen an die einschlägigen Dienststellen (in Oberdonau: Gauarbeitsämter, die Gauselbstverwaltung, die Gaustabsamtsleiter in Linz-Landhaus und an der Präsident der Gauwirtschafitskammer) präsent zu halten: „In Bekanntmachungen, in denen Angelegenheiten der verschiedenen fremdvölkischen Gruppen von Arbeitern im Reich behandelt werden, werden mitunter die tschechischen Arbeiter als Ausländer bezeichnet. Dies entspricht nicht der besonderen staatsrechtlichen Stellung der Angehörigen des Protektorates Böhmen und Mähren und hat oft abträgliche politische und arbeitseinsatzmäßige Auswirkungen zur Folge. Das Protektorat Böhmen und Mähren gehört zum Reichsgebiet, die Protektoratsangehörigen sind keine Ausländer. Ich bitte sie daher allgemein als Protektoratsangehörige zu bezeichnen ,.." 259 Hinsichdich der tschechischen Arbeiter (Protektoratsangehörige) wurde von Systemseite beispielsweise auch die Abhaltung von Kulturveranstaltungen gefördert. Einerseits schaltete man dazu die Böhmisch-Mährische Gauverbindungsstelle ein; andererseits bemühten sich die tschechischen Arbeiter bei ihren Veranstaltungen um die Realisierung einer möglichst großen Autonomie. Borivoj Srba zeichnet in einem detailreichen Aufsatz umfangreiche Aktivitäten nach: „Zentrum des kulturellen Schaffens der tschechischen Zwangsarbeiter im Linzer Raum waren innerhalb des Netzes an UnterbringungsLagern, die von der Firma Reichswerke ,Hermann Göring' unterhalten wurden, namentlich die Lager 41 und 56. Den Quellen nach wurde von tschechischen Musikern im Lager 41 schon zu Anfang des Jahres 1943 ein Orchester ins Leben gerufen, das dann in diesem und auch in anderen Lagern auftrat... An keinem anderen Ort des Gaues Oberdonau gab es eine so intensive kulturelle Tätigkeit wie in den Linzer Lagern." 260 Ungewöhnlich war auch, daß Kulturveranstaltungen zustande kamen, bei denen ukrainische und tschechische Kulturgruppen gemeinsam auftraten.201

259 OÖLA, LWA, Sch. 14, Aktenteil 21/18, Bezeichnung tschechischer Arbeiter, LWA 338g 1944. 260 Borivoj Srba, Theater während des totalen Arbeitseinsatzes (unveröff. masch. Manus in deutscher Ubersetzung), Praha/Prag 1998, S. 40 f.; der Beitrag wir in einer Sondernummer von „Maske und Kothurn" 2001/2002 veröffendicht. 261 Ebenda, S. 40.

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REPRESSION: WERKSCHUTZ

UND

„ARBEITSERZIEHUNG"

„ARBEITSERZIEHUNGSLAGER"

UND

WERKSICHERUNG,

Zur Durchsetzung des Zwangssystems in der Wirtschaft war von den Nationalsozialisten ein facettenreiches Instrumentarium der Repression aufgebaut worden. Repression und Befehlsstrukturen dominierten im betrieblichen wie im außerbetrieblichen Bereich; Zwangsarbeiter waren in diesem Kontext mit dem Werkschutz, der Lagerbewachung, der Arbeitswache, mit den Arbeitsämtern, den Schnellgerichten, der Schutzpolizei, der Gestapo und der SS konfrontiert. Die Gestapo verfügte in Kooperation mit den Arbeitsämtern über eine eigene Ausländer-Kartei. Die Gestapo Linz hatte eine Abteilung Industrieschutz mit der Bezeichnung IV 2a und ein Ausländerreferat IV ic eingerichtet. Letzteres war in die Arbeitsbereiche ausländische Zivilarbeiter (a), Arbeitsvertragsbruch (b), verbotener Geschlechtsverkehr (c) und unerlaubter Verkehr mit Kriegsgefangenen (d) unterteilt.262

Innerbetriebliche Kontroll- und Sicherheitsmaßnahmen Auf betrieblicher Ebene agierte der Werkschutz, der die Sicherheit im Sinne des Regimes garantieren sollte, Auffälligkeiten nachging, Ermitdungen durchführte und schließlich im Eventualfall die Gestapo verständigte. Nicht verantwortlich war der Werkschutz im Prinzip für die KZ-Häftlinge, die von der SS bewacht wurden; für die Kriegsgefangenen war der Stalag (Stammlager für Kriegsgefangene aus dem Mannschaftsstand) zuständig, eine Einrichtung der Wehrmacht. Bei „Gefahr im Verzug", etwa bei Flucht oder Sabotage, griff der Werkschutz selbst zu Mitteln physischer Gewalt. Der Werkschutz bereitete die Schnellgerichtsverfahren im Ermittlungswege vor bzw. wirkte er an der Beweisführung mit. Soweit dies aus den Personallinterlagen hervorgeht, verfügte der Werkschutz über einen Personalstand von rund 350 Personen.203 Darüber hinaus waren nochmals rund 400 Personen in weiteren Sicherheit^- bzw. Aufsichtsfunktionen tätig.

262 National Archives, Washington, DC., Record Group 338, E T O mis-y section, Box 109, Military Intelligence Service in Austria, Consolidated Interrogation Report: Gestapo Linz vom 5. August 1946, S. 1-6 263 Mehrfachnennungen wurden ausgeschlossen, bei Personen, die in mehreren unterschiedlichen Formationen tätig waren, wurde die Beiordnung nach dem Zufallsprinzip durchgeführt.

Zwangsarbeit und NS-Industriepolitik am Standort Linz Tabelle 10: Kontroll- und Sicherheitskräfte in den Hermann-Göring-Werken und in den Eisenwerken Oberdonau 1 9 4 1 - 1 9 4 5 Anzahl, abs. + Werkschutz, -Sicherung

37° 357

+ Lagersicherheitspersonal (Lagerwächter, -Schutzmann etc.) + Arbeitswache, Aufseher etc. Gesamt

Rußland, Ukraine Sonstige Quelle: Historisches Archiv der V O E S T Linz 1941-1945 (Stand 31.12.2000)

ALPINE

47,1 % 45,4%

59

7-5 %

786

100%

Nationalität, abs. Deutsches Reich Italien

in %

in %

559

71,1 %

67 55 105

8,5 % 7,0 % 13,4%

AG, Linz, Personalstandsakten der Hermann-Göring-Werke,

Bei diesen Angaben wurden Mehrfachnennungen ausgeschlossen; es kann davon ausgegangen werden, daß diese Aufstellung die untere Grenze des mit Kontroll- und Sicherheitsmaßnahmen betrauten Personals darstellt. Die tatsächliche Stärke des Werkschutzes zu einem bestimmten Zeitpunkt kann mit 300-350 Personen geschätzt werden; die Arbeitswache war dem Werkschutz zugeordnet, ist aber immer gesondert ausgewiesen worden. Diese Kontrollkräfte überwachten den Arbeitsprozeß nicht von der technischen Seite, sondern von ordnungspolitischem Kalkül geleitet. Die Mitglieder des Werkschutzes waren ausschließlich Männer und Staatsangehörige des Deutschen Reichs. Dennoch kann man sagen, daß Sicherheits- und Kontrollaufgaben der unteren Ebene häufig an die Angehörigen anderer Ethnien delegiert worden sind: Dies betraf das Lagersicherheitspersonal, das mehrheidich aus Nicht-Deutschen bestand (vor allem Italiener, Russen/Ukrainer, Franzosen, Slowaken, Ungarn); dabei wurden auch Frauen eingesetzt. Auch beim Werkschutz selbst gilt es zu differenzieren, so wurden zwar fast alle Werkschutzangehörigen als Staatsbürger des Deutschen Reichs geführt, realiter war aber der Prozentsatz sogenannter „Volksdeutscher" aus Rumänien, Polen und Jugoslawien ziemlich hoch: Allein aus dem Banat kamen 46 Werkschutzangehörige (rd. 13 % des gesamten Werkschutzes). Die Mehrheit der aus dem Banat stammenden Sicherheitskräfte stammte aus dem Bezirk Betschkerek, wie etwa Anton Barbi, Valentin Djurkowitsch oder Adalbert Warga, die vorher Funktionen beim „Polizeikommando des Banats" innehatten, dort damit letztlich der SS zugeordnet waren.2|S* 264 Historisches Archiv der V O E S T A L P I N E AG, Linz, Datenbank Personalstandslisten Hermann GöringWerke, Linz, Detailabfrage Werkschutz.

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In den Archivbeständen der VA-Stahl wurden im Zusammenhang mit den aufgefundenen Personalbögen aus der NS-Zeit auch Listen mit den Namen betroffener inländischer und ausländischer Arbeiter aufgefundenen, die im Betrieb aufgefallen sind, via Schnellgerichtsverfahren bestraft oder von der Polizei bzw. Gestapo festgenommen worden waren. Die Aufzeichnungen sind in keiner Weise komplett und reflektieren nur einen kleinen Teil des Repressionsapparates; vor allem die massiveren Repressionsmittel wie Festnahme, Haft, Arbeitserziehungslager und Konzentrationslager sind innerbetrieblich kaum dokumentiert worden. (Bruchstückhaft gibt es Sammelwerte, die einen Hinweis auf das gesamte Ausmaß der Repression geben: So geht aus dem Monatsbericht der Eisenwerke Oberdonau im Juni 1943 hervor, daß die Betriebsleitung gegen inländische Arbeiter 93 Tage Schutzhaft und gegen die ausländischen Zwangsarbeiter 113 Tage Schutzhaft und 250 Wochen Arbeitserziehungslager verhängt hatte.JÖ5) Obwohl die Quantität der Repressionsmaßnahmen hier also nicht hinreichend erfaßt werden, weil die Listen nicht vollständig sind, geben sie doch einen Einblick in die Funktion des Repressionssystems. Tabelle 11: Als Beilagen der Personalakten der ausländischen Arbeitskräfte der Hermann-Göring-Werke, Linz dokumentierte Strafen und Sanktionen 1941-1945 Ausländer gesamt Geldbuße Ordnungsstrafe (Geld) Schrift! Verwarnung Strenge schrifd. Verwarng. Verwarnung Festnahme d. Gestapo Strafantrag und Uberstellung zur Gestapo Arbeitserziehungslager Konzentrationslager Schutzhaft Schutzhaft bzw. AEL* Haft Gefängnis Zwangsarbeit Zwangsarbeit m. Arrest Zwangsarbeit und Rauchwarenentzug Entzug der Weihnachtsgratifikation

310

Gesamt

männl.

weibl.

283

2

32 2 7 1

2

'S 1 1

14 1 1

51 i 2

51 1 21

4 1 12

13 10 1 0 2 1 10

521

468

9 14 13 1 1

9 2 4 1

7 3 3 0 1 0 0 0 0 8 1 3 0 1 2 0 2 3

*Arbeitserziehungslager = AEL Quelle: Historisches Archiv der V O E S T A L P I N E AG, Linz, Personalstandsakten der Hermann-Göring-Werke, Linz 1941-1945, Beilagen Strafen, Stand 31.12.2000. Vgl. dazu die erweiterte Datenbank im Beitrag von Michaela C. Schober, S. 249 ff. 265 National Archives, Washington, DC., World War II Records Division, Record Group 1040, T 83, Roll 77, Berichte der HGW, Monatsbericht Juni 1943, o. S. (Notiz Jakubsky).

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Die hier angeführten Zahlen stammen von den bislang aufgefundenen Strafverfolgungen und Straflisten; diese stellen nur einen kleinen Teil der Gesamtzahl der Strafverfügungen dar. Daneben finden sich in den Anmerkungsblättern der Personalbögen und auf den Personalbögen bei der Angabe des Entlassungsgrunds folgende Sanktionen: Arbeitserziehungslager - 8 Personen (davon 7 Ausländer, 2 starben im AEL); Haft - 91 Personen (davon mindestens 58 Ausländer); Konzentrationslager - 2 Personen (1 Polin wurde ins K Z Auschwitz überführt, 1 Ukrainer nach Mauthausen).266 Bei vier Ausländern wurde der Austritt mit „laut Mitteilung des Werkschutzes" begründet. Ein weiterer Ausländer wurde entlassen, da er der Werksicherung wegen Sabotageverdachts übergeben worden war. Weiters wurden zwei Personen, bei denen eine neuerliche Untersuchung wegen Arbeitsvertragsbruchs durchgeführt worden war, „zur Uberprüfung vertagt". Bei negativem Ergebnis sollte eine Einweisung in das Arbeitserziehungslager erfolgen. Gegen 583 ausländische Arbeitskräfte wurden Strafanträge wegen „Arbeitsflucht" oder „Arbeitsvertragsbruchs" gestellt.267 Zu den Aufgaben der sogenannten Werksicherung im HGW-Komplex zählten im einzelnen der Werkschutz, die Werksfeuerwehr, der Luftschutz und der Krankentransport. Der Werkschutz war „mit der Sicherung der Anlagen vor Unbefugten, mit Gepäckskontrollen und der Überwachung des Fotografierverbots ... Verhinderung von Diebstählen betraut".268 Dieser ist als paramilitärische Formation anzusehen, die Sicherheitsleute waren uniformiert und nach Dienstgraden gegliedert. Mit der Verordnung über den Wachdienst vom 14. Dezember 1937 unterlag der Werkschutz im Prinzip der sicherheitspolizeilichen Aufsicht durch den Reichsführer SS und dem Chef der deutschen Sicherheitspolizei. Zuständig für die Kontrolle des Werkschutzes war der Abwehrbeauftragte. Im einzelnen hielt das Betriebsstatut jedoch fest, daß der Werkschutz eine von der nationalsozialistischen Weltanschauung geleitete uniformierte, bewaffnete, nach militärischem Muster errichtete Selbstschutzorganisation des Betriebes, also in diesem Fall der Reichswerke, sei. Der Werkschutz sei im Auftrag des Betriebsführers tätig, er handle aber auch aufgrund der Weisungen des Oberkommandos der Wehrmacht in Zusammenarbeit mit der Gestapo. 269 Dem Werkschutz in den Eisenwerken Oberdonau kam infolge der wehrwichtigen Erzeugnisse als Rüstungsbetrieb A eine größere Bedeutung zu, die Formation war umfangreicher, und die Aufgaben waren auf eine erhöhte Sicherheitsstufe festgelegt. Der Werkschutz hatte die Aufgabe, das gesamte Gelände der Hermann-Göring-Werke zu 266 Historisches Archiv der V O E S T A L P I N E AG, Linz, Personalstandsakten der Hermann Göring-Werke, Linz, Beilagen Strafen. 267 Historisches Archiv der V O E S T A L P I N E AG, Linz, Datenbank Personalstandslisten Hermann GöringWerke, Linz, Gesamtabfrage. 268 Geschichte der VOEST, hg. vom „Geschichte-Club V O E S T " , Band 2, Linz 1995, S. 147. 269 Vgl. Das Statut des Konzemwerkschutzes der Reichswerke Aktiengesellschaft Alpine Montangesellschaft „Hermann Göring", 1941.

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bewachen. Er war in zwei Wachabteilungen gegliedert, diese mußten vorwiegend „Streifendienste (Gelände, Anlagen, Kanalstreifen) und Bewachungen, Eskortierungen, Vorführung von Personen und die Beistellung der Wachen und Posten durchführen. Die Ostwache hatte den Ostteil, die Westwache den Westteil des Werkes zu überwachen."270 Jeder Zug verfügte über Hundeführer mit Diensthunden, die Wachmänner waren anfangs mit Pistolen und Karabinern ausgerüstet, schließlich auch mit Maschinenpistolen, Maschinengewehren und Handgranaten. Mit i. Jänner 1945 wurde der Werkschutz aller Linzer Großbetriebe zu einem einheidich geführten Verband zusammengefaßt; der Leiter der Werksicherung der E W O D erhielt den Befehl, die innere und äußere Sicherheit des Werks im Sinne der nationalsozialistischen Machthaber aufrechtzuerhalten. Das Verhältnis Werkschutz - ausländische Arbeitskräfte wird in einer werksinternen historischen Darstellung deutlich, die das Ende der NS-Herrschaft in den Reichswerken in Linz zum Inhalt hat: „Am 4. Mai 1945 wurde auch in den Eisenwerken Oberdonau (EWO) der Betrieb geschlossen, der Belegschaft das Verlassen des Werkes empfohlen und den Ausländern das Betreten der Anlagen verboten ... Der große Bunker war ausreichend mit Verpflegung ausgestattet. Es konnten 4.500 Personen drei Tage versorgt werden. Die Geheimakte der Werksicherung waren planmäßig vor Zeugen durch Feuer vernichtet worden."271 Aus der Sicht der Werksicherung heißt es dann hinsichtlich des 5. Mai weiter: „Am späten Vormittag rotteten sich die in Werksnähe wohnenden Fremdarbeiter zusammen und rückten in drohender Haltung gegen die E W O vor. Als die Fremdarbeiter die Verteidigungsbereitschaft des Werkschutzes in den E W O erkannten, wurden sie vorsichtiger. Um 18 Uhr des 5. Mai trafen ein US-Leutnant und sechs Soldaten, durch die H G W kommend, bei der E W O ein. Der Leutnant ließ sich vom Leiter der Werksicherung die Lage erklären ... Auftragsgemäß wurden die E W O mit dem vollständigen Inventar übergeben."272

Die „verfahrensrechtliche Verfolgung" Während der Werkschutz auf einer operativen Ebene tätig war, organisierten die Arbeitsämter auf einer übergeordneten Ebene die Repression, in diesem Fall das Arbeitsamt Linz, auf dem Wege der „verfahrensrechdichen Ahndung". Übrigens lag auch die Einleitung zur „Rückholung Vertragsbrüchiger Arbeiter" in den Händen des Arbeitsamtes. Auf eine Anfrage an den Rüstungsobmann des Wehrkreises XVII, den Generaldirektor der Steyr-Werke Georg Meindl, antwortete dieser: „Es ist mir nicht möglich [als kriegswirtschafidicher Bevollmächtigter, M.J.], in Einzelfällen einzuschreiten und vertrags270 Geschichte der VOEST, Band 2, S. 148 f. 271 Ebenda, S. 150. 272 Ebenda.

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brüchige, ausländische Arbeitskräfte zurückzuholen. Hiezu sind ausschließlich die Arbeitseinsatzbehörden zuständig ... Die Betriebe (sollen) sich unmittelbar an die Arbeitsämter, Gauarbeitsämter und Treuhänder der Arbeit wenden." 273 Tatsächlich ermittelt und verhaftet wurde dann von den Sicherheitsdienststellen, d. h. von Polizei und Gestapo (auf dem Werksgelände und in den Wohnlagern unter Mithilfe des Werkschutzes). Per Aushang wurden in den Reichswerken Hermann Göring Linz die Verstöße von Arbeitern und Arbeiterinnen gegen die Betriebsbestimmungen bzw. die Bestrafung dieser Personen publik gemacht; so heißt es beispielsweise: „Im Wege des Schnellverfahrens wurden am 10. November 1943 nachstehend genannte Gefo-Mitglieder (Gefolgschaftsmitglieder, Anm. d. Verf.) wegen Verstoßes gegen die Arbeitsordnung und -disziplin durch den Leiter des Arbeitsamtes Linz als Beauftragter des Reichstreuhänders der Arbeit und die Geheime Staatspolizei, Staatspolizeistelle Linz, bestraft: 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9) 10) 11) 12)

Krasota Iwan, geb. 14.6.1922, Pole, Schlosser, Gefo-Nr. 62.091, Maschinenbetrieb, 6 Wochen Arbeitserziehungslager. Dvorak Wenzel, geb. 17.7.1921, Protektoratsangeh., Hilfsarbeiter, Gefo-Nr. 1.033, Stahlwerk (Ofenbau), 4 Wochen Arbeitserziehungslager. Kaczka Ignaz, geb. 7.7.1898, Rumäne, Hilfsarbeiter, Gefo-Nr. 62.011, Maschinenbetrieb, 10 Tage Schutzhaft. Borojewicz Julka, geb. 14.5.1923, Kroatin, Hilfskranfiihrerin, Gefo-Nr. 61.036, Maschinenbetrieb, 14 Tage Schutzhaft. Mozos Julio, geb. 9.4.1918, Spanier, Fräser, Gefo-Nr. 42.771, Bearbeitungswerkstatt, R M 25 Geldstrafe. Matagne Henri, geb. 26.3.1922, Belgier, Fräser, Gefo-Nr. 43.579, Bearbeitungswerkstatt, 4 Wochen Arbeitserziehungslager (verbüßt). Hatmaans Wilhelm Friderik, geb. 27.11.1908, Holländer, Anstreicher, Gefo-Nr. 63.612, Bauabteilung, 14 Tage Schutzhaft. Beretta Secondo, geb. 11.6.1886, Italiener, Hilfearbeiter, Gefo-Nr. 6.416, Bauabteilung, R M 25 Geldstrafe. Maironi Guiseppe, geb. 30.1.1909, Italiener, Schmied, Gefo-Nr. 30.004, Gesenkschmiede, 4 Wochen Arbeitserziehungslager. Frallonardo Giovanni, geb. 26.4.1909, Italiener, Hilfsarbeiter, Gefo-Nr. 61.447, Maschinenbetrieb, 8 Wochen Arbeitserziehungslager. Bonnemain A., geb. 18.9.1923, Französin, Schweißerin, Gefo-Nr 46.795, Bearbeitungswerkstatt, 3 Wochen Schutzhaft. Decambos Emile, geb. 23.2.1905, Franzose, Schlosser, Bearbeitungswerkstatt, R M 30 Ordnungsstrafe.

273 OÖLA, LWA, Sch. 14, Der Rüstungsobmann XVII vom 7. Oktober 1943.

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13)

Dujardin Yvonne, geb. 6.2.1914, Französin, Kernmacherin, Gefo-Nr. 20.343, Stahlgießerei, RM 25 Ordnungsstrafe. 14) Chevalme Henri, geb. 18.5.1920, Franzose, Fräser, Gefo-Nr. 42.601, Bearbeitungswerkstatt, 4 Wochen Arbeitserziehungslager. 15) Kirch Franz, geb. 3.12.1898, Protektoratsangeh., Hilfsarbeiter, Gefo-Nr. 65.098, Maschinenbetrieb, 3 Wochen Schutzhaft."274 „An-den-Pranger-Stellen" gehörte zur üblichen nationalsozialistischen Sanktionsstrategie. Allen Straflisten war angefügt: „Auf Anordnung des Leiters des Arbeitsamtes Linz/Donau als Beauftragter des Reichstreuhänders der Arbeit ist von vorstehender Bestrafung genannter Gefolgschaftsmitglieder der gesamten Belegschaft durch Aushang am schwarzen Brett oder gelegentlich eines Betriebsappells Kenntnis zu geben." Die Listen mußten in den HGW, in den Eisenwerken Oberdonau, in der Stahlbau und in den Vertragsfirmen Hochtief-Negrelli und Rella & Co. ausgehängt werden. Im besonderen gelangten sie der Werksicherung und der betriebsärztlichen Versorgung zur Kenntnis.275 Auch aus den Personalunterlagen der Reichswerke können diverse Fälle entnommen werden. So wurde Johann Krasota, geb. 14. Juni 1922, Szeheyni/Przemysl, Polen/ Ukraine, Schlosser seit 1. Juni 1942, laut der Strafverfiigung vom 7. April 1944 mit einer Geldbuße in der Höhe von einem Schichdohn belegt. In der Begründung heißt es: „Obwohl Sie schon mehrmals betrieblich bestraft wurden, kamen Sie in den letzten Tagen des öfteren zu spät an den Arbeitsplatz. Um ihnen nun klar zu machen, dass wir derartige Bummelei unter gar keinen Umständen dulden, erhalten Sie diesmal letztmalig eine Betriebsstrafe in Höhe eines Schichtlohnes mit gleichzeitigem Entzug ihrer Lebensmittelzulagekarte für eine Woche. Bei der nochmaligen Verfehlung haben Sie mit einer exemplarischen Bestrafung zu rechnen."276 Schließlich finden sich in den Personalunterlagen unter „Austritte" eine Reihe von Fällen mit kryptisch-lapidarem Inhalt: Charles Barylly, Entlassungsantrag, Grund der Entlassung: Todesfall; Serano Falcon, Entlassungsantrag, Grund der Endassung: Einweisung in ein Konzentrationslager.277 Mitunter richtete sich das Schnellgericht gegen Angehörige bestimmter Nationen; in der Sitzung des Schnellgerichts vom 8. Juni 1943 wurden besonders viele bei den Eisenwerken Oberdonau dienstverpflichtete Griechen mit Repressionen belegt, darunter beispielsweise:

274 Historisches Archiv der VOEST ALPINE AG, Linz, Rundschreiben der Gefolgschaftsfuhrung der Eisenwerke Oberdonau Ges.m.b.H. an alle Betriebe, Abteilungen und Vertragsfinnen betreffend Bestrafung von Gefolgschaftsmitgliedern wegen Arbeitsvertragsbruchs vom 20. November 1943; die gesamte Liste umfaßt 24 Personen, im Text wurden hier einige Fälle angeführt, um einen Eindruck von der Bestrafungspraxis zu geben. 275 Ebenda. 276 Projektarchiv Zwangsarbeit (Personalunterlagen), Strafverfiigung Krasota vom 7. April 1944. 277 Projektarchiv Zwangsarbeit (Personalunterlagen), Austritte Charles Barylly, Serano Falcon, 1944.

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Kalogeras Dionissius, geb. 7.3.1920, Grieche, Bearbeitungswerkstatt, angeblich krank, daher vertagt. Trisotas Leonidas, geb. 4.12.1919, Grieche, Bearbeitungswerkstatt, Einweisung auf 4 Wochen in ein Arbeitserziehungslager. Ciranas Fotios, geb. 5.7.1920, Grieche, Maschinenbetrieb, Einweisung auf 4 Wochen in ein Arbeitserziehungslager. Kepatsoglu Vasilies, geb. 25.3.1919, Grieche, Maschinenbetrieb, Einweisung auf 8 Wochen in ein Arbeitserziehungslager.278

Bei Nichteinhaltung der Normvorgaben, Disziplinlosigkeit, Arbeitsverweigerung und „Arbeitsvertragsbruchs" wurden Geldstrafen und Haftstrafen sowie die Einweisung in ein Arbeitserziehungslager durch die Schnellgerichtsverfahren der Reichstreuhänder der Arbeit verhängt.2?? Hinsichtlich der „wiederergriffenen flüchtig gewesenen ausländischen Arbeitskräfte" heißt es in einer Anordnung des Reichsstatthalters in Oberdonau: „Wiederergriffene ausländische Arbeitskräfte bzw. solche, die angeben, vom Transport abgekommen zu sein, sofern sie keine Unterlagen über ihre Person bei sich führen, sind ... bis zur Klärung der Angelegenheit in ein Arbeitserziehungslager einzuweisen. Die Feststellungen sind mit Nachdruck zu fuhren ... Bleiben die weiteren Feststellungen ohne Ergebnis, ist der ausländische Arbeiter einem K Z (Konzentrationslager) zuzuführen ... Hierzu ordne ich an: Wiederergriffene ausländische Arbeitskräfte sind jedenfalls, wenn die Voraussetzungen dieses Erlasses zutreffen, den Dienststellen der Geheimen Staatspolizei zuzuführen."280 Häufig versuchten „Arbeitsflüchtige" mit dem Zug Linz zu verlassen; es war allerdings sehr schwierig, erfolgreich längere Strecken zurückzulegen. Alle interregionalen Züge wurden kontrolliert. Auf der Strecke München-Salzburg-LinzWien wurden beispielsweise alle Reisenden kontrolliert. Franz Kienzl, Offizier der Linzer Streifenkompagnie beschrieb die Streifen genauer: „Eine Streife bestand meist aus 1 Offizier, 1 Unteroffizier und 1-2 Mann. Der Streifenführer hatte zuletzt ganz ungeheuerliche Vollmacht, wie Gebrauch der Schußwaffe im Fall von Widerstand oder Flucht, unbeschränktes Festnahmerecht."281 Die Zugstreifen bestanden aus Wehrmachtssoldaten, die aber auch alle Zivilreisenden kontrollieren konnten. In der Regel reisten Gestapoagenten in den Zügen mit. Die Kontrollen von Ausländern wurden autoritär und bru-

278 Historisches Archiv der V O E S T A L P I N E AG, Linz, Gefolgschaftsfiihrung Eisenwerke Oberdonau. An Alle: Sitzung des Schnellgerichts bei den Eisenwerken Oberdonau vom 7. Juni 1943, S. 1. 279 OÖLA, Politische Akten, Sch. 46, OÖ 4/17. Der Reichsstatthalter und Gauleiter von Oberdonau vom 30. März 1944. Arbeitserziehungslager Schörgenhub. 280 OÖLA, Politische Akten, Sch. 47, OÖ 28/23. Der Kommandeur der Gendarmerie bei dem Reichsstatthalter in Oberdonau vom 31. Mai 1944. 281 AStL, Dokumentation, Zeitzeugenberichte, Protokolle, Niederschriften, Erinnerungen 1921-1945: Zeitzeugenbericht von Franz Kinzl vom 9. März 1962, S. 1.

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tal durchgeführt.282 Ausländische Arbeiter, die sich unerlaubt vom Einsatzort entfernten, wurden häufig in Zügen festgenommen. Schriftliche Quellen zur Lebenssituation der Zwangsarbeiter aus der Sicht der Betroffenen sind nur wenige erhalten. Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Zwangsarbeiter waren im speziellen auch kaum Gegenstand nationalsozialistischer Akten, höchstens als Nebenprodukt. Und wenn, so vermittelten sie eben nicht die Perspektive der Betroffenen. Es existiert in dieser Hinsicht ein gravierendes Quellendefizit, das durch die Führung von Narrativinterviews mit noch lebenden ehemaligen Zwangsarbeitern verringert werden kann.283 In einem kleinen Umfang existieren schrifdiche Erinnerungen von ehemaligen Zwangsarbeitern. Von den osteuropäischen Zwangsarbeitern wurde die Einweisung in das Linzer Arbeitserziehungslager besonders gefurchtet, da dort die ukrainische SS bei der Bewachung des Lagers eine große Rolle spielte. Die rassische Hierarchie reichte in die Lagerstrukturen hinein: Die ukrainische SS galt gegenüber der deutschen SS als minderwertig. Osteuropäische Lagerinsassen aus Polen, Böhmen, Mähren und der Sowjetunion boten der ukrainischen SS die Gelegenheit, dieses Manko mit großer Brutalität zu kompensieren.284

Das Arbeitserziehungslager Schörgenhub Wenn auch nur für die Zeit der Verurteilung waren die Insassen in diesem Lager einem massiven Unterdrückungssystem ausgesetzt; die Haftdauer betrug üblicherweise zwischen zwei und acht Wochen. Alle Arbeitserziehungslager (AEL) unterstanden der Gestapo, wurden von der SS bewacht; folgerichtig wird der Typus des Arbeitserziehungslagers in einem Buchtitel als „ K Z der Gestapo" bezeichnet.285 Angesichts der brutalen Repression in manchen Lagern kann man durchaus von einem „Todeslager für ausländische Zivilarbeiter" sprechen. Zu Schörgenhub sind bislang keine Zahlen bekannt, im Arbeitserziehungslager Watenstedt-Hallendorf bei den Stammwerken der Reichswerke Hermann Göring in Braunschweig-Salzgitter starben im Laufe des Jahres 1942 fast 60 % der rund 800 Insassen.286 Die Verwendung des Wortes „Arbeitserziehung" stellte jedenfalls eine zynische, begriffliche Täuschung dar; Bildung und traditionelles pädagogisches Verständnis standen zu den Arbeitserziehungslagern in keiner wie immer gearteten Relation.

282 Vgl. Slazak, How I Survived Nazi Death Camp, S. 145 f. 283 Vgl. dazu den Beitrag von Karl Fallend im zweiten Band dieser Publikation. 284 Vgl. Bernhard Seeber, Die Reichswerke „Hermann Göring" Linz (unveröff. Dipl.-Arb.), Linz 1995, S. 108 f. 285 Gabriele Lotfi, K Z der Gestapo. Arbeitserziehungslager im Dritten Reich, Stuttgart 2000. 286 Ebenda, S. 193 f.

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III

Das Reichssicherheitshauptamt übersandte an die Stapoleitstellen am 5. November 1942 folgenden Erlaß: „Polen und Angehörige der Ostvölker sind fremdvölkische und rassisch minderwertige Menschen, die im deutschen Reichsgebiet leben. Hieraus ergeben sich für die deutsche Volksordnung erhebliche Gefahrenmomente, die zwangsläufig dazu führen, die Fremdvölkischen einem anderen Strafrecht zu unterstellen als deutsche Menschen. Dieser Notwendigkeit ist bisher noch nicht in vollem Umfang Rechnung getragen worden ... Bei Straftaten eines Fremdvölkischen haben die persönlichen Motive des Täters völlig auszuscheiden. Maßgeblich darf nur sein, daß seine Tat die deutsche Volksordnimg gefährdet und daß daher Vorkehrungen getroffen werden müssen, die weitere Gefährdungen verhindern. Mit anderen Worten, die Tat eines Fremdvölkischen ist nicht unter dem Blickwinkel der justizmäßigen Sühne, sondern unter dem Gesichtswinkel der polizeilichen Gefahrenabwehr zu sehen. Hieraus ergibt sich, daß die Strafrechtspflege gegen Fremdvölkische aus den Händen der Justiz in die Hände der Polizei überführt werden muß."287 Aus diesen Überlegungen heraus wurden die Arbeitserziehungslager als Repressionsinstitute der Gestapo in Kooperation mit kommunalen, regionalen Stellen sowie in Verbindung mit Industriefirmen eingerichtet.288 Ab 1943 wurden in das AEL Schörgenhub ausländische Arbeiter und politische Häftlinge eingeliefert.289 Das Lager ist bislang kaum beforscht worden. Es handelte sich um das einzige A E L im Gau Oberdonau, es war ein reines Männerlager, das der Gestapo Linz (staatspolizeiliche Leitstelle) unterstand. Dabei existierten enge Verbindungen zur Reichsbahn ebenso wie zu den Reichswerken Hermann Göring. „Arbeitsvertragsbrüchige" aus den Reichswerken zählten zu der weitaus am stärksten im Lager vertretenen Gruppe. Auffällig an diesem Lager war die starke Unterschiedlichkeit der Lebensumstände: Die Lebensbedingungen in Schörgenhub konnten sehr stark differieren. So war beispielsweise der christlich-soziale Politiker, Dichter und Adelige Hans (von) Hammerstein mit zwei Grafen Arco und (Graf) Revertera im Oktober 1944 ins Lager Schörgenhub eingeliefert worden. Hammerstein hielt dazu in seinen Memoiren fest: „In dieses Lager wurden hauptsächlich ausländische Arbeiter gebracht, die sich Vertragsbrüche, Entlaufen vom Arbeitsplatz usw. hatten zuschulden kommen lassen. Diese wurden auf die Dauer von vier bis acht Wochen dort in Haft gehalten und im Ganzen sehr schlecht behandelt, ja ausgesprochen mißhandelt, nebst dem, daß die Verpflegung eine ganz unzureichende war. Außer solchen Auslandsarbeitern befanden sich jedoch auch aus politischen Gründen verhaftete Ausländer darunter, auch einige französische, griechische und italienische Offiziere oder zivile Personen dieser oder anderen Nationalitäten. Auch diese

287 O Ö L A , LWA, Sch. 20, Runderlaß des Reichssicherheitsamtes, gez. Streckenbach, vom 5. November 1942. 288 Angesichts der engen Verbindung mit den Reichswerken Hermann Göring spricht Meyer im Falle der A E L sogar von einer „Reichswerke-spezifischen Lagerform". Vgl. August Meyer, Das Syndikat. Reichswerke „Hermann Göring", Braunschweig 1986, S. 136. 289 Lotfi, K Z der Gestapo, S. 440 f.

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wurden nicht gut behandelt und zu teilweise sehr erniedrigenden Arbeiten herangezogen, während man uns Deutsche, durchschnittlich ein Dutzend an der Zahl, im allgemeinen gut behandelte ... Auch erhielten wir bis Weihnachten die Verpflegung der Wache. Diese bestand aus ukrainischer SS, der jedoch wir Deutsche ausdrücklich nicht unterstellt waren. Wir unterstanden direkt den deutsch oder auch deutschsprachigen Chargen, in der Regel Leute aus dem Banat, und dem Lagerkommandanten ... dessen wechselnden Launen allerdings nicht zu trauen war. Als dann im Jänner das Polizeigefangnis in Linz durch Bomben zerstört war ... wurde Schörgenhub Ersatzanstalt der Gestapo und füllte sich dementsprechend immer mehr auch mit politischen Häftlingen."290 Der Normalstand des Lagers Schörgenhub hatte bislang maximal 300 Personen betragen.^ 1 Ein Jahr nach Kriegsende verfaßte der militärische Geheimdienst der US-Armee in Osterreich einen vertraulichen Erhebungsbericht über die Gestapo Linz. Darin wird das Lager Schörgenhub in nüchterner Beamtensprache beschrieben: „The work education camp was established in the middle of 1943 by order ofthe RSHA [Reichssicherheitshauptamt, Anm. d. Verf.]. It was situated on the outskirts of Linz at a distance of approx. nine kilometers from the center of town. For living quarters there were four wooden barracks which had been rented from the Reichsbahndirektion ... The inmates consisted of foreigners who had broken their labor contract... The camp was placed under the direct supervision of the chief of Gestapo Linz who made Polizeirat Nolte, head of Abteilung I (administration), responsible for the exekution of all orders. Polizeizeinspektor Meier, Heinrich was charged with the management of the camp and carried out the administration with three Germans and a guard unit consisting of foreigners. This guard unit consisted of approx. 30 auxiliary sentries (Russians and Ukrainians who were armed with rifles)."292 Aufgrund von Häflingsberichten kann man davon ausgehen, daß die niedrige Zahl inländischer Bewachungskräfte möglicherweise in den Anfangsmonaten der Existenz des Lagers zutraf, nicht aber die Normalstärke in den späteren Monaten wiedergibt. Dennoch war die Zahl der inländischen Sicherheitskräfte gering, auch die Stärke der ukrainischen SS-Wachmannschaft war eher bescheiden. Nun ist, wie sich anhand vieler Dokumenten belegen läßt, im allgemeinen die fluktuierende, multiethnische Belegschaft der Arbeitserziehungslager seitens der Gestapoleitstellen und des RSHA als erhebliches Sicherheitsrisiko eingestuft worden.293 Relativ kleine Wachmannschaften konnten die Situation in den Arbeitserziehungslagern nur dann unter Kontrolle halten, wenn sie mit großer Brutalität und unter der Einbeziehung von (meist kriminellen) Ca-

290 Hans von Hammerstein, Erinnerungen und Betrachtungen, Linz 1999, S. 244. 291 National Archives, Washington, DC., Record Group 338, ETO mis-y section, Box 109, Militaiy Intelligence Service in Austria, Consolidated Interrogation Report: Gestapo Linz vom 5. August 1946, S. 34 f. 292 Ebenda, S. 34. 293 Lotfi, KZ der Gestapo, S. 177 f.

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pos vorgingen, die ebenfalls scharfe Repression ausübten. Genau diese Struktur wird durch Häftlingsberichte überliefert, durchgängig etwa für die nordrhein-westfälischen Lager und auch für das bei den Hermann-Göring-Werken in Braunschweig-Salzgitter gelegene AEL Watenstedt-Hallendorf 294 , aber auch für das Linzer Arbeitserziehungslager Schörgenhub. So ist beispielsweise der tschechische Zwangsarbeiter Vaclav Dvorak, beschäftigt in den Eisenwerken Oberdonau, in das Arbeitserziehungslager Schörgenhub eingewiesen worden. Sein Arbeitskollege Frantisek Matejka aus Ceske Budejovice hielt dazu fest: „Ich bin zur Nachtschicht gegangen, über die Brücke, über die Bahn, und dann habe ich so eine Gruppe gesehen. Das waren die Sträflinge vom Arbeitslager, wir haben gesagt Straflager. Es hat ein SS-Mann einen von den Sträflingen zur Seite genommen und sofort an Ort und Stelle erschossen ... Das waren die Bewacher und die gehörten zur ukrainischen SS ... Es ist folgendes passiert: Wir haben in Mauthausen Fußball gespielt, ein Kollege namens Vaclav Dvorak, der mit mir im Zimmer wohnte, ist mitgefahren. Das war am Sonntag und am gleichen Sonntag sollte er den Nachtdienst machen. Natürlich sind wir spät von Mauthausen zurückgekommen und er ist nicht in die Arbeit gegangen. Es war schon zum zweiten oder dritten Mal, daß er die Schicht versäumt hatte. Man hat ihn ins Arbeitslager gebracht. An einem Tag haben die direkt in Kleinmünchen (Schörgenhub) gearbeitet und haben die Eisenbahn repariert. Auch ein Kollege von unserem Zimmer hat den Vaclav Dvorak dort gesehen. Dieser sagte ihm, er sollte ihm etwas zum Essen bringen, warme Strümpfe und Handschuhe. Er hat mit einem der Bewacher darüber gesprochen. Der Bewacher sagte: ,Gut, bring es.' Der Kollege ist zu uns ins Lager gelaufen ... Also haben wir zusammen gesammelt, er hat die Strümpfe und Handschuhe genommen, und ist nach Kleinmünchen zum Bahnhof gegangen. Aber in der Zwischenzeit ist ein anderer Bewacher dort gewesen. Der hat ihn festgehalten. Er mußte sofort mit den Sträflingen weiterarbeiten ... Die haben ihn auch geschlagen. Er ist so ungefähr um zwei Uhr in der Nacht nach Hause gekommen zu uns ins Zimmer, hat erzählt, was mit ihm passiert ist, und man hat auch gesehen, daß man ihn getreten und geschlagen hatte. Man hat noch die Folgen der Tritte sehen können und er hat erzählt, was dort los ist ... Aus dem Straflager haben sie die Fabrik angerufen und die Leute (in den Göring-Werken) haben gesagt, daß er ein guter Arbeiter ist und sie haben ihn so ungefähr zu Mitternacht freigelassen. Der Dvorak hat es auch überlebt, er ist nach sechs Wochen zurückgekommen."295 An diesem Beispiel zeigt sich der enge Konnex zwischen den Hermann-Göring-Werken und dem Arbeitserziehungslager. Dieses Nahverhältnis war keine atypische Erscheinung: Der Industrie lag an einer raschen und effektiven Bestrafung der „Arbeitsflüchti294 Vgl. Gerd Wysocki, Die geheime Staatspolizei im Land Braunschweig. Polizeirecht und Polizeipraxis im Nationalsozialismus, Frankfurt/New York 1997, S. 189 ff. 295 Zit. nach Seeber, Reichswerke, S. 146 f.

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gen" und der „Blaumacher", wie es im nationalsozialistischen Jargon hieß. Überstand man das Arbeitserziehungslager als ausländischer Arbeiter unbeschadet, so diente der Betreffende als abschreckendes Beispiel. Andererseits fehlte die Arbeitskraft des Betreffenden in Zeiten absoluten Arbeitskräftemangels nur für eine begrenzte Zeitspanne. Trotz gesunkener Leistungsfähigkeit stand der Arbeiter immerhin wieder zur Verfügung. Einige Firmen fanden ein ideales Arrangement: Sie initiierten ein Arbeitserziehungslager auf Werksgelände oder in unmittelbarer Nähe. Dies trifft etwa auf das „Straflager 21" zu, aus dem das Arbeitserziehungslager Watenstedt-Hallendorf hervorging. Besonders schmutzige, schwere, gefährliche und gesundheitsschädigende Arbeiten wurde aus dem Betrieb in das AEL Watenstedt-Hallendorf ausgelagert.296 In Schörgenhub traf dies in erster Linie auf die Reichsbahn zu. „The prisoners usually had to work on repairs of the railroad as a compensation for the barracks leased from the Reichsbahndirektion", heißt es in dem bereits zitierten amerikanischen Geheimdienstbericht.297 In geringerem Ausmaß existierte in dieser Hinsicht auch ein Konnex zwischen den Reichswerken Hermann Göring und diesem Arbeitserziehungslager. Fallweise wurden die Häftlinge aus Schörgenhub zu Arbeiten eingesetzt, die im Werkskontext standen; in einem Fall wurde berichtet, daß Schörgenhub-Häftlinge auf dem Werksgelände nach Blindgängern (nicht explodierten Bomben) suchen mußten.298 Regelmäßig veranlaßten die Hermann-GöringWerke jedoch die Einweisung in das Arbeitserziehungslager. Im ersten Halbjahr 1944 wurden in steigendem Ausmaß auch inländische Beschäftigte mit bis zu acht Wochen Arbeitserziehungslager bestraft. 2 " Aufgrund gemeinsamen Arbeitsvertragsbruchs wurden der bereits erwähnte George Slazak und seine gleichaltrigen Freunde Heniek Pienta und Wacek Koziol 1944 in das Arbeitserziehungslager Schörgenhub verbracht. Die polnischen Jugendlichen stammten alle aus Lodz und wurden als Zwangsarbeiter in den Eisenwerken Oberdonau eingesetzt. Sie befanden sich auf einer niedrigen Stufe der NS-Rassenhierarchie. Slazak und seine Freunde wurden in Wien von der Gestapo im Zuge ihrer „Arbeitsflucht" zusammen mit den beiden ebenfalls in den Eisenwerken Oberdonau beschäftigten polnischen Arbeitern Bronek Piechar und Zygmunt Wlach festgenommen. George Slazak hat seine Erinnerung an das Lager Schörgenhub in einem langen Manuskript festgehalten. Er zeichnet dabei ein Horrorszenario, das Schörgenhub, das von vielen Insassen als „ K Z Kleinmünchen" bezeichnet wurde (weil es sich in der Nähe Kleinmünchens befindet), in einen Kontext mit dem K Z Mauthausen stellt. Die jungen Polen wurden von Mauthausen nach 296 Vgl. Lotfi, K Z der Gestapo, S. 75 ff; Detlef Körte, „Erziehung" ins Massengrab - Die Geschichte des ,Arbeitserziehungslagers Nordmark", Kiel-Russee 1944-1945, Kiel 1991, S. 10 ff. 297 National Archives, Washington DC., Record Group 338, E T O mis-y section, Box 109, Military Intelligence Service in Austria, Consolidated Interrogation Report: Gestapo Linz vom 5. August 1946, S. 34. 298 Slazak, H o w l Survived Nazi Death Camp, S. 211. 299 Vgl. beispielsweise DOW, Dokument 12.316: Eisenwerke Oberdonau, Werksicherung, Bestrafung von deutschen Gefolgschaftsmitgliedern vom 23. März 1944.

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Schörgenhub überstellt. Von Schörgenhub nach Mauthausen überstellt zu werden war noch häufiger der Fall. 300 Von der Organisation glich Schörgenhub einem KZ, Capos sorgten für den inneren Terror. Slazak beschrieb den ersten Eindruck bei der Ankunft im Lager: „We watched prisoners in groups of fifty or more returning from work ... They were driven to the center of the Appellplatz, where they were kept until the last group had arrived and every prisoner had been accounted for. Throughout the roll-call, the prisoners were terrorised by the guards and the capos. What we were now witnessing exceeded in brutality everything we had experienced."301 Die Beschreibungen Slazaks von den ersten Arbeitstagen in Schörgenhub passen zu dem „pädagogischen" Schema des Arbeitserziehungslagers: Der Wille resistenzbereiter ausländischer Arbeiter sollte gebrochen werden: „Two SS-men ... counted the first twenty of us and chased us towards a big heap of soil, close to our hut and near the comer of the camp. Four inmates, each with a shovel, were waiting there already. Each pair from the twenty of us were given a wooden stretcher ... The prisoners with shovels filled the stretcher with as much soil as it would hold and then we were made to run with it to the other end of the camp and empty it. Then we were made to run back for the next load. This continued until all the soil was transferred; then the process was repeated and we brought it all back again. This was repeated till half past nine. Once or twice I thought I must collapse, such was the pain in my arms and legs. But fear of the consequences kept me going."302 In der Folge beschrieb Slazak das nahezu tägliche Sterben von Häftlingen an Erschöpfung und Entkräftung sowie die Tötung von Insassen durch die SS oder durch Capos. Wacek Koziol und Bronek Piechar überlebten das Lager nicht, Zygmunt Wlach war bereits beim Gestapo-Verhör gestorben. Slazak beschrieb sadistische Mißhandlungen durch den Kommandanten beim Appell mit einer Peitsche, jedoch an einem bestimmten Tag wurde niemand von diesem getötet: „But when it was over ... I saw bodies lying on the Appellplatz of people who had just dropped dead from sheer exhaustion and exposure ... Fifteen or twenty minutes later I saw Redl, the most feared capo coming in our direction ... when one of the inmates eventually bumped into him. The capo went berserk, hitting... with his pick axe handle. After the third or fourth blow the victim fell to the ground, but Redl continued to strike him. I could hear his bones breaking and saw the blood spurt out of his mouth ... We could see that the man was dead but in his rage Redl continued to hit him."3°3 Die Situation war fur die Häftlinge permanent gefährlich: 300 Dies geht aus den Personalunterlagen hervor. Von der Zuständigkeit waren die Unterschiede zwischen dem Konzentrationlager Mauthausen und dem Arbeitserziehungslager Schörgenhub klar: Schörgenhub war kein Nebenlager des K Z Mauthausen, es unterstand direkt der Gestapo Linz, während das K Z Mauthausen nicht in die Kompetenz der Gestapo Linz fiel. 301 Slazak, How I Survived Nazi Death Camp, S. 166. 302 Ebenda, S. 169. 303 Ebenda, S. 175.



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„Survival also depended on being able to stay out of trouble in the camp", hielt George Slazak fest: „I remember one Sunday, in the early evening several of the SS guards returned from a drinking session in Linz. Some were very drunk and drew their revolvers and began to shoot at us indiscriminately, shouting and laughing at they did so. There was nowhere to hide and twelve or fifteen people were murdered that day. Heniek and I happened by luck to be at the far end of the camp when the shooting started."304 Positive Erfahrungen waren in erster Linie auf Außeneinsätze beschränkt, so etwa im März 1945. Bei einem Arbeitseinsatz arbeiteten die Häftlinge auf einer Baustelle gemeinsam mit lokalen Arbeitern. Sie verhielten sich gegenüber den Häftlingen des Arbeitserziehungslagers freundlich: „These Austrian workers were treating us well, and from my past experience I knew that many Austrians had no sympathy with the Germans." Slazak wollte wissen, wie sich der Kriegsverlauf entwickle. Im Lager Schörgenhub war wenig vom nahen Kriegsende zu spüren: „There was no alleviation in the terror in the the camp, but the experience of our current work and the kindness of the Austrian workers was giving us some encouragement... I decided I would ask one of the Austrians. He answered without hesitation that the Germans were losing the war and, from what he heard, the Allie's would reach Linz in two or three months. After telling me this he walked away and got on with his work ... This afternoon we felt as if the Allie's were just outside Linz."3°5 Ende April wurde Heniek Pienta von einem ukrainischen SSMann im Lager Schörgenhub ermordet.306 George Slazak überlebte, er wurde von US-amerikanischen Soldaten befreit. Wohlorganisiert ging diese Befreiung nicht vor sich; die Insassen des Arbeitserziehungslagers versuchten einfach sich zu ihren Arbeitskollegen, die mehrheidich in den Wohnlagern der Reichswerke lebten, durchzuschlagen. George Slazak erinnert sich an seinen Weg ins Wohnlager der Göring-Werke, dabei wird zugleich die tiefe Kluft zwischen inländischer Bevölkerung und ausländischen Zwangsarbeitern und Lagerinsassen dargestellt: „I eventually reached the outskirts of the Bindermichl housing estate, where Austrians and Germans employed in the tank factory lived. I knew there was not much further to go. The place seemed deserted, but you could see people watching us from behind the curtains at their windows. A group of prisoners threw stones at the windows and shouted abuse as they passed by, most like myself, walked by quiedy, wanting to get as far away from the camp as possible. This was the fifth of May 1945.1 hated the Germans for murdering my friends and for the suffering I had endured at their hands. But on that morning my hatred was secondary to the joy of being alive .. ."3°7

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Ebenda, S. 187. Ebenda,, S. 203. Ebenda, S. 221 ff. Ebenda, S. 231.

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Obgleich von nationalsozialistischen Stellen angelegt, stellen die Akten der Sondergerichte eine wichtige Quelle dar; sie vermitteln einen Eindruck von der tatsächlichen Funktionsweise der innerbetrieblichen Maßnahmen gegenüber ausländischen Arbeitern. U m ein konkretes Beispiel zu geben: Sowohl am 26. Oktober als auch am 27. Oktober 1942 legte der Werkschutz der Eisenwerke Oberdonau eine Aktennotiz über den belgischen Staatsangehörigen Albert Driesen an. Ein Schreiben des Werkschutzes, das sich auf Ereignisse am 26. und 27. Oktober bezog, wurde noch an demselben Tag, dem 27. Oktober, per Kurier der Gestapo übermittelt: „Am 26.10.1942 erklärte der Obgenannte seinem Meister Mink", so das Schreiben, „dass er bald nicht mehr zu arbeiten brauche, weil seine Zeit bald abgelaufen sei. Als der Meister Mink ihm daraufhin erklärte, dass er wohl noch einige Zeit länger in Deutschland arbeiten müsse, erwiderte er, dass das nicht in Frage käme ... Gut wäre es gewesen, wenn die Engländer bei Dieppe Erfolg gehabt hätten. Die Franzosen und Belgier hätten die Engländer bedeutend lieber als die Deutschen. Der Deutsche Soldat sei ein Schwein ... Als Zeuge war bei diesem Gespräch der Kolonnenfiihrer Gülland Karl, geb. 5.9.1897, wohnhaft Linz, anwesend. Am 27.10.42 fragte Driesen den Meister Mink, ob er auch von der Bombardierung Italiens gehört habe. 3000 englische Flugzeuge hätten Genua in Schutt und Asche gelegt. Auf die Frage des Meisters Mink, woher er denn das wisse, erwiderte Driesen, dass er jeden Tag die Nachrichten des englischen Rundfunks höre. Jeden Abend um 23 Uhr würden vom englischen Rundfunk Nachrichten in flämischer Sprache gesendet. Weiter nannte Driesen dem Meister Mink verschiedene Uhrzeiten an denen angeblich vom englischen Rundfunk Nachrichten in deutscher Sprache gesendet werden." 308 Der vertrauensselige belgische Zwangsarbeiter wurde noch am 27. Oktober von der Gestapo auf dem Werksgelände verhaftet und in das Gestapogefängnis in Linz, Langgasse eingeliefert. Aus dem Freizeitbereich datiert die Verhaftung des Schweißers Jan Dziadosz aus dem Bezirk Lublin in Polen, der bei seiner Vorführung zur Gestapo am 17. April 1943 selbst zu Protokoll gab: „Ich habe mich zum Arbeitseinsatz nach Deutschland bei dem Arbeitsamte in Bilgoraj freiwillig gemeldet. Hier wurde ich von dem Arbeitsamt der Umschulungswerkstätte der Eisenwerke Oberdonau zugeteilt und vier Monate als Schweißer angelernt. Anschließend kam ich in das Werk (Eisenwerke Oberdonau), wo ich seither als Hilfsschweißer beschäftigt bin." 3 ° 9 Dziadosz hatte am 6. April 1943 im Postamt Ebelsberg versucht, Geld an seine Frau zu überweisen. Der Schalterbeamte verlangte die vorgeschriebene Bestätigung vom Arbeitsamt (die Erlaubnis, eine Uberweisung vornehmen zu dürfen, mußte vom Arbeitsamt im Rahmen einer Vorsprache eingeholt werden) und wies den Mann, da er keine Bestätigung hatte, zurück. Frustriert suchte Dziadosz eine 308 OÖLA, Sondergericht Linz, KLS-Akt 104/1943 (Albert Driesen). 309 OÖLA, Sondergericht Linz, KLS-Akt 156/1943 (fan Dziadosz).

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Gaststätte auf und versuchte nach einigen Krügel Most, die Überweisung am Postamt Kleinmünchen durchzufuhren. Auch hier wurde er abgewiesen. Schließlich suchte er erneut eine Gaststätte auf. Dort dürfte Dziadosz räsoniert haben; offenbar wurde er dann vor dem Gasthaus von einheimischen Gästen zu Boden geschlagen und zur Polizei gebracht. „Ich kam erst auf der Wachstube, nachdem ich dort einige Ohrfeigen bekam, etwas zum Bewußtsein", sagte der polnische Arbeiter aus. Im Zuge der Erhebungen wurde er mehr als zwei Wochen in Polizeihaft gehalten und mehrmals der Gestapo vorgeführt. 310 Von Bedeutung ist in diesem Kontext, daß die Verhaftung von Albert Driesen ohne die Denunziation seitens des Meisters bzw. der Zeugenschaft eines ebenfalls einheimischen Kolonnenfiihrers nicht in der Form geschehen wäre; auch die Festnahme von Jan Dziadosz wurde nicht durch Maßnahmen von NS-Stellen oder der Gestapo eingeleitet, sondern von einheimischen Gasthausbesuchern. In nahezu allen Fällen ausländischer Zwangsarbeiter, die vor den Sondergerichten verhandelt wurden, waren einheimische Informanten und Denunzianten beteiligt. Wie man den Akten entnehmen kann, handelte es sich bei den Informanten meistens um keine Parteichargen, die wohl auch kaum das Vertrauen der Zwangsarbeiter gewonnen hätten, sondern um einheimische Arbeiter bzw. Vorarbeiter, Poliere etc. So wurde der Protektoratsangehörige Drahomir Grulich der Gestapo Linz gemeldet und auch festgenommen, weil ihm Arbeitskollegen unterstellten, daß er absichtlich eine Betonmischmaschine am 26. November 1942 nicht gegen Frostschäden gesichert habe. Obwohl nach Arbeitsschluß ein einheimischer Maschinist regelmäßig die Gerätschaften kontrollierte, meldeten er und der Polier den tschechischen Arbeiter dem Werkschutz und der Gestapo. 3 " Eine Fehlhandlung beim Entladen eines Waggons, die keinen materiellen Schaden nach sich zog und auch niemanden verletzte, führte dazu, daß „der Tscheche Kotek", ein aus Böhmen stammender Zwangsarbeiter, von einem Schaffner, einem Hilfsschaffher und einem Zugbegleiter bei der Gestapo angezeigt wurde; der Mann wurde verhaftet, ins Gefängnis gebracht und zu einer Haftstrafe verurteilt. 3 ' 2 Eine vertrauliche Äußerung gegenüber einem gut französisch sprechenden, lange Jahre in Frankreich lebenden und mit der französischen Kultur vertrauten oberösterreichischen Arbeitskollegen führte 1943 für den französischen Zwangsarbeiter Serge Bonnet zu einer Verurteilung wegen Wehrkraftzersetzung im Ausmaß zwei Jahren Gefängnis. Bonnet war bei den Eisenwerken Oberdonau beschäftigt. Laut Gerichtsakt äußerte sich Anfang Jänner 1943 „der Angeklagte im Betriebe zu dem Hilfsarbeiter Lorenz Friedl, welcher zufolge eines langjährigen Aufenthaltes in Frankreich die französische Sprache vollkommen beherrscht, mit den Worten:,Deutschland wird den Krieg 310 Ebenda. 311 OOLA, Sondergericht Linz, KLS-Akt 298/1943 (Drahomir Grulich). 312 OOLA, Sondergericht Linz, KLS-Akt 681/1943 (Thomas Kotek).

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nicht gewinnen, die Deutschen werden in zwei bis drei Monaten kaputt sein.' Dieser Sachverhalt wurde in der Hauptverhandlung auf Grund der glaubwürdigen Aussagen des Zeugen Friedl in Ubereinstimmung mit dem Geständnis des Angeklagten erwiesen und festgestellt."3'3 Ab 1943 waren inländische Arbeiter verstärktem propagandistischen Druck ausgesetzt. Immer wieder wurden die „deutschen Gefolgschaftsmitglieder" mit nationalsozialistischen Parolen konfrontiert, wurden gezielten Schulungen unterworfen. So hieß es im Monatsbericht Juli 1943 der Eisenwerke Oberdonau: „Die militärische Ausbildung der deutschen Gefolgschaftsmitglieder als verstärkter Werkschutz ist eingeleitet."3'4 Schließlich bestand über die inländische Arbeiterschaft hinaus auch für Teile der einheimischen Bevölkerung ein spezifischer Anreiz, um im speziellen „Ostarbeitern" nachzuspüren: Aufgrund eines Erlasses Himmlers vom 1. August 1943 bestand die Möglichkeit, Kopfprämien für die Ergreifung flüchtiger „Ostarbeiter" in der Höhe von 100 R M auszusetzen.3'5 Es ist allerdings anzumerken, daß das nationalsozialistische Gewaltsystem nicht nur durch ein Spitzel- und Denunziationssystem einheimischer Arbeiter, Angestellter, Behörden ergänzt wurde, sondern auch Ausländer für die Nationalsozialisten Spitzeldienste leisteten. Es war Teil der nationalsozialistischen Herrschaftstechnik, auf der Basis unterschiedlichster Motive Spitzel und Denunzianten anzuwerben: Einerseits spielte man diverse Nationalitäten gegeneinander aus, man konnte aber auch auf genügend Vertrauenspersonen in den jeweils einzelnen Ethnien zurückgreifen. So wurde 1942 ein polnischer Zwangsarbeiter in den Eisenwerken Oberdonau nur deshalb der Sabotage überführt, weil er laut Staatsanwalt „in seiner Unterkunft sich anderen Polen gegenüber geäußert habe, daß er während der Arbeit in den Eisenwerken in zwei Fällen absichtlich Beschädigungen verursacht habe". Polnische Arbeitskollegen hatten ihn denunziert.3'6 Ein weiterer polnischer Arbeiter wurde nach Angaben der Polizei „durch einen Vertrauensmann, der nicht genannt werden könne", mit sehr genauen Angaben mehrmaliger Sabotage beschuldigt. Die Gestapo verfüge natürlich über derartige Vertrauenspersonen, hieß es im Gerichtsprotokoll.317 Schließlich wurde in Linz im Mai 1943 der französische Zivilarbeiter Louis Fruchart, der einem französischen Kriegsgefangenen zur Flucht verholfen hatte, durch die Aussage eines französischen Arbeitskollegen belastet und in der Folge ins Gefängnis gebracht.3'8 313 DÖW, Dokument 8839: Urteile des Oberlandesgerichtes Wien gegen den französischen Zivilarbeiter Serge Bonnet wegen Wehrkraftzersetzung vom 20. Juli 1943. 314 National Archives, Washington DC., World War II Records Division, Record Group 1040, T 83, Roll 77, Berichte der Eisenwerke Oberdonau, Monatsbericht Juli 1943, S. 10. 315 Lotfi, K Z der Gestapo, S. 187. 316 OOLA, Sondergericht Linz, KLS-Akt 179/1943 (Andrezej Morowecki). 317 OOLA, Sondergericht Linz, KLS-Akt 176/1943 (Adolf Wasiluk). 318 OOLA, Sondergericht Linz, KLS-Akt 274/1944 (Urteil des Sondergerichts gegen den französischen Zivilarbeiter Louis Fruchart wegen Fluchthilfe vom 13.10.1943).

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Detailliert und genau wird die Praxis der Bespitzelung in dem Band „Die Geschichte der Eva Korngold" dargestellt; die Problematik der biographischen Aufzeichnungen zur Person der Ida Low recte Eva Korngold wird an anderer Stelle dieser Publikation genau diskutiert.319 Ida Low, geb. Blutreich, war eine jüdische Dorfbewohnerin aus der Nähe von Lwow/Lemberg, sie gab sich 1942 als Ukrainerin aus und meldete sich nach Linz zum Arbeitseinsatz.320 Als Katharina Lesczyszyn lebte sie zwei Jahre in der Stadt, zuerst als Dienstmädchen, dann als Bürokraft in den Hermann-Göring-Werken; ihre Erinnerungen wurden vom Autor Meyer Levin aufgezeichnet und publiziert.321 Dabei wird ein Ambiente entworfen, das stark von Bedrohungen gekennzeichnet war: durch die SS, nationalsozialistische Vorgesetzte und deutsche/österreichische Beschäftigte. Als besonders gefährlich wurden allerdings die Kontakte zu den ausländischen Arbeitskräften dargestellt: „Es gab bedrohliche Zwischenfälle in meinem täglichen Leben", heißt es in dem Band: „Eines Tages sagte ein polnischer Arbeiter mit lauter Stimme, während ich seine Personalien aufnahm: ,Sie sprechen ja tadellos polnisch, aber das ,R', das sprechen Sie so aus, wie es die Juden tun.' Ich stotterte, daß ich aus Posen stammte und daß man das ,R' dort so ausspräche.,Komisch', sagte er, ,seit wann redet man so in Posen?'" 322 Als Katharina in den H G W in ein Büro versetzt wurde, reagierte sie darauf mit Angst: „Im Personalbüro arbeiteten sieben oder acht Angestellte. Während der ersten Tage registrierte ich mit höchster Nervenanspannung jedes Wort, jeden Blick, denn eine neue Arbeitsstelle brachte neue Gefahren mit sich, und neue Kollegen konnten sich als neue Feinde erweisen. Außer dem Chef gab es nur noch zwei Männer. Der eine war ein Slowene namens Brata, dessen übertriebene Höflichkeit mich mißtrauisch machte."323 Spezifisch und unterschiedlich von der Situation anderer Zwangs- bzw. Fremdarbeiter wurde die Lage der Katharina Lesczyszyn eben dadurch, daß sie eigentlich Jüdin war und dies verheimlichte. So rief ein junger Pole aufgrund des Aussehens der jungen Frau auf dem Betriebsgelände aus: „Katja ist Jüdin ... In den nächsten Tagen hörte ich Gerüchte. Der Kerl verbreitete im ganzen Lager, ich sei Jüdin ... 11324 Schließlich wird in dem Erinnerungsband festgehalten: „Ein ukrainischer Arbeiter begegnete mir oft, wie zufallig. Nur mehrten sich diese Zwischenfälle von Tag zu Tag. Er war ein außergewöhnlich großer Mensch mit einem eigenartigen Lächeln. Ich war mir sicher, daß ich ihn schon irgendwo

319 Vgl. dazu den Beitrag von Gabriella Hauch in diesem Band, S. 385 ff. 320 Ukrainer, die sich 1942 selbst zum Arbeitseinsatz meldeten, insbesondere aus dem Distrikt Galizien, galten als potentielle Verbündete; sogenannte Westukrainer, denen man einen radikalen ukrainischen Nationalismus nachsagte, wurden bevorzugt behandelt. Sie mußten keine Kennzeichnung tragen. Der Distrikt Galizien zählte nicht zum Geltungsbereich der „Ostarbeiter"-Bestimmungen. 321 Levin, Meyer: Die Geschichte der Eva Korngold. Nach Aufzeichnungen von Ida Low, Frankfurt am Main 1995. 322 Ebenda, S. 125. 323 Ebenda, S. 146. 324 Ebenda, S. 150.

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außerhalb der Fabrik gesehen hatte. Vielleicht im Kino? Und dann fiel es mir ein: Wir waren uns in den Gängen des Gestapohauses mehrmals begegnet. Bald wiederholten sich unsere ,zufälligen Begegnungen' täglich, manchmal sogar öfter am Tag. Er blieb stehen und schwätzte ein bißchen mit mir ... Aber mir war nicht wohl zumute, als unser kleiner Flirt immer länger dauerte, denn ein Ukrainer würde die kleinsten Unregelmäßigkeiten im Gebrauch seiner Sprache bemerken ..." Der ukrainische Arbeiter lud Katharina zum Essen ein, sie nahm eine Freundin mit, ein weiterer ukrainischer Arbeitskollege war ebenfalls zugegen: „Als wir eintraten, waren wir überwältigt. Ein großer Tisch war mit wohlgefullten Platten und ungeöffneten Flaschen beladen. Es war alles da: Wodka, Kirschwasser, Wein, Kognak, gebratene Gans ... Ein solches Fest würde einem gewöhnlichen Arbeiter einen Jahreslohn auf dem schwarzen Markt kosten. Es gab nur eine einzige Stelle, der das alles zur Verfugung stand und die das arrangiert haben mußte: die Gestapo. In meinem Gehirn läutete es Alarm." 325 Schließlich wird noch eine Episode mit einer Freundin Katharinas erzählt: Ein polnischer Arbeiter forderte von dem Mädchen durch die Drohung der Preisgabe demütigender privater Details sexuelles Entgegenkommen ein. 3 ' 6 Klarerweise entwickelten sich unter den Bedingungen der nationalsozialistischen Repression bei den Zwangsarbeitern, den Kriegsgefangenen, den KZ-Arbeitern, auch unter ursprünglich ohne Zwang rekrutierten „Fremdarbeitern", diverse Formen der Resistenz gegen das Unterdrückungssystem. Dies war auch in den Hermann-Göring-Werken und in anderen Linzer Betrieben der Fall und konnte sich im Hören von Feindsendern manifestieren, durch verbale Äußerung, durch Steuerimg der Arbeitsleistung bis hin zu konspirativem Verhalten und Sabotage. So wurden beispielsweise im März 1943 Ermittlungen gegen den polnischen Zivilarbeiter Andrezey Morowecki eingeleitet, der in den Eisenwerken Oberdonau beschäftigt war. Er habe in zwei Fällen absichtlich Beschädigungen verursacht: „Im ersten Fall soll er", so der NS-Ermittlungsbericht, „eine Mulde, in welcher das Rohmaterial in den Schmelzofen befördert wird, mangelhaft mit dem Ausleger des Einsatzkrans verriegelt haben, wodurch die Mulde mit dem Rohmaterial in den Schmelzofen gefallen sei. Im zweiten Fall rühmte er sich, mit dem Kran absichdich an ein Staffviereck, richtig Ziegelschneidemaschine, angefahren zu sein. Im Verlauf eines Gespräches soll er noch die Äußerung getan haben, daß er den Deutschen beim Verspielen des Krieges behilflich sein will." 327 Auf Sabotage oder Sabotageversuche in den Reichswerken Hermann Göring, die als „für die Reichsverteidigung wichtiger Betrieb" eingestuft wurden, wie es in den Urteilen der Sondergerichte wiederkehrend heißt, reagierten die zuständigen NS-Stellen mit drakonischen Maßnahmen, der Verdacht genügte. So wurde beispielsweise der polnische Zivilarbeiter Adolf Wasiluk 1943 zu fünf 325 Ebenda, S. 1 5 1 - 1 5 3 . 326 Ebenda, S. 170. 327 OOLA, Sondergericht Linz, KLS-Akt 179/1943 (Andrezey Morowecki).

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Jahren verschärften Straflagers verurteilt, weil „er dem Betriebe [den Eisenwerken Oberdonau, Anm. d. Verf.] dienende Sachen, nämlich eine Fräsmaschine, durch Verölung der Pumpe und Beschädigung der Beleuchtungsanlage vorübergehend außer Tätigkeit setzte". Die Sachlage war jedoch auch für das Sondergericht nicht ganz klar, was aus der folgenden Formulierung hervorgeht, an der Verurteilung von Wasiluk jedoch nichts änderte: „Der Angeklagte hat bei seiner Vernehmung durch die Geheime Staatspolizei zugegeben, diese Beschädigungen absichtlich vorgenommen zu haben, jedoch dies bei seiner späteren richterlichen Vernehmung und auch bei der Hauptverhandlung bestritten und behauptet, daß er zu seinen Angaben vor der Polizei durch Schläge gekommen sei."328 Ein weiterer Akt von Dissidenz sei in der Folge kurz dargestellt, weil er sich in Linz ereignet hat, von phantasievoller Resistenz zeugt und Kriegsgefangene, die in den H G W eingesetzt worden waren, davon betroffen wurden. Am n . Februar 1944 wurde beim Sondergericht Linz die Anklage gegen Robert Bayon und 18 weitere Beschuldigte verhandelt. Alle Angeklagten waren französische Staatsangehörige und sind zu einschlägigen Arbeiten bei der Reichsbahndirektion Linz eingesetzt worden. Laut Anklageschrift haben sie im Jahre 1943 „in Linz teils allein, teils mehrere gemeinsam französischen Kriegsgefangenen zur Flucht nach Frankreich verholfen. Sie haben ungefähr 200 französische Kriegsgefangene in Schadwagengüterzügen der deutschen Reichsbahn, die zur Reparatur den französischen Ausbesserungswerkstätten in Charleville, Teronier und Langueau zugeführt wurden, nach Frankreich geschmuggelt."329 Dort wurden sie zu bestimmten Adressen gelotst, mit dem Ziel, über Frankreich nach England oder Nordafirika zu gelangen, um abermals gegen Deutschland eingesetzt zu werden. Die Flucht aus Linz gelang.330 Der Erfolg dieser Aktion steht wohl im Zusammenhang mit der Tatsache, daß es sich bei den Organisatoren um eine ethnisch geschlossene Gruppe - in diesem Fall um Franzosen - handelte. Eine Reihe von Beispielen zeigt, daß die von den NS-Behörden eingeführte Rassenhierarchie auf die Betroffenen nachhaltig einwirkte. Solidarisierung über ethnische Grenzen hinweg war selten und schwierig.331 Trennung nach „Rasse", völkischer Zugehörigkeit, das Placement in der ethnischen Hierarchie (mitunter auch unabhängig vom persönlichen Willen der Betroffenen) hatte nachhaltige Auswirkungen, die sich auch auf die Bereiche Opposition und Dissidenz gegenüber dem Regime erstreckt. So sind einige Fälle oberösterreichischer Arbeiter belegt, 328 OÖLA, Sondergericht Linz, KLS-Akt 176/1943 (Adolf Wasiluk). 329 O Ö L A , Landesgerichtsakten, Js 51/1944, Strafsache gegen Robert Bayon u. a. vom 11. Februar 1944. 330 Ebenda. 331 Vgl. dazu die Aussage von Zofia Drzewicz, die in Linz eingesetzt war: „Wir teilten (unser) Schicksal mit Ukrainern, Russen, Weißrussen, Litauern und Griechen. Aber nur wir hatten den Stofflappen mit dem ,P' für die Polen zu tragen. Nähere Kontakte zwischen uns gab es nicht. Denn um die Wahrheit zu sagen: Jeder hat damals jedem mißtraut... Wer wußte schon, mit wem er es wirklich zu tun hatte ? In der Küche, wo ich arbeitete, da wimmelte es nur so von Spitzeln - und die meisten waren Griechen ..." Zit. nach Engel/Radzyner, Sklavenarbeit, S. 62.

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die im Hermann-Göring-Komplex nachhaltig Resistenz gegen das NS-Regime leisteten, wie etwa die HGW-Arbeiter Anton Duschek und Karl Steindl, der Hilfsarbeiter Leopold Krieger, der Dreher Karl Huber und andere.332 Der Hilfearbeiter Stefan Rambausch aus Linz wurde auf der Basis rein verbaler Vergehen zum Tode verurteilt: „Der Angeklagte hat im Kreise von Arbeitskameraden der Hermann-Göring-Werke in Linz lange Zeit hindurch systematisch defaitistische Reden geführt... Der Angeklagte ist des Verbrechens der Wehrkraftzersetzung gemäß § 5 Abs. 1 Ziff. 1 der K S S V O schuldig. Er hat nicht nur als gelegentlicher Meckerer, sondern als systematischer Hetzer eine große Anzahl von zersetzenden Äußerungen gemacht. Die Lähmung des deutschen Wehrwillens entsprach seiner Absicht... Hetzreden in einem Rüstungsbetrieb sind im Gegenteil in einem besonderen Maß gefährlich. Es muß daher gegen den Angeklagten die gegen das Verbrechen der Wehrkraftzersetzung in erster Linie angedrohte Todesstrafe verhängt werden. Dies ist erforderlich zur Sicherung und Festigung der inneren Front." 333 Aus keiner Quelle, die den couragierten Widerstand einzelner einheimischer Beschäftigter in den Linzer Großbetrieben dokumentiert, geht jedoch eine Kooperation bzw. eine Konspiration mit Zwangsarbeitern hervor. In einem Aktenbestand unter dem Titel „Rüstungsbetriebe Oberdonau" wurde schließlich ein Dokument aufgefunden, das der Reichsverteidigungskommissar für Oberdonau verfaßt hat, und das zeigt, daß auch Angestellte in den Rüstungsbetrieben - sofern sie eine Handlung setzten, die im weitesten Sinn als Resistenz interpretiert werden konnte - schärfster Repression ausgesetzt waren. Darin heißt es: „Eine zur Geheimhaltung verpflichtete Fernschreiberin eines Rüstungsbetriebs ließ der Fernschreiberin eines anderen Werkes im Anschluß an die fernschrifdiche Durchgabe dienstlicher Meldungen auch private Mitteilungen zugehen, deren Inhalt die Bekanntgabe eines ihr anvertrauten militärischen Geheimnisses war. Der Volksgerichtshof verurteilte diese Fernschreiberin wegen Landesverrats zum Tode." 334 Es scheint in den Rüstungsbetrieben besonders rigide bestraft worden sein, denn der weitere Text des Schreibens spricht von „eingehender Belehrung" hinsichtlich der Behandlung von Verschlußsachen, „häufigem Personalwechsel" und von der „Verwendung von Aushilfskräften", Schlüsselworten, die nahelegen, daß es sich in diesem Fall keineswegs um gezielte Spionage gehandelt hatte.335

332 Vgl. Widerstand und Verfolgung in Oberösterreich, Band 1 , 8 . 3 0 5 - 3 1 1 . 333 D O W , Dokument 4 1 4 1 : Todesurteil des Volksgerichtshofes gegen Stefan Rambausch aus Linz wegen Wehrkraftzersetzung vom 26. November 1943. 334 O O L A , LWA, Sch. 14, Der Reichsverteidigungskommissar für den Reichsverteidigungsbezirk Oberdonau vom 2 3. Juni 1944, Betreff Geheimschutz. 335 Ebenda.

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I I . V E R S U C H EINER G E S A M T E I N S C H Ä T Z U N G Der nationalsozialistische Ausländereinsatz bzw. die damalige Form von Zwangsarbeit ist ein staatlich gesteuertes System von Privilegierung und Deklassierung gewesen, das neben der Sicherung der Produktivität in Rüstung und Landwirtschaft, in weiterer Folge die sogenannte „innere Front" befrieden sollte, d. h., die inneren Spannungen des nationalsozialistisch beherrschten Reiches sollten in diesem Kontext abgebaut werden. Dies ist durch erfahrbare Vorteile des Rassismus (Besserstellung) und durch eine privilegierte Versorgung der Inländer bei systematischer Benachteiligung der Ausländer realisiert worden, wobei die bessere Versorgung der Inländer erst durch den Arbeitseinsatz der Ausländer und deren Diskriminierung möglich gemacht wurde.336 Die ausländischen Fremdund Zwangsarbeiter wurden entlang einer Hierarchie bewertet, an deren Spitze „germanische" Arbeitskräfte wie Flamen und Holländer und an deren Ende Polen und schließlich „Ostarbeiter" aus der Sowjetunion standen.337Jüdische Zwangsarbeiter müssen aufgrund ihrer Sonderstellung gesondert betrachtet werden.338 Osteuropäer konnten in der genannten Hierarchie an anderer Stelle stehen, wenn es sich etwa um verbündete Russen oder Ukrainer handelte. Für diese dekretierte Gauleiter Eigruber beispielsweise im September 1944 die Gleichstellung mit der deutschen Bevölkerung.339 Zu diesem Zeitpunkt wurde bereits von einer gewissen Abschwächung der Repression gegenüber Ausländern berichtet, wobei der Generalstaatsanwalt des Oberlandesgerichts Linz schon im Juni 1944 vermutete: „Dann geschieht dies offenbar wegen der Besorgnis von Ereignissen, die für die Zukunft für möglich gehalten werden."340 Möglicherweise hängt die Reduktion von Repressionen im Alltag mit dem „Aufbau einer psychologischen Sperre" vieler Österreicher gegen das NS-Regime, das sie mehr und mehr für eine Besatzungsmacht hielten, und zwar spätestens ab dem Jahr 1944, zusammen.341 Ganz allgemein hatten die NS-Dienststellen ebenso wie die Leitung der Industrieunternehmen in erster Linie das Interesse, die Rüstungsproduktion in Gang zu halten. Größere Produktionsausfälle sollten vermieden werden. Auch in diesem Sinne waren Zugeständnisse an

336 Vgl. Freund, Zwangsarbeit, S. 219; Herbert, Fremdarbeiter, S. 165 ff. 337 AStL, Nationalsozialismus, Sch. B 23, Aktenkonvolut 16, Flüchtlinge: Abschriftlicher Auszug aus dem Rundspruch Nr.11 des Gauleiters und Reichsstatthalters vom 12. September 1939. 338 Vgl. beispielsweise Wolf Gruner, Zwangsarbeit und Verfolgung. Osterreichische Juden im NS-Staat 1938-45, Innsbrack/Wien/München 2000. 339 AStL, Nationalsozialismus, Sch. B 23, Aktenkonvolut 16, Flüchtlinge, Rundspruch Nr. 11 des Gauleiters und Reichsstatthalters, Mitteilung des Kreisleiters an den OB, SS-Brigadefährer Pg. Langoth vom 4. Oktober 1944. 340 Lagebericht des Generalstaatsanwalts beim O L G Linz an den Reichsjustizminister vom j . Juni 1944, zit. nach Widerstand und Verfolgung in Oberösterreich, Band 2, S. 438. 341 Vgl. Bukey, „Patenstadt", S. 203 f.; Avrid Fredborg, Behind the Steel Wall. A Swedish Journalist in Berlin, New York 1944, S. 187.

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die ausländischen Arbeitskräfte möglich. 342 Dieses Entgegenkommen war nicht sentimental oder humanistisch begründet, sondern pragmatisch: Das Ziel war die Steigerung der Produktivität bzw. zumindest das Halten des Standards der Rüstungsproduktion. Fritz Sauckel, „Beauftragter für den Vierjahresplan und Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz", stellte dazu folgende Grundsatzüberlegung an: Man dürfe nicht vergessen, daß sogar die Arbeitsleistung einer Maschine davon abhänge, wieviel Treibstoff, Bedienungsgeschick und Pflege sie erhalte. Um wieviel größer müsse die Zahl der zu berücksichtigenden Faktoren sein, wenn es nicht um Maschinen, sondern um Menschen gehe.343 Die Durchsetzung der rassisch hierarchisierten Gesellschaft verlief nicht widerspruchsfrei. Mitunter kollidierten ökonomische mit ideologischen Interessen, traditionell-patriarchalische Arbeitsbeziehungen konnten ebenso wie lange eingeübte mentale Haltungen die ideologischen oder politischen Vorgaben verändern.344 Dies läßt sich auch am Beispiel Linz diskutieren: So ließ Sauckel am 16. September 1944 ein Schreiben an die Gauarbeitsämter verfassen, daß man im „Endkampf' stärker auf die „Ostvölker" zurückgreifen werde. Es wurde mitgeteilt, „daß unter den im Reich in Arbeit eingesetzten Ostarbeitern sowie in der Organisation Todt wehrfähige und wehrwillige Männer bereits erfaßt wurden, die im Kampf gegen den Bolschewismus und das Judentum eingesetzt werden können und diese Männer zum Wehrdienst freigegeben ... werden können". 345 Noch im September 1944 schickte der Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion ein weiteres Schreiben ab, in dem er die potentielle Verbündetenfunktion von „Ostvölkern" und „Ostarbeitern" mit dem Dritten Reich hervorhob. 346 Diese neue Politik hing mit der Existenz tatsächlich vorhandener russischer, ukrainischer und polnischer Kooperationsverbände zusammen, die unter dem russischen General Wlassow, der eine „anti-bolschewistische Befreiungsarmee" anführte, mit der Fortdauer des Krieges an Bedeutung gewannen. Wlassow forderte auch Verbesserungen für die im Deutschen Reich befindlichen „Ostarbeiter", er konnte sich mit dieser Forderung formal durchsetzen.347 Am 10. November 1944 tagte unter dem Vorsitz von Gauleiter Eigruber der Reichsverteidigungsausschuß Oberdonau. Gegenstand der Besprechung waren die jüngsten Ereignisse und, wenn man es so formulieren will, in gewisser Weise die Fremdenfeindlichkeit der einheimischen Bevölkerung. Der stellvertretende Direktor der GöringWerke, Wolkerstorfer, charakterisierte die Lage mit folgenden Schlagworten: „Bomben342 Vgl. z. B. SD-Berichte zu Inlandsfragen vom 2. August 1943 (Blaue Serie), zit. nach Boberach, Meldungen, Band 14 (Mai 1943 - Sept. 1943), S. 5567-5569. 343 Vgl. Michael Burleigh, Die Zeit des Nationalsozialismus. Eine Gesamtdarstellung, Frankfurt 2000, S. 902. 344 Vgl. Freund, Zwangsarbeit, S. 219 f. 345 OÖLA, LWA, Sch. 14, Aktenteil 21/39, Der Beauftragte, vom 16. Sept. 1944, S. 1. 346 OOLA, LWA, Sch. 14, Aktenteil 21/39, Der Beauftragte, vom 30. Sept. 1944, S. 1. 347 Vgl. Herbert, Fremdarbeiter, S. 310.

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geschädigte, Volksdeutsche Flüchtlinge aus Jugoslawien, Rumänien, Bessarabien, Not, Elend." 348 Gauleiter Eigruber „wies auch mit Nachdruck darauf hin, dass die außerhalb des Lagers untergebrachten Banater Deutschen hinsichtlich Lebensmittelzuweisungen, Fürsorgemaßnahmen wie jeder Oberdonauer zu behandeln sind". Es wurde festgestellt, „daß die Flüchtlinge schlecht behandelt und untergebracht werden". Eigruber machte klar, daß damit die einheimische Bevölkerung gemeint sei, indem er daraufhinwies, daß viele Wohnräume nach wie vor leer sind, aber er wies auch auf untergeordnete N S Dienststellen hin, die die Flüchtlinge schlecht behandelten.349 Schließlich brachte der Gauleiter mit Nachdruck zur Sprache, daß zur Zeit polnische Divisionen, die auf der Seite Deutschlands kämpfen sollen, aufgestellt werden: J e d e diffamierende Behandlung der Polen und Ostarbeiter hat in Hinkunft zu unterbleiben", so Eigruber wörtlich. Er bezog sich dabei im speziellen auf Alltagsdiskriminierungen wie etwa in der Linzer Straßenbahn.350 Verallgemeinernde Schlüsse kann man hinsichtlich dieser letzten Phase der NS-Herrschaft nur mit Vorbehalt ziehen. Zu stark sind die Widersprüche. Am 2. Jänner 1945 langte eine Beschwerde ein, daß slowakische Kriegsgefangene, die zu Reparaturzwecken in Linz stationiert waren, zuwenig Einsatz zeigten. Diesem Problem wollte der Regierungspräsident von Oberdonau, Palten, in Ubereinstimmung mit Reichsstatthalter Eigruber durch „Verhängung eines staatspolizeilichen Arrests über das Wochenende oder zur sonstigen Behandlung" entgegentreten. Tatsächlich wurde von der Stadtverwaltung noch am 13. März 1945 eine Liste mit Namen geschickt mit dem Ersuchen, „die aufgezeigten Kräfte einer staatspolizeilichen Bestrafung zuzuführen". 351 Nahezu gleichzeitig wurde in Weisungen des Reichsministers für Rüstung und Kriegsproduktion erneut auf Angehörige der „Ostvölker" gesetzt. Das Programm, „Ostarbeiter" freiwillig für die Waffen-SS anzuwerben, sei in Kraft. Im Linzer Landhaus wurde in der Folge noch am 27. März 1945, persönlich von Reichsstatthalter Eigruber veranlaßt, ein Runderlaß formuliert, in dem „erneut" seitens der Dienstgeber „die Prügelstrafe gegenüber Ostarbeitern auf Schärfste untersagt wird". 352 An dieser Stelle nochmals ein kurzer Exkurs zu August Eigruber: Als Landeshauptmann, später Reichsstatthalter, Gauleiter und Vorsitzender des Reichsverteidigungsausschusses Oberdonau befand sich der überzeugte Nationalsozialist (NSDAP-Mitglied seit 1927) im Kontext von Großindustrie und Zwangsarbeit in Oberösterreich/Oberdonau an einer zentralen Stelle. Walter Schuster charakterisiert den machtbewußten Eigruber

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OÖLA, LWA, Sch. 14, Akt 442g, Besprechung vom n . Oktober 1944, S. 1 (Rüstungsunterkommission). Ebenda, S. 1 f. Ebenda, S. 2 f. Vgl. dazu Schuster, Langoth, S. 202. OÖLA, Politische Akten, Sch. 47, OO 28/16. Der Kommandeur der Gendarmerie bei dem Reichsstatthalter in Oberdonau vom 27. März 1945.

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in seinem Selbstverständnis als „Herrscher in seinem Gau".353 Eigruber war früher als Facharbeiter in den Steyr-Werken tätig gewesen. Rein aus seinen biographischen Eckpunkten läßt sich im sozioökonomischen Verständnis des Gauleiters eine Tendenz weniger zu traditionellen, kleinbetrieblichen Wirtschaftsformen, sondern zu industriellen Arbeitsformen herleiten, Eigruber kann von seinem Wirtschaftsverständnis als „Modernisierer" eingeschätzt werden. (In diesem Kontext, als„Modernisierer" und in gewissem Sinn als Wirtschaftspragmatiker, ist zu verstehen, daß Eigruber 1942 sich gegenüber der SS-Führung unter dem Reichsführer SS Himmler verbal für mehr Freiräume der ausländischen Zivilarbeiter einsetzte.354) Von Anbeginn stand Eigruber zum ReichswerkeKonzern in einem positiven Verhältnis.355 Zu Steyr, der Stadt, in der er aufgewachsen war, ebenso wie zu den Steyr-Werken, die in der Folge ebenfalls Teil des Reichswerke „Hermann Göring"-Industriekomplexes wurden, hatte er eine besondere Beziehung.356 Im Rahmen der Machtkämpfe in Gau, Partei und Staat bewies Eigruber Geschick, er konnte sich bis Kriegsende in seinen Amtern halten, er war der einzige Gauleiter der „Ostmark", dem dies gelang. Hinsichtlich der Auseinandersetzungen im ReichswerkeKonzern kooperierte er, wie bereits erwähnt, mit dem Reichwerke-Generaldirektor Pleiger in Berlin, um den Einfluß der geographisch im ost- und südösterreichischen Raum verankerten Alpine auszuschalten. Eigruber war vor allem an einer dominanten Ausgestaltung des Standorts Linz gelegen. 1941 führte Eigrubers Allianz mit den H G W letztlich zum Rücktritt des einflußreichen Alpine-Generaldirektors Malzacher. Auf Einladung der Reichswerke blies Eigruber am 10. August 1942 persönlich den dritten Hochofen an. Er informierte Hitler darüber in einem Telegramm und teilte Hitler mit, daß an den Hochöfen fünf und sechs während des Sommers 1942 nicht weitergearbeitet worden ist, weil diese nicht als dringlich eingestuft worden waren. Eigruber argumentierte, daß der Vollausbau der Hütte Linz nunmehr angesichts der schweren Luftangriffe auf die westdeutsche Industrie notwendiger denn je sei, weil Linz eventuelle Ausfälle im Westen ersetzen könne.357 Eigruber begrüßte Hitler, Göring und Speer als „Hausherr" in den Göring-Werken, Albert Speer zuletzt am 25. Juni 1944 in Linz. In diesem Kontext entstand ein Bild, das Eigruber in strengem Gespräch mit Zwangsarbeitern zeigt.358 Eigruber war mit Sicherheit über alle wesentliche Details im Zusammenhang mit dem Aus353 Schuster, Nationalsozialistische Kommunalpolitik. In: Mayrhofer/Schuster (Hg.), Nationalsozialismus in Linz, Band 1, S. 307. 354 Vgl. Dietrich Eichholtz, Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft 1939-1945, Band 2, Berlin (DDR) 1985, S. 275 f.; Tweraser, Linzer Wirtschaft im Nationalsozialismus, S. 449. 355 AStL, Linzer Tagesberichte 1938, 1. Teil, S. 207 ff. (Verlautbarung der Gaupressestelle vom 5. Mai 1938 und vom 13. Mai 1938). 356 Vgl. dazu Karl-Heinz Rauscher, Die ökonomische und soziale Entwicklung von Steyr im Nationalsozialismus unter besonderer Berücksichtigung der lokalen Großindustrie, Linz 1998 (Univ. Diss.), S. 59 ff. 357 Archiv Salzgitter, Bestand 24/150/7, Schreiben Reichsstatthalter Eigruber an Pleiger vom 14. August 1942. 358 Vgl. Mayrhofer/Schuster (Hg.), Bilder des Nationalsozialismus, S. 98, siehe auch S. 450 in diesem Band.

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ländereinsatz in den Reichswerken informiert, war doch sein persönlicher Protégé Sepp Wolkerstorfer der für Ausländerfragen zuständige Direktor der Hauptverwaltung Linz. 359 Im Zusammenhang mit verbotenem geschlechdichen Umgang von Zwangsarbeitern und anderen von den Nationalsozialisten definierten Delikten liefen alle Schnellbefehle zur Hinrichtung auch über Eigrubers Schreibtisch: „When a foreign worker was sentenced to be hanged, the execution had to be witnessed by the inspector of the Sipo and the SD as well as the Gauleiter", hält ein Geheimdienstbericht der US-Armee fest.300 In diesem Kontext schrieb Harry Slapnicka in seiner Kurzbiographie Eigrubers: „(Er) griff, insbesondere in den letzten Kriegsmonaten sehr brutal durch und befahl oft auch bei Kleinigkeiten die sofortige Hinrichtung."301 Die „Oberösterreichischen Nachrichten" berichteten beispielsweise im August 1945 anläßlich der Verhaftung Eigrubers,362 daß im April desselben Jahres der Ortsbauernführer Gustav Traunmüller aus Katzbach bei Linz dem Gauleiter zutrug, daß zwei ukrainische Zwangsarbeiterinnen „angeblich aus der Milchkanne einer Bäuerin, die mit Traunmüller sehr gut bekannt war, eine Kleinigkeit Milch gestohlen haben ... Eigruber sandte SS-Leute nach Katzbach und diese knüpften die zwei Ukrainerinnen kurzerhand auf und ließen volle acht Tage unter den blühenden Bäumen die zwei unglücklichen Mädchen hängen."363 Ungeachtet verbaler Zugeständnisse agierte Eigruber also persönlich gegenüber Zwangsarbeitern mitunter sehr brutal. Die plötzlichen Volten in der Frage der Behandlung osteuropäischer Ausländer kamen nicht nur vielen SS-Angehörigen seltsam vor und wurden daher nicht oder nur teilweise nachvollzogen. Die rassistisch-ideologische Sichtweise der SS stand im Gegensatz zu allen Überlegungen, mit Entgegenkommen die Produktivität der ausländischen Arbeitskräfte zu steigern oder sie als Verbündete zu gewinnen. Es erscheint als plausibel, die fortgesetzten Repressionen, die berichtet wurden und die zumindest partiell im Einverständnis mit Teilen der einheimischen Bevölkerung vor sich gingen, so zu interpretieren, daß diese von ihren traditionellen Vorurteilen und der grundsätzlichen Annahme an oberster Stelle der ethnischen Hierarchie zu stehen, nicht kurzfristig Abstand nehmen wollten, noch dazu, wenn durchaus unklar war, wie ernst

359 Archiv Salzgitter, Bestand 24/150/6, Rundschreiben Nr. 8 Neuorganisation vom 10. März 1942, S. 5 f. 360 National Archives, Washington, DC., Record Group 338, E T O mis-y section, Box 109, Military Intelligence Service in Austria, Consolidated Interrogation Report: Gestapo Linz vom 5. August 1946, S. 5. 361 Slapnicka, „Oberdonau", S. 453. 362 Einige Tage lang dominierte die Verhaftung Eigrubers die regionale Berichterstattung. Vgl. Oberösterreichische Nachrichten vom 13. August 1945, S. 1; vom 14. August 195, S. 1; vom 16. August 1945, S. 2; vom 18. August 1945, S. 3. 363 Traunmüller wurde nach Kriegsende „von empörten Ausländem erschlagen und in einem Komposthaufen verscharrt". Zwei beteiligte SS-Männer wurden identifiziert, verhaftet und durch die Besatzungsbehörden zum Tode verurteilt. Oberösterreichische Nachrichten vom 16. August 1945, S. 2. Gauleiter Eigruber wurde im sogenannten Dachauer „Mauthausen-Prozeß" angeklagt, zum Tod verurteilt und 1946 hingerichtet.

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man diverse Erlässe nehmen sollte. So ist es nicht unplausibel, die nicht nur vereinzelten drakonischen Maßnahmen gegen Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen, wie Michael Burleigh es nahelegt, als Aktionen zunehmend unter starkem Druck lebender Inländer zu interpretieren, die damit ihre Frustrationen kompensierten.^ Eine zentrale Komponente in der Politik gegen andere Ethnien und Minderheiten bestand bei den Nationalsozialisten in ihrer Machtpolitik und der Durchsetzimg eines Herrschaftsanspruchs - sowohl nach innen als auch nach außen. Innenpolitische Gegensätze sollten, formuliert es Karl Stuhlpfarrer, durch den Dualismus eines Gegenvolkes - seien es Juden, Roma, Slawen gewesen, die den Deutschen bedrohten - überdeckt werden und damit das Erleben der bestehenden Klassengesellschaft als scheinbare klassenlose Gesellschaft möglich machen.36* Außenpolitisch setzten die NS-Strategen einen rücksichtslosen deutschen Imperialismus durch und betrieben die Reduzierung der ostund südosteuropäischen Länder auf Kolonialstatus und Verurteilung der Ostgebiete zu dauernder ökonomischer Unterentwicklung. „Der russische Raum ist unser Indien, und wie die Engländer es mit einer Handvoll Menschen beherrschen, so werden wir diesen Kolonialraum regieren", dies war die Vorstellung Hitlers 1941. 566 Die unteren sozialen Schichten sollten, so Hitler weiter, davon profitieren: „Unsere Deutschen - das ist die Hauptsache - müssen eine festungsartig in sich geschlossene Gemeinschaft bilden, der letzte Pferdebursch muß höher stehen als einer der Eingeborenen ... 11367 Eine Statuserhöhung für Inländer war das Ziel nationalsozialistischer Politik. Ethnische Hierarchien unter deutschem Führungsanspruch sollten als „symbolisches Kapital"368 für die Unterprivilegierten des „Herrenvolks" dienen. Zumindest partiell ist dieses Ziel auch erreicht worden. Die Ermordung von Millionen Juden und Zigeunern als minderwertige Rassenfeinde, die Tötung von Geisteskranken und Unheilbaren, die Einkerkerung, Verschleppung und Tötung von Andersdenkenden und die von Angehörigen als minderwertig eingestufter Völker millionenfach geleistete Zwangsarbeit bildeten ein Kernstück der Durchsetzung des deutschen Herrschaftsanspruchs. 364 Vgl. dazu auch eine weitere Bemerkung Burleighs in seiner großangelegten Uberblicksstudie: „Wenn man sich mit den damaligen Auseinandersetzungen etwa über die Frage der Endohnung befaßt, geraten automatisch die Direktoren und Aktionäre der Großkonzerne ins Blickfeld, die in den linken Geschichtsmythen zur Nazi-Zeit auf die Schurkenrolle abonniert sind. Tatsächlich beschränkte sich die Komplizenrolle nie auf die Männer aus den Vorstandsetagen, zumal sie in der Regel auch nicht diejenigen waren, die widerspenstigen Fremdarbeitern mit der Schaufel ins Gesicht schlugen, so schwer auch ihre Verantwortung für die Bedingungen, unter denen dies geschehen konnte, wiegen mochte." Burleigh, Nationalsozialismus, S. 902 f. 365 Karl Stuhlpfarrer, Umsiedlung Südtirol 1939-1940, Band 1, Wien/München 1985, S. 10. 366 Adolf Hitler, Monologe im Führerhauptquartier 1941-1944. Die Aufzeichnungen Heinrich Heims, hg. von Werner Jochmann, Hamburg 1980, S. 62. 367 Ebenda, S. Ö3. 368 Vgl. Pierre Bourdieu, Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital. In: Reinhard Kreckel (Hg.), Soziale Ungleichheiten, Göttingen 1983, S. 183-198.

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Der Beitrag der ausländischen Arbeiter, der Kriegsgefangenen und Militärinternierten sowie der KZ-Insassen am Aufbau der Linzer Industrie war insgesamt enorm. Der Aufbau der Industrie des Linzer Raumes sollte in der Folge den industriellen Schwerpunkt in ganz Osterreich nach Westen verschieben.'69 Ausländische Zwangs- bzw. „Fremdarbeiter" haben dabei wesentliche Arbeit geleistet, ebenso wie Kriegsgefangene und KZ-Insassen massenhaft eingesetzt wurden. Auch ist eine Reihe von neuen NSWohnsiedlungen von ausländischen Arbeitskräften, von Zwangs- oder „Fremdarbeitern" gebaut worden. „Vielleicht hat man sich gerade in Oberösterreich zu lange insgeheim als glücklicher Erbe nationalsozialistischer Industriegründungen und Wohnbauten gefühlt und den Hintergrund von Gewalt und Zwang, der sich dahinter verbirgt, geflissentlich verdrängt", hielt dazu der Wirtschaftshistoriker Roman Sandgruber fest." 0 Die Tatsache, daß beispielsweise am Höhepunkt dieser Entwicklung im September 1944 in ganz Oberösterreich etwa 240.000 inländischen Arbeitskräften mehr als 150.000 ausländische gegenüberstanden: 62.000 männliche und 28.000 weibliche Fremd- und Zwangsarbeiter, rund 30.000 Kriegsgefangene und dazu noch mindestens 30.000 bis 40.000 in Oberösterreich eingesetzte Konzentrationslagerinsassen aus Mauthausen samt Nebenlagern - diese Tatsache scheint weitgehend aus dem kollektiven Gedächtnis ausgeblendet worden zu sein.371 Die partielle Amnesie ist möglicherweise damit verbunden, daß es in Linz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs - von der NS-Machtergreifung bis zur Jahreswende 1944/45 - das Ambiente eines allgemeinen „nationalsozialistischen Konsenses" gab, folgt man Evan Bukeys Thesen zur zeitgeschichtlichen Stadtgeschichte von Linz. Die symbolische Erhöhung von Linz, die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik, sozialpolitische Maßnahmen, die Industriegründungen im Raum Linz, der Wohnungsneubau sowie die Realisierung weitverbreiteter antisemitischer Haltungen in Form von tatsächlicher Vertreibung der Juden und „Arisierung" ihres Eigentums hätten laut Bukey

369 Vgl. Fritz Weber, Die Spuren der N S - Z e i t in der österreichischen Wirtschaftsentwicklung. In: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften ( Ö Z G ) , 3. Jahrgang Heft 2/1992, S. 162. Ferner Josef Moser, Modernisierung der Wirtschaft am Beispiel Oberösterreichs: Kontinuität von der N S - Z e i t in die Wiederaufbauphase. In: Osterreichische Gesellschaft für Kritische Geographie (Hg.), Auf in die M o derne! Osterreich vom Faschismus bis zum EU-Beitritt, Wien 1996, S. 94 ff. 3 7 0 Roman Sandgruber, Zwangsarbeit in Österreich - Suche nach fairer Lösung. In: Oberösterreichische Nachrichten vom 14. Oktober 1998, S. 3. 371

Demgegenüber wurde immer wieder ein hohes Ausmaß an Zerstörung, insbesondere durch Bombenschäden, geltend gemacht. Dieser Faktor ist jedoch im kollektiven Gedächtnis offenbar überbewertet worden: Eine genaue Bestandsaufnahme der Industrieanlagen wurde von der V O E S T für das Geschäftsjahr 1945 vorgelegt, mit dem Stichtag 3 1 . Dezember 1945 ergab sich gegenüber dem 1. April 1944 (also vor den Bombenangriffen der US-Verbände) ein unter Luftkriegsschäden zusammengefaßtes Minus von 10,5 Mio. R M , die sonstigen Kriegsschäden schlugen mit einem Minus von 6,8 Mio. R M zu Buche. Bezogen auf das gesamte Anlagevermögen von 209,1 Mio. R M betrug das Ausmaß der Luftkriegsschäden somit 5,0 % , das der „sonstigen Schäden" 3,3 % , insgesamt also rund 8,3 % . Vgl. Fiereder, Die Hütte Linz, S. 218.

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zur Bildung dieses Konsenses geführt.372 Breite Schichten der Bevölkerung haben demnach „ein Gefühl der Identität mit der NS-Volksgemeinschaft verspürt", ungeachtet der wohl bekannten negativen Implikationen des Regimes. Bis 1943 wurde kaum nennenswerte Resistenz aus den Arbeiterschichten gemeldet. Erst gegen Weihnachten 1944 sei „unter dem unbarmherzigen Bombardement der US-Luftkriegsflotte" auch in Linz der „NS-Konsens" zerbröckelt.373 Zumindest die Eckdaten der Darstellung von Bukey decken sich mit den vorgefundenen Quellen hinsichtlich der Hermann-Göring-Werke, Linz. Für eine breite Resistenz oder massenhaft ablehnende Haltung einheimischer Bevölkerungsteile gegen Zwangseinsatz und Drangsalierung ausländischer Arbeitskräfte gibt es keinen dokumentarischen Hinweis. Zehntausende Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge sind also in der oberösterreichischen Industrie, insbesondere in der Linzer Großindustrie, eingesetzt worden. Tausende sogenannte Fremdarbeiter haben am Aufbau der Anlagen mitgewirkt. Den Reichswerken Hermann Göring - nicht isoliert den Linzer Betrieben, sondern dem Gesamtkonzern - kam bei der Erprobung verschiedener Formen der Zwangsarbeit reichsweit eine Vorreiterrolle zu.374 „Symbolisches Kapital" für die inländischen Beschäftigten wurde in den Hermann-Göring-Werken in der Form lukriert, daß meist unausgebildete Arbeiter Kontroll- und Gruppenführungsfunktionen für ausländische Arbeiter übernahmen, Facharbeiter als Vorarbeiter, Poliere und in noch höheren Funktionen oft über Hunderte Ausländer befinden konnten.375 Per Meldung an den Werkschutz und an die Gestapo konnte ungeheure Macht ausgeübt werden. Durch den Ausländereinsatz bei gleichzeitig sehr knappen Ressourcen an deutschsprachigem Personal kam es tendenziell zu einer Art „Rolltreppeneffekt". Reichsangehörige (unter anderem aber auch privilegierte ausländische Beschäftigte) stiegen im Zuge der massenhaften Beschäftigung von „Fremdarbeitern" und Zwangsarbeitern in höhere Positionen auf.376 Die rassische Hierarchisierung stattete die aufgestiegenen Arbeitskräfte zusätzlich mit einer enormen Machtfülle aus. Negativimplikationen wie Lohndruck oder Bedrohung des eigenen Arbeitsplatzes kamen infolge der rassistischen Zwangsmaßnahmen für

372 Vgl. Bukey, „Patenstadt", S. 267-277. 373 Ebenda, S. 308. 374 Vgl. Bertrand Perz, Perspektiven der österreichischen Forschung zur Zwangsarbeit und Arbeitsmigration im Nationalsozialismus. In: Ingrid Böhler/Rolf Steininger (Hg.), Österreichischer Zeitgeschichtetag 1993, Innsbruck 1995, S. 2 1 3 . 375 Auch August Meyer, der nach dem Krieg selbst als Vorstandsassistent im Hüttenwerk Salzgitter beschäftigt war, hält zur Arbeitsmarktsituation in Linz bei Inbetriebnahme der Werke fest, daß „die deutschen oder ,deutschstämmigen' Arbeiter fast ausnahmslos mit der Hoffnung auf sozialen Aufstieg kamen". Schließlich seien infolge des besonders ausgeprägten Arbeitskräftemangels praktisch alle deutschen oder „deutschstämmigen" Bewerber aufgenommen worden, „da diesen (den Reichswerken) die Möglichkeit der Wahl fehlte". Meyer, Hiders Holding, S. 179. 376 Vgl. dazu auch Freund/Perz, Zwangsarbeit, S. 666.

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die reichsangehörigen Arbeitskräfte ebenfalls nicht zum Tragen. Retrospektiv existieren einige Hinweise auf die Internalisierung dieser nationalsozialistischen Arbeitsideologie durch regionale Arbeitskräfte. 377 Diese sähen sich als „Einheimische" in der Tradition übergeordneter Funktionen und wollten daher keine Hilfsarbeiten leisten.378 Der Ansatz, daß die Ursachen des Nationalsozialismus als ökonomisches und politisches Problem zu verstehen sind, die Wirkungsweise verstärkt aber auch mit psychologischen Gründen zu tun habe, ist nicht neu: Schon Wilhelm Reich und Erich Fromm haben in den 1940er Jahren in umfangreichen Studien darauf aufmerksam gemacht. Nichts anderes aber ist die These vom „symbolischen Kapital", die von einer Reihe zeitgenössischer Autoren angewendet wird. Traditionellerweise rückten die frühen Autoren eines psychologisierenden Ansatzes wie etwa Erich Fromm das Kleinbürgertum in den Mittelpunkt des Interesses. Es seien Kleinbürgertum und Mittelstand gewesen, die im Nationalsozialismus die Möglichkeit sahen, ihr in den i92oern beschädigtes gesellschaftliches Prestige wiederzufinden. In diesen Schichten beförderte die nationalsozialistische Ideologie bereits vorhandene Ressentiments, bestärkte die Fremdenfeindlichkeit, die „Hinwendung zum Starken und den Haß auf die Schwachen". Die Sympathie der Kleinbürger für den Nationalsozialismus sei durch die Propaganda und durch den radikalen Opportunismus konkreter NS-Politik zusätzlich verstärkt worden.379 Dieser Befund sollte stärker auf die Unterschichten ausgedehnt werden. Ohne oberflächliche Generalisierungen zu treffen, erlauben die aufgefundenen Quellen hinsichtlich des Zusammentreffens ausländischer Zwangsarbeiter und inländischer Arbeitskräfte in der Linzer Großindustrie nur diesen Schluß. Von politisch motivierten Gegnern unter den Arbeitnehmern der Göring-Werke gab es ohne Zweifel ab 1943 punktuelle Unterstützung für die stark unter Druck stehenden Zwangsarbeiter. Abseits politisch motivierter Konspiration weisen die bislang vidierten Gerichtsakten allerdings auf eine merkbare Kooperation der einheimischen bzw. reichsdeutschen Arbeiter und Angestellten mit dem NS-System hin, wenn es um Fragen der Konvivialität mit ausländischen Zwangsarbeitern ging. 377 So beschwerte sich beispielsweise der Linzer Stadtbaudirektor Ludwig Rauscher am 2-/3. Februar 1946 im Rahmen der Tagung der österreichischen Städtevertreter, daß nur wenig qualifizierte einheimische Arbeitskräfte, beispielsweise Hilfsarbeiter, Taglöhner, Angelernte u. a., nur mühevoll oder gar nicht zu manuellen Bau- und Erdarbeiten bewegt werden könnten. Kontrollieren und anschaffen hingegen würden sie schon gerne, so Rauscher: „Wir dürfen aber nicht vergessen, daß die Nazi unglücklicherweise jedem erklärten, er sei ein Herrenmensch, und daß er eben nicht Hilfsarbeiter sein kann. Eis gab seitenlange Titel und dann konnten die Leute nicht einmal ihren Namen schreiben .. ."AStL, Besatzungszeit, Sch. B 75, Akt Städtebund: Tagung der österreichischen Stadtevertreter in Linz am 3. Februar 1946. Anlage 2: Ludwig Rauscher, Stadtbaudirektor, Technische Organisation des Wiederaufbaus, Protokoll (Diskussion), S. 32. 378 Angesichts von sechs Jahren Krieg und sieben Jahren NS-Diktatur ist partielle Arbeitsunlust an sich allerdings nicht weiter verwunderlich, Klagen darüber waren seitens der Bauwirtschaft in den ersten Jahren nach dem Krieg auch keine Seltenheit. Vgl. dazu Marieluise Doppelreiter, Orientierung zwischen Schutt und Asche, Wien 1995, S. 28 ff. 3 79 Vgl. Erich Fromm, Furcht vor der Freiheit, München 1990, S. 155 f.

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Schließlich ist bei aller Ideologisierung der Bevölkerung und bei Berücksichtigung der Bedeutsamkeit des „symbolischen Kapitals", das gegenüber „fremdvölkischen" Arbeitskräften akkumuliert werden konnte, auch der Faktor einer erzwungenen Interessensparallelität oder auch vermeintlichen Interessenparallelität zwischen Teilen der einheimischen Bevölkerung und dem nationalsozialistischen Regime zu berücksichtigen. Durch die nationalsozialistische Expansions- und Unterdrückungspolitik wurde ein Teil der einheimischen Bevölkerung unfreiwillig in eine Situation gebracht, in der er einen geringen Handlungsspielraum und nur wenig emotionelle Dispositionsmöglichkeiten hatte. So beschreibt Evan Bukey auf der Basis der SD-Berichte im Zusammenhang mit dem späteren Kriegsverlauf eine Situation der Nervosität, Angst und Besorgnis bei Teilen der einheimischen Bevölkerimg im Zusammenhang mit der Ansammlung einer großen Zahl von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern.380 Eine besonders deutliche Ausprägung erhielt dieser erzwungene „Konsens" bei Bombenangriffen: Selbst der Zwangsarbeiter Juri Tichomirow aus dem ukrainischen Dnepropetrowsk, der beschrieb, daß man ihm drohte, seine Eltern zu erschießen, wenn er nicht zum Arbeitseinsatz in den HermannGöring-Werken nach Linz fahre, formulierte in einem Erinnerungstext, daß „die Amerikaner das Werk für einige Stunden in eine wahre Hölle verwandelten". Und im Bunker seien - ungeachtet der Herkunft - „die Nerven von allen" aufe äußerste gespannt gewesen. „Schweigend warfen wir uns Blicke zu, lauschten angestrengt auf jede Explosion ... mit Erleichterung vernahmen wir dann das Signal der Entwarnung." 38 ' Und, schrieb Juri Tichomirow, „vor dem Einschlafen hat man nur einen Gedanken: Hoffentlich werden wir nicht mitten in der Nacht von der englischen Luftwaffe in die Luftschutzkeller gehetzt. Die Engländer ... fliegen nachts hierher, wenn die erschöpften Menschen am schwersten aus ihrem Schlaf erwachen. Dabei müssen wir um fünf Uhr morgens aufstehen." 382 Soweit die Erinnerungen eines ukrainischen Zwangsarbeiters und entschiedenen Gegners des deutschen Nationalsozialismus; wesentlich stärker war ein Teil der einheimischen Bevölkerung in die bestehende Situation hineingedrängt worden. Ein Teil der Einheimischen empfand nicht nur Angst und Anspannung angesichts der Bombenangriffe, sondern auch angesichts von zehntausenden Zwangsarbeitern, KZ-Häftlingen und Lagerinsassen, die nur unfreundlich gesinnt sein konnten.383 Zurück zur nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik: Insgesamt ist die Errichtung der Linzer Industrieanlagen in den Rahmen des nationalsozialistischen Wirtschaftsaufbauprogramms einzuordnen. Einerseits war diese von mittelbaren und unmittelbaren Rüstungsbestrebungen bestimmt. Energiesektor, Schwerindustrie und Rohstoffgewinnimg

380 Evan Bukey, Hitlers Österreich. „Eine Bewegung und ein Volk", Hamburg/Wien 2000, S. 260. 381

Historisches Archiv der VOEST ALPINE A G , Linz, Juri Tichomirow, geb. 1926, „Fast fünfzig Jahre unauslöschlicher Erinnerung" (unveröff. masch. Manus.), Dnepropetrowsk 1991, S. 4 ff.

382 Ebenda, S. 10. 383 Vgl. dazu die Überlegungen zur Einrichtung einer „Bürgerwehr" gegen Ende des Krieges in Linz.

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standen im Mittelpunkt, während die Bedeutung der Konsumgüterindustrie deutlich zurückging.38^ Andererseits waren bei aller Zielgerichtetheit selbst die Großindustriegründungen durch ein diffuses Finanzierungsprogramm gekennzeichnet, das jedoch bei Investitionssummen durchaus konkret wurde. Im Juli 1938 wurde eine Auftragssumme für die gesamten Bau- und Industrieerrichtungsprojekte in Osterreich in der damaligen Höhe von 650 Mio. R M veranschlagt, eine Summe, die das Fassungsvermögen der österreichischen Wirtschaft bei weitem überstieg. 1939 sah man gar 800 Mio. R M vor - ein gigantomanisches Programm. Auch nach Kriegsbeginn planten die Wirtschaftsfachleute die weitere ökonomische Expansion. „Es sind Angaben über die Kosten dieser Pläne durchaus vorhanden", heißt es in einer Studie zur nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik in Oberösterreich, „die Frage nach der Aufbringung der Mittel scheint dagegen nirgends auf. Tatsächlich dürfte dies für eine absolute Wachstumsgesellschaft; von sekundärer Bedeutung sein. Schlußendlich sah das NS-Regime vor, anderen Völkern die Schuldenlast für die gigantischen Ausgaben a u f z u b ü r d e n . " 3 8 5 Ausplünderung der Juden, Einverleibung ihrer Vermögen in die „arische Volkswirtschaft", Zwangsarbeit, Unterjochung und Ausplünderung anderer Völker in Angriffskriegen - dieser Weg ist im Rahmen nationalsozialistischer Politik tatsächlich beschritten worden. Ökonomisch und ethisch ist dieser Problematik im Laufe der Jahrzehnte nicht hinreichend Rechnung getragen worden. Die mangelnde Aufarbeitung dieses Aspekts nationalsozialistischer Politik und ihrer möglichen Folgen auf der Ebene der Herausbildung und Verfestigung von Mentalitäten sind jedenfalls bislang wenig beachtet worden.386

1 2 . „GEZWUNGENERMASSEN ZWANGSARBEITER BESCHÄFTIGEN M U S S T E N . . . " E R S T E E N T S C H Ä D I G U N G S A N S P R Ü C H E UND DAS ZEITGENÖSSISCHE M E I N U N G S K L I M A Am 30. Jänner 1999 erhielt die VOEST-ALPINE Industrieanlagenbau von Herrn Ernest Gmurczyk aus Warschau folgendes Schreiben: „Während des II. Weltkriegs war ich vom 27. August 1944 bis zum 5. Mai 1945 gemäß der Entscheidung des Reichssicherheitshauptamtes Häftling Nr. 93411 im Konzentrationslager Mauthausen - Linz III. In dieser Zeit war ich dem Kommando Hauptwerkstätte zugeordnet und als Maschinenschlosser bei den Alpine-Montanbetrieben in Linz beschäftigt, die heute nach wie vor bestehen

384 Vgl. Sandgruber, Ökonomie und Politik, S. 412-414. 385 Josef Moser, Beschäftigungspolitik im ,Dritten Reich'. In: WISO. Wirtschafts- und sozialpolitische Zeitschrift, 15. Jahrgang, März 1993 (4/1992), S. 119. 386 Vgl. dazu generell Geschichts- und Vergangenheitspolitik in Osterreich (= Osterreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 2001/1), S. 5-77.

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und auf dem Stadtplan als Vereinigte Österreichische Eisen- und Stahlwerke - Alpine Montan AG/Voest-Alpine A G eingezeichnet sind. Bei den Alpine-Montanbetrieben war ich als Maschinenschlosser vom 15. September 1944 bis zum 27. April 1945 beschäftigt. Die Arbeit dauerte 12 Stunden pro Tag, davon abwechselnd eine Woche in Tagschicht und die nächste Woche in Nachtschicht. Am 27. April 1945 wurde das Kommando Hauptwerkstätte (der HGW) von SS-Abteilungen zum Hauptbahnhof Linz abgeführt, wo wir Erdarbeiten, im Zusammenhang mit dem Zuschütten von nach Fliegerbombenabwürfen entstandenen Gräben, verrichtet haben. Während dieser Nachtarbeit wurde mir aufgrund der Bombenexplosion das rechte Bein über dem Knie abgerissen und ich habe das Gehör am rechten Ohr verloren. Ich war damals 19 Jahre alt... Ich bin Opfer der unmenschlichen Arbeitsbedingungen in der Hütte, der Mißhandlungen seitens der SS, der Schläge, des Hungerns und der Existenzbedingungen. Als ich Häftling war, verrichtete ich gemäß dem Bedarf der Alpine Montanbetriebe Zwangsarbeit. Für diese Arbeit habe ich bis jetzt von der Firma, die nach wie vor besteht und auf dem gleichen Gelände die gleiche Produktion betreibt, keine Zahlung bekommen."387 Der Brief Ernest Gmurczyks ist Ausdruck der Tatsache, daß Zwangsarbeiter in Osterreich bislang nicht entschädigt wurden. Ausländische Staatsbürger wurden generell nicht entschädigt, österreichische Staatsbürger haben Entschädigungen für ihre Haftzeiten erhalten, nicht jedoch für die Arbeitsleistung, die sie damals erbracht haben. Zivile Ausländer und Ausländerinnen und auch alle anderen Gruppen, die Zwangsarbeit leisteten, wurden von österreichischer Seite für die Arbeit, die sie geleistet haben, bis in die jüngste Vergangenheit nicht entschädigt.'88 Gleiches gilt für die psychischen und physischen Schäden, die sie erlitten haben. Osterreich hat sich nicht als Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches gesehen, was formal auch dem Völkerrecht entspricht. Darüber hinaus wurde in dem politisch offiziell als „befreit" deklarierten Land kaum das Anliegen geäußert oder die moralische Verpflichtung empfunden, Zwangsarbeiter zu entschädigen. Die Vereinigte Österreichische Eisen- und Stahlwerke Aktiengesellschaft (VOEST) in Linz trat zwar die Nachfolge der Hermann-Göring-Werke an, leistete aber keine Entschädigung. Erst seit 1998 wurde unter zunehmendem internationalen Druck, und insbesondere im Zusammenhang mit vor US-amerikanischen Gerichten eingebrachten Sammelklagen, die Entschädigungsfrage hinsichtlich von Zwangsarbeitem in Österreich diskutiert.389 Die politische Entscheidung ist bereits im Jahr 2000 gefallen, Zwangsarbeiter, die in Österreich eingesetzt wurden, werden über einen von österreichischen Stellen

387 Historisches Archiv der VOEST ALPINE AG, Linz, Schreiben Ernest Gmurczyk an VOEST-Alpine Industrieanlagenbau vom 30. Januar 1999, S. 1 f. 388 Vgl. Brigitte Bailer-Galanda, Die Opfergruppen und deren Entschädigung. In: Forum Politische Bildung (Hg.), Wieder gut machen? Enteignung, Zwangsarbeit, Entschädigung, Restitution, Wien 1999, S. 94. 389 Vgl. dazu beispielsweise Christian Höller, NS-Zwangsarbeit: Der Preis der Vergangenheit. In: industrie N r . 5, 9 . - 2 2 . M ä r z 2000, S. 6 - 1 1 .

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finanzierten Fonds entschädigt (Österreichischer Versöhnungsfonds). Ungeachtet dessen wurden in der aktuellen Diskussion auch kritische Töne hörbar, die argumentieren, daß die Zwangsarbeit zeitlich schon lange zurückliege, daß österreichische Kriegsgefangene oder sudetendeutsche Vertriebene auch nicht entschädigt würden und vor allem ein Argumentationsmuster wird immer wieder, auch öffentlich, geäußert: „Die Juden/ Zwangsarbeiter können nicht genug kriegen!" - „Das ist reine Erpressung!" und „Warum Entschädigung gerade jetzt?"' 90 Der Industrielle Carl Anton Goess-Saurau hielt etwa öffentlich fest: „Auf die Idee heute etwas dafür zu verlangen, wäre ich nicht gekommen. Es war eben Krieg. Und deshalb kann es heute keine Forderungen mehr geben."391 Möglicherweise basieren die entschädigungskritischen Aussagen einerseits auf vorgefaßten Meinungen, andererseits vielleicht aber auch auf historischer Unkenntnis. Ganz gewiß steht im Hintergrund diverser Ansichten auch immer die These, daß Österreich und die österreichische Bevölkerung als erste Opfer Hitlerdeutschlands zu begreifen seien.392 Es ist festzuhalten, daß ausländische Zwangsarbeiter bisher in der Geschichte der Zweiten Republik nicht entschädigt wurden, daß sie jedoch bald nach Kriegsende begannen, ihren Schaden und ihre Ansprüche zu dokumentieren und eine Entschädigung zu betreiben. Aus diversen im folgenden zu klärenden Gründen waren es jüdische Institutionen, die eine Entschädigung von (jüdischen) Zwangsarbeitern betrieben haben. Unter den Bedingungen des Kalten Krieges konnten sich vor allem die - in ihren Heimatländern selbst diskriminierten - ehemaligen Zwangsarbeiter aus Osteuropa nicht hinlänglich organisieren. Jene Minderheit ehemaliger Zwangsarbeiter, die in Mitteleuropa verblieben waren, lebten oft in Nachkriegslagern zusammen mit Personen, die in der NS-Zeit in die Nähe der Kollaboration gerückt waren. Als primär antikommunistisch getragene Gruppierungen, wobei der Antikommunismus eine antinationalsozialistische Einstellung überdeckte, und oft: auch antisemitisch eingestellt, wurden sie von den Opferverbänden, den KZ-Verbänden, aber auch von den jüdischen Organisationen zum damaligen Zeitpunkt nur selten als Gesprächspartner anerkannt. Aus diesem Grund blieben in der Öffentlichkeit wahrnehmbare Forderungen um Entschädigung auf die in Linz relativ kleine Gruppe ehemaliger jüdischer Zwangsarbeiter beschränkt. Oberösterreich war nach Kriegsende zu einem Zentrum der als Displaced persons (D. P.) bezeichneten verschleppten und festgehaltenen ehemaligen KZ-Insassen und Zwangsarbeiter geworden. Im Mai 1945 sind hier rund 80.000 Insassen aus den Kon-

390 Vgl. „Schutzgeld". In: profil vom 4. Juni 2000; sowie „Das ist reine Erpressung". In: profil. Das unabhängige Nachrichtenmagazin vom 10. Juli 2000, S. 46 f. 391 Vgl. „Das ist reine Erpressung". In: profil vom 10. Juli 2000, S. 46 f. 392 Vgl. dazu beispielsweise Gerhard Botz/Albert Müller, „1945": „Stunde Null". Historischer Bruch oder Kontinuität mit der NS-Zeit und der Ersten Republik ? In: Dokumentationsarchiv des Osterreichischen Widerstandes. Jahrbuch 1995, Wien 1995, S. 6-27.

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zentrationslagern befreit worden, ferner befanden sich mehr als 200.000 ehemalige Zwangsarbeiter im Land. Die oberösterreichische Landeshauptstadt war zu einer Schnittstelle der Flüchtlingsbewegungen geworden, hatte eine verstärkte Funktion als Verkehrsknotenpunkt, war ein politisches, wirtschaftliches und militärische Zentrum des „westlich" orientierten Osterreich (also des von den US-Amerikanern, Briten und Franzosen besetzten Gebiets) geworden. Neben Salzburg war vor allem Linz zu einem Headquarter der amerikanischen Truppen aufgestiegen, Zentrum der D. P.s, Registrierungsstelle, Sammelstelle Vertriebener und Geflüchteter, Verkehrsknotenpunkt und ein Wirtschaftszentrum geblieben. Der Großteil der Industrieanlagen war unbeschädigt geblieben, die Anlagen waren im US-amerikanischen Sektor gelegen, es wurde auf Betreiben der amerikanischen Besatzungsmacht wieder produziert.393 Die alliierten bzw. fremdsprachigen D. P.s, die entweder als Opfer des Hitlerfaschismus gelten konnten oder deren Loyalität gegenüber den Alliierten feststand, wurden von der amerikanischen Militärregierung bzw. von der „United Nations Relief and Rehabilitations Administration" (U.N.R.R.A.), ab 1947 von der „International Refiigee Organization" (I.R.O.) versorgt. In der sowjetischen Zone waren keine dauerhaften D. P.Camps eingerichtet worden.394 Bereits 1945 wurden in allen Bezirksorten durch die US-Militärregierung sogenannte „Information-Center" geschaffen. In Linz war dies das Displaced Persons Information Center (Umgesiedelte Personen Auskunftszentrale) in der Goethestraße 63. Dort hatte Simon Wiesenthal ein Büro, es gab ein Kontaktbüro, das Jewish Central Committee verfügte über Büroräumlichkeiten, in denen u. a. die J ü dische Historische Dokumentation" eingerichtet wurde. Linz kann von etwa 1945 bis 1950 als ein Zentrum der „allied D. P.s" in Österreich angesehen werden. Kurzfristig befanden sich hier amerikanische Militärs, die mit den jüdischen Organisationen in Kontakt standen, Geheimdienstleute, Journalisten, Intellektuelle, die Opfer der Nationalsozialisten gewesen sind, Künstler und etwa auch Bohemiens wie Oscar Schindler, der später über den Fim „Schindlers Liste" weltberühmt werden sollte. An der Distanz zwischen einheimischer Bevölkerung bzw. lokalen Behörden und den verschleppten, internierten bzw. zur Arbeit gezwungenen Fremden hat sich in der ersten Nachkriegszeit nur wenig verändert: Österreichischen Privatpersonen ebenso wie österreichischen Polizisten war das Betreten der Camps der alliierten D. P.s ohne Erlaubnis bzw. ohne Begleitung amerikanischer Militärpolizisten in der ersten Nachkriegszeit nicht gestattet.395 393 Vgl. Moser, Modernisierung der Wirtschaft. In: Österreichische Gesellschaft für Kritische Geographie (Hg.), Auf in die Moderne!, S. 95. 394 Vgl. Harry Slapnicka, Für deutschsprachige Heimatvertriebene: Erste Raststätte auf der Weiterwanderung; Eingliederung in Osterreich. In: Prinzip Hoffnung. Linz zwischen Befreiung und Freiheit, Linz 1995, S. 194 ff. 395 Vgl. dazu Michael John, Zwischenstation Oberösterreich. Die Auffanglager und Wohnsiedlungen für jüdische DPs und Infiltrees in Oberösterreich. In: Thomas Albrich (Hg.), Flucht nach Eretz Israel. Die Bricha und der jüdische Exodus durch Österreich nach 1945, Innsbruck 1998, S. 67-92.

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Jugoslawische Zwangsarbeiter begrüßen in Linz bei Kriegsende die US-amerikanischen Truppen mit einem Tito-Transparent

Der Thematik der Zwangsarbeit wurde in den ersten Nachkriegsmonaten keine Aufmerksamkeit gewidmet. Die weitaus größte und wichtigste Tageszeitung Oberösterreichs waren die „Oberösterreichische Nachrichten", die mit dem Zusatz „herausgegeben von den amerikanischen Streitkräften für die Bevölkerung Oberösterreichs" in der Druckerei der ehemaligen „Tages-Post" erschienen.^6 Im weiteren Verlauf des Jahres 1945 wurde zwar regelmäßig über NS-Verbrechen und über das Konzentrationslager Mauthausen berichtet, nicht jedoch über die ausländischen Zwangsarbeiter. Nach Durchsicht der Tagesausgaben wurden Zwangsarbeiter ein einziges Mal, und zwar in einem Artikel des US-amerikanischen Industrieofiiziers Engeseth über die Hermann-Göring-Werke, erwähnt: „Einige Tausende aus aller Herren Länder herbeigeschleppte Männer und Frauen wurden oder werden heimgebracht, Zwangsarbeiter aus dem eigenen Lande kehren in ihre ursprünglichen Berufe zurück."397 Das US-amerikanische Interesse an den ehemaligen Zwangsarbeitern in Linz konzentrierte sich damals in erster Linie auf deren Repatriierung. In diesem gesellschaftlichen Klima begann das ,Jewish Central Committee" die Meinungsbildung unter den Betroffenen voranzutreiben und die Öffentlichkeit in dieser An396 Zur Etablierung der Oberösterreichischen Nachrichten vgl. Kurt Tweraser, Hans Behrmanns Glück und Ende. Anmerkungen zur amerikanischen Pressepolitik am Beispiel der „Oberösterreichischen Nachrichten" 1945-1948. In: HJbStL 1996, Linz 1997, S. 277-333. 397 Oberösterreichische Nachrichten vom 4. Juli 1945, S. 2.

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gelegenheit zu sensibilisieren. Es erschien 1946 beispielsweise folgender Aufruf: „Achtung, ehem. KZler, Arbeiter der,Hermann Göringwerke' in Linz: Im Zusammenhang mit dem in Kürze gegen die ehemaligen Leiter und Direktoren der Hermann-GöringWerke stattfindenden Prozesse werden alle Personen, welche etwas über das Verhalten und die Taten derselben wissen, bei der Jüdischen Historischen Dokumentation, Linz, Goethestraße 63 zu erscheinen."' 98 „Achtung, ehem. KZler, Arbeiter der ,Hermann Göringwerke' in Linz ... Alle, die etwas über die Zwangsarbeit und die Konzentrationslager in den ehemaligen ,Hermann Göringwerke' wissen, werden eingeladen bei der Jüdischen Historischen Dokumentation, Linz, Goethestraße 63 zu erscheinen."399 Im Jahr 1946 richtete Simon Wiesenthal mehrere Schreiben an den Rechtsnachfolger der Reichswerke in Linz, an die Vereinigten Osterreichischen Eisen- und Stahlwerke (VOEST), in denen er um Entschädigungen für die Zwangsarbeit während der NS-Zeit einkam. Die V O E S T argumentierte in ihren Antwortschreiben mit den Kosten einer diesbezüglichen Regelung: „Unter Berücksichtigung aller Kostenelemente", formulierte die V O E S T Direktion im Schreiben vom 19. November 1946, „kam der Einsatz von KZ-Häftlingen dem Werk und Baufirmen finanziell höher zu stehen als ein solcher von Zivilarbeitern ... Aus den Ihnen oben geschilderten Umständen heraus ist unsere Gesellschaft, welche über seinerzeitigen Auftrag der amerikanischen Militärregierung das Vermögen der ehemaligen Göring-Werke zu verwalten hat, leider außerstande, nachträglich aus diesem Kostentitel noch zusätzliche Kosten zu übernehmen."400 Parallel dazu muß es noch andere Forderungen nach Entschädigungen gegeben haben, denn in einem Schreiben der Sicherheitsdirektion der oö. Landesregierung vom 5. November 1946 wurde festgehalten, daß im Lager Haid vor mehreren Wochen Polen, die vor ihrer Repatriierung standen, um Entschädigung angefragt haben. Diese seien an die betroffenen Firmen verwiesen worden, die allerdings, soweit bekannt, eine Wiedergutmachung ablehnten.401 Nachdem außergerichtliche Einigungsschritte keinen Erfolg hatten, beschritt das Jewish Central Committee den Rechtsweg. Wie aus einem Schreiben Simon Wiesenthals an den Direktor der I.R.O hervorgeht, hatte die jüdische Organisation in Fragen der Zwangsarbeit auch den Kontakt mit polnischen und ukrainischen Zwangsarbeitern gesucht, dies sei aber wegen des Antisemitismus in den Lagern dieser Gruppen gescheitert; in den polnischen Lagern und vor allem in den Camps, in denen sich Ukrainer befanden, 398 Y I V O Institute for Jewish Research, N e w York. Record Group N o . 294.4 Displaced Persons Camps and Centers in Austria 1 9 4 5 - 1 9 5 1 , Mikrofilm 490, Spule 5, Jewish Historical Dokumentation, ZI. 870, Aufrufe. 399 Ebenda. 400 Schreiben der Generaldirektion der V O E S T an Simon Wiesenthal vom 19. November 1946 (zur Verfügung gestellt von Simon Wiesenthal, Dokumentationszentrum des Bundes jüdischer Verfolgter des N a ziregimes, Wien). 401

O O L A , Landesregierung, Präs. 1945, Sch.3, Sicherheitsdirektion, Tätigkeitsbericht vom 5. November 1946, S. 1 f.

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würden immer wieder Mitglieder der ukrainischen SS Unterschlupf finden, erst unlängst seien 2 5 Ukrainer mit SS-Tätowierungen im D. P.-Lager Asten festgenommen worden.402 Aufgrund der Unterwanderung der Lagerstruktur durch Personen, die nicht eindeutig als Opfer des Nationalsozialismus beschrieben werden können, sei, so Wiesenthal, ein Kontakt nicht möglich gewesen. Das Jüdische Zentralkomitee versuchte also ohne andere Organisationen und Interessenverbände, auf gerichtlichem Weg, nur für jüdische Betroffene, Entschädigungsansprüche durchzusetzen. In Linz erschien dazu im August 1947 folgender publizistischer Bericht: Jüdische Zwangsarbeiter klagen Stahlwerke: Vor dem Linzer Arbeitsgericht hat kürzlich eine negativ verlaufene Einigungsverhandlung zwischen den Vertretern ehemaliger jüdischer Zwangsarbeiter, die derzeit als ,displaced persons' auf dem Linzer Bindermichl wohnen und dem Vertreter der Vereinigten Eisen- und Stahlwerke stattgefunden. Nach Scheitern der Einigungsverhandlungen wurde seitens der ehemaligen jüdischen Zwangsarbeiter gegen die V O E S T erhobene Klage vom Linzer Arbeitsgericht ordnungsgemäß durchgeführt und entweder abgelehnt oder ihr stattgegeben werden. Der Jüdische Zentralausschuß' in Linz klagt im Namen einiger namentlich angeführter ehemaliger jüdischer Zwangsarbeiter, die während des Krieges zu Straßen und Bauarbeiten seitens der Leitung der ehemaligen ,Hermann-Göring-Werke' in Linz herangezogen worden waren, auf nachträgliche Auszahlung ihres Arbeitslohnes."403 Die Wochenschrift „Echo der Heimat" von Gustav Adolf Neumann, die sich an Heimkehrer, an Sudetendeutsche, an ehemals national Gesinnte wandte, berichtet sehr detailliert über diesen Fall.4°4 Neumann sollte zwei Jahre später Landesobmann des VdU Oberösterreich (Verband der Unabhängigen) werden, er verfügte über gute Kontakte zur amerikanischen Besatzungsmacht, die ihn zum Verantwortlichen für die Verteilung des zur Zeitungsherstellung notwendigen Rotationspapiers machten.40* Ungeachtet der Anbindung an den VdU galt Neumann als arbeitnehmerfreundlich. Das Boulevardblatt informierte über die Klage der Zwangsarbeiter gegen die V O E S T genau und relativ neutral; soweit sich das beurteilen läßt, war der Artikel umfassend recherchiert.406 402 Y I V O , Mikrofilm 490, Spule 5, ZI. 949fr. Schreiben Jewish Historical Dokumentation, Simon Wiesenthal an Mr. Bedo, I.R.O. Chief Eligibility Officer vom 20. Oktober 1948, S. 1 ff. 403 Echo der Heimat. Unabhängiges Illustriertes Wochenblatt für Oberösterreich und Salzburg vom 14. August 1947, S. 1. In der damaligen Situation klammerte man diverse Unterschiede aus: Zwangsarbeiter und KZ-Insassen wurde als „Zwangsarbeiter in den Hermann-Göring-Werken" bezeichnet, sowohl in den Medien als auch seitens der jüdischen Organisationen. 404 Vgl. dazu Herbert Edlinger, Die Rekonstruktion der oberösterreichischen Sozialdemokratie nach 1945 (unveröff. Diss.), Linz 1995, S. 66, 2 6 1 - 2 6 3 . 405 Vgl. Viktor Reimann, Die Dritte Kraft in Osterreich, Wien/München/Zürich/New York 1980, S. 2 2 1 ff.; vgl. femer zur Entwicklungsgeschichte des V d U die etwas unstrukturierte Arbeit Lothar Höbelt, Von der Vierten Partei zur Dritten Kraft, Graz/Stuttgart 1999, S. 95 ff. 406 Echo der Heimat vom 14. August 1947, S. 1. Der Herausgeber der Zeitschrift wurde 1950 in einer putschartigen Sitzung des oberösterreichischen Landesverbandes der V d U abgewählt und zugleich auch körperlich attackiert.

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In der Klage wurde auf die Zwangsarbeit auf dem Gelände der Hermann-GöringWerke selbst hingewiesen, aber auch darauf, daß laut Jüdischem Zentralkomitee „ganze Straßenzüge der jetzigen Bindermichl-Siedlung, ganze Wohnblocks in der Siedlung" mit Hilfe von Zwangsarbeitern errichtet wurden. „An den Straßen- und Wohnungsbauten in der Bindermichl-Siedlung waren in der Hauptsache holländische Juden beteiligt... einige wenige halten sich (jetzt) zufälligerweise auf dem Weg nach Palästina oder in die Vereinigten Staaten als unfreiwillige Gäste gerade in jener Bindermichl-Siedlung auf, deren Straßen sie selbst erbauen halfen", so der Zeitungsbericht in weiterer Folge. In dieser Darstellung wurde sicherlich der Einsatz jüdischer Zwangsarbeiter disproportional in den Vordergrund gestellt, gegenüber jenem italienischer Arbeiter und slawischer Zwangsarbeiter, die wesentlich an der Errichtung der Bindermichl-Siedlung beteiligt waren. Das „Echo der Heimat" übernahm hier die Darstellung des ,Jüdischen Zentralkomitees", das aus der aktuellen politischen und gesellschafüichen Situation der ersten Nachkriegsjahre heraus agierte. Die hauptsächliche Arbeitsleistung der Zwangsarbeiter ist auf dem Werksgelände der H G W geleistet worden, ebenso wie dieses der Hauptschauplatz der Repression und Unterdrückung der Zwangsarbeiter gewesen ist; die Errichtung der Wohnhausanlagen für die WAG waren demgegenüber von geringerer Bedeutung. Die Hervorhebung der Bindermichl-Siedlung ist jedoch aus der damaligen Situation heraus zu verstehen. Das „Echo" berichtete weiter über die Entschädigungsforderungen des ,Jüdischen Zentralauschusses" unter Simon Wiesenthal: „Der Forderung waren nicht nur rein materielle Beweggründe unterstellt, sondern auch ideelle. Der Jüdische Zentralausschuß sieht mit Besorgnis, daß die Linzer Bevölkerung die im Bindermichl untergebrachten jüdischen D.P.s ohne Unterschiede zu machen als ,Schleichhändlernest' betrachtet... Die jüdischen D.P.s, die mit ihren eigenen Händen diesen Bindermichl erbaut haben ... vielleicht mehr moralisches Anrecht auf das Bindermichl-Asyl haben als andere, die in den derzeitigen Bindermichl-Bewohnern lästige Fremde sehen, die durch ihre Lebensweise die österreichische Bevölkerung gefährden."407 In der Zeitschrift wurde in der Folge die Haltung der VOEST referiert: „Die sozialpolitischen und Lohnreferenten der in Frage kommenden Industrien und der Behörden sehen diese Frage begreiflicherweise mit ganz anderen Augen an. Sie interessiert in erster Linie das Problem, ob diese Zwangsarbeiter berechtigt sind, solche Forderungen zu stellen, und, wenn ja, von wem sie diese Lohnnachzahlungen verlangen könnten. Schon bei der ersten unverbindlichen Fühlungnahme stellten sich die VOEST auf den klaren Standpunkt, daß sie zu einer solchen Nachzahlung nicht veranlaßt werden könne; erstens haben die seinerzeitigen Hermann-Göring-Werke die gesetzmäßig geltenden Löhne an die Verwaltung der jeweiligen Zwangsarbeitslager überführt, eine doppelte Bezahlung sei aber durchaus gesetzwidrig." Wenn ein Gericht jedoch entscheiden sollte, daß für ei407 Ebenda.

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nen solchen Zwangsarbeiter eine Nachzahlung in Frage käme, so müßte diese Nachzahlung von dem Liquidator des SS-Wirtschaftsamtes durchgeführt werden, und das seien in diesem Fall die Alliierten.^08 „Vom rein praktischen Standpunkt aus", so der weitere Standpunkt der V O E S T nach der Darstellung der Wochenschrift, wenn die Forderung nach Entschädigung „für die paar angeführten jüdischen Zwangsarbeiter recht sei, auch für die vielen hunderttausend anderen Zwangsarbeiter, die während des Krieges, bei uns beschäftigt wurden, billig sein müsse. Es handelt sich dann letzten Endes um Beträge von vielen Millionen Schilling, die, wenn eine solche Lösung überhaupt in Betracht gezogen würde, eine Stillegung nicht nur der Vereinigten Eisen- und Stahlwerke, sondern aller jener Betriebe in Osterreich zur Folge haben würde, die während des Krieges, meist nur gezwungenermaßen, Zwangsarbeiter beschäftigen und die Löhne hiefür sogar sehr pünktlich an die Verwaltungsstellen der Lager abführen mußten. Den rein rechtlichen Standpunkt der Klageseite ins Auge fassend, erklären objektive Rechtskundige, daß es sich höchstens hier darum handeln könne, daß die SS-Wirtschafeführung die Löhne für die Zwangsarbeiter zu Unrecht einkassiert und nicht an die Arbeiter abgeführt habe. Dann liege höchstens eine Veruntreuung dieser Löhne seitens der SS-Wirtschaftsführung vor und wenn hier überhaupt eine materielle Wiedergutmachung geltend gemacht werden könne, sei hier nicht die V O E S T die richtige Adresse", sondern wiederum nur die alliierten Behörden als Liquidatoren des SS-Wirtschaftsamtes. „Da es sich hier aber", kommt die Zeitung zum eigentlichen Kernpunkt der Argumentation, „trotz der augenblicklichen scheinbaren Begrenztheit dieses Klagebegehrens, um eine rechtliche Frage handelt, die sich letzten Endes um Millionenbeträge dreht und die wirtschaftliche Existenzfrage unserer großen Betriebe berührt, kann man gespannt sein, wie das Linzer Arbeitsgericht, unberührt von allen politischen Erwähnungen, nur die streng arbeitsrechtliche Sachlage vor Auge haben wird, demnächst über dieses juridisch, wie menschlich noch interessante Klagebegehren entscheiden wird."409 Das Arbeitsgericht Linz wies die Klage gegen die V O E S T im August 1947 ab.«10 Erstaunlicherweise berichteten die Lokalausgaben der Tageszeitungen der im Parlament befindlichen Parteien (OVP, SPO, KPO) weder über das Anliegen des Jüdischen Zentralausschusses" noch über den Prozess. Das sozialdemokratische „Tagblatt" erwähnte die Causa ebensowenig wie das konservativ-christliche „Volksblatt". Hingegen erschienen nahezu täglich Berichte, die sich gegen die sogenannte „D. P.s" richteten; nicht alle D. P.s waren ehemalige Zwangsarbeiter, aber alle ehemaligen Zwangsarbeiter lebten entweder als D. P.s in Oberösterreich, oder sie waren bereits repatriiert worden. 408 Vgl. Echo der Heimat vom 14. August 1947, S. 1. 409 Ebenda. 410 Laut Mitteilung des Oberösterreichischen Landesarchivs wurden die arbeitsgerichtlichen Unterlagen zu diesem Fall schon vor längerer Zeit skartiert.

Zwangsarbeit und NS-Industriepolitik am Standort Linz

H3

Das „Volksblatt" berichtete in etwa zeitgleich mit dem arbeitsgerichtlichen Verfahren gegen die V O E S T über eine angebliche, mögliche Sperrung des Betriebes: „Linzer Eisenwerke in Schwierigkeiten."4'1 Auch die kommunistische „Neue Zeit" berichtete über die damaligen Entschädigungsforderungen nicht: Im Monat August wurden regelmäßig über Untaten vornehmlich ukrainischer und polnischer D. P.s berichtet. Am 26. August 1947 war sogar die Titelschlagzeile auf Seite 1 zu finden: „Sinkende Kriminalität im Mühlviertel. Land ohne D. P.s."4'2 Der nördliche, jenseits der Donau gelegene Landesteil (Mühlviertel) war sowjetisch besetzt; die sowjetische Besatzungsmacht hatte keinen dauerhaften D.-P.-Lager eingerichtet und fast alle D. P.s aus ihrer Zone hinausgeschafft. In ganz Osterreich war ein erheblicher Teil der einheimischen Bevölkerung gegen die alliierten Displaced persons Juden und ehemalige Zwangsarbeiter) eingestellt. In Oberösterreich und speziell in Linz, wo eine Konzentration der D. P.s in eigenen Lagern gegeben war, belegen viele polizeilich aufgenommene Zwischenfalle ebenso wie Umfragen seitens der amerikanischen Militärbehörden die häufige Ablehnung der D. P.s.4'3 Konkreter nun, zur Situation nun in den ehemaligen Göring-Werken: Die Linzer Großindustrie hatte unter der Verwaltung der US-amerikanischen Besatzungsmacht den Betrieb weitergeführt. Das am 5. September 1945 von der (österreichischen) provisorischen Staatsregierung geplante Verstaatlichungsgesetz konnte aufgrund des Einspruches der Sowjetunion nicht durchgeführt werden. Die UdSSR beanspruchte viele der zur Verstaatlichung vorgesehenen Firmen als „deutsches Eigentum". 4 ' 4 Am 26. Juli 1946 beschloß der Nationalrat das 1. Verstaatlichungsgesetz. Damit sollten die wichtigsten Betriebe der Grundstoffindustrie und die größten Kreditinstitute in das Eigentum der Republik Osterreich übertragen werden. Das Gesetz nahm die Sowjetunion zur Kenntnis, es wurde aber auf die von ihnen besetzten Betriebe nicht angewandt. Die USA übergaben hingegen bereits am 16. Juli 1946 die VOEST, ebenso wie die Stickstofiwerke A.G. und weitere Unternehmungen in die treuhändische Verwaltung der österreichischen Bundesregierung, es wurde kein Einspruch gegen die Verstaatlichung eingelegt.4'' Die damaligen Rechte der Belegschaft waren relativ weitgehend. Das Betriebsrätegesetz sah die Möglichkeit der Entsendung von zwei Betriebsratsmitgliedern in den Aufsichtsrat vor; von vier oder fünf Vorstandsdirektoren sollte ein sozialpolitischer Direktor die Rechte der Belegschaft wahrnehmen.4'6 Die Belegschaft der V O E S T wurde einerseits durch eine bestimmte Kontinuität, andererseits aber auch durch Diskontinuität bestimmt: Kurt Tweraser hat in detaillierter

411

Volksblatt vom 23. August 1947, S. 1.

4 1 2 Neue Zeit vom 26. August 1947, S. 1. 4 1 3 Vgl. John, Bevölkerung in der Stadt, S. 2 8 5 - 3 2 2 . 4 1 4 Vgl. Otto Lackinger, 50 Jahre Industrialisierung in Oberösterreich, Linz 1997, S. m . 415

Ebenda.

4 1 6 Die Konferenz der Betriebsratsobmänner der Arbeiter und Angestellten 1947, Wien 1947, S. 2 f.

Michael John

Arbeit nachgewiesen, daß es in den Führungsetagen eine erstaunliche Kontinuität gab: „Die programmatische Selbstverpflichtung der USA, Unternehmer und Manager nicht aus ihrer Verantwortung für den Nationalsozialismus und den Krieg zu endassen, wurde in den ersten Monaten beinahe vollkommen von den pragmatischen Überlegungen des Industrieoffiziers Lt. Col. Engeseth überlagert. Aber auch bei den Betriebsräten als Vertretern der Klassensolidarität überwog nach Kriegsende die Betriebsloyalität. Es gibt keine Belege, die andeuten, dass die Betriebsräte in den V O E S T die Forderung nach einer personellen Ausschaltung des Managements per se erhoben hätten."417 Eine „Austrifizierung" des Managements wurde allerdings von den Betriebsräten gewünscht. Erst im September/Oktober 1945 begannen die US-Behörden mit effizienter Entnazifizierung, die Zahl der reichsdeutschen Manager in der V O E S T wurde von 24 auf einen reduziert. Auch Österreicher wurden verhaftet, darunter Rolf Renzenberg, Direktor der Maschinenwerke, und Richard Branhofer, Manager in der Hütte Linz. Schließlich wurde auch Generaldirektor Malzacher verhaftet, der eindeutig in das NS-System verstrickt war.4'8 Dennoch blieb die Positionierung ehemaliger Nationalsozialisten auf diversen Managementebenen weiterbestehen. 1948 wurden schließlich auch die Angestellten der V O E S T hinsichtlich ihrer Vergangenheit überprüft. Von 1.500 Personen wurden 114 Fälle genauer untersucht. 78 Personen hatten ihren Fragebogen gefälscht, sie alle waren illegal unter dem Verbotsgesetz. Ebenso hatte die V O E S T zu diesem Zeitpunkt eine Reihe technischer Berater unter Vertrag: Von 15 Personen waren 13 ehemalige Nationalsozialisten.419 In der Belegschaft waren merkbare Veränderungen vor sich gegangen: Das erhebliche Kontingent reichsdeutscher Arbeiter wurde bis auf einige wenige abgebaut; viele österreichische Arbeiter konnten auf ihren Arbeitsplätzen bleiben. Die ausländischen Zwangsarbeiter wurden befreit, befanden sich in D.-P-Camps oder sie wurden repatriiert; als neue Arbeitskräfte wurden nun sogenannte „Volksdeutsche Vertriebene" eingesetzt, Umsiedler oder Flüchdinge aus den ehemals deutschsprachigen Minderheiten in der Tschechoslowakei, in Rumänien, Jugoslawien und Ungarn. Im Jahresdurchschnitt von 1946 waren in der V O E S T 7.251 Arbeiter beschäftigt gewesen, davon 75 % Österreicher, 1,1 % sogenannte Reichsdeutsche, 1,6 % sonstige ausländische Staatsbürger sowie 22,3 % sogenannte Volksdeutsche.420 Im Jahre 1947 stieg die Zahl der „Volksdeutschen" weiter an, im November wurde ein Anteil von 26,6 % ermittelt, gegenüber rd. 70 % österreichischen Staatsbürgern.421 Zudem war der Betrieb in das Zentrum von Er-

417 418 419 420

Tweraser, Linzer Wirtschaft im Nationalsozialismus, S. 514 Ebenda, S, 517 f. Ebenda, S. 521. Historisches Archiv der V O E S T A L P I N E AG, Linz, Ordner Statistiken - Graphische Darstellungen - Gefolgschafebewegung, V Ö E S T Betriebswirtschaft, Zentralstatistik 1942-1947, Personalstand 1946. 421 Ebenda, Personalstand 1947.

Zwangsarbeit und NS-Industriepolitik am Standort Linz

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mittlungen gerückt; der CIC (amerikanischer Militärgeheimdienst) fahndete wiederholt nach Nationalsozialisten auf dem Werksgelände. 1946 und 1947 wurden zuerst von amerikanischer, dann von österreichischer Seite gegen eine „Haarabschneiderbande" ermittelt, die österreichische Mädchen mit dem Abschneiden ihrer Haare bedroht hatte oder tatsächlich Gewalt angewendet hatte, wenn sich diese vermuteterweise oder tatsächlich mit US-amerikanischen Soldaten „eingelassen" hatten. Die Flugzettel der Gruppe waren in einem Büro auf dem Werksgelände der V O E S T hergestellt worden.422 Die „Neue Zeit" titelte schließlich „Verschwörerzentrale in der V O E S T " und ortete eine neonazistische Gruppe in der Elektroabteilung.42 3 Die Ermittlungen der österreichischen Polizei blieben ergebnislos, es stellte sich jedoch heraus, daß der Betrieb etwa 70 ehemalige Nationalsozialisten, die sich alle in Haft befanden, vom Landesgericht Linz ab Dezember 1946 als Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt erhielt. Der Ermittlungsbericht der Kriminalpolizei beinhaltete die Feststellung, daß dabei Häftlinge entwichen sind, ebenso wie es zur Einstellung von Personen aus diesem Kreis nach ihrer Entlassung in der V O E S T gekommen sei, weil dies im „Werksinteresse" liege.424 1948 zeichnete sich die Bildung einer neuen politischen Kraft - der VdU (Verband der Unabhängigen) ab; dieser kandidierte erstmals bei den Betriebsratswahlen 1949. Bei dieser Wahl waren erstmals auch die bei den Wahlen 1945/47 infolge des NS-Verbotsgesetzes ausgeschlossenen Personen aktiv und passiv zugelassen. Die Wahl brachte eine Sensation: die ungeachtete des Arbeitnehmer-Flügels um Gustav Adolf Neumann und Oskar Huemer weit rechts stehende Fraktion des VdU errang mit 45,7 % der Stimmen im Wahlkörper der Arbeiter die relative Mehrheit vor den sozialdemokratischen Gewerkschaftern mit 42,3 %. Bei den Angestellten wählten 49,3 % die F S G (Fraktion Sozialistischer Gewerkschafter), der VdU erhielt Platz Zwei mit 33,7 % der Stimmen.425 Schließlich erschütterte 1949 und 1950 eine Wirtschaftskrise im speziellen die Industriebeschäftigten der Großbetriebe. Die Lebensverhältnisse drohten sich deutlich zu verschlechtern. In Linz mündete dies in einer besonders brutalen Ausformung des Oktoberstreiks von 1950 unter massiver Beteiligung der Arbeiter aus den verstaatlichten Betrieben V O E S T und Stickstoffwerke AG. 426

42 2 Vgl. dazu Michael John, Das ,Haarabschneiderkommando' von Linz. Männlicher Chauvinismus oder nationalsozialistische Wiederbetätigung? Ein Fallbeispiel der Jahre 1 9 4 5 - 1 9 4 8 . In: H J b S t L 1995, Linz 1996, S. 3 3 5 - 3 6 1 . 4 2 3 Neue Zeit vom 19. Juli 1948, S. 1. 4 2 4 O O L A , Landesgericht Linz, S T A 3 ZI. 2059/48, Strafsache „Unbekannte Täter in den öster. Eisen- und Stahlwerken § 3 Verbotsgesetz, Bundespolizeidirektion Linz, Kriminalabteilung, Bericht vom 24. Juli 1948, S. 2 f. 4 2 5 Betriebsratskörperschaften der V A Stahl Linz G m b H (Hg.), V O E S T . Menschen und ihr Werk. 50 Jahre aus der Sicht der Belegschaft, Linz 1995, S. 3 5 9 f. 4 2 6 Vgl. Fritz Mayrhofer/Willibald Katzinger, Geschichte der Stadt Linz, Band 2, Linz 1990, S. 345.

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Michael John

In der gegebenen gesellschaftlichen Konstellation waren Entschädigungsforderungen ehemaliger Zwangsarbeiter in keiner Weise mehrheitsfähig, man konnte nicht einmal von einer breiteren Perzeption oder einer gesellschaftlichen Diskussion über dieses Thema ausgehen. Simon Wiesenthal versuchte es dennoch. Im Juli 1952 richtete er als Vorsitzender des Jüdischen Zentralkomitees für die amerikanische Zone ein Schreiben an Bundeskanzler Figl, in dem er einen Entschädigungsfonds für ausländische Zwangsarbeiter (KZ-Insassen) anregte: „Industrien und Firmen, die KZ-Häftlinge beschäftigt haben, sollen Zuwendungen zugunsten des Fonds leisten." Eine Abschrift des Schreibens richtete er an den Linzer Bürgermeister Ernst Koref.427 Diese Initiative blieb ebenso wie jene des Diplomaten, späteren Staatssekretärs und nunmehrigen Präsidenten des Versöhnungsfonds, Ludwig Steiner, der sich 1955 für eine Entschädigung einsetzte, ohne Resonanz.428

4 2 7 A S t L , Akten des Bürgermeisters Dr. Ernst Koref, 1 9 4 5 - 1 9 6 2 , Sch. 148, Mappe Juden, Schreiben vom 22. Juli 1952. 428 Rafetseder,,Ausländereinsatz", S. 1 2 6 1 . Die großen Bestände hinsichtlich der Zeit des Nationalsozialismus wurden im Oberösterreichischen Landesarchiv ebenso wie im Archiv der Stadt Linz über einen längeren Zeitraum durchgesehen; in manchen Fällen wurden seitens der Archive in dieser Zeit die Zuordnungen verändert (Numerierung der Schachteln, ganz selten eine neue Zuordnung eines Bestandes). Es kann daher sein, daß die Zitierung in einigen Fällen dem aktuellen Stand der Zuordnung nicht entspricht. Im Fall der konkreten Nachrecherche kann jedoch jedes zitierte Dokument wiederaufgefunden werden.

Michaela C. Schober

Zwangsarbeiterinnen der Reichswerke Hermann Göring am Standort Linz Statistikbericht unter Berücksichtigung der deutschen Staatsangehörigen VORWORT

Bei der Erfassung der bei den Hermann-Göring-Werken am Standort Linz eingesetzten Arbeitskräfte war man bemüht, alle verfügbaren Quellen zu berücksichtigen. Eine hundertprozentige Erfassung ist allerdings nicht möglich. Der Statistikbericht basiert auf einer Auswertung, die im Frühjahr des Jahres 2001 gemacht wurde. In der Zwischenzeit ist die Dateneingabe weiter durchgeführt und abgeschlossen worden. Aus diesem Grund ergeben sich zahlenmäßige Unterschiede, d. h. die Anzahl der erfaßten Personen istjetzt höher alsjene, die im Statistikbericht aufscheint. Bezüglich der einzelnen Tabellen ergeben sich in manchen Fällen größere Unterschiede, in anderen sind die Unterschiede marginal, oder es hat sich am Datenstand (insgesamt oder im Detail) nichts geändert. Der Gesamtstand (ohne KZ-Häftlinge) beläuft sich Ende Juli 2001 auf 39.930 Personen (34.279 Männer und 5.651 Frauen), das ist eine Steigerung um ca. 30%. Die Anzahl der Ausländer erhöht sich um ca. 23,6% (Gesamtzahl 22.254), Anzahl der deutschen Staatsangehörigen um ca. 26,5% (Gesamtzahl 7.664.) und die Anzahl der Personen, bei denen keine Staatsangehörigkeit angegeben ist, um ca. 50% (Gesamtzahl 10.012). Die Anzahl der Beschäftigten nach Nationalität veränderte sich in den meisten Fällen, teilweise aber auch hier nur geringfügig. Am stärksten ist die Anzahl der Italiener (um etwa 1.200), der Protektoratsangehörigen (um etwa 500), der Niederländer (um etwa 430), der Bulgaren (um etwa 300), der Russen (um etwa 250), der Griechen (um etwa 100) und der Lothringer (etwa um 90) gestiegen, um hier nur einige Beispiele zu nennen. Der Zuwachs verlief in der Regel proportional zu den im Statistikbericht aufscheinenden Zahlen. Eine Ausnahme stellen die Niederländer dar (fast um 80 % mehr), wofür teilweise der U?nstand verantwortlich ist, daß bei vielen von ihnen keine Staatsangehörigkeit angegeben war (z. B. EWO-Vertragsfirmen) und diese erst zu einem späteren Zeitpunkt durch zusätzliches Quellenmaterial ergänzt werden konnte. Bei den einzelnen Linzer Betrieben der Hermann-Göring Werke haben sich die Zahlen natürlich auch erhöht. Mit Ausnahme der HGW, Hütte Linz (Zuwachs um ca. 72%) sind die Zahlen nicht sehr angestiegen. Die Gründe für diesen starken Anstieg liegen darin, daß für diesen

148

Michaela C. Schober

Betrieb vergleichsweise wenig Personalakten, die zuerst eingegeben worden waren, vorhanden sind und die Anzahl erst durch die Bearbeitung von Krankenkassen-Unterlagen, die für diesen Betrieb zuletzt bearbeitet wurden, gestiegen ist, und daß etliche bereitsfrüher bei einem anderen Betrieb (z. B. Eisenwerke) erfaßte Arbeitskräfte auch zu einem früheren oder späteren Zeitpunkt bei der HGW, Hütte Linz beschäftigt waren. Prozentelle Verschiebungen ergeben sich bei den Eintritten und Austritten. Die Zahlen bei den Eintritten steigen insgesamt zwar nicht unerheblich an (auch Mehrfacheintritte, siehe Abschnitt „Eintritte''''), der prozentuelle Zuwachs an Eintritten nach einzelnen Jahren fiel allerdings zurück. Die Eintritte erhöhen sich jetzt von 1941 auf 1942 nur mehr um ca. 68% (vorher ca. 105%), jene von 1942 auf 1943 nur mehr um ca. 182% (vorher um 236,7%). Alles in allem erhöhen sich die Zahlen in den einzelnen Tabellen zwar, aber die Bewegungskurven bleiben in der Relation bestehen. Die Zahlen bei den Unterbetrieben, Austrittsgründen, Unfällen, Strafen, Wohnlagern und Urlauben verändern sich nur unwesentlich. In einigen Fällen ergibt sich keinerlei Verschiebung oder in den einzelnen Feldern nur um 1 oder 2 Beschäftigte. Mehr erhöht haben sich z. B. die Uberstellungen (an andere Firmen, von der Stahlbau GmbH, zu den Eisenwerken etc.) und stark erhöht hat sich die Anzahl der Gefallenen in der Tabelle ,/lustrittsgründe". Keinerlei Veränderungen ergeben sich bei den Lohntabellen. Das gleiche giltfür dm Abschnitt „KZ-Häftlinge", der von der weiteren Dateneingabe nicht betroffen war. Im Text angeführten Zahlen verändern sich in manchen Fällen ebenfalls, allerdings auch nur geringßgig. So erhöht sich die Zahl der als Ostarbeiter eingestuften Zwangsarbeiter (siehe dementsprechenden Abschnitt) von 2.406auf 2.450 (darunter 960 Frauen).

Der vorliegenden Statistik liegen folgende EDV-mäßig429 erfaßten Quellen zugrunde: Es handelt sich dabei um die Personalunterlagen der Hermann Göring Alpine Montan AG, Linz - Hüttenbetrieb, der Eisenwerke Oberdonau und der Stahlbau GmbH, die am Gelände der VOEST ALPINE AG, Linz wiedergefunden wurden, sowie einer Liste der Bombenopfer des Luftangriffes am 25. Juli 1944 (Ordner „Betriebswirtschaft Zentralstatistik 1942-1947, Graphische Darstellungen"). Externe Unterlagen sind die Straflisten aus dem Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes in Wien, die Sterbescheine und Listen der Toten und Verwundeten der Luftangriffe aus dem Archiv der Stadt Linz (AStL), die Evidenzkartei der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse und die „Personal-Kartei Linz Lager (1943/45)" a u s den National Archives, Washington, DC. (NARA). Die Daten der KZHäftlinge stammen ausschließlich aus externen Quellen, und zwar handelt es sich dabei um das Archiv der Hauptkommission zur Verfolgung von Hitlerverbrechen (AGKBZHwP), jetzt: Verbrechen am polnischen Volk, Warzawa, Polen, das Archiv der staatlichen 429 Datenbank, Historisches Archiv der V O E S T

ALPINE A G ,

Linz.

Statistikbericht

149

Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau, Oswiecim, Polen (APMO) und den National Archives, Washington, DC. Die umfangreichsten Unterlagen sind jene, die am Gelände der VOEST ALPINE AG, Linz wiedergefunden wurden. Die 270 Ordner der Eisenwerke Oberdonau, die 60 Ordner der Hütte Linz und die 10 Stahlbau-Ordner betreffen sowohl Ausländer als auch deutsche Staatsangehörige, erstere in der Mehrzahl. In den Ordnern der Hütte Linz und des Stahlbaus befanden sich auch eine größere Anzahl an Unterlagen über Personen, die ausschließlich nach Kriegsende beschäftigt waren und zwischen 1945 und 1947 wieder austraten. Außerdem enthielten sie auch einige Unterlagen der EWO vor dem 5. Mai 1945, sofern diese Beschäftigen nach Kriegsende wieder ein- und austraten. Die verschiedenen Formulare, Mitgliedskarten und vereinzelt auch Korrespondenz geben Auskunft über Namen, Geburtsdatum und -ort, Staatsangehörigkeit, Unterkunft in Linz, Heimatanschrift (in vielen Fällen scheint jedoch nur der Ort auf), Familienstand, Anzahl der Kinder, letzte Beschäftigung, Ausbildung, in welchem Betrieb bzw. in welcher Abteilung jemand eingesetzt wurde, die Art der Beschäftigung. Weiters wird der Grund für eine Versetzung in einen anderen Arbeitsbereich/Betrieb oder gegebenenfalls für den Austritt angegeben. Außerdem findet man Angaben zu Urlaub und Heimreise oder zu einer Urlaubsabgeltung. Daneben sind auch Strafverfiigungen, Angaben zu Unfällen und sogenannte Lohnsatzkarten vorhanden. Ein Teil der Personalangaben auf den ca. 38.000 „Personal- und Verdienst-Nachweiskarten" der Eisenwerke Oberdonau wurden ebenfalls erfaßt. Ein Ordner enthält vor allem Rundschreiben bezüglich der Weihnachtszuwendungen 1939-46 und Listen jener Beschäftigten, die wegen Verstoßes gegen die Arbeitsdisziplin von einer Auszahlung ausgenommen waren. Die hier aufgezählten Daten sind nicht immer vorhanden. Manche Formulare und Karten sind nicht vollständig ausgefüllt, d. h., das Geburtsdatum ist nur teilweise oder gar nicht vorhanden. Es wird keine Art der Beschäftigung angegeben oder der Unterbetrieb fehlt etc. In den Personalakten kommen auch die verschiedensten Namensschreibweisen vor. Auf den Formularen sind mitunter auch Korrekturen durchgeführt worden, ohne daß es einen Hinweis auf den Zeitpunkt gibt, oder die offensichdich erste Eintragung wurde nicht durchgestrichen. Die Krankenkassen-Unterlagen liefern alle Grunddaten (Name, Geburtsdatum, Eintritts- und Austrittsdatum, ausgeübte Tätigkeit), den Zeitpunkt der Einberufung zum Wehrdienst, evtl. Anmerkungen (manchmal wird der Austrittsgrund genannt) sowie die Beitragsgruppe (nur krankenversichert, vollversichert etc.). Es handelt sich dabei um Evidenzkarten der „Göringwerke", der „Eisenwerke" und Evidenzverzeichnisse der Stahlbau GmbH. Die Problematik von Widersprüchen in den einzelnen Unterlagen wird bei den entsprechenden Abschnitten noch behandelt werden.

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Michaela C . Schober

Anzahl der erfaßten Personen (Stand 51. Jänner 2001) (Eisenwerke Oberdonau G m b H , H G W - Hütte Linz 4 ? 0 , Stahlbau G m b H , zu einem sehr kleinen Teil Vertragsfirmen der Eisenwerke und KZ-Häftlinge): Gesamt: Ausländer: Deutsche Staatsangehörige: Keine Angabe: Gesamt ohne KZ-Häftlinge: Ausländer ohne KZ-Häftlinge:

33.378 20.408 6.291 6.679 30.734 18.000

(29.346 Männer, 4.032 Frauen) (18.558 Männer, 1.850 Frauen) (5.210 Männer, 1.081 Frauen) (5.578 Männer, 1.101 Frauen) (26.702 Männer, 4.032 Frauen) (16.150 Männer, 1.850 Frauen)

Deutsche Staatsangehörige ohne KZ-Häftlinge:

6.056

(4.975 Männer, 1.081 Frauen)

Keine Angabe ohne KZ-Häftlinge:

6.678

(5.577 Männer, 1.101 Frauen)

Volksdeutsche mit Angabe der Staatsangehörigkeit: Volksdeutsche ohne Angabe der Staatsangehörigkeit: Ehemalige italienische Militärinternierte/Kriegsgefangene: Ehemalige französische Kriegsgefangene: Anzahl der namendich eruierten KZ-Häftlinge Linz I/Linz III gesamt: Ausländer: Deutsche Staatsangehörige: Keine Angabe:

496 83

(343 Männer, 153 Männer) (68 Männer, 15 Frauen)

1.142 258

2.644 2.408 2

35

1

Aufgrund der Widersprüchlichkeit der Grunddaten, d. h. Abweichungen bei der Angabe des Geburtsdatums und der Schreibweise des Namens, kann nicht ausgeschlossen werden, ja muß als wahrscheinlich angenommen werden, daß eine sehr geringe Anzahl von Personen doppelt erfaßt wurde. Selbst weiterführende Daten, wie Eintrittsdaten, waren hier nicht immer hilfreich.

430 In wie vielen Fällen es sich nicht um die Hütte, sondern um die Hauptverwaltung bzw. um die Versorgungsbetriebe der Hütte Linz handelt, läßt sich nicht feststellen, da ein Großteil der Daten zur H G W aus den Krankenkassen-Unterlagen stammen, wo Betriebsbereiche bzw. Unterbetriebe selten aufscheinen und

Statistikbericht

Nationalitäten«1 In der unten angeführten Tabelle wurden alle Nationalitäten so angeführt, wie sie in den Originalunterlagen aufscheinen. D. h., daß nicht nur (damals) existierende Staaten aufgenommen wurden, sondern auch Provinzen oder Regionen. In den Originalunterlagen wurde hier ganz deutlich unterschieden. So wurde bei Beschäftigten aus der polnischen Ukraine nicht „Polen" angegeben, sondern „Polen Ukraine" oder „Polen (Ukraine)". In den Krankenkassen-Unterlagen findet sich dann auch z. B. Südtirol (zwei Beschäftigte mit italienischen Namen, bei einem wurde bei seinem i. Eintritt „Italien" angegeben und bei seinem 2. Eintritt „Südtirol") und Oberschlesien. Nicht extra erfaßt wurden jene Beschäftigten, bei denen unterschiedliche Angaben zur Nationalität gemacht wurden. Sie scheinen unter jener Nationalität auf, unter der sie aufgenommen wurden, allerdings mit folgenden Ausnahmen: Wenn ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, daß es sich um eine Richtigstellung handelt (z. B. in einer Veränderungsanzeige), wenn der Name korrigiert wurde und mit dieser Änderung auch die Staatsangehörigkeit geändert wurde (Bulgare - Grieche) bzw. sonst ein eindeutiger Hinweis auf eine Korrektur vorlag. In manchen Fällen wurden in den Unterlagen jedoch auch unterschiedliche Angaben gemacht, ohne jeden Hinweis auf eine „echte" Korrektur. Dazu gehört auch, daß Buchenlanddeutsche auf der Lohnsatzkarte in der Regel als deutsche Staatsangehörige geführt werden, während sie auf den anderen Formularen auch als Volksdeutsche aus Rumänien aufscheinen. In den Krankenkassen-Unterlagen fehlt in einigen Fällen jede weitere Angabe, andererseits scheinen manche Arbeitskräfte aus dem Buchenland nur als „VD" oder als „Umsiedler" ohne jede weitere Angabe auf. Widersprüchliche Angaben zur Nationalität stehen auch in Zusammenhang mit den ethnischen Hierarchien. Wurde z. B. ein Slowake lt. Veränderungsanzeige nun als Volksdeutscher gefuhrt, so wurde häufig ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Staatsangehörigkeit „Slowakei" bestehen bleibt. In anderen Fällen wurde z. B. aus einem Rumänen ein deutscher Staatsangehöriger. Die deutsche Staatsangehörigkeit wurde in einzelnen Fällen auch „bis auf Widerruf" vergeben. Nach dem 5. Mai 1945 scheint dann bei manchen jener Beschäftigten, die nicht unmittelbar ausschieden, auf neuen Annahmescheinen bei Staatsangehörigkeit oder auch auf den Formularen für die Abmeldung von der Krankenkasse z. B. „C.S.R. ungeklärt"

sich aus anderen Angaben meistens nicht ableiten lassen. In den im Historischen Archiv der VOEST ALPINE A G , Linz vorhandenen Personalakten scheinen Hauptverwaltung (nur in Zusammenhang mit einer Umschulung) und Versorgungsbetriebe selten auf. 431

Ohne KZ-Häftlinge. Eine Ausnahme stellen 4 Personen dar, die zuerst bei den Eisenwerken bzw. H G W beschäftigt waren und später als KZ-Häftlinge in Linz I bzw. III wiedereingesetzt wurden.

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Michaela C . Schober

oder nur „ungeklärt" auf. Aus den Krankenkassen-Unterlagen ist manchmal nicht ersichtlich, wann die Angabe zur Nationalität vorgenommen worden war. Es kommt auch vor, daß zwei Nationalitäten angegeben wurden, ohne daß eine der beiden durchgestrichen worden wäre. 2406 Zwangsarbeiter wurden als Ostarbeiter432 eingestuft, darunter 944 Frauen. In den Personalakten scheint diese Einstufung nicht immer auf, während bei der Krankenkasse Ostarbeiter auf eigenen Evidenzkarten geführt wurden. Es kam hier immer wieder zu Fehleintragungen. Manche Arbeitskräfte aus Rußland und der (russischen) Ukraine wurden sowohl auf den Ostarbeiter-Evidenzkarten als auch auf den anderen Evidenzkarten gefuhrt, manche scheinen überhaupt nur auf letzteren auf. Hier findet sich in einigen Fällen der Hinweis auf eine Fehleintragung. Auf diesen Ostarbeiter-Evidenzkarten scheinen jedoch vereinzelt auch Griechen, Letten, Franzosen (keine französischen Nachnamen), Polen, polnische Ukrainer, ein Armenier, zwei Beschäftigte aus Turkestan433, Staatenlose (Volksdeutsche), ja selbst deutsche Staatsangehörige auf. Diese Eintragungen wurden manchmal storniert („Grieche Storno", „Kein Ostarbeiter", „irrtümlich eingetragen"). In manchen Fällen fehlt jede Korrektur. So wurde eine estnische Familie eingetragen, die vor ihrer Beschäftigung bei den EWO in einem Feldlazarett arbeitete und die Frauen vergleichsweise hohe Löhne434 erhielten. Die 1903 geborene Mutter trat im Jänner 1945 aus „familiären Gründen" aus. Derartige Fälle konnten nur dann aus der Kategorie „Ostarbeiter" ausgeschieden werden, wenn außer den Krankenkassen-Unterlagen auch Personalakten vorhanden waren, die die notwendigen Informationen (Nationalität etc.) enthielten. Die Namen der Arbeitskräfte reichen in den meisten Fällen dafür nicht aus. Trotz Berücksichtigung solcher Fehleintragungen muß davon ausgegangen werden, daß eine geringfügige prozentuelle Abweichung sowohl nach unten als auch nach oben wahrscheinlich ist. Bei 185 Personen (darunter 26 Frauen) wurde neben der Angabe der Nationalität oder auch ohne Angabe einer solchen - „Umsiedler" (größtenteils deutschsprachige Minderheit aus Osteuropa, die in Folge des Hider-Stalin-Pakts ausgesiedelt wurde) angege-

432 Als Ostarbeiterinnen wurden jene Zwangsarbeiterinnen bezeichnet, die aus Gebieten östlich der Baltenstaaten Estland, Lettland und Litauen sowie ösdich des Bezirkes Bialystok und des Generalgouvernements kamen (Historisches Archiv der VOEST ALPINE AG, Linz, Ordner Betriebswirtschaft Zentralstatistik 1942-1947). 433 Bei dem einen heißt es in einer Veränderungsanzeige, daß er kein Russe, sondern Turkestaner sei; bei dem anderen wird ausdrücklich vermerkt, daß es sich um keinen Ostarbeiter handelt. 434 Zwei Frauen waren in der Bearbeitungswerkstatt als Hilfszeichnerin (RM 0,80) bzw. Zeichnungsausgeberin ( R M 0,85) beschäftigt, die dritte war Lichtpauserin (RM 0,75). Sie erhielten diese Löhne ab Eintritt (1944). Sie lagen nicht nur über den vergleichbaren durchschnittlichen Löhnen der Frauen, sondern auch teilweise über jenen der Männer. Der Sohn (geb. 1928) erhielt ab Eintritt R M 0,85. Beschäftigt wurde er lt. Annahmeschein als Schlosser-Anlernling, lt. Lohnsatzkarte war er Schlosser. Berücksichtigt man sein Alter und vorausgesetzt, daß es sich bei dieser Lohnangabe um keinen Irrtum handelt, wurde er weit überdurchschnittlich entlohnt.

Statistikbericht

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ben. 7 5 Umsiedler wurden als deutsche Staatsangehörige geführt und 3 3 Umsiedler als Volksdeutsche. Bei jenen Beschäftigten, bei denen keine Nationalität angegeben wurde, dürfte es sich in der Mehrheit um deutsche Staatsangehörige handeln; die N a m e n sprechen auch dafür. Bei etwa 6 0 % der Männer, die zum Wehrdienst einrückten, fehlt eine A n g a b e der Nationalität. Gesamt Nationalität

Männer

Albanien 3 2 Algerien Armenien 9 Belgien 181 Bulgarien 74 1 Dänemark 93 Estland 3 Frankreich 3446 Galizien 0 Galizische Ukraine 1 Generalgouvernement 15 Griechenland 776 3692 Italien Jugoslawien 51 Kroatien 4^5 Lettland 5 26 Litauen Lothringen 63 Luxemburg 4 Niederlande 542 Oberschlesien 2 Polen 641 Polnische Ukraine 39 1 Portugal Protektorat 2159 Rumänien 15^ Rußland455 1632«6

Davon Volksdeutsche

Frauen

Gesamt

Männer

Frauen

0 0 0 10 11 0

3 2

75 2 93 6

0 0 0 0 0 0 0

3593 3 1 16 859

13 0 0 0 0

0 0 0 0 1 0 0 1 0 0 0 0

375° 58 522 9 32 68

4 4 44 0 6 0 0 0 0 6 0 0

4 0 20 1 0 0 0 0 0 0 0 0

3 53 7

3 13 1

3 '47 3 0 1 83 58 7 97 4 6 5 0 8 0 74 6 0 45 39 7i7

9 191

4 55° 2 7i5 45 1 2204 191 2349

Gesamt 0 0 0 0 1 0 0 '4 0 0 0 0 8 4 64 1 6 0 0 0 0 6 0 0 6 66 8

435 Darunter befanden sich 69 russische Legionäre. Bei weiteren 5 russischen Legionären wurden folgende Nationalitäten angegeben: Armenien, Estland, Turkestan und zweimal Usbekistan. 436 Ein anderer (geb. 1925) war vom 06.10.1942 bis 01.01.1943 bei den H G W eingesetzt. Am 20.02.1943 wurde er von Mauthausen nach Linz I überstellt. Ein weiterer Ostarbeiter (geb. 1921), der von Juni 1942 bis Mai 1944 (Arbeitsflucht und Abmeldung bei der Krankenkasse) bei den EWO arbeitete, wurde offiziell im Februar 1945 wegen Arbeitsvertragsbruchs endassen, aber bereits am 20.12.1944 starb er bei einem Luftangriff in Linz EH. Wann er von Mauthausen nach Linz HI überstellt wurde bzw. ab wann er in Mauthausen war, ist nicht bekannt.

r

Michaela C. Schober

54

Gesamt Nationalität Russische Ukraine Schlesien Schweiz Serbien Slowakei Slowakische Ukraine Slowenien Spanien Staatenlos Südtirol Türkei Turkestan USA Ukraine Ungarn Ungarische Ukraine Usbekistan Weißrußland Westukraine Ausländer gesamt Deutsche Staatsangehörigkeit Keine Angabe Gesamt

Männer 420 1 3 80 217 2 9 179 78 2 4 4 1

147 289

Frauen 231 0 2 9 105 0 0 i

12 0 0 0 0

Gesamt 65 ! I

5 89 322 2 9 180 90 2 4 4 1

182 419

Männer

Frauen

0 0 0 1 40 0 0 0

1 0 0 2

1

0 0 0 0 2

Gesamt 1 0 0

33 0 0 0

3 73 0 0 0

3 0 0 0 0

4 0 0 0 0 7 141 0 0 0 0 413

1

3 3 4 1

16150

0 1850

91 0 0 0 0

18000

2 75

5 50 0 0 0 0 138

4975437

1081

5577

IIOI

6056 6678

68

15

83

26702

4032

3°734

343

153

496

3 3 3 1

35 130 0 0

Davon Volksdeutsche

Geburtsjahrgänge438 Ein Geburtsdatum ist nicht i m m e r angegeben, doch wesentlich häufiger k o m m e n abweichende Geburtsdaten vor. D . h., daß Geburtsdaten nicht i m m e r eindeutig korrigiert wurden, sondern in verschiedenen Unterlagen, aber auch in solchen, die n u r aus einer Quelle stammen, u n t e r schiedlich angeführt w u r d e n . M i t u n t e r weichen Geburtsdaten erheblich voneinander ab, o b w o h l sämtliche anderen D a t e n eindeutig auf eine einzige Person hinweisen.

437 Einer der deutschen Staatsangehörigen (geb. 1914), der bei den E W O arbeitete, wurde wegen Arbeitsvertragsbruchs am 7. September 1943 zu 6 Monaten KZ verurteilt. Er starb am 7. Jänner 1945 in Linz HI an Phlegmone der rechten Brust und allgemeiner Sepsis. Wann er als KZ-Häftling nach Linz kam, ist nicht bekannt bzw. verfügbar. 438 Geschlecht: In einzelnen Fällen könnte die Zuordnimg aufgrund des Vornamens fraglich sein.

Statistikbericht Nationalität Albanien

155

Geburtsjahr

Männer

Frauen

Gesamt

1919

2 1

0 0

2

1920 Algerien

1914 1917

1 1

0 0

1 1

Armenien

1882

1

0

1895 1899 1901

1 1 1

1908 1913 1915 1923 1924

1 1 i 1 1

0 0 0 0 0

i 1 1 1 1

1881 1884

1 1

1885 1887

1 1

1891 1893 1894

1 1 1

0 0 0 0 0 0 i

1895 1896

3 1

0 0

1897 1898 1899 1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906

2 3 3 4 2 3 2 7 3 5

0 1 0 0 0 0 0 0 0

1907 1908 1909 1911 1912

3 4 3 2 5

1914

5 6

Belgien

I

9I5 1917 1918 1919

5 5 3 11

0 0 0

« 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0

1

1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 2 3 1 2 4 3 4 2 3 2 7 3 6 3 4 3 2 5 5 6 5 5 4 n

156 Nationalität

Bulgarien

Michaela C. Schober Geburtsjahr

Männer

Frauen

Gesamt

1920 1921 1922 1923 1924 1925 1926 1927 1928

H 22

0 0 1 2 1 0 1 1 0

14 22 16

1874 1879 1881 1882 1883 1884 1885 1886 1887 1888 1889 1890 1891 1892 1893 1894 1895 1896 1897 1898 1899 1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 1909 1910 1911 1912 1913 1914

1 1 1 2

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 0 1 0 1 0 1 1

1 1 1 2

15 11 13 1 1 1

4 2 3 1 2 3 5 5 7 12 8 H 17 22 19 H 23 28 26 3° 2 7 32 31 2 7 17 19 19 2 5 25 26 17 3°

r

3 H 6 2 2 1

4 2 3 1 2 3 S 5 7 12 8 15 17 22 19 *4 2 3 28 26 30 2 7 33 32 2 7 17 19 20 2

5 26 26 18 31

Statistikbericht Nationalität

Dänemark

Geburtsjahr

Männer

Frauen

Gesamt

1915

28

0

28

1916

1

20

1917

19 11

0

11

1918

r

1

16

1919

5 11

0

11

1910

22

1

2

1921

17

0

1922

2

3

1

1923

5 11

17 26

0

11

1924

11

0

11

1925

0

1926

9 10

0

9 10

1927

2

0

2

1928

2

0

2

1881

1

0

1

1890

1

0

1

1891

1

0

1

1897

1

0

1

1898

1

0

1

1901

1

0

1

1902

2

0

2

1903

2

0

2

1904

2

0

z

1906

1

0

1

1907

2

0

2

1908

2

0

2

1910

6

0

6

1911

1

0

1

1912

1

0

1

1913

0

7

1914

7 1

0

1915

6

0

1 6

1916

5

0

5

1917

5 8

0

5 8

9 12

0

9 6

0

1922

0

9 6

1903

0

1

1

1924

0

1

1

1925

1

0

1

1926

0

1

1

1918 1919 1920 1921

Estland

157

0 0

9 12

Michaela C. Schober

I58

Nationalität

Geburtsjahr

Männer

Frauen

Gesamt

Davon ehemalige Kriegsgefangene4'9

1882

I

1883 1885

3 2 1 2

1886 1887 1888 1889 1890 1891 1892 1893 1894 1895 1896

4 3 6 3 6 11 4 11 18 16

1897 1898 1899 1900

19 28 46

1901 1902 1903

64 58 62

1904 1905 1906

80

1907 1908 1909 1910 1911 1912

73 97 85 91 120 88 86 114

0 0 0 0 0 0 0 1 1 0 1 1 0 0 2

1 3 2 1 2 4 3 7 4 6 12 5 11 18 18 22

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

3 1 0 2

29 46 66

3 2 1

61 64 81

S

78 101

r

87

13 12 22

4 2 1 4 3 3

1913 1914

I2

3 128

4 4 5

1915 1916

9i 76

5 7

92 124

4 4 7 11 10 3 10

91 89 118

9 20

127

14

'33 96

16

83

7

20

439 Die Eintragung „Kgf." bzw. bei den Italienern auch „IMI" (Italienischer Militärinternierter) befindet sich in den Personalunterlagen in der Regel in der Zeile „Letzte Arbeitsstelle:" bzw. „Letzte Beschäftigung bei:"; seltener in der Zeile (Letzte Arbeitsstelle bzw. Letzte Beschäftigung) „als:". Derartige Eintragungen sind nur bei Franzosen und Italienern vorhanden. Im Monatsbericht für September 1943 der Eisenwerke Oberdonau wird von französischen Kriegsgefangenen berichtet, die in ein „freies Arbeitsverhältnis überführt wurden" (NARA, MF-T83/77, S. 8). Außerdem gibt es einen Franzosen, bei dem eine solche Eintragung fehlt (bevor er in Linz eingesetzt wurde, war er bei den Vereinigten Aluminiumwerken Braunau), bei dem aber als Entlassungsgrund „geflüchteter französischer Kriegsgefangener" angegeben wurde.

z

Statistikbericht Nationalität

Geburtsjahr

Männer

Frauen

Gesamt

1917 1918 1919 1920 1921 1922

81 110 112

5 5 5 10 12

86

1923 1924 1925 1926 1927 1928 1929 Galizien

377 375 599 51 49 39 16

9 H H 6

"5 "7 387 387 608 65 63 45 17 9 5 1

5 1

i 0 0 0

1919 1927

0 0

2

1 2

1921

1

0

1

1913

2

0

2

1919 1920 1921 1922

1

0 0 0 1

4 1

9

1

59

davon ehem. Kgf. 16 20 9 2 1 1 0 0 0 0 0 0 0

Galizische Ukraine Generalgouvernement

1923 Griechenland

1880 1881 1884 1886 1887 1888 1889 1892 1894 1895 1896 1897

4 1 4 3

1

0

5 3

1

0 0 0

1 1 1

i 1 1 1 1 2 1 2 2

0 0 0 0 0 0 0 0 1

1 1 1

1 1

1 1 2 1 2 3

Weiters zwei Franzosen, die wieder Kriegsgefangene wurden (Entlassungsgrund: Rückversetzung in das Kriegsgefangenenverhältnis), ein Franzose, der als ein entlassener Kriegsgefangener (Urlaubsantrag 1944) bezeichnet wurde, und einer, bei dem erst im nachhinein „(KGF)" bei (Letzte Arbeitsstelle) „als:" angeführt wurde. Bei letzterem befindet sich am Urlaubsantrag 1943 der Vermerk „ehemaliger Kriegsgefangener", und lt. Annahmeschein war er auf begrenzte Zeit dienstverpflichtet worden.

IÖO

Michaela C. Schober

Nationalität

Geburtsjahr

Männer

Frauen

1898

5 4 S 5

1

6

0 1 1

4 6 6

0 0 0 0 0 2 1 0 1

5 10

1899 1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 1909 1910 1911 1912 1913 1914 1915 1916 1917 1918 1919 1920 1921 1922 1923 1924 1925 1926 1927 1928 1929 1930

5 10 9 6 9 6 8 10 12 8 37 14 37 35 32 45 35 39 56 56 62 61 38 33 40 25 9 4 0

1 1 1 3 2 2 4 5

Gesamt

9 6 9 8 9 10 13 9 38 !5 40 37 34 49 40

4 3 6 8

43 59 62

7 11 8

68

4 2 2 0 1

70 49 41 44 27 11 4 1 Davon ehemalige Militärinternierte/Kgf. 440

Italien

1876 1879 1880 1883 1884 1885

1 1 2 3 8 13

0 0 0 0 0 0

1 1 2

0 0 0

3 8 13

0 0

0

440 Siehe Anmerkung 439, 1. Absatz. Bei zwei Italienern befindet sich ausdrücklich der Vermerk „Kgf. in Zivilverh. überführt" und bei einem anderen ein Fragezeichen bei „IMI". Ein weiterer „1MI" wurde am

Statistikbericht

Nationalität

Geburtsjahr

Männer

Frauen

161

Gesamt

Davon ehemalige Militärinteraierte/Kgf.

9 21

0 0

0

H 16

23

0

23

33 3°

0

33

0 0

0

30

0

29

1 0



0

36

0

9 21

0 0

1889

14 IÖ

1890

1886 1887 1888

00 VO tJ

1891 1893 1894

36

0

0 0

45

0

1896

43 28

2 1

29

0

1897 1898

53 52

1 0

1

1899 1900

55 66

1 0

54 52 56 66

1901

80

1902

58

0 1

1903

55

1

1904

85 in

2

1905 1906

"5

1907 1908

"7 119

1909

*57

1910 1911

*35 100

191z

1895

1 1

80

3 2

59 56

1 0 3 10

2

87 "3 117

1

118

1

120

3 1

160 ,36

26

0

100

41

126

1

127

49

0

131 120

47

1914

131 120

0

1915

146

0

146

53

1913

2

7 18 14 16

49

18.09.1944 bei den E W O eingestellt und am selben Tag wieder entlassen. Am 1 1 . 1 1 . 1 9 4 4 wurde er dann tatsächlich eingestellt (davor war er bei den H G W Linz), allerdings findet man hier keine „IMF-Eintragung. Die tatsächliche Anzahl der ehemaligen IMI ist höher, da in den Krankenkassenunterlagen mehr Italiener mit diesem Eintrittsdatum aufscheinen als in den Personalakten, allerdings ohne einen derartigen Hinweis. In der Tabelle wurden nur jene Italiener erfaßt, bei denen es in den Personalakten einen dementsprechenden Hinweis gibt. Ein Großteil der ehemaligen Militärinternierten trat am 18.09.1944 ein. Am Vortag waren alle italienischen Militärinternierten im Bereiche der Stalag Pupping in das zivile Arbeitsverhältnis überfährt worden und waren ab diesem Zeitpunkt „wie neu zugewiesene italienische Zivilarbeiter zu behandeln". (Historisches Archiv der VA Stahl A G , M F i , E O S 1, Verl.v. 1938-1948 (Rundschreiben und Mitteilungen), Mitteilung Nr. 16/S0. der Hauptverwaltung der Reichswerke Aktiengesellschaft Alpine Montanbetriebe „Hermann Göring" an die Hauptverwaltung, Hütte Linz, Eisenwerke Oberdonau, Stahlbau GmbH, und an alle Vertragsfirmen der D B H G (Deutsche Bergwerks- und Hüttenbau GmbH) und W A G (Wohnungsaktiengesellschaft der Reichswerke „Hermann Göring", Linz).

IÖ2

Jugoslawien

Geburtsjahr

Männer

Frauen

Gesamt

1916 1917 1918 1919 1920 1921 1922 1923 1924 1925 1926 1927 1928 1929

III 96 89

2

"3 99 90 96 192

-00j -j

Nationalität

Michaela C. Schober

1884 1889 1892 1893 1895 1896 1897 1899 1900 1901 1903 1904 1906 1907 1908 1909 1910 1911 1912 1913 1914 1916 1918 1919 1920 1921 1922 1923 1924

94 186 150 185 33i 136 40

3 1 2 6 2 2 2 5 1

3° 17 8

4 3 1

3

3

1 1 2 1 1 1 1 1

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 1 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 1 1 0 0 0

3 1 0 1 0 1 2 2 4 1 1 1 5 3 1 1 2 3 3 1 2 2

151 187 333 141 41 34 20 9 6 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 2 2 4 2 1 1 5 3 1 2 2 4 4 1 2 2

Davon ehemalige Militärinternierte/Kgf. 55 49 47 56 119 76 103 240 52 0 0 0 0 0

Statistikbericht Nationalität

Geburtsjahr

Männer

Frauen

163 Gesamt

925 927 875 878 880 882

886 887 888

3 2

889

4 1

890

2

891

1

892

1

893

1

894

2

895

2

896

7

897

7 5

7

900

3 11

4 11

901

898 899

5

6

902

3

903

9 6

5 12

904 905 906 907 908

9 6 11

9 11 8 12

13 10

16

9 10

10

911 912

10

10

909 910

913 914 915 916

10 16 17 14 7 5

917

4 1

918

3

6

919

7 *4

12

920 921 922

2

l

9 19 26

Michaela C . Schober

164

Lettland

Litauen

L ot h r i n g e n

Geburtsjahr

Männer

Frauen

Gesamt 44 61

1923

38

6

1924

53

8

1925

42 22

7 2

49

1926 1927

12

2

1928

6

0

14 6

1929

1

0

1

1893

i

0

1

1903

1

0

1

1908

1

0

1

1911

1

0

1

1913

0

1

i

1915

0

1

i

1921

0

1

1

1923

0

1

1

1928

1

0

1

1879

1

0

1

1886

1

0

1

1891

1

1

2

1893

1

0

1

1897

0

1

1

1903

0

1905

3 1

3 2

1906

1

0

1

1907

2

0

2

1909

2

0

2

1911

1

0

1

1912

1

0

1

1913

1

0

1

1914

1

0

1

1915

1

0

1

1916

2

0

2

>0 00

Nationalität

0

2

2

1920

2

0

2

1921

1

0

1

1923

i

0

i

1924

2

1

3

1881

2

0

2

1882

1

0

i

1883

1

0

1

1885

0

1890

3 1

0

3 1

1891

4

0

4

1

2

4

Statistikbericht

165

Geburtsjahr

Männer

Frauen

Gesamt

1892 1893 1896 1897 1898 1899 1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1909 1910 1911 1912 1913 1914 1915 1917 1920 1921 1922 1924 1925 1926 1928

2 2 1 2 2 1 1 1 2 1 3 4 4 1 3 2 1 3 1 1 3 1 4 0 0 0 3 1 1

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 2 1 0 0

2 2 1 2 2 1 1 1 2 1 3 4 4 1 3 2 1 3 1 1 3 i 4 i 1 2 4 i i

Luxemburg

1889 1912

2 2

0 0

2 2

Niederlande

1883 1884 1885 1886 1887 1890 1891 1892 1893 1894 1895 1896 1897

2 1 7 3 1 3 4 4 2 5 2 2 3

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

2 1 7 3 1 3 4 4 2 5 2 2 3

Nationalität

i66 Nationalität

Michaela C. Schober Geburtsjahr 1898 1899 1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 1909 1910 1911 1912 1913 1914 1915 1916 1917 1918 1919 1920 1921 1922 1923 1924 1925

Männer

Frauen

6

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 1 1 1 0 0 1

4 4 6 1

11 6 6 6 11 14 13 16 11 17 26 22 22 19 27 19 35 28 58 46 41 '9 3

Gesamt 6 4 4 6 7 11 6 6 6 11 '4 13 16 11 17 26 22 22 19 28

3

J 9 36 29 59 46 41 20 6

Oberschlesien

1902 1914

1 1

0 0

1 1

Polen

1875 1880 1885 1886 1887 1889 1890 1891 1892 1893 1894 1895 1896 1897

0 1 1 1 1

1 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0

1 1

5 2 5 2 4 2 6

2 9

1 1 5 2 5 2 4 2 7 2 9

167

Statistikbericht

Nationalität

Geburtsjahr

Männer

Frauen

Gesamt

1898 1899 1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 1909 1910 1911 1912 1913 1914 1915 1916 1917 1918 1919 1920 1921 1922 1923 1924 1925 1926 1927 1928 1930 1932

5 8

1 1 2 1

6

1902 1904 1905 1909 1911 1912 1913 1915 1917 1918 1919 1920

13 8 6 16 14 17 10 '7 17 18 7 22 22 'S 20 11 J

7 22 34 35 40 40 40 47 22 16 7 0 1 1 0 2 2 2 2 2 1 1 1 1 4

4 1 2 0 1 0 4 0 1 2 3 1 3 3 4 0 1 2 1 3 4 6 5 7 5 2 0 1 0 0 1 1 1 0 0 0 0 0 0 0 0

9 9 10 17 16 11 !5 21 17 19 9 2 5 2 3 20 18 2

4 11 18

H 35 38 44 46 45 54 2 7 18 7 1 1

l68 Geburtsjahr

Männer

Frauen

Gesamt

1921 1922 1923 1924 1925 1926

4 10

4 10

3 1 1 1

0 0 1 1 1 0

Portugal

1906

1

0

1

Protektorat

1872 1875 1878 1879 1881 1882 1883 1884 1885 1886 1887 1888 1889 1890 1891 1892

1 1 i

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 1 4 1 1 1 0 0 0 0 1 2 1 1 2

1 1 1 2 1

00

Nationalität

Michaela C. Schober

1894 1895 1896 1897 1898 1899 1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 1909 1910 1911 1912 1913 1914 1915

1 3 3 1 3 4 2 4 4 7 8 7 9 8 11 13 26 14 11 25

16 26 23

28 25 31 3° 33 25 43 40 47 31 54 39

3 0 3

4 2 2 1

3 3 1 3 4 2 4 4 7 8 7 9 8 11 13 27 14 12 29 17 27 24 28 25

31 3° 34 27 44 41 49 34 54 42

Statistikbericht Nationalität

Rumänien

169

Geburtsjahr

Männer

Frauen

Gesamt

1916 1917 1918 1919 1920 1921 1922 1923 1924 1925 1926 1927 1928

48

2 0

5° 35 77 141

1877 1881 1884 1887 1888 1889 1890 1891 1892 1893 1894 1895 1896 1897 1898 1899 1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 1909 1910 1911 1912 1913 1914 1915 1916

35 74 137 153 4i5 442 126

3 4 2 1

43 16

4 3 2 1

4 3 1

1 0 0

1 2 1 0 2 0 1 1 2 2 1 0 1

0 0 0 1 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 2 1 1 1 1

4 3 0 6 2 2

4 4 3 3 6

1 0 0 1 0 2 1 2 1 1

7 4 2 2

1 0 2 0

3 5 6 7 2

155 416 446 129 45 17 5 3 1 1 2 1 1 2 1 1 1 2 2 1 1 1 4 5 1 7 3 3 4 5 6 8 2 6 5 5 4 7 8 4 4 2

.

170 Nationalität

Michaela C. Schober Geburtsjahr

Männer

Frauen

Gesamt

1917 1919 1920 1921 1922

1 6 1

1

2 10

1923 1924 1925 1926 1927 1928 1929 Rußland

1877 1882 1883 1884 1885 1886 1887 1888 1889 1890 1891 1892 1893 1894 1895 1896 1897 1898 1899 1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 1909 1910 1911 1912 1913

7 5 6 13 9 6 5 3 1 1 2 1 2 1 2 2

4 2 3 0

3 10 5 9

3 0

J

3 2 0 0 0

5 3 1

0 0 0 1 0

3 12 8

1 2 1 3 1

4 5 9 3 14 3 20 20

1 0 0 0 0 0 0 1 1 1

20

0

21 20

29 21 12

5 6 1

34 2 7 13

34 H 31 19

0 4 4 0

34 28

37 28

3 1

39 3° 28

9 3

3 2 4 5 9 3 14 4 21

35 19 40 29 48 33

42 35

3 5 4 11

31 43 46 46

45 43

9 9

54 52

38

Statistikbericht Nationalität

Geburtsjahr

Männer

Frauen

Gesamt

914

34

11

45

!

37

14 12

51

9 5 916 917

47

7

918

33 46

919



19 26

920

71

40

921

89

922

79 98 144

54 76 82

923 924

59 40 65 76 in i43 155 180

128

2

'31 83 22

929

9 0

894

1

0

i

895

0

896

1 2

0

1 2

897

1

0

1

898

1

2

899

3 5 6

0

3 3

0

5

1

7

4 6

1

5 6

925 926 9 7 928

900 902 903 904

93 58

224

H 1

36 10

1

1

0 0

141

905

5

906

4 2

1

5

1

3

2

909

3 11

5 11

910

H

911 912

9 12

9i3 914

14

3 1 1 1

7 16

4

907 908

9i5 916 917 918

5 9

0

2

5

17 10 '3 J5 9 20

5 1

10

8

31 24 32

10

919

23 18

6

920

H

8

921 922

26

8

34

22

25

923 924

55 54

2 3 49

47 78 103

172 Nationalität

Michaela C. Schober Geburtsjahr

Männer

Frauen

Gesamt

1925 1926 1927 1928

44 10 2 1

51 2 3 2 2

95 33 4 3

Schlesien

1906

1

0

1

Schweiz

1899 1903 1904 1920 1921

i 1

0 0 1 1 0

i 1 1 1 1

1886 1888 1891 1892 1893 1894 1897 1898 1900 1901 1902 1904 1906 1907 1908 1909 1910 1911 1912 1913 1914 1915 1916 1917 1918 1919 1920 1921 1922 1923 1924 1925 1926 1927 1928

1 i 1

0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 2 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 1 0 2 0 1 0

1 1 1 1 1

Serbien

1

1 1 1 1 1 1 1 2 2 1 2 2 4 1 1 i 2 1 3 4 6 4 6 7 6 6 1 2 1

1 1 1 1 i 1 2 2 2 4 2 4 1 1 1 2 1 3 5 6 4 6 8 6 8 1 3 1

Statistikbericht Nationalität Slowakische Ukraine

Slowakei

173

Geburtsjahr

Männer

Frauen

Gesamt

1912 1916

1 1

0 0

1 1

1874 1879 1881 1883 1884 1885 1886 1887 1888 1889 1890 1892 1893 1894 1895 1896 .897 1899 1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 1909 1910 1911 1912 1913 1914 1915 1910 1917 1918 1919 1920 1921 1922 1923

1 1

0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 i 0 0 2

1 1

*924 1925

1 1 1 1 1 1 0 5 2 4 7 5 2 3 6 6

3 0 2 1 2 2 1 1

3 6 6 8 5 8 11

3 0 2 1

5 H 9 17 6 7 9 2 1 1

3 2 2 •

3 2 2 7 6

1 1 1 1 1 1 1 5 2 5 7 S 4 6 6 8 4 8 8 9 6 11 11 7 '5 12 19 8 10 11 4 8

iS 7 8 2

3 11

7 18 18

'S 6

23 8

5

9

I

4

Michaela C. Schober

i74 Nationalität

Geburtsjahr

Männer

Frauen

Gesamt

1926 1927 1928 1929

4 0 0 1

4 1

8 1

3 1

3 2

Slowenien

1907 1909 1912 1913 1914 1916 1918 1921 1924

i 1 1 1 1 1 1 1 1

0 0 0 0 0 0 0 0 0

1 1 1 1 1 1 1 1 1

Spanien

1885 1889 1890 1891 1892 1895 1897 1898 1899 1901 1902 1903 1905 1906 1907 1908 1909 1910 1911 1912 1913 1914 1915 1916 1917 1918 1919 1920 1921 1922 1923 1924 1925

i 1 i 2 1 1 1 1

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

1 1 1

1 r 3 5 2 5 4 5 7 6 3 7 11 6 5 4 16 11 7 9 3 19 7

1 1 1 1 1 1 3 5 2 5 4 5 7 7 3 7 11 6 5 4 16 11 7 9 3 15 19 7

Statistikbericht Nationalität

Geburtsjahr

Männer

Frauen

1926

3 1

0 0

3 1

1

0 0 0

1 1 1

1927 Staatenlos

1880 1886 1887 1888 1889 1890 1891 1892 1893 1894 1895 1896 1897 1899 1900 1901 1902 1903 1904 1905 1907 1908 1909 1910 1911 1912 1913 1914 1915 1916 1917 1918 1919 1920 1921 1922 1923 1924 1925 1926 1927 1929

Südtirol

175

1901 1905

1 1 2 1 1 3 1 2 1 1 3 3 1 0 0 1 2 1 1 3 3 2 2 0 4 2 2 5 1 1 2 3 3 4 3 4 1

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

1 1 1 2 r 1

0 1 2 0 1

1 1

0 0 0

1 1

0 0 2 1 0 0 0 0 0 0 0 1

3 1 1 1

0 0 0 0 1 0 1 2 0

1 1

0 0

1

3 3 2 4 1 4 2 2 5 i 1 2 4 3 4 3 4 2 3 2 3 1

1 1

Gesamt

176

Michaela C. Schober Geburtsjahr

Männer

Frauen

Gesamt

1898 1905

i i

0 0

1 1

1908 1922

i i

0 0

1 i

1920 1921

i

1

1922

i

0 0 0

USA

1914

i

0

1

Ukraine

1885 1893 1894 1895

i i i i i

0 0

1 1 i

Nationalität Türkei

Turkestan

1897 1898 1899 1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906 1908 1909 1910 1911 1912 1913 1914 1915 1916 1917 1918 1919 1920 1921 1922 1923 1924 1925 1926 1927 1928

i '1 i

i i i i 2 2

0 2

i

0

i

i i 0 0

i

0 0 0 0 i 0 2 0

1 i

1 1 i 1 3 2 2

3 6

0 0 0 0 2 i

5 2

0

5 7 6 2

6

2 0

13 6

16

i

17 22

3 2 6

Ii

19 12 16 10 6 2 2

i

3 5 5 4 2 i i

3 2 6

17 21 14 8 3 3

Statistikbericht

Nationalität Ungarn

Geburtsjahr

Männer

Frauen

Gesamt

1877 1878 1880 1885 1886 1887 1888 1889 1890 1891 1892 1893 1894 189s 1896 1897 1898 1899 1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 1909 1910 1911 1912 1913 1914 1915 1916 1917 1918 1919 1920 1921 1922 1923 1924 1925 1926 1927 1928 1929

I 0 I I I 2 I I I

0 1 0 0 0 1 1 0 0 0 1 0 2 2 1 1

1 1 1 1 1

4 2 1 5 2 3 6 5 3 14 6 7 5 7 6 S 11 8 7 13 5 9 7 8 3 5 5 9 10 10 3 8

2

9 7 18 11 7 5 1

3 2 3 1 2 8 3 1 1 3 2 4 4 4 6 1 1 1 2 3 2 4 6 8 13 6 8 S 5 4 3 2

3 2 1 1 4 3 1 7 4 4 7 8 5 17 7 9 13 10 7 6 14 10 11 17 9 15 8 9 4 7 8 11 14 16 3' 21 r

5

23 16 11 8 3

178 Nationalität

Michaela C. Schober Männer

Frauen

Gesamt

1917

1

1 9 1 8

1 1

0 0 0

1 1 1

1 1 1

0 0 0

1 1 1

1 1

1 1 1 1 1

Geburtsjahr

Ungarische Ukraine

1921

Usbekistan

1 9 1 9 1 9 2 0 1922

Weißrußland

1922

1 0

0 0 0 1

X897

1

0

1908 1 9 1 4 1 9 1 6

Westukraine

Geburtsjahrgänge der deutschen Staatsangehörigen Männer

Frauen

1868

i

0

1

1869

2

0

2

1871

4

0

4

1872

2

0

2

00

Geburtsjahr

Gesamt

i

0

1

1874

2

0

2

1875

8

0

8

1876

7

0

7

1877

10

0

10

1878

11

0

11

1879

11

0

11

1880

22

1

2

1881

17

1

18

1882

29

1

3 °

1883

3 °

1

31

1884

38

1

39

1885

41

0

4 1

3

1886

38

1

39

1887

45

6

5

1

1888

53

5

58

1889

6 4

2

66

1890

59

5

6 4

1891

8 4

8

92

1892

98

8

106

Statdstikbericht Geburtsjahrgänge der deutschen Staatsangehörigen Frauen

Gesam

105 107 110

6 10 8

in

r

33 126

!5 11

H5 x38

r

3 20

151 148

2

00 152 128 I50 147 ! 53 127 132 128 104 136 126 I3 1 82 59 57 49 66 83 73 94 77 I2 3 i7 2 150 175 71 40 4

5 3 22 2

"7 118 148 r

37 158 158 176 171 160

2 3 28 28 22 26 26 28

175 156 178 169

2

'5' i3 2 168 ,58 170 104 80 76

3 28 32 32 39 22 21 J

9 4 36

Ov [-

1893 1894 1895 1896 1897 1898 1899 1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 1909 1910 1911 1912 1913 1914 1915 1916 1917 1918 1919 1920 1921 1922 1923 1924 1925 192Ó 1927 1928 1929 1930

Männer

«53 160

2

73 102

42 49 51 65 76

I2

57 37 17 20 13 0

5 122 145 142 199 229 00

Geburtsjahr

192 91 53 4

179

180

Michaela C. Schober

Keine Angabe der Staatsangehörigkeit Geburtsjahr 1864 1869 1870

Männer

Frauen

I

0 0 0 0 0 1 0 0 1 0 1 0 2 0 2 1

4 I 3 4 4 10

1877 1878 1879 1880 1881 1882 1883 1884 1885 1886 1887 1888 1889 1890

J

00

1871 1872 1873 1874 1875 1876

1892 1893 1894 1895 1896 1897 1898 1899 1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 1909 1910

9 10 3 19 19 2 5 2 4 42 39 28 29 46 46 56 51 45 70 79 78 69 82 97 102 106 101 144 "3 153 150 126 143 133 166 160 163 H5

4 2 3 1 2 4 6 14 7 8 17 J 3 19 17 '3 '4 19 2 3 16 23 2 3 31 14 32 31 2 3

Gesamt 1 4 1 3 4 5 10 9 11 r 3 20

19 7 2 4 44 40 2

32 31 49 47 58 55 51 84 86 86 86 95 116 119 119 "5 158 i32 176 166 149 166 164 180 192 194 168

Statistikbericht

181

Keine Angabe der Staatsangehörigkeit Geburtsjahr 1911 1912 1913 1914 1915 1916 1917 1918 1919 1920 1921 1922 1923 1924 1925 1926 1927 1928 1929 1930 1931

Männer

Frauen

Gesamt

127

35 37 26 3° 20

162 190 X58 169 102

74 63 82 101 IJO 185 166 116 126

23 H 35 41 60

97 87 117 I42 2IO

58 66

2

133 85 42 23 12

52 23 21

'53 '32 139 82

43 32 175 194 185 108

2

59 68

63 28

5 2 1 0

4 1

'4 5 1

Durchschnittsjahrgänge Nationalität Albanien Algerien Armenien Belgien Bulgarien Dänemark Estland Frankreich Galizien Galizische Ukraine Generalgouvernement Griechenland Italien Jugoslawien Kroatien Lettland

Männer

Frauen

'9'9>3 I9I5.5 1906,7 1914,2

0 0 0 1916,1 1911,5 0 1927

1907.3 1914.3 '917.7 i9i4>7 0 1921 1920,2 1917,6 1911,7 1909,5 1914,8 1908,6

'915.4 '924>3 0 1922

Gesamt I I 9 9>3 1915.5 1906,7

'9'4-3 1907.3 1914.3 1922,3 1914,8 '9 2 4.3 1921 1920,3

I

9 I 9.7 1915.7 1911

1917. 8 1911,7 1909,7

'9'4.5 1918

1914.7 1912,8

i8z

Michaela C. Schober

Durchschnittsjahrgänge Nationalität Litauen Lothringen Luxemburg Niederlande Oberschlesien Polen Polnische Ukraine Portugal Protektorat Rumänien Rußland Russische Ukraine Schlesien Schweiz Serbien Slowakische Ukraine Slowakei Slowenien Spanien Staatenlos Südtirol Türkei Turkestan USA Ukraine Ungarn Ungarische Ukraine Usbekistan Weißrußland Westukraine Deutsche Staatsangehörigkeit

Männer

Frauen

Gesamt

1908,8 1904

1908,8 1923,2

1908,8

1900,5

I9i4,7 I9i7,9 1906 1916,1 1912,1

0 1922 0 1915,1 1915 0 1914,1 1912,3

I9H,5 1918,1 1906 1907,7

1920,6 1922,1 0 1912

1915,1 1914 1909,8 1914,9 1915,2 1909,1 1903 1908,3 1921

1915,6 0

I9i3,9 1908

1914

1917 0 1911 1913,3 0 0 0 0

1905,4 1900,5 1914 1908 1914,8

Wit 1906 1916,1 1912,2 1916,4 I I 9 9,5 1906 1909,4 1915,1

1914 1911,8 1914,9 1915,2 1909,7 1903 1908,3 1921 1914

1918,4 1911,9 1918,7

1918,3 1914 0

1920,3 1912,7 1897

0 1922 0

1918,4 1912,6 1918,7 1920,3 1915 1897

1906,6

1913,5

1907,9

Familienstand In den meisten Fällen handelt es sich um den Familienstand, der bei Eintritt auf den Formularen angegeben wurde. Spätere Veränderungen fließen hier in der Regel nicht mehr ein. Widersprüchliche Angaben, z. B. im Vergleich zu Familienstandsbestätigungen („Ortspolizeiliche Bestätigung"), kommen auch hier vor. Die unten angegeben Daten beziehen sich zum Großteil auf Arbeitskräfte der Eisen-

Statistikbericht

183

werke Oberdonau, da für dieses Werk die meisten Personalakten, in denen in der Regel der Familienstand angegeben ist, vorhanden sind. Das schließt jedoch nicht aus, daß einige von ihnen vor oder nach ihrem Eintritt bei den Eisenwerken bei der Stahlbau GmbH. bzw. der Hütte Linz beschäftigt waren und der Familienstand zu diesem Zeitpunkt ein anderer war. Gesamt Familienst.

M

F

Ausländer Ges.

M

F

Ges.

9576

6605

616

6

3325

313

Ledig

8546

1030

Verheiratet

6263

674

Geschieden

'31 109

51

937 182

55

164

27 62

15049

1810

16859

10019

Verwitwet Gesamt

Deutsche Staatsangeh.

Keine Angabe

M

F

Ges.

M

7221

1504 2483

395 346

1899

3638

2829

7

42 89

43

36 28

971

10990

4126

805

2

96

F

Ges.

437

18 15 0

455 470

!32

455 8

71

4

0

4

4931

904

33

937

8

Rekrutierungsart Die Rekrutierungsart bei einem 2. Eintritt (z. B. 1. Eintritt - Transport, 2. Eintritt - Zuweisung oder 1. Eintritt - Zuweisung, 2. Eintritt - Dienstverpflichtung) wurde nicht in die unten angeführte Tabelle aufgenommen. Eine Rekrutierungsart ist in den Personalunterlagen nicht immer angegeben. In manchen Fällen konnte nicht eindeutig geklärt werden, ob es sich um eine Dienstverpflichtung handelte, da z. B. nur eine Abkürzung mit Bleistift auf irgendeinem wesentlich später datierten Formular eingetragen wurde. Beschäftigte, die z. B. zugewiesen wurden und erst später dienstverpflichtet - manchmal auch rückwirkend (Veränderungsanzeigen etc.) - , wurden zu den Dienstverpflichtungen gerechnet.

Michaela C. Schober

184 Gesamt Rekrutierungsart

M

Dt. Staatsangeh.

Keine Angabe

M

F

Ges.

M

F

Ges.

F

Ges.

M

F

Ges.

284

419144=

2196

in

2307«'

1708

'73

1881444

3

0

3

742 263

2029

72144«

737 6 0

345 262 1 0

2374445 1999447

1118 !y448

0

l6 6 21

397 1

4 0

3492 2018 16 21

3 0

9 21

0 2 0 0

0 0 0 0

0 2 0 0

8445 1293

9738

5968

719

6687

2472

574

3046

5

0

5

Dienstver- 3907«' pflichtung Zuweisimg 2750 Transport 1755 Freiwillig«« 12 21 Rüstungsurlauber Gesamt

Ausländer

I

745°

Betriebe D i e Summe der Beschäftigten aller Betriebe ist höher als die Gesamtzahl der beschäftigten Personen am Standort Linz, da eine nicht unwesentliche Anzahl nicht nur in einem Betrieb arbeitete. S o waren z. B. manche bei den H G W tätig, bevor sie bei den E W O beschäftigt wurden, und umgekehrt. In manchen Fällen, insbesondere im Bereich des Werksicherung, erfolgte schon kurz nach dem Eintritt bei den E W O bzw. offensichtlich auch rückwirkend eine Uberstellung zu den H G W als Lagerschutzmänner, Lagerwache etc. Vergleicht man die Beschäftigten der E W O mit den H G W , so zeigt sich, daß einige Nationalitäten vor allem bei den H G W vertreten sind und weniger bei den E W O (Bulgaren, Dänen, Lothringer). Belgier wiederum sind kaum bei den H G W , sondern bei der Stahlbau G m b H und den E W O vertreten. 441 Bei 21 Dienstverpflichteten handelt es sich um die Rüstungstauschaktion 1943. 442 In ca. 2 % der Fälle scheint bei der Dienstverpflichtung auch Transport auf. 443 Fast 70% der Dienstverpflichtungen fallen auf Franzosen, fast 19% auf Protektoratsangehörige, der Rest fallt u. a. auf Italiener (5%), Griechen, Polen, Ungarn, Belgier, Russen/Ukrainer. 444 Bei 35 Dienstverpflichteten scheint auch Zuweisung auf. 445 Bei 52 Personen scheint auch ein Transport auf. 446 Bei 3 Beschäftigten wurde auch „Rü 43" eingetragen. 447 Aus Rußland/Ukraine waren 621, aus Polen 286, darunter ein Mann aus der polnischen Ukraine. Aus dem Protektorat kamen 209 Männer, aus Griechenland 253 und 155 aus Frankreich. Bei einigen wenigen scheint neben dem „Transport" auch „Zuweisung" auf. 448 9 Männer waren Volksdeutsche aus dem Banat und 3 waren Umsiedler. 449 Diese Zahl würde sich unter Berücksichtigung jener Personen, bei denen bei ihrem zweiten Eintritt „Freiwillig" angeführt wurde oder bei denen dies zusätzlich zur „Zuweisung" aufscheint um bis zu 2/3 erhöhen. 450 3 Niederländer und je ein Beschäftigter aus Rumänien, Ungarn (Volksdeutscher), Jugoslawien und 1 Kroatin.

185

Statistikbericht Gesamt M

F

Ges.

Dt. Staatsangeh.

Keine Angabe

M

F

Ges.

M

F

EWO 15509 1924 17433 EWO-Ver0 175 175 tragsfirma HGW 935° 2033 Stahlbau 1932 142 2074

9880

932 0

10812

3971 0

749 0

4720 0

1658

5° 5266 1069

928 16

6194 1085

1068 32

365 0

26966 4099 31065

16265

1876

18141

5071

1114

00

Betrieb

Ausländer

Gesamt



Ges.

M

F

Ges.

43 0

1901

5

H33 32

3016 83,

74° 126

3756 957

6185

5630

1109

I2

2

Ausländische Beschäftigte bei den E W O (Stand 31. Jänner 2001) Gesamt Nationalität Albanien Algerien Armenien Belgien Bulgarien Dänemark Estland Frankreich Galizien Galizien Ukraine Generalgouvernement Griechenland Italien Jugoslawien Kroatien Lettland Litauen Niederlande Polen Polnische Ukraine Portugal Protektorat Rumänien Rußland Russische Ukraine Schweiz Serbien Slowakei

Männer

Frauen 0 0 0 6

3 2 7 73 57 2 2 3084 0 1 !5 505 2280

3° 51

Gesamt 3 2

4 0

7 79 61 2

3 '31 2 0 1

5 32I5 2 1 16

52 36 2

557 2316

15 202 2 10 423 517 38 1 1077 89 616 420 0

Davon Volksdeutsche

54 4 2 2 64

3r 1

425 581 43 1 1093 112 804 651 1

3 33

33 84

5 0 16 2

3 188 2

17 256 6 12

Männer 0 0 0 0 0 0 0

Frauen

Ges;

13 0 0 0 0

0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0

4 0

4 0

3° 0

>5 1 0 0 0 0 0 0 11 1 1 0 2

49 4 1 0 2

19

41

5 0 3 0 0 1 38 3 0 0 0 22

0 0 0 0 0 0 0 14 0 0 0 0 8 0 45 1 5 0 3 0 0 1

I2

6

5

739

Michaela C. Schober Ausländische Beschäftigte bei den E W O Gesamt Nationalität

Slowakische Ukraine Slowenien Spanien Staatenlos Türkei Turkestan Ukraine Ungarn Ungarische Ukraine Usbekistan Weißrußland

Davon Volksdeutsche

Männer

Frauen

Gesamt

Männer

2

0 0 1

2

3 4 54

0 0 0 1 0 0 1

199

63

3 3

0 0 0

I

176 17 3 4 37

7 0 0

3 3

17 51 0 0

1

1

148

i 177 H

2

Frauen

Gesamt

0 0 0

0 0 0

2

3 0 0

0 0

4 33 0 0 0

5 96

0 0 0

Ausländische Beschäftigte in EWO-Vertragsfirmen Nationalität

Männer

Frauen

2

Frankreich Italien Niederlande Protektorat Spanien

0 0 0 0 0

5 39 3 1

Gesamt 2

5 39 3 1

Ausländische Beschäftigte in den H G W Gesamt Nationalität

Armenien Belgien Bulgarien Dänemark Estland Frankreich Galizien Griechenland Italien Jugoslawien Kroatien

Männer

Frauen

2

0

6

3 7 0 0

640

27 2

Davon Volksdeutsche Gesamt 2

9 647

27 2

Männer

0 0 0 0 0

364

2

1

347 0

J

2

74

33

307

0 0

1274

20

1294

i

4

1

4 iS

2

7 *33

7 1

48

3

181

Frauen

Ges:

0 0 1 0 0

0 0 1 0 0 0 0 0 0 0

4

6

21

2

0 0 1

187

Statistikbericht Ausländische Beschäftigte in den H G W Gesamt Nationalität

Männer

Lettland Litauen Lothringen

63

Luxemburg Niederlande Oberschlesien

4 78 2

Polen Polnische Ukraine Protektorat Rumänien Rußland Russische Ukraine Schlesien Schweiz Serbien Slowakei Slowenien Spanien Staatenlos Südtirol Türkei Turkestan Ukraine Ungarn Ungarische Ukraine Usbekistan Weißrußland

3 16

106 0 750 64 992 2 1 2 43 147 8 2 54 2 2 1 60 129 1 1 1

Frauen 0 4 5 0 4 0 10 1 3' 18 529 3 0 1 6 77 0 0

Davon Volksdeutsche Gesamt

83 0 0 0

4 82 2 116 1 781 82

Belgien Bulgarien Dänemark Frankreich Griechenland Italien Jugoslawien

Männer 103 50 67 35 1 163 10

Frauen 1 o o o o 2 1

0 0 3 0 2 16

IS2I

5 1

4 0

3 49 224

0 0 1 18

8 2

0 0

59 2 2

0 0 0 0

1 78 212 1 1 1

Ausländische Beschäftigte in der Stahlbau GmbH Nationalität

0 1 0 0

3 20 68

5 0 0 0 18

Männer

Gesamt 104 50 67 35 1 165 11

1 2

9 0 0 0

Frauen

Gesamt

0 0 0 0 0 0

0 1 0 0

0 0

3 0

3 4 0 0 0 0 0 16

5 20

0 0 1 0 0 0 1 20 0 0 0

0 0

4 0 0 0 1 34 0 0 1 0 0 0 2 49 0 0 0

l88

Michaela C. Schober

Ausländische Beschäftigte in der Stahlbau GmbH

Kroatien Niederlande Polen Protektorat Rumänien Rußland Schweiz Serbien Slowakei Staatenlos USA Ukraine Ungarn Weißrußland Westukraine

Männer 93 23 21 347 4 4i 1 7 22 8 i Si 19 1 1

Frauen 2 2 1 1 0 4 0 0 0 0 0 0 2 0 0

Gesamt 95 25 22 00

Nationalität

4 45 1 7 22 8 1 5i 21 1 1

Unterbetriebe der EWO und HGW Verschiedene Abteilungen und Unterabteilungen wurden hier zusammengefaßt. Ein Teil jener Arbeitsbereiche mit nur sehr geringen Beschäftigungszahlen wurde hier nicht (separat) berücksichtigt. Unterbetriebe werden mit wenigen Ausnahmen nur in den Personalunterlagen angegeben.

Gesamt Unterbetrieb/Abteilung Allgemeine Verwaltung Ambulanz/Zentralambulanz Sanitatsstelle Betriebsarzt Gesundheitswesen Lazarett Verbandsstelle/Betriebsarzt Zahnklinik/Zahnarzt Arbeitseinsatz/Gefo-A Ausländerbetreuung Bau- und Platzbetrieb

Männer 31 27 11 0 4 2 0 1 1 8 91

Frauen 55 7 12 1 1 4 1 3 6 3 5

Gesamt 86 34 23 1 5 6 1 4 7 11 96

189

Statistikbericht

Si t o^h n a b r e c h n u n g Zuname

C

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Betriebe

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Religion

S.R. B e i der Einstellung abgegebene Papier

Berufsausbildung

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Steuerwarte

Lehrfirma:

mm:

Lehrzeit:

Arbeitsbuch

Lehrzeugnis a l s :

, 10 t m

-

g e k l e b t bis

Nr. tieklebt bis

DAF-Mttgl.-Buch

g e k l e b t bis

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F a c h a r b e i t e r o h n e Lehrzeugnis a l s : 8*9»

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Annahmeschein/Lohnabrechnung

Gesamt Unterbetrieb/Abteilung

Männer

Bauabteilung/Baubetrieb Bearbeitungswerkstatt (Bearbeitungswerkstatt I, Schweißerei, Bearbeitungswerkstatt II [Stahlbau]) Betriebsobmann Blechwalzwerk Buchhaltung Büro- und Hausverwaltung Einkauf Elektroabteilung Elektrobetrieb Energie- und Betriebswirtschaftsstelle Erzaufbereitung/Erzvorbereitung Gefo-AO (Arbeitsordnung) Gefolgschaftsfiiihrung Gesenkschmiede Hauptlager

1278

3'

1309

55 H 6

214

5728

3 13 0 11

9 228

215 7 18 15 121 78 119 15 3 4 793 246

Frauen

25 13 21 7i 1 0 1 65 68

Gesamt

7 29 40 '34 99 190 16 3 5 858 314

190

Michaela C. Schober

Gesamt Unterbetrieb/Abteilung Hauptmagazin Hauptwerkstätte Hausverwaltung Hochofen Hof- und Platzbetrieb Kaufmännische Verwaltung Kokerei Kostenabteilung/Kostenstelle Kraftfahrzeugstelle Garage Kraftwerk Küchenverwaltung/Küchenbetriebe Laboratorium Lagerbuchhaltung Lagerfuhrung Lagerwesen (Lagerwesen-Baustofflager, Lagerwesen-Fuhrwerksbetrieb) Ledigenheimverwaltung Lohnbüro, Lohnbuchhaltung, Lohnverteilung, Lohnbüro-Adrema, Gefo-L Maschinenbetrieb (Maschinenbetrieb I und II, Instandsetzungswerkstatt, M. B. Elektroabteilung, M. B. Verkehrswesen) Ofenbau Ostarbeiterlager Rechnungswesen, (Buchhaltung)-Rechnungsprüfung Sozial- und Gefolgschaftswesen - Familienfürsorge, Sozialbetreuung, Sozialbetreuung und Werksfürsorge, Sozialbüro, Gefo-S Stahlgießerei Stahlwerk (Stahlwerk I, Stahlwerk II, Stahlwerk-Ofenbau) Ukrainerlager-Lagerführung Umschulung Kleinmünchen, Umschulung Hauptverwaltung Vergüterei

Männer 12 184 70 5i 63 7 58 12 34 5 37 206 3 4 !7

Frauen

Gesa

2

14 203 467

397 2

53 77 15 70

H 8 12 2 2 0

r 4 36 5 44 805

7 59945.

12 1 2

15 5 42

5

81

12

3

17

93 20



11

61

345 165

188 2

17 7

15 2

32 9

3 1116

22 103

2 5 1219

927 0

15 14

17 645

0 165

2

2

53 3 167

942 14 17«* 810

451 1 deutsche Staatsangehörige war in der „Küchen- und Wohnlagerverwaltung" beschäftigt. Sie wurde unter „Wohnlagerverwaltung" nicht mehr mitgezählt. Nicht enthalten ist hier eine Frau ohne Angabe der Staatsangehörigkeit, bei der als Unterbetrieb die Küchenbetriebe Stickstoff angeführt wurden. Sie wurde 6 Wochen nach ihrem Eintritt bei den H G W zu den Stickstofifwerken überstellt. 452 Bei einem russischen Umschüler wurde als Betrieb nur „Hauptverwaltung" angegeben.

Statistikbericht

191

Gesamt Unterbetrieb/Abteilung

Männer

Versand Versorgungsbetrieb Versuchsanstalt Verwaltung Werksfiirsorge Werkschutz (Wachdienst, Werksicherung Wohnlagerverwaltung454

Frauen

26 6 289 3

2 12 114 9 0

Feuerwehr)^

241 237 228

Gesamt 28 18 403 12

2 o 193

9

9 243 237 421

Frauen

Gesamt

Ausländer Unterbetrieb Allgemeine Verwaltung Ambulanz/Zentralambulanz Sanitätsstelle Betriebsarzt Gesundheitswesen Lazarett Verbandsstelle/Betriebsarzt Zahnklinik/Zahnarzt Arbeitseinsatz/Gefo-A Ausländerbetreuung Bau- und Platzbetrieb Bauabteilung/Baubetrieb Bearbeitungswerkstatt (Bearbeitungswerkstatt I, Schweißerei, Bearbeitungswerkstatt II [Stahlbau]) Betriebsobmann Blechwalzwerk Buchhaltung Büro- und Hausverwaltung Einkauf

Männer 5 12 5 0 3 1 0 1 7 8 72 1076 3522 3 161 7 2 12

9 4 6 i 0 1 i i 5 4 5 23 "3 o 8 o 3 7

14 16 11 1 3

2 12 12 77 1099 3635 3 169 7 5 19

453 Hier handelt es sich um Beschäftigte, bei denen diese Unterbetriebe explizit angegeben wurden. Die Zahl der Werkschutzleute, Wachmänner etc. lag höher. Eine automatische Zuordnung jener, bei denen nur Krankenkassen-Unterlagen vorhanden sind, ist jedoch nicht möglich, da bei manchen, für die auch Personalakten existieren, z. B. auch die Wohnlagerverwaltung oder der Maschinenbetrieb als Unterbetrieb aufscheint. Enthalten sind hier auch Personen, die nach dem Probemonat woanders eingesetzt wurden oder überhaupt aus den Werken ausschieden. 454 Hier sind 4 Personen (2 Männer und 2 Frauen) enthalten, die in der Wohnlagerwerkstätte beschäftigt waren. Eine Frau war sowohl in der Wohnlagerwerkstätte als auch in der Wohnlagerverwaltung tätig.

192

Michaela C. Schober

Ausländer Unterbetrieb Elektroabteilung Elektrobetrieb Energie- und Betriebswirtschaftsstelle Erzaufbereitung/Erzaufbereitung Gefo-AO (Arbeitsordnung) Gefolgschaftsfiihrung Gesenkschmiede Hauptlager Hauptmagazin Hauptwerkstätte Hausverwaltung Hochofen Hof- und Platzbetrieb Kaufmännische Verwaltung Kokerei Kostenabteilung/Kostenstelle Kraftfahrzeugstelle Garage Kraftwerk Küchenverwaltung/Küchenbetriebe Laboratorium Lagerbuchhaltung Lagerfiihrung Lagerwesen (Lagerwesen-Baustofflager, Lagerwesen-Fuhrwerksbetrieb) Ledigenheimverwaltung Lohnbüro, Lohnbuchhaltung, Lohnverteilung, Lohnbüro-Adrema, Gefo-L Maschinenbetrieb (Maschinenbetrieb I und II, Instandsetzungswerkstatt, M. B. Elektroabteilung, M. B. Verkehrswesen) Ofenbau Ostarbeiterlager Rechnungswesen, (Buchhaltung)-Rechnungsprüfung Sozial- und Gefolgschaftswesen - Familienfiirsorge, Sozialbetreuung, Sozialbetreuung und Werksfiiirsorge, Sozialbüro, Gefo-S Stahlgießerei Stahlwerk (Stahlwerk I, Stahlwerk II, Stahlwerk-Ofenbau) Ukrainerlager-Lageriuhrung Umschulung Kleinmünchen, Umschulung Hauptverwaltung

Männer 87 S° 79 11 2 2 655 172 7 "5 26 43 43 7 46 11 17 1 21

Frauen 13 9 !5 1 0 0 50 44 2 8 306 1

H 1 8 0 1 0

Gesa 100 59 94 12 2 2 7°S 216 9 3 33 2 44 57 I2

54 11 18 1

4 293 11 1

2 5 466

2

5

42

64 0

6

70

4

4

42

0

42

1684 127 8

"3 0

1797 127

173 3 4 17

7

15 1

18

1 958

85

819 0

4 14

16

0

r

2

4 5

3 8

19 1043 823 14 16

m

Statistikbericht Ausländer Unterbetrieb

Männer

Vergüterei Verkehrswesen Versand Versorgungsbetrieb Versuchsanstalt Verwaltung Werksfursorge Werkschutz (Wachdienst, Feuerwehr) Werksicherung Wohnlagerverwaltung 4 ' 5

421 103 21 5

m 0 0 10 IZ

Frauen 7' 2 2 3 39 0

Gesamt 492 105 23 8 232 0

3

3 1 0

3 11

3

149

3 272

Frauen

Gesamt

Deutsche Staatsangehörige Unterbetrieb Allgemeine Verwaltung Ambulanz/Zentralambulanz Sanitätsstelle Betriebsarzt Gesundheitswesen Lazarett Verbandsstelle/Betriebsarzt Zahnklinik/Zahnarzt Arbeitseinsatz/Gefo-A Ausländerbetreuung Bau- und Platzbetrieb Bauabteilung/Baubetrieb Bearbeitungswerkstatt (Bearbeitungswerkstatt I, Schweißerei, Bearbeitungswerkstatt II [Stahlbau]) Betriebsobmann Blechwalzwerk Buchhaltung Büro- und Hausverwaltung Einkauf Elektroabteilung Elektrobetrieb Energie- und Betriebswirtschaftsstelle Erzaufbereitung/Erzvorbereitung

Männer 26 r

5 5 0 1 1 0 0 2 0 18 186

45 3 4 0 1

7' 18

3 0 1 1 0 0 8

4 0 1

1964

100

3 53 0 16

3 5 0

9 0 2

3 0 18 194 2064 6 58 0

3 33 28

7 17 0 12

23 20 33 40

39 4

55 0

94 4

455 Hier sind 3 Personen (2 Männer und 1 Frau) enthalten, die in der Wohnlagerwerkstätte beschäftigt waren.

194

Michaela C. Schober

Deutsche Staatsangehörige Unterbetrieb Gefo-AO (Arbeitsordnung) Gefolgschaftsfiihrung Gesenkschmiede Hauptlager Hauptmagazin Hauptwerkstätte Hausverwaltung Hochofen Hof- und Platzbetrieb Kaufmännische Verwaltung Kokerei Kostenabteilung/Kostenstelle Kraftfahrzeugstelle Garage Kraftwerk Küchenverwaltung/Küchenbetriebe Laboratorium Lagerbuchhaltung Lagerführung Lagerwesen (Lagerwesen-Baustofflager, Lagerwesen-Fuhrwerksbetrieb) Ledigenheimverwaltung Lohnbüro, Lohnbuchhaltung, Lohnverteilung, Lohnbüro-Adrema, Gefo-L Maschinenbetrieb (Maschinenbetrieb I und II, Instandsetzungswerkstatt, M. B. Elektroabteilung, M. B. Verkehrswesen) Ofenbau Ostarbeiterlager Rechnungswesen, (Buchhaltung)-Rechnungsprüfung Sozial- und Gefolgschaftswesen - Familienfursorge, Sozialbetreuung, Sozialbetreuung und Werksfürsorge, Sozialbüro, Gefo-S Stahlgießerei Stahlwerk (Stahlwerk I, Stahlwerk II, Stahlwerk-Ofenbau) Ukrainerlager-Lagerfuhrung

Männer

Frauen

1

0 1

2

137 74 5 68 44 7 19 0 10 1 16 3 15 32 0 0 0 16

!J 4 0 10 90 1 0 1 2

3 2 1 0 3 2984s6 1 0 0

Gesamt 1 3 152 98 5 78 134 8 19 1 13 3 17 3 18 33° 1 0 0 22

3

6 12

8

11

19

7^5 40

9 0

75 2 0 1

2 156

4 18

174

104 0

11 0

"5 0

650 38

'5

9 1

6

456 Hier sind auch zwei Frauen enthalten, die in der Küche Nettingsdorf arbeiteten. Die Eisenwerke übernahmen mit 1. Februar 1945 das ganze Küchenpersonal der Nettingsdorfer Papierfabrik AG. Nachdem die Eisenwerke in Nettingsdorf ihren Betrieb nicht weiterführten, wurde auch das Küchenpersonal mit 1. Juli 1945 wieder an die Papierfabrik übergeben.

Statistikbericht

195

Deutsche Staatsangehörige Unterbetrieb Umschulung Kleinmünchen, Umschulung Hauptverwaltung Vergüterei Verkehrswesen Versand Versorgungsbetrieb Versuchsanstalt Verwaltung Werksfürsorge Werkschutz (Wachdienst, Feuerwehr) Werksicherung Wohnlagerverwaltung

Männer

Frauen

1 220 14 5 0 93 3 0

Gesamt

0

1

94 3 0 8

314 17 5 8 168 12 6

75 9 6 1 0 44457

2 3* 232 104

232 232

148

Keine Angabe der Nationalität Unterbetrieb Allgemeine Verwaltung Ambulanz/Zentralambulanz Sanitätsstelle Betriebsarzt Gesundheitswesen Lazarett Verbandsstelle/Betriebsarzt Zahnklinik/Zahnarzt Arbeitseinsatz/Gefo-A Ausländerbetreuung Bau- und Platzbetrieb Bauabteilung/Baubetrieb Bearbeitungswerkstatt (Bearbeitungswerkstatt I, Schweißerei, Bearbeitungswerkstatt II [Stahlbau]) Betriebsobmann Blechwalzwerk Buchhaltung Büro- und Hausverwaltung Einkauf Elektroabteilung Elektrobetrieb Energie- und Betriebswirtschaftsstelle Erzaufbereitung/Erzvorbereitung 457 Eine Frau war in der Wohnlagerwerkstätte beschäftigt.

Männer

Frauen

o

Gesamt

1 0

1

0 2

0 0 0 0 0 0 0 1 16

0 0 0 0 0 0 0 o o

28

1 0

1

0 o

0 o o

0 1 1

0 1 1

0 o 1

0

0

1 0 3 0 0 0 0 0 0 0 1 16 29 0 1 0 1 1 0 1 2 0

196

Michaela C. Schober

Keine Angabe der Nationalität Unterbetrieb Gefo-AO (Arbeitsordnung) Gefolgschaftsfiihrung Gesenkschmiede Haupdager Hauptmagazin Hauptwerkstätte Hausverwaltung Hochofen Hof- und Platzbetrieb Kaufmännische Verwaltung Kokerei Kostenabteilung/Kostenstelle Kraftfahrzeugpark/Kraftfahrzeugstelle Fuhrpark Garage Kraftwerk Küchenverwaltung/Küchenbetriebe Laboratorium Lagerbuchhaltung Lagerführung Lagerwesen (Lagerwesen-Baustofflager, Lagerwesen-Fuhrwerksbetrieb) Ledigenheimverwaltung Lohnbüro, Lohnbuchhaltung, Lohnverteilung, Lohnbüro-Adrema, Gefo-L Maschinenbetrieb (Maschinenbetrieb I und II, Instandsetzungswerkstatt, M. B. Elektroabteilung, M.B.Verkehrswesen) Ofenbau Ostarbeiterlager Rechnungswesen, (Buchhaltung)-Rechnungsprüfung Sozial- und Gefolgschaftswesen - Familienfiirsorge, Sozialbetreuung, Sozialbetreuung und Werksfiirsorge, Sozialbüro, Gefo-S Stahlgießerei Stahlwerk (Stahlwerk I, Stahlwerk II, Stahlwerk-Ofenbau) Ukrainerlager-Lagerführung Umschulung Kleinmünchen, Umschulung Hauptverwaltung

Männer

Frauen 0 0

1

Gesamt 0 0

o 0 0 1

o 1 1

0 0 1 1 o o

0 2 0 1

0 1 0 o

0 1 1 1

0 o o 8458

0 0 0 1 o

0 0 0 o 1

0

0 0 1 0 0 2 1 1 1 0 3 0 1 0 1 1 9 0 0 0 1 1

0

0

0 0 0

0 0 0

11 0 0 0

0 2

0 0

0 2

4 0

0 0

4 0

0

0

0

ix

o

458 Nicht enthalten ist hier eine Frau, bei der als Unterbetrieb die Küchenbetriebe Stickstoff angeführt wurden. 6 Wochen nach ihrem Eintritt bei den H G W wurde sie an die Stickstoflwerke überstellt.

197

Statistikbericht Keine Angabe der Nationalität Unterbetrieb Vergüterei Verkehrswesen Versand Versorgungsbetrieb Versuchsanstalt Verwaltung Werksfiirsorge Werkschutz (Wachdienst, Feuerwehr) Werksicherung Wohnlagerverwaltung

Männer

Frauen

4 4 0 0

0 0 0 2

3 0 0 0 2 1

0 0 0 0

Gesamt 4 4 0 2 3

0

0 0 0 2 o

1

Frauen

Gesamt

Frankreich Unterbetrieb Allgemeine Verwaltung Ambulanz/Zentralambulanz Sanitätsstelle Betriebsarzt Gesundheitswesen Lazarett Verbandsstelle/Betriebsarzt Zahnklinik/Zahnarzt Arbeitseinsatz/Gefo-A Ausländerbetreuung Bau- und Platzbetrieb Bauabteilung/Baubetrieb Bearbeitungswerkstatt (Bearbeitungswerkstatt I, Schweißerei, Bearbeitungswerkstatt II [Stahlbau]) Betriebsobmann Blechwalzwerk Buchhaltung Büro- und Hausverwaltung Einkauf Elektroabteilung Elektrobetrieb Energie- und Betriebswirtschaftsstelle Erzaufbereitung/Erzvorbereitung Gefo-AO (Arbeitsordnung) Gefolgschaftsfiihrung Gesenkschmiede Hauptlager

Männer 0

0

o 0 2 0 o 0 O 0

0 1 1

2

0 0 0

3 1 0 2 0

1 0

1

1 0

I I

t I

O

I

J 55

2

'57

1166

29

1195

1

o

1

53 0 0 0

0 0 0

43 11

1

0 0 0

o o

23

4j 11

2

0

0

3 0

0

54

25

0 1

4 0

301

3

304

57

4

61

198

Michaela C. Schober

Frankreich Unterbetrieb Hauptmagazin Hauptwerkstätte Hausverwaltung Hochofen Hof- und Platzbetrieb Kaufmännische Verwaltung Kokerei Kostenabteilung/Kostenstelle Kraftfahrzeugstelle Garage Kraftwerk Küchenverwaltung/Küchenbetriebe Laboratorium Lagerbuchhaltung Lagerfiihrung Lagerwesen (Lagerwesen-Baustofflager, Lagerwesen-Fuhrwerksbetrieb) Ledigenheimverwaltung Lohnbüro, Lohnbuchhaltung, Lohnverteilung, Lohnbüro-Adrema, Gefo-L Maschinenbetrieb (Maschinenbetrieb I und II, Instandsetzungswerkstatt, M. B. Elektroabteilung, M. B. Verkehrswesen) Ofenbau Ostarbeiterlager Rechnungswesen, (Buchhaltung)-Rechnungsprüfung Sozial- und Gefolgschaftswesen - Familienfürsorge, Sozialbetreuung, Sozialbetreuung und Werksfiirsorge, Sozialbüro, Gefo-S Stahlgießerei Stahlwerk (Stahlwerk I, Stahlwerk II, Stahlwerk-Ofenbau) Ukrainerlager-Lagerfiihrung Umschulung Kleinmünchen, Umschulung Hauptverwaltung Vergüterei Verkehrswesen Versand Versorgungsbetrieb Versuchsanstalt Verwaltung Werksfiirsorge Werkschutz (Wachdienst, Feuerwehr) Werksicherung Wohnlagerverwaltung

Männer 0 12 1 i

Frauen

Gesamt

3 0 2 0 1

0 0 22 0 0 1 0 0 0 0 0

34 1 0 0

44 0 0 0

78 1 0 0

9 0

1 0

10 0

0

0

0

9 0 0 0

47i 2 4 0 0

3 0

462 2

4 0 0

0 12 2

3 1 3 1 3 0 2 0 1

0

0

0

525

42

567

332 0

1 0

333 0

0

0 11 0 0 0 6 0 1 0 0 22

0 104

93 5 n 1 5° 0 0 0 1 28

5 11 1 56 0 1 0 1 5°

199

Statistikbericht Griechenland Unterbetrieb Allgemeine Verwaltung Ambulanz/Zentralambulanz Sanitätsstelle Betriebsarzt Gesundheitswesen Lazarett Verbandsstelle/Betriebsarzt Zahnklinik/Zahnarzt Arbeitseinsatz/Gefo-A Ausländerbetreuung Bau- und Platzbetrieb Bauabteilung/Baubetrieb Bearbeitungswerkstatt (Bearbeitungswerkstatt I, Schweißerei, Bearbeitungswerkstatt II [Stahlbau]) Betriebsobmann Blechwalzwerk Buchhaltung Büro- und Hausverwaltung Einkauf Elektroabteilung Elektrobetrieb Energie- und Betriebswirtschaftsstelle Erzaufbereitung/Erzvorbereitung Gefo-AO (Arbeitsordnung) Gefolgschaftsfuhrung Gesenkschmiede Hauptlager Hauptmagazin Hauptwerkstätte Hausverwaltung Hochofen Hof- und Platzbetrieb Kaufmännische Verwaltung Kokerei Kostenabteilung/Kostenstelle Kraftfahrzeugstelle Garage Kraftwerk Küchenverwaltung/Küchenbetriebe Laboratorium Lagerbuchhaltung Lagerfiihrung

Männer

Frauen

0 0 0 0 0 0 0 0 o

0 0 0 0 0 0 0 0

0

0

Gesamt 0 0 0 0 0 0 0 0

1

1 0

5 118

0

1

5 119

142 1 0 0 0 0 7 1 7 0 1 0 14

10 o

152 1

0 0 0 0 0

0 0 0 0 7 O

0 0

I 7 0

O 0

I 0

2

3 0 4 2 1 0 0 1 0 0 0 0

0 0 0 0 0 0 0

4 0 0 0

0 0 0

14

1 0 0

4 0 4

39 o

41 1 0 0 0 0 0 0 0

5

9 0 0 0

200

Michaela C. Schober

Griechenland Unterbetrieb Lagerwesen (Lagerwesen-Baustofflager, Lagerwesen-Fuhrwerksbetrieb) Ledigenheimverwaltung Lohnbüro, Lohnbuchhaltung, Lohnverteilung, Lohnbüro-Adrema, Gefo-L Maschinenbetrieb (Maschinenbetrieb I und II, Instandsetzungswerkstatt, M. B. Elektroabteilung, M. B. Verkehrswesen) Ofenbau Ostarbeiterlager Rechnungswesen, (Buchhaltung)-Rechnungsprüfung Sozial- und Gefolgschaftswesen - Familienfursorge, Sozialbetreuung, Sozialbetreuung und Werksfiirsorge, Sozialbüro, Gefo-S Stahlgießerei Stahlwerk (Stahlwerk I, Stahlwerk II, Stahlwerk-Ofenbau) Ukrainerlager-Lagerfuhrung Umschulung Kleinmünchen, Umschulung Hauptverwaltung Vergüterei Verkehrswesen Versand Versorgungsbetrieb Versuchsanstalt Verwaltung Werksfiirsorge Werkschutz (Wachdienst, Feuerwehr) Werksicherung Wohnlagerverwaltung

Männer

Frauen

Gesamt

112 o o o

"5 o o o

o 116

o 117

70 o

70 o

0 10

0

3 1 o

15 3 1 o

4 o o o o o

4 o o o o 6

Polen Unterbetrieb Allgemeine Verwaltung Ambulanz/Zentralambulanz Sanitätsstelle Betriebsarzt Gesundheitswesen Lazarett Verbandsstelle/Betriebsarzt

Männer

Frauen

Gesamt

Statistikbericht

20I

Polen Unterbetrieb Zahnklinik/Zahnarzt Arbeitseinsatz/Gefo-A Ausländerbetreuung Bau- und Platzbetrieb Bauabteilung/Baubetrieb Bearbeitungswerkstatt (Bearbeitungswerkstatt I, Schweißerei, Bearbeitungswerkstatt II [Stahlbau]) Betriebsobmann Blechwalzwerk Buchhaltung Büro- und Hausverwaltung Einkauf Elektroabteilung Elektrobetrieb Energie- und Betriebswirtschaftsstelle Erzaufbereitung/Erzvorbereitung Gefo-AO (Arbeitsordnung) Gefolgschaftsfuhrung Gesenkschmiede Hauptlager Hauptmagazin Hauptwerkstatte Hausverwaltung Hochofen Hof- und Platzbetrieb Kaufmännische Verwaltung Kokerei Kostenabteilung/Kostenstelle Kraftfahrzeugstelle Garage Kraftwerk Küchenverwaltung/Küchenbetriebe Laboratorium Lagerbuchhaltung Lagerfiihrung Lagerwesen (Lagerwesen-Baustofflager, Lagerwesen-Fuhrwerksbetrieb) Ledigenheimverwaltung Lohnbüro, Lohnbuchhaltung, Lohnverteilung, Lohnbüro-Adrema, Gefo-L Maschinenbetrieb (Maschinenbetrieb I und II, Instandsetzungswerkstatt, M. B. Elektroabteilung, M. B. Verkehrswesen) Ofenbau

Männer

Frauen

o o o o 35 228 0 21 0 0 0 0 1 2 0 0 0 H 0 0 5 2 0 1 0

Gesamt

o i o o °

o i o o 35

5 0

233 0

o 0 0 0

21 0 0 0

I O 0 0 0 0

I I 2 0 0 0

3 0 0

17 0 0 5 42

0

40 0

0 o

2

1 2

5 0 0 0 1 2 I 0 0

°

0 0

0 0

0 0

0 0

0 0

0

0

0

54 9

0

0 0 0

5 0 0 0

o 18 o

13

t 20 I

9

67

202

Michaela C. Schober

Polen Unterbetrieb Ostarbeiterlager Rechnungswesen, (Buchhaltung)-Rechnungsprüfung Sozial- und Gefolgschaftswesen - Familienfursorge, Sozialbetreuung, Sozialbetreuung und Werksfiirsorge, Sozialbüro, Gefo-S Stahlgießerei Stahlwerk (Stahlwerk I, Stahlwerk II, Stahlwerk-Ofenbau) Ukrainerlager-Lagerführung Umschulung Kleinmünchen, Umschulung Hauptverwaltung Vergüterei Verkehrswesen Versand Versorgungsbetrieb Versuchsanstalt Verwaltung Werksfiirsorge Werkschutz (Wachdienst, Feuerwehr) Werksicherung Wohnlagerverwaltung

Männer

Frauen

Gesamt

0 o

0 0

0 0

o 15

0 1

0 16

92 0

0 0

92 0

0 46

0

0

5 0 0 0 0 0 0 0 0

51 3 1 0 6 0 0 0 0 6

3 1 0 6 0 0 0 0 1

5

Protektorat Unterbetrieb Allgemeine Verwaltung Ambulanz/Zentralambulanz Sanitätsstelle Betriebsarzt Gesundheitswesen Lazarett Verbandsstelle/Betriebsarzt Zahnklinik/Zahnarzt Arbeitseinsatz/Gefo-A Ausländerbetreuung Bau- und Platzbetrieb Bauabteilung/Baubetrieb Bearbeitungswerkstatt (Bearbeitungswerkstatt I, Schweißerei, Bearbeitungswerkstatt II [Stahlbau]) Betriebsobmann Blechwalzwerk

Männer

Frauen

0 2 2 0 0 0 0 3 3 1 10 158

1 2 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

380 0 22

2 0 1

Gesamt 1 4 2 0 0 0 0 3 3 1 10 158 382 0 23

203

Statistikbericht Protektorat Unterbetrieb Buchhaltung Büro- und Hausverwaltung Einkauf Elektroabteilung Elektrobetrieb Energie- und Betriebswirtschafestelle Erzaufbereitung/Erzvorbereitung Gefo-AO (Arbeitsordnung) Gefolgschafts fuhrung Gesenkschmiede Hauptlager Hauptmagazin Hauptwerkstätte Hausverwaltung Hochofen Hof- und Platzbetrieb Kaufmännische Verwaltung Kokerei Kostenabteilung/Kostenstelle Kraftfahrzeugstelle Garage Kraftwerk Küchenverwaltung/Küchenbetriebe Laboratorium Lagerbuchhaltung Lagerfiihrung Lagerwesen (Lagerwesen-Baustofflager, Lagerwesen-Fuhrwerksbetrieb) Ledigenheimverwaltung Lohnbüro, Lohnbuchhaltung, Lohnverteilung, Lohnbüro-Adrema, Gefo-L Maschinenbetrieb (Maschinenbetrieb I und II, Instandsetzungswerkstatt, M. B. Elektroabteilung, M. B. Verkehrswesen) Ofenbau Ostarbeiterlager Rechnungswesen, (Buchhaltung)-Rechnungsprüfung Sozial- und Gefolgschaftswesen - Familienfursorge, Sozialbetreuung, Sozialbetreuung und Werksfiirsorge, Sozialbüro, Gefo-S Stahlgießerei Stahlwerk (Stahlwerk I, Stahlwerk II, Stahlwerk-Ofenbau) Ukrainerlager-Lagerführung

Männer 7 0 12 14 12 20

Frauen 0 0

Gesamt 7 0

o o O o

12 14 12 20

3

0

3

2

0

2

1 64

O O

I 64

39 I 28 I II 19 I 10 6 4 I 9 22 0 4 0

° O o O O o O o

39 I 28 I II 19 I 10

0 0 0

3 0

0

0 0

6 4 O 1 7

I 10 29 0 4 0

°

3 0

25

o

25

163 11 0 6

2 o

165 II

0 0

1 69

o I

27 0

0 6

I 70

o 0

27 0

204

Michaela C. Schober

Protektorat Unterbetrieb Umschulung Kleinmünchen, Umschulung Hauptverwaltung Vergüterei Verkehrswesen Versand Versorgungsbetrieb Versuchsanstalt Verwaltung Werksfursorge Werkschutz (Wachdienst, Feuerwehr) Werksicherung Wohnlagerverwaltung

Männer

Frauen

o 35 39 1

Gesamt

o o o o 0

35

0 o

0 0 0 0 11

0 0 0 0 2

o 35 39 1 0 35 0 0 0 0 13

Rußland und russische Ukraine Unterbetrieb

Männer

Frauen

Gesamt

Allgemeine Verwaltung Ambulanz/Zentralambulanz Sanitätsstelle Betriebsarzt Gesundheitswesen

0 0 0 0 0

0 0 2 0 0

0 0 2 0 0

Lazarett Verbandsstelle/Betriebsarzt Zahnklinik/Zahnarzt Arbeitseinsatz/Gefo-A Ausländerbetreuung Bau- und Platzbetrieb Bauabteilung/Baubetrieb Bearbeitungswerkstatt (Bearbeitungswerkstatt I,

0 0

0 0

0 0 1 0 1 18 76

Schweißerei, Bearbeitungswerkstatt II [Stahlbau]) Betriebsobmann Blechwalzwerk Buchhaltung Büro- und Hausverwaltung Einkauf Elektroabteilung Elektrobetrieb Energie- und Betriebswirtschaftsstelle Erzaufbereitung/Erzvorbereitung Gefo-AO (Arbeitsordnung) Gefolgschaftsführung

o

1 0

1 13 62

0 o 5 14

321

34

4

0

355 0 36 0 2 1 5 10 10 4

0 0

0 0

0 0

0 31

0 5

0 1 o

0 1 1

3 7 o

2 3 10

Statistikbericht

205

Rußland und russische Ukraine Unterbetrieb

Männer

Frauen

Gesamt

Gesenkschmiede

64

27

91

Hauptlager

18

28

46

Hauptmagazin Hauptwerkstätte Hausverwaltung

0

0

0

12

6

18 138

o

138

Hochofen

10

1

11

Hof-und Platzbetrieb

11

14

25

Kaufmännische Verwaltung

0

3

3

Kokerei

9

7

16

Kostenabteilung/Kostenstelle

0

0

0

Kraftfahrzeugstelle

2

1

3

Garage

0

0

0

Kraftwerk

1

3

4

Küchenverwaltung/Küchenbetriebe

10

Laboratorium Lagerbuchhaltung

115 1

125 1

2

o

1

1

17

25

42

Lagerwesen-Fuhrwerksbetrieb)

6

4

10

Ledigenheimverwaltung

o

1

1

Lagerfiihrung Lagerwesen (Lagerwesen-Baustofflager,

Lohnbüro, Lohnbuchhaltung, Lohnverteilung, Lohnbüro-Adrema, Gefo-L

0

0

0

Maschinenbetrieb (Maschinenbetrieb I und ü , Instandsetzungswerkstatt, M. B. Elektroabteilung, M . B. Verkehrswesen)

184

Ofenbau Ostarbeiterlager

64 4

7

Rechnungswesen, (Buchhaltung)-Rechnungsprüfung

248 0

15 0

4 22

0

0

Sozial- und Gefolgschaftswesen - Familienfiirsorge, Sozialbetreuung, Sozialbetreuung und Werksfursorge, Sozialbüro, Gefo-S Stahlgießerei

o

18

18

78

32

110

107

1

108

o

14

14

Stahlwerk (Stahlwerk I, Stahlwerk II, Stahlwerk-Ofenbau) Ukrainerlager-Lagerfuhrung Umschulung Kleinmünchen, Umschulung Hauptverwaltung

16

o

16

Vergüterei

81

41

122

Verkehrswesen

17

o

17

Versand

0

2

Versorgungsbetrieb

0

0

Versuchsanstalt Verwaltung

10

18 0

2 0 28

0

0

20 6

Michaela C. Schober

Rußland und russische Ukraine Unterbetrieb Werksfürsorge Werkschutz (Wachdienst, Feuerwehr) Werksicherung Wohnlagerverwaltung

Männer 0 4 0 15

Frauen 2 0 0

Gesamt 2 4 0

82

97

Slowakei Unterbetrieb Allgemeine Verwaltung Ambulanz/Zentralambulanz Sanitatsstelle Betriebsarzt Gesundheitswesen Lazarett Verbandsstelle/Betriebsarzt Zahnklinik/Zahnarzt Arbeitseinsa tz/Gefo-A Ausländerbetreuung Bau- und Platzbetrieb Bauabteilung/Baubetrieb Bearbeitungswerkstatt (Bearbeitungswerkstatt I, Schweißerei, Bearbeitungswerkstatt II [Stahlbau]) Betriebsobmann Blechwalzwerk Buchhaltung Büro- und Hausverwaltung Einkauf Elektroabteilung Elektrobetrieb Energie- und Betriebswirtschaftsstelle Erzaufbereitung/Erzvorbereitung Gefo-AO (Arbeitsordnung) Gefolgschaftsführung Gesenkschmiede Haupdager Hauptmagazin Hauptwerkstätte Hausverwaltung Hochofen Hof- und Platzbetrieb Kaufmännische Verwaltung

Männer

Frauen 0

1

Gesamt 2

o 0 0 0 0 0 0 0 0

1 3

0 0 0 0 0 0 0 0 o 0

25

1 0 0

o o

0 0 o 1

0 0 o o

0 0 1 o

0 0 0 0 2 0 0 1

0 0 0 0 1 0 0 12

0 1

0 o

0

0

2 1 0 0 0 0 0 0 0 0 1 3 26 0 0 o 1 0 0 1 o 0 0 0 0 3 0 0 13 0 1 0

207

Statistikbericht Slowakei Unterbetrieb Kokerei Kostenabteilung/Kostenstelle Kraftfahrzeugstelle Garage Kraftwerk Küchenverwaltung/Küchenbetriebe Laboratorium Lagerbuchhaltung Lageriiihrung Lagerwesen (Lagerwesen-Baustofflager, Lagerwesen-Fuhrwerksbetrieb) Ledigenheimverwaltung Lohnbüro, Lohnbuchhaltung, Lohnverteilung, Lohnbüro-Adrema, Gefo-L Maschinenbetrieb (Maschinenbetrieb I und II, Instandsetzungswerkstatt, M. B. Elektroabteilung, M. B. Verkehrswesen) Ofenbau Ostarbeiterlager Rechnungswesen, (Buchhaltung)-Rechnungsprüfung Sozial- und Gefolgschaftswesen - Familienfursorge, Sozialbetreuung, Sozialbetreuung und Werksfiirsorge, Sozialbüro, Gefo-S Stahlgießerei Stahlwerk (Stahlwerk I, Stahlwerk II, Stahlwerk-Ofenbau) Ukrainerlager-Lagerfuhrung Umschulung Kleinmünchen, Umschulung Hauptverwaltung Vergüterei Verkehrswesen Versand Versorgungsbetrieb Versuchsanstalt Verwaltung Werksfiirsorge Werkschutz (Wachdienst, Feuerwehr) Werksicherung Wohnlagerverwaltung

Männer

Frauen

Gesamt

o o o o o 2 o 0 o

o o o o o

0 0 0 0 0

!3 o o o

o o

o 0

0 0

o

0

0

7 I o o

3 o o o

10 1 0 0

o I

o I

0 2

2 o

I o

3 0

o I I 0 o I o o

o o o o o

0 1 1 0 0

3 o o 0 o o

4 0 0

4 o 4

l

S 0 0 0

4 0 4

208

Michaela C. Schober

Ein Vergleich der Belegschaftszahlen einzelner Unterbetriebe der Eisenwerke Oberdonau mit jenen in den Monatsberichten der EWO ist nur begrenzt möglich. Die Zahlen der Datenbank liegen teilweise darunter bzw. auch darüber. Durch die Unvollständigkeit vieler Personalakten und den Umstand, daß in den KrankenkassenUnterlagen Unterbetriebe, wenn überhaupt, dann nur vereinzelt bei den Angestellten angeführt wurden und die Art der Tätigkeit auch nur begrenzt hilfreich ist, ist eine Zuordnung in den meisten Fällen nicht möglich. Jemand, der im Februar bei den EWO eintrat und z. B. in der Stahlgießerei eingesetzt wurde, mußte - unter Berücksichtigung der Fluktuation auch innerhalb der EWO - nicht notwendigerweise noch im Juli 1943 dort beschäftigt sein. Laut Monatsbericht459 waren Ende Juli 1943 im Stahlwerk 503 Personen (Ausländeranteil 86,5%), im Blechwalzwerk 161 (72,5%), in der Stahlgießerei 528 (89,2%), in der Bearbeitungswerkstatt 3415 (60,8%), in der Vergüterei 411 (55%) und in der Gesenkschmiede 361 (86,7%) Arbeiter beschäftigt. Zieht man zu Vergleichszwecken jene Arbeitskräfte heran, die 1943 eintraten und in diesen Betrieben eingesetzt wurden, so ergibt sich folgendes Bild: Stahlwerk 475 (Ausländeranteil 62,3%), Blechwalzwerk 106 (73,3%), Stahlgießerei 761 (85%), Bearbeitungswerkstatt 1548 (82,75%), Vergüterei 2 43 (64,2%) und Gesenkschmiede 471 (82,8%). Berücksichtigt man, daß viele Arbeiter bereits seit 1942 bei diesen Betrieben der EWO eingesetzt wurden, so kann davon ausgegangen werden, daß die Werte höher liegen und die niedrigeren Ausländeranteile in der Bearbeitungswerkstatt und im Stahlwerk auch steigen. Abweichungen könnten sich auch aus der Bezeichnung des Unterbetriebes ergeben.

Angestellte Der Gesamtanteil der Ausländer an den Angestellten beträgt etwa 16,5%. Der Prozentsatz der Ausländer an der Gesamtzahl der Beschäftigten liegt bei 58,6%. Der Anteil der Männer an der Gesamtzahl der Männer beträgt etwa 60,5%. Der Anteil männlicher Ausländer an den Angestellten beträgt 14,25%, an den ausländischen Angestellten 86,15% u n d a n den männlichen Angestellten 20,75%. Der Anteil der Ausländerinnen an den Angestellten beträgt 2,3%, an den ausländischen Angestellten 13,85% und an den angestellten Frauen 7,3%. Unten den ausländischen Angestellten findet man Protektoratsangehörige mit großem Abstand zu den anderen Ausländern, gefolgt von den Franzosen, Italienern und Slowaken. Weiters waren auch Beschäftigte aus dem Generalgouvernement, aus Jugoslawien,

459 NARA, M F T-83/77, Monatsbericht der Eisenwerke Oberdonau für Juli 1943, S. 7.

209

Statistikbericht

Kroatien, Lettland, den Niederlanden, Rumänien, Rußland, der russischen Ukraine, Serbien, Ukraine, Ungarn, Staatenlose und Polen460 Angestellte.

Löhne in den Eisenwerken Oberdonau Die Lohntabellen basieren auf den Eintragungen in den Lohnsatzkarten und Lohnangaben auf Annahmescheinen, Überweisungsanträgen etc., sofern vorhanden. Da es sich dabei um Bruttostundenlöhne handelt (vereinzelt auch Bruttowochen- oder -monatslöhne), ist ihre Aussagekraft begrenzt. Nicht berücksichtigt werden hier die geleistete Arbeitszeit, etwaige Zulagen (scheinen allerdings manchmal auf, z. B. Prämie), Lohnsteuer, diverse andere Steuern und Abzüge (z. B. Miete, Verpflegung, Abschlag). Ausländische Arbeitskräfte wurde schlechter entlohnt als deutsche Staatsangehörige. Die Löhne wurden nicht nur nach Beschäftigungsart, Alter und Geschlecht, sondern auch nationalitätsspezifisch festgelegt.

Lohntabelle 1 Hilfsarbeiter - männlich ( 1 9 4 3 - L ö h n e ab Eintritt) Nationalität Bruttolohn

Frank-

RM

reich*6'

Griechenland

Slowakei

Protektorat

Polen

Rußland/

Dt.

Russ. Ukraine Staatsang.

0,41

0

0

0

0

0

0

0.44

0

0

0

0

0

0

1

o.47

0

0

0

0

0

2

0

°>5

0

0

0

0

0

1

0

°>53

0

0

0

0

0

1

0

°>54

0

0

0

0

0

1

0

o.59 0,6

0

0

0

0

0

1

0

0

0

0

1

1

2

0

0,62

1

0

0

0

0

0

0

0,63

1

0

0

0

0

0

0

0,65

13

0

0

0

0

1

2

0,67

34

21

2

M

3

9

9

2

460 Es handelt sich dabei um zwei Beschäftigte mit deutschen Namen, bei denen die Staatsangehörigkeit möglicherweise erst nach Kriegsende (Austritt) eingetragen wurde. Beide scheinen auf den Evidenzblättern zweimal auf. Einmal nur mit dem Eintrittsdatum und ohne Nationalität und einmal mit Austrittsdatum und Nationalität. (So wurde bei einer Angestellten deutscher Staatsangehörigkeit „ D R " durchgestrichen und „lt. Abm. Polen" eingetragen. Beschäftigung von 15.08.1944-09.01.1945 und von 03.07.1945-30.09.1945.) 461 Beschäftigte, deren Namen mit G oder M beginnen.

210

Michaela C. Schober

Lohntabelle i Hilfsarbeiter - männlich (1943 - Löhne ab Eintritt) Nationalität Bruttolohn

Frank-

Griechenland

Slowakei

Protektorat

Polen

Rußland/

Dt.

RM

reich

0,68

7 20

0

0

8

1

2

6

0,69

0

0

1

3

0

0

0

1

3 0

2

0,70 0,71

0

0

0

0

0

3 1

0

0,72

i

0

0

0

0

0

0

o.73

0

0

0

0

0

0

0

o.74

0

2

0

0

0

0

0

o.75 0,76

5 0

1

0

0

1

2

0

0

3 0

0

0

0

o,77

0

0

0

0

0

0

1

o.79 0,8

0 0

0 0

0

0

0

0

1

0

0

0

0

Russ. Ukraine Staatsang.

2

0,82

0

0

0

0

0

0,84

1

0

0

0 0

4 0

0

0

0

0,85

0

1

0

0

1

0

0

0,86

1

0

0

0

0

0

1

0,89

0

0

0

0

0

1

0,9

0

0

0

0 j4i!

0

0

2

1,02

0

0

0

0

0

0

1

Lohntabelle 2 Kranführer - männlich Nationalität Bruttolohn

Polen

RM

Rußland/

Slowakei

Griechenland

Russ. Ukraine

Frank-

Protektorat

reich

Dt. Staatsang.

°>5S 0,6

0

0

0

1

0

0

0

2

0

0

0

0

0 1

0,67

0

1

0

0

0

0

0

0,68 0,69

0

0

0 0

4 0

0

0

5 0

0

0

1

0

462 Ob es sich hier tatsächlich um den Eintrittslohn handelt, kann nicht mit hundertprozentiger Sicherheit gesagt werden. Dieser Bruttostundenlohn wurde für den Einsatz als Hilfsarbeiter bezahlt, unklar ist, ab welchem Zeitpunkt, da nur Tag und Monat angegeben wurden. Diese stimmen aber mit dem Eintrittstag und -monat überein.

211

Statistikbericht Lohntabelle z Kranführer - männlich Nationalität Bruttolohn RM

Polen

Rußland/

Slowakei

Griechenland

Frank-

Protektorat

reich

Russ. Ukraine

Dt Staats

3 2

0

1

2

2

0

0

0

0

0

0

1

0

0

7 0

0

0

15 1

3 0

3 0

0

0

0

0

1

0

0

2

0 0

1

0

0

0

0

5 i

6

0,85

5 35 0

5

0,84

0 2

0,86

0

0

0

1

0

0,87

1 0

0

0

0

0,88

0

1

0

0

1

0,9 0,92

0

1 0

1 2

3 0

0

0

0

2

0

o.95 0,96

0

0

0

0

0

1,01

0

0

1 1,05

1

1,06

°>7 0,72

0

°>75 0,76

0

0

°>79 0,8

4 0

1

1

0 0

4

1

5 8

0

0

0

0

7 2

0

0

0

0

4 0

0

0

0

1

0

0

0

3

1

6

1 0

0

0

0

0

0

5 0

0

0

1,1

0

0

1,12

1

0 0

0

0 0

0 1

0 0

7 1 2

!>2

0

0

0

0

0

0

3 1

Rußland/

Dt. Staats-

Russ. Ukraine

ang. 464

0

Lohntabelle 3 Vorarbeiter/Partiefijhrer/Kolonnenfiihrer/Polier Nationalität Bruttolohn

Frank-

RM

reicht

Griechenland

Slowakei

Protektorat

Polen

0,67

1

0

0

0

0

0

0

0,7

o

0

0

0

0

0

1

463 Es handelt sich dabei um die Bruttostundenlöhne von Vorarbeitern, Kolonnenfiihrem und Polieren, die in folgenden Unterbetrieben der E W O eingesetzt waren: Bau-Anstreicherei, Bearbeitungswerkstatt, Blechwalzwerk, Gesenkschmiede, Stahlwerk und Vergüterei. 464 Vorarbeiter, Partieführer, Kolonnenfiihrer und Poliere.

212

Michaela C. Schober

Lohntabelle 3 Vorarbeiter/Partiefiihrer/Kolomienfiihrer/Polier Nationalität Bruttolohn RM o-75 0,8 0,85 0,9 0,92 o,95 1 1,01 1,04

Frankreich

Griechenland

3

0

3 6 2

0 0 0 i468

2 0 7 0

1.05 1,07

0 0 0

1,1 I.II 1,12

3 0 1

1.17 1,2 1,22

0 1 1 0

!>25 1,28 i.3 i.33 i.35 i.4 1,42

0 0 0 0 0 0

O O O 0 0 O O O 0 O 0 0 0 0 0 0 0 0 0

Slowakei

0 0 0 0 0 1*09 j47° O O O O O O O O 1474 O O O O O O O O

Protektorat

Polen

0 24^5

0 j466

O 3467

O

0 O r47'

0 O O O O O O O

0 O O O 0 2 47 j 0 0 O 0 0 0 0 0 0 0 0

O

O O O O O O O O O O 0 O

Rußland/ Dt. StaatsRuss. Ukraine ang. 0 0 0

1 1 0

0 0

5 1

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 j47S O O O O O O O O

8 l

9 8 1 3 1 5 0

3 1473 18 O I 2 3 1 1 10 1

465 Beide waren Kolonnenfiihrer im Hauptlager. 466 Partiefiihrer in der Transportkolonne des Maschinenbetriebes. 467 Einer war als Kolonnenfiihrer in der Bau-Anstreicherei beschäftigt, die beiden anderen arbeiteten höchstwahrscheinlich auch dort, da sie in diesem Unterbetrieb arbeiteten, bevor sie Kolonnenfiihrer wurden. 468 Kolonnenfiihrer im Stahlwerk, danach (01.11.1943) wurde er Pfannenmann in der Stahlgießerei mit einem Bruttostundenlohn von RM 1,10 ab 01.12.1943. 469 Kolonnenfiihrer im Maurerbetrieb. 470 Kolonnenfiihrer in der Stahlgießerei. 471 Kolonnenfiihrer im Rohteillager der Bearbeitungswerkstatt. 472 Beide waren Kolonnenfiihrer im Keller der Bearbeitungswerkstatt. 473 Plus 12% Prämie. 474 Brennervorarbeiter im Stahlwerk. 475 Vorarbeiter in der Gesenkschmiede.

213

Statistikbericht

Lohntabelle 3

VoraH>eiter/Partiefiihrer/Kolonnenfuhrer/Polier Nationalität

Bruttolohn RM

Frank-

Griechenland

Slowakei

Protektorat

Polen

reich

Rußland/

Dt. Staats-

Russ. Ukraine

ang.

62,5 476

o

0

0

0

0

0

1

70 477

o

0

0

0

0

0

2

280 478

o

O

O

O

O

O

I

Vorarbeiterinnen Eine Vorarbeiterin aus der Slowakei arbeitete im Spülraum, eine Lohnangabe fehlt allerdings. In der Küchenverwaltung arbeitete eine staatenlose Volksdeutsche. Bevor sie Vorarbeiterin wurde, war sie Küchenhilfe und erhielt R M 0,56. Ob sie diesen Lohn weiter erhielt oder eine Erhöhung, geht aus den Unterlagen nicht hervor. Eine Vorarbeiterin aus der russischen Ukraine war im Ostarbeiterlager der EWO beschäftigt, eine Lohnangabe gibt es dazu allerdings nicht. Zehn Vorarbeiterinnen deutscher Staatsangehörigkeit wurden in der Hausverwaltung bzw. im Wohnlager eingesetzt. Sieben von ihnen erhielten RM 0,60 (5 davon zusätzlich 10% Vorarbeiterzulage)479. Eine von ihnen verdiente lt. Lohnsatzkarte am ersten Beschäftigungstag R M 0,56 und ab dem zweiten Tag auch R M 0,60. Bei zwei Vorarbeiterinnen fehlen Lohnangaben. Eine weitere Frau arbeitete als Schneider-Vorarbeiterin in der Schneiderei des Haupdagers für R M 200 Monatslohn (234 Stunden).

476 Wochenlohn. 477 Wochenlohn. 478 Monatslohn. 479 Eine Arbeitskraft wurde durchgehend als Putzfrau geführt, erhielt aber ab 1944 diese Vorarbeiterzulage.

214

Michaela C. Schober

Lohntabelle 4 Putzfrau Nationalität Bruttolohn

Polen

RM 0,25

0

0,28

0 1 0

o.33 0,36 0,38

Rußland Slowakei Russ. Ukraine 1 1 9 4 !9 1

3 i 0 1

o.39 o.4 0,42

H

8

°>44 °>4S 0,48

0

1

4 1

0,52

5 0

31 8 60 1

3 1

14 1

19 0

79 1

0 0

5 2 0

o.53 o.5S 0,56 o,57 0,58 0,6 2 548°

0

Griechenland

Frankreich

Protektorat

Dt. Staatsang.

0 0 0 0 0 0 0

0 0 0 1 0 0 2

0 0 0 0 0 0 1

0 0 0 0 0 0 0

0 0 0 0 0 0 0

1 0 1 0 2 0 0 0 i 0 0

3 0

0

0

0

0 0 0 0

0 0 1

5 20 0 0

3 0

0 0

3 1 6 2 1

2

0 21 0 1 0

0 1

0 0 0 1

0 2 0

0 0 0 25 0 0

0 0 0 0

0

13 16

Lohntabelle 5 Küchenhilfe - weiblich (194z - Lohn ab Eintritt) 481 Nationalität Bruttolohn

Polen

RM

Rußland

Slowakei

Griechenland

Russ. Ukraine

0,26

o

0,34 0,36

0 0

2182 5 0

Protektorat

reich 0

0 0

Frank-

0 0 0

Dt. Staatsang.

0

0

0 1

0 0

480 Wochenlohn. 481 In vielen Fällen scheinen auf der Lohnsatzkarte Löhne erst ab 1943 (häufig 1. Jänner und 1. April) auf, und zwar auch dann, wenn die Küchenhilfe nicht erst Ende 1942 eintrat, sondern schon Monate früher. Das ist auch bei deutschen Staatsangehörigen der Fall. Stichproben haben ergeben, daß die Löhne sehr wohl auf den Personal- und Verdienst-Nachweiskarten, soweit vorhanden, eingetragen wurden. 482 Jahrgang 1928.

Statistikbericht

215

Lohntabelle 5 Küchenhilfe - weiblich (1942 - L o h n ab Eintritt) Nationalität Bruttolohn

Polen

RM

Rußland

Slowakei

Griechenland

Russ. Ukraine

Frank-

Protektorat

reich

Dt. Staatsang.

5

0

2

Nicht

I

0

verfugbar

0

0

3 0

0 0

0

0

i

0

0

0

0

0

i

0

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0

0

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0 9 0

o,39 0,42

0

°>43 0.45 0,46 0.47 0,48

0

0

3 i

0

3 6

0 i

0

i

°A9

0

2

0

0

0

0.5 0,52

3 0

»5 0

2

0

0

i

0

0

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0

0

0

0

0

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I

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0

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0

0

0

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0

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Lohnsatzkarte 483 Monatlich plus freie Verpflegung Qahrgang 1925).

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216

Michaela C. Schober

Eintritte Die Anzahl der Eintritte versteht sich pro Jahr und pro Person. In der Anzahl der Eintritte sind auch jene Personen enthalten, die z. B. 1942 bei den E W O eintraten, einige Monate später austraten, aber 1943 wieder zurück zu den E W O kamen und daher auch wieder bei den Eintritten 1943 mitgezählt werden. Daraus erklärt sich die gegenüber der in der Datenbank aufscheinenden Beschäftigten höhere Anzahl an Eintritten. Das gilt ebenso für Beschäftigte, deren Ein- und Austritte sich durch eine Uberstellung von einem Betrieb zu einem anderen der Hermann-Göring-Werke am Standort Linz ergaben. Andererseits scheinen hier keine „doppelten" Eintritte auf, wenn jemand im selben Jahr ein- und austrat und wieder eintrat. Diese zwei- oder auch mehrfachen Eintritte fanden nicht nur in ein und denselben Betrieb (z. B. E W O ) statt, sondern d. h. auch, daß jemand von den Eisenwerken zu den H G W überstellt wurde und umgekehrt. Daher liegt die Anzahl der tatsächlichen, nicht rein personenbezogenen Eintritte bei den Ausländern im Schnitt um etwa 0,95% höher, erreicht aber 1940 sogar 6,8%. 1942 bis 1944 liegt der Prozentsatz zwischen 1,6 und 1,9%. Bei den Austritten handelt es sich um durchschnittlich 1,13 %. Bei den Reichsangehörigen handelt es sich um nicht ganz 0,9% bei den Eintritten, mit einem Höchstwert von fast 2% im Jahre 1943. Bei den Austritten sind es durchschnittlich 0,6%, mit Höchstwerten 1941 und 1942 (1,8% bzw. 1,5%). Der Durchschnitt kommt durch jene Jahre zustande, die sehr wenige „doppelte" Ein- und Austritte aufweisen (1938, 1939, teilweise 1940 und 1945). Bei den Eintritten, aber auch den Austritten handelt es sich aus den angegeben Gründen um keine absoluten Zahlen. Die Gesamt-Eintritte stiegen kontinuierlich bis 1942 an und begannen dann wieder zu fallen. Von 1941 auf 1942 erhöhen sich die Eintritte um ca. 105%. Bei den Ausländern stiegen die Eintritte von 1941 auf 1942 um 236,7%. Am stärksten vertreten waren 1941 die Italiener, gefolgt von den Bulgaren und Protektoratsangehörigen. 1942 waren es Russen und Ukrainer, Protektoratsangehörige, Italiener und Polen. 1943 stellten die Franzosen (darunter ehemalige Kriegsgefangene) die stärkste Gruppe dar, es folgten Protektoratsangehörige, Russen und Ukrainer sowie Italiener. 1944 waren es Italiener (darunter viele ehemalige Militärinternierte/Kriegsgefangene), Russen und Griechen.

2I7

Statistikbericht Gesamt M

F

76 868 1942 4099 8164

7 54 2 74 576 1404 1140 621 118

Eintrittsjahr 1938 '939 1940 1941 1942

6

1943 1944

534 4676

'945

4*5

Gesamt

26774

Ausländer Ges. 83 922 2216 4675 9568

M

F

1

0 2 12

52 53° 1740

7674 5297 533

5 2 5' 4908 4018 244

4194 30968

16744

89 909

Dt. Staatsangeh. Ges.

M

F

1

'7 109

1 6

54 542 1829 6160 5461

553 333 56

4351 300

•954

18698

2

73 916 1971 n

33 569 '35 I2

5 3

51 110 242 422

Ges. 18 "5 324 1026 2213 1

Ungarn Deutsche Staatsangehörigkeit Keine Angabe

Männer 1 17 58

Frauen o 1 6

Bulgarien Italien Protektorat Slowakei Staatenlos Ungarn Deutsche Staatsangehörigkeit Keine Angabe

Belgien Bulgarien Dänemark

377 53 165

2

1134

6257

4907

1106

Gesamt 1 18 64

Gesamt

3 2 21

3 2 21 16

707

0 0 0 1 0 1 6 46

3 9 "5 753

Männer

Frauen

Gesamt

o o o

*443 942

35 13

Frauen

62 34 12

6 46 211

36

Eintritte 1940 Nationalität

58 707 1139

53 49

2

Männer

15 3 8 109

F

493 89

Eintritte 1939 Nationalität

M

555 822 184

Eintritte 1938 Nationalität

Keine Angabe

62 34 12

Ges. 64 753 1350 1820 "95 658 124 49 6013

218

Michaela C. Schober

Eintritte 1940 Nationalität Frankreich Italien Jugoslawien Kroatien Niederlande Polen Protektorat Rußland Schweiz Slowakei Staatenlos Südtirol USA Ukraine Ungarn Westukraine Deutsche Staatsangehörigkeit Keine Angabe

Männer 1

Frauen

11

1 0 1 0 0 0

292

2

1 1

0 0 6 0 0 0 1 1 0

20

6 2

28

31 5 1 1 5 16

1 2

Gesar 2

20

7 2

28

11 2

94 1 1 37 5 1 1 6 17 1

73

51

324

1139

211

1350

Männer

Frauen

Eintritte 1941 Nationalität Belgien Bulgarien Dänemark Frankreich Griechenland Italien Jugoslawien Kroatien Litauen Niederlande Oberschlesien Polen Polnische Ukraine Protektorat Rumänien Rußland Russische Ukraine Schlesien

Gesamt

42

1

43

426

2

428

81

0 0 0

81

11 1 619

2

621

18

2

93

7 4 1 0 0 1

10 10

1 48 0 I2

5 83 3 1 1

9 15 1 0 0

11 1 20 100 I

4 11 1 48

1 134 98

4 1 1

219

Statistikbericht Eintritte 1 9 4 1 Nationalität

Männer

Slowakei

46

Staatenlos

28 1

Südtirol Ukraine

Gesamt

19 0 0

65 28 1

M 76 1 1

2

16

23 0 0

99 1 1

916

110

1026

443

377

1820

Männer

Frauen

Gesamt

Ungarn Ungarische Ukraine Weißrußland Deutsche Staatsangehörigkeit Keine Angabe

Frauen

r

Eintritte 194z Nationalität Albanien Belgien Bulgarien

1

0

1

36 222

2

38

5

Dänemark

1

3 0

Frankreich

376

20

396

Generalgouvernement

'4 236

0 22

H 258

Griechenland Italien Jugoslawien Kroatien Litauen Luxemburg Niederlande Polen Polnische Ukraine Protektorat Rumänien Rußland Russische Ukraine Schweiz

688

7

5 0

'37 12

41 0

l

22

1

693 17 178 12

4

0

4

397

2

432 21

31 2

399 463

1041

18

35 789 369 1

23 1059

11

46

477 146

1266

1

5i5 2

Serbien

8

0

8

Slowakei

86

130

Slowakische Ukraine

2

44 0

Slowenien

2

0

2

136 10

1

'37

3 0

'3 1

Spanien Staatenlos Südtirol

1

2

220

Michaela C. Schober

Eintritte 1942 Nationalität Turkestan Ukraine Ungarn Ungarische Ukraine Weißrußland Deutsche Staatsangehörigkeit Keine Angabe

Männer

Frauen

Gesamt

3 58 110

0 10 70 0 0 242

3 68 180

3 3 1971 942

53

3 3 2213 1195

Frauen

Gesamt

2

Eintritte 1943 Nationalität Algerien Armenien Belgien Bulgarien Frankreich Galizien Galizische Ukraine Generalgouvernement Griechenland Italien Jugoslawien Kroatien Lothringen Niederlande Polen Polnische Ukraine Portugal Protektorat Rumänien Rußland Russische Ukraine Schweiz Serbien Slowakei Slowenien Spanien Staatenlos Türkei Ukraine

Männer 2

0 0

4 34 67 2963 0 1 1 106

5 4 114 1 0 1 8

319 6

7 1

9i 63 105 86

45 4 0 12 1 0

!7 1 607 28 163 45 0

13 7 !74 75 1

2 4 39 71 3077 1 1 2 114 326 7 136 67 105 98 18 1 620 35 337 120 1

4 33 0 0

r 3 71 2

H

2

3 0

!7 2

34

3

37

9 38 2 2

9

221

Statistikbericht Eintritte 1943 Nationalität Ungarn Weißrußland Deutsche Staatsangehörigkeit Keine Angabe

Männer

Frauen

Gesamt

7i 0

107 1

ii33 493

36 1 422 165

Männer

Frauen

r 555

658

Eintritte 1944 Nationalität Albanien Armenien Belgien Bulgarien Estland Frankreich Griechenland Italien Jugoslawien Kroatien Lettland Litauen Lothringen Niederlande Polen Polnische Ukraine Protektorat Rumänien Rußland Russische Ukraine Schweiz Serbien Slowakei Slowenien Spanien Staatenlos Türkei Turkestan Ukraine

2 4 8 56 3 114 438 2243 7 71 4 4 0 27 69 0 128 11 684 8 1 43 7 2 13 23

3 1

0 0 2 2 3 >3 53 45 2 10 3 2 1 6 13 2 8 7 81 23

0 5 13 0 0

Gesamt 2 4 10 58 6 «7 491 2288 9 81 7 6 1 33 82 2 136 18 765 3i 1 48 20 2 13

4 0 0

3 1

17

36

222

Michaela C. Schober

Eintritte 1944 Nationalität Ungarn Usbekistan Deutsche Staatsangehörigkeit Keine Angabe

Männer

Frauen

Gesamt

23

18

41

2

0

2

822

89

53 35

Männer

Frauen

Gesamt

569

2

124

Eintritte 1945 Nationalität Armenien Belgien Frankreich Galizien Griechenland Italien Jugoslawien Kroatien Lettland Lothringen Niederlande Oberschlesien Polen Protektorat Rumänien Rußland Serbien Slowakei Slowenien Staatenlos Ukraine Ungarn Usbekistan Deutsche Staatsangehörigkeit Keine Angabe

i 1

0 0

1 1

7 0

3

20

2

2

2

21

0 1

44

3 1 0 0 0

46

T

19 44 1 43 1 1 3 1 18 6

4 3 19 11

2

3 0

21

1 0 15 0 3 0

2 2

1 3 1 39 7 4 38 19 14 3

2

2

0

20

6

2

8

2

0

2

135 36

49 13

184

20

49

Statistikbericht

223

Austritte Für die Austritte gilt das bei den Eintritten Gesagte (Mehrfachnennungen). Hinzu kommt aber noch, und zwar vor allem auch bei den Jahren 1941/42, daß manche Beschäftigten von der Krankenkasse im Dezember abgemeldet wurden und Ende Jänner oder im Laufe des Februars wieder angemeldet wurden. Wie aus den HGW-Ordnern zu ersehen ist, wurden Beschäftigte auch dann abgemeldet, wenn sie über 14 Tage von der Arbeit unentschuldigt fernblieben, oder auch (mitunter) dann, wenn sie sich auf (längerem) Heimaturlaub befanden. So scheint bei einem Italiener (HGW) in den Krankenkassen-Unterlagen ein Austritt (Abmeldung) mit 15.12.1942 auf. Spätere Eintragungen sind nicht vorhanden. Da aber auch eine Personalakte vorhanden ist, in der eine Beschäftigungsveränderung im Juni 1944 aufscheint, trat er entweder nie aus oder wieder ein. De facto wurde ihm eine Bestätigung und Unbedenklichkeitsbescheinigung zum Zwecke seiner Beurlaubung von 16.12.1942-06.02.1943 ausgestellt. Das heißt, daß es sich in etlichen Fällen um keine „echte" Entlassung, sondern nur um eine längere Beurlaubung handelte. Auf den Urlaubsanträgen - sofern vorhanden - wurde diese als „Unbezahlte Heimreise" deklariert. Da derartige Bescheinigungen bzw. Urlaubsanträge nur spärlich vorhanden sind, ist eine Unterscheidung zwischen „echtem" Austritt und einer bloßen Abmeldung von der Krankenkasse kaum zu treffen. Bei den Italienern, aber nicht nur bei diesen, muß man in vielen Fällen wohl davon ausgehen können, daß sie beurlaubt wurden und nicht tatsächlich entlassen. Diese Personen waren einerseits nicht vor Ort, andererseits wurden sie nicht regulär entlassen, sondern beurlaubt. Beschäftigte wurden auch dann von der Krankenkasse abgemeldet, wenn ein „Eigenmächtiges Fernbleiben von der Arbeit an 14 aufeinanderfolgenden Tagen" (Abmeldeformulare der Krankenkasse, Personalakten H G W , Hütte Linz) vorlag. Ein regulärer Austritt (Entlassungspapiere, Kündigung etc.) dürfte zum Zeitpunkt der Abmeldung, wenn überhaupt, in den seltensten Fälle vorgelegen haben. Häufig wurde der/die Betreffende kurz darauf wieder bei der Krankenkasse angemeldet oder die Meldung auch storniert. Insbesondere bei Personen, die bei der Hütte Linz beschäftigt waren, sind vergleichsweise sehr wenige Akten vorhanden, so daß die Daten größtenteils ausschließlich aus den Krankenkassen-Unterlagen stammen. Bei der Personalakten der Eisenwerke selbst gibt es wiederum bei Urlauben und Heimreisen keine Hinweise auf Abmeldungen von der Krankenkasse, während An- und Abmeldeformulare der Krankenkasse bei den Personalakten der H G W häufig vorhanden sind. Derartige Krankenkassenformulare sind in den Personalakten der E W O nicht vorhanden, d. h., eine kurzfristige Abmeldung von der Krankenkasse ist wegen der fehlenden Begründung meistens nicht nachvollziehbar und kann daher auch nicht eingeordnet werden, auch dann nicht, wenn eine mehr oder weniger vollständige Personalakte zu einem bestimmten Fall vorhanden ist. Das trifft auch auf die Unterlagen der H G W zu.

224

Michaela C . Schober

Diese Widersprüche ergeben sich aufgrund einer unterschiedlichen Handhabung der Abmeldungen von der Krankenkasse und der Entlassungsanträge bzw. Austrittsmitteilungen, ja selbst in bestimmten Fällen von Uberweisungsanträgen der EWO, die in den meisten Fällen nur eine Versetzung innerhalb des Betriebes anzeigen. Eine Uberweisung an die Gefo-X oder Gefo-Y (Gefolgschaft-X bzw. -Y) bedeutete jedoch, daß der betreffende Arbeiter arbeitsvertragsbrüchig/arbeitsflüchtig geworden war oder sich in Haft befand bzw. zu einer Sonderaktion(-Gauleiter), Sondereinsatz, Schanzarbeit484 oder nach Wiener Neustadt abgegeben wurde. Bei Personen, die zu einer/einem Sonderaktion/ Sondereinsatz (264) überwiesen wurden, findet sich später in vielen Fällen wieder ein weiterer Uberweisungsantrag der EWO, aus dem hervorgeht, daß der Betreffende von der Schanzarbeit zurückgekehrt war (83) oder einfach der Hinweis auf seine Rückkehr an seinen (alten) Arbeitsplatz. Anders verhält es sich häufig bei jenen Beschäftigten, die arbeitsflüchtig oder nach Wiener Neustadt abgegeben worden waren. Bei ersteren erfolgte eine regelrechte Entlassung oft erst Monate, mitunter auch über ein Jahr später, während eine Abmeldung von der Krankenkasse meistens schon bei oder kurz nach der Arbeitsflucht durchgeführt wurden spätestens aber bei einer Uberweisung an die Gefo-X. Hier wurde manchmal das genaue Datum der Arbeitsflucht angegeben, und häufig wurde darauf hingewiesen, daß ein Strafantrag an die Werksicherung gestellt worden war. Immer wieder wurde auch eine Rückführung des Arbeitsflüchtigen gefordert. Wenn jemand lt. Uberweisungsantrag nach Wiener Neustadt4®5 abgegeben wurde, so erfolgte eine Abmeldung von der Krankenkasse wesentlich früher, allerdings - sofern überhaupt angegeben - meistens nur mit dem Hinweis auf eine Uberstellung zu einer anderen Firma. Zieht man zu dieser Fragestellung die Personal- und Verdienst-Nachweiskarten heran, so finden sich hier meistens in weitgehender Übereinstimmung mit dem Austrittsdatum der Krankenkasse Lohnstreifen, auf denen keine Stunden, sondern nur „Wiener Neustadt" eingetragen wurde. Manchmal findet man auf der Lohnsatzkarte etc. auch nur einen Hinweis auf eine Beurlaubung nach Wiener Neustadt. Einige arbeiteten danach wieder bei den Eisenwerken. Im Monatsbericht der E W O für September 1943486 heißt es: „In den Gefo-Zahlen sind 21 Zivilarbeiter, die im Wege der Dienstverpflichtung nach Wr.-Neustadt abgegeben werden mussten, ferner 558 Arbeitsflüchtige enthalten. Die beabsichtigte Herausnahme der Arbeitsflüchtigen aus den Bestandszahlen der einzelnen Betriebe kann aus arbeitstechnischen Gründen erst im Laufe des Monats Oktober vorgenommen werden." 484 Bei 122 Personen (u. a. 59 Italiener, 28 Franzosen, 16 Griechen, 4 Polen, 8 Personen aus Rußland bzw. der russischen Ukraine und 4 deutsche Saatsangehörige) scheint „Schanzarbeit" auf. Bei zwei von ihnen sind keine Uberweisungsanträge vorhanden, sondern Endassungsanträge mit einer Überstellung zu anderen Firmen. Erst bei ihrem Wiedereintritt scheint die Schanzarbeit bei „Letzte Beschäftigung bei:" neben der Fa. Rella & C o bzw. Hochtief Negrelli auf. 4 8 5 75, einschließlich Austrittsgrund. In einigen Fällen wird von einer Uberweisungsaktion gesprochen. 486 N A R A , M F T - 8 3 / 7 7 , S . 7.

Statistikbericht

225

In den Krankenkassen-Unterlagen finden sich immer wieder Ein- und Austritte am selben Tag (An- und Abmeldung von der Krankenkasse), „Fehlmeldung" (bedeutet in manchen Fällen nur, daß die Eintragung unter einem anderen Anfangsbuchstaben zu finden ist), „Storno" und „Missglückter Arbeitsversuch". In manchen Fällen ist als Begründung „versicherungsfrei" angegeben. Das wurde z. B. häufig bei (Ferial-)Praktikanten angegeben, aber nicht in jedem Fall (hier wurde aber möglicherweise auch nur darauf vergessen, es in den Krankenkassen-Unterlagen einzutragen). Das heißt aber nicht, daß sie nicht gearbeitet hätten. An- und Abmeldungen am selben Tag ohne Anmerkungen erfolgten oft bei älteren Personen oder sehr jungen. Außerdem existierte für Personen mit hohem Einkommen (deutsche Staatsangehörige) keine Versicherungspflicht. Einige Personen wiederum waren bei einer anderen Krankenkasse versichert und wurden daher mit Eintritt oder aber auch später abgemeldet. Es handelt sich dabei also um keinen Austritt. Personen, bei denen ohne weitere Erklärung ein Austritt/eine Abmeldung am selben Tag stattfand, wurden in die Datenbank nicht aufgenommen. Anders verhält es sich bei folgendem Fall: In den Krankenkassenunterlagen scheint keine Erklärung auf, aber da auch Unterlagen in einem Ordner dazu vorhanden sind, gibt es sehr wohl eine Erklärung: „Die Anmeldung zur Ortskrankenkasse wurde mit Wirkung vom Eintrittstag zurückgenommen, weil der Genannte von seinem Abgabebetrieb (Landestheater) von der Krankenkasse nicht abgemeldet wurde und von diesem weiter entlohnt wird, (die bei uns verdienten Bruttolöhne werden jeweils an den Abgabebetrieb überwiesen.)" Da in den Krankenkassen-Unterlagen häufig mehrere Beschäftigungszeiträume aufscheinen, ist auch nicht immer klar ersichtlich, auf welchen sich eine Anmerkung bezieht. Nicht aufgenommen wurden auch Personen, bei denen es sich um einen „Missglückten Arbeitsversuch" handelte, und solche, die nicht in Linz arbeiteten (z. B. in der Küche in Traisen, im Lager 75 in Ternberg) oder die die Arbeit nicht aufgenommen hatten. Problematisch erscheint hier auch der Umstand, daß manche mit dem Hinweis „in Traisen versichert" oder „in Lilienfeld versichert" von der Krankenkasse abgemeldet wurden. Da man von einer gewissen Fehlerquote in den Krankenkassen-Unterlagen ausgehen muß, kann nicht ausgeschlossen werden, daß Personen in der Datenbank erfaßt wurden, die z. B. in Traisen arbeiteten, der Hinweis darauf aber fehlt. Dazu kommen noch einige Personen, die lt. Unterlagen in den Ordnern irrtümlich eingestellt wurden. In einzelnen Fällen bedeutet das nur, daß jemand irrtümlich bei den EWO eingestellt wurde, aber eigentlich zu den H G W gehörte - also eine Frage der Zuordnung. Manche wurden kurz nach ihrem Eintritt entlassen, andere erst einige Zeit später. Unklar ist, ob bzw. wie lange diese Personen hier wirklich arbeiteten oder ob die Entlassimg (siehe auch Austrittsgründe) nur verzögert abgewickelt wurde. Insgesamt wurden 160 Personen (124 Männer, 36 Frauen) aus diesen Gründen nicht in die Datenbank aufgenommen. Austrittsdaten bzw. Austrittsunterlagen sind nicht immer (d. h. auch bei Austritt) in

22Ö

Michaela C. Schober

den Ordnern vorhanden, aber auch in den Krankenkassen-Unterlagen sind diese Daten nicht immer vorhanden (siehe unten). Die höchste Anzahl ausländischer Austritte 1940 findet sich bei den Protektoratsangehörigen und Belgiern. 1941 waren es Italiener, Bulgaren, Protektoratsangehörige und Dänen, 1942 Italiener, Bulgaren, Russen und Niederländer, 1943 Franzosen, Russen und Ukrainer, Protektoratsangehörige und Italiener, 1944 Franzosen, Russen, Protektoratsangehörige, Italiener und Griechen sowie 1945 Russen, Italiener, Protektoratsangehörige, Franzosen, Griechen, Kroaten und Polen. 1945 wurden allerdings vielfach keine formalen Austritte mehr vollzogen. Selbst unter Berücksichtigung, daß auch vorhandene Personalunterlagen häufig unvollständig erhalten geblieben sind, bestätigt sich dies in den Krankenkassen-Unterlagen, da auch dort immer wieder ein Austritts-/Abmeldedatum fehlt, vereinzelt findet sich bei dem Austrittsdatum 05.05.1945 auch der Vermerk, daß dieser Tag als Austrittsdatum angenommen wird. Deutsche Staatsangehörige wiederum wurden oft schon wenige Tage nach ihrem Eintritt zum Wehrdienst beurlaubt, d. h., sie sie arbeiteten hier manchmal nur sehr kurze Zeit, wurden aber nicht endassen. Eine relativ geringe Zahl schied mit Eintritt in die Wehrmacht aus dem Beschäftigtenstand aus. Bei fast 3000 Personen findet sich eine Wehrdienst-AVehrmachtseintragung, jedoch kein damit zusammenhängender Austritt, außer nach einer Gefallenenmeldung. Bei 1790 Eingerückten findet sich keine Angabe zur Staatsangehörigkeit. Beim Reichsarbeitsdienst waren 255 Beschäftigte, darunter 16 Frauen. Die Fehlerquote bei der Anzahl der Austritte und der manchmal damit verbundenen Wiedereintritte könnte in einem Bereich von 2-5% liegen, insbesondere auch wegen der Angaben in den Krankenkassen-Unterlagen.

Austritte4®7 Gesamt Austrittsjahr

Ausländer

M

F

Ges.

1939

88

1940

484

3 !3

91 497

Dt. Staatsangeh.

M

F

Ges.

M

F

1

0

1

i

0

271

0

271

8

0

Keine Angabe M

F

Ges.

1

86

8

205

3 13

218

Ges.

89

r 775

261

2036

902

20

922

89

20

109

784

221

1005

1942

2861

571

3432

1965

241

2206

373

73

446

; 943

3408

762

4170

2356

386

2742

603

523 449

257 r 93

642

CO

1941

786

780

487 Austritte mit der Begründung „Tod" sind hier nur dann enthalten, wenn in den Unterlagen kein (genaues) Todesdatum angegeben wurde. Siehe Tabelle „Todesfälle".

Statistikbericht

227

Austritte Gesamt

Ausländer

F

Ges.

711

270

5*3

332i

500

72 144

342 644

162

50

212

54

'9

73

2654

2646

463

3109

446

0

6 1

3° 0

2

0

0

32 0

29 0

0

0

0

0

0

0

10163

1368

11531

44'7

997

54'4

F

M

F

233 488

206

3275

5°5 2808

560

61

621

334

2227

427

3 0

68

6

1

I

0

1

3269

20696

F

1944

2649

J

6095

5" 1145

7240

776

130

906

53J9

1015

65 1

Keine Angabe M

M

i 00

Ges.

M

Austritts-

Dt. Staatsangeh. Ges.

Ges.

945

Bis

3160

M 1 00

jahr 2107

04.1945 Ab

6

12

5

571

I O

3° 0

1

O

1

2847

904

375i

05.05.1945 1946 '947 1951 Gesamt

V 17427

Austritte 1 9 3 8 Nationalität Keine Angabe

Männer

Frauen

1

Gesamt

o

1

Austritte 1 9 3 9 Nationalität

Männer

Frauen

Gesamt

Staatenlos

1

o

Deutsche Staatsangehörigkeit

1

o

1

94

3

97

Keine Angabe

1

Austritte 1 9 4 0 Nationalität

Männer

Frauen

Belgien

60

o

Bulgarien

12

o

Gesamt 60 12

Dänemark

2

0

2

Italien

2

0

2

Jugoslawien Niederlande

0

5 7

5 0

7

228

Michaela C. Schober

Austritte 1940 Nationalität

Polen Protektorat Schweiz Slowakei Staatenlos USA Ungarn Deutsche Staatsangehörigkeit Keine Angabe

Männer

Frauen

2

0 0 0 0 0 0 0 0

168

1 7 2

1 2 8 205

J

Männer

Frauen

3

Gesamt 2 168

1 7 2

1 2 8 218

Austritte 1941 Nationalität

Belgien Bulgarien Dänemark Frankreich Italien Jugoslawien Kroatien Litauen Niederlande Polen Protektorat Rumänien Slowakei Staatenlos Südtirol Ukraine Ungarn Ungarische Ukraine Deutsche Staatsangehörgkeit Keine Angabe

iS 5 59 7

0 0 0 0

470

2

I2

Gesamt

15 «5 59 7 47 2

11

1

12

40

2

1

3 1 0

42 4

20 12

21 12

66

63 6

3 2

8

2

7 15 1

3 0

3° !5 1

9

0

20

3

0

2

9 3 1

1

0

89

20

109

784

221

IOOJ

229

Statistikbericht Austritte 1942 Nationalität Albanien Belgien Bulgarien Dänemark Frankreich Generalgouvernement Griechenland Italien Jugoslawien Kroatien Litauen Niederlande Polen Polnische Ukraine Protektorat Rumänien Rußland Russische Ukraine Serbien Slowakei Slowakische Ukraine Slowenien Spanien Staatenlos Südtirol Ukraine Ungarn Ungarische Ukraine Weißrußland Deutsche Staatsangehörigkeit Keine Angabe

Männer

Frauen

1

0 2 2

19 381 2

0 6 0

29 3 r 43 446

9 58 4 177 "7 9 r 37 43 151 55 4 58 1 2 20 8 1 16 67 3 1

r

4 1 2 12 0 1 9 1 12 13 96 14 0 25 0 0 0 0 0 3 28 0 0

Gesar 1 21 383 2 35 3 r 57 447 11 7° 4 178 126 10 149 56 2

47 69 4 83 1 2 20 8 1

19 95 3 1 446

373 523

73 257

Männer

Frauen

Gesamt

15 132 1 661 3 81

1 2 o 70

16 134 1 731 3 87

780

Austritte 1943 Nationalität Belgien Bulgarien Dänemark Frankreich Generalgouvernement Griechenland

0

6

230

Michaela C. Schober

Austritte 1943 Nationalität Italien Jugoslawien Kroatien Litauen Lothringen Luxemburg Niederlande Polen Polnische Ukraine Portugal Protektorat Rumänien Rußland Russische Ukraine Schweiz Serbien Slowakei Slowenien Spanien Staatenlos Ukraine Ungarn Weißrußland Deutsche Staatsangehörigkeit Keine Angabe

Männer

Frauen

289

5 0

6

55 1

28

0 0 0 i

l

7 1

125 71 5 1

Gesamt 294 6

83 i 17 i 126

5 0 0

76

349

10

22

8

359 3°

266

143 35 1 0

73 1 4 43 1 46 6

16 64

2

5 0 0 1 1

5 1

409 108 2

4 68

i 46

7 17

44 0

108

1 603

183

786

449

*93

642

Männer

Frauen

Gesamt

1

Austritte 1944 Nationalität Algerien Armenien Belgien Bulgarien Estland Frankreich Galizien Generalgouvernement Griechenland Italien Jugoslawien Kroatien

1

2

0 0 0 1 0

526

23

0

i

3 I3 1

23

2

17 54

1

1 2

17 55 2

549 1

170

3

7

2

4 154 173 9

68



98

Statistikbericht

2

Austritte 1944 Nationalität Litauen Lothringen Niederlande Polen Polnische Ukraine Protektorat Rumänien Rußland Russische Ukraine Schweiz Serbien Slowakei Spanien Staatenlos Türkei Turkestan Ukraine Ungarn Usbekistan Weißrußland Deutsche Staatsangehörigkeit Keine Angabe

Männer

Frauen

Gesamt

1

0

1

6

2

8

58

0

58

49

4 0

53

8 22

5 13

290

26

1 H 38

7 4 49 15 1 0

17 339 41 2

14

26

64

1 1 0 0

84

83 12 2

3 17 46

8

8

13 2

3 25 76 1 1

1 0

3° 0 1

5°5

206

711

270

72

34^

Männer

Frauen

Gesamt

Austritte 1945 Nationalität Armenien Belgien Bulgarien Estland Frankreich Generalgouvernement Griechenland Italien Jugoslawien Kroatien Lettland Litauen Lothringen Luxemburg

1

0

7

4

1 11

66

2

68

0

1 11 0

3°3 1

292

1 "3 672

11 103

4 13 37 2

1

21

134

2

3 1

695

23 1

126

12

2

5 !5 39

0

2

2

3r

2

Michaela C. Schober

32

Austritte 1945 Nationalität Niederlande Oberschlesien Polen Polnische Ukraine Protektorat Rumänien Rußland Russische Ukraine Schlesien Serbien Slowakei Slowenien Spanien Staatenlos Ukraine Ungarn Weißrußland Deutsche Staatsangehörigkeit Keine Angabe

Männer

Frauen

35 2 96

5 0 9 1

7 478 40 549 2 5 1 35 41 6

13 11 2

54 6 0 9 31 0 0

Gesamt 40 2 105 8 49 1 5i 803 31 1 44 72 6

3 3° 47 69 1 2808 500

7 14 37 0

3 37 61 106 1

5i3 144

33 2 1 644

Männer

Frauen

Gesamt

Austritte 1946 Nationalität Kroatien Litauen Rumänien Ungarn Deutsche Staatsangehörigkeit488 Keine Angabe

3 1 1 1 3° 29

0 0 0 0 2 1

3 1 1 1 32 3°

Austritte 1947 Nationalität Ehem. Protektoratsangehörigerl 8 '

Männer 1

Frauen 0

Gesamt 1

488 Zum Zeitpunkt des Eintrittes. 489 Bei seinem 2. Eintritt im August 1944 wurde dieser Beschäftigte als Staatenloser geführt (KrankenkassenUnterlagen).

233

Statistikbericht Austritte 1 9 5 1 Nationalität Keine Angabe490

Männer 1

Frauen o

Gesamt 1

Atistrittsgründe' Als Entlassungs- bzw. Austrittsgrund finden sich auf den Formularen nicht nur Kurzbegründungen, sondern auch längere. So wurde häufig z. B. nicht nur „Arbeitsflucht", sondern auch „mit Zustimmung des Arbeitsamtes" angegeben. In solchen Fällen wurde die aussagekräftigere Begründung berücksichtigt. Bei den Austritten ab dem 5. Mai 1945 wurden oft zwei Entlassungen durchgeführt. Einerseits wurde eine Arbeitskraft im Juli endassen, andererseits ist auch ein Ausscheidungszettel („... wegen Nichtaufnahme der Arbeit nach Kriegsende mit 5. Mai 1945 ausgeschieden."), z. B. vom 26. Oktober 1945, vorhanden. Solche Ausscheidungszettel finden sich auch manchmal dann, wenn bereits ein Endassungsantrag vom 16. März 1945 vorhanden ist. Grundsätzlich wurde bei Endassungen kurz vor Kriegsende bzw. solchen danach der frühere Austrittsgrund bzw. das frühere Datum verwendet, da nicht nur während des Kriegschaos, sondern auch in dem Chaos danach durch teilweise verlorengegangene oder (vorübergehend) nicht auffindbare Unterlagen Entlassungen doppelt durchgeführt worden waren. So wurden auch Arbeitskräfte im Sommer und Frühherbst 1945 mit der Begründung „Keine Einsatzmöglichkeit" endassen, obwohl einige von ihnen schon seit längerem nicht mehr zur Arbeit erschienen waren respektive seit Kriegsende fehlten, sich die Frage einer Einsatzmöglichkeit also gar nicht stellte. In diesen Fällen ist allerdings nur eine Kündigung vorhanden. Bei unterschiedlichen (abweichenden) Austrittsdaten werden in einigen Fällen auch verschiedene Austrittsgründe genannt, die in der unten angeführten Tabelle nicht berücksichtigt werden konnten. Zum Beispiel wurde eine Italienerin von den H G W am 13.03.1945 mit der Begründung „blau bereits angezeigt" endassen, allerdings wurde sie auch am 05.05.1945 endassen, jetzt mit der Begründung „Vertrag gelöst". Der 05.05.1945 scheint auch in den Krankenkassen-Unterlagen als Austrittsdatum auf.

490 Es handelt sich dabei um einen Beschäftigten, der 1939 eintrat und bei dem folgende Wehrdiensteintragung vorhanden ist: 17.08.1939-02.03.1951. 491 Hier sind nicht alle Gründe einzeln aufgelistet, sondern nur die wesendichen, bzw. die Gründe wurden teilweise zusammengefaßt.

2

Michaela C. Schober

34

Austrittsgrund

Männer

Frauen

Gesamt

Arbeitsamt (lt. Mitteilung/Anordnung/ Anforderung etc. des Arbeitsamtes)492

341

175

516

Arbeitseinsatz (Anordnung/Veranlassung/ Zustimmung des Arbeitseinsatzes)4«

117

19

136

92 1

21 o

113 1

101 1 1

3 o o

104 1 1

Austausch494 Beendigung der Holländeraktion Arbeitsflucht49! Arbeitsflucht Fa. Krupp496 Arbeitsflucht von der letzten Arbeitsstelle497 Arbeits- und lagerflüchtig498 Lagerflucht499 Arbeitsvertragsbruch'00 Arbeitsverweigerung Dienstverweigerung nach Luftangriff 501 Standiges Fehlen ohne Entschuldigung502 Geflüchteter französischer Kriegsgefangener Arbeit nach Kriegsende nicht aufgenommen503/ Nichtwiederaufnahme der Arbeit504 Arbeitsmangel505

o

1

1

3 1323

2 71

o

1

5 1394 3 1

1 1

o o

1 1

1656

187

1843

7

22

29

1

2

492 Bei 27 Beschäftigten (20 Männer und 7 Frauen) wurde das Arbeitsverhältnis durch das Arbeitsamt gelöst. Uberstellung zum Arbeitsamt Göggingen bzw. Dorsten vom Arbeitsamt Linz je 1 Beschäftigte. 493 Ein Franzose trat wegen besonderen Arbeitseinsatzes an den deutschen Universitäten aus. Ein Reichsangehöriger (dieser arbeitete vor seinem Eintritt in die Eisenwerke bei den H G W und wurde dort als Litauer geführt) wurde aufgrund eines Arbeitseinsatzes nach Litzmannstadt (Lodz, Polen) entlassen. Bei einem Franzosen wurde als Austrittsgrund „Zurück in Arbeitseinsatz" angegeben. 494 Darunter 8 Protektoratsangehörige, die gegen Ostarbeiter ausgetauscht wurden (, Austauschaktion für Ostarbeiter"), und bei 5 Russen und 1 Beschäftigten aus der russischen Ukraine wurde „Landwirtsch. Ostarbeiter Austausch" angegeben (nicht im Feld „Uberstellung/Zurück zur Landwirtschaft" enthalten). 495 Siehe Tabelle ,Arbeitsflucht". 496 Niederländer. 497 498 499 500 501 502

Protelctoratsangehöriger. Russin. 1 Grieche, 2 Volksdeutsche aus Ungarn, 1 Rumänin, 1 russ. Ukrainerin. Siehe Tabelle ,Arbeitsvertragsbruch". Deutsche Staatsangehörige. Pole.

503 1829 Personen (1644 Männer, 185 Frauen), davon 1662 deutsche Staatsangehörige und 64 Volksdeutsche (94,37%)504 14 deutsche Staatsangehörige (12 Männer, 2 Frauen); nach Kriegsende. 505 Austritte nach Kriegsende.

2

Statistikbericht Austrittsgrund Arbeitsvertragsbeendigung/Ablauf des Vertrages 506 /

Männer

Frauen

Gesamt

174

17

191

35

Vertrag gelöst507 Auf eigenen Wunsch/Auf eigenes Ansuchen5"8 Beiderseitiges Einverständnis 509 Beendigung des Arbeitsverhältnisses510 Beendigung des Kriegseinsatzes 5 " Dienstentpflichtung/Ablauf der Dienstverpflichtung 512 Durch den Einsatz von KZ-Leuten frei geworden 5 ' 3 Ersatz durch deutsche Frauen 5 ' 4 Freigabe/Freistellung 5 ' 5 Frisdos endassen 5 ' 6 Irrtümlich eingestellt 5 ' 7 Irrtümlich zu den E W O verpflichtet worden 5 ' 8 Keine Einsatzmöglichkeit 5 '' Keine Verwendung (mehr)5*0 Überfluß an Personal 5 "

105 38 l7

0 654 2 0 54 4 9 2 3 5 1

33 46 4 17 45 0 8

138 84 21

26

17 699 2 8 80

1 0 0

5 9 2

4 i

7 6

3

4

506 Spanier, Kroaten, Italiener, Slowaken, Bulgaren, Belgier, Griechen, Ungarn, Jugoslawen, 1 deutscher Staatsangehöriger. 507 Die meisten nach Kriegsende; darunter 21 deutsche Staatsangehörige. 508 Ca. 90% traten nach Kriegsende aus. Bei 11 Beschäftigten wurde als Austrittsgrund „Auf eigenen Wunsch, Ablauf der Dienstverpflichtung" angegeben. Diese scheinen in der Tabelle unter „Ablauf der Dienstverpflichtung" nicht auf. 509 510 511 512 513 514 515

29 nach Kriegsende. 19 nach Kriegsende. Deutsche Staatsangehörige (5 im Sommer 1944, 12 nach Kriegsende). Fast 2 /3 wurden vor Mai 1945 entpflichtet. 1 Grieche und 1 Franzose; beide waren in der Stahlgießerei beschäftigt. Französinnen. 1 Person wurde lt. ärzdichem Attest freigegeben und 17 lt. Arbeitsamt. Diese Beschäftigten wurden bei den Austrittsgründen ,.Arbeitsamt" und „Lt. ärztlichem Attest/..." nicht mitgezählt. 516 Deutsche Staatsangehörige. 517 In den meisten Fällen gibt es nähere Erläuterungen. So wurde z. B. bei einem Protektoratsangehörigen die „Rückstellung nach Steyr" veranlaßt, da er irrtümlich bei den E W O eingesetzt worden war. Ein weiterer Protektoratsangehöriger war vom Arbeitsamt irrtümlich zugewiesen worden und mußte diesem wieder zurücküberwiesen werden. Zwei Italiener wurden vom Arbeitsamt wegen des irrtümlichen Einsatzes bei den E W O entpflichtet.

518 Ein Italiener wurde vom Arbeitsamt entpflichtet, da er irrtümlich zu den E W O verpflichtet worden war. Ein Protektoratsangehöriger war zu den H G W verpflichtet worden und daher irrtümlich bei den E W O . 519 5 deutsche Staatsangehörige und 2 Volksdeutsche aus Ungarn. 520 2 deutsche Staatsangehörige (bei einem findet sich folgende Begründung: „Überzählig, andere Verwendungsmöglichkeit nicht vorhanden"), 2 Rumänen (1 Mann, 1 Frau), 1 Franzose und 1 Italiener (Begründung: wegen Lagerübergabe an die H G W ) . 5 21 Dezember 43/Jänner 44.

236

Michaela C . Schober

Austrittsgrund

Männer

Rückversetzung in das Kriegsgefangenenverhältnis 522 Vorläufige Beendigung

Frauen 2

39

Gesamt 0

4

2 43

des Beschäftigungsverhältnisses ( H G W ) ' 1 ' An Gestapo - Rückführung an den alten Arbeitsplatz52^

1

o

1

An die Werksicherung wegen Sabotageverdachts 515

1

o

1

Auf Veranlassung der Gestapo 5 1 6 Lt. Mitteilung der Werksicherung an Gestapo 5 2 '

2 1

Aus abwehrmä?igen Gründen 5 ' 8 Im Auftrag der Gestapo Sonderverwendung

1

3

0

8

o 8

1

5

0

5

Mitteilung der Kriminalpolizei 5 ' 0

1

o

1

Auf Veranlassung der Polizei bzw. der Delegation 5 3 '

1

o

auf Kriegsdauer 52 «

Lt. Mitteilung des Werkschutzes/Anruf der Werksicherung 512 Betriebssicherheitsgründe 5 »

5 1

Arbeitserziehungslager 5M

1 1

o 4

6 1

0

4

Einweisung in KZ 5 3 5

1

o

K Z Mauthausen 536

1

o

1 1

Überführung in das K Z Auschwitz 537

o

1

1

j 2 2 Franzosen; am 2 3. bzw. 2 5. Jänner 1945. 523 Ausländer, mit einer Ausnahme (1942) traten alle im Mai 1945 aus. 524 Pole. 525 Franzose. 526 1 Pole, 1 Französin („Im Einverständnis des Arbeitsamtes Linz und Auftrag der Gestapo." - Eintritt im Juni 1943 als Dolmetscherin bei der Ausländerbetreuung. Wohnte im Lager 20. Austritt im Dezember 1943 wegen Entbindung. Neuerlicher Eintritt im März 1944 als Dolmetscherin [Gefolgschaft-A] und wohnte im Ledigenheim Schörgenhub. Am Entlassungsantrag [Austrittsgrund siehe oben] wurde die Gesenkschmiede eingetragen) und ein deutscher Staatsangehöriger. 527 Russe. 528 Deutsche Staatsangehörige und 1 Franzose mit abweichender Staatsangehörigkeit (Austrittsgrund: Aus abwehrmäßigen Gründen, da Schweizer.) 529 Deutsche Staatsangehörige. 530 Deutscher Staatsangehöriger. 531 Italiener. 532 1 Russe und 1 Russin sowie je 2 Polen und Protektoratsangehörige. 533 Deutscher Staatsangehöriger (anhängiges Verfahren beim Volksgerichtshof). 534 2 Protektoratsangehörige, 1 Italiener und 1 deutscher Staatsangehöriger. 535 Franzose. 536 Russ. Ukrainer. 537 Polin.

Statistikbericht Austrittsgrund Haft In Haft oder krank" 8

2

Männer

Frauen

Gesamt

24 o

12 1

36 1

Diebstahl»'

2

2

4

Eigentumsdelikt540 Fahrraddiebstahl541

3 1

o o

3 1

Schwere Körperverletzung542 Selbstmord in Donawitz543

o 1

1 o

1 1

14 25

o o

14 25 4

(Sonder-) Aktion Gauleiter544 Aktion Gauleiter - Bauvorhaben545 Anordnung/Auf Verlangen des Gauleiters546 Heirat und Mutterschaft547 Betreuung/Pflege des Kindes548 Schwangerschaft549 Entbindung55" Geburt eines Kindes 55 ' Nach der Geburt des Kindes nicht mehr erschienen55'

4 o

0 1

0

37

1 7

o o o o

29 1 1 1

7 29 1 1 1

Familiäre Gründe553

17

23

40

Nicht einsatzfähig/ungeeignet/nicht lagerfähig

95

14

109

538 Protektoratsangehöriger. 539 Darunter ein Mann aus Ungarn und eine Frau aus der russischen Ukraine. Bei einem Mann wurde keine Nationalität angegeben. 540 Deutsche Staatsangehörige. 541 Deutscher Staatsangehöriger. 542 Protektoratsangehörige. 543 Russe. 544 Italiener. 545 Italiener; darunter 16 ehemalige Militärinternierte und 2 Kriegsgefangene. 546 3 Franzosen, 1 Italiener. 547 Deutsche Staatsangehörige. 548 5 deutsche Staatsangehörige, 1 Volksdeutsche aus der Slowakei und 1 Volksdeutsche aus Ungarn. 549 12 deutsche Staatsangehörige, 17 Ausländerinnen (8 Französinnen, 3 Griechinnen, je 1 Volksdeutsche aus Serbien und Kroatien, je eine Frau aus Belgien, den Niederlanden, dem Protektorat und Polen). 550 Französin. 551 Volksdeutsche aus Rumänien. 552 Deutsche Staatsangehörige. 553 Darunter 18 deutsche Staatsangehörige. Von den 40 Personen traten 3 bei bzw. nach Kriegsende aus.

238 Austrittsgrund

Michaela C. Schober Männer

Frauen

Gesamt

604554 1

58 o

662 1

1 61

o 17

1 78

Tod

487

59

546

Gefallen

132

o

132

Uberstellung/zurück zur Landwirtschaft557 Uberstellung zu den H G W Überstellung zur Reichsbahn Uberstellung/Abgabe/Übernahme (an/durch eine Firma, Betrieb558 etc.)559 Überstellung zum Bergbau Überstellung zum Bunkerbau560 Überstellung in die Heimat56'

4 144 110

7 43 o

11 187 110

297 44 1 1

58 o o o

355 44 1 1

Aus gesundheitlichen Gründen/Krankheit Krankheit/Unfalls« Unfall 556 Lt. ärztlichem Attest/Anordnung

Rückgabe an Hochtief Negrelli56* Rückstellung zum Stahlbau56' Wehrmacht564

1

o 6

322

0 5

1 6 327

554 2 Beschäftigte wurden wegen „Krankheit und Vertragsbeendigung" bzw. „Vertragserfüllung und Krankheit" entlassen. 555 Pole. 556 Franzose. 557 Siehe auch Anmerkung zum „Austausch". 558 In den meisten Fällen wurde die Firma genannt. Hier ist auch ein Beschäftigter enthalten, der zu den E W O überstellt wurde, und einer, der zur Stahlbau GmbH überwiesen wurde (letzeres nach Kriegsende). 559 1 deutsche Staatsangehörige wurde an den Haushalt Direktor Reuter (EWO, Geschäftsführer) überstellt, 1 Kroatin als Hausgehilfin an den Haushalt Direktor Röser (EWO, Geschäftsführer), 2 Frauen aus der russischen Ukraine wurden an Direktor Dr. Sarter (EWO, Geschäftsführer) überwiesen und je 1 Frau (Haushaltshilfe) aus der russischen Ukraine an Prokorist Maas (EWO, Leiter des Bereiches Einkauf- und Lagerwesen) bzw. an Dipl.-Ing. Kleine (EWO, Handl.-Bev., Betriebschef des Maschinenbetriebs). Quelle - Aufgabenbezeichnung: Historisches Archiv der V O E S T A L P I N E AG, Linz, Telefon-Verzeichnis Eisenwerke Oberdonau GmbH. Linz an der Donau, Ausgabe September 1943. 560 Franzose. 561 Pole. 562 Franzose. 563 Nach Kriegsende; deutsche Staatsangehörige, die vorher bei den E W O beschäftigt waren. 564 Die Anzahl der Einberufungen und Einrückungen (darunter auch freiwillige Meldungen) ist höher, jedoch wurden viele nicht endassen, sondern beurlaubt (nicht enthalten sind hier z. B. 3 Arbeiter, die nach ihrer Entlassung aus dem Wehrdienst nicht mehr an ihren Arbeitsplatz zurückkehrten). In dieser Zahl finden sich auch Ausländer, die z. B. zum italienischen oder bulgarischen Heer einrückten.

239

Statistikbericht Austrittsgrund

Männer

Gesamt

o

18 5 3

18 5

Zur Waffen-SS 56 ' Einberufung/Einriickung zur Wlassow-Armee Eintritt in eine Kosakeneinheit

EISENWERK E OBERDONAU CHI!

Frauen

0

2

;

^ W.

1

-

Entlassuiigsantrag J t j 1 i s • r ' 'Oll* —

^^ftfr&tljlt*'

»

Betritt. Ahl.: ^Sf^S^^ Grund d« Abtritt... f'• fUf ,' OiÄiül iilansüjger *3«CftSl''. .. — . :"', ovptmtlitB In diIemStm MsK rka»rtetend iaetrjahm KL rut.ucitiraguanss: headuiltigt ymenen rntoverdienst insgesamt MK: . UhaMeH t * Mi,. Austritt am: L!h.tobB ende Arbeitstier. mit den Eir.trjgungen M A\94* ¡*| l Steüerkarte Nr. . Cm . vi L

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3 deutsche Staatsangehörige beendeten ihren Wehrmachtseinschulungsurlaub bzw. ihren Einschulungsurlaub als Wehr- und Kriegsversehrte. Sie arbeiteten im Werkschutz-Tordienst (Sommer 1943). 565 4 deutsche Staatsangehörige, 3 Franzosen, 2 Niederländer, 2 Ukrainer, 2 polnische Ukrainer, 1 Belgier, 1 Italiener, 1 Ungar, 1 Russe und 1 Staatenloser. Freiwillig meldeten sich der Belgier, Italiener und Ungar.

240

Michaela C. Schober

Arbeitsflucht Nationalität Belgien Frankreich Italien Jugoslawien Niederlande Polen Protektorat Rußland Russische Ukraine Slowakei Ungarn Deutsche Staatsangehörige Keine Angabe Gesamt

Männer

Frauen

Gesamt

1 8

1 8

3 3 1

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 2 0

IOI

3

3 3 32 7 9 12 18 1

3 3 32 7 9 12 18 1 4 5 1 104

Arbeitsvertragsbruch Nationalität Albanien Belgien Bulgarien Frankreich Generalgouvernement Griechenland Italien Jugoslawien Kroatien Litauen Niederlande Polen Polnische Ukraine Protektorat Rumänien Rußland Russische Ukraine Serbien Slowakei Slowakische Ukraine Spanien Staatenlos

Manner 1 2

3 19 443 7 3° 67 4 42 2 104 80 12 108 7 67 93 5 20 1 65 2

Frauen 0 0 1 12 0 1 0 0 9 0 0 3 0 3 1 8 4 1 3 0 0 0

Gesamt 1 23 20 455 7 31 67 4 51 2 104 83 12 m 8 75 97 6 23 1 65 2

24I

Statistikbericht Arbeitsvertragsbruch Nationalität Ukraine Ungarn Ungarische Ukraine Weißrußland Deutsche Staatsangehörige Keine Angabe Gesamt

Männer

Frauen 5

Gesamt

54 3 o 43 16

2

1 15 o

7 61 3 1 58 16

1323

71

1394

7 0

Haft Nationalität Belgien Frankreich Griechenland Kroatien Lothringen Polen Protektorat Rußland Russische Ukraine Ungarn Deutsche Staatsangehörige Keine Angabe Gesamt

Männer

Frauen

0

1 0 2 2 0 1 0 0 0 0

3 0 0 1 2i66 3 3 1 i 10 0 24

Gesamt 1 3 2 2 1 3 3 3 1 1

5 1

'S i

12

36

Todesfälle567 Nationalität

Männer

Frauen

Armenien Bulgarien Frankreich Griechenland Italien Jugoslawien

1 8 82 12 50 1

o 2 4 1 1 o

566 Ein Pole wurde zu 5 Jahren Zuchthaus wegen Sabotage verurteilt. 567 Das genaue Todesdatum geht nicht immer aus den Quellen hervor.

Gesamt 1 10 86 13 51 1

242

Michaela C. Schober

Todesfälle Männer

Frauen

Kroatien Lothringen

7 1

1 1

8

Niederlande Polen Protektorat Rumänien Rußland Russische Ukraine Serbien Slowakei Spanien

6

0 0 1 1

6

Nationalität

Staatenlos Ungarn

11 28

0 H 7 2 2 2 2 8

10

0 1 0 0 0 1

Gesamt

2

11 29 1 2

4 7 3 2 2 2

9

Deutsche Staatsangehörige Keine Angabe

96

21

117

147

14

161

Gesamt

487

59

546

Bei Luftangriffen starben mindestens 222 Beschäftigte (185 Männer und 37 Frauen, davon 43 deutsche Staatsangehörige und 65 Personen ohne Angabe der Staatsangehörigkeit). Bei dem wohl schwersten Bombenangriff auf die Hermann-Göring-Werke am 25. Juli 1944 starben mindestens 117 Personen (96 Männer und 21 Frauen, davon 30 deutsche Staatsangehörige und 51 Beschäftigte, bei denen keine Staatsangehörigkeit angegeben wurde). Berücksichtigt man auch jene Arbeitskräfte, die bei verschiedenen Firmen am Gelände beschäftigt waren (bei vier Personen wird keine Firma angegeben, sondern „Vertragsfirma der E.W.O."; 2 davon sind bereits in den oben genannten Daten einbezogen, wobei in den Personalakten im Gegensatz zur „Opferliste"568 keine Vertragsfirma oder auch nur der Hinweis darauf vorhanden ist), so erhöht sich die Anzahl auf 142 und die Gesamtzahl der bei oder infolge von Bombenangriffen Verstorbenen auf 247. Laut der Bombenopfer-Liste569 starben 138 Personen bei dem Angriff auf die Göringwerke vom 25. Juli (45 Ausländer [42 Männer und 3 Frauen] und 93 deutsche Staatsangehörige [73 Männer und 20 Frauen]), und zwar waren 55 bei der Hütte beschäftigt, 53 bei den EWO, 3 beim Stahlbau und 27 bei Vertragsfirmen.570 568 Historisches Archiv der VOEST ALPINE AG, Linz, Ordner Betriebswirtschaft Zentralstatistik 1942-1947, „Opfer des Fliegerangriffes v. 25.7.1944 auf die Reichswerke AG. Alpine Mont. Betr.,HERMANN-GÖRING' Linz". 569

Ebd. 570 Lt. einer beigelegten Zusammenfassung starben auch 39IMI, von denen allerdings keiner in der Datenbank erfaßt ist, da nur Unterlagen zu ehemaligen Militarinternierten vorhanden sind und die Uberstellung von Militärintemierten in ein Zivilverhältnis erst im September 1944 erfolgte.

Statistikbericht

Das sind (unabhängig davon, ob man die Firmen bzw. Vertragsfinnen berücksichtigt) um 4 Personen mehr, als in der Bombenopfer-Liste aufscheinen. Ein Ostarbeiter (russische Ukraine) starb lt. Entlassungsantrag bei diesem Angriff. Bei einem anderen Ostarbeiter (Rußland) ist ein Sterbeschein vorhanden, und er scheint auch auf einer anderen Liste v. 25.07.1945 571 auf, und ein weiterer (Rußland) kam lt. Sterbeschein dabei ums Leben. Lt. Krankenkassen-Unterlagen arbeitete er bis 05.05.1945 (!). Ein Kroate wurde lt. Krankenkassen-Unterlagen nach dem Luftangriff vermißt. Laut Sterbeschein starb er aufgrund schwerer Zertrümmerungen. In der Liste vom 25. Juli 1944 scheint er nicht auf.

Unfälle Bei fast allen Beschäftigten der E W O , die einen oder mehrere Unfälle erlitten, sind weder Daten zum Unfallhergang noch zu den Verletzungen vorhanden. Es handelt sich dabei nur um Unfallvermerke auf den Lohnsatzkarten bzw. Krankenstandsbescheinigungen, soweit vorhanden. Diese Daten weichen daher von jenen in den Monatsberichten der Eisenwerke Oberdonau ab. Dort werden 55 Unfälle allein im Juli 1943 gemeldet 572 , während in der Datenbank 23 Unfälle aufscheinen. Bei den H G W handelt es sich in der Regel um ausführliche Unfallberichte. Eine Ausnahme in bezug auf nähere Angaben zum „Unfall" stellen die Verwundeten des Bombenangriffes vom 25. Juli 1944 dar, die jedoch nicht in den nachfolgenden Tabellen enthalten sind, sofern der „Unfall" eindeutig dem Bombenangriff zugeordnet werden konnte. Die Anzahl der Unfälle stimmt nicht mit der Anzahl jener Personen überein, die von einem Unfall betroffen waren. Einerseits erlitten manche Beschäftigte in einem Jahr mehr als einen Unfall, werden aber nur einmal gezählt, andererseits wird jemand, der z. B. 1944 und 1945 einen Unfall hatte, doppelt gezählt. Unfälle mit Todesfolge dürften in der Regel nicht enthalten sein, da diese bei den Toten aufscheinen und auch keine reguläre Unfallmeldung vorhanden ist bzw. eine derartige Eintragung auch auf der Lohnsatzkarte fehlt.

571 AStL, Gesundheitsamt, Sterbescheine 6/44-1/45 und AStL, Sch B31, NS-Zeit, Berichte/Geheimakten, Fliegerangriff 25.07.1945. 572 NARA, Mikrofilm T 83, Roll 77, Monatsberichte der Eisenwerke Oberdonau Juli 1943, S. 9.

244

Michaela C. Schober

Ostmarkische Elsen- und 9*. Wtan 1 3 0 . 1 1 3

Metall-Berufsgenossenschaft

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Ab««nd«r (Untcrnthmcr) :

Unfallanzeige 1. B i e s e U n f a l l a n z e i g e i s t n u r z u e r s t a t t e n b e i t ö d l i c h « « A r b e i t s u n f ä l l e n und bei Arbeiisunfälien, die voraussichtlich eine mehr als d r e i t ä g i g e («5Hige o d e r t e i l w e i s e ) A r b e i t s u n f ä h i g k e i t zur Folg« h a b e n . A b Arbeitsunfälle gelten auch Unfälle auf einem mit der Beschäftigung in dem Unternehmen zusammenhangenden Weg nach und von der Arbeits- oder Ausbildungsstätre, ferner Unfälle bei einer mit der Beschäftigung im Unternehmen zusammenhängenden Verwahrung, Beförderung, Instandhaltung und Erneuerung des Arbeitsgeräts, für Jede getötete oder verletzte Person ist eine besondere Unfallanzeige auszufüllen. 8. Die Anzeige ist zu senden: a) In a l l e n Fällen in d o p p e l t e r Ausfertigung an den Träger der Unfallversicherung (z. B. Berufsgenossenschaft oder deren Sektion oder Bezirksverwaltung), b ) l a l l t das Unternehmen zu einer öerufsgenossensdiaft der Allgemeinen Unfallversicherung gehört-. In e i n f a c h e r Ausfertigung an das Gewerbeaufsichtsamt (oder die untere Bergbehörde), soweit es (sie) zuständig ist, c ) f a l l s der Verletzte infoi 3 e des Unfalls s t i r b t : in e i n f a c h e r Ausfertigung an die Ortspolizeibehörde des Unfallortes. 3. Die Unfallanzeige ist b i n n e n 1 T a g e n bei Vermeidung einer Geldstrafe (§ 1 5 5 6 der Reichsversicherungsordnung) durch den Betriebs Unternehmer oder seinen Stellvertreter zu erstatten. 4. Todesfälle, andere schwere UrtfäHe und Massenunfäile sind a u S e r d e m s o f o r t fernmündlich oder teiegraphlsdi der zuständigen Berufs genossenschaft zu melden. 5. Bei Berufskrankheiter» Ist ein besonderes (grünes) Formblatt zu verwenden. ...

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1. a) W o c h e n t a g , B a t u m , J a h r , S t u n d e d e s Unfall» b) B e g i n n d e r A r b e l t s z e i t d e s V e r l e t z ten a m Unfalltase c) S e i U n f ä l l e n a u f d e m W e g e v o n d e r Arbeitsstätte : I n d e der Arbeitszeit d e s VerletxKen a m U n f a l i t a g e

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3. •) V o r - u n d F a m i l i e n n a m e , M o h n o r t u n d W o h n u n g d e s V e r l e t z t e n (Namen möglichst deutlich geschrieben)

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0 Staatsangehörigkeit g) L e d i g , » e r h e i r a t e t , v e r w i t w e t , g e s c h i e d e n ? Z a h l d e r K i n d e r (ausgenommen Stl ef- und Pflegak i nder) u n t e r 18 J a t u e n

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Unfallanzeige

Statistikbericht

H5

Unfälle gesamt nach Jahr Unialljahr

Männer

Frauen

Gesamt

1940

2

0

1941

7

1

2 8

1942

6j

4

69

1943

303

6

309

1944

374

12

386

1945

23

o

23

Anzahl der betroffenen Personen und Anzahl der Unfälle nach Nationalität Betroffene Personen Nationalität Belgien Frankreich Generalgouvernement Griechenland Italien Jugoslawien Kroatien Litauen Lothringen Niederlande Polen Polnische Ukraine Protektorat Rumänien Rußland Russische Ukraine Serbien Slowakei Slowenien Spanien Staatenlos Ukraine Ungarn Deutsche Staatsangehörigkeit Gesamt

Männer 2

142 2

18

29 1 9 1 2 8

!3 1 41 5 11

Frauen 0 1 0 0 0 0 3 0 0 0 0 0 0 1 2

Frauen

Gesamt

2

2

0

2

r 43

153

2

155

2

2

18

18

29 1

31 1

12

10

1

1

2

2

8

8

13 1

14 1

41 6

49 5 15

0 0 0 0

2

18

3i 1

3 0 0 0 0 0 0 1

49 6



1 2 8

*4 1

18

2

2

2

3

2

2

4 1

4 1

4 5

3 5

0 0 0 0 0 1 1

4

2

11

410

514

11

5^5

22

726

848

24

872

2

3 4

0 0 0 0 0 1 1

399 704

4 1

Männer

3

2

2

Gesamt

2

2 2

Anzahl der Unialle

'3 4

2

3 2

4 1 4 6

246

Michaela C. Schober

Bei Luftangriffen wurden mindestens 158 Beschäftigte (122 Männer und 36 Frauen) verwundet. Mit Ausnahme von einem Franzosen und einem deutschen Staatsangehörigen (4. bzw. 6. November 1944) wurden alle beim Luftangriff vom 25. Juli 1944 verletzt. Bei 2 weiteren deutschen Staatsangehörigen wurde als „Unfalldatum" der 27.07.1944 eingetragen. Der einzige Hinweis auf eine Verwundung bei einem Bombenangriff ist, daß am oberen Rand der Krankenstandsbescheinigung „Unfall beim Angriff' vermerkt wurde. Beide wurden „lt. ärztlicher Meldung am 27.7.44 arbeitsunfähig in den Krankenstand aufgenommen ...". Ihre Namen fehlen in den „Verwundeten-Listen" vom 25.07.1944.573 In diesen Listen sind auch Personen enthalten, die ambulant behandelt wurden, die arbeitsfähig waren oder in häusliche Pflege endassen werden konnten. Bei den Verwundeten vom 2 5. Juli 1944 sind auch 4 Männer (2 Ausländer und 2 ohne Angabe der Nationalität) enthalten, die nur aufgrund dieser „Verwundeten-Listen" erfaßt wurden (d. h., sie konnten aufgrund der Angabe des Betriebes zugeordnet werden). Nicht aufgenommen wurden 8 Personen (6 Männer und 2 Frauen), die zwar in der Liste des Bombenangriffes auf die Göringwerke aufscheinen, bei denen aber kein Betrieb angegeben ist bzw. auch Widersprüche vorhanden sind. So war ein Ausländer lt. dieser Liste im Kraftwerk der Hütte Linz beschäftigt, lt. einer anderen Verwundeten-Liste574 arbeitete er bei einer (Vertrags-)Firma. Dazu kommen von diesen Verletzten-Listen noch weitere 5 Personen (4 Männer und 1 Frau), die nicht aufgenommen wurden, da fraglich (so wurde z. B. einmal nur der Name angegeben). In der Bombenopfer-Liste575 wurden 132 Personen (64 Ausländer [54 Männer und 10 Frauen] und 68 deutsche Staatsangehörige [44 Männer und 24 Frauen]) als Verwundete erfaßt (Hütte 43, E W O 76, Vertragsfirmen 13)576. Ein Franzose wird jedoch doppelt geführt, wodurch sich die Gesamtzahl auf 131, die der Ausländer auf 63 bzw. die der ausländischen Männer auf 53 verringert.

573 Historisches Archiv der VOEST ALPINE AG, Linz, Ordner Betriebswirtschaft Zentralstatistik 1942-1947, „Opfer des Fliegerangriffes v. 25.7.1944 auf die Reichswerke AG. Alpine Mont. Betr. , H E R M A N N G Ö R I N G ' Linz" und AStL, Sch B31, NS-Zeit, Berichte, Geheimakten, Fliegerangriff 25.07.1944. 574 AStL, Sch B31. 575 Historisches Archiv der VOEST ALPINE AG, Linz, Ordner Betriebswirtschaft Zentralstatistik 1942-1947, Bombenopfer-Liste. 576 Lt. einer beigelegten Zusammenfassung wurden auch 11 IMI verletzt, von denen (zu diesem Zeitpunkt) allerdings keiner in der Datenbank erfaßt ist. Siehe auch Anmerkung 570. Nicht berücksichtigt wurden auch Personen, die bei den (Vertrags-)Firmen beschäftigt waren, zu denen aber keinerlei andere Daten vorhanden sind.

247

Statistikbericht Anzahl der von einem Unfall betroffenen Beschäftigten nach Jahr und Nationalität 1940 Nationalität

Männer

Frauen

Gesamt

Deutsche Staatsangehörigkeit Keine Angabe

1 1

0 0

1 1

Gesamt

2

0

2

1941 Nationalität

Männer

Frauen

Gesamt

Deutsche Staatsangehörigkeit

7

1

8

Gesamt

7

1

8

1942 Nationalität

Männer 2

Frauen

Gesamt 2

Italien Protektorat Rumänien Rußland Slowakei Slowenien Spanien Ukraine Deutsche Staatsangehörigkeit

S1

2

54

Gesamt

65

4

69

J

4 1 2

1 1 1 1

0 0 0 1 0 0 0 1

4 1 3 1 1 1 2

943

Nationalität Belgien Frankreich Griechenland Italien Kroatien Niederlande Polen Protektorat

Männer 1 56 5 6 6

3 5 14

Frauen 0 i 0 0 1 0 0 0

Gesamt 1 57 5 6

7 3 5 14

Michaela C. Schober

248 I

943

Nationalität Rumänien Rußland Slowakei Spanien Ungarn Deutsche Staatsangehörigkeit Gesamt

Männer 2

Frauen

Gesamt

196

1 1 0 0 1 1

197

3°3

6

309

4 1 1 3

3 5 1 1 4

1944 Nationalität Belgien Frankreich Generalgouvernement Griechenland Italien Jugoslawien Kroatien Litauen Lothringen Niederlande Polen Polnische Ukraine Protektorat Rumänien Rußland Russische Ukraine Serbien Slowakei Slowenien Spanien Staatenlos Ukraine Ungarn Deutsche Staatsangehörigkeit Keine Angabe Gesamt

Männer 1 84 2

12 r

7 1 3 1

Frauen 0 0 0 0 0 0 2

6

0 0 0 0 0 0 0 1

2

2

2

0 0 0 0 0 0 0

2

4 9 1 27 2

0 1 2

1 2 2

Gesamt 1 84 2

12 :

7 1 5 1 2

4 9 1 27 2

7 4 2

0 1 2

1 2 2 194

0

7 0

371

12

383

187

0

249

Statistikbericht *945 Nationalität

Männer

Frauen

Gesamt

Frankreich

6

0

Griechenland

i

0

i

Italien

0

Kroatien

4 i

4 i

Protektorat

i

0

i

Deutsche Staatsangehörigkeit

10

0

10

Gesamt

23

0

23

0

6

Strafen Die Anzahl jener Personen, die ein- oder mehrmals von einer Strafe betroffen waren, liegt über den unten angeführten, sowohl was die Anzahl der Maßnahmen (Strafverfugungen) als auch der Betroffenen betrifft. Einerseits spricht vieles dafiir, daß aus den vorhandenen Personalakten Strafverfolgungen entfernt, d. h. herausgerissen wurden, da bei der Bearbeitung dieser Unterlagen immer wieder schmale Streifen eines rosa Papiers, seltener eines orangen, in exakt jenem Format sich lösten und herausfielen, die den Strafverfiigungen entsprechen, andererseits gibt es auf anderen Formularen bzw. Personalund Verdienst-Nachweiskarten widersprüchliche Angaben. So wurde auf Lohnstreifen z. B. auch „Haft oder krank" eingetragen. Selbst als Austrittsgrund scheint in einem Fall eine solche Begründung auf. So kam es auch vor, daß jemand irrtümlich der Gefo-X wegen Arbeitsvertragsbruchs zugewiesen wurde, obwohl der Betreffende in Wirklichkeit krank war. Laut Monatsbericht der Eisenwerke für Juli 1943 577 waren allein in diesem Monat 145 Beschäftigte (123 Ausländer und 22 deutsche Staatsangehörige) arbeitsvertragsbrüchig geworden. Gegen Ausländer wurden 12 Verwarnungen und 448 Geldbußen verhängt, gegen deutsche Staatsangehörige 11 Verwarnungen und 105 Geldbußen. Strafanträge wurden gegen 203 Ausländer und 57 deutsche Staatsangehörige eingereicht. Beim Schnellstrafverfahren am 20.07.1943 wurden 58 Verhandlungen angesetzt und 48 verhandelt. Verhängt wurden neben Geldbußen 491 Tage Haftstrafen gegen Ausländer und 24 Tage gegen deutsche Staatsangehörige. Gegen Ausländer wurden 90 Wochen Arbeitserziehungslager und gegen deutsche Staatsangehörige 9 Monate Gefängnis verhängt.

577 NARA, M F T - 8 3 / 7 7 , S. 8 f.

250

Michaela C. Schober

Maßnahmen gesamt Anzahl der Maßnahmen Maßnahme

Männer

Arbeitserziehungslager 54 Betriebsstrafe i Festnahme durch die Gestapo i Gefängnis 9 Gefängnis und AEL 2 Geldbuße 735 Haft 13 Jugendarrest 2 KZ 3 Ordnungsstrafe 39 Polizeigefangnis 4 Schriftliche Verwarnung 47 Schutzhaft 25 Schutzhaft bzw. AEL 13 Strafantrag und Uberstellung zur Gestapo 1 Strenge schriftliche Verwarnung 2 Strenge Verwarnung 1 J Verwarnung 7 Zwangsarbeit 0 Zwangsarbeit mit Arrest 2 Zwangsarbeit und Rauchwarenentzug 1

Frauen

Anzahl der Betroffenen

Gesamt

Männer

54 1 1 10

54 1 1

0 0 0 1 0 66

4 3 3 9 1

0 0 0 1 0 40

9 2

801 17

4 0 0

Frauen

445 13 2

3 43 7 5° 34 14

3 39 4 46

1

1 2 1

4 13

0 1 0 1 1 2

3 1 18 1 4

0 2

0

1

1

54 1 1 10 2 485 17 2

4 0 0

2

Ges

4 2

3 43 6

3 8 1

49 32 H

0 1 0 1 1 2

3 i 18 1

0

1

1

4

Maßnahmen Ausländer Anzahl Maßnahmen Nationalität

Maßnahme

Belgien

Bulgarien

Frankreich

M

F

Arbeitserziehungslager Geldbuße

1 2

Geldbuße Schriftliche Verwarnung Verwarnung

2

Arbeitserziehungslager Gefängnis Gefängnis und AEL Geldbuße

Betroffene

G

M

F

G

0

1

5

7

1 1

0 1

1 2

2

3 1

0 0 0

2 2 1

0 0 0

2 2 1

3 1 i

0 0 0

2

3

3 1 1 88

0 0 0

159

23 1 1 162

3

91

2

3 1 2

3 1 1

Statistikbericht

251

Maßnahmen Ausländer Anzahl Maßnahmen Nationalität

Generalgouvernement

Griechenland

Italien

Betroffene

Maßnahme

M

F

G

M

F

Haft KZ Ordnungsstrafe Schriftliche Verwarnung Schutzhaft Schutzhaft bzw. AEL Strafantrag u. Überstellung zur Gestapo Verwarnung

5 1 10 6

2 0 1 0 5 1

5 1 10 6 6

1 0 1 0

7 3

7 1 11 6 12 4

3

5 1

i i

o o

i i

i i

o o

Arbeitserziehungslager Geldbuße Arbeitserziehungslager Geldbuße Ordnungsstrafe Polizeigefängnis Schriftliche Verwarnung Schutzhaft Verwarnung Arbeitserziehungslager Geldbuße Haft Ordnungsstrafe Polizeigefängnis Schriftliche Verwarnung Schutzhaft Schutzhaft bzw. AEL Verwarnung

2 2 6 33 2 1 2 2 1

0 0 0 1 0 0 1 0 0

2 2

2 2

6 34 2 1

6 7

l

0 0

2 2

3 3° 1

3 51 1

3 28 1

4 2

4 2

5 1 1

5 1 1

3

0 2 0 0 0 0 0 0 0

3

3

0 2 0 0 0 0 0 0 0

5 1 1

i i

6 18 2 1

3 2 1

4 2

4

0 1 0 0 1 0 0

2 1 2 2 1

3 49 1

7 1 11 6 11

3 2 1

4 2 5 1 1 3

Kroatien

Geldbuße Schutzhaft

5 0

5 2

10 2

4 0

1 1

S 1

Lothringen

Geldbuße

4

0

4

4

0

4

Niederlande

Arbeitserziehungslager Geldbuße Schutzhaft Schutzhaft bzw. AEL

1 6 2 1

0 0 0 0

1 6 2 1

1

0 0 0 0

1

5 2 1

5 2 1

Michaela C. Schober Maßnahmen Ausländer Anzahl Maßnahmen

Betroffene

Nationalität

Maßnahme

M

F

G

M

F

G

Polen

Arbeitserziehungslager Geldbuße Ordnungsstrafe Schutzhaft bzw. AEL Strenge schriftliche Verwarnung

3 14 2 1 o

° 3 1 o 1

3 17 3 1 1

3 11 2 1 o

° 1 1 o 1

3 12 3 1 o

Polnische Ukraine

Arbeitserziehungslager Geldbuße

Protektorat

Arbeitserziehungslager Geldbuße Haft Ordnungsstrafe Schriftliche Verwarnung Schutzhaft Schutzhaft bzw. AEL Verwarnung

Rumänien

Geldbuße Schriftliche Verwarnung Schutzhaft

2 6

0 0

7 90 1

0

2 4

7 90 1

o o 8 2 2 4 6

5 1 1

2 6

0 0 0 0 0

8 2 2 4 6 3 1 1

o 12 1 o o o 1 o

1 46 2 1 1 1 1 1

1 11 1 1 1 o 2

o 8 o 3 2 1 1

1 9

o 1

Arbeitserziehungslager 1 Geldbuße 34 Haft 1 KZ 1 Schriftliche Verwarnung 1 Verwarnung 1 Zwangsarbeit mit Arrest o Zwangsarbeit u. Rauchwarenentzug 1

Russische Ukraine

Festnahme durch die Gestapo Geldbuße Haft Polizeigefängnis Schriftliche Verwarnung Zwangsarbeit Zwangsarbeit mit Arrest

Serbien

Arbeitserziehungslager Geldbuße

0

7 57 1 8 2 2 4 6

o o 8 2 2 4 6

5 1 2

Rußland

2 4

7 57 1

o 1

0

0 0

0 0 0 0 0

o 1

3 1 2

1 24 1 i 1 1 o 1

o 6 1 o o o 1 o

1 30 2 1 1 1 1 1

1 19 1 4 3 1 3

1 7 1 1 1 o 2

o 8 o 2 2 1 1

1 15 1 3 3 1 3

1 10

1 5

o 1

1 6

0

Statistikbericht

2 53

Maßnahmen Ausländer Anzahl Maßnahmen Nationalität

Maßnahme

Slowakei

Betroffene

M

F

G

M

F

G

Geldbuße Schriftliche Verwarnung Schutzhaft

7 i i

o o o

7 i i

3 i i

o 0 o

3 i i

Slowenien

Geldbuße

i

o

i

i

0

i

Spanien

Arbeitserziehungslager Geldbuße Ordnungsstrafe Schutzhaft Schutzhaft bzw. AEL

i

i

3 2 6

3 2 6

0 0 o 0

3 2 6

3

o 0 o o o

i

3 2 6

3

3

o

3

Staatenlos

Geldbuße

o

2

2

i

1

i

Ukraine

Geldbuße Ordnungsstrafe Schriftliche Verwarnung

IO

0

IO

I

I

I

o

I

7 o i

0

o

o

7 i i

Geldbuße Haft Ordnungsstrafe Schriftliche Verwarnung Schutzhaft Verwarnung

7

4 0 o 0

II

6

I

i

I

i

I

i

0 o o

7

I

Ungarn

i i i

i

1

i i

i

o

I

I

o

I

i

I

o

I

i

o

i

Maßnahmen - deutsche Staatsangehörige Anzahl der Maßnahmen Maßnahme Arbeitserziehungslager Betriebsstrafe Gefängnis Gefängnis und AEL Geldbuße Haft Jugendarrest KZ Ordnungsstrafe Schriftliche Verwarnung Schutzhaft

Anzahl der Betroffenen

Männer

Frauen

Gesamt

Männer

Frauen

Gesamt

3 i

0 0 1 0

3 1

3 1

3 1

9 1

8

1

0 0 1 0

18

291

162

12

1 0 0 1 0 0

4

3

2

2

1

1

9

8

22

22

3

3

1 0 0 1 0 0

8

i ^73 3 2

1 8

22

3

9 1 '74 4 2

1 9 22

3

254

Michaela C. Schober

Maßnahmen - deutsche Staatsangehörige Anzahl der Maßnahmen Maßnahme Strenge schriftliche Verwarnung Strenge Verwarnung Verwarnung

Männer

Frauen 2

1 3

Anzähl der Betroffenen

Gesamt 0

o 1

Männer 2

1 4

Frauen

2

0

1 3

o 1

Gesamt 2 1 4

Maßnahmen - keine Angabe der Staatsangehörigkeit Anzahl der Maßnahmen Maßnahme Geldbuße Schriftliche Verwarnung Ordnungsstrafe

Männer

Frauen 3

1

Gesamt 2

o 2

Anzahl der Betroffenen Männer 5

1 0

Frauen

1 1

2

2

3 1

0

2

o 2

Gesamt

Die oben genannten Zahlen stammen von den vorhandenen Strafverfugungen. Daneben finden sich in den Anmerkungen und als Entlassungsgrund578 noch weitere: Anmerkungen Arbeitserziehungslager :579 9 Ausländer (1 Italiener, 2 Franzosen, 2 Protektoratsangehöriger, 1 Kroate, 1 Pole und 1 Beschäftigter aus der russischen Ukraine), für die weder eine Strafverfüigung vorhanden ist, noch das Arbeitserziehungslager als Entlassungsgrund aufscheint bzw. ein solches Formular überhaupt fehlt. Dazu kommt noch ein deutscher Staatsangehöriger. Der Italiener, der Pole und der Ukrainer starben im Arbeitserziehungslager. Bei einem Franzosen und einem Protektoratsangehörigen sollte eine neuerliche Untersuchung wegen Arbeitsvertragsbruchs stattfinden bzw. es hieß „vertagt zur Überprüfung". Bei negativem Ergebnis sollte eine Einweisung in ein Arbeitserziehungslager erfolgen.

578 Siehe ebendort. 579 Ein Grieche war vor seinem Eintritt in die E W O in einem Arbeitserziehungslager.

Statistikbericht

2

55

Haft: 118 Für 16 Arbeitskräfte sind auch mit dieser Begründung Endassungsanträge bzw. Austrittsmitteilungen vorhanden. Etwa ein Fünftel waren Frauen. In der Mehrzahl waren es Ausländer (Polen, Russen, Ukrainer, Franzosen, Italiener und Protektoratsangehörige). Bei einigen ist auch eine Strafverfügung für die in Frage kommende Zeit der Haft vorhanden (Haft, Arbeitserziehungslager, Polizeigefängnis etc.). Arbeitsflucht/Arbeitsvertragsbruch: 1 3 1 0 Berücksichtigt man jene Personen, bei denen das auch der Entlassungsgrund war, so reduziert sich die Anzahl in den Anmerkungen auf 444. Außerdem wurden 725 Beschäftigten die Weihnachtsgratifikation entzogen.580 1942 wurde 58 Beschäftigten (darunter keine Frauen), und zwar 45 Ausländern (u. a. 14 Bulgaren, 14 Italienern und 8 Protektoratsangehörigen), 10 deutschen Staatsangehörigen und 3 Volksdeutschen, die Gratifikation wegen Verstoßes gegen die Arbeitsdisziplin entzogen. 1943 erhielten 468 Beschäftigte (darunter 17 Frauen 5 ® 1 ) wegen Bummelei oder Blaumachens diese Zuwendung nicht. Es handelte sich dabei um 382 Ausländer (u. a. 139 Protektoratsangehörige, 112 Franzosen, 37 Italiener, 32 Bulgaren, 14 Polen, 13 Lothringer und 2 Ukrainer). Davon betroffen waren 62 deutsche Staatsangehörige, 23 Volksdeutsche und ein Beschäftigter aus dem Buchenland. 1944 wurde wegen pflichtwidrigen Verhaltens 199 Personen (darunter 19 Frauen) die Weihnachtsgratifikation entzogen, und zwar 175 Ausländern (u. a. 32 Protektoratsangehörigen, 29 Griechen, 24 Italienern582, 26 Russen, 14 nur als Ostarbeiter bezeichneten Beschäftigten), 24 deutschen Staatsangehörigen und 6 Volksdeutschen.

580 Historisches Archiv der V O E S T A L P I N E A G , Linz, Ordner Sonderzahlungen WR bis 1956. 581 Bei einer Frau wurde die Nationalitat „D.R." mit einem Fragezeichen versehen. 582 Vom Namen her müßte ein Italiener den Griechen zugerechnet werden.

25 6

Michaela C. Schober

Strafgründe Strafgründe gesamt (Anzahl der betroffenen Personen) Strafgrund Anstandsverletzung Arbeitsflucht Arbeitsfriedensbruch/Gehorsamsverweigerung Arbeitsvertragsbruch Arbeitsverweigerung Beleidigung Betrügerische Absicht Bummelei Bummelei und fehlt unentschuldigt Bummelei/mangelndes Vorbild Dienstvernachlässigung Disziplinlosigkeit Eigenmächtiges Nehmen von Freizeit Eigenmächtiges Verlängern des Urlaubs Einbruchsdiebstahl Fahrlässigkeit Falsches Verhalten Gefährdung der Arbeitsdisziplin Grobe Fahrlässigkeit Materialmißbrauch Minderwertige Arbeit Nichtabgabe von Lebensmittelmarken Nichtbefolgung von Anordnungen Nichteinhalten des Urlaubsendes Ohne gültigen Ausweis angetroffen Pflichtverletzung Pflichtverletzung und fehlt unentschuldigt Pfuscharbeit Schlafen während der Arbeitszeit Schlafen/Unbotmäßiges Verhalten Tädichkeiten Tädichkeiten u. Verlassen des Arbeitsplatzes Terminversäumnis Überschreiten der Pause Unachtsamkeit bei der Arbeit Unentschuldigtes Fembleiben vom Arbeitsplatz Unerlaubtes Entfernen vom Arbeitsplatz Unerlaubtes Entfernen/Unentschuldigtes Fehlen Ungebührliches Verhalten Unsachgemäße Arbeit Unzuverlässigkeit

Männer

Frauen

Gesamt

2

0 0 0

2

5 i 135 IO

i 4 S 0 i 3 4 2 3 3 5 2

3 0 0 0 2 0 0 0 0 0 1

5 1 149 r

3 1 4 5 2 1 3 4 2

I

0

3 4 5 2 1

I

0

1

I

0

1

5

0

i

0

5 1

IO

0

10

2

0

I

1

9

0

i

1

0 0

i

0

33 2 2

0

I

0

4 2

0

0 0

0 0

5 279 46

28

I

0

3

6

1

7 3

0 0

2 2 9 2 1 33 2 2 1 4 2 5 3°7 49 1 7 7 3

257

Statistikbericht Strafgründe gesamt (Anzahl der betroffenen Personen) Männer

Strafgrund Unzuverlässigkeit/Zuspätkommen Urkundenfälschung Verfehlungen Verlassen der Arbeitsstelle durch ein Fenster Verlassen des Kranes Vernachlässigung der Aufsichtspflicht Verstoß Verstoß gegen die Arbeitsdisziplin Verstoß gegen die Arbeitsordnung Verstoß gegen die Betriebsordnung Verstoß gegen die Wachvorschriften Vorzeitige Beendigung der Arbeit Vorzeitiges Entfernen vom Arbeitsplatz Widerrechtliche Benutzung eines Durchgangs Widersetzlichkeit gegen Vorgesetzte Wiederholte Arbeitsverweigerung Wiederholtes Fernbleiben Wiederholtes Zuspätkommen Zuspätkommen Zuspätkommen und fehlt unentschuldigt Zuspätkommen/Vorzeitiges Verlassen des Arbeitsplatzes

Frauen

7 1 11 2 1 2 4 12 21 20 2 4 12 1 1 2 2

9 11 40 2 1

Gesamt

0 1 0 0 1 0 1 0

7 2 11 2 2 2

3 1 0 0 2 0 0 1

2 4 21 2

5 12

4 14 1 1 3 34 11

5 0 2 0 0

4* 2 1

Strafgründe Ausländer Nationalität

Strafgrund

Männer

Frauen

Gesamt

Belgien

Arbeitsvertragsbruch Arbeitsverweigerung Unentschuldigtes Fembleiben vom Arbeitsplatz Wiederholte Arbeitsverweigerung

1 0 1 0

0 1 1 1

1 1 2 1

Bulgarien

Unentschuldigtes Fembleiben vom Arbeitsplatz Verstoß gegen die Betriebsordnung Wiederholtes Fembleiben

3 1 1

0 0 0

3 1 1

Frankreich

Arbeitsflucht Arbeitsvertragsbruch Arbeitsverweigerung Beleidigung Betrügerische Absicht Bummelei Dienstvernachlässigung

4 39 3 1 1 2 1

0

4 46

7 0 0 0 0 0

3 i 1 2 1

258

Michaela C. Schober

Strafgründe Ausländer Nationalität

Strafgrund Disziplinlosigkeit Einbruchsdiebstahl Minderwertige Arbeit Nichtbefolgung von Anordnungen Pflichtverletzung Pflichtverletzung und fehlt unentschuldigt Schlafen während der Arbeitszeit Terminversäumnis Unentschuldigtes Fembleiben vom Arbeitsplatz Unerlaubtes Entfernen vom Arbeitsplatz Unzuverlässigkeit Unzuverlässigkeit/Zuspätkommen Verfehlungen Verlassen der Arbeitsstelle durch ein Fenster Verstoß gegen die Arbeitsordnung Verstoß gegen die Betriebsordnung Widerrechtliche Benutzung eines Durchgangs Wiederholtes Fernbleiben Zuspätkommen Zuspätkommen und fehlt unentschuldigt

Generalgouvernement

Griechenland

Italien

Arbeitsvertragsbruch Fahrlässigkeit Zuspätkommen Arbeitsvertragsbruch Fahrlässigkeit Pflichtverletzung Schlafen während der Arbeitszeit Unachtsamkeit bei der Arbeit Unentschuldigtes Fernbleiben vom Arbeitsplatz Unerlaubtes Entfernen vom Arbeitsplatz Unzuverlässigkeit/Zuspätkommen Verfehlungen Vorzeitiges Entfernen vom Arbeitsplatz Wiederholtes Fernbleiben Wiederholtes Zuspätkommen Zuspätkommen Arbeitsvertragsbruch Arbeitsverweigerung Betrügerische Absicht Ohne gültigen Ausweis angetroffen Schlafen während der Arbeitszeit

Männer

Frauen

Gesamt

1 2

0 1 0 0 0 0 0 0

1

3 1 1 1 8 1 60 12 1 2

3 3 1 1 1 1 63 12 1

4 H 1

3 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

2 i 1

0 0 0

2 1 1

9 1 1 1 1 11

9 1 1 1 1 12

3

0 0 0 0 0 1 0 0 0 1 0 0 0

8 2 1 0 1

0 0 0 1 0

8 2 1 1 1

5 1 6 1 1

3 1 2 0 1 1

5 1 1 1 4 14 1

3 1 2 1 1 1 3

Statistikbericht

259

Strafgründe Ausländer Nationalität

Strafgrund

Männer

Frauen

Gesamt

Unentschuldigtes Fernbleiben vom Arbeitsplatz Unerlaubtes Entfernen vom Arbeitsplatz Unzuverlässigkeit/Zuspätkommen Verfehlungen Verstoß gegen die Betriebsordnung Wiederholtes Fernbleiben Wiederholtes Zuspätkommen Zuspätkommen

22 2 1 2 2

Arbeitsvertragsbruch Schlafen/Unbotmäßiges Verhalten Unentschuldigtes Fernbleiben vom Arbeitsplatz Verstoß gegen die Arbeitsordnung Vorzeitige Beendigung der Arbeit Wiederholte Arbeitsverweigerung Wiederholtes Fernbleiben

0 1 2 0 1 1 0

1 0 1 1 0 0 1

3 1 1 1 1

Lothringen

Unentschuldigtes Fernbleiben vom Arbeitsplatz

4

0

4

Niederlande

Arbeitsvertragsbruch Ohne gültigen Ausweis angetroffen Schlafen während der Arbeitszeit Unentschuldigtes Fernbleiben vom Arbeitsplatz Unzuverlässigkeit/Zuspätkommen

4 1 1

0 0 0 0 0

4 1 1

Kroatien

Polen

Polnische Ukraine

Protektorat

Arbeitsvertragsbruch Unentschuldigtes Fernbleiben vom Arbeitsplatz Zuspätkommen

1 0 0 0 0 0 0 0

5 i 2

3 1 6 9

3 1

0

1 1 1

o o o

Arbeitsvertragsbruch Arbeitsverweigerung Betrügerische Absicht Bummelei Minderwertige Arbeit Nichtabgabe von Lebensmittelmarken Nichteinhalten des Urlaubsendes Schlafen während der Arbeitszeit Unentschuldigtes Fernbleiben vom Arbeitsplatz

20

0 0 0 0 0 0 0 0 0

4

36

1 1

1

Arbeitsflucht Arbeitsvertragsbruch Unentschuldigtes Fernbleiben vom Arbeitsplatz Zuspätkommen

3 2 1 2 2 5 1 2

1 2

3 1 i 1 1 1 2

2

0

7 10 2

1 1 4 1 20 3 1 1 1 1 1 2 36

2ÖO

Michaela C. Schober

Strafgründe Ausländer Nationalität

Strafgrund

Männer

Frauen

Gesamt

2 2

o o o

2 2

0

3 7 5

Unerlaubtes Entfernen vom Arbeitsplatz Ungebührliches Verhalten Unzuverlässigkeit/Zuspätkommen Verstoß gegen die Arbeitsdisziplin Verstoß gegen die Arbeitsordnung Verstoß gegen die Betriebsordnung Wiederholte Arbeitsverweigerung Wiederholtes Fernbleiben Zuspätkommen Zuspätkommen und fehlt unentschuldigt Rumänien

Rußland

Russ. Ukraine

Serbien

I

3 7 5

Arbeitsvertragsbruch Nichtbefolgung von Anordnungen Unentschuldigtes Fernbleiben vom Arbeitsplatz Unerlaubtes Entfernen vom Arbeitsplatz Verstoß gegen die Betriebsordnung Arbeitsvertragsbruch Arbeitsverweigerung Minderwertige Arbeit Pflichtverletzung und fehlt unentschuldigt Schlafen während der Arbeitszeit Unentschuldigtes Fernbleiben vom Arbeitsplatz

0

i

6

6

i

o o

i

0

i

i

I

2

i

I

o o o o

2

o

2

I

0

I

I

o

I

o

I

I

I

0

3

5 o o

2

UnZuverlässigkeit

i

Verstoß gegen die Arbeitsdisziplin Verstoß gegen die Betriebsordnung Wiederholtes Fernbleiben Zuspätkommen

2

Anstandsverletzung Arbeitsverweigerung Bummelei und fehlt unentschuldigt Fahrlässigkeit Schlafen während der Arbeitszeit Unentschuldigtes Fembleiben vom Arbeitsplatz Unerlaubtes Entfernen vom Arbeitsplatz Urkundenfälschung Verlassen des Kranes Vorzeitiges Entfernen vom Arbeitsplatz Arbeitsvertragsbruch Unentschuldigtes Fernbleiben vom Arbeitsplatz Verstoß gegen die Arbeitsdisziplin Verstoß gegen die Arbeitsordnung

0

i

2

2

o

I

i

I

2 2 I

I

28 I

2

2

I

I

2

3 3

I

I

2

I

0

1

I

I

2

0

2

2

2

o

2

2

0

4

2

8

2

4 2

O

I

4 1

I

I

2

I

I

2

I

o

1 6 1 1

I I

o

I

o

Statistikbericht

2ÖI

Strafgründe Ausländer Nationalität

Strafgrund

Männer

Frauen

Slowakei

Eigenmächtiges Verlängern des Urlaubs Unachtsamkeit bei der Arbeit Unentschuldigtes Fernbleiben vom Arbeitsplatz Verstoß gegen die Betriebsordnung

1 1

o o

1

o

Slowenien

Unentschuldigtes Fernbleiben vom Arbeitsplatz

1

o

Spanien

Arbeitsvertragsbruch Unentschuldigtes Fernbleiben vom Arbeitsplatz

13 2

o o

Staatenlos

Unentschuldigtes Fembleiben vom Arbeitsplatz

o

1

Ukraine

Arbeitsvertragsbruch Nichtbefolgung von Anordnungen Schlafen während der Arbeitszeit Unentschuldigtes Fernbleiben vom Arbeitsplatz Verstoß gegen die Arbeitsordnung Verstoß gegen die Betriebsordnung Wiederholtes Fernbleiben

o 2 1 2 1 3 1

1 o o o o o o

Ungarn

Arbeitsvertragsbruch Einbruchsdiebstahl Tätlichkeiten und Verlassen des Arbeitsplatzes Unentschuldigtes Fernbleiben vom Arbeitsplatz Unerlaubtes Entfernen vom Arbeitsplatz Zuspätkommen

2 1 1 3 2 o

1 o o 1 o 1

3

0

Strafgründe - deutsche Staatsangehörige Strafgrund Anstandsverletzung Arbeitsfriedensbruch/Gehorsamsverweigerung Arbeitsvertragsbruch Arbeitsverweigerung Betrügerische Absicht Bummelei Bummelei/mangelndes Vorbild Dienstvernachlässigung Disziplinlosigkeit Eigenmächtiges Nehmen von Freizeit Eigenmächtes Verlängern des Urlaubs Fahrlässigkeit Falsches Verhalten

Männer

Frauen

Gesamt

1

0 0 2 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0

1 1

1 25 0 1 2 1 2 3 2 2 1 2

2

7 1 1 2 1 2 3 2 2 1 2

Gesamt 1 1 3 1

1

262

Michaela C. Schober

Strafgründe - deutsche Staatsangehörige Strafgrund Gefährdung der Arbeitsdisziplin Grobe Fahrlässigkeit Materialmißbrauch Nichtbefolgung von Anordnungen Nichteinhalten des Urlaubsendes Pflichtverletzung Pfuscharbeit Schlafen während der Arbeitszeit Schlafen/Unbotmäßiges Verhalten Tädichkeiten Terminversäumnis Uberschreiten der Pause Unachtsamkeit bei der Arbeit Unentschuldigtes Fernbleiben vom Arbeitsplatz Unerlaubtes Entfernen vom Arbeitsplatz Unerlaubtes Entfernen/Unentschuldigtes Fehlen Ungebührliches Verhalten Unsachgemäße Arbeit Unzuverlässigkeit Unzuverlässigkeit/Zuspätkommen Urkundenfälschung Verfehlungen Verlassen der Arbeitsstelle durch ein Fenster Vernachlässigung der Aufsichtspflicht Verstoß Verstoß gegen die Arbeitsdisziplin Verstoß gegen die Arbeitsordnung Verstoß gegen die Betriebsordnung Verstoß gegen die Wachvorschriften Vorzeitige Beendigung der Arbeit Vorzeitiges Entfernen vom Arbeitsplatz Widersetzlichkeit gegen Vorgesetzte Wiederholtes Fernbleiben Wiederholtes Zuspätkommen Zuspätkommen Zuspätkommen/ Vorzeitiges Verlassen des Arbeitsplatzes

Männer

Frauen

Gesamt

i i i 6 i

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

1 1 1 6 1

7 i !5 i 2 3 2 3 78 21 1

9 >4

7 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 1 0 2 0 0 0 0 0 2 0 0

1

0

4 7 1 i i 2 1 2 3 6 6 4 2 3 11 1 10

7 1 15 1 2 3 2 3 85 21 1 5 7 1 1 1 2 1 2 4 6 8 4 2 3 11 1 12 9 14 1

Statistikbericht

263

Strafgründe - keine Angabe der Nationalität Strafgrund

Männer

Frauen

Arbeitsvertragsbruch

1

o

Schlafen während der Arbeitszeit

1

o

Unentschuldigtes Fernbleiben vom Arbeitsplatz

1

Gesamt 1 1 1

2

Unerlaubtes Entfernen vom Arbeitsplatz

o

1

1

Verstoß

1

o

1

Zuspätkommen

1

o

1

S. f»

Strafverfügune

lag* gfififl«

.45 * * j

| Stundenlohn RM ^UsdUj^vvrktitatti, w«rv 2«ht der Kinder: . PienilverpHidilet: Ja

sihriftitther Verwarcjpr>g einef Gfidfeufte H9

100,0%

gesamt

Quelle: Statusbericht, a. a. O., S 1 7 7 ff.

Der Betrag von 196 Millionen R M entspricht einem Gegenwartswert (bezogen auf das Jahr 2000) von ca. 9 Milliarden Schilling.705

reichische Eisen- und Stahlwerke Aktiengesellschaft, Linz a. d. Donau, erstellt im Auftrage des Bundesministeriums für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung von Dr. H . Richter-Bohm, Wien 1947, Historisches Archiv der VOEST ALPINE A G , Linz. 704 Unter dieser Zahl ist auch das Kraftwerk in Ternberg mit ca. 6,6 Millionen R M inkludiert. Ebenda, S 2 21 f. 705 Nach Angaben der Oesterreichischen Nationalbank entspricht der Wert einer investierten R M aus folgenden Jahren einer Summe in Schillingen im Jahr 2000:1939: 54,5 A T S , 1940: 53 A T S , 1 9 4 1 , 1 9 4 2 , 1 9 4 3 : 52 A T S , 1944: 5 1 A T S , 1945: 4 5 - 4 8 A T S . Die Verwendung des KJeinhandelspreisindex bzw. des Verbraucherpreisindex zur Berechnung des Gegenwartswertes einer Investitionssumme ist als Annäherung und grobe Orientierung und nicht als exakte Wertberechnung zu verstehen. Ein anderer Preisindex ist für die Jahre 1938 bis 1945 nicht verfugbar. Vgl. auch: Statistik Austria, Umrechnungsformeln historischer Währungen sowie die Tabelle KJeinhandelspreisindex (Basis: März 1 9 3 8 = 100).

Aus ökonomischer Sicht: Die Bedeutung des Einsatzes ausländischer Arbeitskräfte, ...

329

Die Abschreibungen setzten sich aus den normalen Abschreibungen, den Abschreibungen verlorener Zuschüsse und den Wertminderungen durch Kriegsschäden zusammen. Bei der Hütte Linz wurde ein Betrag von 176,4 Millionen R M als verlorene Zuschüsse (nicht rückzahlbare Zuschüsse des Deutschen Reiches für den Aufbau) auf die Anlagen abgeschrieben.706 Die Eisenwerke brachten einen Betrag von 1 1 1 , 8 Millionen R M zur Absetzung.707 Rechnet man diese Abschreibungen zum Buchwert dazu, ergibt dies eine Summe von 484,2 Millionen RM. Dies würde wiederum einem Gegenwartswert von ca. 23 Milliarden Schilling entsprechen. Bis Kriegsende meldeten die Eisen- und Stahlwerke in Linz Kriegsschäden in der Höhe von insgesamt 80,8 Millionen RM. Die Meldungen der Hütte waren dabei nicht vollständig. Bei einer Bewertung der Schäden zum Wiederbeschaffungswert von 1945 wurde eine Höhe von 147,4 Millionen R M errechnet. In diesen Zahlen waren auch sogenannte Stillstandsschäden und Nutzungsschäden inbegriffen, welche aufgrund unsachgemäßer Nutzung durch Kriegseinwirkungen (Abnützung, weil Wartungsarbeiten ausgesetzt wurden etc.) entstanden sind. Nach diesen Aufstellungen wurden von 1938 bis Mai 1945 insgesamt Investitionen von schätzungsweise 600 Millionen R M getätigt. Dies entspricht einem Gegenwartswert von ca. 31 Milliarden Schilling im Jahr 2000.708 Durch Abschreibung der verlorenen Zuschüsse (167,4 und 111,8 Millionen RM), normale Abschreibungen von 60 Millionen R M und Abschreibungen von Kriegsschäden (ca. 50 Millionen RM) errechnete sich somit ein Buchwert von 196 Millionen RM. 709

5 . W I R T S C H A F T S L E I S T U N G DER B E T R I E B E Bei der Schätzung der geschaffenen Anlagenwerte und der wirtschafüichen Leistungsfähigkeit sind die damaligen Rahmenbedingungen des Krieges und der Kriegswirtschaft zu berücksichtigen. Den Kosten und Erlösen standen keine Marktpreise, sondern regulierte Preise zugrunde. Dabei handelte es sich um Preisrelationen, die sich aus der Vergangenheit herleiteten. Die Investitionen wurden nach Gesichtspunkten der rüstungspolitischen Notwendigkeiten getätigt und entsprachen nicht einer marktwirtschaftlichen

706 Statusbericht, a. a. O., S. 40. 707 Ebenda, S. 44. 708 Berechnet nach Angaben der Oesterreichischen Nationalbank (siehe Anmerkung 705). 709 Statusbericht, a. a. O., S. 217 f., S. 262 f., S. 276 f., S. 313 f. Die Abschreibungen von Kriegsschäden sind bei der Hütte Linz aufgrund von fehlenden Unterlagen nicht bekannt. Sie wurden hier etwa gleich jenen der Eisenwerke angenommen.

Josef Moser

33°

Logik. Die Aufbaukosten wurden großteils von der öffendichen Hand getragen.710 Hätten die Betriebe nach rein marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten investiert und produziert, hätte die Bilanzierung anders gestaltet und manche Investitionen anders bewertet werden müssen. Insofern mag es auch nicht wundern, daß die einzelnen Betriebe stets ausgeglichen bilanzierten. Die Hütte Linz wies beispielsweise 1941 ihren größten Verlust mit 4 Millionen R M auf. 7 " Dieser wurde im Jahr darauf durch einen Uberschuß von 3,4 Millionen R M großteils wieder abgedeckt. Ebenfalls stets ausgeglichen bilanzierten die Eisenwerke und der Stahlbau.

5.1. Die Umsatzentwicklung der einzelnen Werke Eine erste Kennzahl der wirtschaftlichen Leistung von Unternehmen stellt die Umsatzentwicklung dar. Aus der Zusammenstellung ist ersichtlich, welche Bedeutung vor allem den Eisenwerken Oberdonau, deren Rüstungsproduktion ab 1943 verstärkt anlief, zukam. 1944 erreichte der Umsatz aller Werke 285 Millionen RM, dies entspricht einem Gegenwartswert von ca. 14,8 Milliarden ATS. 712 Tab. 4: Umsatzentwicklung (Nettoumsatz in Millionen RM) Hütte Linz

m9 1940 1941 1942 '943 1944

Stahlbau

5,9 15.4 23,8

0,15

45.9 81,0

8,4 8,6

83.3

5.0

1.7 6,1

EWO

Summe 6,05

0,05 7>° 29,2 110,5 196,8

17.15 36,9 83.5 200,1 285,1

Quelle: Statusbericht, a. a. O. S 20 ff.

710 Bis Kriegsende wurde ein Gesamtdarlehen von 672 Millionen R M angegeben, wobei 400 Millionen R M reine Zuschüsse darstellten (wovon wiederum 168 Millionen zur Kapitalerhöhung abgezweigt wurden). Auf die Hütte Linz entfielen 319 Millionen RM. Für den Aufbau der Eisenwerke flössen durch das Oberkommando der Wehrmacht ca. 204 Millionen R M zu. Ebenda, S. 40 und S. 44. 711 Dies würde einem Wert von ca. 200 Millionen ATS im Jahr 2000 entsprechen (siehe Anmerkung 705). 712 Die hier errechnete Umsatzzahl entspricht nicht dem konsolidierten Konzernumsatz, sondern der Summe der Umsätze aller Werke. Es sind somit Leistungen, welche konzernintern (also zwischen den einzelnen Werken) erstellt wurden, auch enthalten. Der konsolidierte Umsatz wäre demnach niedriger anzusetzen.

Aus ökonomischer Sicht: Die Bedeutung des Einsatzes ausländischer Arbeitskräfte,

331

Zum Vergleich sei hier angeführt, daß der Umsatz der ehemaligen Alpine Montan AG, welche die wesendichen Eisen- und Stahlwerke Österreichs vor 1938 umfaßte, 1943 mit 153 Millionen RM den höchsten Wert erreichte. 1938 wies die Alpine Montan A G einen Umsatz von 118 Millionen R M aus.7'3

5.2. Die Wertschöpfimg der Linzer Werke Ein besseres Maß der Wirtschaftsleistung eines Unternehmens und seiner Beschäftigten stellt die Berechnung der Wertschöpfung dar7'4. Dies ist ein Maß für die im Betrieb im Laufe eines Geschäftsjahres erzeugten Werte. Trotz lückenhafter Datenlage kann ein Eindruck über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unter den gegebenen Rahmenbedingungen aufgezeigt werden. Die Wortschöpfung stellt gewissermaßen den Beitrag eines Betriebes zum Bruttoregionalprodukt (dies ist wiederum der Anteil der Region am Bruttosozialprodukt) dar. Bei der Annahme, daß das Bruttoregionalprodukt ca. 1 bis 1,2 Milliarden RM betrug, hätten die Eisen- und Stahlwerke in Linz einen Beitrag von 7 bis 8 Prozent geleistet.71'

Tab. 5: Wertschöpfung in Millionen RM

1939 1940

Hütte Linz

Stahlbau

8,1

°>4

I 3» 1

i.9

1941

r9>7

2.9

1942

28,2

1943 1944

31.4 33.8

EWO

51.2

Quelle: Bilanzen der einzelnen Betriebe, Historisches Archiv VOEST ALPINE AG, Linz.

713 Statusbericht, a. a. O., S 20. 714 Folgende Berechnungsmethode wurde verwendet: Lohnsumme + soziale Aufwendungen und Abgaben + Steuern + Aufwandszinsen + Gewinn + Rücklagen + Abschreibungen. 715 Das gesamte Bruttosozialprodukt des Deutschen Reiches betrug einschließlich der Beiträge aus den besetzten Gebieten 1943/44

Milliarden RM. Vgl. Bölcke, Wilhelm, Kriegsfinanzierung im internatio-

nalen Vergleich, in: Forstmeier, Friedrich, Volkmann, Hans- Erich, Kriegswirtschaft und Rüstung 19391945, Düsseldorf 1977, S. 256. Wenn der Anteil der „Ostmark" daran 4,5 bis 5 Prozent betrug und daran der „Gau Oberdonau" ca. 15 Prozent, dann würde das Bruttoregionalprodukt ca. 1 bis 1,2 Milliarden RM betragen.

332

Josef Moser

Im letzten Kriegsjahr repräsentierten die Werke ein Potential von ca. 85 Millionen RM. Dies entspricht einem Vergleichswert im Jahr 2000 von ca. 4,3 Milliarden Schilling.716

6 . A N T E I L DER Z W A N G S A R B E I T AM A U F B A U UND DER W E R T S C H Ö P F U N G

Die deutsche Wirtschaft verzeichnete bereits ab 1936 Engpässe an Arbeitskräften. Nach dem ,,Anschluß" 1938 saugten die begonnenen Bauprojekte und der Ausbau der Industrie bis zum Frühjahr 1939 den Arbeitsmarkt in „Oberdonau" leer. Verzeichnete man im Mai 1938 noch 27.000 Arbeitslose, waren es ein Jahr später nur mehr 1.100. Bei der Standortwahl der begonnenen Bauprojekte spielte auch das vermeintliche Arbeitskräftepotential der Region eine wichtige Rolle. Der Gau „Oberdonau" war durch eine eher geringe Industrialisierung und einen hohen Agraranteil gekennzeichnet. Daraus wurden hohe Arbeitskräftereserven für eine verstärkte Industrialisierung abgeleitet. Allerdings stellte sich dies kurzfristig als Trugschluß heraus. Die umfangreichen Bauprojekte erlaubten zwar den Einsatz zahlreicher Hilfskräfte aus der Agrarwirtschaft. Ehemalige Landarbeiter erhofften sich verbesserte Verdienstmöglichkeiten und suchten Beschäftigung in der Bauwirtschaft. Dies führte aber rasch zu Engpässen in der Landwirtschaft, so daß man frühzeitig zu Lenkungsmaßnahmen gezwungen war, um die Ernten in den Jahren 1938 und 1939 sicherzustellen. Um den Arbeitskräftebedarf für die Bauprojekte und für die wachsende Industrieproduktion wie beispielsweise in den Steyr-Werken abzudecken, war man bereits sehr früh auf die Zuwanderung vor allem von qualifizierten Fachkräften aus anderen Regionen angewiesen. Zur Errichtung des geplanten Hüttenwerkes mußte entsprechendes Fachpersonal, wie Techniker, Ingenieure oder leitende Angestellte, vor allem aus dem „Altreich" angeworben werden. Erst ab den mittleren und unteren Führungspositionen (Facharbeiterinnen) waren verstärkt Österreicherinnen anzutreffen.7'7 Die Zahl der unselbständig Beschäftigten betrug im Mai 1939 im Gau-Arbeitsamtsbezirk Oberdonau 275.200. Durch die Einberufungswellen ging die Beschäftigung in Folge zurück und erreichte im Juli 1940 eine Größenordnung von 247.500.718 Bis August 1941 konnte die Beschäftigtenzahl auf 312.360 gesteigert werden und erreichte den Höhepunkt im Sommer 1943 (August: 333.120). Die Unternehmen meldeten im April

7 1 6 Als Vergleich dazu: Der Haushalt des „Gaues Oberdonau" betrug 1939 ca. 4 5 Millionen R M . 717

Diese Struktur blieb bis Kriegsende erhalten. In der unmittelbaren Nachkriegsperiode setzte eine

lt Au-

strifizierung" der Führungsebenen ein. Vgl. Rathkolb, Gesellschaft und Politik, a. a. O., S. 72 f. 7 1 8 Moser, Oberösterreichs Wirtschaft, a. a. O., S. 244 ff. Die Zahl der einberufenen Arbeiter und Angestellten wurde für Sommer 1941 mit 60.800 angegeben.

Aus ökonomischer Sicht: Die Bedeutung des Einsatzes ausländischer Arbeitskräfte,

333

1941 einen Bedarf von 68.600 zusätzlichen Arbeitskräften, wovon 54.700 nicht gedeckt werden konnten. Der höchste Bedarf wurde im April 1942 mit 75.500 gemeldet, welcher wiederum nur zu einem geringen Teil abgedeckt werden konnte. Bis 1943 gelang es, die Zahl der offenen Stellen auf 30.000 zu reduzieren. Die Zahl der inländischen Beschäftigten sank von 276.300 im Mai 1939 auf 239.000 im Mai 1944. Die Bedürfnisse der Bauwirtschaft und der Rüstungsindustrie sollten durch Umlenkungsmaßnahmen, die Mobilisierung inländischer Arbeitskraftreserven und letztlich durch Zuführung ausländischer Arbeitskräfte gedeckt werden. Die Landwirtschaft war durch die Mithilfe von Familienangehörigen gekennzeichnet und benötigte aufgrund der Einberufungen der männlichen Arbeitskräfte nun verstärkt Zuweisungen. Die Zahl der unselbständig Beschäftigten in der Landwirtschaft stieg deshalb von 76.600 (Mai 1939) auf 101.300 (Mai 1944). Es zeigte sich, daß Umlenkungen nur mehr von der Konsumgüterindustrie und nichtrüstungsrelevanten Produktionen möglich waren. In diesen Branchen ging die Beschäftigung insgesamt stark zurück. Die Mobilisierung inländischer Arbeitskraftreserven konzentrierte sich in erster Linie auf Frauen. Die Beschäftigung inländischer Frauen stieg von 91. 600 (Mai 1939) auf 123.300 (Mai 1944). Sie wurden in erster Linie in der Land- und Forstwirtschaft und in Diensdeistungsbranchen eingesetzt, aber auch in der Rüstungsindustrie. Der Aufbau der Eisenindustrie in Linz stand unter starker Konkurrenz weiterer Großbauprojekte im Gau-Arbeitsamtsbezirk. So expandierten die Steyr-Werke massiv (ca. 18.700 Beschäftigte), in Linz entstand ein Chemiewerk (ca. 1.700 Beschäftigte), in Lenzing ein Kunstfaserwerk (ca. 3.100 Beschäftigte) und in Braunau ein Aluminiumwerk (ca. 2.000 Beschäftigte).719 Für all diese Projekte mußten entsprechende Infrastrukturinvestitionen (Kraftwerke, Verkehrswege, Nachrichtennetze, Wohnbauten usw.) errichtet werden. Selbst bei Anwendung drastischer Mittel im Inland, wie weitestgehende Stillegung nicht rüstungsrelevanter Produktionen, wäre eine Weiterfiihrung der Großprojekte fraglich gewesen. Die Frauenbeschäfügung hätte auch mit verstärkten Zwangsmaßnahmen nicht mehr um einen wirklich relevanten Faktor gesteigert werden können. Denn all dies hätte letztlich rasch zu einer massiven Verschlechterung der Lebensbedingungen im Inland geführt und somit die Gefahr sozialer Unruhen und Widerstand gegenüber dem Regime heraufbeschworen. Das fehlende Arbeitsangebot sollte deshalb durch den Einsatz ziviler ausländischer Arbeitskräfte, Kriegsgefangener und KZ-Häftlinge beseitigt werden. Im Mai 1944 verzeichnete das Gau-Arbeitsamt Oberdonau 89.259 zivile ausländische Beschäftigte und 30.225 in der Wirtschaft eingesetzte Kriegsgefangene. Ihr Anteil an der Gesamtbeschäftigung betrug somit 36,4 Prozent. Die ersten zivilen ausländischen Arbeitskräfte wurden zunächst in befreundeten Staaten (Italien, Slowakei) sowie in besetzten Gebieten angeworben. Nach Angaben des zuständigen Wehrwirtschaftsamtes arbeiteten im September 719 Ebenda, S. 206 f.

Josef Moser

334

Russischer Kriegsgefangener

1939 ca. 16.000 Ausländerinnen im Gau Oberdonau.720 Der steigende Bedarf konnte mit den freiwilligen Anwerbungen aber bei weitem nicht gedeckt werden. Nach der militärischen Niederlage Polens kam es erstmals zu Zwangsrekrutierungen in besetzten Gebieten, welche in weiterer Folge insbesondere in Osteuropa oft auch gewaltsam erfolgten. Diskriminierende Sonderregelungen über die Behandlung und Verpflegung nach rassistischen Motiven der NS-Ideologie für die einzelnen Nationalitäten unterstrichen den Zwangscharakter des sogenannten Arbeitseinsatzes seit 1940. Bei Kriegsgefangenen und insbesondere bei KZ-Häftlingen ist dieser Zwangscharakter am deutlichsten ausgeprägt. 721

720 Wirtschaftsbericht des Wehrwirtschaftsamtes Wehrkreis X V I I , September 1939, M F 77/750/1984376, National Archives, Washington, D C . 721 Vgl. Herbert, Ulrich, Fremdarbeiter. Politik und Praxis des „Ausländer-Einsatzes" in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Bonn 1999 (Neuauflage). Die Lebens- und Arbeitsbedingungen unterschieden sich nicht nur durch die jeweilige nationale (im NS-Jargon „rassische") Zugehörigkeit, sondern auch nach Region, Stadt und Land, Wirtschaftssektoren, Branchen und Betrieben oder dem Zeitpunkt des Einsatzes zur Zwangsarbeit und insbesondere durch die Einstellung der jeweiligen Arbeitskollegen, Vorgesetzten oder Dienstgeber. Sie waren einer willkürlichen Behandlung meist schutzlos ausgeliefert.

Aus ökonomischer Sicht: Die Bedeutung des Einsatzes ausländischer Arbeitskräfte,...

335

6.1. Einsatz und Struktur der Arbeitskräfte in den Linzer Eisen- und Stahlwerken Bei der Beschreibung der Beschäftigtenzahlen der einzelnen Werke ist auf unterschiedliche Quellen zurückzugreifen. Allerdings weichen die Angaben manchmal voneinander ab, weil sich die Aufzeichnungen auf verschiedene Grundgesamtheiten beziehen. Unterschiede ergeben sich, je nachdem ob auch die zur Wehrmacht eingezogenen Beschäftigten (welche nach wie vor in den Gehaltslisten gefuhrt wurden) mitgezählt, ob beispielsweise bei der Hütte Linz die Versorgungsbetriebe oder die Hauptverwaltung der Reichswerke Alpine Montan mitberücksichtigt oder die Kriegsgefangenen einbezogen wurden.

Tab. 6: Personal stand aller Betriebe der Reichswerke in Linz (ohne KZ-Häftlinge) Jeweils

Jahresdurchschnitt

Jahresende 1938

320

'939

1.856

-

1940

4.958

-

1941

9.823

1942

14-749

7-345

11.612

"943

17.079

17.681

1944

18.735

20.546

1945

4.396

18.708*

* Kriegsende Quelle: Tabelle über die Entwicklung des Personalstandes 1938 bis 1988, Zentralstatistik der V A Stahl. Suess, Theodor E., Der Ausbau der V O E S T , a. a. O., S. 1 1 .

Die angeführten Zahlen betreffen alle in- und ausländischen zivilen Arbeitskräfte und Kriegsgefangenen. Üblicherweise wurden jene Werksangehörigen, die zum Militärdienst eingezogen waren, auch auf den Gehaltslisten geführt. In der Aufstellung sind diese nicht enthalten. Die Zahl der Eingezogenen betrug schätzungsweise 2.000 bis 2.500 Personen in den Jahren 1944/45.722

722 Die Hütte Linz meldete für Dezember 1943 1.567 Einberufungen. Vierteljahresberichte an den Aufsichtsrat, R121, Nr. 464, Bundesarchiv (BArch). In der Datenbank des Historischen Archivs der VOEST ALPINE AG, Linz waren im Februar 2001 2.542 Personen mit den Vermerken Wehrmacht, Wehrdienst oder Einberufung zur Wehrmacht gespeichert.

336

Josef Moser

6.2. Der Anteil der ausländischen Zwangsarbeiterinnen Uber den Anteil der ausländischen Zwangsarbeiterinnen an der Gesamtzahl der Beschäftigten bestehen für einzelne Zeitabschnitte lückenhafte Darstellungen. Trotzdem kann davon ausgegangen werden, daß beim Aufbau der verschiedenen Teilbetriebe bis Kriegsende ca. zwei Drittel der notwendigen Arbeitsleistung von ausländischen Arbeitskräften (zivile ausländische Beschäftigte und Kriegsgefangene) geleistet wurde.723 Die KZ-Häftlinge sind dabei noch nicht berücksichtigt. Die beim Bau der HGW-Werke Hütte Linz beschäftigten Baufirmen setzten im März 1941 6.190 Arbeitskräfte für den Werksaufbau ein und wiesen einen Ausländeranteil von 63,1 Prozent (3.907) auf.724 Die Hütte Linz verzeichnete Anfang 1943 einen Ausländeranteil von ca. 50 Prozent (2.589 Arbeitskräfte) bei einem Belegschaftsstand von 5.203 (März 1943). Bis Ende des Jahres ging die Belegschaftszahl kontinuierlich auf 4.613 bei einem Ausländeranteil von 45 Prozent (oder 2.075 Arbeitskräfte) zurück. Ende Oktober 1944 betrug der Beschäftigtenstand 6.360, wovon 3.037 zivile Ausländer und 941 Kriegsgefangene waren. Damit betrug der Ausländeranteil 62,5 Prozent. Der Anteil jener Arbeitskräfte, welche beim Aufbau (neben den Vertragsfinnen) und welche in der Produktion beschäftigt waren, ist nicht ersichdich. Die Hauptverwaltung Linz beschäftigte im März 1943 2.150 Arbeitskräfte (davon 533 Ausländerinnen oder 25 Prozent). Bis Jahresende blieb hier der Belegschaftsstand relativ konstant (2.125), wobei der Ausländeranteil auf fast 32 Prozent (673) anstieg.725 Bei den Eisenwerken veränderte sich der Ausländeranteil (inklusive Kriegsgefangene) von 28,6 Prozent Anfang 1941 auf fast 60 Prozent im Juli 1943. Der Beschäftigtenstand betrug hier 9.696 Arbeitskräfte, davon 5.757 Ausländerinnen. Bis Oktober konnte die Zahl der Beschäftigten auf 12.351, davon 8.156 (oder 66 Prozent) Ausländerinnen gesteigert werden. Die ausländischen Arbeitskräfte arbeiteten in allen betrieblichen Einheiten. Der Anteil schwankte zwischen 38 Prozent in der Verwaltung und 83 Prozent im Stahlwerk. Im Schnitt betrug er 66 Prozent (Stand: Oktober 1943). Gegen Ende 1944 stieg der Anteil der ausländischen Arbeitskräfte auf über 70 Prozent an (6.856 zivile ausländische Beschäftigte und 2.165 Kriegsgefangene bei einem Gesamtbelegschaftsstand von 12.865). Ab 1943 arbeitete der überwiegende Teil der Beschäftigten der Eisenwerke in der Rüstungsindustrie. Im betriebseigenen Baubetrieb waren zu dieser Zeit nur mehr 623 ausländische Beschäftigte eingesetzt. Bei den Vertragsfirmen arbeiteten für den Werksaufbau Ende Juli 1943 1.947 Arbeitskräfte (davon 1.363 ausländische oder 70 Prozent).

7 2 3 Vgl. Tabellenanhang 7 2 4 Moser, Oberösterreichs Wirtschaft, a. a. O., S. 3 2 7 f. 725 Vierteljahresberichte an den Aufsichtsrat, 1. und 4. Vierteljahr 1943, BArch R 1 2 1 / 4 6 4 .

Aus ökonomischer Sicht: Die Bedeutung des Einsatzes ausländischer Arbeitskräfte,

337

6.2.1. Kriegsgefangene Bei den Angaben über die Beschäftigung wurden Kriegsgefangene üblicherweise zu den ausländischen Arbeitskräften dazugezählt. Haupteinsatzgebiet von Kriegsgefangenen war die Landwirtschaft und die Bauindustrie.726 Facharbeiter unter ihnen arbeiteten aber auch verstärkt in der Rüstungsproduktion. Die größte Gruppe bildeten die französischen vor den sowjetischen Gefangenen und italienischen Militärinternierten. Die genaue Zahl der in den Linzer Werken eingesetzten Kriegsgefangenen konnte nur teilweise eruiert werden (vgl. Tabellenanhang). Arbeiteten im Sommer 1943 ca. 1.000 Gefangene im Werksgelände, waren es ab Herbst ca. 3. 000 bis 4.000 (inkl. Vertragsfirmen). Die Schwankungen sind auf die Zuführung sogenannter italienischer Militärinternierter im Spätsommer 1943 zurückzuführen.727 Es kam immer wieder zu Abzügen für andere Arbeitseinsätze (Bauindustrie, Landwirtschaft) oder Uberstellungen in den „Zivilarbeiterstand", wodurch sich an der Gesamtzahl der Beschäftigten nichts veränderte.

6.2.2. Einsatz der KZ-Häftlinge Bereits Mitte Dezember 1942 kamen die ersten KZ-Häftlinge des Konzentrationslagers Mauthausen auf das Gelände der Hütte Linz und errichteten Steinbaracken zur Unterbringung weiterer Häfdinge, welche für die „Hochofenschlacke Linz GmbH", einem Unternehmen der SS, arbeiten sollten. Mitte 1943 wurden ca. 400 Häftlinge eingesetzt.728

726 Im Mai 1944 waren in der gesamten Region („Gau Oberdonau") 30.225 Kriegsgefangene eingesetzt, welche zu 4 1 Prozent in der Landwirtschaft, zu 21 Prozent in der Bauwirtschaft und zu 16 Prozent in der Rüstungsindustrie arbeiten mußten. Der Rest verteilte sich auf die Sektoren sonstige Industrie, Handel und Verkehr sowie Dienstleistungen auf. Moser, Oberösterreichs Wirtschaft, a. a. O., S. 332. 7 2 7 Nach dem Sturz Mussolinis und der Besetzung Italiens durch deutsche Truppen kamen zahlreiche italienische Kriegsgefangene zum Arbeitseinsatz in die Linzer Werke. Sie wurden nicht als Kriegsgefangene sondern als „italienische Militärinternierte" (IMI) bezeichnet. Im August 1944 leitete man den größten Teil dieser I M I in den Stand von Zivilarbeitem über. 7 2 8 Vgl. Fiereder, Helmut, Nebenlager des Konzentrationslagers Mauthausen in der Hütte Linz der Reichswerke „Hermann Göring", in: Historisches Jahrbuch der Stadt Linz 1986, Linz 1987, S 105, sowie den Beitrag von Bernhard Perz in diesem Band, S. 322 ff.

338

Josef Moser

Tab. 7: Durchschnittliche Zahl der Häftlinge 1944 und 1945 Juni

Juli

August

Sept.

Okt.

Nov.

Dez.

Jänner

Februar

März

784

2.026

2.938

5.147

5.232

5.579

5.512

5.414

5.410

5.289

Quelle: Beitrag von Perz, Bertrand, KZ-Häftlinge als Zwangsarbeiter der RWHG in Linz, in diesem Band, S. 576.

Die Kosten für KZ-Häftlinge flössen nicht in die Lohn- und Gehaltssumme der Betriebsbilanzen ein. Die einzelnen Kostenstellen verbuchten die Abrechnungen wie Fremdleistungen einer Firma. Die Häftlinge selbst erhielten keinen Lohn.

Tab. 8: Einsatz der Häftlinge im März 1945 Fachkräfte

Hilfskräfte

Werkstätten Beseitigung von Bombenschäden und Bauarbeiten Einsatz außerhalb des Werkes Lagerversorgung

60% 8,5% 28,6% 2,9%

37% 30,5% 24,7%

gesamt

100%

100%

7,8%

Gesamt 23,5% 25% 30% 21,5%

100%

Quelle: Reichswerke AG Alpine Montanbetriebe „Hermann Göring" Linz. KZ-Häftlinge ab 1. III. 44. 19441945, 1. Ordner. MF T83/2 26, National Archives, Washington, DC, eigene Berechnungen.

Facharbeiter unter den KZ-Häftlingen kamen sehr häufig in den Werkstätten zum Einsatz (Autowerkstätte, Elektrowerkstätte etc.). Die Beseitigung von Bombenschäden und Bauarbeiten bildete ein weiteres wesentliches Einsatzgebiet. Ein größerer Teil der Häftlinge arbeitete nicht auf dem Werksgelände selbst, sondern außerhalb (Luftschutz-Stollen, Beseitigung von Bombenschäden bei der Eisenbahn etc.).

6.3. Aufwendungen für Löhne und Gehälter Zur Schätzung der Lohnaufwendungen für ausländische Arbeitskräfte müssen die gesamten Lohnaufwendungen als Grundlage herangezogen werden. Folgende Aspekte sind dabei zu berücksichtigen: Ausländische Arbeitskräfte wurden geringer entlohnt als inländische. Bei den höher endohnten Berufsgruppen und Führungskräften war der Anteil der Inländer höher (in den mittleren bis oberen Führungsebenen oder zentralen Verwaltungseinrichtungen etc. fehlten ausländische Beschäftigte zur Gänze) als etwa bei Anlernund Hilfskräften. Frauen wurden wiederum geringer entlohnt als Männer.

Aus ökonomischer Sicht: Die Bedeutung des Einsatzes ausländischer Arbeitskräfte,

339

Tab. 9: L o h n - u n d G e h a l t s s u m m e n (in R M ) Hütte Linz

Stahlbau

1939

2.963.000

380.797

1940

8.470.425

1.568.248 1.889.070

1941

12.024.392

1942

16.802.132

1943

18.923.697

1944 ( r 945)

19.961.052

Eisenwerke'

32.244.354

* Das Geschäftsjahr der Eisenwerke lief von 1. April bis 3 1 . März. Für das letzte Geschäftsjahr wurde der Abschluß mit 15. Mai 1945 erstellt (und umfaßte somit 13V2 Monate). Die Gehaltssummen der früheren Jahre konnten nicht eruiert werden. Quelle: Bericht über die Prüfung des Rechnungsabschlusses zum 15. Mai 1945 der Eisenwerke Oberdonau G m b H , Linz, erstellt im Auftrag der Vereinigten Osterreichischen Eisen- und Stahlwerke A G Linz durch die Austria Wirtschaftsprüfungs A G , Wien 1949, Historisches Archiv der VOEST ALPINE A G , Linz. Bilanzen der R G W Hütte Linz für die Jahre 1939 (1. April bis 3 1 . Dezember) bis 1944 (letztere wurde 1947 durch die Austria Wirtschaftsprüfungs A G fertiggestellt), Historisches Archiv der VOEST ALPINE A G , Linz. Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand-Aktiengesellschaft, Zweigniederlassung Wien, über die bei der Reichswerke A G Alpine Montanbetriebe „Hermann Göring" Linz vorgenommene Prüfung des Jahresabschlusses zum 3 1 . Dez. 1940, BArch R 121/462. Stahlbau G m b H . , Jahresabschlüsse 1939, 1940, 1 9 4 1 , AdR, Schachtel Alpine Montan, verschiedene Angelegenheiten. N a c h d e n v o r l i e g e n d e n D a t e n w u r d e i m letzten K r i e g s j a h r 1 9 4 4

an die B e s c h ä f t i g t e n

d e r E i s e n - u n d S t a h l w e r k e in L i n z e i n e L o h n - u n d G e h a l t s s u m m e v o n ca. 5 3 M i l l i o n e n R M ausbezahlt. 1 9 4 3 d ü r f t e d e r B e t r a g bei a n n ä h e r n d 5 0 M i l l i o n e n R M g e l e g e n sein. A u f B a s i s d e r E n t w i c k l u n g d e s B e s c h ä f t i g t e n s t a n d e s ü b e r die e i n z e l n e n J a h r e k a n n die g e s a m t e L o h n s u m m e ü b e r d i e J a h r e 1 9 3 9 - 1 9 4 4 / 4 5 a u f ca. 1 8 5 M i l l i o n e n R M g e s c h ä t z t werden. Z u r V e r e i n f a c h u n g d e r S c h ä t z u n g des L o h n a n t e i l e s d e r a u s l ä n d i s c h e n A r b e i t s k r ä f t e (ohne K Z - H ä f t l i n g e ) können folgende A n n a h m e n gemacht w e r d e n : D i e Belegschaft bestand i m D u r c h s c h n i t t z u 6 5 P r o z e n t aus ausländischen Arbeitskräften. D e r B r u t t o l o h n b e t r u g i m S c h n i t t 7 0 P r o z e n t jenes der inländischen Beschäftigten. 7 2 9 D i e s e A n n a h m e ist e h e r optimistisch. E i n e S t i c h p r o b e aus d e r D a t e n b a n k des H i s t o r i s c h e n A r c h i v s der VOEST A L PINE A G , L i n z ü b e r die h ö c h s t e n S t u n d e n l ö h n e bei H i l f s a r b e i t e r n l n n e n e r g i b t f o l g e n d e L o h n a b s t u f u n g e n nach N a t i o n a l i t ä t e n : 729 Spoerer, Mark, Untersuchung über die vorenthaltenen Lohneinkommen bei Zwangsarbeitern, Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen, unveröffentlichtes Manuskript, Universität Hohenheim 2000, S. 3 1 . Spoerer nimmt als Grundlage seiner Berechnungen die Differenz der Ist-Löhne zu den Tariflöhnen, weil diese als Bezugsgröße zur Endohnung ausländischer Arbeitskräfte in der Industrie verwendet wurden. Demnach entsprach die Endohnung ziviler ausländischer Arbeitskräfte ca. 75-80 Prozent von inländischen Beschäftigten.

Josef Moser

34°

Tab. io: Brutto-Stundenlöhne von Hilfsarbeiterinnen 1944 Nationalität

Inland Frankreich Tschechien Rußland Italien Holland Belgien Ukraine Polen

Männlich (RM)

Vergleich zu Inländern (%)

>3 1,05

0 80,8

1,2 0,9 0,9

92.3 69,2 69,2

0,9 0,72 1,0

69,2

r

55.4 76.9

Weiblich (RM)

Vergleich zu Inländerinnen (%)

0,8

0

0.7 0,52 0,62

87.5 65 77.5

0,6

75.°

0,6 0,6

75.0 75.°

Quelle: Datenbank des Historischen Archivs der V O E S T A L P I N E A G , Linz.

Die beschäftigten Kriegsgefangenen sind in den Beschäftigtenzahlen enthalten. Sie bekamen selbst von den Werken keinen Lohn, sondern das jeweilige Stammlager, welches die Kosten für Unterhalt und Verpflegung und sonstige Lagerkosten abzog. Der Rest wurde als Lagergeld bezahlt. Dieses betrug bis 1943 0,2 R M pro Tag. Als Leistungsanreiz gab es noch Prämien. Die Unternehmen mußten weder Kranken- noch Rentenversicherungsbeiträge einzahlen. Die Kosten für Kriegsgefangene beliefen sich durchschnittlich auf ca. 50 Prozent einer inländischen Arbeitskraft. 730 Aus all diesen Angaben wird für ausländische Arbeitskräfte ein Durchschnittslohnsatz von 70 Prozent der inländischen Beschäftigten angenommen. Die Arbeitsleistung wurde auf Basis der Personalstände auf 68.000 Personenjahre errechnet.731 Bei einer Lohnsumme von 185 Millionen ergibt sich ein durchschnittlicher Jahresbruttolohn für inländische Arbeitskräfte von 3.422 R M und 2.343 R M fiir Ausländerinnen. Daraus errechnet sich eine gesamte Lohnsumme (1938/39 bis 1945) für alle ausländischen Arbeitskräfte von 103,55 Millionen R M und 81,45 Millionen R M für inländische. Wäre für alle Arbeitskräfte derselbe Lohnsatz wie für Inländerinnen bezahlt worden, dann hätte sich eine Lohnsumme von 232,7 Millionen R M ergeben. Durch den Einsatz von Zwangsarbeitern (ohne KZ-Häftlinge) ersparten sich die Unternehmen über den gesamten Zeitraum somit ca. 48 Millionen RM. 732 Diese Summe entspricht heute einem Vergleichswert von ca. 2,48 Milliarden ATS. 730 Spoerer, Untersuchung, a. a. O., S. 33. 731 Die Durchschnittswerte für die Jahre 1938 bis 1940 wurden durch Interpolation der Personalstände zu Jahresende angenähert: 1938: 93 Beschäftigte, 1940: 1.088, 1940: 3.407. Für 1945 wurde der Personalstand zu Kriegsende herangezogen und ein Durchschnittswert für 4 Monate berechnet: 6.236 Beschäftigte. Für die Jahre 1941 bis 1944 gibt es Angaben über Jahresdurchschnittswerte (vgl. Tabelle 5). Bei Annahme eines durchschnittlichen Anteils von 65% ergibt sich eine Beschäftigung der ausländischen Arbeitskräfte von ca. 44.200 Personenjahren. 732 Zur Berechnung wurden folgende Formeln verwendet:

Aus ökonomischer Sicht: Die Bedeutung des Einsatzes ausländischer Arbeitskräfte,

341

All dies sind sehr grobe Näherungswerte. Immerhin hätten sich demnach die Teilbetriebe insgesamt über die sechs Jahre durch den Einsatz von ausländischen Arbeitskräften aufgrund der geringeren Endohnung Ausgaben erspart, welche 25 Prozent der gesamten Lohnsumme von 1939 bis 1945 entsprach. Die Annahme, daß der Bruttolohn für ausländische Arbeitskräfte im Durchschnitt um 30 Prozent geringer war heißt nicht, daß ihr Einkommen nur um ein Drittel unter jenem von Inländernlnnen lag. Hier müssen noch spezielle Abgaben (z. B. Ostarbeiterabgaben etc.) mit berücksichtigt werden. Die Unterschiede waren zudem durch die Art der Verwendung, Dauer der Beschäftigung, Zusatzqualifikationen und vor allem auch durch die Nationalität bedingt. Kriegsgefangene erhielten ab 1943 monatlich ca. 14 bis 15 R M an Lagergeld als Lohn.733 Stichproben von Lohnlisten aus dem Archiv der VA-Stahl ergeben folgende Beispiele: Tab. 1 1 : Beispiele aus den Lohnlisten 1942/43 in R M Name

Nationalität

Bruttolohn Lohnsteuer, (Monat)

Beruf

Abzüge,

Allg.

Beitrag

Ab-

Ab-

zur Kranken-

schlage

schlag

kasse

Ost-

Aus-

arbeiter- 7ahl«ng ab-

% vom Brutto

abgabe

Karl Bach Schweißer

Deutsches Reich

346,42

42,16

15,23

80

-

203,03

58,6

308,22

22,38

'25,05

110

-

150,79

48,9

239

47,93

3,8

90

-

129,99

54,3

Polen (Sept. 1942)

2 !9>52

48,45

31,7

50

-

89,35

40,7

Frankreich

150,09

21,8

2,2

50

-

76,09

50,7

(Dez. 1943) Johann Bachinger Hilfeschlosser

Deutsches Reich (Nov. 1943)

Jan Baburek Schmied

Protektorat (Mi 1942)

Boleslaw Bachmann Schmelzer

Paul Bogards Hilfearbeiter

(Sept. 43)

Lohn: L(ausl) = 0,7 L(inl); Beschäftigung: B(ausl) = 0,65 B(gesamt), B(inl) = 0,35 B(gesamt); 185 Mio = o,7.o,Ö5L* + 0,3 5L*, wobei L* jene fiktive Lohnsumme ist, die sich ergeben würde, wenn alle Beschäftigten nach dem Durchschnittslohn der inländischen Arbeitskräfte bezahlt worden wären. Die Lohnsumme für die ausländischen Arbeitskräfte errechnet sich aus 0 , 6 5 . 0 ^ * , für inländische aus o,35L*. 733 Spoerer, Untersuchung, a. a. O. S. 33.

Josef M o s e r

342

P e r s o n a l - u n d V e r d i e n s t - N a c h w e i s k a r t e 194 ©tfoXr

Eisenwerke Oberdonou G. m. b. Hü*z Donau

I

I I — I ^ E S Ä

-

TS-

- ïlt^W

Fortsetzung von Tab. 11: Name

Nationalität

Bruttolohn Lohnsteuer, (Monat)

Beruf

Abzüge,

Allg.

Beitrag

Ab-

Ab-

zur Kranken-

schlage

schlag

Ost-

Aus-

arbeiter- Zahlung ab-

% vom Brutto

abgabe Nicolai J . Iwanow Hilfsarbeiter

Rußland

151.5

45

20

67,5

19

12,5

45

15

81

28,5

16,8

82,93

58,2

(Juni 1942) Iwan Bachomow Hilfsschlosser

Rußland

169,5

4.77*

H2A2

17,29

(März 1943) Monika Bachl Temperaturmesserin

Deutsches Reich

40

(Mai 1943)

Anna Baronik Hilfsarbeiterin

Rußland

121,5

Guli 1943) Quelle: Historisches Archiv der VOEST ALPINE A G , Linz. * Lohnsteuer wurde nicht extra ausgewiesen.

60

20

31,5

-----

Aus ökonomischer Sicht: Die Bedeutung des Einsatzes ausländischer Arbeitskräfte,... Wohnung U SlouorKarte

343

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!i Personal- und Verdienst-Nachweiskarte der Eisenwerke Oberdonau, 1942

Unter Abzüge fielen: Beiträge zur DAF, zum Winterhilfswerk, Eisernes Sparen, aber auch Mieten fiir Unterkunft, Verpflegung, Bezug sonstiger Waren etc. Aus den Beispielen ist ersichtlich, daß vor allem Ostarbeiterinnen nur einen Bruchteil des Bruttolohnes ausbezahlt bekamen. Die Kostenbeiträge fiir Unterkunft und Verpflegung oder fiir den Bezug sonstiger Waren wurden einbehalten. Die in der Tabelle unter Abzüge angegebenen Beträge enthalten somit weitere Lohnbestandteile. Die Qualität der dafür gebotenen Leistungen und Güter entsprach den einbehaltenen Beträgen wohl kaum.734 Ob sich die allgemeine Lebenssituation der Zwangsarbeiter verbessert hätte, wenn sie wie inländische Arbeitskräfte bezahlt worden wären, ist sehr unwahrscheinlich. Zum Kauf von Nahrungsmitteln und Kleidung waren Bezugsscheine und ein gewisses Maß an Bewegungsfreiheit, über die nur ein geringer Teil verfügen konnte, nötig. Sicherlich hätte mehr verfügbares Bargeld bei den Zwangsarbeiterinnen die Tauschmöglichkeiten (z. B. fiir Zigaretten und Nahrungsmittel) und somit den Schwarzhandel massiv gefördert. Nach Kriegsende wäre erspartes Geld aufgrund der Knappheit von Gütern von eher begrenztem Nutzen gewesen. Mit der Rückkehr in die Heimadänder wurden Reichsmark wertlos. 734 Vgl. Beitrag von John, Michael, Zwangsarbeit und NS-Industriepolitik am Standort Linz, in diesem Band, S. 23 ff, sowie Band 2 dieser Publikation Fallend, Karl, (Auto-)Biographische Einsichten - Zwangsarbeiterlnnen/Sklavenarbeiterlnnen, hrsg. v. Oliver Rathkolb, Wien 2001.

344

Josef Moser

In den bisherigen Berechnungen sind die KZ-Häftlinge nicht berücksichtigt. Bei K Z Häftlingen wurden geleistete Arbeitsschichten, unterteilt nach Fach- und Hilfsarbeiten, bei den jeweiligen Kostenstellen abgerechnet. Für einen Facharbeitertag wurden 6 R M und einen Hilfsarbeitertag 4 R M an das K Z Mauthausen bezahlt. Dies entsprach ca. 50 Prozent einer normalen Industriearbeiter-Entlohnung.735 Nach Berechnungen von Perz wurden von den Reichswerken in Linz insgesamt 4,3 Millionen R M an die SS für die Arbeitsleistung der Häftlinge auf dem Hüttengelände Juni 1944 bis Ende März 1945 bezahlt.736 Würde man die Arbeit der KZ-Häfdinge annähernd mit der gleichen Entlohnung wie die eines normalen Industriearbeiters bewerten, so ersparten sich die Betriebe für den Gesamteinsatz der KZ-Häftlinge ca. 4 Millionen RM. Wenn man alle ersparten Kosten bei Zwangsarbeitern, Kriegsgefangenen und K Z Häftlingen addiert, ergibt sich eine Summe von ca. 55 Millionen R M für den gesamten Zeitraum 1939 bis 1944/45. Das würde einer Vergleichssumme im Jahr 2000 von ca. 2,69 Milliarden Schilling entsprechen.

6.4. Produktivität, Wertschöpfung und Zwangsarbeit Der geringeren Entlohnung wurde oft die tatsächlich oder vermeintlich geringere Leistungsfähigkeit von Zwangsarbeiterinnen gegenübergestellt. Demgegenüber ist aber festzuhalten, daß erst durch den Einsatz einer bestimmten Anzahl von Arbeitskräften eine entsprechende Kapazitätsauslastung von Großanlagen möglich wurde. Durch steigende Skalenerträge konnte ein entsprechendes Produktivitätsniveau erreicht werden. Denn erst durch eine bestimmte Auslastung der Produktion verringern sich die Fixkosten.737 Eine geringere durchschnittliche Pro-Kopf-Leistung ist weniger durch eine allgemein geringere Leistungsfähigkeit ausländischer Beschäftigter als durch das System der Zwangsarbeit bedingt. Die Bedingungen für eine hochwertige Arbeitsleistung waren nicht gegeben und konnten auch durch Gewaltanwendung nicht ersetzt werden. Die Probleme wurden von Teilen der Wirtschafts- und NS-Führung zwar erkannt, trotzdem gelang es nicht, diesen erfolgreich entgegenzutreten. In den Berichten wurden oftmals rassistische Erklärungsansätze für schlechtere Leistungen angeführt.738 7 3 5 Spoerer, Untersuchung, a. a. O., S. 2 1 . 7 3 6 Vgl. Beitrag Bertrand Perz, in diesem Band, S. 5 1 3 . 737 Eine geringere Wertschöpfung pro Kopf war bei ausländischen Arbeitskräften allein schon dadurch bedingt, daß sie kaum in Bereichen mit höherer Wertschöpfung, wie Führungspositionen, technische und kaufmännische Abteilungen etc., beschäftigt waren. Ausländische Arbeitskräfte hatten selten Führungspositionen (Vorarbeiter, Schichtfuhrer etc.) inne. Im technischen und kaufmännischen Bereich waren sie kaum eingesetzt. Sie stellten den größten Teil von Hilfe- und Anlernkräften und einen geringeren Anteil an Facharbeiterinnen. 738 Vgl. Beiträge Michael John, S. 23 ff., sowie Christian Gonsa, S. 601. Die Schuld an den Zuständen wurde

Aus ökonomischer Sicht: Die Bedeutung des Einsatzes ausländischer Arbeitskräfte,

345

Ursachen für eine geringere Leistungsfähigkeit waren: • Mangelnde Motivation: die Ausübung von Zwang, ein fremdes kulturelles Umfeld (insbesondere bei Ostarbeiterinnen), die Trennung von wesentlichen Bezugspersonen und die Ungewißheit über deren Schicksal, die Aussichtslosigkeit der eigenen Lage, Mißtrauen, Mißhandlungen, Demütigungen, lebensbedrohende Situationen • Schlechte physische Verfassung: lange Arbeitszeiten, Beengtheit der Unterkünfte, mangelnde Hygiene, mangelnde Bekleidung, Unterernährung, Krankheit bzw. mangelnde medizinische Versorgung • Arbeitsorganisation: oft wechselnde Anforderungen, hoher Uberwachungs- und Bewachungsaufwand, hohe Reibungsverluste durch Verständigungsprobleme, mangelnde Ausbildung und Qualifikation usw. Bei den Rekrutierungen von Zwangsarbeiterinnen wurde in erster Linie auf die Quantität geachtet. Die meisten der rekrutierten Arbeitskräfte mußten zunächst angelernt werden, da sie für die Arbeit in der Eisen- oder Rüstungsproduktion keine Qualifikation oder Erfahrung mitbrachten. Berichte über Bedienungsfehler aus den Eisenwerken Oberdonau verwundern deshalb nicht. Immer wieder wurden Störungen verursacht, welche an sich leicht vermeidbar gewesen wären, welche wiederum Ausfalle in anderen Teilen des Werkes zur Folge hatten usw.739 Solche Ausfälle konnten auch durch Sabotageakte verursacht worden sein. Die Trennlinie zwischen schlechter Arbeitsqualität durch Überlastung zu Sabotage oder von körperlicher Schwäche zu bewußter Arbeitsbummelei war sicherlich unscharf. Zwangsarbeit kann in einer hochentwickelten Industriegesellschaft nicht die Basis sein, Leistungssteigerung oder Kreativität zur Problemlösung über ein bestimmtes Ausmaß zu wecken. Neben der notwendigen Quantität an Arbeitskräften war der Facharbeitermangel bzw. der Mangel an Qualifikation eines der größten Hindernisse in der deutschen Rüstungsindustrie. Dieses Problem konnte durch den Einsatz ausländischer Beschäftigter nicht behoben werden. Als Vorarbeiter, Führungs- und Aufsichtspersonal wurden in erster Linie nur „zuverlässige" inländische (deutsche und österreichische) Arbeitskräfte heran-

den Zwangsarbeitern zugeschoben. In einem Bericht der Gefolgschaftsabteilung der Eisenwerke aus dem Jahr 1942 heißt es u. a.: „Abschließend kann gesagt werden, daß wir mit den aus den südlichen Ländern zugewiesenen Bauarbeitern sehr schlechte Erfahrungen gemacht haben, da sich unter ihnen ein großer Prozentsatz arbeitsscheues Gesindel befindet, deren Überwachung durchaus unmöglich ist." R G 1040, T 83, Roll 77, National Archives, Washington, DC. 739 Fiereder, Die Hütte Linz, a. a. O., S. 213 f. Neben der Facharbeiterproblematik fuhrt Fiereder auch Schwierigkeiten durch häufigen Typenwechsel, das Fehlen von Produktionsreserven, zunehmende Problame im Transportwesen und fehlende Ersatzteile an.

Josef Moser

346

gezogen.740 Loyalität war nicht zu erzwingen. Schlüsselqualifikationen konnten zudem nicht durch eine höhere Zahl geringer Qualifizierter kompensiert werden. Länder wie Großbritannien oder die USA verzeichneten in den Jahren des Krieges enorme Zuwächse der Rüstungsproduktion. Diese konnten aber im Gegensatz zu Hitler-Deutschland mit inländischen Arbeitskräften bewältigt werden. Es gelang offensichtlich, ein bedeutend größeres Rationalisierungspotential durch den Einsatz und die Entwicklung moderner Technologien und Organisationsmethoden sowie der Qualifikation der Arbeitskräfte auszuschöpfen. Das eigene Human-Kapital und technologische Knowhow Deutschlands wurde im Vergleich zu den gegnerischen westlichen Industriestaaten hingegen weniger effizient eingesetzt.74' Hier wählte man der NS-Ideologie entsprechend den Weg des Einsatzes von Arbeitskräften unter Zwangsbedingungen und der Sklavenarbeit von KZ-Häftlingen.

7.

I N V E S T I T I O N E N FÜR E I N FUNKTIONIERENDES H Ü T T E N - UND STAHLWERK

Nach Kriegsende gab es heftige Auseinandersetzungen um das Weiterbestehen der Werke.742 Um aus den vorhandenen Anlagen ein funktionsfähiges und wirtschaftiich zu führendes Unternehmen zu schaffen, waren umfangreiche Investitionen zu tätigen. Die Einzelbetriebe wurden nach unterschiedlichen Zielsetzungen begonnen und ausgebaut. Die Anlagen der Eisenwerke und der Hütte Linz waren aufeinander nicht abgestimmt. Die Eisenwerke mußten auf Friedensproduktion umgestellt werden. Zudem fehlten vor allem Walzwerkkapazitäten für feinere Bleche. Bei der Einschätzung, ob für die zukünftigen Produkte überhaupt ein entsprechender Markt vorhanden sei, gingen die Meinungen weit auseinander. Das sich neu konstituierende Werk wurde zudem als Konkurrent der ursprünglichen Alpine Montanwerke in der Steiermark gesehen, welche für den Inlandsmarkt genügend Kapazitäten zu besitzen schien. Letztlich setzte sich mit Unterstützung der amerikanischen Besatzungsmacht die Meinimg durch, die notwendigen In740 Herbert, Ulrich, Apartheid nebenan. Erinnerungen an die Fremdarbeiter im Ruhrgebiet, in: Niethammer, Lutz (Hg.), „Die Jahre weiß man nicht, wo man sie hinsetzen soll." Faschismuserfehrungen im Ruhrgebiet, Berlin - Bonn 1986, S. 262 f. Herbert weist darauf hin, daß sich durch die Übernahme von Führungsaufgaben fiir inländische Arbeitskräfte Möglichkeiten des sozialen Aufstieges gegenüber „Fremdvölkischen" und damit Loyalitätsbindungen ergaben. Der Arbeitsalltag entsprach damit einer radikalen Form der Apartheid, „in der die deutsche Arbeiterklasse zu einer Art ,lower white class' aufstieg". 741

Overy, Richard, J., „Blitzkriegswirtschaft"? Finanzpolitik, Lebensstandard und Arbeitseinsatz in Deutschland 1 9 3 9 - 1 9 4 2 , in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 1988/3, S. 4 3 2 f.

742 Vgl. auch Berichte der US-Militäradministration, in: Rathkolb, Gesellschaft und Politik, a. a. O., S. 83 ff. und 2 3 7 ff.

Aus ökonomischer Sicht: Die Bedeutung des Einsatzes ausländischer Arbeitskräfte, ...

347

Zerstörter Verschiebebahnhof, November 1944

vestitionen für ein funktionierendes Hütten- und Stahlwerk und eine Maschinenfabrik zu tätigen. Dazu sollten die Hochofenkapazitäten zurückgenommen, die Stahlwerks- und Walzkapazitäten ausgebaut und die Vergüterei und andere Anlagen der ehemaligen Eisenwerke für Zivilprodukte umgebaut bzw. redimensioniert werden. Anfang 1948 kam es zum Verkauf eines Hochofens um 1,27 Millionen Dollar (Dollar-Schilling-Relation: 1 : 10) nach Schweden. Der Wert der erhalten gebliebenen neuen Einrichtungen sei weit höher als der notwendige Investitionsaufwand zur Abrundung der Produktion und der Erzielung wirtschaftlicher Erzeugungsmöglichkeiten, hieß es im Eisen- und Stahlplan von 1948, welcher vom Ministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung und dem Ministerium für Handel und Wiederaufbau erarbeitet wurde.743 Erste Planungen für den Ausbau des Linzer Werkes sahen Investitionen in der Höhe von ca. 19 Millionen Dollar vor.744 Die V O E S T erstellte 1948 ein Investitionsprogramm von ca. 165 Millionen Schilling. 745 Letztlich flössen für die erste Ausbaustufe, welche bis 1953 beendet werden 743 Hollerer, Verstaatlichung, a. a. O., S. 168 ff. 744 Tweraser, Kurt, Der Marshall-Plan und die österreichische Eisen- und Stahlindustrie: Fallbeispiel V O E S T . Deutsches Eigentum, Verstaadichung, Wirtschaftsplanung und Lenkung. 1945-1950,

in:

Bischof, Günter; Stiefel, Dieter (Hg.), 80 Dollar. 50 Jahre ERP-Fonds und Marshallplan in Osterreich 1948-1998, Wien - Frankfurt 1999, S. 232. 745 Ausbauplan der Vereinigten Österreichischen Eisen- und Stahlwerke A G . Linz, Programm 1, Akte Stahl und Eisen, Archiv der Bundesarbeitskammer.

Josef Moser

34S

konnte, ca. 550 Millionen Schilling allein aus ERP-Mitteln (Marshallplan-Unterstützung) zu.746 Gingen die ersten Planungen zu den Eisen- und Stahlkapazitäten in Österreich von Schätzungen über die Aufnahmefähigkeit des Inlandsmarktes aus, ermöglichte die hohe weltweite Nachfrage eine viel weitergehende und rasche Produktionssteigerung. Durch den Einsatz eines neuen kostengünstigen Verfahrens zur Stahlerzeugung gelang es in den 50er Jahren, die internationale Konkurrenzfähigkeit des Werkes sicherzustellen. Bei der Auseinandersetzung im Rahmen des sogenannten Eisen- und Stahlplanes, welcher als Grundlage für die Vergabe von ERP-Mitteln diente, ging es allerdings auch um Grundsatzfragen: Die österreichische Volkswirtschaft wurde durch den Ausbau der Werke sehr grundstofflastig. In der Zwischenkriegszeit war der Exportanteil von Eisenund Stahlprodukten ca. 10 Prozent, in den 50er Jahren betrug er bei insgesamt viel höherem Ausfuhrvolumen beinahe 20 Prozent.747 Hohe finanzielle Summen wurden damit in einen Bereich investiert, welcher langfristig geringere Wachstumsraten erwarten ließ. Diese Summen fehlten für den Aufbau von Kapazitäten der Investitions- und Konsumgüterindustrien. Man muß hier allerdings einwenden, daß es dafür im Einflußbereich der wesdichen Besatzungsmächte in Osterreich an Unternehmen in entsprechender Größe fehlte, die damals in der Lage gewesen wären, durch Investitionen in ähnlichem Umfang einen vergleichbaren Industrialisierungsprozeß wie die neue Stahlindustrie zu bewirken. Die Entscheidung, die Werke in Linz fortzufuhren, hatte auch zur Folge, daß sich die regionale Wirtschaftsstruktur wesendich veränderte. Linz wurde durch die in der N S Zeit gegründeten Großbetriebe zu einer Industriestadt, Oberösterreich veränderte sich zu einem Industrieland.748

8 . SCHLUSSBEMERKUNG Der Einsatz von Zwangsarbeit zum Aufbau von Industrie- und Rüstungskapazitäten und zur Produktion von Rüstungsgütern war in diesem Ausmaß wie in Deutschland und Osterreich während des Zweiten Weltkrieges sicherlich ohne Vergleich. Zwar wurden etwa auch in der Sowjetunion Kriegsgefangene in der Landwirtschaft oder zum Aufbau 746 Tweraser, Marshall-Plan, a. a. O., S. 2 4 1 . E R P ist die Abkürzung für European Recovery Program, allgemein als Marshall-Plan bezeichnet. Diese Summe entspricht nach Angaben der Nationalbank einem G e genwartswert von ca. 3 Milliarden A T S und die 1948 genannte Summe von 165 Millionen Schilling ca. i,8 Milliarden A T S . 747 Rothschild, Kurt W., Wurzeln und Triebkräfte der Entwicklung der österreichischen Wirtschaftsstruktur, in: Weber, Wilhelm (Hg.), Österreichs Wirtschaftsstruktur. Gestern - heute - morgen, Berlin 1961, S. 109. 748 Neben den Eisen- und Stahlwerken wurde in Linz ein chemischer Großbetrieb, in Ranshofen ein Aluminiumwerk und in Lenzing ein Viskosefaserwerk gegründet, welche ebenfalls nach 1945 weitergeführt wurden.

Aus ökonomischer Sicht: Die Bedeutung des Einsatzes ausländischer Arbeitskräfte,

349

zerstörter Industrien und Wohnungen herangezogen, der Zugriff auf das Arbeitskräftepotential militärisch unterworfener Gebiete durch Rekrutierung und Abtransport unter Zwang ist wohl einzigartig. Zudem wurden diese Arbeitskräfte dazu angehalten, das Rüstungspotential und die Rüstungsgüter zur Kriegsfuhrung und damit Unterwerfung ihrer Herkunftsländer zu erzeugen. Die administrative Lenkung des ,^Arbeitseinsatzes" bei immer stärker werdendem Zugriff der Wehrmacht auf männliche Arbeitskräfte stellte ein Schlüsselproblem der deutschen Kriegswirtschaft dar. Ohne Einsatz ausländischer Zwangsarbeiter hätte nach dem Scheitern der Blitzkriegsstrategie der heimischen Bevölkerung in einem viel stärkeren Maße die Belastungen des Krieges auferlegt werden müssen. Die militärische Niederlage hätte sich viel rascher abgezeichnet. Die Zwangsarbeiter leisteten in zweierlei Hinsicht einen wirtschaftlich relevanten Beitrag: i. Zum Aufbau des Kapitalstockes der Eisen- und Stahlindustrie: Ohne Einsatz ausländischer Arbeitskräfte hätten die Anlagen der Eisen- und Stahlindustrie in Linz sowie andere Industrieanlagen in der Region nicht gebaut werden können. Mehr als zwei Drittel der Arbeitskräfte stammten aus dem Ausland. In den Bilanzen wurde das Anlagevermögen nach Kriegsende mit 196 Millionen R M beziffert. Dazu kamen noch verlorene Zuschüsse im Ausmaß von 280 Millionen RM. Die Summe von 476 Millionen R M entsprach etwa dem Wert der Anlagen zu Kriegsende und würde im Jahr 2000 einen Vergleichswert von ca. 23 Milliarden Schilling entsprechen. Insgesamt umfaßte das Investitionsvolumen ca. 600 Millionen RM. 749 Die Anlagen wurden nach dem letzten Stand der technologischen Entwicklung gebaut. Sie waren in diesem Sinne modern und repräsentierten Werte, welche eine weitere Nutzimg für sinnvoll erscheinen ließen.7'0 Allerdings mußten noch beträchtliche Mittel aufgewendet werden, um die einzelnen Werke für eine auf den Weltmarkt orientierte Produktion auszurichten.

749 Diese Summe wird im Bericht der Plan Gesellschaft für Wirtschaftsplanung mbH Linz vom 26. März 1946 bestätigt. R G 260, Property Control Branch, Box 3, NARA Washington, DC. 750 Zahlreiche Großprojekte, wo Zwangsarbeiterinnen eingesetzt wurden, waren nach Kriegsende wertlos. Hingewiesen sei etwa auf den Bau unterirdischer Stollenanlagen zur Sicherung von Rüstungsproduktionen, der Bau der Raffinerieanlage in Moosbierbaum, welche letztlich als Ruinenfeld übrigblieb, oder das Flugmotorenwerk in Wiener Neustadt, welches starke Zerstörungen durch Bombenangriffe erlitt und die brauchbaren Reste demontiert wurden usw. Gerade in der sowjetischen Zone kam es zu umfangreicheren Demontagen. Einige der von der Sowjetunion beschlagnahmten und verwalteten Unternehmen (USIABetriebe), wie beispielsweise die RAX-Werke in Wiener Neustadt, wurden nach der Rückgabe geschlossen.

35°

Josef Moser

2. Zur laufenden Produktion und Wertschöpfung: Im letzten Kriegsjahr betrug die Wertschöpfung der Betriebe insgesamt ca. 85 Millionen R M . Ein wesentlicher Teil der Wertschöpfung stammte aus der Produktion von Rüstungsgütern. Diese Wertschöpfung war für die Zeit nach Ende des Krieges verloren, die erarbeiteten Produkte und Werte waren verbraucht oder zerstört bzw. nutzlos. Auch aus den Einkommen der Arbeitskräfte aus der Zeit bis 1945 entstand kaum wirtschaftliches Wachstum, weil die Güter zur Befriedigung einer höheren Nachfrage fehlten. Der allgemeine Nachfrageüberhang verursachte Inflation und einen florierenden Schwarzmarkt, bis durch Währungsreformen der Kaufkraftüberhang beseitigt wurde. Die ausländischen Arbeitskräfte wurden durchschnittlich um 30 Prozent geringer entlohnt und mußten überdies verschiedene Abgaben leisten, so daß manche Gruppen nur sehr wenig Bargeld ausbezahlt bekamen. KZ-Häftlinge erhielten keinen Lohn. Die geringere Bezahlung ist aber nur ein Aspekt der allgemeinen Schlechterstellung. Die Betriebe „ersparten" sich dadurch sicherlich zusätzliche Kosten. Aufgrund des Bewirtschaftungssystems während des Krieges und die Abdeckung von Kosten bei Rüstungsprojekten durch den Staat relativiert sich diese Ersparnis. Nach Kriegsende war die Höhe der Staatsschuld irrelevant, der zu hohe Geldumlauf wurde im Zuge von Währungsreformen abgeschöpft. 751 Die Auseinandersetzungen darüber, ob die Werke in Linz weiterbestehen sollten oder nicht, weisen auf die unsichere wirtschafdiche Situation der Nachkriegsjahre hin. Es war schlichtweg nicht abzuschätzen, ob ein wirtschaftlich sinnvoller Betrieb - sowohl betriebswirtschaftlich als auch volkswirtschaftlich gesehen - der Eisen- und Stahlwerke möglich sein wird. Die Einbindung in das westliche Wirtschaftssystem, der entstehende Nachkriegsboom und der technologische Vorteil durch ein erstmals angewandtes neues und kostengünstiges Verfahren zur Stahlproduktion bildeten jene Voraussetzungen, welche eine Weiterentwicklung der Anlagen erfolgreich werden ließen. Die Arbeitsleistung der im Krieg eingesetzten Arbeitskräfte „lebt" somit in der Weiterfuhrung der Unternehmen fort, welche in all den Jahrzehnten einen wesendichen Beitrag zur Wertschöpfung des Landes leisten konnten.

751 Mit der ersten Währungsreform 1945 wurden Reichsmark und Schilling 1 : 1 gewechselt, wobei pro Kopf der Bevölkerung nur 1 j o R M zum Umtausch und das übrige Bargeld auf Sperrkonten kamen (ca. 4,5 Milliarden RM). Die Kontoeinlagen wurden ebenfalls zu 60 Prozent gesperrt, der Rest nur in Ausnahmefällen verfügbar gemacht. Ein Teil der Sperrguthaben wurde in Bundesschuldverschreiben zwangsumgetauscht. Ziel war es, den Kaufkraftüberhang zu beseitigen und damit die Inflationsgefahr einzudämmen. Ende 1947 kam es nochmals zu einem Zwangsumtausch von 3 : 1 (Alt- zu Neuschillingen). Die Sperrkonten wurden ersatzlos gestrichen. Realbesitz (Immobilien, Wertgegenstände, Produktionsanlagen etc.) waren dadurch sehr begünstigt. Vgl. Sandgruber, Roman, Ökonomie und Politik. Osterreichische Wirtschaftsgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Wien 1995, S. 464 f.

Aus ökonomischer Sicht : Die Bedeutung des Einsatzes ausländischer Arbeitskräfte, ...

3 51

Tabellen: Entwicklung des Anlagevermögens Hütte Linz Jahr

129,8 Mio. RM

Anlagevermögen

Zugang

Abgang

Abschreibungen

Umsatz

Lohnsumme

13.062.946

2.525.000

1939 1940

44.392.760

3.573.261

607.284

1941

89.754.i5i

5.942.094

12.024.392

19.713.620

1942

I22.ÖI2.176

44-353- 82 7

2.609.817

9I9I953

28.147.606

16.337.376

1943

i4O.269.99O

32.240.255

2.147.617

10.059.294

30.867.609

18.923.697

11.240.873

33.761.129

19.961.052

1944 r 94S

62,9 Mio. RM

EWO

Zugang I.5.

Abgang

39-3I.3.44

66,6

4' 1

5-45

42,1

0,08

I.4.-15.

Stahlbau

Abschreibungen

Kriegsschäden

10,6

8,7

22,2

3 Mio. RM Zugang

Abgang

Abschreibungen

Kriegsschäden

1.1.39-31.12.44

6,7

0,3

1,8

1,5

1.1.-15.5.45

0,06

0,02

0,1

0,02

Abgang

Abschreibungen

Versorgungsbetriebe

0,2 Mio. RM Zugang

Bis Mai

1945

2,1

0,46

1,2

Kriegsschäden 0,2

Quelle: Status zum 15. Mai 1945 der ehemaligen Reichswerke Aktiengesellschaft Alpine Montanbetriebe „Hermann Göring" Linz, jetzt: Österreichisch-Alpine Montangesellschaft, Wien, und: Vereinigte Osterreichische Eisen- und Stahlwerke Aktiengesellschaft, Linz a. d. Donau, erstellt im Auftrage des Bundesministeriums für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung von Dr. H. Richter-Bohm, Wien 1947, Historisches Archiv der V O E S T ALPINE A G .

352

Josef Moser

Entwicklung der Beschäftigung Eisenwerke gesamt 3 1 . 1 . 1940 31. 12. I94I 30. 7. 1942

370

1-394 3-347

30. 8.

3.813

30.9.

4.066

31. 12.

6.613

gesamt

Angestellte

Arbeiter

Ausi. Ziv.-Arb.

Kriegsgef.

31. 1. 1943

6.950

765

6.185

3.656

28.2.

8.744

822

7.922

5-^93

207

31.3.

8.929

916

8.013

5.101

207

207

30.4.

-

-

-

-

-

31.5.

9.102

1.016

8.086

5.128

207

30.6.

9.568

1.061

8.507

5-457

230

31.7.

9.696

1.089

8.607

5.689

68

31.8.

9.780

1.155

8.625

30. 9.

10.247

1.193

9.054

163

31.10.

12.351

1.230

11.121

5-747 5-937 5-937

2.219

30.11.

11.955

1.249

10.706

5.907

1.905

31. 12.

-

-

-

-

-

30. 6. 1944

12.652

-

-

4.875

2.938

30. 11. 1944

12.865

-

-

6-337

2.165

57

Vertragsfirmen der EWO (Werksaulbau und Wohnbau) gesamt 30. 7 . 1 9 4 2

2.617

30. 8.

2.703

30. 9.

2.598

gesamt

Angestellte

Arbeiter

Ausi. Ziv.-Arb.

Kriegsgef.

30. 1 1 . 1 9 4 2

3-*77

108

3.069

1.129

31. 1. 1943

3.132

2.981

1.692

508

28.2.

3.560

3.403

2.094

490

31.3.

3.582

I51 157 159

3-423

2.608*

30.4.

-

31.5.

3.067

30.6. 31.7. 31.8.

-

423

-

-

2.922

1.772

443

2.907

145 T35

-

2.772

1.673

438

2.192

150

2.042

1.370

161

2.022

*52

1.870

1.286

128

Aus ökonomischer Sicht: Die Bedeutung des Einsatzes ausländischer Arbeitskräfte,... gesamt

Angestellte

Arbeiter

30.9. 31. 10.

1.977 2.009

138 120

1.839 1.889

30. 11. 31. 12.

1.985

122

1.863

-

-

Ausl. Ziv.-Arb. 1.291 - 49

118 436

1.12(1

423

I I

Hütte Linz gesamt 1939 31. 12. 1940 26. 3. 1941

1.599 3-73° 2.542

1942 30.7. 30. 8. 30.9.

Vertragsfirmen 3.801 3.711 3.821 gesamt

31.1.1943 28.2. 31.3.

4.766

30.4. 31.5.

5-235 5.112 5.029

30.6. 31.7. 31.8. 30.9. 31. 10. 31.11. 31. 12.

4-959 5.203

4.966 4.901 4.936 4.863 4.701 4.613

2.896 2.697 2.645 Ausländerinnen 2.177 2.325 2.589 2.600 2-495 2.438 2.389 2.367 2.284 2.237 2.144 2.075 Ziv. Ausländer

31. 10. 1944

6.360

3.037

Kriegsgef.

Kriegsgefangene 941

353

354

Josef Moser

Hauptverwaltung Linz gesamt 31.1.1943 28.2. 31.3. 30.4.

2.638

31.5. 30. 6.

2.140 2.079 2.087 2.134

31.7. 31.8. 30. 9. 31. 10. 31. 11. 31. 12.

2-435 2.149 2.174

2.114 2.158 2.133 2.125

Ausländerinnen 707 658 533 591 592 581 613 632 636 665 645 673

Stahlbau gesamt 1941 31.12.1942 3 1 . 5 . 1943 30.6.1943

Ca. 1.000

31.12.1943

523

7M 577 459

Quelle: Wirtschaftsberichte des Wehrwirtschaftsamtes Wehrkreis XVII, M F 77/750/1984376, National Archives, Washington, DC. Vierteljahresberichte an den Aufsichtsrat 1943, BArch R121/464.

Gabriella Hauch

Zwangsarbeiterinnen und ihre Kinder: Zum Geschlecht der Zwangsarbeit*

1942 begannen die Zwangsaushebungen von Arbeitskräften im Osten Europas. Seit Juni 1942 brachten die Transportzüge des „Ausländer-Einsatzes" nicht nur massenhaft Männer aus den besetzten Gebieten der ehemaligen Sowjetunion nach Linz, sondern vor allem eine steigende Zahl von jungen Frauen. Im August 1942 waren es 1.662 gegenüber 956 Männern. Sie kamen aus Rußland, aus Rußland-Ukraine, der Ukraine und aus Weißrußland, wurden in der NS-Terminologie „Ostarbeiterinnen" und „Ostarbeiter" genannt und bildeten die zahlenstärkste Gruppe der im Deutschen Reich, auch in „Oberdonau", eingesetzten ausländischen Arbeitskräfte. Von den im Mai 1944 in „Oberdonau" registrierten 34.000 Ostarbeiterinnen waren 5 1 % weiblich. Frauen bildeten damit die Mehrheit." 2 Vor diesem Hintergrund müßte sich die Geschichtsschreibung zur Zwangsarbeit dezidiert auch als eine Frauen- bzw. Geschlechtergeschichte präsentieren. Damals wie heute unterscheiden sich die gesellschaftlichen Positionierungen und Handlungsspielräume von Männern und Frauen ebenso wie die damit verknüpften Lebensbedingungen. Als Arbeitskräfte bekleiden Frauen andere Berufe, sind in fuhrenden Positionen die Minderheit und verdienen weniger - wie gestaltete sich dieses Geschlechterverhältnis im System der Zwangsarbeit des „Ausländer-Einsatzes"? Die Gebärfähigkeit gilt als unumstrittene quasi natürliche Begründung für weibliche Handlungsspielräume, weibliche Eigenschaften und Fähigkeiten - unter welchen Bedingungen erlebten Zwangsarbeiterinnen die Einbettung ihrer Sexualität und Gebärfähigkeit in die rassistische NS-Bevölkerungs- und Sexualpolitik? Was stand am Anfang der Schwangerschaften - Liebe, sexuelle Gewalt oder der Wunsch, die Einsamkeit, das Heimweh mit einem Stück Geborgenheit zu bannen? Wer waren die Väter, ebenfalls Zwangsarbeiter oder deutsche Männer? Wie und warum wurden Schwangerschaften verhindert oder unterbrochen? Was geschah mit ihren Kindern, wenn sie als Mütter im ,Ausländer-Einsatz" arbeiten mußten ? All diese

*

Diese Arbeit konnte nur durch die solidarische Mithilfe edicher Betroffener und vieler Kolleginnen entstehen - danke. Die mir bei speziellen Fragen geholfen haben, erwähne ich in den jeweils entsprechenden Fußnoten. Für die umfassende Begleitung meiner Forschungsarbeit möchte ich jedoch vor allem meinem Lebensgefährten Karl Fallend danken.

752 Josef Moser, Oberösterreichs Wirtschaft 1938 bis 1945, Wien - Köln - Weimar 1995, 320. Z u dem Terminus „Ostarbeiter", vgl. den Erlaß der Gestapo Linz vom 29.6.1943: O O L A , Politische Akten 1933-34, Film 24, O O 26/7. Ich danke Gerhart Markhgott und Franz Scharf für ihre Unterstützung.

356

Gabriella Hauch

Fragen thematisieren strukturelle Bereiche, die Frauenleben grundlegend anders gestaltetet als Männerleben. Geschlechtsspezifische Blicke auf die Lebenswelten von Frauen wie auch auf die der Männer fehlen meist bei den - nur scheinbar - geschlechtsneutral gehaltenen allgemeinen Verhandlungen und Diskussionen über Zwangsarbeit. Eine verkürzte und damit falsche Einschätzung ist die Konsequenz. Es ist nicht neu, daß es in der Rüstungsindustrie des Dritten Reiches, zu der die Reichswerke Hermann Göring, Standort Linz (HGW), gehörten, auch weibliche Beschäftigte gab. Allerdings stellt sich das Zahlenverhältnis zwischen den zur Zwangsarbeit verpflichteten Männern und Frauen anders als im Großen dar. In den H G W machten die ausländischen Arbeiterinnen etwas über 10% der ausländischen Beschäftigten aus. Die realen Konsequenzen der Geschlechtszugehörigkeit korrelieren jedoch nicht mit Zahlenverhältnissen. Die gesonderte Analyse der Lebenswelten der Zwangsarbeiterinnen - hier exemplarisch anhand der Reichswerke Hermann Göring, Standort Linz, durchgeführt - schärft vielmehr den Blick für die Einschätzung des Ganzen und erschließt bislang unbekannte Erkenntnisse für eine notwendig neue und differenziertere Einschätzung von Zwangsarbeit. Das galt auch für die Entschädigungszahlungen, in denen die spezifischen Lebensbedingungen von Zwangsarbeiterinnen in der Ostmark und im Deutschen Reich ihre spezielle Berücksichtigung finden sollten.753 Die Konstruktion eines Kollektivsubjekts „die" Frauen erweist sich immer als verfälschend. Negierung und Nivellierung der unterschiedlichen Lebenssituationen von Frauen sind die Folge. Im Nationalsozialismus, seiner Frauen-, Sexual- und Bevölkerungspolitik und in dem Bereich der Zwangsarbeit findet diese Feststellung eine besondere Ausprägung. Die NS-Herrschaft basierte auf der wertenden Hierarchisierung von „Rassezugehörigkeit", die aus nationaler und ethnischer Zugehörigkeit konstruiert wurde und vorab unabhängig von anderen Kategorien, auch von Geschlecht, über Leben und Tod entscheiden konnte.754 Die Frauen- und Geschlechterforschung zum Nationalsozialismus hat in differenzierten Studien und Analysen gezeigt, daß das politische System, die Ideologie, die Ökonomie und die gesellschaftliche Praxis auf rassistischen und sexistischen Hierarchisierungen basierten und sich in der lebensentscheidenden Spaltung zwischen „Reichsangehörigen deutschen Frauen" und „fremdvölkischen Frauen" manifestierten. Nachdem Ende der 1970er Jahre - dem Beginn der frauen- und geschlechtsspezifischen Erforschung der NS-Zeit im deutschsprachigen Raum - vor allem die Widerlegung der

753 Es war mir ein Anliegen, der Regierungsbeauftragten der Republik Österreich für die Zwangsarbeiterlnnen-Entschädigung, Frau Dr. Maria Schaumayer, bereits während der Recherchen im Rahmen dieses Projektes, erste Ergebnisse zu Geburten und Schwangerschaftsabbrüchen zukommen zu lassen, um diese für Österreich erstmals konkretisierten frauenspezifischen Diskriminierungen von Ostarbeiterinnen und Polinnen in den symbolischen Entschädigungszahlungen speziell berücksichtigt zu wissen. 754 Gisela Bock, Gleichheit und Differenz in der nationalsozialistischen Rassenpolitik, in: Geschichte und Gesellschaft 19 (1993), 3, 277-310.

Zwangsarbeiterinnen und ihre Kinder

357

T h e s e „die Frauen hätten Hitler an die M a c h t gebracht" im Z e n t r u m der Fragestellungen stand, kam es in den 1980er und 1990er Jahren zu Differenzierungen der oft vereinfachenden und schematischen Dualität O p f e r versus T ä t e r i n . 7 5 5 D i e geschlechtsspezifische U n t e r s u c h u n g des besonderen Stellenwertes v o n „Rasse" führte weiter

zur

Erkenntnis, daß die Kategorien „Rasse" und Geschlecht miteinander und ineinander verflochten waren, was anhand der gegenläufigen Gesetzgebungen für die jeweiligen Frauengruppen ebenso deudich wurde wie deren lebensweltliche Auswirkungen. 7 5 6 D i e D i f f e r e n z i e r u n g dieser T h e s e trifft das T h e m a „Zwangsarbeiterinnen und ihre K i n d e r " im K e r n . D i e rassistische D i f f a m i e r u n g der „fremdvölkischen" Arbeiterinnen aus den Gebieten der besetzten Sowjetunion als „Ostarbeiterinnen" in der N S - T e r m i n o logie als „minderwertig" bildete die Basis für ihre frauenspezifisch diskriminierende B e handlung. D a v o n waren in gleichem Ausmaß auch Polinnen betroffen. In D i f f e r e n z zu J ü d i n n e n und R o m n i s bzw. Sintezas w u r d e ihnen gegenüber v o n seiten der N S - B ü r o kratie jedoch keine eindeutige Politik der,Vernichtung durch Arbeit' praktiziert, was eine weitere Differenzierungsebene im Ineinandergreifen der Kategorien „ R a s s e " und G e schlecht in der N S - P o l i t i k notwendig macht. Ihre Arbeitskraft bildete einen konstitu-

755 Die Korrespondenz von aktueller Gesellschaftspolitik und zeitgeschichtlich-wissenschaftlichen Konjunkturen ist keine eindimensionale, aber die großen Linien in den Forschungsprojekten zu den Ursprüngen und den Folgewirkungen der Frauen- und Familienpolitik des nationalsozialistischen Systems korrespondierten mit den veränderten Positionierungen von Frauen in der Offendichkeit der 1970er und 1980er Jahre. Vgl. die zentrale Uberblicksliteratur: Carola Sachse, Frauenforschung zum Nationalsozialismus. Debatten, Topoi und Ergebnisse seit 1976, in: Mittelweg 36. Zeitschrift des Instituts für Sozialforschung, 6 (1997), 2, 24-33. »Unterschiedlich weit entfernt von den Zentren der Macht". Ein Gespräch um die „gute alte Forderung, Frauen dort zu suchen, wo sie aktiv waren", in: Mittelweg 36. Zeitschrift des Instituts für Sozialforschung, 6 (1997), 2, 5-16. Bibliographie zur Frauen- und Geschlechtergeschichte des Nationalsozialismus, in: Mittelweg 36. Zeitschrift des Instituts für Sozialforschung, 6 (1997), 2, 34-42. Dagmar Reese/Carola Sachse, Frauenforschung zum Nationalsozialismus. Eine Bilanz, in: Lerke Gravenhorst/Tamara Tätschmurat (Hrsg.), TöchterFragen: NS-Frauengeschichte, Freiburg im Breisgau 1990, 73-106, hier 86. Theresa Wobbe, Das Dilemma der Überlieferung. Zu politischen und theoretischen Kontexten von Gedächtniskonstruktionen über den Nationalsozialismus, in: Dies. (Hrsg.), Nach Osten: verdeckte Spuren nationalsozialistischer Verbrechen, Frankfurt a. M. 1992, 13-43. 756 Diesem in Deutschland und im angelsächsischem Raum eingeschlagenen Weg entsprach keinerlei vergleichbare Forschungskonjunktur zur Frauen- und Geschlechtergeschichte in Osterreich: Karin Berger, Zwischen Eintopf und Fließband. Frauenarbeit und Frauenbild im Faschismus. Österreich 1938-1945, Wien 1984. Elisabeth Freithofer/Johanna Gehmacher, Fluchtbewegungen. Über Schwierigkeiten bei der Thematisierung der NS-Vergangenheit in feministischen Diskursen, in: Aufrisse (1992) 4, 5-9. Johanna Gehmacher, Kein Historikerinnenstreit... Fragen einer frauen- und geschlechtergeschichtlichen Erforschung des Nationalsozialismus in Österreich, in: Zeitgeschichte 22 (1995), 3/4, 109-123. Den aktuellen Überblick zu dieser Entwicklung, dem Forschungsstand und dem Forschungslückenkatalog gibt: Ingrid Bauer, Eine Frauen- und geschlechtergeschichtliche Perspektivierung des Nationalsozialismus, in: Emmerich Tälos/Emst Hanisch/Wolfgang Neugebauer/Reinhard Sieder (Hrsg.), NS-Herrschaft in Österreich 1938-1945, Wien 2000.

Gabriella Hauch

358

ierenden Bestandteil in der Aufrechterhaltung der Kriegsproduktion und der Versorgung der deutschen Bevölkerung und mußte, diesem Primat unterstellt, teilweise aufrechterhalten bleiben. Als ich 1999 mit den Archivrecherchen zu den geschlechtsspezifischen Lebenswelten von Zwangsarbeiterinnen in den Hermann-Göring-Werken, Standort Linz, begann, konnte ich an keinerlei österreichische Forschungsergebnisse zu diesem Thema anknüpfen.?" Die Mehrheit der deutschsprachigen Geschichtsschreibung zu Zwangsarbeit im NS-System ist jedoch einer Methodologie verpflichtet, die gerade angesichts der Massenhaftigkeit der Zwangsarbeiterinnen nicht umhinkonnte, das männliche Paradigma von Zwangsarbeit auch in der Schwer- und Rüstungsindustrie aufzubrechen und Frauen sowie geschlechtsspezifische Handlungsspielräume zu thematisieren.758 Die Pionierarbeiten, die explizit die Lebensbedingungen von ausländischen Arbeiterinnen im NS-Regime untersuchten, erschienen in den 1980er Jahren in der BRD: Gisela Bocks Studien zu Rassen- und Frauenpolitik, Carola Sachses Arbeiten zu „Siemens" und die von Bernhild Vögel über die „Ausländerkinder-Pflegestätte" in Braunschweig.759 Am nachhaltigsten wurde in weiterer Folge die Zwangsarbeiterinnen-Forschung in Deutschland von der Geschichtswerkstätten-Bewegung gefördert, die zahlreiche Lokal- und Regionalstudien zum Thema „Zwangsarbeiterinnen" hervorbrachten. Dort wird der Umgang mit,Fremden' während der NS-Zeit in den aktuellen Kontext des alltäglichen Rassismus der Gemeinde oder Region gestellt und Exempel statuiert, wie aktiv mit historischer Verantwortung um757 Die beiden Historiker, die sich in Österreich am intensivsten mit Zwangsarbeit beschäftigten, forschten vor allem zu Bereichen, in denen keine Frauen beschäftigt waren: Bertrand Perz und Florian Freund. Bei ihren Uberblicksaufsätzen bezogen sie jedoch das Thema Frauen ein, vgl. Florian Freund/Bertrand Perz, Fremdarbeiter und KZ-Häftlinge in der „Ostmark", in: Ulrich Herbert (Hrsg.), Europa und der „Reichseinsatz". Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und K Z - H ä f d i n g e in Deutschland 1938-1945, Essen 1991, 3 1 7 - 3 5 0 , hier 338-342. Ich danke beiden für ihre solidarische Unterstützung. 758 Ausländische Arbeiterinnen, lautete Herberts These - besonders „Ostarbeiterinnen"

wären qua G e -

schlecht doppelt unterdrückt, was er mit den Indikatoren der Anti-Natalität, dem Schicksal ihrer Kinder und der sexuellen Unterdrückung festmachte, vgl. Ulrich Herbert, Fremdarbeiter. Politik und Praxis des „Ausländer-Einsatzes" in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Bonn 1995, 203 u. 355. Auch andere Forschungen zum Thema ,.Arbeit" im NS-System führten zur Behandlung von geschlechtsspezifischen und rassistischen Konnotationen von Zwangsarbeit, vgl. Rüdiger Hachtmann, Industriearbeiterinnen in der deutschen Kriegswirtschaft 1936 bis 1944/45, in: Geschichte und Gesellschaft 19 (1993), 3, 332-366. 759 Gisela Bock, Zwangssterilisation im Nationalsozialismus. Studien zur Rassenpolitik und zur Frauenpolitik, Opladen 1986. Carola Sachse, Siemens, der Nationalsozialismus und die moderne Familie. Eine Untersuchung zur sozialen Rationalisierung in Deutschland im 20. Jahrhundert, Hamburg 1990. Carola Sachse, Das nationalsozialistische Mutterschutzgesetz. Eine Strategie zur Rationalisierung des weiblichen Arbeitsvermögens im Zweiten Weltkrieg, in: Dagmar Reese/Eve Rosenhaft/Carola Sachse/Tilla Siegel (Hrsg.), Rationale Beziehungen? Geschlechterverhältnisse im Rationalisierungsprozeß, Frankfurt a. M . 1993, 270-294. Bernhild Vögel, „Entbindungsheim für Ostarbeiterinnen". Braunschweig, Broitzemer Straße 200, Hamburg 1989. Ich danke Bernhild Vögel und Carola Sachse für ihre solidarische Unterstützung.

Zwangsarbeiterinnen und ihre Kinder

359

gegangen werden kann. Etliche firauen- und geschlechtsspezifische Studien liegen in der Zwischenzeit vor. 760 In Osterreich hingegen kam es zu keiner vergleichbaren „Geschichtevon-unten"-Bewegung, und die hierortige moderne Regionalgeschichtsschreibung hatte den geschlechtsspezifischen Blick auf Zwangsarbeit noch nicht gesucht.' 6 1 In den jüngsten Arbeiten, die zur Frauenspezifik der Zwangsarbeit in Deutschland vorgelegt wurden, analysierten die Forscherinnen nicht nur die mit/verantwortlichen Strukturen und Institutionen, 762 sondern widmeten sich vor allem der Erfassung der lebensgeschichtlichen Auswirkungen auf die Betroffenen. Dieser Ansatz konnte mit der (auto)biographischen Methode via Selbstzeugnissen oder Interviews erreichen, daß Frauen in der Anonymität der Z i g - und Hunderttausenden Zwangsarbeiterinnen fokussiert und die wissenschaftlichen Analysen ihrer Individualität und Subjekthaftigkeit gerecht wurden. 7 6 3 D i e in der österreichischen Forschungslandschaft fehlenden geschlechtergeschichtlich orientierten Arbeiten zur Zwangsarbeit können als Teil der Konsequenz des ,österreichischen' U m g a n g s mit der NS-Vergangenheit interpretiert werden. 7 0 4 Hier könnten

760 Christine Brade u. a., Fremdarbeiterinnen in Bielefeld. Betrifft: Bielefeld. Eine Stadt und ihre Region im Unterricht, H. 7, Oberstufen-Kolleg Bielefeld 1984. Fred Dorn/Klaus Heuer (Hrsg.), „Ich war immer gut zu meiner Russin". Zur Struktur und Praxis des Zwangsarbeitssystems im Zweiten Weltkrieg in der Region Südhessen, Pfaffenweiler 1991. Christian Rathmer, „Ich erinner mich nur an Tränen und Trauer ...". Zwangsarbeit in Lübeck 1939 bis 1945, Essen 1999. Jüngst erschienen: Berliner Geschichtswerkstatt (Hrsg.), Zwangsarbeit in Berlin 1940-1945, Berlin 2000. 761 Die einzige Arbeit, die Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen thematisiert, ist die veröffentlichte Diplomarbeit von: Margarethe Ruff, Um ihre Jugend betrogen. Ukrainische Zwangsarbeiter/innen in Vorarlberg 1942-1945. Studien zur Geschichte und Gesellschaft Vorarlbergs 13, Bregenz 1996. (Ruff orientiert sich leider nicht an den geschlechtsspezifischen Leitfragen der Zwangsarbeiterinnen-Forschung, wie sie in Deutschland entwickelt wurden. Deswegen vermißt man in der Publikation die Fragen nach der bevölkerungs- und sexualpolitischen Behandlung der „Ostarbeiterinnen" in Vorarlberg.) 762 Michaela Gam, Zwangsabtreibung und Abtreibungsverbot. Zur Gutachterstelle der Hamburger Ärztekammer, in: Angelika Ebbinghaus/Heidrun Kaupen-Haas/Karl-Heinz Roth (Hrsg.), Heilen und Vernichten im Mustergau Hamburg. Bevölkerungs- und Gesundheitspolitik im Dritten Reich, Hamburg 1984, 37-40. 763 Carola Sachse (Hrsg.), Als Zwangsarbeiterin 1941 in Berlin. Die Aufzeichnungen der Volkswirtin Elisabeth Freund, Berlin 1996: bettet die Aufzeichnungen der als Jüdin zur Zwangsarbeit verpflichteten Berlinerin in den historiographischen und sozioökonomischen Kontext der Zeit. Tamara Frankenberger, Wir waren wie Vieh. Lebensgeschichtliche Erinnerungen ehemaliger sowjetischer Zwangsarbeiterinnen, Münster 1997: zentriert ihre Arbeit um Interviews. Gisela Schwarze, Kinder, die nicht zählten. Ostarbeiterinnen und ihre Kinder im Zweiten Weltkrieg, Essen 1997: baut ihre Arbeit rund um den Quellenbestand zum zentralen Abtreibungs- und Entbindungslager Westfalens „Waltrop-Holthausen" auf. 764 Aus der Vielfalt der dazu seit 1986 erschienenen Untersuchungen seien hier eine psychoanalytisch und eine sozialwissenschaftlich orientierte Problembegegnung erwähnt: Karl Fallend, Unbewußte Zeitgeschichte in Österreich. Psychoanalytische Betrachtungen über das Fortwirken des Nationalsozialismus, in: Alexander Friedmann/Elvira Glück/David Vyssola (Hrsg.), Uberleben der Shoah - und danach. Spätfolgen der Verfolgung aus wissenschaftlicher Sicht, Wien 1999, 209-234. Meinrad Ziegler/Waltraud Kannonier-Finster, Österreichisches Gedächtnis. Uber Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit, Wien - Köln - Weimar 1993.

360

Gabriella Hauch

die vielen Historikerinnen-Kommissionen, die von privater Seite ebenso wie der öffentlichen Hand mit der Aufarbeitung der Verstrickung Österreichs mit dem Nationalsozialismus beauftragt wurden, eine Zäsur bewirken und beginnen, Forschungslücken auch aus geschlechtergeschichdicher Perspektive zu schließen. In allen gesellschaftlichen Bereichen und wissenschaftlichen Disziplinen hängt es von den Fragestellungen der Betreiberinnen ab, ob die androzentrische Sichtweise auf die Ereignisse und in der Analyse von Strukturen durchbrochen und gezielt nach der mannigfachen Bedeutung von Geschlecht gefragt wird. Oder, anders formuliert: ob ein Interesse daran besteht, die Wirkungsmacht der Geschlechterverhältnisse öffentlich zu machen und nach männer- und frauenspezifischen Lebenswelten zu fragen - auch, um sie als gewordene und veränderbare zu erkennen. Die von der VA Stahl eingesetzte „Unabhängige Historikerkommission" stellt so einen Fall dar. Als nach ersten inhaltlichen Diskussionen über die Aufgabenstellung deutlich wurde, daß entsprechend eines innovativen Wissenschaftsverständnisses sowie der aktuellen gesellschaftspolitischen Situation eine frauen- wie geschlechtsspezifische Analyse nicht fehlen durfte, wurde ich mit der vorliegenden Arbeit betraut. Mein Zugang zum Thema „Zwangsarbeiterinnen und ihre Kinder" in den Reichswerken Hermann Göring, Standort Linz, stützt sich auf die geschilderten Forschungsansätze der Frauenund Geschlechterforschung und stellt eine Methoden-Kombination dar. Nur auf unterschiedlichen Wegen schien es zu gelingen, sich den Lebens- und Arbeitsbedingungen der ausländischen Frauen in den Hermann-Göring-Werken in Linz zu nähern: die frauenund geschlechtsspezifische Befragung der von Michaela C. Schober und ihren Mitarbeiterinnen erstellten Voestalpine-Linz-Datenbank,76s die Analyse von klassischen Archivmaterialien sowie die Auswertung schriftlicher autobiographischer Lebenserinnerungen und lebensgeschichtlicher Interviews mit Osterreicherinnen und einer ehemaligen ukrainisch-jüdischen Zwangsarbeiterin.766

765 Ich möchte an dieser Stelle Michaela C . Schober sehr herzlich für die gute Zusammenarbeit danken. 766 Meine Supervisorin Johanna Wagner-Fürst stand mir vor allem in den frauenspezifisch schwierigen Phasen der Arbeit bei - danke.

Zwangsarbeiterinnen und ihre Kinder

361

A U S L Ä N D I S C H E A R B E I T E R I N N E N IN DEN HERMANN-GÖRING-WERKEN,

LINZ

Der >Modernisierungs- bzw. Industrialisierungsschub', den die „Patenstadt des Führers" Linz während der Herrschaft der Nationalsozialisten erfuhr, wozu auch die Errichtung der Hermann-Göring-Werke zählte,767 machte Linz zu einer Arbeiter- und zeitverschoben auch zu einer Arbeiterinnenstadt. Dabei fungierte das NS-Regime hinsichdich der industriellen Frauenerwerbstätigkeit als „Modernisierer wider Willen". 768 Der Beginn der Verschlechterung der Lage der deutschen Armee an der Ostfront Ende 1941 durch die Schlacht um Moskau und den Kriegseintritt der USA markierte den Beginn der vollständigen Umstellung der deutschen Wirtschaft auf die Erfordernisse der Kriegführung. Dieser Kriegsverlauf verschärfte die Rekrutierung männlicher deutscher Reichsangehöriger und bedingte den Arbeitskräftemangel vor allem bei Facharbeitern, der durch den Einsatz ausländischer Arbeitskräfte und durch Frauen kompensiert werden sollte. Verordnungen von Juni 1938 bzw. von Februar 1939 ermöglichten die Dienstverpflichtung von deutschen Frauen, was von den NS-Machthabern jedoch nicht ernsthaft in Betracht gezogen wurde.709 Der ungezielte Einsatz arbeitsverpflichteter Frauen aus bürgerlichen Mittel- und Oberschichten hätte kaum etwas zur Minderung des Fachkräftemangels beigetragen, jedoch möglicherweise die Loyalität dieser Frauenschichten zum NS-System erschüttert. Die Nichtattraktivität von weiblicher Industriearbeit für diese „Mütter der Nation" potenzierten die kriegsbedingt eingeführten neuen Arbeitsbedingungen: das Nachtarbeitsverbot für Frauen war aufgehoben und die tägliche Arbeitszeit auf bis zu 10 Stunden flexibilisiert worden. Um die Stabilität der „inneren Front" nicht zu gefährden, mußte die NS-Bürokratie im Gegenzug jenen deutschen Frauenschichten, die existentiell von Erwerbstätigkeit abhängig waren und sich durch die kriegsbedingt verschärfte Doppel- und Dreifachbelastung überfordert zeigten, zumindest Erleichterungen andeuten. Fritz Sauckel, seit 21. März 1942 „Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz" (GA), wies die Reichstreuhänder der Arbeit und die Unternehmen an, Arbeiterinnen, die aufgrund ihrer Mutter- und Haushaltspflichten der Arbeit unentschuldigt fernbleiben würden, auf keinen Fall „mit Strafen oder gar mit dem Gericht zu drohen".770 Für Industriearbeiterinnen wurden - zumindest auf dem Papier - sozialpolitische Erleichterungen geschaffen wie Teilzeitarbeit (1940), betriebliche Sozialleistun-

767 Evan Burr Bukey, „Patenstadt des Führers". Eine Politik- und Sozialgeschichte von Linz 1 9 0 8 - 1 9 4 5 , Frankfurt - N e w York 1993. Moser, Oberösterreichs Wirtschaft. Michael John, Bevölkerung in der Stadt. „Einheimische" und „Fremde" in Linz (19. und 20. Jahrhundert), Linz 2000, 2 2 1 - 2 3 2 . 768 Hachtmann, Industriearbeiterinnen, 3 3 2 - 3 6 6 . Für Osterreich: Berger, Hut ab, 1 4 1 - 1 6 2 . 769 Dörte Winkler, Frauenarbeit im Dritten Reich, Hamburg 1967. Für Österreich: Berger, Eintopf. 770 Sauckels „Programm des Arbeitseinsatzes", in: Hachtmann, Industriearbeiterinnen, 345 f.

362

Gabriella Hauch

gen wie Werkskindergärten, und seit November 1943 konnte deutschen Frauen zweimal im Monat für „Haushaltstage" freigegeben werden.7'1 Um den Unmut von Arbeiterinnen und Arbeitern angesichts der rücksichtsvollen Politik gegenüber Mittel- und Oberschichtsfrauen zu kalmieren, wurde im Frühling 1943 noch eine „Meldepflichtaktion" für erwerbsfähige Frauen durchgeführt. Doch auch in diesem Fall genügte politisch-ideologische Propaganda für die Mobilisierung zur unangenehmen Arbeit nicht. Der Blick auf die „Ostmark" ergibt ein differenzierteres Bild, entsprach jedoch in großen Linien den Reaktionen der deutschen Frauen im „Altreich". Während in Deutschland die inländischen weiblichen Industriebeschäftigten trotz eines kurzfristigen Anstiegs 1943 bis 1944 in etwa gleichblieben, stiegen sie in der „Ostmark" seit 1942 deudich an.772

Beschäftigte in der Industrie der „Ostmark":773 3i.Maii94i

31. Mai 1942

31. Mai 1943

31. Mai 1944

inl. Männer inl. Frauen

346.213

343.010 150.546

338.110 167.376

289.126 185.340

ausl. Männer ausl. Frauen

29.988

46.200 11.944

93.400 36.860

162.302

4-558

Kriegsgef.

20.904

27.724

37-983

54-7°5

553-442

579.424

673.729

735.022

Gesamt

I

i5 -779

43-549

In dieser Tabelle korreliert die Zunahme der inländischen weiblichen Beschäftigten mit dem quantitativen Sprung bei der Anzahl der ausländischen Frauen im Jahre 1942. Der Überfall deutscher Truppen auf die Sowjetunion am 26. Juni 1941 hatte den Zugriff auf ein scheinbar unerschöpfliches Arbeitskräftepotential eröffnet. Nachdem die Wehrmachtsverbände die Ukraine besetzt hatten und sich auf dem Vormarsch Richtung Osten befanden, räumten die NS-Spitzen ihre Differenzen bezüglich dem Einsatz „ziviler" Arbeiterinnen aus der Sowjetunion aus.774 Das hieß, daß sich die Interessen des Vorsitzenden der „Reichsvereinigung Kohle", Paul Pleiger, des Reichsarbeitsministeriums und des Beauftragten für den Vierjahresplan, Hermann Görinng gegen die Befürchtungen

771 Hachtmann, Industriearbeiterinnen, 346 f. 772 Freund/Perz, Fremdarbeiter, 345. 773 Rolf Wagenfiihr, Die Deutsche Industrie im Kriege 1939-1945. Berlin 1955, 139 ff., in: Freund/Perz, Fremdarbeiter, 345. 774 Herbert, Fremdarbeiter, 149-154.

Zwangsarbeiterinnen und ihre Kinder

363

vor allem in SS- und Wehrmachtskreisen und der „Deutschen Arbeitsfront" (DAF) bezüglich „rassischer Verseuchung des deutschen Volkskörpers" durch Arbeitskräfte aus dem Osten durchgesetzt hatten. Auf der Basis einer Verordnung des „Reichsministeriums für die besetzten Ostgebiete", laut der „alle Bewohner ... der öffentlichen Arbeitspflicht" unterlagen,775 begannen im Frühling 1942 die Zwangsaushebungen von Arbeitskräften in der ehemaligen Sowjetunion. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die Transporte der „Zivilarbeiter" aus dem Osten durchgehend Männer in das Deutsche Reich gebracht. Erst der zunehmende Mangel an Hausangestellten und Küchenbediensteten - vor allem auch in den für die Rationalisierung des Produktionsprozesses kriegswichtiger Güter eingerichteten Werksküchen 776 - initiierte die Diskussion um Auswahlverfahren und Prüfung „weiblicher Arbeitskräfte aus dem altsowjetischen Gebiet". 777 Der Sommer und Herbst 1942 bedeutete eine geschlechtsspezifische Zäsur. Die Massentransporte von jungen Frauen aus der Sowjetunion verdreifachte die Zahl der ausländischen weiblichen Beschäftigten in der „Ostmark" von 1942 bis 1943. Die weiblichen Beschäftigten in den H G W spiegelten diese Entwicklung wider.778 Insgesamt gab es 39.930 in den H G W Beschäftigte, 34.279 Männer, davon 6.045 deutsche Reichsangehörige, 5.651 Frauen, davon 1.619 deutsche Reichsangehörige. 20.157 a u s " ländischen Männern standen 2.097 ausländische Frauen gegenüber - Frauen machten damit knapp über 10 Prozent der Männer aus. Ausländische Frauen in den Hermann-Göring-Werken, Linz7™ Nationalität

Frauen

Armenien Belgien Bulgarien Dänemark

1 16 17 2

Estland Frankreich

3 174

davon Volksdeutsche

1

1

775 RMO, Verordnung über die Einführung der Arbeitspflicht in den besetzten Ostgebieten, 19.12.1941. Zur gesamten Problematik vgl. Herbert, Fremdarbeiter, 157-161. 776 BA, N S 5 - I, 263, Deutsche Arbeitsfront (DAF), Amt für Arbeitseinsatz, Werksküchenaktion 1942, 23.7.1942.

777 BA, N S 5 - 1 , 270, DAF, Reichsführer SS, Einsatz weiblicher Arbeitskräfte aus dem altsowjetischen Gebiet in deutschen Haushaltungen, 10.9.1942. Ebenda, Amt für Arbeitseinsatz, Einsatz von Ostarbeiterinnen, 26.9.1942.

778 Datenbank, Historisches Archiv der VOEST ALPINE AG, Linz, Stand Juni 2001, erhoben von Michaela C. Schober. 779 Datenbank, Historisches Archiv der VOEST ALPINE AG, Linz, Stand Juni 2001. Falls nicht anders angegeben, wurde die Erhebung von der Autorin durchgeführt.

364 Nationalität

Galizien Generalgouvernement Griechenland Italien Jugoslawien Kroatien Lettland Litauen Lothringen Luxemburg Niederlande Polen Polen-Ukraine Protektorat Rumänien Rußland Rußland-Ukraine Schweiz Serbien Slowakei Spanien Ukraine Ungarn Staatenlos Gesamt

Gabriella Hauch Frauen

davon Volksdeutsche

4 2 102

77

4

8 123

22

3

1

16

!5 1 13 82

7 60

54 734

8

230

1

2

2 10

2

127

37

1 37 18

5 53 3

2.097

154

158

Der Begriff Ostarbeiterinnen780 war eine denunziatorische Wortkreation der Nationalsozialisten und umfaßte als Sammelbegriff die Frauen und Männer, die bei Kriegsbeginn Bewohnerinnen der Sowjetunion waren, dazu zählten Rußland, Rußland-Ukraine, die Ukraine und Weißrußland. Mit der Bezeichnung war eine spezielle - diskriminierende Gesetzgebung für diese ausländischen Arbeiterinnen in Form der „Ostarbeiter-Erlasse" verbunden.7®1 Den mentalen Resonanzboden für ihre Behandlung bildete der im deutschsprachigen Raum verbreitete „Antislawismus", wozu - im Gegensatz zu den antijüdischen und antiziganischen Stereotypen - bislang historische Längsschnitt-Untersuchungen fehlen.782 780 Folgende Angaben sind, wenn nicht anders gekennzeichnet, Eigenberechnungen aufgrund der Datenbank, Historisches Archiv der VOEST ALPINE AG, Linz, erhoben Juli 2000. 781 Herbert, Fremdarbeiter, 155—157. 782 Frankenberger, Lebensgeschichtliche Erinnerungen, 41-44.

365

Zwangsarbeiterinnen und ihre Kinder

In den H G W bildeten die „Ostarbeiterinnen" (Rußland, Rußland-Ukraine, Ukraine, mit über 1000 Frauen - ca. 50 Prozent - die bei weitem größten Gruppe an ausländischen Arbeiterinnen. Bis zum Jahr 1940 wurde im Personalbüro der HGW, dessen Akten in die Datenbank des Historischen Archivs der V O E S T A L P I N E AG, Linz eingeflossen sind, keine Russin oder Ukrainerin registriert. Selbst 1941 traten nur eine Ukrainerin und eine „Russin" in die H G W ein. Letztere war vorher als landwirtschaftliche Arbeiterin in „Oberdonau" beschäftigt.783 Erst ab dem Sommer 1942 begann der Anteil an ausländischen Arbeiterinnen in den Hermann-Göring-Werken zu steigen. Von den über 1000 Ausländerinnen, die in 1942 in die H G W eintraten, kamen 683 aus Rußland und der Ukraine, im Jahr 1943 traten 257 Ostarbeiterinnen und 1944 noch 127 in die H G W ein. Die zweitgrößte Ausländerinnengruppe in den H G W bildeten die 185 Französinnen, darunter eine Volksdeutsche, und die drittgrößte die 82 Polinnen, zu denen in der folgenden Aufstellung auch die sieben Frauen aus „Polen-Ukraine" gezählt werden.

Eintritte von Ostarbeiterinnen, Französinnen und Polinnen in die HGW 7 ® 4 Ostarbeiterinnen

Französinnen

Polinnen

1941

3

0

0

1942

683

39

'943

256

3° !3 2

1944

I2

'945 Gesamt

7 17

20

'S

3

22

1086

185

89

Die Eintrittszahlen der drei größten ausländischen Frauengruppen in den H G W korrelieren mit der gesamten Politik des „Ausländer-Einsatzes". „Oberdonau" wurden aufgrund der geographischen Lage weniger Polen und Polinnen als Arbeiterinnen aus Südosteuropa und Osteuropa zugewiesen.785 Der Schub an Französinnen im Jahr 1943 entsprach den Verhandlungen von NS-Deutschland mit der Vichy-Regierung über eine Verschärfung der Dienstverpflichtung nach Deutschland.786 Die Dominanz der Ostarbeiterinnen in den H G W prägt entsprechend auch die vorliegende Arbeit.

783 Datenbank, Historisches Archiv der VOEST ALPINE AG, Linz, Marie M., geb. 25.9.09, Eintritt: 17.11.1941 als Küchenhilfe. 784 Ich beschränke mich auf die drei zahlenmäßigen stärksten Gruppen. Mehrfachnennungen sind möglich, da manche Frauen mehr als einmal „eintraten", daher die Unterschiede zu Anm. 779. Zusammengestellt von Michaela C. Schober, Stand August 2001. 785 Freund/Perz, Fremdarbeiter, 117 ff. 786 Yves Durand, Vichy und der „Reichseinsatz", in: Herbert (Hrsg.), Europa, 184-199.

Gabriella Hauch

3 66

REKRUTIERUNGSARTEN: „ T R A N S P O R T UND D I E N S T V E R P F L I C H T U N G " ' 8 ' Den Eroberungsfeldzug der deutschen Truppen in der Sowjetunion begleitete eine enorme Migrationswelle der sowjetischen Bevölkerung in Richtung Osten. Ein Drittel war geflohen, in die Industriebetriebe des Hinterlandes evakuiert oder zur Roten Armee eingezogen worden. Die dort notwendigen Positionen an Facharbeiterinnen und Soldatinnen füllten vorwiegend Männer zwischen 20 und 40 Jahren aus. Deswegen waren in den ländlichen Gebieten vor allem Frauen, Jugendliche, Kinder und alte Leute zurückgeblieben, die die deutschen Truppen als „Rekrutierungspotential" vorfanden.'88 Für den „Arbeitseinsatz" nach Deutschland wurde mit verschiedenen oft widersprüchlichen Methoden geworben.'89 Seit 1939 war in Polen eine Kombination von Anreiz, Druck und Terror erprobt worden. Nun fand sie auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion ihre Fortsetzung. So kamen etwa Flugblätter zum Einsatz, wie das „Merkblatt für ausländische gewerbliche Arbeitskräfte"790, die „gleiche Achtung und Anerkennung wie der deutsche Arbeiter" versprachen. Frauen und Jugendlichen wurden spezielle Schutzbestimmungen in Aussicht gestellt.791 In lokalen Zeitungen wurde gleichzeitig ein idealisiertes Bild von Deutschland propagiert. Ergänzt wurde diese positive Performance von der ultimativen Forderung an lokale Behörden, bestimmte Kontingente von .Freiwilligen' zusammenzustellen. Für die Anwerbungen zeichneten Besatzungsbehörden, Arbeitsämter und Wehrmacht verantwortlich. Zu Beginn der Besatzungszeit begünstigte ein Bündel von Faktoren, vor allem in der Westukraine, die Sympathie der nichtjüdischen Bevölkerung für die Deutschen. Dazu zählten die negativen Erfahrungen mit der polnischen und der sowjetischen Herrschaft der letzten Jahrzehnte, vor allem der antiukrainischen sowjetischen Nationalitäten- und Wirtschaftspolitik, die in Hungersnöten kulminiert war. Verstärkend wirkte die antisemitische polnische und ukrainische Kultur, in der das rigorose Vorgehen gegen die jüdische Bevölkerung durch die Deutschen wirkungsvolle Unterstützung fand.792 Von Seiten der deutschen Besatzung wurde zwischen Ukrainerinnen aus dem Generalgouvernement, also Westgalizien, und jenen

787 Dabei handelt es sich um eine Spalte aus dem Eintrittsformular in den Akten des Lohnbüros der H G W . 788 Rolf-Dieter Müller, Die Rekrutierung sowjetischer Zwangsarbeiter für die deutsche Kriegswirtschaft, in: Herbert (Hrsg.), Europa, 234-250. 789 Frankenberger, Lebensgeschichtliche Erinnerungen, 22-24 u. 167-174, Schwarze, Kinder, 26-49. 790 BA, R - 59 - 48, Mai 1942. 791 O O L A , BH-Steyr, Sch. 298. Gestapo Linz, 22. Mai 1942: Einsatz von Arbeitskräften aus dem Osten. 792 Thomas Sandkühler,,Endlösung' in Galizien. Der Judenmord in Ostpolen und die Rettungsinitiativen von Berthold Beitz 1941-1944, Bonn 1996, 53-62. Zum Mythos der ukrainischen Freiwilligen: vgl. Müller, Rekrutierung, 42. Gerald Reidinger, Auf Sand gebaut, Hamburg 1962, 304 u. 319: von den 500.000 jungen Ukrainerinnen waren 13.000-15.000 freiwillig gekommen.

Zwangsarbeiterinnen und ihre Kinder

367

aus der ehemaligen Sowjetunion unterschieden. Die einen galten als Verbündete Deutschlands, die anderen als feindliche Bolschewistlnnen. Entsprechend paradox präsentieren sich die Motivationslagen, sich zum ,Arbeitseinsatz" in das Deutsche Reich zu melden. Für die ca. 10 Prozent „Freiwilligen" aus der besetzten Ukraine, die sich vom Winter 1941 bis zum Sommer 1942 zum ,Arbeitseinsatz" meldeten, gab es hauptsächlich „eine Frage - es war der Hunger. Die Leute hatten nichts zu essen, sie suchten Arbeit, um zu überleben."793 Zu den freiwilligen' gehörten auch die damals 17jährige Anna Fränkel und die 18jährige Ida Blutreich. Beide waren Jüdinnen, die das Ghetto ihres Wohnortes Rawa Ruska, einer kleinen Stadt 30 Kilometer von Lemberg entfernt, verließen und sich zum Arbeitseinsatz nach Deutschland meldeten. Papiere von bereits verstorbenen Ukrainerinnen sollten ihnen ermöglichen, den Holocaust zu überleben.794 Ida Blutreich kam als Katharina Leszczyszyn nach Linz und arbeitete schließlich als Bürokraft im Personalbüro der Hermann-Göring-Werke. Die Geschichte der beiden Frauen wird im Kapitel „Frauen und Freundinnen" ausfuhrlicher behandelt. So fantastisch diese Strategie klingen mag, die beiden waren nicht die einzigen, die auf diese Weise zu überleben versuchten. Von der relativ kleinen jüdischen Gemeinde Rawa Ruskas überlebten zwei weitere junge Frauen als Ukrainerinnen verkleidet, und Ida Blutreich lernte in den H G W eine russische Jüdin kennen, die ebenfalls auf diese Weise die NS-Herrschaft überleben sollte. Diese Möglichkeit der Lebensrettung war ausschließlich Frauen vorbehalten. Jüdische Männer wären durch die traditionelle Beschneidung bei den medizinischen Untersuchungen entdeckt worden. Die ersten Berichte und Briefe dieser Freiwilligen über die reale Arbeits- und Lebenssituation in Deutschland kontrastierten das propagierte Ideal, und der Freiwilligenstrom versickerte. Seit dem Frühling 1942 lösten in der Rekrutierungsart für den .Arbeitseinsatz" Zwang und Gewalt die propagandistischen Versprechungen vom besseren Leben ab. Rekrutiert wurde überall, auf Dorffesten ebenso wie auf der Straße, lediglich 15 Jahre alt sollten die zukünftigen Arbeiterinnen sein. Nachdem zum Beispiel im ukrainischen Jastrebinoje alle Dorfbewohnerinnen registriert worden waren und sich niemand freiwillig meldete, begannen - als gemeinsame Aktion von deutschen Besatzern und ukrainischer Polizei - die Verhaftungen.795 Gemeinsam mit einer Freundin hatte sich die sechzehnjährige Jewdokia Schapowal, verheiratete Rosdobudko, im Obstgarten versteckt. Schnell entdeckt, wurden sie zum Dorfplatz gefuhrt und mit anderen Jugendlichen di-

793 Interview mit Niza Ganor, geb. Anna Fränkel, in Jerusalem am 19./20./21.7.2000. Transkript bei der Verfasserin. Ich danke Niza Ganor für die Zeit und Energie, die sie für unser Gespräch aufwendete, sowie die Gastfreundschaft, die ich bei ihr und ihrem Mann Mordechai Ganor in Jerusalem erleben durfte. Näheres zu Niza Ganor im Kapitel „Frauen und Freundinnen". 794 Sandkühler, Endlösung, 1 1 0 - 2 8 9 . 795 Brief von Jewdokija Rosdobudko an Karl Fallend, Sommer 1999. Übersetzung aus dem Russischen von Natascha Bodnar, der ich für die gute Zusammenarbeit danke.

3

68

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rekt auf „Transport" geschickt. Ohne eine Möglichkeit, sich von der Familie und von Freundinnen zu verabschieden oder persönliche Sachen oder Kleidung mitzunehmen. Jewdokia Schapowal wurde „Eisengießerin" in den Hermann-Göring-Werken in Linz. Ihr Schicksal war kein Einzelfall.796 Eine Zwangsrekrutjerung nach Jahrgängen erlebte Olga Afanasjewna Gribkowa verh. Bojarschynowa im Jahr 1943.797 Mit ihrer Mutter und fünf Geschwistern lebte sie in Slawjansk, einer Stadt im Donetsk-Gebiet, als die deutsche Armee einzog: „Sie nahmen uns alles weg", verbrannten Lebensmittellager, vertrieben die Menschen aus ihren Wohnbaracken und vergewaltigten Frauen. Hunger und Angst prägten die Stimmung. Männer wurden von der Straße weg zur Kommandantur verschleppt, wovon sie nicht mehr zurückkamen. Olga arbeitete in einer Sowchose, als die deutschen Besatzer begannen, die jungen Leute der Stadt nach Geburtsjahrgängen über das Arbeitsamt zu erfassen, um sie nach Deutschland zu deportieren. Begonnen wurde mit 1923. Als Olgas Jahrgang 1925 - an der Reihe war, versuchte der Leiter der Sowchose, sie als unabkömmlich erklären zu lassen und vor der Deportation zu retten. Vergeblich. Nach ihrer Schwester war Olga bereits die zweite in ihrer Familie, die zur Zwangsarbeit nach Deutschland mußte. Die Rekrutierung nach Jahrgängen riß Familien und Geschwister auseinander, was bei einer räumlichen Deportation von Ortschaften oder Straßenzügen nicht der Fall sein mußte. Denn zu den Rekrutierungsarten der Nationalsozialisten gehörte es auch, ganze Familien in das Deutsche Reich zu bringen. Marianna Matusiak wurde im Mai 1942 als Sechzehnjährige gemeinsam mit ihren Eltern und Geschwistern in der polnischen Stadt Swierczyna verhaftet und nach Linz gebracht, wo alle auf dem HGW-eigenen landwirtschaftlichen Gut Neydharting in Bad Wimsbach arbeiten mußten.798 Der „Transport" und die „Dienstverpflichtung" zum Arbeitseinsatz in das Deutsche Reich warteten auch auf sogenannte „Westarbeiterinnen", einer Kategorisierung, zu der die zweitgrößte ausländische Arbeiterinnengruppe in den HGW, die Französinnen, zählten. Seit dem 2. Februar 1943 galt für kinderlose Frauen zwischen 25 und 45 Jahren, die in Vichy-Frankreich lebten und keine „für das Land als nützlich anzusehende Arbeit verrichteten", die Verpflichtung zum Arbeitsdienst nach Deutschland.799 Auf den Personal-

796 „Von der Straße weg" wurde auch die damals 20jährige Marija Polianskaja Dzjuba in der ukrainischen Stadt Balakleja deportiert. Brief von Marie Polianskaja Dzjuba, 29. Mai 1999. Ubersetzung aus dem Russischen von Vitali Bodnar, dem ich für die gute Zusammenarbeit danke. 797 Olga Afanasjewa Gribkowa-Bojarschynowa, Meine Erinnerungen an die Kriegszeit, November 1999. Übersetzimg aus dem Russischen von Natascha Bodnar. Eine ausführliche Behandlung von Olga A. Bojarschynowa erfolgt im Kapitel „Frauen und Freundinnen". Ich danke Olga Afanasjewa Bojarschynowa für ihre ausführlichen Lebenserinnerungen sowie der Ubersendung von Zeitungsartikeln und Photos. 798 Vgl. Marianna Matusiak-Szczecin, Polen, in: Karl Fallend, Zwangsarbeit - Sklavenarbeit in den Reichswerken Hermann Göring am Standort Linz. (Auto-)biographische Einsichten, unveröff. Forschungsbericht, Wien - Linz 2000, Kapitel: „ P " - „Ost". Autobiographische Mitteilungen. 799 Yves Durand, Vichy und der „Reichseinsatz", in: Herbert (Hrsg.), Europa, 190.

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bögen der Eisenwerke Oberdonau (EWO) oder der H G W dieser Frauen wurde in der Rubrik „Rekrutierungsart" ein lapidares: „Dienstverpflichtung" und „Dauer": „unbegrenzt" notiert.800 Für viele Zwangsarbeiterinnen stellte der gewaltsame Abtransport eine nachhaltige Zäsur in ihren Lebenserinnerungen dar.801 Die Bilder des erzwungenen Abschieds am 17. April 1943, die Schreie und das Weinen, verfolgen Olga Bojarschynowa seit 58 Jahren. Kinder und Säuglinge wurden ihren Müttern aus den Händen gerissen, die Zurückgebliebenen klammerten sich an die abfahrenden Züge oder liefen hinterher. Auch sie selbst erlebte, wie Mutter und Geschwister sie nicht loslassen wollten und mit diesem wirkungslosen Protest gegen die Deportation ihrer Angehörigen auftraten. Ahnlich traumatisch und nachhaltig wurde in den Erinnerungen über die Transportbedingungen nach Linz, der Hunger und der Durst geschildert. Für Olga Bojarschynowa war es die Fortsetzung ihrer Situation in der Sowjetunion, wo sie bereits als Kind von der Hungersnot in der Ukraine, infolge der stalinistischen Kulaken-Säuberungen, betroffen gewesen war. Auch beim Kampf um die Stadt - „die mehrmals in verschiedenen Händen war" erinnerte sie vor allem an vor Hunger erschöpfte Menschen. Die Anweisung der deutschen Rekrutierungsmannschaften, drei Tage Proviant für den Transport mitzunehmen, war für die Familie Olgas ein Problem:,»Mutter rieb etwas rote Rüben, schwitzte sie an und füllte damit ein Glas" und „buk ein kleines Brot aus verbranntem Getreide. Als ich das aß, knirschten Steine und Kohle zwischen meinen Zähnen."802 Neben dem Hunger und dem Durst während des Transportes ist allen vorliegenden Erinnerungen von zur Zwangsarbeit in die H G W verpflichteten Frauen aus Rußland und der Ukraine das traumatische Erleben der hygienischen Zustände und die Verletzung der persönlichen, geschlechtsspezifischen Schamgrenzen gemeinsam. Als Transportmittel dienten mit Stroh ausgelegte Güterwaggons, die bei den Deportierten den Vergleich mit „Viehtransporten"803 hervorriefen. Um Schamgrenzen kümmerten sich - angesichts der gemischtgeschlechtlich belegten Waggons - weder deutsche Bewacher noch ukrainische Männer, erinnerte sich Olga Bojarschynowa. Besonders gravierend war für die jungen Frauen, daß sie die Notdurft neben den Männern und unter Aufeicht von deutschen Soldaten verrichten mußten: „so eine Verhöhnung".804 Jewdokija Rosdobudko erlebte es nicht anders: „Der Zug hielt kein einziges Mal. So mußten wir direkt im Waggon unsere Notdurft verrichten."805 Eine weitere, vor allem junge und Frauen vom Lande betreffende Schikane stellten die 800 Datenbank, Historisches Archiv der VOEST ALPINE AG, Linz, Bernadette F., geb. 25.3.1923 in Valencienne. 801 Die Erfahrung machte auch Tamara Frankenberger in ihren Interviews mit sowjetischen Frauen. Frankenberger, Lebensgeschichtliche Erinnerungen, 1 4 1 . 802 Bojarschynowa, Meine Erinnerungen, 2. 803 Rosdobudko, Brief, 1. Bojarschynowa, Meine Erinnerungen, 3. 804 Bojarschynowa, Meine Erinnerungen, 4. 805 Rosdobudko, Brief, 1.

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37°

ärztlichen Untersuchungen dar. Entsprechend der NS-Rassenideologie wurde osteuropäischen Menschen unterstellt, Trägerinnen von Infektionskrankheiten zu sein. Therese Schranner, hauptamtliche Arztin beim Arbeitsamt Wien, leitete im Jahre 1943 ihre Dissertation zum Thema „Ärztliche Erfahrungen beim Einsatz fremdländischer Arbeitskräfte" mit der Behauptung ein, daß diese „Arbeitskräfte" aus Ländern kämen, „in denen die einfachsten hygienischen Einrichtungen den Arbeitern unbekannt sind. Aus diesem Grunde ist mit der Einschleppungsgefahr vieler Krankheiten zu rechnen."806 Im November 1942 war es Wehrmachtsangehörigen per Erlaß verboten worden, auf individuellem Weg ukrainische Frauen und Mädchen als Hausgehilfinnen zu ihren Familien nach Deutschland zu schicken. Diese verbreitete Form, sich billige Hausangestellte zu engagieren - ein Beruf, der in Deutschland kaum mehr zu besetzen war wurde mit der Ansteckungsgefahr denunziert, die von diesen Frauen ausgehen würde.807 In diesem Sinne standen die ärztlichen Untersuchungen nicht nur im Dienste der Feststellung der Arbeitstauglichkeit, sondern auch der „Seuchenabwehr". Durchgeführt wurden sie vor dem Abtransport und/oder in den Durchgangs- oder Sammellagern am Zielort von Arztinnen der „Arbeitseinsatzverwaltung" bzw. der Gesundheitsämter sowie von Lager- und Betriebsärztinnen.808 Ein für Osterreich zentrales Durchgangslager befand sich in Straßhof, wo die „Entlausung der Ausländer und die Entwesung ihrer Sachen" stattfand. Im „unreinen Teil der Anlage geben die ausländischen Arbeiter ihre Kleidungsstücke ab. Von dort kommen diese in die Entlausungskammern. In der Zwischenzeit werden die Arbeitskräfte einer ärztlichen Untersuchimg unterzogen und dann gereinigt. Die Untersuchung findet vor der Entlausung der Menschen statt, damit etwaige infektiöse Erkrankte sofort ausgeschieden werden können ... Alle behaarten Stellen des Körpers werden am zuverlässigsten mit Cuprex behandelt. Die Haupthaare der Männer und Frauen werden ebenfalls der gleichen Behandlung unterzogen und mechanisch bis zu einer halben Stunde pro Person Läuse und Nisse entfernt. Dann kommt das Reinigungsbad",809 nach dem die Arbeiterinnen ihre gereinigten Kleidungsstücke zurückbekommen sollten. „Die Person, die uns im Duschraum Seife und Handtuch reichte, war ein Mann und keine Frau ... Kein Mann hatte mich bisher nackt gesehen, abgesehen von Ärzten ... und neben dem Gefühl der Scham empfand ich ein Gefühl der Wut, daß man Menschen so grundlos verletzen mußte. Hätte man nicht eine Frau mit dieser Aufgabe betrauen können?" 810

806 Therese Schranner, Arztliche Erfahrungen beim Einsatz fremdländischer Arbeitskräfte, masch. unveröff. Dissertation, Universität Wien 1 9 4 3 , 1 . 807 Anordnung vom 3 0 . 1 1 . 1 9 4 2 : Eigene Vermittlung von Arbeitskräften aus dem Osten durch Wehrmachtsangehörige, 607. 808 Schranner, Arztliche Erfahrungen, 2. 809 Schranner, Ärztliche Erfahrungen, 3 3 f. 8 1 0 Meyer Levin, Die Geschichte der Eva Korngold, Frankfurt a. M., 36. Meyer Levin siedelt die ärztliche Untersuchung von Eva Korngold alias Ida Blutreich in Wien an, als sie noch gemeinsam mit Anna Frankel unterwegs war. Diese bestreitet, daß sie dort medizinisch untersucht wurden, möglicherweise wurde Ida

Zwangsarbeiterinnen und ihre Kinder

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In Linz kamen alle Zwangsarbeiterinnen in das „Durchgangslager 39" im Stadtteil Bindermichl, das von den H G W im Jahre 1942 an das Arbeitsamt Linz verkauft und erweitert worden war. 8 " Noch im Besitz der H G W bestand es aus 12 Mannschaftsbaracken ä 108 Menschen Belegschaft und bot für 1.290 Menschen Platz. Nach der Erweiterung vergrößerte sich diese Zahl auf 1.778. Wie lange die ,Desinfizierten' dort auf die Zuteilung zu einem Arbeitsplatz warten mußten, differiert in den Erinnerungen. Aber dann kamen die „Einkäufer: Bauern und Werksvertreter suchten sich Arbeitskräfte aus", erinnerte sich Olga Bojarschynowa.8'2 Doch nicht nur im zentralen Durchgangslager für Oberdonau fand diese Prozedur statt. Auch in den H G W selbst, im „Lager 57", wurde die „Reinigungsprozedur" vollfuhrt. Jewdokija Rosdobudko: „Im Lager zog man uns aus und man rieb uns mit irgendeiner Salbe ein. So saßen wir 24 Stunden. Dann gingen wir in die Dusche und bekamen Arbeitskleidung, Holzschuhe und Anzüge aus grobem Leinen. Der Stoff war so grob, daß er am ganzen Körper unangenehm scheuerte."8'3 Forschungsergebnisse in Deutschland etwa die 1994 publizierte Studie über die Zwangsarbeit während des Nationalsozialismus bei Daimler-Benz 8 ' 4 - zeigten, daß in Wirklichkeit oft erst die Lebensbedingungen in den Wohnbaracken während des ,Arbeitseinsatzes" im Deutschen Reich dazu führten, daß die ausländischen Arbeiterinnen von Ungeziefer befallen wurden. 8 ' 5

Blutreich in Linz untersucht. Weitere Schilderungen aus frauenspezifischer Sicht über die medizinischen Untersuchungen in Durchgangslagern belegen die Scham und Scheu der Frauen und die Lust der Männer, sie dabei zu beobachten, vgl. Giolanta Rerentsio, 4 1 3 meres, Estia 1981, 52-54. Diese Griechin schildert ihre Untersuchung vom August 1944 - ich danke Christian Gonsa für die Ubersetzung dieser Seiten. 811

O O L A , HGW-Bestand, Lager, M . 4 - auf der Rückseite ist vermerkt: „verkauft 7.1.1942".

812 Bojarschynowa, Meine Erinnerungen, 4. 813 Rosdobudko, Brief, 2. 814 Barbara Hopmann/Mark Spoerer/Birgit Weitz/Beate Brüninghaus, Zwangsarbeit bei Daimler-Benz, Stuttgart 1994. 815 Frankenberger, Lebensgeschichtliche Erinnerungen, 179. Die Massenlager zumindest des Daimler-BenzKonzerns wurden nur äußerst unzureichend gesäubert, vgl. Hopmann u. a., Daimler-Benz, 284.

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W O H N E N IM L A G E R UND A R B E I T IM B E T R I E B

Das Lagergeflecht der Hermann-Göring-Werke überzog den Süden von Linz.8lÄ In den meisten Lagern herrschte strenge Geschlechtertrennung. Es gab insgesamt dreizehn Lager, in denen mehr als zehn Frauen wohnten:8'7 Lager 9, 20, 21, 22, 23, 30,40,43,44, 57, die Lager Negrelli und Zizlau. Da Frauen während ihrer Beschäftigung die Lager wechselten, stimmen die Zahlen nicht mit den insgesamt Beschäftigten überein. Die Analyse der Rubrik „Unterkunft" der Datenbank der Unabhängigen Historikerkommission der VA-Stahl ergab jedoch klare Ausländerinnen-Lager. Vor allem die Ostarbeiterinnen wurden in großer Anzahl gemeinsam untergebracht. Das größte Frauenlager war im „Lager 57", das im Süden von der Salzburger Reichsstraße, im Osten von der Niedernharter Straße begrenzt wurde und damals die Anschrift „Weiserreichsstraße" trug.818 Zu den 183 Ostarbeiterinnen kamen noch 18 Polinnen und eine aus der polnischen Ukraine. Sie lebten in zehn Baracken, teilten sich vier ,Abortbaracken" und eine Waschbaracke.819 Von den Männern trennte sie ein Zaun. Jewdokija Rosdobudko, Jahrgang 1927, war eine der 183 Ostarbeiterinnen, die im Lager 57 lebten. Mit einer Freundin und 18 anderen Frauen bewohnte sie die „Stube" 6 in der Baracke 13. 820 Es gab jedoch auch Stuben, in denen Ehepaare untergebracht waren.821 Als „Frauenlager" tituliert wurde hingegen das Lager 44. 24 (28) Französinnen, 15 Polinnen und 11 (16) Frauen aus Rußland-Ukraine waren dort untergebracht.822 Neben der Verwaltungsbaracke gab es vier Wohnbaracken, eine Verwaltungs- und eine Waschbaracke.823 In diesem Lager lebte eine Zeidang Ida Blutreich.824 Ob es dort, wie im Roman von Meyer Levin geschildert, Schlafsäle für vierzig Frauen im Gegensatz zu den „Stuben" gab, die üblicherweise die Baracken gliederten, ist aus dem Lagerplan nicht abzulesen.825 Regelrechte „Ostarbeiter- und Ostarbeiterinnen-Lager" waren auch das Lager

816 Helmut Lackner, Von der Gartenstadt zur Barackenstadt und retour, in: Historisches Jahrbuch der Stadt Linz 1986, Linz 1987, 217-271. 817 Erhebung „Unterkunft", Datenbank, Historisches Archiv der V O E S T A L P I N E A G , Linz, erhoben von Michaela C. Schober, August 2000. 818 OOLA, Großraum-Plan Linz, 1943 und 1944. 819 OOLA, HGW-Bestand, Sch. Pläne, M. 17. Die durchgestrichenen Linien etc. stammten aus der Zeit nach 1945, wo diese Lager als Unterkunft für VOEST-Beschäfügte, DPs etc. dienten. 820 Rosdobudko, Brief, 2. 821 Vgl. Das Kapitel „Die Kinder der Ostarbeiterinnen der H G W " , S. 432 ff. 822 Erhebung „Unterkunft", Historisches Archiv der V O E S T A L P I N E AG, Linz, erhoben von Michaela C. Schober, August 2000. 823 OÖLA, HGW-Bestand, Sch. Pläne, M. 7. 824 ,Aufnahme-Blatt" für Angestellte, in: Personal-Akt Katharina Leszczyszyn; Personalarchiv, VA-Stahl. 825 Levin, Eva, 145.

Zwangsarbeiterinnen und ihre Kinder

-JÙ

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UM ESFISTE vx-F.;

RÄRIWWÄÄ'

Plan „Wohnlager 57": rechts das Frauenlager

21 mit 99 Frauen von ingesamt 239 Gesamtbelegschaft aus der Ukraine826 und das „Lager Negrelli" mit 153 Ostarbeiterinnen von insgesamt 779 dort lebenden Russinnen und Ukrainerinnen. Auf den Plänen sind die abgezäunten Frauenräume deutlich erkennbar. Im speziellen „Ostarbeiterlager 43" wohnten hingegen nur 38 Russinnen und einEr aus Weißrußland, einEr aus dem Protektorat und zwei aus dem Deutschen Reich. Entscheidend für die Lebensbedingungen der ausländischen Arbeiterinnen erwiesen sich ihre Ausbildung und ihre Beschäftigungsart in den HGW.

826 Datenbank, Historisches Archiv der VOEST ALPINE AG, Linz, erhoben von Michaela C. Schober, September 2000.

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Beschäftigungsarten der ausländischen Frauen:8'7 Gesamtzahl (mindestens 4 Beschäftigte)

Allgemeine Verwaltung Ambulanz Sanitätsstelle Arbeitseinsatz Gefo-A Bearbeitungswerkstatt I u. II. (Schweißerei/Stahlbau) Bau- und Platzbetrieb Bauabteilung Blechwalzwerk Elektroabteilung Elektrobetrieb Energie- und Betriebswirtschst. Gesenkschmiede Haupdager Hauptwerkstätte Hausverwaltung Kaufmännische Verwaltung Kokerei Kraftwerk Küchenbetriebe/-Verwaltung Lagerwesen Ledigenheimverwaltung Maschinenbetrieb Ostarbeiterlager Sozialbüro, Gefo-S Stahlgießerei Stahlwerk Ukrainerlager-Führung Vergüterei Versuchsanstalt Wohnlagerverwaltung

14 11 12 11 3.639 70 1.033 170 IOI 58 94 706 218 123 335

H 55 2 5 456 70 4 2.106 25 19 1.062 824 H 49 2 229 247

davon Frauen: Ostarbeiterinnen Französinnen - Polinnen 9:0-0-0 4: 0 - 1 - 0 7:4-1-0 6: 0 - 3 - 1 113:34-29-5 5:5-0-0 22: 13 - I - 0 8:5-1-0 13: 2 - 0 - 1 9:3-0-0 15: 1 0 - 2 - 0 50:27-3-3 44: 28 - 4 - 0 8:6-0-0 308: 1 3 9 - 22 - 4 1 6: 3 - I - 0 8: 7 - 0 - 0 4:3-0-0 282: 113 - 4 2 - 1 6 6: 4 - 1 - 0 4: 1 - 0 - 0 143:75-10-16 5: 14 ? - 0 - 0 18: 1 8 - 0 - 0 84: 32 - 4 1 - 1 4: 1 - 1 - 0 14: 1 4 - 0 - 0 71:41-11-5 38: 1 4 - 5 - 0 140: 102 - 22 - 5

Die meisten Frauen arbeiteten im Reproduktionsbereich. Diese geschlechtsspezifische Arbeitszuteilung paßte sich in die zeitgeschichtliche Geschlechterpolitik ein. Begonnen hatte die Diskussion um die Anwerbung von Frauen aus der Sowjetunion und der Ukraine mit der Argumentation, daß sie durch Übernahme der häuslichen Reproduk827 Da die Frauen während ihrer Zeit in den H G W die Arbeitsplätze wechselten, korrelieren diese Zahlen nicht mit der Beschäftigtenanzahl; überdies wurde diese Abfrage bereits im September 2000 getätigt.

Zwangsarbeiterinnen und ihre Kinder

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tion deutsche Frauen entlasten könnten. Am 10. September 1942 veröffentlichte Fritz Sauckel den Erlaß über die „Hereinholung von Ostarbeiterinnen" als Dienstmädchen und Haushaltshilfen.828 In der „Hausverwaltung", der „Wohnlagerverwaltung" und in den Küchenbetrieben der HGWarbeiteten 252 „Ostarbeiterinnen", 86 Französinnen und 62 Polinnen. Dabei handelte es sich um rund ein Viertel aller Ostarbeiterinnen, deutlich mehr als die Hälfte aller Französinnen und rund 80% der Polinnen. Aus diesem ungleichen Zahlenverhältnis wird ersichtlich, daß relativ viel mehr Ostarbeiterinnen im Produktionsbereich zum Einsatz kamen, was auch die Statistik belegt.829 Gisela Bocks These von der „sexuellen Applanation" in rassistischen Kontexten besagt,830 daß bei Männern und Frauen „minderwertiger" ethnischer Gruppen die Geschlechterdifferenzen in der Behandlung zusehends nivelliert wurden, im Gegensatz zu „höherstehenden" Ethnien. Dies traf bei den H G W auf die Tätigkeiten von Ostarbeiterinnen, weniger jedoch auf die der Französinnen und auf die Polinnen zu. Je „niedriger" die ethnische Gruppe in der rassistischen Hierarchie gewertet wurde, desto höher gestaltete sich der Frauen- und Männeranteil im Produktionsbereich der Schwerindustrie. Warum die Polinnen, die im Bereich der Bevölkerungspolitik dieselbe repressive Behandlung wie die Ostarbeiterinnen erfuhren, in den H G W so spärlich in der Produktion zum Einsatz kamen, konnte nicht eruiert werden. Von den Französinnen arbeiteten 91 Frauen in der „Bearbeitungswerkstatt", im „Maschinenbetrieb", der „Vergüterei" und der „Stahlgießerei", was trotz der Möglichkeit von Mehrfachnennungen wegen Arbeitsplatzwechsel zeigt, daß auch „höher"gestellte „Westarbeiterinnen" mehrheitlich im Produktionsbereich der Schwerindustrie zum Einsatz kommen konnten. Der notwendige Einsatz von Frauen im Produktionsbereich wird 1943 deutlich. Stichproben aus der Datenbank des Jahres 1943 veranschaulichen im Vergleich zu den Eintretenden des Jahres 1942 eine Veränderung in der Beschäftigung der neu zugegangenen Arbeiterinnen. Eine Möglichkeit, die fehlenden Facharbeiter in der Produktion zu ersetzen, bildete die Ausweitung von Fließbandfertigungssystemen, was per Erlaß vom 3. Dezember 1941 als Einführung von Serien-Massenproduktionen für die Rüstungsindustrie dekretiert worden war.8'1 Dem entsprach der Rationalisierungsgrad der H G W und die Struktur der technisierten Produktionsabläufe, die darauf abzielten, ausländische Arbeiterinnen ohne Vorbildung in kürzester Zeit anlernen zu können.

828 829 830 831

Herbert, Fremdarbeiter, 176 f. Vgl. den Beitrag von Michaela C. Schober, Bd. 1, S. 147 ff. Bock, Zwangssterilisation, 135 ff. Führererlaß vom 3.12.1941: Vereinfachung und Leistungssteigerung unserer Rüstungsproduktion, in: Herbert, Fremdarbeiter, 151.

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Olga C. zum Beispiel begann am 23. Juni 1943 ihre Beschäftigung in den HGW. 8 j I Sie war am 2. Juli 1925 in Vinnitsa, Ukraine, geboren worden und hatte dort bei der „Schutzpolizei Winiza" als Küchengehilfin gearbeitet. In den E W O begann sie jedoch als „Kranfahrerin Anlernling" und avancierte ab 1. November 1943, d. h. nach etwas mehr als vier Monaten Anlernzeit, zur „Hilfs-Kranfahrerin". Im Jänner 1945 wurde ihre Beschäftigung als „Kranfahrerin" bezeichnet. Auch Nadia D., die mit demselben Transport wie Olga von Vinnitsa nach Linz gekommen und derselbe Jahrgang wie sie war, absolvierte ebenfalls diese Laufbahn.833 Der verschärfte Arbeitskräftemangel im Produktionsbereich der H G W wurde im Laufe der zweiten Hälfte 1944 deutlich, als Ostarbeiterinnen, die im Reproduktionsbereich tätig waren, in den Produktionsbereich zurückbeordert wurden. Wie Olena F.,834 die als 16jährige am 29. Juni 1942 als Putzfrau im „Ostarbeiterlager" der E W O zu arbeiten begonnen hatte. Im Oktober 1943 wechselte sie in selber Tätigkeit zur Hausverwaltung. Ein Jahr später, am 15. September 1944, wurde sie jedoch fiir die „Verfertigung angeordnet" und einen Tag später als „Betriebshelferin" bei der „Ofenbedienung" geführt. Ihr Stundenlohn von 45 Pfennigen blieb die Jahre hindurch gleich. „Privilegien" innerhalb des Systems der Zwangsarbeit konnte die Beschäftigung in einer besonders gefragten Berufssparte bringen.835 Dolmetscherinnen und Schreibmaschinenkundige waren gefragte Arbeiterinnen. In der HGW-Datenbank sind von 51 „Dolmetschern)" siebzehn Frauen, darunter sechs Russinnen, zum Beispiel Larissa IC836 Sie hatte in der Sowjetunion zwei Jahre an einer chemischen Hochschule studiert und bereits unter der deutschen Besatzung beim Gebietskommissar in Proskurow als Dolmetscherin gearbeitet. Durch „Zuweisung" kam sie nach Linz. Am Beginn ihrer Tätigkeit in den H G W wohnte sie nicht in einem Lager, sondern in der Bethlehemstraße 4. Am 14. April 1944 begann sie im Maschinenbau-Betriebsbüro als Dolmetscherin zu arbeiten, ab 1. Juni 1944 wurde sie als „Bürohilfskraft" geführt. Zuerst wohnte sie im „Lager 57", später im „Ledigenheim Schörgenhub". Auch diese Tätigkeiten, wie Büroarbeit und Übersetzen, führten bei Zwangsarbeiterinnen nicht automatisch zu einem „Angestelltenverhältnis", wie die Statistik von Michaela C. Schober zeigte. Insgesamt fielen unter diese Beschäftigtenkategorie nur eine Französin, eine Frau aus dem „Generalgouvernement", eine Russin und eine Ukrainerin. Aus „Rußland-Ukraine" wurde keine geführt.837

832 Datenbank, Historisches Archiv der V O E S T 833 834 835 836 837

ALPINE A G ,

Linz, Olga

C.

Datenbank, Historisches Archiv der V O E S T A L P I N E A G , Linz, Nadia D. Datenbank, Historisches Archiv der Voestalpine AG, Linz, Olga F. Vgl. das Kapitel von Karl Fallend „Das Privileg als Teil des Repressionssystems", Bd. 2, S. 86 ff. Datenbank, Historisches Archiv der V O E S T A L P I N E A G , Linz, Larisa K. Vgl. den Beitrag von Michaela C. Schober, Bd. 1, S. 147 ff.

Zwangsarbeiterinnen und ihre Kinder

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In diesem Rahmen, der die Zusammensetzung der Zwangsarbeiterinnen in den H G W nach ethnischen und nationalen Gesichtspunkten behandelte und ihre Wege nach Linz und ihre Tätigkeiten strukturell skizzierte, werden in den folgenden Teilen verschiedene Facetten auf die frauenspezifischen Lebenswelten sowie die in den Reichswerken Hermann Göring, Standort Linz, wirksamen Geschlechterverhältnisse und Geschlechterbeziehungen geworfen.

F R A U E N UND F R E U N D I N N E N Am 29. Juni 1942 traten acht Frauen aus Semeniwka als Putzfrauen in die H G W ein.838 Im darauffolgenden Jahr waren zum Beispiel am 1 1 . Mai Stalino und am 23. Juni 1943 Vinnitsa, beides Städte in der Ukraine, an der Reihe: Jeweils zwanzig Frauen, alles Jahrgänge zwischen 1923 und 1925, begannen in der Produktion zu arbeiten.839 Die Massendeportation vor allem von Ostarbeiterinnen nach Geburtsjahrgängen, Städten oder Straßen hielten familiale Verbindungen und amikale Strukturen über den Transport hinweg bis zum neuen Arbeitsplatz aufrecht. Geschwister, Cousinen und Cousins bis hin zu Freundinnengruppen prägten die Binnen-Sozialstruktur der ausländischen Beschäftigten der Reichswerke Hermann Göring, Linz. Die Bedeutung von Freundschafts- und Familiennetzwerken für Wirtschaft, Kultur und Politik wurde in der Sozial- und Alltagsgeschichte und von der Historischen Frauenund Geschlechterforschung früh erkannt. Diese oft das (Uber-)Leben sichernden, die Organisation des Lager- und Arbeitsalltags einfacher und erträglicher machenden Beziehungen beruhten auf den in Freiheit und gewohntem Sozialgefiige gewachsenen Strukturen. Bei den Zwangsarbeiterinnen in den H G W reichten die Gemeinsamkeiten von der geteilten Pflege von Neugeborenen bis zur gemeinsam begangenen „Arbeitsflucht".8«0 Freundschaft zwischen Frauen blieb nicht auf die ethnische Gruppe beschränkt. Ein ideologisches und systemimmanentes Kennzeichen des Nationalsozialismus ist die staatliche Definition und gesetzliche Reglementierung aller Aspekte von Privadeben und Individualität. Rassistische Konstruktionen griffen in den zwischenmenschlichen Bereich ein, um den sogenannten „Umgang" mit anderen - auch mit den ausländischen Arbeiterinnen - zu gestalten. Seit 1940 war der „Verbotene Umgang mit Ausländern und Kriegsgefangenen" in NS-Deutschland zum Massendelikt geworden.841 Zum Großteil wurden darunter sexuelle Beziehungen zwischen Kriegsgefangenen und deutschen Frauen sub-

838 Datenbank, Historisches Archiv der VOEST ALPINE AG, Linz. 839 Vgl. in der Arbeit von Karl Fallend das Kapitel: „Die Frauen von Vinnitsa", Bd. 2, S. I42ff. 840 Vgl. das Kapitel „Kinder im Lager 57" und BPolDion, A-Bücher. 841 Herbert, Fremdarbeiter, 1 2 2 - 1 2 4 .

37§

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sumiert, grundsätzlich waren damit jedoch alle zwischenmenschlichen Kontakte gemeint. Die Gründe, warum erotische Anziehung, Liebe, Freundschaft oder Sympathie zwischen Menschen entstehen, liegen in Bereichen des Gefühlslebens, die sich nicht zwingend von Ideologie, von Gesetzen und von Institutionen lenken lassen. In rassistisch segregierten Gesellschaften, wie das NS-System eine war, wurden Liebe, Freundschaft und Sexualität zwischen Deutschen und ,anderen' als ,illegal' definiert und die Akteure und Akteurinnen bestraft. Grundsätzlich galt, daß es „über den notwendigen dienstlichen Verkehr mit einem Fremdvölkischen hinaus, ... keine Berührung mit dem fremdvölkischen Menschen" geben durfte.842 Die Tatsache, daß das Verhältnis von ausländischen Arbeiterinnen und Deutschen während des Nationalsozialismus von Ungleichheiten geprägt war - durch hierarchisierende Positionierungen im Produktionsprozeß, in der geschlechtsspezifischen Sozial- bzw. Arbeitsschutzgesetzgebung etc. - , konstituierte die Rahmenbedingungen für die verschiedensten Verhältnisse und Beziehungsgeflechte zwischen weiblichen deutschen Reichsangehörigen und ausländischen Frauen. Diese objektiv nachvollziehbaren Bedingungen für Differenzen innerhalb der Gruppe der Frauen konnten jedoch angesichts individueller Lebensgeschichten anderen subjektiven Wirklichkeiten weichen. Damit ging eine Erweiterung des Handlungsspielraumes einher, in dem sich eine Beziehung zwischen einer „deutschen" und einer „fremdvölkischen" Frau entfalten bzw. gelebt werden konnte.

„ E I N F A C H HINGEZOGEN G E F Ü H L T " : O L G A GRIBKOWA UND H E D I B R U N N S T E I N E R 1989 trafen sich in einem Hotel in Saporoshje in der Ukraine zwei Frauen. Eine Ukrainerin, Jahrgang 1925, und eine Oberösterreicherin, Jahrgang 1923. 44 Jahre zuvor hatten sich die beiden im März 1945 im Stadtzentrum von Melk unter Tränen verabschiedet. Beide glaubten an einen Abschied für immer. Olga Gribkowa wurde mit anderen Ostarbeiterinnen nach Linz in die Reichswerke Hermann Göring transportiert, Hedi ging nach Eisenerz. Beide hatten im „Projekt Quarz" der Steyr-Daimler-Puch-Werke in der unterirdischen Rüstungsfabrik gearbeitet, das aufgrund der näher rückenden sowjetischen Armee evakuiert wurde.843 Ihre Freundschaft bedeutete eine Grenzüberschreitung der besonderen Art und zeigt, daß der gesetzlich verordnete „Umgang" mit „Fremdvölkischen" sowie der „Antislawismus" in der „deutschen" Bevölkerung in Ausnahmesituationen nicht umfassend wirksam war. 842 BA, N S 59 - 48, N S D A P , Gau Weser-Ems an den Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums, Hauptamt Volksdeutsche Mittelstelle, Merkblatt zur Volkstumsfrage, 26.6.1944. 843 Bertrand Perz, Projekt Quarz. Steyr-Daimler-Puch und das Konzentrationslager Melk, Wien 1991.

Zwangsarbeiterinnen und ihre Kinder

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Auf der Suche nach Informationen über das Leben der Zwangsarbeiterinnen in den H G W verfaßte Karl Fallend einen Fragebogen, den er an ehemalige Zwangsarbeiterinnen in ganz Europa aussendete. Die meisten Antworten bestanden aus einzelnen (Ab-)Sätzen, die direkt auf die jeweiligen Fragen Bezug nahmen. Nicht so der Brief von Olga Afanasjewa Gribkowa verh. Bojarschynowa: Ihre Antwort umfaßte 27 handgeschriebene Seiten und erzählte über ihr Leben. 844 Am 17. April 1943 wurde sie im Zuge der Rekrutierung aller 1925 geborenen Jugendlichen der Stadt Slawjansk im Donetsk-Gebiet, Ukraine, Richtung Deutsches Reich deportiert. Olga war damals noch nicht 18 Jahre alt und hatte in Slawjansk als Stanzerin gearbeitet. Anfang Mai 1943 teilte man sie im „Verteilungslager" in Linz den Steyr-Werken zu, wo sie als Schleiferin angelernt wurde. In ihrem Brief betonte sie, neben Frauen aus anderen Ländern Europas, „sogar eine Deutsche" kennengelernt zu haben, die wie sie an der Werkbank gearbeitet hatte: Hedi, deren Adresse sie beifügte.845 Olga Gribkowa legte in der Beschreibung ihrer Beziehung zu Hedi - wie in ihrer gesamten Lebensgeschichte - das Schwergewicht auf die politische Ebene. Sie selbst wäre Mitglied einer sowjetisch-russischen Widerstandsgruppe gewesen, zu deren Aktionen sie Hedi, die sie als Gegnerin der „deutschen Macht" charakterisierte, beigezogen hätte: „Wir verteilten gemeinsam Flugblätter, übergaben Pakete mit verschiedenen Sendungen in andere Lager." Eine dieser klandestinen Aktionen führte die beiden zum Konzentrationslager Mauthausen - eine atemberaubende Geschichte. Sofort nahm ich Kontakt zu Hedi Brunnsteiner auf. Gemeinsam mit Karl Fallend besuchte ich sie in Eisenerz und führte - im Beisein ihrer Tochter - ein Interview.846 Hedi Brunnsteiner resümierte über ihre Beziehung zu Olga, daß sie sie gern gehabt und sich zu ihr „einfach hingezogen gefühlt" hatte. Hedi Brunnsteiner war damals, im Sommer 1943, eine einsame junge Frau. Sie war bei Zieheltern aufgewachsen und arbei-

844 Bojarschynowa, Meine Erinnerungen. Ich danke Olga Afanasjewa Bojarschynowa für ihre ausführlichen Lebenserinnerungen, die Ubersendung von Zeitungsartikeln und Photos. 845 Bojarschynowa, Meine Erinnerungen, 8. 846 Interview mit Hedi Brunnsteiner, Eisenerz am 17.12.1999, geführt von: Karl Fallend und Gabriella Hauch, transkribiert von Gabriella Hauch. Wir danken Hedi Brunnsteiner für dieses Gesprach.

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tete seit ihrem 16. Lebensjahr im Kugellager in den Steyr-Werken, wohin sie täglich von Losenstein aus pendelte.847 Als das neue Werk in Münichholz eröffnet wurde, übersiedelte sie nach Steyr zur Tante ihres Verlobten, bei der sie - je nach Akkordergebnis verdiente sie monatlich 98 bis 100 R M - an Kostgeld 75 RM zahlen mußte. In Steyr fand sie keine Freundinnen. Die Gemeinschaft der „deutschen Ostmärkerinnen" blieb ihr verschlossen: „Da arbeitet die und die arbeitet da. Jede hat nach der Schicht nur heimgedrängt, nur du hast niemand gehabt. Nur in der Pause oder wenn die Maschine kaputt war, da bist du zu wem gegangen ..." 848 Als ihr Verlobter in Rußland fiel, hatte sie das Gefühl, „niemanden mehr zu haben". In dieser Situation erschienen ihr die „Russinnen" äußerst attraktiv. Sie bildeten eine sichtbare Gruppe und hielten „zusammen". Nach der Evakuierung des Kugellagers nach Lahndorf, zwischen Steyr und Ternberg, blieb sie während einer Mittagspause nicht wie üblich bei der Maschine sitzen, sondern fragte „die Russinnen", ob sie sich zu ihnen setzen dürfte. Frau Brunnsteiner schilderte, daß „die Strahlung" sofort gestimmt hätte. Seitdem verbrachte Hedi jede Pause mit ihnen, lernte auf russisch fluchen und das „Wolga-Lied" singen. Sie hatte das Gefühl, nicht mehr ganz allein zu sein, und Olga, die wie andere Zwangsarbeiterinnen im Werk als „rassisches Schwein" bezeichnet wurde, freute sich, als Ostarbeiterin eine deutsche Freundin zu haben. Sogar in die Wohnung der Tante auf der Ennsleiten wurde Olga zu Polenta und Hollerröster von Hedi eingeladen. Frau Brunnsteiner fühlte sich emotional mit den Russinnen nicht nur gleichgestellt „Die hat kaum was zum Anziehen und nichts zum Essen gehabt. Ich aber auch nicht" - , sondern beneidete sie sogar in einem Punkt: Olga hatte Heimweh nach ihrer Familie, Hedi hingegen hatte „niemand mehr gehabt". Hedi Brunnsteiners und Olga Gribkowas Beziehung war eine Ausnahme. Ihr gemeinsames Schicksal als Außenseiterinnen in feindlicher Umgebung machte sie zu Verbündeten, obwohl mit ihrer nationalen und ethnischen Herkunft im rassistischen Kontext völlig divergierende Handlungsspielräume verbunden waren. Ihre relative Macht durch die rassistisch konstruierte Hierarchie am Arbeitsplatz erfuhr auch die angelernte Schleiferin Hedi. Als einmal die Maschinen stillstanden und die vor ihr arbeitende Russin, „ein liebes Mädel", nichts tun konnte, besichtigte gerade eine Gruppe von Männern die Werkshalle.849 Die bemerkten den Stillstand, einer ging auf Hedi zu und deutete in Richtung der Russin: „Hau ihr einen Ring ins Kreuz, wenn sie nicht arbeiten will." Frau Brunnsteiner bemerkte, daß sie nicht einmal erklären konnte, daß die russische Arbeiterin angesichts der kaputten Maschine ja gar nichts hätte tun können: „Da hab' ich es wieder empfunden, wie grausam die sind." 847 Zur Geschichte der Steyr-Werke im Nationalsozialismus: Perz, Projekt Quarz. Moser, Oberösterreichs Wirtschaft. 848 Interview, Brunnsteiner, 7. 849 Interview, Brunnsteiner, 1 1 .

Zwangsarbeiterinnen und ihre Kinder

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Auf das von Olga geschilderte politische Engagement angesprochen, reagierte sie jedoch baß erstaunt: „Ich weiß nichts von Flugblättern." Auch, ob ihre Freundin Olga Kommunistin und eine Anhängerin Stalins war, hätte sie nicht gewußt, „weil davon [Politik, G. H.] haben wir ja nicht gesprochen".850 Zwei differente Versionen ihrer Beziehung, die Frau Brunnsteiner während unseres Besuches zu realisieren begann: „... da kommt man wo hinein, ohne daß man es weiß ... wirst womöglich aufgehängt, ohne daß du weißt warum. Aber wirklich: Nein, ich weiß nichts von einer Betätigung, aber vielleicht hat Olga ..." Hedi wollte sich das Stück sozialer Wärme, das sie von Olga und den russischen und ukrainischen Arbeiterinnen bekam, erhalten. In diesen Kontext ist ihre Zustimmung einzubetten, im Dezember 1944 gemeinsam mit Olga zum K Z Mauthausen zu fahren. Hedi wußte um das Verbot, mit einer Ostarbeiterin durch Oberdonau zu reisen, und das damit für sie verbundene Risiko. Aber „ich hab' ja keinen Menschen mehr gehabt auf der Welt, ist ja doch egal", erinnert sie ihre Motivation für dieses Risiko 55 Jahre später. Außerdem hätte ihr unbekannter Vater auch aus Mauthausen gestammt und sie diesen Ort immer schon sehen wollen. Hedi war überzeugt, daß sie im KZ-Lager mit Olgas Liebe, dem spanischen KZ-Häftiing Felix Murcio, Kontakt aufnehmen wollten, Olga hingegen schrieb, daß sie eine Nachricht der Untergrundgruppe an einen deutschen Wachoffizier zu übermitteln gehabt hätten. Die beiden jungen Frauen kamen unbehelligt bis zum Eingang des Konzentrationslagers. Olga schilderte, daß es ihnen rasch gelungen war, den „richtigen Mann" zu finden, „obwohl wir von den SS-Leuten ausgelacht wurden".85' Hedi war „mulmig" zumute angesichts der vielen SS- und Polzeibewachung.852 Trotzdem gelang es den beiden von einem angrenzenden Hügel aus, über die KZ-Mauern zu blicken. Durch Zufall bekamen sie Blick- und Rufkontakt mit inhaftierten Spaniern. Hedi erzählte, daß der Freund Olgas nicht darunter gewesen wäre, Olga erinnerte jedoch ,ihren' Felix. Beide schilderten ihre Tränen der Trauer und Verzweiflung, die sie gemeinsam beim Anblick der Häftlinge an dem kalten Dezembertag vergossen hatten. Im Gegensatz zur aus Sicherheitsgründen getrennten Anfahrt, fuhren sie gemeinsam mit dem Zug zurück. Am Bahnhof erstand Hedi für sie beide mittels „Markerl schwarze Weckerl", die Suppe dazu konnte sie ohne Bezugsscheine kaufen.853 Die soziale Folge ihres Mauthausenabenteuers war enorm. „Ich hab' dann bei den Russinnen wirklich was gegolten", erinnert Frau Brunnsteiner,854 „die haben mich so geschätzt, weil ich mich getraut habe, mit ihr zum Konzentrationslager zu fahren." Auch

850 Interview, Brunnsteiner, 14. 851 Bojarschynowa, Meine Erinnerungen, 11. Zusammenfassung der Flucht der 500, 12. 852 Interview, Brunnsteiner, 3. 853 Heute definiert sich Frau Brunnsteiner außerdem als Zeugin, die „mit eigenen Augen" das gesehen hatte, was so viele andere auch hätten sehen können, „wenn sie es nur versucht hätten". 854 Interview, Brunnsteiner, 3.

Gabriella Hauch

Saporoshje 1989. Hedi Brunnsteiner (links) und Olga Afanasjewa Borjarschynowa, geb. Grikowa

als die Kugellager-Produktion nach Loosdorf bei Melk in unterirdische Stollen verlagert wurde,855 riß der Kontakt zwischen den beiden nicht ab. Hedi schilderte diesen Abschnitt ihres Lebens als Rüstungsarbeiterin im Jänner 1945 als „besonders deprimierend". Täglich waren sie in der Früh mit dem Elend der in der Nachtschicht im Stollen arbeitenden KZ-Häftlinge konfrontiert. „In Fünfer-Reihen" kamen sie aus dem Stollen, „die erfrorenen und erschlagenen Menschen" trugen sie mit sich.856 Hedis einziger Lichtblick blieben Olga und die Russinnen. Sie besuchte sie in ihrer „Russinnen-Baracke", und obwohl es strengstens verboten war, „als deutsche Frau in ihr Lager zu gehen", übernachtete Hedi einmal sogar bei ihnen. Im Gegensatz zu ihrem Quartier im Stift Melk, wo die deutschen Arbeiterinnen untergebracht waren, ging sie an diesem Abend weder hungrig noch frierend ins Bett. In ihrer Baracke stand auf einem eisernen Ofen ein Topf mit Sterz, aus bei Bauern zusammengeschnorrten Kartoffeln, Bohnen und Speck. „Ich hab' mich satt essen können", erzählte Frau Brunnsteiner.857 Von der nächtlichen Kontrolle wurde sie nicht entdeckt, und in der Früh „hab' ich mich angestellt, wie die Russinnen, um einen schwarzen Kaffee, mit dem ist man in die Schicht gegangen". Ostern 1945 kam der Abschied und Olga nach Linz. Sie arbeitete weiterhin als Schleiferin in der Rüstungsproduktion, diesmal in den Reichswerken Hermann Göring. Ihr Lager, erinnert sie sich, war vom Häftlingslazarett, anderen Lagern und SS-Baracken 855 Perz, Projekt Quarz. 856 Interview, Brunnsteiner, 9. 857 Interview, Brunnsteiner, 4.

Zwangsarbeiterinnen und ihre Kinder

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umgeben.858 Am 5. Mai 1945 erlebte sie die Flucht der SS-Männer, die zuvor noch Ordner verbrannt hätten, und den Einmarsch der US-Soldaten in Linz, die Schokolade verteilten. Eine Woche lang durften sie das Lager nicht verlassen, anschließend wurden die „Wlassow-Leute"859 von den Amerikanern verhaftet. Ab dann konnten sie sich frei bewegen. Olga begann, in einem von der US-Armee eingerichteten Lazarett zu arbeiten. Nach zwei Monaten wurde das Lazarett inklusive Personal in die Sowjetische Zone übersiedelt, und im August 1945 folgte der Rücktransport in die Sowjetunion. Mit einem rudimentären weiteren Lebenslauf enden die Lebenserinnerungen Olga Bojarschynowas. Sie schrieb, daß sie im August 1945 nach Slawjansk zurückgekehrt war und ihre Mutter, ihr Bruder und eine Schwester den Krieg überlebt hätten. Ein Jahr später heiratete sie und bekam fünf Kinder. Zuerst arbeitete sie als Kellnerin, später als Bauarbeiterin. Die Erzählung von Hedi Brunnsteiner über die gemeinsame Geschichte der beiden Frauen war hingegen noch lange nicht beendet. 1961 - sechzehn Jahre nach Kriegsende bekam die Tante in Steyr einen an Hedi adressierten Brief. Er kam von Olga - aus Sibirien. „Sibirien?" fragten wir elektrisiert. ,Ja, sie haben 25 Jahre Sibirien bekommen", antwortete Frau Brunnsteiner ganz selbstverständlich, „die sind von Linz weg nicht nach Hause gekommen, sondern nach Sibirien, ganz hinten im Ural, nach Mijas - für 2 5 Jahre."860 Frau Bojarschynowa hatte diesen Abschnitt ihres Lebens nicht thematisiert, obwohl die Umstände der Rückkehr im letzten Punkt des Fragenkataloges angeschnitten worden waren.861 Um so größer war die Überraschung, wenige Wochen nach unserem Besuch bei Hedi Brunnsteiner einen weiteren Brief von Olga Bojarschynowa zu erhalten. „Ich habe Ihre letzte Frage nicht beantwortet. Es war mir sehr peinlich, über die Rückkehr in die Heimat und den ,Umgang' mit Menschen wie mir zu schreiben."862 Das Schicksal Olgas entsprach dem der meisten Ostarbeiter und Ostarbeiterinnen, die in die Sowjetunion zurückkehrten.863 In sogenannten „Filtrationslagern" wurden die Ostarbeiterinnen als potentielle Kollaborateurinnen mit NS-Deutschland politisch von K G B und S M E R S C H überprüft. Die Konsequenzen für die Betroffenen umfaßten G U L A G , Schwierigkeiten bei der Ausbildung und Hindernisse im Berufsleben.864 Obwohl sich 858 O Ö L A , HGW-Bestand, Sch. Pläne, M . 40. 859 Ukrainische Verbündete von NS-Deutschland. 860 Interview, Brunnsteiner, 7. 861

Dieselbe Erfahrung machte auch Tamara Frankenberger bei ihren Interviews, vgl. Frankenberger, L e bensgeschichdiche Erinnerungen, 89.

862 Olga Bojarschynowa an Karl Fallend, 2. Brief vom 20.12.1999, inklusive dem Artikel: W. Shiwaga: Kein leichtes Schicksal eines Ostarbeiters, in: o. T., o. O., 20.12.1999; beide Schriftstücke wurden von Natascha Bodnar übersetzt. 863 Irina Scherbakova, N u r ein Wunder konnte uns retten. Leben und Uberleben unter Stalins Terror, Frankf u r t - N e w York 2000, 1 9 1 - 2 2 6 : Die Geschichte von Galina. Bernd Bonwetzsch, Sowjetische Zwangsarbeiter vor und nach 1945. Ein doppelter Leidensweg, in : Jahrbücher für Geschichte Osteuropas (1993) 4 1 , 5 3 2 - 5 4 6 . Vitalij Sjomin, Zum Unterschied ein Zeichen, Reinbek 1989. 864 Zemskov V.N., K voprosu o repatriiacii sovetskich grazdan v 1 9 4 4 - 1 9 5 1 godu, in : Istrorija S S S R (1990)

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Frau Bojarschynowa nun doch entschlossen hatte, ihren erzwungenen Aufenthalt in Sibirien zu thematisieren, spiegelte die Form, die sie dazu gewählt hatte, ihr weiterhin wirksames Unbehagen. Sie, die auf 27 Seiten im ersten Brief über ihr Leben und ihre Beobachtungen in Steyr, Melk und Linz erzählt hatte, faßte ihre Erlebnisse nach der Rückkehr nicht in eigene Worte. Statt dessen schickte sie zur Beantwortung der letzen Frage einen Zeitungsartikel: „Kein leichtes Schicksal eines Ostarbeiters", der einige Tage nach unserem Besuch bei Hedi Brunnsteiner in Eisenerz in einer ukrainischen Zeitung erschienen war: „Als ich aber diesen Artikel gelesen habe, habe ich mich entschlossen, die Antwort auf Ihre Frage abzuschicken. Es geht in diesem Artikel über alle Frauen, die nach dem Krieg in ihre Heimat zurückkamen. Es ist hier kurz, aber richtig beschrieben." Die ehemaligen Ostarbeiterinnen wurden als „deutsche Huren" und als „Vaterlandsverräterinnen" denunziert, weil sie das Leben in Zwangsarbeit dem Tode vorgezogen hätten. Damit erlebten sie das Trauma ihrer Entrechtung und Erniedrigung verdoppelt ein zweites Mal. Der erste Brief von Olga aus Sibirien war auf russisch. Frau Brunnsteiner fand jemand in Eisenerz, der Olgas Briefe und ihre Antworten übersetzte. Manchmal merkte sie, daß ein Brief Olga nicht erreicht hatte, und aus Olgas Briefen hatte die Zensur ab und an Sätze herausgeschnitten. Beim Abschied der beiden in Melk hatte ihr Olga die Adresse von Felix Murcio in Spanien, Olgas Liebe, gegeben und sie ersucht, diese aufzubewahren. Frau Brunnsteiner hatte sie nachhaltig auswendig gelernt, was sie uns eindrücklich bewies. Nach der Kontaktaufnahme schickte sie diese an Olga. Der Brief an Felix, den Olga nach Spanien schrieb, wurde von dessen Verwandten an ihn weitergeleitet. Als ehemaliger Spanienkämpfer auf der republikanischen Seite hatte er nach der Befreiung des K Z Mauthausen nicht in die Franco-Diktatur zurückkehren können. Wie die meisten anderen spanischen KZ-Häfdinge ließ er sich in Frankreich, in der Nähe der Schweizer Grenze, nieder, wo ihn Olgas Brief erreichte. Als Antwort schickte Felix eine Bonbonniere, die via dem „Roten Kreuz" Olga in Sibirien erreichte. Auch diese beiden blieben in Kontakt, bis Felix vor vier oder fünf Jahren verstarb. „Sehen Sie, wofür das gut war, daß ich mir die Adresse gemerkt habe", resümierte Frau Brunnsteiner.865 1970 endete Frau Bojarschynowas Verbannung. Nach 25 Jahren Sibirien - Olga war zweimal verheiratet und hatte sechs Kinder, etliche Enkel und in der Zwischenzeit auch Urenkel - übersiedelte sie mit ihrem zweiten Mann und vier Kindern nach Primorsk bei Saporoshje in der Ukraine. Sie wollte nicht in Sibirien bleiben, hatte sie an Hedi geschrieben, „weil es nie richtig warm wird".866 Sie war nun 45 Jahre alt und wurde Bauar-

4, 2 6 - 4 1 , hier 36: 5 8 % wurden ins ,Zivilleben' entlassen (was nicht mit dem Heimatort gleichbedeutend ist), 2 0 % wurden der Armee unterstellt, 1 5 % in Arbeitsbataillone und 6 % in Lager, in: Frankenberger, Lebensgeschichtliche Erinnerungen, 240, Anm. 50. 865 Interview, Brunnsteiner, 6 f. 866 Interview, Brunnsteiner, 7.

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beiterin. Das einmal gelernte Deutsch hatte Olga nicht vergessen. Nun wieder in Freiheit', setzte sie ihre Korrespondenz mit Hedi auf deutsch fort.867 Im Jahre 1989 schließlich, die Sowjetunion war mitten in der Phase von Glasnost und Perestroika, machte sich Hedi Brunnsteiner, begleitet von ihrer "Tochter, auf die Reise zu Olga. Die beiden trafen sich nach 44 Jahren in einem Hotel in Saporoshje wieder. Olga wurde von ihrem Schwiegersohn und einem Enkel begleitet. Sechs Stunden lang, von sechs Uhr abends bis Mitternacht, da schloß das Hotel, saßen sie beisammen. Am nächsten Tag wurde noch einmal telefoniert. Olga Afanasjewa Bojarschynowa lebt das Leben einer ukrainischen Arbeiterin in Pension. Zu ihr nach Hause, rund 100 Kilometer von Kiew entfernt, hatte sie die Gäste aus Osterreich nicht gebeten, da es „nicht schön" wäre, erklärte sie Hedi. Ihr Geschenk bestand aus eingelegten Marillen, einem Sack Nüssen und aus Äpfeln. Dieser zweite Abschied der beiden Frauen war „grausam". Für Olga viel schwerer, erzählt Frau Brunnsteiner, „sie hat so schwer geatmet".

I D E N T I T Ä T S W E C H S E L , UM ZU ÜBERLEBEN: IDA B L U T R E I C H UND A N N A F R A N K E L Veröffentlichte Erinnerungen von Zwangsarbeiterinnen sind rar.868 1990 erschien im Verlag Antje Kunstmann und fünfJahre später als Fischer Taschenbuch „Die Geschichte der Eva Korngold. Nach Aufzeichnungen der Ida Low" des amerikanischen Schriftstellers Meyer Levin.86? 1941 meldeten sich zwei junge Jüdinnen unter falscher Identität zum ,.Arbeitseinsatz" nach Deutschland, um der Ermordung in ihrer Heimat zu entgehen. Eine von ihnen kam in die Hermann-Göring-Werke nach Linz, wo ihre Identität entdeckt und sie nach Auschwitz deportiert wurde. Sie überlebte und emigrierte 1948 nach Israel. Ida Low - so hieß sie nach ihrer Heirat 1947 - beabsichtigte, sich ein verschriftlichtes Denkmal zu setzen und verfolgte zielstrebig, ihr Uberleben in kollektive und öffentliche Erinnerung an den Nationalsozialismus einfließen zu lassen.870 Sie verfaßte eine 867 Interview, Brunnsteiner, 14. 868 Jüngste Veröffentlichung: Krystyna Ewa Vetulani-Belfoure, In einem deutschen Städtchen. Erinnerungen einer polnischen Zwangsarbeiterin 1 9 4 2 - 1 9 4 5 , Bremen 2000. 869 Meyer Levin, Die Geschichte der Eva Korngold. Nach Aufzeichnungen von Ida Low, München 1990. Taschenbuchausgabe, Meyer Levin, Die Geschichte der Eva Korngold. Nach Aufzeichnungen von Ida Low, Frankfurt a. M . 1995. Anfang der 1990er Jahre öffnete sich der deutschsprachige Buchmarkt für L i terarisierungen ebenso wie für wissenschaftliche Publikationen zum Thema Holocaust. Ende der 1950er Jahre war die Situation noch eine andere gewesen. Die vielen Rezensionen in allen großen deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften steigerte die Popularität des Buches und führte fünf Jahre später zur Taschenbuchausgabe im Fischer Verlag. Die Neuausgabe wurde mit einem Nachwort des polnischen L i teraturnobelpreisträgers Andrzej Szczyporski versehen, der in seinem knappen Essay „Die Kraft des Einfachen" die Wirkungskraft der reportagehaften Meyer-Levinschen Erzählprosa konkretisierte. 870 Pierre Nora, Zwischen Geschichte und Gedächtnis, Berlin 1990. Maurice Halbwachs, Das kollektive G e -

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Kurzfassung ihres Lebens 8 ' 1 und setzte sich mit dem amerikanischen Bestsellerautor Meyer Levin in Verbindung.872 Ihr Wunsch nach einer Verfilmung ihres Lebens 873 ging jedoch nicht in Erfüllung. Meyer Levin war in Israel kein Unbekannter.874 Ida Low war sich darüber im klaren, daß ihre Erinnerungen durch die Literarisierungen modifiziert und verändert würden. Von wenigen Ausnahmen abgesehen,875 wurde Meyer Levins Schilderung jedoch als (Auto)Biographie der „Eva Korngold" - so nannte Meyer Levin seine Hauptfigur - rezipiert: „In Wahrheit hieß sie Korngold"876. Niemand ist vor der Verführungskraft von Literatur, Lebenswirklichkeiten scheinbar widerzuspiegeln, gefeit, auch nicht Historikerinnen. Verfangen in wissenschaftlichen Forschungsarbeiten über die NS-Zeit vermeint ein lebendiger Augenzeuginnenbericht' - als solcher wirkt der Roman von Meyer Levin - die trockenen Daten und Akten mit subjektiven Erlebnissen und Gedanken zu füllen. Bereits der erste Satz suggeriert, daß hier authentische Wahrheit zu lesen ist: „,Vielleicht wirst du die einzige sein, die es überlebt', sagte meine Mutter." Das Buch Meyer Levins war bereits 1959 in deutscher Ubersetzung mit dem Titel „Eva - Ein Frauenschicksal" und explizit als „Roman" veröffentlicht worden.877 Die zweite Ausgabe unterschied sich nicht nur im Titel von der ersten, sondern jetzt, mehr als dreißig Jahre später, wurden auch die in der deutschen Erstausgabe ausgesparten Textstellen publiziert. Sie betrafen die Schilderung all jener Menschlichkeiten, die verhindern können, daß literarische Figuren zu unangreifbaren Denkmälern erstarren: ambivalente Gefühlslagen und Handlungen wie Eifersucht, Bosheit oder Diebstahl und alles, was den Bereich der Sexualität tangierte.878 Dokumentierte Lebensgeschichten sind Konstruktionen und Inszenierungen, einerlei ob Autobiographie oder Biographie, ob wissenschafdiche, literarische oder journalistische Arbeiten. Im Falle von Ida Low und Meyer Levin kann nicht mehr nachgeforscht dächtnis, Frankfurt a.M. 1985. Reinhard Sieder, Gesellschaft und Person: Geschichte und Biographie, in: ders. (Hrsg.), Brüchiges Leben. Biographien in sozialen Systemen, Wien 1999, 2 3 4 - 2 6 4 . 871

Ich danke Haim J . Zadok für die Überlassung des Manuskriptes und Yonit Kabaretti für die zusammenfassende Ubersetzung aus dem Hebräischen.

872 Geboren 1905 in Chicago, gest. 1981 in N e w York. 873 Christine Radmayr, „ G e h hinaus und lebe!" Ida L o w entkam in Linz dem Holocaust, in: Oberösterreichische Nachrichten Magazin, 26.2.1991, II. Ich danke dem Verlag Antje Kunstmann, für die Zusendung der Rezensionen des Buches. 8 7 4 Interview, Ganor. 875 Elisabeth Reichart, „Es wird gut sein". Im Hintergrund der Völkermord: Die Geschichte der Eva Korngold und ihrer Identitätswechsel, in: Die Presse, 22./23.6.1991. 876 Johannes Salzwedel, In Wahrheit hieß sie Korngold. Linz, Auschwitz, Prag, Palästina - Fluchtwege einer polnischen Jüdin, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2 . 1 . 1 9 9 1 . 877 Meyer Levin, Eva. Ein Frauenschicksal, München 1959. Ich danke Niza Ganor, die mir die erste Version „Eva - ein Frauenschicksal" anläßlich meines Besuches bei ihr in Jerusalem, im Juli 2000 schenkte. 878 Die einzige Rezensentin, die meines Wissens die beiden Ausgaben miteinander verglich, war: Elisabeth Reichart, österreichische Schriftstellerin und Historikerin: „Es wird gut sein".

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werden, welche Episoden im Buch Idas Handschrift tragen, indem sie wegließ, verstärkte, veränderte oder hinzufügte oder wie stark sie v o n der schreib- und erfolgsgewohnten H a n d des Erfolgsschriftstellers M e y e r L e v i n geführt worden war. 8 7 9 L e v i n war 5 4 Jahre, als die 24jährige Ida L o w begann, ihm allabendlich über vier M o n a t e hinweg ihre G e schichte zu erzählen. 880 D a s Verhältnis der beiden zueinander und w a r u m Ida L o w sich gerade an ihn gewandt hatte, ist ungewiß, muß jedoch bei der V e r w e n d u n g des Buches als historische „ Q u e l l e " als unbekannter Faktor mitreflektiert w e r d e n . 8 8 ' Diese Fragen konnte mir auch N i z a G a n o r , geb. Fränkel, nicht beantworten. N i z a G a n o r war es, die gemeinsam mit Ida L o w als „Ukrainerin" verkleidet zum,»Arbeitseinsatz" aufgebrochen war, u m das N S - S y s t e m zu überleben. Sie beschrieb ihr L e b e n in einer A u t o b i o g r a phie. 882 N e b e n M e y e r Levins Schilderung standen mir nun zur Rekonstruktion des Frauenlebens der H G W - A n g e s t e l l t e n „Katarina L e s z c z y s z y n " - auf diesen N a m e n lauteten die falschen Papiere Ida L ö w s - nicht nur schrifidiche Erinnerungen und Akten zur V e r fügung, sondern mit N i z a G a n o r hatte ich ein G e g e n ü b e r , w o ich angesichts v o n D i s krepanzen nachfragen konnte. All das, was mit Ida L o w nicht m e h r möglich war. Z e h n J a h r e nach M e y e r L e v i n verstarb sie, knapp öyjährig, an Herzversagen, als in der N a c h t v o m 1 7 . auf den 1 8 . J ä n n e r 1 9 9 1 800 M e t e r v o n ihrem W o h n h a u s in Tel A v i v entfernt Reste einer irakischen Scud-Rakete einschlugen.

879 Die Schilderung des (Alltags-)Leben von Ida Low als Zwangsarbeiterin weist neben den Spannungselementen des zentralen Erzählstrangs - Identitätswechsel, um den Holocaust zu überleben - entsprechend der Bauart eines Bestseller-Romans die Bereiche Erotik, Sexualität und Liebe als roten Faden auf. 880 Interview, Ganor, 1 u. 61. 881 Die Dechiffrierung von Literatur bzw. literarischen Gestalten als auch geschlechtsspezifische Imaginationen ihrer Verfasser und Verfasserinnen stand am Anfang der Entwicklung feministischer Literatur- und Wissenschaftskritik: Renate von Heydebrand/Simone Winko, Arbeit am Kanon: Geschlechterdifferenz in Rezeption und Wertung von Literatur, in: Hadumod Bußmann/Renate Hof (Hrsg.), GENUS. Zur Geschlechterdifferenz in den Kulturwissenschaften, Stuttgart 1995, 206-261. Die moderne Biographieforschung aus geschlechtsspezifischer Sicht, die in den letzten Jahren vor allem im angelsächsischen Raum einen Aufschwung erlebte, steht in Osterreich erst am Beginn: Monika Bemold/Johanna Gehmacher, Auto/Biographien einer Akteurin der Frauenbewegung. Tradierungspraxen, Biographische Darstellungsmuster und feministisches Geschichtsbewußtsein, in: Elisabeth Wolfgruber/Petra Grabner (Hrsg.), Politik und Geschlecht. Dokumentation der 6. Frauenringvorlesung an der Universität Salzburg WS 1999/2000, Innsbruck - Wien - München 2000, 107-126. 882 Auf der Suche nach Kontextualisierungen dieser für mich damals so einzigartigen Form das Uberlebens las ich möglichst viele Überlebensgeschichten von Jüdinnen aus Osteuropa während des Holocaust. Auf diesem Wege entdeckte ich Niza Ganor als die Freundin, die gemeinsam mit Ida Blutreich geflohen war: Niza Ganor, Wer bist du, Anuschka ? Die Überlebensgeschichte eines jüdischen Mädchen, übersetzt von Wolfgang Jeremias, München 1999. Die deutsche Erstauflage erschien München 1996; die Erstausgabe in Hebräisch 1987.

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Niza Ganor, Jerusalem im Juli 2000

Ida Blutreich kam am i. Jänner 1924 in Rawa Ruska, einer kleinen Stadt 30 km von Lemberg entfernt, in Westgalizien zur Welt. Sie stammte aus einer sehr wohlhabenden jüdischen Familie. Seit 1939 war die Westukraine, als Folge des Hider-Stalin-Pakts, von der Sowjetunion besetzt. Für die jüdische Bevölkerung bedeutete dies Verhaftungen, Enteignungen, Pogrome und Deportationen nach Sibirien. Die Familie Blutreich verlor ihr Geschäft. In dieser Zeit übersiedelte auch die Familie Fränkel nach Rawa Ruska, wo Niza Ganors Großvater mütterlicherseits ein Haus besaß. Nach der Haft des Vaters wegen „zionistischer Betätigung" schien ihnen das kleine Rawa Ruska ein sicherer Aufenthaltsort als die Stadt Lemberg, wo Niza am 26. Juni 1925 geboren worden war.883 Am 28. Juni 1941 wurde Rawa Ruska von Einheiten der Deutschen Wehrmacht, der SS und der Gestapo besetzt. Ida war siebzehn Jahre, Niza gerade sechzehn geworden. Für die Juden und Jüdinnen von Rawa Ruska wurde ein offenes Ghetto eingerichtet, wohin auch die Familien Blutreich und Fränkel übersiedeln mußten, und die Einwohnerinnen zur Zwangsarbeit verpflichtet. Ida putzte bei der Polizei, Niza bei einem Kaufmann. Das Schreckenswort für die jüdische Bevölkerung von Galizien während der Besetzung durch die Deutschen hieß ,Aktion". Begünstigt durch den herrschenden Antisemitismus und konkret unterstützt von Teilen der ukrainischen und polnischen Bevölkerung wurde die jüdische Bevölkerung Schritt für Schritt in Rawa Ruska liquidiert oder in das nahe Konzentrationslager Belzec deportiert und ermordet.884 Die Vorgänge in Belzec waren durch überlebende Augenzeuginnen und die sich formierende antideutsche Partisanln883 Im Buch von Meyer Levin ist ihr jüdischer Name Esther Warshawsky, in ihrer,arisch-ukrainischen' Identität heißt sie Anya Ozimok. 884 Thomas Sandkühler,,Endlösung', 459 f.

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nenbewegung allgemein bekannt, auch in den Familien Blutreich und Frankel. Niza und die jüngere Schwester Idas, Tauba, waren nicht nur „wie Schwestern", wie es Niza Ganor formulierte, sondern politisch in einer zionistischen Jugendgruppe organisiert. Ihr Lebensziel hieß „Erez Israel": die Auswanderung nach Palästina, um einen jüdischen Staat aufzubauen und den verletzenden Antisemitismus ihrer galizisch-polnisch-ukrainischen Heimat hinter sich zu lassen. Tauba blieb dieser Traum verwehrt. Sie wurde bei einer ,Aktion" verhaftet und nach Belzec deportiert. Dasselbe Schicksal erfuhr Nizas Vater. Die Maschen des lebensgefährlichen Netzes, das die deutschen Besatzer um die jüdische Bevölkerung spönnen, wurden enger, „Aktionen" häuften sich. Die einzige Möglichkeit zu überleben war, die Region zu verlassen oder sich den Partisaninnen anzuschließen.885 Ida und Niza waren beide von Nichtjuden darauf aufmerksam gemacht worden, daß sie gar nicht wie Jüdinnen aussehen würden: Ida hatte „rote Backen" und war kräftig wie ein ukrainisches Bauernmädel, und Niza war zierlich, blond und hatte grüne Augen. Der vordergründige Identitätswechsel bot speziell fur Frauen und Mädchen eine - wenn auch fragile - Möglichkeit, durch Zwangsarbeit zu überleben. Im Gegensatz zu den nach der Geburt beschnittenen Buben und Männern waren sie nicht per se als Jüdinnen zu identifizieren, und ärztliche Untersuchungen bedeuteten für sie in dieser Hinsicht kein Problem.886 Neben dieser Geschlechtsspezifik spielte das junge Alter von Ida und Niza die entscheidende Rolle, das Wagnis des Identitätswechsels einzugehen. Am Beispiel von Nizas Schwester Jaffa, die die Dritte im Bunde hätte sein sollen, wurde das deutlich. Niza Ganor brachte die Differenz auf den Punkt: „Ich war damals gerade siebzehn Jahre. In diesem Alter hat man doch so viel Energie. Aber sie mit 26 Jahren, sie sagte schon im vorhinein, ,Man wird mich sofort erwischen.'"88? Die beiden Mütter, die miteinander befreundet waren, fungierten als Motor für ihre Flucht. ,Ja, es war ein jMütterprojekt'", charakterisierte Niza Ganor im Juli 2000 rückblickend deren Bemühungen, daß zumindest eine der Töchter überleben sollte.888 Müttern kam in der galizischen Kultur des Ostjudentums eine zentrale Stellung zu. Sie waren für die praktischen Dinge des Lebens, die soziale und oft auch ökonomische Organisation der Familie zuständig, der Mann für das Geistesleben des Talmuds. Weder die Familie Blutreich noch die Familie Fränkel lebte nach orthodoxen Regeln, trotzdem prägte 885 E m s t Hofbauer, Verwehte Spuren. Von Lemberg bis Czernowitz: ein Trümmerfeld der Erinnerungen, Wien 1999. 886 Dieser geschlechtsspezifische Identitätswechsel, um zumindest eine Chance zum Uberleben zu wahren, ist bislang kein Gegenstand spezieller Forschungsüberlegungen. Bemerkungen dazu in: Frankenberger, Lebensgeschichtliche Erinnerungen, 140 und 249 f. Anm. 30. Susannn Heenen-Wolff, Im Haus des Henkers - Gespräche in Deutschland, Frankfurt a. M . 1992, 77 ff. 887 Interview, Ganor, 18. Jaffa blieb in Rawa Ruska und wollte sich den Partisaninnen anschließen. Doch auch sie kam in Belzec um. 888 Ganor, Anuschka, 5: „Aniza, D u mußt gehen, niemand wird hier am Leben bleiben". Levin, Eva Korngold, 5. „Aber wenn Du es überlebst, mußt du aufschreiben."

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diese Dichotomisierung der Geschlechtercharaktere auch ihr soziales Leben und veranlaßte die Mütter, ihren Töchtern auf die Flucht auch die Möglichkeit der Realisierung eigener nichterfüllter Träume mitzugeben.889 Am 16. Juni 1942 war es soweit. Ida Blutreich und Anna Frankel verließen als Katharina Leszczyszyn und Anna Osimok in weite ukrainische Bauernröcke gekleidet, mit geflochtenen Zöpfen um den Kopf und falschen Ausweispapieren das Ghetto und die Stadt. Mit dem Zug ging es nach Przemysl zum zuständigen Arbeitsamt für den „Arbeitseinsatz" nach Deutschland. Beide meldeten sich nach Osterreich. Als Töchter aus dem jüdischen Großbürgertum Galiziens waren sie in einem Milieu aufgewachsen, das die Toleranz des habsburgischen Kaiserhauses gegenüber dem Judentum geradezu verklärte. Das Leben unter österreichischer Provenienz bis zum Ende des Ersten Weltkrieges war das Beste, das wohlhabende Juden und Jüdinnen je gehabt hätten, davon waren sie überzeugt. Ihre Großeltern und ihre Eltern waren Zeuginnen für den Unterschied zum polnischen, ukrainischen und sowjetischen Antisemitismus890 und hatten zudem durch längere Aufenthalte in Osterreich positive Erfahrungen im Land gesammelt. Die Registrierung im polnischen Przemysl war die erste Prüfung, die die beiden als „Ukrainerinnen" bestanden. Von dort kamen sie mit anderen Arbeiterinnen in das Sammellager nach Krakau. Die Charakterunterschiede der beiden jungen Frauen ergänzten sich und ließen die Angst leichter in Grenzen halten. Die Besonnenheit von Niza, der auffiel, daß sie ihre Armbinden mit dem Davidstern noch nicht weggeworfen hatten, und die Selbstbewußtheit von Ida, die verhinderte, daß Niza in Przemysl doch wieder umkehrte, sind Bespiele dafür.891 In der Version Niza Ganors war in Krakau die gemeinsame Reise zu Ende, bei Meyer Levin ist es W e n . Gemäß dem Versprechen, das sie ihren Müttern gegeben hatten, trennten sie sich und versprachen einander, „nicht in Verbindung ... [zu] bleiben". Niza wußte jedoch ihre künftige Adresse bereits, da sie mit einer Polin, die sie in Krakau kennengelernt hatte, zu deren Arbeitsstätte nach St. Martin in der Steiermark fahren wollte, und gab sie Ida: „Ich sagte, ,ich weiß nicht wer länger leben

889 Dies kommt in von Männern wie von Frauen geschriebener Literatur dieser Region zum Ausdruck: Israel J . Singer, Die Brüder Aschkenasi (1933), Frankfurt a. M. 1998. Armin Eidherr, Vorwort zur ersten Prosa-Anthologie jiddischer Schriftstellerinnen, in: Aus der Finsternis geborgen. Erzählungen jiddischer Autorinnen, Jiddische Bibliothek Bd. 4, Salzburg - Wien 1999, 9-14. Sowie in etlichen der darin abgedruckten Erzählungen. Die überlebensnotwendige Flucht vor den Nationalsozialisten eröffnete für etliche junge jüdische Frauen auch aus anderen Regionen die Möglichkeit, einen anderen Lebensweg als den in der jüdischen Tradition vorgesehenen zu leben - vgl. Waltraud Kannonier, Zwischen Flucht und Selbstbehauptung. Frauen-Leben im Exil. Mit einer Nachbemerkung von Meinrad Ziegler, Linz 1989. 890 Klaus Hödl, Als Bettler in die Leopoldstadt. Galizische Juden auf dem Weg nach Wien, Wien - Köln Weimar 1994. Albert Lichtblau (Hrsg.), Als hätten wir dazu gehört. Österreichisch-jüdische Lebensgeschichten aus der Habsburgermonarchie, Wien - Köln - Weimar 1999. 891 Ganor, Anuschka, 20.

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wird, Du oder ich. Ich geb Dir die Adresse, aber schreib mir nicht!' Das haben wir versprochen."892 Die beiden hielten sich nicht an das Gebot ihrer Mütter, den Kontakt abzubrechen. Wie ein roter Faden zieht sich die Nichtbeachtung - der Ungehorsam - gegenüber der mütterlichen Ermahnung durch beide Bücher und gerät zur nichtartikulierten Ursache, daß deswegen ihre jüdische Identität entdeckt und beide nach Auschwitz deportiert wurden. Die Verantwortung dafür zu übernehmen scheint zu schwer. Meyer Levin schilderte, daß Ida als erste einen Brief von Niza bekommen hätte, Niza Ganor schrieb und beteuerte es oft und oft während unserer Treffen, daß Ida ihr zuerst geschrieben hätte. Woher hätte sie wissen sollen, wo Ida hinkommen würde, und woher hätte sie ihre Adresse haben sollen?893 Auch Details ihrer gemeinsamen Flucht differieren. Niza Ganor dementiert, auf der Reise medizinisch oder gynäkologisch untersucht worden zu sein. Im Buch Meyer Levins hingegen kommt der Schilderung der Scham der Frauen, die sich in Krakau vor deutschen Männern nackt ausziehen mußten, ebenso wie der gynäkologischen Untersuchung im Durchgangslager in Wien - wo sich die untersuchenden Arzte lustig darüber machten, eine 22 jährige Jungfrau am Untersuchungstisch liegen zu haben - eine zentrale Bedeutung zu, um die Gewalt und den Zwang zu charakterisieren, denen auch die ,freiwilligen' Arbeiterinnen aus dem Osten ausgesetzt waren. Viele andere Zwangsarbeiterinnen aus Ost- und Südosteuropa erinnerten die Untersuchungen in ähnlicher Weise.894 Nach der Zwischenstation in Wien fuhr Ida, da sie sich einzeln zum ,Arbeitseinsatz" gemeldet hatte, „ohne jede Aufsicht" mit dem Zug nach Linz.89* Dies erregte auch die Neugier des jugoslawischen Dolmetschers, der sie am Bahnhof abholte und ihr den Koffer bis zum „Durchgangslager" trug. Dabei handelte es sich um das zentrale „Durchgangslager 39" des Arbeitsamtes896 am „Bindermischel" - wie der Stadtteil falsch im Buch bezeichnet wurde: „endlose Barackenreihen mit Stacheldraht umzäunt. Auf der einen Seite war das Wohnlager, auf der anderen das Durchgangslager." Das erste, was Ida im „Durchgangslager" auffiel, waren die Schriftzeichen „P" und „OST", die „die meisten der ärmlich gekleideten Insassen jeden Alters und Aussehens, die sich auf dem großen Hof bewegten" aufgenäht trugen. Ida galt als „(West)Ukrainerin", wie in der ,Angestelltenbedarfsmeldung" der H G W vom 2. Oktober 1943 vermerkt, und mußte keine „OST"-Kennzeichnung tragen. Auch die beiden Russinnen, die ihre Daten aufnahmen, trugen keines dieser Abzeichen. Als diese registrierten, daß die vor ihnen stehende „Katharina Leszczyszyn" Sprachen und Schreibmaschineschreiben

892 Ganor, Interview, 15. 893 Meyer Levin, Eva Korngold, 69. Ganor, Anuschka, 46 f. 894 Vgl. das Kapitel „Transport und Rekrutierung". 895 Meyer Levin, Eva Korngold, 37. 896 OÖLA, HGW-Bestand, Sch. Lager, M.4.

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konnte sowie das Gymnasium absolviert hatte, zeigten sie sich erstaunt, denn nur wenige Ukrainerinnen „ihrer Art" wären bisher nach Linz gekommen.897 Ida und Niza waren sich von Beginn an bewußt, daß die Beschaffung von ,arischen' Papieren lediglich den ersten Schritt für den zum Uberleben notwendigen Identitätswechsel bedeutete. Nicht nur Ida fiel bereits in Linz im „Durchgangslager" durch ihre außergewöhnliche Bildimg und ihre Sprachkenntnisse in Polnisch, Russisch, Ukrainisch und Deutsch auf. Auch Niza erregte mit derselben Ausbildung in der engen Welt des Gutes Steinkeller bei St. Martin in der Steiermark von Beginn an Mißtrauen - vor allem bei den anderen Zwangsarbeiterinnen. Sich dieser Gefahr bewußt, beantragte Ida - die sich ihre Tätigkeit angesichts des Mangels an qualifizierten Arbeitskräften mit Sprachkenntnissen hätte aussuchen können - , als Hausgehilfin in einen Privathaushalt zu kommen. Große Menschengruppen, die bei einer Anstellung in den Rüstungsbetrieben der H G W oder im „Durchgangslager" selbst unumgänglich gewesen wären, versuchte sie am Beginn ihres Linzaufenthaltes zu meiden. Aus gutem Grund. Polinnen und Ukrai897 Meyer Levin, Korngold, 39.

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nerlnnen stellten eine Gefahr für alle „arisch" auftretenden Juden und Jüdinnen dar, denn anderes, von der Norm der vielen abweichendes Verhalten wurde in der Tradition des polnischen und ukrainischen Antisemitismus als „jüdisch" denunziert.898 In Meyer Levins Buch war Ida bereits im Durchgangslager in Krakau zwei Polen aufgefallen: „Sie ist für eine Polin viel zu geschickt. Vielleicht ist sie eine Jüdin. Was meist du?" Als Niza in Steinkeller gegenüber der mit ihr befreundeten (!) polnischen Köchin erwähnte, keine Milch zu mögen, brachte ihr das die Frage ein, ob sie etwa Jüdin wäre. Auch daß sie sich nicht betatschten ließ, wie andere Ukrainerinnen, stigmatisierte Niza ebenso wie ihr gekonnter Umgang mit Messer und Gabel. Im sozialen Mikrokosmos des abgeschieden gelegenen Gutes Steinkeller wurde sie allein aufgrund dessen zur verdächtigen Jüdin. Trotz blonder Haare und heller Augen. 8 " Davor war Ida als Hausgehilfin in der Stadt Linz geschützt. Von i. September 1942 bis 4. April 1943 arbeitete sie beim SS-Sturmbannführer in Reserve Karl Eberhardt und seiner Frau in der Robert-Stolz-Straße 12 am Linzer Froschberg, eine der besten Wohngegenden der Stadt. Unter dem Dach hatte sie ein eigenes Zimmer, erhielt den ihr zustehenden Anteil an Essensmarken und monatlich 28 R M Lohn. Sie lebte zurückgezogen und hatte keinen Kontakt zu anderen ausländischen Arbeiterinnen. Die Eberhardts lebten in einem Milieu, das weder den Umgang mit Juden und Jüdinnen noch mit Ukrainerinnen kannte. Somit konnten sie nicht auf die Idee kommen, daß ihre „Perle" sich nicht wie ein ukrainisches Mädchen verhielt und womöglich jüdischer Herkunft sein könnte, erklärte mir Niza Ganor.900 Die geschützte Isolation von Ida im Haushalt Eberhardt brach mit ihrem ersten Besuch bei Niza in Steinkeller auf. Die Einsamkeit und der Druck ihrer Klandestinität hatten die beiden jungen Frauen ihr Vorhaben, keinen Kontakt zu pflegen, vergessen lassen. Sie begannen sich zu schreiben und zu besuchen. Ida fiel auf dem Gut jedoch sofort dem polnischen Vorarbeiter auf, der gegenüber der Gutsbesitzerin verlauten ließ, daß die Freundin Nizas „verdammt elegant" wäre und „viel Ähnlichkeit mit einer Jüdin" hätte. Niza Ganor „trug einen ukrainischen Z o p f . Ida hingegen hatte „schwarze Haare, ganz lange Haare und ein wenig gelockt...", so würden ukrainische Bauernmädel nicht aussehen. Aber „das sind Fehler, die siebzehnjährige Mädchen einfach machen können", meinte Niza Ganor.901 Die lebensbedrohende Definition von „jüdischem" Aussehen und Verhalten, die sie hier anstellte, teilt Niza Ganor mit anderen. Bianca Rosenkranz, ge-

898 Bianca Rosenberg, „Versuch zu überleben . . . " Polen 1 9 4 1 - 1 9 4 5 . Aus dem Amerikanischen von Herbert Uhl und Fritz Kunle, Frankfurt a. M . 1996, 167 ff. 899 Meyer Levin, Korngold, 33. Ganor, Anuschka, 34. 900 Interview, Ganor, 40. 901

Ganor, Anuschka, 57. Interview, Ganor, 15. „Aber sie schreibt das nicht in ihrem Buch. Uberhaupt nicht. Sondern ganz was anderes - und das stört mich." Hier vermischte Niza Ganor Meyer Levins und Ida Löws Autoren- bzw. Autorinnenschaft. In der folgenden Interviewsequenz stellte sie die Trennung wie-

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bürtige Jüdin aus Gorlice, Polen, überlebte unentdeckt, weil sie mit „arischen" Papieren als ausländische Arbeiterin in das Deutsche Reich ging: „Wir ... kamen mit dem nichtsahnenden Herrenvolk gut aus. Es waren die Polen, die uns Sorgen machten. Sie hatten ein Gespür für die Dinge, die den Deutschen niemals aufgefallen wären, und wir konnten die kleinsten Hinweise auf unsere Herkunft unmöglich ganz verbergen, denn nicht einmal wir selber kannten alle."902 In Abgrenzung zum deutschen oder österreichischen Judentum wird in der Forschung das Selbstverständnis der polnischen Juden, wozu auch Galizien zu zählen ist, als „eigenständige ethnische Gruppe" betont.903 Wenn man sich dies in Habitus gegossen vorstellt, kann ein Erklärungsansatz eröffnet werden, warum Männer und Frauen auf Bahnhöfen oder Straßen, wie während der NS-Zeit in Warschau, als Juden und Jüdinnen ,erkannt' und von Polen erpreßt wurden, was sich zu einem der „wichtigsten Erwerbszweige des Landes" etabliert hatte.904 In der ethnischen Vielfalt von Linz fiel Ida zunächst nicht weiter auf. Auch als sie am 4. April 1943 die Eberhardts verließ und bis 30. September 1943 als Angestellte des Arbeitsamtes im „Durchgangslager 39" arbeitete und wohnte.905 Das Undenkbare verdoppelte sich in ihrer Arbeits- und Zimmergenossin Nira: diese war auch Jüdin. Auch die Freunde der beiden, zwei Tschechen, wußten um die wahre Identität der beiden. Meyer Levin schildert diese Zeit der Verliebtheit, der Kinobesuche, der Sonntagsausflüge in die Umgebung von Linz, des Studiums von Modezeitschriften als relativ unbeschwerte Zeit. Ida schien mehr mit dem Problem zu kämpfen, ob sie mit ihrem tschechischen Freund schlafen sollte, als mit ihrer verdeckten jüdischen Herkunft. Ihre doppelte Privilegierung als qualifizierte, angestellte „Westukrainerin" ist jedoch vor der Folie des NS-Systems und des latenten und manifesten Terrors zu kontextualisieren, was auch im Buch von Meyer Levin immer wieder thematisiert wird. Bei ihrer täglichen Arbeit im Durchgangslager bestätigten sich die anfangs und in Steinkeller gemachten Erfahrungen. Während sie die Personalien eines Polen aufnahm, sagte der mit lauter Stimme: „Sie sprechen ja tadellos polnisch, aber das ,R', das sprechen Sie so aus, wie es die Juden tun."906 Ihre Reaktion war „Stottern" und die Ausrede, aus einem anderen Winkel von Polen zu stammen, wo man das „R" so aussprechen würde.

der her und erzählte von einem Gespräch, das sie mit Ida Anfang der 1970er Jahre geführt hatte. In diesem hätte sie eine Korrektur der,verdrehten Wahrheiten' - wer schrieb zuerst? Wer besuchte wen zuerst? - verlangt: „Warum hat - wenn Du die Wahrheit erzählt hast - warum hat Meyer Levin das alles umgedreht?" 902 Rosenberg, Versuch zu überleben, 167. 903 Judith Friedlander, Z u r Geschichte und Kultur des polnischen Judentums, in: Wobbe, Nach Osten, 4 5 70. 904 Rosenberg, Versuch zu überleben, 136. Vgl. auch 1 2 9 u. 140. Sie schreibt: „Weil sie über eine lange E r fahrung im Zusammenleben mit Juden verfügen, verfolgen sie wie Insekten den Geruch, der sie zu Juden mit etwas Geld führt." 905 Zentrales Personenarchiv der VOEST ALPINE A G , Linz, Leszczyszyn. 906 Meyer Levin, Eva Komgold, 1 2 5 .

Zwangsarbeiterinnen und ihre Kinder

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Am 2. Oktober 1943 begann Ida als Dolmetscherin und Kanzleikraft für 30 Wochenstunden in der Abteilung „Gefolgschaftsbetreuung" der H G W zu arbeiten. Sie war nicht freiwillig gewechselt, sondern vom „Personalchef angefordert worden, schrieb Meyer Levin. 907 Dolmetscherinnen waren gesucht, und Ida sprach und schrieb Polnisch, Russisch, Ukrainisch und Deutsch. Außer ihr arbeiteten 17 weitere Dolmetscherinnen in den HGW. 908 Finanziell bedeutete der Wechsel eine eklatante Verbesserung. Für 30 Wochenstunden, was an sechs Tagen eine tägliche Arbeitszeit von 7 Uhr 30 bis 12 Uhr 30 bedeutete, erhielt sie 90 RM. Beim Arbeitsamt Oberdonau hatte sie als Ganztagskraft zuerst 132 R M 14 RPf, ab 1. Mai 1943 146 R M 70 RPf erhalten.909 Dies konnte sie jedoch kaum für die Trennimg von den beiden russischen Freundinnen Nira und Clava entschädigen. Auch als ,freiwillig' ins Reich gekommene „Westukrainerin", die kein Ida Low, 1943 in Linz „OST"-Abzeichen tragen mußte, sah sie keine (Ich danke Michaela P f a f f e n w i m m e r fiir die Unterstützung bei der Suche Möglichkeit, der ,(Anforderung" zu entgehen. Aus nach dem hier abgedruckten Photo) dem versprochenen Einzelzimmer am Werksgelände der H G W wurde vorerst nichts, und als Katja zog sie in das Lager 44. Das Lager 44 war mit einer Belegschaft von 147 das zweitgrößte Frauenlager der H G W , wobei sie als eine der 18 „Polinnen" geführt wurde. 910 Der Abschnitt über Idas Tätigkeit in den H G W wurde durch Meyer Levins Einstimmung vorab geprägt: „eine gewisse Veränderung der Atmosphäre" war zu verspüren, „animalischer und hektischer und mit einer fühlbaren Spannung unterdrückter Sexualität geladen ... als ob all diese Männer und Frauen, die kein normales Leben führten, in eindeutigen Redensarten ihre Triebe abreagieren wollten". 9 " Auch im Personalbüro, der „Gefolgschaftsbetreuung", wo sie mit sieben oder acht weiteren Angestellten zusammenarbeitete, fühlte sie sich nicht wohl. Vor allem weil ihr von deutschen Kollegen ein907 Meyer Levin, Eva Korngold, 145. (Ich danke Michaela Pfaffenwimmerfiir die Unterstützung bei der Suche nach dem hier abgedruckten Photo) 908

D a t e n b a n k , H i s t o r i s c h e s A r c h i v d e r VOEST A L P I N E A G , L i n z .

909 Angestelltenbedarfsmeldung der R W A G , Alpine Montanbetriebe „Hermann Göring", 1.10.1943; und Landesarbeitsamt Oberdonau, Arbeitsamt Linz/Donau, 7.4.1943, in: Personalarchiv der VA-Stahl, Leszczyszyn. 910

D a t e n b a n k , H i s t o r i s c h e s A r c h i v d e r VOEST A L P I N E A G , L i n z .

911

Dementsprechend wenig wird über ihre konkrete Tätigkeit in den H G W geschildert, Meyer Levin, Eva Korngold, 145.

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Gabriella Hauch

Lager 44. Rechts, durch einen Zaun getrennt, das Frauenlager

deutige Avancen gemacht wurden, auch vom Abteilungsleiter. Ida stand zwar unter dessen Schutz, was ihn aber nicht davon abhielt, zudringlich zu werden. Auch die anderen deutschen Verehrer konnte sie sich nur mit der Ausrede, sie sei schon verhebt, vom Leibe halten. Klarere Worte, die als Beleidigung oder als Zurückweisung deutscher Männlichkeit empfunden werden konnten, glaubte sie sich aufgrund der rassistisch-hierarchischen Positionierung als Frau aus dem Osten nicht leisten zu können. Als sie - wie es Meyer Levin schildert - im Spätherbst 1943 doch noch das versprochene eigene Zimmer erhielt, war damit nicht nur ihre privilegierte Position, sondern auch ihre Attraktivität als Sexualobjekt weiter gestiegen. Diese Thematisierung von sexuellen Belästigungen einer relativ „privilegierten" ausländischen HGW-Angestellten zeigt, daß diese frauenspezifische Gewaltfacette nicht nur „Ostarbeiterinnen" aus ländlichen Gegenden in den H G W traf. Die im Buch Meyer Levins geschilderte steigende Verunsicherung Idas steht vor allem mit dem Verlust der emotionalen und sozialen Sicherheit, die das „Durchgangslager" und die beiden Freundinnen für sie bedeutet hatte, in Zusammenhang. Vor allem Nira, mit der sie nicht nur

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die Arbeit, die Barackenstube und das Geheimnis ihrer jüdischen Identität geteilt hatte, war zu einer wichtigen Freundin geworden. In der Gruppe mit Clava und den tschechischen Freunden hatte sie eine neue Familie gefunden. Trotz ihrer im Rahmen der Zwangsarbeiterinnenhierarchie privilegierten Position, die durch Dolmetschdienste für die Gestapo, wo sie Briefe von ausländischen Arbeiterinnen an ihre Familien übersetzen mußte, noch gefestigt wurde, häufen sich im Buch Meyer Levins bedrohliche Situationen, die sie nicht nur als Sexualobjekt, sondern auch ihre verdeckte Identität betrafen. Eines Tages rief ihr ein junger Pole hinterher, daß sie eine Jüdin sei.912 Als sie ihm mit einer Anzeige bei der Gestapo drohte, fuhr er fort: „Woher soll ich wissen, daß du keine bist? Mit so schwarzem Haar, wie du es hast, siehst du genau aus, wie die jüdischen Mädchen in unserer Stadt." Bald folgte ein zweiter Zwischenfall. Ein ukrainischer Arbeiter, den sie bereits öfter im Haus der Gestapo gesehen hatte, beobachtete und umwarb sie - für die Gestapo. Denn einmal verdächtig, unter falscher Identität als Polin zu leben, ließ nur eine Möglichkeit offen: in Wirklichkeit Jüdin zu sein. Auf Ida Blutreich traf in der Zwischenzeit dasselbe zu wie auf Niza Ganor: „Ich wußte, ich werde verdächtigt, daß ich keine Ukrainerin bin. Was werde ich wohl sein, wenn ich keine Ukrainerin bin? Eine Französin?"9'3 Mit diesen Gefahrenblitzen machte Meyer Levin die bestehende Gefahr deutlich, in der sich Ida Blutreich als Dolmetscherin Katharina Leszczyszyn in den H G W befand. Auch ihr Wissen darüber, was ihr bei einer Enttarnung bevorstand. Wenn sie morgens zur Arbeit ging, kam sie an einer „seltsamen" Gruppe von Arbeitern mit kahlgeschorenen Köpfen und „gestreifter, pyjamaartiger Kleidung vorbei", sie hingegen war „gut angezogen", mit „eleganten Stiefeln, ... imitierten schwarzen Pelzmantel und einem schwarzen Hut." Dafür schämte sie sich in diesen Augenblicken ,9'4 Es waren Häftlinge der HGW-Außenlager des K Z Mauthausen.915 Anfang Jänner 1944 erfuhr Ida, daß Niza verhaftet worden war und im Gefängnis in Leoben saß,916 ihre jüdische Identität jedoch nicht preisgegeben hatte. Dabei half ihr der Umstand, meinte Niza Ganor im nachhinein, daß die für sie zuständigen Gestapo-Beamten und Gefängnis-Aufseherinnen „nicht glauben wollten, daß ich eine Jüdin sei" und nicht versuchten, das Geständnis aus ihr „herauszuprügeln". Ida wurde zur Gestapo in Linz vorgeladen und leugnete ebenfalls.917 Nach 63 Tagen, am Sonntag dem 3. März 1944, wurde Niza vorübergehend entlassen und als Hausgehilfin nach St. Peter versetzt. Ida fuhr zu ihr, überzeugt, daß sie dank ihrer Reputation bei der Gestapo in Linz Niza

912 913 914 915 916 917

Meyer Levin, Eva Korngold, 150. Interview, Ganor, Meyer Levin, Eva Korngold, 155 f. Vgl. die Kapitel von Bertrand Perz und von Karl Fallend über die KZ-Häftlinge in den HGW. Vgl. Ganor, Anuschka, 79-92. Meyer Levin, Eva Korngold, 163-165. Ganor, Anuschka 95 f. Interview, Ganor.

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gerettet hatte. Niza Ganor meinte, daß sie erstaunt und erschrocken war, Ida äußerlich unverändert wiederzusehen und daß sie nicht vorhatte, aus Linz wegzuziehen. Ida füihlte sich in den H G W sicher.9'8 Niza war freigelassen worden, da die Gestapo auf Antwort bezüglich ihrer Identität aus Rawa Ruska wartete - dorthin war ein Photo von ihr und vermutlich auch eines von Ida geschickt worden.9'9 Die deutsche Armee befand sich zwar am Rückzug, Rawa Ruska hielten sie jedoch noch besetzt, was sich auf die Lebenswege der beiden Frauen verheerend auswirkte. Sie wurden als Jüdinnen identifiziert.920 Am 2. April 1944 wurde Anna Osimok alias Anna Frankel das zweite Mal verhaftet und über Wien nach Auschwitz-Birkenau transportiert.921 Wenig später erfolgte die erneute Einvernahme von Katarina Leszczyszyn alias Ida Blutreich bei der Gestapo in Linz. Die dritte Einvernahme und ihre schließliche Verhaftung erfolgte in einer vom HGW-Betriebsarzt Dr. Herbert Langer von 22. April bis 2. Mai ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbestätigung.922 Am 2. Mai 1944 wurde der Abteilung „Gefolgschaftsbetreuung" der H G W Hauptverwaltung Linz „fernmündlich" von der Geheimen Staatspolizei mitgeteilt, „daß die hier halbbeschäftigte Katharina Leszczyszyn verhaftet wurde und Linz verlassen wird. Ich bitte deshalb um ihre fristlose Entlassung mit 1.5.1944." Zwei Tage später legte die Verwaltungsdirektion/Personalabteilung einen ,Aktenvermerk für Herrn Direktor Kehrl" an, in dem die näheren Umstände der Festnahme geschildert werden: „Wie die Gestapo nachträglich noch mitteilt heisst die Genannte gar nicht Leszczyszyn sondern Ida Rosenzweig,923 ist Volljüdin und hat sich durch irgendwelche Manipulationen die Arbeitspapiere der Leszczyszyn angeeignet." Am 11. Mai ging der Antrag zur nachträglichen Entlassung an das Arbeitsamt Linz und wurde von dessen Leiter, Brunner, am 31. Mai 1944 bewilligt. Zu diesem Zeitpunkt war Ida Blutreich, Häftlingsnummer 81.332, bereits in Auschwitz-Birkenau. Nach einiger Zeit traf sie in der Quarantänebaracke Niza Ganor. Niza Ganor berichtete im Buch und Gespräch ebenso wie Meyer Levin in seiner Version, daß im Moment der Wiederbegegnung im K Z beide der Nichteinhaltung des Versprechens der Mütter gedachten. Uberleben in Auschwitz war kein Resultat von aktivem Handeln, sondern war dem Glück, dem Zufall oder einer Facette der Willkür der Nationalsozialisten zu danken.924 Ida und Niza hatten Glück. Keine Spuren von Hungerleben in Ghettos, der Illegalität oder in anderen Lagern waren in ihrem Aussehen zu finden. Niza hatte sich während ihrer Stelle als Hausgehilfin in St. Peter von ihrer Haftzeit erholen können. 918 919 920 921 922

Interview, Ganor, 20. Meyer Levin, Eva Korngold, 167. Niza Ganor vermutet, daß Lehrer die Denunzianten gewesen sein könnten. Ganor, Anuschka, 96 ff. Arztliche Bestätigung, 21.4.1944; Formular über „Erkrankungen"; in: Zentrales Personalarchiv der VOEST ALPINE AG, Linz, Lesczyszyn. 923 Ida Blutreich gab hier den ,schöneren', typisch jüdischen Namen Rosenzweig an. 924 Kira Kosnik, Sozialwissenschaftliche Ansätze in der Diskussion um Opfer und Uberleben, in: Wobbe, Nach Osten, 87-98, hier 94 f.

Zwangsarbeiterinnen und ihre Kinder

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Ida kam aus einem intakten Leben nach Auschwitz, war gut genährt und wurde dank ihrer Tipp- und Sprachfähigkeiten in eine „Repräsentationsbaracke" außerhalb des Lagers versetzt. Beide überlebten. Nach der Befreiung lebte Ida Blutreich zuerst in Polen, wo sie für den Geheimdienst in Entnazifizierungsangelegenheiten arbeitete, jedoch vor dem überhandnehmenden Antisemitismus floh. In Prag fand sie ihre Freundin Nira aus den HGW, wo diese mit ihrem Freund aus der Tschechoslowakei lebte. Die beiden blieben bis an ihr Lebensende in Verbindung, erzählte Niza Ganor. Das Gefühl der Heimatlosigkeit hielt jedoch an, da erinnerte sich Ida Blutreich an ihren bereits 1935 nach Israel ausgewanderten älteren Bruder und beschloß, auch nach Israel zu emigrieren. Anders als bei der überzeugten Zionistin Anna Fränkel - die sich nach ihrer Befreiung aus dem Konzentrationslager sofort Richtung Israel aufgemacht hatte und als illegale Migrantin auf dem ersten Boot, das Palästina nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges erreichte, im Sommer 1945 dort ankam - dauerte es bei Ida bis 1948. Meyer Levin konstruierte den roten Faden in Idas Lebensweg als ungebrochene Handlungsfähigkeit. Dadurch bleibt ihre soziale Identität unbeschadet. Auch ihre Enttarnung bei der Gestapo in Linz geriet unter Ausnutzung des verbliebenen Handlungsspielraumes zur selbstbestimmten Entscheidung: „Ich hatte mich aus eigenem freiem Willen aufgegeben, mit vollem Bewußtsein. Ich hatte nicht nach Stunden härtester Qualen winselnd zugegeben, daß ich Jüdin sei. Ich war froh, daß es vorbei war."92' Ida Blutreich war eine selbstbewußte, eher extrovertierte Frau, meinte auch Niza Ganor. Indem sie jedoch als selbstbestimmt handelnde „Heldin" dargestellt wird, die den Holocaust und vor allem das K Z überlebt, bleibt den Lesern und Leserinnen, ebenso wie Ida Low selbst, die Entwürdigung und Entmenschlichung (wieder) zu erleben erspart. Dies ist eine Möglichkeit, mit dem Trauma eines KZ-Aufenthaltes umzugehen, und kann durchaus in Ida Löws Intention gelegen sein.926 Niza Ganor stellte bei unserer Begegnung bald fest, daß sie nichts über Auschwitz erzählen würde: „Das Überleben von Auschwitz, das ist etwas, wofür man keine Worte finden kann. Das zu erklären, was das war, Auschwitz."927 Die Geschichte von Ida Low und Linz war mit ihrer Landung in Israel noch nicht zu Ende. Am 30. Mai 1983 ersuchte Barbara Taufar, Presse- und Kulturattache der Österreichischen Botschaft in Israel, den Vorstand des Instituts für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte der Johannes-Kepler-Universität Linz, Universitätsprofessor Dr. Karl R. Stadler,928 sich für eine offizielle Einladung von Seiten der Stadt Linz für Ida Low zu ver-

925 Meyer Levin, Eva Korngold, 176. 926 Vgl. in der Arbeit von Karl Fallend das Kapitel „Sklavenarbeit". 9 2 7 Niza Ganor hat in ihrer Autobiographie nur sehr knapp die Zeit in Auschwitz thematisiert. Interview, Ganor, 3 1 f. 928 Ich begann am 1. Jänner 1985 im Programm „Akademikertraining" des A M S am Institut für Neuere G e schichte und Zeitgeschichte bei Karl R. Stadler zu arbeiten.

400

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wenden, um ihr die Gelegenheit zu geben, die „Plätze ihrer Vergangenheit wiederzusehen und vielleicht auch noch jene Menschen [zu] finden ..., die einmal nett zu ihr waren". In erster Linie, unterstrich Frau Taufar, hätte die Reise jedoch einen „tiefen psychologischen Wert" fiiir Ida Low, die „wie so viele ihrer Leidensgenossen - alles mögliche versucht, ihr Trauma zu lindern".929 Der Besuch von Ida Low, gemeinsam mit ihrem Mann, einem Sohn, ihrer Schwiegertochter und Enkel wurde für Samstag, 20. August, bis Montag, 22. August 1983 avisiert und spontan um einen Tag verlängert. Das auf ihren Wunsch zusammenstellte Besuchsprogramm entsprach ihren Linzer Stationen: 1. Lager Bindermichl: Ida Low kam als Katharina Leszczyszyn nach ihrer Ankunft in Linz in das Durchgangslager 39 und arbeitete dort von 4. April bis 30. September 1943 in der Verwaltung. 2. Haus Eberhardt: Von 1. September 1942 bis 4. April 1943 arbeitete sie als Hausgehilfin im Haushalt des SS-Sturmbannführers der Reserve Eberhardt in der Hugo-Wolf-Str. 12 am Froschberg. 3. VOEST, BGox: Von 1. September 1943 bis 1. Mai 1944 arbeitete sie als Dolmetscherin in den H G W auf dem Gelände der heutigen VOEST. 4. Kolpinghaus: Am 2. Mai 1944 wurde Ida Low im Gestapo-Hauptquartier, Gesellenhausstraße 1-7, verhaftet.

Ida Low, ihr Mann und einer ihrer Söhne, August 1983 in Linz

929 Barbara Taufar an Karl R. Stadler, Tel Aviv, 30.5.1983, in: Archiv der Stadt Linz (AStL), Büro des Bürgermeisters, Korrespondenz 1983.

Zwangsarbeiterinnen und ihre Kinder

401

Das sollte nicht der letzte Besuch von Ida Low in Linz bleiben. Nach der erweiterten Wiederauflage im Jahre 1990 im Verlag Antje Kunstmann wurde bereits eine Lesereise durch Deutschland und Österreich geplant. Die Veranstaltung in Linz war für April 1991 avisiert worden.930 Zwei Monate vorher verstarb Ida Low in Tel Aviv.

VERBOTENE LIEBE Der „Lagerkosmos" 93 '-Zwangsarbeit hatte für Männer und Frauen differente Folgen. Am deutlichsten wurde dies im Bereich der Sexualität sichtbar. Von Beginn an wurde das Projekt,Ausländereinsatz" von Seiten der NS-Machthaber mit dem Problem Sexualität in Zusammenhang gebracht, jedoch als Angelegenheit ,unter Männern' betrachtet. Gemäß der NS-Ideologie konnotierte männliche Sexualität nicht nur Triebbefriedigung, sondern auch „rassisch verantwortliche" Zeugung von Kindern. Die nach Kriegsbeginn rasch steigende Anzahl von Ausländern ließ die NS-Machthaber zur naheliegenden geschlechtsspezifischen Problemlösung greifen. Die „Gefährdung des deutschen Blutes" und der „Reinheit der deutschen Frau" durch „fremdvölkische" Männer sollte in speziellen Bordellen gebannt und der Triebstau bei ebenso „fremdvölkischen" Prostituierten abgeführt werden. Bereits am 9. September 1939, kurz nach Kriegsbeginn, hatte Heinrich Himmler erste Maßnahmen zur Errichtung von speziellen Bordellen für „fremdvölkische" Arbeiter angeordnet und Ende 1940 die Gauleiter um aktive Mithilfe dabei ersucht. Die entstehenden Baukosten sollten „als mittelbare Polizeikosten" übernommen werden.932 In der (Un-)Bewußtheit über die ,Gefahr' und die Konkurrenz der ausländischen Männer war die Stadtverwaltung der „Patenstadt des Führers" und die Leitung der Reichswerke Hermann Göring in Linz dem Deutschen Reich einen Schritt voraus: Als das Rundschreiben des Stellvertreters des Führers, Heydrich, vom 7. Dezember 1940 den Gauleitern anordnete, der Errichtung solcher Bordelle „besondere Aufmerksamkeit" zu schenken, war das erste für „fremdvölkische Arbeiter" in Linz bereits eingerichtet.933 Im

930 Radmayr, Geh hinaus, I f. 931 Ulrich Herbert, Herren und Knechte. Der ,Ausländereinsatz' im Dritten Reich, in: Jörg Friedrich/Jörg Wollenberg (Hrsg.), Licht in den Schatten der Vergangenheit. Zur Enttabuisierung der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse, Berlin 1987,130-145, hier 137. 932 Andreas Heusler, Ausländereinsatz. Zwangsarbeit für die Münchner Kriegswirtschaft 1939-1945, München 1991, 212; Der Hintergrund dieser frühen Präventivmaßnahmen lagen zum einen im erwarteten großen Ausmaß der geplanten Arbeitskräfterekrutierung, wie Andreas Heusler zeigte. Damit widersprach er Ulrich Herberts Ansicht, daß die NS-Führung noch von einer „begrenzten Zufuhr an ausländischen Arbeitskräften" ausging und deren „Prüderie und Schamhaftigkeit" als Grund fiir die Errichtung von Bordellen anzunehmen wäre, in: Herbert, Fremdarbeiter, 125. 933 Vgl. in der Arbeit von Karl Fallend den Abschnitt „Nova Villa", in Band 2, S 103 ff.

4 3571330 Erinnerungsbericht Ottokar Merinsky, AMM V 3/41. 1331 Ausführlich zu diesem Luftangriff Kutschera, Fliegerangriffe auf Linz, 267-277. Die Fliegerschadenkommission des Rüstungskommandos Linz stellte allein für die Eisenwerke Oberdonau den Tod von 38 inländischen und 12 zivilen ausländischen Beschäftigten sowie den Tod von 12 Militärinternierten, weiters 80 Verwundete fest. Zu den KZ-Häftlingen wird nur bemerkt, daß diese „nicht erfaßt" sind. Reichswerke H. Göring Linz, Fliegerschaden 25. 7. 1944, Oberösterreichisches Landesarchiv, LWA Sch 14. Die Gesamtzahl der Opfer betraf den gesamten AGW-Bereich 0ohn, Bd. 1, S. 60)

KZ-Häftlinge als Zwangsarbeiter der Reichswerke „Hermann Göring" in Linz

505

raden um Hilfe schrien, abgerissene Hände oder Füße, hervorquellende Gedärme, im Auge ein großer Pfahl, zerquetschte Leiber, so sah es in den Splittergräben aus. Es war wie ein Wunder, daß es überhaupt noch lebende Menschen gab. Unter den Toten waren viele gute Kameraden und Freunde. Sehr viele angesehene Personen der verschiedensten Nationen zählten zu den Toten. Wir wurden dann nach Linz III gebracht, wo SS-Lagerführer Schöpperle herrschte.'" 332 Die Zahl der ums Leben gekommenen Häftlinge war zunächst nicht einmal genau bekannt, die Lagerfiihrungen hatten den Uberblick verloren. Das Lager Linz I meldete nach Mauthausen zunächst 73 Tote und 49 Vermißte, das Lager Linz III 19 Tote und 97 Vermißte.' 333 Die hohen Vermißtenzahlen, insgesamt 146 Personen, ergaben sich aus der Tatsache, daß eine große Zahl der getöteten Häfdinge nicht mehr identifizierbar war. Nachdem insgesamt 1 1 3 Leichen und Leichenteile von mindestens 25 Personen in das Krematorium des K Z Gusen gebracht worden waren, ging die SS von insgesamt 138 Toten aus. Zu den 92 getöteten Häftlingen wurden mindestens 46 Tote aus der Gruppe der Vermißten zugerechnet. Wie viele der restlichen 100 als vermißt gemeldeten Häftlinge ums Leben gekommen waren, läßt sich nicht genau feststellen. Tatsache ist, daß in den Tagen nach dem Luftangriff insgesamt 32 der für die Lager I und III als vermißt gemeldeten Häfdinge wieder in den Lagerstand des Lagers Linz III aufgenommen worden sind, so daß das Schicksal von insgesamt 68 Häftlingen ungewiß ist.' 334 Möglicherweise haben einige dieser Häfdinge im allgemeinen Chaos versucht, die Flucht zu ergreifen. So wurde der sowjetische Häftling Jurij Fomin, der seit dem Luftangriff als vermißt galt, von der Staatspolizeileitstelle Linz am 7. August 1944 in das Lager Linz III eingeliefert. Aus der entsprechenden Meldung des Lagers Linz III geht nicht hervor, ob Fomin geflüchtet war oder einfach nach dem Angriff im Werksgelände festgenommen worden war.' 335 Das Lager Linz I war durch den Luftangriff so weit zerstört, daß eine weitere Nutzung nicht mehr in Frage kam. Die 631 in Linz I verbliebenen Häftlinge wurden am 3. August 1944 in das Lager Linz III überstellt und das Lager am selben Tag für aufgelöst erklärt. 1336 Für die überlebenden Häfdinge waren die Tage nach dem Luftangriff nicht nur wegen des Schocks und des Todes vieler Kameraden und des körperlich anstrengenden

1332 Erinnerungsbericht Ottokar Merinsky, A M M V 3/41. 1333 Statistische Erfassung der Toten und Vermißten im Außenkommando Linz I und Linz III, 26. 7. 1944, 4 M M B/24/1. 1334 Die Annahme von Fiereder, Nebenlager, 107, daß alle 238 Häftlinge ums Leben gekommen sind, trifft zwar nicht zu, von den 68 Vermißten dürften jedoch die meisten getötet worden sein. Sie wurden folglich von mir in der Statistik den Toten zugezählt. 1335 AMM B 24/3. 1336 Bewegungen Außenkommandos, APMO D-Mau 3/1 bis 3/ 4; vgl. Fiereder, Nebenlager, 107.

506

Bertrand Perz

Einsatzes bei den Aufräumungsarbeiten äußerst beschwerlich. Nach dem Bericht von Vaclav Vaclavik war die Wasserversorgung des Lagers Linz III irreparabel zerstört, die Häftlinge litten in der Sommerhitze unter Durst und wegen der nun nicht vorhandenen Waschgelegenheiten unter der zunehmenden Läuseplage. Das Waschen der Kleidung in der außerhalb des Zaunes gelegenen Traun wurde nicht gestattet.1337 Arbeitseinsatz der Häftlinge des Lagers Linz III Art und Umfang des Arbeitseinsatzes der Häftlinge des Konzentrationslagers Linz III lassen sich anhand der überlieferten Aufstellungen über geleistete Schichten und Lagerkosten sehr genau nachvollziehen.1338 Generell läßt sich eine Tendenz feststellen: die ursprünglich auf den Einsatz im Panzerprogramm (Eisenwerke Oberdonau und Stahlbau GmbH) und den Ausbau der Hütte Linz zielende Ausweitung des Häftlingseinsatzes in den Reichswerken in Linz wurde bis Frühjahr 1945 auf immer mehr andere Bau- und Produktionsbereiche ausgedehnt, wobei die Beseitigung von Schäden nach Luftangriffen inner- und außerhalb der Reichswerke zu einem Schwerpunkt des Arbeitseinsatzes wurde. Aufstellung der von den Häftlingen des Lagers Linz m geleisteten Arbeitsschichten Hütte 0%

Jun.44 1800

Jul.44

EWO

4%

Aug.44

20366 26%

Sept.44

54367 42% 59408 4 1 %

Okt.44 Nov.44

14462 77%

142

1%

1656

9%

0%

12%

1022

2%

3963

9%

0%

n%

5297

7%

8%

6435 9410

8%

10752

46844 32%

11207

8%

6299

7% 4%

8853 10303

34612 27%

11256

9%

3433

10149

8%

60934 50%

Feb.45

56610 5 1 %

29826 27%

43%

Summe

13%

Jän.45

61086 60%

D.E.St.

2438

35339 28% 31590 26%

429081

Lagerbetrieb

5434 9022

578I8 45% 56692 46%

Summe

Haupt.vwltg.

33233 73% 28976 37% 33766 26%

Dez.44

Mär.45

Stahlbau

9939 8501

8725 15273 15% 303921 30% 87423

8896 11%

18698 45452 78992

7%

12000

9%

129148

7%

12378

8%

146439

8%

3%

10348

8%

10130

2%

10491

8%

8872

8%

2954 1682

1%

10357

8%

7615

7% 6%

8%

2258

2%

9131

8%

4223

4%

2 575 66689

9%

2938

3%

10664

11%

9%

36573

4%

81063

8%

«7597 124497 122117 110549

3% 101261 6% 1004750

(Zusammengestellt und berechnet nach: N A R A M F T 83/226 O r d n e r Reichswerke A G Alpine M o n t a n b e triebe „Hermann Göring" Linz, KZ-Häftlinge ab 1.III.44, 1944-1945.)

1337 Erinnerungsbericht Vaclav Vaclavik, 48. 1338 Für den Zeitraum Juni bis Dezember 1944 liegt eine Ubersichtsstatistik über geleistete Schichten in den Reichswerken vor, durch Luftangriffe bzw. Fliegeralarm ausgefallene Schichten werden allerdings nicht extra ausgewiesen und sind nicht abgezogen. N i c h t erfaßt sind in dieser Statistik die erkrankten Häftlinge. F ü r den Zeitraum N o v e m b e r bis M ä r z 1945 liegen diverse Abrechnungen über Schichten bzw. Ubernachtungsgebühren für das K Z vor. Alle dafür herangezogenen Quellen im O r d n e r Reichswerke A G Alpine Montanbetriebe „Hermann Göring" Linz, KZ-Häftlinge ab 1. III. 44, 1944-1945. N A R A M F T 83/226. Details zu diesen Quellen siehe statistischer Anhang.

KZ-Häftlinge als Zwangsarbeiter der Reichswerke „Hermann Göring" in Linz

5°7

Durchschnittlich standen zwischen 1. Juni 1944 und 3 1 . März 1945 pro Tag ca. 4333 Häftlinge in Linz III als Arbeitskräfte zur Verfügung. 1339 Das ergäbe bei einer täglichen Arbeit ohne Ruhetag und Einsatz aller Häftlinge eine maximale Gesamtzahl von ca. 1.317.225 Schichten. Die tatsächlich geleisteten 1.004.750 Schichten (76 Prozent der maximalen Gesamtzahl) liegen aber deutlich unter dieser Maximalzahl. Zum einen wurde Sonntags zum Teil gar nicht, zum Teil nur eingeschränkt gearbeitet, und ein zunehmender Prozentsatz an Krankenständen reduzierte die Zahl der tatsächlich geleisteten Schichten.' 340 Wegen der zunehmenden Luftalarme lag die effektive Zahl der geleisteten Schichten vermutlich noch um 10 Prozent niedriger und somit unter einer Million. Durchschnittliche Zahl der täglich anwesenden Häftlinge nach Monaten Jun. 44

Jul. 44

Aug. 44

784

2026

2938

Sept. 44 5H7

Okt. 44 5232

Nov. 44 5579

Dez. 44 5512

Jän. 45

Feb. 45

Mär. 45

54'4

5410

5289

Wie sich aus der Statistik über geleistete Arbeitsschichten ersehen läßt, waren die Häftlinge des Lagers Linz III anfanglich vor allem bei den E W O und der Stahlbau in der Rüstungsproduktion eingesetzt. Der Einsatz bei der DESt, also in der Schlackenverwertung ab August 1944, war eine Folge der Schließung des Lagers Linz I nach dem verheerenden alliierten Luftangriff vom 25. Juli 1944. Der Einsatz in der Hütte wurde erst ab August 1944 relevant und entwickelte sich in der Folge zum Hauptschwerpunkt des Arbeitseinsatzes. Fast jeder zweite Häftling war im Dezember 1944 in der Hütte eingesetzt. Der Anteil der Hütte am Häftlingseinsatz stieg bis März 1945 nominell auf 60 Prozent. Entsprechend dem Anstieg des Arbeitseinsatzes für die Hütte fiel der Anteil des Häftlingseinsatzes in den E W O von 77 Prozent im Juni 1944 auf 15 Prozent im März 1945, der bei der Stahlbau von 13 Prozent auf 9 Prozent.

1339 Errechnet aus dem Rapportbuch Bewegungen Außenkommandos, A P M O D-Mau 3/1 bis 3/4. Für April läßt sich zwar der Häftlingsstand annähernd bestimmen, genaue Aufzeichnungen über die Anzahl der Schichten fehlen aber. Die Berechnung wurde deshalb auf den Zeitraum bis Ende März 1945 beschränkt. Siehe auch Statistischer Anhang. 1340 Dazu kommen noch statistische Unscharfen durch Aufzeichnungsdifferenzen in den Rapportbüchern der SS. Die Aufzeichnungen über den jeweiligen Lagerstand in der zur Verfügung stehenden Quelle „Bewegungen Außenkommandos" stimmen nicht immer mit dem tatsächlichen Lagerstand überein. So wurden Häftlinge, die von Linz zurück nach Mauthausen überstellt wurden, oft erst einen Tag später im Rapportbuch vom Lagerstand abgezogen. Weiters dürften eintreffende Häftlingstransporte zwar im Lagerstand des Ankunftstages schon berücksichtigt worden sein, zur Arbeit kamen sie aber frühestens am nächsten Tag.

508

Bertrand Perz

Tatsächlich lag der prozentuelle Anteil der bei der Hütte Linz eingesetzten Häftlinge nicht bei 60, sondern unter 40 Prozent. Denn dem Arbeitseinsatz der Hütte zugerechnet wurde, wie die genauen Schicht- und Übernachtungsstatistiken für den Zeitraum November 1944 bis März 1945 zeigen, der zunehmende Einsatz bei der Bahn und im Luftschutzstollenbau (Auftraggeber NSDAP-Ortsgruppe Spalierhof), im kleineren Umfang auch für die Lokalbahn St. Florian und die Post.' 341 Besonders der Einsatz bei der Reichsbahn nahm einen immer größeren Umfang ein. Beginnend mit einem Anteil von 2,7 Prozent aller in der Hütte eingesetzten Häftlinge im Dezember 1944 stieg dieser im Jänner 1945 auf 8 Prozent, im Februar 1945 auf 30 Prozent und im März 1945 auf 34 Prozent. Im März 1945 waren so 20 Prozent aller bei den Reichswerken in Linz tätigen Häftlinge bei Bahnreparaturen eingesetzt. Im Stollenbau für die NSDAP-Ortsgruppe Spalierhof waren in den ersten Monaten des Jahre 1945 zwischen 3 und 4 Prozent der in der Hütte arbeitenden Häftlinge tätig. Darüber hinaus wurden auch Häftlinge, die in den Statistiken Arbeitsbereichen in der Hütte Linz zugeordnet wurden, zunehmend in Bereichen eingesetzt, in denen in

KZ-Häftlinge bei Aufräumungsarbeiten auf dem Bahnhofsgelände Linz, 1944

1341 Siehe Statistik im Anhang, S. 580 f.

KZ-Häftlinge als Zwangsarbeiter der Reichswerke „Hermann Göring" in Linz

509

der zusammenbrechenden Kriegswirtschaft gerade Bedarf bestand, meist waren es Aufräumungsarbeiten nach Luftangriffen. So vermerkte die kaufmännische Abteilung der Hütte Linz Mitte März 1945, daß die seitens der Technischen Direktion in den monatlichen Meldungen über den Einsatz der KZ-Häftlinge angeführten Arbeitsgruppen wie Sinteranlage, Auftauhalle, Umspannwerk, Kokerei, Verkehrswesen, Sammler C usw. „nicht mehr dem tatsächlichen Einsatzort der Häftlinge" entsprachen, wodurch Verrechnungsprobleme entstünden. Die Häftlinge seien „vielmehr zu einem beträchtlichen Teil anderen H G W Betrieben und auch fremden Firmen zugeteilt, was auch aus der Tatsache hervorgeht, daß wir laufend Rechnungen über Leistungen von KZ-Häftlingen erhalten, ohne daß diese Firmen für die Zuweisung der Häftlinge von uns belastet werden konnten".'342 Die technische Direktion wurde ersucht, „Unterlagen zu liefern, aus denen ersichtlich ist, wieviel Fach- und Hilfsarbeiterschichten jeweils für die die KZ-Häftlinge beschäftigenden Firmen und Betriebe verfahren wurden, damit von uns eine ordentliche Weiterberechnung an diese Stellen vorgenommen werden kann. Des weiteren wollen Sie bei dem Einsatz für die Behebung von Fliegerschäden wie bisher den Einsatzort bekanntgeben."1343 Für den gesamten Zeitraum Juni 1944 bis März 1945 lag der Schwerpunkt des Arbeitseinsatzes der Häftlinge des Lagers Linz III bei der Hütte Linz mit 43 Prozent, gefolgt von den Eisenwerken Oberdonau mit 30 Prozent und der Stahlbau mit 9 Prozent. Rechnet man den Einsatz in den E W O und der Stahlbau der unmittelbaren Rüstungsproduktion zu (zusammen 39 Prozent) und den Einsatz in der Hütte und der DESt der Eisengewinnung (zusammen 49 Prozent), so ergibt sich ein eindeutiger Schwerpunkt des Häftlingseinsatzes zugunsten der Grundstoffgewinnung. Berücksichtigt man die vielen Arbeitsleistungen für Betriebsfremde, so reduziert sich das Ubergewicht aber stark. Für Juni 1944 liegt eine Arbeitseinsatzstatistik für jeden Tag vor, die eine noch genauere Analyse des Arbeitseinsatzes erlaubt.1344 Mehreres wird deutlich: nach Fach und Hilfsarbeitskräften aufgeschlüsselt fielen im Juni 1944 29,4 Prozent der Schichten auf Häftlingsfacharbeiter, 70,6 Prozent auf Häftlingshilfsarbeiter. In den einzelnen Einsatzbereichen ist der Anteil an Fach- und Hilfsarbeitern sehr unterschiedlich verteilt. Den höchsten prozentuellen Anteil an Häftlingsfacharbeitern verzeichnete zu diesem Zeitpunkt die Stahlbau GmbH mit 79,8 Prozent, das Anteilsverhältnis von Fach- und Hilfsarbeitern war hier im Vergleich zur Gesamtverteilung auf den Kopf gestellt. Diese

1342 Kaufmännische Abteilung an Techn. Direktion betr. KZ-Einsatz, 16. 4. 1945, NARA M F T 83/226. 1343 Ebd. 1344 K L M Linz III - Einsatz Juni 1944, N A R A M F T 83/226 Ordner Reichswerke A G Alpine Montanbetriebe „Hermann Göring" Linz, KZ-Häftlinge ab 1. III 44, 1944-1945. Siehe detaillierte Statistik im Anhang.

Bertrand Perz

auffällige Verteilung läßt darauf schließen, daß die Häftlinge, in der Stahlbau zu diesem Zeitpunkt bereits in der Produktion tätig, in den anderen Bereichen möglicherweise noch mehrheitlich bei Bauarbeiten eingesetzt waren. Bezogen auf den Gesamtstand der Häftlinge waren im Juni 1944 die meisten Fach- wie auch Hilfsarbeiter bei den E W O eingesetzt. Schichten Juni 1944 nach Häftlingsfach- und -hilfsarbeitern Facharbeiteranteil Hilfsarbeiteranteil je Sparte in Prozent je Sparte in Prozent

EWO Hütte Stahlbau Hauptverwaltung Lagerbetrieb Kranke Gesamt

7.2 32

76,5 0 20,2 83,1 92,8 68

29,4

70,6

2 3'5

0 793 16,9

Facharbeiteranteil am Gesamtstand der Häftlinge in Prozent

Hilfsarbeiteranteil am Gesamtstand der Häftlinge in Prozent

17.7 0 10,1 0,1 0,6 0,9

57.5 0 2,6 0,6 8,0

29.4

70,6

!.9

(Zusammengestellt und berechnet nach: K L M Linz III - Einsatz Juni 1944, NARA M F T 83/226 Ordner Reichswerke AG Alpine Montanbetriebe „Hermann Göring" Linz, KZ-Häftlinge ab 1. III. 44, 1944-1945.)

An der Junistatistik läßt sich weiters ablesen, daß an den beiden Sonntagen nach dem Arbeitsbeginn im K Z Linz III am 7. Juni noch keine Schichten gefahren wurden. Bezogen auf die Erkrankungen zeigt sich, daß der prozentuelle Anteil der Kranken unter den Hilfsarbeitern doppelt so hoch war wie unter den Facharbeitern. Dies verweist auf den für den KZ-Arbeitseinsatz typischen Umstand, daß qualifiziertere Arbeitskräfte in der Regel unter besseren Bedingungen arbeiten konnten, da sie schwerer ersetzt werden konnten. Das für Juni 1944 nachweisbare Qualifikationsverhältnis bei den Häftlingen von ca. 30 Prozent Fachkräften und 70 Prozent Hilfskräften dürfte für die gesamte Existenzdauer des Lagers Linz III etwa gleichgeblieben sein. So weisen die Aufstellungen über geleistete Schichten für November 1944 bis März 1945 ein konstantes Verhältnis von 28 bis 30 Prozent Facharbeiterschichten und 72 bis 70 Prozent Hilfsarbeiterschichten auf. 1345 Dieses Qualifikationsprofil gibt allerdings nur beschränkt Auskunft über die tatsächlichen Qualifikationen der Häfdinge für den vorgesehenen Einsatz, da viele Häfdinge bei der Rekrutierung für ein Außenlager versuchten, durch Vortäuschung bestimmter beruflicher Kenntnisse als Facharbeiter eingestuft zu werden und damit die 1345 Eigene Berechnungen nach: KZ-Abrechnungen für November 1944 bis März 1945, erstellt zwischen Juli und Oktober 1945, N A R A M F T 83/226.

KZ-Häftlinge als Zwangsarbeiter der Reichswerke „Hermann Göring" in Linz

511

Uberlebenschancen zu erhöhen. Firmenvertreter kamen deshalb z. T. direkt in die Hauptlager, um durch einfache Prüfung derartige Strategien zu unterlaufen. Finanzielle Aufwendungen der Reichswerke „Hermann Göring" in Linzfiir die KZ-Zwangsarbeit Gemäß den allgemeinen Entgeltregelungen mußten SS-externe Firmen 1944, wie bereits geschildert, in der Regel 6,- R M pro Tag für einen Häftlingsfach- und 4,- R M für einen Häftlingshilfsarbeiter an die SS abführen. Nicht alle Firmen hatten jedoch die festgelegten Beträge in voller Höhe zu bezahlen. Vielfach fand die „Minderleistung,, von Häftlingen gegenüber Zivilarbeitern Eingang in die Abrechnungen zwischen Firmen und Konzentrationslager. Die meisten Häfdinge erbrachten aufgrund der katastrophalen Bedingungen, unter denen sie zu leben hatten, nicht die Arbeitsleistung von Zivilarbeitern. Überdies versuchten die Häftlinge, um Kräfte zu sparen, in unbeobachteten Augenblicken möglichst wenig und möglichst langsam zu arbeiten. Diese Uberlebensstrategie der Häfdinge wurde von der SS und den Firmen jedoch durch normierte Arbeitsvorgaben und ein Akkordsystem unterlaufen.' 346 Da einzelnen Firmen die „Minderleistung" der Häftlinge bei den zu bezahlenden Häfdingsentgelten erstattet wurde, oder anders gesagt, eine Abrechnung nach Leistungswerten erfolgte, mußte es im Interesse der Firmen liegen, daß die Schätzung der Arbeitsleistung möglichst niedrig ausfiel. Hatte die Entgeltregelung an sich auf die Lebensbedingungen der Häftlinge keine Auswirkungen, da sie ohnehin keinen Lohn ausbezahlt bekamen, handelte es sich hier um rein finanztechnische Überlegungen, die über die Häfdinge hinweggingen, als seien letztere Bestandteile einer Kalkulation wie jeder andere Faktor auch,' 347 so war bei der Bewertung der Arbeitsleistung der Häftlinge genau das Gegenteil der Fall. War zwischen einer Firma und der KZ-Verwaltung einmal eine fixe Regelung über den „Minderleistungsfaktor" erzielt worden, so bedeutete jede Ausbeutung der Häftlingsarbeitskraft über den vereinbarten Faktor hinaus einen Gewinn für die Firma. Dieses System legte somit eine extreme Ausbeutung der Häfdinge nahe, die ja keiner arbeitsschutzrechtlichen Regelung unterlagen, sieht man von den durch die KZ-Verwaltungen festgelegten Arbeitszeiten ab. In dieser finanziellen Logik mußten die Firmen auch Interesse daran haben, kranke und entkräftete Häfdinge möglichst schnell durch neue Häfdinge ersetzt zu bekommen, da geschwächte Häftlinge die durchschnittliche Leistung zuungunsten der Firmen nach unten drückten. 1346 Hans Marsälek nimmt an, daß die Arbeitsleistung eines durchschnittlichen Mauthausener Häftlings ca. 50% eines Zivilarbeiters betrug, bei den streng kontrollierten und mechanisierten Fertigungen der Rüstungsindustrien, etwa bei der Gewehrproduktion der S D P im K Z Gusen, aber weit höher lag. Marsälek, Geschichte, 92. 1347 Pingel, Häftlinge, 138.

512

Bertrand Perz

Die R W H G in Linz zahlten für die ab Frühjahr 1944 außerhalb der Schlackenverwertung eingesetzten Häftlinge pro Arbeitsschicht die zu diesem Zeitpunkt üblichen Tagsätze von 6,- R M für Häftlingsfacharbeiter und 4,- R M für Häftlingshilfsarbeiter an die Verwaltung des K Z Mauthausen als Entgelt. I3+8 Diese Regelung war Anfang März 1944 in Zusammenhang mit der Ausweitung des Häftlingseinsatzes vereinbart worden.'349 Ob und wann über diese Vereinbarung ein schriftlicher Vertrag geschlossen wurde, ist nicht bekannt. Es ist aber davon auszugehen, daß eine Vereinbarung spätestens mit der Einrichtung des Lagers Linz III analog dem Vertrag erfolgte, den die Reichswerke am 15. Mai 1944 mit dem K Z Neuengamme über den Häftlingseinsatz bei der Munitionserzeugung in den Walzwerkhallen der Hütte Braunschweig geschlossen hatten.1350 Auch dort wurde der den WVHA-Richtlinien entsprechende Satz von 6,- bzw. 4,- R M bezahlt. Ausgenommen von der Bezahlung waren „revierkranke" Häftlinge. Die Bewachung stellte die SS, die Reichswerke verpflichteten sich, Kosten für medizinische Versorgung, Unterkunft, Wachmannschaften, Küchen, Krankenreviere, Einrichtungsgegenstände, Reinigungs- und Waschmittel sowie Transportkosten für Verpflegung und Wäsche zu übernehmen.135' Auf eine analoge Regelung wie im Vertrag mit dem K Z Neuengamme weisen die für Linz III feststellbaren Abrechnungsmodi hin. So wie in Braunschweig wurde auch für „revierkranke" Häftlinge des Lagers Linz III kein Entgelt gezahlt. Ebenso wurden in Linz die Kosten für Lagerbetrieb und Versorgung von den Reichswerken übernommen, wie u. a. eine Stellungnahme des technischen Direktors der Hütte, Fiala, von November 1944 zur Frage der Kosten für das K Z Linz III zeigt. „Wir weisen außerdem daraufhin", so Fiala, „daß auch der Lagerbetrieb zu Lasten der Reichswerke bzw. jener Unternehmen geht, die Häftlinge als Arbeitskräfte benutzen."1352 1348 Das KZ Mauthausen verfügte u. a. über ein Girokonto bei der Reichsbankfiliale Linz und über mindestens zwei Scheckkonten bei der Postsparkasse (ein Konto wurde von der Verwaltungsabteilung des Lagers geführt, ein Konto von der „Gefangenen-Eigentumsverwaltung"). Vgl. zu den Postscheckkonten: Vermögenswerte jüdischer Kunden und Kundinnen im „Postsparkassenamt Wien": NaziRaub 1938-1945. Zweiter Forschungszwischenbericht, Projektleitung: Oliver Rathkolb, Projektteam: Alexander Schröck, Vitali Bodnar, Theodor Venus, Doris Wiesinger, Wien, Februar 2000, dort Kapitel 8.3. 1349 Schreiben Amtsgruppe D an RW AG Alpine Montanbetriebe „Hermann Göring" Hütte Linz, 8. 3. 44 betr. Abstellung von Häftlingen, Nbg. Dok. N G H G 2327. 1350 Ein Arbeitseinsatz außerhalb der DESt-geführten Schlackenverwertung von Häfdingen des Lagers Linz I war in nennenswertem Umfang bis zur Auflösung des Lagers kaum erfolgt. 1351 Wysocki, Arbeit für den Krieg, 144. Die Rechtsabteilung der Reichswerke bemängelte an dem Vertrag allerdings die anfallenden Kosten, wie z. B. die Zurverfügungstellung von Arbeitskleidung, zu der man sich außerstande sah. 1352 Schreiben Fiala an DBHG, Geschäftsstelle Linz, 22. 9. 1944 betr. Einsatz von Häftlingen, Firma Thormann & Stiefel, NARA MF T 83/228.

KZ-Häftlinge als Zwangsarbeiter der Reichswerke „Hermann Göring" in Linz

5*3

Für geleistete Häftlingsschichten beim Lagerbau, bei der Versorgung des Lagers und im Lagerbetrieb wurden von den Reichswerken wie beim Arbeitseinsatz in den Werken selbst 6,- bzw. 4 , - R M an die SS abgeführt. Völlig unklar bleibt, wie die Frage der sogenannten „Minderleistung" der Häftlinge gegenüber freien Arbeitskräften zwischen den Reichswerken und der SS geregelt wurde. Es finden sich für die R W H G Linz keine Belege, daß hier Abzüge vorgenommen wurden bzw. Rückzahlungen seitens des K Z Mauthausen erfolgten. Sollten die 4 , bzw. 6,- R M voll bezahlt worden sein, wäre dies aus mehreren Gründen erstaunlich. Denn Firmen wie die Steyr-Daimler-Puch A G bzw. deren Tochterunternehmungen hatten 1944, dies läßt sich für den Bau einer unterirdischen Fabrik bei Melk zeigen, sehr wohl eine Abrechnung nach Leistungswerten, eine sogenannte Minderleistungsregelung für die dort eingesetzten Häftlinge mit der SS getroffen.' 353 Bei den Verhandlungen über die Schlackenverwertung war seitens der SS überdies eine Produktivität der Häftlinge von 20 bis 25 Prozent einer freien Arbeitskraft angenommen worden. Diese wurde auch als Ausgangspunkt für die Häftlingskosten beim Schlackenprojekt herangezogen. Unter dieser Annahme wäre die Arbeitsleistung der Häftlinge erheblich teurer gekommen als die der inländischen zivilen Arbeitskräfte. Uber den Umfang der von den Reichswerken auf eines der Konten der Verwaltungsabteilung des K Z Mauthausen bei der Reichsbankfiliale Linz oder bei der Postsparkasse überwiesenen Entgelte für die Ausleihung der Häftlinge lassen sich für das Lager Linz III relativ genaue Aussagen machen.' 354 Die Aufzeichnungen über die monatlich an die SS überwiesenen Entgelte sind zwar lückenhaft, anhand der bekannten Zahl der insgesamt bis Ende März 1945 geleisteten Schichten läßt sich der Umfang der bis dahin aufgelaufenen Entgelte sehr genau feststellen. Ausgangspunkt für die Berechnung ist die Gesamtzahl von 1.004.750 bis Ende März 1945 geleisteter Schichten (inkl. der durch Fliegeralarm ausgefallenen Schichten). Abzuziehen davon sind die für die D E S t geleisteten 66.689 Schichten, weil die Reichswerke dafür keine Entgelte zu entrichten hatten.' 355 Geht man also von 938.061 Schichten aus und legt dem ein Verhältnis Facharbeiter- zu Hilfsarbeiterschichten von 3 0 : 70 zugrunde, so wurden an die SS von Juni 1944 bis Ende März 1945 über 4,3 Millionen R M bezahlt.

1 3 5 3 Perz, Projekt Quarz, 370. 1354 Für die aus dem K Z Linz I im Zeitraum April bis Juni 1944 in den R W H G eingesetzten Häftlinge liegen keine Unterlagen über Zahlungen vor. 1 3 5 5 Die Reichswerke waren hier nur indirekt über ihre Gewinnbeteiligung am Schlackenwerk einbezogen.

5i4

Bertrand Perz

Schichten

RM

Anteil Facharbeiter (30%)

281418,3

6,-RM

Anteil Hilfsarbeiter (70%)

656642,7

4,-RM

Summe Fach- und Hilfsarbeiterschichten abzgl. 10% Fliegeralarmschichten Gesamtsumme

93806,1

1.688.509,80 2.626.570,80 4.315.080,60

93806,1

431.508,06

844254,9

3.883.572,54

Von dieser Summe sind die Fliegeralarmschichten abzuziehen, ein Satz von 10 Prozent kann dafür angenommen werden. Zwar beträgt der Prozentsatz der Fliegeralarmschichten für den Häftlingseinsatz im Zeitraum November 1944 bis März 1945 ohne EWO, Stahlbau und DESt 12 Prozent, da aber die zwischen Juni und September ausgefallenen Schichten wegen Fliegeralarms möglicherweise den Reichswerken nicht rückerstattet wurden, ist der Prozentsatz niedriger zu veranschlagen.1356 Somit kann davon ausgegangen werden, daß für den besagten Zeitraum über 3,8 Millionen R M an Entgelten aufgewendet wurden. Ob diese Summe tatsächlich zur Gänze an die SS abgeführt wurde, ist nicht nur wegen der Frage der „Minderleistung" offen. Nachdem die Dienststelle Arbeitseinsatz im K Z Mauthausen der Hütte Linz als Zahlungsziel für im März 1945 geleistete Häftlingsschichten den 1. Mai 1945 angegeben hat, muß offenbleiben, ob die Beträge für März noch auf das Konto des K Z Mauthausen-Verwaltung überwiesen wurden.1357 Die Summe geleisteter Schichten im April 1945 ist nicht feststellbar, die Aufzeichnungen dürften in diesem Monat nicht mehr vollständig erfolgt sein. Allerdings wurde vermutlich ab Mitte April kaum mehr gearbeitet, gegen Ende des Monats sollen keine Arbeitskommandos mehr gebildet worden sein.'358 Nach anderen Berichten wurde noch bis 3. Mai gearbeitet. Mit ziemlicher Sicherheit wurden die zu zahlenden Entgelte für April nicht mehr überwiesen, denn analog der Regelung zur Abrechnung für den März 1945 wäre der Betrag am 1. Juni 1945 fällig gewesen. Allerdings wurden Gelder nach der Befreiung des Lagers für den April 1945 direkt an ehemalige Häftlinge ausbezahlt, so im Falle

1356 Darauf schließen läßt eine Korrespondenz zwischen S S - W V H A , Amtsgruppe D und der Hütte Linz. Arbeitsamt und Gauarbeitsamt hatten sich mit Hinweis unzuständig erklärt, derartige Entschädigungen für Ausfallzeiten nur für Gefolgschaftsmitglieder auszuzahlen, zu denen die Häftlinge nicht zählten. Das KZ-Mauthausen hatte eine Rückzahlung mit Berufung auf eine Anordnung des S S - W V H A abgelehnt. W i e die Frage dort entschieden wurde, geht aus den Akten nicht hervor. Allerdings wurden danach die Alarmschichten abgezogen. Schreiben an S S - W V H A , Amtsgruppe D, Amt DU vom 22. 3. 1945 betr. Arbeitsausfall bei Fliegeralarm, N A R A M F T 83/226. Siehe auch Statistik im Anhang. 1357 Uber das Reichsbankgirokonto ist nichts bekannt. Die Scheckkonten bei der Postsparkasse wurden im Mai/Juni 1945 vom Staatsamt für Finanzen beschlagnahmt und zum Bundesschatz abgeführt. Vgl. Rathkolb u. a.,Vermögenswerte jüdischer Kunden und Kundinnen im „Postsparkassenamt" Wien, Kapitel 8.3. 1358 Aktenvermerk R.u., 167.

KZ-Häftlinge als Zwangsarbeiter der Reichswerke „Hermann Göring" in Linz

5*5

polnischer Häftlinge.' 359 Eine Delegation ehemaliger polnischer Häftlinge war nach der Befreiung an die Eisenwerke Oberdonau herangetreten und hatte für die dort im März und April 1945 eingesetzten 530 polnischen Häftlinge, darunter 75 Prozent Facharbeiter, eine Abschlagszahlung in Höhe der auch den Zivilarbeitern für den Monat April bis 10. Mai bezahlten Abgeltung in der Höhe von je 300 R M verlangt, was einer Summe von 159.000 R M entsprochen hätte. Die Eisenwerke Oberdonau erklärten sich prinzipiell zur Zahlung bereit, aber nur zu den früher an das K Z Mauthausen gezahlten Sätzen von 4 , - bzw. 6- R M und boten eine Gesamtsumme von 100.000 RM.' 3 6 0 Diese Summe entsprach in etwa den im Zeitraum 1. April bis 10. Mai angefallenen Arbeitstagen. Die Kosten für die materielle Versorgung der Häftlinge für das Lager Linz III wurden von den Reichswerken getragen, 1301 dafür wurde den einzelnen Abteilungen der Hütte, den Tochterunternehmungen E W O und Stahlbau ebenso wie der D E S t pro Häftlingsschicht von der Betriebsbuchhaltung eine Unterbringungsgebühr (Ubernachtungsgebühr) von 0,60 R M anteilig verrechnet. Konzernfremden Nutzern, ausgenommen der NSDAP, wurden 0,80 R M in Rechnung gestellt. Für den Zeitraum N o vember 1944 bis März 1945 weisen diese Lagergebühren eine Gesamtsumme von über 323.000 R M auf. 1 3 6 2 Ein zusätzlicher Kostenfaktor für die Reichswerke waren die an die Häftlinge ausbezahlten Leistungsprämien. Ein ausgeklügeltes Prämiensystem, das den Häftlingen einen materiellen Anreiz für ihre geleistete Arbeit bieten sollte, war in den Konzentrationslagern 1942 mit der Ausrichtung auf den Arbeitseinsatz eingeführt worden. Hafterleichterungen, Verpflegungszulagen, Geldprämien, Möglichkeiten zum Tabakwarenbezug und die Einrichtung von Bordellen für bestimmte männliche Häftlingsgruppen sollten zu einer Differenzierung der Häftlinge nach Qualifikation und Leistung führen und somit die Produktivität erhöhen. 1303 Wann in den Reichswerken ein Prämiensystem eingeführt wurde, um die Häftlinge zu einer höheren Arbeitsleistung zu motivieren, ist nicht klar ersichtlich. Aus einem Schreiben des technischen Direktors der Hütte, Fiala, geht hervor, daß im September

1359 Abschrift Aktenvermerk vom 2 3 . 5 . 1945 betr. Abschlagzahlung fiir die bei den Eisenwerken Oberdonau in den Monaten März und April 1945 eingesetzten ehemaligen polnischen KZ-Häftlinge, N A R A M F T 83/226 1360 Unter Zugrundelegung eines Verhältnisses von Fach- zu Hilfskräften von 75:25 und 34 Arbeitstagen (40 Tage abzüglich 6 Sonntage). 1 3 6 1 Schreiben Fiala an D B H G , Geschäftsstelle Linz, 22. 9. 1944 betr. Einsatz von Häftlingen, Firma Thormann & Stiefel, N A R A M F T 83/228. 1362 Aktenvermerke für die Betriebsbuchhaltung fiir die Monate November 1944 bis März 1945 betr. Ubernachtungen fiir KZ-Häftlinge, N A R A M F T 83/226. Summe daraus errechnet von B.P. 1363 Pingel, Häftlinge, 132, Orth, Das System, 1 9 5 - 1 9 8 .

5

I6

Bertrand Perz

1944 bereits ein Prämiensystem existierte und wie dieses Prämiensystem in den Reichswerken gehandhabt wurde. Es gebe, so Fiala, zwei Wege zur Steigerung der Arbeitsleistung bei Häftlingen. Einerseits die Umsetzung geeigneter Kräfte durch Meldung an ihn „unter Angabe der Kontrollnummer und kurzer Begründung", andererseits die Vergabe von Prämien: „Den Häftlingen kann fair besondere Leistungen eine Zuwendung in Form von Prämien gegeben werden. Zu diesem Zweck werden über das Lager Mauthausen Prämienscheine zentral beschafft. Die einzelnen Firmen sollen dann in noch festzuhaltenden Abständen von mindestens 14 Tagen Aufstellungen über jene Häftlinge machen, denen sie eine Prämie gewähren wollen. Diese Aufstellung muß die Kontrollnummer, den Betrag und den Zeitraum, wofür die Prämie gelten soll, enthalten. Diese Liste ist zwecks weiterer Veranlassung der Schutzhaftlager-Leitung mit Durchschlag an den Unterzeichneten zu übermitteln. Zur einheitlichen Lenkung und Vermeidung von Uberzahlungen einzelner Firmen wollen wir die Prämienzahlungen statistisch erfassen. Als obere Grenze für die Prämienzahlungen bitten wir, im Baubetrieb einen wöchentlichen Betrag von Beschäftigtenzahl x R M 0,7 anzunehmen. Der sich so ergebene Betrag soll auf höchstens 60 Prozent der Belegschaft je nach Leistung verteilt werden. Wir betonen nochmals, daß dies die obere Grenze ist. Aus den laufenden Zuwendungen ergibt sich dann ohne weiteres die Wertigkeit der Arbeit einzelner Häftlinge aufgrund der Unternehmerangabe. Jene Häftlinge, die in bestimmten Zeiträumen keine Zuwendungen erhalten, können von unserem Standpunkt aus nicht als vollwertig betrachtet werden und müssen im Laufe der Zeit nach Möglichkeit ins Lager zurück oder einer anderen geeigneteren Beschäftigung zugeführt werden. Die große Zahl von Häftlingen und deren Zusammenfassung in einem Lager bedingt eine einheitliche Ausrichtung und Prämienzahlung, wobei auch die Facharbeit entsprechende Berücksichtigung finden muß. (...) Die anfallenden Beträge für Arbeitsentgelte und Prämien werden von hier aus erfaßt und - nach der Beschäftigtenzahl geschlüsselt - auf die einzelnen Betriebe oder Firmen umgelegt."' 364 Aus Fialas Schreiben wird zum einen deutlich, daß in den Reichswerken wöchentlich maximal 0,70 R M pro Häftling für Prämienzahlungen aufgewendet wurden, zum anderen läßt sich aus den Ausführungen schließen, daß die Prämien vön den Reichswerken bzw. den nachgeordneten Unternehmen und nicht von der SS gezahlt wurden. Bei einer durchschnittlichen Anwesenheit von 4333 Häftlingen im Zeitraum von 43,4 Wochen ergäbe dies einen maximalen Prämienbetrag von ca. 131.000 RM. (4333 x 0,70 R M x 43,4 Wochen). Da aber nur 76 Prozent der maximalen Schichtzahl gearbeitet wurde, ergibt dies einen maximalen Prämienbetrag von etwa 100.000 RM. 1364 Schreiben Fiala an D B H G , Geschäftsstelle Linz, 22. 9. 1944 betr. Einsatz von Häftlingen, Firma Thormann & Stiefel, N A R A M F T 83/228.

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Tatsächlich dürfte der für Prämien aufgewendete Betrag aber wesentlich niedriger gewesen sein. Dies nicht nur wegen der von Fiala getroffenenen Feststellung, daß die Summe von 0,7 R M als Maximalbetrag zu betrachten sei. Fialas Schreiben kann auch so gelesen werden, daß erst ab dem Zeitpunkt seines Schreibens (September 1944) Prämien bezahlt wurden. Abgezogen müssen überdies auch die für die D E S t geleisteten Schichten, für deren Prämien die Reichswerke nicht zuständig waren, was den hier als maximal geleisteten angeführten Betrag ebenfalls reduziert. Ob die Prämien, für die sich die Häftlinge meist nur Zigaretten kaufen konnten, in der Praxis größere Auswirkung auf die Arbeitsleistung hatten, muß bezweifelt werden. Angesichts der mangelnden materiellen Versorgung und der daraus resultierenden körperlich schlechten Verfassung der Häfdinge war eine Leistungssteigerung auf diese Weise wohl nur schwer zu erreichen. Allerdings waren Zigaretten die „Hauptwährung" am Schwarzmarkt im Lager. Gegen Zigaretten konnte Brot eingetauscht werden, für viele Häftlinge eine Frage des Überlebens.' 365 Überdies zeigen die Berichte aus anderen Konzentrationslagern, daß derartige Vergünstigungen in der Praxis meist jenen Häftlingen zugute kamen, die in der Hierarchie weiter oben standen und deshalb keine körperliche Arbeit zu verrichten hatten. In vielen Lagern kam überdies nur ein kleiner Teil der Häftlinge überhaupt an Prämienscheine heran.' 366 So war der einzige Effekt oft der, daß einzelne Kapos die Häftlinge durch körperliche Züchtigung zu höherem Arbeitstempo antrieben, um in den Genuß von Prämien zu kommen und so indirekt eine Leistungssteigerung erzwungen wurde. Die Frage der Behandlung der Häfdinge war auch in den Direktionsetagen der Reichswerke in Linz unter der Perspektive Leistungssteigerung immer wieder ein Thema. Es ging dabei nicht nur um die Prämien, sondern auch um die Frage der Aufgaben der SS-Wachmannschaften wie um das Schlagen von Häftlingen. 1367

V . L E B E N S - UND ARBEITSBEDINGUNGEN DER H Ä F T L I N G E Die Lager Linz I und III im Vergleich Allgemein kann davon ausgegangen werden, daß sich die Lebens- und Arbeitsbedingungen für Häfdinge, die in der Kriegswirtschaft eingesetzt waren, zwischen 1943 und 1945 massiv verschlechterten. Die Häfdinge bekamen auf der einen Seite den durch

1365 Vgl. dazu die Schilderung von Pio Bigo, II triangolo, 62 f. 1366 Hans Marsälek schätzt, daß in den Lagern Mauthausen, Gusen, Ebensee und Melk, in denen Kantinen eingerichtet wurden, nur 20% der Häftlinge über derartiges Geld verfügten. Marsälek, G e schichte, 68; Orth, Das System, 197. 1367 Siehe dazu weiter unten.

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Das Lager Linz III nach dem Luftangriff vom 25. 7. 1944

die Kriegsentwicklung ständig zunehmenden Produktionsdruck in der Kriegswirtschaft direkt zu spüren, auf der anderen Seite waren sie der sich vor allem ab Herbst 1944 dramatisch verschlechternden Versorgungssituation mit Nahrungsmitteln und Gütern des alltäglichen Gebrauchs, vor allem warmer Kleidung und fester Schuhe, aber auch mit Medikamenten unmittelbar ausgesetzt. Die KZ-Häfdinge waren die ersten, bei denen angesichts von Versorgungsmängeln und Rationskürzungen eingespart wurde. Als Beispiel kann die Frage der Bekleidung der Häfdinge genommen werden. Diese war in den Konzentrationslagern bis 1944 weitgehend normiert. Die Häfdinge trugen in der Regel dünne blau-weiß gestreifte Drillichanzüge. Ab 1944 verschlechterte sich die Bekleidung zunehmend. Zunächst wurden in den Lagern als Häftlingskleidung auch kenndich gemachte Zivilkleidung von in Vernichtungslagern ermordeten Juden und alte Uniformen, meist Beutestücke der deutschen Wehrmacht, ausgegeben. Diese Kleidungsstücke waren schon bei der Ausgabe oft in sehr schlechtem Zustand und boten somit keinen Schutz vor der Witterung. Anfang November wandte sich Pohl an die Kommandanten der Konzentrationslager, um ihnen mitzuteilen, daß es ab sofort weder neue Winter- noch Sommeranzüge

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für Häftlinge gebe. Gleichzeitig gab Pohl die, angesichts der Tatsache, daß Häftlinge mit einer einzigen Garnitur Wäsche leben mußten, zynische Anordnung an die Kommandanten, jene Häftlinge streng zu bestrafen, „die durch hohen Verschleiß von Bekleidung oder gar durch offensichtliche Beschädigung von Bekleidung auffallen".'368 Die Lagerführungen versuchten zum Teil, selbst Abhilfe vor Ort zu schaffen. So wurde schon kurz nach der Einrichtung des Lagers Linz III von der KZ-Verwaltung Mauthausen eine Maschine zum Zuschneiden von Kleidung für Linz beschafft.1369 Zu der allgemeinen Verschlechterung der Versorgung kam noch die für Häftlinge immer größere Gefahr, Opfer alliierter Luftangriffe zu werden, da ihnen bei Fliegeralarm nicht derselbe Schutz gewährt wurde wie den anderen Arbeitskräften. So ist es auch wenig verwunderlich, wenn ehemalige Häftlinge übereinstimmend berichten, daß die Bedingungen im Lager Linz I wesentlich besser waren als jene in dem in den letzten 11 Kriegsmonaten existierenden Lager Linz III. Ottokar Merinsky: „Das Lager Linz 3 war im Vergleich zum Lager 1 wie ein Armenasyl und das Hotel Sacher. Statt der gemauerten Blocks alte Holzbaracken, bei Hochwasser die Straßen unter Wasser, entlang der Baracken Laufstege, kein Closett in der Baracke, die Latrinen 20 bis 100 m von den Blocks entfernt, das Lager überfüllt, die Blockführer wie rasende Hunde. Niemand war sicher, nur aus bloßer Laune vom Laufsteg in das Wasser geworfen, und durch einen Revolverschuß erledigt zu werden. Wieviel Nächte mußten wir auf dem Appellplatz stehen, weil ein Häftling geflüchtet war."' 37 ° Der ehemalige tschechische Lagerschreiber Vaclav Vaclavik berichtet von einem Hochwasser im Oktober 1944, bei dem sich das Lager in einen großen See verwandelt hatte. Bei der Formierung der Arbeitskommandos standen die Häfdinge am Appellplatz bis zu den Knien im Wasser. Sie mußten ihre Holzschuhe in den Händen halten, um sie trocken zu halten.'371 Auch Ernst Jetter, ein in der Schweiz geborener deutscher Kommunist, der fast 12 Jahre in verschiedenen deutschen Konzentrationslagern eingesperrt war und zeitweise die Funktion des Lagerältesten im Lager Linz I einnahm, bezeichnet das Lager Linz III, in das er nach der Auflösung des Lagers Linz I verlegt worden war, als ein wesentlich schlechteres Lager. Das Lager I sei eines der besten gewesen, durch die er gegangen sei. Die Häftlinge seien gut behandelt und in der Regel nicht geschlagen worden, sieht man von den Bestrafungen ab, die durch seinen Vorgänger als Lagerältesten, der aus der Gruppe der kriminell kategorisierten deutschen Häftlinge kam, vollzogen worden seien.'372 Auch

1368 Zit. nach Marsälek, Geschichte, 70. 1369 Bernadac, Des jours sans fin, 264. 1370 Erinnerungsbericht Ottokar Merinsky, A M M V3/4. 13 71 Erinnerungsbericht Vaclav Vaclavik, 49. 1372 Verhandlungsprotokoll, 116, Case 000-50-5-1 U S vs. Schoepperle et al.

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wenn man die Aussage Jetters über Linz I relativieren muß, in dem er wegen seiner privilegierten Funktion ungleich bessere Lebensverhältnisse vorfand als ein einfacher Häftling, so wird die große Differenz durch andere Indikatoren, wie die Entwicklung der Krankenzahlen in Linz III, vor allem aber durch den Vergleich der Todesraten der beiden Lager bestätigt. Dennoch können auch die Bedingungen im Lager Linz I für die einfachen Häftlinge alles andere als gut bezeichnet werden. So berichtet der ehemalige Häftling Machajlo K. von einem ukrainischen Mithäftling, der auf dem Weg zur Arbeit von einem SSMann erschossen worden war, weil er sich für einen Moment von der Kolonne entfernt hatte, um Kräuter zum Essen vom Wegrand zu pflücken. Die Ernährung sei so schlecht und unzureichend gewesen, daß alle ständig Hunger hatten und der Ukrainer es deshalb riskierte, sich von der Marschkolonne zu entfernen.' 373 Auch sei die Unterbringung in den steinernen Baracken schlecht gewesen, Häftlinge hätten zeitweise wegen Bettenmangels auf dem Betonboden schlafen müssen.1374 Die Arbeit war schwer, besonders für jene Häftlinge, die dem sogenannten Schlackenkommando zugeteilt waren. Die Arbeit im Freien bot keinen Schutz vor Witterung, war kräfteraubend und wegen der heißen Schlacke sehr gefährlich. Der Arbeitseinsatz der Häftlinge des Lagers Linz III war so vielfältig, daß von einheitlichen Arbeitsbedingungen nicht gesprochen werden kann. Mußten die im Bau und bei der Fliegerschadenbeseitigung eingesetzten Häftlinge schwere körperliche Arbeit im Freien bei jeder Witterung verrichten, so waren die in der Produktion in den Werkshallen eingesetzten Häftlinge vor Nässe und Kälte geschützt, andererseits aber oft mit gefährlichen Arbeitsvorgängen konfrontiert. Andere Häftlinge wiederum mußten besonders schwere bergmännische Arbeit im Luftschutzstollenbau verrichten. Viele Häftlinge waren auch hintereinander in unterschiedlich guten Arbeitskommandos eingesetzt. Eine wesentliche Rolle spielte auch die Kategorisierung als Fach- oder Hilfsarbeiter, die in der Regel einen erheblichen Unterschied beim Arbeitseinsatz hinsichtlich Schwere der Arbeit und Behandlung durch Vorgesetzte und Meister bedeutete. Qualifizierte Häftlinge waren für Firmen schwer zu ersetzen, weshalb ein größeres Interesse am Erhalt der Gesundheit und Arbeitskraft dieser Häftlinge bestand als gegenüber der Gruppe der als Hilfsarbeiter eingestuften Häftlinge. Generell kann davon ausgegangen werden, daß die Arbeitsbelastung durch den Zeitdruck, unter dem in der Endphase des Krieges produziert wurde, höher war als in den Jahren zuvor, was sich u. a. auch in zunehmend ausgedehnten Arbeitszeiten bemerkbar machte.

1373 Zeugenaussagen ehemaliger Häftlinge, aufgenommen in Kanada. Machajlo Kr., 18. 3. 1970, ZStL 419 AR-Z 76/77. 1374 Ebd.

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In der zweiten Hälfte des Krieges wurde die offizielle Arbeitszeit der Häftlinge in den Konzentrationslagern erheblich verlängert. 1375 SS-WVHA-Chef Pohl wies Ende 1943 in einem Erlaß die Lagerkommandanten an, daß die bisherige 1 1 stündige Arbeitszeit nun unabhängig von der Jahreszeit einzuhalten sei, soweit nicht bei Außenarbeiten die früher eintretende Dunkelheit einen Abbruch der Arbeit notwendig mache.' 376 1944 wurde in großen Teilen der Rüstungsindustrie für die dort eingesetzten K Z Häftlinge und Zivilarbeiter eine generelle Hinaufsetzung der Arbeitszeit auf 72 Stunden pro Woche beschlossen. Es stellte sich jedoch heraus, daß die Ausbeutung von Arbeitskräften für die Rüstungsindustrie nicht grenzenlos gesteigert werden konnte, ohne negative Rückwirkungen auf die Gesamtproduktivität zu riskieren. So war die Folge solcher Maßnahmen oft ein sprunghaftes Ansteigen von Krankheiten.' 377 Im Frühjahr 1944 mehrten sich die Stimmen, die in der 7 2-Stunden-Woche der Arbeitskräfte in der Rüstungsindustrie Nachteile für die Produktivität erblickten. So vermerkte der wehrwirtschaftliche Lagebericht des O K W vom Mai 1944, daß „die Einführung der 72 Stunden Woche (...) vielfach den in sie gesetzten Erwartungen nicht entsprochen" habe. „Es hat sich ein Rückgang der Stundenleistung sowie eine Erhöhung des Ausschusses gezeigt.'" 378 So wurde im Bereich der Luftrüstung und unterirdischen Verlagerung der Industrie im Juli 1944 über ein Abgehen von der 72-Stunden-Woche beraten. Zumindest in den unterirdischen Fabriken sollten statt zwei 12-Stunden-Schichten drei 8-StundenSchichten eingeführt werden. Diese sollten allerdings als Akkordarbeit organisiert werden.' 379 Für jene Häftlinge, die im Lagerbetrieb oder in Kommandos tätig waren, die nicht unmittelbar mit dem Stollenbau in Verbindung standen und deshalb keinen Schichtbetrieb hatten, galt zum Teil die generelle Arbeitszeitregelung, die das S S - W V H A im Herbst 1943 erlassen hatte, also eine Mindestarbeitszeit von 11 Stunden. Allerdings differierten die Arbeitszeiten mit den Tageslängen der verschiedenen Jahreszeiten. 1380

1375 Martin Broszat, Nationalsozialistische Konzentrationslager 1933-1945. In: Anatomie des SS-Staates. Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte, Bd. 2, 'München 1979, 118. 1376 „Die heute in bedeutendem Umfange mit Häftlingen zur Durchführung kommenden kriegswichtigen und siegentscheidenden Arbeiten lassen es keinesfalls zu, daß die tägliche reine Arbeitszeit unter 11 Stunden liegt." Nbg. Dok. N O 1290. 1377 ST/GL-Sitzung vom 20. 12. 1943, B A M A R L 3/32. 1378 O K W Feldwirtschaftsamt, W W L Nr. 57, Mai 1944, 19, BA MA RW 19/102. 1379 Nicht nur in den Untertage-Fabriken wurde der 8-Stunden-Tag wieder eingeführt, auch oberirdisch wurden die Fabriken zum Teil auf dieses Schichtsystem umgestellt. Kurzbericht über die JägerstabsSitzung vom 5. 7.1944, B A M A R L 3/11; Steno. Bericht Rüstungsstab vom 3.8.1944, B A M A R L 3/9. 1380 Bei Einbruch der Dunkelheit wurde, um Fluchtversuchen vorzubeugen, das Einrücken der Kommandos ins Lager befohlen, wenn diese Kommandos im Freien zu arbeiten hatten. Vgl. Marsälek, Geschichte, 91.

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Für die Häftlinge in den Reichswerken kann eine derartige generelle Ausweitung der Arbeitszeiten nicht festgestellt werden. War man bei der Planung des Häftlingseinsatzes in der Schlackenverwertung von einer täglichen Arbeitszeit von 10 Stunden ausgegangen, so differierte in Linz III die Arbeitszeit je nach Art der Tätigkeit. So war Anfang 1945 von 8-Stunden-Schicht im Bau, was auf einen Dreischichtbetrieb schließen läßt, und von 10-Stunden-Schichten in den Werkstätten wie im Lagerbetrieb die Rede. 138 ' Eine Ausdehnung der Arbeitszeit war vor allem dann gegeben, wenn Häftlinge zur Fliegerschadensbeseitigung in der Stadt oder am Bahnhof eingesetzt wurden, weil dies oft zu täglich mehrstündigen Fußmärschen vom Lager zum Ort des Einsatzes und zurück bedeutete, die zur eigentlichen Arbeitszeit dazukam. Im Frühjahr 1945 waren mehr als 20 Prozent der Häftlinge zu Einsätzen eingeteilt, wie sie Ottokar Merinsky beschreibt: „Die Fliegerangriffe auf Linz und auf die Eisenbahnstrecke wurden immer häufiger, wir mußten um 4 Uhr früh ausrücken und die Strecken aufräumen, die Geleise in Ordnung bringen, sehr oft von Fliegeralarm überrascht, mußten wir in Deckung gehen und nachher wieder weiterarbeiten. Später gingen wir auch zu Aufräumungsarbeiten in die Stadt. Alle Lebensmittel die hierbei gefunden wurden, mußten abgegeben werden, doch konnten wir auch manchmal etwas für uns zur Seite bringen. Als im März 1945 der Hauptbahnhof in Linz völlig zerstört wurde, mußte Tag und Nacht an den Aufräumungsarbeiten gearbeitet werden.'"382 Wesentlich gravierender als eine Ausweitung der Arbeitszeit dürfte sich in den Reichswerken die Intensivierung der Arbeit auf die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen ausgewirkt haben. Eine Arbeitsschicht begann in der Regel mit der Übernahme der Häftlinge durch die Wachmannschaften am Lagertor und anschließendem Marsch zu den Arbeitsstellen. Dort wurden die Häftlinge an die Zivilarbeiter übergeben. Die SS-Männer versahen während der Arbeit Postendienst rund um die jeweilige Arbeitsstelle, hatten mit der Arbeit selbst aber nichts zu tun. Bei der Arbeit unterstanden die Häftlinge ausschließlich der Kontrolle der zivilen Arbeiter und der Häftlingskapos. Einzelne vorgesetzte inländische Beschäftigte in den Reichswerken scheinen von der SS aber erwartet zu haben, daß diese die Häftlinge bei der Arbeit antreibt. Der technische Direktor der Hütte Linz, Fiala, sah sich deshalb veranlaßt, zur Frage der Verantwortlichkeiten und der Befehlshierarchie im Arbeitsprozeß Stellung zu nehmen. In einem Schreiben vom 2 2. September 1944 an die D B H G erläutert Fiala, daß die Firmen bzw. die Meister sich nicht erwarten dürften, daß die Häftlinge von der SS zur Arbeit angehalten werden. 1381 Schreiben Hauptverwaltung, Abt. Techn. Wirtschaftsstelle an Finanzielle Direktion, Rechnungswesen Linz, 2. i. 1945, N A R A M F T 83/226. 1382 Erinnerungsbericht Ottokar Merinsky.

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„Grundsätzlich muß festgehalten werden, daß die Bewachungsmannschaft lediglich zu Bewachungszwecken eingesetzt ist und mit dem Arbeitseinsatz oder den Leistungen der Häftlinge nichts zu tun hat. Es ist ganz selbstverständlich, daß der Kommandofiihrer, an den man sich stets wenden muß, angehalten ist, auch in Fällen von offensichtlicher Bummelei einzuschreiten. Verpflichtet hierzu ist er aber nicht. Der richtige Arbeitseinsatz ist ausschließlich Sache jener Firmen, welche die Häftlinge beschäftigen. Es steht den Firmen ja frei, geeignete Häftlinge zu Arbeitscapos in Vorschlag zu bringen. Das weitere würden wir im Benehmen mit der Leitung des Schutzhaftlagers - soweit erforderlich - veranlassen. Die Zahl der Arbeitscapos ist den Firmen überlassen und abhängig von der Art der Arbeit und den näheren Umständen. Der Capo arbeitet ja bekanntlich nicht selbst mit, sondern ist nur Aufsichtsorgan und nimmt Weisungen der Bauleitung zwecks Durchfuhrung entgegen."' 383 Die hier angesprochene Frage, wie die Häftlinge jenseits von Leistungsanreizen durch Prämienvergabe von den Firmen bzw. den Häftlingskapos zu größerer Arbeitsleistung angehalten werden konnten, verweist implizit auf die Frage der körperlichen Züchtigung von Häftlingen. Es läßt sich zeigen, daß Häftlinge nicht nur von Kapos zur Arbeit angetrieben wurden. Mißhandlungen durch zunehmend nervöser werdende vorgesetzte Zivilarbeiter häuften sich mit dem kriegsbedingt zunehmenden Produktionsdruck. Vorarbeiter und Meister standen selbst unter dem Druck ihrer Vorgesetzten und gaben diesen an die Häftlinge weiter, denen genaue Arbeitsvorgaben pro Zeiteinheit gemacht wurden. Als Beispiel für den Umgang mit den Häftlingen kann der Arbeitseinsatz in der Stahlbau G m b H herangezogen werden, der relativ gut dokumentiert ist. Denn die Behandlung der Häftlinge in der Stahlbau G m b H durch zivile Meister war Gegenstand der Verhandlungen in den US-amerikanischen Dachauer Militärgerichtsprozessen. 1384 Zur Panzererzeugung mit KZ-Häftlingen waren von den Eisenwerken Oberdonau drei Hallen auf dem Gelände der Stahlbau G m b H belegt worden, jede dieser Hallen hatte ein Häftlingsarbeitskommando namens „Stahlbau" mit der Bezeichnung Bearbeitungswerkstätte (BW 2). Weiters gab es auf demselben Gelände ein Kommando „Stahlbau - Brückenbau". Außer den dort Beschäftigten durften Zivilisten diese Bereiche nicht betreten.' 385 In Dachau angeklagt war u. a. der aus Dortmund stammende Meister Hermann Zuleger. Wegen der Mißhandlung von Häftlingen wurde Zuleger zu 15 Jahren Haft ver-

1383 Schreiben Fiala an D B H G , Geschäftsstelle Linz, 22. 9. 1944 betr. Einsatz von Häftlingen, Firma Thormann & Stiefel, N A R A M F T 83/228. 1384 Siehe Kapitel: Die Aufarbeitung der Geschichte der Konzentrationslager in den Reichswerken Linz durch die Justiz. 1385 Eidesstattliche Erklärung von Josef Ebersmüller, Leopold Rammelmüller, Leopold Hintringer und Franz Prostak u. a. Case 000-50-5-24 U S vs. Bartl et al.

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urteilt.'386 Auch wenn man berücksichtigen muß, daß Zuleger seine Verantwortung für die Behandlung der Häftlinge aus naheliegenden Gründen als möglichst gering darstellen wollte, wird aus seiner Aussage doch deutlich, unter welchen Verhältnissen die Häftlinge zu arbeiten hatten: „Am 15. Juli 1939 wurde ich als Meister von der Dortmunder Union nach Linz, Do. zur Fa. Stahlbau G.m.b.H. versetzt. Ich hatte im Betrieb den Zusammenbau von Konstruktion und Brücken, sowie die Anstreicherei. Im Jahre 1940 bekamen wir den Betriebsleiter Burgwinkel, der nun in unserem Betrieb das Akkordsystem der Dortmunder Union einführte. Seine erste Konferenz eröffnete er mit den Worten: Meine Herren, im Betrieb dulde ich keine Kameradschaft; denn sonst kann ein Betrieb nicht laufen. Der Akkord war aufgebaut auf Leistungstabellen von 1928-1938 der Dortm. Union mit erprobten Leuten. Zwei bis drei Konferenzen in der Woche, die von Burgwinkel angesetzt waren, sollten nun den Betrieb in Linz auf die gleiche Leistung bringen. (...) Es war sehr schwer und dem Betriebsleiter Burgwinkel fehlte jedes Verständnis, auch wenn wir Meister ihm erklärten, daß wir nicht die gelernten Kräfte haben, sondern Ausländer, die erst angelernt werden müßten. Burgwinkel verlangte auf jeden Fall die Kopfleistung mal Leute in der jeweiligen Meisterschaft vom Meister. Wenn Bu. durch den Betrieb ging und einen der Leute herumstehen sah, oder einen antraf der rauchte, dann verlangte er von uns Meister die Leute in den Arsch zu treten, oder ihnen die Zigarette in die Fresse zu schlagen. So war alles von Burgwinkel auf gegenseitige Hetzerei eingestellt. Im August 19/14 bekam ich jeden morgen ca. 30 Häftlinge aus dem K.Z. Lager zur Arbeit zugewiesen. Von diesen verlangte Burgwinkel gleichfalls dieselbe Kopfleistung wie von eingearbeiteten Leuten. Trotzdem ich laufend in den Konferenzen darauf hinwies, daß die Häftlinge körperlich zu schwach wären, wurde die mir vorgeschriebene Tonnenleistung von Burgwinkel verlangt. Er erklärte, die Häftlinge sind zur Arbeit da und wenn sie umstürzen, kommen neue. Wenn Burgwinkel bei seinem täglichen Rundgang durch den Betrieb Häftlinge herumstehen sah, dann verlangte er von mir die Leute in den Arsch oder vor den Bauch zu treten um sie so zur Arbeit anzuhalten. Im Winter verlangte er die Feuerstellen auszutreten, die sich die Häftlinge zur Wärmung angezündet hatten. Wenn ich nun wöchentlich ca. 15 Häftlingen eine Prämie für gute Arbeit geschrieben hatte wurde sie von Burgwinkel entweder als zu hoch beanstandet oder wenn er einen der Häftlinge hatte herumstehen sehen, einfach ganz gestrichen. Weiter sollte ich auf Veranlassung von Burgwinkel nichtarbeitende Häfdinge dem Kommandofiihrer zur Bestrafung melden. Hiervon habe ich keinen Gebrauch gemacht. Weil die Strafe unmenschlich war habe ich dann selbst den Häftlingen Ohrfeigen gegeben um sie zur Arbeit anzuhalten. Dieses ist in 9 Monaten ca. zehn mal geschehen, welches ich von Herzen bereue. 1386 Reviews and Recommendations, Case 000-50-5-24 US vs. Bartl et al.

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Durch diese Ohrfeigen ist niemand zu Schaden gekommen, weiter habe ich keinen der Häftlinge strafweise nach Mauthausen versetzen lassen. Daß wir überhaupt mit Häftlingen arbeiten mußten, ist auf persönliche Veranlassung von Betriebsleiter Burgwinkel geschehen. Das gespannte Betriebsverhältniss führte nun öfter zu persönlichen Auseinandersetzungen zwischen mir und Burgwinkel. Die Minderleistung warf er mir als Sabotage vor und drohte mir, wenn sich meine Leistung nicht besserte, Kürzungen meines Verdienstes und noch anderes gegen mich unternehmen zu müssen. Ich war nun entschlossen, ohne Rücksicht auf meine Familie zu nehmen, meiner Zwangslage irgendwie ein Ende zu machen; denn es war mir unmöglich meine Abteilung so weiter zu führen. Inzwischen war Kriegsende und am 9. Mai 1945 wurde ich von Zivil-Franzosen verhaftet, weil ich Häftlinge geschlagen hatte." Daß die Möglichkeit, aus den rechtlosen Häftlingen durch Schläge und andere disziplinare Mittel eine hohe Arbeitsleistung herauszuholen, von Seiten der Reichswerke auch schon früher klar erkannt wurde, zeigt eine auf Ersuchen des Kommandanten des W K X V I I erlassene Anordnung vom Sommer 1944, in der die Trennung des Arbeitseinsatzes von KZ-Häfidingen und Kriegsgefangenen verfügt wurde, weil man die Gefahr einer im Sinne des Betriebes negativen Beeinflussung der KZ-Häfdinge durch die Kriegsgefangenen sah. Die Arbeitsleistung der KZ-Häftlinge sei wesentlich größer, da sie „natürlich mit ganz anderen Mittel zur Arbeit verhalten werden können". Überdies war es zu Reibereien zwischen den Wachmannschaften der KZ-Häftlinge und der Wehrmacht gekommen, die man vermeiden wollte.' 388 Das Schlagen der Häftlinge, um eine Arbeitsleistung trotz mangelnder materieller Versorgung zu erreichen, scheint vor allem ab Beginn des Jahres 1945 in den Reichswerken eine übliche Praxis geworden zu sein, wurde aber nicht von allen höheren Angestellten gutgeheißen. So wandte sich der technische Direktor der Hütte, Fiala, heftig gegen eine derartige Behandlung der Häftlinge in der Hauptwerkstätte: „Nachdem sich nun die Beschwerden häufen, daß Häfdinge in Ihrem Betrieb geschlagen werden, sehe ich mich veranlaßt, auf die hieraus entstehenden Folgen nachdrücklichst aufmerksam zu machen. Es steht keinem Zivilarbeiter das Recht zu, gegenüber einem Häfding handgreiflich zu werden, gleichgültig welchen Vergehens sich der Häfding schuldig machte. Der Ihrerseits bestellte bzw. anerkannte Capo ist für die sach- und fachgemäße Durchführung der Arbeiten verantwortlich. Die Wachmannschaft selbst dient der Sicherheit. Außerdem werden die Kommandos täglich von ei-

1387 Handschriftl. Erklärung Hermann Zuleger vom 7. 1 1 . 1945, Case 000-50-5-24 US vs. Bartl et al. 1388 Schreiben Hauptverwaltung R W H G (Mitteilung Nr. 14/30) an Hauptverwaltung Linz, Hütte Linz, EWO, Stahlbau GmbH, D B H G betr. Gleichzeitiger Einsatz von KZ-Häftlingen mit Kriegsgefangenen, A M M B 24/14.

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nem Offizier kontrolliert. Wenn irgend welche Beschwerden vorzubringen sind, dann sind ja die Wege bekannt. Der Lagerfüihrer des Schutzhafdagers erstattet für die Folge bei Wiederholung derartiger Fälle wie am 2 . 2 . Anzeige in Mauthausen. Es ist uns unverständlich, wie ein Meister Ihres Betriebes Häfdinge mißhandeln kann, so daß einer davon mit blutunterlaufenen und geschwollenen Augen arbeitsunfähig ins Revier eingeliefert werden mußte. Namentlich wurde Ihr Meister Asanger angegeben. Ob dies zutrifft, wollen wir nicht untersuchen. Wir müssen nunmehr in Ihrem eigenen Interesse bitten, daß derartige Vorkommnisse vermieden werden. Wir betrachten damit diese Angelegenheit für erledigt."' 389 Dir. Michel erteilte Fiala umgehend eine Absage und verteidigte die Praxis der Mißhandlung von Häftlingen: „Die Arbeitsleistung der KZ-HäfÜinge ist derzeitig unter aller Kritik. Das Verhalten der Häftlinge kommt offenkundig einer Sabotage gleich. Unverständlich ist die Einstellung der Wachmannschaften, die ihrerseits nicht das geringste zu einer Änderung des Zustandes beitragen. Wie die Capo offen zugeben, wagen sie nicht mehr ihrerseits gegen die Häftlinge aufzutreten, das gleiche gilt von der Wachmannschaft. Wenn ich auch den Übergriff des Meisters Asanger nicht billige, so ist mir sein Verhalten durchaus verständlich. Ohne drakonische Mittel ist eine Arbeitsleistung nicht mehr zu erzielen. Wir bringen entweder den Mut auf, diese anzuwenden, oder wir verzichten auf den Einsatz von Häftlingen. Beschwerden bei der Lagerführung sind nachgewiesenermaßen erfolglos.'" 390 Deutlich wird aus der Stellungnahme Michels nicht nur die Tatsache, daß der Zusammenhang zwischen mangelnder materieller Versorgung und Leistung schlicht kein Thema war, sondern auch die alleinige Verantwordichkeit des Betriebes für die Mißhandlungen im Arbeitsprozeß. Ganz offensichtlich beschränkte sich die SS außerhalb des Lagers stark auf ihre Bewachungsaufgabe, überdies war die Lagerführung nicht bereit, das Schlagen durch die zivilen Meister hinzunehmen, da es ihr Disziplinierungsmonopol eindeutig in Frage stellte. Krankheit Schwere Arbeit bei mangelnder materieller Versorgung führte in den Konzentrationslagern in der Regel zu rascher körperlicher Entkräftung und Erkrankung der Häftlinge. Zum Teil wurden in den Außenlagern für erkrankte Häftlinge sogenannte Kran-

1389 Schreiben Hauptverwaltung Linz, Technische Direktion Fiala an Hauptwerkstätte Obering. Schiffner, 5. 2. 1945, N A R A M F T 83/228. 1390 Schreiben Werksleitung Michel an Techn.Dir. Fiala, 8.2.45 betr. Schreiben Fiala an Schiffner vom 5. 2. 1 9 4 5 , N A R A M F T 8 3 / 2 2 8 .

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kenreviere eingerichtet. In den meisten Außenlagern wurden abgearbeitete und schwerkranke oder auch verletzte Häftlinge, so sie nicht schnell verstarben, jedoch früher oder später in das jeweilige Hauptlager rücküberstellt und neue Häftlinge angefordert. Neben dem Abschieben von Verletzten und Schwerkranken kam es zur Rücküberstellung aber auch dann, wenn Häftlinge als Arbeitskräfte woanders benötigt wurden oder wenn sie durch die Politische Abteilung in Mauthausen verhört werden sollten. Häftlinge wurden auch nach Fluchtversuchen oder „strafbaren Handlungen" nach Mauthausen gebracht und dort ermordet. Für das Lager Linz I liegen keine statistischen Angaben über erkrankte Häftlinge vor. Aus der Zahl der nach Mauthausen rücküberstellten Häftlinge kann aber auf den Gesundheitszustand der Häftlinge geschlossen werden. So wurden von 1756 nach Linz I eingewiesenen Häftlingen 1624 wieder aus dem Lager rücküberstellt, davon allerdings 1167 nachweisbar zur Arbeit in andere Lager, vor allem nach Linz III im Zuge der Auflösung des Lagers Linz I. 457 Häftlinge, also ca. 26 Prozent aller Häftlinge, wurden nach Mauthausen rücküberstellt, bei einem Großteil kann als Grund Krankheit und Entkräftung angenommen werden. Die schwere Arbeit bei mangelnder materieller Versorgung führte besonders im Lager Linz III zu hohen Krankenständen. Die Lagerführung war gezwungen, ein eigenes Krankenrevier im Lager einzurichten.' 391 Die Entwicklung der Krankenstände in Linz III sind zum Teil auch dokumentiert. Allerdings muß davon ausgegangen werden, daß Häftlinge nur bei schweren Erkrankungen in das Revier aufgenommen wurden, alle anderen wurden zur Arbeit geschickt. Die Prozentzahl der im Juni 1944 offiziell als krank bezeichneten Häftlinge war mit 2,79 Prozent noch relativ gering. 1392 Die Ursachen der Krankheiten, wie sie für Ende August 1944 bekannt sind, lassen darauf schließen, daß sich der Allgemeinzustand der Häftlinge trotz sommerlicher Witterung rasch verschlechterte. So wurden von den zu diesem Zeitpunkt 135 krank gemeldeten Häftlingen (entspricht 3 Prozent der anwesenden Häftlinge) bereits 30 mit der Erkrankungsursache „Hungerödeme" und 16 mit „Untergewichtigkeit" angeführt.' 393 Um das gesamte Projekt des Arbeitseinsatzes in der Rüstungsindustrie nicht zu gefährden, sah sich der SS-Standortarzt im K Z Mauthausen gezwungen, ab Sommer 1944 auch für die Kranken im Linzer Lager Lebensmittelzulagen bei der Arztekam-

1391 Schreiben Karl Kaufmann an das Hohe Alliierte Revisionsgericht München, 2. 10. 47, case 000-50-541 US vs. Sturm. 1392 Berechnet nach: K L M Linz III - Einsatz Juni 1944, Ordner Reichswerke A G Alpine Montanbetriebe „Hermann Göring" Linz, KZ-Häftlinge ab 1. III. 44, 1944-1945, NARA M F T 83/226. 1393 SS-Standortarzt Mauthausen, Aufstellung der Durchschnittskrankenziffern im K.L.Mauthausen, KLM/Gusen, K L M - Arbeitslager Solvay-Kalksteinbergwerke, Steyr-Münichholz und Linz, 25. 8. 1944, AMM H 13/1.

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mer Oberdonau anzufordern.1394 Anfang September wurden diese Zulagen für einen Zeitraum von 12 Wochen genehmigt.'395 Diese Maßnahmen konnten jedoch die weitere rapide Zunahme der Krankheitsfälle nicht aufhalten, denn im Oktober 1944 wurden die Essensrationen für die KZ-Häftlinge, von denen diese ohnedies meist nur einen Bruchteil zu sehen bekamen, generell herabgesetzt und damit die Bemühungen für die Kranken konterkariert. Ausgenommen waren von der Rationskürzung nur Schwerstarbeiter.1396 Anfang Februar 1945 wurden die Lebensmittelzubußen „unter Berücksichtigung der derzeit angespannten Ernährungslage" für kranke Häftlinge generell eingestellt.1397 So nahm der Krankenstand „infolge der schweren Arbeit, der schlechten Bekleidung und der überaus schlechten Verpflegung", so der ehemalige Revierkapo Kaufmann, rasch weiter zu und machte es bald notwendig, eine zweite Baracke für die Schwerkranken einzurichten.'398 Der Ausbau des Krankenreviers in Linz III war aber nicht nur wegen der steigenden Krankenzahl notwendig. Vermutlich war es auch nicht möglich, in der Endphase des Krieges in das völlig überfüllte K Z Mauthausen in gleicher Weise Häfdinge abzuschieben wie das zuvor noch der Lagerführung des Lagers Linz I möglich war. Aus Linz III wurden relativ gesehen auch nur halb so viele Häfdinge nach Mauthausen rücküberstellt wie aus dem Lager Linz I. Von den 1125 aus Linz III in andere Lager überstellten Häftlingen wurden 880 nach Mauthausen rücküberstellt, was 13 Prozent der eingewiesenen Häftlinge entsprach. Die Rücküberstellungsrate des Lagers Linz I betrug 26 Prozent. So stieg die offizielle Zahl der Kranken in Linz III bis März 1945 auf fast 1000 Personen (18,7 Prozent der am Stichtag anwesenden Häftlinge). Nach der offiziellen SSStatistik war im März 1945 so jeder 5 Häftling krank gemeldet.'399 Im April dürften die Krankenzahlen wegen der zusammenbrechenden Versorgung noch einmal in die Höhe geschnellt sein. Der ehemalige Kapo des Reviers, Karl Kaufmann, spricht von 2463 Kranken, darunter 1700 Schwerkranke unmittelbar vor der Befreiung.'400

1394 Schreiben SS-Standortarzt Mauthausen an SS-Unterscharführer Kurt Hertel, S D G im KLM-Arbeitslager Linz vom 16. 8. 1944, betr. Lebensmittelzulagen für kranke Häftlinge, A M M H 13/1. 1395 Schreiben SS-Standortarzt Mauthausen an SS-Unterscharführer Christian Wohlrab, S D G im K L M Arbeitslager Linz vom 15. 9. 1944, betr. Lebensmittelzulagen für kranke Häftlinge, A M M H 13/1. 1396 Perz, Projekt Quarz, 323. 1397 Rundschreiben Nr. 24 des K L Mauthausen, Verwaltung an die Arbeitslager, 8. 2. 1945, A M M H 13/1. 1398 Schreiben Karl Kaufmann an das Hohe Alliierte Revisionsgericht München, 2. 10. 1947, Case 000-505-41 US vs. Sturm. 1399 Die Statistik für den 21. 3. 1945 weist bei einem Lagerstand von 5324 Häftlingen 998 Kranke aus. Aufstellung über kranke Häftlinge in Mauthausen und Außenlagern vom 21. 3. 1945, AMM H 14/1. 1400 Schreiben Karl Kaufmann an das Hohe Alliierte Revisionsgericht München, 2. 10. 1947, Case 000-505-41 US vs. Sturm.

KZ-Häftlinge als Zwangsarbeiter der Reichswerke „Hermann Göring" in Linz

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Fluchtversuche, „Erschießungen auf der Flucht" und Hinrichtungen Immer wieder versuchten Häftlinge, sich der lebensbedrohenden Situation in den beiden Lagern durch Flucht zu entziehen. Die SS-Unterlagen verzeichnen 64 Fluchtversuche für das Lager Linz III (Michaela C. Schober registrierte die Einzelmeldungen und so kam so auf 67 Fluchtversuche), für das Lager Linz I konnten 3 Fluchtversuche festgestellt werden.14003 Die Gelegenheit zur Flucht war vor allem auf den Wegen vom Lager zum Ort des Arbeitseinsatzes und am Arbeitsort selbst gegeben. Verwaltungsdirektor Kehrl erließ deshalb im September 1944 die Anordnung, daß alle Arbeitskräfte beim Verlassen eines Betriebes, in dem KZ-Häftlinge eingesetzt waren, die Kopfbedeckung zu lüften hätten, um getarnte Häfdinge zu erkennen.' 401 Den zivilen Meistern und Vorarbeitern wurden genaue Anweisungen gegeben, wie bei der Arbeit mit Hattingen die Fluchtgefahr verringert werden konnte. Vor allem sollte verhindert werden, daß Häfdinge sich zivile Kleidungsstücke und Lebensmittel für eine Flucht beschaffen konnten. Eduard Ohnmacht, Meister in der Stahlbau GmbH, der 180 bis 200 Häfdinge des Lagers Linz III unter sich hatte: „Als wir zuerst die Häftlinge bekamen mußten wir ein Formular unterschreiben welches besagte, daß es für uns Zivilisten verboten sei, sich mit den Häfdingen privat zu unterhalten und ihnen weder Lebensmittel noch Zivilkleidungsstücke zu geben. Bevor wir die Häfdinge erhielten, kam eine Inspektion von Mauthausen, welche die Räume besichtigte, wo die Häfdinge arbeiten sollten. Aufgrund dieser Kommission erhielt ich vom Betriebsführer die Anweisung, daß die unteren Fenster geschlossen sein müßten und die Türen versperrt sein müßten.'"402 Wiederergriffene KZ-Häfdinge hatten grundsätzlich wenig Uberlebenschancen. So kam es im Lager Linz III Anfang März 1945 zur Hinrichtung von 3 Häfdingen. Vier sowjetische Häftlinge aus dem Arbeitskommando B W i hatten die Flucht ergriffen und wurden 10 oder 14 Tage später festgenommen. Einer der Flüchtenden soll unterwegs erschossen worden sein, die anderen drei wurden von der Gendarmerie festgenommen und in das Linzer Gefängnis gebracht. Es wurde ihnen zur Last gelegt, auf der Flucht zwei Förster getötet zu haben. Angeblich wurden sie nach einem durch das L G Linz verhängten Todesurteil zur Vollstreckung desselben in das Lager gebracht und dort vor den versammelten Häfdingen auf dem Appellplatz gehenkt.1403 1400a Die Auswertung einzelner Fluchtmeldungen durch Michaela C. Schober ergab allerdings eine höhere Zahl an Fluchtfällen (4 für Linz I, 69 für Linz III). Diese Abweichungen lassen sich im Rapportbuch über Bewegungen in den Außenkommandos nicht nachvollziehen. 1401 KZ-Häftlingen waren an ihrem Haarschnitt, der ihnen aus Gründen der Fluchtvermeidung verliehen wurde, schnell erkennbar. Schreiben Reichswerke, Hauptverwaltung an Verteiler K 2, nachrichtlich an D B H G vom 12. 9. 1944 betr. Verhalten beim Betreten und Verlassen von Betriebsteilen, in denen KZ-Häftlinge beschäftigt werden, AMM B 24/14. 1402 Vernehmung Eduard Ohnmacht vom 23. 6. 1947, Case 000-50-5-24 US vs. Bartl et al. 1403 Befragung Markus Grieber; Befragung Schoepperle, Verhandlungsprotokoll, 31 bzw. 225. US vsSchoepperle et al.

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Die in den Konzentrationslagern übliche Praxis, sich bestimmter Häftlinge zu entledigen, indem man sie zwang, sich im Lager dem Zaun zu nähern oder bei der Arbeit die von den Wachposten gebildete Linie, die „Postenkette", zu überschreiten und den Häfding dann „auf der Flucht" zu erschießen, ist für einen Fall auch in Linz I nachweisbar. Der dabei getötete Häftling war der als Schuhmacher im Lager eingesetzte und als „russischer SV-Häfding" kategorisierte Michailo Zap aus der Ukraine.'4"4 Nach der Aussage eines ehemaligen Häfdings im Dachauer Prozeß gegen den Lagerführer Miroff wurde Zap vom Lagerältesten erwischt, als er sich Rüben von einem gerade aus Mauthausen eingetroffenen Lastwagen nahm und in der Kleidung versteckte. Der Lagerälteste habe daraufhin Zap arbeitsunfähig geschlagen. Eine Woche später habe der Lagerälteste dann den Befehl erhalten, Zap zu beseitigen, indem ein Fluchtversuch vorgetäuscht werden sollte. Ein Wachposten habe Zap in die Beine geschossen, Miroff habe den Verwundeten dann eigenhändig mit zwei Schüssen aus der Pistole getötet. Die Verteidigung argumentierte, daß der Häfding tatsächlich einen Fluchtversuch unternommen habe und dabei von einem Wachposten erschossen worden sei. Miroff selbst sei bei diesem Vorfall nicht anwesend gewesen. '4°5 Zap wurde, wie aus den SS-Aufzeichnungen über „Unnatürliche Todesfälle" hervorgeht, am 12. Oktober 1943 durch den SS-Schützen Josef Antis erschossen.'406 Antis stand deswegen im Verfahren 000-50-5-22, US vs. Peter Baerens et al. in Dachau vor Gericht.'407 Antis gab folgende Erklärung des Vorfalls ab: „Im Oktober 1943 war ich Wachposten im Stahlbaukommando. Das ist in der Naehe von Linz. Am 13. Oktober 1943 stand ich auf Turm 1. Ungefaehr 200 Haeftlinge haben dort gearbeitet in einer Entfernung von 20 oder 30 m von mir. Ploetzlich lief ein alter Haeftling, der, wie ich spaeter erfahren habe, ein Russe war, rechts an meinem Turm vorbei. Ich habe ihn dreimal angerufen und dann geschossen. Ich habe ihn wahrscheinlich nicht getroffen, obwohl er sich niedergelegt hat. Aufgrund dieses Schusses kamen der Kapo und der Kommandofuehrer hinzugelaufen und haben gesehen, was vor sich ging. Wie die beiden auf den Haefding zukamen, ist er aufgestanden und weitergegangen. Der Kapo hat ihn erwischt und ihn verschiedene Male in die Zaehne geschlagen, sodass der Mann zu Boden gefallen ist. Das ist ungefaehr 10-20 m

1404 Nach dem Buch „Unnatürliche Todesfälle" wurde Michailo Zap am 12. 10. 1943 getötet, im Dachauer Verfahren wird der 13. 10. 1943 als Datum für den Vorfall angegeben. Im Dachauer Verfahren wird der Name des Getöteten mit Michael Capp angegeben. 1405 Review and Recommendations, case 000-50-5-14, US vs. Eduard Dlouhy et al. 1406 Buch „Unnatürliche Todesfälle", Lfd. Nr. 293, AMM M 01/09. 1407 Josef Antis stammte aus Semlin bei Belgrad, war Kaufmann und war zum Zeitpunkt des Prozesses 2 2 Jahre alt. Für den Prozeß war es nicht unwesentlich, ob Antis zum Zeitpunkt des Vorfalls unter 18 Jahre alt war. Antis gehörte zur Gruppe der zur SS rekrutierten sogenannten „Volksdeutschen". Antis war seit Oktober 1942 bei der Waffen-SS und seit Dezember 1942 im K Z Mauthausen eingesetzt. Verhandlungsprotokoll , 532-543, case 000-50-5-22, US vs. Peter Baerens et al.

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rechts von meinem Turm geschehen. Daraufhin hat der Kapo mir zugerufen, ich solle den Mann erschiessen, was ich auch getan habe. Ich habe drei oder vier Schuesse abgegeben. Ich habe auf den Haeftling gezielt. Ich bin gleich [Wort durchgestrichen, Anm. d. Verf.] abgeloest worden und 3 oder 4 Tage spaeter, nachdem ich nach Mauthausen versetzt wurde, habe ich den Todesschein des Russen unterschrieben. (...)" 1408 In der Verhandlung selbst verteidigte sich Antis mit der Aussage, daß er zwar auf den Häftling geschossen, aber nicht wisse, ob er den Häftling getroffen habe, weil seine Hände gezittert hätten. Er habe das erste Mal auf einen Häftling geschossen. Kommandoführer Lankanke sei dann zu dem am Boden liegenden Häftling gegangen und habe zweimal mit seiner Pistole auf diesen geschossen. Der erschossene Häftling Zap wurde mit dem Arbeitskommando zurück ins Lager gebracht. Das obligate SS-eigene Gerichtsverfahren bei „Erschießungen auf der Flucht" war eine Formsache. Nach ein paar Tagen sei er nach Mauthausen versetzt und dort zur Vernehmung gebracht worden. Er habe dort aber nichts aussagen, sondern nur ein schon ausgefülltes Formblatt unterschreiben müssen. Nach Darstellung von Antis war also nicht Lagerführer Miroff bei dem Vorfall anwesend, sondern der SS-Hauptscharführer Langanke. Die Verhandlung im Dachauer Prozeß konzentrierte sich einerseits auf die Tatsache, daß Antis auf einen am Boden liegenden Häftling geschossen hatte, andererseits auf die in der eidesstattlichen Aussage gegebene Schilderung, daß die Aufforderung zum Schießen durch den Capo erfolgt sei. Nachdem ein Häftlingscapo einem SS-Mann keinen Befehl erteilen konnte, wäre Antis in diesem Falle eigenmächtig vorgegangen. Er korrigierte seine Aussage dahin, daß der Befehl vom Kommandoführer gekommen wäre.' 409 Antis wurde zu fünf Jahren Haft verurteilt. Todesfälle Im Lager Linz I wurden - unter Einbeziehung der nach dem Luftangriff vom Juli 1944 vermißten Häftlinge - insgesamt 129 Häfdingstodesfälle registriert (7,3 Prozent der eingewiesenen Häfdinge). Im Lager Linz III verstarben - ebenfalls unter Einbeziehung vermißter Häftlinge - insgesamt mindestens 701 Häftlinge (10,3 Prozent der eingewiesenen Häftlinge), wobei die Aufzeichnungen für die letzten Tage vor der Befreiung fehlen, in denen unter der Annahme einer ähnlichen Sterblichkeitsrate wie im Monat davor weitere 40 Häftlinge ums Leben gekommen sein dürften.' 410 Diese Prozentangaben drücken die wesentlich schlechteren Lebensbedingungen des Lagers Linz III nur begrenzt aus. 1408 Sworn Statement Josef Antis before Werner Conn, 2nd Lt., Investigator-Examiner, Dachau 23. 4. 1947, 000-50-5-22, U S vs. Peter Baerens et al. 1409 Verhandlungsprotokoll, 5 3 2 - 5 4 3 , case 000-50-5-22, U S vs. Peter Baerens et al. 1 4 1 0 Siehe dazu die Lagerstatistik im Anhang.

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Bezieht man in den Vergleich der Sterblichkeit in den beiden Lagern die Folgen des alliierten Luftangriffs vom Juli 1944 mit ein, so wird der Unterschied wesentlich deutlicher. So starben im Lager Linz I (ohne die beim Luftangriff umgekommenen Häftlinge) in einem Zeitraum von eineinhalb Jahren mindestens 8 Häftlinge, also ca. 0,5 Prozent der ins Lager eingewiesenen Personen. Im Vergleich dazu verstarben im Lager Linz III (ohne Tote des Luftangriffs) mindestens 600 Häftlinge in weniger als 12 Monaten, also ca. 9 Prozent der ins Lager eingewiesenen Personen."*11 Die Tatsache, daß zwei Drittel der Todesfälle des Lagers Linz III in den letzten eineinhalb Monaten vor der Befreiung verzeichnet sind, verweist zum einen auf den zunehmenden Druck im Arbeitseinsatz, wie er oben beschrieben wurde, aber auch auf die zusammenbrechende Versorgung in der Endphase des Krieges, und in der allerletzten Phase auch auf eine gezielte Tötung kranker Häftlinge. Allerdings war die Todesrate im Lager Linz III auch unter Ausklammerung der Endphase wesentlich höher als im Lager Linz I. Tote des KZ Linz III 1944 Mai 0

ms Juni 2

Juli 90

August

Sept.

Okt.

3

9

7

Nov. 9

Dez. 41

Jän.

Feb.

März

Apr.

49



147

314

Die besonders schlechte Situation der Häftlinge des Lagers Linz III zeigt sich auch in den Aufzeichnungen der SS über sogenannte „unnatürliche Todesfälle", in denen angebliche oder tatsächliche Selbstmorde, „Erschießungen auf der Flucht" und Tod durch Unfälle verzeichnet wurden. Während das Totenbuch für Linz I insgesamt die „Erschießung" eines Häftlings aus der Sowjetunion durch einen SS-Mann verzeichnet - es handelte sich um die schon erwähnte Tötung des Häftlings Michailo Zap - , sind für das Lager Linz III bis Anfang April 1945 fünf Erschießungen, drei Selbstmorde und zwei Todesfälle durch Unfälle verzeichnet.'412 Exkurs: Häftlinge in Bombenräumkommandos Die Technik des Bombenkrieges im Zweiten Weltkrieg bediente sich unterschiedlicher Hilfsmittel. So wurden auf Fabriken und Städte Brandbomben abgeworfen, um Großbrände zu entfachen. Wirksam wurden diese aber erst durch den kombinierten Abwurf mit Sprengbomben, die durch Zerstörung von Dächern, Mauern und Fenstern 1411 Todesfälle, zusammengestellt nach dem Totenbuch des SS-Standortarztes Mauthausen, NARA M F T 990/1, 2 bzw. Todesmeldungen Mauthausen, A P M O und AGK, siehe auch Statistik im Anhang. Die 8 Todesfälle (ohne Luftangriff) für Linz I stellen eine Mindestzahl dar. Die Auswertung der Statistiken durch Michaela C. Schober ergab 9 Todesfälle. 1412 Kopie des Buches „Unnatürliche Todesfälle", A M M M 1/09.

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dem Feuer erst die nötige Ausbreitungsmöglichkeit boten. Die Detonationen der Sprengbomben verhinderten überdies frühzeitige Löschmaßnahmen, indem sie die Bevölkerung in die Luftschutzräume zwangen und zerstörten auch Einrichtungen, die durch Brand allein nicht allzu gefährdet waren. Perfektioniert wurde dieser Effekt durch den Abwurf einer großen Zahl von Sprengbomben mit Langzeitzündern, sogenannte L Z Z , die nicht nur Löscharbeiten unmöglich machten, sondern auch die Produktionsaufnahme in den Fabriken verzögerten. Bei Großangriffen wurden 10 Prozent, manchmal auch noch mehr, dieses Bombentyps abgeworfen. Überdies war beim Massenabwurf von Bomben der Effekt, daß ein Teil nicht explodierte, die Regel. Die sogenannten „Blindgänger" stellten wegen der Möglichkeit einer späteren Detonation eine große Gefahr dar und mußten so wie die L Z Z deshalb entschärft werden, eine Praxis, die bis heute beim Auffinden von im Boden befindlichen Blindgängern bei Tiefbauarbeiten noch andauert. Für die Entschärfung waren eigene Sprengkommandos der Luftwaffe zuständig, die aus wenigen ausgebildeten Feuerwerkern und vielen Hilfskräften bestanden. 14 ' 3 Als Hilfskräfte wurden Personen aus dem Zuchthaus, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge eingesetzt. Gegen den Einsatz von Kriegsgefangenen (aus dem Westen) bestanden aber aus völkerrechtlichen Gründen Bedenken, weshalb Hitler am 12. Oktober 1940 anordnete, zur „Beseitigung von Bomben (Blindgängern und Langzeitzünder) - soweit damit Gefahr für die Räumungstrupps verbunden ist - nach Möglichkeit Insassen von Konzentrationslagern und Strafgefangene aller Art einzusetzen. Kriegsgefangene und Wehrmachtsstrafgefangene sind nicht einzusetzen." 14 ' 4 Diese Anordnung sollte später nicht für die sowjetischen Kriegsgefangenen gelten, da sich NS-Deutschland mit dem Hinweis auf die Nichtratifizierung der Genfer Konvention durch die Sowjetunion an völkerrechdiche Normen hier nicht gebunden fühlte. Der Einsatz von bis zu 1000 KZ-Häftlingen im Falle von Luftangriffen wurde zwischen der Stadt Linz und dem K Z Mauthausen noch vor Beginn der Luftangriffe auf österreichisches Gebiet und ein Jahr vor den ersten Luftangriffen auf Linz vereinbart. Allerdings war in der Vereinbarung nicht von Bombenentschärfung die Rede. K Z Häftlinge sollten bei allfälligen Luftangriffen zu Aufräumungsarbeiten herangezogen werden, eine Maßnahme, die die bereits massive Präsenz von Zwangsarbeitskräften in der Stadt weiter erhöhen sollte.1415 Tatsächlich wurden mit den intensiven alliierten Bombardements ab Sommer 1944 1413 Norbert Krüger, „Wenn Sie nicht ins K Z wollen ...". Häftlinge in Bombenräumkommandos. Beilage Das Parlament 16, 23. 4. 1977, 25-37, hier 25. 1414 Aktenzeichen OKW/WFSt/Abt. L Nr. 0586/40 geh., zit. nach Krüger, „Wenn Sie nichts in K Z wollen ...", 29. 1415 Schreiben Reichsbaurat für die Stadt Linz an Oberbürgermeister der Gauhauptstadt Linz, z. Hd. Stadtrat Zieh, 2. 7. 1943, betr. Einsatz von KZ-Gefangenen für Aufräumungsarbeiten bei Luftschutzschäden in Linz, AStL B29 Mappe: Schriftstücke NFD.

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Tausende KZ-Häftlinge, darunter auch viele Frauen, zu Aufräumungsarbeiten - vor allem der zerbombten Bahnhöfe in Amstetten, Wels, Attnang-Puchheim, Vöcklabruck und Linz - eingesetzt. Nach dem Bericht des ehemaligen luxemburgischen Häfdings Metty Goetzinger wurden eines Tages in Mauthausen Häftlinge für n Kommandos zu je 8 Mann gesucht. Goetzinger selbst arbeitete 6 Monate in einem Bombenräumkommando in Wels unter der Leitung von Feuerwerkern. Unterkunft, Verpflegung waren, so seine Schilderung, für die Häftlinge des Kommandos deutlich besser als in Mauthausen. Offensichtlich sollte bei den Häftlingen durch diese Vergünstigungen die Bereitschaft zur freiwilligen Meldung in diese im Jargon des Lagers „Himmelfahrtskommando" genannten Arbeitskommandos erhöht werden. Auch die Behandlung durch SS und Feuerwerker unterschied sich deutlich von jener in Mauthausen. Das Kommando von Goetzinger arbeitete in zwei Vierergruppen, damit im Falle einer Detonation nicht alle getötet würden. 14 ' 6 Aus den erhaltenen Unterlagen des K Z Mauthausen geht hervor, daß schon im Mai 1944 in Mauthausen 2 Gruppen „Sprengkommandos" mit je 8 Häftlingen gebildet worden sind, möglicherweise handelte es sich dabei schon um erste Bombenräumkommandos. Für den November 1944 ist die Aufstellung von 5 „Bombenkommandos" mit je 8 Häftlingen b e l e g t , b e i vier Gruppen ist handschriftlich „Linz" vermerkt. Aus diesen Aufstellungen geht hervor, daß für diese Kommandos mit zwei Ausnahmen ausschließlich Häftlinge aus Deutschland, Osterreich und Polen herangezogen worden sind. Der in Dachau angeklagte und zum Tode verurteilte, aus Jugoslawien stammende SS-Unterscharführer Josef Kisch leitete eines dieser Kommandos, die während ihres Aufenthalts in Linz im Lager Linz III untergebracht waren. 1418 Der Rapportführer des Lagers Linz III, Hermann Sturm, äußerte sich im Verfahren gegen Kisch zur Frage der Bombenkommandos: „Nach einem schweren Luftangriff auf Linz a.D. am 4. 1 1 . 1944 wurden dem Arbeitslager Linz III von Mauthausen Aufräumungskommandos (Bombenkommando) zugewiesen. Als Führer eines dieser Bombenkommandos, bestehend aus je 8 ausgebildeten Häftlingen, kam auch Rottft. Kisch am 4. 1 1 . 44 nach Linz. In dieser Eigenschaft war Kisch in Linz bis ca. März-April 1945 tätig. Sein Aufgabengebiet erstreckte sich im wesentlichen auf die Entfernung von Blindgängern nach Bombenangriffen auf die Stadt und Umgebung. Uber Weisungen der Luftschutzpolizei Linz wurden diese Bombenkommandos zum Einsatz gebracht und von einem geprüften Feuerwerker begleitet. Da ich selbst als Rapportführer des Arbeitslagers Linz III mit den ,Bombenkommandos' täglich in Berührung kam, ist mir Kisch von dieser Zeit her bekannt. Wir hat-

1416 Letzeburger zu Mauthausen, Luxemburg 1970, 381 ff. 1417 K L Mauthausen, Schutzhaftlager Bombenkommando, 4. 5. und 6. 1 1 . 1944, AMM Mikrofilm APMO, fol. 4440-4444. Vgl. auch Marsälek, Geschichte, 97. 1418 Case 000-50-5-13 US vs. Johann Haider, N A R A M F M 1139.

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ten gelegentlich des Arbeitseinsatzes der , B o m b e n k o m m a n d o s ' mitsammen diensdiche Aussprachen. Kisch war auch auf die Dauer seiner Tätigkeit in Linz im Arbeitslager Linz III mit seinem Kommando untergebracht." 14 ' 9 Für den Einsatz von Bombensuchkommandos in den Reichswerken existieren auch Abrechnungsbelege. So stellte die KZ-Verwaltung Mauthausen für ein im Zeitraum vom 6. bis 20. November 1944 in der Hütte eingesetztes Bombensuchkommando aus Häfdingen 280 R M in Rechnung.' 420 Im Monat März 1945 wurden in der Hütte Linz zeitweise 16, zeitweise 8 Häfdinge eingesetzt, was auf ein bzw. zwei Suchkommandos zu je 8 Häftlingen schließen läßt. Insgesamt stellte das K Z Mauthausen der Hütte für

KZ-Häftlinge bei der Beseitigung von Bombenschäden in der Kokerei, 1944

1419 Eidesstattliche Erklärung Hermann Sturm, 1 1 . 7. 48, Landsberg/Lech, W C P ; etwa gleichlautend äußert sich auch der für die Lagerküche zuständige SS-Angehörige Karl Streng, Eidesstattliche Erklärung, 28. 7. 1948, Landsberg/Lech, WCP, case 000-50-5-13 US vs. Johann Haider, N A R A M F M 1139/1. 1420 Vermerk für die Betriebsbuchhaltung betr. K Z M-Bombensuchkommando, 19. 1.1945, N A R A M F T 83/226.

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März 168 Schichten für Bombensuchkommandos in der Gesamthöhe von 840 R M in Rechnung. 1421 Wie gefährlich die Arbeit der Bombenentschärfung war, geht aus einer undatierten Aufstellung „Bombenkommando" hervor, in der 48 Häftlinge verzeichnet sind, 7 davon als tödlich verunglückt und 4 als krank oder verletzt.'422 Eines der mit Linz bezeichneten Bombenkommandos war besonders schwer betroffen, von 8 Häftlingen waren 4 tödlich verunglückt und 3 verletzt bzw. krank, bei einem zweiten Linz-Kommando waren drei Häftlinge tödlich verunglückt.'423 Möglicherweise handelte es sich bei einem dieser Kommandos um die im November in den Reichswerken eingesetzte Häftlingsgruppe. Die hohe Ausfallsrate führte offensichtlich zu Bestrebungen, weitere Häftlinge für diese gefährliche Arbeit auszubilden. So existiert eine weitere Liste mit 32 Häftlingen mit der handschriftlichen Bemerkung „Bombenkurs".' 424

V I . D I E KATASTROPHE DER LETZTEN M O N A T E VOR KRIEGSENDE UND DIE BEFREIUNG Die Versorgung des Konzentrationslages Linz III mit materiellen Gütern verschlechterte sich ab der zweiten Jahreshälfte 1944 kontinuierlich und brach in den letzten zwei Monaten vor der Befreiung fast völlig zusammen. Die KZ-Häftlinge waren die ersten, auf deren Kosten die Mangelverwaltung ausgetragen wurde. Ottokar Merinsky: „Die Versorgung im Lager wurde immer schlechter. Es häuften sich Uberfälle auf Essensträger. Bei den Aufräumungsarbeiten kam es immer öfter zu Plünderungen, bei denen die Wachmannschaften oft tatenlos zusahen, aber wenn es für sie gefährlich wurde, alles niederschlugen oder -schössen."' 425 Im März und April 1945 starben so in Linz III im Durchschnitt 7 bis 8 Häftlinge pro Tag, soviel wie im Lager Linz I während seiner ganzen eineinhalbjährigen Exi-

1421 Mauthausen-Dienststelle, Forderungsnachweis Nr. Ma. 116 über den Häftlingseinsatz bei HermannGöring-Werke, Hütte, Linz für die Zeit vom 1 . - 3 1 . März 1945; Aktenvermerk für die Rechnungsprüfstelle betr. Forderungsnachweis der KZ-Verwaltung Mauthausen Nr. 116 und Nr. 137, 24. 10. 1945, beide N A R A M F T 83 /izó. 1422 Offensichtlich handelte es sich um eine Aufstellung aller in den Bombenkommandos eingesetzten Häftlinge. Nicht verzeichnet sind die als Sprengkommandos bezeichneten HäftJingsgruppen. Bombenkommando, A M M Mikrofilm APMO, fol. 4445. 1423 Ebd. bzw. K L Mauthausen, Schutzhaftlager Bombenkommando, 4. 5. und 6. 1 1 . 1944, A M M Mikrofilm APMO, fol. 4440-4444. 1424 A M M Mikrofilm APMO, fol. 4447. 1425 Erinnerungsbericht Ottokar Merinsky.

KZ-Häftlinge als Zwangsarbeiter der Reichswerke „Hermann Göring" in Linz

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Stenzdauer, sieht man von den Toten des Luftangriffs ab. 1426 Die hohe Todesrate war aber nicht nur eine Folge von Versorgungsschwierigkeiten. In den letzten Tagen vor der Befreiung versuchte die Lagerfiihrung gezielt, den Tod kranker Häftlinge zu beschleunigen. Die Tötung kranker Häftlinge war jedoch keine auf die Linzer Lager beschränkte Aktion. Die Ermordung aller jener Häftlinge, die als „marschunfähig" angesehen wurden und damit einer möglichen raschen Evakuierung der Konzentrationslager im Wege standen, war gezielte Politik der SS-Führung seit Anfang 1

945-142 7

Nach den Angaben des ehemaligen Lagerschreibers Vaclavik habe ihm der Leiter der Küchen, der SS-Angehörige Schenk (richtig Streng), als „Gegengeschäft" für seine Sicherheit nach der Befreiung erzählt, daß von Ziereis der Befehl eingetroffen sei, die Häftlinge im Falle der Annäherung alliierter Truppen unter dem Vorwand ihres Schutzes in einen Bunker zu fuhren und dort zu liquidieren. Die nicht gehfahigen Kranken des Lagers sollten in der Revierbaracke getötet werden. Zweifel an dieser Nachricht seien abhanden gekommen, als ein SS-Rottenführer namens Poschner aus Mauthausen den Befehl überbrachte, die Kranken im Revier zu töten. Ziereis soll den Befehl von Gauleiter Eigruber und dieser denselben von RSHA-Chef Kaltenbrunner erhalten haben.' 428 Schöpperle habe, nachdem er zunächst den Häftlingsärzten ohne Erfolg befohlen hatte, täglich 80 Häftlinge mittels Giftinjektionen zu töten, die Aushungerung des Krankenreviers durch einen Stopp der Versorgung mit Nahrungsmitteln angeordnet. Rapportführer Sturm und der Kommandoführer der Küche konnten dazu überredet werden, diesen Befehl zu umgehen. Schöpperle habe daraufhin einen Häftling und Elektriker namens Prochazka angehalten, einen elektrischen Stuhl zu bauen, was ebenfalls fehlschlug.' 429 Daß die Ermordung aller Häftlinge zumindest als Plan in den Köpfen der Kommandantur des K Z Mauthausen und auch einzelner Lagerführungen von Außenlagern existierte, läßt sich anhand ähnlicher bekanntgewordener Pläne in anderen Außenlagern des K Z Mauthausen - Ebensee, Melk, Gusen - nachweisen.'« 0 Ob allerdings ein derartiger Befehl von Kaltenbrunner erging, der in der Endphase von Himmler mit dem Oberbefehl über die im südlichen Teil des Reichsgebietes gelegenen Lager ausgestattet worden war, ist angesichts auch gegenteiliger Darstellungen nach wie vor höchst ungewiß. 143 ' 1426 1427 1428 1429 1430

Siehe Statistik im Anhang. Orth, Das System, 287-290. Erinnerungsbericht Vaclav Vaclavik, 56 f . Erinnerungsbericht Vaclav Vaclavik, 58. Florian Freund, Arbeitslager Zement. Das Konzentrationslager Ebensee und die Raketenrüstung, Wien 1989, 408 ff. Perz, Projekt Quarz, 468-472; Jean-Claude Favez, Warum schwieg das Rote Kreuz? Eine internationale Organisation und das Dritte Reich, München 1994, 504. 1431 Peter Black, Ernst Kaltenbrunner. Vasall Himmlers: Eine SS-Karriere, Paderborn-München-Wien-

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Die gezielte Tötung von „marschunfahigen" Häftlingen in sehr vielen Konzentrationslagern und insbesondere auch in Mauthausen in den Monaten vor der Befreiung spricht jedenfalls dafür, daß die Räumung der Lager als eine mögliche Planungsvariante existierte. In Linz III wurden insbesondere jüdische Häftlinge unter den Kranken Ziel dieses Mordversuchs. Ein Motiv der Lagerführung dabei war sicher, noch in letzter Minute vor der Befreiung jedenfalls die in der rassistischen Hierarchie der Nationalsozialisten an unterster Stufe stehenden jüdischen Häftlinge zu beseitigen. Der spanische Häftlingsarzt Dr. Josef Pia, ab Februar 1945 in Linz III, sagte zur geplanten Tötung der Kranken in den Dachauer Mauthausen-Prozessen als Zeuge aus:1432 „Ich lernte Schöpperle 1945 in Linz III kennen. Im Februar 1945 kam ich nach Linz III als Arzt. Im Eck des Häftlingskrankenrevier mußte ich vor Schöpperle zum Rapport antreten und Schöpperle sagte zu mir: ,Ich hoffe Du wirst gut für uns arbeiten.' (...) Von Februar bis Mai 1945 tat ich meinen Dienst als Arzt, bis die gefährliche Phase kam, als wir wußten, daß die Amerikaner sich dem Lager näherten. Gegen Ende April oder Anfang Mai 1945 kam Schöpperle in die Krankenbaracke zur Besichtigung. Er gab sofort seine Absicht bekannt, daß dieses Revier liquidiert werden müßte. Seine erste Tat war, alle jüdischen Häftlinge in einem Raum zu isolieren, wo sie an Hunger sterben sollten. Ich hörte diesen Befehl selbst. Dieser Befehl wurde auch an den Revierleiter Kaufmann gegeben. Die Personen, die nicht arbeitsfähig waren, sollten zuerst mit Benzininjektionen getötet werden. Wegen des Benzinmangels wurde ein rumänischer Arzt, an dessen Namen ich mich nicht erinnere, mehrmals ohne Erfolg nach Mauthausen geschickt um Benzin zu besorgen. Schöpperles nächster Schritt war der Versuch, einen Elektriker, einen Capo, zum Bau eines elektrischen Stuhls zu zwingen. Der Capo weigerte sich das zu tun. Es wurde dann entschieden, die Kranken abwechselnd mit kaltem und warmem Wasser im Waschraum zu baden. Zwischen 150 Kranke aller Nationalitäten, Franzosen, Russen, Polen, Tschechen etc. wurden in den Waschraum gebracht, das habe ich selbst gesehen, und bekamen kalte und heiße Duschen. Das ereignete sich im Mai 1945, in den ersten Tagen des Mo-

Zürich 1 9 9 1 , 2 7 4 - 2 7 5 ; allgemein dazu Orth, Das System, 3 1 3 - 3 2 1 . Z u r Existenz eines derartigen Himmler-Befehls vgl. Stanislav Zämecnik, „Kein Häftling darf lebend in die Hände des Feindes fallen". Z u r Existenz des Himmler-Befehls vom 14./18. April 1945, in: Dachauer Hefte 1 (1985) H . 1, 219-231. 1 4 3 2 Aussage Dr. Josef Pia vom 5. 2 . 1 9 4 7 , case 0 0 0 - 5 0 - 5 - 1 , U S vs. Karl Schöpperle etal. (Original auf E n g lisch, übersetzt durch B.P.). Pia war nach dem Krieg Mitglied eines internationalen Häfüingskomitees, das 1946 in Linz gegründet wurde. Francisco Cornelias, Kurzgeschichte der Republikanischen Spanier in Österreich, o.O. o.J., 7.

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nats. Die Fenster wurden offen gelassen. Sie wurden dort in einzelnen Gruppen zwischen einer halben und einer dreiviertel Stunde belassen. Durch diese Bäder starben an die 50 dieser Personen. Ich habe Schöpperle den Baderaum betreten sehen (...) Kaufmann (der Kapo des Reviers, B.P.) und ich machten in der Zwischenzeit angestrengt Versuche, Nahrungsmittel aus der Küche für die Juden zu besorgen, was zum Teil erfolgreich war." 143 ? Der aus Borislaw in Galizien stammende Pole Markus Grieber, der Ende August 1944 als Häftling nach Linz III deportiert worden war und dort für die Reinigung der Latrinen im Krankenrevier eingesetzt wurde, war einer jener jüdischen Häftlinge, die ausgehungert werden sollten. Am Samstag dem 28. 4. 1945 sei er zusammen mit den anderen Juden des Krankenreviers gesammelt und in einem kleinen Raum im Block 14 eingeschlossen worden. Von Samstag bis Mittwoch hätten sie kein Essen bekommen. Jeden Morgen und jeden Abend sei der für das Revier zuständige S D G (SS-Sanitätsdienstgrad) zusammen mit dem Blockältesten von Block 14 erschienen und beide hätten den Appell abgenommen. Als nach fünf Tagen von den 1 1 0 oder 112 eingesperrten Juden nur noch 60 am Leben waren, sei er in der Nacht zum Mittwoch geflüchtet. Grieber gab zu Protokoll, daß er erst nach der Befreiung vom Kapo des Krankenreviers, Kaufmann, vom Befehl zur Tötung der jüdischen Häftlinge erfahren habe.' 434 Diese Aussage wird im wesentlichen auch durch Ernst Jetter, der im Lager Linz III zeitweise für die Verteilung des Essens zuständig war, bestätigt. Er sei bei seiner täglichen Rundgängen im Block 4 auf eine Gruppe zusammengepferchter Juden getroffen, drei oder vier auf einer Schlafstelle liegend, die 3 oder 4 Tage nichts zu essen bekommen hatten. Vom Blockältesten habe er erfahren, daß dies auf einen Befehl des Lagerarztes zurückging. Der Küchenkapo hätte ihm dann bestätigt, daß für diese Juden keine Nahrung mehr ausgeliefert werden dürfe. Nachdem er beim Rapport- und bei einem Blockführer vorstellig geworden sei, habe man ihm erlaubt, eine begrenzte Menge Nahrungsmittel in das Revier zu bringen. Seiner Meinung nach war der SS-Sanitäter des Reviers für diesen Aushungerungsbefehl verantwortlich.' 435 Die Aussagen über die Vorgänge in den letzten Tagen vor der Befreiung werden durch jene des ehemaligen Revierkapos Karl Kaufmann bestätigt, der vor allem die Hilfe des Rapportführers Sturm betonte: „In den Tagen vor dem Umbruch, als der Lagerführer den Befehl herausgab, daß sämtliche Juden liquidiert werden müssen und auch von den anderen Häftlingen verschiedener Nationen, die als Kranke im Revier lagen (es waren damls 2463, darunter

1433 Der Versuch, das Sterben kranker Häftlinge durch Bespritzen mit kaltem Wasser zu beschleunigen, wird auch von anderen ehemaligen Häftlingen geschildert. Zeugenaussage Arie W., 17. 9. 1970, Z S t L I V 4 1 9 A R - Z 81/77. 1434 Befragung Markus Grieber, Case 000-50-5-1 U S vs. Schoepperle et al., Verhandlungsprotokoll, 29. 1435 Befragung Ernst Jetter, Case 000-50-5-1 U S vs. Schoepperle et al., Verhandlungsprotokoll, 128.

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1700 Schwerkranke), keiner lebend dem Feind in die Hände fallen darf - sie sollten mit Benzin ins Herz getötet, auf einem elektrischen Stuhl hingerichtet, durch kalte Duschen beiseite geschafft und zuletzt durch Aushungern des ganzen Reviers umgebracht werden - ging ich abermals zu Sturm und bat ihn um Hilfe." 1436 Die Anzeichen für das nahe Ende der NS-Herrschaft begannen sich Ende April zu mehren. Am 1. Mai 1945 ließ der Lagerfiihrer unter den Häftlingen eine Lagerpolizei aufstellen, um die Ordnung im Lager aufrechterhalten zu können, nach Ansicht des ehemaligen französischen Häftlings Henri Menard aber auch, um die sowjetischen Häftlinge im Falle der Annäherung der Roten Armee unter Kontrolle zu halten.'437 Mit dem Herannahen der Front stellte sich auch für die Häftlinge des Lagers Linz III die Frage, was die SS in diesem Moment tun würde. Im Lager hatte sich mittlerweile ein geheimes international zusammengesetztes Häftlingskomitee gebildet, das sich auf diesen Zeitpunkt vorbereitete. Durch das Knüpfen von Kontakten zur LagerSS als auch durch eine enge Verbindung zu den politischen Häfdingsorganisationen in Mauthausen wurde versucht, Informationen über die Pläne der SS für den Ernstfall zu erhalten.1438 Diesem Komitee gehörten nach Aussage des ehemaligen jugoslawischen Häftlings Darko Cirkovic u. a. an: Jugoslawien:

Darko Cirkovic, Dr. Zargo Fogaros, Arzt Polen: Stanislaw Zalewsky, Rechtsanwalt Griechenland: Kapitotos Kirio, Student der Medizin Spanien: Carlos Ambrosius, Major Rußland: Alexej Zamasnik, Prof.; Alexej Korscagin, Assistent; Michael Jankowsky, Major; Wladimir Sachno, Prof. f. höhere Mathematik Frankreich: Pierre Jourdin

1436 Kaufmann hat in den Dachauer Verfahren neben Sturm auch eine Reihe anderer SS-Angehöriger massiv entlastet. Die Motive dafür sind nicht bekannt. Wenn auch seine Aussage deshalb kritisch zu hinterfragen ist, so deckt sich die Einschätzung, daß Sturm bei diesem Mordversuch nicht mitgemacht hat, mit anderen Aussagen über den Rapportfiihrer. Schreiben Karl Kaufmann an das Hohe Alliierte Revisionsgericht München, 2. 10. 47, Case 000-50-5-41 US vs. Sturm. 1437 Erinnerungsbericht Henri Menard, in: Bernadac, Des jours, 198; Erinnerungsbericht Vaclav Vaclavik, 59; Ernst Jetter bringt die Aufstellung der Lagerpolizei in Zusammenhang mit der versuchten Rekrutierung deutscher und österreichischer Häftlinge zur SS, die ebenfalls in den letzten Wochen erfolgt sein soll, bestätigt grundsätzlich aber die Aufstellung der Lagerpolizei, die seinem Bericht nach vor allem zum Zweck der Evakuierung des Lagers aufgestellt wurde. Aussage Ernst Jetter, Case 000-50-51 US vs. Schoepperle et al. 122-125. 1438 Erinnerungsbericht Ottokar Merinsky; Eidesstattliche Erklärung Darko Cirkovic, 10. 3. 1953. Case 000-50-5-41 US vs. Sturm,

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CSR: Deutschland:

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Vaclav Vaclavik, Staatsbeamter; Jan Sova, Beamter der Firma Bata, Cornelius Mey, Jurist. 1439

Nach der Schilderung von Vaclavik ging es darum, die geplante Liquidierung in einem Bunker zu verhindern. Man habe sich deshalb in der Schreibstube beraten und einen Alarmplan für den Fall erstellt, daß ein Befehl zum Marsch in einen Bunker kommen sollte. Der Plan sah vor, daß verläßliche Personen aus den verschiedenen Häftlingsnationalitäten auf ein geheimes Signal hin während des Marsches die SS-Wachen überwältigen und die anderen Häftlinge zu dieser Handlung mitreißen sollten. Vier von der SS organisierte Revolver seien daraufhin verteilt worden.' 440 Nach der Schilderung von Cirkovic wurde am 3. Mai die Arbeit im Werk um 15 Uhr endgültig beendet und die Häftlinge mußten sich in das Lager begeben. Dort wären verschiedene Gerüchte über eine bevorstehende Evakuierung per Fußmarsch in das K Z Ebensee am nächsten Morgen kursiert. Die organisierten Häftlinge hatten schon im April von einer möglichen Evakuierung des Lagers in das K Z Ebensee erfahren.' 44 ' Vaclavik und der Revierkapo Kaufmann konnten den Rapportführer Sturm dafür gewinnen, gegen dieses vom Lagerführer gewünschte Vorhaben zu opponieren.' 442 Die Evakuierung nach Ebensee fand nicht statt. Uber die letzten dramatischen Stunden des Lagers liegen eine Reihe von Aussagen vor, die zwar im Detail voneinander abweichen, aber doch ein ungefähres Bild von den Vorgängen wiedergeben.' 443 Am 4. Mai fand kein Appell mehr statt, die SS war nervös, am Abend überflogen amerikanische Flugzeuge ohne eine Reaktion der Flak das Werksgelände. Das erste Mal war auch Kampflärm zu hören, der die ganze Nacht andauerte.' 444 Nach Meinung von Merinsky habe das Häftlingskomitee nach Beratungen beschlossen, im Falle einer Evakuierung in letzter Minute dem Aufruf zum Abmarsch nicht Folge zu leisten.' 445 Etwas anders wird die Situation von Vaclavik beschrieben. Als in den frühen Morgenstunden des 5. Mai das Signal zum Antreten auf dem Appellplatz ertönte, leisten die Häftlinge, nach Vaclavik überraschenderweise, diesem keine Folge. Im Lager kursierte das Gerücht, daß die Häftlinge in Stollen getrieben

1439 Eidesstattliche Erklärung Darko Cirkovic, 10. 3. 53 in Landsberg, Case 000-50-5-41 US vs. Sturm. 1440 Erinnerungsbericht Vaclav Vaclavik, 59. 1441 Eidesstattliche Erklärung Darko Cirkovic, 10. 3. 1953 Case 000-50-5-41 US vs. Sturm, bzw. Erinnerungsbericht Gaston Vezes, in Bernadac, Des jours, 199. Bei Vaclavik findet sich darauf kein Hinweis. 1442 Eidesstattliche Erklärung Darko Cirkovic, 10. 3. 1953, Case 000-50-5-41 US vs. Sturm. 1443 Ebd. bzw. Erinnerungsbericht Ottokar Merinsky; Befragung Karl Streng, Verhandlungsprotokoll, 259fr. Case 000-50-5-1 US vs. Schoepperle et al. 1444 Erinnerungsbericht Gaston Vezes, in: Bemadac, Des jours, 200. 1445 Erinnerungsbericht Ottokar Merinsky.

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und getötet werden sollten. Bei den Verhandlungen eines Häftlingskomitees aus drei Personen, darunter Vaclavik und vermutlich auch Cirkovic, mit der Lagerführung wurde klar, daß die Häftlinge wegen der zu erwartenden Kampfhandlungen in den Reichswerken auf die gegenüberliegende Seite der Donau in die Nähe von Steyregg gebracht und dort in den zum Teil von der Bevölkerung künstlich errichteten, zum Teil natürlichen Stollen untergebracht werden sollten. Nach Vaclavik habe man den Lagerführer mit dem Wissen um den Plan konfrontiert, alle Häftlinge dort zu liquidieren und sich bereit erklärt, in die Stollen zu gehen, wenn der Lagerführer und die übrigen SS-Männer vorausgingen. Schöpperle habe daraufhin zugesagt, als erster den Stollen zu betreten. Unter dem schon deutlich hörbaren Kampflärm berieten die Vertreter der einzelnen Häftlingsnationen das weitere Vorgehen und beschlossen, die Evakuierung bis in die Morgenstunden hinauszuzögern und dieser nur dann zuzustimmen, wenn die kranken Häftlinge ausreichend mit Nahrungsmitteln versorgt und in einem nahegelegenen Bunker zum Schutz vor Beschuß untergebracht würden. Zum Schutz der Kranken sollten ca. 30 Häftlinge im Lager bleiben. Die SS stimmte dem zu und die übrigen Häftlinge traten zum Abmarsch an. Zwischen 7 und 8 Uhr verließen die Häftlinge das Lager. Die Kranken blieben zurück, bewacht von Hitlerjungen, die in den letzten Wochen der Bewachung des Lagers zugeteilt worden waren. Die Evakuierungsroute führte durch das Werksgelände, in dem keine Arbeiter mehr zu sehen waren. Die Häftlingskolonne überquerte die Donaubrücke und ging weiter Richtung Steyregg ins Unterholz.' 446 Die Häftlinge, die noch immer befürchten mußten, in eine Falle gelockt zu werden, waren nur schwer dazu zu bewegen, die Stollen zu betreten. Nur unter Androhung eines Schießbefehls gelang es dem Lagerführer, die Häftlinge in Bewegung zu setzen.' 447 Die weiteren Schilderungen gehen auseinander. Nach einer Version seien plötzlich zwei Jeeps mit amerikanischen Offizieren aufgetaucht, die die SS-Offiziere entwaffneten, nicht aber die Wachmannschaften. Diese bekamen den Auftrag, die Häftlinge ins Lager zurückzuführen und dort auf die Amerikaner zu warten. 1448 Nach Vaclaviks Schilderung seien bis auf die Angehörigen des Volkssturms im Augenblick der Annäherung der Amerikaner alle SS-Männer geflohen.' 449 Nach einer anderen Version hätten gegen Mittag SS-Angehörige mit einigen Häftlingen die Nachricht überbracht, daß die Amerikaner das Lager erreicht hätten. Un1446 Zusammengestellt aus Erinnerungsbericht Ottokar Merinsky; Erinnerungsbericht Gaston Vezes, in: Bernadac, Des jours, 201 f.; Erinnerungsbericht Vaclav Vaclavik, 59 f.; vgl. auch die leicht abweichende Schilderung in Aktenvermerk R. u., 167 7. 1447 Schreiben Dr. Josef Kessler an Headquarters European Command, Heidelberg, 23. 8. 1953, Case 00050-5-41 U S vs. Sturm. 1448 Erinnerungsbericht Ottokar Merinsky. 1449 Erinnerungsbericht Vaclav Vaclavik.

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ter dem allgemeinen Jubel der Häftlinge habe die SS daraufhin den Befehl zum Rückmarsch ins Lager gegeben, dem die Häftlinge, wenn auch „in etwas gemütlicher Weise" Folge leisteten. 1 « 0 Nach einer vierten Version hätte die Häftlinge die Nachricht erreicht, daß der Lagerführer mit den Kranken etwas vorhabe, was allerdings angesichts der mehrfach bezeugten Tatsache, daß Schöpperle den Evakuierungsmarsch leitete, wenig wahrscheinlich ist. Daraufhin hätten die Häftlinge die SS entwaffnet und den Rückmarsch mit den gefangenen SS-Angehörigen angetreten.' 451 Nach einer fünften Version habe man gegen 17 Uhr weiße Fahnen auf Linzer Gebäuden gesehen und die SS habe nach Beratungen beschlossen, die Häftlinge ins Lager zurückzubringen. 1452

Gruppe befreiter Häftlinge des KZ-Nebenlagers Linz III vor einer Baracke, Mai 1945

1450 Schreiben Dr. Josef Kessler an Headquarters European Command, Heidelberg, 23. 8. 1953, Case 00050-5-41 US vs. Sturm. 1451 Eidesstattliche Erklärung Darko Cirkovic, 10. 3. 1953, Case 000-50-5-41 US vs. Sturm. 1452 Erinnerungsbericht Gaston Vezes, in Bernadac, Des jours, 202.

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Mehrere Berichte sprechen davon, daß es erst auf dem Rückmarsch im Werksgelände zur endgültigen Entwaffnung der Wachmannschaften gekommen sei, wobei die Häfdinge dabei von ausländischen Zivilarbeitern des Werkes, die dem Werkschutz die Waffen abgenommen hatten, unterstützt worden sein sollen. Die SS-Männer seien in einen der Bunker gesperrt worden und die Häftlinge seien ohne Begleitung zurück in das Lager gegangen.'453 Diese Schilderung der Befreiung durch ehemalige Häftlinge deckt sich im wesentlichen auch mit den Aussagen des SS-Angehörigen und Küchenleiters Karl Streng.1454 Die Häftlinge seien bei der Evakuierung vom Lager vorbei an den Reichswerken über die Donaubrücke Richtung Steyregg gefuhrt worden, gemäß einem Befehl des Kommandanten der Einheit Oberdonau, da das Lager im Kampfgebiet lag. Er sei mit der Häftlings- und Truppenküche und dem Warenlager zusammen mit den dort eingesetzten Häfdingen zurückgeblieben. Am Nachmittag desselben Tages sei ein Auto mit einem US-Offizier und mit einem Dolmetscher aufgetaucht. Er habe diesem das Warenlager mit 40.000 kg Nahrungsmitteln sowie alle Papiere, betreffend Nahrungsmittel, Stärkemeldungen etc. übergeben, die es seit der Errichtung des Lagers gab. Die verbliebenen SS-Angehörigen seien entwaffnet und unter Häfdingsbewachung gestellt worden. Um halb sechs seien die evakuierten Häfdinge bewaffnet und ohne Wachen zurückgekommen. Die Häftlinge, die im Lager geblieben waren, waren nach draußen gegangen, um sie zu treffen. Sie hätten den bei den Häftlingen befindlichen SSWachen die Waffen weggenommen und sie festgenommen. Bei dieser Gelegenheit seien 65 Wachsoldaten, Blockführer und Kommandoführer erschossen worden, so Streng.1455 Am Abend sei er zusammen mit anderen SS-Angehörigen in amerikanische Gefangenschaft genommen worden, zuvor hätten Häfdinge einige der Kommandoführer weggebracht und erschossen.'456 Der letzte ausgewiesene Lagerstand weist fiir den 29. April 1945 4904 Häfdinge aus. Es ist daher anzunehmen, daß zwischen 4800 und 4900 Häfdinge die Befreiung in Linz erlebt haben.'457

1453 Schreiben Dr. Josef Kessler an Headquarters European Command, Heidelberg, 23. 8.1953, Case 000jo-5-41 US vs. Sturm; Erinnerungsbericht Ottokar Merinsky; Erinnerangsbericht Gaston Vezes, in Bernadac, Des jours, 202. 1454 Der in Linz lebende Streng war als SS-Mann von der Einrichtung des Lagers Linz III bis 5. 5. 1945 anwesend und war für die Küchen zuständig. Unter ihm arbeiteten 9 Häftlinge direkt im Nahrungsmittellager, es gab eine Truppenküche, wo 2 SS-Angehörige und 10 bis 12 Häftlinge tätig waren, und eine Häfdingsküche mit einem SS-Scharführer und zwei SS-Männern und etwa 100 Häfdingen. Streng wohnte zeitweise bei seiner Frau in der Stadt. Verhandlungsprotokoll, 256 f., Case 000-50-5-1 US vs. Schoepperle et al et al., Verhandlungsprotokoll, 256-257. 1455 Zu dieser Aussage konnten keine weiteren Hinweise gefunden werden. 1456 Verhandlungsprotokoll, 259 ff., Case 000-50-5-1 US vs. Schoepperle et al. 1457 Siehe Statistik im Anhang.

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Drei ehemalige KZ-Häftlinge auf dem Gelände des KZ-Außenlagers Linz III

V I I . D I E AUFARBEITUNG DER GESCHICHTE DER KONZENTRATIONSLAGER IN DEN REICHSWERKEN L I N Z DURCH DIE JUSTIZ Die Geschehnisse in den beiden Reichswerke-Lagern in Linz waren Gegenstand einer Reihe von Gerichtsverfahren. Thematisiert wurden die Lager erstmals im Nürnberger Hauptkriegsverbrecher-Prozeß, in dem zahlreiche Dokumente vorgelegt wurden, die sich auf die Genese der Linzer Lager in Zusammenhang mit der Zwangsarbeitspolitik der Reichswerke „Hermann Göring" beziehen. So sind große Teile der Verhandlungskorrespondenz zwischen SS und Reichswerken über das Projekt Schlackenverwertung bereits als Dokumente in Nürnberg vorgelegen, gegen Paul Pleiger als Hauptverantwortlichen für die Unternehmensführung der Reichswerke wurde im sogenannten Wilhelmstraßen-Prozeß gegen das Auswärtige Amt und andere Ministerien (Nürnberger-Nachfolgeprozeß Nr. n ) verhandelt. Die ersten Verfahren, die sich konkret mit den in den Linzer Lagern begangenen Verbrechen durch SS-Angehörige und zivile Beschäftigte der Reichswerke auseinander-

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setzten, fanden im Rahmen der von der US-Militärgerichtsbarkeit durchgeführten Dachauer Kriegsverbrecherprozesse statt.1458 Zum Tatkomplex Mauthausen und Außenlager wurde im Mauthausen-Hauptverfahren gegen 61 Personen der Prozeß eröffnet1459, in weiteren 60 Nachfolgeprozessen waren insgesamt 238 Personen angeklagt. Insgesamt wurden in den Dachauer Mauthausenverfahren gegen 31 Personen verhandelt, die mit den Lagern Linz I oder Linz III in Berührung gekommen waren. Darunter befanden sich sowohl die Führungsebene der beiden Lager wie Lagerführer, Rapport- und Blockführer als auch einfache Wachposten und zivile Werkmeister der Reichswerke. Gegen 13 Personen wurden Todesurteile verhängt, wobei die Todesurteile allerdings zum Teil aufgrund von Verbrechen im Hauptlager Mauthausen oder in anderen Außenlagern gefällt wurden. Zehn der Todesurteile wurden tatsächlich vollstreckt. Von den 31 Angeklagten stammten (in den Grenzen von 1937) 17 Personen aus Deutschland, 4 aus der Tschechoslowakei, 4 aus Jugoslawien, 3 aus Osterreich, 2 aus Rumänien, 1 aus Italien. Im Hauptverfahren vs. Altfuldisch et al. waren u. a. drei Personen angeklagt, die als Wachmänner in den Linzer Lagern Dienst versehen hatten. Der SS-Sturmmann Stefan Barczay (aus der Tschechoslowakei), die SS-Unterscharführer Kurt Keilwitz und Paul Kaiser (beide aus Deutschland) wurden alle zum Tod verurteilt und hingerichtet. Angeklagt war im Hauptverfahren u. a. aber auch Gauleiter August Eigruber, der Rüstungsminister Speer im Sommer 1944 bei der Besichtigung der Reichswerke begleitet hatte. Eigruber wurde wegen seiner Mitverantwortung für Tötungen in Mauthausen ebenfalls zum Tod verurteilt. Drei Verfahren der US-Militärgerichtsbarkeit in Dachau beschäftigten sich hauptsächlich mit den Geschehnissen in den KZ-Außenlagern in den R W H G Linz, wobei nicht nur SS-Angehörige angeklagt wurden, sondern auch zivile Arbeitskräfte der Reichswerke: - Das Verfahren gegen Hans Bergerhoff und andere.1400 Insgesamt wurden in diesem Verfahren 12 Männer angeklagt, der prominenteste unter ihnen der Lagerführer des K Z Linz III, Karl Schöpperle. Unter den Angeklagten befand sich auch der Leiter der Küchen und drei Block- bzw. Kommandoführer. Drei der angeklagten Personen waren von der Wehrmacht zur Waffen-SS als Wachposten überstellt worden. Insgesamt wurden 5 Todesurteile gefällt, drei davon aber später in Haftstrafen umgewandelt, ein Angeklagter wurde freigesprochen. Von den 12 Angeklagten stammten zwei aus Osterreich, alle anderen aus Deutschland. 1458 Allgemein zu den Dachauer Prozessen vgl. Robert Sigl, Im Interesse der Gerechtigkeit. Die Dachauer Kriegsverbrecherprozesse 1945-1948, Frankfurt - New York 1992, zu Mauthausen 105-107. 1459 Case 000-50-5, US vs. Altfuldisch et al. 1460 Case 000-50-5-1 US vs. Karl Schoepperle et al.

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- Das Verfahren gegen Josef Bartl und andere.1401 Insgesamt waren 10 Personen angeklagt. Zwei der Angeklagten, Eduard Ohnmacht und Hermann Zuleger, waren zivile Werkmeister in den Reichswerken, vier der angeklagten SS-Angehörigen waren zur Waffen-SS überstellte Wehrmachtssoldaten. Es wurden Haftstrafen zwischen 3 und 25 Jahren verhängt, aber kein Todesurteil. Unter den Angeklagten befand sich ein Südtiroler, je 3 Angeklagte stammten aus Deutschland und der Tschechoslowakei (Sudetengebiet), 3 aus den deutschprachigen Minderheiten in Rumänien (2) und Jugoslawien (1). - Das Verfahren gegen den Rapportführer des Lagers Linz I und Linz III, dem aus Linz stammenden Hermann Sturm, wurde als Einzelverfahren geführt.'462 Sturm wurde zu 20 Jahren Haft verurteilt. In drei weiteren Dachauer Verfahren waren die Reichswerke-Lager Gegenstand der Verhandlungen, standen aber nicht im Mittelpunkt des Verfahrens. - Im Verfahren US vs. Eduard Dlouhy et al., das sich hauptsächlich um den Tatkomplex der Außenlager Aflenz und Peggau drehte, wurde u. a. der Lagerfiihrer von Linz I, Fritz Miro ff, angeklagt und zum Tod verurteilt. Miro ff wurde am 26. November 1948 hingerichtet.1463 - Im Verfahren gegen Kattner et al. stand u. a. der SS-Sanitätsdientsgrad Christian Wohlrab vor Gericht, der sowohl in Linz III als auch in den Lagern Gusen, Eisenerz, Schlier, Groß-Raming und Melk eingesetzt war. Wohlrab, der kranke Häftlinge in den verschiedenen Lagern mit Benzininjektionen getötet hatte, wurde am 15. Mai 1948 hingerichtet.'464 - Im Verfahren gegen Peter Baerens et al. wurde gegen den in Linz III als Wachposten eingesetzten, aus Jugoslawien stammenden Josef Antis verhandelt. Antis war jener Turmposten, der auf den sowjetischen Häftling Michailo Zap - angeblich „auf der Flucht" - geschossen hatte. Antis wurde zu fünf Jahren Haft verurteilt.'465 - Im Verfahren gegen den aus Graz stammenden Franz Kofler et al. wurde u. a. der für kurze Zeit als Rapportführer in Linz III tätige Kofler angeklagt, zum Tod verurteilt und am 24. Mai 1948 hingerichtet.'466

1461 Case 000-50-5-24 US vs. Josef Bartl et al. 1462 Case 000-30-5-41 US vs. Hermann Sturm. 1463 Case 000-50-5-14 US vs. Eduard Dlouhy et al. 1464 Case 000-50-5-21 vs. Josef Kattner et al. Zur Rolle Wohlrabs als S D G des Häftlingskrankenreviers im Außenlager Melk vgl. Perz, Projekt Quarz, 425. 1465 Case 000-50-5-22 US vs. Peter Baerens et al., NARA R G 338, Box 394. 1466 Case 000-50-5-23 US vs. Franz Kofler et al. Die Akten dieses Verfahrens standen nicht zur Verfügung.

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Im einem weiteren Verfahren, gegen Johann Haider et al., wurde u. a. der aus Dunaceb in Jugoslawien stammende SS-Unterscharführer Josef Kisch angeklagt, der eines der Bombenentschärfungskommandos in Linz geleitet hatte. Die ihm unterstehenden Häftlinge waren ab November 1944 für mehrere Monate im Lager Linz III untergebracht. Kisch wurde wegen Beteiligung an zahlreichen Massakern an Häftlingen in Mauthausen, unter anderem der Tötung alliierter Fallschirmspringer, am 12. September 1947 zum Tode verurteilt und am 12. November 1948 hingerichtet. Osterreichische Verfahren zu den Konzentrationslagern Linz I und Linz III sind im Zuge dieser Forschungsarbeit nicht bekanntgeworden. In der Bundesrepublik Deutschland fanden keine Verfahren zu den beiden Außenlagern in Linz statt.1468 Allerdings wurden im Rahmen der systematischen Überprüfung der Außenlager des K Z Mauthausen durch die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg auch Vorermittlungsverfahren zu den beiden Reichswerke-Konzentrationslagern durchgeführt.1469 Das Verfahren zu Linz I wurde 1977 an die Staatsanwaltschaft Hagen abgegeben.1470 Konkret ging es dabei um die Tötung des in der SS-Aufstellung „Unnatürliche Todesfälle" angeführten ukrainischen Häftlings Michailo Zap. Offensichtlich kannten zu dieser Zeit weder die Zentralstelle noch die Staatsanwaltschaft Hagen das US-Verfahren gegen Peter Baerens et al., in dem der Todesschütze Josef Antis angeklagt war. Die Ermitdungen blieben somit erfolglos und das Verfahren wurde 1978 eingestellt. Im Vorermittlungsverfahren zu Linz III wurden insgesamt die Namen 91 ehemaliger SS-Angehöriger der Lager- bzw. Wachmannschaft bekannt. Es konnte aber bis auf eine Ausnahme (Zuordnung einer Tat zum ehemaligen Rapportfiihrer Hermann Sturm) von den Zeugen keine konkrete Personenbeschreibung zu möglichen Tätern gemacht werden. Das Verfahren wurde 1977 an die StAMünchen I abgetreten und von dieser eingestellt.1471

1467 Case 000-50-5-13 US vs. Johann Haider, N A R A M F M 1139. 1468 C. F. Rüter/D. W. de Mildt, Die westdeutschen Strafverfahren wegen nationalsozialistischer T ö tungsverbrechen 1945-1997. Eine systematische Verfahrensbeschreibung mit Karten und Registern, Amsterdam - Maarsen - München, 1998. 1469 IV 419 AR-Z 76/77 (zu Linz I) bzw. IV 419 AR 1601/69 ( z u Linz III). 1470 StA Hagen A Z 51 Js 100/77. 1471 Ein weiteres Ermittlungsverfahren der ZStL (IV 419 AR 1602/69) bezog sich auf ein angebliches Lager 213 in Linz. Der Grund für dieses später eingestellte Verfahren war ein Lesefehler der Ermittlungsbehörden. In einer Abschrift einer Gliederung des K.L. Mauthausen, KLM./Gusen und aller Außenlager vom 9. 5. 1945, die auch die Aufstellung über die Zahl der Häftlinge in den einzelnen Außenlagern enthält, war für die Lager Linz I, II und III die jeweilige Häftlingszahl so angeführt, daß der Häftlingsstand des Lagers Linz II mit 213 Häftlingen als Lagernummer gelesen werden konnte. Das Verfahren mußte ergebnislos eingestellt werden, der Fehler selbst wurde nicht erkannt. Vgl. dazu A M M P 6/4.

KZ-Häftlinge als Zwangsarbeiter der Reichswerke „Hermann Göring" in Linz V I I I . STATISTISCHER ANHANG Statistik 1 Statistik Häftlingsbewegungen Linz I I/a I/d I/e I/b I/c Datum Stand Zug. Abg. Flucht Tote 11.143 12.1.43 13.1.43 14.1.43 15.1.43 16.1.43 17.1.43 18.1.43 19.1.43 20.1.43 21.1.43 22.1.43 23.1.43 24.1.43 25.1.43 26.1.43 27.1.43 28.1.43 29.1.43 30.1.43 31.1.43 1.2.43 2.2.43 3-2.43

4.2.43 5-243

6.2.43 7-2-43

8.2.43 9.2.43 10.2.43 11.2.43 12.2.43 13.2.43 14.2.43 15.2.43 16.2.43 17.2.43 18.2.43 19.2.43

100 100 100 110 110 110 110

10

HO IIO IIO IIO IIO IIO HO IIO IIO

10

120 120 120 120 120 120 120

10

127 128 128 128 128 128 128 128 128 128 128 128 128 128 128 128 128

I

3

I/f

Statistik Häftlingsbewegungen Linz III III/a Ill/b III/c Ill/d III/e Ill/f Stand Zug. Abg. Flucht Tote

549

55°

Bertrand Perz

Statistik i Statistik Häftlingsbewegungen Linz I I/a

Datum

128

21.2.43

208

22.2.43

208

23.2.43

208

24.2.43

"5

25.2.43

22

5

26.2.43

22

5

27.2.43

22

28.2.43

5 225

I

22

5

-3-43

22

5

3-3-43

22

5

4-3-43

2

32

5-3-43 6.3.43

2

32

2

32

7-3-43 8.3.43

2

32

2

32

9-3-43 10.3.43

2

32

2

32

n.3.43

2

-3-43

VQ

Stand Zug. Abg.

20.2.43

2

I/b

12.3.43

32 222

I

3-3-43

2

32

14-3-43

2

32

I

5-3-43 16.3.43

2

32

2

32

17-3-43 18.3.43

2

32

2

3!

19.3.43

2

32

20.3.43

2

21.3.43

32 230

22.3.43

230

2

3-3-43

230

24-3-43

230

2

5-3-43 26.3.43

230

27-3-43 28.3.43

230

2

9-3-43

229

3°-3-43

229

31-3-43 1.4.43

219

2.4.43

220

229

101

20

20

3

12

5

Statistik Häftlingsbewegungen Linz III Vt

Flucht Tote 1

10 10

1 10

9 2

1 5

4 1

229

220

Vi

10 1

Vi

Ill/a

ni/b

III/c

Stand Zug. Abg.

Ill/d

Ill/e

Flucht Tote

Ill/f

KZ-Häftlinge als Zwangsarbeiter der Reichswerke „Hermann Göring" in Linz Statistik i Statistik Häftlingsbewegungen Linz I I/a

I/b

Datum

Stand Zug.

3-443

220

4443

220

5443 6.4.43

220

7-443 8.4.43

220

9-4-43 10.4.43

219

11.4.43

219

12.4.43

219

134-43

219

14443 >5-4-43 16.4.43

219 219

17-4-43 18.4.43

219

19443 20.4.43

219

21.4.43

219

22.4.43

219

2

219

10

10

1

1

219 219 219

219 219

2

7-4-43 28.4.43

216

29.4.43

221

219 216 216

3°-4-43

221

1-5-43

220

2

220

7-5-43 8.5.43

1

219

3-4-43

4-5-43 5-5-43 6.5.43

Abg.

220

M-4-43 25-443 26.4.43

-5-43 3-5-43

I/c

3

5 5

6

220 220 220

1

219 219 2

19 219

9-5-43 10.5.43

219

11.5.43

219

12.5.43

219

13-5-43

219

14-5-43

219

1

1

I/e I/d Flucht Tote

I/f

Statistik Häftlingsbewegungen Linz III Ill/a Ill/b III/c Ill/d Ill/e Ill/f Stand Zug.

Abg.

Flucht Tote

55 1

55 2

Bertrand Perz

Statistik i Statistik Häftlingsbewegungen Linz I I/a

I/b

I/d

Flucht Tote

Datum

Stand Zug.

Abg.

'5-543 16.5.43

219

1

17-5-43 18.5.43

218

19-5-43 20.5.43

219 219

21.5.43 22.5.43

219 219

23-5-43

219

24-5-43

219

25-5-43 26.5.43

219

27-5-43 28.5.43

217

218 1

219

2

219

29-5-43

217 219

3°-5-43

219

3'-5-43 1.6.43

219

2.6.43

219

3.6.43

219

4.6.43

218

2

219

5.6.43

218

6.6.43

218

7.6.43

218

8.6.43

218

9.6.43

221

10.6.43

221

11.6.43

221

12.6.43

221

13.6.43

219

14.6.43

219

15.6.43

219

16.6.43

220

17.6.43

220

18.6.43

220

19.6.43

220

20.6.43

220

21.6.43

220

22.6.43

220

23.6.43

221

24.6.43

221

25.6.43

221

1

10

Statistik Häftlingsbewegungen Linz IQ

I/c

7

2

1

1

1

I/e

Vi

Ill/a

III/b

III/c

III/d

Stand Zug.

Abg.

Flucht Tote

Ill/e

III/f

KZ-Häftlinge als Zwangsarbeiter der Reichswerke „Hermann Göring" in Linz Statistik i Statistik Häftlingsbewegungen Linz m

Statistik Häftlingsbewegungen Linz I I/a

I/b

Datum

Stand Zug.

26.6.43

220

27.6.43

220

28.6.43

220

29.6.43

220

30.6.43

218

1.7.43

218

2.7.43

218

3-7-43

218

4-7-43

218

5-7-43 6.7.43

218

7-7-43 8.7.43

218

9-7-43 10.7.43 11.7.43

465

12.7.43

465

'3-7-43 14.7.43

464

•5-7-43 16.7.43

464

17-7-43 18.7.43

463

'9-7-43 20.7.43

466

21.7.43 22.7.43

466 466

2

3-7-43

466

24-7-43

467

2

5-7-43 26.7.43

I/c Abg.

I/f

2

218 218

250

3

465 465 1

464 1

463 '5

12

466 466

1

467 467

2 7-7-43 28.7.43

467

2

9-7-43

467

3°-7-43

467

11

1

31-7-43 1.8.43

477 569

103

11

467

2.8.43

569

3.8.43

558

4.8.43

558

5.8.43

558 548

6.8.43

I/e I/d Flucht Tote

11

10

entlassen

Ill/a

Ill/b

III/c

Stand Zug.

Abg.

Ill/e Ill/d Flucht Tote

Ill/f

553

Bertrand Perz

554 Statistik i Statistik Häftlingsbewegungen Linz I I/a

I/b

Datum

Stand Zug.

7.8.43

548

8.8.43

548

9.8.43

548

10.8.43

559

11.8.43

559

12.8.43

559

13.8.43

559

14.8.43

559

15.8.43

559

.16.8.43

558

17.8.43

558

18.8.43

558

19.8.43

557

20.8.43

557

21.8.43

557

22.8.43

557

23.8.43

557

24.8.43

557

25.8.43

557

26.8.43

557

27.8.43

557

28.8.43

553

29.8.43

553

30.8.43

553

31.8.43

553

1.9.43

553

2.9.43

553

3-943

553

4-943

553

5-9-43 6.9.43

553

7-9-43 8.9.43

553

9-9-43 10.9.43

553

" • 9 43 12.9.43

553

r

3-9-43 14.9.43

553

15-9-43 16.9.43

55 1

17-9-43

55 1

!7

I/d

Abg.

Flucht Tote

6

1

1 2

2

4

553 553 553 553 551 55 1

Statistik Häftlingsbewegungen Linz m

I/c

2

I/e

I/f

Ill/a

Ill/b

III/c

Ill/d

Stand Zug.

Abg.

Flucht Tote

Ill/e

Ill/f

KZ-Häftlinge als Zwangsarbeiter der Reichswerke „ H e r m a n n Göring" in Linz

555

Statistik i Statistik H ä f t l i n g s b e w e g u n g e n L i n z I I I

Statistik H ä f t l i n g s b e w e g u n g e n L i n z I I/a

I/b

I/c

I/d

Datum

Stand

Zug.

Abg.

Flucht Tote

18.9.43

55'

19.9.43

551

20.9.43

551

21.9.43

55'

22.9.43

549

23-943

549

24-943

549

25-943

549

26.9.43

545

27-943

545

28.9.43

545

29.9.43

545

30.9.43

545

1.10.43

545

2.10.43

544

3.10.43

544

4.10.43

544

5.10.43

540

6.10.43

540

7.10.43

540

8.10.43

540

9.10.43

540

10.10.43

540

11.10.43

540

12.10.43

540

13.10.43

540

14.10.43

540

15.10.43

540

16.10.43

540

17.10.43

540

18.10.43

540

19.10.43

540

20.10.43

547

21.10.43

547

22.10.43

547

23.10.43

547

24.10.43

547

25.10.43

547

26.10.43

547

27.10.43

546

28.10.43

551

I/e

I/f

2

4

1

4

10

3

1 20

'5

Zugang 2 Fach-, 18 Hilfearb.

Ill/b

III/c

Ill/d

Stand Z u g .

Abg.

Flucht Tote

Ill/a

III/e

iii/f

Bertrand Perz

556

Statistik i Statistik Häftlingsbewegungen Linz Iti

Statistik Häftlingsbewegungen Linz I I/a

I/b

Datum

Stand Zug.

29.10.43

551

30.10.43

551

31.10.43

551

1.11.43

551

2.11.43

551

3.11.43

551

4.11.43

551

5.11.43

551

6.11.43

551

7.11.43

551

8.11.43

551

9.11.43

55'

10.11.43

551

11.11.43

551

12.11.43

551

13.11.43

551

14.11.43

551

15.11.43

551

16.11.43

551

17.11.43

544

18.11.43

543

19. Ii.43

539

20.11.43

539

21.11.43

539

22.11.43

539

23.11.43

539

24.11.43

539

25.11.43

539

26.11.43

546

27.11.43

546

28.11.43

546

29.11.43

546

30.11.43

546

1.12.43

546

2.12.43

546

3.12.43

546

4.12.43

545

I/c

I/d

Abg.

Flucht Tote

I/e

I/f

1 5

15

8

Zugang 3 Tischler, 12 Hilfsarb.

5.12.43

539

6.12.43

539

7.12.43

539

8.12.43

539

1

1 1 6

20

13

m/b

Stand Zug.

7

1

Ill/a

Ill/e

III/c

III/d

Abg.

Flucht Tote

im

KZ-Häftlinge als Zwangsarbeiter der Reichswerke „Hermann Göring" in Linz

Statistik ] Statistik Häftlingsbewegungen Linz III

Statistik Häftlingsbewegungen Linz I I/a

I/b

Datum

Stand Zug.

9.12.43

546

10.12.43

546

Ii.12.43

546

12.12.43

546

13.12.43

546

14.12.43

545

15.12.43

545

16.12.43

545

17.12.43

545

18.12.43

545

19.12.43

545

20.12.43

545

21.12.43

545

22.12.43

545

23.12.43

545

24.12.43

525 25.12.43 5 2 5 26.12.43 525 27.12.43 525 28.12.43 525 29.12.43 525 30.12.43 525 31.12.43

525

1.1.44

525

2.1.44

525

3-1-44 4.1.44

525

5-1-44 6.1.44

525 525 525

7-1-44 8.1.44

525

9.1.44

525

10.1.44

525

u.1.44

525

12.1.44

525

13.1.44

525

14.1.44

525

'5-1-44 16.1.44

525

17.1.44

525

18.1.44

525

19.1.44

525

525

525

I/e

I/c

yd

Abg.

Flucht Tote

1

20

I/f

Ill/b

III/c

Ill/d

Stand Zug.

III/a

Abg.

Flucht Tote

III/e

Ill/f

557

Bertrand Perz

55« Statistik i Statistik Häftlingsbewegungen Linz I I/a

I/b

Datum

Stand Zug.

20.1.44

525

21.1.44

525

22.1.44

525

23.1.44

525

24.1.44

525

25.1.44

525

26.1.44

525

27.1.44

525

28.1.44

525

29.1.44

525

30.1.44

525

31.1.44

525

1.2.44

525

2.2.44

525

3.2.44

525

4.2.44

525

5.2.44

525

6.2.44

525

7-2-44 8.2.44

525

9.2.44

525

10.2.44

525

u.2.44

525

12.2.44

525

13.2.44

525

14.2.44

525

15.2.44

525

16.2.44

525

16.2.44

525

17.2.44

525

18.2.44

525

19.2.44

525

20.2.44

525

21.2.44

525

22.2.44

525

23.2.44

525

24.2.44

525

25.2.44

525

26.2.44

525

I/d

Abg.

Flucht Tote

525

27.2.44

525

28.2.44

525

29.2.44

524

Statistik Häftlingsbewegungen Linz III

I/c

1

I/e

I/f

Ill/b

IIl/c

Ill/d

Stand Zug.

Ill/a

Abg.

Flucht Tote

Ill/e

Ill/f

KZ-Häftlinge als Zwangsarbeiter der Reichswerke „Hermann Göring" in Linz Statistik I Statistik Häftlingsbewegungen Linz I I/a

11)

I/c

Datum

Stand Zug.

Abg.

'-3-44 2.3.44

524

1

3-3-44

523 523

5-3-44 6.3.44

523

7-3-44 8.3.44

523

9-3-44 10.3.44

523 523

H.3.44

523 523

'3-3-44 14.3.44 I

5-3-44 16.3.44 '7-3-44 18.3.44 '9-3-44 20.3.44 21.3.44

2

52' 52' 521 1

52' 520 520 520 520 520 520

2

520

2

5-3-44 26.3.44

524

2

524

7-3-44 28.3.44

1

521

2

4-3-44

entlassen

523 1

4

524 524

2

9-3-44

5 3

30-3-44

523

3'-3-44 1.4.44 2.4.44

523 523 523

3-4-44

523

4-4-44

523

5-4-44 6.4.44

523

7-4-44 8.4.44

523

9-4-44 10.4.44

523

Ii.4.44

2

'5

16

5

1

2

523 523 523 5 7

Statistik Häftlingsbewegungen Linz III Ill/e im Ill/a Ill/b III/c Ill/d Stand Zug.

523

22.3.44 3-3-44

I/f

523

4-3-44

12.3.44

I/d I/e Flucht Tote

nach Linz II

Abg.

Flucht Tote

559

560

Bertrand Perz

Statistik i Statistik Häftlingsbewegungen Linz I I/a

I/b

Datum

Stand Zug.

12.4.44

527

13-4-44 14.4.44

527

1

527

5-4-44 16.4.44

591

17.4.44

59 1

18.4.44

591 588

19.4.44

588

21.4.44

588

22.4.44

585

2 3-4-44 24.4.44

585

25-4-44 26.4.44

585

29.4.44

602

30.4.44

6 02

1.5.44

602

2.5.44

602

3-5-44

602

4-5-44 5-5-44 6.5.44

593

III/c

III/d

Abg.

Flucht Tote

11

3

1 18

9

3

590 590

n.5.44 12.5.44

614

I

3-5-44 14-5-44 15.5.44

614

16.5.44

607

1

591 59 1 596

25

615

1 5

608

1 1

607 16 5

596 596

22.5.44

596

2

596

3-5-44

III/a

593

615

21.5.44

Ill/b

Stand Zug.

3

593 590

9-5-44 10.5.44

19-5-44 20.5.44

Flucht Tote

I/f

585

28.4.44

7-5-44 18.5.44

Abg.

I/e

585

584 584

7-5-44 8.5.44

I/d

591

20.4.44

27.4.44

75

Statistik Häitlingsbewegungen Linz III

I/c

89

0





5

Ill/e

Ill/f

561

KZ-Häftlinge als Zwangsarbeiter der Reichswerke „Hermann Göring" in Linz Statistik 1 Statistik Häftlingsbewegungen Linz III

Statistik Häftlingsbewegungen Linz I I/a

I/b

I/c

Vi

Abg.

Flucht Tote

I/e

Vi

Ill/b

III/c

Ill/d

Stand Zug.

Ill/a

Abg.

Flucht Tote

Datum

Stand Zug.

24-5-44

685

35

25-5-44 26.5.44

685

35

2

7-5-44 28.5.44

685

29.5.44

684

30-5-44

790

31-5-44 1.6.44

789

2.6.44

809

685

35 35

106

810 810

5.6.44

810

6.6.44

708

7.6.44

708

8.6.44

7°7

9.6.44

7°5

10.6.44

7°5

11.6.44

755

35

20

55

790

3.6.44

UV(

35 1

684

4.6.44

Ill/e

2

5 1

1

55

5

55

2

53 53 53 nach Linz III

102

53

398

davon 296 aus K L M und 102 aus Linz I

1

450 1

450 450

2

200

3

647 647



50 nach Linz I



597

12.6.44

755

597

13.6.44

755

597

14.6.44 15.6.44

755 843

16.6.44

842

17.6.44

842

18.6.44

842

19.6.44

599

"37

20.6.44

599

"37

1

21.6.44

599

21

22.6.44

100

10

2

597

1

243

nach Linz III

3

594

1

595 895

300

894

243

599

"34 1113

23.6.44

599

1112

24.6.44

599

1112

25.6.44

599

1428

26.6.44

599

1428

27.6.44

599

1424

28.6.44

599

1403

29.6.44

599

30.6.44 1-7-44

599 800

2-7-44

800

1407

3-7-44

800

1407

vom K Z Schlier 1

1 316 4 1

20 1

1402 201

1402

2

5

1407 15

2

5Ó2

Bertrand Perz

Statistik i Statistik Häftlingsbewegungen Linz I I/a

I/b

Statistik Häftlingsbewegungen Linz III

Vc

I/d

Abg.

Flucht Tote

I/e

I/f

III/b

III/c

Ill/d

Stand Zug.

Abg.

Flucht Tote

Ill/a

Datum

Stand Zug.

4-7-44

800

5-7-44

800

6-7-44

799

2

1387

797

21

•373

7-7-44 8.7.44 9-7-44 10.7.44

776 776 801

11.7.44

956

12.7.44

956

13-7-44

956

14-7-44

958

15-7-44 16.7.44

958

17-7-44 18.7.44

816

19.7.44

1392

J

373 373

5

!

155

2

2

2

Ill/f

3

00

1

Ill/e

14

1000

373 2218

155

nach Linz I

2

1 nach Linz I, 26 nach KLM

2218 2

2218

7

2191

142

nach Linz III

816 20

836

26

nach Linz III

2191 2

33 2

2

33 2

Der offizielle Lagerstand weicht um 1 Person ab, bei Lagerstand 2332 wieder richtig. 142

2

33 2 2358

26

810

20.7.44

810

2358

2

21-7-44 22.7.44

810

2

349

810

2

23-7-44 24.7.44

810

2

349 347

25-7-44 26.7.44

810 799

1

61

27-7-44 28.7.44

739

39

3

29.7.44

630

2173

3Q-7-44

630

2172

31-7-44

630

1.8.44

631

2.8.44

63.

3.8.44

631

810

2

11

2

775

3

1

122

32 2 2

347

2

345 2321

21

3

2321



1

23 nach Linz II 2290 122 Vermißte

1 vorher Vermißter

63,

3

1

631 nach Linz III

"7

davon 116 Vermißte

1

2172

12

1 vorher Vermißter, 1 zurück von der Flucht

2184

5

5 vorher Vermißte

2189 2189

63,

1

2

K Z - H ä f t l i n g e als Z w a n g s a r b e i t e r der R e i c h s w e r k e „ H e r m a n n G ö r i n g " in L i n z

563

Statistik 1 Statistik Häftlingsbewegungen Linz I I/a

I/b

Datum

Stand Zug.

4.8.44

0

Statistik Häftlingsbewegungen Linz III

I/c

i/d

Abg.

Flucht T o t e

I/e

2 der Vermißten nach Linz III

Zwischen 0 ergebnis

1756

1623

3

130

Gesamt

1756

1624

3

129

0

Vi

Ill/a

Ill/b

III/c

Ill/d

Stand Zug.

Abg.

Flucht T o t e

2817

Ill/f

2

Die Todeszahl verringert sich um einen Häftling, da in den Tagen nach dem Luftangriff wieder Zugänge von Vermißten gezählt wurden. Die Zahl der Abgänge erhöht sich somit um 1 Häftling. 2819

5.8.44

2819

6.8.44

2819

7.8.44

2819

12 vorher Vermißte

12

8.8.44

2831

9.8.44

2831

10.8.44

2823

11.8.44

2823

12.8.44

2

793

13.8.44

2

793

14.8.44

2

793 2792

1

16.8.44

2792

2

17.8.44

2790

18.8.44

2

19.8.44

2790

20.8.44

2790

21.8.44

2920

12

22.8.44

2908

1

23.8.44

2907

9

15.8.44

Ill/e

1

9

1 vorher Vermißter

30

79° 130

24.8.44

2898

10

25.8.44

2888

4

davon 8 Bombenkommando und 1 von der Flucht zurück

564

Bertrand Perz

Statistik i Statistik Häitlingsbewegungen Linz I I/a Datum

i/b

Stand Zug.

Statistik Häftlingsbewegungen Linz m

I/c

I/d

I/e

Abg.

Flucht Tote

I/f

Ill/b

III/c

Ill/d

Stand Zug.

Abg.

Flucht Tote

Ill/a

26.8.44

2884

27.8.44

3884

28.8.44

3884

29.8.44

3882

30.8.44

3882

2

31.8.44

1000

1.9.44

3859 4858

2.9.44

4847

2 22

3

1

1

1 11

3-9-44

4847 4847

5-9-44 6.9.44

4847

7-9-44 8.9.44

4845

1

21

4825

64

12

9-9-44 10.9.44

4877 4877

11.9.44

4877

12.9.44

4877 4865

4845

11

1 2

4863

2

13

15-9-44 16.9.44

4848

17-9-44 18.9.44

5478

19-9-44

547°

20.9.44

5471 5466

5

21.9.44 22.9.44

5465

20

1

23-9-44 24.9.44

5444 5421

21

2

25-9-44 26.9.44

5401

63O

5478 8

5478

5421

27-9-44 28.9.44

5399

29.9.44

5399

I

„wiederergriffen" nach Flucht 1

2

22 2

5399 5

1

18

1

J

Lo CO

30.9.44

Ill/f

1000

4-9-44

13-9-44 14.9.44

Ill/e

r.10.44

5383

2.10.44

5383

3.10.44

5383

im Orig. 19 als Abgang angeführt, korr. B.P.

K Z - H ä f t l i n g e als Z w a n g s a r b e i t e r der R e i c h s w e r k e „ H e r m a n n G ö r i n g " in L i n z

565

Statistik 1 Statistik Häftlingsbewegungen Linz III

Statistik Häftlingsbewegungen L i n z 1

III/c

Ill/d

Abg.

Flucht T o t e

4.10.44

5364

3

5.10.44

5360

6.10.44

5660

7.10.44

5648

Datum

I/b

Stand Z u g .

I/c

I/d

I/e

Abg.

Flucht T o t e

I/f

Ill/a

Ill/e

Ill/b

Stand Z u g .

I/a

8.10.44

5648

9.10.44

5648

10.10.44

5648

11.10.44

5623

12.10.44

5622

13.10.44

5621

14.10.44

5618

15.10.44

5616

16.10.44

5616

17.10.44

5616

18.10.44

5600

19.10.44

5600

20.10.44

5593

21.10.44

5593

22.10.44

5593

23.10.44

5593

24.10.44

5593

25.10.44

5607

26.10.44

5606

27.10.44

5606

28.10.44

5603

29.10.44

5603

30.10.44

5603

31.10.44

5603

1.11.44

5587

2.11.44

5586

3.11.44

5585

4.11.44

5584

5.11.44

5584

6.11.44

5581

7.11.44

558.

8.11.44

558.

9.11.44

558O

10.11.44

5579

11.11.44

5579

12.11.44

5578

13.11.44

5578

14.11.44

5574

1

300 12

25 1 1 1

4 2

1

17 7

'4 1 2

1

16 1 1 1

3

1 1 1

4 1

Ill/f

566

Bertrand Perz

Statistik i Statistik Häftlingsbewegungen Linz I I/a Datum

I/b

Stand Zug.

Statistik Häftlingsbewegungen Linz m

I/c

I/d

I/e

Abg.

Flucht Tote

I/f

Ill/b

III/c

Ill/d

Stand Zug.

Abg.

Flucht Tote

Ill/a

15.11.44

5573

16.11.44

5573

17.11.44

5547

18.11.44

5548

19.11.44

5548

20.11.44

5548

21.11.44

5548

Ill/e

26 2

1

1

3

22.11.44

5548

23.11.44

5546

24.11.44

554 6

1

2

25.11.44

92

1

26.11.44

5545 5636

27.11.44

5636

28.11.44

5636

29.11.44

5636

20

30.11.44

5615

82

1.12.44

5533

2.12.44

5533

3.12.44

553 2

4.12.44

553 2

5.12.44

55 3 1

6.12.44

5531

7.12.44

5531

2

5

8.12.44

5551

2

7

9.12.44

5578

10.12.44

5578

11.12.44

5578

1

12.12.44

5577

1

13.12.44

5576

14.12.44

5573

15.12.44

5545

16.12.44

5545

17.12.44

5543

18.12.44

5543

19.12.44

5543

20.12.44

5463

21.12.44

5463

22.12.44

5473

23.12.44 24.12.44

5467 5466

25.12.44

5463

26.12.44

54

0 0 0 - 0 0 0 0 0 0 0 0 ' - ' 0

Ha-A9

ya-AS

• Sn fl°d

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 - 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

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UH«ub»*arkn •ilM»-

Leiste Arbeitsstelle:

land-, PTl 1944 folglich 7322.1597 • In Oberdonau befanden sich mit Stichtag 31.3.1943 720 Griechen (Bulgaren: 1869)1598; im Juni 1943 arbeiteten nach einer konzerneigenen Aufstellung in den Betrieben der Reichswerke 264 Griechen (254 Bulgaren) 1599 ; Ende des Jahrs 1943 hielten sich 772 Griechen in Oberdonau, davon 429 in Linz l6o ° auf; im Quartal April bis Juni 1944 kamen dann bis zu 3400 Griechen nach Oberdonau 1601 . • In den Linzer Betrieben der Reichswerke (HGW, EWO, Stahlbau Linz) wurden 309 (im Jahr 1942), 119 (1943), 569 (1944) und 23 (1945) Griechinnen und Griechen eingestellt. 1602 • Der Frauenanteil in den Linzer Werken bleibt insgesamt zehn Prozent (103 von insgesamt 1020); ein etwas erhöhter Prozentsatz ist 1944 festzustellen (63 von 569).1603 Die Aufstellung enthält Zweiteinstellungen, etwa nach Arbeitsvertragsbruch, oder Ubernahmen von anderen Firmen - deshalb finden sich auch 1945 Eintragungen. Ubernahmen gab es vor allem von Baufirmen. Dennoch zeigt die Aufstellung deutlich den Rückgang der Einstellungen 1943, in einer Zeit, in der das Werk stark an Arbeitern zulegte. l6 ° 4 1944 nahm die Zahl des griechischen Kontingents sprunghaft zu. Arbeiter kamen nun aus ganz Griechenland, von Athen/Piräus bis zu entlegenen Kleinstorten und Inseln. Auch das fugt sich harmonisch in das allgemeine Bild des „Einsatzes", d. h. die überaus schlechten Lebensbedingungen in den ländlichen Gebieten Griechenlands und die veränderten Aushebungspraktiken. In der Zeitung „Pyrsos" wurde versucht, Zwangsmaßnahmen des Regimes zu erläutern und zu rechtfertigen; Probleme in verträglicher Dosis zu präsentieren. Merkwürdig 1596 Mazower, 34 f. 1597 1598 1599 1600 1601 1602 1603 1604

Hatziiossif, 226, die griechische Presse der Zeit gab über 30.000 an. Zeck, 40. Konzerneigene Aufstellung, zitiert nach Prettenhofer, 94. Der Arbeitseinsatz im Gau Oberdonau, Heft 1944/1. Ich danke Josef Moser für das Material. MARW 21-38/13. Siehe Historisches Archiv der VOEST ALPINE AG, Linz, Datenbank (Abfrage Ende Juli 2001). Ebd. Ebd.

Griechen in Linz

615

liest sich ein Artikel über die Erfolge griechischer Männer bei deutschen Frauen. Erst berichtete man von deutschen Klagen über die erotischen Erfolge der Griechen und erwirkte in der Folge den „Freispruch" durch die „Gesamtheit der deutschen Frauenwelt". 1605 Der Hintergrund war ernst für die Südländer, denn in der Darstellung des S D wurde das Verhalten in die Nähe der Rassenschande gerückt: „Das moralische und sittliche Verhalten der Griechen werde von der Bevölkerung besonders scharf kritisiert [...] Auch die hohe Zahl der Schwangerschaftsfälle gebe zu ernsten Befürchtungen Anlaß. [...] Unverständlich sei, daß deutsche Frauen und Mädchen es vielfach fertigbrachten, den Griechen nicht nur nachzulaufen, sondern sich auch öffendich mit ihnen zu zei-

5. KRIEGSENDE, RÜCKKEHR Im Oktober 1944 zogen die Deutschen aus Griechenland ab. Die Arbeiter waren bis zum Kriegsende in Osterreich abgeschnitten. Zahlungs- und Postverkehr wurden eingestellt. „Pyrsos" brachte nun ausführliche Darstellungen über die Ereignisse in Griechenland, besonders über die Dezemberkämpfe 1944, in denen sich E L A S auf der einen, Briten und Regierungstruppen auf der anderen Seite gegenüberstanden.' 607 Der Bürgerkrieg war offen ausgebrochen. Bei ihrer Rückkehr 1945 waren die Arbeiter mit einer völlig neuen politischen Lage konfrontiert. Ihr Verhalten zu Kriegsende wurde von den griechischen Stellen beobachtet. Berichtet wurde über die Beteiligung von Griechen bei den Unternehmungen internationaler Banden. Die Griechen hätten eine führende Rolle bei der Plünderung von Linz gespielt und der Haß der Bevölkerung sei groß. Viele Griechen widersetzten sich der Heimkehr, wurde berichtet, flüchteten aus den Sammellagern und plünderten.'608 Die große Mehrzahl der Griechinnen und Griechen allerdings versuchte, so schnell wie möglich in die Heimat zurückzukehren. In der sowjetischen Besatzungszone begann die Wanderung Mitte Mai. Die Sowjetarmee sammelte und untersuchte die Arbeiter verschiedenster Nationen im zerbombten Wiener Neustadt; in der Folge wanderten oder fuhren die Griechen durch Südosteuropa. Eines der Auffanglager, in denen die Heimkehrer in der Folge befragt wurden, war ausgerechnet das Lager Pavlos Melas in Saloniki.160«' Die Griechen der Westzone gelangten in vielen Fällen über italienische Küstenstädte, vor allem Bari, per Schiff nach Piräus und andere griechische Häfen oder wurden, meist über München,

1605 Pyrsos, Februar 1945/1, S. 8. 1606 Boberach, 5420. 1607 Siehe dazu Iatrides. 1608 A Y E 1945/17.6, Melas an Außenministerium, Genf 24.8.1945. 1609 Interview Jolanda Terenzio, Dezember 1998.

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ausgeflogen. Aber auch in der Schweiz, in Frankreich, Belgien, Großbritannien, in Polen und anderen Staaten hielten sich griechische Displaced persons (DP) auf. Aus Athen entsandte man Verbindungsoffiziere zu den alliierten Truppen und in die Griechenlager. Hauptziel war die Erfassung, die Kontrolle und die organisierte Heimreise der Griechen. In Italien fanden sich viele Griechen aus dem österreichischen Raum ein. Der Schluß aus ihrer Befragung: Sie seien vor allem wegen der blutigen Auseinandersetzungen der „politisch-militärischen Organisationen", wegen der vom Feind verschuldeten, schlechten Lebensbedingungen im Land, nach Deutschland gekommen; wegen Verbindungen mit den deutschen Besatzern; die große Zahl jugendlicher Arbeiter wird auf die Lockerung des familiären Zusammenhalts im besetzten Griechenland zurückgeführt; nach Italien hätten sich die Arbeiter im Schlepptau rückwandernder Italiener durchgeschlagen. 1610 Uber die Zahl der Griechen im ehemaligen Reich waren keine gesicherten Angaben vorhanden. Das Bild ist folgendes: • 15.658 Griechen und Griechinnen befanden sich Ende September 1944, beim Abmarsch der deutschen Truppen, im ,Arbeitseinsatz" im Reich 1011 , 10.481 davon in der „Ostmark" 16 ' 2 ; • 2038 griechische Kriegsgefangene, unter der Voraussetzung, daß sie nicht ohne Kennzeichnung in der Arbeitseinsatzstatistik enthalten sind 16 ' 3 ; • 7000 Griechen aus dem ehemals von Bulgarien besetzten Landesteil; diese Zahl aus dem Jahr 1942 bleibt als Richtwert, unter der Voraussetzung eines ungefähren Gleichgewichts von Rückkehrern und neuen Arbeitern in den folgenden beiden Jahren; insgesamt gingen etwa 10.000 Griechen aus der Region nach Deutschland 16 ' 4 ; • 6000 politisch Verurteilte oder Geiseln aus Athen und Umgebung als Mindestwert; 1000 weitere wurden nach Angaben des Roten Kreuzes nach Italien deportiert, von ihnen kam ein Teil später nach Deutschland; in Restgriechenland muß aber mit zahlreichen weiteren Geiseln gerechnet werden, etwa aus dem Raum Saloniki' 6 ' 5 ; unter 1610 A Y E 1945/17.4, Nikolareizis, Rom, 30.5.1945: In Italien befanden sich Arbeiter aus Wien, Wiener Neustadt, Kapfenberg, Leoben, Linz, Steyr, Klagenfurt, Lienz, Rottenmann, Salzburg, Graz, Mürzzuschlag; ein Teil sei vor der sowjetischen Armee Richtung Westen geflüchtet. 1 6 1 1 Arbeitseinsatz im Großdeutschen Reich, August/September 1944, zitiert nach Herbert 1991, 8. 1612 Freund/Perz 1991, Anm. 9. 1613 A Y E 1945/17.3, Staatssekretär AI. Levidis, Staatsekretariat für Repatriierung an Thronos, griechischer Militärausschuß f. Repatriierung, Botschaft Paris, Athen 28.7.1945. Die Zahl ist in einer Aufstellung über den Athener Raum enthalten, dürfte aber ganz Griechenland betreffen. 1 6 1 4 Zymari, 368, die sich auf bulgarische Literatur stützt. 1615 A Y E 1945/48.12, A. Ioannidis, Büro für Kriegsgefangene des griechischen Roten Kreuzes, an Außenministerium, 1.3.1945; Ioannidis nennt die Zahl „weit" hinter der Wirklichkeit. Im Jahr i960 lagen dem Außenministerium 6584 Entschädigungsgesuche von ins Reich deportierten Griechen vor; das Rote Kreuz schätzte die Zahl der direkt ins Reich transportierten „Geiseln" zu diesem Zeitpunkt auf 10.697, s A Y E , Deutsche Entschädigungen, Ordner 7, Direktion für wirtschaftliche Angelegenheiten, Granitsas, 2 1 . 1 1 . 1 9 6 0 bzw. Aufstellung ohne Datumsangabe. Ich danke dem Personal des A Y E für die Information.

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der Voraussetzung, daß nicht ein Teil der Geiseln dem Arbeitseinsatz zugerechnet wurde; • 2000 Überlebende der ca. 58.585 deportierten griechischen Juden.' 6 ' 6 Nach dieser Aufstellung befanden sich zu Kriegsende über 30.000 Griechinnen und Griechen im Reich. Im Außenministerium schätzte man die Zahl auf etwa 40.000. Zwei weitere Richtwerte: Die U N R R A gab im September 1945 die Zahl von 14.000 Griechen in den drei Westzonen Deutschlands an (12.000 bereits repatriiert, der Rest noch zu transportieren)16'7; das sowjetische Volkskommissariat für Außeres nannte dem griechischen Außenministerium 1946 die Zahl von 7929 Griechen, die ihre Zone (Deutschland und Osterreich wurden nicht unterschieden) Richtung Griechenland verlassen hatten.'6'8 Das Staatssekretariat für Repatriierung im Sozialministerium listete die Dringlichkeitsstufen füir die Rückkehr auf: An erster Stelle sollten Kriegsgefangene des Italienkrieges 1940/41 repatriiert werden, gefolgt von Kriegsgefangenen, Geiseln und politischen Häftlingen bis 1943; die Geiseln der beiden folgenden Jahre; die freiwilligen Arbeiter, zuletzt Uberläufer und Ausländer, die vor dem Krieg in Griechenland gelebt hatten. Die Kategorisierung stellte offensichtlich auch eine Werteskala dar.1619 Ein interministerieller Ausschuß organisierte die Kontrolle verdächtiger Personengruppen im Land: Aus Gründen der nationalen Sicherheit sollte die Sicherheitsdirektion neben Angehörigen von Minderheiten („bulgarisch Gesinnte", Pomaken, Armenier), nach Griechenland eingereisten Frauen aus „feindlich gesinnten" Staaten, auch ehemalige politische Häftlinge und Heimkehrer allgemein durchleuchten.'620 Eine Reihe von Arbeitern war in Begleitung von Frauen, in der Mehrzahl Zwangsarbeiterinnen aus Osteuropa, die nicht in die sowjetische Zone zurückkehren wollten. Die Osteuropäerinnen wurden ausgewiesen. 1621 Die DP, die in Linz blieben, bereiteten den Behörden Kopfzerbrechen. Kurz nach Kriegsende gab es bereits Beschwerden über Hausbesetzungen von ehemaligen Arbeitern oder KZ-Häftlingen. In einer Aufstellung von Juni 1945 sind viele Griechen zu finden. In den Straßenzügen Bindermichl/Boelckestraße waren es insgesamt um die 70, in der Seminarstraße 2 „50 Griechen und Italiener" und so fort. Es gab auch eine Beschwerde der „Wohnungsaktiengesellschaft der Reichswerke" (das ergänzende „Hermann Göring" im Briefkopf ist durchgestrichen). Man beklagte sich über die Belegung von Wohnungen der Gesellschaft durch ehemalige Arbeiter. Ein „besonders krasser Fall"

1616 Fleischer 1995, 346. 1617 U N R R A , zitiertnach Jacobmeyer, 83. 1618 A Y E 1946/28.4, Volkskommissariat der U d S S R an griechische Botschaft Moskau, Moskau, 14.3.1946. 1619 A Y E 1945/17.7, Beschwerde Stathopoulos, 3.9.1945: Die Nichteinhaltung der genannten Dringlichkeitsstufen wurde als Ungerechtigkeit gegenüber Soldaten und Geiseln empfunden. 1620 A Y E 1945/17.8, Innenminister Gounarakis, Entschließung, Athen, 4. 9.1945. 1621 Siehe auch Terenzio.

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sei die Hausgemeinschaft in Bindermichl/Boelckestraße.' 622 Das Lager Haid wurde im Juli 1945 von Polen, Rumänen, Italienern, Griechen und Russen bewohnt. In der Folge verwendeten die Amerikaner das Lager zur Aufbewahrung ehemaliger SS-Angehöriger. Auch im September 1946 waren noch Wohnungen in Beschlag genommen, wie ein Schreiben der neuen V O E S T zeigt.1023 Zwei berufstätige Griechen werden in der Hausgemeinschaft am Bindermichl genannt (Katharina und Andreas „Scras"). Wie aus den Tagesberichten der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit hervorgeht, widmeten sich nicht wenige der nunmehrigen D P dem Schwarz- und Schleichhandel.1024 Griechen und Armenier hatten 1945 und 1946 auf dem Linzer Schwarzmarkt eine zentrale Funktion. Sie konnten Kontakte zu amerikanischen Soldaten griechischer Herkunft aufbauen, über die sie vermutlich Zugang zu größeren Mengen Zigaretten, Alkohol sowie zu amerikanischen Soldatenuniformen erhielten. Die österreichischen Beamten fürchteten sie wegen ihrer Gegenwehr bei Verhaftungen. Ein Beispiel: „Michael M., Grieche, 2 2 Jahre alt, Schmiedegehilfe, Linz, Lager 71 und Cestopo T., griechischer Hilfsarbeiter, 20 Jahre alt, Linz, Lager für Armenier aufhältlich, verhaftet wegen Schwarzhandels mit Rauchwaren, öffentlicher Gewalttätigkeit im 3. Fall und Aufstand. M. flüchtete im Bazar wegen einer Beanstandung gegen die Promenade und rottete sich mit den dort befindlichen Griechen zusammen, um gegen die Amtshandlung gewaltsamen Widerstand zu leisten. Seiner Festnahme setzte er hier gewaltsamen Widerstand entgegen und verletzte das einschreitende Polizeiorgan. Cestopo T. mengte sich ebenfalls gewaltsam in die Amtshandlung ein." 1625 Da diese Leute durch eine Rückkehr nach Griechenland keine Verbesserung ihres Loses erwarteten, hätten sie keinerlei Absicht, freiwillig zurückzukehren, meinte man in der griechischen Vertretung in Genf. Sie zerstörten den Ruf Griechenlands auf Jahre, die wahren Gründe für ihr Bleiben verdeckten sie mit Vorwänden politischer Natur (Terror in der Heimat, kommunistische Uberzeugungen und so fort). 1626 Der Diplomat verknüpfte also Plünderung, Schwarzhandel und Kommunismus. 1627 Tatsächlich gab es nach der Niederlage der E L A S in den Dezemberkämpfen von Athen und dem anschließen-

1622 AStL B 5 j , Akten des Besatzungsamtes, Juni 1945. 1623 ÖStA AdR BKA, Box 2. 1624 S.John; Berichte der Generaldirektion fiir Sicherheit, OStA AdR B M f. Inneres, Abtl. 2. Ich danke Rudolf Jerabek für seine Hinweise. 1625 John, 319 ff.; der Tagesbericht s. OOLA, Landesregierung, Präs. 1947, Sch. 13, Sicherheitsdirektion Tagesbericht vom 27. September 1947, S. r, zitiert nach John, S. 319 ff. Ich danke Michael John für das Material. 1626 AYE 1945/17.6, Melas an Außenamt, Genf, 24.8.1945. 1627 Was nicht ausschließt, daß in der sowjetischen Zone eine Reihe ehemaliger Kollaborateure zu Kommunisten mutierte und mit den Sowjets zusammenarbeitete. Terenzio, 261 ff., berichtet auch von ersten Versuchen griechischer Kommunisten in Wien, Arbeiter zum Bleiben zu bewegen und für den Kampf gegen die griechische Regierung anzuwerben.

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den Terror rechter paramilitärischer Organisationen genügend Gründe für die Parteigänger der Linken, nicht nach Griechenland zurückzukehren. Die Kontrollen der Sicherheitskräfte galten nicht nur den ehemaligen Kollaborateuren, sondern auch Parteigängern von E A M / E L A S . Den ehemaligen Lagerinsassen wurden erneut die Fingerabdrücke abgenommen.' 628

6. SCHLUSS Im April 1941 genossen die Griechen hohe Wertschätzung bei Adolf Hitler. Bewunderung für die arischen antiken Griechen, Sympathie für das faschistische Regime des kurz zuvor verstorbenen Diktators Ioannis Metaxas, Respekt für die griechischen Soldaten, die die Italiener zurückgeschlagen hatten, veranlaßten ihn, die griechischen Kriegsgefangenen zu entlassen. Man glaubte, sich diese Geste leisten zu können; im Sommer 1941 hatten die Deutschen das Blitzkriegkonzept noch nicht aufgegeben und erwarteten eine rasche Rückkehr der deutschen Soldaten in die Produktion. Diesen „Aderlaß" an griechischer Arbeitskraft konnte die Anwerbung von Arbeitern und Arbeiterinnen in den Folgejahren nicht im entferntesten ausgleichen. Die deutsche Militärverwaltung in Griechenland behinderte eine Werbung großen Stils, sie benötigte Zwangsarbeiter im Land. Die Werbung mußte im ersten Halbjahr 1943 völlig eingestellt werden, vor allem wegen Unruhen in Athen; aber man hatte auch prinzipielle Einwände gegen die in ihrer Arbeitsleistung niedrig bewerteten und als politisch unzuverlässig geltenden Arbeiter. Im Deutschland des „totalen Krieges" wurden diese Bedenken aber beiseite geschoben. Der Arbeitermangel und der sich abzeichnende Rückzug der Wehrmacht aus dem Balkan kurbelten die „Werbung" an. Zwang wurde immer öfter angewendet. Neben die Werbung des deutschen Arbeitsdienstes traten nun nach dem Muster anderer europäischer Staaten Treibjagden von SS und Wehrmacht als ebenbürtiges Mittel der Rekrutierung. Wie in anderen Ländern hatte die SS auch in Griechenland 1944 verstärkt Interesse an der Aushebung von Arbeitern für die Arbeit an eigenen Projekten oder für die „ A u s l e i h u n g " an paramilitärische Organisationen und Finnen. Der Abschub ins Reich in großem Maßstab scheiterte im Frühjahr und im Sommer 1944 aber an Truppenknappheit und mangelnder Transportkapazität. Prinzipiell gab es vier Möglichkeiten der Verwendung für eine „Geisel": die Tötung im Lauf von Sühnemaßnahmen, die Zwangsarbeit als Kriegsgefangener, die Sklavenarbeit in einer der vielen KZ-Außenstellen auf Rechnung der SS oder die Arbeit im „zivilen" Einsatz. Grundsätzlich trennten die deutschen Stellen verschiedene Kategorien, in der Praxis war die Behandlung von der Zugehörigkeit der jeweils agierenden Einheit, den verschiedenen kurzfristigen, oft in sich widersprüchlichen Befehlen der Dienststellen und 1628 U . a. Vasileiou, 2 6 1 .

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von den Vorgaben der Empfanger abhängig. Aus griechischer Sicht war die Zuordnung eine Frage des Zufalls. Die Hochachtung, die die Deutschen noch Mitte 1941 für die Nachkommen der antiken Griechen empfanden, nahm rasch ab. Die Ressourcen des Landes wurden systematisch ausgeplündert, Hunger in Kauf genommen. Die Ankunft ausgehungerter, kranker Arbeiter und Arbeiterinnen im Reich, ihre Unzuverlässigkeit und ihr Widerstandsgeist führten zu einem raschen Abstieg in der rassistischen Nationenhierarchie der Nationalsozialisten. Die undisziplinierten und offensichtlich feindlichen Arbeiter wurden bereits 1943 mit „Zigeunern" gleichgesetzt. 1943 und 1944 wurden Griechen und Griechinnen vielleicht auch aus diesem Grund überdurchschnittlich oft Opfer der brutalen Disziplinierungsmethoden des Regimes. In Griechenland setzte bereits in den ersten Monaten der Werbung ein Propagandakampf um die Arbeiter ein. Die Werber priesen die Vorteile der „Gastarbeit" und machten den Interessierten völlig überzogene Versprechungen. Der Widerstand wiederum machte gegen Werber und Geworbene mobil. In ihren Briefen berichteten die Arbeiter früh von der Verachtung ihrer Landsleute für sie; Freiwillige wurden attackiert. Der offene Widerstand in den Städten war einer der Gründe für die zeitweilige Aussetzung der Aktion. Dieser Kampf zwischen Besatzern und Widerstand mit der ihn begleitenden moralischen Verurteilung der Migranten überlagert deren eigene Motivation völlig. In den griechischen Quellen werden diese Wirtschaftsmigranten als „Treibgut" abgetan. Die Personalbögen in Linz zeigen in den Jahren 1942 und 1943 Menschen aus Urbanen Zentren und Subzentren des Landes, ungelernte Arbeiter, eine Reihe von Kleinasienflüchtlingen - die untersten sozialen Schichten der wachsenden griechischen Städte. Die verzweifelte Arbeits- und Ernährungslage des Jahres 1942, die Zerstörung der instabilen griechischen Wirtschaft, verbunden mit der Hoffnung auf materiellen und sozialen Aufstieg in Deutschland, ließen sie eventuelle ideologische Bedenken beiseite schieben. Im Jahr 1942 trug der Einsatz in Deutschland also aus der Sicht beider Seiten Züge „normaler" Beschäftigung. Ein Vergleich mit der Gastarbeitermigration nach Deutschland in den 50er und 60er Jahren könnte dieser Gruppe ein schärferes Profil geben. Rasch stellten Griechen und Griechinnen aber fest, daß weder Arbeit, Unterkunft, Ernährung und Bekleidung noch die Entlohnung den Versprechungen entsprachen. Handel am schwarzen Markt wurde zu einer lebensnotwendigen Tätigkeit. Auch ursprünglich freiwillig gekommene Arbeiter wurden in der Folge drakonisch bestraft, zur Schanzarbeit abgeordnet, wahrscheinlich an Urlauben in Griechenland gehindert. Die Zusammensetzung der Belegschaft der E W O im Jahr 1944 ist ein Spiegel der immer schlechter werdenden Lebensbedingungen im ganzen Land: Razzien, Säuberungsaktionen, Hunger und Krieg waren die Ursachen für ihre Reise nach „Deutschland". In der Literatur wurde der ,Arbeitseinsatz" völlig vom Thema des Widerstands überlagert. Es ist kein Zufall, daß Personen über Zwangsarbeit schrieben, die aktiv im Widerstand tätig waren. Aus denselben Gründen war unter griechischen Forschern und For-

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scherinnen das Interesse für Zwangsarbeit gering. Die Medien beschäftigten sich nicht mit dem T h e m a , in der Öffentlichkeit ist die Tatsache, daß Griechen in Deutschland während des Zweiten Weltkrieges arbeiteten, nicht bekannt.

7. QUELLEN

Archivmaterial Archiv der Stadt L i n z (AStL): B 20a Korrespondenz und Kostenvoranschläge über den Bau von Barackenlagern B 20c Wohnbau, Diverses B 3 1 - 3 4 Berichte über Fliegerangriffe auf L i n z von 1944-1945 B 55 Besatzungsamt L i n z Archiv des Ministeriums für Auswärtiges, Athen (AYE): 1944/3 1945/17, 58, 65 1946/4, 26, 28 Bundesarchiv Berlin (BA): R 63/269 Hans Z e c k : Erfahrungen über den Einsatz südosteuropäischer Arbeiter. R 41/268 Auslandsbriefprüfstellen, Stimmungsberichte über Arbeiter im Reich Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg (MA): R W 21/38 Kriegstagebuch des Rüstungskommandos Linz R W 29/86-89 Berichte des Wehrwirtschaftsoffiziers Sofia R W 29/93-115 Wehrwirtschaftsstab Griechenland; Kriegstagebücher der W i r t schaftskommandos Saloniki und Athen; Lageberichte der Wirtschaftskommandos bzw. der Wehrwirtschaftsoffiziere Saloniki und Athen R W 40/129 Militärbefehlshaber Griechenland R H 36/462 Feldkommandatur Piräus Vereinigte Osterreichische Eisen- und Stahlwerke Aktiengesellschaft: Eisenwerke Oberdonau ( E W O ) : Ausländer, Personalbögen Österreichisches Staatsarchiv (ÖStA), Archiv der Republik (ÖStA, AdR): Tagesberichte der Generaldirektion für öffentliche Sicherheit, B M f. Inneres, Abteilung 2 B K A , 1946, Box 2, Verstaatlichte V S T V - S T V , 337-338

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Zeitschrift: Pyrsos: Eikonografimeno periodiko. 1944-1945. Leipzig 1944; 2. Periode (Berlin), Wien 1944-1945.

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Personenregister A

Brunner, Alois 600

Adam, August 484 Agapajewa, Kira 429 Altfuldisch, Hans 546 Ambrosius, Carlos 540 Antis, Josef 53off., 547t Arco-Valley, Anton 1 1 1 Arco-Valley, Ferdinand 1 1 1 Asanger, Meister H G W Linz 526 Aubell, Landesfrauenklinik Linz 427 Auer, Margit 12

Brunnsteiner, Hedwig 378-385,446 Buchmann, Erwin 44 Bücking, Alois 316 Bukey, Evan i3of., 133

B Bachl, Monika 342 Bachomow, Iwan 342 Backe, Herbert 435 Badoglio, Pietro 56, 67 Baerens, Peter 547^ Barbi, Anton 103 Baronik, Anna 342 Barczay, Stefan 546 Bartl, Josef 547 Barylly, Charles 108 Bauer, Staatsanwalt Volksgerichtshof, Berlin 4 1 1 Baumgarten, Paul 30 Bayon, Robert 122 Beretta, Secondo 107 Bergerhoff, Hans 546 Bernadac, Christian 453 Berndl, Birgit 12 Bigo, Pio 453 Blumberger, Karin 12 Blutreich, Ira 18, i2of., 367, 3 7 o f f , 385-401, 446 Bock, Gisela 358, 375 Bojarschynowa, Olga siehe Gribkowa Bonnemain, A. 107 Bonnann, Martin 91 Borojewicz, Julka 107 Brandt, SS-Obersturmbannführer 4 1 6 , 4 3 3 Branhofer, Richard 144 Brassert, Hermann 36, 290 Brata, slowenischer Arbeiter in den H G W L i n z 120

Burgwinkel, Betriebsleiter Stahlbau 524 Burleigh, Michael 129 Busta, Daniela 12

c

Chelmi, Chrysanthi 609 Chelmi, Stylianos 609 Chevalme, Henri 108 Ciranas, Fotios 109 Cirkovic, Darko 54of. Conti, Leonardo 4 1 8 , 4 2 2 f. Czernotzki, Walther 440

D Decambos, Emile 107 Delius, Hans-Conrad 299 f. Derid, Oledij Petrowitsch 21 Dichd, Josef 406 Dismatschek, Tiwerios 612 Djurkowitsch, Valentin 103 Dlouhy, Eduard 547 Dörfler, Oskar 503f. Driesen, Albert 1 iyf. Drzewicz, Zofia 94 Dujardin, Yvonne 108 Duschek, Anton 123 Dvorak, Vaclav (Wenzel) 107, 1 1 3 Dziadosz,Jan i i 7 f .

E Eberhardt, Karl 393f., 400 feder, Wolfgang 8, iof. Eigruber, August 38, 93, 124, i2Öff., 288, 292, 2 93> 3 1 3> 316, 3 r 8 , 4 1 3 - 4 1 8 , 4 2 2 f . , 4 3 2 f f , 450, 458,468,537, 546 Engeseth, H.B. 138, 144

6z6

Personenregister

F Fagan, Ed 11 Falcon, Serano 108 Fallend, Karl 20, 21, 379,454 Fiala, 512, 515 ff., 522, 525fr. Fiele, Roderich 30,44 Fiereder, Helmut 8, 35, 38, 291,456f. Fischer, Bauleiter 473,483,486 Fischer, Landesfrauenklinik Linz 427 Flick, Friedrich 298 Fogaros, Zargo 540 Frallonardo, Giovanni 107 Frankel, Anna 18, 367, 387-393, 397ff., 446 Frankel, Jaffa 389 Freund, Florian 8,10,45,457 Friedl, Lorenz n8f. Fromm, Erich 132 Fruchart, Lois 119

G Ganglmair, Siegwald 457 Ganor, Niza siehe Anna Frankel Geiblinger, Walter 44 Geier, Markus 10 Georg II., König von Griechenland 594 Giesler, Hermann 26, 3of. Glücks, Richard 480 Gmurczyk, Ernest 134^ Goebbels, Joseph 93 Goess-Saurau, Carl 136 Gonsa, Christian 12, 18 Göring, Hermann 34fr., 127, 288-293, 29^< 298t., 362,463 Goetzinger, Metty 534 Gregor, Neil 95 Gribkowa, Olga Afanasjewna 3Ö8f., 371, 378385,446 Grieber, Markus 539 Grisl, Amtsarzt Kirchdorf434f., 437 Gross, August 52 Grulich, Drahomir 118 Gülland, Karl 117

H Hackl, Maria 435 Haider, Johann 548 Halter, Gustav427,429

Hammerstein-Equord, Hans 111 Haselmeier, Kreisleitung der NSDAP, Linz 405f. Hatmaans, Wilhelm 107 Hauch, Gabriella 12, 17 Heller, Erich 296 Herbert, Ulrich 7, 45, 62, 596 Hessel, Elisabeth 12 Hetzmannseder, Hilde 427 Heydrich, Reinhard 401 Hilgenfeldt, Ernst 432ff. Himmler, Heinrich 54, 85, 119, 289, 313, 401, 4i3f., 416-418, 422, 432fr., 468, 475-478, 48of., 500 Hinterleitner, Oskar 31, 40, 56 Hitler, Adolf 20, 24-32, 35, 38, 44, 61, 93, 127, 129, 288, 308, 316, 318, 327,4o6f., 476,482, 5°°- 533. 593 Hitzinger, Walter 318 Hofer, Roman 12 Hohberg, Hans 47Öf. Hölzl, Michaela 12 Hoynigg, Fritz 44 Huber, Karl 123 Hubmann, Hanns F. W. 450 Huemer, Oskar 145 Huschenbeth, Friedrich 3 it)f. Hütteneder, Marie-Luise 10 I Iwanow, Nicolai J. Iwanowa, Arztin Bad Hall 427

J

Jankowsky, Michael 540 Jetter, Ernst 519t, 539 John, Michael 12, 291 Jourdin, Pierre 540

K Kaczka, Ignaz 107 Kaiser, Paul 546 Kalogeras, Dionissius 109 Kaltenbrunner, Ernst 94, 316,463, 466, 537 Kammler, Hans 477f. Karajan, Herbert von 449 Karajan, Anna Marie 449 Karl, Maria 301

Personenregister Kattner, Josef 547

Lesczyszyn, Katharian siehe Blutreich

Kaufmann, Karl 528f., 538^, 541

Levin, M e y e r 120, 385fr., 39of., 393-399

Kehrl, Wolfgang 44,45, 289, 311, 398, 529

Ley, Robert 30

Keilwitz, Kurt 546

Lohr, Steine und Erden G m b H 473

Kepatsoglu, Vasilies 109

Lombrassa, italien. Staatssekretär 306

Keppler, Wilhelm 296

Loubarèche, Jean 453

Kienzl, Franz 109

Low, Ida siehe Blutreich

Kirch, Franz 108

Lupinski, Alois 52

Kirio, Kapitotos 540

Lüth, Friedrich 291

Kisch, Josef 534^, 548 Klavivioto, Evanzia 6iof.

627

M

Koch, Erich 54

Macheiner, Franz 78

Kofler, Franz 50if., 548

Mahler, Wilhelm 36, 301

Kohli, Edmund 52

Maironi, Guiseppe 107

Konstantopoulos, Konstantinos 605

Malzacher, Hans i j , 37^, 42E, 127, 144, 2p2f.,

Koref, Ernst 34, 146

29Óf., 308, 315 f., 3 i8f.

Koreny, Karl 406

Martetschläger, Franz 293

Korngold, Eva siehe Blutreich

Matagne, Henri 107

Kortschak, Ernst 2 1 , 4 2 5

Matèjka, Frantisek 113

Kotek, T h o m a s 118

Matusiak, Marianna 368,444

Kothbauer, Max 9

Maurer, Gerhard 480, 494, 499

Kozel, Jaroslaus 78

Mayer, Rolf 92

Koziol, Wacek 114t

Mayer, Anton 428

Kozinska, Janina 78

Mayrhofer, Fritz 457

Kraamen, Pieter 78f.

Meier, Heinrich 112

Krafzewitsch, Iwan 78f.

Meinberg, Wilhelm 313

Kramar, Anna 78f.

Meindl, G e o r g 106, 463

Krasota, Iwan 107

Meissner, Johannes 36, 44, 301

Krasota, Johann 108

Meixner, Erich Maria 56

Krebs, Karl 318

Ménard, Henri 453, 540

Krieg, Johann 77

Merinsky, Ottokar 484^, 487, 504, 519, 522, 536,

Krieger, Leopold 123 Krisanow, Feodor 78f. Kriz, Johann 77, 79 Krutschinna, Horst 303 Kutschera, Richard 62 Kuczynski, T h o m a s 455

L Lackner, Helmut 79 Langanke, SS-Kommandoführer Linz III 531 Lammers, Hans-Heinrich 287 Landfried, Friedrich Walter 39f. Lang, Rudolf 408 Langer, Herbert 398, 426 Langoth, Franz 435 Laubenheimer, Alfred 471, 472

541 Metaxas, Ioannis 619 Mey, Cornelius 541 Meyer, August 4 5 , 4 5 6 Michel, Alfred 311-317, 319, 473, 492, 494, 526 Mijoin, André 453 Mink, Meister E W O D 117 Miroff, Fritz 484fr., 53of., 547 Mittermayr, Sonja 12 Molnar, Sabine 12 Morowecki, Andrezey 121 Moser, Josef 12, 16, 25, 289 Mossböck, Hermann 423^, 425 Mozos,Julio 107 Müller, L u d w i g 4 2 3 ^ 4 2 6 f , 437 Müller, SS-Hauptscharführer 484

628

Personenregister

Murcio, Felix 381, 384 Mussolini, Benito 56,99

N Neumann, Gustav Adolf 140, 145 Niederwimmer, Elfriede 12 Nikolaidis, Emanuel 612 Nikolei, Vasile 52 Nitterl, Wilhelm 10 Nolte, Polizeirat (Linz) 112 Noppes, Gerda 425,427 o Obermüller, Landsfrauenklinik Linz 425,427 Ohnmacht, Eduard 529, 547 Oleschick, Mathilde 428 Osimok, Anna siehe Frankel, Anna

P Perz, Bertrand 8, 10, 12, 18,46, 85, 313, 319, 344 Petermichl, Barbara 12 Petschek, Ignaz 298 Pfiitzner, Rudolf 45 2 Piechar, Bronek 1 i4f. Pienta, Heniek 1 1 4 , 1 1 6 Piffl, Leo 311 Pilder, Hans 299 Pia, Josef 538 Plischke, Gudrun 456 Pleiger, Paul 15, 34-38, 4 1 , 4 4 t , 85, 127, 287-293, 296-300, 302, 307-309, 31 3 ff., 317, 362, 450,468fr., 472f., 475f., 478,480-483, 490 Pohl, Oswald 3 i3f., 4Ö8f., 473,475-478,48of., 490, 492fr., 518 f., 521 Poschner, SS-Rottenführer 537 Posse, Hans 31 Poulos, Georgios 604 Prochazka, KZ-Häfüing Linz III 537

Q

Querner, SS-Obergruppenführer 439

R Rafetseder, Hermann 9of. Rallis, Ioannis 604 Rambausch, Stefan 123 Rascher, Karl 300 Rathkolb, Oliver 15, 457 Redl, Kapo A E L Schörgenhub 114 Reich, Wilhelm 132 Reindl, Theresia 412 Renzenberg, Rolf 144 Reuter, Paul 3i8f. Revertera-Salanda, Peter Friedrich 1 1 1 Ridler, Josef 435 Rosegger, Peter 61 Rosenkranz, Bianca 393 Röchling, Ernst 310 Rosdobudko, Jewdokija 369, 37if., 444 Rosenzweig, Ida siehe Blutreich, Ida Röser, Walter 58, 317fr. Rösner, SS-Gruppenführer 43 3 Rössl, Doris 12 Rothschild, Eugene de 299 Rothschild, Louis 298

s Sachno, Wladimir 540 Sachse, Carola 358 Sandgruber, Roman 130 Sauckel, Fritz 125, 307, 361, 375,415,417t., 6o5f. Schacht, Hjalmar 289 Schäfer, deutscher General 308 Schalberg, Maria von 428 Schaumayer, Maria 11 Schilken, Wilhelm 293, 296, 302, 308, 3 1 3 t , 3i8f., 39Öf., 499 Schindler, Oskar 137 Schmalzer, Margit 12 Schmidt, Guido 296 Schneider, Dr. Steine und Erden GmbH 473 Schober, Michaela C. 10, 12,14, 20, 302, 309, 312,498 Schondorff, E. 470,473^ Schöpperle, Karl 501, 505, 537ff. Schramek, G. 470,473, 486 Schranner, Therese 370 Schreiber, Norbert 293

Personenregister

629

Schuster, Walter 29, 95, 1 2 6 , 4 5 7

V

Schwapowal, Jewdokia 367^

Vaclavik, V a c l a v 4 5 3 , 4 5 7 , 506, 518, 537, 5 4 i f .

Schwarz, Heinz 4 7 1 , 473

Vasileiou, Schüler 6 1 0

Seras, Andreas 618

Veesenmayer, Edmund 287

Seras, Katharina 618

Verga, Hugo de 44

Seewald, Otto 428

Vezes, Gaston 453

Serrés, Jean 453

Vögel, Bernhild 358

Skvoric, Silvia 12

Vogler, Albert 36, 3 1 7

Slapnicka, Harry 128 Slazak G e o r g e (früher Jiri) 75, 1 1 4 f r . Sova,Jan 541

w Wagner, Richard 26

Spagadoros, Katin 612

Warga, Adalbert 103

Speer, Albert 28, 30, 35,44f., 127, 289, 307,

Wasiluk, Adolf 1 2 1 f.

3 i 6 f „ 4 4 9 f r . , 4 5 9 , 4 6 9 , 4 7 5 , 4 8 3 , 4 9 4 , 500,

Weihsmann, Helmut jof.

546, 606

Weizsäcker, Ernst von 287

Spoerer, Mark 76, 454

Weizsäcker, Richard von 287

Sprick, Fritz 87, 293, 298, 303, 309, 3 i7ff.

Wiesenthal, Simon 13, 137, 139, 1 4 1 , 146

Srba, Borivoj 101

Winkler, Herbert 501

Stadler, Karl R. 399

Wisliceny, Dieter 600

Stalin, Josef W. 59, 382

Wlach, Zygmunt 1 i4f.

Staufenbeil, Hermann 486

Wohlrab, Christian 547

Steindl, Karl 123

Wolkersdorfer, Sepp 1 3 , 38f., 44,93fr., 125,

Steiner, Ludwig 146 Stinnes, H u g o 298 Stöger, Dr. Landesernährungsamt Oberdonau 435 Strahammer, Peter 10 Stransky, Mojmir 457 Streng, Karl 537, 544 Strzelecki, Andrzej 456 Stuhlpfarrer, Karl 129 Sturm, Hermann 502, 539, 5 4 1 , 547 Sturma, L e o 34 Szyrajew, Danuta 12

T Taufar, Barbara 399F. Tavoularis, Knostantinos 6 1 0 Teufelmaier, Fritz 427 Thyssen, Fritz 288, 292^ Tichomirow, Juri 133 Todt, Fritz 35, 3 1 6 Todor, B.L. 100 Traunmüller, Gustav 128 Trisotas, Leonidas 109 Tsironikos, Ektoras 604 Tweraser, Kurt 56

128,440,445,473 Wolff,Karl468f., 477t Wolters, Rudolf 4 5 1 Wysocki, Gerd 456

z Zaleski, Eugenius 453 Zalewsky, Stanislaw 540 Zamasnik, Alexej 540 Zap, Michailo 5 3 0 f r . , 547f. Ziereis, Franz 3 i j f . , 474^, 492f., 496,499, 537 Zuleger, Hermann 524, 547

Abbildungs- und Planverzeichnis Besonderer Dank gilt den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des „Geschichte-Clubs V O E S T " durch deren verdienstvolle Sammlungs- und Dokumentationstätigkeit wertvolles Bild- und Quellenmaterial erhalten geblieben ist Archiv der Stadt Linz 26, 30, 32, 39,48, 82, 324,400, Borjaschynowa, Olga A. 379, 382 Dokumentationsarchiv des Osterreichischen Widerstandes 508 Ennskraftwerke, Abt. Öffentlichkeitsarbeit 49 Geschichte-Club V O E S T 10, 37,43, 93, 288, 291, 297, 300, 303, 306, 308, 316, 318, 323-325, 347, 508, 518,535,613 Gläser, Bärbel 395 Gonsa, Christian 592 Hauch, Gabriella 388 Historisches Archiv der Voestalpine A G , Linz Titelfoto, 6of., 189, 215, 239, 244, 263, 269, 342f., 597, 603,611, National Archives, College Park (Maryland); U S A Vorlauf des Buches, 138, 294^, 304^, 461, 485,493, 496, 543(aus Dokumentarfilm); 545 (ebd.), Oberösterreichisches Landesarchiv, Linz 373, 392, 396,428 Ullstein Bilderdienst, Berlin 450 Voestalpine A G , Linz, Planarchiv Nachlauf Die Archivsignaturen von allen Bildern und Plänen sind über Dr. Michaela C. Schober, Historisches Archiv der Voestalpine A G , A-4031 Linz, Postfach 2 (e-mail :[email protected]) erhältlich.

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EISENWERKE OBERDONAU Lageplan 1943

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EISENWEÄKE OBESftOHAU GEBÄUDE. ¿u>t «U1?^. J H&svTAft í~{>*Tart~.Ti»líiCH, ausa«" 1*4000 •25.1. «Hi fi

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STANDORTPLAN DER REICHSWERKE

" Reichswerke AG für Erzbergbau u. Eisenhütten WATENSTEDT-SALZGITTER

Ewald-Köni Ludwig

Stahlwerke Braunschweig"

Steinkohlengewerkschaft

Schachtbau

Bergbau-AG Erzbergbau

Steine und Erden

8.000 Hiittenverwaltung Westmark

Anmerkung: Die Ziffern in den Kreisen stellen den Belegsehaftsstand 1944 dar.

Bergwerksverwaltung Kleinrossel

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**

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Wmtsf

Reichswerke AQ .. für Berg- u. Hüttenbetriebe | „MONTANBLOCK"

1.200

DBHG

Ich bestätige hiermit eidesstattlich, dass dieser Plan aus den von mir verwalteten Akten der Hermann-Göringwerke stammt. Nürnberg, den 12.7.48

( Walter Scharlipp Sudeteniändischer Bergbau r

fi • * 35.000 14.000 V ;./

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Treibstoffwerke

Bergwerksverwaltung

68.000

viM

18.000

1

Poldihütte

52.000 Wittkowitz n / S

eifwerke ierdonau Alpine Montanbetriebt!

Eisenwerke Krieglach,,,

Steirische Gußstahlwerl

Graz-Köfiacher Eisenìishn- u. Bergbau

Oberschlesien

böhlauWien

Oliver Rathkolb (Hg.) NS-Zwangsarbeit: Der Standort Linz der Reichswerke Hermann Göring AG Berlin, 1938-1945

Band 1: Christian Gonsa, Gabriella Hauch, Michael John, Josef Moser, Bertrand Perz, Oliver Rathkolb, Michaela C. Schober Zwangsarbeit - Sklavenarbeit: Politik-, sozial- und wirtschaftshistorische Studien

Band 2: Karl Fallend Zwangsarbeit - Sklavenarbeit in den Reichswerken Hermann Göring am Standort Linz (Auto-)Biographische Einsichten

Karl Fallend

Zwangsarbeit - Sklavenarbeit in den Reichswerken Hermann Göring am Standort Linz (Auto-)Biographische Einsichten

Böhlau Verlag Wien • Köln • Weimar

Gedruckt mit der Unterstützung durch die VOEST ALPINE AG, Linz

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich ISBN 3-205-99417-5 Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Ubersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ähnlichem Wege, der Wedergabe im Internet und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2001 by Böhlau Verlag Ges. m. b. H. und Co. K G , Wien • Köln • Weimar http ://www.boehlau.at Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefreiem Papier Druck: Berger, Horn

Inhalt

EINLEITUNG UND METHODISCHE BEMERKUNGEN

„ W I R SUCHEN Z E I T Z E U G E N ! "

Ein Inserat „Lieber Führer, komme bald, unsere Füße sind schon kalt!" „Von der grünen Wiese zum Hochofen" „Da haben wir uns eigentlich nichts gedacht" A u s DEM LOHNBÜRO DER EISENWERKE OBERDONAU

Katholischer Widerstand, Bernadette und der Garten Eden „Wir lebten fast wie Kollaborateure - ich war für sie der Schurl" ,Ja, was soll ich sagen?"

D A S P R I V I L E G ALS T E I L DES R E P R E S S I O N S S Y S T E M S

„na ja, wir waren jung ..." Villa Nova SS Mauthausen gegen Hermann-Göring-Werke = 11 : o

„ W I R W U R D E N FÜR V E R R Ä T E R G E H A L T E N "

7

15

23 24 30 41 52

57 69 80

86

93 103 110

121

Eine Reise in die Ukraine Vorbemerkungen Küchengespräche Die Frauen von Vinnitsa Anhang 1: Geheime Staatspolizei Linz. Betrifft: Einsatz von Arbeitskräften aus dem Osten. (1942) Anhang 2: Namensliste über die im Durchgangslager des Arbeitsamts Linz/Donau befindlichen arbeitsunfähigen ausländischen Arbeitskräfte (1945)

121 129 142 165

171

6 D R . OLEDIJ PETROWITSCH

DERID

„ Wohin soll ich noch schreiben? An Gott?!" Charkov - Linz - Chisinau

178

TRAUMATISCHE KINDERWELTEN

„Nicolai" und „Max" und „Moritz" und Ausländische Kinder bzw. Jugendliche bei den Hermann-Göring-Werken am Standort Linz nach Geburtsjahrgang, Geschlecht und Eintrittsjahr (Dr. Michaela C. Schober) Die Brüder Wachtel Max - oder: „mit dem Sammeln kommt das alles wieder hoch"

210

212 218 227

SKLAVENARBEIT

„Das Wort entschläft überall dort, wo eine Wirklichkeit totalen Anspruch stellt" (JeanAmeryj „Humor ist trotzig" „Zwischen dem Sprechen und dem Tun liegt das Meer"

M E D I Z I N IM D I E N S T E D E S F Ü H R E R S

,,Manches mag nicht erwähnt worden sein" Dr. Ernst Kortschak Frau Dr. S. und der „schwarze" Raum Die ärztlichen Mitarbeiter bzw. „In der Nacht, wenn die Busse weg sind"

Liste der biographischen Erinnerungsinterviews Abbildungsnachweis Literatur Personenregister

234 261 2 69

277

278 286 297 321

331 333 335 351

Einleitung und methodische Bemerkungen

Ich war von November 1998 bis September 2000 Mitglied der Historikerkommission „Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen am Standort Linz der ehemaligen HermannGöring-Werke AG". Seit mehr als zehn Jahren steht meine wissenschafidiche Arbeit in Lehre und Forschung im Zeichen der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit in Osterreich. Trotzdem hatte diese Forschungstätigkeit in vielerlei Hinsicht einen Ausnahmecharakter - so zum Beispiel das öffendiche Interesse, das nicht nur den Ursprung dieses Forschungsprojektes darstellte, sondern auch von Beginn an die Dynamik des Forschungsprozesses mitbestimmte. Als ich nach erster Planung zu den Weihnachtsfeiertagen 1998 ansetzte, mich mit einem Koffer voller Bücher zum Literaturstudium zurückzuziehen, schien medial eine neue Geschwindigkeit österreichischer „Vergangenheitsbewältigung" vorgegeben zu sein. In der Wochenzeitschrift FORMAT (12/98; 85) stand auf Grund der aufgefundenen Personalakten der Hermann-Göring-Werke unter dem Titel „Schmutzige Akten" u. a. zu lesen: „Was noch dazugehört: das Aufspüren von Uberlebenden und Zeitzeugen, die der der Kommission beigezogene Psychologe Karl Fallent (sie!) in Tiefeninterviews nach ihren Erinnerungen befragen wird. Er wird sich sputen müssen." Die Aufarbeitung der Vergangenheit war plötzlich eine Frage des Tempos. Dr. Josef Padoch verdanke ich die notwendige Beruhigung, die er auf Grund seiner langjährigen Erfahrung als Psychoanalytiker punktgenau formulierte: ,Je schneller ich vorgehe, desto langsamer komme ich vorwärts." Daß ein Kollege mein nun gewähltes Arbeitsmotto spontan den Worten Mao Zedongs zuordnete, war mir nur weiterer Ausdruck allgemein verordneter und disziplinierter Geschäftigkeit, der ich mich entziehen wollte. Vom tribunalen Brechen des Schweigens der Protestbewegung Ende der 6oer/Anfang der 70er Jahre abgesehen, dauerte es schließlich ein halbes Jahrhundert, daß man begann, richtige Fragen zu stellen. Endlich sollte es doch darum gehen, den Antworten auch richtig zuzuhören - auf keinen Fall sputend. Es handelt sich nicht um beliebige Ereignisse eines Lebenslaufes, es sind auch keine Heldengeschichten, sondern tabuisierte, zum Teil extrem traumatische Erlebnisse, die 50 Jahre vergraben wurden und für viele zum ersten Mal - vor allem in dieser Ausführlichkeit - Sprache und Gehör fanden. Es handelt sich um Unterdrückung, Entwürdigung, Verwundung und folglich auch Scham, mit je unterschiedlichen individuellen Verarbeitungsformen, die jedes Gespräch zu einem intimen werden lassen und Vertrauen erfordern. Vor allem ehemalige „Ost"-ArbeiterInnen, die nach ihrer Befreiung in ihrer Heimat jahrzehntelang auf Grund ihres Zwangsarbeitseinsatzes im Feindesland als Verräter

8

Zwangsarbeit - Sklavenarbeit in den Reichswerken Hermann Göring am Standort Linz

stigmatisiert wurden, sowie Überlebende des Konzentrationslagers, die ihren erlebten Horror in sich verschlossen, weil kaum jemand ihnen glauben wollte bzw. konnte, besitzen im zeitgeschichtlichen Kontext eine andere, eine individuelle Zeitrechnung. Von konservierten Affekten begleitete Erinnerungen, die Vergangenheit und Gegenwart nahezu eins werden lassen. Gleich zu Beginn unseres Forschungsprojekts - als ich noch gar nicht wußte, wohin mich meine Reise führen sollte - wurde ich gefragt, für eine ORF-Dokumentation zur Verfügung zu stehen, um mich während meiner Gespräche filmen zu lassen. Am liebsten sofort; ohne Aufschub. Trotz lauterer Motivation sagte ich ab. Frau P. war mir nämlich noch eindrücklich in Erinnerung, die gerade eine Woche zuvor über ihre Erfahrungen als mehrmals interviewte Zeitzeugin berichtet hatte.1 Frau R lebt in New York und ist Psychoanalytikerin. Frau P. hat Auschwitz überlebt. Dreimal hat sie über ihr Leben erzählt, und es schien ihr, als seien drei verschiedene Leben daraus geworden. Das kürzeste gestaltete sich für die Spielberg-Foundation. Ganz aufgeregt, der prominenten Stiftung ihr traumatisiertes Leben anzuvertrauen, auf Video festgehalten zu werden, wollte sie auch für die Nachwelt trotz/wegen der gräßlichen Erzählung hübsch aussehen und kaufte sich ein neues weißes Kleid. Ebenso empfing sie nervös das Interview-Team samt technischem Equipment in ihrer Wohnung. „Wäre es nicht möglich" - so die Gäste - , „das Kleid zu wechseln; weiß komme nicht gut im Film." Das Gespräch war zu Ende, bevor es begonnen hatte. „It's a gift!" meinte die zierliche alte Dame, und es gehe darum, wie mit diesem Geschenk umgegangen wird. Frau P. war mir eine Lehre. Mein Projektbeitrag ist quasi als Kontrapunkt zu der Arbeit von Dr. Michaela C. Schober anzusehen, deren Aufgabe darin bestand, quantitativ die ca. 38.000 Personalunterlagen der ehemaligen Hermann-Göring-Werke auszuwerten - über objektive Daten (Name, Nationalität, Geburts- und Eintrittsdatum, Entlohnung, Krankheit usw.) Auskünfte zu erhalten, während meine Arbeit durch psychoanalytisch orientierte Erinnerungsinterviews psychische Realitäten zu erfassen suchte. Gleich einem Zeitreisezug, der entweder in mehr oder minder langsamer2 Fahrt versucht, einen übersichtlichen Panoramablick zu erreichen oder eben an (un)bestimmten historischen Orten an- und innehält, um bei genauem Blick einzelne Aspekte der Geschichte in tieferen Schichten aus1

International Network for Interdisciplinary Resarch about the Impact of Traumatic Experience. Tagung am Hamburger Institut fiir Sozialforschung vom 30. November bis 4. Dezember 1998.

2

Die journalistische Berichterstattung und Dokumentation ähnelt hingegen - um im Bild zu bleiben - zumeist rasenden Tägesausflügen, die, unter dem Druck des Tagesgeschäfts und zwischen zwei Themen gepreßt, in nicht zu verarbeitender Selbstbetroffenheit lediglich für Erschütterungen zugänglich sind. Auch die Politik erinnert v. a. zu Gedenkfeiern an derartige „Reisegewohnheiten". Als Ausnahme kann die Kunst, im speziellen die Literatur, angesehen werden, die allen voraus war. Schriftstellerinnen waren die ersten von Hans Lebert, Helmut Qualtinger, Ingeborg Bachmann bis Thomas Bernhard usw. - , die sich mit ihren Werken der schmerzhaften Auseinandersetzung der nationalsozialistischen Vergangenheit in Osterreich stellten.

Einleitung und methodische Bemerkungen

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zuleuchten. Genauer gesagt: Im direkten, offen gehaltenen Gespräch mit Zeitzeuginnen subjektive Erinnerungen wahrzunehmen, die von einem „kollektiven Gedächtnis" (Maurice Halbwachs) mitgestaltet, von einem bestimmten „sozialen Ort" einen aktuellen Blick auf die damaligen Ereignisse in den Hermann-Göring-Werken werfen. Ein Gespräch ist ein sozialer Vorgang, als Beziehungsgeschehen einzigartig und nicht meßbar. Die Subjektivität der Gesprächspartner ist nur durch einen interpretativen Prozeß zu benennen, der wiederum Emotionen, Empathie und Ambivalenzen mobilisiert. (Nadig, 1986, 37). In ethnopsychoanalytischer Tradition war mir daher daran gelegen, den Forschungsprozeß transparent zu halten und der Reflexion der Gegenübertragung einen breiten Raum zu geben. Was nach Georges Devereux (1973) in seiner dialektischen Betrachtung von , Angst und Methode" bedeutet, daß wir Wissenschaftler und unser Verhalten während des Forschungsprozesses selbst Teil der Beobachtung werden. Das Führen eines Forschungstagebuches war mir daher unabdingbar, um die eigenen Irritationen und Affekte während der Forschung in Erinnerung zu halten und nicht wie geläufig als Störvariable zu ignorieren bzw. zu beseitigen. In diesem Prozeß von Einfühlung und Identifikation zum Verstehen stößt man unweigerlich auf Grenzen der Be- und Verarbeitung, die ich durch psychoanalytische Supervision und Begleitung zumindest zu erkennen trachtete. Allein für die „Bändigung" des Materials, das mir durch Archivrecherchen, Auslandsreisen, die vielen persönlichen Kontakte und insbesondere durch die Wucht der Berichte über die je individuellen traumatischen Erfahrungen zeitweise über den Kopf zu wachsen, die dem Thema innewohnende Destruktivität den Auseinandersetzungsprozeß zu erreichen schien, war der geschulte und stützende Blick von außen eine notwendige Hilfestellung. Denn auch meine Rolle als (österreichischer - deutschsprechender) Forscher, die in den direkten Begegnungen oft diffuse Ausprägungen erfuhr, bedurfte der konstanten Hinterfragung: Ich war Wohltäter, Beschützer, Wahrer eines Familiengeheimnisses, Vertrauensperson (z. T. an Sohnes oder Enkels Statt), aber auch zum Richter, Verteidiger, Ankläger auch als „Deutscher" assoziiert, oder als Beauftragter in persönlicher Sache. Aber vor allem konzentrierte sich meine Funktion als Aufzeichner und Transporteur von je individuellen Lebens- und Leidensgeschichten, die nicht nur auf die Jahre in Linz beschränkt, sondern im biographischen Zusammenhang gestellt werden sollten. Und jede dieser Geschichten hat auch einen Namen. Es war mir darum daran gelegen, der überwiegenden Erwartungshaltung meiner Gesprächspartnerinnen zu folgen, sie nicht wieder in der Anonymität der einstigen Masse von Zwangsarbeiterinnen verschwinden, sondern namentlich aus ihr heraustreten zu lassen. Die große Anzahl und die Anonymität verhindern eine empathische Einfühlung, die notwendig ist, um zu erkennen, daß hinter jedem der mehr als 38.000 aufgefundenen Personalakten eine persönliche Vorgeschichte, ein persönlicher Lebensentwurf enthalten ist, der mit 1945 eben nicht beendet ist. Besonders irritierend zeigte sich kontinuierlich, daß die historischen Orte des Forschungsgegenstands auch meine eigenen waren. Quasi wie ein roter Faden - der bei

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Zwangsarbeit - Sklavenarbeit in den Reichswerken Hermann Göring am Standort Linz

näherer Betrachtung sich als brauner offenbarte - durchzog meine Arbeit die Erkenntnis, wie sehr die Stadt Linz von den Spuren der nationalsozialistischen Zeit geprägt ist; dermaßen viele Orte, die ich als kleiner Junge spielerisch eroberte, an jene Zeit mahnten, ohne dessen gewahr zu sein. 1956 als Sohn eines Arbeiters geboren, der im Jahre 1950 in der V O E S T seine Zukunft fand, bin ich in den Hitler-Bauten des Arbeiterviertels Bindermichl aufgewachsen, das, wie die verstaatlichte V O E S T überhaupt, sozialdemokratisch positioniert war. Die Straße meiner ersten Schritte hieß deswegen - nach meinem kindlichen Empfinden seit ewig - nach dem Sozialisten und Arbeiterdichter Ferdinand Hanusch, währenddessen sie in ihrer Entstehung, nach dem Nationalsozialisten und Erbauer der Reichsautobahn, Dr.-Tbdt-Straße bezeichnet worden war. In Sichtweite davon, die psychiatrische Anstalt Niedernhart, wo Tausende Menschen durch medizinische' Hand der Euthanasie zum Opfer fielen. Meine ersten Schi erprobte ich gleich in der Nähe am sogenannten „Tschechenberg", der - wie ich erst jetzt erfuhr - deswegen diesen Namen trug, weil ebendort das Lager der tschechischen Zwangsarbeiter lokalisiert war - und am Pichlingersee wußte ich durch den Test meiner ersten Taucherbrille, daß es sich um einen Schottersee handelt, aber nicht zwecks Errichtung der Linzer Betriebe der R W H G Berlin usw. usw. Eine Stimmung des „Unheimlichen" war im Laufe dieser Forschung eine stete Begleiterscheinung, die im direkten Kontakt mit meinen Gesprächspartnerinnen Höhepunkte erreichen konnte. Als die öffendiche Diskussion über die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiterinnen erschreckende Formen annahm - von „der ordentlichen Beschäftigungspolitik im Dritten Reich" (Jörg Haider) bis „die Juden treiben's noch so weit, bis sie wieder eine auf den Deckel kriegen" (Johannes Asamer) war die „Wiederkehr des Verdrängten" jahrelang vernehmbar beschloß ich, in der Diskrepanz dieser Wahrnehmungen daraufhinzuweisen, daß eine Forschungsarbeit wie diese auch verstärkt von einer Gefühlsreaktion begleitet ist, die in solchen Zusammenhängen selten beim Namen genannt wird: Scham. Insgesamt führte ich in den vergangenen zwei Jahren 37 intensive Gespräche bzw. lebensgeschichdiche Interviews. Die Kontaktaufhahme mit ehemaligen Zwangsarbeiterinnen erfolgte in den meisten Fällen brieflich, nur in zwei Fällen war der Besuch spontan nach Anruf, nachdem ein Gesprächspartner in der unmittelbaren Nachbarschaft einen weiteren Zeitzeugen zu einem Gespräch ermunterte. Die Adressen erhielt ich aus Korrespondenzen des Geschichte Club-VOEST bzw. VA-Stahl und hauptsächlich von diversen Interessenverbänden. Um auch in Osterreich nach Zeitzeugen zu suchen, die in den Hermann-Göring-Werken arbeiten (mußten), schalteten wir sowohl in der werksinternen Mitarbeiterzeitung als auch in den „Oberösterreichischen Nachrichten" jeweils ein Inserat (siehe Kapitel „Wir suchen Zeitzeugen!"). Da ich auch versucht habe, autobiographische Zeugnisse in schrifdicher Form zu erhalten, habe ich mit weit mehr Personen Kontakt aufgenommen, als für ein persönliches Gespräch möglich gewesen wären:

Einleitung und methodische Bemerkungen Länder Deutschland Frankreich Italien Moldawien Osterreich Polen Tschechien Ukraine Summe

Kontakte 1 2 10 1

11

Antworten

Gespräche 3

1 1

1 -

3 1 12

2 1 12

13 36 16 69

17 12

4 8

25

9

148

72

37

Die weitere formale Vorgangsweise gestaltete ich einheitlich. Vor jedem Gespräch erläuterte ich kurz mein Interesse und bat um die Erlaubnis, das Gespräch auf Tonband aufzunehmen. Vorneweg mit dem Zusatz, daß ich meinen Gesprächspartnerinnen eine Abschrift des Tonbandes in zweifacher Ausfertigung zukommen lassen werde. Ein Exemplar zu ihrer persönlichen Verwendung, das zweite zur Überprüfung, Ergänzung, Korrektur und Streichung nicht füir die Öffentlichkeit bestimmter Textteile. Erst das retoumierte und damit autorisierte Transkript sollte für meine Bearbeitung Verwendung finden. Eine allfällig gewünschte Anonymisierung werde selbstverständlich berücksichtigt. Bei der Transkription verfiel ich anfänglich in den Fehler, einer wortwörtlich getreuen Abschrift zu huldigen, was bei der Lektüre eine derartige Entfremdung nach sich zog, daß mir klar wurde, daß ein mit allen grammatikalischen Fehlern und wortsuchenden Unterbrechungen etc. penibel festgesetztes Protokoll nicht an „Wahrheitsgehalt" gewinnt, sondern meine Gesprächspartner schlicht beleidigte (vgl. Weidenhammer, 1988). Aus diesem Grund habe ich die Transkription stilistisch und grammatikalisch behutsam korrigiert, bevor ich sie zur Autorisierung retoumierte, auch um den Text lesbarer zu gestalten. Kleinere Unterbrechungen im Gespräch sind mit einem Absatz gekennzeichnet, längere Pausen mit Gedankenstrichen markiert, Auslassungen bzw. gewünschte Streichungen von Textteilen mit (...) angegeben. Spezielle Problemfelder bei Gesprächen mit Dolmetschern habe ich im Kapitel „Wir wurden für Verräter gehalten" aufgegriffen. Keiner meiner Gesprächspartnerinnen verwahrte sich gegen eine Tonbandaufeeichnung, nur einer hatte mir die Mitschrift nicht zurückgeschickt, und nur eine Gesprächspartnerin wollte nicht namentlich genannt werden. Die lebensgeschichtlichen Interviews waren von unterschiedlicher Intensität und dauerten zwischen drei Stunden und sechzehn Stunden, auf drei Tage verteilt. Vorneweg ist eine mögliche Erwartungshaltung zu zerstreuen. Ein auf diesem Weg erlangter Erkenntnisgewinn erlaubt keine statistische Repräsentativität. Eine psychoana3

Eine Auflistung der einzelnen Gespräche in chronologischer Reihenfolge ist am Ende der Arbeit angeführt.

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lyrische Vorgehensweise verfolgt die Gleichung Individualpsychologie ist immer auch zugleich Sozialpsychologie; oder: die Gesamtpopulation n = i. Allein die geographische Streuung ermöglichte nur sehr unterschiedliche Kontaktaufhahmen. Ein gedanklicher und emotionaler Austausch in einer gemeinsamen Muttersprache ist freilich am überzeugendsten. Alle meine tschechischen Gesprächspartner waren der deutschen Sprache in größerer Unterschiedlichkeit mächtig, und die ZweiPersonen-Gesprächssituation erwies sich als harmonischer als die Dreieckskonstellation mit anwesendem Dolmetscher, die jedoch unbedingt (in der Ukraine, Polen und Italien) vonnöten war. Außerdem konnten auf Grund der großen Zeitdistanz und daher vermehrten Todesnachrichten nur die jüngeren Jahrgänge ehemaliger Zwangsarbeiterinnen (mit ihren je spezifischen Erfahrungshintergründen) interviewt werden. Der lange Zeitabstand offenbarte aber auch Vorteile: Auf Grund des erreichten Lebensabends bezeugten viele der Gesprächspartnerinnen, daß derartige Begegnungen, Gespräche bzw. Offenbarungen, auf Grund der zu befürchtenden Repression, auch in der kürzeren Vergangenheit nicht möglich gewesen wären. Außerdem ist dieser Lebensabschnitt dadurch gekennzeichnet, daß die Meisterung der Gegenwart zur Routine, die Zukunft absehbar erlebt wird und der Bezug zur Vergangenheit nun offensteht. Für viele Gesprächspartnerinnen war deshalb unser Gespräch die erste Gelegenheit, in dieser Ausführlichkeit ihre Geschichte zu erzählen, da oft selbst in der Familie oder im engsten Freundeskreis dafür keine Aufnahmebereitschaft vorhanden war. Auch die gesellschaftlichen Bedingungen verlangen zumeist eine andere Geschichtsbetrachtung als die erlebte. Viele Erinnerungen sind nur mehr rudimentär verbalisierbar. Weniger Daten oder Fakten stehen im Mittelpunkt der Erzählung, als vielmehr Stimmungsbilder mit unterschiedlicher Deutlichkeit. Manche Erzählung wirkt verschwommen, andere wieder sind von einer hypermnestischen Pointiertheit, denen eine Vergangenheitsqualität versagt blieb. Besonders schwierig gestalteten sich Gespräche, die mit einer persönlichen Schuldproblematik verknüpft sind, denn „der entscheidende Gehalt der Mitteilungen ist dann in den seltensten Fällen im (manifesten Text', sondern erst aus den,verdeckten' Mitteilungen der Gesprächspartner zu erschließen" (Schneider, 1996a, 76). Deswegen war mir nicht nur das Gespräch in der nachträglichen Gestalt eines transkribierten Textes (nach Leithäuser/Volmerg [1977]: hermeneutisches Feld 2) für die Reflexion und Bearbeitung von Bedeutung, sondern vor allem die soziale Interaktion, das direkte Erleben, die unmittelbare Kommunikationssituation selbst (hermeneutisches Feld 1), der ich große Aufmerksamkeit schenkte.4

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In praktischer Hinsicht waren mir die von Leithäuser/Volmerg entwickelten Ebenen des Verstehens durch Fragen der Sinnerschließung wertvoll: Worüber wird gesprochen ? (Logisches Verstehen); W i e wird miteinander gesprochen? (Psychologisches Verstehen); W i e wird worüber gesprochen? (Szenisches Verstehen); Warum wird wie worüber gesprochen ? (Tiefenhermeneutisches Verstehen). Die notwendige Sensibilität für die „gesellschaftliche Produktion von Unbewußtheit" brachten mir seit je-

Einleitung und methodische Bemerkungen

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Alle Gespräche waren unstrukturiert gehalten. Durch meine briefliche Kontaktaufnahme und die Motivation meines Besuches im Rahmen der Historikerkommission standen freilich vorneweg die Jahre in Linz im Mittelpunkt der Unterredung. Ich betonte jedoch in jedem Fall, daß mich sowohl die Jahre zuvor - der familiäre Hintergrund, der unterbrochene Lebensentwurf - sehr interessierten, als auch die Jahre danach, um ein Bild über die Möglichkeiten der Verarbeitung zu erhalten. In welcher Weise konnten die Erfahrungen als Zwangsarbeiterin in den Linzer Hermann-Göring-Werken im weiteren Leben integriert werden. Die Auswahl und den Umfang der einzelnen Themen überließ ich meinen Gesprächspartnerinnen und versuchte nur durch einzelne Zwischenfragen das Gespräch zu unterbrechen bzw. fortzufuhren. Der Ausgang der Arbeit war also völlig offen, und die vorliegende inhaltliche Gliederung gestaltete sich einerseits aus den von meinen Gesprächspartnerinnen gesetzten Schwerpunkten und andererseits aus jenen Themenbereichen, die bei mir die meisten Irritationen auslösten. Manchmal wollte und konnte ich es nicht dabei belassen, den psychischen Realitäten zu folgen, sondern mein gewecktes Interesse trieb mich einige Male zu zeitgeschichtlichen Nachforschungen, um ein klareres Bild zu erhalten bzw. auch, um meine Unruhe gegenüber wachsenden Rätseln zu besänftigen (siehe v. a. das Kapitel „Medizin im Dienste des Führers", S. 277 ff.). Die vorliegende Arbeit vermag keinen allgemeinen Uberblick zur Geschichte der Hermann-Göring-Werke zu liefern, sondern subjektive Sichtweisen von Zeitzeuginnen, die bestimmte - aber nicht untypische - Lebenswelten im biographischen Kontext präziser beleuchten. Es sind individuelle Erfahrungen, Erlebnisse, Erkenntnisse von Betroffenen, von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern der Linzer Hermann-GöringWerke, die anders als aus einem persönlichen Gespräch nicht zu haben sind. Ohne Einschränkungen in inhaltlicher und materieller Hinsicht hatte ich auf Grund dieses Forschungsprojekts die Gelegenheit, solche Gespräche zu fuhren. Sehr bald wird es die letzte gewesen sein. Eine solche Arbeit ist nicht alleine durchzuführen. Vielerorts suchte ich Unterstützung, Rat, Gehör. Verläßlichen analytischen Beistand erhielt ich von Josef Padoch, der auch in heikelsten Phasen meiner Auseinandersetzung die Ubersicht behielt. Besonderer Dank gilt der psychoanalytischen „Bad Ischler Gruppe": Nina Arzberger, Anna Koellreuter, Ulrike Körbitz, Karl Mätzler und Daniel Meili. Dank für die „bändigende" Supervision an Felix de Mendelssohn. Beate Hofstadler, Tina Schröder und Cornelia Renoldner sowie Johanna Gehmacher danke ich für kritische Zuhörerschaft bzw. Lektüre. Für Hilfestellungen danke ich Christiane Rothländer, Helga Hafner und Josef Goldberger sowie her die ethnopsychoanalytischen Arbeiten von Mario Erdheim (1982, 1990), während die wegweisenden Brücken zu einer kritischen Oral-History durch die Schriften von Lutz Niethammer (1980, 1985) und Reinhard Sieder (1984) geschlagen wurden bzw. praktische Hilfe boten.

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Vitali Bodnar und Joe Berghold, die mir nicht nur als kundige Dolmetscher zur Seite standen. Ernst Schmiederer und Klemens Renoldner danke ich für kontinuierliche Stärkung, immer wenn sie vonnöten war. Dankbar bin ich auch Peter Follmer, der im biographischen Gleichklang geduldig meine Arbeit verfolgte. Schließlich gilt mein besonderer Dank Gerhard Benetka für steten Beistand und kritische Lektüre in all meinen Arbeitsphasen. Und hervorgehoben zuletzt: Nicht zu beschreibender Dank an meine Lebensgefährtin Gabriella Hauch.

,Wir suchen Zeitzeugen!"

Vor allem am Beginn unseres Forschungsprojekts, als bekannt wurde, daß meine Aufgabe darin bestand, durch die Erfassung individueller Lebenserinnerungen ehemaliger Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen die Geschichte der Hermann-Göring-Werke um eine subjektive Perspektive zu erweitern, wurde ich mancherorts mit einem gewissen Mißtrauen konfrontiert. Durch das Damoklesschwert amerikanischer Sammelklagen hatte bei einigen Beobachtern unsere Arbeit weniger den Charakter einer wissenschaftlichen Aufarbeitung als den einer juristischen Beweisführung angenommen. Hinter dem mehrfach an mich gerichteten Anliegen, doch auch „die andere Seite" zu hören, war unschwer auch die Illusion einer Objektivierung der Geschichte zu registrieren, als würden sich Aussagen gegen Aussagen aufheben oder zumindest beschwichtigen. Die gesprächsförmige Erfassung von biographischen Entwürfen ist aber kein Gerichtsverfahren, sondern eine gemeinsame Erarbeitung subjektiver Lebensgeschichten, die sich aus interpretierten Erinnerungen gestalten und nicht wie Lebensläufe nach objektiven Lebensdaten zusammenfassen lassen. Nicht aus Gründen einer vermeintlichen Objektivität, sondern aus persönlich-wissenschaftlichem Interesse nahm ich im Rahmen dieses Forschungsvorhabens auch die Gelegenheit wahr, mit Menschen das Gespräch zu suchen, die nicht verschleppt und gezwungen als „Ostmärker" oder „Reichsdeutsche" in den damaligen Hermann-Göring-Werken in Linz arbeiteten. Zum einen galt mein Interesse - neben punktuellen sozial- und politikgeschichtlichen Recherchen - dem tradierten Geschichtsbild der je individuellen Erinnerungen. Im speziellen, in welcher Form sich damalige Begegnungen mit Zwangsarbeitern in der heutigen Erinnerung manifestieren. Zum anderen entsprang das Interesse meiner sozialen Herkunft. Als Kind eines VOEST-Arbeiters und im Arbeiterviertel Bindermichl aufgewachsen, reizte mich die Möglichkeit, bislang ungefiihrte Gespräche nachzuholen; den bespielten Gegenden, den (un)bekannten Nachbarn nachträglich eine Geschichte abzugewinnen bzw. abzuringen. Geschichte(n), die, vom Wirtschaftsaufschwung verschluckt, bislang nur im Schweigen und Verschweigen einen Ausdruck fand(en). Diesem Motiv wohnt jedoch auch ein aggressives Moment inne, das sich etwa sprachlich in „das Schweigen brechen" manifestiert. Unter der Schirmherrschaft einer unabhängigen Historikerkommission, deren Entstehen öffentlichem bzw. ökonomischem Druck zu verdanken ist, ist es schwierig, eine Gesprächsbasis zu erreichen, die einem erwünschten intergenerativen Diskurs entspricht. Als ein Freund meine Position mit den scherzhaft gemeinten Worten beschrieb: „Dein Vater war ein Montageier, und du bist jetzt ein Demontageier", trat mir der bedrohliche Aspekt meiner (unserer) Forschung vor Augen.

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Zwangsarbeit - Sklavenarbeit in den Reichswerken Hermann Goring am Standort Linz

Aber was wurde bedroht? Ich denke, zuvorderst ist das hohe Ausmaß an Identifikation mit dem Betrieb und damit einhergehend die Idealisierung desselben zu nennen, die durch die Konfrontation mit den dunkeln Kapiteln der Geschichte massive Irritationen erfährt. Die ganze Nachkriegsentwicklung der Stadt Linz ist mit dem Stahlbetrieb aufs engste verknüpft. Auch wenn es der Stadt in den letzten Jahren gelang, das Image eines internationalen kulturellen Zentrums zu erarbeiten, bleibt als zentrales Merkmal der Selbstdefinition die Stahlindustrie im Vordergrund, der Zigtausende so viel zu danken hatten und haben; der „Stahlstadt" Linz. Die erwachsene Kriegsgeneration war bald quantitativ von jenen Männern und Frauen überholt, die zu Kriegsende Kinder und Jugendliche waren und sich im Aufwind der Hochkonjunktur nun all jene Wünsche erfüllten, die sie wenige Jahre zuvor noch gar nicht geträumt hatten. Waschmaschine, Fernsehgerät und Automobil ließen für sie das Jahr 1945 zur Stunde Null werden, und im eigenen Grundstück und Hausbau war die ehemalige gemeinschaftliche Sozialisation in HJ, BDM, Napola oder Flakhilfe eingemauert. Die Vorgeschichte der V O E S T blieb in den Bombentrümmern vergraben. Im „kollektiven Gedächtnis" (Maurice Halbwachs) erhielt sich das Bild einer wohlstandsstiftenden Industrie als Lebensspenderin und -erhalterin, die es zu beschützen galt und gilt. Ihr Ursprung in der Zeit des nationalsozialistischen Regimes wird jedoch gleichzeitig als „negatives Eigentum" (Jean Amery) nicht in Anspruch genommen. Mitte der 80er Jahre wurde u. a. infolge von Restrukturierungen die verstaatlichte V O E S T privatisiert und aufgeteilt. Als unser Forschungsteam zum ersten Mal bei Vertretern des Konzernvorstands vorstellig wurde, war mir aufgefallen, daß sich die Herren von VA-Stahl und VA-Tech zwar in dieser neueren Zweiteilung definierten, jedoch mit dem betriebshistorischen Zusatz erklärten: „ - aber wir kommen aus demselben Stall." Eigentümlich blieb mir dies haften - „Stall" - ein Ort, der Schutz, Wärme und Geborgenheit bietet, kam mir in den Sinn; oder: „Rennstall" - der zusammengehörige Teamgeist; „Stall-Geruch" - der die Identifikation signalisiert und sich nicht so leicht beseitigen läßt ... Habe ich nicht auch diesen Stallgeruch? Ist mir dieser Rennstall nicht geläufig? Bin ich nicht auch Teil dieses Ortes, dem ich so viel zu verdanken habe? Ein VOEST-Arbeiter-Kind mit Universitätsabschluß, das für kurze Zeit in der Chefetage Platz nimmt, um aus den besagten Trümmern jene Geschichte zu erheben, die seit mehr als einem halben Jahrhundert unberührt geblieben war. Identifikation als psychologisch konstitutiver Faktor enthält auch das Moment der Idealisierung, sei es zur Bereicherung oder zur Abwehr, und läßt deshalb nur schwer Erschütterungen zu. Aus diesem Grund teilte ich nicht den Optimismus des Konzern-Pressesprechers, durch einen Aufruf in dem von ihm herausgegebenen Mitarbeitermagazin („mm", das an 18.300 aktive Mitarbeiter und Pensionisten verteilt wird), Zeitzeugen für ein Gespräch zu gewinnen. Es kam, was zu erwarten war: Nicht eine Stimme meldete sich zu Wort. Auch ein zweiter Versuch seitens des Konzernvorstandes - quasi konzerninterne mündliche Quellen zu erschließen - erfüllte nicht die Erwartungen, während sich mir

,Wir suchen Zeitzeugen!"

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meine spezifische Forschungssituation und der hohe Identifikationsgrad mit dem Betrieb als Form der Abwehr um so deutlicher präsentierte. Der Vorschlag lautete, unbedingt mit Herrn O. Kontakt aufzunehmen. Er sei ein Mann der ersten Stunde, kenne wie kein anderer den Betrieb, da er jahrzehntelang als führender Arbeitervertreter an der Entwicklung des Unternehmens unmittelbar beteiligt war. Ich folgte dem Vorschlag und rief Herrn O. zu Hause an. Doch meine Vorstellung und mein Anliegen, ein Gespräch über seine Erfahrungen in den Hermann-Göring-Werken zu fuhren, fanden keine Anerkennung. „Ich will nichts mehr wissen von dem Ganzen - warst dabei, warst ein Verbrecher; hast wieder aufgebaut, war's auch nichts ..." - antwortete mir Herr O. mit robuster Stimme und war zu keinem Gespräch bereit. Herr O. phantasierte sich sogleich als Angeklagter und mich als Richter eines Tribunals. Als ich den Hörer auflegte, war ich mir nicht sicher, ob ich enttäuscht oder erleichtert war. Spätestens als meine Lebensgefährtin mich mahnte: „Du wolltest es so?", wurde mir bewußt, wie tief ich in die Thematik eingetaucht war. Eine reminiszente Dynamik im intergenerativen Dialog, der ebendort wieder in beiderseitige Sprachlosigkeit mündete, sobald er sich Fragen der (Un)Schuld, des (Un-) Rechts oder der (Un-) Fähigkeit zu trauern annähert. Die erlebte Reminiszenz gewann so an Deutlichkeit, zumal sich herausstellte, daß Herr O. im selben Wohnhof wohnte, wo ich aufgewachsen war, er einer unserer vielen Nachbarn war, die nur in väterlicher Ähnlichkeit als Stahlarbeiter und damit auch durch Geschichtslosigkeit auffielen.5 Diese Erkenntnis ließ mich eine neuerliche Kontaktaufhahme versuchen. Ich schrieb Herrn O. einen Brief, um ihm mein Anliegen noch einmal vorzutragen, ihm durch mein wissenschaftliches und auch nachbarschaftlich geprägtes Erkenntnisinteresse zu signalisieren, daß einzig seine subjektiven Erfahrungen und Erinnerungen von Belang wären und ich die Rolle eines Lernenden und nicht die eines Richtenden einzunehmen hätte. Nicht untypisch gestaltete sich die weitere Kontaktnahme als Frauensache. Frau O. erreichte telefonisch meine Lebensgefahrtin, um ihr die Gesprächsbereitschaft ihres Mannes mitzuteilen. Wenige Tage später traf ich das Ehepaar O. in ihrer Wohnung, die mich sonderbar berührte. Sie entsprach 1 : 1 derjenigen, wo ich groß geworden war und die ich seit mehr als zwanzig Jahre nicht mehr betreten hatte.

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Diese Entdeckung hatte auch etwas Skurriles, zumal mich zwei Jahre zuvor eine nicht unähnliche Begegnung in selbiger Weise irritierte und zur Einleitung eines Artikels (Fallend, 1997) im Presse-Spectrum vom 29. März 1997 motivierte: „Franz Ruhaltinger ist ein bekannter Mann. Vor allem in der VOESTler-Siedlung in Linz, am Bindermichl, wo ich in seiner Nachbarschaft aufwuchs. Vor einigen Monaten sah ich ihn wieder. Bei einer Diskussion zur Ausstellung über die .Verbrechen der Wehrmacht' meldete er sich zu Wort: Als letzte Truppe i7jähriger waren sie noch in den Krieg geworfen worden. Er und sein Freund überlebten als einzige. Darum sei er für das Zeigen der Ausstellung. Eine traumatische Erfahrung fand Sprache und Zuhörer. Der einst mächtige Betriebsratsobmann und Nationalrat bekam Geschichte. Mir war sie neu, so wie mir alle Geschichten neu wären, die andere Nachbarn zu erzählen hätten. Nachbarn der vielen Wohnungen in den Hitler-Bauten, in deren noch funktionstüchtigen Luftschutzkellern wir nach Ostereiern suchten."

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Herr O. war mir optisch gleich wieder in Erinnerung, was vice versa naturgemäß nicht der Fall sein konnte. Ein großer, kräftiger Mann, der nicht nur in Aussehen und Auftreten, sondern auch in seiner Sprachgewalt das klassische Bild eines Arbeiterführers zu erfüllen vermochte. Ein Sozialist der alten Schule. Uber zwei Stunden dauerte mein Besuch, und ich mußte mich schlußendlich geschlagen geben.6 Mir gelang es weder Herrn O. zu motivieren, jene Teile seiner Biographie - die untrennbar mit dem Stahlwerk verbunden ist - zu beleuchten und die jahrzehntelang im Schweigen gelegen waren, noch die Bedrohlichkeit meiner Funktion zu kalmieren. Selbst Frau O. versuchte einige Male, ihren Mann zu meinen Fragestellungen zurückzuführen. Vergeblich. Mit beeindruckender Erzählkraft schilderte mir Herr O. die Gründungsgeschichte der V O E S T nach 1945, die er als junger Betriebsrat mitbestimmt hatte und wie es ihm gelungen war, durch die Aufnahme eines Kredits ausstehende Löhne zu finanzieren; seine Hochachtung gegenüber den oberösterreichischen Politikern Heinrich Gleißner7 und Ernst Koref 8 ; seine Auseinandersetzung mit dem Minister für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung, Peter Krauland (OVP), der das Anblasen der Hochöfen verhindern wollte; oder sein Auftreten vor den wütenden Kokerei- und Gießereiarbeitern im Jahre 1950, als es ihm gelang, sie vom Streik abzubringen; seine Enttäuschung über die aktuelle Parteiführung der SPO - „die hätten kein Format mehr, gehen nicht zu den Leuten". Schließlich sah er etwas verbittert für sein Lebenswerk wenig Anerkennung, angesichts einer beschämend niedrigen Pension, während es sich andere gerichtet hätten - „aber wenn sie was brauchen, dann kommen s' auf mich!" Ich wurde den Eindruck nicht los, daß Herr O. das Gespräch so unwillig führte, wie ursprünglich angekündigt. Die Rolle, die er einnahm, hatte er jahrzehntelang professionell zur Meisterschaft gebracht: die Interessen der Arbeiter zu vertreten und v. a. das Werk - „sein Werk" - vor möglichem Schaden zu schützen. Nur wenige Minuten des gesamten Gesprächs blickte er über das Jahr 1945 zurück und erzählte, daß er als Flieger in Polen und Frankreich schwer verletzt worden, daß er zum Krieg und im Dreck zu liegen gezwungen worden war und sich jetzt dagegen wehre, als Verbrecher hingestellt zu

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Hinzu kam, daß das Gespräch mit Herrn O. das einzige war, bei dem mein Aufnahmegerät nicht funktionierte und ein Gefühl des Mißerfolgs auch noch technisch verstärkt wurde.

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Heinrich Gleißner ( 1 8 9 3 - 1 9 8 4 ) . Kammerbeamter und Politiker der Christlichsozialen Partei. Landeshauptmann von Oberösterreich in den Jahren 1 9 3 4 - 1 9 3 8 und 1 9 4 5 - 1 9 7 1 . Während der NS-Herrschaft inhaftiert im K Z Dachau und K Z Buchenwald und schließlich Zwangsaufenthalt in Berlin, wo er im Industriewerk „Brabag" arbeiten mußte (vgl. Slapnicka, 1 9 7 6 , 9 7 ff.).

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Ernst Koref ( 1 8 9 1 - 1 9 8 8 ) . Mittelschullehrer und Politiker der Sozialistischen Partei. Von 1945 bis 1962 Bürgermeister von Linz. Im Zusammenhang mit dem Attentat auf Hitler kam Koref 1944 in mehrmonatige Gestapo-Haft. Auf Intervention des damaligen Linzer Oberbürgermeisters Franz Langoth „bei Korefs einstigem Schüler Dr. Ernst Kaltenbrunner (Chef der Sicherheitspolizei und Nachfolger Heydrichs; K F.) wurde er jedoch in kein Konzentrationslager überwiesen, sondern enthaftet" (ebenda, i53f.).

,Wir suchen Zeitzeugen!"

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werden. Für kurze Zeit hätte er als Schlosser im Kraftwerk der Hermann-Göring-Werke gearbeitet, wo auch Tschechen, Polen und Bulgaren eingesetzt waren. „Die seien aber nicht schlechter gestellt gewesen, sondern arbeitsverpflichtet, wie wir Österreicher auch." Die Wiedereinstellung der Nationalsozialisten unmittelbar nach 1945 habe er befürwortet, denn ,die V O E S T wäre zugrunde gegangen, war ja sonst keiner da!' In seinen langen Schilderungen der jahrzehntelangen Aufbau- und Erfolgsgeschichte versickerte in den beiläufigen Bemerkungen über die Zeit des Nationalsozialismus das Ausmaß an Geschichtsnivellierung. Vor dem Schlußstrich von 1945 verschwimmen in seiner Erzählung Opfer und Täter zu einer Einheit, während nach 1945 enthistorisiert nur mehr die Anzahl der Ärmel von Bedeutung waren, die hochgekrempelt für den Wiederaufbau zur Verfugung standen. Nicht im Ansatz ist ein Versuch des Mitgefühls für die Verschleppten und Malträtierten erkennbar. Kausale Zusammenhänge mit Deutschnationalismus oder Antisemitismus sind abgespalten inexistent. Die selbst erlittenen Leiden und Entbehrungen wirken wie eine Trennwand, die für Emotionen über das Schicksal anderer undurchlässig wird. „War ja sonst keiner da!" verweist auch auf das Ausmaß an Täter- und Mitläufergeschichten, die in die Institution V O E S T integriert werden mußten und das kollektive Gedächtnis formten. Herr O. ist Teil dieser Institution; die Institution ist Teil von Herrn O. Mario Erdheim (1982) formulierte die Bedeutung der gesellschaftlichen Produktion von Unbewußtheit und wie sehr sich diese der individuellen Erinnerungsarbeit entgegenstellt. Die Voraussetzung dafür wäre eine Infragestellung der Identifikation mit der Institution, denn: „vollzogene Identifikationen mit den oberen Instanzen bilden eine Art Kitt der Institutionen, sind eine Voraussetzung für einen unbewußt akzeptierten Konsens. (...) Gegen diesen Identifikationsdruck aufzukommen, ist keine leichte Sache. Man macht dann plötzlich die Erfahrung, daß der Sinn des Ganzen zu schwinden anfängt und alles wie trüb und leer aussieht. Maya Nadig hat für diese Art von Sinnverlust den Ausdruck des sozialen Sterbens geprägt" (Erdheim, 1993, 17). Deutlicher könnte der Kraftaufwand nicht umschrieben werden, der notwendig wäre, um den von der Gesellschaft ausgehenden Verdrängungsdruck zu durchbrechen. Herrn O.s Gesprächsführung ist deswegen keine Ausnahme, sondern dominante Regel innerhalb der kollektiven Verarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit in Osterreich. Ohne Erinnerung gibt es keine Trauer. Trauerarbeit ist Erinnerungsarbeit und ein schmerzhafter Prozeß. Es geht dabei um die langsame Ablösung von Verlusten, von verlorenen Beziehungen, sei es zu Menschen oder Idealen. Mißlingt dieser Prozeß, dann ist die unbewußte Weiterwirkung des Verlorenen, der Menschen und Ideale prolongiert. Trauer, zur Pathologie gesteigert, führt zur Melancholie. Sigmund Freud hat den Unterschied klar gezeichnet: „Bei der Trauer ist die Welt arm und leer geworden, bei der Melancholie ist es das Ich selbst" (Freud, 1916,431). D. h., den Melancholiker prägt die zusätzliche massive Herabsetzung des Selbstwertgefühls. Hierin liegt einer der Ansatzpunkte von Alexander und Margarete Mitscherlich, die in ihrer wegweisenden sozial-

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psychologischen Studie über „Die Unfähigkeit zu trauern" (1967), die Formen der psychischen Verarbeitung des Nationalsozialismus in Deutschland analysierten. Es gibt vorderhand keinen Grund, die Ergebnisse nicht auch für Osterreich zu lesen. Denn der Untergang des Dritten Reiches stellte für die Mehrheit der österreichischen Bevölkerung eine unvorbereitete Katastrophe dar. Neben dem persönlichen Verlust von geliebten Personen oder Besitztum war es v. a. der Zusammenbruch eines zur Allmacht gesteigerten Selbstwertgefiihls. Der Krieg war verloren, man zählte nicht mehr zum Volk der Auserwählten, und der Figur des Führers als kollektives Ich-Ideal, der man alle Verantwortung übertragen hatte, war man verlustig geworden. Und: „Die Konfrontation mit der Einsicht, daß die gewaltigen Kriegsanstrengungen wie die ungeheuerlichen Verbrechen einer wahnhaften Inflation des Selbstgefühls, einem ins Groteske gesteigerten Narzißmus gedient hatten, hätte zur völligen Deflation des Selbstwertes führen, Melancholie auslösen müssen, wenn diese Gefahr nicht durch Verleugnungsarbeit schon in statu nascendi abgefangen worden wäre" (ebenda, 39). Es bedurfte für eine große Zahl von Menschen erhöhter seelischer Anstrengungen, um diesen Absturz in die Melancholie zu vermeiden. Das Repertoire an Abwehrvorgängen dafür war vielfältig: Verleugnung, Verdrängung, Verkehrung ins Gegenteil, Identifikation sowohl mit dem Sieger als auch mit dem unschuldigen Opfer. Für Alexander und Margarete Mitscherlich scheint jedoch die Derealisierung dieses ganzen Zeitabschnitts zentral zu sein, der unbewußte Abbruch aller affektiven Brücken zur unmittelbaren Vergangenheit. Ein Abbruch, der durch die manischen Anstrengungen des Wiederaufbaus befördert wurde: „Statt einer politischen Durcharbeitung der Vergangenheit als dem geringsten Versuch der Wiedergutmachung, vollzog sich die explosive Entwicklung der deutschen Industrie. Werktätigkeit und ihr Erfolg verdeckten bald die offenen Wunden, die aus der Vergangenheit geblieben waren. Wo ausgebaut und aufgebaut wurde, geschah es fast buchstäblich auf den Fundamenten, aber kaum noch in einem durchdachten Zusammenhang mit der Tradition" (ebenda, 23). Eben weil dieser affektive Abbruch keinen Bewußtseinsakt, sondern einen unbewußten Vorgang des Selbstschutzes darstellt, ist er in historischen Dimensionen zeitlos und im intergenerativen Prozeß v. a. in einer Phänomenologie des Schweigens virulent. Mehrfach wies Jan Philipp Reemtsma (1997; 1998) daraufhin, daß der Krieg nie bloß ein politisches Instrument darstellt, das sich beliebig ein- und aussetzen läßt, sondern ein Gesellschaftszustand ist, der sich per Friedensbeschluß nicht auflöst. Die psychische Transformation, die ein Krieg verursacht, ist nicht an einem Datum abzustreifen, sondern ist langlebig. Formulierungen wie „Die Stunde Null" oder „Die Gnade der späten Geburt" sind lediglich illusionärer Ausdruck der Sehnsucht nach einer Finalität, die das Fortwirken der mentalen Anpassung an den Krieg, an den Nationalsozialismus negiert. Das Bedürfnis nach einer solchen Zäsur geht Hand in Hand mit einer zunehmenden Abwendung der inneren Anteilnahme - auch bzw. vor allem den Opfern gegenüber. Sie sind Teil dieser Derealisierung geblieben. Erschreckend dokumentierte sich diese Ein-

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füihlungslosigkeit gegenüber den Verfolgten des NS-Systems in der psychiatrischen Gutachtertätigkeit im Rahmen der deutschen Entschädigungsverfahren der fünfziger Jahre (Pross, 1988). Sie provozierte den nach den U.S.A. emigrierten Wiener Psychoanalytiker Kurt R. Eissler zur beschämenden Frage: „Die Ermordung von wie vielen seiner Kinder muß ein Mensch symptomfrei ertragen können, um eine normale Konstitution zuhaben?" (Eissler, 1963). Die nicht zu verheilenden Wunden der Opfer, die in der Weltöffentlichkeit nicht dem Vergessen übergeben sind, stehen der kollektiven Verleugnimg der Vergangenheit gegenüber und fordern die Konfrontation mit der Vergangenheit ein. Dies wird zumeist als Bedrohung erlebt und fuhrt dazu, daß unter ständigem Energieaufwand die psychischen Abwehrpositionen aufrechterhalten werden. Eine Schuldeinsicht als Ergebnis von Trauer bleibt damit verwehrt. An ihre Stelle tritt häufig die Identifikation mit den unschuldigen Opfern. Man sei selbst unschuldiges Opfer, sei befohlen und gezwungen worden, einen Krieg zu erleiden: „Das verstärkt die innere Auffassung, man sei das Opfer böser Mächte: zuerst der bösen Juden, dann der bösen Nazis, schließlich der bösen Russen. In jedem Fall ist das Böse externalisiert; es wird draußen gesucht und trifft einen von außen" (Mitscherlich/Mitscherlich, 1990,60). In der im Bewußtsein verankerten Schuldumkehr liegt eine spezifisch österreichische Lesart der unmittelbaren Vergangenheit, die lange Zeit das offizielle Geschichtsbild prägte. Die „Moskauer Deklaration" von 1943, in der die Alliierten Osterreich als erstes Opfer des Nationalsozialismus festschrieben, erlaubte die Separierung deutsch/österreichischer Gemeinsamkeit und die Externalisierung der Schuldfrage. Hinsichtlich einer dergestaltigen gesellschafdichen Erinnerungspraxis machen dies Meinrad Ziegler und Waltraud Kannonier-Finster (1993) in ihrer in Oberösterreich durchgeführten soziologischen Pionierarbeit über das Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit in Osterreich deutlich. Ausgehend von Maurice Halbwachs' Begriff des „kollektiven Gedächtnisses" - nachdem die soziale Gruppe die Erinnerung der ihr angehörenden Mitglieder formt - untersuchten sie u. a. die Leitartikel und Kommentare von regionalen Printmedien in Oberösterreich als Indikatoren und stellten dabei folgende Charakteristika fest, die das offizielle Geschichtsbild widerspiegeln: • • •



„In den allerersten Jahren nach dem Krieg beklagte Osterreich die Verblendung und Täuschung, der es unterlegen ist; noch herrscht Betroffenheit. Hinsichtlich der Verstricktheit und Beteiligung am NS-Regime finden wir Verschweigen und Leugnen. (...) Im Zusammenhang mit den Maßnahmen zur Entnazifizierung und Wiedergutmachung findet der Rückzug aus jeder Verantwortlichkeit für die Vergangenheit statt. (...) Die Diskussion um den Staatsvertrag verfestigt das Geschichtsbild, daß der Nationalsozialismus ausschließlich ein von außen an die österreichische Geschichte her-

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angetragenes Ereignis sei. Er gehört in die Geschichte Deutschlands, nicht in diejenige Österreichs. Von Opfern ist die Rede nahezu ausschließlich im Sinne von Opfern der Täuschung und des Krieges. Die Opfer im Sinne der vom Nationalsozialismus verfolgten und ermordeten Menschen sind kein Bestandteil der rückblickenden Erinnerung." (ebenda, 70 f.)

Vor diesem Hintergrund erlangt ihre These Bedeutung, „daß das kollektive Gedächtnis zur NS-Vergangenheit in Osterreich für das individuelle Erinnern ein geeignetes Mittel darstellt, Gefühle und Haltungen, die viele Menschen an den Nationalsozialismus gebunden haben, in ein praktisches Vergessen drängen. (...) Das kollektive Gedächtnis hilft, das Tabu der Berührung mit den verbrecherischen Handlungen des NS-Systems aufrechtzuerhalten" (Ziegler, 1995a, 59). Vergessen und Verdrängen ist ein aufwendiger Prozeß, der einer Gegenkraft bedarf, um das Verdrängte verdrängt zu halten; und vice versa bedarf es ebenso einer Kraftanstrengung, das Verdrängte wieder ins Bewußtsein zu fuhren. Erinnern alleine ist zuwenig, auch wenn es mit starken Emotionen verbunden ist. Es sind mehrere Schritte der Erkenntnis vonnöten, die Freud als „Erinnern, Wederholen, Durcharbeiten" (1914) beschrieben hat. In dieser Arbeit spricht Freud aber auch von einer oft übersehenen Art, die Erinnerung zu neutralisieren, die er als „Absperrung" bezeichnet und die sich etwa dahingehend äußert, wenn von etwas Vergessenem gesprochen wird: „das habe ich eigentlich immer gewußt, nur nicht daran gedacht" (ebenda, 127 f.). Mario Erdheim (1990) hat die „Absperrung" als besondere Form der Vergangenheitsabwehr in den sozialen Kontext der Geschichtsaufarbeitung herausgearbeitet. Der entscheidende Hinweis Freuds liegt für Erdheim in der Trennung von Wissen und Denken. Es ist durchaus möglich, etwas zu wissen, ohne darüber nachgedacht, es verarbeitet zu haben. „Indem man das Gewußte nicht denkt, sperrt man es vom Fluß des Lebens ab. Wer auf das Denken verzichtet, kann sich somit auch das Vergessen ersparen. Zwei Fliegen auf einen Schlag: man kann die Mühsal des Denkens ebenso vermeiden wie den psychischen Aufwand des Vergessens bzw. Verdrängens" (ebenda, 114). So ist denn die Zeit des Nationalsozialismus keine vergessene bzw. verdrängte Geschichte. Im Gegenteil. Beobachtet man den öffentlichen Diskurs und die Berichterstattung in Österreich, so ist das Wissen darüber buchstäblich alltäglich bis hin zur Ritualisierung neutralisiert. Das Wesentliche in Mario Erdheims Ausführungen liegt darin und dies scheint mir für die vorliegende Arbeit eine zentrale Erkenntnis - , daß die Absperrung von Wissen und Denken nicht als allgemeine Abwehrform zur Wirkung gerät, sondern an einen „sozialen Ort" (Siegfried Bernfeld) festschreibbar ist: „Denn nur wer auf der Seite der Herrschaft steht und zu den Tätern gehört, kann sich diese Abwehr gegen das Erinnern leisten. Das Opfer hingegen drängt es immer wieder dazu, die traumatische Situation zu reproduzieren und sein Denken quälend um die Niederlage kreisen zu lassen. Es wird sich immer fragen: Wie war das möglich? Hätte man sich anders ver-

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halten sollen? Wäre jenes passiert, hätte man jenes Zeichen beachtet und nicht übersehen - was wäre anders gekommen? (...) Anders verhält es sich mit dem Täter. Wo die Tat die Identität des Täters weder in Frage stellt noch bedroht, dort kann das Denken leicht von der Erinnerung an die Tat ferngehalten werden. Genauer gesagt: Das Denken muß nur in dem Maße in den Umkreis der Erinnerung zugelassen werden, als die Tat verheimlicht werden soll" (ebenda, ii4f.). Dieser theoretische Exkurs beschreibt in groben Zügen den Charakter meiner Perspektive, mit der ich die folgenden Gespräche durchführte und in einen interpretativen Kontext stellte. Er half mir auch jene Empathie aufrechtzuerhalten, der man, als Teil eines ständig in bewährte Muster verfallenden intergenerativen Dialogs, schneller verlustig wird, als man sich einzugestehen imstande ist.

E I N INSERAT Nach der schweigenden Reaktion auf den Aufruf im konzerneigenen Mitarbeitermagazin („mm") wollte ich doch noch einen Versuch unternehmen. In der Wochenendausgabe der „Oberösterreichischen Nachrichten" (Auflage ca. 165.000; erreichte Leserschaft ca. 368.000)9 vom 27. März 1999 schalteten wir ein Inserat mit folgendem Wortlaut:

Wir suchen Zeitzeugen! Für die Aufarbeitung der Geschichte der ehemaligen Hermann-GöringWerke sind wir auf der Suche nach Zeitzeugen und Zeitzeuginnen, die in den Jahren zwischen 1938 und 1945 im Werk gearbeitet haben und uns über ihre Erfahrungen erzählen können. Vier Frauen und zwei Männer hatten unmittelbar nach Erscheinen darauf reagiert. Mit einer Ausnahme erfolgten alle Antworten schriftlich. Frau N . rief sofort nach Erscheinen der Zeitung am Institut für Zeitgeschichte der Universität in Wien an und bat um einen Rückruf. Es war eine auffallend spontane Reaktion, was sich auch im Telefonat widerspiegelte, das sich etwas schwierig gestaltete, denn Frau N . war gar nicht in den Hermann-Göring-Werken beschäftigt, aber sie müsse mir ihre Erfahrungen mitteilen. Ich würde dieses kurze Gespräch hier nicht erwähnen, wäre nicht ein Umstand bemerkenswert, der für den gesamten Forschungszeitraum einen zu problematisierenden Stellenwert einnahm. Frau N . habe nämlich - wie viele ihrer Bekannten - auch sehr viel erleiden müssen und schilderte mir mit schreckenerregenden Szenarien und bewegter Stimme und tiefer Atmung ihre Ängste auf der Flucht und vor den Bombardierungen, 9

Für die prompte Zusammenarbeit danke ich Herrn Diethard Atzmüller von den Oberösterreichischen Nachrichten.

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die sie heute wie gestern erlebte. Die aktuelle Krise im Kosovo und vor allem die Bombardierungen von Belgrad, die flüchtenden Menschen ließen ihre Erinnerungen nicht ruhen.10 Ahnlich den in der Kriegstraumaforschung formulierten „flashbacks", als repetitives Wiedererleben von Kriegssituationen, wurden für Frau N . die NATO-Bomben und die auf Traktoren flüchtenden Menschen eins mit den vergangenen Bedrohungen in ihren Jugendjahren vor mehr als fünfzig Jahren. Erlebtes Leid wird zu (Selbst-)Mitleid, das sich bei Frau N. auch durch erhöhte Spendentätigkeit für „Nachbar in Not" ausdrückte: „Eine Selbstverständlichkeit. Ich kann mir das nicht anschauen, wenn man selbst so was erlebt hat." Frau N. war keine Ausnahme, daß aktuelle politische Ereignisse einen retraumatisierenden Charakter erreichten. Ich möchte an dieser Stelle festhalten, daß bei einigen meiner Gesprächspartnern, die ehemals als Zwangsarbeiter bzw. als KZ-Häftlinge in den Hermann-Göring-Werken arbeiten mußten, diesbezüglich extreme Leidenserfahrungen gemacht wurden. So geriet vor allem der politische Aufstieg Jörg Haiders im Forschungszeitraum - der mit seiner lobenden Äußerung über die „ordentliche Beschäftigungspolitik im Dritten Reich" auch über die Grenzen bekannt geworden war - bis hin zur Regierungsbeteiligung der FPO Anfang des Jahres 2000 zum Auslöser für das emotionale Wiederbeleben vergangener Demütigung und Unterdrückung. Fremdenfeindliche Plakate der FPO in den Wahlkämpfen des Jahres 1999, aber v. a. der aggressive Sprachgebrauch ließen idente Angstgefühle vergangen geglaubter Zeiten Wiederaufleben. Diese Ängste fanden dahingehend ihren Ausdruck, daß drei meiner Gesprächspartner bei diesbezüglichen Erzählsequenzen gar das Abschalten des Tonbandes verlangten bzw. in der Transkription des Gespräches derartige Äußerungen wieder strichen. Lokalpolitische und weltpolitische Ereignisse waren oft mehr als lediglich diskussionswürdige Schlagzeilen, sondern Auslöser massiver Bedrohung durch die Revitalisierung längst vergangener seelischer Verwundungen.

„ L I E B E R F Ü H R E R , KOMME BALD, UNSERE F Ü S S E SIND SCHON K A L T ! " Frei von derartigen Irritationen schien das Gespräch mit der Geschäftsfrau Rosa Bauer. Nach dem Anruf von Frau N. und einem Schreiben von Frau Dr. S. 11 hatte sie sich mit einem kurzen Brief auf unser Inserat gemeldet: „Ich bin zwar schon 86 Jahre alt und hab vieles schon vergessen. Aber ich bin am 2.4.1938 als eine der ersten Sekretärinnen auf-

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Der N A T O - L u f t a n g r i f f auf Belgrad hatte, drei Tage vor Erscheinen unseres Inserats, am 24. März 1999 begonnen.

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Das Gespräch mit Frau Dr. S. ist ausfuhrlich im Kapitel „Medizin im Dienste des Führers", das Gespräch mit Herrn Max Koller im Kapitel „Traumatische Kinderwelten" dargestellt.

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genommen worden und kann mich noch an einiges erinnern." Noch bevor ich diese kurze Vorstellung las, blieb ich auf den Briefkopf fixiert: „Kaufhaus Rosa Bauer Linz. Farben, Lacke, Pinsel, Malerzubehör, Papier, Kleineisenwaren, Plastik, Fahrradbestandteile, Haus- und Küchengeräte, Klebefolien, Sportartikel." Dieser wohl einzigartige Wareneinerlei verrät nicht irgendeinen Greißlerladen, sondern das Markenzeichen eines Geschäftes, das für viele Kinder des Linzer Stadtteils Bindermichl einen besonders verlockenden Charakter besaß. Zumindest meiner Erinnerung nach. Es waren die vielfältigen Schleckereien, die Kaugummis mit den Bildern unserer Fußballidole, die reiche Auswahl an Knallkörpern, der billige Fensterkitt als Munition unserer Blasrohre oder auch die begehrten Platzpatronenrevolver (Marke: Cobra), daß Rosa Bauer für lange Zeit die Begründimg dafür lieferte, warum viele Mütter die chronische Taschengeldknappheit ihrer halbstarken Knirpse nicht nachvollziehen konnten. Die männliche Konnotation von „des gibt's beim Bauer" war keine Verwechslung, sondern die korrekt empfundene Beschreibung der gestrengen Herrscherin unserer Einkaufezentrale. Schon beim ersten Telefonat wirkte Frau Bauer unverändert rustikal.12 Sie sei zwar 86 Jahre und habe sich vor kurzem den Fuß gebrochen, aber trotzdem sei sie am besten im Geschäft zu erreichen. Arbeit behage ihr mehr, „bevor ich eingehe wie eine böhmische Leinwand!"^ Und im Geschäft traf ich sie auch. Unverändert regierte sie hinter ihrem Kassapult. Das Gespräch dauerte nur etwas mehr als eine Stunde, war jedoch sehr offen, v. a. nachdem ich mich als früher Kunde zu erkennen gab, was sie sehr überraschte und berührte. Frau Bauer ist Linzerin und absolvierte ein humanistisches Gymnasium mit Auszeichnimg. Als eine der „schnellsten Schreiberinnen von Linz" fand sie eine Anstellung in der Redaktion der „Tagespost", wo sie auch den Einmarsch der deutschen Truppen in Osterreich miterlebte. Für Frau Bauer ein zentrales Ereignis, das fast bruchlos und harmonisch alle Jahre überstrahlte. Rosa Bauer war Teil einer Einheit in Aufbruchsstimmung: „Rosa Bauer: Ich stelle mir vor, daß die Leute alle zufrieden waren. Das war das Wichtigste. Denn es hatja doch so viele Arbeitslose gegeben. Und auf einmal haben sie alle was zu tun gehabt und haben alle ein Geld gehabt. Und keiner hat gemeckert oder sonst irgendwas. Meckern tun sie 12 Auch der autoritäre Ton provozierte Reminiszenzen: Ich weiß nicht mehr, ob ich gekündigt wurde oder selbst kündigte, als ich ^jährig während meiner ersten Ferialpraxis in ihrem Malereibetrieb eben deswegen die Arbeit verweigerte. - Felix de Mendelssohn wollte mich in der Supervision an dieser Stelle nicht entlassen. Auch ich hatte ein Geheimnis, das ich (aus Scham? aus Vorsicht?) nicht preisgeben wollte, und verstärkte damit unbewußt die Balance der selektiven Mitteilung. 13 Eine sehr altösterreichische Redewendung, die in vielen Varianten eine Abschätzung, Wertminderung, Unvermögen etc. transportiert.

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jetzt, weil sie in Pension geschickt -werden. Aber damals hat keiner gemeckert. Ich könnte mich nicht erinnern, daßje wer gesagt hätte: ,Nein, es stimmt etwas nicht.' Unter solche Leute bin ich nicht mehr gekommen. (...) Wie gesagt, ich kann mich eigentlich nicht erinnern, daß irgendwer unzufrieden war. Die Not war ja eigentlich groß, wie die Deutschen reingekommen sind. Und das hat sich dann alles praktisch in Wohlgefallen aufgelöst. Es hat natürlich einige gegeben, die mit den Deutschen nicht einverstanden waren, aber - wir waren eigentlich dann alle Großdeutschland. Das istja dann wieder zerfallen. Das sich das alles anders ausgewirkt hat, das haben wir ja alle miteinander nicht gehofft oder gefürchtet. Wir haben ja alle nur an das Gute geglaubt. Wer nicht? Nein, ich bin so überrascht, daß Sie mein Geschäft kennen und daß Sie da aufgewachsen sind." Die Auflösung der N o t in allgemeines Wohlgefallen wird in der Erzählung brüchig. Widerstand versus großdeutsche Einigkeit; Holocaust und Kriegsvernichtung (in der Formulierung „anderer Auswirkung" neutralisiert) versus der Glaube an das Gute - der Glaube an den Führer. Als dieser in Linz einmarschierte, fand Rosa Bauer einen ausgewählten Platz der Beobachtung. Bis heute zeigt sich Frau Bauer in zweifacher Korrektur irritiert, ob der allumfassenden Begeisterung „ihrer" Mädchen, die die erwartete Räson von „Glaube und Schönheit" sprengten und die sexuelle Konnotation dieser Begeisterung offenbarten. „Rosa Bauer: Ich erinnere mich an einen Vorfall, da habe ich mich — muß ich fast sagen - ein bißchen geschämt für meine Mädchen, die Mädchen. Ich warja auch schon eine ältere, war ja schon über 20. Aber wie der Hitler mit seinen Soldaten reingekommen ist, da bin ich am Hauptplatz, so beim Fenster habe ich heruntergeschaut. Da war es kalt. Und da haben sie geschrieen die Mädchen vom B - oder wie haben sie geheißen? Karl Fallend: BDM (Bund Deutscher Mädchen, Anm. d. Verf.] Rosa Bauer: BDM ja. Die haben geschrieen:,Lieber Führer, komme bald, unsere Füße sind schon kalt!1. Das habe ich gehört. Und dann sind sie gekommen die Soldaten, und da haben sich die Mädchen raufgehängt an denen. Also ich muß sagen, das hat mich gestört. Furchtbar. Die jungen Männer, die haben sie direkt weggetaucht die Mädchen. Ich haV das gesehen vom Fenster. Das hat mich gestört. Das war so unweiblich. Dazu war ich nicht erzogen. Aber das werde ich auch nicht vergessen, das war ein Bild, das ich nicht sehr gerne in Erinnerung behalte. Aber ich vergess' es nicht, weil ich es immer wiedersehe." Die anhaltende Enttäuschung über das erotische Verhalten der Mädchen, „ihrer Mädchen", weckte bei mir die Phantasie, daß Frau Bauers Begeisterung über die natio-

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nalsozialistische Machtübernahme auch in organisierter Form ihren Ausdruck gefunden hatte. Das Wohlgefallen überdeckte in der Erzählung jegliche Widersprüche, Widerstände und Leid. Ausnahmen gehörten zur gern aufgenommenen Regel und einzig als notwendiges Unrecht erinnerlich. Ansonsten war für die Mitte Zwanzigjährige die nationalsozialistische Machtübernahme eine Erlösung und Grundstein eines Wohlstandes, der ihr bis heute andauert. Die Geschichte der Hermann-Göring-Werke verfolgte sie vom ersten Tag an. „Karl Fallend: Haben Sie St. Peter'4 gekannt? Rosa Bauer: Naja sicher. Die Leute haben dort ein schönes Garterl gehabt und alles mögliche, Geflügel und was sie dort so gehabt haben. Das hat halt sein müssen. Ich mein ', das war der einzige Druck, der da richtig ausgeübt worden ist. Aber das hat halt einfach dazugehört. Dann mit den Stickstoffwerken, die unmittelbar daran gekommen sind, das war seinerzeit, muß ich sagen, die Erlösungfür die armen Leute in Osterreich. Wir waren ja damals ein armes Landl. Daß das so gekommen ist, das war ein Gliukfür uns. Und daß es den Leuten heute gut geht und verhältnismäßig sehr gut geht, muß man sogar sagen, daß ist doch alles nur die Folge von der Zeit damals, wie die reingekommen sind im 38er Jahr." Bereits am 2. April 1938 - die Spatenstichfeier erfolgte am 13. Mai - wechselte Rosa Bauer ihre Arbeitsstelle und wurde Sekretärin von Erich Diessler15, dem leitenden Direktor des gesamten Einkaufs der Alpine Montan Aktiengesellschaft „Hermann Göring" Linz. Für Frau Bauer ein Karrieresprung, der ihr auch ein wesentlich besseres Gehalt bescherte. Schon im Probemonat bekam sie ihrer Erinnerung nach 200 Reichsmark, während das Gehalt bei der „Tagespost" 150 Reichsmark betrug. Jeder Nagel, jedes Stück Holz ging durch unser Büro", erinnert sich Frau Bauer mit anhaltender Begeisterung, auch ob der machtvollen Position in der euphorisierten Aufbruchsstimmung. Viel Arbeit, aber: „An und für sich war es eine schöne Zeit, eine schwere Zeit." Mit der Nähe zur Macht wuchs auch das Selbstwertgefuhl bis in ungeahnte Höhen.

14 St. Peter war jenes Dorf, das geräumt und geschleift und an dessen Stelle die Hermann-Göring-Werke errichtet wurden (vgl. Karl/Kurowski, 1998). 15 Erich Diessler leitete die ersten Arbeiten zur Gründung der Linzer Hütte und der Wohnungs-Aktiengesellschaft. Ihm oblag die Errichtung der Büros, Einstellung von Personal, Verbindung mit der Alpine Montan-AG, Wien, sowie der organisatorische Aufbau des Gesamtunternehmens. E r besaß Prokura für die Reichswerke „Hermann Göring" und die Wohnungs-Aktiengesellschaft. Ihm wurde nach Zusammenlegung der Hütte Linz mit der Alpine Montan der Zentraleinkauf für die gesamte Alpine Montan (Wien, Linz, Eisenerz, Donawitz, Leoben, Graz, Köflach, Zeltweg, Fohnsdorf, Krieglach, Neuberg) übertragen. Quelle: Zentralarchiv der VA-Stahl. Personalbüro. Akte: Erich Diessler.

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„Rosa Bauer: Und hie und da: Der Diessler war irgendwie weitschichtig verwandt - glaube ich - mit dem Hitler oder was da gewesen ist. Und da haben wir immer eine Verbindung hergestellt auf dem Berghof. Eine telefonische Verbindung mit dem Berghof. Das ist auch gegangen. Da war ich immer sehr stolz, muß ich sagen, wenn ich die Verbindung - hab' natürlich den Hitler nicht an den Apparat gekriegt, sondern irgendeinen Läufer, aber wir haben immer die Verbindung hergestellt auf den Berghof. Und wenn ganz was Wichtiges war, ist das auch über den Berghofgegangen, und das ist dann runtergekommen nach Linz und ist dann über die Abteilung Einkauf abgewickelt worden." Rosa Bauer mußte aber bald und widerwillig erfahren, daß sich die Hoffnung der Vereinheitlichung „Wir waren eigentlich dann alle Großdeutschland" als Illusion erwies. „Ein Führer" - ja; aber: „ein Volk", „ein Reich" hatte eine Steigerungsfähigkeit, die sich in der innerbetrieblichen Hierarchie im historischen Spannungsverhältnis zwischen Deutschland und Osterreich bemerkbar machte. Die Zuspitzung dieser Inkompatibilität erfuhr sie in der Person des Sekretärs des Generaldirektors Pleiger, namens Heimhardt, den Frau Bauer mit „Ein ziemlicher ein Scharfer, ein ziemlicher Österreich-Fresser, der hat sie nicht recht mögen die Österreicher" charakterisierte. Die resolute Parteigängerin wollte diese Zweiteilung nicht anerkennen und mußte dafür büßen. „Rosa Bauer: Und da bin ich gleich mit ihm zusammengekracht und hab'gesagt: ,Sie, ich bin auch eine Österreicherin.'6 Ich wünsche von Ihnen nicht abgewertet zu werden.' Und darauf hat er gesagt, er wird sich revanchieren. Und das hat er dann auch getan. Karl Fallend: In welcher Form? Rosa Bauer: Mein Mann hat am 5. Jänner die Einberufung bekommen. Schon am 5. Jänner. Und er hätte das verhindern können, -weil wir ja als Firma Bauer, als Malereibetrieb Bauer, sehr viele Baracken gestrichen haben. Da sind dann die ganzen Fremdarbeiter hineingekommen. Die haben wir gemacht, und das hat er dann. Er hat einfach einrücken müssen. Mein Mann ist dann Gott sei Dank zurückgeblieben. Aber das hatja nichts zur Sache." Ein Einschnitt sowohl im Gespräch als auch im biographischen Verlauf. Frau Bauer hatte inzwischen den Besitzer eines Malereibetriebes geheiratet, der ihrer Ansicht nach in direkter Konsequenz ihres betrieblich-hierarchischen Protests in den Krieg ziehen

16 Die genaue soziale Verortung äußerte sich am Beginn des Gespräches noch in einer Fehlleistung, denn kurze Zeit später wiederholte Frau Bauer diese Konfrontation mit den Worten: „Wie gesagt, mit dem Heimhardt bin ich einmal zusammengekracht, weil ich gesagt habe: ,Sie, ich wünsche von Ihnen nicht als Ausnahme behandelt zu werden. Ich bin auch eine, eine Ostmärkerin und bin auch nicht gescheiter wie die anderen da."'

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mußte,17 in Kriegsgefangenschaft geriet und - wie sie mir erzählte - als Folge davon früh im Jahre 1959 verstarb. Hier, wo Schuldgefühl und Trauer kurz vor die Sprache gelangte, erfolgte der Abbruch. „Das hat nichts zur Sache." Wesentlich hingegen scheint die wirtschaftliche Kompensation. Ende Dezember 1939 quittierte Frau Bauer mit der ersten Schwangerschaft ihr Arbeitsverhältnis in den Hermann-Göring-Werken, wußte jedoch ihre alten Verbindungen geschäftstüchtig zu nutzen. Uber die Wohnungsaktiengesellschaft der Reichswerke folgten Großaufträge: die Malereiarbeiten für die Barackenunterkünfte der Fremd- und Zwangsarbeiter. „Rosa Bauer: Und ich habe dann den Malereibetrieb geführt. Bis Ende 42, weil dann hat er aufgehört und gesagt: ,Das geht nicht.' Ich habe schon das dritte Kind gekriegt. Da hat er dann den Betrieb stillgelegt, und da haben wir zu malen aufgehört. Aber wir haben ja so wahnsinnig viel Baracken gemacht, angestrichen und das alles. Karl Fallend: Wo? Rosa Bauer: Alles in der Umgebung von Linz. Da sind alle diese Fremdarbeiter untergebracht gewesen. Da hat es - das muß ich ehrlich sagen - nie was gegeben. Die Leute waren zufrieden. Haben nie geschimpft oder sonst irgend etwas, daß ihnen was nicht gepaßt hätte. Nicht, so wie sie es heute glauben: heute sagen sie, sie verlangen alle was, weil es ihnen schlechtgegangen ist. Das ist überhaupt nicht wahr. Es hat damals überhaupt keine Verdrießlichkeiten gegeben. Die Leute waren zufrieden. Haben ihre Arbeitszeit gehabt und haben ihr Essen gehabt. Und waren in den Baracken ordentlich eingerichtet. Sogar Vorhänge an den Fenstern sind genäht worden. Also es hat überhaupt nichts gegeben." Es hat überhaupt nichts gegeben. Das kurze Gespräch mit Frau Rosa Bauer war die Reminiszenz einer prototypischen Tradierung zeitgeschichtlicher Erfahrungen, wie sie mir ständig begegnete.'8 An ihrem Lebensabend befindliche Menschen, die als junge Erwachsene während der nationalsozialistischen Herrschaft ihre massenhaft geteilte Euphorie mit sozialem Aufstieg zu liieren vermochten, aber das zur Alltäglichkeit mutierte Unrecht nicht mehr registrieren konnten bzw. wollten und im Rückblick eine weitgehend störungsfreie Geschichte - nostalgisch kultiviert - konservieren. Die fast ausschließliche Konzentration auf wirtschaftlichen Aufschwung und völkische Zusammengehörigkeit verheimlicht die rassistische Definition derselben und legt jenen Resonanzboden offen, auf den noch aktuell Politiker „eine ordentliche Beschäftigungspolitik im Dritten Reich" rühmen und auf Zustimmung bauen können. Im Verschweigen des Terrors von Zwangsarbeit und Konzentrationslager gerät eine derartige Ge17 Nach Frau Bauers Erinnerung war der Bruder Heimhardts der Wehrbeauftragte von Linz. 18 Auch in meiner wissenschaftlichen Forschung; vgl. Fallend, 1997; Fallend, 1999.

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schichtsbetrachtung zur Lüge. Vernichtung, Krieg ist nach außen verlagert: „... wie dann praktisch die Kriegsgefahr im Laufen war" - so Frau Bauer - , „da muß ich sagen, da haben sich die Leute schon ein wenig gefürchtet. Da waren sie alle schon ein bißchen verängstigt. Da haben sie aber gesagt, wir brauchen uns nicht furchten, weil der Krieg wird sich nicht da in Osterreich abspielen. Der geht irgendwo über Polen hinaus." Selbst als der Malereibetrieb Bauer „total ausgebombt" wurde, bleibt dieser Irrtum schicksalhaft und ohne politischer Korrektur. Übrig bleibt die illusionäre Sehnsucht einer ungebrochenen Lebensbilanz mit positivem Ausgang, in der die Summe an Erfahrungen, Leiden und Entbehrungen undifferenziert und ohne Selbstkritik zu einer Einheit verschmelzen, die ein Mitleid(en) ausschließt. Und so endete das Gespräch und eine Wiederbegegnung: „Rosa Bauer: Wir sindja dann eh - mein Mann istja dann in russische Gefangenschaft gekommen. Und wir sind dann evakuiert worden nach Hofkirchen an der Trattnach. Und dann, wie er wieder runtergekommen ist aus Rußland. Dann haben wir wieder zum Arbeiten angefangen, weil wir sindja total bombenbeschädigt gewesen. Unser Betrieb war in der Hammerlingstraße, der Malereibetrieb. Leicht war es nicht. Aber es ist gegangen. Wir haben es geschaßt. Ich hoffe, daß alle zufrieden waren mit mir, für das, was ich geleistet habe. Aber wie gesagt: Ich kann nur das eine sagen. Ich bin zu nichts gezwungen gewesen. Ich habe alles freiwillig gemacht. Alles. Nein, aber daß Sie mein Geschäft kennen. Drehen Sie ab -"

„VON DER GRÜNEN W I E S E ZUM HOCHOFEN" Als Ruth Beckermann in ihrem Film Jenseits des Krieges" Besucher der Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht interviewte, waren u. a. besonders die Aussagen eines Mannes einprägsam, der sichtlich verzweifelt einfach nicht begreifen konnte, warum viele seiner einstigen Klassenkameraden, die wie er selbst Schreckliches erlebt und gesehen hätten, nach 1945 seinen Schilderungen keinen Glauben schenken wollten. Sie könnten wider besserens Wissen seine Erinnerungen nicht mehr teilen.19 Jan Phillip Reemtsma formu-

19 „Schon beim R A D haben wir das mit eigenen Augen ... mit eigenen Augen über den Zaun das gesehen. Aber ich werfe niemandem vor, daß wir das gesehen haben, sondern, daß man im Jahre '46 zu Hause, wenn man davon sprach, von den Kameraden, die das auch gesehen haben, gehört hat, es wäre nicht gewesen. (...) Und das Besondere an dem, daß wir es gesehen haben, ist ja nicht, daß wir es gesehen haben, sondern, daß viele dann im '46 Jahr gesagt haben: Das war nicht, das haben wir nicht gesehen" (Beckermann, 1998, 81 f.).

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lierte dafür eine plausible Erklärung: „Wahrscheinlich ist die Antwort auf dieses psychologische Rätsel einfach. Diejenigen, die voller Überzeugung sagen, sie hätten dergleichen nicht gesehen und auch nie davon gehört, haben diese Ereignisse damals nicht als Verbrechen wahrgenommen - darum sind sie für sie im furchtbaren Einerlei des großen Ganzen aufgegangen. Der eine, der die Ereignisse in Erinnerung behalten kann, hat sie bereits zum damaligen Zeitpunkt als Verbrechen wahrgenommen. Auch das menschliche Erinnerungsvermögen hat ein moralisches Fundament" (Reemtsma, 1997, 30). Gerade in der Zusammenschau der unterschiedlich erzählten Lebensgeschichten verblüfft immer wieder, wie sehr - trotz gleichem historischem Ort - die Wahrnehmungen menschlichen Leids auseinanderklaffen. Eine Opfer-Täter-Dichotomie als Erklärungsansatz ist dafür nicht ausreichend. Auch der „soziale Ort" ist von Relevanz, um die zur alltäglichen Normalität mutierte Inhumanität noch als solche wahrzunehmen. Gesellschaftlich aufwärts steigen die Prämien für diesen Realitätsverlust, vor allem dann, wenn die sozialen und wirtschafdichen Anerkennungen kontinuierlich aufrecht bleiben. „Ich war von 1938 bis 1942 Generalsekretär der damaligen Hermann-Göring-Werke unter Generaldirektor Fritz Sprick20 aus Bielefeld", schrieb Otto Pähl aus Mannheim auf unser Inserat, er würde gerne „aus seiner damaligen Zeit erzählen" (sie!) und fügte handschriftlich samt Unterstrich hinzu: „in Linz bekannt als Assessor Pähl (nicht PgV Ein Treffen wäre in der Wachau möglich, wo er regelmäßig seinen Sommer verbringe. Auch wenn verneinte Betonungen aus psychoanalytischer Sicht immer aufhorchen lassen, war ich vorerst einmal sehr neugierig auf Erzählungen und Erinnerungen eines so ranghohen Angestellten der Hermann-Göring-Werke und fuhr erwartungsvoll Richtung einer Wachauer Pension - so meine Vermutung. Ich staunte nicht schlecht, als ich den Landsitz der Familie Pähl betrat. Frau und Herr Pähl hießen mich herzlich willkommen und versprachen mir vorneweg eine Führung durch das im 18. Jahrhundert erbaute Haus, das von zwei Türmen aus dem Jahre 1640 überragt wird und von Weingärten umgeben ist, die jeden Weinliebhaber mit der Zunge schnalzen lassen. Das wuchtige Interieur entsprach dem denkmalgeschützten Gebäude, und mir war in dieser musealen Umgebung unbehaglich zumute. Herr Pähl ließ mich rasch die geringe Chance spüren, mein Prinzip der promillelosen Autosteuerung aufrechtzuerhalten, um in die burschenschaftlich anmutende Atmosphäre einzutauchen. Bei köstlichem „Chardonnay - Französische Traube" erzählten mir beide gemeinsame Facetten und Stimmungslagen ihrer erlebten 20 Fritz Sprick (geb. 1898) war ein mächtiger Mann. In der Zeit vom April 1938 bis April 1942 sowie vom Oktober 1944 bis September 1945 war Sprick vom Beginn des Baues der Hermann-Göring-Werke in Linz als Direktor und Vorstandsmitglied bei der Hütte Linz als kaufmännischer Leiter tätig. Monatsbezug: 6.166 Reichsmark. Fritz Sprick war auch Generalbevollmächtigter der Hütteverwaltung Westmark der Reichswerke A . G . Hermann Göring. N a c h dem Zusammenbruch führte er als einzig vorhandenes Vorstandsmitglied alle Geschäfte, bis er am 7. September 1945 durch Generaldirektor Malzacher beurlaubt und von den Amerikanern inhaftiert wurde. Quelle: Zentralarchiv der VA-Stahl. Personalbüro. Akte: Fritz Sprick.

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Zwangsarbeit - Sklavenarbeit in den Reichswerken Hermann Göring am Standort Linz

Geschichte. Otto Pähl ist Jahrgang 1910. Der 88jährige wirkte körperlich schon sehr gebrechlich, er hörte schon schwer, war aber von geistiger Frische. Frau Pähl, die mit am Tisch saß, empfand ich anfänglich als störend im Gesprächsverlauf, bis sich herausstellte, daß ihre über 60jährige Beziehung, die während des gemeinsamen Studiums begonnen hatte, auch gemeinsam erzählt werden mußte. Frau Pähl wußte freilich in wichtiger Kontrollfunktion am besten mit ihren Unterbrechungen, gezielten Fragen, Korrekturen und Ergänzungen die Erzählungen mitzugestalten. Otto Pähl stammte aus Tauberbischofsheim bei Würzburg. Seine Studien zum Juristen absolvierte er in Frankfurt, Freiburg, Kiel, Hamburg und Heidelberg. Uber eine Annonce in der „Frankfurter Zeitung" - Herr Pähl war inzwischen der SA beigetreten wurde er auf die Stelle eines Assessors in der juristischen Abteilung der HermannGöring-Werke in Linz aufmerksam, die er mit der Werksgründung durch die Räumimg von St. Peter 1938 aufnahm. Ein dreiviertel Jahr später wurde er zum Generalsekretär des Konzerndirektors Sprick ernannt und damit in die Betriebsleitung aufgenommen. Für den 28jährigen ein immenser Karrieresprung, der ihn mit einer Machtfulle ausstattete, die ihn und seine Frau noch heute schwärmen läßt. („Frau Pähl: Er wäre furchtbar gerne wieder - . Es hat ihm dort sehr gefallen. Eben, weil das halt was Großes war." „Ein kolossaler Aufbruch".)21 „ Otto Pähl: So haben wir angefangen. In den Hotels haben wir die Büros gehabt. Dann erst wurden die ersten Büros gepachtet. Ich war dann bis zum Schluß da. Frau Pähl: Also deinen Spruch, den du immer sagst:, Von der grünen Wiese bis zum Hochofen.' So war das. (...) Das interessiert mich an sich, daß sich jemand dafür interessiert, weil wenn jemand ,Hermann Göring', das ist immer was ganz Furchtbares. Was ganz Furchtbares ,Hermann Göring'. Aber das war dann doch ganz gut für die Stadt Linz. (...) Also du hast dich beworben und bist in die Rechtsabteilung gekommen. Und dann habt ihr die Bauern aufgekauft, die Sachen zum Teil enteignet. Die haben es aber gerne gegeben. Otto Pähl: Ja, die haben das gerne verkauft, weil wir haben einen guten Preis bezahlt. Karl Fallend: In St. Peter. 21 Ganz ähnlich lesen sich die Erinnerungen seines Arbeitskollegen Johannes Meissner, ebenfalls Assessor unter dem gemeinsamen Vorgesetzten Dir. Sprick. Meissner, auch Jg. 1910, seit 1934 SS-Mitglied, war verantwortlich für die Zwangsräumung des kommenden Hüttengeländes St. Peter/Zizlau: „Eine solche Aufgabe, wie ich sie damals, 27 Jahre war ich, als ich nach Linz kam, bekam, mit einer derartigen Verantwortung für 4 5 0 0 Menschen, daß denen nichts passierte, daß die angemessen und manierlich aus dem Hüttengelände herausquartiert wurden, das war schon eine erhebende Aufgabe, und der fühlte ich mich natürlich verpflichtet, und wenn Sie mich fragen, was meine zweite Heimat ist, dann sage ich sofort: ,Linz!"' (Karl/Kurowski, 1998,180).

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Otto Pähl: Ja, vor Linz da draußen, wo jetzt das Hüttenwerk ist. Wir haben also kaum Streit gehabt, daß einer nicht verkaufen wollte. "22 „Von der grünen Wiese bis zum Hochofen." Otto Pähl war Teil der Realisierung einer Größenphantasie, die ungebrochen erhalten war. Dementsprechend tief sitzt auch die Kränkung, wenn die Anerkennung verweigert wird. Die Erinnerungen klammern an einer vermeintlich neutralen Industriegründung. In einem „wie auch immer" ist man sich jeglichen Unrechts entledigt, und es bleibt Verständnislosigkeit. Frau Pähl spricht auch für ihren Mann: „Frau Pähl:... Aber wenn man jemand begegnet - wir sind vor einiger Zeit mal einer Gruppe begebet beim Wandern., Wo kommen Sie her?1, Von Wien?' ,Nee, wir kommen von Linz. Ein Wanderverein von der VOEST.' ¿4h, da war ich auch mal. ' Und als mein Mann erzählt hat, was er war in den Hermann-Göring- Werken, da sind die fluchtartig dann weggelaufen von ihm. Die können doch froh sein, daß es - wie auch immer - gegründet wurde. Karl Fallend: Wieso sind die

weggelaufen?

Frau Pähl: Ja, die haben doch dann das Gespräch abgebrochen. Ich weiß noch genau, daß sie das Gespräch abgebrochen haben, weil sie mit einem Hermann-Göring-Mann nichts zu tun haben wollen. Aber ja, gut. " Man wandte sich ab vom „Hermann-Göring-Mann", was beide in der Idealisierung einer biographischen Blütezeit nicht verstehen konnten. „Es war halt was Großes", an dem Herr Pähl mitwirkte, was seine Größe mitbestimmte. „Furchtbar gerne", so Frau Pähl, „hätte er nach dem Krieg wieder dort angeknüpft", was er auch probierte. Trotz aller Kontinuität, die Herr Pähl für sich privat gestalten konnte, mußte er doch einen Bruch zur Kenntnis nehmen. Nur: Die Erklärung dafür folgt dem privaten Kontinuum und wird damit zur Bagatelle. Denn nicht die hohe Repräsentation einer faschistischen Diktatur, die machtvolle Position im Dienste eines Unterdrückungssystems fand zur Problematisierung, sondern die Reduktion auf einen zufälligen Schnappschuß.

22 Die Harmonisierung der Darstellung war nicht auf Dauer aufrechtzuerhalten. Einige Zeit später relativierte sich die Streidosigkeit:

J?rau Pähl:... Aber du sagst, die sind nicht enteignet •worden. Da war schon ein Druck dahinter. Otto Pähl: Ja, sicher. Druck war dahinter."

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Zwangsarbeit - Sklavenarbeit in den Reichswerken Hermann Göring am Standort Linz

„Otto Pähl: Ja, ja da bin ich Adolf Hitler gegenübergestanden. Also bei der Einweihung des ersten Hochofens im Oktober 1941, da habe ich als Generalsekretär die Karten ausgegeben.23 Da hatte ich die Erlaubnis, 25 Karten auszugeben, und da habe ich die Nummer 2 6 mir selbst gegeben. Infolgedessen haben die Amis mich 1945 überall gesucht, weil sie Fotos hatten von den Teilnehmern an der Hochofen-Eröffnung. Eine österreichische Freundin hat mir gesagt: ,Du darßt nicht kommen, du wirst sofort verhaftet.' Frau Pähl: Und es warja auch nichts. Wir sindja kurz danach gleich wieder in Linz gewesen." Und am Ende des Gesprächs: „Karl Fallend: Haben Sie nach dem Krieg noch viele Leute kennengelernt, ehemalige Arbeitskollegen von den Hermann-Göring-Werken? Otto Pähl: Wenig. Man istja nicht hergekommen. Das war am Anfang schwierig. Ich bin zum ersten Mal wieder 47 oder 48 hier gewesen. Weil ich ja ausgeschrieben war zur Verhaftung. , Große Bilder' haben mir österreichische Mädchen gesagt,.suchen die Amis dich'. Weil ich die Nummer 26 war beim Hochofen, beim Hitler. Ich war deutlichst." „Deutlichst" war Herr Pähl mit den Machthabern identifiziert und war zur Fahndung ausgeschrieben. Die suggerierte „kleine Nummer" 26 widerspricht der hohen sozialen Stellung und damit auch der Machtfüille, die der knapp Dreißigjährige genießen konnte. („Ich bin immer mit dem Chef glänzend ausgekommen. Und mit dem Gauleiter Eigruber auch. Da war kein Problem.") Bei ihm ,mußte man vorsichtig sein.' Selbst das Angebot, die Leitung eines großen Hüttenkombinats in der Ukraine zu übernehmen, war keine ausreichende Verlockung, die erreichte Position aufzugeben. „Karl Fallend: Sie hatten ja eine hohe Position? Otto Pähl: Ja, verhältnismäßigja. Karl Fallend: Mit Chauffeur. Frau Pähl: Damalsja. (...)

23 Hier sind für Herrn Pähl anscheinend zwei Festakte in eins verschmolzen. Hider war aus anderem Anlaß in Linz, während am 15. Oktober 1 9 4 1 , als der erste Hochofen angeblasen wurde, Hermann Göring die Z e remonie anführte.

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Otto Pähl: Ja, ich hatte ein tolles Auto. Frau Pähl: Ihr habt's euch gutgehen

lassen.

Otto Pähl: Ich bin mit dem Chauffeur in Rumänien herumgefahren. Ukraine versetzen. Da haF ich Gott sei Dank nein gesagt.

Mich wollten sie ja in die

Karl Fallend: Was tun? Otto Pähl: Da war' ich Chef geworden von einem großen

Hüttenkombinat.

Karl Fallend: Und das wollten Sie nicht? Otto Pähl: Nein, habe ich gesagt. Ich traue dem Frieden nicht, da hinten. Das war gut. Aber ich war hier als Assessor Pähl überall bekannt, weil ich ja der Sekretär des Konzerndirektors war. /iha, da müssen wir vorsichtig sein. Mit eigenem Chauffeur und tollem Auto sah Herr Pähl in leitender Position das Imperium einer wachsenden Kriegsindustrie. In erster Linie bestand seine Aufgabe in der Verbindung mit den einzelnen Hüttenwerken und Bergwerken. Otto Pähl war bei allen großen Geschäftsverbindungen mit von der Partie. Assessor Pähl kam nach Rumänien, Luxemburg, Slowakei, Ungarn, war auch „alle sechs Wochen in Berlin bei der Hermann Göring" und fuhr „x-mal zu den alten Montanwerken im Erzberg, in Donawitz und in der Steiermark", den ganzen Balkan habe er bereist, Verträge abgeschlossen und: „War bei allen großen Konzernvereinbarungen, z. B. bei der Gründung der Stickstoffwerke Ostmark, da war ich auch beteiligt. Die IG-Farben war das damals. Bei diesem Vertrag habe ich auch mitgemacht." Bevor wir zu weiteren Motiven seiner Reisetätigkeit vordrangen, machte mich Herr Pähl auf ein zentrales Spannimgsverhältnis aufmerksam, das sich auch im Gespräch widerspiegelte. Denn nicht nur das Ambiente, auch das südlich gefärbte deutsche Idiom meiner Gesprächspartner wirkte auf mich befremdlich und schaffte Distanz. In Erinnerung an das Gespräch mit Rosa Bauer, die die gefährliche Illusion der Vereinheitlichung zum Ausdruck gebracht hatte - „wir waren eigendich dann alle Großdeutschland" - , legte Herr Pähl das historisch-nationale Konfliktfeld (Deutschland/Osterreich; Reichsdeutschland/Ostmark) auch in der hierarchischen Struktur der Hermann-Göring-Werke offen. „Otto Pähl: Das war ja so. Die Alpine Montan, die hatte ja die österreichischen Hüttenwerke alle unter einem Hut, gehörte aber 1938 schon dem deutschen Stahlwerksverband. Infolgedessen ist bei der Gründung der Göring- Werke - als wir ins Geschäft gekommen sind, gab 's immer Reibereien - aber angegeben, wie es gemacht wird, haben wir in Linz. Wir waren ja über die Her-

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Zwangsarbeit - Sklavenarbeit in den Reichswerken Hermann Göring am Standort Linz

mann Göring in Salzgitter Mehrheitsbesitzer. Also die Wiener Alpiner haben mich nicht sehr geliebt.11 (...)

„Karl Fallend: Wie war denn so das Verhältnis zwischen den Deutschen und Österreichern damals? Otto Pähl: Ja, das war schwierig. Also die leitenden Leute waren fast alle Deutsche. Die waren bei den Wienern als Pieße verschrieen und waren nicht angesehen. Waren also nicht beliebt sozusagen. Das hat sich dann so ergeben, daß man doch zusammenarbeiten mußte, und es ging dann am Ende." Der junge Assessor Pähl war ein Vertreter der Machthaber, was in vielerlei Hinsicht Eindruck hinterließ und auch beeindruckte. Seine neue Machtfölle war nicht nur gefurchtet und beneidet, sondern besaß auch Anziehungskraft. Zum Leidwesen von Frau Pähl blieb der Erfolg bei der Linzer Damenwelt („Frau Pähl:... du hast dich doch gewundert, daß alle Damen der Gesellschaft mit fünf, sechs Abzeichen so immer angetanzt sind.") nicht aus, der auch einem süddeutschen Bonus durch Herrn Pähls Idiom gutgeschrieben war. Deutsche, Reichsdeutsche, Süddeutsche, Österreicher - in Nuancen lag die Möglichkeit einer großdeutschen Selbstdefinition, die für manche je nach Bedarf auch zu ändern war. Im Laufe des Gesprächs mehrfach auf das Verhältnis der Deutschen zu den Österreichern in Linz angesprochen, wußte Herr Pähl diesbezüglich einige Facetten dieses Verhältnisses anzugeben. Frau Pähl unterstützte mich dabei und ergänzte in alter und aktueller Betroffenheit:

„Frau Pähl: Ihn interessiert das Verhältnis zu den Deutschen. Du hast dich ja besonders mit den Österreichern gehalten, während die anderen das nicht. Er hat also sehr viel mit österreichischen Familien Kontakt gehabt. Freundinnen - wir haben uns damals gekannt, waren aber nicht verheiratet. Gel, du hast es gut verstanden, im Gegensatz zu anderen? Otto Pähl: Also, wir waren bei den leitenden Leuten waren wir drei, vier Süddeutsche, die mit Österreichern Kontakt hatten. Alle anderen waren unter sich, die Preußen, die Hannoveraner Kurl}:allend: War so eine strikte Trennung? Otto Pähl: Praktisch. Österreichische Mädchen - meine Kollegen poussierten öfters — wir hatten also Kontakte auch zu den österreichischen Familien und sind bei denen auch aufgenommen worden. Wir wurden da nicht als Pieße bezeichnet, sondern als Deutsche.

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Von der Greil war der Vater Oberlandesgerichtspräsident, da habe ich heute noch Verbindung mit denen. Frau Pähl: Ja, da hat er heute noch Verbindungen. Aber die Deutschen im allgemeinen offenbar nicht." (...)

„Karl Fallend: Haben Sie ihn auch einmal besucht in Linz? Frau Pähl: Nein, wir haben uns mal in Salzburg getroffen und haben uns einmal in Berchtesgaden getroffen, in der Zeit. Die Linzer Damen waren noch im Vordergrund. Otto Pähl: Da war die Gretl Fickeis und dann - wie hat die andere geheißen? Die lebt heute noch, das schönste Mädchen von Linz. (...)

Frau Pähl: Und da hatte er eben Zugang, den die meisten Deutschen eben nicht hatten, wie gesagt, zu einer ersten Familie. Die Deutschen haben das nicht geschafft, die sind so unter sich geblieben. Die Reichsdeutschen. Jetzt ist es ja ganz anders. Jetzt habe ich gelesen, in China würden sich die Deutschen als Österreicher ausgeben, damit sie nicht angegriffen werden." Und noch einmal: „Karl Fallend: Warum glauben Sie denn, war so ein schlechtes Verhältnis zwischen den Österreichern und den Deutschen? Frau Pähl: Weil die Deutschen wahrscheinlich ein bißchen arrogant waren, gel? Otto Pähl: Ja das, und weil wir völlig platt waren, wie nazistisch die Österreicher waren. Karl Fallend: Sie waren platt? Otto Pähl: Ja, wir haben dasja gar nicht geahnt, daß eine solche BegeisterungfiirNazismus war. Frau Pähl: Mein Mann war kein Parteigenosse."

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Zwangsarbeit - Sklavenarbeit in den Reichswerken Hermann Goring am Standort Linz

Herr Pähl erinnerte sich an sein ungläubiges Erstaunen ob der österreichischen Begeisterung für den Nationalsozialismus, der für ihn schon seit fünfJahren internalisiert war. Diesmal war es Frau Pähl, die ihren Mann in betonter Verneinung nicht zu nahe an diese Begeisterung zurückließ und die Geschichte wertfreier gestalten wollte. Es war auffällig, daß Frau Pähl zusehends aufgeregter wurde und in das Gespräch eingriff, während Herr Pähl lieber unter Männern, trinkfest kontrolliert, seine Erfolgsstory weiterzuvermitteln suchte. Zu fortgeschrittener Stunde inklusive Flasche Wein lagen jedoch die Gedanken näher zutage. Der aktuelle Zusammenhang von historischem Interesse und gesammelter Anklage begann spürbar das Gespräch zu bestimmen und bewegte sich dichotomisch zwischen Legalität und Illegalität, Anklage und Verteidigung, Frei- und Schuldspruch. In diesem Sinne war es Frau Pähl, die das „Verfahren" einleitete und die eigentliche Motivation der ausgedehnten Reisetätigkeit ihres Mannes offenlegte, die in der Rekrutierung von Fremd- und Zwangsarbeitern bestand. Und das - ich verhörte mich - auf allerhöchster Ebene: „Karl Fallend: Es ist natürlich jetzt auch viel in Diskussion wegen den Zwangsarbeitern, die dort gearbeitet haben. Auch KZ-Häftlinge. Deswegen istjetzt auch ein großes öffentliches Interesse von dieser Geschichte zu erfahren. Frau Pähl: Ja, und du hast gesagt, du bist auch mal hingeschickt worden in die Slowakei Otto Pähl: Nach Ungarn, beim Neusiedler See. Frau Pähl: Nein, du hast gesagt, in die Slowakei bist du hingeschickt worden, um solche Arbeiter zu werben. Otto Pähl: Ja, war ich auch. Frau Pähl: Da bist du doch auch hingeschickt worden. Zu dem Tiso14 bist du doch hingeschickt worden. Karl Fallend: Wie war der Name? Frau Pähl: Das war doch damals - der ist doch, glaube ich, dann geköpft worden - vom Hitler eingesetzt worden. Der war Pfarrer, glaube ich. Der war Präsident von der Slowakei.

24 Josef Tiso ( 1 8 8 7 - 1 9 4 7 ) katholischer Priester und führendes Mitglied der slowakischen Volkspartei. 1938 Ministerpräsident und von 1939 bis 1945 Staatspräsident der Slowakei. Wegen Kollaboration mit dem nationalsozialistischen Regime am 1 8 . 4 . 1947 hingerichtet.

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Otto Pähl: Ja, Tiso. Mit dem habe ich wiederholt verhandelt. Da haben wir Arbeiter (...) Otto Pähl: — angeheuert. Ganz legal war das. Da habe ich ein paarmal mit dem Tiso, da habe ich sogar mal zu Mittag gegessen einmal in Preßburg. (...)

Karl Fallend: Wie haben sich solche Verhandlungen abgespielt? Otto Pähl: Das ist ganz normal gewesen. Kein Druck. Frau Pähl: Kein Druck, meinst du? Otto Pähl: Und die Slowaken sind ganz gern gekommen. Auch die Zwangsarbeiter, die Franzosen, die ich im Burgenland angeworben habe für Linz, die waren heilfroh. Frau Pähl: Da waren doch keine Franzosen. Otto Pähl: Französische Kriegsgefangene. Die waren heilfroh, als ich die nach Linz geholt haV. Das waren ein paar tausend. Frau Pähl: Und dann hast du mir noch erzählt, daß die Tschechen und Slowaken ein sehr schlechtes Verhältnis gehabt haben. Otto Pähl: Ja, immer. Frau Pähl: Und die Tschechen wollten mehr sabotieren, und die Slowaken haben Otto Pähl: Ja, die haben das verhindert. Das war beim Aufbau, da haben wir immer.; wenn so Arbeitsgruppen waren, da gab 's oft Störungen, Kabeldurchschnitte oder so, während der Pause. Und da haben wirjetzt immer zu den Tschechen ein paar Slowaken. Dann hat das sofort aufgehört. Da habe ich sogar ein Ehrending gekriegt, weil ich das veranlaßt habe. Nie mehr die Tschechen allein, es sollen immer zwei Slowaken dazukommen. Und die haben die Sabotageakte verhindert. Das waren sehr viel. Da haben sie Kabel durchgeschnitten oder sonst was gemacht. Frau Pähl: Jetzt noch einmal, weil Sie sagen - ich hab's noch nié gelesen - bei uns haben die VW und alle Firmen, haben ja Schwierigkeiten - hat die VOEST auch Schwierigkeiten?



Zwangsarbeit - Sklavenarbeit in den Reichswerken Hermann Göring am Standort Linz

Karl Fallend: Schwierigkeiten ist übertrieben. Aber es ist natürlich ein öffentliches Interesse, auf Grund von Mercedes und anderen Konzernen -

(•••) Frau Pähl: - Ich bin ja nach wie vor der Ansicht, das war sicher schlecht, daß sie haben arbeiten müssen. Aber, die haben arbeiten können, die sind wenigstens nicht umgebracht worden. (Bandwechsel) „Ganz legal", „kein Druck", „alle waren heilfroh" - das war selbst für Frau Pähl nicht glaubhaft. Sie provozierte die Widersprüche in Herrn Pähls geglättetem Geschichtsbild, die besser im Weinkeller verbannt waren. Just mit dem Bandwechsel war auch die Themensequenz beendet. Frau Pähls Relativierungen fixierten bzw. beendeten die Gefahrenzone, und sie holte für den weiteren männlichen Austausch der Erfolgsgeschichte noch eine Flasche Wein. Mit Jänner 1942 fand dieser biographische Höhepunkt ein jähes Ende. Weil der Vorgesetzte Sprick „zufällig (!) in der Schweiz war", konnte er nicht verhindern, daß der UKgestellte Herr Pähl zur Wehrmacht nach Esdand einberufen wurde. Herr Pähl war einer der wenigen aus dieser mangelhaft ausgerüsteten Einheit, die überlebten. Der Weg zurück nach Linz war versperrt. Herr Pähl war ja zur Fahndung ausgeschrieben. Es boten sich aber andere Möglichkeiten, Kontinuitäten aufrechtzuerhalten. Zum Beispiel blieben die Beziehungen mit seinem ehemaligen Vorgesetzten Fritz Sprick aufrecht,25 der bis 1945 in Linz war und danach - so Herr Pähl - in Düsseldorf branchentreu einen Eisenhandel betrieb. Ebenso Herr Pähl, der sich nach 1945 in der familiären Eisen- und Stahlhandelsfirma engagierte, der er zuletzt bis zu seiner Pensionierung als Generaldirektor vorstand. Nicht ohne Stolz bilanzierte Herr Pähl den aktuellen Jahresumsatz auf 350 Millionen D-Mark und auch nostalgisch, daß die V O E S T zu seinen ehemaligen Geschäftspartnern zählte. Selbst die Liebe zur Wachau und der gewählte Alterswohnsitz waren nicht frei von emotionalen Kontinuitäten, die mir Herr Pähl mit abschließender Hausführung offenbarte. „Otto Pähl: Also in Linz bei Hermann Göring war ich alle sechs, acht Wochen in Krems, da war ein Stahlwerk. Das gehörte nicht zu den Göring, aber wir haben sehr viel zusammengearbeitet. Da waren immer Sachen zu besprechen, deswegen bin ich mit dem Chefchauffeur alle sechs, acht Wochen hier gewesen durch die Wachau. Da hat mir die Wachau sehr gut gefallen. Und nach dem Krieg war das eben unmöglich." 25 Auch Herrn Pähls Arbeitskollege Johannes Meissner setzte sich sofort nach dem Krieg mit seinem ehemaligen Chef Sprick in Verbindung, dem es auf Grund seiner bestehenden Kontakte nach Linz gelang, dem früheren SS-Mann wieder eine Beschäftigung in der V O E S T zu organisieren (vgl. Karl/Kurowski, 1998, 182).

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1971 war es dann endlich soweit. Der finanzkräftige Eisen- und Stahlhändler hatte zwar ernsthafte und prominente einheimische Konkurrenz beim Kauf des Wachauer Landgutes, doch zogen sie den kürzeren - „Das hat ihnen nicht gefallen, den Österreichern, daß der Piefke den Zuschlag erhielt." Sichdich genoß er noch immer den kleinen Triumph. Vielleicht war es auch Genugtuung eines gekränkten Stolzes, für die mangelnde Anerkennung des Hermann-Göring-Mannes, der von der grünen Wiese bis zum Hochofen ... Vielleicht war es auch ein Grund, sich auf unser Inserat zu melden, aber sicher nicht der einzige.

„ D A HABEN WIR UNS EIGENTLICH N I C H T S G E D A C H T " Das letzte Gespräch, das sich auf Grund unseres Inserates ergab, führte mich nach Scharnstein. Ein kleiner Ort im Süden von Oberösterreich, wo Theresia Mayrhofer ihre Kindheit verbrachte und heute ihren Lebensabend gemeinsam mit ihrem Mann verbringt. Die Begegnung mit dem Ehepaar Mayrhofer unterschied sich von den vorangegangenen in mehrerer Hinsicht. Sie schrieb uns: „... Ich habe von 1941 bis 1945 in der Hollerith-Abteilung der damaligen Hermann Göring Werke gearbeitet und diese Kriegsjahre mit all seinen Schrecken und Entbehrungen mitgemacht. In dieser Abteilung haben damals überwiegend Mädchen gearbeitet und ein Teil dieser jetzt zu älteren Damen mutierten seinerzeitigen Mädchen trifft sich alljährlich im Herbst, gemeinsam mit den noch Aktiven der jetzigen EDV-Abteilung, um Erinnerungen auszutauschen und das Gefühl der Zusammengehörigkeit zu pflegen." Frau Mayrhofer war im Gegensatz zu den anderen Zeitzeugen, die sich auf das Inserat meldeten, weder in einer gehobenen Stellung noch im Umkreis machtvoller Positionen in den Hermann-Göring-Werken tätig, sondern auf der unteren Skala der hierarchischen Ordnung beschäftigt. Nicht der Bruch des Machtverlusts erwächst hier zur Problemhaftigkeit, sondern eine aktualisierte diffuse Angst - oft entsprechend der einstigen Machtlosigkeit im nachhinein mit Verantwortungen konfrontiert zu werden, die man nicht zu tragen imstande ist. Ein häufig zu beobachtendes Phänomen. Allein die Problembegegnung erzeugt Widerstand, Abwehr und schließlich Wertlosigkeit. Außer man ist unter sich. Frau Mayrhofer ist hierin eine Ausnahme, und sie weiß dies zu begründen. Andere Kollegen und Kolleginnen in ähnlicher Position - meinte sie - „sind überhaupt auch als Arbeitnehmer so gewesen, wenn wir soviel Uberstunden haben machen müssen. Sie haben sich nicht verteidigt in ihren Rechten. Ich war schon immer kämpferischer - weil ich das eben als Kind gelernt habe, in den 30er Jahren." Es ist heute wie damals. Auf meine

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Frage: „Untereinander, ist da politisch geredet worden, was so passiert?" antwortete sie: „Nein. Eigendich nicht - Sie sehen ja, wie die Leute heute noch sind, und so waren sie damals auch. Ja nicht was sagen oder eine Äußerung machen - das ist heute noch genauso. J a nichts sagen, damit ich nichts Falsches sage.' Angstlich eben." Dieser Befund hat allgemeinere Gültigkeit und liefert einen weiteren Hinweis für die geringe Anzahl der Reaktionen auf unser Inserat. Hinzu kam, daß Frau Mayrhofer mit ihrem Mann ein ausgeprägtes Interesse für zeitgeschichtliche Fragen entwickelt hatte, beide mit Offenheit und Neugier einer Aufarbeitung der Vergangenheit gegenüberstanden und selbst die Kontroversen untereinander nicht scheuten.26 Gleich zu Beginn des Gespräches kam dies zum Ausdruck und barg etwas Verzweifeltes, das damalige Erleben mit den späteren Erkenntnissen nicht in Einklang bringen zu können. „ Theresia Mayrhofer: Und die KZler.; die gearbeitet haben: Wir haben gewußt, es gibt ein KZ, aber, daß die vergast worden sind, das haben wir nicht gewußt. Und das glauben so viele nicht. Sogar mein Mann sagt immer: ,Das müßt ihr gewußt haben.1 Auch meine Söhne - überhaupt derjüngere sagt: ,Mama, das kannst du mir nicht sagen, das müßt ihr gewußt haben!i Ludwig Mayrhofer: Richtige Auseinandersetzungen haben wir da schon gehabt." Auseinandersetzungen ist wördich zu nehmen. Auch zahlreiche Videoaufzeichnungen über TV-Dokumentationen zur Zeitgeschichte („Die werden leider immer weniger" so Frau Mayrhofer) wurden angefertigt, und selbst mit dem Computer weiß man umzugehen, um die verschiedensten zeitgeschichtlichen Daten und Fakten zu sammeln. Die autobiographische Motivation ist unzweideutig, um in der zeitgeschichtlichen Beschäftigung die Irritationen vergangener Jahre zu integrieren: „Ludwig Mayrhofer: Ich habe einen Schulkollegen gehabt, ich bin ja auch im Jahre 42/4.3 in die Schule gegangen - und der Schulkollege von mir war im Hause des Gauleiters Eigruber, weil sein Vater dort so eine Art Hausmeister war. Ein Mann für alles. Und wir haben manchmal gemeinsam gelernt. Da bin auch ich zu ihm in die Villa gegangen, weil dort Karl Fallend: Wo war das? Ludwig Mayrhofer: Am Bauernberg, in der Nähe des Märzenkellers. Dort ist die sogenannte Eigruber-Villa gewesen. Da bin ich zum ersten Mal dazugekommen, daß im Garten auf einmal 26 Auch hierin war das Gespräch eine Ausnahme, da nach meiner bisherigen Erfahrung ältere Ehepaare im gemeinsamen Auftreten, durch die jahrzehntelange Gemeinschaft geformt, auch die Geschichtsbetrachtung unisono zur Darstellung bringen.

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gestreift gekleidete Leute arbeiteten, bewacht von SS mit Maschinenpistolen im Anschlag und Gewehren - ich war ganz verblüfft damals alsjunger Mann. Da hab' ich zu meinem Kollegen gesagt: Ja was ist denn das?' Ja', sagt er, ,das sind KZler von Mauthansen, die hier beim Eigniber mähen müssen. '2? Unkrautjäten und alle diese Dinge. Und von dort an habe ich eigentlich zum Studieren angefangen und haF eigentlich viel darüber nachgedacht. Ich habe auch einen weiteren Schulkollegen gehabt, den sogenannten H. Bäcker28 - ich weiß nicht, ob Ihnen der ein Begriff ist, das ist ein Literat, der über Mauthausen schreibt usw., und dieser Mann war damals ein fanatischer Nationalsozialist und war ab 1942 im Gaupresseamt beschäftigt. Der hat auf Grund seiner Erlebnisse, so wie ich sie gehabt habe mit den KZlern, weil er nicht einrücken hat dürfen, weil er behindert war, hat er natürlich mitbekommen, welche grauenhaften Dinge hier sich ereigneten in der Nazizeit. Er hat dann rapid die Fronten gewechselt und ist heute ein Theresia Mayrhofer: Ein Linker Ludwig Mayrhofer: - und Antifaschist, ein Linker, der über so Geschichten wie die Hasenjagd usw. schreibt und auch Lesungen abhält. Wir werden ihn demnächst zu einer Lesung einladen. Da sieht man, wie man so hineinwächst und wie man dann erfährt, was wirklich los ist." Zu guter Letzt und für mich völlig überraschend, gab es sogar persönliche Verbindungen : Der Vater von Herrn Mayrhofer war Mitglied des Republikanischen Schutzbundes, der nach dem Februar 1934 in die Tschechoslowakei floh, illegal zurückkehrte und zu sechs Monaten schweren Kerker verurteilt wurde. Der arbeitslose Spezialist für Schiffsdieselmotoren fand schließlich eine Anstellung als Straßenwalzenfahrer. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Osterreich bekam er nach x-fachen Verhören durch die Gestapo im Jahre 1939 in der Organisation Todt im Straßenbau eine Beschäftigung. „Ludwig Mayrhofer: ...ich war selbst dabei - ich habe das als Kind noch miterlebt - wie im Jahre 38 oder 39 zu ihm KZ-Häftlinge gekommen sind, die aus Dachau gekommen und entlassen worden sind. Das hat esja damals noch gegeben. Die sind also zu meinem Vater gekommen und haben ihm berichtet, was sie dort erlebt haben. Ich kann mich heute noch an ein Gespräch erinnern, das ich als ca. 15- oder iqjähriger gehört habe, was sie in Dachau gemacht haben, um die Psyche der Leute zu brechen."

27 Einer dieser Mauthausen-Häftlinge war Stanislaw Gorondowski, der über seine Erlebnisse im Jahre 1965 berichtete (Gorondowski, 1993). 28 Heimrad Bäcker, Jg. 1925, in Linz wohnhaft, gründete 1968 die Zeitschrift „texte" und 1976 den Verlag edition neue texte. Vertreter der konkreten Poesie. Veröffentlichungen: seestück (1985), nachschrift (1986), epitaph (1989), nachschrift 2 (1997).

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Vom antifaschistischen Vater erfuhr Herr Mayrhofer sehr bald die politische Situation einzuschätzen, auch über die Greuel in den Kriegsgefangenenlagern, die der Vater zu sehen bekam. Ludwig Mayrhofer kam als junger Wehrmachtssoldat zu einer Panzereinheit für Inspektionsfahrten auf dem Balkan. „Auf der anderen Seite, und zwar in Gebieten, wo ich auch war", kämpfte ein Mann als Arzt in einer Partisaneneinheit - wie sie aus einer TV-Dokumentation erfuhren. Sie bestellten das Video, kauften seine Bücher und begannen einen Briefwechsel. „Ich habe ihm geschildert, daß ich mich interessiere, ob er uns ein wenig schreibt, wie alles war. (...) Und ich habe ihm alles geschrieben, was ich alles am Balkan erlebt habe." Ich war nicht wenig erstaunt, weil es sich bei dem einstig feindlichen Gegenüber und aktuell brieffireundschafidichen Visavis um den Züricher Arzt, Psychoanalytiker und Literaten Paul Parin 29 handelte, der seit meinen Studententagen mein wissenschafüiches Vorbild ist, von dem ich theoretisch und auch in persönlicher Bekanntschaft sehr viel gelernt habe. In diesem ungewöhnlichen Ambiente der historischen Auseinandersetzung samt persönlichen Überschneidungen war es in einer offenen Atmosphäre bei Kaffee und Kuchen möglich, über die Lebensgeschichte Frau Mayrhofers und ihre Erfahrungen in den Hermann-Göring-Werken zu sprechen. Ein Ambiente, das jedoch auch etwas Verführerisches in sich hatte. Was in allen anderen Gesprächen mehr oder weniger anklang, trat hier mit besonderer Deudichkeit zutage: die emotionale Reproduktion erprobter intergenerativer Auseinandersetzung, hier in ungewöhnlicher Allianz gemeinsamer intellektueller Motivlagen einer historischen Aufarbeitung. Die harmonische Atmosphäre überlagerte die Diskrepanz zwischen emotionalen Kontinuitäten - (die jährlich in den „Alt-Damen-Treffen" auch soziale Bekräftigungen erfuhren) - und intellektueller Bearbeitung, und ich spürte die Neigung, diese Harmonie aufrechtzuerhalten, anstatt die Widersprüche wahrzunehmen und anzuerkennen. Das Fortwirken von einstigen Einstellungen und Werthaltungen, die mit einem Schlag zum Tabu erklärt wurden, ist keine ausschließliche Frage von Bewußtseinsprozessen, sondern findet bequem über das Unbewußte einen Weg zur Aufrechterhaltung.3° So sind in der autobiographischen Erzählung auch Emotionen im Spiel, die historisch tief eingetaucht sich aktualisiert an diffusen Schuldgefühlen beteiligen und oft Verteidigungshaltungen angesichts vorweggenommener (Selbst-)Vorwürfe nach sich ziehen. 29 Paul Parin (Jg. 1916) ist in Slowenien aufgewachsen, studierte Medizin in Graz, Zagreb und Zürich und war 1944/45 freiwilliger Arzt in der jugoslawischen Partisanenarmee. Seine Erfahrungen hat er v. a. in zwei Büchern festgehalten: „Untrügliche Zeichen von Veränderung. Jahre in Slowenien" (1982); „Es ist Krieg und wir gehen hin. Bei den jugoslawischen Partisanen" (1991). 30 Für diese Irritation ist mir immer ein Ereignis gegenwärtig, das ich andernorts beschrieben habe: „Vor edichen Jahren wurde ich - gemeinsam mit meinem Freund Hermann - zum ersten Mal Zeuge einer Neo-Nazi-Demonstration am Hauptplatz unserer Heimatstadt Linz. Nachdem wir uns beide kurz in die kleine Gegendemonstration eingereiht hatten, besuchten wir unmittelbar danach, noch völlig empört und aufgeregt, die Eltern meines Freundes, der ihnen von dieser rechtsradikalen Veranstaltung erzählte. Die

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Frau Mayrhofer wuchs in ärmlichen Verhältnissen in Scharnstein auf. D e r Vater arbeitete in einem Sensenwerk, bis er im J a h r e 1 9 3 9 als Hilfsarbeiter in den H e r m a n n G ö r i n g - W e r k e n Arbeit mit besseren Verdienstmöglichkeiten fand. D i e Familie M a y r hofer war keine Ausnahme, die es auf G r u n d ihrer ökonomischen Situation von weit her nach L i n z ziehen sollte. „Theresia Mayrhofer: (...) Es hat auch meine Schwester in den Hermann-Göring-Werken arbeitet. Es sindja sehr viele runter von Scharnstein in die Hermann-Göring-Werke. noch die Kinder in Linz wohnen, weil sie dann einen VOESTler

ge-

Wo heute

geheiratet haben. Aber es hat

sich ein jeder verbessert. Darum istja immer der Vorwurf:, Warum habt ihr euch nicht gerwehrt gegen den Einmarsch?1 Aber es war halt Arbeit da, und so eine Not muß man einmal miterleben, wie wir sie gehabt haben." D i e Tochter war äußerst lerneifrig („Hab' immer lauter Einser gehabt"), hatte aber keine Möglichkeit einer weiteren Schulbildung. Sieben Klassen Volksschule, mehr w a r v o m Vater nicht zu bezahlen. Neidisch blickte sie beim Arbeitsdienst auf die Maturantinnen, die dem Traum Frau Mayrhofers, Lehrerin zu werden, unerreichbar nahe waren. Als A b waschhilfe holte sie die Hauptschulprüfung und wenig später die notwendige Handelsschulprüfung nach, um ein wohlangesehenes Angestelltenverhältnis zu erreichen. Ihr Arbeitsplatz ab 10. Februar 1 9 4 1 : der Maschinensaal der Hollerith-Abteilung der H e r mann-Göring-Werke in Linz. Die Familie fand eine W o h n u n g am Spallerhof, und auch die Arbeitsposition verbesserte sich. D e r Vater, der anfänglich als Hilfsarbeiter gearbeitet hatte, steigerte sich mit Hilfe der Partei zum Beschäftigten in den Versorgungsbetrieben.

Mutter meines Freundes - ich nenne sie Frau Berger - ein herzensguter Mensch, die Frau eines Stahlarbeiters, die noch nie ein lautes Wort verlor und sich noch nie für Politik interessiert hatte, teilte spontan die Empörung ihres Sohnes mit den Worten: ,Unterm Hitla hätts des net gebn!' Vorerst waren wir verblüfft ob des politischen Widersinns, der doch lautete:,Unter Hitler hätte es keine Nazis gegeben.' Doch bald wurde uns klar, daß die politisch-historische Realität vorerst wenig gemein hatte mit der sich artikulierten psychischen Realität. Frau Berger ist Jahrgang 1930 - war also 8 Jahre alt beim Einmarsch der deutschen Truppen - Tochter eines ausgesteuerten, glühenden illegalen Nationalsozialisten in einem kleinen Dorf im Salzkammergut. Der Glaube an den Führer nahm in dieser Familie religiöse Formen an. Das Hitlerbild hing neben dem Kruzifix. Als der Krieg vorbei war, war Frau Berger 15 Jahre. Mit 20 bekam sie ihr erstes von fünf Kindern, wurde eine aufopfernde Mutter und Hausfrau. Eine politisch-historische, geschweige eine emotionale Aufarbeitung hatte nie stattgefunden; Wiederaufbau und Hochkonjunktur ließen Waschmaschine, Auto und Eigenheim Realität werden. Berichte über den Nationalsozialismus in den öffentlichen Medien provozierten eher psychische Abwehr als Aufarbeitung. Die emotionale Verbindung zur Geschichte blieb v. a. über die Identifikation mit dem geliebten und gefürchteten Vater aufrecht. Das oft als kleines Mädchen gehörte , Unterm Hitla hätts des net gebn!' - sicher auch , Unterm Hitla wirds des net gebn!' - überlebte die Jahrzehnte, bar der politisch-historischen Dimension, kindlich konserviert, als Synonym für Ordnung, Ruhe und Sicherheit, die schon der fuhrende und geführte Vater versprach" (Fallend, 1997, 13 f-).

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„Theresia Mayrhofen Dann ist er -praktisch unter dem Krieg - weggekommen, weil er bei der NSVhauptamtlich tätig war. Und weil er Magazineur war, hat er dort auch das Kiichenmagazin geleitet. Die Betreuung von Flüchtlingen. Da hat er ehrenamtlich so viel gemacht, daß sie ihn dann hauptamtlich angestellt haben. Dadurch hat er zur Partei müssen - obwohl die NSV eine Wohlfahrtsorganisation war, eine Nebenorganisation der Partei. -" Als Frau Mayrhofer Anfang 1941 ihren Dienst antrat, übersiedelte die neue LochkartenDatenverarbeitung vom Linzer Hauptplatz in das Betriebsgebäude II des Werksgeländes. Die Arbeit an den Loch- und Prüfgeräten war Frauensache. „Dort waren wir über 30 Mädchen." Der Chef war ein Mann: der Deutsche Wilhelm Kratz, der zuvor bei Krupp in Essen tätig war.(GCV, 1995, 207). Für Frau Mayrhofer eine Selbstverständlichkeit, wobei im allgemeinen - auch in weiblicher Perspektive - alte Einschätzungen aufrecht blieben: „ Theresia Mayrhofer: Er war schwach als Vorgesetzter - ist sich nicht ganz sicher gewesen in seiner Arbeit. (...) War eben ein typischer Angestellter. Der hat sich bei den Maschinen nicht so ausgekannt. Nur organisatorische Fähigkeiten hatte er. Karl Fallend: Wie war allgemein die Stimmung, einen Deutschen als Vorgesetzten zu haben? Theresia Mayrhofer: Das war damals üblich, überhaupt am Spalierhofwaren doch so viele Deutsche. Das war gar nicht problematisch — im Gegenteil, die waren sehr kollegial. Die sind gekommen aus dem Saarland, wo die Stahlwerke waren. Es sind viele dagewesen, aber die waren sehr mit den Arbeitern verbunden. Aber wie gesagt, da ist wieder mal einer, ¿1er ist ein Beißer - es kommt immer vor allem auf den Menschen darauf an. Aber in der Kriegszeit, da hast du zusammenhalten müssen. Das ist gar nicht so kraß gewesen wie vielleichtjetzt, wenn wo ein Deutscher da ist und:,Mensch müssen s' da einen Deutschen hertun, haben eh in Osterreich auch welche. 'So ist es heute. Aber damals war es so, da waren wir ,ein Volk, ein Reich, ein FührerEs gab keine Grenze. (...) Es hat Freundschaften gegeben mit den Deutschen - die haben recht gefeiert und recht getrunken. Das war bei unseren Leuten nicht so, weil sie vor 5 8 alle arm waren und wenig Grund zum Feiern hatten. Die haben eine Stimmung gebracht. Es haben überall vis-à-vis, wo wir ausgebombt wurden, Deutsche gewohnt. Es waren schon ein bisserl Unterschiede in den Wohnungen. Der Bindermichl ist überhaupt ganz extrem nur für die Arbeiter gewesen, während im Keferfeld wieder Reihenhäuser waren. Dawar schon ein Unterschied zwischen Angestellten und Arbeitern.11 Anders als bei Frau Rosa Bauer und Herrn Otto Pähl erscheint in der Erinnerung von Theresia Mayrhofer die Machtverteilung von oben nach unten, die in den HermannGöring-Werken auch in einem deutsch-österreichischen Zusammenhang stand,

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störungsfrei. Ohne Grenzen sogar, auch wenn die gebrachte Stimmung eindeutig lokalisiert wird. Für Frau Mayrhofer begann im Maschinensaal der Hollerith-Abteilung ein neuer Lebensabschnitt. „Wieder das Streben, etwas zu werden und etwas lernen zu können." Über dreißig Frauen arbeiteten in dieser Abteilung, der Großteil aus dem Stadtteil Kleinmünchen, die ohne erlernten Beruf als Hilfsarbeiterinnen beschäftigt waren. Unter ihnen zwei Französinnen - Frau Mayrhofer bezeichnet sie einmal als „Fremdarbeiterinnen", einmal als „Zwangsarbeiterinnen" - die „politisch nicht einwandfrei" waren und auch eifersüchtig beäugt wurden. Denn, so Frau Mayrhofer: „... die sind sehr gut behandelt worden. Besser als wir. Die eine war eine richtige Französin, und die andere war eine Elsässerin, deutscher Abstammung. Karl Fallend: In welcher Form besser behandelt? Theresia Mayrhofer: Also arbeitsmäßig, wenn wir oft einen Staucher bekommen haben oder wenn Luftschutzalarm war, haben die Locherinnen und Prüferinnen mit den Maschinen in den Luftschutzkeller laufen müssen, und den beiden sind sie getragen worden. Denen hat man das nicht zugemutet. Also die sind vorzüglich behandelt worden. Da gibt es gar nichts. Und wenn französische Kriegsgefangene draußen gearbeitet haben und diesen eine Schokolade reingegeben haben, dann kann man doch nichts sagen. Die haben dann französisch gesprochen, wir haben sie nicht verstanden, was die gesprochen haben." „Die richtige Französin" war im Maschinensaal untergebracht, die Elsässerin im Lochersaal. Die einsamen Minoritäten fielen nicht auf, und so gibt es auch nichts Weiteres zu erzählen. Während man den sozialen Aufschwung mit festem Arbeitsplatz, gutem Verdienst, samt Betriebsausflügen und betriebssportlichen Aktivitäten als solchen vorteilhaft wahrnehmen konnte, war mit der Fortdauer des Krieges, auch durch die Absenz der kriegstauglichen Männer bedingt, das Leben zusehends von der Arbeit bestimmt. Arbeitsweg, Schichtarbeit und Uberstunden dominierten den Alltag, und durch die äußere Bedrohung war man immer mehr auf sich selbst konzentriert. Fremde Leiden waren bald aus den Augen und somit aus dem Sinn. Nach dem Bombenangriff am 4. N o vember 1944 auf Linz wurde die Locherei und Teile der Hollerithmaschinen zuerst auf dem Spallerhof und im Dezember nach Straß-Emling bei Alkoven ausgelagert. „In der Früh sind wir mit dem Z u g raufgefahren und am Abend heimgefahren. Das war eine Strapaze. Dann haben wir oft nach einem Angriff gar nicht mehr in den Bahnhof einfahren können. Bei Leonding draußen war es aus. Wie wir mit der Lokalbahn gefahren sind, haben wir zu Fuß gehen müssen. Die Straßenbahn war bombardiert. Und in der Früh haben wir wieder beim Z u g sein müssen. Das kann man sich gar nicht vorstellen."

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„1944 durch stärker werdende Bombenangriffe Verlegung der Abteilung aus dem Werksgelände nach Straß-Emling"

.Betriebsausflug nach Schwertberg, 1942"

.Betriebssport, 1941"

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Am 20. Dezember des Jahres wurde auch die Spallerhof-Wohnsiedlung ausgebombt. Übrig blieben geteilte Bedrohungen und Ängste, die sich zu einer Leidens-(Solidar-)Gemeinschaft formten und rückblickend alles andere Tun politisch isoliert in eine weitverbreitete, vermeindich wertneutrale Kategorie münden lassen: Pflichterfüllung. Wieder kommt zum Zeitpunkt des Gespräches eine Aktualisierung vergangener Stimmungslagen zur Sprache: „ Theresia Mayrhofen Mir kommt heute das Grauen, wenn ich das höre von den Bombenangriffen in Jugoslawien, da höre ich wieder die Flieger, wenn sie gekommen sind. Damals waren natürlich die Bomber anders, aber man hört das, wenn man im Luftschutzkeller sitzt. Da fühlt man schon mit den Leuten, wenn die jede Nacht undjede Nacht zittern. Aber zermürbt haben sie uns deswegen nicht. Ich war keine eingefleischte Nationalsozialistin oder dem Regime zugetan, aber der Zusammenhalt wird automatisch größer durch diese Erlebnisse. Im Stollen, oder in den Luftschutzkellern, da sind die Leute viel verschworener geworden. - Durch das haben sie die Leute nicht dort hingebracht, wo sie sie haben wollten, gegen das Regime. Es hatjeder seine Pflicht getan und - gearbeitet, was sein hat müssen. Wenn wir um 6 Uhr in der Früh weggefahren sind und um 8 Uhr abends angekommen sind, ist keine Freizeit geblieben. Ludwig Mayrhofen Jetzt hast du geredet wie der Waldheim. Der hat auch nur seine Pflicht erfüllt. Theresia Mayrhofer: Nein. Ich habe immer sehr viel für die NSV kassiert. In der Siedlung am Spallerhof. Das war eine soziale Sache. - Dann haben wir einen Betriebssport gehabt. Veranstaltungen - Leichtathletikbewerbe. Nach zwei, drei Kriegsjahren hat sich das wieder aufgehört. Als die Männer eingezogen worden sind, haben wir wieder Uberstunden machen müssen. Zeitweise ist sogar Schichtarbeit eingeführt worden. (i Herr Mayrhofer brachte die Gesprächssequenz auf den Punkt: die Aussage des Präsidentschaftskandidaten Kurt Waldheim - während des Nationalsozialismus „nur seine Pflicht erfüllt zu haben, wie Hunderttausende Österreicher auch" - als Revitalisierung der österreichischen Opferthese, die vielmehr einem verbreiteten Geschichtsbild entsprach. In den familialen Positionierungen innerhalb der nationalsozialistischen Gesellschaft tritt das Dilemma zutage. Die „führende Position" des Vaters im N S V und die Schwester als BDM-Führerin machen es Frau Mayrhofer schwer, die Negation ihrer Selbstbeschreibung aufzulösen bzw. umzukehren: „keine eingefleischte Nationalsozialistin"; „dem Regime nicht zugetan". Auch der Rückzug auf eine „soziale Sache" schafft keine Befreiung, um aus der Familienbande auszusteigen. Die pronazistische Umgebung in unmit-



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telbarer familärer Nähe verhindert - verstärkt durch eine bedrohliche Situation (hier: drohende Lynchjustiz) - ein Verständnis für die unterschiedlichen Leidenserfahrungen, das nur im Vergleich aufgebracht werden kann, wobei die politischen Kategorien verlorengehen. „ Theresia Mayrhofen Im Hummelhof wald sind 7 oder 8 Leute erschlagen worden, von KZlern. Das sagtja auch niemand. Weil da wäre mein Vater dabeigewesen. Es waren ja sehr viele Südtiroler am Spallerhof die umgesiedelt worden sind. Die waren ja alle sehr arm. Die hat mein Vater betreut. (...) Da war ein anderer Südtiroler.; der ist ins KZ gekommen - aber nicht politisch, sondern er war kriminell. Und wie er dann rausgekommen ist, hat mein Vater die Betreuung übergehabt, und der hat nichts bekommen, weil erja kriminell war. Und nach dem Krieg sind die geholt worden, die halt so fuhrende Positionen gehabt haben, während der Nazizeit. Die haben um 8 Uhr im Hummelhofwald sein müssen, und dort sind sie erschlagen worden. Da wäre mein Vater auch dabeigewesen. Aber er hat eben diese Küche geleitet, die nach dem Krieg die UNICEF für die Betreuung der Flüchtlinge eingerichtet hatte, und deswegen wurde er verschont. Viele unschuldige Leute waren im KZ-genauso sind von uns unschuldige Leute bestraft worden, wie von den anderen ja auch. Die Bonzen sind nach Amerika geflohen. Denen ist nichts geschehen. Oder wie viele ins Salzkammergut geflüchtet sind. Aber die Kleinen haben sie geholt. Heute ist das Bad am Hummelhof, aber niemand weiß von den Toten. Ich habe nichts gegen eine Gedenkstätte, aber von den anderen weiß auch niemand, daß da acht Leute irgendwo im Hummelhofwald begraben liegen." Die Diskrepanz zwischen den „führenden Positionen" versus „den Kleinen" liegt in der Angst um den Vater begründet. Die Frage von Schuld und Unschuld verlagert sich ausschließlich nach oben, zu den „Bonzen". Nach unten verschwimmen die Täter-OpferGrenzen, weil schon Jahre zuvor die Wahrnehmimg dafür verlorenging und nicht mehr wiedergewonnen wurde. „KarlFallend: Haben Sie irgend etwas mitgekriegt von den KZ-Außenlagern? Theresia Mayrhofen Nein. Ludwig Mayrhofen Arbeiten mußt du sie gesehen haben. Theresia Mayrhofen Ja, arbeiten hat man sie gesehen. Aber sonst nichts. Es istja auch so gewesen, die haben ja gar nirgendswo anders hingehen dürfen. Haben sie auch nicht können. Weil wenn die Arbeitszeit aus war, haben sie heimfahren müssen. Du hast nicht herumgehen dürfen im Werk in der Mittagspause. (...)

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Karl Fallend: Wie war das in Ihrer Wahrnehmung, wenn Sie da die KZ-Häftlinge arbeiten gesehen haben? Theresia Mayrhofer: Da haben wir uns eigentlich nichts gedacht. Ehrlich gesagt und auch gar nicht darüber gesprochen. Daß du gesagt hättest: ,Nein.' Das war so eine Selbstverständlichkeit, daß da ein KZler gearbeitet hat, weil du eben das andere nicht gemußt hast. Wenn ich gewußt hätte, der kann vergast werden, wäre das anders gewesen, so hat es eben geheißen: ,Ja, der hat politisch irgend etwas -', und das hast du zur Kenntnis genommen. Karl Fallend: Waren dasfür Sie Kriminelle? Theresia Mayrhofer: Nein, gar nicht. Es war halt ein KZ-Häftling, und der ist da eingesetzt und arbeitet. Und es waren auch Kriegsgefangene, und der arbeitet da. Du hast da nichts gefunden daran. Weil du dich gar nicht damit auseinandergesetzt hast." Was hier Frau Mayrhofer retrospektiv über ihre alltägliche Wahrnehmung von Menschenunterdrückung zum Ausdruck bringt, ist von allgemeiner Bedeutung. Ulrich Herbert hat in seiner klassischen Studie „Fremdarbeiter. Politik und Praxis des »Ausländer-Einsatzes' in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches" darauf zusammenfassend hingewiesen, daß auf Grund des zunehmend eigenen leidvollen Erlebens kein Platz mehr war, das Massenelend der Fremdarbeiter als solches wahrzunehmen. „Die Ausländer waren einfach da und gehörten zum Kriegsalltag wie Lebensmittelkarten oder Luftschutzbunker. Die Diskriminierung der Russen und Polen wurde dabei ebenso als gegeben hingenommen, wie die Kolonnen halbverhungerter Menschen, die täglich durch die Straßen der Städte in die Fabriken marschierten. Auch die eigene bevorrechtigte Stellung ihnen gegenüber war nichts Exzeptionelles, nichts, worüber man sich Gedanken machte. Eben das aber machte das Funktionieren des nationalsozialistischen Ausländereinsatzes aus: daß die Praktizierung des Rassismus zur täglichen Gewohnheit, zum Alltag wurde, ohne daß sich der einzelne daran in Form aktiver Diskriminierung oder Unterdrückung beteiligen mußte" (Herbert, 1986, 358). Das Massenelend wird nicht mehr als Einzelschicksal wahrgenommen und verschwimmt im großen Ganzen. Die Sicht darauf wird vom eigenen leidvollen Erleben überschwemmt und dann ad personam festgehalten. Die außergewöhnliche intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Bruch von 1945 hat nicht per se eine emotionale Aufarbeitung zur Folge; oft hilft sie diese zu verhindern, um in einer Aufrechterhaltung vertrauter Kontinuität, Erschütterungen früher Identifizierungen zu vermeiden. Und so bleibt auch in der sprachlichen Kollektivierung des menschlichen Leids - „die Zwangsarbeiter", „die KZ-Häftlinge" - eine alte Wertvorstellung aufrecht und auch eine Abwehr verborgen, weil sich im Ubermäßigen eine Einfühlung verweigert bzw. nicht mehr zugelassen werden braucht.

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Die Gespräche, die in das vorangegangene Kapitel Eingang gefunden haben, wurden in den Monaten April und Mai 1999 unternommen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits einige Erinnerungsinterviews mit ehemaligen tschechischen Zwangsarbeitern der Linzer Hermann-Göring-Werke durchgeführt. Bereits die Zusammenschau dieser unterschiedlichen Schicksale und Lebensentwürfe zeigte die Stringenz des ehemaligen Repressionssystems, indem meine Gesprächspartnerinnen über die jeweiligen Erlebnishintergründe der anderen absolut nichts zu berichten wußten, obwohl sie über Jahre auf engstem Raum zusammengetroffen waren. Die Entscheidung, zuerst mit ehemaligen tschechischen Zwangsarbeitern Kontakt aufzunehmen, war freilich primär organisatorisch begründet, wobei sich jedoch in diesen Erleichterungen bereits wesentliche Aspekte des Forschungsthemas widerspiegelten. Die Entfernung von Linz zur tschechischen Grenze sind gerade mal 60 Kilometer. Das Gefühl, einen Besuch in der Nachbarschaft abzustatten, war nur durch den erlebten Eisernen Vorhang gedämpft, der sich jedoch mehr bei mir als bei meinen Gesprächsspartnern mental als Fremdheit niederschlug. Oft hatte ich gar den Eindruck, als ob durch die geographische Nähe und die jahrzehntelang fast unüberwindlichen Grenzen zwischen der Tschechoslowakei und Osterreich auch Idealisierungen befördert worden wären. Osterreich als fast greifbar nahe Projektionsfläche für die unerfüllten Wünsche, die durch die Unterdrückungen und Entbehrungen unter der kommunistischen Herrschaft stetig wachgehalten und genährt worden waren. Mehrfach irritierte mich die scheinbare Problemlosigkeit im Umgang mit den erzwungenen Jahren in Linz. Ein Umgang, der gar nostalgisch anmutende Züge annehmen konnte. So erging es mir beispielsweise, als ich folgende Postkarte von Herrn A. aus Budweis erhielt, nachdem ich ihn brieflich um einen Gesprächstermin gebeten hatte (siehe Abb. nächste Seite). Junge Männer^ die, wie auf einer herkömmlichen Ansichtskarte geographisch verortet, sich vor ihrer Baracke - einige lächelnd - zum Gruppenfoto versammeln. Ein Kamerad ist links hinzumontiert, was der Karte eine nachträgliche Heiterkeit vermittelt. Der Schein trügt. Das Gegenteil war der Fall: Herr A. gehörte wie die meisten seiner Kameraden zu den Jahrgängen 1920-1923, die im Jahre 1942 über das Arbeitsamt Budweis zur Zwangsarbeit in den H G W in Linz verpflichtet wurden. Wie bei allen anderen wurde dadurch auch Herrn A.s Lebensentwurf zerstört, Familienbezüge und Liebesbeziehungen zerbrochen - (die Verlobte von Herrn A. kam als Zwangsarbeiterin in die Spinnereifabrik Thierig nach Langenbielau/Oberschlesien; „Die hatte es dort sehr

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schlecht") - und über Jahre als Mensch zweiter Klasse erniedrigt. Um so mehr blieb die Irritation aufrecht, zur Kontaktaufhahme ein Situationsbild in diesem leidvollen Kontext als Ansichtskarte gestaltet zu erhalten. Die Aufhebung der zeitspezifischen bzw. forschungsthematischen Konzentration machte einiges verständlich. Herr Frantisek Stasek (Jg. 1921) schrieb mir in seinem Brief vom 18. Jänner 1999: „Herr Doktor, ich bin fast 78 Jahre alt und daher will ich mich nicht an die unangenehmen Dinge, wie der Angst um mein Leben während der Luftangriffe, dem Essens- und Zigarettenmangel, die Arbeit in der großen Hitze, die Trauer nach meiner Heimat und hauptsächlich an das übergeordnete Verhalten der meisten Deutschen und auch Österreicher zu uns, den Fremden, erinnern." Für Herrn Stasek war der Aufenthalt in Linz von 1942 bis 1945 als eine traumatische Erfahrung noch (bzw. wieder) gewärtig und wollte diese in einem Gespräch nicht Wiederaufleben lassen. Für die meisten anderen meiner tschechischen Gesprächspartner gestaltete sich die Erinnerung an diesen biographischen Einschnitt anders. Es schien, als ob die Unterdrückung der Jahre unmittelbar nach 1945 (insbesondere mit 1949, als die großen poli-

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tischen Schauprozesse begannen) sowie die jahrzehntelange Repression unter kommunistischer Herrschaft die Erfahrungen des erzwungenen Aufenthalts in Linz während der NS-Zeit emotional überschwemmt hatten. Bedrohliche Ereignisse, die erst nach dem historischen Bruch des Jahres 1989 zur Sprache finden konnten. Die Bewertung des Kommunismus bei unterschiedlichen Generationen der Tschechischen Republik war Gegenstand einer empirischen Untersuchung von Christoph Reinprecht. Auf Grund meiner spezifischen Gesprächserfahrung mit ehemaligen Zwangsarbeitern kann ich mich seinem Befund nicht anschließen, daß im Gegensatz zu den Angehörigen der jungen und mittleren Generation, die besonders die Invasion der Warschauer-Pakt-Truppen im August 1968 und die Prozesse der 50er Jahre als düsterste Zeit ihrer Heimat nannten, den Angehörigen der alten Generation die Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg die negativen Erfahrungen im Kommunismus überdeckten (Reinprecht, 1996, 162). Aus meinen spezifischen Erfahrungen gewann ich den gegenteiligen Eindruck. Aber nicht eine Hierarchie des Leidens ist ausschlaggebend für diesen vermeintlichen Widerspruch, sondern die zeitliche Dimension der Traumatisierungen, wie sie Hans Keilson mit seinem Konzept der „sequentiellen Traumatisierung" beschrieb. Keilson wies nach, daß eine Traumatisierung sich nicht in einem punktuellen Ereignis festschreiben läßt, sondern kumulativ durch unterschiedliche traumatische Sequenzen zusammensetzt. In seiner Follow-up-Untersuchung über das Schicksal jüdischer Kriegswaisen in den Niederlanden beschrieb Keilson drei Sequenzen der Traumatisierung: x. Die feindliche Besetzung mit beginnendem Terror; 2. Direkte Verfolgung; 3. Nachkriegsperiode (Keilson, 1991,101). Gerade in der Betrachtung der dritten Sequenz, wo es darum geht, durch adäquate Begegnung auf sozialer und gesellschaftlicher Ebene die Traumatisierungskette zu durchbrechen und dadurch das Gesamtgeschehen zu mildern, liegt die Bedeutung dafür, inwieweit in einer zeitlichen Chronologie die unterschiedlichen Erfahrungen mit unterschiedlichen traumatogenen Elementen integriert und verarbeitet werden können. Keilsons Erkenntnisse sind in unserem Kontext nicht hoch genug einzuschätzen, zumal die Fortsetzung der Unterdrückung nach 1945 keine spezifische Erfahrung der tschechischen Zwangsarbeiter darstellt, sondern alle ehemaligen „OST"-ArbeiterInnen betraf und insbesondere bei ehemaligen Konzentrationslagerhäfdingen durch die vielfaltige Nichtakzeptanz ihrer horrenden Erlebnisse verheerende psychische Folgen - oft nach Jahrzehnten - nach sich zog, die auch in der zweiten und dritten Generation Spuren hinterließ.31 Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, genauer auf die Jahre nach 1945 in der Tschechoslowakei einzugehen. Das quantitative Ausmaß an der Spitze der staatlichen Repression mag als Hinweis dafür gelten, welche Angst und Enttäuschimg die heimgekehrten tschechischen Zwangsarbeiter und Konzentrationslagerhäfdinge in Folge erleben mußten, die sich im Anschluß an den nationalsozialistischen Terror nach Frieden, Wie31 Siehe bsp. Ahlheim, 1985; Epstein, 1990, Grubrich-Simitis, 1984; Kestenberg, 1974; Stoffels, 1991.

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deraufbau und sozialem Aufbau sehnten. Der tschechische Historiker Miroslav Siska schrieb am 16. Februar 1990 in der Zeitschrift „Rüde prävo": „Im Jahre 1949 waren in den Gefängnissen 23000 vom Staatssicherheitsdienst verhaftete Personen. Vom Herbst 1949 bis zum Ende des Jahres 1952 wurden fest 27000 Menschen wegen staatsfeindlicher Tätigkeit angeklagt und von einem staatlichen Gericht verurteilt. Von Oktober 1948 bis Ende 1952 fällte das Oberste Gericht 233 Todesurteile, von denen 178 vollstreckt wurden" (Siska, 1991, 82). Mit dem politischen Prozeß und der Hinrichtung des ehemaligen Generalsekretärs des Z K der KPTsch, Rudolf Slänsky, Ende 1952, war der Höhepunkt brutaler Willkür erreicht. Außer jeder Kontrolle war es möglich, über Leben und Tod unschuldiger Menschen zu entscheiden. Jeder konnte als Feind des Staates und des Volkes bezeichnet werden. Vor allem Menschen, die während der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft inhaftiert waren, schwebten in ständiger Gefahr, der Kollaboration bezichtigt zu werden.32 Auch Herr A., der mir die Postkarte geschickt hatte, wurde Opfer dieser juristischen Willkür. Im Jahre 1950 mußte er für ein Jahr ins Gefängnis, wo er gefoltert wurde. Uber diese Zeit wollte und konnte er nicht mit mir sprechen. Wohl aber darüber, daß es ihm während der Haft gelang, den Sender Rot-Weiß-Rot zu hören und noch der Titel „Heimat dein Sterne, die leuchten wie ein Silberband" („Das war so ein Schlager im Krieg") in sehnsüchtiger Erinnerung geblieben ist. In den Gesprächen mit ehemaligen tschechischen Zwangsarbeitern erschien mir neben der geographischen zuweilen auch eine eigentümliche historisch begründete Nähe spürbar. Allein ihre guten Deutschkenntnisse dokumentierten ein solches Naheverhältnis. Aber auch bei mir wurden ad hoc lose Kenntnisse aus der Volksschule aktiviert, als wir über den stolzen geographischen wie historischen Zusammenhang eines alten Österreichs über die erste Pferdeeisenbahn erlernten, die von Linz nach Budweis geführt hatte. Auch diverse Verwandte in der näheren Umgebung, die Bereicherungen des Speisezettels bis hin zu den namentlichen Spitzen des Staates (Kreisky, Vranitzky, Klima oder Klestil) waren stetige und untrügliche Zeichen historischer Verbindungen, die jedoch in der bewußten Auseinandersetzung wenig verankert sind. Karl-Markus Gauß benannte den noch wirksamen Bann, der über die österreichische Geschichte gesprochen wurde, denn: „Den Nationalsozialisten war die Donaumonarchie mit ihrer Vielfalt an Völkern, die sich stets zu vermischen drohten, ein widernatürlicher Staat, ein etatistisches Vergehen wider die völkische Reinheit gewesen. (...) Als 1945 das nationale Gebot in Kraft trat, die Vergangenheit vergangen sein

32 Großes internationales Aufsehen erregte der Prozeß gegen Dr. Milada Horäkovä im Jahre 1950. (Albert Einstein und Bertrand Rüssel forderten ihre Begnadigung.) Horäkovä war 48 Jahre alt und hatte eine 16jährige Tochter, als sie im Juni 1950 hingerichtet wurde. Seit 1929 Mitglied der Volkssozialistischen Partei organisiert, aktive Mitarbeiterin der Frauenbewegung, wurde sie 1940 von den Nationalsozialisten verhaftet und kam in ein Konzentrationslager. Nach ihrer Rückkehr Abgeordnete in der Nationalversammlung, Vorsitzende des Tschechischen Frauenverbandes und Mitglied des Zentralkomitees (Siska, 1991, 54 ff).

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zu lassen und froh am Kommenden zu bauen, da wurde aber nicht nur die kurze Ära des Faschismus, sondern auch seine lange, in die Monarchie reichende Vorgeschichte aus dem Gedächtnis der Republik getilgt" (Gauß, 1998, 11). Das Gedächtnis vieler meiner tschechischen Gesprächspartner orientierte sich hingegen in anderen Bahnen - nämlich individuell-biographischen. Gerade im Hinblick auf die Zeit ihrer Zwangsarbeiterschaft, als die Donaumonarchie - in der ihre Eltern den Höhepunkt ihres Lebenslaufes erlebt hatten etwas mehr als zwanzig Jahre zuvor in einem Krieg versunken war. Am deutlichsten vermittelte mir dies wieder Herr A. aus Budweis, dessen Vater mit Robert Stolz in einer Wiener Kanzlei des Kriegsministeriums zusammen gewesen sein soll, bevor er Stationskommandant in Trient wurde, wo er mit seiner Frau auch ein Hotel führte und der ältere Bruder zur Welt kam. Schließlich ließ sich die Familie in Ceske Budejovice nieder. Als Herr A. 1942 von dort als Zwangsarbeiter in die Hermarm-Göring- Werke nach Linz kam, fand er die schützende Hand des Schichtmeisters Stelzer („Er war prima") am Mühlbachbahnhof. Stelzers Frau stammte auch aus Budweis, wo sie gemeinsam die Tanzschule besuchten. Ihre Tanzlehrerin hieß ebenfalls A.: Es war die Tante von Herrn A. Mit diesen persönlich grenzüberschreitenden Verbindungen war Herr A. kein Einzelfall. Am markantesten zeigte sich das historische Naheverhältnis in der verbreiteten Kenntnis der deutschen Sprache, was auch forschungsmethodisch von Vorteil war. Selbst bei äußerst einfühlsamen Dolmetscherverhalten ist ein Zwiegespräch nicht zu ersetzen, zumal es sich auch um Erinnerungen an Situationen der Erniedrigung und Demütigung handelt, also Intimsphären und Schamgefühle betreffen. Auf Grund der nur kurzen Möglichkeit eines Beziehungsaufbaus ist die Erweiterung durch Dritte wenig förderlich. Die methodische Erleichterung offenbart andererseits auch eine ambivalente historische Reminiszenz: Deutsch ist die Sprache der ehemaligen Täter, deren Kenntnis einen Vorteil darstellte, weil man auf keine Hilfe angewiesen war, um sich verständlich zu machen und Kontakte knüpfen konnte. Ein Vorteil, den Tausende andere nicht für sich verbuchen konnten und damit eine Hierarchisierung unter den Opfern verfestigte. Die Sprache bildete einen konstituierenden Teil des nationalsozialistischen Privilegierungs- und Unterdrückungssystems, der in den folgenden Gesprächen kontinuierlich zum Thema wurde. Ungeplant ergab sich aus den verschiedensten Kontaktaufhahmen mit ehemaligen tschechischen Zwangsarbeitern, daß verstreute Lebensgeschichten, neben der Gemeinsamkeit des Aufenthalts in den Hermann-Göring-Werken, an einen spezifischen gemeinsamen historischen Ort zusammenführten und zusätzlich direkt mit unserem Projektbeginn in Zusammenhang standen. Ein Ausgangspunkt unserer Forschungstätigkeit war die Auffindung von über 38.000 Personalakten und Lohnlisten in den Kellern des Hochbunkers auf dem Werksgelände. Akten, die penibel Zahlen und Daten aufweisen und statistische Aussagen erlauben. Aber von wem wurden sie produziert? Welche L e bensschicksale verbergen sich hinter der anonymen Autorenschaft dieser alltäglichen Bürotätigkeit? Der Zufall erlaubte es mir, drei davon etwas näher zu beleuchten: Generalvikar Vaclav Dvorak, Jiri Stefanek und Angela Falticek.

Aus dem Lohnbüro der Eisenwerke Oberdonau

Mitarbeiterinnen des Lohnbüros Eisenwerke Oberdonau. Oberste Reihe: zweiter von links J i n Stefanek; zweiter von rechts: Vaclav Dvorak. In der Mitte sitzend (mit Brille): Chef des Lohnbüros Birkenstock. Rechts neben ihm: Angela Fuchs (Falticek)

KATHOLISCHER WIDERSTAND, B E R N A D E T T E UND DER G A R T E N E D E N Einer, dessen Weg nach Linz in das Lohnbüro der Eisenwerke Oberdonau geführt hatte, war Vaclav Dvorak 33 . Zur Zeit unseres Gespräches war Herr Dvorak Generalvikar in Ceske Budejovice. Als ich ihn ebendort im Generalvikariat besuchte, dachte ich in mir gewohnten Bahnen, einem alten Würdenträger zu begegnen, dem nach jahrzehntelanger priesterlicher Tätigkeit schließlich dieses hohe Amt anvertraut worden war. Mitnichten. Gleich zu Beginn unseres Gespräches, als noch etwas Aufregung und Fremdheit die Gesprächsatmosphäre bestimmten, konfrontierte mich der Generalvikar in wenigen Sätzen mit seinem zerstörten Lebensentwurf, und ich folgte irritiert seiner Unterbrechung der Erzählung. Erst im fortgeschrittenen Gespräch vermochten wir (vermochte ich?) zu diesem Punkt zurückzukehren.

33 Den Kontakt verdanke ich Dr. Michael John.

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Zwangsarbeit - Sklavenarbeit in den Reichswerken Hermann Goring am Standort Linz

Vaclav Dvorak, geboren am 28. Dezember 1921, stammte aus einer Bauernfamilie aus Bechyne, nahe der Stadt Tabor in Südböhmen. In Tabor besuchte er das Gymnasium und ging anschließend nach Budweis, um Theologie zu studieren. Am Beginn des zweiten Studienjahres - genau am 24. Oktober 1942 - setzten die neuen Machthaber diesem Vorhaben ein Ende. Männer des Arbeitsamtes Budweis - unter der Leitung eines Herrn Buchner - kamen in das Priesterseminar, um alle Studierenden zur Zwangsarbeit im Deutschen Reich abzuholen. „ Vaclav Dvorak:,Schluß mit dem Studium. Alle fahren nach Deutschland.' Wir mußten um 10 Uhr vormittags alles aufhören und gleich zum Arbeitsamt gehen. Und da haben wir dieses Papier (siehe Faksimile) - zufälligerweise habe ich dieses Papier noch - bekommen. - Während des Kommunismus war ich im Gefängnis, zehn Jahre, und die Kommunisten haben mir alles weggenommen. Alle Papiere, alle Dokumente, aber zufälligerweise das Papier ist irgendwie geblieben. Karl Fallend: Wann waren Sie im Gefängnis? Vaclav Dvorak: Von 1950 bis i960. In Uranminen. Und dann habe ich noch dreißig Jahre in Prag in den Fabriken gearbeitet. Bisjetzt, bis zur Revolu - das war keine Revolution, aber bis zur Wende im Jahre 1989. Also vierzig Jahre war ich nicht in meinem Beruf Erstjetzt nach der Wende konnte ich noch meinen Beruf wiederaufnehmen und weitermachen. Abo wir mußten zum Arbeitsamt - es war Schluß mit dem Studium -, und am selben Tag mußten wir auf dem Bahnhofstehen und um fünf Uhr nachmittags nach Linz fahren. Karl Fallend: Wie haben Sie das erlebt? Vaclav Dvorak: Das war eine solche Überraschung. Wie wir waren, sind wir zum Bahnhofgegangen. Karl Fallend: Alle Ihre Studienkollegen? Vaclav Dvorak: Alle. Alle. Nur vielleicht drei waren vom Arzt als untauglich erklärt worden, also die sind geblieben. Aber sonst, mit dem Studium war Schluß damals." Die Rekrutierung der arbeitsfähigen Bevölkerung des Protektorats hatte auf Grund des „totalen Kriegseinsatzes" gegen Ende des Jahres 1942 immer repressivere Formen angenommen und erfolgte durch Einberufung ganzer Jahrgänge nach militärischem Muster. Die seit 1939 von deutschen Beamten geleiteten Arbeitsämter organisierten im Protektorat das für die deutsche Industrie geforderte Zwangsarbeitssystem und waren besonders gefürchtet. Das Priesterseminar in Budweis war nur einer der vielen Orte, in denen

Aus dem Lohnbüro der Eisenwerke Oberdonau

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279.—

Beiliegend e r h a l t e n Sie d o n bei uns ü b l i c h e n A n s t e l l u n g s v e r t r a g nebst Anlagen in doppelter Ausfertigung. D a s Original wollen Sie uns mit I h r e r unterschritt v e r s e h e n zurückreichen. Anlagen

Heil title; Eisenwerke Obel lonau

Von Werkschutzmännern begleitet und geschützt ging Jiri Stefanek regelmäßig durch den Betrieb, um Löhne auszuzahlen. Dabei wurde offensichtlich, daß im Zahlenunterschied konkrete Leiderfahrung verwoben war und daß auch Bereiche außerhalb der Zahlenwelt des Lohnbüros existierten: Italienische Kriegsgefangene, polnische Arbeiterinnen, russische Putzfrauen oder Konzentrationslagerhäftlinge.

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.Ankunft im Hermann-Göring-Werke-Lager, Februar 1943"

„Die italienischen Gefangenen mußten viel Hunger haben. Ich sah einmal Italiener in Schuhen mit Holzsohlen, und die Fersen waren aus Blech und hatten keine Strümpfe. Und das im Winter. Einmal sah ich, wie sie durch unser Lager -marschierten. Der eine wollte aus dem Abfallkübel eine Kartoffel herausziehen. Da trat zu ihm der Soldat und hat ihn insultiert. Die Leute mußten sehr hungern. Das Essen für die Ausländer war sehr furchtbar. Zum Beispiel bekamen wir einmal kleine Fische, alles hat gestunken. Es war Fleisch, und alles hat danach gestunken. Und in der Küche war ein Geruch, man konnte das nicht essen. Aber man starb nicht daran. Dieses alles mußten die Polen essen.

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Die Mädchen von Polen, die waren am schlechtesten angezogen. Ihre Einreihung zur Bezahlung war anders als wiefiir uns." Und schließlich die „Leute von Mauthausen", die Stefanek in der Stahlgießerei zu sehen bekam, zu denen aber ein Kontakt unmöglich war. Ein Drahtzaun trennte sie von der anderen Abteilung, und von ukrainischen SS-Männern bewacht, mußten sie die schmutzigsten Arbeiten verrichten. Kontakt gab es hingegen nach Arbeitsschluß mit russischen Frauen, die im Werk als Putzfrauen zu arbeiten hatten und deren Sprache man auch verstand. Im Annäherungsversuch mußte Herr Stefanek jedoch überrascht erkennen, daß zwangsverpflichtet nicht gleich zwangsverpflichtet war, daß die Opfer-Täter-Grenzen im Privilegierungssystem der herrschenden Ordnung verschwimmen konnten und die subjektiven Empfindungen vom sozialen Ort bestimmt waren. In einer langen Erzählsequenz machte mir Herr Stefanek deudich, worin diese Wahrnehmung der Grenzüberschreitung begründet lag. Eine Wahrnehmung, die in der Erinnerung seiner Interpretation entsprang, wobei es sekundär von Bedeutung ist, ob diese Interpretation nun zutrifft oder nicht. In der zwischenmenschlichen Dynamik war die Phantasie sicherlich keine isolierte Selbstproduktion. „Karl Fallend: Haben Sie mit diesen russischen Putzfrauen gesprochen? Wie es denen geht? Jiri Stefanek: (...) Ich erzähle Ihnen eine Geschichte: Es war - wir wußten daß sie Hunger haben. Ich glaube, die bekamen keine Karten. Die konnten nichts kaufen in der Stadt. Die mußten das abgeben und bekommen alles im Lager, das Essen. Die hatten vielleicht überhaupt keine Eßkarten. Ich weiß nicht, wie das war. Vielleicht hatten die die Verpflegung nur im Lager und sonst nichts. Die konnten nicht reisen. Zum Beispiel war ich in Vöcklabruck, und verschiedene Reisen habe ich unternommen, wenn wir frei hatten. Und wenn ich keine Eßkarten hatte, dann konnte ich nicht wegreisen, denn dann bekommt man kein Essen. Also meine Eltern schickten mir jede Woche ein Paket. Da war Brot und etwas Fett. Was halt nicht verschimmelt. Und die Verbindung klappte auf die Minute damals. Das heißt, ich kam auf dem Bahnhof und ich wußte, daß mein Paket wird sicher schon da sein. Ich brauchte nur einen Ausweis zeigen. Das heißt, die Eßkarten, die ich hatte, brauchte ich nicht alle. Zum Beispiel blieb mir Brot über, Zigaretten brauchte ich auch nicht. Einmal kam die Putzfrau, ein Mädchen, und ich habe die Karte abgeschnitten und hab' das dem Mädchen gegeben und hab' ihr gesagt: ,Du, gib das der Vera.' Das war ein anderes Mädchen. Naja, die hat das genommen, und nach zwei Tagen kam dieses Mädchen wieder und gab mir diese Karte zurück und sagte: ,Die Vera hat mir gesagt, daß sie ein stolzes russisches Mädchen sei und braucht keine Karten van dir.' Dachte ich,sakra1. Es waren solche. Vielleicht ist es möglich, daß diese Mädchen uns als nicht gute Tschechen ansahen. Wir lebten damals fast dasselbe wie die Deutschen. Es ist möglich, daß sie in uns Kollaborateure sahen. Das ist möglich. Sie konnte sich sicher nicht vorstellen, wie es möglich war, daß ein tschechischer Knabe so lebt wie ein Deutscher. Aber wir lebten wirklich fast wie Kollaborateure. Aber niemand von den tschechischen Knaben,

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keiner von diesen, die hier auf dem Foto abgebildet sind, die Theologen, das waren keine Kollaborateure. Vielleicht: Wir wohnten zuerst mit tschechischen Arbeitern, und die waren freiwillig. Die warenfreiwillig,weil sie hier mehr verdienten als zu Hause. Denn als diese Fabrik gegründet wurde, brauchten sie Facharbeiter. Deutsche, österreichische Facharbeiter mußten ja einrücken. Und wenn sich ein Facharbeiter vom sogenannten Protektorat meldete, so wurde er sicher gerne empfangen. Und sie wurden anfangs ganz gut bezahlt. Und in Osterreich war damals genug zu Essen. Die Umgebung von Linz, das war eine landwirtschaftliche Umgebung. Also diese Arbeiter haben es uns bestätigt. Aber wir waren nichtfreiwillig.Wir waren alle verpflichtet." Mehrfach mußte mir Herr Stefanek sagen, daß seine damalige Lebenssituation in den Hermann-Göring-Werken keine selbstbestimmte war, als ob der Zweifel der russischen Putzfrau bzw. der umworbenen Vera auch mich erreichen könnte und es der Uberzeugung bedurfte. Ich hatte keinen Zweifel ob seiner Zwangsverpflichtung, mußte mir aber eingestehen, daß ich darüber verblüfft war, wie weit die Grenzen gesteckt sein konnten, innerhalb derer manche tschechische Zwangsarbeiter sich bewegen konnten. „Manche" möchte ich betonen, weil nicht vergessen werden darf, daß Herr Stefanek zu jenen ca. 9 % der Protektoratsangehörigen zählte, die das Glück hatten, auf Grund ihrer Bildung und Sprachkenntnisse in ein privilegiertes Angestelltenverhältnis erhoben worden zu sein.4' Zusätzlich mag jugendhafter Ubermut bei manchen eine Rolle gespielt haben, bei den Versuchen, die Grenzen ihres Aktionsradius auszuloten. Sei es aus Imponiergehabe, aus Abenteuerlust oder aus bewußt politischem Widerstand. Zum überwiegenden Teil waren es Formen des Widerstands und der Dissidenz, auch wenn es Fälle gegeben haben mag, wenigstens fiir kurze Zeit dem Reiz zu folgen, an der Machtfülle zu partizipieren, die sie selbst in die mißliche Lage gebracht hatte. V a. aber, als sich der Ausgang des Krieges abzeichnete, manche Einheimische die Floskel von einem Volk, einem Reich, einem Führer als solche auch wahrnahmen und bei manchen Phantasien über ein Leben „danach" lostrat, waren obendrein Freiräume zu entdecken, die Gespräche und Handlungen zuließen, die einige Jahre zuvor noch undenkbar waren. „Jiri Stefanek: Wissen Sie, zwischen den Deutschen waren verschiedene Beziehungen. Es endete der Krieg. Was jetzt? Sie änderten ihre Anschauungen über das ganze Leben. Einer aus der Lohnbüro bewunderte z. B. die Amerikaner. Sagt er: Ja, Amerika, fastjeder hat sein Auto, das ist ganz anderes Leben. Die leben sofreiund haben alles.' Das war ein Bewunderer des amerikanischen Lebens. Aber das war der einzige. Selbstverständlich: Vor uns sprachen nicht alle. Sie sahen, daß wir Ausländer fast gleich lebten. Es gab fast keine Unterschiede zwischen den Deutschen und zwischen uns. Wenn mich jemand draußen sah, dann konnte er nicht sagen, ob ich ein Ausländer bin. 41 Jiri Stefanek wurde wie Vaclav Dvorak am 1. Juli 1944 in das Angestelltenverhältnis übernommen. Für den Hinweis danke ich Dr. Michaela C. Schober.

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Ich hatte damals einen Ledermantel. Diesen Ledermantel habe ich von unseren Fliegern gekauft. Unsere Offiziere bei den Fliegern hatten zu ihrer Uniform einen Ledermantel, und es \waren keine Abzeichen drauf. Karl Fallend: Tschechische Flieger? Jin Stefanek: Ja, tschechische Flieger, manche waren liquidiert, manche waren im Kampf. Ich kaufte von ihnen diesen Mantel. In diesem Mantel lebte ich in Linz. Jeder Deutsche damals wollte einen Ledermantel haben. Die SS und solche von der Gestapo trugen gerne Ledermäntel. Doch ihre waren so eng geschnitten, unsere waren breiter und mit einem Gürtel zusammengebunden. Wenn ich mit diesem Mantel durch die Fabrik ging, da sagten die vom Werkschutz ,Heil Hitler'. Oh, und ich sagte auch ,Heil Hitler'. Sie glaubten eine Kontrolle. Einmal am Sonntag hatten wir mit diesem Mantel eine Kontrolle gemacht. Die russischen Mädchen machten Ordnung - das waren Putzfrauen - zwischen denen waren ganz fesche Mädchen. Und einmal haben wir eine Kontrolle gemacht. Die Mädchen paßten auf, ob wirklich keine deutsche Kontrolle gemacht wurde. Wir hatten damals die Kanzlei des Chefs des Betriebes betreten - ich weiß nicht mehr, wo das war. Ein großes Zimmer, da war ein Hitler-Bild, so groß in Lebensgröße. Das war ein großes Bild. Ein schönes Zimmer, und da saßen wir und benützten den Waschraum und Karl Fallend: Also eine Privatwohnung.? Jin Stefanek: Nein. Das war im Betrieb, diese Kanzlei. Das war ein Oberchef über die ganzen Eisenwerke. Karl Fallend: Und da sind Sie reingegangen ? Jin Stefanek: Ja. Die Mädchen, die gaben acht, und dann haben wir das kontrolliert, und wir sind wieder weggegangen. Naja, solchen Blödsinn haben wir da gemacht. Karl Fallend: Das war aber gefährlich? Jin Stefanek: Was war schon geßhrlich damals? Aber manchmal hatten wir keine Vernunft. Wir waren jung." War mir diese Erzählung noch als eine Art Hasardspiel nachvollziehbar, konnte ich bei folgender Erzählsequenz mein Erstaunen nicht verbergen. Herr Stefanek war der einzige meiner Gesprächspartner, dem es gelungen war, die vorgeschriebenen Unterkünfte der HGW-Barackenlager zu verlassen, um selbständig eine private Bleibe in einer nahe gelegenen Ortschaft zu organisieren. Auch in schriftlichen Quellen war mir ein derartiger Vorgang nicht untergekommen, und eine Nachfrage half mir nicht weiter.

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Karl Fallend: Wie kamen sie nach Ebelsberg? Wie ist das gegangen vom Lager y6 nach Ebelsberg? Jirt Stefanek: Das Leben in den Lagern warfurchtbar. Zwanzig Mann in einem Zimmer. Man arbeitete in Schichten, d. h. in der Nacht, und den ganzen Tag saßen manche Leute, brauchten Licht. D. h., sie wollten schlafen, aber inzwischen kamen andere, die mußten sich vorbereiten, waschen, dann spielten sie Karten. Es war keine Ruhe. D. h., wir suchten etwas, damit man ein bißchen menschlich leben kann. Der Chef, Birkenstock, der kann uns nicht helfen. D. h. wir mußten uns selber ein bißchen um uns sorgen. Ich war in drei Lagern, und nirgends war das menschlich. Zum Schluß wohnten wir in Kleinmünchen, und von Kleinmünchen ist das nicht so weit nach Ebelsberg. Ichfragte,ich weiß nicht mehr, wie wir in Ebelsberg zu dem Fleischer - wer das gefunden hat? Wir waren vier und meldeten uns im Lager ab und kamen zu diesem Selcher, der saß zu Hause, die Füße im Lavoir mit warmen Wasser undfragteuns, woher wir sind usw. (...) Dieser Gastwirt, dieser Selcher, war ein wirklicher Österreicher. Wir wurden empfangen und hatten eine ganz gute Beziehung mit denen. Wir wohnten -jeder hatte sein Bett. Ich kam nach Hause und konnte etwas lesen, konnte mich ein wenig waschen. Es war keine Badewanne, aber man konnte sich waschen. Konnte Spazierengehen. Da war ein Park, ein Schloß. Wir lebten schon

wie Menschen (siehe Foto nächste Seite: Ebelsberg). Karl Fallend: Warum war das Ihnen möglich und den anderen nicht? Warum sind nicht alle aus dem Lager nach Ebelsberg? JinStefanek: - Naja, wir waren praktischer, oder - das weiß ich nicht. Den anderen ist es nicht gelungen. - Der Chefund niemand von der Fabrik hat uns geholfen. Wir selber haben das organisiert. Wir selber." Am 25. Jänner 1944 - so die Anmeldung bei der polizeilichen Meldebehörde42 - wechselte Jiri Stefanek vom Lager 56 in Kleinmünchen seine Unterkunft in das Gasthaus zum Weißen Ochsen nach Ebelsberg 33 zu Ferdinand Oberleitner - Gastwirt und Fleischhauer. Herr Stefanek hat es mit seinen Freunden verstanden, alle möglichen Nischen selbsttätigen Handelns, die einem zwangsverpflichteten tschechischen Medizinstudenten offenstanden, zu nutzen. Die vitale Ausstrahlung, die der 79jährige noch während unseres Gespräches zu versprühen vermochte, sein Erzählwitz und seine offensichtliche Kontaktfreudigkeit hinterließen mir einen Eindruck, der mir den 2 3724jährigen gut vorstellen ließ, wie er durch Charme und Humor, aber auch List und Draufgängertum Wege fand, sich die erzwungene Lebenswelt in Linz so erträglich wie möglich zu gestalten. In ebendieser Form gestaltete sich auch seine Rückkehr in die Heimat, die ihm schon 42 Das Anmeldeformular ist im Privatbesitz von Herrn Stefanek. Ich danke ihm für die Fotoreproduktion.



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sein Freund Honsa Souba, mit dem er gemeinsam in Linz angekommen war, vorexerziert hatte. Es war dies die einzige Stelle des Gesprächsverlaufs, bei der Herr Stefanek seine souveräne Erzählhaltung verlor. Auslöser war eine Unterbrechung des Interview-Settings. Herrn Stefaneks Freundin hatte in nachbarschaftlicher Nähe köstliche Osterbäckereien vorbereitet und wollte den Gast aus Wien kennenlernen. Herr Stefanek dolmetschte. Nonverbal ergab sich jedoch gleich eine verbindende Gemeinsamkeit. Im Zigarettentausch trafen wir uns im ausschließlichen Genuß dieses Lasters, während Herr Stefanek zusah und trotz der Unterbrechung in seinen Erinnerungen verhaftet blieb. „Zigaretten! - Für mich waren sie Lebensrettung!" kam er nach der Pause noch einmal auf diese Szene zurück und hatte Tränen in den Augen. Die „Leichtigkeit des Seins", die sich zeitweise in seinen Erzählungen widerspiegelte, war plötzlich durchbrochen und zeigte die Kehrseite: die damals konstant vorherrschende Bedrohung, die eben u. a. auch durch Zigaretten zu verhindern war.

„Ebelsberg 1943/44 und Gasthaus zum Weißen Ochsen'

„Jin Stefanek: Ich ging zu dem Chef, Birkenstock, und sagte:,Herr Birkenstock, können Sie mich entlassen. Man hat mir versprochen, daß ich zu Hause im Krankenhaus arbeiten kann.' Ja, und Birkenstock machte mir keine Schwierigkeiten. Der Souba, der war zu der Zeit als Bürokraft im Krankenhaus beschäftigt.

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Karl Fallend: In welchem Krankenhaus? Jifi Stefanek: Im Bezirkskrankenhaus, wo jetzt mein Sohn beschäftigt ist. Naja, ich wollteja damals Medizin studieren. Jetzt brauchte ich für das Arbeitsamt eine Empfehlung. Der Chef kann mir das versprechen, aber den Stempel muß das Arbeitsamt geben, nicht der Chef. Also für das Linzer Arbeitsamt mußte ich ein Papier haben, warum will ich nach Hause gehen. Der Souba hat mir ein leeres Papier geschickt, Bezirkskrankenhaus usw., und darauf schrieb ich in Linz: ,Es ist nötig, daß Sie bei uns als Sanitätskraft einsteigen, Begründung - wir haben viel Arbeit usw.' Mit diesem versuchte ich das Arbeitsamt - denn vom Birkenstock hatte ich auch die Bestätigung. Der sagte: ,Naja, aber wir brauchen im Stickstoffwerk auch einen für die Sanität?' Mein Lieber, jetzt war ich zu Ende. Was soll ich machen? Soviel verstand ich nicht von Medizin, ich konnte ja nicht so eine Stelle führen. So gab ich ihm Rauch karten für zwei Monate - das sind genug Zigarettenfür den Beamten damals. Es war gegen Ende des Krieges. Jede Zigarette war damals teuer. Und so gab er mir den Stempel. Dann schrieb ich noch ins Lohnbüro den Mädchen, dem Kukacka - der verstand Tschechisch. Aber er war ein Österreicher. Er war verheiratet und wohnte in Osterreich, er hatte nur eine Hand, darum war er kein Soldat. Nach dem Kriege war ich noch in Beziehung mit der Angela und mit dem Kukacka. Aber dann endete es. Ich hatte andere Pflichten und Interessen. Und die Angela auch, war vielleicht schon verheiratet. A ja, sie hat mir geschrieben, daß die zweite, mit der ich damals ein paarmal spazierte, die Pawla, daß die Pawla als Reichsdeutsche die Stelle im Lohnbüro verlassen mußte. Und Birkenstock hatte Tuberkulose und ist auch gestorben. Er war ein starker Raucher. So ein schlanker Kerl war das, ich besorgte ihm Präservative. Damals gab es keine Präservative, denn Hitler wollte, daß die Frauen schwanger werden. Das waren Waren, die nicht zu kaufen waren. , .Angelika Fuchs. Denken Sie oft und gerne an die Lohnbuchhaltung von E W O Linz, 16. 10. 1944"

Ich war mit ihm in guter Beziehung. Mit allen. Ich war für sie der Schurl."

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Am 18. Oktober 1944 war es Jiff Stefanek gelungen, nach Hause zurückzukehren. Er landete schließlich - so die Eintragungen in seinem Arbeitsbuch - im Städtischen Forstamt Deutsch-Brod, wo er ab 6. November als Waldarbeiter eingesetzt war. Jiri - Georg „Schurl" - beschreibt eine deudich österreichische Form der Integration. Herr Stefanek war anscheinend sehr beliebt im Lohnbüro der Eisenwerke Oberdonau. Dem Chef konnte geholfen werden, und auch bei den Frauen fand er großen Anklang. In der Offrecord-Erzählung fielen einige Male die Namen Pawla und Angela, mit denen er sich sehr gut verstand. Seine Wortwahl ließ keine national-diskriminierende Unterscheidung erkennen, sondern erinnerte vielmehr an lang vergangene Jugendfreundinnen. Ebenso hält Herr Stefanek ihre Fotografien aufbewahrt, die sie ihm anläßlich seiner Rückkehr in die Heimat zum Abschied überreicht hatten.

, J A , WAS SOLL ICH SAGEN?" Frau Falticek war sichdich überrascht, als ich ihr das Foto vom 16. Oktober 1944 zeigte: „Ja, da haben wir gewohnt. Das muß schon ich ihm gegeben haben, weil wieso hätte er es denn. Karl Fallend: Ja, das steht am Original hinten auch drauf. Weil der Herr Stefanek ist früher weg und anläßlich, daß erfrüherweg ist, hat er ein paar Fotos geschenkt bekommen. Und dieses eben von Ihnen. Angela Falticek: Das kann sein. Das bin ich, da haben wir gewohnt in Linz. In der Fabrikstraße. " In ihrer Erinnerung an die Ereignisse vor 55 Jahren zeigte sich Frau Falticek in anderer Stimmungslage als Herr Stefanek. Schon vor langer Zeit hatte sie einen biographischen Trennstrich gezogen, und nur das verstärkt aufgekommene öffentliche Interesse zur Geschichte der Hermann-Göring-Werke zwang sie zum Rückblick. Ich war nicht der erste, der sie binnen kurzer Zeit dazu provozierte. Durch Zufall. Denn Angela ist ein eher seltener Vorname. Am 9. Juni 1999 wurde im österreichischen Fernsehen die Dokumentation „Kommando Zwangsarbeit" von Maria Koller ausgestrahlt, in der zahlreiche Zeitzeuginnen zu Wort kamen. Eine von ihnen war „Angela Falticek. Lohnbuchhalterin. HGW-Linz". Das Linzer Telefonbuch. Ein Anruf. Tatsächlich war Frau Falticek jene Angela Fuchs, mit der Herr Stefanekfreundschaftlichbekannt gewesen war, und ich traf sie am 26. Juni 1999 zum Gespräch - in ihrer Linzer Wohnung, einen Steinwurf von der Einfahrt zum VOESTWerksgelände entfernt und unweit dem kleinen Denkmal, das in Erinnerung an die Opfer des Mauthausen-Außenlagers HI der Hermann-Göring-Werke errichtet worden war. „Und was sagen Sie zu diesem Denkmal?" erinnert sich Frau Falticek an die Frage der Journali-

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Stin: „Ja, momentan ist mir auch nicht viel eingefallen. Habe ich dann gesagt: ,Ja, was soll ich sagen?' Zu der Zeit ist es uns allen - die waren ja arm die KZler, uns ist es auch nicht gutgegangen. Heute geht es uns gut, und das ist auch wirklich wahr." Ahnlich wie bei der Fernsehaufnahme verspürte Frau Falticek auch im Gespräch mit mir eine Erinnerungsblockade, die die verschiedenen Welten der einen Fabrikswelt voneinander trennte und auch ihre biographische Zäsur mitbestimmte: „Ich habe dann gesagt, nachher ist mir soviel eingefallen und jetzt weiß ich es wieder nicht. Sicher, 1922 bin ich geboren, da war ich 23 Jahre im 45er Jahr. Dann mit 27 haben wir geheiratet, 1949, und da habe ich das eigentlich alles quasi vergessen. Ad acta gelegt. Und wenn du dich mit etwas nicht immer befaßt, dann vergißt man es auch." Mit der Heirat im Jahre 1949 endete auch ihr Berufsleben in der Lohnbuchhaltung und als VOEST-Betriebsrätin. Frau Falticek widmete sich von nun an vollauf ihrer Zukunftsaufgabe als Hausfrau und Mutter - ganz im Kanon der wiederhergestellten traditionellen Geschlechterverhältnisse im Wiederaufbau. Ein einschneidendes Erlebnis konnte sie jedoch nicht vergessen, das sie mir erzählte und das auch in der Fernseh-Dokumentation zu hören war. Nur, daß Frau Falticek die Szene sogleich wieder ausblendete und in ihre eigene damalige Lebenswelt eintauchte, die die „armen Teufel" vergessen ließ. „Angela Falticek: Und einmal sind wir nach einem Bombenangriff von hinten vom Büro raus und den ganzen Bach raufgegangen, den Mühlbach. Und da kann ich mich noch erinnern, da sind die KZler auf den Bäumen oben gehangen. Wie sie im Freien waren, wie es sie beim Bombardieren hinaufgeworfen hat. Auf das kann ich mich gut erinnern. Und Zigaretten habe ich auch immer gehabt. Wenn sie marschiert sind und wir sind mit dem Radi vorbei, haben wir in der Mitte - weil hinten und vom hast du dir eh nicht getraut, weil da wärst duja gestraft worden -, haben wir dann eine Handvoll Zigaretten reingeworfen. Das waren ja wirklich alle arme Teufel. Wie gesagt, von den Zigaretten, daß ich da dem Chef einige gegeben habe und - wir haben zum Beispiel im Büro alle Monate einmal einen Abend gehabt, einen Betriebsabend. Es war kein Stammtisch, aber wir sind zusammengekommen. Da haben die Tschechen eine Musik gehabt, und da ist sogar getanzt worden. Also die Tschechen haben sich mit uns bewegt" (siehe folgende Fotografien, die mir Jifii Stefanek dankenswerterweise überließ). In der strukturellen Abfolge dieser Gesprächssequenz scheint auch die Abfolge vergangener emotionaler Qualitäten enthalten zu sein. Entsetzen, Mideid, Angst, Machdosigkeit, das Arrangement mit den Autoritäten, um die eigene Lage zu verbessern, sowie der Wunsch, dieser Welt zu entrücken und trotz allem den Bedürfnissen zu folgen, die jungen Erwachsenen adäquat sind. Unterhaltung, Tanz, Flirt..., wobei die vorgeschriebenen, rassistisch formu-

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Herten Grenzen zwischenmenschlicher Begegnungen an Bedeutung verlieren konnten. „Angela Falticek: Dann haben wir da eine gehabt, die Amelie - die ist dann mit einem Tschechen gleich nach dem Krieg abgehauen. Karl Fallend: Mit einem vom Büro? Angela Falticek: Ja, aber der ist auch schon gestorben. Augengläser hat er gehabt. Sie hat sich mit ihm schon immer heimlich getroffen, am Freinberg oben, da in Linz. Die haben sich dann eh scheiden lassen. Ist nicht gutgegangen.

Am Anfang habe ich esja auch nicht gewußt, aber nachher hat sie es mir einmal gesagt: ,Du, ich treffe mich mit ihm am Freinberg.' Es hat sieja niemand sehen dürfen. Und nach dem Krieg haben wir dann erfahren, die Amelie ist gleich mit ihm abgehauen. Dabei waren ihre Eltern Schweizer. Denen ist es eh bessergegangen wie uns." Angela Fuchs war zwanzig Jahre alt, als sie am 10. Februar 1943 in der Lohnbuchhaltung der Eisenwerke Oberdonau ihre Arbeit antrat. Das hatte sie ihrem Vater zu verdanken, der als Sozialist nicht den Ideen des Führers folgte, sondern vorerst trachtete, die Familie so gut als möglich über die Runden zu bringen. Seine Tochter war schon nach Hörsching zur Luftwaffe kommandiert gewesen, aber er täuschte („Er war ein guter Schauspieler") den kränklichen Zustand seiner Frau bei der zuständigen Stelle als so dramatisch vor, warum die Anwesenheit der Tochter zu Hause unbedingt notwendig wäre, sodaß sie in Linz bleiben konnte. Ganz der Vater, war auch Angela Fuchs antinazistisch eingestellt und war allen Parteianwerbungen aus dem Weg gegangen. Uberhaupt war ihr der herrschende Kommandoton zuwider. Die „jungen Dirndln" hatten anderes im Kopf.

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,/lngela Falticek: Bei uns zu Hause, das war wie eine Kaserne, und da war eine vom Haus, die, wenn Alarm war, ist sie herumgerannt mit einem Pfeifferl: yAlles in den Keller/', und wir waren haltjunge Dirndln und haben gesagt: ,Geh, gib' eine Ruh!1, und da hätte meine Schwester bald einmal eine Verwarnung bekommen. Da ist dann der Vater hingegangen und hat das auch wieder ausgebügelt. Weil sie ist überhaupt nicht gegangen, sie hat gesagt: ,Geh, gebts eine Ruh.' Wir sindja auch nicht in den Keller runtergegangen, wir haben dasja auch gar nicht verstanden." Die Arbeit in der Lohnbuchhaltung selbst hatte Frau Falticek durchaus in positiver Erinnerung. Das Arbeitsklima oder das Verhältnis zum Chef und zu den Arbeitskolleginnen waren für sie einwandfrei. Der tägliche Umgang mit Geld, der auch mit der Ausbezahlung von Löhnen verbunden war, ließ ihr sogar etwas Machtfiille anheimfallen und Vorteile genießen, die die damalige Zeit auch in „netter" Erinnerung zurückläßt. ,.Angela Falticek: Wir haben die Bunker überall gehabt und wenn wir Auszahlung gehabt haben - die Tschechen haben ja nicht alleine gehen dürfen. Ich glaube, ich bin eh mit dem Stefanek auszahlen gegangen. Da sind wir zu zweit gegangen. Er hat die Geldkiste getragen, weil da haben sie sich ja dort angestellt. Da haben wir einen Tisch gehabt, und dann haben wir ausgezahlt. Ich habe den Werkschutz - da bin ich schon alleine - ausgezahlt. (...) Wir haben Brutto- und Nettoabrechnung, wasja heute gar nicht mehr ist, wir haben die Lohnsteuertabellen, wir haben alles gemacht. Wenn zum Beispiel vom Werkschutz einer einen Vorschuß haben wollte, dann hat er zu mir kommen müssen, und ich konnte das entscheiden: kann ich ihm den geben oder nicht. Jetzt habe ich natürlich beim ganzen Werkschutz, die haben mich alle gekannt, warfür mich auch wieder leichter. Auch nach dem Krieg. Wie gesagt, es war eine schlechte Zeit und ab und zu, kann man sagen, auch wieder ganz nett." In der Konzentration auf die eigenen Entbehrungen liegt der Grund für die Dominanz der selektiven Wahrnehmung, die Angela Fuchs und ihre Kolleginnen sensibel und offen für jeden Vorteil machte. Etwa die Franzosen im Büro, die zwar „ein wenig abgesondert" waren, aber mit süßen Verlockungen die Grenzziehung zu lockern vermochten, was gar zu Kontaktaufnahmen nach dem Krieg führen konnten. Angela Falticek: Die haben auch immer einen Zucker gehabt und da sind wir immer hingegangen, einen Kajfee trinken. Es war eh alles in einem großen Raum, es war alles übersehbar. Mit denen haben wir uns unterhalten und geredet. Und da hat mir einer von ihnen nach dem

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Krieg, wo es eh so schlecht war - da war ich nicht zu Hause -, habe ich so einen großen Sack voller Lebensmittel hat mir der abgegeben. Bei uns im Haus. Das war natürlich für meine Familie super. Ich habe mich nie bedanken können, ich habe den auch nie wieder gesehen. Es hat nur geheißen, daß sie den bei den Eltern abgegeben haben. Ich war natürlich froh, daß wir was gekriegt haben. Ja, wir haben uns mit allen gut verstanden." Bei aller guter Verständigung über die nationalen Grenzen hinweg, blieb die Wahrnehmung sehr von der Differenz geprägt, v. a. wenn es die eigene Benachteiligung betraf. Für Menschen wie Angela Fuchs, die keine Kontakte zur Landbevölkerung hatten, um die kargen Rationen der Lebensmittelkarten aufzubessern, bedeuteten die oftmals von zu Hause zugesandten bzw. mitgebrachten Nahrungsmittel der tschechischen Arbeitskollegen eine auffallende und bis heute einprägsame Abwechslung. Vielmehr schien die Privilegierung durch bessere Versorgung der tschechischen Arbeiter den je unterschiedlichen Zwangscharakter ihrer Präsenz in Linz aus heutiger Sicht außer Kraft zu setzen. In der Beziehung zu ihrem Chef verblaßte hingegen die Unterschiedlichkeit, und man teilte die Strategie der Alltagsbestechung. y/ingela Falticek: Jedenfalls haben wir viele Tschechen gehabt. Und den Tschechen ist esja bessergegangen wie uns. Die sind in die Tschechei gefahren und sind mit viel Sachen rausgekommen. Die haben uns auch so Schmuck, so Tandelware mitgenommen. Wir haben ja nichts gehabt. Wir waren ja froh, wenn wir das bekommen haben. Und da habe ich eben gehört, daß sie dem Birkenstock auch Zigaretten gebracht haben. Und ich muß sagen, ich habe ihn auch viel mit Zigaretten unterstützt. Mein Gott, wenn man sich ein bisserl einen Vorteil verschaffen kann." Der Leiter des Lohnbüros, Birkenstock, war für Frau Falticek: „Ganz ein feiner Kerl. Ich glaube, wir wären alle für ihn durchs Feuer gegangen. So nett war er als Chef. Es gibt überhaupt nichts. Keiner, kein einziger kann was nachsagen. Und er hat uns auch im Lohnbüro — die eine, die Hedy hier, die war ja von Krumau, die hat dann einen kennengelernt. Das war ein Wiener. Wir haben ja viele Wiener hier gehabt. Das waren zwar fesche Männer - ich weiß auch nicht -, aber die waren nicht im Krieg. Und den hat sie kennengelernt. Wissen Sie eh, wie man halt so redet, und ich habe gesagt: ,Du, paß auf, ich schau dir im Akt nach.' Und dann habe ich ihr gesagt: ,Du, der ist verheiratet.' Die wird ihn dann zur Rede gestellt haben, der ist dann zum Chef gegangen und hätte sich über mich beschwert. Da hat der Birkenstock gesagt:, Was wollen Sie denn, wenn Sie verheiratet sind, sind Sie verheiratet. Und es ist klar, wenn die Mädchen da untereinander sind, daß sie reden.' - Nein, nein, der hat uns gedeckt, wo es nur gegangen ist. Er hätte mich auch zusammenscheißen können. Oder irgendeine Strafe. Aber nein, der war beliebt. Da gibt es nichts."

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Markant eindeutig fällt für Frau Falticek die Beurteilung des Büroleiters Birkenstock aus. In seiner Funktion als Beschützer vor Strafe liegt eine Gemeinsamkeit in der Wahrnehmung der Belegschaft. Die begleitende Anekdote hingegen markiert einen gravierenden Unterschied. Der überzeugte Nationalsozialist, der auf Grund seiner Position in der werksinternen Gerichtsbarkeit eine ungeheure Machtfiille besaß, tritt in Frau Falticeks Erinnerung in den Hintergrund. Aber es ging damals in der Vertraulichkeit zum Chef nicht nur um die Folgen frauensolidarischer Datenschutzverletzung, sondern auch - um der Erinnerung Vaclav Dvoraks zu folgen - um Arbeitserziehungs- oder Konzentrationslager. Um Leben und Tod. Und das alles am gleichen Ort: im Lohnbüro der Eisenwerke Oberdonau.

Das Privileg als Teil des Repressionssystems

In Extrembereichen wird vieles deutlicher. Als Victor Klemperer - dem es gelang, mit Hilfe seiner nichtjüdischen Frau als Jude im Deutschen Reich zu überleben - sich die Frage stellte: Was war der schwerste Tag der Juden in den zwölf Höllenjahren?, gab es für ihn nur eine Antwort: der 19. September 1941. Ab diesem Tag mußte der Judenstern getragen werden. Ab diesem Tag konnten sich in optischer Unterscheidung die „Herrenmenschen" als solche definieren. Der sechszackige Davidsstern als verhängnisvollste Stigmatisierung, die zwischen Leben und Tod unterschied. Er war die letzte von vielen Sprossen einer von den Nationalsozialisten geschaffenen Gesellschaftsleiter, die zur Vernichtung führte. Es gab „Volljuden", „Halbjuden", „Mischlinge ersten, zweiten ... Grades", Judenstämmlinge" ... „Und vor allem: es gab privilegierte'. Dies ist die einzige Erfindung der Nazis", schrieb Victor Klemperer, „von der ich nicht weiß, ob sich die Urheber der ganzen Diabolie ihrer Erfindimg bewußt waren. (...) Ich habe wenige Sätze häufiger und mit mehr Bitterkeit aussprechen hören, als diesen einen: ,Er ist privilegiert.' Das heißt: ,Er zahlt weniger Steuern als wir, er braucht nicht im Judenhaus zu wohnen, er trägt nicht den Stern, er kann halbwegs untertauchen ...' Und wieviel Hochmut, wieviel jämmerliche Schadenfreude - jämmerliche, denn schließlich waren sie doch in derselben Hölle wie wir, wenn auch in einem besseren Höllenkreise, und zuletzt hat der Gasofen auch Privilegierte gefressen - , wieviel betonte Distanz lag oft in den drei Wörtern: ,Ich bin privilegiert'" (Klemperer, 1969,172). Wenn man den Erfahrungen des sensiblen Beobachters Klemperer weiter folgt, nimmt es nicht wunder, daß bei allen Reibereien und Streitigkeiten sich die giftigsten Feindseligkeiten zwischen Privilegierten und Nichtprivilegierten entzündeten. Die Perfidie des nationalsozialistischen Herrschaftssystems bestand eben auch darin, daß es wenn es kein Entrinnen mehr gab; man der Diktatur ausweglos ausgeliefert war - in der rassistisch definierten Hierarchie auch willkürlich gesetzte Zwischenstufen bzw. Möglichkeiten der Besserstellung gab, die im Überlebenskampf zu Entsolidarisierungen und zu menschlichen Tragödien fuhren konnten. Der nationalsozialistischen Alltagspraxis immanent, bestand die Eigendefinition in einer immer abstruser werdenden Fremddefinition, um in der ständig angstbesetzten Abgrenzung den eigenen Standort noch deutlich erkennen zu können. Die Aufrechterhaltung dieses rassistisch definierten Hierarchiesystems konnte zwanghafte Formen annehmen, v. a. als durch die kontinuierliche Zunahme zwangsrekrutierter ausländischer Arbeitskräfte die Grenzen zwischen den einzelnen Lebenswelten zu verschwimmen drohten.

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In der Bürokratie gestaltete sich dieses Ordnungssystem von Beginn an als ein Procedere der Dehumanisierung. Im Mai 1939 gab der Staatssekretär für das Sicherheitswesen und Höhere-SS und Polizeifiihrer der Landeshauptmannschaft Oberdonau die Bestellung von 12.000 Karteikarten für die Ausländerpolizei bekannt.43 Am 1 1 . September 1939 folgte ein Schnellbrief vom Reichsfuhrer SS u. a. an die einzelnen Landesregierungen und Innenministerien. „Betreff: Verordnung über die Behandlung von Ausländem"^ - und meinte nicht die Menschen, die zu Tausenden ins Land gezwungen wurden, sondern wie mit den Karteikarten zu verfahren sei. Ein Beispiel aus dem detaillierten achtseitigen Schreiben mag ausreichen, um die bürokratische Denkweise zu verdeutlichen: „... Die Ehefrau eines Staatenlosen, ehemals polnischen Staatsangehörigen, die früher die deutsche Staatsangehörigkeit besessen, sie aber durch die Eheschliessung verloren hat und staatenlos geworden ist, erhält eine gelbe, der Ehemann dagegen eine grüne Karteikarte. Ebenso ist eine gelbe Karteikarte für eine frühere deutsche Staatsangehörige anzulegen, die mit einem Staatenlosen die Ehe geschlossen hat, dessen Vater und Grossvater ebenfalls staatenlos waren und dessen Nachforschungen nach der Staatsangehörigkeit der Vorfahren ergebnislos verlaufen sind. Für den staatenlosen Ehegatten ist in diesem Falle eine Karteikarte in der Farbe auszufüllen, die für den Staat, zu dem der Geburtsort gehört, in Betracht kommt. Ist der Staatenlose z. B. in Kopenhagen geboren, erhält er eine grüne, ist er in Deutschland geboren, eine gelbe und ist er in Athen geboren, eine blaue Karteikarte. (...) Bei sowjetrussischen Staatsangehörigen und Staatenlosen, die vorher die Staatsangehörigkeit des früheren russischen Kaiserreichs oder der Sowjet-Union besessen haben, sind infolge verschiedenartiger Kalenderrechnungen zuweilen 2 um 14 Tage voneinander abweichende Geburtsdaten verzeichnet. Diese sind auf der Karteikarte beide, eins davon in Klammern, zu vermerken. Auf die genaue und richtige Angabe der Staatsangehörigkeit ist ein besonderes Augenmerk zu richten. Bei polnischen, sowjetrussischen, litauischen, slowakischen, jugoslawischen, ungarischen und rumänischen Staatsangehörigen sowie Staatenlosen, die vorher eine dieser Staatsangehörigen besessen haben, ist in den Karteikarten in dem Raum für Vormerke und in allen an die Ausländerzentralkartei gerichteten Anfragen und Berichten anzugeben, ob der Ausländer seiner Volkszugehörigkeit nach Russe, Ukrainer, Kaukasier, Kosake, Weissrusse, Tscheche, Ruthene, Kroate u. a. ist. Ein Vermerk ist ausserdem in der Karteikarte aufzunehmen, wenn es sich um einen Zigeuner handelt. (...]" In der Öffentlichkeit begnügte man sich Jahre später durch die deutliche Kennzeichnung der Zwangsarbeiter, die nationalsozialistische Alltagsordnung in Abgrenzung halbwegs 43 Brief vom 17. Mai 1939. Quelle: O Ö L A . Bestand Lreg. 1926-1939. Mikrofilm 326. 44 Brief vom 1 1 . September 1939. Quelle: ebenda.

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aufrechtzuerhalten (siehe Abb.)45. Es war zusehends ein quantitatives Problem, das immer mehr Angst auslöste und die kaum Fragen der Humanität aufkommen ließ. Im Mai 1944 etwa wurden bei den Linzer Industriebeschäftigten ein Anteil von 42,5 % Ausländer und Kriegsgefangene registriert (in manchen Industriebereichen lag der Zwangsarbeiteranteil bei über 90 %).+6 Und ein Jahr zuvor, am 23. April 1943, berichtete der Linzer Oberlandesgerichtspräsident dem Reichsjustizminister: „Im Bezirk des Arbeitsamtes Linz OST-Aufnäher selbst sind ausgewiesen 191.865 Beschäftigte, davon 59.579 Fremdländer, also rund 31 %; bei den Männern beträgt der Anteil sogar 42,2 %, so daß hier fast jeder zweite männliche Beschäftigte Ausländer ist, ein Prozentsatz, der insbesondere das Straßenbild der Stadt stark beeinflußt" (DOW, 1982, Bd. 2, 424). Diese Perspektive ist sehr ernst zu nehmen, denn allein das quantitative Ausmaß „fremdvölkischer" Menschen, die nach Jahren xenophober Propaganda gar das Straßenbild der Stadt zu prägen vermochten, mag die Repression erahnen lassen, die notwendig war, um in der Aufrechterhaltung des eigendefinierten Stellenwerts einer paranoiden Stimmungslage entgegenzuwirken. Insbesondere im Verlaufe der Kriegsjahre, als die einheimische Bevölkerung selbst unter Entbehrungen, Bombendrohlingen und Verlust von Angehörigen zu leiden hatte, bedurfte es zusätzlicher propagandistischer Mittel, um das Niveau des jahrelang aufgeputschten und überlegenen Selbstwertgefühls zu erhalten. So ist es zu verstehen, wenn in der Zeitschrift „Von Tag zu Tag" am 25. April 1943 ein Buch empfohlen wurde, dessen Publikation drei Jahre zurücklag: „Erbarbeiter der Ostmark" 47 von Grete Garzarolli, Wien, Leipzig, 1940. In unserem Kontext ist von besonderem Interesse, daß in den Linzer HermannGöring-Werken quasi werksintern von oberster Stelle zu der bereits vorhandenen rassistisch definierten Gesellschaftshierarchie für die eigene Belegschaft eine rassentheoretische Untermauerung konstruiert wurde, um die Sonderstellung des nationalsozialistischen Arbeiters der Ostmark im bedrohlichen proletarischen Völkergemisch der Kriegsindustrie herauszustreichen.

45 Für die Leihgabe danke ich Herrn Jiri Stefanek. 46 Vgl. Projektzwischenbericht von Dr. Michael John, S. 1 1 . 47 Für diesen Hinweis danke ich DDr. Oliver Rathkolb. Mir blieb dieses Schriftstück auch deshalb in steter Erinnerung, da mir der Begriff „Erbarbeiter" dermaßen neu war, und ich bei einer Team-Sitzung mehrmals „Erdarbeiter" las und korrigiert werden mußte.

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Freilich ist nicht anzunehmen, daß die potentiellen Leser dieser Schrift in der Arbeiterschaft zu finden waren; vielmehr ist sie Ausdruck einer Geisteshaltung, die vom obersten Chef des Betriebs programmatisch in Worte gefaßt wurde und eine Atmosphäre mitbestimmte, in der die Handlungen seiner Gefolgschaft eingebettet waren. Und diese Bedeutung ist nicht zu unterschätzen, denn - so Victor Klemperer, der die LTI - Lingua Tertii Imperii, die Sprache des Dritten Reiches, penibel beforschte - „der Nazismus glitt in Fleisch und Blut der Menge über durch die Einzelworte, die Redewendungen, die Satzformen, die er ihr in millionenfachen Wiederholungen aufzwang, und die mechanisch und imbewußt übernommen wurden" (Klemperer, 1969, 2 3). Der „Erbarbeiter" war in diesem Sinne auch eine typische Wortschöpfung des Dritten Reiches - mit österreichischem Ursprung. Die „befruchtende Anregung zur Abfassung" der Schrift „Erbarbeiter der Ostmark" verdankte Grete Garzarolli dem Generaldirektor der Alpine Montan A G „Hermann Göring", Herrn Bergrat e.h. Doz. Dr. mont. Dr. tech. Ing. Hans Malzacher48. In seinem 48 Näheres zu Hans Malzacher (1896-1974), siehe den Beitrag von DDr. Oliver Rathkolb, Band 1, S. 287 ff.

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Geleitwort vom November 1939 präsentierte er stolz die neue Wortschöpfung - in Anlehnung an den „Erbhofbauern" - der „Erbarbeiter", wovon er sich eine Anregung für das ganze Großdeutsche Reich erhoffte. Malzachers Intention lag ganz im Geiste der Schriftenreihe des herausgebenden Verlages Adolf Luser „Vom Kampf und Bekenntnis Österreichs fiir Großdeutschland". „Erst das Deutschland unseres Führers Adolf Hitler, dem wir die Befreiung vom Klassenkampf und von den Spannungen zwischen Betriebsfuhrern und Arbeitern verdanken, wird diesem Werk die richtige Aufmerksamkeit schenken. Möge das Buch über die Erbarbeiter den Weg in alle deutschen Landen finden" (Malzacher, 1939, 6). Am Beginn des Projekts stand ein harmloses Preisausschreiben mit der Frage nach dem ältesten Arbeiter in den Hermann-Göring-Werken. Danach folgte die Idee - so Malzacher - „nach einer noch interessanteren Frage zu forschen. Es ging darum festzustellen, wer in jedem einzelnen Werk die größte Zahl der Ahnen habe, die ebenfalls schon bei der Alpine Montan-Aktiengesellschaft „Hermann Göring", Linz, oder ihren Rechtsvorgängern gearbeitet haben" (ebenda, 5). Grete Garzarolli nahm diese Idee dankend auf und produzierte getreu einer nazistischen Blut-und-Boden-Ideologie einen kollektiven proletarischen Ariernachweis für die Ostmark, der selbst reichsdeutsche Arbeiter alt aussehen ließ. Nach Frau Garzarolli sind Erbarbeiter „eine Auslese jener, die trotz der oftmals einsetzenden Notzeiten, trotz Unterdrückung und Ungerechtigkeiten ausharrten und ihr Erbe, das, wie gesagt, auf übermaterieller Basis fußt, hochhielten und pflegten; ein Erbe, das aus nichts anderem bestand und noch besteht als aus Kultur (...) aus einem reichen Erfahrungsschatz und einer aufrechten schier unerschütterlichen Anständigkeit. Sie sind durchwegs erbgesund, der Trunksucht nur selten ergeben; ihre Sonntage verbringen sie in den Bergen, oder sie arbeiten in ihren Gärten, oft genug auch findet sich eine starke künstlerische Veranlagung. Ihre Kinder unterscheiden sich von den Kindern der „Zugereisten", der neu Hinzugekommenen, häufig ganz wesentlich; ihre Haltung ist schon früh sehr selbstbewußt, instinktiv legt der Erbarbeiter besonderen Wert auf eine gute, artgerechte Erziehung" (Garzarolli, 1940,17 f.). Moral und Rassismus49 geraten Frau Garzarolli zur Symbiose, und alle Mittel der Konstruktion sind ihr recht, die erwünschten Unterscheidungen zu treffen. Als „stets unterscheidbare" Mischung aus nordischer und dinarischer Rasse sei der bodenständige 49 Ferner schrieb die Autorin: „Mag sein, daß es die bereits erwähnte seelische Hochspannung der bodenständigen Arbeiterbevölkerung ist, was eine Degeneration, wie sie sich in der Neigung zu Verbrechertum, Charakterschwäche, im Kretinismus, schwächlicher Körperkonstitution zeigt, nicht aufkommen läßt; man kann dies aber auch daraus begreifen, daß in den Erbarbeiterfamilien kaum irgendwelche Inzuchterscheinungen auftreten; die Erbfolge bei Arbeitern ist fast niemals, wie zumeist bei Bauern, Gutsbesitzern, Beamten usw., durch eine sogenannte Vermögensheirat beeinflußt. Nicht einmal in den ältesten Familien, wie den Dornbergers und Dambergers in Aumühl, vermag man Degenerationsmerkmale dieses Ursprungs festzustellen" (ebenda, 5 if.).

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Arbeiter der Ostmark voll „uralter Sehnsucht nach nordischer Weite, Kühle, Einsicht und Klarheit" (ebenda, 29). „Sogar der Nichteingeweihte wird schon beim ersten Anblick sagen können, welche der Arbeiter bodenständig - das heißt Erbarbeiter - und welche zugewandert ist. Dem Erbarbeiter, der mit der ganzen Kette seiner Vorfahren dem Einfluß der Landschaft unterworfen ist, der, ohne es zu wissen, nach ihrem Rhythmus dem gleichartigen Ablauf der Jahreszeiten, den Witterungsverhältnissen, dem Werden und Reifen der Frucht, den jahreszeitlich gebundenen Ortsbräuchen - lebt, ihm hat die Landschaft das Gesicht mitgeformt" (ebenda, 52 f.). „Der Arbeiter der Ostmark fühlt sich als Herr" (ebenda, 21), denn „wo stehen die Erbarbeiter?" fragt die Autorin: „Viele sind Vorarbeiter der neu hinzugekommenen slowakischen und tschechischen Arbeiter und auch der heimischen Kameraden" (ebenda, 36). Neueste Forschungen werfen auch einiges Licht auf die Hintergründe dieses Schriftstücks und v. a. auf die Biographie der Verfasserin, die in Vergessenheit geriet, obwohl sie nach 1945 durch ihre Aktivitäten auf sich aufmerksam machte. Helga Hafher5° arbeitet aktuell an einer Diplomarbeit am Institut für Germanistik an der Universität Graz über die Schriftstellerin und Journalistin Grete Scheuer (Garzarolli) und stellte mir dankenswerterweise interessante Ergebnisse ihrer Forschungen zur Verfugung: „Grete Scheuer wurde am 6. Juni 1900 in Aflenz geboren. Wenige Jahre später zog die Familie in den nahe gelegenen Ort Thörl, wo der Vater seinen Dienst als Werksarzt bei der Eisenwarenfabrik Johann Pengg antrat. 1924 heiratete sie Dr. Karl Garzarolli v. Thurnlack,5' bis sie, noch in den zwanziger Jahren, aus der Ehe ausbrach und nach Berlin ging. Berlin wurde für sie zunehmend gefährlich, da sie eine sogenannte ,Vierteljüdin' war, wovon sie selbst erst spät Kenntnis erlangte: , Großvater Feuerlöscher war Jude, wovon ich komischerweise erst in meinem vierunddreißigsten Lebensjahr erfahren habe, als ich die Dokumente für die Reichsschrifttumskammer in Berlin visitierte. Nach eigener Aussage mußte sie Berlin verlassen, weil es für sie zu gefährlich geworden war - nachdem sie mehrmals aufgefordert worden wäre, der Partei beizutreten. Richtig ist vielmehr, daß sie im Dezember 1932 in die NSDAP eintrat, im März 1933 jedoch wegen,unbekannten Aufenthaltes' bereits wieder abgemeldet wurde.53 Ihren Angaben nach,versäumte (sie) durch schwere 50 Ich danke Dr. Gerhard Fuchs vom Franz-Nabl-Institut für Literaturforschung der Universität Graz, der mich auf die Arbeit von Frau Helga Hafner aufmerksam machte. 5 1 Mitteilung von Dr. Gerhard Fuchs. Weiters ist anzumerken: Dr. Karl Garzarolli von Thurnlack ( 1 8 9 4 - 1 9 6 4 ) war nach 1945 Direktor des Kunsthistorischen Museums (Vorstand der Gemäldegalerie und Konservator des Bundesdenkmalamtes). E r war bei der Verhinderung der Rückstellung von Klimt-Gemälden mit im Spiel (vgl. Czemin, 1999). 52 Scheuer, Grete: Wer bist Du? Familienerinnerungen. S. 11 (Unveröff. Manuskript, eine Kopie im Besitz der Verfasserin). 53 Vgl. NS-Parteikorrespondenz. Berlin Document Center. Akt „Grete Garzarolli".

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Erkrankung und Not die Bezahlung der Beiträge'.54 Von diesem Zeitpunkt an leugnete sie stets ihre Mitgliedschaft. Während der Kriegsjahre lebte die Schriftstellerin in Wien, hatte stets finanzielle Schwierigkeiten, mußte alleinstehend für ihren Sohn sorgen. In ihrer Ende der 6oer/Anfang der 70er Jahre verfaßten Familienchronik berichtet Grete Scheuer erstmals - und auch das einzige Mal - von einem interessanten Auftrag: ,Ich suchte in seinem (= Generaldirektor Hans Malzacher; H. H.) Auftrag, dessen Ausfiihrung zwar nicht sehr gut, doch auch nicht gerade miserabel honoriert wurde, in Donawitz nach Erbarbeitern, fand auch ein paar nette redliche Leute, Enkel von Männern, die im vorigen Jahrhundert dort beschäftigt gewesen waren. Ich war damals auch in Thörl, in Seewiesen und in Neuberg an der Mürz, wohin ich geschickt worden war. Ab ich genug Material beisammen hatte, wies ich es in der Friedrichstraße in Wien auftragsgemäß dem bärtigen Heini Einspinner vor, dem Bruder meiner Schwägerin Freya . ..'5i Neben den selbst gesammelten Informationen zog Grete Scheuer auch das alte Alpine-Archiv in Wien als Quelle heran. Dann schrieb sie das ,Büchlein1, ,an dem Malzacher viel Freude hatte1J6 Malzacher soll von der Arbeit ganz begeistert gewesen sein, daß er eines der gedruckten Exemplare in rotes Leder binden ließ und es Hermann Göring feierlich zu überreichen gedachte. Grete Scheuer vermerkte noch in ihrer Familienchronik: ,Ich nannte es,Erbarbeiter', aber Generaldirektor Malzacher gab ihm den damals zügigeren Titel,Erbarbeiter der Ostmark' und nazifizierte den Inhalt durch sein Vorwort und ein paar Einfügungen im Text, obwohl ich den Versuch gemacht hatte, mich der zeitgemäßen Färbung zu widersetzen.157 Hier handelt es sich wohl um einen nachträglichen, nicht ganz nachvollziehbaren Rechtfertigungsversuch, da sich die zeitgemäße Farbe' durch das ganze Schriftstück zieht. ,Erbarbeiter der Ostmark' ist ein Werk, das gänzlich aus dem Rahmen der sonstigen Schriften58 Grete Scheuers fallt und verschwiegen wird: In keinem Literaturlexikon erwähnt, in Biographien übergangen, finden sich allein in Scheuers ,Fa-

54 Fragebogen für Mitglieder des R D S v. 1. Dezember 1 9 3 3 . Berlin Document Center. Akt „Grete Garzarolli". 55 Scheuer, Grete: W e r bist Du? Familienerinnerungen. S. 222 f. 56 Ebenda, S. 223. 57 Ebenda. 58 Unter anderem schrieb sie: Kleine Nachtsonate. Wien, 1946. Der Patriarch. Ein Raumbild. Graz, 1952. Die Maschinenbauer von Andritz. Graz-Andritz, 1952. Balthasar. Mit 6 Zeichnungen der Verfasserin und einem Nachwort von Otto Hofmann-Wellenhof. Graz/Wien, 1955. Der Kirschbaum. 4 Illustrationen v. Günter Waldorf. Graz, 1967. Fahrt im Dunkel. Ehe. Liebe. Schuld. Roman. Graz/Wien/Köln, 1972. Literatur in der Steiermark von

1945-1976.

Landesausstellung

1976. J a und Nein.

Gedichte.

Graz/Wien/Köln, 1977. Der Tod des Asklepios. Erzählung. Graz/Wien/Köln, 1985. Halt! Ein Mensch! Roman. Graz/Wien/Köln, 1988.

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milienerinnerungen', einer nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Arbeit, Hinweise darauf. Im Jahre 1947 machte sie einen Neuanfang in Graz und beteiligte sich intensiv am kulturellen Leben der Stadt. Sie war maßgeblich an der Neuformierung des „Steirischen Schriftstellerbundes" beteiligt und konnte in diesem Zusammenhang jungen Talenten behilflich sein. Eine wichtige Rolle spielte sie ebenfalls bei der Gründimg des „Forum Stadtpark" und war der Avantgarde aufgeschlossen. Grete Scheuer starb am 23. Februar 1988 in Graz." Mit einer Schrift, wie die von Hans Malzacher initiierte und von Grete Garzarolli verfaßte „Erbarbeiter der Ostmark", war der biologisch und historisch begründete Führungsanspruch auf den Punkt formuliert, der sich konkret im Arbeitsalltag niederschlagen sollte: die (nationalsozialistischen) Arbeiter der Ostmark als von oberster Stelle definierte und auserlesene Elite, die dem „fremdvölkischen" Zustrom standzuhalten hatten. Auch wenn das von Hans Malzacher geförderte Menschenbild nicht wortgetreu durch alle Ebenen seines geführten Werks eingedrungen sein mag, so war es doch in jedem Fall ein geltender Bestandteil einer inhumanen Werteordnung, die mörderische Konsequenzen nach sich zog. Außerhalb dieser scharf gezogenen Grenzen der eigenen Standortbestimmung herrschte ein rechtsfreier Raum, in dem jeder trachtete, in „bessere Höllenkreise", wie es Victor Klemperer bezeichnete, zu gelangen - soweit sich überhaupt eine solche Möglichkeit bot. Für manche existierten solche Möglichkeiten - bis hin zur Illusion der Grenzüberschreitung.

„ N A JA, WIR WAREN JUNG

..."

Als ich Herrn Matejka am 18. Februar 1999 zu Hause in Ceske Budejovice aufsuchte, wollte vorerst unser Gespräch nicht so recht in Gang kommen. Der freundliche, sehr vital wirkende alte Herr war mir sehr sympathisch, und auch die außergewöhnliche Wanddekoration seines Wohnzimmers, wo er mich bat Platz zu nehmen, war für mich sehr vertrauenerweckend. Ehrenurkunden, Medaillen und Wimpel schmückten den Raum, die, sofort ersichtlich, einen Bezug zum Eishockeysport verrieten. Ich war bei einem Sportler gelandet. Selbst ein leidenschaftlicher, vorwiegend passiver Sportkonsument, bewundere ich von Kindesbeinen an die hohe tschechische Kunst der Puckbeherrschung. Aber das war nicht Thema. Noch nicht. Herr Matejka wurde von mir nicht das erste Mal über seine Erfahrungen in den Hermann-Göring-Werken befragt. Durch seine langjährigen Kontakte mit dem GeschichteClub-VOEST stand er bereits Diplomanden (z. B. Seeber, 1995) als Gesprächspartner zur Verfügung, und auch dem Osterreichischen Rundfunk dienten seine Aussagen zur

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Bereicherung einer Geschichtsbetrachtung. Herr Matejka hatte deshalb für mich eine Ton-Cassette59 vorbereitet und eröffnete, besser: beendete damit für zwanzig Minuten den Gesprächsbeginn. Was Herr Matejka als Hilfestellung für mich gedacht hatte, erwies sich doch mehr als eine Behinderung meines Gesprächsvorhabens, denn derart gefestigte und kontrollierte Erinnerungen lassen schwierig die differente subjektive Betroffenheit wahrnehmen. Aleida Assmann brachte dieses Phänomen auf den Punkt: „Bei solchen Erinnerungen, die durch wiederholtes Erzählen regelrecht poliert worden sind, verlagert sich die Kraft der Stabilisierung allmählich vom Affekt in die sprachliche Formel" (Assmann, 1998, 151). Vor allem bei Gesprächspartnern, die des öfteren als „Zeitzeugen" zu Veranstaltungen geladen waren, zeigte sich, daß selbst Ausdrucksweise und Stimmlage einer Veränderung unterlagen, wenn die gewohnten Bahnen der Erinnerungsbilder vom Gedächtnis zur Sprache verlassen werden mußten. Und so schien es mir, als ob nach Abhören der Ton-Cassette das Gespräch schon zu Ende sei, bevor es überhaupt begonnen hatte. Meine ersten Fragen über den familiären Hintergrund, über die Kindheit und Jugend wirkten auf mich in dieser Situation etwas deplaziert, und dementsprechend einsilbig waren auch die Antworten. Frantisek Matejka ist gebürtiger Budweiser, Jahrgang 1923. Als jüngstes von drei Kindern besuchte er das Budweiser Gymnasium, wo auch Deutsch auf dem Stundenplan stand, was ihm später sehr hilfreich werden sollte. Nach der Schule absolvierte er eine Handelsausbildung und war als Praktikant in der Drogerie eines „Budweiser Deutschen" beschäftigt. Als „Mädchen für alles" - „damals sagte man Assistent" - so Herr Matejka arbeitete er in der Buchhaltung, im Verkauf und auch in der Dunkelkammer. Eine vielseitige, eine schöne Arbeit. Es gab nur ein Problem: „Frantisek Matejka: Der Chef. Er hatte einen Sohn gehabt, der gleich alt war wie ich. Der mußte einrücken, und der Chefhat es schlecht ertragen. Der Junge - der war glaube ich irgendwo bei Düsseldorfoder wo bei der Flakhilfe. Und der hat es schlecht vertragen, daß ich ein so „gutes Leben " habe, was er immer gesagt hat. Also hat er mich freigegeben an das Arbeitsamt." Ab diesem Zeitpunkt ging es schnell, denn nur jene jungen Männer seines Jahrgangs, die in wichtigen Betrieben gearbeitet hatten, waren vom „Totaleinsatz" freigestellt. Herr Matejka kam sogleich nach Linz in die Hermann-Göring-Werke, wo er von Anfang an beim Verkehrswesen als Rangierer eingesetzt wurde. Es war Glück im Unglück. Denn mit den österreichischen Eisenbahnern, Matejkas Vorgesetzten, herrschte ein gutes Auskommen. Mehr noch: ein Gefühl der Akzeptanz und Hilfsbereitschaft. Mit den Chefs der Chefs gestaltete sich die Situation schwieriger: 59 Es handelte sich um die Radiosendung: Journal Panorama - „Mit Zwangsarbeitern zum Wirtschaftswunder", die am 13. Mai 1998 in O l ausgestrahlt wurde.

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„Frantisek Matejka: Nur mit den Preußen gab es Probleme, das war die Natur von denen. Aber mit den Österreichern kamen wir immer gut aus. Die Österreicher, die waren zum Beispiel Bahnmeister oder Dienstleite, oder Lokfiihrer. Also mit denen waren wir immer in Kontakt und haben keine Probleme gehabt. Wirklich. Fast keiner könnte sich über die Österreicher beschweren. Aber wenn die Chefe aus Deutschland waren, besonders die Preußen, da gab es Probleme. Karl Fallend: Wie haben die ausgesehen, die Probleme? Frantisek Matejka: (...) Wenn dajemand in Kontakt kam, dann hat man schon erlebt, daß er so streng, so wie beim Militär behandelt wurde. Befehl, Befehl undfertig. Man konnte nicht widersprechen. Und die Leute, die im Betrieb waren, da waren auch die Meister. Das war verschieden, das hängt auch von der Natur der einzelnen Leute und auch vom Benehmen der unseren Leute ab. Wenn jemand natürlich guten Kontakt mit dem Meister gehabt hat, war es für ihn ein wenig günstiger. Wenn er sich auch, was die Sprache betrifft, nicht verständigen konnte, da gab es auch Probleme, weil das dauerte eine längere Zeit, bis ihm der Meister erklärt hat, was man von ihm verlangt. Da gab es natürlich Sprachprobleme." Und genau diese Vorteile waren gegeben. Keine Sprachprobleme und einen guten Kontakt mit den Vorgesetzten beim Verkehrswesen, denen anscheinend die rassistische Propaganda nicht in „Fleisch und Blut" übergegangen bzw. im direkten Kontakt nicht immer aufrechtzuerhalten war. In der persönlichen Beziehung verschwamm oftmals - trotz Beibehaltung des Autoritätsgefälles - die verordnete Grenzziehung, und es blieben so manche Vorgesetzte nach mehr als fünfzig Jahren sogar in namentlicher Erinnerung, was die Besonderheit der Formulierung „ein wenig günstiger" noch unterstreicht.

Mühlbachbahnhof, 1944

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Auch Frantisek Matejkas Freund und Kollege Cestmir Buriänek60 fühlte sich von seinen österreichischen Vorgesetzten sehr gut behandelt und konnte gleich mehrere beim Namen nennen: Vorstand Waag, Wlachowsky, Rangiermeister Franz Renger oder Platzmeister Stadler. Besonders eindrücklich schilderte mir Vaclav Kellner, der ebenfalls mit Frantisek Matejka beim Verkehrswesen eingesetzt war, wie weit innerhalb des herrschenden Repressionssystems das persönliche Engagement einzelner reichen konnte. Herrn Kellners Erzählung ist eine einsame Ausnahme, aber sie soll nicht unerwähnt bleiben. Noch aktuell vermögen derartige humane Gesten horrende Erlebnisse zu überstrahlen, wobei die Dauerhaftigkeit der Anekdoten und der familiäre Bezug auch die Kehrseite, nämlich das Ausmaß der möglichen Repression, widerspiegelt: „ Vaclav Kellner: Wir waren denen sympathisch. Ja. Und das ist so weit gegangen, daß Weihnachten 44 der Franz Freudenthaler, das war ein Wiener, der war Bahnhofsvorsteher in Mühlbach, der hat Wache gehalten, und wir haben London zugehorcht. Und der hat Wache gehalten, daß niemand uns stört. Das war außerordentlich so was. Aber das ist nur dadurch entstanden, weil wir uns so gut benommen haben. Unter uns ist es zu keinem Streit gekommen, das kann ich sagen. Und mit den Deutschen, die kv-gestellt waren, mit denen sind wir gut ausgekommen, weil wir haben ja gut gearbeitet. Von zu Hause haben wir noch was zu Essen gekriegt. Also wir waren nicht zur Last, sondern wir konnten gut ausgenützt werden. Also so ist auf uns geschaut worden. Zum Beispiel, der 2. Lokführer bei mir, der Herr Wasenbeiz: nach dem Angriff am 25. Juli 1944, das war der Großangriff. Das warfurchtbar. Das kann ich nicht schildern Danach haben wir Zigaretten gefaßt. Ich habe vier bekommen und er acht. Und da ist er zur Verteilungsstelle gegangen und hat geschimpft:, Wieso?' ich sollte auch 8 kriegen wie er. Zuerst ist er gekommen und hat mir 6 gegeben und gesagt:,Behalten Sie 6 und ich auch 6.' Also mit solchen Leuten - kann man sagen - wir sind so geschützt worden von denen, aber die haben das nicht gewußt. Karl Fallend: Wer hat das nicht gewußt? Vaclav Kellner: Naja, diese Leute, daß dieser Lokführer, der hat nicht gewußt, daß er uns beschützt. Aber es ist bekanntgeworden, wenn du denen was tust, dann paß aufauf den Lokführer. So wie ein Vater. Zum Beispiel bin ich zum Mittagessen am Sonntag einige Male eingeladen worden, aber da habe ich immer aufpassen müssen, daß mich niemand sieht, daß ich in die Wohnung gehe. 60 Cestmir Buriänek (1921-1996) kam am 25. Oktober 1942 mit einem Transportzug nach Linz. Er war in mehreren Lagern untergebracht (Nr. 22, 26,42, 56) und arbeitete wie Herr Matejka im HGW-Verkehrswesen am Mühlbachbahnhof; Ausfahrtstellwerk als Weichensteller sowie als Verschieber und Wagenschreiber. Quelle: Geschichte-Club VOEST. Fragebogen-Beantwortung.

Das Privileg als Teil des Repressionssystems

Bergungsarbeiten beim Sammler C

Bergungsarbeiten beim Sammler C

Bergungsarbeiten nach Volltreffer beim Luftschutzbunker, 25.7.1944

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Karl Fallend: Bei einem Lokführer zu Hanse? Vaclav Kellner: Beim Lokführer zu Hause. Aber nicht nur beim Lokführer, auch mit dem Meister. Wenn wir geplaudert haben, die haben uns ja immer ausgefragt, und wir haben uns mit denen unterhalten. Das Leben - kann man sagen — warfamiliär. Aber die anderen, die in den Eisenwerken waren, oder solche Meister, wie die Ungarn, so die Volksdeutschen, mit denen ist es nicht gut gegangen." Inmitten der Erzählung über die einheimischen Vorgesetzten, die Herrn Kellner u. a. - z. T. ohne es zu wissen - in Schutz nahmen, Herrn Kellner unter Gefahr gar nach Hause einlud, trat eine Erinnerung in den Vordergrund, die keine weiteren Worte fand und gleich wieder zurückgedrängt war. Das Schmerzhafte der Erinnerung war allein durch den abrupten Abbruch und der raschen Verfolgung des früheren Erzählstrangs deutlich, und ich sah mich nicht imstande, durch ein Nachfragen darauf zurückzukommen. Die Bombenangriffe, v. a. die schweren Bombardements im Juli 1944, die zahlreiche Todesopfer forderten - unter ihnen Freunde, Lagerkameraden, Arbeitskollegen -, stellen einen tiefen Einschnitt in das Erlebte dar. Schock, Trauer, traumatische Erfahrungen, die in den beiden Sätzen „Das war furchtbar. Das kann ich nicht schildern" enthalten waren und in der großen Erzählung untertauchten, während sie mir bei der mehrmaligen Lektüre des Transkripts förmlich herausragten und in der Zusammenschau alle Gespräche v. a. mit tschechischen Zwangsarbeitern eine allgemeine Bedeutung erhielten. Durch die Möglichkeiten, sich in der erzwungenen Ausnahmesituation in manchen Lebensbereichen Vergünstigungen zu verschaffen, orientiert sich auch der Großteil der Erzählungen nach dem Balsam des Erlebten und nicht daran, die Wunden verbal offenzulegen. Balsam und Wunde stehen jedoch in einem direkten Zusammenhang. Zum Vorteil der Sprachkenntnis kam oft noch der zeitliche Vorsprung hinzu, der genutzt werden konnte, um sich in der erzwungenen Lage eine bessere Positionierung zu verschaffen. „Frantisek Matejka: (...) Also diese Leute, die so spät gekommen sind, die - so kann man sagen haben Hilfsarbeiten geleistet. Weil wir waren schon so - kann man sagen - eingebürgert. Viele Leute von uns, die zum Beispiel in Eisenwerken gearbeitet haben, die waren Lackierer, Schweißer, Schlosser. Die waren entweder Fachleute oder haben sich eingebürgert im Laufe der Zeit. Zum Beispiel als Kranführer und so verschiedene Handwerker. Die Häftlinge und Kriegsgefangene, die später gekommen sind, die haben nur die Hilfearbeiten gemacht." Die Wortwahl „eingebürgert" mag wohl auch mit „zurechtgefunden" oder „eingewöhnt" gleichgesetzt werden. Bevor die Tausenden Zwangsarbeiter aus dem Osten in Linz eintrafen, wußten die jungen tschechischen zwangsverpflichteten Männer bereits, wie „der

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Laden lief. Zahlreiche Schlupflöcher, Tricks waren inzwischen ausgekundschaftet und informell verbreitet, um sich die mißliche Lebenssituation ein wenig zu verbessern. Die Art und Weise, wie mir Herr Matejka - aber auch andere Gesprächspartner, etwa Vaclav Kellner - über die einzelnen verbotenen Aktionen zur Verbesserung der Lebenslage erzählten, wirkte auf mich beinahe wie eine sportliche Herausforderung, eine Art Abenteuer in jugendlichem Ubermut, die Grenzen des Herrschaftssystems zu überlisten. Eine Aussage von Herrn Matejka bekam für mich zusehends den Charakter eines Leitmotivs: „Wer keine Angst gehabt hat, konnte -was unternehmen. Natürlich war es ein Risiko, na ja, wir warenjung mit 20, 22 Jahren."

Die neue erzwungene Lebenswelt im Standort Linz der Hermann-Göring-Werke war trist und eintönig, daher auch in der Erinnerung und Erzählung hintangestellt, und als Zuhörer läuft man Gefahr, die erlebten Situationen proportional den erzählten Anteilen zu gewichten. Tristesse und Eintönigkeit lassen sich aber schwieriger in Worte fassen als jene erhellenden Ausnahmen, die daraus herausragen. Herr Matejka war wie Mirek Cibuzar, der noch heute in direkter Nachbarschaft von ihm wohnt, im Lager 56 in Kleinmünchen untergebracht. Herr Cibuzar besaß noch einen gezeichneten Plan ihrer Behausung (siehe Abb.) samt der Namen der Zimmer- und Arbeitskollegen. Mit einigen von ihnen hatte ich die Gelegenheit, ein Gespräch zu führen (Mirek Cibuzar, Vaclav Kellner oder Jifi Vavra) -, und sie teilten bis ins Detail die Beschreibung der kargen Lebensverhältnisse. Äußerst schlimm empfand man die Wanzenplage in den Baracken, der man kaum Herr werden konnte. „Da hat uns kein Petroleum geholfen. - Wenn wir uns niedergelegt haben, dann sind die von der Decke gefallen." Sobald es das Wetter zuließ, versuchte man sich im Freien einen Schlafplatz zu suchen. Im Winter fehlte es an Heizmaterial „Wir haben einen Kübel Kohle bekommen für den Tag, fertig." Hinzu kam die äußerst schlechte und monotone Ernährung, die zumeist aus Eintopf bestand und angesichts der harten körperlichen Arbeit völlig unzureichend war. Die Mängel waren schnell geortet, und es ging ans Organisieren von Verbesserung. An der Wohnsituation war wenig zu ändern, aber für etwas Wärme konnte gesorgt werden: Stube 3/5 im Lager 56

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Zwangsarbeit - Sklavenarbeit in den Reichswerken Hermann Göring am Standort Linz

„Frantisek Matejka: Also wir beim Verkehrswesen, wir haben es so organisiert, daß wenn wir irgendwo in der Nähe des Bahnhofes Kleinmünchen gefahren sind, haben wir immer etwas Kohle abgeworfen von der Lokomotive. Und nachdem wir ins Lager gekommen sind, haben wir es mitgebracht und haben ein wenig mehr Kohle gehabt. Das war unser Vorteil. Sonst, die anderen, ja was konnten sie tun? Die Fabrik war eine Baustelle. Überall hat man Holz gefunden. Also die haben immer ein wenig Holz zusammengebracht, daß man sich ein wenig aufwärmen konnte im Winter. So haben wir uns geholfen."

Lager - Fabrikssicht

Auch bezüglich der Verbesserung der Ernährungslage fand man einen glücklichen Ausweg und solidarische Möglichkeiten. Auf Grund des unregelmäßigen Schichtbetriebs beim Verkehrswesen - so Herr Matejka - erhielten sie sogenannte Ausländerwochenkarten, die es ihnen ermöglichte - auch weil sie mit ihrer Bahn im ganzen Werksgelände unterwegs waren die einzelnen Betriebsküchen der einheimischen Werktätigen aufzusuchen, was eine Ausnahme und natürlich von Vorteil war. Außerdem bot sich die Gelegenheit, nahe gelegene Gastwirtschaften zu besuchen. Der verdiente Lohn war anderweitig nicht auszugeben, und ausländerfreundliche Bedienung war schnell ausgekundschaftet. Jiri Vavra erzählte mir gemeinsam mit Stanislaw Marik von einem besonderen Naheverhältnis: „Jiri Vavra: (...) Wir hatten auch eine Bekanntschaft in Ebelsberg - dort sind wir in ein Gasthaus zum Abendessen gegangen. Und die alte Frau hat uns als Stammgäste kennengelernt, und so haben wir bei ihr auch Protektion gehabt. Wenn wir zum Beispiel nach Weihnachten nach Hause gekehrt sind, so hat sie uns eine Flasche Schnaps vorbereitet, und jeder hat eine Flasche bekommen. Karl Fallend: Warum hatten Sie Protektion?

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Jifi Vavra: Jeden Tag sind wir zum Mittagessen oder Abendessen dorthin gegangen, und sie hat uns schon so kennengelernt. Sie hatte auch einen Sohn, der - in Rußland ist er gefallen, deswegen haben sie uns - wir waren so alt wie er, und deswegen hat sie uns auch fast Karl Fallend: Adoptiert? Jifi Vavra: Ja Stanislaw Marik: Ja, aber es war so auch in dem Gasthaus. Die Österreicher, die waren so, mit dem Geld, die haben mehr gespart wie wir. Wir haben Trinkgeld gegeben und Jifi Vavra: Wir hatten so viel Geld. Wir wußten nicht, was sollen wir damit -machen. Man konnte nichts kaufen. Es war nichts zu kaufen. Also was sollten wir mit dem Geld machen? Also haben wir Trinkgeld gegeben, vielleicht auch 10 Mark haben wir gegeben als Trinkgeld. Karl Fallend: Könnten Sie mir das noch ein wenig erklären? Das verstehe ich nicht. Jifi Vavra: Das wir so viel Geld hatten?

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Karl Fallend: Ja. J i f i Vavra: Ja, wir haben viel Geld verdient. Und während des Krieges war alles auf Karten. Man mußte Karten und dazu auch Geld haben. Und wenn sie keine Karten haben, dann ist das Geld wertlos. Also wenn wir zum Beispiel zum Mittagessen - die Frau hat uns gesagt, es kostet zum Beispiel 5 Mark, wir haben 10 Mark, wir haben das gezahlt.,Nehmen Sie das alles.' -Ja, was sollten wir damit machen. Sparen?" Zudem bestand anfänglich auch die Möglichkeit, Pakete mit Lebensmittel von den Verwandten zu erhalten, die untereinander geteilt wurden sowie - so Herr Matejka: „... die Möglichkeit, einmal in drei oder vier Monaten durch einen Sonderzug nach Hause zu fahren. Da hat man Sonderzüge am Freitagabend von Linz vorbereitet bis nach Budweis und am Sonntagnachmittag wieder zurück. Das waren - kann man sagen - so Urlaubszüge. Die sind einmal in drei oder vier Monaten gefahren. Da waren 800 Plätze in dem Zug. Und wir waren Tausende dort, aus Budweis und Umgebung. Also dann, wenn es möglich war, wenn die Zeit ausreichte, mußte man so schwarzfahren. Wer keine Angst gehabt hat, konnte was unternehmen. Natürlich war es ein Risiko, na ja, wir waren jung mit 20, 22 Jahren."

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Das Privileg als Teil des Repressionssystems

Das Schwarzfahren bestand darin, daß man auch ohne Genehmigung versuchte, einen Platz im Zug zu ergattern und bis zur Grenze mitzufahren. Dort stiegen sie aus, liefen entlang des Waldes herum, um in Kaplitz - der ersten Station im Protelctorat - wieder den Zug zu besteigen. Ein öfter durchgeführtes Unterfangen und das Lächeln von Herrn Matejka während dieser Erzählung ließ mir den damaligen Triumph dieses gefährlichen „Streiches" erahnen - eine Ahnung, die durch das gemeinsame Betrachten einiger Fotografien noch verstärkt wurde. Hierin lag eine Gemeinsamkeit bei den meisten meiner tschechischen Gesprächspartner: ihr damaliges junges Alter, das stückweise in der aktuellen Erinnerung konserviert, in der Art der Rekonstruktion und Verarbeitung ihrer Erlebnisse erhalten blieb. Junge Männer, die zum Teil mit waghalsigen Aktionen ihre Misere erleichtern wollten. Aktionen, die in der Wahrnehmung der Erzählung zeitweise vergessen lassen, daß sie unerbittlich Gefangene eines Terrorregimes waren, das zusehends Schwierigkeiten hatte, den Freiheitsdrang dieser jungen Menschen zu disziplinieren. Der Unmut über die angelegten Fesseln machte sich nicht nur im politischen Widerstand, in zahlreichen Sabotageakten Luft (vgl. etwa die Aussagen von Herrn Otto Pähl); die Widerständigkeit mußte sich auch in der Brechung der repressiven Alltagsordnung bemerkbar machen. Allein die Lagerordnung, die u. a. besagte, daß man nach 22 Uhr im Lager zu sein habe, provozierte bei vielen jungen Männern vorwiegend nur einen Gedanken: wie diese Verordnung zu überwinden sei. Auch hier entdeckten Frantisek Matejka und seine Freunde eine Möglichkeit, die im scheinbaren Privileg das Ausmaß der Repression erkennen läßt.

VILLA NOVA

„Frantisek Matejka: Naja, dann mußte man zu Fuß laufen. Wenn man in der Stadt ein wenig später geblieben ist, konnte man natürlich die Straßenbahn nicht verwenden. Und eine Ausnahme •war: wenn man ein Puff besucht hat. Dort hat man eine Bestätigung bekommen und konnte bis morgen jrüh draußen sein. (...) 7M der damaligen Zeit war in Linz - natürlich Offiziers-Puff, ein P u f f f i i r die normalen Soldaten und auch für die Ausländer. Für die Ausländer war dort eine gemischte Bedienung. Ja, da waren die unseren Damen, auch französische Damen und russische Frauen. Aber die alle haben eine Legitimation, eine Bestätigung gehabt, daß sie im HermannGöring- Werk arbeiteten. Weil die Einrichtungen gehörten der Fabrik. Karl Fallend: Hat es da mehrere

gegeben?

Frantisek Matejka: Natürlich. Das größte war Nova Villa. In Linz. Neue Welt. Karl Fallend: Direkt oben?

Spallerhofì

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Zwangsarbeit - Sklavenarbeit in den Reichswerken Hermann Göring am Standort Linz

Frantisek Matejka: Am Spallerhofwar der zweite Betrieb - Paris. Und die Damen dort, die sind natürlich auch angestellt gewesen bei der Firma. In Nova Villa war ein Wächter, ein Tscheche aus der Nähe von Budweis. Also von ihm konnte man von Zeit zu Zeit immer so eine Quitanz bekommen. Karl Fallend: So eine Bestätigung? Frantisek Matejka: Ja, ja. Natürlich gegen Bestechung. Man mußte nicht hineinkommen, um die Verwöhnung der Damen zu genießen. Also da hat man die Möglichkeit gehabt, in der Stadt oder in der Umgebung etwas zu unternehmen." Auf seinem Erzählweg über die einzelnen Möglichkeiten der Situationsverbesserungen während der erzwungenen Tätigkeit in Linz landete Herr Matejka auch bei einem Haus, das unter dem Namen „Villa Nova" bzw. „Nova Villa" bekannt war. Das Bordell für die Zwangsarbeiter der Hermann-Göring-Werke. Fast allen meiner männlichen Gesprächspartner war dieser Name ein Begriff, und es überraschte mich nicht, daß mich keiner - trotz oft betont männlicher Gesprächssituation - via einer Erzählung in das Gebäude mitnahm. Eine Ausnahme war Herr Hieronym Plebanski, der in einer kurzen Gesprächsphase des Lachens den Hemmungsaufwand durchbrach und mir in wenigen Worten die stickige und entwürdigende Atmosphäre andeutete, wie zahlreiche Männer vor einzelnen Türen Schlange gestanden hatten, auf denen jeweils eine Fotografie derjenigen Frau angebracht war, die für den bezahlten Geschlechtsverkehr zur Verfügung stand. Die Aussparung dieser nationalsozialistischen Einrichtung in den Erzählungen zeugt nicht von deren Bedeutungslosigkeit, sondern vom Ausmaß der Unterdrückung, die in die intimsten Bereiche reichte und der nur mit Scham und Wertlosigkeit begegnet werden kann. Diese spezifischen Reaktionen bilden auch den widerspiegelnden Ausdruck jener Schamlosigkeit, mit der die NS-Machthaber den evidenten Zusammenhang von Sexualität/Lust-Freiheit-Politik reziprok durch Diktatur-Unfreiheit-Sexual-/Lustfeindlichkeit in die Tat umsetzten. „Die Sünde wider Blut und Rasse ist die Erbsünde dieser Welt und das Ende einer sich ergebenden Menschheit", zitierte Wilhelm Reich aus Adolf Hitlers „Mein Kampf' in seiner Analyse der „Massenpsychologie des Faschismus" (1933), die er bereits wenige Monate nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten veröffentlichte und erklärte: „Diese derart verzerrte, gestörte, brutalisierte und erniedrigte Sexualität stützt nun ihrerseits die gleiche Ideologie, der sie ihr Entstehen verdankt. Die Verneinung der Sexualität, kann sich jetzt mit Recht darauf berufen, daß die Sexualität etwas Unmenschliches und Schmutziges ist." Das lustvoll Sexuelle sei bloß eine sündige Erscheinung, und „so verlegt der nationalistische Faschismus das Sexuellsinnliche in die ,fremde Rasse' und erniedrigt sie so gleichzeitig" (Reich, 1977, 96).

Das Privileg als Teil des Repressionssystems

Einer zur Ideologie erhobenen Hierarchie des Blutes entsprang auch die Angst, die sich gegen Zigtausende junge Menschen richtete, die zwanghaft zur Arbeit angehalten waren und sich nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer unterdrückten Lebenssituation nach Lebenslust, Liebe, Geborgenheit und Sexualität sehnten. Die ideologischen Führer spürten und schürten auch die Angst vor der Unmöglichkeit, diese humanen Bedürfnisse zu unterbinden. Die drakonischen Strafen bei Grenzüberschreitungen („Rassenschande", „verbotener Umgang" 61 ) - wenn Deutsche mit ausländischen Männern oder Frauen eine Liebesbeziehung eingingen - sind ein Beleg für die angsterfüllte Erkenntnis dieser Unmöglichkeit. Auch die umfassende medizinische Organisation der vielen Abtreibungen bei Zwangsarbeiterinnen - während gleichzeitig Abtreibungen bei deutschen Frauen mit der Todesstrafe geahndet wurden - mag als weiterer Hinweis dafür gelten, daß die befohlene Unterbindung menschlicher Bedürfnisse nicht zu realisieren war.02 Letztendlich verweist die Tatsache, daß die Sexualfrage auf allerhöchster Ebene diktatorisch verhandelt wurde, darauf, daß in dieser Frage nicht irgendein Alltagsproblem, sondern Fundamente des Systems berührt wurden. „Ich weise nochmals daraufhin", schrieb Martin Bormann streng vertraulich aus dem Führerhauptquartier am 15. Oktober 1941 an alle Gauleiter, „daß die beeilte Errichtung der Bordelle zur Abwendving der dem deutschen Blute drohenden Gefahren vom Führer selbst angeordnet wurde, und bitte alle Gauleiter, sich dafür einzusetzen, daß die Ausfuhrung des Führerbefehls nunmehr sofort erfolgt."63 Der Führer rief zur Eile. Eine nochmalige Mahnung auf „die drohende Gefahr dem deutschen Blute" war vonnöten, denn bereits im Jänner des Jahres hatte Bormann auf die Dringlichkeit der „Errichtung von Bordellen für fremdvölkische Arbeiter" hingewiesen. Die Befolgung des Führerbefehls ging nicht rasch genug. Mit einer Ausnahme! Die Gauleitung Oberdonau war die erste, die bereits am 27. Dezember 1940 über ihre Erfahrungen zu berichten wußte. Die Hermann-Göring-Werke in Linz galten als Parademodell für das im gesamten Deutschen Reich aufzubauende Bordellsystem für die „fremdvölkischen" Arbeitskräfte, für die Zwangsarbeiter. Bis Ende 1943 waren in Deutschland ungefähr 60 derartiger Bordelle mit etwa 600 Prostituierten errichtet, und weitere 50 waren noch im Bau befindlich (Herbert, 1986, 203). Die Deutsche Arbeitsfront (DAF) hatte dafür mit der „Häuser- und Barackenbau GmbH" sogar eine eigene Firma gegründet (ebenda, 127). In gelebter Doppelmoral übernahmen die nationalsozialistischen Verantwortungsträger ohne merkliche Irritation die Funktion von „Zuhältern", und die Gauleitung Ober-

61 „.Verbotener Umgang mit Ausländern und Kriegsgefangenen' wurde seit Ende 1940 zum neuen Massendelikt. Nahezu ein Viertel aller gerichtlichen Verurteilungen wegen politischer Delikte in den Jahren 1940/41 wurden bereits auf Grund dieses Straftatbestandes ausgesprochen" (Herbert, 1 9 8 6 , 1 2 2 f.). 62 Siehe den Beitrag von Dr. Gabriella Hauch in Band 1, S. 3 5 5 ff. 63 Quelle: Bundesarchiv Berlin. Bestand: N S 6 / 3 3 5 , B'-

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donau formulierte gleich unter Punkt i ihres Berichts den Grund füir die getroffenen Maßnahmen: „Die Arbeitskräfte der Reichswerke Hermann Göring in Linz bestehen zu einem wesentlichen Teil aus Tschechen, Slowaken, Bulgaren und Italienern. Um immer wiederkehrendem unerwünschten Verkehr dieser ausländischen Arbeitskräfte mit deutschen Frauen entgegenzuwirken, wurde von der Gauleitung unter besonderer Mitwirkung des Rassenpolitischen Amtes und Unterstützung der Kriminalpolizei, des Sicherheitsdienstes und der Gemeinde Linz die Errichtung eines Bordells ins Auge gefaßt."64 In einmütiger Allianz trafen im Oktober 1940 die hohe Politik und (Geheim-)Polizei unter rassetheoretischer Obacht mit dem Spezialisten des Rotlichtmilieus Paul Pichler zusammen, der einschlägige Erfahrungen in der Führung von Bordellen in Paris und Marseille65 vorweisen konnte. Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin, einer ehemaligen Prostituierten, die mehrere slawische Sprachen konnte, war man sich schnell handelseinig.66 In den Stadtrats- und Gemeinderatssitzungen wurden nur mehr in groben Details die Vollzüge beschlossen. Am 18. Oktober 1940 berichtete der Stadtkämmerer Zimmermann im Linzer Gemeinderat, daß drei Tage zuvor mit Paul Pichler ein Vorpachtvertrag auf fünfJahre, bei einem Pachtzins von 1.200 Reichsmark pro Monat, abgeschlossen werden konnte. Der 3.000 qm große Baugrund gehörte dem Gau Oberdonau und lag in der Nähe der größten HGW-Zwangsarbeiterlager im Bereich Versorgungshausstraße und Muldenstraße. „Vorerst sind fünfzehn Mädchen vorgesehen, welche einen Pensionspreis von täglich RM 12,- an den Pächter abzuführen haben. Der Aufwand für jedes Mädchen wird mit einem Betrag von R M 4,50 pro Tag bemessen."67

64 ,Auszug aus dem Bericht der Gauleitung Oberdonau vom 27. Dezember 1940." Quelle: ebenda. Bestand: N S 6/334,

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65 Paul Pichler war wohl schon Teil des weitverbreiteten wehrmachtseigenen Bordellsystems im okkupierten Frankreich, das - wie Insa Meinen feststellte - zum Besatzungsalltag gehörten, wie die Frontbuchhandlung und das Soldatenheim. „Im Zeitraum November/Dezember 1941 verfugte die Besatzungsmacht nach eigenen Angaben allein im Militärverwaltungsbezirk A - ein Gebiet, das etwa ein Drittel des zu diesem Zeitpunkt deutschbesetzten französischen Territoriums einschloß - über 143 Wehrmachtsbordelle, in denen 1.166 Frauen arbeiteten" (Meinen, 1999, 45). 66 Ebenda. Die Doppelmoral zeigt sich auch darin, daß Leute wie Paul Pichler noch zwei Jahre zuvor als „asoziale Elemente" definiert wurden, die „in polizeiliche Vorbeugungshaft zu nehmen und einem Konzentrationslager zuzuführen" seien. Quelle: Zuschrift der Kriminalpolizeistelle Linz vom 14. Juni 1938 auf Anordnung des Reichskriminalpolizeiamtes Berlin. O O L A ; BH-Steyr. Sch. 298. 67 Quelle: AStL. Gemeinderatsprotokoll vom 18. Oktober 1940. Bl. 422. Bezüglich der damaligen Zustände

Das Privileg als Teil des Repressionssystems

Wer die fünfzehn Mädchen waren, ließ sich bisher nicht eruieren, v. a. ob es sich um verschleppte Frauen handelte, die zur Prostitution gezwungen worden waren, oder ob es sich um Frauen handelte, die schon zuvor in diesem Gewerbe tätig gewesen und mit Paul Pichler schon bekannt waren, ist unklar.68 Fest steht, daß es ausländische Frauen waren, denn darauf wurde besonderen Wert gelegt. Fünf von ihnen sind in den Grundbüchern des Jahres 1944 (und eine im Jahre 1943) des Allgemeinen Krankenhauses in Linz 69 protokolliert, weil sie wegen Tripper bzw. Lues behandelt werden mußten. 1

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X.X., Jg. 1903, rk, verheiratet. Protektorat.

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A.A., Jg. 1921, rk., ledig, Protektorat. B.B., Jg. 1919, rk., verheiratet, Protektorat. C.C., Jg. 1923, rk., verheiratet, Frankreich. D.D., Jg. 1926, gk., ledig, Griechenland. E.E. Jg., 1917, rk., ledig, Frankreich.

Nur bei Frau X.X. und Frau A.A. ist als Kostenträger für die Behandlung der Verwalter Paul Pichler eingetragen, ansonsten mußten die Frauen als „Selbstzahler" dafür aufkommen, was gegen Herrn Matejkas Anschauung spricht, daß die Prostituierten der „Villa Nova" bei den Reichswerken Hermann Göring angestellt waren.70 In jedem Fall waren die Auflagen und Verbote für die Frauen, wie Christa Paul (1994,127) feststellte, äußerst rigide: weitgehende Rechtlosigkeit, dem Bordellbetreiber ausgeliefert und kaserniert. Oberstes Gebot blieb die Aufrechterhaltung der Grenzziehung einer ,Wir-Kategorie', die Angst vor Liebesbeziehungen zwischen deutschen Frauen mit „fremdvölkischen" Männern, die dem männlich definierten deutschen Frauenbild widersprachen. Diese zitiert Ulrich Herbert aus einem Bericht des Sicherheitsdienstes: „Die Anwerbung der Prostituierten erfolgt auf freiwilliger Grundlage in Paris, Polen und dem Protektorat ohne besondere Bindungen. Die Einnahmen der Prostituierten seien im allgemeinen recht hoch, weil sie vereinzelt bis zu 50 Männer am Tag empfangen" (Herbert, 1985, 203). 68 Einen Hinweis gab Frantisek Matejka in einem Gespräch mit Bernhard Seeber und dem Leiter des G e schichte-Clubs V O E S T H e l m u t h Gröbl: „Manche der Frauen waren aus der Tschechei, manche aus Frankreich. ... Einige, die dort waren, hatte ich aus Budweis gekannt, und die hatten den gleichen Beruf dort schon betrieben. Die waren, also so glaube ich, freiwillig hier, weil hier konnte man wahrscheinlich mehr verdienen. ... Dort konnte man auch Wein konsumieren und Most. Das heißt man konnte sich dort unterhalten, und wenn man schon hineingekommen ist, war man schon auch verpflichtet die resdichen Dienste zu genießen. ... Bezahlt hat man dafür so zirka 10-15 Mark" (Seeber, '995> I 45f )69 Quelle: Allgemeines Krankenhaus Linz. Grundbuch 1943. 6.001-12.000; 1944 1-6.000 sowie 6.001-12.000. Für diese Information danke ich Dr. Gabriella Hauch. 70 Auch in den Aufzeichnungen der Gebietskrankenkasse sind die N a m e n nicht aufzufinden. Für diesen H i n weis danke ich Dr. Michaela C. Schober.

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Zwangsarbeit - Sklavenarbeit in den Reichswerken Hermann Göring am Standort Linz

Angst durchdrang auch die Diskussion um die Errichtung von „Freudenhäusern" im Linzer Gemeinderat, als Ratsherr Huschka gleichzeitig „eine verschärfte Kontrolle der deutschen Mädchen und Frauen durch die Polizei" anregte oder Ratsherr Wainke forderte, daß die Partei „mit allen Mitteln auf die deutschen Mädchen und Frauen einzuwirken versucht, wie sie sich gegenüber fremdsprachigen Arbeitern zu verhalten habe".71 Deshalb wurde sogleich im Pachtvertrag festgelegt, „daß kein deutschblütiges Mädchen eingestellt werden darf. Die Kriminalpolizei wird nur die Einstellung nicht deutschblütiger Insassinnen arischer Abstammung dulden", vermerkt der Bericht der Gauleitung Oberdonau und bestimmt selbst über die Bordellbenützung die gewohnte Fremd- und Selbstdefinition: „Im Laufe der Zeit sollen noch mehrere Häuser eingerichtet werden und stets werden die Häuser nach Möglichkeit mit Mädchen von dem Volke belegt, dessen Angehörige in den nächstgelegenen Baracken wohnen. So werden wahrscheinlich die Italiener ein oder mehrere Häuser bekommen und getrennt davon die Balkan-Völker ebenso. Wenn nun Angehörige fremder Völker nicht in das für sie bestimmte Haus, sondern in ein anderes Haus gehen soll daran kein Anstoß genommen werden. Es wird streng dafür gesorgt, daß keine Deutschen in Häuser, die mit fremden Mädchen belegt sind, gehen und keine fremden Arbeiter in die bisher schon in der Stadt vorhandenen deutschen Häuser kommen."72 Mit dem Führerbefehl und der Mahnung aus dem Führerhauptquartier durch Martin Bormann sowie durch die selbst empfundene Bedrohung der immer größer werdenden Anzahl „fremdvölkischer" Arbeitskräfte glaubten die politischen Verantwortungsträger durch die manische Organisation von „Freudenhäusern" einer Problemlösung näher zu kommen. In einer Besprechung beim Gauleiter wurde für je 500 Arbeiter ein „Freudenhaus" vorgeschlagen, was dem Linzer Oberbürgermeister und SS-Standartenführer Dr. Leo Sturma doch als zu hoch erschien. Er trat für die Errichtung bzw. Vergrößerung folgender „Freudenhäuser" ein: „1) OT-Lager Dornach, 2) Vergrößerung des bestehenden Bordells Wr. Reichsstrasse, 3) Errichtung eines Bordells in Kleinmünchen im Raum der Hermann Göringwerke, 4) Errichtung eines Bordells im Gebiet der Stickstoßwerke" und bestimmte, „dass der Bau eines Freudenhauses durch die Hermann Göringwerke und Stickstoffwerke in Gemeinschaft zu forcieren" sei.73 Die lokale NSDAP-Elite war froh, einen Paul Pichler zu haben, der ihnen die „unappetitliche Angelegenheit" abnahm. Das wußte er. Im Jänner 1943 bemühte sich Pichler auch um den Pachtvertrag für das Freudenhaus in Dornach und verlangte zusätzlich ein Auto sowie die Erbauung einer Garage, was den Linzer Politikern dann doch etwas unverschämt zu sein schien. Man könnte hingegen daran denken - so der Stadtkämmerer Zimmermann - , „der Bewerberin Margarete Kienhammer, die in Kapfenberg bei den 71 Quelle: AStL. Gemeinderatsprotokoll vom 18. Oktober 1940. Bl. 423. 72 Quelle: Bundesarchiv Berlin. Bestand: NS 6/334. Bl- : 473 Quelle: AStL. Stadtratsprotokoll vom 21. Juli 1941. Bl. 378 f.

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Böllerwerken ein Freudenhaus schon geführt habe, das Dornacherhaus in Pacht zu geben, allerdings sei sie weit weniger finanzkräftig als Pichler".74 Paul Pichler konnte sich nicht beklagen. Das Geschäft mit der Politik und ihren erwünschten Bordellen florierte. Und vice versa: Bereits am 1. September 1941 75 wurde der Pachtvertrag von monatlich 1.200 auf 1.800 Reichsmark erhöht und verschaffte der Stadtverwaltung Einnahmen von 21.600 Reichsmark für das Kalenderjahr 1942, so daß diese in Rechnung der Baukosten der Villa Nova von 127.624,51 Reichsmark und „unter Annahme einer 4 1 /i% Verzinsung des Baukapitals mit einer Amortisierung der Anlage" in acht Jahren rechnete.76 Das menschenverachtende Geschäft mit der Sexualität war füir die nationalsozialistischen Verantwortungsträger in Politik und Wirtschaft fixer Bestandteil ihrer auf Rassismus basierenden Doppelmoral. Mit einem männlich formulierten dichotomen Frauenbild von Mutter/Hure, einer diffusen Angst vor „dem deutschen Blute drohenden Gefahren", glaubte man durch die Errichtung von Bordellen die sexuellen Bedürfnisse der Zigtausenden Zwangsarbeiter kanalisieren und letztendlich die Arbeitsleistung in den Betrieben maximieren zu können. Zu Grunde lag eine „unappetitliche" Vorstellung von Sexualität und Humanität, die projektiv nach außen zum Problem formuliert wurde. Heinrich Himmler war auch hierin ein ideologischer Wortführer, indem ihm „Zwangs(Schwer-)Arbeit" und „Zwangs-Sexualität" eins wurde. Für den führenden Nationalsozialisten geriet Sexualität zur Ware im Dienste der wirtschaftlichen Unterjochung, und er erklärt darin ein „psychologisches Problem", das in Wirklichkeit sein eigenes und das seiner Anhängerschaft darstellt. In einem Brief an Staatssekretär Backe schrieb er am 30. Juli 1942: „Lieber Parteigenosse Backe ! 77 Ich habe Ihren Brief vom 23.7. wegen der Lebensmittelzulagen für Prostituierte der Ausländerlager erhalten. Ich gebe sehr gern zu, dass dieser Wunsch bei dem ersten Anblick unmöglich und ungerechtfertigt erscheint. Die Sache verhält sich jedoch folgendermassen. Wenn ich die Bordelle nicht einrichte, gehen diese Millionen Ausländer auf die deutschen Frauen und Mädchen los. Ich muss diese Einrichtung also treffen, um dieses noch viel grössere Unheil zu verhindern. Die Zahl der Bordelle und ihre Insassen muss ich selbstverständlich beschränken. Dadurch ist es leider notwendig, diesen Insassen für ihre zwar im deutschen Interesse nützliche, sonst aber wenig erfreuliche Betätigung genügend Ernährung zu geben.

74 Quelle: AStL. Stadtratsprotokoll vom 18. Jänner 1943. Bl. 24. 75 Der Vertrag zwischen dem Pächter Paul Pichler und dem Oberbürgermeister Dr. Sturma wurde am 28. Jänner 1941 unterzeichnet. 76 Quelle: AStL. Stadtratsprotokoll vom 2. Februar 1943. Bl. 51. 77 Quelle: Bundesarchiv Berlin. NS 19-3400. Pers. Stab RFSS.

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Ich schliesse mich Ihrer Ansicht an, dass es psychologisch gefährlich wäre, eine Zuteilung von Lebensmitteln in Form der Schwerarbeiterzulage zu machen. Lässt sich aber nicht irgend eine andere Form finden? Irgendwie müssen wir versuchen, dieses unappetidiche Problem zu lösen. Heil Hitler!"

S S M A U T H A U S E N GEGEN H E R M A N N - G Ö R I N G - W E R K E = I I : O Herr Frantisek Matejka war durch und durch ein passionierter Sportler und ist es als Konsument bis heute geblieben. Schon vor seiner Verpflichtung als Zwangsarbeiter in den Hermann-Göring-Werken in Linz war er im Eishockey-Club in Budweis als Jugendspieler aktiv und wußte auch auf Grund seiner Athletik in anderen Sportarten zu brillieren. Fußball zum Beispiel, was ihm als Zwangsarbeiter in Linz zu ungeahnten Abwechslungen im tristen Arbeits- und Lagerleben verhalf. Als im Jahre 1943 die Betriebsleitung der Hermann-Göring-Werke durch die Parteiorganisation „Kraft durch Freude" Sportspiele für die Werktätigen organisieren ließ, war auch Herr Matejka mit von der Partie.78 Auf dem Programm standen u. a. Laufbewerbe, Hochsprung, Weitsprung, Kugelstoßen sowie ein Faustball- und Fußballturnier. Der Rangiermeister Franz Renger von der Abteilung Verkehrswesen war ein Begeisterter in Fußballangelegenheiten und erkannte schnell, daß mit seinen tschechischen Untergebenen viel Staat zu machen war, und meldete seine Mannschaft beim Turnier an. Franz Renger hatte eine gute Auswahl getroffen. Die Mannschaften der Verwaltung, Kokerei oder Kraftwerk landeten auf den Plätzen. Die tschechischen Fußballkünstler unter Meister Renger gewannen das Turnier. frantisek Matejka: Da sind wir zum Turnier gekommen, aber die Mannschaften, die hier gekommen sind, die meisten waren Österreicher, die haben den Vorteil gehabt, die sind von hier gekommen, die haben die entsprechende Ausrüstung bekommen, aber wir haben nur Trainingshose und Trikots bekommen und haben barfuß gespielt. Aber trotzdem haben wir das Turnier gewonnen." Das machte Lust auf mehr, weshalb die siegreiche Mannschaft auf Initiative Rengers weiter als HGW-Betriebsmannschaft zum Einsatz kommen sollte. Fußball war ein Werkzeug der NS-Sportpolitik (Fischer/Lindner, 1999), und die Führung der HermannGöring-Werke legte darauf großen Wert, um die (Zwangs-)Arbeiterschaft bei Laune zu halten. Am 18. Mai 1942 wußte die Linzer „Tages-Post" gar zu berichten: „Die Her78 Diese Angaben stammen vom Geschichte-Club V O E S T nach Erinnerungen von Cestmir Buriänek und Frantisek Matejka.

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Cestmir Buriänek (links) Frantisek Matejka (rechts)

mann-Göring-Werke in Linz haben den bekannten Wiener Sportlehrer Heinz Körner, der sich besonders als Fußballtrainer einen guten Namen zu schaffen verwußte (sie!], zum hauptamtlichen Betriebssportwart bestellt." Der ehemalige Wiener Fußballer Körner leitete das Training, und Franz Renger organisierte den Kräftevergleich. Für die tschechischen Ballesterer Buriänek, Matejka, Kelnar, Hruska oder Simota war es nicht nur eine Privilegierung durch Anerkennung und willkommene Abwechslung, sondern auch die Möglichkeit, zu einer guten und ausreichenden Mahlzeit zu kommen, die den Spielern nach einer Partie manchmal zuteil wurde. Cestmir Buriänek und Frantisek Matejka listeten dem Geschichte-Club VOEST eine Auswahl von Freundschaftsspielen auf, die sie in den Jahren 1943 und 1944 durchgeführt hatten.79 Neben Spielen zwischen den einzelnen Arbeiterlagern (Lager 56 oder 41) hatte es auch Freundschaftsspiele mit den lokalen Klubmannschaften (Admira, Urfahr oder LASK) gegeben, wobei der Besuch einiger tausend Zuschauer keine Ausnahme war. Die Liste der Gegner ist lang, aber schließlich traute ich meinen Augen nicht: HGWHGWHGWHGWHGWHGWHGWHGWHGWHGW-

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5: : 1 4 :; 3 9 :: 1 1: 2 7- • 5

5 :: 1

6 :: 0

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79 Spätestens mit den zunehmenden Bombenangriffen im Sommer 1944 war den sportlichen Aktivitäten ein Ende gesetzt.

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Die Vorstellung, daß tschechische Zwangsarbeiter in Mauthausen gegen die dortigen SSWachmannschaften in einen sportlichen Vergleich traten, um Tore ritterten, daß man einer herrschenden Lebenswelt, die an diesem Ort buchstäblich von Mord und Totschlag geprägt war, entrücken konnte, brach sich massiv mit meinen stereotypen Vorannahmen. Eine Irritation, die mir nicht aus dem Sinn ging, was ich auch Herrn Matejka nicht vorenthalten konnte: „Karl Fallend: Und einmal in Mauthausen. Das war mir nicht nachvollziehbar. Könnten Sie mir bitte darüber ein wenig erzählen? Frantisek Matejka: Waren Sie schon einmal in Mauthausen? Karl Fallend: Ja, natürlich. Frantisek Matejka: Dort oben ist das Lager. Unten ist eine Fläche -jetzt sind Bäume dort. Dort war ein Fußballplatz. Und in der Anhöhe, da waren so Naturtribünen. So Stufen. Dort sind Bänke gewesen, und dort waren damals die Familienmitglieder und die Offiziere SS haben das Spiel zugeschaut. Und die Spieler waren, da waren ausgewählte Spieler von verschiedenen Mannschaften. Die sind zur SS eingerückt, aber als Sportler und haben damals die Ausnahme bekommen, in KZ-Lager als Aufsicht oder so irgendwie beschäftigt zu sein, und außerdem haben sie Fußball gespielt. Das war eine sehr starke Mannschaft, ja. Karl Fallend: Aber haben Sie gewußt, gegen wen Sie da spielen? Frantisek Matejka: Ach woher denn. Uberhaupt nicht. Dem Dienstleiter haben wir gesagt:, Wir werden nicht nach Mauthausen fahren, wir werden gegen die SS nicht spielen, das ist sehr gefährlich.' Sagt er:, Was habt ihrfür Angst, das sind wieder die Ukrainer und so, ja, die werden wir ganz leicht besiegen, ja.' Und dann an diesem Tag sind eine ganze Reihe von unseren Spielern mit den Linzer Mannschaften hinausgefahren. Wir sind - kann man sagen - mit einer sehr schwachen Garnitur nach Mauthausen gekommen. Naja, aber das waren - kann man sagen - so Profispieler. Ja, weil wir haben dort auch zwei Slowaken getroffen, die in der ersten Liga in Bratislava gespielt haben. Karl Fallend: Und die bei der SS Mauthausen gespielt haben? Frantisek Matejka: Ja, ja. Und die haben uns dann erzählt, daß Fußball die einzige Möglichkeit für die Leute ist, die hier leben und auch für die Frauen und Kinder etwas zu organisieren. Also da haben die FußbaU gespielt gegen verschiedene Mannschaften der besten Qualität in Osterreich. Also man kann sagen, wir haben keine Chance gehabt gegen diese Mannschaft."

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Die Irritation lag nicht nur auf meiner Seite, sondern spiegelte sich auch in der Erzählung. Die tödliche Bedrohung „wir wußten nicht" - „wir spielen nicht" - „das ist sehr gefahrlich" wird von Herrn Matejka über den Meister in sportliche Kategorien von Sieg und Niederlage neutralisiert, als wäre es eine Neuauflage damaliger Verarbeitungsmöglichkeit. Wer hatte das Spiel überhaupt in die Wege geleitet? Hatte sich die besondere Stärke der aus tschechischen Zwangsarbeitern bestehenden HGW-Betriebsmannschaft so weit herumgesprochen und sich die ballspielende SS herausgefordert gefühlt, sich auch hierin ihre Unschlagbarkeit zu bestätigen? Gab es überhaupt noch eine Möglichkeit, sich diesem obskuren Zweikampf zu entziehen, oder lag darin gar ein Aspekt der Verführung? Für manche bestand offenbar die Möglichkeit. Mit „... den Linzer Mannschaften hinausgefahren" meinte Frantisek Matejka jene exzellenten Ballkünstler in ihren Reihen, die auch den einheimischen Fußballklubs (etwa Admira, Urfahr oder LASK) aufgefallen waren und die sie für die laufende Klubmeisterschaft rekrutiert hatten. Cestmir Buriänek beispielsweise war als Torhüter beim Linzer Traditionsklub L A S K im Einsatz.80 Noch am Tag der Abreise nach Mauthausen mußten aus der Belegschaft im Lager 56 Ersatzspieler gefunden werden. Vaclav Kellner erinnert sich: „... die Mauthausener SS-Männer, die haben uns eingeladen zum Fußballspielen. Und einmal haben wir dort Fußball mit den SS-Männern gespielt. Ich bin auch eingeladen worden, aber ich bin nicht hingegangen. Karl Fallend: Sie sind nicht mitgefahren? Vaclav Kellner: Ich bin nicht gegangen. Ich habe mich immer zurückgehalten von denen. Es waren viele Leute, Burschen bei uns, die neugierig waren. (...) Das war ein Ereignisfür die." Das Spiel endete 1 1 : 0 mit makabren Situationen. Während die tschechischen Spieler es mieden, in ihrer Muttersprache zu kommunizieren, waren unter den spielenden SS-Männern auch Slowaken (also quasi Landsleute) beteiligt, die beispielsweise nach erlittenem Foul in slowakischer Sprache ihren Unmut äußerten und damit einen eigentümlichen Dialog vom Zaun brachen. Die Revanche in Linz endete 6 : 6 unentschieden vor mehr als zweitausend Zuschauern. Für manche mag es gar ein „Spiel mit dem Feuer" oder auch Neugier gewesen sein, spielerisch der totalen Macht so nahe zu kommen, um vielleicht dadurch ein Mehr an Schutz zu erlangen. Die Zerstörung dieser Illusion folgte auf dem Fuß.

80 Quelle: G C V . Cestmir Buriänek: beantworten des Fragebogens.' Die Aufarbeitung der Geschichte der einzelnen Fußballvereine während der NS-Zeit läßt im allgemeinen zu wünschen übrig. Austria Wien mag als Ausnahme gelten, der L A S K nicht, wie die einzelnen Festschriften (z. B. Linz, 1968) und die aktuelle Vereins-Homepage zu vermitteln imstande sind.

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„Frantisek Matejka: (...) Wir sind mit dem Zug nach Mauthausen gekommen, dort war ein Lastauto von dem Militär, von der SS. Wir sind hineingestiegen, sind hinaufgefahren, das Auto hat angehalten, sagt einer: ,So, wir sind an Ort und Stelle.' Das war vor dem Tor mit der Aufschrift: Arbeit macht frei'. Sagten wir: ,Mein Gott, was ist das?' Wir hatten keine Ahnung gehabt, was dasfür eine Festung oder so was ist. Dann sind wir hineingekommen in die Garderobe, wir haben uns umgezogen, und von dort ist so eine Treppe gewesen, direkt zum Fußballplatz. Und der Fußballplatzboden war so wie beim TennisKarl Fallend: Sand? Frantisek Matejka: Ja, Sand. Und rundum war ein hoher Drahtzaun, ja, daß die Bälle nicht wegfliegen können. Und dann hat das Spiel angefangen. Und nach dem Spiel sind wir wieder in die Garderobe zurückgegangen. Da waren natürlich warme Duschen. Dort waren die Sträflinge, und die haben uns Seife und Handtücher gegeben. Aber niemand durfte mit ihnen sprechen. Und dann ist der Chef der Mannschaft gekommen und sagte: ,Naja, sie haben so einen guten Ruf gehabt, aber die Leistung war nicht entsprechend, so wie sie uns heute gezeigt haben.' Und der Rangiermeister hat gesagt: ,Naja, wir sind leider nicht komplett, viele Spieler sind außen. Wir haben auch nicht gewußt, wie stark Ihre Mannschaft ist. Wir haben gedacht, das sind so Hobbyspieler oder so was.' Und dann sagt er: ,Na gut, also trotzdem lade ich sie zum Abendessen.1 Also dann haben wir dort Abendessen bekommen. Karl Fallend: Im KZ? Frantisek Matejka: Ja. Da war eine Gaststätte drinnen für die Offiziere. Dort haben wir Abendessen bekommen, und erst nach dem Abendessen sind wir wieder zurück zum Bahnhof gefahren und nach Linz. Und da ist einer der Kollegen, der sollte den Nachtdienst absolvieren, und weil wir zu spät gekommen sind, ist er nicht arbeiten gegangen. Also, wenn man damals nicht in die Arbeit kam, dann hat man den Tag,blau' genannt. Na also nach blaumachen gab das eine Strafe: Trainingslager. - Ah, Trainingslager. Arbeitslager. (lacht) Karl Fallend (lacht): Das liegt so eng zusammen, die Geschichte. Frantisek Matejka (lacht): Arbeitslager. Ja, so war es.

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Karl Fallend: Wußten Sie, wo dieses Arbeitslager -war? War das immer eine ständige als Strafe - wenn man blaumacht, kommt man ins Arbeitslager?

Drohung:

Frantisek Matejka: Ja. Ja. Sechs Wochen Arbeitslager, das war eine normale Zeit. Wenn jemand schon länger dort bleiben sollte, das war schon geßhrlich. Lebensgefährlich kann man sagen. Weil Verpflegung -fast keine. Arbeiten mußte man fest. Dann nach der Bombardierung mußte -man die Schäden beseitigen. Ja, das war wirklich sehr kompliziert. Das Arbeitslager war in Wegscheid.

Karl Fallend: Und einer Ihrer Spielkameraden Arbeitslager für sechs Wochen?

ist nicht in die Arbeit gegangen

Frantisek Matejka: Naja, er hat die Schicht blaugemacht,

und kam ins

und dann war er fertig."

Die erzählende Verschmelzung von realer Bedrohung und sportlicher Spielsituation gipfelte in einer markanten Fehlleistung („Trainingslager" -,^Arbeitslager"), und die aufgestaute Spannung entlud sich in einem gemeinsamen Lachen, wobei eine beklemmende Atmosphäre übrig blieb. Die Zuspitzung der Erinnerungen vom ohnehin schon makabren Wettkampf zum gemeinsamen Abendmahl der Zwangsarbeiter mit SS-Männern innerhalb der Gemäuer des Konzentrationslagers Mauthausen, während KZ-Häftlinge stumm den Tisch bereiteten und wenige Meter davon entfernt Menschen an Hunger starben, gefoltert und getötet wurden, formte sich in mir zu einem Bild, das ich nicht mehr los wurde. Es fällt schwer, hier nüchterne Distanz zu wahren, um sich bewußt zu halten, daß sich in dieser Extremsituation die gesamte Breite eines rassistisch definierten Hierarchiesystems, des nationalsozialistischen Privilegien- und Repressionssystems, präsentiert, das auch immanent das Denken, Fühlen und Handeln des Alltags im Nationalsozialismus formte. Der Erzählfluß Frantisek Matejkas geriet ins Stocken, die persönliche Betroffenheit brach durch, denn der sportliche Erzählrahmen war nicht mehr aufrechtzuerhalten. Nun war endgültig Schluß mit dem Spiel - auch in der Erzählung. Wahrscheinlich dachten viele, daß nicht möglich sein konnte, was doch möglich war. Einer der tschechischen Spieler verpaßte auf Grund des Spieles und der späten Heimreise seine vorgeschriebene Nachtschicht, und es half keine Entschuldigung. Arbeitserziehungslager! Folter, Schläge, Hunger. „Dann war er fertig." Und das blieb niemandem verborgen. Jiri Vavra, der im gleichen Raum des Barackenlagers untergebracht war wie Frantisek Matejka, erzählte mir über den Schock der Begegnung mit dieser NS-Realität:

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„Jirt Vavra: Das waren die schlechten Sachen, die wir nicht erinnern wollen. Und damals ist es so geschehen, daß wir einen von unseren Kollegen gesehen haben, der im Arbeitserziehungslager eingesperrt war, und der hat uns zugerufen:,Bringt mir die Handschuhe.' Das war im November, und es war schon kalt. Abo haben wir ein Paket gebracht - am Abend ist ein Kollege ins Erziehungslager gegangen. Nun, als er zurückkehrte - das war schlimm. Das war so ein gemachter starker Kerl, und er ist zurückgekehrt und hat uns gesagt:,Fragt mich nicht, fragt mich nicht, ich will euch nichts erzählen', und hat sich auf das Bett hingelegt und hat geweint. Nun, und als er doch erzählt hat, hat er von den Prügeln erzählt, wie sie ihn dort geprügelt haben. Und der zweite Kollege, der dort im Lager war, den haben sie auch so geprügelt, daß er um die Zähne gekommen ist, und als er zurückkehrte, weil er dort gefangen war, durfte er auch nicht nach Hause fahren. Und damals sind wir zu Weihnachten mit ihm dort geblieben, und wir haben - als Schwerarbeiter haben wir auch die Schwerarbeiterkarten bekommen - und haben ihm so eine Art Weihnachtsabendessen für ihn gemacht." Für Herrn Matejka war nach der letzten Erzählsequenz und aufgebrochener Spannung auch der Weg in der Erzählung frei, um seine persönliche Bedrohung in Worte zu fassen. Er selbst war nur mit viel Glück bzw. durch Unterstützung seiner Vorgesetzten der Tortur des Arbeitserziehungslagers entgangen. Er verlor seinen günstigeren Arbeitsplatz als Rangierer bei den Verkehrsbetrieben und war von nun an bei den Schlackentransporten tagtäglich damit konfrontiert, was ihm drohen konnte, wenn er nochmals in Verkennung der realen Grenzziehimg den Rahmen der Repression überschreiten sollte. „Frantisek Matejka: Naja, ich habe auch Probleme gehabt. Und zwar, das war im Jahre 44 - glaube ich - Januar. Da habe ich zum ersten Male einen Urlaubsschein bekommen und bin nach Hause gefahren. Und da gab es die Möglichkeit, zum Beispiel, daß man sich irgendwie unter uns Rangierern ausgeholfen hat. Wenn ich zum Beispiel sagte: ,Du, ich möchte einen Tag länger zu Hause bleiben. Könntest du meinen Dienst übernehmen? Und wenn du es einmal brauchen wirst, werde ich deinen Dienst machen.' Also so habe ich es abgemacht. Und so bin ich dann zwei Tage länger - da war der Urlaubsschein und Durchlaßschein ungültig - zu Hause geblieben. Ich bin normalerweise mit dem Schnellzug gefahren. Da war ich jung, da war ich dumm. Hab' ich mir gedacht:, Was kann passieren? Gar nichts.' Aber dann ist eine Kontrolle gekommen. Zuerst war alles in Ordnung. Und nach zehn Minuten ist der Polizist zurückgekommen und sagte:,Zeige mir noch einmal deinen Durchlaßschein. - Du fährst später?l Sag' ich: ,Naja, meine Mutter war krank usw.' Sagt er: ,Na gut, ich behalte den Durchlaßschein.1 Naja warum denn nicht. Gut, nach vierzehn Tagen hat mich der Betriebsleiter gerufen, sagt er: ,Komm zu mir!' Ich bin dorthin gekommen, da war schon ein Beamter von der Kripo, sagt er: ,Na, wie war es? Wo warst du?' Weil zur gleichen Zeit hat ein Kollege für mich gearbeitet, und der hat meine Stempelkarte gestempelt., Wo warst du? Warst du an der Grenze, oder warst du in der Arbeit?1 Naja, mußte

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ich zugeben, daß ich natürlich an der Grenze war. Und dann hat sich der Beamte von der Kripo lange mit dem Chef unterhalten., Was machen wir jetzt? Soll ich ihn mitnehmen, oder werden Sie es hier im Betrieb erledigen?l Sagt der Chef: ,Nein, wir werden das im Betrieb erledigen.' Der ist weggegangen, dann hat der Chefden Rangiermeister gerufen, sagt er: ,Na, also wie war es meine Herren? Wer hat gearbeitet anstatt Matejka?' Naja, dann mußte ich alles angeben. Der Chef war empört über den Rangiermeister, daß so was existiert. Weil wenn es zu einem Unfall gekommen wäre, dann wäre das ein Problem gewesen. Nun war er sehr böse auf ihn. Und zu mir sagt er:, Weißt du was1 - vorher hab' ich in einer Rangierpartie gearbeitet, da waren wir ein Oberrangierer und zwei Rangierer, naja das war einfacher und günstiger -, sagt er: ¿4lso ab morgen gehst du zum Schlackendienst. Schlackentransporte.' Also dann bin ich Schlackentransporte gefahren." Frantisek Matejka hatte enormes Glück. Nur die Fürsprache seines Vorgesetzten verhinderte eine Uberstellung in ein Arbeitserziehungslager. Uber ein Jahr - bis Kriegsende war er nun den Schlackentransporten zugeteilt und traf tagtäglich mit den dort eingesetzten KZ-Häftlingen zusammen. Unter strengster Bedrohimg gelang es ihm, ihnen ein wenig Hilfe zuteil werden zu lassen und mit einigen Kontakt aufzunehmen. Wieder gab es eine sportliche Verbindung. Denn unter den KZ-Häftlingen befand sich der tschechische Staatsmeister im Gewichtheben namens Becvär, der ihm erzählen konnte, daß nur sein durchtrainierter, kräftiger Körper ihn davor bewahrte, zugrunde zu gehen. Und der ihm zudem berichten konnte, wie es in Mauthausen zuging, dort, wo Frantisek Matejka noch wenige Monate zuvor Fußball gespielt hatte. „Frantisek Matejka: Naja, im Gelände der Fabrik war schon so ein KZ-Lager, Zweigstelle von Mauthausen, und dort hat man die Anlage gebaut, die sogenannten Sandbetten - das waren wirklich so Becher kann man sagen - dort hat man die Schlacke hineingekippt, und wenn sie schon kalt war, haben es die Sträflinge mit der Hand zerschlagen. Und dort war immer ein Kontrollposten. Man mußte die Türe von der Lokomotive aufmachen, aussteigen, und die haben von oben kontrolliert, ob jemand sich versteckt, ob jemand herausfährt. Diese Kontrolle war so üblich. Aber wenn wir dort hineingefahren sind, da mußte man sich anmelden bei den Chefs dort, daß man die - kann man sagen - die ganze Lieferung mit drei oder vier Pfannen - so hat man damals die Wägen genannt - gebracht hat und fertig. Dann mußte ich zurück zu der Lokomotive, um sie zu entspannen, und wir mußten ein wenig weiterfahren, weilfür den Fall, daß ein Wagen umkippt, könnte es die Lokomotive mitnehmen. Und die Sträflinge, die haben natürlich die Pfannen mit der Hand gekippt. Da waren so Räder, Schnecken oder so Schrauben. Dadurch hat man es gekippt. Dort war immer der Kapo oder der Oberkapo, die waren immer rundum. Aber die waren natürlich nicht die ganze Zeit dort. Wenn man sich irgendwie zur Seite stellen konnte, konnte man schon sprechen. Aber man durfte nicht hinein zu den Häftlingen kommen. Zum Beispiel ich bearbeite die Maschine, und ein paar Meter daneben arbeitete der Kollege - also wir haben uns so

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unterhalten, so weit - so drei, vier, fünfMeter.; weil zusammen mit ihm konnte man uns nicht sehen. Weil das wäre für ihn ein Problem gewesen undfür mich natürlich auch. So haben wir uns unterhalten. Besonders die Situation an der Front war das Hauptthema. Karl Fallend: Was hat er Ihnen erzählt? Frantisek Matejka: Na, der hat erzählt, wie die Lage dort ist, was die Behandlung betrifft. Natürlich in der Früh hat man gesehen - auch im Winter -, daß die Sträflinge ein oder zwei Stunden im Freien gestanden sind, bevor sie die Arbeit angefangen haben. Naja, das war eine schwere Zeit - und dadurch, daß Becvdr ein Sportler war, hat er gesagt: ,Na ich kann es irgendwie durchmachen, ja.' Aber es sind viele, die es nicht aushalten konnten. Die körperlich schwächeren Personen, die haben Probleme gehabt, was Essen betriff. Die waren damals glücklich, wenn es möglich war, heißes Wasser von der Lokomotive zu bekommen. Das heißt, wenn man Dampfausläßt, daß man wieder den Kesselfüllen mußte. Dann ist immer ein Teil heißes Wässer abgeflossen. Na dann haben das die Sträflinge beobachtet, ja daß es niemand sieht, sind die mit Schalen gekommen und haben das heiße Wasser genommen, daß sie etwas Warmes haben. Naja

Karl Fallend: Wie lange waren Sie dort im Einsatz als Schlackenführer? Dorthin wurden Sie ja strafaersetzt? Frantisek Matejka: Ja. Naja, so ungefähr 14 Monate. Länger, wahrscheinlich länger, so 15 Monate. Karl Fallend: Bis zum Schluß? Frantisek Matejka: Bis zum Schluß. Ja. Naja-

Lok Spitzkehre. Rechts: F. Matejka

oder

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Kurz vor Kriegsende gelang Herrn Matejka im allgemeinen Chaos die waghalsige Flucht nach Hause, und bald begannen neue Zeiten in seiner Heimat. Er konnte wieder in der alten Drogerie zu arbeiten beginnen, die, mittlerweile verstaatlicht, einem Nationalverwalter übergeben worden war. Nach kurzem Militärdienst wurde Frantisek Matejka Buchhalter in einer Elektrofirma und verbesserte seine Situation bis zum Ökonomen in der verstaatlichten Zweigstelle der österreichischen Firma Teerag, um letztendlich 1965 beim Arbeitsamt Budweis als Arbeitsinspektor tätig zu werden. 1956 wurde er Mitglied der Kommunistischen Partei. Die Welt des Sportes hat ihn nicht verlassen, im Gegenteil. Der Eishockeysport hatte ihm als Funktionär viel zu danken und umgekehrt. Matejka wurde Chef der technischen Kommission im Eishockey. Als Betreuer der Juniorennationalmannschaft war es ihm möglich, in die U S A und nach Canada zu reisen. Seine Funktionen führten ihn zur Olympiade 1964 nach Innsbruck, zur Weltmeisterschaft 1967 nach Wien und auch zur Universiade nach Feldkirch im Jahre 1968. Als Anhänger des Prager Frühlings und nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes hatte jedoch alles ein Ende. Auch der Arbeitsplatz ging verloren. Wiederum war es der Sport, der ihm aus der Misere half. „Kein Wort über Politik", sagte der Bekannte im Präsidium des Eishockey-Clubs Motor Budweis und verhalf ihm unter dieser Bedingung zur Position eines Profi-Managers des Erstdivisionärs. Eine Stelle, die er schließlich 22 Jahre lang bekleiden sollte. „Sport" zieht sich als biographisches Leitmotiv durch das Leben des 76jährigen Frantisek Matejka und stringent auch durch die mehr als dreistündige Erzählung. Im Umgang mit sportlichen Kategorien von Sieg und Niederlage schien es mir, als ob auch lebensgeschichtliche Siege und Niederlagen in ähnlicher Weise zur Verarbeitung kamen. Im Sport war Herr Matejka zeitlebens zu Hause - ein Meister seines Fachs - , und so mag es nicht verwundern, daß selbst die dunkelsten Kapitel seiner erlebten Zeitgeschichte über sein Metier am eindrücklichsten zur Sprache fanden. In diesem Sinne war mein Eindruck am Beginn unserer Begegnung, als mir Herrn Matejkas Wohnzimmerdekoration eine vertraute sportliche Vergangenheit verriet, in steter Begleitung - bis zu unserer Verabschiedung. Nach dem Gespräch saßen Herr Matejka und ich noch bei einem Kaffee zusammen, als er mich einlud, ihn in die Sporthalle von Budweis zu begleiten. Ein Europacupspiel in Volleyball stünde auf dem Programm. Der tschechische Cupsieger aus Budweis gegen den Cupsieger aus Italien. Wenig später standen wir schon in der überfüllten Sporthalle, wo wir gemeinsam den ersten Satz mit Spannung verfolgten. Das dichte Gespräch, der anstrengende Tag, die stickige Luft in der Halle waren mir mit Wintermantel zuviel geworden, und ich mußte mich vorzeitig verabschieden.

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Am folgenden Tag rief ich Herrn Matejka nochmals zu Hause an. Ich entschuldigte mich für meine plötzliche Abreise und bedankte mich nochmals für seine Gastfreundlichkeit und Gesprächsbereitschaft. „Frantisek Matejka: Gern. Keine Ursache. Das Spiel haben wir leider 2 :3 verloren. Im vierten Satz standen wir klar auf Sieg. Aber im fünften hatten wir keine Chance. Karl Fallend: Schade. Frantisek Matüjka: Macht nichts -so ist Sport."

„Wir wurden für Verräter gehalten" Eine Reise in die Ukraine

VORBEMERKUNGEN Reisen ist - familiär bedingt - eine meiner Leidenschaften, und nach mehr als drei Jahrzehnten häuft sich ein gewisser Erfahrungsschatz; ein Bewegen in der Fremde ist mir also nicht fremd. Auf der Interview-Reise in die Ukraine war davon wenig zu bemerken. Nahezu ein gegenteiliges Empfinden, wie ich es bei meinen Interview-Fahrten nach Tschechien verspürt hatte, die nachbarschaftlichen Besuchen gleichkamen, während sich bei dieser Reise in eine andere Welt Gefühle der Fremdheit breitmachten, die auch kontextual zur Forschung gesehen werden können. Abgesehen von der eigenen Sozialisation in einer Atmosphäre des Kalten Krieges einerseits, der vermeintlichen Vertrautheit durch die jahrzehntelange mediale Präsenz der Sowjetunion und ihrer Teilrepubliken andererseits, war vieles fremdartig. Forschungsspezifisch kristallisierten sich vorwiegend vier Punkte heraus, die während der Reise, aber v. a. in den Gesprächen mit ehemaligen Zwangsarbeiterinnen für Irritationen verantwortlich waren. a) b) c) d)

Die sprachliche und schriftliche Verständigung. Die aktuelle politische und v. a. wirtschafidiche Situation. Die (offizielle) Präsenz von Geschichte. Die Mißachtung leidvoller Erfahrungen bis in die Gegenwart (dritte traumatische Sequenz nach Keilson).

Im Verständnis jedes Gespräches versucht man (un)bewußt Unmögliches, sich zu identifizieren, sich einzufühlen - in unserem Fall auch: der Versuch nachzuempfinden, wie sich die Menschen gefühlt haben mögen, als sie aus ihrer Heimat deportiert, als Zwangsarbeiterinnen in einer fremden, feindlich gesinnten Kultur überleben mußten. Es verbietet sich selbstredend jeglicher Vergleich, aber in manchen Situationen drängen sich ähnlich gelagerte Assoziationen auf. Auch bei meinem kurzen Aufenthalt in der Ukraine. In völliger Unkenntnis der russischen bzw. ukrainischen Sprache sowie der cyrillischen Schrift war mir - wie sonst noch nirgends - das völlige Ausgeliefert- oder auf Hilfe-angewiesen-Sein offenbar geworden. Es ist davon auszugehen, daß kaum eine/r der deportierten Ostarbeiterinnen der deutschen Sprache mächtig bzw. in geübter Kenntnis der lateinischen Schrift war, was die Orientierung in einer repressiven und degradierenden

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Lebenswelt noch erschwert und gleich einer Regression nach vertrautem (sprachlichen) Zusammenhalt suchen hatte lassen. Die Bedeutung eines Dolmetschers in solch fremder Umgebung läßt sich leicht erahnen. Auf meiner Reise begleitete mich Mag. Vitali Bodnar, Germanist aus Czernowitz, der seit Jahren in Wien lebt. Bzw: Ich begleitete ihn. Mag. Vitali Bodnar erwies sich schon in der Vorbereitung als äußerst sachkundiger und sensibler Wegbegleiter in Organisation, Kontaktaufhahmen und bezüglich meiner Vorstellungen der zu erwartenden Gesprächssituationen. Er war es auch, der mich auf kulturelle, soziale und historische Eigenheiten hinwies, wie sie nur jemand zu geben imstande ist, der in ihnen groß geworden. Gleichzeitig erwies sich meine „Fremdheit" als konstruktives Korrektiv, um manch Selbstverständliches zu hinterfiragen und in die Reflexion mit einzubeziehen. Zuvorderst war es die aktuelle wirtschaftliche Situation des Landes, die bei mir Irritationen auslöste. Spätestens seit der Unabhängigkeit im Jahre 1991 steht die Ukraine am Rande des Staatsbankrotts. Die Leiden des Landes ziehen sich bereits durch das ganze Jahrhundert: Die „Entkulakisierung" unter Stalin Anfang der dreißiger Jahre mit Massendeportationen in die Kolchosen, die nationale Hungersnot, der Millionen von Ukrainerinnen zum Opfer fielen, die Ermordung der ukrainischen Intelligenz und die Judenverfolgungen in den stalinistischen Säuberungen. Während der nationalsozialistischen Besetzung war die Ukraine wohl das Land, das den höchsten Blutzoll zu beklagen hatte - vor allem unter der jüdischen Bevölkerung. Kollaboration, Freiwillige in der SS gehören genauso zur Geschichte des Landes wie die Hundertausenden ins Deutsche Reich deportierten Zwangsarbeiterinnen. Unterdrückung und Fremdherrschaft prägten die Geschichte der Ukraine. Aktuell sind einzelne Schwerreiche genausowenig zu übersehen wie die verbreitete Armut. Kaum 15 $ beträgt die offizielle Monatsrente der Pensionistinnen des Landes, was auch die Lebensgrundlage unserer Gesprächspartnerinnen darstellte. Diese Misere, der alltägliche Kampf um die Lebenserhaltung fixiert die Energie ins Präsens, und die Sicht auf die historische Belastung gerät oft zur Belästigung. Im Zuge der vor Ort herrschenden Auseinandersetzung, der Gerüchte um „Entschädigungszahlungen" ehemaliger Zwangsarbeiter durch Österreich, wurde mein Erscheinen auch mit möglichem Geldsegen in Zusammenhang phantasiert. Jedenfalls ich hatte diese Phantasien, die in einem wiederkehrenden Schamgefühl über die österreichische „Entschädigungspraxis" der jüngsten Vergangenheit zum Ausdruck kamen. Hierin liegt in der Gegenübertragung ein breites Feld des Agierens. Die durchaus anzuerkennenden privaten Spendensammlungen, von Wissenschaftlerinnen beispielsweise, scheinen mir diesbezüglich wenig hinterfragt zu sein.8'

81 Auch zu meinem Ärgernis: Als ich eine Wissenschaftskollegin, die ähnliche Forschungen Vorjahren in der Ukraine durchgeführt hatte, aufsuchte, um mich nach ihren Erfahrungen zu erkundigen, auch um Reisetips und methodische Anregungen zu erhalten, sah ich mich plötzlich mit einem Verkaufeangebot für Kontakt-

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Im Detail lag auch bei uns ein derartiges Grundproblem vergraben. Zur Vorbereitung unserer Reise organisierte ich ein Treffen mit der Psychotherapeutin Heidi BehnThiele82, die Erfahrungen mit Dolmetschern im Rahmen ihrer psychotherapeutischen Tätigkeit mit extrem traumatisierten Menschen besitzt, um unsere Sensibilität dahingehend zu verfeinern, was es heißt, zu zweit und fremdsprachig - vor allem: in der Sprache der ehemaligen Unterdrücker - ein lebensgeschichdiches Gespräch zu führen. Auch wenn die Art der zwischenmenschlichen Beziehung in einer therapeutischen bzw. einer persönlichen Interviewsituation nur wenig Vergleiche zuläßt, erhielten wir doch wertvolle Hinweise bzgl. der Übersetzungstechnik83, der spezifischen Problematik der Dreieckskonstellation in einer Gesprächssituation, der psychischen Belastung für den Dolmetscher während der Ubersetzungstätigkeit (das gleichzeitige Agieren in zwei Welten)84, der Wichtigkeit ausführlicher gemeinsamer Nachbesprechung und vieles mehr. Im Forschungstagebuch unterstrich ich jedoch die eine sehr gravierende Irritation unserer Besprechung, die durch eine Frage Heidi Behn-Thieles ausgelöst wurde: An welches Gastgeschenk wir gedacht hätten? - was plötzlich zu einer Diskussion über eventuelle Honorarzahlungen für unsere Gesprächspartnerinnen führte. Warum irritierte die Frage gerade jetzt und nicht bei meinen Interviewreisen innerhalb Österreichs, nach Tschechien oder Italien? Während bei allen anderen Fragestellungen zwischen mir und Mag. Vitali Bodnar harmonischer Gleichklang herrschte, war in diesem Punkt eine eigenartige Meinungsverschiedenheit, der argumentativ nicht zu begegnen war, da jeder gute Begründungen vorzubringen hatte. Mag. Vitali Bodnar brachte die manifeste Erwartungshaltung seiner ukrainischen Freunde und Verwandten in die Diskussion ein, die ein Honorar für durchaus legitim bzw. notwendig erachteten. Für mich hingegen war etwa der zu erwartende Leistungsdruck durch solche Finanzierung als Störung der

adressen möglicher Interviewpartner konfrontiert, nach denen ich gar nicht gefragt hatte und die ich auch nicht benötigte. Das Geld sei nicht für sie - versicherte mir die Kollegin

sondern Rix- ehemalige Zwangs-

arbeiter, die noch nicht in den Genuß ihrer privaten Spendensammlung gekommen waren. 82 Heidi Behn-Thiele arbeitet psychotherapeutisch mit Holocaust-Uberlebenden und Folteropfern im Maimonides-Zentrum der Israelitischen Kultusgemeinde und im Verein Hemayat in Wien sowie in Santiago de Chile. Auch Mag. Barbara Preitler danke ich für Hinweise. 83 Auf Grund der zweisprachigen Kompetenz von Mag. Vitali Bodnar war es möglich, in einem Simultanverfahren ungebrochen den wechselseitigen Redefluß aufrechtzuerhalten. Ein Modus, der sich sehr bewährt hatte. Da mir von vornherein klar war, daß - anders als in einer Therapie- oder Beratungssituation nicht das aktuelle Gespräch selbst, sondern das Tonbandmanuskript mein eigentliches Material der Bearbeitung darstellen wird, war es nicht notwendig, ad hoc eine punktgenaue Übersetzung zu haben. Es genügte eine sinngemäße, doch detaillierte Wiedergabe des Gesagten, die einen problemlosen Dialog ermöglichte, eine weitgehend natürliche Gesprächsdynamik aufrechthielt und keine störenden Unterbrechungen nach sich zog. 84 Freilich bedeutete für Mag. Vitali Bodnar diese Reise auch eine intensive Begegnung mit der Geschichte seines Landes und seiner (familiären) Vergangenheit. Die auferlegte Zurückhaltung als Dolmetscher war sicherlich keine leichte Aufgabe. Ein privates „Forschungsprojekt" schuf ihm mitderweile Kompensation.

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Gesprächsatmosphäre, oder die Singularität einer solchen Bezahlungsmodalität problematisch. Allein, daß nicht annähernd eine bestimmte Höhe eines eventuellen Honorars („Entschädigung"!) zur Sprache gebracht werden konnte, zeigte mir, wie sehr die aktuelle wirtschaftliche Situation des Landes und unserer Gesprächspartnerinnen und die aktuelle „Entschädigungsdebatte" die Herangehensweise an eine prinzipielle Frage unseres wissenschaftlichen Gesprächssettings beeinflußte.85 Auch auf die Gefahr hin, daß es einer möglichen Etikette widersprechen könnte, blieb ich schlußendlich bei der Vorgangsweise der vorangegangenen Interviews. Das klingt selbstverständlicher, als es der Fall war. Bezüglich des Gastgeschenkes waren wir uns schnell einig: „Mozartkugeln" hatten für uns beide die notwendige Neutralität, Freundlichkeit und auch Köstlichkeit. Alles in allem spiegelt diese kleine Diskussion die aktuelle Auseinandersetzung wider, die mehr in der Handhabung der Gegenwart, in der Meisterung der akuten Probleme ihren Ausdruck findet, als in einer Auseinandersetzimg mit der Geschichte, mit den persönlichen Leiden, die mehr als ein halbes Jahrhundert zurückliegen. Diese Wunden sind tief vergraben und finden höchstens in privatem Rahmen eine Ansprache. Aber selbst das ist unwahrscheinlich und bleibt die Ausnahme. Die vermeintliche private Geschichtsabsenz wird konterkariert durch die offizielle Geschichtsträchtigkeit, die sich in Form einer nicht zu übersehenden antifaschistischen Denkmalskultur aus der Zeit der ehemaligen Sowjetunion Luft verschafft. Nur: Die geehrten Opfer sind ohne Ausnahme definierte Helden, Widerstandskämpfer, die in der Verteidigung des sozialistischen Vaterlandes ihr Leben ließen. Andere bleiben ungenannt. Die Denkmallandschaft gibt auch hier einen Einblick - wie Heidemarie Uhl formuliert „in eine ,Hierarchie der Erinnerung' (Pierre Nora); sie macht sichtbar, welche Deutungsangebote hinsichtlich der Vergangenheit im Geschichtsverständnis einer Gemeinschaft vorherrschen, welche marginalisiert sind - insofern reflektiert ihre Struktur immer auch politische und gesellschaftliche Machtverhältnisse" (Uhl, 1996, 146). Die ukrainischen Machtverhältnisse des 20. Jahrhunderts sind unzweideutig. Die politischen Implikationen des kollektiven Gedächtnisses ebenso. Während die politischen Ikonen der Parteigeschichte vorwiegend bis zum Überdruß ignoriert werden, finden so manche Denkmäler in Erinnerung an die Zeit der nationalsozialistischen Unterdrückung ihre Aufmerksamkeit, samt zugehöriger Geschichte. Auch wenn im Detail die nacherzählte Geschichtsbetrachtung differiert, so manifestiert sich ein verbreiteter historischer Kenntnisstand, der sich auf einer antifaschistischen Identität gründet. Egal, wen wir be85 Bezeichnend die Empfindung einer russischen Forschungskollegin: „Als ich die ehemaligen Zwangsarbeiter - und auch die GULAG-Uberlebenden - traf, als ich ihre Briefe las, beneidete ich manchmal meine westlichen Kollegen, die ebenfalls die Erinnerungen von Opfern der Gewaltherrschaft aufzeichneten. Auch sie stoßen auf psychische Störungen, auf verdrängte Erlebnisse, auf die Schrecken der Vergangenheit. Jetzt aber leben diese Menschen, die einmal Furchtbares durchgemacht haben, in relativ bequemen und sicheren Verhältnissen. Bei uns ist man immer wieder damit konfrontiert, dass den Menschen elementare Bedürfnisse ein Leben lang unerfüllt bleiben." (Scherbakowa, 2000, 225).

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f r a g t e n , m a n kannte e t w a die h e r o i s c h e n H i n t e r g r ü n d e des kleinen D e n k m a l s g l e i c h a m R a n d e d e r p o m p ö s e n A n l a g e des T r a d i t i o n s k l u b s D y n a m o K i e w . D y n a m o K i e w 8 6 g e g e n D e u t s c h l a n d bedeutet(e) m e h r als n u r ein Fußballspiel. 8 7 E i n e ähnliche E r f a h r u n g m a c h t e ich in d e r S t a d t V i n n i t s a , als w i r die d o r t i g e sehr g e p f l e g t e p s y c h i a t r i s c h e A n s t a l t b e s u c h t e n u n d sich ein v e r w a n d t e s h e r o i s i e r t e s

Ge-

s c h i c h t s b e w u ß t s e i n o f f e n b a r t e . D i e E r m o r d u n g des Anstaltspersonals ist i m kollektiven G e d ä c h t n i s e n t h a l t e n . E i n kleines M a h n m a l a m R a n d e d e r A n s t a l t t r ä g t f o l g e n d e , in ukrainischer S p r a c h e verfaßte (was a u f ein j ü n g e r e s D a t u m des D e n k m a l s schließen läßt) Inschrift:

„ E w i g e E h r e d e n M i t a r b e i t e r n des O.I. Juschtschenko-Krankenhauses von Vinnitsa Oblast, die f ü r die F r e i h e i t u n d U n a b h ä n g i g k e i t u n s e r e r H e i m a t w ä h r e n d des G r o ß e n V a t e r l ä n d i s c h e n K r i e g e s in d e n Jahren 1 9 4 1 - 1 9 4 5 gestorben sind."

A b e r w a s g e s c h a h m i t d e n P a t i e n t e n ? Eis schien mir, als o b sie sich gleich einer „ W i e d e r k e h r des V e r d r ä n g t e n " in E r i n n e r u n g riefen, als a m f o l g e n d e n T a g in d e r lokalen T a g e s z e i t u n g „ R I A - N E W S " 8 8 die S c h l a g z e i l e „ G e i s t e s k r a n k e f a n d e n B l i n d g ä n g e r " zu lesen w a r . E i n e G r u p p e v o n P s y c h i a t r i e p a t i e n t e n e n t d e c k t e a u f d e m G e l ä n d e d e r A n s t a l t ein i 2 o - m m - A r t i l l e r i e g e s c h o ß aus d e r Z e i t des Z w e i t e n W e l t k r i e g e s u n d ü b e r b r a c h t e n ihren

86 Mag. Vitali Bodnar machte mir die interessante Mitteilung, wie sehr die historische Erfahrung sprachlich, im Kinderspiel konserviert, erhalten blieb. In seiner Kindheit wurde im Spiel das „feindliche" Gegenüber mit dem ukrainischen/russischen Wort „Nemec" bezeichnet, was auch „Deutscher" bedeutet. Die Brisanz der kürzlich zuvor ausgetragenen Champions-League-Auseinandersetzung zwischen Dynamo Kiew und Bayern München mag auch unter diesen Aspekten Beachtung finden. 87 Eine Erzählung dieser Geschichte schrieb Andrew Gregorovich: „After Kiev was occupied members of the Dynamo team found work in Kiew Bakery N o . 1 and started to play soccer in an empty lot. T h e Germans offered them the opportunity to train in the Zenith Stadium and then suggested a ,friendly' game with a team picked from the German army. [...] On June 12, 1942 the Germans, in good physical shape, scored the first goal. Then Dynamo gained its strength and scored a goal. T h e old talent of Dynamo started to grow and they scored a second goal to the enthusiastic cheers of the Ukrainian spectators. T h e Germans were furious. At half time a German officer came from the Commandant's box to the Dynamo dressing room and ordered them ,not to play so keenly' and threatened that they would be shot if they do not obey. T h e fans, completely unaware that the lives of Dynamo were threatened, cheered them on to a score of 4:1 when suddenly the German Commandant of Kiev, Major-General Eberhardt, and his staff left. [...] T h e powerful and ,ever victorious' German Flakelf team was invited. But this German team also lost to D y namo and not a word about it appeared in the newspapers. T h e Ukrainian Team was given three days to think about their position and on August 9th there was a ,friendly' rematch. In spite of the pressure Dynamo again in its fifth game defeated the German team - for the last time. Most of the Ukrainian team members were arrested and executed in Babyn Yar, but they are not forgotten" (Gregorovich, 1995). 88 Ausgabe Nr. 27 vom 8. Juli 1999.

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Fund dem erschrockenen Anstaltspersonal. Der alarmierte Entschärfungsdienst konnte nicht kommen, weil kein Benzin mehr vorhanden war. Acht Kilometer nördlich der Stadt offenbart sich ein ähnliches Verschweigen. Die außerordentlich gepflegte und mit Blumen geschmückte Gedenkstätte erinnert an den von den Nationalsozialisten errichteten Führerbunker „Wehrwolf', bei dessen Bau um die 14.000 Zwangsarbeiter aus verschiedenen Ländern ums Leben gekommen waren. Als im Jahre 1942 ein Besuch Hiders geplant war, sollte das Gebiet „judenfrei" sein (Dean, 1999, 81 f.). Tausende Juden, darunter jüdische Arbeiter der Festungsanlage, wurden umgebracht. Die in Russisch verfaßte Inschrift des Denkmals lautet: „Hier ruhen über 14.000 sowjetische Soldaten, Bürger von Polen, Tschechoslowakei, Norwegen und anderen Ländern, die zwischen 1941 und 1943 von deutschen Faschisten bestialisch zu Tode geschunden wurden." Die Massenermordung der Juden bleibt ungenannt, allgemein unter „sowjetischen Soldaten" bzw. „ausländische Bürger" subsumiert, die in der verdichteten Erinnerungskultur vorrangig den Pathos des antifaschistischen Widerstands zu signalisieren haben. Geisteskranke, Juden und nach Deutschland deportierte Zwangsarbeiter kommen in der (offiziellen) Geschichtsbetrachtung nicht vor. Ihre Leidensgeschichten passen nicht in den zum Ritual formierten, politisch korrekten militanten Antifaschismus. Für die ins nationalsozialistische Deutschland verschleppten Zwangsarbeiterlnnen fehlt auch im eigenen Land bis heute eine offizielle Anerkennung ihrer Leidenserfahrungen. Für viele von ihnen, v. a. für Kriegsgefangene, die zur Zwangsarbeit herangezogen wurden, war bereits in den Filtrationslagern, die die Sowjetarmee nach der Kapitulation des Deutschen Reiches für die wieder zurückkehrenden sowjetischen Frauen, Männer und Kinder errichtet hatte, das Schicksal besiegelt. Sie wurden nach Sibirien deportiert. Den anderen haftete zeidebens der Verdacht der „Kollaboration" an, der ihnen nach Geheimdienstverhören jegliche soziale Aufstiegschance nahm. Alle meine Gesprächspartnerinnen waren nach ihrer Rückkehr in die Heimat wegen ihres Zwangsarbeiteinsatzes solchen Repressionen und Verleumdungen ausgesetzt. Sie bilden keine Ausnahmen, sondern die Regel. Der traumatische biographische Riss, den die vorwiegend jungen Menschen durch die Deportation ins nationalsozialistische Deutschland und durch die in der Wahrnehmung zeidich unbegrenzte Gefangenschaft in einer Extremsituation erleiden mußten, fand mit der Befreiung durch die Alliierten nur ein augenscheinliches Ende. Die notwendige soziale Geborgenheit für die Aufarbeitung des Geschehenen war in der Heimat nicht gegeben, so daß die massenhafte psychische Folgewirkung als „Sequentielle Traumatisierung", d. h. als Fortdauer des Traumatisierungsprozesses, wie es Hans Keilson bezeichnete, begrifflich gefaßt werden kann. Keilsons Differenzierung der traumatischen Sequenzen - 1. die feindliche Besetzung; 2. direkte Verfolgung und Gefangenschaft; 3.

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die Nachkriegsperiode die er anhand seiner Studien mit jüdischen Kriegswaisen in den Niederlanden kategorisierte, kommt vor allem den traumatogenen Elementen der dritten Sequenz eine besondere Bedeutung zu. Sie erstreckt sich über Jahrzehnte und dauert durch die Nichtakzeptanz bzw. Verurteilung und Bestrafung des erlittenen Leids zum Teil bis heute. Für viele ehemalige Zwangsarbeiterinnen war es gar im familiären Verband unmöglich, jene Aufmerksamkeit zu erhalten, die für eine Integration und Verarbeitung ihrer seelischen Verwundungen notwendig gewesen wäre. Hans Keilsons Erkenntnisse aus seiner Follow-up-Studie über 2 5 Jahre, in der er u. a. die Interdependenzen zwischen zweiter und dritter Sequenz erforschte, sind auch in unserem Zusammenhang von Bedeutung. „Kinder mit einem relativ günstigen Verlauf innerhalb der zweiten traumatischen Sequenz, also in der Zeit der unmittelbaren Bedrohung, aber mit einer relativ ungünstig verlaufenden Nachkriegszeit, der dritten traumatischen Sequenz, zeigen ca. 25 Jahre später ein ungünstigeres Entwicklungsbild als Kinder mit einer ungünstigen zweiten, aber einer günstigen dritten traumatischen Sequenz" (Keilson, 1991,109). Die sensible Aufmerksamkeit für eine derart gesellschaftlich bedingte kumulative Traumatisierung war erforderlich, als wir am 3. Juli 1999 unsere Reise in die Ukraine antraten. Die oft chaotischen Reisebedingungen und Aufregungen, die intensiven kulturellen und ökonomischen Eindrücke sowie die nachhaltigen persönlichen Begegnungen machten es immer wieder notwendig, sich allgemein in Erinnerung zu rufen, mit welchen traumatischen Erfahrungen, Repressionen und Erniedrigungen die Gesprächspartnerinnen als „slawische Untermenschen" vor über fünfzig Jahren konfrontiert waren; welchen propagandistisch geforderten Einstellungen von seiten der Einheimischen sie sich in Linz ausgesetzt sahen. Die „streng vertraulichen" Bestimmungen der Gestapo/Staatspolizeistelle Linz aus dem Jahre 1942 (siehe Anhang 1 am Ende des Kapitels, S. 165 ff.), wie mit,Arbeitskräften aus dem Osten" umzugehen wäre, scheinen, in einen Regelkanon gepreßt, auch die Atmosphäre jenes Lebensbereiches zusammenzufassen, in dem unsere Gesprächspartnerinnen zur Arbeit in den Hermann-Göring-Werken gezwungen wurden. Die Bestimmungen stellten keine wirkliche „Geheimsache" dar, sondern waren durch die jahrelange Propagandamaschinerie zum mentalen Allgemeingut geworden und als solche von dominanter Präsenz. Als die Gestapo in Linz die verantwortlichen Stellen darüber informierte, wie die seit 1942 massenhaft nach Oberdonau deportierten Ostarbeiter und Ostarbeiterinnen zu behandeln seien, war das kurz zuvor noch Unvorstellbare bereits zur Realität geworden. Entgegen der vorherrschenden rassischen und sicherheitspolizeilichen Überlegungen wurden nun doch „slawische Untermenschen" und „Bolschewisten" zu Zigtausenden in das deutsche Reichsgebiet deportiert, um die Plätze der zur Wehrmacht rekrutierten männlichen Arbeitskräfte, die sich zusehends von der Vorstellung eines „Blitzkrieges" und einer baldigen Rückkehr in die Heimat trennen mußten, einzunehmen. Der quantitative Bedarf an Arbeitskräften, wie ihn die Wirtschaft einforderte, blieb durch die

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Beibehaltung der anfänglich durchaus erfolgreichen Anwerbung von Freiwilligen nicht zu erfüllen. Vorwiegend Frauen und ungelernte Arbeiter hatten versucht, dem Hunger und Sterben in ihrer Heimat zu entfliehen (vgl. Müller, 1995, 93 f.). Die sowjetischen Kriegsgefangenen konnten kaum mehr zur Zwangsarbeit herangezogen werden - von den mehr als 3 Millionen Gefangenen kamen bis März 1942 nur 160.000 zum Arbeitseinsatz ins Reich. „Mehr als die Hälfte der bis Ende des Jahres 1941 3,3 Mio. in deutsche Hand geratenen sowjetischen Kriegsgefangenen verhungerten, erfroren, starben vor Erschöpfung oder wurden umgebracht" (Herbert, 1991,11). Spätestens seit der Niederlage in Stalingrad, Anfang 1943, wurden wahllos alle halbwegs arbeitstauglich erscheinenden Menschen aus den besetzten Gebieten der Sowjetunion nach Deutschland verschleppt. Viele dieser Kranken, Alten und Schwangeren wurden von den Betrieben gar nicht angenommen und in sogenannten „Rückkehrtransporten" wieder in die Sowjetunion gebracht. Das Erscheinungsbild dieser Rückgeföhrten schockierte die einheimische Bevölkerung dermaßen, daß es zu einer Verstärkung des Widerstandes gegen die zunehmenden Anwerbeaktionen kam, die darob mit ungeheurer Brutalität durchgeführt wurden (Herbert, 1986,164 f.). Der „Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz" Fritz Sauckel befehligte im Zusammenspiel mit der Wehrmacht unzählige der Greifkommandos, die in brutalen Razzien auf Menschenjagd gingen. „Die größte Zahl von Zwangsarbeitern für den Reichseinsatz war im Sommer 1942 rekrutiert worden. Die bedeutendste Gruppe bildeten rund 800.000 ukrainische Frauen, die als Dienstmädchen für deutsche Haushalte verpflichtet und erst in der Endphase des Krieges in die Rüstungsindustrie umgesetzt wurden. Auch hier meldeten sich nur knapp 10.000 freiwillig, weshalb Repressalien gegen die Familien angewendet wurden. Obwohl man also den Wert der menschlichen Arbeitskraft zu schätzen gelernt hatte, eskalierte zur gleichen Zeit auch die Mordbrennerei, die sich über solche Erwägungen hinwegsetzte" (Müller, 1995, 97). Die wachsende Nachfrage der deutschen Unternehmen nach billigen Arbeitskräften konnte nicht gestillt werden. Mit den sich häufenden militärischen Rückschlägen und Partisanenangriffen erwies sich die anfangliche Selektion der Arbeitsfähigen als undurchführbar. Für die Organisation, die Bewachimg, die Ernährung und den Transport reichten die bewaffneten Einsatzkräfte nicht mehr aus. Schließlich schickten die mit ungeheurer Brutalität vorgehenden Soldaten ganze Familien zum Arbeitseinsatz auf Transport89 (siehe Anhang 2 am Ende des Kapitels, S. 171 ff.). 89 Gegen Kriegsende scheinen in den Sammellagern auf deutschem Reichsgebiet, auch in Linz, chaotische, horrende Zustände und eine überforderte Organisation naheliegend, die sich mit gefangengehaltenen Familien, Schwerkranken, alten Menschen (z. T. über 80 Jahre), Kleinkindern und Säuglingen aus ganzen entvölkerten Ortschaften konfrontiert sahen. Eine Auflistung der arbeitsunfähigen ausländischen Arbeitskräfte im Durchgangslager des Arbeitsamtes in Linz vom 17. April 1945 vermag dies zu verdeudichen, wobei viele „Diagnosen" für ihre Arbeitsunfähigkeit nach nationalsozialistischer Wertigkeit eine Lebensbedrohung bedeuteten.

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KÜCHENGESPRÄCHE

Unsere Reise führte uns zuerst ca. 50 Kilometer südlich von Kiew in den kleinen Ort Ksaverivka. Die Adresse von Oleksij Panasowytsch Kruhlyk hatten wir von der Menschenrechtsstiftung „Memorial" 90 erhalten. Nach einem Briefwechsel war Herr Kruhlyk mit einem Treffen einverstanden gewesen, um uns über seine Erlebnisse als Zwangsarbeiter in den Hermann-Göring-Werken in Linz zu erzählen. Unseren genauen Besuch organisierten wir - da Herr Kruhlyk kein Telefon besaß - mit dem in Kiew lebenden Sohn, der den Vater in Abständen besucht und über unser Kommen informieren sollte. Ganz genau war das leider nicht möglich gewesen, und unser Besuch am 6. Juli 1999 in Ksaverivka war doch eine Überraschung geworden. Auch für uns, denn wir durchquerten den kleinen Ort, der auf der aktuellen Straßenkarte völlig falsch eingezeichnet war, ohne es zu bemerken. Erst durch mehrmaliges Nachfragen kamen wir ans Ziel und erfuhren, daß dieser unscheinbare Ort in den 1960er Jahren glorreiche Zeiten erlebt hatte. Ein guter Draht des örtlichen Kolchoseleiters zu Nikita Chruschtschow soll die für ein kleines Dorf damals noch außergewöhnliche Gasversorgung gebracht und Ksaverivka zu einem sozialistischen Vorzeigemodell gemacht haben. Fidel Castro und/oder Kim II Sung - wußte man mit Stolz zu berichten - sollen die prominentesten Besucher ihrer Gemeinde gewesen sein. Aber das war einmal. Breschnew verfolgte andere Interessen, und die Uhr des Ortes schien sich zurückzudrehen. Herr Kruhlyk hatte dies alles miterlebt. Er ist Teil dieser Dorfgeschichte, die von außen nicht mehr abzulesen ist. Im Jahre 1924 geboren, wuchs Herr Kruhlyk in Ksaverivka auf, wurde von dort zur Zwangsarbeit nach Linz deportiert, arbeitete nach seiner Rückkehr im Ort als Geographielehrer und lebt noch heute mit seiner Frau im Hause seines Vaters. Frau Kruhlyk - Nina Polikarpivna Jankivska - , geboren 1925, teilt die Biographie ihres Mannes und war in unmittelbarer Nachbarschaft jenes Hauses groß geworden, in das sie uns nun bat, einzutreten. Während wir drei Männer im Wohnzimmer Platz nahmen, setzte sich Frau Kruhlyk, um unser Gespräch nicht zu stören, aber um doch anwesend zu sein, für uns sichtbar nebenan auf das Sofa ihrer Küche. Nicht nur die gewählte Sitzordnung, sondern auch der Umstand, daß Herr Kruhlyk in ukrainischer und nicht in russischer Sprache seine Erinnerungen wiedergab, waren deudiche Zeichen einer ländlichen Gesprächssituation. Er blieb darin mit Frau Ivanova,

90 M E M O R I A L ist eine internationale Gesellschaft für historische Aufklärung, Menschenrechte und soziale Fürsorge (Malyj Karetnyi per. 12; 103051 Moskau, Rußland). Als N G O hat dieser Verein u.a. auch eine Datenbank ehemaliger Zwangsarbeiter aus den GUS-Staaten kompiliert, die ca. 400.000 Datensätze enthält. Auf Anfrage von DDr. Oliver Rathkolb schickte Jens Siegen (Mitarbeiter der Heinrich-Böll-Stiftung, die eng mit Memorial in Rußland zusammenarbeitet) im Jänner 1999 insgesamt 2 . 3 1 3 Datensätze betreffend Personen, die in Linz Zwangsarbeit leisten mußten.

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einer weiteren Gesprächspartnerin, eine Ausnahme. Da Herr Kruhlyk schon etwas schwer hörte, verlief das Gespräch anfänglich mit wenigen Unterbrechungen und begann mit folgender Sequenz9': „Oleksij Kruhlyk: Es ist besser, wenn ich alles von Anfang an erzähle. Ich wurde hier.; in diesem Haus, 1924 geboren. Das ist das Haus meines Vaters. Erstarb vor langer Zeit. Ich bin schon 75 Jahre alt. Vor dem Krieg besuchte ich die Mittelschule. Als der Krieg anfing, wurde ich nicht zum Militär eingezogen, da ich erst siebzehn war. Damals wurde man mit zwanzig zum Militär eingezogen. Als die deutschen Besatzer kamen, begann man Arbeitskräftefiir Deutschland anzuwerben. Niemand wollte freiwilligfahren. Darum wurden spezielle Sonderkommandos gebildet, die aus der lokalen Polizei - angeführt von Deutschen - gebildet wurden. Sie organisierten eine regelrechte Jagd aufuns: junge Männer und Frauen. Unser Dorfwurde oft eingekreist undjunge Leute geschnappt. Einmal wurde auch ich und meine spätere Frau gefaßt und nach Vasylkiv92 gebracht, wo sich eine Sammelstelle befand. Wirflohen von dort weg und versteckten uns einige Wochen zu Hause. Dann wurden wir nochmals gefaßt und in einen Viehwagen gesteckt. In diesem Wagen wurden 40 oder 50 Personen eingepfercht und versperrt. Wir sind lange gefahren: durch die Ukraine, Polen, durch die Tschechoslowakei. Wir blieben auch irgendwo in Deutschland stehen. Dann kamen wir in Linz an. Wir waren sieben oder acht Tage unterwegs, wir waren hungrig und durstig. In Linz wurden wir zum Duschen geschickt. Dann gingen wir zu Fuß ins Lager aufdem Gelände des Eisenwerkes - Hermann-Göring-Werke. Das Lager bestand aus ca. zehn Baracken. In diesen Baracken gab es zweistöckige Betten, aufden Betten waren Matratzen aus grobem Stoffgefüllt mit Holzspänen. Nina Kruhlyk (aus der Küche): Kissen schauten genauso aus. Oleksij Kruhlyk: Aus den Holzspänen wurde dann Staub. Die ganze nächste Woche gingen wir jeden Tag duschen hin und her. Dann wurden Fotos von uns gemacht und Fingerabdrücke abgenommen. Wir bekamen auch einen Zettel, woraufgeschrieben stand, daß wir nicht sabotieren, smdern treu dem Reich dienen sollen. Das mußtejeder unterschreiben. Mit diesen Formalitäten ist ungefähr ein Monat vergangen. Es gab viele solche wie wir! Wir wohnten im Lager und wurden von der lokalen Polizei überwacht, die,Schutzmann193 hieß. In den Ecken standen Wachtürme mit Polizisten bewaffnet mit Maschinengewehren. Am Ausgangstor standen Polizisten mit Hunden. Als der Papierkram erledigt war, schickte man uns ins Werk. Im Werk gab es viele Werkshallen. Ich arbeitete in der ,BW-Halle\ das heißt ,Bear91 Mag. Vitali Bodnar fungierte als Dolmetscher und besorgte auch die Transkription und Übersetzung der Tonbandprotokolle. 92 Ein Rajon-Zentrum nahe Kiew. 93 Wahrscheinlich handelt es sich hiebei um den ,Werkschutz'.

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beitungswerkstätte'. In der Nähe waren andere Hallen: Stahlgießerei. - Nicht weit vom Werk an der Donau gab es Kraftwerke. Die Hallen waren groß und lang, jede von ihnen war noch in kleinere Teile unterteilt. Wir arbeiteten 12 Stunden pro Tag: ab 6 Uhr früh bis 6 Uhr abends. Die Arbeit war sehr schwer, unsere Kleidung war schnell kaputt. Für neue Kleidung hatten wir kein Geld, uns zahlte man praktisch nichts: nur eine bis anderthalb Mark pro Woche. Das Essen war sehr schlecht. Wir alle wurden sehr dünn und schauten erbärmlich aus. Am Morgen bekamen wir 200 g ERSATZBROT^4 und Tee: warmes Wasser ohne Zucker. Das war unser Frühstück. Zu Mittag gab es einen halben Liter Brühe aus Kohlrüben. Das schaut so aus wie bei uns Zuckerrübenschnitzel. Brot gab es keines mehr. Das Essen war nicht zu ertragen, alle waren sehr schwach. Wir mußten jeden Tag arbeiten. 1942, kurz nachdem wir angekommen waren, gab es am Sonntag Ruhe. Wir durften aber das Lager nicht verlassen. Wir wurden überwacht am Weg in die Arbeit und zurück. Später, im Jahre 194 3, wurde der freie Sonntag abgeschafft. Wir arbeiteten abwechselnd: eine Woche Tagschicht und eine Woche Nachtschicht. Das Leben war sehr schwer. Es gab einzelne Versuche, nach Hause, in die Ukraine zufliehen.Aber das gelang kaum jemandem, weil der Überwachungsdienst überall so gut organisiert war. Überall stand Polizei, die alle Verdächtigen festnahm und zurück ins Lager schickte. Wenn -man erfuhr, daß der Verdächtige aus einem Lager geflohen war, dann schickte man ihn schon in ein KZ oder ins Straflager. Dort war man schon kaputt. So lebten wir dort. 1944 spürten schon die Deutschen, daß ein für sie ungünstiges Ende naht, und sie behandelten uns nicht mehr so streng. Manchmal durften wir zwischen den Schichten aus dem Lager in die Stadt gehen. Im Sammer gingen wir manchmal an die Donau baden, sonst nirgendwo hin. Nach Linz gingen wir nicht, wir hatten dort nichts zu suchen. Wir hatten kein Geld fürs Einkaufen. Außerdem brauchte man Karten für alles: BEZUGSCHEINE?5. Und die bekamen wir nicht. Nina Kruhlyk (aus der Küche): Nur Limonade und Bier konnte man ohne Bezugsscheine bekommen. " Im Hause seines Vaters, das eine versunkene Welt repräsentierte, begann Herr Kruhlyk sogleich seine Erzählung mit dem traumatischen Riß in seiner Biographie, der mit dem historischen Einschnitt des Dorfes gleichgesetzt war. Die Menschenjagd der feindlichen Besatzer wurde mit Unterstützung der lokalen Polizei durchgeführt, um der deutschen Kriegsindustrie junge Arbeitskräfte zu verschaffen. In wenigen Sätzen gelang es Herrn Kruhlyk, die ganze Härte und Tristesse des Lebens als Zwangsarbeiter zusammenzufassen. Das Ausmaß der kargen Lebensverhältnisse ist in zwei lebenswichtigen Begriffen 94 Herr Kruhlyk wußte noch das deutsche Wort zu nennen. 95 Auch hier das deutsche Wort.

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konzentriert, zusammengefaßt, die Herrn Kruhlyk noch nach Jahrzehnten in deutscher Sprache erinnerlich sind: ERSATZBROT und BEZUGSCHEINE. In wenigen Sätzen wurde anschaulich, wie sehr die Umgangsbestimmungen der Gestapo über den „Einsatz von Arbeitskräften aus dem Osten" in die Tat umgesetzt wurden. Während seiner straffen Schilderung über die Lebensbedingungen in den Linzer Zwangsarbeitslagern und den Arbeitsbedingungen im Eisenwerk machte sich Frau Kruhlyk mit leisen Zwischenrufen aus der Küche bemerkbar, und ich war einigermaßen irritiert, als ich die Übersetzung hörte. Hatte Frau Kruhlyk die Erzählungen ihres Mannes schon so oft gehört? Oder gar: War sie auch in Linz in den Hermann-Göring-Werken? Die gewählte Sitzordnung, die räumliche Trennung, schien eine explizite Frage Richtung Küche zu untersagen. Sukzessive wurde es im Gesprächsverlauf klar: Nina Jankivska Polikarpivna wurde gemeinsam mit ihrem späteren Mann auch aus ihrem Heimatort verschleppt, kam nach Linz und mußte als Putzfrau in den Hermann-Göring-Werken arbeiten. Weder in der Korrespondenz noch in den Telefonaten mit dem Sohn oder im Vorstellungsgespräch war die Geschichte Frau Kruhlyks erwähnt worden. Als ob die expliziten Leidensgeschichten eine männliche Angelegenheit wären, während die Leidensgeschichten der Frauen, in der Küche aufbewahrt, ihre Zuordnung gefunden hätten. Es schien ihr Abseits als ihr sicherer Ort zu sein. Vitali Bodnar wußte mir gleich nach dem Gespräch diesen Eindruck zu bestärken, da ihm frühe Erinnerungsbilder aus seiner Heimat Czernowitz in den Sinn gekommen waren: die Küche als zentraler Ort der (alten) Frauen, wo die wichtigen Gespräche ihren Platz hatten. So war es stringent, daß sich nach dieser Offenbarung die Gesprächsatmosphäre lockerte, alle Beteiligten involviert waren und Frau Kruhlyk sich von ihrem Sofa erhob. Die Küche jedoch verließ sie nicht, sondern blieb in der Tür stehen und beteiligte sich immer intensiver am Gespräch. Die Eigenart der räumlich getrennten Erinnerung verschwand, als Herr Kruhlyk plötzlich alte Fotos aus Linz hervorkramte, die das junge Liebespaar vereint zeigte. „Nina Kruhlyk (zu Bild links): Das sind wir beim Aufräumen im Büro. Das ist meine Freundin aus dem Nachbardorf. Karl Fallend: Und wer hat fotografiert? Nina Kruhlyk: Ich weiß nicht. Ein Deutscher aus einem anderen Lager. Das sind von links nach rechts: Karaschevska Vera, ich, Hanja aus Kiev, Ustja aus Trypillija, Xenia aus Obuchiv, ... und wer das ist, habe ich schon vergessen.

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Oleksij Kruhlyk (zu Bild links): Das ist neben der Kirche aufdem Pöstlingberg. Nina Kruhlyk: Man führte uns in die Stadt, wo wir Photos machten. Es hatja auch nichts zu essen gegeben. Oleksij Kruhlyk: In der Stadt wollte man uns nicht fotografieren. Wir mußten ihnen ein paar Pfennig geben. Und Tschechen haben uns privat fotografiert. Fotos waren gratis. Links : Nina und Oleksij Kruhlyk

Nina Kruhlyk: Wir bekamen in Mark den Lohn ausbezahlt und konnten das Geld anders nicht ausgeben. Und jetzt haben wir Erinnerungen. " „Karl Fallend: Wann haben Sie Ihre Frau kennengelernt? Oleksij Kruhlyk: Noch vor dem Krieg. Wir sind zusammen in die Schule gegangen. Nina Kruhlyk: Ich lebte hier in der Nähe. Oleksij Kruhlyk: Wir haben uns noch zu Hause kennengelernt. Wir besuchten gemeinsam die Schule hier und dann in Marjanivka. Dann wurden wir zusammen nach Deutschland abgeschleppt. Dort waren wir auch zusammen, in einem Lager. Karl Fallend: In einem Lager? Oleksij Kruhlyk: Wir waren getrennt. Das Frauenlager war mit Stacheldraht abgetrennt. Wir durften nicht dorthin gehen. Karl Fallend: Wurde das Frauenlager auch bewacht? Nina Kruhlyk: Ja. Polizei hat es bewacht. Karl Fallend: Männer oder Frauen? Nina Kruhlyk: Männer. Ich habe Ihnen ja erzählt, als ich geflohen bin, so schlief ein Wachmann. Das waren Männer, große Männer!

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Karl Fallend: War esfür Sie möglich, Ihre Frau zu besuchen? Nina Kruhlyk: Wir haben durch den Stacheldraht gesprochen. Oleksij Kruhlyk: Ja, ich habe Sie fastjeden Tag nach der Arbeit gesehen. Als wir aus dem Werk zurückkamen, gingen sie gerade arbeiten. Dort trafen wir uns. Karl Fallend: Und am Sonntag? Oleksij Kruhlyk: Am Wochenende konnten wir uns auch im Lager treffen. Karl Fallend: Was haben Sie gemacht? Oleksij Kruhlyk: Wir wollten uns ausruhen. Im Sommer gingen wir zur Donau schwimmen Nina Kruhlyk: Italiener haben uns ausgeführt. Oleksij Kruhlyk: - Manchmal nach Linz, aber wir hatten dort nichts zu suchen. Nina Kruhlyk: Die meiste Zeit sind wir im Lager geblieben. Wir haben uns gewaschen und ausgeruhtOleksij Kruhlyk: - Wir erinnerten uns an die Heimat, an die Bekannten und Verwandten. Nina Kruhlyk: Jeder erzählte über sein Schicksal. So war unser Leben. So ist unsere Jugend vergangen. " Frau Kruhlyk hatte ihre Rettung bereits zuvor angedeutet. Ihre Cousine, mit der sie gemeinsam aus Ksaverivka verschleppt worden war, landete als Zwangsarbeiterin bei dem Bauer Benno Hofinger aus Taiskirchen in Oberösterreich, der allem Anschein nach dem nationalsozialistischen Regime nicht allzuviel abgewinnen konnte und sich ihr gegenüber sehr korrekt benahm. Mit seiner Hilfe wurde es möglich, daß Frau Kruhlyk - und nicht nur sie - dem kargen Zwangsarbeiterinnenleben in den Eisenwerken Hermann Göring entfliehen konnte, was für sie v. a. in puncto Verpflegung, aber auch in sozialer Einbettung eine ungeheure Erleichterung bedeutete. Eine Erleichterung gepaart mit Dankbarkeit, die sich auch in der aktuellen Erzählung zeigte. Die konkreten Einzelheiten und Hintergründe blieben jedoch einer schrifidichen Zusammenfassung vorbehalten. Oleksij Kruhlyk zeigte sich nämlich nicht ganz zufrieden mit unserem Gesprächsverlauf. Wahrscheinlich war ihm doch unser Besuch zu überraschend gekommen und hatte bei ihm ein Gefühl hinterlassen, nicht alles bzw. genau genug erzählt zu haben. Wenige

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Wochen später erhielt ich deswegen von ihm zusätzlich einen schriftlichen Erfahrungsbericht, der tatsächlich in vielen Punkten das Gespräch präziser zu fassen imstande war. Da Herr Kruhlyk der einzige meiner Gesprächspartner blieb, der nach dem ausführlichen Gespräch noch das Bedürfnis nach einer schriftlichen Dokumentation seiner Geschichte hatte, will ich diese hier in vollem Wortlaut wiedergeben:

Wie wir Ostarbeiter wurden96 ,Anfang 1942 verkündete die deutsche Besatzungsmacht die Anwerbung der Arbeitskräfte für den Einsatz in Deutschland. Niemand meldete sich freiwillig, in Deutschland zu arbeiten. Darum wurde dem Starosta97 und der lokalen Polizei befohlen, Listen von jungen Menschen im Alter von 16 bis 20 Jahren zusammenzustellen, um sie unter Zwang für den Einsatz in Deutschland zu organisieren. Dieser Befehl wurde auch nicht befolgt. Sonderkommandos des deutschen Militärs organisierten mit Unterstützung der lokalen Polizei und Starosta sowie Bürgermeister in den Städten eine echte Menschenjagd. Junge Menschen wurden gefangen wie Tiere, sie wurden zu den Sammelpunkten, bewacht durch die Polizei und Militärs, geführt, von wo die Gefangenen nach Deutschland geschickt wurden. So geschah es auch in unserem Dorf Ksaverivka in Kiev Oblast. 1942, während einer Razzia im Dorf, wurde eine größere Gruppe Jugendlicher festgenommen. Wir wurden zum Sammelpunkt ins Rayon-Zentrum Vasylkiv geschickt. Einmal nachts floh ein Teil von uns. Wir kamen nach Hause und versteckten uns, wo wir konnten: am Dachboden, in Gruben, bei den Verwandten etc. Während einer anderen (geheimgehaltenen) Razzia wurde ich mit vielen anderen wieder geschnappt. Es wurde uns gedroht, daß wir und unsere Eltern erschossen und unsere Häuser verbrannt werden würden. So schickte man uns nach Kiew zum Abtransport nach Deutschland. Das geschah in der ersten Hälfte 1942. In Kiew wurden wir in Güterwagen je 40-50 Personen beladen, wo früher Pferde, Kühe, Kälber transportiert wurden. Die Wagen waren schmutzig. Niemand hat sie vorher geputzt. Nicht einmal Stroh war drinnen. Wir wurden in den Wagen gesperrt, die Riegel wurden noch mit Draht zusätzlich befestigt. So hat unsere Reise nach Deutschland begonnen. Wir fuhren langsam und lange, weil die Bahn wegen Militärzüge, überlastet war, die entweder Richtung Ostfront führen oder aus dem Osten Tote und Verwundete nach Deutschland transportierten. Während der ganzen Fahrt, die 7 Tage dauerte, wurden uns nur zweimal ein Paar Laib schwarzes Brot für den ganzen Wagen hineingeworfen. Es gab kein anderes Essen. So kamen wir über Fastiv, Kovel, Lublin, Oswenzim, Krakau, Prag, Wien und andere Städte in Linz/Oberösterreich an. Vom Bahn96 Aus dem Ukrainischen übersetzt von Mag. Vitali Bodnar. 97 Starosta = ukrainisch für Dorfältester.

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hof trieb uns die Militärwache in die Lager auf dem Werksgelände, neben der Betriebshalle „B.W." Das Lager war mit Stacheldraht umzäunt und hatte auf allen Ecken Wachtürme. Auf den Türmen standen Wachmänner mit Maschinengewehren und -pistolen.

Im Lager und während der Arbeit Nach der Endausung wurden von uns Dokumente angelegt: unsere Adressen, Namen der Eltern wurden notiert, Fotos aus verschiedenen Positionen gemacht und Fingerabdrücke genommen. Wir mußten eine Erklärung unterschreiben, daß wir hingebungsvoll für Deutschland arbeiten und nicht sabotieren werden usw. Nach dieser Prozedur begann man, uns unter Bewachung der Polizei (Schutzmänner) zur Arbeit zu treiben: ins Werk und zu Bauarbeiten, die dort rege durchgeführt wurden. Das Werk befand sich im Baustadium. Das Lager, wo wir untergebracht wurden, befand sich am Gelände der „Eisenwerke, Hermann Göring Werke" auf der Himmelstraße 21. In diesem Lager wurden wir aufgeteilt: Ein Teil blieb im Lager, um am Werk und am Bau zu arbeiten, und ca. 500-600 Personen wurden in ein anderes Lager geschickt, wo sie in andere Werke und zu den Bauern aus den umliegenden Dörfern geschickt wurden. Ich bin im Lager geblieben. In ein paar Tagen hat man mir gelernt, das Schweißgerät in den Händen zu halten und irgendwie zwei Stück Metall zusammenzuschweißen. Dann schickte man mich in verschiedene Werkshallen zum Schweißen von Panzern. Zuerst waren das leichte Panzer vom durchschnitdichen Typ. Anfang 1943 hat man aber mit dem Bau der Panzer „Panther" begonnen. Ich wurde auf den Platz eingeteilt, wo Gehäuse und Türme für diese Panzer gebaut wurden. Das Leben im Lager und die Arbeit waren sehr schwer. Wir bekamen sehr schlechtes Essen. Man gab uns nur 200 Gramm schwarzes Brot. Das Frühstück bestand aus diesen 200 Gramm Brot und einem Glas warmes Wasser, was man Tee nannte, aber ohne Zucker. Das Mittagessen bestand aus 500 Gramm Suppe (aus Kohlrüben), so war auch das Abendessen. Wir hatten immer Hunger, alle waren sehr erschöpft. Im Sommer war es in den Baracken sehr heiß und im Winter sehr kalt. Wir hatten keine Bettwäsche. Wir schliefen auf den Liegepritschen, auf den bloßen Holzbrettern, 40-50 Personen in einem Zimmer. Die Ordnung im Lager war sehr streng. Für kleinste Vergehen wurde man mit Schlägen bestraft. Aus dem Lager durfte man nicht hinaus, im Falle der Flucht wurde mit K Z oder Straflager gedroht.

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Im Werk waren die Arbeitsbedingungen auch sehr schwer. Wir arbeiteten 12 Stunden pro Tag: ab 6 Uhr in der Früh bis 6 am Abend. Die Nachtschicht - umgekehrt. Besonders schwer war es in der Nacht zu arbeiten. Wir hatten großen Hunger und wollten sehr schlafen. Wir schliefen sogar im Stehen oder im Gehen ein. Dafür wurden wir bestraft: mit Schlägen oder durch Übergießen mit Wasser. Unsere Kleidung und Schuhwerk wurde sehr schnell kaputt. Später gab man uns statt Lohn manchmal Arbeitskleidung und Holzschuhe, die wir nicht tragen konnten, weil sie unsere Füße verletzten. 1943 tauchte in unserem Lager zivile Kleidung auf, die wir für unsere Arbeit bekamen. Diese Kleidung war benutzt. Wir ahnten, daß diese Kleidung den getöteten und vernichteten Juden und anderen Menschen gehörte. Deswegen wollten wir das nicht nehmen, aber wenn man nichts anderes hatte, nahm man auch solche Kleidung (siehe Foto). Für die Arbeit wurden wir fast nicht bezahlt. W r bekamen 1 - 2 Mark pro Woche, später bis drei. Aber auch für dieses Geld konnten wir nichts kaufen, weil man für alles Karten brauchte, die man uns nicht gab. Deswegen gingen wir Ende 1943 - als wir das Lager verlassen durften, ohne bewacht zu werden - nur selten in die Stadt. Im Sommer gingen wir zur Donau, um uns zu waschen und um uns vor dem Lager- und Werklärm auszuruhen, da es im Lager nicht besser als in der Werkshalle war. Das Lager war von allen Seiten mit den Hallen des Metallurgiewerkes umringt. Hier gab es Hallen für Koks und Chemie, für Hochöfen, für Walzen. Alles war noch im Baustadium und wurde schon eingesetzt. Tag und Nacht machten Betonmischer Lärm, Schmalspurbahnzüge, die verschiedenes Material transportierten, fuhren und rauchten die ganze Zeit. In solchem Lärm, Getöse und Rauch mußten wir leben und arbeiten.

Ganz rechts mit Trachtenanzug: Oleksij Kruhlyk

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Im Werk arbeiteten Menschen verschiedener Nationalitäten aus ganz Europa. Aber am schwersten hatten es wir Ostarbeiter. Wir alle mußten an der Brust das Zeichen „ O S T " tragen. Niemand von denen, die in den großen Werken und großen Lagern waren, hatten Deutsch gekonnt, weil man im Lager in der Muttersprache kommunizierte und bei der Arbeit mit den Arbeitern der anderen Nationalitäten mit Hilfe von Mimik und Gestik. Es gab nur wenig Deutsche im Werk. Wenn jemand kam, dann wurde er sofort zum Meister, Ingenieur oder Vorarbeiter. Wir kommunizierten und sprachen mit ihnen nicht, weil es gefahrlich war und weil wir sie und ihre Sprache haßten. Ich wurde als Hilfsarbeiter zu einem Gasbrennschneidegerät in eine Halle zugeteilt, wo wir aus Stahlblättern nach den Schablonen Teile der Panzer ausschnitten. Einige Zeit später kamen 200-250 Neue ins Lager. Diesmal aus Kursk Oblast, aus Obojan. Alle blieben in diesem Werk. Nachdem das Werk aufgebaut wurde, stieg der Bedarf an Elektroschweißer, und man begann fast allen Ostarbeitern, die in der B.W.-Halle arbeiteten, das beizubringen. Ich kann nicht sagen, ob es offene Sabotage gab. Es gab aber Fälle, wo im Werk gesprungene Panzergehäuse zum nochmaligen Zusammenschweißen eintrafen. Ich glaube, daß es deswegen so geschah, weil die technischen Regeln nicht eingehalten wurde und weil die Schweißer eine schlechte Qualifikation hatten. Die Deutschen konnten auf die Technik des Schweißens nicht aufpassen, da es nur wenige gab und sie schlecht qualifiziert waren. 1944 wurde ich der Sabotage beschuldigt. Als ich einmal in der Früh zu meinem Arbeitsplatz kam, sagte mir der Vorarbeiter, den Motor eines Schweißgerätes einzuschalten und mit der Arbeit zu beginnen. Der Motor war aber überhitzt, und beim Einschalten verbrannte sein Starter. Dann zwang man mich, den anderen Motor einzuschalten, der auch überhitzt war. Mir passierte dasselbe. Ich wurde zum Saboteur erklärt, und mir wurde mit K Z gedroht. Um nicht ins K Z zu kommen, floh ich aus dem Werk weg und kam schließlich zu einem Bauern in Lamprechten, in der Gegend von Ried.

Leben und Arbeit beim Bauern Die Cousine meiner künftigen Ehefrau (fankivska Nina Polikarpivna) kam zu einem Bauern nach Taiskirchen. Als sie unsere Adresse in Linz erfuhr, bat sie den Bauer, ihre Cousine Nina bei uns in Linz zu besuchen. Das war 1944. Mit ihr kam auch der Bauer. Als er unser Lager und unsere Lebensbedingungen sah, lud er uns ein, zu ihm zu kommen, und er erklärte uns auch, wie wir das machen könnten. So fuhr Jankivska Nina Polikarpivna nach Taiskirchen."

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„Oleksij Kruhlyk: Bis zum Kriegsende blieb ich nicht im Werk. Meine Frau warum Werk auch nicht bis zum Ende. Ihre Cousine wurde auch abgeschleppt, kam aber zu einem Bauern. Nach einiger Zeit haben wir Adressen voneinander erfahren. Meine Frau schrieb einen Briefan die Cousine, woraufsie den Bauer bat, sie zu besuchen. So kam es dazu, daß der Bauer mit der Cousine meiner Frau zu uns kam Nina Kruhlyk: Sie brachten uns Lebensmittel: Brot, Speck Oleksij Kruhlyk: So was haben wir dort nicht einmal gesehen, ganz zu schweigen, daß wir so etwas gegessen hätten! Als der Bauer uns sah, als er sah, unter welchen unmenschlichen Umständen wir lebten, ist er erschrocken. Er kam dann noch einmal und brachte uns Lebensmittel. Einmal sagte er uns, daß man so nicht leben kann und daß wir zu ihm fahren sollen. Er gab uns seine Adresse, erzählte, wie wir zu ihm kommen: zu welchem Bahnhofwir gehen und in welcher Kasse wir Fahrscheine kaufen sollen. Wir durften nichts Falsches sagen, damit niemand merkte, daß wir Ostarbeiter waren. Zuerst ist meine Frau zu ihm gefahren, dann sagte er, daß auch ich kommen kann. Nina Kruhlyk: Wir sind geflohen! Man durfte von dort nicht weggehen. Als ich um zwei Uhr in der Nacht aufstand, sah ich, daß der Wachmann wach war. Um vier Uhr schlief er bereits. Ich wartete ab, bis der Scheinwerfer in eine andere Seite gerichtet war, öffnete leise die Tür und war schon draußen. Ich liefnach Linz. Ich wußte, wohin, weil uns ein Italiener einmal in die Stadt führte. In der Nacht kam ich zum Schalter und sagte:,BITTE MIR GEBEN BILLET ZU WELS.' Ich bekam den Fahrschein, ich sagte nichts mehr und ging in den Wagen. Während der Fahrt kam ein Schaffner zu mir und kontrollierte meinen Fahrschein. Ich zeigte ihm meinen Fahrschein, und er ging weiter. Ich mußte 100 km fahren, bis Taiskirchen. Dort lebte Benno Hofinger, der eine Schwester namens Mizzi hatte. Sie waren sehr gute Menschen. Wir aßen zusammen. Wir waren nur kurz dort, der Krieg ging schon zu Ende. Das Werk wurde stark bombardiert. Während der Bombardements liefen wir in den Schutzkeller: extra für Männer undfür Frauen. Einmal traf eine Bombe den Männerkeller und schüttete die Burschen zu. Als ich das sah, kriegte ich Angst. Wir waren ja jung und wollten leben. Ich bin geflohen. Bei dem Bauern mußte ich 12 Kühe melken, Schweine versorgen. Die Bäuerin hat geholfen. Das Essen war sehr gut, und Arbeiten warfür uns nichts Ungewöhnliches. Ich bin jetzt 75, und trotzdem arbeite ich noch im Garten. Sie mochten uns sehr. Polen waren faul, Ukrainer und Russen - arbeitsam. Er hatte volles Verständnis für mich undfür meine Cousine. Als es dort sehr heiß war, hatten wir keinen großen Hunger, und er bat uns, noch zu essen. Da dachte ich mir:, Wenn es im Lager auch so wäre.' Oleksij Kruhlyk: Als der Bauer meine Frau eingeladen hatte und sie weggefahren war, bekam ich einige Zeit später einen Brief von ihr. Ich sollte auch kommen."

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„Er nahm sie als Arbeiterin zu ihrer Cousine dazu und versprach, später auch für mich Arbeit zu beschaffen. Nach der Geschichte mit den Motoren fuhr ich sofort zu ihm. Ein paar Tage lebte ich bei ihm, dann fand er Arbeit für mich bei einem Bauern aus Lamprechten, Bezirk Ried. Der Bauer hieß Johann Schusterbauer. Dann half der Bauer Benno Hofinger aus Taiskirchen noch sechs Ostarbeitern aus dem Lager zu fliehen und fand für sie Arbeit bei den Bauern aus der Umgebung. Bis zum Kriegsende arbeiteten sie bei den Bauern. Die Arbeit war auch hier nicht leicht. Wir arbeiteten 15-16 Stunden am Tag, von 4 Uhr in der Früh bis 7-8 Uhr am Abend, aber wir hatten keinen Hunger. Die Bauern gaben ihren Arbeitern gut zu essen. Wir mußten auch keine Angst vor amerikanischen Fliegern haben, da Bauernhöfe nicht bombardiert wurden. Benno Hofinger erlaubte uns, Radiosendungen aus Moskau und London zu hören. So wußten wir über die Ereignisse an der Front Bescheid. Ich glaube, daß Benno Hofinger ein Antifaschist gewesen ist, sonst hätte er uns nicht geholfen. Osterreichische Bauern sind im allgemeinen gutmütige, offene Menschen. Besonders trifft das auf ältere Menschen und Frauen zu, was man nicht über die Jugend, insbesondere über die Hitlerjugend, sagen kann. Sie alle unterstützten offen Hitler.

Rückkehr in die Heimat Der Krieg war zu Ende. Wir fingen gleich an, unsere Heimreise vorzubereiten. Den Teil Österreichs, wo wir waren, besetzten amerikanische Truppen. Auf den L K W s brachten sie uns aus verschiedenen Teilen Oberösterreichs nach Linz. Hier warteten wir auf die Vertreter der russischen Führung, aber sie kamen nicht. Deswegen fanden wir selbst an der Donau ein intaktes Dampfschiff „Saturnus" und beschlossen, damit zum Schwarzen Meer und dann nach Hause zu fahren. Wir legten mit dem Schiff vielleicht 100-200 km zurück, als wir in die sowjetische Besatzungszone kamen. Das Schiff wurde angehalten, und wir alle wurden in die Stadt Melk geschickt, wo wir in einem Lager untergebracht wurden. Hier wurden wir alle genau überprüft, wer wir sind, und alle wehrfähigen Männer wurden zum Militär einberufen und die Frauen in die Heimat zurückgeschickt. Im Juni 1945 wurde ich Soldat der sowjetischen Armee. Zuerst dienten wir in Osterreich, dann in Ungarn und Rumänien. Im Winter wurden wir nach Moldawien in die Sowjetunion versetzt. Dort diente ich bis Frühling 1947. Nach der Rückkehr in das Heimatdorf Ksaverivka habe ich das Dorf nicht mehr erkannt. Alles wurde durch den Krieg zerstört. Der Großteil vom Dorf wurde vernichtet und verbrannt. Nur wenige Menschen sind geblieben. Es gab fast keine Männer, alles nahm der Krieg weg. Alles mußte wiederaufgebaut werden. Nach dem Wiederaufbau ging ich in die Kiewer Schewtschenko-Universität und arbeitete im Heimatdorf bis zur Pensionierung. Langsam nahm das Leben im Dorf seinen normalen Lauf. Nach der Rückkehr aus der sowjetischen Armee habe ich Nina

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Polikarpivna geheiratet. Wir haben eine gute Familie: einen Sohn (geb. 1948) und eine Tochter Lidia (geb. 1950)." Eine markante Aussparung in Herrn Kruhlyks nachträglich verfaßten Erinnerungsbericht ist nicht erstaunlich, da es sich dabei um ein schmerzhaftes Kapitel in seiner Biographie und in der Geschichte seines Dorfes handelt. Die Heimkehr des Liebespaares und ihre Behandlung als ehemalige Zwangsarbeiter in den Linzer Hermann-GöringWerken bedeuteten eine nachträgliche Repression. Im Laufe unseres Gespräches hatte ich ihn jedoch nach diesbezüglichen Erfahrungen gefragt, und es war seine Frau, die die Erinnerung an diesen Zeitabschnitt zu ihrer gemeinsamen einstigen Empfindung steigerte: „Karl Fallend: Als Sie beim Militär waren, hatten Sie Probleme wegen Ihres Einsatzes in Osterreich? Oleksij Kruhlyk: Keine besonderen Probleme, aber Unfreundlichkeiten. Wir spürten, daß man unsfür nicht besonders vertrauenswürdig hielt. Nach dem Militär war die Einstellung Nina Kruhlyk: - schlecht. Sie haben gesagt, daß wir unsere Heimat verraten haben. Oleksij Kruhlyk: Die Einstellung war halb feindlich. Karl Fallend: Hier im Dorfauch? Nina Kruhlyk: Ja, am Anfang. Oleksij Kruhlyk: Im Dorf auch. Obwohl den Einheimischen das egal war. Aus unserem Dorf wurden über einhundert Personen abgeschleppt. Karl Fallend: Wie viele Einwohner hatte damals das Dorf? Oleksij Kruhlyk: Insgesamt vielleicht - anderthalb tausend. Karl Fallend: Haben Sie mit den anderen über Ihren Aufenthalt in Deutschland gesprochen? Haben Sie Ihre Erfahrungen ausgetauscht? Oleksij Kruhlyk: Natürlich. Wir haben allen erzählt. Beim Militär mußten wir unseren Lebenslauf schreiben. Nachdem wir nach Hause gekommen waren, stellte man uns nicht überall an. Nur als Hilfsarbeiter konnten wir arbeiten.

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Nina Kruhlyk: Wir wurden für Verrätergebalten. (Bandwechsel) Oleksij Kruhlyk: Nach dem Krieg kam eine neue Führung in das Dorf und in die Kolchose. Sie haben alle gesagt, daß wir unsere Heimat verraten haben. Als 1953 Stalin gestorben ist, wurde das Leben leichter. In diesem Sommer ging ich an die Kiewer Universität studieren. Das Studium habe ich 1959 abgeschlossen und arbeitete dann in der Schule in Ksaverivka."

D I E FRAUEN VON V I N N I T S A Gleich nach dieser Begegnung setzten wir unsere Reise nach Vinnitsa fort, wo mehrere Gespräche geplant waren. Die Stadt Vinnitsa liegt ca. 2 50 Kilometer südwestlich von Kiew entfernt. Eine traditionelle Industriestadt mit heute ca. 400.000 Einwohnern. Streichholz-, Seifen-, Ziegel-, Fleisch- oder Textdlfabrik sowie das Motorwerk „Molot" hatten eine Anziehungskraft für Tausende Landflüchtige und lösten einen Bevölkerungsboom aus. Im Jahre 1939 ergab eine Volkszählung 92.868 Einwohner, während im Jahre 1944 nur mehr 27.638 Menschen in der Stadt lebten - so berichtete uns der Direktor des staatlichen Archivs Vinnitsa Oblast: Serhij Dmytrovytsch Haltschak98.1939 waren 35,6 % der Bevölkerung Juden, erzählte uns Faina Avramovna Vinokurova, Coautorin des Buches über die Hungersnot in Vinnitsa Oblast 1933/34 u n d 1946/47 (1998) sowie Mitarbeiterin des Bandes über Holocaust und Widerstand in Vinnitsa Oblast (Agmon/Stepanenko, 1994). Diese getrennte Information ist kein Zufall. In der Sowjetunion fand das Schicksal der sowjetischen Juden praktisch keine Erwähnung. Bis vor kurzem waren auch die entsprechenden Dokumente noch unter Verschluß gehalten (vgl. Agmon/Stepanenko, 1994, n). Frau Vinokurova hatte sich am 9. Juli 1999 in der Synagoge" von Vinnitsa einen Nachmittag zur Verfügung gestellt, um uns über die Geschichte der Juden in diesem Gebiet zu erzählen. Sie berichtete uns u. a. über die lange jüdische Tradition in Vinnitsa, die bis ins 14. Jahrhundert zurückreicht; über die Assimilierung und Sowjetisierung der Juden, die die jüdische Gemeinde praktisch schon ab 1917 nicht bestehen ließ, und über

98 Das Gespräch mit Direktor Haltschak fand am 7. Juli 1999 im staatlichen Archiv statt. Herr Haltschak, auch Mitglied des Journalistenverbandes, arbeitet aktuell an einer Dissertation über „Ostarbeiter" und stellte ans nach Fertigstellung eine Kopie seiner Arbeit in Aussicht. Zwischenergebnisse wollte er uns noch nicht verraten. 99 Der Standort der Synagoge war nicht zu erfragen. Die Taxilenker zuckten die Schultern, und ein Beamter des Stadtamtes meinte, daß man eine solche Adresse nicht zu wissen brauche.

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den ehemals hohen jüdischen Anteil der hiesigen Bevölkerung, der bis 1941 in Vinnitsa und den umgebenden Ortschaften durchschnitdich 46 % betrug. Gleich nach dem 21. Juli 1941, als das Gebiet um Vinnitsa von den deutschen Truppen erobert wurde, begann unter Mithilfe der örtlichen Polizei das massenhafte Ermorden der jüdischen Bevölkerung. Der tragische Höhepunkt war am 16. April 1942 erreicht worden, als in der Stadt Vinnitsa Tausende Juden erschossen wurden. Nur 15 % der jüdischen Bevölkerung von Vinnitsa gelang die Flucht (Dean, 1999, 29 f.).IO° Im August 1942 wurde der südliche und südwestliche Teil von Vinnitsa Oblast unter rumänische Verwaltung gestellt (Transnistrien genannt), wo weniger durch Exekutionen als durch Hunger und Krankheiten weitere Zehntausende Juden ermordet wurden. 101 Das Ausmaß der Barbarei läßt sich allein aus einem Schreiben eines Kriminalrats und SS-Sturmbannführers an den SS-Standartenführer Hans Rattenhuber vom 14. Jänner 1942 ablesen, das Helmut Krausnick in seinem Buch „Hitlers Einsatzgruppen" zusammenfassend wiedergibt. Es heißt darin: Es bereite „,das Vorhandensein' von ,nahezu 5000 Juden' in Winniza dem dortigen SS- und Polizeistandortführer ,große Sorge', denn dieser erblicke darin sowohl ,für die geplante militärische Anlage', als auch ,für das OKH 1 0 2 , das in Winniza untergebracht werden soll', eine Gefahr. Rattenhuber wurde deshalb um entsprechende Schritte höheren Orts gebeten. Die Juden könnten ,an dem Tage umgelegt werden, an dem die 700 Facharbeiter' (welche die Sicherheitspolizei als solche gelten ließ, während die ,Behörden' mit 1700 jüdischen Facharbeitern gerechnet hatten!) ersetzbar wären. Indes liege ,eine weitere Gefahr darin, daß die rumänische Regierung an ihrer Grenze,... nur 35 km südlich von Winniza ..., 60.000 Juden zusammengezogen' habe und sie ,dort dem Hungertod preisgibt, da sie vor einer Erschießung nach deutschem Muster (!) zurückschrecke.... Zum Teil werden die erkrankten Juden auf besetztes deutsches Gebiet verbracht, um hier Heilung zu finden. Sie wurden und werden aber', bemerkte der Kriminalrat, ,um keine Seuchen aufkommen zu lassen, von der Sicherheitspolizei umgelegt'" (zit. n. Krausnick, 1998, 358f.).IOJ

100 „The shooting of Jews began shortly after the occupation of Vinnitsa. Field Command 675 noted that the Jewish Council had been decimated during the first days of its existence by SD men working for the Einsatzgruppe. According to Etmatzgruppe C, the rabbis had been requested to gather together the Jewish .intelligentsia' within 24 hours for the purpose of registering the Jewish population. When not all those requested appeared, those who did were sent out to collect the others. In this way nearly the entire Jewish .intelligentsia' was gathered and .liquidated'" (Dean, 1999, 30.). 101 Als Kind überlebte Semjon Umanskij das ukrainische Todeslager Petschora und das rumänische Ghetto in Berschad und beschrieb seine Erlebnisse in einer Autobiographie: Jüdisches Glück" (Umanskij, 1998). 102 Oberkommando des Heeres. 103 Laut einer „Oblast-Kommission zur Feststellung und Erfassung der Schäden durch die deutsche NaziBesatzung" sollen in Vinnitsa-Oblast 204.781 Zivilbevölkerung ermordet, 45.972 gefangengenommen und 64.167 ins Deutsche Reich verschleppt worden sein. Von den ca. 200.000 Ermordeten Einwohner des Vinnitsa-Gebiets sollen ca. 100.000 Juden gewesen sein (vgl. Agmon/Stepanenko [Hg.], 1994, 11).

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Zwangsarbeit - Sklavenarbeit in den Reichswerken Hermann Göring am Standort Linz

In einer jüngeren Studie konnte erstmals für das Gebiet Vinnitsa das Ausmaß des Holocaust quantitativ erfaßt werden. Dr. Josef Maljar aus Israel gelang es, eine Zusammenstellung zu erarbeiten (Agmon/Stepanenko, 1994,187): ,Juden in der Vinnitsa-Oblast zwischen 1897 und 1 9 9 3 " Ort

Gesamt -bevölkerung

Juden

Juden

Juden

1939

Ermordet 1941-44

Juden

1939%

1989

1993

33*5° 3869

35,6

21812

15170

8454

4r,i

916

199

73,5

7016

357 1072

599

5,4

1840

7>7

5190

137 402

71 228

4380 1097

393 86

770

979 1400

7>7 9>5

37,i

1410

2

539 2487

157 62

85 28

9622

3 2 73 96

1825

4176

63,8

7738 6011

9*5 442

5i3 242

74,3

2697 1823

563 165

3H

4>3

1897 Vinnitsa Bar Berschad Brazlaw

11689 577 2 6603

4271

3290

IOIO

Hajsin

4321

4109

2

Zhmerinka Kalinovka

2396 1052

4630

I

Kryzhopol

668

Litin Mogilev-Podolski

3874 12344

8703

Nemirov

5287

Tultschyn

10055

3001 5607

Chmelnyk Scharhorod

5977 3989

4793 1664

Jampol

2823

1753

2

r

7>7

39,7 36,7 41,6

2

:

I

43

57

85

Frau T. (fg. 1928), Vera Ivanova (geborene Satsjuk; Jg. 1924), Vera Malinovska (geborene Dez; Jg. 1925) und Lina Rodgers (geborene Kusovkova; Jg. 1925) waren keine Jüdinnen. 1943 bedeutete dies Uberleben. Gemeinsam in einer Gruppe von 2 5 104 Mädchen wurden sie nach Linz in die Hermann-Göring-Werke deportiert. Sie sind die Übriggebliebenen, die nach 1945 nach Vinnitsa zurückkehrten und heute noch in dieser Stadt leben. Mein Kontaktbrief verursachte Aufregung und führte nach Jahrzehnten zu einem gemeinsamen Treffen der ehemaligen Zwangsarbeiterinnen von Vinnitsa. Verständlich: Ein Wissenschafder aus Wien plant, sie in ihrer Stadt zu besuchen, weil er sich für ihre Geschichte interessiert, die jahrzehntelang beschwiegen aus dem Bewußtsein gedrängt war. Nun war dieser gemeinsame Abschnitt ihrer Biographie der Anlaß zu einer Zusammen-

104 Frau Lina Rodgers waren noch einige Namen der Gruppe in Erinnerung, die alle bereits verstorben sind: Vera Dobronetskaja, Maria Masiowa, Manja Melnik, Galina Schapar, Eugenia Romantsowa, Anna Konotop. In der von Dr. Michaela C. Schober erstellten Datenbank sind diese Namen enthalten sowie noch weitere aus Vinnitsa stammende Frauen. Alle genannten Frauen sind zwischen 1923 und 1925 geboren: Maria Bondar, Jerena Britanowa, Olga Charaba, Nadia Bobrowolska, Nadia Kokina, Maria Polomartschuk, Nadia Slobodjanuk, Anna Woinowska und Valentina Andrienko.

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kunft, die nicht sehr glücklich verlaufen sein soll, weil - so kleine Bemerkungen, die ein Abschalten des Tonbandes verlangten - fast sechzig Jahre lang konservierte Affekte, wie Eifersucht, Konkurrenz, zum Durchbruch kamen. Gefiihlslagen, die im Kontext der Ereignisse als Zwangsarbeiterin in Linz ihre Grundlage hatten und gruppendynamisch (verstärkt durch die schwelende Debatte über die zu erhoffenden Entschädigungszahlungen) noch immer eine Aktualität besaßen. Die jüngste der Gruppe war Frau T. Als vierzehnjähriges Mädchen wurde sie im Juni 1943, als sie gerade am Fluß schwimmen war, von deutschen Soldaten aufgegriffen und in ein Gefangenenlager verschleppt. Schon am nächsten Tag brachte man sie, von Hunden bewacht, mit den anderen Frauen zum Bahnhof, von wo sie nach Linz in die Hermann-Göring-Werke abtransportiert wurden.105 Im Walzwerk, im Barackenlager, in der Freizeit - die Vierzehnjährige war immer mit den drei Jahre älteren Freundinnen zusammen. Gemeinsam kehrten sie 1945 nach Vinnitsa zurück. Ich war sehr neugierig, die Erzählung von Frau T. aufzunehmen, war gespannt auf die Gestaltung des Rückblicks einer alten Frau über ihre Zeit als 14-, i5jähriges Mädchen, als Zwangsarbeiterin in Linz. Doch dazu kam es nicht. Die traumatischen Ereignisse der jüngsten Vergangenheit sowie die aktuelle Lebenssituation überschwemmten die historischen Erlebnisse, und wir forschenden Besucher waren überfordert. Die ökonomische Not von Frau T. fand schon am Vortag in einer Zeitungs-Schlagzeile ihren Ausdruck: „Pensionisten sperren aus Protest gegen Abschaffung der Freifahrt den Straßenverkehr".100 Zur Mittagszeit, bei brütender Hitze, betraten wir das Haus von Frau T., die sichtlich gebrechlich und von schwerer Krankheit gezeichnet war. Die angebotene Fischspeise mußten wir dankend ablehnen. Wodka auch. Uns war einfach nicht danach zumute. Mit dabei war Frau J . - die ca. 40jährige Tochter einer befreundeten Nachbarin, die ebenfalls als Zwangsarbeiterin im nationalsozialistischen Deutschland geschuftet hatte - , deren Beistand sich Frau T. erwünschte. Frau J., die sich in der Regel um Frau T. kümmert, war bemüht, die Gastgeberinnenrolle zu übernehmen. Trotzdem konnte sie keine Gesprächsatmosphäre schaffen, da Frau T. ständig von Weinanfällen geschüttelt wurde, mit denen wir kaum umzugehen wußten. Ich versuchte das Thema zu wechseln, die Fotografien an der Wand zu bestaunen und fragte nach den Porträts eines Jungen und eines attraktiven Mannes, die darauf abgebildet waren. Der Knabe auf dem Foto sei ihr Sohn, der im Alter von 14 Jahren ums Leben gekommen war. Das Bild daneben zeige ihren Mann, „der voriges Jahr vor dem Fenster seiner Geliebten erhängt wurde", wie uns Frau T. erklärte und wiederum laut zu weinen begann. Frau J. saß neben uns und schrieb. Ich hatte keine Ahnung, was, bis mir Vitali Bodnar zu verstehen gab, daß Frau J. gerade dabei sei, eine Heiratsanzeige für ein österreichisches Ehevermittlungsinstitut zu verfassen, welches wir doch für sie mitnehmen sollten. Frau T.s Wehklagen über ihr tragisches 105 Brief vom 10. Mai 1999 an den Verfasser. 106 „RIA-NEWS", Ausgabe Nr. 27 vom 8. Juli 1999. Der Besuch bei Frau T. fand am 9. Juli statt.

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Zwangsarbeit - Sklavenarbeit in den Reichswerken Hermann Göring am Standort Linz

Schicksal, ihren Gesundheitszustand und über ihre fatale finanzielle Situation wollten nicht enden und fugten sich ein in die perspektivlose Situation ihrer Nachbarstochter. Uberfordert verabschiedeten wir uns freundlich. Deutlicher konnte sich nicht zeigen, wie sehr die aktuelle ökonomische Misere und der ständige Kampf um ein halbwegs würdevolles Leben den Zugang zu historischen Erfahrungen versperrte. Die Jahre 1943-1945 als Zwangsarbeiterin im nationalsozialistischen Deutschland, die nach der Rückkehr in die Heimat mit dem Vorwurf der Kollaboration belegt wurden, waren kränkende Erfahrungen, die deshalb besser jahrzehntelang verschwiegen wurden und nicht mehr zur Erinnerung konnten oder wollten. Freilich war Frau T. in der schrillen Deutlichkeit ihrer präsentierten Situation eine Ausnahme, aber gerade in der nachbarschaftlichen Konfrontation zwischen den Generationen scheint sich eine Grundproblematik im erschwerten Zugang zur eigenen Geschichte zu offenbaren. Mit 72 Jahren hatte Frau T. ihren Lebensabend erreicht, der kaum noch lindernde Zukunftsphantasien aufkommen ließ. Angesichts der prekären Situation der jüngeren Generation, deren Zukunftsträume (für längere Zeit) wenig Aussicht auf Erfolg haben, lassen Erinnerungsreisen in die ferne Vergangenheit als eine Art Luxus erscheinen, den man bloß meines Forschungsinteresses wegen akzeptieren konnte. In der forschungsspezifischen Gegenübertragimg fand diese Ausstrahlung ihren Widerhall. Nach meinen Tagebuchaufzeichnungen mehrten sich Impulse, persönlich unterstützend eingreifen zu wollen, Impulse eines diffusen schlechten Gewissens107, aber auch der Scham, die mir wieder deutlich anzeigten, daß ich nicht als neutraler, sondern als österreichischer Forscher unterwegs war.108 Die Aura so mancher journalistischer Berichterstattungen, Fernseh-Dokumentationen, aber auch wissenschaftlicher Arbeiten scheinen mir von der Abwehr derartiger Gefiihlslagen geprägt zu sein. Die Gespräche mit Frau Vera Ivanova und mit Frau Vera Malinovska waren beidseitig von einer ähnlichen Hemmung geprägt, was durch die Anwesenheit der Kinder während der Interviews noch verstärkt wurde. Eine Brücke zur Vergangenheit war kaum zu schlagen. Wortkarg bemühten sie sich um blasse Erinnerungen, aber sie wollten spürbar diese entwürdigende Zeit der Entbehrungen nicht noch einmal durchleben. Eine Erfahrung, die wohl in einem allgemeinen Rahmen zu sehen ist. 107 Zum Beispiel irritierte mich längere Zeit meine Unfähigkeit, jene Tatsache zu integrieren, daß eine einzige meiner Hotelübernachtungen (für Westeuropäer) ein Vielfaches des Monatseinkommens meiner Gesprächspartnerinnen ausmachte. 108 Auch österreichische Medienmeldungen der jüngsten Vergangenheit (Juli 2000), die ja nur - den Reaktionen zufolge - die laut vernehmbaren Spitzen eines weiter verbreiteten Meinungsbildes darstellen, waren nicht dazu angetan, solche Gefühle zu besänftigen. Für Aufregung sorgte etwa die Aussage des OVP-Bürgermeisters von Ohlsdorf, Johannes Asamer, „die Juden treiben's noch so weit, bis sie wieder eine auf den Deckel kriegen"; oder die Forderung des FPO-Vizebürgermeisters von Seekirchen, Helmut Naderer, der sich gegen die Beteiligung am NS-Zwangsarbeiterfonds aussprach und statt dessen von den Alliierten Entschädigungen für gefallene Soldaten und Kriegsgefangene einforderte.

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Die Moskauer Historikerin Irina Scherbakowa, die seit Jahrzehnten in ihrer Heimat biographische Interviews durchführt, vermochte auf Grund ihrer Praxis einen interessanten Vergleich herzustellen: „Oft erschienen mir die Erzählungen der ehemaligen Zwangsarbeiter sehr knapp. Ich versuchte, etwas tief Verborgenes auszugraben, stieß aber schon nach wenigen Spatenstichen auf einen Stein - so war mein Gefühl. Bei den Gesprächen, die ich in den Jahren davor mit den ehemaligen Gefangenen der stalinistischen Lager und Gefängnisse geführt hatte, genügten kaum sechs Stunden Zeit, zu manchen ging ich wochenlang immer wieder. Mit den ehemaligen Zwangsarbeitern jedoch dauerten die Interviews in der Regel nicht länger als zwei oder drei Stunden und dehnten sich nur dann aus, wenn der Gesprächspartner eine interessante Vorkriegs- oder Nachkriegsgeschichte hatte. Bei den Uberlebenden des G U L A G handelte es sich immer um Erzählungen in der Erzählung: Die eigene Geschichte hatte immer auch mit anderen Schicksalen, anderen Geschichten zu tun, die dem Erzähler zumeist nicht weniger am Herzen lagen als die eigenen. In den Berichten der ,Ostarbeiter' begegnete ich derlei kaum" (Scherbakowa, 2000, 198). Die jahrzehntelange Selbstverleugnung persönlicher Leiden durch Zwangsarbeit mündete in Angst und Schuldgefühlen. Im Gegensatz zu anderen Verfolgten des Naziregimes und auch des stalinistischen Terrors, fanden die ehemaligen Zwangsarbeiterinnen keinen sozialen Ort, um ihrer Geschichte eine heldenhafte Seite abzugewinnen. Ihre traumatische Erfahrung lag in der Verschleppung, Entwürdigung, Entbehrung und Eintönigkeit einer schweren Arbeit - im Feindesland. Frau Ivanova war die älteste der Gruppe (Jg. 1924) und war zusammen mit zwei Brüdern und sieben Schwestern 25 Kilometer von Vinnitsa entfernt, in Vornowytzja, aufgewachsen. Seit 1938 lebte die Familie in Vinnitsa. „Ich hatte keine Kindheit", klagte Frau Ivanova - sie war ihr ganzes Leben lang Arbeiterin, Putzfrau und zuletzt als Kassiererin in einem Betrieb beschäftigt. Bereits nach sieben Schuljahren verdiente Frau Ivanova als Tellerwäscherin ihren Unterhalt. 1943 wurde sie mitten auf der Straße gefangengenommen und nach Linz deportiert. Nur in Bruchstücken kamen Frau Ivanova die repressiven Lebensbedingungen in den Zwangsarbeitslagern in Erinnerung. Hunger, die schmerzenden Holzschuhe, Angst vor möglichen Schlägen, die Sprachlosigkeit, Heimweh - und nach der Heimkehr die Vorladung beim NKWD. Die verschwommenen Eindrücke vergangener Leiden vermischten sich ständig zur Aktualität. Auch Frau Vera Malinovska vermochte kaum ihre Gedanken in der Vergangenheit zu halten. Nicht, weil diese verdrängt oder bedeutungslos geworden wäre, sondern weil ein jahrzehntelanger Wunsch - die Vergangenheit aus dem Gedächtnis zu löschen - nicht in Erfüllung gehen konnte. „Wir haben schon das Ganze vergessen. Zuerst wollten wir selbst vergessen, dann ist es von selbst geschehen. (...) Wir haben einmal beschlossen, alles zu vergessen", betonte sie zum Abschluß unseres Gespräches. Im ausdrücklichen Wunsch trat die Unmöglichkeit - ein Vergessen per Beschluß - offen zutage, und mein Besuch war auch ein Ausdruck dieser mißglückten Wunscherfüllung. Noch dazu war ihr die Unmöglichkeit in die Haut eingraviert. Auf meine Frage, wann sie aus Vinnitsa abgeholt wurde,

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streckte uns Frau Malinovska ihren Arm entgegen: „Ins Lager sind wir am 16. Juni angekommen, daran kann ich mich sehr gut erinnern. Das werde ich nie vergessen, weil ich hier eine Tätowierung habe: ,16.6.1943', sehen Sie? W i r hatten keine Hoffnung, nach Hause zurückzukommen. Ich würde sonst nie eine solche Schweinerei machen." Die brutale Deportation des siebzehnjährigen Mädchens hatte sich nicht nur in die Seele eingraviert, sondern ist als Stichtag nach außen gekehrt, jahrzehntelang zum Anblick geworden. Der „16.6.1943"

war

blaßblauer Schrift verschwommen, aber deut-

lich zu lesen. Und so war Frau Malinovska auch diese Zeit, in der es keine Hoffnung auf eine Rückkehr gab, am deutlichsten in Erinnerung: „Karl Fallend: Können Sie sich an den Tag erinnern, als Sie verschleppt wurden? Vera Malinovska: Ich kann mich daran sehr gut erinnern. Ich wurde aus dem Gefängnis abgeschleppt. Ein Jahr zuvor wurde ich für die Arbeit am Flughafen verpflichtet. Dort gab es verschiedene Werkstätten: Schuhwerkstatt, Schneiderei. - Aber ich verließ diese Arbeit undfloh. Danach kamen Polizisten aus dem Gebietskommissariat zu mir und nahmen mich mit. Ich habe sechs Wochen , Gnivan' bekommen, das ist ein Steinbruch. Ich sollte dorthin geschickt werden. Inzwischen steckte man mich ins Gefängnis. Von dort wurde ich abgeschleppt. Neben unserem Ziegelwerk gab es ein Verteilungslager, zuerst waren die in den Jahren 1925-27 Geborenen dran. Dort verbrachten wir ein paar Tage und wurden dann weggeschleppt. Wir wurden in die Laster verladen, zum Bahnhof gebracht, in die Güterwagen verladen und Schluß. So kamen wir nach Lvov. Dort gab es auch ein Verteilungslager. Dort trafen wir einen Russen, der ein Offizier bei der deutschen Armee war. Er hat uns geholfen, in Linz zu bleiben. So sind wir dort geblieben und arbeiteten im Eisenwerk. (...) Wir arbeiteten bei den Hochöfen acht Stunden pro Tag und andere Mädchen auf den Kränen zwölf Stunden. Zuerst waren wir in einem Lager auf dem Werksgelände - Lager Nummer 21. Dann kamen wir ins 22. Lager, das 21. Lager wurde zerbombt. Wir haben das überlebt. Dann kamen wir auf die andere Seite, hinter die Stadtgrenze ins Lager 51. Dort waren wir bis zum Ende. Jeden Tag gab es Flugalarm. Luftschutzkeller gab es getrennt für Deutsche und Österreicher und fiir Ausländer. In einer Werkshalle, wo Stahl gewalzt wurde, traf eine Bombe und schüttete einen Luftschutzkeller zu. Drinnen kamen viele Menschen um. Danach waren alle zusammen. Ein hoher Bunker wurde da errichtet. (...)

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So haben wir gearbeitet. Ich schrieb die Temperatur in den Hochöfen auf. Die ganzen zwei Jahre arbeitete ich in der Walzhalle. Uns ging es viel besser als denen in Deutschland. Natürlich, das Eissen war - Kohlrüben, ein wenig Kartojfel, Brot ein bißchen. Wir sind nicht gestorben. Wir waren natürlich hungrig. Wir bekamen Arbeitsbekleidung,,Holzschuhe'. Sonst trugen wir das, was wir von zu Hause mit hatten. So lebten wir." Bis ins Detail der einzelnen Lagernummern war Frau Malinovska v. a. der Beginn des Lebens als Zwangsarbeiterin im Gedächtnis erhalten geblieben. Die schwere Arbeit am Hochofen, die kargen Lebensbedingungen, der trostlose Lageralltag verschwammen sinngemäß in der Beschreibung, und der Wunsch zu vergessen bekam wieder Oberhand. Besonders wenn sich die schmerzhaften Erfahrungen den aktuellen Orten annäherten, verstärkte sich die neutralisierende Verarbeitung. „Natürliche" Probleme gerieten in gleicher Sequenz zur Problemlosigkeit: „ Vera Malinovska: - Wir waren nicht so abgesperrt, daß wir die Baracke nicht verlassen konnten. Natürlich, um in die Stadt gehen zu dürfen, mußten wir um Erlaubnis fragen., OST1- Zeichen mußten wir aber immer tragen, das wurde überprüft. So war unser Leben. Aber wir überlebten das und kamen zu anderen Problemen zurück. Nach dem Krieg war hier das Leben auch sehr schwer. Mißernte. Brot gab es nur mit den Lebensmittelkarten. Aber langsam wurde das Leben besser. Es war nicht schlecht, und jetzt ist es sehr schlecht. Das Leben ist sehr schwer. Jetzt wird alles zerstört. Aber wir leben noch und beschließen unser Leben. Karl Fallend: Hatten Sie Probleme wegen Ihres Aufenthaltes in Linz? Vera Malinovska: Natürlich, wir wurden vorgeladen. Wirfüllten Fragebögen aus, weil esja auch , Volksdeutsche'' gab. Ich wurde auch (...) weil mein Mädchenname Dez war. Und wir wurden gleich zur Arbeit geschickt. Wir kriegten gleich einen Paß und eine Bescheinigung. Mich schickte man in ein Aggregaten-Werk. Ich arbeitete dort fünf Jahre lang, bis ich heiratete. Ich hatte keine Schwierigkeiten." Am 8. Juli 1999 besuchten wir Frau Lina Rodgers in ihrer kleinen Wohnung inmitten der Stadt Vinnitsa. Schon wenige Minuten nach der Begrüßung war deutlich, daß dieses Gespräch einen anderen Charakter, einen anderen Verlauf nehmen würde als die vorhergegangenen. Der ungewöhnliche Name, der uns zu Hause schon irritierte, hatte Phantasien auf ein ungewöhnliches Gespräch schon angeregt. Frau Rodgers machte einen sehr rüstigen Eindruck, und der lebendige Ausdruck ihrer Augen schien noch jene Vitalität zu

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enthalten, die ihren erzählten Geschichten, ihren Erlebnissen als knapp zwanzigjährige Frau innewohnten. Anders als die anderen Gesprächspartnerinnen übernahm sie die Initiative, und wir folgten ihrer aufregenden Erzählung, die zwei Tage später eine Fortsetzung fand. Lina Rodgers, Jahrgang 1925, war die älteste von drei Geschwistern und wuchs in sehr ärmlichen Verhältnissen auf. Als Jugendliche mußte sie für die ganze Familie aufkommen, arbeitete (zusammen mit Vera [geb. Dez] Malinovska) in der Küche am Flughafen und wenig später als Putzfrau, bis sie gefangengenommen und nach Linz deportiert wurde: „Lina Rodgers: Soll ich damit anfangen, wie wir verschleppt wurden?109 Karl Fallend: Zum Beispiel - wie Sie möchten. Lina Rodgers: Als wir aus Vinnitsa nach Deutschland verschleppt wurden, geschah das von zu Hause, vom Bahnhof. Eltern und Verwandte konnten sich nicht einmal von uns verabschieden. Sie waren mit Hunden - viele Polizisten. Meine Großmutter wurde niedergetrampelt. Danach lebte sie nur mehr zwei Jahre. Als ich zurückkam, war sie schon gestorben. Den ganzen Weg nach Deutschland wurden wir von den Polizisten sehr schlecht behandelt. Wir wußten nicht, daß wir Geschirrfür das Essen unterwegs brauchen würden. Wir hatten Tassenfür Getränk,e aber nichtsfür dasflüssigeEssen. Und wir waren sehr hungrig. Am Bahnhofin Wien bekamen wir das Essen schon im Geschirr aus Papier. In Przemysl bekamen wir eine sanitäre Behandlung"10. Dort wurden wir schrecklich erniedrigt. Danach fuhren wir weiter und kamen in Linz an, im Lager Nr. 4g oder ¿g. Ich kann mich jetzt nicht mehr genau daran erinnern. Das war ein Verteilungslager. Dort gab es so viele Nationalitäten, die abgeschleppt wurden! Sie saßen dort zwei Wochen, ein Monat, bis man sie für einen bestimmten Arbeitsplatz heraussuchte. Ab Neue ankamen, die noch Vorräte von zu Hause hatten und z. B. einen Apfel aufaßen und die Reste wegschmissen, stürzten sich zwanzig Menschen danach und würgten sich darum. Noch zu Hause, als wir nicht fahren wollten, machte ein Arztfür meine Bekannte gegen Bezahlung eine spezielle Salbe, die wir dann aufunsere Hände und überall in die Haut einrieben. So bildeten sich Blasen, die dann platzten. Dannriebenwir eine Flüssigkeit ein, so daß sich Wunden bildeten. In Przemysl sagte man uns, daß wir mehr Wunden brauchten. Jetzt habe ich wegen Knoblauch und Salz diese Narben.

109 Das Gespräch fand in russischer Sprache statt. Frau Rodgers konnte nicht ukrainisch („Mein Vater sprach kein Ukrainisch bis zu seinem Tod"), was ihr bis heute in ihrer Gruppe eine schmerzhafte Außenseiterstellung eintrug. 110 Anmerkung des Ubersetzers: Hier und folgend wird das Ausdruck „sanitäre Behandlung" euphemistisch fiir Entlausung verwendet.

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Wir machten das mit einem Messer: Wir schnitten Knoblauch, mischten es mit Salz, so daß das Ganze sprudelte. Und einige Polen erfanden noch eine Salbe, die beim Auftragen den Knoblauchgeruch verschwinden ließ. So wurde ich für zwei Monate befreit. Dort gab es ein Lager - mit Stacheldraht -. Auf einer Seite waren die, die nach Deutschland ,und auf der anderen die, die nach Hause fahren sollten. In zwei Stunden wurde aber angesagt, daß auch wir weiter nach Deutschlandfahren werden. Als ich dort ankam, war mein ganzer Körper im Verband. Die Krankenschwestern waren russische Frauen. Siefragtenmich sofort, was ich mir angetan habe, da die Hand amputiert werden konnte. Ich machte zu dieser Zeit nur zehn Klassen in der Schule und war durch Komsomol'" und ähnliche Sachen sehr eingeschüchtert. Wie auch alle anderen, traute ich mich nicht, ein überflüssiges Wort zu sagen. So steckte eine Krankenschwester meine Hand unter das Wasser und sah Bläschen. Nachdem das Ganze heilte, bekam ich Narben. Als ich am Werk arbeitete, gab es dort einen Ingenieur, der mir die Adresse von einem Kosmetiksalon oder was Ahnlichem vermittelte, wo ich meine Narben loswerden sollte. Aber man begann damals stark zu bombardieren, und ich konnte nicht mehr dorthin laufen. So blieben diese Narben auf meinen Händen. Nachdem man uns verteilt hatte, wurden wir alle, die aus Vinnitsa kamen, in ein Lager geschickt. Wir waren zu 18 Personen in einem ZimmerKarl Fallend: In den Baracken ? Lina Rodgers: Ja, in den Baracken. Im letzten Lager, wo ich war, war das die Baracke Nr. 14, Stube Nr. 2." Gleich die erste Gesprächssequenz war in mehrerer Hinsicht erstaunlich. Frau Rodgers konnte sich sogar ziemlich genau an die Nummer des Verteilungslagers erinnern, das in der Tat die Nummer 39 hatte, und schließlich war ihr gar die spätere Baracken- und Zimmernummer gegenwärtig. Eine ungewöhnliche Detailgenauigkeit nach mehr als einem halben Jahrhundert. Die Akte des Widerstands, indem sie sich selbst schwere Verletzungen zufügte, wußte Frau Rodgers sehr anschaulich zu erzählen. Sie streckte uns den Arm entgegen, der noch immer voll jener Narben war, die ihr damals nicht nur zwei Monate „Befreiung" bescherten, sondern auch ihre Schönheit - ein Ingenieur riet ihr einen Kosmetiksalon - beeinträchtigte. Ihre attraktive Ausstrahlung als ein Faktum, welches ihr nachhaltig eine Sonderstellung in der Gruppe eintrug. Neben inhaltlichen Details vermochte Frau Rodgers auch damalige Stimmungslagen zu vermitteln. Nicht nur die BruIII Anmerkung des Übersetzers: Komsomol - aus dem Russischen „komunistitscheskij sojuz molodjozhi", Verband der Jungkommunisten in der UdSSR.

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talität der Gefangennahme, sondern auch die entwürdigende Behandlung bei der Deportation wurden von ihr mehrmals angesprochen: „Lina Rodgers: Das einzige, was uns störte, war, daß wir von der Heimat weggerissen waren und daß Polizisten sich viel Böses erlaubten: Ein Polizist konnte dich z. B. mit dem Stock schlagen, oder diese Peinlichkeit, als wir auß Klo gehen mußten. - Als wir in den Waggonsfuhren, mußten wir, als der Zug anhielt, zusammen mit Männern auf einem Feld. - Wenn man schon auf die Schiene schlug - was hieß, daß sich der Zug bald in Bewegung setzen wird - und wir es nicht schafften, in den Waggon rechtzeitig hineinzukriechen, schlugen uns die Polizisten auf den Kopf, auf den Rücken oder auf die Füße und Hände, wie sie es im Moment wollten. Nur die Polizisten schlugen uns." Eindrücklich beschrieb Frau Rodgers die kargen Lebensverhältnisse, die monotone dürftige Ernährung, das ständige Heimweh, das auf Grund der Kommunikationsprobleme massiv verstärkt wurde, und v. a. die Unterbindung jeglicher Lebensfreude, was für die lebenslustige 17jährige Lina Kusovkova besonders schmerzhaft erlebt wurde. „Lina Rodgers: Wir alle träumten davon, einmal nach Hause zufahren. Zu den Feiertagen weinten wir alle. Man gab uns sehr wenig zum Essen, Kohlrüben - wir krnnten schon in zwei Kilometer Entfernung riechen, daß man Kohlrüben zubereitet. In dieser Kohlrübensuppe konnte man eine Erbse finden. Man gab auch etwa zwei Kilo Nudeln für einen großen Kessel hinein. Manche konnten es essen, manche nicht und blieben weiter hungrig. Im Werk hattejeder eine Karte, wo man mit einer Zange ein Loch beim Wort ,FRÜHSTÜCK'"2, ,MITTAGESSEN' und ,ABENDESSEN' machte. Solange die Deutschen in der Ukraine waren, brachten sie von dort Lebensmittel, und wir wurden besser ernährt. Unsere Köche waren Tschechen und Russen. Sie kochten sogar den russischen Borschtsch für uns. Er war zwar nicht so gut, wie ihn meine Mutter machte, aber trotzdem, es war ein Borschtsch. Später gab es immer weniger Lebensmittel. Im ersten Jahr froren wir nicht. Anfangs bekamen wir einen ganzen Kübel Kohle. Später gab man uns nur die Hälfte davon. Es reichte nicht aus. Es gab einen Ofen in der Baracke. Wir verbrannten Holz und gaben dann Kohle hinein. Aber sie brannten nicht lang. Die Baracken waren aus Holz. Ich hatte eine Decke, die ich an die Wand annagelte und meine Karten daraufhängte. So fror sie an der Wand an und war mit Eis bedeckt. Aber wir waren sehrjung, und es passierte uns nichts. Erstjetzt, im Alter, kommt alles heraus. (•••)

112 Frau Rodgers verwendete die deutschen Begriffe.

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Einmal teilte man uns Kleidung aus, und ich bekam eine Jacke mit einem sehr schönen Futterstoff. Ich ging zu einer Frau im Lager, die nähen konnte, undfragtesie, ob sie mir eine Bluse daraus machen könnte. Sie sagte, es wäre eine tolle Bluse daraus zu machen. Ich begann dann den Futterstoff abzutrennen und sah plötzlich jüdische Buchstaben. Ich verstand, daß es die Sachen der umgebrachten Juden waren, die man dann gegen Bezugscheine an alle Ausländer austeilte. So nähte ich den Stoff wieder an und verkaufte meine Jacke. Ich konnte sie nicht tragen." Daß die Unterdrückung bis zur Ermordung steigerungsfähig war, war den jungen Frauen schon in ihrer Heimat bewußt geworden. Das Schicksal der Juden blieb ihnen nicht verborgen und wurde (vgl. auch die Erzählung von Herrn Kruhlyk) bei der Kleidervergabe mit Nachdruck offenbar. Identische Erinnerungskraft werden auch durch deutsche Sprachreste bekräftigt, die - genauso wie bei dem Ehepaar Kruhlyk - mit überlebenswichtigen Bedürfnissen in Zusammenhang standen. Frau Rodgers arbeitete vorerst gemeinsam mit Vera Dez (Malinovska) bei den Hochöfen, wo sie eine Waage zu bedienen, Temperatur zu messen und Hebekräne zu beladen hatten. Danach folgte die Versetzung in ein Labor der Versuchsanstalt, was die Arbeitsbedingungen zwar nicht erleichterte, da die Ammoniakdämpfe ihr sehr zu schaffen machten, aber einen halben Liter Milch und Butter als Prämie eintrug, die auch neidisch beäugt wurden. Besonders agil wirkte Frau Rodgers, wenn sie von widerständigen Aktionen erzählte, die ihr in dieser Trübsal Erleichterung verschaffen sollten. Allein in der Art der Erzählung und Formulierung war noch jene Aggressivität zu spüren, die sie damals zur kühnen Handlung trieb. Nach einer schweren Verletzung und schmerzhaften Operation etwa, konnte und wollte sie nicht mehr zur Arbeit und beschloß - „ich werde lieber sterben, aber ich mache mir zusätzliche Tage'" - am 4. des Monats, an dem sie wieder zur Arbeit erscheinen sollte, einfach vor der Zahl 4 eine 1 zu schreiben und blieb so zehn Tage länger von der Arbeit fern. Ihr Trick blieb unentdeckt.1'3 „Ich weiß nicht. Dafür, daß ich den Boden nicht waschen wollte, bekam ich zweieinhalb Monate. Für so was aber, es ist schwer, sich vorzustellen, wie ich bestraft worden wäre. Vielleicht hätte man mich ins K Z geschickt." Frau Rodgers wußte, was sie riskierte, denn einmal hatte sie den Bogen überspannt und stand kurz vor dem Abgrund, der ihr das Leben hätte kosten können. Neun Wochen Gefängnis für eine Arbeitsverweigerung: „Lina Rodgers: Als ich im Labor arbeitete, warf man mich für zwei Monate und eine Woche ins Gefängnis. Mit uns war auch eine Österreicherin, die sich etwas merkwürdig benahm. Sie saß oft am Fenster, ließ ihre Beine baumeln und kokettierte mit den Vorbeigehenden. Sie arbeitete als 113

Als wir am übernächsten Tag nochmals zu Frau Rodgers kamen, um das Gespräch fortzusetzen, begann sie völlig überraschend die Begegnung mit einer Entschuldigung für diesen kleinen „Betrug". Als ob sie befürchten würde, daß ihr Bemühen, die ganze Wahrheit zu erzählen, durch diesen Trick Schaden erleiden könnte. Ein eigenartiger Ausdruck von schlechtem Gewissen, den ich nicht so recht einzuordnen wußte.

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Putzfrau bei uns. Wir mußten die Kolben abwaschen, wofiir man uns einen halben Liter Milch gab. Tschechen und Franzosen brachten zwei Teelöffel Grieß, und wir machten Brei. Heute klingt es lustig, aber damals war es eine Delikatesse für uns im Vergleich zu Kohlrüben. Einmal saß ich und sprach mit Tschechen, da wir eine kleine Pause hatten und auf die nächsten Kolben warteten. Da kam ein Ingenieur herein und meinte, ich hätte den Boden zu kehren und zu waschen. Darauf antwortete ich, das wäre nicht meine Aufgabe, sondern die Aufgabe derjenigen, die mit ihren Beinen baumelte. Eigentlich wäre ich schon bereit gewesen, mit ihr zu tauschen, damit sie auch einmal dieses Ammoniak zu riechen bekommt. Der Ingenieur kam näher: ,Du willst es also nicht tunIch sagte: ,Ich will nicht und werde es nicht tun, da es nicht meine Aufgabe ist.' Daraufnahm er mich an den Brüsten und sagte: ,Du russisches Schwein, du wirst dich noch an mich erinnern.' Am nächsten Tag, als ich zur Arbeit kam, wartete ein Polizist auf mich und nahm mich mit. So war ich ab März bis Anfang Mai 1944 im Gefängnis in der Mozartstraße in Linz. Es gab dort ein Frauengefängnis. Wir fuhren mit dem Bus und mit der Straßenbahn dorthin. In der Straßenbahn gab es freie Plätze, und der Polizist, der mich begleitete sagte:,DU RUSSISCH, SETZEN!'"4 Immer mehr Leute kamen herein. Es waren hauptsächlich Tschechen, die bis zum Lager Nr. 56 von der Arbeitfuhren. Als deutsche Frauen hineinkamen, sagte der Polizist zu mir: ,DU RUSSISCH, AUFSTEHEN/' und zupfte mich am Ärmel. Einige fragten mich, was ich verbrochen hätte und wohin man mich führte. Der Polizist verlangte auch, daß ich für die Fahrt zahle, aber ich sagte, daß ich mein Geld im Lager hätte und daß er es sich dort holen könnte. Wir suchten lange nach dem Gefängnis, weil der Polizist selbst nicht wußte, wo es war. Es dämmerte schon, und der Polizist, der schon ein alter Mann war, wurde müde. So begann ich selbst nach dem Gefängnis zu fragen, wo ich dann zweieinhalb Monate verbrachte. Als ich im Gefängnis ankam, befahlen mir vier Deutsche, meine ganze Kleidung abzulegen. Sie betrachteten die Kleidung und meine Narben ganz genau. Die Ohrringe und Haarspangen nahmen sie mir weg. Dann kam eine Deutsche und führte mich ganz nackt durch den langen Korridor in die Dusche. Ich bekam ein Stück Seife und beschloß, mir auch die Haare zu waschen. Ich seifte mir die Haare ein, und die Deutsche drehte das Wasser ab und sagte, es ist Zeit zu gehen. Sie schob mich in eine Zelle hinein. Ich weinte. In der Zelle saßen zweijunge tschechische Frauen, die mich beruhigten. Eine von ihnen arbeitete bei einem Bauern. Sein Sohn kehrte als Invalide von der Front zurück. Die tschechische Frau gefiel ihm, und sie war schon im siebten Monat von ihm schwanger. Deutschen war es aber verboten, mit anderen Nationalitäten Beziehungen einzugehen. So mußten beide ins Gefängnis. Die Mutter des Deutschen brachte ihr das Essen ins Gefängnis. " Uber das einschneidende Erlebnis der Gefängnishaft wollte Frau Rodgers nicht mehr sprechen. Das Wesentliche war gesagt. Die extrem entwürdigende Behandlung, auch 114 Auch hier waren Frau Rodgers die deutschen Phrasen noch in Erinnerung.

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wenn ihr körperliche Züchtigung erspart geblieben war. Spätestens hier wurde ihr die rassistisch definierte Sexualordnung der nationalsozialistischen Machthaber offensichtlich. Im Gegensatz zu den anderen Gesprächspartnerinnen war die Erzählung von Frau Rodgers nur manchmal von klagenden Bemerkungen über die gegenwärtige Misere und ihre Alltagssorgen unterbrochen. Kurz stöhnte sie über ihre spärliche Rente von 54 Hryvnja und 77 Kopeken (ca. 15 $), die Arbeitssituation ihrer drei Kinder oder die Arbeitslosigkeit ihrer Enkel. Aber selbst hier machte sie ihren Protest Luft: „Es geht in Richtung des Aussterbens. Das ist die Vernichtung des Volkes! Und sie wollen, daß das Volk sie wählen geht? Verdammt sollen sie alle sein!" schimpfte sie über die derzeitigen politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Ansonsten war Frau Rodgers ganz in ihre biographische Erzählung eingetaucht; und wir mit ihr. Wir staunten, als sie plötzlich von ihrem Kasten eine Schachtel mit zahllosen Briefen und Fotografien hervorholte und vor uns vier kleine Zettel aneinanderlegte, die, an den Faltstellen bereits zerrissen, zusammengefügt einen Brief vorstellten. Es war einer von vielen Briefen, die sie von ihrem Geliebten bekam. Vor über fünfzig Jahren: „Lina Rodgers: Das sind die Briefe von meinem ersten Mann ans dem zweiten Jahr: Linz, am 17. Jänner. In der Arbeit vereinbarten wir eine Stelle für unsere Briefe statt dem Postkasten. Ich kann Ihnen vorlesen, wenn Sie möchten: ,Fräulein Kusovkova!' - nicht Frau, sondern Fräulein! - (bemerkte sie lächelnd]: ,Ich habe Ihren Brief bekommen. Wir könnten uns am Samstag am Nachmittag, am Sonntag oder am Montag treffen. Diese Woche arbeite ich bis zwei Uhr am Nachmittag, und am Montag muß ich erst um 18 Uhr in die Arbeit. Es wäre nicht schlecht, wenn wir uns am Sonntag, dem 2 z. Jänner, um 5 Uhr am Nachmittag in der,Neuen Welt' zusammen mit unseren Bekannten treffen könnten. Sollte esfür Sie um diese Zeit nicht -möglich sein zu kommen, würden Sie bitte den Zeitpunkt ändern und mir davon schreiben oder es dem Rovinskij' - das war unser ,Botel -,sagen'. Diesmal entschuldigt er sich, daß der Brief zu kalt klinge. Er wünscht mir viel Glück. Es ist schwer, aus dem Tschechischen ins Russische zu übersetzen." Die Gesprächsatmosphäre verwandelte sich. Es schien mir, als säße eine Großmutter ihren Enkeln gegenüber, die ihnen jahrzehntelang vergrabene Intimitäten - wahrscheinlich zum ersten Mal - preisgibt. Eine aufregende Situation, als wir über diesen vier kleinen Zetteln ihrer ersten Liebe gebeugt zusammensaßen, die sie als Ostarbeiterin Lina Kusovkova im Schichtwechsel zwischen Brettern hinterlegt oder von ihrem Boten, dem alten Rovinskij („Er war schon so alt wie mein Vater und nannte mich Tochter"), über-

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„Linz, Juni 1943. Lager 23. Im Hintergrund Bearbeitungswerkstätte-Eisenwerke."

reicht bekam. Welche Reise hatten diese vier kleinen Zettel und die vielen anderen Briefe hinter sich? Welche Bedeutung mußten diese Briefe für sie haben? Uber fünfzig Jahre hatte Frau Rodgers sie aufgehoben, und ihr liebevoller Ton, in dem sie das Schreiben ihres ehemaligen Geliebten vortrug, waren wie konservierte Emotionen, die keine Zeitrechnung kannten. „Da habe ich alle Briefe", bemerkte sie über ihr Kleinod, „sie sind alle auf tschechisch. - Ich bewahre sie auf. Sie sind sehr teuer für mich. Wenn ich abends zu Hause allein bin, lese ich. - Ich lernte viel aus diesen Briefen. Deshalb kann ich gut Tschechisch." Der unterschiedliche Zugang zu den Erfahrungen als Zwangsarbeiterin wurde offensichtlich. Wie damals, schienen auch heute die leidenschaftlichen Liebesgefuhle die unterdrückte Existenz als Zwangsarbeiterin zu überdecken und fixierten die Erinnerungen. Dominante Glücksgefiihle in einer unglücklichen Situation, die eine ganz andere Zeitwahrnehmung nach sich zogen. Verschleppt ins Tausendjährige Reich ohne Hoffnung auf Heimkehr, der Zwang, im Schichttakt unter Entbehrungen in einem Eisenwerk zu schuften, war verdrängt durch aufregende Leidenschaft, Sehnsucht nach einen Brief, nach einem Treffen mit dem Geliebten. Gefühle, die die ganze Lebenssituation zu konterkarieren imstande waren; und das bis heute. Auch durch die Erzählung schien es mir, als ob Frau Rodgers uns im Rückblick wie mit einem Vergrößerungsglas in den sozialen Mikrokosmos Hermann-Göring-Werke näher führte, all die historischen Einzelheiten, die Repressionen, die Entbehrungen beiseite drängte und auf diese intensive Beziehung zwischen zwei Menschen konzentrierte. Alles schien nebensächlich, bis auf ihren Geliebten Bohuslaw Vales." 5 Er war Lehrer aus dem tschechischen Zimutice, der seit JänIIJ Vales, Bohuslaw. Geboren am 23. Februar 1918 in Zimutice. Wohnung der Familie: Zimutice. Unterkunft in Linz: Lager 22. Eintrittsdatum: 21. Jänner 1943 in den Eisenwerken Oberdonau. Beschäftigt als Kontroll-Anlemling. Unterbetrieb: Bearbeitungswerkstätte. Quelle: Historisches Archiv der V O E S T A L P I N E AG, Linz.

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ner 1943 als Zwangsarbeiter in den Eisenwerken Oberdonau in Linz war. „Slawa", wie sie ihn noch immer liebevoll nannte, war ihre erste große Liebeserfahrung, der ihr auch in dieser extremen Notsituation (etwa als sie aus dem Gefängnis entlassen wurde; siehe folgende Fotos) Glücksgefiihle, Geborgenheit, Schutz, Trost und Hilfe erfahren ließ. Auch zur Verbesserung der Lebenssituation konnte er beitragen: „Lina Rodgers: Das schlechteste Essen bekamen wir, die Ostarbeiter. Man fütterte uns wie Schweine. Es warfurchtbar. Wir waren die ganze Zeit hungrig und suchten nach den Freunden, die uns etwas geben konnten. Mein erster Mann war ein Lehrer und fuhr nach Hause am Wochenende. Von zu Hause brachte er Lebensmittel: Grammeln und Brot. Seine Mutter sagte: „Oh, Gott! Mein armer Sohn ißt Grammeln/" Er aß sie aber nicht zu Hause, sondern brachte sie mir. Sie waren mit Schmalz, und man konnte sie aufs Brot streichen. Tschechen backten große Brotlaibe, bis zu 4 kg schwer. So bekam ich einen ganzen Laib mit Grammeln und teilte es mit meinen Freundinnen. Ich aß nicht alles alleine, sondern teilte es mit den anderen. Olga"6 teilte auch alles mit mir. Zhenja, meine beste Freundin - sie starb an Krebs -, paßte immer auf, wenn ich wegschaute, und erst dann öffnete sie ihre Kästchentür, um etwas herauszuholen."

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„Linz, am 14. Mai 1944. Erstes Treffen mit Slawa nach der Freilassung aus dem Gefängnis. Fotos wurden gemacht in einem kleinen Park. Volksgarten."

116 Die Freundin Olga Popenko hatte auch eine Liebesbeziehung mit einem tschechischen Zwangsarbeiter. K u r z vor Kriegsende gelang den beiden die Flucht in seine Heimat. Er wurde aufgegriffen; sie schaffte den W e g zu seinen Eltern. Später heirateten sie und leben heute in Ceske Budejovice. Jahrzehntelang blieb der Kontakt untereinander aufrecht, und die Nichte von Bohuslaw Vales war Lehrerin der T ö c h t e r von Frau Popenko. Von dieser Reise aus der Ukraine zurückgekehrt, blieb mein Kontaktbrief leider unbeantwortet.

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„Linz, am 28. Mai 1944. Zweites Treffen mit Slawa nach der Freilassung aus dem Gefängnis (Party an der Traun)."

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Olga Popenko und Lina Kusovkova hatten in der Gruppe der Vinnitsa-Leidensgenossinnen eine Sonderstellung, die nicht nur solidarische, sondern auch neidische Gefühle hervorrief. Es war keine Selbstverständlichkeit, nicht nur einen spendablen, sondern auch noch einen liebevollen Lebens- und Leidensgefährten gefunden zu haben, denn die rechtlose Notsituation der jungen Frauen aus dem Osten wurde oft - auch unter überheblich nationalen Stereotypien - ausgenützt und deshalb auch mit äußerster Vorsicht begegnet. Ich erinnerte mich an die Erzählungen von Jiri Stefanek (siehe Kapitel: „Aus dem Lohnbüro der Eisenwerke Oberdonau") und auch an die Schilderung von Vaclav Kellner: „ Vaclav Kellner: Mit den Ostarbeiterinnen, das war - ich war nicht geneigt dazu, mich mit denen in Verbindung zu setzen. Also manche von uns haben das gut ausgenützt. Viele, die auch die Ostarbeiterinnen nach Hause mitgeführt haben. Aber dann hat wieder die sowjetische Armee diese Frauen weggeschleppt. Das weiß ich von einem Hilfslokßihrer Wessely, der hat auch eine Ukrainerin heimgebracht und hat auch ein Kind gehabt mit ihr, und die Soldaten, die Russen, haben das Weib mit dem Kind weggeschleppt. Und er ist allein daheim geblieben. Das weiß ich. - Aber das istja die Kultur der Ukrainer - man muß darüber lachen - sehr kindisch sind die, und - ich weiß nicht - die haben zum Beispiel diese Mädel, die haben keine Hosen gekannt. Die sind ohne Hosen gegangen und Busenhalter, das war eine prachtvolle Sache. Da bin ich von der Mutter ausgeschimpft geworden. Ich habe zu Hause Schneiderinnen gehabt; meine Mutter war Schneiderin, und sie haben mir solche Busenhalter gefertigt aus Hemdenresten, haben sie solche Dreiecke gemacht. Und ich habe das an die Burschen verkauft, und die haben das wieder den Ostarbeiterinnen geschenkt für verschiedene Dienste. Aber dann ist meine Mutter draufgekommen, das war ein Geschrei, und dann hat das aufgehört. Ich habe nicht viel dabei verdient, aber das war so ein Unterhalt. Karl Fallend: Aber es gab einen regen Kontakt? Wurde das nicht untersagt? Vaclav Kellner: Verboten war alles. Wenn man draufgekommen ist, daß man sich zuviel einläßt, zu nahe kommt, dann hat man schlechte Arbeit gekriegt oder so was. Aber wir waren schon so privilegiert und so eingearbeitet. Für uns hat das nicht gegolten." In diesem Kontext war ich spürbar Frau Rodgers mit einer Frage zu nahe getreten. Im Uberschwang der Liebesgeschichte, angesichts der zahllosen aufbewahrten Briefe und der dominanten Bedeutung dieser Zweierbeziehung, kam mir eine mögliche Schwangerschaft als Konsequenz als sehr naheliegender Gedanke. Aber erst in der Freiheit hätten sie miteinander geschlafen, als der Weg zur Eheschließung geebnet war. Diese Tatsache war für Frau Rodgers sehr wichtig festzuhalten, um die Besonderheit dieser Beziehimg - „mein erster Mann" - herauszustreichen. Zu intim geriet das Thema der

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Sexualität, und sehr wahrscheinlich war es von Bedeutung, daß ihr zwei junge Männer gegenübersaßen und nicht Frauen das Gespräch mit ihr führten. Spätestens an dieser Stelle erreichte die Erzählung ihre Grenzen. Mein Nachhaken in der folgenden Gesprächssequenz war daher auf beiden Seiten mit großem Aufwand verbunden, da es infolge einen weiteren Tabubereich berührte, der mit viel Scham belegt ist. Schwangerschaften, Geburten, Abtreibungen."7 Während wir weiter einzelne Fotos betrachteten, stellte ich die Frage: „Karl Fallend: Was wäre passiert, wenn Sie im Lager schwanger geworden wären ? Lina Rodgers: Im Lager? Dort lebten wir nicht zusammen. Wir trafen uns nur. Das war meine erste Liebe. Erst, als wir zu seinen Eltern kamen, wohnten wir in einem Zimmer. Karl Fallend: Haben Sie vielleicht gehört, daßjemand von den Frauen schwanger war? Lina Rodgers: Schwangere Frauen und ihre Kinder wurden normalerweise sofort weggeschickt. So bekam eine Frau bei uns, die nicht aus Vinnitsa kam, das Kind von einem Kroaten und blieb nach der Geburt nur einen Tag im Lager. Niemand wußte, wohin man Sie brachte. Sonst nahm man die Kinder weg, die dort geboren wurden, vor allem Buben. Sie wurden dann in unbekannte Richtung gebracht. Karl Fallend: Was heißt, sie wurden weggenommen? Lina Rodgers: Die Kinder wurden für immer weggenommen und weggeschickt. Karl Fallend: Wer nahm sie weg? Lina Rodgers: Wahrscheinlich die Polizei. Nach irgendeinem Befehl. Im Lager hat es einen Raum gegeben, wo die Kinder in den Betten untergebracht wurden. Ihre Eltern durften nur kommen, um sie sich anzuschauen. An einem Tag waren alle Kinder verschwunden, sie sind ohne Kinder geblieben.

Das ist Linz, 1943 -

117 Siehe Beitrag von Dr. Gabriella Hauch in Band i, S. 355 ff.

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Karl Fallend: Waren in dem Raum die Kinder.; die im Lager geboren wurden, oder die, die ins Lager gebracht wurden? Lina Rodgers: Nein. Nur die, die im Lager geboren wurden. Die Frauen, die Kleinkinder hatten, wurden nicht nach Deutschland abgeschleppt. Eine Frau nahm z. B. ein Kind aus dem Kinderheim, und ihre Bekannte stelltefiirsie eine Geburtsurkunde für das Kind aus. Und sie wurde nicht abgeschleppt. Sie verließ Vinnitsa mit dem Kind. Niemand wußte aber, wo sie war.

Das ist Linz - Olga, ich und eine Frau aus Kiew. Karl Fallend: Verzeihen Sie bitte, Sie haben gesagt, vor allem die Buben hat man weggenavnmen, und was ist mit den Mädchen geschehen? Sind die geblieben? Lina Rodgers: Die Mädchen wurden auch weggeschickt, aber den Buben wurde besondere Aufmerksamkeit geschenkt, da alle Männer an der Front waren. Karl Fallend: Und was war mit den Mädchen, die doch im Lager blieben? Lina Rodgers: Sie wurden dann auch weggeschickt. Mit einem Wort, alle Kinder wurden weggenommen und abtransportiert.

« Zwei Monate vor Kriegsende flüchteten Bohuslaw Vales und Lina Kusovkova aus dem Lager der Hermann-Göring-Werke in Richtung tschechischer Grenze. Mit dem Zug, zu Fuß und mit der Hilfe von Freunden schafften sie, das böhmische Domazlice zu erreichen, wo seine Schwester wohnte und sie sich zwei Monate lang verstecken konnten. Wenig später begann Vales wieder als Lehrer zu arbeiten, und dem gemeinsamen Glück schien nichts im Wege zu stehen. Aber es folgte der traumatische Riß in der Biographie von Frau Rodgers, der ihr ganzes Leben prägen sollte. „Lina Rodgers: Etwa um die Erntezeit wurde Domazlice von den Amerikanern befreit. Wäre ich dort geblieben, so hätte ich wahrscheinlich nicht nach Hause fahren müssen. Aber wir fuhren zu den Eltern meines Mannes, da mein Mann für sechs Monate zum Militär mußte. Er war ein Lehrer von Beruf und unterrichtete also in einer Dorfichule noch bis zum Herbst.

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Seine Eltern hatten vier Kühe, Hühner, Schweine und einen kleinen Wald, der ihren Namen — Vdlesov - trug. Außerdem hatten sie viel Grund und eine eigene Imkerei. Man zwang mich nicht, schwere Bauernarbeit zu tun. Mein Mann wollte nicht, daß ich das tue. Ich paßte nur auf die Ordnung im Haus auf, half der Mutter beim Kochen, Waschen und Nähen. Im Winter bereiteten wir Federn für Federnbett und Polster. Das war üblich bei ihnen. Nach einem Jahr mußte ich sie aber verlassen. Ich war schon fünf Monate schwanger. Man brachte mich nach Vinnitsa. Wirfuhren wieder in einem Güterzug, diesmal aber begleitet von unseren Offizieren und Leutnants. Sie schimpften, betranken sich, und wir wurden bestohlen. Man sagte uns, wir sollten unsere Sachen abgeben, da sie zuviel Platz einnahmen und daß sie extra geführt werden. Wir sollten sie nur mit unserem Namen beschriften. Alles, was wir abgaben, verschwand. Als ich in der Heimat ankam, hatte ich viele Probleme: Ich mußte mehrmals zur UWD"S gehen, wo ich auch meine Fingerabdrucke machte. Ich fühlte mich wie eine Verbrecherin. Das Kind wurde nach sieben Monaten Schwangerschaft am 30. Mai geboren. Der Sommer 1946 war sehr trocken. Alles, was geerntet wurde, reichte nur bis zum Silvester. Danach kam der Hunger." Hierin lag für Frau Rodgers der schwerste Schicksalsschlag. Während das Heimatdorf, wo Bohuslaw Vales als Lehrer arbeitete, von den Amerikanern befreit wurde, war das Gebiet der elterlichen Landwirtschaft um Zimutice (nahe Budweis) von den russischen Truppen besetzt worden. („Ich wäre nie zurückgekehrt. Nie!") Die gemeinsame Zukunft, die geplante Ehe und Familie war damit zunichte gemacht. Frau Rodgers mußte mit ihrem Kind im Bauch nach Vinnitsa zurückkehren. Es blieb jahrelange Sehnsucht und die Stigmatisierung zur Verräterin. „Man beschimpfte mich, und als ich das Kind gebar, nannte man das Kind in unserer ukrainischen Sprache ,Bajstruk'119. Ich sagte darauf: ,Ist schon gut. Das Wichtigste ist, daß er von guten Menschen kommt.' (...) Ich mußte viel ertragen, bis das Kind aufwuchs. Viele nannten mich Deutsche - und meinen Sohn einen Bastard." „Lina Rodgers: Mein Mann wartete auf mich 7 Jahre lang. Ich war zu dieser Zeit schon verheiratet. Seine Familie liebte mich, sie wollte, daß ich bei ihnen lebe. Unsere Kommunisten zerstörten mir mein ganzes Leben. Ab ich nach Hause zurückgekehrt war, haßte man mich. Ich konnte keine Arbeit finden. Sobald ich in meinem Lebenslauf erwähnte, daß ich in Deutschland war - und das konnte ich nicht verbergen -, wies man mich sofort ab. Diese lange Zeit war etwas Furchtbaresfür mich!" Sieben Jahre lang empfing Frau Rodgers Briefe von ihrem ehemaligen Geliebten, bis die Kraft nicht mehr ausreichte. Ein Zusammenleben, gar eine Zusammenkunft war un118 U W D - russisch: Upravljenije vnutrennich del, Polizeikommissariat in der Sowjetunion. 119 Ukrainisch: Bastard.

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möglich. Anfang der fünfziger Jahre heirateten beide.120 Auch den endgültigen Abschiedsbrief hatte Frau Rodgers sorgfältig in ihrer Kiste aufbewahrt und las ihn uns vor: „Liebe Lina! Es tut mir sehr leid, daß ich solche Nachrichten Dir mitteilen muß. Ich konnte mir nie vorstellen, daß unsere Liebe so ein Ende haben wird. Ich dachte immer, daß ich Dich einmal besuchen werde, aber es ist unmöglich. (...) Auch jetzt gibt es keine Hoffnung auf unser Wiedersehen. Aber Du hast, wie Du schreibst, von mir ein Geschenk für Dein ganzes Leben - Miroslaw." Das ist der Sohn121. „ (...) Aber alles war vergeblich. Liebe Lina, ich denke oft an unsere Tage in Linz und Zimutice. " Auch als Frau Rodgers in den achtziger Jahren ihre Freundin Olga Popenko in Budweis besuchen konnte, kam es zu keiner Begegnung mehr. Die gemeinsame Geschichte konnte Jahrzehnte später nicht mehr integriert werden. Bohuslaw Vales lebt noch zum Zeitpunkt des Gespräches - 81 jährig - in einer tschechischen Kleinstadt.

120 Der gesellschaftlich auferlegten Stigmatisierung hatte sich Frau Rodgers auch in der zweiten Partnerwahl nicht entzogen und zeigte Stolz ob ihrer Außenseiterstellung. Ihr zweiter Mann, Leonid Alfredowitsch Rodgers, war auch tschechischer Herkunft. Den Schwiegervater Alfred Rodgers hatte sie nicht mehr kennengelernt, und die Geschichte des auffälligen Namens war ihr unbekannt, da die Eltern ihres Mannes in Moldawien früh verstorben waren. Leonid Rodgers war ein Intellektueller mit Hochschulbildung, der in der Zeitung „Vinnitskaja Prawda" als Hauptlektor und Literaturmitarbeiter beschäftigt war. Er starb vor zehn Jahren. 121 Ihr Sohn, Miroslaw Rodgers, hatte ebenfalls bitter die Geschichte der Mutter zu tragen. Da in den sowjetischen Pässen neben der Staatsangehörigkeit auch die Nationalität (ethnische Zugehörigkeit) anzugeben war, war seine tschechische Herkunft nicht zu übersehen, was ihm v. a. während des Militärdienstes großes Mißtrauen eintrug und Karrierechancen nahm.

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ANHANG I122

Geheime Staatspolizei Staatspolizeistelle Linz N.Nr. E 4 - 4062/42-IV D 4 Linz, den 29. September 1942

Betrifft: Einsatz von Arbeitskräften aus dem Osten.

Zu den Richtlinien über den Einsatz von Ostarbeitern, wie sie in dem Merkblatt des Generalbevollmächtigten fiir den Arbeitseinsatz und in der vom Reichsfuhrer-SS und der Deutschen Arbeitsfront herausgegebenen Lagerordnung enthalten sind, gebe ich unter den nachstehenden Ziffern folgende sicherheitspolizeiliche Anweisungen heraus. Sie sind streng vertraulich zu behandeln und dürfen aussenstehenden Personen nicht bekanntgegeben werden. 1.) Der Grundsatz des korrekten Auftretens und der Sachlichkeit einerseits wie des inneren und äusseren Abstandes andererseits im Verhältnis zu den Ostarbeitern muss dem Wach- und Lagerpersonal immer wieder eingeschärft werden. Die vielfach gute Arbeitsleistung der Ostarbeiter kann zu einem Nachlassen in der ihnen gegenüber gebotenen Aufmerksamkeit fuhren. Es ist stets daran zu denken, dass sie dem deutschen Volkstum, der deutschen Kultur, Art und Sitte fremd gegenüberstehen und jahrzehntelang im bolschewistischen Sinne erzogen worden sind. Agenten der Sowjets, Fallschirmabspringer und Saboteure befinden sich nachgewiesenermassen unter ihnen; auch diese feindlichen Kräfte werden sich zunächst arbeitswillig zeigen. Wenn auch die Masse der Ostarbeiter sich nicht zum Bolschewismus bekennt, so besteht doch

122 Quelle: O Ö L A . B H Steyr. Sch. 298. Die streng vertraulichen Bestimmungen ergingen an: Herrn Reichsstatthalter in Oberdonau; Gauleitung Oberdonau der N S D A P ; Herrn Präsidenten des Landesarbeitsamtes Oberdonau; Arbeitsämter: Linz, Steyr, Gmunden, Braunau am Inn und Krumau; Polizeipräsidenten in Linz; Polizeiämter in Wels und Steyr; Staatliche Kriminalpolizei, Kriminalpolizeistelle; Kommandeur der Gendarmerie beim Reichsstatthalter in Oberdonau; Landrate in Oberdonau; Gauwaltung der D A F in Linz; Abwehrstelle im Wehrkreis X V I I , AO. im Rüstungsbereich z.Hd. Oberstlt. Dobrucki; Sicherheitsdienst des Reichsführers SS SD-Abschnitt Linz.

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gerade bei ihrer Sturheit die Gefahr, dass die deutschfeindlich eingestellten Aktivisten unter Ausnützung der bestehenden Schwierigkeiten (z. B. in der Ernährung, Bekleidung, Entlohnung usw.) Einfluss auf sie gewinnen. Im sicherheitspolizeilichen Interesse liegt es daher, im Rahmen der Bestimmungen das Möglichste für eine ordnungsgemässe Ernährung, Unterbringung usw. zu tun. 2.) Wichtig ist es, auch die deutschen Betriebsangehörigen gelegentlich von Appellen darauf aufmerksam zu machen, dass sie auf Disziplinlosigkeiten und Hetzereien der Ostarbeiter zu achten und das ihnen Mögliche zu tun haben, um Fluchtfälle zu verhindern oder geflohene Ostarbeiter dingfest zu machen. Vielfach streifen entflohene Ostarbeiter im Reiche umher und begehen schwere Verbrechen. Die Zivilbevölkerung hat hierunter am meisten zu leiden. 3.) Der Leiter der Bewachung (politischer Abwehrbeauftragter bzw. zuständiger Polizeibeamter) ist für die Einteilung des Dienstes, die Führung der Wachmänner und die Sicherheit im Lager wie im Betriebe überhaupt verantwortlich. Die Stärke der Wachmannschaften wird sich nach den örtlichen Erfordernissen zu richten haben. Es ist daher nicht erforderlich, dass an der Richtzahl, ein Wachmann auf je 20 bis 30 Ostarbeiter, immer festgehalten wird. Die Zahl der Wachmänner wird jeweils von den örtlichen Verhältnissen, wobei die Lage der Unterkunft, ihre Entfernung vom Werk und die allgemeinen betrieblichen Verhältnisse eine Rolle spielen, abhängig zu machen sein. In Frauenlagern wird weniger Wachpersonal erforderlich sein als in Männerlagern. Auf keinen Fall aber darf die Bewachung nur aus einem Wachmann bestehen, immer müssen mindesten 2 Wachmänner Dienst im Lager haben. 4.) Bei dem grossen Mangel an Wachpersonal ist es aber zur Aufrechterhaltung der Disziplin und Ordnung unter den Ostarbeitern erforderlich, den Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit der Ostarbeiter auch auf dem sicherheitspolizeilichen Gebiet weitmöglichst durchzuführen. Die nach Ziffer 3 der Lagerordnung zu ernennenden Lager-, Baracken- und Stubenordner, die aus den bei der Arbeit wie im Lager die beste Haltung zeigenden Kräften gewählt werden müssen, sind für diese Aufgabe heranzuziehen. Diese Kräfte sollen als „Lagerdienst" allen Disziplinlosigkeiten der Ostarbeiter selbst entgegentreten, um nötigenfalls mit eigenen Mitteln für Disziplin und Ordnung zu sorgen. Der Lagerführer soll nur dann in Erscheinung treten, wenn diese Kräfte sich nicht durchsetzen können. Ausserdem ersuche ich, die zuverlässigen Kräfte aus den Kreisen der Ostarbeiter stärker zur Überwachung und Bewachung heranzuziehen, da ja in den meisten Fällen das hierzu erforderliche deutsche Personal nicht zur Verfügung steht. Dementsprechend habe ich keine Bedenken, im Bedarfsfalle diesen ausgewählten Kräften eine eigene Verantwortung in der Beaufsichtigung auch auf dem Wege zwischen Arbeitsstätte und La-

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ger als auch während des Ausganges zu übertragen. Wo sich dieses Verfahren nicht als tragbar erweist, ist selbstverständlich an der bisherigen Handhabung festzuhalten. Neben diesen Kräften ist ein Netz von Vertrauenspersonen aus den Ostarbeitern zu schaffen, das so gut arbeiten muss, dass unzuverlässige Elemente, vor allen Hetzer und Saboteure schon festgestellt werden können, bevor sie Schaden anrichten. Ebenso müssen auf diesem Wege Vorbereitungen zur Flucht so rechtzeitig gemeldet werden, dass die betreffenden Ostarbeiter schon vorher festgenommen werden können. Es bestehen keine Bedenken dagegen, wenn Angehörige des Lagerdienstes wie auch Vertrauenspersonen unter den Ostarbeitern in der Verpflegung, bei Freizeitgestaltung und auch durch gelegentliche Geldzuwendungen bevorzugt werden. Diese Vorteile müssen jedoch gegenüber den anderen Ostarbeitern mit der besseren Arbeitsleistung und besseren Disziplin der Betreffenden begründet werden. Unter keinen Umständen dürfen diese Vorteile bei den Vertrauenspersonen als sichtbare Belohnung für „Spitzendienste" erscheinen. 5.) Den Weg zwischen dem Lager und der Arbeitsstelle legen die Russen jedesmal geschlossen zurück. Wo deutsche Bewachungskräfte nur im geringen Umfange zur Verfugung stehen, und der Weg nicht allzuweit ist, kann, wie bereits erwähnt, die Aufsicht einem Angehörigen des Lagerdienstes übertragen werden, der das Eintreffen der Kolonne am Arbeitsplatz dem zuständigen Betriebsleiter und die Rückkehr dem Lagerführer zu melden hat. 6.) Die Freizeit der Ostarbeiter spielt sich nach wie vor im Lager ab. Ostarbeitern, die wohl im Lager wie bei der Arbeit eine gute Haltung zeigen, kann jedoch Ausgang gewährt werden. Wo deutsche Kräfte nur im geringem Umfange zur Verfügung stehen, kann an Stelle der Bewachung während des Ausgangs durch Deutsche unter der Voraussetzung der Bewährung die Aufsicht und Führung während des Ausganges einem Angehörigen des Lagerdienstes übertragen werden. Da Ostarbeiter nur geschlossen (nach Möglichkeit in Gruppen von 10 bis 20 Mann) ausgehen dürfen, ist der aufsichtsfuhrende Angehörige des „Lagerdienstes" dafür verantwortlich zu machen, dass die Kolonne zusammenbleibt, die Ostarbeiter sich auch draussen anständig und zurückhaltend benehmen, vor allem nicht Deutsche belästigen und rechtzeitig wieder im Lager eintreffen. Der Ausgang muss bei Beginn der örtlich festgesetzten Verdunklungen, spätestens aber um 21 Uhr, beendet sein. Für die Freizeitgestaltung (einschliesslich Ausgang) der Ostarbeiter gilt der Grundsatz, dass sie nicht mit Deutschen zusammenkommen dürfen. Ein Besuch von Kinos. Gastwirtschaften und sonstigen Einrichtungen oder Veranstaltungen, an denen Deutsche teilnehmen. ist deshalb verboten. (Getränke und Gebrauchsgegenstände sollen nach Möglichkeit in der Lagerkantine gekauft werden. Ist diese noch nicht errichtet, so können die Ostarbeiter ihre Wünsche dem Lagerpersonal mitteilen, das dann die nötigen Einkäufe zu besorgen hat.) Bei jedem Verstoss gegen diese Anordnung ist der Ausgang sofort auf eine bestimmte Zeit zu sperren. Ob dieser Sperre für eine Stube, Baracke oder für das gesamte

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Zwangsarbeit - Sklavenarbeit in den Reichswerken Hermann Göring am Standort Linz

Lager anzuordnen ist, hängt von dem Einzelfall ab. Die Entscheidung hierüber trifft der Lagerführer im Einvernehmen mit dem Leiter der Bewachung. Die Schuldigen können mit Lagerstrafen (siehe Ziffer 13) belegt werden, in schweren Fällen ist der Täter festzunehmen und der zuständigen Polizeibehörde zu übergeben. 7.) Den Ostarbeitern ist zu eröffnen, dass jeder Geschlechtsverkehr mit Deutschen strengstens bestraft wird; bei Ostarbeitern steht auf Geschlechtsverkehr mit deutschen Frauen die Todesstrafe, Ostarbeiterinnen werden bei Geschlechtsverkehr mit deutschen Männern in ein Konzentrationslager eingeliefert. Ebenso werden selbstverständlich deutsche Männer und Frauen, die sich mit Ostarbeitern einlassen, mit scharfen staatspolizeilichen Massnahmen zu rechnen haben. Gegen den Geschlechtsverkehr von Ostarbeitern und Ostarbeiterinnen untereinander ist nichts einzuwenden, soweit nicht dadurch die Ordnung im Lager gefährdet wird. Durch Ausgabe von Verhütungsmitteln muss jedoch dafür gesorgt werden, dass Schwangerschaften nach Möglichkeit verhindert werden. Gegen Versuche von Ostarbeiterinnen, eine bei ihnen eingetretene Schwangerschaft zu unterbinden, wird nicht eingeschritten. Bestehende Schwangerschaften müssen gegebenenfalls der zuständigen Polizeibehörde so rechtzeitig gemeldet werden, dass die Ostarbeiterinnen abgeschoben werden können, wenn sie arbeitsunfähig werden. 8.) Aus sicherheitspolizeilichen Gründen muss ein Zusammenkommen der Ostarbeiter mit anderen ausländischen Arbeitskräften, vor allen mit Polen und Ukrainern aus dem Generalgouvernement auch bei der Arbeit auf ein Mindestmass beschränkt werden. Es ist sofort völlig zu unterbinden, wenn die geringsten Anzeichen dafür bestehen, dass der Umgang mit anderen Arbeitskräften die Disziplin der Ostarbeiter stört. Der Verkehr mit Kriegsgefangenen aller Nationen ist den Ostarbeitern ebenso wie Deutschen und den übrigen ausländischen Arbeitskräften verboten. Der Einsatz von Ostarbeitern zusammen mit Kriegsgefangenen ist nur in dringendsten Fällen erlaubt. 9.) Eine seelsorgerische Betreuung der Ostarbeiter ist unerwünscht. Soweit eine Anregung zu kirchlicher Betätigung aus den Ostarbeitern selbst kommt und sich einer von ihnen bereit findet, als Laie Gottesdienste und dergleichen abzuhalten, ist dies nicht zu fördern, aber auch nur zu verhindern, wenn eine Störung der Lagerordnung eintritt. Es kann zweckmässig sein, diese Laienpriester in Anbetracht ihres Einflusses auf ihre Landsleute näher zur Mitarbeit heranzuziehen (zum „Lagerdienst" oder als „Vertrauensperson"). Eine Betreuung durch deutsche oder andere Geistliche ist auf jeden Fall zu unterbinden. Jeder derartige Versuch ist unverzüglich der Staatspolizeistelle Linz zu melden. 10.) Zum Besuch des Lagers sind ausser Polizeidienststellen nur die örtlich zuständigen Dienststellen der Partei, der D A F und der Reichsarbeitsverwaltung berechtigt. Uber alle

,Wir wurden für Verräter gehalten"

169

anderen Besuche entscheidet der Leiter der Bewachung nach pflichtgemässem Ermessen. Bei der Besichtigung der Lager ist darauf zu achten, dass die betreffenden Personen sich nicht selbst an die Ostarbeiter wenden und nach ihren Wünschen bezw. Beschwerden fragen. In solchen Fällen muss immer der Lagerführer eingeschaltet werden, damit bei ihnen nicht der Eindruck entsteht, als ob sie gegen den Lagerführer etwas durchsetzen könnten. Voraussetzung für diese Anordnung ist selbstverständlich, dass der Leiter der Bewachung, der Lagerfuhrer und das Wach- bezw. Lagerpersonal die Grundsätze des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz über den Einsatz der Ostarbeiter genau zu beachten. Auf keinen Fall dürfen Angehörige der russischen, ukrainischen und weissruthenischen Emigration, auch nicht Beauftragte der russischen, ukrainischen und weissruthenischen Vertrauensstellen oder sonstigen Vereinigungen, ein Lager besichtigen oder mit Ostarbeitern während der Arbeit oder beim Ausgang Verbindung aufnehmen. Dies gilt auch für die russischen, ukrainischen und weissruthenischen Arbeitskräfte aus dem Generalgouvernement und den eingegliederten Ostgebieten. Zuwiderhandlungen sind sofort der Staatspolizeistelle Linz zu melden. Behaupten Lagerinsassen, Volksdeutsche zu sein, so sind sie unter Angabe der genauen Personalien der Staatspolizeistelle Linz zu melden, die dann das Erforderliche veranlasst. 11.) Die Lager dürfen im allgemeinen nicht mit Stacheldraht umzäunt und die Fenster vergittert werden. Ausnahmen bedürfen meiner Genehmigung. Das Lager muss jedoch mit einer Umzäunung versehen sein, die eine Flucht möglichst erschwert und einen Zutritt von Deutschen und anderen ausländischen Arbeitskräften unmöglich macht. Den Ostarbeitern soll der Eindruck genommen werden, dass sie wie Gefangene gehalten werden. Es ist deshalb erforderlich, die Lagerinsassen über die Notwendigkeit einer festen Umzäunung in geeigneter Form aufzuklären. Ebenso ist bei Kennzeichnung mit dem „Ost"-Abzeichen zu verfahren, das keine Diffamierung darstellt, sondern bei der Millionenzahl der eingesetzten Ostarbeiter aus sicherheitspolizeilichen Gründen unerlässlich ist. Die Kennzeichnung der neueintreffenden Ostarbeiter ist so schnell wie möglich durchzuführen. Sind die Ostabzeichen nicht sofort greifbar, so kann eine Ersatzkennzeichnung (etwa durch Farbauftragung in der Form des ,,Ost"-Abzeichens) erfolgen. Auf keinen Fall darf diese jedoch so gewählt werden, dass sie als Entehrung empfunden werden muss, (z. B. Bemalung der Rückseite von Rock und Hose mit Riesenbuchstaben „Ost"). Das Ersatzabzeichen ist ebenfalls an der rechten oberen Brustseite anzubringen. 12.) Der Postverkehr der Ostarbeiter ist in der Lagerordnung und in dem Merkblatt für Betriebsfiihrer geregelt. Von der aus- und eingehenden Post sind künftig nur Stichproben (etwa 1/20) unmittelbar der Staatspolizeistelle Linz zur Prüfung zu übersenden; dies gilt auch für den Briefverkehr innerhalb des Reiches.

170

Zwangsarbeit - Sklavenarbeit in den Reichswerken Hermann Göring am Standort Linz

13.) Soweit bei Verstössen gegen die Disziplin im Lager, während der Freizeit und bei der Arbeit die Mittel des „Lagerdienstes" bezw. die Betriebsstrafen des Betriebsführers nicht ausreichen, können folgende Strafen verhängt werden: 1. Ordnungsübungen nach Beendigung der Arbeitszeit. 2. Zuteilung zum Straftrupp. 3. Entziehung der warmen Tagesverpflegung bis zu 3 Tagen in der Woche. 4. Arrest auf die Dauer von höchstens 3 Tagen. In den Straftrupp sind insbesondere diejenigen Arbeiter einzuweisen, die nachlässig und träge arbeiten, bezw. Belehrungen unzugänglich sind. Diesen Ostarbeitern sind alle Vergünstigungen zu entziehen. Sie sind korrekt, aber mit besonderer Schärfe anzufassen. Die dem Straftrupp zuzuweisenden Arbeiter bestimmt der Betrieb. Die Arreststrafe wird in der Strafzelle bei Entzug der Bewegung im Freien und des Betdagers sowie unter Beschränkung der Kost auf Wasser und Brot vollzogen. Jede Bestrafung ist im Strafbuch zu vermerken. Strafen zu 3. und 4. sind ausserdem der Staatspolizeistelle Linz zu melden. Eine Arrestzelle ist in jedem Lager einzurichten. Sie muss von dem übrigen Lager so abgetrennt sein, dass die Ostarbeiter nicht in ihre unmittelbare Nähe gelangen können. Eine Verbindung zwischen Arrestanten und den übrigen Lagerinsassen muss unter allen Umständen unterbunden werden. 14.) Schwere Disziplinarvergehen (einschliesslich Arbeitsvertragsbruchs), Unbotmässigkeiten, Sabotagehandlungen oder Versuche dazu, Fälle von Geschlechtsverkehr, kriminelle Verfehlungen und Fluchtfälle sind unverzüglich der örtlichen Polizeidienststelle, in Linz den zuständigen Revieren bezw. der Staatspolizeistelle Linz zu melden. Bis zum Ergehen weiterer Weisung ist der betreffende Ostarbeiter in Arrest zu nehmen. Hinsichtlich der Meldung über verhängte Lagerstrafen ersuche ich, dass diese bei Inhaftnahme mehrerer Ostarbeiter gesondert erfolgen. Derselbe Weg ist bei der Meldung von Lagerfluchten bezw. Arbeitsvertragsbrüchen einzuhalten. Die Abwehrbeauftragten der Betriebe bezw. die Leiter der Bewachung handeln in ihren Betrieben als Beauftragte der Geheimen Staatspolizei. Mehrere Sonderfälle geben mir Veranlassung, darauf hinzuweisen, dass den Wachmännern eine körperliche Einwirkung auf die Arbeitskräfte aus dem Osten nur dann gestattet ist, wenn sie zur Brechung eines akuten Widerstandes unbedingt erforderlich ist. Es ist daher verboten, Arbeitskräfte aus dem Osten wegen lässiger Arbeit usw. zu züchtigen. In diesen Fällen ist mit den zu Ziffer 13.) genannten Lagerstrafen vorzugehen. Abschliessend weise ich noch darauf hin, dass die Deutsche Arbeitsfront für die sonstige Betreuung der Ostarbeiter zuständig ist. Ich ersuche, diese Verfügung genauestens einzuhalten und gegebenenfalls die untergeordneten bezw. die entsprechenden Betriebsdienststellen davon zu unterrichten.

,Wir wurden für Verräter gehalten"

ANHANG

2123

Präsident des Gauarbeitsamts O b e r d o n a u an den Reichsstatthalter in Oberdonau, Gaufiirsorgeamt v o m 17. April 1945: Namensliste über die im Durchgangslager des Arbeitsamts L i n z / D o n a u befindlichen arbeitsunfähigen ausländischen Arbeitskräfte.

Liste über die im Durchgangslager des Arbeitsamtes

Linz/Donau

befindlichen arbeitsunfähigen Ostarbeiter und Ostarbeiterinnen Männer B.

Alexej

geb 1892

in Kamenetz-Podolsk

B.

Alexander

geb 1912

in Kamenetz-Podolsk

Epilepsie

B.

Andrej

geb 1893

in Kursk

Herzleiden

F.

Nikolaj

geb 1903

in Kamenetz-Podolsk

Magengeschwür

G.

Salijach

geb 1916

in Woroschilowgrad

Magenleiden

G.

Peter

geb 1905

in Nicchni-Nowgorod

Kriegsversehrter

K.

Stepan

geb 1906

in Dnjepropetrowsk

Nierenentzündung

K.

Michail

geb 1916

in Smolensk

Kriegsversehrter

K.

Jefrem

geb 1880

in Witebsk

Miokordit

L.

Jakow

geb 1923

in Novosibirsk

Kriegsversehrter

N.

Michail

geb 1927

in Stalino

Nervenanfalle

P.

Fedor

geb 1905

in Winniza

chron. Nierenentzündung

R.

Grigorij

geb 1894

in Dnjepropetrowsk

amputierter Fuss

S.

Jefim

geb 1877

in Leningrad

Altersschwäche

Rheumatismus

S.

Fedor

geb 1894

in Charkow

fussverletzt

s. s.

Iwan

geb 1875

in Leningrad

Altersschwäche

Jakow

geb 1904

in Kursk

Kriegsversehrter

T.

Nikolaj

geb 1911

in Schitomir

Magenkrebs

Frauen A.

Killa

geb. 1911

in Kiew

chron. Rheumatismus

A.

Nadeschda

geb. 1880

in Estland

Altersschwäche

B.

Anna

geb. 1878

in Witebsk

Altersschwäche

B.

Maria

geb. 1914

in Taganrog

chron. Bauchfellentz.

D.

Wera

geb. 1925

in Charkow

geisteskrank

123 Quelle: O Ö L A , Landesregierung 1926 ff. Gr. IIIa/M., 1945, Best.: Reichstatth. O D , Sch. 289; M F Nr. 5^5-

IJ2

Zwangsarbeit - Sklavenarbeit in den Reichswerken Hermann Göring am Standort Linz Olga

geb 1924

in Schitomir

K.

Stepanida

geb 1884

in Witebsk

allg. Körperschwäche

K.

Tatjana

geb 1888

in Kamenetz-Podolsk

Ademverkalkung

K.

Darja

geb 1885

in Witebsk

Altersschwäche

L.

Matrena

geb 1890

in Kalinin

Trachom

M.

Akulina

geb 1887

in Smolensk

Herzleiden

M.

Irius

geb 1888

in Leningrad

Blutarmut

P.

Sofia

geb 1902

in Poltawa

chron. Rheumatismus

S.

Irina

geb

in Leningrad

Altersschwäche amputierter Fuss

[I*-.

00

J.

chron. Kezema

S.

Alexandra

geb 1921

in Kursk

S.

Jevdokija

geb 1897

in Odessa

chron. Rheumatismus

S.

Wera

geb 1884

in Leningrad

Altersschwäche

S.

Katharina

geb 1925

in Smolensk

Gelenksrheumatismus

S.

Anna

geb 1891

in Rostow

chron. Gelenksrheuma

T.

Anna

geb 1927

in Kiew

Epilepsie

T.

Irina

geb 1914

in Leningrad

Rachitis

Liste über die im Durchgangslager des Arbeitsamtes Linz/Donau befindlichen arbeitsunfähigen Polen und pol. Urkainer Frauen D.

Antonia

geb 1894

in Sedlez

geisteskrank geisteskrank

F.

Katharina

geb 1896

in Sanek

G.

Tatjana

geb 1908

in Warschau

geisteskrank

K.

Sofia

geb 1898

in Krakau

geisteskrank

K.

Stefanie

geb 1910

M.

Stefanie

geb 1896

in Warschau

geisteskrank

M.

Katharina

geb 1909

in Tarnowetz

geisteskrank

N.

Josefa

geb 1926

injaroslaw

geisteskrank

B.

Josef

geb. 1891

in Warschau

D.

Ladislaw

geb. 1917

in Kattowitze

taub

G.

Iljko

geb. 1897

in Rava Ruska

Altersschwäche

geisteskrank

Männer Miokoralitis

K.

Kiril

geb. 1874

in Bukowina

Altersschwäche

N.

Ladislaus

geb. 1890

in Polosje

Hüftbruch

P.

Nikolai

geb. 1909

injaroslaw

Handverletzung

P.

Johann

geb. 1923

injaroslaw

Stichverletzung ins Rückenmark

m

,Wìr wurden für Verräter gehalten" P.

Franz

geb. 1903

in Krakau

taub

T.

Piotr

geb. 1877

injaslo

Altersschwäche

K.

Grigorij

geb. 1904

in Rowno

nach Magenoperation

Liste über die im Durchgangslager des Arbeitsamtes Linz/Donau befindlichen nichteinsatzßhigen Ostarbeiter und Ostarbeiterinnen. A.

Anna

geb 1889

Leningrad

Körperschwäche

A.

Sina

geb 1936

Leningrad

A.

Katharina

B.

Tercntij

geb 1937 geb 1881

Witebsk

B.

Uljana

geb 1892

Witebsk

B.

Nikolaj Nadeschda

geb !934 geb 1936

Witebsk

B. B.

Maria

geb 1938

G.

Ilja

geb 1913

Dnjepropetrowsk

G.

Anna

geb 1918

Dnjepropetrowsk

Geisteskrank

G.

Lina

geb 1936

G.

Wladimir

geb 1941

I.

Eugenia

geb 1884

Witebsk

Altersschwäche

I.

Anna

geb 1918

Witebsk

I.

Nina

I.

Genadij

geb 1937 geb 1939

K.

Olga

geb 1901

Leningrad

K.

Nina

geb 1928

Leningrad

Leningrad

K.

Wassili

M.

Grigorij

geb J 934 geb 1913

Kiew

M.

Maria

geb 1906

Kiew

M.

Grigorij

Kiew

M.

Wladimir

geb 1937 geb 1941

M.

Nikolaj

Kiew

Chron. Rheumat.

Herzleiden

Kiew

M.

Katharina

geb 1943 geb 1945

M.

Jow

geb 1875

Witebsk

Altersschwäche

M.

Tatjana

geb 1888

Witebsk

Altersschwäche

M.

Iwan Akim

geb 193 geb 1900

Witebsk

P. P.

Marina

geb 1900

Charkow

S.

Afanasij

geb 1914

Witebsk

S.

Tatjana

geb 1919

Witebsk

2

Kiew

Charkow

Lungenkrank (Tbc)

174

s. s. s. s. s. s. s. s. s. s.

Zwangsarbeit - Sklavenarbeit in den Reichswerken Hermann Göring am Standort Linz Agafia

geb. 1887

Witebsk

Wera

geb. 1945

Witebsk

Efrosinja

geb 1911

Witebsk

Nikolaj

Witebsk

Torna

geb '935 geb 1940

Ljuba

geb 1941

Witebsk

Iwan

geb 1875

Leningrad

Katharina

geb 1896

Leningrad

Justina

geb 1897

Vinnitsa

Altersschwäche

Witebsk Altersschwäche

Witalij

geb 1938

Vinnitsa

Lungentuberkulose

T.

Grigorij

geb 1906

Dnjepropetrowsk

Lungen Tbc

T.

Marfa

geb 1908

Dnjepropetrowsk

T.

Ludmilla

geb 1944

Dnjepropetrowsk

T.

Filip

geb 1894

Kursk

T.

Maria

geb 1901

Kursk

T.

Maria

geb 1928

Kursk

T.

Wladimir

geb 1932

Kursk

T.

Eugenia

Kursk

T.

Nikolaj

geb 1934 geb 1936

T.

Olga

Kursk

T.

Anatolij

geb 1939 geb 1944

W.

Nadeschda

geb 1912

Kiew

W.

Woldemar

Kiew

W.

Kursk Kursk

Arnold

geb 1935 geb 1942

W.

Eugenia

geb 1913

Baranowitschi

W.

Josef

Baranowitschi

W.

Jadwiga

geb 1937 geb 1938

W.

Aniela Maria

geb 1939 geb 1903

Baranowitschi

s. s. s.

Baranowitschi

Tomasz

geb 1935 geb 1936

S.

Irina

geb 1938

Baranowitschi

S.

Helena

geb 1942

Baranowitschi

M.

Augustin

geb 1870

Baranowitschi

M.

Miljuscha

Baranowitschi

S.

Ewa

geb 1937 geb 1899

S.

Helena

geb 1929

Baranowitschi

S.

Leonardo

geb 1931

Baranowitschi

S.

Jadwiga

Baranowitschi

S.

Stanislawa

geb 1933 geb !935

Stanislawa

Herzleiden

Baranowitschi Baranowitschi Baranowitschi

Baranowitschi

Baranowitschi

Altersschwäche Rheumatismus

,Wir wurden für Verräter gehalten" s.

Stefania

geh 1938

Baranowitschi

B.

Michail

geb 1931

Baranowitschi

B.

Janina Wladimir

geh 933 geb I93S

Baranowitschi

B. K.

Veronika

geb 1902

Baranowitschi

K.

Alfred

geb 1930

Baranowitschi

K.

Galina

geb 1932

Baranowitschi

K.

Donela

geb 1936

Baranowitschi

K.

Alina

geb 1942

Baranowitschi

W.

Maria

geb 1887

Baranowitschi

W.

Eugeni)

Baranowitschi

Baranowitschi

r

17 5

Baranowitschi

W.

Maria

geb 1939 geb 1940

M.

Josefa

geb 1897

M.

Maria

geb 1931

Baranowitschi

M.

Alina

geb 1932

Baranowitschi

M.

Tàdeusz

Baranowitschi

Altersschwäche

Baranowitschi Allg. Körperschwäche

Rosalia

Baranowitschi

Altersschwäche

S.

Anna

geb 1909

Baranowitschi

Bucklich (Rachitis)

S.

Karol

geb 1913

Baranowitschi

A.

Maria

geb 1898

Baranowitschi

A.

Michail

geb 1933

Baranowitschi

S.

Olga

geb

S.

Maria

geb 1932

Baranowitschi

S.

Viktor

geb 1936

Baranowitschi

K.

Benedikt

geb 1904

Baranowitschi

K.

Stefania

geb 1904

Baranowitschi

K.

Josef

geb 1928

Baranowitschi

K.

Wladimir

geb 1936

Baranowitschi

K.

Franziszek

geb 1941

Baranowitschi

K.

Stanislawa

geb 1940

Baranowitschi

K.

Baltasar

geb 1944

Baranowitschi

K.

Anastasia

geb 1909

Baranowitschi

Amp. Fuss

S.

Franziszek

geb 1875

Baranowitschi

Altersschwäche

S.

Franzischka

geb 1872

Baranowitschi

Alterschwäche

S.

Helena

geb 1927

Baranowitschi

S.

Michalina

geb 1904

Baranowitschi

S.

Sina

geb 1930

Baranowitschi

S.

Viktor Maina

geb '935 geb T937

Baranowitschi

S. S.

Galina

geb 1941

Baranowitschi

00

S.

geb r 934 geb 1878

Baranowitschi

Baranowitschi

Herzleiden

Allg. Körperschwäche

176 R.

Zwangsarbeit - Sklavenarbeit in den Reichswerken Hermann Göring am Standort Linz Jan

geb. 1908

Baranowitschi

R.

Danuta Jurek

geb 1937 geb *939

Baranowitschi

R. R.

Thekla

geb 1880

Baranowitschi

Altersschwäche

M.

Josef

geb 1869

Baranowitschi

Altersschwäche

M.

Maria

geb 1903

Baranowitschi

M.

Wazlaw Romuald

geb 1937 geb 1939

Baranowitschi

M.

Handverletzung

Baranowitschi

Baranowitschi

M.

Anton

geb 1941

Baranowitschi

M.

Bernard

geb 1908

Baranowitschi

M.

Bronislawa

geb 1912

Baranowitschi

M.

Felix

Baranowitschi

M.

Felizia

geb 1939 geb r 939

M.

Bernarda

P.

Nikodim

geb 1945 geb 1899

P.

Bronislawa

geb 1900

Baranowitschi

P.

Nina

geb 1929

Baranowitschi

P.

Helena Antonij

geb 1935 geb 1939

Baranowitschi

P. P.

Boschena

geb 1943

Baranowitschi

Baranowitschi Baranowitschi

Allg. Körperschwäche

Baranowitschi

Liste über die im Durchgangslager des Arbeitsamtes Linz a/D. befindlichen griechischen Arbeitskräfte Frauen L.

Stella

geb. 25.5.1930

Athen

Krankheit in Füssen

T.

Makri

geb. 12.12.1896

Erzurun

Schwindelanfälle

C.

Matina

geb. 20.5.1928

Sparti

Seitenschmerzen

S.

Wlassia

geb. 28.8.1910

Mitilinai

Nervenkrank

A.

Kaliopi

geb. 26.7.1925

Pyräus

Augenkrank

A.

Johann

geb. 17.8.1919

Messina

S.

Christos

geb. 1889

Makrazis

Krankheit in Füssen

S.

Moraidi

geb. 18.2.1926

Athen

Magen u. Herzkrank

M.

Nikolaus

geb. 1918

Balia

Geistesschwach

G.

Fedon

geb. 29.9.1914

Athen

Asthma

K.

Andranik

geb. 5.2.1922

Athen

Ischias und Augenleiden

A.

Gregorius

geb. 12.6.1913

Argus

Nierenkrank

Männer Magenleiden

,Wir wurden für Verräter gehalten" z.

Nikolaus

177

geb. 20.12.1917

Thesalia

Lues Herz u. Lueskrank

K.

Wassilios

geb. 5.8.1919

Athen

G.

Panajotis

geb. 1906

Agrinio

Geisteskrank

W.

Panajotis

geb. 13.10.1907

Sparti

Armleiden

K.

Petros

geb. 16.5.1915

Athen

Ischias Asthma

G.

Nikolaus

geb. 1899

Syros

A.

Kirkos

geb. 24.4.1924

Athen

Bauchwassersucht

M.

Wassili

geb. 1904

Istamboel

Nach Operation

Liste über die im Durchgangslager des Arbeitsamtes Linz a/D. befindlichen erkrankten französischen Arbeitskräften Frauen C.

Denise

geb. 22.4.1906

Chaumont

Rheumatismus

M.

Henriette

geb. 12.5.1913

Bessages

Geisteskrank

K.

Germaine

geb. 6.10.1904

Paris

Epilepsie

C.

Luden

geb. 24.j. 1903

Männer Paris

Lues und sehr herabgesetzte Seh- und Hörschärfe

M.

Roger

geb. 21.2.1927

Thiverwall

Epilepsie

Liste über die im Durchgangslager des Arbeitsamtes Linz a/D. befindlichen belgischen Arbeitskräfte D.

Elisabeth

geb. 25.4.1888

Brüssel

Körperschwach

Dr. Oledij Petrowitsch Derid „Wohin soll ich noch schreiben? An Gott?!" Charkow - Linz - Chisinau

Bei fast all meinen geführten lebensgeschichtlichen Gesprächen bedauerte ich eine Gemeinsamkeit: ihre zeitliche Begrenzung. Von wenigen Fällen abgesehen, beschränkte sich das Interview auf ein einmaliges Treffen, das zwar bis zu sechs Stunden dauern konnte und bei den Zeitzeuginnen zumeist ein Gefühl hinterließ, erschöpfend alles gesagt zu haben, was zu sagen sei, aber trotzdem mir einen notwendigen Tiefgang und Intensität vermissen ließ, was sich v. a. durch eine fehlende gemeinsame Nachbearbeitung ergab. Oft kam es zu einer paradoxen Situation: Auf der einen Seite war es möglich, daß bereits nach kurzer Zeit ein Gefühl der Leere eintrat, weil die leicht handhabbaren und greifbaren Erinnerungen schnell abgeschöpft waren, auf der anderen Seite standen meine Gesprächspartnerinnen einer quasi unbewältigbaren Aufgabe gegenüber: in wenigen Stunden ihren Lebensverlauf zu komprimieren. Manchmal war es aus organisatorischen Gründen nicht möglich, ein zweites Treffen durchzuführen, zumeist waren es die Gesprächspartnerinnen, die die anstrengende Erinnerungsreise bei einem einmaligen Ereignis bewenden lassen wollten. Einige Male waren es gesundheidiche Gründe, die eine zeidiche Begrenzung erforderten, und in manchen Fällen hatte der Verdrängungswunsch einen erfolgreichen Verlauf genommen, daß auch bei großem Willen sich keine Erinnerungen einstellten. Es war auch vorgekommen, daß eine notwendige Sympathie für eine gegenseitige Vertrauensbasis nicht aufkommen wollte und sich ein weiteres Treffen damit erübrigte. In Dr. Oledij Petrowitsch Derid aus Chisinau/Moldawien fand ich jedoch einen Gesprächspartner, bei dem diese Mankos nicht wirksam wurden. Im Gegenteil. Herr Dr. Derid war von erstaunlicher physischer und psychischer Frische, besaß ausgezeichnet erhaltene deutsche Sprachkenntnisse, die sich im Laufe der langen Gespräche sukzessive noch verbesserten, und Dr. Derid äußerte sogar - und das war einmalig - ein wissenschafdich-methodisches Interesse an meiner Arbeit, was dazu führte, daß er sich drei Tage lang Zeit nahm, um mir als Gesprächspartner zur Verfügung zu stehen. Die Universität von Chisinau, an der der 74jährige noch immer unterrichtet, hatte ohnehin Ferien, und so erzählte mir Dr. Derid in drei aufeinanderfolgenden Tagen über sein Leben. Mehr als sechzehn Stunden lang. 124 124 Die Gespräche fanden in Chisinau am 10. 1 1 . und 12. Juni 1999 zu je zwei Vormittags- und Nachmittagssitzungen statt.

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Aufmerksam auf Herrn Dr. Derid wurde ich durch zwei Briefe aus dem Jahre 1994, die ich im Korrespondenzordner „Zeitzeugen" im Linzer Geschichte-Club-VOEST gefunden hatte und in deutscher Sprache verfaßt waren. Darin schrieb Dr. Derid, daß er im Frühling 1942 aus dem Ort Reschetilowka (Poltawer Gebiet/Ukraine) nach Linz in die Hermann-Göring-Werke als Zwangsarbeiter deportiert wurde; daß er nach wenigen Wochen als Elektroschweißer im „Bau II" für die Erzeugung von Wannen für Panzer eingesetzt war und für die verdienten Reichsmark sogar Kartoffelsalat und Most kaufen konnte. Am „eindrücklichsten" seien die Tage im Arbeitserziehungslager gewesen - „von mir blieben nur die Knochen und die Haut". Und: Als ehemaliger Leiter des Universitäts-Lehrstuhls für „Metallkunde und Metallbearbeitung" beziehe er eine Rente von ca. 322 Schilling; die Zusatzrente als ehemaliger „Ostarbeiter" von 185 Schilling werde ihm verwehrt, weil er nicht imstande sei, einen entsprechenden Nachweis zu erbringen. - Das war im Jahre 1994. Schon die wenigen Details weckten mein Interesse. Wie kam ein iöjähriger Junge als Zwangsarbeiter nach Linz in die Hermann-Göring-Werke? Was mußte er in einem Arbeitserziehungslager erleben, und wie kam es dazu? Was verschlug ihn nach Moldawien? Beschämend berührte mich die materielle Situation des ehemaligen Universitätsprofessors, genauso wie das vergebliche Bemühen um Anerkennung. Neugierig machte mich auch die Tatsache, daß Dr. Derid ausgerechnet im Fach Metallkunde und Metallbearbeitung eine wissenschaftliche Karriere antrat, deren erste Berührungspunkte in die Zeit als Zwangsarbeiter in einem Eisenwerk zurückreichten. Mein Vorhaben, mich in der Gesprächsvorbereitung auch über Dr. Derids wissenschaftliche Arbeiten kundig zu machen, habe ich schnell aufgegeben. Im Internet fand ich zwar eine seiner Publikationen im Jahresbericht von 1995 des Labors für Nukleare Festkörperphysik der Universität Konstanz zitiert, der den Titel trug: Kationenunordnung in Defektchalkopyrithalbleitern des Typs usw. - Auf diesen Teil der Auseinandersetzving mußte ich verzichten, denn ich hatte kein Wort verstanden. Am 9. Juni 1999 startete ich meine Reise nach Chisinau, der Hauptstadt Moldawiens, und ich muß gestehen, daß meine Vorkenntnisse über Land, Leute, Kultur, Geschichte und Politik mehr als dürftig waren. Selbst die Angestellten im Reisebüro belächelten mitleidig meinen „exotischen" Flugwunsch Wien - Chisinau und staunten nicht schlecht über den zweimal wöchentlichen Direktflug zwischen den beiden Hauptstädten, den kurz davor die Tyrolian Airways neu eingerichtet hatte.125 Ein deutliches Zeichen für die wirtschafdiche Osterweiterung, die das Land auch bitter nötig hat. Die 4,3 Millionen Einwohner, die sich 1991 aus dem Verband der UdSSR lossagten und im März 1994 in einem Referendum zu 90 % für die nationale Unabhängigkeit vo12 j Eine Stunde vierzig Minuten Flugzeit belegten einmal mehr, wie wenig die subjektiven Einschätzungen von „Ferne" mit den geographischen Realitäten einhergehen. Daß ich mit nur sechs Passagieren das ganze Flugzeug zu teilen hatte, bestätigten die Ungewöhnlichkeit meiner Reiseunternehmung.

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tierten, hatten triste Jahre hinter sich und sehen keinen rosigen entgegen. Die wirtschaftliche Situation ist katastrophal. Moldawien gilt als das ärmste Land Europas. Petra Lucinschi, Präsident seit 1996, vermochte in dem Tabak- und Weinbauland, auf Grund der ständigen Machtkämpfe an der politischen Spitze und der anhaltenden Instabilität, keine greifbaren Wirtschafereformen durchzuführen. Vor allem durch das international nicht anerkannte Transnistrien im Osten Moldawiens, das mehrheidich von Ukrainern, Tataren und Russen bewohnt wird, ist ein ständiger Unruheherd gegeben. Ursprünglich sollte hier die 14. russische Armee den Konflikt (1992 tobte ein Bürgerkrieg) zwischen den mehrheidich ramänischsprachigen Moldawern und den russischsprachigen Separatisten beenden, bis sich die Armee auf die Seite der Separatisten schlug, um auch ihre Vorteile zu sichern. Der Verdacht auf umfangreichen Waffenhandel sorgt bis heute für Schlagzeilen. Die Ablehnung der ehemals sowjetischen Herrschaft - nach der Annexion infolge des Hitler-Stalin-Paktes 1940 - äußert sich in einem moldawisch-rumänischen Nationalismus, wobei sich russische, rumänische und sowjetische Traditionen zu einem Nationsbegriff vermischen, „der je nach wirtschafdicher, politischer oder persönlicher Lage definiert wird" (Hofbauer/Roman, 1997, 145). Es dominiert eine erzwungen anmutende Rumänisierung als definierte nationale Identität, v. a. wenn man bedenkt, daß landesweit 27 %, in der Hauptstadt Chisinau gar 52 % Russen und Ukrainer leben (ebenda, i5of.). Dr. Derid ist einer von ihnen, der sich diesem Nationalismus ergeben muß. Viele seiner Kollegen haben das Land schon vorzeitig verlassen. Die hiergebliebenen schätzen seine frisch erlernten rumänischen Sprachkenntnisse, die jedoch für den universitären Unterricht nicht ausreichen, der wiederum für den 74jährigen eine Notwendigkeit darstellt, um die karge Pension aufzubessern. Schon seit einigen Jahren arbeitet Dr. Derid nur mehr für einen Bruchteil seines ursprünglichen Lohnes, da die Unterrichtsstunden in russischer Sprache im Gegensatz zu den rumänischen Lehreinheiten immer weniger werden. „Dr. Derid: Seit 1992. Der Zerfall der Sowjetunion, und seither war Moldawien ein anclerer Staat. Ich denke, das ist richtig. Es ist ein eigenes Land und hat eine eigene Sprache. Und hier Rumänisch. Die Russen sind hier Gäste. Ich sagte meinen moldawischen Freunden: Ich kam hier nach Moldawien als Okkupant in Uniform. Dahingehend habe ich ein Schuldgefühl. Nicht viel, aber schuldig. Dieses große Rußland hat dieses kleine Land vereinnahmt." Dr. Derid ist ein Fremder in seiner Heimat geworden. Gleich am ersten Abend lud ich Dr. Derid ins Hotel zum Abendessen, zum persönlichen Kennenlernen, zum Besprechen meines Vorhabens. Die auffallend beidseitige Nervosität war nicht im üblichen Rahmen einer derartigen Erstbegegnung. Während meine Spannung u. a. daher rührte, mit großem Aufwand völlig ungewissen Tagen entgegenzusehen, gestand mir Dr. Derid gleich nach der Begrüßung: „Ich bin so aufgeregt. Ich

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denke seit Tagen nach - über Erinnerungen." Außerdem war er schon seit vielen Jahren nicht mehr Gast eines Restaurants. Er erzählte mir auch, warum. Für die Noblesse einer hierzulande üblichen (kleinbürgerlichen Anstandsregel „Uber Geld spricht man nicht" bestand wahrlich kein Anlaß. Nach jahrelangem, nervenaufreibendem Ringen um Anerkennung seiner Zeit als Zwangsarbeiter, und daraus folgend einer kleinen finanziellen Unterstützung, war ihm in der Vergangenheit ein negativer Bescheid nach dem anderen zugegangen. Dieses Engagement habe er nun aufgegeben und wolle jetzt wenigstens Zeugnis ablegen. „Alles erzählen." 200 Lei (12 Lei = ca. 1 $) betrage nun sein Gehalt als Universitätsdozent, die er zu den 35 Lei Sozialhilfe seiner Frau und zu seiner Rente von 130 Lei („Das ist der Höchstsatz für arbeitende Rentner - sonst würde ich 163 Lei gesamt bekommen") dazuverdient. 50 Lei verschlingt die Miete der Einzimmerwohnung und 30 Lei der Strom. „Ich denke, ich habe eine gute Ausbildung. Aber das ist mit Schopenhauers Leiden verbunden -so ist es gut für mich -,Leiden ist gut, Vergnügen ist schlecht - sie haben keinen positiven Inhalt.' Schopenhauers Worte sind bequem. Verstehen Sie? So zu denken ist bequem, so zu leben ist nicht bequem." Ich habe verstanden. Dr. Derid wollte bei unseren Gesprächen ungestört sein und bevorzugte das neutrale Hotelzimmer für unsere Zusammenkünfte. Es war für ihn das erste Mal, daß er in dieser Ausführlichkeit seine Biographie, seine Erlebnisse als Zwangsarbeiter im besonderen, erzählte. Als unser Gespräch schon weit fortgeschritten war und sich bei ihm zu Hause schon leiser Protest rührte („Warum erzählst du uns nicht deine Geschichte?" so der Sohn), fragte ich ihn auch, warum. „Karl Fallend: Haben Sie schon einmal jemandem Ihre Geschichte erzählt? Dr. Derid: So vollständig, niemals. Niemals. Und viele Episoden habe ich noch nie ganz erzählt. Niemandem. Das interessiert niemand. Sie sind Wissenschaftler - das ist sehr wichtig, daß Sie Psychologe sind, Historiker und Psychologe. Solch eine Kombination habe ich noch nicht gesehen und noch nicht gehört. Ich habe die Psychoanalyse Sigmund Freuds mit Interesse gelesen. Es steckt viel Wahrheit drin, wichtig. Ich weiß, das ist alt, und es gibt neue Sachen. Psychologie ist sehr interessant. Ich weiß nicht, wie wichtig das wird. Aber ich mache alles mit. Darum verstehe ich, daß ich alles, alles erzählen muß. Die guten und die schlechten Sachen." Am folgenden Tag kam Dr. Derid auf die Frage noch einmal zu sprechen: „Dr. Derid: ...Zu Hause mußte ich noch einmal darüber nachdenken - ich habe nicht sehr gut geantwortet - ich muß meine Antwort noch ergänzen. Ich habe nicht sehr oft darüber gesprochen, und wenn, dann nur sehr kurz. Ich wollte erzählen, aber nur solchen Menschen, denen es nützlich ist. Meinen Freunden war es ganz egal, sie wuchsen in guten Verhältnissen auf. Sie mußten nicht

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ins Ausland. Sie hätten sich fragen müßen:, Warum erzählt er uns das, will er uns beeindrucken, seine Probleme loswerden?' Das ist nur meine Angelegenheit. Auch mit den Kindern ist es so. Ich wäre offen gewesen, fragt mich und ich erzähle euch. Aber wenn ich zu erzählen begann, zeigten sie kaum Interesse. So ließ ich es bleiben. Auf russisch sagt man: Man macht sich mit der Axt aufder Nase eine kleine Kerbe. Das heißt, so etwas merkt man sich, man macht es nicht noch einmal. Schweigen ist besser. Es ist genug. Und falls sie noch einmalfragen sollten, dann denkt man an seine Kerbe und will nicht mehr. Karl Fallend: Eben und deshalb ist mir eingefallen, wie es mit Ihrer Frau war? Dr. Derid: Sie war auch nicht sehr interessiert daran. Sie versteht, daß dies für mich sehr tragisch ist, aber sie will das nicht hören. ,Laß es ruhen, es ist schon lange vorbei, vergiß es.' So entstand meine zweite Kerbe. Durch die sprichwörtlich „vernarbte Nase" wußte ich Dr. Derids Gesprächsbereitschaft zu schätzen, und das von ihm gewählte Setting, die ungestörte Atmosphäre in einem neutralen Hotelzimmer, bekam durch dieses gegebene Vertrauen einen intimen Charakter. Gleich zu Beginn unseres ersten Treffens - ich hatte ihn gebeten, mir Kopien seiner Korrespondenz um die Bestätigung seiner Zeit als Zwangsarbeiter zur Verfügung zu stellen war eine derartige Verwundung wieder aufgetreten. Mir wurde offensichtlich: An den „diskriminierenden Aspekten der Entschädigungspraxis" (Kestenberg, M., 1995) hatte sich nichts geändert. In den 1950er und 1960er Jahren war es die entwürdigende Gutachtertätigkeit deutscher Psychiater, die in einer Art psychologischer Hellseherei bei KZUberlebenden eine prozentaale verfolgungsbedingte Erwerbsbeschränkung zu diagnostizieren vorgaben und mit ihrem „Kleinkrieg" für Retraumatisierungen verantwortlich waren (vgl. Pross, 1988). Heute sind es bürokratische Spießrutenläufe um Belege für den Einsatz als Zwangs- oder gar Sklavenarbeiter, die als Beweise standzuhalten haben. Seit 1994 versucht Dr. Derid - seit er in der Presse zum ersten Mal von Entschädigungszahlungen vernahm - seinen Zwangsaufenthalt in Linz schwarz auf weiß zu belegen. Bisher vergeblich, und Dr. Derid hat inzwischen resigniert. Das Zentralarchiv des russischen föderalen Abwehrdienstes - ehemals KGB - wußte nichts126 und empfahl ihm, an die Meldestelle seines Geburtsortes Charkow zu schreiben. Das war ebenfalls vergeblich. Das Ministerium für Innere Angelegenheiten Moldawiens detto. Ein Schreiben des Roter-Stern-Orden-Zentralarchivs des Verteidigungsministeriums in Moskau (vom 5. Mai 1995; Nr. 3/77060) war dagegen schon informativer: „Soldat Derid wurde am ii.6.1945 einberufen und war zwischen 4.6.1942 und 5.5.1945 in Gefangenschaft."

126 Schreiben vom 12. Dezember 1994; Nr. 10/A-5395.

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„Dr. Derid: Und die sagten:, Gefangenschaft?! Kriegsgefangene bekommen keine Entschädigungszablungen. Das ist Gesetz.' ,Icb bin kein Kriegsgefangener gewesen, ich war doch zu jung für die Armee', sagte ich ihnen. ,Ich habe ja ein Armeedokument, das belegt, daß ich bei der sowjetischen Armee nach dem Krieg war. Bis zum Krieg war ich kein Soldat. Deshalb kann ich kein Kriegsgefangener sein. „Nichts zu machen" - so die Beamten. Dr. Derid schrieb zweimal dem Internationalen Suchdienst in Arolsen - keine Antwort. Und schließlich: ein Brief nach Linz, der den Geschichte-Club V O E S T erreichte. Dem Leiter des Clubs, Ing. Helmuth Gröbl, gelang es, eine Bestätigung der Sozialversicherung ausheben zu lassen, worin verzeichnet war, „Oledij Derid arbeitete vom 1.8.1942 bis 5.5.1945 in den Eisenwerken Oberdonau." „Dr. Derid: Und mit seinem Brief bin ich geradewegs zum Sozialversicherungsamt gegangen, die wollten zuerst einmal eine Übersetzung. Gut, ich machte eine Übersetzung. ,Aha, das ist eine Bestätigung der dortigen Sozialversicherung, dann sind Sie also freiwillig dort gewesen?1 Ich wunderte mich ja auch, da werde ich in ein Lager verschleppt zur Zwangsarbeit, und dann bin ich versichert? Deshalb dachte ich auch, daß diese Bestätigungfalsch ist. So sagten sie mir auch am Amt:, Wir wissen nicht, ob sie dort freiwillig oder verschleppt, deportiert in Linz waren.' (...) Das war es. Ich habe wirklich sehr schlecht geschlafen. Viele Nächte habe ich nicht geschlafen. Wie lange wird das noch dauern? Eine Absage nach der anderen. Wohin soll ich noch schreiben? An Gott?! Jetzt dachte ich mir - wie eine Selbsthypnose -, ich muß doch schlafen, ich muß arbeiten - und erklärte mir selber: Das Dokument aus Linz ist falsch. Also habe ich auch kein Recht auf eine Bezahlung. Ich habe kein echtes Dokument. Kein einziges. Ich wußte nicht, daß das Dokument aus Linz richtig ist. Also vertrieb ich mir die Gedanken aus dem Kopf erst dann konnte ich wieder schlafen. So vergingen mehrere Jahre." Die Bestätigung der Linzer Sozialversicherung verschaffte Dr. Derid noch eine 50-%Ermäßigung der Stromrechnung (= 15 Lei). Für die 72 Lei Zusatzrente, die anderen Opfern des Nationalsozialismus in Moldawien zusteht, kam sie zu spät. Die Einreichfrist war 1997 abgelaufen. Die Verzweiflung war Dr. Derid ins Gesicht geschrieben. Es war ihm ein Bedürfnis, diese Odyssee einmal loszuwerden und mir sie hier ausfuhrlich zu dokumentieren. Die obszön-penible NS-Bürokratie, entrechtete und hungernde Zwangsarbeiterinnen bei der Sozialversicherungsanstalt anzumelden, ist ihm schwer nachvollziehbar, wie es damals den Betroffenen nicht nachvollziehbar war. Auch dem 16jährigen Oledij Derid, der nach einer behüteten Kindheit zuerst den stalinistischen und wenige Jahre später den nazistischen Terror erfahren mußte, schließlich auf sich allein gestellt als Zwangsarbeiter in den Linzer Eisenwerken landete. Oledij Derid war ein Außenseiter und im Vergleich zu allen anderen Gesprächspartnerinnen

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eine Ausnahme, die zumeist aus sehr ärmlichen und einfachen Verhältnissen stammten. Dr. Derids Eltern - beide Jahrgang 1899 - waren Intellektuelle und von gehobener sozialer Herkunft. Der Vater war Ukrainer, die Mutter Russin. Der Vater von Peter Derid war ein Großbauer in Poltawer Gebiet. Der Vater der Mutter Sinaida war Leiter eines Arbeiterkollektivs, das Dome errichtete und der seine sieben Kinder studieren lassen konnte. Sinaida studierte Architektur in Poltawa, wo sie den Kommilitonen Peter Derid kennenlernte und heiratete, der jedoch nach drei Jahren das Studium abbrach, um seiner Leidenschaft als Schriftsteller nachzugehen. Am 2. August 1925 wird ihr einziges Kind Oledij geboren. Die Namensgebimg ist wie so oft auch ein Vermächtnis. Hier im besonderen, weil eine liebevoll gemeinsame Erfindung des Ehepaares. Oleg - nach einem berühmten Gedicht von Puschkin - forderte die Mutter. Dij - nach einer Sage von Homer - ergänzte der Vater zum literaturhistorischen Kompromiß: „Oledij", womit sie sich allein hiermit gegen die einst herrschende Polit-Euphorie stellten, die sich nicht selten zu jener Zeit in Vornamen wie etwa Oktobrina oder Revolutia äußerte.127 Oledij Derid verbrachte eine glückliche Kindheit in Charkow, der ehemaligen Hauptstadt der Ukraine. Als Einzelkind - eine Schwester verstarb im Alter von zwei Jahren genoß er klassischen Musikunterricht, und der Sommerurlaub führte die Familie gar ans Schwarze Meer. Die Mutter arbeitete als Architektin, der Vater als Lehrer für Ukrainisch, als Schriftsteller und Ubersetzer - auch aus dem Deutschen, was dem Knaben nicht verborgen blieb, ihm später große Hilfe leisten, aber auch zum Verhängnis werden sollte. Der Vater „hatte deutsche Bücher und deutsche Lehrbücher mit schönen Zeichnungen. Noch heute kann ich mich daran erinnern - eine Zeichnung und daneben das deutsche Wort: Schmied, Zange usw. Einige Worte, aber sehr wenig." Konkrete Erinnerungen an den Vater sind spärlich, die emotionale Intensität der Verbindung war im Gespräch um so deutlicher. Peter Derid schrieb Romane, Erzählungen die dem Sohn nicht mehr bekannt sind - , übersetzte Klassiker in die ukrainische Sprache und war aktiv im ukrainischen Schriftstellerverband tätig. Die reale Bedrohung des Vaters mag der 12 jährige nicht ganz verstanden, aber massiv gespürt haben. Die gesamte ukrainische Intelligentsia - Charkow war das kulturelle Zentrum - fiel den stalinistischen „Säuberungen" zum Opfer, und ihre Werke blieben noch nach Jahrzehnten tabuisiert. Sie „finden sich heute auf der langen Liste der .erschossenen Renaissance'. Fast alle waren

127 Der Wunsch der Mutter sollte sich über Generationen als nachhaltiger erweisen: „Dr. Derid: In der wissenschaftlichen Pädagogik gibt es doch eine Erkenntnis, daß vor allem im Detail das Merkbare liegt. Wenn Sie etwa einen zu großen Ring haben, so wird der Name nebensächlich und der zu große King bleibt im Gedächtnis. Bei mir war es so, daß der ungewöhnliche Name hängenblieb. Oledij. Später habe ich mir gedacht mein Vater nannte mich Oledij - also sollen es meine Studenten auch -wissen und alle nennen mich Oledij. Aber meine Frau sagt kategorisch Oleg. ,Du hast dich mir als Oleg vorgestellt, also bleibst du für mich der Oleg.1 Als mein Enkel geboren wurde — auch meine Schwiegertochter nennt mich heute noch Oleg -, nannten sie ihren Sohn auch Oleg."

Dr. Oledij Petrowitsch Derid

Peter und Sinaida Derid

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Oledij P. Derid (Hermann-Göring-Werke Ausweisfoto 1942)

sie überzeugte Sozialisten und strebten die Höherentwicklung der ukrainischen Kultur innerhalb der Sowjetunion an" (Lüdemann, 1995,118). So verschwanden die Eltern von Freunden, Nachbarn aus den Nebenwohnungen spurlos von einem Tag auf den anderen, und der Vater flüchtete aufe Land nach Merefa ca. 40 Kilometer von Charkow entfernt - , um dort in Sicherheit verborgen als Lehrer zu arbeiten. Er starb im Winter 1937/38 im Alter von 38 Jahren an Diabetes. „Dr. Derid: Meine Mutter hatte es sehr schwer. In sowjetischen Zeiten war dafür (für die Arbeit als Architektin; K F.) kein großer Lohn zu erhalten. 1940 bin ich in eine Facharbeitsschule gegangen, um Elektroschlosser zu lernen. Dort gab es Anzug, Schuhe, Mantel und Verpflegung. Das war der Grund, warum ich in diese Schule ging. Dort war ich bis Kriegsbeginn. Im Oktober kamen die deutschen Truppen. Dabeifielensehr wenige Schüsse. Gleich am nächsten Tagfuhr ein LKW mit einem Lautsprecher durch die Straßen und verkündete:,Morgen ist eine Versammlung auf dem großen Platz. Dort werden sie sehr wichtige Meldungen erfahren.' Am nächsten Tag war der Platz voll mit Menschen der einheimischen Bevölkerung. Am großen Gebäude des Zentralkomitees der kommunistischen Partei der Ukraine führten sie einen Mann mit einem Schild auf dem Balkon, aufdem geschrieben stand:,Partisan'. Und zwei Männer der Feldpolizei führten ihn mit einer Schlinge um den Hals, während er schrie: ,Ich bin unschuldig! Ich bin unschuldig!1 Aber sie erhängten ihn auf dem Balkon. Danach sagten sie: Jeder, der gegen die deutschen Truppen Widerstand leistet, den wird das germanische Schwert genauso streng bestrafen!' Der ganze Platz stöhnte auf, und die Leute verschwanden ganz langsam davon. Sie waren geschockt. Es herrschte großer Hunger.

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Karl Fallend: Wann war das? Dr. Derid: Gleich am folgenden Tag des Einmarsches der deutschen Truppen. Es herrschte großer Hunger. Meine Mutter hatte keine Arbeit. Sie arbeitete dann als Putzfrau in einem großen Gebäude, in dem Arbeiter wohnten, die deutsche Maschinen zu reparieren hatten. Und dafür bekam siejeden Tag eine Schüssel Speise. Das war sehr wenig. Viele Leute standen den ganzen Tag in der Reihe, um einen Ausweis zu erhalten, um die Stadt verlassen zu dürfen. In den Dörfern auf dem Lande gab es ausreichend zu Essen, und die Leute dort teilten mitjedem ihre Speisen. Als ich das erfuhr, sagte ich zur Mutter - ich gehe aufs Land. Mein Vater ist in einem Dorf des Poltawer Gebietes geboren. Ich gehe in das Heimatdorfmeines Vaters. Ich war schon sehr abgemagert. So ging ich von einem Dorf zum anderen, übernachtete hier und dort. In jedem Dorfwaren viele Menschen unterwegs, die keinen Ausweis besaßen. Auch ich hatte keinen. Ich besaß nur einen Paß, der vom Bürgermeister gestempelt war. Das war mein einziges Dokument. Mit diesem konnte ich aber nicht zurück in die Stadt gehen. Dies ging nur mit dem speziellen Ausweis. In jedem Dorf existierte eine Hütte, in der lauter solche Leute wie ich übernachteten. Flüchtlinge aus Kriegsgefangenenlagern - alle ohne Ausweis. Und am Tag marschierten sie weiter. Nach West oder Ost. In einem Dotf namens Resetilivka kamen deutsche Offiziere, die uns befahlen, bei der Straßenreparatur zu arbeiten. Es ging um die Straße Poltawa - Charkow. Es war schon Frühling 1942, und die erdigen Straßen waren durch den Schnee und den Regen nur mehr Dreck. Alle in diesen Hütten mußten hier arbeiten, um die Straßen zu reparieren. Längs der Straße standen Soldaten mit Gewehr zur Bewachung aufgestellt. Meinen Paß hatten sie weggenommen. So konnte ich nicht verschwinden. Eines Tages kamen weitere Gruppen aus anderen Dörfern, und so waren wir schon eine ganze Kolonne. Wenig später wurden wir einer deutschen ärztlichen Kommission vorgeführt. Ganz schnell wurden wir quasi untersucht:,Hinsetzen! Aufstehen! Hände vor! Hände zur Seite! Eine Faust machend Und schon war der nächste an der Reihe. Und so mußten wir die ganze Kolonne zu Fuß nach Poltawa marschieren. In Poltawa stand schon ein Zug mit Viehwaggons bereit. Und mit diesem Zug ging es nach Deutschland, geradewegs nach Linz. Nur eine Haltestelle war in einer polnischen Schule zwecks Übernachtung. Ich weiß nicht mehr, wo das war. In dieser polnischen Stadt war ein dicker, großer Mann mit Parteiabzeichen, den ich später in den Hermann-Göring-Werken wiedererkannte. Er war schon dort in der polnischen Stadt und begleitete unseren Zug. Dieser Zug fuhr direkt zu den Hermann-Göring-Werken nach Linz. Dort war gleich ein Lager, wo wir verteilt wurden. Eine Gruppe nach links, aridere Gruppe nach rechts usw. Ich glaube, unsere Gruppe bestand aus Facharbeitern, die aufgeschrieben wurden. Weil ich habe gesagt, ich sei Elektroschlosser. Ein Jahr habe ich ja gelernt in dieser Facharbeitsschule. Das notierten sie und nahmen mich in die Eisenwerke Oberdonau. Dort war Quarantäne in diesem nicht sehr großen Lager. Vielleicht 200-300 Mann. Die Baracken standen unmittelbar neben unserer Abteilung Bau II. Nicht weit davon standen die Hochöfen. Es waren vielleicht 200 oder 500 Meter zu unserer Arbeit. Also es war sehr nahe. Dort war

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noch eine Kommission. Keine ärztliche. Die bestand aus Führungskräften. Die jungen Männer, so wie ich, bildeten eine Gruppe aus ca. 30 Mann. Wir mußten zur Seite, und uns wurde gesagt, daß wir in eine Arbeitsschule zur Umschulung gehen müßten. Diese Schule befand sich im Stadtzentrum.'18 Wir etwa 30 junge Männer Karl Fallend: Wie alt waren sie? Dr. Derid: Ich war 16. Ich denke, die anderen so wie ich, vielleicht 17-, 18- auch 20jährige. Nicht älter. Karl Fallend: Alle aus der Ukraine? Dr. Derid: Alle aus der Ukraine, aber auch Russen, Weißrußland und andere Völker. Weil die Männerflüchtetenvor der deutschen Wehrmacht gegen Osten. Aber die Deutschen waren schneller undfingensie ein. Es waren auch ehemalige Soldaten darunter, 19 Jahre, 20 Jahre alt, die geflüchtet waren aus ukrainischen Konzentrationslagern, wo viele Leute gestorben sind. Dort war es sehr schlecht. Es kam auch vor, daß eine Frau herumlief und ihren Mann suchte. So gab es viele Männer, die sie baten, doch sie als ihren Mann auszugeben. Sie suchte ihren Mann vergebens, und so sagte sie dem deutschen Offizier, daß dieser oderjener ihr Mann sei, der dann freigelassen wurde. Dieser ehemalige Soldat und Kriegsgefangene konnte nun machen, was er wollte, weil er doch für die Frau von keinem Nutzen war. So ging er weiter und landete schließlich auch in Linz. Solche Männer habe ich einige getroffen in unserer Umschulungsgruppe. Karl Fallend: Aber Sie waren derjüngste? Dr. Derid: Ich denke, ja. Es waren gleichaltrige, aber auch 17-, 18jährige, aber sie sahen so aus wie ich. Das waren die meisten. In diese Schule gingen wirjeden Morgen in Kolonne vom Werkschutz begleitet. Das waren auchjunge Männer. Einer sagte immer:, Singen! Singen!' Und wir sangen russische, sowjetische patriotische Lieder, Kriegslieder, aber niemand hat es verstanden. Uber Stalin, über Sieg usw. In dieser Schule waren alte Österreicher, gute Meister. Es waren sehr gute Beziehungen zu ihnen. In dieser Schule waren auch junge Österreicher. Der Meister hatte mich neben einen jungen Österreicher zur Drehbank gestellt, der vielleicht 15 Jahre alt war, nicht mehr. Auf dieser Drehbank lernten wir zusammen, vielleicht zwei Wo128 Die Personalakten präzisieren die Angaben Dr. Derids: „Eintrittsdatum: 10. Juni 1942. Eisenwerke Oberdonau. Die Einstellung konnte als ,Umschulung Franckstraße' erfolgen. Unterbetrieb: B.W. Schweißerei I." Quelle: Historisches Archiv der VOEST ALPINE AG, Linz.

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chen. Die Unterrichtsstunden waren in deutscher Sprache. Das war erstaunlich. Unsere Lehrerin war eine Volksdeutsche aus Rußland, ich denke, sie war in Rußland bis zur Revolution. Sie war schon lange in Osterreich. (...) Und nach etwa drei Monaten sagten sie uns, daß es genug sei, und es Zeit sei ins Werk arbeiten zu gehen. Als wir ins Werk arbeiten gingen, war ich nicht nurjung, ich war klein und schwach - so sagte der Meister zu mir: ,Du wirst putzen! Elektrodenstümmel sammeln!i Die Elektroden sind aus rostfreiem Stahl, das war kein billiger Stahl. Undjeden Stümmel mußte ich in einer speziellen Kiste sammeln. Das war meine Arbeit. Aber neben mir arbeiteten Elektroschweißer, die älter als ich waren und schon in den wenigen Monaten die Schweißerei beherrschten. Undjede Woche bekamen sie die sogenannte Schwerarbeiterzulage. Das war ein Laib Brot, ein Päckchen Margarine und ein großes Stückl Wurst. Verstehen Sie? Das habe ich mirjede Woche angesehen. Wir waren doch alle hungrig. Das Essen war sehr wenig. Wir waren stets hungrig. So ging ich zum Meister: Ich will auch ein Elektroschweißer sein. Ich warja schon 17. Am 2. August hatte ich meinen IJ. Geburtstag, gleich nachdem ich die Schule beendet hatte. Wir arbeiteten zwölf Stunden pro Tag. Eine Woche Tagschicht und eine Woche Nachtschicht. Sonntag warfrei. Da blieben wir im Lager - waschen, Wäsche waschen, erholen. Es gab zwei Pausen. Eine Pause 15 Minuten, für alle. Für Deutsche, Franzosen, für alle in der Abteilung. Es heulte eine Sirene, und alle begannen zu essen. Deutsche, Franzosen, Griechen - und wir hatten nichts. Am Morgen bekamen wir ein Viertel, 250 Gramm Brotfür den ganzen Tag. Fast alle aßen dieses Brot unmittelbar nach der Ausgabe. Dazu gab es Ersatzkaffee. Den ganzen Tag zur Arbeit gab es nichts. Die zweite Pause war zu Mittag. oder Minuten, ich weiß es nicht mehr genau. Zusammen war es vielleicht eine Stunde. Und der Meister war einverstanden mit meinem Anliegen. So gab es noch eine Schulung in der Abteilung. Ein großes Gebäude mit Schweißerei, Dreherei, Nieterei, und an der Wand befanden sich offene Kabinen mit Brettern eingegrenzt. Dort lernten wir das Schweißen - eine Naht, noch eine Naht, noch eine Naht, die gerade sein mußte. Stets vom Meister kontrolliert. Nach zwei Wochen war ich Elektroschweißer. Und am nächsten Samstag bekam ich auch die Schwerarbeiterzulage, aber: schon ohne Wurst. So habe ich bis zum Kriegsende keine österreichische Wurst gesehen.11 Dr. Derid war seiner Mutter nie wieder begegnet. Nicht unwahrscheinlich, daß sie in der abgeriegelten Stadt Charkow unter den Zigtausenden war, die der Hungerpolitik der nationalsozialistischen Besatzer zum Opfer fielen. Niemand, auch nicht die nächsten Verwandten, konnten ihm nach dem Krieg über ihr Schicksal erzählen. Schon in Linz hatte er kaum Hoffnungen auf ein Wiedersehen, wie sollte auch ein ausgehungerter iöjähriger Junge das Ende eines siegestrunkenen „Tausendjährigen Reiches" überblicken, in dem er nun rechdos, mit dem „OST"-Zeichen markiert, Schwerarbeit zu leisten hatte?

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Oledij Derid war allein. Selbst unter den kollektiv zu „Untermenschen" degradierten Lager- und Barackenkameraden sorgte seine soziale Herkunft für Distanzierung. Kein einziger Name blieb ihm in immittelbarer Erinnerung. „Ich war aus einer Lehrer- und Architektenfamilie. Sie -waren -fast alle - aus Dörfern. Und zwischen uns war - " Eine Distanz. In der Barackenstube wurde um Geld oder Essensmarken Karten gespielt, ,17 und 4'. „Nach zwölf Stunden Arbeit war ich müde. Ich legte mich schlafen oder ich spazierte zwischen den Baracken. Ich war nicht sehr kontaktfreudig. Ich war sehr viel allein und dachte nach. Ich hatte keinen guten Freund." Aber er wollte natürlich dazugehören, den Schutz der Landsleute genießen, unter den Erwachsenen seinen Mann stellen. Und so kam es zur einzig sichtbaren und lebenslänglichen Erinnerung, die namentlich auf den verlorenen Vater verweist: „Dr. Derid:... Sie haben mir diese Tätowierung auf der Hand gemacht. Karl Fallend: Was ist das? Ein Schiff? Dr. Derid: Ja, ein Schiff. Ich war ein Dummkopf. Sie machten sich selber Tätowierungen am ganzen Körper. Ich habe ja nur diese kleine. Sie überredeten mich mehrmals: ,Komm, das wird schön.' - ,Nein, ich will nicht!' - , Was, du willst keiner von uns sein?!1 Und dann habe ich mir diese kleine machen lassen. ,Siehst du, das ist schön. Machen wir noch welche auf der Brust und hier' Es gab keine Freundschaft zwischen uns. Keine Freundschaft. (...)

Karl Fallend: Herr Dr. Derid, warum haben Sie sich ein Schifffür die Tätowierung gewählt? Dr. Derid: Das ist eine gute Frage. Zuerst hatten sie nämlich zwei Buchstaben geschrieben. D.D. Haben Sie einen Bleistift und Papier?

A.

Das waren zwei Buchstaben. Russische Buchstaben zwei D.

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Karl Fallend: Für was steht das? Dr. Derid: D wie Derid. Und das zweite D für Dij. (...) Und später ärgerte ich mich, warum habe ich mir das auf den Körper stempeln lassen, wer ich bin. So ließ ich mir aus diesen zwei D ein Schiff machen, mit zwei Schornsteinen und zwei Masten. Karl Fallend: Was hatten Sie gegen die zwei D? Dr. Derid: Irgendwer hat mir gesagt, daß dies schlecht sei. Er und auch einige andere waren Kriminelle, und sie sagten, daß ich vielleicht einmal zur Polizei kommen werde und du kannst nicht lügen, wer du bist. So wissen doch alle, wer du bist. Zwei D waren doch mit zwei Punkten. Also Initialen. Wir machen dir ein Schiff, und es ist wieder in Ordnung. Heute ist das ganz schlecht, eigentlich für das ganze Leben. Wenn ich mit dem Trolleibusfahre, verdecke ich meine Hand, weil ich mich dafür schäme. Das haben doch nur Kriminelle oder nicht erwachsene Menschen. Ich war auch nicht erwachsen - ich war 16, es war in den ersten Monaten. Ich war doch Mitglied des wissenschaftlichen Rats. Jede Hochschule hier hatte ihren wissenschaftlichen Rat. Und ich war Mitglied dieses Rats, Leiter eines Lehrstuhls, und wissenschaftlicher Sekretär - das ist die rechte Hand des Rektors. Ich war ganz oben, nur mehr der Rektor über mir. Und mit solch einer Tätowierung - das war schon schlecht. Aber was soll ich machen Uber den Lager- und Arbeitsalltag vermochte Dr. Derid nur wenig zu erzählen. Was, bzw. wie sollte er auch nach mehr als fünfzig Jahren die schwere körperliche und eintönige Arbeit in Worte fassen? Nur in der Durchbrechung der Eintönigkeit lag auch Erzählenswertes, seien es unvorhergesehene Attraktionen, ästhetische Entdeckungen, erstaunliche Freiräume oder nicht zu erwartende humane Gesten, die in der Erinnerung haftenblieben. Erinnerungen, die zeitweise noch die Perspektive des 17jährigen trugen und gar Rudimente österreichischer Alltagssprache zutage förderten („nix mehr, hamma net do"), die auch durch die Klangfarben und dialektförmigen Einsprengsel meiner Wortmeldungen provoziert wurden. Und über allem herrschte der Hunger. Noch aktuell wußte Dr. Derid das lebenswichtige ,Brot' auf deutsch, französisch, italienisch, spanisch, griechisch etc. - in damals notwendig vielen Sprachen zu nennen, während ihm der Lagerfiihrer aus dem Gedächtnis verschwand - keiner Erinnerung wert war: „Dr. Derid: Ich glaube, es war ein Österreicher. Ein guter Mann. Ohne Uniform. Er organisierte Konzerte mit russischen und deutschen Schauspielern. Szenen wurden im Speisesaal des Lagers gespielt. Auf der einen Seite war das Fenster der Küche, die Speiseausgabe, und auf der anderen

Dr. Oledij Petrowitsch Derid

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Seite war ein Podium. Es war auch ein Maler im Lager, der die Dekorationen flir das Theater •malte. Auch Utensilien waren für die dramatischen Szenen vorhanden. Karl Fallend: Woher kamen die Schauspieler? Dr. Derid: Das waren Gruppen aus Rußland, die durch die deutschen Lager reisten. Sie kamen, spielten, sangen und fuhren wieder weiter. Es waren kaukasische Ensembles mit Tanz und Gesang. Es gab auch österreichische Gruppen mit komischen Szenen, aber niemand hatte verstanden, was sie spielten. Es wurde sehr schnell gesprochen, so war es sehr schwer zu verstehen. Aber es war interessant. Am Ende dieses Tages, als ich da als Schreiber dieser Krankheiten beschäftigt war, bekamen wir ein großes Stück Brot, Margarine und Konfitüre. Das war sehr angenehm. Schlecht war diese Schüssel mit dieser dicken Suppe. Das Viertel Brot und Ersatzkaffee zum Frühstück. Die Suppe war einfach zu wenig. Wir waren hungrig. Darum waren im Speisesaal immer eine Menge von Leuten, die auf Reste warteten. Um diese Zulage entstand immer ein Kampf Das war schrecklich. Der Koch war ein Tscheche. Er konnte sich das nicht mehr anschauen und nahm einen Stock und schlug auf die Menschen ein. Ich war sehr verdrossen und ging nicht um diese Zulage. So war ich stets hungrig. (...) Meine Kameraden waren sehr oft in Linz im Zentrum. Ich war nicht sehr oft. Karl Fallend: Warum ? Dr. Derid: Ich weiß nicht. Ich erholte mich im Lager. Ich war nicht so oft wie andere. Die anderen waren auch sehr oft in den Gaststätten. Ich war dort zweimal. Nur zweimal. Das gefiel mir sehr. Es war Schönheit. Es waren die schönsten alten Sachen. Patina, das ist schön. Auch für Holzsachen - wenn du siehst, das sind alte Sachen, aber in Ordnung, das ist schön - und so war es in diesem Gasthaus. Alte Architektur. So wie in Wien, die alten Theater, das ist schöne Architektur. Solche gibt's in Odessa - das Wiener Operntheater und Odessa Operntheater. Der russische Zar hat diesen Architekten eingeladen, und er plante auch das Odessa Theater. Und mit Musik, das ist alles. Und sie waren in diesen Gaststätten und erzählten, daß sie beim Kellner Kartoffelsalat ohne Karten, nur mit Geld, bestellten. Der Preis war sehr niedrig. Ich hatte das niemals gemacht. Karl Fallend: Warum nicht? Dr. Derid: Warum? Ich schämte mich, den Kellner zu rufen, verstehen Sie? Ich warjung, ich war aus Rußland, dieses OST-Schild auf der Brust, verstehen Sie? In einem anderen Land (...)

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Es war erstaunlich, erstaunlich. Ich habe doch gesagt, daß in der Sowjetunion die Kinder 12, 14 Stunden arbeiten mußten, wenige Stunden Schlaf neben der Drehbank. Aufwecken und sofort arbeiten. Und ich hatte drei Tage Urlaub, und das mitten im Krieg. Es muß 1943 gewesen sein. Vielleicht am 1. August, ein Jahr nach meinem Antritt.129 Der Meister sagte mir: ,Du hast jetzt drei Tage Urlaub\ und mit dem Sonntag waren es vier Tage. Und diese vier Jahre Karl Fallend: Das waren Jahre für Sie Dr. Derid:-ja, ja, Tage, spazierte ich durch die Straßen von Linz. Zentrum, Kleinmünchen bei Linz mit den schönsten kleinen Gebäuden, enge kleine Straßen - alles war klein, habe ich heute das Gefühl. Schweigend bin ich diese vier Tage herumspaziert. Das war gut. Guat - das ist österreichisch. Deutsch ist gut. Des war sea guat! Karl Fallend: Kamen Sie in Kontakt mit der Bevölkerung? Dr. Derid: Nein, auch bei den Spaziergängen nicht. Mit der Aufechrifi OST, verstehen Sie mich, das ist feindliches Land. Ich machte keinen Unterschied zwischen Deutschen und Österreichern. Das war eine Einheit. Wir sind Untermenschen, sie sind die Herrenmenschen. Das war nicht angenehm. Darum gab es keinen Kontakt. Auf dem Arbeitsplatz gab es Kontakte. Zum Beispiel mit einem alten, sehr guten Mann. Das war der einzige, der mich mit ,Servasi begrüßte. Er putzte auch und mußte auch mit mir Elektrodenstümmel aufsammeln. Einmalführte er mich in die Werkskantine, wo ich selber noch nie gewesen war. Ersetzte mich an einen Tisch und holte ein Essen für mich. Dafür habe ich mich sehr bedankt bei ihm." Es war nicht nur Scheu und Zurückhaltung, die den jungen Oledij Derid hinderten, Kontakte aufzunehmen, Grenzen auszuloten, die geforderten Verhaltensmaßregeln ein wenig zu unterlaufen. Am 2. August 1943 hatte er seinen 18. Geburtstag begangen, war jedoch auf Grund des kurz zuvor Erlebten ein anderer Mensch geworden. Des öfteren kehrte Dr. Derid im Verlaufe unserer Gespräche zu diesen Erlebnissen zurück, die in ihrer Gesamtheit nur wenige Wochen andauerten, jedoch sein ganzes Leben prägen sollten. Sein Fluchtversuch und die anschließende Haft in einem Arbeitserziehungslager in Linz. Die diesbezüglichen Erzählsequenzen verteilten sich über die drei Tage unserer Zusammenkunft. In einem Stück waren sie nicht wiederzugeben. Das sukzessive Eintauchen in die damalige Erlebniswelt war gleichsam die Reaktivierung einer Extremtrau-

129 Oledij Derid konnte erst ein Jahr später einen einwöchigen Urlaub in Anspruch nehmen. In der Personalakte ist ein Gebührenurlaub vom 6. bis 11. März 1944 eingetragen.

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matisierang, und ich hatte während unserer Zusammenkunft das erste Mal das Gefühl, Grenzen der Erträglichkeit überschritten zu haben. Die emotionale Begleitung der erregten Schilderung war weit außerhalb einer herkömmlichen Erzählweise über eine Vergangenheit, die mehr als fünfzig Jahre zurücklag. Die Nachhaltigkeit von Emotionen folgen keiner metrischen Chronologie. Und so kam es, daß Dr. Derid bei folgenden Erzählungen - szenisch gebunden - konservierte Affekte zum Durchbruch kamen, die die Vergangenheit hypermnestisch ein Stück weit zur Gegenwart werden ließ. Es begann alles eigentlich ganz spontan. Oledij Derid war einigen seiner Landsleute wegen seiner deutschen Sprachkenntnisse aufgefallen, da er einmal vom Lagerführer kurzzeitig als Dolmetscher eingesetzt worden war. Ein großer, kräftiger Mann - erzählte Dr. Derid - trat plötzlich auf ihn zu und sagte: ,„Wir wollen mit dir reden'. Wir setzten uns auf eine Bank fern der Baracken. ,Du gefällst uns. Wir müssen unserer Heimat helfen, wir müssen nach Hause zurückkehren. Wie denkst du?' Ich sagte ihnen, daß ich einverstanden sei. ,Sehr gut, wir haben alles vorbereitet.'" Oledij Derid war als letzter einer siebenköpfigen Gruppe - darunter ein gleichaltriges Mädchen - angesprochen worden, sich an der Flucht zu beteiligen. Niemand von ihnen hatte er zuvor gekannt. Kein Name von ihnen erhielt sich in seinem Gedächtnis. Ende Mai 1943 wagten sie den Fluchtversuch. Es war Abend, als die Gruppe wegmarschierte. Ihr Anführer hatte eine Landkarte, einen Kompaß und sogar Nahrungsmittel und Konserven organisiert. Dr. Derid erzählte von der Flucht mit mancher Detailgenauigkeit, als wäre sie kürzlich geschehen: „Dr. Derid: Die ganze Nacht sind wir mit dem Kompaß marschiert. Es war kein Licht, und wir verirrten uns in einem Wald. Eigentlich sind wir im Kreis gegangen. Als es Tag wurde, kamen wir überhaupt nicht mehr vorwärts. Im Wald konnten wir uns noch verstecken. Aber auf den Feldern? Einmal sahen wir ein großes Haus, als der große Anführer sagte:, Wir werden einzeln, nacheinander an diesem Haus vorbeigehen.' Ich war als erster ausgewählt. Wir trugen österreichische Anzüge, Arbeitsanzüge - im Lager bekamen wir österreichische, alte Anzüge von der Bevölkerung, alte Anzüge, die gut geflickt waren. Es waren alte, gute, saubere Anzüge. Auch Hemden, Hosen, Röcke. Mit Lappen, aber schön geflickt. Natürlich hatten wir den Aufnäher OST entfernt. Also am Morgen war ich der erste, der in Richtung des Hauses ging und mich dann in dem anliegenden Wald verschanzte. Nach mirfolgte diejunge Frau. Wir beide warteten dort aufdie anderen. Eine Stunde, zwei Stunden - nichts. Sie waren alle verschwunden. Später, als ich im sogenannten Arbeitserziehungslager war — das war schlimmer alsjedes Konzentrationslager -, nach diesem Lager kam ich wieder zurück ins Werklager. Dort sah ich alle Männer wieder. Sie alle sind nach dieser ersten Nacht wieder zurückgekehrt. Für sie war damit alles wieder in Ordnung. Also ich ging dann mit dieser Frau allein. Es war auch so, daß ich zu diesem Zeitpunkt den Kompaß und die Karte bei mir trug. So gingen wir weiter - ohne Angst. Was sein wird, wird

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sein. Ich war jung, sie war jung. Wer konnte schon sagen, wer wir sind? So gingen wir den ganzen Tag. Aber in der Nacht? Wo sollen wir übernachten? Karl Fallend: Wann war das? Dr. Derid: Es war Ende Mai. Es war schon warm. So übernachteten wir im Wald unter den Bäumen. Aber es war schon schwer. Wir hatten nichts zu trinken. Einmal trafen wir eine alte Frau mit einem Eimer Wasser. Ich sagte ihr: ,Ich habe Durst.' Ich wußte nicht, wie sie reagieren wird. Sie sagte: ,Durscht haben Sie?' ,Ja,ja', und wir tranken. Sie gab uns auch zu essen, und wir verabschiedeten uns. Es ging so einfach. Aber die nächste Nacht, es regnete, wo sollen wir übernachten? Ich entdeckte eine Hütte, wo daraufstand: Dorfpolizei. Ich klopfte an, ein Bauer öffnete die Tür, mit ihm war ein Mädchen - ich dachte so: Ich habe einen Ausweis, meine Begleiterin hatte auch einen Ausweis. Ich zeigte ihm den Ausweis - es war Sonntag - und ich sagte:, Wir arbeiten in Nachtschicht, nächste Woche Nachtschicht, wir haben zur Zeit frei.' Er liest, Elektroschweißer, Eisenwerke Oberdonau, damit war alles in Ordnung.,Können wir hier nicht übernachten?' ,Ich habe keine Betten. Ein Haufen Stroh wird genügen.' So sitzen wir am runden Tisch mit diesem Fräulein, Abendessen. Alles war ganz einfach. In einer Ecke im Pferdestall konnten wir dann übernachten. Am nächsten Tag marschierten wir immer weiter. Aber wie weiter? Gehen wir doch zur Eisenbahnstation. Es war eine ganz kleine Eisenbahnstation. Kein Mensch war dort. Leer. - In Rußland, im Krieg, jede Station war voll mit Leuten. - Hier war es leer. Auf einmal sah ich - wie auf jeder Station - eine Landkarte über dem Fensterchen des Fahrkartenschalters, mit dem ganzen Eisenbahnnetz verzeichnet. Da habe ich mir alle Stationen aufgeschrieben. Der Zug fuhr ein, sofort lief ich zum Fahrkartenschalter und rief - daran werde ich mich mein ganzes Leben erinnern: ,Zwei bis Loosdorf! Loosdotfi', das war die erste Station, wohin wir mit dem Zug gefahren sind. ,Bis Loosdorf! Aber geschwind!' Und so ging es bis in die Nähe von Wien. Vor Wien hatte ich Angst. Eine große Stadt, großer Bahnhof, Polizei so sah ich eine Station kurz vor Wien, und bis dorthin habe ich unsere letzte Karte gekauft. Es war Abend. Wir stiegen aus. Rechts begann ein großer Wald - ich denke, das war der berühmte Wienerwald. (...) Wir entschieden uns, in diesem Wald zu übernachten. Aber längs der Straße war eine hohe Mauer. Wir suchten ein Loch neben der kleinen Brücke, aber das war mit einem Gitter abgeriegelt, so daß wir unter dieser Brücke noch einmal übernachteten. AmfrühenMorgen standen wir auf- solche Nächte waren schon sehr anstrengend. Zu Fuß sind wir dann nach Wien gegangen. Direkt aufden Bahnhof. Dort hatten wir schon Angst. Wir kauften Karten bis Drösing, das ist die letzte Station vor der Grenze zur Slowakei. Sofahrenwir bis nach Drösing und gingen in den Wald. Es waren noch hundert Meter, als ein Mann mit einem Fahrrad uns entgegenkam. , Wohin gehen Sie?' Ich antwortete: ,In den Wald und dann zurück.' So gingen wir in den Wald, es war Abend, stockdunkel, so daß wir nicht den Weg sahen. Auf einmal ein lautes Geräusch. Ein Wildschwein? Wir konnten nicht mehr weitergehen. Es war kein Weg mehr. So kehrten wir um

Dr. Oledij Petrowitsch Derid

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und übernachteten in einer Scheune. In dieser Nacht hatte ich viel nachgedacht - wie wird es weitergehen, in der Slowakei? Das ist ein fremdes Land, Polizei, ein hitlerfreundliches Land. Ich wußte auch, wie sie die Leute in der Sowjetunion erschossen hatten. Wo soll ich hinkommen, an die Front? Ich hatte ja nur einen deutschen Ausweis, sonst keine Papiere. Unsere Flucht war ein großer Fehler. Wir haben keine Chance. So fuhren wir wieder mit dem Zug nach Wien. Auf dem Wiener Bahnhof sagte ich zu dem Mädchen: ,Fahr zurück nach Linz in das Lager. Es sind nur einige Tage vergangen, sag, du warst im Wald spazieren und hast dich verirrt' usw. Karl Fallend: Und Sie? Dr. Derid: Ich ging in das Stadtzentrum. Ich hatte noch etwas Geld und ging in den Prater." Es war bald offensichtlich: Die Entbehrungen und Not trübten den Realitätssinn und führten zu diesem verzweifelten und von vornherein zum Scheitern verurteilten Fluchtversuch. Den älteren der Gruppe - insbesondere dem „großen Anfuhrer" - war die Ausweglosigkeit des Unterfangens bald klargeworden, und sie überließen die beiden Jüngsten ihrem Schicksal. In der Nähe der Grenze wurde auch ihnen offensichtlich, daß kein Weg sie in Sicherheit oder gar nach Harne führte. Ihre Wege trennten sich. Oledij Derid wollte einen Tag in Wien verbringen, ohne zu ahnen, welche Konsequenzen dies nach sich zog. Dr. Derids Schilderung dieses einen Tages machte in Wort und Klang deutlich, wie sehr die Entbehrungen dem 17jährigen zu schaffen machten, die er an diesem einem Tag in vollen Zügen mit Augen und Ohren zu kompensieren trachtete. Oledij Derid mischte sich unter das bunte Treiben, nahm Geräusche und Gerüche wahr, die in einem Rüstungswerk nicht mehr zu erahnen waren, und so vieles war neu'3°:

130 Erst später wurde mir der Zusammenhang mit einer anderen Gesprächssequenz verständlich, daß die idealisierte Erinnerung an Osterreich den überwältigenden Eindrücken dieses einen Tages entsprungen sein mußte:

„Dr. Derid: Tretjakaw war ein •weltberühmter Pianist und war in Salzburg zu einem Konzert. Er schrieb in einer Zeitung über diesen Pianistenwettbewerb in Salzburg. ,Das ist eine so schöne Stadt mit dem Geist des / 8. Jahrhunderts, daß ich einmal in eine Gaststätte eintrat und am Tisch saß, mich umsah und dachte: Das ist eine Atmosphäre, wenn jetzt die Türe aufgehen und Mozart eintreten würde, es würde niemanden wundern. Karl Fallend: Und was hat Siejetzt so daran erinnert? Sie konnten das mitfühlen? Dr. Derid: Ich wollte sagen, wie mir Osterreich gefallen hat. Dieser österreichische Geist. Ich höre sehr oft Konzerte aus Österreichy diese Walzer von Johann Strauß. Wälzer vom Wiener Wald. Es gibt einen Walzer, der danach benannt ist. Als ich das schrieb, dachte ich an den österreichischen Geist, den Geist der Musik, Strauß, Mozart - so dachte ich."

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„Dr. Derid: - ein Automat mit lauter Nagelspitzen, wo man die Hand auflegen konnte und daraus wurde ein Handabdruck. Dann arbeitete die Maschine und druckte einen Zettel aus, auf dem die Zukunft geschrieben war. Ha, das war im Prater. Für mich war das alles neu, was ich da alles gesehen habe. Und mit diesem Zettel mit meiner Zukunft - ich habe ihn gelesen, aber nur zu einem Viertel verstanden -, mit diesem Zettel näherte ich mich der Polizei am Abend. Karl Fallend: Ja, aber wie war dieser Tagfür Sie? In Schönbrunn bei den Tieren, im Prater Dr. Derid: Das war ein wunderschöner Tag. Es war warm, kein Regen, die Leute spazierten umher. Ich ging zum Beispiel in eine Gaststätte, aber die Leute, die dort saßen, waren alle so reich, und blitzschnell ging ich zurück, weg von diesem Eingang. Aber ich habe es gesehen, eine Cmich, darauf lag ein SS-Mann und neben ihm ein wunderschönes Mädchen. Das habe ich gesehen und sofort raus. (...) Im Prater sah ich die ersten Schießbuden. Leute, die mit Luftdruckgewehren auf kleine Blümchen schießen. Ich sah das Riesenrad und daneben diese Schießbuden. Und dort habe ich ein paarmal solche Blümchen geschossen. Das angestellte Mädchen lächelte und gab mir diese Blümchen. Dann spazierte ich in den Zoo und sah mir die verschiedenen Tiere an. Affen, Wölfe, Füchse usw. Zu dieser Zeit war ich schon alleine. Ich wußte schon am Morgen, was ich am Abend machen werde. Ich wollte nicht mehr im Freien übernachten. Ich werde zur Polizei gehen und mich melden und werde ihnen alles erzählen. So war es auch. Ich erzählte dem Polizisten, ich sei Flüchtling aus Linz und seijetzt hier, um mich zurückzumelden. Der Polizist schwieg, erftihrte mich langsam in die Zelle, wo ich auf einer Holzpritsche übernachtete. Aber im Vergleich war das ein schönes Bett. Am nächsten Morgen wurde ich mit einem kleinen vergitterten Bus ins Polizeigefängnis gebracht. Es war voller Leute. Wir wurden in einen großen Raum geführt - wir waren Franzosen, Griechen, Spanier mit einem langen Tisch drinnen. Hohe Räume, große Fenster mit Gitter, keine Betten, aber Strohsäcke zum Schlafen. Das war keine Häftlingszelle, aber es warm viele Häftlinge dort. Auch ein junger Österreicher war dabei mit ganz blassem, grauweißem Gesicht. Er soll schon viele Jahre im Gefängnis gewesen sein. Auch ein abgeschossener russischer Flieger war dabei, der schon zwei Monate hier war. Dort war ich einige Wochen eingesperrt, ohne zu wissen, was passieren würde. Wortlos wurde ich auf einmal nach Lanzendorf gebracht. Ganz in der Nähe von Wien. In Lanzendorf gab es ein Häftlingslager, alle in ziviler Kleidung. Es war ein Kriminallager. Dort wurde ich einem Untersuchungsrichter vorgeführt, der mich verhörte. Wir mußten auf Feldern arbeiten, Erbsen ernten."

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Ich war erstaunt, wie sehr Dr. Derid kleinste Ortschaften der Flucht und Haft in der Erinnerung haftenblieben, während ihm Personen aus nächster Umgebung keinen namentlichen Eindruck hinterließen. Sie geraten zu Statisten in einem Drama, in dem die Schauplätze, zu traumatischen Metaphern gestaltet, im Gedächtnis eingebrannt sind. Das „Erziehungslager" Oberlanzendorf bei Wien bekommt durch das unmittelbare Erleben danach einen derartigen Stellenwert. Wenige Wochen mußte Oledij Derid in diesem ehemaligen Behindertenheim verbringen, das die Polizei im März 1940 eingerichtet hatte' 31 (Lotfi, 2000, 80). Oledij Derid hatte keine Ahnung, was auf ihn zukommen sollte, als er nach wenigen Wochen per Zug, in Handschellen gefesselt und mit bewaffneter Polizeibewachimg in ein Arbeitserziehungslager nach Linz überstellt wurde. Dieser Ort hatte keinen Namen mehr - „Es war die Hölle!" Die wenigen lokalen Hinweise Dr. Derids reichen nicht aus, um das Arbeitserziehungslager mit dem berüchtigten „Schörgenhub" zu identifizieren. Es ist auch Nebensache. Die ,Arbeitsvertragsbrüche", „Bummeleien", „Dienstpflichtverweigerungen" hatten zu dieser Zeit derart überhandgenommen, daß reichsweit laufend neue Arbeitserziehungslager in Zusammenarbeit mit den Betrieben entstanden sind, die sich in ihren Methoden kaum unterschieden und alle dieselben Ziele verfolgten: Angst durch Folter. Paul Pleiger - u. a.' 32 Generaldirektor der Linzer Hermann-Göring-Werke - verlangte persönlich für die Produktionssteigerung eine Erweiterung und Verschärfung dieser Disziplinierungsmittel - „daß die Gestapo schärfer durchgreife, um die Fluchten zu reduzieren. Vor allem solle sie dafür sorgen, daß ,wiederergriffene flüchtige Ostarbeiter' nach Strafverbüßimg an ihre früheren Arbeitsplätze in den Rüstungsbetrieben zurückkehrten" (Lotfi, 2000, 229). Die Sicherheitspolizei war jedoch mit ihrem „Terror-Latein" am Ende. Trotz drakonischer Straf- und Foltermethoden konnten die Fluchtfälle nicht reduziert werden. Das Ausmaß derartiger Sanktionierungen ist erheblich, wenn Gabriele Lotfi in ihrer umfassenden Studie über die Arbeitserziehungslager im Dritten Reich zu dem Schluß kommt, „daß während des Krieges mindestens jeder zwanzigste ausländische Zivilarbeiter im Deutschen Reich von einer Arbeitserziehungslager-Haft betroffen war" (ebenda, 318).

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Zunächst wurden die Einweisungen „nicht von der Gestapo, sondern von einer sogenannten ,AsozialenKommission' verfügt, die aus Angehörigen der Wiener Stadtverwaltung und der N S D A P bestand. Im G e gensatz zum sonstigen Reichsgebiet gelang es der Wiener Gestapo offenbar erst Mitte 1942, das Arbeitserziehungslager in alleiniger Verantwortung zu übernehmen, nachdem dort überwiegend ausländische Zwangsarbeiter inhaftiert waren" (Lotfi, 2000, 80). Z u Schörgenhub siehe Beitrag Dr. Michael John, Band 1, S. 1 1 0 flf.

132 Paul Pleiger war auch Reichsbeauftragter der Reichsstelle für Kohle, Berlin sowie im Vorstand der Reichswerke A G für Berg- und Hüttenbetriebe „Hermann-Goring", Berlin und der Reichswerke A G für Erzbergbau- und Eisenhütten „Hermann-Goring", Berlin; Geschäftsführer der Berg- und Hüttenwerksgesellschaft Ost mbH., Berlin und der Hüttenverwaltung Westmark G m b H , der Reichswerke „Hermann Göring", Berlin. Vgl. Wer leitet?, Berlin, 1942, 747.

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Ab dem Jahre 1940 entstanden im direkten Zusammenhang mit den wachsenden Arbeitsdisziplinproblemen der immer zahlreicher vorhandenen Zwangsarbeiterinnen in der Industrie viele derartiger Gestapo-Einrichtungen. Neben Justiz und Konzentrationslager bildeten die Arbeitserziehungslager eine dritte Repressionsebene im nationalsozialistischen Herrschaftssystem, die kurzfristig (maximal 56 Tage) durch (Arbeits-)Folter einen „Erziehungszweck" verfolgen sollten, um die Arbeitsproduktivität in den Betrieben wirkungsvoll anzuheben (Herbert, 1985, 120). Die Häftlinge sollten ganz im Interesse der Industrie durch Terrormethoden gebrochen, um anschließend an die frühere Arbeitsstelle zurückgeführt werden und nicht für immer in einem Konzentrationslager verschwinden. Das Arbeitserziehungslager als abgeschotteter Mikrokosmos war ein rechtsfreier Raum, der sich bei gleicher Willkür und Machtvollkommenheit der Wachmannschaften und gleicher menschenverachtender Lebens- und Arbeitsbedingungen von einem Konzentrationslager „nur" dadurch unterschied, daß die Aufenthaltsdauer wissentlich begrenzt war. Aber auch nur dann, wenn man die Tortur halbwegs überstand, nicht vor Ort als „unbrauchbar", „lebensunwert" eingestuft in ein Konzentrationslager überstellt und getötet wurde. Außerdem wurden die Arbeitserziehungslager ab 1942/43 zu Hinrichtungsstätten der Gestapo, wo gegen Ende des Krieges Massenerschießungen durchgeführt wurden (Lotfi, 2000,15). Dr. Derid mußte sechs Wochen lang die psychische und physische Folter in einem Arbeitserziehungslager über sich ergehen lassen. Ein extrem-traumatischer Einschnitt in seiner Biographie, der ihn bis heute nicht losläßt. Einzelne Erfahrungen, die er in verschiedenen Gesprächssequenzen erzählte, sollen hier in einem Stück wiedergegeben werden, da sie eine eindrückliche Bestimmung des Begriffs „Arbeitserziehungslager" aus retrospektiver und subjektiver Sicht vorzunehmen imstande sind: „Dr. Derid: Dieses Arbeitserziehungslager war - ich denke, nicht weit von der Stadtmitte von Linz. Es gab zwei Reihen Stacheldraht mit hohen Wachtürmen, wo ein SS-Mann mit automatischem Gewehr - Schmeisser - auf Posten stand. Gleich zu erkennen war ein Schild, das aufdem Stacheldraht angebracht war: fotografieren strengstens verboten/' Das habe ich gesehen — das werde ich mein ganzes Leben nicht vergessen. Es war die Hölle! Das war die Hölle! Am frühen Morgen - es waren auch dort Stockbetten, aber keine Matratzen, nur kurze Brettchen. Diese Brettchen waren in größeren Abständen aneinandergereiht. Ohne Decke, ohne Kissen, nichts. Und am frühen Morgen, der Himmel war noch grau, ich denke, es war 4 Uhr, vielleicht 4 Uhr 30 - so wiejetzt, es war Juni -, jemand riß die Türe auf. In der Nacht war die Türe verschlossen. Und als die Türe aufgerissen wurde, rannten alle zu dieser Türe. Warum? Weil der letzte, der zu dieser Tür gelangte, mit einem langen Stock geschlagen wurde. Ein SS-Mann links, ein SS-Mann rechts und beide schlagen, schlagen und schlagen. Alle auf den Platz, in ordentlicher Dreierreihe aufgestellt. Ich denke, es waren 100 Mann, vielleicht 150, nicht mehr. Es war ein kleines Lager mit mehreren Baracken.

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Es gab auch eine Baracke, in der Särge hergestellt wurden. Undjeden Tag marschierten sie mit einem toten Menschen in diese Baracke undfuhren mit einem Sarg aus dem Lager - wohin? Ich weiß es nicht. Es war in der Stadt. Die SS-Männergingen mit ihren Gewehren durch die Dreierreihen und sagten:, Wenn einer aus der Reihe tanzt, dann wird er mit diesem Gewehr zu Tode geschlagen und rein in die Sargbaracke!1 Und wir mußten zählen, mehrere Male abzählen. Dann mußten wir mehrere Kilometer zu Fuß in Kolonne zu einem Eisenbahnknotenpunkt marschieren. Es war eine neue Baustelle. Wir mußten Schienen mit großen Zangen tragen und Schwellen schleppen und mit Steinen unterschlagen. Diese Arbeit war sehr schwer. Wir waren sehr müde. Auch kranke Leute waren darunter. So ging es am Abend zurück ins Lager. Aufdiesem Wegfällt einer der Mitgefangenen auf den Boden. Der SS-Mann nimmt ihn beim Kragen, schleppt ihn zur Seite und erschießt ihn. Wir trugen ihn ins Lager hinein in die Sargbaracke. (...)

Das Mittagessen bekamen wir in solchen Schüsseln aus einem großen Topf. Das war direkt am Arbeitsplatz. Und alle mußten in der Gruppe essen. Ganz eng zusammengekauert mußten wir sitzen. Und wer sich mehrere Schritte zur Seite bewegte, der wurde erschossen. Da war ein alter Mann in Gummistiefeln. Er zog sich einen Stiefelaus, weil irgendeine Verletzungfür ihn sehr unangenehm war, und wickelte sich einen Lappen um den Fuß. Da kam ein russischer SS-Mann und nahm diesen Stiefel und schmiß ihn drei oder vier Meter zur Seite. Dieser alte Mann stand schweigend auf und ging zu seinem Stiefel. Daraufhin schoß der SS-Mann auf den alten Mann. Nach diesem Schuß kletterte dieser alte Mann auf seinen Ellbogen zu der Gruppe zurück. Erstand da, und ich saß hier. Der SS-Mann versperrte ihm den Weg und richtete seine Pistole - eine Barabellum - auf die Stirn des alten Mannes. Er sagte - erflehte: ,Nicht schießen! Ich habe drei Kinder zu Hause!' Russe und Russe, verstehen Sie?! Und der schoß ihm mitten in die Stirn, und das Blut spritzte dem SS-Mann in das ganze Gesicht, auch die Uniform war vollkommen blutig, weil das war vielleicht ein halber Meter. Es war ein schreckliches Bild. Mit seinem Taschentuch wischte er sich das Gesicht und fluchte: ,Du verfluchter Hund, Krokodil!1 Aufrussisch:,Krokodil!' Das war nicht nur einmal. Einmal wurde ein Franzose getötet mit Sprengkugeln aus einem Gewehr. Mehrere SS-Männer waren mit Gewehren - nicht mit Pistolen, mit Pistolen waren höherrangige Soldaten - Walter oder Barabellum, ich weiß es nicht mehr. Und er hatte ein Gewehr mit Sprengkugeln. Und ein Franzose wurde damit getötet. Ich habe es nicht gesehen, aber ich habe den Franzosen im Sarg gesehen, neben dieser Sargbaracke, wo ich war. Das war ein offener Sarg, und dort lag dieser Franzose. Die Hälfte des Kopfes war zersprengt. Und wir alle mußten in einer Reihe rund um diesen Sarg gehen. Ein SS-Mann blickte aufunsere Gesichter und schrie:,Schau dir das an!' Und alle mußten sich diesen Franzosen anschauen. (...)

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Einmal an einem, Morgen stand ich in der ersten Reihe. Der Lagerführer ging mit einem Franzosen und einem SS-Mann - die SS-Männer waren fast alle Russen. Ich denke, das wissen die Leute in Linz noch. Sie spazierten in Linz durch die Stadt. Ich habe sie später noch gesehen, als ich wieder im Arbeiterlager war, nach sechs Wochen Bestrafung. Sie konnten kaum die deutsche Sprache. Karl Fallend: Russen oder Ukrainer? Dr. Derid: Aus Kursker Gebiet. Das ist Rußland. Es waren auch wenige Volksdeutsche aus Rußland. Sie konnten beide Sprachen und übersetzten alles. Der Lagerführer war ein Deutscher. Karl Fallend: Wissen Sie den Namen noch? Dr. Derid: Nein. Ich wußte ihn auch damals nicht. Das Gesicht werde ich das ganze Leben nicht vergessen. Was geschah weiter? Dieser Franzose, er war untertags nicht in unserer Kolonne. Er war im Lager, ich weiß nicht, was er dort machte. Im Lager war auch ein Russe, ein alter Mann, mit weißen Haaren, der sehr gut zum Lagerführer stand. Er war ein Gemüsegärtner. Zwischen zwei Reihen Stacheldraht gab es weiße Rüben, woraus Suppe gemacht wurde. Diese Rüben pflanzte er dort. - Er erzählte mir das später - irgendwer hat ihm dort einen Rock gestohlen. Und dieser Rock wurde bei diesem Franzosen gefunden. Dieser Franzose ging mit dem Lagerführer zu unserer Reihe und zeigte auf mich: ,Das ist er!' Ich wußte nichts, überhaupt nichts davon. ,Zwei Schritte nach vor!' Ich mache zwei Schritte. Er zeigte mit dem Stock in mein Gesicht. , Wie schaut er?!1 Ich stand da, und wußte nicht, was geschehen war. ,Los, in die Sargbaracke!' Und so schleppten sie mich in die Sargbaracke. Ich dachte, das istjetzt meine letzte Minute. Das war mein Gedanke, denn wenn jemand dorthin geschleppt wurde, gab es nur mehr schreckliche Schreie zu hören - schreckliches Geschrei, und dann waren alle tot. Der Lagerführer sagte - der SS-Mann übersetzte auf russisch, ein Volksdeutscher, alle in grünen Uniformen und mit Totenkopfabzeichen - aber ich verstand etwas Deutsch ,Siehst du diese Särge? Nimm, das wird deiner!' Ich nehme einen Sarg, der SS-Mann nimmt den Sarg am anderen Ende. ,Mach den Deckel auf Ich mache auf. ,Leg dich hinein!' Ich legte mich hinein. ,Halt! Hose runter!' Ich zog meine Hose aus. ,Lege dich neben den Sarg!' Ich legte mich mit Gesicht nach unten auf den Boden. Und so be-

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gannen sie, mich mit Stöcken zu schlagen. Schlagen, schlagen. Ich schwieg. Kein Ton. Schließlich sagte ich leise aufrussisch: , Wofür denn?1 Der Lagerführer brüllte:, Was hat er gesaff?! Was hat er gesagt?!1 Das kann ich mein ganzes Leben nicht vergessen:, Was hat er gesagt?!1 Der SS-Mann übersetzte. , Genug! Steh auf! So werden wir dich jeden Tag schlagen, bis du gestehst, daß du diesen Rock gestohlen hast! Geh!' Und ich ging. Das war alles nach der Arbeit, am Abend. Ich ging in meine Baracke. In der Baracke ging ich schon ganz gebückt, mein Gesäß war ganz aufgeschwollen, so daß ich nicht mehr gehen konnte. Was sollte ich machen? Ich legte mich hin und mußte die ganze Nacht denken, was wohl morgen sein wird. Ich kann morgen ja nicht zur Arbeit gehen. Sie werden mich erschießen. Verstehen Sie?! Am nächsten Morgen ging ich aus der Baracke und wußte nicht, wie ich in der Ordnung stehen sollte. Da kam zu mir der Gemüsegärtner, dessen Rock gestohlen wurde, und er sagte: ,Du kommst mit mir!1 Er sah, wie ich ging. Urul er sagte zum SS-Mann: ,Er kommt mit mir zu den Rüben, ich lasse ihn Unkraut ziehen.' Er hat mir das Leben gerettet. So war ich den ganzen Tag bei ihm und krabbelte auf den Knien zwischen diesen Pflanzen. Den ganzen Tag und auch den nächsten Tag. Mein geschwollenes Gesäß heilte bald, und ich konnte auch bald wieder zu diesem Eisenbahnknotenpunkt gehen. Am nächsten Morgen nahm er mich - der Genosse, ein Russe - wieder, und das sah der Lagerführer, der sofort schrie:, Was? Nichts da! Er soll wieder zur Arbeit!' Aber zu diesem Zeitpunkt konnte ich wieder arbeiten. Nach einer Woche, es war schon die vierte Woche, wurde eine Liste verlesen. Das war einmal in der Woche, daß von einer Listejene Namen verlesen wurden, die freigelassen werden sollten. Freiheit, das heißt wirklich Freiheit, in das Werks-Arbeitslager, das war danach wirklich die Freiheit, es war wie ein Paradies. Und diesmal brüllten sie auch meinen Namen. Ich lief zu der Gruppe der Ausgerufenen. Diese Gruppe bekam auch schon ein besseres Abendessen, und sie übernachteten in einer anderen Stube. Die mußten nicht am Morgengrauen aufstehen, sondern wurden vorm Werkschutz abgeholt. Das waren Franzosen, Spanier, Griechen, ganz international. Diesmal war ich auch dabei. Da sieht mich der Lagerführer und schrie:,Zurück! In die Reihe!1 Mein Gott! Das war ein Schock. So stand ich wieder in der Reihe und dachte mir, das ist mein Ende. Ich war schon so abgemagert. Ich bestand nur mehr aus Haut und Knochen. So verging wieder eine Woche. Wieder am Samstag wurde mein Name genannt. Ich starrte auf den Boden. Ich hatte große Angst. Der Lagerführer stand daneben aufseinem Platz, aber er schwieg. Als er da so schwieg und ich in der Gruppe stand und nichts passierte, da war es dann schon leichter. Ich übernachtete in der anderen Baracke. Der Werkschutz holte mich ab und führte mich in die Fabrik. Es war ein alter Mann, der mich da begleitete. Wir fuhren auf einen einsamen Weg. Niemand war zu sehen. (...) So führte er mich in die Abteilung. Ich begann wieder auf dem selben Arbeitsplatz zu arbeiten. Aufdergleichen Stelle.

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Zwangsarbeit - Sklavenarbeit in den Reichswerken Hermann Göring am Standort Linz

Und nach mehreren Wochen habe ich gleich stark zugenommen. Ich war dicker, als vor der Flucht. (Bandwechsel) -Aber in meinen Träumen sehe ich oft diese Szenen, daß ich aufstehen muß in der Nacht und es erst erfasse, daß ich das schon erlebt habe. Undjetzt im Traum noch einmal erleben muß. Wieso? Das sind nur Träume. -

Dr. Derid mußte seine vergeblichen Bewältigungsversuche beschwichtigen. Der Wunsch, das Erlebte aus dem Gedächtnis zu vertreiben, blieb unerfüllt. In wiederkehrenden Alpträumen äußert sich die überflutende und internalisierte Foltererfahrung. Die Transkription ist nicht annähernd in der Lage, den Charakter der Erzählung, die Gesprächsatmosphäre in adäquater Form wiederzugeben. Dr. Derid verlor seine kontrollierte Haltung, sprang auf, als er den verzweifelten alten Mann gestikulierend imitierte, der den Landsmann - SS-Mann - vergeblich um sein Leben anflehte; sprang auf, als er den Moment in der Sargbaracke wieder durchlebte, von dem er damals überzeugt war, daß es sein letzter sein würde. Mir schien, als ob die damals erfahrene Todesangst akut in unserem kleinen Hotelzimmer wieder zum Durchbruch kam, die sich sonst nur in Alpträumen verdichtet äußern und bis zu diesem Zeitpunkt in keiner Erzählung Luft verschaffen konnte. Dr. Derid schilderte die einzelnen Szenen in einer derartigen Erregung, daß die einzelnen Zitate gleichsam den Charakter eines O-Tons erhielten. In einer abschließenden Episode erzählte Dr. Derid auch, warum der nationalsozialistische Terror auch nach einem halben Jahrhundert seine Wirkung nicht verfehlt - es war „eine Angstmethode": „Dr. Derid: Im Arbeitserziehungslager hatten wir nicht einmal ein Viertel Brot - es war ein Achtel Brot. 125 Gramm pro Tag. Und dieses Achtel war schon ein kleines Stück. Und zu diesem Brot mußten wir laufen. Hin zu dem kleinen Fenster der Brotausgabe, wo die Stücke rausgeworfen wurden. Wer nicht lief, bekam mit dem Stock Schläge und Schläge, bis er fiel und schrie. Und wer diese 125 Gramm nicht zufassen bekam, seine Tagesration, der mußte weiterlaufen, und dieses Brot blieb am Boden liegen. Am Ende lagen mehrere Dutzend Stück Brot auf dem Boden. Und niemand konnte sie aufleben. So war es dort. Das ist eine Kleinigkeit - nein, das ist keine Kleinigkeit. Das war eine Erziehungsmethode. Verstehen Sie?

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Nach diesen brechenden Erlebnissen gab es für den ohnehin scheuen und zurückgezogenen Jugendlichen nur mehr eines: nicht auffallen, keinen Widerspruch, nicht noch einmal ein solche Tortur erleben. Jede Verhaltensregel wurde zum eisernen Gesetz, und schon die gedachte Übertretung löste Angst aus. „Wer der Folter erlag", schrieb Jean Amery (1988, 58), „kann nicht mehr heimisch werden in der Welt. Die Schmach der Vernichtung läßt sich nicht austilgen. Daß der Mitmensch als Gegenmensch erfahren wurde, bleibt als gestauter Schrecken im Gefolterten liegen: Darüber blickt keiner hinaus in eine Welt, in der das Prinzip Hoffnung herrscht. Der gemartert wurde, ist waffenlos der Angst ausgeliefert. Sie ist es, die fürderhin über ihm das Zepter schwingt." Das Grundvertrauen in die Welt ist erschüttert. Oledij Derids Leben beschränkte sich auf das, was von ihm verlangt wurde: Arbeiten als Elektro-Schweißer. Die Menschen dieser seiner unmittelbaren Lebenswelt erhielten auch wieder Namen - „drei Russen in meiner Nähe, die fast Freunde von mir waren" Anatoli Wolkow, Sergej Jessin und Sergej Iwanowitsch Nasatschow. Heller, ein Deutscher aus dem Reich, der ihm den Unterschied zu den Österreichern erklären sollte. Fischer, ein Volksdeutscher aus dem Baltikum, und in guter Erinnerung den alten Otto Tscherwik, den österreichischen Vorarbeiter, der für ihn die Rauchmarken (die mit „nur für Polen, Russen und Juden" definiert waren) gegen Brotmarken eintauschte, der die zeichnerischen Qualitäten des Jungen entdeckte und ihn Karikaturen zeichnen ließ, was ihm auch beim Meister ein wenig Anerkennung verschaffte. Nach den Bombenangriffen im Sommer 1944 wurde er - mit drei anderen Elektro-Schweißern - für wenige Tage u. a. nach Bochum geschickt, um in den dortigen Panzerwerken zu arbeiten. Es war die einzig nennenswerte Veränderung, die sich noch bis zum ersehnten Kriegsende ergab, das völlig chaotisch beginnen sollte. Aber: „Es herrschte große Freude, alles wird jetzt gut. Es kamen die Amerikaner, wir bekamen reichlich und gut zu essen." Die Freude war nur getrübt durch die Schläge der befreiten KZ-Häftlinge, die in ihrer gestreiften Häftlingskleidung, auf der Suche nach Eßbarem, durch die Barackenlager der Zwangsarbeiter zogen und sich auf alle jene, die nicht ihresgleichen, z. T. jener aufgestaute Haß entlud, der ihnen jahrelang entgegengeschlagen hatte. Oledij Derid blieb im Lager und wartete. Es war der Ort, der ihm vertraut war und Sicherheit bot. Nach einigen Tagen kam eine sowjetische Kommission - Arzte und Offiziere - ins Lager, die medizinische Untersuchungen durchführte, Personaldaten aufnahm und mitteilte, daß am nächsten Tag Lastwagen kommen würden, um sie für die Heimreise abzuholen.

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Zwangsarbeit - Sklavenarbeit in den Reichswerken Hermann Göring am Standort Linz

„Dr. Derid: Ein Kamerad kam zu mir und sagte:, Was machst du hier im Lager? Wir haben in der Stadt ein Quartier, dort haben wir auch für dich einen Platz. Bett, Wäsche usw. Alles in Ordnung, komm mit!'Aber ich lehnte ab. Ich weiß nicht, ob ich das gut gemacht habe. Ein amerikanisches Lastauto führte diese Menschen in ein Lager, von wo sie hinfahren konnten, wohin sie wollten. Vereinigte Staaten, Australien, Kanada und viele von ihnen sind dort hingefahren. Sie waren klüger. Ich war erneut dumm. Ich fuhr wie die meisten nach Osten." (...) Karl Fallend: Warum sind Sie eigentlich damals in Linz nicht mit diesem Kameraden mitgegangen? Warum haben Sie die andere Entscheidung getroffen? Dr. Derid: Es war etwas kriminell - verstehen Sie -, das ist nicht gut. Weil diese Wohnung mußte doch jemand gehört haben, jemand, der eingetragen ist. Warum soll ich ein Quartier in der Stadt beziehen, wozu ich kein Recht hatte. Mein Platz war im Lager. Wenn zu mir die Verwaltung gesagt hätte, ich soll in dieses Quartier gehen - und nicht ein Kamerad -, das einem SS-Mann gehörte, derjetzt geflüchtet ist, dann - aber so, nein. Alles muß legal sein. Es muß erlaubt sein. Nach all dem, was geschah! Und: zu was brauchte ich ein Quartier. Ich hatte was zu Essen, habe etwas zum Schlafen. Wie, das ist nicht wichtig. Bequem mache ich mir das selber. Was soll's.

Geht das Aufnahmegerät? Bitte, fragen Sie. Haben Sie keine Fragen mehr? Ah, Sie müssen nachdenken. Vielleicht erinnere ich mich noch an etwas. Ich muß daran denken, daß dies das erste und letzte Gespräch zwischen uns ist. Wenn es nützlich ist (Bandwechsel) - Wenn Sie nicht gesagt hätten, daß Sie Psychologe sind, würde ich denken, daß viele Fragen nicht zum Thema gehören würden. Aber so müssen Sie die Entscheidung treffen, welche Fragen nützlich sind.

Ich denke auch nach, was ich noch nicht erzählt habe.

Dr. Oledij Petrowitsch Derid

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Folgendes: Es war im Gefängnis in Wien ..." Nach der Folter im Arbeitserziehungslager war Oledij Derid nicht mehr in der Lage, von den offiziell vorgeschriebenen Wegen abzuweichen. Die Angst dominierte gegen jeden Regelverstoß. „Mein Platz war im Lager" - und das Lager war in ihm. Dr. Derid erkannte selbst, wie ihm damals die Repression internalisiert war. Das im Rückblick gefällte Urteil zur Dummheit ist ein nachträgliches Bedauern, daß er auf Grund von Angst und Heimweh keine andere Entscheidung - in der Alternative: West - Ost - fällen konnte, die ihm zeidebens nicht mehr gegeben war. Ein ,Ja", ein Schritt hätte damals genügt, um jene biographische Weichenstellung zu realisieren, die ihm Jahrzehnte später („Ungefähr in Ihrem Alter hatte ich diese Gedanken") zur Sehnsucht geraten sollte. Kein Zufall, daß Dr. Derid gerade an dieser Stelle in mir nicht den Historiker, sondern den Psychologen als Gesprächspartner wahrnahm. Dr. Derid versuchte, das Thema zu wechseln und bat mich, es ihm gleichzutun. Aber in Anlehnung an einen psychoanalytischen Grundsatz, daß in einer Assoziationsreihe ein Gedanke erst durch den folgenden verständlich erscheint, war das Gefängnis in Wien vor über fünfzig Jahren doch eher das Gefängnis der jüngeren Vergangenheit, das ich Wiener ihm so grell wieder zu Bewußtsein brachte. Mehrmals kam während unseres dreitägigen Gespräches Dr. Derid auf die unglückliche Weichenstellung zu sprechen, die ihm bis ins hohe Alter verfolgte: „Dr. Derid: In Odessa habe ich - vor zirka zehn Jahren - ein ganzes Schiff Touristen aus Deutschland gesehen. Fast alle waren Greise, alte Pensionisten. Sie gingen spazieren, gingen ins Theater, gingen schwimmen, fuhren zu anderen Häfen im Schwarzen Meer - und ich bin heute Pensionist, vielleicht wäre ich auf so einem Schiffgewesen, wenn ich in den Westen gegangen wäre. In den 80er Jahren war es schon möglich, ohne Angst nach Rußland zufahren. Aus Kanada, USA, Deutschland - kamen sie. Aber wie es geschah, so ist es gut." Leider war es nicht gut, wie es geschah. Am nächsten Tag kamen die Lastautos und brachten die russischen Zwangsarbeiter in ein Filtrationslager zwischen Amstetten und Wien. Es herrschte eine glückliche Stimmung - erinnert sich Dr. Derid -, obwohl vom ersten Augenblick an großes Mißtrauen vorhanden war. Zumindest ein Verdacht, „weil die Erlebnisse bei uns zu Hause, als so viele Familien auf einmal in der Nacht verschwunden sind, waren mir noch in Erinne-

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Zwangsarbeit - Sklavenarbeit in den Reichswerken Hermann Göring am Standort Linz

rung". Oledij Derid zerriß sein aufbewahrtes Foto in Brusthöhe, wo das OST-Zeichen zu erkennen gewesen wäre.133 Er hatte Angst und war ausgehungert. Die Soldaten lachten ihn aus, weil er das Kochgeschirr ins Bett mitnahm, um dort nächtens eine zweite Portion aufzuessen. Bald erhärtete sich der Verdacht. Im Lager herrschte militärischer Drill. Die Männer wurden in Kolonnen aufgeteilt. „Eins-zwei-links ¡-marschieren." Die Kommandeure waren ehemalige Leutnants der sowjetischen Armee. „Und eines Morgens kamen wir auf den Platz, und keiner der Kommandeure war mehr auf diesen Platz zu sehen. Alle diese Offiziere waren verschwunden. Keiner war mehr zu sehen. Es kam der KGB, und jeder wurde gefragt: Wann, wie und warum? Jeder wurde lange verhört von drei KGB-Männern. , Wer kann das beweisen?' Ich sagte: ,Hier in diesem Lager sind doch viele Männer aus meinem Lager! Undjeder von ihnen kennt mich!',Nennen Sie ihre Namen!' Ich nannte ihnen Sergej Iwanowitsch Nasatschow. ,Er ist hier!' Sie haben die Namen notiert, und ich mußte gehen." Oder es waren russische Kriegsgefangene, die von den Amerikanern befreit, in den letzten Kriegstagen als Hilfskräfte eingesetzt und mit amerikanischen Uniformteilen ausgestattet waren. „Heute weiß ich hundertprozentig, daß sie nach Sibirien kamen. Hundertprozentig!" Bis zu einem Drittel der in diesem Filtrationslager versammelten Landsleute, schätzt Dr. Derid, waren von einem Tag auf den anderen verschwunden. Nach Sibirien deportiert. „Karl Fallend: Wurde darüber gesprochen? Dr. Derid: Im Filtrationslager? Kein Wort. Alle wußten, daß ein unbedachtes Wort sehr viel kosten kann. Ein unvorsichtiges Wort und fort. Es gibt kein Gericht, keine Verteidigung, drei Mann und fünf Minuten und es geht ins Lager." In kürzester Zeit war klar, daß der neue Kontakt mit den Landsleuten, die erhoffte Rückkehr in die Heimat eine neuerliche Bedrohung darstellte. Das Erlebte - das Leben als Zwangsarbeiter, die Foltererfahrung in einem Arbeitserziehungslager - mußte ohne Worte abgekapselt werden, fand keinen Raum der Aufarbeitung. Im Gegenteil. Die Stigmatisierung der ins Deutsche Reich deportierten Zwangsarbeiter zu „Spionen" und ,Vaterlandsverrätern' nahm schon deudiche Konturen an und blieb ihnen Jahrzehnte über haften. Die unmittelbare Konfrontation der unterschiedlichen Erfahrungswelten gleichaltriger junger Männer war eine Uberforderung und konnte gar zur Lebensbedrohung werden: „Dr. Derid: Aus dem Filtrationslager sind wir manchmal auch ins Dorf gegangen. Wir hatten alle diese österreichischen Anzüge (aus den Kleidersammlungen der HGW; K F.) an, geflickt, 133 Auch später im Regiment wußte niemand - und Oledij Derid ließ es niemanden wissen

daß er als

Zwangsarbeiter im Nazi-Deutschland eingesetzt war. Die jungen Soldaten kamen alle aus dem Osten von der Front mit zumeist horrenden Erfahrungen. Ein derartiges Foto hätte verhängnisvoll sein können.

Dr. Oledij Petrowitsch Derid

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aber sauber und gut. In der Sowjetunion ist der ganze Volksreichtum in die Rüstung geflossen. Und Anzüge waren eine große Seltenheit und wenn, dann waren sie sehr, sehr billig und schlecht. In diesem Dorf waren auch sowjetische Soldaten, junge Männer in unserem Alter, und sie verbrachten die vergangenen Jahre an der Front. Viele von ihnen sind gefallen, und hier sehen sie Landsmänner, die in Deutschland waren und solche Anzüge tragen. Da gab es einen Moment, wo ein Soldat uns erschießen wollte., Wir kämpften an der Front, und ihr arbeitet für die Deutschen und so schick gekleidet!' Wut, Zorn. - Ich weiß nicht, ob das wichtig ist. Wir haben Zeit. Sie alle hatten Zorn. Aber einer wollte uns erschießen, und die anderen haben ihn daran gehindert." Und deshalb hatten alle geschwiegen. Sie sagten nur, was zu sagen war: „Es lebe die sowjetische Armee, es lebe unser Lehrer, unser Vater Genosse Stalin. Das war alles. Und so spielten wir Schach." Mehrere Monate lang, über den ganzen Winter. Ab dem Frühjahr 1946 war Oledij Derid Soldat der sowjetischen Armee in Ungarn - Plattensee, Szombathely und Budapest - stationiert und hatte noch Glück. Sein Zeichentalent war schnell entdeckt und fand in der Propagandaabteilung reichliche Verwendung. „Von morgen früh bis spät in der Nacht" hatte er Porträts von Stalin, Molotow oder Kaganowitsch zu malen, Soldaten in verschiedenen Posen - deutsche fliehend, russische siegend, salutierend, marschierend. Seine gemalten geographischen Karten mit genau eingetragenen Linien, die den Siegeszug der jeweiligen Regimenter markierten, schmückten die Gebäude des Armeestabs unter den verschiedensten Losungen: „Heil, die sowjetische Armee, welche ... usw., die habe ich geschrieben auf langen roten Transparenten. Ich hatte viel Arbeit." Bis März 1948 war Oledij Derid in der sowjetischen Armee eingesetzt, integriert, aber seiner Geschichte beraubt. Uber Berlin, Eberswalde erfolgte die letzte Versetzung in die Ukraine nach Artemowsk als Panzerfahrer und schließlich nach Chisinau, Moldawien, wo eine Schwester der Mutter sich niedergelassen hatte. Die Tante war keine unbedeutende Persönlichkeit. Ebenfalls aus Charkow stammend, war sie als Chirurgin während des Krieges Direktorin eines Kriegsspitals, bis sie vom Zentralkomitee aus Moskau eine Einladung erhielt, in Moldawien eine Gesundheitsabteilung aufzubauen. Später wurde sie gar stellvertretende Gesundheitsministerin. Bei ihr konnte Oledij Derid fünf Jahre lang wohnen, und sie war ihm sicherlich eine wertvolle Hilfe bei den ersten Schritten, eine neue Existenz aufzubauen - auch ohne je Mitglied der Kommunistischen Partei gewesen zu sein. Trotzdem verlief der Beginn des neuen Lebensabschnitts mühsam und war ganz nach den Tätigkeiten ausgerichtet, deren Fähigkeiten er bislang unter gänzlich anderen Bedingungen erworben hatte. Von März 1948 bis September 1949 arbeitete Oledij Derid als Dreher in einer LKW-Reparaturwerkstätte, besuchte bis 1950 eine Abendschule und war gleichzeitig als Bühnenbildmaler im Moldawischen Musiktheater beschäftigt, um sich sein Studium finanzieren zu können. An der Abendschule war er auf Grund der be-

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Zwangsarbeit - Sklavenarbeit in den Reichswerken Hermann Göring am Standort Linz

sten Noten in Mathematik und Physik bald als Lehrer beschäftigt, bis er sein Physikstudium mit der Dissertation „Untersuchungen einiger Legierungen des Systems Cd-InTe-Se", die er in Leningrad verteidigte, abschließen konnte. „Goldene Jahre", wie er sie selbst nannte, hatten begonnen. Zwei Perioden, von 1964 bis 1975, war Dr. Derid Lehrstuhlinhaber für Metallkunde. Talentierte Wissenschaftler und Stipendiaten wurden eingeladen, interessante Diskussionsgruppen gebildet, an wissenschaftlichen Veröffentlichungen gearbeitet - ein geregeltes und ausreichendes Einkommen garantierte ein beruhigtes Leben. Das war einmal. Am Zenit seines Lebenslaufes war die Vergangenheit für Dr. Derid vorerst ohne Bedeutung. Der N K W D bzw. K G B besaß jedoch ein anderes Gedächtnis. Um 1968 erhielt Dr. Derid zu seiner großen Freude eine Einladung für einen Forschungsaufenthalt in Deutschland. Der Vizepräsident der Akademie der Wissenschaften von Moldawien, ein befreundeter Kollege aus Dissertationszeiten, rief ihn zu sich: „Mußtest du das reinschreiben?" und wies auf einen jahrealten Lebenslauf, in dem der Zwangsaufenthalt in Linz eingetragen war. Aus seiner Forschungsreise wurde nichts - und meine neigte sich zu ihrem Ende. Nach drei Tagen und insgesamt sechzehn Stunden Erzählung waren wir beide erschöpft, und ich war mir unsicher, ob ich Dr. Derid mit dieser intensiven Erinnerungsreise nicht zuviel zugemutet hatte. Ich ließ deshalb unsere Begegnung nicht abrupt abreißen. Am letzten Tag spazierten wir, nur kurz und neugierig von Enkel Oleg begleitet, durch den lokalen Erholungspark am Rande der Stadt, wohin als staatlicher Kompromiß die LeninDenkmäler hinausmanövriert wurden. Die Stalin-Monumente waren längst zerstört. Die offizielle Geschichtsbetrachtung über die Zeit der nationalsozialistischen Besatzung ist eindeutig definiert und ragt männlich im Zentrum der Stadt, überlebensgroß zur Statue erstarrt. Wir besuchten die Universität und plauderten über Teufel und die Welt, wobei wir mehrmals - wie schon am Tag zuvor - zu unserem gemeinsamen Faible „Schach" als Gesprächsthema fanden, und Dr. Derid wußte meine Befürchtungen zu zerstreuen: „Dr. Derid: Auch im Lager HGWspielte ich Schach -jetzt fällt es mir wieder ein -, aber nicht in meiner Baracke, keine Freunde, sie spielten Karten. Aber in den anderen Baracken wurde Schach gespielt. Aber an die Namen kann ich mich nicht erinnern, selbstverständlich. Wer konnte schon wissen, daß ichfiinfeigJahre später so ein Gesprächfiihrenwerde. Es ist sehr angenehm. Zu Hausefragtenmich meine Frau, mein Sohn, Enkel, und die Tochter rief an - , Und wie ist es?1 lies gut.' Ich fühle mich mit Ihnen sehr wohl. Daß mein Leben noch irgendwelche Wissenschaftler interessiert. Wie heißt das, wenn ein Priester mit einem Menschen sitzt und erzählt? -Ah, eine Beichte das ist sehr klug und sehr wichtig. Jeder Mensch, der alle seine Gefühle preisgab, irgendwem, er fühlte sich leichter und besser. Darum danke ich Ihnen, daß Sie gekommen sind." Und ich bedankte mich bei ihm.

Dr. Oledij Petrowitsch Derid

Inschrift: „Dieses Denkmal wurde zu Ehren der Befreiung Moldawiens von den deutsch-faschistischen Eroberern errichtet."

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Traumatische Kinderwelten „Nicolai" und „Max" und „Moritz" und .

Ein Eisenwerk, eine Rüstungsfabrik ist Männersache. Dem ersten Anschein nach. Der zweite Blick läßt schnell erkennen, daß Frauen in großer Zahl die durch den Kriegseinsatz der Männer leer gewordenen Positionen einzunehmen hatten. Schweißerinnen oder Kranführerinnen waren nicht die Ausnahme, sondern die Regel.' 34 Im steigenden Mangel an Arbeitskräften und der dadurch immer brutaleren Rekrutierung von Zwangsarbeiterinnen im Osten, wird eine dritte Perspektive offenbar: Kinder und Jugendliche, die in Polen und v. a. in der Sowjetunion, aus dem Familienverband gerissen, gefangengenommen und in das Gebiet des Deutschen Reiches deportiert wurden. Ich staunte, wie oft es im Visavis 70-, 8ojähriger Männer und Frauen meiner Wahrnehmung mißlang, diese Perspektive aufrechtzuerhalten - obwohl es einer psychoanalytischen Sichtweise immanent ist, aktuelle Manifestationen in weiten Bögen historischer Dispositionen in Kindheit und Jugend zu verstehen. Nicht die optische Erscheinung, nicht die jahrzehntelang geformte Erinnerung, gereifter Wortschatz oder diffizile Erzählstruktur ließen mich mehrmals stolpern, sondern, daß die Erzählstränge nicht altersgemäß in adäquate Kinderwelten eintauchten. Uniform erlebten Kinder und Jugendliche das Leben Erwachsener, und man erschrickt, wenn man im Zuhören unbewußt der latenten Gleichung „Zwangsarbeiter = Zwangsarbeiter"; „KZ-Häfding = KZ-Häftling" gefolgt ist, weil sich manifest kein Hinweis erkennen läßt, der einer Atmosphäre von Kindheit und Jugend nahekommt. Besonders deutlich wurde mir dies bzgl. zweier vollkommen unvergleichbarer Lebensschicksale - zwei Buben, die, „nur" durch einen Stacheldraht getrennt, auf je unterschiedliche Weise mit dem Tod konfrontiert wurden. Beide in einem Alter, in dem man derartige Erfahrungen zumeist in Märchenerzählungen gebannt glaubt und nicht in zur Realität gewordenen Alpträumen ertragen muß. Der eine meiner Gesprächspartner hieß Max, der andere hörte auf den Namen Moritz. Es ist selbstredend, daß ein solch dramatisch biographischer Einschnitt in jedem Fall eine je individuell unterschiedliche traumatische Erfahrung darstellt. Männer und Frauen am Höhepunkt ihres Lebenslaufes oder am Beginn ihrer Familien- und Zukunftsplanung. Ihre Perspektiven, Hoffnungen, Träume waren - auch bei noch so akuten schweren Lebensbedingungen - mit einem Schlag zunichte. Und viele jugendliche Deportierte waren eben in ihrer Entwicklung noch gar nicht soweit. Es waren Minderjährige, die das 134 Siehe den Beitrag von Dr. Gabriella Hauch in Band 1, S. 355 ff.

Traumatische Kinderwelten

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Schicksal der Erwachsenen zu teilen, ihr Leben in einer Extremsituation zu leben hatten, wie sie Bruno Bettelheim charakterisierte: „Wir befinden uns dann in einer Extremsituation, wenn wir in eine Lage hineinkatapultiert werden, in der unsere alten Anpassungsmechanismen und Wertvorstellungen nicht mehr helfen, ja wo sogar einige von ihnen unser Leben gefährden, anstatt es wie früher zu schützen" (Bettelheim, 1982, 20). Es ist unschwer nachzuvollziehen, daß eine solche bedrohliche Lebenssituation fiir einen adoleszenten Jugendlichen - allein aus entwicklungspsychologischer Sicht - eine verheerende Zäsur darstellt. Gerade in der Zweizeitigkeit der menschlichen Sexualentwicklung sehen viele Autoren (v. a. Eissler, 1966, Erdheim, 1982), nach den frühkindlichen Entwicklungen und der Latenzzeit, in der Pubertät eine „zweite Chance", die familiären Fixierungen zu relativieren und auch zu korrigieren. In diesem Prozeß der Individuation, der Ablösung von den primären Liebesobjekten und der Anpassung an die soziale Umwelt, steht nach Mario Erdheim das innovative Moment im Vordergrund: „So wie das Individuum sich nur selber seine Liebesobjekte suchen muß, sollte es unter dem Druck des Antagonismus zwischen Familie und Kultur die Fähigkeiten entwickeln, die es ihm ermöglichen, die Hauptbestrebung der Kultur, ,die Menschen zu großen Einheiten zusammenzuballen', zu realisieren. Anpassung bedeutet hier nicht Angleichung an vorgegebene Verhältnisse, sondern Mitarbeit des Individuums an den sich verändernden Strukturen der Gesellschaft" (Erdheim, 1982, 278). Durch die desaströse Wucht der familiären Zerschlagung, die neu umgebende Kultur, der erzwungene „soziale Ort", der ihnen durchwegs feindlich gegenüberstand, versagten die Möglichkeiten einer solchen Anpassung und beschränkte das innovative Potential dieser Entwicklungsphase auf ein Minimum. Dem massiven Triebdurchbruch in der Pubertät, dem veränderten Selbstbild des Körpers durch das Auftreten der Menstruation und der Unbeherrschbarkeit des Penis, konnten die Jugendlichen nur repressiv begegnen; konzentriert auf ein Lager- und Fabriksleben, mit einer bewaffnet repressiven Geschlechtertrennung in unterdrückte Männer- und Frauenwelten. Ein Austausch- und Anpassungsprozeß außerhalb des Stacheldrahts war kaum denkbar, weil zumeist lebensbedrohlich. Und das ständige Hungergefühl verstärkte die Zerrüttung der Triebökonomie der pubertierenden Jugendlichen. Unter diesem Blickwinkel muß die Situation der adoleszenten Jugendlichen, die als Zwangsarbeiterinnen in den Hermann-Göring-Werken angehalten waren, gesehen werden. Der in dieser Lebensphase stattfindende Aufbau einer Ich-Identität (Erik Erikson) erfährt eine massive Störung, adäquat des Verlustes von Familie, Schule und vertrauter Nachbarschaft, in der normalerweise durch einander ablösende Probeidentifikationen jene Erwartungsvorstellung gebildet wird: wie es ist, wenn man älter ist (Erikson, 1998, 142). Karin Gäßler formulierte in ihrer psychoanalytischen Studie über die „Extremtraumatisierung in der Pubertät" eine entscheidende Folgewirkung, „daß eine aus dieser äußeren, die Jugendlichen in ihren Wertmaßstäben massiv bedrohende und verunsichernde Realgefahr folgende Konsequenz die ist, daß sie an den verinnerlichten Werten

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Zwangsarbeit - Sklavenarbeit in den Reichswerken H e r m a n n Göring am Standort Linz

der elterlichen Autorität festhalten mußten, ja, diese sogar oft noch intensiviert für sich und ihr späteres Leben aufbauen mußten. Durch die äußere Umkehrung aller Werte war es ihnen nicht mehr möglich, die für die Ablösung notwendige Infragestellung der verinnerlichten Elternrepräsentanz zu vollziehen. Stattdessen wurde die Zeit vor der Verfolgung, ihre Kindheit und beginnende Adoleszenz also, idealisiert, weil sonst nichts mehr von dem geblieben wäre, was für die Stabilisierung ihrer inneren Neustrukturierung Grundlage hätte sein können" (Gäßler, 1993, 40). Es nimmt daher nicht wunder, daß - sobald sich eine Möglichkeit bot - die Sehnsucht, dieser demütigenden und grausamen Erwachsenenwelt zu entfliehen, jeglichen Realitätssinn und jegliche Repressionsdrohimg überwog. Die vorliegenden mündlichen und schriftlichen Zeugnisse sind keine außergewöhnlichen Einzelschicksale. Das quantitative Ausmaß der zwanghaften Beschäftigung von Minderjährigen in den Hermann-Göring-Werken belegt eine Stichprobe der datenerfaßten Lohnlisten, die von Dr. Michaela C. Schober durchgeführt wurde.

Ausländische Kinder bzw. Jugendliche bei den Hermann-Göring-Werken am Standort Linz nach Geburtsjahrgang, Geschlecht und Eintrittsjahr von Dr. Michaela C. Schober Ausländer ohne KZ-Häftlinge22.254. Die Gesamtzahl der in die Datenbank aufgenommenen Ausländer liegt allerdings höher. Es handelt sich dabei um Personen, bei denen keine Nationalität angegeben ist, die aber mit hoher Wahrscheinlichkeit Ausländer sind. Weder die Gesamtzahl, noch die unten angefiihrte Statistik enthält Volksdeutsche ungarischer, kroatischer oder sonstiger Staatsangehörigkeit. Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Angabe Volksdeutscher bzw. Volksdeutsche in einzelnen Fällen in den Unterlagen fehlt. Bei der unten angeführten Statistik wurden Jugendliche doppelt gezählt, sofern es einen zweiten Eintritt in einem der darauffolgenden Jahre gab und der Betreffende zu diesem Zeitpunkt noch nicht 18 Jahre alt war.136

135 Enthalten sind jedoch drei Ostarbeiter, die bei den Eisenwerken bzw. H G W beschäftigt waren und später als KZ-Häftlinge in Linz I bzw. Linz III eingesetzt wurden. Einer von ihnen wurde 1925 geboren und trat 1942 in die H G W ein. 136 Dies trifft auf alle Fälle auf einen 16- bzw. 17jährigen Polen bei den Eisenwerken Oberdonau zu (geb. 1926 - Eintritte 1942 und 1943). Die Erhebung erfolgte im Dezember 2000.

Traumatische Kinderwelten

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Eintrittsalter zwischen 12 und 17 Jahre (EWO, H G W und Stahlbau: 1063 (männlich 795, weiblich 2 6 8 ) ' " Alter

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137 Die Erhebung des Alters erfolgte nur anhand des Geburts- und Eintrittsjahres 138 Pole, geb. am 28. Dezember 1932, Eintritt am 25. Jänner 1945 - seine Mutter war auch ab Jänner 1945 bei den Eisenwerken Oberdonau. 139 Ungeklärt - aufgrund widersprüchlicher Daten kann nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, daß es sich dabei um zwei Personen handelt.

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Zwangsarbeit - Sklavenarbeit in den Reichswerken Hermann Göring am Standort Linz

Ausländische Jugendliche im Lager Linz I/III Ausländische, namentlich erfaßte KZ-Häftlinge im Lager Linz I/III: 2.408'40 Davon Jugendliche: 25 (16 Jahre: 9; 17 Jahre: 16)'*' Geburtsjahrgang 1926 1927 1928 Gesamt

Lager I (1943/44)

Lager III (1944/45)

5'4" o o

o 14"" 6"«

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In Anbetracht dieses Ausmaßes minderjähriger Zwangsarbeiterschaft fällt auf, daß die gängige Geschichtsbetrachtung eine jugendliche Perspektive der Ausbeutung vermissen läßt. Selbst im vertrauten Gespräch verbleibt man in Andeutungen. Im Interviewprojekt des G e s c h i c h t e - C l u b V O E S T „Menschen im L e b e n eines Betriebes" erzählte Karl Zaoral über seine Erlebnisse. Ing. Walter Neunteufel schrieb sie auf: Karl Zaoral - 1908 in W i e n geboren - war zunächst Schriftsetzer und besuchte die Technische Abendschule. In den dreißiger Jahren arbeitslos, verdingte er sich als Donau-Fischer, bis er 1 9 3 7 nach Deutschland radelte, um bei Krupp-Rheinhausen zu arbeiten. „Karl trat mit 1. April 1940 in den Stahlbau L i n z - G m b H der Reichswerke Hermann G ö r i n g ein. Seine Tätigkeit erstreckte sich zunächst auf Konstruktionsarbeit füir den Stahlbau im Technischen Büro [...] 1 9 4 1 übertrug man Karl die Aufgabe als Jugendwalter der Hermann Göringwerke

140 Die vorliegende Zahl beruht auf Personaldaten, die - soweit vorhanden - bearbeitet wurden. Statistiken wurden hier nicht berücksichtigt. Daraus erklärt sich die gegenüber vorhandenen Statistiken wesendich geringere Häftlingszahl 141 Es handelt sich dabei um Jugendliche aus Jugoslawien, Rußland, Polen, Italien und Ungarn. 142 Vier Jugendliche sind 17 Jahre alt. Einer von ihnen starb beim Fliegerangriff am 25. Juli 1944, er ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht 18 Jahre alt. Das Datum seiner Uberstellung nach Linz I fehlt. Ein Jugendlicher ist bei seiner Uberstellung 16 Jahre und 3 Monate alt. 143 In dieser Zahl ist auch ein KZ-Häftling enthalten, der bei seinem Tod im April 1945 bereits 18 Jahre alt war, jedoch zum Zeitpunkt seiner Uberstellung nach Linz III, der nicht bekannt ist, erst 17 Jahre alt gewesen sein dürfte. Das wäre jede Uberstellung vor dem 14. Februar 1945. Insgesamt ist bei elf Jugendlichen (neun davon 17 Jahre alt) das Uberstellungsdatum nicht bekannt, sonder nur das Datum der Rücküberstellung, der Vermißtenmeldung, der Flucht oder des Todes. Jene drei KZ-Häfltinge, bei denen ein Uberstellungsdatum vorhanden ist, waren 17. Vier Jugendliche starben, einer davon beim Luftangriff vom 25. Juli 1944, die andern 1945. Bei zwei Jugendlichen wurde eine Flucht gemeldet, wovon einer wiederergriffen und erneut nach Linz gebracht wurde. Nach dem Luftangriff vom Juli 1944 wurde er und ein 16 Jahre und neun Monate alter Jugendlicher vermißt. Ein anderer war bei der Rücküberstellung nach Mauthausen 16 Jahre und 10 1 / i Monate alt. Er wurde später, inzwischen ^jährig, nach Linz gebracht. 144 Alle sind 16 Jahre alt. Ein Uberstellungsdatum fehlt bei drei Jugendlichen, sie starben 1945.

Traumatische Kinderwelten

2I

5

Linz, wo ihm Frl. Margit Steinings aissistiert hat. Die Betreuung der Jugendlichen von 14-18 Jahren forderte Karl stark heraus. Unter den Jugendlichen befanden sich viele Ausländer beiderlei Geschlechts (hauptsächlich Ukrainer und Weißrussen). Hier war Karl dem Werksarzt oder dem Werksschutz berichtspflichtig, wenn ihm Unzulänglichkeiten, Verletzungen, Krankheiten, Unfälle etc. bekannt wurden. Er kam dieser Aufgabe bis 1945 gewissenhaft nach und er war auch, um aus taktischen Gründen, meist in Uniform, um ev. Schwierigkeiten von Haus aus erst gar nicht entstehen zu lassen. (...) Die Betreuung der Jugendlichen in außerordentlichen Fällen war sicherlich eine sehr heikle und unangenehme Aufgabe, die immer noch auf Karl lagerte. Die Jugendlichen kamen vielfach aus den rasch errichteten Lagern wie: * Mädchenlager (Ukrainerinnen u. Weißrussinnen - Kokerei (zwischen Kokerei u. Kraftwerk) * Bulgarenlager - Spinnereistraße * Lehrwerkstätte * Italienerlager - Wankmüllerhofstraße (heutige Bezeichnung)." 145 Worin die starke Herausforderung bestand und welche heiklen und unangenehmen Aufgaben immer noch auf Karl Zaoral lagerten, bleibt unklar. Offenkundig ist die Repressionsfunktion des uniformierten HGW-Arbeiters in enger Zusammenarbeit mit Werkschutz und Werksmedizin. Das primäre Aufgabenziel des ,Jugendwalters" (und der ,Jugendwalterin") läßt sich punktgenau formulieren: die Aufrechterhaltung der (Arbeits-) Disziplin. Der Lebenswille so vieler Kinder und Jugendlicher war jedoch bei noch so harter Repressionsmaßnahmen nicht lückenlos zu bändigen. In Widerstand und Verzweiflung kam es zu sogenannten ,Arbeitsvertragsbrüchen", indem die jungen Menschen zu spät bzw. gar nicht mehr zur Arbeit erschienen oder versuchten, durch Flucht ihrer qualvollen Situation zu entkommen. Die Sehnsucht nach Heimat - im umfassendsten Sinne des Wortes - nach Liebe, Geborgenheit und Lebensfreude trübte zum Großteil die Einschätzung der Realisierungschance. In den meisten Fällen folgten drakonische Strafen bzw. die Folter im Arbeitserziehungslager.146 Ein Fall erregte besonderes Aufsehen und begann laut Haftbuch des Polizeigefangenenhauses in Linz am 10. Oktober 1944: „8214 (lfd. Nr.) Sisow Nicolai, Ostarbeiter, 27. 10. 1928 in Rußland geb., 1., (ledig), unstet, Arbeitsvertragsbruch (Ursache der Haft). 10. 10.1944,10.00 Uhr = Einlieferung; 13. 10. 1944, 14.00 (Uhr) = Entlassung; A.F.L. (sie!) Schörgenhub = Wohin entlassen." Nicolai Sisow kam in das berüchtigte Arbeitserziehungslager Schörgenhub. Die dortige Haftdauer war willkürlich gesetzt. Es ist also unklar, ob Sisow bereits endassen war und wieder in den Werken arbeitete oder sich auf der Flucht befand, als er am 19. Oktober 1944 um o Uhr 15 in den Hermann-Göring-Werken aufgegriffen und in die Wach-

145 „Menschen im Leben eines Betriebes": Karl Franz Josef Zaoral. Von Ing. Walter Neunteufel. Quelle: GCV. Ordner: Interviews, Biographien. Osten-. L-Z. 146 Siehe die ausführlichen Schilderungen von Dr. Oledij Derid und George Slazak. 147 Schriftliche Mitteilung der Bundespolizeidirektion Linz vom 24. November 1999. Dank an Polizeidirektor HR Dr. Rudelstorfer und Gruppeninspektor Schirz.

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stube gebracht wurde. Sisow hatte sich zur Wehr gesetzt und den 32jährigen Werkschutzmann Arthur Flex erschossen.148 Landesweit wurde nach ihm gesucht. Die „Oberdonau-Zeitung" vom 3. November 1944 brachte einen Fahndungsaufruf und stellte 5.000 Reichsmark Belohnung in Aussicht.

5000 Reichsmark Belohnung ausgesetzt Der wegen Mordes und M o r d v e r s u c h « von der Kriminalpolizei Linz verfolgte l i j ä h r i g e Ostarbeiter Nikolei Sisow konnte bisher noch nicht aufgegriffen werden. Es besteht die Möglichkeit daß Sisow sich Irgendwo unter falschem Namen auihält und unter einem solchen auch polizeilich gemeldet wurde oder daß ihm jemand in sträflicherWeise Vorschub leistet. Die Kriminalpolizei Linz stellt daher neuerlich an die Bevölkerung das arsuchen ihr oder der nächsten Sicheri eitsdienstatelie Wahrnehmungen über Sisow mitzuteilen und verweist abermals darauf, daß für die Mithilfe bei der E r mittlung dieses Mörders das Reichskriminalpolizeiamt eine Belohnung in Höhe von 3000 RM ausgesetzt hat. Sisow (siehe Bild) hat das Aussehen eines 15'ährigen, Ist etwa 160 cm grnß, trug bei seinsr Flucht blaugrauen, bis über die Knie reichenden Überrock und lange, zerrissene Hose. Er war barfuß. „Oberdonau-Zeitung, Tagespost" vom 3. 1 1 . 1944 (Amtliche Tageszeitung der N S D A P Gau Oberdonau)

148 Diese Angaben beziehen sich auf die Eintragungen in den Sondergerichtsakten Linz. O Ö L A . Sch. 888. Unklar bleibt die in den Akten auftauchende Namens- und Geburtsdatumsänderung. Anfänglich wird nach einem Anatoli Sisow, geb. am 12. Juni 1926, gesucht. Der Vorname Anatoli wird folgend durchgestrichen und explizit in „Nicolai (nicht Anatoli)" geändert, wobei das Geburtsdatum belassen bleibt. Währenddessen wird in der Oberdonau-Zeitung (3. November 1944) nach einem 16jährigen gefahndet („Aussehen eines 15-jährigen"), und auch das Haftbuch nennt das Geburtsdatum: 27. Oktober 1928. Die Verjüngung in der Presse könnte auch dahingehend verstanden werden, daß bei einer Altersangabe von 18 Jahren ein halb verhungerter Junge überhaupt nicht erkannt worden wäre.

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Das weitere Schicksal von Nicolai Sisow ist unbekannt. Zumindest bis 22. Dezember 1944 wurde man seiner nicht habhaft.'49 Es ist aber unwahrscheinlich, daß er sich barfuß (im November!), sprachlich gehindert und am Aussehen leicht erkennbar, retten konnte. Wahrscheinlicher ist, daß Nicolai Sisow zu jenen „Untergegangenen" zu zählen sein wird, die in einem Konzentrationslager „den tiefsten Punkt des Abgrunds berührt haben" (Primo Levi). Nach Levi, der Auschwitz überlebte, wäre Sisow einer jener eigentlichen Zeugen, deren Aussage eine allgemeine Bedeutung gehabt hätte. Die ganze Bandbreite erzwungener Schicksalhaftigkeit in den Hermann-Göring-Werken endet eben nicht im Erzählbaren, sondern ging über das Erlebbare hinaus. Im Arbeitserziehungslager oder im KZ-Außenlager Linz III war der Tod allgegenwärtig. Primo Levi: „Nicht wir, die Uberlebenden, sind die wirklichen Zeugen. Das ist eine unbequeme Einsicht, die mir langsam bewußt geworden ist, während ich die Erinnerungen anderer las und meine eigenen nach einem Abstand von Jahren wiedergelesen habe. Wir Uberlebenden sind nicht nur eine verschwindend kleine, sondern auch eine anomale Minderheit: wir sind die, die auf Grund von Pflichtverletzung, auf Grund ihrer Geschicklichkeit oder ihres Glücks den tiefsten Punkt des Abgrunds nicht berührt haben. Wer ihn berührt, wer das Haupt der Medusa erblickt hat, konnte nicht mehr zurückkehren, um zu berichten, oder er ist stumm geworden" (Levi, 1990, 83). Martin Wachtel hat es überlebt. Er war fünfzehn Jahre alt, als man ihn im Mai 1945 aus dem Lager III befreite. Drei Jahre in Gefängnis und Konzentrationslagern hatte er da schon hinter sich, die er mit seinem fünfJahre älteren Bruder durchleiden mußte. Gemeinsam auch besuchten sie mich in meiner Wohnung und versuchten zu erzählen, was nicht zu erzählen ist. 150 Nach mehr als einem halben Jahrhundert überflutete noch immer die Angst die Schilderungen, die der kleine Junge mit seinem Bruder erlebt hatte. Extremtraumatisierende Ereignisse, die aus extremtraumatisierenden Dauersituationen noch herausragen. Unvergängliche Ängste blieben diesen einzelnen Szenen verhaftet, denen ich im Schutz meiner eigenen vier Wände zu folgen suchte. Ihre zeitweisen Unstimmigkeiten bzgl. einzelner Fakten und präziser Zeitpunkte waren folgerichtig - weil Nebensache - gemäß der zeitlosen seelischen Verwundungen aus einer entindividualisierten Welt, in der die Grenzen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gebrochen waren. In insgesamt sechs Stunden' 5 ' versuchten mir die beiden Brüder einen Einblick in diesen zur Realität gewordenen psychotischen Kosmos' 52 zu gewähren. Ein Versuch, der zum Scheitern verurteilt ist. 149 Bericht an den Generalstaatsanwalt vom 22. Dezember 1944. Quelle: ebenda. 150 Für die Herstellung der Kontakte danke ich Dr. Susanne Ogris. 151 Die Gespräche fanden am 4., 17. bzw. am 18. November 1999 in Wien statt. 152 Die Rechtfertigung einer solchen Wortwahl formulierte Ilse Grubrich-Simitis: „Denn die Erfahrung des Weltuntergangs, die im psychotischen Menschen vom Zusammenbruch seiner inneren Realität ausgelöst wird, war für die Inhaftierten Ergebnis ihres Ausgeliefertseins an ein apokalyptisches äußeres Geschehen. Die Welt ihrer Familien, ihrer Traditionen, der ihnen vertrauten Denk- und Fühlweisen war buchstäblich untergegangen" (Grubrich-Simitis, 1995, S. 365).

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Zwangsarbeit - Sklavenarbeit in den Reichswerken Hermann Göring am Standort Linz

In wenigen Gesprächen kann und soll nicht mehr an Bedrückung zum Ausdruck kommen als die, die noch zu benennen ist. Das ist leicht gesagt. Der psychische Kraftaufwand von mehr als fünfzig Jahren, die erlittene Tragödie so gut als möglich zu integrieren bzw. unter Kontrolle zu halten, ist diesen Erzählungen immanent und spürbar. Allein meine nachhaltige Erschöpfung nach jedem Gespräch galt mir als diesbezügliche Spiegelung, wobei mein Part auf eine - oft unterschätzte - Tätigkeit beschränkt war: zuhören. Die Erkenntnis des österreichischen, nach den USA emigrierten Psychoanalytikers Kurt Eissler, der schon in den 50er Jahren Konzentrationslager-Überlebenden therapeutisch beistand, bleibt aufrecht: „Ich plädiere hier dafür, die Gefiihlsreaktion der Unerträglichkeit als eine adäquate Reaktion beim Zuhören anzusehen. Der Psychiater, dem die gewohnte Distanz zum Untersuchungsobjekt hier fälschlicherweise als Objektivität angerechnet werden würde, kann nicht die Wirkung der Ungeheuerlichkeit des Konzentrationslagers verstehen, weil das Trauma des Konzentrationslagers jenseits des Vergleichbaren und Erfahrbaren steht" (Eissler, 1984, 204).

D I E BRÜDER W A C H T E L

Maurycy Wachtel wurde am 6. August 1929 in dem polnischen Ort Boryslaw geboren. Der Vater Ichel Wachtel (geb. 12. Juni 1894) war Fleischer. Maurycy wuchs mit zwei älteren Brüdern auf und mußte schon in der Schule den Antisemitismus erfahren: „... auch in Polen, immer wenn ich in die Schule ging, haben mich die Ukrainer geschlagen oder die Polen. Ich war ja in einer ukrainischen Schule, wo wir 2 oder 3 Juden waren. Die anderen waren alles nur Ukrainer. Schrecklich." Unter der deutschen Herrschaft wurde der 12jährige vom 28. Oktober 1941 bis 6. November 1941 in das Gefängnis von Bohyslaw gesperrt. Von da an begann der Leidensweg der Familie, der sich hier mit zwei mitgebrachten Dokumenten chronologisch ordnen läßt, auch wenn die Leidenserzählungen einer anderen Orientierung folgten - nämlich den aufflackernden, traumatischen Erinnerungsbildern. Arbeitslager Beskiden

6. 11. 1941

Konzentrationslager Plaszow

April 1943

April 1943 Mai 1943

Konzentrationslager Wieliczka

Mai 1943

Juni 1944

Konzentrationslager Plaszow

Juni 1944

August 1944

Konzentrationslager Mauthausen

August 1944

September 1944

Linz III

September 1944

Mai 1945 153

153 Regierungsbezirksamt für Wiedergutmachung und verwaltete Vermögen Koblenz. Feststellungsbescheid. 18. April 1956.

Traumatische Kinderwelten

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In Plaszow wurde die Familie sofort getrennt. Das Schicksal der Mutter ist bis heute ungewiß. „Martin Wachtel: Die Mutter hat man gleich weggenommen, woandershin. Und seit damals haben wir die Mutter nie wiedergesehen. Ignaz Wachtel: Sie kam angeblich nach Stutthof. Martin Wachtel: Dort ist sie angeblich ertränkt worden, weil dort angeblich eine Epidemie ausgebrochen ist-so hat man es uns erzählt. — Und der Vater ist mit uns geblieben. Wir waren dort längere Zeit zu dritt. Er war schon kränklich - er war Jahre. Und von dort, von Plaszow, hat man uns gebracht nach Wieliczka. Dort mußte ich die vollen Wagerl schleppen, voll mit verschiedenen Werkzeugen. Da sind sie gegangen mit Peitsche, und wir haben geschleppt. Meissen Sie, wir haben keine Luft gehabt. Es war alles so staubig. Dort waren wir einige Monate, und von dort hat man uns nach Plaszow gebracht - Wieliczka ist 20, 30 Kilometer von Plaszow. In Mauthausen waren wir auch noch mit dem Vater -" Das Schicksal des ältesten Bruders erfuhren die beiden erst nach dem Krieg. Er überlebte das K Z Gusen II und emigrierte in die USA. Ignaz und Martin Wachtel waren über ein Jahr mit dem Vater in Wieliczka, wo sie untertags in Salzgruben arbeiten mußten. Um den 15. Geburtstag von Maurycy Wachtel - Anfang August 1944 - wurden die drei für einen Transport nach Mauthausen zugeteilt. Spätestens ab diesem Zeitpunkt begann ein Martyrium, das physisch und psychisch die Grenzen des Ertragbaren erreichte. Der 50jährige Vater hatte diese überschritten. Für die beiden Söhne ging es nur mehr um die Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit, um zu überleben. Vollkommen entmachtet muß dafür das Ich gepanzert und bewaffnet werden. So beschrieb eindrücklich Ilse Grubrich-Simitis den psychischen Überlebenskampf als,»Armierung des Ichs", „daß Ängste, die angesichts permanenter Konfrontation mit dem Tod bei normalem Ichzustand eigentlich fortwährend den Charakter von Panik (automatischer Angst)... hätten haben müssen, von denen das Ich also andauernd überflutet worden wäre, noch als Angstsignal registriert und psychisch verarbeitet werden konnten" (Grubrich-Simitis, 1984, 217). Diese Armierung durchdrang auch die Erzählung. Ignaz und Martin Wachtel vermochten mir nur in größeren Intervallen die Erinnerungsbilder in Worte zu fassen. Die hier zusammengefügten Sequenzen lassen unschwer erkennen, warum: „Ignaz Wachtel: Wir sind aus Plaszow - im Sommer 1944 - wir waren etliche Tage unterwegs. Es war so eine fürchterliche Hitze. So was Fürchterliches. Wir sind stehengeblieben, es waren so 10, 11 Waggons, und in jedem Waggon waren ca. über 100 Leute. Und wir sind in St. Pölten stehengeblieben. Dort haben sich dann die Frauen vom Ort Wasser geholt. Wir haben bekommen ein Stückchen Brot, ein bisserl Marmelade, aber wir konnten nicht essen, weil wir solch großen

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Zwangsarbeit - Sklavenarbeit in den Reichswerken Hermann Göring am Standort Linz

Durst gehabt haben. Wir wollten ein bißchen Wasser. Wir sind dort stehengeblieben - einen halben Tag und haben geschrien:, Wasser, Wasser, Wisser.' Und man hat uns nichts gegeben. Und die einheimischen Frauen sind stehengeblieben und haben getratscht und haben uns nichts gegeben. Die haben nur geschrien: ,Das sind lauter Verbrecher.' Martin Wachtel: Die hatten auch Angst. Weil es warja auch verboten, uns etwas zu geben. Ignaz Wachtel: Ein SS-Mann hatte veranlaßt, man soll das Wasser auf die Waggons spritzen. Nur spritzen. Die Waggons waren so heiß, und durch das Spritzen kam ein bisserl Kälte herein. Bei über 100 Leuten in einem Waggon. So etwas können Sie sich nicht vorstellen. Martin Wachtel: Sie müssen sich vorstellen, man hat nicht gewußt, ob der nächste noch lebt. Weil jeder zweite warja schon tot. (...) Martin Wachtel:... Sie haben die Tür geöffnet, fast jeder zweite war tot. Verdurstet. Ich war noch klein, wissen Sie, ich habe bei der Tür noch ein bißchen Luft bekommen. Es hat bestialisch gestunken. Und dort haben wir geschleppt, mit dem Vater. Wissen Sie, er war noch vom Ersten Weltkrieg verwundet. Er konnte nicht so schnell gehen. So haben wir beide ihn geschleppt, und sie haben uns geschlagen. Vom Bahnhof Mauthausen bis oben hinauf ins Lager. (...) Ignaz Wachtel: Ja, wir haben ihn geschleppt. Zu den Baracken. Vor diesen Barackenräumen gab es einen Vorraum. Dort gab es solche Springbrunnen. Und dort ist das Wasser nur so geronnen wissen Sie. Und ich habe mir eine Flasche organisiert und versteckt. Ich wollte nur ein bißchen Wasser haben. Da hat mich der Barackenführer erwischt. Der hat mich so geschlagen - und mein Vater hat geschrien:,Bitte, gib das weg!' Ich wollte doch nur ein bißchen Wasserfür den Vater. Ich habe dort solche Schläge bekommen Martin Wachtel: Wir waren dort in der Baracke so viele Leute, daß wir nicht schlafen konnten. So wie die Sardellen mußten wir liegen. Wir konnten uns nicht umdrehen. Bei Tag haben wir gearbeitet, 12,14 Stunden - Später haben wir dann solche Pritschen bekommen. (...) Martin Wachtel: Wir waren schon in Linz, und da haben wir erfahren, daß unser Vater in dem Steinbruch umgekommen ist. Wir haben vorher auch dort gearbeitet.

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Traumatische Kinderwelten

Ignaz Wachtel: Jetzt erklären wir einmal., was heißt dort,gearbeitet''. Wir haben dort nicht gearbeitet', sondern geschuftet. Schauen Sie, wir haben keine richtigen Schuhe getragen. Wir haben dort eine KZ-Uniform bekommen und Holzschuhe - und so mußten wir die Steine schleppen. Die schlechtesten waren die ersten 5, 6 Reihen. Waren wir noch oben, waren die schon unten. Das waren 600 bis 700 Leute. Und die haben oben begonnen zu schlagen, so war immer die erste Reihe tot. Man hatte eine halbe Stunde Zeit, und man mußte einen Stein suchen, der sehr schwer war. Und wir haben einen Stein genommen und sind langsam hinaufgegangen. Und oben sind sie gestanden und haben aufgepaßt - die haben schon gewußt, wieviel ein Stein wiegt. Die haben gewußt, der Stein hat unter 25 Kilo, da hat man ihn rausgenommen und hat ihn so geschlagen odersamt Stein hinunter geschmissen. Martin Wachtel: Wahrscheinlich hat man unseren Vater auch so getötet. Das war schrecklich, das war eine Vernichtungsmaschinerie dort. Da hat man jemanden eine Kappe runtergeschmissen und gesagt: ,Geh, hol das!' Und wir sind gestanden, und sie haben ihn erschossen. Dort war das Leben nichts wert. Ignaz Wachtel: Mein Vater konnte nicht mehr und hat sich in das Krankenrevier gemeldet. Und einmal kamen wir ihn besuchen, da hat mir einer gesagt: yAh, du kommst zu spät. Wärest du früher gekommen, hättest du ihn begleiten können. Er ist schon oben.' Im Gas -" Mit dem Tod des Vaters am 11. September 1944 waren die beiden Brüder nun endgültig auf sich allein gestellt. Die Tortur und der Mord finden sich nicht in der Mauthausener Häftlingsliste, in der in drei Zeilen die Schicksale zu Nummern und im Durchstrich depersonalisiert sind.'54 3211

Wachtel Iohcl

11.6.94

Drohobyeg

Fleioohor

88211

3212

Wachtel Izak

2.6.24

Boryslaw

Schlosser

88212

3213

Wachtel Maurycy

6.8.29

Boryslaw

Lehrling

88213

11.9.44

Die beiden Brüder zählten zu den zahlreichen Kindern und Jugendlichen, die 1944 auf Grund der Evakuierungstransporte aus den östlichen Konzentrationslagern nach Mauthausen gebracht wurden. Bertrand Perz, der in einer Arbeit speziell Schicksale und Lage der „Kinder und Jugendlichen im Konzentrationslager Mauthausen und seinen Außenlagern" untersuchte, konnte feststellen, daß die Zahl der weniger als 20 Jahre alten Häftlinge Ende März 1943 1.659 betrug. „Ab Frühjahr 1944 stieg ihre Zahl absolut als auch relativ zur Gesamtzahl der Häftlinge des Mauthausener Lagerkomplexes rapid an. Waren im März 1944 schon 2.736 Kinder und Jugendliche eingesperrt, so vervielfachte sich ihre Zahl bis Ende März 1945, als 15.048 männliche Häftlinge unter 20 Jahren im Maut154 Einen Kopieauszug überließ mir dankenswerter Weise Herr Ignaz Wachtel.

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Zwangsarbeit - Sklavenarbeit in den Reichswerken Hermann Göring am Standort Linz

hausener Lagerkomplex inhaftiert waren. Die Zahl der jugendlichen weiblichen Häftlinge - Frauen wurden erstmals am 30. September 1944 eigens statistisch erfaßt - stieg von 176 auf 290 am 31. März 1945 an"'55 (Perz, 1993, 74). Nach ca. einem Monat - Anfang September 1944 - konnten Izak und Mauiycy Wachtel das Konzentrationslager Mauthausen verlassen und wurden in das Außenlager Linz III der Hermann-Göring-Werke überstellt. Eine vermeintliche „Verbesserung", wenn die wenigen Erleichterungen ein solches Wort zu rechtfertigen imstande ist. Nichts änderte sich an der ständigen Konfrontation mit dem Tod, an der Entwürdigung und an der alltäglichen Angst. Solidarität war ein moralischer Luxus, den sich nur jene leisten konnten, deren Gedanken noch weiter reichten als an Essen. „Martin Wachtel: Wir haben den gelben Stern getragen. Die meisten waren Ukrainer, Russen Ignaz Wachtel: Und wenn wir Juden unser Essen geholt haben, dann hat er mit dem Schöpflöffel die Suppe ins Gesicht geschmissen. Martin Wachtel: Wir waren das Opferfür alle. Ignaz Wachtel: Wir habenja getrennte Arbeit gehabt. Wenn ich Nachtschicht hatte, hatte er Tagschicht, und umgekehrt. Wir haben uns nur am Sonntag gesehen. Manchmal konnten wir uns am Arbeitsweg sehen. Martin Wachtel: Oder beim Appell. Weil das war Sonntag. Da haben wir immer geübt; stundenlang -,Mützen ab\,Mützen auf - Sie müssen wissen, wir waren geschoren. Ich glaube, einmal in der Woche hat man uns einen so ca. 3 cm breiten Streifen auf dem Kopf rasiert - das hat geheißen,Läusepromenade'. Und das hat glänzen müssen. Und Gott behüf - sie haben das kontrolliert - wenn das nicht geglänzt hat. Schrecklich. Sonntag war meistens die Übung:,Mützen auf,,Mützen ab', das waren Tausende Leute (...) Martin Wachtel:... Aber es waren auch gute Leute bei der Arbeit. Wissen Sie, wir haben die Platten für die Tanks - das waren riesengroße Platten. Und ich habe das gezählt, und dort war ein Zivilist aus Linz. Und er hatte immer ein Stückchen Brot - das war ein Meister. Das war die Rettung. Wir haben dort Torf gegessen. Die SS hat das bemerkt, weil wir einen schwarzen Mund hatten. Wir haben so viel Schläge bekommen. 155 Perz ergänzt in der Fußnote, daß die tatsächliche Zahl der inhaftierten Kinder und Jugendlichen weit höher angesehen werden muß, da die im selben Zeitraum in andere Lager überstellten sowie die verstorbenen und getöteten jugendlichen Häftlinge in diesen Zahlen nicht enthalten sind (Perz, 1993, 74).

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Man hat nur in der Früh ein bisserl schwarzen Kaffee zum Essen bekommen und ein kleines Stückchen Brot und ein bißchen Marmelade. Und zu Mittag haben sie uns beim Appell gezählt, auf einem riesengroßen Platz, dort haben sie uns gezählt. Drei-, viermal, Gott behüte, -wenn jemand verschwunden ist, dann war es schrecklich. Dann sind wir dort gestanden, und man hat uns geschlagen. Schrecklich. Dort hat man zu Mittag gezählt, und wenn alles in Ordnung war, dann hat man eine Suppe gebracht. Die Suppe, das war Wasser und Kartoffelschalen. (...)

Martin Wachtel: Schauen Sie, wir mußten um 5 Uhr früh auf und wurden schon geschlagen: , Schnell, schnell, schnell/' Und mußten zur Arbeit. 12 Stunden. Und während des Krieges, als Alarm war, mußten wir ins KZ zurücklaufen. Das waren einige Kilometer bis Kleinmünchen. Und die letzten Monate war oft Fliegeralarm, und wir mußten immer laufen. Da wurde bombardiert, und wir haben nur gebetet. Die Bunker in den Hermann-Göring- Werken waren natürlich nichtfür uns. Und das ist interessant: Auch die SS-Leute sind mit uns gelaufen. Rein ins KZ-Lager. Überall haben sie bombardiert, aber ins KZ-Lager ist fast nie eine Bombe gefallen. Ignaz Wachtel: Was haben Sie noch mit uns gemacht, als sie bombardiert haben? Martin Wachtel: Wir mußten die Bomben aufsuchen. Ignaz Wachtel: Ja, in der Stadt Linz. Auf den Bahnhöfen - das war unser Glück. Den auf den Bahnhöfen gab es viel zu Essen. Martin Wachtel: Ja, das war unser Glück. Ignaz Wachtel: So viel, das können Sie sich nicht vorstellen. Wir konnten natürlich nichts mitnehmen - das wäre zu gefährlich gewesen. Karl Fallend: Was haben Sie in der Stadt suchen müssen ? Martin Wachtel: Die Blindbomben, die nicht explodiert sind. Dazu haben sie uns herangezogen. Ignaz Wachtel: Und die Stadt wieder sauberzumachen. Wir haben drei, vier Tage dort gearbeitet. Martin Wachtel: Wir haben ständig geträumt von einem Stückchen Brot. Wir waren so verhungert. Wennjemand zu mir gekommen wäre und gesagt hätte:, Schau, du kriegstjetzt ein halbes Brot, aber später wird man dich umbringendann hätte ich gesagt jaNur um einmal satt zu werden."

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Zwangsarbeit - Sklavenarbeit in den Reichswerken Hermann Göring am Standort Linz

Im Lager III und in der Fabrik waren die beiden Brüder nun voneinander getrennt. In unterschiedlichen Baracken untergebracht und in verschiedenen Arbeitsschichten und -platzen zugeteilt, blieb ihnen lediglich der Sonntag, um einander zu sehen. Uberleben war Glückssache, und Ignaz Wachtel hatte es sehr schlecht getroffen. Sein Blockleiter war ein deutscher Krimineller, der sich als Sadist gerierte - v. a. gegen Juden. Aber auch die Arbeit brachte keine Linderung der Situation, obwohl ihm die „leichteste Arbeit" befohlen war. Denn gleich einer psychischen Folter, wurde Ignaz Wachtel einer Doublebind-Situation ausgesetzt, die in ihrer schizophrenen Gestaltung von „gut" und „schlecht" einer KZ-Logik folgte. Und über allem drohte die Todesstrafe. „Ignaz Wachtel: In meinem Block -waren vielleicht 5 oder 6 Juden. Sonst waren viele aus anderen Ländern: Russen, Franzosen usw. Ich hatte die leichteste Arbeit, und die war zugleich die schrecklichste Arbeit; mit viel Verantwortung. Wir mußten die Arbeit der Polen, Russen oder Ukrainer übernehmen. Ich hatte dazu ein Werkzeug mit meiner Nummer, und war das Werkstück in Ordnung, dann mußte ich meine Nummer mit einem Hammer hineinstanzen. Das waren Bestandteile für die Tanks. Ich hatte die richtigen Maße gehabt, und war der Teil nicht in Ordnung, dann mußte ich mit Kreide ein großes A draufschreiben. A heißt Ausschuß, schlecht gemacht. Dann ging das in die nächste Instanz. Meine Nummer ist da drauf. Der das schlecht gemacht hat, ist zur Verantwortung gezogen worden oder sogar gehängt. Hab' ich ein A geschrieben, dann habe ich meine Schläge erst im KZ von ihm bekommen. Karl Fallend: Von ihm? Ignaz Wachtel: Von dem KZler. Ich muß Ihnen das deutlich erklären: Der KZler steht bei einer Drehmaschine und macht einen Artikel - einen Bestandteilfür die Tanks. Und der hat dort die genauen Maße, wie dieser Teil auszuschauen hat. Und dann macht er das. Ist ihm das gelungen oder nicht. Das waren 50, 60 Drehmaschinen. Ich hatte dort einen Tisch, wie sie Architekten haben. Dort waren meine Werkzeuge, meine Meßgeräte, und ich habe dort alles aufnehmen müssen. Das heißt, ich ging damit von Drehbank zu Drehbank und hatte die Arbeit der anderen KZHäftlinge zu kontrollieren. Und war es in Ordnung, dann ist mir leicht geworden. Dann bekam es meine Stampiglie, und ich gab es auf diese Seite. War es aber schlecht, dann kam es auf die andere Seite. Der Häftling konnte nichts machen. Später, am nächsten Tag, wurde er zur Rechenschaft gezogen. Die schlechteste Position haben wir gehabt. Entweder die KZler bekamen 48 Stunden Bunker, oder man hat ihnen das Essen gestrichen. Und noch dazu hatte ich Angst davor, ins Lager zu gehen, weil der KZler hat schon auf mich gewartet, um sich zu rächen.

Traumarische Kinderwelten

Martin Wachtel: Sie dürfen nicht vergessen, wir sind mit einem großen gelben Stern gegangen. Und die Ukrainer, die Polen haben uns gesehen,, der Jude1, und bumms, haben sie uns geschlagen. Wir haben vorjedem Angst gehabt. Nicht nur vor der SS. Drinnen warja wenig SS, aber vorden eigenen Häftlingen. Alle haben die Juden geschlagen. Auch nach dem Krieg. Ich warja damals so jung, wir haben so Angst gehabt, und ich habe gedacht: , Um Gottes willen, jetzt istja keine Behörde da' Ignaz Wachtel: Wissen Sie, wir sind drei Tage nach dem 5. Mai im Lager geblieben, weil wir so Angst hatten. Martin Wachtel: Die sind herumgelaufen und haben die SS-Leute gesucht. Aber hätten sie uns erwischt, hätten sie uns auch geschlagen. Ignaz Wachtel: Und warum hätte er mich umgebracht - weil er hat schon Konsequenzen getragen, weil ich ihm schon einmal ein A geschrieben habe. Er wollte auch Rache nehmen. Martin Wachtel: Aber Ignaz, das ist nicht nur das gewesen. Uns haben alle geschlagen. Der Jude war der Sündenbock für alle. Und wir waren dort wenige. Es waren dort Rote, Grüne, Schwarze, Violette, alle - Politische, Verbrecher - und wir hatten den großen Davidstern. Am meisten die Ukrainer, die Russen, die Polen - das waren Kriegsgefangene, die sind auch gestorben. Schrecklich. Jeden Tag, wenn wir am Abend von der Arbeit gekommen sind, hat man nach dem Appell wiederweiche aufgehängt. 10, 15 Leute, die etwas gestohlen hatten, ein Stückchen Brot, eine Kartoffel - das war immer so eine Vorstellung zur Abschreckung. Ignaz Wachtel: Wir haben jede Woche, jeden Sonntag haben wir zwei Zigaretten bekommen. Und nichtjeder hat geraucht. Das war die teuerste Währung. Am Sonntag, schon in der Früh ging man auf die Börse, auf den Markt. Der hat ein Stückchen Brot, der will das, der willjenes. Manche hatten sogar ein geschliffenes Messer. Ich habe heute noch eine Narbe davon. Ich hatte Zigaretten und wollte dafür ein Stückchen Brot. Ich habe einem die Zigaretten gegeben und dafür kein Brot erhalten, sondern er hat mit dem Messer hier eingestochen. Noch heute, nach 50 Jahren, habe ich diese Narbe." Martin Wachtel war mit seinen 15 Jahren der jüngste im Lager III. Ein Umstand, der ihm ein wenig Schutz einbrachte. In der Fabrik waren es zusätzlich einige Deutschkenntnisse, die den Jungen privilegierten. Ab und zu durch leichtere Arbeitsaufträge, Ubersetzungsdienste und ein in Zeitungspapier gewickeltes, abseits gelegtes Stück Brot zeigte der Linzer Meister Erbarmen. Das Privileg war aber die lebensrettende Hand eines „angeblichen Verbrechers"; eines deutschen Lagerfuhrers, dessen Machtfülle von einem Gunstkreis umgeben war, in der der kleine - „sein" - Moritz mit eingeschlossen war.

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Martin Wachtel: Einmal hat mir der Lagerflihrer, der Deutsche - es war Winter, mir war so kalt - er kommt und sieht mich und sagt,Moritz!' nimmt er mich heraus und hat mir so Ohrenschützer gegeben. Das war für mich ein Segen. - Wir waren so Gruppen von hundert Leuten. Undfiirjede Gruppe war ein Kapo verantwortlich.,Mütze abund da war schon ein Scheinwerfer von oben, und dann haben die SS-Leute noch einmal gezählt. Karl Fallend: Können Sie sich noch an Namen erinnern? Martin Wachtel: Nein. Nach dem Krieg ist er noch zu uns gekommen - der mir immer was gegeben hat. Er war nett dort, obwohl er angeblich ein Verbrecher war. Und da waren die Scheinwerfer, und ich habe die Ohrenschützer vergessen und vergessen, daß die meine Läusepromenade verdecken. Da ist er gekommen und hat mich mit den Stiefeln getreten - ich habe solche Schläge bekommen. Da bin ich zu dem Lagerführer gelaufen und konnte nicht mehr sitzen. Da ist der Lagerfuhrer zu dem Barackenführer gegangen und hat ihm gesagt: ,Das ist mein Moritz, bitte paß auf.V Und er mußte aufmich aufpassen - und ich bin gelegen bei ihm unter dem 'Bett. So wie ein Hund. Ich weiß nicht, aber ich habe solche Schläge bekommen, daß ich nicht mehr sitzen konnte. Jetzt mußte ich auf dem Bauch liegen. Und der Lagerflihrer ist immer gekommen und hat mir - der Barackenführe, war ein Pole - etwas runtergeschoben: ,Das ist für dich.' Später war es schon leichter. Da war ich für den Barackenführer so eine Art Stubenmädchen. Ich habe ihm die Schuhe geputzt und alles. Und der Lagerflihrer ist immer gekommen, um zu kontrollieren. Der Barackenführer hat natürlich auch Angst gehabt vor dem deutschen Lagerführer., Wie geht's dem Moritz?' Und er hat mir immer ein Stückchen oder irgendwas gebracht. Ich bin immer zu ihm gelaufen. Der Lagerfuhrer war für uns eine große Stütze. Der Pole hat vor ihm Angst gehabt und hat auf mich aufgepaßt. Und noch nach dem Krieg ist der Lagerführer zu uns gekommen, und wir haben ihm Geld gegeben und Essen. Längere Zeit noch. Wie lange waren wir dort? Er ist immer zu uns gekommen. Kannst du dich erinnern? Er war im Lager in Ordnung. Er war verantwortlich für den Ausgang undfür alles — Karl Fallend: Das habe ich jetzt nicht ganz verstanden Martin Wachtel: Der Pole war der Barackenführer. Der warfür die Baracke verantwortlich, wo ich gewohnt habe. Und der Deutsche war der Lagerkommandant. Und er war verantwortlich für das ganze Lager. Der Lagerälteste. Er war angeblich ein Krimineller. Während der Pole ein Kriegsgefangener war, ein hoher Offizier. Sehr sympathisch. Aber er hat auch die Leute dort geschlagen. Aberfür mich war er gut. Aber dem Lagerführer habe ich sehr viel zu verdanken. Er hat mir immer was gegeben. Immer ein Stückchen Brot, eine halbe Zigarette, und ich habe immer geschaut, so zu stehen, daß er es bemerkt. Und er hat immer gesagt:Moritz, komm her!1 Das warfür mich sehr viel wert. Weil damals haben uns alle viel geschlagen. Wir waren von allen Seiten geschlagen. Von allen Seiten."

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Die mächtige, väterliche Hand des Lagerfiihrers war wohl Teil jenes Glücks, das Martin Wachtel überleben ließ. Ein Lichtpunkt, dessen Nähe er stets suchte, weil er Geborgenheit, Linderung bot und dem Minderjährigen auch wieder ein Stück Identität - einen Namen, einen deutschen Namen gab. Die permanente Angst blieb jedoch aufrecht. Das Existieren unter ständiger Lebensbedrohung, diktiert nach den elementaren Bedürfnissen der Selbsterhaltung, fand zwar objektiv am 5. Mai 1945 ein Ende; subjektiv war jedoch die Tortur verinnerlicht und dauerhaft. Martin Wachtel erzählte, wie er noch lange danach sein Essen verstecken, beim Essen sich wegdrehen mußte, aus Angst, es könnte ihm jemand wegnehmen. Bis heute ist ihm Zugfahren ein Greuel. Martin Wachtel landete schließlich 1946 bei jüdischen Brigaden, die männliche Jugendliche aus ganz Europa rekrutierten. Sie wurden mit englischen Uniformen ausgestattet, bewaffnet und für den Befreiungskrieg in Palästina - Martin Wachtel hatte zuvor noch nie davon gehört - vorbereitet. „So war es das erste Mal in meinem Leben, daß ich sagen konnte: ,Ich bin frei!' Da war ich schon 16 Jahre, mit Waffen. Und nach zwei, drei Monaten hat man uns genommen nach Bari und illegal verschifft nach Palästina. Und dort haben wir gekämpft, im Befreiungskrieg, aber das war ein ganz anderes Leben. Dort habe ich keine Angst gehabt." Nur kurz war die Befreiung auch eine erlebte. In seiner neuen Heimat Tel Aviv wurde für Martin Wachtel die Vergangenheit wieder zur Gegenwart, und er war deshalb noch lange auf psychotherapeutische Hilfe angewiesen. Ignaz Wachtel mußte in Osterreich bleiben. Eine durchlöcherte Lunge, Tuberkulose und ein Blutsturz zu Jahresende 1945 machten einen monatelangen Krankenhausaufenthalt notwendig. Im Jahre 1958 besuchte Martin Wachtel seinen Bruder in Wien und blieb. Seit damals sind die Brüder wieder zusammen.

M A X - ODER: „ M I T DEM S A M M E L N KOMMT DAS ALLES WIEDER HOCH" Ebenfalls auf dem Werksgelände, auf der anderen Seite des Stacheldrahts, lebte ein anderer Junge, Max, der zwei Jahre jünger war als Moritz. Ungewiß, aber nicht unwahrscheinlich, daß sich die beiden sogar begegneten. Für Max eröffnete sich mit dem Spatenstich für den Aufbau der Hermann-Göring-Werke am 13. Mai 1938 vorerst ein kleines Paradies. Eine im Spiel zu erobernde Abenteuerlandschaft, die zusehends mit viel Leid und Trauer überschattet sein sollte. Max Koller meldete sich auf unser Inserat „Wir suchen Zeitzeugen" in den „Oberösterreichischen Nachrichten". Sein Antwortschreiben klang interessant: „... Ich ging 1937-1938 in St. Peter in die Schule. Stand beim Spatenstich in der 1. Reihe, wohnte in der ganzen Kriegszeit bis 18. Dezember 1944 mitten im Werksgelände, bevor wir ausgebombt wurden. Könnte über einiges berichten." Und so war es auch. Noch nie zuvor

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hatte ich jemanden getroffen, der die Geschichte dieser Fabrik im wahrsten Sinne des Wortes in sich verkörperte - „Da habe ich mein ganzes Leben praktisch verbracht" - und sich dessen auch bewußt war. In St. Peter aufgewachsen, verbrachte Max Koller seine Kindheit auf dem Gelände der Hermann-Göring-Werke, da das Elternhaus zu den wenigen von St. Peter gehörte, das nicht geschleift wurde und bis zum 18. Dezember 1944 von der Familie bewohnt war, als es eine Bombe zerstörte. Im Jahre 1950 war Max Koller in die V O E S T als Arbeiter eingetreten und ging nach 41 Jahren in den Ruhestand. Noch heute lebt er in unmittelbarer Nähe des Werksgeländes, in einem Haus, das er 1942 im Aufbau miterlebte und mit Luftschutzkeller ausgestattet war, den ich - zu meiner großen Überraschung - nach unserem Gespräch besichtigen durfte. Herr Koller war ein sehr informativer und geschichtsbewußter Gesprächspartner, der mir - mit zahlreichen Mappen und Fotoalben gewappnet - seine Erlebnisse erzählte. Etwas irritierend Vertrautes lag in der Erzählung, was mir erst im nachhinein bewußt wurde: die melodische Eigenart der proletarischen Dialektsprache, die ich schon verlernt glaubte und die sich in den Stunden der Unterhaltung zu reaktivieren schien. Daß Herrn Koller mehrmals das Du durchrutschte, bestätigte mir diese Ausnahmesituation. Retrospektiv war für den kleinen Max Koller die Zerstörung von St. Peter keine Tragödie wie für viele andere (vgl. Karl/Kurowski, 1998), sondern Teil der euphorischen Atmosphäre im wirtschafdichen Aufschwung. Die Kinder stimmten herzhaft ein in das ideologische Geschrei, das sie in der Schule lernten und das sich bald mit dem Lärm der Baumaschinen vermengte. „Max Koller: Ich bin 1931 geboren. 193 7 bin ich in die Schule gekommen. Ich weiß noch, wie der Spatenstich war, da sind wir in die erste Klasse gegangen, da waren wir die kleinen Buben, wir sind in der ersten Reihe vorne gestanden. Ganz vorne. Ich habe eh die Bilder noch. Ein Jahr sind wir noch in die Schule gegangen da unten. (...) Und im 39er Jahr, die erste Kommunion, die habe ich in St. Peter noch gehabt. Da war rundum schon alles aufgegraben gewesen. Wir sindjedenfalls noch in der Klasse gewesen, als der erste Bagger gekommen ist. Auf einmal, rassei, rassei', wir haben nicht gewußt, was da los ist. Auf einmal ist der erste Bagger da drin vorbeigefahren. Die ganze Klasse, alle sind wir sofort raus, die ganze Schule. (...) Also bis ins 39er Jahr sind wir unten in die Schule gegangen. Wir haben einen Ausweis bekommen ,auf öffentlichen Wegen und Straßen des Geländesdaß wir uns dort bewegen dürfen. Aber nur waren wir als Buben, wir waren ja so neugierig, überall. So was haben wirja noch nie gesehen. Wie sie die Hallen gebaut haben, dann die kleinen Dieselloks, in der Nacht sind die gestanden, und wir als Buben haben probiert zufahren mit dieser Diesellok. Da waren ein paar größere auch schon dabei.

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Ich weiß noch, einmal haben wir so sieben oder acht so Kipper samt der Diesellok hinuntergekaut. Da ist der Werkschutz gekommen zu den Eltern, und wir hatten Scherereien. ,Sie müssen aufpassen, wir dürfen nicht herumlaufen.' Aber die haben uns eh schon alle gekannt. Und dort, wo der Hafen ist, da habe ich das Schwimmen gelernt, wie der gemacht worden ist. (...) Wir waren halt überall dabei, wir Buben. Zum Beispiel die Zwangsarbeiter. Beim Mühlbach unten, wo heute die Asylanten sind, Lunzerstraße. Wir waren als Buben dort immer baden in der Traun. Und dort haben sieja das Lager gebaut im 39er Jahr. Im 40er Jahr sind lauterfranzösische Kriegsgefangene dort hingekommen. Lauter Franzosen in das Lager. Und wir Buben sindja so neugierig gewesen. Da haben wir ihnen immer was gebracht, ein Brot oder Obst oder wasfür ein Abzeichen. Abzeichen wollten wir haben. Die sind dort nicht eingesperrt gewesen, sondern haben gearbeitet im Werk und haben dann Fußballgespielt. Da war das noch nicht eingezäunt damals. Dann im 41 er Jahr sind russische Kriegsgefangene reingekommen. Und die sind nur zum Arbeiten im Werk gewesen. Die sind in der Früh reinmarschiert - wir haben das alles gesehen." Für den 8-, 9jährigen Max war die nächste Umgebung seines Elternhauses - das im Aufbau befindliche Gelände der Hermann-Göring-Werke - ein überdimensionaler Erlebnispark. Und im Keller des Hauses war die Sammelstelle der kostbaren Fundstücke, die zuvor noch nie zu sehen waren - Werkszeitungen, abgeworfene Flugblätter, Bombenund Flaksplitter und vieles mehr. Als ein amerikanischer Bomber direkt über dem Werksgelände abgeschossen wurde, war Max als erster zur Stelle. Alles wurde ausgebaut - Armaturen, Steuersäule etc. - und im Keller gesichert. Vor allem die bruchsicheren Fenster waren als Schilder für die Steinschlachten eine ideale Beute. Er und seine sieben/acht Freunde und Schulkameraden waren überall zugegen, und kaum entging ihnen etwas auf ihren neugierigen Streifzügen in dieser vielschichtigen Männerwelt: arbeitende Männer mit so vielen unterschiedlichen Sprachen, nackte Männer, die am Wochenende im Mühlbach badeten, uniformierte Männer, die zwar bestaunt, aber auch in vieler Hinsicht gefährlich waren. Den wichtigsten aller Männer aber, den mußte Max bald vermissen. Der Vater, Max Koller sen., mußte zur Wehrmacht. Seine Briefe aus Rußland sind dem Sohn noch heute gegenwärtig. ,An Schüler Maxi Koller. Hermann-Göring-Werke. St. Peter 404." Die anderen gehörten für ihn zum alltäglichen Erscheinungsbild. Französische Kriegsgefangene etwa, mit denen die Buben einen regen Tauschhandel trieben Brot oder Obst für ein Abzeichen. Manche lernte er persönlich kennen, manche näher, als ihm lieb war. Da war der Russe Michael, den er beim Luftangriff am 4. November 1944 kennenlernte, als sie keinen Bunker mehr erreichten und gemeinsam in einem Keller Unterschlupf suchten. Oder Boris in seiner russischen Uniform mit Schleife, die die Aufschrift trug ,1m Dienste der deutschen Wehrmacht'. „Mit dem war ich sogar zweimal auch im Kino, in Linz, im Kolosseum." Oder Pascha aus der Ukraine, die beim Großvater arbeitete, der die ganzen Kriegsjahre über als Magazineur in den Hermann-GöringWerken beschäftigt war. Und schließlich: SS-Oberscharfuhrer Schmidt.

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Entlang des Lagers III floß der Mühlbach, den die Buben gerne zum Schwimmen nutzten. Eines Tages kamen sie dem KZ-Außenlager zu nahe und wurden von der SSWachmannschaft herausgefischt und im Lager gefangengehalten. „Max Koller: Und wie mich meine Mutter da geholt hat, da hat sie einen SS-Oberscharführer kennengelernt. Ende 43 war das. Der Vater war in Rußland, ist eh klar. Die Mutter hat den kennengelernt, und das ist dann weitergegangen. Oberscharführer Schmidt war das. Der ist dann immer gekommen. Da hat sich dann folgendes herausgestellt. Das hat sich nachher erst alles herausgestellt, was die Mutter so gesagt hat und was ich alles gesehen habe. Der ist immer zu uns ins Haus gekommen, und ich habe mir zuerst nichts gedacht dabei. Derweil, die Mutter - auf einmal ist es soweit gewesen: sind Pakete gekommen. Sind Pakete gekommen aus Polen. Aus Warthenau in Warthegau. Und der - ich hab' noch die Karte gesucht, weil irgendwo habe ich noch eine -, der heißtjedenfalls Jacubowsky und hatte ein Fotoatelier, dort in Warthenau in Warthegau. Ich hätte ihn schon ein paarmal gesucht, aber ist auch nichts herausgekommen, ob der - das war der Sohn. Dieser SS-Oberscharführer, der hat ein Zimmer gehabt, eine größere Wohnung, hat der ihn als Putz gehabt. Und dieser SS-Oberscharfuhrer mit meiner Mutter, der war von Mannheim in der Nähe. Hat meine Mutter hingeschrieben zum KZler seine Eltern heim, der bei ihm der Putz war - der hat Schuhe und Gewand geputzt, der hat ihn nur zu dem gehabt - sie können Pakete schicken. Jetzt haben die von dort zu uns heim, zu der Mutter, Pakete geschickt. Aber der SSler hat sie aufgemacht, und wenn ein Alkohol drinnen war, den hat er rausgenommen. Und das andere hat er mitgenommen, und bei ihm im Zimmer hat er das immer essen können. Karl Fallend: Das ist ein Wahnsinn. Max Koller: Ja, ein Wahnsinn. Wenn da einer draufgekommen wäre, wie das geßhrlich war. Und dann bei uns bei der Hauptstraße - beim Versorgungshaus unten beim Tunnel, heute ist es ja asphaltiert. Das warfrüher alles gepflastert. Das haben lauter KZler gemacht. Die ganze Straße rein. Ich habeja auch in die Schule gehen müssen durch die Tunnels raus zur Neuen Welt und dann nach Kleinmünchen fahren. Die haben ja Monate lang gearbeitet, alles händisch, da hat'sja nichts gegeben. Da waren aber schon so ukrainische SSler. Die waren schon ein wenig schärfer. Das weiß ich noch. Einmal waren solche, dann waren wieder unsrige und der Oberscharführer, der Schmidt, der war da der Oberaufpasser. Der war immer bei uns beim Häusl bei der Mutter gewesen. Und der hat ihnen erlaubt, Wasser trinken können sie bei uns beim Brunnen. Da haben sie beim Brunnen Wasser holen können. Und meine Mutter hat immer so ganze Reindln Polenta gemacht. Und wenn er da war, dann ist immer einer nach dem anderen zum Wasser raufgekommen und haben immer die Polenta gegessen. Da hat er nichts gesagt. Aber wenn die Ukrainer oder Rumänen da waren, da haben sie nicht einmal Wasser holen dürfen. Das waren ganze Hundianer. Karl Fallend: Da waren Sie 15 Jahre alt?

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Max Koller: Ja, so 13, 14 Jahre. Karl Fallend: Haben Sie das erkannt, was da los ist? Max Koller: Das mit der Mutter nicht, aber - aber so neugierig - als Buben. Ich habe mir das auch alles aufgehoben. Ich habeja im Keller da unten so Hefte. Aber das ist über das ganze Kriegsgeschehen, über die ganzen KZ, über Mauthausen, über alles. Alles damals schon gesammelt und auch was nach dem Krieg war, alles. Und über dem Luftkrieg am allermeisten. Das hat mich am allermeisten interessiert."

Nach der ersten Erzählsequenz war es mir offensichtlich nicht möglich, meine empathische Zuhörerhaltung aufrechtzuerhalten. „Ein Wahnsinn", brach es aus mir aus. Aber nicht ob der Gefährlichkeit des Unternehmens, sondern zum einen, weil mir nicht einleuchten wollte, warum die gemeinsame Ausbeutung des KZ-Häftlings mit dem Alkohol haltmachen sollte. Auch wenn sich der „Oberaufpasser" Schmidt weniger brutal verhalten haben mag als die „Hundianer" der ukrainischen SS, die Mutter den KZ-Häftlingen etwas Essen zukommen ließ, das Unbehagen, die Scham, blieb mir aufrecht und folgte dem Jungen noch Jahre danach: „Mich hat das eh gestört, aber die Mutter hat dann auch nicht recht -. Und dann haben wir doch nicht nachforschen wollen nach dem. Andererseits war

meine Unterbrechung Mitgefühl, auch Mideid mit dem Knaben, der vielleicht die Gunst des mächtigen Mannes genossen haben mag, aber doch vielmehr tief gekränkt sein mußte, über den sukzessiv realisierten Verrat am Vater. Ein Jahr dauerte das Liebesverhältnis zwischen der Mutter und dem SS-Oberscharführer Schmidt, bis die Bomben das elterliche Haus zerstörten - samt Keller mit all den gesammelten Schätzen. Der Erlebnispark hatte sich zur Horrorlandschaft verwandelt, die Max genauso neugierig in sich aufnahm wie die Jahre zuvor. Nur: jetzt in realer Todesangst, angesichts der Bombenangriffe und Leichenberge. Immer wieder tauchten sie auf, auch in der dreistündigen Erzählung, die zahlreichen Toten: „Max Koller: In den fünfziger Jahren, 1955, habe ich einmal dem Wiesenthal geschrieben, ob er Interesse hätte. Ich weiß so viele Gräber unten - nach dem Luftangriff am 25. Juli -, wo sie die KZler alle eingescharrt haben. Aber er hat mir keine Antwort geschrieben damals. Ich wüßte, wo die alle vergraben sind. Heute kann man nicht mehr hin. Das ist mit Schotter anplaniert alles. Das ist dort, wo heute das Fernheizwerk ist. Das ist alles anplaniert worden. Das sind ja damals das eine Lager, das hat esja gleich, so bestimmt 150, 200 Tote dort. Das war beim ersten Angriff. Und bei dem einen Luftschutzbunker, da waren auch so viele KZler, die waren in einem Kanal

156 Max Koller hatte es schließlich doch versucht, die Familie Jacubowsky ausfindig zu machen. Vergeblich.

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drinnen, und das ist alles eingestürzt. Da ist lauter Schotter nachgerutscht, wie sie sie ausgegraben haben mit den Baggern. Da haben sie die Toten mit den Baggern ausgegraben. Und wie gesagt, die haben sie alle dort hinunter. Wir Buben waren ja so neugierig, baden sind wir auch gegangen dort. Da sind sie dahergekommen mit großen Leiterwagen mit Pferden gezogen, lauter Tote oben. Haben sie die alle dort hinunter. Da waren die Bombentrichter in der Au unten, und dort haben sie sie hinein, Kalk darüber und zugeschüttet. Das waren mindestens sieben, acht Bombentrichter. Sie haben uns eh immer verjagt, aber wir waren immer wieder dort. Da habe ich ihm geschrieben, ich könnte ihm zeigen, wo die alle vergraben sind. Auch nach dem Krieg habe ich noch runter geschaut, bis nach den 50er Jahren hat man dort hinuntergehen können zu dem Bombentrichter dort. Ich habe esja genau gewußt, neben der Straße." 1945 brach dann die ganze Welt zusammen. Im Frühjahr des Jahres kehrte der Vater von der Ostfront zurück und erkrankte schwer. „So aufgedunsene Hände hat er gehabt. So kommt er in Linz da ins Lazarett, im Narrenhaus oben, Niedernhart." Der Sohn besuchte noch öfters den Vater. Der 25. April 1945 war ein sonniger Tag, der kranke Vater lag im Freien. „Da kamen die Flieger, Bombenteppich, ohne Alarm. Ihm hat es nur die Lunge zerrissen, sonst nichts. Da hätten sie die anderen Wagerln noch hereinfuhren wollen. Das habe ich mir eben so genau gemerkt. Das habe ich schon damals alles gesammelt. Alles, von allem. Die Luftangriffe zum Beispiel, Luftkriegsbücher habe ich an die 50 bestimmt. Das hat mich interessiert." Max Koller konnte sie nicht loswerden, die verscharrten, mit Kalk überschütteten Toten, die sich ihm noch heute in Erinnerung rufen, wenn er beim Fernheizwerk vorbeikommt. Erinnerungen, für die er anscheinend nie Gehör fand und die er vielleicht auch deswegen so sicher aufbewahrte: im bombensicheren Keller. Sicher waren es zu viele, die keinem Vergessen und keiner Verdrängung standhielten, sondern in Erinnerungsobjekten externalisiert fixiert und kontrolliert sein wollten. Der Tod des Vaters war wohl der tiefste, aber nicht der letzte traumatische Einschnitt in diesen letzten Kriegswochen. „Karl Fallend: Wie ist das eigentlich mit dem Schmidt weitergegangen? Max Koller: Wie wir in die Neue Heimat gekommen sind, war nichts mehr. Da war das (das Liebesverhältnis; K. F.) aus. (...) - nach dem Krieg einmal - da war ich schon bei der Großmutter -, da sind die KZler durchgezogen. Da waren ein paar Wiener dabei, das weiß ich noch nach dem Reden, da habe ich sie gefragt: ,Habt's ihr den Oberscharführer Schmidt gesehen?1. Da haben sie geschrieen: ,Nach dem Gaunerfragst du, den haben wir erschlagenhat der eine gesagt. Mehr weiß ich nicht. Das kann ja durchaus sein, da haben sieja etliche erschlagen."

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Der Vater gestorben; warum? Der Geliebte der Mutter gelyncht; warum? Und wie sich herausstellen sollte, der Onkel - der Bruder des Vaters - im Arbeitserziehungslager interniert. Warum? Er war Kommunist. Waren sich die Brüder nahe? Im Tod und in den Trümmern lag für den 14jährigen auch ein erschütternder Umsturz der ganzen Werteordnung. Das Jahr 1945 als traumatisch-biographischer Einschnitt deutscher/österreichischer Kinder, wie ihn aus eigener Erfahrung Peter SchulzHageleit beschrieb, der Sohn eines SS-Mannes, der als Knabe die Macht des Vaters mitgenoß, was mit einem Schlag verboten war: „Eine Welt stürzte für mich zusammen oder vielleicht besser: Sie erstarrte innerlich zu Eis! Was eben noch bewundert und gepriesen wurde, sollte plötzlich nichts mehr wert und streng verboten sein? Warum? Für sich allein hätte der ideologische Umbruch wahrscheinlich keine traumatisierende Wirkung entfaltet. Doch eben das war ja das Problem, daß sich der gefühlsmäßige Absturz verband mit diffusen Schuldgefühlen, mit Todesängsten auf Grund der letzten Kriegsereignisse (Tiefifliegerangriffe u. ä.) und mit der weitgehenden Unfähigkeit der Menschen, das Geschehen angemessen zu verarbeiten und mit den Kindern zu besprechen" (SchulzHageleit, 1995, S. 53). Nach Beendigung unseres Gespräches war meine Neugierde zu groß geworden, und ich bat Herrn Koller, noch einen Blick in seinen Keller werfen zu dürfen, auf den er im Verlaufe des Gespräches so oft verwiesen hatte. Ich durfte und staunte. Hunderte fein säuberlich beschriftete und geordnete Mappen, Fotos, Abzeichen, Werkschutzmützen - und als Prunkstück der Sammlung: der Modellpanzer 1 : ? aus einem zerbombten Technikbüro der Hermann-Göring-Werke, den er noch mit der Scheibtruhe aus den Trümmern für sich retten konnte. „ Wenn ich heute hineinfahre und vorbeikomme, sage ich mir, da ist das Haus gestanden, da war dies, da warjenes - da sehe ich alles wieder. Das hat sich so eingeprägt. Ich weiß nicht - und mit dem Sammeln kommt das alles wieder hoch. (...) Das istjetzt 55 Jahre aus. Aber dadurch, daß ich das so archiviere, kann ich das nicht so schnell vergessen."

Sklavenarbeit „Das Wort entschläft überall dort, wo eine Wirklichkeit totalen Anspruch stellt" (Jean Amery)

Die unterste Stufe der rassistischen NS-Hierarchie hatte im Komplex der HermannGöring-Werke in Linz einen eigenen, mit Stacheldraht begrenzten, von SS-Männern bewachten und beherrschten Ort, mit der simplen Bezeichnung: Lager Linz I und Linz HL157 Zwei Außenlager des Konzentrationslagers Mauthausen, deren Organisation, Aufbau und Funktion im speziellen Beitrag von Dr. Bertrand Perz im Rahmen unseres Forschungsprojekts ausführlich dargestellt ist. Die Lektüre seiner Ausführungen vermag einen Einblick über das Ausmaß dieses mörderischen Repressionssystems zu vermitteln, das als Bestandteil einer Rüstungsindustrie integriert, von vielen begrüßt und akzeptiert, von allen registriert war. Meine Aufgabe bestand darin, der sozialhistorischen Darstellung subjektive Perspektiven beiseite zu stellen, wobei einmal mehr festzuhalten ist, daß die Berichte von Zeitzeugen außerstande sind, das Wesen dieser Lager auszuleuchten, das im Nichtberichtbaren begründet liegt. Tote haben keine Sprache - und für die Uberlebenden gilt die schmerzvolle Erkenntnis Jean Amerys, die ich als Titel dieses Abschnitts gewählt habe. Die Gespräche mit den Brüdern Ignaz und Martin Wachtel waren meine erste Begegnimg mit Menschen, die dieses KZ-Außenlager, den Einsatz als Sklavenarbeiter in den Hermann-Göring-Werken überlebt haben. Was und wie sie mir ihre Erinnerungen erzählt hatten, warf ein erstes grelles Licht auf diesen ,sozialen Ort des Todes', wie er sich nach mehr als fünfzig Jahren in das Seelenleben eingravierte. Sie zeigten mir die Grenzen der Verständigung, die Grenzen der für den Psychologen notwendigen Einfühlung, die dort Extremwerte erreicht, wo gerade in unserer Kultur die Abwehrsysteme besonders ausgeprägt sind, während dieselbe Konfrontation für die Überlebenden eine Alltagserfahrung darstellte: die „Begegnung mit dem Tod" (E. de Wind). Die Aufhebung der im allgemeinen verdrängten Vorstellung über die Gewißheit des eigenen Sterbens, die Unerträglichkeit, ohne Zukunft zu sein, war für die KZ-Häftlinge eine gemeinsame Erfahrung. Affektiv und kognitiv mußte mit aller Kraft die Realität auf das „Hier und Jetzt" beschränkt werden, um ein Mindestmaß an Selbstschutz zu erreichen. Alle Berei157 Das Konzentrationslager Linz I wurde am 20. Februar 1943, Linz III am 22. Mai 1944 eingerichtet (Freund / Perz, 1991, 347). Vgl. auch den Beitrag von Bertrand Perz in Band 1, S. 449 ff.

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che des Vertrauens und Sicherheit waren entzogen - Familie, Freunde, Kultur, Tradition und Sprache; selbst der eigene Name war entrissen und entindividualisiert zur Nummer nivelliert. Und über allem herrschte eine permanente Morddrohung und Hunger. Im Konzentrationslager hat der Inhalt schizophrener Ängste und Wahnbildungen Realität angenommen. Kurt Eissler erklärte warum: „Ein nicht so seltenes Symptom in der Schizophrenie ist ein Terrorerlebnis unter dem Eindruck eines vermeintlich herannahenden Weltunterganges. Die Wendung, die das Leben in den Konzentrationslagern genommen hat, ist aber dem Herannahen oder dem Ereignis eines Weltunterganges gleichzusetzen oder zumindest damit vergleichbar. Schrecklichste Kinderängste werden Ereignis, und Menschenfresser bedrohen wieder ein hilfloses, liebesverarmtes, hungerndes Selbst" (Eissler, 1984, 198 f.). Durch die Wucht der Holocaust-Erfahrung war es nach der Befreiung den meisten Uberlebenden nur möglich, eine Zukunft zu erschließen, indem sie gezwungen waren, die traumatische Vergangenheit abzuspalten. Neugeborene erhielten besonders zukunftsweisenden Charakter, intendierten Hoffnung, Lebenswillen, Sieg über den Tod, bekamen auch die Funktion von „memorial candles" (Dina Wardi, 1992), die einem idealisierten Leben vor dem Holocaust zugrunde lag.158 Ein Trauern mußte oft vermieden werden, denn die Trauer wäre grenzenlos - eine Trauerarbeit unwirksam, weil dem zu Betrauernden eine Vergangenheitsqualität versagt blieb'59: „Ich wagte nicht zu weinen, denn ich hatte Angst, daß ich dann nicht mehr aufhören könnte", zitiert Nathan Durst (1995, 23) einen Uberlebenden des Holocaust über das Ausmaß des Verlustes, der notgedrungen in vielen Fällen im Alter zur Einsamkeit oder gar zur Symptombildung führt, weil die Lösung des Konflikts nicht mehr in die Zukunft projiziert werden kann. Diese Erkenntnis war für die Vorbereitung meiner Gesprächsvorhaben von besonderer Bedeutung. Noch nie war mir so deutlich vor Augen geführt, daß das Seelenleben einer anderen Zeitrechnung folgt als die objektive Zeitmessung historisch-materieller Prozesse. Zeitpunkte im Abstand von mehr als fünfzig Jahren können sich im psychischen Zeitverhältnis zu einer Einheit nähern. So ist es im Alter für die Uberlebenden des Holocaust

158 Es muß festgehalten werden, daß die Folgewirkungen einer Konzentrationslagerhaft über individuelle Leidenserfahrungen hinausgehen und auch in der zweiten und dritten Generation zu traumatischen Hinterlassenschaften fuhren kann. Zahlreich sind inzwischen die wissenschaftlichen Publikationen und Berichte über Therapieerfahrungen mit Kindern und Enkelkindern von Holocaust-Uberlebenden. Z. B. Ahlheim, 1985; Bergmann u. a. (Hg.), 1995; Grubrich-Simitis, 1984; Kestenberg, J . 1974; Lipkowitz, 1974; Stoffels (Hg.), 1991. 159 Oder wie es David Becker formuliert: „Wir können also den Schaden in den Opfern nicht nur als traumatischen Prozeß, sondern auch als gestörten bzw. verhinderten Trauerprozeß begreifen. Die Störung dieses Prozesses, die gesellschafdich verursacht wird, körpert sich regelrecht in die Psyche der Betroffenen ein und hält die Trauer in einem eingefrorenen Zustand, weil die Wahrheit über die Geschehnisse weiterhin verleugnet wird und weder auf der psychischen noch auf der gesellschaftlichen Ebene jene Räume existieren, die einen Prozeß der Symbolisierung ermöglichen könnten" (Becker, 1997,41).

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„das zweite Mal, daß sie mit dem Nachlassen ihrer physischen Kräfte und mit Verlusten konfrontiert werden. Das Alter läßt Erfahrungen aus dem Holocaust wieder lebendig werden, und in der Einsamkeit von heute fühlt man den Schmerz von gestern wieder; körperliche Beschwerden, wie sie bei fortschreitendem Alter nicht ungewöhnlich sind, können alte Ängste relativieren: Krankheit bringt den Tod, den Tod durch Vernichtung" (ebenda, 22 f.). Derartige allgemeine Erfahrungswerte sind für das Verständnis von Gesprächen mit Holocaust-Uberlebenden von großer Hilfe, sensibilisieren, bieten eine Orientierung in der Auseinandersetzung, die jedoch sehr trügerisch ausfallen kann, weil sie oft mehr der eigenen Beruhigung dient, um einer Welt des willkürlichen Terrors eine Logik, einen Sinn abzugewinnen, der nicht zu haben ist. Selbst das Uberleben stand selten in einem kausalen Zusammenhang, war nicht Folge einer außergewöhnlichen Einzelleistung oder einer unterschiedlichen Persönlichkeitsstruktur, sondern Zufall. Und das ist schwer zu ertragen. Außerdem ist es schwierig, die vielfältigen Variablen zu berücksichtigen, die ausschlaggebend waren für die Verarbeitungsmöglichkeiten der je individuellen Erfahrungen; nicht nur Alter, Geschlecht und Sprache sind entscheidende Aspekte, sondern auch die persönliche Veranlagung vor der Deportation, welcher Zufall in welches Lager, in welche Gruppe oder Kommando führte bzw. welche Akte der Solidarität oder Aggressivität durch die Mithäftlinge erfahren wurden und vor allem, welche sozialen und gesellschafdichen Möglichkeiten der Anerkennung in der Zeit danach vorhanden waren, um diese Extremtraumatisierungen zu integrieren. In den meisten Fällen war dafür kein Raum gegeben. Bis heute. Bei meiner Unternehmung, mit Überlebenden der Außenlager des Konzentrationslagers Mauthausen in den Hermann-Göring-Werken lebensgeschichtliche Erinnerungsinterviews durchzuführen, war mir von Beginn an klar gewesen, daß ich nicht annähernd repräsentative Erinnerungen oder Erlebnisschilderungen zu erwarten habe, sondern je individuell be- bzw. verarbeitete extrem traumatische Erfahrungen, die nach mehr als einem halben Jahrhundert - in meiner Gegenwart - für eine Sprache zulässig sind. Erfahrungen der Vergangenheit, denen kein Sinn abzugewinnen ist und sich einer erzählenden Ordnung verweigern. Den Ausführungen von Nathan Durst habe ich daher besonderen Wert beigemessen, wenn er nach Jahren der psychotherapeutischen Tätigkeit mit Holocaust-Überlebenden in Israel zu dem Schluß kommt, daß er überhaupt keine Schlußfolgerangen ziehen kann, „weil die Reaktionen dieser Menschen so unterschiedlich und individuell verschieden waren und jeder einzelne von ihnen seine beziehungsweise ihre persönliche Geschichte hat. Ich fühle mich dagegen gefeit, das Funktionieren und die Leistungen der Überlebenden an irgendeiner Norm zu messen. Eines ist sicher: Ihnen allen ist das Trauma des Verlustes gemein" (ebenda, 21). Das Trauma des Verlustes ist eine Gemeinsamkeit. Über das Ausmaß, die Bedeutung, die Verarbeitung dieses Traumas halbwegs nachvollziehbar etwas in Erfahrung zu bringen, ist nur über den individuellen Zugang möglich. An den Einzelschicksalen wird die

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Monstrosität des nationalsozialistischen Systems noch erkennbar und auch das Gegenüber im „man-made-desaster" wahrnehmbar. Ansonsten unterliegt man den „infernalischen Regeln" - wie sie Günther Anders formulierte - , und das zu Große verunmöglicht die Einfühlung; wir bleiben unangerührt. „Sechs Millionen bleiben für uns eine Ziffer, während die Rede von zehn Ermordeten vielleicht noch irgendwie in uns anzuklingen vermag, und uns ein einziger Ermorderter mit Grauen erfüllt" (Anders, 1988, 28 f.). Auf der Suche nach individuellen Erfahrungsberichten war mir auch daran gelegen, schriftliche Zeugnisse aufzufinden, und der geringe Erfolg war nicht überraschend.100 Entweder reichte die Sprache nicht aus, oder die Belastung war zu groß, oder beides. Eine der Ausnahmen war Jerzy Slazak. Er war meines Wissens - neben Pio Bigo' 6 ' - der einzige, der es im hohen Alter zuwege brachte, in Form einer umfassenden Autobiographie seine Erfahrungen als KZ-Häfding in den Hermann-Göring-Werken in Linz niederzuschreiben. Der Journalistin Marianne Enigl war es gelungen, Jerzy Slazak aufzufinden und sein Schicksal auch anhand seiner schriftlichen Lebenserinnerungen („I survived Nazi Death Camp") der Öffentlichkeit vorzustellen (siehe profil, 25. Jänner 1999,42-45). Drei Jahre hatte sich Jerzy Slazak an seiner 250 Seiten umfassenden autobiographischen Schrift abgearbeitet. Nach Fertigstellung erlitt er einen Herzinfarkt. Wahrscheinlich war es zu viel, in die eigene horrende Geschichte wieder einzutauchen und auf Papier zu bannen, die ihm zuvor kaum jemand glauben konnte. Jerzy Slazak war 15 Jahre alt, als er aus seiner Heimatstadt Lodz im August 1941 nach Linz verschleppt wurde. Er war nicht allein. Daniel Mucha, Heniek Pienta, Tadek Banaszek und Wacek Koziol, seine Spielkameraden, waren mit ihm. Anfänglich gab es noch 160 Von 3 3 kontaktierten Institutionen haben - mit einer Ausnahme : Amicale Nationale des Déportés et Familles de Disparus de Mauthausen (Paris/F). Siehe nachstehenden Bericht - folgende Einrichtungen eine negative Antwort geschrieben : Stiftung Topographie des Terrors (Berlin/D); Dokumentations- und Informationszentrum (Papenburg/D); KZ-Gedenkstätte Dachau (Dachau/D); I W d N (Berlin/D); Yad Vashem (Jerusalem/ISR); Stiftung Brandenburgische Gedenkstatten (Oranienburg/D); Osterreichische Lagergemeinschaft Mauthausen (Wien/A); Panstwowe Muzeum w Oswiecim (Oswiecim/PL); Fondation pour la Mémoire de la Déportation (Paris/F); Vereniging Ex-Dwangsarbeiders Nederland Tweede Wereldoorlog (Winterswijk, NL); Stowarzyszenie Polakow Poszkodowanych przez III Rzesze (Warschau/PL); Tschechischer Verband ehemaliger Zwangsarbeiter (Prag/CS); Ukrainische Nationalstiftung „Verständigung und Versöhnung" (Kiew/UKR); Weißrussische Republikanische Stiftung (Minsk/BLR); Conseil National de la Resistance (Luxembourg/LUX). - Dank gebührt Mag. Christiane Rothländer. 161 Herrn Francesco Messina verdanke ich den Hinweis auf die in italienischer Sprache 1998 erschienene Autobiographie: „II triangolo di Gliwice. Memoria di sette Lager". Der am 28. März 1924 in Torino geborene Pio Bigo kämpfte bei den Partisanen und wurde im März 1944 gefangengenommen und in das Konzentrationslager Mauthausen, Gusen II deportiert (Häftlingsnummer: 58719). Von dort kam er in die Hermann-Goring-Werke (Lager Linz I und HI) -,Kommando Stahlbau'. Am 1. Dezember 1944 wurde er nach Auschwitz-Birkenau transportiert und am 26. Jänner 1945 nach Buchenwald, wo er schließlich befreit wurde. Seine Erlebnisse in den Lagern Linz I und III hat er in zwei eigenen Abschnitten (S. 49-75) dargestellt. Dr. Perz verdanke ich noch den Hinweis auf einen französischen Erinnerungsbericht aus dem Jahre 1976 von Christian Bernadac.

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„freie" Zeit und die Möglichkeit, durch die Innenstadt zu streifen, wobei sie es schafften, mit Schwarzhandel-Aktionen ihre kargen Lebensverhältnisse etwas aufzubessern. In der Fabrik erbarmte sich mancher Vorarbeiter und steckte ihnen ein wenig Lebensmittel zu. Gemeinsam schufteten die Buben in Zwölf-Stunden-Schichten im Linzer Rüstungsbetrieb. Gemeinsam gelang es ihnen, die kleinen Lücken des Repressionssystems auszukundschaften und zu nutzen. Jerzy riskierte gar - von einem österreichischen Arzt unterstützt - , fingiert eine Blinddarmoperation durchführen zu lassen, was ihm einen kurzen Heimaturlaub zu den Eltern ermöglichte. 1944 verschärften sich die Arbeitsbedingungen, und bald war ihnen die Schufterei, das Leben fern der Familie unerträglich geworden. Nachdem Daniel und Tadek durch einen Bombentreffer zu Tode kamen, riskierten die anderen die Flucht. Wie viele andere wurden sie gefaßt und ins Konzentrationslager gesperrt. Hier wurde die Todesangst zum Alltag, und für Jerzy Slazak dauern die Alpträume bis in die Gegenwart. Seine Freunde Heniek und Wacek wurden von SS-Männern erschlagen. Jerzy Slazak blieb als einziger des Freundeskreises am Leben, und deshalb widmete er ihnen sein schriftliches Vermächtnis. 1945 fand er in England seine neue Heimat und Arbeit in einer Kartonfabrik. Seine Eltern hatte er nie wiedergesehen. Auch nicht seine Schwester, die ebenfalls als Zwangsarbeiterin verschleppt wurde. In so wenigen Sätzen läßt sich scheinbar „das Trauma des Verlustes" zusammenfassen. Jerzy Slazak hat es auf 250 Seiten versucht, und sein Wunsch, das Manuskript in Osterreich publiziert zu sehen, sollte doch bald erfüllt werden. Der 26jährige Isaak Rosenbaum hatte schon drei Jahre nach der Befreiung die Möglichkeit, Zeugnis abzulegen. Am 28. März 1948 schilderte der am 28. Dezember 1921 im polnischen Rozvadov Geborene vor dem Militärgericht in Nürnberg seine Erlebnisse im Lager Linz III in den Hermann-Göring-Werken.162 Seine Aussagen sind justizkonform nüchtern dokumentiert. Schwarz auf weiß gedruckt sind seine Erinnerungen der Emotionen entladen und beschränken sich auf den Dienst einer juristischen „Wahrheitsfindung." Isaak Rosenbaum gab zu Protokoll: „Im Oktober 1942, als durch die Umsiedlung alle Juden ausgesiedelt wurden, wurden meine Eltern nach Auschwitz und ich nach Rzeszov, in Deutsch,Reichshof genannt, gebracht. Durch die verschiedensten, in Polen gelegenen Arbeits- und Konzentrationslager kam ich ungefähr im Monat Juli 1944 nach Mauthausen. Da ich von Beruf Metallarbeiter war, kam ich im August 1944 mit einem Transport in das Konzentrationslager Linz III. Alle Insassen dieses Lagers - ich schätze zu der Zeit etwa 5000 - mußten für Betriebe und Abteilungen der Hermann-Göring-Werke arbeiten. Ich selbst wurde für ein Monat dem Heizhaus-Kommando zugeteilt. Hier hatten wir bei der Schlackenverwertung zu arbei162 W a r Crimes Records Collection. U S A vs. E . Weizsäcker et. at. case XI. M 897, Roll 5 1 .

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ten. Dann kam ich mit einem Kommando von etwa 80 Mann in die Hauptwerkstätte als Metalldreher. In dieser Hauptwerkstätte wurden alle Reparaturen für die anderen Werkstätten der Hermann-Göring-Werke ausgeführt. Unser Tag lief folgendermaßen ab: Aufstehen: 4 Uhr morgens; Appell: 5 Uhr. Vor dem Appell Frühstück, bestehend aus einem halben Liter Wassersuppe. Am Anfang ein Stück Brot. Dann Zusammenstellen der Kommandos, Abmarsch zur Arbeitsstelle, ein Weg von etwa 30-40 Minuten. Auf diesem Weg erhielten wir bereits unsere ersten Schläge. Anfang der Arbeit in der Hauptwerkstätte etwa halb 7 Uhr oder 7 Uhr. Gearbeitet wurde bis 6 Uhr oder halb 7 Uhr abends. Mittagspause von 12 Uhr bis 1 Uhr. Essen etwa 1 Liter Wassersuppe. Manchmal ein wenig Kraut und Kartoffelschalen drinnen. Nach Rückkehr in das Lager erhielten wir Abendessen, bestehend aus etwa 250 Gramm Brot, ein klein wenig Käse oder Marmelade und Kaffee. Die Ernährung war so schlecht, daß von den 500 jungen Leuten, die gleichzeitig mit mir in das K Z HI nach Linz kamen, bei der Befreiung nach neunmonatiger Tätigkeit nur noch 120 am Leben waren. Sobald wir das Werk betreten hatten, unterstanden wir nicht mehr den SS-Wachmannschaften, sondern lediglich den Meistern und den Vorarbeitern, also den zivilen Angestellten der Hermann-Göring-Werke. Wenige der Meister waren ein wenig anständig zu uns. Die weitaus größte Zahl der Meister haben uns geschlagen, und wenn sie uns nicht selbst schlagen wollten, so riefen sie den Kommandoführer der SS und beauftragten diesen, es zu tun. Die Halle, in der wir arbeiteten, war bombenbeschädigt, ohne Dach und ohne Fenster. Während des Winters mußten wir mit steifen und angefrorenen Händen arbeiten. Wir hatten uns einen kleinen Ofen aufgestellt, denn man hielt uns für unsere Arbeit verantwortlich. Wenn eine Arbeit nicht richtig ausgeführt war und etwas zerbrach, so hieß es gleich, das sei Sabotage. Ein Brief ging an das Lager Mauthausen, von dort aus kam man dann sehr schnell in das Krematorium. Deshalb versuchten wir, die Arbeit so gut wie möglich zu machen, denn jeder wollte am Leben bleiben. Die Meister erklärten uns, sie hätten den Befehl bekommen, sie müßten so gegen uns vorgehen, sie müßten uns umbringen, denn wir wären Verbrecher. Der Personalchef Schiffher ist oft hereingekommen und als er den Ofen sah, sagte er: Ihr könnt bei der Arbeit frieren. Er hat uns ohne jeglichen Grund geschlagen. Wen man die Arbeit einen Augenblick verließ, um die gefrorenen Hände wieder zu wärmen, wurde ebenfalls regelmäßig geschlagen. Als unser Kommando von 80 Mann im Winter, etwa Januar/Februar 1945, unter Meister Frauenhuber Nachtschicht arbeitete, wurden wir eines Morgens, nach Beendigung der Schicht, in der Halle aufgehalten. Meister Frauenhuber ließ den Kommandoführer kommen und verlangte von ihm eine Revision. Mann für Mann wurde untersucht. Würde bei einem Mann eine Blechbüchse, die derselbe sich aus Abfällen gefertigt hatte, um sein kleines Stückchen Margarine darinnen unterzubringen, gefunden, so wurde er geschlagen. Fand man, daß einer ein Stückchen Stoff benutzt hatte, um seine dünne Jacke etwas wärmer zu machen, wurde er geschlagen. Fand man einen, der vergessen hatte,

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einen Bohrer oder etwas Ahnliches abzugeben, obgleich er füir diesen Gegenstand gezeichnet hatte, wurde er geschlagen. So geschah es, daß von diesen etwa 80 Mann etwa 30 an diesem Morgen geschlagen wurden und der Meister Frauenhuber stand da und schaute lachend zu. Die Schläge, die diese 30 Leute erhielten, waren derartig, daß 10 von diesen 30 Leuten in das Krankenhaus gebracht werden mußten, von wo sie nie wieder zurückkehrten. Es gelang uns, Verbindung zu den Leuten im Krankenhaus aufzunehmen. So erfuhren wir, daß dort 5 Mann in einem Bett liegen mußten. Die Verpflegung war noch schlechter als für die Arbeitenden im Lager. 20 Leute erhielten 1 Brot, D. h. etwa 50 Gramm pro Kopf, und Wasser. Deshalb baten uns die Leute aus dem Krankenhaus, ihnen doch zu helfen und ihnen etwas von unseren kümmerlichen Rationen zukommen zu lassen. Dies ist uns nur ein einziges Mal gelungen."

Ein weiterer Erinnerungsbericht163 stammt von Ottokar Merinsky aus dem Jahre 1962. Ottokar Merinsky kam im Jahre 1942 ins Konzentrationslager Mauthausen und im Jänner 1943 in das Lager I, nach den Bombenangriffen im Sommer 1944 ins Lager III der Hermann-Göring-Werke. „Merinsky, Ottokar, geb. 12. August 1902 in Wien; verhaftet am 5. November 1941. Zur dieser Zeit noch tschechoslowakischer Staatsbürger, eingeliefert in das GestapoHauptquartier am Morzinplatz. Nach erster Einvernahme in das Polizeigefangenenhaus Elisabethpromenade in Schutzhaft geführt. Nächsten Tag von Gestapoleuten mit P K W zur weiteren Einvernahme geholt. Von einem Trio einvernommen. Der erste redete gut zu, versprach gute Behandlung, Besuch der Verwandten und baldige Entlassung. Der zweite kam mit Drohungen, er werde mir die Zähne einschlagen, er lasse meine Mutter einsperren, solange ich nicht rede, dann ließ er mich zwei Minuten allein, nachdem er erst das Fenster öffnete und auf den Schreibtisch einen Revolver hinlegte. Dann kam er mit einem dritten Mann herein, welcher gleich wild herumschrie, mir einen Fußtritt versetzte und mich fragte, warum ich mich nicht des am Tische liegenden Revolvers bedient habe. Beide fesselten meine Hände, zerrten mich zum Fenster und ich dachte, sie werden mich zum Fenster hinauswerfen. Ich stieß einen mit dem Fuß gegen sein Schienbein, worauf er durch die gefesselten Hände eine Leine durchzog, diese über das Fensterkreuz warf und mich aufzog, so daß ich auf den Fußspitzen stand. Nun hagelten Fragen auf mich ein, ob ich diesen oder jenen kenne, ob ich da oder dort gewesen bin, wenn ich sagte, ich könne mich an dieses oder jenes nicht erinnern, schlug mich der dritte Mann, er war etwa 170 cm groß und blond, mit der Faust auf die Nase. Ich sagte ihm, ich sei erst

163 Quelle: Bundesministerium für Inneres. Archiv Mauthausen. A M M V 3 / 4 1 (1962).

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vor sechs Tagen aus der Poliklinik entlassen worden, wo an mir eine ,deviatis' Operation vorgenommen wurde, sagte er: ,Das weiß ich doch, du Idiot, darum schlag ich dir mit Wonne auf die Nase.' Nach sechsstündigem Verhör, nachdem ich nur das zugegeben habe, was man mir nachweisen konnte. Allerdings wurde ich viel um Personen und um Begebenheiten gefragt, welche ich nicht kannte. Wir waren eine Gruppe Wiener Tschechen aus den verschiedensten Lagern oder Gesinnungsgemeinschaften, und so kannte ich viele von denen, um welche ich gefragt wurde, überhaupt nicht. Ich bekam dann einen Haftbefehl wegen Vorbereitung zum Hochverrat wegen Betätigung für die illegale KPO. Am 12. Dezember 1941 wurde ich dann von der Elisabethpromenade in das Landesgericht I überstellt. Ich war auf dem E-Trakt, also im Einzelgefängnis, doch war ich nur selten allein, meistens waren mit mir Einbrecher, Schwarzschlächter, Betrüger, auch ein Monarchist in der Zelle. Einmal, es war ungefähr im August, bekam ich Besuch meiner Mutter. Am 28. September 1942 wurde ich wieder in die Elisabethpromenade überstellt, wo ich erfuhr, daß wir in das Konzentrationslager Mauthausen überstellt werden und in eine Arbeitskompagnie eingeteilt werden. Nach Mauthausen wurden wir mit Polizeibegleitung mit der Franz-Josefe-Bahn gebracht. Die Gruppe der Tschechen war ungefähr 50 Mann, doch kamen mit dieser auch ukrainische Häftlinge und ein Jude aus Sachsen mit. In Mauthausen wurden wir von SS-Bewachungsmannschaften übernommen, welche uns mit Geschrei und Kolbenstößen zu größerer Eile anspornten. Wir kamen natürlich nach der üblichen Aufnahme in die Quarantäne, Block 18. Hier wurde der jüdische Häftling, von dem ich zwar keinen Namen weiß, welcher mir aber erzählte - während der Fahrt er sei aus Sachsen; von dem Blockältesten, einem Deutschen, in den unter Hochspannung stehenden Drahtverhau getrieben. Nach kurzem Aufenthalt im Block wurden acht unserer tschechischen Genossen geholt und in den Bunker gebracht. Es waren die Genossen: Franz Vostarek, Karl Peterka, Karl Bartos, Leopold Nemec, Bohumil Nepozitek, Franz Smutny, Friedrich Stercl und Josef Camra. Gleich am zweiten Tag wurden wir zum Abtransport von Steinen auf den ,Sportplatz' beordert, wo wir von den Kapos angetrieben und geschlagen wurden. Hier waren wir auch Zeugen der .Hasenjagd' auf die belgischen Juden. Wir mußten auch die Toten und die Verletzten auf einen Wagen verladen und in das Lager ziehen. Nach vier Wochen Quarantäne waren wir einige Tage beim Lagerkommando, wo wir eine schwere Walze ziehen mußten, um die Lagerstraße zu ebnen. Dann wurden wir zu einer Arbeitsgruppe zusammengestellt, welche täglich um 5 Uhr vom Lager mit Lastautos in die Gegend von Königswiesen fuhr, um von den Waldschluchten Scheitholz zur Feuerung des Krematoriums in das Lager bringen. Am 17. Dezember 1942 wurden unsere Genossen aus dem Bunker geholt. Das ganze Lager hatte auf dem Appellplatz von dem Hinrichtungskommando, dem Lagerkommandanten, dem Lagerfiihrer und anderen SS-Offizieren an uns vorbei zur Richtstätte geführt. Ich kam dann zum Kommando

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Gusenbahnbau, wo ich zwei Feinde, einen Kapo und einen SS-Mann hatte, welche mir nach dem Leben trachteten, indem sie immer wieder versuchten, mich hinter die Sperrkette zu bringen. Ich bekam immer die schwersten Arbeiten und mußte abends den schweren Kessel vom Essen in das Lager tragen. Durch Hilfe des Genossen Josef Kohl, dem guten Freund und Helfer, wurde ich aus dem Gusenbahnbau herausgenommen und kam zum Kommando-Linz. Bei diesem Kommando wurde ein Tischler gebraucht, also fuhr ich täglich mit der 30 Mann starken Arbeitskolonne nach Linz, wo auf dem Gelände zwischen dem ,Göringwerk' und der Donau ein neues Lager gebaut wurde. Unter dem Kommandofiihrer Hauptscharfiihrer Müller und Kapo Adam wurden zwei langgestreckte Blocks für Häfdinge, ein dritter Block, in welchem Lagerraum, Küche, Krankenrevier und Schuhmacherwerkstätte untergebracht waren, gebaut. Außer dem Lager war ein langes Gebäude für die SS-Wachmannschaften und den Lagerführer Miroff. Am 11. Jänner 1943 übersiedelte unser Kommando, welches den Namen Stammkommando bekam, nach Linz. So wie die Häftlingsblocks fertig gebaut waren, kamen immer neue Häftlinge aus Mauthausen nach Linz. Es wurden einige Kommandos für die ,Göringwerke' gestellt. Das schlechteste davon war das Schlackenkommando, wo große Gruben gegraben wurden, in welche die glühende Schlacke aus den Hochöfen in große Glocken herangebracht und in Gruben geschüttet wurden. Die Schlacke mußte einige Tage ausgekühlt und dann mit Brecheisen ausgebrochen und zur Schlackenmühle herangebracht werden, wo sie für verschiedene Zwecke verschieden groß zermahlen wurde. Das Terrain an der Donau gelegen, war im Sommer wie eine Hölle, im Winter froren die Häftlinge gräßlich, und es geschah öfters, daß Häfdinge, welche tags zuvor durchnäßt ins Lager kamen, ihre noch nassen Kleider, in welchen sie jämmerlich froren, bei den Gruben trocknen wollten, in diese hineinfielen, sodaß man bloß eine kleine Rauchoder Dampfwolke sah und nichts mehr übrig blieb. Im Lager selbst wurden Splittergruben gebaut, in welche wir bei Fliegeralarm getrieben wurden. Ein jugoslawischer Häfding, welcher sich bei Fliegeralarm eines Nachts in seinem Bett versteckte und gefunden wurde, bekam soviel Prügel vom Lagerkapo Adam, daß er nächsten Tag starb. War Fliegeralarm bei Tag, dann blieben die Arbeitskommandos im ,Göringwerk', nur das Schlackenkommando mußte in das Lager kommen und wurde in den Splittergraben getrieben. Am 25. Juli 1944 wurden unser Lager dem Erdboden gleichgemacht, als eine große Staffel amerikanischer Bomber, die an dem Donauufer gelegene Luftabwehr und unser Lager mit Bomben belegte. Viele Häfdinge und auch viele SS-Wachmannschaften kamen hierbei ums Leben. Es war furchtbar anzusehen, wie die zwischen der Verpölzung eingeklemmten Kameraden um Hilfe schrien, abgerissene Hände oder Füße, hervorquellende Gedärme, im Auge ein großer Pfahl, zerquetschte Leiber, so sah es in den Splittergraben aus. Es war wie ein Wunder, daß es überhaupt noch lebende Menschen gab. Unter den Toten waren viele gute Kameraden und Freunde. Sehr viele angesehene Personen der verschiedensten Nationen zählten zu den Toten. Wir wurden dann nach Lager Linz III gebracht, wo SS-Lagerfuhrer Schöpperle herrschte.

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Im Lager Linz I war das Leben erträglicher, nicht nur für das ,Stammkommando', sondern für alle Häftlinge. Jene, die im Werk arbeiteten, kamen mit Zivilarbeitern ihrer Nation zusammen, welche ihnen viele gute Dienste erwiesen. Das Stammkommando blieb im Lager, baute die Blocks aus, machte aus Zement und Schlacke Bauziegel, und für den Lagerfiihrer Miroff baute es eine Villa mit Bunker außer dem Lager. Das Material dazu holte das Stammkommando unter Aufsicht der SS-Wachmannschaft aus dem Werk bei Nacht, natürlich ohne Erlaubnis. Es wurde alles gestohlen. Zement, Gips, Bauholz, Eisenstangen, Rohre, Draht füir elektrische Leitungen, kurz alles, was dazu nötig war. Knapp vor der Bombardierung des Lagers kam eine Kontrolle aus Mauthausen, vertrieb die Gattin und den Sohn des Miroff und nahm diesen mit nach Mauthausen. Im Lager I bildeten sich nationale Gruppen, welche sich einmal da, andermal dort versammelten und die Lage besprachen. Ein Genosse namens Jurij Tresnak, ein Student, dessen Vater ein Ukrainer und seine Mutter eine Tschechin war, und der in Prag studierte, sprach fließend tschechisch und russisch und konnte leidlich deutsch. Dieser begann zuerst die russischen Freunde mit den tschechischen Genossen zusammenzuschließen. Als dann auch Franzosen in das Lager kamen, stellte Jurij auch mit diesen eine Verbindung her. Durch die Bombardierung des Lagers und seine Vernichtimg wurde alles zerstört, jede politische Tätigkeit hörte auf, weil der Rest der am Leben Gebliebenen im Lager DI auseinandergerissen wurde. Das Lager III war im Vergleich zum Lager I wie ein Armenasyl und das Hotel Sacher. Statt der gemauerten Blocks alte Holzbaracken, bei Hochwasser die Straßen unter Wasser, endang der Baracken Laufstege, kein Klosett in der Baracke, die Latrinen 20 bis 100 Meter von den Blocks entfernt, das Lager überfüllt, die Blockführer wie rasende Hunde. Niemand war sicher, nur aus bloßer Laune vom Laufsteg ins Wasser geworfen und durch einen Revolverschuß erledigt zu werden. Wieviel Nächte mußten wir auf dem Appellplatz stehen, weil ein Häftling geflüchtet war. Die Fliegerangriffe auf Linz und auf die Eisenbahnstrecke wurden immer häufiger, wir mußten um 4 Uhr früh ausrücken und die Strecken aufräumen, die Geleise in Ordnung bringen, sehr oft von Fliegeralarm überrascht, mußten wir in Deckung gehen und nachher wieder weiterarbeiten. Später gingen wir auch zu Aufräumungsarbeiten in die Stadt. Alle Lebensmittel, die hierbei gefunden wurden, mußten abgegeben werden, doch konnten wir auch manchmal etwas für uns zur Seite bringen. Als im März 1945 der Hauptbahnhof in Linz völlig zerstört wurde, mußte Tag und Nacht an den Aufräumungsarbeiten gearbeitet werden. Die SS-Wachmannschaften fanden einen Waggon mit Kristallzucker und forderten uns auf, nächsten Tag Leinensäcke mitzubringen, und den Waggon unter ihrer Aufsicht zu plündern. Es ist selbstverständlich, daß wir alle aus Unterhosen und Hemdärmel Säcke verfertigten und nächsten Tag ungestört Zucker in diese füllten. Wir waren sehr erstaunt über dieses Entgegenkommen, doch als wir morgens gegen 5 Uhr früh in das Lager zurückkamen, wurden wir beim Tor von den Arbeitsdienstführern empfangen, durchgesucht, die Säcke mit Zucker

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wurden uns abgenommen, und jeder bekam einen Schlag über den Kopf oder in den Rücken, nachdem er schnell oder langsam abhaute. So ging es uns auch meistens, wenn wir von der Arbeitsstelle Brennholz in das Lager brachten, um unsere nassen Kleider zu trocknen. Es gelang mir dann doch wieder mit dem Kameraden Tresnak Verbindung aufzunehmen; Jurij hatte inzwischen Sowjetbürger, Polen, Franzosen, Jugoslawen und Italiener zu nationalen Gruppen zusammengeschlossen, und ich führte ihm unsere tschechischen Kameraden zu. Es wurde von jeder Gruppe ein Vertreter gewählt, welcher jeden zweiten Tag zu einem Bericht in den Block Nr. 2 zu einem sowjetischen Kameraden, dessen Namen ich nicht kannte, der angeblich Filmregisseur war, kommen sollte. Es ist nicht immer gelungen, weil die Arbeitskommandos keine feststehende Arbeitszeit hatten. Es mußte dann wieder von neuem die Verbindung hergestellt werden. Es lag auch die Frage auf der Tagesordnung, wie man sich verhalten soll, wenn die Zeit kommt, daß die Befreier sich nähern. Um einen besseren Uberblick über die Lage in Mauthausen zu bekommen, wurde beschlossen, daß jemand nach Mauthausen fahren soll, um die Lager zu studieren und einen Bericht zu bringen. Jede Woche fuhr ein Lastwagen mit Schmutzwäsche nach Mauthausen, also mußte der Auserwählte mit diesem nach dem Lager fahren. Dazu wurde ich auserwählt, und zwar darum, weil ich erstens auch deutsch sprechen konnte und weil ich den Kameraden in der Schreibstube in Mauthausen bekannt war. Ein polnischer Arzt stellte fest, ich hätte ein Magenleiden und soll in das Lager zur Untersuchung. Ich fuhr also los, wurde untersucht, kam in das Rekonvaleszentenlager in den Block des Kameraden Jakl und hatte dann Gelegenheit, mit Kamerad Marsälek und anderen die Lage zu besprechen, die Möglichkeiten einer Aktion zur Übernahme der Lager durch die politischen Komitees erörtern. Nach 14 Tagen Aufenthalt in Mauthausen fuhr ich wieder mit dem Wäschetransport zurück nach Linz, um dort von meinen Besprechungen zu berichten. Wenn in Mauthausen schon fast alle wichtigen Funktionen zu dieser Zeit in den Händen der politischen Häftlinge war, so war es in Linz III noch lange nicht soweit. Deshalb mußten wir rasch Dreiergruppen organisieren, um einen großen Stock verläßlicher Kameraden zu haben, welche, bis es darauf ankäme, aktiv zur Stelle sind. Die Versorgung im Lager wurde immer schlechter. Es häuften sich Uberfälle auf Essenträger. Bei den Aufräumungsarbeiten kam es immer öfter zu Plünderungen, bei denen die Wachmannschaften oft tatenlos zusahen, aber wenn es für sie gefährlich wurde, alles niederschlugen oder -schössen. Eine Ausnahme machte ein SS-Mann aus der Küche, welcher öfter den einrückenden Kommandos einen Kessel mit Essen zuschob. Dieser SS-Mann hieß Höller. Einer der besten Kameraden unter den Tschechen war ein Genosse aus Prag-Suchdol, er hieß Franz Sobotka. Viele Kameraden verdanken ihm, daß sie durchkamen, denn er rettete sie oft aus sehr heiklen Situationen, obwohl er kein Wort Deutsch kannte. Er war Kapo bei einer Baugruppe und erwarb sich durch sein Verhalten sehr viel Freunde

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auch unter Kameraden anderer Nationalitäten. Ich war in steter Verbindung mit der tschechischen Gruppe und mit Jurij oder dem Regisseur. Das Ende im Lager HI entwickelte sich natürlich etwas anders, als wir gerechnet hatten. Zuerst wurden die Österreicher und Deutschen mit schwarzen und grünen Winkel in Khakiuniformen gesteckt, um an die Front zu gehen. Es meldeten sich auch einige mit roten Winkel und wurden ebenfalls eingekleidet. Unter den Kameraden löste das große Erbitterung aus, obwohl niemand wußte, ob nicht auch Genossen mit Auftrag dabei waren. Auch ein Teil der SS-Wache wurde abgezogen, und es kamen ebenfalls in SS-Uniform über 60 Jahre alte Männer, welche uns zu den Arbeiten begleiteten. Wir, die wir deutsch sprachen, holten bald aus diesen Männern heraus, daß sie ungern hierherkamen, das nicht gewußt haben, wo man sie einsetzt und auch nicht, daß sie SS-Uniform bekommen. Man sagte nur: ,Ihr kommt zur Bewachung wichtiger Objekte und braucht nicht an die Front.' Diese alten Männer hatten aber große Angst, daß sie für die von der SS verübten Missetaten verantwortlich gemacht werden. Es ergab sich also mit der Zeit, daß jeder von uns einen Mann hatte, den er kennenlernte und mit dem er schließlich ganz offen davon sprach, was er bisher erlebt hatte und was er zu tun gedenke, wenn die Verbündeten herankommen und die Lager befreien. Wir versicherten diese Männer, daß wir uns ja alle die gut merken, die uns bisher gequält hatten, und daß wir für jene einstehen werden, die gut zu uns waren. Auf diese Art entstand ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Großteil der neuen Wachmannschaft und uns. Es geschah oft, wenn ein Kamerad aus irgendeinem Grund nicht zur Arbeit ausrückte, er von dem SS Mann gesucht wurde und die anderen Kameraden fragte, wie geht es ihm, sag ihm, ich habe um ihn gefragt, er soll bald wieder zur Arbeit kommen. Es gab sogar einen dieser Männer, welcher ganz von selbst dem Kameraden Gurny, einem Häftling aus Ostrau, der ebenfalls deutsch sprach, versicherte: ,Wenn es soweit ist, bekommst du von mir das Gewehr und die Pistole ausgefolgt. Ich habe genug von dieser Scheiße.' Wir sammelten alle diese Berichte, und die Genossen vom Rat machten einen Plan, nach welchem vorzugehen wäre, wenn es die Lage erfordere. Der politische Rat hatte auch Verbindung mit den Fremdarbeitern im ,Göringwerk' aufgenommen. Es wurde beschlossen, daß im Falle einer Evakuierung des Lagers, welche nur durch das Werk gehen könnte, weil man es sicher nicht wagen wird, 18.000 Personen durch die Stadt zu führen, die Fremdarbeiter, die Werkspolizei zu entwaffnen habe und den Häfdingen zu Hilfe kommen solle. In der Nacht vom 4. zum 5. Mai war es dann soweit. Um 3 Uhr früh erscholl die Alarmglocke, die Blockführer kamen in das Lager und schrien ,Antreten zum Appell!!' Unsere Instruktionen befolgend, verließen wir unseren Block nicht. Jene, die doch hinaus wollten, wurden daran gehindert. Da und dort kam es auch zu Tädichkeiten. Da man aber sah, daß die Blockführer unverrichteter Dinge abzogen, bekamen auch jene, die vorerst feige waren, Mut und waren auf unserer Seite.

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Die Vertreter der einzelnen Nationen kamen auf Block 3 zusammen. Von Ferne hörte man Kanonendonner, Kamerad Jurij berichtete, daß der Kamerad Regisseur geflüchtet sei und die Amerikaner herbeiholen werde. Es wurde beschlossen, das Lager nicht früher als um 7 Uhr zu verlassen und auch nur dann, wenn für jeden Mann ein ganzes Brot, ein halber Würfel Margarine und 20 dkg Wurst ausgegeben werde. Dieses Ultimatum wurde zum Tor, bei welchem sich die Blockführer mit dem Lagerfuhrer befanden, getragen, und nach einer halben Stunde war alles bewilligt. Ohne Appell wurden die Brote, die Wurst und Margarine geholt, am Block verteilt und wurden alle aufgefordert, nun den Vertrauensmännern das Vertrauen zu schenken, alles zu tun, was diese anordnen werden und sich ihre Ration einzuteilen, daß sie bis zum Abend oder bis morgen früh durchkommen. Es wurden auch viele Kameraden, zu welchen man Vertrauen haben konnte, eingeweiht, daß es im Werk zu einer Abrüstung der Wache kommen könnte und man dazu ihre Hilfe brauchen werde. Alles war sehr gespannt, jeder fühlte, daß die Befreiung naht, und so traten wir um 7 Uhr 30 zur Evakuierung an, nur die Kranken im Revier blieben zurück, bewacht von einigen Kameraden und von ein paar Hiderjungen, welche wir in letzter Zeit zur Bewachving bekamen. Wir gingen durch das Werk, es rührte sich aber nichts. Jeder, der dazu bestimmt war ging neben seinem SS-Mann, sprach mit ihm, man hörte das Donnern der Geschütze, das sich immer näherte, aber im ganzen Werk waren keine Arbeiter zu sehen. So kamen wir bis zur Donaubrücke - eine Eisenbahnbrücke - , über welche wir dann in einen Wald kamen. Immer hatten wir unseren SS-Mann im Auge, manchmal wechselten wir, indem wir zu einem anderen gingen und der Kamerad, welcher diesen bewachte, ging zu dem anderen, damit es nicht so auffällt. So verbrachten wir den Vormittag im Walde sitzend, und den Schlachdärm immer näher kommen hörend, bis zwei Aufklärer Jeeps mit amerikanischen Offizieren kamen, welchen wir zujubelten und ihnen berichteten, warum wir hier im Walde sitzen und wer wir sind. Die SS-Offiziere wurden von den Amerikanern entwaffnet, jedoch die Wachmannschaft nicht. Diese bekamen den Auftrag, uns in das Lager zurückzufuhren und dort abzuwarten, bis eine Kommission komme. Also gingen wir wieder über die Brücke zurück, der SS-Mann, welchen ich beschattete, gab mir ganz aus freien Stücken sein Gewehr und seine Pistole, auch andere folgten dessen Beispiel, manche wehrten sich und beschimpften ihre Kameraden, denen wurden schon die Waffen mit Androhung des Erschießens abgenommen, nur die Arbeitsdienstfiihrer weigerten sich und bedrohten uns, und mitten in dieser Auseinandersetzung strömten aus den Gebäuden des Werkes die Zivilarbeiter, bewaffnet mit Waffen, welche sie dem Werkschutz abgenommen hatten. Alle SS-Männer wurden in einen Bunker getrieben, und wir gingen dann allein ohne Begleitung in das Lager zurück. Dort kämpften unsere bei den Kranken zurückgebliebenen Kameraden mit den Hiderjungen und einigen SS-Männern, welche von ihrer Einheit abgesprengt waren und sich hinter Waggons, die zum Werk gehörten, verschanzten. Nachdem wir zur Verstärkung angekommen waren, war es ein leichtes, die Banditen, welche in das Lager schössen, abzuschlagen, doch gab es auch auf unserer Seite drei Töte

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und einige Verletzte. Über unser Lager war keine Kontrolle mehr möglich. Die meisten verließen gruppenweise das Lager, eine starke Bewachung war bloß beim Magazin und bei der Küche, aber das war eigentlich unnötig, denn alle die Gruppen, welche geschlossen das Lager verließen, sagten, sie werden sich unterwegs selbst verpflegen. Viele gingen in der Umgebung requirieren, brachten Schweine und Rinder in das Lager, schlachteten diese und veranstalteten große Festessen. Freilich sind auch einige an den Folgen der ungewohnten Nahrung gestorben. Jurij Tresnak war einige Tage Leiter des Lagers, doch bekam er dann Auftrag, das Lager, in welchem die Gefahr einer Typhusepidemie herrschte, zu verlassen und die Repatriierung der Sowjetbürger, auch jener, welche im Werk oder in der Umgebung von Linz beschäftigt waren, durchzuführen. Nim blieben nur sehr wenige im Lager zurück. Nach zwei Tagen nach dem Auszug der Sowjetkameraden kam Jurij in das Lager zurück, sah mit und den Genossen Ernst Jetter, ein Kommunist aus Würtemberg, und veranlaßte uns, in sein Lager zu kommen, damit wir hier nicht noch Typhus bekommen. So blieben wir noch drei Wochen in dem früheren Militärlager, bis die Repatriierung der Russen beendet war und Jurij sich von uns verabschiedete. Zum Abschied bekamen wir zwei einen Lastwagen mit Lebensmittel, und das kam so: Die Sowjets bekamen für das Lager aus dem städtischen Lebensmittelmagazin täglich Zuteilungen. Genosse Jetter und ich fahren täglich mit dem russischen Einkäufer in das Magazin, weil wir deutsch sprachen, und wurden dafür verpflegt. Am Tage, als die letzten wegfuhren, waren wir ein letztes Mal einkaufen. Jurij übernahm die Ladung, ordnete an, daß alle Rauchwaren, ein Drittel Brot, Wurst und Fett abgeladen werde, um für den Abtransport der Repatrianten bereit zu sein, alles andere sollen wir zwei bekommen, damit wir bis zu unserer Repatriierung auskommen. Es war sehr viel, und wir mußten uns in ein Haus einquartieren, weil das Lager geräumt wurde für andere Zwecke. So lebten wir noch einige Wochen bei Freunden. Als Jetter nach Hause fuhr, verließ auch ich die Freunde in St. Martin und nahm in Linz Arbeit als Zimmermann in einer Weingroßhandlung an. Dort arbeitete ich bis zum 5. September 1945. Warum ich nicht früher nach Wien gefahren bin ? Ich war zu dieser Zeit, obwohl in Wien geboren und immer in Wien gewohnt, tschechoslowakischer Staatsbürger. Als solcher wurde ich auch entlassen und bekam von den Amis ein Dokument. Nun wollte man mich in die Tschechoslowakei repatriieren, ich wollte aber nach Wien, wo meine Mutter und meine Geschwister lebten und wo ich auch meine Wohnung hatte. Ich habe den Grenzübergang in Enns versucht und wurde von den Amis zurückgestellt. Bei einem Besuch bei Bekannten in Hallstatt versuchte ich über den Dachstein in die englische Zone zu kommen und wurde auch hier zurückgewiesen. So arbeitete ich in Linz, bis mir eine Frau den Rat gab, mich in einer Straßenbahn unter dem Sitz zu verstecken und über die Brücke nach Urfahr zu kommen, dann stehe mir nichts mehr im Wege, in der russisch besetzten Zone bis W e n zu kommen. Das habe ich auch versucht, und so kam ich nach Urfahr, von dort nahm mich ein sowjetischer Jeep nach St. Valentin, und von dort fuhr ich mit der Bahn am 5. September um 17 Uhr ab und kam am 6. September um 9 Uhr früh auf dem Westbahnhof an.

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Ich wurde nirgends als Zeuge einvernommen, ich besitze auch keine Erinnerungsstücke. Sollte noch irgendeine weitere Auskunft gebraucht werden, dann läßt es mich durch Kameraden Hassmann Adolf wissen, ich werde mich bemühen, noch weitere Daten zu liefern. Allerdings muß ich zugeben, daß ich viele Erinnerungslücken aufweise und mich oft auf Namen, welche mir sehr geläufig waren, nicht entsinnen kann. Ich hoffe, mit meinen Erinnerungen gedient zu haben."

Drei Tage lang - am 12., 14. und 16. März 1964 - schrieb J . Serres im französischen Ste. Livrade an seinen Erinnerungen über die Lager Linz I und III. Der Autor unterfertigte seine Mitteilungen mit Namen und Nummer - 60.577. 164 Die informative Darstellung von J. Serres macht den deudichen Unterschied zwischen dem Lager I und III deudich, wobei man in solchen Zusammenhängen in außergewöhnlichen Relationen zu denken lernt, wenn man erfährt, daß im Lager I „ein bestimmtes Wohlbefinden herrschte". Das Ausmaß an Brutalität im Lager III ist schwerlich adäquat zu beschreiben. „Es war ein Dschungel" - die Schändungen der Kinder und Jugendlichen nur eine Spitze vieler Eisberge. Leider ist mir über seine Vorgeschichte nichts bekannt geworden. Inhalt und Duktus lassen eindeutig auf einen politischen Häfding schließen. Die hochgehaltene „Solidarität" in der Beschreibung war keine allgemeine Erfahrung, genausowenig wie die hier im Vordergrund stehenden Akte der Sabotage, an die viele nicht zu denken wagten. Die Rivalität unter den einzelnen Nationalitäten war hingegen für alle gefährlicher Alltag:

Linz I „Wir wurden in Compiegne gesammelt und kamen in Mauthausen im März 1944 an, nach einer Reise von 3 Tagen und 2 Nächten, nackt und 150 pro Waggon. Ich glaube, in unserem Konvoi waren wir 1200. Wir wurden auf mehrere Blocks für die ,Konzentrationslager-Lehrzeit' zusammengefaßt. Dann wurden wir auf verschiedene Lagerkommandos aufgeteilt. Ich wurde mit ungefähr dreißig anderen Franzosen für Linz eingeteilt, der Transport auf Lastwagen dauerte weniger als eine Stunde. Das Lager Linz I war nicht unfreundlich. Es war aus richtigen Baumaterialien gemacht, klein, ohne Lagermauer, mit gut erhaltenen sanitären Einrichtungen. Es 164 Wir danken Pierre Saint-Macary, dem Präsidenten von: Amicale Nationale des Deportes et Familles de Disparus de M A U T H A U S E N et ses commandos (Paris), der uns auf Anfrage diesen Zeitzeugenbericht im Jänner 2000 übermittelte. Die Ubersetzung aus dem Französischen besorgte Dr. Margit Niederhuber.

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herrschte im Vergleich zu Mauthausen ein bestimmtes Wohlbefinden. Das Essen war dort mehr und besser und Schläge waren rar. Ich erinnere mich, daß unkorrekte Kapos vom SS-Kommandanten des Lagers zur Bestrafung mit Stöcken geschlagen wurden. Sie hatten einen unserer Kameraden, Boulanger, mißhandelt, der aber nachher niedergeschlagen wurde. Im Lager waren vor allem Tschechen, Russen, Jugoslawen und Polen. Nur zwei Franzosen waren dort, Barry und Louis aus Thiers. Wir Franzosen hatten gute Beziehungen zu den anderen Nationalitäten hergestellt. Die Tschechen hatten einen soliden Unterstützungsapparat aufgebaut, der alle Deportierten unter seine Obhut nahm. Ihr Anfuhrer war Bezek, ein guter Mann, der bei einer Bombardierung starb. Er wurde unterstützt von Carlos, einem Transsylvaner, der schon überall gekämpft hatte, wo Faschismus herrschte. Er sprach fließend französisch, und er traf sich mit uns eines Tages und sagte: ,Französische Kameraden, hier seid ihr ein Nichts. Ich kenne euren Kampf, aber ihr habt in einem Schlaraffenland gelebt und ihr seid aus diesem Grund weniger widerstandsfähig als wir aus Zentraleuropa. Achtung, hier gibt es noch Privilegien, denn sie brauchen euch in der Fabrik. Bald werden aber die Bedingungen sich ändern. Das müßt ihr vorhersehen und euch umgehend Unterstützungsmaßnahmen organisieren. Wenn nicht, wird in einem Jahr keiner von euch mehr am Leben sein.' Der Rat wurde angenommen und ein kleines Komitee gegründet. Seine Handlungen waren anfangs sehr bescheiden und bestanden eigentlich nur darin, Kameraden auf nicht zu schwierige Posten zu platzieren. Valley war der Anfuhrer, ihm zur Seite stand Max, unser Ubersetzer, der bis zur Befreiung sich immer dadurch auszeichnete, daß er uns in der Fabrik unterstützte. Loubareche und Zellner halfen Mimile. Alle drei arbeiteten gemeinsam an den Hobel- oder Lochmaschinen. Das ermöglichte ihnen einen ständigen und intensiven Kontakt. Wir haben in einer neuen Fabrik gearbeitet, die Karosserien für Panzer herstellte, aber nichts war dort organisiert. Die meisten unter uns krochen auf allen vieren um einen Stahlblock herum und bearbeiteten die Platten der Panzerung. Zwei Jungen aus Ain begannen nach einer Woche dieser aufreibenden Arbeit Blut zu spucken, sie waren unsere ersten Toten. Es war schwierig, diese ängstlichen und wankelmütigen Männer von ihrer Pflicht zu überzeugen, daß sie nichts Brauchbares herstellen dürfen und so viel wie möglich sabotieren müssen. Aber noch schwieriger war es, etwas für die Schwächeren aufzuheben, etwas von der Suppe oder vom Brot, weil alle selber hungerten. Eine Zigarette zu fünft oder sechst zu rauchen, war der erste Schritt, und langsam wurde Solidarität spürbar. Jean Thibaut aus Dijon, der in der Werkzeugmacherei arbeitete, starb plötzlich, und ich wurde ausgewählt, ihn zu ersetzen. Ich arbeitete mit einem anderen Franzosen, einem sehr guten Arbeiter, der aber Kollaborateur wurde und mich dadurch zu speziellen Verrenkungen zwang. Wir stellten vor allem Schneidwerkzeuge her, von ihnen hing die Produktion der Fabrik ab. Ich war Techniker auf diesem Gebiet und kannte gut die Qualität und die Behandlung des Stahls, den wir verwendeten. Wir hatten die Muster und auch die Fristen

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der Fertigstellung der Stücke und die Anzahl. Das habe ich nirgendwo so gesehen. Vom ersten Tag an dachte ich an Sabotage. Was war möglich? Wir wurden streng bewacht, erstens von der SS und von den deutschen Werkmeistern. Zuerst informierte ich mich über die Kontrollmöglichkeiten, es gab sie nicht und hatte sie nie gegeben. Ich bemühte mich daher, das Vertrauen durch die Qualität meiner Arbeit zu gewinnen, und es gelang mir. Mein erstes Werkzeug zum Schneiden war ein Wunder an Genauigkeit und ich bekam Glückwünsche des Obermeisters und einen Sachpreis. Es war Mai. Ich kann bestätigen, daß bis Ende Dezember 1944 alle erzeugten Werkzeuge zum Schneiden dieser Prozedur unterzogen wurden und nicht ihren Zweck erfüllten. Der Ingenieur verstand nie, warum und wie. Man entschuldige mich, daß ich diese Episode etwas länger schildere, denn sie wurde berühmt: Für diese gute Arbeit bekam ich doppelte Portionen, jeden dritten Tag ein Essen mit Weißbrot und Wurst oder Margarine und 40 bis 50 Zigaretten pro Woche. Alles wurde immer an Valley gegeben, der es auf alle aufteilte.

Die Fabrik Die Fabrik wurde mit neuen, so ziemlich überall zusammengestohlenen Maschinen ausgestattet. Es kamen auch neue Deportierte und Kommandos. Unser Unterstützungskomitee war froh, denn es konnte zahlreiche Kameraden zu weniger harten Arbeiten einteilen. Die Solidarität wuchs und wurde von der Mehrheit akzeptiert. Wir arbeiteten nur tagsüber, es war schönes Wetter, die Lagerappelle dauerten nur kurz, im großen und ganzen war es auszuhalten. Uns fehlte das bestimmte Bewußtsein, daß die Gemeinschaft und die Stärke der anderen Nationalitäten ausmachte. Der 14. Juli bot uns dazu Gelegenheit: Am Abend wurde die Order ausgegeben, daß wir zum Appell mit unseren fabrizierten Abzeichen in den Farben Frankreichs erscheinen werden. Wir fanden in der Werkstatt Farben, auf einem weißen Untergrund ein rotes Dreieck und blaue Nummern waren auf unserer verdreckten, gestreiften Kleidung zu sehen. Die Überraschung der Ausländer verwandelte sich in Respekt, als wir beim Essen die Marseillaise anstimmten und das Abfahrtslied. Die Franzosen hatten an diesem Tag die Gleichberechtigung mit anderen Gruppen gewonnen. Das alles war am 25. Juli nach einer amerikanischen Bombardierung zu Ende. Das weiträumige Ziel, die gesamten ,Hermann-Göring-Werke' mit der Gießerei, die den Himmel rot färbte, wurde nicht getroffen, und so waren wir die Zielscheiben. Es gab Alarm, und wir wurden in Unterstände getrieben, die so solid wie Nußschalen waren. Als wir wieder herauskamen, waren wir mit einer apokalyptischen Situation konfrontiert: Die zerstörten Unterstände hatten unsere unglücklichen Kameraden unter sich begraben oder verletzt. Die Mauern der Werkstatt waren zerstört, ein in der Nähe liegendes Lager mit Lacken und Benzin stand in Flammen, es bestand Explosionsgefahr. Mimile erkannte sofort die Gefahr, in der wir schwebten, und stürzte

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hin. Es gelang ihm die gefährlichen Fässer wegzurollen, aber er kam in einem furchtbaren Zustand heraus: sein Kopf war übersät mit Verbrennungen, auf seinen Händen war keine Haut mehr. Er wurde belohnt: Glückwünsche der Oberen und Extrapflege: ein bißchen gelbliche Salbe - und ein Retourticket nach Mauthausen. Als wir ins Lager zurückkamen, machten wir eine neue Entdeckung: Der schöne neue Pavillon der Kommandantur war nur mehr Schutt und Asche, im Lager war nichts mehr auf dem gleichen Fleck. Auch da gab es viele Tote, wir hatten über 300 Kameraden verloren. Wir wurden für zwei Tage in intakte Gebäude gesteckt und dann aus Linz I abtransportiert. Das war das Ende von Linz I.

Linz III Wir wurden in ein altes Lager gebracht, daß sicherlich noch aus dem Krieg 14-18 stammte. Es befand sich zwischen einem höher gelegenen Kanal, der eine Turbine speiste ,und einem Wasserlauf, ich glaube, es war die Enns.'65 Die halbverfallenen Holzbaracken waren durch Holzstege verbunden. Bald wußten wir, warum: Das Ganze verwandelte sich nach einem Unwetter oder dem Überlaufen des Kanals in ein Pfahlbaudorf. Die Latrinen und die Waschräume waren den Baracken ähnlich. Das Lager, das schon von mageren, dreckigen Typen bevölkert war, hinterließ einen traurigen Eindruck. Viel größer als Linz I, wurden wir über das ganze Lager verstreut. Der Einfluß und die Autorität von Valley existierten hier nicht mehr. Wir mußten uns neu organisieren. Das Essen war viel schlechter als im Lager I, wir mußten seit der Ankunft wieder nachts arbeiten, Schläge waren unser täglich Brot, es gab unzählige Appelle, selbst die Ausdauerndsten wurden verbittert. Die Freundschaft, die die verschiedenen Gruppen verband, löste sich auf. Wir begannen die Polen zu hassen, die die Mehrzahl der Posten besetzt hatten - und zum Vergnügen prügelten. Es gelang ihnen das Kunststück, die Mehrheit gegen sich aufzubringen. Ein ,Bazar' war eröffnet worden. Dort wurde fast alles verkauft oder getauscht für einen Zigarettenstummel oder eine Zigarette. Viele starben nach solchen Geschäften: Diebstähle waren an der Tagesordnung,,Organisieren' die Devise; die Russen waren Meister dieses Faches. Es war notwendig, um welchen Preis auch immer, diese Vorgänge abzustellen. Loubareche, Zellner und Lebreton schafften es, die notwendigen Maßnahmen zu treffen, und mehr oder weniger gelang es ihnen, die Solidarität wieder aufleben zu lassen. Die Tschechen unterstützten uns, wo es ging, und schickten uns manchmal ganze Behälter mit Suppe und Zigaretten. Die Sachen wurden genauestens aufgeteilt, und die wenigen Franzosen, die in der Küche arbeiteten, wurden jeden Abend ,bestürmt'. Es ist unmöglich aufzuzählen, wie viele Erdäpfel der gute Paul Vidal und der gute Vico brachten. Die Krankenstation verschlang die Kranken. Die 165 Es muß der Fluß Traun gemeint sein, der mit dem Mühlbach das Lager III zu einer Insel formte.

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Toten wurden auf Karren weggebracht. Die Ärzte verbrachten Wunder ohne jegliche Mittel, und es gelang ihnen, die Verluste und die Leiden zu vermindern. Dem Arzt Sergei, einem Sowjetbürger, soll hiermit meine Bewunderung füir seine Haltung ausgesprochen werden: Ich verdanke ihm, daß ich noch am Leben bin. Neue Ankömmlinge kamen ins Lager: Griechen, Juden, Italiener und andere. Hier hatten wir Menschen aus dem ganzen besetzten Europa als Nachbarn. Baracken wurden errichtet, die Disziplin verstärkt, die Läuse fraßen uns. Hygiene stand außer Frage. Unsere gestreifte Kleidung in Fetzen, voll Schleim, Blut, Eiter. Die Arbeitstruppen mußten zwar eine eiskalte Dusche nach der Arbeit nehmen, aber ohne Seife, ohne Handtuch, die einzige Konsequenz war, daß man noch schneller krepierte. Weil die Latrinen nicht genug waren, hatten wir große Gräben um Baumstämme gegraben, wo wir uns niederhockten. Die Entleerung war die Arbeit der Alten, der Juden und der ,nichtbeschützten' Kinder. Kinderschändung war die Regel bei den Herren des Lagers: Alle Blockchefs hatten ihre ^Mädchen', daher kam auch der Haß, die Abrechnungen zwischen ihnen. Langsam wurde das Lager zur Hölle: Man teilte Schläge aus und tötete grundlos. Vermischt mit,Zivilsträflingen' aus den Gefängnissen in Deutschland und vor allem aus Polen, mußten wir uns nach allen Seiten hin in acht nehmen. Die Russen machten einige Fluchtversuche: Meiner Kenntnis nach waren nur zwei erfolgreich. Die anderen Russen wurden gefangen und nach einer schamvollen Zeremonie gehängt. Mit Musik an der Spitze wurden die Verurteilten zum Platz gebracht, nachdem sie zu den Klängen des Csardas von Monty das ganze Lager durchquerten. Ich zittere noch immer, wenn ich das höre, und ich sehe die fünf Unglücklichen, die am gleichen Tag aufgehängt wurden, an ihrem Strick baumeln. Der Mann, der sie verraten hatte, wurde entdeckt und in der Nacht erwürgt. Es war ein Dschungel, und die Menschen wurden zu Wölfen. Sie vergaßen, daß sie alle der gleiche Grund, nämlich der Kampf gegen den Faschismus, in diese Kloake, in diese Vorhölle gebracht hatte: Man hielt es nicht mehr aus. Die Bombardierungen wurden stärker. Wenn ich mich recht erinnere, erlebten wir 21. Keine war so vernichtend wie die vom Juli. Wir erfahren die Neuigkeiten über den Krieg von den österreichischen Arbeitern, die in der Fabrik arbeiteten. Wir freuten uns über die Niederlage der Hitlertruppen in Stalingrad. Die Situation war leicht zu erkennen: das Essen wurde immer schlechter, was auf Schwierigkeiten mit dem Nachschub deutete, unsere SS-Wächter wurden langsam durch Reservisten aus der Wehrmacht ersetzt. Der Totenkopf auf den Uniformen wich den Adlern auf den Helmen. Sie waren nicht freundlicher, aber dieser Wechsel bedeutete Hoffnung für uns. Wenn wir uns auch über die Niederlage der Nazis sicher waren, wußten wir doch, daß sie uns im letzten Moment nicht schonen würden. Es war unabdingbar, die Einheit zwischen den Bewußtesten aller Gruppen zu erneuern. Zellner, Amar, Jourdain und Menard waren die Vertreter der ungefähr 200 anwesenden Franzosen. Ich weiß nichts über die Aktivitäten dieses Widerstandskomitees, an dem ich nicht teilnahm.

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Ununterbrochen kamen Neue an, sie vermehrten noch unser Ungeziefer. Wir schliefen zu dritt in einem Verschlag. Die Strohsäcke waren nur ein Haufen Staub mit Flöhen, aber wir wurden jede Woche rasiert, am Körper und auf dem Kopf, von der Stirn bis in den Nacken. Die Appelle dauerten zwei bis drei Stunden, manchmal bis zu den Knien im Wasser stehend. In Lumpen gekleidet, mit leerem Magen und Ruhr, die unsere Eingeweide zermarterte, marschierten wir dann zur Arbeit, eine Woche am Tag, die darauffolgende Woche in der Nacht, die anderen haben sich in unserem erbärmlichen Lager ausgeruht. Die Kommandos marschierten über eine kleine Brücke beim Kanal ab, nachdem sie uns noch einmal zählten. Die Rückkehr ins Lager wurde oft von Untersuchungen an dieser verdammten Brücke ,verschönert', und unglücklich war jener, der ein Messer in seiner Tasche hatte. E r wurde zuerst von der SS geschlagen und dann von den Kapos. Der in dieser Gegend sehr harte Winter vergrößerte noch unser Elend. Die Plätze in der Nähe vom Ofen in den Baracken war der Fauna des/r .goumi' vorbehalten: der armselige Fetzen, der uns als Decke diente, nützte unseren erstarrten Körpern wenig. Jeden Morgen wurden die loten weggebracht und in einer Art Leichenhalle bis zum Transport in die Krematorien von Mauthausen aufbewahrt. Der Gipfel an Verhöhnung fand zu Weihnachten statt. Eine riesige Tanne wurde am Lagereingang aufgestellt und mit vielen Glühbirnen in verschiedenen Farben erleuchtet. Wir bekamen ein Stück Weißbrot und einen mageren Speck. Ich nehme noch immer an, daß das gemacht wurde, um uns an die Vergangenheit, an unsere Familien zu erinnern, um uns noch ein bißchen mehr vor unserer Liquidierung zu quälen. ,Noel' von Adam wurde von unserem Veteranen Bonnefoi gesungen. Diese Stimme wurde im Lager bewundert und ermöglichte uns vielleicht einen Moment des Entfliehens, aber sie konnte uns keinen Seelenfrieden geben. Im Stahlbau herrschte das gleiche Klima wie im Lager. Wir arbeiteten unter Druck, denn es wurden Panzer benötigt, um die Verluste auszugleichen. Die Herrscher in ihrem Fieberwahn ließen uns ihre militärischen Rückschläge mit Schlägen spüren, und ihr Hochmut versank in Brutalität, die Kapos imitierten und steigerten sie noch. Zellner machte ohne jeglichen Grund mehr als alle anderen diese grausame Erfahrung. Die Sabotage vermehrte sich in allen Bereichen, und es würde sich nicht lohnen, hier Details anzugeben. Trotzdem ein Beispiel: Im Inneren der Karosserien der Panzer mußten die Lötstellen mit Eisenspänen ausgefüllt werden, die nur 2 cm statt der notwendigen 15 cm maßen. Bei jeder Bombardierung gab es in der Werkstatt Schäden: Selbst wenn sich das Gerippe nicht bewegte, wurden die Wände und das Innere beschädigt. Wir profitierten auch von den Wirren, die durch die Aufräumarbeiten hervorgerufen wurden, und füllten die Bombentrichter mit Werkzeug und Fertigstücken. Neue Maschinen wurden unbrauchbar. In dieser kontinuierlichen Tragödie gab es auch komische Momente. Einem Russen gelang es, dem Militärkommandanten die Schuhe zu vertauschen. Die beste Anekdote ist aber folgende: Die SS in der Fabrik wurde durch halbinvalide ältere Männer

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ersetzt. Ein älterer österreichischer Arbeiter, der stundenlang mit dem Schubkarren fuhr, erschien eines Tages auf der Bewachungsbrücke. Er trug eine lächerlich aussehende dunkelgrüne Uniform und war mit einem alten Mauser, Modell 1870, bewaffnet, das größer war als er. Er präsentierte das Gewehr zum Gespött aller. Angeekelt ohne Zweifel, gab er mir seinen Prügel - und am nächsten Tag kam er wieder mit dem Schubkarren. Wir haben ihm dazu gratuliert, und er war glücklich. Die Unglücklichsten waren jene am Schrottplatz und bei der Instandhaltung der Eisenbahnen. Immer im Freien mußten sie schwere Lasten manövrieren. Sie hatten nur die sie unterstützende Solidarität, die sie aufrecht hielt.

Krankenstation Die Krankenstation war wie ein Alptraum. Ubervoll mit Kranken und Verletzten, drei bis vier Männer pro Schlafstelle. Der Gestank nahm einem beim Eintritt den Atem. Hier gab es nur Leiden ohne Hoffnung. Ruhr, Phlegmone, Erysipelas, Tuberkulose waren hier die Meister. Die Decken waren mit ganzen Flohkolonien übersät, es gab nur Papier als Verbandstoff und keine Desinfektionsmittel oder andere effiziente Medikamente, viele starben - im Durchschnitt zwölf bis fünfzehn jeden Morgen. Nach furchtbaren Schlägen verbrachte ich die letzten vier Monate dort und erlebte alles, was es Nobles und Großartiges im Menschen gibt, aber auch das Wilde und Grausame. Es übertraf alles, was ich jemals im Lager erlebt hatte. Der Chefarzt war ein Pole, dem ein sowjetischer Chirurg und ein Franzose, an dessen Name ich mich nicht mehr erinnern kann, assistierten. Alle drei wuchsen über sich hinaus und haben oft das Unmögliche versucht. Aber was konnten sie mit erschöpften Körpern, mit Aspirin als einziges Medikament und einer fettigen Salbe machen. Die Suppenverteilung und die Wache war den Pflegern zugeteilt, die nach ihrem Gutdünken handelten. Zu unserer Schande hat einer von ihnen, Pierrot (?), Suppe für Goldzähne verkauft. Viele Franzosen, Leroy aus Clichy, Chatellana aus Marseille und Lucas aus Mans sind an meiner Seite gestorben, ohne daß dieses Individuum einen Finger gerührt hätte. Ich glaube, er war Medizinstudent! Ich hatte das Glück, Unterstützung zu bekommen: Valette gab mir oft eine Handvoll Getreide, Paul Vidal kam jeden Abend und brachte mir einen gekochten Erdapfel, Gargam hat für mich Löwenzahn während seiner Arbeit auf den Gleisen gesammelt, manchmal hat er etwas Suppe dazugegeben, die er von seiner Ration absparte. Kurz gesagt habe ich von der Solidarität meiner Freunde profitiert. Am 21. April 1945 legte man uns auf Fahrzeuge und brachte uns, nackt, wie wir waren, in eine Art Schüssel aus Beton. Die SS, mit einer Wasserspritze mit einem starken Strahl bewaffnet, sah unsere Wunden und trennte mit diesem Strahl das Eiter vom verfaulenden Fleisch. Man stelle sich das unglaubliche Leiden vor, das durch diese sadistische Folter ausgelöst wurde.

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Das Essen, das hier noch weniger als im Lager war, wurde von einigen mit allen Mitteln erworben. Ich sah einen Priester, der vor Ostern die Gläubigen besuchte und ihnen einen Großteil ihres Brotes wegnahm. Für die Kommunion verwendete er nur einen kleinen Teil und behielt den Rest. Aber die schrecklichste Sache passierte einem Polen mit Wundbrand im Bein. Er hatte eine Goldbrücke im Mund, und ein anderer ebenfalls Sterbenskranker sah dies und schnitt sie ohne Zögern mit einer Rasierklinge dem noch Lebenden heraus. Er glaubte, daß ihn niemand gesehen hatte, aber er wurde von Valette dafür niedergeschlagen. Der Chef des Lagers war zu dieser Zeit ein ehemaliger deutscher Rechtsanwalt. Er war ein ehrlicher Mann, der alle möglichen Versuche unternahm, um die Mißhandlungen der Kapos zu unterdrücken. Aber er konnte nicht überall sein. Er tauschte Kolesko im Block 5 aus, den die Franzosen zur Genüge kennengelernt hatten. Er war ein Mörder, der uns das auch selber sagte: ,Die Polen sind eine höhere Rasse, und wir haben das Recht, die anderen zu schlagen, vor allem die Franzosen, sie sind Schweine.' Der Chef des Lagers besuchte uns immer in der Krankenstation, und seine Taschen waren voll mit kleinen Sachen, die er an die Jungen verteilte und er entschuldigte sich bei uns, daß er nicht mehr machen konnte. Wir hörten die Kanonengeräusche, die näher kamen. Wien, Budapest und Belgrad waren befreit. Wir waren besorgt, was uns passieren würde. Eines Nachts um drei Uhr kamen Zellner und Loubareche zu mir und teilten mir mit, daß die Evakuierung am Morgen stattfinden würde. Sie wollten mich nicht dalassen und hatten entschieden, daß sie mich mitschleppen würden. Ich konnte nicht einmal drei Meter gehen und weigerte mich, ihnen ihre letzte Chance zu nehmen. Zellner kam am Morgen zurück und teilte mir mit, daß ein anderer Befehl gekommen war, er war sehr glücklich darüber. Das war am 5. Mai. Sie brachten uns in einen großen Bunker in der Nähe der Fabrik, der gebaut worden war, um die Direktion vor Bombardierungen zu schützen. Er war solid gebaut. Wir waren nackt, aber wir wurden verpflegt, fast verwöhnt diesen Tag. Es war der schönste Tag: Um 17 Uhr hatte der Krieg und die Deportation ein Ende. Auf einer Bahre wurde ich von meinen zwei Kameraden in ein Militärlazarett gebracht. Einige Tage später brachten sie mich genauso wieder raus, ich war anscheinend noch nicht in Sicherheit. Aber kurz gesagt, ich hatte einen ordentlichen Verband und konnte mich auf meine Rückkehr nach Frankreich vorbereiten. Morette war unser Chef im Konvoi bis San Margaret. Es gab auf dieser Strecke noch immer Tote. Bracassac in Osterreich, Vasseur in der Schweiz - wie viele waren es, seit wir wegfuhren? In ihrem Gedenken habe ich zweifellos linkisch versucht, das Leben in dieser Hölle zu skizzieren. Ich hätte gerne das Talent von unserem Freund Jean Lafitte gehabt, aber ich besitze es nicht, ich bin ein einfacher Mechaniker, der das niederschrieb und der sich dafür entschuldigt, es nicht besser zu können.

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Ich hoffe, daß diese Zeilen mithelfen, den Faschismus zu hassen und die Menschen zu respektieren. Das wäre die beste Hommage an diejenigen, die gekämpft haben oder für die Freiheit gestorben sind. Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem er kroch. Es ist unsere Pflicht, wir, die wir der Hölle im Konzentrationslager entkommen sind, gegen den Faschismus zu kämpfen und die beschämende Verbindung mit unseren Henkern von gestern, die in Bonn regieren, aufzuzeigen, damit unsere Nachkommen niemals Mauthausen und Linz kennenlernen werden."

Den letzten schriftlichen Zeugenbericht erhielt ich am 3. Jänner 2000 zugesandt. Der Franzose Jean Thiemonge versuchte in einem Brief seine Erfahrungen im Lager Linz HI zusammenzufassen.166 „Ich bin Anfang Juni 1944 im Lager Linz IH angekommen. Dort haben wir von der Landung in der Normandie gehört. Ich war 20 Jahre alt. Am 2. März 1943 wurde ich verhaftet, und bin in Mauthausen Ende April angekommen. Bis Ende Mai 44 war ich nacheinander bei den Kommandostellen Wiener Neustadt und Redl-Zipf. Am Weg nach Linz machten wir einige Tage Station in Mauthausen. In dieser ersten Gruppe waren zwischen 300 bis 400, darunter viele Franzosen. Danach mit all den anderen Ankommenden war die Anzahl der Häfdinge im Lager auf circa 5.000 angewachsen. Wir bewohnten ein schon vorhandenes Lager in der Nähe der Hermann-GöringWerke zwischen der Straße und einem Donauarm. Die Gegend war ein Überschwemmungsgebiet (im Winter überschwemmt), die Baracken aus Holz waren wie auch die Gehsteige auf Pfählen. Das Lager war von elektrischen Stacheldrahtzäunen und Wachtürmen umgeben Die SS bewohnte ein Gebäude aus Zement außerhalb des abgeschlossenen Bereichs. Bis zur ersten Bombardierung, der wir ausgesetzt waren (am 25. Juli), habe ich in der Stahlgießerei gearbeitet. Dort haben wir Teile für Fahrzeuge, nämlich Elemente für Raupenketten, hergestellt. Die Arbeit war in zwei Schichten eingeteilt, zweimal 12 Stunden Tag und Nacht, Sonntag frei. Die Bombardierungen haben viel zerstört, die Arbeit in der Gießerei hörte auf, und wir kamen in die Werkstätten B.W. 2, wo wir Karosserien der Fahrzeuge montierten. Mehrere Monate war ich mit Aufräumarbeiten beschäftigt, dann mit der Instandsetzung des Daches der Werkstätten. Dann kam ich in die Abteilung für Polierstahl, wo ich schwere Stücke herstellte, auf denen die Kanonenrohre lagen.

166 Aus dem Französischen übersetzt von Dr. Margit Niederhuber.

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Ende März 1945 (russischer Vormarsch und Bombardierungen) hörte die Arbeit in dieser Werkstatt auf, und wir wurden nachts eingesetzt, die zerstörten Eisenbahnstrecken wieder aufzuschütten. Am Abend marschierten wir zu Fuß (4 oder 5 km), wir waren sehr viele (mehr als 1.000) mit Verstärkung der Wärter und der SS, der Wehrmacht und sogar Marine und der Hitlerjugend. Die Arbeit mit Schaufel und Hacke wurde mit Fackeln beleuchtet. Sowohl untertags als auch bei Nacht wurden wir bombardiert. Am unteren Ende des Lagers fielen Bomben (25) auf die Baracken. Es gab zahlreiche Tote und Verletzte, die nach Mauthausen kamen. Es waren keine Luftschutzkeller vorhanden, während des Fliegeralarms schliefen wir unter unseren Betten. Während einer Panik, die auf Grund einer nächtlichen Bombardierung ausgebrochen war, wurde einer unserer Kameraden (Champagne, aus Meuse stammend) durch einen Revolverschuß von einem Adjutanten der SS getötet. Die Arbeit war vor allem auf Grund ihrer Länge (12 Stunden) und der schlechten Ernährung anstrengend: Kaffee in der Früh, klare Suppe zu Mittag, Brot (ein Laib für 4 oder 5) mit einem kleinen Stück Margarine am Abend. Die Nachtschicht bekam nichts während dieser Zeit. Wir waren während der Arbeit von deutschen Meistern umgeben und von der SS bewacht, die ihre Runden machte. Andere hielten Wache rund um den mit Stacheldraht umzäunten Bereich. Es gab Fälle von Sabotage der Produktion: Als bei der Bombardierung von St. Valentin die Karosserien der abgestellten Fahrzeuge weggebracht wurden, zeigten sie Fehler bei den Schweißstellen. Die Verursacher oder die vermeindichen Verursacher (es war notwendig ein Exempel zu statuieren) wurden vor allen Häfdingen am Appellplatz aufgehängt. Es gab immer Fluchtversuche, aber ohne Erfolg. Und die Unglücklichen wurden immer öffendich aufgehängt. Samstag, der 5. Mai 45, als wir schon wußten, daß die Alliierten näher kamen, ließ uns der Lagerkommandant über Lautsprecher wissen, daß wir auf das andere Donauufer müßten, in Grotten hinein, um - unter Anführungszeichen - in Sicherheit zu sein. Ein internationales Häftlingskomitee erklärte, daß wir dort nicht hingehen würden, denn dort würden wir Gefahr laufen, zu verschwinden. Nach einer Diskussion wurde beschlossen, daß wir zwar aufe andere Donauufer, aber nicht in die Grotten gehen würden. Wir marschierten endang einer Eisenbahnlinie und überquerten die Donau über eine Metallbrücke. Im Lager blieben die Kranken in der Station und das Pflegepersonal. Am Nachmittag kam einer von ihnen und teilte uns mit, daß „wir befreit seien". Die SS verschwand, und nur die Alten der Wehrmacht gingen mit uns ins Lager zurück, in dem wir nichts Besonderes bemerkten. Erst einige Stunden später kam ein Jeep. Zwei G.I. marschierten ins Lager, in dem es keine Wachen mehr gab. Wir waren befreit!! Die Häftlinge bewaffneten sich in den Kasernen der SS. Sie versuchten, die geflohenen Wächter zu verfolgen.

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KZ-Häfdinge bei Räumungsarbeiten

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Die Amerikaner hielten das Lager in Quarantäne, um, wie sie sagten, die Verbreitung von Typhus zu vermeiden. Aber der Stacheldraht war nicht mehr elektrifiziert. Am Montag, den 7. Mai verließen alle Franzosen das Lager im endegensten Teil. Wir nahmen alle unsere Kranken mit. Wir fanden in den verlassenen Baracken der deutschen Arbeiter Unterschlupf und wurden von den französischen Kriegsgefangenen des Nachbarlagers empfangen und versorgt. Dann kamen Offiziere der französischen Armee, die sich um unsere Repatriierung kümmerten. Auf Armeelastwagen kamen wir am nächsten Tag in Bamberg an. Wir hatten die Donau bei Passau überquert und auf der Durchreise das zerstörte Nürnberg gesehen. Unsere Kranken wurden über die Schweiz mit einem Krankenzug zurücktransportiert. Einige Tage später brachte uns ein Güterzug nach Frankreich, wo wir bei Longuyon die Grenze überquerten. Dort verließ ich meine Kameraden, die Richtung Paris fuhren, und fuhr in Richtung Osten. Ich fuhr mit dem Zug nach Nancy, dann mit dem Lastwagen nach Epinal und zu Fuß nach Eloyes. Am 29. Mai traf ich nach 26 Monaten Abwesenheit wieder meine Eltern. Das war einer der schönsten Tage meines Lebens, und ich bin noch immer ganz gerührt, wenn ich daran denke. Ich habe mich, im Gegensatz zu vielen meiner Kameraden, schnell wieder gefaßt. Dank derfranzösischenMaßnahmen konnte ich mein Berufsleben wiederaufnehmen und eine Karriere im Schulwesen machen. Es war das größte Abenteuer meines Lebens und auch dasjenige, das mich am meisten geprägt hat. Der von dort Zurückkommende war ganz anders als der Jugendliche, der dorthin ging."

Soweit sämtliche schriftlichen Zeitzeugenschaften, die mir im Zuge meiner Forschungsarbeit zugänglich wurden. Eine Sammlung - chronologisch nach ihrer Abfassung gereiht - subjektiver Zeugnisse zur Dokumentation, die an dieser Stelle - in aller Ubereinstimmung und Widersprüchlichkeit belassen - für eine weitere Annäherung an diesen horrenden Ort für sich sprechen sollen. Es sind auf das Schreibbare konzentrierte Erinnerungen an eine Zeit, die für alle gemeinsam einen Bruch in ihrer Biographie darstellte, und ich sehe summarisch keinen Grund, die abschließende Formulierung von Jean Thiemonge nicht zum Plural auszuweiten: „Die Heimkehrenden waren andere als jene, die dorthin gingen." Der Hunger, die Schläge, die Entpersonalisierung zur Nummer, die zur Schau gestellten Hinrichtungen, die ständig lebensbedrohliche Willkür war allen gemeinsamer Erlebnis- und Erfahrungszusammenhang. Im Rahmen unseres Forschungsprojekts wollte ich jedoch auch die Gelegenheit nutzen, das persönliche Gespräch zu suchen; im direkten Kontakt mit Uberlebenden aus der Perspektive von mehr als einem halben Jahrhundert über die damaligen Vorkommnisse etwas zu erfahren. Papier ist nicht

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nur geduldig, es vermag auch kaum jene Emotionen wiederzugeben, die dem Schreiben zugrunde liegen bzw. vorausgingen, um schließlich konzentriert in Schrift gewandelt zu werden. Nur wenige waren dazu in der Lage, und nur wenige waren bereit, mit mir zu sprechen. Überwiegend blieben meine brieflichen Kontaktaufhahmen unbeantwortet. Zwei Ausnahmen waren der in Osterreich lebende Spanier Herr E. sowie der Pole Herr F. Beide hatten sich an die Werksleitung der VA Stahl gewandt, um eine Anerkennung als ehemaliger Konzentrationslagerhäfding in den Hermann-Göring-Werken zu erwirken bzw. einen Entschädigungsanspruch anzumelden. Mit beiden nahm ich Kontakt auf, erklärte unser (mein) Forschungsvorhaben und bat um ein Gespräch. Herr F. lehnte verbittert ab bzw. stellte Forderungen, die ich nicht zu erfüllen imstande war. Seine Reaktion war verständlich. Herr F. war seit August 1944 zuerst beim Kommando Hauptwerkstätte als Maschinenschlosser eingesetzt, das im April 1945 von SS-Abteilungen zum Linzer Hauptbahnhof geführt wurde, um Bombenschäden zu reparieren. Bei einer Bombenexplosion wurde ihm das rechte Bein über dem Knie abgerissen, und er verlor das Gehör am rechten Ohr. Vergeblich fordert er bis jetzt „Entschädigung" für etwas, was nicht mehr zu entschädigen ist. Herr E. war hingegen zu einem Gespräch bereit. Der 8 3-jährige wohnt in der Nähe von Linz und, wie mir schien, bis heute gegen seinen Willen. Im Wohnzimmer hing eine überdimensionale Fotografie seines spanischen Heimatortes, die in ihrer Größe nicht nur Erinnerung, sondern auch große Sehnsucht ausdrückte. Herr E. stammte aus der Nähe von Barcelona und kämpfte drei Jahre auf seiten der Republikaner im Spanischen Bürgerkrieg. In Frankreich von den Nationalsozialisten gefaßt, wurde er im Dezember 1940 in das Konzentrationslager Mauthausen deportiert und mußte drei Jahre lang am Kraftwerk Ternberg arbeiten. Nach der Befreiung aus dem Konzentrationslager war ihm der Weg in seine Heimat versperrt. Die Diktatur Francos war noch lange nicht am Ende. Herr E. mußte in Österreich bleiben, fand eine Arbeit als Hilfsarbeiter und gründete eine Familie. Die Kraft seines politischen Engagements hat er bis heute nicht verloren, was auch in seinem energischen Vortrag über die ehemaligen politischen Kämpfe in seiner Heimat und waghalsigen Aktionen zum Ausdruck kam. Seine Erinnerungen stabilisierten sich in Anekdoten, die, auf Grund seiner häufigen engagierten Zeitzeugen-Auftritte in Schulen, „von den Affekten poliert" (Aleida Assmann) wirkten. Über Mauthausen und Ternberg wollte/konnte er mit mir nicht sprechen. Er ist zeit seines Lebens nicht heimisch geworden im Land seiner ehemaligen Peiniger. Nach mehr als fünfzig Jahren (erzwungenem) Aufenthalt in Österreich verweigerte Herr E. ihre Sprache anzunehmen. Ich hatte große Schwierigkeiten, sein gebrochenes Deutsch zu verstehen, und es war mir fast unmöglich, das aufgenommene Gespräch zu transkribieren. Für die Registrierung seiner Verbitterung war dies auch unwesentlich. Erregt hielt Herr E. mehrmals ein Schreiben von der Rechtsvertretung der VA-Stahl in der Hand, das ihm kürzlich als Antwort auf sein „Wiedergutmachungs-Ansuchen" zugestellt wurde. Abschlägige Schreiben sei er gewohnt. Nur ein Wort traf ihn „ins Herz", hat ihm „besonders weh getan": die

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„längst abgelaufene Verjährung" - so der Jurist - „von zivilrechtlichen Ansprüchen". „ Verjährung" - ein Begriff, der bei extrem traumatisierten Menschen nicht nur juristisch seine Berechtigung verloren hat. Ein Wort - ein Keulenschlag. 167

„HUMOR IST TROTZIG" Italo Tibaldi aus Vico Canavese, dem Präsidenten des Comité International de Mauthausen, bin ich für seine Hilfsbereitschaft zu Dank verpflichtet. Mit großem Aufwand sandte er mir eine ausführliche Liste von 22 italienischen Überlebenden des Konzentrationslagers Mauthausen, „die in den Subkommandos Linz I-II-III eingewiesen wurden". Mit zwei von ihnen hatte ich die Gelegenheit, ein Gespräch zu fähren. Als Dolmetscher begleitete mich Dr. Joe Berghold, der meinem Forschungsvorhaben nicht nur auf Grund seiner bisherigen wissenschaftlichen Arbeiten (Berghold, 1997) ein ausgeprägtes Verständnis für Geschichte und Kultur des Landes, sondern auch als Psychologe die notwendige Sensibilität für solche Gespräche entgegenbrachte. Unsere Reise führte uns nach Florenz und, wenige Kilometer davon entfernt, nach Pistoia, wo wir am 20. November 1999 Francesco Messina und seine Frau besuchten. In Pistoia ist Francesco Messina im Jahre 1926 geboren und aufgewachsen. E r besuchte dort das Gymnasium, maturierte und schloß sich den Partisanen an. Im Juli 1944 wurde er durch die SS in Prato gefangengenommen. Nach einigen Tagen Haft in Florenz, Carpi und Bozen wurde Francesco Messina Anfang August in das Konzentrationslager Mauthausen deportiert. Nummer: „Achtundzwanzig Vierhundertsiebenunddreißig", die er noch immer deutlich auf deutsch zu nennen wußte. Nach einem Monat „Quarantäne" überstellte man ihn ins Lager HI der Hermann-Göring-Werke. 6 bis 18 und 18 bis 6 Uhr waren die wöchentlich wechselnden Schichten mit einer Stunde Pause, sechs Tage die Woche, die er mit seinem Arbeitskommando im Stahlwerk beim Panzerbau zu schuften hatte. Außergewöhnlich waren ihm einige der Kameraden bis heute namendich in Erinnerung geblieben: „Emile, ein Franzose - Kagi, ein Pole Harnold, ein polnischer Jude - Felek, auch er ein Pole - Ivan, ein Russe - Marian, wieder ein Pole, und einer, der ,Litoven' genannt wurde, weil er Litauer war. Gegenüber von mir arbeitete André, ein Franzose, während die anderen alle polnische Juden, Russen, Polen und Jugoslawen waren." Während des Gespräches war es immer wieder erstaunlich, in welche Relationen Herr Messina seine Erzählung zu stellen vermochte, die oft nur mit Mühe nachvollziehbar waren :

167 Herrn E.s Protest leitete ich weiter. Der Rechtsanwalt - nachdem auch der Projektleiter DDr. Rathkolb mit ihm eine Kontroverse geführt hatte - wurde als Folge dieses Briefes von der VA-Stahl ausgewechselt.

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„Francesco Messina: Die Arbeitsbedingungen waren ziemlich gut. Die Arbeit war das, was sie war. In den anderen ,Ksrmmandos', die draußen arbeiteten, gab es die Kapos, die verdammten Kapos, die immer ,LOS ARBEITEN!'

schrien. Bei uns war es nicht so. Wir waren abhängig von

den,Meistern', die Deutsche oder Österreicher waren. Mein,Meister'

war ein Luxemburger, er

hieß Weber. - Ich würde gern noch Wasser haben, bitte - danke. Also, sie durften nicht schlagen. Obwohl, wenn einer von uns etwas Falsches machte, konnte der,Meister' den Befehlfür die Bestrafung geben: Sie gaben dem Kapo die Nummer, und wenn er ins Lager zurückkam, bekam er bis zu 25 Schläge pro Bestrafung. Ich erinnere mich, daß einmal dieser Weber, mein,Meister', ich weiß nicht, •warum, einen meiner Gruppenkameraden, einen Polen, der Kagi hieß, schlug. Dieser Kagi, bekam, als er ins Lager kam, 15 oder 20 Schläge. Aber die größte Angst vor der Bestrafung war mit der Anschuldigung der Sabotage verbunden. Denn man konnte auch der Sabotage beschuldigt werden, wenn es überhaupt keine Sabotage war. Zum Beispiel, wenn ich ein Stück abwusch und dieses vielleicht durch den Bohrer kaputt wurde, wurde schon Sabotage gerufen! In diesen Fällen wurde man mit Erhängen bestraft. Die Drohung, der Sabotage beschuldigt zu werden, war ziemlich wirkungsvoll. Einmal passierte etwas wirklich Sonderbares. Eines Morgens beim Appell - es wird halb sechs gewesen sein, da wir um sechs schon bei der Arbeit sein mußten -fehlte einer von uns. Die Kapos gingen herum, um ihn zu suchen, aber sie fanden nichts. Nicht einmal Löcher in der Umzäunung, daß man sagen hätte können, daß er von dort geflüchtet sei. Doch es fehlte einer von uns beim Appell. Letztendlich bemerkten sie, daß er noch in der Baracke war: Er schliefdort! Ich weiß wirklich nicht, wie er schlafen konnte, weil auch in der Baracke immer sehr viel Lärm war. Immer schrien sie: ,Los, aufstehen! Los, Los!' Er schlief dennoch! Sie schlugen ihn. Einfach so, weil er die Arbeit in der Fabrik aufgehalten hatte. Weil man daraufwartete, ihn zu finden, stand die Arbeit still, und wegen ihm wäre ein Stück Fanzerwagen weniger gebaut worden. Das war Sabotage. Tatsächlich dachte niemand von uns wirklich an Sabotage. Niemand konnte in dieser Situation wirklich daran denken. Dennoch, war es genauso, wenn einer - um ein Beispiel zu geben - ein Glas zerbrach, wurde bereits,Sabotage' gerufen!"

Und erhängt! Unter dem Damoklesschwert von willkürlich gesetzten und vor aller Augen im Lager vollstreckten Hinrichtungen, waren tagtäglich die Arbeiten zu verrichten. Für die Stunden ohne Arbeit bekamen die sozialen Beziehungen überlebenswichtige Bedeutung. Unter den Lagerhäftlingen gab es meist nur ausgewählten Kontakt unter den Nationalitäten. Die Sprache dirigierte die sozialen Beziehungen, und die Hierarchie der Nationalitäten fand auch in so manch lebenswichtigem Sprachgebrauch ihren Ausdruck. „Nicht sprechen zu können, war ein Drama." Waren die Sprachbarrieren unüberwindbar, konnten sich politische Vorurteile auch lebensgefährlich gestalten, wie es Francesco Messina erleben mußte. Italiener = Faschisten, auch wenn man dagegen gekämpft hatte.

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Zwangsläufig war fiir Herrn Messina mit den russischen Inhaftierten kaum eine Annäherung zu erreichen: „Francesco Messina: Ich hatte viele Freunde unter den Griechen, natürlich unter den Franzosen und auch unter den Spaniern, bei den wenigen, die dort waren. Gute Kontakte hatte ich auch mit den Jugoslawen, den Tschechen. Mit den Zigeunern und den Polen schlechte - mit den Russen eigentlich immer schlechte — eigentlich immer Karl Fallend: Wie zeigten sich diese schlechten Beziehungen? Francesco Messina: Na, zum Beispiel, ich weiß nicht, wenn es ein bißchen Feuer zum Wärmen gab, dann stießen dich die Russen zurück, sie schickten dich nach hinten. - Eben das war eigenartig. Sie kennen natürlich unsere Geschichte und wissen daher, daß Italien in der Zeit, in der es gemeinsam mit Deutschland Krieg führte, andere Länder ärgerte. Wir haben Griechenland eingenommen, Jugoslawien, den Franzosen haben wir, wie sie es nennen, ,den Dolch in den Rücken gestoßenAls wir in den Krieg eingetreten sind, am 10. Juni 1941, waren die Deutschen fast schon in Paris, der Krieg war also für die Deutschen bereits gewonnen. Hier haben sich die Italiener schön blamiert. Es war also eigenartig, daß genau uns internierten Italienern im Lager diese Vergangenheit vorgeworfen wurde, wenn sie uns,Faschisten'' nannten! Uns, die wir sicher keine Faschisten waren! Die anderen vielleicht schon, aber wir im Lager sicher nicht! Wie war es möglich, daß wir Faschisten waren, wenn wir dort waren! Verstehen Sie? (...) Grundsätzlich war die Schwierigkeit, sich zu verständigen. Ich habe es schon gesagt: Ein Italiener, ein Franzose, drei Polen, ein Jude, ein Russe, ein Litauer, die deutsch sprachen, oder man lernte einige Wörter russisch oder polnisch. Tatsächlich, und das kann aus philologischer Sicht interessant sein, einige Wörter sagten wir lieber auf russisch. Zum Beispiel hatten wir den Napf, wo wir die Suppe hineingaben, am Gürtel der Hosen befestigt. In Russisch sagt man ,miski\ und wir nannten es ,miskil und nicht ,Schüssel1, was im Deutschen auch schwer auszusprechen ist. Wir hätten auch einfach ,gamellai sagen können, wir nannten es hingegen ,miski\ Dann zum Beispiel Antreten' heißt aufrussisch ,stroiza\ wir sagten also ,c'e la stroiza' (es ist das Antreten/der Appell). Oder auch der Ort, wo der Schwarzmarkt stattfand, wurde von den Russen „bazar" genannt, und wir sagten:,Ich gehe zum Bazar, um zu tauschen\ Brot gegen Zigaretten, jene Zigaretten, die wir als Prämie erhielten. Karl Fallend: Dieser Markt wurde toleriert? Francesco Messina: Ja, er wurde toleriert. Ja genau, das ist noch ein interessanterer Punkt. Die SS war nicht innerhalb des Lagers. Innerhalb des Lagers war die Paralelhrganisation. Außerhalb

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war der,.Lagerführer1 der SS, innerhalb der,Lager älteste', der zu den Internierten gehörte. So entsprachen auch die externen,Blockführer1 der SS den ,Blockältesten1, auch sie wurden aus den Reihen der Internen genommen. Es gab kurz gesagt zwei Parallelorganisationen. Die SS kontrollierte von den Türmen um das Lager herum. Nur zum Zeitpunkt des Appells kontrollierte sie die Zahl, die die ,Lagerschreiber' angaben. Sie und die Blockschreiber waren verantwortlich für die Zählung der Toten, der neu Angekommenen etc. Ich erinnere mich an einen ziemlich alten SSOberleutnant mit weißen Haaren. Er erhielt jeden Tag die Zahl, die die , Blockältesten1' den ,Lagerältesten' übermittelten, die diese ihrerseits an den ,Lagerßihrer' weitergegeben hatten. Sie sagten: ,6.000 gestern präsent, i Toter, i Neuangekommener', und so weiter Nicht einmal in der Fabrik gab es Kontakte mit der SS. Sie beschränkten sich darauf, daß sie uns bis zur Fabrik begleiteten, dann gingen sie weg, in die Wärme, wahrscheinlich um zu spielen. Es gab nur einen Kommandanten. Ich erinnere mich an einen großen, blonden Typen, einen Unteroffizier der SS. Erfuhr durch die Lager und verabreichte manche Schläge. Er war ausgesprochen brutal. Brutal, weil man den Grad der Brutalität an der Art der Peitsche erkannte. Die Milderen hatten eine Peitsche, die nur aus Gummi war. Jene, die ein bißchen brutaler waren, hatten ein Kabel, also außen Gummi und innen Eisendraht. Dieser hatte hingegen an der Spitze der Gummischnüre einen Bolzen, und wo der hintraf, tat es sehr weh. Wie sagt man: Es gibt immer Schlimmeres. Karl Fallend: Erinnern Sie sich noch an Ihren, Blockältesten'? Francesco Messina: Ja, er hieß Käseberg, er war ein,grünes Dreieck'." Ein Krimineller. Wie alle Häftlinge in gehobenen Führungspositionen, besaßen sie eine Machtfiille, um zwischen Leben und Tod entscheiden zu können. Alltagsrealität und Allmachtsphantasien, die denen der SS trügerisch nahe zu kommen schienen. Der Lagerälteste war „die mächtigste Person unter den Internierten. Dann gab es den Lagerführer, der Gott" war. Käseberg etwa war sein Vertrauen zu einem der SS-Männer zum Verhängnis geworden, als er eines Tages einen Befehl nicht sofort befolgen wollte, und so war „Tatsache, daß der von der SS die Pistole zog und ihn auf der Stelle erschoß!" Zufall, Glück waren die wesentlichsten Kriterien des Uberlebens. Aber selbst Glück konnte zuwenig sein. Francesco Messina hatte einen Freund aus Wien, der wie er dem Block 3 zugewiesen worden war. Otto Popper, „ein wirklich wunderbarer Mensch". Er war - obwohl Österreicher - mit den Buchstaben „IT" für Italien gekennzeichnet, da er mit seiner Familie in Mailand lebte und dort auch inhaftiert wurde. Mit ihm allein konnte er italienisch sprechen, die anderen des Blocks stammten sämdich aus Polen oder Rußland. „Francesco Messina: Ich erinnere mich, daß wir im selben Bett, in derselben Koje geschlafen haben. Wir sind mit demselben Transport angekommen - ich und dieser Popper gemeinsam mit anderen - und demselben Block, dem Block 3, zugewiesen worden. Eigenartig war, daß er, als wir am Abend

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zum Appell gingen und nebeneinander standen, er mir in bezugaufden,Lagerältesten' sagte: Riesen Herrn hier kenne ich. Ich habe mit ihm in Wien Poker gespielt.' Einen Tag später ging Popper so nahe, wie wirjetzt sprechen, an diesem,Lagerältesten1 vorbei. Diese - verstehen wir uns richtig waren eine Autorität. Er nannte seinen Namen, den Namen dieses Mannes. Dieser drehte sich um und sie erkannten sich. Der,Lagerälteste1 ließ Popper in eine andere Baracke überstellen und ernannte ihn zum,Lagerschreiber1. Es war nicht so, daß die Funktion des,Lagerschreibers' weiß Gott was gewesen wäre, dennoch bekam man zwei Suppen anstatt einer, und dann mußte man nicht nach draußen arbeiten gehen. Es war viel besser als das, was man sich sonst erhoffen hätte können. (...) Leider wurde Popper dann krank und starb. Er war aus Wien. Otto Popper." Auch Francesco Messina wurde krank. Fieber, Schmerzen. ,Ja, aber damals sagte man es nicht, wenn wir krank wurden. Man wurde umgebracht, wenn man krank wurde." Die Befreiung am 5. Mai 1945 kam in letzter Minute. Er litt inzwischen schon an Tuberkulose, „war schon mehr tot als lebendig und war nicht ganz bei Bewußtsein". Nach der Befreiung mußte Francesco Messina sechzehn Monate im Spital verbringen, bevor er nach Hause zurückkehren konnte. Herr Messina wußte um seinen Vorteil gegenüber jenen, die schon viel früher im Konzentrationslager gelandet waren, denn zur Zeit seiner Deportation galt der Krieg für die Deutschen schon als verloren. Trotzdem hätte er um ein Haar seinen phantasierten Wettkampf zweier Linien - wie er seine Hoffnung beschrieb verloren. „Wenn ich daran denke, wie schlecht es jenen gehen mußte, die 1940, 1941 in Mauthausen waren, als es keine Hoffnung gab. Für uns war es eine Frage der Zeit. Sagen wir einmal, daß wir zwei Linien vor uns hatten: ,So lange der Krieg dauert, so lange muß mein Leben dauern', so dachten wir. Ich muß es schaffen, daß der Krieg weniger lang dauert als das Ende meines Lebens. (...) Wenn der Krieg einen Monat länger gedauert hätte, wäre ich gestorben."

Francesco Messina: „Das war damals 1957. Ich wäre sehr gerne hineingegangen, um mein Lager wiederzusehen. Aber sie haben mich nicht hineingehen lassen, weil dort zu diesem Zeitpunkt die ungarischen Flüchtlinge waren. Dennoch, nach dem, was ich von außen gesehen habe, ist es unverändert geblieben, wirklich unverändert."

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Trotz seines damals verheerenden Gesundheitszustandes erinnert sich Herr Messina genau an diesen regnerischen Tag im Mai 1945, als sie - die SS war bereits geflüchtet von alten Männern mit alten Gewehren gefuhrt, über die Donau aus Linz rausmarschierten und auf einer Anhöhe in eine Grotte gehen sollten. Eine eindrückliche Situation am letzten Tag ihrer Gefangenschaft, die mir von verschiedenen Seiten ebenso geschildert wurde. Es waren die russischen Gefangenen, die sich inzwischen zu einer Widerstandsgruppe formierten und sich wehrten: „Francesco Messina:, Wir gehen nicht in die Grotte/' Sie vermuteten, daß sie mit Sprengstoffausgelegt war, der sprengbereit war; was vielleicht gar nicht stimmte. Dann sagte ein Alter der Wehrmacht, der das Kommando hatte, nachdem er mit diesen Russen und auch mit den Spaniern geredet hatte:, Wir kehren ins Lager zurück.' Während wir zum Lager zurückgingen, revoltierten die Russen und Spanier und überwältigten die Alten der Wehrmacht, die uns begleiteten. Es gab einige Gewehrschüsse. Dann haben diese Alten - und das ist kaum zu glauben - die Gewehre fallen gelassen und sind geflüchtet. Und wir waren frei. Es regnete stark. Wir gingen ins Lager zurück, denn dort gab es zumindest eine Baracke. Kaum waren wir im Lager, wurden die Ex-Kapos, die inzwischen gefangengenommen worden sind, auf den Appellplatz gebracht. Alle wurden erschossen. Damit war es wirklich vorbei." Die unmittelbare Bedrohung war zwar vorüber, das Trauma der Vergangenheit blieb jedoch bis in die Gegenwart erhalten. Herr Messina war sich bewußt, daß er etwa gegenüber den Juden, die keine Möglichkeit hatten, nach Hause zurückzukehren, bzw. keine Familien mehr hatten, die sie wieder aufnahm, im Vorteil war. Ihn erwartete - wie er sagte - weitgehend dasselbe Leben, aus dem er entrissen wurde; er kehrte zurück nach Pistoia, war von seiner Familie schützend wieder aufgenommen, gründete eine eigene Familie, begann eine Arbeit in einer Bank, der er von 1952 bis 1983 nachging, und lebt bis heute in seiner Geburtsstadt. Die äußeren Bedingungen erleichterten es ihm, die Vergangenheit zu ertragen. Darüber zu sprechen war ihm kaum möglich - schwer mit seinen Nächsten, auf keinen Fall mit Dritten. Frau Messina wollte uns dies am Ende unseres Gespräches bestätigen: „Karl Fallend: Hatten Sie die Möglichkeit, über ihre Erfahrungen zu Hause zu sprechen? Francesco Messina: Wenig, wenig. Frau Messina: Heute ist das erste Mal. Francesco Messina: Nein, das erste Mal nicht. Aber es ist auch nicht so, daß ich viel darüber spreche. Für Sie habe ich eine Ausnahme gemacht.

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Karl Fallend: Was wollten Sie sagen, Frau Messina, als sie ,das erste Mal' sagten? Frau Messina: Ich meinte damit, daß es das erste Mal ist, daß es ihm passiert, daß er mit fremden Personen außerhalb der Familie darüber spricht. Es ist das erste Mal, weil ihm nie etwas in der Art passiert ist, das heißt, daß er darüber mit Leuten redet, die nicht von der Familie sind. Aber auch mit mir - ich selbst kenne diese Sachen nur ,a spizzichi e bocconi.' So sagt man. Ich will damit sagen, daß ich einmal etwas gehört habe und ein anderes Mal wieder etwas. Aber die ganze Geschichte, vom Anfang bis zum Ende, nie. Ich habe auch nicht den Mut zufragen,weil mir klar ist, daß es nicht einfach ist, darüber zu erzählen." Es war wichtig, daß uns Frau Messina wieder die Besonderheit dieses Gesprächs vor Augen führte, denn der Gesprächsverlauf und die entstandene Atmosphäre verleiteten, die Besonderheit einer derartigen Unterredung zu übersehen, daß es v. a. für besonders nahestehende Personen Mut bedarf, Fragen zu stellen, ein Mitleiden zu ertragen. Die lebenslustige Ausstrahlung, die Offenheit und die herzliche Gastfreundschaft Herrn Messinas bewirkte nämlich bei mir den gegenteiligen Eindruck, der mich erst im nachhinein irritierte. Während des Gespräches fühlte ich mich wohl. Wir rauchten, tauschten unsere Zigaretten, genossen gemeinsam köstlichen Espresso und einige Gläser feinen Grappas. Und wir lachten. Aber warum, bei diesem Gesprächsthema? Es war der ausgeprägte Humor, der Herrn Messina eigen war, der eine lockere Atmosphäre schuf und unsere über dreistündige Zusammenkunft bestimmte. Dr. Berghold teilte meinen Eindruck: „Humor ist, wenn man trotzdem lacht!" Unser Wohlbefinden findet in der Psychoanalyse eine treffende Bezeichnung: „humoristische Lust" aus einem ersparten Gefühlsaufwand. Sigmund Freud beschrieb die Rolle des Zuhörers, in der wir uns befanden, mit der „Enttäuschimg einer Erwartungshaltung". Wir Zuhörer erwarten den Erzähler in einer Situation, „daß er die Anzeichen eines Affekts produzieren wird; er wird sich ärgern, klagen, Schmerz äußern, sich schrecken, grausen, vielleicht selbst verzweifeln, und der Zuschauer-Zuhörer ist bereit, ihm darin zu folgen, die gleichen Gefühlsregungen bei sich entstehen zu lassen. Aber diese Gefühlsbereitschaft wird enttäuscht, der andere äußert keinen Affekt, sondern macht einen Scherz" (Freud, 1928, 384). Keinen Witz! Denn das Wesen des Humors besteht darin, so Freud, „daß man sich die Affekte erspart, zu denen die Situation Anlaß gäbe, und sich mit einem Scherz über die Möglichkeit solcher Gefühlsäußerungen hinaussetzt. (...) Der Humor ist nicht resigniert, er ist trotzig, er bedeutet nicht nur den Triumph des Ichs, sondern auch den des Lustprinzips, das sich hier gegen die Ungunst der realen Verhältnisse zu behaupten vermag" (ebenda, 384 f.). Und in diesem Sinne war die positive Kraft der Darstellung zu verstehen, mit der Herr Messina seiner grauenvollen Geschichte trotzte, sich ihr entgegenstellte. Sie ließ wohl auch jene Kraft spürbar werden, die ihm das Erlebte verkraften ließ. Eben auch mit Humor.

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Nun ist es nahezu unmöglich, eine solche Atmosphäre durch Wiedergabe eines übersetzten und transkribierten Tonbandprotokolls'68 darzustellen. Die entwickelte Gesprächsdynamik läßt sich nur komplex szenisch nachvollziehen und ist auch von optischen Eindrücken geprägt. Trotzdem will ich zwei Sequenzen unseres Gespräches wiedergeben, die nicht nur auf das Wie der Erinnerung aufmerksam machen sollen, sondern die Kontexte unterstreichen, die das Wie veranlassen, und die gesamte Erzählung dominierten: Die Bedeutung der Sprache, die eigendynamische Kraft der Hoffnung, der drohende Tod, der ständige Hunger - und uns ist auch das Lachen vergangen. „Francesco Messina: Ich erinnere mich an einen Polen, einen Lateinprofessor in Polen, der Latein mit mir sprechen wollte! Aber mein Latein war das der Schule, es war nicht geeignetfiirein Gespräch! Also fragte er mich: ,Quod audivisti novi?1 ,Was hast du Neues gehört?1 ,Ego audivi magnam pugnam ...' ,... eine große Schlacht'/ (lacht) Karl Fallend: Wie im Vatikan! (lacht) Francesco Messina: Ja genau, genau wie im Vatikan! (Alle lachen) Er sprach es perfekt, ich, auch wenn ich das Gymnasium besucht habe, sprach so und so. - Es war lustig, als die Amerikaner Aachen eroberten: Aachen heißt es auf deutsch, wie man weiß, aber Aquisgrana auf italienisch, Aix-la-Chapelle auffranzösisch.So sagte mir ein Pole: ,Sie haben Aachen besetzt''! Sehr gut, denke ich. Der Franzose: ,Sie haben Aix-la-Chapelle besetzt!1 Sehr gut, denke ich wieder. Es sind bereits zwei. Und dann der Italiener: ,Sie haben Aquisgrana besetzt!' Sehr gut, drei! Erst später erfuhr ich, daß die Stadt dieselbe war. (Alle lachen) (•••)

Karl Fallend: Herr Messina, wenn sie an diese Zeit denken, an das Leben im Lager, gibt es dann Augenblicke, die sie heute noch als schlimmste Momente beschreiben würden? Francesco Messina: Die letzte, nur die letzte Zeit. Die Zeit vor der Befreiung. Wie ich vorher sagte, wir waren sicher, daß der Krieg enden würde. Darumfrage ich mich immer - ich sagte es ihnen vorher schon -, wie das Lebenfiirjene gewesen sein mußte, die hier 1940, 1941 waren. Nur am Schluß merkte ich, daß ich es nicht mehr schaßte. Diese zwei Linien: Eine war noch ein wenig lang, und die andere war sehr kurz. Karl Fallend: Gibt es Momente, die sie heute als schön bezeichnen würden?

168 Die Transkription besorgte Dr. Nicola Balata, die Übersetzung des Tonbandprotokolls Mag. Gerlinde Hauer.

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Francesco Messina: Ja, den Mittwoch. Eben genau der Mittwoch. Eine gewisse Zeit gaben sie am Mittwoch die ,süße Suppe1. Ich weiß nicht, ob Sie sie kennen. Karl Fallend: Nein. Francesco Messina: Nein? Naja, besser so. Es war ein Teig mit Milch gekocht, mit süßer Milch, mit Zucker, mit Zwetschken drin. Ich sagte also:,Heute ist Mittwoch, heute gibt es süße Suppe/' Ich erinnere mich an Franzosen - die Franzosen sind sehr naschhaft die mir sagten: ¿4lso, Franco, heute gibt es Zuckersuppe.' Sie war gut. Sie war gut, man spürte, daß sie nahrhaft war. Teig, Zucker. - Wenn sie uns die täglich gegeben hätten, wären wir dick geworden. Ja, so ist es: Der Mensch ist ein Tier, das sich leicht anpaßt. Wenn sie einer Katze ein Stück Kohl geben würden, würde sie es nicht essen. Eine Birne? Eher vor Hunger sterben, als es zu essen. Es wurden kannibalistische Akte im Lager nachgewiesen. Ich - abgesehen davon, daß ich nie Lust gehabt habe, einen Schenkel von einem Menschen weiß ich, daß es Fälle gegeben hat."

„ Z W I S C H E N DEM S P R E C H E N UND DEM T U N LIEGT DAS M E E R " Die Besonderheit des Gespräches mit Francesco Messina muß im Kontext der Reise gesehen werden, denn es stand ganz im Kontrast zu unserem Erleben mit Mario Piccioli, den wir am Tag zuvor in Florenz besuchten. Allein diese beiden Begegnungen machten mir die eingangs erwähnte Erkenntnis von Nathan Durst nachvollziehbar: Es gibt keine Norm, an der sich die traumatischen Erfahrungen und die Formen der Verarbeitung von Holocaust-Überlebenden angleichen lassen. Es sind je einzelne persönliche Geschichten und Verarbeitungsformen. Nur in der traumatischen, von Menschen verursachten Erschütterung, der einen biographischen Riß darstellt, ist eine Gemeinsamkeit enthalten. Mario Piccioli war einige Monate nach der Befreiung mit Hilfe des Internationalen Roten Kreuzes in seine Heimatstadt Florenz zurückgekehrt. Diese Hilfe war lebensnotwendig: er wog nur mehr 31 Kilo. Vierzehn Monate zuvor war Mario Piccioli ein kräftiger junger Mann, 17 Jahre, Buchdrucker von Beruf und aktiver Antifaschist. Am 8. März 1944 wurde er von der SS in „Schutzhaft" genommen und in das Konzentrationslager Mauthausen deportiert. Quarantäne. Am 25. März wurde er in das Konzentrationslager Ebensee überstellt, wo er genau vier Monate bleiben sollte. „Es war die Hölle!" (vgl. Freund, 1989). „Mario Piccioli: Wir kamen nach Ebensee, also in jenes Arbeitslager, von dem heute noch die Stollen existieren. Sie wollten wegen der Bombardements die Büros unter die Erde verlegen. Wir haben Gerüchte gehört, daß sie die berühmte Vi -Rakete fertig entwickeln wollten.

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Wir arbeiteten immer ab demfrühenMorgen, als es noch dunkel war. Wie spät es war, wußten wir nicht, weil uns die Uhren abgenommen worden waren. Sie haben uns alles weggenommen. So wußte man nicht, wann man am Morgen wegging und wann man zurückkam. Jeden Morgen wurde zum Appell gerufen. Am Anfang verliefen die Appelle schneller. Das ging so vor sich, daß sie die Nummer auf deutsch riefen. Daher konnte nurjemand antworten, der Deutsch konnte. Einer, der es nicht konnte, antwortete nicht. Und was passierte in diesem Fall? Die Kapos - es gab mehrere - hatten Gummipeitschen mit Blei in der Hand. Sie, die Kapos, gingen zwischen den Reihen hin und her. Wenn der Kapo vor dir stehenblieb - und erst dann - hast du es verstanden. Er sagte: ,He, sie haben dich aufgerufen.' Aber da war es schon zu spät, die Kapos schlugen mit diesen Peitschen zu. Ich weiß auch nicht, wie ich - so wie viele andere - es geschafft habe, daß ich die Nummer in meinen Kopfbekommen habe. Karl Fallend: - auf deutsch Mario Piccioli: Auf deutsch. Noch heute glaube ich, mich erinnern zu können, wie sie mich aufriefen. Mir scheint, sie haben mich folgendermaßen aufgerufen: SIEBEN - FÜNFZIG - DREI - VIERUND VIERZIG.169 Ich weiß nicht genau. - Also, dieses Leben begann am Morgen. Wir wurden in Gruppen zu 30-32 Männer aller Nationalitäten transportiert: Russen, Polen, Juden -jeder Rasse also. Alle zusammen. Man ging am Morgen weg. Beim Verlassen des Lagers wurde jede Gruppe von 12 SSlern und einem Hund bewacht. Wir wurden von diesen 12 SSlern und dem Hund in den Steinbruch zum Arbeiten gebracht. Wir waren drinnen, und die SSler postierten sich zur Bewachung rundherum. Für das ganze Material, das im Steinbruch gewonnen wurde, hatten wir bei unserer Arbeit lediglich Schaufel, Spitzhacke und Schubkarren zur Verfügung. Außer uns Arbeitskräfte gab es deutsche Ingenieure. Von denen erhielten wir die Anleitungen, was zu tun war. Im Steinbruch wurde auch gesprengt. Jeden Tag zu einer bestimmten Zeit vielleicht mittags, ich weiß nicht genau - kam ein Lastwagen, der Eisenkessel, Bottiche, Behälter ablud. Wir mußten uns in einer Reihe aufstellen: Wir hatten einen Napf, einen Blechnapfaus Aluminium, den wir am Gürtel befestigt hatten. Wenn es zur Essensverteilung kam, lösten wir den Napf vom Gürtel, stellten uns in einer Reihe auf und gingen zum Kapo, der das Essen austeilte. Es bestand aus nichts anderem als Wasser und Rüben. Nachdem wir den Napfausgegessen hatten, begannen wir wieder zu arbeiten - bis zum Abend, bis uns die SSler holen kamen und ins Lager zurückbrachten. Im Lager angekommen, ging jeder von uns in seine Baracke, wo das Abendessen - wenn man es überhaupt so nennen kann - ausgeteilt wurde. Das Abendessen bestand aus schwarzem Wasser - wie am Morgen -, einem Stück Brot und einem Stück Margarine. Das war das tägliche Essen. Nicht, daß sich da einmal etwas geändert hätte. Das war das tagtägliche Essen. (...) 169 Herr Piccioli sagte ,seine' Nummer in deutscher Sprache.

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Mario Piccioli: Man hatte nicht mehr die Kraft zu reagieren. Nicht weil man feig war, sondern wer weiß - wahrscheinlich war es der Mangel an Vitaminen. Karl Fallend: Apathisch? Mario Piccioli: Also man zeigte kein Interesse mehr an dem, was um einen herum geschah. Es war alles ein Auf-den-Boden-Schauen, oh sich nicht zufallig etwas finden würde, was weiß ich, ein Stück einerfauligen Kartoffel. Wir sind sogar soweit gekommen, Lignit zu essen. Karl Fallend: Lignit? Mario Piccioli: Lignit ist eine Art Kohle. Sie wird verbrannt, um Wärme zu erzeugen. Man hörte, daß in dm Lignit-Bergen weiche Lignit-Stücke zu finden waren. Und es gab das Gerücht, daß man aus diesen weicheren Stücken einen Teil gewann, aus dem man Margarine machte. So haben wir es eingesteckt, wenn wir ein Stück Lignit fanden, ohne uns dabei von der SS erwischen zu lassen. Naja, wie soll ich es Ihnen erklären? Man dachte nicht mehr. Sie haben uns alles genommen, die Persönlichkeit, alles! Wir waren keine normalen Menschen mehr. Manchmal fragen mich die Jugendlichen in den Schulen, aber auch Erwachsene, wie ich es geschafft hätte, zurückzukommen. Es ist wirklich schwer zu erklären. Schauen Sie, manchmal sage ich auch heute noch, im Bett oder auch hier, zu mir selbst: yAber war ich denn wirklich dort?1. Ich glaube, geträumt zu haben. Weil, aus dieser Hölle - und das war wirklich eine Hölle - herauszukommen! Die Schläge, die wir dort erhalten haben - man kann sich das nicht einmal vorstellen. Es genügte eine Kleinigkeit, um - um Karl Fallend: Um umgebracht zu werden? Mario Piccioli: Um umgebracht zu werden! Am Abend gaben sie uns eine Schnitte Brot. Man hält es nicht für möglich - aber manchmal, nicht immer, halbierte ich es und trug ein Stück im Handtuch und legte es mir hier hin. Wir schliefen in diesen zweistöckigen Holzbetten. Ich war im unteren Teil. Man legte sich nieder und deckte sich wie immer, wie jeden Abend, mit der Decke zu. Eines Abends hörte ich, nachdem ich mich zugedeckt hatte, so etwas wie ein Scharren Karl Fallend: Ein Scharren? Mario Piccioli: Ja, ich hörte alsojemanden, der in die Nähe kam, wo ich schlief, und etwas suchte. Ich gab also die Decke weg und sah, daß es ein Russe war. Ich schaue ihn an. Er weiß es: Es war nicht notwendig, etwas zu sagen, es genügten Andeutungen. Als ich deutete, wie um zu fragen Und der Russe: ,Organize, organize! Brot!1 Ich hatte gerade ein Stück Brot bei mir und dachte: , Wenn erjetzt das Stück Brot im Handtuch sieht - Und tatsächlich hatte er gesehen, daß ich an einer Stelle dicker war. Er wollte sehen, was ich hatte. Wie ich schon gesagt hatte: Die Russen hat-

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ten eine bessere physische Konstitution. Es hatte keinen Sinn, sich zu wehren, er hatte gesehen, daß ich dieses Brot hatte. Er sagte, daß es seines wäre. Er gab sich aber nicht damit zufrieden, mir dieses Stück Brot genommen zu haben, sondern ging zum Kapo. Wer stahl - sie nannten es ,organize, organize', was eben,stehlen' hieß —, wurde bestraft. Er kam mit dem Kapo zurück. Ich wußte schon, was auf mich zukam. Und tatsächlich stellten sie bereits Bänke in die Mitte der Baracke und - schauen Sie, sie machten es genau so. Schauen Sie her, ich zeige es Ihnen. - Den Bauch legten sie so hin, der Kapo, der davorstand, gab dir den Kopfzwischen die Beine und hielt dich - und ein anderer hatte die Peitsche, von der ich Ihnen bereits erzählt habe: Das Minimum waren 25 Peitschenschläge. Ich weißjetzt nicht, wieviel sie mir bei dieser Gelegenheit gegeben haben." „Das Wort entschläft überall dort, wo eine Wirklichkeit totalen Anspruch stellt." Die Jugendlichen in der Schule verstanden nicht, auch die Erwachsenen nicht, seinen Kindern habe er nie davon erzählt, „sie können es nicht verstehen, nicht glauben" - wie uns Herr Piccioli am Ende des Gesprächs sagte - und er selbst kann es nicht begreifen, irreal entrückt, wie ein Traum, es erlebt, es überlebt zu haben. Obwohl Herr Piccioli fließend erzählte, Dr. Berghold Mühe hatte, simultan zu übersetzen und auch immer häufiger als primärer Ansprechpartner wirkte, um die Unterbrechung der Ubersetzung abzukürzen, rang Herr Piccioli nach Worten, bemühte sich, die richtigen zu finden, bis er müde wurde, welche zu suchen - „Schauen Sie her, ich zeige es Ihnen." Betroffen sahen wir zu, wie Herr Piccioli aus seinem Lehnstuhl aufsprang, niederkniete, um uns die Peitschenhiebe des Kapos verständlich zu machen. Betreten mußten wir erkennen, daß die Peitschenhiebe bis heute Wirkung zeigten. Mario Piccioli konnte es damals nicht mehr durchstehen, wurde krank und hatte unverständliches Glück: „Eines Tages mußten wir uns alle nackt ausziehen: Ärzte und Soldaten der SS waren da. Wir mußten nackt an Ihnen vorbeigehen. Einer der SS sagte: ,Du hier, du da.' Also - einer ging nach links, einer nach rechts. Ich hatte offensichtlich das Glück, zur richtigen Seite geschickt zu werden, denn in der Nacht wurden wir mit einem Lastwagen nach Mauthausen zurückgebracht. In Mauthausen blieb ich weiterhin in der Krankenstation." Das war am 25. Juli 1944. Und wieder: „Sehen Sie - es gibt Dinge, die man nur schwer verstehen kann. Manchmal brachten sie dich um, ohne daß du etwas gemacht hast." Herr Piccioli versuchte der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik einen Sinn abzugewinnen, wo keiner zu haben ist. Die damals erstellte Erklärung, daß immer mehr Arbeitskräfte benötigt wurden, mag zwar zutreffend sein, vermag aber nicht ansatzweise eine befriedende Antwort zu liefern. Warum er? Wie soll man etwas verständlich machen, was man selber nicht verstehen kann? Herr Piccioli hatte wieder Glück. Am 31. August 1944 wurde er in das Außenlager Linz IH der Hermann-Göring-Werke überstellt. ,Ja, Linz war für mich die Rettung. Das interne Lager war dasselbe wie in Ebensee, aber die Arbeit war anders. W r arbeiteten an den Hochöfen." Vor allem durch die nachfolgenden Schilderungen fiel es schwer, seine gesetzten Relationen des Horrors

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nachzuvollziehen. Für Herrn Piccioli gab es anscheinend noch eine Maßeinheit jenseits der Grenzen des Erträglichen. Rückblickend erscheinen mir manche meiner gestellten Fragen, als ob ich selbst Anhaltspunkte der Beruhigung suchte, die von Herrn Piccioli nach mehr als 50 Jahren aus den erinnerten Empfindungen aber nicht zu erhalten waren. Im Gegenteil. Herrn Piccioli wurde eine Szene nach der anderen gegenwärtig, die die einstige Entwürdigung, Folter, Todesdrohung zum Ausdruck brachte und zum Teil einen Haß wiederkehren ließ, den er damals unterdrücken mußte: „Karl Fallend: Gab es Freundschaften unter den Gefangenen? Mario Piccioli: Nein. Jeder dachte nur an sich selbst. Jeder dachte an seine eigene Haut. Heroische Handlungen oder ähnliches hatten keinen Sinn. Es war unmöglich. Ich habe sogar gehört, auch wenn ich sie nicht selber gesehen habe, daß sich im Lager Vater und Sohn getroffen, sich aber nicht mehr wiedererkannt haben! Wir waren zu Tieren geworden! Sehen Sie, viele reden von Hunger. Aber, um darüber sprechen zu können, muß man es erlebt haben. Es hat keinen Sinn, vom Hunger zu sprechen, ohne ihn gelitten zu haben. (...) Ich erinnere mich, daß ich mit diesem Schubkarren ging, und tatsächlich war mir nicht mehr klar, ob ich die Schubkarre zog oder ob die Schubkarre mich schob. Ich hörte rufen: ,LOS! LOS! GEMMA! GEMMA/' Ich drehte mich um und sah den SSler mit dem Hund. Ich setzte die Schubkarre ab, da ich ihm zu verstehen geben wollte, daß ich nicht mehr konnte. Und er wollte, daß ich noch schneller gehen sollte! Ich weiß nicht, wie er es verstanden hat. Ich weiß nur, daß der den Hund losgelassen hat. Sie hatten diese Hunde, die zwei Aufgaben hatten: - Die erste war, daß er mich mit den Zähnen an der Wade packte und mich auf den Boden warf. Die zweite Aufgabe wahr wohl, daß er mich, wenn ich am Boden lag, am Hals packen sollte. So passierte es normalerweise. Dieses Mal hingegen rief er den Hund zurück. So mußte ich ihm auch noch danken: ,Danke schön, danke schön', sagte ich. (...) - Man schleppte sich vorwärts! Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Mein Gedanke, bis zu dem Zeitpunkt, wo ich noch imstande war zu denken, war der zu versuchen. - Schauen Sie - ich bin nicht unbedingt einer, der weint, aber wenn mich einer von der SS mit der Peitsche schlug, stand ich dort und weinte. Es war das einzige, was du machen konntest. Ich hätte ihn gern angegriffen, aber ich wußte, daß das meinen Tod bedeutet hätte. In diesem Moment, in dem ich weinte, dachte ich, sagte ich zu mir selbst: ,Nein, es ist zu schön, ich will sehen, ob ich es bis zum Letzten schaffe! Ob ich es schaffe!' Mein Gedanke warKarl Fallend: Ihr Gedanke Mario Piccioli: Ja, ich sagte es Ihnen, mein Gedanke war: ,Ich will bis zum Schluß durchhalten, weil, wenn ich überleben würde, würde hierin Deutschland ein Blutbad stattfinden!1

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Karl Fallend: Um sich zu rächen. Mario Piccioli: Ja, um mich zu rächen. Und dagegen - das sind Sachen, die du in diesen Momenten sagst, weil du leidest, und deswegen kommst du dazu, bestimmte Sachen zu sagen. Abgesehen davon wog ich, als ich befreit wurde, 31 Kilo! Was hätte ich machen können!? Aber auch wenn ich in einem besseren Zustand gewesen wäre Das ist nur Gerede - wir sind Italiener, und als Italiener reden wir viel!11 Seinen aufgestauten Haß konnte Herr Piccioli nicht nach außen richten, schon gar nicht in der phantasierten Form realisieren. Oder, wie es Herr Piccioli nach einem italienischen Sprichwort ausdrückte: ,Zwischen dem Sprechen und dem Tun liegt das Meer.' Ein Meer unterdrückter Tränen kam mir in den Sinn, denn die Verbitterung gegen seine Peiniger war noch aktuell und mischte sich auch bald in unser Gespräch. Zumindest nach meinem Empfinden provozierte der Grund unserer Anwesenheit, unsere Herkunft: und der Gebrauch der deutschen Sprache bei Herrn Piccioli reminiszente Emotionen: „Mario Piccioli: Im Lagergab es eine Baracke, die als Krankenstation diente. Sie nannten sie zumindest so, auch wenn ich nicht weiß, zu was sie diente. Ich habe einen Freund, derjetzt tot ist aber ist danach gestorben. Auch er war im Lager. Einmal habe ich ihn für einige Tage nicht mehr gesehen. Ich fragte mich, was er wohl gemacht hatte. Dann erfuhr ich, daß sie ihn in die Krankenstations-Baracke gebracht haben. Ich besuchte ihn also. Und haF in dort auch gefunden. Er und andere waren bereits ganz nackt und auf ihrer Brust, aufder Haut haben sie seine Nummer geschrieben. Er und andere waren schon fürs Krematorium vorbereitet. Karl Fallend: Sie waren schon vorbereitetfür Mario Piccioli: Sie waren schon vorbereitet, um ins Mauthausener Krematorium gebracht zu werden, da es in Linz kein Krematorium gab. Aber sie schafften es nicht mehr, ihn dorthin zu bringen, weil die Amerikaner gekommen sind. Früher als erwartet, offensichtlich. Und tatsächlich ist er auch nicht dort gestorben, sondern nachher, es wird vor einem Jahr gewesen sein, wegen einem schrecklichen Leiden. Apropos, ich hätte eine Dokumentation. Aber man bräuchte eine weitere Stunde. Karl Fallend: Sie haben eine Dokumentation? Mario Piccioli: Ja. Karl Fallend: Einen Film?

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Mario Piccioli: Ja, einen Film. Es ist ein Film, der in den Lagern nach der Befreiung gefunden wurde. Die Deutschenfilmtenalles. Karl Fallend: Eine Dokumentation über Mauthausen? Mario Piccioli: Nicht nur. Es ist auch über andere Lager. Man kann das Leben in den Lagern, das was vorsieh ging, sehen. (...) Mauthausen, Auschwitz. - Wenn Sie ihn sehen wollen? Karl Fallend: Gut, einverstanden, können wir ihn später anschauen? Mario Piccioli: Gut, später -ja, weil - ihr seidja auch Deutsche, oder? (...) Schauen Sie, leider -jetzt kann ich es Ihnen sagen: das, was ich spüre, wenn ich deutsch sprechen höre! Karl Fallend: Wie ich jetzt, zum Beispiel Mario Piccioli: Ja, sicher, aber damals - damals war es was anderes. Frau Piccioli (aus der Küche): Die erste Zeit Mario Piccioli: Ja, speziell in der ersten Zeit, aber auch jetzt passiert es mir. Immer wenn ich an die Adria fuhr, traf ich viele Deutsche. Wenn ich deutsch reden höre, vor allem von jemand, der weiße Haare hat, spüre ich in mir drin -. Aber nein, sie waren damals noch gar nicht auf der Welt. Ein Junger hat damit nichts zu tun. Aber der mit den weißen Haaren -" Dr. Berghold glaubte sich zu verhören und fragte noch einmal nach, aber Herr Piccioli blieb dabei: „Ein Film in den Lagern gefunden - von den Deutschen gedreht." Wir waren uns einig, daß diese Fehlleistung - natürlich wurde der Film nach der Befreiung gemacht - auch darauf verweist, daß Herrn Piccioli der Film(inhalt) der erlebten Realität am nächsten kam und so auch die Herstellung des Films zur Täterschaft. Frau Piccioli war in ihrer Küche ganz dem Gespräch gewärtig. Sie hörte uns zu und ergriff nur dreimal kurz das Wort, um doch dieses oder jenes Erlebnis noch zu erzählen. Sie allein wußte, wie lange ihr Mann an seiner Verbitterung, an seinem unterdrückten Zorn zu leiden hatte, und wollte hier anscheinend vermeiden, daß meine geäußerte Betroffenheit nicht der Gastfreundschaft in die Quere kommt. Gänzlich ließ sich mein Eindruck jedoch nicht vertreiben. Dr. Berghold war zwar auch „damals noch gar nicht auf der Welt", ist aber „jemand, der weiße Haare hat". Nach ca. drei Stunden war unser Gespräch beendet. Wir waren erschöpft, während

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Herr Piccioli auf mich einen zufriedenen Eindruck machte, so als ob er sich so weit verständlich machen konnte, daß wir nun seiner vorbereiteten Video-Dokumentation - über „das, was vor sich ging" - mit Verständnis zu folgen imstande waren.170 Ich glaube mich zu erinnern, daß der Kommentar in italienischer Sprache gefaßt war, ich deshalb wenig verstand und nur die Bilder auf mich einwirkten. Der gesprochene Text war auch nicht so wichtig. Ruhig sah Herr Piccioli die Bildsequenzen der einstündigen Dokumentation: immer wieder Leichenberge, die mit Baggergeräten in Massengräbern verscharrt wurden; ausgemergelte Menschen, die apathisch in die Kamera blickten, Gaskammern und wieder Leichen - für Herrn Piccioli waren es tote Kameraden, die kein Glück hatten und denen er in vieler Hinsicht nahe war. Für ihn haben die Bilder ihre schockhafte Wirkung längst verloren. Mehr als fünf Jahrzehnte sind ihm die Erinnerungen an die Erlebnisse im Konzentrationslager Ebensee und im Lager III der Hermann-Göring-Werke bis heute im Alltag geblieben. Und jedes Jahr ist er als Präsident der „Vereinigung der politisch Deportierten" zur Stelle, wenn in Ebensee bzw. Mauthausen sich die Uberlebenden im Gedenken an ihre toten Kameraden versammeln, um gegen das Vergessen anzukämpfen. ,Ja, ich fahre, so lange ich kann. Ich begleite die Schüler. Dieser Teil der Geschichte wurde in den italienischen Schulen nicht unterrichtet." Er lehrte sie, daß Ebensee „das Grab der Italiener" genannt wird, daß aus der Stadt Prato 500 streikende Fabrikarbeiter des Jahres 1944 dorthin deportiert wurden, daß von ihnen nur etwa 45 überlebten und daß er sich deswegen gegen die Idee einer Städtepartnerschaft PratoEbensee aussprach, auch wenn er in der Minderheit blieb. Mir schien, als ob das Zeigen der Videodokumentation Herrn Piccioli eine Zufriedenheit verschaffte, als ob er nun wenigstens zeigen konnte, was nicht zu sagen war. Frau Piccioli kochte währenddessen für ihren Mann das Abendessen. Uns war nicht nach Essen zumute. Unmittelbar nach der freundlichen Verabschiedung gingen wir erschöpft und aufgewühlt zugleich in ein Café, um das Gespräch nachzubesprechen. Auch wenn wir redeten, wir waren lange Zeit sprachlos.

170 Es freute mich sehr, daß Herr Piccioli symbolträchtig unser Gespräch goutierte. Bei der Rücksendung der autorisierten Transkription legte er ein blau-grau gestreiftes Halstuch der Lagergemeinschaft als G e schenk hinzu.

Medizin im Dienste des Führers

Das abschließende Kapitel nimmt im Rahmen meiner Arbeit in mehrerer Hinsicht eine Sonderstellung ein. Ursprünglich war die medizinische Versorgung der Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen in den Hermann-Göring-Werken eine Fragestellung unter vielen. Meine an Verwirrung und Irritation nicht arme Forschungsarbeit hatte jedoch gerade in diesem Themenfeld Höhepunkte erreicht, denen ich auf den Grund gehen wollte. Irritationen, die bis heute andauern und buchstäblich am ersten Tag des Projektanfangs ihren Ausgang nahmen. In ethnopsychoanalytischer Tradition sind dies aber gerade jene Forschungssequenzen, die die tiefsten Erkenntnisse in Aussicht stellen, und so entschied ich mich an dieser Stelle zu verweilen und der Gegenübertragungsanalyse breiten Raum zu geben. Obwohl es primär meine Aufgabe war, subjektive Lebensgeschichten aufzunehmen und zu bearbeiten, d. h., mich mit psychischen Realitäten zu konfrontieren und auseinanderzusetzen, konnte ich nicht umhin, in diesem Themenbereich verstärkt mich auf die Suche nach zeitgeschichtlichen Quellen zu begeben, um mir selbst mehr Klarheit zu verschaffen. Oder sollte ich besser schreiben: Beruhigung? Bei keinem anderen Bereich traf ich auf so viele Widersprüche und Widerstände, Ungereimtheiten und Überraschungen, einschneidende Betroffenheiten, aufrechte Loyalitäten, Wahrheiten und Unwahrheiten, die zur Lüge grenzten. Ich benötigte lange Zeit, um zu erkennen, daß sich im Ausmaß meiner Irritation eben auch jene Unruhe widerspiegelte, die jahrzehntelang virulent, sich den Protagonisten von damals einer Bearbeitung verweigerte. Schließlich enthält diese Unruhe qualitative Facetten jener Unterdrückung und rohen Gewalt, deren sich die Zwangsarbeiter der Hermann-Göring-Werke im nationalsozialistischen Alltag ausgesetzt sahen und die gerade dort extreme Formen erreichten, wo gegensätzliche Hoffnungen und Erwartungshaltungen im Vordergrund standen: nämlich Hilfe und Heilung bei Krankheit und Verletzung. Dieser Widerspruch läßt sich in jedem Fall in der historischen Retrospektive schwer integrieren. Für viele Patienten von damals blieb eine andauernde traumatische seelische Verwundung, die, bei ansonsten vorwiegend verschwommenen Erinnerungsbildern, hypermnestisch Geschichte zur Gegenwart werden ließ. Für andere blieb eine gestörte individuelle und institutionelle Familiengeschichte, wobei die Störungen nicht offensichtlich, sondern im (Ver-)Schweigen zutage treten. In der Konfrontation ist jedoch diese Störungsvermeidung nicht aufrechtzuerhalten, und das Unbewußte in zeitloser Eigenschaft bricht sich Bahn. Und: Das Unbewußte kennt keine Verneinung.

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Es war auffallend, daß gerade in der Verneinung, im „nicht", „kein", „nein" usw. des öfteren der Wegweiser zu dieser Arbeit lag, und ich erinnerte mich an eine kleine Schrift Sigmund Freuds, in der er festhielt: „Etwas im Urteil verneinen, heißt im Grunde: das ist etwas, was ich am liebsten verdrängen möchte. Die Verurteilung ist der intellektuelle Ersatz der Verdrängung, ihr Nein ein Merkzeichen derselben, ein Ursprungszertifikat etwa wie das ,made in Germany'. Vermittels des Verneinungssymbols macht sich das Denken von den Einschränkungen der Verdrängung frei und bereichert sich um Inhalte, deren es für seine Leistung nicht entbehren kann" (Freud, 1925,12 f.). Um nur annähernd die unterschiedlichen Aspekte des Erkenntnisgewinns darstellen zu können, erschien mir der adäquate Weg, den Forschungsvorgang und -fortschritt in Chronologie folgen zu lassen.

„ M A N C H E S MAG N I C H T E R W Ä H N T WORDEN S E I N " Im November 1998 - gleich am Beginn unserer Forschungsarbeit - bekamen wir von Vertretern des Konzernvorstands zwei Bücher überreicht, die eine bislang eigene und offizielle Firmengeschichte darstellten und auch ein breites Publikum erreichten.171 Der erste Band, aus dem Jahre 1991: Geschichte der VOEST. Rückblick auf die wechselhaften Jahre des größten österreichischen Industrieunternehmens. Sowie Band 2: Geschichte der VOEST. Letzte Entwicklung und Rückblick auf die wechselhaften Jahre des größten österreichischen Industrieunternehmens in drei Teilen, aus dem Jahre 1995. Für beide Bände firmiert als Herausgeber und Verleger der „Geschichte-Club V O E S T " . Vor allem Band 2 weckte mein Interesse, da er die vielen Abteilungen des Stahlkonzerns in ihrer historischen Entwicklung skizziert. Ich las das Buch in einem Zug, doch die Lektüre geriet zunehmend ins Stocken und führte spätestens im Kapitel „Betriebsmedizin. Bahnbrechend in allen Lebensbereichen" zu Kopfzerbrechen. Dieser Abschnitt des Bandes enthält einige wichtige Informationen, aber auch wichtige Informationen darüber, was er nicht enthält. Deswegen seien die wichtigsten Sequenzen ausführlich zitiert (kursive Hervorhebungen-, K. F.): „... Die erste Rettungsstelle (in den Hermann-Göring-Werken; K.F.) wurde 1938 in St. Peter in der geräumten Schule eingerichtet und mit einem Sanitäter besetzt. Zunächst war diese Rettungsstelle dem Werksschutz zugeordnet. Eine freiwillige Rettungsmannschaft verfügte über zwei Sanitätskraftwagen zum raschen Transport Verletzter oder plötzlich Erkrankter in die Linzer Spitäler. Am 4. November wurde die Abteilung Gesundheitswesen eröffnet. Die Leitung übernahm Dr. Ernst Kortschak, dessen Vater 171

Dissertationen bzw. Diplomarbeiten (wie etwa Fiereder, 1979; Praher, 1991; Hollnbuchner, 1994; oder Seeber, 1995) fanden doch nur bei den Spezialisten ihre Aufmerksamkeit.

Medizin im Dienste des Führers

schon Werksarzt im steirischen Fohnsdorf war. In den Wohnlagern 52 und 54 wurden Krankenreviere mit insgesamt 56 Betten eingerichtet. Sprechstunden nach Arbeitsschluß, oft bis spät nachts dauernd, wurden von einem Arzt und sechs Sanitätern bewältigt. Im Februar 1939 wurde der Bau eines Werksspitals beantragt und genehmigt. Der fertige Bau in der Niedernharter Straße konnte am 15. September übergeben und als Lazarett geführt werden. Die Einrichtung bestand aus Wartezimmer und Aufnahmekanzlei, zwei Operationsräumen, Labor, Elektrotherapie, sechs Krankenzimmern mit 75 Betten sowie einer Küche zur Verpflegung von Patienten und Personal. Der rasche Werksausbau und die stark steigende Anzahl der Belegschaft machten bald Erweiterungen des Lazaretts notwendig. Bedingt durch die nun größeren Anforderungen, wurden 1940 zusätzlich die Arzte Dr. A. Tisserand und Dr. W. Heiser angestellt. Dr. W. Hoflehner übernahm 1941 die Leitung des Lazaretts172, das nun 280 Betten hatte und aus mehreren Abteilungen, auch einer für Frauen, bestand. Es waren zunehmend weibliche, vor allem ausländische Arbeitskräfte im Werk beschäftigt. Es kam zur Errichtung der Rettungsstellen Kokerei und Hochofen mit speziellen Ausrüstungen für Gasunfälle. Die Rettungsstelle Kokerei hatte nun auch zweimal wöchentlich ärztliche Sprechstunden. Im Stahlbau und in der Hauptwerkstätte wurden ebenfalls Rettungsstellen eingerichtet. Im Jänner 1942 wurde im Lager 20 ein gesonderter Gesundheitsdienst mit einer Ordination, einer Elektrotherapie und einer Zahnstation eingerichtet. Hier hatte auch ein entsprechend ausgestatteter Katastropheneinsatzwagen seinen Standplatz. (...] Nach Kriegsende wurde das Werkslazarett von der amerikanischen Militärregierung beschlagnahmt. Die Auflösung der umliegenden Wohn- und lnternierungslager in der Linzer Umgebung verursachte plötzlich einen Patientenzuwachs von einigen hunderten Kranken, begleitet von schweren Engpässen bei der Verpflegung. ,D.P. Hospital 397 H Niedernhart' lautete die neue Benennung des Werkslazaretts. Dr. Hoflehner verblieb als einziger Arzt mit einem kleinen Teil des Pflegepersonals im Amt. Der größte Teil des Medikamentenbestandes war vernichtet, was sich auf die Versorgung der Spitalspatienten drastisch auswirkte" (GCV [Hg.], 1995, S. 255 f.). Der weitere Bericht über die Entwicklung der Betriebsmedizin reicht bis ins Jahr 1995, der summarisch in pathetischen Worten endet: ,J\4anches mag in dieser Chronik nicht erwähnt worden sein, ersichtlich jedoch ist, daß immer unfall- und arbeitsmedizinische Fortschritte in unser System eingebaut wurden und künftig auch werden, gedenk Gen.-Dir. Hitzingers173 Worten: ,Dem Arbeiter zur Wehr, dem Werk zur Ehr'" (ebenda, S. 262).

172 Es müßte heißen 194J. 173 Z u Walter Hitzinger siehe Perz, 1990, 66, 118 und 197.

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Sicherlich ist es nicht angebracht, diesem Buch mit stringenter Quellen- und Methodenkritik zu begegnen. Aber auch eine (parteiliche) Laien-Historiographie kommt nicht umhin, die Grenzen der Seriosität nicht zu unterschreiten. Die ehemaligen Mitarbeiter der V O E S T formulierten eine Erfolgsstory, die dem lokal vorherrschenden Geschichtsbild entspricht, das sich mir auch in engster Umgebung entgegenstellte. Die braunen Flecken der Vergangenheit scheinen zu blinden Flecken geworden, die das kollektive Gedächtnis formten. In der Identifizierung und folglich Idealisierung des Betriebs und seiner Geschichte stellt sich eine „loyale Denkhemmung" (Freud) ein, die auch in der Sprache Platz greift. Wenn von „stark steigender Anzahl der Belegschaft" oder „zunehmend ausländischen Arbeitskräften" die Rede ist und somit mehr an Wirtschaftswachstum und Gastarbeiterschaft assoziieren läßt, verweigert sich der Einblick, daß es sich hierbei größten Teils um Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen handelte, die unter repressiven Bedingungen einen Betrieb aufbauten, den sie gar nicht haben wollten. Schließlich bleibt die Enthumanisierung der KZ-Häftlinge - die selbstredend von einer medizinischen Versorgung ausgeschlossen waren - im Verschweigen aufrecht. So kommt es, daß vermeintliche Antworten die eigentlichen Fragen darstellen: Warum verursachte die Auflösung der umliegenden Wohn- und Internierungslager in der Linzer Umgebung einen plötzlichen Patientenzuwachs ? Warum verblieb Dr. Hoflehner als einziger Arzt im Amt? Wo waren die anderen Ärzte? Warum und wer vernichtete den größten Teil des Medikamentenbestandes? Nicht: „Manches mag", sondern: Manches ist in dieser Chronik nicht erwähnt worden. Deswegen setzte ich die Suche fort. Einige Wochen nach der Lektüre besuchte ich die Räumlichkeiten des GeschichteClub V O E S T in der Glimpfingerstraße am Spallerhof. Nicht ohne Spannungen. Einerseits war der Weg dorthin auch einer in meine Kindheit, ich sah Spielplätze, den Weg zur Kirche und Wohnungen alter Freunde, die z. T. noch heute von ihnen bewohnt werden. Andererseits die liebevolle Sammlung aller möglichen Requisiten, Fotos, Dokumente und eine kleine Dauerausstellung des Geschichte-Club VOEST, die jene - oben angedeutete - schriftliche Identifikation und Idealisierung objekthaft widerspiegelten und plötzlich auch persönlich Vertrautes aufkommen ließ: Der nostalgische BÜck pensionierter Männer auf jahrzehntelange harte Arbeit, auf die sie zu Recht stolz sein können, ist unisono generative Eigenheit. Das Jahr 1945 ist nicht nur zeitgeschichtliche, sondern auch biographische Zäsur. Die Zeit der Entbehrungen, die Mühen der Schichtarbeit, die Flüche über die stets zu geringe Bezahlung, der Arger über den jeweiligen Meister, Obermeister oder andere Vorgesetzte - aller Unbill scheint zur Nebensache geworden. Wenigstens im Rückblick soll die Anerkennung störungsfrei sein. In derlei Verklärung ist eine von (ganz) oben eingesetzte Historikerkommission selbstverständlich Störenfried, Eindringling und muß Widerstände erzeugen. So war ich anfänglich noch ungefragt bei der Arbeit fotografiert („zur Dokumentation") und einigen Testfragen ausgesetzt (an de-

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nen ich scheiterte), doch schließlich erweichte sich der Widerstand. Aber nicht meine akademischen Weihen verschafften mir Kompetenz und Zugang, sondern die Offenbarung, daß ich zwar in Wien wohnhaft, aber kein Wiener sei, sondern Linzer, Sohn eines VOEST-Arbeiters und am Bindermichl aufgewachsen bin und dadurch Orts- und auch Sprachkenntnisse vorweisen konnte, die durch Studien nicht zu erreichen sind. Besonders der Leiter des Clubs, Ing. Hellmuth Gröbl, war mir zusehends in dankenswerter Weise für alle Anliegen zugänglich und hilfreich. Gleich bei meiner ersten Umschau im Geschichte-Club stieß ich auf einen Ordner mit der Aufschrift „Briefe ausländischer Zeitzeugen; Fragebögen für ausländische Zeitzeugen", der mich weiterführen sollte. Neben zahlreichen Korrespondenzen mit ehemaligen (vorwiegend tschechischen) Zwangsarbeitern in den Hermann-Göring-Werken fand sich auch eine kleine, vom Geschichte-Club durchgeführte Fragebogenaktion aus dem Jahre 1991, die über grundsätzliche Belange des damaligen Alltagslebens Auskunft geben sollte. Die Frage 9 lautete: „Wie war die Gesundheitspflege?" Und die Antworten erregten meine Aufmerksamkeit. So schrieb etwa Stanislav Capek aus Lisov (CS): „Kann ich nicht beurteilen, da ich nie krank war. Im Alter von 19, 20 Jahren tut einem nichts weh!" Josef Dvorak aus Ceske Budejovice (CS) schrieb: „Schlecht. Die Ärzte und anderes Personal haben uns Patienten manchmal sehr grob behandelt. Wir hatten deswegen immer die Angst zu erkranken. Dasselbe war bei den Zahnärzten. Viele Zahnschmerzen mußten wir überwinden und tragen die Reste bis heute." Frantisek Stasek aus Ledenice (CS) bemerkte: „Zur Gesundheitspflege kann ich mich nicht äußern. Ich weiß nur, daß der Betriebsarzt Dr. Kortschak ein sehr schlechtes Verhältnis zu Ausländern hatte." Jan Lejsek aus Jilovice (CS): „Gesundheitspflege war fast keine, schwach. Der Betriebsarzt wollte mich zuletzt in ein Konzentrationslager einsperren lassen, als ich bei der Arbeit verletzt wurde und schnelle Hilfe gebraucht habe. Konkret meine ich den Betriebsarzt Kortschak." Mirek Cibuzar aus Ceske Budejovice (CS): „Im Lazarett war ich glücklicherweise nur zweimal. Erst bei der Ankunft und dann im Frühjahr 1944. Da hatte ich hohes Fieber, aber der polnische Arzt Dr. Kortschak gab mir zwei Ohrfeigen und schickte mich an die Arbeit." Und Cestmir Buriänek aus Ceske Budejovice (CS) erinnerte sich: „Die Krankenpflege war (meiner Meinung nach) nicht schlecht. Einige Monate verbrachte ich nach einer Knieverletzung durch Bombensplitter im HGW-Lazarett (6. Dezember 1944 - 7. April 1945). Zweimal hat mein Knie operiert der Oberarzt Dr. Kortschak, welchen die Franzosen nach Kriegsende an den Füßen mit dem Kopf in einem Ameisenhaufen aufgehängt haben, weil er zu den Franzosen sehr böse war. Ich selbst war Zeuge, als er in unserem Zimmer einen Franzosen das Gesicht mit der Faust zerschlagen hat, nur aus dem Grunde, weil er ihn nicht verstand."

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Diese Erinnerungen stammen aus dem Jahre 1991. Der Band 2 zur „Geschichte der V O E S T " erschien 1995: „Manches mag nicht erwähnt worden sein" Allein diese sechs Stellungnahmen geben einen speziellen Einblick in das Ausmaß und in die Formen der Unterdrückung, welche nicht von einer unbedeutenden Randfigur, sondern vom medizinischen Leiter der Hermann-Göring-Werke ausgeübt wurden. Bei solch einer Position kann eine entsprechende institutionelle Ausstrahlung angenommen werden. All dies scheint in dem Satz zu kulminieren: „Die Angst zu erkranken." Bei diesen Aussagen ist zu berücksichtigen - und dies gilt für alle meine Gesprächspartner - , daß sie die erinnerten Befindlichkeiten von damals Zwanzigjährigen zum Ausdruck bringen, junge Menschen, bei denen körperliche Beschwerden nicht zum normalen Alltag gehörten, und manche die Kraft hatten, „Schmerzen zu überwinden". Berichte von damals älteren Zwangsarbeitern liegen nicht vor. Herausragend ist die mehrfache Präsenz eines einzigen Eigennamens. Sie ist eher die Ausnahme. Bei all meinen Gesprächspartnern waren Eigennamen selten erinnerlich, und seien es Arbeits- oder Zimmerkollegen, Fluchtpartner oder Leidensgenossen gewesen. Die Ausnahmen bildeten meistens Namen, die mit einer extrem emotional besetzten Begebenheit in Verbindung gebracht - quasi in eins gesetzt wurden. Seien es sehr positive (bis lebensrettende) oder sehr negative (bis lebensbedrohliche) Situationen, die sich über Jahrzehnte in die Psyche eingeprägt hatten. In dem hier vorgestellten Fall wird das Ausmaß der Bedrohung durch das geschilderte Ende des leitenden Arztes Dr. Kortschak verdeutlicht. Lynchjustiz statt Dankbarkeit. Größer kann der Widerspruch zu einer gewohnten Erwartungshaltung von ärzdichem Beistand nicht formuliert werden. Das Bild des gelynchten Arztes blieb mir haften, und der Themenbereich der medizinischen Versorgung in den Hermann-Göring-Werken war fortan fixer Bestandteil in den geführten lebensgeschichtlichen Erinnerungsinterviews mit ehemaligen Zwangsarbeitern. Mehrere meiner Gesprächspartner bestätigten mir die bisherigen Aussagen. So erzählte mir Dr. Jin Swoboda aus Havlickuv Brod (CS): „Ja, das war der Kortschak. Man mußte in eine - wenn man sich krank meldete, so mußte man in seine Ordination. Das war kein Deutscher. Er war sehr böse - aber mir ist nichts passiert. Ich bin auch im Krankenhaus gelegen. Nach einer Grippe habe ich Husten gehabt. Ein paar Tage war ich im Krankenhaus - das war ganz gut. Karl Fallend: Was heißt: ,Er war böse'? Dr. J i f i Svoboda: Nun, der hat geschrieen. Aber sonst weiß ich nichts. Sie haben immer Angst gehabt, die Leute, die zu ihm kamen. Er hat immer geschrieen. Sonst kann ich nichts sagen." Auch FrantisekMatejka aus Ceske Budejovice (CS) wußte mir ähnliches zu berichten:

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„... -da war im Betrieb eine eigene Abteilung, was Krankenpflege betrifft. Dort war - kann man sagen - ein Sudetendeutseber namens Kortschak ab Chefarzt. Und mit ihm gab es Probleme. Er war — kann man sagen -fast unmenschlich, was die Kranken betrifft." Jiri Stefanek aus Usobi (CS) war nicht krank. Trotzdem blieb ihm der Arzt in Erinnerung: „Ein anderes Ereignis war das mit dem Doktor der Sanitätsstelle, Kortschak: Einmal gingen wir Mittagessen und begegneten dem Doktor Kortschak. Wir lachten, und der Kortschak trat zu meinem Kameraden Hansa Souba und gab ihm so eine Ohrfeige, daß ihm Blut von der Nase tropfte. Wir gingen zum Chef- zu Birkenstock - und erzählten ihm, was geschehen ist. Birkenstock sagte: ,Mein Lieber, da kann ich Ihnen nicht helfen. Schweigen Sie, dann ist das erledigt.' Kurz: das ist geschehen. Und er als SS-Mann hat sicher Vorrecht. Ich besuchte seine Sanitätsstelle nicht. Ich mußte immer warten, bis ich Urlaub bekam, dann besuchte ich den Zahnarzt in Havlickü Brod - damals Deutsebbrod. Karl Fallend: Sagen Sie, wo sind Sie dem Dr. Kortschak begegnet? Durch Zufall oder in der Sanitätsstelle? Jiri Stefanek: Nein, wir gingen von der Küche ins Büro. Und unterwegs zufallig trafen wir ihn und ergibt ihm eine Ohrfeige, ohne was zu sagen. Wir waren überrascht. Ich glaube, das war ein Volksdeutscher vom Sudetenland oder so was." Und auch der Generalvikar aus Ceske Budejovice (CS), Vaclav Dvorak, erzählte mir ähnliche Erinnerungen. In seiner gestenreichen Beschreibung des Lynchmordes fehlten ihm die Worte: „ Vaclav Dvorak:... Arzt, das existierte nicht. Da warfür alle Ausländer ein Arzt, das war ein Ungar, Kortschak hieß er. Aber der war auch sehr böse. Ich war nie bei ihm, weil das ohne Erfolg blieb. Der hat nach dem Krieg ein schlimmes Ende gefunden. Zwei Tanks -ja Karl Fallend: Bei den Füßen angebunden? Vaclav Dvorak: Ja. Angebunden mit den zwei Tanks, und sind Karl Fallend: Ist er gelyncht worden? Vaclav Dvorak: Ja, und die haben so - also Karl Fallend: Auseinandergerissen?

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Vaclav Dvorak: Zerrissen, ja. Das war schlimm. Aber dabei war ich nicht. Ich war nicht da damals, ich war schon zu Hause, weil ich bin weggelaufen, zum Schluß des Krieges." In Summe waren die widersprechenden Stellungnahmen überraschender als die zu erwartende Übereinstimmung mit den schriftlichen Erinnerungen. Vor allem bezüglich der Person des Dr. Kortschak. Ich vermute v. a. sprachliche Eigenheiten, die ihm so unterschiedliche Nationalitäten („kein Deutscher", „Sudetendeutscher", „Ungar", „Pole") zugeschrieben haben. Auch der polnische Ursprung des Namens Kortschak mag die Erinnerung geleitet haben. Betonen möchte ich, daß alle meine tschechischen Gesprächspartner schon damals der deutschen Sprache mächtig waren, sie also verstehen und sich verständigen, insbesondere fragen konnten, mit wem sie es zu tun hatten. Auffallend ist auch, daß das Ausmaß des Hasses und der Verachtung, der erlittenen Grausamkeit durch die mündliche Weitergabe über Jahrzehnte in unterschiedliche Szenen mündete. Was bleibt, ist die grauenerregende Ermordung des gefürchteten Arztes. Die evidente Übereinstimmung der erlebten Angst im Zusammenhang mit der Person Kortschak manifestiert sich auf verschiedenste Weise: Der leitende Arzt fungierte als Vollzugsorgan nationalsozialistischer (Arbeits-)Disziplinierung, war mit einer Machtfiille ausgestattet, in der er anscheinend konsequenzenlos agieren konnte. Ergänzend möchte ich hinzufügen, daß es auch anders sein konnte. Ein einziger meiner Gesprächspartner - auch aus Tschechien - wich in seiner Erzählung von den anderen Zeitzeugen ab. Dies stellt jedoch keinen Widerspruch dar, sondern läßt sich im Kontext der nationalsozialistisch rassistischen Werteskala eines Dr. Kortschak einfügen. Im Gespräch erinnerte sich Vaclav Kellner aus Kolova: „Karl Fallend: Während der Zeit in Linz, sind Sie einmal krank geworden? Vaclav Kellner: Ja, ja. Da bin ich krank geworden. Mein Gott, das war was. Zweimal bin ich krank geworden. Einmal habe ich mich so geschnitten. Bin ich zum Dr. Kortschak, hat er geheißen. Aber das war ein feiner Herr. Das hatte sich entzünden, also bin ich dort -j oder 4 Tage geblieben. Dann bin ich arbeitsfähig gewesen. Aber der Meister, Renger, Rosenauer, haben mir zu so einer Arbeit zugeteilt, das war nicht anstrengendfür mich. Und das zweite Mal habe ich zuviel aus der Lok geschaut und habe mich verkühlt. Ich konnte überhaupt nichts mehr, nichts reden, das war alles so geschwollen. Da war der Lagerführer, der hat die Sanität gerufen. Ist er zu mir zum Bett gekommen und die Sanität ist gekommen. Habe ich den Ausweis gezogen, und da war ja kein A - kein Ausländer. Da haben sie mich ins Militärlazarett in die Mozartstraße gegeben. Und dort bin ich 3 Wochen gewesen. In drei Tagen war ich pumperlgsund, und dann habe ich Geschirr gewaschen in der Küche. Dann ist aber große Visitation gewesen, und die haben mich gleich rausgeschmissen. Das war eine schöne Zeit. Da bin ich mit den Kindern dort gelegen. Das waren solche Nazi-Kinder, und die Eltern sind zu Besuch gekommen und ,Heil Hitler''. Und mit mir haben sie sich so unterhalten, als wenn ich ein überzeugter Nazi bin. Blond, blaue Augen. Die

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haben sich immer über die Afrika-Kolonien unterhalten. Das ist mir im Gedächtnis hängengeblieben. Karl Fallend: Was meinten Sie mit feiner Herr, bei Dr. Kortschak? Vaclav Kellner: Ja, weil der hat gleich gewußt, wer krank ist und wer nicht. Weil es gab viele, die sich krank gemeldet haben. Der hat die gleich rausgeschmissen. Da war er nicht beliebt. Aber wenn man krank war, jeden Kranken hat er angenommen. Das kann ich sagen. Aber diese blöden, vielleicht die Ukrainer, weil er war ein Pole, und die haben ihn dann aufgehängt. Gleich nach dem Mai. Dr. Kortschak. Er war ein Pole, aber Deutsch hat er gesprochen, ganz normal. Er war ein Deutscher von Polen. Bei mir hat er sehr achtsam gehandelt.

Aber die Leute - da muß man immer aufpassen, daß man sich auf den ersten Blick nicht irrt. Wie sich die so gebeugt haben, die jungen Leute, atis Angst oder aus Furcht, ich weiß nicht. Die waren zu allem fähig. Denen konnte man sagen: ,Du mußt arbeiten, oder dorthin mußt du gehen. ' Aber daheim waren sie wirklich nicht so. Angstlich waren viele. Das kann man begreifen, weil wenn die Leute aus dem Hause herausgerissen worden sind, und noch nirgendwo waren. Weil ich habe schon was erlebt." Vaclav Kellner wußte - auch mit risikoreichen Tricks in jugendlichem Ubermut - die mögliche Bandbreite der Privilegierung für sich zu nutzen. Die Kenntnis der deutschen Sprache, sein deutsch klingender Name, die schützenden Hände der Meister, seine blauen Augen und blonden Haare sowie der Umstand, daß es ihm gelang, die Ausweiskennzeichnung A = Ausländer zu umgehen, brachten ihn in eine geschützte Position. Solche Möglichkeiten waren anderen verwehrt, die es auch probieren wollten. Mit „OST" oder „P" gezeichnet und ohne deutsche Sprachkenntnisse suchten sie Heilung, bessere Verpflegung bzw. versuchten sich - auch durch Simulation - ein wenig Erholung zu verschaffen. Aber unter der medizinischen Leitung eines Dr. Kortschak mußten sie dafür büßen. Ich muß hier die Chronologie des Forschungsprozesses unterbrechen. Sukzessive gelang es mir, im Laufe des Jahres immer mehr Einzelheiten über die Person des leitenden Arztes der Hermann-Göring-Werke, Dr. Kortschak, ausfindig zu machen. Wesentliche Auskünfte erhielt ich von Frau Dr. S., einer ehemaligen Mitarbeiterin Kortschaks im Lazarett. Zum Zeitpunkt dieses Gespräches war ich aber erst am Beginn meiner Recherchen, die mit einer Anfrage im Osterreichischen Staatsarchiv ihren Anfang nahmen. Bevor ich nun auf das Gespräch mit Frau Dr. S. näher eingehe, möchte ich die Datensammlung zu Dr. Kortschak im Stück vorstellen. Sie setzen die bisherigen und die folgenden Aussagen in ein grelleres Licht.

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Dr. RudolfJeräbek vom Österreichischen Staatsarchiv half mir prompt bezüglich meiner Anfrage, ob Unterlagen über Dr. Kortschak vorhanden seien. Und ich war mehr als erstaunt.

D R . E R N S T KORTSCHAK Ja, ein Gauakt eines Dr. Ernst Kortschak sei vorhanden - er sei nach dem Krieg im Lager Weißenstein inhaftiert gewesen, 1946 entlassen, 1947 angezeigt worden und zuletzt in Judenburg wohnhaft gewesen. Für die Einsicht der Akten sei jedoch eine Todesbescheinigung notwendig. Dr. Ernst Kortschak war also keiner Lynchjustiz zum Opfer gefallen, sondern überlebte das Jahr 1945. Für die ehemaligen tschechischen Zwangsarbeiter durfte bzw. sollte dies anscheinend nicht der Fall sein. Die horrende Ausmalung seines Endes war gemeinsame Wunscherfullung, entsprechend der Angst, dem erlittenen Leid, welches Kortschak verursachte und schlußendlich versinnbildlichte. Selbst die Vollstrecker des gewünschten Todes waren nicht dieselben - Franzosen, Ukrainer, ein Mord in den Köpfen, der sich im Prinzip einer „stillen Post" („Aber dabei war ich nicht") festsetzte und mehr oder minder gerne angenommen war. Es kann auch angenommen werden, daß eine Verwechslung zum Ausgangspunkt der transportierten Mitteilung wurde. Die chaotische Situation unmittelbar nach der Befreiung am 5. Mai 1945 war für viele Geschändete die Gelegenheit, es ihren Peinigern in uneinlösbarer Rechnung heimzuzahlen. Zahlreiche Berichte zeugen von der anfänglich häufig stattgefundenen Selbstjustiz als Spiegelbild der erlittenen Tortur. Mit der Öffnung der KZ-Tore fanden auch die aufgestauten Haß- und Rachegefuhle einen Weg der furiosen Endadung, die selbst manche KZ-Häftlinge in Angst versetzte. Die Schläge nach unten waren mit der Befreiung eben nicht vergessen. Noch lange nicht. 54 Jahre später erzählten mir etwa die Brüder Martin und Ignaz Wachtel, die im Lager III der Hermann-Göring-Werke eingesperrt waren, über diese Tage: „Martin Wachtel: (...) Nach dem Krieg, nach dem 5. Mai, hat man geschossen, und wir -waren noch so benommen. Da hat man uns getrieben ,raus, raus' und hat uns in die Wälder von Linz gebracht. Dort waren angeblich riesengroße Stollen, voll mit Sprengstoff, und man wollte uns alle in die Luft sprengen. Dort haben wir schon bemerkt, daß die SS begonnen hat zivile Kleider zu tragen. Wir haben nicht gewußt, was machen. Ich war noch so jung, und wir haben auch so gezittert vor den anderen Häftlingen. Ukrainer - die haben schon damals zu suchen begonnen, die SS. Dort in den Wäldern waren Tausende Zivilisten. Karl Fallend: Was verstehen Sie darunter, die Ukrainer haben die SS gesucht?

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Ignaz Wachtel: Im Jahre 45 haben wir uns nicht getraut, aus dem Lager hinauszugehen. Die Ukrainer, die Russen, auch die Franzosen haben Waffen gehabt. Sie haben sich gerächt, sobald sie einen SS-Mann geflmden haben. Sie haben dort ein Massaker verübt, und wir haben Angst gehabt. Wir sind nicht hinausgegangen. Erst am zweiten Tag sind die Amerikaner ins Lager gekommen, und unter ihnen war ein Offizier, ein Jude, und der hat uns in die Stadt gebracht." Was den beiden Brüdern Wachtel noch heute in Erinnerung ist, wird auch durch die unmittelbaren Tagebuchaufeeichnungen von Hanns Kreczi manifestiert. Kreczi war der Sekretär des letzten Linzer NS-Oberbürgermeisters Franz Langoth, der minutiös die chaotische und gesetzlose Situation noch am 31. Mai 1945 folgendermaßen beschrieb: „Zum Teil macht sich die Wut der Ausländer und der früher verfolgten Menschen noch Luft. So wurde der städtische Angestellte Ollinger, der in Urfahr Lager betreute, von Ausländern aufgegriffen, in eine Au geschleppt, dort mit den Füßen auf einem Baum aufgehängt, mit Benzin übergössen und angezündet" (Kreczi, 1996, 257). Solch dominante Erinnerungsbilder bestärken die Vermutung, daß einige Genugtuung für das Entsetzen der Vergangenheit auch in der phantasierten Verwirklichung von Tödeswünschen ihren Ausdruck finden konnte. Bezüglich des Dr. Kortschak vermag die unabhängige Beharrlichkeit und Ausgestaltung der Fehlleistung ein Hinweis auf die erlebte Macht und Repression zu sein, die von der Leitung einer per definitionem hilfespendenden Institution ausging und psychisch haften blieb. Aber wer war nun dieser Dr. Kortschak? Das Stadtamt Judenburg übermittelte mir die Todesbescheinigung und damit die Berechtigung, im Österreichischen Staatsarchiv den Gauakt einzusehen. Ernst Karl Johann Camillo Kortschak' 74 wurde am 24. März 1906 in Unzmarkt/Steiermark geboren. Sohn des Arztes Ernst und Camilla Kortschak. Nach Ubersiedlung des Vaters als Werksarzt der Alpine Montan A G nach Fohnsdorf, besuchte er dort die Volksschule und danach acht Klassen Gymnasium und Realschule in St. Paul, Klagenfurt und Graz, wo er 1925 maturierte. Nach eigenen Angaben 175 bereits im Jahre 1919 politische Betätigung im Kärntner Heimatschutz und 1925 im Steirischen Heimatschutz. Nach bestandener Ergänzungsprüfung für Realschulabsolventen (Latein, Psychologie und Logik) im Oktober 1927, Beginn des Studiums der Medizin an der Universität Graz, das er von Oktober 1933 bis März 1934 in Wien fortsetzte. Seit Studententagen ist Kortschaks politische Ausrichtung klar definiert, die er stets schlagkräftig in Szene zu setzen wußte. Aus dem Jahre 1926 stammt seine erste Strafverurteilung: drei Monate schwerer Kerker bedingt auf drei Jahre wegen politischer Rauferei in Leoben. Am 15. Juli 1927 war er als Meldefahrer und Maschinengewehrschütze 174 Die folgenden biographischen Einzelheiten sind dem Gauakt: Dr. Ernst Kortschak. AdR, BM f. Inneres, entnommen. 175 Ebenda. SA-Abrüster Bewerbungs-Fragebogen vom 8. September 1936.

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eingesetzt. Am 25. Jänner 1928 wieder einen Monat schweren Kerkers bedingt wegen Trunkenheit. 1930 erlebte Kortschak die Geburt seines unehelichen Sohnes Alfred Ernst Laber, der ihm im März 1932 eine Woche strengen Arrest bedingt, wegen verweigerter Unterhaltszahlung, einbrockte. 1933 Eintritt in die SA und am 12. Oktober desselben Jahres Eintritt in die N S D A P (vorerst ohne Angabe einer Mitgliedsnummer; später unter Pg.Nr.: 4.704.463 registriert). Ernst Kortschak war also früh aktiver Nationalsozialist und immer an vorderster Front im Einsatz. So auch am 17. Jänner 1934 in Wien, als der italienische Staatssekretär des Äußeren, Fulvio Suvich, eintraf, um Dollfuß die Aufträge Mussolinis zu übermitteln, bald gegen die Arbeiterschaft loszuschlagen (Botz, 1976, 226; Hautmann/Kropf, 1978, 162). Kortschak schlug bei dieser Gelegenheit gleich zu und bekam 14 Tage Arrest. Nicht nur als Schläger mit Sanitätssturmausbildung in Wien und Fohnsdorf war der seit Oktober 1925 zum Oberscharführer der SA aufgestiegene Kortschak bei den Nationalsozialisten ein gefragter Mann, sondern auch als Inhaber der Führerscheine aller Klassen. Für den SA-Kraftwagenlenker schlug am 25. Juli 1934 die große Stunde, als die österreichischen Nationalsozialisten den Putsch versuchten. Eine teilweise recht dilettantisch geplante Aktion, die besonders in Kärnten und Steiermark sehr blutig verlief, aber überall niedergeschlagen werden konnte. Der Putsch kostete 269 Menschen das Leben (vgl. Hanisch, 1994, 320 f.). Für einen dieser Toten wurde Ernst Kortschak verantwortlich gemacht und ein Fahndungsblatt ausgeschrieben. Die Anklagepunkte lauteten summarisch: Umsturzversuch, Beihilfe zur Flucht des Vetters Ernst Kortschak176 sowie fahrlässige Tötung wegen unterlassener Hilfeleistung eines verwundeten Heimatschützers.177 Gemeinsam mit Johanna Timpe' 78 - die er am 13. Februar 1935 in Augsburg heiraten sollte - gelang Kortschak über Lindau die Flucht nach Deutschland. An der Universität Heidelberg setzte Kortschak schließlich sein Studium fort, wo er am 17. November 1936 zum Doktor der gesamten Heilkunde promovierte. Vom 19. Oktober 1935 bis 1. Oktober 1936 war Kortschak als Medizinischer Praktikant an der Psychiatrischen Klinik in Heidelberg und anschließend an der Inneren Klinik (Ludolf Krehl) tätig. Mit 1. Oktober 1936 wurde er Assistent im Sanatorium Dr. Zimper in Bad König und im Frankenwald. Schließlich: Am 24. September 1938 kam Ernst Kortschak nach Linz, wo er die Stelle des leitenden Betriebsarztes in den Reichswerken Alpine Montan A. G. „Hermann Göring" annahm.179 176 Der Vetter Ernst Kortschak, geb. 20. August 1899, Kaufmann in Graz, war 1946 ebenfalls angeklagt wegen Verdachts der Illegalität, der Zugehörigkeit zur österreichischen Legion und zur SA als Obersturmbannführer, sowie wegen Verdachtes schwerer Schußverletzung des Rev. Insp. Gaggl im Jahre 1934. 177 Ebenda. SA-Abrüster. Eidesstattliche Erklärung vom 30. Juli 1936 und 21. November 1936. 178 Geboren am 23. März 1907 in Judenburg; gestorben am 1. Jänner 1963 in Judenburg. Z u jener Zeit „Hauptlehrerin" in Knittelfeld. 179 Ebenda. Lebenslauf. Linz, 12. Oktober 1942.

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Für einen 32jährigen Jungmediziner eine beachtliche Position. Vielleicht väterliche Fürsprache (Kortschak sen. l8 ° war ebenfalls als Werksarzt in der Alpine Montan A. G . beschäftigt), aber sicherlich die einwandfreie politische Biographie des jungen - im Altreich medizinisch geschulten und schmißgezierten - Kämpfers, verschafften ihm eine nicht untypische Medizinerkarriere. 181 Wo ein Ariernachweis und etwas politischer Opportunismus zum Aufstieg ausreichten, waren für junge, ehemals illegale Parteigenossen höhere Aufgaben vorgesehen. Kortschak gehörte zur Spitze nationalsozialistischer Jungmediziner, die im Sog der ostmärkischen Aufbruchsstimmung emporstiegen und die freigewordenen Positionen der nach den nationalsozialistischen „Rassekriterien" verfolgten und vertriebenen Medizinern - nach Hubenstorf (1988, 769) etwa ein Drittel der Ärzteschaft im österreichischen Gesamtgebiet - einnahmen. In Deutschland war dieser Prozeß mit dem seit April 1933 in Kraft getretenen „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufebeamtentums", das die Entlassung aller jüdischen und halbjüdischen Mitarbeiter aus dem Staatsdienst anordnete, vollzogen. Als Kortschak in Heidelberg studierte, war die seit dem 19. Jahrhundert verstärkt einsetzende akademische, sozialdarwinistische Diskussion zur Eugenik und Rassenhygiene zum staatlichen Programm erhoben. Die „völkische Medizin", die „biologische Gesundheitspolitik" im allgemeinen, wurde zum wichtigen Bestandteil einer rassistischen Politik, die bereits mit der Verabschiedung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" am 14. Juli 1933 praktische Auswirkung fand und die weiteren verheerenden Entwicklungen einleitete. Diesen Entwicklungen mußte sich Kortschaks Lehrerschaft nicht anpassen, sondern war deren Betreiber. In einer Vorlesung an der Universität Heidelberg etwa, im Sommersemester 1933, fand dafür Prof. Viktor von Weizsäcker u. a. folgende Worte: „Auch als Arzte sind wir verantwortlich beteiligt an der Aufopferung des Individuums für die Gesamtheit. Es wäre illusionär, ja es wäre nicht einmal fair, wenn der deutsche Arzt seinen verantwortlichen Anteil an der notgeborenen Vernichtungspolitik glaubte nicht beitragen zu müssen. An der Vernichtung unwerten Lebens oder unwerter Zeugungsfähigkeit, an der Ausschaltung des Unwerten durch Internierung, an der staatspolitischen Vernichtungspolitik war er auch früher beteiligt" (Klee [Hg.], 1997, 61). Mit dieser medizinischen Berufsauffassung brauchte der Weg nur wenige Jahre von der Unfruchtbarmachung Behinderter und sozial Unerwünschter zur als „Euthanasie" 180 Vater und Sohn standen sich auch politisch nahe. Emst Kortschak sen. schrieb am 18. März 1938 an den NS-Arztebund in Graz: „Leider erfuhr ich erst anlässlich der Heimkehr meines Sohnes der im Jahre 1934 ins Reich geflüchtet ist, vom Bestehen des NS-Ärztebundes und beeile mich daher mit dem Ansuchen um Aufnahme in den NS-Arztebund. Erwähnen möchte ich, dass ich seit der Gründung Mitglied des Vereines deutscher Arzte Österreichs bin" (Quelle: Volksgerichtsakte: VgVr 2233/47. Strafsache Dr. Ernst Kortschak. Bezirksgericht Leoben). 181

„Die deutsche Ärzteschaft gehörte zu jenen Gruppen, die sich weit über dem Bevölkerungsdurchschnitt liegenden Maße nationalsozialistisch organisiert haben: 4 5 % aller Ärzte traten nach 1933 in die NSDAP, 7,3% in die SS ein (aber vergleichsweise, nur 0,4% aller Lehrer!)" (Bastian, 1996, 34).

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getarnten Ermordung von psychisch Kranken und schließlich zur „Endlösung der Judenfrage". Viktor von Weizsäcker war mit solchen Anschauungen keine Ausnahme. Vor allem die Heidelberger Psychiatrie - wo Kortschak ein Praktikum absolvierte - war Vorreiter in der Realisierung vom Gedanken zur Tat. Seit 1933 wirkte ebenda der Ordinarius für Psychiatrie Carl Schneider, der zum T^Gutachter und Leiter der Euthanasieforschung nationalsozialistisch emporstieg. Als Ernst Kortschak im Herbst 1938 nach Linz kam, hatte er nicht nur ein einschlägig politisches Strafregister vorzuweisen, sondern auch eine medizinische Ausbildung hinter sich, die den nazistischen Rassekriterien verschrieben war. Die strenge Wertehierarchie unter den Menschen war für Kortschak in Linz aber nicht nur Ausdruck politischer Propaganda oder wissenschaftlicher Exkurse, sondern gelebter Alltag in zunehmender tausendfacher Begegnung. „(Unter-)"Menschen, die ihm entweder in sprachlichen Brüchen oder mit „P", „OST" gekennzeichnet bzw. in gestreifter Häftlingskleidung deutlich erkennbar - und: ihm rechdos ausgeliefert waren. Nim liegen zur medizinischen Alltagspraxis keine Unterlagen, Tätigkeitsberichte oder Verletzungs-Statistiken vor, die im einzelnen über die medizinische Versorgung der Zwangsarbeiter Auskunft geben könnten. Für die Charakteristik der medizinischen Abteilung der Hermann-Göring-Werke als Repressions- und Disziplinierungsinstrument ist es ausreichend, die Spitze des Eisbergs zu beleuchten; d. h. in diesem Fall, den Spuren durch die Gerichtsakten Kortschaks weiter zu folgen. Es läßt sich erahnen, was in Anbetracht der rechdosen Situation der Zwangsarbeiterschaft nicht zur Verhandlung kam. Ernst Kortschak war in Linz ein mächtiger und angesehener Mann geworden. Gut situiert, Oberhaupt einer wachsenden Familie (drei Söhne: geb. 1939, 1942, 1943, und eine Tochter: geb. 1941), hatte er als leitender Betriebsarzt der Hermann-Göring-Werke seinen Beitrag für das Funktionieren der Rüstungsproduktion zu leisten. Außerdem war er Leiter des Gesundheitswesens der DAF l82 und hatte mit Juni 1944 zusätzlich die ärztliche Aufeicht und Betreuung des Kindergartens und der Krippe am Bindermichl über.103 Laut Dienstvertrag vom 24. Oktober 1941 bezog Dr. Kortschak als „leitender Betriebsarzt für die Hütte Linz der Reichswerke AG. Alpine Montanbetriebe ,Hermann Göring' samt der von dieser geführten Wohnlager, der Wohnungs-Aktiengesellschaft der Reichswerke ,Hermann Göring', Aussensteile Linz, der Stahlbau G.mb.H., Linz und der Eisenwerke Oberdonau G.m.b.H." 184 ein Bruttomonatsgehalt von 1.500 Reichsmark.'85

182 Amtskalender für den Reichsgau Oberdonau, 1942. 201. 183 O Ö L A . N S V S c h . 8 / 1 . 184 Dienstvertrag zwischen der Reichswerke Aktiengesellschaft Alpine Montanbetriebe „Hermann Göring" Linz und Dr. med. Ernst Kortschak vom 24. Oktober 1941. Quelle: Zentralarchiv der VA-Stahl. Personalbüro. Akte: Kortschak. 185 Eine Lohnerhöhung auf 1.900 R M wurde im Jahre 1943 abgelehnt. Dafür „eine einmalige Zuwendung im Betrage von brutto 3.000- RM für seine außerordendiche Dienstleistung im Jahre 1943" genehmigt.

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Zusätzlich konnte er noch ein vierteljährliches, kassenärztliches Pauschalhonorar von 2.100 Reichsmark für sich buchen.'86 Die ganze Bandbreite des Betätigungsfeldes Kortschaks ist schwer einzuschätzen. Fest steht, daß er für die Selektion von Arbeitskräften auch im Ausland eingesetzt wurde; z. B. „1 oder 2 Spanienreisen (November 1941; K.F.) im Auftrage des Reichsarbeitsministeriums zur Untersuchung von Arbeitskräften unternommen hat". 1 ® 7

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Mit i Meter 68 Körpergröße entsprach Kortschak keineswegs dem herrschenden (wohl auch seinem) Idealbild von Männlichkeit, und so versuchte er offenbar durch autoritären Führungsstil und Schlagkraft dieses Manko zu kompensieren. Der Arbeiter Leopold Hartl bekam dies zum Beispiel am 30. Jänner 1939 zu spüren, als er Dr. Kortschak bei seiner Fahrt in die Hermann-Göring-Werke im Wege stand. Kortschak warf Hartl zu Boden, versah ihn mit Schlägen und Fußtritten und brach ihm den rechten Unterkiefer. Das Landesgericht Linz sah dafür eine Strafe von fünf Wochen strengen Arrest bedingt

Aktenvermerk der Verwaltungsdirektion. Personalabteilung H G W vom 3. Jänner 1945. Quelle: Zentralarchiv der VA-Stahl. Personalbüro. Akte: Kortschak. Kortschaks Verdienst kann als überdurchschnittlich eingestuft werden. 1941 hatte ein Arzt (Kassen- und Privatärzte) nach einer damaligen Schätzung ein durchschnittliches Jahreseinkommen von 20.000 Reichsmark. „Zwei Jahre später erhielten die insgesamt 356 Kassenärzte im Raum Augsburg von den Krankenkassen im Durchschnitt knapp 14.000 Reichsmark brutto ... Das Durchschnittseinkommen der 103 Kassenärzte in der Stadt Augsburg betrug fast 1 j.000 Reichsmark" (Kater, 2000, 69). 186 „Vertrauliches" Schreiben der Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands. Körperschaft des öffentlichen Rechts-Landesstelle Oberdonau an die Reichswerke Hermann Göring Linz vom 5. Oktober 1944. Quelle: Zentralarchiv der VA-Stahl. Personalbüro. Akte: Kortschak. 187 Aktenvermerk der Verwaltungsdirektion. Personalabteilung für Direktor Sprick vom 1 1 . April 1945. Quelle: Zentralarchiv der VA-Stahl. Personalbüro. Akte: Kortschak.

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vor. Das ärztliche Bezirksgericht in Linz verhandelte diesen Vorfall noch einmal in einem berufsgerichtlichen Verfahren am 8. Jänner 1943 und kam am 1. April 1943 zu folgendem Urteil: „Der Gnadenerlass des Führers für Arzte, Zahnärzte, Tierärzte und Apotheker vom 8. April 1940 RGBl. I/643 gewährt Ärzten Straffreiheit für Berufsvergehen, die vor dem 1. September 1939 begangen sind, unter der Voraussetzung, dass nicht auf die höchste Strafe (...) zu erkennen ist. Diese Strafe kommt für den vorliegenden Fall nicht in Frage, sodass im Sinne des § 7 des Gnadenerlasses Straffreiheit eingetreten ist."188 Für Tritte, Schläge, einen gebrochenen Kiefer konnte der Arzt Kortschak mit der Gnade des Führers rechnen. Ein solch selektiver rechtlicher Schutz verlieh dem Arzt (Kortschak) eine Machtfülle, die nach freiem Gutdünken die Grenzen der medizinischen Ethik ad absurdum führen konnte. Dementsprechend war Kortschak ein treuer Diener seines Herrn. Der Elektromonteur Johann Aul hatte die Ergebenheit des ärztlichen Leiters unterschätzt, als er am 30. Jänner 1941 um 16 Uhr einen kranken Arbeitskameraden im Lazarett der Hermann-Göring-Werke besuchen wollte und vor verschlossenen Türen stand. Der Führer sprach. In zwei großen Räumen ließ Kortschak für den Gemeinschaftsempfang zwei Rundfunkgeräte aufstellen. Aul schien dies weniger zu interessieren, und er verlangte lautstark Einlaß. Kortschak sprang durch das geöffnete Fenster und überwältigte gewaltsam mit herbeigeeilten Angestellten des Lazaretts den Uneinsichtigen. Johann Aul wurde sofort von der Gestapo in Haft genommen.1®9

Dr. Ernst Kortschak

188 OÖLA. IIIa/Mi. Ärztliches Bezirksgericht Oberdonau. 121/1-5, 1943. Mikrofilm 502. 189 OÖLA. L G Linz, Sondergericht. Js (Sta) 1941; Js 74/41. Sch. Nr. 851.

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Dr. Ernst Kortschak hatte für Ordnung zu sorgen. Als leitender Mediziner war es seine primäre Aufgabe, die Arbeitskraft für die Rüstungsproduktion zu erhalten, wobei seine Diagnosekriterien nach nationalsozialistischen Wertvorstellungen bestimmt waren, die da lauteten: totaler Einsatz für den Führer und den Endsieg. Unter dieser Prämisse wurden Beschwerden schnell zur Simulation - ohne Widerrede. Der Arbeiter Johannes Bethke aber widersprach. Am 28. August 1943 litt Bethke unter Schmerzen in den Gelenken, so daß er von zwei Männern gestützt ins Lazarett geführt werden mußte. Kortschak konnte jedoch krankhafte Erscheinungen nur im geringen Ausmaße feststellen, und es entwickelte sich zwischen Arzt und Patient ein Diagnosestreit. „Als Bethke weiterhin Dr. Kortschak beschimpfte, befahl er dem Arbeiter beim Bett stehen zu bleiben und, als dieser nicht Folge leistete, gab er ihm einen Schlag ins Gesicht.'" 90 Bethke klagte beim Amtsgericht Linz wegen Ehrenbeleidigung. Am 12. November 1943 wurde das Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt. Jedoch über Kortschak eine Geldbuße von 100 Reichsmark verhängt. Diese Strafe hielt auch die Ärztekammer Oberdonau für angemessen und vom ärztlichen Bezirksgericht am 29. März 1944 mit einem Verweis bestraft: „Es ist auch menschlich verständlich, dass dem Arzt, der von früh morgens bis spät abends angestrengt zu tun hat, einmal die Nerven versagen und dass er sich dann zu einer Handlung hinreissen lässt, die besser unterblieben wäre. Es kann dies aber keineswegs soweit zur Entschuldigung dienen, dass er sich tätlich an einem ihm anvertrauten Patienten vergreift, weil darin eine Missachtung eines Volksgenossen liegt.'" 91 Bei einem Volksgenossen ging Kortschaks Schlagfertigkeit doch zu weit. Freispruch, Geringfügigkeit bzw. 100 R M Geldbuße für einen gebrochenen Kiefer oder einen Schlag ins Gesicht waren die zu erwartenden Konsequenzen für seinen Machtmißbrauch. In diesem Lichte läßt sich unschwer vorstellen, daß die erkrankten Zwangsarbeiter, die schon sprachlich keine Möglichkeit hatten, sich gegen ungerechte Behandlung zur Wehr zu setzen, der Willkür ausgesetzt waren und keinen rechtlichen Schutz zu erwarten hatten. Ihre erlittenen Schläge blieben ungezählt und ungeahndet.

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Das Urteil: „Dr. Ernst Kortschak wird freigesprochen" am 20. April 1944 (!) vor dem Arztlichen Bezirksgericht Oberdonau, spielte für die vier Arbeiter der Hermann-Göring-Werke - Peter Melkert, Her-

190 O Ö L A . IIIa/Mi. Arztliches Bezirksgericht Oberdonau. 188/407, 1944. Mikrofilm 502. 191

Ebenda.

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mann Plomp, Jan Lamphen und Petrus Hegh 192 - keine Rolle mehr. Sie starben alle zwischen August und November 1942 an Typhus, weil sie - laut Anzeige seitens des Allgemeinen Krankenhauses Linz - „über Gebühr lange zurückgehalten und so spät in das öffentliche Krankenhaus abgegeben wurden, dass kurze Zeit nach ihrer Aufnahme ihr Tod erfolgte. Leiter des Lazarettes ist Dr. Ernst Kortschak, dem diese Verzögerung und damit der tödliche Ausgang der Erkrankung zur Last gelegt wird."193 Das Gericht folgte dem Sachverständigen Doz. Dr. Monauni, der Kortschak in allen Belangen entlastete. Ein Verschulden des Dr. Kortschak läßt sich mit Sicherheit nicht feststellen. „Insbesondere ist nicht zu erkennen, dass durch irgendeine Unterlassung oder Vernachlässigung der Zustand eines dieser Kranken verschlimmert oder gar der tödliche Ausgang verursacht worden war."194 Nun war es mir genug. Ich verließ die Spuren durch die Gerichtsakten, die der kleingewachsene Schläger und leitende Arzt der Hermann-Göring-Werke kontinuierlich seiner ärztlichen Praxis folgen ließ. Mit dem Zusammenbruch des Dritten Reiches war auch eine derartige Rechtsprechung niedergeschlagen, und Ernst Kortschak hatte allen Grund, im Mai 1945 „sein" Lazarett und Linz fluchtartig zu verlassen. Seine Frau kehrte mit den vier Kindern zurück in die heimatliche Gemeinde Judenburg. Kortschak kam am 3. Jänner 1946 in britische Haft, wo er bis 10. Dezember des Jahres verblieb, um unmittelbar danach im Lager Weissenstein interniert zu werden. Am 5. März 1947 wurde Kortschak in die Männerstrafanstalt Karlau überstellt, wo gegen ihn wegen Verbrechens nach dem Verbotsgesetz Anklage erhoben wurde. Gegen Gelöbnis wurde er schließlich am 15. Mai 1947 auf freien Fuß gesetzt. Kortschaks Strafverfahren wegen Verbrechens des Hochverrates195 folgte in seiner Unvollständigkeit ganz dem gängigen Vollzug des Verbotsgesetzes. Einzig die Frage der „Illegalität" bzw. die Zugehörigkeit zur österreichischen Legion war von zentralem Interesse. Kortschaks Aktivitäten als Arzt bzw. sein Anklageregister in Linz waren nicht einmal Gegenstand der Verhandlungen. In Kenntnis der biographisch-politischen Details, die Kortschak z. T. während der NS-Zeit selbst formulierte, wird deudich, wie im Druck der ersten Nachkriegsjahre Le192 Zu drei der angeführten Namen konnte Dr. Michaela C. Schober aus den Personal- und Verdienst-Nachweiskarten folgendes ausfindig machen: Petrus Hegh: Keine Angabe der Staatsangehörigkeit, ledig, beschäftigt bei den EWO. Lohnstreifen wurden von April bis Dezember 1942 geklebt. Jan Lamphen: Keine Angabe der Staatsangehörigkeit, ledig, beschäftigt bei den EWO. Lohnstreifen wurden von Juni bis Dezember 1942 geklebt. Hermanus Plomp: Geboren am 18. Juli 1914 in Amersfoort. Keine Angabe der Staatsangehörigkeit. Ledig. Hilfsarbeiter. Eintrittsdatum bei den EWO: 27. März 1942. Die Lohnstreifen wurden bis Oktober 1942 geklebt. 193 OOLA. IIIa/Mi. Arztliches Bezirksgericht Oberdonau. 188/407/7, 1944. Mikrofilm 502. 194 Ebenda. 195 Quelle: Volksgerichtsakte: VgVr 2233/47. Strafsache Dr. Ernst Kortschak. Bezirksgericht Leoben.

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bensgeschichten für die veränderten Maßstäbe angepaßt, zurechtgebogen und -gelogen wurden. So wußte auch Ernst Kortschak nichts mehr bzw. anderes von seinen nazistischen Aktivitäten (Juli-Putsch, Parteieintritt, SA-Karriere etc.) zu berichten. Kortschak verteidigte sich zum Nazigegner. 1943 soll er sogar einmal aus der SA ausgetreten bzw. ausgeschlossen worden sein. Auch von einem Uniformverbot war die Rede, weil er sich mit der Gauleitung verkracht haben soll. Selbst die Juden Marx und Behrmann („die nicht mehr hier sind"!), denen er uneigennützig geholfen haben soll, wurden von Kortschak zur Verteidigung zitiert, was beweisen sollte, „daß ich niemals rassenpolitischen Haßgefühlen erlegen war, was bei einem Legionär sicher nicht der Fall gewesen wäre "196 Als er am 28. Jänner 1948 nochmals vor dem Bezirksgericht in Judenburg einvernommen wurde, bekamen die neugestalteten Lebenslügen schon deutlichere Konturen. U. a. gab Kortschak folgendes zu Protokoll: „Vor meiner Abreise nach Deutschland, d. i. 18. Dezember 1934, habe ich mit der N S D A P oder einer ihrer Gliederungen in Osterreich nichts zu tun gehabt. Auch am Juliputsch 1934 war ich nicht beteiligt. (...) Meine ganze Tätigkeit bei der SA bestand darin, dass ich ein einzigesmal ca. 30 SA Männer auf Tauglichkeit für Erwerbung des SA Sportabzeichens untersucht habe. (...) Wenn ich um den Grund meiner im Jahre 1934 erfolgten Ausreise aus Österreich gefragt werde, gebe ich an, dass es finanzielle Gründe waren. (...) Ich hatte keine politischen Gründe aus Osterreich wegzugehen. Ich bin nie politisch irgendwie verfolgt worden."' 97 Am 16. Februar 1948 wurde von der Staatsanwaltschaft Leoben das Verfahren eingestellt. Kortschak als „minderbelastete Person" - quasi als Midäufer - eingestuft und verschwand damit in der Masse der 537.000 registrierten ehemaligen Nationalsozialisten, von denen nur noch 42.000 als „belastet" angesehen wurden (Stiefel, 1986, 33). Sofort fand Dr. Kortschak zu seiner alten Streidust zurück und forderte am 13. Mai 1948 über seinen Anwalt von der V O E S T die Auszahlung seines „rückständigen Gehaltes und der Abfertigung" von sechs Monatsgehältern. 198 Da auf Grund eines Befehls der amerikanischen Militärregierung vom 27. Oktober 1945 eine Endassung ausgesprochen und ein Zahlungsverbot auferlegt worden war, folgte vorerst eine Abweisung.' 99 Aber da hatte man sich verrechnet. Die alten (steirischen) Seilschaften funktionierten. Mit seinem Anwalt, dem Putsch- und Heimwehrfiihrer von 1931, Dr. Walter Pfrimer, kämpfte sich Dr. Kortschak gerichdich nach oben, bis er am 18. Juli 1950 vom Bundesministerium für

196 Aussage Kortschak, Graz am 27. April 1947. Ebenda. 197 Ebenda. 198 Brief Dr. Ernst Kortschak an die Personalabteilung der V O E S T vom 13. Mai 1948. Quelle: Zentralarchiv der VA-Stahl. Personalbüro. Akte : Kortschak. 199 Brief der Personalabteilung der V O E S T an Dr. Kortschak vom 1. Juni 1948. Quelle : Zentralarchiv der VA-Stahl. Personalbüro. Akte: Kortschak.

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Verkehr und verstaatlichte Betriebe den Bescheid erhielt, daß „ihm die dienstvertraglich zustehende Abfertigung auszubezahlen" sei: 10.422 Schilling und 20 Groschen.200 Nach Angaben der Oberösterreichischen Arztechronik nahm Dr. Ernst Kortschak bereits im Jahre 1948 in privater Praxis seine medizinische Tätigkeit in Judenburg wieder auf (Guggenberger, 1963, 232). Außerdem wurde er wieder Werksarzt im Judenburger Gußstahlwerk und ab 1953 Chefarzt der Gebietskrankenkasse für den Bezirk Judenburg und zuletzt auch für den Bezirk Knittelfeld.201 Ernst Kortschak galt dort als angesehener und beliebter Arzt. Seine gerichtlich korrigierte Biographie formte auch den - für Osterreich so typischen - Familienroman. Die Zeit vor 1945 war Schweigen. Nostalgische Reminiszenzen vergangener Herrlichkeit äußerten sich angeblich nicht mehr in politischen Aktivitäten, sondern nur noch durch die praktische Kultivierung alten Liedgutes in der schlagenden Burschenschaft Gothia und v. a. in der strengen Einforderung eines vergangenen Tugendkatalogs.202 Dr. Ernst Kortschak starb am 1. Dezember 1954 im Alter von 48 Jahren während einer Operation seines Kopftumors (Guggenberger, 1963, 232). Zwei Jahre vor seinem Tod hatte Kortschak noch einmal die Gelegenheit, für einen früheren Weggefährten Partei zu ergreifen. Sein altes Weltbild zeigte sich ungebrochen. In der Strafsache gegen Anton Slupetzki - der während der NS-Zeit Leiter der Entlausungsanstalt in Linz und damit auch verantwordich für die Lieferung von Zyklon B in das Konzentrationslager Mauthausen war203 - wurde Kortschak in Judenburg am 20. Oktober 1952 als Zeuge einvernommen. Im Gegensatz zur Zeugenaussage von Dr. Josef Brix, dem ehemaligen Leiter des ärztlichen Dienstes des Arbeitsamtes, der Slupetzki vorwarf, Patienten unreife Abszesse ausgedrückt, nackten Frauen an den Haaren und Brüsten angefaßt und in einen qualvollen Zustand versetzt zu haben, fand Kortschak nur Lobenswertes zu berichten. Allerdings - räumte Kortschak ein - habe es „Zwischenfälle gegeben, die aber durchwegs der Primitivität und deshalb zustande kamen, weil vor allem Ostarbeiter (auch Bulgaren, Griechen, Spanier usw.) von hygienischen Einrichtungen überhaupt keine Ahnung hatten. Es ist z. B. vorgekommen, daß auf Heizkörpern die

200 Brief Bundesministerium für Verkehr und verstaadichte Betriebe an Dr. Kortschak vom 18. Juli 1950 sowie ein Schreiben der Personalabteilung der V O E S T an Dr. Walter Pfrimer vom 8. September 1950. Quelle: Zentralarchiv der VA-Stahl. Personalbüro. Akte: Kortschak. 201 Schriftliche Mitteilung von Hans Kortschak vom 9. Juli 1999. Nach seinen Angaben hatte sein Vater Ernst Kortschak bis 1950 Beruftverbot. 202 Persönliche Mitteilungen vom jüngsten Sohn Ernst Kortschaks, Günther Kortschak, der mir in einem Gespräch am 24. September 1999 erzählte, daß v. a. Unwahrheit, Ungehorsam und Wehleidigkeit ihn den Vater furchten ließen. 203 Vgl. Marsalek, o.H. 73 f.; John, 2000, 224. Slupetzkis Sohn, Erich, war Hitler-Jugend-Führer von Linz, noch nach 1945 gesinnungstreu und deshalb im Handbuch des österreichischen Rechtsextremismus eingetragen (DOW, 1993, 322).

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Notdurft verrichtet wurde, während das Wasser in den Klosettmuscheln zum Trinken verwendet wurde. Frauen hatten vom Gebrauch einer Monatsbinde, die ja regelmäßig ausgeteilt wurden, keine Ahnung, sondern wurden die meisten als Taschentücher oder ähnliches verwendet. Es mag sein, daß der Beschuldigte in solchen oder in krasseren Fällen die Leute etwas schärfer angefahren ist, bzw. sie zur Ordnung gewiesen habe, nicht aber ist mir bekannt, daß es jemals zu Gewalttätigkeiten gekommen sei. (...) Meiner Ansicht nach war vielmehr die Entlausungsstation damit auch der Leiter dieser Einrichtung, das ist der Beschuldigte, dasjenige Institut, das die Stadt Linz und wahrscheinlich ganz Oberösterreich vor der großen Gefahr von Epidemien bewahrt hat." 204 In „keiner Gewalttätigkeit" wusch eine Hand die andere. Kortschak praktizierte gerichtliche Schuldumkehr; die Opfer wurden zu Tätern. Sein Bild vom Untermenschentum der „primitiven" Ostarbeiter war ihm aufrecht und wie selbstverständlich zur Verteidigung des Parteigefährten formuliert.

F R A U D R . S . U N D DER „ S C H W A R Z E " R A U M Wie einleitend erwähnt, habe ich mit diesem biographischen Einschub vorgegriffen. Von all den Einzelheiten über Ernst Kortschak wußte ich fast nichts, als mich am 14. April 1999 ein kurzes Schreiben erreichte. Frau Dr. S. meldete sich auf unser Inserat: „Wir suchen Zeitzeugen!", das wir am 27. März 1999 in den „Oberösterreichischen Nachrichten" schalteten. Frau Dr. S. teilte mit, daß sie im Lazarett der Hermann-Göring-Werke beschäftigt gewesen war und bereit sei, über ihre Erfahrungen zu berichten.,Allerdings möchte ich eigentlich nicht einen Bericht schreiben, sondern Ihnen einzelne, von Ihnen gestellte Fragen beantworten."205 Neugierig, eine Mitarbeiterin Kortschaks kennenzulernen, kontaktierte ich sie sofort telefonisch und notierte den Gesprächsverlauf in mein Forschungstagebuch : Mit kräftiger und bestimmter Stimme erklärte mir Frau Dr. S.: Sie sei als Medizinstudentin in den Hermann-Göring-Werken dienstverpflichtet gewesen. Habe aber nicht wie ein KZler gearbeitet. Dort war nämlich auch eine „Dependance von Mauthausen". „Gesunde Leute", aber warum die dort waren, wisse sie nicht. Wahrscheinlich „Gegner des Regimes". Es war aber nicht alles Grauen in den Göring-Werken. „Man könne viele Geschichten erzählen, aber das bringe ja nichts. Daß Bomben gefallen sind, das weiß eh jeder." „Was wollen Sie genau wissen?" - (Kurz erklärte ich ihr unser Forschungsvorha-

204 Zeugenvernehmung. Dr. Ernst Kortschak. Bezirksgericht Judenburg am 20. Oktober 1952 in der Strafsache Anton Slupetzla. Quelle: Strafakten Anton Slupetzki. Institut fiir Zeitgeschichte in Wien. Für diesen Hinweis danke ich Dr. Bertrand Perz. 205 Brief von Frau Dr. S. vom 12. April 1999.

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ben) - ,Ja, es haben viele Zwangsarbeiter dort gearbeitet. Als man nach Osten vordrang, wurden viele Männer hopsgenommen." - Sie wolle mir ein kleines Beispiel zur Verdeutlichung erzählen: Es kamen viele Leute vom Kosovo206 mit Malaria. Man wußte es aber nicht. Erst als der Schub kam - 40 Fieber - „waren wir angehalten zu heilen". Nach dem Krieg habe sie sich gedacht, „die, die überlebt haben, sind krank gekommen und gesund zurück gekehrt". - Ich solle doch eine Liste von Fragen schicken. Sie habe aber keine Zeit bis Ende Mai, sie müsse es mit dem Kalender ihres Mannes abstimmen - übrigens breche ihr Mann eine Lanze für mich. Ich solle am 26. Mai nochmals anrufen, ich könne ja dann spontan kommen. „Was für ein Doktor sind Sie eigentlich?" - „Doktor phil." „Aha, Sie schreiben Bücher!" Ich solle ihr die Fragen schicken, sie sei kein Philosoph, müsse erst darüber nachdenken. Das Telefonat hatte mich sehr irritiert. Vorerst beunruhigte mich ihr autoritärer, energischer Ton, der vergessen ließ, daß sie sich auf das Inserat meldete; ja vordergründig sogar großen Unwillen erkennen ließ. Aber im Ausmaß dieses Widerstands war auch die Gegenkraft eines Mitteilungswunsches spürbar. Wahrscheinlich sogar ein kollektiver - „ihr Mann brach eine Lanze für mich". Aber warum? Der Kompromiß der gegensätzlichen Bedürfnisse ergab sechs Wochen Wartezeit. Eine sehr forsch formulierte, punktuelle Terminsetzung. Insgesamt blieb mir ein Gefühl, als würde ich Rudimente einer vergangenen Atmosphäre wahrnehmen. Ihre abschätzig zynischen bis naiven Formulierungen bzgl. der KonzentrationslagerHäftlinge, indem sie ihre Arbeit in Vergleich setzte. „Gesunde Leute, aber nicht alles Grauen." In der eigentümlichen, nach noblesse klingenden französischen Bezeichnung für ein KZ-Außenlager, sowie im slanghaften „Hopsnehmen" für die zwangsweise Deportation von Menschen ist eine distanzierende Verharmlosung unverkennbar. Auch ihre offensive Frage nach meiner Ausbildung und ihre kecke Reaktion, hatten für mich den Charakter:,Angriff ist die beste Verteidigung." Eine Stimmung, die sich generell über das ganze Szenario breitmachte. Ich befolgte ihren Wunsch und sendete Frau Dr. S. einige sehr allgemein gehaltene Fragen über ihre Tätigkeit, die auftretenden Krankheiten, das Arbeitsklima, über ihre Arbeitskollegen, Patienten usw. Ich ließ die sechs Wochen verstreichen. Aber bereits am 25. Mai - also einen Tag, bevor ich mich bei ihr telefonisch melden sollte - erhielt ich unerwartete Post: Entgegen ihrer ursprünglichen Absicht, schrieb Frau Dr. S. nun doch einen Bericht:

206 Die geographische Bestimmung schien sehr von den aktuellen Ereignissen dominiert. Von den Kriegsereignissen im Kosovo, den NATO-Bombardements auf Belgrad wurde zu der Zeit täglich in den Medien berichtet.

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Sehr geehrter Herr Dozent Dr. Fallend! (...) Das Werkslazarett der Hermann-Göring- Werke befand sich in der Gegend zwischen Niedernhart und dem Bindermichl, etwa dort, wo heute die Abzweigung von der Autobahn Richtung Leonding liegt. Es bestand aus einer größeren Anzahl von Holzbaracken auf dem dortigen Hügel, es gab eine direkte Straßenverbindung mit dem Werksgelände. Es war eingezäunt und vom Werkschutz bewacht. Ich erinnere mich nur an die Ordinatims- und OP Baracke, mindestens eine oder zwei Verwaltungs-, eine Küchen-, zwei Krankenbaracken für Interne und Chirurgie, sowie eine Infektionsbaracke, die zum Werkslazarett gehörten. Zum Lazarett gehörten noch mehrere Ambulanzen, die im Werksgelände verteilt waren. Bei diesen stand jeweils ein Sanka (Sanitätskraftwagen) in Bereitschaft. Arbeitsunfällen und akuten Erkrankungen wurde dort Erste Hilfe geleistet. Ich habe als Medizinstudentin im 6. Semester in diesem Lazarett vom 1. August 1944 bis 10. Juli 1945 Dienst gemacht, entsprechend der Vorschrift zu famulieren. Man mußte nämlich, um weiter Medizin studieren zu dürfen, jeweils in der vorlesungsfreien Zeit mindestens 5 Wochen Krankenpflegedienst oder Famulatur nachweisen können. Die Baracken, in denen sich der Operationsraum, die Ordination und die internen, chirurgischen und Infektionsbetten befanden, waren mein Arbeitsbereich als „RKHilfsärztin" und ich war dem Chefarzt Dr. Ernst Kortschak zugeteilt. Außer mir arbeiteten noch mehrere Diplomkrankenschwestern im Lazarett. Gewohnt habe ich nicht im Lazarett, ich fuhr täglich mit dem Fahrrad von zuhause (Römerberg) zum Dienst, der um 7.30 begann und zu unterschiedlicher Zeit gegen Abend endete. Nachtdienste wurden mir nicht vorgeschrieben. Das Mittagessen nahm ich in der Werkskantine des Lazaretts ein. Der OP war für kleinchirurgische Eingriffe eingerichtet, operiert wurde in Lokalanästhesie, ich assistierte. Schwere Verletzungen und Erkrankungen wurden in die Linzer Spitäler verlegt. Typhus, Paratyphus, Icterus und Scabies blieben bei uns. In der Ordination haben wir die im Werk beschäftigten Arbeiter untersucht und behandelt. Wenn aus dem Ausland Transporte mit zwangsverpflichteten Arbeitern eintrafen, wurden diese provisorisch in Baracken untergebracht und einer Aufnahme-Untersuchung unterzogen. Falls behandlungsfähige Krankheiten festgestellt oder vermutet wurden, blieben die Leute in den Krankenbaracken und wurden behandelt. Bei Verdacht auf eine latente Malaria war es üblich, eine diagnostische Milzdusche mit kaltem Wasserstrahl anzuwenden, was in der Regel innerhalb von 24 Stunden einen Malariaanfall provozierte, in dessen Verlaufdie Malariaplasmodien im Blut nachgewiesen werden konnten. Meist gelang es, mit Atebrin und Plasmochintabletten, die Malaria erfolgreich zu behandeln. Die zwangsverpflichteten Griechen, Jugoslawen, Polen, Tschechen u. a. wohnten in eigenen Baracken, jedoch nicht mit den KZ-Häftlingen gemeinsam. Für letztere waren eigene, etwas separierte Unterkünfte im Werksgelände vorhanden. KZ-Häftlinge durften offiziell im Werkslazarett nicht behandelt werden. Insgeheim hat Dr. Kortschak diese Anordnungjedoch des öfteren umgangen. Er hatte nämlich für diesen Zweck in einer der Werksambulanzen einen „schwarzen"fensterlosen Behandlungsraum eingerichtet, der nur ihm bekannt war.

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Zwangsarbeit - Sklavenarbeit in den Reichswerken Hermann Göring am Standort Linz

Das Arbeitsklima kann man mit streng autoritär-hierarchisch beschreiben. Der Chef befahl und alle gehorchten, wie beim Militär. Obwohl er überzeugter Nationalsozialist und Träger des Goldenen Parteiabzeichens war, agierte und reagierte er nie brutal. Etwa im April 1944 (sie!), der Zeit der massiven Luftangriffe, war er plätzlich verschwunden, und ich habe nie mehr etwas von ihm gehört. Dr. Hoflehner war sein Nachfolger in den letzten Kriegswochen. Bei den erwähnten Luftangriffen mußte ich in einen der hinter den Baracken errichteten Einmann-Bunker laufen und von dort aus etwa ausbrechende Brände im Lazarett beobachten, durch die Sehschlitze konnte ich aber auch die vom Mühlviertel her angreifenden Bomber sehen. Der letzte, schwere Angriff zerstörte die Lazarettbaracken fast völlig, alle unter den Krankenbaracken angelegten Schutzräume wurden samt Insassen durch Volltreffer vernichtet. Ich selber war bei diesem Großangriff zufällig im Werksgelände und konnte mich in dem dort stehenden Hochbunker in Sicherheit bringen. Es gab übrigens außer diesem Betonblock noch einen weiteren, als völlig bombensicher geltenden Schutzraum, der sich unter der Schlackenhalde befand, die entlang dem Bahnkörper abgelagert war. Soweit der Bericht von Frau Dr. S., der viele interessante Informationen enthält. Trotzdem blieb ich bei einer Aussage haften: „Der,schwarze'fensterlose Behandlungsraum, der nur ihm bekannt war!" Und eben auch Frau Dr. S. Die streng geheime, trotz Verbot durchgeführte Behandlung von KZ-Häftlingen durch Dr. Kortschak war mir nicht nachvollziehbar. Auch ihre Fehlleistung, indem sie Kortschak ein Jahr früher verschwinden ließ, bevor sie den Dienst antrat, sowie die in der Verneinung auftauchende Brutalität, war nur Bestärkung für meinen Zweifel. Mir kamen eher medizinische Experimente, Euthanasie in den Sinn, und ich mußte erkennen, daß meine Rolle als Forscher in die eines Anklägers, eines Richters wechseln konnte.207 Eine sehr unangenehme und hinderliche Position wissenschaftlichen Arbeitens, wenn Interpretationen und Deutungen eine strafrechtliche Richtung einschlagen können und zuletzt in der Alternative „schuldig" - „unschuldig" erstarren. Am folgenden Tag war es nicht ich, sondern Frau Dr. S., die mich zu Hause anrief und sich im Plural erkundigte: „Haben Sie von uns Post bekommen?" Ihre Stimme war wie verwandelt, kaum wiederzuerkennen. Als ob eine Erleichterung eingetreten wäre, ein Stück ihrer Geschichte aus der Hand und mir übergeben zu haben. Freundlich, witzig, in gänzlich anderer Tonlage. Ihr „Hirnkasd" sei leer. Es sei doch sehr lange aus. „Wollen Sie noch ein Gespräch?" Ich bejahte und meinte, daß nach meiner Erfahrung im Gespräch stets weitere Erinnerungen auftauchen. Sie seien im Sommer am See, ob ich sie besuchen wolle. Mir war doch ein früherer Zeitpunkt lieber und ich könne sie doch zu 207 In Diskussionen wurde die Phantasie „Angriff ist die beste Verteidigung" als Motivation zur Gesprächsbereitschaft von Frau Dr. S. dahingehend explizit, daß zu dieser Zeit in den Medien der Prozeß gegen den über 80jährigen Euthanasiearzt am Spiegelgrund, Heinrich Gross, des öfteren behandelt wurde - eine Verjährung, Straffreiheit damit ausgeschlossen war.

Medizin im Dienste des Führers

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Hause aufsuchen, nachmittags. Das sei gut, dann könne ich ja gleich bei ihnen übernachten. Ich lehnte dankend ab, dies sei nicht notwendig. „Wenn Sie pünktlich kommen, wird Sie jemand am Haustor erwarten. Kaffee und Kuchen stehen bereit." War es anfänglich die schroffe Zurückhaltung, so wurde mir jetzt die freundliche Nähe unheimlich. Der „schwarze" fensterlose Raum folgte mir in den Schlaf, und ich spürte großes Unbehagen vor dem näher rückenden Gesprächstermin. Mit dem Schlag der Kirchenglocke betrat ich die gutbürgerliche Wohnung am besten Platz des Ortes. Herr und Frau S. empfingen mich sehr freundlich. Spürbar waren wir alle drei nervös. Der abtastende Small talk oblag Herrn Dr. S., der mir aus seiner Schulzeit erzählte, während Frau Dr. S. in der Küche verschwand - (zur Beruhigung, wie mir schien) - , um Kaffee vorzubereiten. Danach wurde es fast gemütlich: Das Gespräch dauerte fünf Stunden. Ich nahm mir vor, äußerst zurückhaltend zu agieren, um dem Gespräch freien Lauf zu lassen. Zu direkt gestellte Fragen hätten meiner Einschätzimg nach eine Blockierung bewirkt, und so bemühte ich mich um Aufrechterhaltung einer Empathie, die mir zusehends als Gang in die schwarze Kammer gleichkam. Andererseits war ich doch sehr an der biographischen Entwicklung von Frau Dr. S. interessiert bzw. daran, ihren Standort kennenzulernen, von dem aus sie ihre Retrospektive formulierte. Ein vorbereitetes Foto meinerseits und ein zurechtgelegtes Fotoalbum ihrerseits dienten als Gesprächseinstieg bzw. -leitfaden. Es begann mit meinem Erstaunen, daß sie auf einem Gruppenfoto der Belegschaft des Lazaretts ca. aus dem Jahre 19422o8, trotz Zuhilfenahme einer Lupenbrille, nicht eine einzige Person erkennen konnte. Ihre Fotos waren hilfreicher, und ich war noch erstaunter. Zwei Privatfotos von Dr. Kortschak mit seinen Kindern. Privatfotos von seinem Chef zu besitzen, widersprach doch ihrer Aussage, sie habe „eigentlich keine privaten Verbindungen gehabt". Egal welche Verbindung, sie war in jedem Fall von großer Intensität: „Ich -warja in erster Linie eigentlich dem Kortschak zugeordert und auch von ihm ganz abhängig." Begleitend mit diesen ersten Fotos erzählte Frau Dr. S. ein wenig über ihre Tätigkeit, wobei besonders auffällt, daß sie in der Beschreibung ihrer ehemaligen Patienten - gleich dem Telefonat und Brief - keine passenden Worte findet bzw. ins Zynische abgleitet: „Frau Dr. S.: Es hat nur ein Lazarett oben gegeben. Es hat eine Menge andere unten im Werk gegeben. Es hatja Ambulanzen gegeben. Und das ist sozusagen am Hügel oben gestanden. Und dort waren auch die Aufnahmen, dort sind die - sagen wir - eingefangen haben in den Ostländern, die Leute. Die sind alle da hinaufgekommen, und diese Baracken sind eingerichtet worden als Krankenzimmer - Massen natürlich - und: gegenüber eigentlich hat es dann noch einmal ein paar Baracken gegeben, das war für 208 Das Foto ist in: G C V (Hg.), 1995, abgebildet und fälschlich mit 1939 unterschrieben. Die ehemalige Krankenschwester Gertrude Lang und Arbeitskollegin von Frau Dr. S. datiert das Foto um 1942, da sie 1939 noch gar nicht dort gearbeitet hatte. Sie begann ihre Tätigkeit im HGW-Lazarett im Jänner 1940.

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