Nikolaus Joseph Jacquin (1727–1817) – ein Naturforscher (er)findet sich [1 ed.] 9783737007108, 9783847107101

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Nikolaus Joseph Jacquin (1727–1817) – ein Naturforscher (er)findet sich [1 ed.]
 9783737007108, 9783847107101

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Marianne Klemun / Helga Hühnel

Nikolaus Joseph Jacquin (1727–1817) – ein Naturforscher (er)findet sich

Mit 60 Abbildungen

V& R unipress Vienna University Press

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-7370-0710-8 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhÐltlich unter: www.v-r.de Verçffentlichungen der Vienna University Press erscheinen im Verlag V& R unipress GmbH. Gedruckt mit freundlicher Unterstþtzung des Rektorats der UniversitÐt Wien, der Historisch-Kulturwissenschaftlichen FakultÐt der UniversitÐt Wien, des Instituts fþr Geschichte der UniversitÐt Wien und der Familie Marzek (Marzek-Etiketten + Packaging).  2017, V& R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Gçttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch þtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Titelbild: Botaniker im Feld (Handgezeichnetes Titelblatt, Johann Jakob Well, Phytanthologia Eikonike, 3. Bd., 1768f,  ÖNB, HAD).

Inhalt

Vorwort (Dankesworte) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.

II.

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Start-up: die Westindien-Expedition (1754–1759) . . . . . . . . . . II. 1. Überseereise als Karrierebedingung . . . . . . . . . . . . . II. 2. »Le gout pour les sciences« – die kaiserliche Ermöglichung der Unternehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. 3. Van Swietens Suche nach einer geeigneten Person . . . . . . II. 4. Vorbereitungen, Aufträge und Instruktionen . . . . . . . . II. 5. Der Expeditionsverlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. 6. Hohe Diplomatie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. 7. Perücke – Nachttopf – Sänfte . . . . . . . . . . . . . . . . . II. 8. Sammlungsverfahren und Objektdiskurse . . . . . . . . . . II. 9. Der Durchbruch: vom »Botanophilus« zum »verus Botanicus« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. 1. Quellen – und die bisherige Jacquin-Historiographie . I. 2. Spuren, Narrative, Methoden: »Während Famas Flügel noch bangen« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. 3. Zur Gliederung: eine querschnittbezogene Struktur . . I. 4. Exkurs: Statt einer traditionellen Biographie – Selbstentwürfe im Wandel . . . . . . . . . . . . . . . .

III. Ouvertüre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. 1. Geistige Orientierung: Handelsstand, Katholizität und klassische Sprachausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . III. 2. Akademische Orientierung: Peregrinatio academica – Studienwege unter den Auspizien des finanziellen Notstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6

Inhalt

III. 3. Emotionale Orientierung: das Entstehen einer »unversiegbaren Leidenschaft« . . . . . . . . . . . . . . . . III. 4. Gesellschaftliche Orientierung: der Höfling und sein Mäzen

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Orte des Wissens: Leiden – Wien – Karibik – Schemnitz . . . . . . IV. 1. Leiden: Zentrum der Kolonialbotanik und des Buchdrucks . IV. 2. Wien: Stadt des Staubs und der »Barbaren« (1752–1754, 1759–1763) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. 3. Karibik: Kolonialer Bewährungs- und Erfahrungsraum . . . IV. 4. Schemnitz: »Die reichste Stadt in Ungarn« . . . . . . . . . .

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Räume des Wissens: Hof / Residenz – Bergschule – Universität . V. 1. Hof / Residenz: Muskatnussbaum und Platin . . . . . . . V. 2. Bergschule: Ein Sprung ins kalte Wasser der Chemie und Metallurgie (1763–1768) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. 3. Universität: Jacquin als »eine unschätzbare Wohlthat für die Universität« Wien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VI. Handlungsräume und Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Laboratorium – botanischer Garten – Gelände – mineralogische Sammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. 1. Chemische Laboratorien: Bedingung für die Formierung zum Experten der Chemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. 2. Botanischer Garten der Universität Wien: epistemische und pädagogische Ressource . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. 3. Gelände: Botanisierbüchse und botanische Exkursionen in die »österreichischen Alpen« . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. 4. Mineraliensammlung – »the most splendid specimens« in Vienna . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. 5. Apotheke, Heilpflanzen und »Pharmacopoea« . . . . . . . .

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IV.

V.

VII. Konstellationen und Strategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. 1. Verschränkte familiäre, freundschaftliche und wissenschaftliche Sphären . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. 2. Produktive Austauschpraktiken von Wissen und Objekten via Briefwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. 3. Konkurrenz: »eine Katze auf Samtpfötchen« oder ein beinharter Karrierist? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. 4. Lehrer–Schüler–Verhältnis: Jacquins Ruf in Gefahr? . . .

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7

Inhalt

VII. 5. Widmung, Organisation, Visualisierung und Monopolisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

421

VIII. Auffinden – (Er)finden – Stattfinden: ein Resümee . . . . . . . . .

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Edition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Editionsrichtlinien und Beschreibung der Handschriften . II. Biographische Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Briefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Vorworte der wichtigsten Werke Jacquins in Übersetzung

. . . . .

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Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeittafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stammtafel der Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort (Dankesworte)

Dieser Band geht auf eine langjährige Forschungsarbeit und eine Kooperation zweier Autorinnen zurück. Viele Institutionen haben uns ihre Tore freundlich geöffnet. In der letzten Phase der Entstehung des Buches haben uns zahlreiche Menschen tatkräftig unterstützt, ihnen sei besonders gedankt: Ingrid Oentrich (Fotographie), Ildikj Cazan-Sim#nyi (Archiv des Weltmuseums) Alexander Sperl (für die Erstellung einer Graphik), Inge Göd (Matrikelrecherche), Peter Souczek (Übersetzungshilfe), Matthias Feiel (Korrektur der lateinischen Texte). Dem Rektorat der Universität Wien, vor allem dem Vizerektor für Forschung und Internationales, Univ.-Prof. Dr. Heinz Faßmann, und besonders dem Institut für Geschichte, repräsentiert durch Univ.-Prof. Dr. Andreas Schwarcz als Institutsvorstand, der Dekanin der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität, Univ.-Prof. Dr. Claudia Theune-Vogt, ist für die nach der externen Begutachtung erfolgte Finanzierung des Bandes gedankt, ebenso unserem Sponsor Familie Marzek, Marzek-Etiketten + Packaging. Den Gutachterinnen, besonders Dr. habil. Ariane Dröscher (Bologna) und auch Dr. Alexandra Cook (Hongkong) sind wir für ihre genaue Lektüre des Manuskriptes zu Dank verpflichtet. Marianne Klemun und Helga Hühnel, November 2016

Abb. 1: Nikolaus Joseph Freiherr von Jacquin mit Perücke

I.

Perspektiven

I. 1. Quellen – und die bisherige Jacquin-Historiographie Dieses Buch handelt von Pflanzen, Perücken, Vorworten, Instruktionen, Reisen, Wissensräumen, Dokumentationen, Schuhen, botanischen Gärten, Lateinkenntnissen, Gedichten, Herbarien, Briefen, Stammbuchsprüchen, Zimtpflanzen, Platin, Unterricht, Brennöfen und einer Waage, Botanik, Bergwesen und vielem mehr – aber vor allem von Selbstentwürfen und Narrationen. Alle stehen sie in Zusammenhang mit einer Figur, nämlich mit Nikolaus Joseph Jacquin (1727–1817). Wer sich wie auch immer mit Naturforschung bezüglich der habsburgischen Länder in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts beschäftigt, trifft zwangsläufig auf die Aktivitäten dieses produktiven Gelehrten. Der aus Leiden stammende Naturforscher, der 1754–1759 im höfischen Auftrag die Westindischen Inseln bereist hatte und an der Bergschule in Schemnitz (Bansk# Sˇtiavnica, Slowakei) Chemie und Metallurgie sowie ab 1768 als Professor der Botanik und Chemie an der Universität Wien lehrte, zählt zu den prominenten Repräsentanten der Naturgeschichte des 18. Jahrhunderts. Unzählige Pflanzen, die heute zum Bestand unseres aktuellen Wissens gehören, wurden von Nikolaus Joseph Jacquin erstmals gesammelt, beschrieben, visualisiert und benannt. Als außerordentlicher Taxonom begründete er eine Tradition, die an der Universität Wien bis heute andauert. Die steile akademische Karriere dieses Mannes, dessen besonders abenteuerliches und gleichzeitig erfülltes Leben ihn von Holland über Paris nach Wien führte, sollte in dieser Metropole ihren Höhepunkt erreichen. Der plötzlichen Armut eines zuvor reichen holländischen Tuchhändlermilieus entronnen, konnte Jacquin in der Kaiserstadt eine Karriere antreten, die er voll Ehrgeiz und Tatendrang aktiv gestaltete. Jacquin beschrieb unzählige Pflanzen der beiden Amerikas, Afrikas und Österreichs und zählte zeitlebens in seiner Scientific Community zu den eifrigsten Botanikern seiner Zeit. Mehr als dreißig Publikationen, Monographien und Sammelwerke, führten zu seiner internationalen Beachtung. Das Wirken Jacquins spielte sich in vier unter-

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Perspektiven

schiedlichen Epochen ab. Die intellektuellen Tendenzen des Rokoko, der Klassik, der Aufklärung und Romantik prägte er auf seine Weise mit, er übte dabei vier Professionen aus, die des Expeditionsleiters, Universitätslehrers, Bergbeamten und publizistischen Unternehmers. Seine Kompetenzen umfassten vier Wissensfelder, Botanik, Chemie, Bergbauwesen und Pharmazie. Eine Gesamtschau über Jacquin existiert noch nicht. Auch wir zwei Autorinnen stießen in unseren früheren wissenschaftshistorischen Publikationen unabhängig voneinander einmal da oder dort in differenten Kontexten auf das Tätigkeitsfeld Nikolaus Joseph Jacquins. Unsere Fragestellungen betrafen ganz unterschiedliche Felder. Da waren die politischen Zusammenhänge der von Österreich ausgehenden Expeditionen in die Neue Welt,1 die »österreichische« Beteiligung an den weltweiten, von den europäischen Mächten ehrgeizig betriebenen Pflanzentransfers2 und die Bedeutung des Wiener Hofes für die Erweiterung des naturkundlichen Wissens.3 Wissensräume wie die Geschichte des botanischen Gartens (Holländischen Gartens) von Schönbrunn4 als spezifischer Ort der Botanik sowie das beliebte Genre der Florenwerke5 als Ausdruck der auf einen bestimmten Raum konzentrierten botanischen Forschung kamen hinzu. Bald setzten wir uns eine Synthese unseres Wissens und des bisher andernorts6 verstreut publizierten Wissensstandes zum Ziel. Eine Zusammenführung 1 Helga Hühnel, Botanische Sammelreisen nach Amerika im 18. Jahrhundert. In: Franz Wawrik, Elisabeth Zeilinger, Jan Mokre und Helga Hühnel (Hg.), Die Neue Welt. Österreich und die Erforschung Amerikas. Ausstellungskatalog (Wien 1992), 61–77. Hier wurden erstmals die Ego-Dokumente bezüglich der Reise Jacquins ausgewertet. 2 Marianne Klemun, Globaler Pflanzentransfer und seine Transferinstanzen als Kultur-, Wissens- und Wissenschaftstransfer der Frühen Neuzeit. In: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte. Organ der deutschen Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte 29 (2006), 205–223. 3 Helga Hühnel, Kaiserliche »Gärtnergesellen« bereisen Amerika. In: Elisabeth Zeilinger (Hg.), Österreich und die Neue Welt. Symposium in der Österreichischen Nationalbibliothek. Tagungsband (Wien 1993), 95–102; Marianne Klemun, Der Holländische Garten in Schönbrunn: Inszenierte Natur und Botanik im herrschaftlichen Selbstverständnis des Kaiserhauses. In: Schönbrunner Gärten (= Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege LVII, Heft 3 u. 4, 2003), 426–435. 4 Marianne Klemun, Botanische Gärten und Pflanzengeographie als Herrschaftsrepräsentationen. In: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte. Organ der deutschen Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte 23 (2000), 330–346. 5 Marianne Klemun und Manfred A. Fischer, Von der »Seltenheit« zur gefährdeten Biodiversität (Aspekte zur Geschichte der Erforschung der Flora Österreichs). In: Neilreichia 1 (2001), 85– 131. 6 Besonders wichtig aus Gründen des ausgezeichneten Quellenbezugs sind: Wilfried Oberhummer, Die Chemie an der Universität Wien in der Zeit von 1749 bis 1848 und die Inhaber des Lehrstuhls für Chemie und Botanik. In: Studien zur Geschichte der Universität Wien. Bd. III (Graz 1765), 126–202; zu Jacquin: bes. 140–160; Walter Lack, Die Berufung von Nikolaus Joseph Jacquin an die Universität Wien. In: Annalen des Naturhistorischen Museums in Wien. 102 B (2000), 375–388; Walter Lack, Jacquin’s ›Selectarum Stirpium Americanarum Historia‹. The extravagant second edition and its title pages. In: Curtis’s Botanical Magazine.

Quellen – und die bisherige Jacquin-Historiographie

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all dieser relevanten Einzelheiten stellte ein dringliches Forschungsdesiderat dar, da doch einige der dargestellten Einzelheiten zu korrigieren sind.7 Dass unser Forschungsinteresse eine Erweiterung und Vertiefung der eigentlichen Quellenbasis implizierte, ist klar. Jahre der Materialsammlung vergingen, während inzwischen weitere Studien von HistorikerInnen8 oder Botanikern9 erschienen. Dennoch hielten wir an unserem gemeinsamen Plan fest. Wir erkannten immer mehr, dass die bisherigen Arbeiten zwar einige der Quellen bereits vor uns da oder dort kurz konsultiert, aber diese nicht tiefgehend und schon gar nicht diskursiv ausgewertet hatten.10 Etliche der von uns aufgefundenen Archivalien in den Darstellungen wurden sogar noch nie einer eingehenden Analyse unterzogen.11 Deshalb erschien uns eine umfangreiche quellengesättigte Studie über Jacquins Wirken – trotz der vielen bereits bestehenden Publikationen – dennoch sinnvoll zu sein. Wir können nun sagen, dass es ist ein echter Glücksfall ist, dass sich die Quellenlage zu Nikolaus Joseph Jacquins Aktivitäten letztlich als reichhaltig erweist. Biographische handschriftliche Niederschriften12 und gedruckte bio-

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Vol. 15, Part 3 (Kew 1998), 194–214; Walter Lack, Ein Garten für die Ewigkeit: der Codex Liechtenstein (Bern 2000). Korrekturen betreffen insbesonders die Reiseroute der Karibikreise und die familiären Verhältnisse. Auch Verknappungen der Aussagen bezüglich der Karriereverläufe werden berichtigt werden. Christa Riedl-Dorn, »Karibik–all inclusive«. Ein Brief des Forschers Nikolaus von Jacquin von der Karibik-Expedition 1756. In: Harald Heppner, Alois Kernbauer, Nikolaus Reisinger (Hg.), In der Vergangenheit viel Neues. Spuren aus dem 18. Jahrhundert ins Heute (Wien 2004), 254–256; Bettina Dietz, Contribution and Co-production: The Collaborative Culture of Linnaean Botany. In: Annals of Science, 69:4 (London 2012), 551–569. Santiago MadriÇ#n, Nikolaus Joseph Jacquin’s American Plants. Botanical Expedition to the Caribbean (1754–1759) and the Publication of the Selectarum Stirpium Americanarum Historia (Leiden / Boston 2013). Maria Petz-Grabenbauer, Zu Leben und Werk von Nikolaus Joseph Freiherr von Jacquin. In: Wiener Geschichtsblätter, Heft 50 (Wien 1995), 121–149; Maria Petz-Grabenbauer, Der Botanische Garten der Universität Wien als wissenschaftliche Forschungsstätte unter Joseph Franz von Jacquin. In: Mitteillungen der Österreichischen Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte 16 (Wien 1996), 1–20; Maria Petz-Grabenbauer, Der »Hortus Botanicus Vindobonensis« unter der Leitung von Joseph Franz von Jacquin, Stephan Endlicher und Eduard Fenzl (Ungedr. Diss. Univ. Wien 1997); Maria Petz-Grabenbauer, Nikolaus Joseph Freiherr von Jacquin (1727–1817). In: Helmuth Grössing und Gerhard Heindl (Hg.), Heimat großer Söhne. (Frankfurt 1997), 9–26; Maria Petz-Grabenbauer, Nikolaus Jacquin und die botanischen Gärten in Wien. In: Schönbrunner Gärten (= Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege LVII, Heft 3 u. 4, 2003), 498–507; Maria Petz-Grabenbauer, Impressionen zu Zauber und Zauberflöte. In: Mensch-Wissenschaft-Magie. Mitteilungen der Österreichischen Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte (Wien 2006), 57–94. Das Briefkorpus wurde bisher in den Arbeiten kaum umfangreich ausgewertet. Einige Male haben Oberhummer und Lack darauf Bezug genommen, ohne die Quelle genau zu zitieren. ÖNB, HAD, Cod. Ser. n. 9756; Cod. Ser. n. 20235; Cod. Ser. n. 9755. Siehe dazu die Edition II. im zweiten Teil der Arbeit.

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Perspektiven

graphische Details, wie sie die Vorworte seiner wichtigen Werke13 beinhalten oder in den Einleitungen von Briefeditionen vorkommen,14 Nekrologe, Einträge in Taufbücher, Geburts- oder Heiratschroniken15 und in die Malerakademie,16 einschlägige Korrespondenzen,17 Gutachten, Kostenaufstellungen und Empfehlungsschreiben, Instruktionen, Spesenbelege,18 amtliche Registrationen;19 eine Vorlesungsmitschrift,20 Beurteilungen durch Zeitgenossen in Reisebeschreibungen, Rezensionen und in Jacquin gewidmeten Gedichten und seine zahlreichen Briefe – es sind viele kleine Mosaiksteine, die zusammengefügt ein differenziertes Bild der Kontexte und Jacquins Involvierung in sie ergeben. Auch wenn sich unser intensiver Quellenbezug von Jahr zu Jahr erweiterte, konnten wir Jacquins Korrespondenz dennoch nicht voll ausschöpfen. Das auf ihn und seinen Adressatenkreis zurückgehende Briefmaterial ist umfangreich und wird wohl erst in weiteren Projekten noch intensiver bearbeitet werden müssen. Ein diesbezüglicher Anfang jedenfalls ist durch unsere Studie nun getan. Nur einige der neuen, bisher in der Forschung nicht berücksichtigten Quellen werden in dieser Publikation, wenn vom Platz her möglich, in vollem Wortlaut ediert, um sie somit auch der weiteren Interpretation und Diskussion zur Verfügung zu stellen. Zu diesem Typus an Originalschriften zählen wir auch die Einleitungen in Jacquins Werken, weil er sich damit als Individuum bewusst einer breiteren Öffentlichkeit präsentierte. Sie werden aus dem Lateinischen übersetzt dem Anhang beigegeben. Jene Quellen, die noch nie ausgiebig einer 13 Einige ausgewählte Vorworte befinden sich in Übersetzung in unserer Edition. 14 Stefan Endlicher, Praefatio. In: Caroli Linnaei Epistolae ad Nicolaum Josephum Jacquin (Wien 1841). Die Übersetzung der lateinischen Einleitung befindet sich ebenfalls in unserer Edition. 15 Siehe Quellenverzeichnis. Wir möchten hier Frau Inge Göd danken, deren intensive Recherchen in den Kirchenmatrikeln uns eine große Hilfe war. 16 Siehe: Archiv der Akademie der bildenden Künste: Chronologisches Verzeichnis der Eintrittsdaten 1738–1765. 17 Besonders aufschlussreich sind: 4 Briefkonvolute, die verstärkt in unserer Arbeit berücksichtigt werden: Nikolaus Joseph Jacquin, Litterae 37 ad Iacobum Gronovius a. 1744–1759, ÖNB, HAD, Cod. 12778. Kurzzitat: ÖNB, HAD, Cod. 12778; Briefe Benoit Aquarts an N. Jacquin während der Karibikexpedition, Naturhistorisches Museum Wien, Archiv für Wissenschaftsgeschichte, Jacquins Briefe. Kurzzitat: NHM, AfW; Briefwechsel zwischen Linn8 und Jacquin, The Linnaean correspondence, an electronic edition prepared by the Swedish Linnaeus Society, Uppsala, and published by the Centre international d’8tude du XVIIIe siHcle, Ferney-Voltaire. Kurzzitat: The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net; 49 Briefe Nikolaus J. Jacquins an Joseph Jacquin (1788–1791). Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Bibliothek, Nachlasssammlung, Nachlass Heufler, Jacquin-Briefe. Kurzzitat: TLMF, Bibl., NL-Smlg, Heufler. 18 Haus-, Hof- und Staatsarchiv (HHStA), Hausarchiv, Poschakten, JS, Karton 2, 2–16. 19 Siehe dazu die Quellenbestände im Haus-, Hof- und Staatsarchiv, im Universitätsarchiv Wien und im Wiener Stadt- und Landesarchiv (siehe Quellenverzeichnis). 20 Budapest, Orsz#gas Sz8ch8nyi Konyvt#r (Ungarische Nationalbibliothek), Nikolaus Jacquin, Collegia Chymica. Quart. Germ. Handschrift 237.

Quellen – und die bisherige Jacquin-Historiographie

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Analyse unterzogen wurden, nämlich die Jugendbriefe Jacquins an seinen Freund Jacobus Gronovius,21 haben wir in Regestenform erschlossen, einige davon transkribiert und in Übersetzung ediert. Warum nur einige? Eine Gesamtedition hätte den Umfang unseres Buches tatsächlich gesprengt. Eine Selektion nehmen wir nach jenen inhaltlichen Kriterien vor, die wir im nächsten Kapitel erläutern werden. Aus denselben Gründen haben wir auch ferner aus den umfangeich von uns durchgesehenen Briefsammlungen nur einige wenige Briefe in die Edition aufgenommen. Unsere Analyse wird sich im Wesentlichen auch auf diese Korrespondenzen stützen und sie immer wieder für unsere Deutung heranziehen. Ebenso haben wir die biographischen handschriftlichen Darstellungen einschließlich der Schilderung der Karibikreise in den Editionsapparat integriert, weil sie für unsere spezifische Fragestellung, nämlich die bezüglich der Ausformung des Jacquin’schen Selbstbildes, entscheidend sind. Zum Teil wurden diese biographischen Quellen in der bisherigen Sekundärliteratur schon benutzt, auch teilweise wiedergegeben, aber wenn vollständig, doch auch mit vielen Fehlern.22 Im Mittelpunkt unserer Quellenanalyse stehen neben den Dokumenten aus unterschiedlichsten Archiven (Österreichisches Staatsarchiv, Archiv des Münz- und Bergwesens in Wien, Universitätsarchiv Wien, Wiener Stadt- und Landesarchiv, der Wiener Stadt- und Landesbibliothek, Archiv in Schemnitz / Bansk# Sˇtiavnica, Slowakei), Archiv der Linnaean Society in London, etc.) besonders Korrespondenzen, die sich in verschiedenen Einrichtungen wie in Leiden, Berlin, Nürnberg, Erlangen, Wien, Salzburg, Innsbruck, Bonn, London, Uppsala und Den Haag etc. befinden beziehungsweise auch online23 oder gedruckt zugänglich24 sind. Die Auswahl der hier edierten Quellen zielt nicht auf Vollständigkeit, weil etwa jene im Archiv des Naturhistorischen Museums in Wien aufbewahrten nur unter erschwerten Umständen und auch nur teilweise einsehbar waren. Die hohe Wertschätzung von Quellen bildet sich in dem Band insofern ab, als der Edition breiter Raum gegeben wird. Die Konzeption des Buches impliziert zwei Teile, Darstellung und Edition, sie ist deshalb so gestaltet, damit der umfangreich beigeschlossene Editionsapparat auch ohne unsere Analyse konsultiert werden könnte.

21 ÖNB, HAD, Cod. 12778. Wilfried Oberhummer und Walter Lack werteten einige Stellen dieses Briefkonvoluts aus. 22 Die inzwischen im Internet verfügbare Edition enthält etliche Lesefehler. 23 The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 24 Neil Chambers (Ed.), Scientific Correspondence of Sir Joseph Banks, 1765–1820. 6 vol (London 2007).

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Perspektiven

I. 2. Spuren, Narrative, Methoden: »Während Famas Flügel noch bangen« In einem Brustbild25 (Abb. 1, siehe S. 11) ist Nikolaus Joseph Freiherr von Jacquin im Profil abgebildet. Wir würden uns mit dieser Betrachtung nicht weiter aufhalten, weil doch auch genug andere Bildnisse dieses Gelehrten existieren, gäbe es da nicht die ins Auge fallende Bildlegende! In ihrer Bedeutung ist sie zunächst nicht sofort verständlich, denn sie lautet: »Illum aget penna metuente solvi Fama superstes. Horat.« »Jenen (Proculeius26) wird unsterblicher Nachruhm forttragen, während Famas27 Flügel noch bangen, sie könnten (wie der Ikarus28) zerflattern.« Was als sapphische Strophe zu lesen ist und lateinaffin den Carmina (Oden) des Horaz29 entnommen wurde, regt zur Interpretation an. Denn mit ihr wird eine zentrale Sinngebung der intellektuellen Eliten angesprochen, die Sorge um Ruhm und Unsterblichkeit. Beide waren aneinander gekoppelt. Seit der Renaissance wurde Ruhm und großes Ansehen als Spiegel der gesellschaftlichen Wertmaßstäbe und eines geglückten Lebens angesehen. Und immer mehr blieb der Besitz von Ruhm nicht mehr wie in der Antike den Göttern vorbehalten,30 sondern konnte durch eigene Anstrengung erwirkt werden. Wohl hatte sich seit der Renaissance die Vorstellung darüber, wie Ruhm erworben werden konnte, geändert, aber als Lebensferment hatte er seine Anziehungskraft nicht verloren. Jacquins Bezug auf die allfällige Unstetigkeit des Ruhms stellt in seiner Zeit keinen Einzelfall dar. Setzt man den Proculeius in der Bildlegende mit Jacquin gleich, bleibt auch der Verweis auf die familiäre Sukzession sinnvoll, die nicht durch Geld, sondern durch den Stamm gegeben schien. Denn im gleichen Atemzug wurde gefragt, was des »Reichtums wahrer Wert«31 sei. Nikolaus Joseph Jacquin legte zudem großen Wert auf seine klassische Bildung, weshalb die Annahme berechtigt ist, dass er die Bildlegende bewusst gewählt hatte. Es mögen 25 http://data.onb.ac.at/rec/baa18845470. »Nic. Ios. A Iacquin nat. lugd. Bat XIV cal. Mart. MDCCXXVII.« Gemälde von Jos. Kritzinger, gestochen von Jakob Adam (Artaria 1784). 26 Der volle Name wäre Gaius Proculeius Varro Murena. 27 Fama wird bei Vergil (Aeneis IV, 173–188) als nimmermüdes Vogelmonster beschrieben, das unter jeder Feder ein Auge, ein Ohr und einen schnatternden Schnabel hat. 28 Des Ikarus Flügel waren durch Wachs zusammengeklebt, als er zu hoch hinauswollte, schmolz es. 29 Horaz, Carmina (Oden) II 2, 7f. »Was sind schon die Schätze und Geld? Berühmt geworden ist des Augustus Freund Proculeius nicht, weil er so viel davon besaß, sondern weil er sein Erbteil mit seinen Brüdern, die ihr Vermögen im Bürgerkrieg eingebüßt hatten, teilte.« Michael Petschenig (Ed.), Q. Horatius Flaccus. Auswahl (Wien 1919), 51. 30 Siehe allgemein: Klaus Thiele-Dohrmann, Ruhm und Unsterblichkeit. Ein Menschheitstraum von der Antike bis heute (Weimar 2009). 31 Michael Petschenig (Hg.), Q. Horatius Flaccus. Auswahl (Wien 1919), 51.

Spuren, Narrative, Methoden: »Während Famas Flügel noch bangen«

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wohl auch Ovids Worte auf dem klassisch gebildeten Jacquin gewirkt haben, die da lauten: »Habe vollbracht nun ein Werk […] Auf ewig und unzerstörbar wird bleiben mein Name […] im Ruhme ich leben.«32 Jacquins Verweis auf den Phönix, der durch eine mythologische Figur in Händen gehalten wird, tauchte in dem Titelblatt seiner zweiten botanischen Publikation auch auf33 (Abb. 2). Beide, das Bildprogramm und die bereits zitierte Bildlegende, bieten einen inhaltlichen Bogen für unsere Studie, die um die Selbstkonstituierung unseres Protagonisten kreist. Wir fragen nach Selbstentwürfen Jacquins, in welchen Situationen sie formuliert wurden, welche Spuren sie hinterließen, wie sie sich festigten und den Ruhm sowie den Nachruhm letztlich beeinflussten, ja sogar fundierten. »Jacquin! Unsterblich ist Dein Nahm’, er blühet / Im Blümchen auf der Alpe grüne Matten, Er lebt im Baum’ der weit entlegenen Küste Columbiens«34 – so lautet eine Stelle aus der akademischen Gedächtnisfeier, in der Nikolaus Joseph Freiherr von Jacquins anlässlich seines Todes gedacht wurde (Abb. 3). Nicht jeder seiner Berufskollegen ist mit solchen achtungsvollen Worten bedacht worden wie Jacquin, der seit 1768 den Lehrstuhl als Professor der Botanik innerhalb der Medizinischen Fakultät der Wiener Universität und die Leitung des Botanischen Gartens am Rennweg innegehabt hatte. Im Vergleich dazu können wir mit den meisten Rektoren dieser Phase der Universität Wien außer der Kenntnis des Namens nichts verbinden, keine ihrer Meriten sind ins öffentliche Wissen eingegangen. Bei Jacquin war das ganz anders. Bereits zu Lebzeiten war er im Jahre 1812 als ehemaliger Rektor der Jahre 1808/1809 öffentlich im großen Saal der Universität in einer musikalischen Akademie, bei der die Hofsängerknaben und die »Choristen der Hoftheater« unter der Leitung des Dirigenten Wranitzky35 für die musikalische Untermalung sorgten, mit der Enthüllung seines Konterfeis und auch biographisch gewürdigt worden.36

32 Metamorphosen 15,871–872; 15, 875–879, zitiert nach: Diane Middlebrook, Der junge Ovid. Eine unvollendete Biographie (Salzburg 2012), 17. 33 Nikolaus Joseph Jacquin, Enumeratio stirpium plerarumque, quae sponte crescunt in agro Vindobonensi, montibusque confinibus (Wien 1762). 34 Johann Nepomuk Raimann, Rede zur Gedächtnissfeyer [!] des Hoch- und Wohlgebornen Herrn Nic. Jos. Freyherrn v. Jacquin, gehalten im Saale der Hohen Schule am 9. Juni 1818 (Wien 1818), V. 35 Gemeint ist Anton Wranitzky (1761–1820), der jüngste Bruder des Komponisten Paul Wranitzky (1756–1808), der bei Mozart studiert hatte und ab 1807 Direktor des Wiener Hoftheaters und ab 1814 als Kapellmeister am Theater an der Wien wirkte. 36 [Anonymus] Nikolaus Joseph Freiherr von Jacquin. Eine biographische Skizze. In: Vaterländische Blätter für den österreichischen Kaiserstaat. Jg. 1812 (Wien 1812), 363–366. Bereits hier wurde auf den handschriftlichen Text zurückgegriffen. Zur Organisation der Feier siehe auch UAW [Universitätsarchiv Wien], CA 1.0.430 Ansuchen der Medizinstudenten zur Abhaltung einer Feierlichkeit zu Ehren der Professoren von Jacquin 1812.

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Abb. 2: Titelblatt der zweiten Publikation Jacquins mit Phönix (N. J. Jacquin, Enumeratio stirpium 1762)

Zeitlich mit dem allmählichen Rückzug Jacquins als Professor an der Universität zusammenfallend erschien ein »Hymnus an Flora« (1790), in dem Jacquins Werke allgemein Beachtung fanden.37 Der Autor, Baron von Lühe, Kammerherr 37 [Anonymus], Hymnus an die Flora. Dem Freyherrn von Spielmann gewidmet (Wien 1790).

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Abb. 3: Triumphierende Putti, den Ruhm verkündend: Vignette, die in Jacquins Publikationen öfter als schmückendes Detail vorkommt

und Administrator der Staatsgüter, blieb zunächst anonym. Kein Geringerer als Herder nahm eine Strophe in sein Oeuvre auf,38 die der Berliner Botaniker Willdenow sodann rezipierte. Zu diesem Zeitpunkt wusste Usteri zu berichten, dass dieser Hymnus bei Auktionen teuer ersteigert worden war. Sodann konnte er auch den Autor bestimmen.39 Unter dem veränderten Titel »Flora und Ceres« erzeugte das Gedicht nun weiterhin großes Aufsehen und wurde als Muster beschreibender Poesie gepriesen.40 Für Jacquin hatte er die Funktion einer wirksamen Werbekampagne, die ihn nun auch in wissenschaftsfernen Kreisen bekannt machen sollte. Angesichts der Leichenfeier für Nikolaus Joseph Jacquin erschienen ebenfalls Gedichte, eines in Form von drei elegischen Distichen,41 das den immer wieder »erblühenden Ruhm« thematisierte (Abb. 4). Gesichert sei dieser, so der Poet, nicht zuletzt durch die von Jacquin durchgeführte Benennung von Pflanzen, »die den strahlenden Namen Jacquin in die Münder der Menschen bringen«42 werde. 38 Johann Gottfried Herder, Herders Werke zur schönen Literatur und Künste, 7. Teil (Tübingen 1806), 148. 39 Paul Usteri (Hg.), Annalen der Botanick (Zürich / Leipzig 1791 bis 1800), 21. St., 143f. 40 [Karl Emil Freiherr von der Lühe], An Flora und Ceres (Wien 1802). Eine vierte Auflage erschien 1806. 41 Anton Josef Stein, Deutsche, lateinische und griechische Gedichte (Wien 1843), II, 18: Ad sacra funebria Nic. Jos. L. B. Jacquin. MDCCCVIII. Quae tibi, sancte Hominis tota ex Asia frugalissimi. Cic.-Cato sanctus et innocens, LIV. 42 Stein, Gedichte (1843), 18.

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Sogar in Versform wurde die für die Botanik so wirksame Gedächtnisart der Namensgebung zelebriert. Sie übertraf jede Art von Denkmalkultur, weil sie in die Praxis des Umgangs mit Pflanzen einfloss.

Abb. 4: Tempel des Ruhmes mit Phoenix im linken Bildteil, Vignette (Jacquin, Collectanea 1790)

Die Poesie wirkte in einer breiteren Öffentlichkeit, selbst die Damenwelt war daran beteiligt.43 Der Botaniker Leopold Trattinnick, Schöpfer der Wiener romantischen Blumensprache, der Jacquin ebenfalls in Versen verehrte, fasste sie in Worte, die da lauteten: »Seine [Jacquins] Wirksamkeit, die Spuren / Waren Blüthen klein und groß. Ja es war ein Blumenleben, Wie einst in der goldnen Zeit; All sein Thun, und all sein Streben / Wohlgeruch und Lieblichkeit!«44 Und die Dichtung endet mit dem Satz: »Glücklich ist nur Er zu nennen; Ihm blüht die Unsterblichkeit!«45

In seiner Gedächtnisrede nach Jacquins Tod fand der Pathologe und Kliniker Johann Nepomuk Raimann in seinen biographischen Ausführungen patriotische Worte bezüglich eines Jacquin gebührenden Ruhms, den er nun dem »Vaterland« unterordnete: »Wir müssen Holland das Verdienst gönnen, ihn geboren und erzogen; – Frankreich die Ehre, ihn vielfach angeregt und eingeübt zu haben; aber den Ruhm, ihn gastlich 43 So etwa: Enks Blumen, III. Gesang. In: Der Oesterreichische Zuschauer, Nr. 34 (1840), 337; Gabriele von Baumberg, »Mein Dank an den Herrn Hofrat Jaquin [!] für die Mitteilung seines Porträts«. In: Sämmtliche Gedichte (Wien 1800), 206–207. 44 Leopold Trattinnick, Am Sarge des Freyherrn Nikolaus von Jacquin; am 16. Oktober 1817. In: Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode 89 (1817), 317–318, hier 318. 45 Leopold Trattinnick, Am Sarge (1817), 318.

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aufgenommen, ihn erkannt und auf seine eigenthümliche Laufbahn gewiesen, den ersten Flügelschlägen seines Genius Beyfall zugejauchzt, ihm eigenen Herd gegeben zu haben, Ehebett, theure Pfänder der Liebe, Gönner, Muse, Einkommen, Rang; und was sonst zu Preisen des Lebens oder zu Bausteinen des Tempels der Unsterblichkeit zählen mag, – diesen Ruhm eignet mit gerechtem Stolz unser Vaterland, eignet dieses Österreich sich zu.«46

Jacquin, der Niederländer, war nun im öffentlichen Gedächtnis zum »Österreicher« mutiert, er wurde in die Gedächtniskultur des Staates integriert, weil dieser ihm die Möglichkeit des Aufstiegs geboten hatte. Auch die Brünner Zeitung hielt anlässlich des Todes von Jacquin fest: »Am 26. Okt. wurde dem Oesterreichischen Staate einer seiner verehrungswürdigsten Bürger entrissen; Nikolaus Joseph Freiherr v. Jacquin, der Nestor unter den europäischen Naturforschern, und einer der glücklichsten Greise in Oesterreich, welcher die schönsten Jahre der glorreichen Regierung Theresiens gesehen, und das Ende der 28jährigen Stürme, die Europa verheerten, noch erlebt hatte.«47

Für die Restauration nach 1815 war die maria-theresianische Zeit die weitaus geschätztere Epoche im Unterschied zu jener Josephs II. Wiewohl Jacquin in vier Regierungszeiten gewirkt hatte, wurde er nur jener »glorreichen« Zeit Maria Theresias zugeordnet. Ein anonymer Verfasser sah in Jacquins Wirken ein der »Wissenschaft, dem Staate und der Menschheit« geweihtes Leben, das es verdiente, »es mit allen Kränzen des edelsten Ruhmes auszuschmücken.«48 Wissenschaft und Staat erfuhren hier ihre Überhöhung, da sie sich im Dienst an der Menschheit übertrafen. Als im Jahre 1819 der Künstler Daniel Böhm beauftragt wurde, eine Gedenkmünze zu gestalten, wurde in der Presse der Vorzug dieser Medaille angesichts der Erlangung eines Preises an der Akademie mit folgenden 46 Raimann, Rede zur Gedächtnissfeyer (1818), 12; Ein Hinweis auf den Druck dieser Rede strich Raimanns Überlegung heraus, dass »Jacquin als ein Ebenbild des von ihm meisterhaft geschilderten Musterbildes eines Lehrers« verstanden wurde. Vgl. [Anonymus], Rede. In: medicinisch-chirurgische Zeitung (1818), 209–213, hier 211. 47 [Anonymus], Jacquin’s Totenfeier. In: Österreichischer Beobachter, 2. Juli 1818, Nr. 183; identer Artikel in Lemberger Zeitung, 17. Juli 1818, Beilage zu Nr. 85; ein etwas ausführlicherer Nekrolog erschien in der Brünner Zeitung der k.k. privat-mährischen Lehenbank, 13. Dezember 1817, 1371–1372. Das Totenbeschauprotokoll lautete: »Am 26ten Wohlgbohrne Hr. Nikolaus Joseph Freyherr von Jacquin, der Königl. Hungar. St. Stephans-Ordens-Ritter, der Arzneykunde Doctor, k.k. wirklich niederhungarischer Bergrath, u. emeritirte Professor der Chemie und Botanik, dann gewester Rector Magnificius, an der hohen Schule zu Wien, im Jacquinschen Haus Nr. 806 in der Oberen Bäckerstraß an Altersschwäche alt 91 Jahr abend 6 Uhr.« Wiener Stadt- und Landesarchiv, Totenbeschauprotokoll, Rolle 140, Zahl 59 6351, fol. 13. Fast derselbe Wortlaut findet sich in der Kurzmeldung in der Wiener Zeitung, 29. Oktober 1817, S. 1000. 48 [Anonymus], Nikolaus Joseph Jacquin. In: Franz Sartori (Hg.), Oesterreichs Tibur oder Natur= und Kunstgemälde aus dem österreichischen Kaiserthume (Wien 1819), 322–350, hier 322.

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Worten betont: »Die gedachte Denkmünze stellt auf der Vorderseite das Bildnis des durch Europa wie in Amerika gleich hoch verehrten, nun verewigten Botanikers Jacquin mit der sprechendsten Ähnlichkeit dar.«49 Damit wurde Jacquin offensichtlich der Status eines in Europa und Amerika verehrten Weltbürgers zugeschrieben. Im Festsaal des Universitätsgebäudes, so die Ankündigung der Presse 1823, sollte Jacquin in Zusammenhang mit seiner Lieblingswissenschaft erinnert werden: »In diesem Saale wird nächstens ein von Knapp verfertigtes Gemählde50 zu Ehren des Freyherrn Nikolaus von Jacquin aufgestellt werden. Dieses Gemälde stellt einen Saal vor, durch Säulen von rothem Marmor mit grünen Vorhängen einfach verziert, und an den Wänden mit Nischen versehen. Ein Blumenstrauß, aus allen 24 Classen des Linneschen Systemes, die ausgezeichnenden Lieblinge Florens enthaltend, erhebt sich aus einer Bronce-Vase auf einem Piedestale, an dessen Stirnseite sich Linnea borealis und die Jacquinia mucronata über Jacquin’s Büste zum sinnvollen Kranze verschlingen.«51

Den Gedenkstein, der sich heute im Botanischen Garten in Wien befindet, nachdem er vom Matzleinsdorfer Friedhof entfernt wurde, entwarf und fertigte der Steinmetz Pranter ; die Kosten von 1266,10 Gulden übertrafen wohl so manches bürgerliche Budget.52 Das kulturelle Gedächtnis blieb Jacquin auch im 19. Jahrhundert gewogen. Im Jahre 1892, als in der »K. und k. Akademie der Wissenschaften« in Wien die Columbusfeier begangen und der Entdeckung Amerikas 1492 gedacht wurde, »waren Bildnisse Jacquin’s und Pohls umgeben von Pflanzen aus den Tropen Amerikas aufgestellt und vor diesen Bildnissen befanden sich auf einem Tische die von österreichischen Forschern veröffentlichten Amerika betreffenden naturwissenschaftlichen Werke,«53 wusste der Botaniker Kerner von Marilaun anlässlich seiner Festrede am 12. Oktober 1892 in der k.k. Geographischen Gesellschaft (Wien) zu berichten. Jacquin war in die Nähe des bekanntesten Entdeckers der europäischen Expansionsgeschichte gerückt worden. Ruhm stellt sich stets auf ganz verschiedenen Wegen ein und wechselt auch 49 Kunst-Nachricht. In: Wiener Zeitschrift für Kunst und Literatur, 27. Mai 1819 (1819), 513. 50 Das Gemälde befindet sich heute in der Kunstsammlung am Belvedere in Wien. Siehe auch: Johann Baptist Rupprecht, Jacquins Denkmal durch den Blumenmaler Knapp (1821). In: Johann Knapp – Jacquins Denkmal (Wien 1976), 5–13. 51 Universität. In: Heinz Heinrich Böckh (Hg.), Merkwürdigkeiten der Haupt- und ResidenzStadt Wien und ihrer nächsten Umgebungen. Ein Handbuch für Einheimische und Fremde (Wien 1823), 334. 52 Wiener Stadt- und Landesbibliothek, I.N. 7152, Rechnung ausgestellt am 12. April 1823. Beiliegend befindet sich auch die Skizze des Gedenksteins. 53 Anton Kerner von Marilaun, Der Antheil Oesterreichs an der naturwissenschaftlichen Erforschung Amerikas. In: Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft N. F. (1893), 85–99, hier 88.

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leichtfüßig seinen Wertebezug. Er trägt zwei sich widersprechende Seiten, er ist stets flüchtig und doch auch nachhaltig. Wird er aber nicht aktualisiert, fällt er seinem Feind, dem Vergessen, anheim. Zwei Jahrzehnte nach Nikolaus Jacquins Tod widmete Leonhard von Knoll ihm ein ausführliches Gedicht, das er offensichtlich Jacquins Sohn in den Mund legte, wenn es heißt: »Jacquin, der Sohn, vor dem Tempel des Ruhmes.«54 Den lyrischen Andeutungen folgten sogar seitenlange »Erläuterungen«55 mit historischen Erklärungen, um den Ruhm zu belegen, waren doch nach 40 Jahren die Meriten der zeitgenössischen Leserschaft wohl nicht mehr geläufig. Der Tempel des Ruhmes wurde nicht mehr dem Vaterland geweiht, sondern jenem, der »mit Ernst der Natur Inn’res [!] erkundet.«56 Die Natur war in den Mittelpunkt der Ruhmessehnsucht gerückt. Im Jahre 1905 tagte der »Internationale botanische Kongress« in Wien als zweites Großereignis seines Zeichens nach Paris. Für die Taxonomie war er von außerordentlicher Wirkung, weil die Nomenklaturregeln festgelegt wurden, die bis heute gelten. Der Physiologe Julius Wiesner, der sich persönlich für die Geschichte der Botanik sehr interessiert hatte, betonte als Präsident in seiner Eröffnungsrede ganz bewusst die herausragende Wiener Tradition: »Der Boden, auf welchem unser Kongreß sich vollzieht, ist der Pflege der Botanik stets günstig gewesen: ja mit Bezug auf die Entwicklung unserer Wissenschaft dürfen wir vielleicht, ohne zu übertreiben sagen, daß er ein klassischer gewesen ist. Es hat ja die beschreibende Botanik hier ihre großen Vertreter gehabt. Ich nenne die Namen Clusius, Nicolaus Jacquin, Endlicher.«57

Jacquin wurde in diesem Kongress ganz besonders gewürdigt, denn es wurde dessen Bildnis enthüllt und die in der Orangerie von Schönbrunn gezeigte opulente Ausstellung, die sich der Geschichte der Botanik widmete, führte Linn8s Briefe an Jacquin als besonders interessante Dokumente vor.58 Ein bleibendes öffentliches Dokument dieses Ereignisses belegt ein Fresko, das auf einem nahe dem Botanischen Garten befindlichen Haus (Sperlgasse 1a) angebracht wurde und das von dem Künstlerehepaar Hans Moser und Erna Moser-

54 Josef Leonhard Knoll, Jacquin der Sohn, vor dem Tempel des Ruhmes. In: Der Österreichische Zuschauer Nr. 34, Mittwoch 18. 3. 1840 (1840), 337–341. 55 [Anonymus], Erläuterungen zur Vision: Jacquin der Sohn, vor dem Tempel des Ruhmes. In: Besondere Beilage zur Nr. 34 des Österreichischen Zuschauers 8 (1840), 346–352. 56 Knoll, Jacquin (1840), 338. 57 Julius Wiesner, Eröffnungsrede. In: Richard von Wettstein, Julius Wiesner, Alexander Zahlbruckner (Hg.), Verhandlungen des Internationalen botanischen Congresses in Wien 1905 (Jena 1906), 20–22, hier 21. 58 Bericht über die Ausstellung in der Orangerie. Siehe: Zahlbruckner (Hg.), Verhandlungen des Int. bot. Congresses (1905), 61.

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Piffl59 signiert ist. Wiewohl es später entstand, verweist es historisierend auf das Jahr 1905. Der Erinnerungskult wird auch weiterhin bedient. Wie kaum eines anderen Botanikers gedenkt man auch heute noch in Wien immer wieder dieses Mannes, seiner im Auftrag des Hofes 1754–59 stattgefundenen Karibikreise und seiner unzähligen botanischen Werke. Er lebt in einem Straßennamen weiter, 1977 wurde ihm eine Sonderpostmarke60 und 2004 eine Ausstellung in der Universitätsbibliothek gewidmet, um hier nur einige Höhepunkte dieser Gedächtniskultur zu erwähnen. Auch die Ahnenreihe an Skulpturen in den Arkaden der Universität Wien und die Fassade des Naturhistorischen Museums in Wien haben ihn wie in eine Ehrengarde aufgenommen.61 Warum Jacquin diese außerordentliche Wertschätzung bis heute zuteil wurde und auf welchen spezifischen Konfigurationen von Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft die große Ehrenbezeugung beruhte, sind Fragen, die uns in unserer Studie interessieren. Wenngleich jede wissenschaftliche Anerkennung immer an Leistung geknüpft ist und jede Forschungsarbeit sowie deren Ergebnisse sicher die wichtigste Voraussetzung für Geltungsansprüche darstellen, mögen sich entsprechende Meriten jedoch nicht automatisch einstellen, sondern werden zunächst in der wissenschaftlichen Community ausgehandelt. Diese Gemeinschaft62 scheint zwar in sich geschlossen zu sein, aber sie kommuniziert noch im 18. Jahrhundert mit anderen Bereichen einer Gesellschaft, in deren Werten sie verankert ist.63 Diese sorgten des Weiteren für die Aufnahme in das kulturelle Gedächtnis64 der Eliten. Die Bewertung von Leistungen oder die Frage, in welcher Weise solche in einer bestimmten Zeit vom weiteren Umfeld des Wissenschaftlers außerhalb der engen Gemeinschaft verstanden, kolportiert und rezipiert werden, waren immer zeit- und kontextabhängig. Sie setzten sich aus unterschiedlichen Elementen sowie aus den im Umgang mit kulturellen Vor59 Friederike Prodinger, Hans Moser und Erna Piffl-Moser †. In: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde Bd. N. S. XVII (1988), 314–315. 60 Konrad Liebeswar, Sonderpostmarke zum 250. Geburtstag von Nikolaus Joseph Freiherr von Jacquin (Wien 1977). 61 Thomas Maisel, Gelehrte in Stein und Bronze. Die Denkmäler im Arkadenhof der Universität Wien (Wien 2007), 47, Büste Nr. 35. Die Büste wurde von Leopold Schrödl angefertigt; finanziert wurde sie vom Ministerium für Kultus und Unterricht, enthüllt 1905 im Jahr des ersten Weltkongresses für Botanik, der in Wien stattfand. 62 Zum Begriff siehe: Lorraine Daston, Objektivität und die kosmische Gemeinschaft. In: G. Schröder und H. Breuninger (Hg.), Kulturtheorien der Gegenwart: Ansätze und Positionen (Frankfurt am Main u. a. 2001), 149–177. 63 Siehe dazu besonders: Rudolf Stichweh, Zur Entstehung des modernen Systems wissenschaftlicher Disziplinen (Frankfurt am Main 1984). 64 »Nur deshalb spricht man so viel vom Gedächtnis, weil es keines mehr gibt«, so lautet ein viel zitierter Satz Pierre Noras, dessen Ansatz hier gemeint ist. Vgl. Pierre Nora: Zwischen Geschichte und Gedächtnis (Berlin 1990), 11.

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stellungen generierten Kriterien zusammen, die uns hier zu beschäftigen haben. Freilich hat besonders der Protagonist selbst einen großen Anteil an solchen Entwicklungen, weshalb es auch um »Innenspiegelungen« und ihr Verhältnis zu »Außenansichten«65 der Person gehen wird. Die Tatsache, dass eine bestimmte Tätigkeit eines Protagonisten als Verdienst in einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen wurde, schreibt sich letztendlich dem Genre Biographie ein; wie diese sich allerdings in verschiedenen Zeiten in Egotexten artikulierte und durchgesetzt hatte, muss unseres Erachtens aber eigens reflektiert werden. Eine solch distanzierte Darstellung fällt nur dann nicht jenem Trend zum Opfer, wonach ein objektives bündiges Bild einer Person zu gestalten sei, wenn dieser allgemein verbreiteten populären Erwartung an die Biographie nicht nachgegeben wird. Auf diesem Argumentationsniveau versteht sich unsere Studie auch als Beitrag zu einer erneut aufgekommenen derzeitigen wissenschaftlichen Debatte über die Fragwürdigkeit traditioneller Biographieschreibung in der Wissenschaftsgeschichte.66 Ein vergangenes Leben lässt sich weder rekonstruieren, was die Lückenhaftigkeit und die Zufälligkeit der überlieferten Fragmente verbietet, noch konstruieren, ohne deren Perspektive offenzulegen. Aber Zeugnisse eines Lebens mit begründeten Fragen zu konfrontieren – das scheint uns produktiv. Und wenn sich dabei Sinnzusammenhänge auftun, die Bilder der Geschichte und ihrer Persönlichkeiten nicht nur zwischen Weiß und Schwarz, also in Grautönen changieren, sondern »bunt« erscheinen lassen – dann hätte diese Studie auch ein wichtiges Ziel erreicht.67 Die Biographie freilich muss weniger und zugleich mehr tun als Geschichte zu erzählen, Werke zu analysieren; sie hat sich zu konzentrieren auf die Darstellung eines individuellen Lebensentwurfs im Wandel, der seinerseits in produktiver 65 Dieser Begriff wurde von Andreas Rüther verwendet. Andreas Rüther, Monastische Korrespondenz: Außenansichten und Innenspiegelungen von Spiritualität. In: Heinz-Dieter Heimann und Pierre Monnet (Ed.), Kommunikation mit dem Ich. Signaturen der Selbstzeugnisforschung an europäischen Beispielen des 12. bis 16. Jahrhunderts (Bochum 2004), 163–179. 66 Vgl. zuletzt besonders: Christian von Zimmermann: Vorwort. In: (Auto)Biographik in der Wissenschafts- und Technikgeschichte (= Cardanus. Jahrbuch für Wissenschaftsgeschichte 4, 2004), 7–14; Thomas Söderqvist, Existential projects and existential choice in science: science biography as an edifying genre. In: Michael Shortland and Richard Yeo (Eds.), Telling Lives in Science. Essays on Scientific Biography (Cambridge 1996), 45–84; Thomas Söderqvist, Wissenschaftsgeschichte / la Plutarch. Biographie über Wissenschaftler als tugendethische Gattung. In: Hans Erich Bödeker (Hg.), Biographie schreiben (Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft 18, Göttingen 2003), 285–325; Margit Szöllösi-Janze, Lebens-Geschichte – Wissenschafts-Geschichte. Vom Nutzen der Biographie für die Geschichtswissenschaft und Wissenschaftsgeschichte. In: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 23 (2000), 17–35; Mary Terrall, Biography as Cultural History of Science. In: Isis 97 (2006), 306–313. 67 Wolfram Siemann, Metternich. Stratege und Visionär. Eine Biographie (München 2016), 16.

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Verbindung mit den sich dauernd verändernden unterschiedlichen kulturellen und sozialen Mustern der jeweiligen Zeit steht. »Auf diese Weise erlaubt es die Biographie, das Werk im Netz seiner Beziehungsfelder aufzusuchen und derart vor den Reduktionen zu retten, die eine ahistorische, allein auf den isolierten Text konzentrierte Philologie zu betreiben droht.«68 Es geht um das Bemühen, diesem theoretischen Erfordernis zufolge bestehende Narrative ihren Funktionen gemäß einzuordnen. Es ist innerhalb einer biographischen Arbeit davon abzusehen, eine bleibende Essenz der Persönlichkeit wie einen sich nicht verändernden Charakter herauszukristallisieren. An dem methodischen Repertoire der Diskursanalyse, Evidenzforschung und der neuen Biographie-Forschung orientiert, lassen sich all die Quellen – neuartig und vielschichtiger als bisher durchgeführt – zu unterschiedlichen wissenschaftshistorischen Fragestellungen heranziehen. Denn eines wurde im Prozess unserer Forschung immer klarer, nämlich, wie sehr die bisherige Jacquin-Historiographie die klassische quellenkritische Methode unterlassen hatte und den handschriftlichen Selbstdarstellungen Nikolaus Jacquins,69 die später von Raimann, dem ersten Biographen Jacquins, für dessen Publikation benutzt wurden,70 mehr oder weniger gefolgt war. Was ist damit gemeint? Um nur ein Beispiel anzuführen: Dass Jacquin persönlich von Kaiser Franz Stephan für die Karibikexpedition infolge direkter Kontakte im Schönbrunner Garten ausgesucht worden ist,71 gehört schlichtweg zu der in der Autobiographie und im Vorwort seines »Plantarum rariorum Horti caeserei Schoenbrunnensis« (1797) kolportierten Legende.72 Denn die eigentlichen Personalentscheidungen gingen, 68 Peter Andr8 Alt, Mode ohne Methode? Überlegungen zu einer Theorie der literaturwissenschaftlichen Biographik. In: Christian Klein (Hg.), Grundlagen der Biographik. Theorie und Praxis des biographischen Schreibens (Stuttgart 2002), 23–40, hier 32. 69 Joseph Franz v. Jacquin, Nikolaus Joseph Jacquins Biographie, ÖNB, HAD, Ser.n. 9755, wurde mittlerweile restituiert, auch in dem von Nikolaus v. Jacquin verfassten Vorwort des Hortus Schönbrunnensis wiedergegeben. 70 Johann Nepomuk Raimann, Rede zur Gedächtnissfeyer [!] des Hoch- und Wohlgebornen Herrn Nic. Jos. Freyherrn v. Jacquin, gehalten im Saale der Hohen Schule am 9. Juni 1818 (Wien 1818). 71 Siehe besonders: Maria Petz-Grabenbauer, Nikolaus Jacquin und die österreichische Karibikexpedition (1754–1759). In: Renate Zedinger (Hg.), Lothringens Erbe. Franz Stephan von Lothringen (1708–1765) und sein Wirken in Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst der Habsburgermonarchie (Ausstellungskatalog, St. Pölten 2000), 197–201, bes. 198: »Durch seine Tätigkeit im Schönbrunner Pflanzengarten, […] wurde der Arzt Nikolaus Jacquin vom Kaiserpaar als äußerst begabter Wissenschaftler entdeckt und gefördert.« 72 Sie dazu unsere Edition: »Da sich Jacquin zu diesem Behufe den größten Theil des [fol. 14] Tages im botanischen Garten aufhielt, so konnte es nicht fehlen vom Kaiser bemerkt zu werden, und als dieser später auf die Idee gerieth von Westindien aus den Holländischen Garten in Schönbrunn zu bereichern, so fiel seine glückliche Wahl auf den jungen Jacquin, welcher diese Gelegenheit seine Kenntniße im Pflanzenreiche zu erweitern mit leidenschaftlicher Liebe ergriff.« Siehe dazu auch die Darstellung Jacquins in seiner Publikation:

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was wir erläutern und belegen werden, von Gerard van Swieten aus,73 dem machtvollen Leibarzt Maria Theresias und Reformer des Studienwesens, den eine enge Freundschaft mit Nikolaus Josephs Vater verbunden hatte. Van Swieten hatte zunächst eine andere Person für eine Expedition vorgesehen, was in keiner der Selbstdarstellungen Jacquins aufscheint und auch nicht in der bisherigen Sekundärliteratur.74 Er war es, der diesbezüglich die Fäden am Hof zog und sodann Jacquin vorschlug, nachdem er ihn aus einer finanziellen Krise gerettet und nach Wien geholt hatte. In Jacquins Rückblick, in dem sein Bittbrief an van Swieten nie erwähnt wird, ist jedoch davon die Rede, dass der Kaiser selbst in Schönbrunn auf ihn gestoßen war, als er sich seinen Pflanzen staunend genähert hatte. Das ist nicht ganz falsch, denn Jacquin bekam über die Vermittlung van Swietens Zutritt in eine doch mehr oder weniger für die Allgemeinheit abgeschlossene Sphäre des Hofes.75 Das war aber sicher nicht primär der Ausgangspunkt für Jacquins Beauftragung, die erst durch die Autorität van Swietens und dessen Patronage ermöglicht wurde. Letztlich kam zwar dasselbe heraus, indem Jacquin auf diese Reise geschickt wurde und eine einmalige Chance bekam, aber die Darstellung eines Karriereweges, der ganz eng mit dem persönlichen Willen des Kaisers zusammenzuhängen schien, zeigt ihn doch in einem besseren Licht. Es geht uns also um Nuancierungen, die sich bei der Ausformung einer Forscherpersönlichkeit im Wandel der Zeit besonders in den eigenen Narrativen Jacquins artikulierten. Es war trotzdem eine Erfolgsgeschichte, die wir aber als solche von ihren Kontexten heraus erklären wollen, denn sie war keine linear verlaufende und beinhaltete auch Brüche, die uns Selbstdarstellungen eher Nikolaus Joseph Jacquin, Plantarum rariorum Horti caesarei Schoenbrunnensis descriptiones et icones (Viennae 1797), Vol.1. Praefatio: »In Wien mühte ich mich damals mit dem Medizinstudium ab; und weil ich die Pflanzenkunde, deren Elemente ich in meiner Vaterstadt bei Royen und in Paris bei Jussieu erlernt hatte, besonders liebte, spazierte ich immer öfter zu dem eine Meile von der Hauptstadt entfernten neuen Garten, um die noch nicht systematisch bezeichneten Pflanzen zu bestimmen. Von daher wurde ich dem Kaiser bekannt, und weil jener sich mit dem Wunsche befasste, dass in kurzer Zeit ungewöhnliche Gewächse in den Garten kommen, wurde freundlichst eingeladen, eine Reise zu unternehmen.« (Eigene Übersetzung aus dem Lateinischen). Und auch in einer anonym publizierten Schrift heißt es: »Im Garten von Schönbrunn, seiner neuen Schöpfung, lustwandelte oft der Kaiser; da fällt ihm ein junger Mann auf, der unermüdet bald Pflanzen beschreibt, bald ihre Nahmen den beyden Gärtnern […] mit wissenschaftlicher Genauigkeit bestimmt.« Siehe: [Anonymus], Nikolaus Joseph Jacquin. In: Franz Sartori (Hg.), Oesterreichs Tibur (1819), 329. In Zukunft abgekürzt als Hortus Schönbrunnensis. 73 Darauf verwies bereits Walter Lack, Jacquin’s ›Selectarum Stirpium Americanarum Historia‹ The extravagant second edition and its title pages. In: Curtis’s Botanical Magazine. Vol. 15, Part 3 (Aug. 1998), 195. 74 Siehe dazu das Kap. II. 3. 75 Die Gärten wurden erst nach Franz Stephans Tod der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. (1766 Prater, 1775 Augarten, 1779 Teile von Schönbrunn).

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verschweigen. Es geht um die situativen Zusammenhänge und nicht um die große Erzählung, um dichte Beschreibung in Form der Mikrogeschichte76 und nicht um Sprünge von einem zum nächsten der Einzelerfolge. Was treibt die Autorinnen zu dieser Studie? Sicher ist es eben nicht die Idee, eine traditionell- ausgewogene Biographie Nikolaus Jacquins zu schreiben oder gar ein endgültiges Lebensbild dieses Forschers zu entwerfen. Vielmehr geht es zunächst darum, zeitgenössische biographisch bedeutsame Quellenbausteine quellenkritisch zu dokumentieren und zu kommentieren. Unter Bausteinen zu dieser Studie verstehen wir Ego-Dokumente und handschriftliche wie auch publizierte Aufzeichnungen, die von Jacquin selbst und seinem Umfeld stammen. Diese können jenen Vorgang des (auto)biographischen Potenzials deutlich machen, indem mithilfe eines bestimmten Selbstbildes zeitgenössische biographische Aussagen beeinflusst wurden und sich Werturteile über ihn sukzessive ausformten. Es soll besonders darauf geachtet werden, wie sich aufgrund solcher (auto)biographischer Elemente die Reputation dieser Persönlichkeit nicht eben erst zeitverschoben oder gar heute, sondern bereits zu Lebzeiten nach und nach einstellte, gestaltete und erhärtete. Unser Einstieg in die Biographie Jacquins wird nicht bei der Geburt, sondern bei jener Aktivität beginnen, die seine Karriere begründete, der Reise in die Karibik. Hier tritt Jacquin als öffentliche Figur auf unsere Bühne. Es ist eine Phase, in der Jacquin erstmals in einer gelehrten Öffentlichkeit ein Begriff wird. Aber auch hier nehmen wir eine methodische Haltung ein, die sich von den bisherigen Arbeiten77 abhebt. Wenn Nikolaus Jacquin erst vierzig Jahre nach seiner erfolgreichen Karibikreise diese in einem Gartenkatalog als Einleitung memoriert,78 dann ist zu bedenken, dass die Aussagen eine andere Qualität und Funktion in sich tragen, als wenn sie unmittelbar nach der Rückkehr als Bericht entstanden wären. Die Entstehungszusammenhänge von Darstellungen, zeitgenössisch oder auch danach, sind somit für unsere Narrationen von großer Bedeutung. Reiserechnungen79 beispielsweise, entstanden vor Ort, lassen doch das Expeditionsgebaren auf andere Weise als die aus einer Erinnerung heraus erzählten darstellen. Auch sie haben die dem Format angepasste Aussageessenz

76 Stellvertretend für die umfangreiche Literatur zu diesem Ansatz: Carlo Ginzburg, der Käse und die Würmer. Die Welt eines Müllers um 1600 (Turin 1976), deutsche Übersetzung (Berlin 1990), hier (Berlin 1996). 77 So wertvoll Santiagos MadriÇ#ns Publikation für die Darstellung der Botanik Jacquins in Bezug auf die amerikanischen Pflanzen ist, so wenig reflektiert ist die diesem wertvollen Ausführungen vorangestellte Biographie, die alle Aussagen der Selbstzeugnisse als Aussagen über die Wirklichkeit wertet. 78 Nikolaus Joseph Jacquin, Plantarum rariorum Horti caesarei Schoenbrunnensis (1797), Vol.1., Praefatio. 79 Siehe HHSTA, Hausarchiv, Poschakten, JS (= Jüngere Serie), Karton 2, 2–16.

Spuren, Narrative, Methoden: »Während Famas Flügel noch bangen«

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und müssen quellenkritisch behandelt werden. Aber greifen wir unseren eigentlichen Forschungsfragen nicht schon ganz vor! Wir können davon ausgehen, dass eine öffentliche Wahrnehmung von Leistung nicht im Verhältnis 1:1 als objektives Abbild der Tätigkeit eines Forschers und der von ihm produzierten Fakten funktioniert, sondern im Rahmen verschiedener historischer Konstellationen entsteht. Es geht uns um die Diskussion der bereits zu Lebzeiten entworfenen, aus Eigendarstellung gespeisten Lebensbewertungen dieser Persönlichkeit, die langlebiger sind, als man denkt. Sie setzen sich – einmal entworfen – im biographischen Schrifttum hartnäckig durch. Es besteht somit, so unsere Kernüberlegung, eine direkte Verbindungslinie von den Eigenbildern des Jacquin, seiner Etablierung im Fachbereich, der Selbstthematisierung, den zeitgenössischen Narrativen zu jenen der heutigen Biographien, die sich weniger auf die Fakten, sondern die Deutung der Schlüsselereignisse beziehen. Es generieren somit ganz besonders diese Selbstdarstellungen den roten Faden der bisherigen Jacquin-Historiographie. An Nachrufen und historischen Bearbeitungen des Lebens und der Leistung dieses Botanikers mangelt es bisher nicht.80 Gerade die Vielzahl an Arbeiten und ihre repetitiven Momente in der Erzählung motivieren uns, ins Detail zu gehen. Es wird die Frage verfolgt werden, inwieweit sich die bereits zu Lebzeiten Jacquins nach und nach entworfenen Selbstbilder auch als Urteile über ihn und Deutungen seines Lebens bis heute in der Historiographie erhalten haben. Diese Frage stellt sich auch deshalb, weil Ego-Dokumente existieren, die zwar sporadisch von der Forschung genutzt, aber wie bereits mehrmals betont, noch nie einer quellenkritischen, komplexen, kontextabhängigen Analyse unterzogen wurden. Gleichzeitig liefert unsere Studie auch einen Beitrag dazu, wie wissenschaftliche Aussagen allmählich zu Fakten gemacht wurden81 und Anerkennung sich im Wien der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts generierte. Damit verweist sie paradigmatisch auf öffentliche Wertschätzung als Teilaspekt einer lokalen Kultur der Wissenschaft, die sich im Wien des ausgehenden 18. Jahrhunderts zentrierte, aber auch auf internationalen Bindungen beruhte.

80 Bereits zu Lebzeiten erschien die erste biographische Skizze, deren Autor anonym blieb. [Anonymus], Nikolaus Joseph Freiherr von Jacquin. Eine biographische Skizze. In: Vaterländische Blätter für den österreichischen Kaiserstaat. Jg. 1812 (Wien 1812), 363–366. 81 Siehe dazu generell: Ludwik Fleck, Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv (Basel 1935, Frankfurt am Main 19994), bes. 31f.

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I. 3. Zur Gliederung: eine querschnittbezogene Struktur Wie bereits erwähnt, eröffnen wir unsere Studie nicht mit der Geburt Jacquins, sondern setzen dort an, wo er uns als bereits bekannte Figur entgegentritt. Erst von jenem Zeitpunkt an, als Jacquin nach Wien kam (1752) und sich die Chance für die Karibikreise für ihn stellte, wird er für uns wie auch für seine wissenschaftlichen Zeitgenossen öffentlich greifbar. Die Expedition Jacquins beschäftigt uns unter den verschiedensten Perspektiven. Zunächst ist ihr Zustandekommen samt der Instruktion wie auch das Reisegebaren selbst zu ergründen. Im Mittelpunkt steht jedoch in unserer Analyse die Frage, wie Jacquin die Karibik als Bewährungs- und Erfahrungsraum für seine Karriere nützt. Infolge der Reise und seiner Beziehung zu der am Wiener Hof einflussreichen Persönlichkeit eines van Swieten bieten sich für Jacquin ungeahnte Möglichkeiten, die ihn letztlich recht schnell vom Sammler zum wahren Botaniker werden lassen. Eingebettet in van Swietens Netzwerk kann er seine botanischen Neuheiten bald auch innerhalb internationaler Verbindungen diskutieren. Seine schnelle Veröffentlichung dieser Neuheiten enttäuschen die Erwartungen seiner Zeitgenossen nicht. Somit ist es die Karibikreise und die kurze Zeit der Aufarbeitung der Schätze, die uns Jacquins Weg vom interessierten Reisenden, Pflanzenliebhaber, Sammler, »Botanophilus« zum »verus Botanicus« nachzeichnen lassen. Mit einem Male hat er einen Status als wahrer Botaniker sich erarbeitet und zugesprochen bekommen. Der Blick zurück auf Linien, die Jacquin seit seiner Jugend prägten und wie eine Id8e fixe einer Ouvertüre auftauchen, bestimmt das dritte große Kapitel des Buches. Die ungewöhnliche Paarung von Katholizität und Handelseifer wie auch die enge Verbindung zur Klassischen Philologie scheinen im Elternhaus bereits gegeben zu sein, und Spuren dessen finden wir auch in Jacquins persönlicher Überzeugung noch später in seinem Leben. Sie bündeln eine der unterschiedlichen biographischen Determinanten. Die zweite, die akademische Orientierung, artikuliert sich als Peregrinatio academica. Die Studienwege zwischen Antwerpen, Leiden, Löwen und Paris erfolgen allerdings alsbald unter den Auspizien des finanziellen Notstands seiner plötzlich verarmten Tuchmacherfamilie. Das Entstehen einer »unversiegbaren Leidenschaft« zur Botanik, das Jacquin in seiner Selbstdarstellung stilisiert und in seine Jugend verlegt, wird als retrospektives Evidenzerlebnis und in seiner Produktivität diskutiert. Es bildete sowohl einen wichtigen Referenzpunkt als auch das Selbstbild von Jacquins lebenslang betriebener fachlicher Ausrichtung. So wird der Costus, jene Pflanze, die ihn als jungen Menschen erstmals in ihrer Pracht fesselte, von ihm entsprechend symbolisch auch in seinen späteren Publikationen eingesetzt. Die Fügung, eine außerordentlich einflussreiche Person als Mäzen im klassischen Begriffssinn des Wortes für sich gewinnen zu können, legt eine Spur für Jacquins

Zur Gliederung: eine querschnittbezogene Struktur

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Karriere. Er begreift die ihm sich bietenden Chancen und bestimmt sie für sich produktiv. Im weiteren Analysehorizont unserer Studie wenden wir uns den konkreten Schauplätzen von Jacquins Wirken zu, indem wir den jeweiligen örtlichen Kontext seiner Handlungen in seiner Spezifität auffangen. So ist Jacquins Heimatort Leiden als Universitätsstadt und Verlagszentrum zu berücksichtigen, die Karibik als Besonderheit der kolonialen Konzentration und Sehnsüchte der europäischen Kolonialmächte und Schemnitz als reichste Bergstadt Ungarns auszumachen. Wie Wien in Jacquins Wahrnehmung als einem neu angekommenen Niederländer abschneidet, ist einer eigenen Analyse unterworfen, denn Jacquin trifft hier in seinen Briefen zum Teil individuelle Bewertungen, die sich in Nuancen von der zeitgenössischen Reiseliteratur unterscheiden. Dieselben Orte nehmen wir in einem eigenen Kapitel nochmals ins Blickfeld, jedoch geht es sodann um die dort vorhandenen Räume des Wissens, Residenz – Bergschule – Universität, die wir als Möglichkeitsräume für Jacquins Ausformung als wissenschaftliche Persona diskutieren. Denn die Aufgaben innerhalb der Residenz, der Bergschule und der Universität unterschieden sich deutlich und waren jedenfalls in eigene Kulturen der Wissensherstellung eingebettet. Schließlich analysieren wir in einem nochmaligen Durchgang der Orte deren Wissensräume in Zusammenhang mit Aspekten der Praxis. Wir fragen uns, welche Bedeutung die chemischen Laboratorien in Schemnitz und Wien als Bedingung für Jacquins Formierung zum Experten der Chemie hatten. Eine ganz besondere Wichtigkeit kam dem Botanischen Garten der Universität Wien zu, der für Jacquin eine unverzichtbare epistemische und pädagogische Ressource bildete. Botanik mit Geländebezug ist für das 18. Jahrhundert eine Selbstverständlichkeit, aber wie gestaltete Jacquin seine Exkursionen in die nähere Umgebung Wiens und welchen Interessen waren diese Praktiken geschuldet? Auch das wird separat behandelt. Schließlich kommt noch die Mineraliensammlung als ebenfalls mit seinen Wirkungsorten verknüpfte Entität ins Blickfeld, die zwar nur zu einer wissenschaftlichen Publikation führte, die aber bei Zeitgenossen bekannt war. In der bisherigen Historiographie wurde sie jedoch komplett vergessen. Man wird sich vielleicht fragen, warum es zu einer Verdreifachung der Analyse der Orte bzw. Räume Leiden, Wien, Karibik und Schemnitz kommt. Denn getrennt schauen wir darauf als physisch-kulturelle Möglichkeitsräume, Wissensräume und davon nochmals unterschieden auf die in diesen Einrichtungen üblichen Praktiken. Diese Separierung ermöglicht es uns, die Aktivitäten und Handlungen dichter zu beschreiben, auf Prozesse des Doing Science anstatt lediglich nur auf die Ergebnisse zu achten. In einem größeren Abschnitt widmen wir uns den familiären Gegebenheiten, die wir als Ressource für Jacquins Arbeit verstehen. Entsprechend der derzeit

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aktuellen Ansätze, dass das private vom wissenschaftlichen Leben nicht mehr getrennt zu behandeln ist, widmen wir uns sehr ausführlich den einzelnen Personen seines familiären Umkreises. Da für Jacquin Wien von 1767 bis zu seinem Tode 1817 den wichtigsten Bezugsort darstellt, nehmen wir die Stadt als Lebensraum, die Wohnstätten und die Verwandtschaftsverbindungen näher in den Blick, zumal sich anhand seiner Partnerwahl und auch der seiner Schwester und seiner Kinder hier eine Verdichtung zum Freundschaftskreis ergibt. So rücken auch Jacquins Frau und seine Kinder aus der Hinterbühne in die Vorderbühne. Auch wenn die Belege für Jacquins Gemahlin in den Quellen fast untergehen, gibt es doch Hinweise darauf, dass sie tätig an der Arbeit Jacquins Anteil hatte. Ein besonderes Milieu kommt durch den Salon ins Blickfeld, der uns auch die enge Beziehung der Familie zu Wolfgang Amadeus Mozart nachvollziehen lässt. Jacquins Briefwechsel mit Gelehrten seiner Zeit, der in allen unseren Überlegungen wohl die größte Rolle als Quelle spielt, wird aber auch in einem eigenen Abschnitt analysiert, im Hinblick auf konstruktive wie kompetitive Elemente. Wir ziehen ihn heran, um Jacquins kommunikatives Handeln zu erläutern. Hält man Aussagen Jacquins, in Briefen getätigt, als Folie gegenüber jenen in seinen Werken, so fallen doch strategische Aspekte auf, die ihn als Diplomaten in eigener Sache identifizieren lassen. Besonders auffällig ist das am Beispiel seiner Vorläufer Wilhelm Heinrich Kramer als ersten Autor einer österreichischen Flora, bei Johannes Scopoli und dem vielseitigen Naturforscher Heinrich Crantz. Dabei fragen wir uns, wie Jacquin bestimmte Konstellationen nützte, um sich ins rechte Licht zu rücken, und wem gegenüber er sich als kooperativ erwies und wem gegenüber nicht. Wie Jacquin sich gegenüber scharfen öffentlichen Anfeindungen verhielt, behandeln wir ebenfalls in einem eigenen Kapitel, zumal es hier um eine Kritik geht, welche die Sphäre des gelehrten Elfenbeinturmes verließ. Im Hinblick auf Jacquins Werke zeigen wir anhand seiner Widmungen seine bewussten Entscheidungen, wem er sich öffentlich mit einem Dankeswort verpflichtet zeigt und wem auch nicht. Seine Involvierung in höchste Kreise des Staates wie auch seine Beziehung zu Vertretern der Bürokratie kommen hierbei ebenso ins Visier wie jene zu den auf Augenhöhe befindlichen internationalen Botanikern. Auch die von Jacquin ungebändigt betriebene Dedikation von neu bestimmten Pflanzengattungen nach seinem Kreis an Helfern und Mäzenen gehört zu diesem Punkt. Als Botaniker und Schriftsteller war Jacquin ungemein produktiv, seine Sammelwerke lassen sich als Manifestationen eines Wissensmanagers bezeichnen. Dies gilt auch für seine Prachtbände, welche der Visualisierung von Pflanzen und damit der eindeutigen Identifizierung dienten. Unsere Behauptung, dass infolge der Exklusivität der Drucke und niederen Auflagen eine Form von Monopolisierung zustande kam, soll durch die Rezeption in

Exkurs: Statt einer traditionellen Biographie – Selbstentwürfe im Wandel

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der Öffentlichkeit belegt werden. Auch gehen wir der wichtigen Frage nach, wie Jacquin seine Abbildungen epistemisch konzipierte. Jacquin blieb zeitlebens ein Linneaner. Was am Anfang seines Wirkens innovativ und zukunftsträchtig erschien, erwies sich am Ende seines langen Lebens als Epigonentum. Die zahlreichen ihm gewidmeten Gedichte bringen dies zum Ausdruck.

I. 4. Exkurs: Statt einer traditionellen Biographie – Selbstentwürfe im Wandel Bisher bestimmte die historische Forschung zur Biographie und Autobiographie im Allgemeinen Fragen nach dem Selbstbewusstsein, der Konstitution des Selbst und die »Entdeckung des modernen Individuums.«82 Als Konstrukt lebte und lebt es aber von normativen Personenvorgaben und Individualitätsentwürfen, die unter anderem eine quasi feststehende Grenze zwischen dem Innen und dem Außen einer Person ziehen. Andere Dimensionen wie jene der Praktiken werden dabei außer Acht gelassen. Aus solchen Sackgassen führen nun neue methodische Zugriffe heraus, die autobiographische Texte als »kommunikatives Handeln«83 verstehen. Ego-Texte enthalten demnach nicht einfach nur Hinweise auf den Lebensgang, die Gefühle und die Vorstellungen der Menschen, die in diesen Darstellungen nur indirekt repräsentiert sind und, akribisch herausgelöst, sorgsam seziert werden müssen, sondern in diesen Texten äußern sich schreibende Akteure, die sich mittels ihrer Aktivität in sozialen und kommunikativen Beziehungen mittelbar positionieren. So banal es klingen mag, so muss dennoch der Perspektivenwechsel betont werden: Die biographische Vergangenheit ist nicht getrennt von jener Gegenwart, in der die Texte entstehen. Von hier aus, nämlich dem Jetzt des sich äußernden Schreibers sollten – wir folgen hier Jancke – Autobiographien gelesen werden. Entsprechend ist in unserem Zusammenhang zu diskutieren, welche Bilder Jacquin von sich vermittelte. Wenn er erst mehr als 82 Vgl. Richard van Dülmen, Die Entdeckung des Individuums, 1500–1800 (= Europäische Geschichte, Frankfurt a. M. 1997). 83 Vgl. dazu besonders: Gabriele Jancke, Autobiographie als soziale Praxis. Beziehungskonzepte in Selbstzeugnissen des 15. und 16. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum (Selbstzeugnisse der Neuzeit Bd. 10) (Köln / Weimar / Wien 2000). In diesem Werk findet sich die umfangreiche Forschungsliteratur, die zu diesen Fragen bis zum Jahre 2002 erschien und auf die hier im Detail nicht eingegangen werden soll. Besonders wichtig: Kaspar Greyerz, Hans Medick, Hans und Patricia Veit (Hg.), Von der dargestellten Person zum erinnerten Ich (Europäische Selbstzeugnisse als historische Quelle (1500–1800). (Selbstzeugnisse der Neuzeit Bd. 9) (Köln / Weimar / Wien 2001).

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ein halbes Jahrhundert nach dem Ereignis die Geschichte seiner Familie und seiner Reise aufschreiben lässt, was wir schon erwähnten, dann ist auch diese zeitliche Distanz zu berücksichtigen. Autobiographische Aspekte finden sich auch in den Vorworten der botanischen Fachwerke Jacquins. Sie sind ausführliche Dokumente der Selbstdarstellung, die bisher aus dieser Perspektive heraus kaum beachtet wurden. Vorworte sind ambivalente Erscheinungen. Einerseits sind sie in sich abgeschlossen, andererseits leben sie eigentlich nur vom Bezug zum nachfolgenden Inhalt. Für Rezensenten bildeten sie eine wichtige Information. Die Abhandlung kann ohne das Vorwort gelesen und verstanden werden, kaum jemand aber, außer er versteigt sich in eine Analyse wie wir, wird sie unabhängig vom Werk bzw. Vorworte für sich stehend analysieren. Für die Grundkonstellation jedes autobiographischen Schreibens einer Vergangenheit als Gegenwart bieten sich Vorworte in wissenschaftlichen Publikationen als besonders prädestinierte Quellentypen an, weil der Bezug vom Jetzt des sich mitteilenden Autors zu seiner Vergangenheit in doppelter kommunikativer Konsequenz die Rezeption der Publikation dimensioniert. Der Autor kommuniziert via Vorwort mit seinem Werk, via Autobiographie mit seiner Vergangenheit als Gegenwart. Mit beiden richtet er sich auf seine Zeitgenossen und die Zukunft ein. In der Vermittlung zwischen dem Vorspann und dem Werk produziert sich der Schreiber dem Leser mit seinen autobiographischen Andeutungen einerseits als konkret greifbar handelnde Person, und andererseits verweisen Selbstbezüge als Selbstvergewisserung auf eine vom Autor vorgesehene Positionierung seiner inhaltlichen Ausführungen. Er stellt somit beglaubigende aktuelle Begründungen her. Artikulierte Selbstentwürfe führen uns zur Biographie. Beginnen wir zunächst mit einer simplen Frage: Wofür kann die Biographie in der Wissenschaftsgeschichte überhaupt fruchtbar gemacht werden? Wegen der zunehmend spezifischer werdenden Fachinhalte wurde sie allenfalls als Brücke zwischen den Disziplinen und als Vermittlerin schwieriger Fachgeschichten geschätzt.84 Auch diente sie der Orientierung von Fachstudenten im Bezug zum eigenen Fach. Biographien haben noch immer Vorbildwirkung. Diese Sinngebung ist eine überaus traditionsträchtige, deren moralische Seite im Vordergrund steht, die schon in Plutarchs »Exempla«85 festgeschrieben worden war, weshalb wir sie als »living fossil«86 bezeichnen dürfen. Rein pragmatisch gesehen, ermöglicht die Biographie arbeitstechnisch die Einschränkung eines disziplinär weiten Feldes, 84 Siehe Helge Kragh, An Introduction to the Historiography of Science (Cambridge 1987). 85 Thomas Söderqvist, Wissenschaftsgeschichte / la Plutarch. In: Hans Erich Bödeker (Hg.), Biographie schreiben (2003), 285–325. 86 Der Begriff wurde geprägt von: Marianne Klemun, ›Living fossil‹– ›fossilized life‹? Reflections on biography in the history of science. In: Earth Sciences History. Journal of the History of the Earth Sciences Society, Vol. 32, Nr. 1 (2013), 121–131.

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wie sie gerade im Falle der so beliebten Case-Studies üblich ist. Das sind jene Vorteile, über die offensichtlich lange in der Wissenschaftsgemeinschaft Konsens herrschte und die auch uns motivierte. Aber worin bestehen neue Möglichkeiten? Um es gleich vorwegzunehmen, biographische Wahrheit kann nicht als essentielle Größe, sondern soll als relationales Konstrukt verstanden werden, das in einer Biographie zwischen dem Autor, dem Subjekt und dem Leser sowie durch die verfügbare Quelle hergestellt wird und deshalb variabel ist.87 Und es besteht auch die Relation zwischen Selbstbild, Idealbild und dokumentiertem Fremdbild des biographierten Protagonisten. Das Selbstbild ist eben von zeitgenössischen gesellschaftlichen Konventionen abhängig,88 das in Verbindung zu dem steht, was die Wissenschaftgeschichte als wissenschaftliche Persona begreift. Darüber hinaus ist die Relation des Biographen und Lesers zu idealtypischen Vorstellungen seiner selbst sowie zu seinem Selbstbild und Fremdbild zu beachten. Diese komplexen Beziehungen zu reflektieren, als »interactive subjectivity«89 zu verstehen, ist in der Theorie zur Biographie in den letzten Jahrzehnten in unterschiedlichsten Zusammenhängen bereits gefordert worden. Und darin sehen wir auch die Zukunft der Biographieschreibung. Um hier den Begriff des »living fossils« nochmals aufzugreifen: Fossilien sind attraktive Überreste und oft wurde das Leben von Wissenschaftlern gleichsam wie ein Leitfossil für eine Epoche als repräsentativ gesehen. Dass die Biographie ein Fenster zur Geschichte darstellen könne, ist spätestens in der Geschichtswissenschaft der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts durch das Aufkommen der Sozialgeschichte und Strukturgeschichte, die das Kollektiv anstelle des Individuums setzte, in Frage gestellt worden. Noch immer aber bezieht die Biographie ihre Attraktivität in der Wissenschaftsgeschichte aus der Tatsache, dass sie zum öffentlichen oder allgemeinen Verständnis der Wissenschaften besonders beiträgt. Als populäre Form hat sie eine außerordentliche Bedeutung. Umso mehr erfordert sie ein reflektiertes Vorgehen. Der populären Gestalt inhärent ist die Struktur des Entwicklungsromans, der auf Kohärenz des sich als teleologisch ausformenden Lebenslaufes basiert. Bereits der Doyen der Historik Johann Gustav Droysen hatte die Neigung der Biographie zur »Totalität« und die Erzeugung »eines in sich Vollkommenen«90 kritisch vermerkt. Unsere Darstellung 87 David Cassidy, Uncertainty : The Life and Science of Werner Heisenberg (New York 2006). 88 Siehe dazu Nicolaas A. Rupke, Alexander von Humboldt: A Metabiography. Überarb. Aufl. (Chicago / London 2008). 89 Mary Jo Nye, Scientific biography : history of science by another means? In: Isis 97 (2006), 322–329, hier 326. 90 Johann Gustav Droysen, Historik: Vorlesungen über die Enzyklopädie und Methodologie der Geschichte, hg. von Rudolf Hübner (Darmstadt [1863] 19604), 284. Pierre Bourdieu schließlich belegte den Grundsatz einer lebensgeschichtlichen Kontinuität und der Kohärenz

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wird sich einem Nacheinander von Tatsachen bewusst widersetzen, jener Ordnung, die Robert Musil als »Faden des Lebens«91 und seiner vermeintlichen psychologischen Funktion so unmissverständlich entlarvte. Fruchtbar für unsere Überlegungen ist Assmanns Unterscheidung eines toten Speicherarchives und eines funktional von lebendiger Erinnerung getragenen Gedächtnisses. In das tote Archiv werden laufend neue Informationen eingespeist. Diese müssen nicht immer gleich gehoben werden, weil sie nicht zugänglich sind. Lebendige Bilder hingegen entstehen besonders in Institutionen, die ihre Geschichte in Erinnerungen personalisieren und etwa anlässlich von Jubiläen biographisch Zugänge zelebrieren, die eine Osmose zwischen beiden Erinnerungsformen ermöglichen, in denen sich eine Brücke zwischen totem Wissen und erinnertem Wissen ergeben kann, aber nicht muss. Insofern kommt den Jubiläen eine besondere Rolle zu, weil in ihnen unterschiedliche Bilder entworfen werden, die gegenseitig auch in Konkurrenz treten, wobei die unterschiedlich möglichen Deutungen den Diskussionsprozess um die Frage schärfen, wie die Erkenntnis um eine Person sich ausformte und etablierte. Insofern sollte jede Biographie die Geschichte der vorangegangenen Biographien als Reflexion integrieren, was wir uns auch zur Aufgabe stellen.92 Dennoch läuft unser Zugang auf keine Metabiographie und ihre unterschiedlichen, aus den jeweiligen politischen Zusammenhängen generierten Bilder hinaus, wie sie

einer Persönlichkeit mit dem schillernden und vielzitierten Begriff der »biographischen Illusion«. Pierre Bourdieu, L’illusion biographique. Actes de la recherch8 en sciences sociales 62/63 (1986), 69–72. 91 Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften (Reinbek bei Hamburg 1952), 650: »Als einer jener scheinbar abseitigen und abstrakten Gedanken, die in seinem Leben oft so unmittelbare Bedeutung gewannen, fiel ihm ein, daß das Gesetz dieses Lebens, nach dem man sich, überlastet und von Einfalt träumend, sehnt, kein anderes sei als das der erzählerischen Ordnung! Jener einfachen Ordnung, die darin besteht, daß man sagen kann: ›Als das geschehen war, hat sich jenes ereignet!‹ Es ist die einfache Reihenfolge, die Abbildung der überwältigenden Mannigfaltigkeit des Lebens in einer eindimensionalen, wie ein Mathematiker sagen würde, was uns beruhigt; die Aufreihung alles dessen, was in Raum und Zeit geschehen ist, auf einen Faden, eben jenen berühmten ›Faden der Erzählung‹, aus dem nun also auch der Lebensfaden besteht. Wohl dem, der sagen kann ›als‹, ›ehe‹ und ›nachdem‹! Es mag ihm Schlechtes widerfahren sein, oder er mag sich in Schmerzen gewunden haben: sobald er imstande ist, die Ereignisse in der Reihenfolge ihres zeitlichen Ablaufes wiederzugeben, wird ihm so wohl, als schiene ihm die Sonne auf den Magen. […] Die meisten Menschen lieben nicht nur die Lyrik oder nur für jene Augenblicke, und wenn in den Faden des Lebens auch ein wenig ›weil‹ und ›damit‹ hineingeknüpft wird, so verabscheuen sie doch alle Besinnung, die darüber hinausgreift: sie lieben das ordentliche Nacheinander von Tatsachen, weil es einer Notwendigkeit gleichsieht, und fühlen sich durch den Eindruck, daß ihr Leben einen ›Lauf‹ habe, irgendwie im Chaos geborgen.« 92 Aleida Assmann, Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses (München 1999); Bernadette Bensaude-Vincent, Between history and memory : centennial and bicentennial images of Lavoisier. In: Isis 87 (1996), 481–499.

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Rupke so anregend bezüglich Alexander von Humboldt vorgelegt hat,93 da die bisherigen biographischen Darstellungen Jacquins sich mehr oder weniger gleichen. Biographie ist so Prozess und nicht abgeschlossenes Bild. Sie entsteht als prozesshaftes Nebeneinander von Deutungen, das auf der Diskussion von Dokumenten basiert.94 Briefaussagen sind zu bewerten in dem Zusammenhang, an welchen Adressaten sie gerichtet sind. Die Geschichtswissenschaft hat sich für die Frage der Individualisierung und des possessiven Selbst seit Jahren verstärkt interessiert. Das Schlagwort in diesem Zusammenhang ist Identität. Wir können methodisch heute davon ausgehen, dass das Selbst, die Identität, selbst eine historische Größe darstellt, deren Komponenten sich im Wandel verändern. Die zentrale Frage, die sich für die Wissenschaftsgeschichte auftut, ist, worum es eigentlich geht, um die Wissenschaft oder den Wissenschaftler? Warum konzentrieren wir uns auf das Leben? Das aus dem Historismus stammende Diktum, dass sich das Leben im Werk niederschlägt, ist die Wissenschaftsgeschichte trotz einer gewissen Skepsis gegenüber der Biographie erst im Zuge der Betonung des Individuums im letzten Jahrhundert losgeworden.95 Seit Biagiolis Arbeit über Galileo Galilei ist der Begriff Selbstformung relevant geworden. Um welches Tun es auch immer geht, welche Gruppe, welches System für dessen Anerkennung und Reputation sorgt und der Person ihren Status gibt, das ist von Zeit zu Zeit und Raum zu Raum verschieden und eigens zu analysieren. Biagioli interessierte sich für den Selbstformierungsprozess und betonte, »daß die Patronage den Schlüssel für ein Verständnis der Identitätsbildung und des Statuserwerbs bildet, die ihrerseits den Schlüssel für ein Vertändnis der kognitiven Einstellungen wie auch der Karrierestrategien der Wissenschaftler darstellen.«96 Die Ausweitung der Wissenschaftsgeschichte zu einer Kulturgeschichte des Wissens kann auch über die Biographie, die hier den Ausgangspunkt darstellt, erfolgen. Jede Zeit bildet eigene Rollen und Typen aus, deren Existenz einem 93 Nicolaas Rupke, Alexander von Humboldt (2008). 94 Die neue Aufwertung von Ego-Dokumenten in den Kulturwissenschaften sowie besonders in der Germanistik bringt der Biographie derzeit einen neuen Aufschwung, weil die Frage der Form der Dokumente nun einen hohen Standard der Behandlung erfährt. Eine Biographie ist immer abhängig von dem Material, das von dem Leben übrig geblieben ist. Besonders dazu auch Wege der Darstellung wie bei: David E. Nye, The Invented Self: An Anti-Biography, from Documents of Thomas A. Edison (Odense 1983); Caitrona N& Dhfflill, Widerstand gegen die Biographie: Sigrid Weigels Ingeborg-Bachmann-Studie. In: Wilhelm Hemecker (Hg.), Die Biographie – Beiträge zu ihrer Geschichte (Berlin / New York 2009), 43–68. 95 Margit Szöllösi-Janze, Lebens-Geschichte – Wissenschafts-Geschichte. Vom Nutzen der Biographie für die Geschichtswissenschaft und Wissenschaftsgeschichte. In: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 23 (2000), 17–35. 96 Mario Biagioli, Galilei, der Höfling. Entdeckungen und Etikette: Vom Aufstieg der neuen Wissenschaft (Frankfurt am Main 1999), 26.

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Wandel unterzogen ist. Diese Typen, wie der Erfinder, der Entdecker oder der Begründer, dürfen nicht als Voraussetzung, sondern müssen als Handlungsraum oder Aushandlungsraum gesehen werden. Um hier Joan Scott zu folgen, »it is not subjects who have experience, but subjects who are constituted through experience. Experience in definition then becomes not the origin of our explanation, but rather that which we seek to explain, that about which the knowledge is produced.«97 So hat Scott darauf verwiesen: »Individuals do have agency. They are not unified autonomous individuals exercising free will, but rather subjects whose agency is created through situations and statuses conferred on them.«98 Daraus folgt ein systematischer Prozess der Selbstformung, die in Relation zu anderen und besonders zu sozial-gesellschaftlichen Repräsentationen verläuft. Deshalb studieren wir mehrere Identitäten, die des Ehemanns, des Wissenschaftlers, des Vaters, des Reisenden, des Professors, des Unternehmers, Künstlers, etc. und fragen, warum welche Identität im gesellschaftlichen wie im persönlichen Rahmen überhaupt dominant sein kann. Wichtig ist dabei, dass es sich um einen gesellschaftlichen Aushandlungsraum handelt, der von den Individuen genutzt, bestimmt und verändert werden kann. Dies zu verfolgen, gilt es, sowohl die Eigenbilder der behandelten Person, ihre öffentlichen Darstellungen, ihre Rahmenbedingungen wie auch Utopien in Relation zu ihren Handlungen zu analysieren. Je stärker Objektivität alle Bereiche des dargestellten Wissens bestimmt und durchdringt, umso mehr ist die Person, das Individuum in den Ergebnissen aufgehoben. Dass Forschung aber nur der Faszination, einer gewissen Passion und einem Kampf sich verdankt, also Kriterien, die den Individuen und Menschen, ihrer Gefühls- und Charakterwelt zuzuschreiben sind, soll nicht auf der Strecke bleiben. So hatte schon Polanyi darauf verwiesen, dass das wissenschaftliche Leben sich nicht nur auf Rationalität, sondern auch auf Passion gründet.99 Welche Normen dabei zum Tragen kommen und welche Bedeutung hier das alltägliche Leben in Bezug zum wissenschaftlichen einnimmt, ob es separiert oder verflochten geäußert, verstanden und gelebt wird, steht auch in einem Bezug zu idealtypischen Entwürfen einer Zeit. Wiewohl seit dem 18. Jahrhundert der Genius als Vorbild gilt, wird immer mehr auch stete Arbeit, Fleiß und Obsession zu einer die Wissenschaftler dominant bestimmenden Kategorie genutzt, der die Familie untergeordnet bzw. als unterstützend vorausgesetzt wird. 97 Joan W. Scott, The evidence of experience. In: Critical Inquiry 17 (1991), 773–797, hier 779– 780. 98 Scott, The evidence (1991), 793. 99 Michael Polanyi, Towards a Post-Critical Philosophy (London 1958).

Exkurs: Statt einer traditionellen Biographie – Selbstentwürfe im Wandel

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Bereichernd für die Wissenschaftsgeschichte ist die Frage, wie Wissenschaftler, Forscher und Gelehrte in der Öffentlichkeit geehrt werden. Denn der Bezug auf Mythen ist hartnäckig und soll in der Wissenschaftsgeschichte nicht nur ignoriert werden, sondern allenfalls sind die Funktionen solcher Mythen zu hinterfragen und mit der hermeneutischen Methode der Analyse aufzuschlüsseln. Nur auf dem Wege einer Offenlegung von mehreren möglichen Interpretationswegen hat das Genre Biographie als »living fossil« die Chance, den Status eines »fossilized life«100 zu überwinden und sein Potential auszuschöpfen, weshalb auch wir uns Jacquin in unterschiedlichen Annäherungen widmen werden.

100 Siehe Marianne Klemun, ›Living fossil‹– ›fossilized life‹? (2013), 121–131.

Abb. 5: Karte der Karibik (Samuel Dunn, A compleat Map of the West Indies. London 1774)

II.

Start-up: die Westindien-Expedition (1754–1759)

II. 1. Überseereise als Karrierebedingung Als unbeschriebenes Blatt betritt Nikolaus Joseph Jacquin mit einem Mal Anfang der 60er Jahre des 18. Jahrhunderts die Bühne der gelehrten Öffentlichkeit. Mit dieser entscheidenden Phase seines Werdegangs wollen wir unsere biographische und wissenschaftshistorische Darstellung beginnen. Die Westindien-Expedition wird hier als Erfahrungsraum analysiert und ihre Rolle als Bewährungsprobe für Jacquins Karriereentstehung mikrohistorisch kontextualisiert. Von den Zuckerinseln (Abb. 5, siehe vorige Seite) nach fast fünf Jahren glücklich auf der Donau in Wien gelandet, hat sich der 32-jährige Weltreisende Nikolaus Joseph Jacquin Seidenstrümpfe, Schuhe, Hosen, Handschuhe, Perücke und Hut besorgt,101 um adrett ausstaffiert am Wiener Hof die Erledigung seines Auftrages zu melden, noch bevor er in Schönbrunn am 23. Juli 1759 seine letzte von vielen Sendungen an Pflanzen und Tieren persönlich versorgt. Für diesen besonderen Passagier läuft das Schiff nun einen letzten Hafen an, der für ihn von nun an zu einem sicheren werden soll. Das Wohlwollen des Kaisers und seines Mäzens Gerard van Swieten ist ihm weiterhin gegeben. Wiewohl ihm die Reise zum Erlebnis geworden ist, entsteht unmittelbar keine Erzählung darüber. Allerdings harrt das gesammelte Material seiner wissenschaftlichen Aufarbeitung, mit der Jacquin sich sogleich ein Jahr später fachlich an die internationale botanische Kollegenschaft wenden wird. Jacquin konzentriert sich nicht auf die mediale Verbreitung seiner Abenteuer, sondern auf die Beschreibung102 der unterwegs aufgefundenen Pflanzen. Die Expedition bedeutet eine Zäsur, von der Jacquins blendende Karriere nun tatsächlich ihren Ausgang nimmt. Denn Jacquin hat sich fast schlagartig in

101 HHStA, Hausarchiv, Poschakten, JS, Karton 2, 2–16, fol. 135. 102 Nikolaus Joseph Jacquin, Enumeratio systematica plantarum, quas in Insulis Caribaeis vicinaque Americes continente detexit novas, aut jam cognitas emendavit (Leiden 1760).

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Start-up: die Westindien-Expedition (1754–1759)

dieser kurzen Phase etabliert: Er wandelte sich vom botanischen Liebhaber103 nun durch seine Reise sowie durch das in Westindien gesammelte Pflanzenmaterial zum Sammler. Die darauf bezugnehmenden Veröffentlichungen lassen ihn zum seriösen »wahren«104 Botaniker werden. Die der Reise nachfolgende Publikationstätigkeit trägt aktiv zu Jacquins Bekanntheit bei,105 auch beruft er sich selbst in Vorworten zu späteren Werken immer wieder darauf.106 Selbst in einer zeitgenössischen Darstellung der Universität wird die Expedition in Zusammenhang mit Jacquins Professur genannt.107 Hochbetagt wird er gegen Ende seines Lebens in seinem dem Sohn diktierten Rückblick auf seine Entwicklung der Reise einen wichtigen Platz einräumen. Damit erhärtet sich dieser Konnex zwischen Expedition und Karrierebeginn schon zu seinen Lebzeiten und geht auch in die Handbuchliteratur ein: »Der denkwürdige Altvater aller lebenden108 Botaniker, Nicolaus Joseph von Jacquin, legte den Grund zu seinem Ruhm durch seinen Aufenthalt in Westindien von den Jahren 1754–1759. Ihn hat selten ein Reisender an Reichthum der gemachten Entdeckungen oder an Genauigkeit der Beobachtung übertroffen.«109

In ähnlicher Weise greift Kurt Sprengel diese Erklärung in seiner kurz nach dem Tod Jacquins erschienenen Geschichte der scientia amabilis ebenfalls auf. Die 103 Carl von Linn8 nannte diesen Typus »Botanophilus«. 104 Diesen Begriff prägt Linn8 und gibt eine genaue Vorstellung darüber in der »Philosophia botanica« (Stockholm 1751). Siehe dazu auch die englische Übersetzung von Stephen Freer, Linnaeus’ Philosophia botanica (Oxford 2003), bes. 333. Siehe mehr dazu Kap. II. 9. 105 Jacquin, Enumeratio, (1760); Nikolaus Joseph Jacquin, Selectarum Stirpium Americanarum Historia, in qua ad Linnaeanum Systema determinatae descriptaeque sistuntur plantae illae, quas in Insulis Martinaca, Jamaica, Domingo, Aliisque, et in vicinae continentis parte, observavit rariores; adjectis iconibus in solo natalis delineates (Wien 1763). 106 So z. B.: Nikolaus Joseph Jacquin, Plantarum rariorum Horti Caesarei Schoenbrunnensis, Vol. 1 (1797), Praefatio. 107 »…vestigium fuerat, procurato ad Chemica opera instrumentorum apparatu, instructoque Plantarum horto, quem Typus, oppellae huic insertus, repraesentat, qualem, Eo promovente, Nikolaus Jacquinius, Lugduno Batavus, cujus nomen insignis sua in Chemicis Botanicisque rebus doctrina, & susceptae ad Naturalis scientiae incrementum, jussu Fransici I. Augusti, Americanae peregrinationes nobilitarunt, non sine ingenti studio ac labore efformavit.«: »… eine Spur gewesen war, nachdem für einen Apparat gesorgt worden war für die chemischen Werke, nachdem ein botanischer Garten eingerichtet worden war, den der Typus, der dieser kleinen Arbeit eingefügt ist, repräsentiert, während er darin Fortschritte machte, Nikolaus Jacquinius, aus Leiden, dessen ausgezeichneter Name aufgrund seiner Lehre in Dingen der Chemie und der Botanik und die zum Wachstum der Naturwissenschaft auf Befehl Kaisers Franz I. unternommenen Reisen nach Amerika ihn bekannt machten, nicht ohne gewaltigen Eifer und Anstrengung schuf.« Anton Freiherr von Störck, Instituta Facultatis Medicae Vindobonensis (Wien 1775), Praefatio XV. Eig. Übersetzung. 108 Jacquin war zwar 1817 gestorben, aber vermutlich war Sprengels Geschichte bereits in Druck, sodass seine Aussage nicht aktualisiert werden konnte. 109 Kurt Sprengel, Geschichte der Botanik, 2. Teil (Altenburg / Leipzig 1818), 336.

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»Früchte dieses Aufenthaltes in Westindien«110 brachten Jacquin internationale Reputation ein. Das wissenschaftliche Reisegebaren zählt seit dem 16. Jahrhundert in dem Maße zu einem ebenso expansiven Faktor, wie Botanik, Kunst, Naturgeschichte, Geographie und Astronomie intensiviert werden. Was bisher nur als Begleiterscheinung von Handel oder Diplomatie fungiert hat, entwickelt sich im Laufe des 18. Jahrhunderts zur Eigenständigkeit. Diesem Prozess entspringt der neue Typus des Forschungsreisenden, was im Rahmen einer Expedition als eigener Organisationsform Kontur annimmt. Erst da entsteht sein eigenständiges Profil, das von Akademien oder Höfen bestimmt wird. Der Spezialist löst den Generalisten ab. Kennzeichnend sind für den Wandel institutionelle Rahmenbedingungen, eine planvolle Vorbereitung und eine Arbeitsteilung unterwegs. Eine solche zum ausschließlichen Zwecke der Naturbeschreibung ausgerichtete Reise nach Übersee bildet bald auch eine wichtige Voraussetzung, ja fast eine Bedingung für einen späteren akademischen Aufstieg solcher Glücksritter. In dieser Erwartung lassen sich junge an Naturforschung Interessierte auf ein solches durchaus auch das Leben gefährdende Abenteuer ein. Nur wenige Jahre vor Jacquins Expedition sucht der das Feld der Botanik prägende Carl von Linn8 (siehe Abb. 46) für seine Studenten erstmals nach Reisemöglichkeiten, damit sie als Pflanzensammler in den entferntesten Regionen der Welt tätig werden können. Handelskompanien und die von den westeuropäischen Mächten ausgerüsteten Expeditionen bieten den angehenden Botanikern die einmalige Chance, die von westlichen Kennern noch nie gesehenen Pflanzen zu bestimmen. Insgesamt sind es siebzehn Studenten, die von Linn8 selbst als seine Apostel111 bezeichnet und von ihm in der Zeit ab 1748 in unterschiedliche Winkel der Welt geschickt werden. Alleine im ersten Jahrzehnt dieser Phase sind es bereits acht Personen, von denen die Hälfte ihre Reise nicht überleben. Von den wenigen, die gesund zurückkehren, finden die meisten im akademischen Zusammenhang ein Betätigungsfeld. Für Carl Linn8 ist der Zweck einer solchen Aktion nicht nur Belehrung, sondern der Forschung geschuldet.112 Reisen nach Übersee dienen der Beschaffung von Pflanzen und noch mehr stellen sie ein zentrales Erkenntnisinstrument der Botanik dar. Auf diesen Reisen zusammengetragene Belege – in Form von Herbarien und Zeichnungen, Repräsentanten und Repräsentationen – zirkulieren zwischen den botanischen 110 Sprengel, Geschichte (1818), 336. 111 Siehe dazu: Wilfrid Blunt, The Compleat Naturalist. A Life of Linnaeus (Princeton 2002), 185–197; Frans Stafleu, Linnaeus and the Linnaeans. The Spreading of their Ideas in Systematic Botany, 1735–1789 (Utrecht 1972). 112 Niedergelegt sind diese Vorstellungen vor allem in Linn8s Philosophia botanica. Siehe dazu: Carl von Linn8, Philosophia botanica in qua explicantur Fundamenta Botanica (Stockholm 1751). Siehe dazu auch die englische Übersetzung von Stephen Freer, Linnaeus’ (2003).

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Gärten und den Botanikern und bilden das wichtigste Glied aller materiellen und epistemischen Austauschbeziehungen bezüglich des sich zunehmend erweiternden botanischen Wissens.113 Die Verschickung von ausgebildeten Kennern der Botanik ist eine neue europäische, besonders durch Linn8 verfolgte Maßnahme, und insofern ist es nicht verwunderlich, dass der Reformer van Swieten kurz nach dem Beginn der Expedition seinem ehemaligen Leidener Mitstreiter und nun in Uppsala wirkenden Carl von Linn8114 stolz zu berichten weiß, dass auch der Kaiser in Wien unter seinem Einfluss in eine ähnliche Richtung wirkt. Er erwähnt Nikolaus Joseph Jacquin als denjenigen, der letztendlich den vielversprechenden höfischen Auftrag erhalten hat, die Expedition mit drei nicht weiter expressis verbis genannten Begleitern durchzuführen. Auch zeigt sich van Swieten besonders begeistert, dass Kaiser Franz I. (Franz Stephan von Lothringen) tief in die Tasche zu greifen bereit ist, um die Kaiserstadt Wien zu einem wissenschaftlichen Zentrum auszubauen, in dem die höfischen Sammlungen als wichtigste Wissensräume der Zeit115 begründet worden sind und ferner auch durch Sammelreisen bereichert werden sollten. Linn8 prägt sich den Namen Jacquin wohl ein, ist doch von ihm wegen der Reisedestination viel Neues an naturkundlichen Informationen und besonders an Erweiterung der Pflanzenkenntnis zu erwarten. Auch seinen Freund, den Rotterdamer Arzt Johannes Franciscus van Leempoel,116 informiert van Swieten über die Errichtung des Botanischen Gartens, das unübertroffene neue Naturalienkabinett, über die Fortschritte in der medizinischen Lehre wie auch über die erfreuliche Entwicklung der Wiener Akademie [Universität], die bald mit jeder anderen in Europa wetteifern werde können. Auch in diesem Schreiben vom 23. Juli 1755 werden Jacquin und seine Amerikareise erwähnt, von der man sich wunderbare Resultate erhofft.117 Eine Übersee-Expedition gehört keineswegs zum Alltag der Botaniker, denn nur wenigen bietet sich tatsächlich die Gelegenheit, ein solches Angebot anzunehmen. So stößt bereits die Planung auf ein Echo in gelehrten Kreisen und wird in den Briefnetzen verbreitet. Schon zu Beginn der Expedition erfahren unter113 Staffan Müller-Wille, Botanik und weltweiter Handel. Die Begründung eines Natürlichen Systems der Pflanzen durch Carl von Linn8 (1707–1778) (Berlin 1999), 170. 114 Vgl. Van Swieten an Linn8, Wien, 12. März 1755 (L 1887), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. (Leider ist das dortige Summary des lateinischen Briefes teilweise falsch). 115 Zum Konzept der Wissensräume anstatt einer traditionellen Institutionengeschichte, siehe Mitchel Ash, Räume des Wissens – was und wo sind sie? Einleitung in das Thema. Quellen eines neuen Ansatzes. In: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 23 (2000), 235–242. 116 Johannes Franciscus van Leempoel (Gouda 1696 – Rotterdam 1777). 117 Vgl. Emmy C. van Leersum, A Couple of Letters of Gerard van Swieten on the ›Liquor Swietenii‹, and on the Inoculation of Smallpox. In: Janus 15 (Harlem 1910), 345–371, hier 356.

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schiedliche Gelehrte von dem aussichtsreichen Wiener Unternehmen und erwarten von Jacquin glanzvolle Neuigkeiten, während sich dieser hingegen noch ein halbes Jahr vor seiner Abreise sehr erstaunt zeigt, dass bereits vor der endgültigen Entscheidung die Nachricht über die geplante Amerikareise seinem Leidener Freunde schon kolportiert worden ist: »Ich wundere mich, dass du über diese Angelegenheit schon informiert warst und dass das mein Mäzen [van Swieten] nach Leiden geschrieben hat, da ja die Sache noch immer nicht entschieden ist und ich noch ganz und gar nicht fest entschlossen bin. Dazu kommt noch: Wie ja die Fürsten wankelmütig sind, wer weiß, ob der Kaiser auf seiner Meinung besteht.«118

Expeditionsvorhaben dieser Größenordnung werden innerhalb der Scientific Community lebhaft kommuniziert. Von den Zeitgenossen Jacquins werden sie als einmalige Aussicht für eine ihr folgende blendende wissenschaftliche Karriere eingeschätzt. Belsazar de la Motte Hacquet meint diesbezüglich: »Ein Nic. Jacquin, Pallas, Vahl und Jussieu waren all zu [!] vorsichtig mit dem ewigen Bessermachen. Aber wann haben die wahren Naturforscher angefangen, sich als Pflanzenkenner zu zeigen? Nicht eher, als bis sie durch viele gemachte Reisen vieles gesehen und beobachtet hatten und erst mit der Natur der Sache vertraut geworden waren.«119 Die Überzeugung ist verbreitet, dass eine Exkursion – und besonders eine in entlegenere Erdteile gerichtete Unternehmung – mit Statusgewinn innerhalb einer Scientific Community honoriert wird. Freilich ist ausschlaggebend, dass die in der Ferne gesammelten Schätze sowohl einer seriösen Dokumentation als auch der Veröffentlichung zugeführt werden, was Nikolaus Jacquin, 1759 nach Wien zurückgekehrt, dann auch bereits 1760 erfolgreich bewältigen wird.120 Aber darüber später mehr. »Ein Büschel gesammelter Pflanzen in der Hand«, heißt es in einem Nachruf auf Jacquin, »hat er als ein unbekannter Jüngling Österreich betreten und hier alle Mittel zu seiner weiteren Ausbildung, hier Aufmunterung und Unterstützung, Belohnung und Auszeichnung gefunden.«121 Diese Erklärung legt Jacquin selbst in seinen Vorworten wiederholt dar und sie bestimmt auch entscheidend 118 Jacquin an Gronovius, 24. Brief, 6. April 1754, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 32r/v. Eigene Übersetzung. 119 [Belsazar de la Motte Hacquet], Blicke über das Menschliche Wissen in der Naturkunde (Wien 1813), 24. 120 Ein Jahr nach der Rückkehr erschien bereits die erste Publikation basierend auf dem in Westindien gesammelten Material. Vgl. Nikolaus Joseph Jacquin, Enumeratio (Leiden 1760). 121 [Anonymus], Botanische Notizen. In: Flora oder Botanische Zeitung welche Recensionen, Abhandlungen, Neuigkeiten und Nachrichten, die Botanik betreffend enthält, hg. von der königl. botan. Gesellschaft in Regensburg, 1. Jg. (1818), 588. In derselben Zeitschrift ist auch ein Nachruf auf Jacquin erschienen: [Anonymus], Nekrolog Nicolaus Joseph von Jacquin. In: Flora oder Botanische Zeitung, 1. Jg. (1818), 22–29.

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sein erstarkendes Selbstbild. Die erste Bedingung für einen allfälligen Karriereschritt beruht auf der Westindienexpedition. Deren politische Voraussetzungen wollen wir im nächsten Kapitel analysieren.

II. 2. »Le gout pour les sciences« – die kaiserliche Ermöglichung der Unternehmung Franz Stephan von Lothringens (1708–1765)122 außerordentliche Förderung aufstrebender Bereiche der Naturforschung ist hinlänglich bekannt. Seine Beobachtung der wissenschaftlichen Entwicklung ist nicht zufällig auf Leiden gerichtet, eine Stadt innerhalb der wirtschaftlich führenden Region Europas, die ohnehin auch mit ihrer Universität in aller Munde ist. Das entstammt wohl einer Empfehlung, die ein Prinz sich über Berater durchaus verschaffen kann. Bei Franz Stephan geht die Kenntnis qualitativ gesehen noch weiter, sie beruht sogar auf eigener Erfahrung, auf Autopsie. Denn im Jahr 1731 führt ihn unter dem Pseudonym Graf von Bl.mont123 eine Art Kavaliersreise nach Holland, England und Preußen. In seinem Gefolge befindet sich Jean-Baptiste Bassand,124 ein ihm außerordentlich liebgewordener Leibarzt, der selbst in Leiden Medizin studiert und Franz Stephan von den Blattern kuriert hat. Er, der später in Wien an der Medizinischen Fakultät lehrt, zeigt auch ein großes Herz für die Botanik und steht mit Herman Boerhaave, dem einflussreichsten Mediziner, Botaniker und Universitätslehrer seiner Zeit, im regen Briefkontakt.125 Bassand arrangiert den Besuch des lothringischen Prinzen, der von 1723– 1727 am Wiener Hof gelebt hat, kurz bevor ihm der Antritt des Erbes als loth122 Eigentlich Franz III. Stephan, Herzog von Lothringen (1729–1737): nach der Heirat mit Maria Theresia war er Ungarns Statthalter (1736–1741), Großherzog von Toskana (1737– 1765) und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation (1745–1765). Siehe dazu die Biographie von Renate Zedinger, Franz Stephan von Lothringen (1708–1765). Monarch – Manager – Mäzen (Wien / Köln / Weimar 2008) (= Schriftenreihe der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts, Bd. 13, 2008). 123 Siehe dazu Renate Zedinger, Flucht oder adelige Kavalierstour. Zur Reise des Herzogs Franz III. (Anton) Stephan von Lothringen in den Jahren 1731/32. In: Das achtzehnte Jahrhundert und Österreich. Jahrbuch der österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts 7/8 (1992), 51–69. 124 Jean Baptiste Bassand (1680–1742) wirkte ab 1720 als Professor an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien, er wurde zum kaiserlichen Hofarzt ernannt und 1727 geadelt. 125 Vgl. Ernst Darmstaedter (Hg.), Herman Boerhaaves Briefe an Johann Baptist Bassand in Wien (München 1927); Johannes Nusch (Hg.), Herman Boerhaavens Briefe an Johann Baptist Bassand Kaiserlichen Leibarzt (Frankfurt / Leipzig 1781). Den Briefen zufolge schickte Bassand viele Pflanzen aus der Umgebung von Wien nach Leiden, die Boerhaave in seinem Privatgarten kultivierte. Aus den Briefen geht indirekt hervor, dass Franz Stephan mit Boerhaave nicht persönlich zusammentraf.

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ringischer Herzog nach dem Tod seines Vaters bevorsteht. Franz Stephans Besichtigung des botanischen Gartens in Leiden und sein Zusammentreffen mit bedeutenden Gelehrten mag auf ihn nachhaltig gewirkt haben. Daher ist anzunehmen, dass er nach seiner Vermählung mit Maria Theresia 1736 in der Zeit nach 1742 ihre geplanten medizinischen Reformen unterstützt und die erste Verbindung zu niederländischen Gelehrten herstellt. Maria Theresia ihrerseits folgt ihrem Gemahl in seinem Bestreben, einige von ihnen an den Wiener Hof zu holen. Zu jenen gehören u. a. die Ärzte Gerard van Swieten und Anton de Haen sowie die Gärtner Adrian Steckhoven und Ryk (Richard) van der Schot. Die in ganz Europa geschätzte medizinische Ausbildung in Leiden bildet das Modell für die Reformen der Medizin an der Universität Wien, die van Swieten nach seiner Berufung in Wien sogleich durchsetzt. Er, der alsbald das gesamte Bildungssystem der Monarchie umgestalten wird, erfreut sich zu Beginn in Wien noch keiner Beliebtheit und wird als »hollandais plat et ferme ayant plus d’esprit et droiture que de faÅons et politesse«126 bezeichnet (siehe Abb. 15). Hingegen profitiert van Swieten seinerseits von einem »le gout pour les sciences,«127 der sich beim Kaiserpaar eingestellt hat, weswegen Wien nun zu einem wissenschaftlichen Zentrum aufgebaut wird. Die naturwissenschaftlichen Sammlungen, die neuen botanischen Gärten in Schönbrunn sowie an der Universität sollen ebenfalls dem Aufbruch entsprechend gestaltet werden. Die Naturgeschichte erlebt in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts128 allerorts ihren großen Aufschwung; sie sei die Basis für Ökonomie, Wirtschaft und Industrie, meint etwa der schwedische Naturforscher und Agrarökonom Pehr Kalm in einem Brief des Jahres 1748.129 Auch er ist als Schüler Linn8s nach Nordamerika beordert worden, um Pflanzen zu sammeln und zu bestimmen. Gerard van Swieten sind die Wünsche nach Reform seiner neuen Arbeitsgeber, dem Kaiserpaar, bestens bekannt und er wird zum beflissensten Akteur ihrer tatsächlichen Umsetzung. In seinen Briefen artikuliert sich der Stolz, diese Konjunktur der aufstrebenden Kaisermetropole als Wissenschafts- und Wirtschaftsmittelpunkt evoziert zu haben. So berichtet er, wie zuvor schon erwähnt, in einem Brief an keinen Geringeren als an Carl von Linn8 im März 1755130 stolz 126 Zit. nach Gabriela Schmidt, Gerard van Swieten. In: Felix Czeike (Hg.), Historisches Lexikon der Stadt Wien, Bd. 5 (Wien 1997), 404. 127 Brief von Swieten an Antonij Nunes Ribeiro Sanches, ÖNB, HAD, Cod. 12713, f. 132. Siehe dazu Erna Lesky, Gerard van Swieten. Auftrag und Erfüllung. In: Erna Lesky und Adam Wandruszka (Hg.), Gerard van Swieten und seine Zeit (Wien / Köln / Graz 1973), 11–62; hier 25. 128 »Botany in this period was big science and big business«, siehe: Londa Schiebinger, Plants and Empire (Harvard 2004), 4. 129 Schiebinger, Plants (2004), 6. 130 Van Swieten an Linn8, Wien, 12. März 1755 (L 1887), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. (Leider ist das dortige Summary teilweise falsch). Siehe Edition.

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über die bereits sichtbaren Fortschritte. Er erwähnt die um sich greifende Naturforschung, den erfolgreichen Ankauf der Mineraliensammlung für das höfische Kabinett und den Ausbau der Gärten in Wien. Für die vom Kaiser ausgerichtete Expedition sei der kenntnisreiche junge Leidener Nikolaus Jacquin ausgewählt worden, und er versäumt nicht zu betonen, dass Jacquin bereits mit dem Konzept Linn8s vertraut sei: »[Er] der dein System bis in alle Einzelheiten versteht, damit er dort Pflanzen, Tiere, Fossilien sammle und dabei, so der Auftrag, keine Kosten spare. Als Begleiter hat er den Gartenvorsteher und zwei erfahrene Vogelfänger mitbekommen.«131 Diese Werbung zeitigt Erfolg, Linn8 wird sich für Jacquins Arbeit als einem seiner Anhänger außerordentlich interessieren. Gleichzeitig informiert van Swieten den Nürnberger Arzt und Schriftleiter der Publikationen der Leopoldina-Akademie Christoph Jakob Trew132 über die Entwicklung der naturwissenschaftlichen Institutionen in Wien. Trew zählt zu den aktivsten Netzwerkern seiner Zeit und verfügt über eine der bedeutendsten naturkundlichen Privatsammlungen.133 Und die Expedition wird von van Swieten in diesem Schreiben ausschließlich in den Kontext der Bereicherung der kaiserlichen Sammlungen gestellt: »Zusammen mit dem erfahrenen Gärtner und zwei Vogelwärtern hat er [der Kaiser] einen gelehrten jungen Mann nach Amerika geschickt, damit sie noch seltenere Dinge sammeln und das Gesammelte zu ihm senden, wobei weder Kosten noch Mühen gescheut werden.«134 Da die habsburgischen Länder über keine Kolonien verfügen, zu denen regelmäßige Schiffsverbindungen existieren, schlägt man in Wien einen neuen Weg ein, um ebenfalls an dem Projekt der globalen Erforschung der Welt durch die europäischen Mächte partizipieren zu können. Nicht auf Geographie wird gesetzt, sondern auf Naturgeschichte, nicht auf koloniale Expansion, sondern wissenschaftliche Beherrschung von exotischen Naturobjekten. Qualifizierte Einzelpersönlichkeiten werden zur Erweiterung der naturhistorischen Kollektionen gesucht. Bezüglich der Pflanzentransfers traut man besonders einem 131 Eigene Übersetzung (L 1887): »qui tuum Systema ad unguem callet, ut plantas, animalia, fossilia colligat, nullis, simul iussum est, ut parcat sumtibus: comitem habet hortulanum, et duos peritissimos aucupes.« 132 Christoph Jakob Trew (1695–1769) war ein deutscher Arzt und Botaniker und ein akademischer Netzwerker, der auch die Zeitschrift »Leopoldina« herausgab. 133 Siehe dazu: Thomas Schnalke, Sammeln und Vernetzen. Christoph Jacob Trew (1695–1769) in seiner botanischen Matrix. In: Regina Dauser, Stephan Hächler, Michael Kempe, Franz Mauelshagen, Martin Stuber (Hg.), Wissen im Netz. Botanik und Pflanzentransfer in europäischen Korrespondenznetzen des 18. Jahrhunderts (Berlin 2008), 171–200. 134 Van Swieten an Trew, Wien, 5. März 1755, abgedruckt in: Marion Mücke und Thomas Schnalke (Hg.), Briefnetz Leopoldina (Berlin 2009), 296. Die Stelle ausführlicher : »Er [der Kaiser] hat für viel Geld eine Fossiliensammlung gekauft, wie es sie in vergleichbarer Art nicht gibt, und vermehrt sie täglich. In einem großartigen zoologischen Garten sammelt er von überall seltene Tiere. Er hat einen Garten mit seltenen Pflanzen angelegt ….«.

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Gärtner diese schwierige Aufgabe zu, die existierende internationale Schifffahrt wird genutzt. Die drei Naturreiche sollen mit Neuem, Ansehnlichem und Kostbarem aus fremden Kontinenten sichtbar gemacht werden und dadurch der Wissenschaft und Wirtschaft letztlich auch weitere Impulse verleihen. Wissenschaft und Handel gehen Hand in Hand. Naturforscher liefern ihrerseits im Sinne des Merkantilismus nutzbares Wissen. Auch Jacquin macht sich während seiner Reise Gedanken in diesem Zusammenhang,135 die brieflich belegt sind. Bis dahin ist es aber noch ein langer Weg.

II. 3. Van Swietens Suche nach einer geeigneten Person Jacquin ist keineswegs von Anfang an für eine 1754 vom Wiener Hof geplante Forschungsreise vorgesehen gewesen, offensichtlich hegt van Swieten zunächst noch ganz andere Absichten. Schon 1751 erfährt er von der Existenz der im selben Jahr in Berlin gegründeten Gesellschaft zur Erforschung der Natur in überseeischen Ländern. Diese Initiative basiert auf Subskription und für die Umsetzung ist Christlob Mylius (1722–1754) im Gespräch, ein junger Berliner Literat und Naturforscher, der sich bis dahin eher als Übersetzer, Dramendichter und Herausgeber kurzlebiger Journale hervorgetan hat. Die national bunt zusammengesetzte Gruppe von Reise-Subskribenten (unter anderen zählen der dänische König, der preußische Freiherr von Hardenberg, der Franzose Ren8Antoine Ferchault de R8aumur und andere zu den Mitgliedern) soll für ihre Vorausfinanzierung nach erfolgter Durchführung Sammelobjekte erhalten. R8aumur (1683–1757), das berühmte Mitglied der Französischen Akademie in Paris, ist beispielsweise persönlich an der Papierherstellung durch amerikanische Wespen interessiert. Mylius überzeugt den bedeutenden Gelehrten Albrecht von Haller, die Leitung dieser Gesellschaft zu übernehmen und die Expedition zu organisieren. Haller veröffentlicht einen Aufruf zur Finanzierung dieser Reise in dem von ihm geleiteten wichtigsten deutschsprachigen Rezensionsorgan des 18. Jahrhunderts, den Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen. Mylius wendet sich auch brieflich an den Wiener Hof um finanzielle Unterstützung. Van Swieten, von der Idee angetan, versucht Mylius abzuwerben, indem er ihm im Namen des Kaisers ein großzügiges Angebot136 unterbreitet. Mylius steht jedoch Haller im Wort, weshalb er schweren Herzens das verlo135 Ein Hinweis auf Jacquins Ideen bezüglich eines Handels mit den Westindischen Inseln findet sich im Brief v. Benoit Aquart an Jacquin, o. Ort, 2. März 1761, Naturhistorisches Museum, Archiv für Wissenschaftgeschichte, Kurzzitat: NHM, AfW, Nr. 286553/43. 136 Es handelte sich um 3000 Thaler Belohnung und Reisekosten extra. Mylius dürfte jedoch dann nur ausschließlich für das Herrscherhaus sammeln. Vgl. Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 101. Stück (24. August 1754), 876.

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ckende Offert abschlagen muss.137 Am 11. November 1753 tritt schließlich van Swieten von seinem Ansinnen zurück138 und beginnt sich um eine andere Realisierung umzusehen. Zu dieser Zeit hält sich Nikolaus Jacquin schon über ein Jahr und einige Monate in Wien auf. Der aufgeweckte junge Medizinstudent, dessen so energisch verfolgter Studienweg durch familiäre Katastrophen jäh zerstört wurde, hat als letzten Ausweg aus seiner äußerst prekären finanziellen Situation von Paris aus einen Bittbrief, ja mehr noch einen Hilfeschrei an van Swieten – den ehemaligen Hausarzt seiner Familie in Leiden – gerichtet.139 Und das Wunder geschieht. Van Swieten lädt Jacquin nach Wien ein und verspricht, ihn wie einen Sohn zu behandeln. Jacquin hat seinen Patron gefunden, nun obliegt es ihm zu beweisen, dass er würdig ist, den ihm zukünftig zugedachten Platz – wo immer er sein möge – auszufüllen und sein Studium zu beenden. Er sieht nach Jahren des Darbens in Paris nun einer doch positiven Zukunft in Wien entgegen. Es ist in diesem Zusammenhang interessant, dass sich in den später von seinem Sohn niedergelegten (auto)biographischen Notizen und Anmerkungen, »Die Reise meines Vaters nach Westindien«140 keine Hinweise auf Jacquins trostlose finanzielle Lage in Paris finden, über die wir aus seinen Briefen an seinen Jugendfreud Jakob Gronovius141 informiert sind. Auch Jacquins Bittbrief an van Swieten wird von ihm in diesen Formaten retrospektiv nie erwähnt, im Gegenteil, es ist in der Selbstdarstellung später immer nur von einer Einladung nach Wien die Rede,142 die gerade zum richtigen Zeitpunkt eintrifft. Das ist nicht 137 In der Burgerbibliothek in Bern wird ein Großteil der Briefe von und an Albrecht von Haller archiviert. Zumindest in zwei Mylius-Briefen wird auf van Swieten Bezug genommen. Am 26. August 1752 berichtet Mylius, dass Swieten ihn bewegen will, die Reise in seinem Auftrag zu machen, aber Mylius will seinen bisherigen Auftraggebern treu bleiben. (Der Brief ist leider heute im Original nicht mehr vorhanden). In einem weiteren Brief möchte Mylius Haller an van Swietens sehr großzügiges Angebot erinnern, das er zugunsten der von Albrecht von Haller präsidierten Reisegesellschaft ausgeschlagen hat. (Dank an Thomas Schmid von der Burgerbibliothek für diese Information). 138 Eine Zusammenfassung der Pläne findet sich nach dem Tod von Mylius in: Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 101. Stück (24. August 1754), 873–876. 139 Vgl. ÖNB, HAD, Cod. 12788, [16. Brief], in dem Jacquin seinem Freund Gronovius berichtet, dass er van Swieten seine Lage erklärt und ihn dieser nach Wien eingeladen hätte. Brief in Edition. Noch besser zum Ausdruck kommt seine schreckliche Situation im Dankesbrief an van Swieten: Autograph 13/77–1, die Transkription und Übersetzung findet sich im Editionsteil. 140 ÖNB, HAD, Ser. n. 9755. Siehe dazu auch unsere Edition. 141 Vgl. Jacquin an Gronovius, ÖNB, HAD, Cod. 12778. 142 Vgl. Joseph Franz Jacquin, Biographie des Vaters Nikolaus von Jacquin, ÖNB, HAD, Cod. Ser. n. 20235: »Hier [in Paris] erhielt er nun, von dem alten Freunde seines Hauses, dem berühmten Gerard van Swieten, die Einladung nach Wien zu kommen und seine Studien daselbst in der neu hergestellten medicinischen Studienanstalt, deren Schöpfer dieser große Mann war, zu vollenden. Er ging denn zur Folge nach Wien, größtentheils zu Fuße botanisierend über Seitenwege.«

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gänzlich falsch, aber trägt im Detail eine beschönigende Note. Jacquin wird zur Fortsetzung seines Studiums nach Wien geholt, weil van Swieten als Freund von Jacquins Familie sich dem in Not geratenen jungen Mann verpflichtet fühlt. Als Vertrauter von dessen Vater will er der Not des vaterlos gewordenen Jacquin Abhilfe leisten. Es sind die engen familiären Netzwerke, die hier zum Tragen kommen. Und wie es die Mylius-Episode beweist, ist Jacquin keineswegs von Anfang an für eine Expedition vorgesehen gewesen. Nach der Ankunft in Wien im Juni 1752 wird Jacquin von seinem Mäzen auch gleich mit einer Unterkunft im Herzen des höfischen Zentrums versorgt, im Gebäude der Hofbibliothek, der van Swieten als Präfekt vorsteht. Jacquins Begeisterung für Pflanzen – er hat auch während seiner Fußreise von Paris nach Wien immer wieder Exemplare gesammelt – führt ihn immer wieder nach Schönbrunn,143 was ihm durch van Swieten, den Leibarzt Maria Theresias, erlaubt wird, obwohl der Garten der Öffentlichkeit noch nicht allgemein zugänglich ist, was erst 1779 erfolgt. Jacquin, die Vorstellung des Leidener botanischen Gartens im Kopf, zeigt sich enttäuscht, da es »keinen botanischen Garten und niemanden, der sich auf Botanik versteht«,144 gibt. Ein Jahr später (am 19. Juni 1753) trifft schließlich der neue Gärtner Adrian Steckhoven in Wien ein und bekommt in der Menagerie von Schönbrunn eine Wohnung zugewiesen. Dies wird von Jacquin, der sich oft in Schönbrunn aufhält, registriert145 und sofort als Neuigkeit seinem Freund in Leiden gemeldet. Dieser Gärtner ist ebenfalls auf van Swietens Empfehlung von Kaiser Franz Stephan aus Leiden nach Schönbrunn berufen worden und Jacquin hat ihn von seinen Besuchen im botanischen Garten seiner Heimatstadt Leiden vermutlich gekannt. Jedenfalls erfahren wir aus van Swietens Korrespondenz über dessen Qualifikation, dass er 143 Siehe auch Nikolaus Joseph Jacquin, Plantarum rariorum Horti caesarei Schoenbrunnensis, Vol.1. (1797), Praefatio: »In Wien mühte ich mich damals mit dem Medizinstudium ab; und weil ich die Pflanzenkunde, deren Elemente ich in meiner Vaterstadt bei Royenus und in Paris bei Jussieus erlernt hatte, besonders liebte, spazierte ich immer öfter zu dem eine Meile von der Hauptstadt entfernten neuen Garten, um die noch nicht systematisch bezeichneten Pflanzen zu bestimmen. Von daher wurde ich dem Kaiser bekannt, und weil jener sich mit dem Wunsche befasste, dass in kurzer Zeit ungewöhnliche Gewächse in den Garten kommen, wurde ich freundlichst eingeladen, eine Reise zu unternehmen. Nachdem ich das Anerbieten angenommen hatte, beauftragte mich der Kaiser, dass ich die Karibischen Inseln und den angrenzenden Teil des amerikanischen Festlandes aufsuche, erstens weil von dort der Weg nach Europa kürzer und die Gelegenheit des Versandes häufiger und bequemer war, dann weil ich auf mehreren Inseln Blutsverwandte hatte, die in hohen Ämtern eingesetzt waren und mit deren Unterstützung sich mein Auftrag ungehinderter abwickeln ließe.« Eigene Übersetzung. 144 Jacquin an Gronovius, 21. Brief, Wien, 14. April 1753, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 27r/v. Eigene Übersetzung. 145 Vgl. Jacquin an Gronovius, 22. Brief, Wien, 24. Juni 1753, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 28r– 29r.

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»sowohl bereits Asien und Afrika bereist« hat, »im Anbau von Pflanzen äußerst gewandt« ist und in Wien mit einem »stattlichen Gehalt ausgestattet«146 wird. Es wird sich zwischen den beiden, Jacquin und Steckhoven, jedoch kein enger Kontakt entwickeln, im Gegenteil, Jacquin wird sich über seinen Landsmann noch sehr ärgern, weil sich dieser keineswegs als kooperativ erweist. Das Ansinnen einer Amerika-Expedition kommt erst nach Monaten von Jacquins Anwesenheit in Wien, die er zum Medizinstudium nutzt, zur Sprache. Vermutlich ist es Anfang Jänner 1754, als Jacquin erstmals davon erfährt, denn er gibt ja jede Neuigkeit sogleich an seinen Jugendfreund Jakob Gronovius weiter, was am 9. Jänner 1754147 brieflich erfolgt. Obwohl Jacquin sein Medizinstudium noch nicht beendet hat, trägt ihm van Swieten die schon zwei Jahre vakante Stelle des Anatomieprofessors an. Jacquin, ansonsten pekuniären Vorteilen stets zugetan, da er als völlig Mittelloser für diese Professur ein jährliches Honorar von 2000 Gulden und Quartier für sich und eine allfällige Familie verdienen hätte können, lehnt dennoch ab, da er »nicht immer unter Leichen leben wolle.«148 Aus diesem nur Jakob Gronovius gegenüber offen ausgesprochenen Eingeständnis geht hervor, dass Jacquin trotz seines Medizinstudiums keineswegs eine Arztkarriere anstrebt. Es bildet aber ein Sprungbrett für andere Tätigkeiten, etwa die eines Professors oder Kustoden im Rahmen der Naturforschung. Das ist auch vielfach bei anderen Gelehrten der Fall, da man naturkundliches Wissen an einer Universität hauptsächlich mit dem Medizinstudium erwerben kann. Die Pathologie schreckt ihn ab, und auch die Chirurgie, die er in Paris studiert und ausgeübt hat, kommt für ihn nicht in Frage. Nun, von dem Reiseangebot van Swietens emotional angesprochen, macht er sich sogar bezüglich seiner Abneigungen Luft und offenbart Jakob Gronovius, dass er jede medizinische Tätigkeit prinzipiell verabscheue.149 Seine ganze Leidenschaft gehöre der Botanik, die im Amerika-Vorhaben seine Erfüllung finden könnte: »Von Liebe – oder soll ich sagen: von einem gewissen Wahn – für die Pflanzen lässt sich der Kaiser leiten, worin er auch in täglichen Gesprächen mit Steckhoven kein Ende findet, und er treibt es von Tag zu Tag weiter, sodass er auch seinen Tiergarten durch eine Sammlung ganz seltener Vögel vergrößert; und indem er keinen Aufwand scheut, hat er sich in den Kopf gesetzt, jemanden der Botanik Kundigen nach Amerika zu schicken. Was soll ich lange herumreden, Jakob, irgendwie hat der Kaiser von mir 146 Van Swieten an Trew, Wien, 5. März 1755, abgedruckt in: Marion Mücke und Thomas Schnalke (Hg.), Briefnetz Leopoldina (Berlin 2009), 296. 147 Vgl. Jacquin an Gronovius, 23. Brief, Wien, 9. Jänner 1754, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 30r– 31r. Das ist der erste archivalische Beleg darüber, dass Jacquin von den Plänen van Swietens ins Vertrauen gezogen wurde. 148 Vgl. Jacquin an Gronovius, 23. Brief, Wien, 9. Jänner 1754, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 30r– 31r. 149 Vgl. Jacquin an Gronovius, 27. Brief, Wien, 10. November 1754, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 35r/v.

Van Swietens Suche nach einer geeigneten Person

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gehört, und es ist sein Wunsch, dass ich diese ausgedehnte Reise in die Tat umsetze. Mein Mäzen [van Swieten] hat mich ermuntert und gefragt, ob ich wolle, aber so, dass es schon den Anschein hatte, als ob ich selber es wollte; ich antwortete daher, dass ich zur Durchführung jeder Aufgabe bereit sei. Er selbst sagte darauf, das er, wenn er das für eine beschlossenen Sache halte, meinem Glück nicht im Wege stehen wolle, und sogleich: ›Versprich nur, dass du gehen wirst, und sei versichert, dass du, wenn du gehst und nach drei oder vier Jahren zurückkehrst, eine dauernde Anstellung haben wirst, von der du mit Anstand leben kannst; für die Expedition selbst wird hervorragend für dich Vorsorge getroffen.‹ Alles Übrige geschehe nach meinem Willen und meiner Vorsorge, wohl wissend, wie sehr er mich liebt. Inzwischen bin ich noch völlig unentschlossen, ob ich gehen soll oder nicht.«150

Als Vergeltung für die Willfährigkeit, einschließlich der mit der Expedition verbundenen einkalkulierten Risiken, ist Jacquin vom Mäzen eine »dauernde Anstellung« ausdrücklich in Aussicht gestellt worden. Überraschenderweise reagiert Jacquin nicht euphorisch auf diesen einmaligen Glücksfall, im Gegenteil, er ist noch völlig unentschlossen bezüglich einer Zusage, verrät er am Briefende. Seine bisher erlebten durchaus aufregenden zu den Studienorten führenden Schiffsfahrten, etwa jene von Delft nach Breda und über die Schelde nach Brüssel, die er Jahre zuvor als besonders beschwerlich ertragen hat,151 wie auch seine Reise zur See von Amsterdam nach Rouen152 mit ihren unzumutbaren Strapazen sind ihm in schlechter Erinnerung geblieben. Dem Kaiser gibt er sich jedoch natürlich als prinzipiell bereit. Im August 1754, nach Monaten, ist sich Jacquin noch immer nicht sicher, ob die Amerikareise zustande kommt, da der Kaiser kein Wort mehr darüber fallen lässt.153 Einige Wochen später ist es dann endlich doch entschieden: »Als Sammler von naturgeschichtlich interessanten Objekten werde ich innerhalb der nächsten fünf Wochen möglicherweise nach Amerika aufbrechen. Meine Reise wird mich von hier über Triest, die Adria, Venedig, Ferrara, Bologna,154 Livorno, das Ligurische Meer nach Marseille führen, von dort weiter über das Mittelmeer und danach über den Atlantik zur Insel Martinique, wo ich für ein Jahr Aufenthalt nehmen werde. Hierauf werde ich die zwei Begleiter, die ich von Europa mitgenommen hatte, dorthin zurückschicken, der eine ist Vogelfänger, der andere Gehilfe des Gärtners Steckhoven, 150 Jacquin an Gronovius, 23. Brief, Wien, 9. Jänner 1754, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 30r–31r. Eigene Übersetzung, siehe auch Edition. 151 Vgl. Jacquin an Gronovius, 3. Brief, Löwen, 22. Oktober 1744, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 3r/v. 152 Vgl. Jacquin an Gronovius, 10. Brief, Rouen (Rottomagi), 2. September 1751, ÖNB, HAD. Cod.12778, fol. 10r/v, 11r/v. 153 Vgl. Jacquin an Gronovius, 25. Brief, Wien, 17. August 1754, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 33r/v. 154 Dass Jacquin hier Venedig, Ferrara und Bologna als Orte seiner Reiseroute nennt, lässt vermuten, dass er zu diesem Zeitpunkt nicht den kürzesten Weg nach dem Zielort Livorno im Auge hatte.

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ein Holländer namens Richard van der Schot. Weitergehen wird die Reise für mich auf das amerikanische Festland nach Cartagena und von dort auf dem Landweg in die Kolonie Surinam usw. usw. Von früh bis spät unterrichtet mich jetzt täglich in Naturgeschichte der hochberühmte Baillu [!],155 der Vorsteher der kaiserlichen Sammlung; dass ich zu dieser ganz nach Belieben Zutritt habe, hat der Kaiser angeordnet, mit dem ich schon mehrere Gespräche geführt habe.«156

Stolz lässt Jacquin seinen besten Freund dies wissen. Franz Stephan ist in der Personalwahl van Swietens Vorschlag gefolgt, aber dennoch fühlt er zuvor noch persönlich Jacquin in einigen Gesprächen auf den Zahn. Die Reiseroute ist bereits im Detail festgelegt und soll auch – mehr oder weniger wie vorgesehen – tatsächlich so realisiert werden. Nicht zustande kommt die in den Briefen erwähnte Destination Surinam, eine niederländische Kolonie, die infolge von Maria Sybille Merians (1647–1717) faszinierenden Naturgeschichten für ihre Naturvielfalt und ihren landwirtschaftlichen Reichtum berühmt ist.

II. 4. Vorbereitungen, Aufträge und Instruktionen Jede Expedition beginnt nicht erst mit der Abfahrt von einem Hafen, sondern lange zuvor. Vorbereitungen gehen stets einen entscheidenden Schritt der tatsächlichen Expedition voraus. Dazu zählen die Professionalisierung von Fertigkeiten auf der Seite des Auftragnehmers und die klare Entscheidungsfindung bezüglich der Erwartungen beim Auftraggeber. Jacquin erhält nun als Beauftragter Zutritt zum kaiserlichen Naturalienkabinett und wird von dessen Leiter Jean Chevalier de Baillou persönlich instruiert.157 Er bekommt damit eine der prächtigsten Mineralienkollektionen158 seiner Zeit zu Gesicht. Es ist wohl kein Zufall, dass sich fast zeitgleich mit der kaiserlichen Entschließung Jacquin an der »K.k. Akademie der Maler und Bildhauerkunst« in Wien Ende Februar 1754 einschreibt und Unterricht nimmt.159 Die Kunstfertigkeit des Zeichnens ist für 155 Jean Chevalier de Baillou (1684–1758) war Direktor des Hof- und Naturalienkabinetts. 156 Vgl. Jacquin an Gronovius, 26. Brief, Wien, 6. November 1754, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 34r, eigene Ünbersetzung, siehe auch Edition. 157 Vgl. Jacquin an Gronovius, 26. Brief, Wien, 6. November 1754, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 34r. 158 Mit Mineralien waren alle dem Mineralreich zugehörigen Naturobjekte gemeint, da der Begriff weitaus breiter gefasst war als heute und als Überbegriff fungierte. 159 Vgl. Archiv der Akademie der bildenden Künste (Wien): Chronologisches Verzeichnis der Eintrittsdaten 1738–1765, Bd. 1b/S. 135 »Anno 1754, Martij, 1.: Jacquin Nicolaus Jos: von Leiden in Holland, Medicinae Stud. l. in der K. Reitschul.« Und im alphabetischen Verzeichnis 1754–1772, Bd. 1c/131 im Wortlaut: »-J-, 1754: Jacquin Nicolaus Jos. von Leiden, Medicinae Stud. I. in der Kaisl. Reitschul. 28. Feb.« – Wir bedanken uns beim Archivar Hrn. Ferdinand Gutschi für diese Auskunft.

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einen Botaniker sehr wichtig, denn sie ist Teil des Beobachtungsprozesses wie auch der unverzichtbaren Dokumentation. Beide konservieren unterwegs die zeitlich und räumlich verstreuten Befunde für die weitere Forschungsarbeit. Wenn wir allgemein fragen, wie Wissen unterwegs über distante Phänomene überhaupt produziert wird, dann bietet die von dem Wissenschaftssoziologen Bruno Latour geprägte Bezeichnung immutable mobiles einen Ansatz. Mit Zeichnungen oder sonstigen Repräsentanten, vor Ort erstellt, wird das Wissen konserviert mobil gemacht. Wissen ist ferner nicht nur Produkt individuellen Denkens. Stattdessen ist es das Ergebnis von vielen Aktivitäten, verteilt über Distanzen und geleitet von Austausch und Kooperation, in denen Menschen und Dinge als Akteure gleichermaßen involviert sind. Immutable mobiles umfassen Instrumente, Ausrüstungen, Aufzeichnungen, Tagebücher, Bilder und Repräsentationen wie Karten und Zeichnungen. Alle sind Transformationen, materialisiert in Zeichen, Dokumenten, Spuren. Sie sind mobil und sie erlauben weitere Transformationen und Aktivitäten.160 Und das ist auch der Grund, warum die Ausbeute der Expeditionen stets über ihr Ereignis hinaus Bedeutung gewinnt. Um diese Transfers von Wissen zu professionalisieren, werden etwa für Expeditionen immer häufiger eigene Zeichner engagiert, gleichzeitig aber lernen Naturforscher wie eben auch Jacquin, selbst den Stift dokumentarisch einzusetzen. In der Literatur161 ist oft behauptet worden, dass dieser die erste bildnerische Unterweisung vom Gärtner und Autor bedeutender Bildwerke162 Nicolas Meerburgh in Leiden erhalten habe, was aber äußerst unwahrscheinlich ist, da dieser bei Jacquins Abreise aus Leiden erst 16 Jahre zählt.163 Auch erscheinen Meerburghs bemerkenswerte Tafelwerke erst in der Zeit nach 1775. Jedenfalls unterzieht sich Jacquin vor der Abreise eigens einem spezifischen 160 Vgl. Bruno Latour, Drawing Things together. In: Lynch M. und Woolgar St. (Hg.): Representation in Scientific Practice (Cambridge, Mass. 1990), 19–68. 161 Vgl. Claus Nissen, Die Botanische Buchillustration. Bd. 1 (Stuttgart 1951), 184; Maria PetzGrabenbauer, Zu Leben und Werk von Nikolaus Joseph Freiherr von Jacquin. In: Wiener Geschichtsblätter, Heft 50 (Wien 1995), 121–149, hier 140; jedoch lehnt bereits Stafleu dies ab, vgl. Stafleu, Linnaeus (1972) 183. 162 Nicolaas Meerburgh, Afbeeldingen von zeldzame gewassen (Leiden 1775); Nicolas Meerburgh, Plantae rariores vivis coloribus depictae (Leiden 1789); Nicolas Meerburgh, Plantarum Selectarum Icones pictae (Leiden 1798). Vgl. dazu auch: Hans Peter Fuchs, Nicolaas Meerburgh und die drei von ihm verfassten botanischen Tafelwerke. In: Acta Botanica Neerlandica 11 (1962), 69–89 und 12 (1963), 12–16. 163 Der Kontakt Nikolaus Jacquins zum Gärtner Meerburgh (Meerboerg) war gegeben. So berichtete sein Sohn am 29. September 1788 aus Leiden an den Vater: »Der Gärtner hier, namens Meerboerg, hat Sie noch gekannt, er war damals Lehrjunge beim Stekhoven.« Zit. nach Ernst Moritz Kronfeld (Hg.), Jacquin des Jüngeren botanische Studienreise 1788– 1790. Aus den unveröffentlichten Briefen. In: Botanisches Centralblatt, Bd. 38 (Wien 1921), 141.

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Unterricht an der von Jacob Schuppen 1726 gegründeten und vom Kaiser Karl VI. bewilligten »k. k. Akademie der Maler-, Bildhauer- und Baukunst in Wien«, die nach dem Pariser Vorbild gegründet worden ist164 und zu Schuppens Zeit Weltrang genießt. An dieser Akademie sind zum Zeitpunkt von Jacquins Studien etwas mehr als 100 Studenten eingeschrieben.165 Probleme bezüglich ihrer Unterbringung ergeben sich, weil die Akademie zwar nach dem Tode des Präfekten der Hofbibliothek Garelli 1739 dessen freigewordene Wohnung beziehen kann, diese Räumlichkeiten aber von dem am 25. Juni 1745 designierten neuen Präfekten Gerard van Swieten im März 1746 beansprucht werden. Jedenfalls räumt Schuppen das Quartier und bringt die Akademie an unterschiedlichen Standorten unter, in seiner Wohnung, im Heiligenkreuzerhof und in der kaiserlichen Reitschule.166 Weitere Umsiedlungen erfolgen nach Schuppens Tod (1751), Jacquin erfährt die Unterweisungen in der nahe der Hofburg befindlichen Reitschule, nicht unweit seiner Unterkunft. Die Ausrichtung der Akademie auf ein klassisches Bildprogramm muss einem an der klassischen Bildung orientierten Jacquin167 auch sicher behagen. Sein zeichnerisches Talent und die Schulung helfen Jacquin in Amerika und tragen nicht unwesentlich zu seinem späteren Ruhm als Botaniker bei, da er mithilfe der Visualisierung von Pflanzen auch deren Beschreibungen professionalisiert und sich der Publikation aufwendig erzeugter Tafeln außerordentlich intensiv widmen wird.168 Jacquins umsichtige Vorbereitungen für seine Expedition bringen ihn letztlich in persönlichen Kontakt zu seinem Auftraggeber, dem Kaiser. So erzählt Jacquin seinem in Leiden lebenden Jugendfreund überaus begeistert, dass der Kaiser ihn sehr zu schätzen scheine. Oft schicke er ihn auch wegen Pflanzen irgendwohin, ja er müsse sich die Zeit für diesen Brief regelrecht stehlen. Die ganze Reiseplanung gefalle ihm sehr, denn so könne er seinen Interessen nachgehen und ruhige Tage verleben, fern von jener turbulenten enervierenden medizinischen Tätigkeit, die er immer so verabscheut habe. Wenn er es richtig vorhersehe, werde er sechs bis sieben Jahre oder sogar länger in Amerika bleiben.169 Die Reisedauer ist mehr als gut geschätzt, es sollten letztlich dann beinahe fünf Jahre werden. 164 Allgemein einführend: Carl von Lützow, Geschichte der Kais. Königl. Akademie der bildenden Künste (Wien 1877); Nikolaus Pevsner, Die Geschichte der Kunstakademien (München 1985), bes. 92–118; Pierre Schreiden, Jaques von Schuppen (1670–1751). In: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte XXXV (1982), 1–106. 165 Siehe dazu: Simon Mraz, Das gescheiterte Akademieprojekt von Schuppens in den 1730er und 40er Jahren (ungedr. Magisterarbeit, Wien 2007), 83. 166 Ebda, 106. 167 Siehe Kap. III. 1. 168 Siehe dazu Kap. VII. 5. 169 Vgl. Jacquin an Gronovius, 27. Brief, Wien, 10. November 1754, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 35r/v. Eigene Übersetzung.

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Und endlich ist es so weit, am Tag vor seiner Abreise am 8. Dezember 1754 schreibt Jacquin den für die nächsten Jahre letzten in Wien datierten Brief an Jakob Gronovius, in dem er zufrieden scheint, weil er öfter mit dem Kaiser gesprochen habe, einmal sogar mit ihm und der Kaiserin ganz intim und sogar drei volle Stunden lang. Am Tag seines Briefes habe er dem Kaiser Lebwohl gesagt und dieser habe ihm befohlen, der gesamten kaiserlichen Familie vor seiner Abfahrt die Hand zu küssen. Dies ist hervorhebenswert, da Jacquins Audienz wesentlich legerer als andere abgelaufen zu sein scheint. In einem zeitgenössischen Bericht werden nämlich die genauen Regeln einer solchen geschildert: »Bei der Audienz [Kaiser] ist zu beobachten, dass man gleich beim Eintritt eine spanische Beugung, nachdem man sich auf einige Schritte genähert, abermal eine dergleichen spanische Bewegung mache, dass man endlich, wenn man näher sich bey Sr. Kaiserlichen Majestät befindet, sich das Ansehen gebe, als ob man mit einer spanischen Beugung auf die Knie fallen wolle, da denn die letztere von Sr. Kayserlichen Majestät nicht allein nicht zugelassen, sondern auch das Anbringen mit der allergnädigsten Aufmerksamkeit und mit erstaunenswürdiger Leutseligkeit angehöret und beantwortet wird.«170

Die Reiseausgaben seien, mein Jacquin begeistert, nicht begrenzt. Der Kaiser überlasse den Gebrauch der Gelder, die ihm auf sein Verlangen ausgezahlt werden, seiner Ehrlichkeit und Umsicht. Kopfüber in Arbeit steckend, verbleibe keine Zeit mehr für eine ausführliche Darlegung und so hoffe er auf Verständnis für die in aller Eile hingeworfenen Zeilen.171 Am nächsten Tag (9. Dezember 1754) bricht Jacquin zu seiner Westindienfahrt auf, die über vier Jahre, bis zum 17. Juli 1759 dauern wird. Der Auftrag erfolgt aber nicht nur mündlich, sondern wie für solche Aktionen üblich auch schriftlich. Die Reiseinstruktionen,172 vom Kaiser Franz Stephan selbst zusammengestellt und von dessen Sekretär Franz Toussaint am 23. November 1754 niedergeschrieben, werden am 2. Dezember 1754, also eine Woche vor dem Start, noch mit einem Anhang vervollständigt.173 In diesen werden Rahmenbedingungen und Expeditionsziele näher definiert. Zu dieser Zeit zählen Instruktionen bei großen wissenschaftlichen Operationen, wie sie seit der La Condamin’schen Unternehmung174 erfolgt sind, bereits 170 Johann Peter Willebrandt, Historische Berichte und praktische Anmerkungen auf Reisen in Deutschland, etc., hg. von Gottfried Schütze (Hamburg 1758), 371. 171 Vgl. Jacquin an Gronovius, 28. Brief, Wien, 8. Dezember 1754, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 36r. Eigene Übersetzung. 172 »Instruction Pour Le S. Nicolas Jacquin que Sa Majest8 Imperiale envoye en Amerique«, ÖNB, HAD, Cod. 12486. 173 »Supplement # l’instruction du S. Nicolas Jacquin«, ÖNB, HAD, Cod. 12486, fol. 26–30. 174 Charles Marie de La Condamine (1701–1774) war französischer Mathematiker und Bota-

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zum Standard. Darunter versteht man Anweisungen zur Vorgangsweise und Leitfäden für mögliche Forschungsschwerpunkte.175 Allgemein gesprochen, handelt es sich dabei um Anweisungen an Funktionsträger, wodurch Kompetenz- und Funktionsbereiche festgelegt und zugleich Rechte angesprochen werden. Die Anleitungen verweisen auf zielgerichtetes Handeln und definieren Operationsfelder. Sie stecken Spielräume ab und dienen der Strukturierung von Arbeitsabläufen.176 Instruktionen werden im Rahmen der für die Neuzeit typischen Bürokratie entwickelt, im Gesandtschaftswesen finden sie ihre erste besondere Ausformung. Instruktionen für Reisen treten seit der frühen Neuzeit in vielen Varianten auf, was dem Reisen als einer universalen Kulturtechnik entspricht.177 Ist solch ein Unterfangen vorwiegend mit der Absicht des Wissenserwerbs gestaltet, sprechen wir von einer Gesandtschafts-, Bildungs- oder Forschungsreise. Dem Fortschrittsdispositiv zufolge erweist sich ihr Sinn seither nicht nur im Bildungsziel, in der Erbauung für den Einzelnen, sondern in dem Zuwachs an neuem Wissen, das unterwegs für eine fachlich-begrenzte Öffentlichkeit generiert wird. Wissensobjekte werden gesammelt, dokumentiert sowie narrativ, visuell und materiell konserviert. Diese praktischen Aufgaben wie etwa die Sammelaktivitäten werden in den Instruktionen auch dezidiert angesprochen. Sie bilden die Grundlage für spätere Verarbeitung und für die Zusammenführung von Daten. Um es nochmals zu betonen: Die wichtigste Bedeutung einer Instruktion bezüglich der Reiseanordnung liegt unseres Erachtens in der vorherplanenden Sicherstellung ihrer Wissensgenerierung für die Wissensbearbeitung danach.178 Beide, Forschung im Gelände sowie das neue wissenschaft-

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niker. 1743 bis 1745 reiste er im Amazonasgebiet und wurde als Wegbereiter Humboldts später sehr geschätzt. Als administratives Herrschaftsinstrument und als Genre können Instruktionen bis in das späte Mittelalter zurückverfolgt werden. Vgl. Anita Hipfinger, Josef Löffler, Jan Paul Niederkorn, Martin Scheutz, Thomas Winkelbauer und Jakob Wührer, Instruktionen als Leerstelle der Verwaltungsgeschichte und der Quellenkunde. Zur Vorstellung eines Themenfeldes. In: Anita Hipfinger, Josef Löffler, Jan Paul Niederkorn, Martin Scheutz, Thomas Winkelbauer und Jakob Wührer (Hg.), Ordnung durch Tinte und Feder? Genese und Wirkung von Instruktionen im zeitlichen Längsschnitt vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert (Wien / München 2012), 13–38. Hans Erich Bödeker, Reisen – Bedeutung und Funktion für die deutsche Aufklärungsgesellschaft. In: Wolfgang Griep / Hans-Wolf Jäger (Hg.), Reisen im 18. Jahrhundert. Neue Untersuchungen (Heidelberg 1986), 91–110; Peter J. Brenner, Der Reisebericht in der deutschen Literatur. Ein Forschungsüberblick als Vorstudie zu einer Gattungsgeschichte (Tübingen 1990). Siehe dazu mehr : Marianne Klemun, Verwaltete Wissenschaft – Instruktionen und Forschungsreisen. In: Anita Hipfinger, etc. (Hg.), Ordnung durch Tinte und Feder? (Wien / München 2012), 391–412; Gudrun Bucher, »Von Beschreibung der Sitten und Gebräuche der Völcker«. Die Instruktionen Gerhard Friedrich Müllers und ihre Bedeutung für die Geschichte der Ethnologie und der Geschichtswissenschaft (Quellen und Studien zur Ge-

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liche Expeditionswesen,179 sind ohne das Phänomen Instruktion nicht denkbar, ja sie verdanken ihr die spezifische Weiterentwicklung, weil sich weitere Expeditionen an solchen Instruktionen orientieren. Jedoch gibt es auch Geheimhaltung wie in unserem Falle. Wie sich Arbeitsteilung und Dokumentation für diese zwei dominanten naturkundlichen Praktiken des 18. Jahrhunderts als charakteristisch erweisen, so sind Instruktionen mit denselben Implikationen auch ein essentieller Teil von ihnen. Instruktionen für Forschungsreisen lassen sich demnach funktionell zwei unterschiedlichen Aufgaben zuordnen: Die eine besteht in der Methodisierung des Wissenserwerbs,180 die andere in der Bürokratie, dem administrativen Rahmen, in dem die Reise organisiert und finanziert wird. Die eine stellt epistemische Aspekte in den Mittelpunkt, die andere eher organisatorische, beide jedoch bestimmen die Praxis des auf Erwerb von Wissen ausgerichteten Reisens auf vielfältige Weise. Das Aquirieren von Artefakten und Naturobjekten ist für eine ernsthaft betriebene Naturgeschichte grundlegend. Prägend für die Folgezeit hat beispielsweise John Woodward den professionellen Umgang mit dem Sammelmaterial bestimmt. Dabei geht es um eine heute selbstverständliche Praxis, indem gefordert wird, dass das Aufgefundene mit der genauen Angabe der Herkunft und des Auffindungsorts sowie mit sonstigen Hinweisen zu belegen ist.181 Damit kommen die Objekte in Bezug zum Reiseverlauf, der den strukturellen Faden der Ordnung ausmacht. Instruktionen stehen auch für die Zielgerichtetheit, im Unterschied zu bereits überwundenem, früher rein dem Zufall überlassenen Vorgangsweisen.182 Auch die Instruktion für Jacquins Expedition entspringt der Autorität ihres Auftraggebers und enthält allgemeine Regeln bezüglich der Rangordnung aller Mitglieder des Teams sowie Hinweise auf die akribische Dokumentation und Organisation. Ihre Ausformulierung behält sich der an Naturforschung interessierte Kaiser selbst vor. Eigentlich setzt sie sich aus drei Aufträgen zusammen,

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schichte des östlichen Europa 63, Frankfurt am Main 2000); Philippe Despoix, Die Welt vermessen. Dispositive der Entdeckungsreise im Zeitalter der Aufklärung (Göttingen 2009), bes. 81–97. Eine allgemeine Einführung siehe auch: Marianne Klemun und Ulrike Spring (Hg.), Expeditions as Experiments. An Introduction, in: Expeditions as Experiments. Practising Observation and Documentation. Studies in the History of Science and Technology (Palgrave Mac Millan 2016), 1–25. Siehe dazu: Marianne Klemun, Österreichische wissenschaftliche Sammelreisen nach den Amerikas, 1783–1789. Intentionen, Implikationen und Instruktionen. In: Thomas Fröschl, Ursula Prutsch (Hg.), Österreich und die Amerikas. In: Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit 5 (2005), 21–35. John Woodward, Brief Directions for Making Observations and Collections, and for Composing a Travelling Register of all Sorts of Fossils (London 1728), 93–126, hier 93. Eine besondere Instruktion publizierte Carl von Linn8: Instructio Peregrinatorum. In: Ammoenitates academicae, Bd. 5 (Holmiae 1759), 298–313.

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nämlich Objekte für die Menagerie, den botanischen Garten in Schönbrunn und das Naturalienkabinett zu erbringen. Die Instruktion legt auch grob die Reiseroute fest: Jacquin möge zuerst die französischen Niederlassungen in Westindien aufsuchen, wenn dies nicht realisierbar sei, könne er auf die spanischen, englischen und holländischen ausweichen, um den Auftrag des Kaisers erfüllen zu können (siehe Abb. 5). Er solle sich vor Ort dann bei den Europäern und Eingeborenen über jene Plätze informieren, wo man z. B. Vögel aller Gattungen finden könne. Konkrete Angaben über Netze und Vogelleim etc. finden sich in den Vorgaben. Nur Raubtiere sind nicht erwünscht, bei Vierfüßern erwartet man Pärchen. Es wird Jacquin auch aufgetragen, sich zu bemühen, für die Absendungen der Tierfrachten hinsichtlich dieser ungewöhnlichen Güter moderate Kapitäne zu finden und die Fütterung und die Hege während der Überfahrt zu organisieren. Das Gleiche gilt für neue exotische, wohlriechende Pflanzen. Jeder Kiste, die mit Erde gefüllt wird, sei eine Liste über den genauen Inhalt und Details über den Fundort beizufügen. Besonders dieser Passus entspricht den Konventionen des professionalisierten Sammelns dieser Zeit. Bäume seien immer mit Früchten zu schicken und in der Beschreibung soll die Genießbarkeit vermerkt werden. Es obliege Jacquin, selbst zu suchen und auch den Eingeborenen wie besonders auch den Fischern die Suche im Meer und in den Flüssen nach Muscheln, Krustentieren und Versteinerungen aufzutragen. Schiffe, die nach Europa segeln, soll Jacquin mit Kisten bestücken, in denen die Objekte sauber und gut verstaut sind, damit sie nicht zerbrechen. Zum Schluss wird ihm noch ans Herz gelegt, sich mit viel Fleiß zu bemühen, den Geschmack Seiner Majestät des Kaisers in Bezug auf alle drei Objektgruppen zu befriedigen. Er dürfe keine Gelegenheit verpassen, etwas Neues kennenzulernen. Alle Listen sollen von den Beschreibungen separiert werden.183 Das knapp vor der Abreise zugefügte Supplement184 zu den Instruktionen erläutert konkrete Operationen bezüglich der Geldübergaben sowie den Reiseweg von Wien bis Marseille. Der kaiserliche Repräsentant in der Toskana, Comte de Richecourt,185 ist dazu ermächtigt, Jacquin in Florenz nach Vorlegung der Instruktionen das erforderliche Geld für die Reise zu geben und einen Ansprechpartner in Amerika zu nennen, wo ihm gegen Quittung die finanziellen Mittel ausgehändigt werden, um die Aufträge Seiner Majestät ausführen zu können. Weiters soll Jacquin sich von Florenz nach Livorno begeben und dort 183 Vgl. »Instruction Pour Le S. Nicolas Jacquin que Sa Majest8 Imperiale envoye en Amerique«, ÖNB, HAD, Cod. 12486, fol. 1–9. Volldigitalisiert. 184 Vgl. »Supplement # l’instruction du S. Nicolas Jacquin«, ÖNB, HAD, Cod. 12486, fol. 11–13. Volldigitalisiert. 185 Emmanuel Comte de Richecourt (1694–1768) war kaiserlicher Repräsentant in der Toskana.

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ein Begleitschreiben für den Grafen von Ginori186 abliefern, der ihm die Vogelsteller besorgen werde. Dort soll er sich auch Adressen aller französischer Häfen und Schiffe beschaffen, um die Sammlungen an den Kaiser senden und bereits im Vorhinein Briefe an die Korrespondenten richten zu können. Rücktransporte soll er wegen der günstigen Verkehrsanbindungen nach Marseille oder Toulon schicken, Sendungen nach Amsterdam müssen an Herrn Wilhelm Gideon Deutz187 adressiert werden. Schließlich aber, da man die Umstände, in denen sich Jacquin befinden wird, nicht absehen kann, werden die Übersendungen seinem Urteil und seiner Bedachtsamkeit überlassen. Dem 27jährigen Nikolaus Jacquin ist eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe in die Hände gelegt worden. Für die Auswahl seiner Person sprechen seine Beherrschung der französischen und niederländischen Sprache, seine »Bedachtsamkeit,« die ausdrücklich in der Instruktion erwähnt wird,188 sein großes Interesse für Botanik und bereits ausgezeichnete Kenntnisse der Linn8’schen Beschreibungstechnik wie auch der Systematik von Pflanzen. Auch das gute Verhältnis zu van Swieten und die in den Monaten seines Wiener Aufenthaltes entstandene Loyalität zum Kaiserhaus, aber nicht zuletzt auch die auf Martinique wohnhafte Verwandtschaft innerhalb der Kolonialelite, welche als Unterstützung vor Ort erhebliche Vorteile bieten sollte, spielen ebenfalls eine Rolle.189 Jacquin selbst hat sich im besten Wissensraum, im Naturalienkabinett, weitergebildet und – wie bereits geschildert – in der Kunst des Zeichnens geschult, um die Dokumentationen von Pflanzen selbst übernehmen zu können, denn es ist ansonsten kein ausgebildeter Künstler in dem aus vier Personen bestehenden Team (neben Jacquin der Gärtner Richard van der Schot und zwei Vogelfängern) vorgesehen. 186 Marchese Carlo Andrea Ginori (1702–1757), ein italienischer Politiker und Unternehmer, war seit 1746 Gouverneur von Livorno. 187 Wilhelm Gideon Deutz (1697–1757) war Bankier, Kaufmann und kaiserlicher Agent. Er war fünfmal Bürgermeister in Amsterdam und förderte im 18. Jahrhundert botanische Forschungsreisen. Die Pflanzengattung Deutzia wurde nicht nach ihm, sondern von Peter Thunberg in Dankbarkeit für den Förderer Johann von Deutz (1743–1788), ebenfalls Ratsherr in Amsterdam, im Jahre 1781 aufgestellt. Sie gehört zur Familie der Hortensiengewächse. 188 ÖNB, HAD, Cod. 12486, Suppl8ment # l’instruction (1754), fol. 13: »son jugement et # sa prudence en lui recommandant.« 189 Auf diesen Vorteil verweist Jacquin selbst: »Nachdem ich das Anerbieten angenommen hatte, beauftragte mich der Kaiser, dass ich die Karibischen Inseln und den angrenzenden Teil des amerikanischen Festlandes aufsuche, erstens weil von dort der Weg nach Europa kürzer und die Gelegenheit des Versandes häufiger und bequemer war, dann weil ich auf mehreren Inseln Blutsverwandte hatte, die in hohen Ämtern eingesetzt waren und mit deren Unterstützung sich mein Auftrag ungehinderter abwickeln ließe.« In: Nikolaus Joseph Jacquin, Plantarum rariorum Horti caesarei Schoenbrunnensis, Vol. 1 (1797), Praefatio. Eigene Übersetzung.

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II. 5. Der Expeditionsverlauf In der handschriftlichen biographischen Zusammenfassung190 von Jacquins Leben, autorisiert durch seinen Sohn Joseph von Jacquin und niedergeschrieben von Johann Nepomuk Raimann, der diese Biographie für seine »Rede zur Gedächtnisfeier des Nikolaus Freyherrn von Jacquin«, gehalten am 9. Juni 1818,191 gebraucht und die eine wichtige Grundlage der Rekonstruktion des Verlaufs für alle späteren Publikationen bisher dargestellt hat, bedankt sich Raimann bei Joseph Jacquin, dass er trotz Arbeitsüberlastung Zeit gefunden habe, aus den genau geführten Tagebüchern und Journalen192 seines Vaters hierfür Auszüge ausgewählt zu haben. Von diesen ist heute nichts mehr überliefert. Auch wurde von Jacquin selbst behauptet, dass die Journale während der Überfahrt verloren gegangen waren, was die Frage eröffnet, ob es sie wirklich gab oder der Reiseverlauf nur nachträglich nach den Rechnungen rekonstruiert wurde. Raimann konnte jedenfalls Jacquins Handschrift teilweise nicht genau lesen und so schlichen sich einige Fehler in seinen Text ein, die auch von anderen Journalen übernommen wurden.193 Sogar in die »Allgemeine Encyclopädie« (1818) ist dieser Text fast ident aufgenommen worden.194 Uns steht heute zwar außer der bereits erwähnten autobiographischen Quelle (»Die Reise meines Vaters nach Westindien«) kein eigener Reisebericht aus Jacquins Feder zur Verfügung, aber im Haus-, Hof- und Staatsarchiv ein Konvolut von Rechnungen über die Auslagen bei Jacquins Unternehmung.195 Diese stellen eine aussagekräftige Quelle dar, die uns überraschende Einblicke in die Durchführung dieser Karibikexpedition gewährt. Wir finden hier unterschiedliche Kostenaufstellungen etwa für alle Transportmittel, die Ausgaben für den Gärtnergesellen und die beiden Vogelsteller, für Verpflegung und Unterkunft, für Kleidung und verschiedene andere Ausgaben, sogar für den Verlust durch Währungswechsel. Insgesamt tragen alle von uns konsultierten Quellen – die biographische Handschrift, handschriftliche Familiennotizen, ausführlichste Reiserechnungen, die mitgegebenen Instruktionen, viele ungedruckte Briefe196 190 »Reise meines Vaters nach Westindien«. In: Joseph Jacquin, Biographie des Nikolaus Jacquin, ÖNB, HAD, Cod. Ser. n. 9755, fol. 16–66. Siehe dazu auch unsere Edition. 191 Johann Nepomuk Raimann, Rede zur Gedächtnissfeyer des Nic. Jos. Freyherrn v. Jacquin (1818). 192 »Reise meines Vaters nach Westindien«. ÖNB, HAD, Cod. Ser. n. 9755, fol. 67. Siehe dazu unsere Edition. 193 Wie z. B. »Raz de Marne« müsste Raz-de-mar8e (Sturmflut, Flutwelle) heißen. 194 Siehe der Eintrag zu »Jacquin« in Johann Samuel Ersch und Johann Gottfried Gruber, Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste (Leipzig 1818), Sect. 2, Th. 20. 195 Vor allem die Angaben der Reiserechnungen werden einer Auswertung unterzogen: HHStA, Hausarchiv, Poschakten, JS, Karton 2, 2–16. 196 Besonders jene mit Benoit Aquart, der als Handelsmann auf Martinique lebte und Jacquins

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und zeitgenössische Literatur – dazu bei, uns das Gebaren dieser Sammelreise in der Mitte des 18. Jahrhunderts plastischer vor Augen zu führen und unser bisher ausschließlich auf den handschriftlichen Aufzeichnungen sowie darauf fußenden Nacherzählungen basierendes Wissen zu erweitern und zu verdichten. In den schon zuvor erwähnten handschriftlichen Aufzeichnungen über die Reise197 werden die Daten der verschiedenen Inselbesuche penibel aufgelistet und auch jedes Schiff für die diversen Transporte und Überfahrten genannt. Die betreffenden »Kapitäne« werden namentlich angeführt sowie en passant Piratenüberfälle und Kaperungen erwähnt, erzählerische Passagen und Einschätzungen der Bevölkerung oder Landschaften werden jedoch gänzlich ausgespart. Die Orte, der Reiseverlauf und die Absendung von Sammlungen stehen im alleinigen Interesse des Berichts. Die Niederschrift entspricht offensichtlich den in den Instruktionen festgeschriebenen Vorgaben, weshalb es nicht verwunderlich ist, dass viele für uns wichtige Informationen zu Aspekten von Jacquins Vorgangsweise während seiner Sammeltätigkeit in diesem handschriftlichen Bericht gänzlich fehlen. Im Zusammenhang zwischen Instruktion, Reisegebaren und Bericht (bzw. Autobiographie) schlägt die Hegemonie der Instruktion durch. Ihre Aufgabenstellung wirkt nachhaltig und schreibt sich auch kognitiv ins Gedächtnis Jacquins ein, wenn er noch 40 Jahre später in einem Vorwort zu einer gänzlich anderen Materialien gewidmeten Publikation sich der Reise erinnert und die Transporte in den Vordergrund der Schilderung stellt.198 Auch der Verweis auf die Namen der Kapitäne unterstreicht legitimatorisch die Bedeutung der Ladungen als Herz der Expedition, die an Bord der Schiffe der Aufsicht dieses Personals unterliegt so wie auch gleichsam den von Wien aus beauftragten Begleitpersonen von Lebendpflanzen und Tieren. Fragen – wie die nach seinen Kontaktpersonen, der Rolle seiner Verwandten auf Martinique oder die nach dem Alltagsleben in der Karibik, seinem Verhältnis zur Plantagenwirtschaft und zur Sklaverei, zu den Auswirkungen des Siebenjährigen Krieges usw. – werden wir in einem eigenen Kapitel aufgrund anderer Quellen,199 wenn auch nur in Spuren, noch beantworten. Hier geht es zunächst des Überblicks wegen um die Route im Sinne einer eher traditionellen Ereignisgeschichte. Lassen wir nun Jacquin endlich unterwegs sein: Die erste Etappe der Expedition erfolgt auf dem Landweg. Am 9. Dezember 1754 reist Nikolaus Joseph Begleiter wurde. Siehe dazu die 8 Briefe von B. Aquart an Jacquin 1755–1757, NHM, AfW, Nr. 286553/35 – Nr. 286553/42. 197 »Reise meines Vaters nach Westindien«. ÖNB, HAD, Cod. Ser. n. 9755, fol. 16–66. Siehe dazu unsere Edition. 198 Nikolaus Joseph Jacquin, Plantarum rariorum Horti caesarei Schoenbrunnensis, Vol. 1. (1797), Praefatio. 199 Die Basis dafür sind die Angaben der Reiserechnungen: HHStA, Hausarchiv, Poschakten, JS, Karton 2, 2–16.

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Jacquin begleitet von dem Schönbrunner Gärtner Richard van der Schot mit der Diligence von Wien ab. Nach einer Nächtigung in Graz geht es über Triest nach Venedig und dann über Bologna, Florenz, Pisa nach Livorno, wo sich die beiden vom Grafen Ginori ausgesuchten Vogelsteller, Giovanni Buonamici und Francesco Barculla, der Reisegesellschaft anschließen. Jetzt gibt es kein Zurück mehr, Jacquin ist unterwegs und endlich auch nicht mehr mittellos. Er, der jahrelang am Existenzminimum gelebt hat, schickt nun von Livorno aus Golddukaten an seine in Leiden lebende Mutter und Schwester, an seinen Bruder Johannes und bittet den Freund Jakob Gronovius seiner in den Niederlanden lebenden Liebsten ein Jahr lang täglich großzügig einen Schilling zu übergeben.200 In Livorno residiert Jacquin beim Gouverneur Carlo Ginori und fühlt sich wie ein Prinz behandelt. Später wird er sich mit der Dedikation einer Pflanzengattung öffentlich für die Gastfreundschaft bei Ginori erkenntlich zeigen (Abb. 6). Jacquin befindet sich nun an jenem Ort, der in den Augen von Montesquieu (ausgedrückt mit den Worten des Briefschreibers Usbeck aus den »Persischen Briefen«) mit seinen Gewürzläden als »die blühendste Stadt Italiens«201 gilt. Im Jahre 1679 ist hier erstmals ein neuer Geschmack, von den Spaniern Pimienta da Chapa (Jamaika-Pfeffer)202 genannt,203 bewundert worden, eine Vorliebe, die den sensiblen Gaumen der Eliten vor neue Herausforderungen gestellt hat. So stimmen die Konnotationen feiner Gerüche dieser Hafenstadt wohl auch Jacquin auf die Neue Welt ein. Wie vom Kaiser gefordert, steht Jacquin unterwegs im direkten brieflichen Kontakt mit der kaiserlichen Familie und hat nun schon, wie er überschwänglich feststellt, in kürzester Zeit zwei Sprachen dazugelernt, Deutsch und Italienisch, Englisch beherrscht er in bescheidenem Ausmaß, und er hofft, in Amerika Spanisch und Portugiesisch zu erlernen. All dies berichtet er stolz seinem Freund Jakob nach Leiden.204 Nach einer stürmischen Überfahrt in Toulon gestrandet, bringt die Postkutsche das Team nach Marseille, dem wichtigsten Handelshafen für Westindien, wo Jacquin auch die günstige Gelegenheit ergreift, den berühmten Gelehrten Charles-Marie de la Condamine (1701–1774) zu besuchen. Arrangiert wird dieses Treffen von dem italienischen Enzyklopädisten Filippo Venuti.205 La Condamine persönlich kennenlernen zu wollen ist eine kluge Entscheidung, hat doch dieser Weltreisende von 1735–1748 auf Santo 200 Vgl. Jacquin an Gronovius, 29. Brief, 13. Jänner 1755, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 37r/v. 201 Charles-Louis de Montesquieu, Persische Briefe (Frankfurt am Main 1988), 45. 202 Piment, zu den Myrtengewächsen zählend, auch Nelkenpfeffer, wurde lange als Jamaikapfeffer bezeichnet. 203 Vgl. dazu: Piero Camporesi, Der feine Geschmack. Luxus und Moden im 18. Jahrhundert (Frankfurt / New York 1992), 65. 204 Vgl. Jacquin an Gronovius, 29. Brief, 13. Jänner 1755, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 37r/v. 205 Filippo Venuti (1709–1769) war ein italienischer Archäologe und Enzyklopädist.

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Abb. 6: Mit der »Ginoria Americana« (Ginoria americana Jacq.) bedankte sich Jacquin für die freundliche Aufnahme im Hause des Gouverneurs Carlo Ginori in Livorno (N. J. Jacquin, Selectarum, 1763)

Domingo Station gemacht, bevor er von seiner Amazonasreise zurückgekehrt ist. Hier holt sich Jacquin wohl auch noch für seine Destination spezifische Tipps ein und kann auch einmalige exotische Naturobjekte sehen. Von hier führt ihn dann ein Abstecher nach Montpellier, um den Sensualisten Claude Adrien Helv8tius (1715–1771) und den Botaniker FranÅois Boissier de Sauvages (1706– 1767) persönlich zu treffen. Diese letztere Begegnung hat wahrscheinlich van Swieten angeregt, der mit Sauvages206 im engen Briefverkehr steht. Mit vielen

206 Francois Boissier de Sauvages de Lacroix (1706–1767) war französischer Botaniker in

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dieser neuen Bekanntschaften – wie Ginori, La Condamine und Sauvages – wird Jacquin über viele Jahre brieflich in Verbindung bleiben. Zwischen der Abreise aus Wien und jener nach den Zuckerinseln liegen aus Gründen der Regelung der Reiseerlaubnis und diplomatischer Kontakte mehr als vier Monate, denn erst am 21. April 1755 legt das Reiseteam von Marseille ab,207 hält sich kurz noch in M#laga auf und überquert am 11. Juni den nördlichen Wendekreis, wo alle Mitreisenden, die das erste Mal diese Erfahrung machen, nach altem Seemannsbrauch getauft werden, was natürlich mit Kosten verbunden ist. Erreicht wird nach einer 69-tägigen Überfahrt am 28. Juni 1755 St. Pierre auf Martinique. Eine Schiffsreise an Bord eines Kauffahrtschiffs dieses Jahrhunderts bedeutet keineswegs ein reizvolles Abenteuer, kaum Komfort, sondern eher Bedrohung durch Naturgewalten wie heftige Stürme (siehe Abb. 10) und räumliche Enge. Wenngleich sich Jacquin nicht weiters über die widrigen Bedingungen einer solchen Segelfahrt auslässt, wissen wir aus anderen zeitgenössischen Berichten, dass sie unangenehme Ausmaße erreichen. Sie ergeben sich aus dem »ekelhaften Schmutz, widerlichen Gestank, hervorgerufen durch Teer und den Kot zahlreicher Tiere aller Arten, Mangel an Wasser, das genau eingetheilt werden muß, gesundheitliche Zerrüttung als Folge von Pökelfleisch und überhaupt schlecht zubereiteter und ungesunder Nahrung, ständigen Krach tag und nachts…«208 Für den französischen Naturforscher Pierre Poivre ist ein Schiff nichts anderes als »der verdrießlichste und unerfreulichste Aufenthaltsort der Welt.«209 Trotz der wenig luxuriösen Umstände hat eine solche Überfahrt einen stolzen Preis, sie kostet 1600 Gulden,210 was etwa zwei Jahresgehältern eines Universitätsprofessors oder eines guten Beamtensalärs entspricht. Auf Martinique – glücklich alle Beschwerden überstanden zu haben – angekommen, wird das Gepäck von »negres porteurs« ausgeladen und auf winzigen Booten nach Saint Pierre überführt. Man nimmt sich einen einheimischen Führer und segelt mit den kleinen Booten die Küste entlang, auch nach Fort

207

208 209 210

Montpellier. Er verkehrte brieflich mit Linn8 und van Swieten. Mit Letzterem verbanden ihn Meinungsverschiedenheiten mit Albrecht von Haller. Amtlich wird ein früheres Datum angegeben: Colonies F/5b/1, passagers embarqu8r et d8barqu8s / Marseille: le 17/04/1755 est inscrit le d8part pour la Martinique, sur la F8licit8, de »Jacquin Jh et 3 domestiques«. Zit. nach: Santiago MadriÇ#n, Bernadette et Philippe Rossignol, Le botaniste hollandais-autrichien Nikolaus Joseph Jacquin et sa famille de la Martinique. In: G8n8alogie et Histoire de la Caraibe, Nr. 206 (Septembre 2007), 5295–5301. Stimmt jedoch mit Jacquins Aufzeichnungen und Kostenaufstellung nicht überein. Siehe: HHStA, Hausarchiv, Poschakten, JS, Karton 2, 2–16. Pierre Poivre, Reise eines Philosophen 1768. Eingeleitet, übersetzt und herausgegeben von Jürgen Osterhammel (= Fremde Kulturen in alten Berichten 4, Sigmaringen 1977), 48. Poivre, Reisen eines Philosophen (1997), 46. HHStA, Hausarchiv, Poschakten, JS, Karton 2, 2–16, fol. 68.

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Royal.211 Die Reise per See gestaltet sich stets schneller als zu Lande. Jacquin wird bei einem Verwandten, Claude FranÅois Jacquin (1695–1770), dem Cousin von Nikolaus’ Vater und Geschäftsführer der Admiralität,212 emphatisch willkommen geheißen. Nun muss der Alltag organisiert werden. Jacquin besorgt sofort Gegenstände für den tagtäglichen Gebrauch, Hängematten und die dazugehörigen Pflöcke für sich und für van der Schot. Betten für die Vogelsteller, vier einfache Holztischchen, etliche Sessel, drei Nachttöpfe und einen Kleiderständer.«213 Im August wird bis Ende des Jahres ein einheimischer Diener angestellt, die Gruppe durchzieht Martinique per Pferd und per Boot. Orte wie Cul-de-Sac du Marin, St.-Anne, RiviHre-Sal8e, La Trinit8, Le Lamentin, Basse-Point, Le Robert, werden aufgesucht und Sammlungen angelegt. Für drei Monate wird ein Haus gemietet, die Wäsche lässt man reinigen und auch der »perruquier« wird immer monatlich bezahlt. Relativ wenig Zeit widmet sich der Vogelfänger Buonamici der Insel St. Vincent (12.–17. Oktober), aber es werden außer Vögel auch Bäume von dieser Insel zu Jacquin nach Martinique verschifft. Ende November segelt Buonamici nach Grenada und kehrt erst Ende Jänner 1756 wieder nach Martinique zurück. Barculla wird zur Ader gelassen und Jacquin besorgt Sättel, Zaumzeug, Sporen, was auf viele Ritte innerhalb dieser Insel schließen lässt. Am 21. April 1756 kauft Jacquin einen jungen »Neger«,214 der ihm bei seinen Unternehmungen behilflich ist. In diesem Jahr werden St. Eustache, St. Martin und St. Christopher bereist, Barculla wird nach St. Barth8lemy geschickt. Anfangs August wird Buonamici mit einem Sammlungstransport von St. Eustache zurück nach Livorno beordert. Fast ein Jahr verbleibt Jacquin auf der Insel Martinique, bis er dann seine nächste Destination erreicht: Im Mai 1756 gehen die Vogelsteller und kurz darauf auch Jacquin nach St. Eustache. Auch hier können sie auf Jacquins verwandtschaftliches Netzwerk zurückgreifen. Die Frau des Gouverneurs der Insel ist eine geborene van Heyningen, eine Verwandte seiner Großmutter mütterlicherseits, und Jacquin erfährt hier tatkräftige Unterstützung durch diese Verbindung. Am 27. Mai 1756 begibt sich Jacquin von St. Eustache nach St. Martin; auch dort hat er verwandtschaftliche Bindungen und nützt die Zeit, die Salinen von Simonsbay zu besuchen. Nur indirekt erfahren wir aus einer Anekdote, dass er infolge der durch die Niederländer evozierten Abholzungen auf der Insel St. Martin in ariden Bereichen unterwegs ist, denn es widerfährt ihm das Unglück, dass er stürzt, dabei auf einen Kaktus fällt und am Bein verletzt wird; er vermerkt in seinem Journal, dass 211 212 213 214

HHStA, Hausarchiv, Poschakten, JS, Karton 2, 2–16, fol. 68. Vgl. MadriÇ#n, (2007), 5297. HHStA, Hausarchiv, Poschakten, JS, Karton 2, 2–16, fol. 148. HHStA, Hausarchiv, Poschakten, JS, Karton 2, 2–16, fol. 110.

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ihm die Blätter der Jathropha215 Genesung gebracht haben.216 Die Heilwirkung der verschiedenen Pflanzen interessiert ihn besonders, er macht sich Notizen darüber und berücksichtigt sie auch in seinen späteren Publikationen. Der Unfall wird zur bekannten Episode. Wir kennen nämlich die Kaktusgeschichte auch aus Georg Forsters Tagebuch von 1784, der sie angesichts seines Besuches bei Jacquin in Wien ebenfalls zu hören bekommt. Sie steht für die einzelnen immer wieder erzählten und auch in der Literatur rezipierten Begebenheiten, die anekdotisch wirken, weil der Kaktusstachel zum Akteur wird und eine Pflanze die Heilung erwirkt. Die Angelegenheit ist auch mit dem für jeden Botaniker charakteristischen Akt des Benennens verknüpft:217 »Jacquin trat einst in einen Cactus im Fallen, dergestalt dass er sich nicht losreißen konnte, sondern die Stacheln mussten abgeschnitten werden. Ein Bad welches aus einem Decoct von Foliis Jatrophae crocus bestand heilte ihn, le Medicinier heißt daher dieser Baum.«218 Nach seiner Rückkehr auf St. Eustache schickt Jacquin den Vogelsteller Barculla nach Martinique, um mehrere dort zurückgelassene Naturobjekte, gesammelte und verpackte Pflanzen und Tiere, abzuholen. Von Benoit Aquart, seinem neu gewonnen Freund auf Martinique, bekommt Jacquin aktuelle Nachrichten, die mit einem Schiff aus Marseille eingetroffen sind. Er hört von den Kämpfen um die Insel Menorca (Span. Minorca).219 Aquart zeigt sich besonders besorgt um Jacquin, denn er hat von der englischen Kaperung220 des Schiffes, auf dem sich Jacquin befindet, erfahren und befürchtet Schlimmstes. Es machen sich nun die Auswirkungen des Krieges überall bemerkbar. In der Zwischenzeit ist Jacquin wieder nach Martinique zurückgekehrt, dem Freund fällt ein Stein vom Herzen. Jacquin bleibt dort bis zu seiner Abreise nach Curacao am 4. Februar 1757. Nun heißt es für Jacquin, sich von Martinique und seine Verwandten für immer zu verabschieden. Alsbald meldet er aus Curacao seinem Freund Jakob Gronovius in einem kurzen Schreiben, dass er gesund ist und seine

215 Jacquin hat in seinem Werk eine Varietät dieser Art abgebildet: Nikolaus Jacquin, Icones Plantarum Rariorum, 3 Vol. (Wien 1781–1793), im 3. Vol. (1793), tab. 623. 216 Vgl. »Reise meines Vaters nach Westindien.« ÖNB, HAD, Cod. Ser. n. 9755, fol. 16–66, hier fol. 29. 217 Siehe dazu auch das ausführliche Kapitel in: Freer, Linnaeus’ (2003), 169–214. 218 Brigitte Leuschner (Hg.), Georg Forsters Werke. Sämtliche Schriften, Tagebücher, Briefe. 12. Bd. (Berlin 1973), 109. 219 B. Aquart an Jacquin, Brief, St. Pierre, Martinique, 2. März 1761, NHM, AfW, Nr. 286553/43. Am Beginn des Siebenjährigen Krieges verlor England die Insel Minorca an die Franzosen. Die Eroberung dieser wichtigen Seebasis beeinflusste Westindien direkt, weil die französische Mittelmeerflotte nun mehr für den Karibik-Verkehr eingesetzt wurde. 220 Vgl. Aquart an Jacquin, Brief, o. O. und undatiert, vor dem 17. Juli 1756. NHM, AfW, Inv. Nr. 28653/39.

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Aufgaben gut verrichtet. Er schätzt zu diesem Zeitpunkt, in einem Jahr wieder zuhause in Wien zu sein.221 Während 1756 Jacquin die Inseln St. Eustache, St. Martin, St. Christopher und Montserrat besucht und von unterwegs viele Pflanzen auf die Basisinsel Martinique schickt, wo sie gewartet und von dieser Zwischenstation in zahlreichen Transporten nach Europa überführt werden, müssen nun neue stationäre Sammelplätze unterwegs auf Curacao errichtet werden. 1757 geht es süd-westwärts nach Curacao, dem venezolanischen Festland um Coro de la Vela und dann nach Norden zu den Großen Antillen: St. Domingo und Jamaika. Im November 1756 findet sich in den Rechnungsnotizen erstmals ein gewisser Alix aus BesanÅon,222 der anscheinend an Stelle von Buonamici getreten ist. Zu dritt (Jacquin, Barculla und Alix), denn van der Schot und Buonamici haben Transporte nach Europa begleitet, sammeln sie in Curacao, wo Jacquin auch einen mulattischen Koch einstellt. Im März 1757 schifft sich Alix für die Überfahrt nach Aruba ein, kehrt dann wieder nach Curacao zurück und begleitet den großen Transport vom 20. Mai nach Europa. Eine glückliche Heimkehr bleibt ihm verwehrt. Er gelangt zwar noch bis Amsterdam, stirbt aber dann auf der Reise durch Deutschland an der Ruhr. Anfangs Juni besuchen Jacquin und Barculla Venezuela, die Gegend um Coro und Puerta Real de la Vega. Sie mieten sich Esel und Maultiere für das Gepäck, da sie nun auch das Gebirge zu überschreiten haben. Am 24. Juni 1757 wieder auf Curacao zurück, lässt Jacquin hier seine Pistolen überholen, kauft Strümpfe und erneut Schuhe für sich und Barculla, auch wieder Nachttöpfe, lässt die Wäsche reinigen und beschäftigt erneut den Perückenmacher und Barbier. Die nächste Destination wird am 25. August 1757 mit St. Domingo angepeilt, wo sie erst Mitte September ankommen. Hier erwirbt Jacquin einen Sack Magnetsteine für gutes Geld, dann erkrankt er schwer an »Lienterie« (Durchfall), wodurch er über drei Monate unfreiwillig zum Verbleib auf der Insel gezwungen ist. Trotzdem führt er seine Arbeit so gut es geht weiter, Rechnungen über »Chaises« (zweirädrige Wägelchen) belegen dies.223 Schließlich wird der Anker in Richtung Jamaika gelichtet und Jacquin wird gleich zweimal von Piraten überfallen,224 bis am 22. Jänner 1758 das Schiff in Port Royal auf Jamaika einläuft. Hier gibt es Unstimmigkeiten zwischen Jacquins

221 Jacquin an Gronovius, 32. Brief, Curacao, 17. März 1757, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 40r. Eigene Übersetzung. 222 Taucht in der Literatur als Alix Vesuntium auf, dem lateinischen Namen für BesanÅon. 223 Vgl. HHStA, Hausarchiv, Poschakten, JS, Karton 2, 2–16, fol. 68–73 »Compte des Depenses en voitures, embarquements«. 224 Vgl. Jacquin an Linn8, Wien, 24. Oktober 1759 (L 2597), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net.

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biographischer Beschreibung und der Auflistung seiner Reisespesen,225 wonach er am 28. Dezember 1757 Haiti verlassen hat sowie schon am 1. Jänner 1758 in Jamaika eine Sänfte bezahlt, die ihn zum Haus des Gouverneurs bringt und am 4. Jänner ein Zimmer mietet. Vielleicht haben Piratenüberfälle auf der Fahrt von Curacao nach »Domingue« stattgefunden, da diese Überfahrt fast einen Monat dauert. In Jamaika versucht Jacquin sofort Admiral Sir Charles Knowles,226 den dortigen Gouverneur, zu treffen, der jedoch 1756 von Sir Henry Moore227 abgelöst worden ist. Moore erlaubt Jacquin großzügig, auf der Insel Pflanzen zu sammeln, und so werden die Gegenden um Kingston und Spanishtown botanischen Exkursionen unterzogen. Überraschenderweise fällt die weitere Reisewahl diesmal auf Cartagena, den wichtigsten spanischen Hafen und ein kulturelles Zentrum im Norden Südamerikas. Warum Jacquin nochmals die lange Schifffahrt in den Süden auf sich nimmt, ist nicht zu klären. Nach der schwierigen, lebensgefährlichen Überfahrt im März 1758 auf einem Sklavenschiff, in dem diese armen Abhängigen unter unmenschlichsten Zwangsbedingungen transportiert werden,228 macht Jacquin sogleich dem Gouverneur Don Diego Tabares229 in Cartagena seine Aufwartung. Wieder werden mehrere Exkursionen ins Landesinnere unternommen, Mulatten werden für die Begleitung Barcullas nach Zinu gemietet, auch Boca Chica, die Hafeneinfahrt von Cartagena, wird mehrmals aufgesucht. Nach einer schweren Erkrankung an Gelbfieber, die durch Jacquins Arztrechnung und die Medikamentenkosten belegt ist, sucht er nach dem Besuch des sehr prunkvollen Fronleichnamsfestes in Cartagena nach einer Gelegenheit, schnell und auf kürzestem Weg nach Europa zu gelangen. Aber es gibt keine Schiffe, die seine lebenden Tiere als Ladungen direkt nach Europa mitnehmen können, weshalb sich die Reise nach Cuba verlagert, wo sie nach 17-tägiger Fahrt auf Cap Antoine ankommen. Jacquin wird dort vom Generalgouverneur Francesco Carigal della Vega zuvorkommend empfangen und dieser verschafft ihm einen bequemen Ort zum Auspacken und Aufstellen seiner Tiere. Das ist sehr wichtig, da die Zudringlichkeiten der Bewohner, besonders des weiblichen Teils derselben, wie er es in seiner Erinnerung extra betont, da er diese Art von Neugier allein den Frauen unterstellt, bis in die späteren Abendstunden andauern. Auch hier wird noch botanisiert und gesammelt, Sänften bzw. zweirädrige kleine Wägen werden bezahlt und am 4. Jänner die Tiere wieder verladen 225 226 227 228

Vgl. HHStA, Hausarchiv, Poschakten, JS, Karton 2, 2–16, fol. 72 und 81v. Charles Knowles (1704–1777) wirkte als Gouverneur und Admiral in Jamaika (1752–1756). Henry Moore (1713–1769) war Gouverneur in Jamaika von 1756 bis 1759. »Reise meines Vaters nach Westindien«. ÖNB, HAD, Cod. Ser. n. 9755, fol. 49. Siehe auch Edition. 229 Diego Tabares war von 1753–1761 Generalmajor und Gouverneur in Kartagena, der Hauptstadt von Neugranada.

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sowie Barculla und Jacquin an Bord gebracht. Alle verlassen schlussendlich mit ihrem letzten Sammeltransport Havanna in Richtung Europa. Nach einer siebenwöchigen Überfahrt erreichen sie im Feber 1759 den Hafen Ferole und über Nordspanien geht es nach Frankreich. Von Toulouse schickt Jacquin noch ein Schreiben230 an Ritter von Baillou und rühmt sich darin, auch mit diesem letzten Transport den Geschmack seiner Majestät getroffen zu haben. Weiter geht es südlich nach Frontignon und Montpellier, dann jedoch wieder nordwärts nach Lyon, BesanÅon, Straßburg und über Ulm donauabwärts nach Wien. Dass die Umwege durch die sich bietenden Verkehrsverbindungen bedingt sind, ist zu vermuten. Zuvor besorgt sich Jacquin noch einmal Seidenstrümpfe, Schuhe, Stiefel, Hosen, Handschuhe, Perücke und Hut. Auch Tinte und Feder werden gekauft und ein neues Schloss für seinen Koffer. Am 17. Juli 1759 erreicht er auf der Donau Wien. Sechs Tage später fährt er mit dem Fiaker nach Schönbrunn, um die Schiffsladungen persönlich entgegenzunehmen.

Abb. 7: Beleg über die Gesamtkosten der Karibik-Expedition

230 Jacquin an Baillou, Brief von Toulouse, 26. Mai 1759, NHM, AfW (ohne Signatur).

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Die Kosten dieser fast fünf Jahre dauernden Expedition belaufen sich auf eine Totalsumme von 27707 Gulden, 20 Kreuzern231 (Abb. 7). Diese Summe entspricht etwa fünfzehn Jahresgehältern eines gut bezahlten Universitätsprofessors. Alle Beträge sind in den Aufzeichnungen immer in den jeweiligen Währungen angegeben und auch die Verluste durch Geld- und Tauschwechsel werden angeführt. Die detaillierten Rechnungsauflistungen, getrennt nach Beförderungsmittel, Kost und Quartier, Kleidung, etc. eröffnen uns – wenn auch manchmal schwer entzifferbare – Einblicke in jenen Alltag der Reisenden, der noch zu besprechen sein wird.

II. 6. Hohe Diplomatie Jacquin ist kein gewöhnlicher Reisender, steht er doch eigentlich für den Zeitraum der Expedition im Dienst des Kaisers. Seinen Reisestationen in Übersee gehen diplomatische Korrespondenzen auf höchster Ebene voran. Seine Destinationen müssen im Voraus angekündigt und sein Aufenthalt auf einem ausländischen Boden vom jeweiligen Repräsentanten der europäischen Macht bewilligt werden. Er kann aufgrund seiner hohen Mission durchaus erwarten, unterwegs zuvorkommend behandelt und von den Herrschaftsträgern freundlich empfangen zu werden, was sich bereits in dem von Österreich Jahre zuvor inkorporierten neuen Hafen in der Toskana bewahrheitet. Franz Stephan hat, nachdem er 1740 mit der Toskana belehnt worden ist, den Hafen von Livorno ausbauen lassen,232 stellt er doch, rein geopolitisch gesehen, ein wichtiges neues Tor für den Zugang der habsburgischen Länder zum westlichen Mittelmeer dar. Jacquins Seereise geht also nicht zufällig von diesem Hafen aus, und er wird vom Carlo Ginori, Gouverneur von Livorno, persönlich empfangen.233 Jedoch nutzt der Hof nochmals die Gelegenheit, ihm die Pflichten einzuschärfen und den geforderten engen Kontakt aufrechtzuerhalten, und so erhält Jacquin am 29. Jänner 1755, inzwischen bereits in Marseille weilend, einen Brief von Franz Joseph von Toussaint, dem kaiserlichen Kabinettssekretär, in dem dieser den Erhalt des Jacquin’schen Briefes vom 3. Jänner 1755 aus Livorno bestätigt. Ihm wird eröffnet, dass Jacquins Schreiben Seiner Majestät vorgelesen worden ist. »Sie« habe ihm befohlen, Jacquin anzuweisen, die Instruktionen immer wieder zu lesen, und Toussaint fügt hinzu: »Je sens bien que pour votre particulier vous souhaiteri8s voir tous ces pais, mais vous devez toujours avoir devant vos veux vos instructions et examiner, si dans les lieux oF 231 HHStA, Hausarchiv, Poschakten, JS, Karton 2, 2–16. 232 Siehe Zedinger, Franz Stephan, (2008), 151. 233 Vgl. Jacquin an Gronovius, 29. Brief, 13. Jänner 1755, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 37r/v.

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votre curiosit8 vous porte il y a Esperance d’y trouver quelque chose de ce que Sa Majest8 Imp8riale demande, et c’est / quoi vous devez infiniment r8fl8chir, de mÞme qu’/ la d8pense qui montera extrÞmement haut.«234

Dem Brief aus Wien sollte ein Schreiben van Swietens angeschlossen sein, welches nicht übermittelt worden ist, aber die Intention deutet jedenfalls darauf hin, dass auch dieser seinem Schützling wohl Ratschläge oder Direktiven nochmals nahelegen will. Da die Expedition in erster Linie die unter der französischen Krone stehende Zuckerinsel Martinique anpeilt, muss Jacquin auch persönlich am 3. Februar 1755 mit dem kaiserlichen Botschafter in Paris, Seiner Exzellenz Graf Starhemberg, brieflich in Kontakt treten. »Son Excellence, ayant odre de S.M. L’Empereur de faire avec ma suite, compose de trois [!] personne, un voyage aux Isles Francoises de l’Amerique par rapport l’histoire Naturelle, et d’envoyer a S.M. Imp.le toutes sortes d’Animaux, Plants et Fossilles, pour Embellissement du Cabinet d’histoire naturelle, de la Menagerie, et de Jardin de S.M. Imp.le, et etant venue de Vienne en Autriche par l’Italie a Marseille, afin de m’y embarquer en droiture pour la Martinique par une occasion, qui s’offre pour la fin de ce mois; les Negotiants et autres, auquels je suis icy adress8 par S. E. le Comte de Richecourt et par S.E. le Marquis Ginori, ont jugHs etre necessaire, que je fuser porou de recommandations du Ministre de la Marine de France aux Gouverneurs, Commandeurs, et autres officiers des dites Isles, afin d’eviter tout contretemps, que faute de telles precautions pourroient m’arriver. Je prie donne S. E., de vouloir bien me procurer ces dites letters, et me les envoyer a Marseille, a l’envelope de Mr de L’Isle l’aine, ou du Chevalier Fignorini [?], agent de S.M. l’Empereur a Marseille, a que S.M. Imp.le m’a fait addresser. J’ai ecrit aujourdhui a S.E. Je suis avec un profound respect de Son Excellence, Le tres humble et tres obeissant Serviteur Jacquin.«235

Ob die Entschließung für die französischen Zuckerinseln als Reisedestination auch durch den frankophilen Staatskanzler Fürst Wenzel Anton von KaunitzRietberg beeinflusst wird, der die Außenpolitik neu prägt, weil er ihr große Beachtung schenkt, ist nicht nachweisbar, aber möglich. Der zeitliche Zusammenfall mit dem Beginn einer Staatskanzlei, die sich ab Mai 1753 verstärkt der Außenpolitik zuwendet, ist auffällig.236 Starhemberg ist übrigens Kaunitz’ Nachfolger als Botschafter in Paris. Ihm eröffnet Jacquin seinen kaiserlichen Auftrag und teilt ihm auch mit, dass er in Marseille auf die nächste Gelegenheit 234 Zit. nach Riedl-Dorn, Zu Freibeutern und Piraten (2009), 278ff. Leider konnten wir diesen Brief nicht persönlich einsehen, da er uns nicht vorgelegt wurde. 235 HHStA: St.K, Karton 6: Wissenschaft, Kunst und Literatur, VI. Naturwissenschaften und Mathematik: A–Q, fol. 161 auf Rückseite mit Bleistift »an Starhemberg«. 236 Siehe dazu: Franz A. J. Szabo, Kaunitz and Enlightened Absolutism 1753–1780 (Cambridge, USA 1994).

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warte, um nach Martinique segeln zu können. Seine hiesigen Vertragspartner, an welche er durch Seine Exzellenz Graf de Richecourt und durch Seine Exzellenz Marquis de Ginori verwiesen worden sei, hätten es als erforderlich erachtet, dass er sich mit Empfehlungsschreiben des französischen Marineministeriums an Gouverneure, Kommandeure und andere Offiziere der französischen Inseln ausstatten lasse, um allfällige Zwischenfälle zu vermeiden. Er bittet nun den höchsten Vertreter Österreichs in Paris, ihm diese Schreiben zu besorgen und nach Marseille zu senden. Gleichzeitig wird Toussaint von dem Schreiben an Starhemberg informiert und Toussaint antwortet Jacquin bereits am 24. Februar, dass Seine Majestät ungehalten sei, weil Jacquin nicht von der Begleitung des Pere de la Valette,237 eines Jesuiten, nach Martinique profitiert habe. Er gesteht allerdings im gleichen Atemzug ein, dass Jacquin doch noch vielleicht Zeit für die französischen Pässe verbleibe, obwohl er auch ohne diese abreisen könne, da das französische Marineministerium in dieser Hinsicht den Gouverneuren und deren Einrichtungen ohnehin schreiben werde. Seine Majestät zeige sich zwar sehr zufrieden über den gelieferten Bericht und die erste Sendung an Naturobjekten,238 sei aber ungehalten über die Schwierigkeiten, die Jacquin nun in dieser Anfangsphase vor seiner eigentlichen Abreise erlebt.239 Offensichtlich wird der Verlust an Zeit durch Monate des Wartens (in Wien) doch nicht begrüßt. Die französischen Behörden haben jedoch schon längst reagiert. So ist schon am 9. Jänner 1755 der Gouverneur von Martinique, Maximin de Bompar, durch ein Schreiben des französischen Marineministeriums über die bevorstehende Ankunft und den Auftrag Jacquins informiert worden: »L’Empereur a fait, Mrs, demander au Roy de pouvoir envoyer aux isles franÅaises de l’Am8rique le sr. Nicolas Jacquin, hollandais de nation, avec un jardinier botaniste et deux autres hommes, pour y chercher des plantes et des oiseaux pour la m8nagerie de S.M. Imp8riale et le sr Jacquin doit s’embarquer / Marseille pour ses isles.«240 Auch die Bewilligung für seine Reise auf zwei der niederländischen Kleinen Antillen, St. Eustache und St. Martin, verursacht Jacquin als gebürtigem Nie237 Der Jesuit Antoine la Valette (1708–1767) wirkte als Vorsteher der Mission in Westindien und auf Martinique und hatte ein großes Vermögen für den Orden erwirtschaftet, aber ein französisches Bankhaus in den Bankrott geführt und war deshalb in Frankreich angeklagt worden. 238 Es sind bereits 17 Kisten mit Zoophyten und Mineralien aus Südfrankreich stammend nach Wien ergangen. Dies gibt auch Blöchlinger an, der noch Privatpapiere Baillous einsehen konnte: Karl Blöchlinger, Johann Chevalier de Baillou, k.k. Oberstlieutnant und erster Director des k.k. Hof-Naturalien-Cabinets. In: Neue Militärische Zeitung 3 (1864), 273–284, hier 282f. 239 Zit. nach Riedl-Dorn, Zu Freibeutern und Piraten, (2009), 278ff. 240 Colonies B 101, 09/01/1755. Zit. nach MadriÇan, Le botaniste hollandais-autrichien Nikolaus Joseph Jacquin (2007), 5295ff.

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derländer keine Probleme, zumal seine Verwandte mit dem Gouverneur verheiratet ist. Nach Frankreich sind die Niederlande und mit Jamaika auch England sowie mit dem Festland Spanien als vierte europäische Kolonialmacht hinsichtlich der Durchführung der Expedition im Spiel. Den Mexikanischen Meerbusen zu bereisen war Jacquin ausdrücklich verboten worden.241 Während Jacquins Aufenthalt spitzt sich die Rivalität der zwei Seemächte Frankreich und England als treibende Kräfte des Siebenjährigen Krieges zu, eines Krieges, der auch als erster Weltkrieg in die Geschichte eingehen wird. Der Wettlauf betrifft die Frage, wer billigeren Zucker produziert und mehr nach Europa und Nordamerika exportiert. Den Engländern gelingt es, die führende französische Zuckerproduktion letztlich empfindlich zu treffen. Unverändert bleibt die Basis der Plantagenökonomie, die unabhängig davon, ob auch auf andere Nutzpflanzen wie Indigo, Baumwolle und Kaffee gesetzt wird, weiterhin gänzlich auf Sklavenarbeit beruht.242 Der Handelsverkehr ist blockiert, die gegenseitige Kaperung von Schiffen bekommt auch Jacquin direkt zu spüren. Auf der Fahrt nach Jamaika wird sein Schiff zweimal von Piraten überfallen, seine Utensilien, darunter auch sein Journal, gehen verloren. In einem späteren Brief243 an Carl Linn8 schiebt Jacquin die Schuld auf die britischen Soldaten, auf die er dreimal während seiner Reise gestoßen sei und die ihn wie Piraten bestohlen hätten. Die französische Kultur liegt Jacquin offenbar näher als die englische, das ist aufgrund seiner Abstammung aus einer ursprünglich französisch-hugenottischen Familie auch naheliegend. Vielleicht entspringt die Abneigung auch seiner Loyalität gegenüber der kaiserlichen Außenpolitik. Das Renversement des alliances der habsburgischen Bündnispolitik mit Frankreich steht bevor, und die Auflösung des lange bestehenden Einvernehmens zwischen Österreich mit England bedeutet bereits im August 1755 ein Signal in diese Richtung. Benoit Aquart deutete jedoch die eher neutrale Haltung Jacquins als Bindung an die Republik der Niederlande.244 Gefährliche Überfahrten zwischen den Inseln unter unbarmherzigen Zuständen und mit der Erfahrung, infolge der englischen Kaperung des Schiffes, dieser Gewaltanwendung ausgeliefert zu sein, gibt Jacquins neu gewonnenem Freund Aquart, der als Handelsmann auf Martinique weilt und Jacquin eine wichtige Stütze geworden ist, Anlass, Gedanken über den Schrecken der Unmenschlichkeit und über die durch den Krieg gesteigerte Piraterie zu äußern: 241 »Reise meines Vaters nach Westindien«, ÖNB, HAD, Cod. Ser. n. 9755, fol. 73. Siehe Edition. 242 Colin A. Palmer, The Slave Trade, African Slavers and the Demography of the Caribbean to 1750. In: Franklin W. Knight (Ed.), General History of the Caribbean. Vol. III. The Slave Societies of the Caribbean (Hong Kong 1997), 9–44, hier 38. 243 Vgl. Jacquin an Linn8, 24. Oktober 1759 (L 2597), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 244 Vgl. Aquart an Jacquin, o. O., Mai 1756, NHM, AfW, Inv. Nr. 28653/36.

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»Es geht um Länder, die wir nicht kennen, um Streitereien, an denen wir keinen Anteil haben; sollen wir nun unsere Nachbarn erwürgen oder erwürgt werden?«245 Ein abschließend eingefügtes Horaz-Zitat, »Alles was die Könige verschulden, muss das Volk büßen,«246 unterstreicht einerseits diese Untergangsstimmung während der Kriegsauseinandersetzungen, jedoch auch andererseits eine Kritik an der Obrigkeit von Seiten Aquarts. Dass sich die Situation auf den Inseln als bedrohlich anschickt, muss auch Oldendorp, Missionar der Herrnhuter Brüdergemeinde, der sich ebenfalls zu diesem Zeitpunkt auf den Inseln aufhält, am eigenen Leibe erfahren: »Außer dem Mangel an vielen Lebensmitteln, den der Krieg zur See verursachte, wurde auch dadurch die Korrespondenz von einem Eiland zum andern und das Reisen dahin eine zeitlang sehr beschwerlich gemacht, weil englische Kaper, welche böse gemacht waren, vor dem Hafen kreuzten und kein Fahrzeug aus- oder einließen, ohne es anzuhalten.«247

Das zu Beginn von Jacquins Reise ergangene offizielle Schreiben des französischen Marineministeriums an lokale Gouverneure und die Bekanntmachung des Unternehmens sind von besonderem Interesse. Es ist nämlich die Direktive ausgegeben worden, dass man die Gruppe aus Österreich unterstützen soll, damit sie ihre Mission ausüben kann. Hingegen muss verhindert werden, dass sie mit Repräsentanten fremder Kolonien korrespondieren, zumindest während sie auf den französischen Inseln weilen. Die Gouverneure sind angehalten, die österreichischen Reisenden immer im Auge zu behalten und über all ihr Tun genaue Berichte abzufassen.248 Dieses Misstrauen, bereits kurz vor Ausbruch des Siebenjährigen Krieges ausgesprochen, in dem die Zuckerinseln eine zentrale Rolle spielen, zeigt die Befürchtungen, dass naturkundliche Sammelaufträge stets auch politische Ziele implizieren oder als Tarnung für Spionagetätigkeit genutzt werden können. Auch wenn sich Jacquin auf die Naturgeschichte konzentriert und keine politischen Vorhaben explizit auf seiner Agenda stehen, zeitigt die Reise durchaus politische Wirkung hinsichtlich ihrer diplomatischen

245 Aquart an Jacquin, Brief, St. Pierre, Martinique, 17. Juli 1756, NHM, AfW, Inv. Nr. 28653/40. Hier in eigener freier Übersetzung wiedergegeben. 246 Aquart an Jacquin, Brief, St. Pierre, Martinique, 17. Juli 1756, NHM, AfW, Inv. Nr. 28653/40. Hier in eigener freier Übersetzung wiedergegeben. 247 Christian Georg Andreas Oldendorp, Historie der caribischen Inseln Sanct Thomas, Sanct Crux und Sanct Jan, insbesondere der dasigen Neger und der Mission der evangelischen Brüder unter denselben. Kommentierte Ausgabe des Vollständigen Manuskriptes (= Abhandlungen und Berichte des Staatlichen Museums für Völkerkunde Dresden 51, Berlin 2002), 1413. 248 Vgl. Colonies B 101, 09/01/1755. Zit. nach MadriÇ#n, Le botaniste hollandais-autrichien Nikolaus Joseph Jacquin (2007), 5295ff.

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Präsenz. Das aufgeklärte Ziel eines Kaisers wirkt als Signal und durch den Wettbewerb der europäischen Mächte erfährt es eine Stärkung. Unter dem Siegel der Freundschaft und Verschwiegenheit berichtet Benoit Aquart aus Martinique an den bereits auf St. Eustache reisenden Jacquin von einem Memoire des französischen Hofes, dessen Inhalt große Ähnlichkeit mit Jacquins Auftrag hat. Bäume, Pflanzen etc. sollen nun ebenfalls genau beschrieben und per Schiff nach Frankreich gesendet werden. Der Unterschied ist nur, meint Benoit Aquart, dass Seine kaiserliche Majestät [Franz Stephan] einen Gelehrten ersten Ranges geschickt und Frankreich nur ein einfaches Memoire in ein Land gesendet hat, in dem es keine Botaniker gibt.249 An politischen Neuigkeiten sind sie beide interessiert, aber immer mit Rücksicht auf eine gebotene Diskretion, denn »Vaterland und Religion dürften niemals kompromittiert werden.«250 Immer wieder informiert Aquart Jacquin über die aktuelle politische Entwicklung nicht nur auf den Antillen. Bezüglich Minorca beklagt sich Aquart, dass fünf englische Kriegsschiffe den Franzosen entwischt waren, wobei er meint, dass die französische Marine unterlegen sei.251 Es fasziniert ihn die geheime Nachricht, dass Frankreich allen neutralen Nationen erlaubt, während des Krieges Handel zu treiben. »Der offene Handel mit Europa kann mit all jenen geführt werden, die auch mit den fremden Inseln handeln, […] und der Erste, der toleriert wird, ist Österreich […].«252 Die Abkehr der Österreicher vom Bündnis mit England bringt eine Vision von einem baldigen lukrativen Markt ins Spiel, welche die Diskussion der beiden evoziert, wobei hier Aquart als Handelsmann doch die treibende Kraft bildet. Aquart, von dem bestürzenden Gerücht, dass Jacquin auf Jamaika gestorben sei, in äußerste Besorgnis versetzt, wird bald von der Nachricht eines Cousins aus Bordeaux doch der bedrückenden Ungewissheit enthoben. Von den Häfen ausgehend verbreiten sich Gerüchte über Glück, Not und Bedrohung, Schiffsbrüche und Seeunfälle sowie Überfälle. Im zeitgenössischen Bewusstsein werden sie als Bastionen der Sicherheit beschrieben und in der Marinemalerei gleichsam als Zufluchtsorte, wenn auch als gefährdete, stilisiert.253 Benoit Aquart erzählt 249 Interessanterweise befand sich 1751–1756 der französische Botaniker Thibaut de Chanvalon (1723–1788) auf Martinique, wo er auch naturkundliche Forschungen unternahm. Er erwähnt jedoch Jacquin nicht in seinem Reisebericht und auch bei Jacquin finden wir nichts über Chanvalon. 250 Aquart an Jacquin, Brief, St. Pierre, 18. Mai 1756. NHM, AfW, Inv. Nr. 28653/37. 251 Siehe dazu: Aquart an Jacquin, Brief, St. Pierre, Martinique, 1. Juli 1756. NHM, AfW, Inv. Nr. 28653/38. 252 Aquart an Jacquin, Brief, St. Pierre, Martinique, 18. Mai 1756. NHM, AfW, Inv. Nr. 28653/37. Eigene freie Übersetzung. 253 Siehe dazu: Alain Corbin, Meereslust. Das Abendland und die Entdeckung der Küste (Paris 1988), hier die deutsche Übersetzung (Berlin 1990), 247.

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von seinem Erfolg in St. Eustache nach Jacquins Abreise, jedoch auch, dass das Fieber ihn niedergezwungen hat. Der Gipfel des Ärgernisses besteht für ihn darin, dass die Engländer ihm schließlich alle Meeresfrüchte abgejagt haben. Seine nicht mehr erfolgreichen Handelsgeschäfte führt er nun von Martinique aus, da ihm viele Schiffe abgenommen worden sind. Und er appelliert an Jacquin, als dieser schon wieder in Europa weilt: »Die Geschäfte, womit Sie mein Haus in Grenada beauftragt haben, sind noch immer dort. Geben Sie Ihre Anweisungen zu diesem Thema und sie werden ausgeführt werden. Was war die Frucht Ihrer Mission gewesen? […] Erinnern Sie sich, dass Sie einige Ideen über das Thema eines möglichen Handels auf diesen Inseln auf das Papier geworfen haben? Hat man dies gar nicht berücksichtigt? Hat man gar nicht gesorgt, die Häfen, die man hat, als ein Mittel zum Ausbreiten eines Handelszweiges bis Amerika zu nutzen? Da wären viele Schiffe, ein zusätzlicher Preis für die Waren, die man exportiert, ein exquisites Gleichgewicht für diese bei der Rückfahrt, viele fleißige Menschen und ein sicherer Profit für den Staat. Ganz Europa blickt auf den Handel mit einer einzigen Konsequenz. Benachrichtigen Sie mich, wenn man sich rühmt, solcher Operationen anzunehmen und bringen Sie mich ein, in Unternehmungen, die erfolgreich sind.«254

Aquart als Geschäftsmann sieht in Jacquin einen möglichen Mittelsmann für die Anbahnung der Geschäfte mit der habsburgischen Monarchie. Jacquins kommerzielle Ideen sind nicht umgesetzt worden. Jedenfalls wissen wir darüber nichts. Die engagierte Diskussion zwischen zwei Vertrauten eröffnet uns eine tiefer gehende Informationsschicht und die Einsicht, wie eng in dieser Zeit Sammelwesen, Botanik, Politik und Kommerz als ineinander verschränkt verstanden werden. Während der Handelsmann Aquart in Jacquin einen Verbündeten sieht, zeigt sich Jacquin mehr in der Rolle eines Diplomaten, auch sein Outfit, dem wir uns im nächsten Kapitel widmen werden, verweist jedenfalls in diese Richtung.

II. 7. Perücke – Nachttopf – Sänfte Unsere Bilder von Forschungsreisenden sind heute wesentlich vom Kolonialwesen des 19. Jahrhunderts geprägt, als die Kolonialfotographie die zunehmend in tropischen Gebieten tätigen Naturforscher mit eigener Ausrüstung und an andere Klimazonen adaptierter Kleidung popularisierten. Von diesem Stereotyp müssen wir uns verabschieden, wenn wir uns Forschungsreisende in der Mitte des 18. Jahrhunderts vorstellen wollen. Wir könnten Linn8s eigens für seine Lapplandreise entworfenes schlicht gehaltenes Reise-Outfit oder seine in der 254 Aquart an Jacquin, Brief, St. Pierre, 2. März 1761, NHM, AfW, Inv. Nr. 28653/43. Eigene Übersetzung.

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»Philosophia botanica« dargestellten Tipps255 heranziehen, um uns den Vorbildern für Jacquins Expeditionskleidung anzunähern oder Belsazar de la Motte Hacquets Bildnis betrachten (Abb. 8), der eine feste Kappe und dicke Jacke für seine mineralogischen und botanischen Gebirgstouren getragen hat. Auch von Thaddäus Haenke, der von Jacquin auf die Malaspina-Expedition vermittelt wird, ist uns ein Porträt mit einem legeren Hut während seiner Unternehmung überliefert (Abb. 9). Alle drei Outfits führen uns in die falsche Richtung und bei den drei Bildern fehlt etwas ganz Zentrales, was für Jacquin charakteristisch ist, die Perücke (Abb. 1. siehe S. 11). Da der Rechnungsposten für »un barbier et un perruquier ce mois«256 in Jacquins Rechnungsbelegen während der Reisejahre kontinuierlich immer wieder aufscheint, ja eigentlich monatlich verbucht wird, können wir tatsächlich davon ausgehen, dass Jacquin auch unterwegs auf seiner Expedition mehrfach eine Perücke trägt. Das mag absurd klingen, wenn man bedenkt, dass Perücken wärmen und auch deshalb seit der Barockzeit so beliebt sind, während das feucht-heiße Klima der Karibik dem doch diametral entgegensteht. Perücken signalisieren jedoch bis ins ausgehende 18. Jahrhundert soziale Distinktion. Sie markieren ein Standeszeichen, das sich in impliziten Kleiderordnungen als Stratigraphie der Gesellschaft manifestiert. Auch noch als die Perücke längst aus der Mode gekommen ist, heißt es in einem Amtlichen Bericht über eine Gewerbeausstellung (1844): »Der Advokat und Beamte stolziert mit der Allonge, der Hofmann erschien in der leicht und elegant frisierten Perücke mit Haarbeutel, der Krieger mit dem Zopf in fester Locke, der Geistliche und Schulmeister mit der kurzen, meist gepuderten Stütz-Perücke.«257 Glänzenden langen Haaren wird seit der Antike besondere Lebenskraft zugeschrieben, weil sie diese durch den stetigen Nachwuchs bezeugen. Wer es sich leisten kann, trägt im 18. Jahrhundert noch eine echte Perücke, denn sie befreit ihren Träger vor der Peinlichkeit, keine diese Kriterien entsprechende Vitalität zu signalisieren bzw. eine nicht perfekte Frisur zu haben. Jacquin legt auf sein Aussehen offensichtlich auch während seiner Expedition großen Wert. Die Tatsache, dass er von van Swieten neu eingekleidet wird, ist Jacquin sogar einen

255 Vgl. Stephen Freer, Linnaeus’ Philosophia botanica (Oxford 2003), bes. 330: »Botanical outings are arranged by different people; with us, the following [arrangements] are usual. Very light and very loose Clothing, proper to botanists: The clothing of the herborisant, besides linen, should be a short coat; very thin breeches extending from hypochondria to the heels; smooth shoes, a hat with a very large brim, or else a sunshade, so that he shall not be tried by the way, by the warmth, heat or sweat.« 256 HHStA, Hausarchiv, Poschakten, JS, Karton 2, 2–16, fol. 151. 257 [Anonymus], Amtlicher Bericht über die Allgemeine Deutsche Gewerbeausstellung im Jahr 1844 (Berlin 1845), 516.

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Abb. 8: Belsazar de la Motte Hacquet, für die Alpenreise gerüstet

brieflichen Eintrag wert, nachdem er wie ein Bettelstudent von Paris nach Wien gekommen ist.258 Wie sieht Jacquins Garderobe unterwegs aus, die ja standesgemäß ausgewählt sein muss? Trägt er Schnallenschuhe, Strümpfe, Kniebundhose, vielleicht einen apfelgrünen Justeaucorps, mit mausfarbener Weste, Hemd mit Jabot?259 So kleidet sich ein aus dem Bürgertum aufgestiegener Protagonist des Verdienstadels um 1750. Jedenfalls ist der Verschleiß an 104 Paar Schuhen für vier Personen während der Reise exorbitant. Pro Person waren das sechs Paar Schuhe pro Jahr. Auf dem Titelblatt von Jacquins erstem illustrierten Werk über amerikanische Pflanzen, seiner 1763 erschienenen »Selectarum Stirpium Ameri258 Vgl. Jacquin an Gronovius, 20. Brief, Wien, 1. Jänner 1753, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 24r/v. 259 Diese Sachen befanden sich in der Verlassenschaft von Franz Mygind 1797, wobei es hieß, er wäre modisch 40 Jahre zurückgeblieben. Vgl. Ludwig Hohenbühel-Heufler, Franz von Mygind, der Freund Jacquin’s. Ein Beitrag zur Geschichte der Botanik. In: Verhandlungen der k. k. zoologisch-botanischen Gesellschaft, Bd. XX (1870), 879–924, hier 892f.

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Abb. 9: Thaddäus Haenke in legerer Reisekleidung, Expeditionsteilnehmer der nach Südamerika führenden Malaspina-Expedition

canarum Historia,«260 ist neben einer Karibin ein europäisch anmutender junger Mann abgebildet (Abb. 10). Dieser trägt lange Beinkleider, geeignet für lange Ritte über Land, einen Degen an der linken Seite, die Haare zusammengebunden unter einem Dreispitz. Handelt es sich hier vielleicht um ein Selbstbildnis? Abgesehen von dem Diskurs, der aus Genderperspektive durch die Gegenüberstellung von weißem, bekleidetem Mann versus nackter Karibin als Kultur versus Natur zu lesen ist, eine Differenz, die durch die Geste stehender Mann versus sitzende Frau noch verstärkt wird, ist diese Illustration durchaus interessant, weil sie den weißen Mann, wer immer er ist, mit der indigenen Bevölkerung in Kontakt zeigt. Bei allen nach Spekulation anmutenden Aussagen unsererseits lässt sich die Kleiderfrage dank der Reiserechnungen261 doch präzise beantworten. Während Jacquin in Florenz vier Paar Leintücher für sich und den Gärtnergesellen bestellt, Strohhüte kauft, kleine Geschenke für die amerikanischen »Neger«, eine Bauchbinde, um darin das Geld verstecken zu können, und Bücher für die Überfahrt besorgt, wird die Garderobe erst in Marseille angefertigt. Stoff für vierundzwanzig Hemden, dazu Batist und Spitzen, Jacken, Weste, sieben bestickte Manschetten und zahlreiche Hosen, seidene und zwirnerne Strümpfe, 260 Nikolaus Joseph Jacquin, Selectarum Stirpium Americanarum Historia (Wien 1763). 261 Vgl. HHStA, Hausarchiv, Poschakten, JS, Karton 2, 2–16, fol. 84–136v.

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Abb. 10: Sturm in der Karibik, Titelkupfer (N. J. Jacquin, Selectarum Stirpium Americanarum Historia, 1763)

Perücken für Jacquin, auch Kleidung für seine Mitreisenden und Nachthauben werden an diesem Ort im Ausgabenbuch verzeichnet. Ein Beleg eines Marseiller Schneiders vom 14. März 1755 führt unter anderem einen kamelfarbenen Anzug mit goldener Bordüre und goldener Knopfleiste, Seidenwesten mit verziertem Halsausschnitt, viele Hosen, vier Dutzend Hauben, etc. für »Monsieur Jacque [!]«262 an, und es werden die Unmengen von Schuhen in Auftrag gegeben und bezahlt. Aber auch Tischtücher, Servietten, Handtücher, Seifen, Löffel und Gabeln, Kaffeekanne und ein kupfernes Gefäß zur Schokoladezubereitung, Trinkgläser, Laternen und Kerzen und ein Überseekoffer werden erworben. In vielen Reisehandbüchern der Barockzeit263 wird für Reisen innerhalb Europas geraten, sich entweder zu verkleiden oder sich mit der Garderobe an die zu bereisende Kultur anzupassen. Ist das der Grund, weshalb sich Jacquin erst in Marseille für die Zuckerinseln einkleidet, weil er sich der französischen Mode gemäß so am besten in die Spitze der französischen Kolonialgesellschaft auf 262 Vgl. HHStA, Hausarchiv, Poschakten, JS, Karton 2, 2–16, fol. 129. 263 Siehe dazu: Baudelot de Dairval, L’utilit8 des voyages (Paris 1686): Ratschläge auch in Krünitz, unter dem Stichwort »Reise«: Vgl. Johann Jakob Krünitz, Oekonomische Encyclopadie, oder allgemeines System der Staats-, Stadt-, Haus-, und Landwirthschaft (1783– 1856), Bd. 122 (1813); siehe Oeconomische Encyclopedie online.

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Martinique integrieren kann, zumal auch seine Verwandten dieser Schichte angehören? In der Tat soll Jacquin bei den Frauen dieser Gesellschaft recht beliebt gewesen sein. Am 7. Februar 1757 schreibt ein Sohn des Jacquin’schen Hauses zu St. Pierre an den auf CuraÅao weilenden »Monsieur Jacquin, M8dicien de S. M. I«: »Ma soeur264 est d’un chagrin mortel depuis le moment qui vous s8par8 de nous,«265 und in Bezug auf eine andere Dame dieser Insel heißt es: »elle est d’une melancholie sans pareille depuis le moment de votre d8part et il n’y a que votre retour qui puisse l’en gu8rir.«266 Briefe, die von dort ansässigen Freunden oder Verwandten über ihren Botaniker ausgetauscht werden, vermitteln vor allem die Hochachtung, die Jacquin wegen seines Stils überall, wo er sich in Westindien aufhält, genießt. Er ist sehr beliebt, gewinnt viele Freunde, die ihn verehren, von ihm lernen wollen, sich über Abwechslung in ihrem Inseldasein freuen. Man erkundigt sich auf Martinique lebhaft nach dem jungen Forscher, den man bei seiner Abwesenheit sehnsüchtig zurückwünscht, man will sich des »Hollandais«267 erfreuen, welcher seine beeindruckende Allgemeinbildung mit weltmännischem Auftreten vereinigt. Interessanterweise wird seine kulturelle Zugehörigkeit nicht nach seinem kaiserlichen Auftraggeber eingeschätzt, sondern nach seiner holländischen Herkunft. Und er tritt bereits als selbstbewusster kenntnisreicher Mann mit feinem Geschmack auf, wobei die vornehme Kleidung diese Geste auch unterstützt. Auf die Damen, die auf den Kolonialbesitzungen wahrscheinlich nicht oft die Gelegenheit haben, mit gebildeten, sprachbegabten und darüber hinaus sogar musikliebenden jungen Männern zusammenzutreffen, scheint Jacquin großen Eindruck gemacht zu haben. Er gewinnt viele Verehrerinnen, die noch von ihm schwärmen, als er schon nicht mehr auf Martinique weilt. »Wie die Blumen würden sie in seiner Abwesenheit vertrocknen,«268 lassen sie ihn aus der Ferne wissen. Infolge einer englischen Kaperung des Schiffes, auf dem sich Jacquin befindet, hat sein neuer Freund auf Martinique sogar erfahren, dass sich dieser in eine Engländerin verliebt hat.269 Die große Anziehungskraft auf Frauen wird aus vielen Briefstellen deutlich, Jacquin scheint sich jedoch emotional auf keine Verstrickungen eingelassen zu haben, um seine Mission korrekt ausführen zu 264 Marie Anne Catherine Jacquin (ca. 1731–1755/1763). 265 Zit. nach Ernst Moritz Kronfeld, Jacquin. In: Österreichische Rundschau. Bd. III. Mai–Juli 1905 (Wien 1905), 241: »Meine Schwester leidet unter einem tödlichen Kummer seit dem Moment, wo Sie uns verlassen haben.« Eigene freie Übersetzung. 266 Ebda, 241: »sie ist in einem hohen Grade melancholisch, seit dem Moment Ihrer Abreise und nichts, außer Ihrer Rückkehr, kann sie davon heilen«. Eigene freie Übersetzung. 267 Vgl. Aquart an Jacquin, Brief, St. Pierre, 18. Mai 1756. NHM, AfW, Inv. Nr. 28653/37. 268 Aquart an Jacquin, Brief, o. O. May 1756, NHM, AfW, Inv. Nr. 28653/36. Eigene freie Übersetzung. 269 Vgl. Aquart an Jacquin, Brief, 8. Juli 1756, NHM, AfW, Inv. Nr. 28653/39.

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können. Der wohl in legitimatorischer Hinsicht stets aber zur Darstellung inszenierte Bezug auf Disziplin erlaubt Jacquin schlichtweg keine Ausnahme. Wegen des schlechten Wassers auf den holländischen Inseln empfiehlt Aquart seinem Freund, doch Wein wie die Kolonialherren zu konsumieren. Er beanstandet, dass Jacquin im Gegensatz zu seinen Landsleuten kaum Alkohol, nicht einmal Bier und Punsch trinkt. Maria Plazer, die 1895 einen Artikel über Nikolaus Jacquin als Weltreisenden verfasste, mussten noch Briefe vom Onkel Jacquins auf Martinique vorgelegen haben. Dieser nennt sich selbst scherzhaft »Cousin-pHre l’archivage« und rühmt die schöne Gestalt und den wunderbaren Charakter seines Vetters, dessen rücksichtsvolle Haltung vor allem Frauen (Madame de Besson) gegenüber, die alle nach Jacquins Abreise in Schwermut verfallen und seine Wiederkehr herbeisehnen. Hat Jacquin deshalb Kaffeekanne und Schokoladezubereitungsgefäß bei sich, weil er auch den unterschiedlichen, nach der Genderdifferenz definierten Genussmittelkonsum, Kaffee für Männer und Schokolade für Frauen, berücksichtigt, wenn er in seinem gemieteten Haus auf Martinique Gäste empfängt? Denn der Kaffee verleiht dem Verstand seine anregende die ratio unterstützende Wirkung, während die Schokolade lediglich den Körper nährt, so die zeitgemäße Zuschreibung. Die galante Kleidung, bestätigt durch eindeutige Belege der Reiseausgaben, bietet die Voraussetzung zur Integration in die Elite der Kolonialgesellschaft in einer Zeit, als schichtspezifische Kleiderordnungen noch immer sehr ernst genommen werden. Es existiert auch eine Stratifizierung nach unten, denn bei Jacquins eigener Ausstattung und der seiner Mitreisenden ist eine Differenz zu vermerken: etwa seidene Strümpfe für ihn, zwirnene für seine Begleiter. Die Distinktion aller Expeditionsteilnehmer untereinander zerfällt in zwei Parteien, jene der Leitung, die Jacquin obliegt, und jene seiner Untergebenen. Selbst beim Schlafen sind die sozialen Unterschiede festgelegt, Jacquin und Schot bevorzugen die Hängematte, die frei von Ungeziefer scheinen, die Vogeljäger müssen mit Matratzen ihr Auslangen finden und sich offensichtlich auch beim Ausruhen als Kammerjäger betätigen. Eine wichtige Frage, welche die neuere Forschung beschäftigt,270 ist die nach der praktischen Durchführung einer Expedition. Wo und wie haben Jacquin und seine Männer gewohnt und wie den »Alltag« gelebt? Wie haben sie ihre Sammeltätigkeit praktisch gestaltet? Für einen längeren Zeitraum wird ein Haus in Pacht genommen, bei limitierter Verweildauer werden immer zumindest zwei Zimmer gemietet. Hängematten und Nachttöpfe werden immer wieder eingekauft, ihr Verschleiß scheint groß. Vielleicht ist das dadurch zu erklären, dass sie 270 Siehe dazu auch Kurt Schmutzer, Der Liebe zur Naturgeschichte halber. Johann Natterers Reisen in Brasilien 1817–1836 (Wien 2011).

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bei der Weiterreise nicht eingepackt wurden. Auch die Verpflegung und Ausstattung von Domestiken steht auf den Listen, mulattische Köche sind ebenso wie die Ausgaben für Reinigung der Wäsche und für den »Barbier et perruquier« als Belege immer wieder vorhanden. Kerzen, Holz und Wasser als die für Grundbedürfnisse notwendigen Ressourcen finden sich als regelmäßige Eintragungen in den pekuniären Aufzeichnungen, hin und wieder auch Arztrechnungen, meist handelt es sich hierbei um Aderlass. Einige Utensilien jedoch, die Jacquin für seine Expedition besorgt, wie eine Kaffeekanne oder auch einen Nachttopf und Kleiderständer, unterstreichen den Anspruch auf Zivilisation in einer auf Martinique die europäische Kultur imitierenden Umgebung, wo man sich von den Unzivilisierten bewusst abzugrenzen sucht. Nachtöpfe sind unverzichtbare Gebrauchsgegenstände gewesen, die es den Menschen ersparen, die außerhalb ihrer Schlafplätze befindlichen Latrinen während der dunklen Nacht aufsuchen zu müssen. Die Kaffeekanne manifestiert den Konsum und einen bereits unabdingbaren elitären Genuss der Oberschichten. Sie ist auch eine symbolische Bezugnahme auf den so lukrativ gewordenen von Europa aus gesteuerten Dreieckshandel. Wie stehen all diese Befunde zu einem Bild von Expedition, das wir eher als mobil fortlaufend und den Raum durchmessend konzeptualisieren? Diese Frage betrifft auch die Logistik der Fortbewegung in einem kaum nach europäischen Kriterien funktionierenden Raum. Dies interessiert uns aus praktischer Perspektive,271 welche die Sammelreise als für die Wissenschaftsgeschichte interessantes Phänomen der Forschung im Feld272 versteht. In der Tat erfolgt diese Erschließung des Raumes unterwegs von stabilen Plätzen aus. Solche Stationen werden auf Martinique (1755 bis Februar 1757) und Curacao genommen, wo für längere Aufenthalte Unterkünfte gemietet werden und von festen Orten aus Informationen eingezogen sowie Fußreisen, Ritte, Bootsfahrten und auch eine Fortbewegung per Sänfte organisiert werden. So hat er auch auf Eustache eine feste Adresse, was wir den Briefumschlag entnehmen können.273 Stets wird Jacquin wie alle Reisenden dieser Zeit von heimischen Helfern unterstützt. Diese 271 Zur Bedeutung der Praxis in neueren wissenschaftshistorischen Arbeiten vgl. Andrew Pickering (Hg.), Science as Practice and Culture (Chicago 1992) und Nichols Jardine, James A. Secord, Emma Spary (Hg.), Cultures of Natural History (Cambridge 1996). 272 Kristian H. Nielsen, Michael Harbsmeier und Christopher Ries, Studying Scientists and Scholars in the Field. An Introduction. In: Scientist and Scholars in the Field. Studies in the History of Fieldwork and Expeditions, ed. Kristian H. Nielsen, Michael Harbsmeier und Christopher Ries (Aarhus and Copenhagen 2012), 9–28; Robert Kohler, Place and Practice in Field Biology. In: History of Science, 40 (2002), 189–210; Henrika Kuklick, Personal Equations. Reflections on the History of Fieldwork, with Special Reference to Sociocultural Anthropology. In: Isis, 102 (2011), 1–33. 273 »Monsieur Jacquin, medicin de sa Majeste Imperiale, chez M. Simon Den. A St. Eustache«, Aquart an Jacquin, Brief, St. Pierre, Martinique, 1. Juli 1756, NHM, AfW, Inv. Nr. 28653/38.

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dienen ihm als Führer, Träger bzw. auch als Diener. An weiteren Personen, die von Jacquin bezahlt werden, finden sich immer wieder neben einheimischen Begleitern auch Sänftenträger, Hausdiener, Köche, Bootsruderer, Pferdeknechte. Vier Träger transportieren den an Gelbfieber schwer erkrankten van der Schot beispielsweise in einer Hängematte (siehe Abb. 21). Immer wieder werden Indigene für das Entladen und Beladen des Gepäcks, aber auch der Pflanzen und Tiere zu und von den Schiffen oder auf sie etc. herangezogen. Zu bedenken ist, dass jede Expedition dieser Zeit, die in ein nur für den Reisenden unbekanntes Gelände führt, von einheimisch sich Auskennenden begleitet wird, wie es etwa auch die Glocknererstexpedition von 1799 und 1800 zeigt.274 Die asymmetrische Beziehung zwischen Dienern und Bedienten, Führern und Geführten macht wie in Europa auch vor den fernen Abenteuern nicht Halt, ja im Gegenteil, keine größere Expedition steht außerhalb eines solchen hierarchischen Verhältnisses zwischen den reisenden Gelehrten und den Ortskundigen. Denn ein Reisender ist nie allein unterwegs, auch wenn uns die Berichterstattung dies in der Regel glauben machen will. Dieser Befund gehört zu den »eklatantesten Widersprüchen«275 der Expeditionsschriftstellerei, die das stereotype Bild des einsamen Helden prägt. Es ist bezeichnend, dass Jacquin seinen Landsmann Richard (oder Ryk wie er genannt wurde) van der Schot in seinen Rechnungslegungen nicht ein einziges Mal namentlich nennt, sondern nur als »garÅon jardinier« bezeichnet, obwohl er ihm bedeutende Dienste leistet. Der Erfolg ist auf dem Namen Jacquin verbucht, jener der Hilfsdienste anonym gestellt. Neben dem Personal an Ortsversierten gibt es stets auch die Kategorie des Hauspersonals, das vorübergehend angeheuert wird. Dabei sind nicht nur deren praktische Kenntnisse hinsichtlich der Fortbewegung und der Organisation der Reise sowie der Unterstützung bei der Befriedigung alltäglicher Bedürfnisse von Bedeutung, sondern auch das indigene Wissen über Naturphänomene und Pflanzen. Die Ergebnisse jedoch werden immer ausschließlich auf der Seite des Bedienten gutgeschrieben, darin besteht dieses zutiefst herrschaftliche Verhältnis der Wissensrekrutierung, das von einer unhinterfragten Überlegenheit europäischer Tätigkeit getragen ist.276 Wie schon erwähnt, gibt es auch einen Rechnungsbeleg »pour un jeune

274 Siehe dazu ausführlich zur Rolle der Beziehung zwischen Geführten und Führern: Marianne Klemun, … mit Madame Sonne konferieren. Die Großglockner-Expeditionen 1799 und 1800 (Das Kärntner Landesarchiv 25, Klagenfurt 2000). 275 Vgl. Johannes Fabian, Im Tropenfieber. Wissenschaft und Wahn in der Erforschung Zentralafrikas (München 2001), 50. 276 Siehe auch: Marianne Klemun, Wissenschaft und Kolonialismus – Verschränkungen und Konfigurationen (Hefteditorial). In: Marianne Klemun (Hg), Wissenschaft und Kolonialismus (= Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit 9/2, 2009), 3–12.

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Negre,«277 demnach hat sich Jacquin einen Sklaven gekauft. Mit ihm besteigt er noch am selben Tag den Mount Pel8e. Eine Beschreibung der Vulkanbesteigung, die uns die Frage beantworten könnte, wie weit Jacquin hinaufgekommen ist und ob er den Kraterrand auf 1397 m Höhe erreicht hat, ist nicht erhalten. Wahrscheinlich leistet ihm der junge Schwarze Trägerdienste, danach verliert sich die Existenz des Leibeigenen in den Dokumenten, vielleicht schenkt ihm Jacquin auch die Freiheit? Unter den Fortbewegungsmitteln, deren sich Jacquin bedient, finden wir Kutschen, Sänften, zweirädrige Wägen, Pferde, Esel und Maultiere, vor allem aber Schiffe in jeder Form. Weil das Wegenetz auf den Inseln nicht besonders gut ausgebaut ist, scheint man eher rund um die Inseln zu den gewünschten Stützpunkten gesegelt oder gerudert zu sein. Immer wieder ist von »canots« oder kleinen sehr flachen Booten die Rede, um sich in den seichten Küstengewässern ungehindert fortbewegen zu können. Entscheidend für den Erfolg jeder Expedition ist die Organisation des Reiseverlaufs vor Ort. Die Nutzung unterschiedlicher Verkehrsmittel erweist sich als variantenreich und angepasst an die Verhältnisse des Machbaren, sie reicht von unterschiedlichen Schiffsformen, mit denen Jacquin die Kleinen Antillen, Jamaika und das amerikanischen Festland erreicht, zu seinen Überlandausflügen, die zu Pferde, mit Kutsche, Cabriolet und Sänfte unternommen werden. Auch ein Esel wird, da nicht anders möglich, in Kauf genommen. Ob dabei Jacquin auch seine Perücke getragen hat? Jedenfalls ist ab 1757 auch ein Sonnenschirm gebraucht worden. Von Jacquin selbst erfahren wir etwa über Klimaverhältnisse recht wenig, nicht einmal die Regenzeit wird erwähnt, die sicher auch dem Fortkommen hinderlich gewesen ist, allerdings einiges von seinen Korrespondenzpartnern. Die »Cousine-mHre« sorgt sich sehr um ihren europäischen Verwandten und rät ihm, viele Wäschestücke mitzunehmen, da die unbarmherzige Hitze viel Wechsel verlangt.278 Der letzte Brief Aquarts aus Grenada, den Jacquin in Übersee erhält, ist sehr interessant, da er auf viele Insiderprobleme eingeht. So schildert er u. a. die gesundheitlichen Belastungen, die das Klima auf der Insel auslöst. »Die Regen beginnen im Juli und enden im Jänner. Schließlich ist alles matschig, durch die entstehenden Sümpfe, Lagunen, das faulige Wasser in der Umgebung breitet sich das Fieber aus.«279 Die Ausstattung an Instrumenten mutet bescheiden an. Für seine wissenschaftlichen Aufträge hat Jacquin in Marseille Papier, Tinte, Federn, 10.000 [!] Nägel, Büchsen und Dosen und Bouteillen in unterschiedlichen Größen, Ther277 HHStA, Hausarchiv, Poschakten, JS, Karton 2, 2–16, fol. 86v »21. 4. 1756, pour un jeune Negre, qui j’ai achHte« und fol. 110. 278 Vgl. Marie Plazer, Nicolaus von Jacquin. In: Frhr. v. Helfert (Hg.), Österreichisches Jahrbuch. 19. Jg. (Wien 1895), 6ff. 279 Aquart an Jacquin, Brief, Guadeloupe, 6. März 1757, NHM, AfW, Inv. Nr. 28653/42.

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mometer, Barometer mit Quecksilber, einen kleinen Kompass, Kordeln verschiedener Länge zum Berechnen von Maßen, ein »Etui de Mathematique« und verschiedene Farben zum Malen gekauft. Flaschen, Büchsen und Dosen dienen als Aufbewahrungsgefäße für die gesammelten Pflanzensamen und Insekten, letztere werden auch mit Nägeln an Unterlagen befestigt. Auch Quecksilber ist im Gepäck dabei. Dass die Quecksilberkugeln – wie bei Krünitz bezüglich des Reisens nachzulesen – zur Desinfektion des Wassers verwendet werden, ist zu vermuten: Die Kugeln werden, so Krünitz, ins kochende Wasser geworfen, um dieses von Insekten zu reinigen.280 Auch medizinische Drogen werden angeführt. Über die Mitnahme wissenschaftlicher Bücher erfahren wir leider nichts; aus Briefen ist bekannt, dass Jacquin die Publikation des Catesby281 noch vor der Abreise erwerben will. Eine Ausnahme stellt Linn8 dar, auf den er sich auch später rückblickend in seinen Briefen bezieht,282 sodass es sicher ist, dass dieses Bestimmungsbuch in der Karibik zu seinen unverzichtbaren geschätzten Hilfsmitteln gezählt hat. Sicher hat er die Werke von Plumier283 und Sloane,284 seinen Vorgängern in der Karibik, die in der Hofbibliothek natürlich vorhanden sind, gewissenhaft studiert. Von einem Mikroskop, wie es Plumier verwendet, ist jedoch nie die Rede. Und auch die Botanisiertrommel, die Linn8 als »vasculum« (»A Dillenian case«285) beschreibt, ist nicht eigens aufgeführt, hingegen gibt es Dosen, die diese Funktion übernehmen. Papier für Herbarbelege hat Jacquin bei sich, diese werden jedoch durch Termiten und das feuchte Klima zerstört. Jedenfalls beweist Jacquin durchaus Mut, wachsendes Selbstvertrauen und 280 Johann Georg Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, oder allgemeines System der Staats-, Stadt- Haus- und Landwirthschaft. Online-Ausgabe; Stichwort »Quecksilberkugel«. 281 Mark Catesby (1683–1749) war englischer Naturforscher, der zwischen 1731 und 1743 sein Werk »Natural History of Carolina, Florida and the Bahama Islands«, veröffentlichte. Vgl. dazu Jacquin an Gronovius, 29. Brief von Livorno, 13. Jänner 1755, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 37r/v. 282 Ein Hinweis für die Mitnahme eines von Linn8s Bestimmungsbüchern findet sich im Brief an Gronovius: Jacquin an Gronovius, 33. Brief vom 12. August 1759, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 41r. 283 Charles Plumier (1646–1704) war ein französischer Botaniker, der drei große Forschungsreisen nach Süd- und Mittelamerika unternahm. Siehe: Charles Plumier, Description des plantes l’Am8rique (Paris 1693); Ders., Nova plantarum Americanarum genera (Paris 1703). 284 Hans Sloane (1660–1753) forschte als Botaniker auf Jamaika. Siehe: Hans Sloane, Catalogus plantarum quae in insula Jamaica Sponte proveniunt, vel vulgo coluntur, cum earundem Synonymis & locis natalibus; adjestis aliis quibusdam quae in Insulis Maderae, Barbados, Nieves, & Sancti Christopheri nascuntur. Seu Prodromi Historiae Naturalis Jamaicae Pars Prima (London 1696); Ders., Voyage to the islands Madera, Barbados, Nieves. S. Christophers and Jamaica (London 1707–1725). 285 Linn8, Philosophia botanica, engl. Übersetzung, Stephen Freer, Linnaeus (2003), 330: »a semi-cylindrical copper bowl, 9 inches long, with a proper lid, an opening large enough for a hand, and the side slightly concave rather that flat, to fit the thigh, for plants that have been gathered and watered, to keep them alive till the evening.«

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den eisernen Willen, die ihm auferlegten Aufgaben zur Zufriedenheit seiner Auftraggeber auszuführen. Er will natürlich in Hinblick auf seine weitere Zukunft seinen Gönner van Swieten und das Kaiserpaar auf keinen Fall enttäuschen. In seinem Fall besteht ein großer Vorteil darin, dass er – im Gegensatz zu vielen anderen Forschern – mit keinerlei finanziellen Beschränkungen auf seiner Reise zu kämpfen hat und auf ein familiäres Netzwerk in den Kolonien zurückgreifen kann. Er selbst betont im Vorwort seines Werkes die Gefährlichkeit seiner Unternehmung, die aufgrund der vielen Überfälle an Bord der Schiffe und auch der häufig auftretenden Stürme sicher gegeben ist. Darauf verweist auch das Titelblatt seiner Publikation »Selectarum« (1763) mit der Visualisierung eines tosenden Ozeans, den Inbegriff einer Naturgewalt (Abb. 10). Eine Pistole zählt zum unverzichtbaren Utensil eines Reisenden der Zeit, auch Jacquin hat sich eine besorgt. Auch ein Degen begleitet ihn. Aber es gibt auch Bedrohungen anderer Natur, wie es ein Zeitschriftenartikel, der erst lange nach dem Tod Jacquins gedruckt wird, belegt: »Er pflegte seine meisten Wanderungen, deren Hauptzweck das Botanisieren war, zu Pferde zu unternehmen und ritt eines Tages auf einer der Antillen gemächlich nahe am Meeresstrande hin, doch ferne genug, wie er aus Erfahrung wusste, um von der bevorstehenden Flut nicht gefährdet zu werden, – als er diese plötzlich mit ungewöhnlicher Heftigkeit und Majestät heranstürmen sah. Er wendete rasch sein Pferd und sprengte in voller Karriere landeinwärts. Die Flut brauste gleich einer verfolgenden siegreichen Heeresmacht, weit über die gewöhnliche Grenze ihres Gebietes, hinter ihm drein, so dass er nur der Schnelligkeit seines Pferdes die Rettung verdankte, welcher er ungefähr eine Wegstunde landeinwärts auf dem bedeutend erhöhten Terrain fand. Jacquin, durch dieses ungewöhnliche Naturereignis im höchsten Grad überrascht, verzeichnete den Tag des Erlebnisses in seinem Journale und war sehr erstaunt, trotz angestellter Erkundigungen und Forschungen keine Veranlassung jenes Naturwunders erspähen zu können. Nach mehreren Monaten brachten die europäischen Zeitungen die Nachricht des furchtbaren Erdbebens, welches am 1. November 1755 Lissabon zerstört hatte, und dessen Datum die Lösung des Rätsels enthielt.«286

Jacquin wird Augenzeuge eines Tsunamis, dessen Flutwellen er erst nachträglich mit dem Erdbeben in Verbindung bringt. Etwa ein Jahrhundert später beschreibt der österreichische Geologe Ferdinand Hochstetter das Phänomen erstmals als Auswirkung der Tektonik.287 Wenn Jacquin in seinem Vorwort zu seiner zweiten Amerika-Flora die 286 Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode. 30. Jg. 4. März, Nr. 45, (1845), 180. 287 Ferdinand von Hochstetter, Über das Erdbeben in Peru am 13. August 1868: und die dadurch veranlassten Fluthwellen im Pacifischen Ozean, namentlich an den Küsten von Chili und von Neu-Seeland. In: Sitzungsberichte der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften Wien, math.-naturwiss. Kl. 52 und 58 (1869), 818–823, siehe dazu auch Peter O. K. Krehl, History of Shock Waves, Explosions and Impact (Berlin / Heidelberg 2009), 347.

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»sengendheiße« Hitze und Gefahren erwähnt, dann ist das sicher keineswegs übertrieben. Und auch wenn er stets mit Perücke ausstaffiert als galanter Unterhalter der insularen Kolonialgesellschaft die Langeweile vertreibt und sich des Beistands seiner Verwandten nicht nur im Alltag, sondern auch in allen eventuellen Notfällen sicher sein kann, existiert neben dieser angenehmen Seite auch jene aufregende, das Leben aufs Spiel setzende gefährliche Komponente. Jacquin hat sie retrospektiv als »die unangenehmen Strapazen« erwähnt, die er wohl meist zur See überwunden hat. Dass er »die sehr vielen Gefahren für [sein] mein Leben,« in die er geraten ist, »dennoch in guter Erinnerung«288 hält, liegt wohl daran, dass sie doch als lohnende Investition für den Anfang seiner späteren blendenden Karriere wirken.

II. 8. Sammlungsverfahren und Objektdiskurse Das in den Instruktionen festgelegte eigentliche Ziel der Westindienexpedition besteht im Erwerb so vieler besonderer Pflanzen, Tiere und Fossilien wie möglich. Um der exotischen Pflanzen alsbald im Garten auch blühend und in einem ordentlichen Wuchs in Wien habhaft zu werden, stehen unterwegs Lebendpflanzen anstatt Samen an erster Stelle der Sammelliste. Auch Kleintiere für die Menagerie und Fossilien für das kaiserliche Kabinett sind erwünscht. Insgesamt werden neun Transporte von den Zuckerinseln nach Wien organisiert, sie umfassen etwa sechzig Kisten. In ihnen werden untergebracht: Münzen, Pflanzensamen, fruchttragende Bäume, Sträucher, Vögel, Weichtiere, Schalentiere, Korallen, Fische, Insekten, Konchylien, Fossilien, Mineralien, ein Rhinozeroszahn, ein Kolibrinest, Schlangenhäute, Platin, Smaragde, der Amazonasstein, Schildkrötenpanzer und »Gerätschaften der Wilden.«289 Fast jede dieser Kisten enthält unzählige Specimen, etwa im Falle der Konchylien 1600 Stücke. Dieser außerordentlich reichen Ausbeute sind folgende Tätigkeiten Jacquins vorangegangen: Selektion der Naturobjekte, genaue Dokumentation ihrer Herkunft, die Wahl einer dem Objekt adäquaten Verpackung und eine entsprechend geschickte Logistik des Transports vom Fundort zur jeweiligen zentralen Sammelstelle auf Westindien und ferner nach Europa. Hier ist eine kurze Abschweifung geboten: Sammlungsforschung hat seit vielen Jahren einen besonderen Stellenwert innerhalb einer Wissenschaftsgeschichte, die sich der Praktiken annimmt. Das Sammeln gilt schon lange nicht 288 Nikolaus Jacquin, Selectarum Stirpium Americanarum Historia (1763), Praefatio, siehe Edition des Vorworts. 289 »Reise meines Vaters nach Westindien«. ÖNB, HAD, Cod. Ser. n. 9755, fol. 36. Siehe auch unsere Edition.

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mehr als verstaubte Aktivität, die dem eigentlichen Wissen lediglich vorangeht, sondern wird als eine auf Wissen basierende für die Wissenschaft zentrale Kulturtechnik eingeschätzt.290 Indem Sammeln als eng mit dem Wissen verbunden gesehen wird, steht ihm ein wichtiger Stellenwert in unserer Analyse zu.291 Wie gestaltet Jacquin diese Tätigkeit des Sammelns und worin besteht ihr Erfolg? Der junge Expeditionsleiter Jacquin hat eine schwere Verantwortung übernommen und diese letztlich auch optimal ausgeführt. Erfolgsbestimmend wirkt Jacquins Netz von Zuträgern beim Requirierungsprozess von Pflanzen, Konchylien, Fossilien und Tieren. Um Sammlungsgegenstände oder auch Hinweise auf ideale Lokalitäten zu erhalten, sind Verhandlungsführung mit den Einheimischen und Kolonialherren, Kontaktanbahnung sowie die Herstellung von Beziehungen ausschlaggebend. Daraus folgt, dass Jacquin nicht immer selbst sammelnd in der tropischen Wildnis unterwegs ist, sondern sich auch viel zutragen lässt. In den Kreislauf von Naturobjekten werden dadurch auch Menschen eingebunden, die nicht Teil der Expedition sind, aber durch ihre Hilfsdienste wesentlich zum Erfolg beitragen. Aber stets ist er es, der die Auswahl zu treffen hat, der die gesammelten Objekte entsprechend betreuen lassen muss. Und er darf den Überblick nie verlieren. Es lastet einerseits eine große Verpflichtung auf Jacquin und er hat viel zu wenig Zeit, wie er später Linn8 gegenüber eingesteht,292 sich speziell so um die Botanik zu kümmern, wie er es gerne gewollt hätte. Andererseits ist er ein hochgeachteter und sehr beliebter Gast in der karibischen Kolonialgesellschaft, der er sich wohl auch recht ausführlich widmet. Er wird als hochgelehrt verehrt und ist überall gern gesehen. Neben den vielen weiblichen Anhängerinnen betet ihn auch sein neuer Freund Benoit Aquart geradezu an. Er versucht so viel wie möglich von Jacquin zu lernen, von dem 27-jährigen, der weder eine Publikation noch ein abgeschlossenes Studium noch eine fixe Anstellung noch eine Profession aufweisen kann. Jedoch glänzt Jacquin durch seine Kenntnisse der antiken Sprachen Latein und Griechisch, durch sein Talent, Epigramme verfassen 290 Anke te Heesen and Emma Spary (Hg.), Sammeln als Wissen. Das Sammeln und seine wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung (Göttingen 2001); Peter Burke, A Social History of Knowledge: From the Encyclop8die to Wikipedia. Vol. II (Cambridge 2012); Manfred Sommer, Sammeln. Ein philosophischer Versuch (Frankfurt am Main 1999). 291 Siehe dazu auch die Einleitung, online: Marianne Klemun, Introduction as Guest Editor : ›Moved‹ Natural Objects – ›Spaces in Between‹. In: Marianne Klemun (Guest Editor), Moved Natural Objects. Spaces in Between (= Host Journal of History of Science and Technology, Vol. 5, Spring, 2012), 1–7. online-journal: http://johost.eu/; Marianne Klemun, Live plants on the way : ship, island, botanical garden, paradise and container as systematic flexible connected spaces in between. In: Ebda. 292 Vgl. Jacquin an Linn8, Uppsala, 20. Februar 1760 (L 2682), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net.

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zu können,293 sein Wissen im Bereich der Medizin und Botanik – das er sich in Leiden, Paris und auch in Wien angeeignet hat – und auch durch seine Liebe zur Musik, wodurch er wie ein Magnet wirkt. All diese Aspekte sind dem Sammelprozess besonders zuträglich, weil er Menschen in neuer Umgebung für sich zu gewinnen weiß, die seine Ziele äußerst ernst nehmen und auch mit ihm teilen, was aus den Korrespondenzen hervorgeht. Einen Glücksfall für unsere Studie stellt ein Briefkonvolut dar, welches heute im Naturhistorischen Museum in Wien aufbewahrt wird. Es geht auf Benoit Aquart294 zurück, Jacquins zeitweiligen Begleiter auf einigen Exkursionen in Westindien. Vierzehn diesen Zeitraum betreffende und in einem altertümlichen Französisch geschriebene Briefe sind erhalten. Jacquin weiß sehr gut, was seine Auftraggeber von ihm erwarten. Neben der Quantität sollen äußerst seltene Fossilien und Mineralien wie Platin oder Amethyst die ohnehin weltweit prächtigste Naturaliensammlung in Wien noch bereichern. 266 Bäume und Sträucher wie auch 26 Vögel werden in Lebendform geschickt.295 Auch eine lebende Wildkatze, ein Fuchs und besondere Nagetiere ergänzen die Sondertransporte. Pflanzen, welche auf Martinique als Heilpflanzen verwendet werden, sind dem Mäzen van Swieten zugedacht. Dass dieses Wissen nicht direkt, sondern über Umwege von Jacquin erworben wird, zeigt ein Brief Aquarts. Dieser berichtet von der Naturmedizin, welche die roten »Caraiben« benutzen, wenn sie das Fieber trifft. Er bietet Jacquin an, ihre Rezepte für ihn zu erfragen: »Ich bin von der Hoffnung erfüllt, ihnen [den Caraiben] diese Rezepte abtrotzen zu können.«296 Weiters berichtet er auch über Heilmittel gegen venerische Krankheiten (der weiße Jasmin spielt hier eine Rolle) und über Medikamente gegen Lepra, »die bis in die Gegenwart durch unsere Ärzte wie eine echte Syphilis betrachtet wird. Geben Sie mir ein bisschen Zeit, um durchzuatmen, und ich werde für Sie besorgen, was ich kann. Aber die Fieber und meine Geschäfte erlauben mir nicht, an Angenehmes zu denken.«297 Diese Stelle legt dar, wie Jacquin durch seine Mittelsmänner zu indigenem Wissen kommt. Aquart revanchiert sich für die Freundschaft mit seinem Wissen, das Jacquin sehr hilfreich ist, sowohl für die erfolgreiche Ausbeute als auch für die Einschätzung seiner Reisedestinationen. 293 Dies ist besonders im Briefwechsel mit Gronovius belegt. Siehe dazu ÖNB, HAD, Cod. 12778. Regesten im Anhang. Für die philologische Expertise bedanken wir uns bei Mag. Mersich †. 294 Benoit Aquart war Handelsmann auf Martinique und Jacquins Begleiter auf vielen seiner Exkursionen in Westindien; Jacquin benannte nach ihm eine Gattung aus der Familie der Solanaceen Aquartia. 295 Marie von Plazer, Nicolaus Jacquin. (1895), 8. 296 Vgl. Aquart an Jacquin, Brief, Guadeloupe, 6. März 1757, NHM, AfW, Inv. Nr. 28653/42. Eigene freie Übersetzung. 297 Ebda. Eigene freie Übersetzung.

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Benoit Aquart vermisst den Freund, den er beim Sammeln so intensiv unterstützt hat, sehr, immer wieder kommt der Trennungsschmerz zum Ausdruck: »Ich sehe keine Pflanze mehr mit demselben Vergnügen, wozu mich meine Freundschaft verleitet hat. Ich habe gedacht die Botanik zu lieben, und es ist der Botaniker, den ich liebe.«298 In einem Schreiben aus dem Jahre 1755 berichtet Benoit an Jacquin, er hätte nun fliegende Eichhörnchen vom Mississippi und ein Kardinalweibchen erworben, auch Muscheln, aber eigentlich nichts Besonderes. Die Bäume, die Jacquin schickt, werden von ihm sofort eingesetzt.299 Drei wesentliche Aspekte können wir dieser hier knapp vorgeführten Briefstelle entnehmen. Erstens hat Jacquin seine Sammelkriterien an seine freiwilligen Mitstreiter weitergegeben, zweitens delegiert er die Sammlungsaktivitäten an andere und drittens hat er ein Areal erworben, wo er in St. Pierre eine Art Baumschule und ein Gehege anlegen lässt, um den gesammelten Pflanzen und Tieren vor dem Abtransport die richtige Pflege und Hege zukommen zu lassen. Die Errichtung von temporären Feldstationen ist eine bewährte Strategie des Managements von Pflanzen- und Tiertransporten im global betriebenen Pflanzen- und Tiertransfer. Ihnen vorangegangen sind die durch die europäischen Kolonialmächte um die Mitte des 18. Jahrhunderts erstmals errichteten botanischen Gärten in Übersee, die im Falle der Alten Welt nicht zufällig wie etwa im Falle Pamplemousses’ auf der Isle de France (heute Seewoosagur Ramgoolam Botanical Garden, Mauritius) mit den Verpflegungsstationen auf den Schiffsrouten nach Asien ident sind. Dass Jacquin in der Auswahl von ausgezeichneten Zuträgern ebenso geschickt ist wie bei jener der Naturobjekte, belegt einmal mehr die Korrespondenz mit seinem Partner Benoit Aquart. Während Jacquin auf anderen Inseln unterwegs ist, beklagt sich dieser in einem seiner Briefe über dessen Stillschweigen und vergleicht sich nun mit einer neuen Pflanze, die einmal bekannt, den Botaniker nicht mehr interessiert. Er will dies aber nicht glauben, da ihre Freundschaft etwas Besonderes ist. Mit einer heiklen Bemerkung versucht er Jacquins Sammeltätigkeit innerhalb der Karibik prinzipiell in Frage zu stellen: Könnten die Pflanzen, die Muscheln, die Tiere unter demselben Klima, in demselben Archipel überhaupt sehr variieren?300 Diesem Gedanken zufolge hätte sich Jacquin die weiteren Inselbesuche ersparen können. Benoit Aquart ergreift jede Gelegenheit, ob mündlich oder brieflich, um den Gedankenaustausch zwischen beiden nicht abreißen zu lassen. »Der naive Mensch in Unwissenheit braucht zahllose Mühen, um sich auf den Gipfel der 298 Vgl. Aquart an Jacquin, Brief, St. Pierre, 18. Mai 1756, NHM, AfW, Inv. Nr. 28653/37. Eigene freie Übersetzung. 299 Vgl. Aquart an Jacquin, Brief, St. Pierre, 15. April 1755, NHM, AfW, Inv. Nr. 28653/35. 300 Vgl. Aquart an Jacquin, Brief, Mai 1756, NHM, AfW, Inv. Nr. 28653/36.

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Wissenschaft zu erheben. Sie haben mich an Ihrer Seite geführt, wenn Sie mich nicht unterstützt hätten, wenn Sie mir Ihre hilfreiche Hand entzogen hätten, wäre ich auf den Grund der Finsternis zurückgefallen,«301 meint er voller Bewunderung für Jacquin in einem Brief. Entscheidend beim Sammeln ist die sie begleitende schriftliche Dokumentation. Für die Forschung ist Sammeln ohne Dokumentation sinnlos, das hat bereits ein wichtiger früherer Vertreter der Feldforschung des ausgehenden 17. Jahrhunderts festgelegt. Lassen wir diesen kurz als repräsentativ für viele andere Anleitungen sprechen. An erster Stelle in John Woodwards Rat steht die systematische Buchführung des gesammelten Materials. Diese besteht in der Registrierung des Ortes als akribische Verwaltung des Aufsammlungsprozesses: »Of Keeping a Register of the Fossils as they are collected. By Means of Paste, Starch, or some fit Gum ought to be fix’d on each Sample collected, a bit of paper, with a Number upon it, beginning with 1 and proceeding to 2, 3, and so on, in a continual arithmetical Series. Then, in the Register ; enter Number s, answering those fix’d on the Fossils, and under the Note, 1, what Sort of Fossil or Mineral this reputed to be. 2. Where’t was found. 3. Whether there were more of the same, and in what number or Quantity.«302

Solche Hinweise sind wohl die Grundlage von Jacquins Arbeit. Seiner Instruktion gemäß muss er alle an die kaiserlichen Einrichtungen gerichteten Sendungen mit Listen der Objekte versehen. Solche Listen und Tabellen haben sich seit dem 18. Jahrhundert in den Wissenschaften als beliebteste Aufschreibeform durchgesetzt, mit dem Preis, dass keine Interpretationsleistung zur Außenwelt geboten wird, sondern eine Art Dominanz von Einzelelementen im Hinblick auf das Format.303 Im Erwerbungsprozess haben sie eine fundamentale Funktion, sie sind Beweis und Nachweis zugleich. Mit der Aufsammlung einher geht die heikelste Arbeit, die Verpackung. Über diese Adjustierung von Lebendpflanzen für den Transport auf den Weltmeeren ist vor der Entdeckung des Ward’schen Käfigs (1828) der Weg des learning by doing der einzig Mögliche, zu sehr sind noch die Methoden umstritten und von den Kaufleuten eher geheim gehalten worden. Jacquin leistet hier Pionierarbeit, wenn er an den Sammlungsleiter schreibt: »Ich weiß nicht, ob meine Art die Naturalien zu verpacken gut ist; aber ich tue mein Bestes; ich muss mich hier mit Kaffeeballen behelfen (oder die inneren Rinden der Kaffeebohnen nehmen) weil es auf den Inseln keine Sägespäne gibt, man fertigt hier nur selten Holzplanken an und wenn doch dann in Orten, wo man die Späne nicht 301 Ebda, eigene freie Übersetzung. 302 John Woodward, Brief Directions for Making Observations and Collections, and for Composing a Travelling Register of all Sorts of Fossils (London 1728), 93–126, hier 93. 303 James Delbourgo and Staffan Müller-Wille, »Introduction« (Focus Listmania). In: Isis 103, 4 (2002), 710–715.

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einsammeln kann. Die harten Hölzer geben wenig her ; der Tischler kann sie nur nach langen Vorbestellungen liefern, die Arbeit ist aufwendig und demnach auch sehr teuer, falls er sich überhaupt dieser Mühe unterzieht. […] Alle Flaschen mit Körnern [Samen] sind für den Garten Sr. Kais. Majestät bestimmt. Haben Sie doch die Güte, sie dem Gärtner zukommen zu lassen. Es waren zu wenige, um eine eigene Kiste damit auszufüllen. Geben Sie bitte Herrn Baron von Swieten die kleine Kiste, die mit den Anfangsbuchstaben V. S. gekennzeichnet ist und in der sich Heilpflanzen befinden, und auch die Holzstückchen, die in der großen Kiste oben liegend eingepackt sind […] Jacquin.«304

Dass er in diesem Feld klug vorgeht, ist sich Jacquin selbst bewusst. Wir erfahren darüber jedoch erst aus einer späteren Publikation im Jahre 1797: Erst als in der Josephinischen Zeit nach 1783 weitere Expeditionen vom Wiener Hof ausgeschickt werden und Jacquin als Taxonom Nutznießer der Sendungen wird, macht er seine damalige Vorgangweise der 1750er Jahre in einem Vorwort publik, genau 40 Jahre nach seiner eigenen Reise. Diese Bemerkung im Vorwort wirkt wie eine nachträgliche Beanspruchung seiner Bedeutung auf diesem Gebiet, er, der sich als Vorläufer späterer erfolgreicher Pflanzentransfers305 einmahnt: »Die erste Sammlung war im August 1755 aus Martinique nach Marseille verfrachtet worden. Die zweite, sehr reichhaltige ging in Begleitung des oben erwähnten Richard van der Schot im Feber 1756 von derselben Insel nach demselben Hafen ab; reich vor allem durch die gewaltige Anzahl der Bäume und Sträucher ; sie ist so wohlbehalten überbracht worden, dass auf der ganzen Fahrt nichts zugrunde ging, sieht man von den Heliconien ab, die samt und sonders auf dem Schiff von den Haselmäusen gefressen worden waren. Es hatte kaum je zuvor einen derartigen botanischen Transport einen solchen Rang noch wird er ihn in Zukunft haben. Die Bäume, die die meisten in ihrer Heimat schon Frucht getragen hatten, erfreuten sich eines Stammes von Menschengröße und der Stärke eines Unterarmes oder einer noch umfangreicheren. Das Laub war ihnen abgeschlagen worden, wobei dennoch ansehnliche zwei Fuß lange Zweige übriggeblieben waren. Die kleinen Bäumchen waren unversehrt geblieben. Beide Arten wurden durch im Kreis herumgezogenen Gräben so ausgegraben, dass – soweit möglich – ein großer Klumpen der heimatlichen Erde an den unverletzten Wurzeln haftete. Diese Klumpen wurden eingehüllt mit einer dicken Abdeckung und mehrfachen Moosschichten, was noch verstärkt wurde mit abgerissenen Rinden (Bast) des Hibiscus tiliaceus, die wie Stricke sehr eng um den Ballen gezogen und zu einem Netz geknüpft wurden. So konnte keine Erde herausfallen, die Wurzelstöcke wurden in Abständen sparsam beträufelt, und weil sie auch in offenen Kisten der freien Luft 304 Brief vom 24. Juli 1756, Zit. nach Christa Riedl-Dorn, »Karibik all inclusive« (2004), 254ff. 305 Zu Pflanzentransfers allgemein: Daniela Bleichmar, Visible Empire: Botanical Expeditions and Visual Culture in the Hispanic Enlightenment (Chicago / London 2012). Bleichmar erwähnt auf S. 26 und Fußnote 35 eine Instruktion der Verschickung lebender Pflanzen, die auf Casimiro Gjmez Ortega zurückgeht: Instruccijn sobro el modo m#s seguro y econjmico de transporto plantas vivas por mar y tierra a los paises m#s distantes (Madrid 1779).

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ausgesetzt waren, unterbrachen sie ihr Wachstum nicht. Ein einziger Baum wog so oft mehr als 100 Pfund. Damit nicht eine Bewegung die Erde lockere und die feinen Wurzeln aus ihrer Lage verdränge, wurden die Bäumchen von den entfernten Inselplätzen in Kähnen über das Meer zur Stadt und dem Hafen des heiligen Petrus gebracht, um auf Schiffe verladen zu werden und von dort nach Europa zu gelangen. Von Marseille wurden sie wiederum über das Meer nach Livorno geschickt und von dort nach Wien von Mauleseln getragen. Die dritte Kollektion führte im August 1756 Johannes Buonamici von der Insel des heiligen Eustachius in den Hafen Livorno. Gegen Ende desselben Jahres ging die vierte aus Martinique nach Marseille. Die fünfte übertrug ich Josef Alix Vesuntinus, der im März 1757 von CuraÅao in See stach und glücklich in Amsterdam landete, auf seinem Weg durch Deutschland aber von der Ruhr befallen wurde und verstarb. Diese Sammlung war unter allen diejenige, die an erlesenen und größten Korallen das Reichhaltigste war, was bis jetzt zum Schmuck der kaiserlichen Schatzkammer gewandert ist; von diesen Stücken habe ich auch einige behalten und dem glücklichen jungen Mann und hervorragenden Taucher gebracht. Im August desselben Jahres erfolgte von der genannten Insel die sechste Kollektion in den gleichen holländischen Hafen.«306

Blicken wir kurz nochmals im Detail auf die zeitliche Logistik der Transporte nach Europa, die wichtigster Part der Expedition sind. Am 28. Februar 1756 schickt Jacquin, wie in der Instruktion307 vorgesehen, den 2. Rücktransport308 nach Wien, begleitet wird dieser von Richard van der Schot,309 dem niederländischen Gärtner von Schönbrunn. Van der Schot ist ein eifriger Sammler und dies nicht nur zu Lande, sondern auch im Wasser. Georg Forster, der Reisegefährte von James Cook, zeigt sich beeindruckt von Schots Fertigkeiten in seinem Tagebuch, als er 1784 in Wien davon erfährt: »Der Gärtner Ryk van der Schotte [!], ein braver Mann, ist mit Jacquin in Amerika gewesen […] er ist sehr stark; er schwimmt und taucht vortrefflich, sieht unter Wasser gut, und wählte sich auf dem Boden der See Korallen aus,«310 notiert er über das Schwimmen und Tauchen, das nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit in der Mitte des 18. Jahrhunderts darstellt. Von Jacquin ist nicht bekannt, dass er diese Fertigkeiten beherrscht, er gilt eher als ein großartiger Netzwerker, gewinnt viele Verbündete auf den Inseln, hat seine Zuträger, organisiert alles und delegiert vieles. Bedeutende Sendungen lässt Jacquin, wie wir bereits hörten, durch seine 306 Nikolaus Joseph Jacquin, Plantarum rariorum Horti caesarei Schoenbrunnensis (Viennae 1797), Vol. 1. Praefatio, eigene Übersetzung. 307 ÖNB, HAD, Cod. 12486. 308 Der erste Transport war schon von Marseille abgegangen. 309 »Nous avons, recu de Monsier Nicolas Joseph Jaquin [!] la somme de huit cent livres, en argent pour le passage de Mr. Richard van der Schot, par notre navire l’esp8rance Capt. Chauvel / St. Pierre le 28. Fevreur 1756 Diantfreres.« Vgl. die Quittung seiner Überfahrt: HHStA, Hausarchiv, Poschakten, JS, Karton 2; 2–16, fol. 105. 310 Zitiert nach Brigitte Leuschner (Hg.), Georg Forsters Werke. Bd. 12 (Berlin 1973), 126.

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Begleiter von Westindien bis nach Hause bringen. Das erfordert eine umsichtige Planung. Das Reiseteam ist zwar immer überschaubar klein, bestehend aus Jacquin, dem Gärtnergesellen van der Schot und den beiden Vogelstellern Giovanni Buonamici und Francesco Barculla, jedoch die zu lenkenden Lebendfrachten sind sehr heikel. Van der Schot verlässt als Erster die Gesellschaft, als er am 28. Februar 1756 mit einem Sammeltransport nach Wien zurückkehrt, ihm folgt im selben Jahr Anfang August Buonamici. Ersatz für die beiden findet Jacquin in der Person eines Alix aus BesanÅon, über den wir kaum etwas wissen, außer dass er im Vorwort des Schönbrunner Werkes 1797, in dem auch diese Reise ausführlich geschildert wird, namentlich als Josef Alix Vesuntinus311 auftaucht. Alix wird wie die anderen ausgestattet und von Curacao nach der Insel Aruba gesandt. Am 12. August 1756 segelt der oben beschriebene Transport mit dem Vogelfänger Giovanni Buonamici nach Livorno. Erst ein halbes Jahr später, am 8. Jänner 1757, bestätigt Carlo Ginori postalisch die Ankunft Buonamicis mit seiner Ladung in Livorno. Fast fünf Monate liegen dazwischen. Lediglich vier Tauben und ebenso viele Wachteln sind auf dem Transport zugrunde gegangen; Ginori wird für den Weitertransport der für den Kaiser bestimmten Objekte von Livorno nach Wien sorgen.312 Das Management innerhalb der Gruppe scheint Jacquin recht zu glücken. So schickt er nach seiner Rückkehr auf St. Eustache den Vogelsteller Barculla nach Martinique, um mehrere dort zurückgelassene Pflanzen und Tiere abzuholen, und natürlich übermittelt dieser auch Briefe von Jacquin. Aquart bedankt sich am 1. Juli 1756313 für die wundervollen Briefe und möchte mehr Details über die Kollektion erfahren. Er stellt die Frage, ob wohl neue Pflanzen oder Muscheln unter den Kollektionen sind, denn alle Bekannten Jacquins wollen über dessen Erfolge informiert werden. Trotz der politischen Wirren verliert Jacquin sein Sammelprojekt nicht aus den Augen und am 17. Juli 1756 kündigt er dem Direktor des Naturalienkabinetts, Jean de Baillou, den nächsten Rücktransport in die Heimat an, was Aufschluss über Jacquins reflektierte Sammeltätigkeit gibt: »Beigeschlossen finden Sie die Aufzeichnung von allem, dessen ich die Ehre habe, Ihnen für das Kaiserliche Naturalienkabinett von der Insel St. Eustache zu senden. Ich gestehe, dass es sehr wenig ist; doch eigentlich ist es viel, was ich zusammentragen konnte, denn es ist nicht sehr einfach gewesen. Auf diesen Inseln gibt es nur wenige der gewünschten Objekte, man findet fast nichts. Und das, was man an den Ufern findet, ist zerbrochen und vollständig unbrauchbar durch die schrecklichen Wellen des Meeres, 311 Vesuntium: lateinische Bezeichnung für BesanÅon. 312 Vgl. Brief NHM, AfW, Inv. Nr. 28653/297, zit. bei Marlies Raffler, Austriae extendit in orbem ultimum. Naturforscher aus der Habsburgermonarchie in Übersee. In: Österreichische Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts 13 (Bochum 1985), 181–196, hier 191. 313 Vgl. Aquart an Jacquin, NHM, AfW, Inv. Nr. 28653/38.

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von denen es dort an Land geschleudert wird. Ich bin jedoch stolz, dass darunter einige Stücke sind, die das Wohlgefallen Sr. Kais. Majestät finden werden und von denen Sie doch für die Naturgeschichte einigen Nutzen ziehen können.«314

Am 15. Mai315 und am 20. Mai316 1757 gehen tatsächlich diese Transporte nach Wien. Dem auf Martinique verbleibenden Unterstützer Aquart bleibt nur noch die traurige Feststellung, dass Jacquin fehlt, und er richtet seinen kritischen Appell an diesen: »Dieses ›Überall-nach-Kuriositäten-Suchen‹ wird Ihnen nichts Wertvolleres bringen, als Sie selbst sind.«317 Im März 1757 besucht Alix Aruba, kehrt dann wieder nach Curacao zurück und begleitet den großen Transport vom 20. Mai nach Europa. Er gelangt glücklich bis Amsterdam; seinen Tod in Deutschland haben wir schon erwähnt. Die nächste Übersendung nach Europa umfasst neben Pflanzen nun auch Artefakte, Pfeile der Naturvölker, Mineralien wie Smaragde aus Kolumbien, Kupfererz und Magnetsteine und Jacquins Behauptung zufolge318 die ersten Exemplare von Platin, die nach Österreich gelangen. Am 25. August 1757 geht es nach St. Domingo, wo sie erst nach einem Monat Mitte September ankommen. Ein Transport, durch einen Brief an Baillou datiert mit 26. Mai 1759, enthält ein »Memoire des Production naturelles pour le Cabinet de Sa Majest8 Imperiale, que j’ai apport8es avec moi de l’Amerique.« Darin sind u. a. aufgelistet: eine chinesische Münze, Muscheln, Warmwasserfische, Kieselsteine aus der Schlucht »Missisippi«, Pyrite, ein Blasrohr von kanadischen »Wilden« zum Abschießen von kleinen Pfeilen und sogar ein Stück Fell eines wilden Büffels.319 Diesen letzten Transport begleitet Jacquin schließlich selbst. Fassen wir zusammen: Insgesamt muss sich Jacquin um die finanzielle Gebarung und um das alltägliche Leben kümmern, Lasten verteilen, sich verschiedene Techniken des Verpackens überlegen, regelmäßig die Transporte nach Wien zusammenstellen. Die Obsorge für alle Mitreisenden, vor allem auf deren Gesundheit zu achten, die Sammeltätigkeiten zu koordinieren und noch viele Dinge mehr zählen zu seinen Obliegenheiten. Das alles geschieht in einem anderen Erdteil, der zwar durch das Kolonialsystem europäische Strukturen aufweist, jedoch mit Ausnahme des Klimas, der Einheimischen, der Infrastruktur. 314 315 316 317

Brief vom 24. Juli 1756, zit. nach Christa Riedl-Dorn, »Karibik – all inclusive«, (2004), 254ff. Eine Kiste über Bürgermeister W. G. Deutz in Amsterdam. Sechzehn Kisten unter Alix Vesuntius nach Wien. Vgl. Aquart an Jacquin, Brief, St Pierre / Martinique, 1. Juli, 1756, NHM, AfW, Inv. Nr. 28653/38. Eigene freie Übersetzung. 318 »Reise meines Vaters nach Westindien«. ÖNB, HAD, Cod. Ser. 9755, fol. 35. Siehe auch unsere Edition. 319 Jacquin an Baillou, Brief, Toulouse, 26. Mai 1759, NHM, AfW, keine Signatur (wurde nur in einer Flügelmappe vorgezeigt, mit der Auskunft, dass nur zwei Briefe Jacquins an B. im Archiv existieren).

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Die Praxis des Aufsammelns ist nicht von anderen Lebensbereichen abgelöst, sie ist auch zudem stets von Objektdiskursen bestimmt. Im Falle von Jacquins Vorgangsweise zeigt sich hier ein spannendes Phänomen: Während wir buchstäblich keine Informationen aus seinem Munde über sein Verhältnis zur fremden Natur oder den fremden Menschen in seiner Narration vorfinden, sind diese jedoch direkt an die Objektbeschreibungen gekoppelt. Dafür möchten wir hier ein charakteristisches Beispiel anführen. In einer Sendung an den Leiter der kaiserlichen Naturaliensammlung vom 24. Juli 1756320 finden sich neben vielen Vögeln und Pflanzen zwei große Kisten mit Konchylien, Fossilien sowie Kunstfabrikaten der »Kariben«. Der Inhalt dieser Kisten wird in den beigefügten Listen aufgezählt321 und eröffnet uns einen Einblick in die an Objekte geknüpften Diskurse. Greifen wir einige davon heraus: »Nr. 1 Eine Kassette der Kariben, die ihnen dazu dient, nach ihren Kämpfen die Köpfe ihrer Feinde aufzuheben. Nr. 2 Zwei Steine, die den Kariben dazu dienen, das Holz zu spalten, zu finden auf den Mount pel8e auf Martinique. Nr. 4 Erde von der Insel St Martin nahe von Philipsbourg, im holländischen Teil. Sie kommt aus einem Tal nahe der Saline, welche hinter dem Städtchen liegt, davor habe ich eine Art vergoldetes Blech gezogen, welches in der Bouteille Nr. 5 ist. Nr. 6 60 einschalige Muscheln aus der kleinen Insel neben Curacao nahe der Festlandsküste. Nr. 8 Ein fossiler Stein, welchen man auf der Insel Guadeloupe findet, wie man mir sagte. Nr. 9 Eine Art Münze, wo man auf einer Seite den Kopf des Papstes, auf der anderen einen antiken Prinz, wie ich glaube, sehen kann. Man hat sie mir in St Eustache gegeben, wurde aber auf der Insel St. Vincent gefunden. Nr. 15 Ein Krebs von der Insel St Martin, genannt Hahnenkamm, weil er mit seinen Stachel diesen zu gleichen scheint. Diese Art ist sehr selten auf den Antillen.

320 Jacquin an Baillou, Brief, 24. Juli 1756, zit. nach Christa Riedl-Dorn, »Karibik – all inclusive« (Wien 2004), 254ff; nicht veröffentlicht sind die beigefügten Listen des Inhalts der Kisten. 321 Als Beilage des Briefes vom 24. Juli 1756, NHM, AfW. Original französisch. Hier eigene freie Übersetzung. Adressiert an »A Monsieur Le Chevalier de Baillou Lieutenant-Colonel d’Artillerie, Surintendant du Cabinet d’histoire Naturelle de Sa Majest8 Imperial / Vienne. M8moire des Productions Naturelles, que j’envoie de l’isle de Sainte Eustache par Livourne pour le Cabinet d’Histoire Naturelle de Sa Majest8 Imp8riale.«

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Nr. 16 Die von einem Neger bearbeitete Schale einer Kokosnuss. Man fasst die Schalen und versieht sie mit einem Stiel, um Wasser daraus zu trinken. Bei den armen Einwohnern der französischen Kolonien und bei allen holländischen und englischen bis zu den reichsten Kolonisten, findet man in der Ecke des Speisesaals einen großen Tonkrug Wasser mit diesen Kokosschöpfern daneben. Alle bis hinunter zu den Sklaven haben das Bedürfnis zu trinken und nähern sich dann diesem Tonkrug, man trinkt aus der Kokosschale so viel man mag und leert den Rest in den Krug zurück. Vermutlich kann man sich durch das Trinken aus einer Kokosnuss ansteckende Krankheiten holen [….] man sagt hier : Gib mir eine Kokos Wasser, anstatt des Glases. Dieser Brauch scheint in vielen Fällen Europäern ekelig, aber hier macht man es so. Diese Kokos sind selten bearbeitet, weil es an Arbeitern mangelt, und weil die Neger, die Figuren eingravieren, teuer sind. Diese hat mich etwa einen Dukaten gekostet, wo einzelne Kokos nur 7 bis 8 Kreuzer kosten. Ich habe es vorgezogen, eine gut gearbeitete auszuwählen und zufälligerweise gibt es einen Doppeladler, sie ist in Curacao gemacht worden.«322

Unter der Nr. 24 auf dieser Liste wird die von Jacquin schon lang ersehnte Friedenspfeife, das Calumet, das ihm sehr am Herzen liegt und nach dem er sich in vielen Briefen an Aquart immer wieder erkundigt, detailreich beschrieben: »Ein Calumet, eine Friedenspfeife von den Wilden aus Kanada. Ein Händler aus Martinique hat es auf seinem Weg zum Mississippi erhalten und mir nun angeboten. Wenn die Wilden, die sehr gute Krieger sind, mit ihren Feinden Frieden machen, seien es Europäer oder seien es andere Wilde, treffen sich die Anführer und rauchen zusammen diese Pfeife, danach ist der Friede Fakt. Sie betrachten diese Zeremonie als eine Art heilige Handlung, welche verpflichtet, diesen Frieden unverletzlich einzuhalten. Der Kopf dieser Pfeife ist geschmückt mit zwei Köpfen ihrer Gottheiten, das andere Ende der Hälfte mit einem Vogelschnabel und Federn von der Kehle eines Vogels.«323

Von all diesen Artefakten ist heute nichts mehr in den Sammlungen erhalten, wiewohl sich die Ethnologen des 19. Jahrhunderts brennend dafür interessierten. Diese Stellen belegen jedenfalls einmal mehr, dass der Sammelprozess nicht nur auf Jacquin, sondern einem Netz von Informanten und auch Händlern beruht, zum anderen jedoch, dass die Objektbeschreibungen diese Informationen inkorporieren und sich auch in Diskurse einspielen. Ekel auf der Seite der Europäer und Magie bei den Indigenen, einer solchen simplen Dichotomie scheint auch Jacquin wie viele andere Europäer anheimzufallen. Die alles bestimmende Sammelaktivität wird auch oft mit allgemeinen Fragen des Menschseins analogisiert, so bemerkt Aquart z. B. anlässlich der Hochzeit seiner Schwester zum Thema Heirat: »Nicht ohne Schrecken entscheidet man über Glück oder Unglück für den Rest seines Lebens, und alles ist 322 M8moire, Jacquin an Baillou, 24. Juli 1756, St. Eustache, NHM, AfW. 323 Ebda.

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ein Spiel des Zufalls.«324 Er wisse, dass Jacquin trotzdem diesen Schritt zu tun gedenkt und er selbst sei nicht weit davon entfernt: »Welchen Mut braucht es? Es scheint mir, einen vor Hunger sterbenden Reisenden auf einer unbekannten Insel zu sehen, der probiert, mit den Früchten, die sich ihm präsentieren, seinen Hunger zu stillen. Werden sie köstlich schmecken und ihn sättigen oder vielleicht ihn vergiften? So ist die Ehe und das wissen wir, mein armer Menheer, wenn wir einander nicht mehr treffen, Sie und ich, einige Manzinellenäpfel?«325 Bleiben wir kurz bei diesem Beispiel der Manzinellenäpfel, die offenbar Jacquin faszinieren, deren Beschreibung326 sogar schließlich in der Öffentlichkeit großes Aufsehen erregt, denn Jacquin zufolge verwenden die Eingeborenen den Saft dieses Baumes, um ihre Pfeile zu vergiften, und binden Gefangene an den Stamm des Baumes, um sie einen langsamen und schmerzhaften Tod sterben zu lassen. In der Tat stellt er einen der giftigsten aller Bäume der Welt dar, und wird im Spanischen als Manzanilla de la muerte (Abb. 11) bezeichnet. Diesem hochgiftigen Manchinelbaum wird sogar in der »oekonomischen Encyklopädie« von Johann Georg Krünitz ein Artikel gewidmet, der sich auf Jacquin als Gewährsmann bezieht: »Von diesem wegen seiner giftigen Eigenschaften besonders merkwürdigen Baume hat vorzüglich Herr J a c q u i n eine genaue Beschreibung gegeben, von welcher ich hier folgendes mittheile. ›Er wächst an den Ufern auf den caribischen Inseln und der benachbarten festen Küste, und ist ein hoher starker, und durch viele ausgebreitete Äste sehr ansehnlicher Baum […] Die Spanier nennen diesen Baum Mancanilla, welches bei ihnen einen kleinen Apfel bedeutet; […] Alle seine Teile sind sehr stark mit einer schneeweißen Milch angefüllet, welche sehr caustisch, und daher ungemein giftig ist; denn wenn nur ein kleiner Tropfen von derselben auf die Hand (die hohle Hand ausgenommen) fället, so ziehet solcher in kurzer Zeit nicht anders als natürliches Feuer, eine Blase; woraus leichtlich zu schließen ist, was erfolgen müsse, wenn man sie innerlich nimmt, und die zarte Bedeckung des Mundes, Halses und der übrigen inwendigen Teile davon zerstöhret werden. […] Die Einwohner von Martinique und andern Inseln haben ehemahls ganze Wälder dieser Bäume am Ufer weggebrannt, um die gebauten Gegenden von einem so schrecklichen Gifte zu befreien‹ […] Und B ö r h a v e (de morb. nervor. p. 194.) erzählet, daß ein Mensch, welcher seine Nothdurft verrichtet, und mit einem Blatt von diesem Baume den Hintern abgewischt, davon eine Entzündung und den Brand in den Gedärmen bekommen habe, worauf der Tod erfolget sey. Dass sogar auch der Schatten dieses Baums und das bey Regenwetter von ihm herabträufelnde Wasser von gefährlichen Folgen sey, ist nicht ganz gegründet. Den Schatten hat Jacquin mit seiner Gesellschaft nach einem 3-stündigen Aufenthalte in 324 Aquart an Jacquin, Brief, St. Pierre, 18. Mai 1756, NHM, AfW, Inv. Nr. 28653/37. 325 Ebda. 326 Mancinella (Hippomane mancinella, aus der Familie der Euphorbiaceae), ist ein Wolfsmilchgewächs, das an den Küsten von Westindien vorkommt. Der ätzende milchige Saft verursacht auf der Haut heftiges Brennen und Ausschlag.

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Abb. 11: Baum des Todes, »Hippomane ManÅanilla«, (Hippomane mancinella L.) (Kol. Kupferstich aus: N. J. Jacquin, Selectarum Stirpium Americanarum Historia, 1763, Taf. 238)

demselben ganz unschädlich gefunden, und auch das Regenwasser, welches von dem Baume auf seine Hände fiel.«327

Kurz nachdem in Paris im April 1865 Giacomo Meyerbeers Oper »Die Afrikanerin« uraufgeführt wird, nimmt ein Journalist die darin erzählte tragische Geschichte zum Anlass, um an Jacquins Wissen zu erinnern. Denn die Hauptheldin Selica, die sich im letzten Akt der Oper unter einem Manzanillbaum ausruht, stirbt durch dessen tödlich austrahlenden Duftausstoß. Bereits Jacquin hatte diese Wirkung hinterfragt, und so diente er als kritischer Gewährsmann,

327 Johann Georg Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, oder allgemeines System der Staats-, Stadt- Haus- und Landwirthschaft. Online-Ausgabe, Th. 83, 552.

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hundert Jahre nach seiner Reise. Der Journalist baute diese Geschichte auf Jacquins Abenteuer rekurierend aus.328 Von den Sammelobjekten führt der Weg des für Europa neuen Wissens zu den Beschreibungen und findet schließlich als Information Eingang in Handbücher, aber selbst auch in Opernlibretti. Verbunden werden ihre Wege durch Diskurse der Exotik und Fremdheit, aber auch durch das Interesse an Erweiterung des europäischen Medikamentenschatzes mit westindischen Drogen. Während für Jacquin die Blickrichtung nach Wien im Vordergrund steht, wünscht sein interessierter Diskussionspartner Aquart hingegen ausschließlich Vergleiche, die sich auf Martinique beziehen: Als Referenz zur Beschreibung topographischer und naturkundlicher Unterschiede innerhalb der Inselwelt sollte nach Aquart Martinique fungieren, da man für richtige Schlussfolgerungen von einem Fixpunkt ausgehen muss. Es interessiert ihn, ob alle Inseln so gebirgig wie die Grenadas sind, deren Küste einer Kurve folgt, welche den Archipel der Antillen zeichnet und auch wo die Menschen robuster oder schwächer sind, etc.329 Den materiellen Dingen und Naturobjekten haften generelle Fragen an, denen wir in den schriftlichen Rückblicken Jacquins auf die Reise nirgends begegnen. Die zuvor vorgeführte Liste belegt aber auch ganz eindrücklich, wie die Mischung der Objekte gleich einer Art Wunderkammermanier bei der Versendung erfolgt: Erden, Münzen, Artefakte und Naturalien sind begehrt, das Nebeneinander von Natur und Kunst nicht vermeidbar. Erst in Wien folgt die Integration der Objekte in die unterschiedlichen Sammlungszusammenhänge. Während Jacquin später als großer Naturforscher und Taxonom verehrt wird, sind die durch ihn gesammelten Artefakte bald vergessen, nur selten taucht ein solcher Gegenstand heute in Ausstellungen auf, etwa im Weltmuseum in Wien chinesische (bzw. japanische) Strohsandalen,330 die Jacquin vielleicht von einem Händler in der Karibik erworben hat, so unsere erste naheliegende Vermutung (Abb. 12). Die dazugehörige Geschichte331 jedoch bleibt uns verborgen, wie so vieles, das Jacquin in seiner Autobiographie nicht erzählen wollte. 328 Friedrich Schödler, Der Manzanillo. In: Beilage des Fremden Blattes Nr. 280, 12. Oktober (1866). 329 Vgl. Aquart an Jacquin, Grenade, 6. März 1757, NHM, AfW, Inv. Nr. 28653/42. 330 Die Strohsandalen befinden sich heute im Weltmuseum in Wien. Siehe dazu: Archiv des Weltmuseums. Im handschriftlichen Verzeichnis von Franz Heger, K.k. naturhistorisches Hofmuseum Anthropologisch-Ethnographische Abteilung, Inventar A (1806–1875) wird unter der Überschrift: »Jacquin – Tibet – Japan- Südamerika«, unter der Nummer 2281 folgender Eintrag gemacht: »Ein Paar Sandalen aus Stroh verfertigt mit Leder Sohlen, vielleicht aus China. Nach Konsul Haas aus Japan [Bleistiftergänzung], 19. X. 1889.« Für die zur Verfügungsstellung der Archivalie bedanken wir uns bei Ildikj Cazan-Simany, Leiterin des Archivs. 331 Insgesamt sind acht Sammelstücke in dem Verzeichnis Hegers (siehe obige Anmerkung) aufgeführt, Holzkästchen aus Tibet, Fächer, Tempelbilder aus Indien. Alle Gegenstände

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Abb. 12: Einziger nachweislich aus dem ehemaligen Besitz Nikolaus Jacquins erhalten gebliebener ethnographischer Gegenstand, chin. oder japan. Herkunft (Nr. 2277–2283), wie auch die Strohsandalen, wurden von Isabella Schreibers 1838 dem Museum übergeben, sie stammten von ihrem Großvater Nikolaus Jacquin. Der Beamte, der das Verzeichnis vornahm, bedauerte es, dass keine Gegenstände aus der Karibik dabei waren, zumal er davon wusste, dass seltene Stücke der Karaiben in Jacquins Sammlung existierten. Die folgenden Gegenstände kamen offenbar nach der Übergabe 1839 in Kisten Nr. 27–29, wo sie lange am Josefsplatz in der k.k. Remise unausgepackt aufgehoben wurden. Heger hat in seinem Inventar wortwörtlich Fitzinger exzerpiert: Leopold Joseph Fitzinger, Geschichte des Kais. Kön. Hof-Naturalien-Cabinetes zu Wien (Wien 1856), 69: »1839 erhielt die kaiserl. Sammlung auch einige ethnographische Gegenstände von Frau Isabella von Schreibers zum Geschenke, welche diese von ihrem Vater Joseph Franz Freiherrn von Jacquin geerbt hatte, und die noch von der Ausbeute ihres Großvaters Nicolaus Joseph Freiherrn v. Jacquin herrührten, welche derselbe auf seinen zwischen den Jahren 1752 [!]– 1759 unternommenen Reisen in West-Indien gemacht hatte. Es war dies aber nur ein kleiner Rest derselben, da der größte Teil wahrscheinlich im Laufe der Jahre zu Grunde gegangen war oder auch vielleicht eine andere Bestimmung gefunden hatte; doch umso wertvoller, als jene Gegenstände noch von den alten Cariben stammten. Sämtliche seit dem Jahre 1838 erworbenen Gegenstände wurden aber nicht mehr in die kaiserl. Sammlung eingereiht, sondern blieben, in Kisten verpackt, in einem Magazine des kais. Naturalien-Cabinetes in Verwahrung, da durch die mittlerweile stattgefundene Errichtung der königl. lombardisch-

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Die Lösung der Herkunft der Strohsandale könnte aber auch anders lauten und uns in eine andere Region der Welt führen.332 In den frühen 1770er Jahren wird der schon zu seinen Lebzeiten berühmte Sir Joseph Banks (1742–1820), der sehr wohlhabende und ambitionierte Naturforscher und Präsident der Royal Society, der sich vor allem durch die Teilnahme an der ersten Cook’schen Weltreise einen Namen als Botaniker gemacht hat, in den Kreis von Jacquins Korrespondenzpartnern integriert. Die Vermittlung stellt sein Freund und späterer Schwager Jan Ingenhousz her. Jacquins Kaufmannsseele ist entsetzt über das Negieren des Verkaufes seiner Prachtwerke durch die englischen Buchhändler und er bittet Banks um Unterstützung bezüglich des Vertriebs seiner kostbaren Publikationen in einem der frühen Briefe.333 Zwischen den beiden kommt es auch zu einem materiellen Austausch, 1777 kauft Banks Jacquins Herbarium um 2000 Gulden,334 und Jacquin nützt die Gelegenheit, ihn um einige Kleidungsstücke und Artefakte der Südseeinsulaner für die Sammlung seines 12-jährigen Sohnes zu bitten.335 Trotz Banks Zustimmung kommt es über die Jahre zu keiner Erfüllung dieses Wunsches. 1782 erinnert ihn Jacquin vehement an dieses Versprechen.336 Nun ist Banks wirklich verärgert und schreibt Ingenhousz: »I am sorry that Mr. Jacquin is so angry that I have not yet fulfilled my promise of sending him Arms & Curiosities from the South Sea the reason I have not yet done it is that in order to give a preference to the British Museum who engaged to fit up a room for the sole purpose of receiving such things I long ago sent all mine down there consisting of several Cart Loads delays & idleness. I suppose on the parts of officers & workmen have prevented the execution of the plan being yet perfected when it is the major part of my things will be sent me back again at present they are confined there […] do me the favour to request Mr. Jacquin not to confer more obligations upon me I

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venetianischen Leibgarde im Jahre 1840, für welche der Kaiser sein Privatgebäude in der Ungargasse bestimmt hatte, die unverzügliche Räumung dieses Gebäudes, das die ethnographische Sammlung enthielt, erforderlich wurde. Alles in 60 Kisten verpackt in das kais. Schloß im Augarten gebracht.« Die Kustodin des Wiener Weltmuseums Bettina Zorn vermutet, dass Jacquin die japanischen Strohsandalen setta im brieflichen Austausch mit Leiden erworben hatte, denn nach Leiden kamen durch die Vereinigte Ostindische Kompanie und deren Anwesenheit auf Dejima (Japan) einige kleinere Sammlungen aus Japan. Vgl. Bettina Zorn, Die frühe Japansammlung im Museum für Völkerkunde in Wien. In: Beiträge zum Österreich-Japan Jahr 2009. (Nihon Oustoria Koryu no Rekishi to Genzai), hg. Jouchi Daigaku Youropa Kenkyuusho, Tokyo, Bd. 4 (2009), 21–31. Jacquin an Banks, Brief, 16. Oktober 1774, zit. nach Warren R. Dawson, The Banks Letters. A Calender of the manuscript correspondence of Sir Joseph Banks preserved in the British Museum, the British Museum (Natural History) and other collections in Great Britain (London 1958). Zit. nach Neil Chambers (Ed.) Scientific Correspondence of Sir Joseph Banks, 1765–1820. 6 vol., vol. 1 (London 2007), 110. Jacquin an Banks, 21. Mai 1778; [Brief Nr. 124], Chambers, vol.1 (2007), 150. Dawson, The Banks Letters (1958), 440.

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can purchase his works. My Seeds which I thought more valuable than empty curiosities he sets little value on I shall fulfil when in my power the promises he alludes to but do not wish to have any more to fulfil.«337

Jacquins Schwester Agatha, die Frau von Jan Ingenhousz, übermittelt ihm dieses Schreiben und Jacquin lenkt ein, um Banks, einen sehr wichtigen Verbindungsmann im Ausland, nicht zu verlieren. Es schmerze ihn zu hören, dass er Banks verärgert habe, aber er führt dies auf die unvollkommenen Französischkenntnisse des Briefpartners zurück, denn die Ermahnung, die versprochenen Reiseobjekte an seinen Sohn zu senden, könnte nicht der Grund für Banks Unstimmigkeit sein.338 Ein Jahr später bedankt er sich für die bevorstehende Übersendung der Südseekuriositäten und bittet jeden Teil separat gut einzupacken und alles so zu verschnüren, damit auf der langen Reise nichts passieren könnte.339 Wir sehen hier das immer wiederkehrende Problem der Verpackung angesprochen. Jacquin scheint seit seiner Karibik-Expedition ein Experte auf diesem Gebiet gewesen zu sein. Jedoch drei Jahre später, 1786, sind die versprochenen Objekte noch immer nicht in Wien eingelangt. Erneut schreibt Jacquin, er habe gehört, die versprochene Sendung sei zu sperrig für einen Transport und er gibt Banks nun den Tipp, sie an Bord eines Schiffes, das nach Triest geht, zu bringen, um alles weitere würde er sich wohl selbst kümmern.340 Weitere Belege zu diesem Thema sind in dem Briefwechsel nicht mehr enthalten. Aber nachdem Joseph Jacquin auf seiner Europareise in London von Banks wie ein Sohn aufgenommen wird, können wir davon ausgehen, dass die Beziehung zwischen Jacquin und Banks intakt ist und auch die Dinge als Kitt funktionieren. Kommen wir zum Ausgangspunkt unseres Exkurses zurück: Die Möglichkeit besteht, dass diese Strohsandale ursprünglich aus Banks Beständen stammt und als Geschenk an Joseph Jacquin gekommen ist. In diesem Fall ist das Sammelstück keines, das aus der Karibik kommt, aber seine Wege zu verfolgen und seine konnektive Funktion führt uns zur Bedeutung von Objekt und Tauschwert sowie zu den Beziehungen der Naturforscher untereinander.

337 338 339 340

Banks an Ingenhousz [Brief Nr. 256], Chambers, Scientific, vol. 1 (2007), 326. Jacquin an Banks, 7. Oktober 1782, Dawson, The Banks Letters (1958), 112. Jacquin an Banks, [Brief Nr. 309], 17. Jänner 1783, Chambers, Scientific, vol. 2 (2007), 39f. Jacquin an Banks, [Brief Nr. 644], 10. Mai 1786, Chambers, Scientific, vol. 3 (2007), 162– 163.

Der Durchbruch: vom »Botanophilus« zum »verus Botanicus«

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II. 9. Der Durchbruch: vom »Botanophilus« zum »verus Botanicus« Was hat die Expedition dem Pflanzenliebhaber Jacquin letztlich eingebracht? Es ist in erster Linie das symbolische Kapital, die Anerkennung durch die für die Botanik zentrale Figur eines Linn8 und einer von ihm dominierten Scientific Community. Ausschlaggebend ist jedenfalls auch die Möglichkeit, ein außerordentliches botanisches Material bearbeiten und unzählige aus der Neuen Welt stammende Pflanzen neu bestimmen zu können, was Jacquin in Angriff nimmt. Zusammen wirkt sich das auf Jacquins Identität aus: Noch während der Expedition erfolgt die Transformation des Pflanzenliebhabers (»Botanophilus«341) zum reisenden Sammler. Nach der Rückkehr wird er zum »wahrhaften« Botaniker (»verus Botanicus«) und infolge der methodisch orientierten Arbeiten könnte man ihn, Linn8s Idealen folgend, als reflektierten Methodiker (»Methodicus«) der Botanik identifizieren. Linn8s hierarchische Stratifizierung von Botanikertypen, auf die wir uns hier beziehen, dient uns, Jacquins Aufstieg zeitgenössischen Kategorien zufolge einzuordnen. Linn8 prägte sie, um den Botaniker von Medizinern, Gärtnern, Pharmazeuten und Physiologen abzugrenzen. Nach innen zeigt dies verschiedene Güteschichten. Er gruppiert die unterschiedlichen Fähigkeiten zwar hierarchisch, gesteht ein Nebeneinander in einer Person auch zu, denn einige Zeitgenossen sind Sammler wie auch wahre Botaniker zugleich. Jacquin durchläuft diese Typen als Stadien, vom Pflanzenliebhaber zum Sammler und schlussendlich Methodiker, und das nacheinander in einem sehr kurzen Zeitraum. Kommen wir nochmals wie mit einem Zoom auf die Mikroebene zurück, um diese allmähliche Transformation Jacquins und seinen Status in allen Varianten seines Botanikerwerdens im Detail und in Etappen zu verfolgen und zu kontextualisieren. Da dieses Modell den Zeitgenossen geläufig ist, wollen wir es auf Jacquin beziehen. Zurückgekehrt aus Westindien ist der erste Karriereschritt vollbracht. Jacquin hat den kaiserlichen Auftrag zur Zufriedenheit aller erledigt, alle gesundheitlichen Strapazen wie Gelbfieber und Ruhr sowie Überfälle und stürmische Überfahrten heil überlebt. Und er hat reiche Sammlungen an Naturobjekten für den Wiener Hof zusammengebracht. Das bedeutet keine Selbstverständlichkeit zu einer Zeit, in der solche Unternehmen oft auch das Leben kosteten, denkt man an die Reisenden Peter Forssk,l (1732–1763), Pehr Löfling (1729–1756) und Frederik Hasselquist (1722–1752). Auch seine Mitreisenden, für die er ja die 341 Diese Bezeichnung geht auf Linn8 zurück, der sie in seiner Philosophia botanica 1751 für die Ordnung innerhalb der Bibliothek vorgeschlagen hat. Dazu besonders: Staffan MüllerWille, Botanik (1999), 134 und 173.

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Verantwortung übernommen hat, kehren mit Ausnahme des Joseph Alix gesund zurück. Im Linn8’schen Sinne hat sich Jacquin als »Sammler« erwiesen, denn er hat Abbildungen verfertigt, die als Repräsentationsmittel Linn8s Anforderung erfüllen. Wiewohl Jacquins Herbarbelege in der Karibik von Termiten zerstört worden sind, bleiben ihm die unterwegs gefertigten Skizzen. Diese hat er während der Rückreise vermutlich auch farblich gekennzeichnet. Malutensilien hat er ja schon vor seiner Schiffsreise eingekauft und in seinen Rechnungen auch vermerkt.342 In Montpellier, wo Jacquin wie schon auf der Hinreise nun wieder den Gelehrten Sauvages kontaktiert, zeigt er diese Abbildungen gleich vor. FranÅois Boissier de Sauvages ist begeistert von diesen Bildern und informiert umgehend Linn8, dass der Amerikaforscher Jacquin mit 350 Zeichnungen zurückgekehrt ist.343 Sauvages hat mit professionellem Blick erkannt, dass diese visuellen Dokumente für die weitere Bearbeitung der Pflanzen brauchbar sind. Denn ohne Beschreibung blieben diese Repräsentationsmittel noch zu wenig aussagekräftig im Hinblick auf die Morphologie. Beide ergänzen sich sozusagen. In Straßburg besucht Jacquin dann noch Johann Reinhold Spielmann, der Botanik, Chemie und Arzneimittellehre unterrichtet. Hier zeigt sich wieder sein strategisches Geschick, stets Netzwerke knüpfen zu können. Wieder in Wien betreut er seinen letzten Transport, besucht oft Schönbrunn und den Botanischen Garten am Rennweg und wartet auf den ihm zugesagten Versorgungsposten. Er hat nun wieder Muße, an seinen Freund Jacobus Gronovius344 zu schreiben, entschuldigt sich für sein schlechtes Latein, welches er nun fünf Jahre weder gesprochen noch gelesen hat. Eine Ausnahme hat zwar Linn8 für ihn dargestellt, »bei dem sich aber gewiss nichts Ciceronianisches findet,«345 wie er kritisch bemerkt. Auch Französisch und Spanisch fallen ihm nun wesentlich leichter als alle anderen Sprachen, meint er. Von der kaiserlichen Familie ist er höflich und freundlich empfangen worden und er wartet nun auf seine ihm versprochene Belohnung. Über die Reise, gelobt er seinem Freund, wird er ihm ein anderes Mal erzählen, was allerdings nicht mehr stattfinden wird, denn Jacquin konzentriert sich nun in Wien auf die Aufarbeitung der gesehenen Karibikpflanzen. Er wohnt wieder vis-a-vis der Bibliothek bei Cornelius Schonenbosch, dem Bibliotheksdiener und Bediensteten van Swietens. Im nächsten Brief an Gronovius vom 24. November 1759, also drei Monate später, weiß er

342 Vgl. HHStA, Hausarchiv, Poschakten, JS, Karton 2; 2–16, fol. 85. 343 Vgl. Sauvage an Linn8, Montpellier, 10. Juli 1759 (L 2557), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 344 Jacquin an Gronovius, 33. Brief, 12. August 1759, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 41r. 345 Bestätigung für die Mitnahme eines von Linn8s Bestimmungsbüchern: Jacquin an Gronovius, 33. Brief vom 12. August 1759, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 41r.

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noch immer nicht, was der Kaiser bzw. van Swieten mit ihm vorhat. Er zeigt sich zuversichtlich, da er sehr freundlich behandelt wird.346 Es ist sicher nicht falsch, wenn wir behaupten, dass Jacquin seine Zukunft bewusst in die Hand nimmt. Um einen Vergleich anzuführen: Auch etwa Pehr Kalm, ein schwedischer Naturforscher und Schüler Linn8s, hat von 1748 bis 1751 Nordamerika bereist und darüber einen Reisebericht verfasst. Anschließend bekommt er einen Lehrstuhl an der Akademie Turku in Finnland, danach hört man allerdings nichts mehr von ihm. Jacquin betreibt im Gegensatz zu diesem seine Karriere aktiv, er bastelt daran, indem er Jahr für Jahr auch noch nach seinem Ruf an die Universität Wien 1768 publizieren wird. Dass er bei seiner Rückreise in Europa einige Gelehrte aufsucht, so Boissier de Sauvages in Montpellier und Jakob Reinhold Spielmann in Straßburg, gehört zu dieser vorausgreifenden, betriebsamen und schlussendlich erfolgreichen Art, sich in die wissenschaftliche Gemeinschaft einzumahnen, denn es ist Sauvages, der Linn8 seinen äußerst positiven Eindruck von Jacquin zukommen lässt. Wiewohl dieser in Paris Jussieus System kennengelernt hat, schließt er sich dennoch im Gegensatz dazu dem auch von van Swieten befürworteten Linn8’schen Konzept an. Dieses ist zum Zeitpunkt noch keineswegs breit akzeptiert worden, was wir den Studien Stafleus über das Werden der Linn8-Gemeinde entnehmen können.347 Linn8, der 1757 durch Sauvages nicht nur über Jacquins Rückkunft informiert worden ist, sondern auch von dessen Verwendung des Linn8’schen Systems bei seinen Pflanzenbestimmungen, beeilt sich, umgehend am 1. August 1759 mit einer Gratulation zu reagieren und ihn sogleich mit »Viro Clarissimo Experientissimoque DD. Jacquinio« anzusprechen: »Linn8 grüßt Jacquin. Zu deiner geglückten und auf einer langwierigen und gefährlichen Reise erfolgten Rückkehr nach Europa beglückwünsche ich dich und uns alle aus ganzem Herzen. Dich haben zusammen mit mir alle Naturwissenschaftler sehnlichst erwartet. Als Gesandter der Pflanzenwelt selbst nehmen wir dich in Empfang und verehren dich, der du uns Schätze und Beute eines fremden Erdkreises überbringst, von denen man bisher weder etwas gehört noch gesehen hat. Gott möge gewähren, dass du in kurzer Zeit fruchtbringend zum dauernden Ruhm deines Namens in die Öffentlichkeit trittst, zum Vorteil und Vergnügen für das Menschengeschlecht und zur Ehre des Schöpfers des ganzen Erdkreises. Von deiner überaus beglückenden Ankunft hat mich unser gemeinsamer Freund Sauvage benachrichtigt, der so voll ist von deinen Entdeckungen, dass er selbst Götter beeindrucken könnte.«348

346 Jacquin an Gronovius, 34. Brief, 24. November 1759, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 42r. 347 Vgl. dazu Frans Stafleu, Linnaeus and the Linnaeans. The spreading of their ideas in systematic botany, 1735–1789 (Utrecht 1972). 348 Linn8 an Jacquin, Uppsala, 1. August 1759 (L 2573), The Linnaean correspondence, lin-

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Nicht Jacquin selbst, sondern Sauvages als Vermittler hat Jacquins glückliche Rückkehr an Linn8 gemeldet, der – wie wir sehen – in Folge den Briefwechsel mit Jacquin zugleich überaus euphorisch eröffnet. Das entspricht dem impliziten Regime der zeitgenössischen Kommunikationsregeln, wonach der höher Stehende dem Jüngeren einen Briefwechsel anbietet. Linn8 ist zwanzig Jahre älter als Jacquin und seit 1741 Direktor des Botanischen Gartens zu Uppsala und Professor der Universität, außerdem mit seinen vielen Standardwerken bereits ein arrivierter Gelehrter. Das in der frühen Neuzeit alle sozialen Beziehungen durchdringende Klientelsystem349 hätte eine direkte Kontaktaufnahme einer schwächer situierten mit einer höher positionierten Persönlichkeit unmöglich gemacht. Linn8 entwirft in dieser ersten von ihm ausgehenden an Jacquin gerichteten Anbahnung des Briefwechsels mit unnachgiebiger Intensität einen positiven Stimmungsraum, der von außerordentlicher Bewunderung getragen ist. Die Überschwänglichkeit, mit der Linn8 seiner Wertschätzung Ausdruck verleiht, markiert den Aufstieg Jacquins vom Pflanzenliebhaber zum akzeptierten Sammler. Ein großmütiger Vorschuss leitet den Sprecher, wenn er Jacquin bereits den »dauernden Ruhm [d]seines Namens in der Öffentlichkeit« in Aussicht stellt, aber nicht bedingungslos, denn eine baldige Publikation wird erwartet. Schon in diesem ersten Brief schlägt Linn8 jedoch etwas vor, was die höchste Auszeichnung für einen seriösen Botaniker darstellt, indem er ihm empfiehlt, eine der neu entdeckten Arten nach ihm benennen zu lassen. Nikolaus soll ihm eine potenzielle Pflanze vorschlagen: »Unter anderem sagt er [Sauvage], dass du350 eine Hülsenfrucht beschrieben hast, welche Wipfel der höchsten Bäume verknüpft und niederdrückt. Ich weiß gut, dass du gesagt hast, bei den Autoren finde sich eine schotenförmige Linse, deren Blüten keiner beschrieben hat, sodass von ihm jetzt ihre Merkmale erforscht werden konnten. Aufgrund des äußern Erscheinungsbildes der Pflanze würde ich behaupten, dass sie mit den Mimosen verwandt ist, selbst die Frucht spricht nicht dagegen, auch wenn es eine sehr große lederartige Hülsenfrucht ist, die männlichen Blüten sind nicht mit zweigeschlechtigen vermischt. Oder sind die Blüten fünfblättrig, decandri [zehn und männlich], monogymi [allein weiblich]. Wenn sie von neuer und unterschiedlicher Art sind, sollte man sie nicht nach dir Jacquinia [Abb. 13] nennen? Bist du ja sowieso hoch hinaufgestiegen und hast in so großer Höhe angesiedelte Pflanzen zusammengeschleppt. Wenn du das weniger willst, sag mir, welche [Pflanze] man dir zuweisen soll.«351 naeus.c18.net. Siehe dazu auch die Edition: Caroli Linnaei Epistolae ad Nicolaum Josephum Jacquin ex Autographis edidit (Wien 1841), 1–3. Eigene Übersetzung. 349 Siehe dazu noch immer maßgebend: Mario Biagioli, Galilei der Höfling (1999), bes. 30ff. 350 »De« im lateinischen Text macht nur als »te« Sinn, es handelt sich offensichtlich um einen Schreibfehler! 351 Linn8 an Jacquin, Uppsala, 1. August 1759 (L 2573), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. Eigene Übersetzung.

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Abb. 13: Nach Jacquin benannte Gattung: »Jacquinia armillaris« (Jacquinia armillaris Jacq.), (N. J. Jacquin, Selectarum Stirpium Americanarum Historia, 1763)

Linn8s Wertschätzung muss wohl wie Balsam auf Jacquins Seele gewirkt haben. Auch der nächste Brief Linn8s ist voller Enthusiasmus und er beglückwünscht Jacquin erneut, diesmal zu seinem ersten Antwortschreiben, das ihn durch die Dichte an Beobachtungen überzeugt hat: »Ich habe kaum jemals einen Brief erhalten, der deinen Leuten willkommener und angenehmer war als der, den ich gestern bekam, vollgestopft mit äußerst seltenen und wunderschönen Beobachtungen. Der Glanz des Geistes, der Gipfel der Begabung und die höchste Gelehrsamkeit in der Botanik strahlten in hervorragender Weise aus ihm. Ich Unglücksrabe, der ich niemals Indien sehen konnte, musste mit den Augen anderer Menschen, oft einäugiger, die seltensten Pflanzen schauen, du dreimal Glücklicher! Du

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hast diese persönlich mit wahren Luchsaugen gesehen, sei mir bereitwilliger und großzügiger Lehrer, so wirst du in mir den dankbarsten Schüler haben!«352

Der ambitionierte Universitätslehrer Linn8, der in seiner Lehrzeit insgesamt 186 Dissertationen betreuen wird,353 versetzt sich in die Rolle des Schülers, um seiner Hochachtung für Jacquin noch prononcierter Ausdruck zu verleihen. Der Hinweis auf die Luchsaugen hat symbolische Bedeutungstiefe. Er verweist auf die weltberühmte erste Renaissanceakademie im Rom des 17. Jahrhunderts, in der neben Galileo Galilei auch andere Naturforscher sich miteinander verbanden, um nach ihrem Motto Dinge zu sehen, die gewöhnlichen Augen unsichtbar blieben und das Mikroskop einsetzten.354 Die Analogie spricht Bände, sie zollt dem alle übertreffend sehenden Jacquin Tribut. Linn8 schätzt seinerseits das Reisen als Erkenntnisinstrument hoch ein, seine eigene Erfahrung während seiner Lapplandexkursion355 bleibt ihm zeitlebens im Gedächtnis. Er bedauert sich selbst, dass er nicht auch auf diese Erfahrung Jacquins zurückblicken könne, und mahnt ihn, die Resultate seiner Reise ohne Verzögerung zu publizieren, da die Flora von Südamerika in Europa so wenig bekannt ist. In der Tat widmet sich Jacquin, von van Swieten unterstützt, alsbald intensiv dieser Arbeit. Er besucht auch oft den während seiner Abwesenheit entstandenen neuen Universitätsgarten und freundet sich mit dessen Obergärtner Rameth an und dem Leiter Prof. Robert Laugier, der mehr an der Chemie als an der Botanik interessiert zu sein scheint. Er nutzt diesen für die Botanik so wichtigen Wissensraum und erweist sich ihm auch als äußerst gefällig, »theilte demselben alle Samen mit, die er durch seine botanischen Verbindungen im In- und Auslande erhalten konnte, oft mit Beyhülfe seines Freundes Gronovius in Leyden, Ankäufe von Pflanzen in Holland, nahm den Obergärtner zum Begleiter bey seinen botanischen Excursionen, um österreichische Pflanzen in den Garten zu bringen, und half zu ihrer richtigen Bestimmung.«356 Die Unterstützung durch van Swieten hält an, er ermöglicht ihm botanische Exkursionen mit den Studenten in die Umgebung Wiens. Jacquin wandert u. a. 352 Linn8 an Jacquin, Uppsala, 30. September 1759 (L 2590), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. Eigene Übersetzung. 353 Siehe dazu Stafleu, Linaeans, (1972), 143. 354 Das Motto entstammt dem Naturforscher de La Porta. Siehe dazu: David Freedberg, The Eye of the Lynx. Galileo, his Friends, and the Beginning of Modern Natural History (Chicago 2002). 355 Wie er es in seiner Autobiographie memoriert: »Am 6. [Juli 1732] reiste ich [zum] Berg Vallevare. ½. . .] Als ich seine Flanke erreichte, glaubte ich, in eine neue Welt geführt zu werden, und als ich oben angelangt war, wusste ich nicht, ob ich in Asien oder Afrika sei, denn sowohl die Erdart, als auch die Situation, sowie alle Pflanzen waren mir unbekannt.« Carl von Linn8, Lapplands resa ,r 1732 (Uppsala 1957), hier zitiert nach Staffan MüllerWille, Botanik (1999), 187. 356 Joseph Franz Jacquin, Der Universitäts-Garten in Wien (Wien 1825), 25.

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auf bereits in Botanikerkreisen traditionellen Pfaden, den durch Clusius’ Veröffentlichungen357 als Pflanzenreich berühmt gewordenen Schneeberg und den Ötscher und sammelt auch an anderen Orten fleißig für den Botanischen Garten der Universität und auch für Linn8, der die österreichische Flora kennen lernen will. Jacquins brieflich ausgesprochene Bitte um die Geduld Linn8s bedient sich der Entschuldigung, mit Ausnahme von Linn8s Werken als Hauptquelle seiner botanischen Kenntnis keine weitere fachliche Unterstützung zu genießen. Er fleht Linn8 an, ihm auch alle seine Fehler und Mängel mitzuteilen, damit er daraus lernen kann. Im Gegenzug will er zukünftig durch seine Vermittlung für einen Pflanzenaustausch des Wiener Universitätsgartens mit dem Garten in Uppsala sorgen.358 Bereits die Adressierung des Antwortschreibens (vom 22. November 1759), mit »Monsr. N. Jacquin Botaniste tres celebre Wien« kündigt die Geste von Linn8s Brief an, er streut ihm erneut Rosen und überbietet sich an Achtung für Jacquin: »Liebster Herr, den von dir am 24. Oktober verfassten Brief habe ich erhalten, nie einen reichhaltigeren. Du hast mir klar gemacht, dass ein einziger Brief mehr bieten kann als die Arbeit eines Jahres, scharfsinnig und aufrichtig bist du allerorts.«359 Linn8 bedankt sich bei van Swieten für seine gute Hand bei der Auswahl Jacquins: »Über die Menge der von Jacquin beschriebenen Pflanzen staune ich. Dir, dem Ersten der Ärzte, verdankt die Welt die Entdeckungen dieses Forschers, den Sämtliche der Erde bewundern.«360 Diese Briefstelle wird später im Jahr 1840 in den Erläuterungen zu einem öffentlichen Gedicht einfließen: »Dem erstrangigen Arzt wird der Erdkreis die völlig verblüffenden Dinge verdanken, die der äußerst scharfsinnige Jacquin entdeckt hat.«361 Linn8 und Jacquin werden sich persönlich nie begegnen, es wird bei gegenseitigen Bekundungen des Wunsches, einander zu treffen, bleiben. Ihren Respekt zollen sie einander gleich zu Beginn ihrer Korrespondenz des Jahres 1759 an, denn die Kennerschaft und ein gemeinsames Anliegen vereint sie über die räumliche Distanz hinweg:

357 Carolus Clusius, Rariorum aliquot stirpium per Pannonium, Austriam et vicinas quasdam Provincias observatarum Historia« [Erforschung einiger seltenerer, in Ungarn, Österreich und gewissen benachbarten Provinzen beobachteter Wurzelgewächse] (Antwerpen 1583). 358 Vgl. Jacquin an Linn8, Wien, 24. Oktober 1759 (L 2597), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 359 Linn8 an Jacquin, Uppsala, 22. Dezember 1759 (L 2612), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. Eigene Übersetzung. 360 Linn8 an Gerhard van Swieten, Uppsala, 22. November 1759 (L 2615), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. Eigene Übersetzung. 361 Zit. nach Besondere Beilage zu Nr. 34 des Österreichischen Zuschauers. Erläuterungen zur Vision: »Jacquin der Sohn, vor dem Tempel des Ruhmes«. 18. März 1840, 351.

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»Deinen am 14. November verfassten Brief habe ich heute erhalten und ich erschauderte vor der erstaunlichen Fülle der neuen Arten. Könnte ich doch acht Tage bei dir sein und deine Reichtümer betrachten! Aber das Schicksal verbietet es. Ich war überzeugt, dass ich etliche Pflanzen kenne, nun sehe ich, dass ich beinahe von keinem etwas weiß. Wenn ich aber – so würde ich glauben – die deinen sehen könnte, würde ich einige erforschen, nur aufgrund einer kurzen Beschreibung ist das schwierig.«362

Jacquin bedauert immer wieder, wohl die Gesten der Schmeichelei beherrschend und vielleicht auch aus diplomatischer Bescheidenheit heraus, dass er während seiner Westindienreise noch nicht über Linn8s Beobachtungsgabe verfügt hat, und führt seine Schwierigkeiten während seiner Studienjahre als große Behinderung der Realisierung seines vorhandenen Willens an. Nun hätte sich vieles gebessert, womit sich Jacquin selbst von der früheren Phase als botanischer Anfänger deutlich abgehoben sieht.363 Linn8 beschwichtigt umgehend die vorgebrachten Zweifel und bezieht sich auf seine »Philosophia botanica«, wonach er bereits betont habe, dass alle Beobachtungen grundsätzlich gleich wichtig sind und es die Vollständigkeit ist, die letztlich zählt.364 Jacquins Rechtfertigungen für die Verzögerung der Veröffentlichung seiner Ergebnisse gegenüber Linn8 verweisen auf seine aus seinem Status resultierende Unsicherheit als Taxonom. Als noch unbekanntem Autor stellen sich ihm erhebliche Hindernisse bezüglich der Drucklegung ein, weil der Wiener Verleger auf sein Projekt der aufwendig zu druckenden Pflanzenabbildungen nicht sofort und bedingungslos einsteigen will, da noch keine Gewähr für die Qualität verfügbar ist: »Auf meiner Amerikareise, die ich gegen Ende des Herbstes 1754 unternommen habe und von wo ich am Ende des Sommers 1759 zurückkehrte, konnte ich, von Büchern im Stich gelassen, über die gesehenen und beschriebenen Pflanzen nicht mit jener Sicherheit urteilen, die eine öffentlichen Ausgabe überhaupt erforderte. Dann befasste ich mich im folgenden Jahr ganz damit, jene ordnungsgemäß zu bestimmen und zu vergleichen und dann bot ich sie unseren [Wienern] Buchhändlern gratis an, um sie zu drucken, erlitt dennoch überall eine Zurückweisung. Alle scheuten den Aufwand der Tafeln und sie sagten, dass sie einem noch nicht bewährten Autor nicht (ver-)trauen würden.«365 362 Linn8 an Jacquin, Uppsala, 15. Dezember 1759 (L 2618), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. Eigene Übersetzung. 363 Vgl. Jacquin an Linn8, Uppsala, 20. Februar 1760 (L 2682), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 364 Vgl. Linn8 an Jacquin, Uppsala, 26. Februar 1760 (L 2679), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18 net. 365 Nicolai Josephi Jacquin, Animadversiones Quaedam in Henrici Johannis Nepomucensis Crantz. Fasciculos Stirpium Austriacarum. [Einige Bemerkungen von Nikolaus Joseph Jacquin in Bezug auf die »österreichischen Pflanzenbüschel« von Heinrich Johannes Nepomuk Crantz] In: Nikolaus Jacquin, Collectanea, Vol.1, VI (1786), 365–386. Siehe Edition.

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Diesem Rückblick in einer späteren Arbeit Jacquins verdanken wir die Erklärung, warum es zunächst nur zu einer sehr knappen Veröffentlichung der amerikanischen Pflanzen gekommen ist, weil sich Jacquin beeilen muss, um Linn8 Genüge zu tun, aber auch seine Priorität zu sichern. Dieses sein erstes Manuskript (»Enumeratio«366) liegt schon ein Dreivierteljahr nach seiner Ankunft in Wien druckreif vor. Es erscheint schließlich nur in einer geringen Auflage und in einer bescheidenen Aufmachung, aber es zählt zu den ersten Veröffentlichungen, in welchen sowohl die binäre Nomenklatur Linn8s als auch sein System zur Grundlage herangezogen werden. Infolge der Ablehnung des Verlegers Kraus in Wien und bestärkt durch das Drängen Linn8s und der Bedingung des Wiener Verlegers hat er diese erste Auflistung der gesammelten Pflanzen der Karibik an seine Freunde in Leiden gesandt, damit sie am renommiertesten und bezüglich der Botanik bekannten367 Verlagsort die Drucklegung für ihn besorgen. Auch ist von Laurens Theodor Gronovius die fehlerfreie Drucklegung zu erwarten. Seinem Vorwort zufolge widmet Jacquin seine Arbeit den »Botanophilis«, den Pflanzenliebhabern, und er versteht die Publikation wenig bescheiden als Anhang des so genannten Natursystems (Systema naturae, Ed.10) des »hochberühmten Carl Linn8«: »Ich war nämlich auf dieses einzige Ziel ausgerichtet, dass mein vorliegendes kleines Werk dem sogenannten Natursystem des hochberühmten Carl Linn8 an Stelle eines Anhanges dienen kann. Ich musste daher nur diese Pflanzen anführen. Einerseits die, welche meiner Meinung nach der botanischen Welt bis auf den heutigen Tag unbekannt waren, andererseits jene, von welchen bei den Autoren zwar vage Beschreibungen existieren, die aber – wie mir ein persönliches Ins-Auge-Fassen bei der Botanik bei allen Dingen die verlässlichste Lehrmeisterin ist, klar machte – unter einer falschen Aufschrift vorgestellt wurden.«368

Linn8 gegenüber betont Jacquin369 erneut, dass er sehr sorgfältig nur das publiziere, was er mit eigenen Augen beobachtet hat, da er auf so viele Fehler in früherer Literatur gestoßen ist. Plumier folgend370 prägt Jacquin in dieser Arbeit neue Namen für Pflanzen, die er nach seinen Gönnern ausrichtet. Am Ende dieses dünnen Büchleins fügt Jacquin noch acht neue Arten basierend auf den 366 Nikolaus Jacquin, Enumeratio systematica plantarum, quas, in Insulis Caribaeis vicinaquae Americes continente detexit novas, aut jam cognitas emendavit. [N. J. Jacquins Systematische Aufzählung der Pflanzen, die er auf den karibischen Inseln und am benachbarten amerikanischen Festlande neu entdeckte oder, wenn schon bekannt, näher beschrieben.] (Leiden 1760). 367 Linn8 hat die wichtigsten Werke in Leiden zum Druck gegeben. 368 Nikolaus Joseph Jacquin, Enumeratio (1760). Praefatio. Eigene Übersetzung im Anhang. 369 Vgl. Jacquin an Linn8, Wien, 30. April 1760 (L 5434), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 370 Plumier benannte etwa folgende Pflanzen nach Botanikern: die Bauhinia, Brunfelsia, Magnolia und Matthiolia.

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amerikanischen Herbarbelegen seines Freundes Franz von Mygind an. Seiner Angabe zufolge stammen diese aus dem Besitz William Houstouns, der 1733 auf Jamaika verstorben ist.371 Und doch taucht hier, entgegen seiner Meldung an Linn8 als einzigem Diskussionspartner auch ein weiterer Kenner der Botanik auf, Franz von Mygind, der für Jacquin zu einer Art botanischem Weggefährten wird, der ihn auf Pflanzenexkursionen begleitet und mit dem er botanische Fragen diskutiert. Ihn kann Jacquin akzeptieren, während man den Leiter des Botanischen Gartens Laugier in dieser Hinsicht vergessen könne, wie er an Linn8 schreibt.372 Am 2. September 1760 hat Linn8 noch immer nicht Jacquins Buch »Enumeratio« erhalten und ist darob ziemlich ärgerlich auf Gronovius.373 Auch bei seinem Freund, dem Naturforscher Johannes Burman (1707–1779) in Amsterdam, interveniert er mit der Bitte, diesbezüglich auf Gronovius beschleunigend einzuwirken. Wir kennen nicht das genaue Druckdatum, zwischen Mai und November muss es stattgefunden haben. Jacquin hat seine Vorrede mit 1. Mai 1760 unterzeichnet, wonach das dünne Heftchen mit einundvierzig Seiten nach Leiden übermittelt worden ist, und Linn8 hält schließlich am 18. Dezember 1760 das langersehnte Exemplar von Jacquins Erstlingswerk über die karibischen Pflanzen in seinen Händen. Postwendend schon am darauffolgenden Tag meldet Linn8, dass er aus Aufregung nicht schlafen kann, nachdem er alles studiert hat; Jacquin schreibe wie ein sechzigjähriger Botaniker, hat mehr neue Pflanzen als irgendein anderer entdeckt und er, Linn8, sei sehr dankbar für die Verwendung seiner Methode.374 Jacquin versichert, dass er Linn8s System deshalb übernommen hat, weil er es liebe, es als das beste erachte und es ihm viel Arbeit erspart habe.375 Die Diagnosen sind sehr knapp, ohne dass die Linn8’schen kopiert werden. Sie sind mit astronomischen Symbolen versehen, die sich auf habituelle Aspekte beziehen. Jacquin scheint diese Publikation selbst nicht sehr geschätzt zu haben, da er sie später kaum mehr zitiert. Sie bildete eigentlich so

371 Houstoun vermachte sein Manuskripte, Herbare und Kupfertafeln Philipp Miller, dem Verfasser des Gärtner-Lexikons. Von diesem erwarb es Sir Joseph Banks, ließ 1781 die »Reliquiae Houstounianae« drucken und verschenkt die 250 Exemplare an Bibliotheken und Gelehrte. 372 Vgl. Jacquin an Linn8, Wien, 20. Oktober 1760 (L 3976), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 373 Vgl. Linn8 an Jacquin, Uppsala, 2. September 1760 (L 2796), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 374 Linn8 an Jacquin, Uppsala, 19. Dezember 1760 (L 2831), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 375 Jacquin an Linn8, Wien, 20. Jänner 1761 (L 2855), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net.

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etwas wie einen »Prodromus«376 für ein weiteres umfangreicheres Werk.377 Dennoch wird sie 1762 nochmals in Nürnberg aufgelegt.378

Abb. 14: Ausschnitt des Frontispizes von Jacquins Enumeratio (1762) mit der handschriftlichen Widmung Jacquins an Linn8

Die »Enumeratio« wurde in den an der Übersee sehr interessierten Göttingischen Anzeigen von gelehrten Sachen – wahrscheinlich von Albrecht von Haller – erst 1763 rezensiert und prinzipiell wohlwollend aufgenommen: »Herr J. ist noch ein junger Mann, wie er selber sagt, und auf des Kaysers Unkosten, um Seltenheiten zu holen, nach Martinico und den benachbarten Inseln geschickt worden. Seine Arbeit besteht erstlich in Geschlechtern, die er nach den Linnäischen Classen vorträgt, und kurze Characteren beyfügt. So viel wir uns erinnern, denn wer kann all die neuen Linnäischen Geschlechter in Gedanken behalten.«379 376 Vorwort, Vorrede. 377 Siehe dazu auch: Richard A. Howard, The Enumeratio and Selectarum of Nicolaus von Jacquin. In: Journal of the Arnold Arboretum 54 (Cambridge, Mass. 1973), 435–470; http:// biostor.org/reference/61821. 378 Nikolaus Joseph Jacquin, Enumeratio systematica plantarum, quas in Insulis Caribaeis vicinaque Americes continente detexit novas, aut jam cognitas emendavit (Nürnberg 1762). 379 Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 1. Bd. (1763), 600.

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Beide, Linn8 und Jacquin, profitieren voneinander. Durch den Bezug auf das Linn8’sche System in seinem Werk hat Jacquin zur weiteren Verbreitung und Akzeptanz der Konzepte des schwedischen Botanikers beigetragen, was ihm dieser seinerseits honoriert. Er informiert z. B. einige seiner Briefpartner über das Erscheinen der »Enumeratio«. Diese Art von Austauschbeziehung auf der Ebene gegenseitiger Wertschätzung und der Weitergabe wissenschaftlicher Information bildet ein wichtiges Moment der Formierung der Scientific Community. Jacquins Bekanntheitsgrad als Anhänger Linn8s in der zeitgenössischen Gelehrtenwelt ist bereits Anfang 1761 weit größer, als man erwarten würde. Der noch immer eine Art Studentendasein bzw. ein Leben als Freiberufler führende Dreiunddreißigjährige, der außer einer sehr erfolgreich geleiteten, aber nur innerhalb eines sehr kleinen Zirkels bekannt gewordenen Expedition, seinen Sammlungen sowie seiner ersten knappen Veröffentlichung noch keine weiteren herzeigbare Erfolge aufzuweisen hat, ist trotzdem schon ein Insidertipp. So hat z. B. der Natur- und Sprachforscher Johann Siegmund Valentin Popowitsch (1705–1774), der in engem Briefkontakt mit dem ein hohes Ansehen genießenden naturwissenschaftlichen Sammler, Botaniker und Arzt Christoph Jakob Trew in Nürnberg steht, schon im Februar 1761 diesem berichtet, dass Linn8 in Österreich zwei Korrespondenten »und Anbether seines Lehrgebäudes hat, den jüngeren Kramer380 und Jacquin, der von den Karibäischen Inseln von ihm entdeckten Pflanzen einen Vorbericht auf 3 Bogen herausgegeben hat.«381 Wilhelm Heinrich Kramer und Jacquin zählen zu den ersten Botanikern, die sich in ihren Werken Linn8’scher Methoden bedienen und die sofortige Rezeption ihrer Arbeit weist ihnen ihren Platz als Linn8-Anhänger zu. Jacquin versucht das Beste aus der ihm zur Verfügung stehenden Zeit zu machen, um sich im Feld der Botanik weiter als Unübersehbarer zu konstituieren. Er kann im Botanischen Garten der Universität Wien aushelfen, wodurch er den Kontakt zu dessen Leiter Robert Francois Laugier intensiviert, und unternimmt mit den Studenten oder mit Freunden wie Mygind botanische Exkursionen in die Umgebung Wiens bis zu den Voralpen. Hier sammelt, zeichnet er und schickt – auf Wunsch Linn8s – von den gesammelten Pflanzen immer wieder Samen nach Uppsala. Schon da ist vermutlich sein Plan gereift, ein Werk über die österreichische Flora zu veröffentlichen. Im Vorwort seines Erstlingwerkes hat Jacquin ferner die Absicht angekün-

380 Zur Person Kramer siehe Kap. VII. 3. 381 Popowitsch an Trew, 21. Februar 1761, UB Erlangen, HS-Abteilung, Briefsammlung Trew, Popowitsch Nr. 100, abgedruckt in: Marion Mücke und Thomas Schnalke (Hg.), Briefnetz Leopoldina: Die Korrespondenz der Deutschen Akademie der Naturforscher um 1750 (Berlin 2009), 296.

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digt, ein größeres Werk über die Ergebnisse seiner Karibikexpedition mit den entsprechenden Zeichnungen zu veröffentlichen: »Bis die Möglichkeit sich ergibt, das Wissen über diese und andere Pflanzen noch ausführlicher durch nach der lebenden Natur gezeichnete und fertige Blätter zu erläutern und der Öffentlichkeit zu übergeben, nimm, pflanzenliebender Leser, vorläufig mit diesen unausgereiften ersten Versuchen vorlieb und lebe wohl! Wien am 1. Mai 1760.«382

Schon ab 1761 findet Jacquin als Botaniker in der Kommunikation anderer Botaniker Beachtung. Und er selbst arbeitet fleißig an seinen botanischen Pflanzenbeschreibungen weiter. Zwei voluminöse Bände, einen über Pflanzen aus dem Umland von Wien und den anderen über eine nun ausführlich bebilderte Beschreibung über die Resultate seiner botanischen Sammelreise in der Karibik, sind im Entstehen. Nur die Finanzierung der Publikationen ist noch nicht gesichert. Es fehlt das Geld für das Stechen der über 200 Illustrationen383 in natürlicher Größe, und er habe noch keinen Sponsor gefunden, schreibt er im September 1760 an Linn8.384 Subskription ist eine Option, auf alle Fälle würde Linn8 auch dann nach Erscheinen ein Exemplar erhalten. Nicht einmal zwei Jahre nach seiner Reise hat Jacquin in Wien bereits eine Arbeit publiziert und zwei weitere wesentlich umfangreichere stehen in Vorbereitung. Am 26. Mai 1762 schließlich wird Linn8 über das Erscheinen385 der Flora Wiens, der »Enumeratio Stirpium Plerarumque, Quae Sponte Crescunt In Agro Vindobonensi, Montibusque confinibus. Accedunt Observationum centuria et appendix de paucis exoticis. Cum Tabulis aeneis. Vindobonae, impensis, Joannis Pauli Kraus, MDCCLXII,«386 in Kenntnis gesetzt und erhält zugleich ein Exemplar, welches dieser als schön und interessant bezeichnet.387 (Abb. 14) Die Rezension in den Göttingischen Anzeigen von gelehrten Sachen, die von Albrecht von Haller stammt, nicht gerade einem Freund Linn8s, ist hingegen nicht sehr schmeichelhaft, denn Jacquin bekommt als Mitläufer Linn8s Kritik ab: »Hr. J. bereiste in seiner Nachbarschaft auch die hohen Schneegebürge, die ehemals Clusius bestiegen hat. Das Verzeichnis ist für uns und andere unleserlich. Es ist blos 382 Nikolaus Joseph Jacquin, Enumeratio (1760) Praefatio. Eigene Übersetzung. 383 Es handelt sich um »Enumeratio«, erst 1762 erschienen. 384 Vgl. Jacquin an Linn8, Wien, 27. September 1760 (L 2786), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 385 Vgl. Jacquin an Linn8, Wien, 26. Mai 1762 (L 3069), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 386 [Nikolaus Joseph Jacquins Aufzählung einiger Pflanzen, die in der Wiener Ebene und den angrenzenden Bergen natürlich vorkommen. Hinzugefügt sind hundert Beobachtungen und ein Anhang über exotische Pflanzen]. 387 Vgl. Linn8 an Jacquin, Uppsala, 4. Juli 1762 (L 3110), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net.

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von Linnäischen Nahmen ohne einigen Beynahmen. Da nun zumal Linnäus diese Nahmen sooft verändert, so kann man ohne die Species nachzublättern, nichts in Jacquins Werk verstehen.«388

1762 hat Jacquin noch immer keine Anstellung, aber seine wissenschaftlichen Bemühungen und Anstrengungen bleiben nicht unerkannt und van Swieten, sein Gönner, hält weiterhin seine Hand über ihn (siehe Abb. 15). Jacquin scheint Linn8 sein »amerikanisches Werk« bogenweise frisch aus der Druckerpresse geschickt zu haben. Linn8 bedankt sich dafür und wartet noch auf einige Abbildungen, um dann alles elegant binden zu lassen. Es sei sehr lehrreich für ihn gewesen, schreibt er im Juli 1763.389 Dieser Brief erreicht Jacquin nach seiner Rückkehr vom Ötscher und er bittet Linn8 sofort, ihm alle Verbesserungsvorschläge und Korrekturen mitzuteilen.390 Linn8 revanchiert sich mit der Aufnahme von Jacquin in der Liste der Sammler und Autoren in seiner zweiten Ausgabe von »Species plantarum« (1762 und 1763) und bei fünfunddreißig Eintragungen werden Jacquins Entdeckungen im ersten Band aufgenommen, fünfzig weitere im zweiten Band.391 Damit hat Jacquin in ein Werk Eingang als Autor und Botaniker gefunden, das nicht nur in der Fan-Gemeinde Linn8s, sondern alsbald auch bei seinen Gegnern als Standardwerk zählt. Mit der Publikation »Selectarum Stirpium Americanarum« 1763 hat sich Jacquin viel Mühe gemacht: Die 183 Kupferstiche392 sind nach seinen Zeichnungen gestochen. Alle sind von Jacquin selbst signiert (mit »Jacquin del.«), auf der letzten Abbildung findet sich der Verweis auf den Kupferstecher, »J. Wagner393 omnes sculpsit«. Der Drucklegung vorangegangen sind Finanzschwierigkeiten, vor allem wegen der anspruchsvollen Illustrationen. Van Swieten ist für die eine Hälfte und weitere Sponsoren sind für die andere Hälfte als generöse Finanziers eingesprungen. Jacquin hat einen exzellenten Kupferstecher gefunden und die Abbildungen werden entweder handkoloriert oder schwarz-weiß gedruckt.394 Eine besondere Ausgabe, heute in der Österreichischen National388 Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen 1763, 111. St., 15. September, 895. 389 Vgl. Linn8 an Jacquin, Uppsala, 20. Juli 1763 (L 3276), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 390 Vgl. Jacquin an Linn8, Wien, 18. September 1763 (L 3294), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 391 Santiago MadriÇ#n, Nikolaus Joseph Jacquin’s American Plants. Botanical Expedition to the Caribbean (1754–1759) and the Publication of the Selectarum Stirpium Americanarum Historia (Leiden / Boston 2013), 51f. 392 MadriÇ#n, American plants (2013), 53: er nennt 184 Kupferstiche, die 297 dargestellte Arten betreffen. 393 Es handelt sich hier um den österreichischen Künstler Joseph Wagner (1706–1780). 394 Vgl. Jacquin an Linn8, Wien, 27. Jänner 1762 (L 3025), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net.

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bibliothek395 aufbewahrt, auf deren Vorsatzblatt sich der handschriftliche Vermerk »Hoc exemplar Augustissimo Imperatori Francisco I dono dabat, dicabat Auctor Anno 1763« befindet, ist einbändig, koloriert und auf holländisches Papier gedruckt und wird dem Kaiser übergeben worden sein. Mit der Widmung an den Kaiser erweist sich das Werk als dem höchsten Würdenträger zugetan. Eine siebenseitige Praefatio wird zur Selbstdarstellung genutzt. Der umfangreiche 284 Seiten umfassende beschreibende Text ist mit einem »Index Nominum Botanicorum« und »Index Nominum Vernaculorum« versehen und beschließt den ersten Teil. Der zweite Teil unterstreicht mit seinem Literaturverzeichnis »Catalogus authorum« mit 33 Titeln den wissenschaftlichen Charakter dieses Werkes. Höchstwahrscheinlich hat er diese Bücher, seine Quellen aus der Privatbibliothek van Swietens benützen können. Später wird ein Teil davon an den Botanischen Garten der Universität gehen, denn Duplikate der botanischen Werke aus der vom Kaiserhaus angekauften Bibliothek van Swietens an die Hofbibliothek »ließen Ihre Maj. allergnädigst dem neuen botanischen Lehr-Institute 85 Bände betragend übergeben.«396 Danach folgt ein Tafelverzeichnis der 183 Kupferstiche. Für uns ist es nun interessant zu sehen, was für Jacquin von Bedeutung war, was er in der Widmung und im Vorwort zur Sprache bringt.397 Es vermittelt jenes Bild, das Jacquin von sich in der Öffentlichkeit rezipiert haben will. Er legt darin eine Erklärung und Rechtfertigung seiner Arbeit dar und gibt weitere Information über sich frei. Er betont, dass er im sengend heißen Amerika, trotz unangenehmer Strapazen und lebensgefährlicher Situationen viele seltene Pflanzen beobachtet, aufgezählt und mit möglichst großer Verständlichkeit darzustellen versucht hat. Wenn er gewisse Erwartungen nicht erfülle, sei er trotzdem zuversichtlich, da die Fülle und Reichtum des Stoffes und die extremen Bedingungen, denen er ausgesetzt war, so etwas wie eine Entschuldigung darstellen. Er schwärmt von der Schönheit des karibischen Raumes und erinnert, dass noch immer Neues und Verborgenes in dieser Gegend zu finden war, trotz der Reisen und Publikationen seiner Vorgänger Charles Plumier (1646–1704) und des hochberühmten Patrick Browne (1720–1790). Aus Martinique könne auch zukünftig noch vieles geliefert werden, bevor der Erschöpfungspunkt erreicht sei. Gräser und Kryptogamen habe er nicht aufgenommen, da sie so schwer zu bestimmen seien. Er bezieht sich erneut auf seine Vorgänger, auf Plumier, der hier viel Neues, den Europäern 395 Signatur : 69.B.5. 396 Joseph Franz von Jacquin, Der Universitäts-Garten in Wien (1825), 17 und 22f, Fußnote 13 werden diese angeführt. Es gibt aber auch schon eine Liste von 1774. Siehe: Nikolaus Joseph von Jacquin, Catalogue des Livres Botaniques appartenants au Jardin Botanique, Vienne ce 23 Decembre 1774. http://phaidra.univie.ac.at. 397 Vgl. Praefatio. In: Nikolaus Joseph Jacquin, Selectarum Stirpium Americanarum Historia (1763), siehe auch Edition.

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Unbekanntes angetroffen habe und die Botanik durch seltene Gewächse bereichern konnte. Zeitgleich habe auch Hans Sloane (1660–1753) auf Jamaika Hervorragendes geleistet und trotzdem sei es ein halbes Jahrhundert später Browne und ihm gelungen, Irrtümer der Vorgänger zu klären und neue Beobachtungen hinzuzufügen. Vielleicht gelänge es in der Zukunft, die karibische Botanik zu einem Abschluss zu bringen. Jacquin betont, seine Beschreibungen seien immer den Vorschlägen Linn8s folgend auf lebende Pflanzen abgestimmt, weswegen er auch oft geringste Einflüsse anführe und mit größtmöglicher Sorgfalt nach variierenden Teilen gesucht habe und alles in einer prägnanten und verständlichen Ausdrucksweise zu beschreiben bemüht sei. Diesen Bemerkungen misst er besondere Relevanz bei, da karibische Pflanzen sich in europäischen Gewächshäusern oft sehr unterschiedlich entwickeln. Diese Praefatio ist eine großartige Zusammenfassung von Jacquins Leistungen in der Karibik, aber keine Erzählung von Abenteuern. Immer wieder kommt sein Stolz zum Ausdruck, die Gelegenheit, die sich ihm geboten hat, genützt und seinen Beitrag für die Botanik in dieser Gegend geleistet zu haben. Er betont das extreme Klima und die Gefahren, unter denen er seine Arbeit verrichtet hat. Aber auch seinen Vorgängern in der Karibik zollt er Lob, er rechtfertigt das von ihm verwendete Ordnungssystem und nimmt sich auch sein »Recht als Entdecker« bei der Benennung neuer Pflanzen. Am 20. August 1764 dankt Linn8 Jacquin für sein nun komplettes Werk über die amerikanischen Pflanzen, das er sich nun hat prächtig binden lassen.398 Man sieht, Bücher werden oft in Einzelteilen verkauft, die Bildtafeln und der Textteil werden oft separat vertrieben und dann nach den Vorstellungen der Käufer gebunden. Wichtig für Jacquin ist zudem auch die Namensgebung bei Pflanzen, die sich dadurch konstituiert, dass sie Beziehungen der Arten untereinander399 definiert: »Wenn aber über den der unbekannten Pflanze zu gebenden neuen Namen verhandelt wurde, wollte ich schon als Entdecker mein gewisses persönliches Recht genießen. […] Indem ich den Spuren des berühmten Plumier folgte, habe ich jene Namen auf Männer bezogen, die, weil sie sich um unsere Wissenschaft wohlverdient gemacht hätten, würdig erschienen, dass sie die Pflanzenwelt mit botanischer Unsterblichkeit entschädigt […].«400 Der Akt der Namensgebung, den Linn8 in seiner »Philosophia botanica« lediglich dem »genuinen«401 Botaniker zuweist, wird nun für Jacquin eine selbstverständliche Praxis. Er folgt Linn8s Richtlinien der Vergabe von Namen. Hier sieht sich Jacquin als Entde398 Vgl. Linn8 an Jacquin, Uppsala, 20. August 1764 (L 3434), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 399 Vgl. Staffan Müller-Wille, Botanik (1999), 173. 400 Praefatio. In: Jacquin, Selectarum (1763). Eigene Übersetzung, siehe Edition. 401 Vgl. Linn8, Philosophia, übersetzt von Stephen Freer, Linnaeus (2003), 169.

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cker, der nun Entscheidungen treffen kann, z. B. in der Benennung von Arten und Gattungen, und diesen Akt auch als Abbild seines Netzwerkes betreibt. Auch sein Verhältnis zu indigen-lokalem Wissen thematisiert Jacquin in diesem Vorwort, das sich hier anders darstellt als in seinen Briefen von Aquart, der ihm dieses ja zugetragen hat. Denn er greift zukünftigen Kritikern vor, warum die pflanzlichen Heilkräfte selten angeführt seien, weil sie seinem hohen Standard an Reflexion nicht entsprechen. Diese Aussage widerspricht der ereigneten Praxis, wonach durchaus diesbezügliche Informationen über den Mittler Aquart von Indigenen an Jacquin weitergegeben worden sind. Den Abschluss des Vorwortes bildet dann die Erklärung zu seinen Illustrationen. Er hat sie in Amerika anhand lebender Pflanzen in natürlicher Größe gezeichnet, immer alle Bestandteile genau vermessen, das war ihm sehr wichtig. Bei den Kupferstichen ist dann auf größtmögliche Genauigkeit und Sorgfalt geachtet worden. Die Abbildungen sollten der Wirklichkeit so nahe wie möglich kommen. Jacquin versichert, aus Überzeugung bei der Pflanzenordnung das Geschlechtssystem des hochberühmten Linn8 allen anderen vorgezogen zu haben, weil es die meisten bis jetzt gut erforschten Pflanzen erfasst und allgemein akzeptiert ist. Und er entwirft von sich ein Bild des überlegten, reflektierten Botanikers, der nicht nur wie der Sammler das vorgefertigte Material liefert, sondern dieses anordnet. Er erläutert seine Ansicht zur Klassifizierung wie folgt: »[…] dass ein Lebewesen-System, welches auch immer, nichts anderes sein kann als eine rein methodische Bezeichnung für nach Gutdünken definierte Gewächse. […] Daraus erfolgt überhaupt, dass die Verwandtschaften in Aussehen und Aufbau der Pflanzen zu deren Kenntnis höchst überlegenswert sein müssten und dass sie, wenn man behutsam vorgeht, in das Gebiet der Medizin Nutzen einbringen. Aber die Natur nimmt von uns keine Gesetze an, die sie selbst nicht schon zuerst gesetzt und gegeben hat.«402 Klassifizierung kann zwar ein Natursystem nie begründen, ist aber unentbehrlich. Man braucht Klassifizierung und Methode, schreibt er, um »unsere Unwissenheit zu verringern, unser Gedächtnis zu stützen und nicht von der Fülle verschüttet zu werden.«403 Jacquin hat sich somit allen Anforderungen, die Linn8 in seiner »Philosophia botanica« formuliert hat, gestellt. Blicken wir auf diese Entwicklung: Er beherrscht zunächst alles das, was Linn8 einem Anfänger zuschreibt, er hat die Kenntnis aller Teile der Pflanzen, der Herbartechnik, des Systems, erworben. Er erweitert es durch das Beiwohnen von Demonstrationen im Leidener Garten, die Voraussetzungen der Fachsprache und die Diagnosetechnik. Nun stellt er sich 402 Vorwort aus Jacquin, Selectarum Stirpium Americanarum Historia (1763), eigene Übersetzung, siehe Edition. 403 Ebda.

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eine Stufe höher, er ist nicht mehr Kompilierer, hat selbst auf der Reise gesammelt und autoptische Erfahrungen gemacht. Entscheidend ist sonach, dass er die gesammelten Pflanzen nun auch systematisch geordnet hat und das System selbst reflektiert. Damit entspricht er dem höchsten Punkt des vielfältigen Anforderungsprofils des wahren Botanikers nach Linn8, »The TRUE BOTANIST advances the science of botany everywhere.«404 Auch der Titel der beiden Publikationen belegt Jacquins Entwicklung zum wahren Botaniker. Während es 1760 im übersetzten Titel noch heißt »Des Nikolaus Jacquin Systematische Aufzählung von Pflanzen, die er auf den Karibischen Inseln und dem benachbarten Festland Amerikas neu entdeckt oder als bereits bekannte vervollkommnet hat,« ist von Neuentdeckung in der zweiten Publikation (1763) nun keine Rede mehr. Die Übersetzung des lateinischen Titels lautet nun: »N. J. Jacquins Darstellung von ausgewählten amerikanischen Gewächsen, in der jene selteneren Pflanzen nach dem Linn8’schen System bestimmt und beschrieben werden sollen, die er auf den Inseln Martinique, Jamaika, Hispaniola und anderen sowie am benachbarten Festland beobachtet hat, mit an Ort und Stelle hergestellten Abbildungen.« Somit ist die Ausrichtung klar, Jacquin bekennt sich bereits im Titel zum Linn8’schen System und zählt nicht mehr Neues auf, er ordnet seine Schätze so ein, dass er eine wichtige Forderung Linn8s erfüllt: »He puts the varieties back into their species. And does not allow them to walk in step with the species.«405 Jacquin hat sich vom Anfänger, Liebhaber zum Kenner, Sammler und nun zum »wahren Botaniker« gewandelt, wofür die Karibikreise die Voraussetzung und die Korrespondenz mit Linn8 die Bestärkung geboten hat. Wir haben es mit einem Mann zu tun, der aus der Anonymität heraus infolge seiner Reise wie auch der Aufarbeitung des gesammelten Materials die Bühne der Botanik als angesehener Gelehrter betritt. Auf eine Darstellung seiner Reiseerlebnisse hat Jacquin zunächst verzichtet, erst 40 Jahre später wird er in dem lateinischen Vorwort zum Hortus Schönbrunnensis Details darüber erzählen. Seine Ausrichtung geht zunächst eindeutig in eine einzige Richtung, nämlich sich als wahrer Botaniker zu profilieren. Hier liegt die Ressource für seine Identität, die Rückblicke auf sein Leben gewähren dieses Bild, während seine Leistungen in Chemie und Bergwesen eher unter den Tisch fallen.

404 Linn8, Philosophia, übersetzt von Stephen Freer, Linnaeus (2003), 333. 405 Vgl. Linn8, Philosophia, übersetzt von Stephen Freer, Linnaeus (2003), 333.

Abb. 15: Gerard van Swieten, Jacquins Mäzen

III.

Ouvertüre

III. 1. Geistige Orientierung: Handelsstand, Katholizität und klassische Sprachausbildung »Literarische Erziehung«406, Religion, Handelsstand und Latinität bilden zusammen – wiewohl Phänomene unterschiedlichster Sphären – eine spezifische Konstellation innerhalb der verschiedenen Milieus der holländischen Kultur. Sie machen hinsichtlich der Selbstbeschreibung Nikolaus Jacquins so etwas wie einen Referenzpunkt für seine Identität aus, weshalb wir uns damit näher beschäftigen wollen. Hier ist erneut darauf zu achten, wie diese Beziehung von Jacquin selbst in seiner Eigenwahrnehmung eingeschätzt wurde. Nikolaus Jacquin entstammte einer Ende des 17. Jahrhunderts aus Paris nach Leiden ausgewanderten katholischen Familie: »Die Brüder Claudius und Nikolaus Jacquin«, so die handschriftlich überlieferte Familiengeschichte, »übersiedelten beiläufig 1679 von Paris, wo sie beyde geboren waren, nach Leyden in Holland, wo sie im Jahr 1686 gemeinschaftlich eine Tuch- und Sammetmanufactur errichteten.«407 Leiden war in diesem Zeitraum eine etwa 40.000 Einwohner umfassende Stadt, lag am Rheindelta in Holland und in einer der Provinzen der Vereinigten Niederlande, die für ihre Tuchfabrikation international berühmt waren. Der Woll-, Kamelott-,408 Serge- und Flanell-Markt florierte. Ihren Aufstieg verdankte die Kommune eigentlich Amsterdam, das zuvor Antwerpen den Rang abgelaufen hatte. Mit dem brabantischen Kapital waren Fabriken errichtet worden, in welchen spanische Wolle verarbeitet wurde. Die Familie Jacquin war zwei Jahrzehnte zuvor nach Leiden gekommen, als die

406 Joseph Franz Jacquin, »Familiengeschichtliche Aufzeichnungen«, ÖNB, HAD, Cod. Ser. n. 9756, fol 1–4; hier fol. 1. Siehe auch Edition. Siehe auch Stammtafel im Anhang. 407 ÖNB, HAD, Cod. Ser. n. 9756. 408 Ist ein feines Kammgarngewebe.

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Ouvertüre

Tuchindustrie ihren Höhepunkt erreicht hatte. Nach 1700 ging die Produktion bereits erheblich zurück.409 Während Claudius (1646–1718) bald nach Paris zurückkehrte, führte Nikolaus (1657–1718) das Geschäft »mit vielem Glücke bis in seinem Tode fort.«410 »Glück« bedeutete die materielle Belohnung auf Erden als Ausdruck eines rechtschaffen geführten Lebens. Nicht im Katholizismus allerdings, aber für die kalvinistische Kultur war dies charakteristisch und wurde als Beweis für die Vorsehung Gottes verstanden. Von den von einer protestantischen Ethik bestimmten kulturellen Wertmustern, die nach Max Weber den Kapitalismus bewirkten, dürften auch katholische Familien in Leiden wie die Jacquins beeinflusst worden sein, zählten sie doch mit ihrem erwirtschafteten Reichtum auch zu dieser Elite. So wird in der Jacquin’schen Familiengeschichte der katholische Glauben, der Handelstand und der Reichtum in einem Atemzug erwähnt. Der Vater [unseres Jacquins] Claude Nicolas (1694–1743) »übernahm nach seines Vaters Tod die Handels- und Fabriksgeschäfte und verheyrathete sich […] mit Elisabeth Maria van Heyningen […], einer vaterlosen Waise (meine Urgroßmutter hieß Siegeberta van Heyningen) von einem für die damahlige Zeit bedeutenden Vermögen (sie besaß über 50000 fl.) aus einem altadeligen katholischen Geschlechte (dessen prunkvolle Gruft ich noch im J. 1788 in Delft sah). Meines Großvaters Haus war in der Harlemer-Straat gegen über einem Gäßchen, daß der Kerkesteeg hieß.«411

Der erwirtschaftete Wohlstand zeichnete sich im Besitz ab und ließ sich mit kluger Heiratspolitik noch vermehren. Leiden mit seiner Tuchfabrikation faszinierte den österreichischen Merkantilisten Philipp Wilhelm Hörnigk (1660– 1714), er lobte die Stadt in seiner immer wieder aufgelegten Studie als Vorbild.412 Das anhaltende Interesse des österreichischen Adels an den Niederlanden zeigte sich auch in der Haltung des Staatskanzlers Kaunitz, der in den 30er Jahren des 18. Jahrhunderts die Niederlande bereist hatte und meinte, die meisten Holländer »trügen ihr Geld auf die Bank nur zur sicheren Aufbewahrung, denn im Überfluß des Geldes könne man es kaum anlegen.«413 »Und wenn die Menschen so arbeitsam wären und so sparsam lebten wie die Holländer, dann könnte man auch anderswo so reiche und gesicherte Leute antreffen.«414 Auch Nikolaus legte 409 Standardwerke zu Leidens Tuchindustrie: Nantko Lieven Posthumus, De geschiedenes van de Leidsche lakenindustrie, 3 Bde. (The Hague 1908–39). 410 ÖNB, HAD, Cod. Ser. n. 9756, siehe Edition. 411 ÖNB, HAD, Cod. Ser. n. 9756, siehe Edition. 412 Vgl. Karl Gutkas, (Hg.), Philipp Wilhelm von Hörnigk, Österreich über alles, wenn es nur will (Wien 1964), bes. 108f. 413 Zit. nach: Grete Klingenstein, Der Aufstieg des Haues Kaunitz. Studien zur Herkunft und Bildung des Staatskanzlers Wenzel Anton (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 12, Göttingen 1975), 220–253; hier 233. 414 Ebda. 235, siehe auch: Alfred Kohler, Burgund, die Republik der Vereinigten Niederlande und Österreich. Zur Bedeutung eines politischen und wirtschaftlichen Beziehungsfeldes

Geistige Orientierung

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in seinem Leben auf die materielle Lebensgrundlage großen Wert, so bezog er sich in seinen Briefen gerne auf die pekuniäre Ebene, wenn er in seiner Tätigkeit doch ideell befördert wurde. Bleiben wir aber noch bei Nikolaus Jacquins Vorfahren. Die Familie Jacquin blieb in der Folge katholisch, es gab auch keine konfessionellen Mischehen. Und die Taufpaten waren Joseph Franz Jacquin noch eine Erwähnung wert, zumal er sie in den biographischen Aufzeichnungen über seinen Vater noch anzugeben vermochte: »Meines Vaters Taufpathen waren seine Großmutter Maria von Heyningen und Wilhelm Broekhuysen.«415 In einem protestantisch dominierten Territorium, wie es die Vereinigten Niederlande darstellten, in denen zumindest ein Anteil von 25–30 % der Bevölkerung dem römisch-katholischen Glauben anhing, verlief die Konfessionalisierung innerhalb dieser religiös getrennten Gruppen und besonders entlang der staatlich gelenkten Hierarchisierung der Religionen. Von den in der Republik bevorzugten Kalvinisten416 führte die Pyramide des Ansehens nach unten zu den Remonstranten, Lutheranern, zu den Mennoniten, zu den römischen Katholiken und zu den Juden.417 Obwohl sich die holländische Gesellschaft innerhalb einer Weltmacht prinzipiell als multikonfessionell und auch tolerant gegenüber religiösen Randgruppen zeigte, bildete der kalvinistisch dominierte Staat Instrumente der Überwachung gegen andersgläubige Minderheiten aus, vornehmlich auch gegen Katholiken. Dabei gerieten Orthodoxie und Heterodoxie innerhalb der Konfessionen und immer wieder auch miteinander in Konflikt. Albrecht von Haller kam als junger Student nach Leiden und beobachtete das religiöse Leben in dieser Stadt sehr sensibel, zumal er die Strenge der bernischen Regierung gegenüber Sektierern in seiner Heimatstadt selbst erlebt hatte: »Der herrschende Glauben deß Staates ist mit dem unsern der gleiche. Die andern können Kirchen aber kein Geläute haben und müßen ihre Verlobte aufm Rahthauß trauen laßen. Unterm gemeinen Volke sind sonderlich in Südholland, Amsterdam und Leyden, noch mehr aber zu Utrecht viele Catholische, die aber zu keinen Staats-Ämtern gelangen; diesern [!] ihre Geistlichkeit hat mit dem Pabste und unter sich selber viel Streit und muß oft mit weltlichem Arme zur Ruhe gewiesen werden. Unter denen vom 15. bis zum 18. Jahrhundert. In: Österreich-Niederlande. Beziehungen in Politik, Wirtschaft und Kultur (Horn / Wien 1993), 25–37, hier 35. 415 ÖNB, HAD, Ser. n. 9756, siehe Edition. Hier irrte sich der Chronist: entweder Siegeberta v. Heyningen oder Maria Broekhuysen. Vgl. Stammtafel im Anhang. 416 Johannes Lindeboom, Handboek der Kerkgeschiedenis, 2. Teil (Gravenhage 1946), bes. 203. 417 Vgl. Joris van Eijnatten und Fred van Lieburg, Nederlandse Religiegeschiedenis (Hilversum 2005), bes. 188ff. und 208ff.; Paul H. A. M. Abels und Aart de Groot, The Eighteenth Century. In: Herman J. Selderhuis (Ed.), Handbook of Dutch Church History (Göttingen 2014), 361–434.

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Ouvertüre

Kaufleuten sind ziemlich viel Lutheraner und Juden, die alle mit völliger Freyheit ihrem Gottesdienste und ihren Geschäften abwarten. Ja, man erlaubt denen katholischen Weibspersonen, ihre Gelübde zu tun und heimlich als Nonnen zu leben. Bey dieser allgemeinen Freyheit ist seit der Einrichtung des Staates deßwegen weder Streit noch Aufruhr jemals entstanden. Die sogenannten Quakers richten auch unter der Anführung eines alten auf einer Tonne predigenden Weibes ihre zütternde Kirche nach Belieben ein. Die Menniten [!] oder Wiedertäufer sind in großer Anzahl und stark in ihrer Handlung. Ihre Geistliche sind meist zugleich Ärzte.«418

Das Verbot der Ausübung eines öffentlichen Amtes für Katholiken bedeutete einen Ausschluss der Jacquins bezüglich jeder mit Ansehen gekoppelten Partizipation in der Kommune, wie es in den »Familiengeschichtliche[n] Aufzeichnungen« erinnert wird: »Meine Voreltern [Vorfahren] waren schon alle katholisch und konnten daher zu keinen öffentlichen Ämtern in Holland gelangen; dass sie aber einen bedeutenden Einfluß hatten, beweiset ein noch vorhandenes, von dem damahligen Missionar in Holland Frater Arge d’Arnaut Karmeliter, ausgestelltes Zeugniß über die großen Dienste, welche sie der katholischen Kirche in Leyden und ihren Priestern, bey der damaligen harten Verfolgung geleistet haben.«419 In welcher Art diese Dienste ausgefallen waren, blieb allerdings in der handschriftlichen Aufzeichnung offen. Geht man davon aus, dass es sich in der Handschrift um einen Schreibfehler bzw. eine für die Zeit typische Ungenauigkeit handelt, so wäre die Assoziation von Arnaut mit dem Namen »Arnauld«, der in vielfacher Weise repräsentativ für den Jansenismus ist, für uns spannend. Der Priester Antoine Arnauld (1612– 1694) flüchtete nach seiner Verurteilung durch die Sorbonne nach Brüssel. Der französische König Ludwig XIV. setzte mit einem gnadenlosen Kampf gegen den Jansenismus, dessen Wortführer Arnauld geworden war, diese Politik fort. Mit der Flucht Arnaulds verlagerte sich die virulente Auseinandersetzung um die katholische Reform und kirchenpolitische Fragen in die Spanischen Niederlande, die 1714 im Frieden von Rastatt an die österreichischen Länder angebunden wurden. Von hier aus setzte sich die Debatte bis nach Wien fort, und das jansenistische Denken belebte den Reformkatholizismus und die katholischen Aufklärung des ganzen 18. Jahrhunderts.420 Insofern bietet die Nennung eines für die jansenistische Bewegung repräsentativen Namens auch zum Zeitpunkt der Niederschrift der biographischen Aufzeichnungen ein hohes Potential an 418 Erich Hintzsche und Heinz Balmer (Hg.), Albrecht Hallers Tagebücher seiner Reisen nach Deutschland, Holland und England 1723–1727 (= Berner Beiträge zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften, NF, Bd. 4., Bern / Stuttgart / Wien 1971), 34f. 419 ÖNB, HAD, Cod. Ser. n. 9756, siehe Edition. 420 Vgl. dazu bes. Peter F. Barton, Jesuiten, Jansenisten, Josephiner. Eine Fallstudie zu früheren Toleranzzeit Innocentius Fessler (= Studien und Texte zur Kirchengeschichte und Geschichte, Wien / Köln / Graz 1978), 170ff.

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Aktualität. Vielleicht war damit auch bewusst die Anbindung Jacquins an die so genannte katholische Aufklärung421 angedeutet worden. Es ist strikt davor zu warnen, den zuvor in der Quelle beschriebenen Prozess der religiösen Repression als allgemeine Verfolgung von Katholiken in Leiden zu verstehen. Dieser Begriff bezog sich auf die kirchenpolitische Debatte und ihre Propagandisten im Frankreich422 des ausgehenden 17. Jahrhunderts. Eine berufliche Einschränkung der katholischen Bevölkerung Leidens zur Zeit Nikolaus Jacquins bzw. dessen Vaters betraf ausschließlich die für die Kommune entscheidenden Ämter. Nur gewisse staatliche oder kommunale Berufsfelder wie die Position eines Richters oder Professors waren den Katholiken in Leiden verschlossen, nicht aber zum Beispiel die eines Notars oder Arztes. An dieser Stelle ist die inhaltlich unterschiedliche Erinnerungspolitik der Ego-Dokumente zu berücksichtigen. Während uns über die katholische Identität der Jacquins die »Familiengeschichtlichen Aufzeichnungen«423 des Geschlechtes ausführlich informieren, fehlt dieser Aspekt jedoch in der späteren Historiographie. Jacquin hatte seinen Aufstieg ab 1753 erfolgreich unter der Patronanz eines katholischen Kaiserhauses in Wien erlebt, weshalb die katholische Gesinnung im Zusammenhang mit einer katholischen Mehrheitsbevölkerung in der Rückschau nicht weiters genannt zu werden brauchte. Entsprechend fiel dieser Aspekt auch in diesem Dokument und in der weiteren biographischen Literatur, die eben sehr stark auf diesen Aufzeichnungen beruht, wie noch zu erläutern sein wird, in der Folge meistens weg. Es ist an dieser Stelle auch zu erwähnen, dass Nikolaus Jacquin zum Zeitpunkt seiner Berufung als Professor nach Wien (1768) begann, über seine Familiengeschichte Nachforschungen zu betreiben. Betraut hatte er damit seinen Leidener Freund Laurens Theodor Gronovius (1730–1777), von dem er ab 1760 bis zu dessen Tode 78 Briefe in seiner Muttersprache erhalten wird.424 Im Juni 1768 berichtete dieser von seinen Konsultationen der Kirchenbücher (Totenlisten) und dass er jedenfalls auf ein Trauungsdatum von Jacquins Vorfahren gestoßen sei.425 Nikolaus Jacquin in-

421 Siehe: Karl Ottmar von Aretin, Katholische Aufklärung im Heil. Röm. Reich. In: Karl Ottmar Aretin, Das Reich. Friedensgarantie und europäisches Gleichgewicht 1648–1806 (Stuttgart 1986); Harm Klueting (Hg.). Katholische Aufklärung – Aufklärung im Katholischen Deutschland (Hamburg 1993); Ulrich L. Lehner, What is Catholic Enligthenment? In: History Compass 8 (2010), 166–178. 422 Louis Cognet, Das kirchliche Leben in Frankreich. In: Hubert Jedin (Hg.), Handbuch der Kirchengeschichte 5 (1970), 3–118, bes. 50f. 423 ÖNB, HAD, Cod. Ser. n. 9756, siehe Edition. 424 Der in Wien erhaltene Briefwechsel reicht von 1760 bis 1777 und umfasst 8 Mappen, NHM, AfW. 425 Siehe dazu: Laurens Theodor Gronovius an Jacquin, Brief, 24. Juni 1768, NHM, AfW, Mappe 4 (1767–1768).

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teressierte sich erst für die Vergangenheit seiner Familie, als er einer vielversprechenden Zukunft in Wien zum Greifen nah war. Beachtenswert in der handschriftlich erhaltenen biographischen Skizze ist der Hinweis auf eine holländische berufsständische Tradition, wonach eine sorgfältige sprachliche Erziehung und die Kenntnis des Lateinischen im »Handelsstand« verbreitet gewesen seien. Bereits Nikolaus Jacquins Vater erfuhr als Kaufmann eine im Sinne der holländischen Wertehierarchie gestaltete Ausbildung. Jedenfalls wird in den »Familiengeschichtliche[n] Aufzeichnungen« folgender Hinweis dokumentiert: Er »erhielt, wie es im Handelstand in Holland noch gegenwärtig üblich ist, eine sehr sorgfältige literarische Erziehung, studierte bis 1710 die Humanitätsclassen bei den Jesuiten in Antwerpen mit besonderem Fortgange und behielt auch in der Folge eine leidenschaftliche Vorliebe für altclassische Literatur.«426 Nikolaus Jacquin folgte in diesem Punkt seinem Vater : »Von Kindheit an zwar war er für die Handlung [Handel] bestimmt, erhielt er doch nach erwähnter Sitte und dem Willen seines Vaters eine literarische Erziehung. Den ersten sorgfältigen Unterricht genoß er in der Privatschule in seiner Vaterstadt und bezog das nämliche Gymnasium in Antwerpen, wo sein Vater studiert hatte.«427 Und dieselbe Aussage, allerdings stark verkürzt, findet sich auch in der publizierten Darstellung des Jahres 1812: »Die Rudimente studierte er in Leyden, die Humanitätsclassen, wie fast alle katholischen Holländer, am Jesuitengymnasium in Antwerpen, die Philosophie in Löwen.«428 Die Herleitung von wirtschaftlicher Blüte auf klassische Bildung hatte in den Vereinigten Niederlanden Tradition. Sie lässt sich auch in Verbindung mit der anlässlich der Amsterdamer Hochschulgründung gehaltene Antrittsvorlesung429 des Historikers, Altphilologen und Theologen Caspar Barlaeus (1584–1648) analysieren.430 Diese gedruckte Rede hatte eine enorme Verbreitung und wurde auch ins Niederländische übersetzt.431 Barlaeus verankerte das Geistige in der 426 ÖNB, HAD, Cod. Ser. n. 9756, fol. 2, siehe Edition. 427 ÖNB, HAD, Cod. Ser. n. 9755, fol. 3, siehe Edition. 428 [Anonymus], Nikolaus Joseph Freiherr von Jacquin. Eine biographische Skizze. In: Vaterländische Blätter für den österreichischen Kaiserstaat. Jg. 1812 (Wien 1812), 363–366. 429 Caspar Barlaeus, Mercator sapiens, sive Oratio de conjugendis Mercaturae & Philosophiae studiis: habita in Inaugurationem Illustris Amsteldamensium Scholae (Amsterdam 1632); Neuausgabe: Catherine Secretan (Hg.), Le marchand philosophe de Caspar Barlaeus. Un Hloge du commerce dans la Holland du SiHcle d’Or. Etude, Texte et traduction du Mercator sapiens (Paris 2002). 430 Vgl. Horst Lademacher, Die Niederlande. Politische Kultur zwischen Individualität und Anpassung (Berlin 1993), bes. 327. Zu Barlaeus siehe auch: Helga Hühnel, Die Neue Welt: Vom Mythos zur Realität. In: Jan Mokre (Hg.), Annäherungen an die Ferne. Ausstellungskatalog (Wien 2009), 139–199. 431 Caspar Barlaeus, Verstandighe Coopman, of Oratie, handelnde van de t’samen-voeginghe des Koophandels, ende der der Philosophie (Enkhuisen 1641).

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klassischen Literatur und verband die Philosophie mit dem Handelswissen, womit die Gründung der Hohen Schule und sein eigenes Tun in der auf Handel ausgerichteten niederländischen Gesellschaft gerechtfertigt wurden. Wichtig erschien das nicht selbstverständliche Wechselverhältnis des Studiums von Philosophie und Literatur mit dem Handel: Die Liebe für die antike Philosophenschule sollte die Tugenden nicht nur des Gelehrten, sondern auch des Kaufmannes stärken. Wir erfahren aus den Nikolaus Jacquin betreffenden Ego-Dokumenten, dass die unter der Obhut der Jesuiten erfolgte Schulbildung im Selbstbewusstsein für die in Leiden lebende römisch-katholische Elite durchaus als obligat galt. Im Bereich des Schulwesens hatten die Unterschiede zwischen den protestantischen und katholischen Konfessionen allerdings ein geringeres Gewicht als das ihnen inhaltlich Gemeinsame, denn beide Seiten bauten seit der Reformation auf dem Fundament des humanistischen Bildungsprogramms,432 das die Syntax und den Wortgebrauch des antiken Roms433 zur Richtschnur für den literarischen Ausdruck erhob. Der konfessionelle Rahmen regelte jedoch den Zugang zu dieser unterschiedlich institutionalisierten, aber weitgehend ähnlich verlaufenden Erziehung, welche der Rhetorik größere Bedeutung beimaß als der ratio, wie oft dargestellt. Im Jesuitengymnasium (Humanistenklasse) in Antwerpen erwarb Nikolaus Jacquin im Jahre 1744 die Kenntnisse eines traditionell bestehenden Wissensgutes, das besonders auf der Aneignung der klassischen Sprachen beruhte. Dafür hatten die Jesuiten ein wirkungsvolles gesamteuropäisches Unterrichtssystem entwickelt, das der Katholisierung diente. Die ersten Philosophieklassen, das Propädeutikum als Voraussetzung für die Aufnahme in die Universität, absolvierte Nikolaus Jacquin in 1744–1748 in Löwen,434 dem katholischen geistigen Zentrum der südlichen Niederlande. Löwen war für zwei Dinge berühmt – wie Brechka es treffend formuliert435 – für sein Bier und seine Universität. Seit 1542 gaben die Jesuiten in Löwen den Ton an. Aus dem Konflikt mit den Jesuiten heraus erstarkte hier der Jansenismus, mit dem jeder Zögling wohl 432 Für Rotterdams Schullandschaft hat dies Dodde nachgewiesen: Vgl. N. L. Dodde, … tot der kinderen selffs proffijt. Een geschiedenes van het onderwijs te Rotterdam (Gravenhage 1991), bes. 112ff.; siehe auch: N. L. Dodde, Dag, mammoet! Verleden, heden en toekomst van het Nederlandse schoolsysteem (Leuven/Apeldoorn 1993), bes. 26ff. 433 Manfred Fuhrmann, Latein und Europa. Geschichte des gelehrten Unterrichts in Deutschland. Vom Karl dem Großen bis Wilhelm II. (Köln 2001), bes. 65ff. 434 Laut Matrikel der Universität Löwen wurde Jacquin in der Zeit nach dem 31. Aug. 1744 eingetragen: Arnold Hubert Schilling (Ed.), Matricule de l’Universit8 de Louvain, Bd. VII (Brüssel 1963), 126: Minorennes: Nr. 243: Nicolas Josephs Jacquin Lugduno Batavus (31. Aug. 1744–27. Febr. 1745). 435 Frank T. Brechka, Gerard van Swieten and his World 1700–1772 (= International Archives of the History of ideas 36, Hague 1979), 29.

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oder übel konfrontiert wurde, egal, ob er einer Partei angehörte oder nicht, denn die heftig geführten Kontroversen banden nicht nur die Kräfte der Theologen, sondern wohl der ganzen Universität. Die Löwener Universität zählte nicht zu den billigsten, aber für gebürtige Niederländer zu den nächstgelegenen höheren Bildungsstätten, die für wohlhabende katholische Bürger leistbar waren. Aber durch den wirtschaftlichen Zusammenbruch des väterlichen Unternehmens ergab sich für Jacquin innerhalb des vorgesehenen Weges eine entscheidende Wende: »Sein Vater, ein ehemals reicher Kaufmann, der aber durch unglücklich sich veränderte Handelsverhältniße den größten Theil seines Vermögens verloren hatte, wurde ihm sehr früh [1743] entrissen,«436 heißt es in Nikolaus Jacquins »Biographie«: »Am 7. Sept. 1744 trat er [Nikolaus Jacquin] mit den Zeugnissen des ausgezeichnetsten Fortganges aus dem Gymnasium [Antwerpen]. Um diese Zeit war aber ein Unglückstern über sein Haus aufgegangen. Die aufblühenden Tuchmanufacturen in den Niederlanden [gemeint sind die südlichen Niederlande], drückten die Holländischen, die keine Annäherung im Preise mit ihnen halten konnten, nieder, und die Geschäfte der letztern stockten. Dazu kamen Verluste durch den Beitritt ausländischer Tuchhändler, und letztens ein sehr bedeutender und, wie mein Großvater mit Recht vermuthete, betrügerischer Linnkampf [Leinenkampf] in Lissabon. In der Hoffnung etwas zu retten, entschloß sich mein Großvater schnell zu einer Reise dahin, fand aber beyde seine Gläubiger mit einem bedeutenden Vermögen in Leinen nach Westindien entflohen. Höchst gekränkt kehrte er in rauer Frühlingsluft, von einer Rippenfellentzündung ergriffen zu den Seinigen zurück, welche schon vernachlässigt, bey der durch die eben statt gehabte Abwesenheit seines Freundes und Hausarztes des berühmten Gerhard van Swieten nach nur einem Tag verspäteter ärztlicher Hilfe tödlich ward. Er starb am 3. May 1743. Seine Vermögensumstände fanden sich zerrüttet und meine edelmütige Großmutter opferte einen Theil des ihrigen auf, um alle freundlichen Gläubiger zu befriedigen. Da aber das Schicksal noch nicht versöhnt war, so verlor auch sie, die den größten Theil ihres Vermögens in Meyereyen in Friesland stehen hatte, durch die berüchtigte Viehseuche von 1744/45 noch einen bedeutenden Theil desselben.«437

Der allgemeine Niedergang der Tuchindustrie, eines wirtschaftlichen Schlüsselbereiches der Stadt Leiden, war dramatisch438, die Familie Jacquin ein Opfer dieser Entwicklung. Aus keinem dieser drei Ego-Texte über die Familiengeschichte und die Biographie Jacquins, aus denen wir bisher viele Stellen zitiert haben, erfahren wir jedoch, dass Jacquin zu diesem Zeitpunkt eigentlich Theologe werden sollte, als nach dem wirtschaftlichen Ruin und dem Tod seines 436 ÖNB, HAD, Cod. Ser. n. 9755, fol. 1, siehe Edition. 437 ÖNB, HAD, Cod. Ser. n. 9756, siehe Edition. 438 Posthumus veranschaulicht die Entwicklung: 1671 wurden in Leiden 139.000 Stücke Tuche produziert, 1700 85.000, 1750 54.000. Die Produktion reduzierte sich auf ein Viertel im Vergleich zu ihrem höchsten Produktionsstand. Vgl. Nantko Lieven Posthumus, De geschiedenes van de Leidsche lakenindustrie, 2. Bd. (The Hague 1908–39), 1038ff.

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Vaters seine Mutter diese Laufbahn als einzige Zukunft für ihren Sohn in Erwägung gezogen hatte. Diese Information entnehmen wir einem der 37 erhaltenen an seinen Jugendfreund Jacobus Gronovius439 gerichteten Briefe, die Nikolaus Jacquin aus seinen Studienorten – Antwerpen, Löwen, Paris und Wien – geschrieben hatte440 und die wir hier in der Forschung über Jacquin erstmals ausgiebig heranziehen. Mit dem Tod des Vaters hatte sich Nikolaus Jacquins Situation langsam geändert, er war nicht nur Halbwaise geworden, sondern stand bald völlig ohne Mittel da. Ein Dokument seiner unhaltbaren Zustände bietet der Brief vom 18. Oktober 1748, an seinen Freund Jacobus Gronovius:441 »Ich für meine Person kann mir gut vorstellen, dass Du, mein Gronovius, Dich wunderst, was der Grund ist, dass Du bis jetzt keinen Brief von mir in Händen hast und dass auch – was sich freilich gehört hätte – keine Antwort auf Eure Briefe von mir gekommen ist. Aber um all Deiner Menschenfreundlichkeit willen mach Du mich frei von dieser Schuld, falls überhaupt eine vorliegt! Denn dieses Stillschweigen ist nicht durch Faulheit oder ein Vergessen unserer Freundschaft, die ja immer sehr groß war, verursacht worden, sondern weil es nichts gab, was ich an Euch hätte schreiben können, abgesehen von einem höchst belastenden Umstand. Es ist Dir nicht entgangen, bester Freund, wie beengend die häuslichen Schwierigkeiten sind, durch die ich, wie Du weißt, gleichsam genötigt und von meiner Mutter für unsere Kirche bestimmt worden bin. Weil ich aber diesen Stand und dieser Lebensweise immer abgeneigt war, durfte ich nicht länger diese Antipathie, die mir angeboren ist, verheimlichen. Ich schrieb nach Hause, dass ich mich von der Theologie verabschieden werde. Aber die deswegen erzürnte und mir gegenüber unerbittliche Mutter antwortete, dass ich mein eigener Herr sei, dass ich nur einen Lebensunterhalt suchen müsse und dass es für mich keine Rückkehr in die Heimat mehr gebe. So weit war es mit mir gekommen, eine Zuflucht bei Euch war nicht mehr zweckdienlich. Von besserer Hoffnung geführt, begab ich mich also nach Paris. Aber unter unglücklichen Vorzeichen: Wie ein Heimkehrer werde ich bald das Vaterland aufsuchen in der Absicht, Dich zu sehen und aus tiefster und ganzer Seele Dich, mein liebster Gronovius, zu umarmen; aber ich Elender, was dann zu tun sein wird, ist mir völlig rätselhaft. Wenn Dein allerbester Vater etwas beitragen könnte; das freilich erhoffe ich, aber es ist schmerzlich!«442 439 Jacobus Gronovius (1727–1762) war Sohn des Altphilologen Abraham Gronovius (1695– 1775) und Cousin des Ichthyologen und Botanikers Laurens Theodor Gronovius (1730– 1777). 440 ÖNB, HAD, Cod. 12778, 37 Briefe Nikolaus Joseph Jacquins an Jacobus Gronovius, 1744– 1759, siehe Edition. 441 Jacquin an Jacobus Gronovius, 8. Brief, Paris, 18. Oktober 1748, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 8r. 442 Jacquin an Jacobus Gronovius, 8. Brief, Paris, 18. Oktober 1748, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 8r. »Credo ego te mirari, mi Gronovi, quid sit, quod hactenus a me litterae nullae, neque ad vestras, ut quidem decuit, a me responsum! Verum tu pro humanitate tua culpa hac, siqua est, me libera, neque enim inertia aut oblivione amicitiae nostrae, quae semper fuit summa, factum silentium illud est, sed quod nihil erat, quod ad vos scriberem, nisi longe

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Alsbald aber hatte sich Jacquin – so dokumentiert im obig zitierten Brief – von dem mütterlichen Befehl befreit und der Theologie eine Absage erteilt, worauf seine Mutter mit ihm gebrochen habe. Die Episode des Ungehorsams gegen die Mutter stand im Gegensatz zu seiner sonstigen als gewissenhaft sich darstellenden Haltung. Deshalb habe Jacquin – wie er schreibend beteuert – nicht an seinen Heimatort Leiden zurückkehren können, sondern sei nach kurzer Abwesenheit erneut nach Paris aufgebrochen. Dass er es dort nicht lange aushielt, lag an seiner schlechten finanziellen Situation, die der Sohn aus einstigem wohlhabendem Hause erst verkraften musste. In der biographischen Skizze wird zwar der frühe Tod des Vaters erwähnt, aber nicht der ursprüngliche Plan einer theologischen Laufbahn, die in das Profil eines Botanikers oder Gelehrten nicht zu passen schien. Vielmehr ging es später darum, den geradlinigen Weg eines Naturforschers mit seinen wichtigen Etappen zu memorieren. Es besteht jedoch kein Zweifel daran, dass Nikolaus Joseph Jacquin in Antwerpen und Löwen eine auf die klassischen Studien ausgerichtete schulische Ausbildung erfuhr. Lateinkenntnisse standen im Mittelpunkt dieses Unterrichts. Sie zählten in dieser Zeit allerdings kaum zu einer Besonderheit für Eliten, bildeten sie doch den Schlüssel für jeden akademischen Beruf. Die lateinische Sprache hatte noch in der Mitte des 18. Jahrhunderts eine nicht zu unterschätzende Bedeutung, an den Universitäten wurde bis in diese Zeit zumeist nur sie gesprochen. Latein war die traditionelle Sprache der Kirche (der Liturgie), des Schulwesens (der Lehrbücher), der Wissenschaft (der Publikationen), der Politik (der Verträge und öffentlichen Inschriften) und teilweise auch der dokumentierten Diplomatie. Auch wenn Latein in der Diplomatie vom Französischen verdrängt wurde, beherrschte es in der Medizin noch 1742 und in der Jurisprudenz noch 1768 die Buchproduktion im deutschsprachigen Raum.443 Seinen Briefen zufolge bemühte sich Nikolaus Jacquin allerdings während seiner Studentenzeit nicht nur um das Erlernen der Sprache, um eloquentia als Sprachbeherrschung des Lateinischen, die einen perfekten Umgang mit ihr gleich seiner Muttersprache erwirken sollte, sondern weit darüber hinaus um molestissimum. Non te fugit, amicissime, quantae sint angustiae domesticae, per has tanquam coactum ecclesiae nostrae esse destinatum mea Parente nosti, quod ab hoc vitae statu abhorruerim semper ob innatam mihi nescio quam antipatiam simulare amplius non licebat. Domum scripsi Theologiae vale dicturum me, hinc irata et dura in me mater respondit mei juris me esse, victum mihi quaerendum, impossibilem in patriam reditum. Eo res meae deductae erant, ad vos reditus non expediebat. Parisios itaque spe meliori ductus me contuli, sed infelici omine, ita ut redux in patriam revertar, brevi te visurus, imo toto animo te, mi dulcissime Gronovi, amplexurus, verum me miserum quid tum facto opus, plane ignoro: si Pater optimus tuus possit aliquid; istud quidem spero, sed proh dolor!« 443 Vgl. dazu genauere Angaben bei Friedrich Paulsen, Geschichte des gelehrten Unterrichts auf den deutschen Schulen und Universitäten vom Ausgang des Mittelalters bis zur Gegenwart, 2 Bde. (Leipzig 19193), hier Bd. I, 625.

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eine Muse, die ihn offenbar fesselte und die er zur Selbstartikulation nutzte. Er verfasste Gedichte, mit welchen er seinen Freund Jacobus Gronovius von dem Fortgang seiner Studien überzeugen wollte. Der Unterricht vermittelte die Nachahmung der exempla, darüber hinaus in einer nächsten Stufe den eigenständigen Umgang mit den Vorlagen, der als exercitatio stili und als imitatio gestaltet wurde. Damit erreichte Jacquin eine persönliche Ausdrucksfähigkeit, die inhaltlich und stilistisch zu einem anspruchsvollen Thema eine individuelle Lösung entwickelte. Die Form der elegischen Distichen liebte Jacquin ganz besonders, in ihnen übte er sich, und davon sind auch einige Belege in der Briefsammlung erhalten, so ein an Gronovius gerichteter Brief aus Antwerpen.444 Der Adressat seiner literarischen Ergüsse zählte zu den prominenten Gelehrtendynastien der Stadt Leiden. Der Großvater seines Freundes, Jacobus Gronovius (1645–1716), hatte sich der Erforschung der römischen Topographie und Monumente verschrieben und mit seinem »Thesaurus Graecarum antiquitatum« (1697–1701) ein zwölfbändiges Standardwerk geschaffen. Auch der Vater seines Freundes, Abraham Gronovius (1695–1775), galt als klassisch gebildeter Gelehrter, kein Wunder also, dass in der handschriftlich verfassten Biographie Nikolaus Jacquins die klassische Bildung der Familie Gronovius als »erblich« beschrieben und ihr Einfluss auf Nikolaus Jacquin hoch eingeschätzt wird: »Die alte Freundschaft seiner Familie mit der ebenfalls in Leyden lebenden Familie Gronovius, in welcher classische Gelehrsamkeit erblich war, lehren seine bis in den Tod ununterbrochene Anhänglichkeit in einen denselben, den berühmten Theodor Gronovius [Laurens Theodor 1730–1777] führten ihn zur Botanik und zur Medizin zurück.«445

Über die Familie wusste Albrecht von Haller zu berichten: »Gronovius uterque, Juris consultus con[siliarius] et Medicus. Söhne deß berühmten Frid. Gronovii, Gelehrte, gereiste und sonderlich in Engelland sehr bekandte Männer, daneben freundlich und gegen Fremde sehr gefällig. (Sie besizen alle geschriebenen Bücher von der Bibel, die ihr Ahne und Vater nebst ihnen abgeschrieben).«446 Auch Gerard van Swieten, Nikolaus Jacquins späterer Mäzen, der seinerseits an antiken Schriften interessiert war, korrespondierte noch in seiner Wiener Zeit mit Abraham Gronovius, dem Altphilologen und Vater von Jacquins Brieffreund Jacobus Gronovius. Nachdem er dessen berühmte Justinus-Edition erhalten hatte, informierte van Swieten ihn über wertvolle Kodizes der kaiserlichen 444 Vgl. Jacquin an Jacobus Gronovius, 2. Brief, Antwerpen, 17. August 1744, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 2r. 445 ONB, HAD, Cod. Ser. n. 20235, siehe Edition. 446 Hintzsche und Balmer (Hg.), Albrecht Hallers Tagebücher seiner Reisen nach Deutschland (1971), 81.

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Hofbibliothek,447 über humanistische Traktate448 und über die römische Straßenkarte, die Tabula Peutingeriana.449 Kommen wir aber nochmals auf die Studentenzeit zurück und verfolgen wir Nikolaus Jacquins akademische Schritte im Detail. In seinem ersten an seinen Freund Jacobus Gronovius gerichteten und erhalten gebliebenen Brief, datiert vom 18. Juni 1744, zeigte er sich sehr erfreut über seine Studienerfolge in Antwerpen, wo er sich in Rhetorik und Dialektik vertieft hatte: »Durch diesen Brief wollte ich Dir einen Gruß übermitteln, damit derselbe auch mir zur Wiederbelehrung zurückgesendet wird. Du sollst auch über die Triumphe in den Studien und die – um es so auszudrücken – eingeheimsten Siegespalmen unterrichtet sein: Ich habe in der Rhetorik denselben Platz inne wie in Leiden, nämlich den zweiten; doch dem fügt sich der erste in der dialektischen Auseinandersetzung an; aber ich weiß sicher, dass das Dir bis jetzt abgesehen vom Namen unbekannt ist.«450

Von Antwerpen451 wechselte Jacquin in der Zeit nach dem September 1744 nach Löwen, um dort das Propädeutikum für ein weiteres höheres Studium zu absolvieren. Die Reise führte ihn per Schiff von Delft nach Breda, dann über die Schelde nach Brüssel und nach Löwen.452 Hier schien er sich von den wenigen Studien in der klassischen Sprache kaum überfordert zu fühlen: »Was im Übrigen mich hier in Löwen betrifft, bin ich zufrieden, die Studien bringen mich nicht zur Erschöpfung, auch wenn sie umfangreich sind,«453 lässt er seinen Jugendfreund wissen. Über den Griechischunterricht in Löwen äußerte er sich sehr kritisch: »Um die griechischen Studien bemühe ich mich redlich, so gut ich kann. Denn es gibt hier keinen Lehrer, der sie lehren könnte: sollte es einen geben, wird er keinen Schüler 447 Brief van Swietens an Abraham Gronovius, Universitätsbibliothek Leiden, B P L 246, Wien, 11. August 1760. 448 Brief van Swietens an Abraham Gronovius, Universitätsbibliothek Leiden, B P L 246, Wien, 28. Jänner 1758. 449 Brief van Swietens an Abraham Gronovius, Universitätsbibliothek Leiden, B P L 246, Wien, 18. Jänner 1758. 450 Jacquin an Jacobus Gronovius, Antwerpen, 1. Brief, 18. Juni 1744, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 1r. »His igitur salutem tibi dicere volui, ut et mihi ad recreationem eadem reddatur. Denique ne in studiis triumphos, relatasque (ut ita dicam) palmas ignores, eundem in Rhetorica, quem Leidae, locum obtineo, secundum scilicet: illi tamen additur in concertatione Dialectica primus: at certe scio, hoc tibi hucusque nomen ignotum esse.« 451 Siehe dazu die Stelle in den »Familiengeschichtliche Aufzeichnungen«: »Am 7. Sept. 1744 trat er mit den Zeugnissen des ausgezeichnetsten Fortganges aus dem Gymnasium [Antwerpen]«. ÖNB, HAD, Cod. Ser. n. 9756, siehe Edition. 452 Vgl. Jacquin an Jacobus Gronovius, Löwen, 3. Brief, 22. Oktober [1744?], ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol 3r/v. 453 Jacquin an Jacobus Gronovius, Löwen, 4. Brief, 31. Dezember 1744, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 4r, »ceterum quod ad me hic Lovanii attinet, contentus sum, neque studia me fatigant, quandoquidem multa sunt.«

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haben. Außerhalb des Landes ihr Dasein fristen muss zur Gänze die Wissbegier, die gelehrten Männer gar sehr ans Herz gewachsen ist. Ich allein nehme an der Griechischvorlesung des Professors teil, dem es aber nicht gegeben ist, von den Grundlagen beginnend auch Regeln zu vermitteln oder die Satzlehre zuzuweisen. Er macht dem Hörer nichts anderes kund, als was er als Gesetzmäßigkeiten der Wörter und Laute erklärt, die für die Erforschung schwieriger sind, weil sie durch den Gebrauch bekannt sind und durch beständiges Lesen gleichsam im Gedächtnis haften.«454

Als eine Schwester oder Cousine des Freundes heiratete, schickte ihm Jacquin sogleich als Zeichen der Anteilnahme ein Hochzeitsgedicht in 32 elegischen Distichen, das er mit der symbolischen Anrede Amors eröffnete.455 Zur Promotion seines Freundes Jacobus zum Doktor der Rechte verfasste Nikolaus Jacquin ein Anagram, ein Epigramm und ein Gedicht in sapphischen Strophen.456 Dass der Vater seines Freundes als Altphilologe über die Bereitwilligkeit Nikolaus Jacquins, sich den Klassikern zuzuwenden, erfreut war, davon erzählen die Briefe indirekt; so wird z. B. eine Kölner Kirchenväter-Ausgabe von 1618, die Nikolaus Jacquin im Collegium in die Hände gefallen war, als Sensationsmeldung weitergegeben, was sich wohl nach den Interessen des Vaters seines Freundes richtete.457 Der Hinweis, wonach Jacquin betonte, dass er nur auf dem Schiff und ohne Buch (Vorlage) gedichtet habe, denn er befand sich im Juli 1751 gerade erneut auf der Rückfahrt von Leiden über Amsterdam nach Paris, wobei er in Rouen auf eine günstige Überfahrt auf dem Flussweg wartete, zeigt, dass Nikolaus Jacquin sich einem hohen Anspruch an seine Lateinkenntnisse verpflichtet hatte. In Paris schien die Weiterbildung in den Philologien nicht zentral, wie er an seinen Freund schreibt: »Was das betrifft, dass du mich über die Poesie ausfragst: Ich habe hier noch keinen einzigen Vers gedichtet, Versfuß für Versfuß im Griechischen; und bin fleißig in der Medizin.«458 454 Jacquin an Jacobus Gronovius, Löwen, 5. Brief, 27. Dezember 1747, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 5r/v : »Graecis, ut possum, literis adlaboro: neque enim hic, qui doceat, adest praeceptor, sin fuerit, discipulo carebit. Omnis exulat abhinc viko la!_a [= philomathia], doctis viris adeo amabilis. Solus ego Graecae lectioni intersum Professoris, quem penes non est (quamvis quae legat interpretetur, at id quoque inchoate) a fundamentis praecepta tradere, aut Syntaxin adsignare. Patefacit auditori aliud nihil, nisi quod verborum vocumque themata explicet investigatu difficiliora, quae et usu cognita sunt, perque continuam lectionem tanquam memoria infixa.« 455 Vgl. Jacquin an Jacobus Gronovius, Löwen, 6. Brief, 15. Juni 1748, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 6r/v. 456 Vgl. Jacquin an Jacobus Gronovius, Rouen, 10. Brief, 2. September 1751, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 10r/v, 11r/v. 457 Vgl. Jacquin an Jacobus Gronovius, Löwen, 5. Brief, 27. Dezember 1747, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 5r/v. 458 Jacquin an Jacobus Gronovius, Paris, 15. Brief, 11. Dezember 1752, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 17 r/v. »Quod me de Poesi rogas, versum hic nondum feci, in Graecis pedetentim, in Medicis impigre.«

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Bildung artikulierte sich nach Jacquin in der eloquenten Kenntnis der klassischen Sprachen. In Wien, wohin er auf Geheiß van Swietens 1752 gekommen war, fehlte dieses Bewusstsein nach seiner sofortigen Einschätzung völlig: »In der lateinischen Sprache herrscht, obwohl hier [Wien] nichts allgemeiner verwendet wird als sie, allerdings eine derartige Verwilderung wie kaum anderswo. Selbst die Professoren, magst Du ihnen auch zuhören, kannst Du als Leute vom Land, als ungebildete Germanen bezeichnen. Nicht nur des Lateinischen sind sie nicht, wie es sich gehört, kundig, sie verstehen auch von der Wissenschaft selbst nichts, die sie weitergeben und vortragen.«459

War diese sprachliche Komponente nicht gegeben, so fühlte sich Jacquin unter »Barbaren«, wie in Wien, wo nach seiner Auffassung nur »Germanen« lebten: »Welcher Sinnesart bin ich deiner Meinung nach, Jakob, der ich nur unter Barbaren weile. Sicher ist: Wenn die Trennung von dir mich je bedrückt hat, kann ich sie jetzt gar nicht ertragen. Als wir einst viel und eifrig über die Studien plauderten, so erinnere ich mich, haben wir nur die Flüchtigkeit der Zeit angeklagt, jetzt ist mir fast jedes Zwiegespräch verhasst. […] Neulich wurde ein Gesetz eingebracht, dass niemand sich der Medizin-Prüfung stelle, der der griechischen Sprache unkundig ist; damit die Studenten diese lernen können, hat vor wenigen Tagen ein Jesuit die öffentliche Vorlesung begonnen, wobei er über die Grundlagen und über die hier noch nicht lange eingeführten (bei den Griechen so genannten) Akzente umfassend und gekonnt, wie mir scheint, sprach; unter anderem behauptete er, dass bei den alten Griechen jeder Gebrauch dieser Akzente unbekannt gewesen sei und dass man erst im siebenten Jahrhundert diese zu verwenden begonnen habe. Diese Meinung [Theorie] war mir bisher unbekannt, und ich hatte geglaubt, dass die Griechen außer bei Großbuchstaben immer Akzente verwendet haben. Ich möchte daher, Jakob, dass Du Deinen Vater, einem im Griechischen sehr versierten Mann, über diese Angelegenheit befragst, ob er vielleicht das Manukript Stum, das vor dem siebenten Jahrhundert entstanden ist und in dem wir angedeutete Akzente finden, wie auch immer diese sein mögen. Das will ich wissen; es leugnet nämlich diese Lehrmeinung, dass bei der Aussprache irgendeine Bedeutung der Akzente liege, und nur die natürliche Länge der Silben solle dem Sprecher einen Zwang auferlegen. Auch ein zweiter Jesuit wird in Kürze Mathematik zu unterrichten beginnen.«460 459 Jacquin an Jacobus Gronovius, Wien, 20. Brief, 1. Jänner 1753, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 26v : »Latinae quidem linguae quanquam hic nihil habetur illa communius, tanta est barbaries, quanta vix alicubi: ipsos Professores audias licet, villicos dicas, illiteratos Germanos; nec solius Latii, ut decet, sunt imperiti, ipsam ignorant, quam tradunt ac profitentur, doctrinam.« 460 Jacquin an Gronovius, Wien, 20. Brief, 1. Jänner 1753, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 26v. »Quid mihi nunc animi esse, Jacobe, existimas, tantum inter barbaricos versor? Certe si qua unquam absentia tua affecerit me molestia, nunc ferre illam non queo; memini, quum multos olim de studiis sermones commutabamus seduli; temporis soli incusare celeritatem nunc fere odiosum mihi colloquium quodlibet. […] Noviter lata lex est, qua cavetur, ne quis examini Medico offerat se linguae Graecae rudis, quam discere studiosi ut possint, ante dies aliquot lectionem publicam est auspectus quidam Jesuita de hujus linguae rudimentis atque

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Das Überlegenheitsgefühl gegenüber anderen Akademikern in Wien beruhte einerseits auf Jacquins ausgezeichneter Ausbildung in den klassischen Studien, aber andererseits auch auf einer gewissen Arroganz, die sich aus der Sicherheit speiste, über einen potenten Mäzen wie van Swieten zu verfügen. Das erste Werk, das Jacquin in Leiden publizieren ließ, indem er das Manuskript in die Hände der Familie Gronovius in Leiden legte, hatte folgenden Titel: »Enumeratio systematica plantarum, quas in Insulis Caribaeis vicinaque Americes continente detexit novas, aut jam cognitas emendavit« (Leiden 1760). Ob die eigentlich falsche beziehungsweise griechische Form »Americes« in einem ansonsten lateinischen Satz auf ihn selbst zurückgeht oder auf seinen Mentor Gronovius, ist nicht zu entscheiden. Die Interpretation wäre möglich, dass diese Hochschätzung des Griechischen der Autorität eines Gronovius entsprang. Die überaus eloquente Beherrschung des Lateinischen bildete eine Grundlage für Nikolaus Jacquins spätere Tätigkeit als publizierender Gelehrter, auch für die Anbahnung und Aufrechterhaltung seines international ausgerichteten Netzwerkes. Die Mehrheit der Briefe, die er schrieb, war in dieser Sprache gehalten, und von zwei Veröffentlichungen abgesehen wurden alle etwa 30 wissenschaftlichen Arbeiten in Latein verfasst. Und seinen frühen Gönnern gegenüber hatte der verarmte junge Student Jacquin nichts außer Eloquenz anzubieten, welche er in Briefen unter Beweis stellte. So bildete die sensible Nutzung der Klassik eine von mehreren Säulen, die seine Karriere trugen, und sie war bis zu seinem Tod, also mehr als weitere 65 Jahre, für ihn von Belang. Auch stilisierte er sein Latein in seinen Vorworten zu seinen Publikationen, wenn er beispielsweise mit einer witzigen Wortwahl operierte, gärtnerische Ausdrücke für andere Zusammenhänge nutzte oder auch Termini der Aeneis eines Vergil unterbrachte, für die es gängigere Begriffe gegeben hätte. Freilich konnte er in gebildeteren Kreisen mit Wiedererkennung rechnen. Elegien hatte Jacquin während seiner Studien gerne verfasst. Dass er diese Ausdrucksmöglichkeit weiter schätzte, wurde in den Nachrufen auf ihn nicht vergessen, zumal sie gerne auch in dieser Form artikuliert wurden. In der handschriftlich erhaltenen Biographie wird dem Aspekt von Nikolaus Jacquins hoher Sensibilität für klassische Studien dezidiert Rechnung getragen, allerinstitutis hic non ita diu de Graecis sic dictis accentibus copiose satis ac erudite, uti mihi videbatur, disputans inter alia asserebat antiquis Graecis omnem incognitum fuisse horum accentuum usum, atque usurpari illos seculo demum septimo coepisse: ista certe sententia, quum inaudita mihi foret adhuc semperque accentus adhibuisse Graecos credidissem, nisi qua litteris uterentur majusculis; velim, Jacobi, Patrem tuum, virum in Graecis versatissimum hac super re consulas, an fortasse non ille viderit aliquando M[anuscriptum] Stum ante septimum seculum exaratum in quo accentus reperiantur, qualescumque sint illi, id aveo scire; negat enim haec opinio ullam in pronuntiando accentuum habendam rationem, solaque, vult, naturalis syllabarum quantitatis legem pro nuntianti imponat. Mathesin quoque brevi alter Jesuita tradere incipiet.«

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dings diese Liebe eben wieder fachlich auf die Botanik bezogen, wenn es dort heißt: »Der Grieche Hippokrates both seinem / geistvollen Scharfblicke so viele Seiten dar, öffnete seinen Talenten so vielfache Felder, daß ausführliche Kommentare über diesen Hellenen, die er in medizinischen Vorlesungen der nächsten Verwandten seines Geistes (einem allgefeyerten Störk, einem Schreibers, einen Lagusius (Hasenöhrl) auf ’s gemeinnützigste mittheilte, die sprechend/sten Resultate seines Forschgeistes gaben. – Ja, diese Forschungen selbst anzustellen, und ungehindert den Faden derselben verfolgen zu können, mußte unser Jacquin sogar auf die Kritik des Textes dieser Alten zurückgehen, welches auch philologische Kenntniße voraussezte, was bei ihm der Fall war und zuerst seinen mehrseitig gebildeten Geist beurkundete./«461

Auf die klassische Ausbildung hatte Jacquin großen Wert gelegt, das hatte er über sich vermittelt und das verstanden auch die ihn überlebenden Zeitgenossen, wenn sogar in einem Nachruf zwar stilistisch plump, aber dennoch darauf Bezug genommen wurde: »Man konnte nichts Ehrwürdigeres sehen als diesen Mann, dessen Kopf die schönste Antike war, mit dem vollem Ausdruck der Würde und Güte.«462

III. 2. Akademische Orientierung: Peregrinatio academica – Studienwege unter den Auspizien des finanziellen Notstands Die peregrinatio academica, die Reise zum Zwecke des Studiums an verschiedene Universitäten, zählte im 18. Jahrhundert zu einem unbedingten Muss und bildete eine wichtige Erfahrung für jeden angehenden Gelehrten. In der Regel wechselten ambitionierte Studenten zumindest einmal während einer Ausbildungszeit die Hohe Schule. Eine solche Reise ermöglichte die Berührung mit unterschiedlichen Feldern des Wissens und erwies sich als eine Form »akademischen Kapitals«463, wie es jüngst William Clark bezeichnete. Die Auswahl der konkreten Studienorte hing, wie wir es bereits im Falle Jacquins gesehen haben, oft von Familientraditionen ab oder war konfessionell begründet. Vielfach wurde jedoch die Attraktivität einer Universität durch einen an ihr lehrenden berühmten Professor bestimmt, der mit seinem Ruf Studentenströme bewirkte.464 Während es vor Jacquins Ausbildungszeit hunderte von Studenten aus

461 ÖNB, HAD, Cod. Ser. n. 9755, fol. 9f, siehe Edition. 462 [Anonymus], Nekrolog Nicolaus Joseph von Jacquin. In: Flora oder Botanische Zeitung, 1. Jg. (1818), 22–29. 463 William Clark, Academic Charisma and the Origins of the Research University (Chicago 2006), 258. 464 So schreibt Albrecht Haller in sein Tagebuch: »Von Holland hörte ich nichts als Lobsprüche,

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England, der Schweiz und den Territorien des Römisch-Deutschen Reiches zum Studium in dessen Geburtsstadt Leiden zog, um unter anderem auch bei Herman Boerhaave (1668–1738) Vorlesungen zu hören,465 führten Jacquins erste Ausbildungsjahre ihn, welcher der nächsten Generation angehörte, hingegen von Leiden weg. Dafür gab sein katholischer Glaube den Ausschlag. Besonders viele Studierende in Holland stammten bezüglich der habsburgischen Länder aus protestantischen Territorien, so z. B. aus Siebenbürgen.466 Die katholische Glaubensausrichtung bestimmte die Auswahl von Nikolaus Jacquins ersten von zwei Studienplätzen: den Besuch des Gymnasiums in Antwerpen und die Absolvierung des Propädeutikums, der philosophischen Studien an der katholischen Universität in Löwen (1745–1748). Schon bevor er das Gymnasium in Antwerpen mit Zeugnissen am 7. September 1744 abschloss,467 hatte sich Nikolaus Jacquin am 10. März 1741468 als Vierzehnjähriger in das Leidener »Album studiosorum« unter dem Rektorat Johann Konrad Rückers eintragen lassen. Das jugendliche Alter stellte keine Besonderheit dar, so ist aus der Biographie Bernhard Siegfried Albinus (1697–1770), des späteren Anatomieprofessors, bekannt, dass ihn sein Vater schon als Zwölfjährigen in die Hohe Schule aufnehmen ließ. Diese Eintragung in die Leidener Universitätsmatrikel bedeutete jedoch nicht immer, dass der verzeichnete Student auch wirklich studierte. Viele Bürgersöhne der Stadt ließen sich registrieren, weil sie die studentischen Privilegien genießen oder sich gar der städtischen Gerichtsbarkeit entziehen wollten.469 Vermutlich hat aber Jacquin jedenfalls etwa 1748–1750 wirklich an der Leidener Universität studiert, denn in seiner Selbstbiographie heißt es: »Nachdem er auf dem Gymnasium zu Antwerpen sich der römischen und griechischen Litteratur / widmete und die Philosophie auf dem Gymnasio zu Löwen gehört hatte, kehrte er in seine Vaterstadt zurück, wohnte den physikalischen Vorlesungen Muschenbroeks470 bei, und fing unter Gaubius,471 Bernhard und Siegfried Albin,472 Adrian von Royen473 (dortigem Professor der Botanik) die Arzneykunde zu studieren an.«474

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Boerhaavens Werke schienen mir Meisterstüke zu sein. Also entschloße ich mich dahin zu gehen«. Erich Hintzsche, Heinz Balmer (Hg.), Albrecht Hallers Tagebücher (1971), 27. Die Studentenströme aus dem deutschsprachigen Raum untersuchte genauestens: Heinz Schneppen, Niederländische Universitäten und deutsches Geistesleben. Von der Gründung der Universität Leiden bis ins späte 18. Jahrhundert (= Neue Münstersche Beiträge zur Geschichtsforschung 60, Münster 1960), bes. 109ff. Eine Aufzählung der siebenbürgischen Studierenden findet sich bei: Friedrich Teutsch, Die Studierenden aus Ungarn und Siebenbürgen an der Universität Leyden 1575–1875. In: Archiv des Vereins Siebenbürgische Landeskunde, Bd. 16 (1880), 204–226. Siehe »Familiengeschichtliche Aufzeichnungen«: ÖNB, HAD, Cod. Ser. n. 9756, siehe Edition. Album studiosorum Academiae Lugduno Batavae 1575–1975 (Den Haag 1875), 986. Vgl. dazu: Schneppen, Niederländische Universitäten (1960), 9. Pieter van Musschenbroek (1692–1761), in Leiden geboren, lehrte Mathematik und Physik

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Schließlich führte Jacquin das Medizinstudium von Löwen bzw. Leiden 1748 über Rouen nach Paris, wohin er – wohl nach Unterbrechungen seines Studienaufenthaltes alldort und erneutem Studium in Leiden – 1751 nochmals zurückkehrte und nur kurz bis 1752 verblieb.475 Es war durchaus üblich, dass Studenten nicht ein ganzes Curriculum an einem Ort absolvierten und ihr Studium abbrachen, ohne dass dies als Scheitern gewertet wurde. Jacquin hingegen war erpicht darauf, von Paris einen Abschluss nach Hause zu bringen. Das Scheitern seines ehrgeizigen Ziels jedoch war nicht einem intellektuellen Unvermögen, sondern den äußeren, familiären Umständen zuzuschreiben. Das Studium in Paris stand von Anfang an unter schlechten Auspizien. Jacquin, der von zwei seiner Schwestern begleitet wurde bzw. ihnen nachfolgte, konnte sich die Studiengebühren schwer leisten, besonders die Kosten der Promotion waren für ihn unerschwinglich. »Du weißt, mein Gronovius, was in meinem Kopf vorgeht. Entweder hätte ich allein oder überhaupt nicht nach Paris kommen sollen; aber Geschehenes kann man nicht nichtig machen, mir schafft es jedoch ein hohes Maß an Traurigkeit, weil ich eingesehen habe, dass sich jener Kostenaufwand für die Medizin-Promotion auf 3000 Holländische Gulden beläuft und dass der Mittellose kein Vorrecht oder keine Nachsicht hat, man muss entweder zahlen oder kann nicht promoviert werden. Das ist allzu wahr ; außerdem werden 28 Prüfungen geboten, sehr streng, und dann hast Du den Titel eines Professor erlangt, denn hier hat ein Doktor nicht die Befugnis wie bei uns; zu lehren [eine Lehreinheit zu führen] ist nur Professoren erlaubt, unter denen welche sind, die jährlich 300 000 Französische Gulden einstecken [verdienen], und es gibt keinen

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zunächst an der Universität Duisburg, dann ab 1723 in Utrecht und ab 1739 in Leiden. Als Erfinder der Leidener Flasche und Experimentator genoss er Weltruf. Hieronymus David Gaubius (1705–1780) zählte zu den wenigen aus Deutschland berufenen Professoren in Leiden und wurde Boerhaaves Nachfolger auf dem Lehrstuhl für Chemie. In der Literatur wurde oft von zwei Personen ausgegangen. Es handelt sich jedoch nur um eine Person: Bernhard Siegfried Albinus (1697–1770), Sohn des berühmten Neurologen Bernhard Friedrich Albinus (1653–1721), Leibarzt des Kürfürsten in Brandenburg und zuletzt Professor in Leiden, folgte nach seinem Studium in Paris auf dem Lehrstuhl seines Vaters, der Anatomie und Chirurgie gelehrt hatte, und unterrichtete ab 1745 auch theoretische Physiologie. Adrian von Royen (1704–1779) unterrichtete als Professor der Botanik und Nachfolger Boerhaaves ab 1732 an der Leidener Universität. Er arbeitete während Linn8s Aufenthalt an einer Flora Leidens (Flora Leydensis Prodromus), die 1740 erschien. ÖNB, HAD, Cod. Ser. n. 9755, siehe Edition. Diese Chronologie lässt sich aus seinen Briefen an Gronovius indirekt erschließen. Vgl. ÖNB, HAD, Cod. 12778. Zur Chronologie der ersten 20 Briefe:(1) Antwerpen, 18. 6. 1744 (2) Antwerpen, 17. 8. 1744 (3) Löwen, 22. 10. (1744?), (4) Löwen, 31. 12. 1744 (5) Löwen, 27. 12. 1747 (6) Löwen, 15. 1. 1748 (7) Löwen, 28. 7. 1748 (8) Paris, 18. 10. 1748 (9) Amsterdam, 31. 7. 1751 (10) Rouen, 2. 9. 1751 (11) Paris, 26. 9. 1751 (12) Paris, 30. 9.? (13) Paris, 29. 9. 1751 (14) Paris, 7. 1. 1752 (15) Paris, 11. 2. 1752 (16) Paris, 3. 4. 1752 (17) Paris, ?1752 (18), Wien, 20. ? 1752 (19) Wien, 4. 10. 1752 (20) Wien, 1.1. (1751), etc.

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einzigen, der im zweiten Jahr nach der Promotion nicht 10000 Gulden zustande bringt.«476

Die Promotionsgebühren waren nahezu an allen Universitäten sehr hoch, dennoch bestanden zwischen den Lehrorten beträchtliche Unterschiede betreffend der finanziellen, aber auch inhaltlichen Anforderungen, über die wir in Jacquins Briefen konkrete Informationen finden können. Laut seinem Bericht bot die Gestaltung der Studien in Paris anfänglich große intellektuelle Hürden, die hohen Kosten schlugen sich dann am Ende des Studiums zu Buche: »Glücklich wäre ich also zu preisen, wenn ich an diesen Grad [des Magisters] herankommen könnte; sehr unglücklich, der ich, bis es mir durch Begabung und Mühsalen erlaubt sein sollte, jetzt unter dem Druck der Armut nichts weniger zu hoffen wage. Glaube mir, es gibt kein anderes Land, wo man solche Schätze so leicht erwerben kann, in jeder beliebigen Wissenschaft, wenn Du diesen Grad erreicht hast; aber der Anfang ist schwierig.«477

Über die von den Leidener Prinzipien unterschiedliche Vorgangweise der Förderung wie auch der Selektion in Paris berichtet uns Jacquin Folgendes: »Auch werden in jeder Wissenschaft recht stattliche jährliche Preise vergeben; wenn die zu lösenden Fragen vorgelegt werden, kann aber niemand darauf Anspruch erheben, der nicht den ersten Grad in den Wissenschaften erlangt hat, der eben 100 Gulden kostet. Diese Prüfung besteht in der Vorlage von Fragen in reinem Latein, der Prozedur [Anstrengung] müssen sich alle unterwerfen, die promoviert werden wollen. Die Prüfung besteht in der Vorlage von Fragen in reinem Latein, die aus jedem Wissensgebiet stammen, also wird der Arzt etwas aus dem Recht gefragt, der Rechtsgelehrte aus der Medizin, der Philosoph aus der Theologie, nicht weil es notwendig wäre, die Fragen zu lösen, sondern damit sie sehen, dass du einen gebildeten Verstand hast und im Lateinischen geübt bist. Die zwei Fragen, die im nächsten Jahr im August in gewähltem Latein vorgelegt werden, sind folgende: I. Arbeit und Vergnügen, von Natur aus sehr verschieden, haben dennoch einen großen Zusammenhang. II. Ob die Leute nützen 476 Jacquin an Gronovius, Paris, 13. Brief, 29. November 1751, ÖNB, HaD, Cod. 12778, fol. 14r/v: »Scis, mi Gronovi, quid cogitem? Aut solus aut nunquam Parisios fuisset mihi eundum, verum facta, refecta fieri nequeunt cumulum autem tristitiae mihi affert, quod intellexi illud sumptus in Promotionem Medicam quatuor millia florenorum Batavorum excurrere, nullamque habere pauperem praerogotivam aut veniam, est solvendum vel non promovendum; haec nimis vera sunt, examina dantur praeterea viginti octo, severissima, et tum titulum es adeptus Professoratus, etenim non licet Doctori, quales apud nos sunt, hic practicum agere licet tantum Professoribus, inter quos hic sunt, qui per annum trecenta millia florenorum Gallicorum lucrentur, nec ullus est, qui non secundo etiam Promotionis anno decem millia florenorum conficiat.« 477 Jacquin an Gronovius, Paris, 13. Brief, 29. November 1751, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 14r/v: »felicem igitur me, si ad hunc gradum possem aspirare, infelicissimum contra nunc, qui penuria premente, dum per ingenium laboresque liceret, nil minus audeo sperare; crede mi, nulla datur terra, ubi tantos thesauros comparare facillime potes, in quavis scientia, modo hunc es gradum assecutus; initium vero arduum est.«

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oder schaden, die Einführungen in die Wissenschaften machen und abgekürzte Wege lehren, und darum werden über diese Fragen verfasste Abhandlungen in Niederschrift übergeben, die beim Lesen eine halbe Stunde nicht überschreiten dürfen. Geheimgehalten wird dabei der Name des Verfassers, den er auf einem versiegelten Zettel beifügen muss. Wer als vorzüglichst beurteilt wird, dessen Zettel wird geöffnet und der Name bekanntgegeben, die Zettel der übrigen werden uneröffnet verbrannt. Es können aber nur jene solche Auszeichnungen erlangen, die bereits Magistri Artium genannt werden, und es ist das der erste Grad, von dem ich eben gesprochen habe. Mehr sage ich über die Studien nicht, vielleicht werde ich bei späterer Gelegenheit ausführlich schreiben.«478

Der Nachweis eines hohen Bildungsgrades und der eloquenten Handhabung der Lateinkenntnisse waren Jacquin selbst sehr wichtig. Aber kehren wir nochmals zum Phänomen der peregrinatio academica zurück. Die akademisch bedingte Bewegung durch einen Teil Europas war nicht für jeden Studenten finanziell leistbar, für die Konstituierung einer Karriere allerdings unabdingbar. Mit ihr ergab sich eine der wenigen Gelegenheiten, bekannten Professoren und bedeutenden Gelehrten persönlich zu begegnen. Erst infolge eines unmittelbaren Kontaktes konnte man sich einem außerordentlichen Lehrer zeitlebens verbunden fühlen. Die Viten der Gelehrten sind voll der Bezüge zwischen den Lehrern und Schülern und der Hinweise, bei wem jemand studiert hatte bzw. auch, wer welche bedeutenden Schüler hervorgebracht hatte. So zog Herman Boerhaave, Medizin- und Botanikprofessor in Leiden, als Pionier des klinischen Unterrichts Studenten aus ganz Europa an, die sich in der Folge auch als Schüler des berühmten Mannes deklarierten. Johann Georg Zimmermann beschrieb dies im Jahre 1755 in seiner Würdigung Albrecht von Hallers folgendermaßen: »Sein [Boerhaaves] Hörsaal war die Pflanzschule der europäischen Aerzte, der neuangekommene Haller zählte in demselben über hundert 478 Jacquin an Gronovius, Paris, 13. Brief, 29. November 1751, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 14r/v: »praemia etiam annua dantur in scientia qualibet satis ampla; cum quaestiones solvendae proponuntur, verum nullus huc adspirare postest, nisi primum gradum in scientiis adeptus sit, qui constat 100 flor(enorum). Hoc tentamen omnes subire debent, qui cupiunt hic promoveri, consistit illud in propositione quaestionum in latino sermone puro, quae omnis sunt scientae, ergo medicus rogabitur aliquid ex jure, iuris peritus ex medicina, philosophus ex theologia, non quod necesse sit has solvere, sed ut videant, nunc ingenium habeas aptum et latine calleas. Quaestiones, quae altero anno mense augusti proponentur duae, in elegantia latina sunt sequentes: I. Labor et Voluptas natura diversissima, in studiis habent tamen magnam conjunctionem. II. An prosint an noceant, qui in litteris introducent et doceant vias compendiarias. et quare scripto traduntur dissertationes super his quaestionibus compositae, quae dimidium horae legendo non debent excedere, compresso nomine authoris, quod addere debet in parva schedula sigillo munita; qui primus tum est judicatus, ejus aperitur schedula, nomenque publicatur, ceterorum schedulae clausae conburuntur. Nullus autem ad talia praemia concurrere potest nisi qui sic dicuntur Magistri Artium, estque ille primus gradus, de quo modo dixi. Plura de studiis non dico, forte postea occasionem nactus plurima scribam.«

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und zwanzig Zuhörer, vierzig waren Engländer, zwanzig Deutsche, die übrigen Holländer, Nordländer und wohl auch Griechen.«479 Zwischen 1701 und 1738 studierten bei Boerhaave über 1900 Studenten, die zu fast 40 % aus englischsprachigen Ländern kamen.480 Eine Studienwanderung hatte auch die Funktion, Freundschaften zu knüpfen und den akademischen Bekanntenkreis auszuweiten. Viele Netzwerke fanden hier ihren Ausgang und hielten sich über Jahrzehnte. Leider ist über Jacquins Beziehungen aus der Pariser Zeit kaum Quellenmaterial erhalten, durch welches konkrete Aussagen über die Ausweitung seiner Verflechtungen erlaubt sein würden. Bei solchen Begegnungen waren Empfehlungsschreiben unverzichtbar.481 Sie knüpften an bestehende Verbindungen eines Mentors an, in dessen Struktur ein vielversprechender Neuankömmling treten konnte. Auch diesbezüglich haben wir für Jacquin keine Belege, allenfalls wären Vermutungen anzustellen, dass sich die Leidener Lehrer, die er persönlich kannte, der Botaniker Adrian von Royen (1704–1779), der Anatom Bernhard Albinus (1697–1770) oder der Chemiker Hieronymus David Gaubius (1705–1780) für Jacquins Fortkommen in Paris engagierten. Jedenfalls ist später der Briefkontakt mit Glaubius belegt.482 Und Gaubius wird über den Mittelsmann Laurens Theodor Gronovius auch ein Exemplar des »Hortus Vindobonensis« ankaufen.483 In seiner größten finanziellen Not wandte sich Jacquin von Paris aus an einen Freund der Familie, Gerard van Swieten, der seit 1745 als Leibarzt und Reformer des Studienwesens an den Wiener Hof geholt worden war. Van Swieten reagierte äußerst bereitwillig auf Jacquins Hilferuf und bot ihm die Möglichkeit an, sein Studium in Wien zu beenden. Dies erfahren wir aus einem Brief Jacquins, in dem er seinem Freunde Jacobus Gronovius sehr erleichtert von der Möglichkeit eines Studienwechsels von Paris nach Wien erzählte: »Aber höre jetzt und spitze Deine Ohren! Worüber ich Dir früher erzählt habe, das ist jetzt endlich eingetreten. Ich hatte an den hochberühmten Herrn van Swieten geschrieben und ihm meinen sehr üblen Zustand geschildert, heute habe ich von ihm eine Antwort erhalten, eine freilich noch bessere, als ich zu hoffen gewagt hatte. Er schreibt 479 Johann Georg Zimmermann, Das Leben des Herrn von Haller (Zürich 1755), 51. 480 Vgl. Heinz Schneppen, Niederländische Universitäten (1960), bes. 13ff. 481 So schreibt Albrecht von Haller in Frankfurt am Main sein Tagebuch: »Hier wurde ich bekannt mit Herrn Dr. Burggraven, einem jungen und gelehrten Medico, […] Von demselben empfing etliche nützliche Adressen in Holland. Überhaupt habe ich in meinen Reisen darinn gefehlet, dass ich nicht genugsam damit versehn, auch in Aufsuchung gelehrter Leute sehr schläfrig gewesen.« – Zit. bei Erich Hintzsche, Heinz Balmer (Hg.), Albrecht Hallers Tagebücher (1971), 29. 482 Ein Brief ist an der Universitätsbibliothek Leiden (B P L 1886) erhalten: Gaubius an Jacquin, 20. November 1778. 483 Laurens Theodor Gronovius an Jacquin, Brief, 1770, NHM, AfW, Mappe 6 (1770–1772).

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mir : ›Komme nach Wien, ich werde Dich zum Arzt ausbilden und Dich unterstützen; für alles, was Du nötig hast, werde ich sorgen, nichts wird Dir fehlen.‹ Glaubst Du also, dass ich zuwarten darf, nachdem ich so wohlwollend von einem Mann eingeladen worden bin, der dort sozusagen alles imstande ist? Natürlich gab es für mich nichts Angenehmeres als jenen Brief. Ich werde mich daher auf die Beine machen und erst noch Vorkehrungen für meine Schwestern treffen. Ich nehme mir vor, etwa zu Maibeginn aufzubrechen; sage, bitte, über diese Reise kein Wort der Meinigen!«484

Da Jacquins Schwestern ebenfalls in Paris lebten, musste er sich erst um deren Versorgung kümmern, bevor er dem großzügigen Angebot van Swietens Folge leisten und nach Wien aufbrechen konnte. Die Anreise von Paris nach Wien dauerte insgesamt sechs Wochen; Ende Juni kam Jacquin in Wien an. Diese Reise wurde in der biographischen Literatur als Fußwanderung beschrieben, nahezu immer wird sie als solche erwähnt. »Daher machte er diese seine erste Reise, von Paris nach Wien, nicht auf der gewöhnlichen Strasse, sondern er durchstrich auf Nebenwegen die Gebirge, und kam mit einer reichen Ausbeute von Pflanzen im Jahre 1752 in Wien an,«485 so in der handschriftlich erhaltenen Biographie, der Vorlage für alle weiteren Narrationen. Von einer durchgehenden Fußwanderung kann aber nicht die Rede sein, denn Jacquin nützte auch diesmal – wie schon zuvor etwa bei seinen Studienreisen – für Teilstrecken die billigste und schnellste Form der Fortbewegung, die Schiffswege. Das geht aus seinen Briefen hervor. In diesem Punkt stellt sich die Frage, ob nicht für die späteren Rückbezüge die Vorstellung der peregrinatio academica derart suggestiv wirkte, womit diese als Wanderung beschrieben und aus dem Bezug zu einem später so erfolgreichen Forscher sogar zur botanischen Exkursion in die Gebirge umgedeutet wurde. Hier geht es nicht um den Beweis, dass diese Dokumente nicht als wahre Aussagen gelten können. Vielmehr interessiert deren Wirkung. Ihr Sinn soll erläutert werden. Jacquin betritt die Bildfläche seines neuen Wirkungsortes in Wien eigentlich als Medizinstudent, der sich außerdem für die Botanik interessiert. Es ist noch nicht der Jacquin, als der er uns bereits nach seiner Karibikreise begegnet. Als reisender Botaniker wird er jedoch schon hier, aus der Expost-Sicht, memoriert, in einer Aktivität, die erst später sein Tätigkeitsfeld bestimmen wird. In den Briefen an Gronovius jedoch, die unmittelbar in der Zeit 484 Jacquin an Gronovius, Paris, 16. Brief, 2. April 1752, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 18r/v : »Verum audi nunc et arrige aures; de qua re tibi dixi in superioribus meis, succesit id tandem; scripseram ad Clariss[imum] virum van Swieten atque statum indicavi miserrimum meum, hodie ab illo responsum accepi, sane majus, quam ausus eram sperare. Scribit mihi, Viennam veni, ego te medicum faciam, faveo tibi, omnia necessaria tibi procurabo, nil deerit; num expectandum mihi censes tam benevole invitato a viro, qui ibi, ut ita dicam, potest omnia: sane amicius litteris illis nihil potuit, ibo igitur et prius sororibus providebo, constituo ire circa initium mensis Maji: nihil dicas de hoc itinerere tl ]l^ [= e eme].« 485 ÖNB, HAD, Cod. Ser. n. 9755, fol. 7, siehe Edition.

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selbst geschrieben wurden, finden wir keinerlei Hinweise auf Abstecher ins Gebirge um der Pflanzen willen. Jacquin beschreibt in diesen seine Reise im Sinne einer klassischen Bildungstour. Er war durch die Champagne nach Lothringen gekommen, wo er das prächtige Anwesen des ehemaligen Königs Stanislaus von Polen, des nunmehrigen Fürsten von Lothringen, besichtigte. Diese Routenwahl war nicht zufällig erfolgt, denn er besuchte den Herkunftsort des Kaisers, Franz Stephans von Lothringen, den Dienstgeber seines Mäzens van Swieten. In Straßburg zeigte sich Jacquin sehr angetan von der Mentalität der Bewohner, die ihm höflicher und gebildeter erschien als die Deutschen, aber ehrlicher als die Franzosen. Die Tatsache, dass Katholiken und Protestanten hier mit gleichen Rechten ausgestattet nebeneinander lebten, war ihm als zu berichtendes Faktum wichtig. Auch das dortige Gefängnis erregte seine besondere Aufmerksamkeit. Von Straßburg ging es nach Schwaben. In Ulm faszinierte Jacquin die Tracht der Frauen, die er mit Faschingskostümierungen verglich. Die Eigenart sah er im Umstand gegeben, dass die Kleidung lediglich aus schwarzen Stoffen bestand, aber mit reichem Schmuck und weißen Krägen und Hauben ergänzt worden war. Der letzte Abschnitt der Reise von Ulm nach Wien erfolgte per Schiff und dauerte drei Tage. Alle diese Beobachtungen teilt er seinem Jugendfreund gleichen Alters, Gronovius, mit, nicht zuletzt auch deshalb, weil die Reise Teil seiner studentischen Sozialisation bildete. Sie zeigt die Ambivalenz dieses sozialen Mediums als zwischen Professionalität und Privatem486 situiertes Handeln.

III. 3. Emotionale Orientierung: das Entstehen einer »unversiegbaren Leidenschaft« »Diesen seinen Freund [dem Cousin Jakobs, Laurens Theodor Gronovius], einer der ersten Schüler Linn8’s, während seines Aufenthalts in Holland, auf seinen Exkursionen in Leyden und in den botanischen Gärten begleitend, fiel ihm, der im Universitätsgarten eben zum ersten Mahle blühende Costus speciosus (noch lange danach in den Gärten für C. arabicus gehalten) wegen ihrer Schönheit so auf, daß er sich den schweren botanischen Character mit Aufmerksamkeit von seinem Freunde vordemonstriren ließ. Das war der Feuerfunken, der seine unversiegbare Leidenschaft für diese Wissenschaft zündete; von diesem Augenblick verwandte er sich darauf beinahe ausschließlich; und in Folge dessen denn auch auf Medizin.«487

Was hier mit rückblickenden Worten des Sohnes über seinen Vater Nikolaus Joseph Jacquin memoriert wird, könnte als Evidenzerlebnis gedeutet werden. 486 Vgl. W. Clark, Charisma (2006), 259. 487 ÖNB, HAD, Cod. Ser. n. 20235, fol 1.

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Für dieses Phänomen sind Psychologie, Religionswissenschaft und viele andere Disziplinen, Philosophie mit eingeschlossen, von Belang. Nach Aristoteles bedarf eine intuitiv erworbene Einsicht, die von einem Evidenzerlebnis ausgehen kann oder von ihm begleitet wird, keiner weiteren Rechtfertigung mehr. »Unmittelbare Einsicht in das Gegebene mit der Gewißheit der Richtigkeit,«488 so definiert es kurz ein Psychologisches Wörterbuch. Ein Evidenzerlebnis bildet zeitlich und ursächlich einen generativen Kern, aus dem alles Weitere herauswächst, aus ihm sprießt, sich erklärt. Einem solchen sind besondere Charakteristika eigen. Das Phänomen bezieht sich nur auf einen Augenblick,489 in dem der »Feuerfunken« der Begeisterung entfacht wird. Es trägt Ereignischarakter. Eine Entscheidung auslösende Einsicht überfällt eine Person. Sie bildet eine Art Erleuchtung, die über das Individuum plötzlich hereinbricht und die nicht, wie dem Erwerbungsprozess von Wissen ansonsten inhärent, mühevoll erarbeitet werden muss. Das Ereignis passiert einfach, es ist vorbestimmt. Entscheidend ist der Faktor der Unausweichlichkeit. Eine Erleuchtung kann nicht willentlich oder zwanghaft herbeigeführt werden, sondern widerfährt einem Individuum. Sie gestaltet sich ähnlich einer Offenbarung oder einer Bekehrung im religiösen Leben. Während aber bei der Offenbarung Gott als Lenker des Geschehens gedacht wird und bei der Bekehrung ein missionierendes Mitglied einer Glaubensgemeinschaft in Aktion tritt, fehlt der personale Bezugspunkt bei der Eingebung völlig. Ein auslösender Gedanke, eine Idee oder eine plötzliche Erfahrung, für die der Betreffende nicht haftbar gemacht werden kann, ist da und bringt das Gefühl von subjektiver Stimmigkeit hervor. Von diesem Beginn kann sich der Betroffene nicht befreien, er wird ihn sein ganzes Leben als bestimmend erinnern. Prospektiv und retrospektiv reglementiert das sein Lebensprogramm. Es könnten hier viele repräsentative Beispiele aus der Wissenschaftsgeschichte angeführt werden, in denen sich Wissenschaftler auf Evidenzerlebnisse berufen und damit eine Richtung ihres Forschungsansatzes biographisch verwurzeln. Geradezu exemplarisch berühmt ist Ernst Machs Aussage, in der er den Anfang seiner »Phänomenologie der reinen Empfindung« auf ein Evidenzerlebnis zurückführt: »An einem heiteren Sommertage im Freien erschien mir einmal die Welt samt meinem Ich als eine zusammenhängende Masse von Empfindungen, nur im Ich stärker zusammenhängend. Obgleich die eigentliche Reflexion sich erst später hinzugesellte, so ist doch dieser Moment für meine ganze Anschauung bestimmend geworden.«490 (Siehe Abb. 16) 488 Friedrich Dorsch, Psychologisches Wörterbuch, ed. Werner Traxel (Hamburg / Bern 1970). 489 Vgl. Allgemein zum Phänomen Augenblick: Susanne Ledanff, Die Augenblicksmetapher (München 1981). 490 Zitiert nach Manfred Sommer, Evidenz im Augenblick. Reine Phänomenologie der reinen Empfindung (Frankfurt am Main 1987), hier Suhrkamp Taschenbuch 1991, 205.

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Ein Evidenzerlebnis ist ein konstituierendes Requisit der Selbst- und Fremdsetzung von Individuen, insbesondere von geistig arbeitenden Menschen, bei der die biographische Faktizität erfolgreicher Weges-Etappen durch eine Bekehrung festgelegt wird. Das plötzliche Ereignis löst bei dem, den es trifft, Handlungen aus, »durch die er sich den Sinn dieses sinnlosen Ereignisses zu erschließen trachtet.«491 »Jemand erinnert sich an etwas, das er früher einmal wahrgenommen hat. Während er sich erinnert, weiß er oder kann es, wenn er darauf achtet, jederzeit wissen, daß er damals wahrgenommen hat, und er, der sich erinnert, ein und derselbe sind.«492 Diese Erschließungsarbeit – manifestiert in einer Niederschrift – kann auch Jahre oder Jahrzehnte nach dem plötzlichen Ereignis erfolgen, so wie auch Nikolaus Joseph Jacquin dieses erst in der zweiten Hälfte seines Lebens seinem Sohn vermittelte. In der Rückblende gesehen, gewinnt das Evidenzerlebnis deshalb weiter an Stärke, weil es sich inversiv bestätigt. Es markiert den qualitativen Sprung, auf dem die Biographie ruht. Seit dem Ereignis der Bezauberung in dem Leidener Garten erwachte in Jaquin seine Leidenschaft für die Botanik, die er bald als Begabung verstand. So kommt er in dem Vorwort seines 1763 publizierten Werkes, der Beschreibung amerikanischer Pflanzen, selbstsicher auf seine Bestimmung als Botaniker zu sprechen, die er für eine Gegebenheit hält, indem er sie bereits auf »Begabung« zurückführt: »Weil es trotzdem noch unzählige Dinge gibt, die man zur Vollkommenheit der Botanik vermisst, soll jeder Botaniker, der den Nutzen für die Allgemeinheit im Auge hat, verhalten sein, zu deren schnellern Erkenntnis entsprechend seinen Kräften und der gebotenen Gelegenheit beizutragen. Daher habe auch ich, indem ich meiner Begabung folgte und die seltene Gelegenheit dazu nützte, daran gedacht und mich verpflichtet gefühlt, einen Beitrag zur Vermehrung der gepriesenen Kunst zu leisten.«493

Zu Costuspflanzen hatte Jacquin ein ganz eigenes Verhältnis (Abb. 20). Bereits auf dem Titelblatt seines zweiten Werkes ziert ein hübsches Titelkupfer mit dem Spruchband »Selectarum Stirpium Americanarum Icones« den 2. Teil der Publikation. Umrankt von karibischen Pflanzen findet sich die Alpinia spicata (= Costus spicatus (Jacq.) Sw.) in der rechten Ecke platziert.494 Sein Werk »Se491 Sommer, Evidenz (1987), 205. 492 Sommer, Evidenz (1987), 245. 493 Eigene Übersetzung des Vorwortes: Nikolaus Joseph Jacquin, Selectarum Stirpium Americanarum Historia (1763), Praefatio »Quam tamen, quae desideratur ad rei Herbariae perfectionem, supersint innumera; ad hanc accelerandam contribuere pro visibus dataque occasione teneatur publicae utilitatis amans quisque Botanicus; hinc etiam ego, secutus genium meum, raraque ad hunc usus opportunitate, conferre aliquid cogitavi et debui in artis laudatae ampliationem.« 494 Bilderklärung unten von links nach rechts: Passiflora, Echites, Utricularia, Bignonia oder Solanum etc. (Siehe Abb. 20).

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lectarum« eröffnet er nicht zufällig mit der Beschreibung der Alpinia spicata. Außer der eingangs zitierten (auto)biographischen Notiz ist uns noch ein weiterer ausdrücklicher Beleg bekannt, mit dem Jacquin dieser Bedeutung Ausdruck verleiht:495 Den ersten Band seines Prachtwerkes, der »Icones«,496 in dem er 648 Tafeln Pflanzen in kolorierten Kupferstichen widmet, eröffnet er mit dem Bild des Costus arabicus L.

Abb. 16: Jacquins Lieblingspflanze: »Alpinia spicata« (Costus spicatus Jacq.), (N. J. Jacquin, Selectarum Stirpium Americanarum Historia, 1763, Taf. 1)

Aus dem Blickwinkel der Taxonomie gesehen, ist diese Anordnung durchaus epistemisch begründet, denn nach der an Linn8s System angelehnten Reihenfolge gehört die Gattung des Costus tatsächlich in die erste Gruppe des Sexualsystems. Freilich standen viele andere Pflanzen auch zur Wahl, jedoch wählte Jacquin einzig sie aus. Welch ein Zufall, könnte man ironisch einwenden, dass 495 Lack erwähnt auch dieses Phänomen: Walter H. Lack, Ein Garten für die Ewigkeit. Der Codex Liechtenstein (Bern 2000), 51. 496 Nikolaus Joseph Jacquin, Icones Plantarum Rariorum (Wien 1781–1795), 1. Bd. 1781.

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die Entstehung von Jacquins Faszination für die Botanik, eines Subjekts, biographisch mit der abgebildeten Pflanze innerhalb einer Taxonomie, dem Objekt, bezüglich der Anordnung einen gemeinsamen Beginn markiert. Die Leidenschaft scheint in der Natur symbolisch verankert zu sein. Diese Anfangsmetapher verstärkt sich des Weiteren aber noch als natürlich gegeben dadurch, dass sich das Evidenzerlebnis zu einem Zeitpunkt einstellt, an dem die Pflanze zum ersten Mal im Hortus Botanicus in Leiden blühte. Costusarten (deutsch Kostwurz) gibt es deren mehr als 100. Sie zählen zu der Ordnung der Zingiberaceen und sind tropisch krautartige Gewächse der Alten und Neuen Welt, die fleischig-knollige Wurzeln besitzen und große einfache Blätter, in Ähren stehende Blüten und dreifächerige Kapseln tragen. Die Art Costus speciosus (J. G. Koenig) Sm.,497 die in der eingangs zitierten Notiz zu Recht im selben Zusammenhang mit arabicus genannt wird, ist – im Bezug zu jenem Zeitraum, nämlich die 40er Jahre, auf die sie sich inhaltlich bezieht – erst später von Arabicusarten abgetrennt worden. Costus speciosus (J. G. Koenig) Sm., in Ostasien gedeihend, kann bis zu drei Meter hoch wachsen, bildet außerordentlich prachtvolle rötlich-weiße, oft wie mit rotfarbenem Reif bestreute Blüten und wird heute auch pharmazeutisch genutzt. Als Zierpflanze ist er derzeit sehr beliebt. »Radix Costi«, das schärfer als der Ingwer schmeckt, war schon in der Antike als Magenmittel sehr berühmt. Zedler konstatiert zwar den großen Bekanntheitsgrad der Wurzel, für die er drei nach dem Geschmack unterscheidbare Sorten anführt (arabicus,498 dulcis und amarus), jedoch zeigte er im Unterschied dazu eine große Unsicherheit bezüglich der die Droge liefernden Pflanze: »Das Gewächs diese Wurzel ist noch sehr unbekannt.«499 Für das berühmte wohlriechende in der Kosmetik und Medizin eingesetzte Costus-Wurzel-Öl gibt das Lexikon sogar eine Rezeptur preis. Zu erwähnen ist, dass Jacquin einige Arten der Costusfamilie,500 die auch heute als anerkannt gelten, in der Folge neu beschreibt, Costus spiralis (Jacq.) Roscoe und Costus spicatus (Jacq.) Sw., die Ährige Kostwurz (Abb. 17).501 Beziehen wir uns nochmals auf den oben schon zitierten biographischen Text. Deutlich wird, dass Jacquin sich nicht aufgrund sachlicher Erwägungen zur 497 Kreppingwer, Spiralingwer; Syn. Banksea speciosa, Costus formosanus Nakai. 498 Das Epitheton »arabicus« bezieht sich in dieser Zeit natürlich nicht auf die Art, sondern auf das berühmte Heilmittel, das jedoch von einer anderen Pflanzenfamilie, den Korbblütlern (Astereaceae, Saussurea costus, Aplotaxis lappa, Theodore costus etc.) gewonnen wurde. 499 Johann Heinrich Zedler, Grosses vollständiges Universal-Lexikon 2 (Halle 1732). Faks. Neudruck (Graz 1961), 6. Bd., 1444. 500 Von den westindischen Formen Costus spiralis (Costus cylindricus Jacq., aus Brasilien) benützt man im 18. Jahrhundert die Früchte zum Schwarzfärben der Tinte. 501 Synonyme: Costus cylindricus Jacq., Alpinia spicata Jacq., Costus stenophyllus Standl. & L.O. Williams, Costus tappenbeckianus J. Braun & K. Schum.

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Abb. 17: »Alpinia spiralis«, Alpinia spiralis Jacq., Costus spiralis (Jacq.) Roscoe (Kolorierter Kupferstich auch im Horti Schoenbrunnensis, Taf. 1, 1797)

Botanik hingezogen fühlt, sondern aufgrund einer emotionalen, gleichsam mystischen Erfahrung. Entscheidend ist – so die Narration – dass Leidenschaft evoziert wird, die mit »Aufmerksamkeit«502 einhergeht. Letzterer Begriff ist zu historisieren, um nicht eine gegenwärtige Selbstverständlichkeit unkritisch auf die Vergangenheit zu übertragen. Konzentrierte Aufmerksamkeit ist ein Gewaltakt der Selbstdisziplinierung und Fremddisziplinierung zugleich und nicht zuletzt deshalb ein viel beachtetes Phänomen aller Anthropologien der Aufklärung und der Zeitgenossen Jacquins. Man ist als Beobachter oder Zuhörer dazu verdammt, für eine Zeitspanne völlig unbewegt zu stehen oder zu sitzen, in einer Pose zu verharren, zu schweigen und den Blick auf das Zentrum des Geschehens zu richten: »Aufmerksamkeit ist die Wirkung unseres Verstandes, nach welcher er sich bemühet, eine Sache auf das allergenaueste zu empfinden. 502 ÖNB, HAD, Cod. Ser. 20235, fol 1.

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Wenn man also etwas aufmerksam betrachten will, so muß man seine Sinne von allen übrigen Dingen abziehen, und sie einzig allein auf das vorgenommene Objektum wenden,«503 definiert Zedler ganz allgemein. Man lenkt bewusst die eigene Aktivität. Die Strategie verhindert eine allfällige Zerstreuung. Diese bewusste Steuerung der Aktivität lässt die eingangs zitierte Stelle mit dem Anblick einer wunderbaren Pflanze beginnen. Es sind also zwei Faktoren, aus denen sich das Evidenzvorkommen generiert und weshalb es so erfolgreich ist: Die Reizauslösung erfolgt durch die Attraktivität der Pflanze, und Aufmerksamkeit erweist sich als entscheidende Praxis des Protagonisten. Das Evidenzerlebnis adelt sich immer als scharfe Scheidelinie, die ein klares Vorher und Nachher definiert. Vorher lernen wir Jacquin als Studenten mit einem ausgeprägten philologischen Interesse kennen, nachher als einen, der sich der Botanik als einem weiteren neuen Gebiet »mit unversiegbarer Leidenschaft« zuwendet. Die Praxis der Aufmerksamkeit weist jedoch über das Evidenzerlebnis hinaus, weil sie die tragende Säule für die forschungsgeleitete Tätigkeit darstellt. Ähnlich allgemein, im Sinne eines bewussten Bemühens, qualifizieren den Aufmerksamkeitsvorgang bereits Naturphilosophen des 17. Jahrhunderts. Ihnen geht es allerdings um die Unterscheidung des frivolen Amateurs vom ernsthaft arbeitenden Gelehrten, für den sie Aufmerksamkeit im Sinne von Sorgfalt als unerlässlich definieren, so Daston.504 Dauernde eindringliche Aufmerksamkeit dimensioniert wissenschaftliches Tun, das nur durch Neugier evoziert im Fluss gehalten werden kann. Diese erschafft den Akteur und das Objekt gleichermaßen. Die Neubewertung der Neugierde im 17. Jahrhundert hat, indem sie den Zusammenhang mit Fleiß herstellt, auch eine moralische Komponente. Als solche entfaltet sie wohl auch ihre Wirkmächtigkeit bis ins 18. Jahrhundert und kreiert den beflissenen Amateur, jenen Handlungstypus, gegen den sie eigentlich zunächst aufgerichtet worden ist. Jedoch hatte sich nun Jacquin in der Folge vom Amateur zum Experten ausgeformt; wir haben diesen Wandel bereits näher beleuchtet. Kommen wir aber nochmals zum Evidenzerlebnis zurück! Eine solche Eingebung bildet quasi ein mystisches Erlebnis, das bei Jacquin von der Attraktivität einer Pflanze verursacht wird. Die mittels Eingebung herbeigeführte Entscheidung für die Botanik muss sich bewähren, denn die Nennung der Initiation erweist sich stets eigentlich als begründungslose Entscheidung. Sie erklärt sich aus dem Evidenzerlebnis, abgeschwächt auch als Schlüsselerlebnis bezeichnet, mit dem etwas aufgeschlossen bzw. erschlossen wird. Es hat Mythosqualität. 503 Johann Heinrich Zedler, Grosses vollständiges Universal-Lexikon 2 (Halle 1732) Faks. Neudruck, 2. Bd. (Graz 1961), 2163. 504 Lorraine Daston and Katharine Park, Wonders and the Order of Nature 1150–1750 (New York 1998), bes. 311–328.

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Mythen haben die Funktion, einen Anfang zu machen, in ihm Ordnung zu stiften. Nach Ernst Cassirer ist der Mythos wie die Sprache oder Narration kein bloßer Reflex, sondern geistige Manifestation. Der entscheidende Punkt im Mythos sei als Denk- wie als Lebensform dessen »Indifferenz zwischen Subjektivem und Objektivem.«505 Dass Mythen zu den erfolgreichen Narrativen besonders auch in der Moderne gehören, ist einfach zu erklären, sie lassen sich nämlich eindrucksvoll nacherzählen. Kein Wunder also, dass sich Jacquins Initialerlebnis fast506 in jedem biographischen Artikel507 wieder findet. Dieses Detail ist gleich produktiv wie sein Konstrukteur Nikolaus Joseph Jacquin. Die weitere Ausformung ist jedoch von der jeweiligen Perspektive und dem Zeitkontext des Biographen abhängig. In einem der ersten publizierten Nachrufe dient die eingangs zitierte Stelle, auf der die Ausführungen beruhen, zu folgender Ausschmückung: »Ihn [Gronovius] begleitete Jacquin nicht selten auf seinen Pflanzenlesen um Leyden, und an einem schönen Sommermorgen auch in den öffentlichen Schulgarten [Botanischen Garten der Universität], wo eben der Costus speciosus (noch lange darnach in den Gärten für costus arabicus gehalten) zum ersten Male die ganze Pracht seines Blüthenkelches entfaltet hatte. Der Sammler griechischer Blumen des Genius stand entzückt vor diesem Kinde der Natur, und ganz Auge für die holde Gestalt, ganz Ohr für die Worte seines Freundes, den er gebethen hatte, ihm ihre allerdings schwierigen Kennzeichen anzugeben, verglich er mit einander, und je tiefer er beyde seiner Seele einprägte, desto mehr fühlte er sich ergriffen von gleicher Bewunderung für die Natur, welche ihr Wesen im unscheinbaren Worte fest halten, und mittelst Kunst auch Gestalt und Farbe verewigen könnte. Das war der Augenblick, der den zündenden Funken in Jacquin’s Seele warf, und jene hohe Leidenschaft für die Pflanzenkunde entflammte, die seinen Ruhm begründete.«508

Die Stelle belegt offensichtlich, wie einem Evidenzerlebnis die große Chance zukommt, ausgebaut zu werden, weil es an das Alltagsverständnis des Menschen appelliert. Von der Ausschmückung abgesehen, in der zeitgenössische Werte mit den Worten »Genius« und »Seele« ihren Ausdruck finden, deutet der Nachruf das Evidenzerlebnis etwas breiter, indem Aufmerksamkeit als Indiz für das Vermögen steht, die Verbindung von Wort und Bild (»Kunst und Gestalt«) herstellen zu können, eine Deutung, welche die ursprüngliche Niederschrift eigentlich nicht hergibt. Jedenfalls wird der Bezug auf Ruhm bereits der West505 Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen (1953), Bd. 2 (Darmstadt 1994), 10. 506 Eine frühe Ausnahme stellt der in der Flora erschienene Nachruf dar. Vgl. [Anonymus], Nekrolog. Nicolaus Joseph von Jacquin. In: Flora oder Botanische Zeitung 1 (1818), 22–28. 507 Wir möchten hier nicht alle Autoren komplett aufzählen, aber doch darauf verweisen, dass Stafleu (1980), Petz und Lack (2000) diese Geschichte nacherzählen. 508 [Anonymus], Biographien österreichischer Naturforscher. Jacquin. In: Oesterreichs Tibur (1819), 327.

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indienreise vorhergenommen. Für die Biographen ist die Pflanzenart nicht immer so zentral, weshalb sich auch später Fehler einschleichen, aus Costus wird »Cactus«509. Tatsächliche Belege, dass sich Jacquin schon vor der Wiener Zeit mit Pflanzen beschäftigte, haben wir zwar nur wenige, aber dennoch sind sie vorhanden. In einem Brief aus Paris schreibt Jacquin an seinen Freund Jakob Gronovius im Jahre 1752: »Bitte jenen, wenn Du an mich schreiben wolltest, dass er Dir drei oder vier Samen jener Kleynia510 genannten Pflanze gibt, die als zweijährige in seinem Garten beheimatet ist, Du kannst sie leicht dem Brief beilegen; oder hat sie vielleicht in meinem Gärtlein bei Agathe geblüt?«511 Ein Jahr zuvor war Jacquin auf dem Schiffswege von Amsterdam nach Rouen unterwegs gewesen und beklagte die gefährliche Fortbewegungsart: »Und drei oder vier Tage nach unserem Auseinandergehen denke daran, wenn Du in Deinem Garten sein solltest, dass dein Freund Nicolaus fern seiner Heimat auf hoher See herumirrt zwischen den Wellen und in Gedanken immer bei Dir und Deiner Familie ist.«512 Die wichtigsten Räume des Wissens, die botanischen oder kolonialen Gärten in Leiden, bildeten den Knoten eines entscheidenden Evidenzerlebnisses, dem Jacquin in seinen Werken auch symbolisch Platz gab. Leiden wirkte produktiv, was in einem eigenen Kapitel noch zu besprechen sein wird.

III. 4. Gesellschaftliche Orientierung: der Höfling und sein Mäzen Voraussetzung für die folgenden Ausführungen ist die Überlegung, dass sich der soziale, kulturelle oder auch berufliche Aufstieg einer Persönlichkeit nicht aus sich heraus und nicht alleine auf der Basis von hervorragenden Leistungen erklären lässt, sondern dieser in einem gesellschaftlichen Umfeld erfolgt, dessen strukturelle Bedingungen es bei einer komplexen Analyse zu berücksichtigen gilt. Auf die Frage, wie es Nikolaus Jacquin als junger Student ohne spezielle Qualifikationen dennoch gelingt, jene blendende Karriere zu erleben, die sich 509 Dieser Fehler taucht erstmals auf in: Johann Samuel Ersch und Johann Gruber, Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste (1818) Ausg. 1837, 2. Section, Theil 14, 56 (Stichwort Cactus). 510 Kleynia: Kleinia nerifolia, oleanderblättrige Kleinie, auch Affenpalme genannt. 511 Jacquin an Gronovius, Paris, 15. Brief, 11. Feber 1752, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 17r/v : »pete ab illo, si ad me litteras des, ut tibi det tria quatuorve semina, illus plantae Kleyniae dictae, quae in horto suo biennis habitat. Poteris facile litteris includere: aut forte in hortulo meo apud Agatham floruit.« 512 Jacquin an Gronovius, Amsterdam, 9. Brief, 31. Juli 1751, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 9r/v : »et tres quatuorve dies post discessum nostrum cogita, cum in horto fueris tuo, e regione eius aut catvici [?] in vasto mari inter undas Nicolaum tuum vagari tui domusque nequaquam immemorem.«

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durch seinen direkten Kontakt zum Wiener Hof manifestiert, indem er für die vom Kaiser finanzierte Forschungsreise ausgewählt wird, geben uns verschiedene zeitgenössische Quellen übereinstimmend einen Hinweis auf die zentrale Figur, auf Gerard van Swieten (Abb. 15). In Jacquins eigenem Rückblick heißt es dazu knapp zusammengefasst: »Während dieser Zeit erhielt er von van Swieten, einen alten Freund seiner Familie, die Einladung nach Wien zu kommen, um an der neuorganisirten medizinischen Schule sein Studium zu vollenden.«513 Raimann, der erste Biograph Jacquins, memoriert ebenfalls diese Tatsache: »Dieser junge Mann ist Jacquin, den der unvergessliche Freyherr Gerard van Swieten, seines väterlichen Hauses alter Freund, von Paris berufen hatte, um an der umgeformten Anstalt für Heilkunde seine Studien zu vollenden, und dann selbst sein Nachfolger in Amt und Würden zu werden.«514 Gerard van Swieten nimmt somit – nach Jacquins (bzw. dessen Sohn) eigener Aussage – eine zentrale Rolle als dessen Förderer ein. Er ist es, der seinem »Landsmann« Jacquin das Sprungbrett für eine spätere gedeihliche Laufbahn in Wien bereitet, indem er ihn zunächst zur Fortsetzung des bereits in Paris begonnenen Studiums in Wien ausdrücklich ermuntert. Er selbst ist nur wenige Jahre zuvor, 1745, von Maria Theresia nach Wien berufen worden. Welche Bedeutung Jacquin persönlich van Swietens Rolle zuschreibt, offenbart uns ein bisher in der Jacquin-Forschung noch nicht analysierter515 Brief,516 den der junge Student aus Paris im Jahre 1752 an seinen Mentor schreibt, nachdem er auf sein Bitten eine Einladung zur Studiermöglichkeit nach Wien erhalten hat. Jacquin bezeichnet van Swieten in diesem Brief dezidiert als »Bester Mäzen, Schirmherr des erbarmungswürdigen Schützlings.«517 Diese Wortwahl führt uns zu einem sozialgeschichtlichen Phänomen, welches anhand dieser Quelle ausführlich erörtert werden mag. Solange die uns heute bekannten selbstverständlichen modernen Selektionskriterien für einen Karriereweg bestehend aus akademischer Bewährung und institutioneller Absicherung noch nicht existieren, spielt das Patronage-Wesen einen seit der frühen Neuzeit noch immer entscheidenden Faktor im Formierungsprozess vorinstitutioneller Wissenschaft.518 Patronage ist ein soziales Medium der Mobilität. Patronage ist zudem ein weit verbreitetes soziales System, 513 ÖNB, HAD, Cod. Ser. n. 9755, fol. 4, siehe Edition. 514 Raimann, Rede (1818), 13. 515 Eine Stelle daraus wurde von Petz übersetzt und publiziert: Petz, Nikolaus Jacquin (2003), 498. 516 Jacquin an Gerard van Swieten, Brief, Paris, 15. Mai 1752, ÖNB, HAD, Autograph 13/77–1, siehe Edition. 517 Ebda. 518 Mario Biagiolis Buch hat uns wichtige Anregungen für die folgende Analyse gegeben. Auf eine weitere Zitierung wird hier verzichtet. Siehe Mario Biagioli, Galilei (1999), bes. 377ff.

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das nicht nur das soziale Gebaren als hierarchiebildendes Element an Höfen und anderen Gebilden fungiert, sondern auch über den Status von Wissenschaftlern entscheidet und die Kommunikation zwischen ihnen bestimmt. Sie dient dem Patron, seine eigene Stellung mittels einer von ihm abhängigen Personengruppe aufzubauen, seine Macht zu erhalten und zu festigen. Dafür scheint uns Gerard van Swietens Wirken in Wien ein besonderes Beispiel zu sein, wobei wir dies nicht in allen Facetten ausführen können. Es geht uns um die Erklärung von Jacquins Laufbahn. Die Institution der Patronage setzt ein für alle Beteiligten verbindliches Verhalten voraus, das nach akzeptierten Werten und in einer als Gesellschaftsformation kanonisierten Ordnung gestaltet wird. Die Befolgung dieser ungeschriebenen Gesetze rechtfertigt das Vertrauen in die Individuen, die solchermaßen die Partizipation an den sozialen Eliten haben, ja zu solchen selbst werden können. Solche Beziehungen sind durch gegenseitige Treue, Vertrauen und Affekte charakterisiert. Sie erweisen sich als potenziell instabil, da sie von anderen Faktoren gestört werden können. Sie begründen sich durch zunächst einseitige Protektion, die vom Klienten durch entsprechende Leistung entgegnet werden muss. Patronage baut auf Loyalität, sie schafft auch Verpflichtungen, denen sich beide Seiten nicht entziehen können. Lebendig sind solche Abhängigkeiten durch stetige Bewährung beider Seiten, besonders aber der Klienten, die sich für die Förderungen durch vielerlei »Gaben« beim Patron zu bedanken haben, um sich der bleibenden Gunst zu versichern. Patronage ist kein starres System, sondern ein durchaus vitales, das ständiger Aktivierung, Investition und Versicherung bedarf. Schauen wir aber trotz dieses Befundes auf einen einzigen Moment der Beziehungsanbahnung, die wir durch den Brief Jacquins authentisch nachvollziehen können. Die Strategie, mit der sich der junge Jacquin seines Förderers versichert, ist durchaus originell. Er bedient sich eines wohlklingenden in elegischen Distichen verfassten lateinischen Briefes, was vermutlich dem elitären Geschmack seines klassisch gebildeten Förderers entspricht. Damit ist die Form – zumindest in Bezug auf den Rezipienten gesehen – konventionell. Darin konzentriert sich symbolisch der Dank für die Einladung nach Wien. Gleichzeitig deutet Jacquin an, wie sehr er die Position seines »Herrn« adäquat zu würdigen vermag, wenn er dessen beruflichen Prestigegewinn richtig einzuschätzen weiß: »Ruhmreicher Herr, unübertreffliche Zierde des Bataver-Stammes, und jetzt Hoffnungs(träger) und Höhepunkt (Spitzenpersönlichkeit) des österreichischen Landes,« so eröffnet Jacquin seinen an van Swieten adressierten Brief, der sich auf Jacquins Einladung bezieht: »Das Schriftstück, das du mir

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neulich von des Caesars Gestaden schicktest, willkommen gelangte es in meine Hände.«519 Der finanzielle Ruin seines Vaters begründet Jacquins Notfallsituation, die van Swieten als Freund der Familie erkennt, was Jacquin seinerseits gegenüber diesem als bemerkenswert betont. »Haben also meine Unannehmlichkeiten Deinen Sinn gerührt? War also mein Schicksal würdig Deiner Obsorge?,«520 fährt Jacquin in seinem an van Swieten gerichteten Dankesbrief fort und gibt damit zu verstehen, dass der Zeitpunkt für die Gunstbezeugung, die »Obsorge« seines Förderers, den er als »einen hochherzigen Mann« mit »Pflichtgefühl« schätzt, für diesen ideal sei. Implizit erinnert Jacquin damit daran, dass sich die Tat nicht nur für den Klienten, sondern auch für den Mentor lohne. Van Swieten selbst werde durch das Vorgehen, so die Einschätzung Jacquins, sich selbst »zu einem noch größeren Werk treibe[n].«521 Die Gunst erhöht also nicht nur den Klienten, vielmehr eigentlich den Patron. Indem sich Jacquin der Apotheose »der ganze Erdkreis hat für mich nichts Wertvolleres als Dich!«522 bedient, betont er nachdrücklich, dass er über keinen anderen Patron verfügt. Die Einzigartigkeit des Verhältnisses ist von Seiten des Klienten klarzustellen. Diese Notwendigkeit gründet sich in der Option, dass das Band zwischen Schüler und Lehrer noch ausbaufähig ist. Wenn einmal der Schüler erwachsener sein wird, kann er mit seinem Status und seiner Macht dem Schirmherrn qualitativ besser dienen. Erst dann wird sich die Reziprozität des Systems einstellen. Der zeitliche Verzug zwischen Gabe und Gegengabe ist konstitutiv für die Interaktionsform. Noch ist sich Jacquin aber durchaus bewusst, dass er zum Zeitpunkt der Briefniederschrift seinem Dank nicht die der Sachlage adäquate Stimme verleihen könne: »Einen dieser großen Gabe würdigen Dank abzustatten, das liegt nicht in meiner Macht, edler Herr,«523 sondern in jener eines milden Gottes, schreibt er. Das ist ein Beleg, dass Jacquin das Funktionieren des Verhältnisses prinzipiell, aber sensibel und realistisch einzuschätzen vermag. Gleichzeitig verweist Jacquin auf das sichere Fundament der Beziehung. Es ist die räumlich idente Herkunft beider und die »gemeinsame Gesinnung« sowie die von Jacquins Seite aus bestehende Motivation, »einen dieser großen Gabe würdigen Dank abzustatten,« was nicht zuletzt wegen Jacquins noch untergeordneter Position »nicht in [s]einer Macht«524 stehe, wie er ausdrücklich versichert. 519 Jacquin an Gerard van Swieten, Paris, 15. Mai 1752, ÖNB, HAD, Autograph 13/77–1. Edition, eigene Übersetzung. 520 Ebda. 521 Ebda. 522 Ebda. 523 Ebda. 524 Ebda.

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Die Klientelbeziehung verweist auf die Zukunft, in der sie erfüllt werden kann. »Gib alldem nur, dass ich mich um Dich verdient machen kann,«525 so hofft Jacquin, damit die Aufrechterhaltung der Patronage gewährleistet ist. Immerhin scheinen »sanfte und rechtschaffene Veranlagung«, Vermeidung von »Untätigkeit« und die Bereitschaft für »Arbeit«526 nach Jacquins in seinem Brief bezeugter Selbsteinschätzung die Garanten für die Patron-Klient-Beziehung zu bilden, die Mühe des Patrons zu rechtfertigen. »Deine Überzeugungskraft« ist »Führerin und Begleiterin meines Weges!«,527 so versichert Jacquin seine Rolle im Unterwerfungsakt, der noch eine weitere Steigerung erfährt: »Während ich aber in gehöriger Form meine Aufgabe zu erfüllen versuche, gib Du meinem Vorhaben mit freundlicher Miene Deine Zustimmung!« Das ist eine Bitte um Gunst, die im Versprechen Jacquins gipfelt: »Ich werde Dir nicht von der Seite weichen, ich werde am Mund des Lehrenden hängen.« Diese Haltung mündet letztlich im Glück des Patrons: »O wie sehr würde ich es wünschen, schon jetzt die ersehnten Augen meines Schutzherrn dreifach glücklich sehen zu können!«528 Mehrmals in diesem Brief spricht Jacquin van Swieten als seinen »Herrn«, seinen »Mäzen« und sogar als seinen »Schutzherrn« an. Die rhetorische Gestaltung und die eindeutige Patronagesprache, deren Aussagekraft in der Patronage-Forschung oft auch schon kritisch betrachtet worden ist, indem ihr die Rolle des direkten Bezugs zur Realität abgesprochen wird, besticht hier. Die Möglichkeit einer Diskrepanz zwischen Wort und Tat wird in der Literatur derzeit heftig diskutiert. Rhetorik heißt allerdings die Kunst der Überzeugung mit sprachlichen Mitteln. Eine solche Ansprache ist – wie wir es hier hermeneutisch analysieren können – jedenfalls mehr als eine Etikette des Anstandes, des formelhaften Stils. Vielmehr dokumentiert sie eine Kulturform, die sich durch beides, Handeln und Sprache, manifestiert. Ob Aufrichtigkeit oder Unaufrichtigkeit, ob ein Schleier oder eine Manipulation festzustellen ist, wie es in der Forschung moniert wurde, das ist unseres Erachtens nicht das Problem. Vielmehr geht es um Geltungsansprüche, die artikuliert werden und die bezogen auf formale Bindungen wirksam sind. Die Förderung Jacquins durch van Swieten ist übrigens Beweis genug, dass die formelhafte Rhetorik reale Konsequenzen nach sich zieht. Van Swietens Rolle besteht darin, ein hierarchisches Patronageverhältnis zu konstituieren, in dem Jacquin sich ausformen kann. Bezeichnend für das Patronagekonzept, das auf die Zukunft ausgerichtet ist, klingt auch Jacquins Abschlusssatz des Briefes: »Indessen vergiss nie Deinen 525 526 527 528

Ebda. Ebda. Ebda. Ebda.

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Schützling, hochberühmter Mäzen, und lebe lang und wohlauf!«.529 Weil Jacquin weiß, dass er nicht sofort dem Angebot van Swietens, nach Wien zu kommen, Folge leisten kann, muss er auf die Zukunft verweisen. Im Raum steht die aussichtsreiche Förderung Jacquins durch van Swieten, einen Mann, der sich in Wien in kürzester Zeit eine wichtige Position zwischen dem Machtzentrum des Wiener Hofes und der Universität geschaffen hat, zweier Felder, die sich in einem Umbruch befinden. Noch etwas kommt hinzu, die Rolle des Staates, der sich als dritter Faktor erweist. Van Swieten stellt die Brücke zwischen allen Machtinstanzen her. Und keineswegs, wie oft fälschlich in der Sekundärliteratur beschrieben, findet Jacquin von sich heraus den direkten Kontakt mit Kaiser Franz Stephan in Schönbrunn, sondern als Klient eines Mannes mit einer durchaus starken Position. Der verkürzte Bezug taucht bereits in der Darstellung des Ego-Dokumentes auf und wird in der Sekundärliteratur auch öfters unkritisch wiederholt. Jacquin selbst gibt sich hier das Bild des Botanikers, der über den wichtigsten Wissensraum, den Garten in Schönbrunn, seinen bedeutungsvollen Weg findet, wenn er (bzw. sein Sohn) memoriert: »Sein Aufenthalt in Paris sowohl als seine ersterwähnten botanischen Streifzüge von dort nach Wien trugen vorzüglich bei, ihm die anschaulichste und genaueste Kenntniß der Pflanzenkunde zu gewähren, und so war es ihm auch möglich in Wien ein raisonirendes Verzeichniß der damaligen Flora des kais[erlichen] botanischen Gartens in Schön/brunn zu liefern; er brachte auch zur selben Zeit seine meisten Stunden in diesem von Kaiser Franz I. (unter Leitung des Gärtners Steckhoven) erst geschaffenen Garten zu. Dort lebte er ganz unter den Erzeugnißen der organischen Welt, die seinen stillen sanften Neigungen so sehr zusagte. Das vorzüglichste Verdienst bei Entwerfung dieses Pflan/zenverzeichnißes bestand aber unstreitig in dem grossen Ruhme, zum erstenmale in den österreichischen Staaten das Linneische Sexualsystem (welches damals noch so viele Gegner fand) bekannt gemacht, und bei dieser Gelegenheit auch zugleich schon in praktische Anwendung gebracht zu haben. Da sich Jacquin zu diesem Behufe den größten Theil des / Tages im botanischen Garten aufhielt, so konnte es nicht fehlen vom Kaiser bemerkt zu werden, und als dieser später auf die Idee gerieth von Westindien aus den Garten in Schönbrunn zu bereichern, so fiel seine glückliche Wahl auf den jungen Jacquin, welcher diese Gelegenheit seine Kenntniße im Pflanzenreiche zu erweitern mit leidenschaftlicher Liebe ergriff. »530

Das oben angeführte Pflanzenverzeichnis ist archivalisch nicht nachweisbar, was nicht heißt, dass es nie entstanden ist. Es ist auch nicht publiziert worden, weshalb wir die obige Andeutung nicht verifizieren können. Tatsache ist, dass der Holländische Garten in Schönbrunn zu diesem Zeitpunkt nicht öffentlich 529 Ebda. 530 Joseph Franz Freiherr von Jacquin, Biographie des Nikolaus Jacquin, ÖNB, HAD. Cod. Ser. n. 9755, fol. 11–14.

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zugänglich ist. Dass aber Jacquin durch seine Beziehung zu van Swieten und nicht zuletzt auch durch seine Herkunft bei dem aus Leiden stammenden Gärtner Steckhoven zunächst noch offene Türen findet, ist durch Briefe belegt. »Als ich am 20. ankam, war ich von der Reise so erschöpft, dass ich glaubte, es nicht mehr fertigzubringen, zu meinem Mäzen hinzugehen. Ich ruhte mich an diesem Tag aus und gönnte meinem Körper eine Erholungspause. Inzwischen erfuhr ich, dass jener (der Mäzen) nicht in Wien ist, sondern dass er sich auf seinem Landgut531 nahe Schönbrunn aufhält, welches eine kaiserliche Residenz ist, wo die Kaiserfamilie im Sommer lebt, ungefähr zwei [Wegeinheiten oder Zeiteinheiten] von Wien entfernt. Am folgenden Morgen verließ ich um die 8. Stunde die Stadt, gelangte zu seinem Haus und traf ihn an, während er sich den Studien widmete. Ich kann Dir gar nicht ausdrücken, mit welchen Zeichen von Freundschaft und Menschlichkeit ich aufgenommen wurde, ich möchte nur sagen, dass jener alle meine Erwartung bei weitem übertroffen hat. Er hat nur ein paar Worte mit mir gewechselt, weil er bei seiner Lektüre bleiben wollte; mir bot er ein Buch an, damit ich mir so die Zeit vertreibe; und weil ich ja mit ihm selbst ein (Gabel-)Frühstück einnehmen sollte, ging ich in einen anderen Raum. Sobald ich mich dort eine halbe Stunde aufgehalten hatte, trat eine ältere Dame, seine Gattin, mit ihrer Tochter, einem allerliebsten Mädchen, ein. Ich kann nicht sagen, wie großzügig und wie freundlich ich von diesem empfangen wurde; die restliche Familie war nicht anwesend. Nach dem Imbiss bestieg ich zusammen mit dem Mäzen eine Kutsche; in die Stadt zurückgekehrt, betrat ich sein Haus, welches ein Teil eines stattlichen Gebäudes ist, nämlich der kaiserlichen Bibliothek; wie großartig und wie königlich diese ist, kannst Du Dir nicht vorstellen. Ein Wohnraum war für mich schon vor zwei Monaten vorbereitet worden bei dem Mann, der damals sein Diener532 war, als er in diese Länder zog. Und dieser hat nun auch eine Anstellung in der Bibliothek (wie Goedval in Leiden), was aber hier viel ehrenvoller und nutzbringender ist; er trägt jetzt sogar ein Schwert und geleitet den Herrn, nicht unverdienterweise. 27 Jahre war er alt, als er hierher kam, und wie die Diener in unserem Land ein guter Mann, aber ungebildet, doch jetzt – Du wirst staunen – spricht er sehr gut und fein außer der Muttersprache Latein, Französisch und Deutsch; auch im Griechischen und in anderen Sprachen ist er nicht gänzlich ungebildet und sogar in den Wissenschaften bewandert. Geheiratet hat jener eine Frau aus Brüssel, er hat schon ein fast zweijähriges Mädchen. Er wohnt in nächster Nähe meines Mäzens, und so befinde ich mich in einem von allen Seiten umschlossenen Areal, wo kein anderer wohnt, so wie unser Herr Gaubius in der Akademie logiert. Übrigens zahlt mein Mäzen Lebensunterhalt und Wohnraum; die Bücher, welche ich will, verlange ich, seine ganze eigene Bibliothek steht mir zur Verfügung. Er hat angeordnet, dass mir eine Kleidung angefertigt wird, völlig neu und wie ich sie bisher noch nicht getragen habe, und nicht nur die Kleidung, sondern alles vom Scheitel bis zur Sohle, mit einem Wort: Alles was ich brauche und verlange, zahlt er. Und damit ich dennoch, sagte er, nicht ganz ohne Geld dastehe, werde ich auch dafür sorgen, und er 531 Gemeint ist das so genannte Kaiserstöckl: 1751 hatte Maria Theresia die so bezeichnete Schleifermühle erworben und an deren Stelle ein Haus für ihren Leibarzt van Swieten errichten lassen. 532 Cornelius Schonenbosch war der Diener.

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drückte mit zwei Dukaten in die Hand, als ich fortging. Weiters versprach er, dass ich, sofern ich tauglich sei, den ersten Posten, der in der Medizin frei sei, haben werde und dass er mich wie einen Sohn behandeln werde, sofern ich nur seine Erwartung erfülle. Ich könnte wohl noch mehr über die Angelegenheit schreiben, aber die Zeit drängt; später ausführlicher. Wie zufrieden ich bin, kannst Du wohl aus dem Gesagten erkennen. Es steht nicht im Wege, dass Du das »der Meinigen« mitteilst. Ich bitte, mein Gronovius, antworte mir schnell und recht ausführlich, sowohl was Du, einzigartiger Freund, treibst, als auch, ob ›die Meinige‹ sich tapfer benimmt und mich, wie sie es zu tun pflegt, weiterhin liebt! Ich höre nicht auf, sie mir vor Augen zu stellen, um es mit einem Wort zu sagen, sie von ganzen Herzen zu lieben. Sie soll sofort an mich schreiben, soll keine Angst wegen des Briefes haben, er wird mir auf direktem Weg übergeben werden. Wenn Du an mich schreiben solltest, wirst Du vorher gewisse Zahlungen in Leiden leisten müssen, wie ich dasselbe auch hier machen muss; sei also eifrig dahinter, sonst würde das Schreiben nicht versandt werden. Ebenso schreibe ich heute an meine Schwestern wie auch an meinen Nachbarn. Agatha kannst Du dieses Schreiben, soweit es passend ist, erläutern; später werde ich persönlich an sie (schreiben).«533

Van Swieten wird bis zu seinem Tod als Mäzen wirksam sein. Er ist es, der Jacquin Zeit gibt, dass er nach seiner Karibikexpedition seine Publikationen verfassen kann, und er lässt ihm dafür den Freiraum. Da Jacquin sich gegen einen Arztberuf ausspricht, dauert es noch, bis ein adäquater Posten für ihn gefunden wird. In der Monarchie ist man sehr an der Optimierung der Montanindustrie interessiert, Pläne zur Verbesserung des Unterrichts des Bergwesens werden forciert. 1764 geht daraus die höhere Bergwesen-Lehranstalt in Schemnitz hervor, die 1770 zur Bergakademie erhoben wird. Aber dies ist schon ein Vorgriff, wir befinden uns noch im Jahre 1762, wo Pläne für das montanistische Unterrichtswesen gesammelt werden. Thaddäus Peithner, leitender Beamter im Böhmischen Oberst-Münzmeisteramt, verfasst ein Memorandum, welches in der letzten Instanz auch die Zustimmung der Kaiserin erfährt. Graf Herberstein, der Präsident der Hofkammer, bekommt den kaiserlichen Auftrag, sich einen genauen Plan von Peithner ausarbeiten zu lassen. Diesen erweiterten Entwurf lässt Herberstein van Swieten zur Begutachtung zukommen und erbittet dessen Bewilligung. Der chemisch-naturwissenschaftliche Teil findet bei van Swieten keinen Gefallen, da auch von Wundern im Erdinneren die Rede ist. Keineswegs will van Swieten ferner diese für den Staat so wichtige Ausbildungsschiene bei Verankerung an den Universitäten in Händen der Jesuiten sehen, welche die Universitäten noch dominieren.534 533 Jacquin an J. Gronovius, 18. Brief, Wien, 20. Juli 1752, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 20r. 534 Vgl. ÖStA, FHKA [Finanz- und Hofkammerarchiv], MBW [Münz- und Bergwesen], rote Nr. 225, 20. XII. 1762, fol. 50; zit. nach Oberhummer : Die Chemie an der Univ. Wien (1965), 149f.

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Für diese Stelle wird nun Jacquin von van Swieten vorgesehen. Jacquin, der nach seiner Rückkehr von Amerika im engen Kontakt zu dem Leiter des Botanischen Gartens Robert Laugier gestanden ist, holt sich Rat bei diesem bezüglich des oben angeführten Angebots, um seine Gehaltsbedingungen adäquat formulieren zu können. Nach seinem am 13. Jänner 1763 verfassten Promemoria535 hält er eine Jahresbesoldung für 2000 Gulden angebracht, da seine zukünftige Professur für Chemie und Metallurgie der Professur für Chemie und Botanik des Prof. Laugier entspreche, ja sogar im Arbeitsumfang jene sogar zweimal übertreffe. Da Laugier auch über zwei freie Quartiere verfüge, fordert auch Jacquin ein freies Quartier, drittens wünscht er, auch so wie Laugier, vierteljährlich alle Unkosten der Experimente abrechnen zu dürfen, und viertens die Bewilligung von Diäten bei seinen Kontrollfahrten von einer Bergstadt in die andere. All diese Forderungen kann Jacquin selbstbewusst stellen, da ihm noch vorteilhaftere Angebote von russischer Seite gemacht worden sind, eine Tatsache, die Herberstein auch der Kaiserin schriftlich mitteilt. Ferner ist er sich des Wohlwollens seines Mäzens sicher. Am 15. Mai 1763 wird der Kaiserin die Annahme dieser Forderungen empfohlen, sie bewilligt alles und fügt noch handschriftlich hinzu: »Ich begenehmige [!] das Einrathen [!], doch ist dem Jacquin miteinzudingen, dass er ein tüchtiges Subjectum so er aus seinen Schülern auswählen kann, nachziehen solle. Im übrigen ist diese Anordnung, so wie es mit jener des Peitner in Böhmen geschehen, zu publiciren, und aus einem jeden Lande, wo der Bergbau betrieben wird, ein- oder einige Practicanten zur Lehre an den ernannten Jacquin anzuweisen. Maria Theresia.«536 Dies ist ein wichtiger Zusatz, da zukünftig praktisch kein Bergbaupraktikant eine Anstellung bekommen sollte, der nicht vorher die Bergschule zu Schemnitz besucht und die Prüfungen dort abgelegt hat. Die Zahl der Anwärter auf Bergbeamtenposten, Praktikanten oder Expikanten genannt, wird allerdings limitiert und nach ständischer Zugehörigkeit unterschieden. Interessant ist auch, dass schon bei Jacquins Bestellung an einen Nachfolger gedacht wird. Es ist zu vermuten, dass van Swieten weiß, wie sehr Jacquin sich für Botanik interessiert und deshalb auch eine solche seinen Interessen adäquate Stelle für ihn im Auge hat. Wie privilegiert Jacquin bezüglich seines Salärs behandelt wird, zeigt die Berufung des Grazer Jesuiten Nikolaus Poda von Neuhaus (1723–1798), der für den neugeschaffenen Lehrstuhl für Mechanik und Hydraulik in Schemnitz nur mit 200 Gulden Remuneration abgespeist wird, da Poda als Jesuit anderwärtig versorgt scheint.537 Schon einen Monat später, am 535 FHKA, MBW, rote Nr. 235, fol. 430–432. 536 Vgl. FHKA, MBW, rote Nr. 235, 13.VI. 419–21. 537 Siehe dazu: Gustav Faller, Gedenkbuch der hundertjährigen Gründung der k. ung. Bergund Forstakademie in Schemnitz 1770–1870 (Schemnitz 1871), 8f. und Helmut W. Flügel,

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9. Juni 1763, wird Jacquin zum Professor des praktischen Bergwesens und der Chemie in Schemnitz ernannt. Und auch während seiner Zeit dort wird van Swieten seinem Schützling Jacquin stets Sonderrechte zukommen lassen, wenn es beispielsweise um eine Beurlaubung538 geht. Erst nach diesen Jahren der Bewährung wird Jacquin nach Wien 1768 als Professor der Botanik und Chemie an die Medizinische Fakultät geholt. Und wieder ist es van Swieten, der dafür gesorgt hat, dass sein Klient in die Kaiserstadt zurückkommen kann und seiner Karriere an der Wiener Universität nichts mehr im Wege steht. Jedoch gibt es bei aller Fürsorge van Swietens auch ihre Schattenseiten, die von Außenstehenden durchaus wahrgenommen werden. So sieht Alexander Kölpin (1731–1801) in einem Brief an Linn8 die Rolle van Swietens sehr kritisch: »Zu Wien ist Hr. Prof. Jacquin zurückgekommen aus Ungarn, er findet wenig Beyfall [1766!], der tyrannische van Swieten drückt alles nieder. Laugier ist Prof. Bot. im Kayserlichen Garten, ein Schüler Jusseeus [!] und gut, ohne Beyfall.«539 Mäzene können mitunter auch ihren Eigensinn entwickeln. Für Jacquin ist es ein besonderer Glücksfall, einen solchen Förderer und bei Hofe über einen so hoch angesehenen Mäzen zu verfügen. Van Swieten steht für die Reform, die er ohne die Gruppe seiner Klienten (Haen, Crantz, Störck, Steckhoven etc.) nicht durchsetzen hätte können. Jacquin ist innerhalb dieses Kreises bald einer der Wichtigsten. Spätestens nach dem Tod van Swietens 1772 wird Jacquin sein eigenes Klientelsystem aufbauen, dem wir uns in einem weiteren Kapitel zuwenden werden.

Poda und die mineralogisch-paläontologische Sammlung der Jesuitenuniversität Graz von 1766. In: Joannea – Mineralogie 3 (2006), 61. 538 Zu den Beurlaubungen im Bestand des Hofkammerarchiv, Münz- und Bergwesen: siehe Marianne Klemun, ›Wissen im Gepäck‹: Reisendes Bergpersonal zwischen den Bergbauorten in den habsburgischen Ländern (1765–1814). In: Staat, Bergbau und Bergakademie. Montanexperten im 18. und frühen 19. Jahrhundert, hg. von Hartmut Schleiff und Peter Konecˇny´ (= Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte – Beihefte, Stuttgart 2013, Bd. 223), 75–91. 539 Kölpin an Linn8, 8. Juli 1766 (L 3732), The Linnaean correspondence, www.linnaeus.c18.net.

Abb. 18: Hofbibliothek, erster Wohnort Jacquins (J. D. Huber, Die Kaysl.-Koenigl. Haupt- und Residenz-Stadt Wien vom Jahre 1769, Wien [1778], Detail)

IV.

Orte des Wissens: Leiden – Wien – Karibik – Schemnitz

Die Orte Leiden, Wien und Schemnitz wie auch die Inselwelt der Karibik wollen wir zunächst in ihrer physisch-geographischen, politischen und gesellschaftlichen Rolle vorstellen (Abb. 18, siehe vorige Seite), um den Kontext für Jacquins jeweiligen Handlungsraum zu erklären. Dabei geht es uns vor allem auch um kulturelle Zuschreibungen, die mit diesen Entitäten verknüpft wurden.540

IV. 1. Leiden: Zentrum der Kolonialbotanik und des Buchdrucks »Il semble que tous les hommes c8lHbres dans la R8publique des Lettres s’y sont rendus pour la faire fleurir, depuis son 8tablissement jusque’/ nos yours,«541 so halten Diderot und d’Alembert in ihrer Encyclop8die den intellektuellen Ruf der Stadt Leiden 1765 fest. Ein Bündel unterschiedlicher Faktoren bewirkte ihre Attraktivität: wirtschaftlicher Reichtum, koloniales Know-how, relative Toleranz gegenüber allen Konfessionen und die Offenheit gegenüber neuem Wissen. »Leyden in’s besondre scheint mit Fleiß zum Nuzen der Lernenden bequem gemacht sein. Man lebt in völliger Freyheit und geht unangefochten im Schlafroke durch die Straßen,«542 beschrieb der junge Student Albrecht Haller die Offenheit dieser Stadt, in die ein reger intellektueller und materieller Austausch eingebettet ist. Als Zentrum von Druckereien wurde Leiden bereits seit dem 17. Jahrhundert von jenen Autoren bevorzugt, die anderswo konfessionell oder politisch verfolgt 540 Wir folgen hier einer methodischen Ausrichtung, welche auf den Folgen des spatial turns beruht. Siehe dazu bes.: Doris Bachmann-Medick, Spatial Turn. In: Doris BachmannMedick, Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften (Hamburg 2014), 284–328. Einführend auch wichtig: Martina Löw, Raumsoziologe (Suhrkamp TB Wissenschaft 150, Frankfurt am Main 2001), bes. 158f. 541 Denis Diderot & d’Alembert, Encyclop8die ou Dictionnaire raisonn8 des sciences, des artes et des metiers (Neufchatel 1765), Tom. IX, col. 451, Artikel »Leyden«. 542 Erich Hintzsche, Heinz Balmer (Hg.), Albrecht Hallers Tagebücher (1971), 31.

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worden wären. Was die Buchproduktion anbelangt, konnte sich Leiden bald mit den diesbezüglich wichtigsten Städten Europas, mit Paris und Leipzig, messen. Toleranz und Geschäftstüchtigkeit boten Vorteile für die in Leiden weilenden Gelehrten: »Weil ich eben von Büchern schreibe, so fält [!] mir ein, dass an keinem Orte der Welt so viel Leute von Büchern leben als in Leyden. Ganze Straßen sind voll Buchhändler und alle Winkel voll Druckeryen,«543 – notierte Albrecht von Haller rückblickend seine Eindrücke bezüglich der Vorzüge Leidens 1727. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass Carl Linn8 ebenfalls in Leiden seine ersten bedeutenden Werke zum Druck brachte: »Systema naturae« (1735), »Methodus juxta« (1736), »Critica botanica« (1737) und »Genera plantarum« (1737). Sie stellen jene Schriften dar, welche die Botanik der Folgezeit in Theorie und Praxis maßgeblich international bestimmen sollten. Der Schwede Carl Linn8 kam in die Niederlande, um hier sein bereits in Lund absolviertes medizinisches Studium – wie viele andere Studenten aus dem Ausland – mit einem Abschluss zu krönen. Dies wurde ihm auch sofort ermöglicht. Aber darüber hinaus zog ihn die bedeutende Kolonialmacht wegen ihres hervorragenden Rufes in der Botanik an. Als noch unbekannter Autor – bepackt mit vielen unfertigen botanischen Manuskripten – betrat er 1735 dieses Land, mit zehn Druckwerken sollte er es drei Jahre später als zukunftsweisender Botaniker verlassen. Er stieß mit seinen Spezialkenntnissen in Leiden und Amsterdam sogleich auf große Beachtung bei den an beiden Orten wirkenden Botanikern, bei Herman Boerhaave (1668–1738), Jan Frederik Gronovius (1686–1762), Adrian von Royen (1704–1779) und Johannes Burman (1706–1779). So zögerte Boerhaave nicht, Linn8 Hans Sloane (1660–1753), dem großen Liebhaber und Kenner der Pflanzenwelt, mit dem er schon seit langem in Verbindung stand, zu empfehlen: »Linnaeus delivers this letter to you; he is especially worthy to see you, also worthy to be seen by you: who sees you together shall see a couple the like of which the entire world will hardly ever see again. Learn to know the man as I know him: you shall deign him worthy of your friendship, also worthy to reveal your treasures to. »544

Während seines Winteraufenthaltes in Leiden 1737/1738 fand Linn8 nicht nur einen großartigen Förderer in dem über alle Maßen als Lehrer geschätzten Herman Boerhaave, sondern auch in Jan Frederik Gronovius, dem Vater von Laurens Theodor Gronovius, einem Initiator der Drucklegung, und im Schotten 543 Erich Hintzsche, Heinz Balmer (Hg.), Albrecht Hallers Tagebücher (1971), 39. 544 Brief Boerhaaves an Hans Sloane, Leiden 18. Juli 1736; abgedruckt in: G. A. Lindeboom (Hg.), Boerhaave’s Correspondence, Part 1 (Leiden 1962) 198f: »Linnaeus has Tibi tradit, unice dignus Te videre, dignus a Te videri; qui vos simul videt, cernet hominum par, cui aliud simile, orbis vix dabit. Cognosce hominem, quem cognovi, dignum censebis amicitia, dignum, cui thesauros Tuos aperias.«

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Isaak Lawson einen Finanzier seiner Publikationen.545 Intellektuelle und materielle Förderung gingen hier Hand in Hand, wie auch Kolonialismus und Wissenschaft sich hier ineinander verschränkt entwickelten. Am Beispiel von Linn8s Arbeit wurden sie wissenschaftshistorisch wirksam, die Sekundärliteratur kennt diese Wege der Vernetzung des botanischen Wissens bereits zur Genüge.546 Hier sind sie dennoch zu erwähnen, um Nikolaus Jacquins Wirken einordnen zu können, denn auch er, der in Leiden Geborene, gab sein erstes botanisches Werk, die »Enumeratio« (1760), nicht zufällig in Leiden bei Haak, jenem Drucker heraus, der bereits durch Linn8s Werke in botanischen Kreisen einen Ruf erlangt hatte. Jacquin hätte die Drucklegung nicht in Wien vornehmen lassen können, da zu diesem Zeitpunkt, im Jahr 1759, der Wiener Verleger Kraus allerdings noch wegen der geplanten Pflanzenabbildungen Jacquin die Bedingung gestellt hatte, es zunächst noch bei einem anderen Verleger zu probieren, weil er sich auf den kostspieligen Druck von Pflanzenabbildungen nicht einlassen wollte. Auch konnte er den Bucherfolg eines Anfängers nicht einschätzen.547 Deshalb griff Jacquin auf seine alten Beziehungen in Leiden zurück und vertraute seine erste Publikation »Enumeratio« umso lieber diesem renommierten Verlag Haak in Leiden an, weil damit auch die Kontrolle der Drucklegung durch Laurens Theodor Gronovius (1730–1777), den Cousin seines Jugendfreundes Jacobus, gewährleistet war. Die seit 1575 bestehende Universität Leiden wies ihre Stärken allerdings nicht nur in der international beachteten Medizin oder Botanik auf, auch in der humanistischen Philologie, der protestantischen Dogmatik, dem Kartesianismus, der Newtonrezeption. Und besonders in der Orientalistik bewies sie eine außerordentliche Qualität infolge der in diesen Fächern wirkenden Professoren. Die hohe Wertschätzung der klassischen Philologie in Verbindung mit Kaufmannstüchtigkeit als Charakteristikum der holländischen Elite-Kultur wurde bereits an anderer Stelle erläutert.548 Sie wirkte sich auch bei der Drucklegung von Linn8s Werken wie auch später von Jacquins Erstlingsschrift549 zu einem Vorteil aus. Zur Exzellenz der Universität in den neuen Feldern der Aufklärung trugen spezifische Wissensräume bei, die noch nicht zur Selbstverständlichkeit jeder 545 William T. Stearn, The Influence of Leyden on Botany in the Seventeenth and Eighteenth centuries. In: The British Journal for the History of Science, Vol. 1, Nr. 2 (1962), 137–159; hier bes. 154f. 546 Vgl. Frans A. Stafleu, Linnaeus and the Linnaeans. (1971), bes. 8–12. 547 Jacquin erläutert dies in einer seiner späteren Publikationen. Siehe Nikolaus Jacquin, Animadversiones Quaedam in Henrici Johannis Nepomucensis Crantz Fasciculos Stirpium Austriacarum. In: Collectanea, Vol. 1, VI (1786), 365–386. Siehe Edition. 548 Siehe Kap. III. 1. 549 Nikolaus Joseph Jacquin, Enumeratio (Leiden 1760).

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Universität zählten, die Sternwarte, das Theatrum anatomicum und vor allem der botanische Garten. Der botanische Garten der Universität in Leiden zeigte bereits am Ende des 17. Jahrhunderts eine Veränderung seines anfänglichen Aufgabenfeldes im Vergleich dazu, wie er seit dem 16. Jahrhundert als Hortus medicus an vielen anderen Universitäten Europas schon existiert hatte.550 Er wandelte sich von der medizinisch-pharmakologischen Demonstrationseinrichtung sukzessive zum exotischen, von einseitig pharmazeutischen Nutzungsfragen unabhängigen artenreichen Lehrgarten. Entsprechend der Ausdehnung der Stützpunkte der niederländischen Handelskompanien präsentierte sich in dem Leidener Garten die Flora jener Regionen der Welt, die unter den Einfluss der Kolonialmacht gekommen waren: In den ersten Jahren enthielt der Garten nur europäische Pflanzen, von 1600–1620 kamen asiatische hinzu, von 1620–1680 nordamerikanische, von 1680–1712 Sukkulenten aus Südafrika. Zwischen 1675 und 1685 verdoppelte sich der Bestand auf 3000 Arten. 1720 wurden bereits deren 6000 kultiviert.551 Es sind die weltweit reichenden Handelsbeziehungen der Niederlande, welche diesen Artenreichtum ermöglichten. Die Kooperation zwischen Wissenschaft und Kolonialismus schien für Boerhaave zentral gewesen zu sein, wenn er in seinem »Index alter plantarum« ausdrücklich betonte: »Practically no captain, whether of a merchant ship or a man-of-war, left our harbours without special instructions to collect everyones seeds, roots, cuttings, and shrubs and bring them back to Holland.«552 Diese koloniale Komponente erkannte auch Albrecht von Haller wie auch Linn8 als Spezifität des Leidener Gartens: »Der Garten in Leyden ist an Raum klein, an Pflanzen der reichste in der Welt, wie dann in 6000 hier ernähret werden. Mehr als einmahl hat der Staat angestanden, etliche Straßen zu seiner Vergrößerung anzukaufen […]. Das schönste daran ist, dass alles nach einer künstlichen Ordnung eingerichtet ist, und ein fremder mit dem Boerhaavischen Verzeichnüß in der Hand alle Pflanzen an ihrer Ordnung und den bezeichneten Stäben erkennen kann.«553 Haller, der die Gelegenheit hatte, die botanischen Gärten in Paris, London und in manchen Städten des Römisch-Deutschen Reiches mit jenem in Leiden zu vergleichen, traf hier kein subjektives Urteil. Für an Pflanzen interessierte Studenten existierte in Leiden ein lebendes 550 Folgende Gärten wären zu nennen: Die ersten markanten Vertreter der botanischen Gärten wurden in der Zeit zwischen 1543 und 1545 in Pisa, Padua und Florenz gegründet. Weitere Gründungen folgten: 1568 in Bologna, 1550 in Florenz und 1563 in Rom, ca. 1580 in Leipzig, 1586 in Jena, 1587 in Leiden, 1588 in Basel, 1593 in Heidelberg, 1600 in Kopenhagen, 1698 in Halle und 1699 in Montpellier. 551 William T. Stearn, The Influence of Leyden on Botany in the Seventeenth and Eighteenth Centuries (1962), 137–159; hier bes. 145. 552 Zitiert nach: Frans A. Stafleu, Linnaeus and the Linnaeans (1971), 9. 553 Erich Hintzsche, Heinz Balmer (Hg.), Albrecht Hallers Tagebücher (1971), 39.

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compendium orbis. Es bot die einmalige Situation, Pflanzen in einem Raum konzentriert studieren zu können, ohne reisen zu müssen. Ein von Boerhaave verfasster Index stellte zudem die Überschau der in dem Garten wachsenden Pflanzen dar. Viel später als in Boerhaaves Lebenszeit, in jener von van Royens in den Jahren ab 1741 und ab 1747/48 bis 1751, lernte Jacquin auch diese Vorzüge des Gartens wertzuschätzen. Freilich zeigten sich in einer Stadt einer blühenden Kolonialmacht, wie es Leiden darstellte, auch andere Stätten außerhalb der Universität, an denen Exoten kultiviert wurden und als Prestigeobjekt galten. So schwärmte Haller über den Garten des Kaufmanns Petrus la Courts (1664–1739). Der Besitzer, ein Freund Boerhaaves, dessen Ananaszucht erfolgreich war, experimentierte in diesem in Fragen der Akklimatisierung: »Die unvergleichlich angenehme Ananas-Frucht aber habe er mehr als einmal auß Hn. La Courts Garten genoßen. Dieser vernünftige Kaufmann hat unter anderm in seinem Garten einen Thurm von etlichen Stokwerken aufrichten lassen, den er in Zimmer abgetheilt, denen er allen nach dem Wärmemaaß diese besondere Hize geben können, die jeder Pflanze angebohrne Luft an sich hat. Die Ananas wurde vollkommen reif und von einem Geschmacke, der alle europäische Früchte weit übertrift.«554

Das gesteigerte Interesse für Exotik zeigte sich insbesondere im Kaufmannsstand. Linn8 ergriff in Amsterdam die Gelegenheit, gegen eine gute Bezahlung die Aufnahme der Pflanzen in dem an Exoten reichen Garten des Bankiers Clifford in Hartekamp vorzunehmen, und er profitierte von dieser Tätigkeit als Botaniker. Im Umfeld der Universität Leiden, die jährlich mehr als hunderte Ausländer an sich zog, fanden sich im Winter 1737/38, als Nikolaus Jacquin zehn Jahre alt war, einige Protagonisten zusammen, die mit ihren unterschiedlichen Interessen einen informellen Zirkel bildeten. Ein Schwede, ein Schotte, zwei Holländer und drei Deutsche wurden vorübergehend zu Freunden. An ihren Kreis sollten sie sich noch zeitlebens erinnern, obwohl einige davon Leiden später verlassen mussten und neue Wirkungsorte bezogen. Carl von Linn8 (1707–1778), Jan Frederik Gronovius (1686–1762), Gerard van Swieten (1700– 1772), Isaac Lawson (1704–1747), Johann Lieberkühn (1711–1756), Johannes Andreas Kramer (1710–1777) und Johann Bartsch (1709–1738) zählten zu dem engeren Kreis der Männer, die miteinander in Diskussion traten. In einem Brief beschrieb Jan Frederik Gronovius dieses Zusammensein als äußerst produktiv : »Last winter we had a very excellent club, or society, which met every Sunday, composed of Lawson, Van Swieten, and some other gentleman. Linneaus being our president. Sometimes we examined minerals, on other days flowers of plants, as well as insects or fish. We have made so much progress, that by his Tables we can refer any fish, 554 Erich Hintzsche und Heinz Balmer (Hg.), Albrecht Hallers Tagebücher (1971), 39.

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plant, or mineral, to its genus, and, subsequently, to its species, though none of us had seen before. I think these Tables so eminently useful, that every body ought to have them hanging in his study, like maps. Boerhaave highly esteems all these performances and they are his daily recreation.«555

Adrian van Royen, Nikolaus Jacquins Lehrer, schloss sich diesem Kreis an. Als Nachfolger Boerhaaves und Professor der Botanik sowie Leiter des Universitätsgartens gestaltete er Teile des Letzteren bald nach Linn8s (erstmals 1737 publizierten) Ordnungssystem um und so lernte Nikolaus Jacquin auch den Garten kennen. Über die Existenz dieser Gruppe haben wir auch Kenntnis aus Linn8s Selbstbiographie, der die Beteiligten nennt: »Gronovius i Botaniquen, van Swieten i praxi, Linnaeus uti Historia Naturali, Lawson Historien ock antiquiteter, Lieberkühn uti Microscopis, Kramer uti Chemicis ock Bartsch uti Physicis.«556 Vorübergehende Bekanntschaften dieser Art waren symptomatisch für die Praxis der Anbahnung von gelehrten Freundschaften, bzw. von Kontakten, die dem Ausbau von Netzwerken dienten. Viele spätere davon wurzelten in solchen Konstellationen, wie sie in unserem Beispiel punktuell sichtbar werden. Sie nahmen ihren Ausgang an bestimmten Orten und hielten sich auch über die Dislokation trotz unterschiedlicher Karrieren aufrecht. Solche persönlichen Kontakte hatten aber auch eine epistemische Funktion, sie dienten der Verbreitung inhaltlicher Konzepte, im Konkreten den Reformen Linn8s, die von einer solchen Zelle aus verbreitet wurden. Gerard van Swieten, der 1745 nach Wien berufen wurde, bezeichnete sich in seinen Briefen an seinen Freund Carl von Linn8 als »Gerard van Swieten, der Leidener.«557 Es war eine Identität, die sich mehrschichtig auf eine Fülle von Konnotationen einer wissenschaftlichen Wertschätzung Leidens samt der persönlichen Erinnerung bezog, auf die Zeit der Ausbildung an der Universität, auf die Schule Boerhaaves, und auch auf die Linn8’sche Botanik, wie sie in dieser Zeit in Leiden ihren Ausgang genommen hatte. Und Gronovius wie auch van Swieten hielten ihre Kontakte zu dem nach Uppsala berufenen Linn8 aufrecht, und wirkten als Brücken für Korrespondenzanbahnungen mit Schülern aus ihrem Umkreis, wie es der einer nächsten Generation zugehörige Nikolaus Jacquin darstellte. Jacquin, viel jünger als die zuvor Genannten, studierte nicht bei Boerhaave, 555 Brief John Frederik Gronovius’ to Richardson, Leiden, 22. Juli 1738, zit. bei James Edward Smith, A selection of the correspondence of Linnaeus and other naturalists (London 1821), 174. 556 Zitiert nach Stearn, The Influence of Leyden on Botany (1962), 155. 557 Siehe dazu die Briefedition.

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der zu diesem Zeitpunkt nicht mehr lebte, sondern bei den Schülern Boerhaaves, die das Vermächtnis ihres Lehrers in Ehren hielten und auch an andere Orte vermittelten. In der Physiologie wurde noch am Ende des 18. Jahrhunderts an der Wiener Universität nach Boerhaave unterrichtet.558 Der Botaniker Adrian Royen und Gerard van Swieten stellten die Kontinuität für Nikolaus Jacquin her und erwiesen sich als Bindeglieder der Traditionsbildung dieser Schule, die weit über ihre Zeit hinaus reichte, der auch Jacquin indirekt zuzuzählen ist. Jacquin, der einerseits stolz auf diese Leidener Herkunft war, wandte sich jedoch ab 1753 andererseits angesichts seiner neuen Wirkungsstätte in Wien und dem erlebten Verlust an Reichtum infolge des wirtschaftlichen Zusammenbruchs der Geschäfte seines Vaters von Leiden ab, und wie er in seinem an den Jugendfreund Jacobus Gronovius gerichteten Brief meinte, kam er zu der summarischen Aussage, dass er alle »Bataver« hasse und verabscheue und nur seine eigene Familie und die Familie Gronovius’, die wie seine eigene sei, davon ausnehme (Abb. 19). Wenn sein unglücklicher Bruder sterben würde, nehme er alles an, was die reißenden Zähne jener Wölfe übrig ließen.559

Abb. 19: Laurens Theodor Gronovius (1730–1777) im Kreise seiner Kinder und Naturobjekte

558 Siehe dazu: Anton Phillebois (Hg.), Wiener Universitäts Schematismus für das Jahr 1796f. (Wien 1796). 559 Jacquin an Gronovius, 22. Brief, Wien, 24. Juni 1753, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 28r/v/29r.

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In seiner Selbstbiographie erwähnte Jacquin, dass er die Studien der Medizin in Leiden zunächst eher »lau« betrieben habe,560 aber »die Anhänglichkeit in einen denselben, den berühmten Laurens Theodor Gronovius, führte ihn zuerst zur Botanik und dann zum eifrigen Studium der Medizin zurück.«561 (Siehe Abb. 19) Wenn wir abschließend fragen, mit welchen Attraktionen Leiden, die Geburtsstadt Jacquins, für ihn aufwarten konnte, die für die Analyse seiner Ausformung zum Botaniker von Bedeutung sind, so ist hier Mehrfaches zu nennen: der hervorragende Standort der Stadt als Zentrum des Buchdrucks, als Treffpunkt internationaler Gelehrter, die wie van Swieten als Mäzene wirksam wurden, die Existenz außerordentlicher Wissensräume, das Konzept des Leidener Gartens mit seiner kolonialen Komponente als Modell für Wien und schließlich seine nachhaltige Freundschaft zur Familie Gronovius. Sie alle fügen sich zu einem Knoten, von dem aus Fäden zu ziehen sind, die unmittelbar mit Jacquins erfolgreichem Werdegang in Wien essentiell zusammenhängen, vor allem der Drucklegung seiner ersten Publikation (»Enumeratio«), die ihn mit einem Mal als Botaniker innerhalb der Scientific Community bekannt machte.

IV. 2. Wien: Stadt des Staubs und der »Barbaren« (1752–1754, 1759–1763) Im Europa der Mitte des 18. Jahrhunderts waren größere Städte eher der Sonderfall in einer weitgehend noch agrarisch geprägten Landschaft, in der sich Metropolen wie Modernisierungsknoten bildeten. Die größten Städte Europas, London und Paris, waren durch eine enorme Zuwanderung gekennzeichnet, sodass um 1750 London 675000 und Paris 576000 Einwohner zählte. Gefolgt wurden diese durch demografischen Druck veränderten Großstädte, von Neapel mit 305000 Einwohnern an dritter Stelle und dann von Wien mit 175000 Einwohnern.562 Die demografische Zunahme wirkte sich massiv auf die Sozialstruktur der Städte aus. Somit war Wien im Vergleich zu London und Paris zwar Provinz, dennoch übernahm sie eine bedeutende Zentrumsfunktion, nachdem sie zur Metropole des habsburgischen Imperiums aufgestiegen war. Nach der Abwehr der Türken 1683 und der Rückeroberung Ungarns aus der Grenzlage rückte sie innerhalb Europas in den Mittelpunkt eines nach Südosten reichen560 »Familiengeschichtliche Aufzeichnungen«, ÖNB, HAD, Cod. Ser. n. 9756, fol. 2, siehe auch Edition. 561 ÖNB, HAD, Cod. Ser. n. 20235, fol. 1. 562 Karl Ucakar, Wien. Politische Geschichte. Entwicklungen und Bestimmungskräfte großstädtischer Politik, 2 Bde. (Wien / München 1985); hier Bd. 1, 164ff.

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den Herrschaftsverbandes. Gefestigt wurde dieser durch die barocke Anziehungskraft eines kosmopolitischen Adels und die im Zeichen des Absolutismus geprägte höfische Kultur. Adelige neue Stadtpalais und ihre Gärten prägten eine nun sich als Residenz verstehende Großstadt.563 Die ehemalige Bürgerstadt wurde jetzt von der Gesellschaftsstruktur der barocken Residenz überlagert, während die bürgerlichen Schichten aus der Altstadt in die Vorstädte verdrängt worden waren. Wien war 1752, als Jacquin erstmals hier ankam, nicht nur die Stadt des Kaisers und der Habsburger, sie war auch die Stadt ihrer Bürger. Die doppelte Verfasstheit dieser Stadt als Sitz des Kaisers des Römisch-Deutschen Reiches und Zentrum der habsburgischen Länder, sowohl Hauptstadt eines Territoriums als auch Ort mit einer großstädtischen Metropolenrealität, implizierte eine Art Zweiteilung zwischen Hof und Stadt, Residenz und Magistrat,564 die je nach ständischer Zugehörigkeit oder beruflicher Orientierung auch eine spezifische Identität zur Verfügung stellte. Dem neu angekommenen Jacquin eröffnete sich diese Stadt einzig und alleine als höfisches Zentrum, als Residenz des Kaisers. Hier wurde Jacquin vom engsten Berater des Kaiserpaares, von Gerard van Swieten, aufgenommen und wurde sogar direkt innerhalb der Burg untergebracht, im Mittelpunkt der kaiserlichen Metropole. Auch im Sommersitz der kaiserlichen Familie in Schönbrunn, eine Kutschenfahrt von der Stadt auswärts gelegen, wurden ihm die Tore geöffnet. Von Anfang an fand Jacquin Zugang zu einem aristokratisch exklusiven Raum, der infolge seiner Sozialtopographie durchaus Barrieren gegenüber ihm ferne Gruppen aufwies. Das höfische Wien in seiner Abgrenzung gab ihm zunächst ein neues Selbstvertrauen, während er für die gesellschaftliche Realität einer Großstadt blind war – wie man sieht, wenn man seinen ersten Eindrücken von dieser Stadt folgt: »Daher möchte ich nur noch hinzufügen, dass ich nach den auf der Reise verbrachten Wochen wohlbehalten in Wien angelangt bin, dass ich freundlichst aufgenommen wurde, erst vom hochberühmten Herrn van Swieten, jetzt von meinem besten Mäzen, bei dessen ehemaligen Diener ich einen öffentlichen Posten bekleide und gegenüber der Bibliothek ein Zimmer bewohne. Bis jetzt habe ich mich um nichts zu kümmern, als dass ich unter einer milden Bindung möglichst entschlossen Kriegsdienst leiste. Über die Reise gibt es nichts (zu sagen), was ich deiner Ohren für würdig befände. Es macht dennoch Spaß, obwohl gewichtige Dinge fehlen, auch Kleinigkeiten dir mitzuteilen,

563 Siehe dazu: Hubert Christian Ehalt, Ausdrucksformen absolutistischer Herrschaft. Der Wiener Hof im 17. und 18. Jahrhundert (= Sozial- und Wirtschaftshistorische Studien 14, Wien 1980). 564 Siehe dazu den Band: Susanne Pils und Jan Paul Niederkorn (Hg.), Ein zweigeteilter Ort? Hof und Stadt in der Frühen Neuzeit (= Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte 44, Wien 2005).

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sodass wir dennoch, wenn wir schon über ernste Dinge nicht verhandeln, wenigstens gewiss miteinander scherzen können.«565

Fasziniert zwar von der barocken Architektur, dem Luxus und der Großzügigkeit aller Bauwerke (siehe Abb. 18), fand Jacquin jedoch die natürliche Lage Wiens keineswegs ideal. Im Unterschied zu dem seit dem Mittelalter verbreiteten Topos vom locus amoenus, der sich als besonderes Deutungskonzept in Reisebeschreibungen über die Donaustadt verankert hatte, wonach sich Wien durch seine schöne Lage und Fruchtbarkeit besonders auszeichne,566 stimmte sich Jacquin keineswegs in diese literarisch überlieferte beliebte Fremdwahrnehmung ein, sondern hob das lokale Klima negativ hervor : »Im Übrigen erfreut sich diese Stadt sehr schön aussehender und herrlicher Gebäude, ist aber dennoch einem gewissen Übelstand ausgeliefert. In der Regenzeit sind die Plätze natürlich mit Schmutz übersät, bei heiterem Wetter aber hindern die Wolken von Staub, der in seiner Feinheit sogar durch die Fenster eindringt, die auf den Plätzen umhergehenden Menschen am Schauen; denn das Gebiet von Wien belästigen fast immer sehr stürmische Winde. Weil nämlich die Stadt zufällig in der Mitte einer Ebene gelegen ist (diese wird im Abstand einer leuga567 von der Stadt an allen Seiten von sehr hohen Bergen umgeben, wo diese Zwischenraum lassen, freilich von einem lieblichen Ausblick), ist sie dem Ansturm der Winde, die zwischen den besagten Bergen hervorbrechen, überall preisgegeben.«568

565 Jacquin an Gronovius, 20. Brief, Wien, 1. Jänner 1753, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 24: »Ergo addam solum modo post experactas in itinere hebdomadas salvum me Vindobonam advenisse, humanissimeque exceptum me esse a celeberrimo Viro Van Swieten, nunc optimo Maecenate meo, cujus apud pristinum famulum, nunc munere publico fumgentem e regione bibliothecae imperatoriae cubiculum inhabito, nihilque adeo curandum nunc habeo, quam ut sub fascia pia, quam possim, strenuissime militem. De itinere vix habeo, quod tuis dignum anribus judicem; habet tamen, quem deficiunt graviora, et minutias tecum comunicare, ut, si non agere de rebus seriis, jocari certe possimus.« 566 Erich Zöllner, Zur Geschichte der Klischees von Wien und den Wienern. In: Michael John (Hg.), Schmelztiegel Wien – einst und jetzt. Zur Geschichte und Gegenwart von Zuwanderung und Minderheiten (Wien / Köln 1990), 1–10; Klaralinde Ma und Brigitta Psarakis (Hg.), »… ein ungeheuer herrlicher Garten…« Wien aus der Sicht ausländischer Besucher vom 15. bis zum 19. Jahrhundert. In: Wiener Geschichtsblätter, Beiheft 3 (1988), 1–11. 567 Leuga bedeutet die gallische Meile von 1500 römischen Schritten. 568 Jacquin an Gronovius, 20. Brief, Wien, 1. Jänner 1753, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 25. »Caeterum nitidissimis et splendidis haec urbs aedificiis gaudet, magno tamen obnoxia incommodo est. videlicet tempore pluvioso platae caeno sunt obrutae, sereno autem nubes pulverum substilitate sua vel fenestras penetrantium ambulantes in plateis videre non sinunt; nam agrum Vindobonensem vix unquam venti rapidissimi non infestant. Forte quo niam haec urbs in centro planiciei sita (: quae circum quaquae ab unius leucae ab urbe distantia circumvallatur montibus altissimis, iisque interruptis amoeno sane spectaculo) impetui ventorum inter dictos montes prorumpentium patet undique.«

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Wir wissen, dass Reisebeschreibungen »als eine Art unfreiwilliger kultureller Selbstdarstellung der Ausgangskultur«569 zu verstehen sind, da ihre Einschätzungen immer auch auf die kulturellen Konditionierungen der Berichterstatter verweisen. Jacquin fühlte sich bemüßigt, seine eigene Identität als klassisch Gebildeter gegenüber seinem Freund Jacobus Gronovius im Gegensatz zu einem diesbezüglich »barbarischen« Wien hervorzukehren. Es hob sich in seiner Grenzlage von Jacquins idealen Vorstellungen einer Stadt der Gebildeten deutlich ab: »Dieses ist die letzte Stadt, wo gebildete Menschen anzutreffen man eine Chance hat. Einer, der noch weiter geht, kann Ungarn, Kroaten, Slawen und andere derartige Menschen, die noch barbarischer sind als ihr Name selbst und den Wilden ganz ähnlich sind, finden. Einige von diesen, von den noch Bekannteren, werden auch hier öfter erwähnt, die im Verein mit türkischen, arabischen und griechischen Kaufleuten als Barbaren dieser Stadt etwas Positives beizusteuern scheinen.«570

Die literarische Vorstellung einer reichen Natur um Wien führte in Reisebeschreibungen meist zur Deutung eines dem Überfluss und leiblichen Genüssen ausgesetzten Volkes, dem der Bauch näher schien als der Geist. Diesen zweifelhaften Ruf Wiens als einer Stadt der Phäaken, deren Reduzierung auf sinnliche Triebe wenig Platz für geistige Genüsse offenließ, wurde von Reisenden immer wieder bestätigt.571 Auch Jacquin erhob diesbezüglich seine Stimme, wenn er an seinen Freund schrieb: »Was hindert mich indessen, liebster Jakob, dir offen zu sagen, was ich selbst denke. Ich könnte wirklich Folgendes glauben, und dies vielleicht nicht zu Unrecht: Als einst Minerva572, nachdem sie Italien durchwandert hatte, wissbegierig in diese Länder weitergereist sei und ihr die Wildheit der Eingeborenen den Magen umgedreht habe, habe sie diesen alle Grässlichkeiten gewünscht und in solcher Eile die Flucht ergriffen, sodass sie alleine nach Athen zurückgekehrt sei und den Germanen alle Nachteulen als 569 Michael Harbsmeier, Reisebeschreibungen als mentalitätsgeschichtliche Quellen: Überlegungen zu einer historisch-anthropologischen Untersuchung frühneuzeitlicher deutscher Reisebeschreibungen. In: Antoni MaÅzak und Hans Jürgen Teuteberg (Hg.), Reiseberichte als Quellen europäischer Kulturgeschichte (= Wolfenbüttler Studien 21, Wolfenbüttel 1982), 1–31, hier 2. 570 Jacquin an Gronovius, 20. Brief, Wien, 1. Jänner 1753, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 26: »ultima haec est civitas, ubi homines offendere humanos datur ; ultra progresso, Hungaros, Croatos, Slavos, aliosque id genus, ipso nomine suo barbariores, rationeque vivendi feris simillimos, homines invenire est, quorum et hic ex nobilioribus aliqui solent commorari, qui cum plurimis Turcis, Arabibus, Graecisque mercatoribus quippiam barbari huinc civitati superaddere videntur.« 571 Thorsten Sadowsky, Reisen durch den Mikrokosmos. Berlin und Wien in der bürgerlichen Reiseliteratur um 1800 (Hamburg 1998), 75. 572 Die römische Göttin Minerva galt als die Hüterin des Wissens. Ursprünglich war sie Beschützerin des Handwerks und Gewerbes. Sie wurde später mit der griechischen Göttin Athene gleichgesetzt.

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Andenken an sie zurückgelassen habe. Bekanntlich habe die Göttin ihre Aegis573 bei sich gehabt und habe diese, als sie floh, sehr vielen Menschen zum Anschauen hingehalten. Wenn jemand leugnen sollte, dass sich das so ereignet habe, kann ich ihm nicht klarmachen, auf welche Weise die Leute zu einem so steinernen Verstand gekommen sind. Aber du wirst sagen, dass es hier doch einige nicht ungebildete Männer gibt, dass sogar heutzutage in Leipzig, Halle, Jena und anderswo mehrere hochgebildete Gelehrte leben. Aber ich rede jetzt nicht von den Sachsen und den Übrigen, die nach Norden hin leben und die uns eher unter den Namen Sachsen, Schweden, Dänen oder einem anderen Namen als dem der Germanen begegnen. Ich spreche von den Bayern, Schwaben, Österreichern und andern, die gegen Süden und Osten hin siedeln. Und mache mir dagegen nicht den Einwurf, dass sich sogar unter diesen manche nicht ganz Ungebildete finden lassen! Und das ist auch nicht verwunderlich, wenn es bei der gewissen Fülle von Affen irgendwelche gibt, die dem Menschen mehr ähneln als andere. Denn es ist die Natur niemals in so engen Grenzen eingeschlossen, dass sie nicht – wie es ausschaut – selbst sich einmal übertreffen kann. Daher glaube ich, dass der Sachverhalt so ist, dass wie der Schuster nicht über die Sandale (hinausschauen soll),574 so der Germane nicht an mehr als an Essen und Trinken denkt. Wer also dem Magen frönen will, soll furchtlos hierher eilen, er wird hier – nicht wie einst Rom nur zwei aufzuweisen hatte – sogar von 600 Fresssäcken wie Apicius einer war,575 hören. Nichts ist bei diesen Fressereien und Saufereien und bei jeder Art von Geselligkeit menschlicher und leutseliger als dieses Volk (wenn es freilich menschlich ist und nicht eher hündisch, Speisen und Trank bis zum Erbrechen in die Kehlen zu stopfen und, damit man es hineinstopfen kann, die väterliche Erbschaft zu verschleudern). Wenn das Gespräch auf die Musen kommt, glauben sie und prahlen damit, dass es keine Wissenschaft gibt, die sie nicht selbst von Grund aus kennen, und sie sind überzeugt, dass ihnen nichts verborgen bleiben könne. Wenn außerdem jemand von ihnen selbst sie höflich an ihre Tölpelhaftigkeit in den Wissenschaften erinnern sollte, stürzen sich alle auf ihn und nennen ihn zuerst unsanft und mit Lautstärke unerfahren und blödsinnig; wenn er mit seinen Vorhaltungen fortfahren sollte, reizt er die Hornissen, und sie hören nicht auf, ihm es mit Unflätigkeiten heimzuzahlen.«576

573 Aegis: Schild und Panzer der Minerva; auf dem Panzer war die Medusa abgebildet, die alles, was sie anblickte, zu Stein werden ließ. 574 Das lateinische Sprichwort, »sutor ne ultra crepidam« entspricht unserem »Schuster bleib bei deinem Leisten!« Es stammt aus der »Historia Naturalis« von Plinius d. Älteren (Buch 35, Kap. 85). 575 Marcus Gavius Apicius war berüchtigter Feinschmecker in der Regierungszeit des Tiberius (14–37 n. Chr.) und bekannt als Autor des ältesten erhaltenen römischen Kochbuchs. 576 Jacquin an Gronovius, 20. Brief, Wien, 1. Jänner 1753, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 26. »Quid interim vetat me, quid ipse sentiam aperte dicere tibi, Jacobe dulcissime? Crediderim profecto, neque id fortasse injuria, Minervam (olim Italia peragrata in hasce terras quum curiosa pergeret moveretque ipsi stomachum indigenarum barbaries) cunctas illis diras imprecatam, tanta cum festinatione fugam capessivisse, ut sola Athenas redux, omnes post se, quotquot aderant, reliquerit Germanis in sui memoriam noctuas: constat certe aegida suam secum habuisse Divam plurimisque istam, dum fugeret, obtulisse adspiciendam. quodsi quis neget ita factum, egosane huic explicando non sum, quo ipsis pacto tam lapideus sit intellectus? At dices, saltem aliquos hic dari viros non indoctos, imo et

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Diese erste Abneigung gegen die Wiener Bevölkerung war wohl kaum auf eine direkte Begegnung mit den untersten Schichten (dem Volk) zurückzuführen, sondern auf allgemein verbreitete Vorurteile und zeigt Jacquins hohes Selbstwertgefühl. Später, nach seiner Karibikreise, sollte sie sich verflüchtigen. Jacquin hatte in den ersten beiden Jahren in Wien Freunde aus dem Bereich der Medizin gewonnen und seine Verbindung vor allem mit der Familie Schreibers scheint nach seiner Rückkehr aus der Karibik 1759 nicht abgebrochen zu sein, denn er heiratete 1763 in diese Familie ein. Bereits seit 1759 wohnt er bei Dr. Erndl, dem Stiefvater seiner angehenden Braut. Als neue Adresse scheint nun »Jacquin chez M. Leop. Erndl, hospital des Bourgoise« auf. Von Jacquins in Holland weilender Geliebter, derer er in allen Jugendbriefen an seinen Freund Jacobus Gronovius gedachte, ist auch brieflich nach der Karibikreise nichts mehr zu hören, vielleicht hatte sie in der Zwischenzeit geheiratet oder war gestorben; wir wissen es nicht. Seine Frau Catharina war die Schwester seiner Freunde Josef und Franz Schreibers, Tochter aus einem angesehenen Bürgerhaushalt, die auch eine entsprechende Mitgift erhalten hatte. Aus den Adressierungen wissen wir, dass Jacquin in der Erndl/Schreibers Wohnung im Bürgerspital einquartiert war und dadurch der Kontakt zur Familie Schreibers sehr eng war. Jacquin wird als gut aussehender junger Mann beschrieben, der schon viel erlebt, einiges publiziert hat, gut vernetzt ist und dem eine vielversprechende Karriere bevorsteht. Mit einem Wort, er war eine gute Partie. Es scheint aber nicht nur eine arrangierte, sondern auch eine Liebesheirat gewesen zu sein.577 Jedenfalls hat Jacquin somit in eine zwar ursprünglich aus dem Mainzer Gebiet stammende, aber in der Wiener hohen Beamtenschaft tätige Familie eingeheiratet. Es war ein erster Schritt, nicht nur in Abhängigkeit des Hofes, sondern eigenständig sozial-gehodiedum Lipsiae, Hallae, Jenae atque alibi vivere complures eruditissimos. At de Saxonibus caeterisque, qui ad Septentrionem degunt, quique potius sub Saxonum, Suecorum, Danorum, alioque, veniunt nomine, quam sub Germanorum, mihi non est sermo. de istis loquor Bavaris, Suevis, Austris aliisque, qui meridiem versus et orientem habitant. Neque eo inficias, vel hos inter quoque inveniri aliquos non illiteratos; nec enim mirum mehercule est, ingenti simiorum copia si dentur alii aliis magis homini similes. Est etiam natura nunquam tam arctis terminis inclusa, ut non aliquando se ipsa videatur superare. Itaque ego istud ejus modi esse existimo, ut sicut ›sutor ne ultra crepidam‹, ita ›Germanus ne ultra cibum potumque,‹ nimirum ventri studere qui vult, huc advolet intrepidus (non quos Roma olim duos praebuit) at vel sixcentos hic audiet Apicios. Nihil in commessationibus et compotationibus, atque adeo in omni ejus modi societis genere hac gente humanius est aut civilius (si quidem humanum est nec potius caninum, cibos potumque vel vomitum usque ingurgitare, et ut ingurgitent, dilapidare patrimonia). Si sermo de Musis fiat, credunt, iactantque, nullam esse scientiam, quam non calleant ipsi funditus, nihil sese latere posse arbitrantur. ad hoc si quis ipsorum illos in scientiis stupiditatem amice admoneat, mox in illum omnes conjiciunt, sese ac primo quidem inclementer dicunt imperitum ac fatuum clamantes; si pergat admonere, irritat crabrones ad iniurias enim transeunt.« 577 Siehe Kap. VII. 1.

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sellschaftlich in dieser Stadt Fuß zu fassen, die er zunächst auschließlich nur als höfisches Zentrum wahrgenommen hatte.

IV. 3. Karibik: Kolonialer Bewährungs- und Erfahrungsraum In kaum einem anderen außereuropäischen Raum waren die europäischen Staaten so dicht nebeneinander als Kolonialmächte und Rivalen präsent wie in der Karibik. Unterschiedliche politische Prägungen der Mutterländer und ein tiefgehender Synkretismus578 bestimmten das Kaleidoskop dieser kolonial beherrschten Inselwelt. Trotz politischer Heterogenität waren die Plantagenökonomie und die Sklaverei allen Inseln gemeinsam. Seit dem 17. Jahrhundert war der Übergang von den Siedlungskolonien zu Herrschafts- und Ausbeutungskolonie erfolgt. Entscheidend für die wirtschaftliche Ausbeutung war der Anbau von Zuckerrohr, Tabak, Baumwolle und Indigo, in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts kam auch Kaffeeanbau hinzu. Ein Fünftel aller britischen Importe stammten aus Westindien579 und der Handel war beispielweise für Großbritannien im Überseegeschäft mit Westindien der dynamische Faktor schlechthin. Adam Smith konstatierte »Our Tobacco Colonies, send us home no such wealthy planters as we see frequently arrive from our sugar colonies.«580 Für ihre Üppigkeit waren die Inseln der Karibik berühmt. Räumlich entworfen wurde das Paradies traditionell als Insel, wo ebenfalls uneingeschränkt Fruchtbarkeit und Überfluss herrschten. In den Kolonialphantasien der Robinsonaden wurde diese Metaphorik erneut bedient, aber gleichzeitig auch von Erfahrungen der Plantagenkultur überlagert. Denn die Europäer verdankten ihre Luxusgüter zunächst den Inseln des Mittelmeers, dann jenen der Molukken und sodann der Karibik. Hatte nicht schon die erste europäische Kolonialmacht, Venedig, bereits seit dem 15. Jahrhundert die von ihr eingenommenen Inseln Zypern, Kreta, Rhodos als Probierfelder genutzt, um den lukrativen Anbau des von den Arabern nach Nordafrika verbrachten Zuckerrohrs selbst zu unternehmen? Von hier erfolgte das so genannte Inselspringen der Leitpflanze in der Plantagenkultur, über Madeira, Barbados etc. Die begrenzten Ressourcen auf 578 Allgemein zur politischen und ökonomischen Situation: Oruna D. Lara, Space and History in the Caribbean (Princeton 2006), bes. 49f.; Adrian Leonhard and David Pretel, Experiments in Modernity : the Making of the Atlantic World Economy. In: Adrian Leonhard and David Pretel (Eds.), The Caribbean and the Atlantic World Economy. Circuits of Trade, Money and Knowledge, 1650–1914 (London 2015), 1–14. 579 Williams Eric, Capitalism and Slavery (Chapel Hill 1944; New York 1966). 580 Adam Smith, The Wealth of Nations (1776), zitiert nach: Andrew Jackson O’Shaughnessy, An Empire Divided. The American Revolution and the British Caribbean (Philadelphia 2000), 11.

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den Inseln wurden in diesen Ökosystemen schnell evident und die Folgen der Monokulturen durch die Ambivalenz von Fruchtbarkeit und Erosion noch augenscheinlicher, was durch den Wechsel auf andere Leitpflanzen zunächst kompensiert wurde. Am Ende des 18. Jahrhunderts sollte Immanuel Kant jene Insel-Diskurse der Gelehrten seiner Zeit auf den Punkt bringen, indem er den Zusammenhang von Wissenserwerb und kolonialer Geste in Bezug auf eine Inselmetaphorik kritisch analysierte. Der Suchende nach Wahrheit war kein Inselbewohner, sondern einer, der wie Jacquin von weither kam. Der hohe Grad der Insel-Phantasien und die Verbindung von geistiger Eroberung und kolonialem Terrain wurden deutlich: »Wir haben jetzt das Land des reines Verstandes nicht allein durchreist, und jeden Teil davon sorgfältig in Augenschein genommen, sondern es auch durchmessen, und jedem Dinge auf demselben seine Stelle bestimmt. Dieses Land aber ist eine Insel, und durch die Natur selbst in unveränderliche Grenzen eingeschlossen. Es ist das Land der Wahrheit (ein reizender Name), umgeben von einem weiten und stürmischen Ozeane, dem eigentlichen Sitze des Scheins, wo manche Nebelbank, und manches bald wegschmelzende Eis neue Länder lügt, und indem es auf Entdeckungen herumschwärmenden Seefahrer unaufhörlich mit leeren Hoffnungen täuscht, ihn in Abenteuer verflicht, von denen er niemals ablassen und sie doch niemals auch zu Ende bringen kann.«581

Aus der kolonialen Erfahrung erwuchs die Sicherheit der Kolonialmächte, mit Pflanzen zu jonglieren wie mit Handelsgut und sie aus unterschiedlichsten Räumen in andere zu verbreiten. Im Falle des Kaffees, der von dem niederländischen Seefahrer Nikolaus Witten aus Mokka um 1690 nach Java geschmuggelt wurde, spielten der Amsterdamer botanische Garten und auch der Pariser eine zentrale Rolle, von wo er in die neue Welt 1718 nach Surinam, 1723 Haiti (Santo Domingo) und nach Kuba und 1723 nach Jamaika gebracht wurde. Dass sich Jacquin auch für diesen Zusammenhang sehr interessierte, belegt der Hinweis des mit ihm befreundeten Professors Jakob Reinbold Spielmann, der sich bei seinen Angaben über die gehandelten Mengen Kaffees später auf Jacquin als Gewährmann berief: »Der berühmte Jacquin versicherte uns, dass im Jahre 1756 aus Martinique 180.000 Centner [Kaffee] nach Europa verschifft wurden.«582 Gegenüber 1723 mit 19.000 Zentnern bedeutete das eine beträchtliche Verdreifachung des Handelsvolumens. Insgesamt gesehen ist es nicht verwunderlich, dass in Wien die Entscheidung 581 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft. Der transzendentalen Doktrin der Urteilskraft (Riga 1781), Kap. 50 bzw. In: Akademieausgabe, Bd. V (Berlin 1913), 287. 582 Jakob Reinbold Spielmann, Anleitung zur Kenntnis der Arzneymittel zu akademischen Vorlesungen eingerichtet. Mit Verbesserungen und Zusätzen von F. August Wasserberg (Wien 1786), 149.

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zur Ausrichtung einer Sammelexpedition in eine geographische Richtung verlief, deren Ziel als wirtschaftlich und politisch dynamisch, vielfältig und üppig, aber auch als unstet empfunden wurde. Für den Transport von lebendigem Gut sprachen die geringere Distanz zu Europa als zur Alten Welt (Asien) und die hohe Frequenz des Schiffsverkehrs zwischen Europa und Amerika. Welches konkrete Bild existierte in Wiens Öffentlichkeit zum Zeitpunkt der Planung der Karibikexpedition 1753/54 von dieser Inselwelt oder von dem auf dem Zucker- und Kaffeanbau und Handel basierenden Reichtum, der aus diesen Kolonien geschöpft wurde? Blättert man beispielweise in der vom Hof abhängigen Zeitung »Wiener Diarium«, so stößt man immer wieder auf aktuelle Nachrichten über opulente Schiffsladungen, die in einem europäischen Hafen eingelangt waren: »875 Fässer Zucker, 100 Fässer Caffee, 11 mit Cacao und 5 mit Indigo« wurden etwa am 18. Juli 1753 in Bordeaux registriert.583 Informationen dieser Art sind zuhauf zu finden und die Eliten waren sich der hohen Wertschöpfung der Kolonialwaren wohl bewusst, zumal sie einen steigenden exotischen Konsum antizipierten. Man konnte auch oft von Kaperungen durch »Algierische Rebecken«584 und bedrohlichen Stürmen lesen.585 Die Überfahrten entbehrten keineswegs ihrer Gefahren, wobei die Windverhältnisse und die Piraten dabei das größte Maß an Unberechenbarkeit ausmachten. Martinique, der Zielort für Nikolaus Jacquins Reise, versprach durch seine dort ansässigen Verwandten, die zu der ersten Gesellschaft der Insel zählten, für ihn ebenfalls einen Hort der Sicherheit zu bilden. Mit Guadeloupe war Martinique seit 1674 direkt als Kolonie der französischen Krone unterstellt worden. Da die Steuerabgaben relativ niedrig waren, entwickelte sich infolge einer relativen Autonomie auf den zwei Inseln ein erheblicher Reichtum, welcher der Kolonialgesellschaft zugutekam. Infolge des Merkantilismus wurden die Handelsbeziehungen zu den Niederlanden unterbunden, weshalb Frankreich bis zum Siebenjährigen Krieg in der europäischen Zuckerproduktion führend war. Einer kleinen Gruppe der kolonialen Herrschaftselite stand ein Vielfaches an Sklaven gegenüber586 und vor dem Ausbruch des Siebenjährigen Krieges waren 1500 Mann als militärische Verteidigung auf der Insel Martinique stationiert. Wie in Frankreich oblag einem Intendanten die 583 Wiener Diarium, Nr. 57, 18. Juli 1753. 584 Wiener Diarium, Nr. 47, 11. Juni 1755 (aus Marseille); Wiener Diarium, 26. Jänner 1754, Schiff Hl. Antonius aus Bourdaux. 585 Wiener Diarium, 17. April 1754. 586 Zur Demographie vgl. Colin A. Palmer, The Slave Trade, African Slavers and the Demography of the Caribbean to 1750. In: Franklin W. Knight (Hg.), General History of the Caribbean, Vol. III. The Slave Societies of the Caribbean (London / Basingstoke 1997), 9–44 und Stanley L. Engerman and B.W. Higman, The Demographic Structure of the Caribbean Slave Societies in the Eighteenth and Nineteenth Centuries. In: Franklin W. Knight (Hg.), General History of the Caribbean, Vol. III. (1997), 45–104.

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Verwaltung von Justiz, Polizei und Finanz und der Gouverneur als Vertreter des Königs kam aus den Reihen des Militärs. Als Johann Nepomuk Raimann 1818 zur Gedächtnisfeier des Freiherrn Nikolaus Joseph von Jacquin nach dessen Tode eine Rede hielt, die auch gedruckt wurde, konnte er noch auf Unterlagen über die Jacquin’sche Expedition zurückgreifen, die heute nicht mehr vorhanden sind. In Raimanns Rede wurde der karibische Raum mit folgenden Worten beschrieben: »[…] jenes Inselmeer, das Amerika’s Mitte wie der kostbare Gürtel einen schönen Leib umschlingt. Mit einem Ende berührt es den Meerbusen von Maracaibo, mit dem anderen öffnet es den von Mexiko und scheint aus Gipfeln ungeheurer Gebirge zu bestehen, von dem festen Lande durch eine Umwälzung losgerissen, deren Andenken untergegangen ist. […] Himmel und Erde tragen hier für den Europäer eine veränderte Gestalt, die Natur will nach einem anderen Maßstabe gemessen sein. Unter dem lotrechten Strahlen der Sonne eine Hitze von 44, ja 47,5 Graden über dem Eispunkte, durch anhaltende Ostwinde gemäßigt, die regelmäßig gegen 9 Uhr morgens sich erheben, mit der Glut der Sonne zunehmen und nachlassen; – nur zwei Jahreszeiten, die Trocken- und die Regenzeit, die Letztere zwischen Mitte Juli und Oktober, und dann Wolkengüsse in Strömen, dass sie rauschen wie Hagel und in einer Woche mehr Wasser vom Himmel fällt, als bei uns in einem Jahre; daher eine auflösende Kraft in der Luft, der Fleisch kaum 24 Stunden, Früchte reif oder unreif abgenommen nicht halb so lange, Brot nur als Zwieback, Mehl nur in Tonnen festgestampft widerstehen; – ein üppiges Pflanzenleben, ewiges Grün der Gefilde und der Bäume […]; Ernten ohne Pflug und Dünger, zu denen für die Leckerei von ganz Europa nicht gesät, sondern gepflanzt wird; Tabak, Zuckerrohr, Kaffee und Maniokstauden auf den Moderschichten der alten von jener Liane durchsponnenen Wälder, die mit ihren Laubgehängen nur wilde, nicht obsttragende Bäume umschlingt.«587

Raimann berichtete auch über Sturmfluten und furchtbare Orkane, die während der Winterzeit wüteten und Schiffe an den Küsten zermalmten. Sie verwandelten blühende Fluren in scheußliche Wüsten, entwurzelten uralte Bäume und zerstörten die »Wohnungen« der Pflanzer. Da Raimann sich nie in diesen Gefilden aufgehalten hatte, musste er diese eindrucksvollen Erzählungen aus nachgelassenen Schriften bzw. aus mündlichen Überlieferungen von Jacquin oder dessen Sohn erhalten haben, zumal es kaum eingehende Beschreibungen gab. Eine einzige Schilderung in der »Biographie«588 berührt die Sklaverei, als Jacquin nämlich die Überfahrt nach Cartagena auf einem Sklavenschiff erlebte und den Anblick der Erniedrigungen als besonders unerträglich beschrieb, aber nicht das Phänomen als solches ablehnte. Über die Arbeiter auf den Zucker587 Johann Nepomuk Raimann, Rede zur Gedächtnissfeyer des hoch- und wohlgebornen Herrn Nic. Jos. Freyherrn v. Jacquin. Gehalten im Saale der Hohen Schule am 9. Juni 1818 (1818), 14. 588 Vgl. ÖNB, HAD, Cod. Ser. n. 9755, fol. 48ff.

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rohrfeldern oder andere Plantagensklaven äußerte sich Jacquin ansonsten nirgends. Später wurde in Raimanns Rede 1818 diese Problematik angesprochen, zu einem Zeitpunkt, als die Sklavenfrage durch die Französische Revolution und das englische Sklaverei-Verbot 1808 öffentlich diskutiert wurde: »Der Mensch, der Kreole, von der Natur, die Rosen der Wangen ausgenommen, mit allen Vorzügen des Körpers und Geistes ausgestattet, und selbst der Gebrechlichkeit des Alters überhoben, wohlgebildet, beherzt, offen, gastfrey, geistreich, jeder von ihnen ein König, aber zu Jacquin’s Zeiten noch durchaus auf Kosten des armen Negers, der die Pflanzungen des süssen Zuckers mit blutigen Schweisse begiesst, und nur frohlockend die Ketten der wunden Hände zusammen schlägt, wenn das gelbe Fieber dem Tode verschwenderische Feste gibt.«589

Während einerseits Üppigkeit auf den Zuckerinseln allgegenwärtig war, lauerten überall die Gefahren als Schattenseiten dieser unendlich scheinenden Fruchtbarkeit der Natur. Gärtner Schot, Jacquins Begleiter, erkrankte auf Martinique an Gelbfieber,590 war aber im Gegensatz zu vielen anderen Europäern, für welche die Krankheit letal ausging, wieder genesen. Gelbfieber zählte auf den Zuckerinseln zu den gefährlichsten Viruserkrankungen dieser Zeit. Nur 85 Prozent der Infizierten überlebten. Allerdings existierte die zeitgenössische Auffassung bei Ärzten, dass nur Neuankömmlinge, die nicht ans Klima gewohnt waren, Opfer der tödlichen Krankheit würden.591 Die verbreiteste Behandlungsmethode war der Aderlass. Aber die Gier nach Kenntnis des Reichtums überwog alle potenziellen Risiken. Auch wenn man in Europa über die Inseln wenig wusste, direkt vor Ort war viel zu erfahren. So erhielt Jacquin seine Informationen von den Kontaktpersonen, die ihm gerne schrieben und ihn unterstützten: »Die Insel [Grenada] ist kleiner als gedacht; im Allgemeinen extrem bergig und weniger fruchtbar als Martinique. Die Kaffeesträucher haben dieses Jahr nicht die Hälfte des Ernteertrags ausgemacht. Die Ursache sind gewisse Insekten, pucons genannt, welche vielleicht dieselben wie die pucerons [= Blattlaus] in Europa sind. […] Sie wissen, dass die Krabben manchmal giftig sind, wenn sie die Blätter oder die Früchte bestimmter Bäume gefressen haben, vor allem die Manchenillen. Man hat große Sorgfalt in all den Ländern, gar keine Krabben zu nehmen aus der Nachbarschaft dieser gefährlichen Bäume. […] Die Küste ist mäßig fischreich, die Wälder beinhalten wenig Wild, aber die Sümpfe haben die Sumpfhühner. Ich habe viele Neger beauftragt, sie mir zu bringen, die ich an Mr. Jarreau für sie abschicken werde und einige andere Arten, wenn diese für sie von Interesse sind. Grenada ist durch eine Bergkette geteilt, wie es 589 Raimann, Rede zur Gedächtnissfeyer des Nic. Jos. Freyherrn v. Jacquin (1818), 15. 590 »Pour faire porter le garÅon jardiniHre malade en hamac par quatre negres / la riviere Sal8e«. Poschakten. HHStA, Hausarchiv, Poschakten, JS, Karton 2; 2–16, fol. 70. 591 John Robert McNeill, Mosqito Empires. Ecology and War in the Greater Carribean, 1620– 1914 (Cambridge / New York etc. 2010), 65.

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alle unsere Inseln sind; diese Gebirgskette teilt die Insel in zwei ungleiche Teile, […]. Sie hat keinen Norden und keinen Süden, wie auf Martinique, aber sie folgt einer Kurve, welche den Archipel der Antillen zeichnet. Sie geht von NE (Nordosten) nach SW, die sehr gut in das System von Buffon passen. Es gibt circa 100 Zuckermühlen, 1000 Weiße und 15–18.000 Neger, sechs Kirchengemeinden, einen sehr schönen geschützten Hafen, eine hübsche Festung, viele Flüsse, deren Wasser im allgemeinen nicht gut ist….«592

Welche Bilder vermittelte Jacquin in seinen Publikationen über diesen für Europa so wichtigen Raum? Das Titelblatt (siehe Abb. 10) seiner Zweitschrift (»Selectarum«) schmückt eine eindrucksvolle wie auch instruktive Naturszene: Die wildbewegte See mit Schiffen, die kurz vorm Kentern scheinen, bildet den Kontrast zu unbekleideten in sich ruhenden Kariben und zu einem Botaniker im Vordergrund. Die bedrohliche, alles riskierende Überfahrt ist Essenz der Bildbotschaft, auf eine Barriere verweisend, die es zu überwinden galt, um an das in dem Buch vorgeführte Wissen, die Pflanzen, heranzukommen. Während zwei Indigene in einem vulkanisch anmutenden Gelände plaudernd das Ufer entlang spazieren, versucht ein dritter mit Pfeil und Bogen einen Vogel zu erlegen. Die weibliche Person, die keinen Besitzanspruch für die Produkte stellt, reicht unserem Botaniker eine Frucht. Vielleicht sollte dies auch anzeigen, dass dieses Wissen kolonial bestimmt war, da es selbstverständlich in die Hände der Europäer kommen sollte. Ein überaus ansprechender Titelkupferstich (Abb. 20) mit dem Spruchband »Selectarum Stirpium Americanarum Icones« ziert den zweiten Teil der Publikation: Ein Kariben-Pärchen hält ein großes quadratisches Tuch, auf dem die Antillen kartographisch abgebildet sind. Das Ganze wird von karibischen Blumen umrankt. So ist beispielsweise die erste in seiner Abhandlung beschriebene Pflanze, die in seiner Jugend eine große Rolle spielte,593 die Alpinia spicata (= Costus spicatus (Jacq.) Sw.), auch in der rechten Ecke des Stiches platziert. Auf dem Boden finden sich Konchylien und Madreporen, Schnecken und Muscheln sowie einige ethnographische Gegenstände der Kariben. Am oberen Bildabschnitt ist ein Kolibri mit dem Zweig der von Jacquin erstbeschriebenen und nach seinem wichtigsten Mäzen benannten »Swietenia Mahagoni« (Swietenia mahagoni (L.) Jacq.) dargestellt, die als Ranke den Handlungsraum krönt. Diese Visualisierung trägt eine sehr starke Aussagekraft: Raum und Inhalt verschränken sich. Die Zuckerinseln stellen als geographische Einheit die Referenz für Jacquins Ausbeute dar. Später wird Jacquin in einem Atlas von Berghaus repräsentativ als der botanische Erschließer dieser Weltregion fun-

592 Vgl. B. Aquart an Jacquin, 6. März 1757, NHM, AfW, Inv. Nr. 28653/42. 593 Siehe Kap. III. 3.

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gieren.594 Berghaus bestimmt jeweils eine Pflanzengruppe als Leitpflanze des von einem europäischen Botaniker erforschten Raumes. Den 25 verschiedenen »Phytogeographischen Reichen« weist er jeweils einem Forscher zu, wobei das »Reich des Cactus und Piper«, im Norden Südamerikas eingetragen, Nikolaus Jacquin zusteht. Die Welt ist unter 25 bedeutenden Botanikern aufgeteilt und Jacquin behauptet sich als einer unter ihnen.

Abb. 20: Indigene mit Karte der Karibik umgeben von Früchten und Pflanzen (Costus, im rechten Eck) (N. J. Jacquin, Selectarum Stirpium Americanarum, 1763)

Zwei weitere kleine Szenenkupfer finden sich in Jacquins »Selectarum«, einer vor der »Praefatio« und einer am Beginn der Pflanzenbeschreibung. Der erste zeigt indigene Kinder, die Cashewnuss, Ananas, Kakao und Zuckerrohr ein594 Heinrich Berghaus, Umrisse der Pflanzengeographie (1851). In: Physikalischer Atlas 5, Abt. 1 (Gotha 21852).

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bringen und sich um eine große Ananas versammeln. Wie bei einem höfischen Gastmahl üblich, dominiert diese bereits bei der Elite beliebte Frucht das Geschehen als Signal für den exotischen Konsum. Die beschnittene Gartenwand am Rand der Vignette deutet den höfischen Zielort an. Der zweite Kupferstich zeigt eine flache Landschaft mit Eingeborenenhütten in einem Palmenhain, durch den sich ein kleiner Fluss schlängelt. Im Vordergrund wird ein Kolonist oder unser Botaniker, der sich einen Sonnenschirm über den Kopf hält, in einer Hängematte von zwei dunkelhäutigen Männern transportiert. Eine Frau trägt ihre Ware auf dem Kopf und auf dem gegenüberliegenden Ufer wird ein Pferd geführt. Ein kleines Boot mit Fährmann ersetzt die Brücke. Die Essenz des Bildes besteht in der Darstellung unterschiedlicher Transportmöglichkeiten, die durch Pferd, Hängematte und Schiff visualisiert sind (Abb. 21). Die zwei Bilder können als symbolisch für einerseits das höfisch-elitäre Europa als Rezipienten gesehen werden, andererseits für die Plantagenökonomie als Akteur, welche als die zwei Pole des Wissensraumes der Karibik verstanden werden können.

Abb. 21: Karibikszene, Textvignette (N. J. Jacquin, Selectarum Stirpium Americanarum Historia, 1763)

Wenn man sich vergegenwärtigt, dass es zu dieser Zeit wenig authentisches Bildmaterial über diesen geographischen Raum gab, so müssen diese Illustrationen großen Anklang gefunden haben, jedenfalls versorgte Jacquin sein Fachpublikum, die Botaniker, auch mit Vorstellungen, die an die europäischen Sehnsüchte anknüpften. An all seinen Erlebnissen jedoch, die ihn fast fünf Jahre seines Lebens in diese Weltregion geführt hatte, ließ er zunächst die Öffentlichkeit noch wenig teilnehmen, da er publizistisch ausschließlich der fachlichseriösen Beschreibung der Pflanzen seine ungeteilte Aufmerksamkeit schenkte.

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IV. 4. Schemnitz: »Die reichste Stadt in Ungarn«595 Das ehemalige niederungarische, heute slowakische Schemnitz (Bansk# Sˇtiavnica), zählt zu den ältesten und bedeutendsten Bergbaustädten Mitteleuropas (Abb. 22). Bereits im 11. Jh. ist der Tagebau nach Gold, Silber, Kupfer und Blei nachweisbar.596 Bergbau war ein königliches Privileg; in der Regierungszeit Belas IV. (1255–1270) wurde das Stadt- und Bergrecht an Schemnitz vergeben597 und durch König Sigismund das Verkaufsrecht der Könige auf edle Metalle bestimmt, was für Schemnitz bis ins Jahr 1858 Geltung haben sollte.598 Die Einführung von Bergordnungen war wichtig, da sie dem Bergbau Einheitlichkeit verlieh und dem Territorialherrn eine stärkere Kontrolle ermöglichte. Allgemein verlagerte sich die wirtschaftliche Ausrichtung der Metallproduktion im Laufe der Frühen Neuzeit von privaten (gewerkschaftlichen) auf staatliche Unternehmungen. War zuvor das Oberstgrafenamt in privaten Händen, so wurde 1598 der Oberstkammergraf als leitender und höchster Beamter des Königs mit weitgehenden Befugnissen für alle niederungarischen Bergstädte installiert. Das Ärar versuchte verstärkt seit dem 17. Jahrhundert seinen Besitz an Bergwerken und Hütten zu erweitern, und ab dem Anfang des 18. Jahrhunderts erfolgten konzentriert Investitionen in die Infrastruktur, die vor allem das benötigte Wasser und Holz sichern sollten. Dass sich diese Bemühungen als effektiv erwiesen, zeigt der Blick auf die Statistik der durchschnittlichen jährlichen Silberproduktion (allerdings berechnet auf die ganze Monarchie), die eben nach 1720 einen ersten Anstieg (von 10000 kg auf 12000 kg) und ab 1741 einen wahrlichen Sprung (auf 24000 kg im Zeitraum bis 1760)599 aufwies. Schemnitz, heute eine kleine, etwa 10000 Einwohner zählende Stadt, die immerhin als schönste der Slowakei gilt, ist stolz auf ihre Tradition und schaffte es 1993 in das Verzeichnis des Weltkultur-Erbes der UNESCO. Kaum nachvollziehbar, dass sie Mitte des 18. Jahrhunderts mit 38000 Einwohnern die drittgrößte Stadt des ungarischen Königreiches war, 8000 Menschen waren im Bergbau und 4000 beim Bau des Systems von Stauseen beschäftigt.600 Dem 595 Zedler (1746) Bd. 49, 1352. 596 Allgemein: Johann Kachelmann, Geschichte der Ungarischen Bergstädte und ihrer Umgebung (Schemnitz 1867). 597 Zur Diskussion der Geschichte des Stadtrechts und seiner Abhängigkeit vom Iglauer Stadtrecht siehe: Katalin Gönczi und Carls Wieland, Sächsisch-Magdeburgisches Recht in Ungarn und Rumänien (Berlin / Boston 2013), 130; Karel Krˇesadlo. Iglauer Berg- und Stadtrecht. In: Silberbergbau und Münzprägung in Iglau (Iglau 1999), 83, hier 80f. 598 Vgl. Marko Vincenc Lipold, Der Bergbau zu Schemnitz in Ungarn. In: Jahrbuch der k.k. Geologischen Reichsanstalt 17 (Wien 1867), 317–460. 599 Adolf Soetbeer, Edelmetall-Produktion und Wertverhältnis zwischen Gold und Silber seit der Entdeckung Amerika’s bis zur Gegenwart (Gotha 1879), 21 und 33. 600 Hans Günter Conrad, Die Einflüsse des niederhungarischen Bergbaus im 18. und 19. Jahr-

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Abb. 22: Blick auf die Stadt Schemnitz (Bansk# Sˇtiavnica, heute Slowakei), um 1825

Reichtum, der nach Wien abgeführt wurde, stand eine überwiegend handwerklich tätige und verarmte Bevölkerungsschicht gegenüber (Abb. 23). Laut Berechnungen, die für 1707 erstellt wurden, waren 46 % der Gesamtleistung des erwirtschafteten Vermögens in den Händen von 9 % der Bewohner.601 Schemnitz war in ganz Europa berühmt für seine Produktivität. Der deutsche Geograph Anton Friedrich Büsching (1724–1793) widmete sich sogar ausführlich in einem Band seiner umfangreichen Erdbeschreibung der Charakterisierung von Schemnitz: »Schemnicium, ungarisch Selmetz-Banya, slawisch Sstawnitza, vor Alters auch Schebnitz und Bana genannt, eine ziemlich große und ein sehr volkreiche Stadt, welche in einem langen Thal dergestalt gebaut ist, dass die Häuser auf beiden Seiten derselben und an den Hügeln hoch hinauf zerstreut stehen. Die evangelischen Einwohner, die hundert auf den deutschen Bergbau. In: G. Heilfurth und L Schmidt (Hg.), Bergbauüberlieferungen und Bergbauprobleme in Österreich und seinem Umkreis, Bd. 16 (Wien 1975), 43–49. 601 Der Zeitpunkt für die Berechnung ergibt sich aus einer einmaligen Quelle, der »dicalis conscriptio«, einer Art Steuer, die auf Werte wie Kühe oder Ochsen umgerechnet wurde. Die Konskriptionserhebung wurde vom Fürsten R#kjczi durchgeführt. Eine Analyse dessen bei: Istvan N. Kiss, Vermögenszusammensetzung und -verwendung in den ungarischen Bergstädten im Jahr 1707. In: Ekkehard Westermann (Hg.), Bergreviere als Verbrauchszentren im vorindustriellen Europa. Fallstudien zu Beschaffung und Verbrauch von Lebensmitteln sowie Roh- und Hilfsstoffen (13.–18. Jh.) (= Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beihefte 73, Stuttgart 1997), 213–330, bes. 321.

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Abb. 23: Schemnitz (Bansk# Sˇtiavnica, heute Slowakei): Schmelzhütte, um 1825

über zwei Drittel der Stadt ausmachen, sind 6 bis 7000, und sie haben zwei Bethäuser. Die Stadt übertrifft alle anderem ungarischen Bergstädte an Größe und Menge der Erzwerke, hat zwei Kirchen, ein paar Kapellen, ein ehemaliges Jesuiten-Kollegium, und eine Bergschule, es ist hier auch der Sitz einer königl. Bergkammer und eines OberKammergrafen. Die hiesigen Gold- und Silberbergwerke zeigen in den königlichen Gruben selten gediegen sichtbares Gold, obgleich fast alle Erze Gold halten, in den gewerkschaftlichen Gruben aber ist das gediegene Gold nicht so selten. Gediegen Silber ist noch seltner. Überhaupt sind die hiesigen Gold- und Silberbergwerke ziemlich reich, und die Arbeiter in dessen sind über 5000.«602

Auch in der Statistik Ungarns wurde die hohe Einwohnerzahl betont: »Die weltbekannte Stadt Schemnitz zählte im Jahre 1786. […] 866 Häuser, und 2502 Familien, und hatte nebst den entfernten Seiten-Gassen, in welcher noch 826 Häuser bewohnt wurden 22241 Einwohner. Das männliche Geschlecht verhielt sich daselbst zu dem weiblichen, wie 123: 134.«603 Jacquin, der am 9. Juni 1763 zum Professor des praktischen Bergwesens und der Chemie an der Bergschule in Schemnitz ernannt wurde, zählte in einer Stadt mit einer sozial sehr stark differenzierten Gesellschaft durch seine Tätigkeit automatisch zur Elite, welche aus der Bürgerschaft und den Kameralangestellten 602 Anton Friedrich Büsching, Große Erdbeschreibung. Bd. 6.: Das Königreich Ungarn (Troppau 1785), 98f. 603 Martin von Schwantner, Statistik des Königreich Ungarns (Pest 1798), 100.

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bestand.604 Von ihr klar unterschieden waren Knechte und Mägde, Gehilfen und Lehrlinge bzw. »Einkopf-Familien«,605 die als Dienstboten von der ersten Gruppe lebten. Die dritte und unterste Kategorie der Schemnitzer Gesellschaft umfasste die größte Zahl, bestehend aus Bergbauern, Berg- und Hüttenarbeitern, die eher außerhalb der Stadt in den ihr zugehörigen dorfähnlichen Strukturen ansässig waren.606 Von den insgesamt etwa 1200 Familien, die der Historiker Kiss aus ausschließlich für diesen Zeitpunkt erhaltenen Konskriptionsangaben (1707) berechnen konnte, waren es nur 65, die über ein beträchtliches Vermögen verfügten. Auch wenn diese einmaligen Angaben lange vor der Zeit von Jacquins Ankunft in Schemnitz die soziale Situation beschreiben, kann dennoch angenommen werden, dass sie auch für seine Zeit dort (1763–1768) in groben Zügen Geltung haben. Jedenfalls zählte Jacquin mit seiner neuen Stellung, einem außerordentlich guten Gehalt und in seiner Funktion als Professor zur ersten Gesellschaft der Stadt. Im Vorfeld seiner Vertragsunterzeichnung hatte er sich ausgehandelt, dass ihm vom Ärar ein Quartier zur Verfügung gestellt wurde. Eigens wurde für ihn als den ersten Professor der »praktischen Lehrschule« eine ihm und seinen Vorhaben des Chemieunterrichts angemessene Unterbringung angemietet, und zwar das Haus der Bergmeisterswitwe Schmidt, das nach seinem ehemaligen Besitzer »Krecsm#ry-Haus« (siehe Abb. 28) genannt wurde. Wo dieses lag, war lange in der Forschung ungeklärt, Peter Konecˇny´ konnte es nun eindeutig identifizieren. Es handelte sich um das spätere städtische Spital,607 da die Bergschule aus diesem Gebäude in jenes des ehemaligen Stadtrichters Belh#zy umgezogen war. Das Krecsm#ry-Haus stellte eines der stattlichsten und geräumigsten Häuser im Norden der Stadt dar. Ein Pferdestall und ein Garten waren Jacquin natürlich auch genehm, hatte er doch auch zu Pferde die Bergreviere zu besuchen und konnte sich im Garten weiter seiner Leidenschaft widmen, der Botanik.608 Wie schon in Wien war ihm erneut eine erste Adresse der Stadt sozusagen in 604 Kiss (Kiss, Vermögenszusammensetzung, 321) nennt für diese Gruppe 379 Familien, welche 2055 dica Einkommen erzielten: »Je Familie bedeutete das durchschnittlich 6, 2 dica, hatte einen Wert von 12 Ochsen.« 605 Vgl. Kiss, Vermögenszusammensetzung, 321; er ermittelte hier 336 Familien. 606 Nach Kiss (Kiss, Vermögenszusammensetzung, 321) besaßen 548 Familien aus dieser Gruppe überhaupt kein Vermögen. 607 Peter Konecˇny´, Architektur für Wissenschaft und Unterricht. Die ersten Gebäude der Bergakademie Schemnitz 1763–1848. In: Wolfgang Ingenhaeff und Johann Bair (Hg.), Bergbau und Kunst. Bd. I., Bildende Künste (Architektur, Grafik, Malerei, Glasmalerei etc., Internationaler Montanhistorischer Kongress Sterzing, Hall in Tirol / Wien 2011), 185–212, hier S. 194. 608 Siehe dazu bes. Peter Konecˇny´, 250. Jubiläum der Berg- und Forstakademie in Schemnitz. Ihre Bedeutung für die Entfaltung des höheren Montanschulwesens in Österreich-Ungarn, 1762–1919 (Kosˇice 2012), bes. 23.

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den Schoß gefallen. Es ist bezeichnend für Jacquin, dass er auch in dieser doch privilegierten Situation noch um eine »Natural Deputation« angesucht hatte. Das Begehren wurde abgewiesen mit dem Verweis, dass er im Vergleich zu anderen Bergräten ohnehin schon ein weit höheres Gehalt beziehe: »Seye dem H. Berg Rath und Mineralogie et Chymis Professor Niclas Jacquin die angesuchte Natural Deputation von darummen abschlagen worden, weilen selber ohnehin mit seinem höheren, als andere Berg Räthe außgemessenen fixo Salario consolirt ist.«609 Der ihm verliehene Titel eines k. k. Bergrates implizierte die Auflage, an den Sitzungen »cum voto et sessione« des »Obrist Cammer Grafen Amtes« regelmäßig teilzunehmen.610 Seit den Reformen Maria Theresias im Jahre 1747 wurden Entscheidungen in den obersten Verwaltungsinstanzen des Montanwesens nicht mehr solitär von einzelnen Funktionsträgern des Adels getroffen, sondern innerhalb eines auch aus Bürgern zusammengesetzten Fachkollegiums, das aus höheren Beamten bestand. Zu diesem Kollegium gehörte von nun an auch Jacquin, was ihn nicht nur ehrenhaft auszeichnete, sondern mit Arbeit verbunden war. Die herausgehobene Stellung machte ihn zum aktiven Mitglied eines Gremiums, das gewissermaßen »die Spitze des ›Bergstaats‹«611 in Niederungarn repräsentierte. Den Bergräten oblagen spezifische Befugnisse und Zuständigkeiten. Im Falle Jacquins waren es alsbald Fachgutachten, welche sich das Gremium von ihm erbat, um darauf basierend seriöse Entscheidungen treffen zu können. So hatte Jacquin beispielsweise, um nur eines seiner vielen Gutachten zu erwähnen, ein »Arcanum«612 beurteilen sollen, mit dessen Anwendung Kupfer geschmeidiger gemacht werden könnte. Jacquin nahm gewissenhaft Experimente vor, ließ es sich aber nicht nehmen, auch kritisch einzuwenden, dass er umfangreiche Proben als nötig gefunden hätte und ihm die Übermittlung eines Musters des behandelten Kupfers recht gewesen wäre.613 Jacquin war in einer Zeit des Aufschwungs nach Schemnitz gekommen, als sich ein verstärktes Interesse des Staates an der Verbesserung der Infrastruktur und Verwaltung des Montanwesens aus kameralistischen Gründen artikulierte (siehe Abb. 23). Bereits seit den 20er Jahren wurden im Schemnitzer Bergrevier Neuerungen eingeführt, als etwa die erste außerhalb Großbritanniens im Berg609 Sˇt#tny fflstredny´ bansky´ archiv v Banskej Sˇtiavnici fondy, Bestände HKG, AS, Protokoll de Anno 1763/2, 996. 610 Vgl. HKA, MBW, rote N. 235, 13.VI. 440–41. 611 Konecˇny´, Architektur, 190. 612 Der Begriff »Arcanum« (Geheimlehre) stammt aus der Alchemie und wurde von Alchemisten in unterschiedlichster Form verwendet. Er kann sich auf eine bestimmte Sache beziehen, die geheim ist, oder im Sinne von einer Geheimlehre gebraucht werden. In unserem Zusammenhang ist es wohl die Sache, die geheim ist. 613 Sˇt#tny fflstredny´ bansky´ archiv v Banskej Sˇtiavnici fondy, Bestände HKG, AS, 616, 13. Feb. 1770.

Schemnitz: »Die reichste Stadt in Ungarn«

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bau eingesetzte Dampfmaschine gebaut wurde.614 Und auch eine bessere Ausbildung des Bergpersonals war verstärkt vom Staat intendiert worden. Auf diesen Aspekt der institutionalisierten Ausbildung wird noch in einem eigenen Kapitel über Jacquins Lehrtätigkeit in Schemnitz eingegangen. Allgemein war man in der Hofbehörde für Münz- und Bergwesen mit Jacquins Arbeit während seiner Zeit in Schemnitz 1763–1768 außerordentlich zufrieden. Deren große Wertschätzung beweist ein Bericht der Hofkammer für Münz- und Bergwesen, in dem es zum Zeitpunkt der Rückberufung Jacquins des Jahres 1768 nach Wien heißt: Man hätte sich im Hinblick auf die Entwicklung, die man der Bergschule in Schemnitz erhoffe, nichts mehr gewünscht, »als dass der eben in der Chemie und Docimasie so geschickte Professor Jacquin in Schemnitz verblieben wäre.«615 Jacquin übte seine Gutachtertätigkeit für die Bergbehörde bis zu seinem Rücktritt vom Lehramte und darüber hinaus aus. Es waren Gutachten, die immer mit Laboranalysen verbunden waren, für die er sich seinen ausgezeichneten Ruf erworben hatte. Noch für das Jahr 1803 ist belegt, dass Jacquin eine neue Methode der Präzipitatserzeugung616 testete und verwarf. Oft sollte ihm bei der Bewertung sein pharmazeutisches Wissen zugutekommen. So stellte er fest, dass die im Niederschlag erzeugte Substanz, das Salz, ohnehin bereits als Heilmittel bei Nierenleiden eingesetzt werde.617

614 Besonders ausführlich setzt sich der Franzose Jars mit diesen Neuerungen auseinander und bildete diese auch ab: Gabrial Jars, Metallurgische Reisen zur Untersuchung und Beobachtung der vornehmsten Berg- und Hüttenwerke in Schweden, Norwegen, Ungarn, Deutschland, Engelland und Schottland, vom Jahr 1757–1767, Bd. 4 (Berlin 1785), 1003: »Wasser- und Luftmaschine, welche zum erstenmahl im Monath Merz 1755 bei den Chemnitzer [!] Gruben in Ungarn vorgerichtet war.« 615 HKA, MBW, rote Nr. 2364/672ff (HKA 437). 616 Ein Präzipitat ist die Ausfällung eines Niederschlags. 617 Siehe dazu ÖStA, FHKA, SUS Realien C 86, MBW 1803, C. Akt rote Nr., Neue Methoden zur Erzeugung von Quecksilberpräzipitat. Vorgeschlagen wurde die Methode vom Idrianer Fabriksverwalter Happmann, Jacquin begutachtete den Vorschlag negativ.

Abb. 24: Dracaena umbraculifera Jacq., die Pflanze wurde von der Isle de France (Mauritius) nach Schönbrunn gebracht (N. J. Jacquin, Horti Schoenbrunnensis, Vol. 1, 1797, Taf. 95)

V.

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Bisher nahmen wir uns die Schauplätze von Jacquins Handlungsoptionen vor, nämlich Leiden, Wien und Schemnitz sowie auch die Karibik. Davon separiert wollen wir nun Jacquins Aktionsradius und die wichtigsten Räume des Wissens innerhalb dieser Orte analysieren. Die Bedeutungshorizonte von Ort und Raum überschneiden sich zwar, jedoch verweisen sie auf unterschiedliche historiographische Konzepte. Mit den Orten adressierten wir im vorigen Kapitel ganz konkrete physische bzw. geographische, sowohl gesellschaftliche als auch symbolische Raumbezüge: Die Städte und Kulturlandschaften eröffneten mit ihren unterschiedlichen sozial-politischen, ökonomischen wie auch kulturellen Stärken Möglichkeitsräume für Jacquins Aktivitäten. Mit dem Ansatz Räume des Wissens618 jedoch wenden wir uns unter einem anderen Blickwinkel denselben Orten zu, der auch die Institutionengeschichte betrifft, sie aber anders dimensioniert. Anstatt nur den Gründungsgeschichten der Einrichtungen nachzugehen, rücken nun die an Räume gebundenen lokalen und gesellschaftlichen Bedingungen ins Zentrum. Ferner kommen auch die mit diesen Räumen assozierten Artefakte und Naturobjekte zur Sprache (Abb. 24, vorige Seite). Die physischen Wissensräume werden von ihren zeitgenössischen symbolischen und wissenschaftlichen Dispositionen abhängig gesehen. Wie passt sich die Wiener Residenz der Habsburger in dieses Konzept ein? Darauf wollen wir uns hier kurz konzentrieren.

618 Siehe dazu: David N. Livingstone, Putting Science in its Place: Geographies of Scientific Knowledge (Chicago / London 2003). Siehe besonders: Adi Ophir und Steven Shapin, The place of knowledge. A methodological survey. In: Science in Context 4/1 (1991), 3–21.

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V. 1. Hof / Residenz: Muskatnussbaum und Platin Für viele HistorikerInnen ist es eine Selbstverständlichkeit, dass jeder Hof einen außerordentlichen Anziehungspunkt für den von dem Herrschaftszentrum abhängigen Adel bildete.619 Weniger bedacht wird die Tatsache, dass er als ein dominierendes Verwaltungszentrum auch durch Wissensakkumulation gekennzeichnet ist. Hofkultur bündelt Gelehrsamkeit und deckt sich mit der Existenz unterschiedlicher Wissenseinrichtungen. Im Brennpunkt der Topographie einer Residenz waren meist Hofbibliothek und Hofsammlungen situiert. Länger als in anderen Metropolen prägte der Hof die Wissen(schaft)slandschaft der Stadt Wien in ihrer Gesamtheit, hatte Einfluss auf ihren einmaligen Charakter. Zum Zeitpunkt von Jacquins Ankunft in Wien 1752 bedeutete es für ihn ein ganz besonderes Privileg, direkt in der Hofburg Tür an Tür zu all diesen Einrichtungen einquartiert zu sein,620 im selben Gebäudekomplex, nahe der Bibliothek und dem Naturalienkabinett. Zu diesen wurde ihm alsbald auch der Zutritt gestattet und das geschah ausgerechnet ihm, einem unbedeutenden, ohne höfische Funktion dort lebenden Abkömmling eines verarmten Leidener Tuchhändlers. Der Zugang zu teurer aktueller Fachliteratur war ihm somit möglich. Das bedeutete einen nicht zu unterschätzenden Vorteil, den in dieser Zeit viele andere Botaniker nicht wahrnehmen konnten.621 Jacquins Abhängigkeit von seinem Mäzen, dem Leibarzt der Königin, manifestierte sich auch durch die unmittelbare physische Nähe zum höfischen Wissenszentrum. Denn van Swieten war als Präfekt der Hofbibliothek und als engster wissenschaftlicher Berater der kaiserlichen Familie in der Hofburg sowie in Schönbrunn nicht nur wohnhaft, sondern Initiator des Wandels der Wissenseinrichtungen. Wie schon erwähnt, wurden die konkreten höfischen Wissensräume in Wien erst in der Regierungszeit Kaiser Franz Stephans neu ausgerichtet. Die Bereicherung des Naturalienkabinetts in der Hofburg und die Gründung des Holländischen Gartens sowie der Menagerie in der Sommerresidenz Schönbrunn standen ab 1752 am Programm dieser Erneuerungsphase (Abb. 25). Sie wirkten als entscheidender Auslösungsfaktor für Jacquins weitere Aktivitäten. Ohne diesen den Wissenschaften gewidmeten und auf die Residenz zurückwirkenden Aufbruch wäre Jacquins Reise in die Karibik nicht entstanden und letztlich nicht von großer Bedeutung gewesen. Jacquin war zur richtigen 619 Vgl. aus der reichen Literatur : Anton Schindling, Bildung und Wissenschaft in der Frühen Neuzeit, 1650–1800 (Oldenbourg 1994). 620 Vgl. Jacquin an Gronovius, 20. Brief, Wien, 1. Jänner 1753, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 24. 621 Franz Xaver Wulfen beispielsweise, der ab 1762 in Klagenfurt lebte, beklagte sich darüber, dass er kaum neueste Fachliteratur zur Verfügung habe. Vgl. Marianne Klemun, Arbeitsbedingungen eines Naturforschers im Kärnten des 18. Jahrhunderts am Beispiel Franz Xaver Wulfens. In: Carinthia I, 174 (1984), 357–374.

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Zeit am richtigen Ort. Die Sommerresidenz mit dem Schloss Schönbrunn war soeben nach Plänen von Nikolaus Pacassi in den Jahren zwischen 1743 und 1749 umgebaut und im Jahr von Jacquins Ankunft in Wien 1752 waren die stattlichen Treppenhäuser durch Steinmetze errichtet worden. Der Holländische Garten (so nach ihren Gärtnern benannt) wurde 1753 angelegt. In einer zeitgenössischen Beschreibung des Schlosses war zu lesen: »Im Jahre 1753 beschloß dieser ruhmwürdige Kaiser, ein westwärts bey Schönbrunn gelegenes, dem Dorfe Hitzing [!] gehöriges, mit Hecken bewachsenes und ganz vernachlässigtes Feld, in einen eigenen Garten zu verwandeln, welcher zur Erziehung ausländischer Pflanzen bestimmt seyn sollte. Zu diesem Ende rief er auf Einrathen des großen van Swieten, einen damals berühmten holländischen Floristen, Adrian Steckhoven, nach Wien, unter dessen Leitung das Erdreich gereinigt, ein großes herrliches Treibhaus und mehrere Glashäuser erbaut, und die übrigen dahin gehörigen Gebäude errichtet wurden. […] Während dieser ersten Arbeiten brachte Richard van der Schot, der Sohn eines holländischen Floristen, welcher als erster Gehülfe für den Gärntner zu Schönbrunn bestimmt war, diejenigen Pflanzen nach Wien, welche der Kaiser theils von Steckhoven, theils aus anderen holländische Gärten zusammen gekaufet hatte.«622

Die von Jacquin in den Jahren 1754–1759 in der Karibik gesammelten Schätze sollten alle diese Speicher des Wissens, die neu errichtete Menagerie, das Naturalienkabinett und den neuen botanischen Garten, gleichermaßen bereichern. An diesen elitären Raum gebunden, bekam Jacquin die Chance, den Anfang dieses Aufbruchs entscheidend mittragen zu können. Die Einmaligkeit solcher Residenzgärten bedurfte außerordentlicher Ereignisse. Besondere Pflanzen zur Blüte gebracht, leisteten der majestätischen Botschaft Vorschub, wie wir es einer Beschreibung des »Holländischen Gartens« entnehmen können: »Besonders machte eine Gattung Palmbaum um diese Zeit viel Aufsehen, weil sie die erste war, die in Europa geblüht hatte. Dieser Baum wurde von dem berühmten Boerhaave die japanische Palme genannt; die Japoner nennen ihn aber Sotestsjoe. Dieser Baum hatte ganz eigene Schicksale. Prinz Wilhelm III. von Oranien, nachheriger König von England, bekam sie im Jahre 1684 aus Indien, und man hielt ihn damals für dreyßig Jahr alt. Im Jahre 1702 kam er an König Friedrich I. von Preußen, und von dessen Nachfolger Friedrich Wilhelm erhielt ihn im Jahr 1739 Steckhoven, durch welchen er nach Schönbrunn kam. Durch sorgfältige Pflege brachte man es dahin, daß er in der Folge (Juny 1765) zu blühen und sogar Früchte zu tragen anfieng. Er war zur Zeit der Blühte gegen hundert Jahre alt.«623

Exzeptionelle Pflanzen in der Sommerresidenz in Schönbrunn zeichneten sich entweder durch ihre erlauchten Vorbesitzer oder durch ihr besonderes Alter, 622 Joseph Oehler, Beschreibung des kaiserlichen Lustschlosses Schönbrunn und des dabey befindlichen Gartens (Wien, 1805) 2. Abtheilung, 1–47, 5. Darin enthalten ist das Vorwort aus dem Hortus Schönbrunnensis, das Oehler teilweise übersetzte. 623 Ebda 5 und 6. Wurde später auch Maria-Theresien Palme genannt.

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ihre Opulenz bzw. das Ereignis des lang ersehnten Erblühens und ihre ferne Herkunft aus. Entsprechend hatte auch Jacquin bei seinen in Westindien gesammelten Sendungen dafür gesorgt, dass bei Sträuchern und Bäumen eher bereits entwickelte ansehnlichere ältere Pflanzen nach Wien gebracht wurden: »Die [tranferierten] Bäume hatten Stämme von Mannshöhe, waren armdick und drüber, und hatten größtentheils schon in ihrem Vaterlande Früchte getragen.«624 Aus dem Reichtum der Nutzpflanzen zogen besonders jene Pflanzen die Neugierde an, die in Europa konsumiert, aber deren Aussehen noch kaum bekannt war, wie etwa Zuckerrohr (Saccharum officinarum L.) und auch Zimtrinde.625 In der Auswahl schien Jacquin recht erfolgreich gewesen zu sein, denn Schönbrunns Artenbestand an exotischen Gewächsen wurde durch seine Expedition außerordentlich bereichert. Freilich, erst durch die spätere Beschreibung des im Garten zu Schönbrunn kultivierten lebenden Pflanzenschatzes (1797)626 sorgte er selbst sodann für dessen Bekanntheit (siehe Abb. 24). Die im Vorwort enthaltene Rückschau auf seine eigenen Meriten als Westindienreisender wurde von der allgemein intensiver gewordenen medialen Öffentlichkeit besonders um 1800 stark rezipiert: »So konnte der Schönbrunnergarten in wenigen Jahren unter die ersten königlichen Pflanzengärten gezählt werden,«627 hieß es in einer späteren darauf bezugnehmenden Darstellung. Die von Jean de Baillou zusammengebrachte und von Franz Stephan 1749 für den Wiener Hof angekaufte, zu diesem Zeitpunkt als reichhaltigst geltende Naturaliensammlung der Welt wurde im Zentrum der Hofburg nahe der Bibliothek untergebracht. Ihre Bedeutung war nicht mehr zu ignorieren, so wurde sie während dieser Aufstellungsphase im Jahre 1752 von Graf Johann Joseph Khevenhüller besichtigt, der in sein Tagebuch notiert: »Ich hatte die Ehre, mit dem Kaiser sein von einem Baillou zu Florenz erkaufftes und dermahlen unter dieses nammlichen Verkäufers Direction stehendes sehr zahlreich und kostbares Naturalien Cabinet zu besehen, welches in denen neuern Zimmern nächst der großen Stiegen, die zur kaiserlichen Bibliothec führet, placiret worden, noch aber zur Helffte eingerichtet und rangiret sich befindet.«628

Auch Khevenhüller, jener höchste Repräsentant des Hochadels am Wiener Hof, der als Oberstkämmerer zum engsten Kreis der Königin zählte und der selbst 624 Ebda 8. 625 Ernst M. Kronfeld, Jacquin. In: Österreichische Rundschau III (Wien 1905), 237–251, hier 242. 626 Vgl. Praefatio. In: N. J. Jacquin, Plantarum rariorum Horti caesarei Schoenbrunnensis, Vol.1 (1797). 627 Oehler, Beschreibung des Lustschlosses (1805), 11. 628 Rudolf Khevenhüller Metsch und Hanns Schlitter (Hg.), Aus der Zeit Maria Theresias. Die Tagebücher des Fürsten Johann Joseph, 8 Bde. (Leipzig 1907–1925), Bd 3, 12.

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auch in Leiden studiert hatte, nahm bereits neugierig Anteil an dieser Entwicklung, die Jacquin alsbald mitgestalten sollte. Die Naturaliensammlung erhielt in der Topographie der Hofburg einen zentralen Platz, während die ebenfalls sehr bedeutende, neu ausgerichtete Münzsammlung in den Leopoldinischen Trakt der Hofburg übersiedeln musste. Mit den Naturalien kam auch der lothringische Chevalier Jean de Baillou, ihr ehemaliger Besitzer, nach Wien. Im Dienst des letzten Medici stehend, war er 1735 zum Generaldirektor der berühmten Galerie in Florenz und 1736 Generaldirektor aller Festungen, Gebäude, Gärten und Bergwerke der Toskana ernannt worden.629 Jedoch nahm infolge des Todes seines Arbeitsgebers die Funktion ein schnelles Ende. Durch den Tausch der Territorien wurde Baillou aus dem mediceischen in den lothringisch-habsburgischen Dienst übernommen und durch den Verkauf seiner Sammlung an Franz Stephan von Lothringen übersiedelte er mit dem außerordentlichen Schatz nach Wien. Neben ihrer Repräsentationsfunktion trug diese außerordentlich reichhaltige Kollektion wegen ihrer Ordnung durchaus wissenschaftlichen Charakter, bildeten doch Klassifikation und Sammlung eine Symbiose. Klassifikationssysteme in der Mineralogie wurden stets noch anhand solcher Kollektionen entwickelt. Die Sammlung repräsentierte die geordnete Natur als Vorbild für die Kultur im Herzen des höfischen Szenariums. Denn die Natur schien in dieser Zeit ihre ewig geltenden Gesetze vorzugeben, während die Kultur als unstetig galt.630 Für die so genannte »Baillousche Sammlung« war vor ihrer Übersiedlung nach Wien eine Beschreibung ihrer Ordnungsprinzipien erschienen, welche vermutlich auch das Vorbild für die Aufstellung in der Hofburg bildete. Ihr zufolge war der Schatz in drei großen Gruppen strukturiert: in Species, die aus dem Meer stammten (»Plantes Marines«), aber versteinerter Natur waren, (»Crustac8s« und »Testac8s«, »Petrificates«), in Metalle und Mineralien. In dieser Aufteilung wurde die Kollektion wohl auch in Wien arrangiert. Als besonders wertvoll wurden folgende Stücke hervorgehoben: »Ce sont ici les m8taux pr8cieux: voil# des morceaux de Mines d’or du P8rou & du Br8sel [!]; en voil/ de celles d’argent de la Plata. Elles sont toutes d’une beaut8 admirable: jamais il n’y cut minerai plus net: c’est l’or, & l’argent, tout pour.«631 Neben den vielen Krustentieren (in unserem heutigen Sinne Fossilien), Metallen und

629 Carl Friedrich Blöchlinger von Bannholz, Chevalier Jean de Baillou, erster Director des k.k. Hof-Naturalien-Cabinets zu Wien und Oberstlieutenant in der Artillerie (Wien 1868). 630 Siehe dazu Lorraine Daston, Die Kultur der wissenschaftlichen Obbjektivität. In: Otto Gerhard Oexle (Hg.), Naturwissenschaft, Geisteswissenschaft, Kuturwissenschaft. Einheit – Gegensatz – Komplementarität (Göttingen 1998), 9–39. 631 Joannon de Sa"nt-Laurent, Description abreg8e du fameux Cabinet des M. le Chevalier de Baillou (Lucca 1746), 129.

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Mineralien hatten Edelsteine einen privilegierten Platz: Mondsteine, Opale, Amethyste, Rubine hoben den ästhetischen Aspekt der Sammlung hervor. Reichtümer wie Edelsteine aus dem Orient und Gold sowie Silber aus Südamerika wurden äußerst geschätzt. Auch wenn sich diese neue höfische Naturaliensammlung als besonders reich und spezifisch ausgewählt an Stücken zeigte, bestand weiterhin permanenter Ergänzungsbedarf, zumal das dem Wesen jeder Sammlung eigen ist. Jacquin kam die Aufgabe der Erweiterung zu, wobei er seine Expedition den Vorstellungen des Kustos entsprechend gestaltete. Es ist anzunehmen, dass er aus diesem Grund eigens an das Festland Südamerikas reiste, dem im zeitgenössischen Verständnis der größte Reichtum an Metallen und Edelsteinen zugedacht wurde. Im Manuskript über die »Westindienreise« ist zu lesen: »Am 5. August [1757] übergab er eine Kiste dem Kapitain Marquart auf dem Schiffe le Jean welches erst am 27. desselben Monats absegelte. Diese Kiste war nach Amsterdam an den Bürgermeister Deutz addressiert und enthielt Fossilien, Madreporen, Konchylien, einige Münzen und Magnetsteine von [fol. 35] St. Domingo, dann die ersten Exemplare von Platina /:unter dem Namen Juan Blanco:/ die nach Östreich vielleicht nach Deutschland gekommen sein mögen, ausserdem rohe Amethyste und Smaragde auf der Mutter aus den ältesten verlassenen Smaragdgruben von Somondoco in Neugranada, Amazonenstein, Kupfererz von Havanna, ferner eine sorgfältige getroknete über 2. [fol. 36] Schuh lange Remora, viele Pfeile und andere Geräthschaften der Wilden, Münzen u.s.w. dann 43. Arten sehr seltener Samen.«632

Was die nach Wien gebrachten Münzen anbelangt, können diese heute nicht mehr identifiziert werden. Unsere Nachfrage in der heutigen Münzsammlung des Kunsthistorischen Museums Wien erbrachte jedenfalls keine Ergebnisse. Bezüglich Jacquins Hinweis, das erste Platin nach Österreich gebracht zu haben, müssen wir die Tatsache berücksichtigen, dass Platin in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts noch keinerlei Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Doch fünfzig Jahre später sollte sich das geändert haben. Zum Zeitpunkt der (auto)biographischen Niederschrift, Ende des 18. Jahrhunderts, wurden unzählige Versuche zur chemischen Bestimmung unternommen und ab 1800 setzte die industrielle Nutzung des Platins ein. Im Jahre 1757 jedoch, als das Platin durch Jacquin an das höfische Naturalienkabinett gelangte, war dieses Edelmetall, das heute den ersten Rang nach dem Golde einnimmt, zwar schon etwa ab 1750 in Europa bekannt, aber nicht besonders geschätzt. Platin galt als unreines Gold, weshalb es beim Goldsuchen nicht erwünscht war. Die spanische Regierung soll die Ausfuhr lange verboten haben, um eine Verfälschung des Goldes zu verhüten. Die Erfolgsgeschichte des Platins begann im Jahre 1741, nachdem der Metallprüfer Charles Wood Platin aus Cartagena in Nord-Kolumbien über Jamaika 632 »Reise meines Vaters nach Westindien«, ÖNB, HAD, Cod. Ser. n. 9755, hier fol. 34–36.

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nach England gebracht hatte. Erstmals stand es nun auch der Überprüfung durch europäische Chemiker zur Verfügung.633 Don Antonio de Ulloa y TorreGuiral (1716–1795) eröffnete mit einer längeren Beschreibung 1748 die Phase der steigenden Neugierde in Europa.634 Mit diesem neuen »eigenthümlichen Metall«, wie es ein Chemiker 1750 bezeichnet hatte,635 beschäftigten sich um 1750 mehr und mehr Forscher, Watson in London war einer unter ihnen.636 Als chemisch träges Metall ist es hochreaktiv, weshalb es die Alchemisten in der Folgezeit besonders faszinierte. Ob Jacquin von diesem »diabolus metallorum«637 zum Zeitpunkt seiner Reise aus Veröffentlichungen gewusst hatte oder eine der ersten Platin-Medaillen in seinen Händen hielt, die seit 1747 infolge der Münzverbesserung in Siebenbürgen auf den Markt kamen, ist nicht belegt. Ob er anlässlich seines Besuches 1754 bei dem Weltreisenden La Condamine, (der 1735–1744 mit Bouguer, den beiden Godins, den Platinbeschreiber Ulloa und anderen in Südamerika unterwegs war), vielleicht auf dieses falsche Gold stieß, ist allenfalls zu vermuten, aber nicht nachzuweisen. Zeitgenössisch wurde Jacquins Transfer des Platins aus dem Jahre 1757 jedenfalls nicht publik. Erst durch die deutlich später entstandene (auto)biographische Quelle wurde dieser Befund betont, Jacquin habe die höfische Sammlung in Wien als Erster für Österreich und »vielleicht« für Deutschland überhaupt bereichert. »Man findet sie [Platina] in Goldgruben von Santa F8 bey Cartagena und dem Dorfe Choco in der Nähe des Flusses Pinto in Peru,«638 wusste Krünitz auch zu berichten, ohne sich jedoch auf Jacquin zu berufen, und auch die Vorkommen in Südafrika, Russland und China waren noch nicht bekannt, erst 1822 wurde Platin auch im Ural gefunden.639 Die offizielle Ausfuhr aus Südamerika steigerte sich deshalb von 1750 mit 6 kg auf 115.000 kg im Jahre 1796.640 Im Jahre 1781 wurde Ulloas Bericht ins Deutsche übersetzt und auch darin war nachzulesen, dass Platin ausschließlich in Cartagena anzutreffen sei,641 jenem Gebiet, das Jacquin auch eigens im Jahre 1757 besucht hatte. Jedenfalls 633 634 635 636

637 638 639 640 641

Michael Ernst, Eine Weltgeschichte des Platins. Das achte Metall (Regenstauf 2010), 24. Antonio de Ulloa, Historical Account of the Voyage to South America (1748). Franz Xaver Zippe, Geschichte der Metalle (Wien 1857), 302. William Watson, Several Papers Concerning a New Semi-Metal Called Platina. In: Philosophical Transactions 46 (1751), 584–596. Siehe auch: Eva Flegel, Minister; Mäzen, Metallforscher. Carl Heinrich von Sickingen (1737–1791) und seine Versuche über die Platina (1782). Leben und Werk eines Laienforschers im Zeitalter der Aufklärung (Wien 1997). Michael Ernst, Eine Weltgeschichte (2010), 24. J. G. Krünitz, Oekonomische Encyclopädie, Bd. 113 (1810). Franz Xaver Zippe, Geschichte der Metalle (Wien 1857), 297ff. Luis Ferm&n Capit#n Vallvey, Export and Smuggling of Spanish Platina in the Eighteenth Century. In: Annals of Science 53 (1996), 467–487, hier 469. Don Antonio de Ulloa, Physikalische und historische Nachricht vom südlichen und nördlichen America (übersetzt von Johann Andreas Diese) (Leipzig 1781), 258. Vgl. dazu auch Michael Ernst, Weltgeschichte (2010), 184.

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beschäftigte sich Jacquin als Professor der Chemie und Metallurgie an der Bergschule Schemnitz (1763–1768) in seinen Vorlesungen auch ausführlich mit »Platina«, welches er »schwährer als Gold«642 einschätzte. Er erinnerte sich dabei, dass er trotz des vom spanischen König verhängten Ausfuhrverbots ein solches Platinstück für die Wiener kaiserliche Sammlung erwerben konnte: »Mir jedoch hat das Glück so weith favorisirt, daß als ich mich in America befände, ich ein dergleichen Platino bekommen habe, und daßelbe auch wirklich mitgebracht, so aus kleinen glatten weislichen und Stückhen bestehend, die mit etwas klaren schwarzlichen Theilen vermischt seyen, so von Magnet angezogen werden.«643

Jacquin zeigte sich deshalb so glücklich über seinen Besitz, da die alte in Südamerika betriebene Mine in Choco von den Spaniern 1720, um den Schmuggel zu unterbinden, geschlossen worden war, was den Erwerb eines solchen Stückes erschwert hatte. 1783 empfahl Jacquin in seinem Chemiebuch »Anfangsgründe der medicinisch-practischen Chemie« unter dem § 797, da dieses neue Metall für den Arzt nicht von Bedeutung war und er sich daher hierüber nur kurz aufhalten würde, jedenfalls die Lektüre der Arbeiten des Herrn Grafen von Sickingen.644 Offensichtlich existierten über Jacquins Schwager Ingenhousz enge Kontakte zu Wien. Denn 1784 besuchte Sickingen die Stadt und nützte die Gelegenheit, Ingenhousz aufzusuchen, um gemeinsam mit ihm einige Experimente zur spontanen Brennbarkeit von Platindraht durchzuführen, was einen zusätzlichen Beweis für die Edelmetalltheorie bedeutete.645 Und auch Georg Forster berichtete seinem Freund Sömmering am 16. August 1784, als er in Wien weilte: »Graf Sickingen ist auch hier. Er sieht aus wie ein alter Liebhaber in der französischen Comödie, oder ich möchte sagen, wie ein Charlatan, das er aber nicht ist, oder wie ein Alchymist […] ein gescheuter Kopf ist er aber. Er hat ein Stück Platinablech […], es sieht wie Silber aus und ist völlig biegsam.«646

Auch in seinem 1785 in zweiter Auflage erschienenen Lehrbuch zur Chemie ordnete Jacquin Platin eindeutig als eigenes Metall und beschrieb kurz chemische Reaktionen, wie die Tatsache, dass es rostfrei sei und keine Säure es auflöse. 642 Siehe die Mitschrift der 1765/66 gehaltenen Vorlesung an der Bergschule in Schemnitz: Nikolaus Jacquin, Collegia Chymica. Budapest, Orsz#gos Szechen8nyi Konyvt#r. Quart Germ., Handschrift 237, fol. 138–160. 643 Nikolaus Jacquin, Collegia Chymica (1765/66), fol. 142. 644 Nikolaus Joseph Jacquin, Anfangsgründe der medicinisch-practischen Chymie, zum Gebrauche seiner Vorlesungen (Wien 1783), 449. 645 Norman and Elaine Beale, Echoes of Ingen Housz the long lost story of the genius who rescued the Habsburgs from Smallpox and became the father of photosynthesis (Salisbury 2011), 178. 646 Forster an Sömmering, Wien, 16. August 1784, ediert bei: B. Leuschner: G. Forsters Werke, Bd. 14 (Berlin 1978), 157.

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Noch Jahre später interessierte sich Jacquin außerordentlich für Platin, so legte er seinem auf Reisen befindlichen Sohne Joseph 1790 extra nahe, ihm Platin zu besorgen.647 Denn in der Zwischenzeit, 1778, war die Methode der Herstellung des reinen Platins möglich geworden.648 Langsam setzte eine industrielle Nutzung ein, es wurde sowohl bei der Spiegelherstellung für Fernrohre verwendet als auch bei der Porzellandekoration. Es ist gesichert, dass Jacquin Platin nach Wien in die kaiserliche Sammlung brachte. Ob es das erste überhaupt war, ist nicht zu belegen. Und es besteht auch kein Zweifel, dass Jacquin von einem guten Gespür für neuartige Materialien und Innovationen geleitet wurde, jenen Objekten, die er den höfischen Sammlungen zur Verfügung stellte. Kommen wir nochmals zum Ausgangspunkt von Jacquins Expedition. Die Einschulung, die ihm noch vor seiner Abreise in die Karibik durch Baillou in der Sammlung persönlich geboten wurde, hatte sich gelohnt. Jacquin wusste die Vorlieben des Leiters dieser kaiserlichen Sammlung einzuschätzen, und er erweiterte diese durch seine Westindienreise immens. Ebenso erfolgreich war Jacquin mit seinen für die Schönbrunner Menagerie in der Karibik gejagten Kleintieren und prächtigen Vögeln. Ein Graufuchs und ein Opposum, fliegende Eichhörnchen, Papageien, Sittiche und tropische Kernfresser kamen lebend in die 1752 neu angelegte Menagerie.649 Später, nach dem Tod Franz Stephans 1765, van Swietens 1772 sowie Maria Theresias 1780 und während der Alleinregierungszeit Josephs II. erkaltete Jacquins engste Beziehung zum Hof und zur kaiserlichen Familie. Er schien von diesem zutiefst enttäuscht zu sein, was er 1784 dem in Wien weilenden Schriftsteller Heinrich Sander wissen ließ, der diese Information in seine Reiebeschreibung aufnahm, über Jacquin, der »tief den Undank und die Ungerechtigkeit des Hofes fühlt[e].«650 Sander wusste noch mehr zu kolportieren: »Man hat ihm die Pension genommen, die ihm vermöge eines Kontrakts mit Kaiser Franz I. gehörte, als er auf dessen Befehl die Reise nach Amerika that.«651 Für eine Weile schien die große Tat seiner Expedition vergessen zu sein. Trotz dieser Enttäuschung steuerte er für die von Joseph II. 1783 bis 1797 ausgeschickten Sammelreisen nach Übersee Hinweise für die Instruktionen und 647 Vgl. Brief Nikolaus Jacquins an Joseph Franz Jacquin, 13. März und 24. November 1790, TLMF, Bibl., NL-Smlg, Heufler. 648 Luis Ferm&n Capit#n Vallvey, Export and Smuggling of Spanish Platina in the Eighteenth Century. In: Annals of Science 53 (1996), 467–487, hier 469. 649 Siehe dazu auch Ernst M. Kronfeld, Jacquin. In: Österreichische Rundschau III (Wien 1905), 237–251, hier 243. 650 Heinrich Sander, Beschreibung einer Reise durch Frankreich, die Niederlande, Deutschland und Italien; in Beziehung auf Menschenkenntnis, Industrie, Litteratur und Naturkunde insonderheit, 2. Teil (Leipzig 1784), 541f. 651 Heinrich Sander, Beschreibung einer Reise (1784), 541f.

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fungierte als Berater bei der Personalauswahl.652 Zu den kaiserlichen Sammlungen pflegte er weiterhin ein Naheverhältnis, so stand er mit dem ab 1776 als Kustos wirkenden Ignaz von Born bereits seit 1771 in Briefkontakt. Seine Enkeltochter heiratete Karl Franz Anton von Schreibers (1775–1852), der ab 1809 das Naturalienkabinett leitete. Kontinuität zeigte die enge Beziehung Jacquins zum Holländischen Garten zu Schönbrunn (Abb. 25). Joseph II. hatte ihn ja, wie schon erwähnt, zum Berater bezüglich der ab 1783 ausgeschickten Expeditionen erkoren. Franz Boos, Franz Bredemeyer und Georg Scholl hatten in der Zeit von 1783–1786 Pflanzen auf Puerto Rico, Caracas und auch in dem Gebiet des Orinokostromes, auf Curacao, am Kap der Guten Hoffnung sowie der Isle de France und Bourbon (1786–1788) für Schönbrunn gesammelt, Scholl verblieb sogar bis 1799 in Südafrika. Akribisch wurde während dieser Zeit das nach Schönbrunn verbrachte lebende Pflanzenmetarial von Jacquin gesichtet. Sofort ereilte seinen auswärts weilenden Sohn die Nachricht des Vaters, dass ein durch Franz Boos erworbener Muskatnussbaum in Wien eingelangt war.653 Wenige tropische Nutzpflanzen wie der Muskatnussbaum (Myristica fragrans Houtt.) oder der Gewürznelkenbaum (Syzygium aromaticum (L.) Merr. et L. M. Perry) sind besser geeignet, die Konkurrenz der europäischen Mächte zu verdeutlichen. Bis 1770 wuchsen beide Gewürzpflanzen ausschließlich auf den Molukken. Das von den Niederländern streng gehütete Monopol wurde durch den französischen Transfer über die Isle de France (früher auch 6le de France, Mauritius) nach Westindien (den französischen Antillen) durchbrochen. Den Briten gelang es dann im Jahre 1802, einige tausend Muskatpflanzen auf den Molukken zu erwerben und sie auf die Insel Penang zu versetzen. Von dort wurden sie erst Jahrzehnte später in weiterer Folge auf die englischen Besitzungen auch nach Westindien gebracht.654 Die Ausbeute der Reise von Boos nach der Isle de France oder jene von Scholl nach dem Kap der Guten Hoffnung für Schönbrunn übertraf alle Erwartungen, wobei Gewürznelken- und Muskatnussbaum eindeutig zu den begehrtesten Objekten zählten. In einem Brief Bredemeyers wird dieses Motiv direkt belegt: »Niemand will glauben, dass unsere wichtigsten Absichten auf Giroflier, Muscasdier und dergleichen gerichtet sind, sondern sie sind im Stande zu behaupten, dass wir den Franzosen Isle de France wegzunehmen«655 gedenken. Das 652 Siehe dazu den Bestand im HHStA, OMeA, SR 176f.; siehe auch besonders: Helga Hühnel, Botanische Sammelreisen (1992), 61f. 653 Vgl. Brief Nikolaus Jacquins an Joseph Franz Jacquin, 11. Juni 1788 und 30. Juli 1788. TLMF, Bibl., NL-Smlg, Heufler. 654 Vgl. dazu: Heinz Brücher, Tropische Nutzpflanzen. Ursprung, Evolution und Domestikation (Berlin / Heidelberg / New York 1977), bes. 426. 655 ÖNB, HAD, Cod. Ser. n. 3517, fol. 412, Bredemeyer an Cobenzl, Genua, 22. April 1792. –

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Abb. 25: Franz Boos: Plan des Schönbrunner Gartens 1780, Detail

Verlangen nach dem Besitz wirtschaftlich bedeutsamer Handels- und Nutzpflanzen erschien selbst den konkurrierenden Protagonisten offenbar als eminent politisches Unterfangen, das in reiner Machtpolitik münden könnte. Auch die Ankündigung der Erwerbung eines einzigen aus Martinique stammenden Nelkenbaums begeisterte den Schönbrunner Gartendirektor Schot 1785 ganz besonders, ungeachtet der weit umfangreicheren Sendungen von anderen in Wien bereits kultivierten und teilweise noch unbekannten prächtigen Exemplaren.656 Nikolaus Jacquin zeigte sich recht enttäuscht, als er 1788 erfuhr, dass fünf Bäume der Muskatnuss während der Überfuhr am Schiff eingegangen waren. Er freute sich über den neuen exotischen »Wald von Bäumen in den Gewächshäusern« und meinte vertraulich gegenüber seinem Sohn: »Der Großtheil ist Boos unbekannt, da er es von den Bergen genommen hat, ohne zu wissen, was es ist. Alles andere, was er aus Gärten oder kultivierten Stellen Bredemeyer war auf dem Weg zu einer zweiten Reise nach der Isle de France, die aber dann nicht zu Stande kam. 656 ÖNB, HAD, Cod. Ser. n. 3794, Pars. I., fol. 52, Cobenzl an Märter, 21. November 1785.

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genommen hat, hat den Namen der Örter/Länder.«657 Obwohl Jacquin noch keine genaueren Angaben erhalten hatte, wusste er seinem Sohn im selben Brief jedenfalls über eine besondere Sensation zu berichten, nämlich dass Zimt aus Ceylon und acht verschiedene Bananenarten in der Sendung dabei waren. Aus diesen privaten Quellen ersehen wir, dass es bei den josephinischen Expeditionen nicht nur darum ging, den höfischen Schönbrunner Garten ästhetisch auszustatten, sondern auch an einem weltweiten Trend des Nutzpflanzentransfers im Sinne eines Ressourcenbewusstseins teilzuhaben.658 Diese Sensation bestätigt auch Graf Karl von Zinzendorf, der im September 1788 den Schönbrunner Garten besuchte und in sein Tagebuch notierte: »17. September (1788). Am Morgen zu Pferd nach Schönbrunn zu Reich [Ryk van der Schot]. Er zeigte mir in den Glashäusern, was ich bereits kannte, dafür in einem anderen, was ich noch nie gesehen hatte, nämlich den Reichthum der von der Isle de France stammenden Flora, etwa hundert Pflanzen des Artocarpos und des Brotbaum, mehrere Exemplare des Zimtbaumes Laurus Cinnamonum, Bäume von Mangistanen, der ausgezeichneten Früchte aus Indien, vierzehn Arten von Bananen, viele Pflanzen, von denen er selbst noch keinen Namen weiß, die Poule des Sultan, dann Kokosnüsse – aus einer von ihnen entnahm er einen bereits sauer gewordenen Saft – und reife Pisangfrüchte, von denen er mir zum Kosten gab. [….] Die Gefäße, die diese Pflanzen enthalten, sind Fässer oder Bottiche für Bordeauxwein, die man auf der Isle de France umsonst bekommt. Ihn ihnen befindet sich Erde von der Isle de France und von Bourbon, von Madagaskar und vom Kap.«659

Jacquin, der ehemalige Höfling der späten Barockzeit, musste sich in der Folge den verändernden gesellschaftlichen Verhältnissen anpassen, in denen das bürgerliche Element an Bedeutung gewann, wiewohl er seine elitär-höfische Attitüde schwerer ablegte als vielleicht sein Souverän. Die Krankheit des Herrschers hat ihn sehr beschäftigt, denn er schrieb an seinen Sohn, der gerade in Paris weilte: »Der König [Joseph II.] ist, wie du weißt, auch sehr krank und man fürchtet ihn alle Tage zu verlieren, die Ärzte haben ihn für unheilbar erklärt.« Diesem Brief fügte Gottfried Jacquin am nächsten Tag noch einen Zettel mit der lapidaren Bemerkung bei: »Joseph ist entschlafen. Heute früh um 6 Uhr ist es passiert, den Großherzog [Leopold] erwartet man alle Stunde.«660

657 Vgl. Brief Nikolaus Jacquins an Joseph Franz Jacquin, 30. Juli 1788, TLMF, Bibl., NL-Smlg, Heufler. Eigene freie Übersetzung. 658 Siehe dazu: Marianne Klemun, Österreichische wissenschaftliche Sammelreisen nach den Amerikas, 1783–1789. Intentionen, Implikationen und Instruktionen. In: Thomas Fröschl und Ursula Prutsch (Hg.), Österreich und die Amerikas (= Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit, 5. Bd., 2005), 21–35. 659 Hans Wagner (Hg.), Wien von Maria Theresia bis zur Franzosenzeit. Aus den Tagebüchern des Grafen Karl von Zinzendorf (Wien 1972), 136. 660 Nikolaus Jacquin an Joseph Jacquin, Brief, 17. Feber 1790 mit der Beilage von Gottfried

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Noch andere Todesfälle hatte Jacquin zu verkraften. Richard van der Schot, Jacquins Begleiter in die Karibik und langjähriger Verwalter der Schönbrunner Gärten war nur einen Tag vor seinem Kaiser verstorben. Über die weitere politische Entwicklung ließ Jacquin seinen Sohn wissen: »Am 11. [März 1790] erwarten wir hier unseren neuen König, und im Monat Mai die gesamte königliche Familie. Der Tod von Ryk [Schot] betrübt mich sehr. Wir erwarten bei der nachfolgenden Besetzung [die Leitung der Gärten zu Schönbrunn] die Ansicht unseres neuen Souveräns. Es gibt hier Herren (cavaliers), die wollen, dass ich mich hier als Intendant platziere und dass Du nach meiner Rückkehr mein Amt besetztest. Einstweilen hat Boos die Direktion über die Gärten. Ich mische mich in nichts ein.«661

Jacquin wartete vornehm ab, wie sich die Beziehung zum neuen Herrscher Leopold II. anschickte. Recht schnell erhielt er am 20. April 1790 Audienz bei ihm, der ihn »sehr charmant empfangen«662 habe, wie er seinem Sohn berichtete. In dieser Audienz ging es vornehmlich um die Fortsetzung der durch Joseph II. bereits genehmigten Reisefinanzierung seines Sohnes. Wohl hatte sich Jacquin auch dem neuen Herrscher persönlich vorgestellt und empfohlen, einer Persönlichkeit, die für die Naturwissenschaften durchaus Verständnis zeigte und in Florenz diesbezüglich aktiv war. Jacquin blickte zu diesem Zeitpunkt (1790) als Professor an der Universität Wien und als Leiter des Botanischen Gartens am Rennweg auf eine langjährige äußerst erfolgreiche wissenschaftliche Tätigkeit zurück. Die bisherige Karriere und der damit verbundene akademische Status machten es ihm möglich, sich gegenüber allfälligen jungen Konkurrenten zu behaupten. Der neue Kaiser Leopold II. erkannte im Jahre 1791 Jacquins Autorität als erster Botaniker Wiens und innerhalb aller Hofgärtner und hofnahen Berufskollegen an und beauftragte ihn offiziell mit der Beschreibung der aufgrund der Expeditionen nach Wien gelangten und in Schönbrunn kultivierten Exoten, worüber Jacquin im Vorwort zum Hortus Schönbrunnensis ausführlich berichtete: »Im März 1791 wurde ein Schönbrunner Gartendirektor ernannt, welche Würde aber nach drey Monathen wieder eingieng. Dieses Amt bekleidete der Freyherr van der Lühe, und damals trennten sich von Boos Oberinspection zwey Hofgärnter, welche für sich bleiben. Im folgenden September übertrug der Kaiser mir und meinem Sohne die Sorgfalt für alles dasjenige, was in dem Garten eigentlich zum botanischen Studium

Jacquin (deutsch) an seinen Bruder Joseph, 18.–20. Februar 1790. TLMF, Bibl., NL-Smlg, Heufler. 661 Nikolaus Jacquin an Joseph Franz Jacquin, 6. März 1790. TLMF, Bibl., NL-Smlg, Heufler. Eigene freie Übersetzung. 662 Vgl. Nikolaus Jacquin an Joseph Franz Jacquin, 21. April 1790. TLMF, Bibl., NL-Smlg, Heufler.

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gehört, und trug mir sogleich auf, ein Verzeichnis von allen Pflanzen des Gartens zu verfassen und zum Druck zu befördern.«663

Im Unterschied zu seiner eigenen Situation des Jahres 1759, als Jacquin über ein Monopol bezüglich des gemeinsam mit Schot gesammelten Materials verfügte, war das in der Zeit der josephinischen Expeditionen ganz anders. Die Sammler unterwegs hatten nun kein ausschließliches Recht auf ihre Ausbeute, da sie diese mit Jacquin teilen bzw. ihm die Priorität der Bearbeitung überlassen mussten. Jacquin sicherte sich somit vom Schreibtisch aus auch die Berechtigung der Beschreibung jener Pflanzen, die aus den beiden Amerikas, Südafrika und über die Isle de France auch aus Asien nun in der Zeit von 1783 bis 1799 in den Garten nach Schönbrunn gekommen waren und dort von den Gärtnern kultiviert wurden. So bekam Jacquin diesmal ohne eigene Mühen einer mühvollen Expedition die Gelegenheit, über das einmalige aus Nord- und Mittelamerika stammende Material zu verfügen und es zu bearbeiten. Zudem weitete sich der Horizont des Sammelraumes noch erheblich in Richtung Alte Welt aus, auf Südafrika und auf die Isle de France (heute Mauritius). Für viele Unternehmungen der europäischen Mächte bildete die Isle de France eine wichtige Station, auf dem Weg nach Asien. Pamplemousses (der heutige Name ist Sir Seewoosagur Ramgoolam Botanical Garden), der 1756 gegründete kolonial-botanische Garten, wurde zur Drehscheibe für den (Nutz)Pflanzentransfer aus Asien in die Neue Welt. Der Garten spielte ab der Mitte des 18. Jahrhunderts eine zentrale Rolle sowohl im Expeditionsgeschehen als auch für die Artenkenntnis und das auch für Wien. Man wundert sich dennoch, wie der Garten zu Schönbrunn in den Besitz eines Lebendexemplars der in Madagaskar endemischen Palme »Ravenala madagascariensis Sonn.« kam. Das außerordentlich auffällige Gewächs war in Europa zwar durch Etienne de Flacourt (1661) erstmals bekannt664 geworden, der die Nutzung der Blätter für den Hausbau beschrieben hatte. Dennoch gelang ihre Transferierung in die Glashäuser Europas noch recht selten. Auch ihre wissenschaftliche Bestimmung harrte noch einer Entscheidung. Michel Adanson hatte die auffallende große Palme 1763 als »Ravenala« bezeichnet, jedoch wollte sie 1763 Commerson dem Enzyklopädisten Jean Le Rond d’Alembert als »Dalembertia« widmen.665 1768 wurde sie von Madagaskar auf die französische Insel Isle de France gebracht. Pierre Sonnerat hatte sie sodann auf einer Expedition des Jahres 1782, die ihn von dieser nach Madagaskar führte, gesichtet und sie als 663 Nikolaus Jacquin, Plantarum rariorum Horti caesarei Schoenbrunnensis (1797). Vorwort. Eigene Übersetzung. 664 Etienne de Flacourt, Historie de la Grande Isle de Madagascar (Paris 1661), 160 und 199. 665 Siehe dazu: Laurence J. Dorr, Proposal to Conserve the Spelling 1320 Ravenala (Strelitziaceae). In: Taxon 39 (1990), 131.

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Verwandte der Banane ausführlich beschrieben. Er war es, der die Nutzung der Ravenala im kultischen Zusammenhang darstellte und sie als botanisches Wunder Madagaskars pries. Über Mauritius, wo Boos für Schönbrunn die Pflanzen erwarb, waren Exemplare dieser Palme per Schiff und von Triest über Land nach Wien gekommen. Und Jacquin erkannte ihre Besonderheit (Abb. 26), wenn er sie als »Blatt Gottes« (»Folium bonum«, »Folium dei«) deutete und sie ausdrücklich als »Planta maxime spectabilis & ornamentum«666 beschrieb. Denn die Wedel wachsen fächerartig in nur einer Ebene aus dem Stamm heraus. Jacquin hatte somit einerseits die diesbezügliche rare Literatur gekannt, andererseits mit seinem ästhetischen Blick die einzigartige Form der Palme begriffen. Jacquins Abbildung bezieht sich auch auf ein noch eher junges Individuum und ist weitaus differenzierter gestaltet als jenes von Sonnerat visualisierte, der sie ja vor Ort wachsen sah.667 Der Bezug auf eine noch wenig ausgewachsene Palme erklärt sich daraus, dass eher nur junge Pflanzen für den weiten Transport ausgesucht worden waren. Heute rangiert die stattliche Palme als offizielles Emblem der Insel und für Ökologen als Flagship Species. Damit wird die Bedeutung der Diversität Madagaskars und ihrer Krise infolge der Abholzung in größeren Zusammenhängen propagiert. Laut Zinzendorfs Tagebuch zeigte auch dieser sich anlässlich seines erneuten Besuches des Schönbrunner Gartens sehr interessiert an der Flora der Isle de France und Madagaskars, »machte die Bekanntschaft von Herrn Boos, der viele der neuen Pflanzen auf der Isle de France gesammelt hat, wo er sich zehn Monate aufhielt. Er erzählte mir von dem dortigen botanischen Garten mit exotischen Pflanzen und Gewürzbäumen, der von Monsier Poivre errichtet wurde. Die Rinder und Pferde in Madagaskar sind sehr schwach. Man behandelt die Neger gut. Auf der Isle de France gibt es Zuckerplantagen …«668

Boos hatte fleißig gesammelt, bearbeitet jedoch hatte die Schätze Jacquin. Als Kaiser Leopold II. im Jahre 1791 Jacquin die Aufsicht über sämtliche höfische Gärten erteilte,669 wurde Jacquin die höchste Autorität bezüglich des wissen666 Nikolaus Jacquin, Hortus Schönbrunnensis (1797), 47–48; in einer Rezension wurde die Ravenala auch eigens hervorgehoben, was zeigt, dass die Zeitgenossen diese Besonderheit zu schätzen wussten. Siehe: Hoffmann, Rezension des Hortus Schönbrunnensis. In: Göttinger Gelehrten Anzeigen, 1. Bd. (1799), 405–407, 407. 667 Diese Abbildung ist bei Feeley-Harnik zu finden. Siehe: Gillian Feeley-Harnik, Ravenala Madagascariensis Sonnerat: The Historical Ecology of a »Flagship Species« in Madagascar. In: Ethnohistory 48 (2001) 31–86. 668 Wagner (Hg.), Wien von Maria Theresia (1972), 19. August 1789, 137. 669 Diese Aufgabe belegt eine »Conduitenliste« aller Gärtner im höfischen Dienste in Wien, die zwar nicht datiert ist, aber sicher aus der Zeit nach 1786 aus dem Nachlass der Jacquins stammt. Siehe dazu: ÖNB, HAD, 199/6–1. Dieses Dokument wurde 2014 an die Erben von Kronfeld restituiert. In dieser Führungsliste sind Alter, Sprachkenntnisse und Fleiß der

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Abb. 26: Der Baum der Reisenden, Ravenala madagascarienis Sonn., Endemit aus Madagaskar, wurde über die Isle de France (Mauritius) als Sensation nach Schönbrunn gebracht (Horti Schoenbrunnensis, Vol. I, 1797, Taf. 93)

schaftlichen Zugriffs auf den in Schönbrunn kultivierten neu erworbenen Pflanzenbestand zuteil. Keiner der im Auftrag Josephs II. reisenden Gärtner der Jahre 1783–1799 konnte ihm diesen Zugang streitig machen. Und van der Schot war 1790 an der Wassersucht gestorben. Nach ihrer Rückkehr standen die Reisenden als Gewährsleute für Jacquins Gartenkatalog zur Verfügung. Josef Boos (Sohn des Franz Boos 1753–1832, der ab 1790 Direktor der Menagerie und ab 1807 Direktor sämtlicher Hofgärten war) verfasste sein Verzeichnis des Holländischen Gartens zu Schönbrunn erst ein Jahrzehnt später.670 Auf dieser breiten Basis der in Schönbrunn kultivierten Exoten erschien sodann Jacquins bebildeter Gartenkatalog 1797–1804 als Hortus Schönbrunnensis, der Jacquin erneut wie schon nach der Karibikreise zum Erstbeschreiber Gärtner berücksichtigt. Siehe dazu auch das Vorwort Jacquins zum Hortus Schönbrunnenesis (1797). 670 Josef Boos, Schönbrunns Flora oder systematisch geordnetes Verzeichniss der im kais. königl. Holländisch-Botanischen Hofgarten zu Schönbrunn cultivirten Gewächse (Wien 1816).

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zahlreicher fremdartiger Arten machte. Jedoch beklagte er sich trotz paradiesischer Umstände über seine Arbeitssituation, womit er seine Selektion von Pflanzen begründete, die von einer zunächst angestrebten Bearbeitung des kompletten Schönbrunner Pflanzenbestands weit entfernt blieb: »Allein es [der geplante Pflanzenkatalog] würde damals als unvollkommen geworden seyn, weil man von vielen Pflanzen die Fruktifikation noch nicht kannte, und obwohl jährlich einige neue zur Blüthe kamen, doch die Zahl der noch unbestimmten bis gegenwärtig (1797) sehr beträchtlich ist; zugleich vermehrten sich die Pflanzen durch die häufig eingeschickten Saamen von Tag zu Tag. Auch stieg die Zahl der zweifelhaften dadurch, daß man nach Richard Schots Tode die echten Verzeichnisse671 der eingeschickten Gewächse nicht finden konnte,672 wovon bloß die Nummern an den Stämmen angeheftet waren. Allein diesen Verlust ersetzte ich einigermaßen dadurch, daß ich mit den Gärtnern Boos und Bredemayer sogleich alle Glashäuser durchgieng, welche die Benennungen von den Pflanzen, die sie selbst überbracht hatten, so gut sie sich ihrer erinnern konnten, angaben.«673

Laut einem Verzeichnis der Pflanzen, einem auf Richard van der Schot zurückgehenden Manuskriptband, den später Kronfeld bearbeiten konnte, verfügte Schönbrunn im Jahre 1799 über einen Pflanzenbestand von mehr als 5000 Spezies. Um einen Eindruck zu geben, welche Kostbarkeiten vorhanden waren, ist der Vergleich mit Leidens Schätzen aufschlussreich: Konnten in Leiden durch die direkte Verbindung der am Kap stationierten Kompagnie-Gouverneure und ihren Schiffssendungen Seltenheiten aus Südafrika wie Proteen direkt bezogen werden, um hier eine Pflanzenfamilie aus der Vielfalt herauszugreifen, so verfügte Schönbrunn trotz nur weniger Expeditionen dennoch über weitaus mehr Arten an Proteen.674 Etwas kurios mutet die Tatsache an, dass Jacquin seine 1754–1759 unternommene Reise nun in seinem 1799 erschienenen Vorwort zu dem Hortus Schönbrunnensis erstmals ausführlich schilderte. Die Erklärung drängt sich auf: Er stellte allerdings damit seine Expedition an den Anfang einer ruhmvollen Geschichte des Holländischen Gartens in Schönbrunn und der gedeihlichen 671 Richard van der Schot (1733–1790) hinterließ ein »Manuskript des Schönbrunner Hofgartens« und ein 1774 begonnenes und 1780 ergänztes systematisches Pflanzenverzeichnis nach Linn8 in 3 Bänden. Es bestand aus montierten Kartonkärtchen, hatte etwa 450 Seiten und war in der Verwaltung der Schönbrunner Bundesgärten (Sign. 1493), die es 1988 erworben hatten. Infolge der Provenienzforschung wurde es 2014 an die Erben Kronfelds übergeben. Siehe dazu: https://www.dorotheum.com/auktionen/aktuelle-auktion, abgerufen am 4. August 2016; die Auktion fand am Mai 2015 statt. 672 Dieses Verzeichnis fand sich später interessanterweise in Kronfelds Besitz. 673 Oehler, Beschreibung des Lustschlosses (1805), 24. 674 Ernst Moritz Kronfeld, Der Schönbrunner botanische Garten im Jahre 1799. In: Archiv für die Geschichte der Naturwissenschaften und der Technik, 3. Bd. Heft 1 (1910), 330–356. In dieser Publikation findet sich die komplette Auflistung der Pflanzen.

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Entwicklung infolge der vom Hof weiterhin finanzierten Expeditionen. Dieses Vorwort wurde in der Folge etliche Male rezipiert und ins Deutsche übersetzt erneut abgedruckt.675 Erst aus der Perspektive des kontinuierlichen Ausbaus des Holländischen Gartens wurde Jacquins bedeutender Anteil daran jenseits der Botaniker-Community nun erstmals auch öffentlich dokumentiert. Die Darstellung seiner Leistungen in dem Vorwort sollte sich sodann in die Geschichte Schönbrunns einschreiben.676 Eine weitere Begründung für diese Verzögerung von vierzig Jahren kann darin gefunden werden, dass die naturkundliche Expeditionstätigkeit global seit der Mitte des 18. Jahrhunderts rasant zugenommen hatte und nun auch Reputation genoß. Damals, 1759, war es für ihn, den unbekannten Botaniker, zunächst wichtig, die Pflanzen wissenschaftlich zu beschreiben. Später galt es zu zeigen, dass er jenen Reigen an höfischen Expeditionen eröffnet hatte, welcher den Garten zu Schönbrunn zu einem der weltweit bedeutendsten gemacht hatte. Es war zum Beispiel kein Zufall, dass 1792 Alexander Humboldt Wien besuchte, um sich in Schönbrunn auf seine für die Naturkunde so bedeutende Reise nach Südamerika vorzubereiten.677 Der Hof und die Wissenschaften, der Holländische Garten und dessen Dokumentation, der die Expeditionen finanzierende Herrscher und der Botaniker Nikolaus Jacquin, beide wirkten als »Ressourcen füreinander.«678 Keiner von den beiden instrumentalisierte den jeweils anderen, sondern beide profitierten voneinander bezüglich des Faktors Reputation. Nicht zufällig ist der Holländische Garten von Zeitgenossen als »Schatzkammer« bezeichnet worden. Eine erfolgreiche »Ressourcenmobilisierung« hatte sich damit vollzogen: 675 So zum Beispiel die Rezension der ersten zwei Bände des »Hortus Schoenbrunnensis« in der Allgemeinen Literatur-Zeitung, 3. April 1800, Nr. 96 (1800), 26–30. 676 Dieses Vorwort wurde in zahlreichen Gartenzeitschriften fast wortwörtlich reproduziert. So etwa: Friedrich Justin Bertuch und Johann Volkmar Sickler, Garten-Miscellen. Geschichte der Gärten zu Schönbrunn in der letzten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts. In: Allgemeines Teutsches Garten-Magazin, oder gemeinnützige Beiträge für alle Theile des practischen Gartenwesens 1 (1811), 157–163; Nikolaus von Jacquin, Geschichte der Gärten zu Schönbrunn in der letzten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts. In: Carl August Hellenthal (Hg.), Der Allgemeine Oekonomische Sammler. Oder Auswahl der neuesten, besten und vorzüglichsten Abhandlungen und Aufsätze über das Ganze der Landwirthschaft (Pest 1813), 95–104; Kurt Sprengel, Der kaiserliche Garten zu Schönbrunn. In: Gartenzeitung oder Repertorium neuer, gemeinnütziger und wissenswürdiger Dinge in allen Zweigen der Gartenkunst, Bd. 3 (Halle 1805), 139–143. 677 Humboldt war wohl durch die Icones Plantarum Rariorum (Wien 1781–1786) auf Schönbrunn aufmerksam geworden. 678 Siehe dazu allgemein: Mitchell Ash, Wissenschaft und Politik als Ressourcen für einander. In: Rüdiger vom Bruch und Brigitte Kaderas (Hg.), Wissenschaften und Wissenschaftspolitik. Bestandaufnahmen zu Formationen, Brüchen und Kontinuitäten im Deutschland des 20. Jahrhunderts (Stuttgart 2002), 32–51, hier 32–36, sowie Sybille Nikolow und Arne Schirmacher (Hg.), Wissenschaft und Öffentlichkeit als Ressourcen füreinander. Studien zur Wissenschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert (Frankfurt am Main / New York 2007).

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»Um sich eine richtige Vorstellung dieses Gartens zu machen, muß man ihn nicht als einen eigentlichen botanischen Garten betrachten. Bey der Anlage der botanischen Gärten sieht man hauptsächlich auf die Menge, die Vollständigkeit, die systematische Ordnung und auf die Anpflanzung all dessen, was zum Studium und zum gemeinnützigen Unterricht gehört. Bey dem Schönbrunner Garten hatte man zum Hauptaugenmerk die Seltenheit und Kostbarkeit der Gewächse. Man betrachtete ihn daher als eine botanische Schatzkammer. Als ein wahrhaft kaiserliches lebendiges Pflanzenkabinet, welches unter dem wohlthätigen Einfluß des allerhöchsten Hofes, unter der wissenschaftlichen Leitung des Seniors der großen Botaniker Europens, des Herrn Nikolaus von Jacquin, und unter der sorgfältigen Pflege eines der größten Cultivateurs, des Herrn Boos, auf das herrlichste gedeihet.«679

In puncto Expeditionen trat Schönbrunn in Wettbewerb mit anderen führenden europäischen Nationen. Denn die europäischen Mächte intensivierten im Laufe des 18. Jahrhunderts ihre weltweite Präsenz auf unterschiedlichsten Wegen, die lange in der historischen Forschung entweder kolonialpolitisch, ökonomisch oder kulturell wissenschaftlich separat verlaufend beschrieben wurden. Ökonomie, Wissenschaft und Politik als verflechtet zu sehen, zeigt, wie etwa die Mobilisierung von Pflanzensammlern in der Welt sich im Falle der Briten nicht nur als fruchtbar für die Kenntnis und Einführung neuer Pflanzenarten, sondern auch als konstitutiv für den Aufbau des Britischen Weltreiches auswirkte.680 Die auf Jacquins Vorwort basierende zeitgenössische Beschreibung von Schönbrunn wusste diesen Diskurs durchaus aufzugreifen: »Der große Rivale Schönbrunns, der königliche Garten zu Kew unweit London vergrößert sich zwar gegenwärtig immer durch eine Menge neu entdeckter Gewächse, welche aus der pflanzenreichen Botany Bay, und anderen unter der britischen Seeherrschaft stehenden Ländern dahin gebracht werden, allein der Schönbrunnergarten hat dafür im Alleinbesitze viele Seltenheiten aus solchen Gegenden, wohin die Engländer nicht dringen können, z. B. aus Isle de France, Bourbon, aus verschiedenen französischen, spanischen und holländischen Besitzungen in Amerika, aus den innern Gegenden des Hottentotten= und Kaffernlandes und dergleichen.«681

Selbst der Brite Robert Townson, der während seiner Studienzeit 1792 auch Wien besuchte, schätze den Garten als besonders ein, wenn er schrieb: »These hot houses, I belief, are the finest in Europe.«682 Ein 15 Fuß hoher Kaffeestrauch 679 Oehler, Beschreibung des Lustschlosses (1805), 31. 680 Siehe dazu besonders. David Philip Miller, Introduction. In: David Philip Miller und Peter Hanns Reill (Hg.), Visions of Empire (Cambridge 1996), 1–18; David Mackay, Agents of Empire: The Banksian Collectors and the Evaluation of New Lands. In: David Philip Miller und Peter Hanns Reill (Hg.), Visions of Empire (Cambridge 1996), 38–57; John Gascoigne, Science in the Service of Empire: Joseph Banks, the British State and the Uses of Science in the Age of Revolution (Cambridge 1998). 681 Oehler, Beschreibung des Lustschlosses (1805), 31. 682 Robert Townson, Travels in Hungary, with a short account of Vienna (London 1797), 18.

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faszinierte ihn ganz besonders, ihn, der auch über botanische Spezialkenntnisse verfügte. Der in Halle wirkende Botanikprofessor Kurt Sprengel zählte den Holländischen Garten zu den ersten Deutschlands und seine Rangliste begründete er folgendermaßen: »Der erste botanische Garten in Deutschland und einer der ersten in Europa verdient in diesen Blättern eine besondere Erwähnung.« Und die Übersetzung des Vorworts aus Jacquins Werk übernahm auch er in seine Darstellung, die in einem Lob Jacquins gipfelte: »Aus dieser Geschichte sieht man, mit welcher Sorgfalt und mit welchem Aufwande dieser mit Recht berühmte Garten gegründet und bisher unterhalten wurde. Jacquins Werke bringen die Kenntnis dieser Schätze auf die Nachwelt.«683 Auch der Reisende Johann Friedrich Reichardt blies in dasselbe Horn, indem er Jacquins Darstellung rezipierte. In seiner Beschreibung des Holländischen Gartens artikulierte sich die Tendenz der nachträglichen Ruhmzuschreibung am deutlichsten, wenn er Jacquins Berühmtheit sogar ins Jahr 1754 verlegte, als diese noch keineswegs vorhanden war : »Der berühmte Nicolaus Joseph Jacquin wurde von dem Kaiser im Jahr 1754 sammt dem Gärtner nach Südamerica [geschickt… .] So reiche, schöne, wohlkonservirte Sendungen ausländischer Pflanzen waren noch für keine Europäische Anlage je herübergekommen, und bis jetzt [1810] kömmt daher auch noch keine andre dieser in Schönbrunn gleich.«684

V. 2. Bergschule: Ein Sprung ins kalte Wasser der Chemie und Metallurgie (1763–1768) Zu den bedeutungsvollen Sektoren, die jedes an Bodenschätzen reiche moderne Staatswesen des aufgeklärten Absolutismus ins Zentrum rückte, gehörte das Montanwesen ganz besonders, stellte es doch eine fiskalische Haupteinnahmequelle dar. Traditionsreich gelangte es im Laufe des 18. Jahrhunderts in Sachsen und den habsburgischen Ländern unter den Einfluss des Kameralismus und der wachsenden staatlichen Kontrolle.685 Kennzeichnend für den auf Optimierung 683 Kurt Sprengel, Der kaiserliche Garten zu Schönbrunn. In: Gartenzeitung oder Repertorium neuer, gemeinnütziger und wissenswürdiger Dinge in allen Zweigen der Gartenkunst, Bd. 3 (Halle 1805), 139–143, hier 142. 684 Johann Friedrich Reichardt, Vertraute Briefe geschrieben auf einer Reise nach Wien und den Oesterreichischen Staaten (Amsterdam 1810), 128f. 685 Allg. bes.: Donata Brianta, Education and Training in the Mining Industry, 1750–1860: European Models and the Italian Case. In: Annals of Science 57 (2000), 267–300; Peter Konecˇny´, Die montanistische Ausbildung in der Habsburgermonarchie, 1763–1848. In: Hartmut Schleiff und Peter Konecˇny´, Staat, Bergbau und Bergakademie. Montanexperten im 18. und frühen 19. Jahrhundert (= Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beihefte Bd. 223, Stuttgart 2013), 95–124 und siehe dazu bes. Peter Konecˇny´, 250.

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der stetigen Ausbeute im Bergbau ausgerichteten staatlichen Reformwillen waren Eingriffe in die bisher als von Mann zu Mann funktionierende Weitergabe von montanistischem Know-how, was nun ab den 20er Jahren des 18. Jahrhunderts professionalisiert an einzelne Lehrindividuen gebunden und in der Folge ab den 30er Jahren mit Bergschulen Kontur annahm. Während die Universitäten und auch die Theresianische Ritterakademie in Wien 1750686 auf die Notwendigkeit des frühmodernen Staates mit der Einführung des Faches der Kameralwissenschaften (Finanz- und Wirtschaftsangelegenheiten) reagierten, sollte die Hebung des Ausbildungsniveaus des im Bergwesen tätigen höheren Personals an Praxis geknüpft und in den zentralen Bergrevieren als Bergschulen institutionalisiert werden. Die Ausbildung einer das Montanwesen tragenden Funktionselite war in den Diskurs kameralistischer Reformer geraten, die ein formalisiertes Ausbildungsangebot für staatliche Montanbeamte entwickelten und für diesen neuen höheren Unterrichtstyp den Titel Bergakademie prägten.687 Auf kameralistischen Debatten beruhten auch die Vorschläge des am Obersten Münz- und Bergmeisteramtes in Prag tätigen Beamten Johann Thaddäus Peithner (1727–1792). Für die dortige Universität wollte er eine Akademia Montanistica entstehen lassen. Peithner sah eine Verwissenschaftlichung der montanistischen Praxis vor, eine Verbindung zwischen Theorie und Praxis, und entwickelte ein detailliertes Curriculum für dieses Studium. Auch wenn sein Memorandum nicht in allen seinen Punkten durch die Wiener Hofkammer letztlich so umfassend wie von ihm vorgesehen umgesetzt wurde, so bildete es doch den Anstoß zu einer Debatte, die schließlich in der Gründung eines sowohl in Prag als auch in Schemnitz stationierten spezifischen Lehrstuhls mündete. Es bewog die oberste Bergbehörde zum ersten Schritt, die Ausbildung der Montanbeamten zu standardisieren und diese in der habsburgischen Monarchie einander anzugleichen. Für Schemnitz bedeutete das den institutionalisierten Beginn einer Lehrschule, die sich als Keimzelle für die spätere, Jubiläum der Berg- und Forstakademie in Schemnitz. Ihre Bedeutung für die Entfaltung des höheren Montanschulwesens in Österreich-Ungarn, 1762–1919 (Kosˇice 2012), bes. 23. Auch die ältere Literatur soll nur mit einem Beispiel erwähnt werden, allerdings ist sie eher institutionen- oder personenzentriert ausgerichtet: Josef Voz#r, Die Anfänge des Hochschulunterrichts der Bergbauwissenschaften im Habsburgerreich. In: Gerda Mraz (Hg.), Maria Theresia als Königin von Ungarn (Eisenstadt 1984), 171–182. 686 Am Theresianum in Wien, wo die adelige Verwaltungselite ihre Ausbildung fand, wurde 1750 der berühmte Kameralist Johann H. G. Justi (1717–1771) als Professor angestellt. 687 Besonders sind von den früheren Protagonisten Veit Ludwig von Seckendorff (1626–1692) und Philipp Wilhelm Hörnigk (1640–1714) zu nennen. Einen direkten Einfluss übten Daniel Gottfried Schreber (1708–1777) und Carl Friedrich Zimmermann aus. Siehe auch: Carl Friedrich Zimmermann, Ober-Sächsische Berg-Academie, in welcher die BergwercksWissenschaften nach ihren Grund-Wahrheiten untersucht und nach ihrem Zusammenhange entworfen werden. 1. und 2. Stück (Dresden / Leipzig 1746).

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1770 zur Bergakademie erhobene zentrale Ausbildungsanstalt der habsburgischen Monarchie entwickeln sollte. Während zunächst in Prag eher eine generalistische Auffassung vom Montanwesen in seiner Gesamtheit, das Bergrecht eingeschlossen, und Peithners Vorstellungen ihre Umsetzung fanden, sollte der Lehrstuhl für Chemie und Metallurgie in Schemnitz auf die Vermittlung theoretischer Grundlagen und Anwendungspraxis hinauslaufen, was auf die Intervention van Swietens zurückging. Von den bereits bestehenden Bergschulen in Joachimsthal in Böhmen, Idrija in Krain (Slowenien), Schmölnitz in Oberungarn, Orawitz im Banat und Schemnitz in Niederungarn erwarb letztere somit bald eine Sonderstellung, da sie sich in einem prosperierenden Bergrevier befand, das günstige Bedingungen für eine praktische Ausbildung gewährte und die weitere Ausbildungsoffensive mit der Errichtung einer zweiten Professur 1764 auf sie konzentriert wurde. Erneut kam Nikolaus Jacquin, wie wir es bereits bezüglich des höfischen Zusammenhangs verfolgen konnten, als Mann der entscheidenden Phase aber auch als Mann der zweiten Wahl ins Spiel. Graf Herberstein, Präsident der Hofkammer, hatte Peithners Plan dem Gremium und auch van Swieten zur Begutachtung vorgelegt.688 Da Peithner, eigentlich für Schemnitz vorgesehen, jedoch darauf verzichtete und van Swieten Peithners Vorschläge auch massiv ablehnte und dieser nach seinem Wunsch auf den neuerrichteten montanistischen Lehrstuhl der Universität in Prag berufen wurde, war van Swieten wieder am Zug, die Besetzung zu bestimmen, wofür sich sein Schützling Nikolaus Jacquin zu eignen schien. Erneut fiel Jacquin in einer Aufbruchstimmung der Entwicklung einer staatlich bedeutenden Einrichtung die Rolle des Wegbereiters zu, denn der Lehrgang hatte keinen direkten Vorläufer, in dessen Fußstapfen er treten konnte. Die Bergbehörde stellte, wie bereits in einem vorigen Kapitel beschrieben, Jacquin sogar frei, seine pekuniären Erwartungen für diesen Posten zu nennen, und man kam seinen Erwartungen voll entgegen. Jacquin wurde mit der Verpflichtung zum Professor der Chemie und Metallurgie ernannt, den Unterricht in deutscher Sprache abzuhalten, einer Sprache, die ihm noch nicht so geläufig war. Sein erster Besuch in Schemnitz im September 1763 trug zur Entscheidung bei, dass er eine gewisse Vorbereitungszeit für diese – für ihn bis dahin teilweise fremde – Tätigkeit brauche. Er musste ein für einen solchen Unterricht unabdingbares Labor mit Probieröfen und den nötigen Instrumenten einrichten, sich selbst erst mit dem Bergrevier vertraut machen, seine Vorlesungen vorbereiten und sein Deutsch verbessern. Er bat um einen Aufschub für den Beginn seiner Kollegien, was ihm alsbald auch bis September 1764 gewährt wurde. Maria 688 Vgl. ÖStA, HKA, MBW, rote Nr. 225, 20.XII. 1762, fol. 50; zit. nach Wilfrid Oberhummer, Die Chemie an der Universität Wien (1965), 149f.

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Theresia soll dieses Ansinnen mit folgenden Worten erwidert haben: »Ein so guter Kopf, als er mir geschildert wird, kann in einem halben Jahre in der deutschen Sprache sich so weit vervollkommnen, um in ihr einen ihm vertrauten Lehrgegenstand vorzutragen, diese Zeit will ich ihm auch gern zu seiner Vorbereitung einräumen.«689 Diese Aussage wurde in einem Jacquin gewidmeten Nekrolog wörtlich wiedergegeben, inwieweit sie aktenkundig ist, konnte nicht verifiziert werden. Sie belegt jedoch bei all ihrer Legendenhaftigkeit, dass die Frage der fehlenden Beherrschung der deutschen Sprache gerne kolportiert wurde und Jacquins Berufung auf den Einfluss eines Dritten, nämlich van Swietens, beruhte. Die fehlenden Sprachkenntnisse im Deutschen waren schon Georg Forster, dem Weltreisenden, bekannt und es stellte auch kein Geheimnis dar, dass Jacquin anfangs kaum in die neuesten Erkenntnisse auf dem Gebiete der Chemie eingearbeitet war. Noch 1787 schrieb Georg Forster anlässlich seines Wienbesuches seinem Freund Thomas Sömmering: »Jacquin sei Professor der Chemie geworden, und habe nichts von Chemie gewusst, habe sich ein Jahr Zeit ausgebeten, die Manipulationen zu machen, seine Frau habe ihm ein Handbuch der Chemie ins Französische übersetzen müssen, weil er damals noch kein Deutsch gekonnt, und nun sei er doch so angesehen.«690 Jacquin verfügte über Kenntnisse in der Medizin und Botanik, beherrschte Latein und Griechisch, hatte durch seine Karibik-Expedition einzigartige Erfahrungen in unterschiedlichen Bereichen gesammelt. In der kurzen Zeit nach seiner Rückkehr hatte er bereits drei Werke publiziert. In der Chemie hatte er immerhin einige Vorlesungen bei dem in diesem Fach führenden Professor Gaubius in Leiden besucht und in der Mineralogie einen persönlichen Crashkurs von dem berühmten Chevalier de Baillou in der kaiserlichen Sammlung knapp vor seiner Amerika-Reise erhalten. Dennoch war die Aufgabe keine leichte. Diese Berufung zeigt das hohe Ansehen, das er bei van Swieten genoss, zeugt aber auch von dessen Last als Mäzen, den bereits mehr als drei Jahre amtlosen Klienten versorgt zu bekommen. Für Jacquin stellte die Berufung eine absolute Herausforderung dar, da er sich mit einem ihm eher fremden Metier, der Bergbaukunde, konfrontiert sah. In dieser Epoche geschah es nicht selten, dass Persönlichkeiten mit Stellen betraut wurden, ohne dass deren Eignung gebührend geprüft wurde, geschweige denn eine Publikationstätigkeit eine Voraussetzung bildete. Es genügte oft das Wort einer einflussreichen Persönlichkeit, um einen freien Posten zu besetzen. Immerhin hatte sich Jacquin auch schon im Dienste 689 [Anonymus], Nekrolog des Freyherrn Nicolaus von Jacquin. In: Vaterländische Blätter für den österreichischen Staat. Intelligenzblatt der österreichischen Literatur, Mittwoch 10. Dezember 1817, 2. Bd., Nr. 98, 99 und 100, hier 99. 690 Forster an Sömmering, Brief, 1787, abgedruckt in Brigitte Leuscher, Georg Forsters Werke. Bd. 14. Briefe 1784–1787 (Berlin 1978), 160.

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des Hofes außerordentlich bewährt, sich als versierter Sammler behauptet und sich auch für Mineralogie interessiert. Der Zutritt zum ansonsten der Öffentlichkeit bis 1765 noch verschlossenen kaiserlichen Mineralienkabinett ermöglichte ihm eine erhebliche Wissenserweiterung, denn solche Sammlungen bildeten für Interessierte stets den Ausgangsort eines seriösen Studiums. Entsprechende Gelegenheiten, die sich ihm boten, ergriff er bereitwillig, wie eine spontane Fahrt als Begleiter des ihm bekannten Arztes Leopold Erndl zu dem berühmten Quecksilberbergwerk Idria (Idrija, heute Slovenien): »Als in Idria forum Julii der Verwalter dieses Gebietes und Vorsteher der Quecksilberbergwerke,691 die es dort gibt, an einer sehr gefährlichen und langwierigen Krankheit laborierte, wurde von der Kaiserin aus dem Kreis der hiesigen Ärzte ein Primarius dorthin geschickt, der diesen Vorsteher kurieren sollte. Durch einen wichtigen Zufall war ich jenem bestens bekannt und er wollte sich mir anschließen, um einen Reisebegleiter zu haben, die Erlaubnis meines Mäzens hatte er eingeholt. So haben wir zwei einen Weg von 120 Leugae zurückgelegt. Die Stadt Idria liegt am Fluss Idria, der nicht besonders weit von Venedig in die Adria hinabstürzt. – Du könntest auf Landkarten meinen Weg nachvollziehen, achte nur auf die Namen der berühmteren Städte: Neustadt, Marburg, Unterlaibach, Idria. Es ist aber der Weg über die gewaltigen Alpen im wahrsten Sinne des Wortes zu schwierig, bisher habe ich nichts Derartiges gesehen. Zwei Vorteile habe ich aufgrund dieser Reise erlangt: Ich sah ganz verschiedenartige Gegenden, natürlich abgesehen von Österreich, Steiermark, dem windischen und karnischen Gebiet und Idria, wo es vier sehr unterschiedliche Sprachen gibt, die Idrier sprechen Illyrisch. Viel habe ich hier gesehen, aber ich werde das alles in einem eigenen Brief schreiben, um hier nicht weitschweifig zu werden; auf möglichst kurzem Weg werde ich ihn an Euch schicken, Du könntest ihn auch Deinem Vater zeigen. Aber zuvor erwarte ich eine Antwort von Dir. Ich sah dann das Bergwerk, aber das ist etwas anderes, weil ich ja nur Begleiter war für einen sehr guten und urteilsfähigen Arzt;692 hieraus ergab sich viel, was ich für die Medizin von ihm lernen konnte. Inzwischen verstarb der Kranke, was nicht verwunderlich ist, er war ein Mann von 80 Jahren, asthmatisch, hatte zwei Hernien, die Fuß Gicht, bereits seit sechs Monaten konnte er wegen des Asthmas nur aufrecht schlafen, Appetit hatte er keinen mehr, mehrere Mineralien, die ich ihm von den Händen gezupft hatte, habe ich mit mir genommen. Er war in einer Tiefe von 675 Fuß unter der Erde gewesen, auf sehr schwierigen Wegen in den Bergwerken, aber darüber später mehr.«693 691 Vorsteher war Anton von Sartori. Siehe dazu: Peter Hitzinger, Das Quecksilber=Bergwerk Idria, von seinem Beginn bis zur Gegenwart (Laibach 1860), 44. 692 Erndl war damit betraut worden. Siehe dazu: Erna Lesky, Arbeitsmedizin im 18. Jahrhundert. Werkarzt und Arbeiter im Quecksilberbergwerk Idria (Wien 1956). 693 Jacquin an Gronovius, Wien, 25. Brief, vom 17. August 1754, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 33r/v.: »[…] Quum Idriafori Julii primas ejus territorii et Praefectus Fodinarum argenti vivi ibidem loci existentium morbo periculosissimo et diuturno laboraret, missus ab imperatrice illuc est ex medicis hujatibus aliquis primarius, qui huic Praefecto mederetur. casu illi gravissimo notissimus, voluit, quo socium in itinere haberet, me sibi adjungere, atque veniam Mecaenate obtinuit; itaque ambo iter hoc 120 Leucarum sumus emensi; est

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Das war seine erste Erfahrung im alpinen Gebiet, aber sie sollte nicht seine letzte bleiben. Erstmals hatte Jacquin 1754 einen persönlichen Eindruck über ein Bergrevier gewinnen können, einen Landschaftstyp, der ihm später, 1763–1768, zur Arbeitsstätte werden sollte. Jedenfalls belegt die Briefstelle, dass sich Jacquin bereits zu diesem Zeitpunkt für Mineralien interessierte und sie auch sammelte. Ob er sie für das kaiserliche Mineralienkabinett besorgte oder für seine private Kollektion, die im Laufe seiner Tätigkeit in Schemnitz noch erweitert werden sollte, ist nicht auszumachen. Es spricht einerseits sehr für den 36-jährigen Jacquin, dass er dieses Angebot, den Lehrstuhl für Chemie und Metallurgie in Schemnitz, nicht nur angenommen hatte, sondern sofort versuchte, sich hier intensiv weiterzubilden und sein Bestes auf diesem Wissenschaftsgebiet zu leisten. Andererseits blieb dem Schützling keine andere Wahl, denn der Klient musste seinem Mäzen gehorchen. Jacquin reiste im September 1763 nach Schemnitz, inspizierte das dortige Bergrevier (Abb. 27) und baute, wie von oberster Stelle verlangt, eine Mineraliensammlung mit in- und ausländischen Exponaten auf. Diese war für chemische Analysen gedacht, sollte aber auch dem praktischen Training für seine Studenten dienen, denn Jacquin folgte der Maxime: »Die Theorie muss sich immer durch die practische Beobachtung bewähren, aus dieser hat sie ihren Anfang.«694 Ein Antwortbrief von Hieronymus David Gaubius an Jacquin ist aus dieser Zeit erhalten,695 der sehr schön belegt, wie Jacquin sofort seine alte Bekanntschaft mit seinem ehemaligen Chemieprofessor zu aktivieren versuchte und dem bedeutenden Sammler Schätze aus Ungarn anbot. Gaubius, der an der Universität Leiden 1734 für die Akademisierung der Chemie an der Universität gekämpft hatte,696 war nicht nur ein begeisterter Mediziner, der diese auf die Idria civitas ad fluvium Idriam, quae in mare Adriaticum ruit; non adeo longe distans Venetiis possis in mappis Geograph. prosequi iter meum, en nomina urbium magis celebrium, Neustadt, Graetz, Markbourg, Laybach superior, Laybach inferior, Idria, est vero hoc iter per Alpes ingentes, verbo difficillimum, nil simile adhunc videram. Duo ex hoc itinere commoda sum assecutus, vidi regiones varias, nempe praeter Austriam, Stiriam, Windiam, Carnoliam et Idriam, ubi sunt quatuor linguae diversissimae, Idrienses loquuntur Illyricam. Multa hic vidi, at scribam haec omnia in epistola, ne longus hic sim, quam recta ad vos mittam, quoque patri monstrare possis, sed prius abs te tuam responsionem exspectabo: tum vidi fodsuam, alterum est, quod, cum fuerim comes. Medico optimo et judicii pleno, hinc multa, quod ad Medicam ex illo discere potuerim. Perriit interim aeger, nec mirum, vir eras, 80 annorum asthmaticus, duas hernias. Podagricus, per sex menses jam ob asthma dormire nisi erectus non posterat, appetitus que fuerat deletus manibus plura mineralia avulsa sumsi mecum. Fuerat 675 pedum profundidate sub terra per vias difficillimas in fodinis, sed de his postea amplius.« Eigene Übersetzung. 694 HKA, MBW, rote Nr. 2364, & 72ff (HKA 437), 21. Jänner 1769. 695 Brief von Hieronymus David Gaubius an Jacquin, 15. September 1764, Den Haag, KB, 78 F 8, nr.A.a.4.; siehe auch Edition. 696 Hieronymus David Gaubius, Oratio inauguralis qua ostenditur chemiam artibus academicis jure esse inserendame (Leiden 1731), bes. 15.

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Chemie zurückführen wollte, sondern ein Polyhistor. Seine umfangreiche Bibliothek, von der nach seinem Tode ein Auktionskatalog erschien, unterstreicht diese Breite in allen Wissensgebieten.697 Auch seine umfangreiche mineralogische Sammlung kam nach seinem Tode ebenfalls in einer Auktion auf den Markt, für die 1805 ein Katalog entstanden war.698 Gaubius, sich willig zeigend für den angetragenen Austausch von Mineralien, bedauerte gegenüber Jacquin jedoch, dass die Situation in Leiden für Sammler sich nicht mehr so glänzend darstellte wie einst. Denn mit einem solchen »Feuereifer [würden nun] Fossiliensammlungen eingerichtet«699 werden, das habe eine große Konkurrenz zwischen den Sammlern ergeben. Offenbar existierten sehr unterschiedliche Gütekriterien bezüglich der aus Indien nach Leiden gelangenden Mineralien, wobei Jacquin vermutlich von ihm besondere Stücke erwartete. Für seine Experimente wurden ihm für das urgierte Labor Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt, die wie seine Wohnung in dem Krecsm#rysch’Schmid’ischen Haus in der Schemnitzer Hauptstraße untergebracht waren und wo auch die Vorlesungen stattfinden sollten (Abb. 28). Jacquins Bemühen, so rasch als möglich Labor und Einrichtung zu organisieren und sich selbst fachspezifisches Wissen anzueignen, war vorbildhaft und wurde alsbald vom Souverän mit seinem Anhang in Augenschein genommen. Als im Juli 1764 »Se. Maj. der Römische König mit Sr. Königl. Hoheit dem Erzherzog Leopold und dem Prinzen Albert v. Sachsen« die Bergwerksstadt Schemnitz besuchten, führte Jacquin in seinem neuen Labor bereits mehrstündige Experimente vor.700 Nur mit einem herausragenden Arbeitspensum bewältigte Jacquin diese neue Aufgabe. Über seine Unterrichtstätigkeit haben wir Einblicke, da eine Mitschrift 697 [Anonymus], Bibliotheca Gaubiana sive Catalogus Librorum (Leiden 1783). 698 Es handelt sich um einen sehr seltenen Auktionskatalog, der zwar im Internet abgebildet ist, den wir aber nicht einsehen konnten. Siehe: Catalogue of the genuine and valuable collection of Minerals (London 1805). 699 Brief von Hieronymus David Gaubius an Jacquin, 15. September 1764, Den Haag, KB, 78 F 8, nr.A.a.4.; siehe auch Edition. 700 Wiener Diarium, Nr. 63, 8. August 1764, Anhang: Schemnitz in Nieder-Hungarn, vom 28. Juli: »Nachmittags um 3 Uhr beliebte es seiner Röm. Kön. Maj. sich mit den beiden durchl. Prinzen und dem gewöhnlichen Gefolge in das allhier auf K. K. Befehl unlängst neu errichtete Chimische Laboratorium zu verfügen, allhier dem K. K. Bergrath, und Professor der Metallurgischen Chymie Hrn. NICLAS JACQUIN die Gnade zu Theil wurde, die höchsten Herrschaften mit vielen Chymischen Experimenten bis 3 Stunden zu dero ganz sonderbarem gnädigsten Wohlgefallen zu unterhalten. Der Zulauf der Leute war so groß, daß man bey dem Eingang des Hofs Wachen ausstellen mußte, um das Eindringen des Volkes zu verhindern. Die chymischen Versuche aber bestunden, hauptsächlich in etwelchen Erzproben, in Niederschlagung verschiedener Metallen in trockenem Weg, in Beweisung des häufigen Zinks in den hiesigen Blenden, dann in der Auflös- und Niederschlagung verschiedener Metallen und Halbmetallen durch mancherley Auflösungsmitteln, samt deren Verhalt gegen einander, und endlich in mehr andern sehenswürdigen Seltenheiten der metallurgischen Probier= und Scheidekunst.«

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Abb. 27: Bergbau, Vignette (N. J. Jacquin, Anfangsgründe der medicinisch-practischen Chymie, 1783)

»Collegia Chymica« 1765/66 in der Sz8ch8nyi-Nationalbibliothek in Budapest701 überliefert ist. Als Grundlage dafür diente Jacquin eine Publikation: »Anfangsgründe zur metallurgischen Chimie in einem theoretischen und practischen Theile nach einer in der Natur gegründeten Ordnung abgefasst von C(hristlieb) E(hregott) Gellert. Leipzig 1750.« Jacquin hatte in dieser kurzen Zeit kein eigenes Handbuch aus dem Ärmel schütteln können, aber er griff auf ein bereits bewährtes Standardwerk zurück, das er substantiell ergänzte. Er sah in 701 Nikolaus Jacquin, Collegia Chymica (1765/66).

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Abb. 28: Krecsm#ry-Haus, Jacquins Unterkunft und zugleich Sitz der ersten Bergschule mit Labor in Schemnitz (Bansk# Sˇtiavnica, heute Slowakei)

der Existenz eines Lehrbuches eine besondere Bedeutung für die Studenten. Sie konnten sich kapitelweise vorbereiten, beziehungsweise das Vorgetragene noch nachträglich nachlesen und eingehend überdenken. Jacquin trug einzelne Paragraphen daraus vor und fügte seine eigenen Erklärungen und umfangreichen Erläuterungen hinzu. Am Anfang des Manuskriptes steht der Satz: »Ein solche im Jahr 765 zu Ende und folgenden 766sten Jahrs von dem Kaysl. Königl. Professorem Chymiae und Berg=Rath v. Jacquin von Tag zu Tag gehalten worden, in der Kayserl. Königl. Freyen Bergstadt Schemnitz. Vorrede des Professoris v. Jacquin.«702 Es fällt die Unstimmigkeit auf, dass die Mitschrift aus dem Jahre 1765/1766 stammte, jedoch Jacquin mit dem Adelsprädikat »von« signiert ist, das ihm erst im Jahre 1774 verliehen wurde. Wurde diese Niederschrift erst später autorisiert oder hatte sich der Schreiber geirrt? Die offizielle Einleitung, in der Jacquin in der Ichform die Vorgangsweise begründet, verweist eher darauf, dass diese Mitschrift tatsächlich erst später mit der Vorrede versehen wurde, wobei die Handschrift nicht Jacquin zuzuordnen ist. Mehrere Hände waren daran beteiligt, was dafür spricht, dass sie eine Abschrift der Mitschrift darstellte. 702 Nikolaus Jacquin, Collegia Chymica (1765/66), fol. 2f.

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Einen Großteil der älteren chemischen Literatur lehnte Jacquin ab, da sich die meisten Autoren dieser Werke mit Alchemie und Goldmacherkunst beschäftigten. Er positionierte die Chemie als Teil der Naturwissenschaften, die auch als Basis für viele andere Wissenschaftszweige dienen könne. Wichtig waren ihm die Experimente, die in dem neugeschaffenen Labor stattfanden. So wurden auch Mineralien aus seiner Sammlung in diesem Arbeitsraum in ihrer Zusammensetzung analysiert. Jacquin sollte laut Bestellungsdekret seine Vorlesungen auf Deutsch halten, jedoch geht aus dem Skriptum hervor, dass sein Vortrag mit französischen und lateinischen Ausdrücken gespickt war. Die Sprache war einfach und klar gehalten und er kam ohne die damals üblichen philosophischen Phrasen aus. Lassen wir kurz Jacquin zu Wort kommen, wie er in der Einleitung zu seinem Vorlesungsmanuskript die Auswahl seiner Vorlage begründet: »Es giebt eine unzehlbahre Menge Chymischer Schriftsteller, und wer sollte wohl glauben, daß die vielfältige Manuscripta, zu geschweigen die durch den Druck bekanth gemachte die Zahl von 5000 überschreitten. Die meisten verdienten kaum genannt zu werden, unter den guten hätten aber nicht alle, mit einer Absicht geschrieben, die ältesten hatten die Alchymie, und besonders das O machen, um das Medicamentum universale zu ihren Zweckh gehabt, andere haben ihre Arbeith gantz der Arzney Kunst gewidmet, und auf diese Weise, wurde die Chymie in denen meisten Universitäten tradiert. Viele und hieher gehören die neueste haben die Chymie wie einen Theil der Naturkunde angesehen, welches sie auch würklich ist, und dahin ihre Arbeith gerichtet, daß sie allen Wißenschaften und Künsten nützlich seyn solle. Einen einzigen Authorem kenne ich, welcher einen methodischen und hinlänglichen Cursum Chymicum in Druckh gegeben, und dieser zwar ist der Sächsische Berg= Rath v. Gellert, seinem Werkh hat er dem Titl. gegeben: Von denen Anfang=Gründen zur Metallurgischen Chymie und hat solches im 2. Theil dem Theoretischen und Practischen abgetheilet. In selben findet man fast alles dasjenige abgehandlet, was ein Berg=Mann insonderheit der des Probiren und Schmöltzen aus dem Grunde zu verstehen sich befleißigen will, aus der Chymie zu wißen benöthiget seye, und ohne welches zu wißen, und deßen eine aufrichtige und gründliche Käntnuß zu besitzen einen Probirer oder einen Schmöltzer unmöglich ist, eine gründliche Explication seiner Manipulation zu geben. Nun also den Anfang zu machen, und zuvohr von der Metallurgischen Chymie so ist es höchst erförderlich sich eine Kantnuß nächst folgenden Chymischen Zeichen zu machen.«703

Dieses Vorlesungsmanuskript umfasste einen theoretischen und einen praktischen Teil. Letzterer bestand aus 82 Paragraphen, wobei jeder eine »Aufgaabe« [!] implizierte, deren Lösung ausführlich in Schritten vorgeführt wurde und eine im Experiment lösbare Operation darstellte. So ging es etwa darum, aus dem Salmiak »was flüchtiges Alcali herauszubringen«704 oder das Problem zu 703 Nikolaus Jacquin, Collegia Chymica (1765/66), fol. 2–4. 704 Jacquin, Collegia Chymica (1765/66), fol. 272.

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lösen, »wie denn das Vitriol Oehl verfertigt werden könne.«705 Gearbeitet wurde nicht nur mit anorganischem Material, sondern auch organischem, so wurde auch die Frage gestellt, wie ein »Viole« oder »Feigerl Syrup«706 herzustellen sei. Vorgeführt wurden auch Operationen, die im kameralistischen Sinne durchaus von Interesse waren, so zum Beispiel die Herstellung der Carminfarbe oder des Berliner Blaus. Jedenfalls bewies Jacquin mit dieser Lektüre in Aufbau und Vorgangsweise durchaus pädagogisches Geschick. Seine Ansätze als Experimentator und Chemiker werden wir an anderer Stelle noch analysieren. Sein Korrespondentennetz vergrößerte Jacquin auch in Schemnitz kontinuierlich. Er verkehrte schriftlich mit Gaubius,707 seinem ehemaligen Lehrer, und holte sich vielleicht auch einen chemischen Rat bei ihm. Auch mit dem bedeutenden Naturforscher Ignaz von Born, der 1763 bis 1767 in Prag Montanwissenschaften studierte, stand er in Kontakt. 1769 wurde dieser zum Bergbauberater des Hauptkammerhofs in Schemnitz ernannt. Er akzeptierte Jacquin bereits als Autorität, denn er schickte Jacquin eine Kiste mit Mineralien und bat ihn um eine Analyse eines »Minerals aus der Grube von Nagyay708 und zwei[er] kleine[r] Stücke eines unbekannten Minerals […].«709 Trotz des anspruchsvollen Jobs an der Bergschule arbeitete Jacquin auch auf dem Gebiet der Botanik weiter. Inzwischen war der erste Band der Observationes 1764 in Wien erschienen und er bereitete bereits den zweiten Band vor. Außerdem sammelte er fleißig in der Gegend seines neuen Wohnsitzes. Anfang des Jahres 1764 erhielt Jacquin von seinem Gönner van Swieten einen Brief, in dem sich dieser für die Neujahrsglückwünsche bedankte und ihm einen väterlichen Rat erteilte, nicht nur Botanisches drucken zu lassen, um nicht falsch interpretiert zu werden. Es könnte nämlich der Eindruck entstehen, Jacquin sei nicht zur Gänze mit seiner Beschäftigung bezüglich des Bergbaus ausgefüllt.710 Van Swieten war natürlich bestrebt, seinen Schützling im besten Licht zu wissen. Seine Personalentscheidung für Jacquin sollte auch im Nachhinein Zustimmung finden und sich als äußerst gerechtfertigt herausstellen. Er wünschte sich von diesem, dass er seinem Lehrauftrag voll und ganz nachkomme. Dennoch gab Jacquin die Botanik auch in Schemnitz nicht auf, was wir zumindest aus seinem fortgeführten Briefwechsel mit Linn8 und Mygind ersehen können. 705 706 707 708 709

Jacquin, Collegia Chymica (1765/66), fol. 300. Jacquin, Collegia Chymica (1765/66), fol. 385. Gaubius an Jacquin, Brief, 15. September 1764, Den Haag, KB, 78 F 8, nr.A.a.4. Mit Nagyay war der Goldbergbau in Siebenbürgen gemeint. ÖNB, HAD Autogr. 14/15–1; Born an Jacquin, Brief, Prag, 13. November 1767, ist ohne Adressat, digitalisiert (H. Flügel (2009), 183f. spricht ihn Scopoli zu, wir meinen, dass er an Jacquin gerichtet ist.). 710 Vgl. G. van Swieten an Jacquin, Brief, 17. Jänner 1764, ULB (Universitäts- und Landesbibliothek Bonn), Autographensammlung.

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Dass Jacquin letztlich zur Zufriedenheit seines Gönners wirkte, belegt die Tatsache, dass er im August 1768 als Professor der Chemie und Botanik nach Wien berufen wurde.711 Diesem Akt gingen Korrespondenzen und Überlegungen voraus, die Jacquins Rolle als ausgezeichneten Wegbereiter der Chemie an der Bergschule in Schemnitz bestens bewerteten. Für van Swieten bestanden nur insofern Zweifel, als der Verlust des hervorragenden Lehrers und fleißigen Bergrats für die Bergschule nur schwer zu verkraften war. Jacquin konnte ihn beschwichtigen, indem er die immer geringer werdende Anzahl seiner Studenten anführte: Im ersten Kurs hatte er ca. dreißig Schüler, im zweiten etwa zwanzig, im dritten zwölf und im vierten nur mehr acht. Für den fünften Kurs, der bald beginnen würde, hatte er erst eine Anmeldung zu verbuchen. Die Einschränkung erklärte er durch die behördliche Auswahlpolitik der Praktikanten und die Beschränkung, weshalb er auch eine Wiederbesetzung seines Lehrstuhles in Schemnitz bedroht sah. Er beobachtete, dass bei den ersten drei Kursen alle Bergwerkspraktikanten von Niederungarn nach Schemnitz geschickt worden waren und der Zugang aus anderen Provinzen denen Niederungarns nachgereiht wurde. Allgemein schien ihm die Zahl der vorgesehenen »Expectanten« zurückgegangen zu sein: »Ist es daher nötig, dass für so wenige Schüler mein hiesiger Lehrstuhl wieder besetzt werde? Wenn doch diese Schüler nach Wien kommen könnten um meine Stunden zu besuchen, die ich über Metallurgie halten werde.«712

V. 3. Universität: Jacquin als »eine unschätzbare Wohlthat für die Universität« Wien Kaum ein anderer Raum des Wissens nahm in Jacquins Laufbahn einen so wichtigen Platz ein wie die Universität Wien. In den mehr als 50 Jahren seiner Anbindung an die hohe Schule erlebte er nicht nur das Auf und Ab ihres Wandels, sondern auch unterschiedliche Phasen: seine erste Zeit als Student, dann als Professor der Chemie und Botanik an der Medizinischen Fakultät (1768–1797) und als Leiter des Botanischen Gartens am Rennweg. Auch erklomm er höchste Funktionen, wie die eines Rektors im Jahre 1808/09. Als Nikolaus Jacquin zur Abrundung seines in Leiden und Paris begonnenen Medizinstudiums 1752 nach Wien kam, wehte an der Universität Wien bereits ein frischer Wind. Dieser verdankte seine Existenz dem Reformwillen der 1740 711 Vgl. Walter Lack, Die Berufung von Nikolaus Joseph Jacquin an die Universität Wien. In: Annalen des Naturhistorischen Museums in Wien. 102 B (2000), 375–388, hier 386. 712 Zit. nach Lack, Die Berufung (2000), 386.

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zur Regierung gekommenen Herrscherin Maria Theresia713 und dem von ihr nach Wien berufenen Gerard van Swieten. Da Jacquin zu Letzterem über eine enge Beziehung verfügte, war er unmittelbar von den einzelnen Schritten der Universitätsreform auch aktuell informiert und verfolgte die Neuerungen hautnah. Die 1365 gegründete altehrwürdige Universität Wien hatte sich gerade selbst in dieser Zeit als »Teutschlands älteste Universität«714 entdeckt, während sie durch Erneuerung ab 1749 gleichzeitig ihrer hergebrachten Tradition verlustig wurde. Unterschiedliche Maßnahmen innerhalb eines ehrgeizigen Reformpakets führten die Universität im Laufe des 18. Jahrhunderts sukzessive auf dem Wege von einer eigenständigen Korporation in eine staatliche Einrichtung.715 Mitte des 18. Jahrhunderts war es an der Zeit, dass Reformen an der Universität Wien angegangen wurden, denn eine inhaltliche Verbesserung des Unterrichts und vor allem die Reform der Juridischen sowie Medizinischen Fakultät waren schon Jahrzehnte zuvor diskutiert worden. Sowohl einzelne Professoren wie auch die niederösterreichische Landesregierung hatten bereits in den 20er Jahren des 18. Jahrhunderts auf Schwächen verwiesen und Verbesserungen gefordert.716 In politischer Hinsicht wurde bereits 1743 das alte universitäre Privileg der Bücherzensur der Universität entzogen und der Hofbibliothek untergeordnet.717 Ab 1749 waren dann wesentliche Schritte der Überführung der Universität aus ihrer rechtlich exemten Stellung und aus ihrer Abgeschlossenheit als Rechts- und Wirtschaftskörper eingeleitet worden. Mit der Einrichtung des Studienpraeses für jede Fakultät, 1752 beginnend mit der philosophischen und medizinischen, wurde ein staatliches Amt geschaffen, dem von nun an alle Professoren unterstellt wurden. Auch die Ernennungsgewalt der Professoren 713 Dass das Herrscherhaus selbst die Reform als notwendig erachtete, darin sieht Hammerstein die Besonderheit der maria-theresianischen Reform; siehe dazu: Notker Hammerstein, Besonderheiten der österreichischen Universitäts- und Wissenschaftsreform zur Zeit Maria Theresias und Josephs II. In: Res publica litteraria. Ausgewählte Aufsätze zur frühneuzeitlichen Bildungs-, Wissenschafts-und Universitätsgeschichte (= Historische Forschungen Bd. 69, Berlin 2000), 192–214, hier 198. Allg. zur Universitätsgeschichte noch immer grundlegend: Rudolf Kink, Geschichte der kaiserlichen Universität zur Wien 1 (Wien 1854); unveränderter Nachdruck (Frankfurt am Main 1969). 714 Zitiert nach Grete Klingenstein, Vorstufen der theresianischen Studienreformen in der Regierungszeit Karls VI. In: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung LXXVI. Bd (1968), 327–377, hier 356. 715 Günther Winkler spricht von einem Dualismus zwischen Korporation und Anstalt, der bis 1849 bestehen blieb. Siehe dazu: Günther Winkler, Die Rechtspersönlichkeiten der Universitäten. Rechtshistorische, rechtsdogmatische und rechtstheoretische Untersuchungen zur wissenschaftlichen Selbstverwaltung (= Forschungen aus Staat und Recht 80 (Wien / New York 1988), 15. 716 Klingenstein, Vorstufen (1968), 361ff. 717 Siehe dazu die »allerh. Entschließung« vom 4. April 1743, abgedruckt in: Rudolf Kink, Geschichte der kaiserlichen Universität Wien, 2. Bd. (Wien 1854), 529f.

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wurde dem Universitätskonsistorium entzogen und dem staatlichen Einfluss unterworfen, ebenso die finanzielle Ausstattung. Die Reformanstöße inhaltlicher Natur waren unterschiedlicher Herkunft, die neue Theologie wurzelte im romanischen Reformkatholizismus, die Erneuerung für die Jurisprudenz kam von der führenden protestantischen Universität Halle und die neue Medizin hatte ihren Ursprung besonders in Westeuropa.718 Auch die philosophischen Studien wurden als Reaktion auf allgemeine Tendenzen reformiert, indem neue Fächer wie Experimentalphysik und Naturgeschichte (Physica naturalis) 1752 eingeführt wurden. Für die neue Ausrichtung der Medizinischen Fakultät zeichnete ausschließlich Gerard van Swieten verantwortlich, der – wie bereits mehrfach erwähnt – eine tragende Figur der gesamten Reform bildete. Jacquin, der ihm ja persönlich nahe stand und ihm auch seine Anwesenheit in Wien verdankte, sah zuversichtlich einem äußerst positiven Schicksal entgegen, das in den Händen seines mächtigen Mentors lag, was aus einem Brief an seinen Freund Jacobus hervorgeht: »Ich lebe hier freilich gemütlich, bin den Studien willfährig, man verbringt hier schon die Herbstferien, Kollegien habe ich bisher keine besucht, es gab sie nämlich nicht. Alles was ich brauche, wurde mir bisher immer von meinem Mäzen [gemeint ist van Swieten] großzügig zur Verfügung gestellt, den ich treffe und mit dem ich öfter spreche. Was indessen nach Vollendung der Studien mein Schicksal sein wird, weiß ich bisher ganz und gar nicht; aber Vorzügliches zu erhoffen, befiehlt mir das geneigte Wohlwollen des Mäzens.«719

Die dominante Einflussnahme van Swietens schränkte die bisherige Eigenrekrutierung und Selbstverwaltung der Medizinischen Fakultät der Universität Wien zwar ein, sie erwies sich jedoch für die Umbildung in eine staatliche Institution und ganz besonders für Jacquin von Vorteil. In van Swietens Händen lag von nun an die Personalpolitik, die für Jacquins Werdegang entscheidend werden sollte. Van Swieten oblag es ferner, die bereits in der Zeit Karls VI. diskutierten Verbesserungen ab 1749 tatsächlich umzusetzen und besonders die 718 Einen Überblick hiezu gibt: Notker Hammerstein, Die Hochschulträger. In: Walter Rüegg (Hg.), Geschichte der Universität in Europa. Bd. II: Von der Reformation zur Französischen Revolution (1500–1800) (München 1996), 105–137 und Grete Klingenstein, Despotismus und Wissenschaft. Die Kritik norddeutscher Aufklärer an der Österreichischen Universität 1750–1790. In: Formen der europäischen Aufklärung 3 (Wiener Beiträge, 1976), 127–157, hier 134. 719 Jacquin an Gronovius, 19. Brief, Wien, 14. Oktober 1752, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 30r/v : »Ego quidem hic vivo molliter, et studiis indulgeo, feriae hic jam aguntur autumnales, collegia frequentavi adhuc nulla, non dabantur enim, cuncta, quibus egeo, ultra mihi subministrantur a generoso maecenate meo, quem viso, et quocum loquor saepius. interim qualis post peracta studia futura sors mea sit, plane adhuc ignoro at nobilia sperare jubet me Maecenatis prona in me voluntas.« Eigene Übersetzung.

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von den Professoren geforderten Veränderungen im Rahmen der Medizinischen Fakultät zu verwirklichen. Vorbild war die Universität Leiden720 mit den Lehren von Herman Boerhaave (1668–1738),721 die van Swieten als Grundlage für sein Lehrprogramm nutzte, sodass Ende des 18. Jahrhunderts Physiologie immer noch nach Boerhaave unterrichtet wurde. Offensichtlich spielte das jüngere, sonst sehr einflussreiche physiologische Konzept Albrecht von Hallers in Wien keine Rolle. Die bereits seit 1738 bestehende Lehrkanzel für Anatomie722 sollte mit einem eigenen Wissensraum, einem Theatrum anatomicum, aufgewertet und die Schulung am Krankenbette intensiviert werden. Noch fehlte es an jenen Fächern, die van Swieten ebenfalls am Herzen lagen, als er sich an seine Herrscherin wandte: »Aber, um alles zu erwähnen, es fehlen uns noch zwei Sachen: die Botanik und die Chemie. An der Nützlichkeit dieser Wissenschaften für die Medizin lässt sich nicht zweifeln. Aber auch die Apotheken können es niemals zur Vollkommenheit in ihrer Kunst bringen, ohne die Medizinalpflanzen genau zu kennen und ohne genau die Zubereitung der chemischen Heilmittel kennen gelernt zu haben. Welche Schande, daß Österreich, welches bei allen Botanikern durch die Zahl und Schönheit seiner Pflanzen berühmt ist, diese Wissenschaft nicht pflegt. Ich gebe zu, daß ein botanischer Garten, dessen Unterhalt, der Gärtner u. s. w., der Bau eines chemischen Laboratoriums, die anständige Gage für den Professor, nicht unbeträchtliche Auslagen verursachen werden. Aber ich wage es zu hoffen, daß Ihre Majestät wegen des eminenten Nutzens dieser Dinge, und um den Ruhm ihrer Herrschaft zu wahren und die Wissenschaft vorwärts zu bringen, es an nichts fehlen lassen wird, was diesen Zweck fördern kann.«723

Der Nachholbedarf in Wien war eklatant, denn beide, Räume des Wissens und Lehrstühle, existierten an einigen anderen Universitäten bereits seit dem 17. Jahrhundert. Van Swietens Hinweis eines bei Realisierung seines Vorschlages anfallenden erheblichen finanziellen Aufwands schreckte Maria Theresia in diesem besonderen Fall nicht von ihrer grundsätzlichen Zusage ab und sie notierte: »Ich werde mich unter Ihrer Leitung darum kümmern.«724 Botanik und Chemie wurden damit als Lehrfächer der Medizin erstmals 1754 in Wien installiert und das relativ spät im Vergleich zu anderen Universitäten – wie etwa zu Leiden, Marburg oder Montpellier. Der Neubau eines erstmals alle Fakultäten umfassenden repräsentativen 720 Vgl. Heinz Schneppen, Niederländische Universitäten (1960), bes. 109–111. 721 Zu Boerhaave: Rina Knoeff, Hermann Boerhaave (1668–1738). Calvinist Chemist and Physician (Amsterdam 2002). 722 Klingenstein, Vorstufen (1968), 371. 723 17. Jänner 1749. Zit. nach Ernst M. Kronfeld, Jacquin. In: Österreichische Rundschau III (Wien 1905), 248. 724 Ebda.

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Universitätsgebäudes war Programm. Die panegyrische Literatur feierte die Eröffnung (1756) mit der Verherrlichung des Kaiserpaars, welches dafür gesorgt habe, dass die Wissenschaften nun einen neuen königlichen Palast (novum regale palatium) anstatt des früheren kärglichen Gebäudepuzzles erhalten hätten. Als »Burg allgemeinen Glücks« (»arcem communis felicitas«) und als »Hoffnung Österreichs« (»spem Austriae«) bezeichnet,725 schien es mehr als nur ein Haus der Lehre zu sein, sondern repräsentativer Ausdruck der zunehmend aufgewerteten Rolle des Wissens und der Wissenschaft im aufgeklärten Absolutismus. Das neue Bauwerk, das heute die Österreichische Akademie der Wissenschaften beherbergt, trug der Notwendigkeit neuer Wissensräume – wie Anatomisches Theater und chemisches Labor und Sternwarte – Rechnung. Der Bau war in kürzester Zeit nach den Plänen von Jean Nicolas Jadot im alten Universitätsviertel in einer überraschend barocken Wirkungsform errichtet worden (Abb. 29). Mitten in das enge alte Universitätsviertel hineingestellt und die Gassenstruktur verändernd, dominierte der monumentale Palast zwar den Platz, kommunizierte aber in der Fassadengestaltung und den Geschosshöhen mit der Jesuitenkirche.726 Die Universitätsreform gebot erstmals der Dominanz der Jesuiten Einhalt, was sich auch in der selbstbewussten Architektur verkörperte. Ignaz de Luca gibt uns eine plastische Vorstellung vom Gebäude: »Am Platze gleichen Namens Nro. 779 [… wurde es] 1754 erbaut und 1756 feierlich eröffnet. Das Gebäude macht ein Quadrat, steht frei und ist ohne Erdgeschoss 3 Geschosse hoch. […] Hauptfassade geht auf den Platz und ist mit 2 Springbrunnen geziert. Gegen N hat das Gebäude die Aussicht in die untere und gegen Süd in die obere Bäckenstrasse. Es hat 3 Thore und 3 Haupttreppen. Die Halle ist sehr geräumig und das Gewölb ruht auf 20 Säulen. Im ersten Geschoss ist der herrliche und sehenswürdige Saal, der von der Nord- und Südseite 3 Fenster hat. An der Ostseite kommt man in den physikalischen und mechanischen Hörsaal, in welchem viele künstliche Maschinen zum Gebrauche der Vorlesungen zu sehen sind. Im 1. Geschosse an der Westseite sind die Säle für die Vorlesungen der Rechte, der politischen Wissenschaften, und der Universalgeschichte. Am Erdgeschosse an der Westseite sind Säle für die medicinischen Vorlesungen, und an der Ostseite am Eingange rechts ist das chemische Laboratorium, wo unser berühmter Jacquin seine Vorlesungen hält. Im 3ten Geschosse ist

725 Vgl. Georg Meister, Panegyricus Francisco et Maria Theresiae Augustis ob scientias optimasque artes suis in terris instauratas, ornatos (Wien 1756). Diese Schrift wurde anlässlich der feierlichen Übergabe des Gebäudes auch in Kurzform und übersetzt in der Presse dargestellt: Siehe dazu: Wienerische Gelehrten Nachrichten auf das Jahr 1756. Den 6. des Aprilmonats, XXVIII Stück, 217–224. 726 Herbert Karner, Der Neubau und die topographische Situation des Universitätsplatzes. In: Herbert Karner, Artur Rosenauer, und Werner Telesko (Hg.), Die Österreichische Akademie der Wissenschaften. Das Haus und seine Geschichte (Wien 2007), 9–11.

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Abb. 29: Wohnstätte und Arbeitsort: Wohnhaus Obere Bäckerstrasse 792 und die alte Universität (J. D. Huber, Die Kaysl.-Koenigl. Haupt- und Residenz-Stadt Wien vom Jahre 1769, Wien [1778], Detail)

das sehenswürdige anatomische Theater, dessen itzige Beschaffenheit das Werk des würdigen Prof. Barth ist. Oberhalb diesem Theater ist die Sternwarte.«727

In diesem Haus sollte Jacquin ab 1768 seine chemischen Experimente durchführen, vortragen und auch die letzte Ehre wurde ihm hier, 60 Jahre später, in einem Festakt von Seiten der höchsten Repräsentanten der Universität 1818 erwiesen. Schon als Student zeigte sich Jacquin beeindruckt von diesem neuerrichteten »Palast«, dem auch ein respektabler städtischer Kommunikationsraum seine Wirkung gab: »Nun weniges über die Studien: Vorlesungen halten wird hier das zweite Jahr der zum Professor ernannte Herr van Swieten, der Gönner dieses meines Amtes. Er hat es schon öffentlich gesagt, dass er es mir ohne jede Abstimmung oder Empfehlung geben wolle als dem Besseren und Würdigeren. Es wird deswegen eine ähnliche Drängelei geben; 727 Ignaz de Luca, Wiens gegenwärtiger Zustand unter Josephs Regierung (Wien 1787), 378.

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alle, die dieses Amt anstreben wollen, werden ihre Bewerbung abgegeben. Nachdem die Reihenfolge festgelegt worden ist, wird ein jeder von diesen in üblicher Weise ein Jahr lang sich einem Anatomiekurs widmen müssen und er wird für diesen Kurs, sei es, dass er aufgenommen wird, sei es, dass er aus der Professur herausfällt, 600 Dukaten erhalten. Und doch wird er nach allen Lehrgängen als besser gebildeter und geeigneter vom Mäzen eingestuft werden. Wenn er in der Folge das Professorenamt ausübt, wird er jährlich 2000 deutsche Gulden als Besoldung haben und von der Kaiserin freie Wohnung für sich und seine Familie. Er hat mich gefragt, ob ich mich bewerben wolle, sie werde mir die Apparaturen und alles Übrige zur Verfügung stellen, damit ich mich überwinde, aber ich lehnte ab, indem ich sagte, dass es mir gar nicht gefalle, immer unter Leichen herumzugeistern. Nur drei kenne ich, die sich bewerben werden, und diese lediglich Studenten, von denen zwei trotzdem gewiss gute Anatomen sind: der eine ein Spanier, von dem ich dir schon oft geschrieben habe, der andere ein Deutscher, dieser gewandter, jener gebildeter und schon promoviert. Ein Gebäude – oder besser gesagt ein Palast – wird hier errichtet, gewaltig und höchst aufwändig, mitten in der Stadt, in das die Vorlesungen aller Fakultäten verlegt werden, eigene und kostenfreie Wohnung werden alle Professoren haben. Es gab großes Gedränge, auch in den Rechtswissenschaften, unter den Übrigen war ein gewisser adeliger Jüngling, an den Du Dich vielleicht deswegen erinnerst, weil er mit dem Fürsten Lichtenstein wohl als Reisegefährte in Leiden in Deiner Nähe gewohnt hat. Er hat sich um die Professur in Rechtswissenschaften beworben und (bekommt) 4000 deutsche Gulden als jährliche Unterhaltszahlung. Bedenke unterdessen, dass ich hier prächtig lebe und (was) ich für 1500 deutsche Gulden im Jahr hier haben kann. Wie gut können also erst jene aufgrund dieser Summen leben? Aber was mich umbringt: Dieser Lehrgang ist der letzte, den mein Mäzen macht, er will sich schon ein wenig der Ruhe widmen. Ich schicke Dir ein Bild von ihm, und glaube, einen Menschen zu sehen, wie es vielleicht auf Erden keinen zweiten gibt; gewiss. Wenn man ihm zuhört, wenn er lehrt, da bricht aus ihm etwas Göttliches, Majestätisches und gleichzeitig Wohlwollendes und Menschliches heraus. Du würdest sagen: Orakel von sich geben. Und von einem derartigen Mann mehr als die anderen geliebt zu werden, wie viel Vergnügen glaubst Du, dass ich daraus schöpfe, ja sogar welcher Ruhm nicht von hier auf mich übergeht.«728 728 Jacquin an Jacobus Gronovius, 23. Brief, Wien, 9. Jänner 1754, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 31 r/v, 32, 33: »Nunc de studiis pauca: vocabit [?] altero hic anno Professoratus in Anatome, D[ominus] van Swieten istius muneris est donator. dixit jam publice mihique se velle absque omni suffragio aut commendatione dare id meliori ac digniori. propterea similis concursus erit; quincunque velint petere illud, dabunt nomen. tum quisque ordine posito ex his cursum Anatomicum tradere per annum more solito debebit habebitque pro isto cursu, sive admittatur, sive Professoratu excidat, 600 germanicos florenos, atqui post omnes cursus eruditior atque aptior judicabitur. a Mecaenate solo aget in posterum Professorem, habebit quotannis 2000 florenorum Germanicorum et ab imperatrice liberum pro se suaque familia domicilium. rogavit me, utrum vellem concurrere se mihi instrumenta ceteraque omnia exhibiturum, ut vinceret me, verum negavi dicens non amare me semper inter cadavera versari. tres tantum novi qui concurrent, eosque dumtaxat studiosos, quorum tamen duo certe boni sunt Anatomici, alter Hybernus ille, de quo jam ad te scripsi, alter Germanus, hic dexterior, ille eruditior et jam promotus. Aedificium vel potius palatium hic exstruitur, ingens et sumptuosissimum in media civitate, in quo omnium fac-

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Bald erkannte Jacquin allerdings, das der »Ruhm« seines Mentors nicht einfach von alleine auf ihn überspringe, dass er als Student sein Bestes zu geben habe. Er bezeichnete seine Aufgabe als einen »Kriegsdienst«,729 den er ableisten müsse, denn die außerordentliche Gewogenheit des Mäzens sollte nicht aufs Spiel gesetzt werden, er dürfe ihn fachlich nicht enttäuschen. Wir entnehmen den zuvor zitierten Zeilen Jacquins, dass er die Kurse seines Mentors besuchte,730 aber den Abschluss noch verzögerte. Wir erfahren aber auch, dass er sehr gut über die laufenden Pläne und konkreten Schritte des Reformers und dessen Personalpolitik informiert war. Denn in der Tat wurden auch neue Lehrkräfte aus den Niederlanden wie etwa Anton de Haen (1704–1776) an die Fakultät geholt. Jacquins nach Leiden kolportierte Angaben über das Gehaltsschema der Lehrenden waren keineswegs übertrieben. Sie sind der am 16. Oktober 1753 fixierten Festlegung, die zwischen dem »Directorium in Publicis et Cameralibus« und der »k.k. Ministerial-Banko-Deputation« erfolgt war,731 zu entnehmen. Die Hebung der Gehälter war ein wirksamer Aspekt der Reform, die eine gesellschaftliche Anerkennung des Professors bewirkte. Die jährliche Besoldung hatte zuvor nämlich nur zwischen 140 und 170 Gulden betragen und war lange unter dem standesgemäßen Existenzminimum gelegen.732 Die Professoren mussten neben der Lehre verschiedenen anderen Tätigkeiten nachgehen. Mit dem neuen Gehaltsschema von 1753 war nun auch eine Anpassung an die Gepflogenheiten anderer Universitäten erreicht worden. Interessant erscheint, dass die Hierarchien der Fächer sich mit den Gehaltsabstufungen deckten. Je nach Zuschreibung an staatlich definierter neuer Wichtigkeit fiel der Besoldungsumfang aus. Der Neuordnung von 1753 zufolge verdiente der Professor »Medicinae Practicae« mit 5000 Gulden am meisten. Jener des Staatsrechts (Juris Publici) folgte mit 4000 Gulden. Alle weiteren Lehrstühle der Medizin (»Insti-

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ultatum lectiones tradentur habebuntque domicilium proprium et omni sumptu liberum omnes Professores. concursus fuit etiam in juribus, inter ceteros nobilis juvenis quidam, quem forte ad hoc meministi, qui cum Principe Lichtensteinio ceu itineris socius Lugduni in vicinia tua habitavit, Professoratum in juribus acquisivit et 4000 fl[orenorum] Germ[anicorum] in annuum stipendium. interim cogita me hic splendide vivere et Pro 1500 fl[orenorum] Germ[anicorum] per annum hic posse habere, quam ergo ex istis summis bene vivere possunt illi? At quod me enecat : hic cursus ultimus est, quem faciet. Maecenas vult se quieti jam parum dare, ejus mitto tibi effigiem, et hominem videre puta, qualis forte non est in orbe alter. Certe si docentem illum audis, nescio, quid divini, quid majestuosi, et simul quid benevoli humani in ipso eluceat? oracula edere diceres et me ab ejus modi viro prae ceteris diligi, quantum inde, putas, voluptatis hauriam, imo quae non et gloria hinc mihi accedit?« Eigene Übersetzung. Jacquin schreibt: »possim stremissime militem:« Jacquin an Jacobus Gronovius, 20. Brief, Wien, 1. Jänner 1753, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 24. Einen Beweis hierfür fanden wir im UAW leider nicht. Siehe dazu den genehmigten »Recess«, abgedruckt in: Kink, Geschichte (1969), 2. Bd., 546– 553. Siehe dazu Klingenstein, Vorstufen (1968), 337.

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tutionem Medicarum, Anatomiae, Chirurgiae«) hatten tatsächlich eine Belohnung von 2000 Gulden zu erwarten, wie es Jacquin zu berichten wusste. Am wenigsten war für den neu eingeführten Lehrstuhl »Eloquentiae Germanicae« mit 700 Gulden vorgesehen. Dass van Swieten auch der neugegründete Botanische Garten besonders wichtig war, drückte sich in der Gehaltstabelle ebenfalls positiv aus, denn neben der Besoldung für den Professor der Chemie und Botanik mit 2000 Gulden war die mit der Lehrkanzel verknüpfte Leitung des neuerrichteten Gartens mit ebenfalls 2000 Gulden vorgesehen, womit hier die außerordentliche Stellung dieses Postens markiert wurde.733 Jacquin, dem ein guter Verdienst persönlich außerordentlich wichtig war, was in seinen Briefen stets thematisiert wurde, sah als Student in den Jahren 1752 und 1753 optimistisch seiner Zukunft entgegen. Und dies in einer Zeit eines Akademikerüberschusses! Er war dem Mäzen zwar ergeben, aber dennoch lehnte er die ihm alsbald angebotene Anatomielehrkanzel entschieden ab. Recht abschätzig beurteilte Jacquin das intellektuell-akademische Milieu in Wien. Ob er dabei von der Meinung seines Mäzens beeinflusst wurde, ist nicht zu entscheiden. Jedenfalls fiel sein Urteil, recht vorschnell gefällt, überaus negativ aus. Das hatte auch reale Hintergründe. Seit 1623 waren die philosophischen Studien sowie auch die Theologie den Jesuiten unterstellt gewesen, die unverändert an ihrer 1599 festgelegten Ratio Studiorum als Lehrprinzip festhielten. Dieses Verharren in Traditionen gab jeder Kritik Vorschub, der schlechte Lateinunterricht wurde auf diese alte Schulordnung zurückgeführt, ansonsten brachte der Orden allgemein gesehen bedeutende Gelehrte hervor. Das bildete wohl auch den Anlass für Jacquins abschätzige Beurteilung des Universitätsstandorts Wien. Jacquin generalisierte ein wenig, denn er bezog auch die Medizin ein, die nicht unter der Führung der Jesuiten gestanden war. »In der lateinischen Sprache herrscht, obwohl hier nichts allgemeiner verwendet wird als sie, allerdings eine derartige Verwilderung wie kaum anderswo. Selbst die Professoren magst du, hörst du ihnen zu, als Leute vom Land, ungebildete Germanen bezeichnen. Nicht nur des Lateinischen sind sie nicht, wie es sich gehört, kundig, sie verstehen auch von der Wissenschaft selbst nichts, die sie weitergeben und vortragen. Besonders fällt ihr Nichtwissen in der medizinischen Kunst auf, dafür könnte ich leicht Beweise liefern, einleuchtende freilich, aber insgesamt höchst lachhafte.«734 733 Siehe dazu: Rudolf Kink, Geschichte der kaiserlichen Universität zur Wien 1 (1854, 1969). 734 Jacquin an Jacobus Gronovius, 20. Brief, Wien, 1. Jänner 1753, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 26 r : »Latinae quidem linguae quanquam hic nihil habetur illa communius, tanta est barbaries, quanta vix alicubi: ipsos Professores audias licet, villicos dicas, illiteratos Germanos; nec solius Latinii, ut decet, sunt imperiti, ipsam ignorant, quam tradunt ac profitentur, doctrinam; praeprimis eorum ignorantia in Medica elucet arte: cujus quidem rei possem facile adferre argumenta, evidentia illa quidem, at summe simul ridicula; verum operae pretium non duco similibus nugis aures tuas onerare. Fateor equidem, dictante Celeberrimo Swietenio, Augustissimam Imperatricem plurimis jam edictis ac legibus hanc

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Durch die Ratschläge van Swietens habe die Kaiserin schon einiges verbessern können. Das angeborene Talent der Kaiserin und der Fleiß van Swietens ließen jedoch Raum für Hoffnung, so Jacquin in dem Brief. Im Jahr 1754 hatte Jacquin im Auftrag des Kaisers seine Reise nach Übersee angetreten, sie sollte ihn über vier Jahre von Wien wegführen. Unmittelbar nach seiner Rückkehr 1759 widmete er sich der Aufarbeitung seiner botanischen Funde, deshalb war an einen Abschluss als Doktor der Medizin noch nicht zu denken. Die von van Swieten bestimmte Berufung nach Schemnitz (Bansk# Sˇtiavnica) als Lehrer der Bergschule 1763 versetzten ihn in ein neues Wirkungsfeld, an dem er beträchtliche Aufbauarbeit zu leisten hatte. Für das Gelingen äußerst geachtet, wechselte Jacquin als Bergrat und Professor der Bergschule zu Schemnitz 1768 nach Wien zurück, da er als Nachfolger des seit 26. November 1749 eingesetzten Professors Robert FranÅois Laugier735 den angeseheneren Posten des Lehrstuhls der Chemie und Botanik an der Medizinischen Fakultät antreten konnte. Der Sprung zurück an die Universität, diesmal aber als Professor, war gelungen, und dies vorerst ohne Abschluß des Studiums und des Doktorats. Der plötzlichen Rückholung Jacquins nach Wien waren Unstimmigkeiten zwischen van Swieten und dem ersten Lehrstuhlinhaber der Chemie und Botanik in Wien, Laugier, vorangegangen. Das langjährige gute Einvernehmen zwischen van Swieten und Laugier kippte abrupt, da Letzterer seinen Lehrveranstaltungen ungenügend nachkam, den Botanischen Garten eher vernachlässigte und die lateinische Sprache noch immer nur mangelhaft beherrschte. Die Beanstandungen zeitigten keine Einsicht bei dem mit dem Hochadel verkehrenden selbstbewussten Professor,736 worauf van Swieten dessen Gehalt kürzen ließ. Um einer Entlassung vorzugreifen, wagte Laugier einen Gang nach Canossa und bat seinerseits Maria Theresia um eine Verabschiedung unter Beibehaltung seiner Pension. Van Swietens sehr emotionale negative Stellungnahme und harte Academiam in melius vertisse, vertereque in dies.« Eigene Übersetzung; und weiters heißt es: »obtinet nihiloliminus antiquum, neque adeo dispar sui atque dissimilis effici potuit, ut in Academiam non Germanicam converteretur. Haud plane tamen est desperandum; benevola sapientissimae Imperatricis indoles, virique celeberrimi Swietenii labores indefessi jubeant sperare meliora.« 735 Die Einsetzung Robert F. Laugiers erfolgte am 26. 9. 1749. UAW, Acta Inclytae Facultatis Medica ab Anno 1749, Med. 1.10: »Dr. Logier« [!], fol. 2. 736 Dieses enge Verhältnis zum Hochadel wird in einer Tagebuchaufzeichnung von Graf Karl von Zinzendorf deutlich, in dem es am 3. Juli 1762 etwa heißt: »Ich speiste beim Herzog von Braganza mit dem Groß-Bailli Sinzendorf [!], Herrn von Paar, dem Abb8 Guasco, Herrn Laugier, dem Bruder, Herrn Barbosa und dem Arzt des Fürsten Gallitzin. Man sprach von Paris, von den Vorzügen der Pariser Gasthöfe gegenüber denen von Wien, von Portugal, der Herzog zeigte uns Landkarten. Nach dem Dinner gingen […] zum Botanischen Garten.« Siehe: Hans Wagner (Hg.), Wien von Maria Theresia bis zur Franzosenzeit. Aus den Tagebüchern des Grafen Karl von Zinzendorf (Wien 1972), 134.

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Empfehlung (am 26. Juli 1768) für die Entlassung Laugiers ohne Pension wurde von Maria Theresia befolgt, und sie erwartete sogleich auch van Swietens Vorschlag für die Besetzung der vakanten Stelle, was dieser bereitwillig erfüllte. Jacquin in Schemnitz wurde bereits drei Tage später, am 29. Juli 1768, von van Swieten bezüglich der jüngsten Entwicklung kontaktiert und informiert, nämlich wegen des infolge der Kündigung Laugiers frei gewordenen Postens. Van Swieten vergaß auch nicht, die Gage von 2000 Gulden und die weiteren damit verbundenen Annehmlichkeiten, freies Quartier im Winter in der Nähe des Labors und während des Sommers im Botanischen Garten, zu erwähnen und kündigte unmissverständlich seine Bereitschaft an, Jacquin den Posten verschaffen zu wollen. Deshalb erbat er sich auch eine schnelle Antwort von ihm.737 Es ist anzunehmen, dass dieses Angebot bei Jacquin auf große Begeisterung stieß. Denn in Wien hatte er seine Freunde und die Verwandten seiner Frau zurückgelassen. Schemnitz war zwar die reichste Bergstadt Ungarns, aber in keiner Weise mit der Metropole Wien vergleichbar. Obwohl Jacquin ein Garten bei dem Krecsm#ry’schen Haus zur Verfügung stand, konnte dieser in keiner Weise den Holländischen Garten oder einen Universitätsgarten ersetzen. Und die angebotene Professur lag seinen Interessen auch bei weitem näher. Die Zusage Jacquins ist leider nicht überliefert, sie muss aber ziemlich rasch erfolgt sein. Schon am 10. August 1768 schlägt van Swieten Jacquin als Nachfolger Laugiers für die Lehrkanzeln der Botanik und Chemie an der Universität Wien vor. Die Begründung van Swietens ist aus zwei Gesichtspunkten interessant, einerseits was an Vorzügen dem Kandidaten Jacquin bereits zugeschrieben wurde und welche Erfordernisse andererseits van Swieten als entscheidend erachtete: »In der Botanik ist er bekannt als einer der ersten Botaniker des Jahrhunderts und mehrere Werke, die er dem Publikum übergeben hat, beweisen dies. In dieser Eigenschaft wird er der Universität Wien Ehre machen. Er ist sehr stark in der Chemie, was nachdrücklich bewiesen ist durch die umfangreichen Arbeiten, die er in Schemnitz geleistet hat, und die Schüler, welche er bereits ausgebildet hat. Außerdem ist er in der Kraft der Jahre, spricht und schreibt recht gut Latein und Deutsch, und hält seine Kollegien in diesen zwei Sprachen. Er beherrscht außerdem die französische Sprache. Er liebt die Arbeit, er hat sehr gute Studien in Holland und hier in Wien absolviert. Er war in Frankreich, Amerika, etc. Es gibt daher keinerlei Zweifel an seiner Fähigkeit wie auch an seinem Betragen, das immer ohne Tadel war.«738

737 Van Swieten an N. Jacquin, 29. Juli 1768, Lord Old Russel Collection, Bloomsbury Science Library, University College London. Dieser Brief wurde von Lack entdeckt: Vgl. Walter Lack, Die Berufung von Nikolaus Joseph Jacquin an die Universität Wien (Wien 2000), 375– 388. 738 Akt, von G. van Swieten, 10. August 1768, Lord Odo Russel Collection, Bloomsbury Science Library, University College London, abgedruckt in Lack, Berufung (2000), 385. Die deutsche Übersetzung auch nach Lack, Berufung Jacquins an die Universität (2000), 386.

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Eindeutig empfahl sich der Kandidat also besonders durch seine Forschungsund Publikationstätigkeit. Van Swieten argumentierte hier wohl aus seiner eigenen Sozialisation heraus, denn in Holland galt Forschungskompetenz als unabdingbare Voraussetzung für einen derartigen Professorenposten, während an anderen deutschen Universitäten, mit Ausnahme der führenden in Göttingen und Halle, der Professor eher wegen seines mündlichen Vortrags geschätzt wurde739 und erst nachrangig als Forscher. Van Swieten attestierte Jacquin eigentlich beides, aber mit deutlicher Priorität der Forschungstätigkeit. Dass Übertreiben bzw. eine positive Darstellung der Meriten sowie die Bezugnahme auf den konkreten Posten in Bewerbungsunterlagen stets eine große Rolle spielten, wissen wir zur Genüge, dennoch scheint van Swietens Argument, dass Jacquin einer der ersten Botaniker des Jahrhunderts sei, doch etwas überzogen. Erfahrung in der Lehre, sowohl das richtige Alter als auch Sprachkenntnisse schienen als Eignungsmerkmale ebenfalls relevant. Dass Französisch ebenso hervorgehoben wurde, entspricht wohl dessen Bedeutung als Hofsprache. Es hatte seit Maria Theresias Herrschaft das Italienische abgelöst und auch als die Diplomatensprache Gewicht erlangt. Zusätzlich zu seiner Befürwortung übermittelte van Swieten auch Jacquins Wünsche an Maria Theresia: »Jacquin legt sich zu Füßen Ihrer kaiserlichen Majestäteo und bietet sich demütig an, die vakanten Lehrkanzeln auszufüllen. [Er erwähnt auch das Gehalt, die beiden Wohnungen und] bittet, den Titel und die Tätigkeit als Bergrat in Niederungarn, die er derzeit innehat, beizubehalten, um am Rat in Schemnitz mit dem gleichen Rang und der gleichen Aktivität teilnehmen zu können, falls es der Dienst für ihre kaiserlichen Majestäten erfordert, in der Art, daß er eine Reise dorthin während der Ferien machen könnte. Er bietet sich an, in Wien dasselbe Kolleg über Metallurgie zu geben, wie in Schemnitz, dem Rat zu dienen durch seine Meinung zu diesen Angelegenheiten etc. Er erklärt sich bereit, ein Buch für die Anfänger über Metallurgie drucken zu lassen und sich sogar während seiner Ferien nach Schemnitz zu begeben, um dort die grundlegenden Operationen in Metallurgie durchzuführen, falls es die Hofkammer für notwendig erachtet. Da diese Arbeit völlig getrennt von den beiden Professuren ist und da durch dieses Arrangement 2300 Gulden in die Kasse kommen, wagt er, sich eine geeignete Vergütung für eine so große und nützliche Arbeit vorzustellen.«740

Der handschriftliche Vermerk Maria Theresias auf diesem Akt ist erhalten, er lautet aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt wie bei allen ihren Verfügungen kurz und bündig: »Ich stimme der Ernennung des Jacquin an Stelle von Laugier mit dessen Gagen zu. Und da er sich bereit erklärt hat, die Vorle739 Siehe dazu mehr : Peter A. Vandermeersch, Der Universitätslehrer. In: Walter Rüegg (Hg.), Geschichte der Universität in Europa. Bd. II: Von der Reformation zur Französischen Revolution (1500–1800) (München 1996), 181–212, hier 184. 740 Akt, 10. August 1786 von G. van Swieten, Übersetzung zit. nach Lack, Berufung (2000), 386– 387.

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sungen für die Bergwerke hier [in Wien] zu halten und sogar sich in den Ferien zu den Bergwerken zu begeben, weise ich ihm dafür 1000 Gulden aus der Bergwerkskasse zu. M.«741 Bereits einen Monat später erhielt Jacquin ausdrücklich vom Münz- und Bergmeisteramt Wien die Erlaubnis, sich aus Schemnitz nach Wien entfernen zu dürfen, denn jede Absenz vom Wirkungsort musste von dieser Institution genehmigt werden.742 Vermutlich handelte es sich schon um seinen Umzug. Die Berechtigung zur Führung des Titels Bergrat implizierte eine Gutachtertätigkeit Jacquins, für die er auch tatsächlich in der Folgezeit noch herangezogen wurde. Dabei handelte es zum Beispiel um Prüfungen der Güte von Quecksilberlieferungen an das Ärar.743 Die große Neuigkeit des Karrieresprungs musste dem Freund Linn8 gleich berichtet werden. Sein zukünftiges Gehalt mit 3300 österreichischen Gulden und weiteren Zulagen von 1000 Gulden (4 Gulden entsprechen einem Dukaten) war Jacquin der Mitteilung besonders wert. Im Vergleich dazu erhielt ab 1773 ein Exjesuit nur ein Zehntel davon als Pension, nämlich etwa nur 300 Gulden.744 Für Jacquins Selbstwertgefühl war es enorm wichtig, seine sich nun mehr und mehr abzeichnende Wohlhabenheit zu dokumentieren. Die Angabe der neuen zukünftigen Anschrift rundete diesen doch von Stolz gezeichneten Brief ab: »Mr. Jacquin Conseiller au conseil supreme des mines et monnoies et Professeur en Metallurgie, Chimie et Botanique au Palais de l’Universit8 / Vienne en Autriche.«745 Linn8 freute sich sehr, dass Jacquin wieder stärker zur Botanik zurückkehren könne, diesmal auch beruflich, und gratulierte ihm zu diesen doch vorteilhaften Bedingungen.746 Seine Lehrtätigkeit an der Universität Wien nahm Jacquin noch vor Ende 1768 auf. Nun wurde die Promotion am 14. März 1769747 schnell nachgeholt, denn sie stärkte die Zugehörigkeit zum Kreis der Professoren, wiewohl der Doktorgrad nicht generell Voraussetzung für eine Berufung darstellte. Im Unterschied zu

741 Undatierter Vermerk von Maria Theresia auf fol. 6 des Aktes von G. van Swieten, 10. VIII. 1768, eigenhändig. Zit. und Übersetzung nach Lack, Berufung (2000), 387. 742 ÖStA, FHKA, MBW, Akten Abt. II, Wien, Karton 1734, Nr. 40, Ansuchen vom 1. September 1768. 743 Vgl. ÖStA, FHKA, MBW, Schachtel 1245, Nr. 979. 744 Siehe dazu: Marianne Klemun, Arbeitsbedingungen eines Naturforschers im Kärnten (1984), 357–374. 745 Jacquin an Linn8, 25. September 1768 (L 4108), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 746 Linn8 an Jacquin, 4. November 1768 (L 4140), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 747 UAW [Universitätsarchiv Wien], Acta Inclytae Facultatis Medica ab Anno 1749, Med. 1.10, fol. 134 und 135; Vgl. dazu auch: Elisabeth Hermann, Beiträge zur Geschichte des Lehrkörpers der medizinischen Fakultät der Universität Wien im 18. Jahrhundert (Ungedr. Phil. Diss. 1981), 59.

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anderen Kandidaten wie etwa Joseph Mikan oder Jakob Joseph Mastallir,748 welche gleichzeitig promoviert wurden, musste sich Jacquin jedoch keiner Disputation mehr unterziehen. Auch wurde nur er allein in den Fakultätsakten bereits in diesem Zusammenhang als »Celeberissimus«749 tituliert. Erstaunlicherweise wurde Jacquin bereits am Tag danach selbst in der Funktion als Promotor eingesetzt, stand sozusagen sogleich auf der anderen Seite des Verfahrens, wie wir dies aus den Akten der Medizinischen Fakultät ersehen können. Schon am 8. Juli 1769750 wurde er als Mitglied in die Medizinische Fakultät inkorporiert. Dies bedeutete noch eine weitere Stufe auf der internen universitären Karriereleiter. Nicht alle Lehrenden waren auch Mitglieder der Fakultät und somit von entscheidenden Sitzungen ausgeschlossen. Laut der Darstellung seines Sohnes Joseph begann Nikolaus Jacquin ab Oktober 1768 sogleich mit den Chemievorlesungen in Wien,751 Botanik wurde erst im darauf folgenden Sommer gelesen. Diese zeitliche Orientierung blieb während seiner gesamten Lehrtätigkeit gleich: im Winter Chemie und im Sommer Botanik. Da der botanische Unterricht auch an den Botanischen Garten gebunden war, erwies sich diese jahreszeitliche Einteilung als sinnvoll und begründet eine bereits mit Laugier begonnene Tradition, die noch im 19. Jahrhundert in Zeiten Franz Ungers752 und Eduard Fenzls Bestand hatte. Die Vortragstätigkeit in Form von Vorlesungen bedeutete für Jacquin nun keine neue Herausforderung, er hatte in Schemnitz ausreichend Gelegenheit gehabt, sich darin zu üben. Auch sein Deutsch hatte sich über die Jahre sehr verbessert, obwohl er seine Briefe durchwegs lateinisch oder französisch verfasste. Neu für ihn war nur, dass er nun zusätzlich zur Chemie auch Botanik unterrichten sollte. Auch die Vorlesungszeiten waren insgesamt zeitlich umfangreicher, in den Sommermonaten eine Stunde täglich »von 6.30 bis 7.30 nach Linn8« und »die Chemie in den Wintermonaten täglich von 11:00 bis 12:00 Uhr«, wie es der Wiener Universitäts-Schematismus, der jährlich herausgegeben wurde, belegt.753 Stolz meldete er Linn8, dass er im Sommer 1769 das erste Mal dessen System

748 UAW, Acta Inclytae Facultatis Medica ab Anno 1749, Med. 1.10, fol. 133. 749 »Celeb. Deus Jacquin Nicolaus Josephus Chemiae et Botaniae Professor 1. Mart. Promotore Magnif. Deus Professore de Haen«, UAW, Acta, fol. 134f. 750 UAW, Acta Inclytae Facultatis Medicae ab Anno 1764, 119. 751 Vgl. Joseph Franz Jacquin, Der Universitäts-Garten in Wien (1825), 41. 752 Zu Franz Unger : Marianne Klemun, Franz Unger (1800–1870): multiperspektivische wissenschaftshistorische Annäherungen. In: Marianne Klemun (Hg.), Einheit und Vielfalt. Franz Ungers (1800–1870) Konzepte der Naturforschung im internationale Kontext (Göttingen 2016), 15–92, hier 41. 753 Vgl. Anton Phillebois (Hg.), Wiener Universitäts Schematismus für das Jahr 1796f. (Wien 1796), 59f.

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in seinen Vorlesungen in Wien vorgetragen habe.754 Immerhin gab es in Wien mehr Gegner als Befürworter dieses Systems. Jacquin musste seinen Freund Franz von Mygind und später auch Giovanni Antonio Scopoli von dieser Klassifizierungsmethode erst überzeugen und Heinrich Johann Nepomuk Crantz755 blieb zeitlebens ein vehementer Feind Linn8s. Als Prüfer war Jacquin nicht gefürchtet. Er verlangte von den Kandidaten die Identifizierung der Pflanzenarten mit Namen, wofür ihm der Gärtner am Prüfungstage die Naturobjekte in den Saal gebracht hatte. Dem Gärtner wurde – in einer anonym erschienenen Schrift756 – unterstellt, gegen ein kleines Entgelt die Bereitschaft an den Tag zu legen, den Prüflingen schon vorher die linn8ische Bezeichnung der ausgewählten Pflanzen mitzuteilen, eine Praxis, die später auch unter Jacquins Sohn stattgefunden haben soll.757 Kommen wir nochmals zum Alltag des Professors und zum universitären Lehrbetrieb. Das stattliche Universitätsgebäude stellte den Professoren in Wien neben neuen Einrichtungen wie Laboren auch geräumige Hörsäle zur Verfügung, während es in Deutschland noch verbreitet war, dass die Vorlesungen in der Professorenwohnung gehalten wurden. Allgemein machte sich in Deutschland ein »funktionaler Ausdifferenzierungsprozess«758 bemerkbar, der erst allmählich die Professorenwohnung zum Privatraum werden ließ. Jacquin bezog seine zwei vom Staat zur Verfügung gestellten Wohnräume in dem neuen Gebäude wie auch am Botanischen Garten. Beide Wohnsitze dienten nur privaten Zwecken. Einem holländischen Reisenden war diese spezifische Lehrsituation in Wien im Unterschied zu seiner eigenen Erfahrung als Vorteil aufgefallen: »Alle Professoren, den der Botanik und noch einen anderen ausgenommen, halten hier – also nicht in eigenen Häusern, wie in Holland und in dem nördlichen Teutschland – ihre Vorlesungen. Sie alle bedienen sich bei denselben der Muttersprache; nur das kanonische Recht wird in der ehemals allgemeinen Sprache der Gelehrten entwickelt. Die Zahl der Studierenden wird über 1000 geschätzt; unter diesen findet man verschiedene Stipendiaten. Diese, so wie die Theresianer, bezahlen nichts für den Unterricht, dem sie beiwohnen; und das, was die anderen Studenten den Professoren zu 754 Vgl. Jacquin an Linn8, Wien, 8. November 1769 (L 4299), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 755 Heinrich Johann Nepomuk Crantz, auch Cranz oder Kranz (1722–1797) erhielt 1754 in Wien die Professur der Geburtshilfe, besaß zugleich besondere botanische Kenntnisse. Er verwendete sein bedeutendes Vermögen zu naturgeschichtlichen Forschungen, war aber exponierter Gegner von Linn8 und Jacquin. 756 Vgl. [Anonymus], Bemerkungen über die Lehranstalten der Botanik zu Wien. In: Neues Magazin für Ärzte, 14. Band, 6. St. (1792), 491. 757 Vgl. Ludwig August Frankl, Erinnerungen (Prag 1910), 76. 758 Marian Füssel, Akademische Lebenswelt und gelehrter Habitus. Zur Alltagsgeschichte des deutschen Professors im 17. und 18. Jahrhundert. In: Jahrbuch für Universitätsgeschichte, Bd. 10 (2007), 35–51.

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erlegen haben, vermehrt das Einkommen dieser Letzteren ganz und gar nicht. Alles, was die Studenten für den Unterricht bezahlen, wird in eine Kasse geworfen, und der Gebrauch, welchen man von diesem Gelde macht, besteht darin, dass man arme Studenten mit demselben unterstützt. Die Stipendiaten können in der Wahl der Vorlesungen nicht nach eigenem Belieben verfahren, sondern sie sind genötigt, die Ordnung zu beobachten, welche von der Studienkommission ihnen vorgeschrieben wird. Ein akademischer Kursus dauert zehn Monate. Zweimal jährlich wird in allen Kollegien, durch Fragen und Antworten, das Vorgetragene widerholt, und keinem der Jünglinge ist es erlaubt, sich diesen Prüfungen zu entziehen. […]«759

In der Tat war das Studium in Wien stark reguliert und fixe Zeiten wurden eingeführt. Dennoch schien der Öffentlichkeit der Universitätsbetrieb maßgeblich von dem jeweiligen Charakter eines Professors geprägt zu sein, wie es z. B. von Besuchern der Stadt760 beobachtet wurde. Darin wurden nur wenige Persönlichkeiten aus der Vielzahl von etwa 50 Wiener Professoren als repräsentativ für diese Einrichtung herausgegriffen; Jacquin besonders häufig. In solchen Darstellungen ist jenes Phänomen für uns greifbar, das Lorraine Daston unter der Bezeichnung wissenschaftliche Persona fasst.761 Die einzelnen Protagonisten werden nicht nur als Individuen oder in ihren sozialen Rollen gesehen, sondern charakterisiert durch kulturell bestimmte Muster, die Eigenheiten kollektiv ausformten, was auf das Selbstbild der handelnden Personen auch wieder zurückwirkte. Das Auftreten im Unterricht z. B. der Professoren Crantz und Jacquin wurde zwar sehr unterschiedlich geschildert, dennoch ging es in beiden Fällen um idealisierte, kollektiv ausgehandelte Charakterattribute, welche die Profession auszeichnen sollten. Autorität artikulierte sich individuell jedoch im Alltag unterschiedlich. »Von Krantz so muss ich Ihnen sagen, dass er mit aller möglichen Würde und Selbstachtung liest. Ja er hält den Zuhörer so weit von ihm entfernt, dass dieser es für eine besondere Gnade halten muss, von seinem Lehrer eines Blickes gewürdigt zu werden. Schon bei dem Eintritt des Bedienten des Hrn. Professors, der die Lichter auf dem Katheder anzündet, stehen sämtliche Herrn Zuhörer auf, in welcher Stellung sie so lange bleiben, bis es dem Hrn. Prof. gefällt, ihnen durch einen Wink die Erlaubnis zu geben sich setzen zu dürfen.«762 759 Johan Meerman, Meermans Freyherrn von Dalem, Reise durch Preussen, Oesterreich, Sicilien und einige an jene Monarchien grenzende Länder. Aus dem Holländischen übersetzt, 2. Bd. (Braunschweig 1794), 122. 760 Vgl. Johann Tobias Sattler, Freymüthige Briefe an Herrn Grafen von V. über den gegenwärtigen Zustand der Gelehrsamkeit an der Universität und der Schulen zu Wien (Frankfurt und Leipzig 1775), 82f. 761 Lorraine Daston, Die wissenschaftliche Persona. Arbeit und Berufung. In: Theresia Wobbe (Hg.), Zwischen Vorderbühne und Hinterbühne. Beiträge zum Wandel der Geschlechterbeziehungen in den Wissenschaften vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart (Bielefeld 2003), 109–136. 762 Vgl. Sattler, Freymüthe Briefe (1775), 84.

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Würde und Selbstachtung bestimmten diesen noblen Charakter der wissenschaftlichen Persona. Etwas umgänglicher wird im Gegensatz dazu Jacquin geschildert, dessen Streben nach Wissen ebenfalls als »edeldenkend« beschrieben wird und dessen Autorität von Bescheidenheit getragen sei: »Unser chymischer Lehrer ist der, durch den Ruf, Ihnen schon längst bekannte Herr Hofrath Jacquin, ein vortrefflicher Lehrer und verdienstvoller Mann. Edeldenkend, ohne Stolz vermeidet er alle kleinen Zänkereien, wobei gemeiniglich die Wissenschaften am meisten verlieren. Er ist ein wahrer, und folglich ein bescheidener Gelehrter. Seine Zuhörer sind seine Freunde. Seine Lehrart ist ganz praktisch. Er liest in dem chymischen Laboratorium, und macht alle Versuche in Gegenwart seiner Zuhörer mit bewundernswürdiger Genauigkeit. Weit entfernt von allen theoretischen Spitzfindigkeiten, studiert er einzig die Natur ; […] Dieser Mann verdient wirklich, dass lehrbegierige Fremde ihn hören und schätzen, und sehr viele haben mich versichert, dass er vorzüglich ihre Mühe belohnt, und ihre Erwartungen übertroffen habe.«763

Reisende in dieser Zeit, die die Hauptstadt des Kaiserreiches aufsuchten und über die bedeutenden Gelehrten in dieser Stadt berichteten, sind voll des Lobes auf Jacquin. Sie sind für uns HistorikerInnen wichtige Gewährsleute, weil sie ein öffentliches Bild Jacquins entwarfen. An der Konstruktion von Image und Rezeption seiner Person war Jacquin selbst nicht unbeteiligt, wie wir es in einem eigenen Kapitel zum semi-privaten Leben und der Familie noch darstellen werden.764 Denn Jacquin führte ein gastliches Haus, in dem Reisende, Gelehrte und auch mit Empfehlungsschreiben ausgestattete Studenten offene Türen vorfanden. So schreibt 1775 der niederländische Chemiker und Arzt Petrus Driessen seinem Freund Steven Jan van Geuns, dass Anton de Haen und Nikolaus Jacquin die einzigen von den Dozierenden waren, die den Aufenthalt für einen Fremden in Wien wichtig machten.765 Selbst der für seine scharfe Zunge berühmte deutsche Schriftsteller und Verlagsbuchhändler Friedrich Nicolai sprach 1781, nachdem er Deutschland und die Schweiz bereist hatte, in den höchsten Tönen von Jacquin: »Der Name dieses berühmten Gelehrten ist zu seinem Lobe genug. Ein Mann von so großen Kenntnissen und von so durchdringendem Geiste, der die Gabe hat sich der Fähigkeit junger Leute gemäß auszudrücken, ist der wahre nützliche Lehrer ; wenn er aber mit unermüdetem Eifer jedes lehrbegierigen Jünglings Wissenschaft, so wie Jacquin, erweckt und pflegt, so ist er eine unschätzbare Wohlthat für eine Universität.

763 Ebda. 764 Siehe Kap. VII. 1. 765 Steven Jan Geuns, Tagebuch einer Reise mit Alexander von Humboldt durch Hessen, die Pfalz, längs des Rheins und durch Westfalen im Herbst 1789, hg. von Bernd Kölbel (Berlin 2007), 324.

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Dieser große Mann lebt nebst seinem berühmten Schwager Ingenhousz ganz den Wissenschaften, für die beide noch beständig so viel thun.«766

Zwei Phänomene sind daraus zu schließen: Einzelne Professoren der Universität waren nun durch ihren Job weitaus stärker als vor der Reform zu öffentlich beobachteten und geachteten Personen geworden. Die wissenschaftliche Persona äußerte sich in einem Idealbild, dessen Kern das Aufgehen für und in der Wissenschaft bildete. Jacquin eignete sich alsbald ganz besonders zu einer prächtigen Ikone für die Institution, da er eben »ganz den Wissenschaften« zu leben schien. Seine Autorschaft, seine Sprachkenntnisse und internationale Reputation als Naturforscher prägten zudem diese Variante der wissenschaftlichen Persona. Wiewohl er nicht der einzige Professor der Wiener Universität war, der sich mit Publikationen hervorgetan hatte, spielte er für die interessierte Öffentlichkeit bereits ab den 80er Jahren die wichtigste Rolle. Der Reisebericht des Freiherrn Meerman von Dalem, eines gelehrten und reichen Holländers, der eine der schönsten Privatbibliotheken seines Landes besaß, erhob eine Stimme von vielen in diesem lauter werdenden Chor : »Indeß hat doch der Ruf eben nicht von sehr vielen dieser Herren über die Grenzen der österreichischen Staaten hinaus sich verbreitet; und der Herr von Jaquin [!], ein geborener Bürger von Leiden, ist von ihnen allen vielleicht derjenige, der durch seine vortrefflichen Werke über die Kräuterkunde, durch ganz Europa der Achtung sich am meisten versichert halten kann, die er verdient.«767

Jacquins Lehrtätigkeit in Wien umfasste mehr als 30 Jahre (1768–1796). Es war eine Phase massiver Veränderungen, die sowohl das Profil, den Status des Professors wie auch die Praktiken des Lehrens betrafen. Im Unterricht wurde spätestens in den 80er Jahren überall vom traditionellen Diktat zum Einsatz von approbierten Lehrbüchern umgestellt, ein Phänomen, das mit dem Übergang von Oralität zur Textorientierung bei den Rezipienten einherging. Das Berufsbild eines Universitätsprofessors war gegen Ende des 18. Jahrhunderts noch immer ein sehr heterogenes. In der deutschen aufgeklärten Öffentlichkeit gab es Stimmen, welche das Profil alleinig im Erkenntnisgewinn eines Professors sehen wollten, wie es Wieland artikulierte,768 und die kritisierten, dass Verantwortliche »eine vorzügliche Gabe des mündlichen Vortrages für viel belohnenswürdiger halten, als ausgezeichnete schriftstellerische Gaben 766 Friedrich Nicolai, Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz, im Jahre 1781, 4. Bd. (Berlin / Stettin 1784), 761. 767 Meerman, Reise, 2. Bd. (1794), 122. 768 Zitiert nach R. S. Turner, University Reformers and Professional Scholarship in Germany 1760–1806. In: Stone (Hg.), University in Society II (Oxford 1974), 519 und zitiert nach Vanermeersch, Die Universitätslehrer (1996), 182.

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und Ruhm.«769 Andere fürchteten ein »gelehrtes Monstrum« oder lehnten einen »rhapsodischen Vielwisser«770 ab und wünschten sich eher ausgezeichnete Vortragende, die ihre ganze Aufmerksamkeit der Unterweisung schenkten. Wir haben dieses Phänomen bereits angesprochen: Es existierte in Göttingen und auch in Leiden die Tendenz, dass sich die Professoren eher als Forscher und Buchautoren bewährten, wie es Turner in einer Studie nachweisen konnte.771 Jacquin passte in dieses Profil, konnte bereits drei Monographien vorweisen und auch einen gewissen Erfolg in der Lehre. Jedenfalls gab es keine Beschwerden. Er hatte seine Lehre bereits in Schemnitz so gehandhabt, dass er ein fremdes Lehrbuch benützte, es aber mit eigenen Ergänzungen erweiterte. In der Lektion ein Lehrbuch einzusetzen, sah er als pädagogische Maßnahme, da der Student nicht nur nachbereiten könne, was er nicht verstanden, sondern sich eben auch auf das Kommende vorbereiten sollte. Jacquin ging an der Bergschule nach einem Manuskript vor, das er aber nicht veröffentlichte, sondern das in Mitschriften weitergegeben wurde. Als solches ist ja noch erhalten.772 Gelehrt wurde in Wien nur von wenigen Professoren nach einem selbst verfassten Lehrbuch. Eher wurde Literatur von einem bedeutenden Autor eingesetzt, dessen Publikation der Studienhofkommission vorzulegen war. Nikolaus Jacquin unterrichtete wie sein Vorgänger zunächst Chemie nach Boerhaave und Botanik nach Linn8. Er reagierte allerdings sofort auf Kaiser Josephs Verordnung (1783), dass die Lehre nicht mehr auf Latein, sondern auf Deutsch durchgeführt werden solle. Noch im selben Jahr erschien Jacquins 526 Seiten umfassendes Lehrbuch der Chemie.773 Dieses wurde alsbald in andere europäische Sprachen übersetzt.774 Ihm folgte ein eigenes Unterrichtsbuch zur Botanik, das Linn8s Pflanzenkenntnis in deutscher Sprache zum Inhalt hatte.775 Beide 769 Christoph Meiners, Über die Verfassung und Verwaltung der Deutschen Universitäten II (Göttingen 1801), zitiert nach Turner, University Reformers (1974), 519. 770 Ludwig Heinrich Jacob, Ueber die Universitäten in Deutschland, besonders in den königl. Preußischen Staaten. Mit anführbaren Vorschlägen (Berlin 1798), 254. 771 Turner, University Reformers (1974), 519. 772 Nikolaus Jacquin, Collegia Chymica (1765/66). 773 Nikolaus Jacquin, Anfangsgründe der medicinisch-practischen Chymie zum Gebrauche seiner Vorlesungen (Wien 1783). (2. Auflage Wien 1785). 774 Eine italienische Übesetzung erfolgte durch Bondolini (Triest 1791). Dieses Buch empfahl auch Alexander von Humboldt Archibald Maclean. Siehe: Humboldt an Maclean, Brief, 14. Oktober 1791. Abgedruckt in: Ilse Jahn und Fritz G. Lange (Hg.), Die Jugendbriefe Alexander von Humboldts 1787–1799 (Berlin 1973), 154. 775 Nikolaus Jacquin, Anleitung zur Pflanzenkenntniß nach Linn8’s Methode. Zum Gebrauche seiner theoretischen Vorlesungen an der Universität (Wien 1785). 1792 und 1798 wurde dieses Werk nochmals unverändert aufgelegt. Eine weitere Ausgabe erschien 1840 und kostete zwei Gulden 22 Kreuzer (Anhang der Laibacher Zeitung, 28. März 1840). Fiedler publizierte eine überarbeitete Fassung: Carl Wilhelm Fiedler, Anleitung zur Pflanzenkenntnis nach Linn8e [!] und Jacquin (München 1787 und Mannheim 1804) (Nach Friedrich Miltitz, Handbuch der botanischen Literatur (Berlin 1829)). Eine italienische

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Lehrbücher prägten 60 Jahre776 in unterschiedlichen Auflagen den Unterricht in Chemie und Botanik an der Universität Wien.777 Die Reformen Josephs II. schlossen das zuvor begonnene ehrgeizige Projekt der »Rationalisierung, Zentralisierung und Bürokratisierung«778 der Universität ab, die Eigengerichtsbarkeit wurde endgültig abgeschafft und das Studium im Ausland verboten. Der in den 50er Jahren aufgewertete Status des Universitätsprofessors verlor in josephinischer Zeit deshalb an Glanz, weil die Gagen reduziert wurden. Die josephinischen Reformer waren der Meinung, dass die hohen Gehälter die sichtbare Stagnation der Universität in den 80er Jahren verursacht hätten. Denn materiell derart gut ausgestattet, müssten sich die Professoren nicht mehr anstrengen.779 Ob es dieser Aspekt war oder jener, dass die Universität generell dem Nützlichkeitsgedanken unterworfen wurde, jedenfalls schienen Jacquin die Zeichen der Zeit nicht mehr zu gefallen, will man dem Reisebericht aus der Feder des in Karlsruhe wirkenden Professors Sander Glauben schenken: »Mit dem frühen Morgen und einigen warmen Sonnenblicken machte ich mir die Freude wieder, zu Hrn. von Jacquin in den Botanischen Garten hinauszufahren, und brachte den ganzen Vormittag zu, bis er mich in seinem Wagen zurückführen lies. Er ist ein guter Mann. Man sieht in ihm gleich den Mann, der früh, viel und ernstlich studirt hat, und sein Wissen gern jedem mittheilt, dessen Wißbegierde nicht Scharlatanerie ist. Man spricht den Gelehrten, der viel gereißet ist, und daher über Gnaden, Unterthänig, und anderes Wienerisches Schwätzwerk weit weg ist; den Mann, der gern mit jedem vom Handwerk Freundschaft macht, aber auch tief den Undank und die Ungerechtigkeit des Hofes fühlt. – Man hat ihm die Pension genommen, die ihm vermöge eines Kontrakts mit Kaiser Franz I. gehörte, als er auf dessen Befehl die Reise nach Amerika that: man hat ihm und allen Professoren auf der Universität ihre Hofquartiere genommen, Born bekam doch Quartiergeld, aber Jacquin und die anderen Alle nichts. Man spricht auch schon von Verminderungen der Besoldungen und die Professoren sollen nebst wenigen hundert Gulden von den Studenten leben, als wenn Wien schon wäre wie Göttingen, Halle etc. […] Zu hoffen ist nichts für die Wissenschaft, aber alles zu fürchten.«780

Die josephinischen Reformen behagten Jacquin nicht, vielleicht hatte er auch bewusst Sander, den Verfasser des oben zitierten Berichts, mit seinen Klagen als

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Übersetzung nahm Roberto de Visiani vor: Roberto de Visiani, Introduzione allo studio die vegetabili di N. Jacquin, tradotta, illustrata ed accresciuta (Padua 1824). Einen groben Überblick gibt Matthias Svojtka, Lehre und Lehrbücher der Naturgeschichte an der Universität Wien von 1749 bis 1849. In: Berichte der Geologischen Bundesanstalt 83 (Wien 2010), 48–61; zu Jacquin, bes. 49. Die letzte Ausgabe erschien 1840, allerdings umgearbeitet: Joseph Franz Jacquin (Hg.), Nikolaus Josephs Freih. von Jacquin’s Anleitung zur Pflanzenkenntnis (Wien 1840). Klingenstein, Despotismus (1976), 156. Klingenstein, Despotimus (1976), 148. Sander, Beschreibung einer Reise (1784), 541f.

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Sprachrohr instrumentalisiert. Sie bezogen sich auf den politischen Verlust materieller und symbolischer Anerkennung als Gelehrter und Hochschulprofessor. In der Regierungszeit Leopolds II. bzw. Franz’ II. (I.) wirkte Jacquin dennoch nahe an den staatlich erforderlichen Aufgaben, indem er als »Aufseher des medicinischen Studiums« somit auch alle Konkursprüfungen für die Professoren an Lyzeen der Monarchie leitete.781 Diese Examen wurden öffentlich ausgeschrieben und bezogen sich auf höhere Lehranstalten der ganzen Monarchie. Den Rückzug aus der Lehre organisierte sich Nikolaus Jacquin in einzelnen Schritten, sein Sohn wurde nach der Hofresolution vom 3. November 1792 »seinem Vater im Lehramte zur Seite gegeben und demselben gestattet […], unter der Aufsicht und Leitung seines Vaters die Vorlesungen aus Chemie zu halten.«782 Im Sommer 1796 gab Nikolaus seinen letzten Kurs in Botanik, auch in dieser Funktion folgte ihm sein Sohn.783 Man spricht heute in der Forschung in diesem Zusammenhang von der »Familienuniversität«784, weil das Phänomen Sukzession auf den Posten des Vaters durch den Sohn sehr häufig vorkam. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts setzte sich die Leistungsuniversität anstelle der Rekrutierung durch familäre Beziehungen allgemein durch. »Als Vater ward ihm das schöne Los, in seinem würdigen Sohne, welcher seit 1792 der Nachfolger in seinem Lehramte, und später auch der Fortsetzer seiner klassischen Werke ward, sich verjüngt zu sehen,«785 war der Kommentar in einer Fachzeitschrift. Im Jahre 1808/09 avancierte Nikolaus Jacquin zum Rektor der Universität,786 781 Es ist nicht klar, wie lange Jacquin diese Funktion innehatte, sie ist jedenfalls im Jahre 1796 und im Jahre 1802 in der Wiener Zeitung belegt: Siehe: Wiener Zeitung, 9. November (1796), 3210: »Widerbesetzung des erledigten Lehramtes der Chirurgie an dem Lyzeum in Laibach, womit ein Gehalt von jährlich 475 fl verbunden ist, wird zu folge höchster Entschliessung ein Konkurs an der hiesigen Universität auf den 19. Nov. d. J. früh um 9 Uhr mit dem Bedeuten ausgeschrieben, dass die Konkurrenten sich vorläufig bey dem Hrn Bergrathe Niklas Edlen von Jaquin [!], als Aufseher des medicinischen Studiums zu melden haben.« – Ähnliches taucht auch für Krakau auf, am 21. Juli 1802, 2656 heißt es dass sich Kandidaten »bei dem medizinischen Repräsentanten, Hrn Niclas Edlen von Jaquin zu melden« hätten. 782 Anton Phillebois (Hg.), Wienerischer Universitäts Schematismus für das Jahr 1792 (Wien 1792), 170. 783 Anton Phillebois (Hg.), Wienerischer Universitäts Schematismus für das Jahr 1797 (Wien 1797), 59. 784 Siehe dazu allg. Peter Moraw, Gesammelte Beiträge zur Deutschen und Europäischen Universitätsgeschichte. Strukturen – Personen – Entwicklungen (London / Boston 2008), 39, 52, 361; Sylvia Paletschek, Die permanente Erfindung der Tradition. Die Universität Tübingen im Kaiserreich und in der Weimarer Republik (= Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 53, Stuttgart 2001), 229. 785 [Anonymus], Nekrolog Nicolaus Joseph Jacquin. In: Flora oder Botanische Zeitung. Jg. 1 (1818), 22–29. 786 Anton Phillebois (Hg.), Taschenbuch der Universität für das Jahr 1809 (Wien 1809), 22–29, hier 29.

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an die Spitze dieser Einrichtung, allerdings haben wir keine umfangreichen Hinweise über diese Tätigkeit. Es ist bekannt, dass Jacquin Verhandlungen mit den Franzosen führte und Vertreter der Besatzungsmacht privat in seine Familie einlud,787 um sie positiv zu stimmen.788 Nicht erst nach seinem Tod, sondern bereits zu seinen Lebzeiten war Nikolaus Jacquin im Jahre 1812 als ehemaliger Rektor öffentlich im großen Saal der Universität in einer musikalischen Akademie gefeiert worden. Ein Bildnis wurde enthüllt und Jacquin wurde auch biographisch gewürdigt.789 Bis über seinen Tod hinaus blieb Jacquin ein geehrtes Mitglied der Universität Wien. Seine Totenfeier am 9. Juni 1818 wurde von der Universitätsspitze bestimmt und vorbereitet. Der Vorschlag für dieses Trauerfest ging auf den neu gewählten Rektor Lang zurück, der auch Beisitzer der Studienhofkommission und Domherr am Bistum in Großwardein war. Das Universitätskonsistorium hatte sich in einer Sitzung einhellig darauf geeinigt, diese »Todtenfeier«790 festlich zu begehen. Solche Zeremonien sind der Universität auf den Leib geschrieben, sie sind »Bausteine der vormodernen Universitätskultur.«791 Sie dienten, wie Laetitia Boehm es bezeichnete, als »actus publicus«792 der Erzeugung repräsentativer Öffentlichkeit und der Demonstration ihrer inneren sozialen Ordnung. Von den jährlichen Feiern unterschieden sich einmalige, da sie anlassbezogen gestaltet wurden. Wiewohl jede Universität über Jahrhunderte hinweg die eigenen sozialen Rituale entwickelt hatte, kam die symbolische Artikulation infolge des rationalen Zeitalters etwas außer Mode. Kompensiert wurden sie jedoch durch Formen der Re-Zeremonialisierung und Individualisierung, wie wir sie anhand der Totenfeier Jacquins verfolgen können. Die »Glieder der hohen Schule«, berichtete die Presse, versammelten sich in ihrem »Berathungssaale, und begaben sich dann, Ihren Hrn Rector an der Spitze, in die Kirche, wo die academische Jugend sie erwartete. Das Zuströmen so vieler durch Rang und Kenntnisse ausgezeichneter Männer in festlichen Kleidern zeigte deutlich, dass nicht blos die hohe Schule, sondern das gebildete Wien dies 787 Vgl. Carnet de Route de Francois Duriau. In: Alain Pigeard, M8moires du 1er Empire (2009), 113ff. 788 Siehe Kap. VII. 1. 789 [Anonymus] Nikolaus Joseph Freiherr von Jacquin. Eine biographische Skizze. In: Vaterländische Blätter, Jg. (1812), 363–366. Bereits hier wurde auf den handschriftlichen Text der Autobiographie zurückgegriffen. 790 Vgl. UAW, Kons. Akten, Fasz. I, in gen. Reg. Nr. 491, CA 1.0.504. 791 Marian Füssel, Die inszenierte Universität. 9 (2006), 19–35, hier 21. 792 Laetitia Boehm, Der ›actus publicus‹ im akademischen Leben. Historische Streiflichter zum Selbstverständnis und zur gesellschaftlichen Kommunikation der Universitäten. In: Gert Melville, Rainer A. Müller, Winfried Müller (Hg.), Laetitia Boehm, Geschichtsdenken, Bildungsgeschichte, Wissenschaftsorganisation. Ausgewählte Aufsätze von Laetitia Boehm anläßlich ihres 65. Geburtstages (Berlin 1996), 675–693.

Universität

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Trauerfest feierte.«793 Der Domprobst und Kanzler der Universität Joseph Spendou las die Messe im Beisein des Fürsterzbischofs von Wien und die ganze Gesellschaft begab sich erneut in einem Festzug in den großen Saal der Universität. Joseph Fischer, k.k. Kammer-Kupferstecher und Vorsteher der fürstl. Esterhazyschen Kunstsammlungen, hatte das Arrangement für die Aufstellung des Sarkophags entworfen. Drei Stufen führten zu einem Steinsarg mit Inschrift, darauf stand die bereits 1812 entstandene Büste, umgeben von Stapelien und Oxalien, Jacquins letzten Forschungsobjekten, gesäumt von allen 36 Bänden, »die Früchte seines Lebens und die Bürgen für seine Unsterblichkeit. Mitten unter ihnen prangte die Jacquinia [siehe Abb. 13], durch deren Benennung der Vater der Pflanzenkunde, Linn8e [!], den Priester der Flora den Adelsbrief der Naturforscher ertheilte.«794 Das Ganze war auch von lebenden Blumen und Sträuchern umfasst, die Jacquin entdeckt und beschrieben hatte. Die äußerst aufwendig begangene liebevolle Feier war mehr als nur ein Abbild der Hierarchie einer Universität, sie war auch Inszenierung ihres Selbstverständnisses. Dieses beruhte auf der Wertschätzung für geleistete Verdienste. Der performative Auftritt hatte dabei einmal mehr durch die Rangfolge während des Aufzugs und mit dem Rektor an der Spitze die gelehrte Distinktion innerhalb der Universitätsangehörigen zu Ehren Jacquins sichtbar gemacht. In der BotanikerGemeinschaft war selbst dieser Akt der Verabschiedung in einer »Botanischen Notiz« einen Eintrag in ein Fachorgan wert. Die Totenfeier sei »einzig in ihrer Art, und ganz den Verdiensten des großen Mannes angemessen«795 gestaltet worden. Fassen wir die Ergebnisse zu den Räumen des Wissens kurz zusammen. Egal, ob es das Naturalienkabinett, der höfische Kontext, seine Lehrtätigkeit an der Bergschule oder seine Universitätskarriere in Wien betraf, Jacquin ließ sich auf neue Herausforderungen ein, die er mit Tatkraft bewältigte. Er stand in all diesen Zusammenhängen am Beginn einer neu geschaffenen Funktion, gleichwohl er immer die zweite Wahl gewesen war. Jacquin war ein Mann des Aufbaus. Dass er dabei jeweils gesellschaftlich zur führenden Elite des spezifischen Raumes zählte, zeigte sich auch an diesen doch dem Hof oder dem Staatswesen nahen Einrichtungen. Die räumliche Organisation von Wissenschaft führte uns an spezialisierte Standorte, den Hof, die Bergschule und die Universität, die ihrerseits wieder Stätten des Wissens inkorporierten, die wir im Zusammenhang mit der Praxis analysieren werden.

793 J. M. Ridler, Jacquins Todtenfeier. In: Österreichischer Beobachter 183 (1818), 983–984, hier 983. 794 Ridler, Todtenfeier (1818), 984. 795 [Anonymus], Botanische Notizen. In: Flora oder Botanische Zeitung, Jg.1 (1818), 588.

Abb. 30: Botaniker im Feld mit Blechkandel (Vorläufer der Botanisiertrommel), Ausschnitt (Handgezeichnetes Titelblatt, Johann Jakob Well, Phytanthologia Eikonike, 1768)

VI.

Handlungsräume und Praxis

Laboratorium – botanischer Garten – Gelände – mineralogische Sammlung Die heutige Wissenschaftsgeschichte behandelt die wissenschaftliche Forschung nicht mehr isoliert von jenen Räumlichkeiten, in denen sie stattfand.796 Die Forschungsanlagen dieser Produktionsorte des Wissens, die apparativen Ensembles sowie die Prinzipien des Designs werden in Zusammenhang mit den Arbeitsweisen gesehen. Die konkreten Räume sind nicht als Bühne zu verstehen, sondern als integrativer Teil der Handlungsabläufe und der zeitgenössischen symbolischen und epistemischen Dispositionen. Dabei lässt sich fragen, wie diese einzelne Ausstattung und ihre Elemente als Agenten einer Akteur-Netzwerk-Theorie Bruno Latours ebenfalls wie die Menschen auch zu Akteuren werden. Auch die Forschung im Gelände (Abb. 30, siehe S. 257) folgt eigenen Regeln und konstituiert Abläufe, die mithilfe von bestimmten Werkzeugen vonstatten geht.

VI. 1. Chemische Laboratorien: Bedingung für die Formierung zum Experten der Chemie Wenn es einen Raum der Wissensproduktion gibt, der als Pars pro Toto für die Naturwissenschaft, ja sogar die Chemie, steht, dann ist es das Laboratorium. Heutige populäre Assoziationen decken sich zum Teil damit, was sich aus vergangenen Zeiten in Konturen festgefahren hat, denn in der Tat wurden Experi-

796 Siehe dazu: David N. Livingstone, Putting Science in its Place: Geographies of Scientific Knowledge (Chicago und London 2003).

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Handlungsräume und Praxis

ment und Chemie797 lange schlechthin mit dem Fortschritt der Wissenschaften und auch mit Forschung per se gleichgesetzt. Welche allgemeine Bedeutung hatten akademische Laboratorien für Jacquins Tätigkeit, Lehre und Selbstformung als Experte, welche Erfordernisse galten und welche Kriterien waren für seinen Erkenntnisprozess wie für seinen Vermittlungsauftrag spezifisch? Wiewohl die Forschungsfrage nach den Arbeitsweisen schwer zu beantworten ist, möchten wir sie798 nicht unter den Tisch fallen lassen. 29 Jahre lang stellten Laboratorien eine wichtige Forschungsstätte für Jacquin dar, wo er sich an Wochentagen fast täglich mindestens eine Stunde als Lehrender aufhielt, in ihnen dozierte und auch selbst Operationen vornahm. In ihnen bildete sich Jacquins Identität als Experte in Sachen Chemie in der Zeit zwischen 1763 und 1770 mit seinen chemischen Versuchen auch aus. Ihre Relevanz verdankt diese Produktionsstätte des Wissens, das Laboratorium, allgemein bereits in der Frühen Neuzeit jenen nicht primär akademisierten Orten, wie den Fürstenhöfen, den gewerblichen Werkstätten, Apotheken, den alchemistischen Küchen, dem Artilleriewesen sowie den Probierwerkstätten des Berg- und Münzwesens. Hinsichtlich der Ausstattung bestand bei diesen Laboratorien kaum ein Unterschied zu jenen in Akademien und den in Universitäten untergebrachten.799 Zusätzlich kann man auch von einer Kontinuität der alchemistischen und der akademisch-chemischen Einrichtungen des 18. Jahrhunderts ausgehen, die eben keineswegs als Laboratorien in heutigem Sinne zu verstehen sind.800 Zum Zeitpunkt als Jacquin das Laboratorium in Schemnitz organisierte, war dieser Wissensraum andernorts bereits eine allgemein gefestigte akademische Einrichtung, für die konkrete Vorgaben existierten. Johann Juncker führte Geräumigkeit, Helligkeit, eine gewisse Höhe des Raumes mit Rauchfang und einer Brandmauer als Feuerschutz als prinzipiell nötige Kriterien an.801 Auch Krünitz listet in seiner »ökonomischen Encyclopädie« diese unabdinglichen Modalitäten auf. Ein Laboratorium sollte wegen der Nässe eher nicht im Keller untergebracht werden, müsste wegen der zu erwartenden schädlichen Dämpfe über genügend Luftzufuhr und einen Rauchfang verfügen. Der drohenden Feuergefahr könnten 797 Siehe dazu: Stephen Shapin, The House of Experiment in Seventeenth Century England. In: Isis 79 (1988), 373–403. 798 Da zum Thema der Bergschule schon länger eine Dissertation von Herrn Peter Konecˇny´ im Fertigwerden ist, haben wir nicht alle Quellen des Münz- und Bergwesens durchgearbeitet. 799 Ursula Klein, Die technowissenschaftlichen Laboratorien der Frühen Neuzeit. In: NTM. Zeitschrift für Geschichte der Wissenschaften, Technik und Medizin Bd. 16, Heft 1 (2008), 5–38, hier 6ff. 800 Ernst Homburg, The Rise of Analytical Chemistry and its Consequences for the Development of the German Chemical Profession (1780–1860). In: Ambix 46/1 (1999), 1–31, hier 6. 801 Johann Juncker, Compectus Chemiae Theoretico-Practicae: Vollständige Abhandlung der Chemie, Bd. 1 (Halle 1749), 64.

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am besten gemauerten Gewölbe trotzen, eine Verdunkelungsmöglichkeit sollte auch bedacht sein, um bei Experimenten die Effekte besser beobachten zu können. Fast alle diese Punkte schien Jacquin zu berücksichtigen, als er sein Laboratorium im Erdgeschoß des geräumigen Krecsm#ry-Hauses in Schemnitz rechts von der Toreinfahrt802 einrichten ließ (siehe Abb. 28). In der Tat sollte ein Laboratorium eher im Erdgeschoß untergebracht werden, denn man brauchte zur Befeuerung der Öfen Holz und Kohle, die so leichter in einen angrenzenden Vorratsraum gebracht und gelagert werden konnten. Ohne Laboratorien gebe es keine Chemie, heißt es zu Jacquins Zeiten in einem bedeutenden chemischen Wörterbuch: »Es ist demnach für einen jeden, welcher ein Chemist werden will, eine unumgängliche Sache, ein mit denen zur Ausübung dieser Wissenschaft nöthigsten Werkzeugen versehenes Laboratorium zu haben.«803 Es kam auf die Gerätschaft an. Unverzichtbar waren Öfen unterschiedlichster handwerklicher Funktionalität (Destillieröfen, Schmelzöfen, Lampenöfen, Reverberieröfen804 und Probieröfen), auch Mörser, Hämmer, Scheren, Reiben, Kapellen (flache aus Knochenasche bestehende Schalen) und Muffeln (Abdeckglocken für das Probieren mit Metallen) wie auch Löschpapier und vor allem die Waage. Neben den Öfen wird sie zum entscheidenden Akteur der Wissensproduktion, aber davon noch später. Was auf zeitgenössischen Abbildungen das Labor charakterisierte, sind neben dem einfachen Mobiliar die in unterschiedlichster Größe und Form vorhandenen Destilliergefäße, Glasbehälter sowie Kolben, die meist auf Regalen an den Wänden untergebracht wurden. Im Handel waren diese relativ kostengünstig zu erwerben. Nicht zu vergessen sind die vielen Materialien, mit denen gearbeitet wurde, Säuren, Laugen, Scheide- und Königwasser, Salpeter, Eisenvitriol usw. Jacquin hantierte in der Folge mit zahlreichen in spezifischen Handwerksbereichen genutzten Stoffen, deren Herstellung er im Unterricht in Schemnitz vorführte.805 Wir wissen nicht, ob Jacquin sich an einem konkreten Laboratorium oder einer bestimmten Vorlage orientierte, als er seine Vorstellungen für den Ankauf dieser Glasgefäße aufs Papier brachte. Die von Peter Konecˇny´ im Archiv gefundene auf Jacquin zurückgehende Skizze806 zeigt jedenfalls die große Varianz 802 Konecˇny´, Architektur für Wissenschaft und Unterricht. Die ersten Gebäude der Bergakademie Schemnitz 1763–1848. In: Wolfgang Ingenhaeff und Johann Bair (Hg.), Bergbau und Kunst. Teil. 1: Bildende Künste (Hall in Tirol / Wien 2011), 185–212, hier 194. 803 Pierre Joseph Macquer de, Dictionnaire de Chimie (Paris 1766), Bd. 2, 3. Eine deutsche Übersetzung erschien 1789: Chymisches Wörterbuch, 7 Bde. (Leipzig 1798). Zitiert nach: Ursula Klein, Die technowissenschaftlichen Laboratorien (2008), 5–38, hier 7. 804 Das sind Flammöfen, in dem das Metall durch zurückgestrahlte Hitze schmilzt. 805 Nikolaus Jacquin, Collegia Chymica (1765/66), fol. 25f. 806 Peter Konecˇny´, 250. Jubiläum der Berg- und Forstakademie in Schemnitz (2012), bes. 23; Slovensky´ n#rodny´ arch&v – Slovensky´ bansky´ arch&v (SNA – SBA), Bestand Hlavny´ komorskogrjfsky fflrad (HKG), Ordinaria, 1764, Nr. 499a.

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Handlungsräume und Praxis

an Formen, die zur Bestellung gedacht waren (Abb. 31). Die Glaskolben unterschiedlichster Größe gaben der Produktionsstätte ihr besonderes Gepräge. Weitere archivalische Hinweise existieren, die bezeugen, dass Jacquin 1773 beispielsweise »Probiergeschirr«, »500 Anzündhebel«, »200 kleine und 200 große Capellen« erneut für das Labor angeschafft hatte.807 Auch in seinem Vorlesungsmanuskript kommt Jacquin kurz auf die erforderlichen Werkzeuge zu sprechen: »Die Chymisten haben auch wie andere Künstler ihre Werkzeuge, wodurch sie die Zertheilung und Zusammensetzung bewürken, und diese seyn, daß sie selbst eine bewegende Kraft haben, oder keine haben, die ersten heißen die lebendigen Werkzeug, die anderen die todten Werkzeug, deren letzter seynd die Öfen, Gläser, Holz, Eysen und Kohlen, die ersten seynd die 4 Elemente Luft, Feuer, Wasser, Erde samt denen Auflösungs Mitteln von welchen allen insbesondere, gehandelt werden wird. Die Chymie gebrauchet sich der Werkzeuge, die sie aus dem Schoß der Natur hervorrichtet.«808

Abb. 31: Glaskolben für das chemische Labor an der Bergschule in Schemnitz, Skizzen Jacquins

807 ÖStA, FHKA, NHK, MBW, Akten Abt. II, Fasz. 8a, 1291. 808 Nikolaus Jacquin, Collegia Chymica (1765/66), fol. 6.

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Sicherlich hat Jacquin das im universitären Zusammenhang meist rezipierte Werk von Herman Boerhaave, die »Elementa chemiae« (1732) herangezogen, auf das er sich nämlich in seinem Vorlesungsmanuskript expressis verbis bezieht.809 Er hatte es sich ja bereits 1760 von seinem Freund Laurens Theodor Gronovius besorgen lassen.810 Die Definition der Chemie, die Jacquin vorschlug, deckte sich aber nicht ganz mit jener Boerhaaves. Nehmen wir uns dessen Erklärung vor, bevor wie sie mit jener Jacquins vergleichen. Boerhaave legt fest: »Chemie ist die Kunst, die uns lehrt, sichere physikalische Verrichtungen auszuführen, durch die Körper, für die Sinne wahrnehmbar sind, oder erkennbar gemacht werden, in Gefäßen aufgefangen und durch geeignete Instrumente verändert werden können: Daß dadurch einzelne bestimmte Wirkungen durch diese selbst zum Nutzen verschiedener Künste verstanden werden können.«811

Boerhaaves Interesse als Universitätslehrer war darin begründet, den Medizinstudenten in der Chemie nicht nur die Arzneimittelherstellung, sondern deren experimentelle Prinzipien als der Medizin dienend zu vermitteln. Die Distanzierung von der iatrochemischen Tradition und die Lösung aus der Dominanz der Philosophie standen für die Aufwertung des Faches an der Universität in Leiden. Wiewohl Jacquin in Schemnitz ein anderes Studentenpublikum vor sich hatte als Boerhaaves Nachfolger, bezog er sich doch prinzipiell auch auf einen allgemeinen experimentellen Modus, in welchen er die metallurgische Chemie812 integriert sehen wollte: »Die Chymie überhaupt ist eine Practische Wißenschaft, der Veränderung aller natürlichen Körper. So uns in die Sinne fallen. Da wir derselben Zusammensetzung oder Bestandtheile untersuchen, und ist also die Metallurgische nur ein Theil der allgemeinen Chemie.«813

Wie Boerhaave und viele andere Autoren ordnete Jacquin die verschiedenen Techniken der Untersuchung nach der Hierarchie der drei Reiche der Natur. Er begann mit dem Destillationsverfahren, das bei Pflanzen zu Erwirkung von 809 Nikolaus Jacquin, Collegia Chymica (1765/66), fol. 8: »Vor hundert Jahren lebte der berühmte Leib Medicus bei dem Churfürsten v. Bayern Nahmens Borhaven [!], der es besonders in der Chemie weit gebracht.« 810 Laurens Theodor Gronovius an Jacquin, Brief, 14. September 1760, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Historisches Archiv, 1 A K37–1762. 811 »Chemia est ars docens certas Physicae operationes, quibus corpora sensibus patula, vel patefacienda, vasis capienda, mutentur, per propria instrumenta: at definiti, et singulares, quidem effectus producti in notescant, horumque causae ipse per effecta pateant, in varios diversarum artium usus.« – Herman Boerhaave, Elementa chemiae (Leipzig 1732), 3, hier zitiert nach Wiesenfeldts Übersetzung. Siehe Gerhard Wiesenfeldt, Leerer Raum in Minervas Haus. Experimentelle Naturlehre an der Universität Leiden 1675–1715 (History of Science and Scholarship in the Netherlands II, Amsterdam 2002), 237. 812 Wilfried Oberhummer, Die Chemie an der Universität Wien (1765), 126–202, hier 149. 813 Nikolaus Jacquin, Collegia Chymica (1765/66) fol. 5.

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Essenzen oder etwa Salzen eingesetzt wurde. Sodann folgte die Manipulation animalischer Materialien wie der Fette und Öle. Der Reigen der Unterrichtseinheiten endete mit den verschiedenen Probierverfahren bei Metallen. Ferner wurden in diese systematisch aufgebaute Darstellung auch Jacquins generelle Überlegungen einbezogen. Zur Einleitung seines Vorlesungsmanuskriptes merkte Jacquin an, dass er die Grundlage für seinen Unterricht, Gellerts Darstellung, ergänzen müsse: »Ich will[,] da Herr von Gellert nichts von denen ursprünglichen Theilen der Körper erfehnet [!] hirvon meldung thun. Es ist in der Chymie und Physic ausgemachte Sach, daß er Körper in kleine Theile zertheilt.«814

Das chemische Wissen wurde mittels der Wiederholung von bereits kanonisch gewordenen Operationen nachvollzogen und damit erworben. Ob nun private Forschungs- oder Unterrichtsstätte, gewisse Schritte und Verfahren wurden überall unzählige Male wiederholt, so Krünitz: »Ein Platz, welcher zu den chemischen Arbeiten eingerichtet ist, wird ein chemisches Laboratorium […] genannt. Da die Chemie eine Wissenschaft ist, welche sich ganz auf die Erfahrung gründet, so kann man nicht hoffen, daß man dieselbe gehörig ergründen und auf eine gewisse Weise sich eigen machen könne, wenn man nicht selber arbeitet, um somit bereits bekannten Haupt=Arbeiten zu wiederhohlen als sich neue Arbeiten anzustellen, welche das Nachdenken, die Ähnlichkeit der Untersuchungs=Geist zuverlässig veranlassen…«815

In der Ausformung eines allgemeinen Kanons dessen, was unterrichtet wurde, bildeten Lehrbücher eine zentrale Rolle. Ein solches Lehrmittel publizierte Jacquin jedoch erst während seiner Lehrtätigkeit in Wien im Jahre 1783.816 Meist wurde der Stoff in einem Lehrbuch nach den geeigneten Experimenten oder Demonstrationen geordnet. Insofern beeinflusste ein Labor nicht nur die Erkenntnisform, sondern auch die Lehrpraxis. Jacquin zog für seinen Unterricht in Schemnitz selbst aus den »fünftausend« zur Wahl stehenden Autoren einen als Grundlage heran, aber machte daraus ein eigenständiges Vorlesungsmanuskript für den freien Vortrag. Die Notwendigkeit einer eigenen Unterlage ging mit einer Entwicklung einher, die den Wandel vom Diktieren zur freieren Vortragform markierte. Jacquin baute seine ersten Vorlesungseinheiten in Schemnitz auf Gellerts »Grundsätzen« auf, bemühte sich, den »Inhalt auszulegen« und durch »zulängliche Versuche zu beweisen,«817 wie er es eingangs betonte. Ordnungstypen bei Lehrbüchern existierten viele, grob unterscheiden sie 814 Nikolaus Jacquin, Collegia (1765/66), fol. 6. 815 Johann Georg Krünitz, Oeconomische Encyclopädie (Berlin 1773–1858), Th. XVIII., 421. 816 Nikolaus Jacquin, Anfangsgründe der medicinisch-practischen Chymie zum Gebrauche seiner Vorlesungen (Wien 1783). 817 Nikolaus Jacquin, Collegia Chymica (1765/66), fol. 1.

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sich in jene, die ganz akribisch nur den Experimenten folgten, und jene, die eine Mischform von allgemeinen Erkenntnissen und Operationen wählten. Verbreitet war das Muster aus Euklids Thesen, die Lehrsätze darstellten. Diesem Prinzip ist auch Jacquins Handschrift zuzuordnen, die den Text in Paragraphen gliederte, die wohl einzelnen Unterrichtseinheiten entsprachen. Der enger an die Laborsituation angepasste Teil war der »practische«, in dem insgesamt 82 »Aufgaaben« [!] gestellt und deren Lösungen vorgeführt wurden. Später (1783), in seinem publizierten Lehrbuch, gliederte er den Stoff ebenfalls sehr übersichtlich, ordnete es einem durchlaufenden Überschriftensystem unter. Lehrbücher repräsentierten stets eine Klassifikation des Wissens. Das war wichtig, da disziplinäre Grenzen im Feld der Chemie noch nicht existierten,818 sondern allenfalls nur fachliche, die von den personellen Vorgaben bestimmt waren. Lehrbücher wirkten nach innen, ins Fach hinein, waren aber auch ein Aushängeschild des Professors. Bei der Auswahl der zu behandelnden Stoffe in seinem Lehrprogramm berücksichtige Jacquin die Warenwelt seiner Zeit, die auch einen kolonialen Bezug implizierte. Er berief sich hier auf seine Erfahrung und bevorzugte auch in Schemnitz jene Produkte, die er persönlich auf seiner Westindienreise kennengelernt hatte, wie zum Beispiel den aus der neuen Welt stammenden Zucker, über den er im Kapitel über Salze819 schreibt: »Der Zucker ist ein süßes Salz, so aus gewißen Röhren kömt, so in Warm America wachsen und dorten so in denen äckern wie hier das Getreydt doch aus kleinen geschnittenen Stückhen, des nehmlichen Rohres angebauet wirdt. Durch erpreßung und Crystallisierung des Saftes in warmen America zubereitet wird, in Feuer bekommt man in Anfang ein Wasser, sodann ein Eßig nachdem man öehl und endlich …«820

Jacquin ging es nicht darum, Produktionsschritte zu vermitteln, sondern ihnen zugrunde liegende chemische Prozesse in ihrer Genese zu erklären. Er selbst nutzte sein Laboratorium nicht nur zum Unterricht, sondern auch um Operationen selbst durchzuführen, die zukunftsweisend waren, wie seine SteinkohlenDestillationsversuche (1768). Wie schon andernorts in unserer Studie erwähnt, musste im Falle des Unterrichts in Wien ab 1768 nicht wie in Schemnitz beim Nullpunkt angefangen werden, da Jacquin das bereits von seinem Vorgänger Laugier eingerichtete Labor an der Universität Wien übernehmen konnte. In dem neu erbauten Ge818 Einen groben Überblick über die Ausformung der Chemie in dieser Zeit gibt: Jan Golinski, Chemistry. In: The Cambridge History of Science, Vol. 4, Roy Porter (Hg.), EighteenthCentury Science (Cambridge 2003), 376–396. 819 Die Salzherstellung als Extraktion von Essenzen war ein traditionelles Verfahren. Siehe dazu: Ursula Klein, Verbindung und Affinität. Die Grundlegung der neuzeitlichen Chemie an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert (Basel / Boston / Berlin 1994), 181f. 820 Nikolaus Jacquin, Collegia Chymica (1765/66), fol. 45v.

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bäude der hohen Schule befanden sich all die Räumlichkeiten, die der Medizin zugeordnet waren. Luca informiert uns: »an der Ostseite am Eingange rechts ist das chemische Laboratorium, wo unser berühmter Jacquin seine Vorlesungen hält.«821 Ein Plan aus dem Jahr 1783 bezeichnet die Arbeitsräume im Erdgeschoß als der »Zergliederungskunst, Kräuterwissenschaft und Arzneywissenschaft«822 gewidmet. Ob die Benennung »Arzneywissenscaft« für die Chemie auf den Einfluss seines Vorgängers, Laugier, zurückgeht, der tatsächlich die pharmazeutische Seite der Chemie privilegierte,823 ist nicht auszumachen. Jedenfalls waren allseits im deutschsprachigen Raum, wie Klein kürzlich nachweisen konnte,824 gerade zwischen einem chemischen Labor und einem Apothekerlabor in der Ausstattung keine Unterschiede auszumachen. Auch das später erschienene Lehrbuch Jacquins zeigt, dass er sich nun auf die Ausbildung der Mediziner einstellte und beispielsweise die Zusammensetzung »vegetabilischer Körper und ihrer Produkte«, alle Zusammensetzungen mit Zucker, in eine Gruppe ordnete. Dabei beschrieb er folgende Phänomene: »1. Die Oehlzucker, 2. Die Pasten, 3. De Tabellen, 4. Die Zelteln, 5. Die Morsellen, 6. Die Küchelchen, 7. Die eingemachten Pflanzen, 8. Die Conserven, 9. Die Rob, 10. Die Pulpen, 11. Die Syruppe [!], 12. Die Latwerge«. Ein Arzt musste einfach wissen, wodurch sich eine »Pulpe«825 von einer »Latwerge«826 unterschied. In diesem chemischen Laboratorium stand auf einem Gesims, das Retorten und sonstige chemische Geräte trug, der für Jacquin so bezeichnende Spruch: Non cogitandum, sed experiendum, die Worte Baco von Verulams.827 Das vollständige Zitat stellte er auch seinem chemischen Lehrbuch voran.828

821 Ignaz de Luca, Wiens gegenwärtiger Zustand unter Josephs Regierung (Wien 1787), 378. 822 Siehe dazu: Herbert Karner, Der Neubau und die topographische Situation des Universitätsplatzes. In: Herbert Karner, Artur Rosenauer, und Werner Telesko (Hg.), Die Österreichische Akademie der Wissenschaften. Das Haus und seine Geschichte (Wien 2007), 9– 11 und Herbert Karner, Planungs-, Funktions- und Baugeschichte. In: Ebd., 12–26, hier bes. 16. 823 Siehe dazu. Oberhummer, Chemie (1965), bes. 128–140. 824 Vgl. Klein, Die technowissenschaftlichen Laboratorien (2008), 29. 825 Pulpe ist die Bezeichnung für einen aufbereiteten Faserstoff. 826 Latwerge bezeichnet eine Arzneiform, bei der Honig als Konservierungsmittel eingesetzt wurde. 827 Vgl. Max Neuburger, Die Wiener medizinische Schule im Vormärz (Wien 1921), 130. 828 Nikolaus Joseph Jacquin, Anfangsgründe der medicinisch-practischen Chymie (Wien 1783), vor dem Titelblatt. »Non figendum aut excogitandum sed inveniendum, quid natura ferat vel faciat. Roger Baco« [er hat hier Roger mit Francis Bacon verwechselt!]. Richtig müsste es heißen »Neque enim figendum aut excogitandum, sed inveniendum, quid natura faciat aut ferat.« Francis Bacon: Novum organum, libr.2, aphorismus 10. (Man soll weder erdichten noch ausdenken, man soll auffinden, was die Natur macht oder bringt.) Zit. nach Georg Christoph Lichtenberg, Briefwechsel, Bd. 4 (München 1992), 118; »Wenn man so aus dem wenigen bekannten Alten, alles Neue ohne Untersuchung (Experiment) erklären

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Über die Art und Weise von Jacquins Wiener Unterricht sind wir durch zeitgenössische Beschreibungen gut informiert. Weil die Lehrweise ausführlich besprochen wird, geben wir hier einen längeren Auszug wieder : »Van Swieten setzte zum Lehrer für Scheidekunst und Kräuterkunde den Nikolaus von Jaquin [!] ein, dessen Name durch seine Werke, und Reisen nach Amerika weltberühmt ist […] Nikolaus von Jaquin lehrt die Scheidekunst und liest über sein eigenes Werk,829 welches aber erst 1783 gedruckt wurde. Zuerst gibt er einige Vorlesungen über die Geschichte, den Fortgang und Nutzen der Chemie, die chemischen Geräthschaften, und Instrumenten, und überhaupt über alle diese Gegenstände, die man zur Erlernung dieser Kunst vorläufig wissen muss. Dann schreitet er zur Lehre der Chemie selbsten, und fängt mit dem Pflanzenreiche an, geht dann zum Thierreiche über, und endigt mit dem Mineralreiche. Von diesen drei Reichen trägt er alles deutlich und stuffenweis vor, was in die Arzneiwissenschaft und Apothekerkunst einschlägt, so wie auch jenes was ein guter Wundarzt von der Chemie wissen muß, und was überhaupt zur vollkommenen Bildung eines guten Chemikers nöthig ist. Nebst dem verfertigt er selbst in Gegenwart der Schüler alle in dem Dispensatorium830 befindlichen Arzneimittel, gibt die Handgriffe an, wie man dieselbe am besten, und leichtesten zubereite, und zugleich die Ursachen, warum diese Methode einer anderen vorzuziehen sey. So zieht er blos aus den vorgenommenen Operationen, den praktischen Beobachtungen und wiederholten Erfahrungen seine Theorie und Erklärungen, und verbannet von seiner Schule alle Hypothesen. Er lehrt auch die Zeichen, woraus man erkennen kann, ob eine Arznei gut und echt verfertiget, oder ob sie unecht, und verfälscht sey ; er zeigt die Art an, wie gewinnsüchtige Betrüger die Arzneien verfälschen und wie man solches entdecken könne. Ehe er eine chemische Operation vornimmt, weiset er erst die Instrumente und Geräthschaften, die dazu erfordert werden, zeigt zugleich wie jedes anzuwenden sey, und welche Vorsicht und Behutsamkeit man dabei besonders bei großen und gefährlichen Operazionen anwenden müße. Es wird also in diesen chemischen Vorlesungen alles genau erläutert, und durch Erfahrungen praktisch vorgezeigt was dem Arzte, dem Wundarzte und dem Apotheker von der Chemie zur Wissenschaft und Ausübung unentbehrlich ist. Auch viele Künstler und Liebhaber der Chemie besuchen diese Vorlesungen mit Nutzen und Vergnügen.«831

Bei einer dieser Demonstrationen soll sich sogar ein Unfall ereignet haben, weil eine Substanz explodierte.832 Jacquin hatte sein Vorlesungsprogramm in Wien im Vergleich zu Schemnitz ausgeweitet, sein 1783 in Druck gegebenes Lehr-

829 830 831 832

wollte, so wäre es um aller Fortschritte gethan… Non figendum aut excogitandum sed experiendum quid natura faciat aut ferat, sagt, glaube ich, Baco« Ebd., 131. Nikolaus Joseph Jacquin, Anfangsgründe der medicinisch-praktischen Chymie (1783). Ein Dispensatorium ist ein Arzneibuch. Joseph-Pascal Ferro, Einrichtung der medizinischen Fakultät zu Wien (1785), 32. Siehe dazu: D. Thorburn Burns, The Origin of Academic Chemistry in Austria and Some Historical Highlights in the Austrian Schools of Analytical Chemistry. In. Microchimica Acta, Vol. 142, Nr. 3 (2003), 137–141, bes. 139. Er bezieht sich auf den Bericht von Franc A. X. Wasserberg, Institutiones Chemicae, Regnum minerale, 3 Bde. (Wien 1778–1780).

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buch833 unterschied sich sehr wesentlich von seinem ersten, in Schemnitz entstandenen Vorlesungsmanuskript. Welche Rolle spielte die Chemie in der Ausbildung von Jacquins Identität und seinem öffentlichen Bild? Die experimentelle Vorgangsweise, die im Labor mittels der Glaskolben, Öfen und Waage als Akteure das Geschehen beherrschte, hatte für Nikolaus Jacquin auch eine statusbringende Wirkung, die ihm Autorität verlieh. Mittels dieser Operationen inszenierte er sich als Betrug entlarvender Experte. Denn als Bergrat des Münz- und Bergwesens oblag ihm die Aufgabe, Gutachten für die Behörde zu erstellen, wenn an diese Innovationen fraglicher Natur herangetragen wurden. Mitunter konnte die Prüfung einer an die Behörde eingelangten Neuheit ein Ausmaß erreichen, das den Charakter einer Kriminalgeschichte annahm. Als solche war sie eine besondere Kolumne in der Presse wert, auch noch fast hundert Jahre nach ihrem Stattfinden.834 Die Geschichte ist schnell erzählt, konzentriert man sich auf den Tatbestand. Ein Silber-Laborant, aus Polen gebürtig, schloss sich in dem mährischen Dorfe Morawicz auf seiner Wanderung dem Leinwandhändler Pfeiffer an, der von dessen Fähigkeit, Silber und Gold zu machen, erfuhr und dem Jüngling einen Kontakt zur Obrigkeit vermittelte. Er reiste nach Wien und wurde dem Präsidenten der Hofkammer für Münz- und Bergwesen Graf Kolowrat vorgeführt, der diesen Fall in die Hände Jacquins legte. Dieser ließ sich die Beweisführung im Botanischen Garten der Universität in Wien 1769 zeigen. Die Bedingungen dieser Probemanipulation wollte Jacquin zwar kontrollieren, jedoch hatte der junge Schwindler viele Einfälle, diese Prozedur betrügerisch zu beeinflussen, weshalb es zu mehrmaligen Wiederholungen kam. Erst nach fünf Durchgängen entwickelte Jacquin selbst einen Trick, indem er dem Betrüger das Geheimnis aller Ingredienzien – vier Loth Arsenik, ein Viertel Pfund Quecksilber, ein Sechstel Pfund Bleizucker (Sacharum salurni), sechs Loth Salmiak, ein halbes Pfund rohem Spießglas und ein halbes Pfund Pottasche) – entlockte. Er schlug ihm vor, diese in einer Retorte im Garten zu vergraben und gewährte ihm dadurch die Möglichkeit, dass sich diese Ingredienzien über Nacht verbinden konnten. Der Betrüger versuchte nun, so wie es Jacquin angenommen hatte, die Küchenmagd Magdalena Miller als Komplizin zu gewinnen und diese zur Mittäterschaft zu überreden, was sie dem Schwindler auch vorspielte. Sie erklärte sich einverstanden, im Sinne des Täuschers heimlich ein schwarzes Pulver zu vergraben. Als die Operation durchgeführt wurde und sich der Fälscher sicher wähnte, konnte von Jacquin gezeigt werden, dass das Silber vom Spießglase herrühre. Der Betrüger wurde durch die an die Kü833 Nikolaus Jacquin, Anfangsgründe der medicinisch-practischen Chymie (1783). 834 [Anonymus], Wiener Kriminalgeschichten VIII. Ein Silber-Laborant. In: Beilage des Neuen Fremden=Blattes, 22. Dezember (1865), Nr. 222.

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chengehilfin übergebenen Bestechungsutensilien, das Pulver und die Silbergulden, überführt. Es hatte sich eine »große Gesellschaft aus Fachmännern versammelt,« die diesem Verfahren beiwohnte, in dem Jacquin »Ignoranz und Frechheit in das rechte Licht zu stellen« gelungen war. Der Täter wurde in einem Gerichtsverfahren am 21. Juni 1770 verurteilt. In diesem konnte man erfahren, dass er zuvor die Halsbindeschnalle aus Silber dem Gemenge beigemischt hatte, um die Verwandlung aller Ingredienzien in Silber vorzutäuschen. Obwohl die Geschichte im Jahre 1865 in der Beilage des Fremden-Blattes ausführlich geschildert wurde und bereits antisemitische Züge trug, da der Betrüger jüdischer Herkunft war und dieses Vorgehen seiner Herkunft zugeschrieben wurde, belegt die Geschichte unseres Erachtens auch einen anderen wichtigen Aspekt: Jacquins seriösen Ruf allgemein. Denn es war ein halb-öffentliches Verfahren, dem viele Beamte beiwohnten. Jacquin agierte hier besonders souverän, indem er den Täuscher nicht von vornherein aburteilte, sondern dessen Vorgaben der Kontrolle eines Experiments unterwarf. Erst als dieser unterschiedlichste Ausflüchte einbaute, griff auch Jacquin zu einem außerhalb der wissenschaftlichen Vorgangsweise üblichen Trick. Dennoch überzeugte die Vorgangsweise an sich. Das Experiment als Mittel der Erzeugung von wahrer Erkenntnis hatte seine öffentliche Relevanz perfomativ erfahren. Diese Vorführung fand kurz nach dem 1768 erfolgten Antritt seiner Doppel-Professur an der Universität Wien statt und bot ihm eine willkommene Plattform, seine Überlegenheit bei der Entlarvung des Betruges zu demonstrieren. In dieser Zeit war Jacquin bereits ein ausgewiesener Botaniker, erfolgreicher Weltreisender, Bergrat und Mitglied des Münz- und Bergwesens, als er seinen Status als chemischer Experte noch weiter zu festigen begann. 1769, ein Jahr nachdem Jacquin sich bereits wieder in der Metropole eingelebt hatte, mischte er sich mit einer ersten Publikation835 zur Chemie in einen heftigen internationalen Streit ein. Mit einem Schlag wurde er für diese Arbeit in der bunten Öffentlichkeit von chemisch Interessierten bekannt. Unzählige Rezensionen erschienen836 und weitere Artikel, die sich auf seine Arbeit bezogen. Sogar das französische »Journal des Physique«837 rückte einen Auszug aus Jacquins Monographie ein. Jacquins Studie schien der Debatte angemessen und raffiniert zugleich. Sie betraf die chemische Frage des Vermögens von Stoffen, aus eigenem Antrieb Verbindungen einzugehen, und deren Sichtbarkeit. Es ging um die Verbrennung des Kalkes und den Verlust von »fixierter« Luft. Die damals vorherrschende, von 835 Nikolaus Jacquin, Examen chemicum doctrine Meyerianae de acido pingui, et Blackianae de aere fixo respect calcis (Wien 1769). 836 Vgl. z. B. Allgemeine deutsche Bibliothek, 18. Bd. 1. St. (Berlin / Stettin 1772), 241–244. 837 Auszug durch Rozier in: Journal de Physique, T.1. (1773), 123–134 und Fourey, in: Journal de Physique, Teil 2 (1774), 218–245.

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Georg Ernst Stahl entwickelte Phlogistontheorie, die das Schmelzen, Verbrennen, Kalkbrennen, etc. erklärte, war lange erfolgreich gewesen. Ihr zufolge gehörte Phlogiston zum Prinzip des Feuers und wurde als für die Verbrennung zuständig angesehen. Man hatte es als eine Substanz definiert, die beim Verbrennen von Stoffen entstehe. Joseph Black, ein schottischer Chemiker, wandte sich gegen diese Phlogistontheorie (1755) und ihren Befürworter Johann Friedrich Meyer, einen Apotheker aus Osnabrück. Die Kontroverse zwischen den beiden rief weitere heftige Auseinandersetzungen zwischen »Blackianern« und »Meyerianern« hervor, die sich bis Ende des 18. Jahrhunderts hinzogen.838 Jacquin stellte sich 1769 gegen die Überzeugung Meyers und wies mittels einer Reihe vorzüglich durchdachter Versuche auf viele Widersprüche hin. Die Waage zählte in seinem Labor zu den wichtigsten Instrumenten.839 Denn laut Jacquin verhinderte die im rohen Kalkstein vorhandene Luft, dass derselbe im Wasser unlösbar wäre. Schon zwei Jahre später wurde Jacquins Arbeit ins Deutsche übersetzt, was das breite Interesse belegt.840 Jacquin verfügte auch über ein Lötrohr aus dem Besitz von Black,841 jenem Chemiker, dessen Konzept er verteidigt hatte, ein Werkzeug, das in einem späteren Journal abgebildet wurde.842 Warum aber war diese Studie so raffiniert und seriös zugleich? Sie beruhte auf Versuchen und das mit genauen Angaben der Bestandteile, die während dieser Operationen gewonnen wurden. In dieser komplexen Beweisabfolge, bei der er stets auch die ihnen zugrunde liegenden Annahmen offenlegte, war die Waage entscheidend (Abb. 32). Eigentlich wurde gerade der Umgang mit dieser ausschließlich Lavoisier zugeschrieben, der, so liest man allgemein, die Chemie damit revolutionierte. Aber die Waage tauchte auch anderenorts um 1770 auf, als man Gase zu untersuchen begann. Sie wurde somit zum entscheidenden Werkzeug innerhalb des Experimentierraums Laboratorium.843 Jedenfalls wurde die Waage zum Akteur, mit der andere Akteure wie eben die Substanzen ein 838 Vgl. Johann Anton Scopoli, Gedanken über das Phlogiston. In: Lorenz Floren Friedrich von Crell (Hg.), Chemische Annalen für die Freunde der Naturlehre, Arzneygelahrtheit, Haushaltungskunst und Manufacturen (Leipzig 1786), 3–8. 839 Vgl. Proszt, Schemnitzer Bergakademie (1938), 17. 840 Nikolaus Joseph Jacquin, Chymische Untersuchung der Meyerischen Lehre von der fetten Säure und der Blackischen von der figirten Luft (Wien 1771). 841 »Es besteht aus einem Kegel von weißem Blech Tafl. V. Fig. 3 von ungefähr einen Fuß Länge, an dessen 1 12 weiter Basis ein Boden angelöthet ist. An diesem befindet sich eine fast 14 Zoll weite Röhre, über welche eine Haube genau schließt, deren andre geschlossene Seite E in eine seine Oefnung d gezogen ist.« – Notizen. In: Allgemeines Journal der Chemie, Bd. 2 (1802), 575–576. 842 Notizen. In: Allgemeines Journal der Chemie, Bd. 2 (1802), 575–576. Die Notiz beruhte auf einer Information, die durch Jacquins Sohn an den Herausgeber übermittelt worden war. 843 Siehe dazu: Bernadette Bensaude-Vicent, Lavoisier : eine wissenschaftliche Revolution. In: Michel Serres (Hg.), Elemente einer Geschichte der Wissenschaften (Frankfurt am Main 1994, 19952), 645–685, hier 654f.

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Verhältnis eingingen. Ob Jacquin ebenfalls bereits über eine solch präzise, der von Lavoisier ebenbürtige Waage verfügte, wissen wir nicht bestimmt. Aber sicher ist, dass er vor und auch nach der Operation die Stoffe wog.

Abb. 32: Waage und Brennofen, »Probierkunst«, Vignette (N. J. Jacquin, Anfangsgründe der medicinisch-practischen Chymie, 1783)

Marco Beretta, der sich mit Lavoisiers Lektüren der Zeit zwischen 1764 und 1774 auseinandersetzte,844 konnte in seiner Studie die intensive Beschäftigung Lavoisiers mit dieser Monographie Jacquins nachweisen. In seinen »Opuscules physiques et chimiques« (1774) widmete Lavoisier mehrere Kapitel all jenen Werken, die er genau studiert hatte. Paracelsus, Boyle, Hales, Boerhaave, Stahl usw. und auch Jacquin fanden mit ihren Ansätzen so ihre penible Beachtung. Lavoisier lobte im 12. Kapitel das »D8veloppement de la th8orie de M. Black sur l’air fixe ou fix8, par M. Jacquin«, also die Schrift Jacquins, wegen der Auswahl und Einfachheit der Versuche, wegen der Deutlichkeit und Ordnung der Dar844 Siehe dazu: Marco Beretta, Lavoisier as a Reader of Chemical Literature. In: Revue d’historie des sciences Vol. 48 (1995), 71–94.

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stellung als ein vortreffliches Werk über den grünen Klee; gleichwohl es über das von Black selbst gelieferte Tatsachen- und Folgerungs-Material eingestandenermaßen nicht hinausgehe.845 Jacquin wurde auch Priestley’s Vorgangsweise vorgezogen. Obwohl Lavoisier der Theorie der »fixen Luft« inhaltlich nicht zustimmte und auf seinem eigenen Weg der Ausbildung einer Theorie des Oxygens war, bewunderte er, um hier Beretta zu zitieren, »the ingenuity«846 von Jacquins Argumentationen. Es war dieses Werk Lavoisiers, dessen historische Darstellung direkt in weitere Handbücher einging. Wie etwa im »Physikalischen Wörterbuch« (1789) wurde bei der Erklärung des Kapitels »Gas« sogar die ausführliche Diskussion der chemischen Größen in »Auszügen« übernommen, Jacquin war auch dabei: »D. Joseph Black (Abhandlung von einsaugenden Erden, und besonderes der weißen Magnesia, in den neuen Edingburger Bemerk. und Vers. Th. II) machte im Jahre 1756 von diesen Entdeckungen eine sehr glückliche Anwendung auf die chemische Theorie. Er bewieß, daß die Aetzbarkeit und auflösende Thätigkeit des Kalks und der Laugensalze von dem Grade der Sättigung mit fixer Luft anhange, ein System, welches die vorigen Theorien der Chymisten, z. B. die Meyerische von den fetten Säure, bald verdrängte. Jacquin (Examen chemicum doctrinae Meyeriane et Blackerianae. Vindob. 1769.8 deutsch, Frankfurt und Leipzig 1770.8) bestärkte die wichtige Entdeckung.«847

Und in einer weiteren Textstelle heißt es: »Durch die Entdeckungen über die Luftsäure, Gas, mephitisches, ist diese Theorie weit mehr aufgeklärt [….] Jacquin (Examen) hat die Richtigkeit der Theorie durch entscheidende Versuche dargethan.«848 Alsbald reihte Johann Friedrich Gmelin im »Grundriss der allgemeinen Chemie« in seinem Blick auf die Geschichte des Faches Chemie Nikolaus Jacquin unter deren erste Vertreter ein. Er nannte Jacquin in einem Atemzug mit Boerhaave.849 Jacquins Arbeit wurde nicht nur gut rezipiert, sondern durch den Eintrag in das Gehlersche Wörterbuch so gut wie in den Haushalt des chemischen Wissens gehoben. Der Vergleich mit Boerhaaves Stil wurde auch in einer Rezension formuliert: »Uebrigens verdient die Deutlichkeit, Ordnung und boerhavische [!] Schreibart dieses Werks allen Beyfall, und ist für die Chymie ein Geschenk von vielen nützlichen Beobachtungen.«850 In eine hitzige Debatte einzugreifen war eine Sache, bei der man, egal auf 845 Siehe dazu: Günther Bugge, Das Buch der Großen Chemiker, Bd. 1 (Berlin 1929), 312. 846 Beretta, Lavoisier (1995), 89. 847 Johann Samuel Traugott Gehler, Physikalisches Wörterbuch oder Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstworte der Naturlehre, in alphabetischer Ordnung (1789), 349. 848 Gehler, Physikalisches Wörterbuch (1789), 732. 849 Johann Friedrich Gmelin, Grundriss der allgemeinen Chemie zum Gebrauche der Vorlesungen, 1. T. (Göttingen 1789), XXVIII. 850 [Rezension von Jacquins Examen Chemicum, 1769]. In: Prager gelehrte Nachrichten (1771), 218–220, hier 220.

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welcher Seite man stand, an Bekanntheit profitieren konnte. Jacquin allerdings verschaffte sich auch durch sein sachliches Abwägen der Argumente Autorität. Wie bereits in der zuvor dargestellten Kriminalgeschichte zeigte er sich als weiser Überlegener. Aus der Perspektive einer Diskursgeschichte jedoch trugen die Angriffe gegen Jacquin weitaus nachhaltiger als die sachlichen Ergebnisse zu dessen Reputation bei. Heinrich Johann Nepomuk Crantz, Professor für Materia medica (Arzneimittellehre) an der Universität Wien, fühlte sich durch Jacquins Studie besonders herausgefordert. Er entwarf seinerseits eine auf 178 Versuche basierende argumentierende Gegenschrift.851 Im Unterschied zu Jacquin jedoch, der seinen Gegner Meyer durchaus als »seiner Kunst erfahrnen Mann und ungemein fleißigen Chymikus«852 respektierte, konzentrierte sich Crantz weniger auf den Urheber der Theorie als auf dessen Kritiker Jacquin, dem er keine Achtung zollte. Nun meldete sich auch der Apotheker Johann Jakob Well, späterer Professor der Naturgeschichte an der Universität in Wien und ein Kollege sowie Freund Jacquins, zu Wort.853 Er zog Brennspiegel als Untersuchungsinstrument heran, die er vom Artilleriehauptmann von Chastel erhalten hatte, und konnte so die Black’sche-Jacquin’sche Ansicht der Infragestellung des Phlogistons auf einem anderen Wege der Überprüfung untermauern. Dieses Instrument stellte sich in Konkurrenz zur Waage, während die Protagonisten ihre Ziele teilten. Noch Jahre später mokierte sich Jacquin, dass Crantz sich auf die Seite der Meyerianer gestellt hatte: »Il n’ya icy publi8 rien sur l’air fixe en latin ou francais qu’un miserable traitH du Dr. Crantz contre l’air fixe.«854 All diese durcheinanderlaufenden Stimmen hatte Jacquin evoziert, er hatte die Nase vorn, denn er hatte das Thema angeregt und zu weiteren Forschungen jedenfalls in seinem Umfeld in Wien Anlass gegeben. Nochmals setzte sich der Göttinger Professor Johann Christian Polycarp Erxleben (1744–1777) eingehend mit der Kontroverse auseinander und würdigte Jacquins Abhandlung ganz besonders, die er schon 1776 zu den klassischen Studien der Chemie gezählt hatte.855 Ganz anders als in der Botanik, in der Jacquin mit seinen ersten beiden Arbeiten auf ein gut elaboriertes System gesetzt hatte, brachte er sich in der Chemie mit seinem Beitrag zur Verbrennung des Kalkes in eine sehr heterogene Landschaft von Debatten ein. Noch bevor sein vielbeachtetes Lehrbuch zur 851 Heinrich Johann Nepomuk Crantz, Sodalis Examinis Chemici Doctrinae Meyerianae de acido pingui et Blackianae de aero fixo respect calcis rectification (Leipzig 1770). 852 Allgemeine deutsche Bibliothek, 18. Bd., 1. St. (Berlin / Stettin 1772), 241. 853 Johann Jacob Well, Rechtfertigung der Blakischen Lehre von der figirten Luft, gegen die vom Wiegleb Apotheker in Langensalza darwider gemachten Einwürfe (Wien 1771). 854 Jacquin an P. Elmsly, Brief, 2. April 1777, ÖNB, HAD, Autogr. 13/77–2. 855 Johann Christian Polycarp Erxleben, Ueber die fixe Luft und die fette Säure. In: Physikalisch-chemische Abhandlungen 1 (Leipzig 1776), 1–279.

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Chemie 1783 erschien, tauchte er bereits mit der 1769 publizierten Studie in die Liste der zu beachtenden Experten auf. In der Folgezeit erschienen nur wenige weitere diesbezügliche Arbeiten, wie etwa die chemische Untersuchung von »Valeriana celtica.«856 Gewidmet war sie einer Pflanze, die im damaligen Export aus den Ostalpen über Triest in den Orient eine große Rolle spielte.857 Der echte Speik, als »celtische Narde« bezeichnet, hatte seit der Antike Bedeutung und wurde als Badezusatz geschätzt. Die letzten Jahrzehnte seines Lebens widmete sich Nikolaus Jacquin ganz der Botanik, die er am leidenschaftlichsten betrieb, obwohl er sich ja auch auf dem Gebiet der Chemie durchaus Meriten erworben hatte, was wir gerade zu zeigen versuchten. Seine Autobiographie ging ebenfalls in diese Richtung, die Beteiligung an der großen Kontroverse wurde als Episode memoriert. Stolz war Jacquin in der Rückschau auf die Anerkennung durch Lavoisier,858 wie auch auf die eigene vornehme Zurückhaltung, die er gegenüber seinen Angreifern gezeigt hatte.

856 Nikolaus Joseph Jacquin, Valeriana Celtica. In: Nikolaus J. Jacquin (Hg.), Collectanea ad botanicam, chemiam, et historiam naturalem spectantia, com figuris. Vol. I (Wien 1786), 24–32. 857 Vgl. dazu Stephan Endlicher, Medizinal-Pflanzen der österreichischen Pharmacopöe. Ein Handbuch (Wien 1842), 196. 858 »Bekannt ist der zwischen Blacke und Meyer über die Atzbarkeit des Kalkes [erfolgte Streit]. Diese hierüber aufgestellten einander aufhebenden Behauptungen spornten den [fol. 79] Veteranen der Chemie zu Versuchen an, und die sich ergebenden Resultate derselben bestättigten Blacke’s Behauptung und waren nur geeignet, selbe in ein noch größeres Licht zu setzen: Der Apparat dessen sich Jacquin bei der Prüfung dieser aufgeworfenen Meynungen bediente war sehr sinnreich, und bestand in der vollkommensten pneumatischen Zurichtung der damaligen Zeit. Diese in einer eigenen Abhandlung geäußerten Wahrheiten [fol. 80] erregten stürmische Angriffe zu denen aber da sie aber so leidenschaftlich als unhaltbar und in sich selbst zerstäubend waren, der edle Mann im stillen Bewußtsein und gerechten Gefühle seiner Persönlichkeit schwieg, und es nur der nahe liegenden Prüfung eines jeden Unbefangenen anheim zu stellen brauchte, um siegreich aus einem Konflikte fern der Leidenschaften hervorzugehen. Der große Lavoisier dieser Schöpfer der [fol. 81] neuen Chemie würdigte die chemischen Arbeiten Jacquins auf eine, dem Geiste und den Kenntnißen beider Gelehrten gleich rühmlichen Art, nicht nur durch öffentliche Huldigungen des aufrichtigsten Beifalles sondern auch durch Eröffnung eines vertrauten Briefwechsels. Den auffallendsten Beweis der großen Achtung gewährt aber die jedesmalige Übersendung der von Zeit zu Zeit erschienenen Werke des französischen Chemikers an unsern Jacquin. [fol. 82] Durch diese Verhältniße wurde er auch in den Stand gesezt, zur Emporhebung des österreichischen Fabrik- und Manufakturwesens beizutragen, wodurch er sein neues Vaterland von manchen drückenden Handelsverhältnißen befreien half.« Nicolas Jacquins Biographie, ÖNB, HAD, Cod. Ser. n. 9755, siehe Edition.

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VI. 2. Botanischer Garten der Universität Wien: epistemische und pädagogische Ressource Der Botanische Garten der Universität Wien wurde im Vergleich zu anderen Universitäten erst spät gegründet. Botanische Gärten bilden zugleich künstliche wie natürliche Plattformen für das gelenkte Aufeinandertreffen des Menschen mit der Natur. Sie ermöglichen einzigartige Begegnungen nicht nur mit Pflanzen, sondern mit dem jeweiligen gültigen Wissen über Pflanzen. In der Tat ist es der explizite Wissensbezug, der den botanischen Garten seit den Anfängen im 16. Jahrhundert von anderen Gartenformen unterscheidet, denn in ihm wurde mithilfe der lebenden und getrockneten Pflanzensammlungen botanisches Wissen produziert. Darüber hinaus begründete er einen unverzichtbaren auf »Betrachtung« bauenden Lern- und Bildungsort. Forschung, Betrachtung und Bildung beruhten alle drei auf dem Vergleich der Arten. Ermöglicht wurde dieser, indem Pflanzen im Garten kultiviert, in den Herbarsammlungen erhalten und in Publikationen sowohl durch Beschreibung als auch Visualisierung dokumentiert wurden. Alle diese auf Autopsie, Repräsentation und Beschreibung beruhenden Verfahren hatten im botanischen Garten ihren zusammenführenden Raum, weshalb er auch für die Praxis der scientia amabilis sowie für das Studium so wichtig war.859 Forschung und Studium, Vermittlung, Gestaltung und Aneignung im Garten waren im Laufe der Jahrhunderte in jeweils unterschiedlichen Zusammenhängen einem Wandel unterworfen. Die einzelnen Funktionen des botanischen Gartens verschoben sich. Garten Eden860 oder Arche Noah stellten symbolträchtige Bezüge dar. Ihre globale Relevanz bezogen Gärten – wie jener berühmte von Carl von Linn8 (1707–1778) in Uppsala geleitete – aus der Utopie, eine totale Überschau der Pflanzenwelt erreichen zu können. Bereits in seiner Anfangsphase war der Botanische Garten der Universität Wien eine multifunktional florierende Wissens- und Forschungseinrichtung, die Nikolaus Jacquin entscheidend prägte und die sein Selbstbild als Botaniker vice versa ebenfalls formte, was wir noch eingehend besprechen werden. Kommen wir zunächst zu dessen Gründung. Seine Entstehung verdankt er 859 Siehe allgemein dazu: Marianne Klemun, Wissenswandel und botanische Gärten: Eine historische Reflexion. In: Der Garten als Wissensraum. Eine Reise zu Gärten der botanischen Sammlungen in Europa, hg. von Karin Standler (Budapest 2013, 20152 ), 11–14; Marianne Klemun, Der botanische Garten. In: Ego: Europäische Geschichte Online. Hg. vom Leibniz-Institut für Europäische Geschichte http://tcdh01.uni-trier.de:9091/EGO/de/ threads/crossroads/wissensraeume/botanischer-garten-be. 860 Vgl. Staffan Müller-Wille, Gardens of Paradise. In: Endeavour 25 (2001), Nr. 2, 149–54; John M. Prest, The Garden Eden. The Botanic Garden and the Re-Creation of Paradise (New Haven 1981).

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dem Leidener Hortus Botanicus. Spätestens in der Mitte des 18. Jahrhunderts wurden in vielen Metropolen – wie etwa in Wien, Edinburgh, Göttingen und Uppsala – botanische Gärten nach dem Vorbild Leidens ausgerichtet, indem die Schüler Boerhaaves dieses Modell an ihre neuen Wirkungsorte brachten. Es handelt sich dabei um einen klassischen Fall von Kulturtransfer,861 bei dem die Phänomene unterschiedlich von ihrer Herkunft in der Zielkultur ankamen, weil sie in diese eingebunden wurden. Leiden galt als der bedeutendste koloniale Garten der Welt. Während man in Wien die koloniale Seite in Schönbrunn realisierte, sollte der Garten an der Universität doch eher auf Mediziner ausgerichtet werden. Es kam sozusagen anfänglich zu einer Arbeitsteilung zwischen den Gärten in Schönbrunn und an jenem der Universität. Der Hortus Botanicus der Universität Leiden verfügte in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts über das reichhaltigste akkumulierte lebende Pflanzenmaterial des Globus. Im Laufe des 18. Jahrhunderts formierten sich die botanischen Gärten entweder aufgrund der direkten Handelsbeziehungen zu den Stützpunkten der europäischen Expansion oder aufgrund der immer besser funktionierenden Austauschbeziehungen zwischen den Gärten und besonders infolge der beschleunigten Zirkulation von Pflanzen und Samen zu wissenschaftlichen Zentren der Flora überseeischer Kontinente. Haller notierte diesbezüglich in sein Tagebuch: »Boerhaave hat Briefwechsel in Ostindien, China, Zeylon, Cap de bon. spei, Carolina und alle Teile von Europa, worauß er immer Saamen kriegt, ist auch mit Austheilen freygebig.«862 Die Beziehungen zwischen den Gärten baute Boerhaave als Direktor dieser Institution mittels systematischer Korrespondenz aus. Sie ist ediert und belegt auch ihren unglaublich weiten geographischen Radius und die Intensität der Kontakte.863 Die archivalisch erhaltenen Saatgutverzeichnisse und die jährlich aufgenommenen Listen des Pflanzenbestands864 dokumentieren die Professionalisierung der

861 Allg. zu diesem Thema: Michel Espagne, Les transferts culturels franco-allemands (Paris 1999); Matthias Midell, Kulturtransfer und historische Komparatistik. Thesen zu ihrem Verhältnis. In: Comparativ10 (2001), 7–41; Wolfgang Schmale, Historische Komparatistik und Kulturtransfer. Europa geschichtliche Perspektiven für die Landesgeschichte. Eine Einführung unter besonderer Berücksichtigung der Sächsischen Landesgeschichte (Bochum 1998) sowie Wolfgang Schmale (Hg.), Kulturtransfer. Kulturelle Praxis im 16. Jahrhundert (= Wiener Schriften zur Geschichte der Neuzeit 2, Innsbruck / Wien / München / Bozen 2003). 862 G. A. Lindeboom (Hg.), Albrecht von Haller, Het Dagboek van Albrecht von Haller von zijn verbliff in Holland (1726–1727). (Delft 1958), 81. 863 G. A. Lindeboom (Hg.), Boerhaave’s Correspondence, Part 1 (Leiden 1962), Part 2 (Leiden 1964). 864 Herman Boerhaave, Institutiones Medicae in usus annuae exercitationis domesticos (Leiden, 1734).

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Organisation des Gartens, wie sie während Boerhaaves Amtszeit erfolgte.865 Um nur ein Beispiel aus seinem dichten Briefverkehr mit Gelehrten herauszugreifen: So schreibt Boerhaave im Jahre 1720 an den englischen Botaniker William Sherard (1659–1728), dem Gründer des botanischen Gartens von Oxford: »I have received the highly welcome seeds with which you honoured me! I send you these, perhaps you would like to grow them, […] I have managed to obtain fresh seeds from Ceylon in Asia, and taken care that they were forwarded here enclosed in bottles [ …] for they are fairly rare plants…«866 Wie gestaltete nun Jacquin seine Leitung des Wiener Gartens, die er mit der Professur für Botanik 1768 anvertraut bekam? Es stellt sich auch die umgekehrte Frage: Welche Bedeutung bezog er aus diesem Raum und den daran gebundenen Praktiken? Blicken wir zunächst auf die konkreten Räumlichkeiten. Der Botanische Garten und das darin befindliche Wohngebäude am Rennweg Nr. 7 befanden sich 1769 in keinem besonders guten Zustand. Das Heim des Gartenvorstehers bestand bei Jacquins Übernahme nur aus einem ebenerdigen hufeisenförmigen Gebäude. Es ist im Huber-Plan von 1769 aus der Vogelperspektive sehr eindrucksvoll wiedergegeben (Abb. 33). Auch im »Hortus Vindobonensis«867 ist eine Karte der Anlage mit den Gebäuden beigebunden. Der rechte Wohntrakt vom Rennweg aus gesehen enthielt dreizehn kleinere und größere Zimmer, »worunter ein großer mit Kehlhammer Platten gepflasterter Saal gegen die große Allee sich befand, der wie das vorderste Zimmer eine verschalte und gemahlte Decke hatte.«868 Auch zwei Küchen, die mit einem kleinen Keller verbunden waren, fanden sich hier und im anschließenden Quertrakt war eine Gärtnerwohnung bestehend aus Zimmer, Kammer und Küche und einer Stallung, in der vier Pferde Platz hatten. Gegen das anschließende k. k. Mehlmagazin befanden sich zwei große Schuppen und ein paar Zimmer mit Küche, die für die Gesellen bestimmt waren. In dem Trakt zum Sellier’schen Grundstück, das einige Jahre später der Arzneihändler Franz Wilhelm Natorp erwarb – dessen Familie im Leben der Jacquin-Söhne noch eine große Rolle spielen sollte869 –, waren noch drei weitere Zimmer für Bibliothek und Seminarium vorhanden. 865 J. Heniger, Some Botanical Activities of Herman Boerhaave, Professor of Botany and Director of the Botanic Garden at Leiden. In: Janus LVIII (1971), 1–78. 866 Brief Boerhaaves an William Sherard, 13. April 1720. Abgedruckt in: G. A. Lindeboom (Hg.), Boerhaave’s Correspondence, Part 1 (Leiden 1962), 86f.: »Accepi semina gratissima, quibus honorasti! Mitto haec, si forte colere […], aliter poteris eadem dare […] ceylonensia recentia excepi ex Asi., curavique, ut inclusa lagenis huc miterentur: ideo puto bona fore, […] sunt quae rarae satis stirpes«. 867 Nikolaus Jacquin, Hortus Botanicus Vindobonensis (Wien 1770–1777), Bd. 1 (1770). Der Plan ist am Bandende eingebunden. 868 Joseph Franz Jacquin, Der Universitäts-Garten in Wien (1825), 26f. 869 Siehe Kap. VII. 1.

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Abb. 33: Botanischer Garten der Universität Wien, Rennweg 7 (J. D. Huber, Scenographie der kays. königl. Haupt- und Residenz Stadt Wien, vom Jahre 1769, Wien [1778]), Detail

Leider war das Schindeldach so kaputt, dass der Regen schon Schäden an der Dübelbodendecke870 angerichtet hatte. Aber anstatt das Schindeldach zu erneuern, wie Jacquin es vorschlug, wurde ein neues Ziegeldach auf die viel zu leichten Mauern aufgesetzt, wodurch diese dann im Laufe der Zeit auseinandergedrückt und dadurch das gesamte Gebäude innerhalb von zwanzig Jahren dem Verfall preisgegeben wurde. Eine gewisse Feuchte und Nässe war aus den Gemäuern nicht wegzubekommen, was sich auf die Gesundheit der Familienmitglieder sehr schädlich auswirkte. Jacquins Frau litt an starkem Rheuma und sein zweiter Sohn Gottfried starb 1792 24-jährig an der Schwindsucht. Auch der Garten war von seinem Vorgänger Robert Laugier ziemlich vernachlässigt worden und im Seminarium, der Lagerstätte von Samen, waren durch die Feuchtigkeit viele Kästen verfault und der Inhalt der Schubläden von 870 Zimmerdecke aus dicht nebeneinander gelegten verdübelten Balken.

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Mäusen und Insekten zum Großteil vernichtet worden. Nach Jacquin, jedenfalls schrieb er das an Linn8, hatte sich Laugier als Chemiker verstanden, wollte daher nicht in allzu engen Kontakt mit Botanikern treten, obwohl er die Bepflanzung des Botanischen Gartens in Wien (Abb. 34) nach den Prinzipien von Francois Boissier der Sauvages umgesetzt habe.871 Nikolaus Jacquin war nun gefordert, neben seinen täglichen Vorlesungen, seiner intensiven Korrespondenz- und seiner ununterbrochenen Publikationstätigkeit nun auch dem Universitätsgarten seine volle Aufmerksamkeit zu schenken. Zuerst stellte er gleich einen neuen Gärtner ein, und zwar überließ ihm sein Freund, der berühmte Mediziner Anton de Haen, seinen eigenen Gärtner. De Haen, der ja auch Jacquins Trauzeuge und Vorstand bei seiner Promotion gewesen war, musste demnach ebenfalls einen Garten besessen haben, hatte er doch Jacquin ab und zu – wie wir aus den Observationes872 wissen – Samen zukommen lassen. Der Gärtner hieß Lorenz Koller, war ein gelernter Küchen- und Kräutergärtner, der sich zwar durch Fleiß und Ordnungsliebe auszeichnete,873 jedoch wie die meisten Gärtner über keine wissenschaftliche Ausbildung verfügte, wodurch nun Jacquin selbst entscheidende Gartentätigkeiten, wie etwa den Anbau und das Einsammeln von Samen, übernehmen musste. Da die Pflanzenvielfalt in diesem Universitätsgarten 1769 kaum zur Zufriedenheit gereichte, musste gegen diesen Missstand vorgegangen werden. Nun erwies sich Jacquins mehr und mehr ausgedehntes Korrespondentennetz förderlich, durch das er sich aus ganz Europa Samen für diesen Garten zugeschicken ließ.874 Im Gegenzug revanchierte er sich dafür mit Pflanzensamen. Botaniker aus aller Welt zählten alsbald zu seinen Korrespondenten. Darunter befanden sich zahlreiche Leiter botanischer Gärten, wie Carlo Ludovico Allioni (Turin), Carl von Linn8 (Uppsala), Christian Friis Rottböll (Kopenhagen), Adrian van Royen (Leiden) und Sebald Justinus Brugmans (Leiden), Vellozia Vandelli (Coimbra), Giovanni M. Marsili (Padua), Antoine Gouan (Montpellier), Jacob Reinbold Spielmann (Straßburg), Franz Joseph Lipp (Freiburg) und noch viele mehr,875 aber auch Gelehrte wie Laurens Theodor Gronovius (Leiden), 871 Vgl. Jacquin an Linn8, 17. Dezember 1759 (L 2634), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 872 »Sicca huius plantae specimina, ad quae iconem concinnavi, viro amplissimo Antonio de Haen in Academia Vindobonensis Medicinae practicae primario Professori accepto refero.« In: Nikolaus Joseph Jacquin, Observationum Botanicae Iconibus, 1. Th. (Wien 1764), 8. 873 Vgl. Joseph F. Jacquin, Der Universitäts-Garten in Wien (1825), 43f. 874 Alle eingegangen Samen wurden jährlich penibel aufgelistet, siehe ebda (1825), 42. Siehe dazu: Nikolaus Jacquin, Index regni vegetabili qui cont. planteas omnes, Ed. 12 (Wien 1770). 875 Die größtenteils unbearbeiteten ca. 1000 Briefe an Jacquin im NHM Wien, AfW sind Niederschlag dieses ausgebreiteten botanischen Korrespondentennetzes.

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Abb. 34: Botanischer Garten der Universität Wien, Plan (Hortus Botanicus Vindobonensis, Vol. 2, 1776)

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Albrecht von Haller (Göttingen), Benedict de Saussure (Genf), Jacob Christian Schaeffer (Regensburg), Josef Bohumir Mikan (Prag). Briefwechsel sind »Transferträger der Forschungsinhalte und gleichzeitig Mittel zur Vergemeinschaftung einzelner Protagonisten im Hinblick auf ein bestimmtes Forschungsfeld. Unabhängig von ihrer Lokation ermöglichen und festigen sie wissenschaftliche Beziehungen.«876 Man könnte hier argumentieren, dass es der Garten war, der zur Ausdehnung auf Kontakte mit Direktoren anderer botanischer Gärten führte, denn die Rekrutierung von Samen auf diesem Wege war für dessen Ausbau zentral. Dieses Phänomen erkannte auch ein zeitgenössischer Beobachter über die Wiener Einrichtung: »Er ist nicht allein mit allen einheimischen Kräutern, Gesträuchen und Bäumen vollständig, sondern auch mit den seltensten fremden Pflanzen reichlichst versehen. Den ansehnlichen Bekanntschaften, die sich Hrn. von Jaquin [!] durch seine Reisen gemacht hat, seinem großen und allgemeinen Ruhm, dem ihm seine gelehrte nützliche und schöne Werke erworben haben, und endlich seinem ausgedehntesten Briefwechsel mit den größten Naturforschern haben wir es zu danken, dass es weder an Saamen, noch an Pflanzen auch aus den entferntesten Welttheilen in diesem Garten mangelt.«877

Der Botanische Garten der Universität in Wien war also wie viele seinesgleichen mehr als nur räumliches Evidenzzentrum, er übernahm auch die Aufgabe als Umschlagplatz für Samen im weltweiten Pflanzentransfer. So fungierte er, um hier eine wesentliche Funktion anzusprechen, die vielen anderen Gärten zukam, auch als botanisches Kalkulationszentrum des Kolonialismus,878 ungeachtet dessen, dass als Träger in Wien tatsächlich keine Kolonialmacht dahinterstand. Nutzpflanzen wie etwa Kakao und Kaffee wurden zu beliebten Bewohnern des Gartens der Universität. Die Kultur dieser Nutzpflanzen wurde sehr wichtig genommen und Ungezieferbefall bekämpft. So berichtete Jacquin 1772 Linn8, dass man die Pflanzen von weißen Blattläusen täglich mittels Pinzetten befreie.879 Nicht nur nach außen funktionierte dieser Austausch, auch im Inland vermehrten sich die Kontakte, quer durch die Gesellschaftsschichten. Zu Jacquins Freunden in dieser Anfangsphase seiner Professur zählten Franz von Mygind, Johann Siegmund Popowitsch, Belsazar de la Motte Hacquet, Siegmund Hohenwart, Ignaz von Born, die Grafen Hoyos, Franz Xaver Wulfen, Jan Ingenhousz, Paul Kitaibel, Jakob Well, um nur einige zu nennen. Hauptmotivation der Briefe waren stets der Pflanzen- und Samentausch und die Weitergabe botani876 Vgl. Marianne Klemun, Naturgeschichte, Austausch und Funktionen eines wissenschaftlichen Korrespondentennetzes. In: Carinthia II 195. / 115. Jahrgang (Klagenfurt 2005), 253– 268, hier 254. 877 Pascal-Joseph Ferro, Einrichtung der medizinischen Fakultät zu Wien (Wien 1785), 34. 878 Aus der reichen Literatur bes.: Lucile H. Brockway, Science and Colonial Expansion. The Role of the British Royal Botanic Gardens (New York / London / Toronto 1979). 879 Jacquin an Linn8, 25. März 1772 (L 4632), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net.

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scher Informationen. So war die Ordnung des Gartens bald wieder hergestellt und dieser wurde bei Jacquins Amtseintritt für das Publikum geöffnet.880 Das bedeutete eine große Neuerung gegenüber seinem Vorgänger, wo der Garten nur nach vorheriger Anmeldung für eine Führung geöffnet war. Nikolaus Josephs Sohn, der seinem Vater in der Leitung folgte, memorierte, dass der Zutritt jedenfalls während der Vorlesungen oder nach Voranmeldung gestattet war. Einer öffentlichen Kritik zufolge jedoch ist zu erfahren, dass nur ein Gartenareal, nämlich der Teil mit den Medizinalpflanzen, den Studenten zugänglich gemacht wurde. Der Kritiker erwähnte, dass »die Abtheilung links […], die mit Brustspalieren eingezäunt, und mit einer Thür gesperrt sind. In diesen Gärtchen stehen theils perennirende, theils jährige, sowohl einheimische als ausländische Pflanzen untereinander ohne Ordnung, doch jede mit eine Nummer versehen, die sich auf den Index plantar. systemat. Linn, den Jacquin 1785 herausgab,881 bezieht; auf der Seite rechts befinden sich auf der untern Helfte [!] eben solche Gärtchen, wie jene links; doch steht der Eingang hier offen, und auf den Beeten sind blos Arzneypflanzen angebaut. In diesen Gärtchen ist es den Studirenden erlaubt, die Pflanzen zu betrachten; in die andern läßt man Niemand, wenn man nicht ein gutes Trinkgeld schon zuvor dem Gärtner oder seinem Gesellen in die Hände drückt.«882

Die Gefahr, dass Samen gestohlen wurden, stellten natürlich ein Problem für das Management des Gartens dar und noch 1808 erfahren wir aus einer Beschreibung Wiens, dass eine Erlaubnis zum Eintritt nötig, aber leicht zu bekommen war.883 Aus der Entgegnung eines Studenten entnehmen wir jedoch noch weitere Details über die Anlage, dass der Gartenbereich hinter dem Gewächshaus aus sechs kleinen unterschiedlichen Gärten bestand, »wovon ein jeder mit niedrigen Umzäunungen, mit welchen der Feldahorn (Acer campestre L.) in Spalliren ge-

880 Joseph F. Jacquin, Der Universitäts-Garten in Wien (1825), 48. 881 Nikolaus Jacquin, Index regni vegetabilis qui continet plantas omnes Quae habentur in Linnaeani systematis (Wien 1785). Laut einschlägigen zeitgenössischen Bibliographien hatte der von Jacquin herausgegebene Index mehrere Auflagen. Die erste nachweisbare 1770 war mit dem Hinweis Editio XII versehen, was sich auf Linn8s System bezog, 1780 erschien eine weitere Auflage, jene von 1785 nach der Edit. XIV. Es handelte sich um reine Auflistung, wobei die Zahl der Pflanzen erweitert wurde. 1785 umfasste der Index 10.271 Pflanzen. Er kostete 1 Thaler. Vgl. Friedrich Miltitz, Handbuch der botanischen Literatur (Berlin 1829), 391. 882 [Anonymus], Bemerkungen über die Lehranstalten der Botanik zu Wien, von einem durch Europa reisenden Botaniker. In: Neues Magazin für Aezte 14 (Leipzig 1792), 489–498, hier 491f. 883 [Anonymus], Neueste Beschreibung der Kais. Königl. Haupt= und Residenzstadt Wien, und der in der Gegend derselben befindlichen kaiserl. königl. Lustschlösser, Gärten, anderer vorzüglicher Gebäude, Kunst und Naturmerkwürdigkeiten (Wien 1808), 101.

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zogen und auf beyden Enden eine Thüre von schmalen Latten angebracht ist, die zwar insgesamt dicht angelehnt, aber nicht immer verschlossen sind.«884 Wie kann man sich den Lehrbetrieb Jacquins vorstellen? Und welche Rolle spielte dabei der Gartenraum? Eine zeitgenössische Darstellung hilft uns hier weiter : »Eben dieser Lehrer fängt nach geendigten chemischen Vorlesungen im Frühjahre die Lehre der Kräuterkunde an. Er hält sich völlig an das linnäische System: liest aber über sein eigenes Vorlesebuch.885 Anfangs bringt er den Schülern einen allgemeinen Begriff von der Kräuterkunde überhaupt bei, erklärt Kunstwörter, und setzt die verschiedenen alten und neuen Systeme auseinander. Wenn er dieses voraus geschickt hat, führt er die Gründe an, warum das linnäische System das beste, und vorzüglichste sey, erklärt darauf dessen Ordnung und Eintheilungen, und gibt dann alle Kennzeichen durch Beispiele deutlich an, woraus man die Pflanzen wesentlich erkennen, und voneinander unterscheiden kann. Wenn er auf diese Art die Schüler in der theoretischen Kräuterkunde, und im ganzen System vollkommen unterrichtet hat, dann führt er sie in den botanischen Garten, und gibt ihnen da alle Tage den ganzen Sommer hindurch praktische Collegien über die Kräuterkunde. Er zeigt allda die Pflanzen selbst vor, zergliedert ihre Teile, und weiset an selben die wesentlichen Charaktere, Kenn- und Unterscheidungszeichen; merkt bei jeder Pflanze, deren Kraft und Nutzen bekannt ist, ihren Gebrauch und Nutzen an, den sie in der Arznei, Haushaltung, oder anderen Künsten, und Handwerken hat, und meldet zugleich die Oerter und Gegenden, in welchen diese oder jene Pflanze natürlich und am häufigsten wächst, und welche Pflege sie erfordert.«886

Diese Beschreibung deckt sich mit jener, die wir der kritischen Stimme bzw. der Entgegnung entnehmen konnten.887 Nach einer ersten Einführungsphase des Unterrichts wurde der Garten als Lernort erst wirksam. Observieren zu lernen, sich auf einzelne Merkmale zu konzentrieren, lief daraus hinaus, dass theoretisch-abstraktes Wissen anschaulich erworben wurde, verbales (Benennung) mit non-verbalem Wissen (Form und Wiedererkennung der Pflanze) in Bezug gesetzt werden konnte. Diese Brücke stellte der Garten her. »Bei jeder Pflanze, Gesträuche und Baum ist eine Tafel angehängt, worauf eine Nummer steht: schlägt man nun in dem eigens darüber gedruckten Verzeichnis [Index regni vegetabilis…1770]888 diese Nummer auf, so findet man bei derselben den linnäischen

884 Johann Christian Gottlob Baumgarten, Avthentische Nachrichten über die botanische Lehranstalten zu Wien. In: Neues Magazin für Ärzte 15 (Leipzig 1792), 318–343, hier 322. 885 Nikolaus Jacquin, Anleitung zur Pflanzenkenntnis nach Linn8’s Methode: zum Gebrauche seiner theoretischen Vorlesungen (Wien 1785). 886 Pascal-Joseph Ferro, Einrichtung der medizinischen Fakultät zu Wien (1785), 33. 887 Diese ist ausführlicher, aber eben in der Beschreibung der pädagogischen Schritte deckungsgleich. Vgl.: Baumgarten, Avthentische Nachrichten (1793), bes. 320–325. 888 [Nikolaus Joseph Jacquin], Index regni vegetabilis qui continent plantas omnes quae habentur in Linnaeani Systematis editio novissima duodecima (Wien 1770). – [Index des

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Geschlechts- und Trivialnamen der Pflanze aufgezeichnet, bei welcher diese Tafel hängt.«889

Memorieren bildete lange das Hauptelement der pädagogischen Vermittlung. Hier bot der Garten als Raum des strukturierten Wissens in seiner geordneten Ganzheit einen Vorteil gegenüber dem Gelände in seiner verwirrenden Vielfalt, da jede Lerneinheit als Wiederholung und fokussiert ablaufen konnte.890 Als Gedächtnisauslöser fungierten die meist an den Pflanzen auf Täfelchen angebrachten Nummern, die mit dem im Index publizierten Namen891 korrespondierten. Bald wurden diese jedoch durch Namensschilder aus Blech oder Holz ersetzt. Bis heute zählen sie zum selbstverständlichen Bestand der botanischen Gärten, verweisen auf Namen und damit auf die eminent wichtige Praxis der Erfassung und des Wiedererkennens von Pflanzen. Noch im Jahre 1824 gab der Berliner Botaniker Heinrich F. Link in seinem Methodenkapitel des Werkes »Elementa Philosophiae Botanicae«892 dem Garten als Lernort gegenüber dem Gelände den Vorzug, ja er lehnte Exkursionen sogar als nutzlos für die Studenten ab. Hier im botanischen Garten konnten diese die Kenntnis der Pflanzennamen, der Pflanzenteile und deren systematische Anordnung optimal erwerben. Es gebe viele Medien, an der Spitze der Lernquellen jedoch stehe der botanische Garten, der alle anderen qualitativ überrage, weil er sich im Spektrum dieser vielen in der klassischen Botanik charakteristischen non-verbalen Medien auszeichne. Der botanische Garten erzwang mit seinen Anordnungen der Pflanzen eine gesteuerte Wahrnehmung. Die Konzentration auf Arzneikräuter war dem Ausbildungspublikum geschuldet, was in einem eigenen Gartenabschnitt gewährleistet wurde. Jacquin demonstrierte, so überliefert es die zeitgenössische Quelle, die für die Arzneien gebräuchlichen Pflanzenteile, die in den Apotheken immer vorrätig sein mussten, er lehrte vor allem, zu welcher Zeit sie ausgegraben bzw. gesammelt werden müssen und wie man sie »reinigen, trocken zubereiten, und in den Apotheken zum Gebrauch aufbewahren soll. Damit sich aber die fleißigen Studenten täglich und stündlich nach ihrer Muße in der Kräuterkunde üben können, so ist der Garten und besonders der Platz der Officinellen Kräuter das ganze Jahr hindurch offen; hier können sie all dasjenige wiederholen, und

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Pflanzenreichs, der alle Pflanzen enthält, die in der neuesten, zwölften Auflage des Systems von Linn8 vorkommen]. Pascal-Joseph Ferro, Einrichtung der medizinischen Fakultät zu Wien (1785), 35. Siehe dazu: Marianne Klemun, Botanische Gärten und Pflanzengeographie als Herrschaftsrepräsentationen. In: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 23 (2000), 330–346. [Nikolaus Joseph Jacquin], Index regni vegetabilis qui continent plantas omnes quae habentur in Linnaeani Systematis (1770). Heinrich F. Link, Elementa Philosophiae Botanicae (Berlin 1824).

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reifer überlegen, was sie von dem Lehrer in den Lehrstunden gehört haben. So erhalten sie die so nötige, und unentbehrliche praktische Fertigkeit in der Kräuterkunde.«893

Die Botanik war als Taxonomie eine klassische Gedächtniskunst, als solche wurde sie betrieben, wobei das Einüben der Namen zum Alltag gehörte. Auch Linn8 bezeichnete sie in seiner »Philosophia botanica« (1751) als solche. Dass Jacquin wie Linn8 mit seinen Schülern im Sommer ins Gelände ging, zeigte, wie er eigene praxeologische Ansprüche auch den Studenten vermittelte. In den bereits zitierten zeitgenössischen Beschreibungen wird eine weitere Funktion des Gartens deutlich. Naturräumlich voneinander getrennte Pflanzen wurden im botanischen Garten wie in einem Lehrbuch an einem Ort zusammengebracht. Er ist buchstäblich die Welt im Kleinen. Durch die Überschau bzw. Verdichtung wird der Vergleich im Nebeneinander erst möglich. Diese Praxis ist fundamental für die Bestimmung von Pflanzen. Die Artenkenntnis wurde mittels Herbarien und lebendiger Exemplare in den Gärten gespeichert, konserviert und verwaltet. Ferner fand in einem botanischen Garten stets eine Artikulation eines theoretischen Konzeptes statt: Hier manifestierte sich gestalterisch die Ordnung des Pflanzenreichs. Theorie wurde nicht nur erzeugt, sondern auch gezeigt. In den Gärten trat Natur in unterschiedlicher Form und einmalig fürs Auge aufbereitet auf die Bühne. Die Inszenierung folgte dem System von oder dem Denken über Pflanzen. Somit wurde Linn8s System für einen Teil des Gartens zur bestimmenden Struktur der Anlage. Wir erfahren aber auch aus zeitgenössischen Beschreibungen, dass es Areale im Wiener Universitätsgarten gab, die diesem künstlichen System nicht untergeordent waren, sondern einem natürlichen folgten: »In selbigen [gemeint sind die hinter dem Gewächshaus befindlichen aus sechs Gartenbereichen bestehende Areale] sind so wohl einheimische, als auch ausländische Gewächse nach ihrer Dauer, zwar nicht nach systematischer Ordnung, sondern zum Theil nach ihren natürlichen Familien angepflanzt; welches immer besser ist, als wenn sie in Klassen gestellt werden. Durch die weitläufigen Reisen, so dieser emsige Gelehrte gemacht hat, sahe er seine Schwieigkeiten bald ein, so in dergleichen unschicklichen Ordnungen von Pflanzen in den meisten botanischen Gärten nach Ideen eines Kunstgärtners oder theoretischen Lehrer der Botanik eingerichtet waren. Eine Linde oder Eiche in einen Zwerg umgeschaffen zu sehen, und einjährige Pflanzen unter ausdauernde Gewächse in dergleichen Gärten zu pflanzen, wird ohnstreitig jeden ächten Kenner närrisch vorkommen. Nach des Herrn von Jacquin gemachten Plan ist der Garten so bestellt, daß der Lehrer und Schüler immer Abwechslungen von Pflanzen jeder befindlichen Gattung in der Blüthe zur Untersuchung finden können.«894

893 Pascal-Joseph Ferro, Einrichtung der medizinischen Fakultät zu Wien (Wien 1785), 37. 894 Baumgarten, Avthentische Nachrichten (1793), 322f.

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Es ist interessant, dass die Begründung für die Berücksichtigung eines natürlichen Systems eine praktische ist, aber dennoch Jacquins Erfahrung seiner Expedition hier als wesentlich angesehen wurde. Gärten stellten somit eine wahre Herausforderung dar, theoretische, pädagogische und praktische Seite der Behandlung von Pflanzen gleichermaßen Bedeutung zu geben. Jacquins Gartenleitung betraf alle diese Aspekte und auch sein Arbeitspensum war enorm. Universität, Garten, Gutachten, Korrespondenz und Publikation mussten bespielt werden. Er arbeitete an dem 4. Band seiner Observationes (1771), dem »Hortus Vindobonensis« (1770–1777) und den »Florae Austriacae« (1773–1778) zugleich.895 Man findet in diesen drei Werken auch immer wieder Querverweise der Publikationen aufeinander. Mit seinem »Hortus Vindobonensis« gab er dem Botanischen Garten der Universität öffentliche Reputation. In seinem Vorwort begründete er seine Entscheidung, dass eben die Angst, dass Pflanzen im Garten durch äußere Ereignisse zugrunde gegangen sind, diesem allfälligen Verlust mittels der Dokumentation entgegengewirkt werden sollte. »Seitdem sich die finanzielle Großzügigkeit der erhabenen Herrscher ergeben hatte und der Wiener botanische Garten gedieh, prangte dieser von mannigfaltigen und ganz seltenen Pflanzen, mit denen ihn das Wohlwollen nicht weniger um das Pflanzenwesen hochverdienter Männer zu ihrer eigenen wohlbekannten Ehre und zur Förderung des hiesigen Botanikstudiums bereichert hatte. Von jenen Pflanzen ist nun, wie das oft zu geschehen pflegt, eine nicht geringe Anzahl zugrunde gegangen; von manchen ist auch mit ihnen selbst die Erinnerung an sie abhanden gekommen. Unter diesen dürften überhaupt jedoch welche gewesen sein, deren richtige Kenntnis zur Erweiterung der Pflanzenkunde beigetragen hätte. Dass auf die überlebenden und neu hinzugekommenen Pflanzen nicht ein ähnliches Schicksal warte, habe ich es in diesem Werk unternommen, von diesen Abbildungen und Beschreibungen den Botanikern zu bieten.«896

Pflanzenkataloge waren ein beliebtes Genre der Zeit. Sie existierten in unterschiedlichen Ausführungen. Als Veröffentlichungen mit sehr knappen Einträgen hatte sie Linn8 mit seinem »Hortus Upsaliensis« von 1746 eingeführt. Diese Veröffentlichung war inhaltsarm,897 denn sie umfasste nur die Artnamen und allfällige Hinweise auf Literatur. Diese Kataloge standen den botanischen Exkursionen der Studenten zur Verfügung, die somit Hinweise bekamen, welche Pflanzen sie gesehen hatten, und sie mit Individuen im Garten vergleichen konnten. Des Weiteren hatte dieses Genre die Funktion, den Bestand des Gartens für den Pflanzentausch mit anderen Gärten zu dokumentieren. Jacquins »Hortus 895 Nikolaus Jacquin, Florae Austriacae, sive, plantarum selectarum in austriae archiducatu sponte crescentium icones, ad vivum coloratae, et descriptionibus, ac synonymis illustrateae (Wien 1773–1778). 896 Jacquin, Hortus Vindobonensis (1770), Vorwort eigene Übersetzung, siehe auch Edition. 897 Vgl. Müller-Wille, Botanik (1999), 165.

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Vindobonensis« war wegen seiner kolorierten Kupfertafeln wohl mehr als nur ein diesbezügliches Nachschlagewerk, »eines der kostbarsten Denkmäler,«898 wie es eine zeitgenössische Rezension richtig betonte. Mit dieser Publikation artikulierte Jacquin seine Kompetenz auch als Leiter des Gartens, der nicht nur einen immer wieder aktualisierten Index mit den Arten, sondern ein dem Garten adäquates Prachtwerk bot.

VI. 3. Gelände: Botanisierbüchse und botanische Exkursionen in die »österreichischen Alpen« Von den Felsen der Alpen hallt das Echo wider und dieses hat sich in den letzten zwei Jahrhunderten deutlich gewandelt. Mit den Alpen wird heute vieles assoziiert, neben Edelweiß und Loden eine unverwechselbare Natur, deren Konturen allerdings erst im 18. Jahrhundert in jene Richtung gezeichnet wurden, wie wir sie uns heute denken. Deshalb sind sowohl die das Phänomen prägenden Stereotypen als auch Wissensbestände mitzudenken, wenn es um die Analyse der botanischen Alpenexkursionen geht. Der Blick auf die Gebirge ist immer durch kulturelle Dispositionen bestimmt, die lange von dem Nutzungsgedanken getragen waren. Im 18. Jahrhundert wurde die Wildnis nicht mehr als bedrohlich empfunden, sondern zunehmend als Gegen-Entwurf zur domestizierten Natur und zivilisatorisch überformten Kulturlandschaft gesehen. An dem Prozess der Intellektuellen, vom Herzen der »Alpen« ein Bild geformt zu haben, hatten Botaniker und eben auch Jacquin unter ihnen, ihren Anteil. Die Sucht der reisenden Naturforscher nach Neuheiten im Naturreich ging einher mit der Erschließung der Alpen und ihrer Aneignung. 181.489 Quadratkilometer umfasst heute jene Entität, deren Bestimmung zunächst über moralische Kriterien als Zuschreibung einer ursprünglichen, genügsamen und glücklichen Alpenbevölkerung begann und mit den ersten Gipfelerstürmungen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts im Dienste der Wissenschaft endete.899 Mit den von Horace B8n8dict Saussures initiierten Montblancbesteigungen und den Großglocknerexpeditionen erlebte diese von Naturforschern geprägte Phase ihren ersten Höhepunkt, der Tourismus folgte auf dem Fuß. Vielfalt und Abwechslung, womit die Natur den Botaniker in der Ferne beeindruckte, das erwirkte sie auch in der unmittelbaren Nähe eines Wohnortes in 898 [Rezension von Hortus Vindobonensis]. In: Prager gelehrte Nachrichten, 23. Stück, 3. März (1772), 351–353, hier 351. 899 Siehe dazu mehr : Marianne Klemun, … mit Madame Sonne konferieren. Die Großglockner-Expeditionen 1799 und 1800 (= Das Kärntner Landesarchiv 25, Klagenfurt 2000).

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Europa. Wenngleich wirtschaftlich folgenlos, wurde die wissenschaftliche Aktivität der Alpenreisen von einer hohen kulturellen Aufladung begleitet. Sie trägt beginnend mit Mitte des 18. Jahrhunderts mitunter Züge jener Exotik, die auch mit der weltweiten Transferbemühung um Seltenheiten verknüpft ist. Alpenpflanzen- und Nutzpflanzentransfer erhalten ihre Lebendigkeit aus demselben Bezugspunkt eines Konstrukts, in dem beiderlei, die Alpen oder etwa die exotischen Inseln, als ideale Räume von Sehnsüchten und Projektionen, als paradiesische Natur in den Köpfen der Intellektuellen konzipiert worden sind. Die Reisebeschreibungen basieren auf diesem a priori, und diese Vorstellungen florieren bekanntlich auf der Grundlage eines Arsenals europäischer Diskurse über den guten edlen Wilden.900 Ob global oder lokal organisiert, die wissenschaftliche Aneignung von Pflanzen bestand nicht nur aus der Transferierung lebenden Materials in den Garten, sondern häufig auch aus Herbarbelegen, mit deren Hilfe die fachliche Bestimmung der Gewächse in den Studierstuben der Experten erfolgen konnten. Auf welchen Wegen kamen die Pflanzen von ihren abgelegenen Arealen zu den centres of calculation, und wie wurde ein derartiges Wissen über die Herkunft konstituiert und weitergegeben? Diese Fragen führen uns in einem der nächsten Kapitel auch zur Netzwerkforschung, und diese Problemstellung erfordert große Sensibilität für ein vielschichtig kodiertes Phänomen, etwas sehr Konkretes als gleichsam Symbolisches. Aber bleiben wir zunächst bei der Arbeit im Gelände selbst. Es war für Jacquin naheliegend, in beiderlei Bedeutung des Wortes, dass er als Interessierter sein neues Wiener Umfeld auch botanisch erkundete und damit auch die nahen Alpen als botanisches Eldorado für sich entdeckte. Mit dieser Vorliebe blieb Jacquin nicht allein. Allseits richteten Intellektuelle das Augenmerk auf diese Regionen, auf die noble Schlichtheit der lauteren Landbevölkerung, die Jean Jacques Rousseau zufolge eine ganz eigene Gegenwelt zur Zivilisation darstellte. Analog dazu erkannten auch die Botaniker die ganz besondere Eigenheit der Gebirgsflora, den Reichtum der botanischen Alpenwelt. Jacquins Herbationen901 mutierten alsbald zu Alpenexkursionen, zumal auch er diesem Trend folgte. Geländearbeit ging jeder Schreibtischarbeit voran, durch sie wurden die Herbarbelege und auch das pflanzlichen Material als Bereicherung des botanischen Gartens gesammelt. Die Hochschätzung der Arbeit im Feld wurde von den Zeitgenossen vielfach beschworen, da es den nur auf Buchwissen basierenden Kenntnissen überlegen sei. Deshalb wurde auch im Freien gelehrt, wie es ein 900 Vgl. Karl-Heinz Kohl, Entzauberter Blick. Das Bild vom Guten Wilden (Frankfurt am Main 1986), bes. 21ff. 901 Gemeint sind Exkursionen, die Herbarbelege zusammenbringen sollten.

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zeitgenössischer Beobachter über die exzellente Unterrichtsweise der Botanik in Wien durch Jacquin gewährleistet sah: »Zu diesem tragen noch die botanischen Exkursionen vieles bei, die der Lehrer während dem Sommer mit seinen Schülern auf den Feldern, Wäldern und Gebürgen vornimmt, wo er ihnen die Kräuter zeigt, so wie sie die Natur ohne Pflege hervorbringt. Durch diese Exkursionen werden auch die inländischen Saamen und Pflanzen wieder ersetzet…«902

Autopsie trat hier in den Vordergrund, der Botaniker ging persönlich hinaus, ins Feld, vertraute seinen Augen und war somit sein eigener Gewährsmann. Beobachten bestimmte sich als ein ganz individueller Akt der Konzentration. Da viele Botaniker dieser Zeit oft ausgebildete Mediziner waren, verfügten sie auch über ein geschultes diagnostisches Auge, das bestens für diese Unternehmungen einsetzbar war.903 Gleichzeitig handelte es sich hier aber auch um Gemeinschaftsprojekte: Das Sammeln und Identifizieren von Pflanzen wurde selten allein, meist in kleineren Gesellschaften ausgeführt, denn im Gelände an Ort und Stelle konnte man gut voneinander lernen, sich derselben Wahrnehmung versichern und stets sollte auch ein Ortskundiger dabei sein. Die Exkursionen waren nicht nur für die Ausbildung der Studenten, für die Bereicherung des Botanischen Gartens der Universität, sondern auch für die Publikationen Jacquins von immenser Bedeutung. Nach erfolgreicher Absolvierung seiner großen Sammelreise nach Übersee war für ihn die Zeit für botanische Ausflüge gekommen, die ihn ins Umland von Wien führten. Der entfernten Welt folgte die Intensität der Nähe. In das Umland führende Exkursionen ermöglichten eine weit systematischere Bestandsaufnahme, weil immer wieder und auch zu unterschiedlichen Jahreszeiten gesammelt werden konnte. Mit seinem ihm eigenen botanischen Gespür erkannte Jacquin den Trend, die heimische Flora als exotisch zu bewerten, ein Großteil seiner Brief- und Tauschpartner war an diesen Pflanzen, vor allem an den Alpenpflanzen, besonders interessiert, was einen weiteren Ansporn für seine Ausflüge bedeutete. Dass heutzutage Innsbrucker Wissenschaftler die Hitzeabhärtung alpiner Pflanzen erforschen können,904 basiert auf dem Wirken der Botaniker, welche Pflanzen bezüglich eines lokalen Raumes sammelten und sie erstmals akribisch beschrieben, analysierten sowie benannten und somit eine Zusammenschau der in diesem Raum anzutreffenden Pflanzen erstellten. Jacquin war einer von ihnen. Seine Sammelbände, in denen er auch anderen Forschern, z. B. Franz Xaver 902 Pascal-Joseph Ferro, Einrichtung der medizinischen Fakultät zu Wien (1785), 36. 903 Vgl. Daniela Bleichmar, The Geography of Observation: Distance and Visibility in Eighteenth-Century Botanical Travel. In: Lorraine Daston and Elizabeth Lunbeck (Ed.), Histories of Scientific Observation. (Chicago 2011), 373–395. 904 Samstag Presse, Wien 23. 7. 2016, Wissen und Innovation, 28.

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Wulfen oder Thaddäus Haenke (siehe auch Abb. 9), die Möglichkeit bot, ihre Untersuchungen zu veröffentlichen, führten zu internationaler Kenntnis der regionalen Botanik und dadurch zu einer einheitlichen »linn8ischen« Behandlung vieler bis dahin unterschiedlich benannter Pflanzen und der Reduzierung ihrer Synonymenvielfalt. Entscheidend hatte Linn8 etwa tausend Begriffe eingeführt, die zur Beschreibung herangezogen und nun verbindlich angewendet wurden. Schon vor seiner Amerikareise hatte Jacquin seinen Einträgen in der Publikationsreihe »Collectanea« zufolge in der Gegend um Wien botanisiert: »Schon in den Jahren 1752 und 1753 habe ich der Pflanzen wegen Exkursionen in der Umgebung von Wien unternommen, habe Pflanzen gesammelt und Beschreibungen entworfen.«905 Nach seiner Rückkunft aus der Karibik intensivierte er diese Ausflüge und erweiterte sie zu Alpenexkursionen. So wanderte er öfters auf den Schneeberg, Semmering sowie »Etscheri« (Ötscher) und erwähnte dies auch Linn8 gegenüber, der darauf immer sehr besorgt reagierte und Jacquin bat, auf sich aufzupassen.906 In seinen »Miscellanea«, einem Fortsetzungswerk der »Observationes«, mit Themen zur Botanik, Chemie und der Naturgeschichte, berichtet Jacquin z. B. von einem solchen Ausflug 1760: »Zwei Exemplare dieses Pflänzchens habe ich bei den ersten niedrigen Fichtenwäldern auf dem ersten Höhenzug zwischen Phellandria Mutellinas wachsend entdeckt, als man von Kaltwasser auf den Schneeberg stieg.«907 Oder er erläutert die geographische Lage: »Zudem führte mich, der ich der Pflanzen wegen zu den Alpen aufbrach, der Zufall im Oktober 1762 passend zur so genannten Kaiserquelle [Kaisersbrunn], die vom Schneeberg am Fuße der zusammentreffenden Alpen entspringt und den Namen hat vom Wasser, das sie der erhabenen Familie des ganzen Kaiserhauses liefert.«908 Wie kann man sich diese botanischen Ausflüge vorstellen? Wie wir bereits festhalten konnten, handelte es sich mit Sicherheit nicht um Alleingänge unseres 905 Vgl. Nikolaus Joseph Jacquin, Collectanea, Bd. 1 (Wien 1786), V. 365: »Jam annis 1752 & 1753 excursiones plurimas herbarum causa in agrum Viennensem institueram, stirpes collegeram, descriptiones adumbraveram.« Eigene Übersetzung. 906 Vgl. Linn8 an Jacquin, Uppsala, 13. Dezember 1761 (L 3015), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 907 »Duo hujusce plantulae specimina inveni ad prima obvia pineta depressa in primo jugo, dum ex Kaltenwasser adscenditur ad Schneeberg, anno 1760 inter Phellandria Mutellinas [Madaun oder Alpen-Mutterwurz] crescentem.«, Eigene Übersetzung, aus: Nikolaus Joseph Jacquin, Miscellanea. Vol. 2 (Vienna 1781), 42. 908 »Ad hoc opportune anni sexagesimi secundi [1762] mense Octobri herbarum gratia ad alpes proficiscentem me casus tulit ad fontem dictum Caesareum (Kaysers Brunn) qui ex Schneeberg oritur ad ipsos pedes concorrentium aliquot alpium, nomenque fortitur ab aqua, quam omnium ministrat Augustae Caesarum Familiae.« Eigene Übersetzung, aus: Nikolaus J. Jacquin, Observationum Botanicarum Iconibus ab Auctore delineatis illustratarum, 4 Vol. (Wien 1764–1771), Vol. 1, 23.

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Jacquin. Schon vor seiner Schemnitzer Zeit schloss er sich Freunden wie z. B. Mygind909 oder Popowitsch bei deren Bergtouren an, ferner nutzte er nach 1768 die Gelegenheit seiner Lehrtätigkeit, indem er auch interessierte Studenten zu diesen Feldexkursionen mitnahm, um sie so in und an der freien Natur in der Pflanzenbeobachtung und -bestimmung zu schulen. Ignaz von Born bedankte sich z. B. bei Jacquin, dass er seinen ehemaligen Schüler Friedrich Kepner, von dem er große Stücke hielt und den er Jacquin immer wieder ans Herz legte, auf den Schneeberg mitgenommen habe.910 Eine solche Reisegesellschaft wird in Jacquins »Miscellanea« kurz erwähnt, ihre Mitglieder werden sogar namentlich angeführt.911 Die Alpenexpedition, die im Juli 1777 den Schneeberg als Ziel verfolgte, bestand neben Jacquin, seinem 11-jährigen Sohn Joseph und dessen Hauslehrer Nikolaus Karl Molitor, ferner aus Jakob Well, dem Apotheker und Professor für Naturgeschichte an der Universität, und den erfahrenen Doktoren der Medizin Jan Jaskiewicz, Paul Czempinski und Ignaz Joseph Langmayer, die auch zu Jacquins Schüler zählten. Natürlich durfte auch der Maler – in diesem Fall Franz Scheidl – auf keinem dieser Ausflüge fehlen, er war ein ganz wichtiges Exkursionsmitglied, denn er fertigte vor Ort seine Skizzen an. Jacquin berichtete ferner, dass sie noch nie gesehene Pilze, Flechten und Moose gefunden hätten, denen er, damit sie nicht falsch gedeutet werden konnten, neben der Beschreibung auch eine Abbildung 909 Jacquin schmückte sich nie mit fremden Erfolgen, sondern war im Gegenteil stets um Hinweise auf Mitstreiter bemüht: »a nobilissimo viro Mygindo noviter dedectae […] invenit etiam ad Danubios repas […] Franciscus Josephus Lipp, Medicinae studiosus.« Jacquin, Observationum, Vol. 2 (1767), 32. 910 Vgl. Brief, Ignaz von Born an Jacquin, Altzedlitsch, 20. August 1774, NHM, AfW, Sign Inv. Nr. 28653/91. Zitiert in: Christa Riedl-Dorn, Briefe von Ignaz von Born an N. J. von Jacquin im Archiv der Botanischen Abteilung des Naturhistorischen Museums in Wien. In: Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien 43 (Wien 1987), 66. In einem späteren Brief ist Born entsetzt, dass Kepner alle seine wissenschaftlichen Neigungen für das Theater aufgegeben hatte. Ebda, 68. 911 Vgl. Nikolaus Joseph Jacquin Miscellanea austriaca ad botanicam, chemiam, et historiam naturalem spectantia, cum figuris partim coloratis. 2 Vol. (1778–1778), hier Vol. 1 (Wien 1778), 135: »IV. Fungi quidam subalpine: In itinere alpino ad Schneeberg, quod mense Julio hujus anni 1777 suscepi; comitibus clarissimo Jacobo / Well Historiae naturalis professore, expertissimis Medicinae doctoribus Joanne Jaskiewicz, Paulo Czenpinski, Polonis, & Ignatio Josepho Langmayer, tum filiolo meo Josepho, in undecimo aetatis anno jam tertium summas alpes adscendente, ejusdem praeceptore Nicolao Molitore, & Francisco Scheidl pictore, invenimus in summis umbrosis udisque sylvis. [Auf meiner Hochgebirgsreise zum Schneeberg, die ich im Monat Juli dieses Jahres 1777 unternahm – meine Begleiter waren der ausgezeichnete Jakob von Well, Professor für Naturgeschichte, die anerkannten Doktoren der Medizin Joannes Jaskiewicz und Paul Czenpinski, sowie Ignaz Joseph Langmayer, sodann mein kleiner Sohn Joseph, der in seinem elften Lebensjahr schon zum dritten Male die höchsten Alpengipfel bestieg, und dessen Lehrer Nikolaus Molitor, sowie der Maler Francisus Scheidl – fanden wir in den höchsten schattigen und feuchten Wäldern.]« Eigene Übersetzung.

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hinzugefügt hätte. Solche kurzen Äußerungen über die Ausflüge im Nahbereich von Wien sind in Jacquins Werken hin und wieder bei den Pflanzenbeschreibungen zu finden. Leider verfügen wir über nur wenige Informationen bezüglich der tatsächlichen praktischen Durchführung der Exkursion. Es stellt sich die Frage, ob sie Esel oder Pferde dabei hatten, wie viele einheimische Führer sie begleiteten, wie die Nahrungsversorgung stattfand, ob Essen mitgenommen oder vor Ort bei den Bauern eingekauft wurde. Hütten oder temporäre Unterkünfte für Jäger oder Hirten waren auf diesen Unternehmungen von Botanikern bereits sehr geschätzt, denn in einer Zeit ohne Wettervorhersagen konnte man oft – in unvorhergesehene Gewitterkapriolen geratend – hier Schutz finden. Im Wissenschaftsarchiv des Naturhistorischen Museums in Wien existiert ein Graf Hoyos und Jacquin betreffendes Briefkonvolut, welches jedoch noch unbearbeitet ist. Es verweist jedenfalls auf enge Kontakte zwischen Jacquin und dieser Familie des Hochadels. Das Schneeberggebiet gehörte zum Besitz des Grafen und dieser hatte auf dem Gahns, einem Vorplateau des Schneebergs, ein Jagdhaus,912 den Pürschhof, mit Nebengebäuden errichten lassen.913 Keinem Geringeren als Erzherzog Rainer verdanken wir eine Beschreibung der Hütte: »Der [Pürschhof] besteht in einem hölzernen Haus mit 6 Zimmern, worinnen man zwar Bequemlichkeit, aber nicht hinlänglichen Schutz gegen die gewöhnliche Nachtkälte findet. Sie sind mit uralten vergoldeten Ledertapeten ausspalirt, und mit einigen Tischen und Bänken versehen; hier wohnt beständig ein Jäger, und hier ist auch das gewöhnliche Nachtlager der Botaniker, die die hier herumliegenden an Subalpinen reichen Wiesen und den Schneeberg bereisen.«914

Jacquin sollte später die Ansicht des Pürschhofes sogar auf dem Titelblatt des ersten Bandes seiner »Florae Austriacae« (Wien 1773) verewigen (Abb. 35), was ebenfalls auf die wichtige Station während seiner für die Botanik fruchtbaren Exkursion verweist. Sie kann als Vorläufer einer Feldstation verstanden werden, wie sie später Ende des 19. Jahrhunderts eigens von Wissenschaftlern ver912 Vgl. Karl Leeder, Geschichte des Hauses Hoyos in Österreich. II. Teil (Wien 1914), 431: »Nichts ging aber dem Grafen über das Vergnügen der Jagd, und er widmete sich demselben vorzugsweise auf dem Gahns. Dort hatte er auf einer Lichtung, welche einen Ausblick auf den nahen Schneeberg und weithin auf die Berge gegen N bietet, ein hölzernes Wohnhaus erbaut und zum Teil mit alten, wahrscheinlich dem Schloße Stixenstein entnommenen Tapeten ausgeschmückt.« 913 Vgl. Helga Hühnel, Erzherzoglicher Gipfelstürmer. Handschriftliche Reisenotate Erzherzog Rainers über Expeditionen auf den Schneeberg und in angrenzende Gegenden Anno 1802 und 1805. In: Gerhard Holzer (Hg.) Leidenschaft des Sammelns, Bd. 2 (Wien 2010), 321– 342. 914 ÖNB, HAD, Ser. n. 2023, fol. 9, Erzherzog Rainer: Beschreibung einer Reise auf den Schneeberg, die Schneealpe und nach Neuberg vom 1sten August 1802.

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schiedenster Fächer zur Beobachtung während ihrer Geländearbeit915 eingerichtet wurden.

Abb. 35: Alpenhütte am Vorplateau des Schneebergs, Gahns. Unterkunft Jacquins während seiner Geländearbeit, Titelblatt (N. J. Jacquin, Florae Austriacae, Vol. 1, 1773)

Im Vorwort zu seinem Werk »Florae« bedankte sich Jacquin besonders ergeben bei Graf Hoyos: »Die alpinen Pflanzen lagen mir vor allem am Herzen, welche mir ein hervorragender Maler, ein Begleiter auf meinen alpinen Wegen, in den Alpen selbst fast alle malte. Und hier freilich muss ich speziell und öffentlich einem sehr bedeutenden und sehr großzügigen Mann, Ernst Graf von Hoyos, Grundherr in Horn, Frohsdorf und anderen Orten danken, dem Besitzer der Berge der Schneebergregion, der entsprechend seines großartigen Wohlwollens und seiner Humanität alle jene Begünstigungen zuhauf mir und den Begleitern immer zur Verfügung stellte oder durch seine Leute zur Verfügung stellen ließ, welche die unwillkommene Bedingung des Ortes ertragen konnte: Wie sehr diese Sache freilich imstande ist dem botanischen Zweck zu nutzen, wissen jene, die die Alpen bestiegen haben.«916

Die betreffende temporäre Unterkunft war in den Botanikerkreisen bereits allgemein bekannt. Joseph August Schultes, ein guter Kenner der elitären alpinen 915 Zum Thema Feldforschung siehe: Nielsen, et al. (Eds.), Scientist and Scholars (2012), 9–28; Robert Kohler, Place and Practice in Field Biology. In: History of Science, 40 (2002), 189– 210; Henrika Kuklick, Personal Equations. In: Isis 102, Nr. 1 (2011), 1–33. 916 Nikolaus Jacquin, Florae Austriacae (1777), Präefatio, eigene Übersetzung, siehe Edition.

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Reisemode und Popularisator von Alpenunternehmungen der Intellektuellen, selbst auch Botaniker, gab in seinem Werk »Ausflüge nach dem Schneeberge in Unterösterreich« (Wien 1802) Informationen preis, die Jacquin in seiner Dankeswidmung diskret noch für sich behalten hatte: »Bis zum Bürsthause [Pürschhof] an der Gans beinahe drei Stunden Weges […] Das einzige was man auf diesem Wege nach der Gans, seit die Schwaig am kalten Wasser nicht mehr bewohnbar ist, gewinnt, ist, daß man auf dem Gipfel einer Voralpe bey dem Jäger oder dem Schweitzer, der hier einiges Vieh hält, für einige Discretion in einem schönen Jagdhause, oder in einer Schweitzerhütte wohnen kann. Victualien muß man von Sirning herauf kommen lassen. In diesem Bürsthause wohnten H. v. Jacquin und seine Begleiter auf ihren Excursionen nach dem Schneeberge: der Botaniker hat hier den Vortheil, daß er sich bei oft plötzlich einfallender rauer Witterung doch immer noch auf dem Gipfel einer ansehnlichen Voralpe unter Dach befindet, und daß er hier, selbst bei schlechtem Wetter, manches seltene Pflänzchen vor der Türe findet. In Sirning war ein alter Weber (ich weiß nicht, ob er dieses Jahr 1802 noch lebt) der den Botanikern gerne als Wegweiser diente, und ihnen manches Plätzchen anzugeben wußte, wo seltene Pflanzen oder Insecten vorkamen.«917

An Helfern und Einheimischen, die bereitwillig für Geld lokale Kenntnisse weitergaben und auch selbst als Wegbegleiter fungierten, fehlte es offenbar nicht, doch bestand immer auch trotz all der Rousseau’schen Ansätze Skepsis bezüglich der Verlässlichkeit der Einheimischen. So empfahl Schultes, sich Träger für Mäntel und Wäsche aus Wien mitzunehmen, da die Bauern dafür oft nicht geeignet wären. Einen Gulden Tageslohn würden sie erhalten.918 Wahrscheinlich waren auch Köche und Diener bei diesen Ausflügen dabei, Gasthäuser bzw. bewirtschaftete Hütten für die Verköstigung unterwegs gab es ja noch nicht. »Wer an guten Kaffeh oder Schokolade gewohnt ist, muß denselben mit sich nehmen, und womöglich denselben selbst bereiten können,«919 schlug Schultes vor. Als beste Reisezeit zu diesem Zweitausender, der das Klima eines Dreitausenders aufweist, wurde die zweite Julihälfte bis Septembermitte empfohlen. Man botanisierte hier in den unterschiedlichsten Klimaregionen, von der Tallage bis zu den Gipfelregionen, in denen sich natürlich auch die Pflanzenwelt änderte. Sicherlich war Jacquin fasziniert von der ihm als Flachländler noch so fremden unberührten Landschaft, den variantenreichen Geländeformen, die hier eine erstaunliche Vielfalt an Pflanzenarten zum Vorschein brachten. Sicherlich war er auch begierig, noch nicht bekannte Pflanzen für seine Publikationen zu entdecken. Schon Jacquins berühmter Vorgänger Charles De L’Escluse (Carolus Clusius, 917 Joseph August Schultes, Ausflüge nach dem Schneeberge in Unterösterreich. Ein Taschenbuch auf Reisen nach demselben (Wien 1802), 262. 918 Joseph August Schultes, Ausflüge nach dem Schneeberge (1802), 101. 919 Joseph August Schultes, Ausflüge nach dem Schneeberge (1802), XI.

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1526–1609), der 1574–1577 in Habsburgs Diensten (Maximilians II.) stand,920 wusste dieses Gebiet bereits sehr zu schätzen, wie er in seinem Vorwort schreibt. »So war es mir, der ich seit 1579 von verschiedenen und langen Reisen in Anspruch genommen war, nicht möglich, die Geschichte der pannonischen Gewächse, die ich seit 1574 zu erforschen begonnen hatte, bisher zu Ende zu bringen. Ich will gar nicht reden vom ungünstigen und regnerischen Wetter, welches oft meine Untersuchungen unterbrochen hat und was mich, nachdem ich bis zum Fuß der Alpen und anderer sehr hoher Berge vorgedrungen war, von der Ersteigung der höchsten Bergesjoche (auf diesen mußten die Pflanzen, die zu erforschen ich beabsichtigte, genau unter die Lupe genommen werden) abhielten. Aus diesem Grunde hatte ich beschlossen, den vergangenen Sommer für die Sichtung einiger sehr hoher Bergesjoche (soweit es die klare Witterung erlaubte) zu verwenden, um euch eine vollständigere Darstellung auszuhändigen.«921

Das Einzugsgebiet von Clusius’ »Flora« erstreckte sich von den Tauern, den Judenburger Alpen in der Steiermark bis zum Drau-, Mur- und Raabgebiet, auf Orte, die im Staatsgebiet des heutigen Österreich, Ungarn, Slowenien, Kroatien, und der Slowakei liegen. Auch der Schneeberg hatte es ihm besonders angetan. Clusius’ Leidenschaft gilt eigentlich schon den Alpenpflanzen, von denen er mehr als hundert in sein Werk aufnahm, die meisten stammten aus dem Gebiet des Ötschers (»Etscher«) und des Schneebergs (»Snealben« oder »Sneberg«), zweier Gebirgszüge, die er als Fundplätze häufig nannte und die er wohl als einer der Ersten der Botanik wegen bereiste. Er beschrieb beispielsweise insgesamt die stolze Zahl von zwölf Enzianarten, daran erinnert noch heute eine Art, nämlich Gentiana clusii Perr. & Song (der kalkliebende großblütige Enzian). Clusius wandte hinsichtlich der Standortangaben zwar besondere Sorgfalt auf, nannte aber doch nur die Provinzen, allenfalls einzelne Orte, eben jene, wo er tatsächlich selbst gesammelt hat. Wir können bei einzelnen Pflanzen sogar auch schon Hinweise zur Bodenbeschaffenheit finden, so gab er beim Caryophyllus pumillo (= Silene Wulf.) an, er wachse »solo tenui et arena splendente referto«, also im Glimmerschiefer. Clusius inventarisierte tatsächlich viele Pflanzen, die er selbst der Seltenheit wegen schätzte, die aber auch heute noch zum Bestand ostalpiner Seltenheiten zu zählen sind: Chrysanthemum alpinum Etscherianum (= Senecio abrotanifolius L.), Chamaecistus myrtifolius (= Rhodothamnus chamaecistus (L.) Rb.), Chrysanthemum alpinum I (= Senecio carniolicus Willd.) und wohl am seltensten Chamaepitys Austriaca (= Dracocephalum austriacum L.). Clusius’ Werke bedeuteten für einen Alpenbotaniker, wie es Franz Xaver 920 Carolus Clusius, Rariorum aliquot stirpium per Pannonium, Austriam et vicinas quasdam Provincias observatarum Historia [Erforschung einiger seltenerer, in Ungarn, Österreich und gewissen benachbarten Provinzen beobachteter Wurzelgewächse] (Antwerpen 1583). 921 Clusius, Rariorum aliquot stirpium (Antwerpen 1583), Vorwort, eigene Übersetzung.

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Wulfen war, so etwas wie eine Bibel. Auch Jacquin wusste wohl alleine schon aus Kenntnis dieses Werkes die Einzigartigkeit des Schneebergs für die Botanik zu schätzen. Aber das reichte ihm nicht, er wollte selbst die Erfahrung machen. Mindestens einmal pro Jahr besuchte Jacquin diesen Gebirgsstock, und dies über einen großen Zeitraum hindurch.922 Über Jacquins Konstitution ist uns nichts bekannt, 1777 war er immerhin bereits fünfzig Jahre alt, was für die damalige Zeit schon ein beachtliches Alter für diese alpinen Expeditionen darstellte. Im Vergleich zu ihm wurde sein späterer Schüler Thaddäus Haenke als ein ausdauernder Fußgänger und ein waghalsiger Bergsteiger beschrieben, der für seine Lieblingswissenschaft, die Botanik, die gefährlichsten Pfade betrat, um Pflanzen zu finden, die ihm für seine Sammlung wichtig erschienen.923 Über Jacquin wurde diesbezüglich nichts kolportiert. Er könnte sich wohl auch stets gütiger Helfer bedient haben, die ihm die Last des Steigens auch zwischendurch abnahmen. Wir wissen aus zeitgenössischen Schilderungen, dass Diener oder Burschen gerne mitgenommen wurden, um das Sammeln an schwer erreichbaren Stellen an sie zu delegieren. So bemerkte Sigismund von Hohenwart, der als Begleiter Franz Xaver Wulfens gerne botanisierend im alpinen Gelände unterwegs war : »Und die Kälte war an diesem Tage so außerordentlich, dass der Bediente es nicht über fünf Minuten aushalten konnte, weil ich ihn die Steilwände hinabklettern ließ, um einige Schlüsselblumen, die da sehr häufig und in schönster Blüte waren, abzupflücken.«924 Jacquin hatte sicher die Möglichkeit und auch das nötige Kleingeld zur Verfügung, die steilsten Bergpassagen auf dem Rücken eines Pferdes oder Lasttieres hinaufgeführt zu werden, jedoch finden sich darüber keine dokumentierten Hinweise. Leider ist auch über die Ausrüstung wenig bekannt. Schultes plädierte für warme Kleidung, nicht nur für den Fall eines plötzlichen Wetterumsturzes, sondern auch besonders wegen der feuchtkalten Täler. Diese Ratschläge zeigen, dass es noch keine Selbstverständlichkeit war, die Alpen zu besteigen, und erst wenige Menschen dieser Leidenschaft anhingen. Linn8, dessen Werke Jacquin stets bei sich führte oder zumindest genauestens kannte, gab in seiner »Philosophia botanica« für Exkursionen generelle Verhaltensmaßregeln und empfahl leichte, aber dauerhafte Kleidung, weite leinene lange Hosen, ein leinenes Reisehemd, einen kurzen Rock. Die dünnen Hosen sollten von den Weichen bis zu den Fersen reichen. Leichte schattengebende Kopfbedeckung oder Sonnen-

922 Vgl. Nikolaus Joseph Jacquin, Miscellanea, Vol. 2 (1781/82), 42; Joseph Franz Jacquin, Universitätsgarten (1825), 43. 923 Vgl. Josef Kühnel, Thaddäus Haenke (München 1960), 30. 924 Sigismund von Hohenwart, Fragmente zur mineralogisch und botanischen Geschichte Steyermarks und Kärnthens. 1. St. (Klagenfurt / Laibach 1783), 13.

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schirm, leichte, aber gut mit Nägeln beschlagene Schuhe, das alles schien notwendig zu sein. Als wichtigste, unverzichtbare Utensilien wurden Botanikernadel, Botanikermesser, Schreibblei, gebündeltes Papier ; Kapsel mit Insektennädelchen, Dillenische Dose (Vasculum dillenianum) in den meisten botanischen Lehrwerken dieser Zeit genannt. Was hatte es mit Letzterer auf sich? Es scheint sich hier um die Urform der Botanisierbüchse925 zu handeln, die erst in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts üblich wurde und ab dieser Zeit zum Attribut des Botanikers avancierte. Im 18. Jahrhundert wurden Botaniker mit Pflanzen, Lupe, wissenschaftlichen Büchern oder auch dem Mikroskop abgebildet, nie aber mit dieser Büchse oder Dose. Noch 1778 schreibt Roth in seiner »Anweisung, Pflanzen zum Nutzen und Vergnügen zu sammeln«926 lediglich von einem kleinen Korb, in welchem man die gesammelten Pflanzen nach Hause trug. August Batsch riet den Botanikern 1787, einen Sack oder geflochtenen Korb zu verwenden, um die Pflanzen so frisch wie möglich nach Hause bringen zu können, denn »in den Händen getragen verwelken sie. Man kann sich auch einer blechernen Büchse bedienen, die wie ein Buch geformt, und sowohl an dem runden Rücken, als an einer schmalen Seite, durch eigene Deckel geöfnet [!] und geschlossen wird.«927 Um 1850 schließlich hieß es dann schon: »Gut und bequem ist es allerdings, wenn man im Besitze einer sogenannten Botanisierbüchse [ist], wie man sie jetzt allenthalben sehen kann. Die Pflanzen welken darin lange nicht so schnell, als wenn wir sie in der Hand tragen.«928 Dagegen kritisierten einige Sammler, dass die Pflanzen in der blechernen Büchse zwar frischer blieben, sie aber unbequem war und durch das Hin- und Herschütteln die Blüten leicht auseinanderfielen.929 Ein ganz besonderer Alpenreisender, der die Alpen zu seiner botanischen Forschungsstätte gemacht hatte, war der in Klagenfurt lebende Exjesuit Franz Xaver Freiherr von Wulfen (1728–1805), der ab 1772 auch in Jacquins Sammelwerken publizieren konnte. Während seines 42-jährigen Aufenthalts in Klagenfurt hatte er von dort aus mehr als 60 Alpenreisen unternommen. Von einem bei den Piaristen tätigen Pädagogen stammt die zeitgenössische Beschreibung seiner Praxis: »Bei all seinen botanischen Exkursionen untersuchte Wulfen gleich an der Geburtsstelle die frischen Pflanzen, legte sie, und setzte ihre Beschreibung in die zu diesem 925 Vgl. Günther Schmid, Geschichte der Botanisierbüchse. In: Fritz Knoll (Hg), Österreichische Botanische Zeitschrift Bd. 85 (Wien 1936), 140–150. 926 Albrecht Wilhelm Roth, Anweisung für Anfänger Pflanzen zu sammeln (Gotha 1778), 57f. 927 August Johann Batsch, Versuch einer Anleitung zur Kenntnis und Geschichte der Pflanzen für academische Vorlesungen entworfen. 1. Theil (Halle 1787), 324. 928 Eduard Schmidlin, Anleitung zum Botanisiren (Stuttgart 1846), 39. 929 Vgl. Anton B. Reichenbach, Neuester Orbis Pictus (Leipzig 1851), 731.

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Zwecke mitgenommenen Hefte; zu Hause schrieb er sie erst ins Reine, und schrieb zu jeder musterhaften Beschreibung die Synonimie, und die Citate der Autoren… .«930

Es ging darum, der Pflanze an Ort und Stelle habhaft zu werden, sie ebendort zu dokumentieren, die Beobachtungen aufzuzeichnen und bestenfalls sogar selbst zu zeichnen (Abb. 36).

Abb. 36: Botaniker, zeichnend im Gelände, Frontispiz (H. J. N. Crantz, Stirpium Austriacarum, 1769)

Für die Exkursion brauchte man neben der Bereitschaft doch auch eine besondere Konstitution. Auch die ansonsten bewährte Alltagskleidung fand ihre Adaptionen: »Nicht minder bewundernswürdig war seine körperliche Geschicklichkeit, Behändigkeit und Leichtigkeit bei Fußreisen auf Bergen und Alpen. Es ist unglaublich, wie leicht er über die steilsten und schroffsten Felswände kletterte: die Träger und die geübtesten Bergsteiger ließ er, ungeachtet er jeden Felsen fleißig aufsuchte […] weit hinter sich zurück. Beim Botanisieren behielt er meist seinen Talar am Leibe, den er unten herum aufschürzte, unter dem Talar trug er weite starke schwarzlederne Beinkleider, schwarze Hamburger Socken und starke Rahmenschuhe. In großer Sommerhitze zog er den Talar aus, zog dann ein weißes Leibchen an, und setzte eine weiße Haube auf den Kopf; darum nannten ihn die Bauern den weißen Mann […] Die 930 Michael Kunitsch, Biographie des Franz Freyherrn v. Wulfen (Wien 1810), 13.

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Pflanzen legte er dann meist in seinen Hut, den er unter dem Arm trug, oder in zusammengenähte Hefte von Flußpapier [Löschpapier].«931

Nach der Rückkehr von solchen Exkursionen begann die Auswertung und Einordnung des Gesammelten. Der Briefverkehr mit den Tauschpartnern und botanischen Ansprechpartnern wurde intensiviert, diese Verbindungen waren für den Botaniker lebenswichtig, um Vergleiche ziehen zu können, Antworten auf Fragen zu finden, sich fachlichen Auseinandersetzungen zu stellen, die aber auch zu Verstimmungen zwischen den Briefpartnern führen konnten. Jacquin war an einer in der Scientific Community geteilten Bestimmung der in seinen Illustrationswerken beschriebenen Pflanzen interessiert. Er wies z. B. dabei auf Gemeinsamkeiten und Abweichungen gegenüber den Schriften Albrecht von Hallers und Carl von Linn8s hin und bat beide um ihre Stellungnahme. Neuerscheinungen in ihrem Fachgebiet, die Bekanntmachung eigener Werke, Versendung von Naturalien, Herbarbelegen, Samen etc. bilden den Hauptinhalt der Korrespondentenpost, in der Alpenpflanzen auch ihre prominente Rolle spielten. Die meisten der »österreichischen« Pflanzen und auf Reisen gesammelten Alpenpflanzen beschrieb Jacquin in einem fünfbändigen Werk, in seiner »Florae Austriacae«,932 erschienen von 1773–1778. Philipp Andreas Nemnich bezeichnete eine »Flora« in seinem »Allgemeinen Polyglotten-Lexicon der Natur-Geschichte« (1793) als Fachterminus, der »das Verzeichniss der in einem Lande, oder in einer Gegend einheimischen Pflanzen«933 umschreibe. Als Titel wurde die Bezeichnung »Flora« seit dem 17. Jahrhundert für botanische Werke langsam gebräuchlich, unseres Wissens erstmals in der »Flora sinensis« (Wien 1656), einer Publikation des in Lemberg (Lwiw) geborenen Jesuitenpaters Michael Boym (1612–1659), der 1643–1652 Indien und China bereist und erstmals viele in China heimische Pflanzen (u. a. den Litschibaum, Litchi sinensis Sonn. = Li Ci) in Europa bekannt gemacht hatte. Beliebter waren in dieser Zeit die Bezeichnungen »Hortus«, »Catalogus«, »Pinax«, »Descriptio« und »Historia«, ehe sich der Begriff »Flora« allgemein im 18. Jahrhundert durchsetzte. Die Epoche kann als erste Blütezeit der großen Florenwerke angesprochen werden. Städte, größere Gebiete, Länder, Staaten, ja ganze Kontinente werden zur geographischen Basis, für die ein Register der auf sie bezogenen Pflanzen erstellt wird. Welches Territorium war mit Jacquins Titel gemeint? Dass Jacquin den Begriff »Österreich« heranzieht, wenn er das Erzherzogtum Österreich (= Ober- und Niederösterreich) adressiert, geht aus 931 Michael Kunitsch, Biographie des Franz Xaver Freyherrn v. Wulfen (Wien 1810), 17. 932 Nikolaus Jacquin, Florae Austriacae (1773–1778). Siehe Literaturverzeichnis. 933 Philipp Andreas Nemnich, Allgemeines Polyglotten-Lexicon der Natur-Geschichte (Hamburg 1793).

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dem Titel des Werkes hervor. In dieser Zeit vollzieht sich aber die Ausdehnung des traditionell historisch-geographischen Bedeutungsgehaltes von »Österreich« auf die übrigen deutschen Erbländer. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts können wir sogar ein Nebeneinander von mindestens drei unterschiedlich aufgefüllten »Österreich«-Begriffen konstatieren. Der Lemberger Professor für Polizey- und Kameralwissenschaften Joseph Rohrer (1769–1828) thematisierte diese im Laufe des 18. Jahrhunderts erfolgte Akzentverschiebung und erläuterte, dass man mit dem Namen »den österreichischen Staat überhaupt«, dann nur dessen westliche Teile ohne Böhmen und schließlich »nur Österreich«, die Länder ob und unter der Enns (Nieder- und Oberösterreich) meinen könne.934 Die Vorstellung einer »österreichischen Nation«, wie sie nach 1945 bedeutend wird, existiert jedenfalls noch nicht. Dennoch hat der Bezug Jacquins auf diese räumliche Entität auch eine politische Bedeutung: Er deklarierte Jacquins Zugehörigkeit zu diesem politischen Gebilde öffentlich. Die Intellektuellen des 18. Jahrhunderts strapazierten im internationalen Austausch gerne die Bezeichnung »österreichisch« im Sinne der Zugehörigkeit zu einer Herrschaft, nämlich dem »Hause Österreich«. Die dynastisch-patrimonial geformte Wortkonstruktion »Haus Österreich« dient den Habsburgern seit dem 14. Jahrhundert als Familienname, der ein kompliziertes Konglomerat von verschiedenen Territorien zu verbinden trachtete und auch alle Wechselfälle der Geschichte zu überdauern vermochte. Allenfalls waren es die verkürzten diplomatischen Umgangsformen, die gerne den Singularbegriff »Österreich« oder »österreichisch« bemühten, wenn sie den Gegensatz zu anderen europäischen Staaten im internationalen Aktionsgeflecht ansprachen. An diese Praxis lehnte sich Jacquins Verwendung des Art-Epithetons »austriacus« bei Pflanzen und Herbarbelegen, die durchaus nicht nur im Gebiete Niederösterreichs, sondern auch in Ungarn, in Kärnten oder in Krain (heute Slowenien) und besonders im Alpengebiet vorkamen. Gesammelt wurden sie von Gewährsleuten, z. B. von Paul Kitaibel (1757–1817), Franz von Mygind, Taddäus Haenke, Franz Xaver Wulfen, und durch Jacquins Vermittlung gelangten sie an Linn8 nach Uppsala. Dass Jacquin generös und häufig auf die Art-Bezeichnung »austriacus« zurückgriff, beweisen die zahlreichen von ihm vergebenen Artnamen in Erstbeschreibungen, die bis heute Bestand haben. Jacquin war diesbezüglich nicht der Erste: Schon Clusius hatte das Art-Epithethon »austriacus« in ein botanisches Werk eingeführt und gebrauchte es für Arten, deren Standort er beispielsweise mit Rodaun oder Baden angab, eben 934 Grete Walter-Klingenstein, Was bedeuten »Österreich« und »österreichisch« im 18. Jahrhundert. Eine begriffsgeschichtliche Studie. In: Was heißt Österreich? Inhalt und Umfang des Österreichbegriffs vom 10. Jahrhundert bis heute (= Archiv für österreichische Geschichte 136, Wien 1995), 149–220, hier 153.

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»austriacus« im Sinne des geographischen Raumes, dem »Erzherzogtum Österreich.« Er bezog sich auf den rechtlichen Begriff, die Länder ob und unter der Enns umschließend, aber ebenso auch für Pflanzen, die er in »Pannonien« und auch im Gebiet um Wien verortete. Offenbar nutzte er den Terminus im geographischen Umfang jener Territorien, die unter dem Begriff der habsburgischen Stammlande und dem Haus Österreich subsumiert wurden. So notiert er bezüglich Aster linosyris (L.) Bernhard (= Goldschopf): »Osyris austriaca, inveni et multis Pannoniae locis.«935 Jacquin wählte für seine »Florae« nicht zufällig Georg Christian Oeders »Flora danica« (Kopenhagen 1761–1817), das wohl prächtigst ausgeführte Projekt am Markt, als Vorbild. Jacquin hat für seine ebenfalls kostspielig gedruckte »Florae« keinen Verleger finden können und ließ den ersten Band auf eigene Kosten drucken. Geplant waren insgesamt 300 österreichische Pflanzendarstellungen, in Abhängigkeit von einer positiven Resonanz beim Publikum. Kein Geringerer als der damals berühmteste Forscher der Alpen, Professor Horace-B8n8dict de Saussure aus Genf, soll Jacquin zu einer Fortsetzung aufgefordert haben, wobei dieser daran dachte, einen Schweizer Beitrag zu leisten. Mit der Schweiz hatte ja die Alpenbegeisterung begonnen, ja sie wurde auch sehr oft mit der Schweiz gleichgesetzt. In der »Florae Austriacae« und in seinem »Hortus Vindobonensis« nahm Jacquin eine Arbeitsteilung vor, hier die einheimischen Pflanzen, dort die fernen fremden. Dass dabei die Alpenreisen eine besondere Rolle für die Entstehung dieses Florenwerkes spielten, beweist einmal mehr eine Stelle aus Jacquins Vorwort, in der der hohe Aufwand seiner Alpenreisen ins Kalkül gestellt wurde: »[…] stelle ich auf eigene Kosten der dänischen Flora die erste Zusammenfassung Österreichs gegenüber, vollgestopft mit sehr geschmackvollen und seltenen Pflanzen, die in größerem Umfang, und wie sie die ganze Kultur wiedergeben, außerhalb des Ursprungsortes lebendig die Botaniker nicht sehen können, und es wird ihnen nicht oft möglich sein, sie an diesem Ursprungsort selbst ohne unangebrachte Anstrengungen und Gefahr für die Gesundheit zu betrachten.«936

Wie erfolgreich Jacquin in seiner Arbeit war, belegt die Liste der Erstbeschreibungen, die auf ihn zurückgehen und die heute noch anerkannt sind.937 Hatte 935 Clusius, Rariorum stirpium (1583), 310. 936 Nikolaus Joseph Jacquin, Florae (1773); Präfatio, eigene Übersetzung, siehe Edition. 937 Silene acaulis (L.)Jacq. (Kalk-Polsternelke), Euphorbia angulata Jacq. (Kanten-Wolfsmilch), Euphorbia carniolica Jacq. (Krainer Wolfsmilch), Euphorbia saxatalis Jacq. (FelsenWolfsmilch), Thalictrum elatum Jacq. (Hügel-Wiesenraute), Adonis flammae Jacq. (Scharlach-Teufelsauge), Sisymbrium austriacum Jacq. (Österr. Rauke), Arabis pumila Jacq. (Niedrige Gänsekresse), Draba stellata Jacq. (Sternhaar-Felsenblümchen), Coringia austriaca (Jacq.) Rchb. (Österr. Ackerkohl), Helianthemum alpestre (Jacq.) DC. (AlpenSonnenröschen), Viola alpina Jacq. (Alpen-Stiefmütterchen), Hypericum barbatum Jacq.

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Clusius einige Pflanzen zu verzeichnen, die er beschrieb und einige, die ihm gewidmet wurden (Primula Clusiana Tausch (Clusius-Schlüsselblume), Doronicum Clusii (All.) Tausch (Clusius’ Gemswurz), Achillea Clusiana Tausch (Clusius-Schafgarbe), so übertraf Jacquin alle anderen Botaniker, die in diesem Großraum tätig waren.938 Jacquin zollte auch seinem großen Vorläufer seine besondere Achtung, indem er ihm eine Potentilla (Potentilla Clusiana Jacq., das Clusius-Fingerkraut), widmete.

(Bart-Johanniskraut), Saxifraga Aizoon Jacq. (Trauben-Steinbrech), Potentilla Clusiana Jacq. (Clusius-Fingerkraut), Pirus nivalis Jacq. (Schnee-Birne), Crataegus monogyna Jacq. (Einkern-Weißdorn), Astragalus austriacus Jacq. (Österreichischer Tragant), Anthyllis Jacquinii Kerner (Österr. Wundklee), Ononis hircina Jacq. (Bock-Heuhechel), Medicago prostrata Jacq. (Liegende Luzerne), Linum alpinum Jacq. (Alpen-Lein), Polygala major Jacq. (Große Kreuzblume), Rhamnus saxatilis Jacq. (Felsen-Kreuzdorn), Hacquetia Epipactis (Scop.) DC. (Grüne Schaftdolde), Seseli Hippomarathrum Jac. (Pferde-Bergfenchel), Silaum selinoides (Jacq.) Beck (Gewöhnliche Wiesensilge), Meum athamanticum Jacq. (Echte Bärwurz), Heracleum elegans (Crantz) Jacq. (Berg-Bärenklaue), Ipomoea hederacea (L.) Jacq. (Efeu-Trichterwinde), Echium rubrum Jacq. (Roter Natterkopf), Cynoglossum germanicum Jacq. (Wald-Hundszunge), Euphrasia minima Jacq. (Zwerg-Augentrost), Orobanche purpurea Jacq. (Violette Sommerwurz), Salvia austriaca Jacq. (Österreichischer Salbei), Genziana pumilla Jacq. (Niedriger Enzian), Galium austriacum Jacq. (Österreichisches Labkraut), Valeriana elongata Jacq. (Ostalpen-Baldrian), Scorzonera parviflora Jacq. (Salz-Schwarzwurzel), Saussurea pygmaea (Jacq.) Spreng. (Zwerg-Alpenscharte), Carduus Personata (L.) Jacq. (Kletten-Distel), Cirsium rivulare (Jacq.) All. (Grau-Distel), Homogyne discolor (Jacq.) Cass. (Filz-Brandlattich), Doronicum austriacum Jacq. (Österreichische Gemswurz), Anthemis austriaca Jacq. (Österreichische Hundskamille), Chrysanthemum atratum Jacq. (Schwarzrand-Wucherblume), Artemisia austriaca Jacq. (Österreichischer Beifuß), Allium suaveolens Jacq. (Wohlriechender Lauch), Allium multibulbosum Jacq. (Zwiebelreicher Lauch), Polygonatum latifolium (Jacq.) Desf. (AuenWeißwurz), Juncus compressus Jacq. (Platthalm-Simse), Juncus monanthos Jacq. (Einblütige Simse), Juncus Jacquinii L. (Gemsen-Simse), Cyperus pannonicus Jacq. (Salz-Zypergras), Puccinellia distans (Jacq.) Parl. (Gewöhnlicher Salzschwaden), Sesleria varia (Jacq.) Wettst. (Kalkblaugras), Orchis palustris Jacq. (Sumpf-Knabenkraut), Oxalis dillenii Jacq. (Dillenius-Sauerklee), Bupleurum jacquinianum Jord. (Südliches Hasenohr), Geum aleppicum Jacq. (Steife Nelkenwurz), Hieracium villosum Jacq. (Zottiges Habichtskraut), Scorzonera parviflora Jacq. (Kleinblütige Schwarzwurzel), Bryonia dioica Jacq. (Rotfrüchtige Zaunrübe), Campanula alpina Jacq. (Alpen-Glopckenblume), Crepis Jacqinii Tausch (Jacquins Felsen-Pippau), Crepis pannonica (Jacq.) Koch (Ungarischer Pippau), Bupleurum jacquinianum Jord. (Südliches Hasenohr). 938 Die obige Liste entstammt folgendem Artikel: Marianne Klemun und Manfred A. Fischer, Von der »Seltenheit« zur gefährdeten Biodiversität (Aspekte zur Geschichte der Erforschung der Flora Österreichs). In: Neilreichia 1 (2001), 85–131. Sie wurde von Prof. Fischer zusammengestellt.

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VI. 4. Mineraliensammlung – »the most splendid specimens« in Vienna Im Unterschied zu den bereits besprochenen Räumen des Wissens, dem botanischen Garten und dem chemischen Labor, führte Jacquins Mineraliensammlung direkt zu keiner Publikation, sie war aber dennoch für seinen Wissenserwerb und Unterricht von zentraler Bedeutung. Mineralien dienten in einer Sammlung der Betrachtung, ermöglichten ihre Unterscheidung wie auch ihre Einordnung in einen systematischen Zusammenhang, wie es Johann Friedrich Henkel etwa im Jahre 1769 charakterisierte.939 Bereits bevor Jacquin 1764 nach Schemnitz als Professor beordert worden war, hatte er sich für das »Mineralreich« interessieren müssen, denn wie für die Professur war auch für das Aufsammeln von »Mineralien« während seiner Karibikexpedition diesbezügliche Kenntnis erforderlich. Denn einschlägiges Wissen geht stets dem erfolgreichen Sammeln voraus, wie es Emma Spary und Anke te Heesen mit ihrer Formulierung »Sammeln als Wissen«940 ausdrücken. Jacquins Vorbereitung für seine Karibikexpedition fand in der kaiserlichen Naturaliensammlung statt und auch eine Exkursion nach Idria (heute Slowenien), dem berühmtesten Quecksilberbergwerk der habsburgischen Monarchie, nutzte er, um dort Mineralien zu erwerben. Später halfen ihm seine alten Beziehungen, wie beispielsweise zu seinem Lehrer Gaubius, um durch Tausch seine Sammlung aufzubauen.941 Eine Sammlung war stets multifunktional, ohne sie gab es keine Beschäftigung mit der »Mineralogie«, ohne sie existierte auch kein Erwerb mineralogischen Wissens sowie keine Ordnung des ganzen Mineralreiches. Ferner fungierte eine solche Sammlung auch als Statussymbol und als Tauschobjekt, das den Besitzer mit Gleichgesinnten in Verbindung bringen sollte. Mit den Oberbegriffen »Mineral« und »Mineralogie« war alles eingeschlossen, was dem dritten Reich der Natur entstammte: »Ein Mineralien-Kabinet ist eine Sammlung von allen Mineralischen Körpern, so viel möglich, und deren Productis, welche nach einer gewissen Ordnung darinnen rangiert sind,«942 meinte Zedler ganz allgemein und verwies damit auf die wichtigste Dimension, die eine Sammlung auszeichnete, die Ordnung. Differenziert konnte nach unterschied939 Johann Friedrich Henkel, Kleine mineralogische und chemische Schriften (1744, Wien / Leipzig 17692), Vorrede, o. S. 940 Anke te Heesen und Emma C. Spary, Sammeln als Wissen. In: Anke te Heesen und Emma C. Spary (Hg.), Sammeln als Wissen. Das Sammeln und seine wissenschaftliche Bedeutung (Göttingen 2001), 7–21. 941 Der Briefwechsel mit Gaubius belegt es. Siehe dazu: Gaubius an Jacquin, 15. September 1764, Den Haag, KB, 78 F 8, nr.A.a.4. 942 Johann Heinrich Zedler, Grosses vollständiges Universal-Lexicon (Leipzig 1739), hier Bd. 22, 1375.

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lichsten Prinzipien werden, nach ästhetischen Kriterien, nach den Gebirgsarten, nach den topographischen Bezügen (Fundstellen), dem ökonomischen Nutzen und nach wissenschaftlicher Klassifikation. Die Ausformung dominanter Klassifikationssysteme ging einher mit der Zunahme an Sammlungen. Diese nahmen sowohl an den Höfen wie auch im interessierten Bürgertum als Privatsammlungen, den ersten sich formierenden Wissenschaftsgesellschaften und dem 1753 eröffneten Museum in London Kontur an. Sie waren zugleich Ausdruck von Leidenschaften wie auch von wissenschaftlichen Ambitionen. Langsam entwickelte sich neben dem Austausch zwischen den Interessierten auch ein Markt für Mineralien. Steinschleifer siedelten sich in der Nähe berühmter Abbauorte an und sorgten für den Verkauf dieser Stücke an interessierte Besucher und Reisende. So unterschied Rudolph 1766 bereits zwei Typen von Sammlern. Im ersten Fall »besitzt man Mineralien, nur um sie zu haben, ohne einige Erkenntniß von ihnen zu haben, und sie zur Noth manchen sehen zu lassen.« Dann gab es zweitens jene Sammler, die »zu einem eigenen Gebrauche als Bergmann, als Medicus, als Oeconomus, als Lehrer, bei der Unterweisung anderer«943 Sammlungen betrieben. Der Ausbau einer bestehenden Kollektion erfolgte also nicht nur durch die Aufsammlung von Seiten der Protagonisten selbst, sondern eher durch Ankauf und am stärksten durch den Austausch, wodurch auch die konnektive Funktion der Mineralien in der Welt der Interessierten und Experten eine große Rolle spielte. In der Skala jener Professionen, die sich einer Mineraliensammlung bedienten, um ihr Wissen zu erweitern, standen Eliten der Bergverwaltung an der Spitze. »Was ein Liebhaber von denen Bergwercks-Wissenschafften zuerst vornimmt, ist, daß er allerhand Arten von Mineralien und Ertzt-Stuffen [!] sammlet, selbige betrachtet und kennen lernet. Dieses geschiehet zwar von denen meisten aus einer Curiosität, allein, wenn diese Bemühung ordentlich und vollständig mit einer guten Ueberlegung unternommen wird, so ist es der erste Grund-Stein, welcher hierinnen kann geleget werden, und wird die Minerolog[i]e genennet, selbige ist eine Wissenschaft, alle Ertzte zu erkennen.«944

Mineralien und Bergwerkswissenschaften wurden von den Zeitgenossen als sehr nahe aneinander gebundene Wissenszweige verstanden. Wir entnehmen diesen obigen Zeilen, dass die Landschaft des Wissens jenseits der späteren Disziplingenese geordnet war, indem sie die Bergwerkswissenschaften unabhängig von der Mineralogie als eigenen Zweig erst langsam entwickeln ließ. Jedenfalls 943 Daniel Gottlob Rudolph, Hand-Buch oder kurze Anweisung wie man Naturalien-Sammlungen mit Nutzen betrachten soll (Leipzig 1766), 425. 944 Johann Friedrich Henkel, Kleine Minerologische und Chymische Schriften (Dresden / Leipzig 1744), Vorrede.

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schien eine Mineraliensammlung für die Ausbildung im Bergwesen zentral. Auch wenn das Dekret des Münz- und Bergwesens in Wien für Schemnitz erst nach Jacquins Weggang formuliert wurde, zeigt es die Richtung an, was der Professor für Metallurgie und Chemie zu lehren hatte und was auch schon zu Jacquins Zeiten eine Rolle spielte. Der Fragenkatalog enthielt 34 Fragen und überwiegend mineralogische Aufgaben. An der Spitze stand die Frage: »1. Was lehret die Mineralogie, und was ist e[i]n systematisches Lehrgebäude? 2. Welches Mineralsystem haben sie angenommen, und welche sind die Vortheile, die uns diese Abtheilung verschaffet? 3. Was ist eine Erdart…«.945 Die Entwicklung der Erdwissenschaften, besonders jene auch der sich im 18. Jahrhundert ausformenden Geologie, wird in der Wissenschaftsgeschichte seit zwei Jahrzehnten nicht getrennt von jener des Bergwesens und der Montanistik gesehen.946 In Bergakademien wurden als Lernort auch Mineraliensammlungen eingerichtet. Für die Sammlung an der Akademie in Freiberg hatte Zimmermann bei ihrer Gründung gemeint, dass es keine Schwierigkeit darstelle, eine solche in einem Bergort zu errichten: »Was […] das Mineralien-Cabinet anbetrifft, so wird es nicht Noth haben, solches in einem Lande, wo Bergwercke gebauet werden, in einen vollkommenen Stand zu sehen; an den einheimischen Stuffen und Ertzt-Arten ist doch das meiste gelegen, die ausländischen aber sind durch Correspondenz, Tausch und Verschenkung, gegen unsere einheimische Seltenheiten ohne Geld-Ausgabe zu bekommen.«947

Während in Freiberg die Mitbegründer der Bergakademie, Friedrich Anton von Heynitz und Friedrich Wilhelm von Oppel, bereits einen Grundstock der Mineraliensammlung durch Schenkungen erwirkten, scheint Jacquin in Bezug auf Schemnitz auf sich selbst gestellt gewesen zu sein. Freilich war auch hier die Tatsache gegeben, dass es an Seltenheiten aus den nahen Bergrevieren nicht mangelte. Schemnitz war bereits seit Jahrzehnten in Europa für diese Mineralschätze bekannt. Der englische Arzt Edward Brown hatte sie beispielweise auf seiner Reise 1669 bewundert und sich mit Belegstücken eingedeckt: »Da [Schemnitz] werden auch in diesem Berg Minen gefunden, Chrystallen, Amethysten, ein Gemeng von Amethyst spürt man in den Spalten der Steinfelsen, und bisweilen ist es gar nahe bey der Bergwercks-Erde. Man findet dort auch Vitriol, welches wunderbarlich in unterschiedlichen diesen Berg-Adern crystallisirt ist, die 945 Dekret des Berg- und Münzwesens Direkzions-Hof-Kollegiums. Wien, 17. November 1770. In: Franz Anton Schmidt (Red.), Chronologisch-systematische Sammlung der Berggesetze der Österreichischen Monarchie. 2. Abt. Königreiche Ungarn, Kroatien, Dalmatien, Slavonien und Grossfürstenthums Siebenbürgen, 1768–1774, Bd. 13 (Wien 1836), 279f. 946 Siehe dazu etwa: Martin Guntau, The Natural History of the Earth. In: Nichols Jardine et al. (Eds.), Cultures of Natural History (Cambridge 1996), 211–229. 947 Carl Friedrich Zimmermann, Ober-Sächsische Berg-Academie, 2 Bde. (Dresden / Leipzig 1746), 37.

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datzumahl Herrn Jacobo Schwiboda, einem Apotheker, in dessen Haus ich zur Herberge lag, zugehörten, der mich mit einer Menge seltsamen Mineralien beschenckte.«948

Schemnitzer Belegstücke waren in den Kreisen der mineralogisch Interessierten nicht nur beliebt, sondern in den Mineralienkabinetten ganz Europas vertreten. So hatte z. B. auch Ignaz von Born, zum Zeitpunkt als er als Bergrat in Prag tätig war und bereits über eine ansehnliche Sammlung verfügte,949 1769 beschlossen, »in Schemnitz einige Sammlungen von allen dortigen Ertzten zu machen.«950 Und er kündigte seinem Briefpartner an, »sodann Derosselbten mit einer dergleichen Kollektion aufzuwarten die Ehre«951 zu haben. Borns wissenschaftliche Beschreibung seiner Kollektion952 kam erst später heraus, auf sie konnte sich Jacquin zum Zeitpunkt seiner Tätigkeit in Schemnitz noch nicht beziehen. Alle bereits angesprochenen Funktionen einer Mineralienkollektion – der Wissenserwerb, Klassifikation, Bezug zur Ökonomie, Statussymbol, Ästhetik, Wissensvermittlung und Kommunikationsglied – hatten wohl auch gemeinsam für Jacquins Motivation eine Rolle gespielt. Was zunächst noch freiwillig das Privatinteresse antrieb, wurde mit der Übernahme der Professur für Chemie und Metallurgie in Schemnitz zum Muss: Eine Mineraliensammlung bildete den Ausgangspunkt für den Unterricht, diese musste sich Jacquin aber privat organisieren. Welche Anforderungen waren an eine solche Kollektion gestellt worden? Als Kriterien für eine solche gut angelegte Kollektion galten nach Rudolph folgende vier Aspekte: »1. Wenn man sie so verbindet, wie die Natur stufenweise zu gehen pflegt, 2. Wenn dabey ein wohlgerathenes Mineralsystem zum Grunde gelegt wird, 3. Wenn sie in der Ordnung gesammlet werden, wie die Natur in einem Gebürge zu arbeiten pflegt, 4. Wenn man die ganz Folge der Arbeit und der Veränderungen von Anfange bis zum

948 Edward Brown, Auf genehmgehaltenes Gutachten und Veranlassung der kön. Engell. Medicinischen Gesellschaft in London durch Niederland, Teutschland, Hungarn, Servien, Bulgarien, Macedonien, Thessalien, Österreich, Steuermark, Kärthen, Carniolen, Friaul etc. gethane gantz besondere sonderbare Reisen (Nürnberg 1711), 171. 949 So schrieb Joseph von Sonnenfels an Klotz: »Sein [Borns] Lieblingsstudium ist die Naturlehre, worinnen er eine weitläufige Kenntnis hat, und besonders in dem Theile des Steinreichs: er besitzt in Prag, wo er wohnet, eine ansehnliche und kostbare Sammlung, welche sich auf alle Theile des mineralischen Reichs, und alle Arten von Versteinerungen erstreckt.« Brief vom 21. Jänner 1769, zitiert nach Dolf Lindner, Ignaz von Born, Meister der Wahren Eintracht (Wien 1986), 28–29. 950 Ignaz von Born an Daniel Gottfried Schreber, Brief, Prag, 6. März 1769. In: Jirˇi Beran, Die Briefe Ignaz von Borns an D. G. und J. Ch. D. Schreber (Prag 1971), 53. 951 Beran, Die Briefe (1971), 53. 952 Ignaz von Born, Lithophylacium Bornianum seu Index fossilium quae collegit et in classes ac ordines disposuit (Prag 1772 und 1775).

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letzten grade der Vollkommenheit vorzeigen kann, welches hauptsächlich bey Metallen und Halbmetallen von großen Nutzen ist.«953

Wir haben keinen Hinweis, wie Jacquin seine Lehrsammlung geordnet hatte. Verbreitet war das von Johan Gottschalk Wallerius (1709–1785) entwickelte System, welches Erden, Steine, Mineralien und Konkretionen unterschied. Wallerius hatte den ersten an der Universität Uppsala gegründeten Lehrstuhl für Chemie, Metallurgie und Pharmazie inne. Der Ausbau der Sammlung in Schemnitz verlief – wie bereits dargestellt – einerseits über die Bergreviere, andererseits über ausländische Kontakte, um zu Vergleichsmaterial zu kommen. So belegt der Briefwechsel mit Carl von Linn8 Jacquins Wunsch, einen geeigneten mineralogischen Tauschpartner in Schweden zu finden. Schweden war lange in der Mineralogie führend gewesen, die wichtigsten Klassifikationen stammten, wie bereits erwähnt, von Wallerius. Auch Axel Frederic Cronstedt (1722–1765), der zuletzt als Vorsteher aller Bergbaugebiete Schwedens wirkte und für seine Lötrohrmethode als Bestimmungsinstrument bekannt war, hatte noch weit über seinen Tod Einfluss auf die europäische Mineralogie.954 Nach einigen unerwiderten Nachfragen erhielt Jacquin von Linn8 den Hinweis auf dessen ehemaligen Schüler Anders Tidström,955 einen Mineralogen.956 Für den Austausch gab Jacquin genaue Anweisungen betreff der Verpackung von Mineralien. Die Stücke müssten alle einzeln in Papier gewickelt und dann in eine mit Stroh oder Moos ausgelegt Kiste gelegt werden. Da die Straßen in Ungarn sehr schlecht seien, müssten die Steine so verpackt sein, dass sie nicht zusammenstoßen könnten, schlug Jacquin vor. Er wünschte auch, dass immer eine Liste des Kisteninhalts separat in einem Brief an ihn übersandt werde. Diese Usancen hatte Jacquin ja schon in der Karibik praktiziert und sie hatten sich bei der Versendung von Sammlungsmaterial während der Expeditionen bewährt. Weiters ließ er wissen, dass man sich einen Kaufmann in Stockholm für den Transport suchen solle, der das Material an einen Kaufmann in Hamburg senden solle, von wo es nach Wien und danach nach Schemnitz geschickt werden würde.957 Eine ähnliche Vorgangsweise funktioniere sehr gut mit Jörg Hiort, der ihm aus der norwegischen Silberbergbaustadt Kongsberg einzigartiges Material 953 Daniel Gottlob Rudolph, Hand-Buch oder kurze Anweisung wie man Naturalien-Sammlungen mit Nutzen betrachten soll (Leipzig 1766), 426–427. 954 So erschien die zweite Auflage der ersten englischen Übersetzung seines Werkes noch im Jahre 1788: Axel Cronsted, An Essay Towards A System of Mineralogy (London 1770). 955 Anders Philip Tidström (1723–1779) war ein schwedischer Chemiker und Metallurge. 956 Vgl. Linn8 an Jacquin, Uppsala, 20. April 1768 (L 4063) und Jacquin an Linn8, Schemnitz, 23. Juni 1768 (L 4088), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net: Die Briefe geben eine detaillierte Information, wie die Stücke ausgetauscht werden sollten, in Referenz auf die Werke von Johan Gottschalk Wallerius and Axel Fredric Cronstedt. 957 Vgl. Jacquin an Linn8, Schemnitz 23. Juni 1768 (L 4088), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net.

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zum Tausch anbot. Jacquin fürchtete Schwierigkeiten, besonders dass er den gesamten Transport von Hamburg bis Schemnitz selbst bezahlen müsste, wenn es aber notwendig sei, würde er es tun, ließ er Linn8 wissen.958 Wir erkennen daraus wieder die organisatorischen Fähigkeiten unseres Botanikers. Er überließ nichts dem Zufall, wollte alles geregelt wissen. Ende August 1768 startete der Mineralienaustausch. Schemnitz konnte aber nicht mehr lange das Ankunftsziel sein, da Jacquin wieder nach Wien übersiedelte. Seine Sammlung nahm er nach Wien mit. Oft wurden solche Kollektionen, obwohl sie während einer Funktion zusammengebracht wurden, von den Professoren als Privatgut verstanden. Offensichtlich hatte Jacquin 1768 kein Interesse, sie gleich an den Staat zu verkaufen und in Schemnitz zu belassen. Sein Nachfolger auf dem Lehrstuhl, Johann Anton Scopoli, musste in Schemnitz bei null beginnen. Auch dürfte Jacquins Sammlung in Wien sodann weiter bereichert worden sein. Franz Joseph Anton Estner jedenfalls nennt in seinem Werk »Versuch einer Mineralogie«959 Jacquins Kollektion als eine der besten in Wien. Sie muss ihm zugänglich gewesen sein, da er bei der Beschreibung einzelner Stücke auf sie zurückgriff. Er lobt besonders die Schörldrusen, die Strontianitstücke, die Zeolithdrusen und die Achatstücke. Manchmal scheinen die Exponate jene der kaiserlichen Sammlung zu übertreffen: »Herrn von Jacquins merkwürdiges Kabinet streitet über den Vorzug mit seinen Chalzedonen aus Island und den F[röer Inseln mit dem k.k. Kabinete,«960 betonte Estner in seiner Publikation. Ein wichtiger Kontakt ergab sich mit Peter Simon Pallas (1741– 1811), der 1760 in Leiden promoviert wurde und als Professor der Naturgeschichte in St. Petersburg wirkte. In den Jahren 1768 bis 1774 hatte er die Leitung von fünf Expeditionen inne, die ihn an den Ural und nach Westsibirien führten. Aus diesen Sammelbeständen erhielt Jacquin außerordentlich begehrte Belegstücke, die aus den mineralreichen Gebieten stammten.961 Jedenfalls umfasste die in den Räumlichkeiten des Botanischen Gartens am Rennweg aufgestellte Sammlung »4 Schränke, in deren Schubladen die Arten nach Farben, Mineralien, Kristallisationen und seltenen Mischungen geordnet enthalten«962 waren. Wien war ein gutes Pflaster für Sammler, die vor allem aus dem Bereich der Bürokratie des Münz- und Bergwesens stammten. So erwähnt Fabricius den 958 Vgl. Jacquin an Linn8, Schemnitz, 25. September 1768 (L 4108), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. Hier betont er erneut die Bedeutung von Systema naturae als auch die Werke von Axel Fredric Cronstedt, Anton von Swab und Johan Gottschalk Wallerius. 959 Franz Joseph A. Estner, Versuch einer Mineralogie für Anfänger und Liebhaber, N. 2. Bd. (Wien 1795), 13. 960 Estner, Versuch (1795), 389. 961 Folkwart Wendland, Pallas (1992), 553. 962 Hans König, Der Aufenthalt von Jos8 Viera y Clavijo in Wien in den Jahren 1780 und 1781. In: Wiener Geschichtsblätter. 62. Jg. Heft 2 (Wien 2007), 8.

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zuvor in Prag lebenden Professor Peithner, der eine besondere Mineraliensammlung besaß: »Der Hofrat Peutner [!] ist viele Jahre Lehrer der Mineralogie und Bergwerkskunde, erst in Prag, und nachher in Schemnitz gewesen, jetzt im Gegenteil hat er Sitz in der Hofkammer im Münz= und Bergwesen. [!] In der gelehrten Welt ist er lange bekannt durch seine Beschreibung der Böhmischen und Mährischen Bergwerke: Geographia subterranea, de mineralogia in forma tabulari, de fluviis Bohemi [!]. Jetzt ist er mit vielen Geschäften überhäuft. Er besitzt zugleich eine der besten Mineraliensammlungen in Wien, welche er nach seiner jetzigen Lage noch beständig zu vermehren Gelegenheit hat. Die Gold- und Silberstufen aus Ungarn und Siebenbürgen, die herrlichen Kupferblaue und Grüne aus dem Bannat verdienen die Aufmerksamkeit der Liebhaber.«963

Auch der englische Reisende und naturkundlich bestens gebildete Robert Townson lobte die Sammlung Jacquins ganz besonders: »In professor Jacquin’s collection of minerals are found the most splendid specimens and the rarest fossils.«964 Fabricius, der Jacquin im Botanischen Garten besuchte, berichtete, dass die Mineraliensammlung in den Räumlichkeiten des Botanischen Gartens untergebracht wurde: Jacquin »wohnt anjetzt im botanischen Garten, wo er zugleich sein Cabinet eingerichtet hat. Es ist sowohl reich als glänzend. Es besteht insonderheit aus Mineralien, und man findet hier den opalisirenden Muschelmarmor,965 die herrlichen Bleykristalle, die Tourmaline, und die übrigen sowohl Tyrolschen als Ungarschen Mineralien im grossen Überflusse und in vorzüglicher Vollkommenheit. Selbst unsere Zeolithe und Chalcedone sind hier vorzüglicher, als ich sie in irgendeinem ausländischen Cabinete gesehen. Er hat sie dem Tausche und der Correspondence mit unserem Conferenzrath Holmschiold966 […] er lebt anjetzt auch bloß für seine Versuche, und der Kaiser, der Großherzog und die Großen des Hofes wohnen ihnen oft selbst mit bey.«967

Besonders viele Belegstücke stammten aus dem Schemnitzer Revier. Bezüglich der Mineralien in Böhmen bot sich für Jacquin Ignaz von Born als Vermittler an, was einem Brief Borns an Jacquin aus dem Jahre 1771 zu entnehmen ist.968 Über

963 Fabricius, Briefe auf einer Reise durch Deutschland. In: Histor. Portefeuille. 5. Jg. (Junius 1786), 1. Bd. 671–685, hier 674. 964 Robert Townson, Travels in Hungary : With a Short Account of Vienna in the Year 1793 (London 1797), 4. 965 Der opalisierende Muschelmarmor wurde in Bleiberg aufgefunden und durch Franz Xaver Wulfen an Jacquin geschickt. Er war äußerst beliebt und wurde oft zu Tabatieren verarbeitet. 966 Johan Theodor Holmskiold (1731–1793) war dänischer Sekretär am Hofe und Botaniker ; von ihm gibt es vier Mappen mit 34 Briefen im NHM, AfW. 967 Fabricius, Briefe, 1. Bd. (1786), 676–678. 968 Vgl. Riedl-Dorn, Briefe Ignaz von Borns an Nikolaus Joseph Jacquin (1987), 42.

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den Verbleib der Sammlung entstand so manches Gerücht. So informierte Born 1776 Hacquet: »Jacquin verkauft also seine Sammlung an Hrn Gruber.969 Er sagte in Wien, dass ein Engländer sie für 14.000 Gulden gekauft hätte, und dass er sie dem Hof zur Benützung durch die Universität für 12.000 Gulden gäbe. Sicher hat er sich gegenüber Scopoli sehr schlecht benommen. Ich habe ihm dies gesagt und er hat geantwortet, dass der Hof keine Goldmacher wie Scopoli wollte und dass Herr Well, obwohl er bis jetzt sicher wenig über Naturgeschichte weiß, sich in dieser Richtung bilden will. Inzwischen gibt er noch keinen Unterricht, obgleich er schon sein Gehalt bekommt. – Abb8 Gruber hätte meine Sammlung um diesen Preis kaufen können, die dreimal größer und ausgesuchter als die von Jacquin war. Woher bekommt dieser Monsieur das Geld, welches ihm gestattet, soviel auszugeben?«970

Von seiner Sammlung trennte sich Jacquin in zwei Etappen, jedenfalls ist aus einer Notiz in den »Annalen der Literatur und Kunst in den österreichischen Staaten des Jahres 1805« zu entnehmen, dass ein Teil der Sammlung an die Universität Wien verkauft wurde,971 der zweite an Erzherzog Johann:972 »Seine K.K. Hoheit, der Erzherzog Johann von Oesterreich, hat die aus Esthner’s Werke bekannte grosse Mineraliensammlung des Herrn Bergrathes und Professors von Jacquin des älteren um 12000fl gekauft. Die Freunde der Mineralogie werden sich mit uns freuen, diese Schätze in den Händen eines so grossen Kenners und Beförderers der Physischen Wissenschaften zu wissen. Die Sammlung ist die zweyte, welche Hr. Bergrath von Jacquin der ältere sammelte und verkaufte. Seine frühere Sammlung besitzt die k.k. Universität zu Wien.«973

Nachforschungen bezüglich des Verbleibs der Stücke blieben in der Mineralogischen Abteilung des Joanneums erfolglos. Die Stücke Jacquins wurden vermutlich in die Sammlung integriert und sind nicht mehr nachweisbar.

969 Gabriel Gruber (1740–1805) lehrte von 1772–1786 Mechanik und Hydraulik in Laibach, anschließend war er Generalsuperior der Jesuiten in Russland. 970 Born an Hacquet, 11. März 1776 (Altzedlitsch) zitiert und übersetzt bei Helmut W. Flügel, Briefe im Netzwerk österreichischer »Mineralogen« zwischen Aufklärung und Restauration (Graz 2009), 33 und 35. 971 Das belegt auch Fitzinger: Vgl. Leopold Joseph Fitzinger, Geschichte des Kais. Kön. HofNaturalien-Cabinetes zu Wien (Wien 1856), 48: »Des Herrn Nikolaus Joseph Edlen von Jacquin, Professors der Chemie und Botanik an der Universität Wien. Kam als Geschenk an das Wiener Universitäts-Museum.« 972 Vgl. auch Fitzinger, Geschichte (1856), 478: »Die Sammlung des Herrn Nikolaus Edlen von Jacquin, Professors der Chemie und Botanik an der Universität Wien wurde im Jahre 1804 für eine Summe von 20.000 Gulden an seine kais. Hoheit Erzherzog Johann verkauft.« 973 [Anonymus], [Ohne Titel], in: Annalen der Literatur und Kunst in den österreichischen Staaten, IV. Jg., 1. Bd. (Wien 1805), Spalte 141.

Apotheke, Heilpflanzen und »Pharmacopoea«

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VI. 5. Apotheke, Heilpflanzen und »Pharmacopoea« Jacquins Professur für Botanik und Chemie fiel in eine Zeit theresianischer und josephinischer Reformen, als auch das Apothekenwesen einer stärkeren staatlichen Kontrolle unterworfen wurde und gleichzeitig die ersten Schritte der Akademisierung des Apothekerstandes erfolgten. Als Professor für Botanik und Chemie der Universität Wien erschöpften sich Jacquins Tätigkeiten somit nicht nur in seinen botanischen und chemischen Vorlesungen, seinen Experimenten im Labor und seinen Demonstrationen im Botanischen Garten, er hatte als Mitglied der Medizinischen Fakultät auch außerdem jährlich Visitationen von Apotheken durchzuführen und diesen Berufsstand zu prüfen. Das Apothekenwesen war in dieser Zeit der Medizinischen Fakultät unterstellt. Die Pharmazie schaffte es erst im 19. Jahrhundert zu einer Eigenständigkeit als Fach, während die Unterweisung für angehende Apotheker seit 1774 an den Besuch weniger Vorlesungen gebunden wurde. So lag auch die Prüfungsgebarung angehender Apotheker in den Händen Jacquins (Abb. 37).

Abb. 37: Vignette, eine Apotheke andeutend (N. J. Jacquin, Collectanea, Vol. 4, 1791)

Über die verpflichtenden Visitationen führte der Dekan Protokoll und trug sie in die Fakultätsmatrikel ein. Wir wissen darüber aus Anton von Störcks Beschreibung der Medizinischen Fakultät. Er, der heute als Begründer der experimentellen Pharmakologie gilt, war nach van Swietens Tod (1772) zu dessen Nachfolger aufgestiegen, zum ersten Leibarzt und Protomedicus. In dieser Funktion beschrieb er die Medizinische Fakultät.974 Dieses Werk wurde 1785 von Ferro ins Deutsche übersetzt, verbessert und erweitert herausgegeben.975 Es schilderte darin die gesamte Fakultät in ihrem Aufbau, ihrer Struktur, ihrer 974 Anton Freiherr von Störck, Instituta Facultatis Medicae Vindobonensis (Wien 1775). 975 Pascal-Joseph Ferro, Einrichtungen der medizinischen Fakultät zu Wien (Wien 1785).

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Verfassung und ihren Fächern, wozu auch die Pharmazeutik zählte. Auch Unterricht und Prüfungen werden ausführlich erwähnt. Schöpfer dieser neuen Fakultät war ursprünglich Gerard van Swieten. Die Funktion des Präses war an die des ersten Leibarztes des Monarchen gebunden. In dieser war van Swieten automatisch als Examinator gegenwärtig gewesen. Es ist auffällig, dass Anton Störck als Historiograph der Medizinischen Fakultät auch noch 1775 bezüglich Jacquins Berufung an die Universität dessen Bedeutung durch die Karibikreise legitimierte. Auch wenn sie keine Voraussetzung für das Lehramt der Botanik und Chemie bildete, wurde sie als hervorhebenswert eingeschätzt: »Nikolaus von Jacquin, dessen Name durch seine Werke und Reisen nach Amerika weltberühmt ist.«976 Man sieht, dass Jacquin nach seiner Rückkehr aus Übersee unzertrennlich mit dieser erfolgreichen Expedition assoziiert wurde. Gleichzeitig war sein Erfahrungswissen auch bezüglich Medizin und Arzneikunde sehr angesehen, denn wir finden bei seinen Zeitgenossen immer wieder auch den Bezug darauf. So berichtet etwa van Swieten in seinen »Erläuterungen der Boerhaavischen Lehrsäze von Erkenntnis und Heilung der Krankheiten«, wenn er über Kinderkrankheiten, z. B. über Würmerbefall, schreibt: »Da sich Jaquin [!] in Amerika aufhielt, um die vortreflichen Naturalien für das kaiserliche Cabinet zu sammlen, schrieb er mir, daß die Einwohner, welche sehr oft von Würmern gequält würden, öfters sterben, wenn der Magen von denenselben durchgefressen worden ist. […] Jaquin [!] aber schrieb mir, bey seinem Aufenthalt in America, daß die Einwohner sehr häufig von Würmern gequält würden; und beobachtete folgende Kennzeichen: Schläfrigkeit, Bauchgrimmen, helle, aber gelbliche Augen, den untern Augdeckel gelblich oder himmelblau, und Zuckungen, die oft tödlich werden.«977

Beobachtungen in Westindien, die sich auf den autoptischen Blick berufen konnten, hatte Jacquin entweder brieflich oder mündlich kommuniziert. Sie betrafen allenfalls auffällige Krankheiten und besonders deren Bekämpfung. Im Zentrum von Jacquins Aufmerksamkeit standen die in Europa bereits sehr geschätzten, aus Übersee stammenden Heilmittel, die er in seine taxonomischen Pflanzenbeschreibungen integrierte. Wenn es eine Droge gibt, die direkt mit der europäischen Expansion verknüpft ist, dann muss die Cinchonia officinalis L. erwähnt werden. Als Malariamittel hatte sie eine besondere Relevanz. Durch die Jesuiten wurde sie in Peru aufgefunden, seit dem späten 17. Jahrhundert zuerst geheim gehalten, dann im 976 Pascal-Joseph Ferro, Einrichtungen (1785), 10. 977 Gerard van Swieten, Erläuterungen der Boerhaavischen Lehrsäze von Erkenntnis und Heilung der Krankheiten. Aus dem Lateinischen in das Deutsche übersezet. Des vierten Theils zweyter Band (Wien 1771), 539 und 543.

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18. Jahrhundert durch La Condamine beschrieben. In der Zeit des 19. Jahrhunderts sollte sie als wichtigste Droge neben Alkohol die europäische Penetration Afrikas ermöglichen, so die These von Hobhouse.978 Als Arzneimittel hochgeschätzt, unterlag sie auch der Substitution, die bei jeder teuer gehandelten Substanz gefragt war. Dass sich eine Kluft zwischen den Handelsbezeichnungen einer Droge und der tatsächlichen botanischen Identifikation derselben als Problem erwies, führt uns in diesem Fall zu Jacquins Expertise. Er hatte nämlich Praktiken des Handels kritisch am Ausgangspunkt der Handlungswege in Amerika beobachtet. Der Direktor des botanischen Gartens in Halle Kurt Sprengel nutzte Jacquin als wichtigen Gewährsmann bezüglich solcher Fragen in seiner Arzneigeschichte: »Nach Hawkins [Transactions of the Linnean Society, vol. III p. 59] Untersuchungen wissen wir jetzt, der Name Quinquina sey ursprünglich der Rinde eines ganz anderen Baumes, […] erteilt worden. Dass die älteste Kinkina gar nicht unser Cinchona, sondern ein Balsambaum gewesen, versicherte schon Condamine vor länger als 60 Jahren. Und Jacquin sagt sogar [Stirp. American. Hist. P. 57, tab.41], dass man die Rinde des Sapotillbaumes, Achras Sapota, durch ganz Süd-Amerika häufig für die echte Cinchona-Rinde verkauft. Aus diesen Angaben, sowie aus Condamine’s Erzählungen von der Unwissenheit derer, die die Chinarinde sammeln, erhellt, wie verschieden von jeher die Resultate der Beobachtungen über die Wirkungen dieses Mittels ausfallen mussten.«979

Jacquin hatte zwar keinen innovativen Beitrag zur Kenntnis der Pflanze als Taxonom geleistet, gleichwohl hatte er sich noch Jahre nach seiner Reise in die an Linn8 gerichteten Briefen Gedanken über die »Cinchona caribea«980 als der »Cinchona officinalis« gemacht, jedoch die Verwechslungsmöglichkeiten aufgeklärt. Geglaubt wurde ihm, weil er persönlich vor Ort gewesen war. Der berühmte Apotheker und Chemiker Jakob Reinbold Spielmann (1722–1783), den Jacquin auf seiner Rückreise aus Westindien 1759 in Straßburg besucht hatte, nannte Jacquin ebenfalls als vertrauenwürdige Quelle. Er erinnerte sich jener Aussagen, die Jacquin auf der Basis von Autopsie getroffen hatte, wie etwa bezüglich der Nelkenmyrte (Myrtus caryophyllata): »Dieser Baum wächst in Indien wild, und man findet ihn auch in Martinique, Guadeloupe und Grenada. Der berühmte Jacquin sagt, dass er nach Lorbeeren und nicht nach Nelken rieche.«981 978 Auf diese weitläufige Geschichte kann hier nicht eingegangen werden. Mehr darüber : Henry Hobhouse, Fünf Pflanzen verändern die Welt. Chinarinde, Zucker, Tee, Baumwolle, Kartoffel (München 1996). 979 Kurt Sprengel, Versuch einer pragmatischen Geschichte der Arzneykunde. Bd. 5 (Halle 1803), 282f. 980 Jacquin an Linn8, 23. März 1776 (L 5196), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. Auch eine an Linn8 geschickte Zeichnung sollte dies unterstreichen. 981 Jakob Reinbold Spielmann, Anleitung zur Kenntnis der Arzneymittel zu akademischen Vorlesungen eingerichtet. Aus dem Lateinischen unter des Verfassers Aufsicht ins Deutsche

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Interessant in diesem Zusammenhang sind auch die Erläuterungen über die Schlangenwurzel (Aristolochia serpentaria L.), die als Gegengift bei Schlangenbissen geschätzt wurde: »[Diese] Pflanze wächst in Virginien. Man fing diese Wurzel gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts bei den Engländern und den Franzosen, und zu Anfang dieses bei den Deutschen zu gebrauchen an. Die Amerikaner rühmten sie wider den [!] Gift,* die Europäer sahen sie daher als ein gifttreibendes Mittel an. *[Einschub] Wenn man, wie es der vortreffliche Herr v. Jacquin als Augenzeuge erzählt, (Stirp. American. Historia p. 232 etc.) von dem durchs Kauen mit Speichel vermischten Säfte der Wurzel der Aristolochia anguicida ein oder 2 Tropfen einer mittelmässig großen Klapperschlange (Crotalus) in den Mund lässt, so wird sie davon so sehr betäubet und untätig gemacht, dass man sie ohne alle Gefahr zu befürchten, ganz sicher behandeln und in den Schoß legen kann; und nach einigen Stunden kommt sie wieder zu sich. Nachdem Hr. v. Jacquin mit den Tieren schon bekannter geworden war, fand er, dass, wenn man in dieser Sache etwas behutsam zu Werke geht, eben nicht viel Beschwerliches oder Gefährliches damit verbunden ist. Er sah, dass die Klapperschlangen auch schon den Geruch dieser Wurzel verabscheuen, und wenn man sie ihnen entgegenhält, weit davon fliehen […]. Man sagt, dass er auf eine von der Klapperschlange eben angebrachte Wunde gelegt, oder auch zugleich innerlich gebraucht, Hilfe verschaffe und folglich das Gift zerstöre. ›Der Indianer, der mir dieses Geheimnis entdeckte, versicherte mich, er wäre dreimal auf diese Art geheilet worden; weil ich aber bei keiner Erfahrung selbst zugegen war, so beziehe ich mich in diesem Falle bloß auf seine Angabe.‹ V. W.«982

Die aus unterschiedlichen Quellen stammenden Befunde lassen die Aussage zu, dass Jacquins Berichten vorbehaltlos geglaubt wurde, weil sie auf Augenschein beruhten. Das erstaunt, denn es gab viele Reisende, denen nicht getraut wurde, auch wenn sie sich auf Autopsie beriefen. Warum genoss Jacquin diese Autorität, wahres Wissen zu verbürgen? Van Swieten hatte im Rahmen seiner oben erwähnten Erläuterung über Würmer betont, »Niemand wird leicht die Glaubwürdigkeit und den Fleiß dieses Mannes in Zweifel ziehen, wovon das prächtige botanische Werk, welches in diesem Jahr zum Vorschein gekommen ist, eine unleugbare Probe gibt.«983 Im zweiten Kapitel unserer Studie haben wir bereits argumentiert, dass sich Jacquin kurz nach der Reise als Methodiker mit seiner Publikation und infolge seines Netzwerkes behauptet hatte. Sobald er diesen Status einmal erworben hatte, wagte es kein Kritiker mehr, Jacquin diese Glaubwürdigkeit984 abzusprechen. In dem Rekurs auf »Berühmtheit« steckte übersetzt. Mit verschiedenen Verbesserungen und Zusätzen von F. August von Wasserberg (Wien 1786), 339. 982 Ebda, 406. Diese Erläuterung fügte der Übersetzer August von Wasserberg bei. 983 Gerard van Swieten, Erläuterungen der Boerhaavischen Lehrsäze von Erkenntnis und Heilung der Krankheiten. Aus dem Lateinischen in das Deutsche übersetzt. Des vierten Theils zweyter Band (Wien 1771), 540. 984 Zur Frage der Beglaubigung und Glaubwürdigkeit, auch wenn für das 17. Jahrhundert ausgeführt, siehe die erste bedeutende Studie in der Wissenschaftsgeschichte hiezu, die eine

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dieser Aspekt. Jedoch hatte Jacquin nicht immer selbst beobachtet, sondern Informationen über Gewährsleute und sogar von Einheimischen erhalten. Dieses aus zweiter Hand stammende Wissen war prinzipiell fragwürdig, weshalb Jacquin in seinem Vorwort einer etwaigen Kritik vorgriff. Bezüglich des neuen Wissens müsste er – wie er ausdrücklich im Vorwort seines Amerikawerkes argumentierte – jeden Hinweis aus der Bevölkerung einer umsichtigen Prüfung unterziehen, was einen mehrjährigen Aufenthalt nach sich ziehen würde. Sammler griffen zwar auf die lokale Infrastruktur und das indigene Wissen zurück, aber in ihrer Selbstdarstellung charakterisierten sie sich als eigenständig handelnde Wissenschaftler. Übertragenes Wissen müsste stets evaluiert werden. Jacquin entwarf von sich ein Bild eines Gelehrten, der sich dem lokalen Heilwissen prinzipiell deshalb verschlossen hatte, weil ihm die Basis des Vertrauens gefehlt habe: »Wenn es jemanden gibt, der sich über meine Unterlassung wundert, die Heilkräfte der Pflanzen zu überdenken, und dies tadelnd vermerkt, gebe ich ihm zur Antwort: Die Wilden hätten die Gewohnheit, wenn sie wirksamere Pflanzen kennten, diese in tiefem und ewigem Schweigen zu verbergen, so als ob sie ihnen von ihren neuen Gästen als alleinige Schätze hinterlassen worden seien; und diese seien um keinen Preis und keine Versprechungen erkaufbar. Die Kräfte der meisten anderen Pflanzen sind freilich weniger beachtenswert. Aber diese werden dann weit und breit so gepriesen, und selbst sehr zahlreich vorkommende werden zum Gebrauch herangezogen, dass es eines Arztes bedürfte, der sich für Jahre an demselben Ort niederlässt, um durch wiederholte Versuche die echten Heilpflanzen herauszufinden und die falschen zu unterscheiden. Das kann man von einem Reisenden, der auch anderwärts höchst beschäftigt ist, auf keinen Fall verlangen.«985

Heilpflanzen waren die Voraussetzung der medizinischen Behandlung und das Wissen darüber von großer Bedeutung. Jacquin, der sich für die Heilpflanzen des karibischen Raumes interessiert hatte, entwarf in der Einleitung zu seiner Studie ein Bild von sich, das von Distanz und Skepsis indigenem Wissen gegenüber gekennzeichnet ist, und dies, um seine Glaubwürdigkeit nicht zu gefährden. Nehmen wir Jacquins obigen Hinweis ernst und versuchen wir, das Schweigen Bibel für diesen Ansatz wurde: Stephen Shapin and Simona Schaffer, Leviathan and the Air Pomp (Princeton 1985). 985 Nikolaus Joseph Jacquin, Selectarum Stirpium Americanarum Historia (1763). Praefatio: »Si quis est, qui miretur meam maleque taxet in recensendis plantarum viribus medicis inopiam, illi respondeo: solere has barbaros, si quas noverint efficaciores, ceu solas sibi relictas a novis hospitibus suis opes, alto perpetuoque abscondere silentio, nullo vel pretio promissis emendas. Aliarum autem plerarumque stirpium vires minus quidem spectatae sunt; & hae predicantur tam vagae, & ipse tam numerosae in usum vocantur, ut medico opus esset annos in eodem loco considente, qui per repetita experimenta veras detegeret, distingueretque a dubiis & falsis: id quod a peregrinatore iterum occupatissimo neutiquam est postulandum.« Eigene Übersetzung.

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der Indigenen als seine tatsächliche Erfahrung zu akzeptieren. Traditionelles Wissen ist im Unterschied zur europäischen Wissenschaft von seiner Natur her ganzheitlich, auf den Lebensraum bezogen und nicht universell, sondern relational. Es ist innergesellschaftlich gesehen nicht allgemein zugänglich, sondern verteilt sich unter Verwandtschaftsgruppen, Altersklassen, genderspezifisch oder nur unter spirituellen Spezialisten.986 Alle Inhalte des Wissens gelten als untereinander verbunden und können deshalb nicht isoliert weitergegeben werden, weil dies bedeuten würde, dass die damit verknüpfte Verantwortung ihrer Grundlage entzogen würde. Abstraktion und Reduktionismus, wie sie vom europäischen Wissenschaftler verlangt wurden, waren dem Indigenen eine sozial-kulturelle Unmöglichkeit. Das erklärt, warum es zu keiner ergiebigen Kommunikation während der Pflanzenrekrutierung zwischen den sammelnden Botanikern und den Indigenen kommen konnte und die Indios vor den Fragen des Europäers Jacquin verstummten. In der Praxis verhielt sich Jacquin jedoch anders, weil er dauernd Wissen aus zweiter Hand sammelte. So können wir in den von Aquart an ihn gerichteten Briefen verfolgen, wie dieser ihn über die Naturmedizin informierte. Es ging darum, was die roten »Caraiben«, die vor den Schwarzen nach Grenada geflüchtet waren, benutzten, wenn sie das heftige Fieber ereilte. Aquart versprach, ihnen Rezepte für Jacquin abzutrotzen.987 Weiteres informierte er Jacquin auch über Heilmittel gegen venerische Krankheiten, wobei beispielsweise der weiße Jasmin hier auch als Mittel gegen Lepra Erwähnung fand. Diese Briefzeilen dokumentieren Jacquins prinzipielles Interesse an regionalen Heilpflanzen und ihrer Nutzung. Erstmals im Zeitalter des Physiokratismus erwartete der Staat von der Universität Expertisen, die zur Lösung anstehender Reformen herangezogen wurden. »Mit Regierungs-Dekret vom 25. Oktober 1771 wurde bei der Fakultät angefragt, ob ein Brot aus einem Teil Kürbis und drei Teile Roggenmehl zur Nahrung von Menschen ohne Nachteile für die Gesundheit verwendet werden könne. Die Fakultät bejahete es, in dem sie sich auf die von Prof. Jacquin bei seiner Reise in Amerika gemachte Erfahrung stützte.«988 Es mutet etwas verwunderlich an, dass selbst in Fragen der Ernährung Jacquins Erfahrung in

986 Zu dieser Problematik: Siehe R. Barsh, Indigenous Knowledge and Biodiversity. In: D. Posey (Hg.), Cultural and Spiritual Values of Biodiversity (London 1999), 73–76 und Ren8 Kuppe, Biodiversität, Sortenschutz und Mais. In: Daniela Ingruber und Martina Kaller-Dietrich (Hg.), Mais. Geschichte und Nutzung einer Kulturpflanze (Historische Sozialkunde 18, Wien 2001), 141–160. 987 Vgl. Aquart an Jacquin, 6. März 1757, NHM, AfW. Inv. Nr. 28653/42. 988 UAW, Act. Fac. Fasc. 1771, Nr. 52, 53 (Siehe auch: J. N. Raimann, Medicinische Jahrbücher, Bd. 59f. (1771), 83.

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Amerika als Begründung für dessen Seriosität herhalten musste. Diskursiv gesehen, war dabei Glaubwürdigkeit durch Erfahrung begründet am Werk. Kommen wir zur Wiener Universität und dem institutionellen Rahmen zurück. Anton von Störck führte als Präses der Medizinischen Fakultät und zu Jacquins Zeit etliche Verbesserungen und Änderungen ein: So schaffte er die Zünfte der »Bader und Babirer« ab,989 erweiterte z. B. die Arzneilehre und ließ ein neues Dispensatorium verfassen. Die 1774 neugegründete Professur für Naturgeschichte wurde als »die erste und nöthigste Präliminarwissenschaft der Arzneikunde«990 angesehen. Johann Jakob Well (1725–1787), der Apotheker zum »Schwarzen Bären« am Lugeck991 wurde als erster Professor bestellt992 und hielt am 24. April 1775 seine Antrittsvorlesung. Mit Jacquin scheint er befreundet gewesen zu sein, er beteiligte sich an dessen Exkursionen. Die Arzneilehre oder Materia Medica wurde vom Professor der Pathologie gelehrt und teilte nach der Ordnung Boerhaaves die Arzneien nach ihrer Wirkung in verschiedenen Klassen. Nun war der erste Schritt einer Akademisierung des Apothekerberufes erfolgt. In Störcks Kapitel über die Apothekerkunst erfahren wir, dass Apotheker von nun an dezidiert Kenntnisse der lateinischen Sprache aufweisen mussten und nach Erlernung der nötigen Handgriffe in der Apotheke das Studium der Naturgeschichte, der Kräuterkunde und der Chemie zu absolvieren hatten. Das Prüfungskonsortium bildeten der Präses, der Dekan, der Professor für Chemie und Botanik und zwei bürgerliche Apotheker. In diesen Prüfungen wurden dem Kandidaten frische Kräuter vorgelegt, von denen er bei jedem den »lateinischen linäischen System= und den gewöhnlichen officinal Namen andeuten, und selbes zugleich deutsch kennen muß.«993 Jacquin nahm auf diese Anforderung auch in der Anlage des botanischen Gartens Bezug, indem er einen eigenen Bereich den Heilpflanzen widmete. Das war zwar in jedem botanischen Garten der Fall, in Wien bildete diese Fläche einen doch erheblich Anteil am Gesamtareal: »Damit jeder Schüler die Arzneypflanzen besser kennen lerne, so sind in dem medicinisch-botanischen Garten (der vom großen Gewächshause angerechnet 310 989 Pascal-Joseph Ferro, Einrichtungen (1785), 15. 990 Pascal-Joseph Ferro, Einrichtungen (1785), 28. Für die Ärzte »ist diese Wissenschaft ganz unentbehrlich, deswegen dieses Lehramt auch der medizinischen Fakultät einverleibt« wurde. 991 1762 kam er durch Heirat mit der Witwe seines Vorgängers in den Besitz dieser Apotheke, die zu den ältesten Wiens zählte. 992 Was nicht jedermanns Gefallen fand. Für Ignaz von Born wäre Scopoli die einzige richtige Wahl gewesen, vgl. Brief von Born an Jacquin, vom 20. August 1774, NHM, AfW, Inv. Nr. 28653/91. 993 Pascal-Joseph Ferro, Einrichtungen (1785), 108.

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Schritte lang und 115 Schritte breit ist), auf der rechten Seite vier Abtheilungen gemacht, die in viele Beete abgetheilet sind und wo um jeden niedrige Zäune ohne Sperrungen zu haben, sich befinden. In selbigen Abtheilungen stehen blos Arzneypflanzen, hinter welchen Pfähle stehen, an denen die Bleche mit der Aufschrift des medicinisch deutschen und lateinischen Namens befestiget sind. Diese Pflanzen dienen sowohl zum Unterricht der Schüler, und da von den meisten Pflanzen viele Exemplare vorhanden sind, auch vorzüglich zur Zergliederung, worinnen sich die Schüler üben können.«994

Auch im Unterricht spielte der Bezug auf Arzneipflanzen eine große Rolle: »Nach hiesigen Statuten ist dem Professor der Botanik aufgetragen, die vorzüglichsten Arzneypflanzen theils in der Blüthe und Frucht, theils ohne selbige Theile auf dem Haufen vorzulegen und den Kandidaten nach dem medizinischen Namen der Pflanze, nach dem Theile, welcher eigentlich gebraucht, in welcher Gestalt dieser oder jener Theil verschrieben wird, und nach den Wirkungen derselben zu fragen. Findet sich hingegen ein junger Mann, der auch in dem systematischen Theil der Botanik geprüft zu seyn verlange wollte, so steht ihm dies völlig frey.«995

Jacquin wurde für dieses Prüfungswesen öffentlich von Seiten junger Botaniker kritisiert, weil er nicht zur botanischen Forschung anrege.996 Allerdings ist hier zu seiner Verteidigung festzuhalten, dass sich Jacquin der josephinischen Ausrichtung der Universität unterwarf. Diese definierte ihre alleinige Aufgabe als Pflanzstätte der Beamtenausbildung und in ihrer Nützlichkeit für den Staat. Die öffentlichen Apotheken wurden in josephinischer Zeit neu ausgerichtet. Ihrem Verfall entgegenwirkend, wurden als Maßnahme regelmäßige Visitationen vorgeschrieben. Als Mitglied der Medizinischen Fakultät und als Professor der Chemie und Botanik zählte Jacquin neben dem Präses der Fakultät (Störck), dem Dekan und den beiden Senioren des Apothekerkollegiums (einer davon war Jakob von Well) zu dem ausführenden Gremium. Geprüft musste der Kräuterboden werden, ob dieser geeignet und die Kräuter frisch und ausreichend vorrätig seien. Um diese Aufgabe besser bewältigen zu können, wurde von Störck, Well und Jacquin 1774 eine neue »Pharmacopoea Austriaco-provincialis«997 herausgegeben. Darunter versteht man ein amtliches Arzneimittelbuch, worin die Regeln über die Qualität, Prüfung, Lagerung und Bezeichnung von Arzneimitteln festgehalten waren. Es sollte für die gesamte Monarchie gelten. Um es 994 Jakob Christian Gottlob Baumgarten, Authentische Nachrichten über die botanischen Lehranstalten zu Wien. In: Ernst Gottfried Baldinger (Hg.), Neues Magazin für Aerzte, 15. Bd. (1793), 316–343, hier 321. 995 Baumgarten, Authentische Nachrichten (1793), 320. 996 [Anonymus], Bemerkungen über die Lehranstalten der Botanik zu Wien, von einem durch Europa reisenden Botaniker. Anonymisch eingesendet. In: Ernst Gottfried Baldinger (Hg.), Neues Magazin für Aerzte, 14. Bd. (1792), 489–498. 997 Damit wurde das erste bodenständige Arzneibuch das »Dispensatorium pharmaceuticum Austriaco-Viennense« (mehrere Ausgaben zwischen 1729 und 1770) abgelöst.

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hier überspitzt zu formulieren, die Praxis der Kontrolle bewirkte ein Werk, dass die Praxis dieser Überprüfung erleichtern sollte. Wir sehen auch hier, wie bereits in anderen Räumen des Wissens, wie praktische Bezüge die Produktion von standardisiertem Wissen evozierte und nicht umgekehrt. Interessant ist, dass unmittelbar nach dem Erscheinen der »Pharmacopoea« Well und Jacquin in den erblichen Adelsstand gesetzt wurden. Während bei Well ausdrücklich auf seine Mitarbeit bei obig genannten Werk Bezug genommen wurde, fehlt dieser Hinweis auf dem Nobilitierungsakt seines Kollegen. Jacquin erhielt seine Nobilitierung am 30. July 1774,998 die Universität wurde davon am 20. Oktober 1774 informiert: »Hätten dem Nicklas Joseph Jacquin wirklichen Bergrathe dann Chemice und Botanices Professore allhier in Ansehung der von demselben durch lange Jahre mit vielem Eifer theils in seinen Chymisch und Botanischen Amts-Verrichtungen als Professor, theils als wirklichen Bergrath geleisteten und noch fortsetzenden Diensten über sein allerunterthänigstes Ansuchen die besondere Gnade gethan, und demselben samt allen seinen ehelichen Leibes=Erben und derenselben Erbens-Erben männlich und weiblichen Geschlechts in den Adelstand dero gesammten Erbkönigreich-Fürstenthumund Landen Kraft eines unterm dato 20ten Julii lezthin mit allerhöchst dero eigenhändigen Unterzeichnung ausgefertigten Diplomatis gnädigst erhoben, ihme auch ein adeliches Wappen mit dem Praedicat Edler von Jacquin in Gnaden verliehen.«999

Aus diesem Absatz geht hervor, dass die Bitte um Erhöhung in den Adelsstand von Jacquin persönlich ausging, da er ein Ansuchen gestellt hatte, was von der Behörde meist auch erwartet wurde. Warum hatte sich Jacquin nicht schon längst und viel früher darum bemüht? Die Publikation der Pharmakopöe hatte ihn eindeutig in den Dienst des josephinischen Nützlichkeitsparadigmas gestellt. Er war nicht mehr der Höfling, sondern zum patriotischen Untertan geworden. Mit dieser Publikation hatte sich Jacquin tatsächlich als förderlich für die Staatsinteressen erwiesen. Im Dokument wurden seine »Amts-Verrichtungen« als Bergrat und Universitätsprofessor und nicht seine Karibik-Expedition gewürdigt. Jacquin betreute auch fachlich einschlägige Arbeiten zur Pharmazie. Sein Schüler, der spätere Bezirksarzt der Josefstadt Joseph Sonnauer, dissertierte am 25. Juli 1777 über das Thema »Compositiones medicamentorum pharmaceuticae generales« und Jacquin veröffentlichte diese Arbeit im ersten Band seiner

998 ÖStA, AVA [Allgemeines Verwaltungsarchiv], Adelsakten, Jacquin, Edler von, fol. 1–4. Angeboten wurde der Akt bei Antiquariat Junk in Amsterdam um E 25.000. http://www. antiquariaatjunk.com/item.php ?item=6640& c_sourcepage=search.php%3 (konsultiert, 1. März 2014). 999 UAW [Universitätsarchiv der Universität Wien], Kons. Akten Ca3,1512 Fasc. III. Lit.J. N.48.

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»Miscellanea« 1778.1000 Sie wurde später auch in deutscher Übersetzung als »Nikolaus Josephs Edlen von Jacquin Abhandlung von den pharmaceutischen Kompositionen der Arzneymittel« (Wien 1786) herausgebracht und enthält in 61 Abschnitten eine Arzneiformenlehre, die von den Dekokten bis zu den pharmazeutischen Präparationen reicht. Eingestreut sind Erläuterungen zur Provinzialpharmakopöe und kritische Bemerkungen über unrationelle ältere Bereitungsweisen.1001 Allerding ging hier Jacquin als Autor recht eigenmächtig vor, denn der Name Sonnauer taucht in der Übersetzung nicht mehr auf. Jacquin verfertigte selbst in Gegenwart der Schüler alle in dem Dispensatorium befindlichen Arzneimittel, erklärte und demonstrierte, wie diese am besten zubereitet werden konnten. Wichtig war ihm die Fertigkeit, echte Arzneien von verfälschten zu unterscheiden. Auf die Ausgabe der Provinzialpharmakopöe von 1774 folgten in den nächsten Jahren mehrere Neuausgaben und Nachdrucke sowohl in lateinischer wie in deutscher Sprache, letztere unter dem Titel »Österreichische Provinzial-Pharmacopoea«. Für die erste Ausgabe war die Auflagenhöhe vor allem durch die Zahl der bestehenden Apotheken bestimmt, deren Inhaber verpflichtet waren, auch jedem einzelnen ihrer Gehilfen und Lehrlinge ein Exemplar auszuhändigen. Die deutsche Ausgabe war für die Wundärzte auf dem Land und bei der Armee bestimmt, deren Kenntnis der lateinischen Sprache nicht vorausgesetzt werden konnte. Vom Standpunkt der Arzneimittellehre betrachtet, bildet die Herausgabe der Provinzialpharmakopöe von 1774 keineswegs einen so entscheidenden Einschnitt, wie man dies bei einem ersten Vergleich mit dem vorhergehenden Arzneibuch annehmen sollte.1002 Rein gesellschaftspolitisch gesehen jedoch war sie ein Meilenstein, weil sie für ein Staatsgebiet gültig werden sollte, das aus vielen rechtlich unterschiedlichen Teilen bestand. Im Gesundheitswesen wurden hier Leitlinien aufgestellt, die somit auch Jacquin mitbestimmt hatte. Unsere Analyse führte uns zu den Dingen und Werkzeugen. Waage, Ofen und Glaskolben waren die wichtigsten Akteure, die nicht nur Jacquins Labor als Ort der Wissensproduktion, sondern sein Expertentum als Chemiker bestimmten. Ihre Spuren markierten sich in den Lehrbüchern und Studien, die ihrerseits Transformationen in Streitschriften, Übersetzungen und Chemiehandbüchern erfuhren. Ganz andere Dinge mobilisierten den Garten: Samen, die an Pflanzen angebrachte Nummerntafeln, der Index, der bebilderte Pflanzenkatalog, Beete und Zäune als jene Akteure, welche untereinander ein Bedeutungsnetz innerhalb des bunten Gartenraumes bildeten. Als Instanz des Transfers von Konzepten 1000 Nikolaus Joseph Jacquin, Miscellanea austriaca ad botanicam, chemiam, et historiam naturalem spectantia, cum figuris partim coloratis, Vol. 1 (Wien 1778), 32–132. 1001 Vgl. Kurt Ganzinger, Die österreichische Provinzial-Pharmakopöe (1774–1794) und ihre Bearbeiter. In: Studien zur Geschichte der Arzneibücher in Österreich (Wien 1972), 20. 1002 Ebda, 21f.

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und Wissen sowie als Kommunikationsraum diente er nicht nur den Schülern, sondern auch der Kontaktnahme nach außen, dem Austausch von Pflanzen. Wissen aus zweiter Hand, diese Entität bestimmte den Wissensraum Pharmakopöe wie auch den Transfer kolonialer Heilmittel in dieses Regelwerk. Nicht nur als Verbindungsglied zwischen Lehre und Reform, sondern ebenso zwischen Universität und Staat prägte es das Bild des Gelehrten Jacquin als eines patriotischen Untertans.

Abb. 38: Klee, »Oxalis cernua«, Oxalis cernua Thun. (N. J. Jacquin, Oxalis. 1794, Taf. 6)

VII. Konstellationen und Strategien

VII. 1. Verschränkte familiäre, freundschaftliche und wissenschaftliche Sphären In den letzten Jahren interessierte sich die Wissenschaftsgeschichte jenseits der Biographieschreibung zunehmend dafür, inwieweit das private Leben eine Ressource für die Identitätsformung einer wissenschaftlichen Persona bedeute.1003 Aus solchen Fragestellungen folgt, dass die intime Lebensführung nicht mehr als separiert von der wissenschaftlichen verstanden und analysiert wird, sondern allenfalls als beide verschränkende. Oder anders formuliert, das wissenschaftliche Dasein kommt ohne das private nicht aus und vice versa. Welches Potential, lässt sich zudem fragen, ziehen Wissenschaftler aus ihren gesicherten, stabilen oder auch prekären Verwandtschaftsverhältnissen, in die sie eingebettet sind bzw. die sie durch Heirat bewusst herstellen? Und inwieweit lassen sich Entscheidungen auf dieser Ebene als fruchtbar für die wissenschaftliche Tüchtigkeit oder als Nachteil nicht nur des Einzelnen, sondern auch der ganzen Familie deuten? Oft als essentiell verstandene Dichotomien zwischen privat und öffentlich werden somit obsolet. Die wissenschaftliche Tätigkeit wird nun als von der familiären Sphäre mitgeformt verstanden. Auch der Haushalt eines Wissenschaftlers ist Teil einer Stadt mit ihren spezifischen gesellschaftlichstratigraphierten Räumen, die ihrerseits von der kulturellen Einzigartigkeit der Kommune und ihrer Umwelt bestimmt sind. Selbst ein die Nachkommen verbindendes Adelsprädikat, wie jenes von Nikolaus Jacquin mit einem Klee, kann anders gesehen werden, da es in Verbindung zu seiner Oxalisforschung ausgewählt wurde (Abb. 38, siehe vorige Seite). Wir wollen uns in einer Art konzentrischer Kreise von »außen« nach »innen« 1003 Hiezu bes. Deborah R. Coen, Vienna in the Age of Uncertainty. Science, Liberalism, and Private Life (Chicago / London 2007), bes. 21ff.; Janet Brown, Charles Darwin, The Power of Place (Princeton 2007); Mary Jo Nye, Aristocrats’ Culture and the Pursuit of Science: The Broglies in Modern France. In: Isis 99 (1997), 397–421.

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Konstellationen und Strategien

bewegen, begonnen beim städtischen Raum, seiner Betriebsamkeit, den gesellschaftlichen Lustbarkeiten, dann zu den Wohnungsverhältnissen und dem Haushalt übergehen. Über die Verwandtschaftsbeziehungen kommen wir zum familiären und wissenschaftlichen Leben Jacquins, um aus allen Aspekten zusammen dessen wissenschaftliche Persona besser einschätzen zu können. Denn Kommunikation, Geselligkeit und Familie spielten in seinem wissenschaftlichen Leben eine große Rolle. Stets diplomatisch auf seine Karriere bedacht, diente diese auch der Sicherung seines hohen Lebensstandards und des seiner engsten Angehörigen. Hand in Hand mit seinen wissenschaftlichen Ambitionen gingen seine kreativen, die Kunst und Musik mit der Wissenschaft verknüpften, die Zeichenkunst und die Sprache. Diese Sphären zu erkunden, liegt für HistorikerInnen nicht auf der Hand, Briefe geben dazu nur marginal Aufschluss; in unserem Fall mit Ausnahme der privaten Briefkonvolute an Jacquins Jugendfreund Jacobus1004 und an seinen Sohn Joseph während dessen Grand Tour durch Europa.1005 Punktuelle Informationen lassen sich bezüglich familiärer Ereignisse wie Taufe, Hochzeit und Begräbnis aus den Matrikeln ziehen, die Verbindungen, Verwandtschaft sowie in sie eingebundene Personen nachweisbar machen. Zusammengeführt ergeben sie ein dichteres Bild des Ineinandergreifens von Wissenschaft und Familie. Die Stadt Wien stellte ab 1768 bis zu seinem Tode 1817 für Jacquin den Mittelpunkt seines familiären Lebens wie auch wissenschaftlichen Wirkens dar. Es sind mit zwei Unterbrechungen 55 Jahre, die ihn an sie banden und in ihr heimisch machten. Erstmals 1752 frisch in Wien eingetroffen, schien sein Blick auf die Stadt getrübt, denn er zeigte sich besonders entsetzt über den Schmutz und Staub: »In der Hauptstadt selbst widerfährt einem das höchste Missbehagen, denn ihre Plätze und Gassen sind entweder mit einem Höchstmaß an Schmutz vollgestopft oder mit Wolken von Staub, sodass man überhaupt nicht schauen kann.«1006 Aus einer der saubersten Städte des damaligen Europa, aus Leiden, stammend, scheint sein Schock begründet. Noch in den 80er Jahren fand ein englischer Student diese Sauberkeit der niederländischen Kleinstadt so bemerkenswert, dass er seiner Mutter davon berichtete: 1004 ÖNB, HAD, Cod. 12778. 1005 Das Konvolut von 49 Briefen aus den Jahren 1788–1791 von Jacquin Vater an seinen Sohn wurde von dem Urenkel Karl Schreibers den 2. November 1870 Heufler-Hohenbühel zur freien Disposition übergeben und kam durch dessen botanischen Nachlass 728/1886 an das Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum Innsbruck. TLMF, Bibl., NL-Smlg, Heufler. Unseres Wissens wird dieses Briefmaterial hier erstmals ausgewertet. Eine vollständige Transkription ist einer eigenen Publikation vorbehalten, hier werden nur ausschnittweise Stellen in eigener freier Übersetzung angeführt. 1006 Vgl. Jacquin an Gronovius, Wien, 4. Oktober 1752, 19. Brief, Fol. 21r/v, ÖNB, HAD, Cod. 12778.

Verschränkte familiäre, freundschaftliche und wissenschaftliche Sphären

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»The principal street in which we live is truly noble, full of very handsome houses and fine public buildings: the houses have platforms of grey marble before them, which are washed clean every day ; the middles of the streets are paved with stones like the London pavement (not flag stones), and the sides with bricks; no gutters in the streets; and the whole is so clean that you might safely sit down in any part. The insides of the houses are neat in proportions, and superbly ornamented with marble; the rooms very lofty and large; every part so wonderfully cleaned and polished that you would be charmed with it: […] But every house in the town looks as if it had been cleaned and painted within this fortnight.«1007

Jacquin war mit seiner Empfindung keineswegs allein, in allen Beschreibungen Wiens der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zählte die Klage über den extremen Staub und Schmutz zum Dauerbrenner. So hieß es in einer Darstellung aus dem Jahr 1758: »Eine neue Unbequemlichkeit zu Wien ist der unbeschreiblich viele Unflat und Koth, damit die Gassen bei feuchtem und regnichtem Wetter angefüllet sind; dieses Übel macht die Notwendigkeit, dass man sich beständig ein Fuhrwerk in Bereitschaft halten lassen muss.«1008

Die öffentlichen Maßnahmen, um dieses Übel abzuschaffen, bleiben erfolglos und dem zunehmenden Verkehr unterlegen. Dreck und Vitalität lagen somit sehr eng beieinander oder bedingten einander sogar : »Die Vorwürfe, welche man vor Zeiten der Wienstadt wegen der Unreinlichkeit ihrer Straßen gemachet, können jetzt von rechtswegen, derselben nicht mehr zur Last gereichen; da man nichts sparet, solcher Unsauberkeit abzuhelfen. Das von großen breiten Steinen bestehende starke Pflaster, welches den schwersten Lasten zu widerstehen fähig ist, wird jährlich zweimal erneuert. Nicht nur die Hauptstrassen, sondern auch die meisten Nebengassen sind seit einigen Jahren mit gewölbten unterirdischen Schläuchen versehen worden, welche den Unrath aus den Häusern ableiten. Auch werden jährlich ansehnliche Summen verwendet, um bei einfallender übler Witterung, die Gassen zu reinigen. Gleichwohl kann man nicht sagen, daß mit dem allem der vorgesetzte Zweck völlig erreichet werde. Die Ursache wird dem beständigen Fahren beigemessen, welches vom frühen Morgen bis in die späteste Nacht dauert: allein sie ist vielmehr in einer alten Gewohnheit der Steinsetzer zu suchen, die das neugelegte Pflaster mit sogenanntem Schoder [Schotter], oder groben Kies einer Querhand hoch zu bedecken pflegen; der dann in ein paar Tagen, durch die vielen Wägen in Mehlsand verwandelt wird, und einen beständigen Vorrat von Staub, oder Kot verursacht.«1009 1007 Leyden, June 26, 1786. Lady Smith (Ed.), Memoire and Correspondence of the late James Edward Smith, in 2 vol. (London 1832), vol. 1, 152. 1008 Gottfried Schütze (Hg), Johann Peter Willebrandt, Historische Berichte und praktische Anmerkungen auf Reisen in Deutschland, etc. (Hamburg 1758), 363; sehr ausführlich äußert sich auch Christoph Meiners, Kleine Länder- und Reisebeschreibungen, 1. Bd. (Berlin 1791), bes. 62f. u. 75. 1009 Friedrich Wilhelm Weiskern, Topographie von Niederösterreich, 3 Bde. (Wien 1769);

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Konstellationen und Strategien

Schmutzbelästigung in einer überbevölkerten Stadt waren beliebte Aspekte der Beschreibung Wiens. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts wurde durch den Ausbruch des Österreichischen Erbfolgekrieges die Tradition der Kavaliersreisen zwar beendet und damit auch die historische Topographie, welche die Funktion eines Reiseführers für den Adeligen bis dahin erfüllte hatte, sie wurden aber durch die aufgeklärte Bildungsreise und die »Statistische Topographie« ersetzt.1010 Sehenswürdigkeiten, Adressen und Zahlen zur Bevölkerung konnten Neuankömmlinge über Wien dieser Literatur entnehmen. Um 1750 lebten etwa 54000 Menschen in dem Areal, das heute den ersten Bezirk ausmacht, 1772 waren es ca. 53000.1011 Im Vergleich dazu sind heute (2016) ca. 16000 Einwohner im ersten Bezirk wohnhaft, der ja durch den Wegfall der Basteien bedeutend erweitert wurde. Da keine große Fläche zur Verfügung stand, wuchsen die Häuser in die Höhe und vier bis fünf Stockwerke waren keine Seltenheit. Wegen der engen Gassen und vielen Kutschen behinderten sich die Wägen gegenseitig und es war sehr langwierig und schwierig, an ein Ziel zu gelangen. Eine Vielzahl an Equipagen, Land-, Stadtkutschen, Fiakern, Postwägen sorgten für den Pulsschlag der Stadt. Die Dichte an Menschen, die Schotterwege und die unterschiedlichen Beförderungsmittel stellten die Verursacher der Staubbelästigung dar, die Jacquin so negativ auffiel. »In Wien findet jedermann seine Freude am Kutschieren, und dies wird den Fußgängern manchmal zum Verhängnis«,1012 hieß es in einem Bericht aus dem Jahr 1787. Und das änderte sich auch in den 90er Jahren nicht: »Die Zahl der Mietkutschen, die man hier an allen Ecken der Straßen den ganzen Tag über bereit stehen sieht, und von welchen jede mit kupfernen Ziffernlettern numeriert ist, beträgt zwischen 500–600.«1013 Die nach Wien einlangenden Landkutscher hatten fixe Unterkünfte, so logierten die Badener und Neustädter beim »Goldenen Greiffen« in der Kärntnerstraße, die Grazer beim »Wilden Mann« in derselben Straße, die Preßburger beim »Goldenen Hirschen bey dem rothen Turm« und die aus Ofen kommenden bei den »Weissen Wölfen auf dem alten Fleischmarkt«.1014 Alle hatten sie festgelegte Ankunfts- und Abfahrtszeiten, so kamen z. B. montagvormittags die Kutschen »aus ganz Hungarn, Siebenbürgen,

1010 1011 1012 1013 1014

3. Bd.: Beschreibung der Haupt und Residenzstadt Wien, als der dritte Theil zur österreichischen Topographie (Wien 1770), § 16. Vgl. Kai Kauffmann, »Es ist nur ein Wien!« Stadtbeschreibungen von Wien 1700 bis 1783 (Wien 1783), 87. Vgl. Ignaz de Luca, Wiens gegenwärtiger Zustand unter Josephs Regierung (Wien 1787), 392. J#nos Fekete, Wien im Jahre 1787 (Wien 1921), 95. Johann Meermans Freyherrn von Dalem Reise durch Preussen, Oesterreich, Sicilien und einige an jene Monarchien grenzende Länder. Aus dem Holländischen übersetzt, 2. Bd. (Braunschweig 1794), 59. Neuer Calender des Bürgerl. Handel=Standes in Wien, auf das Jahr 1766 (Wien 1766), o. S.

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Croaten, Pohlen und Moscau. Von Inspruck, Salzburg, St. Gallen, Chur Graubünden, Constanz etc. und aus Berlin, Breslau, Neiß, Glatz, Ollmütz, Brünn.« Am Dienstag »aus Böheim, Sachsen, Hamburg, Hannover ec. Oberpfalz, Schwarzburg und Rußischen Landen [….]«, am Mittwochvormittag »aus Rom, Florenz, Livorno, Meiland.« Verzeichnisse der entsprechenden Standplätze mit den Fahrplänen der Postwägen enthielten z. B. der Neue »Calender des Bürgerl. Handel=Standes in Wien, auf das Jahr 1766«, der in allen Buchläden auflag und den Neuankömmlingen half, sich in diesem bunten Treiben der Stadt zurechtzufinden. Tag und Nacht Lärm, das Geklapper der Räder der Kaleschen und Kutschen, das Aufschlagen der Pferdehufe auf den Pflastersteinen, den durch unzählige Fahrzeuge hochgewirbelten Staub, die vielen unterschiedlichen Gerüche, aber auch die pittoreske Vielfalt der sich hier versammelten Fremden, das fand Jacquin vor, als er hier ankam. Das überwiegend aus dem Osten kommende Völkergemisch unterschied Wien wesentlich von den anderen europäischen Städten, wie es die so oft zitierte Pezzel’sche Beschreibung vermittelt: »Ein schönes Schauspiel für die Augen gewährt hier die Mannichfaltigkeit der Nazional=Kleidung aus verschiedenen Ländern. Die Stadt ist nicht in der einförmigen gewöhnlichen deutschen Tracht, wie die meisten übrigen europäischen Städte. Ihr begegnet da häufig dem steif gerade einherschreitenden Ungar mit dem pelzausgeschlagenen Dollman [Dolman= Männerjacke der ungar. Nationaltracht], den knapp anliegenden bis an die Knöchel reichenden Hosen, und mächtig langem Zopf; dem rundköpfigen Polen mit seinem mönchischen Haarschnitt, und fliegenden Ermeln: beide Nazionen sind von ihren Stiefeln unzertrennlich. – Die Armenier, Walachen und Moldauer, mit halb orientalischer Garderobe sind nicht selten. – Die knebelbärtigen Raizen [orthodoxe slawische Serben] bewohnen eine ganze Straße; die Griechen in ihrer plumpen weiten Kleidung schmauchen truppenweise in den Kaffeehäusern an der Leopoldsbrücke ihre langröhrigen Pfeifen. – Und die bärtigen Muselmänner, mit dem breiten Mordmesser im Gürtel trabben schwerfällig in gelben Pantoffeln durch die kothige Strasse. – Zum Vögelverscheuchen präsentieren sich die ganz schwarz eingehüllten polnischen Juden, mit verwachsenem Gesicht und klumpenweise zusammgeknüpften Haaren: eine lebende Satyre auf ihre eingebildete Auserwähltheit. – Böhmische Bauern endlich mit Kopernizen; Hungarische und Siebenbürgische Fuhrleute mit mantelförmigen Schafspelzen; und Kroaten mit schwarzen Kübeln auf den Köpfen, machen den Beschluß, und verursachen im allgemeinen Gewimmel den unterhaltenden Abstich. Eben diese Mischung sovieler Nationen erzeugt hier jene unendliche Sprachenverwirrung, die Wien vor allen europäischen Plätzen auszeichnet.«1015

Wien war infolge der Zuwanderung aus den südöstlichen Ländern Europas nicht nur vielsprachig, in Wien entfaltete sich auch ein internationales intellektuelles Leben. Durch den hohen Besucheranteil und Zuzug war die Stadt in der zweiten 1015 Johann Pezzl, Skizze von Wien. Heft 1 und 2 (Wien 1787–1790), 63 und 64.

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Hälfte des 18. Jahrhunderts auch zu einem bedeuteten Knotenpunkt kultureller Transfers geworden. 1752, als neu in der Stadt, verortete Jacquin diese nahe den Barbaren, wenn er meinte: »[…] der noch weiter geht, kann Ungarn, Kroaten, Slawen und andersartige Menschen, die noch barbarischer sind als ihr Name selbst und den Wilden ganz ähnlich sind, finden.«1016 Später sollten die unterschiedlichen Nationalitäten im Hause eines Kosmopoliten keinen Anlass zur Reserviertheit mehr bieten, denn er hatte ja auch fast fünf Jahre (1763–1768) in Schemnitz verbracht. Dort war er wohl mit Schülern aus unterschiedlichsten Richtungen der habsburgischen Länder konfrontiert worden, die ebenfalls nicht alle Deutsch als Muttersprache erlernt hatten. Wissenschaftlicher und künstlerischer Austausch hatten im Hause der Jacquins in Wien Priorität, worauf wir noch später eingehen werden. Die Musikbegeisterung bildete für ihn auch die Brücke zu der ansässigen Bevölkerung, sein erster Freundeskreis basierte auf dieser Gemeinsamkeit. Schon kurz nach seiner Ankunft in Wien 1752 war Jacquin über das Flötenspiel mit Franz Chr. Xaver von Schreibers1017 bekannt geworden. Musik sollte sich zu einem tragenden Element in Jacquins gesellschaftlichen Leben entwickeln, was wir anhand der Geschichte seines Salons noch zeigen werden. Durch die Musik kam er zunächst in Kontakt mit jungen Medizinstudenten wie Joseph Schreibers, Anton Störck, Georg Hasenöhrl1018 und anderen. Der Stiefvater der beiden Schreibers-Jünglinge, Leopold Erndl (1716–1761), Arzt im Bürgerspital (Abb. 39), unterstützte diese Studenten sicherlich auch beim Medizinstudium. Erndl wurde von van Swieten mehrmals als Kontagionsarzt bei Epidemien und Ansteckungsgefahr eingesetzt. Als im Juni 1754 in Idria (Idrija, heute Slowenien) eine Flecktyphus-Epidemie ausbrach, wurde Erndl umgehend einige Male dorthin gesandt, um sofortige Sanitätsmaßnahmen durchzusetzen.1019 Er nahm dabei Jacquin mit, der diese Reise seinem Jugendfreund Jakob Gronovius schilderte.1020 Somit verdankte er auch diesen Kontakten zu Wienern seine erste Tour in ein ihm ebenfalls fremdes Land, das zum Herrschaftsgebiet der Habsburger zählte. Eine freundschaftliche Beziehung zur Familie Schreibers bzw. Erndl war vom Anfang an aufgebaut worden. Katharina Schreibers, die Schwester der Freunde Jacquins, die er später heiraten sollte, hatte in dieser Zeit noch keinen bleibenden Eindruck bei ihm 1016 Jacquin an Gronovius, 20. Brief, Wien 1. Jänner 1753, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 26. Eigene Übersetzung. 1017 Franz Xaver Schreibers (1731–1798), Sekretär des k. k. Hofkriegsrats, war der Bruder von Joseph Schreibers und der Katharina Josepha, die sich 1763 mit N. J. Jacquin vermählte, und der Vater von Karl Franz Anton, des späteren Direktors des Hofnaturalienkabinetts. 1018 Johann Georg Hasenöhrl (1730–1796) nahm als Leibarzt Leopolds in der Toskana den Namen Lagusius an. 1019 Vgl. Erna Lesky, Arbeitsmedizin im 18. Jahrhundert. Werksarzt und Arbeiter im Quecksilberbergwerk Idria (Wien 1956), 21f. 1020 Vgl. Jacquin an J. Gronovius, 25. Brief, 17. August 1754, ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 33r/v.

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hinterlassen, da Jacquin, den Briefen an seinen Jugendfreund zufolge, seiner Geliebten in den Niederlanden noch sehr verbunden war und stets in diesen von seiner dortigen Liebsten schwärmte.1021

Abb. 39: Wohnstätte Jacquins, Bürgerspitalskomplex (Wien), nahe dem Kärntnertor (J. D. Huber, Die Kaysl.-Koenigl. Haupt- und Residenz-Stadt Wien vom Jahre 1769, Wien [1778], Detail)

Nach der Karibikreise schien Jacquin schnell wieder den Anschluss an seine Wiener Freunde gefunden zu haben. Bald ließ er sich seine Post an seine neue Adresse »A Monsieur Mr. Leopold Erndl Medicin de l’ hospital des Bourgeois quo D.ro D. Nic. Jacquin Wien«1022 schicken, und nach dem Tod von Erndl 1761 wurde der Name einfach durch den des Stiefsohnes ersetzt, »Mr. de Schreibers, Medicin de l’hopital des Bourgois / Vienne en Autriche.«1023 Jacquin wohnte demnach nicht mehr in dem vom Mäzen zur Verfügung gestellten Zimmer nahe der Hofbibliothek, sondern in dem am Kärntner Thor befindlichen Bürgerspitalkomplex. Die Verbindung Jacquins mit der Familie Schreibers wurde immer intensiver. Der Mediziner Leopold Erndl (1716–1761) hatte Franziska Schreibers, die Witwe Johann Heinrich Schreibers, geheiratet und wurde so der 1021 Das Thema spielt in den Briefen an Jacobus Gronovius eine große Rolle. 1022 Vgl. z. B. (L 2831), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. Zu diesem Zeitpunkt hatte Jacquin allerdings noch kein Doktorat vorzuweisen, wurde aber bereits als solcher adressiert. 1023 Vgl. z. B. (L 3169), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net.

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Stiefvater von Jacquins Freunden Franz Xaver und Joseph Ludwig.1024 Als Arzt des Bürgerspitals besaß er (bzw. die Familie Schreibers) dort auch eine Wohnung, neben dem Haus »Zum blauen Krebsen« auf dem Hohen Markt, in der Jacquin eben die nächsten Jahre untergebracht war. Zu den Jacquin näher bekannten Personen zählten auch jene Niederländer, die durch van Swieten nach Wien geholt worden waren und eine Karriere durchliefen. Aus diesem Kreis spielte der Pathologe Anton van Haen, der von Maria Theresia eine prächtige Amtswohnung in der riesigen Bürgerspitalsanlage zugesprochen bekommen hatte, eine für Jacquin wichtige Rolle, da er 1763 auch als Trauzeuge bei dessen Hochzeit fungierte. Bevor es nach Schemnitz ging, wo Jacquin auch einen Hausstand gründen sollte, hatte sich Jacquins private Situation geändert. Es war der Stellung eines neu berufenen Professors angemessen, eine Frau an seiner Seite zu haben. Am 30. August 1763 heiratete »Herr Nicolaus v. Jakin Jacquin Kais. Königl. Münzmeister zu Cremnitz [!] die Catharina Josepha von Schreibers, eine Tochter des Hl. Regiments-Secret[ärs] v[on] Schreibers.«1025 Als Trauzeuge fungierte nicht nur der berühmte Mediziner Anton de Haen, sondern auch der k.k. Fiskalrat Emil Gottfried Helm. Die Trauung fand in der Spitalskirche statt, der ehemaligen Klosterkirche der Clarissen, die zum Bürgerspital gehörte. Seine Frau, Tochter aus einem angesehenen Bürgerhaushalt, erhielt eine dem Wohlstand dieser Schicht entsprechende Mitgift. Die Beziehung zu ihr hatte sich aus der räumlichen Nähe Jacquins mit seinem Freundeskreis infolge seiner Untermiete bei diesen ergeben. Solche Eheanbahnungen waren für das Bürgertum und vor allem für Akademiker durchaus üblich. Es fanden dadurch eine Verdichtung der Verhältnisse und die Verschränkung zwischen Freundschafts- und Verwandtschaftsbeziehung statt. Das Paar hatte keine finanziellen Sorgen, worüber Jacquin ganz stolz gleich an Linn8 berichtete, nämlich dass er aus drei Angeboten für seine berufliche Zukunft (Innsbruck, St. Petersburg oder Schemnitz) wählen könne und im Oktober mit einem jährlichen Gehalt von 500 Dukaten beginnen werde.1026 Linn8 gratulierte ihm, vor allem zu seinem hohen Gehalt, er selbst nur 180 verdiene.1027 Gerade im akademischen Bereich wurde im selben Milieu geheiratet. Mädchen aus solchen Haushalten standen auch der Wissensaneignung näher und erwarben sich im familiären Zusammenhang unterschiedlichste Kenntnisse.

1024 Josef Ludwig Schreibers (1735–1809) war Arzt und enger Freund Jacquins. 1025 Matrikel: Wien 01 Bürgerspital /St. Augustin Trauungsbuch: 1637–1785, Bildnr. 02-0185. 1026 Jacquin an Linn8, 5. August 1763 (L 3286) und 18. September 1763 (L 3924), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1027 Linn8 an Jacquin, September 1763 (L 3299), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net.

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Aus zeitgenössischen Berichten wissen wir,1028 dass Jacquins Frau gebildet war und sich für Naturwissenschaften interessierte. Sie übersetzte z. B. ein in deutscher Sprache verfasstes Lehrbuch ins Französische, damit es ihr Mann als Grundlage für den Unterricht benutzen konnte. Sie machte das, um ihren Mann, der das Deutsche erst besser lernen musste, während seiner ersten Zeit als Professor an der Bergschule in Schemnitz zu unterstützen. Somit teilte sie durchaus das wissenschaftliche Leben Jacquins, übernahm nicht nur die ihr von der Gesellschaft definierte Rolle als zuständig für den Haushalt, sondern griff ihrem Mann sogar intellektuell unter die Arme, indem sie ihre sprachliche Kompetenz einsetzte.1029 Kurz nachdem Jacquin sich in Schemnitz häuslich eingerichtet hatte, erteilte ihm van Swieten als Mäzen und Wegweiser in Sache Karriere einen Rat. Am 17. Jänner 1764 erhielt er von seinem Gönner einen Brief, worin sich dieser über die Neujahrsglückwünsche bedankte und dieselben auch im Namen seiner Frau und Tochter zurückgab. Es freue ihn, dass Jacquin und Gemahlin mit der Situation und der Anstellung sehr zufrieden seien. Er machte gleichzeitig den Vorschlag, die zukünftigen Kinder »le petit montagnard, ou petite montagnarde future (le sexe n’y fait rien) Sa Majest8 / dans l’instant trHs gracieusement accord8 la permission, dans le faire tenir au baptÞme en son nom. Je croy qu’il convient, si c’est une fille, de la nommer Marie Th8rHse, si c’est un fils, FranÅois Joseph cela est un conseil, et pas un ordre.«1030 Diese Intervention belegt eindeutig, dass van Swieten sich wie selbstverständlich in die Namensgebung der Kinder, also in familiäre Belange, einmischen wollte. Oder war die Namensgebung doch kein privater Akt? Wiewohl Vorgesetzter Jacquins, zeigte sich van Swieten als Berater, der wohlmeinend förderliche Tipps für die Karriere gab. Die Grenzen zwischen privat und öffentlich waren in diesem Fall fließend, denn gerade die Namensgebung konnte auch eher familiären Traditionen und familiären Identitäten folgen oder dem opportunen Kalkül nach politisch motiviert ausfallen. Dass Herrschernamen in der Bevölkerung allgemein eine Rolle spielten, ist evident. Nur war mit diesem Hinweis van Swietens eine direkte Verknüpfung betont worden, dass ein beruflich gedeihlicher Werdegang auch von solchen Zeichen befördert werden könne. Am 7. Februar 1766 wurde Jacquins erster Sohn in Schemnitz geboren.1031 Er 1028 Brigitte Leuschner (Hg.), Georg Forsters Werke. 14. Bd. (Berlin 1978), 160. 1029 Mehr Beispiele zu diesem Phänomen: Therese Wobbe, Zwischen Vorderbühne und Hinterbühne (2003). 1030 G. van Swieten an Jacquin, 17. Jänner 1764, ULB Bonn, Autographensammlung. 1031 Matrikel: Slovakia, Church und Synagogue Books 1592–1910, Bansk# Sˇtiavnica Baptisms (Krysty) 1744–1784, Aufnahme 107. Als Taufpaten sind Herr Joseph Schreibers und Frau Franziska Erndl, Schwager und Schwiegermutter Jacquins angeführt.

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wurde auf den Namen Josephus Franciscus und nicht – wie van Swieten geraten hatte – auf Franz Joseph getauft, vielleicht weil am 18. August 1765 plötzlich und unerwartet Kaiser Franz Stephan, der große Förderer Jacquins, gestorben war und der neue Kaiser Joseph II. hieß. Am 11. Mai 1767 wurde Jacquins zweiter Sohn Emil Gottfried in Schemnitz geboren, nach seinem Taufpaten benannt, der schon Jacquins Trauzeuge gewesen war, nämlich »Emilianus Godefredus de Helm, Eques«. Als 2. Patin fungierte die Schwägerin, die Schwester seiner Frau »Maria Anna de Schreibers.«1032 Als die vierköpfige Familie 1768 von dem fünfjährigen Aufenthalt im ruhigeren Schemnitz wieder in das großstädtische Wien zurückgekehrt war und Jacquin im Oktober 1768 mit seinen chemischen Vorlesungen an der Wiener Universität begonnen hatte, gab es nicht sofort eine adäquate Wohnung für sie. Man nutzte den familiären Hintergrund und zog in das Herz der Stadt, in den ersten Stock des Hauses »Zum blauen Krebs« am Hohen Markt, welches der Schwiegermutter gehörte, was wir aus den Briefadressen schließen1033 können. Hier mussten sie alle vier mit dem wohl begrenzteren Raum vorlieb nehmen, bis das ihnen zugewiesene geräumigere Hofquartier, Obere Bäckerstraße Nr. 792 (heute 16), nahe dem Arbeitsort, bezugsfertig war. Seit 1770 existierte die Ordnung der Konskriptionsnummern, die eine erste offizielle Häusernummerierung darstellte und welche die alten Haus- und Schildernamen ablöste, die aber auch noch länger in der Alltagspraxis ihre Rolle spielte. Die Sommerresidenz war im Botanischen Garten am Rennweg lokalisiert, wie es die »Geschichte des Universitätsgartens«1034 belegt. Denn während der Sommermonate unterrichtete Jacquin Botanik im Botanischen Garten und konnte dort auch wohnen. Das Jacquin’sche Winterquartier (Obere Bäckerstraße Nr. 792), ein frühbarockes Bürgerhaus, stammte aus der 1. Hälfte des 13. Jahrhunderts und wurde 1712 mit zwei Geschossen aufgestockt. Den heute noch bestehenden und zugänglichen Innenhof mit dem nun verglasten schmiedeeisernen Pawlatschengang hatte Jacquin wohl schon so vorgefunden. Dieses Haus war am 14. November 1769 vom Hofrat und niederösterreichischen Regierungskanzler Thomas Ignaz Edler von Pöckh angekauft worden.1035 Die Wiener 1032 Slovakia, Church und Synagogue Books 1592–1910, Bansk# Sˇtiavnica Baptisms (Krysty) 1744–1784, Aufnahme 293. 1033 NHM, AfW, Jacquin Briefe, Gronovius an Jacquin vom 17. Dezember 1768 »Mons. N. J. Jacquin Conseiller & Professeur en Botanique et Chimie chez Madame la Conseillere d’Erndl sur le haut March8 a l’Ecrivisse bleue au premier etage. » Das Haus existiert heute nicht mehr. 1034 Vgl. Joseph Jacquin, Der Universitätsgarten in Wien. In: Medicinische Jahrbücher des kais.– königl. österreichischen Staates. N. F. 2. Bd. (Wien 1824), 482–528. Erschienen auch als Monographie (Wien 1825). 1035 Vgl. Paul Harrer, Wien, seine Häuser, Menschen und Kulturen. Als Manuskript hinterlegt im Archiv der Stadt Wien. 7 Bände in 17 Büchern, Bd. 4, II: Teil (Wien 1954), 374f.

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Hausbesitzer in der Stadt und den Vorstädten mussten gegen einen geringeren Zins Räume an Hofbedienstete vermieten. Hatte man das Recht auf ein Hofquartier, konnte man darum ansuchen. Zuständig dafür war der dem Obersthofmarschall unterstellte Hofquartiermeister. Auf Grundlage der eingeholten Informationen und einer entsprechenden kaiserlichen Entscheidung erfolgte sonach die Zuweisung der Wohnung (siehe Abb. 29). Die Lage der Jacquin zugewiesenen Wohnung war ideal, denn sie befand sich vis-a-vis der Universität und der Sternwarte. Jacquin musste nur die Straße überqueren, um in sein Laboratorium und den Hörsaal der Universität (heute Gebäude der Akademie der Wissenschaften) zu gelangen. 1795 sind drei Stockwerke für dieses Wohnhaus eingetragen, wir wissen jedoch nicht, ab wann das Haus dreistöckig wurde und auf welcher Ebene die Familie einquartiert war. Meist wurde das erste Stockwerk, nicht der zweite Stock, die Bel8tage, als Hofquartier vergeben. Durch die darunter liegenden Gewölbe war die erste Etage schwerer zu beheizen, und Gestank und Staub der Straße waren hier natürlich stärker zu spüren. Über die Anzahl der Zimmer erfahren wir leider nichts aus den biographischen Dokumenten, aber ein Zeitungsinserat von 1779, wonach das zweite Geschoss dieses Hauses zur Vermietung angepriesen wurde, vermittelt uns ein gutes Bild: »In der obern Beckenstrasse Nro. 792 ist der 2. Stock bestehend in 9 Zimmern, grosser Kuchel, Speisgewölb, Keller, Stallung auf 4 Pferde und Wagenschuppen, täglich zu verlassen, auch ist diese Wohnung umso bequemlicher zu beziehen, als solche erst kürzlich ganz neu möbliert worden, folglich die Plafonds, Thüren, Lamperien, und Fensterstöcke in vollkommenen Stande und neu angestrichen sind; wer hiezu Belieben trägt, hat sich im nämlichen Haus bey dem Hausmeister anzufragen.«1036

Die dem Inserat zufolge äußerst großzügige Zimmeraufteilung wird wohl auch im ersten Stock einen ähnlichen Grundriss gehabt haben. Kammern für das Personal wurden meist nicht extra ausgewiesen. Die Wohnsituation der Familie dürfte als nicht beengt bezeichnet werden. Nach dem Tode Maria Theresias wurden die Hofquartiere von Joseph II. mit dem Edikt vom 16. Februar 1781 sofort abgeschafft. Diese Änderung bildete einen massiven Eingriff in Jacquins Gewohnheiten, der – wie der Adel – die Winter in der Stadt, aber die Sommer am Rennweg außerhalb der Stadtmauern, also den Jahreszeiten angepasst, verlebte. Diese Flucht aus der eigentlichen Enge der Stadt in die Sommerfrische, vom Adel repräsentiert durch die barocken Palais, welche die Stadt mit ihren Gärten säumten, verwandelte sich später im 19. Jahrhundert in eine vom Bildungsbürgertum übernommene beliebte Praxis, welche eine eigene Architektur und Kultur, sei es im Salzkammergut oder Kamptal, entwickelte und für liberal1036 Nachtrag zum Wiener Diarium Nr. 78 (1779), 17.

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intellektuelle Schichten und deren Kultur kennzeichnend wurde.1037 Jacquin dürfte auch ein Landhaus zur Verfügung gehabt haben, denn wir wissen, dass sein Freund Mygind, für seinen Sommeraufenthalt 1772 Mödling wählte und dort im Jacquin’schen Landhaus wohnte.1038 Mygind, der die Beziehung zu Jacquin auch während der Schemnitzer Jahre nicht abbrechen hatte lassen, wohnte in Wien ganz in Jacquins Nähe. Dem »Commercien–Hofrath« war ein Hofquartier im Klerfi’schen Haus in der Oberen Bäckerstraße zugewiesen worden.1039 Zu den engeren Freunden zählten auch der Lohn genießende Franz Bauer (1758–1840), der wie auch schon sein Bruder Ferdinand (1760–1836) als Maler bei Jacquin für dessen Pflanzenabbildungen tätig war und in die Familie integriert wurde. Bauer und seine Brüder waren alle begnadete botanische Zeichner.1040 Ferdinand und Franz sollen bei Jacquin, wo sie wahrscheinlich auch gewohnt haben, in den Gebrauch des Mikroskopierens eingeschult worden sein. Der Kontakt zur Familie war bestens. Als Franz Bauer Jacquins Sohn 1788 nach London begleitete, ließen ihn die Familie in den Briefen immer wieder herzlichst grüßen. Jacquin hatte sich bemüht, für Bauer Reisegeld aufzutreiben und konnte Graf Dietrichstein mit Hilfe Mademoiselle Nanette Natorps dafür gewinnen, ihm 400 Gulden zu senden.1041 Trotz dieser engen Beziehung ließ sich Franz Bauer von Joseph Banks abwerben. Bei den Jacquins lagen die Winter- und die Sommerwohnung nicht so weit auseinander wie beim Wiener Hochadel oder später dem Bildungsbürgertum der liberalen Ära, den Verlust der Stadtwohnung goutierte Jacquin jedenfalls gar nicht. Einem Besucher gegenüber dürfte er dies als staatlich-herrschaftliche Rücknahme von Vorrechten bewertet haben, denn dieser schrieb: »Man […] hat ihm und allen Professoren auf der Universität ihre Hofquartiere genommen, Born bekam doch noch Quartiergeld, aber Jacquin und die andern nichts. Man spricht auch schon von Verminderungen der Besoldungen, und will, die Prof. sollen nebst wenigen hundert Gulden von den Studenten leben, als wenn Wien schon wäre wie Göttingen, Halle […].«1042

Als der berühmte Friedrich Nicolai 1784 Wien besuchte, bezog er sich bei seiner Beschreibung auch auf Sanders Bericht: 1037 Coen, Vienna in the Age of Uncertainty (2007), 17ff. 1038 Vgl. Ludwig Freiherr v. Hohenbühel-Heufler, Franz von Mygind, Bd. XX (Wien 1870), 898. Im Mödlinger Stadtarchiv war kein Beleg für dieses Landhaus zu finden. 1039 Vgl. K.k. Innerösterreichischer Instanzcalender 1766 (Wien 1766), 6, heute Bäckerstr. 2. 1040 Siehe weiterführend: Walter Lack, Ferdinand, Joseph und Franz Bauer : Testamente, Verlassenschaften und deren Schicksale. In: Annalen des Naturhistorischen Museums Wien, 104B (März 2003), 479–551. 1041 Siehe dazu N. Jacquin an F. J. Jacquin, 21. April 1789, TLMF, Bibl., NL-Smlg, Heufler. 1042 Heinrich Sander, Beschreibung einer Reise (1784), 541.

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»Dieser [Jacquin] große Mann lebt nebst seinem berühmten Schwager Ingenhousz ganz den Wissenschaften, für die beide noch beständig so viel thun. Hr. Prof. Sander berichtet, dass man diesem würdigen Manne die Pension genommen, die ihm vermöge eines Kontrakts mit Kaiser Franz I. gehörte, als er auf dessen Befehl die Reise nach Amerika that, und daß ihn dieses in Verlegenheit setze. Ich will hoffen, daß Hr. Prof. Sander diesmahl unrecht ist berichtet worden. Eine Pension, vermöge eines Kontrakts, für geleistete Dienste und für so wichtige Dienste, ist ein erworbenes Recht, das ohne Unrecht nicht genommen werden kann. Es wäre unerhört, wenn man sie mit solchen Pensionen in eine Klasse setzen wollte, die ohne Verdienst, durch die Gunst von Kammerfrauen oder Beichtvätern erbettelt worden; und wenn man einen so großen Mann wollte darben lassen, der zu den wenigen gehört, die die Ehre der Wiener Universität retten können.«1043

Was als Lohn für sein berufliches Engagement interpretiert werden konnte, sah Jacquin vorübergehend dahinschwinden. Die Familie Jacquin hatte nun ihre Innenstadtwohnung verloren und nutzte ab diesem Zeitpunkt ihre Sommerresidenz am Rennweg das ganze Jahr über als Hauptwohnsitz. Gesichert ist allerdings, dass Nikolaus Jacquin 17951044 wieder in der Bäckerstraße logierte und dass am 31. Juli 1802 Maria Barbara Edle von Jacquin, geb. Freiin von Natorp, Jacquins Schwiegertochter, dieses ehemalige Hofquartier (Obere Bäckerstraße 792, seit 1795 Nr. 806) käuflich erworben hatte. Bis 1873 blieb das Haus im Besitz der Familie.1045 Im Unterschied zu dem Junggesellendasein, das Jacquin 1752 bis 1754 und 1759 bis 1763 in Wien erlebt hatte, war die Zeit 1768 bis 1817 eine auch von der Familie determinierte. Zwei Kinder waren in Schemnitz zur Welt gekommen, mit denen, dem zweijährigen Joseph und dem einjährigen Gottfried, er 1768 wieder nach Wien zurückkehrte. Am 9. Oktober 1769 wurde Franziska geboren,1046 die einzige Tochter Jacquins. Nun war die Familie fünfköpfig, Schwiegermutter und Schwägerin Maria Anna, die auch als Taufpatin für Franziska fungiert hatte, sprangen erneut helfend ein, sie waren ja auch früher öfters nach Schemnitz gefahren, um Katharina in der neuen, noch fremden Umgebung zu unterstützen. Dass sie hierbei auch als Briefboten und Pflanzenüberbringer in Anspruch genommen wurden,1047 unterstreicht unser Argument, dass nahezu alle Familienmitglieder in die Tätigkeiten Jacquins einbezogen wurden, ihn unterstützten. 1043 Friedrich Nicolai, Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz, im Jahre 1781. Nebst Bemerkungen über Gelehrsamkeit, Industrie, Religion und Sitten. 4. Bd. (Berlin / Stettin 1784), 761. 1044 Hof- und Staats=Schematismus des österr. Kaiserthums (Wien 1795). 1045 Vgl. Paul Harrer, Wien, seine Häuser, Menschen und Kulturen, Bd. 4/II, (1954), 375. 1046 Taufmatrikel, Taufbuch St. Stephan 1768–1770, Bildnr. 02-0363: 10. Oktober 1769 Franziska Maria Jacquin. 1047 Vgl. z. B. Hohenbühel-Heufler, Franz von Mygind, der Freund Jacquin’s (1870), 885.

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Konstellationen und Strategien

Um seine Frau aber mehr zu entlasten,1048 holte Jacquin seine Lieblingsschwester Agatha von Leiden nach Wien. Sie führte nun den Haushalt und half bei der Kinderaufsicht mit. Über sie gibt es etliche Anekdoten, so hatte sie einen kleinen Reinlichkeitswahn, und als einmal die gerade in Mode gekommenen Salzstangerln ins Haus geliefert wurden, hatte sie eigenhändig das Salz davon abgerubbelt. Persönliche Mitteilungen über Jacquins Alltag finden wir in der Korrespondenz selten, sie tauchen eher nur en passant auf, so schreibt er z. B. am 20. März 1771 Linn8,1049 dass die gesamte Familie vom Scharlach genesen sei, einer Infektionskrankheit, die vor Einführung der Antibiotika als hochgefährlich galt und oft letal ausging. Seinen Freundeskreis konnte Jacquin stetig erweitern, noch dazu mit einem Landsmann und interessanten Gelehrten: Jan Ingenhousz war 1768 nach Wien berufen worden, um hier die Pockenimpfung einzuführen. Nachdem er die kaiserlichen Kinder behandelt hatte und danach mit der allgemeinen Impfung startete, entlohnte ihn Maria Theresia fürstlich mit einer lebenslangen Pension. Die Wiener Ärzteschaft mit van der Haen an der Spitze stand der Impfung jedoch mit Skepsis gegenüber. Van Swieten verhielt sich neutral, da die Berufung durch die Herrscherin erfolgt war, aber er zeigte sich Ingenhousz gegenüber doch sehr reserviert; das Arbeitsklima war alles andere als angenehm für diesen. Als Ingenhousz 1770 über Italien und der Schweiz nach London reiste, besuchte er auch Haller und erzählte ihm, dass trotz van Swietens Protektion das Arbeiten unter den Wiener Ärzten wie in einem Wespennest1050 sei, van Swieten gebärde sich wie die Sonne, um die alle kreisen müssten. Diese Situation band Ingenhousz enger an Jacquin, in dessen Familie er integriert worden war. Er fühlte sich sehr wohl bei den Jacquins, vor allem ersetzten ihm die Kinder seine Nichten und Neffen in Breda, die er sehr vermisste. Da es für Hofleute üblich war, dass sie in höheren Positionen verheiratet waren, lastete ein gewisser gesellschaftlicher Druck auf Ingenhousz und so bat er 1775 Agatha Jacquin um ihre Hand. Am 25. November 1775 heirateten die beiden im Stephansdom, Nikolaus, der Brautbruder, war Trauzeuge.1051 Die 1048 Dienstpersonal war natürlich vorhanden, siehe z. B. die »Kammerjungfer bey der Frau von Jacquin Professoris publici Eheconsortin, Maria Anna Niedermayer, welche den 13. Januarii 1775 testata gestorben.« UAW/CA VA Fasz. 69 Nr. 7. 1049 Vgl. (L 5432), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1050 Vgl. Norman and Elaine Beale, Echoes of Ingen Housz the long lost story of the genius who rescued the Habsburgs from smallpox and became the father of photosynthesis (Salisbury 2011), 182. 1051 Trauungsmatrikel: Pfarre 01, St. Stephan, Trauungsbuch: 1775, Bildnr.: 03-Trauung_0671. »Der wohledle und hochgelehrte Herr Johannes IngenHousz K.K. Rath und Leib Medicus, ledig, geb. zu Breda in Holland, das 7. Jahr in Wien, wohnt auf dem Franciscanerplatz in Graff Sonauischem Haus N. 951. Mit dem wohledel Fräyle Maria Agatha Jacquin, geb. zu Leiden in Holland des Claudius Nikolaus JACQUIN und der Maria Elisabetha geb. van

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Braut war vierzig Jahre alt, Ingenhousz fünfundvierzig, sein Brief an seinen holländischen Freund Hoogeven beschreibt diese private Entwicklung: »A lengthy silence has at last produced something momentuous […] something important, something unusal, something you would not have expected. After long and careful consideration I have actually made a decision of which you may not wholly approve. For a long time I have been in doubt as to what I should do: return to my native country or spend the rest of my life in these regions. […] To marry a girl too different in age from myself would not suit me for various reasons: I like a quiet life but it would change into a restless existence, I think, in the midst of lots of young people and this is not even without danger, especially in circles where conjugal fidelity is a rare thing and chastity among woman hard to find. Some years ago I made the acquaintance of a young Dutch woman, born at Leyden, Agatha Maria Jacquin by name, who lived in the house of her brother, an adviser in the mining industry, Professor of Chemistry and Botany ; well-known in the scientific world and a friend of mine. She looked after his household and led a quiet life amid the day-to-day chores; she was used to spending her spare time in reading books and is now 40 years of age, I myself having reached my 45th year. She is now my wife.«1052

Ingenhousz hatte sich die Entscheidung für eine ewige Bindung nicht leicht gemacht, unverzichtbare Werte wie eheliche Treue, Keuschheit und Sittsamkeit standen auf seiner Wunschliste. Sie wirkten als Standard aller zeitgenössischen Erwartungskataloge an Frauen im bürgerlichen Milieu, doch standen sie einem besonderen Charakteristikum, das Ingenhousz auch ins Kalkül zog, nämlich dass er seine verehrte Agatha (auch oft Agathe) häufig Bücher lesend vorgefunden habe, nicht im Wege. Offenbar kristallisierte sich in dieser Tätigkeit des Lesens auch eine intellektuelle Seite der Braut, die er schätzte. Und auch seinen Freund Benjamin Franklin informierte Ingenhousz über seine geänderten Lebensumstände und seinen doch wohlbedachten Schritt in den Ehestand. »You will be surprized to hear that I am married with a Dutch Lady, the sister of Mr. Jacquin professor of botany and chemistry in this University, and well known in the learned world by his various botanical and chemical Works. But you will perhaps not approuve that I took one, who is but 5 years younger than I. However, after a great deal of reflexions I thought that such a wife did suit me better at my age than a young girl. This changement in my life will not prevent me from visiting my friends in England«1053.

Heyningen, beyde seelig, eheliche Tochter, wohnt bey ihrem Bruder Hrn. Nikolaus Joseph JACQUIN in dem freyen Universitätsgebäu.« 1052 Von Ingen Housz an H. Hoogeveen, Nov. 1775, ÖNB, Cod. Ser.n. 4061, fol. 28; zit. auch nach Beale, Echoes of Ingen Housz (2011), 229. 1053 Ingenhousz an Franklin am 5. November 1776, Benjamin Franklin Papers – To Jan Ingenhousz (unpublished) – 41:u249, franklinpapers.org/franklin/yale?vol=41& page=249 (abgefragt August 2015).

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Die Tatsache, dass Agatha die Schwester des berühmten Professors war, spielte für Ingenhousz wohl auch eine Rolle, der gelehrte Freund Jacquin sollte nicht nur Gesprächspartner auf Augenhöhe bleiben, sondern zudem Schwager werden. Die Eheschließung verdichtete das Band zwischen beiden Männern und der ganzen Familie. Die Ehe schien trotz mehrmaliger längerer Abwesenheit des Ehemanns, welcher der Wissenschaft wegen auch gerne reiste, glücklich gewesen zu sein. Jedenfalls beschrieb dies Lord Landsdowne (1737–1805) nach Ingenhousz’ Tode so der holländischen Familie: »My longstanding friendship with your worthy and respected parent, Dr. Ingen Housz, makes me feel deeply saddened at the painful news I have to give to you. [ …] He spoke about all his family in Holland in a most affectionate way and he spoke to me at length about Mrs. Ingen Housz, his wife, with feelings of tenderness and pity and with the greatest respect; he trusted her completely and was deeply touched by her devotion to him and by all the ways in which she had proved this trust and devotion. He also spoke to me about Mr. Jacquin with regard and affection …«1054

Lord Landsdowne war ehemaliger Staatssekretär des Auswärtigen, der Gelehrte und Künstler förderte und auch Ingenhousz aufgenommen und ihn auf seinem letzten Weg begleitet hatte. In seiner Wiener Zeit hatte Ingenhousz, der von Maria Theresia ausgiebig belohnt worden war und mit einer schönen Pension bis an sein Lebensende über ausreichend Geld verfügte, auf Anraten Jacquins auch in transsilvanische Minen investiert, was sich letztlich jedoch als nicht erfolgreich erweisen sollte.1055 In den folgenden Jahren richtete er sich ein kleines Labor im Botanischen Garten der Wiener Universität ein, um dort seine pflanzenphysiologischen Studien fortsetzen zu können, was wir dem Bericht von Sander entnehmen können: »Hr. D. Ingenhouß, Hr. Jacquins Schwager, hat ein Zimmer hier zu seinen Versuchen. Er hatte allerley Wasserpflanzen, die feinsten Conserven, Bysus etc. in Glaskugeln hier stehen, damit sich ihm die verschiedenen Arten von Luftgattungen erzeugen sollten, die er zu seinen Versuchen zur Widerlegung der Engelländer, die ihn angegriffen haben, nötig hat.«1056

Im Gegenzug half Ingenhousz Jacquin bei dem Verkauf von dessen Werken; er nahm Mustertafeln und einzelne Faszikel vom »Hortus« und »Florae« auf seine Reisen mit und engagierte sich beim Aufbau eines Vertriebsnetzes. In London konnte er sogar den Buchhändler Pierre Elmsly als zukünftigen Verkaufsagenten

1054 Brief von Landsdowne aus Bowood an Arnold Ingenhousz in Breda, am 9. September 1799, Gemeindearchiv Breda, BGA. A. 13. Zit. bei Beale, Echoes of Ingen Housz (2011), 515. 1055 Vgl. Beale, Echoes of Ingen Housz (2011), 176 und 484. 1056 Heinrich Sander, Beschreibung seiner Reisen. 2. Theil (Leipzig 1784), 545.

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für Jacquin gewinnen.1057 Jacquin wiederum versuchte in Wien die Stimmung für Ingenhousz unter den Gelehrten positiv zu beeinflussen. Aus diesen wenigen Befunden ergibt sich, dass man sich in der Verwandtschaft unter die Arme griff, selbst die ausschließlich Jacquin zustehenden Räume im Botanischen Garten wurden seinem Schwager zur Verfügung gestellt. Wiewohl Freizeit und Arbeit in diesen Jahrzehnten noch kaum separat gelebt wurden, wäre dennoch zu fragen, welche Aktivitäten die Familie Jacquin in Mußestunden unternahm und welche spezielle Vergnügungsformen existierten, die den Charakter einer Stadt wie Wien spezifisch prägten. Öffentliche Spektakel wie das Hetztheater, Lauferrennen oder die auf der Jesuitenwiese im Prater stattfindenden Feuerwerke zählten zu den Unterhaltungen, die unterschiedliche Schichten der Gesellschaft faszinierten. Für die Teilnahme der Familie Jacquin haben wir keinen Nachweis, ihre passive Präsenz ist allenfalls anzunehmen. Sicher hat die Familie jedoch der Fronleichnamsprozession beigewohnt, die alljährlich einen Höhepunkt des katholischen Festjahres darstellte. Schon auf seiner Karibikreise hatte Jacquin es genossen, in Cartagena ein sehr prunkvolles Fronleichnamsfeste zu besuchen. In Wien jedoch, Jahre später, stand Jacquin vielleicht auf der Seite der Akteure und nicht bei der Masse der Zuschauer. Die Wiener Schaulustigen stritten sich schon früh am Morgen um gute Plätze. Vergegenwärtigen wir uns einen solchen »Schauzug«, dessen Schilderung uns Karl von Zinzendorf für den 1. Mai 1761 überliefert: »Am Anfang kamen nur die verschiedenen Zünfte, jede einzelne mit schönen Fahnen. Etwa 2 Stunden später folgten die Mönche der verschiedenen Orden, die Trinitarier, die von St. Michael, die Kapuziner und die grauen Franziskaner mit dem einzigen Unterschied, dass die ersteren Bärte tragen, die Benediktiner ganz in Schwarz, die Angehörigen des Predigerordens oder Dominikaner schwarz und weiß. Auch die ArciHren oder die 100 Schweizer zogen vorüber. Ein Bataillon von Leopold Daun stand unter den Waffen am Platz. Nach den Kämmerern und den Räten im Mantelkleid kam das Allerheiligsten, von einem Priester unter einem Baldachin vor dem Erzbischof getragen, der vor einem Altar neben der Dreifaltigkeits-Säule den Segen austeilte. Die kaiserlichen Majestäten und die kaiserliche Familie mit allen Damen und einigen Ministern nahmen auf einer Tribüne Platz, gerade vor dem Haus, indem ich mich befand. Nach dem Segen bewegte sich der Baldachin, getragen von 2 jungen Grafen und 2 anderen, weiter. Ihm folgten der Nuntius, der Kaiser und die Kaiserin, alle mit Kerzen in den Händen, dann kamen ungefähr 20 Hofdamen.1058

Die Fronleichnamsprozession erwies sich nicht nur als religiöser Ritus, sondern artikulierte in performativer Weise eine Manifestation der hierarchischen Ordnung der Gesellschaft und ihrer vielen Glieder, der Stände, des Militärs, der 1057 Siehe dazu N. Jacquin an Pierre Elmsly, Brief, 2. April 1771, ÖNB, HAD, Autograph 13/772: über den Verkauf seiner Werke. 1058 Karl von Zinzendorf, Wien von Maria Theresia bis zur Franzosenzeit (1972), 33.

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Kirche und der Hofes. Wer die Wiener Gesellschaft in all ihren Facetten samt Kleider- und Rangordnung sehen wollte, musste sich in die Menge der Schaulustigen mischen. In diesem Spektakel wurde auch der Anteil jener Bürokratieformation sichtbar, welche die Stadt als Kommune ausmachte: »Einer von den prächtigsten Tagen ist das Fronleichnamsfest, weil bei dem großen Umgange desselben, nicht nur die ganze Bürgerschaft, sondern auch der Hof, wenn keine Trauer ist, geputzt erscheinet. Den Anfang machen die bürgerlichen Zünfte mit ihren großen, kostbar mit Gold und Silber geschmückten Fahnen. Diesen folgen die gesamten Klostergeistlichen; die Pfarren der Stadt; der äußere Rat; die Offiziere des bürgerlichen Regiments: die Stadtgerichtsbeisitzer ; der innere Magistrat, mit dem Bürgermeister und Stadtrichter, welchem letztern ein großes mit Silber beschlagenes Schwert, in der Scheide, mit zur Erde gekehrter Spitze vorgetragen wird. Ferner : die k. k. Hofbedienten; die Truchsesse, und Mundschenken; die Kämmerer, und Geheimräte; die Ritter des Stephans= und Theresiaordens; die Commandeurs von St. Stephan; die Großkreuze eben dieses und des Theresiaordens; die erstern mit ihrem goldenen Ordensketten umhabend, mit den Domherren von St. Stephan vermischt, und zur rechten Hand, die vier Dekane nebst dem Rector der Universität, mit ihren Zepterträgern, unmittelbar vor dem Himmel, unter welchem das hochheilige Altarssakrament von dem Kardinal Erzbischofe getragen wird. Dem hochwürdigsten Gute folget der Kaiser zwischen den 2 ältesten Rittern des goldenen Vliesses, von den anwesenden Botschaftern, und den Gardehauptleuten begleitet; die Kaiserin Königinn, nebst den Erzherzoginnen, von ihren Obristhofmeistern geführt; dann die Obristhofmeisterinnen und Hofdamen; die letztern mit den Stadtdamen vom ersten Range vermischt.«1059

Rang, Kleiderordnung und Rechtsräume wurden hier wie sonst nie im Alltag auf einen Ort zusammengeführt sichtbar. Freilich trug die Szene bereits anachronistische Züge, da die Universität ihre Tradition als ehemalige Korporation bereits abgelegt hatte. Es ist zu vermuten, dass Jacquin sogar persönlich an der Prozession teilnahm, eingereiht in die Gruppe der Repräsentanten der Universität, für die eine aktive Teilnahme eine Verpflichtung darstellte. Eine Lustbarkeit in Wien hatte auch eine besondere Tradition und band ebenfalls höfische Bezüge mit unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen aneinander : das Lauferrennen. Es bildete jährlich am 1. Mai eine Hauptattraktion in Wien und hatte sich aus dem mittelalterlichen Scharlachrennen entwickelt. Die Teilnehmer dieses Wettlaufs setzten sich aus Lakeien des Kaisers und vieler Adeligen zusammen, die ansonst nachts die Wagen ihrer Herrschaften laufend mit Laternen eskortierten bzw. tagsüber den Weg der herrschaftlichen Kutschen ebneten, denn in den schmalen Gassen Wiens, wo die Equipagen bei Gegenverkehr kaum umdrehen bzw. rückwärtsfahren konnten, waren diese »Laufer« 1059 Friedrich Wilhelm Weiskern, Topographie von Niederösterreich. 3 Bde. (Wien 1769); 3. Bd: Beschreibung der Haupt und Residenzstadt Wien, als der dritte Theil zur österreichischen Topographie (Wien 1770), 55, § 62.

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eine Einrichtung. Der Wettbewerb der Besten von ihnen führte vom Pratereingang bis zum Lusthaus und wieder zurück, wobei die in prunkvollen Livreen gekleideten Läufer von den Zuschauern angespornt wurden.1060 1848 wurde das Rennen schließlich verboten. Für die Eliten jedoch bildete das eigene Domizil die wichtigste Bühne gesellschaftlicher Aushandlung. Denn außer bei diesen öffentlichen Aktivitäten trafen sich Teile der Wiener Gesellschaft in einer sehr vielfältigen Salonlandschaft. Diese Kultur erreichte im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts in Wien einen ersten Höhepunkt. Neben den adeligen Zirkeln entwickelten sich die des Geldbürgertums und der geistigen Elite. Die Exklusivität der adeligen Kreise wurde nun durch ständeübergreifende Ausweitung in bürgerliche durchbrochen. Eine Mischung der Salonbesucher aus den Bereichen Politik, Wissenschaft, Kunst und Kultur war ihnen eigen.1061 Salons bildeten Knotenpunkte, in die lokale Netzwerke für den geistigen Transfer mündeten. Es gab Salons, wo die Musik den Mittelpunkt bildete, wie z. B. der von Alexander Laugier,1062 dann auch viele literarische geprägte, wie etwa der Greiner’sche Salon (den später die Tochter Caroline Pichler fortführte). Dort waren neben den Literaten aber auch Naturforscher, wie Jacquin und Ignaz von Born stets willkommen. Und dann existierten die doch eher wissenschaftlich motivierten Zirkel, wozu die Mittwochabende bei den Jacquins im Botanischen Garten zu den wichtigsten zählten. Dem Schauspieler, Grönlandforscher und Mineraliensammler Karl Ludwig Giesecke (1761–1833) erwies sich die Tischgesellschaft als »unvergesslich.«1063 Erinnert wurden später in der entsprechenden Literatur besonders die brisanten Debatten, wie im Falle der von Born neu eingeführten und heftig verteidigten Amalgamierungsmethode. Reminiszenzen öffnen uns ein Fenster in eine hybride, semiprivat-öffentliche Sphäre: »In einem der Salons stand ihr berühmtes Kanapee (Greiner). Während die Damen strickend um den runden Tisch sitzen, stehen die Männer in Gruppen beisammen oder gehen lebhaft disputierend auf und ab. Im Nebenzimmer Spieltische […] Die Diskutanten bleiben meist um die Hausfrau geschart. Der Botaniker Nikolaus Joseph von Jacquin und sein Kollege Ignaz von Born befinden sich mitten im Streitgespräch, ob Gold durch Amalgamation mit Quecksilber gereinigt werden kann. […] Griesgrämig verteidigt Born seine Entdeckung, auf die er stolz ist. Jacquin gibt nach. Bei ihrem 1060 Vgl. Reinhard Petermann, Wien von Jahrhundert zu Jahrhundert (Wien 1927), 427. 1061 Vgl. dazu auch Waltraud Heindl, Gehorsame Rebellen. Bürokratie und Beamte in Österreich. Band 1: 1780–1848 (Wien 20132), 267. 1062 Vgl. dazu Bernhard Baumgartner (Hg.), Dr. Charles Burney’s musikalische Reise durch das alte Österreich (1772). (Wien 1948). 1063 Giesecke an Karl Fr. A. Schreibers, Brief, Dublin, 15. Mai 1821, ÖNB, HAD, 9/47-(2). Siehe auch: Gerd Ibler, Karl Ludwig Giesecke (1761–1833). Das Leben und Wirken eines frühen europäischen Gelehrten, Protokoll eines merkwürdigen Lebensweges. In: Mitteilungen der Österr. Mineralogischen Gesellschaft 156 (2010), 37–114, bes. 95.

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nächsten Treffen, an einem der berühmten Mittwochabende im Hause Jacquin, werden sie das Thema wieder aufnehmen. Auch in ihren Wohnungen finden Zusammenkünfte der geistigen Elite Wiens statt.«1064

Die gegenderte Darstellung des gesellschaftlichen Fluidums, welche passive strickende Frauen den in Bewegung befindlichen aktiven Männern gegenüberstellte, schweigende Frauen den diskutierend-räsonierenden Männern, war für die Auffassung der Zeit typisch. Auch die Rolle der Gastgeberin als Ruhepol war dieser Dichotomie verpflichtet, allerdings bildete sie gleichzeitig ein Zentrum des Haushalts. In Salons bekamen Frauen zwar einen ihren Männern komplementären Platz zugewiesen, dennoch konnten sie sich gerade in diesen semiöffentlichen Räumen in ihrer Funktion als Hausherrin repräsentieren und auch als Gebildete artikulieren. Georg Forster, der in Wien während seines Aufenthaltes herumgereicht wurde und auch die Jacquins besuchte, lobte den »sehr angenehmen Ton in Gesellschaften, man ist […] gleich vom ersten Eintritt auf dem freundschaftlichen vertrauten Fuß […] ohne ängstliche Zurückhaltung, ohne steifes Zeremoniell.«1065 Über die Schönheit, den Witz und die ungenierte Art der Wienerin schwärmte er geradezu. Jedermann könne Französisch und Italienisch »und zum Erstaunen viele Englisch.«1066 Klavierspielen und Zeichnen gehörten hier zur Allgemeinbildung, schrieb er begeistert an Freund Thomas Sömmering (1755–1830). Der besondere Lebensstil beruhte natürlich bei der Familie Jacquin auch auf einem pekuniär guten Auskommen. Finanziell ging es ihr sehr gut, die Besoldung für zwei Lehrkanzeln, einen Pauschalbetrag (1000 fl) für Gutachten aus dem Gebiet für Münz- und Bergwesen und eine kleine Pension für die erfolgreich absolvierte Karibikreise ermöglichten eine unbeschwerte Lebensweise. War es diese monetäre Absicherung, die Jacquin glücklich machte und weshalb sein Adelswappen1067 zwei grüne (Glücks-) Kleeblätter zeigte (Abb. 40), oder sollte es schon seine Liebe zu den Oxalidaceaen (Oxalis) (siehe Abb. 38) andeuten, denen er eines seiner Spätwerke1068 widmen wird? Glück jedenfalls wurde von ihm im Wappen für die Familie als dauernde Konstante des Geschlechts artikuliert. Denn die Standeserhebung bezog sich, so der Text der 1064 Heinz Gerstinger, Altwiener literarische Salons. Wiener Salonkultur vom Rokoko bis zur Neoromantik (1777–1907) (Hallein 2002), 7. 1065 Forster an Thomas Sömmering, Wien 26.–28. 8. 1784, zit. nach B. Leuschner (Hg.), Georg Forsters Werke. Bd. 14 (1978), 172. 1066 Forster an Thomas Sömmering, Wien 26.–28. 8. 1784, zit. nach B. Leuschner, Georg Forsters Werke. Bd. 14 (1978), 173f. 1067 Freiherrn-Diplom vom 14. Juli 1806 unterscheidet sich nur durch die Freiherrnkrone anstelle der einfachen Adelskrone. Das gesamte Freiherrn-Diplom kann als Digitalisat in der Phaidra-Collection »Historische Objekte Botanik« eingesehen werden. 1068 Nikolaus Jacquin, Oxalis. Monographia iconibus illustratis (Wien 1794).

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Nobilitierungsaktes, auf die »ehelichen Leibs-Erben, und derenselben ErbensErben.«1069 Nikolaus Jacquin hatte bereits viel erreicht, er war Bergrat, Universitätsprofessor und Mitglied der medizinischen Fakultät, aber ein weiterer gesellschaftlicher Aufstieg war an diese Nobilitierung gebunden. Der Akt war mit 30. Juli 1774 datiert, die Universität wurde davon am 20. Oktober 1774 informiert. Er und seine ehelichen Erben männlichen und weiblichen Geschlechts wurden in den Adelsstand erhoben und durften sich zukünftig Edle von nennen.1070

Abb. 40: Wappen des Nikolaus Joseph Jacquin, Erhebung in den Adelsstand 30. Juli 1774

1069 AVA (Allgemeines Verwaltungsarchiv) Adelsakten, 30. Juli 1774, fol 1–4. 1070 AVA, Adelsakten, Jacquin, Edler von, fol. 1–4.: Bei Jacquin wurden sein beruflicher Stand, aber besonders seine Dienste für den Staat hervorgehoben: »In Ansehung der von ihm durch lange Jahre mit viel Eifer theils in seinem Chymisch-botanischen Amts-Verrichtungen, als Professor, theils als wirklicher Berg-Rath geleisteten, und noch fortzusetzenden Diensten.«

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Auf eine gediegene Erziehung der Kinder zu achten, diese Aufgabe beruhte zum einen auf dem Wohlstand, aber zum anderen auf einer Tugend, die im Adel und Bildungsbürgertum zur obersten Pflicht zählte. So schreibt Ignaz von Born am 16. Oktober 1773 an seinen Kollegen Jacquin: »Vous faites trHs bien, de faire exercer votre fils dans danse; Car vous scaur8s par Lucien, que celui, qui a pris la ville de Troye, etoit un danseur fameux, et que Socrate luimÞme aprenoit la danse dans un .ge bien avanc8. Il convient donc a tous les 8tats a scavoir danser.«1071

Jacquin ließ bereits seinem siebenjährigen Sohn Tanzunterricht erteilen. Tanzen zählte mit Fechten und Reiten zu den adelichen Exercitien, worin alle Hofleute unterrichtet wurden und worin das Bildungsbürgertum dem Adel als seinem Vorbild folgte. Auch der Sprach- und Musikunterricht fand mit einem Privatlehrer statt: Sander erlebte eine Einladung bei der Familie Jacquins und wusste zu erzählen, dass er »der Musik zu[hörte], die seine [Jacquins] Kinder mit Singen und Instrumenten machen. Der Lehrer war ein Italiener und man lässt hier die Kinder eher Welsch als Englisch lernen. Jacquin vergnügte sich auch selbst mit der Musik.«1072 Auch Caroline Pichler fiel die Musikalität der Familie Jacquin auf, wenn sie von den Salonabenden in ihren Memoiren ein Stimmungsbild dieser Zusammenkünfte entwarf: »Wenn die Gelehrten oder gelehrt sein Wollenden den berühmten Vater und dem ihm nachstrebenden Sohn (den erst vor wenigen Jahren verstorbenen Josef Freiherrn v. Jacquin) aufsuchten, so sammelte sich die junge Welt um den jüngeren Sohn Gottfried den ein lebhafter, gebildeter Geist, ein ausgezeichnetes Talent für Musik, mit einer angenehmen Stimme verbunden, zum Mittelpunkt des heiteren Kreises machte, und um seine Schwester Franziska, die jetzt noch lebende Frau Lagusius. Franziska spielte vortrefflich Klavier, sie war eine der besten Schülerinnen Mozarts, der für sie das Trio mit der Klarinette geschrieben hat, und sang noch überdies sehr hübsch. […] wurden nun an den Mittwochabenden, die, seit ich denken kann, in diesem Haus der Geselligkeit gewidmet waren, auch selbst im Winter, wann die Familie Jacquin, wie jetzt Prof. Endlicher, im Botanischen Garten wohnte, in den Zimmern des Vaters gelehrte Gespräche geführt, und wir jungen Leute plauderten, scherzten, machten Musik, spielten kleine Spiele und unterhielten uns trefflich…«1073

Die nachträglichen Beschreibungen zeugen von einem doch eher ungezwungenen Beisammensein, in dem die Kinder zu Gesang und Klavierspiel ermuntert wurden. Aus allen Berichten gewinnt man den Eindruck, dass aus dem erstge1071 NHM, AfW, Inv. Nr. 28653/86 zit. in: Christa Riedl-Dorn, Briefe von Ignaz von Born an Nikolaus Joseph von Jacquin (1987), 59f. 1072 Heinrich Sander, Beschreibung seiner Reisen: 2. Theil (1784), 545. 1073 Caroline Pichler, Denkwürdigkeiten aus meinem Leben. Bd. 1, 1769–1798 (Wien 1844), 180f.

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borenen Sohn ein Wunderkind gemacht werden sollte. Schon als Elfjähriger durfte er an den botanischen Exkursionen seines Vaters teilnehmen. Eine dieser frühen Reisen auf den Schneeberg, die er gemeinsam mit seinem Hauslehrer Karl Molitor, dem Maler Franz Scheidl und Studenten und Freunde seines Vaters unternommen hatte, fand als kurzer Absatz in die »Miscellanea« ihren Eingang.1074 Im selben Jahr publizierte Joseph Jacquin schon seinen ersten Artikel über die lebend gebärende Eidechse »De Lacerta vivipara,«1075 sogar im ersten Band der »Nova acta Helvetica«. Dieser Artikel hatte einen bleibenden Eindruck hinterlassen, so auch bei Caroline Pichler : »[…] und gedenkt […] so z. B. des Erstaunens, ja der Betroffenheit, mit der ich als Kind von 9–10 Jahren einst auf meines Vaters Tische ein dünnes Büchelchen fand, das unser ernsterer Spielgefährte, der ältere Jacquin, der damals 12–13 Jahre zählte über irgend einen naturhistorischen Gegenstand geschrieben hatte, und das gedruckt wurde. Es kam mir wie eine Zauberei vor, und ich konnte es kaum begreifen, wie man noch fast ein Kind seyn und ein Buch schreiben könne. Von nun an betrachtete ich unseren Joseph mit einer Art Ehrfurcht. Viel lieber aber unterhielt ich mich mit seinen jüngeren Geschwistern.«1076

Weitaus früher als sein Vater zog dessen Sohn Joseph bereits als Jüngling von zwölf Jahren akademische Aufmerksamkeit auf sich, eine öffentliche Examination an der Universität demonstrierte dies. Diese Prüfung fand sogar in das »Wiener Diarium« vom 20. Februar 1779 Eingang: »Den 25. Jäner unterzog sich Herr Joseph Franz Edler von Jaquin [!], 12 Jahre alt, unter allerhöchstem Schutze, in Gegenwart Sr. Excell. Des hoch= und wohlgebornen Herrn Grafen von Sinzendorf, Vicepräsidenten der k. k. obersten Justizstelle, als eines dazu allergnädigst ernannten Abgeordneten, einer zweystündigen Vertheidigung aus der Mathematik unter dem Vorsitz des Herrn Franz Bauer, auf der Universität in dem grossen Hörsaale. Wie vortreflich, und mit welchem Beyfalle der Defendent alles geleistet, beweist das ungeheuchelte Zeugnis einer außerordentlich grossen Versammlung von Zuhörern jedes Standes. Die Kenner befriedigte die Strenge des Beweises und die Gegenwart des Geistes, die übrigen riß die Deutlichkeit des Ausdruckes und der edle Anstand in Bewunderung dahin; die Fertigkeit und das Feuer, womit die schwersten Auflösungen verrichtet wurden, überzeugte alle, dass er nicht fremde, nur obenhin eingesehene Kenntnisse, vorlegte, sondern dass er sein Eigenthum, bis auf den Grund durchstudirte Wahrheiten, entwickelte.«1077

Jacquin bastelte nicht nur an seiner eigenen Karriere, er versuchte bewusst auch seinen Kindern eine seiner Zeit adäquate ideale Ausbildung zu gewährleisten. So 1074 Nikolaus Jacquin, Miscellanea, Vol. 1 (Wien 1778), 135. 1075 Joseph Jacquin, De Lacerta vivipara. In: Nova acta Helvetica (1778). 1076 Caroline Pichler, Denkwürdigkeiten aus meinem Leben. Bd. 1, 1769–1798 (Wien 1844), 181. 1077 Anhang zum Wiener=Diarium Nro. 15. Sonnabend den 20. Hornung [Februar] 1779.

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schrieb er z. B. an Banks, nachdem er sein Herbarium an ihn verkauft hatte, dass er sich als Gegengabe auch über einige Raritäten von dessen Südseereise für die Sammlung seines zwölfjährigen Sohnes freuen würde.1078 Als sich der kanarische Naturforscher, Dichter und Reisende Jos8 Viera y Clavijo im Gefolge des Marqu8s de Santa Cruz anlässlich seiner Brautschau 1780/81 in Wien aufhielt, fand er nicht nur die Aufbahrung der toten Kaiserin Maria Theresia, sondern auch seinen Besuch im Botanischen Garten der Universität Wien einer Notiz würdig: »6. Dezember. Heute besuchten wir den Botanischen Garten außerhalb der Stadt, einen köstlichen Platz. In der Kutsche begleitete uns Herr Jacquin, der Direktor, ein berühmter Chemiker und Wissenschaftler, der wegen seiner Arbeiten weltberühmt ist. Als wir ankamen, führte er uns in seine kostbaren Kabinette voller Mineralien, die er uns einzeln erklärte. Sein Sohn ist jung, doch sehr gebildet und von reizenden Manieren. Es gab 4 Schränke, deren Schubladen die Arten nach Farben, Mineralien, Kristallisationen und seltenen Mischungen geordnet enthalten.«1079

Der Sohn blieb nicht in die Kinderstube verbannt, sondern wurde als den Erwachsenen gleichberechtigt von den Gästen wahrgenommen, und dies auch in den Salons. Freilich, wie aus den Schilderungen Caroline von Pichlers hervorgeht, handelte es sich bei den wöchentlichen Salons nicht um reine Gelehrtentreffen wie in der Royal Society. Die gesamte Familie war dabei, die Kinder spielten separat, die Frauen beschäftigten sich meist mit Handarbeit und die Männer disputierten, oft auch mit den interessierten Damen der Gesellschaft. Um selbst einen Salon führen zu können, bedurfte es entsprechender Räumlichkeiten und eines Dienstpersonals, das in der Lage war, zahlreiche Gäste zu bedienen. Was wurde serviert? Aus zeitgenössischen Schilderungen geht hervor, dass es oft nur Wasser mit gestoßenem Zucker, Kaffee und ganz selten Tee1080 gab, der in Wien erst eingeführt worden war. Nachweislich wissen wir, das Jacquin seinen Tee aus Leiden bezog.1081 Reiche Familien, meist Bankiers, luden zum Souper ein. Viele der durchreisenden Wissenschaftler, Studenten mit Empfehlungsschreiben sowie Wienreisende besuchten auch Jacquin und veröffentlichten ihre Eindrücke. Einer von ihnen war der hier schon oft zitierte Theologe und Schriftsteller Heinrich Sander, der in seinem posthum erschienenen Reisewerk Wien und Jacquin große Aufmerksamkeit widmete. Georg Forster äußerte sich 1078 Vgl. Jacquin an Banks, Brief, 5. März 1778, zit. nach Warren R. Dawson, The Banks Letters (London 1858), 173. 1079 Hans König, Der Aufenthalt von Jos8 Viera y Clavijo in Wien in den Jahren 1780 und 1781. In: Wiener Geschichtsblätter. 62. Jg. Heft 2 (Wien 2007), 8. 1080 Wilhelm Weckbecker (Hg.), Die Weckbeckers. Karriere einer Familie (Graz 1966), 45. 1081 Laurens Gronovius an Jacquin, 14. September 1762, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Historisches Archiv, 1 A K37-1762. In diesem Brief ist von einer Kiste Tee für Jacquin die Rede.

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in einem Brief an seinen Freund Thomas Sömmering recht abschätzig über ihn: »Wenn vollends von Sanders Reisen die Rede ist, lacht man [hier in Wien] entweder und spottet seiner Unwissenheit, oder ärgert sich über die Indolenz, womit der Kerl Unwahrheit und Kleinigkeit in sein Buch gemischt hat.«1082 Manchmal ausdruckstark, manchmal direkt, bestärkte Sander einerseits Stereotypen, wusste aber auch Details zu berichten, die wir nur ihm verdanken, wie z. B.: »[…] Man bemerkt bald, dass in Wien stark gegessen und getrunken wird. Dafür sollen aber auch fast alle echten Wiener die Hämorrhoiden haben. […] Das Mittagessen ist um 2, 12 3 Uhr, und Nachtessen um 10, 11 Uhr. […] vortrefflich erhaltenes Obst und unglaubliche Mengen an süßen Pomeranzen werden hier verkauft.«1083 Sander beeindruckten die allgegenwärtig vorhandene Seide, die reich bestickte Kleidung und Perückenmacher, die ihm zufolge offenbar einen hohen Stellenwert in der Kaisermetropole hatten. Als er Jacquin im Botanischen Garten der Universität Wien besuchte, wurde er zu einem »amerikanischen« Frühstück eingeladen, bei dem keine alltägliche Frucht, sondern die seltene Köstlichkeit einer Banane serviert wurde: »Er ließ mir durch den Gärtner zwei Pisang Früchte abnehmen, eine aß ich roh, und eine, nachdem sie trocken, so wie sie ist, auf den Rost gebraten worden war, bis die äußere zähe Haut, die man in beiden Fällen abzieht, schwarz ist. Roh schmeckte sie mir besser, ist zum Durststillen vortrefflich, wie pulpa mollissima [elastisches Fruchtfleisch]. Gebraten, wie sie die Amerikaner auf den Tisch bringen, schmeckt sie, wie gekochte süße Birnen. […] Jacquin hat auch noch ein so gutes Gesicht [gemeint ist der Sehsinn], dass er eine Pflanze auf 30 Schritte erkennt, aber bei jeder Gelegenheit erwacht der Seufzer des ehrlichen Mannes, den Nahrungssorgen auspressen.«1084

Das Zelebrieren dieses außergewöhnlichen Genuss-Aktes war wohl nur ganz besonderen Gästen vorbehalten. Die Mittwochabende im Hause Jacquin fanden allwöchentlich in einer sehr freundschaftlichen Atmosphäre statt. Mozart scheint ab 1783 ein gern gesehener Gast bei diesen Treffen gewesen zu sein. Er verstand sich besonders gut mit Gottfried, dem jüngeren Jacquin-Sohn, einem musikalisch gebildeten und gelobten Basssänger. Gottfried wurde im Gegensatz zu seinem sehr ernsten Bruder Joseph als Luftikus und Schwerenöter, als Frauenbetörer beschrieben, der körperlich etwas lahmte. Georg Forster vermerkte dies auch in seinem Tagebuch.1085 Am 15. Jänner 1787 schrieb Mozart aus Prag, dass Gottfried den schönen Wei1082 1083 1084 1085

Vgl. Brigitte Leuschner, Georg Forsters Werke. Bd. 14: Briefe (Berlin 1978), 171. Heinrich Sander, Beschreibung seiner Reisen. 2. Theil (1784), 467. Heinrich Sander, Beschreibung seiner Reisen, 2. Theil (1784), 545. Am 24. August 1784, zit. bei. Brigitte Leuscher (Hg.), Georg Forster sämtliche Werke. Bd. 12 (1982), Tagebücher, 118.

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bern und Mädchen nachhinken würde und wie sehr er das Jacquin’sche Haus vermisse. Mozart war nicht nur der kreative Musiker und Lehrer für die Familie Jacquin, er versuchte auch moralisch auf seinen Freund Gottfried einzuwirken: »Besonders da sie nun von ihrer vorigen etwas unruhigen lebensart ganz zurückzukomen scheinen; – nicht wahr Sie werden täglich mehr von der wahrheit meiner kleinen Straf=Predigten überzeugt? – ist das vergnügen einer flatterhaften, launigten liebe, nicht himelweit von der Seeligkeit unterschieden, welche eine wahre, vernünftige liebe, verschafft? – Sie danken mir wohl gar öfters so in ihrem Herzen für meine belehrungen – Sie werden mich noch ganz Stolz machen. – doch, ohne allem Spass; – Sie sind mir doch im Grunde ein bischen dank schuldig, wenn sie anderst der frl: N . . . . . . . würdig geworden sind, denn ich Spielte doch bey¨ ihrer besserung oder bekehrung gewis nicht die unbedeutendste Rolle.«1086

Bei dem Fräulein »N« handelt es sich um Nanette Natorp, auch eine MozartSchülerin und Nachbarin der Jacquins am Rennweg. Der verspielte Mozart verteilte auch bekanntlich Spitznamen für seine Freunde, Hinkiti Honky für Gottfried, Blatteririzi für Joseph und Dinimininimi für Franziska, die er auch als Schülerin sehr schätzte: »Ihr küsse ich 100000mal die hände, mit der bitte, auf ihrem Neuen Piano=forte recht fleissig zu sey¨n – doch diese Ermahnung ist unütz – den ich mus bekenen daß ich noch nie eine Schüllerin gehabt, welche so fleissig, und so viel Eifer gezeigt hätte, wie eben sie – und in der that ich frey¨e mich recht sehr wieder darauf ihr nach Meiner geringen fähigkeit weitern untericht zu geben.«1087

Mozart fühlte sich im Kreise der Jacquins recht wohl. Spätestens am 10. August 1787 hatte er die Komposition der »Kleinen Nachtmusik«1088 abgeschlossen. Wie schon der Name sagt, sollte dieses Gratulationswerk vermutlich im Sommer unter freiem Himmel aufgeführt werden. Da zu dieser Zeit die Namenstage eher als die Geburtstage gefeiert wurden und Nikolaus auf den 11. August fällt, ist es naheliegend, dass es sich hier um ein musikalisches Namenstagsgeschenk für unseren 60-jährigen Jacquin handelte, welches höchstwahrscheinlich im Botanischen Garten uraufgeführt wurde.1089 Die Jacquins scheinen Mozart immer wieder zu neuen Kompositionen an1086 Mozart an Gottfried Jacquin, Prag, 4. November 1787. In: Mozart. Briefe und Dokumente – Online-Edition. Hg. von der Internationalen Stiftung Mozarteum, Salzburg (http:// dme.mozarteum.at/briefe/ [29. 9. 2016]). 1087 Mozart an Gottfried Jacquin, Prag, 15. Jänner 1787, Mozart Briefe und Dokumente – Online-Edition, ebda (http://dme.mozarteum.at/briefe/ [konsultiert am 29. September 2016]). 1088 Die heutige ungeheure Popularität der »Kleinen Nachtmusik« beginnt erst im 20. Jh. Das ganze 19. Jahrhundert hindurch war das Werk nahezu unbekannt. Siehe dazu: Wolf-Dieter Seiffert, Zur Entstehung und Überlieferung von Mozarts Kleiner Nachtmusik. In: MozartJahrbuch 2009/10 (Kassel 2010), 134. 1089 Vgl. dazu Wolf-Dieter Seiffert, Zur Entstehung (2010) 119ff, hier 129.

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geregt, vielleicht sogar angestachelt zu haben (Abb. 41). Exemplarisch für diese von der ungezwungenen Atmosphäre der Jacquin-Abende inspirierten Werke steht das Bandel-Terzett »Liebes Mandl, wo ist’s Bandl?« (KV 441). In diesem sind die drei Stimmen der sich um ein Bändchen zankenden Sänger explizit für Constanze Mozart (Sopran), Mozart selbst (Tenor) und Gottfried von Jacquin (Bass) vorgesehen. Die komische Szene war möglicherweise einer tatsächlich im Wohnhaus des Botanischen Gartens vorgefallenen nachempfunden.1090 Es kam aber auch zu Erstaufführungen neuer Kammermusikwerke Mozarts bei den Jacquins. Mozart bevorzugte immer mehr die privaten anstatt der öffentlichen Konzerte, wie etwa bei den Jacquins, so z. B. im Sommer 1786 die Violinsonate KV 481, das Klaviertrio KV 496 und das Klavierquartett KV 478. Insgesamt wurden 14 Werke Mozarts1091 zwischen 1786 und 1788 für Mitglieder der Familie Jacquin komponiert.1092 Die hohe gegenseitige Wertschätzung zeigen auch folgende Stammbucheintragungen. So verewigte sich Gottfried Jacquin am 11. April 1787 in Mozarts Stammbuch: »Wahres Genie ohne Herz – ist Unding – denn nicht hoher Verstand allein; nicht Imagination allein; nicht beide zusammen machen Genie – Liebe! Liebe! Liebe! Ist die Seele des Genies.«1093 Und Mozart wurde mit dem vierstimmigen Doppelkanon KV228 seinem Ruf gerecht und ließ sich folgenden Spruch für Joseph Franz’ Stammbuch einfallen: »don’t never forget your true and faithfull friend. Wolfgang AmadH Mozart mpr., Vienna. the 24 April 1787.«1094 Der Name Nanette Natorp ist hier schon gefallen. Die Natorps waren die Nachbarn der Jacquins am Rennweg. Der Großhandelskaufmann und Medikamentenlieferant Franz Wilhelm Natorp (1729–1802) belieferte ab 1779 auf allerhöchsten Befehl alle Militärärzte und Feldspitäler mit Arzneien. Er ließ daraufhin sein Gartenhaus am Rennweg in ein »pharmazeutisches Laboratorium und Depositorium« umbauen. Einige seiner Töchter – er hatte insgesamt 13 Kinder – erhielten Klavierunterricht bei Mozart, so auch Nanette und Babette, die sich ebenso an die beiden Jacquin-Söhne anschlossen. Als sich Joseph auf seiner Europareise befand und in London länger Station machte, schrieb ihm sein Bruder, dass Babette und Nanette fleißig das Englische üben und den 1090 Joachim Steinheuer, Musik für bürgerliche Salons. In: Silke Leopold (Hg.), MozartHandbuch (Kassel 2005), 638. 1091 Heute trägt ein erfolgreiches junges Kammermusikensemble den Namen Jacquins, es nennt sich Jacquin-Trio. 1092 Vgl. Ulrich Konrad, Wolfgang Amad8 Mozart (Kassel 2006), 216ff. 1093 Zitiert nach Otto Jahn, W. A. Mozart. 2. Theil (Leipzig 1867), 47. und E. M. Kronfeld, Jacquin des Jüngeren botanische Studienreise 1788–1790. Aus den unveröffentlichten Briefen herausgegeben. In: Botanisches Centralblatt. Bd. 38 (Wien 1921), 140. 1094 Otto Erich Deutsch, Mozart. Dokumente seines Lebens (München 1981), 145.

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Abb. 41: Partitur gewidmet Jacquin, »Quartette par W. A. Mozart / Paris, 1778. Manuscrit du compositeur, reÅu du baron de Jacquin«

ganzen Abend nur englisch sprechen würden.1095 Nanette und Gottfried bildeten ein Paar und Babette (Barbara Maria) heiratete 1792 Joseph Jacquin. Auch in diesem Fall sehen wir, wie die physische Nähe durch die Wohnsituation wie auch durch die gemeinsamen Aktivitäten Ehen stifteten. Die von Sander kolportierten Ängste Jacquins um den Verlust von Privilegien wurden international rezipiert. Als sich Fabricius auf Durchreise in Wien befand und die Familie Jacquin besuchte, schien er über die veränderte Situation sehr erfreut, denn der Eindruck eines Niedergangs des Professorenstandes in der josephinischen Alleinregierungszeit hatte ihn sehr besorgt gemacht. »Mit vielem Vergnügen haben wir uns nach seiner freundschaftlichen Güte manchen Tag in seiner Familie aufgehalten, und ihn oft nach Südamerika zurückgeführt. Oft und viel haben wir vormals gemeinschaftlich das Schicksal des würdigen Mannes bedauret, weil wir nach den Nachrichten in den Sanderschen Reisen glaubten, dass ihm großes Unrecht geschehen. Um so viel angenehmer ist es mir, Sie versichern zu können, dass alle diese Nachrichten völlig falsch. Er wunderte sich selbst nicht wenig, wie Sander, den er nur ein einzigesmal gesehen, solche Nachrichten habe verbreiten mögen. Der Kaiser weiß wohl würdige Gelehrte zu schätzen, und hat auch dem Jacquin verschiedene Vortheile zufließen lassen, so dass er nichts weniger, wie Ursache hat sich zu 1095 Briefbeilage von Gottfried Jacquin an Joseph, 16. Mai 1789, TLMF, Bibl., NL-Slg Heufler.

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beschweren. Seine Umstände sind ohnedem reichlich, so dass er einer von den wenigen Gelehrten Deutschlands ist, die nicht allein anständig, sondern selbst im Überflusse leben. Neulich hat er seine Chemie ausgegeben, welche ihm zum Lesebuch in dieser Wissenschaft dienen wird. Sie hat auch die nämliche Deutlichkeit und Bestimmtheit, die man in seinen übrigen Schriften findet.«1096

Jacquin hatte sicher Sander diese Information zugesteckt, aber nach einigen Jahren der Allein-Regierungszeit Josephs II. (1780–1790) legten sich offensichtlich auch die Ängste Jacquins bezüglich der Reformbeflissenheit des Kaisers. Anzunehmen ist auch, dass Jacquin nun nicht mehr die Kritik am Herrscher über Dritte, über Fremde, die seine Bemerkungen in ihre Beschreibungen aufgenommen hatten, lancieren wollte. Er zeigte sich zunehmend wohlwollend, dem Kaiser gewogen, ging es ihm nun doch immer mehr darum, die Karriere seines Sohnes auf Schiene zu bringen. Seinem diplomatischen Geschick war es schließlich zu verdanken, dass er seinen Erstgeborenen auf dessen geplante und vom Kaiser finanzierte Bildungsreise schicken konnte. Sie diente der Vervollkommnung der Fachzweige Chemie und Botanik. Jacquin junior sollte vor allem Städte und Orte besuchen, wo entweder berühmte Naturforscher wirkten oder wichtige Erfahrungen in Bergwerken, Fabriken, botanischen Gärten und anderen öffentlichen Anstalten zu gewinnen wären.1097 Diese Reisejahre 1788–1791 betreffend existiert ein Konvolut von 49 Briefen des Vaters an den Sohn. Die Briefe sind zum Großteil auf Französisch geschrieben und wurden noch nie bearbeitet.1098 Diese Briefsammlung, die das Gegenstück zu den von Kronfeld herausgegeben mineralogischen1099 und botanischen1100 Briefen des Sohnes bildet, ist für uns wegen des möglichen vollständigen Zugangs interessant, wohingegen in Kronfelds Sichtung leider private Details systematisch weggelassen wurden. Diese Briefe zu analysieren, lohnt sich aus mehreren Gründen. Ins Blickfeld gerät, wie der Vater den Sohn von Wien aus zu lenken versuchte, ihm gutgemeinte Ratschläge erteilte, aber auch immer wieder an ihn sehr stringente Forderungen stellte, wie sich dieser gegenüber dem Kaiser und van Swieten brieflich verhalten sollte. Nikolaus trat hier als ein 1096 Fabricius, Briefe auf einer Reise durch Deutschland. In: Histor. Portefeuille, 1. Bd., 5. Jg. (1786), 675–676. 1097 Vgl. Nikolaus Jacquin: Plan einer auf allerhöchsten Befehl seiner K. K. Majestät vorzunehmenden Reise, meines Sohnes Joseph von Jacquin. 24. Jänner 1788, ÖNB, HAD, Autograph 183/5. 1098 TLMF, Bibl., NL-Smlg. Heufler. 1099 Vgl. Ernst Moritz Kronfeld, Mineralogisch-chemische Bemerkungen von der europäischen Studienreise Jacquin d. J. 1788–1790. In: Archiv für die Geschichte der Naturwissenschaften und der Technik (Leipzig 1909), 150–165. 1100 Vgl. Ernst Moritz Kronfeld, Jacquin des Jüngeren botanische Studienreise 1788–1790. Aus unveröffentlichten Briefen herausgegeben. In: O. Uhlworm (Hg.), Beihefte zum Botanischen Centralblatt. Bd. 38 (Dresden 1921), 132–176.

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Familienoberhaupt in den Vordergrund, das sich außerordentlich um seine Lieben sorgte und sich seiner väterlichen Verantwortung bewusst war. Auch enthalten diese Briefe Banalitäten, die uns den Alltag der Familie Jacquin auf eine besondere Weise näherbringen. Die Berichte über das aktuelle Tagesgeschehen aus Wien umfassten Nachrichten unterschiedlichster Herkunft und Güte. Am 2. August 1788 war eine kleine, während des Papstbesuches stattgefundene Revolte in den Vorstädten Josefstadt, Mariahilf und Wieden eine Meldung wert, und Jacquin kündigte eine Fahrt mit Gottfried nach Schemnitz an, wo er eine Mineraliensammlung zu begutachten im Sinn hatte. Auch die silberne Hochzeit und die Badereise von Mutter, Schwester Franziska und Onkel Schreibers nach Baden bei Wien wurden unter anderem brieflich erwähnt. Der Vater war besonders gerührt, als ihm sein Sohn Joseph über den Besuch seines Geburtshauses in Leiden berichtete und sich eingestehen musste, dass die Zeit für einen längeren Hollandaufenthalt zu kurz sei, denn es gebe dort sehr viel zu besichtigen.1101 Immer wieder legt der Vater dem Sohn nahe, seiner Berichterstattungspflicht nachzukommen: »Wenn du Muße hast schreibe einen Brief an Baron [Gottfried] van Swieten, wo du ihm in Kürze Details, beiläufig über die Meilen, die du gemacht hast, wovon du profitieren konntest und worüber du noch Berichte über die Wissenschaften machen wirst. Mach es so, dass der Brief dem Kaiser beigelegt werden kann. Es muss auch angegeben werden, wann und wo und wie viel Geld du bekommen hast. […] ich werde ihn hier versiegeln. Adressiere ihn an: / Monsieur le Baron van Swieten, Commandeur de l’ordre de St. Etienne, President de la Commission Imperiale des Etudes und bitte ihn, dich dem Kaiser zu empfehlen für die Weiterführung seines Großmuts. Der alte Knecht,1102 der mit dem Kaiser bei der Armee ist, hat schon mehrmals dem jungen Knecht1103 geschrieben, wie es dir geht und wo du bist. Zur selben Zeit sagt der junge, dass man sich wundert, wo du dich aufhältst. Der junge Knecht sagt auch, dass du ihm unbedingt bald schreiben musst und dass dieser Brief sicher dem Kaiser mitgeschickt werden wird.«1104

Am 1. November war die Familie Jacquin zu Musik und einem Ball bei Mozart eingeladen, der bis nach Mitternacht dauerte. Auch Neuigkeiten aus dem Wiener Gesellschaftsleben wurden kolportiert, etwa dass »Graf Kinsky der Ehemann von der Dietrichstein sich mit dem Prinzen von Waldeck schlug, es war ein Duell

1101 Vgl. Nikolaus Jacquin an Joseph Jacquin, Brief vom 4. Oktober 1788, TLMF, Bibl., NLSmlg. Heufler. 1102 Johann Anton Knecht (1741–1810), geheimer Hofsekretär Josephs II., hatte auf diesen erheblichen Einfluss. 1103 Carl Wilhelm Knecht (1755–1830) war Staats- und Konferenzrat in Wien. 1104 Brief vom 18. Oktober 1788, TLMF, Bibl., NL-Smlg. Heufler, eigene freie Übersetzung.

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mit Säbel, und er wurde, wie man sagt, schwer verletzt.«1105 Zugleich fragt Jacquin-Vater, warum er noch immer nicht das Diplom seiner Mitgliedschaft1106 der Royal Society in London in seinen Händen halten könne, welches ihm Banks seit langem versprochen habe. Zuvor schon am 16. Juni 1788 hatte sich Jacquin bei Banks für diese Ehrbezeugung bedankt, von der er sich sehr geschmeichelt fühle. Gleichzeitig nahm er die Gelegenheit zum Anlass, die Ankunft seines ältesten Sohnes für den September in London anzukündigen. Er bat Banks, sich des jungen Mannes anzunehmen und diesem dieselbe Freundschaft und Güte zu bezeugen, wie er es ihm gegenüber getan habe.1107 Gerüchte, Tratsch, Privates, Gesellschaftliches und Wissenschaftliches, und das bunt gemischt, finden ihren Platz in den Briefen. Ende November 1788 berichtete der Vater von einer geplanten Kriegssteuer des Kaisers, wobei alle Einwohner 12 % ihrer Einkünfte zahlen müssten, außer man verdiene nicht mehr als 100 Gulden pro Jahr. Auch die Wahl des Dr. Joseph Quarin zum »Recteur magnifique« und von einer am Abend stattfindenden Feierlichkeit mit Musik, Spiel und Grand Souper, zu der er eingeladen worden war, schätzte er als interessant für seinen Sohn ein. 100 Kavaliere und nur 30 [!] Damen waren geladen: »Madame de Natorp wurde auch gefragt um die honneurs des Hauses zu machen, sie hat abgelehnt!« Und abschließend schilderte er noch den guten Zustand der Pflanzen, die der Hofgärtner Ryk von den »beiden Indien« erhalten hatte.1108 Die 15 aus dem Jahr 1789 erhaltenen Briefe beginnen stets mit der Eingangsbegrüßung, »Mon tres cher fils« oder »Mon cher Joseph« (Abb. 42 und 43). Als besonders berichtenswert fand der Vater u. a. die extreme Kälte im Februar in Wien, da das Thermometer minus 23 Grad und im Labor minus 8 Grad zeigte. Boos, der Gartendirektor Schönbrunns, habe die Tochter des Gärtners van Ryk geheiratet, was nach Jacquins Meinung nicht gut gehen könne. Aber nun wurden die Ermahnungen des Vaters immer drängender : »Aber im Namen Gottes schreib doch endlich einen Brief an van Swieten. Ich war seit deiner Abreise noch nicht bei ihm und werde auch nicht zu ihm gehen, bevor du ihm geschrieben hast. Der Kaiser hat schon Knecht gefragt, ob er noch einen anderen Brief erhalten hat. Du musst öfters schreiben, kurz […] für den Kaiser muss man in einem sehr familiären und heiteren Ton schreiben: etwas über die Wissenschaften, mehr über die Politik, die Sitten der Nationen, aber all das wie zufällig hingestreut und sehr kurz […] auch etwas über die Schöpfung […] du kannst auch alles ein bisschen mischen 1105 Brief vom 5. November 1788, TLMF, Bibl., NL-Smlg. Heufler, eigene freie Übersetzung. 1106 Nikolaus Jacquin wurde am 3. April 1788 zum Fellow der Royal Society gewählt. 1107 Vgl. Neil Chambers (Ed.), Scientific Correspondence of Sir Joseph Banks, vol. 3 (London 2007), 409. 1108 Vgl. Brief vom 29. November 1788, TLMF, Bibl., NL-Smlg. Heufler, eigene freie Übersetzung.

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Abb. 42: »Nicolaus Joseph Freyherrn von Jacquen [!]«

z. B.: Aktuell bin ich von früh morgens bis abends bei Mr. Banks, der uns seine riesige Pflanzensammlung, eine der größten der Welt, zeigt. Man merkt einen bemerkenswerten Fortschritt der Botanik […] Deine Briefe an Knecht sollen kurz, ungezwungen und heiter sein, aber die an Baron van Swieten lang, gelehrt und interessant.«1109

Die Sorge um den Sohn muss uns nicht wundern. Ohne Zweifel war sie dem Ziel geschuldet, dessen zukünftige Karriere zu verankern. Als alter gewitzter Stratege zog der Vater alle diplomatischen Register. Er wusste unterschiedlich nuanciert auf die wichtigen Adressaten einzugehen, den Tonfall adäquat zu wählen und die Fakten entsprechend zu selektieren. Man hört nahezu aus dem Tonfall des Briefes, wie sehr diese Angelegenheit dem Vater am Herzen lag. Er wollte es sich weder mit dem Kaiser noch dessen Ratgebern verscherzen. Sein Sohn sollte als sein Nachfolger sowohl in der Universität als auch im Botanischen Garten aufgebaut werden. Durch die Krankheit Josephs II. tauchte ein neuer Unsicherheitsfaktor auf, wie die Zukunft aussehen werde. Der Vater ließ nicht locker :

1109 Brief vom 14. März 1789, TLMF, Bibl., NL-Smlg. Heufler, eigene freie Übersetzung.

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Abb. 43: Porträt des Sohnes, Joseph Franz Jacquin

»Um Gottes willen, du schuldest noch einen Brief an van Swieten. Du weißt, dass der Kaiser, dein Wohltäter, sehr krank ist, momentan geht es ihm ein bisschen besser und wir wünschen alle, dass dies bleiben wird. Aber unglücklicherweise fürchten einige Personen die Krankheit sei unheilbar und dass wir ihn verlieren werden. Ein neuer Herr, wie wird er sich dir gegenüber verhalten? Man kann nichts vorhersehen.«1110

Endlich kam der Sohn des Vaters Anweisungen nach, indem er am 2. Juni 1789 eine sehr umfangreiche wissenschaftlich gehaltene Schilderung seines nach London führenden Reiseweges an Gerards Sohn Gottfried van Swieten, der als Präfekt der Hofbibliothek vorstand, übermittelte.1111 Joseph konzentrierte sich vor allem auf die Botanik, galt es doch dem Auftraggeber und dem Vater zu zeigen, dass sich die Finanzierung der Reise gelohnt hatte. 80 Prozent auch der Briefinhalte drehten sich um Botanisches, darunter waren z. B. Anmerkungen über die Pflanzen Dionaea, Volkamaria und Lachenalia (Abb. 44). Die Dionaea, die Venusfliegenfalle, eine fleischfressende Pflanze, zog eine erhebliche Aufmerksamkeit auf sich. Sie wurde erstmals 1768 beschrieben und Joseph sandte 1110 Brief vom 16. Mai 1789, TLMF, Bibl., NL-Smlg. Heufler, eigene freie Übersetzung. 1111 ÖNB, HAD, Autograph 14/1–3 (6 fol).

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sie, nachdem er sie in London erworben hatte, nach Schönbrunn: »In der Stunde in der Sie diesen Brief erhalten, erhält van der Schot die blecherne Schachtel (welche wir einmahl von Banks mit Samen bekommen haben) und darin sehr gesunde Pflanzen der Dionaea.«1112

Abb. 44: »Lachenalia«. Handzeichnung Jacquins, gesendet an seinen Sohn im Juli 1789 nach London

Unter den Bewunderern der Pflanze befand sich auch der Kaiser, der alsbald den Holländischen Garten zu Schönbrunn der herausragenden Neuheiten wegen aufsuchte. Jacquin junior hatte sich als Donator ausnehmender Schätze für Schönbrunn eingesetzt. Bei der Lachenalia handelte es sich um ein in Südafrika heimisches Spargelgewächs, welches Joseph nach dem Schweizer Botaniker Werner de Lachenal (1736–1800) erstmals benannt hatte.1113 Vom Pflanzenmaler Franz Bauer wurden vor seiner Abreise mit Joseph Jacquin noch Zeichnungen angefertigt und diese vom Vater in einer Aufzählung publiziert.1114 Die Benennung wurde von Murray1115 aufgegriffen und Jacquin senior wollte nun noch weitere Informationen erhalten, um sie beschreiben zu können, was schließlich auch geschah.1116 Dieses Beispiel belegt, wie eng Vater und Sohn kooperierten 1112 Brief an den Vater, London 30. März 1789, zit. bei E. M. Kronfeld, Jacquin des Jüngeren botanische Studienreise 1788–1790 (1921), 152. 1113 Joseph Jacquin, in Acta Helvetica. Vol. 9, tab. 3. 1114 Nikolaus Joseph Jacquin, Icones Plantarum Rariorum, Bd. 1 (Wien 1781), 6, Taf. 61. 1115 John Andreas Murray, In: Caroli a Linn8 equites Systema vegetabilis 14 (1784), 314. 1116 Nikolaus Joseph Jacquin, in: »Collectanea«, 4. Bd. (Wien 1791), 149–150.

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und auch voneinander profitierten. Als unabdingbares Medium für den Austausch des Wissens über die noch offenen Fragen der Artbestimmung fungierten die Zeichnungen, welche die Briefe begleiteten (siehe Abb. 44). Viele relevante Fragen, die Jacquin bei der Fortführung seiner botanischen Werke beschäftigten, konnte er nun über Josephs Kontakte in London mit den dortigen Botanikern und in den Gärten klären. Und diesem wiederum öffnete der Name Jacquin viele Türen. »Die Verehrung, die man in diesem botanischen Lande für Sie hat, geht bis zur Anbetung, was Sie sagen und gesagt haben, ist ein Evangelium,«1117 berichtete er stolz dem Vater. Heiß begehrt war in London die damals nur eine Art umfassende Gattung der »Wulfenia carinthiaca Jacq.«, die von Franz Xaver Wulfen in einem ganz kleinen Areal auf der Kühwegeralpe (Kärnten) aufgefunden wurde: »Alles seufzt hier nach der Wulfenia,« meinte Joseph und schlug vor, den leichtfüßigen Thaddäus Haenke dafür nach Kärnten zu schicken,1118 um weitere Exemplare nach London versendet zu bekommen. Konnte man das Begehren in London stillen, waren Gegengaben zu erwarten. Nicht nur Pflanzen, auch andere Kuriositäten fanden in dem Briefwechsel Erwähnung. Als Joseph über zwei Albinos berichtete, die er bei Banks gesehen hatte und die schon von Saussure beschrieben worden waren (»Ein rosenfarbner Mensch mit schneeweißen Haaren und rothen Sternen der Augen ist wirklich ein frappanterer Gegenstand [!] als man sich vorstellen kann«1119), erinnerte sich Jacquin daran, auf seiner Karibikfahrt in Carthagena auch einen 40-jährigen Albino negroiden Ursprungs mit roten Augen, steifem kurz gekraustem Haar und Haut in einem faden Weiß gesehen zu haben. Er habe in seinem Leben nichts gefunden, womit man diesen Leuten helfen könne, gestand er Joseph.1120 Banks unterstützte den jungen Jacquin, wo er nur konnte, und verlautbarte öffentlich: »Wer mir eine Gefälligkeit erweisen will, der erweise Jacquin eine«,1121 wodurch dieser sich die Freigiebigkeit vieler Gärtner erklärte. Von England aus sollte Jacquin junior ursprünglich nach Frankreich reisen, da aber 1789 die Revolution ausgebrochen war und Jacquin sich um seinen Filius sorgte, schlug er dem Kaiser schriftlich eine alternative Route vor. Die kaiserliche Antwort, die er über Gottfried van Swieten erhalten hatte, übermittelte er sofort wortwörtlich an seinen Sohn: »Unruhen in Frankreich haben auf die Wissenschaften (Chemie, 1117 Brief an den Vater, London 16. Dezember 1788, zit. bei E. M. Kronfeld, Jacquin des Jüngeren botanische Studienreise (1921), 146. 1118 Vgl. Brief an den Vater, London 30. März 1789, zit. bei E. M. Kronfeld, Jacquin des Jüngeren botanische Studienreise (1921), 150. 1119 Zit. bei E. M. Kronfeld, Jacquin des Jüngeren botanische Studienreise (1921), 174. 1120 Vgl. N. Jacquin an Joseph, 16. Mai 1789, TLMF, Bibl., NL-Smlg. Heufler, eigene freie Übersetzung. 1121 Joseph Jacquin an den Bruder, 3. November 1789, zit. bei E. M. Kronfeld, Jacquin des Jüngeren botanische Studienreise (1921), 166.

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Konstellationen und Strategien

Botanik) nicht den mindesten Einfluss, so kann sich Jacquin auch gleich dahin verfügen.«1122 Der vorsichtige Vater ermahnte jedoch seinen Sohn eindringlich, nichts über die Politik und die französische Nation zu schreiben, um bei einer Kontrolle des Postverkehrs keine Schwierigkeiten zu bekommen. Die Korrespondenz zwischen Vater und Sohn war rege, aus dem Jahr 1790 sind zwölf Briefe vom Vater an den Sohn, von Joseph an den Vater, nach Kronfeld sechs erhalten. Es ist eine Zeit der Krankheiten und der Abschiede von Menschen, die in beider Leben eine große Rolle spielten. Dass der schwer erkrankte Gärtner Ryk van der Schot von Joseph Schreibers, Nikolaus’ Freund und Schwager behandelt wurde, erfährt Joseph von seinem Vater wie auch über die unheilbar diagnostizierte Krankheit des Kaisers. Was befürchtet wurde, traf schließlich ein. Am 19. Februar starb Richard van der Schot, der Reisegefährte Jacquins in der Karibik, und am 20. desselben Monats Kaiser Joseph II. Die Nachfolge in Schönbrunn interessierte Joseph sehr und er schrieb Gottfried: »In betreff Schönbrunns lasse ich den Papa beschwören, seinen Einfluss anzuwenden, dass diese Stelle nicht in unrechte Hände kommt.«1123 Es ist keineswegs verwunderlich, dass sich Jacquin junior des großen Einflusses seines Vaters sicher war. Joseph musste zudem einen genauen Bericht von seiner Mutter über die Schönbrunner Zustände erhalten haben, denn er schrieb Gottfried im Mai aus der französischen Hauptstadt: »Ich küsse der Mama recht sehr die Hand für die Gnade, dass sie mir die Geschichte des Schönbrunner Gartens so ausführlich geschrieben hat. Ich bin recht sehr über die Wendung zufrieden, welche diese Sache endlich genommen hat, und wünsche von ganzem Herzen, dass es künftig gut gehen möge.«1124 Der Vater kümmerte sich in der Zwischenzeit um eine Audienz beim neuen König Leopold II., um die Weiterreise des Sohnes zu sichern, und berichtete erleichtert, dass er sehr charmant empfangen und alle Rapporte bestätigt worden waren: »Schicke mir deinen Routenplan bis Rom. Du hast viel zu erhoffen vom König, der die Güte selbst ist und für seine Verdienste bewundernswert,«1125 meinte er ganz euphorisch. In den nächsten Briefen bat Jacquin seinen Sohn, bis Mai 1791 zurück zu sein, damit er die Chemievorlesungen halten könnte. Jacquin hatte nun sein Ziel erreicht, der Sohn bekam festen Boden unter seine Füße bezüglich der Universität. Obwohl nun wieder alle Vorlesungen in lateinischer Sprache stattfinden müssten, so habe er durchgesetzt, schrieb er an den Sohn, dass die Chemie davon ausgenommen wurde. Leider waren nicht alle Nach1122 Vgl. Nikolaus Jacquin an Josef, Brief, 10. Oktober 1789, in deutscher Sprache, TLMF, Bibl., NL-Smlg. Heufler. 1123 Joseph Jacquin an den Bruder Gottfried, Paris, 6. März 1790, zit. nach Kronfeld (1921), 175. 1124 Brief an den Bruder, Paris, 24. Mai 1790, zit. bei Kronfeld (1921), 175. 1125 Vgl. Brief vom 21. April 1790, TLMF, Bibl., NL-Smlg. Heufler.

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richten so positiv, denn um Katharina Jacquins Gesundheitszustand stand es sehr schlecht: »Diese Unannehmlichkeit bedrückt uns unvorstellbar.« Der Vater bat Joseph öfter zu schreiben, da seine Briefe die Mutter beruhigen würden.1126 Am 15. Jänner 1791 starb Nikolaus Jacquins Ehefrau und Joseph Jacquins Mutter Katharina Josepha im Botanischen Garten, Rennweg Nr. 7 im Alter von 56 Jahren »an chronischem Magenbrand und erfolgter Nervenschwäche.«1127 Erst im März war der Vater im Stande, diese Hiobsbotschaft seinem Sohn mitzuteilen: »Lieber Joseph, nach dem schrecklichen Schlag, den wir abbekommen haben und von dem ich mich mein Leben nicht mehr erholen werde, habe ich nur einen einzigen Brief schreiben können. Ich beginne mit einem an dich. Du verstehst nun, warum ich dich und deine Rückkehr so vorangetrieben habe. Ich habe immer gehofft, dass du noch zeitgerecht kommst; aber unglücklicherweise ist meine Hoffnung nicht erfüllt worden…«1128

Erst einige Monate später kam Joseph nach dreieinhalbjähriger Abwesenheit von seiner Reise, die ihn von Deutschland, über die Niederlande, England, Frankreich, die Schweiz nach Italien geführt hatte, nach Wien zurück, wo er am 3. November 1791 von Leopold II. zum supplierenden Professor für Chemie und Botanik ernannt wurde. Er übernahm, ohne zum Dr. der Medizin promoviert zu sein, was erst 1802 erfolgen sollte, die Chemievorlesungen seines Vaters, der sich nun ganz auf die Botanik konzentrierte. 1792 traf die Familie Jacquin ein zweiter Schicksalsschlag, beinahe ein Jahr nach dem Tod seiner Frau starb Nikolaus Jacquins 24-jähriger Sohn Gottfried an der Schwindsucht. Die Cousine Franziska Lagusius, die einzige Tochter Joseph Schreibers,1129 wurde am selben Tag wie er, am 26. Jänner 1792, am Matzleinsdorfer Friedhof begraben.1130 Das Bahrleihbuch verzeichnet 17 Gulden und 57 Kreuzer für Gottfrieds Begräbniskosten.1131 Seine Verlobte Nanette Natorp war an derselben Krankheit bereits am 20. November 1791, sein Freund Wolfgang A. Mozart am 5. Dezember 1791 verstorben. Die Tuberkulose war ab der Mitte des 18. Jahrhunderts wegen ihres geradezu endemischen Auftretens in Wien als »Morbus Viennensis« gefürchtet und raffte unzählige Menschen dahin. 1126 Vgl. Brief vom 2. Oktober 1790, TLMF, Bibl., NL-Smlg. Heufler. 1127 Vgl. Sterbebuchmatrikel der Pfarre St. Karl Borremaeus, Bildsignatur 02-Tod_109. Das Begräbnis fand am 17. Jänner 1791 auf dem Matzleinsdorfer Friedhof statt. 1128 Vgl. Brief vom 11. März 1791, TLMF, Bibl., NL-Smlg. Heufler, eigene freie Übersetzung. 1129 Joseph Schreibers, Nikolaus Jacquins Schwager und ein bekannter Arzt im Bürgerspital hatte 1767 die Tochter Anna Maria des dortigen Braumeisters Wilhem geheiratet. Ein Sohn starb bald und fünf Monate nach der Geburt der Tochter Francisca (13. September 1769) starb auch Josephs Ehefrau. Siehe dazu: Verlassenschaftsabhandlung UAW/CAVA Fasz. S. Nr. 4. 1130 Sterbematrikel, Pfarre 04, St. Karl Borremaeus, Sterbebuch. 1784–1794, Bildsignatur: 02– Tod_0129. 1131 Sterbematrikel, Pfarre 01, St. Stephan, Bahrleibuch 1792, Bildsignatur : 03–Tod_0025.

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Und dennoch ging das gewohnte Leben weiter. Im Monat April des Jahres 1792 heirateten beide Kinder Jacquins. Am 10. April ehelichte Joseph seine langjährige Freundin und Nachbarin Barbara Maria von Natorp1132 und vierzehn Tage später seine Schwester Franziska Leopold von Lagusius, den Sohn des kaiserlichen Leibarztes und Freundes von Nikolaus Jacquin, Johann Georg Hasenöhrl1133 (der 1764 als von Lagusius geadelt worden war).1134 Unter dem nächsten Kaiser, Franz II., wurde Joseph zum Adjunkten seines Vaters bestimmt, und als Nikolaus Jacquin 1797 von seinem Lehramte zurücktrat, übernahm Joseph dessen Nachfolge im Botanischen Garten und an der Universität. Nikolaus Jacquin blieb jedoch als wissenschaftlicher Direktor der Gärten in Schönbrunn weiter tätig und publizierte ununterbrochen. Die wirtschaftliche Lage verschlechterte sich zusehends, sächsische und siebenbürgische Bergwerke, in welche Jacquin und Ingenhousz investiert hatten, wurden eingestellt, was mit großen finanziellen Verlusten verbunden war. Die europäische Bergbauindustrie kollabierte und hinterließ viele geschädigte Investoren. Für Ingenhousz war es besonders schmerzvoll, da ihm wegen seiner langen Abwesenheit von Wien auch die zugesagte Pension gestrichen worden war. Agatha schrieb verzweifelte Briefe an ihren Ehemann nach London und dieser versuchte nun über seinen Neffen Joseph, einige Juwelen, Silber, aber auch technische Geräte in Wien zu guten Preisen zu verkaufen.1135 Im Februar 1798 schrieb Jacquin über die katastrophale wirtschaftliche Lage der Monarchie. Viele reiche Wiener würden die Stadt verlassen und in ihre 1132 Heiratsmatrikel, Pfarre St. Michael 01, St. Peter Trauungsbuch 1783–1807, Bildsignatur: 04–Trauung_0178. Der Ehekontrakt vom 30. März 1792 liegt in der Wiener Stadt- und Landesbibliothek, Handschriftensammlung M09H, Signatur. H.I.N. 7151 und regelte unter anderem die gegenseitige finanzielle Absicherung: »Erstens versprechen sich hiermit beyde Brautpersonen wechselseitig die Ehe, und sichern einander stätte gegenseitige eheliche Liebe und Treue zu. Zweytens verbindet sich das Fräulein Braut dem Hrn. Bräutigam ein Heurathsgut von zwey tausend Gulden in baarem Gelde gegen Quittung zuzuzählen, wogegen drittens der Hr. Bräutigam dieses Heurathsgut pr. 2000 f mit viertausend Gulden zu widerlegen sich verpflichtet, und es solle sowohl das Heurathsgut als die Widerlage zusammen pr 6000 f auf Uiberleben ausbedungen seye…« Unterschrieben ist dieses Dokument von den Vätern der Braut- und des Bräutigams und den Beiständen Joseph Schreibers und Joseph Edler von Pilgram. 1133 (Gumpoldskirchen 1730–Wien 1790). 1134 Trauungsmatrikel, Pfarre 04, St. Karl Borromaeus, Trauungsbuch: 1784–1792, Bildsignatur: 02-Trauung_0128: »24. April 1792: Herr Leopold Edler von Lagusius, ein k. k. HofConzipist bei der böhmisch-österr. Hofstelle, gebürtig von Florenz, des Hl. Herrn Georg von Lagusius königl. Raths und Leibmedicus und der Frau Theresia geb. von Hirschelmann ehelicher Sohn. Wohnort: am Kohlmarkt Nr. 142, kath., 25 J. ledig. Fräulein Franziska Edle von Jacquin, des Hl. Herrn Niklas Edlen v. Jacquin, königl. Bergrath und Prof. der Chemie und Botanik und der Frau Katharina Josepha geb. Schreibers eheliche Tochter, wohnhaft: Rennweg Nr. 7, kathol. 22 Jahre, ledig.« 1135 Vgl. Beale, Echoes of Ingen Housz (2011), 492f.

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Sommerresidenzen flüchten. Auch die Jacquins zogen wieder in ihr Haus im Botanischen Garten, welches aber unbedingt saniert werden musste, vor allem mussten die kaputten Fenster ersetzt werden.1136 1799 starb Jan Ingenhousz in Bowood (Wiltshire) in England, ein Jahr später seine Frau Agatha in einer Wohnung im Bürgerspital 1166 in Wien. Jacquin bewältigte seine Trauer mit Arbeit, eine Tatsache, die auch an höchster Stelle bemerkt und honoriert wurde. So druckte am 19. März 1806 die »Wiener Zeitung« folgende Verlautbarung: »Se. Majestät haben dem wirklichen Bergrath, Nicolaus Edlen von Jaquin [!], aus eigenem Antriebe den Ritterorden des heiligen Stephan taxfrey allergnädigst zu verleihen geruhet. Allerhöchstdieselben wurden zur Ertheilung dieser ehrenvollen Auszeichnung durch die vorzüglichen Verdienste bewogen, welche sich v. Jaquin mit mehr als 50 Jahren sowohl als Professor der Chemie und Botanik an der Academie zu Schemnitz und an der Universität in Wien, als auch in der Eigenschaft eines Aufsehers des botanischen Gartens zu Schönbrunn, so wie durch seine gründlichen Gutachten an die Hof= und Landesstelle, und durch seine in ganz Europa rühmlichst bekannten literarischen Werke erworben hat.«1137

Das bedeutete auch die Aufnahme in den erblichen österreichischen Adelsstand mit dem Prädikat »Freiherr von«, das auch an seine Kinder weitergegeben wurde. Die Koalitionskriege beherrschten das Zeitgeschehen, die politischen Änderungen überstürzten sich. Wir erinnern an folgende Ereignisse: Am 13. November 1805 drangen die französischen Truppen in Wien ein und Napoleon nahm sein Quartier in Schönbrunn. Nach der Niederlage in der Schlacht bei Austerlitz musste Österreich drückende Friedensbemühungen annehmen. Am 6. August 1806 legte Franz II. die römische Kaiserkrone nieder und regierte ab nun als Franz I. von Österreich. Am 9. April 1809 erklärte Österreich Frankreich den Krieg. Am 11. Mai begann die französische Bombardierung der Stadt, die am 13. besetzt war. Die feindlichen Kugeln zwangen den alten Jacquin, vom Rennweg zu seiner im Bürgerspital wohnenden Tochter Franziska Lagusius zu übersiedeln.1138 Nikolaus Jacquin, inzwischen 82 Jahre alt, wurde in diesem Jahr zum Rektor der Universität bestellt. Der Plan, eine gute Stimmung zwischen Vertretern der Besatzungsmacht und dem Doyen der Wissenschaft in Wien herzustellen, schien aufzugehen. Berühmt für seine Diplomatie, zeigte er auch als Rektor Verhandlungsgeschick. Als er am 8. Mai 1809 aufgefordert wurde, den Anteil der Universität an der Kriegskontribution in der Höhe von 200000 Francs binnen 24

1136 Vgl. Beale, Echoes of Ingen Housz (2011), 495. 1137 19. März 1806, Wiener Zeitung, Nr. 23, 1089. 1138 Vgl. Maria von Plazer, Nicolaus v. Jacquin. (1895), 17.

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Stunden beim Bankier Geymüller zu deponieren, konnte Jacquin den Stadtintendant Angl8s überreden, die Summe auf 50000 Francs herabzusetzen.1139 Wohl wird auch Jacquins exzellentes Französisch förderlich gewesen sein. Francois Duriau, Apotheker und Militärarzt der »Grande Arm8e« Napoleons, berichtete u. a. auch über seinen Kontakt mit Jacquin. Anlässlich des Waffenstillstands am 17. August lud Jacquin ihn zu einem Umtrunk mit 30 Jahre altem Himbeerwein ein, welcher auf Mauritius produziert worden war. Selbst in diesen Krisenzeiten spielte Jacquins legendärer Geschmack für Auserlesenes als Detail eine harmonisierende Rolle. Am 14. Oktober wurde der Friede proklamiert und zwei Tage später ratifiziert. Auch das zwei Sekunden dauernde Erdbeben in Wien vom 14. Jänner fand bei Duriau Erwähnung. Am Tage seiner Abfahrt, dem 25. Jänner 1810, erlebte er ein Beisammensein im Kreise der Jacquin’schen Großfamilie: »En partant de Vienne, j’y ai donc laiss8 les familles des Jacquin compos8 de Monsieur JACQUIN pHre, octog8naire, tant respectable par ses talents, son age, que par les services rendus / son gouvernement; Monsieur JACQUIN fils, professeur / l’Universit8 de Vienne de chimie et de botanique; Madame JACQUIN, n8e baronne de NATORP; Isabelle JACQUIN, ag8e de 16 ans au 5. Avril 18101140 ; La baronne de NATORP, n8e Tamposch; [2. Frau von Franz Wilhelm von Natorp]; Les barons Th8odore et J.-B. NATORP, frHres de Madame Jacquin; SCHRUBER [SCHREIBERS1141], cousin germain, m8decin et l’un des conservateurs du cabinet d’histoire naturelle; M. LAGUSIUS; [Leopold Lagusius verh. mit Franziska Jacquin]; Madame LAGUSIUS, n8e Jacquin [Franziska]; Nicolas LAGUSIUS, .g8 de 15 ans; Isabelle LAGUSIUS, .g8e de 5 ans; M. et Madame de Kilmens8e, baron [Kielmansegg, Schwester von Barbara Natorp]; M. et Madame de BERNARD [geb. Natorp, Schwester von Barbara Natorp]; M. MOSSER, apothecaire chimiste; M. WIDMANSTETT, directeur du Conservatoire des Arts et M8tiers; [Alois v. Widmanstätten (1754–1849), Naturwissenschaftler]; M. SCHERER, professeur de min8ralogie, M8decin; M. PROHASKA, professeur de physiologie [Georg Prochaska 1749–1820]; M. WEIL, apothicaire / l’Ours Noir [Johann Jakob WELL]; M. KOGINI, son neveu;

1139 UAW/CA 1.0.386. 1140 Interessant ist, dass er bezüglich Isabella den Geburtstag notiert. 1141 Franz Karl Anton Schreibers (1775–1852) der spätere Direktor des Naturalienkabinetts, der am 6. Setember 1810 seine 16-jährige Cousine Isabella, die einzige Tochter Joseph Jacquins, ehelichte.

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Mlle Christine de REITER; La famille de HERTZ.«1142

Wir sehen fast bildlich den alten Gelehrten Jacquin im Kreise seiner Lieben residiered, seiner Großfamilie. Zum engsten Clan zählten seine Kinder Franziska und Joseph mit ihren Ehepartnern Leopold Lagusius und Barbara, geb. Natorp. Dann waren Jacquins drei Enkelkinder, die 16-jährige Isabella Jacquin, der 15-jährige Nikolaus Lagusius und die 4-jährige Isabella Lagusius anwesend. Schließlich kamen etliche Geschwister von Barbara Natorp und ihre verwitwete Stiefmutter hinzu, aber auch viele Freunde und die Bankiersfamilie Hertz waren hier versammelt. Dass Napoleon die botanischen Gärten nicht plünderte, sondern im Gegenteil noch einen gegenseitigen Austausch initiierte, ging vielleicht auch auf das Konto Jacquins. Der Verleger Bertuch vermerkte dies sehr wohl in seiner Rezension des »Plantarum Horti Schoenbrunnensis«: »Diese Vorrede ist so interessant, und für die Geschichte des teutschen Gartenwesens, so wie auch der Botanik überhaupt so wichtig, dass ich mir vorgenommen habe, dieselbe teutsch übersetzt in einem der folgenden Hefte des Garten-Magazins zu liefern. […] Man wird aber auch zugleich dem Kaiser Napoleon, dem großmütigen Sieger, den wärmsten Dank bringen, dass derselbe bei der doppelten Einnahme Wiens in den beiden letzten Feldzügen diese, für die Wissenschaften so wichtigen Anstalten in seinen besonderen Schutz nahm, und die Schätze des Gartens von Schönbrunn nicht allein sorgfältigst erhalten ließ, sondern sie auch sogar durch gegenseitigen Umtausch von seltenen Pflanzen aus dem Jardin des plantes zu Paris noch vermehrte.«1143

Jacquin ging nun schon auf die 90 zu (Abb. 45) und beschäftigte sich noch immer intensiv mit der Botanik. Viele Besucher des Wiener Kongresses 1814/15 bemühten sich um einen Zutritt bei dem berühmten Botaniker. Richard Bright, der sich zu dieser Zeit in Wien aufhielt, beschrieb den alternden Gelehrten sehr eindrucksvoll: »Foremost of these stands the aged and revered Jacquin, who may, with propriety, be styled the chief of the little band of scientific persons now residing in Vienna. After a life of much active exertion as professor of the schools of Schemnitz, as a voyager to the islands of the West Indies, and as the professor of botany in the university of Vienna, – a course which have been marked by the splendid botanical works, and the numerous discoveries to which it has given rise, – this respected investigator of nature now reposes in the quiet of a mature old age; and approaching to his ninetieth year, joins frequently with animation, and always with intelligence, in the conversation of his friends. His interest in botanic discoveries, the favourite pursuit of his younger days, has, in some degree, passed away ; but he still describes the scenes and incidents of the 1142 Vgl. Carnet de Route de Francois Duriau. In: Alain Pigeard, M8moires du 1er Empire (Editions Clea 2009), 113ff. 1143 Friedrich Justin Bertuch (Hg.), Allgemeines Teutsches Garten-Magazin, oder gemeinnützige Beiträge für alle Theile des praktischen Gartenwesens. 8. Jg. (1811), 106f.

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Konstellationen und Strategien

Abb. 45: »Nicol. Jos. L. B. v. Jacquin (1840)«

earlier periods of his life, with all the clearness and accuracy which would attend the relation of the most recent occurrences. He passes his tranquil days in the bosom of his son’s family, residing during the winter in Vienna, and delighted to mark the approach of spring, which summons them to their country residence, in the midst of the Botanic Garden which has grown under his protection, and where every tree hails him as its friends, and recalls the cares and pleasures of his youthful toils.«1144

Auch der berühmte Weimarer Drucker und in staatlichen Diensten stehende Friedrich Justin Bertuch (1747–1822), der die Agenda Pressefreiheit und Nachdruckverbot am Kongress zu vertreten hatte, nützte seine Anwesenheit in Wien, um Vater und Sohn Jacquin zu besuchen: »Sonnabend 3. December 1814: Fortdauernd trübes nasses Wetter. Um 9 Uhr zu Jacquin Sohn, Obere Bäckerstraße, der mit seinem 87jährigen Vater alle Geschäfte fortsetzt und der Stern der hiesigen Botaniker genannt werden kann […] gestern war ein trefflicher botanischer Zeichner eingeladen – Ferdinand Bauer – […].«1145

1144 Richard Bright, Travels from Vienna through Lower Hungary with some Remarks on the State of Vienna During the Congress in the year 1814 (Edinburgh / London 1818), 74f. 1145 Hermann v. Egloffstein (Hg.), Carl Bertuchs Tagebuch vom Wiener Kongreß (Berlin 1916), 60.

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Auch Bertuch bekam Zutritt zur Mittwochgesellschaft: »Mittwoch 21. December 1814: Abends 7 Uhr zu Jacquin, der mittwochs immer Gesellschaft hat. Sein würdiger 87jähriger Vater noch höchst munter, Jacquin selbst ein lieber, offener, instruierter Mann […] Anstatt des Tees wird Kaffee serviert. Gutes Porträt des alten Jacquin von Füger.«1146

Bertuch bezeichnete Jacquin Vater und Sohn gleich bieder und brav. Die Beziehung zwischen Vater und Sohn klang symbiotisch. Jedenfalls verbrachte Jacquin senior seine letzte Lebenszeit harmonisch im Kreise seiner großen Familie. Der Familienkreis bildete für Jacquin eine wichtige Ressource, die seine wissenschaftliche Tätigkeit unterstützte, ja als integraler Part fungierte. Infolge der Überführung der Freundschaftsbeziehung zwischen den Familien Schreibers und Jacquin in ein verwandtschaftliches Verhältnis verdichtete sich das familiäre Umfeld. Ärzte- und Akademikerbeziehungen kamen zu dieser Familienkonstellation hinzu, wie jene des Pathologen Haen, welche diese Eheschließung auch symbolisch festigte. Auch die Heirat von Jacquins Schwester mit Ingenhousz funktionierte nach demselben Muster und erweiterte die aus dem Freundschaftskreis hervorgegangene Bindung der Familie der Jacquins in Wien. Diese Verdichtung ist auch räumlich zu verstehen, denn die Wohnungen lagen alle nah beieinander und konnten auch zu Fuß schnell erreicht werden (siehe Abb. 29). Das gesellschaftliche Leben spielte sich in den Wohnstätten Jacquins ab, als er zwischen Winterquartier nahe der Universität und dem Sommerquartier im Botanischen Garten am Rennweg hin und her pendelte. Erst die turbulenten Zeiten nach 1789 und die Kriege führten dazu, dass Jacquin nach dem Tod seiner Frau bei seinem Sohne wohnte. Vorübergehend war auch der Salon der Jacquins ein Ort, der offen für beide, seine Familie und Repräsentanten der Wiener Gesellschaft war, wobei die Musik vermutlich für alle Beteiligten, für die Kinder Jacquins wie auch für den Künstler Mozart, äußerst verbindend wirkte.

VII. 2. Produktive Austauschpraktiken von Wissen und Objekten via Briefwechsel In den bisherigen Analysen dieses Buches bezogen wir uns bereits ausgiebig auf Briefe als Bedeutungsträger und »Medien der Vergemeinschaftung.«1147 Dabei konzentrierten wir uns auf die ereignisgeschichtliche Ebene. Im Gegensatz dazu rückt der Briefwechsel als Praxis in den Mittelpunkt. 1146 Hermann v. Egloffstein (Hg.), Carl Bertuchs Tagebuch vom Wiener Kongreß (Berlin 1916), 78. 1147 Klemun, Globaler Pflanzentransfer (2006), 214.

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Konstellationen und Strategien

Während sich die ältere Briefforschung lange auf außergewöhnliche, begnadete Schreiber sowie auf die Stil-, Form- oder Gattungsgeschichte konzentrierte, mit der sie Briefe als genuinen Gegenstand der Germanistik definierte,1148 genießen Korrespondenzen nun schon lange in ganz disparaten historischen Forschungsfeldern und heute vermehrt ihre bevorzugte Aufmerksamkeit.1149 In der Wissenschaftsgeschichte machten Briefe ebenfalls wie kaum eine andere Quellengattung neue Lesarten und Konzepte notwendig, die nun fern reiner biographischer Fragestellungen oder der älteren Institutionalisierungsforschung der Wissenschaften angesiedelt sind. Nun gehen wir davon aus, dass Briefwechsel in den Prozess der Wissenserzeugung1150 und Wissensstabilisierung involviert waren. Sie waren Transferträger der Forschungsinhalte und gleichzeitig Instrumente zur Vergemeinschaftung einzelner Protagonisten im Hinblick auf ein bestimmtes Forschungsfeld. Jenseits jeder Dislokation ermöglichten und festigten sie wissenschaftliche Beziehungen. Und Briefe fungierten im 18. Jahrhundert als Zuträger jenes Professionalität markierenden sozialen Gebildes, das wir als Scientific Community bezeichnen. Wir zeigten bereits im zweiten Kapitel dieser Studie, wie Jacquin infolge seiner Kommunikation mittels dieser gleich nach der Expedition Anerkennung erfuhr. Im weiteren Zusammenhang interessiert uns die stetige Modellierung von Anerkennung für Jacquin als Botaniker sowie die Einbindung in unterschiedliche epistemische Zusammenhänge und Wissenskulturen. Unsere Studie bestimmt Jacquin als Akteur, der mittels seiner Korrespondenz als Teil einer res publica literaria1151 fungierte. Die Gelehrtenrepublik erscheint 1148 Vgl. Georg Steinhausen, Geschichte des Deutschen Briefes. Zur Kulturgeschichte des deutschen Volkes. 2 Bde. (Berlin 1889–1891). 1149 Besonders hervorzuheben sind dabei Ansätze, die von Genderperspektiven geleitet werden: Vgl. Christa Hämmerle und Edith Saurer (Hg.), Briefkulturen und ihr Geschlecht. Zur Geschichte der privaten Korrespondenz vom 16. Jahrhundert bis heute (Wien / Köln / Weimar 2003). Die Frühneuzeitforschung inkorporiert Korrespondenzen in ihre Schwerpunktsetzung über Selbstzeugnisse als Mentalitätsgeschichte und im Rahmen der Untersuchung von Individualisierungsprozessen. Vgl. z. B.: Fr8d8rik Sardet, Briefe in der Kommunikation zwischen Arzt und Patient im 18. Jahrhundert. Annäherung an eine Problemstellung. In: Kaspar von Greyerz, Hans Medick und Patrice Veit (Hg.), Von der dargestellten Person zum erinnerten Ich. Europäische Selbstzeugnisse als historische Quellen (1500–1850), (Köln / Weimar / Wien 2001), 231–248; Monika Ammermann, Gelehrten-Briefe des 17. und frühen Jahrhunderts. In: Bernhard Fabian, Paul Raabe (Hg.), Gelehrte Bücher vom Humanismus bis zur Gegenwart (Wiesbaden 1983), 81–96. 1150 Brian Ogilvie, Correspondence Networks. In: Bernhard Lightman (Ed.), A Companian to the History of Science (Wiley-Blackwell 2016), 358–371. 1151 Zur beliebten Thematik der Gelehrtenrepublik als Auswahl aus der umfangreichen Forschungsliteratur : Sebastian Neumeister und Conrad Wiedermann, Res publica litteraria. Die Institution der Gelehrsamkeit in der frühen Neuzeit, 2. Bd. (Wiesbaden 1987); Heinrich Bosse, Die gelehrte Republik. In: Hans-Wolf Jäger (Hg.), »Öffentlichkeit« im 18. Jahrhundert (= Das achtzehnte Jahrhundert, Supplementa 4, Göttingen 1997); Notker

Produktive Austauschpraktiken von Wissen und Objekten via Briefwechsel

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bestimmt von Kosmopolitismus, Überregionalität und dem Kooperationsprinzip als idealem Gestus. Gelehrtenrepublik und Netzwerk konstituierten sich gegenseitig.1152 Unsere Analyse geht jedoch weiter. Sie begnügt sich nicht damit, lediglich den zweifelslos europäischen Charakter von Jacquins Netzwerk zu konstatieren. Auch wollen wir nicht nur eine an der seichten Oberfläche verbleibende pure quantitative Netzwerkanalyse vornehmen. Denn oft führt das alleinige mapping im Sinne der Methoden der quantitativen Netzwerkanalyse (SNA)1153 in eine eher gehaltlose Sackgasse, da sie nur die Ausdehnung und die geographische Konzentration von Netzwerkknoten analysiert. In unserem Analysemittelpunkt jedoch steht das Briefnetz, der Austausch von Briefen, Pflanzen, Samen, Dingen und Wissen als produktive wissenschaftliche Praxis. Wir wollen sichtbar machen, was Böhme als an sich unsichtbares entterritorialisiertes1154 Konstrukt beschreibt, um die zusammenlaufenden oder sich kreuzenden Fäden als strukturelles Gefüge des Netzwerkes zu bestimmen. Der alleinigen quantitative Netzwerkanalyse, die unseres Erachtens in der Visualisierung im Raum verharrt, ist Fehlendes entgegenzuhalten. Denn die wissenschaftliche Produktion des Akteurs, die im Mittelpunkt stehen sollte,1155 die Zugänge zu Information sowie Aushandlungsprozesse um Autorität, können damit keineswegs substanziell gefasst werden. Netzwerkanalyse ist nur produktiv, wenn sie die inhaltliche wie epistemische Ergiebigkeit der Beziehungsgeflechte berücksicht, die Folgen der Konnektivität in den Blick nimmt. Auch wird bei der Netzwerkanalye kaum beachtet, dass diese oft auf einem zufälligen Quellenbestand basiert, die größere Nachlässe priviligiert und einzelne erhaltene nicht minder wesentliche Briefe meist übersieht. Überblickt man das Korrespondenzgebaren Jacquins, dann sticht zunächst der weite geographische Radius ins Auge: Philadelphia, Martinique, St. Petersburg, Stockholm, Uppsala, Kopenhagen, London, Madrid, Paris, Montpel-

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Hammerstein, Res publica litteraria. Ausgewählte Aufsätze zur frühneuzeitlichen Bildungs-, Wissenschafts- und Universitätsgeschichte (Historische Forschungen 69, Berlin 2000). Hans Bots, Exchange of Letters and Channels of Communication. The Epistolary Networks in the Europaen Republic of Letters. In: Regina Dauser, Stefan Hächler, Michael Kempe et al. (Hg.), Wissen im Netz. Botanik und Pflanzentransfer in europäischen Korrespondenznetzen des 18. Jahrhunderts (Berlin 2008), 31–45. Vgl. etwa Winfried Schneeweiss, Grundbegriffe der Graphentheorie für praktische Anwendungen (Heidelberg 1985). Hartmut Böhme, Einführung. Netzwerke. Zur Theorie und Geschichte einer Konstruktion. In: Jürgen Barkhoff, Hartmut Böhme, Jeanne Riou (Hg.), Netzwerke. Eine Kulturtechnik der Moderne (Köln / Weimar / Wien 2004), 17–36, bes. 21. Diese Aufassung wurde bereits in der ersten explizit über das Netzwerk der Botaniker veranstalteten Tagung vertreten. Siehe Marianne Klemun, Alpenbotanik, Transfer und Raum als Netzwerk der Regensburgischen Botanischen Gesellschaft und deren Publikationsorgane. In: Regina Dauser, et al. (Hg.), Wissen im Netz (2008), 271–285, hier bes. 272f.

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Konstellationen und Strategien

lier, Straßburg, Leiden, Bern, Dresden, Göttingen, Nürnberg, Erlangen, Berlin, Hamburg, Mainz, Schmalkalden, Mannheim, Freiburg, Leipzig, Hanau, Frankfurt an der Oder, Berlin, Mailand, Pavia, Florenz, Venedig, Rom, Klagenfurt, Laibach, Idria, Brünn, Prag, Kaschau, Joachimsthal, Regensburg, Hannover, Basel, Zürich, Gutenstein, Halle, Groningen, Kronstadt (Bras¸ov), Turin und Pest. Ohne hier eine quantitative Netzwerkanalyse machen zu wollen,1156 sei betont, dass ganz unterschiedliche Intensitäten an Kontakten gepflogen wurden, von einer intensiven Austauschbeziehung reichend bis hin zu kurzen einmaligen Fühlungsnahmen. Eine wichtige Gruppe an Korrespondenten bildeten die Direktoren von botanischen Gärten wie Abb8 Antonio Jos8 Cavanilles (1745–1804) in Madrid, Johan Andreas Murray (1740–1791) in Göttingen oder Franz Ignatius Menzinger (1745–1830) sowie Franz Joseph Lipp (1734–1775) in Freiburg und Andr8 Thouin (1747–1824) am Jardin des Plantes in Paris, mit denen Jacquin als Leiter des Botanischen Gartens der Universität Wien recht intensive Austauschbeziehungen pflegte.1157 Letzterem Kontakt verdankte Jacquin etwa – um hier sogleich ein Beispiel zu erwähnen, das sich in beachtlichen Ergebnissen niederschlug – Samen eines »Rauhen Rispengrases« aus Paris, die er kultivierte und sodann als eine neue Rispengrasart, als »Poa aspera Jussieu«, beschreiben konnte.1158 Auch Chemiker wie etwa Jacob Reinbold Spielmann (1722–1783) und Alexander Peter Nahuys (1736–1794) erwiesen sich als intensive Diskussionspartner. Der Erweiterung seiner Mineraliensammlung waren Christoph Ludwig Arnold Wille (1758–1846), Bergrat zu Vecherhagen in Niederhessen, Jean Gigot d’Orcy (1737–1793),1159 Inspektor der Bergwerke in der Provinz Chalons-en-Champagne, und der Eisenfabrikant Carl Freiherr von Zois (1756–1799) in Laibach förderlich. Auffällig sind Jacquins Beziehungen zu Vertretern des österreichischen Hochadels, Johann Philipp Cobenzl, Johann Nepomuk Chotek, Ernest Harrach,1160 Franz Ulrich Kinsky,1161 Leopold Kolowrath, Ernst Hoyos, von Jo1156 Grob schätzen wir, dass etwa 2000 Briefe von und an Jacquin derzeit auffindbar sind, die an mehr als 160 Briefpartner gerichtet wurden. Initiativen, einen Überblick solcher Briefe zu erstellen, sind alt. Ununterbrochen stellen Sammlungen derzeit ihre Schätze auch digitalisiert ins Netz. Die im Hunt Institute for Botanical Documentation existierenden Kopien von Briefen, die aus dem Naturhistorischen Museum in Wien stammen, allerdings leider nur der Buchstabe A-F, sind ein Beispiel noch vor dem digital turn. Eine Liste der im Museum vorhandenen Briefe befindet sich online. Da uns der Zugang von der Leitung des Wissenschaftsarchivs des Naturhistorischen Museums erschwert wurde, konnten diese 1266 an Jacquin ergangenen Briefe nicht komplett einbezogen werden. 1157 Dabei wurden meist zwischen 20 und 40 Briefe ausgetauscht. 1158 Jacquin, Hortus Vindobonenesis, T. III, Tab. 56. Siehe dazu auch: Carl von Linn8, Des Ritters Carl von Linn8s vollständiges Pflanzenverzeichnis, Bd. 12 (Nürnberg 1772), 343. 1159 Jean Gigot d’Orcey an Jacquin, 12. Jänner 1786, Den Haag, KB: 78 F 8. 1160 Sechs Briefe befinden sich am NHM, AfW, Wien; ein Brief in Den Haag, KB: 78 F8, Harrach an Jacquin, 9. März 1785.

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hann Friedrich Kageneck,1162 Johann Baptiste Mittrovsky und Siegmund Anton Hohenwart, die besonders durch Briefe nach Jacquins Erhebung in den Adelsstand 1774 dokumentiert sind. Sie spielten auch als Abnehmer von Jacquins Prachtwerken mit ihren Icones eine Rolle. Vorübergehende Kontakte ergaben sich auch zu Repräsentanten von Einrichtungen, wenn Jacquin etwa eine Ernennung zum Mitglied einer Akademie brieflich mitgeteilt bekam, wie durch Pehr Wilhelm Wargentin (1717–1783) im Falle jener in Stockholm 1783.1163 Neben Linn8 ist als wichtiger Ansprechpartner besonders Laurens Theodor Gronovius (1730–1777) in Leiden zu nennen, (nicht der Jugendfreund Jacobus, sondern dessen Cousin), der gelehrte Ichthyologe und Botaniker, der auch in Verbindung mit Linn8 stand. Laurens diente wie eine Poststation als Verbindungsmann, über die Bücher, Samen, Mineralien und Herbare zwischen Leiden, Uppsala und Wien hin und her geschickt wurden.1164 Ein einziger Brief belegt, dass Jacquin seine Beziehungen zu seinem Lehrer Adrian Royen aufrechthielt.1165 Ferner ist vor allem Albrecht von Haller1166 zu erwähnen; die Korrespondenz mit ihm begann mit der Ernennung Jacquins zum Mitglied der Helvetischen Medizinergesellschaft.1167 Eine besondere Rolle für Jacquin spielten Autoren, die große Illustrationswerke in Angriff genommen hatten, wie etwa Jacob Christian Schäfer (1718–1790) »Icones Insectorum Ratisbonam«, Christian Ludwig Willich »Illustrationes Quedam Botanicae« (Göttingen 1768) und Theodor Holm von Holmskjold (1732–1791), der als Sekretär des dänischen Königs das größte Projekt aller Zeiten, die »Flora danica« (ab 1773 bis 1883 erschienen) leitete. Spannend finden wir auch, die Briefnetzwerke nicht nur als Fäden zwischen den briefschreibenden Personen zu analysieren, sondern als sich kreuzende Verbindungen zu verstehen. So verkaufte etwa Laurens Theodor Gronovius für Jacquin dessen Prachtwerke, wobei er jeweils dokumentierte, an wen die Werke

1161 Zwei Briefe in Wien, ein Brief von Kinsky an Jacquin, in Den Haag, KB: 78 F8, 1778/1779. 1162 Kageneck setzte sich besonders als Botschafter von Madrid für Thaddaeus Haenke, Schützling Jacquins, ein. Siehe: Kageneck an Jacquin, 3 Briefe, NHM, AfW. 1163 Brief des Astronomen Pehr Wilhelm Wargentin, Stockholm, 16. Mai 1783, NHM, AfW, Jacquin Briefe. 1164 Linn8 an Jacquin, Uppsala, 15. Dezember 1762 (L 3169), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1165 Laurens Theodor Gronovius an Jacquin, 14. September, 1762, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Historisches Archiv, 1 A K37-1762. 1166 50 Briefe an Haller und 13 an Jacquin aus dem Zeitraum 1766–1777 sind in Basel erhalten. Vgl. Urs Boschung, Barbara Braun-Bucher, etc. (Hg.), Repertorium zu Albrecht von Hallers Korrespondenz 1724–1777, Bd. 1 (Basel 2002), 265ff. 1167 Jacquin an Haller, Schemnitz, 28. Februar 1768, Jacquin bedankt sich für die Ernennung. Waller Ms Universität Uppsala, de-02575.

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gingen. Alleine 30 Bände der »Florae Austriacae« nahm er Jacquin ab und lieferte sie dem Buchhändler Elmsly in London.1168 Es ist kaum übertrieben, wenn wir behaupten, dass die wohl wichtigste Bezugsperson neben Gerard van Swieten in Wien für Jacquin etwa in der Zeit von 1759 bis um 1776 Linn8 in Uppsala darstellte (Abb. 46). Der sehr intensive Briefwechsel,1169 der mit kleineren Unterbrechungen bis zu Linn8s Tod im Jahre 1778 dauerte, ist durchgehend in lateinischer Sprache gehalten und ein Fundus für das Werden botanischen Wissens jener Zeit, für die Beziehung der beiden Botaniker, aber auch für die Entwicklung Jacquins, seine bewusste oder unbewusste Selbstinszenierung.

Abb. 46: Carl von Linn8, Porträt

Es begann mit Linn8s früher Wertschätzung Jacquins, die er diesem von Anbeginn der Kontaktaufnahme entgegenbrachte. Zwischen 1759 und 1776 wechselten insgesamt 186 Briefe zwischen den beiden hin und her. Trotz des anfänglich überschwänglich formulierten Respekts von Seiten Linn8s gab es 1168 Siehe dazu das Briefkonvolut von Laurens Theodor Gronovius, 8 Mappen in 78 Briefen, 1760–1775, NHM, AfW, Jacquin Briefe. 1169 Komplett gescannt und teilweise transkribiert und mit englischen summaries versehen in: The Linnaean correspondence, an electronic edition prepared by the Swedish Linnaeus Society, Uppsala, and published by the Centre international d’8tude du XVIIIe siHcle, Ferney-Voltaire.

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auch Phasen der Ernüchterung und Distanz. Für Jacquin war klar, dass Linn8 ein wissenschaftliches Zentrum bildete und das letzte Wort bei der Diskussion über die Artbestimmung hatte. Wer in die jeweilige Neuausgabe der von ihm redigierten »Species plantarum« oder »Genera plantarum« Eingang fand, hatte tatsächlich eine internationale verbindliche Plattform erreicht. Linn8 bildete somit für Jacquin die wichtigste Brücke in die gelehrte Öffentlichkeit. So zeigte sich dieser besonders gewillt, Informationen über gesammelte Pflanzen sowie Belege aus der näheren Umgebung Wiens, aber auch aus seinem Erfahrungsschatz in der Karibik stammend dem Schweden zukommen zu lassen. All diesen Bemerkungen waren Sendungen von Zeichnungen, Beschreibungen wie auch getrocknete Pflanzen selbst beigegeben. Denn nur so konnte der Rückgriff auf die bereits getroffene Aussage gemacht werden, die Auffassung auf dieselbe Grundlage eines Specimens in Form eines Herbarbelegs bezogen werden. Diesem für beide Seiten gleichermaßen bereichernden Austausch entsprachen sorgsame Diskussionen über die Bestimmung von Pflanzenmaterial. Fast monatlich wurden Briefe zwischen Wien und Uppsala ausgetauscht. Oft ging es auch um die Erfüllung eines Wunsches von Dritten, die selbst keine Fachleute darstellten. So bat Jacquin Linn8 um Samen von schönen wohlriechenden Blumen, die den Kaiser erfreuen könnten, denn dieser sei sehr an einem Pflanzenaustausch mit Linn8 interessiert. Solche Transfers an politisch zentrale Persönlichkeiten wurden von beiden ebenso wichtig genommen wie ihre epistemisch diskutierten Artbestimmungen. Jacquin stellte seinerseits neue Pflanzen dafür in Aussicht, wenn er beispielsweise beteuerte, dass er im Frühjahr wieder in die Alpen gehen und Linn8 über seine Resultate informieren würde.1170 Die nächste Fahrt dorthin war für den April 1762 angekündigt, da Schnee und Kälte ihn bis zum späten Frühjahr davon abhielten und er ja wesentlich wärmeres Klima gewohnt sei. Linn8, sehr erfreut über die anstehende Ausbeute, zeigte sich dennoch sehr besorgt und riet Jacquin, nicht so oft die Alpen zu besuchen, sonst würde er vielleicht krank werden und sterben, bevor er noch die Resultate seiner Westindienreise publiziert hätte.1171 Linn8 war keineswegs nur auf Pflanzen konzentriert, Insekten und Vögel der Karibik interessierten ihn ebenfalls. Auf dessen Fragen leistete Jacquin erschöpfend Auskunft, über Erscheinungsbild, Nahrungsgewohnheiten, Laute, Standorte, Lokalnamen von Vögeln und ob sie für ihr Fleisch von den Inselbewohnern gejagt wurden. Wir sehen daran auch, dass Jacquin über Reisenotizen, Zeichnungen und Samen verfügt haben muss und nicht alles an die Piraten oder englischen Sol1170 Vgl. Jacquin an Linn8, Wien, 22. Jänner 1760 (L 2659), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1171 Vgl. Linn8 an Jacquin, 13. Dezember 1761 (L 3015), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net.

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daten verloren hatte, wie er es nachträglich schildern sollte oder auch in seinen Pflanzenbeschreibungen erwähnte. Somit offenbarte der Briefwechsel mehr, als Jacquin in seiner Publikation bzw. in seinem autobiographischen Rückblick preisgegeben hatte. Viele der Vögel hatte er nach Europa mitgenommen, einige waren bei der Überfahrt gestorben und einige durch das kalte Klima in Europa umgekommen.1172 Die Symmetrie der Gegenseitigkeit sollte gewährleistet sein. In den Briefen Jacquins an Linn8 äußerte sich alsbald nicht mehr nur der schüchterne junge Holländer, denn sein Selbstbewusstsein erstarkte infolge seiner eigenen Publikation (1760). So beschwerte sich der 33-jährige Jacquin 1761 bei seinem um 20 Jahre älteren, schon sehr arrivierten Kollegen Linn8 über dessen verzögerte briefliche Antworten, die zur Klärung vieler botanischer Fragen, die sich auf einzelne dominante Merkmale bei der Bestimmung bezogen, für ihn so eminent wichtig wären. Linn8 rechtfertigte sich umgehend mit seinem Verweis auf sein große Pensum an Lehre von fünf Stunden, seine Arbeit als Lektor von Texten, die Führung seiner Korrespondenz, die Leitung seines Gartens wie auch seiner Farm, die ihm als intensive Tätigkeiten viel Zeit kosteten, wobei auch seine Familie, Studenten und viele Besuche noch hinzukamen. Trotz alldem versprach er, dem zugesandten Material Jacquins mehr Aufmerksamkeit zu widmen.1173 Jacquin fühlte sich von Anfang dem Linn8’schen System und der binären Namensgebung verpflichtet und zudem als Garant, in Wien diese Ausrichtung als einer der frühesten Verteidiger zu vertreten und zu bewerben. So informierte er Linn8 von der Tatsache, dass die ehemalige Ablehnung bezüglich Linn8s Ansehen innerhalb der Wiener Professorenschaft sich ein wenig gewandelt habe, da die gegenwärtige Meinung nun doch von ewiger Feindschaft sogar bis zur Akzeptanz reiche.1174 Linn8 fragte sich, warum der Botaniker Johann Sigmund Popowitsch1175 so viele feindliche Texte ihn betreffend geschrieben hatte,1176 und bat Jacquin, diesen in seinem Sinne umzustimmen. Da Linn8 mehrmals um Gefälligkeiten vorstellig wurde, fühlte sich Jacquin wohl immer mehr überlegen, 1172 1784 gab Jacquins Sohn Joseph aus diesen Notizen ein Buch heraus: »Beyträge zur Geschichte der Vögel, mit ausgemahlten Kupfertafeln«. Er betonte, dass er bei der Durchsicht der Tiernotizen seines Vaters, dessen Karibikreise betreffend, vieles zur Bekanntmachung Würdiges gefunden habe. Da die Fauna aber nie das Studium seines Vaters gewesen sei, habe er mit dessen Erlaubnis alles Brauchbare über die Vögel ausgewählt und in eine Ordnung gebracht; die beigefügten Abbildungen seien alle nach dem Leben gemacht. 1173 Vgl. Linn8 an Jacquin, Uppsala, 20. März 1761 (L 2889), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1174 Vgl. Jacquin an Linn8, Wien, 29. März 1760 (L 2691), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1175 Johann Sigmund Valentin Popowitsch (1705–1774) war Sprach- und Naturforscher. 1176 Vgl. Linn8 an Jacquin, 25. April 1760 (L 2709), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net.

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jedenfalls zeigte er sich Linn8 gegenüber bald nicht nur höflich, sondern auch fordernd. Der Ton gegenüber seinem schwedischen Briefpartner traf zwischendurch Nuancen, die man zumindest als wenig sensibel einschätzen kann. Jacquin ließ sich seine Artbeschreibungen von Linn8 gerne beglaubigen, trat aber alsbald auch selbst als kritischer Pflanzenbeschreiber und Taxonom auf. So bekrittelte er im Februar 1764 viele Fehler und Irrtümer in Linn8s neuer Auflage von »Species plantarum«. Er hätte sich damit noch ein Jahr Zeit nehmen sollen, um das Werk genauer vorzubereiten, so Jacquin.1177 Linn8 sah dies allerdings völlig anders. Er sei Jacquins Werke oft durchgegangen und hätte seines danach korrigiert, aber er sei überzeugt, dass es unmöglich sei, ein perfektes Buch zu publizieren. Jacquin wurde von Linn8 durchaus als Autorität angesehen, sonst hätte er nicht sofort nachgegeben. Mit einem Vergleich aus der Natur drückte er dennoch seine Position aus, die subtil Jacquins Benehmen ansprach: Bienen sammeln Honig und Wespen Gift von denselben Blumen. Er, Linnaeus, sammle die positiven Dinge aus den Werken anderer, während andere nur die Druckfehler und Defekte zusammentrügen, um die Verfasser damit zu blamieren oder zu verhöhnen. Er selbst sei nicht mit allen böse, die ihm nicht beipflichteten, sonst müsste er immer ärgerlich sein. Nein, er sei sogar unglücklich, wenn jeder ihm immer zustimmte. Es müsse immer einen Kontrast geben, was wäre das Licht ohne die Dunkelheit, die Freude ohne das Leid oder das Klima ohne Wechsel!1178 Diese Seitenhiebe waren wohl angebracht – ob sie Jacquin verstand? Wissenschaft ist ohne Vermittlung nicht existent. Die Korrespondenz zwischen Wissenschaftlern ist eine mögliche Kommunikationsform unter vielen anderen, welche jedenfalls in Bezug auf die Botanik sowohl ein nicht zu unterschätzendes vitales Element der Forschungsproduktion als auch Aushandlung von Überzeugungen darstellt. Das belegt der Briefverkehr zwischen Jacquin und Linn8 eindrücklich. Diese Kommunikationen sollten aber nicht ausschließlich auf eine Interaktion zwischen zwei Mitgliedern der Wissenschaftlergemeinschaft reduziert analysiert werden. Denn neben den Austauschpraktiken zwischen zwei Forschern etablierten sich solche über Dritte, über Objekte und auch jene zur Gesellschaft.1179 Die unterschiedlichen Ebenen werden im Folgenden besonders zur Sprache kommen. 1177 Vgl. Jacquin an Linn8, Schemnitz, 4. Februar 1764 (L 3375), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1178 Vgl. Linn8 an Jacquin, 1. April 1764 (L 3397), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1179 Die drei Ebenen eines Kommunikationsmodells gehen auf Gibbons zurück: Vgl. Michael Gibbons, Camille Limoges, Helga Nowotny, Simon Schwartzman, The New Production of Knowledge. The Dynamics of Science and Research (London 1994).

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Ende April 1764 ließ Jacquin Linn8 von der geplanten Veröffentlichung des ersten Teils seiner »Observationes« wissen. Dieser sei zwar schon vor seiner Abreise nach Schemnitz fertig, er gedenke aber die neue schwedische Ausgabe der »Species plantarum Linnaei«1180 abzuwarten, damit Unstimmigkeiten noch beseitigt werden konnten. In diesem Vorwort zeigte er seine Hochschätzung für Linn8, indem er diesen als unsterblich wegen der genialen Pflanzenklassifikation bezeichnete. Die Arten in dieser Publikation wurden dann tatsächlich nach der neuesten Linn8-Ausgabe zitiert. In den Briefen schlug Jacquin hingegen oft einen anderen, weniger bewundernden Ton an, so beschwerte er sich erneut über das lange Stillschweigen Linn8s. Seit seiner Anwesenheit in Schemnitz hätte er nur einen einzigen Brief erhalten, Laurens Theodor Gronovius erginge es ebenso. Er verstehe dies nicht und wolle nicht glauben, was ihm andere kolportiert hätten: Linn8 wäre mit alten Brieffreunden sehr nachlässig, er wünsche viel zu erhalten, aber würde wenig zurückgeben. Er, Jacquin, glaube dies zwar nicht, aber wenn Linn8 den Kontakt mit ihm tatsächlich abbrechen wolle, solle er ihm das mitteilen.1181 Jacquin forderte hier nachdrücklich Antworten auf alle Fragen, die er in früheren Briefen an Linn8 bereits gestellt hatte. Er sammelte Schmetterlinge in der Gegend seines neuen Wirkungsortes Schemnitz und wollte sich von Linn8 Rat holen, welche Pflanzen er in den zweiten Teil seiner Observationes aufnehmen sollte.1182 Am 16. Oktober 1764 entgegnete Linn8 diesen Anschuldigungen. Er sei sehr gekränkt und habe zuerst nicht antworten wollen, das hätte aber ihre Freundschaft zerstört, weshalb er seine Meinung doch geändert habe. Er wolle nun seine Gründe nennen und hoffe, dass sie Jacquin verstehe, ohne unangemessen zu reagieren. Linn8 schilderte sein enormes Arbeitspensum, seine Briefkontakte würden die aller 25 Professoren der königlichen Gesellschaft zusammen übersteigen. Trotzdem habe er nie bewusst einen Freund übergangen, vor allem nicht, wenn es sich um einen seriösen Wissenschaftler handle. Von Mai bis Juni sei er krank gewesen, er sei immer sehr erschöpft und könne mit seiner Gesundheit nicht mehr so sorglos umgehen. Jeder sei überrascht von seiner Arbeitsleistung, nur Jacquin sei nicht zufrieden.1183 Daraufhin zeigte Jacquin Nachsicht und betonte, dass er sich sehr gewundert hätte, wenn der Mann, den er immer wieder gegen alle Umstände verteidigt habe, ihn verlassen hätte. Er vergaß demnach nicht, erneut seine Loyalität bei Linn8 in Erinnerung zu rufen. 1180 Die Ausgabe wurde im Wienerischen Diarium angekündigt, Nr. 49, 20. Juli 1764. 1181 Vgl. Jacquin an Linn8, 10. September 1764 (L 4261), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1182 Vgl. Jacquin an Linn8, 23. September 1764 (L 3446), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1183 Vgl. Linn8 an Jacquin, Uppsala, 16. Oktober 1764 (L 3464), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net.

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Ohne Antwort gelassen zu werden, habe ihn aber sehr gestört, da er diese dringend benötigte. Jacquin berief sich auf die Peinlichkeit, Material seines Bekannten Mygind an Linn8 vermittelt zu haben, worüber er keine Auskunft erhalten hätte. Jacquin trat sozusagen als Mittler zwischen seinen Freunden und Linn8 auf und schob seine Verärgerung auf eine Verpflichtung seinerseits gegenüber einem Dritten. Von sich aus versicherte Jacquin erneut, sich auch in Zukunft für Linn8 einzusetzen, wenn es notwendig sei, wie eben im Falle von Crantz,1184 der nicht nur gegen Linn8 arbeite, sondern auch Jacquin hasse, weil dieser das Linn8’ische System angewendet habe.1185 Jacquin berief sich auf seine Treue gegenüber Linn8, die er als Trumpf in dieser leichten Entzweiung mobilisierte. Jacquin legte bei anderen Maßstäbe an, die er selbst nicht beachtete. So war er denselben schweren Vorhaltungen ausgesetzt, wie er sie gegen Linn8 erhob, als z. B. Franz von Mygind ihm brieflich mitteilte, Laurens Gronovius habe sich über Jacquins äußerste Saumseligkeit im Beantworten eines Briefes und über die fehlende Empfangsbestätigung einer Kiste mit lebenden Pflanzen beklagt.1186 Anscheinend antwortete Jacquin auf diesen Brief Myginds gar nicht, er ignorierte offensichtlich den Vorwurf.1187 Mygind war ein Förderer und Ratgeber bei Jacquins botanischen Arbeiten. Gemeinsam bestimmten sie Pflanzen, und wenn sie auf kein gemeinsames Ergebnis kamen, wurde Linn8 konsultiert. Jacquin ließ es sich nicht nehmen, gegenüber Linn8 zu betonen, dass Mygind von diesen Ergebnissen strikt unterrichtet werden wolle, um seine Bestimmungen im Pflanzenherbar abgesichert zu sehen. Mygind teilte jedoch keineswegs immer die Meinung seines Freundes Jacquin. Bezüglich Crantz war er weit milder in der Beurteilung und gestand diesem im Unterschied zu Jacquins Urteil auch Meriten in der Botanik zu. Nach einer Schweigepause des Jahres 1766 wurde die Korrespondenz zwischen Linn8 und Jacquin erst 1767 fortgesetzt und es wurden darin erneut botanische Fragen erörtert. Linn8 informierte Jacquin von der Neuerscheinung des »Systema naturae« 12. Ausgabe (»Regnum vegetabile« erschien 1767), in die er viele Anmerkungen und Befunde aus den bereits gedruckten Arbeiten Jacquins eingearbeitet habe.1188 In seinen Briefen beschrieb sich nun Linn8 als alt, 1184 Heinrich Johann Nepomuk von Crantz (1722–1799) war Mediziner und Botaniker. 1185 Vgl. Jacquin an Linn8, 2. Jänner 1765 (L 3529), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1186 Vgl. Ludwig Freiherr von Hohenbühel-Heufler, Franz von Mygind, der Freund Jacquin’s. In: Verhandlungen der k. k. zoologisch-botanischen Gesellschaft, Bd. XX (1870), 895. 1187 Da kein Datum von Jacquins Beantwortung – wie bei allen anderen – auf Myginds Brief notiert ist, ist zu vermuten, dass er sich über dessen Eintreten für seinen Feind Crantz geärgert hatte. Crantz hatte Jacquin verächtlich als »Enumerator« (Aufzähler) bezeichnet. 1188 Vgl. Linn8 an Jacquin, 26. Jänner 1767 (L 3856), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net.

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Konstellationen und Strategien

krank und sehr müde, Jacquins Briefe würden ihn etwas beleben.1189 Die Feindschaft von Crantz jedoch, so Linn8, lasse ihn kalt, er werde nicht antworten, egal was der gegen ihn vorbringe. Er sei lächerlich und nicht ernst zu nehmen.1190 Linn8 hatte von der Notwendigkeit, sich auf Jacquins Loyalität zu stützen, nun Abstand genommen, zeigte sich aber erneut bereit, auf Jacquins übermittelte Pflanzenbestimmungen einzugehen. Neueste Nachrichten über Botaniker aus aller Welt waren bei beiden besonders beliebt. Fus8e Aublet, der 1762 nach Französisch-Guayana geschickt worden war, hatte ein Werk über südamerikanische Pflanzen verfasst, das Linn8 noch nicht besaß. Auch Neuigkeiten über Posten wie jene von Adam Kuhns Professur für Medizin und Botanik in Philadelphia und Domenico Vandellis Nominierung für Lissabon wurden1191 weitergegeben. Jacquins Briefkontakte nahmen in der Schemnitzer Zeit allgemein enorm zu, er korrespondierte mit bedeutenden Persönlichkeiten wie Ignaz Born, Antonio Meisl, Franz Josef Lipp, David Royen, Jakob Christian Schäfer, Jakob Reinbold Spielmann, Christian Ludwig Willich, Joseph Buset und Morten Thrane Brünnich,1192 um nur einige zu nennen. Aus Guadeloupe erreichte ihn ein Brief seines Freundes Benois Aquart, der sich weiterhin seiner Freundschaft versicherte. Jacquin hatte den Kontakt in die Karibik nicht abbrechen lassen. Offensichtlich war Aquart von Jacquin über seinen beruflichen Werdegang, seine Heirat und die Schwangerschaft seiner Frau informiert worden: »Ich werde Sie niemals vergessen, Sie haben einen Platz in meinem Herzen, als tugendhafter Freund und als mein Meister«, so die Antwort Aquarts. Er beneide Jacquin, aber gönne ihm das Glück, eine Frau, eine gute Stellung und sogar ein Kind das Seine nennen zu können. Jacquin besitze die wertvollsten Dinge; er hoffe, dass das Schicksal, welches sie in Amerika zusammengeführt hatte, auch in Zukunft ein Treffen arrangieren werde.1193 Linn8 erfuhr aus öffentlichen Nachrichten, dass die Cycas-Palme im kaiserlichen Garten in Wien geblüht hatte. Dem Wunsch, eine eigenhändig ausgeführte Zeichnung von Jacquin über die Blüten zu bekommen, da das Bild von Georg Eberhard Rumpf nicht gut gewesen sei, fügte er sein Lob auf Jacquins ausge-

1189 Vgl. Linn8 an Jacquin, 3. Mai 1767 (L 3913), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1190 Vgl. Linn8 an Jacquin, 1. Juli 1767 (L 3937), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1191 Vgl. Linn8 an Jacquin, 24. August 1767 (L 3945), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1192 Siehe Briefe am NHM, AfW. 1193 Aquart an Jacquin, 29. Oktober 1765, NHM, AfW, Inv. Nr. 28653/44, repondre ce 7. Mars 1766.

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zeichnete Visualisierungen bei.1194 Insgesamt elf Briefe wurden alleine im Jahre 1768 zwischen Jacquin und Linn8 (6 von Linn8, 5 von Jacquin) ausgetauscht. Jacquin war die Cycas auch schon 1765 aufgefallen, während seines Ferienaufenthaltes in Wien. Zornig äußerte er sich über den kaiserlichen Gärtner von Schönbrunn, den ignoranten Steckhoven, der ihm damals nicht erlaubt hatte, die Pflanze zu untersuchen.1195 Jacquin wollte auf die Rückkehr des Kaisers aus Tirol warten, um Zugang zu bekommen und dann um Intervention zu bitten, aber Franz I. war dort plötzlich am 18. August 1765 verstorben. Zu dem aus Leiden stammenden Steckhoven habe er keinen Kontakt und wolle auch keinen haben, denn dieser sei unwissend, unzuverlässig und unehrlich. Seit 1753 war dieser kaiserliche Gärtner und hatte viele der lebenden Pflanzen, die Jacquin aus Amerika geschickt hatte, so vernachlässigt, dass sie bald eingegangen waren.1196 Linn8 liebte es, Jacquin als dem Spender von Pflanzensamen zurückzuspielen, wie sehr die von diesem übersandten Samen meistens auch gediehen. So erinnerte ihn eine Cleome gigantea am Fenster stehend an seine Freundschaft mit Jacquin,1197 und er freute sich ganz besonders den Samen von Loasa bekommen zu haben, den er wegen seiner Seltenheit in ganz Europa gesucht hatte.1198 In den Jahren 1769 und 1776 wechselten die beiden Schreiber mindestens 63 Briefe zwischen Uppsala und Wien. Lag zunächst noch der Schwerpunkt auf dem Austausch von Mineralien, so wurde in dieser Zeit die Botanik das Thema Nummer eins. Anscheinend wollte Jacquin nichts publizieren, ohne dazu die Meinung Linn8s eingeholt zu haben. Auch Informationen zu neuer wissenschaftlicher Literatur wurden stets weitergegeben. So informierte Jacquin Linn8 begeistert über sein rezentes Projekt, seltene Pflanzen des Universitätsgartens zu beschreiben und abzubilden. Er werde diesen »Hortus Vindobonensis« auf eigene Kosten drucken lassen. Fünfzig Bilder seien schon gestochen worden und viele Zeichnungen warteten noch auf den Stich. Da die Kosten aber sehr hoch seien, sei die Zahl der Abbildungen noch nicht geklärt. Er untersuche nur die seltenen Pflanzen, die bis jetzt nicht oder nur unbefriedigend veröffentlicht worden seien. Alle Tafeln wären nach der Natur handkoloriert und würden in

1194 Vgl. an Jacquin, 20. Oktober 1767 (L 5907), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1195 Jacquin besuchte auch in seiner Schemnitzer Zeit immer wieder Wien, vor allem in den Ferien. 1196 Vgl. Jacquin an Linn8, 25. Februar 1768 (L 4036), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1197 Vgl. Linn8 an Jacquin, 4. November 1768 (L 4140), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1198 Vgl. Linn8 an Jacquin, 27. Juni 1769 (L 4221), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net.

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einer losen Serie so lange wie möglich verkauft werden.1199 Und Jacquin schickte ihm bereitwillig Proben daraus zur Ansicht, die Linn8 ungemein faszinierten. Die Korrespondenz mit Linn8 legt sehr ambivalent einerseits Jacquins Abhängigkeit von Linn8s Urteil offen, andererseits zeigt sie uns aber den zunehmend selbstbewussten Naturforscher, der gern auch ein hartes Urteil über die Arbeit anderer fällt. Ab den 70er Jahren, als er seinen Mäzen van Swieten verlor, wuchs er nun selbst in diese Rolle. Er baute sich von da an eigenständig als Zentrum der Naturforschung in Wien auf. Die Verbindung zu dem in Kärnten wirkenden Exjesuiten Franz Xaver Wulfen (1728–1805) ist ein repräsentatives Beispiel für Jacquins Agieren in diesem Sinne. Die Bekanntschaft begann vermutlich in der Zeit, als sich der Jesuit Wulfen in der Kongregation in Wien aufgehalten hatte (1750–1755), jedoch erst im Jahre 1772 nahm Jacquin den einstigen inzwischen abgebrochenen Faden wieder auf.1200 Fünfundzwanzig Jahre setzten sich die beiden sodann in den zwischen Klagenfurt und Wien verkehrenden Briefen mit ihren Funden auseinander, wobei hier bezüglich der Pflanzen Wulfen mehr der Gebende war.1201 Denn Wulfen hatte sich während seiner Zeit als Lehrer an verschiedenen Jesuitenkollegien in Görz, Wien und Laibach intensiv mit unterschiedlichsten Feldern der Naturforschung beschäftigt und differierende Vegetationsbereiche kennengelernt. Er verfügte über ein außerordentlich reichhaltiges Herbar und ausgezeichnete auf Geländeforschung basierende Kenntnisse, die er sammelnd in den unterschiedlichsten Regionen der Ostalpen erworben hatte. Da der erste noch erhaltene Brief Wulfens an Jacquin sehr kurz gehalten ist, möge er hier im vollen Wortlaut wiedergegeben werden,1202 denn er dokumentiert sehr anschaulich seine Art der Kommunikationsführung: »Xaver Wulfen grüßt seinen Jacquin / Sie1203 haben mich persönlich mit Ihrem Brief aus der Reserve gelockt. Sie haben selbst den Vorschlag gemacht, dass wir den seinerzeit 1199 Vgl. Jacquin an Linn8, 8. November 1769 (L 4299), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1200 Wulfens Briefe an N. J. Jacquin sind auf verschiedene Sammlungen verstreut, so auf das Archiv für Wissenschaftsgeschichte des Naturhistorischen Museums in Wien (103 Briefe, 1773–1795), auf die Universitätsbibliothek in Uppsala (9 Briefe, 1778–1783) und das Germanische Nationalmuseum Nürnberg (ABK, Fasz. 15, 1 Brief). August Neilreich berichtete noch von 110 Briefen, die im Naturhistorischen Museum aufbewahrt waren. Siehe dazu: August Neilreich, Bericht über 110 Briefe Wulfens an Jacquin. In: Verhandlungen des Zool.-bot. Vereins Wien 1 (1852), 25–27. 1201 Wulfen an N. J. Jacquin, Brief, 11. Oktober 1772, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, (ABK, Fasz. 15). 1202 Der Brief wurde erstmal ediert in: Marianne Klemun, Naturgeschichte, Austausch und Funktionen eines wissenschaftlichen Korrespondenznetzes. In: Carinthia II, 195/115 (2005), 253–268. 1203 Zwar existiert im Lateinischen die Höflichkeitsform nicht, dennoch übersetzen wir es mit »Sie«.

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begonnenen Schriftverkehr wieder aufnehmen; und Sie haben das weiter angefacht bei mir als einem Menschen, der das zwar nicht ungern täte, aber dachte, dass er bei Ihnen schon lange in Vergessenheit geraten sei. Daher habe ich an Sie geschrieben, und gar nicht einen so kurzen Brief; ich habe sogar bald danach noch weitere Schreiben folgen lassen. Dass ich mehrere Teile der Alpen durcheilt habe, habe ich angedeutet; dass ich dabei so feine Pflanzen entdeckt habe, wie sie bis auf den heutigen Tage keinem Botaniker vor Augen gekommen sind. Ich habe gebeten, dass Sie von Ihren Pflanzen einige mit mir gemeinsam besprechen; von meinen habe ich einige zur Verfügung gestellt; und ich wollte wissen, ob Linn8 noch lebt. Aber auf das haben Sie überhaupt nicht reagiert. Und warum das? Oder haben Sie keine von meinen (Pflanzen) – was ich nicht glaube – bekommen? Sind sie vielleicht bei schlechter Gesundheit? Sind Sie womöglich von mir, ohne dass ich es weiß, in irgendeiner Hinsicht beleidigt worden? Was immer es sei, lassen Sie mich, bitte, nicht länger im Unklaren darüber! Leben Sie wohl! Ich schrieb das im Klagenfurt am 10. Oktober 1772. P. S. Unlängst habe ich ein neuartiges kleines Pflänzchen gefunden.«1204

Auf den ersten Blick wirkt der Tonfall des Briefes sehr bestimmt, direkt, wenn nicht sogar unfreundlich, ja barsch. Hatte sich der Jesuit Wulfen hier in der Stimmlage vergriffen? Hatte er das Regime der herrschenden Korrespondenzregeln als Außenseiter eigenmächtig gelockert oder seine Contenance über Bord geworfen? Nein, er machte unmissverständlich deutlich, dass er ausschließlich an einem seriösen Fachgespräch interessiert war, an keiner anderen wie auch immer gestalteten Beziehungskonfiguration. Mit diesem Hinweis hatte er Erfolg, denn über zwanzig Jahre kam es zu einer intensiven Korrespondenz, von der beide sehr profitierten. Jacquin erhielt Informationen über jene Alpenpflanzen, die zuvor noch nicht beschrieben worden und sehr begehrt waren, und Wulfen konnte dieses Wissen erstmals mithilfe Jacquins publizieren. Kommen wir nochmals zu dem Brief: Wulfen operierte entsprechend seinem Status als botanischer Liebhaber mit dem Hinweis, dass die erste Initiative nicht vom ihm ausgegangen sei, sondern lediglich auf Jacquins Aufforderung erfolgte. Und Wulfen entwarf mit unnachgiebiger Intensität einen Stimmungsraum, der vom Klima der Forderung nach Klarheit bestimmt wurde. Denn er wollte 1204 Wulfen an Jacquin, 11. Oktober 1772, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, (ABK, Fasz. 15): »Jaquinio Suo / Xaverius Wulfen /Salutem /Ipse me Tuis provocasti litteris; ipse ut captum olim litterarum commercium rursus redintegraremus, autor fuisti; et Stimulos addidisti, non equidem invito, sed cogitanti, se / Vobis dudum oblivioni datum. Scripsi itaque ad Te, neque breves adeo litteras; quin et alias brevi post tempore addidi; alpes me complures percurrisse significavi; detexisse plantas tam elegantes, quam ad hunc usque diem nulli visas botanico; rogavi ut de Tuis nonnullas mecum communicares; de meis alias obtuli; et Scire desideravi, num Linnaeus viveret? Sed nihil ad haec omnia Tu! Et cur istud? an nullam mearum /: quod haud credo:/ accepisti? aut provocasse paentuit? Vel adversa uteris valetudine? vel / me, et simul inscio me, offensus es alinqua in re? Quidquid sit; quaeso, ne me id latere diutius sinas, Vale. Dabam Clagenfurti XI Kal. Octob. MDCCLXXII P. S. Plantulam nuper novi generis inveni.« Eigene Übersetzung.

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– obwohl er als Botaniker noch nicht ausgewiesen war – in Zukunft als solcher ernst genommen werden, hatte er doch bereits durch seine Annotationen der Pflanzensendungen seine Artenkenntnis bewiesen. Schließlich erwähnte er im Nachsatz den Umstand, dass er eine Pflanze nach Joseph Agosti1205 benannt habe. Er zeigte sich relativ selbstbewusst als Nominator. Wulfen verzichtete auf eine nochmalige Beigabe von Herbarbelegen, sondern wartete ab, ob ein auf Gegenseitigkeit gegründetes Verhältnis, eine Diskussion über die Pflanzen in Gang kam. Dass er mit zahlreichen interessanten Entdeckungen von seinen Alpenreisen in Gegenden Kärntens, in denen noch nie ein Botaniker gesammelt hatte, aufwarten konnte, wusste er als Lockmittel gezielt einzusetzen und Jacquin ließ sich damit auch gewinnen. Zum Zeitpunkt dieser postalischen Momentaufnahme war Nikolaus Jacquin bereits ein international anerkannter Botaniker und seit drei Jahren als Professor in Wien tätig. Er zählte zu den ersten Anhängern und Verteidigern des vor allem im französischen Raum umstrittenen Klassifikators Linn8,1206 den auch Wulfen sehr verehrte. Soeben hatte Jacquin ein publizistisches Großprogramm gestartet, das sich zunächst der Darstellung der wichtigsten Pflanzen des Universitätsgartens widmete1207 und bald auch auf die Floren der »österreichischen Länder« ausgeweitet wurde.1208 In letzteren Plan passte Wulfens Expertise. Jacquins Kontakt mit Linn8 war Wulfen bekannt;1209 dass er über dessen Vermittlung an den großen Botaniker herankommen mochte, äußerte er nicht nur als Bitte, sondern stellte es als Notwendigkeit dar. Nur der Tod Linn8s würde ihn davon abhalten. Schon alsbald schrieb Wulfen tatsächlich an Linn8, ein weiter Brief folgte, beide blieben jedoch von Linn8 unbeantwortet.1210 In der Tat hatte aber laut einem Schreiben Linn8s an Jacquin dieser auf Wulfen sofort 1205 Der aus dem Venetianischen gebürtige Jesuit verfasste ein bedeutendes Werk: Joseph Agosti, De re botanica tractatus (Belluni 1770). 1206 Zur Anhängerschaft Linn8s siehe Frans A. Stafleu, Linnaeus and the Linnaeans (1971). 1207 Nikolaus Joseph von Jacquin, Hortus Botanicus Vindobonensis, Vol. 1. (1770). 1208 Nikolaus Joseph von Jacquin, Florae Austriacae sive plantarum selectarum in austriae archiductu sponte crescentium icones ad vivum coloratae et descriptionibus ac synonymis illustratae« [Österreichische Flora oder Bilder ausgewählter, im Erzherzogthum Österreich frei wachsender Pflanzen, nach der Natur gezeichnet und koloriert und mit ihren Synonymen ausführlich beschrieben], 1773–1778 erschienen. Jacquins Vorbild für diese Flora ist nicht zufällig Georg Christian Oeders »Flora Danica« (Kopenhagen 1761–1817), ein neunbändiges Monsterwerk, für dessen Vorbereitung der dänische Monarch tief in die Tasche griff. 1209 Die Korrespondenz zwischen Linn8 und Jacquin beginnt im Jahr 1759. The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. Siehe dazu auch: Karl Schreibers und Stephan Endlicher (Hg.), Caroli Linnaei Epistolae ad Nicolaum Josephum Jacquin ex Autographis (Wien 1816). 1210 Wulfen an Linn8, 13. November 1772 (L 4760) und 1. Juli 1775 (L 5117), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net.

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reagiert und Jacquin die Weiterreichung des Briefes anvertraut.1211 Was damit passierte, wissen wir nicht, er kam jedenfalls bei Wulfen nicht an und ist auch nicht mehr erhalten. Jacquin, der so manches Netzglied seiner eigenen Verbindungen für Wulfen öffnen sollte, verweigerte sich in Bezug auf Linn8 der Intervention. Sonst vermittelte Jacquin Wulfen bereitwillig Kontakte, so z. B. jenen zum Bryologen Johann Hedwig (1730–1781),1212 einem aus Siebenbürgen gebürtigen Mediziner, der ab 1786, zum Zeitpunkt der Kontaktaufnahme, zum Professor der Medizin an der Universität in Leipzig avancierte und ein Standardwerk der Mooskunde1213 veröffentlicht hatte, was für den Flechten und Moose sammelnden Wulfen sehr bedeutsam war. Jacquin und Wulfen profitierten bis zum Jahre 1795 jeder auf seine Weise voneinander. Ihr intensiver Briefwechsel funktionierte als Kanal, über welchen Beschreibungen, Herbarbelege, Samen, Pflanzen, Manuskripte und Bücher transferiert wurden. Als Transporteure fungierten Kaufleute, reisende Adelige oder auch Buchhändler, wenn Pakete größeren Umfanges auf den langen Weg zwischen Wien und Klagenfurt befördert wurden. Von Klagenfurt nach Wien pflegten lebende Alpenpflanzen, deren Beschreibungen, Abbildungen und Herbarbelege zu gehen, die von Wünschen nach der in Klagenfurt unerreichbaren Fachliteratur und Klagen über die isolierte Situation in der Stadt begleitet wurden. Die Lieferungen aus Wien hingegen beinhalteten eher die fertigen Produkte aus der Fachwelt, vor allem bereits Gedrucktes aus der Werkstatt Jacquins. Während Wulfen begierig auf ein Feedback von außen Wert legte, auf das er sich im Rekurs mit Konsequenz beziehen wollte, verstand Jacquin seine Arbeiten als abgeschlossen. Wulfen, der Zweifler am eigenen wissenschaftlichen Ergebnis und beinharte Kritiker des anderen, meldete sich bisweilen janusköpfig zu Wort. Damit traten zwei widersprüchliche Kräfte in Aktion, die Wulfens Arbeit zweifellos ambivalent konstituierten, denn zeitlebens erschienen nur sehr wenige Publikationen. Mit der Tendenz, dass der Briefwechsel lediglich einen Kanal darstellte und nicht zum idealen Spielfeld im symmetrischen Austausch über die Pflanzenbestimmungen gereichte, musste sich Wulfen abfinden, immerhin eröffnete ihm Jacquin doch die Möglichkeit der Drucklegung seiner ersten wissenschaftlichen Aufsätze, der Beschreibungen von Alpenpflanzen.1214 Dass so manche Stelle auf 1211 Vgl. Linn8 an Jacquin, 26. Dezember 1772 (L 4768), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1212 Wulfen berichtet darüber in seinem Brief an Schreber vom 16. Dezember 1786, Universitätsbibliothek Erlangen, Handschriftensammlung, Ms 1924, Nr. 23. 1213 Johann Hedwig, Fundamenta historiae naturalis muscorum frondosorum (Leipzig 1782–1783). 1214 Franz Xaver Wulfen, Plantae rariores carinthiacae. In: Nikolaus J. Jacquin (Hg.), Miscel-

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Drängen Jacquins1215 entweder direkt aus den Briefen Eingang in Jacquins Sammelwerke fand, somit Öffentlichkeitscharakter errang, konnte der auf Perfektion beharrende Exjesuit nicht schätzen, sondern eher nur als Nachteil einer übereilten Publikationsfreudigkeit in Wien deuten. Die redaktionelle Bewirtschaftung seiner Pflanzenbeschreibungen überließ Wulfen dennoch relativ freimütig Jacquin, über deren mangelnde Genauigkeit er sich dann nachträglich gerne beschwerte.1216 Der Gegensatz zwischen den beiden war einer, der sich auf die Art und Weise der Wissensproduktion bezog, er war aber auch ein sozialer. Wulfen lebte als Exjesuit von einem Kutscherlohn und Jacquin als finanziell abgesicherter hoher Beamter im Vergleich nahezu luxuriös. Während Wulfens Vater bereits das Adelsprädikat trug, war Jacquin der Aufsteiger, der sich im Lebensstil an dieser Gesellschaftsformation orientierte. Wie von Anfang an durchquerten die Briefe beider immer wieder aufs Neue ein Spannungsfeld, das durch Wulfens zwischen wissenschaftlicher Selbstsicherheit und Selbstzweifel oszillierende Ambivalenz sowie Jacquins Publikationsfreudigkeit bestimmt wurde. Die zwei antagonistischen Welten der Protagonisten standen sich gegenüber. Was lange (ab 1790) den Konflikt unterschwellig nährte, führte letztendlich zum radikalen Bruch, als ein Dritter sich einmischte: Nikolaus Thomas Host (1761–1834), Leibarzt Franz’ II., ein Wiener Botaniker (Abb. 47), ebenfalls durch Jacquin protegiert, der auf dem Weg nach Dalmatien in Wulfens bescheidener Unterkunft in Klagenfurt (heute Burggasse 5) einkehrte. Wulfen, der eine intensive Aussprache über ungelöste Bestimmungsfragen erwartete, war zutiefst enttäuscht, und Host verstand Wulfens kritische Äußerungen über Jacquins Arbeiten als persönlichen Angriff, was er Jacquin direkt zutrug. So endete ein intensiver Briefwechsel und gleichzeitig eine fruchtbare Kooperation, denn Jacquin brach die Korrespondenz plötzlich ab. Wulfen sah sich von Jacquins Schüler Host verdrängt, einem Botaniker, dem nun Jacquin sehr viel mehr Aufmerksamkeit schenkte, war er doch dessen Anhänger und sollte er doch ab 1793 den ersten Alpengarten, in dem für die Österreichische Flora repräsentativen botanischen Garten am Belvedere begründen und belanea austriaca ad botanicam, chemiam et historiam naturalem spectantia, Vol. 1 (1778), 147–163 und Vol. II (1781), 25–183 und Ders., Plantae rariores carinthiacae. In: Nikolaus J. Jacquin (Hg.), Collectanea ad botanicam, chemiam et historiam naturalem, Vol I. (1786), 186–364; Vol. II (1788), 112–234; Vol. III (1789), 3–166 und Vol. IV. (1790), 227–348. 1215 So schrieb Wulfen an Schreber in Erlangen: »Ich würde Ihnen noch mehrere Pflanzen überschickt haben, aber ich wurde durch Hrn Jacquin gestört. Er dringt wieder in mich, daß ich ihm bald etwas für seinen 2. Theil Collectanorum einschicke; mithin habe ich genug zu thun.« Wulfen an Schreber, Brief, 23. Februar 1788, Universitätsbibliothek Erlangen, Handschriftensammlung, Ms. 1924, Nr 31. 1216 Wulfen erstellte nachträglich Listen der Korrekturen, die er sodann an seinen neuen Diskussionspartner Schreber und nicht an Jacquin versandte. Vgl. Wulfen an Schreber, Brief, 14. Dezember 1785, Universitätsbibliothek Erlangen, Handschriftensammlung, Ms. 1924, Nr. 15.

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treuen.1217 Über die Verstimmung Jacquins erfuhr Wulfen über Umwege, als Alois Frölich nach einem Aufenthalt in Wien auch Wulfen besuchte. »Ein Räthel sagen Sie, ist es Ihnen, wie doch Jacquin gegen mich so kaltblütig seyn könnte! Für mich mein bester Frölich! Wohl noch ein größeres Räthsel! Ohne Ihre heurigen Briefe, wüßte ich nicht einmal, dass ich demselben eine gleichgültige Person geworden sey,«1218 resümierte Wulfen sein Verhältnis zu Jacquin abschließend. Wulfen sah sich um einen neuen Herausgeber um, der das wissenschaftliche Gespräch pflegen sollte, und intensivierte seinen Austausch mit dem deutschen Naturforscher Johann Christian Schreber (1739–1810). Wiewohl Wulfen stolz auf die Dedikation der Wulfenia carinthiaca Jacq. war, die Jacquin vorgenommen hatte, blieb er bei seiner Meinung, dass er die Wulfenie lieber als Poederota eingereiht haben wollte, wie es auch sein Brief an den Linn8anhänger Schreber belegte: »Die vorwaltende Ohnmöglichkeit mit mir ohnmittelbar und persönlich bekannt zu werden, will ich, so viel in meiner Macht ist, einigermassen ersezen, und überschicke Ihnen hier eingeschlossen, nicht zwar meine Abbildung, sondern das, was meinen Namen führt: eine Alpen-Pflanze, die ich unter den höchsten steilen Steinwänden der Kübegger Alpe im Geilthale gefunden.1219 Weder ich selbst, noch Jacquin vermochten dieselbe unter eines der seither bekannten linneanischen Geschlechter zu bringen, und die besondere, auch nicht verdiente Freundschaft dieses Letzteren gegen mich, verleitete denselben sie /so sehr ich auch dawider war :/ mir zuzueignen. Ihre umständliche Beschreibung sammt vierzig andern […] finden Sie im zweiten Theile der Miscellaneorum Austriacorum…«1220

Nicht nur Wulfen hatte von der Verbindung profitiert, auch Jacquin hatte bewiesen, dass er als Manager bezüglich Wulfen die richtigen Entscheidungen traf, Qualität erkannte und die richtigen Botaniker mit der Aufnahme in seine Publikation (»Collectanea«) auszuwählen wusste. Schon nach Erscheinen der ersten zwei Bände dieses mehrbändig geplanten Unternehmens stellte ein Rezensent in der einflussreichen wissenschaftlichen Rezensionszeitschrift, in den 1217 Siehe dazu ausführlicher : Marianne Klemun, Space, State, Territory, Region and Habitat. Alpine Gardens in the Habsburg Countries. In: Designing Botanical Gardens: Science, Culture and Sociability (= Studies in the History of Gardens & Designed Landscapes, An International Quarterly, Vol. 28, Nr. 3 & 4, 2008), 414–423. 1218 Wulfen an Josef Alois Frölich, Brief, 23. Mai 1793, ÖNB, HAD, 46/155. Insgesamt befinden sich 15 Briefe Wulfens an Frölich in diesem Konvolut (1791–1794). 1219 Das auf nur 10 km beschränkte Wuchsgebiet der Wulfenia carinthiaca Jacq. am Gartnerkofel fasziniert Botaniker bis heute. Bis zum Jahre 1903 bezeichnen Botaniker diese Art als Endemit Kärntens, bis sie auch in Südmontenegro gefunden wurde, wo sie über ein größeres Fundgebiet nachweisbar ist. Vgl. Michael Kosch, Die Gattung Wulfenia Jac. – ein Überblick. In: Wulfenia 1 (1992), 27–33. 1220 Der Brief Wulfens an Schreber, 7. April 1781, Bibliothek der Universität Erlangen, Ms. 1924, Nr. 38.

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Abb. 47: Hostia coerulea Jacq., von Jacquin gewidmet seinem Wiener Freund und Schüler Nikolaus Host, Leibarzt des Kaisers (N. J. Jacquin, Horti Schoenbrunnensis, Vol.1, 1797, Taf. 114)

»Göttingischen Anzeigen von gelehrten Sachen«, zu Recht fest, dass »nebst dem Hrn Herausgeber, Hr. Wulfen den größten Antheil«1221 daran habe. Wir sehen an all diesen Beispielen, dass Briefe wesentlich zum epistemischen wie auch sozialen Aushandlungsprozess beitrugen, wodurch die Wissenschaften und ihre Fakten erzeugt und stabilisiert wurden. Die Funktion des Briefwechsels verstehen wir als wissenschaftliche Organisationsform von Naturforschern in sozialen und kulturellen Kontexten. Bleibt aber noch eine andere Ebene zu berücksichtigen, der materielle Aspekt. Wer sich heute den erhaltenen Briefen von Botanikern oder Naturforschern des 1221 Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen (Göttingen 1782), 589.

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18. Jahrhunderts zuwendet, dem wird der unermüdliche Bezug auf Dinge, die zwischen den Gelehrten kursieren, besonders ins Auge stechen. Bücher, Naturalien und Herbarbelege wurden emsig zwischen den Korrespondenzpartnern hin- und hergeschickt. Eine solche Versendung begleitete den Brief nicht nur materiell. Die Dinge selbst vernetzten sich und intensivierten die Verbindungen und das Wissen. In einem dynamischen Netzwerkgefüge von Naturforschern spielten abgesehen vom Mitgeteilten besonders die verschickten Realien eine konstitutive Rolle als Information und Bindemittel in der Beziehungsstruktur. Wir sahen diese bereits anhand einiger Beispiele für Jacquins Beziehung zu Linn8. Dieser zeigte sich all die Jahre über Herbarbelege, Samen, Notizen und immer wieder von Jacquins Zeichnungen begeistert und wollte sich glücklich schätzen, wenn Jacquin auch Pflanzen aus seiner Sammlung zeichnen und kolorieren und publizieren könnte, aber dies war wegen der Distanz nicht machbar.1222 Der Austausch basierte demnach nicht nur auf dem Gedankengut, auf Text, sondern vermittelte sich über die materielle Sache, auf die nicht nur die Korrespondenzen, sondern auch Beziehungen und Wissen rekurrierten. Unterwegs von und nach Wien waren Samen, Herbarbelege, Bilder, Zeichnungen von Pflanzen, Skizzen, Notizen, Adressen von Kollegen und vor allem auch Bücher, da sich die Buchhändler oft weigerten, seltene Publikationen aus dem Ausland zu besorgen, wobei hier Jacquin auch über Vermittler neue Sammler in sein Netz integrieren konnte. Einer von ihnen war Samuel Vaughan (1720–1802), ehemaliger Pflanzer in Jamaika, der bei Priestley studiert hatte1223 und zu jener Gruppe an politischen Aktivisten zählte, die Benjamin Franklin als »Club der Honest Whigs«1224 bezeichnete. Er wirkte aktiv in der »Society of Constitutional Information«, half die »American Philosophical Society« in Philadelphia zu reaktivieren und war an der Etablierung eines amerikanischen Naturmuseums interessiert. 1786 schickte er Jacquin Pflanzen sowie den Hinweis auf einen soeben erschienenen Katalog von Bäumen und Sträuchern1225 und erwartete von ihm dezidiert Mineralien.1226 Eine nicht zu unterschätzende Funktion der Korrespondenz zeigte sich in der 1222 Vgl. Linn8 an Jacquin, 20. Dezember 1769 (L 4304), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1223 Robert E. Schofield, The Enligthened Joseph Priestley : A Study of His Life and Work from 1773 to 1804 (Penn State Press 2004). 1224 Verner W. Crane, The Club of Honest Whigs: Friends of Science and Liberty. In: The William and Mary Quarteley Third Series, Vol. 23, Nr. 2 (1966), 210–233. 1225 Es handelte sich hierbei vermutlich um: Humphry Marshall, Arbustum Americanum: the American Grove, or an Aphabetical Catalogue of Forest Trees and Shrubs, Natives of the American United States (Philadelphia 1785). 1226 »Extract d’un lettre de Mrs S. Vaughan«, 27. Februar 1786, Handschr&ft Jacquins, Den Haag, KB 78 F 8.

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Verteilung der eigenen Publikationen im Tausch mit anderen. Jacquin hatte sich in der Riege angesehener Wissenschaftler etabliert, er war ein sichtbarer Teil von ihnen und nützte dieses Netz gekonnt für den Vertrieb seiner Werke. Er konnte sein kaufmännisches Talent – das Erbe seiner Vorfahren oder doch mehr die Prägung in seiner Jugendzeit – nicht leugnen. Dabei hielt sich die Bewerbung seiner Werke wie auch die Nachfrage in der Waage. Dafür könnten unzählige Beispiele angeführt werden, wir konzentrieren uns lediglich auf eines. Ende des Jahres 1782 wandte sich Johann Christian Schreber, der bei Linn8 studiert hatte und als Professor für Botanik an der Universität Erlangen wirkte, an Jacquin mit der Bitte, die Bände des »Hortus Vindobonensis« von ihm direkt beziehen zu können: »Hochwohlgebohrner Herr, Hochzuverehrender Gönner, Bey E. Hochwohlgeboren nehme ich mir die Freiheit meine gehorsamste Bitte um ein Exemplar dero Horti Vindobonensis zu wiederholen. Wäre es ohne deroselben Beschwerde möglich, daß ich es bald erhalten könnte, so würde mir damit eine besondere Gefälligkeit damit geschehen. Die Bezahlung soll sogleich erfolgen, auch werde ich die Antilopenfelle, falls Euer Hochwohlgeb. selbige verlangen, ohne Verzug zu übersenden die Ehre haben. – Derjenige, den ich in meinen letzten Brief in Vorschlag brachte, E. Hochwohlgeboren Werke ihm in Commission zu geben, ist der Hr. Candidat Götz, Instructor der Prinzessinnen von Hessen Cassel, zu Hanau, ein Mann von bekannter Redlichkeit. Er ist izo im Begrif [!], die naturhistorischen Verlagsartikel meines Verlegers, Hrn. Walthers, in Commission zu nehmen, und solches durch ein Advertissement in öffentlichen Blättern bekannt zu machen; in selbiges könnte eben, wenn E. Hochwohlgeben es genehmigen, mit einfließen, daß dero Werk in Commission bei ihm zu haben wären. Ich zweifle nicht er werde derenselben mehr als ein Exemplar verschleißen können, und überlasse also E. Hochwohlgeboren, ob dieselben nicht Gebrauch von ihm, und zwar auf die lezthin gemeldete Art, zu machen belieben wollen. Nur bitte ich gehorsamst, mir dero Entschluß bald gütigst zu melden. – Von Altdorf habe ich wegen des Ankaufs von Flora noch keine Nachricht, ich trage auch Bedenken, sehr darauf zu dringen; hoffe aber doch daß ich sie binnen etlicher Tagen endlich erhalten werde. Übrigens habe ich die Ehre mit größter Hochachtung zu seyn E. Hochwohlgeben ganz gehorsamster Diener Schreber, Erlangen, den 28. Dez. 1782.«1227

So setzen sich auswärtige Kollegen, die Jacquin schätzten, sogar für die Bewerbung von dessen Werken ein, überlegten sich kreative Wege, ihre eigenen Möglichkeiten einzubringen. Geduldig bat Schreber fast ein Jahr später Jacquin erneut um den »Hortus«, und hatte auch für die Bibliothek der Universität von Nürnberg in Altdorf eine Ausgabe der »Florae Austriacae« vermittelt.1228 Es 1227 Schreber an Jacquin, Erlangen 28. Dezember 1782, Waller Ms Universität Uppsala, de05116. 1228 Vgl. Schreber an Jacquin, Erlangen, 28. Juni 1783, ÖNB, HAD, Autograph 21/60-1.

Konkurrenz: »eine Katze auf Samtpfötchen« oder ein beinharter Karrierist?

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sollte nochmals ein Jahr dauern, bis es dann geklappt haben dürfte, denn Schreber bedankte sich für das großzügige Geschenk, was wohl den »Hortus« betraf.1229 Später sollte Jacquin auf seine frühere Investition zurückkommen, als er seinen Neffen Dr. Schreibers zu Schreber nach Erlangen vermittelte und ihn für ein paar Tage dessen Führung anvertraute: »Wenn Sie ihm während seines Aufenthaltes in Ihrem Musensitze Ihre Gewogenheit und lehrreichen Umgang gönnen und durch Ihren gütigen Rath seine Absichten befördern wollen.« Er vergaß nicht, Schreber auf Neuerscheinungen hinzuweisen bzw. auf Werke, die bald erscheinen sollten: »Es werden in kurzer Zeit zwei wichtige botanische Werke hier erscheinen; das erste ist eine Beschreibung neuer und seltener hungarischer Pflanzen mit prächtigen illuminirten Tafeln von dem Hrn. Graf Waldstein und Hrn. Kitaibel;1230 das zweyte eine Beschreibung aller in Österreich wild wachsenden Gräser von Hrn. Dr. Host.1231 Der dritte Band meines Hortus Schönbrunnensis rückt auch allmählig weiter.«1232

Die vielen Einzelbeispiele untermauern unser Argument, dass diese Dinge einen materiellen und kognitiven Kitt der wissenschaftlichen Kommunikation darstellten. Die Naturgeschichte dieser Epoche ist epistemisch ohne den Austausch solcher Dinge nicht denkbar.1233 Gedanken gemeinsam mit Realien brachten die wissenschaftlichen Austauschweisen und Fakten der Naturgeschichte hervor, wie wir es auch in Jacquins Briefwechsel nachvollziehen konnten.

VII. 3. Konkurrenz: »eine Katze auf Samtpfötchen« oder ein beinharter Karrierist? Jacquins Aufnahme in die internationale Botanikergemeinschaft beruhte auf seiner Expedition, den erwarteten Neuheiten und der Vermittlung durch seine Mäzene van Swieten und Linn8. Wir thematisierten diesen Aspekt bereits im Zusammenhang mit Jacquins erstmaligem Betreten der Bühne als Botaniker.1234 Auch wenn die meisten der in der Monarchie produktiv arbeitenden Naturforscher wie Jacquin, Scopoli oder Kramer ihre Tätigkeit nicht innerhalb des Brotberufes, sondern außerhalb dessen ausübten, war eine Mitgliedschaft im Rahmen einer wissenschaftlichen Gesellschaft wertvoller Ausdruck der Ak1229 Vgl. Schreber an Jacquin, Erlangen, 2. November 1784, UB Erlangen: Ms 3000/243. 1230 Franz Graf Waldstein und Paulus Kitaibel, Descriptiones et icones plantarum rariorum Hungariae (Wien 1802–12) Vol. 1–3. 1231 Nikolaus Host, Icones et descriptiones graminum austriacum (Wien 1801–1809), 4 Bde. 1232 Jacquin an Schreber, Wien, 10. März 1799, UB Erlangen: Ms 1920. 1233 Vgl. bes. Bruno Latour, Science in Action. How to Follow Scientists and Engineers through Society (1987). 1234 Siehe dazu Kap. II. 9. Der Durchbruch: vom »Botanophilus« zum »verus Botanicus«.

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zeptanz und Statuserhebung innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Eine zweite und weit wichtigere war der gelehrte Briefwechsel, mittels dessen sich die Community über alle Distanzen hinweg überhaupt erst formierte. Als dritte kollektiv-soziale Struktur wäre das Patronagesystem anzuführen, das ein solches Netzwerk von Persönlichkeiten und deren Arbeitsfelder mitbestimmte und auch Verbindungen zu den Höfen herstellte. Nun wollen wir die weitere Statussicherung Jacquins mikrohistorisch verfolgen. Linn8s frühe Anerkennung und Wertschätzung Jacquins sollte in der Folge ihrer siebzehnjährigen intensiven Korrespondenz, zwischen 1759 und 1776, keinen wesentlichen Abbruch erleben. Den »Glanz des Geistes, den Gipfel der Begabung und die höchste Gelehrsamkeit in der Botanik«1235 sprach ihm Linn8 bereits in einem Brief des Jahres 1759 zu, auch wenn Jacquin zu diesem Zeitpunkt noch keine Publikationen vorzuweisen hatte. Jacquins erste brieflich übermittelte botanische Bemerkungen zu karibischen Pflanzen identifizierten ihn bereits als ausgezeichneten botanischen Kenner. Durch Vorschusslorbeeren bestätigt, hatte es sich Jacquin quasi schon als »Greenhorn« herausgenommen, unerschrocken strenge Kritik an seinen Vorläufern zu üben, deren Lektüre ihm Linn8 brieflich empfohlen hatte. So sprach sich Jacquin negativ über Patrick Brownes (1720–1790) Arbeit aus,1236 die er in der Karibik erworben hatte, und wertete diese in einem Schreiben an Linn8 ab.1237 Die Schrift war während Jacquins Expedition 1756 erschienen, eine der wenigen Vorarbeiten für jenen Großraum, in dem er selbst gesammelt hatte und für den er auch seine erste Publikation vorbereiten sollte. Selbstbewusst ließ sich Jacquin gegenüber Linn8 über Brownes Fehler bei den Pflanzenbeschreibungen aus, schließlich ging es ihm darum, bereits vorausschauend seine zu Westindien entstehende Botanik als völlig neuartig ins rechte Licht zu rücken. Linn8 mahnte Jacquin, die Resultate seiner Reise ohne Verzögerung zu publizieren, da eben die Flora von Südamerika in Europa so wenig bekannt sei. Aber er verteidigte Patrick Brownes Arbeit und würdigte diesen als ehrlichen, aufrichtigen und großzügigen Gelehrten. Fehler in dessen veröffentlichten Pflanzenbeschreibungen beurteilte Linn8 als menschlich und durchaus akzeptabel.1238 Hier stand Jacquin als der angehende um Reputation kämpfende Botaniker dem älteren Linn8 gegenüber, einem an allen ihm zufließenden Informationen interessierten und demzufolge als Zentrum wirkenden arrivierten 1235 Linn8 an Jacquin, 30. September 1759 (L 2590), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. Eigene Übersetzung. 1236 Patrick Browne, The Civil and Natural History of Jamaica (London 1756). 1237 Vgl. Jacquin an Linn8, Wien, 28. August 1759 (L 2562), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1238 Vgl. Linn8 an Jacquin, 30. September 1759 (L 2590), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net.

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Gelehrten. In einem seiner nächsten Briefe stellte sich Jacquin jedoch auf diese Reaktion Linn8s sofort ein, indem er ihn demütig um die Korrektur all seiner Fehler bat und Linn8 schmeichelnd als die einzige potente, in Wien leider fehlende Persönlichkeit umwarb.1239 Erneut wurde jedoch Patrick Brownes Botanik in seinem Schreiben an Linn8 abgewertet, weil viele Fehler darin zu finden seien. Die schonungslose Kritik äußerte er aber nur intern in Briefen, während in seinen Werken alle diese Arbeiten nur positiv bewertet wurden. So ist z. B. in Jacquins »Selectarum Stirpium Americanarum Historia« (1763) immer nur von dem hochberühmten »clarissimi Browne« die Rede. Zu dem erneuten Kommentar Jacquins zu Patrick Brownes Arbeit meinte Linn8 in diesem Zusammenhang abschließend, dass Browne zwar allenfalls zu viel trinke und esse, dass er aber trotzdem für ihn als der absolute Experte amerikanischer Pflanzen gelte. Inzwischen hatte Linn8 von Browne das wertvolle in Amerika zusammengestellte Herbar käuflich erstanden, was seine Hochachtung für Browne noch verstärkte.1240 Wenn Jacquin ihn einmal übertreffen sollte, dann werde eben er an der Spitze stehen. Bis dahin meinte Linn8 daran festhalten zu wollen, Browne für seine bisherige botanische Leistung sehr zu schätzen. Und wieder drängte Linn8 Jacquin, die amerikanischen Ergebnisse zu publizieren, damit sie nicht für die Wissenschaft verloren gingen.1241 An diesem Beispiel wird ein Indiz für Jacquins Verhaltensweise greifbar, nämlich eher auf seine eigenen Vorteile ausgerichtet und an den Adressaten angepasst zu argumentieren, eine Tendenz, der wir häufig in seinen Briefen begegnen. Dennoch ist davor zu warnen, vorschnelle Schlüsse zu ziehen. Eine Bandbreite möglicher Interpretationen bietet sich an. Sie beginnen bei der strategischen Notwendigkeit eines jungen angehenden Wissenschaftlers, sich fachlich kritisch zu äußern, um seinen guten Ruf aufzubauen. Auch das gewollte Herausragen aus einer größer werdenden Gruppe von Nachwuchswissenschaftlern konnte die Taktik evozieren, sich notabene als Besserwisser lautstark aus der Vielzahl von Gleichgesinnten hervortun zu müssen. Am anderen Ende des Spektrums findet sich Jacquins Gabe, sich wie »eine Katze auf Samtpfötchen«1242 in den Briefen zu zeigen und sich stets auf den Korrespondenzpartner diplomatisch einstellen zu können oder im richtigen Moment beschwichtigend 1239 Vgl. Jacquin an Linn8, 14. November 1759 (L 2617) und vor allem Jacquin an Linn8, 20. Oktober 1760 (L 3976), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1240 Linn8’s eigenhändige Anzeichungen [!] über sich selbst, mit Anmerkungen und Zusätzen von Afzelius und einem Vorwort von K. A. Rudolphi (Berlin 1826), 229. 1241 Vgl. Linn8 an Jacquin, 17. März 1760 (L 2696), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1242 So charakterisierte Schultes Jacquin. Siehe: Schultes an Hacquet, 4. Mai 1804, Wien, abgedruckt in: Helmut W. Flügel, Briefe im Netzwerk österreichischer ›Mineralogen‹ zwischen Aufklärung und Restauration (Scripta geo-historica, Bd. 1, Graz 2009), 248. Der Brief ist französisch geschrieben und wurde von W. Flügel ins Deutsche übersetzt.

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der Auffassung des Gegenübers zuzustimmen. Jacquin zog wohl alle Register, auch die so weit voneinander liegenden. Unsere Aussage sollte hier keineswegs auf eine nicht seriöse Identifizierung von negativen Charaktereigenschaften Jacquins hinauslaufen. Vielmehr geht es darum zu zeigen, dass auch ausgezeichnete Kenntnisse nicht alleine zu einer alles überragenden Anerkennung führten, sondern ausgehandelt wurden. An der Reputationsvermehrung waren diese Strategien der Selbstdarstellung beteiligt, womit eine Person sich stärker in einer breiten Sphäre der Kommunikation durchzusetzen vermochte als eine andere. Deshalb ist eine dichte Beschreibung von Jacquins brieflichen Aktivitäten im Beziehungsgeflecht mit anderen Naturforschern sinnvoll, um ein besser aufgelöstes Bild zu gewinnen. Mit harscher Kritik war Jacquin keineswegs zurückhaltend, zumindest brieflich. So beanstandete er das von Linn8 1758 herausgegebene posthume Werk »Iter Hispanicum« seines Schülers Pehr Löfling, da Fehler auf Löflings schlechte Sprachbeherrschung zurückzuführen seien, während Jacquin gleichzeitig seine eigenen passablen Spanisch-Kenntnisse herausstreichen konnte, die er sich während seiner Reise angeeignet hatte. Dass Löfling, der von 1751 bis 1753 auf der Iberischen Halbinsel unterwegs gewesen war und danach das nördliche Südamerika bereist hatte, wo er 1756 an Malaria verstarb, wahrscheinlich ebenfalls während dieses längeren Auslandsaufenthaltes gute spanische Sprachfertigkeiten erworben hatte, wusste Jacquin vermutlich nicht oder ignorierte es sogar. Richard A. Howard1243 meint, dass es für Jacquin wohl einen großen Schock bedeutet habe, Löflings »Iter Hispanica« und Linn8s »Systema naturae« (1758) nach seiner Rückkehr aus der Karibik erhalten zu haben und mit der Tatsache konfrontiert gewesen zu sein, dass viele der Pflanzen, die er als unbekannt eingeschätzt hatte, einige Monate vor ihm bereits beschrieben worden waren. Wettbewerb treibt die Wissenschaft weiter und das Phänomen kann als eine Konstituente des Wissenschaftsbetriebes verstanden werden. Phasen des Akademikerüberschusses spitzen diese Tendenz zu und auch die Zeit nach 1750 war eine solche. Kennzeichen dieses gesellschaftlichen Problems war etwa das stärker werdende Hofmeisterwesen. Junge Akademiker ohne konkrete Posten nutzten das Hauslehrerdasein in adeligen Haushalten als eine Brücke zur späteren bürgerlichen Berufstätigkeit, als eine Übergangszeit von ihren meist privat vorgenommenen Studien hin zu beruflichen öffentlichen Positionen. Auch Jacquin saß jahrelang in Erwartung einer beruflichen Stelle auf der Wartebank. Eine solche Hofmeisterstelle nahm er jedoch nie an, denn er vertraute auf eine bessere Zukunft infolge seines mächtigen Mäzens van Swieten und fand, von 1243 Vgl. Richard A. Howard, The Enumeratio and Selectarum of Nikolaus von Jacquin. In: Journal of the Arnold Arboretum 54 (Cambridge 1973), 435–470.

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diesem zunächst noch 1752 bis 1754 bescheiden gesponsert, vorübergehend auch sein Auslangen. Die Abhängigkeit von Vertretern des absolutistischen Apparates wirkte sich auf die Haltung der angehenden Wissenschaftler aus, und die obrigkeitlichen Reformträger konnten auf einen reichen Pool an Kandidaten zurückgreifen, wenn es um die Vergabe der wenigen verfügbaren Posten im öffentlichen Raum ging. Wie schlug sich aber dieses Phänomen tatsächlich einerseits im wissenschaftlichen Werdegang und andererseits im Umgang einzelner Beteiligter untereinander nieder? Ein sinnvolles Analyseinstrument im Falle Jacquins bietet sich an, mikrohistorisch auf das Umfeld von ähnlich qualifizierten jungen Naturforschern zu sehen. Wie behandelte Jacquin die Mitstreiter seiner Generation und seines unmittelbaren Umfelds? Und wie weit empfand er sie tatsächlich auch als Konkurrenten und bekämpfte sie oder kooperierte mit ihnen? Wem aus diesem Kreis gab er den Vorzug und warum? Eine Persönlichkeit, die Jacquins Leben mehrmals kreuzte und eindeutig als dessen Konkurrent in Augenhöhe auszumachen ist, stellt der um vier Jahre ältere Johannes Anton (Giovanni Antonio) Scopoli (1723–1778)1244 dar. Er hatte in Innsbruck Medizin studiert und bereits 1743, 20-jährig, auch schon eine Dissertation verfasst, die wie von der Universität vorgesehen auch gedruckt wurde.1245 Das stand im Unterschied zu Jacquin, der dies nicht auf sich nahm. Zehn Jahre lang bis 1753 übernahm Scopoli unterschiedliche Aufgaben als Arzt, bis er bei Leopold Ernst von Firmian (1708–1783), Bischof von Seckau, als Privatsekretär eine Anstellung fand. Bekannt für seine Toleranz, übte dieser einen großen Einfluss als Berater Maria Theresias aus. Er soll der Herrscherin auch die Einführung der Schulpflicht empfohlen haben. Dass Scopoli sich eine andere, der Naturforschung nähere Beschäftigung wünschte, belegt die Tatsache, dass er sich während dieser Zeit als Sekretär 1753 an der Medizinischen Fakultät in Wien erneut einer unter dem Vorsitz Gerard van Swietens organi-

1244 Die Sekundärliteratur zu Scopoli ist extrem umfangreich. Grundlegend: Brigitte Hoppe, Scopoli, Johann Anton. In: Neue Deutsche Biographie, Band 24 (Berlin 2010), 879 (dort auch die alte Literatur). Siehe auch: V. Petkovsˇek, J. A. Scopoli, njegovo zˇivljenje in delo v slovenskem prostoru [J.A Scopoli, sein Leben und Wirken im slowenischen Raum]. In: Razprava Vol. XX/2 (Dissertationen der Slow. Akademie der Wissenschaften und Künste, Laibach 1977); Carlo Violani, Giovanni Antonio Scopoli, 1723–1788 (Como 1988); Angelo Fabi, Giovanni Scopoli e Maurizio Bufalini (Bologna 1990). Scopoli wurde nicht nur wegen seiner Botanik und Entomologie, sondern auch wegen seiner mineralogischen Arbeiten geschätzt. Seine Crystallographia Hungarica (Prag 1776) wurde 1988 ins Ungarische übersetzt! Siehe dazu: P8ter Tjth et al. (Hg.), Crystallographia Hungarica azaz Magyr krist#lytan (Miskolc / Rudab#nya 1988). 1245 Johann Anton Scopoli, Dissertation de diaeta litteratorum (Mailand 1743). Siehe dazu: G. Rindi und Carlo Violani, G. A. Scopoli Dissertatio de diaeta litteratorum (Mailand 1991), 125.

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sierten Prüfung unterzog, da jede weitere medizinische Laufbahn innerhalb der Monarchie von dieser Reformfigur abhängig war. Scopoli hinterließ mit seiner Wiener Disputation, die vier Stunden gedauert haben soll1246 und der auch die Herrscherin beiwohnte, einen bleibenden positiven Eindruck bei allen Beteiligten, besonders bei van Swieten. Sie erschien auch im Druck.1247 Es ging bei der Defensio um ein theoretisches Thema spitzfindiger Botanik, das auch für van Swieten von Interesse war, dem Vergleich des Tournfort’schen Systems mit jenem von Linn8. Van Swieten, Scopolis Potential erkennend, versprach ihm die nächste frei werdende Stelle als Arzt zu verschaffen, denn die Verteilung der in Wien geprüften Ärzte innerhalb der Monarchie fiel in den Aufgabenbereich van Swietens. Wir erinnern uns, dass 1753 auch für Jacquin ein Lehrjahr in Wien darstellte, in dem er Universitätsvorlesungen seines Mäzens besuchte und seines weiteren von diesem abhängigen Schicksals harrte. Einer Prüfung bzw. Disputation jedoch unterzog er sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Jacquin lehnte es ab, als Arzt eingesetzt zu werden, insofern bedeutete Scopoli diesbezüglich keine unmittelbare Konkurrenz für ihn. Als Jacquin 1754 seine Expedition in die Karibik antrat, war Scopoli auf dem Weg nach Idria (Idrija, heute Slowenien), dem zweitgrößten Quecksilberbergwerk der Monarchie, wo er als erster vom Staat eingesetzter Physikus wirken und sodann ab 1763 als Lehrer der Chemie und Mineralogie an der dortigen Bergschule unterrichten sollte. Im selben Jahr, 1760, als Jacquin seine erste Veröffentlichung über die Pflanzen Westindiens herausgab, publizierte Scopoli beim Hofdrucker Trattner seine »Flora Carniolica«,1248 die Beschreibungen der Pflanzen des Herzogtums Krain. Das Werk ist Maria Theresia gewidmet, was auf eine Beziehung zu Hofkreisen verweist. Ob hier Firmian oder van Swieten maßgeblich bei der Empfehlung war und grünes Licht für die Widmung der Drucklegung erteilte, ist nicht zu entscheiden, der Einfluss beider ist anzunehmen. Wie Jacquin sollte auch Scopoli als Autor in der Folgezeit extrem produktiv werden, und die Interessen bezogen sich mit Ausnahme von Scopolis »Entomologie« auf dieselben Gebiete: Botanik, Metallurgie, Chemie, Pharmazie und Mineralogie. Durch beide sollten diese Felder eine immense Bereicherung erfahren. Was die beruflichen Chancen anbelangte, hatte Jacquin gegenüber Scopoli die Nase vorn, denn er wurde für die Professur in Schemnitz ausgewählt, 1246 Scopoli berichtet darüber in seiner Autobiographie, siehe dazu: Johann A. Scopoli, Vitae meae vices. In: Deliciae Florae et Faunae Insubricae (Pavia 1786–88), hier 3. Bd. (1788). 1247 Johann A. Scopoli, Methodus plantarum enumerandis Stirpibus ab eo hucusque destinata (Wien 1754). 1248 Johann A. Scopoli, Flora Carniolica exhibens plantas Carnioliae indigenas et distributas in classes naturales cum differentiis specificis, synonimis recentiorum, locis natalibus, nominis incolarum, observationibus selectis, viribus medicis (Wien 1760).

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jenem Ort, an dem die Bergschule später auch in eine Bergakademie und als zentraler Ausbildungsort der Monarchie ausgebaut wurde. Scopoli durfte 1769 sodann Jacquin als Nachfolger in Schemnitz folgen. Für die von Scopoli erwünschte Professur für Naturgeschichte an der Wiener Universität 1774 zählte Jacquin zur Partei seiner Verhinderer, denn Jacquins Freund Johann Jakob Well wurde mit diesem Amt betraut. Ignaz von Born hatte die Einrichtung eines Lehrstuhls der speziellen Naturgeschichte an der Universität Wien begrüßt und die Besetzung desselben mit Well folgend kommentiert, dass dieser »mangelnde Erfahrung durch Eifer ersetzt. Nur Scopoli besitzt Kenntnisse in allen drei Naturreichen und hätte diesen Platz am ehesten verdient, […] den er mit dem zur Zeit besten Mineralogen, Wallerius, teilt, dessen Rezepte unwiederholbar sind, was aber, angeblich wegen Notwendigkeit zur Geheimhaltung, für alle Alchemisten gilt. Scopoli hat mehr geschrieben als verdaut, scheint aber im Ausland sehr geschätzt zu sein. Auch Haller rühmt ihn in seiner ›Bibliotheca Botanica.‹«1249

Auf diesen Posten spitzte später auch Forster, der an Sömmering schrieb: »Mit dem Hierbleiben geht’s für den Moment nicht. Entweder stirbt bald Professor von Well (ein reicher Apotheker, aber unwissend), der an der hiesigen Universität den Lehrstuhl für Naturgeschichte hat, oder der Kaiser errichtet in einigen Jahren eine Akademie der Wissenschaften.«1250 Scopoli wurde schließlich 1776 mit dem Posten eines Professors für Chemie und Botanik an der Universität Pavia versorgt. Während die berufliche Laufbahn für Scopoli weniger erfreulich als für Jacquin verlief, da er sich weder in Idria noch in Schemnitz wohlfühlte, schien er als Naturforscher ungeheures Potential aufzuweisen, das von seinen Zeitgenossen sofort erkannt wurde. Scopoli hatte sich methodisch um einen eigenen Weg der Systematik bemüht, während sich Jacquin Linn8s System ergeben unterordnete. Jedenfalls interessierte sich Linn8 außerordentlich für Scopolis »Flora Carniolica«, über die er sich gleich dreimal hintereinander in den Jahren 1759 und 1760 bei Jacquin erkundigte1251 und die er dringend zu erwerben wünschte. Linn8 suchte alle Veröffentlichungen zu bekommen, um sein Bild der Flora dieser Region zu verbessern. Jacquin schwieg zunächst, und erst als Linn8 nicht locker ließ, reagierte er auf dessen Anfragen. Sein an Linn8 gerichteter Bericht über das Erscheinen von Scopolis Buch 1760 vermittelte keineswegs ein positives Bild von diesem. Da er Scopoli nur vom Hörensagen kenne, betonte er, verweigere er jede 1249 Born an Jacquin, 20. August 1774, NMW, AfW, Inv. Nr. 28653/91; abgedruckt in: Christa Riedl-Dorn, Briefe von Ignaz von Born an Nikolaus Joseph von Jacquin (1987), 66. 1250 Forster an Sömmering, Wien, 4. Setember 1784. Abgedruckt in: Brigitte Leuschner (Hg.), Georg Forsters Werke. 14. Band, Briefe 1784 – Juni 1787 (Berlin 1978), 182f. 1251 Vgl. Linn8 an Jacquin, 22. November 1759 (L 2612), 15. Jänner 1760 (L 2654) und 2. September 1760 (L 2796), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net.

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Aussage über die von Scopoli behandelten Pflanzenbeschreibungen. Er verwies darauf, dass Scopoli zwar im Vorwort Linn8 preise, sich jedoch im Werk nicht an Linn8s System halte, mit dem er sogar sehr ironisch umgehe.1252 Scopoli und Linn8 hatten inzwischen einen intensiven Brief- und Gedankenaustausch aufgenommen, der dreißig Briefe umfassen sollte und von dem Jacquin zunächst nichts wusste. Inzwischen kündigte Scopoli bereits am 1. September 1760 Linn8 die Übersendung seiner gedruckten Flora an. Scopoli hatte diese gutgläubig nach Wien an Jacquin geschickt, der sie offensichtlich einfach liegen ließ und Scopolis Ansinnen nicht Folge leistete. Erst fünf Monate später ließ Jacquin endlich Linn8 wissen, dass der schwedische Diplomat, der ansonsten bereitwillig Pflanzen und Objekte zwischen Wien und Uppsala hinund hertransportierte, dies aber im Falle von Scopolis Buch ablehne.1253 Erneut äußerte sich Jacquin recht abschätzig über Scopolis fehlende Kompetenz, Pflanzen wissenschaftlich unterscheiden zu können. Nach mehr als einem Jahr Wartezeit wunderte sich Linn8 in seinem Antwortschreiben an Jacquin darüber, dass der mit dem Transfer betraute schwedische Diplomat in Wien einen solchen nicht bewerkstelligt hatte. Linn8 informierte im März und September 1761 erneut Jacquin, dass nun das begehrte Buch den Mitteilungen Scopolis zufolge zu ihm auf dem Weg sei.1254 Spätestens zu diesem Zeitpunkt wusste Jacquin, dass auch Scopoli im Briefverkehr mit Linn8 stand. Sofort verteidigte sich Jacquin gegenüber Linn8, dass es ihm kein Anliegen war, Linn8 dieses Buch zu senden, weil er keinen Kontakt zu Scopoli pflege und auch kein Interesse in dieser Sache verfolge.1255 Erst am 13. Dezember 1761 hielt Linn8 das so ersehnte Werk, allerdings über andere Wege vermittelt, schließlich in seinen Händen.1256 Jacquin ließ es sich nicht nehmen, sofort Linn8s Meinung dazu zu erbitten, um erneut gleichzeitig an Scopolis Arbeit Kritik zu üben, da dieser kein Bewunderer von Linn8s System sei. Mygind, dem einzigen von Jacquin akzeptierten Wiener Botanikerkollegen, einem Privatmann, sei es mit ihm gemeinsam aber gelungen, so Jacquin an Linn8, Scopoli zu einer

1252 Vgl. Jacquin an Linn8, 7. August 1760 (L 2779), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1253 Vgl. Jacquin an Linn8, 20. Jänner 1761 (L 2855), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1254 Vgl. Linn8 an Jacquin, 20. März 1761 (L 2889) und 15. September 1761 (L 2962), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1255 Vgl. Jacquin an Linn8, 20. Mai 1761 (L 2912), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1256 Vgl. Linn8 an Jacquin, 14. Dezember 1761 (L 3015). Siehe dazu auch Brief Linn8s an Scopoli, 28. Dezember 1761 (L 3001), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net.

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Adaptierung Linn8’scher Trivialnamen in der zukünftigen Neuauflage zu überreden.1257 Linn8 ließ sich nicht vom Urteil Jacquins leiten. Er gratulierte Scopoli enthusiastisch zu den intelligenten Beobachtungen, zur Ambition und großen Arbeit, die Scopoli mit dieser Flora geleistet hatte.1258 Es handelte sich um die Beschreibung von 750 Samenpflanzen und 250 Kryptogamen. Auch für Scopoli stellte Linn8, ähnlich wie für Jacquin, so etwas wie ein Vorbild dar, Scopoli bezeichnete ihn sogar als Patron.1259 1762 trat eine Wende in Jacquins abweisender Haltung gegenüber Scopoli ein, indem er sich nun wenigstens bereitwillig zeigte, die aus Idria nach Wien gekommenen Sendungen Scopolis an Linn8 über Gronovius in Leiden zur Versendung zu organisieren. Sie beinhalteten Insekten, deren Beschreibung sich Scopoli zugewendet hatte. Für diesen Wandel Jacquins waren wohl mehrere Gründe ausschlaggebend, zum einen, dass Jacquin realisieren musste, in Linn8 einen Bewunderer Scopolis vor sich zu haben, zum anderen, dass Scopoli sich nun mit der Entomologie1260 einem Gebiet zugewandt hatte, das Jacquin nicht interessierte. Aber auch das sichtbare Wohlwollen von Seiten van Swietens, Jacquins Mäzen, musste eine Rolle gespielt haben, denn van Swieten war als Initiator der Neuauflage der »Flora Carniolica« offensichtlich aktiv geworden. Jacquin wie auch Scopoli, beide beklagten sich bei Linn8 über ihre örtliche Isolierung und Distanz zu anderen Gelehrten. Scopoli hatte vermutlich mehr Grund dazu. Denn Idria war tatsächlich ein abgeschiedener, nicht leicht zu erreichender Ort, den er immer wieder gern für temporäre Aufenthalte in Wien verließ: »Ich bin ein armer Mann, lebe nur von meinem Lohn, begraben unter Bergleuten, entfernt von jeder Begleitung von gebildeten Männern, entfernt von Bibliotheken und Ressourcen, die für eine solche Arbeit notwendig sind, abgesehen von dem Hass, dem ich in Idria ausgesetzt bin. Es ist ein Wunder, dass ich es geschafft habe, dem entgegenzustehen!«1261 Jacquin hatte sich zwar als gnädig bei der Übermittlung von Sendungen erklärt, und seinen Kontakt zu Gronovius in Leiden für Scopoli hergestellt,1262 1257 Vgl. Jacquin an Linn8, 27. Jänner 1762 (L 3025), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1258 Vgl. Linn8 an Scopoli, 28. Dezember 1761 (L 3001), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1259 Vgl. Scopoli an Linn8, 5. Februar 1762 (L 3043), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1260 Johann A. Scopoli, Entomologia carniolica exhibens Insecta Carnioliae indigena et distributa in ordines, genera, species, varietates. Methodo Linnaeana (Wien 1763). 1261 Scopoli an Linn8, 5. Februar 1762 (L 3043), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1262 Vgl. Jacquin an Linn8, 3. April 1762 (L 3062) und 23. April 1762 (L 3055) und 26. Mai 1762 (L 3069), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net.

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jedoch erfuhr Scopoli nichts über die weiteren Verzögerungen. Im Mai 1762 berichtete Jacquin an Linn8, er habe aus der Sendung Scopolis die Steine entfernt und stattdessen seine Pflanzen den Insekten Scopolis beigefügt.1263 Monate später bekräftigte er, dass die Sendung nun bei Gronovius sei.1264 Erreicht hatte sie das Ziel Uppsala dann tatsächlich erst Ende 1763.1265 Erst von da an zeigte sich Jacquin in den an Linn8 gerichteten Berichten über Scopoli eher neutral, aber kurz angebunden. Er kündigte zwar kommentarlos Scopolis neue Edition an,1266 wobei er es dennoch nicht unterließ, mehrmals darauf hinzuweisen, dass seinem und Myginds Einfluss zufolge Scopoli nun auch das Linn8’sche System als Grundlage verwende.1267 Die Verzögerung des Erscheinens führte Scopoli nach zwei Jahren Wartezeit bereits im Jahre 1765 auf den Wiener Drucker Krauss zurück.1268 Es sollte mehr als neun Jahre insgesamt dauern, bis sie 1772 wirklich erschien.1269 Scopoli legte der Flora nun tatsächlich die Systematik Linn8s zugrunde, was bereits im Titel des Werkes ausgedrückt ist, und er folgte nun auch der binären Nomenklatur. Ob es ausschließlich Jacquins und Myginds Einfluss war, bleibt zu bezweifeln. In 995 Seiten widmete sich Scopoli der Beschreibung von 1252 Arten von Phanerogamen und 394 Kryptogamen aus dem Gebiet des heutigen Sloweniens. Es wurde ein Standardwerk, das zu einem Klassiker der Botanik avancierte. In den eigenen Landen bzw. in deren Zentrum Wien ignoriert, fehlte es aber nicht an internationaler Beachtung Scopolis.1270 Das belegen Ehrungen, die international mit der Widmung seines Namens für eine Pflanzengattung erfolgten. Der bedeutende französische Gelehrte Michel Adanson, mit dem Scopoli in Briefwechsel1271 stand, benannte eine Brassicaceengattung nach Scopoli, Johann Reinhold Forster, der Begleiter Cooks, 1776 eine Cornaceae, der Sohn Linn8s 1782 eine Thymelaeaceae und Smith 1790 eine Rutaceae. Lamarck nannte 1794 1263 Vgl. Jacquin an Linn8, 26. Mai 1762 (L 3069), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1264 Vgl. Jacquin an Linn8, 23. Oktober 1762 (L 3140), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1265 Vgl. Jacquin an Linn8, 4. Februar 1764 (L 3375), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1266 Vgl. Jacquin an Linn8, 5. August 1763 (L 3286), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1267 Vgl. Jacquin an Linn8, 18. September 1763 (L 3294), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1268 Vgl. Scopoli an Linn8, 7. März 1765 (L 3562), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1269 Johann A. Scopoli, Flora Carniolica exhibens plantas Carnioliae indigenas et distributas in Classes, genera, species, varietates, ordine Linneano. 2 Bde. (Wien 1772). 1270 Laurens Theodor Gronovius war bereits 1761 auf ihn aufmerksam geworden. Siehe dazu: Gronovius an Jacquin, Brief, 8. September 1761, NHM, AfW, 1. Mappe. 1271 Vgl. Hacquet an Haller, 8. Juni 1769, abgedruckt in: Flügel, Briefe (2009), 192.

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eine Flacourtiaceae »Scopolia.« Es waren fünf Versuche, Scopoli mit einer Gattung im Gedächtnis der Botaniker zu verewigen, was Scopolis internationale Akzeptanz bei Kollegen zeitlebens und nach seinem Tode unterstreicht.1272 Es ist eine Ironie der Geschichte, dass Jacquins Benennungs-Vorschlag sich durchsetzte, denn er war zeitlich gesehen der erste. Das Tollkraut (eine Solanaceae), das Scopoli in der Gegend um Idria gefunden, an den Botanischen Garten am Rennweg geschickt und in seiner »Flora Carniolica« (1760) als »Atropa caule herbaceo, foliis ovatis integris, calycibus erectis, fructu capsulari« beschrieben hatte,1273 wurde von Jacquin als eigene Gattung, als »Scopola Carniolica« in seiner Publikation Observationes1274 1764 vorgestellt. Die Dedikation ist deshalb auffällig, weil sie mit Jacquins Abneigung gegen Scopoli nicht konvergiert. Warum widmete er jemandem, den er als Botaniker und Mensch nicht schätzte, eine Pflanze? Scopolis Reputation als Naturforscher war schon mit seiner »Flora« (1760) und seiner »Entomologie« (1763) außerordentlich gewachsen, das hatte Jacquin wohl mitbekommen. Als Erstbeschreiber konnte er davon profitieren, indem er als Erster die allgemeine Hochachtung durch eine Gattung manifestierte. Oder wollte er seine abwehrenden Aktivitäten nun mit einer positiven Tat vergessen lassen? Delikat ist auch die Auswahl der Pflanze, die in der Volksmedizin zu den Hexenkräutern gezählt wurde, da sie als giftig galt und »zur Beseitigung unproduktiv gewordener Leute verwendet wurde.«1275 Diese symbolische Botschaft würde eher auf Jacquins Einstellung passen, denn die Beziehung zwischen beiden sollte sich auch in der Folgezeit nicht bessern. Scopoli zeigte sich sehr zurückhaltend und beklagte sich allerdings erst viel später bei Linn8, dass Jacquin ihm weiterhin keine Hilfe bei der Beschaffung neuester Fachliteratur gewähre, nachdem ihm Linn8 eröffnet hatte, dass er von Jacquin mehrmals erfolglos Scopolis Arbeiten erbeten hatte.1276 Erst Jahre später meinte Scopoli, an Linn8 schreibend, dass Jacquin, der sich als Freund präsen-

1272 Vgl. Franz Speta, Österreichs Entomologen der ersten Stunde: Nikolaus Poda (1723–1798) und Joannes Antonio Scopoli (1723–1788). In: Denisia 13 (2004), 567–618, hier 611. 1273 Vgl. Franz Speta, Österreichs Entomologen (2004), 567–618. 1274 Nikolaus Joseph Jacquin, In: Observationum Botanicarum I (1764), 32 und 33. Abgebildet als Tab. 20: »Idriensi medico & historicae naturalis indesesso cultore, omnium, ni fallor, primo haec planta sponte nascens in sylvis umbrosis Idrensibus reperta fuit & descripta: quae cum omnio mihi videatur novum genus postulare, ab ipso inventore desumpto nomine Scopola apellato mihi est.« 1275 Zitiert nach Speta, Entomologen (2004), 611. Siehe dazu auch R. Wannenmacher, Scopolamin-Scopolia-Scopoli. Zur Geschichte der Pharmazie 11/4. Beilage zur Deutschen Apotheker-Zeitung 99 (1956), 28 und 29. 1276 Vgl. Linn8 an Scopoli, 20. Dezember 1768 (L 4148), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net.

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tiere, von Scopoli nun aber nichts mehr hören werde, denn Jacquin tue alles in seiner Macht Stehende, Scopolis Studien zu ver- und behindern.1277 Linn8 griff Jacquins Vorschlag nicht auf, sondern nannte das Tollkraut wegen des Kapselbaues als »Hyoscyamus Scopolia«,1278 während Scopoli es in seinem Manuskript für die zweiten Auflage seiner »Flora Carniolica« als Lithophila benannt wissen wollte, wie er an Linn8 schrieb.1279 In dieser zweiten Auflage entschloss er sich dann doch Linn8 folgend die Pflanze als »Hyoscyamus Scopolia« und »Pro novo genere sub Scopolae nomine proposuit Cl. Jacquinus«1280 zu beschreiben. Die Namensgebung Scopola lehnte Scopoli entschieden ab. Im italienischen Dialekt der Region, in der Scopoli aufgewachsen war, wurde »scopola« laut Studien Sobans und der wichtigsten Wörterbücher hierzu mit einem »Schlag ins Gesicht, mit dem Beigeschmack, ein grausame Drehung des Schicksals« zu sein, assoziiert. Soban vermutet, dass in dieser Konnotation der Grund lag, warum sich Scopoli mit der Pflanzennamensgebung nicht anfreunden konnte. Es war Schultes, der 1814 den Namen Scopolina vorschlug und Heinrich Friedrich Link schließlich Scopolia. Aber bereits kurz nach Scopolis Tod führte James Edward Smith, der große Verehrer Linn8s und Begründer der Linnean Society, der das Linn8’sche Herbar in London verwaltete, nachdem er Scopolis Nachlass in Pavia persönlich durchgesehen hatte, in seinen »Plantarum Icones« die Bezeichnung Scopolia 1790 ein.1281 1966 schließlich, am Internationalen Kongress für Nomenklatur, wurde der Pflanzenname Scopolia carniolia Jacq. schließlich akzeptiert. Mochten sich die Motive verändert haben, so bleibt doch deutlich, dass Jacquin zwar Scopolis stetig zunehmendem Ansehen nicht wirklich schaden konnte, sich aber keineswegs als kooperativ erwies, um nicht zu sagen schäbig zeigte, indem er ihm so manchen Stein vor die Füße warf. Dass er ihm das Leben allgemein schwer machen wollte, ihn auch als Kollegen an der Universität verhinderte, sind aussagekräftige Aspekte eines vom Konkurrenzgedanken gelei1277 Vgl. Scopoli an Linn8, 13. März 1773, (L 4817), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. Ediert auch in: Soban, Scopoli (2004), 332: »There have been no new prints of insects, due to the infidelity of the publisher Johann Thomas von Trattner who cannot bring the project to an end. Scopoli has done his part, but the result of that work has been destroyed in Vienna. Scopoli is in low spirits, and he is tired of everything. He has even been prohibited by a Court commission on minerals to publish anything on minerals without the permission of the commission, the members of which are unable to make fair decisions. Nicolaus Joseph, baron von Jacquin, who used to be Scopoli’s friend, does not want to have anything to do with Scopoli any longer, and he combats Scopoli in all ways.« 1278 Carl von Linn8, Systema naturae per Regna tria naturae in classes, ordines, genera, species cum characteribius, differentiis, synonymis, locis, 12. Auflage, Bd. 2 (Stockholm 1767), 46. 1279 Vgl. Scopoli an Linn8, 22. Oktober 1763 (L 3310), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1280 Johann A. Scopoli, Flora Carnioloca, 2. Aufl. (Wien 1772), 158 und 158. 1281 Siehe dazu: Soban, Scopoli (2004), 309f. und 338.

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teten Handelns. Man könnte Jacquins Reaktionen auch anders deuten. Da Linn8 auch immer bezüglich der Erkenntniserweiterung der österreichischen Flora auf dem Laufenden sein wollte, musste Jacquin über die in seinem Umfeld arbeitenden Botaniker berichten, etwa dass Johann Anton Scopoli die »Flora Carniolica« noch nicht veröffentlicht hatte, aber das Werk auch nicht gut sei und der Mann eben nicht zurechnungsfähig. Ähnlich distanziert äußerte sich Jacquin über Wilhelm Heinrich Kramer gegenüber Dritten, gleichwohl Kramer ihn sehr freundschaftlich kontaktierte.1282 Er lebe in der Nähe von Wien, meinte Jacquin, er wisse nicht, was dieser eigentlich tue. Andererseits bedauerte es Jacquin, dass sich Francoise Laugier als Leiter des Botanischen Gartens der Wiener Universität geweigert hatte, mit Linn8 in Kontakt zu treten. Er versuchte dies Linn8 damit zu erklären, dass Laugier sich als Chemiker verstehe und daher nicht in allzu engen Kontakt mit Botanikern treten wolle. Nach seiner Rückkehr aus der Karibik hatte sich Jacquin mit Franz von Mygind, Hofrat im Handelsministerium, angefreundet und hatte hier einen Freund gefunden, mit dem er als Einzigen auf Augenhöhe botanische Fragen direkt diskutieren konnte, auch Linn8 wird in diese Debatten mit einbezogen, wiewohl Mygind kein Befürworter des Linn8’schen Systems war. Jacquin hatte zwar einige Gegner, aber mehr Freunde. Auch gab es Naturforscher, denen er distanziert gegenüberstand, wie Wilhelm Heinrich Kramer (1724–1765). Nehmen wir diese Forscherpersönlichkeit und Jacquins Verhältnis zu ihr in den Blick, eine Figur, die als Vorläufer Jacquins hier von besonderem Interesse ist. Denn Kramer hatte die erste Flora Niederösterreichs, den »Elenchus,«1283 lange vor Jacquins Arbeiten publiziert und war wie Jacquin ebenfalls von van Swieten gefördert worden. Kramer zählt heute zu den weniger bekannten in Österreich wirkenden Naturforschern des 18. Jahrhunderts, denn trotz eines beachtlichen naturkundlichen Werkes hinterließ er kaum zeitgenössische öffentliche Spuren. Geboren in Dresden, studierte er an der Universität Wien Medizin und arbeitete danach ab 1752 bis zu seinem Tode als Physikus (Arzt) in Bruck an der Leitha im Dienst des Grafengeschlechts der Harrachs.1284 Er erlebte die erste Aufbruchphase der van Swieten’schen Reformen an der Medizinischen Fakultät, seine Promotion zum Doktor der Medizin mit seiner Abschlussprüfung erfolgte am 23. Februar

1282 Kramer an Jacquin, Brief, 8. August 1763, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Historisches Archiv, K 14-1763-8-086. 1283 Wilhelm Heinrich Kramer, »Elenchus vegetabilium Austriae inferioris« [Auflistung der Gewächse Niederösterreichs] (Wien 1756). 1284 Die Nachforschungen in unterschiedlichen Archiven waren besonders im Falle des Familienarchivs der Grafen Harrach erfolgreich. Vgl. AVA, FA Harrach, Karton 2030 (1746– 1759) und Karton 2031 (1761–1782). Siehe mehr dazu: Klemun, Büschel (2012).

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1752.1285 Mit der Promotion war eine eigene Doktorarbeit verbunden, die bereits ein Jahr nach der Defensio in Druck erschien: »Theoremata Physico-Medica de Lumbricis Corporis Humani«1286 [Physikomedizinische Lehrsätze über die Würmer des menschlichen Körpers].1287 Eine erste wissenschaftliche Würdigung verdanken wir August Neilreich, der in seiner »Geschichte der Botanik in Nieder-Oesterreich«1288 die Bedeutung Wilhelm Heinrich Kramers als Florist fast hundert Jahre nach dem Erscheinen von dessen »Elenchus« (1756) mit dem Hinweis auf diese Schrift ausführlich unterstrich. Neilreich bedauerte das Faktum1289 einer nur lückenhaft bekannten Quellenlage bezüglich Kramers Lebenslauf, worauf in den Pfarrmatrikel der Stadt Bruck an der Leitha, an dem Ort, wo Kramer 13 Jahre bis zu seinem frühen Tode (1752–1765)1290 als Arzt gewirkt hatte, weitere Nachforschungen zum Familienstand unternommen wurden. Der »Elenchus vegetabilium Austriae inferioris« [Auflistung der Gewächse Niederösterreichs] ist nach Neilreich »nicht nur das erste vaterländische Werk, welches nach den Grundsätzen Linn8’s in Nieder-Oesterreich Eingang und Geltung verschaffte, sondern auch die älteste noch immer werthvolle Spezialflora.«1291 Drei Jahre nach Erscheinen der ersten Auflage von Linn8s »Species plantarum«1292 (1753) hielt sich Kramer bereits an die von Linn8 vorgegebene 1285 Siehe UAW, Universitätsarchiv Wien, AFM 10, Akten der Fakultät für Medizin, fol. 52. 1286 Wilhelm Heinrich Kramer, Theoremata Physico-Medica de Lumbricis Corporis Humani. Suae Authoritate & Consensu (Vindobonae 1753). 1287 In der Einleitung des Werkes schrieb Kramer : »Unter der Autorität und nach übereinstimmender Meinung der hochberühmten Herrn, des Herrn Rektors der Universität, des Vorsitzenden der bekannten medizinischen Fakultät, des Herrn Dekans, des Herrn Seniors der Professoren, der Berater und Oberärzte seiner kaiserlichen Majestät, auch der berühmten Professoren und des berühmten Ärztekollegiums an der alten ehrwürdigen Wiener Universität bietet dies für eine öffentliche Erörterung«. Eigene Übersetzung aus dem Lateinischen. 1288 August Neilreich, Geschichte der Botanik in Nieder-Oesterreich. In: Verhandlungen des Zoologisch-botanischen Vereins in Wien, Bd. 5 (1855), 23–76, hier 29. 1289 Die Nachforschungen in unterschiedlichen Archiven waren besonders im Falle des Familienarchivs der Grafen Harrach erfolgreich. Vgl. AVA, FA Harrach, Karton 2030 (1746– 1759) und Karton 2031 (1761–1782). Siehe mehr dazu: Klemun, Büschel (2012). 1290 Das Todesdatum wird in unterschiedlichen Quellen nicht identisch angegeben. Diesbezüglich dürfte das bei Jocher im Universitätsarchiv angeführte Datum (13. Oktober 1765) das zuverlässigste sein, da von Seiten der Fakultät als Korporation der Nachlass verwaltet wurde, weshalb auch die Angabe bürokratische Bedeutung hatte. Vgl. dazu: J. J. Locher, Speculi Academici Viennensis, Pars Secunda. Contintens inter alia Seriem Doctorum, qui in Gremium quatuor Facultatum Universitatis Viennensis admissi sunt, Handschrift im AUW. 1291 Neilreich, Geschichte (1855), 30. 1292 Carl von Linn8, Species plantarum, exhibentes Plantas rite cognitas, ad genera relatas, cum differentiis specificis, nominibus trivialibus, synonymis selectis, locis natalibus, secundum Systema Sexuale digestas, 2 Bde. (Holmiae 1753).

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Klassifikation, auch an dessen Diagnosen, allerdings nicht an die binäre Namensgebung der Trivialnamen.1293 Noch hundert Jahre später konnte Neilreich feststellen, dass zwei Drittel der 1856 bekannten und beschriebenen Pflanzen bereits von Kramer genannt worden waren. Dieser Befund ist deshalb so beachtlich, weil unzählige weitere Florenwerke noch vor Neilreichs Zeit verfasst wurden, jene von Jacquin, Schultes, Host, Trattinnick, Maly, Dolliner und Koch. Kramer fand zwar in der Botaniker-Community zeitlebens Beachtung, aber für eine öffentliche Notiz oder gar einen Nachruf nach seinem Tode hatte es wohl deshalb nicht gereicht, weil er für jene Korporation (der Medizinischen Fakultät), der er angehört hatte, nicht in herausragender Position als Arzt gewirkt hatte. Neilreich bot zudem eine plausible Erklärung an, warum in der Folge Kramers naturkundliche Leistung in Vergessenheit geriet, eine Deutung, die uns zu Jacquin führt: »So verdienstvoll aber auch Kramer’s Wirken war, so wurde er gleichwohl von jenem seines größeren Nachfolgers frühzeitig in den Hintergrund gestellt und bald völlig verschlungen.«1294 Jacquins Tätigkeit stellte bald Kramers Pionierarbeit in den Schatten. Denn er wurde immer wieder mit dem Beginn einer modernen, auf Linn8s Prinzipien basierenden Botanik assoziiert. Ihm wurde zugeschrieben, Linn8s Klassifikationssystem in Wien eingeführt zu haben, womit ein Vorläufer, wie ihn Kramer darstellte, letztlich vergessen wurde. Stafleu nennt Jacquin »the founder of the Vienna school and, mainly through his many publications, one of the most powerful proponents of Linnaeus’ system and ideas.«1295 In der Tat hatte Jacquin in einem weiteren Werk »Enumeratio stirpium […] in agri Vindobonensi« (1762), einer Flora Wiens, die binominäre Benennung konsequent angewendet. Und als Lehrender hatte er das System und die Beschreibungstechnik Linn8s ab 1768 in Wien vorgetragen und an seine Studenten weitergegeben. Das Phänomen der Überhöhung zentraler Figuren auf Kosten ihrer Mitstreiter und Vorgänger ist aus der Wissenschaftsgeschichte gut bekannt, nahezu jedes Jubiläum eines großen Protagonisten führt es uns vor Augen. Es war übrigens ein deklarierter Gegner Jacquins und ausgebildeter Mediziner, Joseph August Schultes, der in seinem Leitfaden für seine Studenten am Wiener Theresianum Kramers Verdienste hervorhob.1296 Kramer gab er einen Platz zwischen Clusius und Jacquin.1297 1293 Zu diesem Aspekt, allerdings in der Angabe des Vornamens irrend: Vgl. Marianne Klemun und Manfred A. Fischer, Von der »Seltenheit« zur gefährdeten Biodiversität (Aspekte zur Geschichte der Erforschung der Flora Österreichs). In: Neilreichia 1 (2001), 85–131. 1294 Neilreich, Geschichte (1855), 30. 1295 Stafleu, Linnaeus (1971), 183. 1296 Joseph August Schultes, Über Reisen im Vaterlande zur Aufnahme der vaterländischen Naturgeschichte (Wien 1799), 3. 1297 Schultes, Über Reisen (1799), 6.

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Blicken wir zurück! Wie verhielt sich Jacquin gegenüber seinem großen Vorgänger? Kramers öffentliche Disputation war im Mai vor Jacquins Ankunft in Wien im 20. Juli 1752 erfolgt. Ihrer beiden Studienzeiten an der Universität Wien deckten sich nicht. Dass aber Jacquins wichtigste Bezugsperson, van Swieten, auch Kramer förderte, hatte Jacquin spätestens nach seiner Rückkehr aus Westindien mitbekommen. Als der »Elenchus« erschien, war Jacquin aber noch in der Karibik unterwegs gewesen. Kramer hatte in seiner Einleitung zum »Elenchus« eigens hervorgehoben, dass er »außerhalb jedes wissenschaftlichen Umganges gestellt«1298 sei. Für Kramer wie für Jacquin stellte Gerard van Swieten einen Mäzen dar, der als berühmter Boerhaave-Schüler höchste Autorität in der Mediziner-Gemeinschaft genoss. Er hatte schon zu Kramers Zeit damit begonnen, die Mitschriften von Boerhaave-Vorlesungen zu publizieren,1299 womit das Erbe dieser Schule erhalten werden sollte. Das hatte beide Jungwissenschaftler, Jacquin wie auch Kramer, fasziniert. Mit Patronage oder Klientelsystem1300 ist, wie bereits in einem anderen Kapitel erörtert, eine Beziehung zwischen sozial Ungleichen gemeint. Der Patron gewährt Schutz oder Zugang zu Ressourcen, während vom Klienten im Gegenzug Loyalität und besonders auch ein Rücklauf erwartet wird. Kramer brachte diese Zugehörigkeit durch seine ausführliche Widmung zum Ausdruck, indem er dezidiert das Ziel seiner Arbeit in den Rahmen der Klientelsverpflichtung stellte, wenn er schrieb: »[…] um dir, sehr berühmter und sehr gefeierter Herr, dieses Pflanzenregister, das wenige und bisher vernachlässigte Bruchstücke der Naturgeschichte enthält, demütigst indessen zu präsentieren.«1301 Es kann angenommen werden, dass van Swieten die Publikation Kramers finanzierte, da er dies für viele seiner Günstlinge (wie etwa für Nikolaus Joseph Jacquin) tat. Bei Kramer liest sich die an van Swieten gerichtete Zueignung folgendermaßen: »Wie aber diese zwei allein deiner Weisheit ihre Entstehung verdanken, während du, was ja die Pflicht des Vorsitzenden ist, die untergeordneten Glieder der Fakultät zur Nachahmung und zum Studium anspornst, so brauche ich nicht lange Zeit Argumente zu suchen, durch die ich zeigen kann, warum ich gewünscht habe, deinem unsterblichen Namen das vorliegende Register zuzuschreiben. Nimm hin, bitte, diese erste Frucht meines sprießenden Geistes, dieses kleine Zeichen meiner Dankbarkeit. Erlaube 1298 Einleitung zu »Elenchus«. Eine komplette Übersetzung des Vorworts findet sich in: Klemun, Büschel (2012). 1299 Gerard van Swieten, Commentaria in Hermanni Boerhaave Aphorismos De cognoscendis et curandis morbis, 5 Bde. (Paris 1755–1773). Die deutsche Übersetzung: Gerard van Swieten, Erläuterungen der Boerhaavischen Lehrsäze von Erkenntnis und Heilung der Krankheiten (Wien 1755–1775). 1300 Vgl. Antonio Ma˛czak (Hg.), Klientelsysteme in Europa der Frühen Neuzeit (München 1988). 1301 Kramer, Einleitung zu »Elenchus« (1756), hier eigene Übersetzung.

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gnädig, dass der Glanz, den dieses kleine Werk sonst entbehren würde, von deinem so strahlenden Namen herbeigeholt wird. Und da nichts mehr die Pflege beendet als das zarte Pflänzchen, neugeborene Tierchen, mögest du es nicht unter deiner Würde finden, die Keimlinge und ersten Anfänge meiner Flora und Fauna gegen den kalten Nordwind der Widerwärtigkeiten1302 gütig zu schützen, durch deine Gunst zu hegen, mir deine Zuneigung zu schenken.«1303

Dass van Swieten seiner Rolle als Mäzen bei der Vermittlung seiner Klienten zu höher gestellten Wissenschaftlern, wie es Linn8 darstellte, eifrig nachkam, belegt der Brief, den er am 12. Februar 17591304 an Carl von Linn8 schrieb: »Meine Freude ist grenzenlos! Dass die Arbeiten unseres Kramer1305 Dir, der Du den ersten Rang in dieser Art von Wissenschaft innehast, gefallen haben. Wenn dieser beste Mann erfährt, dass Du das für gut befunden hast, wird er sich umso leidenschaftlicher der Förderung der Naturgeschichte widmen.«1306 Wie schon mehrmals erwähnt, übernahmen Mäzene die Rolle als Verbindungsmänner, sie bahnten Kontakte an, und sie stellten diese zwischen unterschiedlichen hierarchischen Ebenen her, in unserem Fall zwischen Linn8 in Uppsala und dem Brucker Arzt Kramer. So hatte es Franz Xaver Wulfen Nikolaus Joseph Jacquin zu verdanken, sich an Linn8 wenden zu dürfen, jedoch fühlte sich Jacquin nicht weiter verpflichtet, diese Verbindung zu protegieren. Deshalb blieben die Briefe Wulfens von Linn8 wahrscheinlich unbeantwortet, wiewohl Wulfens Informationen für Linn8 von Relevanz waren und die Arbeiten einen hohen Standard auswiesen. Und so ist es nicht verwunderlich, dass selbst der Briefkontakt von Seiten der gewünschten Partei letztlich über den Patron als Mittler vollzogen wurde. So schickte Linn8 den ersten an Kramer gerichteten Brief wohl durch van Swieten evoziert. Und van Swieten hielt im Sinne seiner Klientelverantwortung diese Beziehung bei dem Adressaten in Erinnerung, so schrieb er etwa in einem weiteren Brief an Linn8: »[…] und ich säume nicht, Kramer zu grüßen.«1307 Die veröffentlichte Flora Kramers hatte Linn8 von van Swieten angefordert. Und sie hielt den hohen Erwartungen stand, denn Linn8 nahm sie in die Liste der 1302 Gemeint war vermutlich die Tatsache, dass van Swieten als Katholik in Leiden keine Karriere machen konnte. 1303 Kramer, Einleitung zu »Elenchus« (1756), hier eigene Übersetzung. 1304 Van Swieten an Linn8, 12. Februar 1759 (L 2502), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1305 Kramer, Elenchus (1756). 1306 (L 2502), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net.: »Gaudeo quam maxime! Crameri nostri labores tibi, qui principem in hoc scientiarum genere locum obtines, placuisse: optimus vir, cum te haec probasse intellexit; tanto alacrius historiae naturali promovendae icumbet«. 1307 Van Swieten an Linn8, 1. September 1759 (L 2502), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net.: »nec morabor salutare Kramerum«.

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von ihm geschätzten Werke auf.1308 Er drückte dies auch in zwei Briefen aus. Dass das Buch, Kramers »Elenchus«, in diesem Fall problemlos über den Weg der Botschaft und ohne große Hindernisse nach Schweden gelangen konnte, verdankte Kramer dem Einfluss van Swietens, wie er in seinem an Linn8 gerichteten Brief vom 11. Dezember 1758 schreibt: »Diesen Gunstbezeigungen, mit denen Du mich überhäufst, mögest Du diese bisher größte hinzufügen und mir einmal in Deinem Schreiben übermitteln. Ich werde es gewiss in Händen halten, wenn man es unserem akkreditierten Herrn Botschafter im Namen meines hochberühmten Patrons Baron van Swieten in Stockholm übergibt. Jener geleitet Dich, hochangesehener und berühmter Herr, mit der höchsten Ehrerbietung; und damit er in seinem Namen nur diese Annehmlichkeit zuteilwerden lässt, hat er diesen Weg benützt und die Mühe auf sich genommen, meinen Brief an die königlichen Majestät von Schweden zu übergeben, damit das Schreiben an Dich gelangt.«1309

Es überrascht nicht, dass beide Briefe Kramers, die in der Korrespondenz Linn8s heute erhalten sind, ihn als dessen großen Bewunderer ausweisen. Diese Schreiben enthalten viele Zeilen der Huldigungen, die für heutige Ohren sehr schwülstig klingen, aber dem üblichen Höflichkeitsgestus entsprachen. Ferner hatte sich Kramer an Linn8s Ausgabe orientiert. Er war – wie viele Botaniker der Zeit1310 – zu einem Anhänger Linn8s bzw. der Linn8’schen Prinzipien geworden. Anerkennung bestand auch auf Linn8s Seite, sonst hätte er nicht in der nächsten (zehnten) Auflage seines »Systema naturae« (1759) eine Pflanzengattung, die »Krameria ixine L.,«1311 nach Kramer benannt. Die zwar von Löfling in seinem »Iter Hispanicum« 1758 als Ixine beschriebene widmete Linn8 1759 eben Kramer. Die Pflanze hatte ihre Verbreitung in jenen Regionen, in denen Jacquin zu diesem Zeitpunkt noch unterwegs war, was diesen nach seiner Rückkehr bei der genauen Lektüre der Ausgabe schmerzen musste. In der zehnten Ausgabe von »Species plantarum«1312 nannte Linn8 Kramer namentlich in der großen Gruppe der sehr ausgezeichneten Botaniker wie Gronovius, Haller, Gmelin und anderen, 1308 Vgl. Carl von Linn8, Species plantarum (Wien 1764), Einleitung. 1309 Vgl. Kramer an Linn8, 12. Dezember 1758 (L 2423), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. »Cum igitur reliquis favoribus, quibus me accumulas, supremam hanc adhuc gratiam addere et quodam en Tuis mihi transmittere velis; Certus obtinebo si eadem Domino Nuntio nostro inscripto Illustrissimi mei Praesidis Baronis van Swieten nomine Stockholmia fuerint tradita: ille ipse qui Te Vir Illustrissime ac Celeberrime summo honore prosequitur, et ut suo nomine salutem mihi imposuit, hanc viam indigitavit, litterasque meas Domino S. R. M. Suecia Nuntio, ut ad Te perveniant tradendi munus in se suscepit.« Eigene Übersetzung. 1310 Vgl. Die Analyse von Anhängern Linn8s: Frans A. Stafleu: Linnaeus and the Linnaeans. (Utrecht 1971). 1311 Carl von Linn8, Systema naturae, Editio Decima, Reformata, 2 Bde. (Holmiae 1758–1759), hier 2. Bd. (1759), 899. 1312 Carl von Linn8, Species plantarum (Stockholm 1760).

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denen er neue Kenntnisse verdankt hatte, auch Jacquin war immerhin ganz neu in die Liste aufgenommen worden. Kramer stieß mit seinem »Elenchus« bei Linn8 auf Resonanz, und dieser bat ihn um phänologische Informationen. Sehr beflissen stellte Kramer Linn8 in Aussicht, für die von ihm gestellten Nachfragen Daten zu sammeln. Um das Spektrum an unterschiedlichen Standorten auszudehnen, kündigte Kramer sogar an, einen Bauern, einen Chirurgen und einen Jäger einsetzen zu wollen. Unterschiedliche Standorte rund um Bruck zu berücksichtigen, schien Kramer deshalb notwendig, weil er von einer unterschiedlichen klimatischen Situation innerhalb eines sehr kleinen Raumes ausging: »Du wirst erstaunt sein, dass in einem so kleinen Umkreis, dessen Durchmesser zwei Meilen nicht überschreitet, die Unterschiedlichkeit der Winde, denen vor allem Österreich und speziell das Leithagebiet in diesem Jahre ausgesetzt sind, dem ebeneren und höher gelegenen Boden zuzuschreiben sind.«1313

Jedoch kam Kramer seiner großen Ankündigung nicht nach, weshalb sich Linn8 bei Jacquin nach Kramers Befinden erkundigte.1314 Diese Nachforschung wurde von Linn8 wiederholt.1315 Die erste Anfrage übergehend, reagierte Jacquin erst im Februar 1760 recht knapp, indem er verneinte, Kramer gesehen zu haben.1316 Auch zwei Monate später erwähnt er kurz, dass er Kramer eben noch nicht angetroffen habe.1317 Jacquin schlug Linn8 aber en passant vor, die in Kramers Werk publizierte Liste nicht als gültig zu nehmen, da die Flora »Österreichs«, worunter Niederösterreich gemeint war, weitaus reicher sei.1318 Monate später zeigte sich Linn8 tatsächlich enttäuscht, dass die Flora »Österreichs« nicht mehr hergebe,1319 trotzdem wünschte er Wilhelm Heinrich Kramer, dass ihm die vakante Stelle als Professor der Botanik in St. Petersburg zugeeignet werde.1320 Dass 1313 Kramer an Linn8, 30. März 1760 (L 2690), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. »Miraberis certe tantam in parvo circulo, cujus diameter millaria duo non transgeditur, hoc anno differentiam, ventis quibus prae ceteris regionibus Austria et praesertim Leytopontum subjicitur, Blaga, soloque planiori vel magis elevato as scribendam.« 1314 Vgl. Linn8 an Jacquin, 22. November 1759 (L 2612), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1315 Vgl. Linn8 an Jacquin, Jänner 1760 (L 2654), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1316 Vgl. Jacquin an Linn8, 20. Februar 1760 (L 2682), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1317 Vgl. Jacquin an Linn8, 29. Februar 1760 (L 2691), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1318 Vgl. Jacquin an Linn8, 30. April 1760 (L 5434), The Linnaean correspondence linnaeus.c18.net. 1319 Vgl. Linn8 an Jacquin, 8. Juli 1760 (L 2762), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1320 Vgl. Linn8 an Jacquin, 15. September 1761 (L 2962), TheLinnaean correspondence, linnaeus.c18.net.

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Linn8 an Pflanzen aus dem Gebiet Wiens und der Länder der Monarchie besonders interessiert war, feuerte Jacquins Interesse entscheidend an. Im Oktober 1761 bereits ließ er Linn8 von seiner Alpenreise wissen, deren Ausbeute er zu publizieren hoffe, wobei er in diesem Zusammenhang auch Kramer erwähnt.1321 Jacquin zeigt sich in den Briefen an Linn8 in Bezug auf Kramer weniger ablehnend als im Falle Scopolis, doch die apodiktische Erklärung, die Liste der Flora Kramers sei nicht ernst zu nehmen, sticht doch ins Auge. Denn zu diesem Zeitpunkt hatte Jacquin bereits das Ziel, eine eigene Flora zu verfassen, die 1762 dann erschien. Während sich Jacquin von seinen Eigeninteressen leiten ließ, ging Kramer euphorisch davon aus, dass »alle Pflanzen Österreichs umso sicherer entdeckt und bekannt werden, je mehr Leute Mühe für die Sammlung derselben aufwenden, indem sie ihre botanischen Wanderungen in die entfernten Berge Österreichs und in einen abseits gelegenen Theil der Ebene ausdehnen«1322 würden. Kramers Flora konzentrierte sich besonders auf Pflanzen, die in der Umgebung Wiens und seines Wirkungsortes Bruck an der Leitha vorkommen, aber auch der Tradition Clusius’ folgend auf einzelne favorisierte Berge wie den Schneeberg und auch den Wechsel. Und auf diese Gegenden sollte sich in der Folge auch Jacquin konzentrieren. Allerdings war er dabei nicht der Einzige, denn bereits 1762 hatte Heinrich Johann Nepomuk Crantz (1722–1797) den ersten Teil seines Werkes »Stirpium Austriacarum fasciculus I« herausgebracht (siehe dazu auch Abb. 36). Ebenfalls von van Swieten protegiert, hatte dieser eine steile Karriere in Wien durchlaufen. Der als Sohn eines Dorfvorstehers in Roodt bei Septfontaines (Simmern) in den Österreichischen Niederlanden 1722 Geborene kam nach seinem in Löwen absolvierten Medizinstudium in die Metropole Wien. Er legte hier bald, am 11. August 1750, sein Examen ab,1323 am 4. November 1749 hatte bereits seine öffentliche Disputation1324 stattgefunden, und am 9. November 1750 wurde er zum Doktor der Medizin promoviert.1325 Danach wurde Crantz auf Veranlassung seines Mäzen und auf Kosten Maria Theresias kurz nach Paris 1321 Vgl. Jacquin an Linn8, 18. Oktober 1761 (L 2978), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1322 Kramer, Einleitung zu »Elenchus« (1756), eigene Übersetzung. 1323 Vgl. UAW, Acta facultatis Medicinae, 2. Bd. (1749–1769) und auch Personalakt Crantz; Elisabeth Herrmann gibt diesbezüglich ein falsches Datum an. Vgl. Beiträge zur Geschichte des Lehrkörpers der medizinischen Fakultät der Universität Wien im 18. Jahrhundert (Unveröff. phil. Diss., Wien 1981), 27ff. Vgl. auch W. Baresel, Personalbibliographien von Professoren der medizinischen Fakultät der Universität Wien im ungefähren Zeitraum von 1745–1790 und der Josephs-Akademie in Wien von 1780–1790 (Gedr. med. Diss., Erlangen-Nürnberg 1971), 62. 1324 Vgl. UAW, Acta facultatis Medicinae, 2. Bd. 1749–1769, fol 20. 1325 Seine Dissertation lautete: Heinrich Johann Nepomuk Crantz, Dissertatio inauguralis medica de curatione morborum Hyppocratica, natura monstrante viam (Wien 1750).

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geschickt. Er studierte bei Andr8 Levret (1703–1780), dem bedeutenden Vertreter der Geburtshilfe, eines Faches, das im Unterschied zu den österreichischen Ländern in Frankreich bereits verwissenschaftlicht war. Crantz’ Karriere als Mediziner nahm hier ihren Anfang und den von van Swieten vorgesehenen Weg, denn zurückgekehrt wurde er sofort als ein nach neuestem Standard ausgebildeter Chirurg und Geburtshelfer (Obstetriker), als Professor in das van Swieten’sche Erneuerungsprogramm integriert. Entsprechend dem merkantilistisch-physiokratischen Paradigma, das als Hauptziel der Staatspolitik die Bevölkerungsvermehrung definierte, organisierte van Swieten gleich zu Anfang seiner Tätigkeit den Hebammenunterricht, um die Sterblichkeit von Mutter und Kind bei der Geburt zu mindern. Das Wissen der Hebammen war traditionell als Handwerk weitergegeben worden, nun aber setzte ein von Männern dominierter Verwissenschaftlichungsprozess ein. Seit 1749 wurden in Wien Hebammen von der Fakultät geprüft. Ab Mai 1753 erhielt auch Crantz 800 Gulden aus der Hofkasse,1326 er muss zu diesem Zeitpunkt schon an dem zunächst noch außerhalb der Universität von van Swieten gestalteten Vorlesungsprogramm beteiligt gewesen sein. Er zählte zu den ersten Mitstreitern der van Swieten’schen Reform, und er war diesem Manne auch weiterhin tief verbunden, sollte er ihm doch noch seine weitere Berufslaufbahn verdanken. Van Swieten wirkte hier wie für viele andere Mediziner auch als Förderer. Er war inzwischen zum »Praeses facultatis« ernannt worden und sorgte persönlich dafür, dass Crantz für seine inzwischen an der Universität stattfindende Vorlesung 1000 Gulden bezahlt bekam,1327 er selbst verdiente übrigens das Fünffache.1328 Crantz wurde am 10. September 1755 in die Medizinische Fakultät aufgenommen.1329 Ein Jahr danach (am 27. August 1756) bekam er die Stelle des eben verstorbenen Melchior Störck als Professor der Physiologie und Materia medica, zunächst für ein Jahr und auf Probe, eine Funktion, die er dann bis 1774 innehatte. Anlässlich des Nobilitierungsantrages von Crantz, eines Wunsches, der ihm am 10. Oktober 1774 erfüllt wurde und der mit einem gleichzeitigen Rückzug aus dem Lehramt einherging, memorierte Sachbearbeiter Blümegen in einem an Maria Theresia gerichteten Kommentar über Crantz’ Persönlichkeit eindeutig auch die Rolle van Swietens als dessen Gönner : »Selbst seine [Crantzens] bekannte aber zuweilen auch unvermeidliche gelehrten Strittigkeiten haben das Vertrauen des seeligen Frh. v. Swieten in die tiefe Einsicht dieses Lehrers nicht geschwächet.«1330 Den Schlüsselbegriff dieser Ar1326 AVA, Studienhofkommission, Univ. Wien, Studienhofkommission, Sign.4, Univ. Wien, Medizin, Kart. 18, 39 ex 1754. 1327 Vgl. Ebda. 1328 AVA, Univ. Wien, Medizin, Kart. 17, Statuten und Privilegien. 1329 Vgl. UAW, Konst. Act. Fasc. I, Lit.C, Nr. 5. 1330 Ansuchen um die Nobilitierung, AVA, Adelsakten.

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gumentation bildete »Vertrauen«, was das Bindemittel einer solchen Beziehung ausmachte, aber davon Grundlegendes noch später. Crantz erwies sich zumindest in drei seiner Publikationen diesem großartigen Förderer durch seine dezidierten Widmungen als besonders dankbar. Anders sah das Verhältnis der Klienten van Swietens untereinander aus. Seinen Ruf als beinharter Kritiker hatte Crantz bereits mit seiner ersten Arbeit im Feld der Geburtshilfe1331 erworben, er wurde ihm auch in seinen botanischen Schriften gerecht. Eine in den »Göttingischen Anzeigen von gelehrten Sachen«, dem bedeutenden wissenschaftlichen Rezensionsorgan, erschienene Besprechung vermittelte der gelehrten Welt folgendes Bild von Crantz: »Des Kayserschnitts Handgriffe bestimmt er, und ist sonst gegen Bratholini, Heistern, de Gorter, Röderer und andere wackere Männer ziemlich kritisch.«1332 Streit und Widerspruch sollten sozusagen zu seinem Markenzeichen werden. Weiters war in Zusammenhang mit seiner Person die Rede von seinem »Richterstuhl« und »dem lebhaften Professor.«1333 Gleichzeitig war Crantz mit seinen Lehrbüchern1334 erfolgreich.1335 Danach hatte er sich seinem neuen Aufgabengebiet, der Physiologie und Materia medica, zugewendet. Er folgte in seinen Vorlesungen den Boerhaave’schen und Haller’schen Lehren der Reizbarkeit und verteidigte sie gegen die Angriffe seines Medizinerkollegen Haen, eines Freundes von Jacquin. Die Materia medica, die Lehre von den Arzneimitteln, war seit Jahrhunderten integraler Bestandteil der Medizin.1336 Sie umfasste die ganze Bandbreite der Lehre des Einsammelns und der Zubereitung der Arzneimittel und die Lehre »von der Krafft und Würckung der natürlichen Körper, die eine medizinische Kraft haben,«1337 wie es Zedler so schön formulierte. Crantzens »Materia medica«, 1762 erschienen,1338 1765 und 1779 neu aufgelegt, entstand in einer Zeit des großen Umbruches und der Ausbildung der Pharmazie.1339 Im gleichen Jahr erschien das erste Heft seiner Botanik, »Stirpium

1331 Heinrich Johann Nepomuk Crantz, Commentarus de rupto in partus doloribus a foetu utero (Wien 1756); Trait8 des accouchemens (Paris 1759) 395ff.; Raphael Steidele, sein Nachfolger, übersetzte den Text noch zwanzig Jahre später sogar ins Deutsche. 1332 Vgl. Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen (1757), 231. 1333 Vgl. Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen (1763), 109. 1334 Heinrich Johann Nepomuk Crantz, Einleitung in eine wahre und gegründete Hebammenkunst (Wien 1756). 1335 Zur Approbierung der Lehrbücher siehe: AVA, Studienhofkommission, Sign. 6 in gen. Kart. 25, 39 ex 1770. 1336 Vgl. Rudolf Schmitz, Über die Emanzipation der Pharmazie an deutschen Universitäten. In: Forschung, Praxis, Fortbildung 17 (1988), 520–523. 1337 H. J. Zedler (1732–1750). Bd. 23, Spalte 2019. 1338 Vgl. Heinrich J. N. Crantz, Materia medica et chirurgica juxta sytema naturae digesta (Wien 1762). 1339 Vgl. Anette Diekmann, Klassifikation – System – ›scala naturae‹: Das Ordnen der Objekte

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Austriacarum fasciculus« (1762). In der Einleitung huldigte er Carolus Clusius, Adrian van Royen und vor allem Albrecht von Haller, dem gegenüber Linn8 Skeptischen. In dem von Haller dominierten Rezensionsorgan attestierte man nicht zufällig Crantz folgende Stärke: Er habe »überall eine Menge neuer Anmerkungen und eigener Gedanken, […] durch und durch wird aber Linnaeus verbessert.«1340 Dieser Arbeit zufolge kennen Botaniker Crantz auch heute noch als Erstbeschreiber von 26 Pflanzen.1341 In seinen Briefen klagte Jacquin ausführlichst über Crantz’ Attacken gegen Linn8. Jacquins Bezug auf Linn8s System in seinem Karibikwerk habe Crantz als Affront gegen sich selbst gedeutet. Jacquin schätzte ihn als selbstbezogen und unzuverlässig ein. Er hatte erfahren, dass Crantz eine eigene Version von Linn8s »Species plantarum« reorganisiert hatte, seinen eigenen systematischen Vorstellungen folgend.1342 Offensichtlich hatte Jacquin die »Institutiones Rei herbariae« (1766, 1767)1343 gemeint. Mit dieser Publikation bewegte sich Crantz auf internationaler Ebene der Systematik. Es war tatsächlich ein Werk wie die »Species plantarum« Linn8s, mit konzisen und präzisen Beschreibungen der Genera, 603 an der Zahl, unter Verwendung der binären Nomenklatur, die Reform Linn8s zwar generell akzeptierend, aber eben nicht dessen Sexualsystem. Crantz unterschied fünfzehn mehr oder weniger natürliche Klassen. Die Genera waren diagnostisch gut abgegrenzt, aber nicht in eigenen subhierarchisierten Gruppen speziell arrangiert. Dabei lobte er John Ray, August Rivinus und Joseph Pitton de Tournefort als die großen Vorläufer des eigenen auf Samen begründeten Systems und lehnte schon in der Einleitung jenes von Linn8 entschieden ab. Auch wenn sich Linn8s System, zu dessen heftigsten Verteidigern eben Jacquin zählte, doch recht breit durchsetzte, sprachen freilich die scharfsinnigen Beobachtungen und seine kritische Revision bezüglich der Gattung der Doldengewächse für Crantz.1344 Hatte Crantz zwar bis etwa 1770 mehr als 6000 Gulden – wie er es anlässlich seines Adelsgesuchs betont1345 – also drei Jahresgehälter in die Publikation seiner botanischen Arbeiten investiert (die Arbeit zu den Kreuzblütlern1346 inkludiert),

1340 1341 1342 1343 1344 1345 1346

in Naturwissenschaft und Pharmazie zwischen 1700 und 1850 (= Quellen und Studien zur Geschichte der Pharmazie 64, Stuttgart 1992), 25f. Vgl. Göttinger Anzeigen von gelehrten Sachen (1763), 704. Vgl. dazu Catalogus florae Austriae. Ein systematisches Verzeichnis der auf österreichischem Gebiet festgestellten Pflanzenarten, 1.T. (Wien 1956ff). Jacquin an Linn8, 2. Jänner 1765 (L 3529), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. Heinrich J. N. Crantz, Institutiones Rei Herbariae, 2 Bde. (Wien 1766). Vgl. M. Bruck, Selinum carvifolia versus Peucedanum carvifolia. Ein historischer Rückblick auf ein botanisches Verwirrspiel und erste Anmerkungen zum botanischen Werk H. J. N. Crantz’. In: Bull. Soc. Nat. Luxemb. 90 (1990), 153–161. Vgl. Ansuchen um die Nobilitierung, AVA, Adelsakten. Heinrich J. N. Crantz, Classis cruciformium emendata cum figuris aeneis in necessarium instit (Leipzig 1769).

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so wandte er sich doch abrupt von der Botanik ab und konzentrierte sich auf ein neues Forschungsfeld, das eigentlich auch in seinem Arbeitsbereich der Materia medica wurzelte. Die Basis jeder Therapie sah er zum Ersten in der Arzneimittellehre, zum Zweiten in der Diätetik und zum Dritten in einem sinnvollen Einsatz von Mineralwässern und Bädern. Letzterem Bereich widmete er sich sieben Jahre lang (von 1770 bis 1777) in seiner letzten Arbeitsphase als Wissenschaftler.1347 Crantz beschrieb die Bäder Ungarns, dann jene Siebenbürgens, und schließlich beschäftigte ihn die Erfassung sämtlicher Gesundbrunnen aller österreichischen Länder.1348 Zwar gab es vereinzelt schon Bädermonographien oder Fakultätsgutachten über die Güte einer Quelle, aber Crantz erfasste insgesamt 400 Mineralwässer und untersuchte davon 190 persönlich. Er nützte das neueingeführte staatliche Netz des Sanitätspersonals, der neueingerichteten Protomedikate als staatliche Aufsichtsorgane und der Physici, die ihm Auskunft erteilten und Proben vermittelten. Er ließ nur medizinische Heilquellen gelten. In seinem Gesundbrunnenwerk setzte Crantz einen Wissenschaftsbegriff der auf Wohlfahrt des Gemeinwesens ausgerichtet war, um, wie ihn der Staatstheoretiker und Kameralist Johann Heinrich Gottlob von Justi nachdrücklich in einer Rede für die Habsburgermonarchie programmatisch festgelegt hatte und der die Wissenschaftspolitik des aufgeklärt-absolutistischen Staates nachhaltig geprägt hatte. Jacquin war dieser Begriff komplett fremd. Justi meinte: »Eine jede Wissenschaft, keine einzige ausgenommen, wenn sie anders in der That diesen Namen verdienet, trägt nach der [!] Maaße ihrer Bestimmung ihren wesentlichen Theil zu der Wohlfahrt des gemeinen Wesens bey : und ein blühender Zustand der Wissenschaften muß also nach einer natürlichen Folge den Wohlstand des Staates ungemein befördern.«1349 In Justis Sinne verabsäumte es Crantz auch nicht, den ökonomischen Nutzen seiner Arbeit für die Wohlfahrt des Staates, nämlich das Verbot ausländischer Mineralwässer und den Ersatz dieser durch einheimische Wässer, zu betonen. Auch in diesem Bezug auf den gesellschaftlichen Nutzen der Wissenschaft unterschied sich Crantz von Jacquins Interessen, die sich doch als eher elitär artikulierten. Die alleinige Dominanz Jacquins in Wien – um es überspitzt zu formulieren – ging einher mit dem Ende der botanischen Tätigkeit von Crantz. Jacquin, zwar theoretisch interessiert, war doch weiterhin wesentlich auf die Beschreibung neuer Pflanzen konzentriert, hatte sich aus praktischen Überlegungen und aus Effizienzgründen Linn8 angeschlossen. Damit zählte er zu einer Scientific Com1347 Marianne Klemun, Wissenschaftsklima, Berufslaufbahn und Außenseitertum am Beispiel von H. J. N. Crantz (1722–1797). In: Bulletin de la Soci8t8 des Sciences M8dicales Luxembourg, Num8ro Special 1 (1999), 23–39. 1348 Vgl. Heinrich J. N. Crantz, Gesundbrunnen der Oesterreichischen Monarchie (Wien 1777, 2. Auflage, Linz 1783). 1349 Vgl. Johann Heinrich G. Justi, Rede ed. von D. E. v. K. (Leipzig 1754), 76.

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munity, deren Netz sich über ganz Europa verbreitet hatte.1350 Jacquin dachte nominalistisch, Crantz hingegen essentialistisch. Kein Wunder, dass die beiden nicht harmonisierten. Crantz nannte Jacquin abschätzig einen »Enumerator.«1351 Er übte scharfe Kritik nicht nur an Linn8, sondern auch an Jacquin. Wie sehr sich diese Feindschaft auch als Konkurrenz auf die Beschreibung der österreichischen Flora bezog, belegt ein Brief des Sprachwissenschaftlers und Botanikers Popowitsch, der an Trew schrieb: »Jacquin und Prof. Kranz sind zwey Hunde, die an einem Knochen nagen. Beide wollen plantas Austriae […] herausgeben; beide haben dieselben Pflanzen zum Theile zeichnen und stechen lassen. Hr. Kranz eilt, um dem anderen vorzukommen, allein es dürfte wahr werden, canis festinans caecos parit catulos [Ein eiliger Hund bringt blinde Jungen zur Welt]. Mich dünkt, er ist noch nicht fest genug, um solche Werke herausgeben zu können. Vor drei Jahren ist er noch mit mir herumgefahren, und ich musste ihm noch alles, was wir aufstießen, nennen, auch sagen, welches selten oder gemein ist.«1352

Die Animositäten zwischen Crantz und Jacquin waren international bekannt, bereits 1771 konnte man lesen: »Sein [Jacquins] Vortrag wird durch seine nützliche Anmerkungen angenehm; und auf jeder Seite erkennen wir den bescheidenen Mann, der die Wahrheit, und nicht Gezänke sucht; der nirgends den Stolz zeiget, der manche seiner Amtsgefährten, allen Gelehrten in diesem Fache unerträglich macht, die sich, wenn ihnen der Zufall hier und da eine unbeschriebene Pflanze in die Hände bringt; oder wenn sie in einem unübersehlichen Systeme kleine Unvollkommenheiten wahr nehmen; Männern, durch die sie groß geworden, die sie unterrichtet, deren Werke sie täglich studieren, auf die Schultern steigen, und mit einem lauten Geschrey ihnen Unwissenheit vorwerfen.«1353

So wurde ein Artikel aus Jacquins »Collectanea« in einem Rezensionsorgan 1786 als »Vertheidigung gegen unbegründete Beschuldigungen des Hern Cranz« angekündigt.1354 Wir wissen von Jacquin aus seinem Umgang mit dem Kärntner Botaniker Franz Xaver Wulfen, dass er prinzipiell keine fachliche Kritik vertrug und nicht darauf einging1355 – das entspricht einem Forschungsverständnis, das auf Dominanz baute. Im Falle von Crantz hatte Jacquin eine Persönlichkeit als 1350 Zur Scientific Community, der sich Linn8 anschloss: A F. Stafleu, Linnaeus and the Linnaeans (Utrecht 1971). 1351 Vgl. Oberhummer, Chemie (1965), Anm. 42. 1352 Popowitsch an Trew, vom 31. Mai 1762, UB Erlangen, HS-Abteilung, Briefsammlung Trew, Popowitsch Nr. 110, urn:nbn:de:bvb:29-bv041758603-6. 1353 [Anonymus], Wien 1771. In: Prager gelehrte Nachrichten (Prag 1771), 93f. 1354 Vgl. Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen (1787), 1615. Gemeint waren die: Nikolaus Joseph Jacquin, Animadversiones Quaedam in Henrici Johannis Nepomucensis Crantz Fasciculos Stirpium Austriacarum. In: Collectanea I (1786), Kap. VI. 1355 Vgl. dazu: Marianne Klemun, Arbeitsbedingungen eines Naturforschers im Kärnten des 18. Jahrhunderts am Beispiel von Franz Xaver Wulfen. In: Carinthia I, 174 (1984), 357–374.

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Gegenüber, die sich kein Blatt vor den Mund nahm und die ihn mehr attackierte, als Jacquin zu ertragen wusste. Jacquin selbst jedoch konnte ebenfalls recht heftig werden, wenn seine Forschungsarbeit behindert wurde, wie es Adrian von Steckhoven als Leiter des Holländischen Gartens zu Schönbrunn tat, der Jacquin den Zugang zu den Glashäusern entzog. Aus diesem Grunde bezeichnete er diesen Gärtner als ignorant und verlogen,1356 da half auch die Tatsache nicht weiter, dass es sich um einen Landsmann handelte. Die an den Briefen Jacquins engmaschig nachvollzogenen Strategien lassen die Aussage auf alle Fälle zu, nämlich dass Jacquin sich recht entschieden gegen seine Konkurrenten durchzusetzen wusste, und das mit einem variantenreichen Register, das von Ignorierung bis zur Verteufelung etwaiger Rivalen reichte. Auch reagierten alle Beteiligten auf ihrem Weg zu Status und Glaubwürdigkeit in ihrem Verhalten sehr unterschiedlich.

VII. 4. Lehrer–Schüler–Verhältnis: Jacquins Ruf in Gefahr? Zeitgenössische Leser der 1792 in Leipzig erschienen Zeitschrift »Neues Magazin für Aerzte«1357 waren sicher erstaunt ob der harschen Kritik, die sie über den Wiener Universitätsunterricht vorfanden. Ein anonymer Kommentator prangerte Missstände des botanischen Lehrbetriebes an. Hinter dem scharfen Urteil stand ein informierter Beobachter, der sich zwar als fremder Durchreisender ausgab, jedoch ein Insider war. Denn ohne Zweifel waren hier detailreiche Lokalkenntnisse zu erkennen. Die schonungslose Attacke evozierte sofort eine Gegendarstellung1358 und weitere, nicht minder polemische Stellungnahmen.1359 1356 Jacquin an Linn8, 25. Feber 1768 (L 4036), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1357 [Anonymus], Bemerkungen über die Lehranstalten der Botanik zu Wien, von einem durch Europa reisenden Botaniker. Anonymisch eingesendet. In: Ernst Gottfried Baldinger (Hg.), Neues Magazin für Aerzte, 14. Bd. (Leipzig 1792), 489–498. 1358 Johann Christian Gottlob Baumgarten, Avthentische [!] Nachrichten über die botanische [!] Lehranstalten zu Wien. In: Ernst Gottfried Baldinger (Hg.), Neues Magazin für Aerzte, 15 (Leipzig 1793), 316–343. 1359 [Anonymus], Autoptische Bemerkungen über die authentischen Nachrichten über (von) die botanische (n) Lehranstalten zu Wien. In: Ernst Gottfried Baldinger (Hg.), Neues Magazin für Aerzte, 16 (Leipzig 1794), 35–69. Beide Texte, der anonyme und Baumgartens Antwort wurden auch später nochmals in einer anderen Zeitschrift abgedruckt: [Anonymus], Bemerkungen über die Lehranstalten der Botanik zu Wien, von einem durch Europa reisenden Botaniker. Anonymisch eingesendet. In: Paul Usteri (Hg.), Neue Annalen der Botanick, 2. St. (Leipzig 1794), 97–108; und Johann Christian Gottlob Baumgarten, Authentische Nachrichten über die botanischen Lehranstalten zu Wien. In: Paul Usteri (Hg.), Neue Annalen der Botanick, 2. St. (1794), 108–142.

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Diese wollen wir hier verfolgen. Denn im Mittelpunkt dieser negativen Darstellung befand sich Nikolaus Jacquin, dessen guter Ruf auf dem Spiel stand. Die wissenschaftliche Bedeutung des Forschers Jacquin blieb zwar in der Anfeindung unangetastet, jedoch gereiche dessen Schwerpunktsetzung auf Forschung zum eklatanten Nachteil für den Lehrbetrieb, so der Kommentator. Denn dem einst ausgezeichneten Lehrer würde nunmehr »nichts so sehr am Herzen zu liegen [scheinen], als seine Werke, nämlich die »Collectanea« und »Icones«, die er noch immer auf Speculation fortsetzt, und so viel als möglich prächtig und kostbar macht, so dass sie wegen den hohen Preisen nicht in Jedermanns Hände kommen können.«1360 Dass die kostbaren Sammelbände Jacquins tatsächlich sehr teuer und nur der Oberschichte leistbar waren, war allseits bekannt. Der Bezug auf den elitären Habitus schloss aber noch mehr ein, nämlich Jacquins persönlichen Lehrstil, der als abweisend und wenig ambitioniert charakterisiert wurde. Jacquin wurde durchaus als europäische Forscherpersönlichkeit angesprochen: »Es herrscht in Deutschland, vielleicht in ganz Europa, ein zu günstiges Vorurtheil, daß man in Wien ohne alle Hindernisse die botanischen Kenntnisse erlernen könne«1361 und deshalb nach Wien »gelockt« werde. Denn »wer wünschte es nicht, bey einem so gelehrten, so berühmten Manne Collegien zu hören,«1362 wie ihn Jacquin darstelle. Wegen der »vortrefflichen Schriften« schienen sich große Erwartungen an ihn einzustellen: »Niemand wird sich deswegen einfallen lassen, sein unverkennbares Verdienst in Zweifel zu ziehen.«1363 Umso stärker sei die Enttäuschung, wenn man tatsächlich vor Ort sei, weil sich Jacquin als Lehrer wenig antue: »Er liest die gewöhnlichen Collegien seinen Schülern alle Jahre wiederholt ab, ohne ihnen die Entdeckungen, die von Jahr zu Jahr gemacht werden, mitzutheilen. Die meiste Zeit wird mit Terminologie zugebracht, hierdurch wird der Schüler nur gleichsam an die Pforte des Tempels der Göttin Flora geführt, und da man ihm den Eingang in das Innere des Heiligthums nicht erleichtert, so wird er auch leicht von dem weiteren Vordringen zurückgescheucht.«1364 Neben dem »Mangel an höherer Anleitung« sei die »mürrische« Geste Jacquins unerfreulich. Jacquin wurde unterstellt, dass er »überhaupt mit allem, was Aufklärung geben könnte, hinterm Berge«1365 halte.

Dieser Angriff ist aus zweierlei Hinsicht interessant: Zum einen wurde das Verhältnis von Forschung und Lehre bei Universitätslehrern angesprochen, was offensichtlich Probleme aufwarf und uns zeitgenössische Wertvorstellungen vor 1360 1361 1362 1363 1364 1365

[Anonymus], Bemerkungen (1792), 490. [Anonymus], Bemerkungen (1792), 489. [Anonymus], Bemerkungen (1792), 490. Ebda. [Anonymus], Bemerkungen (1792), 491. [Anonymus], Bemerkungen (1792), 490.

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Augen führt. Zum anderen verteidigte sich Jacquin nicht selbst, sondern ließ in der Folge seine Anhänger für sich in den Ring der Wortgefechte steigen. Dieses Vorgehen unterschied sich von Jacquins Auseinandersetzung mit Crantz,1366 die auf fachlicher Ebene stattfand, wobei sich Jacquin zwar persönlich wehrte, sich dabei aber ausschließlich auf seine epistemische Orientierung bezog. Ausgangslage für den Kritiker war die Überlegung, dass ein ausgezeichneter Forscher, eine Berühmtheit, durchaus nachhaltig auf seine Schüler wirken sollte. Die Schmähschrift hatte trotz der inhaltlich breit um sich greifenden Attacke eine zentrale Aussage, dass nämlich Jacquin keinen besonderen Schülerkreis hervorgebracht habe: »Nur gelehrte Schüler machen den Lehrer als Lehrer berühmt, und dieses war der Fall bey Professor von Jacquin in seinen jüngeren Jahren.«1367 Die »Flora Austriaca« belege es, »die meistens das Werk seiner gelehrten Schüler ist.«1368 In der Tat hatte Jacquin einige Sammelbände herausgegeben, wie die »Collectanea« und »Miscellanea«, die seinen Studenten und Kollegen als Plattform der Publikation offen waren, jedoch waren die »Florae« keinesfalls ein Werk seiner Schüler, allenfalls beruhten sie auf gemeinsamen Exkursionen. Eine Parallele zu Linn8 wurde gezogen, der eben auch durch seine Schüler zum großen Manne geworden sei. Natürlich hatte Jacquin viele Schüler ausgebildet, Mediziner und angehende Pharmazeuten, könnte man hier sofort einwenden. Aber der Schreiber adressierte »gelehrte« Schüler, die vom Lehrer zur botanischen Forschung animiert werden sollten. In der Tat war damit ein zentrales Problem der Einrichtung angesprochen, denn forschungsangebundenes Lehren wurde vereinzelt an einigen protestantischen Universitäten wie Halle und Göttingen bereits im 18. Jahrhundert gepflogen, bis es als Ideal die Universität des 19. Jahrhunderts prägen sollte. Die alte Aufteilung, Akademie mit Forschung hier und Universität mit Vermittlung dort, verschob sich spätestens im Laufe des 19. Jahrhunderts zugunsten der Universität, die beide Funktionen vereinigen sollte.1369 In diesem Sinne war die Kritik zukunftsweisend, denn sie forderte eigentlich die Weitergabe der Forschungsprinzipien. Während Jacquins beharrende Position, die darin bestand, nur portioniert Grundlagen zu vermitteln, welche gesicherte Kenntnisse umfassten, aber nicht zur eigenen Forschung anregten, dem Ansinnen des staatlich definierten Zieles der Universitätslehre durchaus entsprach. Auch am Lernort, dem Botanischen Garten der Universität, entdeckte der 1366 1367 1368 1369

Siehe dazu das Kap. VII. 3. [Anonymus], Bemerkungen (1792), 490. Ebda. Bernhard vom Brocke, Wege aus der Krise: Universitätsseminar, Akademiekommission oder Forschungsinstitut. Formen der Institutionalisierung in den Geistes- und Naturwissenschaften 1810–1900–1995. In: Christoph König und Eberhard Lämmert (Hg.), Kultur, Wissen und Universität um 1900 (Frankfurt am Main 1999), 191–215.

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Kritiker viele Mängel. Ein Indiz für die Selbstbezogenheit Jacquins wurde in der Tatsache gesehen, dass nur ein Teil des Gartens den Studierenden zur Lehre offen stand. So blieben ihnen die Gewächshäuser verschlossen, das Herbar unzugänglich und der Botanische Garten wurde als vernachlässigt bewertet, weil keine erkennbare Ordnung herrsche. Jacquin wurde sogar vorgeworfen, dass er ihn kaum betrete, wiewohl er dort wohnte. Auch in Schönbrunn wäre die Situation die gleiche. Fast »unerschöpfliche Reichthümer und Seltenheiten aus allen Theilen der Welt« seien zwar im Holländischen Garten zu sehen, aber ohne »Aufschrift«; »so kann man diese Seltenheiten zwar bewundern, aber nie befriedigende Aufklärung darüber erlangen. […] Da aber Jacquin mit dem Hofgärtner das Monopol mit neuen Pflanzen treibt, so wird Jedermann das Studium außerordentlich erschwert.«1370 Man erlaube deshalb keinem angehenden Forscher den Zugang, »weil es da leicht geschehen könnte, dass einer dem Herrn Professor vorkäme, und eine Pflanze seinen Schriften entzöge.« Denn in der Tat war es Jacquin, der die neuen, aus Asien und Afrika stammenden Pflanzen, die nach Schönbrunn kamen, in seine Werke aufnahm und sich damit so manche Lorbeeren als Erstbeschreiber einholte. Wettbewerb ist das Movens der Wissenschaft, könnte man heute einerseits erklärend einwerfen, und wo gehobelt wird, fallen auch Späne. An jeder Kritik ist ein Quäntchen Wahrheit zu finden, wäre andererseits eine ebenso schlüssige Antwort. Doch in der Tat wurde diese an Jacquins Lehrbetrieb erst nach 25 Jahren seines Wirkens laut, in einer Phase, als sich dieser bereits aus dem Unterricht zurückzuziehen begann und seinen Sohn für die Nachfolge aufbaute. Hier ist zu vermuten, dass Nikolaus Jacquin diskreditiert werden sollte, damit auch sein Sohn als Nachfolger nicht zum Zug komme. Allerdings wurde Letzterer in dem Pamphlet ansonsten nicht erwähnt. Vielleicht war der Universitätsgarten in den ausgehenden 80er Jahren tatsächlich etwas vernachlässigt worden, zumindest im Vergleich zur Aufbauphase nach 1768. Auch verschob sich Jacquins Interesse ab 1791 eindeutig in Richtung des Schönbrunner Gartens, da dieser laufend mit botanischen Neuheiten, übermittelt durch die in Übersee sammelnden Gärtner, bestückt wurde. Da Jacquin gerade (1791) auch mit dessen Oberleitung beauftragt worden war und er sich damit den Zugriff auf die neuen Exoten tatsächlich prioritär sichern konnte, ist das Auftreten der Kritik zu diesem Zeitpunkt vielleicht auch kein Zufall. Denn die bereits bestehende Ämterkumulation war durch die Oberaufsicht über die Gärten in Schönbrunn um eine zusätzliche Machtfacette erweitert worden. Es war das Urteil aus dem Mund der jüngeren Generation gegen das Establishment: »Man ist hier [am Botanischen Garten der Universität Wien] durchaus ächt Linn8, und im höchsten Grade orthodox«, entwich es der spitzen 1370 [Anonymus], Bemerkungen (1792), 494.

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Zunge. In der Tat war im Jahre 1792, als sich zunehmend natürliche Systeme allseits durchgesetzt hatten, die Kritik doch gerechtfertigt. Joseph August Schultes (1773–1831), der die Zeilen verfasst hatte, studierte zu diesem Zeitpunkt in Wien Medizin, sein Doktorat erwarb er später (1796). Als Schriftsteller, Reisender und Botaniker war er äußerst produktiv, seine Rebellion gegen die herrschende Elite drückte sich bei ihm in Worten und viel mehr noch in einem anderen Denken als jenem Jacquins aus. Den Idealen der Französischen Revolution zugänglich, hatte er gesellschaftlich-egalitäre Visionen im Blick, die dem höfisch-elitär gesinnten Jacquin keineswegs zusagten. Schultes ausgeprägter Stil evozierte Anhänger wie auch Gegner. Nur ein Zitat aus seiner privaten Korrespondenz sei hier angeführt, um seine polemischen Bemerkungen zu charakterisieren. Er schrieb an den ebenfalls stets sich pointiert ausdrückenden und Missstände öffentlich ansprechenden Belsazar de la Motte Hacquet: »Ich habe von Wappler [Verleger] nichts erhalten, kein Cirsium [Kratzdistel]. Wahrscheinlich gab es dieser Sosias1371 meinem Feinde und Verfolger Jacquin oder Host. Diese Herren reiten auf mir herum, wie auf einem mulo – da schlage ich denn zuweilen aus und setze meine […] au beau milieu de la fange [mitten im Schlamm] ab.«1372

Kommen wir zur Ausgangssituation zurück. Was im Raum stand, musste abgewendet werden. Dem anonymen Kritiker entgegnete ein vehementer Verteidiger, der sogar persönlich zeichnete. Das wog mehr als die scharfen Worte eines geheim gebliebenen Besserwissers. Johann Christian Gottlob Baumgarten (1765–1843) hatte in Leipzig Medizin studiert und 1790 bereits eine »Flora Lipsiensis« publiziert, bevor er 1792 nach Wien kam und bei Jacquin Botanik hörte. Somit konnte sich seine Gegendarstellung auf authentische Innensicht berufen. Der Herausgeber Ernst Gottfried Baldinger deklarierte sich als persönlicher Freund Jacquins, der von dessen Sohn während dessen peregrinatio aufgesucht worden war, und plädierte auf »Unpartheilichkeit« als erste »Pflicht jedes Schriftstellers.« Er lehnte in seinem Vorspann zu Baumgartens Entgegnung »Lügen aus Partheilichkeit« dezidiert ab.1373 Minutiös ging Baumgarten die Kritikpunkte durch, wiederholte die einzelnen Anwürfe, die er der Reihe nach entkräftete. Den zehn Seiten der Schmähschrift wurden 26 Seiten entgegengestellt, wobei einerseits Sachlichkeit herrschte, jedoch auch Entgleisungen vorkamen. Listen der Pflanzen, die im Garten sichtbar waren, standen für die 1371 Sosias war ein erfahrener Sklave, der wegen seiner Tüchtigkeit vom Athener Feldherrn Nikias während des Peloponnesischen Krieges als Unternehmer der Silberminen vorstand. Nach Xenophon soll er für seine Leitung der Bergbaubetriebe eine hohe Summe verdient haben. 1372 Schultes an Hacquet, 6. Jänner 1805, abgedruckt bei: Flügel, Briefe im Netzwerk (2009), 253. 1373 Ernst Gottfried Baldinger, Vorbericht zu: Baumgarten, Avthentische [!] Nachrichten. In: Baldinger (Hg.), Neues Magazin für Aerzte, 15 (1793), 317.

Lehrer–Schüler–Verhältnis: Jacquins Ruf in Gefahr?

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neutrale Information. Der Vorwurf jedoch, dass bei der Kritik Neid im Spiel sei, bei Menschen, die »giftige Schlangen in ihrem Busen« tragen und »von ihrem Katheder mit hämischen Seitenblicken auf die nützlichen Werke dieses Mannes herabschauen,«1374 wurde ebenfalls erhoben. Nur einem Kritikpunkt konnte nicht wesentlich widersprochen werden, nämlich dem bezüglich Jacquins »gelehrten« Schülerkreises. Hier hatte der Fürsprecher auch nur zwei Namen anzuführen, Nikolaus Host und Westhofen. Später hatte sich auch Leopold Trattinnick als Verehrer Jacquins öffentlich zu Wort gemeldet, gegen die »leidenschaftlichen Ausfälle«1375 des Herrn Schultes, wobei Trattinnick sich auf Schultes schnell geschriebene Flora (1784) bezog, an der er viele Fehler auszumachen hatte. Der anonyme Autor (vermutlich Schultes) meldete sich erneut zu Wort und legte Wert darauf, dass er den Privatcharakter Jacquins nicht angetastet habe, sondern nur den »Professor und von Sachen, die ihn in Verbindung mit dem Publikum bringen,«1376 gesprochen hatte. Hier war jene Kategorie leitend, die wir bereits mit Dastons Ansatz als wissenschaftliche Persona diskutierten. Der Kritiker legte noch mit weiteren Anwürfen nach. So wusste er zu berichten, dass riesige Flächen von Kohl- und Salatbeeten im Wiener Botanischen Garten Platz hatten, die allenfalls den Studenten als »materiam culinariam« näher gebracht werden könnten. 14 Beete Petersilie und zwei Beete Zwiebel schienen nun doch zu viel zu sein.1377 Private Bereicherung des Gartendirektors stand als Vorwurf indirekt im Raum. Nun meldete sich noch ein dritter Diskutant zu Wort, der beide ersteren aus »Malevolenz als kriechendem Parasitism verfasste«1378 Meinung analysierte und die Bedeutung des Hofgärtners van der Schot hervorhob, der aber leider verstorben war. Offensichtlich hatte der Beitrag zum Ziel, Jacquins schwierige Aufgabe als Oberaufseher in Schönbrunn zu rechtfertigen. Letztlich mündete die Auseinandersetzung in Harmonie und Wohlgefallen. Schon im Jahr danach erschien eine kurze Schrift, die Fortschritte im Botanischen Garten der Universität in diesem Publikationsorgan meldete. Somit hatte sich die öffentliche Kritik offensichtlich doch ausgezahlt, sie hatte Neupflanzungen im medizinischen Teil des Botanischen Gartens zur Folge. Der anonym 1374 Baumgarten, Nachrichten, 15 (1793), 326 und 327. 1375 Leopold Trattinnick, Erinnerung an Herrn D. Schultes gegen seine im Archiv B. gefälltes Urtheil. In: Archiv für Botanik 2. Bd., 1. St. (Leipzig 1799), 17–32. 1376 [Anonymus], Autoptische Bemerkungen (1794), 37. 1377 Vgl. Ebda. 52. 1378 [Anonymus], Uiber H.D. Baumgartens authentische Nachrichten die Lehranstalten in Wien betreffend. Ein Brief an den Herausgeber d.d. 15. December 1793. In: Neues Magazin für Aerzte, 16 (1794), 137–148. Dieser Artikel wurde nochmals abgedruckt in: Annalen der Botanick (Leipzig 1800), 132–137.

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Gebliebene fand eindringliche Worte über das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft, die wir hier zitieren wollen, weil sie die Zuschreibung einer zukunftsweisenden Rolle der Wissenschaft bedachte: »Man behandelt in Oestreich die Wissenschaften zu wenig wissenschaftlich. Die jungen Leuthe werden zu wenig überzeugt von dem Werthe, von der Würde der Wissenschaft, welcher sie sich widmen: und dies, vermuthlich, weil es ihre Lehrer oft selbst nicht sind.«1379 Aber es existierten auch Gegenbeispiele, so Nikolaus Karl Molitor, der als Hauslehrer bei der Familie Jacquin angestellt worden war, Medizin in Wien studierte und danach ab 1784 als Professor der Pharmazie, Chemie und des Bergwesens an der Mainzer Universität tätig war. In Übersetzungen von Schriften von Jacquins Schwager Ingenhousz zeigte er sich erkenntlich. Seine außerordentliche Hochachtung für die Familie Jacquin äußerte er in Briefen und auch kritisch zu den Entwicklungen in der Wissenschaft. Sich in Augenhöhe zu seinem Lehrer zu äußern, schien dem Wortgewandten kein Problem, und so ergoss er sich in Aussagen, die seinem Lehrer wohl auch gefallen konnten, die da lauteten: »Verehrungswürdigster Freund Billig verwundern sie sich, dass sich alle die manichfaltigen Träumer, Schwindelköpfe und Narren selbst in einer Gesellschaft befinden, die von jeher aus vernünftigen und einsichtsvollen Männern bestanden hat. Dies ist ein offenbarer Beweis, dass wir in der Wissenschaft weit, sehr weit zurückgegangen sind. Die Ursache dieses Verfalls ist die gänzliche Hintansetzung der logischen Regeln und die Vernachlässigung der ersten Anfangsgründe. Leibnitz [!] schämte sich nicht, öffentlich zu gestehen, dass er ein ganzes Jahr der Definition von Eins nachgedacht habe; wie betragen wir uns in diesem Stücke? Wir taufen das Kind, noch ehe es geboren ist, und glauben die Sache selbst zu wissen, wenn wir ein Kunstwort ausgesonnen haben. Daher kommt es, dass wir uns über die eine und dieselbe Sache nicht mehr verstehen, und dass der eine dasjenige drey nennt, was der andere fünf nennt. Wenn nun zwey solche Knaben dasselbe Exempel ausrechnen, so können Sie ja unmöglich dasselbe Resultat herausbringen, und muss der Fehler, der gleich anfangs gemacht wird, nicht durch die ganze Rechnung fortlaufen? Und machen es unsere heutigen Physiker wohl um ein Haar besser?«1380

Das war ganz nach Nikolaus Jacquins Sinne, der sich ebenfalls über die zeitgenössischen Tendenzen hinwegsetzen bzw. wie Molitor an vergangene, der aufkommenden Romantik überlegenere Epochen zurückdenken konnte. Jedenfalls artikulierten auch die späteren Lobeshymnen auf Jacquin diese Ausrichtung zur Genüge.

1379 [Anonymus], Früchte der Publicität, gepflanzt und gereift im botanischen Garten zu Wien. In: Neues Magazin für Aerzte, 17 (1795), 412–416, hier 416. 1380 Nikolaus Karl Molitor, Brief an Nikolaus Jacquin, Mainz, 21. März 1788, Den Haag, KB 78F8 nr. A.a.8.

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VII. 5. Widmung, Organisation, Visualisierung und Monopolisierung Wenn wir uns fragen, warum sich Jacquin gegen Ende seines Lebens eher als Botaniker denn als Chemiker verstand, dann erklärt der Blick auf seine Publikationen dieses sein Selbstverständnis. In der Tat publizierte er weit mehr Arbeiten zur Botanik als zur Chemie, wiewohl auch sein Lehrbuch zur Chemie (erstmals 1783 erschienen) viele Auflagen erlebte und danach noch bis in den Vormärz an der Universität gelehrt wurde. Jacquin bediente alle in der damaligen Botanikerzunft möglichen Genres, die Physiologie ausgenommen. Sie umfassten Pflanzenbeschreibungen, zwei einführende Lehrbücher, Gartenkataloge, Floren, Monumentalwerke an Pflanzenabbildungen, einzelne auf eine Art bezogene Spezialabhandlungen. In der ersten Phase seines Schaffens konzentrierte sich Jacquin zunächst auf Monographien, später folgten Sammelwerke, sodann Prachtbände und zuletzt Arbeiten zu einzelnen Gattungen. Jacquin war kein Artikelschreiber, er wählte sich umfangreiche Formate aus, die nicht übersehen werden konnten und bald auch alle zum Text die entsprechenden Bilder lieferten. Dies nötigte ihm ein gewisses Management ab, denn er koordinierte Künstler, Kupferstecher und Autoren zu diesen doch größeren Projekten. Und er konzentrierte sich auf bedeutende Techniken wie die Pflanzendarstellung, die (wie noch zu zeigen sein wird) eine sowohl epistemische als auch populäre Bedeutung hatte. Gehen wir kurz die umfangreiche botanische Publikationsliste Jacquins durch und versuchen wir sie im Sinne seiner Publikationsstrategien als von ihm genutztes Reservoir an Möglichkeiten zu analysieren. Der Verständlichkeit wegen wird nun auch eine gewisse Chronologie gewahrt und dabei werden die Aspekte der Widmungen, Vorworte, Visualisierung und Jacquins Leistung als Organisator analysiert. Die »Enumeratio« (1760) stellte mit ihren Pflanzenbestimmungen und konzisen Diagnosen von 314 Spezies Jacquins Eintrittskarte in die botanische Forschungslandschaft dar. Bereits 1762 erschien eine zweite Auflage mit wenigen Korrekturen in Nürnberg. Zum Zeitpunkt des Erscheinens von Linn8s »Species plantarum« waren erst 1447 Arten aus Amerika bekannt. Von den zahlreichen Palmen der Neuen Welt hatte man in Europa noch keinen Begriff.1381 Kerner von Marilaun, späterer Nachfolger Jacquins auf dessen Lehrstuhl, konstatierte, dass Jacquin auch auf die besondere Lebensweise der Pflanzen, beispielsweise bei den Mangroven, geachtet hatte. Jacquins Vorwort erklärte seine Motivation wie auch seine Vorgangsweise,

1381 Kerner, Der Anteil (1892), 86.

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wobei er das Werk als Anhang von Linn8s »Systema naturae« (zehnte Auflage) verstanden wissen wollte: »Einige amerikanische Pflanzen, die in den Tropen den ursprünglichen Boden wählen, stellen Dir, pflanzenliebender Leser, diese kleine Seltenheiten vor. Jene sind zwar mit sehr kurzen Beschreibungen skizziert, aber derart, dass sie mir zur Bestimmung eines sicheren und feststehenden Unterschiedes der Art und Gattung vollkommen auszureichen schienen. Ich war nämlich auf dieses einzige Ziel ausgerichtet, dass mein vorliegendes kleines Werk dem sogenannten Natursystem des hochberühmten Carl Linn8 an Stelle eines Anhanges dienen kann. Ich musste daher nur diese Pflanzen anführen. Einerseits die, welche meiner Meinung nach der botanischen Welt bis auf den heutigen Tag unbekannt waren, andererseits jene, von welchen bei den Autoren zwar vage Beschreibungen existieren, die aber – wie mir ein persönliches Ins-Auge-Fassen bei der Botanik bei allen Dingen die verlässlichste Lehrmeisterin ist, klarmachte – unter einer falschen Aufschrift vorgestellt wurden. Außerdem habe ich einige, auch wenn sie schon vorher ordnungsgemäß bestimmt wurden, ganz vorne noch einmal angeführt; damit wollte ich erreichen, dass sich so die Unterscheidung der Arten deutlicher darstellt und dass es von diesen eine komplette Reihenfolge gibt.«1382

Der Publikation war keine Dedikation vorgespannt, denn Jacquin wusste bereits, dass er ein weiteres ausführlicheres und prächtiger gestaltetes Buch publizieren würde, das sodann eine Widmung an den Kaiser enthalten sollte. Das Erstlingswerk (»Enumeratio«) besteht aus einem Überblick nach dem Linn8’schen System geordneter Pflanzen und den knappen Diagnosen.1383 Besonders auffällig sind Jacquins Dedikationen von Gattungen an Persönlichkeiten seines Umfeldes. Eröffnet wurde die Reihe mit der Hippocratea, die Linn8 1753 nach Hippokrates benannt hatte. Es war kein Zufall, dass die bedeutendste Figur der klassischen Medizin als Namensgeber für die erste Stelle in Jacquins systematischer Pflanzenaufzählung platziert wurde. Solche subtilen symbolischen Bezüge zeigten neben seiner epistemischen Kompetenz Jacquins spezifischen Geschmack, der sich auch in der Liebe zur klassischen Bildung ausdrückte.1384 Zur betriebsamen Dedikation von Pflanzen nach Forschern als Belohnungssystem für Botaniker sei hier ein kurzer Exkurs erlaubt. In der Zeit der europäischen Expansion wurden erstmals in den Wissensschatz der Europäer eingebrachte Orte oder Gebiete in Übersee nach dem am Tag der Entdeckung erinnerten Heiligen, religiösen Motiven, Tageszeiten, Reiseereignissen, Formen der Inseln, Schiffen, Auftraggebern und königlichen Familien benannt. Bezüglich der Pflanzen zeichnete sich jedoch am Beginn des 18. Jahrhunderts eine völlig neue Tendenz ab, welche die Leistung des Forschers selbst in den Mittelpunkt stellte und viele neue Pflanzennamen von da an nach Botanikern ver1382 Enumeratio (1760), Vorwort, eigene Übersetzung, siehe auch Edition. 1383 Enumeratio (1760), 11–34. 1384 Siehe Kap. III. 1.

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geben wurden. Der räumliche Bezug durch einen Namen scheint deshalb weniger erstaunlich zu sein, da doch Flurnamen oder sogar Höfe nach Familien bezeichnet wurden, was als Praxis aus dem Alltag stammte. In der Pflanzenkunde war dieser Schritt jedoch ein völlig anderer, er setzte die Figur des Botanikers in seiner Tätigkeit auf sich selbstverweisend in den Vordergrund und die lokale Bezeichnung wurde durch diesen ersetzt, universalisiert. Nachdem Linn8 in seinem Werk »Species plantarum« (1753) die binäre Nomenklatur eingeführt hatte, bedeutete die Neuerung der daran angehängten Nennung ein deutliches Belohnungssystem des Erstbeschreibers. Dieses Prinzip diente zwar der Wiederauffindbarkeit von Pflanzenmerkmalen und Bestimmungen, würdigte aber die Erstbeschreiber im besonderen Maße. Zusätzlich bereicherte Linn8 diese Ehrbezeugung noch um eine weitere Facette, indem er für die Artbezeichnung auch Namen bereits verstorbener Botaniker wie auch lebender Kollegen heranzog. Eine Überhöhung all dessen bildete sodann die Einführung von Gattungsnamen, die sich auf Kollegen bezogen, was eine besondere Würdigung bedeutete. Bereits Plumier und Tournefort bedienten sich dieser Praxis und Linn8 bemerkte ausdrücklich in seiner »Critica botanica« (1737), dass es eine religiöse Pflicht darstelle, mit dem Gattungsnamen das Andenken eines Botanikers zu wahren.1385 Selbstbenennungen waren jedoch nicht die Praxis, der Vorschlag ging immer von einem Botaniker aus und bezog sich auf den Kollegen. So widmete Jacquin in seiner »Enumeratio« (1760) unzähligen Personen eigene Gattungen: dem französischen Arzt Francois Petit die Petitia, seinem Begleiter und Freund in der Karibik Benoit Aquart die Aquartia, dem französischen Arzt Ludwigs des XV. Johann Chomel die Chomelia, Franz von Mygind die Mygindia, dem ersten Professor der Botanik in Wien Robert Laugier die Laugeria, dem berühmten Baumkenner Henry Louis du Hamel die Hamelia, dem niederländischen Anatomen und Pflanzenkenner Frederik Ruysch die Ruyschia, dem englischen Pflanzenkenner John Hill die Hillia, dem Arzt und Botaniker Lorenz Heister die Heisteria, seinem Mäzen und Reformer der Medizin in Wien Gerard van Swieten die Swietenia, dem Verfasser des Hortus malabaricus Johann Caserius die Caseria, dem französischen Pflanzenforscher Nicolas de la Hire die Hiraea, dem Gouverneur in Livorno Marchese Carl Ginori die Ginoria (siehe Abb. 6), dem Arzt in Aleppo Alexander Russell die Russellia und dem Arzt in Montpellier Guillaum Nissole die Nissolia (dessen Namen auch schon Tournefort vergeben hatte), dem Wittenberger Professor Georg Rudolf Böhmer die

1385 Emma Pilgrim, Die Entdeckung der Elemente (Stuttgart 1950), 132; siehe auch: Franz Stuhlhofer, Lohn und Strafe in der Wissenschaft. Naturforscher im Urteil der Geschichte (= Perspektiven der Wissenschaftsgeschichte 4, Wien / Köln / Graz 1987), 118.

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Boehmeria und dem Regensburger Naturforscher Jakob Christian Schaeffer die Schaefferia. Das Belohnungssystem war europäisch ausgerichtet, Franzosen, Engländer, Niederländer, Deutsche, Italiener befanden sich unter ihnen und besonders Persönlichkeiten aus dem Wiener Umfeld Jacquins: van Swieten, Laugier und Mygind. Diese Praxis wurde in einer Rezension gelobt, wo es z. B. hieß: »Hierauf folgen die Gattungen, sowohl mit rechten beschreibenden Nahmen, als mit Trivialbenennungen. Man sieht leicht ein, dass dieses Werk zwar sehr viel mit dem Brownischen gemein haben, aber dabey nach der Lage der noch so wenig bekannten Zuckerinseln an seltenen Gewächsen reich seyn muß.«1386

Eigendedikation waren nicht angebracht, Jacquin hatte bereits kurz nach seiner Rückkehr von seiner Expedition eine »Jacquinia« von Linn8 in dessen »Genera Plantarum Nr. 254 (1759)« zugewiesen bekommen. In seiner »Enumeratio« konnte er sie bereits anführen. In der dreizehnten, in deutscher Sprache 1772 erschienenen Ausgabe von Linn8s Pflanzensystem finden wir zu lesen: »286ste Gattung. Jacquinie. Jacquinia. Der Name dieser Gattung dienet zur Ehre des berühmten Herrn Nicol. Joseph Jacquin, jezigen Bergraths und Professors der Kräuterkunde zu Wien, eines gründlich gelehrten, arbeitsamen, und durch vortrefliche Werke um die Pflanzengeschichte sehr verdienten Naturforschers. Ihre Kennzeichen sind folgende: […] Die Staubfäden sollten zwar, nach dem Angeben des Linnäus, dem Fruchtboden einverleibt seyn; da doch der Augenzeuge, Herr Jacquin, aus dem er die Kennzeichen genommen hat, ausdrücklich sagt, daß sie mit einer breiteren Basis aus dem unteren Theile der Blumenkrone entspringen.«1387 (Siehe Abb. 13).

Die Stelle belegt, wie sehr Jacquin bereits 1772 geehrt wurde und sich einen bleibenden Platz als Taxonom wie auch Pflanzenbeschreiber in der Scientific Community gesichert hatte. Seine »Augenzeugenschaft« wurde im speziellen Fall ernster genommen als die Erfahrung eines Linn8. In diesem Werk kommt Jacquin fünfzigmal vor, so oft hatte er sich als Nomenklator bereits betätigt und hatte Gattungen nach Personen benannt und Arten neu beschrieben. Dabei hatte Jacquin nicht nur Kollegen geehrt, sondern sich selbst auch erhöht, weil er ja damit als Erstbeschreiber in die Chronik der Botanik einging. Selbstbewusst wandte Jacquin dieses Prinzip an, indem er hier großzügig in seine Schatzkiste an Persönlichkeiten griff, die ihm geholfen hatten, sympathisch waren oder von denen er sich auch etwas erwartete. Jedoch hob Jacquin über seine persönliche Beziehung hinaus gerne auch als Gründe allgemeine Meriten hervor, wie es das Beispiel Ginoris (siehe Abb. 6) belegt: 1386 Rezension der Enumeratio, Göttingische Anzeigen, 1. Bd. (1763), 600. 1387 Carl von Linn8, Des Ritters Carl von Linne [!] vollständiges Pflanzensystem nach der dreyzehnten lateinischen Ausgabe und nach Anleitung des holländischen Houttuynischen Werks übersetzt, 3. Bd. (Nürnberg 1778), 224.

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»Ginoria. Linn. Gen. Plant. Num. 605. Diese Gattung benennete Herr Jacquin, ihr Erfinder, zum Andenken des Markgrafen, Carl Ginori, ehemaligen kaiserlichen Gouverneurs zu Livorno, eines großen Gönners und Liebhabers der Gelehrsamkeit, und insbesondere der Naturgeschichte, welcher zu Florenz einen mit den seltensten ausländischen Pflanzen versehenen Garten auf seine eigenen Kosten errichtet hat, den sein würdiger Herr Sohn, Lorenz Ginori, noch immer zu bereichern fortfährt.«1388

Der Bekanntheitsgrad Jacquins in der Botanikerszene hatte sich durch seine Aufnahme in die Liste der Sammler und Autoren in Linn8s Vorwort von »Species plantarum« (1762) wie auch die mehrmalige Nennung in diesem Text gesteigert, wenngleich sein nächstes Werk »Enumeratio stirpium in agro Vindobonensi« (1762) weniger beachtet wurde und in einer Kritik recht schlecht wegkam.1389 Jacquin hatte Probleme mit dem Verleger, wodurch sich diese Hast ergeben hatte.1390 Wesentlicher war Jacquins zweite Publikation zur Expeditionsausbeute (»Selectarum Stirpium Americanarum« 1763), zumal nun auch 183 Kupferstiche die Beschreibungen visualisierten. Der Band war ausgezeichnet strukturiert, ein Index der botanischen und Vernakularnamen sowie der Abbildungen sorgten für eine praktische Nutzungbarkeit des Werkes. Im zweiten Band von Linnes »Species plantarum« (1763) konnten auch bereits einige in dem Werk »Selectarum« besprochenen Pflanzenbestimmungen Jacquins vorweg von Linn8 aufgenommen werden.1391 Van Swieten hatte die Hälfte der Abbildungen bezahlt,1392 1388 Ebda (1772), 618. 1389 Die Rezension war anonym, könnte aber von Haller stammen: »Das Verzeichnis ist für uns und andere unleserlich. Es ist blos von Linnäischen Nahmen ohne einigen Beynahmen.« Göttinger gelehrten Anzeigen, 111. St., 15. September (1763), 895. 1390 Jacquin schreibt über das Entstehen dieses Werkes: »Alle [Buchdrucker] scheuten den Aufwand der Tafeln [Amerikanische Pflanzen] und sie sagten, dass sie einen noch nicht bewährten Autor nicht setzen würden. So entglitt mir wieder ein Jahr, schließlich nahm der Buchhändler Johannes Paul Kraus das Werk auf sich unter dieser doppelten Bedingung, dass ich zuerst etwas gewisses anderes Einfaches mit botanischem Inhalt herausgeben würde, und, nachdem das von Kundigen gelobt worden wäre, dass ich dann die Hälfte des Aufwandes für die Tafeln, die aus Kupfer graviert werden müssten, aufbringen würde, bis jenes mein Meisterstück diesen Aufwand durch etwas mehr Exemplare des Werkes kompensiere. Ich akzeptierte diese belastende Bedingung. Schon in den Jahren 1752 und 1753 hatte ich sehr viele Exkursionen wegen Kräutern im Gebiet von Wien unternommen, ich hatte Pflanzen gesammelt und Beschreibungen angedeutet; das hatte ich freilich alles nach meiner Rückkehr aus Amerika vermehrt. Von diesen ohne System schlecht geordneten verfasste ich im Winter des Jahres 1761 hastig ein ungeordnetes kleines Werk, wenn auch nur die meisten Bestimmungen von Linn8 ausgeborgt waren: und so entstand die »Enumeratio stirpium agri Vindobonensis« [die Aufzählung der Pflanzen des Wiener Raums].« Vgl. Nicolai Josephi Jacquin Animadversiones quaedam in Henrici Johannis Nepomucensi Crantz Fasciculos stirpium Austriacarum. In: Nikolaus Joseph Jacquin (Hg.), Collectanea ad botanicam, chemiam et historiam naturalem spectantia, cum figuris, Vol. 1 (Wien 1786), 365–386; eigene Übersetzung, siehe auch Edition im Anhang. 1391 MadriÇ#n, American Plants (2013), 53.

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die Kupferstiche wurden von Joseph Wagner (1706–1780) ausgeführt, einem in Thalendorf am Bodensee geborenen, in München, Rom und London ausgebildeten Kupferstecher, der in Venedig eine eigene Kunsthandlung betrieb und für seine Kunstfertigkeit geschätzt wurde. Die Vorlagen waren alle von Jacquin selbst gezeichnet worden. Einer Annonce entnehmen wir den Preis, der sehr hoch war, nämlich 15 Gulden,1393 was fast den Monatslohn von Wulfen ausmachte, denn der hatte als Exjesuit nur 16 Gulden als Pension zur Verfügung.1394 Das Werk war Kaiser Franz Stephan zugeeignet. Widmungen und Einleitungen sind im 18. Jahrhundert interessante Formate und als solche aussagekräftige Quellen. Man kann sie als Ego-Dokumente interpretieren, da sie auch die Selbstdarstellung des Autors als wissenschaftliche Persona betreffen, Details über seine Biographie und spezifischen Auffassungen preisgeben. Die Widmung eines Buches war für einen Autor stets eine einmalige Chance, um sein Verhältnis zu einem Freund, einem Gleichgesinnten oder auch einem Herrscher öffentlich auszudrücken. Eine Dedikation konnte auch dazu genutzt werden, eine Verbindung herzustellen oder eine bestehende zu festigen. So ist in der Forschung bekannt, dass Albrecht von Haller seine Consultationes dem Grafen Frederik de Thoms, dem Verwalter von Boerhaaves Nachlass, widmete, weil er sich von ihm Hilfe bei seiner Bearbeitung von Boerhaaviana erhofft hatte. Er selbst dedizierte etwa sechzig unterschiedlichen Personen seine Schriften, während ihm 80 Bücher mit Dank zugewiesen wurden.1395 Aus der Patronageforschung1396 wissen wir allerdings, dass eine Zueignung von einem Autor an einen Förderer nicht einfach beliebig in Hinblick auf die Zukunft von dem Abhängigen ausgesprochen werden konnte, sondern dass bereits eine Klientelbeziehung der Veröffentlichung vorangehen musste. Diese 1392 Vgl. Jacquin an Linn8, 20. Jänner 1761 (L 2853), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1393 Gazette de Vienne (Wien 1763), Jg. 1763, 5. März, Nr. 19, Supplement. »Mr. Jacquin vient de mettre au jour un ouvrage in Fol. Intitul8 Nicolai Josephi Jacquin Selectarum Stirpium Americanarum Historia, in qua ad Linnanum Systema determinata descriptatque sistuntur plan a illa quas in Insulis Martinica, Jamaica, Domingo, alieque & in vicinae […] Cet ouvrage paroit devoir ere recu du public avec d’autant plus d’approbation, qu’il est enrichi d’un grand nombre de planches toutes dessin8es exactement d’aprHs nature & dans leur grandeur naturelle par l’autre meme pendant le sejour qu’il a fait en AmHrique par ordre de S.M. l’Empereur. On le trouve au prix de 15 Florins chez le Sr Jean Paul Kraus Libraire de cette ville.« 1394 Klemun, Arbeitsbedingungen, 1 (1984), 357–374. 1395 Vgl. Hubert Steinke, Der Patron im Netz. Die Rolle des Briefwechsels in wissenschaftlichen Kontroversen. In: Martin Stuber, Stefan Hächler und Luc Lienhard (Hg.), Hallers Netz. Ein europäischer Gelehrtenbriefwechsel zur Zeit der Aufklärung (= Studia Halleriana IX, Basel 2005), 441–462, hier 451. 1396 Besonders prominent wäre hier zu nennen: Mario Biagioli, Galileo’s System of Patronage. In: History of Science 28 (1990), 1–62.

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war ein sensibles soziales und symbolisches System, das einen gegenseitigen Nutzen für die Beteiligten bedeutete, wobei der Mäzen sich seine Klientel aussuchen konnte und nicht umgekehrt. Es ist auch zu betonen, dass van Swieten als Chef der Bücherzensur rechtzeitig eingreifen hätte können, um die Widmung nicht annehmen zu müssen, soferne deren Herkunft nicht seinen Vorstellungen entsprach. Ein solches Ansuchen haben wir für die Zeit Franz Stephans und Josephs II. nicht auffinden können, jedoch für die spätere Zeit, als Jacquin am 21. November 1797 im Hofmeisteramt vorstellig wurde, den Schönbrunner Gartenkatalog dem Kaiser widmen zu dürfen.1397 Aber davon später noch mehr. In der längeren Widmung wird der Kaiser Franz Stephan I. in den höchsten Tönen als Förderer der Naturwissenschaften, vor allem der Botanik gepriesen. Die Bedeutung der Könige und hohen Herrschaften für diesen Wissenschaftszweig wurde betont, womit sich Jacquin in die höchste politische Sphäre der Wissensaneignung eingebracht zeigte, aber auch der Fleiß des (gärtnerischen) Pflegepersonals wurde hervorgehoben, was eher untypisch für Jacquins Zeit war. Zur Vervollkommnung der Botanik fehle aber noch einiges und jeder Botaniker solle zu deren weiteren Erkenntnis beitragen, meinte Jacquin einleitend. So wäre auch er seiner Begabung gefolgt, hätte die seltene Gelegenheit genützt und sich verpflichtet gefühlt, seinen Beitrag zu leisten. Nun bezog er sich noch einmal auf seinen kaiserlichen Sammelauftrag und die finanzielle Großzügigkeit des Herrschers und endete mit der Zueignung: »Gewähre also, mildester Kaiser, dieses Werk zu Füßen Deiner Majestät zu legen. Mach, dass es mit denselben Aufschriften und Erwartungen, mit denen es prangt und denen es seinen Ursprung verdankt, ins Licht der Öffentlichkeit gelangt. Eine spätere Nachwelt soll erforschen, dass alles Dir allein zugeschrieben werden muss, wenn aus diesem Werk sich eine Bereicherung der allerliebsten Wissenschaft ergibt, wenn ein daraus geborener Nutzen fließt und wenn schließlich den Verehrern der Kunst irgendein Vergnügen zuteil wird.«1398

Wie sehr Jacquin in diese diplomatischen Gepflogenheiten integriert war, belegt die Widmung, die sich äußerst sprachgewandt und den höfischen Usancen wohlklingend anhörte: »Dass ich das nun dem erhabenen Namen Seiner kaiserlichen Majestät ankündigte, gestattet mir Deine höchste und angeborene Milde, mit der zu begleiten Du mich immer gewürdigt hast und die nie aus meinem Gedächtnis schwinden wird. […] Beschrieben werden in diesem Werk nämlich jene Gewächse, die zum großen Teil in Deinem geschmackvollen Garten gedeihen; dass ich diese beschreiben konnte, bewog diese Deine Fürsorge für die Naturgeschichte, und allein Deine Großzügigkeit hat es 1397 Jacquin, Bitte um Erlaubnis. ÖStA, HHStA, Hausarchiv, Hofakten des Ministeriums des Inneren 11-22-6. 1398 Jacquin, Selectarum, Vorwort (1763), eigene Übersetzung, siehe Edition.

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bewirkt. Indem Du keine Kosten scheutest und mir drei Gefährten als Reisehelfer beistelltest, hast Du mich beauftragt, die Karibischen Inseln und das benachbarte Gebiet des amerikanischen Festlandes aufzusuchen. Was auch immer mir begegnen sollte in den drei Reichen der Natur und diese Aufmerksamkeit verdiente, sollte ich sammeln und übermitteln, um es Deinen Natur-Schatzkammern zu widmen.«1399

Eine zweite, eigentlich inhaltlich fast unveränderte Auflage der »Selectarum« (1780) wurde mit unterschiedlichen aufwendig und ästhetisch gestalteten handkolorierten Titelblättern ausgestattet.1400 Eines adressierte mit der exzeptionellen Ausführung einzigartig das Kaiserhaus in besonderer Weise (Abb. 48), aber auch die von diesem unterschiedenen fielen ebenfalls prunkvoll aus. Die Universität Wien verwahrt heute noch das mit der Nr. 6 ausgewiesene Exemplar (Abb. 49). Im Vorwort der »Selectarum« nannte Jacquin seine Vorläufer Sloane und Plumier, erwähnte die pragmatischen Gründe für die Aufnahme des Linn8’schen Systems und erklärte seine methodischen Auffassungen. Prinzipiell ging er davon aus, dass die Natur selbst sich nicht an Gesetze halte, er aber doch mit künstlichen Artengrenzen operiere. Er sah die Grenzen der Klassifizierung und reflektierte ihre Gültigkeit. Bezüglich seiner Beschreibung legte er seine hohen Maßstäbe offen: »Ich glaube aber, dass es welche geben wird, denen meine Sorgfalt übertrieben erscheint, wenn sie merken, dass ich allzu große Sorgfalt auf die geometrischen Abmessungen der Teile verwendet habe. […] So wird nämlich bei allen Festhalten an gesetzmäßigen und unveränderlichen Unterscheidungsmerkmalen der zu definierenden Gewächse weniger passend und nur ganz selten auf den Größenzustand eine Beziehung hergestellt, wenn jenes [Gewächs] einmal nicht die bestimmte Proportion einhalten sollte. Wenn ich andererseits bei der Beschreibung irgendeiner nur unbekannter Pflanze über alles im Klaren sein sollte, ausgenommen allein die beliebige Größe, bilde ich mir dennoch ein, von der Gesamtheit etwas vermissen und mir nicht die Art einer derartigen Pflanze vorstellen zu können, wie ich es gewünscht hätte. ›Andererseits‹, wirst Du sagen, ›könnte doch diese Größe selbst kaum noch etwas verändern‹. Aber deswegen habe ich jene größere Gemeinsamkeit überall zur Auswahl herangezogen und es angemerkt, wenn sie irgendeiner Veränderlichkeit unterworfen wäre.«1401

Jacquin deutete hier an, wie sehr er sich um eine authentische Darstellung bemüht hatte, die Frage der Übersetzung in die Repräsentation, die Beschreibung wie auch die bildliche Darstellung, ihn theoretisch beschäftigten.

1399 Jacquin, Selectarum, Widmung (1763), eigene Übersetzung, siehe Edition. 1400 Siehe dazu Lack, Jacquin’s Selectarum (1998), 194–214. 1401 Jacquin, Selectarum (1763), eigene Übersetzung, siehe Edition.

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Abb. 48: Eines der unterschiedlichen handgemalten Titelblätter des Amerikawerkes von Franz Bauer, dediziert an das Kaiserhaus (Franz Bauer, kolorierte Handzeichnung, N. J. Jacquin, Selectarum Stirpium Americanarum Historia, 1780)

»Ich habe ferner Pflanzen beschrieben, wie sie mir Amerika selbst zur Schau stellte. Daher möchte ich, dass sich die Botaniker daran erinnern, wenn sie einmal irgendeiner von meinen Pflanzen im Gewächshaus begegnen, die sich vor der gebotenen Beschreibung in einer oder andern Hinsicht unterscheidet, dass sie nicht argwöhnen, sie seien auf ein von meinem unterschiedliches Gewächs gestoßen oder ich hätte Falsches bzw. Irrtümliches von mir gegeben. Ich habe nämlich oftmals am Originalplatz Pflanzen gesehen, teils amerikanische, teils europäische, allerfeinst und genussvoll anzublicken, und dass genau dieselben, wenn sie in Gärten gezüchtet werden, ihres ursprünglichen Ganzen entkleidet und gänzlich unscheinbar waren; dass hinwiederum andere dort [im Ursprungsland] durch Vernachlässigung ihres Äußeren keine Auf-

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Abb. 49: Eines der unterschiedlichen handgemalten Titelblätter des Amerikawerkes von Franz Bauer, das an die Universitätsbibliothek Wien kam (Franz Bauer, kolorierte Handzeichnung, N. J. Jacquin, Selectarum Stirpium Americanarum Historia, 1780)

merksamkeit bei den Vorübergehenden finden, hier aber eine neue Schönheit erlangen, die Augen aller auf sich lenken, aber dennoch nicht voll zufrieden stellen können.«1402

Ökologische Bedingungen und Akklimatisierungsfragen zu reflektieren, hingen in Wien von den Gartenkonditionen ab, weil Jacquin auch Samen und Pflanzen in Schönbrunn kultivieren ließ. Diese Fragen beschäftigten Linn8 und Jacquin auch in ihrer Korrespondenz. 1402 Jacquin, Selectarum (1763), eigene Übersetzung, siehe Edition.

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Vorworte thematisierten die Entstehungsbedingungen eines Werkes und als solche wurden sie in der Fachwelt ausgiebig rezipiert, was Rezensionen unterstreichen, die sich meist stark an die Vorworte hielten. Bewertet wurden besonders gerne Visualisierungsfragen, woran die Güte einer Publikation gemessen wurde. Dazu ein Beispiel: »Wien. – Vor etlichen Jahren schickten Ihro Maj. der Kaiser den Herrn. Nicol. Joseph Jaquin [!] nach den antillischen Inseln, Pflanzen und andere Seltenheiten der Natur dort selbst zu holen. Hr. Jaquin hielt sich 4 Jahre lang auf Martinico, Eustachio, Jamaica, St. Dominigo, und zu Carthagena auf. Die Frucht dieser Reise ist in dem ansehnlichen Werk enthalten, das Kraus im Jahr 1763 unter dem Titel: Selectarum Stirpium Americanarum Historia in 2 Foliobänden hat abdrucken lassen. Hr. Jaquin hat die linnäische Ordnung beibehalten, denn die sogenannte natürliche hat nach Hrn. Jaquin doch auch in Bestimmung der Geschlechter gar viel Willkürliches. Er liefert hier nur die blumichten Gewächse, die Gräser und Moose hat er nicht zum Zweck gehabt. Viele sind neu oder doch besser bestimmt, und aus anderen Brownischen, Linnäischen und Plumierischen Geschlechter mit veränderten Namen anderswo eingetragen. Die 183 Kupferplatten hat Hr. Jaquin selbst gezeichnet, und obwohl sie nicht zierlich gestochen sind, so hat doch der Leser ein billiges Zutrauen zu dergleichen Zeichnungen. Er hat sehr viele neue Geschlechter meist nach Kräuterkennern genannt. Im zahlreichen Geschlecht der Justitia sind die meisten mit 2 Staubfäden versehen, einige doch aber nur mit einem. Franz Petit, dem Hr. Jaquin ein Geschlecht weyhet, war kein Wundarzt, er war ein berühmter Arzt und Academicus. […] Die Copaivapflanze ist hier beschrieben, auch ein Zimmet, der Hr. J. für den rechten, blos zufälliger Weise, etwas schärfer schmeckender hält. Nicolaus la Hire, dessen Name hier auch bekrönt wird, hat 4 Bände voll sehr sauberer Kräuterzeichnungen hinterlassen, die zu Wien auf der Bibliothek liegen. Von der Mancanilla will Hr. Jaquin nicht glauben, dass jemand diesen mit einem scharfen Safte angefüllten Apfel habe verschlingen können. Ist 282 Seiten stark.«1403

Als der Sohn Linn8s ein Buch über den Garten von Uppsala1404 herausbrachte und Jacquins Wiener Freund Mygind dieses um einen halben Golddukaten erwarb, konnte auch Jacquin einen Blick darauf werfen und war erstaunt, in dessen Vorwort zu lesen, dass die Bilder skizzenhaft gestaltet wären, um den Preis niedrig zu halten und somit für die Botaniker leistbar zu sein. Darin wurden auch andere teurere botanische Werke, darunter auch jene von Jacquin zitiert. Dieser gratulierte zwar Linn8 jun. und ermunterte ihn in diese Richtung weiterzuarbeiten, betonte aber die Bedeutung von botanischen Bildern. Er verwies darauf, dass die Genauigkeit und die Details eines Bildes mehr vom Botaniker als vom Stecher abhingen. Deshalb wäre er bemüht, zahlreiche botanische Tafeln zu veröffentlichen und sie würden weniger als die Hälfte von dem oben genannten 1403 Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen (1764), 743–744. 1404 Carl Linn8, Caroli Linnaei Fil., Decas prima plantarum rariorum Horti upsaliensis, sistens descriptiones & figuras plantarum minus cognitarum (Stockholm 1762).

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Werk kosten. Das Ziel sollte sein, eine »Art Herbarium von guten Bildern« zu kreieren, vielleicht mit kurzen Beschreibungen.1405 Diese Bemerkung scheint uns besonders aussagekräftig, aber verlangt auch nach einer weiteren Erläuterung. Was Jacquin hier im Sinne hatte, war für seine weitere Tätigkeit als Botaniker wegweisend, denn in der Folgezeit konzentrierte er sich auf Prachtwerke, die alle auf Visualisierung beruhten. Welche Funktion hatten aber diese Bilder, deren finanzieller und künstlerischer Aufwand bei der Herstellung beträchtlich war und auf die Jacquin in der Folge höchste Aufmerksamkeit verwandte? Warum setzt er in diesem bereits zitierten Satz die Sammlung von Bildern einem Herbarium gleich? Aus dem Briefwechsel zwischen Jacquin und Linn8 geht hervor, dass die zwischen ihnen ausgetauschten Bilder in unterschiedlichsten Zusammenhängen eine eminent wichtige Rolle spielten. Dies zeigt sich auch in der Phase, als Jacquins Sohn Joseph Banks in London besuchte und der Vater ihm neben den im Brief enthaltenen verbalen Beschreibungen auch Zeichnungen zusandte, die den weiteren Diskussionsprozess bezüglich der Frage, ob eine bestimmte Art bereits gekannt wurde, sicherstellen sollte: »cette plante est elle connue en Angleterre?« (Abb. 50). Nissen1406 hatte in seiner Studie bereits allgemein darauf verwiesen, dass eine Pflanzenzeichnung oft den räumlich und zeitlich distanten Mitforscher die Pflanze ersetzen sollte, also dokumentarischen Charakter zugewiesen bekam. In der Tat lebte Linn8 im schwedischen Uppsala und Jacquin im habsburgischen Wien; zu einer persönlichen Zusammenkunft gab es keine Gelegenheit und so beschränkte sich die Diskussion auf den Briefwechsel und die untereinander ausgetauschten Repräsentationen der Pflanzen: Herbarbelege, Beschreibungen und Zeichnungen. Abbildungen konnten die Diskussion auf eine gemeinsame Ausgangsbasis bringen, auf die man sich beziehen konnte, wie es uns der Briefwechsel Jacquins mit Linn8, aber auch mit Wulfen oder zwischen dem Sohn und dem Vater Jacquin ununterbrochen vorführt (Abb. 51). Auch der Mannheimer Botaniker Friedrich Casimir Medicus bezog sich bei einer Pflanze, die er in seinem Garten kultivierte, aber nicht eindeutig bestimmen konnte, auf Jacquins Abbildung.1407 Jacquin zog seine Bilder als Beleg für die Korrektheit seiner

1405 Jacquin an Linn8, 8. Juni 1763 (L 3268), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net: »Sic aliquando poterits herbarius fieri en bonis et vero Botanicis iconibus, quae certe si tales fuerint, et quibus si addatur apta descriptio, quam majorem in re herbaria poterimus claritatem desiderare.« 1406 Claus Nissen, Die botanische Buchillustration (19662), 6ff. 1407 Dietrich Casimir Medicus an Jacquin, Brief, 21. September 1781, Bibliotheka Jagielljnska in Krakau. Zitiert in: Ilona Knoll, Der Mannheimer Botaniker Friedrich Casimir Medicus (1736–1808). Leben und Werk (Heidelberg 2003), 179.

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Abb. 50: »Cette plante est elle connue en Angleterre?« Handzeichnung Jacquins, gesendet an seinen in London weilenden Sohn, Wien 1789

Beobachtung heran, nutzte sie oft als Argument für seine Hervorhebung von Merkmalen und Entscheidungen seiner Artidentifikation. Nickelsen verwies in ihren Studien auf die multiplen Funktionen der Bilder, die sich in dem wunderbaren Satz eines Botanikers konzentrierten: »Abbildungen belehren, entscheiden Zweifel und gewähren Gewissheit.«1408 Einerseits 1408 Das Zitat geht auf Kerner zurück: Johann Simon Kerner, Abbildungen oekonomischer Pflanzen, Bd. 1 (Stuttgart 1786–1796), Vorwort, 5. Zitiert nach: Kärin Nickelsen, »Abbildungen belehren, entscheiden Zweifel und gewähren Gewissheit« – Funktionen botanischer Abbildungen im 18. Jahrhundert. In: Veronika Hofer und Marianne Klemun (Hg.), Bildfunktionen in den Wissenschaften (= Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit,

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Abb. 51: »Voici deux piper nouveaux, sont ils connus en Angleterre?« – kolorierte Handzeichnung Jacquins, gesendet an seinen Sohn nach London 1789

ermöglichten Abbildungen Referenzpunkte in wissenschaftlichen Debatten, andererseits Beobachtungshilfen. Nickelsen macht jedoch auch auf einen weiteren, wesentlichen Aspekt aufmerksam, die Bedeutung des Bildes als Identifikationsinstrument, die uns in die Praxis selbst führt. Denn die Pflanzen waren nicht nur durch die Merkmale in der systematischen Literatur festgelegt, sondern es spielten auch morphologische Details eine Rolle. Wenn ein Botaniker nur die in Linn8s Systematik oder in »Species plantarum« festgelegten indikatorischen Merkmale vor sich hatte, so konnte er oft bei der Bestimmung einer Pflanze vor unlösbaren Problemen stehen, da ein für die Art charakteristisches Merkmal jahreszeitlich bei der Pflanze gar nicht auftrat, also nicht zu beobachten war. Hier lag der Vorteil des Bildes, weil es alle Entwicklungsstadien nebeneinander, die Sicht auf das Ganze wie auch auf seine Teile, umfangreich aber konzentriert auf einmal gewährte. Die Abbildung hatte die Funktion, eine unbekannte Pflanze eindeutig zuzuordnen und bestimmen zu können, welcher Art sie angehörten und welcher nicht, sie zu identifizieren (Abb. 52). Somit stellten, um hier Nickelsens Ergebnissen ihrer Studie zu folgen, die Abbildungen 7. Jg. Heft 1, 2007), 52–70; besonders auch: Kärin Nickelsen, Wissenschaftliche Pflanzenzeichnungen – Spiegelbilder der Natur? Botanische Abbildungen aus dem 18. und frühen 19. Jahrhundert (Bern 2000), vor allem Kap. III und IV; Kärin Nickelsen, Botanists, Draughtsmen and Nature. The Construction of Eighteenth-Century Botanical Illustrations (Dordrecht 2005), Kap. 6.

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eigentlich Modelle der Artbeschreibungen dar. Sie bezogen sich auf keine Individuen und waren auch keine Portraits, sondern umfassende und gleichzeitig konzentrierte Artbeschreibungen, »Darstellungen des Modells der gesamten Pflanzenart.«1409

Abb. 52: Pflanzenskizze als Beleg für eine fragliche neue Art. Die Skizze dient als Grundlage der Diskussion über große Distanzen hinweg, Bleistiftzeichnung von N. Jacquin in einem Brief an seinen Sohn nach London 1789

Warum aber waren Jacquin die Abbildungen so wichtig? Zwischen Text und Bild gab es eine Arbeitsteilung, die sich komplementär ergänzte. Während die verbalen Beschreibungen Synonyme, das Verbreitungsgebiet, Nutzanwendungen und Diagnosen enthielten, hatte das Bild hingegen den Vorzug, alle wesentlichen 1409 Nickelsen, »Abbildungen« (2007), 69.

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Informationen einer Art auf den kleinsten Raum komprimiert auszudrücken. Daraus ergibt sich auch die multifunktionelle Bedeutung des Bildes in der Botanik, als Beobachtungsevidenz, Bestimmungshilfe, Unterrichtsmittel und Modell der gesamten Art. Diese Eigenschaften der Bilder machten sie besonders einsetzbar für didaktische Zwecke wie auch für den Transfer in Kreise der Rezipienten, jenseits der Fachwelt. Das erklärt beide Aspekte, sowohl die epistemische Güte als auch die populäre Wirksamkeit der Jacquin’schen Werke, die alle, von der ersten Publikation und den Lehrbüchern abgesehen (auf die wir noch eingehen werden), mit Abbildungen bestückt waren. Dass Jacquin Bilder als bedeutende Instanzen der Beschreibung erkannte, war eine Seite der Medaille, die andere bestand darin, dass er auch selbst über ein überdurchschnittliches zeichnerisches Talent, über ein Auge für Illustrationen und für die richtige Farbgebung verfügte. Dieses Können hatte er bereits in seinem Werk »Selectarum« bewiesen und es verhalf ihm nun zur Mitarbeit an dem Dioskurides-Projekt. Dabei handelte es sich um eine Art erweiterte Edition der in der kaiserlichen Hofbibliothek verwahrten byzantinischen Manuskripte des Pedanios Dioskurides, des berühmtesten Pharmakologen der Antike.1410 Das ehrgeizige Projekt startete bereits 1762: Die beiden Handschriften über antike Heilmittellehre sollten mit allen Pflanzenabbildungen in detailgetreuen Kupferstichen veröffentlicht werden. Adam Franz Kollar, der erste Kustos der Bibliothek und Fachmann für orientalische Sprachen, übernahm den sprachwissenschaftlichen, van Swieten den medizinischen-pharmazeutischen und Jacquin den botanischen Teil. Letzterer erhielt auch die Aufsicht über die Verfertigung der Bilder. Schon im November 1762 ließ Jacquin Linn8 wissen: »Ich habe Pflanzenabbildungen gesehen, zwar derb, aber naturgetreu und nicht unfein gemalt, mindestens 1100 Jahre alt; und diese Pflanzen sind bis heute vollkommen gleich geblieben. Vielleicht gibt Gott, dass auch Du sie siehst. Ich fange an zu hoffen, dass Du Dich daran erfreuen wirst können; und es sind etwa fünfhundert derartige Pflanzenabbildungen mit den Namen der alten Griechen.«1411

Linn8 war über diese Nachricht begeistert und sehnte sich danach, dieses »goldene Buch« mit eigenen Augen zu sehen.1412 Jacquin wollte sich jedenfalls unbedingt auch auf die Expertise Linn8s beziehen, wenn er schrieb: 1410 Seit 1997 zählt das seit dem 16. Jahrhundert in Wien an der Österreichischen Nationalbibliothek befindliche Quellenwerk zum UNESCO-Weltdokumentenerbe mit der Signatur Codex medicus Graecus 1. 1411 Zitiert nach Hans Walter Lack, Die Kupferstiche von frühbyzantinischen Pflanzenabbildungen im Besitz von Linn8, Sibthorp und Koll#r. In: Annalen des Naturhistorischen Museums Wien, 100B (Wien 1998), 649 und vgl. Jacquin an Linn8, 23. Oktober 1762 (L 3140), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1412 Vgl. Linn8 an Jacquin, 28. Jänner 1763 (L 3189), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net.

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»Auch werde ich Dir mehrere der schon gestochenen Abbildungen aus diesem ältesten Dioskurides-Manuskript schicken, das Du schon lange sehen wolltest; aber unter der Bedingung – ich werde zu gegebener Zeit und bei Gelegenheit die Zusendung fortsetzen –, dass Du mich offen wissen lässt, was Deiner Meinung nach die Pflanzen sind; und dass Du niemandem irgendetwas sagst; weil dieses Buch mit größtem Aufwand in einer königlichen Ausgabe publiziert werden wird; ich werde die Aufsicht über Zeichnung und Stich haben, sowie über die griechische und heutige Botanik. Der sehr berühmte Swieten wird die antike und heutige Heilmittellehre und der in den orientalischen Sprachen sehr bewanderte Kollar die Literatur übernehmen. Aber darüber ist Stillschweigen zu bewahren.«1413

Kein reiner Altruismus bewog Jacquin, seinem schwedischen Freund diese antiken Bilder zu vermitteln, es war ein Geben und Nehmen, wobei Jacquin von Linn8s Wissen profitieren wollte, jedoch Linn8 ihn enttäuschte. »Mit Vergnügen habe ich die Abbildungen des Dioskurides gesehen, aber wenige wirklich erkannt.«1414 Ein Ödipus müsste der sein, wer in den verschiedenen Abbildungen mit Sicherheit Pflanzen identifizieren sollte. Aber es möge bescheiden genügen, »Licht auf verschiedene Pflanzen zu werfen, wenn es schon unmöglich ist auf alle,«1415 ließ Linn8 ihn wissen. Im August 1764 kam die enttäuschende Aussage aus Uppsala: »Wenige der Abbildungen des Dioskurides, die Du geschickt hast, kann ich enträtseln.«1416 Es ist verwunderlich, dass Jacquin als ausgebildeter Zeichner diese Abbildungen so schätzte, wohl war hier seine Liebe zur Antike ausschlaggebend. Erinnern wir uns an die vorherigen Erläuterungen zur Funktion der Abbildungen. Linn8 tat sich schwer, weil diese Pflanzenbilder keineswegs einem Artverständnis entsprachen, das inzwischen Standard geworden war. Die Illustrationen des Codex Dioskurides waren faszinierend, aber eine botanische Eindeutigkeit war ihnen kaum zu entlocken, vielleicht war dies der Grund für das Scheitern des Projektes, denn es blieb unvollendet. Bis 1764 wurden zehn Briefe zu diesem Thema zwischen den beiden Wissenschaftlern ausgetauscht. Jacquin schickte regelmäßig Probedrucke, insgesamt ca. 220, meist über Theodor Gronovius, der sie dann an Linn8 weiterleitete. 1765 starb Kaiser Franz Stephan, der dieses Unternehmen sehr gefördert hatte. Laurens Theodor Gro-

1413 Lack, Die Kupferstiche, 1998, 649 und vgl. Jacquin an Linn8, 13. März 1763 (L 3380), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1414 Zitiert nach Lack, Die Kupferstiche (1998), 650; vgl. Linn8 an Jacquin, 20. Juli 1763 (L 3276), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1415 Zitiert nach Lack, Die Kupferstiche (1998), 650; vgl. Linn8 an Jacquin, 20. Juli 1763 (L 3276), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1416 Zit. nach Lack, Die Kupferstiche (1998), 650; vgl. Linn8 an Jacquin, 20. August 1764 (L 3434), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net.

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novius schrieb seinem Freund Jacquin: »Ich kondoliere zum Tod eures Keyzer und ich hoffe, dass der neue dir förderlich sein wird.«1417 Jacquin hatte jedenfalls beträchtliche Arbeit investiert, vor allem auch mit der Kolorierung der Stiche, vielleicht war auch seine Ernennung zum Bergrat und die damit verbundene Übersiedlung nach Schemnitz im Jahre 1763 ausschlaggebend für das jähe Ende dieser Editionsausgabe. In den Briefen an Linn8 wurde Dioskurides nicht mehr erwähnt. Aber noch 1772 schrieb Albrecht von Haller in den Göttingischen Anzeigen von gelehrten Sachen: »Wien. Wir glauben dem Leser nichts Unangenehmes zu eröffnen, wenn wir ihm die Kupferstiche bekannt machen, die zwar noch nicht herausgegeben, doch aber gestochen, und wovon 490 Platten fertig und 234 in länglicht [!] Folio in unseren Händen sind. In der hiesigen kaiserlichen Büchersammlung befinden sich zwei Handschriften des Dioscurides mit Zeichnungen, die bekannte Constantinopol lateinische in Folio und eine andere Neapolitanische in Quart. […] Die Zeichnungen sind zum Teil herrlich, und sehr oft gehen sie sehr weit von der angenommenen Meinung ab. […] Aus diesen wenigen Proben wird man so viel ersehen, dass wohl alle Kenner Ursache haben zu wünschen, der arbeitsame und geschickte Hr. Jacquin möchte die Ausgabe dieser Platten übernehmen. Mit denselben versehen würde ein Kräuterkenner, der in Asien reisete, vermutlich den meisten Teil der alten Pflanzen wiederum bestimmen, über die man bisher nur schwache Kenntnisse hat, auf welche man doch einen guten Teil der Arzneykunst gründet, und unseren heutigen, oft sehr entfernten, Gewächsen eben die Heilkräfte zuschreibt, die die alten an den Ihrigen rühmten.«1418

In diesem Jahr (1772) war Gerard van Swieten gestorben, wohl der wichtigste Initiator dieses Projekts und somit war das Ende dieses ersten Editionsunternehmens erreicht, das so viele Nachfolger bekommen sollte.1419 Parallel dazu hatte Jacquin an der nächsten Publikation »Observationum Botanicarum, Iconibus ab Auctore Delineatis Illustratarum« (1764–1771) gearbeitet. Am 1. September 1763 war der erste Band dieses botanischen Werkes bereits zum Druck bereit, zumindest steht dieses Datum am Ende des Vorworts. Gewidmet war es Gerard van Swieten, seinem »Maecenati Optimo«, und wurde als in mehreren Teilen erscheinendes Werk angekündigt. Die Überlegung war für Jacquin leitend, seine verschiedensten botanischen Aufzeichnungen und Notizen nach und nach in schmalen Bänden – er nannte sie Faszikel – zu veröffentlichen, ohne sich an eine bereits vorgegebene Ordnung binden zu müssen, wie er es in seinem Vorwort ausführte. Jeder Teil sollte immer mit von ihm selbst gezeichneten fünfundzwanzig Kupferstichen versehen sein. Es stellte ein Un1417 Laurens Theodor Gronovius an Jacquin, Mappe 3. Oktober 1765, NHM, AfW. 1418 Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 1. Bd. (1773), 10–11. 1419 Eine Faksimile-Ausgabe wurde bereits 1965–1970 herausgegeben und 1998/99 erneut ediert. Vgl. auch Otto Mazal, Pflanzen, Wurzeln, Säfte, Samen: antike Heilkunst in Miniaturen des Wiener Dioskurides (Graz 1981).

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terfangen dar, welches er auch neben der neuen Aufgabe als Professor an der Bergschule zu bewerkstelligen dachte. Eine Rezension jedenfalls bezog sich auf diesen Umstand: »Wir freuen uns, daß das neue Amt des Hrn V. ihm doch Zeit genug übrig läßt, die Botanik noch ferner durch merkwürdige Entdeckungen zu bereichern. Dieser Theil enthält so wie der vorige manche Pflanze, welche entweder gar noch nicht beschrieben worden, oder doch so unbekannt bisher geblieben, daß der Hr. v. Linn8 sie in seiner Species nicht einrücken hat können. Bei den Amerikanischen Gewächsen vergießt Hr. J. doch auch der Österreichischen nicht: sondern vermehrt seine darüber ausgefertigte Flora auch hier mit neuen Bürgern.«1420

Durchwegs ereiferten sich die Rezensionen eines außerordentlichen Lobes, besonders der gelungenen Darstellung in Wort und Bildform: »Der Bergrath Jacquin macht mit diesem vierten Bande den Beschluß der Ausgabe seiner botanischen Beobachtungen, die von der gelehrten Welt mit ausnehmendsten Byfall aufgenommen worden. […] Die Zeichnung der Pflanzen, die unter der Aufsicht des Hrn. Verf. verfertiget worden, und die beygefügten Beschreibungen, sind so, wie man sie von einem Mann erwarten kann, der die Botanik sein Hauptgeschäft seyn läßt, und der Muße und Gelegenheit hat, jede Pflanze von ihrem Keime bis zur Reifwerdung der Früchte zu beobachten.«1421

In allen vier Teilen wurden sowohl Pflanzen von den Zuckerinseln als auch in den österreichischen Gebirgen aufgefundene behandelt, die Titelblätter wurden aus dem Werk »Selectarum« übernommen, aber die beigegeben Kupfertafeln waren in jeder Lieferung auf fünfundzwanzig limitiert, insgesamt sodann hundert Illustrationen von Pflanzen. Ein Rezensent hob einzelne Meriten wie die Benennung einer Gattung nach Scopoli hervor, fand dabei besonders eben die Abbildungen beeindruckend: »Herr Dr. Scopoli, dessen wir in unseren Blättern vom vorigen Jahr Nro. 78 mit Ruhme gedacht haben, zeiget in seiner Flora Carniolica ein von ihm in den Wäldern bey Idria entdecktes Kraut an. Hr. Bergrath Jacquin hält dafür, daß es noch von keinem anderen Kräuterkundigen bemerket worden, und giebt ihm den Name Scopola Carniolica.1422 Es wird S. 33 beschrieben und blühet nun in dem botanischen Garten hier. Von dieser und den meisten übrigen Pflanzen sind saubere Abzeichnungen in ihrer natürlichen Größe auf 25 Kupferplatten zu sehen. Man kann dieselben für desto richtiger halten, indem sie von der Hand des Hrn. Verfassers selbst sind. Diese Kupferstiche machen zwar das Werk kostbar ; aber auch umso nützlicher : wie denn der Verfasser in seiner Vorrede den Werth und Nutzen dergleichen botanischer Abbildungen, wenn sie genau nach der 1420 Allgemeine deutsche Bibliothek (Berlin 1765–1796), Rezensionen online: JACQUIN, N. J. Freiherr von: Observationes botanicae. PII. In: Allgemeine deutsche Bibliothek. 1768, 8. Bd., 1. St., 261. [Anonym]. 1421 [Rezension]. Wien 1771. In: Prager gelehrte Nachrichten (Prag 1771), 93f. 1422 Siehe dazu Kap. VII. 3.

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Natur sind, überhaupt gegen diejenigen behauptet, welche derselben Gebrauch verwerfen.«1423

Eine der Rezensionen lobte sowohl den Inhalt wie auch die beschriebene Ausrichtung: »Für die Ärzte besonders gehören die Nachrichten des Hrn. V. von dem Myrtus Caryophylata und der Cinchona caribäa. Auch in dem Stück ist der Hr. V. bei seiner Gewohnheit geblieben, dass er das Trockene der Beschreibungen, durch eine zusammenhängende Schreibart, und die Erwähnung des Nutzens der Pflanzen, wofern er bekannt ist, angenehmer zu machen gesucht. – 25 die Pflanzen in natürlicher Größe vorstellende und von dem Hrn. V. selbst gezeichnete Abbildungen zieren ebenfalls diesen Band.«1424

Jacquin legte in allen diesen vier Bänden Wert darauf, Korrekturen aufzulisten, was in den Rezensionen eine besonders positive Resonanz einbrachte: »Herr Bergrath Jacquin zeiget, mit welcher Bescheidenheit fremde Fehler aufzudecken, und mit welcher Redlichkeit die eigenen zu verbessern seyen.«1425 Der am 20. September 1767 gedruckte 2. Teil des »Observationum« war Jakob Christian Schaeffer (1718–1790) dediziert, dem Regensburger Mykologen und Botaniker, der die Heilwirkung von Pflanzen beschrieb und im engen Briefkontakt zu Jacquin stand. In den Jahren 1762 hatte er begonnen, Schwämme auch auf Kupfertafeln darzustellen, später folgten hunderte mit Insektendarstellungen. Bei dieser Publikation taucht nun zum ersten Mal am Titelblatt eines Jacquin’schen Werks neben seinem vollen Titel1426 auch seine erste Mitgliedschaft bei einer gelehrten Gesellschaft auf: »Societatis Agriculturae Styriacae Membri.« Die Anführung sämtlicher öffentlicher Würdigungen bezüglich der Autorangabe am Titelblatt war eine beliebte Usance, welche die Anerkennung des Verfassers in diesen Zirkeln unterstrich. Die ersten Ackerbaugesellschaften in den habsburgischen Ländern wurden von oben angeordnet und an die Stände gebunden. Die Gründung der Agrikultur-Sozietät des Herzogtums Steiermark war am 22. Mai 1764 von der Hofkanzlei genehmigt worden und sollte Aktivitäten zur Hebung der Landwirtschaft bündeln.1427 Die Mitglieder kamen aus der 1423 Wienerisches Diarium, Nr. 4, »Samstagsanhang« [!], den 20. Junii 1764. 1424 Allgemeine deutsche Bibliothek, 8. Bd., 1. St. (1768), 261. 1425 Wienerisches Diarium, Nr. 4, »Samstagsanhang« [!], den 20. Junii 1764, Von inländischen gelehrten Sachen. Die krausische Buchhandlung nächst der Hofburg hat verlegt: »Nicolai Josephi Jacquin Observationum botanicarum iconibus ab auctore delineatis illustratarum Pars I. Vindobonae ex Officina Krausiana 1764.« 1426 »Nicolai Josephi Jacquin / S.C.R.A. Majestati in Supremo de Re Metallica & Monetaria Hungariae Inferiores Camergrafiatus Dicto Officio a Consiliis, Chemiae Metallurgicae Professoris.« 1427 Karl Dinklage, Gründung der theresianischen Ackerbaugesellschaften. In: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie 13 (1965), 200–211.

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ständischen Repräsentation, waren geistliche Würdenträger, Großgrundbesitzer, aber auch bürgerliche Gelehrte wurden einbezogen.1428 Jacquin dürfte durch den Kommerzienrat Franz von Mygind, seinen Freund, vermittelt aufgenommen worden sein. In den Sitzungsprotokollen taucht dieser unter den Anwesenden immer wieder auf. In der Märzsitzung 1766 hatte dieses Gremium eine Anfrage zu diskutieren, die da lautete: »Ein Schreiben von dem Herrn Professore Metallurgiae Nicolao Josepho Jackin [!]1429 aus Chemnitz [!]1430 in Ungarn de praesto 2ten Mertzen, in welchen Er für die Benennung zu einem Mitgliede den lebhaftesten Danck abstattet, und zugleich die Anfrage stellet ob er in Seinen in Botanicis mit nächsten in Druck herauszugeben gedenkenden Wercke sich ein Membrum Societatis Agriculturae Styria nennen dürfte.«1431

Ab nun konnte Jacquin stolz seine Mitgliedschaft der Steirischen Agrargesellschaft in seinen Veröffentlichungen anführen. Dies geschah auch bei dem 3. Teil der Observationes, der noch in Schemnitz fertiggestellt wurde. Zu diesem Zeitpunkt war Jacquin auch in die »physikalisch-oeconomische Bienengesellschaft in Oberlausitz« aufgenommen worden. Die Ernennung war über die Vermittlung Jakob Christian Schaeffers erfolgt, dem Jacquin seinerseits bereits eine Gattung dediziert hatte. Erkenntlich zeigte sich Jacquin durch ein besonderes aus der Karibik stammendes Objekt, das er der Gesellschaft übereignete: In der Abhandlungen der Gesellschaft war alsbald zu lesen: »Es hat uns der Herr Bergrath, auch D. und Prof. der Chemie und Metallurgie, Jacquin, aus Schemnitz in Ungarn, durch die geneigte Besorgnis unseres liebenswürdigen Seniors, Herrn D. und P. Schäfers [!] in Regenspurg [!], ein Präsent von einem Stückchen natürlichen schwarzen Wachses gemacht, so er auf seiner Reise in America gefunden, wo es die Bienen das also eintragen. Wobey das merkwürdigste ist, daß der in die schwarzen Zellen eingetragene Honig weiß ist. Es ist von ungemein starkem aromatischen Geruch. Man bedient sich desselben in warmen Ländern, zur Verwahrung des Weins in Bouteillen statt des Corks. Es soll in der Medicin und Chirurgie von vortreflichen Nutzen seyn, und es ist also zu verwundern, daß es nicht in größern Quantitäten von daher gebracht wird, da wir die Früchte dortiger Länder in Lasten erhalten. Ein Theil davon ward wegen der Seltenheit, in das Churfürstl. Sächs. Naturaliencabinet in Dresden an den Bergrath Eilenburg abgegeben.«1432 1428 Vgl. Viktoria Full, Die Agrikulturssozietäten und ihr Einfluss auf die Landwirtschaft der oesterrreichisch-ungarischen Monarchie im 18. Jahrhundert (Ungedr. Phil. Diss. Wien 1937). 1429 Die Schreibweise Jacquin war oft fälschlich wiedergegeben. 1430 Chemnitz wurde gerne mit Schemnitz verwechselt, aber es war eindeutig Schemnitz (Bansk# Sˇtiavnica, heute Slowakei). 1431 HHStA, FHKA Kommerz IÖ Akten 494, Agrikultursozietät in Steiermark 1766–1767, Fasz. 23, Sess. 38; Commerz rote Nr. 337, fol. 126f. 1432 [Anonymus], Nachricht von einem besondern amerikanischen Landesprodukte natürlichen schwarzen Wachses, von Herrn Bergrath Jaquin [!] aus Ungarn. In: Abhandlungen

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Ehren dieser Provenienz erhöhten die Reputation, auch wenn sie nicht direkt mit Jacquins Forschung zusammenhingen. Offensichtlich hatte Jacquin einzelne in der Karibik gesammelte Objekte für sich behalten, mit denen er in unterschiedlichsten Kreisen später noch Aufmerksamkeit erregen konnte. Sie dienten auch der Erhaltung des Netzwerkes. Dass dieses Wachs sogar an das Dresdner Naturalienkabinett weitergereicht wurde, belegt den hohen Wert, den man den Sammelstücken zugewiesen hatte. Letztlich manifestierten sich solche Kontakte in Mitgliedschaften und auf Buchtiteln. Die Bienen jedoch, Sinnbild des Fleißes, fanden auch als Vignetten Eingang in Jacquins mit optischem Gespür gestalteten Werken (Abb. 53 und Abb. 54).

Abb. 53: Bienenfleiß, Vignette (Hortus Vindobonensis, Vol. II, 1776)

Abb. 54: Bienenfleiß, Vignette (Hortus Vindobonensis, Vol. II, 1776)

Verweilen wir nur kurz bei den Ehrungen, die wir hier lediglich exemplarisch behandeln wollen. Im Zusammenhang mit der Ernennung der »Helvetischen medizinischen Gesellschaft« 1768, für die er sich bei Haller brieflich bedankund Erfahrungen der gnädigst bestätigten physikalisch-oeconomischen Bienengesellschaft in Oberlausitz (Leipzig / Zittau 1770), 92–93.

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te,1433 publizierte Jacquin einen seiner wenigen Aufsätze. Er beschäftigte sich mit der Bedeutung der Illustration,1434 einem Phänomen, das ihn die nächsten Jahrzehnte nicht mehr losließ. Aufnahmen in Akademien erfolgten meist durch Verbindungsmänner, wie im Falle der helvetischen Gesellschaft über Haller. Für den Ernennungsakt zeigten sich die Geehrten stets durch Dedikationen von Objekten oder Texten erkenntlich. Im Jahre 1786 wurde Jacquin gleichzeitig mit Kant (Königsberg), Forster d. J. (Wilnius), Bonnet (Genf), Volta (Pavia) und Wieland (Weimar), somit in bester Gesellschaft, in die Berliner Akademie aufgenommen.1435 Um zu unserer chronologischen Behandlung von Jacquins Werken zurückzukommen: Der vierte Teil der Observationes (1771) wurde Christian Ludwig Willich (1718–1773) dediziert. Er war der erste Botaniker gewesen, der sein eigenes Werk bereits 1766 Jacquin am Frontispiz1436 gewidmet hatte, ab 1767 standen beide in Briefkontakt.1437 Die Rezensenten lasen das Vorwort und betonten wichtige Aspekte daraus: »Der Titel zeigt es an, dass Hr. J. diese Sammlung hiemit endigen will. In der Schrift selbst erinnert er nur, dass er hinkünftig nur selten eigene Zeichnungen liefern werde: so wie auch schon in diesem Teil wenige von ihm sind. Beiläufig erklärt er auch, dass er ein Werk unter der Aufschrift Icones Florae austriacae herausgeben willens sei.«1438

In der Tat ging Jacquin dazu über, ausgezeichnete Künstler zu beschäftigen und sie für die Illustration einzuweisen. Denn die Darstellung sollte seiner Expertise untergeordnet sein. Bereits 1771 war im Vorwort das nächste Projekt angekündigt worden, wiewohl ein weiteres noch im Laufen war, der »Hortus Botanicus Vindobonensis« (1770–1776). Jacquin kam hier nach zwei Jahren Gartendirektorat an dem Botanischen Garten der Universität Wien seiner Rolle als Leiter nach, indem er den Garten der internationalen Welt in einer prachtvollen Ausgabe mit ansehnlichem Format näherbrachte. Gartenkataloge hatten eine Tradition. Sie waren eigentlich inhaltlich recht leer, indem sie lediglich mit Pflanzenlisten einen unmittelbaren Bezug zu einem konkreten Garten und den in diesem kultivierten Pflanzen herstellten. Meist bestanden sie nur aus sehr 1433 Jacquin an Haller, Brief, Schemnitz, 28. Feber 1768, Wallers Ms Universität Uppsala, de02575. 1434 Nikolaus Joseph Jacquin, Illustrationes quaedam Botanicae. In: Acta Helvetica, physicomathematico-anatomico-botanico-medica, figuris aeneis illustrata, Vol. VIII (1777), 58– 60. 1435 [Anonymus], Bericht über die Versammlung der Akademie der Wissenschaften Berlin. In: Wiener Zeitung, 20. Dez. (1786), Nr. 101, 3100. 1436 Christian Ludwig Willich, Illustrationes quaedam botanicae celeberrimo viro Nic. J. Jacquin dicatae (Göttingen 1766). 1437 NHM, AfW, 9 Briefe an Jacquin. 1438 Allgemeine deutsche Bibliothek. 1768, 8. Bd., 1. St., 261.

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kurzgehaltenen Diagnosen und dienten dem Nachweis der Gartenbestände sowie dem Unterricht, wobei die Listen im Gelände mit den Lebendpflanzen in Korrespondenz gebracht wurden.1439 Das Genre hatte auch Linn8 in seinem »Hortus upsaliensis« [!] 1748 mitgeprägt, ihm folgte Jacquin auf seine Weise, indem er eine eigene alphabetische Liste von 7815 Spezies, auf der zwölften Edition von Linn8s »Systema« beruhend, zusammenstellte.1440 Sie bildete einerseits ein Inventar, wurde aber andererseits auch im Unterricht eingesetzt. Die Studenten konnten mit dem Verzeichnis, dem Index,1441 die Pflanzennamen memorieren lernen. Davon unabhängig jedoch, sollte Jacquins Gartenkatalog, der »Hortus Vindobonensis«, weit umfangreicher und prächtiger ausgestattet sein. Das Werk war, was den Text anbelangt, den Abbildungen (Tabula) folgend strukturiert und der erste Teil bestand aus hundert solchen Tafeln. Dieses Schema sollte in der Folge auch Jacquins weitere Publikationen beherrschen. Neben den Pflanzenbeschreibungen der im Garten kultivierten Spezies und den Kupferstichen war auch ein Lageplan des Gartens integriert, denn Jacquin hatte das Gartenareal nach seiner Übernahme 1768 sofort auch neu gestaltet (siehe auch Abb. 34). Orientierung und die Vorlage für den Garten kamen vom Straßburger Botaniker Francois Boissier de Sauvage, den Jacquin nach seiner Expedition persönlich besucht hatte.1442 Der »Hortus« war Maria Theresia gewidmet, denn ihr verdankte er seine Gründung. Es war kein Zufall, dass in den »Prager gelehrten Nachrichten« dieses Werk als äußerst exzeptionell hervorgehoben wurde: »Der Wienerische botanische Garten ist eines der kostbarsten Denkmäler, der um die Aufklärung ihrer Staaten so sorgfältigen Monarchinn [!], die darinn aufbehaltenen oder nachwachsenden Pflanzen, die ihre Vorsteher mit so leichter Mühe beobachten, und in richtigen Beschreibungen hatten mittheilen können, sind bishero noch allen Botanikern unbekannt geblieben, und viele giengen, ohne vorhero bekannt zu werden, zu Grunde […]. Der unermüdete Hr. Prof. Jaquin [!] hat es auf sich genommen die seltenen Pflanzen des botanischen Gartens, der izt seiner Obsorge anvertraut ist, in dieser prächtigen, und zugleich richtigen Ausgabe zu erhalten. Die Pflanzen werden unter seiner Aufsicht in ihrer natürlichen Größe, und wo es nöthig, mit den Fructificationstheilen, bey mehreren und nach dem Vergrößerungsglase, gezeichnet, und ausgemalen, zu denen er eine kurze und bündige Beschreibung liefert.«1443 1439 Müller-Wille, Botanik (1999), 166f; Linn8, Philosophia botanica (1751), 293. 1440 J. F. Jacquin, Garten (1825). 1441 [Nikolaus Joseph Jacquin], Index regni vegetabilis qui continent plantas omnes quae habentur in Linnaeani Systematis editio novissima duodecima (Wien 1770). – [Index des Pflanzenreichs, der alle Pflanzen enthält, die in der neuesten, zwölften Auflage des Systems von Linn8 vorkommen]. 1442 Vgl. Jacquin an Linn8, 17. Dezember 1759 (L 2634), The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. 1443 [Rezension]. Wien 1771. In: Prager gelehrte Nachrichten (Prag 1772), 351.

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Ein wesentliches Kriterium wurde von den Zeitgenossen an diesem wie schon an den vorangegangenen Werken sehr geschätzt: dass die Pflanzenabbildungen nach der Natur hergestellt wurden. Ferner wurde von Anfang an bekannt, dass die Auflage limitiert war : »Die kostbare Auflage, die der V. auf eigene Kosten übernommen, haben ihn zu dem Entschluße gebracht, nur 162 Abdrücke zu veranstalten, wovon auf jedem Exemplare die Zahl des Abdrucks stehet.«1444 Mit der Durchsignierung kam ein Qualitätsmerkmal in ein ohnehin auf Exklusivität setzendes Vorgehen ins Spiel, denn die ersten Stiche waren natürlich die besten. »Noch A. 1770 ist des Herrn Nicolaus Joseph Jacquin’s Hortus botanicus Vind. […] abgedruckt. Hr. J. hat verhindern wollen, dass nicht noch mehrere von den seltenen Bürgerinnen des Wienerischen Gartens, ohne eine eigene Spur von sich nachzulassen, zu Grunde gehen möchten. Er hat sie unter seinen Augen mit lebendigen Farben abmahlen lassen, und will jährlich ein Heft herausgeben, da schon viele davon gestochen sind. Er hat nur 162 Exemplare abziehen lassen, und die Nummer steht auf einem jeden gedruckt. Die Ausgabe ist von 30 Pflanzen vermischter Art, seltene Europäische und Amerikanische, verschiedene sind neu.«1445

Dieser Aspekt der niedrigen Auflage, der in der Öffentlichkeit diskutiert wurde, hing einerseits von der Praxis ab, nämlich der Abnutzung der Kupferplatte. Andererseits erzeugte der Faktor Rarität die Nachfrage. Dass sich damit ein Run auf diese Werke ergab, stand auf einem anderen Blatt. Die Exklusivität drückte sich in den vielen an Jacquin herangetragenen Anfragen aus. So konnte sich die Universitätsbibliothek Göttingen z. B. glücklich schätzen,1446 das 92. Exemplar von 160 erworben zu haben: »Auf eigene Kosten liefert Jacquin in einem prächtigen Werk, Beschreibungen und Abbildungen der seltensten Pflanzen, welche in den botanischen Garten in Wien, gezogen werden. Die Kupferstiche haben die natürliche Größe, so dass sie dem Anblicke die Pflanzen auf das vollkommenste darstellen. Auch die Wurzeln sind abgebildet; oft auch besonders die Früchte und vergrößerte Befruchtungsteile. Unter der genauesten Aufsicht des Hrn. Verfassers sind die Zeichnungen gemacht und ausgemalt worden, so dass er für beider Richtigkeit die Bürgschaft übernimmt. Die Beschreibungen gleichen mehr den Hallerischen, als den linneischen; d. h., sie sind nicht völlig so kurz, als die letzteren zu sein pflegen, und wo der Verfasser eine Undeutlichkeit besorgt hat, da hat er sich, statt der Kunstwörtern, auch der kurzen Umschreibungen bedient. Der Linneische Trivialnamen ist allemal vorgesetzt, wenn die Pflanze schon einen solchen hat; und außerdem sind auch andere botanische Werke angeführt 1444 Ebda, 352. 1445 Göttinger Anzeigen von gelehrten Sachen, Bd. 2, 98. St. (1773), 17. August 1771, 848 (»Wien«). 1446 Aus der Korrespondenz ist belegt, dass beispielsweise Schreber in Erlangen mehrmals Jacquin bat, ihm diese Bände zu schicken. Vgl. das Kap. VII. 4.

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worden. Anmerkungen oder Nachrichten, die nicht eigentlich botanischer Art sind, kommen gar nicht oder selten vor. […] Noch müssen wir von diesem vortrefflichen Werke anzeigen, dass der Hr. Verfasser nur überhaupt 160 Exemplare abdrucken, und solche alle ausmahlen lassen; dass auch niemals mehrere abgedruckt werden können, weil die Kupfertafeln bereits gelöscht sind; und dass auf dem Titel eines jeden Abdrucks die Nummer desselben gedruckt bemerkt ist. Das Exemplar, was die hiesige Universitäts-Bibliothek erhalten hat, ist das 92ste.«1447

Mit der niedrigen Auflagezahl, die durchaus mit der praktischen Seite der Kupferplatten zusammenhing, wurden aber die Ausgaben auch kostbarer. Für viele Käufer aus dem Adelsstand war dies ein Faktor, warum sie deren Besitz anstrebten. Botaniker wie Wulfen hingegen ließen sich vorübergehend die einzelnen Faszikel schicken, um sie für ihre Forschung zu benutzen.1448 Die Käufergruppe teilte sich in zwei Lager, in jene, die ästhetisch beglückt werden wollten, und jene, die es für ihre wissenschaftliche Arbeit brauchten. Der zweite Aspekt, der in den Rezensionen angesprochen wurde, war jener des Verhältnisses von Bild und Abbild, der Größenverhältnisse der Zeichnungen zu den realen Pflanzen. Erinnern wir uns nochmals an die zuvor bereits diskutierte Bedeutung von Pflanzenillustrationen zur Zeit Jacquins. Dass Jacquin ihre Funktionen reflektierte, zeigt sein Vorwort. Explizit verwies er auf die Tatsache, dass ihm eine verbale Beschreibung zu wenig wäre, er diese mit den Abbildungen ergänzen möchte. Jacquin hielt sich an die natürliche Größe, betonte aber auch, dass er Teile der Pflanze durch die Vergrößerung des Mikroskops auch in Relation größer konzipierte. Das entsprach dem Charakter der Abbildung eines Modells, das zwar dem Anspruch an Authentizität nachkam, aber wegen der Modellhaftigkeit doch auch merkbare Überbetonungen brauchte. Also konnten Merkmale vergrößert dargestellt sein: »Außerdem – was meine Meinung ist – genügt eine bloße Beschreibung, mag sie auch die allerbeste sein, nur in recht seltenen Fällen, selbst wenn sie vielleicht für den Augenblick ausreichen sein sollte, und deswegen wird eine später hinzugekommene Erkenntnis über die Pflanze nicht immer auf festen Füßen stehen. Es kann sie nämlich eine neu entdeckte und irgendwann erforschte Pflanze unzulänglich machen. Eine ganz genaue Darstellung wird – abgesehen davon, dass sie beim einmaligen Hinschauen mehr lehren sollte, im Geiste lebendiger haften bleiben sollte, die Gestalt der Pflanze leichter und in größerem Umfang ins Gedächtnis führen sollte – wenn sie zu einer richtigen Beschreibung hinzugefügt wird, niemals täuschen. Ich habe daher die Gewächse in ihrer natürlichen Größe dargestellt, immer allerdings einen so großen Teil von diesen, dass daraus auf die ganze Gestalt leicht geschlossen werden kann. Auch 1447 Johann Beckmann, Physikalisch-ökonomische Bibliothek, Bd. VI (Göttingen 1770–1806), 404ff., 409: »XIII. Hortus botanicus Vindobonensis, [….] Cura & sumptius Nicolai Joseph JACQUIN, botanices professoris. Vindobonae I, 1770, II, 1772 Folio.« 1448 Klemun, Arbeitsbedingungen (1984), 357–374.

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mitsamt den Wurzeln; wo das vom Papier her möglich war, musste ich es in der Form größer wählen. Daneben befinden sich manchmal einzelne Teile der ausgewachsenen Frucht, auch durch das Mikroskop vergrößert, wenn dies ihre Struktur erforderte, die bisher zu wenig bekannt war, allzu klein war oder an dem abgebildeten Gewächs nicht richtig zu erkennen war.«1449

Insgesamt veröffentlichte Jacquin in diesem dreibändigen Werk etwa 300 Kupfertafeln, die im Zeitraum von sechs Jahren erschienen. Der Künstler signierte seine Zeichnungen zwar nicht, aber es ist bekannt, dass vornehmlich Franz Anton Scheidl (1731–1801) diese erstellte. Es kam sogar zu Nachdrucken, da diese Prachtausgabe derart begehrt und selten war, dass sich Künstler und Kupferstecher wie Guimpel in Berlin darum bemühten und einen ersten Faszikel 1805 druckten. Wir entnehmen dieser Anzeige der Allgemeinen Bibliothek wertvolle Hinweise, wie etwa auf die durch den Nachdruck verminderten Kosten von vierzehn Reichsthalern, was wir hier im vollen Wortlaut wiedergeben wollen: »Der Hortus Vindobonensis des vortrefflichen Jacquins enthält mehrere seltene Gewächse in Abbildungen, die nirgend weiter, wenigstens in der Vollkommenheit farbig vorgestellt und beschrieben sind. Es wurden von diesem Prachtwerke nur einige hundert Exemplare ausgegeben, und kurz darauf die Platten zu anderm Behufe abgeschliffen; mithin ist dieses Werk bei der jetzt ungleich größeren Anzahl von Liebhabern der Kräuterkunde, nicht in den Händen eines jeden Freundes der Botanik. Hierzu kommt nun noch, dass mehrere Schriftsteller sich auf dieses Werk berufen, und die Abbildung oder Beschreibung, welche uns Jacquin gegeben hat, allein entscheidend ist. Auf Auktionen wird dieses Werk sehr gesucht, und weit über den Preis verkauft, wo soll nun der Botaniker, der vielleicht von einer großen Bibliothek entfernt wohnt, und selbst nicht soviel Geld hat, den doppelten Preis in öffentlichen Versteigerungen von Büchern anzuwenden, Belehrung und Gewissheit erhalten? Es ist daher das Unternehmen des Herrn Mahler und Kupferstecher Guimpel von dieser Seite betrachtet lobenswert, und wird es noch mehr, wenn man bedenkt, dass die Freunde dieses Studiums das Jacquinische Werk wohlfeiler erhalten, als es bei der ersten Herausgabe zu stehen kam. Es kommt daher hier nicht darauf an, was in diesem Werke enthalten ist, weil dessen Wert längst entschieden ist, und darüber nur eine Stimme herrscht; vielmehr fragt es sich: ob diese Ausgabe der vorigen völlig gleich kommt? Bei einer genauen Vergleichung, die Rez. mit dem Original angestellt hat, muß er gestehen, dass Hr. Guimpel dasselbe so getreu kopiert hat, dass es schlechterdings unmöglich ist, Kopie und Original voneinander zu unterscheiden. Dieses 1. Heft enthält nur 12 Cupfertafeln mit der dazu gehörigen Beschreibung. Wir wünschen, dass Hr. G. für seine Mühe durch eine zahlreiche Menge von Abnehmern hinlänglich belohnt werden möge, damit er die folgenden Hefte recht bald folgen lassen kann.«1450 1449 Jacquin, Hortus, 1. Bd. (1771), Vorwort, eigene Übersetzung, siehe Edition. 1450 [Anonymus], Hortus Vindobonensis, Fasc. I. In: Allgemeine deutsche Bibliothek, 104. Bd., 2. St. (1805), 406–407: »Nikolaus Joseph Jacquin, Hortus Vindobonensis. Fasc. I. Berolini, sumtib. Guimpel. 1803.«

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Diese Anzeige belegt die große Beliebtheit der Prachtbände, vielmehr aber auch ihre Bedeutung für die Wissenschaft, wenn betont wird, dass Jacquins Abbildungen als »allein entscheidend« bei der Beschreibung betrachtet wurden. Der hohe Grad an künstlerischer Prägnanz ging einher mit epistemischer Kennerschaft bezüglich der Artmodelle, womit unser bereits vorgebrachtes Argument für die funktionelle Bedeutung der Bilder nochmals unterstrichen sei. Schon in den 80er Jahren hatte es ein ähnliches Projekt gegeben, das die im »Selectarum Stirpium« publizierten Abbildungen amerikanischer Pflanzen nochmals zugänglich machen sollte.1451 Es gab offensichtlich eine große Nachfrage, der auf diesem Wege des Neudrucks aufgrund der Aktivität eines Verlegers entsprochen wurde, der meinte: »Man hoft [!], manchen Liebhaber dadurch ein Vergnügen zu machen, da eben nicht jeder die theuren Originalwerke kaufen kann oder mag. Am möglichsten Fleiß bey Stich und Illumination soll es nicht fehlen.«1452 Die Rezension nahm fast wortwörtlich die Argumente des Vorworts dieser Werke auf: »Mit einer eben so genauen Sorgfalt bearbeitet, erscheint […] ein neues und angenehmes und kostbares Werk, welches empfohlen zu werden verdient. Des Hrn. Bergrath und Prof. Jacquins selectae stirpes americanae, in Imperialfolio von freyer Hand gemalt, ist ein prachtvolles Werk; da aber nur wenige Exemplare davon vorhanden sind, weil H. Jacquin sie nur auf Verlangen großer Herren malen lässt, und da dessen Kosten sich auf 400 Gulden Reichsmünze erstrecken, so konnte es freilich nicht so allgemein bekannt werden, und in die Hände eines jeden Liebhabers der Botanik kommen. Der Entschluss des nun sel. Raspe, dieses prächtige und zu kostbare Werk bequemer, und in einem gemäßigteren Preise in fast jedermanns Hände, der nur Botanik studiert, zu liefern, ist sehr lobenswürdig und angenehm wird es jedem, der den Anfang des Werks besitzt, sein, dass die Raspische Witwe dessen Entschluss weiter ausführet, und das Werk beendigen wird. Das Direktorium über dieses Werk führt der schon rühmlichst bekannte Hr. Apotheker Zorn zu Kempten. Auf jeder Kupfertafel ist ein Gewächs in seiner Blüte und sehr oft mit seiner Frucht befindlich. Der Jacquinischen Abbildungen sind zwar nur 264 und unter diesen sind etliche […] die hier weggelassen werden sollen: um aber 300 voll zu machen, werden andere seltene und auch ausländische Gewächse dazu gemalt werden. Anfangs dachte man zwar keinen Text beizufügen, weil aber manche dieser Gewächse in Linneischen Pflanzensystem nicht vorkommen [ist] auf das Linneische Pflanzensystem fast überall verwiesen worden. […] Weil endlich die Jacquinischen Abbildungen des Formats wegen verjüngt werden müssen, so ist in den Erklärungen die natürl. Größe der Gewächse angezeigt worden; auch soll daselbst bemerkt werden, woher die neu hinzukommenden Abbil-

1451 Johannes Zorn, Dreyhundert auserlesene Amerikanische Gewächse nach Linneischer Ordnung. Des ersten Hunderts, erste Hälfte (Nürnberg 1785). 1452 Zorn, Dreyhundert (1785), 4.

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dungen der Gewächse entlehnt worden sind. […] Von diesem angenehmen und nützlichen Werke ist die baldige Fortsetzung aufrichtig zu wünschen.«1453

Wir haben es bereits mehrmals betont, dass Jacquins Prachtwerke beliebt, gesucht und rar waren. Dass es tatsächlich einen Markt dafür gab, belegt folgendes Zeitungsinserat: »Jaquin [!] Hortus und Flora werden gesucht. – Endesunterzeichneter bietet für ein komplettes noch ungebundenes oder auch sauber gebundenes Exemplar von des Jacquin Hortus Vindob. 3 Vol. fol. und dessen Flora Austriaca 5 Vol. fol. illuminirt, die Summe von vierhundert Gulden baaren Geldes an. Sollte jemand dieses Werk um gedachten Preis weggeben wollen, der beliebe mir in meiner Wohnung in der Kärntnerstrasse im eisernen Mann Nr. 1002 im ersten Stock hiervon die Anzeige machen zu lassen. A. Blumauer.«1454

Ob Alois Blumauer (1755–1798), josephinischer Schriftsteller und vorübergehend Angestellter der Hofbibliothek und auch Bücherzensor, ab 1793 Besitzer der Gräffer’schen Buchhandlung dieses Inserat für sich selbst aufgab oder nicht, bleibt offen. Die Summe von vierhundert Gulden jedenfalls entsprach einem Monatsgehalt eines Bürgers des Mittelstands. Jedenfalls profitierte Jacquin von der zunehmenden gesellschaftlichen Achtung der scientia amabilis in elitären Kreisen und beeinflusste diesen Trend auch. In zeitgenössischen Katalogen findet sich der Hinweis, dass alleine ein Faszikel schon 21 Thaler (42 Gulden) kostete, was fast drei Monatsgehälter eines armen Exjesuiten oder Kutschers entsprach.1455 Jacquin entwickelte sich zum Unternehmer, der seiner Herkunft gerecht wurde, denn er nahm auch die Verteilung so manches Bandes selbst in die Hand. Das hatte zwei Vorteile, er übersah seine Kunden, konnte den Vertrieb so gestalten, dass die ihm wichtigen Personen zum Zug kamen und damit sein Netzwerk stabil blieb. Die erhaltenen Rechnungsbelege mit dem Verleger und den Buchhändlern dokumentieren es. Für zwei Exemplare des »Hortus Vindobonensis« und eines der »Florae« existiert im Jahr 1785 ein Beleg für 541 Gulden.1456 Für 5 Volumen der »Florae Austriacae« und einem Exemplar des »Hortus« wurde 1788 die Quittung über 567 Gulden ausgestellt.1457 Im selben Jahr bestätigte er dem Drucker Wappler den Erhalt von 37 Gulden 30 Kreuzer als Zinsen für eine Schuld von 3000 Gulden des Verlegers, der bereits 1500 davon rückgezahlt hatte1458 (Abb. 55). Gothaische gelehrte Zeitungen (1787), 17. Jänner 1787, 36 »Nürnberg.« Wiener Zeitung, 23. Jänner 1796, 199. Friedrich Miltitz, Handbuch (1829), 101. Wiener Stadt- und Landesbibliothek, I.N. 76044/3, 2. Jänner 1785, unterzeichnet von Jacquin. 1457 Wiener Stadt- und Landesbibliothek, I.N. 76044/3, 14. März 1788, unterzeichnet von Jacquin. 1458 ÖNB, HAD, 13/77–3: »Gehorsamste Note«, 22. Juli 1788, unterzeichnet von Jacquin.

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Abb. 55: »Quittung« für den Verleger Christian Friedrich Wappler, Autograph N. J. v. Jacquin Weitere Rechnungen: Wr. Stadt- und Landesbibliothek: (1779), I.N. 76044/7; (1780), I.N. 76044/1; (1783), I.N. 76044/2; (1785), I.N. 76044/3; (1788), I.N. 76044/4; (1789). I.N. 76044/ 5-6.

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Die meisten der »österreichischen« Pflanzen beschrieb Jacquin in seinem fünfbändigen Werk, den »Florae Austriacae«, 1773–1778 erschienen. Jacquins Vorbild für diese Flora war nicht zufällig Georg Christian Oeders »Flora danica« (Kopenhagen 1761–1817), ein zu diesem Zeitpunkt neunbändiges Prachtwerk, für dessen Vorbereitung der dänische König bekanntlich tief in die Tasche gegriffen hatte. Dieses Prachtwerk sollte alle bisherigen Maßstäbe übertreffen und für Jacquin eine Richtsschnur bilden. Es motivierte Jacquin besonders, ein auswärtiges monarchisches Mäzenatentum auch als Musterbild für die österreichischen Herrscher anzusprechen: »Durch die königliche Wohltat, die nie der Vergessenheit anheimfallen wird, strahlt nun die größte Hoffnung auf, dass nach Ablauf weniger Jahre wie im Königreich Dänemark auch die hiesige Kenntnis der Pflanzen aus einer zweifelhaften, schwierigen und langen zu einer sicheren, leichten und sehr kurzfristigen wird. […] Weil ich niemanden gefunden habe, der die Ausgabe des mir allerliebsten Werkes übernähme, stelle ich auf eigene Kosten der dänischen Flora die erste Zusammenfassung Österreichs gegenüber, vollgestopft mit sehr geschmackvollen und seltenen Pflanzen, die in größerem Umfang, und wie sie die ganze Kultur wiedergeben, außerhalb des Ursprungsortes lebendig die Botaniker nicht sehen können, und es wird ihnen nicht oft möglich sein, sie an diesem Ursprungsort selbst ohne unangebrachte Anstrengungen und Gefahr für die Gesundheit zu betrachten. Vielleicht werden dreihundert Pflanzen die Flora Österreichs ausmachen, wenn die Pflanzenliebhaber mein Vorhaben fördern.«1459

Die Tatsache, dass Jacquin letztendlich am Anfang eines großen patriotischen Projektes stand, brachte ihn sogar ins Schwärmen, da er die Folgen seiner Arbeit überlegte und sie für die europäische Dimensionen grundlegend sehen wollte: »Ja es könnten sogar die Botaniker hier eine Grundlage haben, auf der einzelne ihre eigene und alle Forscher die Flora ganz Europas komplett aufbauen können.«1460 Patriot zu sein und gleichzeitig Europäer wie auch Weltbürger, diese Bezüge standen einander in diesem Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts nicht im Wege. Jacquins Arbeitspensum war enorm, die Pflichten an der Universität, dem Garten, der Gutachtertätigkeiten als Bergrat, die Aufrechterhaltung der Korrespondenzen hatten ihn dennoch von seinen Publikationen nicht abgehalten. Die Rezensionen zu diesem Projekt waren alle außerordentlich euphorisch, Haller konstatierte: »Dieses vortreffliche Werk enthält neue und genaue Beschreibungen und Entwicklungen nebst saubern und nach der Natur gemachten Abzeichnungen der besondersten [!] Gewächse Österreichs.«1461 1459 Jacquin, Florae, Vol. 1 (1773), Vorwort, eigene Übersetzung. 1460 Jacquin, Florae, Vol. 1 (1773), Vorwort, eigene Übersetzung, siehe auch Edition. 1461 Albrecht von Haller, Wien. In: Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 48. St., 25. Dezember, Zugabe (1773), CCCCXXV.

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Überaus interessant ist Jacquins Vorwort zur Flora, das einen intellektuellen Sprung seiner wissenschaftlichen Kompetenz wie auch mehr Gelassenheit erkennen lässt. Sein Programm steht im Mittelpunkt, der Hervorstreichung seiner eigenen Person bedarf er nicht mehr, denn das haben schon andere zuhauf für ihn erledigt. Die oben zitierten Rezensionen beweisen es. Ein wichtiger Punkt seiner Argumentation kulminiert in dem Satz, dass eine gewisse Sicherheit in der botanischen Wissenschaft nicht nur durch genaue Objektbeschreibung erfolgen kann, da »wir alle nicht auf dieselbe Weise durch Worte das ausdrücken pflegen, was wir mit den Augen aufnehmen.«1462 Hier kommt sein konzentriertes Anliegen, die dem Modell adäquate Zeichnung zu erstellen, zum Ausdruck. Sein Ringen um diese Perfektion bei gleichzeitiger Reflektiertheit dieser Problematik bringt er hier auf den Punkt. Jacquin machte etwas explizit, worum sich viele Botaniker bemühten, die sich diese Arbeit der Visualisierung antaten. Denn die Problematik, dass die verbale Beschreibung nur eine Form der abstrakten Repräsentation darstellte und alleine nicht reichte, während die Visualisierung eben nicht eine direkte Ähnlichkeit, sondern auf eine durch Kennerschaft erstellte »Anschaulichkeit« kreierte, war entscheidend: »Dann auch jenen äußerlichen Aufbau der Gewächse, sei es den Umfang und die Gestalt (wir nennen es »habitus«), die die erfahrene Hand des Zeichners so lebensecht wie richtig ausdrückt, erreicht sehr selten ein Erforscher der Natur durch seine Erklärung; sodass, während dieser sich abmüht, etwas deutlicher zu sagen, man gezwungen wird, Zuflucht zu nehmen, einen Vergleich mit Dingen, die dem Volk schon bekannt sind, einzuführen. Wenn daher (was mir erlaubt sei anzunehmen) niemals irgendeine Zeichnung, um sie für die Botaniker zu zitieren, irgendeiner Pflanze existiert hätte, wie würde sie jetzt mangelhaft sein und wie unsere Kenntnis des Pflanzenreiches durch abgewehrte Grenzen eingeschränkt? Aber nehmen wir das Gegenteil an, dass ab dem heutigen Tag von uns die besten Darstellungen aller ausgewählten Pflanzen besessen werden, und diese noch dazu färbig, ob etwa binnen kurzem alle Streitigkeiten der Botanik weichen würden und so größte Sicherheit entstünde, etwas durch eine andere Methode nicht leicht zu Erhoffendes und nicht durch Zufall zu Erlangendes. Einem aufgrund einer konsultierten Beschreibung zögernden Botaniker soll das geeignete Bild einer Pflanze angeboten werden, ziemlich schnell wird der lästige Zweifel verschwinden und die Gefahr eines jeden Irrtums wird weit in die Flucht geschlagen werden. So werden im Gleichschritt und nach einem gegebenen Wort für ein gemeinsames Ziel sowohl Zeichner als auch Schreiber die Res Herbaria vorantreiben; diese muss daher (damit ich nun schließe, wozu ich die ganze Rede gerichtet habe) den erhaltenen größeren Teil seiner Anschaulichkeit und Perfektion dem zu Recht verdienten »iconismo« zugestehen.«1463

1462 Jacquin, Florae, Vol. 1 (1773), Vorwort, eigene Übersetzung, siehe auch Edition. 1463 Jacquin, Florae, Vol. 1 (1773), Vorwort, eigene Übersetzung, siehe auch Edition.

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Danach lobte Jacquin ausgiebig das kürzlich erschienene Oeder’sche Werk über die dänische Flora1464 und dessen Zustandekommen. Jacquins Vision wäre, diese »Flora danica« als Basis zu nehmen, auf der andere Botaniker die Pflanzenwelt ihres Landes aufbauen könnten und so die kompletteste Flora Europas zustande käme. Entscheidend schien, dass diese Floren sowohl Beschreibungen als auch Abbildungen enthalten sollten. Nach dieser sehr viel versprechenden Zukunftsvorstellung konzentrierte sich Jacquin auf sein eigenes Werk. Visionär wie er war, machte er in seinem Projekt Nägel mit Köpfen. Er schilderte sonach ausführlich seine Vorgehensweise bei der Beschreibung der österreichischen Pflanzen: »Bei Namensgleichheiten von Pflanzen habe ich eifrig nachgeforscht. […] Niemals habe ich andere Autoren der österreichischen oder benachbarten Flora übergangen. […] Triviale Beinamen habe ich anderen vorgezogen, weil sie in der Erinnerung leichter eingeprägt werden. […] Beim Beschreiben der Pflanzen bin ich von keiner Autorität gesteuert, was ich gesehen habe. Dann habe ich, soweit ich konnte, meine mit fremden Beobachtungen verglichen und ich habe ziemlich eifrig Widersprüchliches notiert. […] Winzigere Fruchtteile, die genauer zu kennen wichtig sind, werden am Rande der Tafel abgesondert gezeigt, oft durch ein Mikroskop vergrößert.«1465

Bei der Zitierung des Linn8’schen Systems hielt er sich an die 12. Ausgabe. Im vorletzten Absatz dieser Vorrede bedankte sich Jacquin bei Ernst Graf Hoyos, durch dessen Gunst und zur Verfügungstellung vieler Ressourcen ihm es erst ermöglicht worden war, die alpine Flora zu erforschen, und am Schluss erinnerte er an seinen Freund, den in der Botanik sehr erfahrenen Hofrat Franz de Mygind, der auch zum Gelingen dieses Werkes beigetragen hatte. Für Jacquin gereichte das Vorwort zu einer Metaebene, indem er konzeptionelle Überlegungen unterbringt: »Ich habe dann diese Flora so angelegt, dass sie meinem »Wiener Botanischen Garten« [gemeint ist die Publikation »Hortus Vindobonensis«] jedes der beiden Werke gleichermaßen wie ein einziges jedem beliebigen Werk zur Seite gestellt und als gleichwertig gelten kann. Deswegen habe ich auch die Ähnlichkeit der Struktur [Anordnung] und der Schrift belassen. Der Garten bringt unvermischt nach österreichischer Methode die exotischen Gewächse, die heimisch geworden, als eigene. In der Flora werden nur die Pflanzen enthalten sein, die im Erzherzogtum Österreich wild vorkommen, richtig eingebürgerte, die nicht gleichzeitig in Dänemark zu finden sind.«1466

Die Gleichwertigkeit zwischen exotischen und heimischen (eingebürgerten) Pflanzen betonte Jacquin deshalb, weil die botanischen Gärten in Wien den Ruf 1464 Georg Christian Oeder (1728–1791) war deutscher Botaniker, der durch die Herausgabe der »Flora danica« (1761ff.) bekannt wurde. 1465 Jacquin, Florae, Vol. 1 (1773), Vorwort, eigene Übersetzung, siehe auch Edition. 1466 Jacquin, Florae, Vol. 1 (1773), Vorwort, eigene Übersetzung, siehe auch Edition.

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der exotischen Besonderheit genossen. Aber das Heimische selbst mutierte in diesem Werk ebenfalls zum Exklusiven, da die vorgestellten österreichischen Pflanzen nach dem Prinzip selektiert wurden, dass sie alle in Dänemark nicht vorkommen würden. Die zwei Länder würden sich durch einen speziellen Pflanzenbestand von etwa 300 Arten unterscheiden. Es sind ausgewählte Pflanzen, deren Existenz wohl nur einem exklusiven Publikum nahegelegt wurde, die niedrige Auflagenzahl und der hohe Preis der Publikation unterstrichen die vornehme Gebärde. Auch das Sammelwerk »Miscellanea Austriaca« (1778–1781) baute auf die bereits bewährte Kombination von Text und Bild, allerdings stand der Text im Vordergrund. Die 21 kolorierten Kupferstiche des ersten Bandes waren ebenso sorgfältig wie in den Prachtbänden ausgeführt. Als Sammelwerk war die Publikation Linn8s Amoenitates Academicae nachgebildet, ein Forum, das Wiener Kollegen und Schülern die Möglichkeit der Publikation bot. Die Themenausrichtung war nicht auf Botanik beschränkt, sie inkludierte auch die Chemie, Mineralogie und Zoologie. Jacquin selbst eröffnete den ersten Band mit einem eigenen Beitrag über die »Genitalia Asclepiadearum«1467, der einen umfangreichen Rückblick auf die Erforschungsgeschichte enthielt. Sein Student Joseph Sonnauer lieferte seine Dissertation über Composita in der Pharmazie (32–132) und diskutierte unterschiedliche Verarbeitungsarten, beginnend beim Destillieren bis hin zu Balsam, Öl und Salz, Sirup, Tinktur etc. Den dritten Artikel formulierte erneut Jacquin, eine Studie über »Sempervivum sediforme monstrosum« (133–134) und eine Arbeit über Pilze (»Fungi quidam subalpini«, 135– 146). Wulfens »Plantae Rariores Carinthiacae« (147–163) bildeten wohl den bedeutendsten Beitrag, denn in ihm wurden Neubeschreibungen von Alpenpflanzen vorgestellt. Franziskus Rubel erhielt auch die Möglichkeit, seine Dissertation über »Agaricum officinale« vorzustellen (164–203), Joannes Michael Hornstein schrieb über »Aqua a[rea pragensis« (204–212). Der zweite Band (1781) wurde von Joachim Friedrich Plappart über »Juglans Nigra« eröffnet (3– 24) und mit Wulfens Teil II der »Plantae Rariores Carinthiacae« fortgesetzt (25– 134). Mit dessen »Minera Plumbi Spatosa Carinthiaca« (135–273) auch noch erweitert. Alexandro Seb8ok widmete seine Dissertation der »Crambe tataria« (274–291), Jacquin beschrieb unter dem Titel »Observationes Botanicae« (292– 379) unterschiedlichste Pflanzen, Jakob Well verfasste einen Beitrag zur Entomologie (380–389), Jacquin einen chemischen Beitrag zum Blei aus Kärnten (389–423). 23 Tafeln ergänzen den Text. Dissertationen und Arbeiten von Naturforschern versammelte er in diesem von ihm herausgegebenen Band. Den dritten ursprünglich als »Miscellanea« geplanten Band gab Jacquin unter dem Titel »Collectanea« heraus (1. Bd., 1786). Wulfen setzte seine Beschreibung 1467 Jacquin, Miscellanea (1778), 1–31.

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der im Bleiberg gefundenen Mineralien fort (9–13), Jacquin die Beschreibung der »Valeriana celtica« (14–32) und die Fortsetzung seiner »Observationes Botanicae« (33–170). Dieser Beitrag zeigt wieder Jacquins Berücksichtigung von symbolischen bzw. ästhetischen Aspekten, denn sie enthielt genau 200 Arten, die er vorstellte. Johannes Scherer stellte Experimente vor (171–185) und Wulfen die Fortsetzung seiner Pflanzenbeschreibungen (186–364). Im selben Band antwortete Jacquin auf Crantz’ »Animadversiones quaedam« (365–386), indem er in 27 Paragraphen seinem Kritiker im Detail auf Anschuldigungen entgegnete. Die Geschichte lag weit zurück, bezog sich auf Jacquins Publikation des Jahres 1762, und es ist bezeichnend, dass Jacquin darauf noch reagierte. Auch den zweiten Band der »Collectanea« (1788) nutzte Jacquin dafür, seine eigenen Beobachtungen zu einzelnen Gattungen (Sideroxylum versiones) unterzubringen und seine umfangreichen Observationes fortzusetzen. Neu als Mitarbeiter war sein Student Thaddäus Haenke (1761–1816),1468 der die Ergebnisse seiner botanischen Reisen in die Steiermark, Kärnten, Tirol und Ungarn publizierte (1–96). Auch der dritte Band enthielt die Fortsetzung von Wulfens Beschreibungen der Alpenpflanzen, ebenso jene von Jacquin, und der Wiener Arzt Thomas Host berichtete über entomologische Beobachtungen. Im vierten Band publizierte unter anderem der Oberstleutnant Franz Tihavsky den Aufsatz »De Metallis et Terris obtinendis« (3–37). Die »Miscellanea« und »Collectanea« waren in der Aufmachung keine Monumentalwerke, aber Beweis dafür, dass Jacquin sich als Zentrum verstand und der Herausgabe von naturkundlichen Forschungen förderlich erwies. Denn es existierte in Wien ansonsten keine naturkundliche Fachzeitschrift, die dies ermöglicht hätte. Ignaz von Born hatte zwar die »Loge zur wahren Eintracht« dafür genutzt, ein regelmäßiges Journal1469 herauszugeben, das auch für naturkundliche Themen offen war, aber ansonsten sah die Publikationslandschaft in Wien keineswegs bunt aus. Botaniker oder Kollegen, die Jacquin nahe standen – wie Thomas Host, Thaddäus Haenke, Franz Xaver Wulfen und Johann Baptist Andreas Scherer als Professor für spezielle Naturgeschichte an der Medizinischen Fakultät sowie Jakob Well als Professor der Naturgeschichte der Philosophischen Fakultät – fanden hier ein Publikationsorgan, das Wien als Standort sichtbar machte. Dementsprechend machten die »Österreichischen Gelehrten Anzeigen« auf das Werk aufmerksam, unter dem Stichwort »Naturgeschichte«: »Nicolai Josephi Jacquin miscellanea Austriaca ad Botanicam, Chymiam & Historiam

1468 Thaddaeus Haenke (1761–1816) war Botaniker, Chemiker, Forschungsreisender, wurde von Born und Jacquin sehr gefördert und für die Teilnahme an der Malaspina-Expedition (1789–1794) ausgesucht. 1469 Physikalische Arbeiten der einträchtigen Freunde in Wien. Aufgesammelt von Ignaz Edlen von Born (Wien 1783–88).

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naturalem spectantia, cum figuris partim coloratis. Vol. I. Vindobon. ex Officina Krausiana. 1778 […] 9.fl. 35 kr. [Kronen]«: »Von diesem für unsere Nation höchst wichtiges Werk kömmt in dem VI. St. des 3. Jahrganges des allgemeinen Verzeichniß neuer Bücher folgende Anzeige vor : ›Sie enthalten wichtige Entdeckungen. 1) Genitalia asclepiadarum. Durch des V. Koelreuters, und Rottbölls Versuche ist nun erwiesen, dass die plantae contortae, wirklich 10 männliche Geschlechtstheile haben, und folglich decandrae sind. Hr. V. sucht zuerst Koelreuters Einwürfe mit seinen Sätzen zu vereinen, und beschreibt darauf sehr genau die Blumentheile der hierher gehörigen Pflanzen. Die Abbildungen dazu sind sehr gut.‹«1470

Der in der »Miscellanea« enthaltene Aufsatz Jacquins über die Geschlechtsorgane der Seidenpflanzengewächse war der einzige in seinem Oeuvre, der sich mit morphologischen Aspekten in dieser expliziten Weise auseinandersetzte. Er wurde sogar noch 1811 in einer zweiten Auflage erweitert als Monographie herausgegeben.1471 Jacquin führte in dieser seiner letzten Arbeit 43 Autorenmeinungen, die in der Zeit von 1732 bis 1810 zu diesem Thema entstanden waren, in einzelnen Kapiteln ausführlich vor. Diese Vorgangsweise entsprach einem Entwicklungsgedanken, der einzelne Erkenntnisse der Vergangenheit individualisiert in eine zeitliche Reihe stellte. Auch seine eigenen Urteile fügte er den einzeln diskutierten Meinungen der Autoren separat an. Jacquin unterschied zwei natürliche Ordnungen, die »Apocynaceae« und die »Asclepiadeae«, wobei er sich nur letzteren widmete. Allerdings für eine Art, die er als Verbindung zwischen beiden Gattungen stellte, »Periploca graeca L.«, revidierte er seine ursprüngliche Auffassung. Was er bei den weiblichen Organen zuvor als »Filamente« betrachtet hatte, identifizierte er sodann als »Nectarien«. Da es für diese eher exotische, aus der Neuen Welt stammende Familie recht selten gelang, reife Samen zu erhalten, blieb die Lösung jener zentralen Frage in weiter Ferne, welche die Benennung und Funktion der Geschlechtsteile bestimmt haben wollte. Auch für die Klärung, wie die Befruchtung erfolge, gab es unterschiedliche Ansichten. Während sich Jacquin bereits in seiner ersten Schrift 1778 als der Entdecker der männlichen Befruchtungsteile wähnte, revidierte er nun diesen Anspruch und gewährte seinem Vorläufer Dillenius (1732) Priorität. Er selbst verwies auf seine Schnitte der Fruchtkörper und erkannte die Verwachsung aller Teile. Einer ausführlichen Rezension von Jacquins Publikation sind folgende treffende Worte zu entnehmen: »So erhält also der Systematiker einen Knoten zu zerhauen, wo der Physiolog mit Überraschung bemerkt, dass die Natur durch Zusammendrängen der Zeugungstheile ein Glied weniger nöthig 1470 Österreichische Gelehrte Anzeigen, 2 Bde. (Linz 1779, 1780), 1. Bd., 37. 1471 Nikolaus Joseph Jacquin, Genitalia Asclepiadearum Controversia (Wien 1811).

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hatte, um zu dem höchsten Zweck des Daseyns der Vergetablien zu gelangen.«1472 Die Beschäftigung mit diesen zwei exotischen Pflanzengruppen, der Asclepiadaceae und der Stapelien1473 verwiesen in zwei unterschiedliche geographische Räume, die Neue Welt und nach Afrika. Und die Erinnerung an den bedeutendsten Heiler der Antike, Asklepios, war dem an der klassischen Bildung orientierten Jacquin sicher auch ein Anliegen. Oxaliden und Stapelien, diese Familien wurden mit dem alternden Jacquin in Verbindung gebracht. Als der gelehrte Karl Asmund Rudolphi 1804 nach Wien kam und erstaunt war, dass Jacquin noch in diesem Alter im Botanischen Garten arbeitete, notierte er, dass Jacquin gerade eine Stapelie zeichnen ließ.1474 Jacquins Aufgabe als Editor war sicher eine große, vor allem in Bezug auf die Kupfertafeln. Er musste die Zeichner finden, sie schulen und bei der Stange halten, denn sein zentrales Programm bestand in der Herausgabe von Abbildungen, die sowohl auf höchstem wissenschaftlichem als auch künstlerischem Niveau basierten. Dass die Aufgabe nicht leicht war, thematisierte Jacquin in der Einleitung seines Prachtbandes zum Schönbrunner Garten. Sie ist die einzige Quelle aus seinem Munde, die bisher zur Geschichte der Künstler in der Sekundärliteratur herangezogen wurde, da sie aber sehr aussagekräftig ist, wollen wir sie in Übersetzung hier ausführlich zu Wort kommen lassen. »Ich glaube, es wird nicht unangebracht sein, wenn ich hier auch an diese Männer erinnere, deren Fleiß einen großen akzeptierten Teil ihres Glanzes bei meinen botanischen Werken beitragen; ich will die Maler, Colorateure und Kupferstecher erwähnen. Der erste Maler, den ich verwendete, Franz Scheidl, bei den meisten Alpenreisen mir Begleiter, malte alle Pflanzen der ›Flora Austriaca‹ (ausgenommen die Wulfens) und des ›Hortus botanicus Vindobonensis‹, beim Zeichnen der Schnellste, für andere außerdem Liebhaber der Pflanzenkunde fertigte er 7000 Pflanzen an, etliche tausende Muscheln, zahlreiche Tiere und andere Sachen, die zur Naturgeschichte gehören. Nachdem er die ›Flora‹ und den ›Hortus‹ beendet hatte, ging er nach Dänemark. Der zweite, Joseph Hofbauer vollendete den ganzen ersten Band meiner selteneren Bilder und vier frühere Faszikel des zweiten Bandes; dann vernachlässigte er die Malerei. Der dritte, Ferdinand Bauer, nach mehreren für dasselbe Werk gemalten Pflanzen, reiste mit dem glücklichen und sehr befreundeten Sibthorp von hier nach Griechenland und in die Türkei; dessen letztes Werk erwarten die Botaniker sehr begierig. Den Platz des Bruders, wie weit er aufgrund anderer Beschäftigungen konnte, ersetzte Franz Bauer ; aber er vollendete wenige Abbildungen, bald brach er mit meinem Sohn nach London 1472 [Anonymus], Rezension von »Genitalia Asclepiadearum controversa«. In: Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung (Juni 1813), 428–429. 1473 Nikolaus Joseph Jacquin, Stapeliarum in Hortis Vindobonensis culturam, descriptiones, figuris coloratis illustratae (Wien 1806). 1474 Karl Asmund Rudolphi, Bemerkungen aus dem Gebiet der Naturgeschichte, Medicin und Thierarzneykunde, auf einer Reise durch einen Theil von Deutschland, Holland und Frankreich (Berlin 1804), 202.

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auf. Die höchste Gewandtheit und Genauigkeit dieses herausragenden Malers werden von den Ericis [Erika] in London neulich herausgegeben, welche jede Erwartung übertroffen. Diesem folgte zu Beginn des Jahres 1789 Johannes Scharf. Schon von Kindheit an war jener in einem gewissen Kloster der Küche und dem Kochen geweiht, weil er von schwacher Konstitution war, kam er nach wenigen Jahren vom Feuer und der Mühe zu einem Bluthusten, und nachdem sich das Unheil von dort in der Lunge beschränkt hatte, verließ er kaum ein Jüngling das Kloster. Um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, verdingte er sich bei einem gewissen Freund, einem Künstler der gezeichneten Bilder, durch die die Wände eines Gebäudes bedeckt zu werden pflegen, wo er Fortschritte gemacht habend in kurzer Zeit so viele machte, dass er unter die Wichtigsten gezählt wurde. Nun widmete er sich ganz der Malerei und lernte die Kunst von Grund auf. So warb ich diesen bis jetzt ziemlich Unerfahrenen für mich an, lehrte ihn die botanischen Grundlagen und den Gebrauch von Mikroskopen und nach wenigen Monaten besaß ich einen hervorragenden Maler, der schließlich in die Fußstapfen von Bauer trat und großartig herausgekommen wäre, wenn er nicht Ende des Jahres 1794 in der Blüte der Jugend durch die Schwindsucht weggerafft worden wäre. Jener malte alle übrigen Faszikel der selteneren Bilder, ungefähr 180 Tafeln dieses Werkes und alle Oxalides [Sauerklee] der Monographie; und diese schnitt er freilich selbst durch ein neues und ungewohntes Wagnis der Luft. Nach dessen Tod wählte ich aus den besten Colorateuren einen Martin Sedelmayer, im Skizzieren auch weidlich erfahren, der bald einzelne Fortschritte beim Malen machte und fast alle übrigen Abbildungen dieses Werkes erledigte, mehrere Pflanzen drückte er sogar höchst elegant aus, wofür die Heliconia humilis ein Beispiel sei. Sehr oft mehrere Stunden, ja vielmehr manchmal ganze Tage hing ich an der Seite der Maler, während ich diese instruierte, und mit den Bildern meine Beschreibungen und alle Teile der Pflanzen verglich. Diese Fadesse schluckte ich gerne hinunter. Aber welche Mühsal ich in früheren Jahren von zahlreichen Colorateuren beiderlei Geschlechts erfahren habe und wie viel Schaden ich erlitten habe, wird niemand leicht glauben. Schließlich vertraute ich diese ganze Arbeit des Colorierens dem besten Colorator und integersten Mann Franz Hofer an, mit dem allein ich verhandle, der sich verbinden soll, mit welchen er will und er lenkt nach seinem Belieben. So schreitet diese Sache nun von sich aus voran. Ich hatte überhaupt viele Stecher ; unter diesen stachen Jacobus Adam und Ignaz Albrecht hervor.«1475

Die Abbildungen mussten stets unter der Aufsicht Jacquins erfolgen, denn nur er konnte den Künstlern vermitteln, worauf es ankam. Dass Frauen als Koloristinnen arbeiteten, ist bekannt; Jacquin nannte sie nicht beim Namen, aber setzte sie ein. Jacquins Arbeitsaufwand auf diesem Gebiet war fast gigantomanisch, bedenkt man, dass in den zwei Bänden der »Icones Plantarum Rariorum« insgesamt 648 Abbildungen im Zeitraum von 1781 bis 1795 alleine für diese Ausgaben gezeichnet und gestochen werden mussten. Der erste Band der »Icones Plantarum Rariorum« (Wien 1781) enthielt Abbildungen, von den im Botani1475 Nikolaus Jacquin, Plantarum rariorum Horti caesarei Schoenbrunnensis, Vol. 1 (1797), Praefatio, VII, eigene Übersetzung.

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schen Garten sowohl der Universität Wien als auch in Schönbrunn blühenden Pflanzen. Hatten die »Miscellanea« und »Collectanea« noch mehr Text und jeweils nur 23 Tafeln pro Band enthalten, so war der Text nun auf das Minimum reduziert, jedoch bezogen sich die ausgewählten Pflanzen auch auf jene, die in den Sammelwerken beschrieben wurden. Eröffnet wurde das Werk nicht zufällig mit dem Costus1476 (siehe Abb. 17) und als zweite Pflanze firmierte die Wulfenie, die durch ihr begrenztes Areal und als einzige ihrer Gattung allgemein Aufsehen erregte. Insgesamt wurden 200 kolorierte Tafeln produziert. Die Lieferungen erfolgten jeweils in Heften, die 25 Abbildungen beinhalteten.1477 Diese Ausgabe wünschte sich sogar der an Botanik äußerst interessierte Karl August Großherzog von Sachsen-Weimar.1478 Jacquin arbeitete wie ein Unternehmer, es liefen die Vorbereitungen für den Druck der Ausgaben auch nebeneinander. Die »Icones Plantarum Rariorum« (1781–1793) ergänzten sowohl den »Hortus Botanicus Vindobonensis« und die »Florae Austriacae« als auch die »Miscellanea« (1778–1781) und »Collectanea« (1786–1796). Entsprechend gestaltete sich auch der erfolgreiche Verkauf dieser Bände, für die »Florae« musste man mindestens 250 Taler für einen Band der Geldbörse entnehmen, für die Icones (2. Bd.) ebenfalls 250 Taler, wobei die Angaben auch extrem variierten.1479 Im Jahre 1794 erschien seine mit 40 Talern weitaus günstigere1480 Monographie der »Oxalis«, die Peter von Thunberg gewidmet war, der viele neue Arten in Südafrika entdeckt und nach Schönbrunn gesendet hatte: »Von dieser kostbaren Monographie die dem Ritter Thunberg zugeeignet, und wovon das Exemplar 40 Rth. [Reichstaler] kostet, ist für die Nichtbenutzer hier das wesentliche mitgetheilt, nemlich die lehrreiche Einleitung, die vom Verfasser als neu aufgestellten oder verbesserten Differentiae specificae aller Arten, mit den nöthigen Citaten zu den bekannten Species. In dem Werke selbst findet man von jeder Art die kunstmässige genaue Beschreibung und zu den meisten sind illuminierte Abbildungen in der bekannten Manier geliefert.«1481 1476 Siehe Kap. III. 3. 1477 »Noch sind wir unsern Lesern eine Anzeige der daselbst bey Chr. Fr. Wappler in Folio herauskommenden und schon 1781 angefangenen Iconum Plantarum Rariorum I von Hrn. Bergrat von Jacquin schuldig, wovon wir in diesem Jahre das vierte Heft erhalten, und nun in allem 100 mit vieler Genauigkeit Schönheit und Treue bemahlte Abbildungen vor uns haben.« Gmelin, Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, II. 133. Stück. 19. August 1784 (1784), 1329–1331. 1478 Vulpius Christian August an J. W. von Goethe, Brief, 9. Dezember 1817. In: GoetheGesamtausgabe, hrg. von Klassik Stiftung Weimar, Goethe und Schiller-Archiv, Regestennummer 7/1391. http://ora-web.swkk.de/swk-db/goerep/index.html (abgerufen am Dezember 2015). 1479 Friedrich Miltitz, Handbuch (1827), 101, 146. 1480 Ebda, 259. 1481 Paulus Usteri (Hg.), Annalen der Botanick (Zürich 1796), 20. St., S. 24–34: »Oxalis. Mo-

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Jacquin stand für Qualität, die von ihm herausgegebenen Prachtbände hatten den Ruf, »in der bekannten Manier« erschienen zu sein. So nimmt es nicht wunder, dass auch auswärtige Kollegen sich bei Jacquin Rat und Unterstützung holten. Die Bekanntschaft mit dem Entdeckungsreisenden und Naturforscher Peter Simon Pallas dauerte schon Jahre an, als ihm dieser mitteilte, die Wahl von Jacquin zum Mitglied der Petersburger Akademie betrieben zu haben. Das Diplom war Jacquin über einen Herrn von Zedler ankündigt worden. Übrigens schloss der Brief mit einer Äußerung zur politischen Situation in Europa nach dem Ableben von Maria Theresia am 29. November 1780: »Je souhaite que la morte de l’Imperatrice Reine, qu’on r8grette beaucoup ici, et qui surement est une grande perte pour votre pays, ne soit pas une nouvelle occasion de Guerre pour l’Allemagne.«1482 Jacquin bedankte sich mit dem 2. Bd. seiner »Miscellanea austriaca«, den Pallas der Akademie überreichte, und man beauftragte ihn, dem Autor zu danken.1483 Auf seine Protektion in der Akademie sich stützend, erlaubte sich Pallas kurze Zeit später, um Jacquins Hilfeleistung bei der Herstellung der Kupferplatten bezüglich seiner projektierten »Flora Rossica« anzufragen.1484 Für die Herausgabe der Werke im Ausland nutzte Pallas die Verbindungen zu bekannten Gelehrten in den deutschen Staaten. Unterstützend wirkten Johann Christian Daniel Schreber in Erlangen und Nikolaus Jacquin in Wien. Die Kooperation zwischen allen Beteiligten verlief ideal. Jacquin kümmerte sich um den Stich der Druckvorlagen und die Kolorierung der Abzüge. Pallas schickte die Zeichnungen, also die Vorlagen für die Stiche, an Jacquin, der seinerseits den Stich und Probeabzüge veranlasste, diese kolorieren ließ und an Schreber retournierte. Dieser begutachtete sie und übermittelte sie zur Verbesserung der Kolorierung wieder zurück. Danach gingen die gestochenen Kupferplatten und die Probeabzüge über den Kommissionär Hecker in Lübeck auf dem Wasserwege nach St. Petersburg. In bestimmten Abständen sandte Pallas Wechsel zur Begleichung der Kosten nach Wien.1485 Jacquin bekam dafür ein Herbar sibirischer Pflanzen von Pallas zugeeignet.1486 Im Vorwort zu seiner »Flora Rossica« bedankte sich Pallas explizit für diese fruchtbare Hilfe: »Bald wäre ich aber auf den zu stechenden und kolorierenden Exemplaren, i. e. den Zeichnungen, sitzengeblieben, für welche die Künstler in St. Petersburg – wegen anderer Arbeiten, vom Qualitätsanspruch her und in ihrer Zahl – nicht ausreichten,

1482 1483 1484 1485 1486

nographia, iconibus illustrata. Auctore Nicolao Josepho Jacquin. Viennae, 1794 apud Christianum Fridericum Wappler; Londini ap. B. White et Filium; Lugduni Batavorum apud S. A. J. Luchtmans.« Zit. nach Folkart Wendland, Peter Simon Pallas (1741–1811). Materialien einer Biographie. Teil 1 (Berlin 1992) (Briefe Uppsala, UB, Han. Sammlung Dörfler). Wendland, Pallas (1992), 217: Pallas an Jacquin, 6. Juni 1782. Wendland, Pallas (1992), 229: Pallas an Jacquin, 12. März 1783. Wendland, Pallas (1992), 530. Wendland, Pallas (1992), 542.

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hätten nicht die sehr berühmten Botaniker Nikolaus Joseph v. Jacquin und Christian Daniel Schreber auf meine Anfrage hin freundlicherweise geholfen, von denen der eine Künstler in Wien, der andere Künstler in Nürnberg zur Weiterführung dieser unserer Flora gewinnen konnte. Um die Arbeit der Künstler anzuleiten und das Vorankommen sicherzustellen, haben Jacquin und Schreber sogar ihre freie Zeit genutzt, während ich selbst durch sehr schwerwiegende Verpflichtungen verhindert war. Daher muß ich ewig dankbar sein.«1487

Einen Höhepunkt für Jacquin stellte sicherlich die Möglichkeit dar, die von den josephinischen Expeditionen nach Wien gelangten Lebendpflanzen beschreiben und abbilden zu können. Im März 1791 wurde die Nachfolge van der Schots als Gartendirektor Schönbrunns geregelt, die Gärtner Boos und Bredemayer bekamen einzelne Bereiche zugeordnet und Baron von der Lühe wurde zum Schönbrunner Gartendirektor ernannt; dessen Ära endete jedoch schon drei Monate später. Im September 1792 übertrug Kaiser Leopold II. dann Jacquin die Oberaufsicht »und trug mir zugleich auf, ein Verzeichnis von allen Pflanzen des Gartens zu verfassen und zum Druck zu befördern. Allein es würde damals zu unvollkommen geworden sein, weil man von vielen Pflanzen die Fruktifikation noch nicht kannte, und obwohl jährlich einige neue zur Blüte kamen, blieb doch die Zahl der vielen noch unbestimmten über, zugleich vermehrten sich die Pflanzen durch die häufig eingeschickten Samen von Tag zu Tag,«1488

berichtete Jacquin in seinem Vorwort. Der erste Band dieses Meisterwerks botanischer Illustration erschien 1797 und wurde mit dem 4. Band 1804 abgeschlossen, wiederum in einer limitierten Auflage von 162 Exemplaren. So sehr in der Öffentlichkeit die Werke bewundert wurden, so sehr wurden sie auch wegen der hohen Kosten und der geringen Auflage kritisiert. »Der Hortus Schoenbrunnensis. Von Herrn von Jacquin. Des Herrn von Jacquin’s Hortus Schoenbrunnensis ist für alle Gartenfreunde, so wie auch für den practischen Gärtner selbst, ein höchst wichtiges Werk, da es die kostbarsten Schätze des mit Recht bewunderten kaiserl. Pflanzen-Gartens zu Schönbrunn, nämlich die naturgetreuesten Abbildungen der schönsten und aus allen Weltteilen gesammelten Pflanzen, mit Hrn. von Jacquin’s vortrefflichen Beschreibungen enthält. Da es aber seines hohen Preises wegen – denn es kostet in Wien bei dem Hrn. Herausgeber selbst 600 Gulden Wiener [!], oder 400 Rthr. Sächs. Crrt baares Geld – wohl nur in den Händen weniger reicher Liebhaber ist, und minder vermögende Gartenfreunde es vielleicht nie gesehen haben, oder seinen Inhalt kennen; es diesen aber doch angenehm sein möchte, zu 1487 Zit. nach Walter Lack, Eine unbekannte Wiener Bilderhandschrift: Die ›Phytanthologia Eikonike‹ des Johann Jakob Well. In: Annalen des Naturhistorischen Museums in Wien, 101 B, (1999), 531–564, hier 551. 1488 N. J. Jacquin, Plantarum rariorum Horti caesarei Schoenbrunnensis (1797), Praefatio I– VII, eigene Übersetzung.

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wissen, welche Pflanzen dies kostbare Werk enthält, so will ich die Leser des GartenMagazins näher damit bekannt machen, und das Verzeichnis seiner Pflanzen hier liefern. Das Werk, so weit es bis jetzt erschienen ist, hat vier starke Bände in RoyalFolio, äußerst splendid gedruckt, und führt folgenden Titel: ›Plantarum rariorum Horti caesarei Schoenbrunnensis … Viennae 1797.‹ In der lateinisch (eben so wie der Text zu den Pflanzen) geschriebenen Vorrede, erzählt der Herr von Jacquin, die ganze Geschichte der Entstehung und Schicksale, sowohl des Gartens von Schönbrunn, als auch der übrigen kaiserlichen Gärten in und bei Wien, vom Jahre 1753 an bis auf die jetzige Zeit; so wie die vielen wichtigen Reisen, welche Kaiser Franz I, die Kaiserin Maria Theresia, Kaiser Joseph II, Leopold und der jetzt regierende Kaiser Franz II, durch mehrere berühmte Naturforscher und Botaniker nach Ost- und Westindien, Süd- und Nordamerika, Afrika und durch ganz Europa, zur Bereicherung dieser Gärten machen ließen. Diese Vorrede ist so interessant, und für die Herren des teutschen Gartenwesens, so wie auch der Botanik überhaupt so wichtig, dass ich mir vorgenommen habe, dieselbe teutsch übersetzt in einem der folgenden Hefte des GartenMagazins zu liefern. Man wird daraus ersehen, mit welchem Eifer und wahrer Kaiserl. Freigibigkeit der Österr. Hof, als steter Beschützer der Wissenschaften, diese große und herrliche Anstalt unterstützte, und wie hochverdient der ehrwürdige Greis, Hr. v. Jacquin, sich sein ganzes edles und tätiges Leben hindurch um dieselbe machte.«1489

Nikolaus Joseph Jacquin hatte sich nahezu fünfzig Jahre lang mit der Beschreibung und Abbildung von Pflanzen auseinandergesetzt. Höchste Perfektion, Ästhetik und epistemische Reflexion fügten sich zueinander. Jacquins Dedikationen trugen einen diplomatischen Charakter, wie es die Gepflogenheiten im besten Falle vorsahen. Für seinen Erfolg sprach nicht nur sein Geschmack, sein Können, seine Expertise, sondern auch die Monumentalität ihrer Umsetzung. Jacquin hatte bewusst oder unbewusst in Wien sozial, wissenschaftlich wie auch handwerklich ein Monopol aufgebaut, das die Nachfrage seiner Arbeiten und seinen Ruhm steigerte; zeitlebens war Lob und Zuspruch ihm auf vielfache Weise zugekommen, auch Publikationen wurden ihm dediziert.1490 Seine Arbeit zu den geliebten Stapelien wurde aus dem Lateinischen übersetzt und ein Jahr nach seinem Tode als Schwanengesang abgedruckt (Abb. 56). Die Fangemeinde wusste sich adäquat von einem Mann zu verabschieden, der auf symbolische Verweise großen Wert gelegt hatte (Abb. 57).

1489 F. J. Bertuch und J. V. Sickler (Hg.), Allgemeines Teutsches Garten-Magazin, 8. Jg. (1811), 106. 1490 Beispielsweise: Joseph Jakob Plenk, Hygrologie des menschlichen Körpers (Wien 1795); Joseph Jakob Plenk, Anfangsgründe der botanischen Terminologie (Wien 1798); Gallesio, übersetzt von Georg Jan, Theorie der vegetabilischen Reprodukzion oder Untersuchungen über die Natur der Ursachen der Abarten von Mißbildungen (Wien 1854).

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Abb. 56: Nikolaus Joseph Jacquin im Talar (Altersporträt ?)

Abb. 57: Obelisk, Vignette (Hortus Vindobonensis 1770, Vol. 1.)

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»Die wildwachsenden Stapelien. Die interessante Naturgeschichte der am Cap wildwachsenden Stapelien, so wie sie unser Hochverehrter Nestor der Pflanzenkunde, Nikolaus Joseph Freyherr v. Jacquin, in seinem letzten Prachtwerke […] in 90 lateinischen Hexametern besingt, gewährt jedem Freunde der Flora ein lebhaftes Vergnügen. Nur wenige sind in dem Besitze dieses Werkes, daher wollen wir den Lesern unserer medicinischen Jahrbücher einen solchen Genuss hier verschaffen, und zugleich das unter der Aufschrift stehende C. C. (Cantus Cygni) zuerst enträtseln. Die wildwachsenden Stapelien. Schwanengesang. Africa, wo es in unermessliche Ferne nach Süden Fortzieht, dessen Gestade links die Atlantische Welle, Rechts des Indischen Meer’s treulose Wogen bespülen, Dem vor Zeiten die gute Hoffnung den Namen gegeben, Hat uns Stapelien fast allein und zahlreich geboren. Denn was könnte die Mutter, so fruchtbar an Ungeheuern Nicht gebären? Sie, welche grausame, wilde Hyänen, Reissende Tiger, krallenbewaffnete, schreckliche Löwen, Nasegehörnte, unbezwungene Rhinocerote [!] Kolossal’ Elephanten, hässliche, dicke Bisonen, Und hochhälsige, ungeformte Giraffen ernähret. Lassen wir nun die Thiere, so wunderbarer Gestalten, Deren ein Theil in Gewässern sich wälzt, ein anderer am Boden Grässlich sich windet mit tödtendem Gift, indessen der schönre Hoch durch die Lüfte sich schwingt. Auch wir sind im Reiche der Pflanzen Ungeheuer, jeglichen Schmuckes der Blätter entkleidet, Ähnlich schwachen, keulenförmigen Strünken, sich aufrecht Kaum erhaltend, oft hingestreckt, in Klumpen verworren, Liegend am Boden. Saftreich und fleischig verfaulen wir leicht auf Nasser und schlammiger Erde, oder im häufigen Regen, Wenn er etwas zu lang in unseren Zweigen verweilet. Dennoch leben wir lang, und selten stirbt eine der Schwestern. Denn die Mutter Natur schenkt auch mit sorgsamer Liebe Selbst den Missgebilden ein eigenthümliches Leben. Also wachsen wir unter dem Dache belaubter Gesträuche Sicher geschützt, mit kräftigen, lang befaserten Wurzeln Im unverwehbaren Sand und dürrem Boden geklammert. Über das Laubdach rieselt der Regen. Treufelt auch etwas Auf uns hernieder, bald schlürfet es der dürstende Sand ein. Und so sind wir gesichert vor jedem Andrang der Wasser. Aber damit auch daurende Dürre nicht schade dem Leben, Saugen wir jeden Dunst, den günstige Lüfte herbeyweh’n, Gierig in unser Fleisch durch eigene Mündungen. Sind wir Unter der Heimath glühendem Himmel völlig erschöpfet, Runzlich entstellt, und welken wir schmachtend, nicht schadets; wir heben Neubelebt und empor, mit dem ersten, erquickenden Regen, Und der Fremdling schaut das neue Wunder mit Staunen.

Widmung, Organisation, Visualisierung und Monopolisierung

Sind wir getrennt, zerbrochen, ja quer durchschnitten in Stücke, Und gelingt es uns, entblösste Erde zu finden, Treiben wir Fasern sogleich aus jeglichem Puncte des Fleisches Eilig hinunter, die, uns ernährend, die drohenden Parcen Täuschen, und alternde Formen in Jugendgebilde verwandeln. Unsere seltene Missgestalt, in welcher wir alle, Ähnlich einander, erwachsen, verkündet den Namen der Gattung Jedem deutlich und schnell, und darum ist es auch schwerer Wahre Arten zu unterscheiden durch sichere Zeichen. Diese gewähren die Blüten allein, besonders die seltne Lage der Nebenkorolle, und ihre vielfache Bildung. Seht hier Flügeln und Zünglein und Schnäbel und Schilde verschieden Bey verschiednen. Nun schaut die Kronen, Flecken und Puncte, Wie mit Blut bespritzt, verzieren die vordere Seite. Blutroth lieben wir, und selten andere Farben. Oft durchlaufen querüber von innen zweyfärbige Streifen Lieblich die Krone mit Runzeln gefurcht. Bey andern beschatten Haare den Rand, zuweilen nach beyden Flächen gebogen, Während die Krone geglättet erscheint, oder auch zottig. Blässe umzieht die Hinterseite der meisten mit Schimmer Grünlich übergossen; zuweilen mit Rippen gezeichnet. Auch der Befruchtungstheile Verein ist seltsame Missform, Schön und zierlich gedeckt mit Kronen, Sternen vergleichbar. Eingesackt erscheint der Fruchtkeim. Vom Rande der Narbe, Welche sich schmückt mit zierlichen Puncten, hängen gepaart Zehn Staubfäden hinab. Es ruh’n die Antheren, empfangen Jede von ihrem eigenen Fach’, auf Schnäbel gebildet, Heimlich, unsichtbar dem Aug. Wohlan denn grübelnder Forscher! Blicke hinein in das Ganze des Baues unserer Blüthen, Staunend wirst du bey allem gefesselt, und strebst du ins Innre, Dann ist deines Staunens kein Mass, kein endendes Ziel mehr. Ohne Geruch sind die Zweige; aber es quillt den Verletzten Scharf und bitter ein Saft in Perlengestalt aus der Wunde. Dennoch biethen (wer dächt’ es wohl) den Landesbewohnern Manche aus uns ein gutes Gericht mit Essig bereitet. Aber, wir sagens mit Scham, es haucht jede der Blüthen Minder und Mehr so widrige Düfte, wie Fleisch in Verwesung Dass die Fliegen sogar, getäuscht, den Schlünden der Blumen Ihre Eier vertraun, gesichert wähnend die Nachkunft, Welche sogleich erfreun sich würde der köstlichen Speise. Also pflegen wir im heimischen Sande zu leben. Also hat uns Masson der erste gefunden, und alle Vorgeführt, in Bild und Schrift, darbiethend die Gabe Schätzbar und liebenswerth jedem Verehrer der göttlichen Flora. Dass und England ernährt in warmen gläsernen Häusern, Ist auch Massons Werk, der uns hinüber gebracht hat.

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Konstellationen und Strategien

Dass auch wir nicht minder verzieren den herrlichen Garten Schönbrunn, welchen die Kaiserhuld geschaffen, ist Scholls Werk. Nun zur Schau gestellt im Europäischen Kleide Ist es uns vergönnt in die heimischen Sitze zu kehren, Dankend o Jacquin! Dies deiner Sorgfalt und Liebe.«1491

1491 Medicinische Jahrbücher des k. k. österr. Staates, 4. Bd., 2. St. (Wien 1818), 156–164.

Abb. 58: »Rosa Carolina«. Kolorierte Handzeichnung Jacquins, gesendet an seinen Sohn nach London 1789

VIII. Auffinden – (Er)finden – Stattfinden: ein Resümee Erinnerung ist eine mysteriöse Macht und bildet die Menschen um. Wer das, was schön war, vergisst, wird böse. Wer das, was schlimm war, vergisst, wird dumm. (Spruch von E. Kästner)

Erst vierzig Jahre nach der von Kaiser Franz Stephan finanzierten erfolgreichen Karibikexpedition 1754–1759, die für Nikolaus Joseph Jacquin entscheidend zur Etablierung als Botaniker beigetragen hatte, holte er, der die Reise zuvor noch nie erzählerisch dargestellt hatte, ungeachtet dessen, dass er bereits unzählige bedeutende Arbeiten zur Botanik und Chemie publiziert hatte, dies in einem lateinischen Vorwort 1797 kurz nach. Dieser Rückgriff und auch die von Jacquin am Ende seines Lebens seinem Sohn diktierte Reisedarstellung als auch Selbstbiographie bildeten die Grundlage für ein Narrativ, das sich fast wortwörtlich in Nachrufen und Abhandlungen über Jacquin bis heute in historischen Studien rezenter Zeit verfestigte. Dieselben stellen wir aber quellenkritisch in den Kontext ihrer Entstehung und Funktion, verstanden sie als »kommunikatives Handeln«, um das (Er)finden seiner selbst als wissenschaftliche Persona zu erfassen. Der Bezug auf andere Quellentypen unterschiedlichster Güte und Dichte ermöglichte es uns, die Spannung zwischen der Ausformung Jacquins und seiner Selbstdarstellung zu diskutieren. Im Wechselspiel von Eigenwahrnehmung, Selbstsetzung wie auch Fremdzuschreibungen, das spezifische Muster der wissenschaftlichen Persona inkludierend, verorteten wir die Fakten, ging es doch um einen äußerst produktiven vielseitigen Gelehrten, welcher die Naturforschung im Österreich des 18. Jahrhunderts zentral prägte. So schien es uns plausibel, Jacquins späten (1797) Bezug auf seine einzigartige Karibikunternehmung als funktionalen Rückgriff zu deuten. Jacquin wollte seine Leistung später nicht mehr nur als Taxonom und als Pflanzenbeschreiber, sondern als die eines Forschungsreisenden bewertet wissen. Denn weltweit waren zu diesem Zeitpunkt Expeditionen zu einem wichtigen Instrument der Wissenschaft geworden, hatten an Wertschätzung in der Öffentlichkeit massiv gewonnen. Außerdem bearbeitete Jacquin die durch die josephinischen Expeditionen ab 1783 gesammelten Pflanzen, die sukzessive nach Wien gelangten. Er hatte als einstiger Expeditionsleiter somit Nachfolger, womit er sich nachträglich 1797 an den Anfang dieser Entwicklung der vom Kaiserhof 1754 ausgehenden Sammelreisen reklamierte. Was wir hier als (Er)finden bezeichnen, baute natürlich auf einer realen Grundlage auf, war in der Tat keineswegs wirklich erfunden im negativen

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Sinn des Wortes. Wir akzentuierten diese Fakten in einem neuen Zusammenhang, eben anders, gaben ihnen eine neue Sinngebung, wie es Jacquin im Zuge der Präsenz dieser Pflanzen in Schönbrunn und seiner Beschreibung des Bestandes (1797–1804) vornahm. Dabei hatte die glücklich stattgefundene Karibik-Expedition für Jacquin Ende der 50er Jahre durchaus bereits den Auslöser für die Etablierung als Botaniker gebildet. Denn besonders die außerordentliche Ausbeute erregte beim Auftraggeber Zufriedenheit und noch mehr bei den für die Botanik bestimmenden Gelehrten wie Linn8. Außerordentlicher Respekt und Zuspruch wurde ihm sofort zuteil und bereits in einem kleinen Kreis von Begeisterten kommuniziert. Für Jacquin manifestierte sich die Reise zunächst in seinen ersten ausschließlich der Botanik gewidmeten Publikationen 1760 und 1763, die Pflanzenbeschreibungen enthielten und auf einen Schlag belegten, dass er sich auf dieser Reise vom botanischen Liebhaber über den wissenden Sammler zum wahren Botaniker geformt hatte. Er hatte dadurch fürs Erste seinen sicheren Platz in der bunten Wissenslandschaft gefunden. Gegenüber dem abgerundeten Bild, das Jacquin von sich selbst am Ende seines Lebens seinem Sohn, seiner Familie, Freunden, aber auch der Öffentlichkeit mit diesen autobiographischen Quellen vermittelte, fanden wir Nuancen und Details, die in seiner Narration ausgespart blieben. Da waren die Schwierigkeiten des jungen aus einer Tuchhändlerfamilie stammenden Chirurgie- und Medizinsstudenten in Paris, der das Studium infolge des Todes seines Vaters und des wirtschaftlichen Niedergangs dessen Betriebes erfolglos aufgeben musste. Da waren die Wünsche seiner Mutter nach einer theologischen Laufbahn, weshalb er, wiewohl Familienmensch, mit ihr völlig brechen musste. Jacquins Hilferuf an den ehemaligen Leidener Arzt der Familie, den inzwischen 1749 nach Wien berufenen und zum Reformer des Studien- und Gesundheitswesens avancierten Landsmann Gerard van Swieten wurde erhört. Der nach allen Regeln des guten akademischen Geschmacks und in perfekten Hexametern gestaltete Dankesbrief an den zukünftigen Mäzen zeugte von außerordentlichen Lateinkenntnissen, naturkundlichen Interessen und angepasstem Benehmen, was wir heute Sozialkompetenz nennen würden. Der Mäzen sollte sich schützend und fürsorglich bis zu seinem Lebensende 1772 für Jacquin einsetzen. Dabei hatte Jacquin keineswegs zur ersten Wahl bei der Suche van Swietens für einen geeigneten Kandidaten einer wissenschaftlichen Überseeunternehmung gezählt, denn zunächst sollte Mylius dies übernehmen, und Jacquin wurde mitnichten vom Kaiser persönlich ausgewählt. Dem in Leiden geborenen und dort sozialisierten Jacquin war die Stadt Wien, die er am Rande des Barbarentums verortete, mit ihrem extremen Staub aufs Erste nicht unbedingt sympathisch, jedoch fühlte sich der aus einer Republik stammende Bürgerliche im engsten Umfeld des Wiener Hofes sofort weit vertrauter als zuhause, als ob er in

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diesen hineingeboren worden wäre. Er wurde sogar von seinem Mäzen direkt im Zentrum des Geschehens nahe der Hofbibliothek untergebracht, was diese Integration noch bestärkte. Für die erfolgreiche Expedition sorgten viele Faktoren, gute Verbindungen und neue Helfer. Die der Kolonialgesellschaft auf Martinique angehörende Verwandtschaft Jacquins, neue ihn unterstützende Freunde wie Aquart, sie alle hatten ebenso ihren Anteil am gedeihlichen Verlauf wie auch an der zufriedenstellenden Sammeloperation, wie die sich kooperativ zeigenden politischdiplomatischen Vertreter der unterschiedlichen europäisch verwalteten Zuckerinseln. Die gelungene Integration Jacquins in diese elitäre Kolonialgesellschaft einerseits und sein Habitus als »Kurier« des Kaisers, lassen sich anhand von Briefdetails und seinen Reiserechnungen nachvollziehen. Noch vor der Überfahrt nach Martinique ließ er sich in Frankreich bei einem französischen Schneider der neuesten Mode entsprechend einkleiden. Mit seinen drei Begleitern verbrauchte er insgesamt in diesen fünf Jahren mehr als 104 Paar (Seiden)schuhe, die er unterwegs kaufte. Dass er all die Jahre während seiner abenteuerlichen Expedition monatlich den »Perruquier« konsultierte, führt uns eine andere Expeditionsgestaltung vor Augen, als jene, die wir bedingt durch die Kolonialfotographie des 19. Jahrhunderts in unseren Köpfen tragen und die wir uns als ausschließlich beschwerlich vorstellen. Als beliebter Salonlöwe und Gelehrter fand er, der sein Kaffee- und Schokoladegeschirr mit sich führte, durch seine Sprachkenntnisse und feinfühlige Kultur offene Türen bei der Pflanzergesellschaft und ihrem weiblichen Anteil. Und er hatte keinen humanen Zweifel, als er sich auch einen Sklaven kaufte, der vorübergehend zu einer Bergbesteigung gebraucht wurde. Die Karriereschritte und die Expedition waren aneinandergeknüpft und wirkten sofort in zeitgenössischen Reaktionen wie siamesische Zwillinge. Der Mäzen van Swieten, ehemaliger Freund seiner Leidener Familie, führte den nicht mehr ganz so jungen Jacquin bereits vor und nach seiner Rückkehr aus der Karibik 1759 nicht nur in seinen Kreis an Gleichgesinnten international ein, sondern sorgte vor und nach der Expedition materiell für ihn. Nach einer in Wien verbrachten Wartezeit von mehr als drei Jahren, die ihm zur weiteren Forschung als Privatgelehrter zur Verfügung stand, in der Zeit, als die ersten Publikationen über die amerikanische Pflanzenausbeute entstanden, fand sich 1763 eine Stelle an der Bergschule Schemnitz für Jacquins berufliches Fortkommen. So dominant van Swieten in Jacquins Leben eingriff und sogar noch vor der Geburt von dessen erstem Kindes ihm riet, dieses nach der Kaiserin und dem Kaiser zu nennen und zu taufen, so hatte er doch akzeptiert, dass sich Jacquin nun eindeutig und entschieden einer von ihm geplanten Karriere als Mediziner versagte. In diesem Zusammenhang zeigte sich eine Abkehr von Jacquins ehemaliger Ausrichtung, die er mit der Chirurgie in Paris verfolgt hatte.

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Auch zu den weiteren Posten sollte ihm sein Mäzen verhelfen, jenen als Professor der Botanik und Chemie an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien und des Direktors des Botanischen Gartens (1768). Was Jacquin mit van Swieten teilte, war zunächst die Herkunft und auch dieses Bewusstsein, ein »Leidener« zu sein, wie sich van Swieten in den in Wien geschriebenen Briefen gern selbst bezeichnete. Leiden, Jacquins Geburtsstadt, eine nicht nur wegen der Tüchtigkeit ihrer Tuchhändler bekannte Kommune, lebte vom Ruf als Studentenstadt, die mit intellektueller Offenheit assoziiert wurde. Ihre Rolle als bedeutende Verlagsstadt nutzte ihr Abkömmling Jacquin, um 1760 auch seine erste Publikation in Druck zu legen, wobei ihm alte Freunde seiner Familie ihre Hilfe leisteten. Wien, dessen Klima und Wind er 1752 frisch angekommen verabscheute, die Kaiserstadt, gab in ihrer höfischen Ausprägung dem noch Fremden Optimismus und großes Selbstvertrauen. Als Stadt ihrer Bürger sowie Hauptstadt eines weit in den Osten reichenden Herrschaftsverbandes jedoch blieb sie ihm lange eher verschlossen. Auf seine klassische Ausbildung gedanklich zurückgreifend und nicht zuletzt sich seines Mäzens als Stütze sicher, fühlte sich Jacquin in Wien jenen Studenten überlegen, die eben nicht auf eine Erfahrung wie er, nämlich gründliches Studium der Propädeutik im Jesuitenkolleg in Antwerpen und an der Universität zu Löwen, den Hochburgen katholischer Tradition, zurückgreifen konnten. Auch wenn er selbst sich aus Angst, seinen Mentor zu enttäuschen, zunächst in Wien keiner Prüfung stellte und diese erst nach seiner Anstellung in Wien 1769 notgedrungen mit der Promotion (ohne eine Dissertation verfasst zu haben) nachholte, hatte er bereits in dieser ersten Phase in den Jahren 1752 bis 1754 eine Selbstsicherheit gezeigt, die in die Nähe von Arroganz rückte. Die Liebe für Verse, Übung in Elegien, in seiner Jugend praktiziert, begleitete ihn sein ganzes Leben, er kultivierte sie auch in seiner Rückschau und die Öffentlichkeit reagierte darauf. Es gibt wohl keinen anderen Botaniker, dem so viele Gedichte gewidmet wurden. Andererseits war Jacquin kein Erzähler, seine Spezialität waren fachlich ausgerichtete Texte einerseits und Gedichte andererseits. Ungeachtet dessen, dass Jacquin seine nachträglich publizierte Erzählung der Expedition ausschließlich auf der Ereignisebene angesiedelt hatte und Beschreibungen von Land und Leuten völlig aussparte, zeugten die Titelblätter zu den amerikanischen Pflanzen mit der Auswahl bestimmter Sujets von seinen Wahrnehmungen und diskursangebundenen kolonialen Konnotationen, besonders in seiner zweiten Publikation (1763, 17802): eine wildbewegte See mit Schiffen, die einen Schiffbruch mitdenken ließen, Früchte der Natur, die ein Karaibenpaar umranken. Die in der Mitte von ihnen gehaltene Karte signalisiert den Bezug zwischen Raum und Ausbeute. War die Ressource Natur auf den Westindischen Inseln für ihn eher auf die vegetabilische Ebene ausgerichtet, so sollten ihm in Schemnitz seine ersten Versuche als Lehrer an der Bergschule die

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Augen für die Montanistik und die Bergschätze öffnen. Wie auf den Zuckerinseln kam der produzierte Reichtum ebenfalls nicht der ansässigen arbeitenden Bevölkerung zugute, sondern floss in die Zentren des Konsums. Von dieser verarmten Schichte in Schemnitz hob sich Jacquin mit seiner neugegründeten Familie ab, als er mit seiner stattlichen Bezahlung und seiner Position als Bergrat eine ihm angemietete großzügige Behausung mit Equipage bezog und dort bis Herbst 1768 verbleiben sollte. Als Lehrender (Professor der Chemie und Metallurgie) in das kalte Wasser geworfen, sollte sich Jacquin auch an der Bergschule als Mann der ersten Stunde profilieren. Er errichtete ein chemisches Labor und stellte Unterlagen für den Unterricht her. Auch Mineralien für den Anschauungsunterricht wurden gesammelt. Jedenfalls bildete Schemnitz eine gute Probephase für seine nächste Stelle, die Professur für Botanik und Chemie in Wien (1768), wo er seinen bereits gehaltenen Kurs der Chemie noch weiter ausbauen konnte, sich mit einer chemischen Monographie alsbald 1769 öffentlich äußerte und Lehrbücher entwickelte. Nach der josephinischen Verordnung 1783, dass nur mehr deutsche Lehrbücher an der Universität eingesetzt werden sollten, konnte Jacquin auch sogleich zu seinen beiden Fächern solche für den Druck vorlegen. Beide Lehrbücher, jenes zur Chemie wie jenes zur Botanik, waren außerordentlich erfolgreich, wurden in viele Sprachen übersetzt und waren noch Jahrzehnte nach seinem Tod in Verwendung. Wien wurde für Jacquin ab 1768 bis zu seinem Tod Lebensmittelpunkt. Die anfängliche durch van Swieten hergestellte persönliche Nähe zum Kaiser und Hof war in der josephinischen Zeit erkaltet, erst gegen Ende der Regierung Josephs II. und in der Zeit Leopolds II. bekam Jacquin erneut Zugang zum Holländischen Garten in Schönbrunn und bearbeitete die von den ab 1783 erfolgten Expeditionen aus Übersee nach Wien gesendeten Pflanzen. Die folgenden Jahre nach 1768 waren ebenfalls nicht ausschließlich nur der Botanik gewidmet, denn Jacquin unterrichtete im Winter auch Chemie und bildete auch Pharmazeuten aus. Als Professor bald in der Wiener Öffentlichkeit geschätzt, war er besonders milde als Prüfer. Diese Vielseitigkeit zeigte sich für uns besonders anschaulich, da wir die unterschiedlichen Einrichtungen, die Universität, das chemische Labor und den Botanischen Garten, separat analysierten. Während Jacquin an dieser Universität alle Stadien vom Studenten bis zum Amt des Rektors durchlief, bildete der Botanische Garten der Universität davon unabhängig für ihn ein eigenes Refugium, das seine Forschung implizierte. Diese Räume des Wissens als jeweils eigene Entitäten analysiert belegten, dass Jacquin sich den unterschiedlichen Wissenskulturen gleichermaßen ernsthaft unterwarf und sie auch prägte. Eine Verbindung zwischen dem Labor und dem Botanischen Garten, was die Technik des Experimentierens betraf, stellte er allerdings nicht her. Während das Labor

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zum Ort seiner Ausbildung zum chemischen Experten genutzt wurde, indem er sich als geschickter Experimentator betätigte, dienten ihm die Gärten als Ressource für seine botanische Publikationstätigkeit, besonders als Pflanzenbeschreiber und Taxonom. Während er sich aller Funktionen des Botanischen Gartens bediente, wie Anschauung, Vergleich und Austausch, ihn auch als Lernort nutzte, war doch auch der Tauschverkehr und die Bereicherung durch weitere Pflanzen mit anderen Gärten zentral. Die Beschäftigung mit Botanik nahm keinen Abbruch: Jacquin hatte seine Forschungen über Pflanzen auch in Schemnitz fortgesetzt, wiewohl ihm sein Mentor geraten hatte, sich etwas zurückzuhalten, zumal man das als Unterbeschäftigung deuten könnte. Nach dem Erscheinen der Beschreibung der amerikanischen Pflanzen 1763 hatte Jacquin schon 1764 sein nächstes Werk »Observationum« fertig, wobei bis 1771 mehrere Bände erschienen. Noch bevor diese Serie abgeschlossen war, stellte sich Jacquin, nach einem Jahr Tätigkeit als Leiter des Universitätsgartens, nun mit seinem »Hortus Botanicus Vindobonensis« (1770–1776) der Botanikeröffentlichkeit vor, um sich als Gartendirektor zu profilieren. Aber auch das Gelände rund um Wien brachte ihm mit Alpenexkursionen epistemisch jene Pflanzen näher, die im Zentrum des Herrschaftsgebietes der Habsburger wuchsen. Dazu kamen auch seine Mitarbeit an der »Pharmacopoea« und seine Mineraliensammlung, die weit über Wien hinaus für ihre außerordentlich prachtvollen Stücke bekannt war. Die Vielseitigkeit drückte sich in all den Werken aus, die Jacquin publizierte. Er bediente die unterschiedlichsten Formate bzw. Genres. Wie schon erwähnt, waren das die Beschreibungen von amerikanischen Pflanzen, ein Arzneimittelbuch, eine Flora (»Florae Austriacae«, 1773–1778), eine Gattung, die alle in einem Gebiet vorhandenen Pflanzen auflistete. Ferner verfasste er zwei aufwendige Gartenkataloge, den »Hortus Vindobonensis« (1770–1776) und den Katalog zu Schönbrunn (»Plantarium rariorum Schönbrunnensis«, 1797–1804) und Lehrbücher. Ein ganz besonders Format bildeten seine Sammelbände wie Pflanzenalben mit (kolorierten) Kupferstichen, die weit über die Fachwelt hinaus Sammler von Zimelien ansprachen. Mit diesen Werken (»Icones Plantarum«, 1781–1795) erwies sich Jacquin als Wissenschaftsorganisator ersten Ranges, denn wie auch für seine Sammelwerke (»Miscellanea«, 1778–1781, und »Collectanea«, 1786–1796, »Fragmenta botanica« 1800–1809) musste er einen Stab von Malern und Mitarbeiter gewinnen. Er avancierte damit zu einem Mittelpunkt, der die Arbeiten anderer sammelte und an die Öffentlichkeit brachte. Er schrieb kaum einzelne Artikel, nur Monographien oder Sammelbände, die weitaus mehr an Sichtbarkeit einbrachten als die Beteiligung an Diskursen in gelehrten Organen. Jacquin zeigte stets diplomatisches Geschick, konnte sich aber auch gegen Konkurrenten entschieden durchsetzen und manchmal unfair verhalten, wenn

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es um persönliche Vorteile ging. Hierfür haben uns die Briefwechsel der Gelehrten untereinander etliche Nachweise gegeben, so zum Beispiel wie überheblich Jacquin gegenüber einem hervorragenden Naturforscher, wie es Scopoli darstellte, vorgegangen war, was ihn aber nicht davon abhielt, diesem sogar eine eigene Gattung zu widmen. Strategien, die der Sichtbarkeit seiner wissenschaftlichen Persona dienten, waren Jacquin wie auf den Leib geschrieben, als »Katze auf Samtpfötchen« wurde er von Zeitgenossen bezeichnet, als beinharter Karrierist setzte er sich in eigener Sache durch. Während er viele Freunde zu seinem innersten Kreise zählte, meldeten sich auch Kritiker und Feinde, wie es Crantz und Schultes darstellten, heftig gegen Jacquin zu Wort. Die Familie jedoch, seine Kinder und angeheirateten neuen Verwandten bedeuteten für ihn eine Sphäre des Schutzes, sein erster Sohn sollte als Wunderkind und später als sein Nachfolger aufgebaut werden. In der Zeit des Josephinismus litt er zunächst an den finanziellen Einbußen und verringertem Ansehen, doch gewährte der eigene gesellschaftliche Zirkel eine Kompensation in gesellschaftlicher Hinsicht. Bedeutende Gelehrte fanden hier Zutritt und kein Geringerer als Mozart ging als Lehrer sowie Freund der Kinder ein und aus. Aus der Sicht des Danach fallen all diese Vergabelungen, denen wir in unserer Darstellung folgten, weg und die Spur weitet sich für den Betroffenen zur logisch begründeten wirkungsvollen Marschroute. Eine Erfolgsgeschichte ist da, jener glanzvolle Leitpfad, der am Ende eines Lebens sich unserem Protagonisten auch natürlicherweise als einzig und schlüssig erwies. Diese Eigendarstellungen zu durchkreuzen, sie auf dessen Unterlassungen durchzugehen, das brachte uns neue Erkenntnisse. Es wurden damit keine Enthüllungen evident, keine großen neuen umwerfenden Fakten, aber ein differenzierteres Bild davon, wie Wissenschaft in unterschiedlichen Kontexten hergestellt, verteidigt, gesichert und beglaubigt wurde. Denn darum ging es uns: hegemoniale Deutungen nicht einfach erneut zu wiederholen, sondern sie in ihren Nuancen feingliedriger dafür zu nutzen, die Rolle der Wissenschaften innerhalb der unterschiedlichsten Orte wie Leiden, Wien und Schemnitz nicht nur über unsere Figur getrennt wahrzunehmen, sondern eine Vielzahl von handelnden Personen einerseits und von Phänomenen, die sie determinierten, andererseits als miteinander verbundene Praktiken zu analysieren. Es besteht kein Zweifel, dass Jacquin ein ungeheuer großes Arbeitspensum schaffte und sich zu Recht mit einer hohen Zahl an Publikationen sein Ansehen verschaffte. Aber lag darin alleinig sein Ruhm? Verdient hätte er ihn, aber dass er ihn in einer so dichten Weise abbekam, war wohl nicht nur der Leistung zuzuschreiben. Warum verfielen andere Botaniker der Vergessenheit und Jacquin wurde noch Jahrzehnte nach seinem Tode verehrt, das bewegte uns. Es ist wohl ein Bündel von Faktoren, denen wir in der Arbeit folgten. Zunächst seine Treue zum Linn8’schen Beschreibungsmodus und System, das den frühen

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Anhänger zum Epigonen werden, und die Tüchtigkeit, die ihn unzählige amerikanische Pflanzen beschreiben ließ. Dazu auch die Möglichkeit, auf die Ausbeute der josephinischen Expeditionen zugreifen zu können und in Wien ein Zentrum zu bilden, dem Wissen zugeführt wurde. Ferner hatten die Orte – wie seine Geburtsstadt Leiden, das höfische Wien, die Bergstadt Schemnitz – alle eine besondere Aura. Eine Figur, die unterschiedlichste Funktionen, vom Bergrat bis zum Rektor, zur Zufriedenheit vieler erledigte, blieb nicht ganz unvergessen. Als Botaniker, Chemiker, Mineraloge, Professor, Autor, Bergrat und Pharmazeut, Gartendirektor und Forschungsreisender gab er allemal das Beste. Aber da war noch etwas – Jacquin wusste sich zu inszenieren: Seine eloquente Beherrschung des Lateinischen, sein Ruf als dilettierender Dichter, seine Handhabung der Visualisierung von Pflanzen und die Liebe zur Musik ließen seinen Salon wie einen Musenhof wirken. Seine Arbeit deutete er als seiner Leidenschaft entsprungen, die er retrospektiv an seine Begabung und an ein Evidenzerlebnis knüpfte, das ihm als Jüngling im Leidener botanischen Garten bei der Ansicht einer Costuspflanze widerfuhr. Dass diese Pflanze auch in Titelbildern und als erste Tafel in seinem Prachtwerk, den »Icones«, auftauchte, artikuliert seine Eingebung, die sich als Manifestation der Natur niederschlug. Es war höhere Gewalt, ein Initialerlebnis, das nicht nur Jacquins Arbeit, sondern auch seine Selbstbild leitete und ihn stärker als Botaniker denn als Chemiker oder als Metallurg in seinem und unserem kulturellen Gedächtnis verorten sollte. In allen seinen komplexen Handlungen, die der Wissenschaft dienten, wirkte ein kulturelles Geflecht an Statusbildung mit und verankerte seine stetige Selbstformung. Das symbolische Kapital wusste Jacquin stets für sich gut einzusetzen und er integrierte es in seinen Selbstdarstellungen. Das Bild, das die historische Forschung über ihn entwarf, war seine eigene Erfindung, die einen idealen Weg beschrieb.

Abb. 59: Brief Jacquins an Linn8, 7. August 1760 [L 2779]

Edition

I.

Editionsrichtlinien und Beschreibung der Handschriften

Als Basis des editionstechnischen Vorgehens dienen die »Empfehlungen zur Edition frühneuzeitlicher Texte« der »Arbeitsgemeinschaft außeruniversitärer historischer Forschungseinrichtungen.«1 Grundsätzlich wird das Prinzip einer maximal texttreuen Übertragung verfolgt. Der Buchstabenbestand der Textvorlage wird unverändert wiedergegeben. Die Schriften sind zwar nicht immer gut entzifferbar, unsichere Lesarten kommen aber selten vor und werden angemerkt. Streichungen werden als solche gekennzeichnet, Unterstreichungen als solche wiedergegeben. Die zeitübliche inkonsequente Getrennt- und Zusammenschreibung und die gleichfalls auch uneinheitlich gestaltete Groß- und Kleinschreibung werden bewusst nicht berichtigt oder vereinheitlicht. Die Inkonsequenz wird aber in Einzelfällen mit einer Klammer [!] ausgewiesen. Die Unbeständigkeit der Schreibweise innerhalb eines Textes ist auch besonders notwendig nachzuvollziehen, wenn sie ein und denselben Begriff oder auch denselben Namen betrifft.2 Auch in diesem Fall wird nicht eingegriffen, die widersprüchlichen Schreibweisen werden in der Edition beibehalten. Der Bestand der Vokale und Konsonanten wird bewahrt, auch wenn er den heutigen orthographischen Usancen nicht entspricht. Nur in zwei Gesichtspunkten wird tatsächlich in die Schreibweise der Autoren und deren eigenwillige Gestaltung des Textes normalisierend eingegriffen, nämlich bei der Interpunktion und bei der direkten Rede. Die Korrektur der Kommasetzung findet aber nur in jenen seltenen Fällen statt, wenn lange Perioden zum besseren Verständnis heutiger Lektüre in selbständige Sätze zu teilen 1 Empfehlungen zur Edition frühzeitlicher Texte. In: Archiv für Reformationsgeschichte 72 (1981), 299–315; ferner sind auch zu berücksichtigen: Johannes Schultze, Grundzüge für die äußere Textgestaltung bei der Herausgabe von Quellen zur neueren Geschichte. In: Blätter für deutsche Landesgeschichte 102 (1966), 1–10. 2 So variiert beispielsweise die Schreibweise.

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Edition

sind. Sonst wäre ein flüssiges Lesen der Beschreibung nicht möglich. Ferner wird auch die direkte Rede dem heutigen Gebrauch angepasst und als solche ausgewiesen. Seitenumbrüche sind mit der Angabe des Folios [fol. x] oder als / markiert. Auf die sonst in Editionen übliche Trennung zwischen einem textkritischen Apparat und den Sacherläuterungen wird verzichtet, weil zwar der Text einen solchen verlangen würde, aber die Varianten inhaltlich nicht so weit auseinandergehen. Die wenigen Streichungen im Original beziehen sich auf Schreibfehler oder Ergänzungen. Letztere werden allerdings alle in den Text aufgenommen, da ein Verlust an Information vermieden werden soll. Die nur in wenigen Fällen in der Vorlage vorhandenen Korrekturen des Autors werden in die Edition integriert, da sie dem sprachlichen Empfinden bzw. der Korrekturabsicht des Verfassers und seinem Standunkt der Überarbeitung entsprechen. Ebenso sind Einfügungen am Rande oder eigens ausgewiesene Ergänzungen Teil des in der Edition wiedergegebenen Textes und werden als Einschübe ausgewiesen und kursiv gesetzt. Der Sachkommentar wird so angelegt, dass die Edition auch ohne die vorausgehenden Ausführungen lesbar ist. Er wendet sich nicht nur an ein Fachpublikum, sondern auch an eine breitere interessierte Leserschaft.

II.

Biographische Schriften

II. 1.

Joseph Franz Jacquin, Familiengeschichtliche Aufzeichnungen

Österreichische Nationalbibliothek, Sammlung von Handschriften und alten Drucken Cod. S. n. 9756, fol. 1–4. Kommentar : Die Familiengeschichte wird aus der Sicht von Nikolaus Jacquins Sohn Joseph Franz Jacquin geschrieben. Dieser Text besteht in zwei Fassungen, einem Entwurf und einer Reinschrift, die sich nur marginal unterscheiden. Die folgende Edition richtet sich nach der Reinschrift, nimmt aber davon abweichende Stellen aus dem Entwurf auf. Diese werden hier mit einem Sternchen gekennzeichnet. Die Schrift im Entwurf ist teilweise sehr schlecht zu entziffern. Streichungen werden in diesem Fall nicht ausgewiesen, da der edierte Text ansonsten unlesbar wäre.

Joseph Franz Jacquin, Familiengeschichtliche Aufzeichnungen »Die zwey Brüder Claudius und Nikolaus Jacquin übersiedelten beyläufig 1679 von Paris, wo sie beyde geboren waren, nach Leyden in Holland, wo sie im Jahr 1686 gemeinschaftlich eine Tuch und Sammetmanufactur errichteten. Im J[ahr] 1694 trennten sie sich

Biographische Schriften

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freundschaftlich. Claudius kehrte nach Paris zurück, mein Urgroßvater Nikolaus aber der sich darauf mit Maria Broekhuysen verheyrathete blieb in Leyden und setzte das Geschäft mit vielem Glücke bis in seinen Tod fort. Er hinterließ einen einzigen Sohn Claudius Nikolaus Jacquin (geb. d. 10. May 1694) und eine Tochter, welche letztere an einen sehr talentvollen Arzt Gerard Hoop in Harlem verheyrathet war, der aber jung starb. Meine Voreltern waren schon alle katholisch und konnten daher zu keinen öffentlichen Aemtern in Holland gelangen; daß sie aber einen bedeutenden Einfluß hatten, beweiset ein noch vorhandenes, von dem damahligen Missionar in Holland Frater Ange d’Arnaut3 Karmeliter, ausgestelltes Zeugniß über die großen Dienste, welche sie der katholischen Kirche in Leyden und ihren Priestern, bey der damahligen harten Verfolgung geleistet haben. Mein Großvater erhielt, wie es im Handelsstand in Holland noch gegenwärtig üblich ist, eine sehr sorgfältige literarische Erziehung, studierte bis 1710 die Humanitätsclassen bey den Jesuiten in Antwerpen mit besonderem Fortgange und behielt auch in der Folge / eine leidenschaftliche Vorliebe für altclassische Literatur, die er auch auf meinen Vater fortpflanzte. Er übernahm nach seines Vaters Tode die Handels- und Fabriksgeschäfte und verheyrathete sich den 17.4 mit Elisabeth Maria van Heyningen (geb. d. gestorben d. 12. März 1755) einer vaterlosen Waise (meine Urgroßmutter hieß Siegeberta van Heyningen), aus einem altadeligen katholischen Geschlechte, (dessen prunkvolle Gruft ich noch i. J. 1788 in Delft sah) und von einem für die damahlige Zeit bedeutenden Vermögen (sie besaß über 50.000 fl.). Meines Großvaters Haus war in der Harlemer-Straat gegen über einem Gäßchen, daß der Kerkesteeg hieß.*5 Er zeugte mit ihr außer meinen Vater Nikolaus Joseph (geb. den 16. Febr. 1727) noch einen Sohn Johann Jakob (gestorben unverheyrathet d. 25. Aug. 1768), der in der Folge Provisor [Vorsteher] / der de Graafschen Apotheke in Haag wurde, dann vier Töchter Marie Theresia (geb. 4. Oct. 1728), Anna Maria (geb. 30. Jul. 1731), welche beyde unverheyrathet starben. Agatha Maria (geb. 1. Jul. 1735) verheyrathet den 17726 mit Johann Ingenhousz k.k. Hofrath und Leibarzt in Wien (gest. kinderlos den –),7 dann Katherina (geb. d. –8) verehelicht 1764 im April einem preussischen Handelsmann in Achen, und zum zweyten Male in den Wundarzt Greis 17–9 hatte zwey Söhne, die aber beyde schon gestorben sind. / Meines Vaters Taufpathen waren seine Großmutter Maria von Heyningen und Wilhelm Broekhuysen. Von Kindheit an zwar für die Handlung bestimmt, erhielt er doch, nach erwähnter Sitte und dem Willen seines Vaters eine literarische Erziehung. Den ersten sorgfältigen Unterricht genoß er in einer Privatschulanstalt in seiner Vaterstadt, und bezog 3 Im Entwurf heißt es Ange Darnaut. 4 Hier fehlt das genaue Datum; es gibt eine Leerstelle, die offenbar nicht ergänzt wurde. 5 Das Sternchen kennzeichnet hier die Stelle, die nicht der Reinschrift, sondern dem Entwurf entstammt. 6 Hier handelt es sich um ein falsches Datum: Die Heirat fand am 25. 11. 1775 statt. Siehe dazu: Wien, Trauungsmatrikel: Pfarre 01, St. Stephan, Trauungsbuch: 1775, Bildnr.: 03-Trauung_0671. 7 Johann (auch Jan) Ingenhousz (1730–1799) war ab 1768 Hofarzt in Wien, nachdem er sich in London als Verfechter der Pockenschutzimpfung einen Namen gemacht hatte. In Wien wurde er berühmt mit seinen Experimenten, die einen Anfang der Photosynthese-Forschung markierten. 8 Hier blieben Leerstellen, offensichtlich wollte der Schreiber sie nachträglich noch ergänzen. 9 Hier fehlt ebenfalls das Datum im Original.

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dann das nähmliche Gymnasium in Antwerpen, wo sein Vater studiert hatte. Unter seinen Mitschülern daselbst befand sich der, uns als Studien-Präses noch immer in dankbaren Andenken erhaltenen Baron Gottfried van Swieten10 und der gelehrte Bischof von Antwerpen, Wellens.11 Am 7. Sept. 1744 trat er mit den Zeugnissen des ausgezeichnetsten Fortganges aus dem Gymnasium. Um diese Zeit war aber ein Unglückstern über sein Haus aufgegangen. Die aufblühenden Tuchmanufacturen in den Niederlanden, drückten die Holländische, die keine Annäherung im Preise mit ihnen halten konnten nieder, und die Geschäfte der letztern stockten. Dazu kamen Verluste durch den Beitritt ausländischer Tuchhändler, und letztens ein sehr bedeutender und wie mein Großvater mit Recht vermuthete, betrügerische Linnkampf12 in Lissabon. In der Hoffnung etwas zu retten, entschloß sich mein Großvater schnell zu einer Reise dahin, fand aber beyde seine Gläubiger mit einem bedeutenden Vermögen in Leinen nach Westindien entflohen. Höchst gekränkt kehrte er in rauer Frühlingsluft, von einer Rippenfellentzündung ergriffen zu den Seinigen zurück, welche schon vernachlässigt, bey der durch die eben statt gehabte / Abwesenheit seines Freundes und Hausarztes des berühmten Gerhard van Swieten nach nur einem Tag verspätete ärztlicher Hilfe tödlich ward. Er starb am 3. May 1743. Seine Vermögensumstände fanden sich zerrüttet und meine edelmütige Großmutter opferte einen Theil des ihrigen auf, um alle freundlichen Gläubiger zu befriedigen. Da aber das Schicksal noch nicht versöhnt war, so verlor auch sie, die den größten Theil ihres Vermögens in Meyereyen in Friesland stehen hatte, durch die berüchtigte Viehseuche von 1744/45 noch einen bedeutenden Theil desselben. Mein Vater, der bis dahin die Studien als eine Zierde und Erhöhung des Lebensgenuß betrachten konnte, musste sich nun entschließen, solche als Mittel zu künftigem Erwerb zu betreiben. Er bezog daher als Katholik die Universität in Löwen,13 um daselbst Philosophie zu studieren, wo er den 11ten Jänner 1745 den damahls gewöhnlichen Immatrikulationseid ablegte. Das Zeugnis meines Vaters aus dem Gymnasium in Antwerpen ist vom 7 Sept. 1744.* In Löwen hat er dem Rector den Eid abgelegt den 11ten Jenner 1745.* Er wohnte im Colleg en faucon, und hat sein ganzes Leben lang die Zeit bedauert, die er da mit dem Studium der scholastischen Philosophie verlieren musste, so wie er seine leidenschaftliche Abscheu gegen Trunkenheit, von dem Ekel […]14 Gefühle, die dieses bey den Studierenden auf dieser Universität, damals so allgemeine Laster in ihm erregt hat. Nach vollendeter Philosophie kehrte er zurück nach Leyden um Medizin zu studieren, welches er anfangs etwas lau betrieb, da ihn seine vorherrschende Vorliebe für das Studium der Philologie abhielt, er beschäftigte sich in der Bibliothek nämlich mehr mit Sammlung griechischer Anthologien und den Varianten zur Edition von Klassikern u.d.gl.

10 Gemeint ist Gottfried van Swieten (1733–1803), der Sohn Gerard van Swietens. Nach dem Studium war er zunächst als Diplomat in Brüssel, Paris, Warschau und Berlin tätig, bevor er das Amt des Präfekten der Kaiserlichen Hofbibliothek bekleidete. Als Übersetzer der Vorlagen für Haydns Schöpfung artikulierte er sein großes Interesse für Musik. 11 Jakob Thomas Josef Wellens war 1776–1784 Bischof in Antwerpen. 12 Gemeint ist der Wettbewerb im Leinenhandel. 13 Die Universität Löwen wurde 1425 gegründet und bildete als katholische Universität ein kulturelles Zentrum der südlichen Niederlande. 14 Unleserliche Stelle.

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Claudius Jacquin scheint sich in Paris mit einer Poquelin verehelicht zu haben, und dessen ältester Sohn war der Greffier15 in Martinique, den mein Vater daselbst antraf. Dieser Greffier verheyrathete sich 1730 in Martinique mit einer reichen Pflanzertochter, die 80.000 Livres Vermögen hatte.* Der jüngere Sohn des Claudius hatte eine Anstellung in BesanÅon. Von diesem Letzteren mögen die Jacquin’s abstammen, welche heute noch in Besancon und Montbeillard vorhanden sind. Der Oberstlieutnant in holländischen Dienste zu Corbach bey Waldeck wohnhaft, wie mein Vater 1784 schrieb, war aus Burgund gebürtig, seine Familie aber in Mömpelgard16 ansässig. Er hatte 2 Söhne und 2 Töchter und führte den Namen Jacquin de Betencourt [Betemcourt]. Meines Vaters Adelsdiplom ist vom 30 Julius 1774. Das Freyherrn Diplom von 1806.«

II. 2.

Joseph Franz Jacquin, Biographie des Vaters Nikolaus von Jacquin

Österreichische Nationalbibliothek, Sammlung von Handschriften und alten Drucken, Cod. Ser. n. 20235, fol. 1–5. Kommentar : Auch dieser Text erzählt die Biographie Nikolaus Jacquins aus der Sicht seines Sohnes. Joseph Franz Jacquin dürfte hier auch handschriftliche Unterlagen benutzt haben, wenn er sich auf eine Notiz seines Vaters aus dem Jahre 1784 bezieht. Der Text ist eine Ergänzung zu Cod. Ser. n. 9756. Provenienz: Geschenk des Botanischen Instituts Wien.

Joseph Franz Jacquin, Biographie des Vaters, Nikolaus von Jacquin »Die alte Freundschaft seiner Familie mit der ebenfalls in Leyden lebenden Familie Gronovius, in welcher classische Gelehrsamkeit erblich war, lehren seine bis in den Tod ununterbrochenen Anhänglichkeit in einen denselben, den berühmten Theodor Gronovius,17 führte ihn zuerst zur Botanik und dann zum eifrigen Studium der Medizin zurück. Diesen seinen Freund, einer der ersten Schüler Linn8’s, während seines Aufenthalts in Holland, auf seinen Exkursionen in Leyden und in den botanischen Gärten begleitend, fiel ihm, die im Universitätsgarten eben zum ersten Mahle blühende Costus speciosus (noch lange danach in den Gärten für C. arabius gehalten)18 wegen seiner Schönheit so auf, daß er sich den schweren botanischen Character mit Aufmerksamkeit von seinem Freunde vordemonstriren ließ. Das war der Feuerfunken, der seine unversiegbare Leidenschaft für diese Wissenschaft zündete; von diesem Augenblick verwandte er sich darauf beinahe ausschließlich und in Folge dessen denn auch auf Medizin. Von 15 Greffier bedeutet Manager der Admiralität; Geschäftsführer. 16 Deutscher Name für Montb8liard. 17 Laurens Theodor Gronovius (1730–1777) war Sohn des Botanikers Frederik Gronovius (1686–1762) und ebenfalls als Naturforscher und Sammler in Leiden tätig. 18 Costus speciosus, die Kostwurz, wurde früher der Gattung Costus zugeordnet, seit 2006 als Cheilocostus specious (J. Koenig) C. D. Specht eingeordnet.

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seinem Eifer in letzterm Studium zeugen seine eigenhändig, sehr schön und richtig geschriebenen Kollegienhefte,19 über Anatomie und Physiologie der berühmten Brüder Bernhard und Siegfried Albinus. Adrian van Royen, dermahls Professor der Botanik, harmonirte mit ihm mehr durch seine Vorliebe für classische Literatur, als für Botanik; sein Lehrer war Gronovius und die Freundschaft des ebenfalls rühmlich bekannten botanischen Gärtner Meerburgh20 erlaubten ihm das Studium im Garten. Unter dem berühmten Gaubius, der damals wohl [als] der beste systemische Professor der Chemie in Europa anzusehen war, verlegte er sich auch mit besonderem Eifer auf dieselbe. Nachdem es dermals nicht Sitte war / sich gleich nach vollendetem Studium graduieren zu lassen, so unternahm er, auf den Rath seiner Lehrer, zu seiner Ausbildung, besonders zur practischen Chirurgie, der zu widmen er sich entschlossen hatte, eine Reise nach Paris, wozu ihn seine noch da befindlichen Verwandten, und der Umstand, daß zwey seiner Schwestern Theresia und Agathe,21 daselbst lebten, zu mehr geneigt machten.22 * Er hielt sich unterwegs noch einige Zeit in Rouen auf, um le Cat zu hören und operieren zu sehen. In Paris nahm er eine Assistenten-Stelle an der chirurgischen Abtheilung an (von der für innerliche Krankheiten entwarf er immer ein gräßliches Gemälde) und verlegte sich mit Eifer auf seinen Beruf, ohne jedoch seine Lieblingswissenschaft fahren zu lassen. Er besuchte Anton Jussieus23 Vorlesungen und lernte Bernhard Jussieu24 kennen, obgleich er sich als eifriger Linneaner in der Meynung über System und Eintheilung sich nicht mit ihnen vereinigen konnte. Hier erhielt er nun, von dem alten Freunde seines Hauses, dem berühmten Gerard van Swieten, die Einladung nach Wien zu kommen und seine Studien daselbst in der neu hergestellten medicinischen Studienanstalt, deren Schöpfer dieser große Mann war, zu vollenden. Er ging denn zur Folge nach Wien, größtentheils zu Fuße botanisierend über Seitenwege. In Wien besuchte er die Vorlesungen von de Haen und zwei die van Swieten selbst gab. Seine Flöte mit der er sich auf Spaziergängen unterhielt, verschaffte ihm die Bekanntschaft des nachmahligen Hofsecretärs Franz von Schreibers (Vater / des gegenwärtigen Naturalien Cabinets-Directors) und dadurch den Eintritt in die Familie des Stiefvaters desselben, einen der gelehrten Aerzte Wiens, die Erndl,25 wo er denn mit dem jungen Joseph Schreibers, der ebenfalls Medizin studirte, mit dem damahls noch studirenden Leibarzt Swieten, Anton von Störk und Lagusius in die engsten Freundschafftsverhältnisse kommt. Der Erndl correpetirt seinen Sohn und dessen 19 Die Suche nach diesen Kollegheften brachte leider keine Ergebnisse. 20 Es kann sich nicht um den später berühmten Nicolaus Meerburgh (1734–1814) gehandelt haben, denn dieser war 7 Jahre jünger als Jacquin. Vielleicht war es dessen Vater, den Jacquin kennengelernt hatte. Nicolaus Meerburgh wurde als Gärtner des botanischen Gartens in Leiden berühmt, weil er einige kultivierte Pflanzen selbst zeichnete. Siehe dazu: Nicolas Meerburgh, Afbeeldingen van zeldzaame Gewassen (Leiden 1775). 21 Müsste Anna heißen, Agathe war nicht in Paris. 22 Zwei Sätze an der linken Seite sind nicht entzifferbar. 23 Antoine de Jussieu (1686–1758) bekleidete seit 1710 den Lehrstuhl für Botanik am Jardin de Roi in Paris. 24 Bernard Jussieu (1699–1777) war Aufseher des Gartens in Trianon, in dem er die Klassifikation insofern sichtbar machte, dass er Gruppierungen nach natürlichen Verwandtschaften gestaltete. Dieses System wurde jedoch erst 1789 von Antoine-Laurent de Jussieus publiziert. 25 Leopold Erndl (1716–1761) war Arzt im Bürgerspital und heiratete die Witwe Franziska Schreibers.

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Freunde Materia medica und Pathologie; mein Vater hielt ihm dagegen philologische Erklärungen des Hippokrates. Die seit Clusius26 Zeiten ganz verwaiste österreichische Flora und der errichtete botanische Garten in Schönbrunn lieferten ihm eine reiche Fülle von Beschäftigung in seiner Lieblingswissenschaft. Bey seinem Studium im Schönbrunner Garten, wo er seinen Landsleuten den Gärtner Adrian van Stekhoven und dessen ersten Gehilfen Richard van der Schot die Nahmen der Pflanzen bestimmte, lernte ihn Kaiser Franz der erste kennen und ließ sich von ihm ein systematisches Verzeichnis der dermahls in Zierd reichen Pflanzen verfertigen. / Der als Vorläufer gethane Enumeratio plantarum caribaeam,27 kam mit schönen Kupfertafeln heraus, und erst viele Jahre danach, ließ er seine Handzeichnungen in Feder stechen, wegen welcher mit einer neuen Auftheilung des Textes die sogenannten Stirps americanae picta28 sind. Auch eine bedeutende Sammlung von mehreren theils Arten von Amphibia u. Moluska in Weingeist, brachte mein Vater zu seiner eigenen Belohnung mit, welche er aber als S. M. doch Wohlgefallen daran bezeigte eb[en]dem überlies. Sie kam aber nie in die k.k. Sammlung sonder ein dermahliger Liebhaber von Naturgeschichte Graf von Thurn29 erhielt sie zum Geschenke. Aus den zoologischen Beschreibungen meines Vaters habe ich, mit Hilfe der damahls noch in der k.k. Hofbibliothek vorhandenen grossen Abbildungen, einige interessante Fragen in meiner Geschichte der Vögel,30 dem Publikum mitgetheilt. Was die Kosten meines Vaters Reise betrifft, so wurde ihm auf Befehl S.er May[estät] durch das Handelshaus de la Rive et Rilliet in Livorno bey dem Herren Joseph und Georg Audibert in Marseille ein unbeschränkter Credit verschafft, welches ihm dann eben solche unbeschränkte Creditbriefe für die meisten Plätze in Westindien gaben. Von Marseille aus nahm er 33.000 Livres mit, mit welchen er beynahe das erste Jahr auslangte. Er hatte für seine Persohn ganz und gar keine bestimmte Besoldung oder Diäten, sondern musste seinen eigenen Unterhalt ebenso verrechnen, wie jenen seiner Untergebenen, die aber außerdem noch eine bestimmte Besoldung hatten, jeder sowohl der Gärtner als die zwey Vogelsteller erhielten aus meines Vaters Händen 20 Fl. Current Geld Monathlich. Daß er das in ihn gesetzte große Vertrauen vollkommen rechtfertigte, beweise der Umstand, daß alle Kosten seiner durch 4 Jahre und 7 Monathe gedauerten / Reise, mit Einschluß aller Ausgaben für die erwähnte Besoldung seiner Untergebenen, seiner und ihrer Ernährung und Wohnung, seiner eigene Bekleidung, Ankauf und Beyschiffungs Kisten von Naturalien und lebendige Thiere und Pflanzen, die Aufbewahrung und immer reichen Ernährung einer bedeutenden Anzahl der Letzteren, sich in Allem seines Rechnens mit den letzten Stück als er zuletzt und den ihm in Händen gebliebenen Überfluß zurückstellte, kaum etwas über 30.000 Pf. Wiener Silbergeld belief. Ungeachtet noch der Reise angetretenen Länge und damaligen Seltenheit des baren Geldes in den Westindischen Inseln, kam er doch nur ein einziges Male gegen das Ende seiner Reise in Verlegenheit insonders, in […?]

26 Mit Charles de l’Ecluse (1526–1609) begann die Erforschung der Pflanzen in den habsburgischen Ländern. Nach seiner sehr fruchtbaren Zeit als Hofbotaniker in Wien wurde er ab 1593 Leiter des botanischen Gartens in Leiden. 27 Gemeint ist: Nikolaus Jacquin, Enumeratio (Leiden 1760). Dieses Werk erschien in zweiter Auflage in Nürnberg 1762. 28 Nikolaus Jacquin, Selectarum Stirpium Americanarum Historia (Wien 1763). 29 Franz Anton Hannibal Graf von Thurn und Valsassina (1699–1768). 30 Joseph Franz Jacquin, Beyträge zur Geschichte der Vögel (Wien 1784).

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wo er um eisern seiner neuerdings verzögerten Abreise, um die im übrigen kleinen Summe zu steuern, um seine vielen, dem Kaiser gehörigen Thiere erhalten zu können, für seine eigene Person durch mehrere Monathe lang mit seinen [?] blos von Eyerkuchen mit Beeren lebte, die ihn Letzterer bereitete, bis ihm endlich der Rector des Jesuiten Collegiums ein deutscher namens Pater Franz Lauber31aus der Verlegenheit zog und ihm 1500 Piaster auf einen Wechsel nach Livorno vorstreckte.«

II. 3.

Joseph Franz Freiherr von Jacquin: Nikolaus Jacquins »Biographie«

Nikolaus Jacquins Biographie (Abschrift Johann Nepomuk Raimanns mit Berichten über verschiedene Reisen innerhalb von seiner Westindienfahrt, 1757–1759) Österreichische Nationalbibliothek, Sammlung von Handschriften und alten Drucken Cod. Ser. n. 9755. (Wien, 16. August 1817). Kommentar : Das in der Sammlung von Handschriften und alten Drucken der Österreichischen Nationalbibliothek aufbewahrte Manuskript (mit der Signatur Ser. n. 9755) wird laut einer ihr beigegebenen Notiz Joseph Franz Freiherrn von Jacquin, dem Sohn Nikolaus Jacquins, zugeschrieben. Es stammt aber nicht aus dessen Feder, sondern ist in einer Abschrift erhalten. Nach dem Begleittext wurde diese vermutlich von Johann Nepomuk Raimann verfasst. Die Abschrift ist nicht sehr umfangreich,32 sie enthält eine »Biographie« und einen Bericht über die »Reise meines Vaters nach Westindien«, so lauten jedenfalls die Überschriften. Die Handschrift ist immer dieselbe, allerdings weist der Schreiber Zusätze eigens aus. Jene, die er selbst einführt, kennzeichnet er mit dem Kürzel »D. H.« für den Herausgeber und jene, die auf Joseph Freiherr von Jacquin zurückgehen, sind mit der Abkürzung »J. Jq.« ausgewiesen. Diese Unterscheidung unterstützt die Vermutung, dass eine Grundlage für diese Fassung vorlag, von der der Schreiber ganz bewusst seine eigenen Anmerkungen und jene des Sohnes unterschied. Während der Schreiber in der Biographie über Nikolaus Jacquin diesen in der dritten Person darstellt, somit aus der Distanz beschreibt, wird im Bericht über die Reise ausdrücklich vom schreibenden Sohn auf den dargestellten Vater verwiesen, wenn es eingangs heißt: »Mein verstorbener Vater reiste …«. Die Schrift ist flüssig geführt, allerdings besteht der Mittelteil aus vielen Einschüben und Streichungen, die von den Herausgeberinnen hier in runde Klammer und kursiv gesetzt so aneinandergereiht wurden, dass auch der Erzählfluss aufrechterhalten bleibt. Es spricht viel dafür, anzunehmen, dass der Sohn einen Auszug aus den Tagebüchern und Journalen des Vaters, wie er es erwähnt,33 vor sich hatte, auf dem seine Ausführungen beruhen. Darauf deutet die Genauigkeit der vielen Ortshinweise und der Angaben über die genaue Abfahrt- und Anreise sowie der Datumsangaben ausgewählter Ereignisse. Auch die 31 Der Name ist im Manuskript schlecht lesbar ; laut einer Rechnung erhielt Jacquin in Carthagena vom Jesuiten Lauber Geld ausbezahlt. Vgl. HHStA, Hausarchiv, Poschakten, JS, Karton 2, 153. 32 Auf Papier enthält die Handschrift insgesamt 106 Seiten. 33 Siehe fol. 66 und 67.

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Auslassungen (Leerstellen) lassen die Vermutung zu, dass die Abschreiber ihre vorhandene Grundlage nicht lesen konnten und sich die Stelle für eine spätere Ausfüllung offen ließen.

Nikolaus Jacquins »Biographie« »[fol.1] Nikolaus Joseph Freyherr von Jacquin Med. Doct. kais. königl. Bergrath,34 Ritter des königlichen St. Stephansordens,35 im Jahre 1809 Rektor und emeritirter Professor der Chemie und Botanik36 an der Universität in Wien, Mitglied der meisten gelehrten Gesellschaften, wurde am 16. Febr[uar] [fol.2] zu Leyden in Holland geboren. Sein Vater ein ehemals reicher Kaufmann, der aber durch unglücklich sich veränderte Handelsverhältniße den größten Theil seines Vermögens verloren hatte, wurde ihm sehr früh entrissen. Nachdem er auf dem Gymnasium zu Antwerpen sich der römischen und griechischen Litteratur [fol.3] widmete und die Philosophie auf dem Gymnasio zu Löwen gehört hatte, kehrte er in seine Vaterstadt zurück, hörte den wohnte den physikalischen Vorlesungen Muschenbroeks37 bei, und fing unter Gaubius,38 Bernhard und Siegfried Albin,39 Adrian von Royen40 (: dortigem Professor der Botanik :) die Arzneykunde zu studieren an. [fol.4] 34 Der Titel eines Bergrates hängt mit Jacquins in der Zeit von 1763 bis 1768 ausgeübter Tätigkeit als Professor des praktischen Bergwesens und der Chemie an der Bergschule in Schemnitz (heute Bansk# Sˇtiavnica) zusammen. 35 Der Königlich-Ungarische Sankt Stephans-Orden war von Maria Theresia als Gegenstück zum Militär-Maria-Theresienorden am 5. Mai 1764 gestiftet und unter den Schutz des heiligen Stephans gestellt worden. Der Orden war nur dem Adel zugänglich und wurde für besondere Verdienste vergeben, was auch die Devise »Publicum meritorum praemium« (»öffentliche Belohnung der Verdienste«) auf dem Kreuzorden zeigt. 36 Die Professur war an der damaligen Medizinischen Fakultät angesiedelt. Sie war durch die maria-theresianische Reform der Universität 1749 unter dem Einfluss Gerard van Swietens neu gegründet worden. Erster Professor war Robert FranÅois Laugier (1722–1793), mit dessen Arbeitsauffassung van Swieten jedoch nicht zufrieden war. (Vgl. Alfred von Arneth, Geschichte Maria Theresias (Wien, 1879), Bd. IX, 179ff.). Zu seinem Nachfolger wurde Nikolaus Jacquin 1768 ernannt. 37 Peter van Mu(s)schenbroek (1692–1761) lehrte Mathematik und Physik zunächst an der Universität Duisburg, dann ab 1723 in Utrecht und ab 1739 in Leiden. Zur Zeit von Jacquins Inskription in Leiden, 1741, unterrichtete er an der Philosophischen Fakultät (Siehe: »philo. et mathes. physic. exper. quoque R.M.« – Album Studiosorum Academiae Lugduno […], (Den Haag 1875), XLVIII). 38 Hieronymus David Gaubius (1705–1780), Arzt und Chemiker, war ein Schüler Boerhaaves. Sein Werk über Pathologie (1758) wurde damals als das beste seiner Art betrachtet. Jacquin hörte bei ihm Scheidekunst. 39 Es handelt sich hier nicht um zwei Personen, sondern um Bernhard Siegfried Albinus (1696– 1770), der als Anatom, Arzt und Physiologe wirkte. Er war Schüler seines Vaters (Bernhard Albinus 1653–1721) und Herman Boerhaaves. Als Schriftsteller und Lehrer zählte er zu den bedeutendsten Anatomen seiner Zeit. 40 Adrian von Royen (1704–1779), niederländischer Arzt und Botaniker, übernahm von Herman Boerhaave 1730 die Leitung des botanischen Gartens in Leiden, die er bis 1754 innehatte. Die Umgestaltung des Gartens erfolgte bezüglich der Konzeption der Pflanzengattung nach den Richtlinien Carl von Linn8s.

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Dieses Studium sezte er in Rouen unter Le Cat41 und dann auf der hohen Schule zu Paris fort. Während dieser Zeit erhielt er von Van Swieten,42 einen alten Freund seiner Familie, die Einladung nach Wien zu kommen, um an der neu organisirten Schule sein medizinischen Schule seine Studien zu vollenden. [fol.5] Er folgte dem Rufe welchen er von dieses edlen Arztes welcher ihn zu seinem Nachfolger an der Lehrkanzel bilden wollte, und im [!] dringend anlag sich ausschliessend der Heilkunde zu widmen. Allein die harmonischen Gemüthsneigungen welche zwischen ihm und Theodor Gronovius43 das unauflöslichste Band der Freundschaft knüpften, führten [fol.6] schon damals seine Wahl auf das damalige Lieblingsstudium dieses seines akademischen Mitgenossen – die Pflanzenkunde* welche der Grund seines nachmaligen Ruhmes werden, und der er bis zum Ziele seiner irdischen Laufbahn so treu als seinem Freund bleiben sollte. (*Note: Aus dem Munde seines Sohnes des H[er]rn Prof[essor] Joseph Freyh[errn] v[on] Jacquin ist es, daß ihn bei einer akademischen Vorlesung, wo von Royen den damals offizinellen Costus arabicus44 /Costus speciosus/ erklärte, der Anblick dieser Pfl schönen Pflanze so sehr überraschte als ergözte, daß dieser Augenblick auch schon an sich für dessen unvertilgbare Liebe zur Pflanzenkunde entschieden haben würde, wenn er auch nicht durch Gronovius Neigung dazu bestimmt worden wäre. D[er]. H[erausgeber]). [fol.7] Daher machte er diese seine erste Reise, die von Paris nach Wien, nicht auf der gewöhnlichen Wegen Strasse sondern er durchstrich auf Nebenwegen die Gebirge, und kam mit einer reichen Ausbeute von Pflanzen im Jahre 1752 in Wien an. Hier hörte er mit dem [fol.8] größten Eifer den Lehrkurs der Medizin und suchte dort die Grundsätze dieser ausgebreiteten Wissenschaft aus der Quelle selbst zu schöpfen. Er ging in seinem Studium und seinen Forschungen bis auf den gründlichsten, lautersten und noch für die heutige gebildete Welt ersten richtigen Beobachter der Mutter Natur zurück. Der Grieche Hippokrates45 both seinem [fol.9] geistvollen Scharfblicke so viele Seiten dar, öffnete seinen Talenten so vielfache Felder, daß ausführliche Kommentare über diesen 41 Claude Nicolas Le Cat (1700–1768) war französischer Chirurg und Anatom. Jacquin besuchte in Rouen bei ihm Vorlesungen und wollte sich in der Operationskunst schulen lassen. 42 Gerard van Swieten (1700–1772) war Schüler H. Boerhaaves, ab 1745 Leibarzt und Berater Maria Theresias. Er veranlasste die Herrscherin, den Staatseinfluss auf die Universitäten zu verstärken und unter anderem den medizinischen Unterricht zu reformieren. Die Schreibweise »Van« Swieten wäre eigentlich richtig, da das »Van« zum Namen gehört. Dennoch halten wir uns an die sich weithin durchgesetzte Form: van Swieten. 43 Lorenz / Laurens Theodor Gronovius (1730–1777), Naturwissenschaftler, Schüler Linn8s, war zuletzt Ratsherr in Leiden und beschäftigte sich sehr intensiv mit der Naturgeschichte. Er wird in der Literatur immer als Freund Jacquins bezeichnet, Jacquin war jedoch seinem Cousin Jacob Gronovius näher verbunden. 44 Costus arabicus: Costus (Kostwurz) ist eine Pflanzengattung in der Familie der Costaceae; einige Arten der Gattung werden auch Kostwurz oder Spiralingwer oder etwas irreführend Zieringwer genannt. Costus speciosus wurde noch lange in den Gärten für costus arabicus gehalten und war lange Zeit Gegenstand des Streites bei den Botanikern. Linn8 glaubte, sie käme von Costus arabicus, welche Meinung Jacquin zuerst widerlegt zu haben scheint. 45 Um die Person Hippokrates’ (geb. um 460–370 v. u. Z.) bildeten sich viele Legenden. Mit der so genannten hippokratischen Medizin vollzog sich die Abkehr von der magisch-religiösen Vorstellung zu einer von der ionischen Naturphilosophie geprägten rationalen Erklärung von Krankheit und Gesundheit. Basis der hippokratischen Medizin war die Säftelehre, die in modifizierter Form bis ins 19. Jahrhundert ihre Wirkung hatte.

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Hellenen, die er in medizinischen Vorlesungen den nächsten Verwandten seines Geistes (: einem allgefeyerten Störk,46 einem Schreibers,47 einem Lagusius (Hasenöhrl)48 :) auf ’s gemeinnützigste mittheilte, die sprechend-[fol.10]sten Resultate seines Forschgeistes gaben. – Ja, diese Forschungen selbst anzustellen, und ungehindert den Faden derselben verfolgen zu können mußte unser Jacquin sogar auf die Kritik des Textes dieses Alten zurückgehen, welches auch philologische Kenntniße voraussezte, was bei ih und was bei ihm der Fall war und zuerst seinen mehrseitig gebildeten Geist beurkundete. [fol.11] Sein Aufenthalt in Paris sowohl als seine ersterwähnten botanischen Streifzüge von dort nach Wien vermehrtenseineKenntnisseindem trugen vorzüglich bei, ihm die anschaulichste und genaueste Kenntniß der Pflanzenkunde zu gewähren, und so war es ihm auch möglich ein raison in Wien ein raisonirendes Verzeichniß der damaligen Flora des kais[erlichen] botanischen Gartens in Schön-[fol.12]brunn zu liefern;49 er brachte auch zu selber Zeit seine meisten Stunden in diesem von Kaiser Franz I.50 (:unter Leitung des Gärtners Steckhofen51) erst geschaffenen Garten zu. Dort lebte er ganz unter den Erzeugnißen der organischen Welt, die seinen stillen sanften Neigungen so sehr zusagte. Das vorzüglichste Verdienst bei Entwerfung dieses Pflan-[fol.13]zenverzeichnißes bestand aber unstreitig in dem grossen Ruhme, zum erstenmale in den österreichischen Staaten das linneische Sexualsystem52 (: welches damals noch so viele Gegner fand:) bekannt gemacht, und bei dieser Gelegenheit auch zugleich schon in praktische Anwendung gebracht zu haben.

46 Anton Störck (1731–1803), Mediziner, Studienkollege Jacquins in Wien, gehörte zum Schülerkreis van Swietens, ab 1766 wirkte er als Leibarzt Maria Theresias und behandelte 1767 erfolgreich ihre Pockenerkrankung. Auf ihn gehen wichtige Reformen des österreichischen Medizinal- und Unterrichtswesens zurück. 47 Joseph Ludwig Ritter von Schreibers (1735–1809) studierte zugleich mit Störck, Lagusius und Jacquin unter der Leitung des Doktor Erndl (seines Stiefvaters), des berühmten van Haen und des van Swieten. Schreibers zählte bald zu den berühmtesten und gesuchtesten Ärzten Wiens. Seine Schwester Katharina Schreibers heiratete 1763 Nikolaus Joseph Jacquin. 48 Johann Georg Hasenöhrl von Lagusius (1730–1796) war Studienkollege von Jacquin. An der Medizinischen Fakultät der Universität Wien unter van Swieten und de Haen ausgebildet, ging er als Leibarzt des Großherzogs der Toskana, des nachmaligen Kaisers Leopold II., nach Florenz; gleichzeitig wurde er mit der Stellung des Protomedicus des Großherzogtums betraut, welche er bis 1792 bekleidete. Hier nahm er auf Rat van Swietens den gräzisierten Namen Lagusi an. 49 Ein solches Verzeichnis ist für die Zeit nicht nachgewiesen und erschien erst Jahrzehnte später. 50 Franz Stephan von Lothringen (1708–1765) heiratete 1736 Maria Theresia. Er wurde 1745 als Franz I. zum Kaiser gekrönt. 51 Adrian van Ste(c)khoven, (1705–1782) Gärtner aus Leiden, wurde von van Swieten nach Schönbrunn geholt. Er erbaute dort ein großes Treibhaus und mehrere Glashäuser und legte den Holländischen Garten an. Auf ihn geht diese Namensgebung zurück, 1753–1762 war er Gartendirektor von Schönbrunn. 52 Carl von Linn8 (1707–1778) war schwedischer Naturwissenschaftler. Sein Sexualsystem wird als wegweisende botanische Klassifikation des Pflanzenreiches bezeichnet. Die Grundzüge dieses Systems veröffentlichte Linn8 zum ersten Mal Ende 1735 in der 1. Auflage seines später in vielen Auflagen erschienen Werkes »Systema naturae«.

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Da derKaiseroftdenbotanis sich Jacquin zu diesem Behufe den größten Theil des [fol.14] Tages im botanischen Garten zubrachte aufhielt, so konnte es nicht fehlen vom Kaiser bemerkt zu werden, und als dieser später auf die Idee gerieth von Westindien aus den botanischen Garten in Schönbrunn zu bereichern, so fiel seine glückliche Wahl auf den jungen Jacquin, welcher diese Gelegenheit seine Kenntniße im Pflanzenreiche zu erweitern mit leidenschaftlicher Liebe ergriff. [fol.15] Wir wollen den würdigen Sohn unseres botanischen Nestors über diese Reise während welcher die Circe53 keiner Art das unabänderlich vorgesteckte Ziel dieses Mannes, qui multorum hominum mores vidit et urbes,54 – verrücken konnte, sprechen hören. – Das litterärische Publikum erhält hiedurch einen Beweis der loyalen Bereitwilligkeit dieses wissenschaftlichen Zöglings seines grossen Vaters, und die liebenswürdige anspruchslose Bescheidenheit dieses, [fol.16] edlen Nachfolgers in dessen Lehramte, die aus jeder Stelle hervorleuchtet, wird einzelne Noten und Bemerkungen die sich Herausgeber hin und wieder erlaubt mit der Neigung zu entschuldigen wissen, den unbedeutendsten Umstand in dem Leben des merkwürdigen Mannes weder den Gebildeten noch dem streng wissenschaftlich gelehrten Zeitgenossen vorzuenthalten.«

»Reise meines Vaters nach Westindien« »[fol.17] Mein verstorbener Vater reißte bloß von Richard van der Schot55 begleitet mit der Diligence56 von Wien am 9ten Dezember 1754 bis Triest, wo er den 16ten ankam. Von da fuhr er den 19ten, nachdem er vergeblich versucht hatte, die Reise zur See zu machen, mit der Extrapost nach Venedig /kaisl. und langte den 19ten an. Von Venedig ging er am 27ten mit dem Procaccio57 Antonio Giorgi über Bologna nach Florenz. [fol.18] Den 1ten Jenner 1755 reisete er über Pisa nach Livorno, wo er an den Gouverneur Marchese Ginori,58 einem Garten- und Pflanzenliebhaber[,] angewiesen war

53 Circe (Kirke), eine Zauberin in der griechischen Mythologie, die auch Odysseus auf ihrer Insel eine Zeitlang gefangen hält. 54 Qui multorum […] aus Horaz: »[…] der viele Städte und vieler Menschen Sitten gesehen hat.« 55 Richard van der Schot (um 1733–1790), auch Ryk genannt, aus Delft gebürtig, hatte von 1780 bis 1790 die Leitung des botanischen Gartens von Schönbrunn über. Er war Jacquins getreuer Mitarbeiter und »Ihro Kayßerl. und Königl. Mayestät, der Allergnädigsten Kayserin, Königin und Frauen der Zeit bestellter Hoff-, Lust- und Oranien Gärthner«, wie es in seinem Dienstzeugnis steht. Er kam 1751 nach Wien und begleitete Jacquin auf dessen Westindienreise. Er betreute die kostbare Sammlung in den ersten damaligen Glashäusern und erwarb sich große Verdienste in der Ausgestaltung der Schönbrunner Gärten. So behob er die Wassernot durch Zuleitung von den Quellen des Lainzer Tiergartens. Als Nachfolger des Hofgartendirektors Adrian van Steckhoven (in Pension 1780; gest. 1782) war er noch 10 Jahre im Amt. Vgl. Fritz Weigl, Sie hatten den grünen Daumen (Wien 2005), 50. 56 Diligence stellt eine Art Eilwagen der Post dar. 57 Procaccio ist eine Bezeichnung für Fuhrmann, Landbote in Italien. 58 Marchese Carlo Andrea Ginori (1702–1757) war ein italienischer Politiker und Unternehmer und gründete die erste Porzellanmanufaktur Italiens. Er war an wissenschaftlichen Studien interessiert und betätigte sich auf verschiedenen Gebieten; so führte er z. B. in der Toskana die Zucht der Angoraziege ein, importierte exotische Pflanzen zu landwirtschaftlichen

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der ihm viele Dienste und Gefälligkeiten leistete, dessen Humanität mein verstorbener Vater nicht genug anzurühmen wußte, und mit dem er bis zu seiner Rückkunft wo derselbe gestorben war, im Briefwechsel stand. Er benannte nach ihm aus Dankbarkeit das die Gattung Ginoria. [fol.19] Den 21ten Jenner schifte er sich mit van der Schot und den zwei Vogelstellern Francesco Borculla59 und Giovanni Buonamici auf einem Kauffahrtheyschiffe nach Marseille ein. Durch einen gleich nach ihrem Auslaufen entstandenen wüthenden Sturm mehr aber noch durch die Ungeschicklichkeit des Kapitains wurde das Schiff ganz entmastet, und aller weiteren Leitung unfähig, durch die gefährlichen hierischen Inseln60 vor dem Hafen von Toulon getrieben wo sie nach einer Fahrt von 48. Stunden am 22ten des Morgens dann einbugsirt wurden. Er sezte dann seine [fol.20] Reise mit der Post nach Marseille fort ** (**Note In Marseille war er an das Handelshaus Audibert61 addressirt mit welchem er dann bis zu seiner Rückkunft im Verkehr blieb. J. Jq. ) Hier erhielt er von dem Enthusiasten für alle Art naturhistorischer Forschungen und Entdeckungen dem berühmten de la Condamine62* die sprechendsten Beweise litterärischer Schätzung. (*Note: Die Erinnerung an diesen praktischen Herros der Experimentalwissenschaften kann hier nicht am unrechten Orte seyn. Dieser im ganzen kultivirten Europa gefeyerte Mann, wendete fast sein ganzes Vermögen auf Versuche in Chemie, Physik, und verwandte Wissenschaften, für Unterstützung reisender Litteratoren, mit der edelsten Uneigennützigkeit lag er sein ganzes Leben den Wissenschaften ob, wurde stets von fremden Verdiensten zur lautersten und aufrichtigsten Begeisterung hingerissen, und ließ sich wenige Jahre vor seinem Lebensende mit stoischem Heroismus ein beschädigtes Bein am Fuße ablösen, und nur durch die plötzlich in ihm aufglühenden Freude über die aus der Abnahme sich ergebende Bereicherung der Wissenschaft kam in seine unbeweglichen starren Mienen erneuertes Leben. D. H.) Diesen Manne war mein Vater von Atti Venuti63 in Florenz Livorno empfohlen und manche Verbindlichkeiten schuldig, sie schlossen alsobald ein unauflösliches Freundschaftsband. Von da machte er einen Abstecher nach Montpellier um daselbst die persönliche Bekanntschaft mit Sauvages64 anzuknüpfen, bei welcher Gelegenheit er auch den berühmten

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Studien und förderte den Korallenfang vor der Küste. Ab 1746 war Carlo Ginori Gouverneur der Stadt Livorno, nach ihm hat Jacquin die Gattung Ginoria benannt. Francesco Borculla, auch Barculla, war ein Vogelsteller. In der Literatur wurde er oft als Ferdinand bezeichnet, in der Quelle taucht er eindeutig als Francesco auf. Gemeint sind die Isles d’HyHres, eine französische Inselgruppe im Mittelmeer, die der Cote d’Azur bei HyHres vorgelagert ist. Handelshaus Audibert in Marseille (vgl. Charles Carriere, Negociants Marsaillaise, Marseille 1973). Charles Marie de La Condamine (1701–1774) war französischer Mathematiker und Forschungsreisender. Er bereiste 1735–43 das Hochland von Ecuador zur Messung eines Meridiangrades unter dem Äquator für die genaue Bestimmung der Gestalt der Erde. Filippo Venuti (1709–1769), Enzyklopädist, Abb8, Gründer der Botanischen Gesellschaft in Cortona, korrespondierte mit La Condamine. FranÅois Boissier de Sauvages de Lacroix (1706–1767), französischer Arzt und Botaniker, lehrte an der Universität in Montpellier Medizin und Botanik; informierte Linn8 über Jacquins Rückkehr aus Westindien und initiierte dadurch einen intensiven langjährigen Briefwechsel zwischen den beiden.

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Helvetius65* persönlich kennen lernte. (*dessen berüchtigt berühmtes Buch66 Mendelsohn67 ein Wetterleuchten des Verstandes nannte. D. H. ) Er fand im dasigen Garten eine neue amerikanische Bignonia68 (Bignonia radicans?)69 die er ebenfalls nach Wien und an Ginori70 sendete. Auch fand er daselbst die Arachia hypogaea71 die ihn sehr in Verwunderung sezte. Von Marseille aus besuchte er sowohl die berühmten Rolandsgrotten72 und die Grotte Beaume de Laubiere73 nebst noch anderen als den seiner Versteinerungen wegen merkwürdigen Ort Carry74 an der östlichen Küste. Daselbst sammelte er so viele Fossilien, daß er im Stande war 17 Kisten mit Zoophyten75 und Fossilien aller Art an das kk. Naturalienkabinett76 zusammenbringen zubringen, die er von dortaus gleich abschickte. Den 21. April schifte er sich auf einem Kauffahrteyschiff von 16 Kanonen unter Kapitain [fol.21] Foque nach Martinique ein. Am 11ten May zwang sie Windstille und widrige Winde in Malaga einzulaufen und sie bleiben daselbst bis 13ten frisches Wasser und Lebensmittel einzunehmen.

65 Claude Adrien Helv8tius (1715–1771), französischer Philosoph, zählte zu dem Kreis der französischen Enzyklopädisten und wurde bekannt durch seine positive Haltung dem Hedonismus gegenüber. 66 Gemeint ist vermutlich das Werk »De l’esprit« (Paris 1758), das von Gottsched 1759 ins Deutsche übersetzt wurde und als staatsgefährlich vom Parlament in Paris 1759 verbrannt wurde. 67 Moses Mendelsohn (1729–1786), deutsch-jüdischer Philosoph, war Wegbereiter der jüdischen Aufklärung. 68 Bignonia (Trompetenblume, Bignonie) ist eine Gattung aus der Familie der Bignoniaceae. Die Bignonien zählen zu den charakteristischen Formen des tropischen und subtropischen Amerika. Als Lianen machen sie den Urwald undurchdringlich. 69 Campsis radicans (Synonym: Bignonia radicans, Tecoma radicans, dt. Trompetenkriecher, Trompeten-Geißblatt, Amerikanische Klettertrompete), ebenfalls der Gattung der Bignoniaceae zuzählig, ist eine laubabwerfende, verholzende Kletterpflanze, die heute als Zierpflanze in Europa sehr beliebt ist. 70 Siehe Anm. 58. 71 Die Erdnuss (Arachis hypogaea L.) ist eine Nutzpflanze aus der Familie der Hülsenfrüchtler (Fabaceae oder Leguminosae) aus der Neuen Welt und wurde in der Schweiz »Spanische Nuss« genannt. 72 Wahrscheinlich handelt es sich hierbei um die Grotte de Roland, eine Karsthöhle in der Dordogne, die in der Nähe der Stadt Montcuq gelegen ein wichtiger Fundort prähistorischer Objekte ist. 73 Im Hinterland von Marseille liegt im Massif de la Sainte-Baume eine bemerkenswerte Höhle, in der einer Legende nach die heilige Maria Magdalena zurückgezogen gelebt haben soll. 74 Carry-le-Rouet ist nordwestlich von Marseille gelegen. 75 Zoophyten (Phytozoen, griech. Tierpflanzen, Pflanzentiere) ist die Bezeichnung für verschiedene Tiere, welche äußerlich mit Pflanzen Ähnlichkeit haben (bes. Schwämme, Korallen und Quallen). 76 Das »Hof-Naturalien-Cabinet« wurde 1748 von Franz Stephan von Lothringen gegründet. Er erstand in diesem Jahr die großartige Mineraliensammlung von Jean Baillou, die bereits nach wissenschaftlichen Kriterien geordnet war.

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Den 11ten Juni passirten sie den Aequator woselbst die Reluition77 von der Taufe des Neptuns, meinem Vater für sich und seine Leute doch bei 27 Livres zu stehen kam. [fol.22] Am 28. Juni 1755 kam er zu St. Pierre78 in Martinique an, wo er sogleich zu seinem Vetter dem Greffier en Chef de l’Amirante79 Jacquin zog sich zog. (Note Der Gouverneur der französischen Inseln war der General Borpor80 der ihm in vielen Rücksichten nützlich sein konnte. J. Jq.) Hier ereignete sich bei seiner Ankunft die Verwechslung, daß man ihn für den zurück von Paris zurück erwarteten Sohn des Hauses hielt, wo dann die plötzlichen Freudenausbrüche (welche die edle Seele des liebenswürdigen Mannes wahrscheinlich auch nicht alsogleich die Fassung hatte, im Keime zu ersticken. D. H.), die mein Vater gar nicht auf der Stelle zu hemmen im Stande war, manche sonderbaren Verwicklungen zu Tage förderten. (z. B. die Amme des erstbesagten erwarteten Verwandten, eine durch Jahre schon eingerunzelte Negerin hielt unseren Jacquin bei seinem plötzlichen Eintretten /:so wie alle andern vom Hause:/ bei seinem plötzlichen Eintretten, in dem wegen Mangel an Fenstern etwas finsteren Zimmer für ihren Säugling glücklich angekommen von Paris zurückgekehrten Säugling und eilte mit ungehemmten Sturmschritten auf den harmlosen Ankömmling zu, der den ersten Anfall ihrer bachantischen Begeisterung mit schnell hemmenden Armen / abwehrte und nur zu bald durch seine Erklärung die heftige Freude der Alten zu Eis gerinnen machte. D. H.) Von hier aus besuchte er in verschiedenen Richtungen Fort Royal81 Le Lamentin, Simon den Cul de Sac Marini, St. Anna, die Riviere Sal8e, la grand Caille, Basse point,82 die Ufer des Carbot83 und der Riviere Sal8e und sandte van der Schot und die Vogelsteller eben so aus. Letztere wurden auch [fol.23] noch vorläufig nach Granada84 geschickt. Am 1. August sandte mein Vater von St. Pieron [St. Pierre] aus den ersten Transport für die kais[erlichen] Naturaliensammlung auf dem Schiffe St. Rochus Kapitain le Fabre nach Marseille. Er bestand aus 6 Kisten, worinn über 1600 Stück Konchylien,85 viele Krebse und

77 Gemeint ist das Zeremoniell der Geldablöse, die nicht am Ä. stattfand, sondern am nördlichen Wendekreis. 78 St. Pierre auf Martinique bildete die wichtigste Handelsstadt und stellte den Bischofsitz dieser zu den Kleinen Antillen zählenden Besitzung der Franzosen in Westindien dar. Der Zucker- sowie der Sklavenhandel ließen die Stadt prosperieren, sodass sie zum wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum der gesamten Kleinen Antillen wurde. 79 Bezeichnung für den Notariatsbeamten der Admiralität. Vgl. Jean Baptiste Labate, Nouveau voyage aux isles de l’Amerique … (Paris 1742), Tom.V., 315: »Officiers de la Jurisdiction Royale du Fort Saint Pierre. […], Jacquin, Greffier de la Jurisdiction & Admiraut8«. 80 Maximin Marquis de Bompar (1698–1773) war von 1750–1757 Gouverneur der Insel Martinique. 81 Fort de France ist die heutige Hauptstadt von Martinique. Die ursprünglich »Fort-Royal« genannte Stadt gewann an wirtschaftlicher Bedeutung, nachdem der Vulkan Mont Pel8 1902 die ursprüngliche Hauptstadt der Insel Saint-Pierre zerstört hatte. 82 Le Lamentin ist östlich von Fort Royal gelegen; Simon liegt an der Nordostküste, vis-/-vis von Lamentin; Cul de Sac du Marin ist eine Bucht an der Südostküste Martiniques, SaintAnne liegt an dem Südzipfel von Martinique, in der Nähe der Salinen; Riviere-Sal8e ist eine Stadt und ein Fluss im Süden, La Grand Caille, Basse-Pointe sind Städte auf Martinique. 83 Carbet ist eine Stadt und ein Fluss südlich von St. Pierre. 84 Grenada, eine britisch-westindische Insel, gehört zu den Kleinen Antillen. 85 Schalen der Weichtiere: Muscheln, Schnecken.

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Seeigel, Madreporen,86 Fossilien, Insekten, Fische u[nd] einige Münzen, dann einige Samen und Zuckerrohrstecklinge. (Wahrscheinlich die ersten welche nach Deutschland gebracht wurden.) Die Maladie de Siam (das gelbe Fieber) herrschte damals so stark in der Umgebung von St. Pierre besonders unter den neuangekommenen Europäern, daß er alle Vorsicht gebrauchen mußte um die Ansteckung zu vermeiden. Von 15 mit ihm auf der Felicit8 angekommenen Fremden, waren in 1 12 Jahren 13. gestorben und auch van der Schot und Buonamico wurden ergriffen [fol.24] aber überstanden die Krankheit glücklich. Am 28ten Februar 1756 schiffte sich van der Schot mit dem ersten Transport aus Westindien, auf dem Schiffe L’Esperence Kapitain Chanvet nach Europa ein, welcher aus lebenden Vögeln und Pflanzen, 10 Kisten mit Konchylien, Fischen, Zoophyten, Fossilien, Werkzeugen und Idolen der alten Karaiben u.s.w. bestand. Unter den lebenden Thieren befand sich eine Agouti87 ein fliegendes Eichhörnchen (Sciurus volitans?) vom Missisipi und [fol.25] der Orso hornigero88 von Cumana,89 dann 26 seltene Vögel. An lebenden Pflanzengroßtentheils Bäumen und Sträucher von bedeutender Größe befanden sich in diesem Transport 266 Exemplare von 40 verschiedenen Arten, die meisten derselben wurden zum ersten Mahle nach Europa geführt, und sehr viele davon waren noch ganz unbekannt und daher unbeschrieben. Den 30ten May [müsste der 3. Mai sein] 1756 sandte mein Vater die Vogelsteller nach St. Eustache90 voraus, und folgte ihnen am 8. May [fol.26] selbst nach, wo er am 10ten anlangte. Daselbst fand er bei dem Gouverneur, dessen Gemahlin eine Verwandte meiner Großmutter war (eine von Heyningen) große Unterstützung. (Note Wie zieret nicht dieses oftmalige Bekenntniß erhaltener großer Gefälligkeiten sowol Vater als Sohn. D. H.) Am 27. May machte er eine Exkursion nach der Insel St. Martin,91 deren Gouverneur einen Verwandten unserer Familie zum Sekretair hatte. Hier besuchte er die Salinen von Simsonsbay92 und hatte das Unglück durch einen Fall von einem Felsen auf Cactus Melocactus93 am Fuße bedeutend verlezt zu werden, wurde aber bald durch Umschläge [fol.27] von den Blättern der Jatropha94 geheilt. Am 9ten Juni kehrte er wieder nach St. Eustachius zurück, wo er vom gelben Fieber ergriffen, aber nach kurzer Zeit glücklich wieder her86 Löcherkorallen. 87 Die Agutis sind eine Nagetiergattung. 88 Es handelt sich hier wahrscheinlich um den Oso hormiguero, spanische Bezeichnung für Ameisenbär. 89 Cuman# ist eine Stadt im Staat Bermudez in Venezuela. 90 St. Eustache (auch Saint Eustatius) ist eine der fünf Inseln, die zu den Niederländischen Antillen und damit zum Königreich der Niederlande gehören. 91 St. Martin, niederländisch Sint Maarten, ist eine zwischen Frankreich und dem Königreich der Niederlande geteilte Insel in der Karibik und gehört zur Gruppe der nördlichen Kleinen Antillen. 92 Simsonsbay ist das heutige Simonbai bzw. Simpson Bay auf St. Martin. 93 Der Name Melocactus leitet sich von der melonenförmigen Gestalt ab (lat. melo = Melone). Ursprünglich wurde die Gattung Melocactus als Cactus bezeichnet, da es sich dabei um die ersten bekanntgewordenen Kakteen gehandelt hatte. 94 Jatropha ist eine Pflanzengattung in der Familie der Wolfsmilchgewächse (Euphorbiaceae). Ihr von den griechischen Worten für Arzt (iatros) und Ernährung (trophe) abgeleiteter botanischer Name weist auf die medizinische Nutzung der Samen einiger Arten sowie auf die essbaren Wurzelknollen des früher zu dieser Gattung gestellten Maniok (Manihot esculenta) hin.

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gestellt wurde. Er sandte von dort sogleich den Vogelfänger Barculli95 nach Martinique zurück um mehrere dort zurückgelassene Pflanzen und Thiere abzuhohlen, welcher von da am 20. Juli nach St. Eustachius zurückkehrte. Am 12. August schickte er den Giovanni Buonamici [fol.28] mit einem Transport nach Livorno zurück, wo außer vielen Vögeln und Pflanzen 2 große Kisten zum Transporte vereinet wurden, in denselben befanden sich Konchylien, Fossilien einige Fische, Kunstfabrikate der Karaiben u.s.w. Unter den Thieren waren 4 flieg[ende] Eichhörnchen und 43 Vögel, unter den Pflanzen sehr viele Ananas Varitäten /:welche der Kaiser besonders verlangt hatte:/ viele Cacti und fleischige Euphorbien, auch viele Samen waren beigepackt. Den 17 August [fol.29] schifte mein Vater mit Barculla nach Guadueloupe96 mit einem holländischen Schiffe ein, wurde aber von einem englischen genommen und nach der Insel St. Christoph97 entführt, von wo er am 24. August wieder nach St. Eustach zurückkehrte. Am 31. Oktober wollte er von St. Eustach wieder nach Martinique zurückkehren wurde aber von den Engländern gekapert und nach Montserrat98 zugesteuert, von wo er erst am 4. November nach St. Pierre und von da in einer Goletta99 auf [fol.30] Martinique fuhr, wo er am 9ten November an kam, von wo er wieder mehrere Exkursionen bis Fort Royal, le Lamentin, au Robert100 u.s.w. machte und bis 4ten Februar 1757 verblieb. Er sandte während dieser Zeit am 12ten November 1756. eine große Kiste mit Madreporen, Konchylien und frischen Samen von St. Pierre nach Marseille ab. Den 4. Februar 1757 schiffte er nach der Insel Curacao,101 von wo aus er in Indianerboten mehrere Exkursionen nach der Bay St. Anna102 u.s.w. machte. [fol.31] Von da aus schickte er am 15. May desselben Jahres eine Kiste mit Madreporen und Fossilien auf dem Schiffe la Demoiselle Jeane nach Amsterdam an den damahligen Bürgermeister Wilhelm Gideon Deutz103 (*nach ihm ist die Gattung Deutzia benannt) zur weiteren Besorgung nach Wien, ab. 95 Barculli ist ident mit Borculla. 96 Guadeloupe, zu den Kleinen Antillen gehörend, bildet zusammen mit Martinique die Französischen Antillen. Guadeloupe wurde von den Spaniern wegen der Ähnlichkeit seiner Berge mit der Sierra Guadalupe in Spanien so benannt. 1635 wurde es von französischen Siedlern in Besitz genommen und war lange Jahre Zankapfel zwischen den Franzosen und Engländern, welche sich 1759–63 wiederholt durch Gewalt in den Besitz der Insel setzen wollten. 97 St. Kitts ist eine Insel der Kleinen Antillen in der Karibik. Sie ist auch noch unter ihrem früheren Namen »Saint Christopher« bekannt und heute ein unabhängiger Staat. 98 Montserrat liegt nordwestlich von Guadeloupe. Kolumbus nahm sie unter dem Namen Santa Maria de Montserrate, nach dem bekannten Kloster Montserrat in Katalonien benannt, für die spanische Krone in Besitz. Allerdings wurde Montserrat nie von Spaniern besiedelt und war britische Kronkolonie. 99 Goelett ist eine französische Bezeichnung für einen Schoner. 100 Le Robert liegt an der Ostküste von Martinique. 101 CuraÅao zählte zu den »Inseln unter dem Winde« und ist an der Nordküste Venezuelas gelegen. Die Insel war zwar von den Spaniern besetzt worden, kam aber 1634 unter niederländische Herrschaft. Von hier aus wurden auch die anderen niederländischen Antilleninseln (Eustatius, Sint Maarten) von einem Gouverneur verwaltet. 102 Bay St. Anna liegt an der Südküste von Curacao. 103 Willem Gideon Deutz (1697–1757), Ratsherr, Bankier und Kaufmann in Amsterdam, för-

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Am 20. May wurde von ihm ein grosser Transport unter Aufsicht eines gewissen H[er]rn Alix aus BesanÅon nach Wien abgesandt. Diese Sendung bestand aus 16 Kisten mit Fossilien, Ma-[fol.32]dreporen, Konchylien, einem glatten und einem als sehr zierlich gearbeiteten Rhinozeroshorn, welches er von dem Dominikaner Le Vasse für 93. Piaster104 gekauft hatte, ferner auch mehrere westindisch und ostindische Münzen, einen Ast einer Achras Sapota105 mit einem ganz aus Blüthen verherrligten Colibrineste (ein Symbol der zartesten irdischen Dichtung. D. H.), worinn die Mutter samt ihren Jungen und dem etwas in der Gestalt abweichenden [fol.33] Mannchen befindlich waren, Neste von Tropikvogel und mehreren andern Vögeln, Sägen vom Sägefische, Schwänze von Rochen, fliegende Fische, Schildkröten usw., Schlangenhäute u.s.w. dann mehrere lebendige Thiere als eine wilde Katze und eine Fuchsart, ein Eichhörnchen von Rio de Laitze;106 und 67 Vögel; an lebendigen Pflanzen mehrere Zwiebelgewächse Pancratia,107 Crina108 u.s.w. Am 5[.] Juni ging mein Vater nach Coro109 und [fol.34] Puerto real de la Vega110 und botanisirte im dasigen Gebirge bis 24. Juli wo er wieder nach Curacao zurückkehrte. Am 5. August übergab er eine Kiste dem Kapitain Marquart auf dem Schiffe le Jean welches erst am 27. desselben Monats absegelte. Diese Kiste war nach Amsterdam an den Bürgermeister Deutz addressiert und enthielt Fossilien, Madreporen, Konchylien, einige Münzen und Magnetsteine111 von [fol.35] St. Domingo, dann die ersten Exemplare von Platina112 (unter dem Namen Juan Blanco) die nach Östreich vielleicht nach Deutschland gekommen sein mögen, ausserdem rohe Amethyste und Smaragde auf der Mutter aus den ältesten verlassenen Smaragdgruben von Somondoco in Neugranada,113 Amazonenstein,114 Kupfererz von Havanna, ferner Eine eine sorgfältige getroknete über 2. [fol.36]

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derte im 18. Jahrhundert botanische Forschungsreisen. Wurde schon in den »Instructiones« als Adressat der Sammlungen bestimmt. Piaster (ital. piastra, »Metallplatte«) ist die Bezeichnung des spanischen bzw. spanischamerikanischen Pesos. Achras sapota L. ist der Breiapfelbaum (Manilkara zapota), auch Sapote, ursprünglich in Mittelamerika heimisch. Rio de Laitze konnte nicht identifiziert werden. Pancratium L. ist eine Gattung aus der Familie der Amaryllidaceae, Zwiebelgewächse mit linealförmigen Blättern und großen weißen, wohlriechenden Blüten. Cynanchum ist eine artenreiche Pflanzengattung der Unterfamilie Seidenpflanzgewächse (Asclepiadaceae); die Gattung ist weltweit in den Tropen und Subtropen verbreitet. Liegt auf der Landzunge (südlich von Curacao), welche die Halbinsel Paraguana mit dem Festland (Venezuela) verbindet. Im 16. Jh. war es Zentrum der spanischen Herrschaft, hier befand sich auch der Sitz des Handelshauses der Welser. Coro stammt aus der Sprache der Arawak und bedeutet »Wind«. Puerto real de la Vega (Vela de Coro) ist eine Hafenstadt. Auch Magnetit genannt, ist das stabilste Oxid des Eisens mit einer hohen Beständigkeit gegen Säuren und Laugen. Gehört zu den am stärksten magnetischen Mineralien. Platina scheint zuerst im 16. Jahrhundert beobachtet worden sein. Der Reisende Ulloa erwähnt es 1748 als Begleiter des Goldes, und in Spanien nannte man es Platina del Pinto (kleines Silber vom Fluss Pinto in Südamerika) bzw. Juan blanco. Somondoco, östlich von Bogota gelegen, wo seit 1580 in der Mine »Chivor« Smaragde geschürft werden. Das spanische Vize-Königreich Neugranada (seit 1717) umfasste die heutigen Staaten Ecuador, Panama, Kolumbien und Venezuela. Amazonenstein oder Amazonit ist ein Mineral der Feldspat-Familie, ein mittelharter Stein von blaugrüner Farbe. Alexander von Humboldt berichtete von einem Indianerstamm, der

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Schuh lange Remora,115 viele Pfeile und andere Geräthschaften der Wilden,116 Münzen u.s.w. dann 43. Arten sehr seltener Samen. Den 25ten August schifte er sich nach San Domingo ein woselbst er am 21. September anlangte. Er blieb dort bis zum 4. Jenner 1758. Worauf er mit einem Parlamentair117 nach Jamaica sich einschifte. [fol.37 und fol.38 sind leer] [fol.39] Den 5ten Jenner [1]758 des Morgens wurden sie von einer kleinen englischen Flottile bestehend aus 7. Kriegsschiffen unter Kommando des Admiral Cotes118 auf dem Marlborough angehalten. Am 7ten Jenner aber im Gesicht von Leogane119 einem Hafen auf Skt. Domingo, begegnetensie, stieß ihnen einem englischer Korsaren120 von 14 Kanonen auf, der sie unter holländischer Flagge mit sich nahm, und für den ganzen Tag hinter einem ihnen nachsegelnden kleinen Kanot fahren [fol.40] ließ, als d auf daß er auch als seine Prise121 Beschlag sezte obgleich es ebenfalls ein englischer Parlamentair war, der aus Jamaika kam. Abends wurden sie zwischen die kleinen wüsten Inseln von Gonove122 zugesteuert, wo sie auf 4 englische Korsarenschiffe aus Neu York stießen. Es kam eine große Menge feindlicher Mannschaft an Bord und plünderte sie rein aus, so daß sie kaum mit vieler Mühe und bittlichen Vorstellungen etwas retten [fol.41] konnten. Nebst mehreren Unter mehreren Habseligkeiten büßte mein Vater auch mehrere Bücher und sein bis hirher sehr genau geführtes Reisejournal ein, (Note: Mein Vater fand sich bei seiner Rückkunft nach Europa in der Hoffnung die nach Wien eingesendete Kopie dieses erstbesagten Reisejournals zu finden. J. Jq.) nur seine Rechnungen gelang es ihm mit vieler Mühe zu retten. Den Nächtlicher Weile wurde jedesmal ein Versuch zur Plünderung von einigen Korsaren gemacht, der aufVeranlassung durch die [fol.42] Wachsamkeit der ausgesandten auf Veranlassung meines Vaters ausgesandten Patrouillen vereitelt wurde. Noch 2. Tage wurden sie unter Angst und Hoffnung aufgehalten ohne an das Land welches nur einen Büchsenschuß entfernt war, betretten zu dürfen und diese Ereigniße endigten sich tragisch genug mit einer wiederholten Plünderung. Am 9ten lief Jenner liefen die Korsaren wieder ein und erlaubten auch den Prisen weiter zugehen. [fol.43] Am 10tenAbends landeten sie in Port de Prince123 auf Skt. Domingo, wo das Schiff worauf mein Vater sich befand, bestimmt war Kriegsgefangene aufzunehmen. Er

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am Rio Negro lebte und Amulette aus Amazonit trug. Diese sollten angeblich aus einem Land stammen, in dem die Frauen ohne Männer lebten (Amazonen). Remora ist eine Art Warmwasserfisch aus der Familie Echeneida. (Vgl. dazu NHM, AfW, Brief Jacquins an Baillou vom 26. Mai 1759, ohne Signatur). So z. B. Pfeilspitzen, geflochtene Körbe (siehe auch NHM, AfW, Brief Jacquins an Baillou vom 26. Mai 1759, ohne Signatur.). Es handelt sich um eine Person, die zu Unterhandlungen an den Feind geschickt wird. Captain Thomas Cotes (1712–1767) war Offizier der Royal Navy und Oberbefehlshaber der britischen Seeoperation in der Karibik. Leogane ist ein Hafen auf St. Domingo (heute Haiti), im Golf von Gon.ve, westlich von Portau-Prince. Seeräuber. Prise ist die Beute bei einer Kaperfahrt oder im Seekrieg. Dabei kann es sich um die Ladung oder das ganze Schiff handeln. Insel Gon.ve liegt im Golf de la Gon.ve vor Haiti; galt im 17. Jahrhundert als größtes Piratennest. Port-au-Prince wurde 1749 durch französische Zuckerrohrpflanzer gegründet; sie liegt östlich von Leogane im heutigen Haiti.

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besuchte daselbst, soviel es seine fortdauernde Krankheit die Lienterie124 zuließ, die kleinen Inseln Bones terres125 des Hafens um Naturalien zu sameln, und da sich keine Gelegenheit fand, nach einer spanischen Besitzung zu segeln, schiffte er sich am 17ten wieder [fol.44] auf den nemlichen Parlamentair ein, um nach Jamaika zuzusegeln. Am 18ten landeten sie auf der Rhede von Leogane um sich mit Lebensmittel zu versehen, welche ihnen durch See die Seeräuber gänzlich genommen wurden und die sie in Port Prince nicht erhalten konnten. Da sie sich nicht lange aufhalten konnten und Abends schon wieder weiter segeln mußten, so konnte mein Vater die Kisten nicht so genau als es sein [fol.45] Wille war, untersuchen. Am 19ten des Morgens im Angesichte von Petit Goave126 einer Stadt von Domingo erster Klasse hatte er das Unglück wieder 3 Seeräuberschiffen zu begegnen, von denen sie die ihnen aus unlängst erfahrener übler Behandlung noch im frischen Andenken waren. Sie kamen wieder an Bord und übten ihre alte Kunst sich zu Herren der Lebensmittel zu machen, und lokten daher den [fol.46] größten Theil der 27. Kriegsgefangenen zu sich hinüber; nachdem diese herbeigerufenen Gäste sich genugsam von dem gewaltsam sich zugeeigneten Proviante gesettiget haben mochten, mußten die Korsaren das Schauspiel des Überganges derselben auf andern an ihnen vorbeikreuzende Schiffe sehen, und kamen dann am 20ten bei der kleinen Insel Navaye127 vorbei, von wo aus [fol.47] sie am 22ten in den Hafen von Port Royal auf Jamaika128 einliefen. Am 23ten war es ihnen erst am Schife meines Vaters zugestanden auf festes Land zuzusteuern, von wo aus er sich auf Kingston129 begab. Den 1ten und 2ten Februar machte mein Vater eine Exkursion nach Spanishtown130 wohin ihn der in Abwesenheit des Admirals Knowles131 komandierende Generallieutenant Moor einlud. Er bediente sich eines zweirädrigen Cabrioletts und machte bei der [fol.48] Rückreise durch das Brechen einer Wagenachse einen lebensgefährlichen Fall, und der das Amt eines Kutschers versehende Neger trug ein gelähmtes Bein davon. Nachdem mein Vater die Umgegend untersucht hatte, schiffte er sich am 19. Merz auf einer mit Negersklaven vollgepfropften Brigantine132

124 Lienterie ist ein Durchfall mit Abgang unverdauter Speiseteile, die glatt durchgehen. 125 Bones terres ist heute nicht identifizierbar bzw. recherchierbar ; sie müssen in der Bucht von Gon.ve vor Port-au-Prince liegen. 126 Goave, liegt westlich von Leogane auf Haiti. 127 Navassa Island (USA) liegt zwischen Haiti und Kuba und ist unbesiedelt. 128 Die in der Plantagenwirtschaft Jamaikas erzeugten Güter machten die Insel über 150 Jahre lang zu einem wertvollen Besitztum der englischen Krone. Die Insel war eine bedeutende Anlaufstelle für Freibeuter und Piraten, die, meist mit britischer Duldung, die neu gegründete Hauptstadt Port Royal anliefen. Das Piratenzeitalter auf der Insel endete mit der Zerstörung der Stadt durch ein Erdbeben am 7. Juni 1692. Spanish Town wurde wieder Hauptstadt, bis sie 1755 durch Kingston abgelöst wurde. 129 Kingston wurde 1693 von Flüchtlingen aus dem kurz zuvor zerstörten Port Royal gegründet. Bereits 1716 war Kingston die größte Stadt Jamaikas und dessen wichtigstes Handelszentrum. Es hatte der damaligen Hauptstadt Spanish Town den Rang abgelaufen. 130 Spanish Town war die frühere Hauptstadt von Jamaika. 131 Sir Charles Knowles, erster Baronet of Banbury (1704–1777) war ein englischer Admiral und von 1752–1756 Gouverneur von Jamaika. 132 Eine Brigantine ist ein zweimastiges Segelschiff und stellt eine Mischform aus Brigg und Schoner dar.

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des Handelsmannes Wead nach Karthagena133 ein, sie wurden von einer Galette begleitet, und [fol.49] von einer 24 Kanonen starken Fregatte begleitet, welche sie bis Boca chica134 eskortirt wo sie am 27ten einliefen und die Nacht vor Anker lagen. Diese Seereise war eine der mühseligsten und beschwerlichsten im ganzen Laufe seiner Fahrt, da sich auf den beiden kleinen Schiffen über 600 Seelen befanden, die auf der Brigantine frisch aus Afrika angekommenen 60. junge Negerinnen die in der Kajüte aneinan-[fol.50]der gepreßt lagen, mit eingeschloßen, so mussten die Passagiere Tag und Nacht in während der schlechtesten Witterung auf dem Verdecke bleiben, und die roheste Behandlung des selbst durch den Anblick der holden Mädchen dieser unglücklichen Schlachtopfer nicht erweichten Kapitains ertragen. Über dieses waren beide Schiffe so lek, d[a]ß sie in der augenscheinlichsten Lebensgefahr schwebten, wie den wirklich die Brigantine auf ihrer [fol.51] Rückfahrth zu Grunde gieng. Am 28ten Merz des Morgens lichteten sie die Anker und segelten nach Karthagena, wo mein Vater sogleich dem Gouverneur Feldmarschall Don Diego Tabares135 seine Aufwartung machte. Am 9ten April sandte mein Vater die Vogelfänger nach St. Antoine de Tire136 am Fluße gleichen Namens. Am 16ten April empfand er die von den Spaniern sogenannte Quebranto Luenoz als [fol.52] Vorbothe des Vomito prieto137 oder gelben Fiebers,138 von dem er nach 4 tägiger Lebensgefahr durch die Bemühung des Don Bernardo, wieder langsam zu genesen anfieng. Am 25ten May genoß er das Schauspiel des im spanischen Amerika mit sovielen sonderbaren Prunkaufzügen gefeyerten Frohnleichnahmsfestes; Nachdem er viele Exkursionen tiefer ins Land gemacht hatte, dachte er auf [fol.53] eine Gelegenheit, um auf den kürzesten Weg nach Europa zurückzugelangen, allein obgleich um diese Zeit ein paar Schiffe nach Cadix abgingen, so konnte er, wenn er sich auch über den hohen Preis von 500. Louis d’or für die Überfahrth hinweg gesetzt hätte, diese Gelegenheit nicht benützen, da keines dieser Schiffe seine vielen lebenden Thiere mitnehmen wollte. Er war daher schon entschlossen den Antrag des erst[fol.54]erwähnten H[er]rn Wead anzunehmen, und auf dessen Brigantine, auf der er angekommen war, wieder zurück nach Jamaica zu kehren, als er im Hause des Gouverneurs noch bei Zeiten den Fingerzeig erhielt, sich vor dem empfindungslosen tollen Kapitain zu hüthen, und wirklich hatte letzterer in seinem patriotischen Fanatismus geschworen neuerdings zu übernehmende Passagiers, besonders [fol.55] die damahls, der politischen Verhältniße mit England wegen verhaßten Österreicher über Bord zu werfen. Daß es ihm Daß mit dieser Drohung Ernst 133 Karthagena, auch Cartagena (Kolumbien), gilt als eine der ersten spanischen Stadtgründungen im Norden Südamerikas und erfuhr ein schnelles Wachstum als wichtiger Hafen für die Schifffahrt des Kontinents. 134 Boca Chica ist eine natürliche Hafeneinfahrt vor Cartagena für Schiffe mit größerem Tiefgang. 135 Don Diego Tabares, caballero de la Orden de Santiago, davor Gouverneur von Cuman# und von 1755 bis 1761 Gouverneur von Cartagena. Zitiert nach: MadriÇ#n, Jacquin’s American Plants (2013), 39. 136 Santa Cruz de Lorica, nach seinem Gründer Antonio de la Torre benannt, siehe: MadriÇ#n, Jacquin’s American Plants (2013), 3. 137 Eine zu Cartagena gewöhnliche Krankheit, auch das »Schwarze Brechen« genannt. 138 Ein spezifisches ansteckendes tropisches Fieber, endemisch in bestimmten begrenzten Bereichen auftretend.

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war, bewies die Folge zur Genüge, und über meinen Vater waltete die Vorsehung ganz eigentlich, denn als sich das Schiff ausser den Kanonen von Boca chica befand, versuchte der Kapitain in der That, seinen barbarischen Vorsatz an dem ihm mitgegebenen zweien spanischen Soldaten rund 12. königlichen [fol.56] schwarzen Bootsmännern auszuführen. Es kam zum Handgemenge, und die 14. ersterwähnten Leute wehrten sich gegen die englische 30 Mann Kopfe starke Mannschaft so hartneckig, daß sie endlich über selbe den Sieg davon trugen und ihre Mißhandlungen durch die Tödtung des Kapitains rächten. Des weiteren unglücklichen Schicksals dieses Schiffes ist schon oben Erwähnung geschehen, es barst, und kam [fol.57] nur mit Noth zurück wurde ausgebessert, und erlitt neue Spalten, lief zum drittenmale aus, brach endlich auf allen Seiten an und ging solchergestalt gänzlich zu Grunde. Endlich kam ein spanisches Paketboot139(:der Mars[eiller] Kapitän Joseph Janoi:) an, welches durch Vermittlung des Gouverneurs, meinen Vater für 200 spanische Louisdors nach Europa zu bringen, übernahm. Auch ein zur Transportirung der [fol.58] Naturalien und lebenden Thiere machte sich dasselbe anheischig. Am 29. October segelte es von Karthagena und am 30ten vom Boca chica mit günstigem Winde ab und entdekte nach einer 17 tägigen Fahrth das Cap St. Antonio140 auf der Insel Cuba. Von hier aus trieben widrige Winde das Schiff gegen Florida zu bis auf 25 Breite hinter die Insel Tortega141 wo sie der gefährlichen Klippen wegen, mehrere Tage [fol.59] das Senkbley nicht aus der Hand lassen durften. Endlich liefen sie mit günstigerem Winde am 29ten November in Havana dem Hafen der Hauptstadt Cuba ein, wo damahls alle spanische nach Europa zurückkehrenden Schiffe einlaufen mußten, um ihre Fracht zu ergänzen, und weitere Befehle zu empfangen. Der Generalgouverneur Feldmarschall Francesco Carigal della Vega142 nahm meinen Vater auf das lieb-[fol.60]reichste auf, und verschaffte ihm einen bequemen Ort zur Auspackung und Aufstellung seiner Thiere, welches um so notwendiger war, da die Neugierde der Bewohner dieses damals sogenannten amerikanischen Paris ihn den größten Zudringlichkeiten aussezte, besonders war der weibliche Theil derselben bis in den späteren Abendstunden ja selbst bis 10 Uhr Nachts geschäftig, der ihm angebohrenen Neugierde seinen Tribut zu entrichten. [fol.61] Mein Vater sammelte noch mehrere Pflanzen und andere naturhistorische Gegenstände in dieser reitzenden Gegend und segelte am 4. Jenner 1759 bei Tagesanbruch nach Europa zurück. Sie passierten glücklich den Kanal von Bazara143 aber auf welcher Farth sie am 2ten Tage einen fürchterlichen Sturm zuer auszuhalten hatten, der sie wieder unter verschiedenen Fährlichkeiten an die Küste von Florida trieb. [fol.62] Zum Glück hatten sie ein vollkommen gutes Fahrzeug sonst würden sie durch denStur diese Stürme auf hoher freyer See weit größeren Gefahren ausgesezt gewesen sein.

139 So wurden Schiffe bezeichnet, welche im Dienste von Privatpersonen oder Gesellschaften zu bestimmten Zeiten und für bestimmte Häfen regelmäßig Frachten und Personen beförderten. 140 Cap St. Antonio liegt auf der Westspitze von Kuba. 141 Tortugas ist eine kleine Insel, die am Ende der Inselkette Florida Keys liegt. 142 Francisco Cajigal de la Vega (1691–1777) war spanischer Offizier und von 1747–1760 Gouverneur von Kuba. 143 Es handelt sich hier wahrscheinlich um die Straits of Bahamas, die als sehr gefährlich galten.

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Sie steuerten von der Insel St. Maria eine der [Leerstelle] so nahe vorbei, daß sie die Häuser unterscheiden konnten, und entdekten am 23ten Februar bei Sonnenaufgang zuerst die europäische Küste, wo sie am Abends vor dem prächtigen Hafen von Ferole144 ankamen, in welchem [fol.63] sie erst am 25 nach einer Fahrt von 15 Tagen einliefen. Der Gouverneur General Lieutenant Don Francesco Orono, dem mein Vater sogleich seine Aufwartung machte, pflegte sonderbar genug in einem Staatswagen mit 4 Ochsen bespannten Staatswagen gravitätisch herumzufahren. Da erkemeinVat er kein nach Bordeaux segelfertiges Schiff fand, so musste er sich es gefallen lassen, nach St. Sebastian zuzusteuern, und von dort nach Bajonne zu schiffen, von wo ernun aus er seinen Transport auf der [Leerstelle] über Dax, Langon [fol.64] Bordeaux nach St. Macaire, Marmonde, Port Poseaux bis Toulouse und von da nach Montpellier zusegelte, von wo er am 6ten Junius seinen alten Freund Sauvage wieder besuchte. Er sezte dann seinen Weg langsam über Nimes, Beaucare, Lion, Besancon nach Strassburg, wo er seinen Freund Professor Spielmann145 besuchte fort. Von da ging er nach Ulm und schifte sich auf der [fol.65] Donau nach Wien ein, wo er endlich am 17. July 1759 nach einer Abwesenheit von 5 Jahren146 7. Monaten anlangte, und 6Tagemit noch bis 23. Juli zubrachte, den von ihm mitgebrachten Transport theils nach Schönbrunn theils in das kaiserl[iche] Naturalienkabinett zu übergeben, theils indieHände S. Majestät selbst zu überreichen. Dieser Transport bestand aus mehreren Kisten mit Madreporen, Konchylien, Fossilien, worunter wieder Platina, dann große Magnetsteine von St. Domingo [fol.66] viele lebende Pflanzen und Thiere worunter sich Beutelratzen und ein Felix concolor147 befand. —–-—–-—––Dieses ist der kurzgefaßte und bündige Auszug aus den genau geführten Tagebüchern und Journalen des Verstorbenen, wie es aus der Feder seines würdigen Sohnes floß, dessen gefällige Bereitwilligkeit ich hier öffentlich dankbar anerkenne. [fol.67] Das in stetter und vielfältiger litterärischer Beschäftigung dahinfliessende Leben des letzern warkeinkonnte war nicht im Stande denselben abzuhalten, manche Stunde der emsigen Auswahl aus ersterwähnten Tagebüchern zu widmen. —–-—–-—––Wenn man die Stufe bedenkt auf welcher damals (zu jener Zeit als der Verstorbene die Reise unternahm) naturhistorische Kenntniße im weitesten Sinne des Wortes standen, undvon die vielen irrigen Meinungen beherzt, die damals die aufgeklärtesten Köpfe gefangen hielten, und [fol.68] welchernur deren Aufklärung und Erhellung nur den neuesten Zeiten aufbehalten blieb, und noch besonders der schriftlichen sowohl als mündlichen Verhaltungsbefehle, welche Jacquin zu seiner Reise erhielt gehörig ins Auge gefaßt hat, so 144 Hafen im Nordwesten Spaniens. 145 Jakob Reinbold Spielmann (1722–1783), Apotheker, Arzt und Chemiker in Straßburg, studierte neben Pharmazie auch Sprachen und Philosophie. 1759 wurde ihm eine ordentliche Professur der Medizin übertragen, welche ihm die Verpflichtung auferlegte, auch über Chemie, Pharmakognosie (Materia medica) und Botanik zu lesen sowie den Botanischen Garten von Straßburg zu leiten. 146 Hier hat sich der Schreiber vertan, es handelt sich um vier Jahre und sieben Monate. 147 Puma.

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kann man unsern Veteranen die gerechte huldigende Bewunderung nicht versagen, daßer so viel für die Erweiterung der Naturkunde in Osterreich gethan, so viel gesammelt, verschickt und selbst mitgebracht so richtig klas-[fol.69]sifiziert, und überhaupt soviel für Naturkunde geleistet, so viele Hinderniße beseitiget und überwunden zu haben, und endlich, was demManne nicht allein den Gelehrten (wie aus gegenwärtiger Ansicht erhellet) sondern auch den Menschen Jacquin die Krone aufsezt, mit so großer, seinem kindlichen Gemüthe ganz eigenthümlicher, seltener Uneigennützigkeit und Gewissenhaftigkeit so große Schätze bis in die H[au]ptstadt Ostreichs gefördert zu haben. (Kenner werden sich ohnedies überzeugt haben, was hergebracht wurde unddas alles kostete nicht mehr als und man bedenke die Beschwerden des Transportes, und das alles kostete nicht mehr als [Leerstelle] [fol.70] (*Kommt noch etwas hinzu.) Fuers erste war der damaliger Direktor des ka[i]s[erlichen] Naturalienkabinetts Freyh[er]r v[on] Baillou,148 er war die Hauptquelle der erwähnten Verhaltungsregeln. In denselben war als Hauptzweck der Mission eingeschärft: Für das k.k. Na[tur]alienkabinett, Konchylien, Madreporen und Korallen, dann Versteinerungen und Edelsteine auf der Mutter zu sammeln. Für die Schönbrunner Menagerie lebende Thiere vorzüglich Singvögel, Fasanen?! – und Wasservögel! aber ja keine Raub-[fol.71]thiere und Papageyen mitbringen. An lebenden Pflanzen sollte er nur solche bringen deren Frucht genießbar oder deren Blüthen wohlriechend sind und sehr schön ins Auge fallen. Auch wurde ihm besonders eingebunden sich nicht etwa durch eigene oder eines Gärtners Privatliebhaberey verleiten zu lassen denPunkt irgendeinen Punkt dieser Instrukzion zu übertretten. Übrigens sollten alle mitgebrachten Bäume und Sträuche in der Vegetazion so fortgerükt sein, daß sie Blüthen und Früchte zu tragen fähig wären. [fol.72] Endlich mußte er vorzüglich suchen die Münzen der durchreisten Länder zu sammeln. Nebstdem hatte er auch noch den besonderen Liebhabereyen S. Ma Nebstdem hatte er auch diejenigen Naturprodukte zu sammeln, welche den Lieblingsneigungen seines Gönners des Kaisers entsprachen. Es war ihm ferner der Befehl ertheilt sowohl die englisch, französisch, holländisch als spanischen Besitzungen zu besuchen, nachdem er es zur tauglichsten Vollbringung seiner Aufträge nötig fände; auch war der damals von dem König von Spanien angesuchte Paß den er da-[fol.73]erst in Westindien erhielt, ohne Rückhalt149 Klausel darauf eingerichtet. Als er aber gelegentlich von Marseille aus schrieb er sey der Meinung nach von daselbst von la Condamine und andern Gelehrten eingezogenen Nachrichten, wohl noch mit dem größten Erfolge das feste Land der spanischen Besitzungen besuchen könnte, so erhielt er ein unverhofftes Verboth den mexikanischen Meerbusen zu bereisen, und er sich davon die meiste Bereicherung für die Naturkunde versprach, zu besuchen reisen. Da ausserdem die gänzliche Unbehülflichkeit und Rohheit der beiden ihm mitgegebenen Vogelfänger, von welchen nur einer ihm zu Ende seiner Reise begleitete, die große Sorge für die beständig in grosser Menge zu erhaltenden lebenden Thiere größtentheils auf ihn selbst zurückwarf und er alle [fol.74] 148 Jean Chevalier de Baillou (Johann Ritter von) (1684–1758), studierte Mathematik, kam vor 1718 an den Hof des Herzogs Francesco Farnese nach Parma. 1748 kaufte Kaiser Franz I. Stephan die Naturaliensammlung Baillous an, ernannte ihn zum Direktor des »Hof-Naturalien-Cabinets« und verpflichtete sich vertraglich, dass diese Stelle immer auf die ältesten Söhne der Familie übergehen sollte. 149 Das Wort ist schwer lesbar.

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Geschäfte blos mit diesen Gehilfen und einem in Martinique erstandenen Negerjungen vollbringen mußte, so erübrigte ihm (:dazu diese hemmenden mechanischen Beschäftigungen:) eine sehr spärlich zugemessene Muße für sein Lieblingsstudium die Botanik. Er fing in den ersten Jahren mit vielen Fleiß an ein Herbarium zu sammeln, allein da er mehrentheils bei Zurücklassung der schon gesammelten Schätze, während entlegener Exkursionen, durch die weißen Ameisen alles wieder verlor, so beschränkte er sich, vom Mismuthe überwältigt, auf die ihm neuen und merkwürdigen Pflanzen, soviel es ihm die Zeit erlaubte an Ort und Stelle nach dem Leben abzuzeichnen und zu beschreiben. Sein Auf früherer Aufenthalt in der k.k. Zeichenakademie in Wien machte ihn fähig, Pflanzen richtig und genau abzeichnen zu können. Er wählte zu seinen Handzeichnungen die leichte u[nd] fördersamste Methode des Pater Plumiers150 dessen Federzeichnungen in Kupferstichen damals mit gebührendem Lob aufgenommen wurde. [fol.75] Nach seiner Rückkehr nach Wien welche im Juli des Jahres 1759 erfolgte, benüzte Jacquin die ihm gegönnte Muße zur Verfaßung botanischer Werke von welchen er die Historia stirpium americanorum seinem Gönner Franz I. widmete. Das Jahr 1763 war auch das seiner Ernennung zum k.k. Bergrath und Professor der Chemie, Mineralogie an der Akademie zu Schemnitz, allein da er sich der deutschen Sprache nicht mächtig [fol.76] genug wähnte, so flößte ihm seine angeborene Bescheidenheit mehrere Bedenklichkeiten ein, die er laut werden zu lassen edel- und freymüthig genug war, allein die große Theresia, durch welche die auf ihn gefallene Wahl bestättiget wurde, hob diese Zweifel durch die höchst eigene Äußerung: daß Jacquins angeborener Fleiß und Scharfsinn die ihm etwa noch im Wege stehenden geringen Schwierigkeiten des fertigen Vortrages in dieser [fol.77] Sprache mit unerheblicher Anstrengung, in der Frist eines halben Jahres leicht zum überwältigen im Stande seyn würde, was auch der Erfolg zur Genüge bestättigte; diese Zeit gönnte ihm die Monarchin auch gerne zu seiner Vorbereitung. Im Jahr Im Jahr 1768 wurde er in die Stelle des abgetrettenen Laugier Professor der Botanik und Chemie an der Wiener Universität, und erstrekte seinen Wirkungskreis nicht allein über die [fol.78] Zahl seiner Zuhörer sondern sogar auf den Zustand dieser Wissenschaft im Auslande, als ein alles Gute und Nützliche fördernder Gelehrter. Uberdieß war sein Haus ein Sammelplatz der geistreichsten Männer des Inn- und Auslandes. Bekannt ist der zwischen Blacke und Meyer über die Atzbarkeit des Kalkes [erfolgte Streit]. Diese einander hierüber aufgestellten einander aufhebenden Behauptungen spornten den [fol.79] Veteranen der Chemie zu Versuchen an, und die sich ergebenden Resultate derselben bestättigten Blacke’s Behauptung und waren nur geeignet, selbe in ein noch größeres Licht zu setzen: Der Apparat dessen sich Jacquin bei der zur Prüfung dieser aufgeworfenen Meynungen bediente war sehr sinnreich, und bestand in der vollkommensten pneumatischen Zu-

150 Charles Plumier (1646–1704) ein Franziskaner, der 1689–95 drei wissenschaftliche Reisen nach Amerika unternahm. Er verfasste schon früh Pflanzenverzeichnisse einiger Westindischer Inseln in seinen Werken: »Description des plantes de l’Amerique« (Paris 1693), »Nova plantarum americanarum genera« (1703) und »Trait8 des fougHres de l’Amerique« (1705). Plumiers Zeichnungen und Manuskripte befinden sich im »Mus8um d’Histoire naturelle« in Paris.

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richtung der damaligen Zeit. Diese in einer eigenen Abhandlung151 geäußerten Wahrheiten [fol.80] erregten stürmische Angriffe zu denen aber da sie aber so leidenschaftlich und als unhaltbar und in sich selbst zerstäubend waren, der edle Mann im stillen Bewußtsein und gerechten Gefühle seiner Persönlichkeit schwieg, und es nur der nahe liegenden Prüfung eines jeden Unbefangenen anheim zu stellen brauchte, um siegreich aus einem Konflikte fern der Leidenschaften hervorzugehen. Der große Lavoisier152 dieser Schöpfer der [fol.81] neuen Chemie würdigte die chemischen Arbeiten Jacquins auf eine, dem Geiste und den Kenntnißen beider Gelehrten gleich rühmlichen Art, nicht nur durch öffentliche Huldigungen des aufrichtigsten Beifalles sondern auch durch Eröffnung eines vertrauten Briefwechsels. Den auffallendsten Beweis der großen Achtung gewährt aber die jedesmalige Übersendung der von Zeit zu Zeit erschienenen Werke des französischen Chemikers an unsern Jacquin. [fol.82] Durch diese Verhältniße wurde er auch in den Stand gesezt, zur Emporhebung des österreichischen Fabrik- und Manufakturwesens beizutragen, wodurch er sein neues Vaterland von manchen drückenden Handelsverhältnißen befreien half. Im Jahr 1797 begann er die Herausgabe seines vortreflichen Werkes Durch die Ernennung Übertragung der wissenschaftlichen Oberaufsicht über den botanischen Garten in Schönbrunn unter Kaiser Leopold II. [fol.83] war Jacquin in den Stand gesezt, zwischen dem Jahr 1797 u[nd] 1804 sein vortreffliches Werk den Hortum Schönbrunensem in 4 Bänden herauszugeben. Er sezte in 6. Heften fort die den Namen botanische Fragmente führen Im Jahr [1794] erschien sein Werk über die Oxaliden, das jederzeit als Muster einer botanischen Monographie aufgestellt zu werden verdient, und seine Icones plantas rariorum. Im Jahr [1800–1809] lieferte [fol.84] er die Fortsetzung des Hortus Schönbrunensis, sie ist unter dem Titel botanische Fragmente in 6 Heften bekannt. Noch in seinen lezten Lebensjahren sezte er seine litterarische Lauf Thätigkeit mit dem Feuer eines emporstrebenden Jünglings fort. Geist und Körper unterstüzten sich in der Erscheinung dieses Gelehrten gegenseitig, und seine stette Heiterkeit, die sich [fol.85] immer gleiche Jovialität seines Geistes hatten gewiß einen unbestreitbaren Einfluß auf die gleichmäßigen Funkzionen seines animalischen Lebens. Im Jahr [1]811 also in seinem lezten Lebensjahr, erschien von ihm ein Werk über die Befruchtungstheile der Asklepiadeen153, eine Arbeit die nur mit geschärften physischen und geistigen Augen, und mit der lebhaften Blüthe einer jugendlichen Einbildungskraft unternommen [fol.86] und durchgeführt werden, (:bei dem er sich seinen Schwanengesang selbst voraussezte:) und auf eine solche Art ausgeführt werden konnte, daß Wildenow 151 Nikolaus Joseph Jacquin, Examen chemicum doctrinae Meyerianae de acido pingui [etc.] (Wien 1769). 152 Antoine Laurent de Lavoisier (1743–1794) gilt als einer der Begründer der neuzeitlichen Chemie. 1771 heiratete er die spätere Marie Lavoisier aus reichem Haus, wodurch ihm ermöglicht wurde, ein großes Labor einzurichten, in dem seine Frau auch gerne experimentierte und das Laborbuch führte. Er gilt als Entdecker des Sauerstoffs, der Oxidation und der chemischen Verbindungen des Wassers. Seine Forschungen widerlegten die bis dahin gültige Phlogiston-Theorie. 153 Asklepias (Schwalbenwurz, Seidenpflanze) ist eine Gattung aus der Familie der Asklepiadaceae, perennierende, Milchsaft führende Kräuter.

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dieser vollgültige Richter im letzten Hefte seines Hortus berolinensis es als ein goldenes Buch (:in aureo suo libello:) anführt. Eben so arbeitete er auch mit allem Fleiße an der Fortsetzung seines Werkes über die Stapelien154und Selbst [fol.87]. Noch auf seinem Krankenlager beschäftigte er sich mit diesem jüngsten Kind seines Geistes, nachdem er viele Tage stumm und in sich gekehrt verharrte, war seine erste Frage an einem heiteren August Morgen: »Blühet noch keine Stapelie?« Er erlebte nicht die Freude dieses Werk vollenden zu können. Sein Körper erlag nacheinem18 täg allmählig einer in den lezten zehn Wochen seines Lebens immer mehr zunehmenden Altersschwäche (Marasmus senili) [fol.88] welches sich auf 90 Jahre und 8 Monate erstrekte. Die Züge seines ächt antiken Hauptes erhielten sich auch nach entschwundenen Lebensfunken; aber der Genius des Todes welcher vor sein Sterbelager tratt brauchte dessen Fackel nur langsam zu wenden um die leicht verhauchte Lebensflamme schwinden zu sehen. – Ja selbst auf der Bahre schien blos der Genius des Schlafes sich seiner bemächtiget zu haben, denn un-[fol.89]entstellt lag der ehrwürdige Nestor mit seinem durchs Alter gebleichten Silberhaare da, der sprechendste Beweis einer schön durchlebten Menschenära!Als Vater war ihm das schöne Loos zu Theil, an seinem würdigen Sohne, welcher seit 1792 der Nachfolger in seinem Lehramte und späterhin auch der Fortsetzer seiner Werke war, und – er der kindliche Greis mit 90 Jahren in seinen Enkelinnen155 sich sich verjüngt zu sehen. —–-—–-—––[fol.90] Ihn dessen Forschungsgeist alle Schätze der Erde offen standen, lasset uns, Ihr Hörer seiner Lieblingswissenschaft! seine kleine Ruhestätte in dem treuen Schooße dieser Erde, die ihm nun nichts anderes geben kann, im kommenden Frühjahr mit Blumen krönen! Der Liebling derselben ist dahin gegangen. [fol.91] Früchte wie Blumen vordem, ihr nahmet schon Abschied vom Jahre Ließet den Priester allein, welcher euch nannte der Welt. Ach! Ihr erwachet im nächsten Frühlinge, sehnt euch vergebens nach dem Lieblinge der Floren verherrlicht durch euch. Scheidet ihr ahndungsvoll? ja! ahndungs=156 voll welktet ihr hin Ach! ihr verstehet, der Meister, nie 154 Stapelie, Stapelia, Aasblume, Gattung der Schwalbenwurzgewächse, meist in Süd- und Südwestafrika; blattlose oder stummelblättrige, stachelige Pflanzen trockener Gebiete; die meist sternförmigen, dunklen Blüten (Ordensstern) verbreiten Aasgeruch; auch als Zimmer- und Gewächshauspflanzen bereits im 18. Jahrhundert beliebt. 155 N. Jacquin hatte 3 Enkelkinder : Isabella, die Tochter seines Sohnes Joseph Franz, und eine weitere Isabella und einen Nikolaus von seiner Tochter Franziska. Siehe dazu Stammtafel. 156 In der Bedeutung von Ahnung.

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lächelt ihm mehr seine Flora Und im kommenden Lenz geht euch der Priester nur ab Könnt er uns kommen, wie ihr, stets jung mit jeglichen Frühling! [fol.92] Jung als Knab’ wie als Greis grüßt’ er den Frühling ja stäts. Tröstet euch Blumen und Früchte; mit jeden beginnenden Sommer Flicht mit euch ihm den Kranz, Austrias Flora gerührt, In der Unsterblichen Halle krönt sie sein Bildniß mit Jugend, Jede Zeit unsers Jahres, biethet ihr Schätze dazu. Euch, ihr Kinder! nannte er oft allen Zonen und Zeiten Darum blühe sein Ruhm ewig wie ihr, in der Welt Blüthen des Geists, wie der Schöpfung sie wandeln in ewiger Jugend Ewig lebet auch der, der sie führt in die Welt. [fol.93] Wie ein begeisteter Priester, Floras Kinder nur nennet Reiht sich der Name Jacquin gleich an die Prangenden an. Wo nur Flora den Gürtel sich webet, umkreisend die Tellus Hört man erschallen Jacquin! Trauernd das erste Mal heut (Die Flora Östereichs) All’ ihre Kinder die nahe in ih ihm waren sie schieden vor ihm noch Ehe der Kreislauf des Jahres endete, schieden sie hin Alle Blüthen auf Austrias Fluren welkten und schwanden Floras Gürtel verschwand. – Jezt senkt Jacquin auch das Haupt. Am 16. 8[Oktober]ten [1]817. [fol.95] Seine vielfältigen Verdienste um den Staat und die Wissenschaften erhoben ihn durch den eigenhändigen ausdrücklichen Willen Maria Theresias in den Adelsstand. Auf Kosten Joseph II. wurde seinem Sohn auf Reisen ausgesendet, um um würdig bei Übernahme eines künftigen Lehrstandes würdig in die Fußstapfen seines Vaters zu tretten,

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unter dem jetzigen Kaiser wurde er als 8ojähriger Greis in den Freiherrnstand gehoben und erhielt den S[ank]t. Stephansorden. Die Fakultäten der [fol.96] Wiener Universität wählten ihn im Jahre 1808/09 zu ihrem Rector magnificus. Wer den kritischen Zeitpunkt des Jahres [1]809 kennt, der wird erstbesagter Universität Glück wünschen daß die Obhut der Obhut der dort befindlichen wissenschaftlichen Schätze unter die Obhut eines Mannes gestellt wurden [Leerstelle] Bür Privattugenden sowohl der Bürgerkrone würdig waren, als sein litterärischer Ruf schon längst auch dem Feinde hohe Achtung eingeflößt hat. [fol.97] Seine Korrespondenz erstreckte sich seit seiner Rückreise von Amerika nach allen Gegenden Europas. Bei dessen grosser in dieser Hauptstadt allgemein bekannter und geschäzter Bescheidenheit, kann es niemand auffallen, daß dieser zahlreiche Briefwechsel meistens den schriftstellerischen Äußerungen gefeyerter Gelehrter an ihn seinen Ur-[fol.98]sprung zu verdanken hat. Dies war auch der Fall bei dem Reformator der Naturgeschichte dem großem Linn8e. – Die Korrespondenz mit demselben sezte er bis an den Tod dieses berühmten Schweden fort. Die freundschaftlichen Briefe, die er mit Haller,157 Gronovius, Pallas,158 Thunberg,159 Schreber,160 Gleditsch,161Murray,162 Thouins163und dem berühmten ehemaligen Präsiden157 Albrecht von Haller (1708–1777) war Schweizer Botaniker und Mediziner, dessen Leistungen auf anatomischem und bibliographischem Gebiet in der Geschichte der Medizin von nachhaltiger Bedeutung waren. Er trat außerdem als Dichter und Literaturkritiker der Aufklärungsepoche hervor. Wegen des breiten Spektrums seiner Fähigkeiten galt er als Universalgelehrter. 158 Peter Simon Pallas (1741–1811), deutscher Naturforscher und Geograph, wurde 1767 zum ordentlichen Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Sankt Peterburg ernannt und unternahm 1768–74 und 1793–94 Expeditionen durch Sibirien und das südliche Russische Reich. Seine Zeichnungen für »Flora Rossica« schickte er Jacquin zur Begutachtung. 159 Carl Peter Thunberg (1743–1828), schwedischer Naturforscher, gilt als Begründer der Botanik in Südafrika und Japan. Er studierte Medizin und naturalistische Philosophie an der Universität Uppsala, wo er Schüler von Carolus Linnaeus war. 1784 wurde er zum Professor für Medizin und Naturphilosophie an die Universität Uppsala berufen, eine Position, die er bis zu seinem Tode innehatte. 160 Johann Christian Daniel von Schreber (1739–1810), deutscher Mediziner und Naturforscher, der 1769/70 einen Ruf als ordentlicher Professor der Botanik, Naturgeschichte, Wirtschaft und Politik an die Universität Erlangen annahm. 1773 übernahm er die Leitung des Botanischen Gartens der Universität. Neben seiner eigentlichen wissenschaftlichen Arbeit begann Schreber in diesen Jahren, das gesamte Werk des Wissenschaftlers Carl von Linn8 ins Deutsche zu übersetzen. 161 Johann Gottlieb Gleditsch (1714–1786), Botaniker und Arzt, studierte Philosophie und Medizin in Leipzig. 1746 wurde er Professor der Botanik und Direktor des Botanischen Gartens in Berlin. Gleditsch erwarb sich große Verdienste als Lehrer und zählte zu den Ersten, die dem Forstwesen eine naturwissenschaftliche Grundlage gaben. Nach ihm ist die Gattung der Gleditschien (Gleditsia L.) benannt. 162 Johan Andreas Murray (1740–1791), schwedischer Botaniker und Mediziner, studierte 1756 bis 1759 bei Linn8 in Uppsala. Professor für Botanik und Medizin in Göttingen und ab 1769 Kustos des Botanischen Gartens Göttingen. Er war Herausgeber der 13. und 14. Auflage 1774, 1784 von C. Linn8s »Systema vegetabilum […]«. 163 Andr8 Thouin (1747–1824), französischer Botaniker, studierte Botanik bei Bernhard de Jussieu (1699–1777), dem renommierten Botaniker seiner Zeit und Begründer des natür-

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ten der Londoner [fol.99] Akademie Banks,164diesen unvergeßlichen Reisegefährten Cooks, wechselte, gewähren einen großen Schatz litterärischer Ausbeute, sind die Resultate seines eisernen Fleißes, die schönsten Blüthen seines Forschungsgeistes, wären wohl am besten im Stande die Bildungsgeschichte dieses Mannes aus sich selbst psychologisch durchzuführen, und zu zeigen, welche Mittheilungen, Ansichten und Ideen er dem eigenen Genius, wel-[fol.100]che er fremden Mittheilungen zu verdanken hatte: Ja dieser Briefwechsel muß beweisen daß echter und kindlich reiner wissenschaftlicher Enthusiasmus sogar ein vermittelndes Bindungsglied zwischen den entschiedensten Gegnern ist, der die verschiedenartigsten Naturen in sich zu fesseln versteht, wie Jacquin’s gleiche Verehrung für Hallern wie für den großen Linn8e die im Le-[fol.101]ben doch gegenseitig immerwährende Antipoden waren, an den Tag legte. Die Bekanntmachung dieser litterärischen Mittheilungen, so vollständig als möglich, wäre äußerst interessant, vielleicht kein eitler Wunsch und am vollständigsten etwa von dessen würdigem Sohn Jos[eph] Freyherrn von Jacquin zu erwarten. Der stets regen Thätigkeit unseres verstorbenen Jacquins [fol.102] ging in dieserMorgenrötheder Natuwissenschaft dem erst erwähnten goldenen Zeitalter der Naturwissenschaft im ausgebreitesten Sinne des Wortes, fast kein Tag vorüber ohne Belehrung durch die Sterne erster Größe am litterärischen Horizont vorüber, so wie er jede neue selbstgemachte praktische oder philosophische Ausbeute im Gebiethe seiner Lieblingswissenschaft dankbaren Gemüthes bekannt machte, [fol.103] und daher auch die Huldigung der spätesten Nachwelt ihm über das Grab nachrufen wird. »Nikolaus Freyh[err] v. Jacquin einer der größten Botaniker seines Jahrhundertes.« Seine Werke entspringen aus der lebhaftesten treuesten Beobachtung und Anschauung seiner treuen Freundin Mutter Natur: nicht bloße Einfälle, nicht todte Büchergelehrsamkeit, sondern die Spuren der Na-[fol.104]tur, die er durch die Fingerzeige des Ewig Wahren geleitet, mit heiliger Ehrfurcht und kindlicher Anerkennung und Huldigung, als ihr treuester Sohn durch eine schöne Lebensdauer verfolgte erwekte in ihm das reifste Nachforschen, und die hieraus sich ergebenden gediegendsten Resultate legte er mit aller Achtung seiner gelehrten Mitwelt vor. In seinen allmählig bis auf 30 Bänden angewachsenen botan[ischen] Werken bezeichnete er die angeführten Pflanzen mit solcher genauer und treffender Charakteristik, daß selbst Anfänger vor jedem Irrthume gesichert seyn mußten. Eine solche Genauigkeit war bis dazumal noch nie beobachtet worden.

lichen Systems der Pflanzenklassifizierung. Die von Thouin durchgeführten botanischen Sammlungen für das Museum bilden den einzigen wissenschaftlichen Bestand Frankreichs, der nicht durch die Revolutionswirren vernichtet wurde. Ohne sein Wirken wäre der königliche Garten und seine von vielen königlichen Pflanzenjägern zusammengetragenen Pflanzen und Herbarien in den Revolutionswirren zerstört worden und nicht als der berühmte Jardin des Plantes erhalten. 164 Joseph Banks (1744–1820) war ein englischer Naturforscher, insbesondere Botaniker, der Mitte des 18. Jahrhunderts James Cook auf dessen erster Reise und Weltumsegelung (1768– 1771) begleitete und umfangreiches botanisches Material nach London brachte.

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III.

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III. 1. Nikolaus Joseph von Jacquin: 37 Briefe an Jacobus Gronovius, 1744–1759 Österreichische Nationalbibliothek, Sammlung von Handschriften und alten Drucken, Cod. 12778, fol. 1–48, »N. J. Jacquin Litterae triginta septem ad Jacobum Gronovium datae a.1744–1759.« Kommentar : Die Edition bietet alle jene Briefe, die von Nikolaus Joseph Jacquin an Jacobus Gronovius gerichtet wurden, die in dem an der Nationalbibliothek aufbewahrten Kodex enthalten sind. Die Reihenfolge der Edition folgt jener des Kodex, allerdings haben wir eine Nummerierung eingeführt, weil das Konvolut die Zahl 37 trägt und die Zählung auch die leichtere Unterscheidbarkeit der Briefe gewährleistet. Die am Ende eingebundenen undadierten Briefe 35, 36 und 37 stehen außerhalb der sonst im Kodex eingehaltenen Chronologie und werden hier zeitlich passend eingereiht. Die Überschrift zu jedem Brief enthält die Nummer und Folienangabe. Wir beginnen mit dem Regest, das eine zusammenfassende Wiedergabe der Inhalte anbietet. Es ist nicht als direkte Übersetzung zu verstehen, dennoch kommen Formulierungen vor, die an den Wortlaut der Briefe angelehnt sind. Nur dann werden die Regesten zu Übersetzungen, wenn der Brief sehr kurz gehalten ist. Floskeln und stilistische Ausschmückungen werden nicht wiedergegeben. Auch die jeweilige Anrede wird nicht immer aufgenommen. Der Name des Schreibers und jener des Empfängers werden mit der Initiale des jeweiligen Familiennamens angeführt. Andere vorkommende Namen werden der Vorlage ident wiedergegeben und nicht normalisiert. Unsichere Identifikationen werden in einer eckigen Klammer angezeigt, gegebenenfalls mit einem Fragezeichen, oder in einer Fußnote ausgewiesen. In einigen wenigen Fällen erfolgen eine Transkription des ganzen lateinischen Briefes und eine deutsche Übersetzung, weil wir diese Briefe als relevant für unsere Forschung ansehen. Folgende Briefe sind im ganzen Wortlaut ediert: Nr. 36, 18, 23, 24, 25, 26, 33. 1. Brief, fol. 1r. Regest: Antwerpen, 18. Juni 1744 J. beteuert G. seine außerordentliche Freundschaft und entschuldigt die lange Schreibpause mit seinen Reisen und Studien. Er berichtet von seinen Studienerfolgen in Rhetorik und Dialektik. Den Namen [des Verfassers eines beigelegten Schreibens? – vgl. 2. Brief] werde G. noch nicht kennen, sicherlich aber werde sein Vater Auskunft geben können. Grüße an die Freunde. Im PS bittet er, Briefe an ihn zur Weiterleitung an seine Mutter zu senden.

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2. Brief, fol. 2r. Regest: [Brief in elegischen Distichen] Antwerpen, 17. August 1744 J. drückt seine Freude über G.s Brief aus und beteuert seine Freundschaft. Im ebenfalls metrischen PS legt er G. den beigelegten Brief ans Herz und richtet Grüße an die Freunde. 3. Brief, fol. 3r/v. Regest: Löwen, 22. October [1744? – eher 1747?] J. berichtet von einer beschwerlichen Schiffreise von Delft nach Breda; nach viertägigem Aufenthalt reiste er nach Antwerpen weiter, dann über die Schelde nach Brüssel. Schließlich sei er am Vortag in Löwen angekommen. Hier gebe es nicht Neues, das erwähnenswert sei. Am nächsten Tag wolle er wegen der Werke Andhelms [sic! wohl für Aldhelms]165 an den Superior des Konvikts [Jesuiten? – vgl. Brief 5] schreiben. Grüße an die Familie und Freunde. 4. Brief, fol. 4r. Regest: Löwen, 31. Dezember 1744 Neujahrsgrüße; die 777 Bande ihrer Freundschaft wolle er noch fester knüpfen. In Löwen sei er zufrieden, die wenigen Studien ermüdeten ihn nicht. Sonst gebe es nichts Neues, er bitte um Antwort. Im PS Grüße an G.s Vater und an die Freunde. 5. Brief, fol. 5r/v. Regest: Löwen, 27. Dezember 1747 Briefe seien nun ihre Verbindung, G.s letzter Brief habe J. sehr viel Freude bereitet, ebenso die Nachricht, dass es ihm und seiner Familie gut gehe. Dann berichtet J. sehr kritisch von seinem Griechischunterricht. Die vom Vater empfohlene Aldhelm-Ausgabe habe er nicht gefunden, von den Jesuiten habe er noch keine Antwort erhalten. Doch in der Bibliothek seines Collegiums seien ihm einige, vielleicht sogar sämtliche Werke als Teil einer 14bändigen Kölner Kirchenväter-Ausgabe von 1618 in die Hände gefallen, darunter »De laudibus virginum« und »De laude virginitatis«, das wolle er den Vater wissen lassen. Er wünsche G. ein gutes neues Jahr, ebenso der Familie und vor allem dem Vater. Diesen Brief habe er direkt geschickt und auch G. könne seine Post unter seinem Namen an das »Hollandsch Collegie« schicken.

165 Aldhelm von Malmesbury (um 639–709), Abt in Malmesbury, Bischof von Sherborne, war der erste angelsächsisch-lateinische Dichter von Bedeutung.

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6. Brief, fol. 6r/v. Regest: Löwen, 15. Juni 1748 (»17. Cal. Julius 1748«) J. schickt das Gedicht, um das G. gebeten hat, er habe aber nur wenige Tage zur Ausarbeitung gehabt. Er freut sich über die Nachricht von der bevorstehenden Verehelichung von G.s Schwester. Er gratuliert Braut und Bräutigam und wünscht Glück. G. werde wohl Brautführer sein. Dabei möge er die Gelegenheit der Hochzeitsfeierlichkeiten nützen und sich eine geeignete Braut suchen. J. gibt praktische Ratschläge, wie man das Herz von Frauen erringen könne. Es belaste ihn, dass er so lange keine Nachricht [von ?]166 erhalten habe. G. möge einwirken, er würde dasselbe für ihn tun. Die Briefe sollten nicht über die Mutter, sondern direkt geschickt werden, J.s Briefe solle G. heimlich übergeben. Dem Verwandten Theod. [Laurens Theodor Gronovius] möge er in J.s Namen gratulieren und Grüße ausrichten. Es folgt das bestellte Hochzeitsgedicht in 32 elegischen Distichen, beginnend mit einer Anrede Amors. 7. Brief, fol. 7r. Regest: Löwen, 28. Juli 1748 J. freut sich über G.s Brief, er bedauert den Zwist zwischen der Schwester und dem Vater. Er kündigt seine baldige Rückkehr nach Leiden an. Nichts Neues sei für den unten angeführten Herrn dabei, G. möge eine beigefügte Nachricht für den nächsten Brief ankündigen. 8. Brief, fol. 8 r. Regest: Paris, 18. Oktober 1748 J. entschuldigt seine lange Briefpause, es habe nichts des Schreibens Wertes, nur Unangenehmes gegeben. G. wisse, wie eingeschränkt J.s häusliche Situation sei, deshalb sei er gegen seinen Willen von der Mutter für die Kirche bestimmt gewesen. Nun habe er der Theologie Lebwohl gesagt, woraufhin die Mutter mit ihm gebrochen habe. So habe er nicht zurückkehren können, sondern sei nach Paris aufgebrochen, aber unter einem ungünstigen Stern. Es gehe ihm schlecht, er wisse nicht mehr wohin. Vielleicht könne G.s Vater ihm weiterhelfen. G. möge ihn verteidigen, wenn es üble Gerüchte gäbe. Er möge diesen Brief geheim halten, nur dem Vater, wenn es sich treffe, etwas sagen. J. hofft G. bald küssen zu können. 9. Brief, fol. 9r/v. Regest: Amsterdam, 31. Juli 1751 Die von J. im letzten Brief angekündigte Abreise habe sich verzögert, doch nun solle bald Wind aufkommen, er schreibe noch schnell diesen Brief. Hätte er vorhergesehen, wie viel 166 Der ganze Ton des Briefes und die Bitte um Diskretion am Ende lassen vermuten, dass es sich um eine Herzensangelegenheit handelt.

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Zeit vor der Abfahrt verstreichen würde, wäre er in Leiden geblieben. Vor allem die Trennung von seiner Liebsten bereite ihm großen Kummer. Er bittet G. ihn über die Ereignisse in Leiden auf dem Laufenden zu halten und ihm in kleiner Schrift zu antworten, ebenso seine Liebste, aber erst, wenn er ihm einen festen Platz angeben könne. Wenn er in seinem Garten sei, möge er an seinen Freund denken, der auf dem Meer umherirre, in Gedanken immer bei ihm. Er berichtet von zwei Vorfällen vor Ort: dem tödlichen Streit zweier Diener und einem tragischen Unfall mit Todesfolge. Seinem Cousin Laurentius möge er berichten, dass er jenen Medizingelehrten van Eyck besucht habe, dieser wolle das Buch von G.s Cousin ehestmöglich zurückgeben. Er habe nach einem langen Gespräch von van Eyck keine sehr hohe Meinung, G. und sein Cousin sollten ihm keine Auskünfte über seinen Aufenthalt geben. Diesen Morgen sei der Matrose gekommen, am kommenden Morgen zur 7. Stunde sollten sie an Bord sein, damit man vor Mittag ablegen könne. Er möge das der Schwester Agathe und »der Unsrigen« melden. 10. Brief, fol. 10r/v, 11r/v. Regest: Rouen (Rottomagi), 2. September 1751 J. berichtet von den Postgebühren vor Ort; sie seien gut in Rouen angekommen und hätten sich von den Strapazen der Seefahrt erholen können. Sie müssten etwa drei Wochen hier verweilen und auf Antwort aus Batavia [Niederlande] warten, da ihnen das Geld ausgegangen sei. In der Stadt gebe es keine Wissenschaft, das Quartier sei klein und teuer. G. solle mit schneller Post antworten. G. könne nun »der Seinen« von der Seereise berichten, da keine Gefahr mehr bestehe, er könne ihr den flämisch geschriebenen Zettel über die Reise zeigen und ihn bei ihr für das Stillschweigen entschuldigen. Er habe es nur ihr zuliebe getan und sich in seinem Brief auch selbst dafür entschuldigt. Er bittet ihn, die Seinige ihm zuliebe öfter zu behelligen und ihm von ihr zu berichten. Auch sie möge ihm in möglichst kleiner Schrift schreiben. Das versprochene Gedicht für den Cousin füge er, obgleich nur halbfertig, bei. G. möge es und das zusätzliche Epigramm auf die Metrik hin kontrollieren. Auch ein Anagramm habe er für den Cousin gemacht, er habe aber Schmeichelei und Lüge vermieden. Man solle ihm weder Pflanzen noch anderes schicken, da die Gebühren hoch seien. Wenn ihm Geld bleibe, werde er in Paris »Konfitüre« aus Früchten kaufen und ihnen zukommen lassen. Er fragt nach Herrn Plemper. Wenn die Seine frage, warum er solange in Rouen weile, möge er sagen, es gehe ihm gut, und es würden früher keine Wagen und Schiffe abgehen. Sollte es nicht eilen, könne er seine Verse noch verbessern. Es folgen die Verse anlässlich der Promotion von Laurentius Theodorus Gronovius zum Doktor beider Rechte: 1. Anagramm aus dem Namen Laurentius Theodorus Gronovius (die Buchstaben werden zu einem Hexameter umgestellt) 2. Das Epigramm (vier elegische Distichen) 3. Ein Gedicht in sieben sapphischen Strophen, das G. dem Cousin [Laurens Theodor G.] unter seinem eigenen Namen widmen möge.

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In einem Monat wolle er eine bessere Fassung schicken. Wenn die sapphischen Strophen nicht gefielen, möge er J.s Epigramm als das seine ausgeben. Er möge bedenken, dass J. seekrank auf dem Meer ohne jedes Buch gedichtet habe. 35. Brief, fol. 43r/v, 44r/v. Regest: o.O., o.D. [Vermutlich ist der Brief kurz vor der Ankunft in Paris geschrieben und wird deshalb hier eingereiht.] J. verbalisiert seine Freude über den gerade eingetroffenen Brief. Er freut sich ganz besonders über die Mitteilungen, welche über die andauernde Liebe der »Seinen« berichten. J. habe einen Brief für Gronovius’ Vater beigelegt, als Beweis, dass er die Reise auch auf Latein beschreiben könne. J. schreibt über seine Überlegungen, wie er den Postgang verbilligen könne. J. würde sich freuen, wenn G.s Cousin den geschickten Pflanzen Vermutungen hinzufügen würde. J. würde sich über die Übersendung von den ihm fehlenden Abbildungen aus dem Catesby167 freuen. J. habe von der Schwester einen Brief bekommen, der aber viel zu kurz sei, denn er erwarte sich mehr an Bericht über das Haus. J. beklagt sich über die Armut. J. äußert sich über seine tiefe Freundschaft zu G. 11. Brief, fol. 12r/v. Regest: Paris, 26. September 1751 J. habe den beschwerlichen Seeweg von Amsterdam aus auf Grund der geringen Kosten gewählt. Sie hätten zuerst Kurs auf die Insel Texel genommen und von dort nach Rouen. Bei rauer See hätten sie viel erduldet und stark unter Seekrankheit gelitten. Ausführlich berichtet er auch von den Gefahren der Seine-Schifffahrt. Nun sei er in Paris angelangt. Er geht auf G.s Vorwürfe ein, warum er sich solchem Elend und solchen Gefahren ausgesetzt habe: Guter Rat sei leichter zu bekommen als tatkräftige Hilfe. Immer schon hätten die Menschen die schlechten Zeiten beklagt. G. sage, zu Hause hätte er Nahrung und Kleidung gehabt, doch hätte ihm die Mutter alles verweigert. Da ihre üble Laune unerträglich gewesen sei, sei er lieber in die Ferne gezogen als daheim zu betteln. Auch wenn der Körper leide, sein Geist sei ungetrübt, seine ganze Hoffnung ruhe auf ihm selbst, und er sei niemandem zu Dank verpflichtet. Grüße an den Vater und die Familie, sollten sie etwas benötigen, wolle er es gerne besorgen. 12. Brief, fol. 13r. Regest: Paris, 30. September 1751 J. habe solche Sorgen, dass er nur kurz schreiben könne. Die Reisebeschreibung füge er flämisch bei. G.s Brief nach Rouen habe er erhalten und ausführlich beantwortet. M. Leurs werde seine Antwort und Briefe der Schwestern überbringen. Eingelegtes könne er nicht 167 Gemeint ist Mark Catesby (1683–1749), der im Auftrag der Royal Society in London die Westindischen Inseln bereist hatte und eine erste Flora und Fauna herausgab. Sie erschien unter dem Titel: »Natural History of Carolina, Florida and the Bahama Islands« und war die erste wissenschaftliche Arbeit zu diesem Raum.

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schicken, da ihm das Geld ausgegangen sei. Er gibt seine Pariser Adresse an. Die Mutter habe 45 Gulden versprochen, sollte sie das Geld gegeben haben, möge er Agathe einen Gulden geben, nicht mehr. Von der Seinen möge G. einen Brief einfordern, er werde ihn von jenseits des Meers beantworten. Die Nachricht vom Cousin freue ihn, ein Brief an ihn sei im Briefbündel. Was G. von der Seinen berichte, erfülle ihn mit großer Freude. Beigeschlossen sei ein Brief an Agathe, ein flämischer Reisebericht zum Brief an die Seine, Gruß an den Cousin. 13. Brief, fol. 14r/v, 15r. Regest: Paris, 29. November 1751 J. bedauert, einen Brief G.s, den dieser über Haekius geschickt hat, nicht erhalten zu haben. Er bemitleidet G., der vom Vater so kurz gehalten werde. Er macht Vorschläge für die Termine und Gebühren des Postverkehrs der nächsten Zeit, er plane eine Sendung für den 11. Januar, den Geburtstag der Seinen, die der Freund mit Gebühren dankenswerterweise verschone. Sie sei sparsam, um den in Schwierigkeiten geratenen Bruder zu unterstützen. Er beglückwünsche sich selbst zu seiner Liebe, wisse aber nicht, wie er sie vor ihrem unwürdigen Bruder warnen solle, ohne sie zu kränken. Vielleicht könne G. etwas andeuten. Er gratuliert zur Promotion des Cousins und geht nochmals auf die nur halbfertigen Gedichte ein. Wenn seine Schwester schon Geld von der Mutter habe, möge G. schauen, dass er die Gebühren betreffend auf seine Kosten komme. Er berichtet von der äußersten Mittellosigkeit, die ihn in Rouen bedrückt habe. Allein würde er sich in Paris leichter durchschlagen, doch könne er jene168 nicht im Stich lassen. Das Traurigste aber sei, dass ihm auch für die Promotion zum Mediziner die Mittel fehlten. Man könne nach Abschluss der Studien hier sehr leicht sehr viel Geld verdienen, doch der Anfang sei schwer. Er schildert den Ablauf der Universitätsprüfungen und der Dissertation. Er habe jemanden aus Leiden kennengelernt, ihm werde er eine umfangreiche Briefsendung mitgeben, dabei sei nichts, was man vor dem Vater verbergen müsse. Betreffend ihre beengten finanziellen Verhältnisse bittet er G., einen Kredit bei der Mutter des Herrn Wilhelm in Amsterdam für ihn aufzunehmen, doch nur, wenn das ohne Unannehmlichkeiten für ihn selbst möglich sei. G. möge seine Briefe am besten verbrennen. Er dankt G. für die Dienste für seine Familie. Waerettius, der die Briefe weiterleitet, werde hoffentlich keine Gebühr verlangen. Vielleicht könne G. es einfädeln, dass J. für Waerettius zu einem angemessenen Preis die medizinische Dissertation schreibe, da jener nicht dazu befähigt sei. Dem Bruder antworte er heute nicht, um den Brief nicht zu sehr anwachsen zu lassen, ein eigener Brief werde folgen. Den englischen Dichter »Owen« habe jener noch von ihm, er möge ihm den Päckchen zu Owen hinzufügen169 und angeben, ob er noch Pflanzensamen der Kleijnia170 benötige. Herr Tiarck171 sei ganz verwandelt, von ihm sei nichts zu 168 Es sind die Schwestern gemeint. 169 Wahrscheinlich handelt es sich um Owen John (latinisiert Audoenus oder Ovenus), den neulateinischen Dichter (1560–1622). Seine »Epigrammata« (London 1612) zeigen u. a. auch die Missstände in der katholischen Kirche auf, weswegen sie auf den »Index« gesetzt wurden. 170 Mit »Kleijnia« ist wohl die Kleinia neriifolia (Affenpalme) gemeint. 171 Vgl. Joseph Franz Jacquin, Familiengeschichtliche Aufzeichnungen ÖNB/HAD Ser. n. 9756,

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erwarten. G. möge seine Schwester Agathe fragen, ob die Mutter das Papier, das Herr Tiarck ihr vorgelegt habe, unterschrieben habe, um ihn von jedem Streit mit Herrn van der Burgh zu befreien. Briefe der Schwestern habe G., er möge seiner Schwester Grüße ausrichten und J.s Liebster die beigeschlossenen Briefe aushändigen und J.s Liebe bestätigen. PS: Zwei große Häuser sind hier abgebrannt, eines davon eine Druckerei. 14. Brief, fol. 16r/v. Regest: Paris, 7. Jänner 1752 J. hat am 29. November durch Waerettius einen ausführlichen Antwortbrief mit zahlreichen Beigaben an G. geschickt, ist aber nicht überzeugt, dass G. die Sendung erhalten habe. G. solle sich darum kümmern. Er selbst habe G.s Brief, der Haeckius gegeben wurde, noch nicht zu Gesicht bekommen. Dem Studenten, den er im letzten Brief erwähnt habe, habe er die Briefe nicht anvertraut, da dieser sie nur unverschlossen übernommen hätte. Die Schwestern ließen G. grüßen. Wie sie denke er oft an G., und er wünschte, er wäre nie weggegangen. Auch seine Liebste vermisse er sehr, G. möge ihr die Briefe an sie aushändigen und ihr sagen, sie möge J. lange liebe Briefe schreiben. Er wünscht viel Glück für das neue Jahr und gibt seine Adresse in Paris an. 15. Brief, fol. 17r/v. Regest: Paris, 11. Februar 1752 J. hat drei Briefe von G. erhalten, zwei durch den Postkurier, und einer wurde am 10. Januar von einem Diener gebracht, sodass J. den Arzt, dem G. ihn anvertraut hat, nicht kennenlernen konnte. Die ersten beiden, voll von freundschaftlicher Zuneigung, hätten ihn sehr gefreut, er danke auch, dass G. so ausgiebig über die Seine berichte. Er beschreibt, wie schwierig es gewesen sei, über die Vermittlung von Herrn Tiarck zu Geld von seiner Mutter zu gelangen. Auch anderweitig habe er Grund zu neuer Hoffnung, die beiden Schwestern seien jedoch eine schwere Belastung. Gedichtet habe er in letzter Zeit nicht, im Griechischen sei er eben bedächtig, in der Medizin jedoch sehr fleißig. Die Schwester Agathe möge G. mit J.s Problemen verschonen, er möge sogar leugnen, Nachricht von J. zu haben, ebenso gegenüber J.s Liebster, um den beiden Schmerz zu ersparen. Dem Cousin Theodor gratuliere er zu seinem medizinischen Erfolg, er möge drei oder vier Samen der Pflanze mit Namen Kleinia in einem Brief an J. mitgeben. Was er über Waerettius schreibe, glaube er. Von der Mutter erhoffe er sich nichts. Von der Wassersucht seines (J.s) Bruders möge G. ihm berichten. Der Brief, den G. Haekius anvertraut hat, sei bisher nicht angekommen, ein Buchhändler erwarte jedoch eine Sendung von ihm in den nächsten acht Tagen. J. nennt die Posttermine für März und April und bittet G., ihm weiterhin seine Freundschaft zu schenken. 1v, wo ebenfalls auf Tiark Bezug genommen wird: »Die Tante Katharina wohnte in ihrer Jugend bei einem Herrn Tiark in Amsterdam, der zugleich Administrator des Vermögens des wahnsinnigen [?] van der Brogh [Brugh] war, welches er, wie es scheint nicht redlich that.«

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16. Brief, fol. 18r/v. Regest: Paris, 3. April 1752 J. wundert sich sehr, noch keine Antwort auf seinen letzten Brief, den er vor fünf Wochen abgeschickt hatte, erhalten zu haben und bittet um rasche Antwort darauf. Der Haekius anvertraute Brief sei auch noch nicht da. Er fragt nach dem Befinden seiner Liebsten und von G.s Familie. Dann fordert er G. auf, die Ohren zu spitzen und zuzuhören: Die im letzten Brief erwähnte Sache (»Grund zu neuer Hoffnung«) sei eingetreten. Er habe dem berühmten Herrn van Swieten geschrieben und seine Lage erklärt. Dieser habe ihm geantwortet: »Komm nach Wien, ich werde dich zum Arzt machen, dich protegieren und alles Notwendige besorgen, nichts wird fehlen.« Solle er nun zögern, die Einladung eines sozusagen fast allmächtigen Mannes anzunehmen? Er wolle Anfang Mai nach Wien gehen, vorher aber noch für die Schwestern sorgen. Der Seinen möge G. nichts von der Reise verraten, auch der Schwester Agathe nicht. Er könne aber mit gespieltem Interesse fragen, ob sie nicht lieber nach Wien als nach Paris wolle. Er hoffe dort angenehmer und rascher mit ihr zusammenleben zu können. G. möge ihm rasch antworten, er werde sich von unterwegs melden. An Wien störe ihn nur die größere Entfernung nach Hause. Seine größte Freude wäre es, gemeinsam mit dem Freunde zu leben. Der Jurist van Heelen, Sohn eines Leidener Amtsdieners, sei nach Aussage des Medizinstudenten Du Cloux bereits abgereist. J. kenne ihn noch aus Leiden. Grüße an den Cousin die Schwester und Waerettius. 36. Brief, fol. 45r/v. Regest: (siehe die komplette Transkription und Übersetzung später). o.O., o.D. [Vermutlich wurde der Brief kurz vor der Abfahrt aus Paris nach Wien geschrieben.] J. versichert die zwei von G. erhaltenen Briefe noch zu beantworten. Er berichtet über die zu absolvierenden Etappen des Chirurgiestudiums und dessen höhere Reputation an dem Ort, wo er sich befinde (wohl Paris) und die Gründe, warum er sich für Chirurgie entschieden habe. Die Gemeinschaft der Chirurgen und das Militär würden eine Karriere und einen guten Lohn versprechen. Dennoch habe er sich nun anders entschieden, infolge der Einladung durch van Swieten. Jacquin bezieht sich auf Gerüchte und auf die Probleme mit der »Seinen«. 17. Brief, fol. 19r/v. Regest: Paris, April [?] 1752 G. möge sich nicht wundern, dass J. sich noch einmal aus Paris melde. Er müsse den Schwestern alles Geld zu ihrer Versorgung dalassen, könne die Reise aber nicht ganz mittellos antreten. Deshalb habe er sich um Hilfe an jenen Dicken gewandt, der in G.s Gegend wohne, sowie an einen ehemaligen Nachbarn. Beide hätten zunächst nicht geantwortet. Auf neuerliche Anfrage habe der eine geschrieben, er hätte keinen Brief erhalten, werde J. aber Geld zukommen lassen. J. habe G. als Vertrauensperson und Übermittler der Briefe benannt.

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G. möge einen Brief der Seinen beilegen [griech.]. J. fragt, was man in Leiden so über ihn spreche. Er habe von üblen Gerüchten gehört. Man beschuldige ihn, vor seinem Weggang mannigfache Schulden gemacht und nicht zurückgezahlt zu haben. Weiters, so sage man, habe er Geld bekommen, um für jemanden Bücher anzukaufen, die Bücher nie geschickt, das Geld jedoch behalten. Das alles sei reine Verleumdung. G. oder Agathe mögen den Verleumder aufspüren und J. seinen Namen schreiben. Einen metrischen Dankbrief an seinen Gönner [van Swieten] habe er abgeschickt.172 18. Brief, fol. 20r/v. Regest: (siehe die komplette Transkription und Übersetzung später). Wien, 20. Juli 1752 Am 20. des Monats habe er Wien gesund und unversehrt, aber sehr müde erreicht. Über die Reise werde er flämisch am Ende des Briefes berichten, damit auch seine Liebste es lesen könne. Er habe sich erst nach einem Ruhetag bei seinem Gönner auf dessen Landgut bei Schönbrunn gemeldet und ihn dort bei seinen Studien angetroffen. Er sei dort freundlich zu einer Mahlzeit empfangen worden und danach mit seinem Gönner in die Stadt in die geräumige Wohnung gefahren, die van Swieten in der Hofbibliothek, die unvorstellbar prunkvoll und königlich sei, innehabe. Schon seit zwei Monaten sei ein Zimmer für ihn bei einem Diener173 vorbereitet, der mit van Swieten [v. S.] nach Wien gekommen sei und nun als Bibliotheksdiener arbeite. Dieser genieße hier größeres Ansehen als es in Leiden der Fall wäre. Er habe eine Frau aus Brüssel geheiratet und eine zweijährige Tochter, er wohne nahe seinem Gönner, und mit ihm (J.) ganz allein auf einem von allen Seiten abgeschlossenen Grundstück, wie Herr Gaubius in der Akademie. Weiters bezahle v. S. Nahrung und Wohnung, die gewünschten Bücher erhalte J. aus dessen privater Bibliothek. Er habe ihm versprochen, ihm bei erster Gelegenheit einen medizinischen Posten zu verschaffen und ihn wie seinen eigenen Sohn zu behandeln. Alles laufe so gut, dass G. es getrost der Seinen erzählen könne. 19. Brief, fol. 21r/v, 22r/v, 23r. Regest: Wien, 4. Oktober 1752 J. hat G.s letzten Brief erhalten, ein beigeschlossener Brief der Geliebten habe zu seiner großen Enttäuschung gefehlt. Entgegen den Ratschlägen des Freundes sucht er nach Entschuldigungsgründen für das Schweigen seiner Liebsten. J. wolle besonders wissen, wie seiner Geliebten der Aufenthalt in Amsterdam gefallen habe. Er erwarte, dass jeder Brief des Freundes auch einen der Geliebten enthalte. G. solle nicht fürchten, ihn mit Briefen von seinen Studien abzulenken, er könne ganz im Gegenteil nur konzentriert studieren, wenn er durch G.s Briefe über zuhause informiert sei. Er genieße es auch, brieflich mit G. auf Latein plaudern zu können, denn dieser Sprache sei hier fast keiner mächtig. Er habe vor, einiges über den Geist des Ortes und der

172 ÖNB, HAD, Autograph 13/77–1, siehe Edition III. 2. 173 Cornelius Schonenbosch.

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Menschen zu schreiben, was auch G.s Vater lesen könne. Nun könnten G. und J. einander ja ganz offen schreiben. Er fragt G. nach dem Fortgang seiner Jura-Studien. J. lebe nun sehr angenehm, es seien gerade vorlesungsfreie Herbstferien. Alles, was er brauche, erhalte er von seinem Gönner, den er häufig treffe. Sein weiteres Schicksal kenne er noch nicht, doch die Gunst seines Mäcenas lasse ihn hoffen. Er habe gehört, dass der Graf von Rhoon,174 G.s Nachbar und Freund, an den Wiener Hof reisen werde, G. könne ihm oder seinen Dienern ein Päckchen mitgeben. Wenn Theodor Pflanzen oder Samen etc. habe, könnte J. ihm bei derselben Gelegenheit Donaufische oder Pflanzen, die sich von den heimischen (Leidener) Arten unterschieden, übersenden. G. möge Agathe ausrichten, dass J. von Herrn Tiarck das letzte Geld empfangen habe, Catharina möge er für ihn küssen. Herrn Tiarck zu schreiben habe er aufgeschoben. Von den Schwestern wisse G. mehr als er, da G. näher wohne. J. habe den ersten, erschütternden Brief der Schwester Maria nach Wien vom 14. September empfangen. Die Krankheit Annas und vieles andere mehr bedrücken ihn sehr. Er selbst könne ihnen nicht helfen. V. S. habe aus verständlichen Gründen abgelehnt, sie nach Wien kommen zu lassen. So habe er dem bekannten Herrn geschrieben, er möge ihnen Geld schicken. Sie alle, J. eingeschlossen, würden lieber sterben als nach Leiden zurückzukehren. Gedicht [38 elegische Distichen an Gerard van Swieten]. Diese Verse, wenn auch an manchen Stellen etwas uneben, habe er genauso seinem Gönner geschickt,175 G. möge die Fehler entschuldigen, da ihm nur kurze Zeit zur Verfügung stand und er gezwungenermaßen bald antworten musste. Bei Gelegenheit möge G. auch Owens Epigramme schicken, die er seinem Cousin geborgt hatte. Er bittet um die »Griechische Grammatik« von Vossius,176 dazu vielleicht noch Lukian177 oder Demosthenes.178 Gottfried, der älteste Sohn seines Gönners, sei Anfang September unter öffentlichem Beifall zum Doktor beider Rechte promoviert worden. Seine Begabung werde sehr gepriesen, er sei zur Erholung nach Polen aufgebrochen, nach seiner Rückkehr werde er sicher ein Amt erhalten. Den Kaiser, die Kaiserin und ihren reichen Nachwuchs habe J. schon gesehen. Auch die an Schönheit reiche Landschaft gefalle ihm hier sehr gut. Doch die Einwohner missfielen ihm nicht nur, er könne sie kaum ertragen: Alles sei sehr deutsch [wortwörtlich: »es gibt nichts an ihnen was nicht germanisch wäre«]; Plätze und Straßen schmutzig oder staubig, sodass man oft überhaupt nicht schauen kann. Er erzählt voll Witz eine Geschichte, die er auf seiner Reise nach Wien in Burgomontium [?] in Lothringen gehört habe: Ein junges Mädchen habe einen jungen Mann, der sie vergewaltigen wollte, mit einem Dolch entmannt – solche Helden und Heldinnen besitze dieses Land. Seiner Geliebten habe er diese Geschichte nicht geschrieben, damit sie nichts missverstehe und wie schon früher böse auf ihn sei.

174 Willem von Bentick-Rhoon (1704–1774) war niederländischer Adeliger und Politiker. 175 ÖNB, HAD, Autograph 13/77–1. 176 Johannes Gerardus Vossius’, Latina Grammtica ex decreto Illustr. (Amsterdam 1644), bildete eine wichtige Grundlage für griechische Grammatiken. 177 Lukian von Samosta (um 120 – vor 180), ein bekannter griechischsprachiger Satiriker der Antike. 178 Demosthenes (384 v. Chr. – 322 v. Chr.), der wohl bedeutendste griechische Redner der Antike.

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G. solle J. die Postgebühren mitteilen. Was würden die Leute in Leiden nun über ihn sprechen? Wüssten sie von seinen derzeitigen Lebensumständen? Was sei mit der Mutter? Was mit G.s Vater? An Agathe werde er später schreiben, da es derzeit nichts Erfreuliches über die Schwestern zu berichten gebe. G. möge ihr den Empfang dieses Briefes verheimlichen. Sein Herzchen (die Geliebte) vertraue er dem Freund an, er möge sie dazu bringen zu schreiben. Er plane, Agathe, Catharina und seinem Herzchen einmal ein Dukätlein zu schicken, aber erst, wenn für seine Schwestern gesorgt sei. Sollte G.s Vater die Briefe anschauen, so möge er sie nicht Dr. Noordwyk179 zeigen, seinem Gönner gefiele es nicht, dass er über die Angelegenheit der hiesigen Universität nach Hause berichte. Er bittet G. in seinen Briefen leserlicher zu schreiben und sie nicht über das Geschriebene zu versiegeln, jedes einzelne Wort sei ihm in seiner Einsamkeit ein wichtiger Trost. Denn er habe mit niemandem vertraulichen Umgang außer mit zwei Engländern, der eine sei sein Reisegefährte gewesen, der andere sei Doktor der Medizin. Doch auch die sehe er nur selten und dem Vergleich mit dem Freunde G., an den er Tag und Nacht denke, hielten sie nicht stand. Sollte G.s Geldbörse so voll sein, dass er sie nicht mehr tragen könne, so möge er ihm bei Gelegenheit Royens180 »Hortus Botanicus« übersenden. Er solle sich jedoch keine Ungelegenheiten machen. 20. Brief, fol. 24r/v, 25r/v, 26r/v. Regest: Wien, 1. Jänner 1753 J. hofft, dass die längere Briefpause ihrer Freundschaft keinen Abbruch getan habe, er betont die Wichtigkeit der Korrespondenz mit dem Freund. Schon als er Frankreich verlassen wollte, habe es eine Briefpause gegeben, da er erst schreiben wollte, als die Abreise sicher war. Durch Gerüchte habe G. einiges erfahren, doch seien die Tatsachen entstellt. Er wolle nun hinzufügen, dass er nach sechswöchiger Reise heil in Wien angekommen und von van Swieten aufs freundlichste aufgenommen worden sei. Er wohne bei dessen ehemaligem Diener im Bereich der kaiserlichen Bibliothek und müsse sich konzentriert seinem Medizinstudium widmen. Von der Reise gebe es nicht viel zu berichten. Von Paris sei er über die Champagne nach Lothringen gekommen. Dort habe er ein prächtiges Anwesen gesehen, das König Stanislaus von Polen, nun Fürst von Lothringen, als Architekt habe errichten lassen und auch selbst mit Fresken geschmückt habe. Dieser spreche auch mehrere Sprachen. Dann seien sie nach Straßburg gekommen, dort sei der französische Geist mit dem deutschen vermischt. Die Leute seien höflicher und gebildeter als Deutsche, aber ehrlicher als die Franzosen. Die Frauen seien hier sehr schön, besonders bewundernswert die turmartigen Frisuren der unverheirateten Frauen aus Zöpfen. Wenn sie zur Beichte oder Kommunion gingen, würden sie die Zöpfe über den Rücken herabhängen lassen. Katholiken und Protestanten gebe es zu gleichen Teilen und mit gleichen Rechten. Er habe 179 Willem van Noortwyck (1713–1777) war Leidener Arzt und Schwager G. van Swietens. 180 Wohl Adrian Royen, Florae Leydensis prodromus, exhibens plantas quae in horto academico Lugduno-Batavorum (Leiden 1740).

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auch das Gefängnis gesehen, in dem jener Verres, einst Straßburger Prätor (der Name sei ihm entfallen), schmachte. Sein Gastgeber habe ihn sehr gerühmt. Von Straßburg ging es durch Württemberg nach Schwaben in die Hauptstadt Ulm an der Donau. Die Frauen seien dort eigenartig wie im Fasching hergerichtet, mit schwarzer Tracht, reichem Schmuck, weißen Krägen und Hauben. Nach drei Tagen sei er mit dem Schiff auf der Donau nach Wien weitergefahren. Die Winde seien ungünstig gewesen und es habe zahlreiche Aufenthalte gegeben, trotzdem seien sie durch die Strömung unglaublich schnell vorangekommen. In einer Woche werde so ein Schiff181 neu gebaut und nach dem Anlegen in Wien zerschlagen und verbrannt. So hätten sie Schwaben verlassen und seien durch Bayern und Österreich gefahren und hätten Ende Juni in Wien unversehrt angelegt. Die Beschreibung dieser berühmten Stadt erspare er sich, da es mannigfach nachzulesen sei, er werde aber zusammenfassen: Mit den Vorstädten übertreffe Wien Amsterdam an Größe. Es gebe viele prächtige Paläste, darunter v. a. der des Prinzen Eugen von Savoyen, des Fürsten Schwarzenburg [sic!] und des verstorbenen Prinzen Liechtenstein, ehemals Nachbar und Gastgeber G.s in Leiden. Die beiden letzteren sollen besonders reich sein. Der Kaiserpalast habe jedoch nichts Kaiserliches. Hier würde der kaiserliche Schatz aufbewahrt, der unermessliche Reichtümer enthalte. J. habe ihn gesehen und bewundert, z. B. eine Schale aus Achat von 6 Fuß Durchmesser. Die Stadt besitze viele schöne Gebäude, sei aber sehr ungemütlich. Bei Regen seien die Plätze voll Schlamm, bei Schönwetter stiegen Staubwolken auf, die die Sicht vernebelten. Im Wiener Stadtgebiet gehe fast immer ein starker Wind, da Wien in der Mitte einer Ebene liege und fast von allen Seiten von Bergen umgeben sei – ein schöner Anblick. Zur Kultur: Es gebe eine unvorstellbar schöne und reiche Bibliothek. Für ihre Innenausstattung mit Fresken solle Karl VI. 120000 deutsche Gulden bezahlt haben. Vor 10 Jahren habe Karl VI. die Bibliothek des Prinzen Eugen für eine Leibrente von 10000 Gulden von der Erbin erworben, Bücher, die dieser um ungeheure Summen erworben und kostbar binden lassen habe. Der Bibliothek stehe van Swieten vor, sein Stellvertreter sei Italiener, weiters gebe es zwei Kustoden, davon einer der orientalischen Sprachen mächtig, zwei Schreiber und Diener. Sie alle erhielten freies Quartier und Brennholz. Als Gehalt erhalte der Subpräfekt 1200 Gulden, der 1. Kustode 1000, der 2. Kustode 300, von den Schreibern einer 600 und einer 400. Die Diener, die die Bücher für die Besteller ausheben müssen, erhielten 340. Der Präfekt versehe sein Amt unbezahlt, obwohl dem Präfekten 4000 Gulden pro Jahr bezahlt zu werden pflegten. Die Bibliothek stehe vormittags allen offen. Es gebe eine große Menge an Handschriften, darunter steche durch sein Alter ein Fragment des Alten Testaments aus dem 2. oder 3. Jahrhundert in griechischer Sprache hervor, das mit Bildern geschmückt sei. Er habe auch den Dioscurides gesehen, sowie ein weiteres Pflanzenbuch im Quartformat. Hier gebe es auch das Senatus consultum de Bacchanalibus auf Bronzetafeln, von Matthäus Aegyptius 1729 kommentiert edierte. Auch eine römische Straßenkarte, die 20 Fuß lang sei, gebe es, eine Ausgabe in Originalgröße würde sich gerade in Druck befinden. Es gebe noch vieles andere, darunter Erdgloben, horologia (Sonnenuhren), etc. Vor zwei Jahren habe man mit einem Katalog der Bibliothek begonnen, der gedruckt werden solle. Leider werde die Bibliothek außer von ein paar Al-

181 Eigentlich Plätten, auch Ulmer Schachteln genannt.

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chimisten nicht häufig benützt und wenn, dann von Ausländern. Die Unwissenheit hierzulande sei erstaunlich groß. Dass die Überheblichkeit meist ihre treue Begleiterin sei, könne man an den Wienern sehr gut erkennen. Die lateinische Sprache sei entsetzlich verwildert. Das betreffe sogar die Professoren, jedoch nicht nur ihre Beherrschung des Lateinischen, sondern auch ihr Fachwissen, vor allem in der Medizin, lasse zu wünschen übrig. Durch die Ratschläge van Swietens habe die Kaiserin schon einiges verbessern können. Das angeborene Talent der Kaiserin und der Fleiß van Swietens ließen jedoch Raum für Hoffnung. G. werde einwenden, es müssten doch auch hier oder in Leipzig, Halle oder Jena oder anderswo mehrere sehr gebildete Menschen leben. Aber von den Sachsen und den anderen, die im Norden lebten, spreche er nicht, die zählten eher zu den Schweden und Dänen, sondern von den Bayern, Schwaben, Österreichern und anderen, die im Südosten wohnen. Auch unter diesen habe er einige nicht Ungebildete gefunden, kein Wunder, auch in einer großen Horde von Affen gebe es ein paar, die dem Menschen eher glichen als andere. Die Menschen hier lebten nur für Speis und Trank und ihren Bauch, hielten sich aber für kunstsinnig und gebildet. Leute, die ihnen den Spiegel vorhielten, würden sie gnadenlos verfolgen. Er wolle nicht ungerecht sein, auch die Menschen hier hätten ihre Meriten, vor allem verlaufe durch Wien eine Bildungsgrenze: Wien sei die letzte Stadt, wo man gebildete Menschen antreffe. Dahinter lebten die Ungarn, Kroaten, Slawen und andere Völker dieser Art, die noch viel barbarischer seien. Manche aus dem Adel dieser Völker, sowie einige türkische, arabische und griechische Kaufleute würden hier in Wien wohnen und der Stadt ein wenig barbarisches Gepräge verleihen. J. vermisse G.s kultivierte Gesellschaft. Nun müssten nach einem neu erlassenen Gesetz auch die Mediziner Griechisch lernen, doch der Griechischunterricht sei mangelhaft, er bezweifle die Richtigkeit dessen, was über die Akzente gelehrt werde. Er verkehre freundschaftlich mit zwei Engländern, einem Mediziner und einem Kleriker, gemeinsam könnten sie ihren Spott über die Deutschen ausgießen. J. entschuldigt sich für seine Geschwätzigkeit und bittet G., sein scharfes Urteil über die Deutschen nicht zu verbreiten. Er lässt G.s Vater grüßen und bietet seine Hilfe an, falls man etwas aus Wien benötige. Neujahrswünsche an die Familie. 37. Brief, fol. 46r/v, 47r. (Ohne Datum, passt inhaltlich hierher). Regest: J. spricht G. sein Lob bezüglich des erhaltenen Gedichtes aus und bespricht Zeile für Zeile Syntax, Stil, Vers und Grammatik. Ferner klärt er seine Vorsicht bezüglich der Briefe, die er nach Leiden schrieb und an G.s Vater, da es nicht dienlich und passend sei, wenn das sein Mäzen in Wien über Jacquins Korrespondenz erfahre. J. berichtet auch über finanzielle Schwierigkeiten seiner Schwester. Seine Bücher habe er in Paris gelassen, werde sie aber infolge der Großzügigkeit seines Mäzens noch nach Wien transportieren lassen können. Ein siebenstrophiges Gedicht schließt den Brief ab (fol. 48v.) 21. Brief, fol. 27r/v. Regest: Wien [?], 14. April 1753 J. freut sich über G.s Freundlichkeit gegenüber Agathe, trauert aber sehr um den Verlust Annas. Maria wird auf J.s Rat hin zu Anna [sollte Agathe heißen] reisen, nicht jedoch zur

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Mutter. Wie gerne würde J. alles persönlich mit G. besprechen. Er dankt G. für sein Eintreten für ihn bei der Mutter. Über den Brief des Waerettius möchte er lieber Schweigen bewahren. Er hatte seiner Catharina schon einen Dukaten in den Brief gelegt, doch wollte die Post diese Sendung nicht annehmen, so warte er nun auf eine Gelegenheit dafür. Er richtet Grüße an den Cousin, dieser möge, so gut es gehe, die Pflanzen aufbewahren und Samen hinzufügen, denn hier gebe es keinen botanischen Garten und niemanden, der sich mit Botanik auskenne, dabei bringe diese Erde ganz von selbst herrliche Pflanzen hervor, die man sonst nirgendwo sehen könne. Seiner Liebsten [griech.] möge G. das Beigeschlossene aushändigen. Er wundert sich, dass G. nichts über seine Verse schreibe, überhaupt habe er schon drei Monate lang nichts von G. gehört. Er erwarte eine rasche Antwort. Vor Trauer könne er gar nicht weiter schreiben, sein Geist zittere ebenso wie die Feder. [7 Verspaare] 22. Brief, fol. 28r/v/29r. Regest: Wien, 24. Juni 1753 J. schreibe auf G.s Wunsch hin an dessen Onkel, aber ungern, da er damit nichts ausrichten werde. Er wisse, dass man von den heimischen Beamten nichts erwarten dürfe, ja er hasse und verabscheue alle Bataver, er nehme nur seine eigene Familie und die Familie G.s, die wie seine eigene sei, davon aus. Wenn sein unglücklicher Verwandter gestorben sei, nehme er alles an, was die reißenden Zähne jener Wölfe übrig ließen. Am 19. des Monats ist Steckhoven nach Wien gekommen, J. sei zufällig in der Menagerie gewesen, wo jener wohne. Er sei traurig, dass er keine Briefe von G. und den Seinen gehabt habe. Der Kaiser schätze ihn sehr, dennoch sei noch nicht gewiss, ob er bleiben werde, er hoffe es jedoch. Dieser wünsche alle Bataver in die Hölle, er wolle nur in diesem Land der Herrlichkeiten bleiben, wo die Herren volksfreundlich seien und die Königin einzigartig. Wie gerne hätte J. den Freund hier, wie sehr wünschte er sich mehr Post von ihm. Er freue sich über die Bücher, die G. ihm vorbereite, betreffend das andere, was G. schreibe, meine er, jener sei unstet. Er werde ihm durch Steckhoven (»Stekhooven«) einen Brief schicken. Es sei eine Freude zu hören, dass G. über seine Dissertation nachdenke. Wenn J. rechtzeitig Bescheid wisse, werde er G. ein Gedicht zur Promotion schicken. Wenn Steckhoven früher zurückkehre, werde er es eher in Händen halten. G. könne in seiner Dissertation über die Tutoren und Curatoren sprechen und jenen Dicken festnageln. Einen Bericht über sein Schicksal habe J. am 10. Februar an Madame Berthier geschickt. J. wisse nicht, wo sich seine Schwester Maria aufhalte, G. möge sie grüßen und fragen, ob Herr Dalij in Paris noch Bücher und Musiknoten von ihm habe. Sie möge ihm schreiben, wie es ihr gehe. J. glaube, schon schuldenfrei zu sein. Für G.s Cousin bewahre er 100 getrocknete Pflanzen auf, von denen er den größten Teil noch nicht haben werde. J. hoffe, G. werde Fortschritte im Griechischen machen, so schicke er ihm ein griechisches Epigramm auf eine Statue der Zeit von Posidipp,182 zusätzlich die lateinische Übersetzung. [6 elegische Distichen griechisch] [6 elegische Distichen lateinisch]. 182 Poseidippos von Pella, latinisiert Posidippus (um 310 v. Chr. – 240 v. Chr.) war hellenistischer Dichter und Epigrammatiker.

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23. Brief, fol. 30r/v, 31r/v. Regest: (siehe die komplette Transkription und Übersetzung später). Wien, 9. Januar 1754 Aus verschiedenen Gründen habe J. auf G.s von Steckhoven überbrachten Brief noch nicht geantwortet: Vor allem habe er auf eine frühere Antwort gewartet; er wolle G. und die Seinen nicht immer mit seinen Angelegenheiten belasten. Über die letzte Sendung habe er sich sehr gefreut, vor allem über das Lob seiner Gedichte. Was G. über seinen ehemaligen Nachbarn schreibe, empöre ihn. Über seine Schwestern und seine Familie wolle er nichts hören. Jacquin bezieht sich auf die Prologe des Justinus und spricht Glückwünsche für das neue Jahr aus. Um seine schwarze Galle auszuspeien, habe er eine französische Satire von Boileau ins heroische Latein übertragen. Er habe manches verändert, den Sinn aber belassen: Je dümmer einer sei, umso weiser komme er sich vor. Er habe sie unter verändertem Namen an G. gesandt. Nun ein wenig von der Wissenschaft: Die Professur in Anatomie sein nun schon das zweite Jahr unbesetzt. Van Swieten wolle sie J. geben. Es werde eine Ausschreibung geben. Wer die Professur erhalte, werde von der Kaiserin neben 2000 deutschen Gulden jährlich für sich und seine Familie eine Unterkunft erhalten. V.S. habe ihn gefragt, ob er sich bewerben wolle und ihm angeboten, alles Erforderliche zur Verfügung zu stellen, aber er habe abgelehnt, da er nicht immer unter Leichen leben wolle. Er kenne drei von den Bewerbern. Mitten in der Stadt werde ein Gebäude, ja eher ein Palast errichtet, in dem die Vorlesungen aller Fakultäten abgehalten werden und sie eine geeignete Heimstatt haben sollten. Unter den Juristen habe es schon eine Ausschreibung gegeben. Der junge Mann, der mit dem Fürsten Lichtenstein in G.s Nachbarschaft gewohnt habe, habe sie ergattert und erhalte nun 4000 deutsche Gulden Lohn. J. schicke G. ein Bildnis des unvergleichlichen van Swieten, der so unglaublich gut vortragen könne und den er sehr verehre und liebe. Nun komme er zum Hauptgrund seiner Briefpause: Von fast wahnsinniger Liebe zu Pflanzen bewegt führe der Kaiser fast täglich Gespräche mit Steckhoven und wolle sein Vivarium durch seltene Vögel und Pflanzen vermehren. Ohne sich um die Kosten zu kümmern, wolle er einen erfahrenen Botaniker nach Amerika schicken. Irgendwie habe der Kaiser von J. erfahren und wolle nun ihn auf die Reise schicken. Van Swieten habe ihn bei seiner Entscheidung beraten: Wenn er reisen wolle, so solle er gehen, er solle aber verlangen, dass er, wenn er nach drei oder vier Jahren zurückkehre, ein angemessenes Einkommen auf Lebenszeit erhalte. J. sei aber noch unentschlossen, sein Gönner glaube jedoch, er werde sicherlich reisen. J. spricht über Reisedestinationen, zur Insel Curacao und nach Surinam. Das Ganze sei aber noch ungewiss und er bittet G., darüber noch zu schweigen. Die Entscheidung bedrücke ihn sehr, er könne nichts Fröhliches schreiben. Falls er reise, werde er in Holland das Schiff besteigen, sie könnten also einander umarmen. Grüße an alle und Neujahrswünsche. 24. Brief, fol. 32r/v. Regest: (siehe die komplette Transkription und Übersetzung später). Wien, 6. April 1754 J. habe G.s lange ersehnten Brief erhalten. Es sei immer noch ungewiss, ob er nach Amerika fahren werde oder nicht. Sobald die Entscheidung gefallen sei, werde er G. verständigen. Wenn G. frage, was er meine, so glaube er, dass er fahren werde. Doch sei er

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noch nicht sicher, auch die Begleitmannschaft ungewiss. Er danke G. für seine Sorge um seine Liebste [griech.] und sende beigeschlossen einen Brief an sie, den ihr Bruder nicht sehen solle. Er bitte G. um einen Gefallen: Herr von Haen und Jan, der ehemalige Diener von Steckhoven (»de geweese Knegt van Stekhoven«) würden in Kürze erwartet, sie könnten als Überbringer dienen. [40 Hexameter, lateinische Übersetzung einer französischen Satire von Boileau, vgl. Brief 23]. 25. Brief, fol. 33r/v. Regest: (siehe die komplette Transkription und Übersetzung später). Wien, 17. August 1754 J. hat die zwei Briefe nach seiner Rückkehr aus Idria erhalten, der Bedienstete von Steckhoven kam leider mit leeren Händen nach Wien, ohne etwas, was J. für die Studien gebrauchen hätte können. Ein Versprechen für die Seine [Geliebte] finanziell aufzukommen, werde er wohl nicht abgeben, da seine Zukunft noch völlig offen sei. Er habe seinen Weg gefunden, habe den Eindruck, dass dieser von van Swieten abhängig sei, weshalb er sich bezüglich Promotion sehr anstrenge. J. erzählt die Gründe, warum er nach Idria reisen konnte und was er dabei gelernt habe. J. erwähnt Haen, der den neuen medizinischen Lehrstuhl an der Universität Wien erhalten habe. J. verweist auf einige Blätter, die mit Zaubertinte beschrieben und zur Geheimhaltung gedacht sind und einem Löwener Mediziner übergeben werden sollen. 26. Brief, fol 34r. Regest: (siehe die komplette Transkription und Übersetzung später). Wien, 6. November 1754 J. berichtet, dass nun sein Aufbruch zur Expedition und die Reiseroute Kontur annehmen, er über Triest, die Adria, Venedig, Ferrara, Bologna, Florenz, Livorno, das Genuesische Meer und Marseille kommen und von dort über das Mittelmeer und über den Ozean zur Insel Martinique sich verschiffen wird. Nach einem Jahr Aufenthalt auf der Insel soll es nach Cartagena gehen und von dort am Landweg in die Kolonie Surinam. Er wird durch den Kustos der kaiserlichen Naturaliensammlung vorbereitet. J. bittet G., all dies dessen Cousin Laurentius zu berichten, da es ihm aus Zeitmangel nicht mehr möglich sei. 27. Brief, fol. 35r/v. Regest: Wien, 10. November 1754 G. kenne J.s Reiseroute schon, mehr habe er aus Zeitmangel nicht schreiben können. Er freue sich aus G.s Brief zu hören, dass dieser nun Kandidat sei. Daher solle er an J.s Gedicht denken und eine kleine Änderung darin vornehmen. Die schlechten Nachrichten über die Schwester erstaunten ihn und er wünschte, sie könnte dem Unglück entrinnen. G. solle ihr von der Reise J.s berichten, und sie möge noch schreiben. Was er von Waerettius höre, verwundere ihn nicht. Um wie angekündigt, von der Reise nach Idria zu erzählen, fehle die Zeit, da J. so sehr in den Naturwissenschaften stecke. Auch in der Zeichen- und Malkunst habe er erstaunliche Fortschritte gemacht. Der Kaiser rufe ihn oft zu sich und scheine ihn zu schätzen, oft schicke er ihn auch wegen Pflanzen irgendwohin, ja J. müsse sich die Zeit

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für diesen Brief regelrecht stehlen. Über die Reiseroute gebe es weiter nichts zu berichten, es stehe nun fest, dass er etwa Mitte Dezember abreisen werde, so könne er also noch Briefe von G. empfangen. In Indien werde er bei Gelegenheit an G. schreiben und wünsche auch Briefe zu empfangen. Die ganze Reise gefalle ihm sehr, denn so könne er seinem Sinn nachgeben und ruhige Tage verleben, fern von jener turbulenten medizinischen Praxis, die er immer so verabscheut habe. Wenn er es richtig vorhersage, werde er sechs bis sieben Jahre oder sogar länger in Amerika bleiben. Was werde dann mit seiner Liebe? Das allein quäle ihn, obwohl ihn sonst nichts so leicht aus dem Gleichgewicht bringen könne: Wie werde seine Liebste diese schwere Sache aufnehmen? Werde sie so lange auf seine Rückkehr warten können? Könne er das von ihr verlangen? J. habe ihr und auch dem Bruder seine Reise angezeigt, aber ihr nichts geraten, nichts verlangt. Sie möge tun, was sie wolle. Ihr Bruder aus Harlem habe ihm geschrieben, dass sie oft neue Freier zurückweise, dass sie von vielen geneckt werde, er fordere ihn auf, schnell in die Heimat zurückzukehren und biete seine brüderliche Gastfreundschaft an. J. meint, in diesem Gras lauere eine ihm unbekannte Schlange. Mehr könne J. aus Trauer über sie nicht schreiben. G. solle ihm als Freund offen und ehrlich seine Meinung sagen. Er werde von G. bald durch so viele Meere und Länder getrennt sein. Er hoffe, seinen Freund wieder einmal umarmen zu können, doch liege das nicht in der Hand der Menschen. Er werde immer G.s Freund sein. Grüße an die Schwester, an J.s Familie, den Cousin und die Übrigen. 28. Brief, fol. 36r. Regest: Wien, 8. Dezember 1754 J. hat gestern gerade noch rechtzeitig G.s Brief empfangen, denn morgen werde er nach Triest aufbrechen. Er habe öfter mit dem Kaiser gesprochen, einmal sogar mit ihm und der Kaiserin, allein drei volle Stunden lang. Heute habe er dem Kaiser Lebwohl gesagt und jener habe ihm befohlen, der gesamten kaiserlichen Familie vor seiner Abfahrt die Hand zu küssen. Auf der Insel St. Dominique liege eine Stadt, gemeinhin Cap Francois genannt, dorthin werde er als Erstes fahren. Alles Weitere unterliege seinem Urteil, ebenso die Ausgaben. Die seien nicht begrenzt. Der Kaiser überlasse den Gebrauch der Gelder, die ihm auf sein Verlangen ausgezahlt würden, seiner Ehrlichkeit und Umsicht. Bevor er sich einschiffe, werde er G. verständigen. Von Arbeit überlastet könne er nicht mehr schreiben. Grüße an die Mutter, Schwester, den Bruder, den Onkel und die Übrigen. 29. Brief, folio 37r/v. Regest und Übersetzung ident: Livorno, 13. Jänner 1755 »Ich erinnere mich, dass mir einst der Verwandte das zweite von den Werken des Catesby183 für 60 Gulden angeboten hat; er besitzt diese Werke zweimal, frage ihn, ob er es für denselben Preis jetzt geben will! Wenn er damit einverstanden ist, schicke Du mir unter Deinem Namen jene zwei vollständigen Werke nach Amsterdam durch Schipper an die gleichen Kaufleute, und jene werden durch denselben Matrosen zwölf Gelddukaten übermitteln, die 63 Gulden ausmachen, die drei verbleibenden gib der Mutter. Jene 183 Catesbius, Mark Catesby, vgl. Anm. 167.

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Kaufleute haben schon den Auftrag, und durch sie wird das Schreiben an Dich gelangen. Hierauf schicke jenen (den Kaufleuten) einen Zettel (Bestätigung), dass Du für das besagte Buch zwölf Gulden erhalten hast. Wenn trotzdem der Verwandte, was Du ihm nicht sagen sollst, mehr haben möchte, kannst Du bis auf 15 Gulden steigern; mehr gebe ich nicht, und für die Abrechung schicke Du, so wie wenn sie von Dir käme, den Zettel an die genannten Kaufleute; diese müssen das dann hieher bringen, damit auch die anderen, die ich beteilt habe, hier sehen, dass jene gezahlt haben. Wenn er aber kein Buch mehr haben sollte und er es um diesen Preis nicht besorgen kann, melde bitte den Kaufleuten durch jenen Matrosen, sobald du die ersten 15 Gulden erhältst, dass Du ihnen die besagten Bücher nicht schicken kannst, damit ich sie mir aus England beschaffe. Ich wohne hier zusammen mit dem Verwalter auf einem Platz des Fürsten und bin durch eine mir unerklärliche Schicksalsfügung angenommen und erwünscht. Ich habe schon dreimal an den Kaiser geschrieben, der Kaiser will nämlich, dass ich immer direkt an ihn schreibe. Ich bin schon um zwei Sprachen reicher geworden, Deutsch und Italienisch. Im Englischen habe ich nur bescheidene Kenntnisse und ich hoffe, dass ich in Amerika Spanisch und Portugiesisch beifügen kann. Ein ausführliches Schreiben von Dir sehne ich herbei, Du darfst Dir keinesfalls Zeit lassen. Lebe wohl, mein Jakob, und bester Freund, liebe Deinen Freund immer! Diesen Brief gib dem Verwandten!« 30. Brief, fol. 38r. Regest und Übersetzung ident: Marseille, 21. April 1755 »Ich hatte schon das Schiff bestiegen, als ich das schrieb, sein Namen ist Felicitas. Es wird mich zur Insel Martinique bringen. Von dort werde ich Dich von meiner Ankunft in einem umfangreicheren Brief benachrichtigen. Das habe ich schnell geschrieben, damit Du weißt, dass ich schon ganz schön dem Neptun opfere. Mehr verbieten die Winde. Deinem besten Vater, Deiner Schwester und dem Cousin sag einen Gruß von mir. Sei gegrüßt und denk an mich. Im Hafen von Marseille, am 21. April 1755.« 31. Brief, fol. 39r. Regest und Übersetzung ident: Martinique, 13. Juli 1755 »Aus diesem Brief, den der Zeitmangel und meine ständigen Beschäftigungen kurz machen, wirst Du erkennen, dass ich unversehrt in Martinique, einer Insel Amerikas, angekommen bin, nach einer Reise von 69 Tagen und einer sehr angenehmen Überfahrt gedenke ich auf dieser (sc. Insel) einige Monate zu verweilen, später werde ich zu anderen Inseln aufbrechen. Am 9. dieses Monats habe ich von Herrn Tiarck einen Brief erhalten, aus dem ich zu meinem größten Schmerz den Tod der Mutter erfahren habe. Wenn Du mir einen Brief schicken willst, was ich freilich mit aller Anstrengung von Dir fordere, dann kannst Du ihn direkt unter meiner Anschrift nach Marseille schicken. Gib ihn in einen Umschlag, der an Messieurs Joseph et George Audibertz Negotiante a Marseille gerichtet ist; sie werden sich darum kümmern, ihn mir zukommen zu lassen. Vergangene Woche legte hier ein Bataver aus Rotterdam mit Namen Davenrode an, vielleicht kein Unbekannter für Euch, da er blutsverwandt mit den vornehmsten Männern jener Stadt ist. Gewiß kennt Euch jener gut. Dieser nahm es auf sich, dass er bei seiner Rückkehr unserem

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Laurentius etwas überbringe, was ich ihm zur Zierde seiner Naturaliensammlung schenken möchte. Mit diesem Bataver verkehre ich freundschaftlich, da er ein sehr anständiger junger Mann ist, und wir zwei sind hier wirklich die einzigen Bataver, ausgenommen meinen Gärtner aus Delft. In Kürze wirst Du von mir einen ganz langen Brief erhalten. Sag Deinem allerbesten Vater mit meinen Worten einen Gruß, auch der Schwester und dem Cousin. Ich bleibe ganz und gar Dein Jacquin. In der Gemeinde St. Peter auf der Insel Martinique am 13. Juli 1755.« 32. Brief, fol. 40r. Regest und Übersetzung ident: Curacao, 17. März 1757 »Bester aller Freunde, Diesen Brief an Dich schreibe ich sehr kurz, von der Zeit und zahlreichen Aufgaben gezwungen, damit ich Dich in Kenntnis setze, dass ich gesund bin und meine Aufgaben gut verrichte. Ich wünsche von ganzem Herzen, dass Dir nichts Unangenehmes widerfahren ist oder widerfahren wird. Ich glaube, dass ich in einem Jahr meinen Jakob werde umarmen können, wenn ich durch die Heimat wie geplant nach Wien zurückkehre. In Kürze werde ich Dir einen längeren Brief schicken, jetzt kann ich es nicht. Grüße von mir Deinen besten Vater und die Schwester und sei versichert, dass ich Dich so außerordentlich liebe wie eh und je. Sei gegrüßt und liebe mich, teuerster Jakob, mich, Deinen Nicolaus Jacquin. Auf der Insel Curassao am 17. März 1757.« 33. Brief, fol. 41r. Regest: (siehe die komplette Transkription und Übersetzung später). Wien, 12. August 1759 J. geht davon aus, dass G. sich Sorgen um den Verbleib J.s macht. Von den Erlebnissen in Amerika werde er G. persönlich berichten. J. berichtet über das Fieber, das ihn bei der Ankunft erfasst habe, und beschreibt die Route der Rückkehr nach Wien. Er beklagt sich, dass er fünf Jahre kein Latein gesprochen habe. J. sei von der kaiserlichen Familie freundlich empfangen worden und erhofft sich eine der Freundlichkeit adäquate Belohnung. 34. Brief, fol. 42r. Regest: Wien, 24. November 1759 Jacquin hat die beiden Briefe G.s pünktlich erhalten und freut sich, dass der Tag von G.s Promotion zum Doctor so nahe sei, ein Erfolg für die ganze Familie. Das Gedicht, das J. einst dafür gedichtet habe, möge er weglassen, da es, wie G. selbst sagte, ihm Feinde bescheren könne. J. ertrage nun die Gedichte anderer kaum mehr, die eigenen halte er für nichtige Spielerei. Doch gegen seinen Willen möchte er dennoch etwas ganz Kurzes hersetzen: Zweizeiler (elegisches Distichon): Gratulationsgedicht. Jacquin ist sich nicht sicher, was der Kaiser mit ihm vorhat. Er komme oft mit ihm zusammen und werde sehr höflich und freundlich aufgenommen, daher habe er zwar große Hoffnung, außer dem geschehe bis jetzt nichts.

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In der Stadt wurde ein steinernes Grab gefunden, das die Gebeine eines Mannes aus dem Altertum enthielt, mit einer Fackel und zwei eisernen Schüsseln und einer Inschrift in römischen Buchstaben. G.s Dissertation werde er bei Gelegenheit erwarten. J. bittet G. einen Gruß an Gs hochberühmten Vater, die Schwester und Verwandte zu bestellen. Dem Bruder [Johannes Jacquin] sei der beigeschlossene Brief zu geben. 35., 36., 37. Brief, siehe vorne chronologisch eingeordnet! Ausgewählte Briefe: komplette Transkription und Übersetzung Brief Nr. 36, 18, 23, 24, 25, 26, 33 (chronologische Reihung). 36. Brief, fol. 45r/v. o.O., o.D. [Vermutlich ist der Brief kurz vor der Abfahrt aus Paris nach Wien geschrieben.] Transkription »Jacobo suo S.P.D. Nicolaus Binas abs te litteras accepi, ad quas singulatim responsum dabo. Primum est, quod de prospera valetudine vestrum omnium gaudeam vehementer : quod de reditu sororum ferunt, id falsissimum exedito, utque uno verbo haec omnia absolvam, dicant homines, quae velint, tu sis securus nunquam nec illas nec me esse reversuros. Quod hic intra tridium magnus evadere potuissem, id hercle verissimum est, tibi rem ordine exponam: id primum te scrire oportet, Chirurgos non itidem ut apud nos hic sciolos esse, sed hanc artem longe alia hic esse in dignitate. Ut Chirurgus hic sis, requiruntur sequentia; linguae latinae scientia, in Philosophia promotio, tum in Chirurgia viginti quatuor disputationes publicae, quibus accedit, ut admittare, octo millium florenorum summa. insuper coguntur tum praestare jusjurandum, se nunquam nequidem necessitate coactos, barbam tonsuros, aliaque multa, brevi, Chirurgo hic plus honoris haberi quam medico; quot fere hic chirurgos, tot puta Albinos videre; immo equidem ipse D(omi)nus G. van Swieten nuper petiit, quod in gazulis legere fuit, ut liceret sibi Chirurgorum societati inscribi; quos viros? Vides atque forte hic centum sunt, qui per annum octoquinta millia florenorum lucri faciunt. Et hos tonsores appellat ille? Immo qui hic tonsores sunt, ex ima plebe sunt, nec Chirurgiam attingunt. Proposuit igitur mihi Gallus ille nobilis, apud quem pransus sum, persuasitque, ut cum Medicina Chirurgiam excolerem, se, simulac capax forem Chirurgiae exercendae (quapropter me commendarat primo Chirurgo Nosocomii publici, ut is me instrueret) fortunam meam curaturum effecturumque, ut Rex mihi confideret legionis alicujus suae intram, quod munus ad minimum est quatuor millium florenorum, atque ansam praebet se perficiendi quotidiano usu et experientia duce. tum nec opus fuisset promotione, cujus impensa per idem munus mereres. Fecissem, ni a Domino Swietenio fuissem invitatus; nunc factum muto ibique spero splendidiora; nec interim hic a manu fuis- [fol. 45v] sem Chirurgi, quod sane dedecus non esset, immo hic summus est honor, ad hoc enim praenosse oportuit totam artem, una mensa est cum domino ipso et hic dantur tales a manu, qui per annum octo vel decem millia florenorum conficiunt. Sed de prandio isto falsa sunt, neque enim sorores fuerunt invitatae, nec vidit quidem ille, solus adfui, qui sane jam gallicam linguam penitus novi : igitur si garriant homines, tu ne illis crede. Vices cognati mei doleo, sane is crudeliter illum; at judex Deus esto. Noli me,

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Jacobe, imprudentiae accusare, quod casum illum addiderim [griechisch], illam potius perverse intelligentem dicito, maleque amoris animique erga se mei consciam, quae me tantae credat malitiae capacem, aut certe ignoro, qui alicui, bene de altero opinanti possit simile quid venire in mentem, ni id fieri posse praesciat. Verum nunc dicam? Quaesivit aliquam me objurgandi rationem, ut inde firmior nasceretur amoris redintegratio. Quidquid sit, illi me excusabo, amare desinam nunquam plus oculis meis. Verum quid tu in alteris tuis ais? Cognovit illa, me abiturum? Sane ut timueram; ne rescisceret, ita nunc laetor rescivisse: miror hoc animo illud accepisse tantaque illam esse prudentia. metuebam semper, ne itineris, quod vel hinc trecentas quinquaginta leucas superat, mora et longinquitate loci perterrita gravaretur molesteque ferret discessionem meam, contra evenit, gaudeo, licetque nunc mihi sperare haud adeo longam futuram mutuam separationem. hac de re, ut voluisti utque decebat, jam ad illam scripsi. tu illam, si quid opus, consolare, illique affirmato, quo longius abero, hoc firmiorem ardentioremque fore meum amorem, hoc crebriora, hoc teneriora ad illam me esse transmissurum suspiria, quod vice versa ne omittat facere, id mihi certe solatio erit summo. D(omin)nus Daly, cui jam demum hic forte obviam veni, licet eo ipso mense, quem Rothomagi fui, ibidem et is fuisset, et eodem tempore Parisiis te jussit salutare plurimum, tuumque cognatum Laurentium.«

Übersetzung, 36. Brief: »Seinem Jacob S[alutem] P[lurinam] D[icit] Nicolaus Zwei Briefe habe ich von Dir erhalten, auf welche ich Dir einzeln Antwort geben werde. Das Erste ist, dass ich mich über die gute Gesundheit von Euch allen sehr freue: was man über die Rückkehr der Schwestern erzählt, ist gänzlich falsch: Und damit ich das alles mit einem Wort abhandle, sollen die Menschen sagen, was sie wollen, Du sei sicher, dass niemals weder jene noch ich zurückkommen werden. Dass ich hier innerhalb von drei Tagen groß herauskommen hätte können, das ist (beim Hercules!) sehr wahr, ich werde Dir die Sache der Reihe nach erzählen: Zuerst musst Du das wissen, dass Chirurgen hier nicht auf dieselbe Art wie bei uns Halbgebildete sind, sondern dass diese Kunst hier in weitaus anderem Ansehen steht. Damit Du hier Chirurg bist, wird das Folgende verlangt: Kenntnis der lateinischen Sprache, Promotion in Philosophie, dann 24 öffentliche Disputationes zur Chirurgie, zu welchen eine Summe von 8000 Gulden kommt, damit Du zugelassen wirst; darüber hinaus werden sie dann gezwungen einen Eid zu leisten, dass sie niemals, nicht einmal durch eine Notlage gezwungen, einen Bart scheren werden und vieles anderes; kurz, hier hat ein Chirurg mehr Ansehen als ein Arzt; glaube, dass man hier ungefähr so viele Chirurgen wie Weiße [Albini heißt auch: Stuckarbeiter, das würde den Witz erhöhen] sehen kann; ja vielmehr hat freilich neulich selbst Herr G. van Swieten ersucht, was in den Gazetten zu lesen war, dass es ihm erlaubt sei, in die Gemeinschaft der Chirurgen eingeschrieben zu werden; welche Männer? Du siehst, und zufällig sind es hier 100, die übers Jahr hin 80 000 Gulden Gewinn machen. Und diese nennt jener Barbiere? Ja vielmehr sind die, welche hier Barbiere sind, aus dem untersten Volk und haben keinen Berührungspunkt mit der Chirurgie. Daher schlug mir jener vornehme Franzose, bei dem ich speiste, vor und überzeugte mich, dass ich mit der Medizin auch die Chirurgie verfeinern solle, (und versicherte mir), dass er, sobald ich fähig sein würde die Chirurgie auszuüben (weshalb er mich dem ersten Chirurgen des öffentlichen Spitals empfohlen hatte, damit dieser mich unterweisen solle) sich um mein Schicksal kümmern und bewirken werde,

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dass der König mir den Zugang zu irgendeiner seiner Truppen anvertraut, welcher Dienst mindestens 4000 Gulden bedeutet und eine Gelegenheit bietet, es unter seiner Führung durch tägliche Anwendung und Erfahrung abzuschließen. Dann wäre auch keine Promotion notwendig gewesen, deren Aufwand Du durch denselben Dienst verdienen könntest. Ich hätte es gemacht, wenn ich nicht von Herrn Swieten eingeladen worden wäre; nun ändere ich das Vorhaben und erhoffe dort Großartigeres; und inzwischen wäre ich hier nicht nur Sekretär eines Chirurgen gewesen, was freilich keine Schande wäre, ja vielmehr hier die höchste Ehre, denn dazu muss man die ganze Kunst vorher kennen, man sitzt am Tisch mit dem Herrn selbst und hier werden als Sekretär solche engagiert, welche im Jahr 8- oder 10 000 Gulden zusammenbringen. Aber über dieses Essen wird falsch berichtet, denn weder waren die Schwestern eingeladen, noch sah jener freilich diese, ich war alleine da, der ich allerdings schon die französische Sprache ausreichend kenne; wenn daher die Menschen schwätzen, glaub Du jenen nicht. Das Schicksal meines Verwandten bedauere ich; freilich hat dieser jenen grausam [geholt] – aber der Richter soll Gott sein. Klage mich, Jakob, nicht der Unklugheit an, dass ich jenen Fall in den Briefen an die Meinige hinzugefügt habe. Nenne eher jene falsch verstehend und eine schlechte Kennerin meiner Liebe und meiner Gesinnung ihr gegenüber, die mich zu einer so großen Bosheit für fähig hält. Ich weiß aber nicht, wem, der ähnlich gut über einen denkt, Ähnliches in den Sinn kommen könnte – warum könnte sie nicht ahnen, dass so etwas geschehen könne? Soll ich ihr die Wahrheit sagen? Sie suchte irgendeinen Vorwand, mich abzumahnen, damit die Erneuerung der Liebe daraus stärker entstehe. Was auch immer es sei, ich werde mich bei jener entschuldigen, ich werde niemals aufhören sie zu lieben, mehr als meine Augen. Aber was sagst Du bei deinen Anderen? Hat jene erfahren, dass ich weggehen werde? Freilich, wie ich gefürchtet hatte; dass sie es erfahren könnte, so freue ich mich nun, dass sie es erfahren hat: Ich bewundere, dass sie jenes mit dieser Einstellung angenommen hat und dass jene von so großer Klugheit ist. Ich fürchtete immer, dass sie durch die Dauer der Reise, welche von hier noch ungefähr 350 Meilen war, und durch die Entfernung des Ortes belastet würde und meinen Weggang schwer ertragen würde, ich freue mich, dass es anders kam; es ist mir jetzt erlaubt zu hoffen, dass die gegenseitige Trennung nicht so sehr lang sein wird. Über diese Sache habe ich, wie Du es wolltest und wie es sich gehörte, jener schon geschrieben. Wenn es notwendig ist, tröste sie und versichere jener, dass, je länger ich weg sein werde, desto stärker und brennender meine Liebe sein wird, desto zahlreichere, desto zärtlichere Seufzer werde ich an jene senden, was sie ihrerseits nicht aufhören soll zu tun, das wird mir sicher der größte Trost sein. Herr Daly, den ich zuletzt schon hier zufällig getroffen habe, wenn auch in dem Monat selbst, in dem ich in Rothomagus (Rouen) war, und dieser ist auch ebendort gewesen, und zur selben Zeit in Paris lässt Dich sehr grüßen und Deinen Cousin Laurentius.« 18. Brief, fol. 20r. Wien, 20. Juli 1752 Transkription »Amicissimo Gronovio Suo L[ibens] N. J. Jacquin Viennam veni vigesima die hujus mensis manH hora sexta salvus et incolumis, verum vehementer fatigatus, ut facile percipere poteris, dum cogitas, qua ratione fuerit mihi

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iter conficiendum. de itinere autem Belgice scribam in calce epistolae, ut etiam suavissima mea haec oculis suis queat lustrare, pergam igitur narrare illa, quae hic mihi jam contigere, quaeque habeam speranda. vigesima die adveniens adeo eram itinere fractus, ut condecere haud putarem Maecenatem adire. quievi hac die corpusque refeci, intelligebam interim illum Viennae non esse hoc tempore, sed degere in praedio suo prope Schöbrune [!], quod est palatium Imperatorium, ubi Imperatoria familia aestate degit, duabus circiter locus Vienn. distans. altero mane hora octava egressus e civitate perveni ipsius domum offendique studiis operam dantem. exprimere tibi nequeo, quibus amicitiae atque humanitatis signis fuerim exceptus, tantum dicam omnem meam expectationem longissime illum superasse. paucis mecum locutus, quum in lectione persevare vellet, librum mihi obtulit, quo tempus tenerem. prandium cum ipso sumpturus in alterum cubiculum discessi, ubi quum per semihorium fueram, intravit Matrona, uxor ejus, cum filia sua Virgine venustissima. a quibus dicere non possum, quam sim gratiose, quam familiariter exceptus, caetera familia aberat. post prandium una cum Maecenate meo in rhedam conscendi, in urbemque reversus domum suam adii, quae est pars aedificii amplissimi, nempe Bibliothecae Imperatoriae, quae quam sit splendissima, quam Regia, tibi imaginari non potes. cubiculum mihi jam locatum erat ante duos menses apud istum, qui tum famulus ipsius errat, quum in has terras abiret; et qui nunc munus habet in bibliotheca, ut Goedval Lugduni, sed quod hic multo honorificentius est atque utilius, et ille nunc gladium fert, dominumque agit, nec immerito. viginti septem annos habebat, huc adveniens et ut famuli nostra terra solent, bonus vir, at idiota, nunc autem (mirabere certo! ) ad optime atque etiam eleganter loquitur praeter maternam linguam Latine, Gallice germanice; nec graecae aliarumque linguarum omnino rudis est, imo et in studiis versatus; duxit ille uxorem bruxellensem, unamquae jam infantem habet fere biennem. habitat proxime Maecenatem meum, adeoque et ego in area quadam undequaque clausa, ubi nullus alius habitat, qualiter D[omi]nus Gaubius habitat in academia. Caeterum Maecenas meus victum et cubiculum solvit, libros, quos volo, peto, omnis enim propria bibliotheca sua mihi patet. habitum jussit mihi fieri plane novum et qualem hactenus sane non tuli, nec habitum dumtaxat, verum a vertice ad calces omnia, verbo omnia, quibus egeo, quae posco, solvit. ne tamen inquiebat absque nummis essem, ajebat quoque se curaturum immisitque duos ducatos in manum abeuntis. porroque promisit, simul ac capax forem, primum munus, quod in medicina vacaret, me habiturum semperque se ut filium me habiturum, modo expectationi suae satis facerem. Plura scribere de hac re possim, verum tempus urget, postea latius. quam sim contentus, ex praedictis noveris. nil obstat, quominus t0 1l0 dicere haec possis. Quaeso, mi Gronovi, amplissisimis mihi verbis cito respondeto, tum quid tu, amice unice, egeris, tum num viriliter B 1l^ se gesserit, meque, ut solet, amare perseveret. non cesso illam ob oculos mihi ponere, verbo dicam, amare illam medullitus. scribat ad me confestim, jam nihil de litteris timeat, recta enim mihi tradentur. Quum ad me scribas, prius solvenda quaedam tibi erunt Lugduni, ut itidem ego hic facere debeo, igitur sedulus sis, alias enim non mitterentur. ad sorores item hodie scribo, ut et ad vicinum meum. Agathae potes has litteras, quantum convenit, interpretari, postea ipse ad illam.«

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Übersetzung, 18. Brief: »Seinem allerliebsten Gronovius (entbietet) der Leidener N. J. Jacquin (einen Gruß). Ich kam nach Wien am 20. Tag dieses Monats in der sechsten Stunde heil und unversehrt, aber gar sehr erschöpft, wie Du leicht verstehen kannst, wenn Du bedenkst, in welcher geistigen Verfassung ich diese Reise hinter mich bringen musste. Über die Reise werde ich auf Flämisch am Ende des Briefes schreiben, damit es auch meine Holdeste mit eigenen Augen betrachten kann: Ich werde dann fortfahren, jenes zu erzählen, was mir schon zugestoßen ist und was ich mir erhoffte. Als ich am 20. ankam, war ich von der Reise so zermalmt, dass ich glaubte, es nicht mehr fertigzubringen, zu meinem Mäzen hinzugehen. Ich ruhte mich an diesem Tag aus und gönnte meinem Körper eine Erholungspause. Inzwischen erfuhr ich, dass jener (der Mäzen)184 nicht in Wien ist, sondern dass er sich auf seinem Landgut nahe Schönbrunn aufhält, welches eine kaiserliche Residenz ist, wo die Kaiserfamilie im Sommer lebt, ungefähr zwei Einheiten [Wegeinheiten oder Zeiteinheiten] von Wien entfernt. Am folgenden Morgen verließ ich um die 8. Stunde die Stadt, gelangte zu seinem Haus und traf ihn an, während er sich den Studien widmete. Ich kann Dir gar nicht ausdrücken, mit welchen Zeichen von Freundschaft und Menschlichkeit ich aufgenommen wurde, ich möchte nur sagen, dass jener alle meine Erwartung bei weitem übertroffen hat. Er hat nur ein paar Worte mit mir gewechselt, weil er bei seiner Lektüre bleiben wollte; mir bot er ein Buch an, damit ich mir so die Zeit vertreibe; und weil ich ja mit ihm selbst ein (Gabel-) Frühstück einnehmen sollte, ging ich in einen anderen Raum. Sobald ich mich dort eine halbe Stunde aufgehalten hatte, trat eine ältere Dame, seine Gattin, mit ihrer Tochter, einem allerliebsten Mädchen, ein. Ich kann nicht sagen, wie großzügig und wie freundlich ich von diesen empfangen wurde; die restliche Familie war nicht anwesend. Nach dem Imbiss bestieg ich zusammen mit dem Mäzen eine Kutsche; in die Stadt zurückgekehrt, betrat ich sein Haus, welches ein Teil eines stattlichen Gebäudes ist, nämlich der kaiserlichen Bibliothek; wie großartig und wie königlich diese ist, kannst du dir nicht vorstellen. Ein Wohnraum war für mich schon vor zwei Monaten vorbereitet worden bei dem Mann, der damals sein Diener war, als er in diese Länder zog. Und dieser hat nun auch eine Anstellung in der Bibliothek (wie Goedval in Leiden), was aber hier viel ehrenvoller und nutzbringender ist; er trägt jetzt sogar ein Schwert und geleitet den Herrn, nicht unverdienterweise. 27 Jahre war er alt, als er hierher kam, und wie die Diener in unserem Land ein guter Mann, aber ungebildet, doch jetzt – Du wirst staunen – spricht er sehr gut und fein außer der Muttersprache Latein, Französisch und Deutsch; auch im Griechischen und in anderen Sprachen ist er nicht gänzlich ungebildet und sogar in den Wissenschaften bewandert. Geheiratet hat jener eine Frau aus Brüssel, er hat ein schon fast zweijähriges Mädchen. Er wohnt in nächster Nähe meines Mäzens, und so befinde ich mich in einem von allen Seiten umschlossenen Areal, wo kein anderer wohnt, so wie unser Herr Gaubius185 in der Akademie logiert. Übrigens zahlt mein Mäzen Lebensunterhalt und Wohnraum; die Bücher, welche ich will, verlange ich, seine ganze eigene Bibliothek steht mir zur Verfügung. Er hat angeordnet, dass mir eine Kleidung angefertigt wird, völlig neu 184 Gemeint ist Gerard van Swieten. 185 Hieronymus David Gaubius (1705–1780), Arzt und Chemiker, war ein Schüler Boerhaaves. Sein Werk über Pathologie (1758) wurde in seiner Zeit als das beste seiner Art betrachtet. Jacquin hatte bei ihm »Scheidekunst« gehört.

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und wie ich sie bisher noch nicht getragen habe, und nicht nur die Kleidung, sondern alles vom Scheitel bis zur Sohle, mit einem Wort: Alles was ich brauche und verlange, zahlt er. Und damit ich dennoch, sagte er, nicht ganz ohne Geld dastehe, werde ich auch dafür sorgen, und er drückte mit zwei Dukaten in die Hand, als ich fortging. Weiters versprach er, dass ich, sofern ich tauglich sei, den ersten Posten, der in der Medizin frei sei, haben werde und dass er mich wie einen Sohn behandeln werde, sofern ich nur seine Erwartung erfülle. Ich könnte wohl noch mehr über die Angelegenheit schreiben, aber die Zeit drängt; später ausführlicher. Wie zufrieden ich bin, kannst Du wohl aus dem Gesagten erkennen. Es steht nicht im Wege, dass Du das »der Meinigen« mitteilst. Ich bitte, mein Gronovius, antworte mir schnell und recht ausführlich, sowohl was Du, einzigartiger Freund, treibst, als auch, ob »die Meinige« sich tapfer benimmt und mich, wie sie es zu tun pflegt, weiterhin liebt! Ich höre nicht auf, sie mir vor Augen zu stellen, um es mit einem Wort zu sagen, sie von ganzen Herzen zu lieben. Sie soll sofort an mich schreiben, soll keine Angst wegen des Briefes haben, er wird mir auf direktem Weg übergeben werden. Wenn Du an mich schreiben solltest, wirst Du vorher gewisse Zahlungen in Leiden leisten müssen, wie ich dasselbe auch hier machen muss; sei also eifrig dahinter, sonst würde das Schreiben nicht versandt werden. Ebenso schreibe ich heute an meine Schwestern, wie auch an meinen Nachbarn. Agatha kannst Du dieses Schreiben, soweit es passend ist, erläutern; später werde ich persönlich an sie (schreiben).« 23. Brief, fol. 30r/v/31r. Wien, 9. Januar 1754 Transkription »Amicissimo Jacobo suo Nicolaus S[alutem] P[lurimam] D[icit]. Tres sunt causae potissimum, propter quas huc usque supersedi responsione ad tuas per Stekhoven suo ad me tempore allatas danda. Earum prima quidem fuit, quod putabam, ad illas litteras, quas ad vos dedi ultimas, mihi responsum daturum te fuisse (quod certe potuisses facile), diu antequam ad me per Stekhoven vestrae pervenirent, atque ita sumptibus parcendo ad utrasque eadem opera respondissem. atque haec prima fuit, quae pro ducendo tempus et frustra mea me expectatione diu quum detinuisset. Novi hujus anni initium appopinquabat dicebamque tum memet et hunc adventantem velle aperiri, ne iterum hac de re inepte vos cogerer aliquot stuporis mulctare; est quae haec altera. Tertiam vero, eamque longe gravissimam, posteaquam ad omnia respondero, enarrabo. Omnia per Steckhoven optime ad me pervenerunt, pro quibus quidem rebus omnibus, quantis vobis verbis agam gratias, non reperio: quidni capias, fuisse omnia illa gratissima mihi, ipsos mihi animos vestros misisse videamini. placuisse tibi carmen meum gratulor ipse mihi vehementer, nisi enim placuissent tibi, Musis sane iratissimus ultimum dixissem vale. attamen, utut abs te laudari cupiam, tantas186 tamen abs te laudes non expectaram. inde et forte amicititiae memor nimis, censorem es oblitus. puto te jam versum 104 ex praemissa correctione intellexisse. Posset laedere illud, non aequa sorte fruentem Mecaenatem187 hinc mutabis potius ponesque meliori sorte fruentem. Quod vero ita sis 186 Dieses Wort ist überschrieben. 187 Jacquin hat fälschlich Mecaenatem geschrieben!

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animatus jamque edere illud carmen induxeris, valde laetor. atque isthuc188 facias quovis modo, velim. Quod de vicino189 olim meo scribis190, indignor, si vera sint, nec certe capio, quid prae se ferat. interim nihil ille tale ad me, contra humanitatis est plenus. quidquid fit, neminem curo garriantem, istic loci rideo, quotquot sint Batavi. tibi uni nolo male me audire, nec certe possum, nosti me vel in egestate generosum et forte nimis, verbo totum me tenes. nec ergo similia de me judicare potes, quidquid etiam dicatur. quod ad istud scriptum spectat, quod a sorore mea petit adeo, nempe antecessoris sui, per me petat usque licet191. hic Vindobonae in cubiculo meo cum habitat, nec, si velit, dare soror potest. Sat ego cautus fui, talia ne istic loci relinquerem; imo, si velim, perdere illum possum ea scriptis, quae hic habeo, at ista mecum morientur, nec ante, ut habeam, quo casu dato premere possim. De sororibus aut familia mea, ut jam ante monui te, verbum nullum volo. De Justini prologis, putaveram jam fatis fecisse: unicum dumdaxat illius Authoris192 exemplar m[anu] s[criptum] hic est, nisi forte ignotum lateat alicubi, nec enim omnia adhuc m[anu] s[cripta] in ordinem sunt redacta, ac convenit hic codex prorsum cum libris impressis. Gratias tibi ago pro votis tuis, eadem reddo tibi ex toto corde speroque omnia fore fausta ut eveniant tibi hujus novi anni decursu et sic plures ad [31v] validam usque senectutem vivere det nobis Deus. Ut iterum atram bilem meam evomerem, transtuli ex Gallico sermone in satyram quandam in Heroica Latina, est satyra illa celeberrimi Boileau Principis Poetarum Gallicorum et alter dictus Horatius, cujus certe ut et Graecorum imitator summus et adorator fuit. at mutavi plura, addidi, omisi, nec me ad verba converti sensum dumtaxat observavi, nec aliter sermoni latino fuisset consultum, nugandi gratia feci, tot enim obruor negotiis, ut ipsi invenire aliquid mihi non vacet, in hoc etiam opere pedetentim progredior, quum ad vos iterum scribo, puto me transmissurum, insanire lubet, quoniam tibi et meas nugas magnas facere. probat vero ista satyra unde fiat, ut quo stultior quis sit, eo sapientior sibi videatur. ad te mutato nomine dirigam. Nunc de studiis pauca: vocabit [?] altero hic anno Professoratus in Anatome, D[ominus] van Swieten istius muneris est donator. dixit jam publice mihique se velle absque omni suffragio aut commendatione dare id meliori ac digniori. propterea similis concursus erit; quincunque velint petere illud, dabunt nomen. tum quisque ordine posito ex his cursum Anatomicum tradere per annum more solito debebit habebitque pro isto cursu, sive admittatur, sive Professoratu excidat, 600 germanicos florenos, atqui post omnes cursus eruditior atque aptior judicabitur. a Mecaenate solo aget in posterum Professorem, habebit quotannis 2000 florenorum Germanicorum et ab imperatrice liberum pro se suaque familia domicilium. rogavit me, utrum vellem concurrere se mihi instrumenta ceteraque omnia exhibiturum, ut vinceret me, verum negavi dicens non amare me semper inter cadavera versari. tres tantum novi qui concurrent, eosque dumtaxat studiosos, quorum tamen duo certe boni sunt Anatomici, alter Hybernus ille, de quo jam ad te scripsi, alter Germanus, hic dexterior, ille eruditior et jam promotus. Aedificium vel potius palatium hic exstruitur, ingens et sumptuosissimum in media civitate, in quo omnium facultatum lectiones tradentur habebuntque domicilium proprium et omni sumptu liberum omnes Professores. 188 189 190 191 192

Ishuc: das t fehlt hier. Vincino steht wohl für vicino. Soribus. Sollte scoribus heißen. usque licet ist durchgestrichen. Wohl autoris.

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concursus fuit etiam in juribus, inter ceteros nobilis juvenis quidam, quem forte ad hoc meministi, qui cum Principe Lichtensteinio ceu itineris socius Lugduni in vicinia tua habitavit, Professoratum in juribus acquisivit et 4000 fl[orenorum] Germ[anicorum] in annuum stipendium. interim cogita me hic splendide vivere et Pro 1500 fl[orenorum] Germ[anicorum] per annum hic posse habere, quam ergo ex istis summis bene vivere possunt illi? At quod me enecat : hic cursus ultimus est, quem faciet. Maecenas vult se quieti jam parum dare, ejus mitto tibi effigiem, et hominem videre puta, qualis forte non est in orbe alter. Certe si docentem illum audis, nescio, quid divini, quid majestuosi, et simul quid benevoli humani in ipso eluceat? oracula edere diceres et me ab ejus modi viro prae ceteris diligi, quantum inde, putas, voluptatis hauriam, imo quae non et gloria hinc mihi accedit? Quod ad dulcissimam mihi animulam meam attinet, gaudeo vehementer sane illam degere idque perpetuum velim. Ad quartam jam venio retardationis litterarum [31r] huius rationem. Amore (dicam an furore quodam) plantarum ductus imperator, in quo et quodiana per colloquia cum Stekhoven perget proceditque in dies, tam et ut augeat vivarium suum per collectionem avium rarissimarum nullis itaque parcus sumptibus in Americam mittere aliquem Botanices gnarum in animum adjecit. quid multis, Jacobe, de me, nescio quo pacto, inaudiit et vult, ut ego iter potissimum illud peragam, Caesar. Maecenas me monuit rogavitque, utrum vellem, et ita ut ipse jam velle hoc videretur. respondi itaque paratum me ad quidvis faciendum. ipse ille, si istud consultum duceret, nec obstare fortunae meae respondit illico: promitte modo te iturum et certus esto, si eas sique post tres quatuorve annos redieris, stipendium perpetuum te habiturum, unde honeste vivere possis, et in ipsum iter splendide tibi iri provisum, reliqui omnia ejus voluntati et curae, gnarus, quantum me diligat. interim adhuc plane incertus sum, iturusne sim necne. certitudinem hanc expectaveram, quam possem tibi renuntiare, at nihil certe huc usque. ante octiduum colloquibus cum Mecaenate de hac re interrogatus a me, respondit: credo te certe iturum. Si eam, ibo, putem, primo ad insulam dictam Curaxao atque inde forte ad Surinamam, atque ulterius. Verum quum haec res anceps adhucdum plane est, nec ire volo, absque pacto mihi valde conducenti nulli usquam indices, velim, ne verbum quidem de hac re facias, minime etiam t0 Blet]q, nuntiare expedit, quae, timida ut est, forte absque necessitate angeret se. simul ac verum constitutum fuerit iter, at plane non, ad vos scribam. Haec res adeo tenet, ut, quod a me petiisti, hilariter ad vos scribere non vacet; excusabis me facile, quum et reor non parum hac etiam animum tuum affectum iri itineris mei ratione. Forte tamen vel in Hollandia navim conscendam ac tunc invicem sumus amplexuri. Nescio, si conveniat fratri scribere, hoc novo anno feci, potest ad illum mittere, si mittendum judicet; sin minus, Vulcano dare. Celeriter litteras tuas ac H. meae exspecto, at longissimas tuas. Valeto, Jacobe amicissime, meque, quod facis, ama. Salutem sorori tuae, novique anni votum meo nomine annuntia. Dabam Vindobonnae 9 die Januarii mensis Anno 1754. At muto sententiam, tenui litteras ad fratrem ejus destinatas. ipsa nomine meo poterit ipsi novum annum nuncupari. malo prius ab illo habere responsum ad meas. Vale, Jacobe, et me amare ne desinas, silentium meum, utut potes, apud meam excusato.«

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Übersetzung, 23. Brief: »Seinem allerliebsten Freund Jakob sagt Nikolaus sehr viele Grüße! Es gibt hauptsächlich drei Gründe, derentwegen ich es bis jetzt unterlassen habe, eine Antwort auf Dein Schreiben, das mir seinerzeit durch Steckhoven überbracht worden ist, zu geben. Der erste von diesen Gründen war nun, weil ich glaubte, dass Du mir auf jenen Brief, den ich zuletzt an Dich richtete, antworten würdest (was Du sicherlich leicht gekonnt hättest), lange bevor Eurer durch Steckhoven an mich gelangte, und so hätte ich kostensparend in einem einzigen Kraftaufwand auf beide geantwortet. Das war somit der erste Grund, der mich durch das Hinauszögern und durch mein vergebliches Zuwarten lange (vor einer Antwort) abgehalten hatte. Der Beginn des neuen Jahres näherte sich, und ich sagte mir damals, dass dieses kommende Jahr anfangen soll, ohne dass ich mich gezwungen sähe, Euch wiederum in unhöflicher Weise wegen mancher Gefühllosigkeit zu verprügeln; das ist der zweite Grund. Den dritten aber werde ich, und diesen als den weitaus schwerwiegendsten, nachdem ich auf alles erwidert habe, haarklein darstellen. Alles ist bestens durch Steckhoven an mich gelangt; wie ich auch allerdings für dies alles danken kann, finde ich keine Worte. Warum willst Du nicht verstehen, dass nur mir das alles sehr willkommen war? Ihr habt mir, so scheint es, Eure Seelen selbst geschickt. Dass Dir mein Gedicht gefallen hat, dazu beglückwünsche ich mich geradezu stürmisch; wenn die Dinge Dir nicht gefallen hätten, hätte ich wohl höchst erzürnt den Musen mein letztes Lebewohl zugerufen. Jedoch wie sehr ich auch wünschte, von Dir gelobt zu werden, so große Lobeshymnen hatte ich dennoch von Dir deshalb nicht erwartet. Und weil Du vielleicht zu sehr an die Freundschaft dachtest, hast Du das Zensorenamt vergessen. Ich glaube, dass Du den Vers 104 schon aus der vorausgeschickten Korrektur verstanden hast; es könnte das verletzen, aber Du wirst einen Maecenas, der ein günstiges Schicksal genießt, eher nicht ändern, Du wirst ihn zu einem machen, der ein besseres Los genießt. Weil Du aber so ermutigt bist und Dich veranlasst fühlst, dieses Gedicht zu veröffentlichen, freue ich mich gar sehr. Mache es meinetwegen, wie es Dir beliebt. Was Du über meinen seinerseitigen Nachbarn schreibst, empört mich, wenn es wahr sein sollte. Und ich verstehe nicht ganz, was er im Schilde führt, bis jetzt hat er nichts Derartiges mir gegenüber (getan), im Gegenteil, er ist voll Menschlichkeit. Was auch immer geschieht, ich kümmere mich um keinen Schwätzer, ich lache dort, mögen es auch noch so viele Bataver sein. Über Dich allein will ich nichts Schlechtes hören, und das kann ich gewiss auch nicht. Du kennst mich: wohl edel im Elend, und doch vielleicht allzu sehr ; durch ein Wort hältst Du mich gänzlich fest. Du kannst also nicht ein ähnliches Urteil über mich fällen, was auch immer man sagen mag und in dieser Hinsicht geschrieben worden ist. Was das Schreiben betrifft, das er von meiner Schwester so dringend verlangt, natürlich eine Angelegenheit seines Vorgängers – meinetwegen mag er es ewig fordern. Wenn er hier in Wien in meinem Zimmer wohnt, kann ihm das meine Schwester, auch wenn sie wollte, nicht geben. Ich war genügend vorsichtig, dass ich dort solches nicht zurückließ. Ich könnte sogar, wenn ich wollte, jenen zugrunde richten aufgrund der Aufzeichnungen, die ich hier habe. Aber diese werden zusammen mit mir sterben, jedoch nicht früher, damit ich etwas in Händen habe, wodurch ich ihn gegebenfalls unter Druck setzen könnte. Über meine Schwestern oder meine Familie sage bitte, wie ich Dich schon vorher ermahnt habe, kein Wort. Über die

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Vorworte des Justinus193 hatte ich geglaubt, schon genug geredet zu haben; von diesem Autor gibt es hier ein einzigartiges handgeschriebenes Exemplar, wenn es sich nicht zufällig unerkannt irgendwo anders verborgen halten sollte. Bis jetzt sind nämlich nicht alle Handschriften geordnet worden; und diese Handschrift stimmt mit den gedruckten Büchern völlig überein. Für Deine Wünsche danke ich Dir, erwidere diese auch von ganzem Herzen und hoffe, dass Dir im Ablauf dieses Jahres alles gut gelinge und dass der Herrgott uns noch recht viele Lebensjahre bis zu einem rüstigen Greisenalter geben möge. Um meine schwarze Galle wiederum auszuspeien, übertrug ich eine Satire aus dem Französischen in heroisches194 Latein; es ist dies eine Satire von Boileau, dem Ersten unter den französischen Dichtern, der auch als zweiter Horaz bezeichnet wird, gewiss war er dessen – wie auch der Griechen bester Nachahmer und Verehrer. Aber ich habe ziemlich viel geändert, hinzugefügt, weggelassen und nicht streng auf Worten bestanden. Den Sinn habe ich zwar beachtet, andernfalls hätte man der lateinischen Sprache Gewalt angetan, ich machte es um des Scherzes willen. Ich bin ganz mit Arbeit überhäuft, sodass mir selbst keine Zeit bleibt, etwas zu erfinden; auch in dieser Tätigkeit bin ich nur schrittweise vorangekommen; wenn ich wieder an Euch schreibe, glaube ich, werde ich es übersenden, es beliebt eben, verrückt zu spielen, und weil sie an Dich gerichtet sind, auch meine Kleinigkeiten groß herauszubringen. Diese Satire macht nämlich verständlich, woher es kommt, dass einer, je törichter er ist, umso weiser erscheint; an Dich möchte ich das mit geändertem Namen richten. Nun weniges über die Studien: Vorlesungen halten wird hier das zweite Jahr der zum Professor ernannte Herr van Swieten, der Gönner dieses meines Amtes. Er hat es schon öffentlich gesagt, dass er es mir ohne jede Abstimmung oder Empfehlung geben wolle als dem Besseren und Würdigeren. Es wird deswegen eine ähnliche Drängelei geben; alle, die dieses Amt anstreben wollen, werden ihre Bewerbung abgegeben. Nachdem die Reihenfolge festgelegt worden ist, wird ein jeder von diesen in üblicher Weise ein Jahr lang sich einem Anatomiekurs widmen müssen und er wird für diesen Kurs, sei es, dass er aufgenommen wird, sei es, dass er aus der Professur herausfällt, 600 Dukaten erhalten. Und doch wird er nach allen Lehrgängen als besser gebildeter und geeigneter vom Mäzen eingestuft werden. Wenn er in der Folge einzig durch den Mäzen das Professorenamt ausübt, wird er jährlich 2000 deutsche Gulden als Besoldung haben und von der Kaiserin freie Wohnung für sich und seine Familie. Van Swieten hatte mich gefragt, ob ich mich bewerben wolle, er werde mir die Apparaturen und alles Übrige zur Verfügung stellen, damit ich mich überwinde, aber ich lehnte ab, indem ich sagte, dass es mir gar nicht gefalle, immer unter Leichen herumzugeistern. Nur drei kenne ich, die sich bewerben werden, und diese lediglich Studenten, von denen zwei trotzdem gewiss gute Anatomen sind: der eine ein Spanier, von dem ich dir schon oft geschrieben habe, der andere ein Deutscher, dieser gewandter, jener gebildeter und schon promoviert. Ein Gebäude – oder besser gesagt ein Palast – wird hier errichtet, gewaltig und höchst aufwändig, mitten in der Stadt, in das die Vorlesungen aller Fakultäten verlegt werden, eigene und kostenfreie Wohnung werden alle Professoren haben. Es gab großes Gedränge, auch in den Rechtswissenschaften, unter den Übrigen war ein gewisser adeliger Jüngling, an den Du Dich vielleicht deswegen erinnerst, weil er mit dem Fürsten Lichtenstein wohl als Reisegefährte in Leiden in Deiner Nähe gewohnt hat. Er hat sich um die Professur in Rechts193 M. Justinus: römischer Geschichtsschreiber, 3. Jh. n. Chr. 194 Heroischer Vers = Hexameter.

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wissenschaften beworben und (bekommt) 4000 deutsche Gulden als jährliche Unterhaltszahlung. Bedenke unterdessen, dass ich hier prächtig lebe und (was) ich für 1500 deutsche Gulden im Jahr hier haben kann. Wie gut können also erst jene aufgrund dieser Summen leben? Aber was mich umbringt: Dieser Lehrgang ist der letzte, den mein Mäzen macht, er will sich schon ein wenig der Ruhe widmen. Ich schicke Dir ein Bild von ihm, und glaube, einen Menschen zu sehen, wie es vielleicht auf Erden keinen zweiten gibt; gewiss, wenn man ihm zuhört. Wenn er lehrt, da bricht aus ihm etwas Göttliches, Majestätisches und gleichzeitig Wohlwollendes und Menschliches heraus. Du würdest sagen: Orakel von sich geben. Und von einem derartigen Mann mehr als die anderen geliebt zu werden, wie viel Vergnügen glaubst Du, dass ich daraus schöpfe, ja sogar welcher Ruhm nicht von hier auf mich übergeht. Was mein mir allerliebstes Seelchen betrifft: Ich freue mich sehr, dass sie bei Gesundheit ist, und das soll immer so bleiben. Ich komme schon zum vierten Grund für die Verzögerung eines Schreibens. Von Liebe – oder soll ich sagen: von einem gewissen Wahn – für die Pflanzen lässt sich der Kaiser leiten, worin er auch in täglichen Gesprächen mit Steckhoven kein Ende findet, und er treibt es von Tag zu Tag weiter, sodass er auch seinen Tiergarten durch eine Sammlung ganz seltener Vögel vergrößert; und indem er keinen Aufwand scheut, hat er sich in den Kopf gesetzt, jemanden der Botanik Kundigen nach Amerika zu schicken. Was soll ich lange herumreden, Jakob, irgendwie hat der Kaiser von mir gehört, und es ist sein Wunsch, dass ich diese ausgedehnte Reise in die Tat umsetze. Mein Mäzen hat mich ermuntert und gefragt, ob ich wolle, aber so, dass es schon den Anschein hatte, als ob ich selber es wollte; ich antwortete daher, dass ich zur Durchführung jeder Aufgabe bereit sei. Er selbst sagte darauf, dass er, wenn er das für eine beschlossenen Sache halte, meinem Glück nicht im Wege stehen wolle, und sogleich: ›Versprich nur, dass du gehen wirst, und sei versichert, dass du, wenn du gehst und nach drei oder vier Jahren zurückkehrst, eine dauernde Anstellung haben wirst, von der du mit Anstand leben kannst; für die Expedition selbst wird hervorragend für dich Vorsorge getroffen.‹ Alles Übrige geschehe nach meinem Willen und meiner Vorsorge, wohl wissend, wie sehr er mich liebt. Inzwischen bin ich noch völlig unentschlossen, ob ich gehen soll oder nicht. Dieses Entschlossensein hatte ich mir erwartet, sodass ich es auch Dir mitteilen könnte, aber bis jetzt ist es noch nicht da; nachdem vor acht Tagen der Mäzen gesprächsweise befragt worden war, antwortete er : ›Ich glaube, dass du bestimmt gehen wirst.‹ Wenn ich gehen sollte, werde ich vermutlich zuerst auf die CuraÅao genannte Insel reisen, von dort vielleicht nach Surinam und noch weiter. Aber wenn diese bis jetzt immer noch unsichere Sache gewiss ist und ich nicht gehen will und mich aus der Vereinbarung, die mir so zugesagt, (zurückziehe), mach bitte zu niemandem irgendwo Andeutungen, nicht einmal ein Wort verliere darüber! Es wird auch ganz unvorteilhaft sein, zu der Meiningen etwas verlauten zu lassen, weil sie sich, furchtsam, wie sie ist, vor dieser Zwangslage wohl ängstigt. Sobald aber die Reise beschlossene Sache ist, aber noch nicht umumstößlich, werde ich an Euch schreiben. Diese Angelegenheit fesselt mich so sehr, dass ich keinen Gedanken frei habe, heiter an Euch zu schreiben, worum Du mich ja gebeten hast, Du wirst meine Sorge erleichtern, wenn ich der Überzeugung bin, dass auch Du in nicht geringerem Maße von den Gedanken um meine Reise erfüllt bist. Trotzdem werde ich wohl in Holland an Bord gehen, und dann werden wir einander umarmen. Ich weiß nicht, ob es sinnvoll ist,

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dem Bruder195 zu schreiben, zu diesem Neujahr habe ich es so gehalten; sie kann den Brief, wenn sie es für gut befindet, an jenen weiterleiten, wenn nicht, ihn verbrennen. Bald erwarte ich einen Brief von Dir und meiner H., einen sehr langen aber von Dir. Lebe wohl, allerliebster Jakob, und liebe mich, was Du ja tust! Einen Gruß sage Deiner Schwester und einen Wunsch für das neue Jahr in meinem Namen! Ich schrieb das in Wien am 9. Jänner 1754. Ich ändere jedoch meine Meinung und behalte den für ihren Bruder bestimmten Brief zurück; sie kann selbst in meinem Namen ihm ein neues Jahr wünschen; ich will lieber von ihm eine Antwort auf mein Schreiben haben. Lebe wohl, Jakob, und höre nicht auf, mich zu lieben, und entschuldige mein Schweigen, so gut Du kannst, bei der Meinigen!« 24. Brief, fol. 32r/v. Wien, 6. April 1754 Transkription »Dabam Viennae 6 April 1754 Jacobo suo S[alutem] D[icit] N. J. Jacquin Diu desideratas tuas accepi tandem legique lubenter, tum, quod exinde amicam 1l/r exceptionem prosperamque valetudinem intellexi, tum etiam, quod non acerbe adeo, ac ego quidem cogitaveram, iter meum istud, siquidem ita res postulet sit latura. Miror, hujus jam sit rei te fuisse certiorem scripsisseque Maecenatem illud Lugdunum, quum huc usque tam dubia res est fit, nec certe ullo modo jam certior sum, ac in principio eram. nimirum scriptum jam tum est in Americam jussu Caesaris, utrum nimiis incommodis non obnoxia haec peregrinatio esset et an, quem inde effectum fore spes est, sortiri possit? nedum responsum huc venit. Tum etiam, ut principum196 sententia mutabilis est, quis scit, utrum persistat Caesar in eadem, praesertim quum tanta certe summa haec res constabit, atque ad rem parum attentus Caesar habeatur. interim quidquid fit, simul ac alterutram in partem hoc negotium vergat, sive ibo, sive huc mansurus sum, statim te faciam certiorem; si, quid sentiam petis, puto me iturum: attamen nihil certi hic est, quod ad ipsius in itinere sodalicium spectat, vana a haec sunt et !d}mata, ut ipse capis. Gratias ago tibi pro gratulatione ista tua votisque. bene tibi volo, quod adeo protinus fueris, 5m t0 peq_ d’1l/r digc^sei. ad illam has inclusas mitto, quum nescio frater ejus visurusne sit, circumspecte scripsi, adeoque recta tu ad illam mittes; insunt et ad ejus fratrem aliae, quas ipsa tradere poterit. per Verbelios litteras nec mittere nec accipere volo, solvere tu illis idem deberes, novi, quod hoc flagitent. Posses mihi (at omnia ista tuo commodo facias, velim; irascerer enim tibi, si quid, mei causa, incommodi tibi adferres), officium praestare; brevi ad nos venit ac jamjam expectatur D[omi]nus de Haen, itidemque Jan de geweese Knegt van Stekhofen. haec a te postulo, quaecunque per illos ad me mittere ex hisce poteris gratissimum puta te mihi facturum; forte et per cognatum quid posses; novi angustias tuas – [fol. 32v.]

195 Wohl: ihrem Bruder (der Meinigen). 196 I ist gestrichen!

540 Qui fit, Gronovi, semper stultissimus ut re esse sibi solus sapiens videatur in omni? Ut non sit stultus qui non hortetur amice/ Vinum helleborum plenis haurire culullis? Praeceptor puerum doctrina plenus inani, Agmine stipatus raptarum ex Hellade vocum, Tradita verbatim, cui mille volumina menti, Putidius multo, atque erat, affecere cerebrum Turgidus hinc, asinos sic lectum reddere librum Credit Varrones et Aristotele absque magistro Cernere nil sensus, et nil ratione probari. Compita, qui circum palatur, vanus Amator, Hanc artem doctus solam, quem totus odoris … ungentis; crines super auribus alae / … columbinae penus, post terga revinctam / … dam trahit aut atram ex bombyce crumeram. / Scribere se doctum ratus, omnem sub pede calcat. / Doctrinam reliquam quodque ignorantia credit, / Ingenii sibi sit titulus; nec pultrius illa / Posse viro quidquam, quem nutriit aula videri. / Dictus Hypocrita, qui fastu turgens, putat, ipsi / Hoc se posse Deo mendaci imponere zelo; / Occultans scelerum, specie pietatis, amorem; / Solus Dis gratus sibi visus, damnat inique / Humanum genus atque omnes ad Tartara mittit. / Impius at contra nebulo, superumque hominumque / contemptor, sua stat cui lex suprema voluptas. / Aeternos ignes, aeternaque tempora, aniles / Fabellas vocat, ac obscuri somnia saecli, / Queis puer innocuus terreri ac foemina possent, / Joque vocat cassas vitae introducere curas, / Quae, dum nil prosint, homini sua gaudia tollunt; Quotque pios, tot se deliros cernere credit. / Ut verbo dicam, varios si pingere mores Materiemque velim, tristi ex haurire labore. Promptius expediam quot opus scriptoribus ingens / Debeat excerptis Hallerus? quot Quarin aegros / Chalcantique oleum autumno jugulaverit uno / Huc illuc ergo frustra ne garrulus errem, / Hoc lubet id totum (Grajum quidquid stomachantis.197«

197 Klammerende fehlt.

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Übersetzung, 24. Brief: »Nikolaus Joseph Jacquin grüßt seinen Jakob. Ich schrieb dies in Wien am 6. April 1754. Dein lang ersehntes Schreiben habe ich endlich erhalten; und ich habe es voll Freude gelesen, erstens weil ich daraus ersah, dass die Meinige freundlich aufgenommen worden ist und sich bei guter Gesundheit befindet, dann auch, weil ich daraus entnahm, dass sie diese meine Reise doch nicht mit Bitterkeit, wie ich mir wohl gedacht hatte, hinnehmen wird, sondern weil es halt schon sein muss. Ich wundere mich, dass Du über diese Angelegenheit schon informiert warst und dass das mein Mäzen nach Leiden geschrieben hat, da ja die Sache noch immer nicht entschieden ist und ich noch ganz und gar nicht fest entschlossen bin; doch grundsätzlich war ich es wohl schon. Natürlich hat man schon damals auf Befehl des Kaisers nach Amerika geschrieben und angefragt, ob diese Reise mit allzu großen Unannehmlichkeiten verbunden ist und ob man vielleicht berechnen kann, auf welchen Erfolg Hoffnung besteht. Antwort ist noch keine eingetroffen. Dazu kommt noch: Wie ja die Fürsten wankelmütig sind, wer weiß, ob der Kaiser auf seiner Meinung beharrt und, wo es sich sicherlich um eine hochwichtige Sache handelt, auch ein weniger interessierter Kaiser in derselben Entschlossenheit zu halten ist. Was inzwischen auch immer geschieht und sobald das Unternehmen eine andere Richtung einschlägt, sei es, dass ich gehe, sei es, dass ich hier bleiben will, werde ich Dich jedenfalls sofort benachrichtigen. Wenn Du wissen willst, was ich denke: Ich glaube ich werde gehen. Doch gibt es hier nichts Gewisses, was nach einer Reisegemeinschaft für die eigene Person aussieht, das alles ist wirkungslos und ineffektiv, wie Du verstehst. Für Deine Gratulation und Wünsche sage ich Dank. Ich bin sehr froh, weil Du Dich immer so verhalten hast, wenn es gesprächsweise um die Meinige ging. An sie schicke ich dieses beigelegte Schreiben, da ich nicht weiß, ob ihr Bruder sie sehen wird, wohlüberlegt habe ich geschrieben, und so wirst Du es geradewegs an sie übermitteln. Drinnen befindet sich auch ein Schreiben an ihren Bruder, das sie selbst übergeben kann. Über die Verbelier will ich weder Briefe schicken noch erhalten. Du müsstest jenen dasselbe bezahlen, und ich weiß, was sie dafür verlangen. Du könntest mir (das alles mache bitte zu Deinem Vorteil; ich würde Dir nämlich zürnen, wenn Du Dir meinetwegen einen Schaden zufügst) einen Liebesdienst erweisen: Zu uns kommen demnächst und werden schon dringend erwartet Herr Haen und eben der Jan de gewesene Knegt van Steckhoven; das ist mein Begehren an Dich, und was auch immer davon Du durch jene an mich übermitteln kannst, sei überzeugt, dass Du mir damit einen sehr großen Gefallen erweisen wirst. Vielleicht könntest Du auch etwas durch Deinen Verwandten schicken; ich weiß freilich um Deine beschränkten Möglichkeiten. Wie nur kommt es, Gronovius, dass der Dümmste immer sich selbst in allem alleine für weise hält? Dass der dumm sei, der dazu auffordert, Freund, Nieswurzwein aus vollen Bechern zu trinken? Der Lehrer der Knaben, der voll ist von inhaltsloser Lehre, vollgestopft mit Haufen von Wörtern, die er dem Griechischen raubte – seinem Geist wortwörtlich anvertraut wurden tausende Bücher, die das Gehirn noch um vieles fauliger befallen als es schon war. Von da an angeschwollen, glaubt er, dass die Buchlektüre Esel zu Männern wie Varro machen könne und sie von Aristoteles als Lehrer den Sinn zu erkennen lernen und dass nichts durch vernünftiges Denken

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bewiesen werden könne. Ein eingebildeter Verehrer, der an den Scheidewegen rings umherirrt, einzig in dieser Kunst bewandert, den ganz der Duft … durch Parfum, die Haare über die Ohren, … ein Vorrat an Taubenfedern, und hinter dem Rücken … eine trägt er oder einen dunklen Beutel aus Seide. Im Glauben, Gelehrtes zu verfassen, tritt er jede übrige Lehrmeinung mit Füßen, und was die Unwissenheit für wahr hält, das sei der Ehrentitel seines Genies. Nicht schöner als jener Hof,198 der ihn aufzog, konnte diesem Mann irgendetwas scheinen. Heuchler genannt, von Hochmut geschwollen, glaubt er, er könne dies Gott aufgrund seiner betrügerischen Eifersucht zufügen. Seine Sehnsucht nach Freveltaten verbirgt er unter dem Vorwand der Barmherzigkeit. Da ihm schien, einzig den Göttern willkommen zu sein, verurteilt er gehässig das Menschengeschlecht und schickt alle in die Unterwelt. Doch im Gegenteil, ein gottloser Taugenichts, ein Verächter der Götter und Menschen ist er, für den als höchstes Gesetz die Begierde bestimmt ist. Unvergängliche Feuer und ewige Zeiten nennt er Altweibergeschichten und wahnhafte Vorstellungen einer finsteren Zeit, womit man einen rechtschaffender Knaben und eine Frau erschrecken könnte. Ha! Er ruft dazu auf, dem Leben unnütze Sorgen zu bereiten; die, da sie nichts nützen, dem Menschen seine Freuden nehmen. Wie viele Liebe, so viele Wahnsinnige glaubt er zu erkennen. Um es wörtlich zu sagen, wenn ich die je verschiedenen Charaktere beschreiben möchte und den Stoff durch gefährliche Arbeit schöpfen… Frei heraus will ich darlegen, wie viel Hallers großes Werk dem Exzerpt anderer Autoren verdankt, wie viele Kranke Quarin und das Kupfervitriolöl199 in einem Herbst200 töteten. Damit ich Geschwätziger nicht vergebens hier- und dorthin abschweife, will ich das alles (eines sich über was nur immer Griechische ärgernden […201» 25. Brief, fol. 33r/v. Wien, 17. August 1754 Transkription »Jacobo suo N. J. Jacquin S[alutem] P[lurimam] D[icit] Binas tuas, primam 22 Juli cum adjuncto Laurentii nostri munere hospiti meo tradendam mihi commissam, alteram suo tempore huc allatam ex Idria fori Julii redux inveni legique. Grates habeo cognato tuo pro munere. ad nos venisse Joannem illum hortulani Stekhoven (cujus quidem uxorem hic jam inaudieris fatis cessisse) ministrum futurum vacuum nec vel litteras a vobis attulisse acerbe doleo. erant enim, quae vel sive sumptibus ullis transmittere ad nos potuissetis ad studia mea spectanti.: de impensis et enim facile largior nec ab illa mea ut peteres, consuluissem. sat scio fore, ut et illa quibuscumque hisce suis nummis egeat. verum quod scribas debere me ad fratrem ejus scribere, ut necessaria praestet illi – nil ago libentius, at, ut me soluturum haec conceptis verbis promittam, ejus animi non sum. satis jam promisi, et plus, quam vellem, suscepit in se, ut alat illam, me non 198 Aula eig. »Königshof«. Hier wohl übertragen im Sinne von »Denkschule« zu verstehen. 199 »Chalcant(h)um« ist klassisch lateinisch das »Kupfervitriolwasser«, hier wohl mit Öl versetzt gemeint. 200 Entweder wörtlich oder aber gelehrter Ausdruck für drei Monate. 201 Das in Parenthese Gegebene ist unübersetzbar, da die Syntax vollkommen unklar ist.

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instigante, fusit, quod velim? ego ita me obligare, ut postea, casu nescio quo (ut solent res humanae obvenire) meo me gladio jugelet in difficultates ego incidam cogarque dare, quod non habeam, certe nolo; si quidem certus essem me solvere fore ut possim nec fore unquam illum hominem mihi molestum, antequam id praestare absque magno incommodo possim, nihil recusarem. at ego, Jacobe, quo penitius hunc meum amorem considero ac utriusque nostri res facile concipio absque sollicituclinibus absque summis difficultatibus et superatis impedimentis optatum finem hic obtineri non posse, haec quidem de hac re sic percipias, velim. Iter illud meum, ut certe praevidi; de Americano loquor, effectum non sortiturum credo. nullum enim Caesar de hoc amplius sermonem habet; verum non multum curo Sorori meae inclusas mittas Amstelodamum. Quod ad studia attinet, diu noctuque sum in illis; nec enim leve negotium hic est audere de Promotione cogitare, severissimus hac in re est Swietenius, ita ut ex sex septemve, qui examinantur, aegre unus admittatur, nec est hoc decori repulso, malim certe diutius incumbere studiis et cum honore admitti, quam cum dedecore rejic.; et profecto videtur mihi mea ex hoc primo examine fortuna pendere, judicabit enim ex illo de me Swietenius. Nosti certe jam filiam mei Maecenatis nupsisse Generali adjoutant Baroni de Tiertas, Bruxellensi, quocum Mediolanum est profecta, ubi ejus est legio. absens tum eram, hinc carmen offerre nequivi. Quum Idriae fori Julii primas ejus territorii et Praefectus Fodinarum argenti vivi ibidem loci existentium morbo periculosissimo et diuturno laboraret, missus ab imperatrice / illuc est ex medicis hujatibus aliquis primarius, qui huic Praefecto mederetur. casu illi vero gravissimo notissimus voluit, quo socium in itinere haberet, me sibi adjungere, atque veniam Maecenatis obtinuit. itaque ambo iter hoc 120 Leucarum sumus emensi. est Idria civitas ad fluvium Idriam, quae in mare Adriaticum ruit, non adeo longe distans Venetiis est. possis in mappis Geograph[icis] prosequi iter meum, en nomina urbium magis celebrium Neustad, Graetz Markbourg, Laybach superior, Laybach inferior, Idria. est vero hoc iter per Alpes ingentes verbo difficillimum, nil simile adhunc videram. Duo ex hoc itinere commoda sum assecutus, vidi regiones varias, nempe praeter Austriam, Stiriam, Windiam, Carnoliam et Idriam, ubi sunt quatuor linguae diversissimae, Idrienses loquuntur Illyrcam. Multa hic vidi, at scribam haec omnia in epistola, ne longus hic sim, quam recta ad vos mittam, quoque patri monstrare possis, sed prius abs te tuam responsionem exspectabo. tum vidi fodinam, alterum est, quod cum fuerim comes. Medico optimo et judicii pleno, hinc multa, quod ad Medicam ex illo discere potuerim. Periit interim aeger, nec mirum, vir erat 80 annorum, asthmaticus, duas hernias, Podagricus, per sex menses jam ob asthma dormire nisi erectus non poterat, appetitus, que fuerat, deletus. manibus plura mineralia avulsa sumsi mecum. Fuerat 675 pedum profundidate sub terra per vias difficillimas in fodinis, sed de his postea amplius. Novus Professor de Haen quotannis habet 6200 florenos Batavos in stipendium. jamque lectionibus indulget – quam vero erudite, quam elganter et nitide, dicendo non sum, certe illo contenti omnes sunt, atque ego quidem miror potuisse latere tanti viri in Batavia eruditionem. est certe, quoad medum docenti cum venia dixerim Maecenatis, Maecenati aemulus. illo animo utor, et glorior, est enim praeter eruditionem humanitate summa praeditus. per meam hasce ad te destinavi, si recte, monebis, forte soror dixerit tibi de [quodam?] Hamburgensi, qui nobiscum Parisii habitavit, mirae indolis homine; qui postea huc triennium venit, jam vero Bruxellas ivit, redibit tum postea huc; si casu venerit in Hollandiam, quum sciverit, omnes res nostras, poterit forte, si te viderit, dicere talia quae scribere ob

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molem202 non conveniunt. Vale, Jacobe, et me ama brevique responde. Sorori tuae, Laurentio Waeredius aeque salutem a me dabis. Vindobonae 17 Augusti dabam 1754. P.S. Atramenti Magici illius, cujus mentio sub hoc titulo fit, dictatis Lovaniensibus meis Physicis puto, quae sunt in minori, chartas, et quibus Logica non praeponitur, conficiendum mihi, transmitte, retinens omnia verba istis dictata, sed tantum confectionem, reliqua scio, hujus sum oblitus.«

Übersetzung, 25. Brief: »Nikolaus Joseph Jacquin sagt seinem Jakob viele Grüße. Deine zwei Briefe, den ersten vom 2. Juli, der meinem Gastgeber anvertraut worden war mit dem beigefügten Auftrag unseres Laurentius, ihn mir zu übergeben, und den zweiten, der rechtzeitig hier eingelangt ist, habe ich, als ich eben von Idria forum Julii zurückgekehrt war, vorgefunden und gelesen. Ich bedanke mich bei Deinen Verwandten für ihre Mühe. Ich bedauere überaus, dass jener Johannes, der künftige Bedienstete des Gartenaufsehers Steckhoven – Du wirst schon gehört haben, dass seine Gattin gestorben ist – leider mit leeren Händen zu uns gekommen ist und kein Schreiben von Euch gebracht hat; es gab nämlich Dinge, die meine Studien betreffen und die Du ohne Kosten an uns hättest senden können; bei Kosten bin ich gerne großzügig und hätte auch nicht gewollt, dass Du sie von der Meinigen einforderst. Ich weiß genau, dass es so weit kommen wird, dass sie alle diese Münzen notwendig braucht. Was jedoch das betrifft, dass Du schreibst, dass ich ihren Bruder schreiben muss, er solle ihr doch das Nötige zur Verfügung stellen: Ich mache nichts lieber, aber dass ich wortwörtlich versprechen soll, alles zu bezahlen, da bin ich nicht seiner Meinung. Ich habe schon genug versprochen; und er hat mehr auf sich genommen, als ich wollte; hat es ohne mein Betreiben flüssig gemacht, was ich will? Ich will mich bestimmt nicht so verpflichten, dass er mir dann bei irgendeiner Gelegenheit (wie das ja im menschlichen Umgang oft passiert) mit meinem eigenen Messer die Kehle durchschneidet und ich in Schwierigkeiten gerate und gezwungen werde zu geben, was ich gar nicht habe. Wenn ich genau wüsste, dass ich in Zukunft zahlungsfähig bin und jener Mensch mir nie lästig wird, bevor ich das ohne großen Nachteil leisten könnte, würde ich überhaupts nichts ablehnen. Aber wenn ich, mein Jakob, unsere Liebe inniger betrachte und unser beider Lage kurz bedenke, dass ohne Kümmernisse und höchste Schwierigkeiten und auch nach Überwindung der Hindernisse der gewünschte Erfolg nicht erreicht werden kann, möchte ich, dass Du Folgendes über diese Angelegenheit zur Kenntnis nimmst: Das ist mein Weg, wie ich ihn genau vorhergesehen habe. Über die Sache mit Amerika sage ich, dass der Erfolg eher dem Zufall überlassen ist, glaube ich zumindest; der Kaiser lässt nämlich kein Wort mehr darüber fallen. Aber nicht viel sorge ich mich, dass Du das beigelegte Schreiben meiner Schwester nach Amsterdam schickst. Was die Studien betrifft, stecke ich Tag und Nacht in diesen. Denn es ist hier keine leichte Angelegenheit, sich verwegene Gedanken über seine Promotion zu machen, der Allerstrengste in diesem Punkt ist van Swieten, sodass von sechs oder sieben Prüflingen höchstens einer zugelassen wird. Dem Abgewiesenen gereicht es nicht zur Ehre, ich möchte mich lieber länger den Studien widmen und mit Anstand zugelassen als mit Schande abgewiesen werden. Tatsächlich bilde ich mir ein, dass mein Schicksal von dieser ersten Prüfung abhängt, auf202 Es steht eindeutig molum, molem wäre Masse.

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grund dieser wird van Swieten über mich ein Urteil fällen. Du weißt sicher schon, dass die Tochter meines Mäzens den Generaladjutanten Baron von Tiertas, einen Brüssler, geheiratet hat, mit dem sie nach Mailand abgereist ist, wo sich seine Einheit befindet. Ich war damals nicht hier, deshalb konnte ich kein Gedicht überreichen. Als in Idria forum Julii der Verwalter dieses Gebietes und Vorsteher der Quecksilberbergwerke, die es dort gibt, an einer sehr gefährlichen und langwierigen Krankheit laborierte, wurde von der Kaiserin aus dem Kreis der hiesigen Ärzte ein Primarius dorthin geschickt, der diesen Vorsteher kurieren sollte. Durch einen wichtigen Zufall war ich jenem bestens bekannt und er wollte sich mir anschließen, um einen Reisebegleiter zu haben, die Erlaubnis meines Mäzens hatte er eingeholt. So haben wir zwei einen Weg von 120 Leucae zurückgelegt. Die Stadt Idria liegt am Fluss Idria, der nicht besonders weit von Venedig in die Adria hinabstürzt. – Du könntest auf Landkarten meinen Weg nachvollziehen, achte nur auf die Namen der berühmteren Städte: Neustadt, Marburg, Unterlaibach, Idria. Es ist aber der Weg über die gewaltigen Alpen im wahrsten Sinne des Wortes zu schwierig, bisher habe ich nichts Derartiges gesehen. Zwei Vorteile habe ich aufgrund dieser Reise erlangt: Ich sah ganz verschiedenartige Gegenden, natürlich abgesehen von Österreich, Steiermark, dem windischen und karnischen Gebiet und Idria, wo es vier sehr unterschiedliche Sprachen gibt, die Idrier sprechen Illyrisch. Viel habe ich hier gesehen, aber ich werde das alles in einem eigenen Brief schreiben, um hier nicht weitschweifig zu werden; auf möglichst kurzem Weg werde ich ihn an Euch schicken, Du könntest ihn auch deinem Vater zeigen. Aber zuvor erwarte ich eine Antwort von Dir. Ich sah dann das Bergwerk, aber das ist etwas anderes, weil ich ja nur Begleiter war für einen sehr guten und urteilsfähigen Arzt; hieraus ergab sich viel, was ich für die Medizin von ihm lernen konnte. Inzwischen verstarb der Kranke, was nicht verwunderlich ist, er war ein Mann von 80 Jahren, asthmatisch, hatte zwei Hernien, die Fußgicht, bereits seit sechs Monaten konnte er wegen des Asthmas nur aufrecht schlafen, Appetit hatte er keinen mehr, mehrere Mineralien, die ich von den Händen gezupft hatte, habe ich mit mir mitgenommen. Er war in einer Tiefe von 675 Fuß unter der Erde gewesen, auf sehr schwierigen Wegen in den Bergwerken, aber darüber später mehr. Der neue Professor von Haen hat jährlich 6200 holländische Gulden als Lohn und er widmet sich schon den Vorlesungen, aber wie gebildet, wie elegant und glänzend er das tut, kann ich mit Worten nicht ausdrücken; zweifellos sind alle mit ihm zufrieden. Ich wundere mich allerdings, dass die Gelehrtheit eines so bedeutenden Mannes in Holland im Verborgenen bleiben konnte. Er ist gewiss, was die Medizin-Lehre betrifft, wenn ich das mit Erlaubnis meines Mäzens sagen darf, für diesen ein Rivale; ich bin dieser Meinung und ich prahle damit. Er ist nämlich abgesehen von der Bildung mit höchster Menschlichkeit ausgestattet. Durch die Meinige habe ich dieses Schreiben an Dich gesandt. Wenn es recht ist, mahne ein, meine Schwester könnte Dir etwas über den Hamburger sagen, der zusammen mit uns in Paris gewohnt hat, einen Menschen von erstaunlichem Wesen. Er kam später für drei Jahre hierher, ist aber schon nach Brüssel gegangen und wird noch einmal hierher zurückkehren. Wenn er zufällig nach Holland kommt und er noch davon weiß, kann er Dir vielleicht alle diese Angelegenheiten, wenn er Dich sieht, erzählen, auch solche, die zu schreiben, wegen der großen Menge, nicht möglich ist. Lebe wohl, Jakob, liebe mich und antworte mir bald! Deiner Schwester, dem Laurentius und Waeredius wirst Du ebenfalls einen Gruß von mir entbieten. Ich schrieb das in Wien am 17. April 1754. Postscriptum:

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Die Blätter, die mit Zaubertinte – von ihr wird unter diesem Titel eine Erzählung gemacht – beschriftet sind, übergib dem erwähnten Löwener Mediziner, die Papiere sind, denke ich; während ich das Postscriptum erstellen muss, in Salzwasser, behalte alles dort Gesagte bei Dir ; nur die Ausfertigung gib weiter! Das Restliche weiß ich, diese habe ich vergessen.« 26. Brief, fol 34r. Wien, 6. November 1754 Transkription »Jacobo suo N. J. Jacquin S[alutem] D[icit] P[lurimam] Rerum ad historiam Naturalem spectantium collector Caesaris jussu atque expensis intra quinque forte hebdomadas proficiscar in Americam: iter meum erit hinc per Tergestum, Mare Adriaticum, Venetias, Ferraram, Bononiam, Florentiam, Livorno, mare Guenese, Massiliam, P.S. unde per mare Mediterraneum et postea Oceanum ad insulam Martinicam, ubi per annum commorabor. tum binis a me in Europam dimissis, quos inde mecum duxeram, sociis, aucupe altero, altero hortulani Stekhovii famulo, Batavo illo Ryk dicto, pergam ego in terram Americae continentem Cartagenam terrestri et hinc terestri itinere ad Surinamensem coloniam etc. etc. Nunc per dies integros in Historia naturali instruit me celeberrimus Baillou imperatoriae collectionis praefectus, quam patere mihi ad lubitum jussit Caesar, quocum jam collocutus sum saepius. cognato Laurentio illud indicabis, per angustias temporis ipsi scribere haud licet. Haec pauca exoravi, ut abs te adhuc recipere litteras mihi daretur ante discessum, quod cito facias, velim. Ante abitum meum scribam amplius, sed ad quas tum litteras respondere non poteris. inclusas tradi curabis. Patrem optimum tuum sororem aliosque salutabis. Dabam Vindobonae 6 die Novembris 1754.«

Übersetzung, 26. Brief: »Nikolaus Joseph Jacquin sagt seinem Jakob viele Grüße. Als Sammler von naturgeschichtlich interessanten Objekten werde ich innerhalb der nächsten fünf Wochen möglicherweise nach Amerika aufbrechen. Meine Reise wird mich von hier über Triest, die Adria, Venedig, Ferrara, Bologna, Livorno, das Ligurische Meer nach Marseille führen, von dort weiter über das Mittelmeer und danach über den Atlantik zur Insel Martinique, wo ich für ein Jahr Aufenthalt nehmen werde. Hierauf werde ich die zwei Begleiter, die ich von Europa mitgenommen hatte, dorthin zurückschicken, der eine ist Vogelfänger, der andere Gehilfe des Gärntners Steckhoven, ein Holländer namens Richard van der Schot. Weitergehen wird die Reise für mich auf das amerikanische Festland nach Cartagena und von dort auf dem Landweg in die Kolonie Surinam usw. usw. Von früh bis spät unterrichtet mich jetzt täglich in Naturgeschichte der hochberühmte Baillou, der Vorsteher der kaiserlichen Sammlung; dass ich zu dieser ganz nach Belieben Zutritt habe, hat der Kaiser angeordnet, mit dem ich schon mehrere Gespräche geführt habe. Erzähle das dem Verwandten Laurentius, aus Zeitmangel kann ich ihm persönlich nicht schreiben. Nur diese Kleinigkeit habe ich mir sehnlich gewünscht, dass es mir vergönnt sei, noch vor meiner Abreise von Dir ein Schreiben zu erhalten; ich möchte, dass Du das bald erledigst. Vor meinem Aufbruch werde ich Dir noch ausführlich berichten, aber auf diesen Brief wirst Du nicht mehr antworten können. Kümmere Dich darum, dass

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das beigelegte Schreiben weitergeleitet wird! Grüße von mir Deinen allerbesten Vater, die Schwester und die anderen Personen! Ich schrieb das in Wien am 6. November 1754.« 33. Brief, fol. 41r. Transkription »Viennae, 12. August 1759 Jacobo suo amicissimo L[ibens]. D[at]. P[lurimam salutem]. Nic. Jos. Jacquin Jam opinor ego sollicitum te conjecturas facere, quid actum de me sit post adventum in Hispaniam meum, atque ubinam nunc degam terrarum? atque etiam indignari tantisper silentio a tam proximo tantum. De rebus in America gestis meis, quum prolixa foret nec apta litteris narratio, nullam adeo mentionem facere lubuit; haec reservabo si quando fuerimus coram! Aliud, quod ad te scriberem, vix habebam, nisi forte unum illud, quod tu non ignora, ex mortalibus omnibus esse te, quem diligo unum maxime. Triduo post adventum in Ferroliam meum ad plures abire cogitabam ex morbo pulmonali, putem, ab insolito jam mihi frigore aborto. Febris continua per 22 dies mensem in lecto detinuit me, a qua, etsi jam deploratus a Medicis, tamen convalui. Post recuperatas vires mare de meo ingredi fuit necesse ob terrestris itineris cum tantis impedimentis in regione illa non superandas difficultates. Rationem itineris si scire aves, hic habes: Ex Ferrol per mare Corunam, hinc Bermeo in Biscaiam hinc in Oppidum Sancti Sebastiani in Guipuscoa. Ex hoc mari ultimum valedicenti iter mihi fuit per Bayonam, Bourdeaux, Tolosam, Agde, Frontignan, Monspelium, Beaucaire Lugdunum, Vesuntium, Argentoratum, Ulmam, unde per Danubium Viennam. Celebriores dumtaxat civitates notavi, numerosae enim sunt aliae minores. Huc adveni 16. Julii. Plenus occupationibus non interruptis nunc vix tandem scribere otium fuit. Numquid ego jam tibi barbarus videor in Latino sermone. quinque anni sunt, quos nec fui locutus, nec ullos latine conscriptos libros legi, si Linnaeum excipias, apud quem certe Ciceronianum nihil. Et fateor, faciliora mihi jam sunt idiomata Hispanicum Gallicumque quam aliud nullum. Ab Caesaribus exceptus sum humanissime et votis videbor potitus, si compensatio, de qua huc usque nihil certi, exceptioni respondeat. Titulus ad me est chez Mr. Schonenbosch Ecrivain de la Bibliotheque Imple. et Rle. vis / vis de la dite Bibliotheque / Vienne en Autriche. Patri Optimo, Sorori, Affinique a me Salutem dicito. Vale, Jacobe, et me tuum ama totum. Dabam Viennae Austriae 12 Augusti 1759.«

Übersetzung, 33. Brief: Wien, 12. August 1759 »Ich glaube, dass Du schon besorgt überlegen wirst, was mit mir geschehen ist nach meiner Ankunft in Spanien und wo in aller Welt ich mich jetzt aufhalte; und dass Du auch ungehalten bist über das so lang andauernde Schweigen eines Menschen in so großer Nähe. Über meine Erlebnisse in Amerika ist die Erzählung, da sie umfassend und weitschweifig wäre, für einen Brief nicht geeignet, daher will ich sie gar nicht erwähnen. Das hebe ich mir für ein Zusammensein mit Dir auf. Sonst habe ich fast nichts, was ich Dir schreiben könnte, außer vielleicht jener einen wohlbekannten Tatsache, dass Du von allen Menschen der bist, den ich am meisten liebe. Drei Tage nach meiner Ankunft in Ferrolia

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dachte ich sterben zu müssen aufgrund einer Lungenerkrankung, die ich durch die mir unbekannte Kälte erlitt. Beständiges Fieber über 22 Tage fesselte mich einen Monat lang ans Bett, von dem ich, obwohl ich von den Ärzten schon beweint wurde, dennoch genas. Nachdem ich meine Kräfte wieder gewonnen hatte, war es nötig, von Neuem das Meer zu befahren, wegen der unüberwindlichen Schwierigkeiten mit so viel Gepäck auf dem Landweg in jenem Gebiet. Wenn Du die Route der Reise wissen willst, hier hast Du sie: von Ferrol über das Meer nach Coruna, von dort über Bermeo nach Biskaia, von dort in die Gemeinde des heiligen Sebastian in Guipuscoa. Dort habe ich dem Meer endgültig Lebwohl gesagt und bin über Bayonne, Bordeaux, Toulouse, Agde, Frontignan, Montpellier, Beaucaire, Lyon, Vesuntium, Straßburg und Ulm und von dort über die Donau nach Wien gereist. Ich habe natürlich nur die bekannteren Orte angeführt, denn die kleineren sind zu zahlreich. Am 16. Juli bin ich hier angekommen. Voll von Aufgaben, die ich nicht unterbrechen konnte, hatte ich kaum die Muße zu schreiben. Scheine ich Dir etwa schon wie ein Barbar in der lateinischen Sprache? Fünf Jahre lang habe ich nicht Latein gesprochen oder lateinische Bücher gelesen, wenn Du Linn8 ausklammerst, bei dem sich gewiss nichts Ciceronianisches findet. Und ich gestehe, leichter fallen mir schon das Spanische und Französische als irgendeine andere Sprache. Von der kaiserlichen Familie bin ich sehr höflich und freundlich empfangen worden und ich werde wohl am Ziel meiner Wünsche sein, wenn die Belohnung, über die bis jetzt noch Unsicherheit herrscht, dem Empfang entspricht. Meine Adresse lautet: chez Mr Schonenbosch Ecrivain de la BibliothHque Imperiale et B. Mäzen le vis / vis de la dite BibliothHque / Vienne en Autriche. Deinem besten Vater, der Schwester und Deinem Verwandten bestell von mir einen Gruß. Sei gegrüßt, Jacobus, und liebe mich, der ich ganz Dein bin. In Wien am 12. August 1759.«

III. 2. Brief Nicolaus Jacquins an Gerard van Swieten, Paris, 15. Mai 1752 Österreichische Nationalbibliothek, Sammlung von Handschriften und alten Drucken, Autograph 13/77–1. Adresse: »En Autriche Monsieur Monsieur Le Baron Van Swieten premier Medecin de sa Majeste Imperiale La Reine d’Hongrie, Boheme, & c. & c. a Vienne« Kommentar : Der Brief ist in lateinischer Sprache und in einer graphisch ansprechenden Form verfasst. Versmaß: elegisches Distichon (alternierend daktylischer Hexameter und Pentameter)

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Transkription »Inclyte Vir, Batavae decus insuperabile gentis, Et nunc Austriaci spes columenque soli! Cui reservans arcana sui penetralia templi, Quidquid habet sacri, Phoebus habere dedit; Quam mihi Caesareis misiti nuper ab oris, Transiit in nostras grata tabella manus: Transiit, atque ipsam secum mihi ferre Salutem, Depositoque animam reddere visa fuit. Ergone nostra Tuam movere incommoda mentem? Ergo fuit curis sors mea digna Tuis? Digna fuit certe: tam saevis acta procellis Magnanimum decuit sors tetigisse Virum. Sed tetigisse parum203 est: Pietas quin provehat ultra Te Tua et ad majus maxima pellat opus. Quippe mihi vel sponte favens; facilisque petenti, Majorem votis pollicearis opem. Optime Maecenas, miseri Tutela clientis, Quo mihi nil totus carius orbis habet! Suggerat o utinam mihi nunc facundia vocem, Haud impar animo quo queat esse meo! Quid faciam? grates tanto persolvere dignas Munere, non nostrae est, Magne Vir, illud opis. Ipse pios summo caelo qui spectat amatque, His referet meritis praemia digna Deus. Quod mores, studiumque petis, Superumque timorem; (Quae ratio vitae postulat ipsa meae;) Efficiam certe, ne quid male sedulus errem; His modo da, bene de Te meruisse, queam./ Adde, quod et cultum, qui me genuere Parentes, Numinis exemplo me docuere suo. Nec quoque prava mihi mens est, Nativa benigna Ingenium nobis mite probumque dedit; Desidiam fugio, cujus si tangar amore, Pauperies, quo me cogere possit, habet. Nam Pater infelix qua perdidit, illa labore Si non sunt, nullo sunt reparanda modo. At Tu, rite meo dum fungi munere coner, Pacata coeptis annue fronte meis. Tu laceramque ratem tranquillo suscipe portu, Ne demum horrendas naufraga potet aquas.

203 »Parum« ist nicht deutlich, ist überschrieben.

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Dumque Machaonias perdiscam204 graviter artes, Sit Tua dux nostrae Suada comesque viae. Haerebo lateri, pendebo docentis ab ore, Inque altos condam mellea verba sinus. O Ego, quam vellem jam nunc optata Patroni Lumina ter felix posse videre mei! Jamque ego vidissem, si non nimis arcta facultas Tam promptum misero dura negasset iter. Venerit a Patriis fautrix mihi littera terris, (Quam cunctaturam, non reor, esse diu). Ocyus adfuero, Servatoremque salutans, Vovero me totum tempus in omne suum. Tu modo, quod certo poteris, succurre jacenti; Quodque facis, misero perge favere mihi. Hic status est rerum, (quid enim simulasse juvabit?) Qui possit lacrimas jure movere Tuas./ Lapsa domus graviusque malum me odisse coegit, Ac tandem Patrios deseruisse Lares. Per mare, per terras adversa sorte vagatum, Excepit civem Gallica terra suum. Sed mansit Fortuna ferox ursitque ruentem, Passus et his etiam sum mala multa locis. Donec Vestra mihi pietas affulsit opemque Tam desperato praesidiumque tulit. Tu me servasti, servatum respice, quaeso; Et, quod fecisti, rite tuebor opus. In caput ante suum refluat rapidissimus undas Volvet, vel nullas Isther habebit aquas; Quam capiant nostram meritorum oblivia mentem, Aut ulla pereant tot benefacta die. Solis queis valeo pueriliter, id quoque pectus Carminibus volui significare meum. Nil ultra potui: sed Tu rude suscipe carmen, Cumque illo pariter cor facientis habe. Interea Vestri non unquam oblite clientis, Inclyte Maecenas, vive valeque diu. N. J. Jacquin. Dabam Parisiis 15 die Maji 1752«

204 Das »per« von »perdiscam« ist durchgestrichen, allerdings verlangt das Versmaß perdiscam!

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Übersetzung: »Ruhmreicher Herr, unübertreffliche Zierde des Bataver-Stammes, und jetzt Hoffnung und Gipfel des österreichischen Landes Apollo bewahrte für dich die innersten Geheimnisse seines Tempels und gab dir, was er an Heiligem hat, als Besitztum. Das Schriftstück, das du mir neulich von des Caesars Gestaden schicktest, willkommen gelangte es in meine Hände. Es gelangte hierher und es schien mir das Heil selbst mit sich zu bringen Und dem Todgeweihten die Seele zurückzugeben. Hat also mein Unglück deinen Sinn gerührt? War also mein Schicksal würdig deiner Obsorge? Gewiss war es würdig: Mein Schicksal, getrieben zu wilden Stürmen, musste wohl Eindruck machen auf einen hochherzigen Mann. Aber nur gerührt zu haben, ist zu wenig: Warum sollte nicht dein Pflichtgefühl dich noch weiter beflügeln und in seiner höchsten Ausprägung dich zu einem noch größeren Werk treiben? Freilich bist du mir aus innerem Antrieb gewogen; du fügst dich dem Bittsteller und könntest eine noch größere Hilfe versprechen, als sie gewünscht wurde. Bester Mäzen, Schirmherr des erbarmungswürdigen Schützlings, der ganze Erdkreis hat für mich nichts Wertvolleres als dich! O könnte mir doch jetzt Wortgewalt ihre Stimme leihen Und auf diese Weise gleich groß sein wie meine Gesinnung! Was soll ich tun? Einen dieser großen Gabe würdigen Dank abzustatten, das liegt nicht in meiner Macht, edler Herr. Gott selbst, der die Frommen vom hohen Himmel aus betrachtet und liebevoll umschließt, wird einen dieser Verdienste würdigen Lohn schenken.205 Was das betrifft, dass der Charakter verlangt, Arbeitseifer und Respekt vor den Höhergestellten, (dieses erfordert die Planung meines Lebens von sich aus schon), möchte ich sicher erreichen, dass ich nicht in schädlichem Übereifer einen Fehler begehe; Gib alldem nur, dass ich mich um dich verdient machen kann! Nimm noch hinzu, dass die Eltern, die mich gezeugt haben, mich nach ihrem Beispiel auch die Verehrung des göttlichen Willens gelehrt haben. Auch habe ich keinen törichten Sinn, eine gütige Geburtsstunde Gab mir eine sanfte und rechtschaffene Veranlagung. Untätigkeit meide ich; wenn ich von Liebe zu ihr berührt werden sollte, dann hat schon die Armut eine Möglichkeit, auf mich Zwang auszuüben. Denn was der unglückliche Vater verloren hat, musste ich durch Arbeit wieder schaffen, auf andere Weise war das nicht möglich. Während ich aber in gehöriger Form meine Aufgabe zu erfüllen versuche, gib du meinem Vorhaben mit freundlicher Miene deine Zustimmung! 205 Die Verse 21–25 enthalten deutliche Anklänge an Vergil, Aeneis I 600–605.

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Du nimm das zerrüttete Schiff in ruhigem Hafen auf, dass es nicht zuletzt scheitert und das schauderbare Wasser in sich saugt. Und während ich die Machaon’schen206 Künste nur schwer genau lerne, sei deine Überzeugungskraft Führerin und Begleiterin meines Weges! Ich werde dir nicht von der Seite weichen, ich werde am Mund des Lehrenden hängen und ich werde die honigsüßen Worte in der Tiefe meines Busens bergen. O wie sehr würde ich es wünschen, schon jetzt die ersehnten Augen meines Schutzherrn dreifach glücklich sehen zu können! Und ich hätte sie schon gesehen, wenn nicht ein allzu beengtes Verhältnis in seiner Härte mir Armen den so fest geplanten Weg verweigert hätte. Kommen wird für mich aus dem Heimatland ein wohlwollendes Schreiben (ich glaube nicht, dass dieses noch lange auf sich warten lassen wird), noch schneller werde ich da sein, den Retter zu begrüßen, ich werde mich für alle seine Zeit zur Gänze zur Verfügung stellen. Eile du nur, was du sicher kannst, dem Darniederliegenden zu Hilfe! Und wie du es jetzt tust, bleibe dem Elenden weiter gewogen! Das ist die Lage der Dinge (was sollte es auch nützen, etwas vorzutäuschen?), die zu Recht dich zu Tränen rühren könnte. Der Zusammenbruch des Hauses und ein noch größeres Übel erfüllten mich mit Widerwillen Und zwangen mich schließlich, dem Vaterhaus den Rücken zu kehren, Nachdem ich durch ein unglückliches Los über Meer und Länder geirrt war, nahm mich das gallische Land als ein Bürger auf. Aber das Glück blieb grausam, es bedrängte den Stürzenden, auch in dieser Gegend habe ich viel Unheil erduldet, bis deine Güte mir erstrahlte und dem sosehr Verzweifelten Hilfe und Schutz gewährte. Du hast mich gerettet, schau huldvoll auf den Geretteten, darum bitte ich, und ich werde in gehöriger Weise das Werk, das du vollbracht hast, schützen. Ehre wird der reißenden Ister207 die Wassermassen zu seiner Quelle zurückwälzen oder er wird überhaupt kein Wasser mehr haben, als dass Vergessen deiner Verdienste meinen Sinn befällt oder dass deine zahlreichen Wohltaten jemals vergehen. Durch meine Dichtung, durch die allein ich das in meiner kindlichen Weise kann, wollte ich das Innere meines Herzens offenbaren. Zu mehr war ich nicht imstande. Aber du nimm mein stümperhaftes Gedicht an und zusammen mit diesem besitze zugleich das Herz dessen, der es verfasst hat. Indessen vergiss nie deinen Schützling, hochberühmter Mäzen, und lebe lang und wohlauf! N. J. Jacquin Paris, 15. Mai 1752«

206 Machaon: Sohn des Aeskulap, war berühmter Wundarzt. 207 Ister : antike Bezeichnung für (den Unterlauf der) Donau.

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III. 3. Drei Briefe Gerard van Swietens an Carl von Linné (1755, 1759) Kommentar : Diese drei Briefe werden hier aufgenommen, da sie die Rolle van Swietens als graue Eminenz für den Aufschwung in Wien dokumentieren.

Brief Gerard van Swietens an Carl von Linné, 12. März 1755 L1887, The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. Transkription »Praenobili et Celeberrimo viro Car[olo] Linnaeo Equiti & . S[alutes] P[lurimas] D[icit] Gerardus L[ugdunensis] B[atavorum] van Swieten Gaudeo Salvum ad te venisse munusculum tertii tomi; in quarto elaborando jam versor, sed tarde crescit opus, dum saepe aliis rebus distrahor. Simulac paratus erit, curabo, ut habeas. Doleo quam maxime elati nimis animi fastum obfuscare egregias multas Halleri dotes. Novi hoc vitium multas ipsi infensos reddidisse. Species plantarum, quas edidisti, jam habeo: quintam tamen editionem generum plantarum non memini me vidisse, uti nec Musaeum regium. Noster apud vos legatus forte poterit occasionem dare, ut haec et alia transferrentur ad nos. Cuperem et lingua Suecica Scripta Academiae vestrae monumenta reponere in Augusta bibliotheca, licet in germanicum idioma versa adsint, et alia, quae lectu digna credis. Sumptus per legatum vel literas cambiales remittam illico, simulac noverim expensas. Nec refert in qua lingua exarati sunt libri, nam omnes Europae imo et Africae linguae praecipue hic cognitae sunt. imo vix liber est, quem vel ego, vel unus ex bibliothecae custodibus, non intellegunt. Interim tamen dolendum est, quod eruditi non utantur lingua communi. Quamvis facile linguas addiscam, et praeter maternam et octo alias, jam hungaricam senescens discam, tamen indignor, quod plures alii careant optimorum virorum laboribus. Gaudeo Studium rerum naturalium apud vos adeo florere. Hoc poterat aliter fieri, cum his praesis et horum curam geras. imparibus passibus quidem sequimur tantum exemplum, sequimur tamen. Paucis dicam, quomodo res nostrae habeant. Quod regnum minerale attinet, Augustissimus sibi comparavit thesaurum, cui similem facile inveniri posse negant periti harum rerum. Sed et pulcher ordo, quo disponitur, placet omnibus; qui servit, ut successiva mutatio terra in sana crystallos, lapides preziosos & : demonstretur. petrefacta adsunt et plurima et talia, quae demonstrant, quomodo succus ille per aetatem longam caleinatis quasi solidis se substituat in illorum locum. Marmora omnis generis, corallia, lithophytia, conchylia immenso numero et selectissima adsunt Praeest huic thesauro Eques de Baillou, qui et ipse collegit, et disposuit. ex omnibus orbis habitati locis specimina adsunt et quotidie adhuc adferuntur nova. Massas ingentes crystalli montani, quae quingentas libras pendent, ibi vidi; truncos integros arborum petrefactos, alios in quibus media pars adhuc lignum erat.

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Describitur ille thesaurus, et depungitur. Pro regno animali exstructum est amplissimum therotrophium, in quo Struthiones, Casuarii, phoenicopteri, Casuarii onocrotali, ventriloquae gallinae et ultro plura rara animalia aluntur. Augetur numerus quotidie. Polypos cum admiratione vidit Imperator nec reliqua insecta hic negliguntur. Hortum instrui curavit Augustissimus et praefecit illi Stekhovinem celebrem apud Batavos hortulanum, qui Asiam et Americam peragravit olim, et in cujus horto forte olim vidisti Musam florentem Leydae longe pulchriorem quam erat cliffortiana. Per annum jam hic fuit hortusque ille omnibus raris exoticis plantis superbit. Ananas ingentem fructuum numerum regiae mensae praebet. Cerei, aloes, ingenti varietate ludunt, Caffae baccas procerae arbores praebent. Persica mala hoc tempore fere matura jam. Echinomelocactos habet, quorum magnitudinem stuperes, scio. Ver instans superbiet ingenti tuliparum, hyacienthorum, anemonarum ranunculorum, auricularum cursu etc. numero. Omnia selecta sunt, nil hic toleratur nisi pulcherrimum. Iam instruitur praeterea et Hortus Botanicus, qui publicis serviet usibus, cujus curam geret D(omin)us Laugier Botanices et chemiae Professor meritissimus, cujus frater Archiater piae defunctae Lusitanorum reginae tibi cognitus est. Hic tecum commercia colere avide expetit, et hortum suum tuis divitiis instruere et ornare vellet, sed et simul promittit par pari referre, et quidquid Austria habet et cupis, tibi mittere. novit montes scandere et per avia et devia vagari. Medicum studium hic floret. Anatomicum habemus dexterrimum, egregium Institutionum Professorem et scholam Practicam optimam, ubi egregius medicus olim Hague Batavorum docet bis de die, semel ex cathedra, et dein in nosocomio. De Haen vocatur, aliquot egregiis tractatulis clarus: de colica pictomum, de deglutitione laesa & : scripsit quam optime. Praeterea in Americam missus fuit Eruditus juvenis Nicol. Jacquin, qui tuum Sytema ad unguem callet, ut plantas, animalia, fossilia colligat, nullis, simul jussum est, ut parcat sumtibus. comitem habet hortulanum, et duos peritissimos aucupes. Praeterea undique afferuntur rara semina: ribes arabum jam terrae commissum est. obstupui praeterito anno Semina peregrina phaseolorum, quae certissime per 200 annos in scriniis latuerant neglecta, laetissima dedisse germina. Biennalis videtur planta esse et spero, hoc anno florebit. Praeterea habemus et optimam scholam Chirurgicam et obstetriciam. Ego cum familia vivo sanus, tranquillus et laetus; tuis servire usibus, quantum potero, et pristinam amicitiam colere gratum erit semper. Vale et me ama! Vindobonae 12 mart. 1755.«

Übersetzung: »Dem edlen und hochberühmten Herrn Carl Ritter von Linn8 sagt der Leidener Gerard von Swieten viele Grüße. Ich freue mich, dass die kleine Gabe des dritten Bandes wohlbehalten bei Dir angekommen ist. Ich stecke schon in der Ausarbeitung des vierten Bandes,208 aber das Werk macht nur 208 Gerard van Swieten, Commentaria in Hermanni Boerhaave Aphorismis, de cognocendis et curandis morbis 6 Bde. (Leiden 1742–1776).

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langsam Fortschritt, da ich oft durch andere Dinge verschiedentlich in Anspruch genommen werde. Sobald es fertig ist, werde ich dafür sorgen, dass Du ihn in Händen hältst. Ich bedaure gar sehr, dass die Überheblichkeit des allzu hochmütigen Geistes die zahlreichen trefflichen Eigenschaften Hallers herabwürdigt. Ich weiß, dass dieser Charaktermangel ihm viele Leute zu Feinden gemacht hat. Die Pflanzenarten, die Du herausgegeben hast, besitze ich schon. Ich erinnere mich nicht, je die fünfte Ausgabe der Pflanzengattungen gesehen zu haben; auch das königliche Museum verfügt nicht darüber. Unser Gesandter bei Euch wird vielleicht die Möglichkeit bieten können, dass man das und anders uns zukommen lässt. Ich würde auch wünschen, die in schwedischer Sprache verfassten Schriften Eurer Akademie in die kaiserliche Bibliothek einzureihen, auch wenn sie in deutscher Übersetzung schon vorhanden sind, und auch anderes, was Du für lesenswert hältst. Kostenaufwand bzw. Austauschschriften werde ich durch den Gesandten retournieren, sobald ich die Höhe der Auslagen kenne. Es spielt keine Rolle, in welcher Sprache die Bücher geschrieben sind, denn alle europäischen und sogar afrikanischen Sprachen sind hier recht gut bekannt. Es gibt kaum ein Buch, das einer von den Bibliotheks-Kustoden oder ich nicht lesen könnte. Indes muss man trotzdem bedauern, dass die Gebildeten nicht die allgemeine Sprache gebrauchen. Obwohl ich über Sprachen leicht hinzulerne und abgesehen von der Muttersprache und anderen im beginnenden Alter noch Ungarisch lerne, finde ich es dennoch empörend, dass ziemlich viele andere zu den Arbeiten der besten Männer keinen Zugang haben. Ich freue mich, dass das Studium der Naturwissenschaften bei Euch so sehr in Blüte steht. Das konnte eben in anderer Weise vor sich gehen, da Du diese leitest und Dich um sie kümmerst. In ungleichen Schritten folgen wir einem großen Vorbild, aber wir folgen trotzdem. Mit wenigen Worten möchte ich berichten, wie unsere Lage ist. Was das Reich der Mineralien betrifft, hat sich unser Kaiser einen Schatz geschaffen, von dem die Fachleute auf diesem Gebiet behaupten, dass man einen ähnlichen nicht leicht so finden könnte. Aber auch die schöne Ordnung, in der er angelegt wird, gefällt allen; diese gewährt, dass die nachfolgende Veränderung bezüglich Kristalle, wertvolle Steine etc. in unberührter Erde gezeigt wird. Versteinerungen gibt es da, sehr zahlreiche und solche, die veranschaulichen, wie sich, nachdem sie lange Zeit hindurch verkalkt und gleichsam gefestigt waren, jene Kraft an deren Stelle wieder aufbaut. Marmore aller Art, Korallen, Lithophyten,209 Schalentiere, in unermesslicher Anzahl und erlesener Qualität findet man hier. Leiter diese Schätzesammlung ist Ritter von Baillou, der sie selbst gesammelt und geordnet hat. Aus allen Gegenden des bewohnten Erdkreises gibt es Exemplare, und täglich werden noch neue herbeigeschafft. Gewaltige Mengen Bergkristall, die 500 Pfund wiegen, habe ich dort gesehen, unversehrte versteinerte Baumstämme und andere, in denen die Kerne von Holz waren. Jener Schatz wird beschrieben und in Stichen dargestellt. Für die Tierwelt werde ein sehr geräumiges Wildgehege errichtet, in dem Drosseln, Kasuare, Phönikopteri,210 Pelikane und Ventriloquae gallinae211 und viele andere seltene Tiere gehalten werden. Die Anzahl

209 Lithophyten sind auf Felsen gedeihende Pflanzen. 210 Vermutlich eine vorderasiatische Vogelart. 211 Bauchrednerische Hennen.

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erhöht sich tagtäglich. Mit Bewunderung hat der Kaiser die Nesseltiere betrachtet; auch die übrigen Kerbtiere werden hier nicht außer Acht gelassen. Einen Garten hat der Kaiser errichten lassen und mit der Leitung den bei den Holländern berühmten Gärtner Steckhoven betraut, der einst Asien und Amerika bereist hat und in dessen Garten Du seinerzeit vielleicht die blühende Musa,212 viel schöner als die Cliffortiana213 in Leiden gesehen hast; sie befindet sich schon übers Jahr hier, und dieser Garten ist stolz auf alle seinen exotischen Gewächse. Die Ananas bietet der königlichen Tafel eine gewaltige Anzahl an Früchten. Cerei,214 Aloen schimmern in großer Vielfalt; schlanke Bäume tragen Kaffeebohnen. Die Pfirsiche sind zu dieser Zeit schon fast reif. Der Garten hat Echinomelocacti, über deren Größe Du staunen würdest, das weiß ich. Der bevorstehende Frühling wird stolz sein auf die große Zahl der Tulpen-, Hyazinthen-, Anemonen-, Ranunkel- und Aurikelreihen. Alles ist erlesen, nur das Schönste wird hier geduldet. Abgesehen von all dem errichtet man hier jetzt einen botanischen Garten, der der Öffentlichkeit zugänglich sein wird und um den sich Herr Laugier kümmern wird, hochverdienter Professor der Botanik und Chemie, dessen Bruder Dir als Leibarzt der im Glauben geschiedenen Königin von Portugal bekannt ist. Jener (Laugier) wünscht brennend mit Dir in Geschäftsverbindung zu kommen, er würde gern seinen Garten mit Deinen Reichtümern ausstatten und schmücken, aber gleichzeitig verspricht er, Gleiches mit Gleichem zu vergelten und das, was Österreich hat und Du begehrst, zu Dir schicken. Er versteht sich darauf, Berge zu besteigen und über unwegsames und unbetretenes Gelände zu streifen. Das Medizinstudium steht hier in Blüte, Anatomen haben wir einen sehr gewandten, einen hervorragenden Professor in Unterrichtsangelegenheiten, und die beste praktische Schule, wo einst von den Holländern der berühmte Arzt Hagne215 lehrte, zweimal am Tag, einmal auf dem Lehrstuhl, einmal am Krankenbett. De Haen wird er genannt, berühmt durch etliche großartige Abhandlungen über die Colica pictonum, über Schluckbeschwerden etc.; er schrieb ganz großartig. Außerdem wurde nach Amerika geschickt der fein(gebildete) und kenntnisreiche junge Mann Nikolaus Jacquin, der Dein System bis in alle Einzelheiten versteht, damit er dort Pflanzen, Tiere, Fossilien sammle und dabei, so der Auftrag, keine Kosten spare. Als Begleiter hat er den Gartenvorsteher und zwei sehr erfahrene Vogelfänger mitbekommen. Ferner wurden von überallher seltene Samen herbeigeschafft. Ribes Arabum216 ist schon ausgesät worden. Ich staunte darüber, dass im vorigen Jahr fremdländische Samen von Bohnen, die ganz bestimmt 200 Jahre lang unbeachtet in Schachteln verborgen waren, sehr üppige Keime getrieben haben. Die Pflanze 212 Banane. 213 Die erste Monographie über die Banane schrieb Linn8 1736 (Vgl. Carl von Linn8, Musa Cliffortiana florens Hartencampi (Leiden 1736). Linn8 war bei Georg Cliffort als Hausarzt angestellt und brachte die Bananenpflanze innerhalb von wenigen Monaten zur Blüte, was eine Sensation darstellte, da dies erstmals in den Niederlanden passierte. Linn8 erwähnt Wien, wo sie im Garten des Belvedere 1731 erblüht war, und in Karlsruhe 1732 (S. 31). 214 Cereus ist eine Pflanzengattung, die der Familie der Kakteen angehört. Durch Philipp Miller bekam sie 1754 eine Monographie und wurde zum Sammelbecken für sukkulente Formen der Kakteen. 215 Der Name konnte nicht identifiziert werden. 216 Es handelt sich um die Rote Johannesbeere, die als Ribes arabum bezeichnet wurde, weil sie seit dem 16. Jahrhundert als Ersatz für den kostbaren Rhabarber genutzt wurde.

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scheint zweijährig zu sein, und ich hoffe, sie wird dieses Jahr blühen. Außerdem hahen wir die beste Schule für Chirurgie und Geburtshilfe. Ich lebe mit der Familie bei guter Gesundheit, ruhig und frohgemut. Deinem Vorteil zu dienen, so gut ich kann, und die alte Freundschaft zu erhalten, wird mir immer ein Herzenswunsch sein. Lebe wohl und liebe mich! Wien am 12. März 1755.«

Brief Gerard van Swietens an Carl von Linné, 12. Feber 1759 L2502, The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. Transkription »Celeberrimo viro C: Linnaeo Equiti S[alutes] P[lurimas] D[icit] Gerardus L.B. van Swieten Gaudeo quam maxime Crameri nostri labores tibi, qui principem in hoc scientiarum genere locum obtines, placuisse! optimus vir, cum te haec probasse intellexit, tanto alacrius historiae naturali promovendae incumbet. Plures habemus hic, quos hic labor delectat et forte alia adhuc Flora propediem in lucem emerget, in Carniola a Dr. Scopoli elaborata. Dolemus immatura morte nobis ereptum fuisse egregium Mislei, dum in castris Medicum ageret, qui nulla praecipitia, nec praeruptas rupes timebat, dum plantulas legeret. Augustus imperator hortum habet rarissimis plantis ex toto orbe collectis consspicuum, cui praeest hortulanus, qui vix forte sibi parem habet in theriotrophio raras aves, et alia animalia nutrit, Phaenicopteros, Phasianos Indos pulcherrimis coloribus variegatos, Psittacos omnis generis, qui aestivo tempore liberrime volant in vicina sylva, vesperi demum reduces. Dromedarii, Alces, histrices, Falcones, Aquilae, oves barbaricae etc., gazellae, vulpes variae specie abundant. Aestate vicinus illis habito et oblector. Feroces belluas, leones, tigrides, pantheras omnino exulare jussit optimus princeps; ne quid calamitosi contingeret, unicus tantum lupus ibi alitur, totus niger et robustissimus. Praeterea thesaurus rerum mineralium adest, cui similem existere periti negant, huic praeest Eques Baillou. 200 annorum collectio est, quae adhuc augetur quotidie. Hortus praeterea Botanicus adest in usum juventutis academicae, cui praeest Laugier, qui hijeme chemiam docet. Clifford, Burmannus, Gronovius vigent. Gronovii filius Ichtyologiam amat et colit egregie, et jam aliqua specimina in lucem edidit. Kramerus chemicus in Saxonia, ut audivi, membrum consilii est, quod res metallicas curat. Vale et me ama! Vindobonae 12 februarii 1759.«

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Übersetzung: »An den hochberühmten Herrn Carl Ritter von Linn8 Schickt viele Grüße Gerard van Swieten, der Freiherr. Meine Freude ist grenzenlos, dass die Arbeiten unseres Kramer217 Dir, der Du den ersten Rang in dieser Art von Wissenschaft innehast, gefallen haben. Wann dieser beste Mann erfährt, dass Du das für gut befunden hast, wird er sich umso leidenschaftlicher der Förderung der Naturgeschichte widmen. Wir haben mehrere Leute hier, denen diese Arbeit Spaß macht, und vielleicht wird demnächst noch eine andere Pflanzenkunde das Licht der Welt erblicken, die in Carniola von Dr. Scopoli218 ausgearbeitet wurde. Wir bedauern, dass uns durch einen frühzeitigen Tod der ausgezeichnete Mislei219 entrissen wurde, als er sich in castra Medicum aufhielt, er, der kein abschüssiges Gelände und keinen schroffen Felsen fürchtete, während er Pflänzchen sammelte. Der Kaiser hat einen Garten,220 der sehenswert ist aufgrund seiner Pflanzen, die aus dem ganzen Erdkreis zusammengetragen worden sind; ihm steht ein Gärtner vor, der kaum seinesgleichen hat; im Tierkäfig hält er [der Kaiser] seltene Vögel und andere Tiere, indische Phaenocopteri, Fasane, unterschiedlich in den schönsten Farben, Papageien aller Art, die zur Sommerzeit völlig frei im nahen Wald umherfliegen und erst am Abend zurückkehren. Dromedare, Elche, Stachelschweine, Falken, Adler, wilde Schafe, Gazellen und Füchse verschiedener Art sind im Überfluss vorhanden. Im Sommer wohne ich in deren Nähe und habe mein Vergnügen daran. Dass die wilden Tiere, Löwen, Tiger, Panther gänzlich freien Auslauf haben, befahl der Kaiser; damit kein Unglück passiert, wird nur ein einziger Wolf dort gehalten, ein ganz schwarzer und sehr kräftiger. Außerdem gibt es einen Schatz an Mineralien, wie es nach Aussage der Fachleute keinen ähnlichen gibt. Diesen leitet Ritter Baillou, 200 Jahre ist die Sammlung alt und sie wird täglich vergrößert. Außerdem gibt es einen botanischen Garten zur Benützung für die akademische Jugend; ihm steht Laugier vor, der im Winter Chemie lehrt. Clifford, Burman und Gronovius sind wohlauf. Der Sohn des Gronovius221 liebt die Ichthyologie und betreibt sie vortrefflich, er hat schon einige Beispiele bekannt gemacht. Der Chemiker Kramer222 ist, wie ich gehört habe, in Sachsen Mitglied des Rates, der die Metalle betreut. Lebe wohl und bleibe mir zugetan! Wien, 12. Februar 1759.«

217 Wilhelm Heinrich Kramer (1724–1765), Arzt in Bruck an der Leitha, hatte die erste Flora Niederösterreichs 1760 pubiziert. Siehe Kap. VII. 3. 218 Johannes A. Scopoli (1723–1788) war zu diesem Zeitpunkt Arzt in Idria (Idrija, heute Slovenien). 219 Mislei wurde auch von dem Botaniker Franz Xaver Wulfen als Inspirator für seine botanische Forschung genannt. 220 Gemeint ist der Holländische Garten in Schönbrunn. 221 Laurens Theodor Gronovius (1730–1777). 222 Es handelt sich vermutlich um Johann Andreas Cramer (1710–1777), deutscher Metallurge.

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Brief Gerard van Swietens an Carl von Linné, 1. September 1759 L2589, The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. Transkription »Praenobili et celeberrimo viro Car. Linnaeo, Equiti S[alutes] P[lurimas] D[icit] Gerardus L. B. van Swieten Tradidi optimo nostro Jacquino, hic Vindobonae moranti, literas tuas, nec morabor salutare Kramerum. Sub praesto brevi erit Flora Carniola quam egregius Scopoli scripsit. Si posses efficere, ut celeberimus. Professor Forskall in Arabia colligeret semina et nummos Arabicos sive antiquos, sive hujus aevi, gratissimum foret impensas cum summa gratiarum actione restituam. Nummi augebunt suppellectile Caeseris, semina ejus hortum. Si quid desideres in Botanicis aut rebus naturalibus, indices libere omnem adhibebo operam. Professor noster Botanicus Laugier libentissime tecum commercia botanica colet. Moneas rogo, an legato an alteri cuidam tradere debeam illa, quae tibi mittenda sunt. Vale! et tui amantissimum amare perge! Vindobonae 1 Sept. 1759.«

Übersetzung: »Dem hochedlen und sehr berühmten Herrn Carl Ritter Linn8 Schickt viele Grüße Gerard van Swieten, der Freiherr. Ich habe unseren besten Jacquin, der hier in Wien weilt, Deinen Brief übergeben und ich säume nicht, Kramer zu grüßen. Vorliegen wird in Kürze die Carniolische Flora, die der treffliche Scopoli geschrieben hat. Wenn Du erreichen könntest, dass der hochberühmte Professor Forskall223 in Arabien Samen und arabische Münzen, seien es alte, seien es welche dieser Zeit, sammelt, wäre mir das sehr angenehm. Die Kosten werde ich mit dem besten Dank erstatten, die Münzen werden den Schatz des Kaisers vermehren, die Samen seinen Garten bereichern. Wenn Du etwas vermissen solltest in den botanischen oder naturwissenschaftlichen Angelegenheiten, magst Du es offen sagen; ich werde mir jede Mühe geben. Unser Botanikprofessor Laugier wird nur allzugern die botanischen Geschäfte mit Dir abwickeln. Warte, bitte, ab! Oder sollte ich das, was man Dir übersenden muss, einem Boten oder irgendeinem Anderen aushändigen? Lebe wohl und lass nicht ab, den, der Dich gar sehr liebt, zu lieben! Wien, 1. September 1759.«

223 Pehr Forssk,l (1732–1763) war schwedisch/finnischer Naturforscher, der auf seiner vom dänischen König fianzierten Expedition im Jemen verstarb.

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III. 4. Brief von Laurens Gronovius an Linné, Leiden, 19. August 1760 L 2589, The Linnaean correspondence, linnaeus.c18.net. Transkription »Nobilissimo Doctissimoque Viro D. D. Carolo Linnaeo Equiti S. P. D. Laur. Theod. Gronovius Maximo nos affecere litterae vestrae gaudio nuntium afferentes prospera te frui Valetudine. Valemus omnes. Salutat te Pater. Jam dudum ad Te, Vir Nobilissime, misissem et Bibliothecam Regni animalis et Lapidei, nec non Jacquinii Amicissimi mei observata botanica, nisi frustra in hunc usque diem exspectaveramus adventum dissertationum sub praesidio tuo ventilatorum, quas jam ante biennium nobis promiseras. Procul dubio promissio e mente tua evasit, quod et confido speroque fore ut brevi eas nobiscum communices. hac spe fretus ad te petita tua mitto iisque addo, quae hoc anno edidi. pro libello a D. Jacquinio edito ne mihi agas gratias, verum auctori volo. Si quaedam Mineralia Suecica nobiscum communicare posses, rem faceres et patri et mihi gratissimam. Interim cum quid novi apud nos sit, hisce finem inscribam neque amicitiae favorique tuo insimus. Vale. Dabam Lugduni apud Batavos 19. Aug. 1760 P.S.: Alterum Bibliotheca exemplar quaeso ut D. Baeckis ex meo nomine dare velis, eique gratias agas pro piscibus transmissis.«

Übersetzung: »Dem sehr berühmten und hochgelehrten Herrn Carl Ritter Linn8 sagt viele Grüße Laurenz Theodor Gronovius Mit größter Freude erfüllt uns Euer Schreiben, das die Nachricht brachte, dass Du blühende Gesundheit genießt. Wir alle sind wohlauf; Vater lässt Dich grüßen. Schon längst hätte ich an Dich, edelster Herr, die Büchersammlung des Tierreiches und der Steine geschickt und auch die Pflanzenpräparate meines besten Freundes Jacquin, wenn wir nicht bis auf den heutigen Tag vergeblich auf das Eintreffen der wissenschaftlichen Arbeiten gewartet hätten, die unter Deiner Oberaufsicht erstellt worden sind und die Du uns schon vor zwei Jahren versprochen hattest. Zweifellos hat sich das Versprechen aus einer Erwähnung Deinerseits ergeben, worauf ich vertraue und was ich erhoffe, dass Du uns diese Arbeiten bald zur Verfügung stellst. Indem ich zuversichtlich in dieser Hoffnung verharre, schicke ich Dir Deine Wunschgegenstände und lege diesen bei, was ich in diesem Jahr veröffentlicht habe. Für das von Herrn Jacquin herausgegebene Büchlein sage bitte nicht mir Dank, sondern dem Autor. Wenn Du uns bestimmte schwedische Mineralien überlassen könntest, würdest Du Vater und mir einen sehr großen Gefallen erweisen.

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Bis sich indessen bei uns etwas Neues ergibt, mache ich diesem Schreiben ein Ende, und wir wünschen uns, in Deiner Freundschaft und Gunst zu stehen. Lebe wohl! Geschrieben in Leiden 19. August 1760 Das zweite Exemplar der Bücherzusammenstellung gib bitte in meinem Namen Herrn Bäck und danke ihm für die übersandten Fische.«

III. 5. Brief von Wilhelm Heinrich Kramer an Jacquin, 8. August 1763 Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Historisches Archiv, Kramer G- A-K14–1763– 8–08b. Transkription »Amicissimo clarissimoque suo Jacquin s[alutem] pl[urimam] d[icit] G. H. Kramer Gratulor Rei publicae, mihi et Gronovio nostro, gaudeoque Augustissimam Tibi Professoris Chemico-Metallurgici munus Schemnitzii obeundum detulisse. Pulcherrima enim Naturalia ibidem ab oblivione vindicabis et quae ad augendum lithophylacium meum benigniter suppeditaveris, grata mente accipiam. Continebat Epistola ad me missa Pennantii et Gronovii litteras, quibus me ambo certiorem fecere a me oblata munera illis gratissima esse. Quae pro Gronovio collegi ad Dominum Rameth Paradisi Viennensis cultorem ferri curavi. Litteras responsorias et Elenchum rerum quam primum ad Te dabo. Non mitto hac vice nisi lapides, cum hi Gronovio nunc maxime in votis sint. Petit diversa incrustata Thermorum Caroliensium et magno perfundor gaudio me amicum habere hoc ad me missurum. Quod si cistula non indigeres, eam remittas, rogo, utor enim hoc alia vice. Crantzii libellum diffamatorium contra optimum de Haen gallice scriptum necdum vidi, nec quidquam de novo hocce facinore adhuc audivi; an Viennae typis excudebatur? Cum nuper amici mei dixerint Crantzium erroris veniam ab optimo de Haen publice in Consistorio impetrasse, odium, quo in hominem mihi incognitum ferebar olim, dum libellum de irritabilitate scriptum legeram, deposui quidem et eum ipse accessi, ut viderem, quem ne odio antea habuissem. Verum longe alium hominem, quam speraveram, vidi, nec me fefellit Physiognomia. Nunc furens iterum andropomorphum animal omnibus bonis inexpiabili odio detestandum et execrandum erit. Ego saltem instar Pestis fugiam imposteorem hocce humanum Portentum. Tu Vale nec me a recto tramite deflectere crede. Dabam ex Museo meo 8 Augusti 763.«

Übersetzung: »Seinem allerliebsten und ehrenwerten Jacquin entbietet G. H. Kramer seinen Gruß. Ich beglückwünsche den Staat, mich und unseren Gronovius, und freue mich, dass die Erhabene [= Kaiserin] Dir das Amt eines Professors der Chemie und Metallurgie in Schemnitz übertragen hat. Dort wirst Du nämlich wunderbare Stücke der Natur vor der

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Vergessenheit bewahren; was Du auch gütigerweise heranschaffen wirst, um meine Steinsammlung zu vergrößern, werde ich dankbar empfangen. Der Brief, der an mich gesandt wurde, enthielt die Schreiben des Pennantius224 und Gronovius, durch die sie mich beide wissen ließen, dass die von mir überbrachten Geschenke ihnen sehr willkommen gewesen seien. Ich habe es veranlasst, dass diese für Gronovius gesammelt und zu Herrn Rameth, dem Pfleger des Wiener Gartens [Garten der Universität], gebracht werden. Die Antwortschreiben und ein Sachregister werde ich möglichst schnell zu Dir schicken. Ich schicke Dir im Gegensatz nur die Steine, da diese Gronovius nun am meisten am Herzen liegen. Er fordert verschiedene Inkrustationen von den [Karlsbader ?] Thermalquellen und große Freude erfüllt mich, dass ich einen Freund habe, der das an mich senden wird. Wenn Du daher das Kistchen nicht brauchen wirst, bitte ich Dich darum, es mir zurückzuschicken – ich werde es dann nämlich anderweitig verwenden. Crantzius’ verunglimpfende Schrift auf das wunderbare Buch de Haens, das er auf Französisch schrieb, habe ich weder gesehen, noch habe ich bisher etwas von dieser unerhörten Schandtat gehört. Wurde (diese Schrift) etwa in Wien gedruckt? Als meine Freunde neulich erzählten, dass Crantzius vor aller Augen im Kabinett Verzeihung für sein Fehlverhalten vom tüchtigen de Haen erwirkte, habe ich den Hass, durch den ich an einen mir unbekannten Mann einst geriet, als ich seine zorndurchtränkte Schrift gelesen habe, aufgegeben und mich an ihn selbst gewandt, um den zu sehen, der mir zuvor nicht verhasst gewesen war. Ich sah aber einen bei weitem anderen Mann als erhofft und auch sein Erscheinungsbild täuschte mich nicht. Nun soll dieses tobende Tier in menschlicher Gestalt von allen Guten durch unversöhnlichen Hass verflucht und verwünscht werden. Ich jedenfalls will ganz so wie die Pest vor diesem Betrüger, diesem menschlichen Ungeheuer fliehen. Du, lebe wohl und glaube nicht, dass ich vom rechten Weg abweiche. Ich schrieb dies in meinem Museum am 8. August 1763.«

III. 6. Brief von Hieronymus David Gaubius an Jacquin, 15. September 1764 Den Haag, KB, 78 F 8, nr.A.a.4. Transkription »Vir Clarissime! Te mei memorem etiamnunc esse uti persecundum mihi fuit, ita hoc multo secundissimum, quod a Royeno nuper Gronovioque accepi, tandem Tibi post varios casus eum in modum favisse Fortunam, ut in amplissima statione collocutus et lautis fruare conditionibus et admirabili opportunitate, ad quae natura traheris, Studia Historiae naturalis et Chemiae excolendi. Equidem, Si res homini externas respicio, hoc non unicum esse, hoc 224 Thomas Pennant (1726–1798) war walisischer Naturwissenschaftler. 1757 wurde er nach Fürsprache Carl von Linn8s in die Königliche Gesellschaft der Wissenschaften in Uppsala aufgenommen.

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Summum, quod Bonus quisque Supremi Numinis favore contingeret sibi desiderare possit. Itaque ex animo Tibi illud beneficium gratulor, utque perpetuum Sit ac ipsa fruitione augescat, precor. Ego tametsi multitudine negotiorum nimio plus distrahor, non desino tamen aliquid otii subinde decerpere, quod Naturae contemplationi, qua unice delector, consacrem. Quocirca, quae mihi mittenda comiter offers, Fossilia Vestri soli laetus gratusque accipiam libenter pretium vecturae persoluturus. Tu modo cogites, velim, quod a plurimis annis collegi, rerum Fossilium museum doctrinae potius quam pompae destinatum esse meque idcirco id maxime operam dare, ut discrepantium quarumvis Specierum exempla possideam, quae mirificos polydaedalae Naturae Lusus mihi declarent. Sive igitur metalla fuerint, Salia, Sulphura, Arsenica, aut Lapides et Terrae, omnia placebunt etiam viliora, modo Specierum diversitatem exhibuereint. Neque et magnitudinem glebarum ita curo, ut qui ad ostentationem haec sibi comparant, illam dumtaxat expeto, quae et characterem rei fossilis et diversam, in qua nidulatur, matricem distincte oculis meis Subjiciat. Chrystalla tamen / excipio, quorum praestantiae non minima pars in ipsa magnitudine Sita est. Aqua Vitriolica Neosolienti non indigeo. Ejus olim plures lagenas Bassands magnis sumptibus ad Boerhavium miserat, quarum aliquot post eius obitum venum datas mihi comparavi. Sed florem Ferri genuinum, non Sterilem illum Stalactiten, quem vulgo eo nomine in Museis ostentant, quam maxime desidero, quum nuper plura ejus exempla igne explorans Viderim impositum mihi esse et ne unum quidem inter illa, quae possideo, id nomen mereri. Praeterea fundunt putei Hungarici plurimum Argenti rudis, plumbi colore, tum Scissilis, tum fragilis, quod Vestri homines etiam Argenti nativi titulo compellant, etsi Sulphure inquinatum est. Hujus quidem aliqua ex diversis locis accepi exempla. Tu vero si quasvis ejus varietates quod ad colorem, formam, consistentiam, valorem, ad me transmittas, gratissimum feceris. Prostant et in museo nostrae Academiae glebae hungaricae, auro trichite germinantes, internitentibus Cinnabaris nativae crystallulis nitidissimae, quas ante hos aliquot annos principis Lichtensteinii munificentia contulit. quale exemplum Sicubi abs Te impetravero, impense gaudebo. Sentio autem, Tuas cum pulso Fores, meum quoque esse meos exenterare loculos Tibique expromere, quae habeo minus in Vestris terris frequentia. Quod uti faciam libentissime, ita velim tamen, in antecessum cogites Fossilium, quae vecturae pretium faciant, nihil plana in paludosa nostra tellure inveniri, deinde varissima hisce temporibus esse, quae ad nos ex Indiis afferentur. quia tanto hodie fervore musea rerum Fossilium apud nos instruuntur, ut, qui unam forte alteramve glebulam peregre afferunt, statim emptorem inveniant aut patronum, quem grato munusculo sibi obstringant. itaque ex Europaeis regionibus arcessenda praeprimis esse, quae in hoc rerum genere nobis eo usu / esse possint, neque adeo delectum nobis concedi, tanquam si propriis proprinquisve de fodinis ea protraherentur, sed qualia mittuntur aut venalia offeruntur, bona, mala, promiscue arripienda esse. Iam demum intelligis, quid possim ego, quid Tu Tibi abs me polliceris. Quapropter, ne forsan exspectatio Tua res ipsas superet, en! Specimen cum maxime mitto, unde colligas, quaenam deinceps alia atque alia mittendi opportunitatem habeam.Pretiosiora forte aliquando consequar, quibus Te ornem, Sed uti esse malo, quam videri, ita mittere, quam promittere. Sic satis mentem ego meam Tibi declaravi, ut videas quo cum homine rem habeas. Iam Tu ipse, quid agas, vide, certus placitura mihi, quaecunque decreveris, meque ad omne officiorum genus, quoad potero, paratum fore. Super est, ut Te, Vir Humanissime, Salvum

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atque incolumem esse jubeam resque omnem in modum prosperas ex animo Tibi precer. Iterum vales et me, ut amas, ama Tuum est asse Gaubium Dab. Leidae ad. XV Sept. MDCCLXIV«.

Übersetzung: »Sehr ehrenwerter Herr! Wie es für mich recht erfreulich war, dass Du auch jetzt an mich denkst, so war es für mich bei weitem das Angenehmste, dass Dir, wie ich neulich von Royenus und Gronovius erfahren habe, nach mannigfachen Schicksalschlägen endlich das Glück insofern hold gewesen ist, als Du an einem sehr bedeutenden Standort ein Gespräch geführt hast und man Dir faire Möglichkeiten und erstaunlichen Vorteil bietet, die Studien der Naturgeschichte und Chemie, zu denen es Dich von Natur aus hinzieht, zu pflegen. Wenn ich freilich die äußeren Umstände eines Menschen betrachte, ist das nicht das Einzige, das Höchste, was ein Bestqualifizierter ersehnen kann, es möge ihm durch die Gunst des Allerhöchsten zuteil werden. Daher gratuliere ich Dir zum glücklichen Umstand, wie ich auch bete, dass er dauernd erhalten bleibe und sich durch den Genuss selbst noch vergrößere. Obwohl ich durch die große Zahl meiner Geschäfte mehr als zu viel in Anspruch genommen werde, lasse ich mir es dennoch nicht nehmen, zwischendurch ein bisschen Muße zu genießen, die ich der Betrachtung der Natur, woran ich mich auch in einzigartiger Weise ergötze, widme. Daher werde ich die Fossilien Deines Grundstockes, die zu senden Du mir freundlich anbietest, freudig und dankbar entgegennehmen, wobei ich gerne bereit bin, die Transportkosten zu bestreiten. Ich möchte nur, dass Du bedenkst, dass das Museum der fossilen Gegenstände, das ich mir seit vielen Jahren zusammengetragen habe, eher für die Gelehrsamkeit als für eine Show ist und dass ich mich deswegen im höchsten Maße darum bemühe, Stücke von allen beliebigen verschiedenen Arten zu besitzen, welche mir die wunderbaren Spielereien der kunstreichen [griech. »Vielkünstlerin«] Natur sichtbar machen. Seien es also Metalle, Salze, Schwefel, Arsenika oder Steine und Erden, sie werden alle Gefallen finden, auch die geringeren Wertes, sofern sie nur die Verschiedenheit der Arten zeigen. Und um die Größe der Klumpen kümmere ich mich weniger, als dass sie sich zur Darstellung vergleichen lassen, ich fordere lediglich jenes Ausmaß, welches die Eigenart des Fossils und die Verschiedenheit des Mutterstammes, in dem es nistet, klar meiner Betrachtung entwirft. Kristalle nehme ich dennoch aus, von denen ein wesentliches Kriterium ihres Vorzuges nur in der Größe gelegen ist. Aqua Vitriolica Neosolienti brauche ich nicht. Mehrere Flaschen davon hatte seinerzeit Bassand mit hohem Kostenaufwand an Boerhaave geschickt, von dem ich etliche nach dessen Tod käuflich erworben habe. Aber ein echtes Glanzstück Eisens, nicht einen solchen unbrauchbaren Skalaktiten, wie man ihn den Leuten unter diesem Namen im Museum zeigt, wünsche ich mir sehnlichst, weil ich neulich, als ich mehrere Exemplare davon einer Feuerprobe unterwarf, sah, dass ich mich habe täuschen lassen und dass nicht einmal eines von denen, die ich besitze, diesen Namen verdient. Außerdem liefern ungarische Gruben ungeheuer viel an Rohsilber, Bleifarben, spaltbare und zerbrechliche, was Eure Leute mit dem Namen Natursilber bezeichnen, obwohl es mit Schwefel verunreinigt ist.

Vorworte der wichtigsten Werke Jacquins in Übersetzung

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Davon habe ich freilich einige Exemplare aus verschiedenen Gegenden erhalten. Wenn Du davon beliebige Abarten, was die Farbe, Form, Konsistenz und Bedeutung betrifft, an mich schicken könntest, solltest Du meinen größten Dank verdienen. Angeboten werden im Museum unserer Akademie ungarische Stücke mit haarfeinem [trichiten?] Gold durchwachsen, wobei Kristalle von einheimischen leuchtendem Zinnober dazwischen strahlen, die vor wenigen Jahren die Güte des Fürsten Lichtenstein zusammengetragen hat. Wenn ich einmal ein solches Exemplar von Dir erhalte, freue ich mich über alle Maßen. Ich sehe aber ein, dass es, wenn ich schon an Deine Türe klopfe, meine Pflicht ist, auch meine kleinen Standorte zu öffnen und für Dich hervorzuholen, was ich weniger habe im Vergleich zur Menge in Euren Ländern. Wie ich das sehr gerne machen werde, so möchte ich dennoch, dass Du im Vornhinein bedenkst, dass sich nichts an Fossilien, was den Transport wert wäre, in unserer ebenen und sumpfigen Erde finden lässt; dass es ferner heutzutage sehr Verschiedenes ist, was aus Indien zu uns herangeschafft wird. Bei uns werden nämlich mit solchem Feuereifer die Fossiliensammlungen eingerichtet, dass diejenigen, die das eine oder andere Stücklein mit Mühe herbeibringen, sofort einen Käufer finden oder einen Mäzen, den sie sich durch ein willkommenes Geschenkchen verpflichten. Daher müsse aus den europäischen Gegenden vor allem das herbeigeholt werden, was in diese Angelegenheit uns von solchen Nutzen sein könnte; nicht werde es uns in einer solchen Auswahl geboten, wie wenn es aus den eigenen und nahen Bergwerken herabgeholt würde, sondern wie es eben übersandt oder käuflich angeboten werde, müsse Gutes und Schlechtes vermischt angenommen werden. Schließlich wirst Du schon merken, was ich zu leisten imstand bin und was Dir von mir versprochen wird. Dass also nicht Deine Erwartung die Tatsachen selbst übertrifft, wohlan! Wenn ich bestenfalls eine Probe schicke, kannst Du daraus schließen, welche günstige Gelegenheit ich habe, nach und nach auch andere zu schicken. Ich werde vielleicht einmal Wertvolles in die Hände kriegen, mit dem ich Dich ausstatten kann. Aber wie ich lieber etwas sein will, als erscheinen, so will ich lieber schicken als versprechen. So habe ich meine Gesinnung genug deutlich gemacht, damit Du siehst, mit welchen Menschen Du es zu tun hast. Du schau selbst jetzt, was Du tust, in der Gewissheit, dass mir alles recht sein wird, was Du beschließt, und dass ich, so gut ich kann, zu jeder Art von Dienstleistung bereit bin. Es bleibt nur noch, dass ich Dir, freundlicher Herr, gesund und wohlauf zu sein wünsche und für Dich gutes Glück in jeder Hinsicht von Herzen erbitte. Nochmals lebe wohl und sei mir gewogen, wie ich Dir gewogen bin. Dir gehört die Freude ganz und gar. Gegeben in Leiden am 15. September 1764.«

IV.

Vorworte der wichtigsten Werke Jacquins in Übersetzung

Kommentar : Die lateinischen Vorworte werden hier nicht wiedergegeben, sondern nur die deutsche Übersetzung, da der lateinische Text ohnehin auch online nachzuschlagen ist. Die Übersetzung ins Deutsche finden wir für unsere Argumentation entscheidend, weshalb wir diese hier im vollen Wortlaut wiedergeben.

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IV. 1. Nicolaus Joseph Jacquin, Enumeratio systematica plantarum, quas in Insulis Caribaeis vicinaque Americes continente detexit novas, aut jam cognitas emendavit. Leiden 1760. Des Nikolaus Joseph Jacquins Systematische Aufzählung von Pflanzen, die er auf den Karibischen Inseln und dem benachbarten Festland Amerikas neu entdeckt oder als bereits bekannt vervollkommnet hat. Leiden 1760. »Den Pflanzenfreunden entbietet seinen Gruß der Autor. Einige amerikanische Pflanzen, die in den Tropen den ursprünglichen Boden wählen, stellen Dir, pflanzenliebender Leser, diese kleine Seltenheiten vor. Jene sind zwar mit sehr kurzen Beschreibungen skizziert, aber derart, dass sie mir zur Bestimmung eines sicheren und feststehenden Unterschiedes der Art und Gattung vollkommen auszureichen schienen. Ich war nämlich auf dieses einzige Ziel ausgerichtet, dass mein vorliegendes kleines Werk dem sogenannten Natursystem des hochberühmten Carl Linn8 an Stelle eines Anhanges dienen kann. Ich musste daher nur diese Pflanzen anführen. Einerseits die, welche meiner Meinung nach der botanischen Welt bis auf den heutigen Tag unbekannt waren, andererseits jene, von welchen bei den Autoren zwar vage Beschreibungen existieren, die aber – wie mir ein persönliches Ins-Auge-Fassen bei der Botanik bei allen Dingen die verlässlichste Lehrmeisterin ist, klar machte – unter einer falschen Aufschrift vorgestellt wurden. Außerdem habe ich einige, auch wenn sie schon vorher ordnungsgemäß bestimmt wurden, ganz vorne noch einmal angeführt; damit wollte ich erreichen, dass sich so die Unterscheidung der Arten deutlicher darstellt und dass es von diesen eine komplette Reihenfolge gibt. Angefügt habe ich in Fußnote acht neue Pflanzen, die unter anderen zahllosen der hochberühmte und in botanischen Angelegenheiten recht gut versierte höfische Ratsherr Franz von Mygind besitzt und von denen ich aufgrund der beigefügten Aufschriften vermute, dass sie auf der Insel Barbados gesammelt worden sind, die vom _X,. Linn8 verwendeten Zeitangaben habe ich beigefügt. Bis die Möglichkeit sich ergibt, das Wissen über diese und andere Pflanzen noch ausführlicher durch nach der lebenden Natur gezeichnete und farbige Bilder zu erläutern und der Öffentlichkeit zu übergeben, nimm vorläufig mit diesen unausgereiften ersten Versuchen vorlieb und lebe wohl! Ich schrieb das in Wien am 1. Mai 1760.«

IV. 2. Nicolaus Joseph Jacquin, Selectarum Stirpium Americanarum Historia in qua ad Linnaeanum Systema determinatae descriptaeque sistuntur plantae illae, quas in Insulis Martinica, Jamaica, Domingo, aliisque, et in vicinae continentis parte, observavit rariores; adjectis iconibus in solo natali delineatis. Vindobonae 1763. Nikolaus Joseph Jacquin, Geschichte ausgewählter amerikanischer Pflanzen, in der jene überaus seltenen Gewächse, dem Linn8’schen System gemäß bestimmt und beschrieben, angeführt werden, die er auf den Inseln Martinique, Jamaica, Domingo und anderen, wie

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auch im Gebiet des benachbarten Kontinents gesehen hat; beigefügt sind Abbildungen, die vom Original des Autors abgemalt wurden. Wien 1763. Kommentar : Diese Publikation wurde nochmals aufgelegt, die Ausgabe 1780 unterscheidet sich nur im Titel, das Vorwort unterscheidet sich nur in einem Satz. 1780: Nicolaus Joseph Jacquin, Selectarum Stirpium Americanarum Historia in qua ad Linnaeanum Systema determinatae descriptaeque sistuntur plantae illae, quas in Insulis Martinaca, Jamaica, Domingo, aliisque, et in vicinae continentis parte, observavit rariores; adjectis iconibus ad autoris archetypa pictis.

Übersetzung nach dem Vorwort der 2. Auflage 1780–81: »Franz dem Ersten, Kaiser der Römer, allzeit Augustus, Deutschlands und Jerusalems König, Großherzog der Toskana, Herzog von Lothringen etc. etc. etc. [gewidmet] Vor der umfangreichen und edelsten Wissenschaft, die wir Naturwissenschaft nennen und die den Sterblichen unter dem glücklichen Umstand gegeben zu sein scheint, dass sie auf jedem Schritt aus ihrem verblüffenden Wesen die grenzenlose Weisheit des höchsten Schöpfers verstehen können –; von dieser Wissenschaft, wie gesagt, der Du der erhabenste unter den Fürsten, der durch königliche finanzielle Unterstützung Glanz verleihst und unter Deine Vergnüglichkeiten zählst, ist sicher nicht der unbedeutendste Teil jener, der sich mit der Erforschung der Pflanzen befasst und Botanik genannt wird. Diese ist in unserem Zeitalter möglichst intensiv gepflegt und unglaublich vermehrt worden; auch geadelt durch die außerordentliche Gunst der Könige und hohen Herrschaften; auch gebührt kein geringerer Dank dem Gefallen und dem Schweiß des Pflegepersonals; jetzt sieht man sie [die Botanik] emporgeführt zu jenem Gipfel der Gewissheit und Zierde, was jene unsere Vorfahren zwar gewünscht, aber meiner Meinung nach kaum zu hoffen gewagt hätten. Weil es trotzdem noch unzählige Dinge gibt, die man zur Vollkommenheit der Botanik vermisst, soll jeder Botaniker, der den Nutzen für die Allgemeinheit im Auge hat, verhalten sein, zu deren schnelleren Erkenntnis entsprechend seinen Kräften und der gebotenen Gelegenheit beizutragen. Daher habe auch ich, indem ich meiner Begabung folgte und die seltene Gelegenheit dazu nützte, daran gedacht und mich verpflichtet gefühlt, einen Beitrag zur Vermehrung der gepriesenen Kunst zu leisten. Dass ich das nun dem erhabenen Namen seiner kaiserlichen Majestät ankündigte, gestattet mir Deine höchste und angeborene Milde, mit der zu begleiten Du mich immer gewürdigt hast und die nie aus meinem Gedächtnis schwinden wird. Zur Ankündigung veranlasst hat mich allerdings ein keinesfalls geringer Grund. Beschrieben werden in diesem Werk nämlich jene Gewächse, die zum großen Teil in Deinem geschmackvollen Garten gedeihen; dass ich diese beschreiben konnte, bewog diese Deine Fürsorge für die Naturgeschichte, und allein Deine Großzügigkeit hat es bewirkt. Indem Du keine Kosten scheutest und mir drei Gefährten als Reisehelfer beistelltest, hast Du mich beauftragt, die Karibischen Inseln und das benachbarte Gebiet des amerikanischen Festlandes aufzusuchen. Was auch immer mir begegnen sollte in den drei Reichen der Natur und diese Aufmerksamkeit verdiente, sollte ich sammeln und übermitteln, um es Deinen Natur-Schatzkammern zu widmen.

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Gewähre also, mildester Kaiser, dieses Werk zu Füßen Deiner Majestät zu legen. Mach, dass es mit denselben Aufschriften und Erwartungen, mit denen es prangt und denen es seinen Ursprung verdankt, ins Licht der Öffentlichkeit gelangt! Eine spätere Nachwelt soll erforschen, dass alles Dir allein zugeschrieben werden muss, wenn aus diesem Werk sich eine Bereicherung der allerliebsten Wissenschaft ergibt, wenn ein daraus geborener Nutzen fließt und wenn schließlich den Verehrern der Kunst irgendein Vergnügen zuteilwird. Vorwort Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, die selteneren Pflanzen, die auf einer vierjährigen Reise im sengendheißen Amerika zu beobachten mir gelang, zur Vermehrung der Pflanzenwelt und zur Ergötzung derer, die sich dem Studium dieser allerliebsten Wissenschaft widmen, in diesem Werke aufzuzählen und mit möglichst großer Verständlichkeit darzustellen. Wenn ich zur Überzeugung gelange, dass ich in dieser Angelegenheit für die Gebildeten eine vollkommene Tätigkeit vollbracht habe, wird es nie so weit kommen, dass ich die unangenehmen Strapazen, die ich überwunden habe, oder die sehr vielen Gefahren für mein Leben, in die ich geraten bin, bereue; die Erinnerung an diese wird immer angenehm ausfallen. Wenn ich aber irgendwo die Erwartungen der Botaniker weniger erfülle, bin ich zuversichtlich, da sowohl die Fülle und Mannigfaltigkeit des Stoffes als auch die Bedingungen, denen der Reisende ausgesetzt ist, so etwas wie eine gebührende Entschuldigung darstellen. Wenn mir aber unbeabsichtigt ein Irrtum unterlaufen ist, werde ich die Anfeindungen wegen des Fehlers gleichmütig ertragen. Diese von Europa entfernten Gegenden bieten dem kundigen Forscher tatsächlich Zahlreiches, und dieses oft einzigartig, wunderschön und der ganzen Aufmerksamkeit in höchstem Maße würdig. Aber wie das alles der nachhaltige Fleiß eines einzigen Menschen nicht erfasst, so kann es auch der Geist nicht begreifen. Denn wer hätte geglaubt (um allein bei der Botanik zu bleiben), dass, nachdem der große Plumier auf seinen drei Reisen zu den Karibischen Inseln Pflanzen gefunden und in Buchform herausgegeben hat, genau dort bis jetzt so viele andere verborgen blieben, welche vor wenigen Jahren durch den hochberühmten Browne und aus meinem nicht ganz so alten Büchlein im Erdkreis bekannt geworden sind? Und zum guten Abschluss dieser Sache fehlt mir so viel, dass ich hinzuzufügen wage, dass das an Gewächsen überaus üppige Martinique zu den Exkursionen des unermüdlichen Botanicus noch lange etwas nachschaffen kann, bevor der Erschöpfungspunkt erreicht ist. Denn ich selbst habe von denen [Gewächsen], die mir gänzlich unbekannt erschienen, nicht wenige überprüft und mehr noch genau angeschaut, die in Vergessenheit geraten zu lassen mir die kurzzeitige Gelegenheit oder die zahlreichen anderen Beschäftigungen verboten. Nimm noch hinzu, dass ich Gräser und Kryptogamen zur Gänze außer Acht gelassen habe! Weil ich außerdem zum damaligen Zeitpunkt mit diesen schwierig zu unterscheidenden Materialien weniger befasst war und weil derartige Pflanzen nur schwer bestimmt werden können durch den üblichen Vergleich mit verwandten Arten und die Einsichtnahme in die Autorenlektüre, bin ich von diesen beiden Hilfestellungen immer wieder in Stich gelassen worden. Daher hat auch die dem Forscher begegnende Fülle von anderen Dingen leicht das Ausmaß an Freizeit überstiegen. So würde ich es freilich als Gewinn ansehen, wenn ich jene Dinge außer Acht lassen und mich

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genauer mit der Untersuchung dieser befassen könnte, die eine lange Mühe nicht erfordern würden, das sie ja den beobachteten Gewächsen einen viel redlicheren Zuwachs einbrächten. Plumier, der als erster Botaniker an den Küsten der Karibik landete, hat dort viel Neues, dem Europäern Unbekanntes und seiner Aufmerksamkeit Würdiges angetroffen. Er konnte daher in kurzer Zeit die Botanik durch eine reichhaltige Angabe von ganz seltenen Gewächsen bereichern. Weil er das mit höchster Anstrengung vollbracht hat, wird bei allen ein dankbares und ewiges Angedenken gegenüber diesem großen Mann bestehen. Ungefähr zur gleichen Zeit leistete auch der sehr gefeierte Sloane auf der Insel Jamaika Hervorragendes. Diesen sind nach der Unterbrechung von einem halben Jahrhundert der hochberühmte Browne und ich nachgefolgt. Aber auf Schritt und Tritt begrüßten uns Pflanzen, die von den eben belobigten Männern beschrieben worden waren; wir haben uns vorgenommen, unter den weniger richtig und umfangreich beschriebenen diese mehr als alle anderen darzustellen, und ihnen haben wir sehr viele noch nicht beobachtete hinzugefügt. Vielleicht finden sich nach uns noch andere Männer, die den restlichen Pflanzen auf die Spur kommen wollen. Könnte doch so irgendeinmal die so liebenswerte karibische Flora zu einem Abschluss gebracht werden und das Licht der europäischen Öffentlichkeit erblicken! Bei der Ordnung meiner Pflanzen habe ich das Geschlechts-Systems des hochberühmten Carl Linn8 angenommen und aus Überzeugung allen anderen vorgezogen; nicht, weil ich es überall angewendet hätte, und nicht, weil ich es in plausibler Weise verstehen würde, nachdem ich die Erfahrung gemacht habe, dass dieses System nicht selten der Natur Kraft verleiht, andererseits an diesen oft unvermeidlichen Fehlern krankt, von denen dennoch die anderen Systeme anderer Männer nicht frei sind; sondern weil zu dessen Vervollkommnung größere und längere Mühe von zahlreicheren Forschern aufgewendet wurde; weiters erfasst es die meisten bis jetzt gut erforschten Pflanzen; und weil es heute ziemlich allgemein akzeptiert ist. Nicht, weil es auf jene schielt, für die das Natur-System nur Prahlerei und Lobpreis darstellt. Wie ich es gewiss leicht ertrage, dass sie sich an ihren Gedankengängen und Vergnügungen selbst ergötzen, so möchte ich jene gebeten haben, dass sie auch meine Meinung nicht als lästig empfinden; bin ich ja der Ansicht, dass ein Lebewesen-System, welches auch immer, nichts anderes sein kann als eine rein methodische Bezeichnung für nach Gutdünken definierte Gewächse. Man soll es daher nicht so weit vermischen, etwa bei den Kreuzblütlern und wenigen anderen, dass die Natur anscheinend den Disziplinen fixe Grenzen setze, die sich sogar auf die Kräfte selbst in der Medizin ausdehnen. Daraus erfolgt überhaupt, dass die Verwandtschaften in Aussehen und Aufbau der Pflanzen zu deren Kenntnis höchst überlegenswert sein müssten und dass sie, wenn man behutsam vorgeht, in das Gebiet der Medizin Nutzen einbringen. Aber die Natur nimmt von uns keine Gesetze an, die sie selbst nicht schon zuerst gesetzt und gegeben hat. Weil wir also sehen, dass die Verwandtschaften von der Natur in ihren Produkten gewahrt werden, wird es sich für uns geziemen, diese Verwandtschaften eifrig zu erforschen, weil das daraus sich ergebende umfangreiche Wissen die angewendeten Mühen zweifellos aufwiegen wird. Aber wer von uns wird einzelnen engen Beziehungen seine eigenen Grenzen entgegensetzen? Das wird niemand dem klugen Geist zumuten, solange die ganze Schöpfung zu unserer Erkenntnis gelangen wollte. Gib, dass sie gelangt! Eben diesen Teil der Natur, die auf einem engstens verschlungenen und über unser Forschungsvermögen vielfältigem Pfad, der obendrein mit Fallen gespickt ist, dahinschreitet,

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werden wir vielleicht dann erst verstehen. Mit bestem und höchstem Recht führen wir also die Mannigfaltigkeiten und Einzelerscheinungen auf bestimmte Arten zurück, und wir haben dabei die Natur als Führerin. Wenn wir aber diese Arten auf natürliche Klassifizierungen hinzwingen möchten, werden wir überall die Natur vermissen. Diese überspringt vorgezeichnete Grenzen, passt sich überhaupt nicht unsren Sprüngen an und wird nach ihrer Sitte fortfahren, den menschlichen Geist zu verspotten. Es werden also alles künstlich gesetzte Klassifizierungen sein, die allein schon deswegen nie ein Natursystem begründen können. Aber trotzdem sind sie unentbehrlich; man braucht Klassifizierungen und Methode. Mit diesen könnten wir unsere Unwissenheit verringern und unser Gedächtnis stützen, um nicht von der Fülle verschüttet zu werden. Daher ist es hilfreich, den facticiis [Schwierigkeiten] etwas zu Hilfe zu rufen, was zu unseren Gedankengängen besser passt. Dass deren [Systeme] Auswahl den Forschern nicht fehle, haben die Botaniker dieses Jahrhunderts mit allem Eifer vorgesorgt. Der große Unterschied in den Arten macht sich überall geltend im Hinblick auf das Merkmal der facticii der Klassifizierung. Wir müssen also alle einzelnen Arten genau in Kenntnis haben, falls wir uns ein solches Merkmal wünschen sollen, dass dann alle seine Arten getreulich wiedergibt. Das freilich fehlt bis jetzt immer noch in recht vielen Klassifizierungen, und es wird noch lange fehlen; bis wir begonnen haben, all das sorgfältig zu vermerken und unseren Schriften anzuvertrauen, worin vor allem die neuen und weniger leicht auffindbaren Arten vom allgemeinen Merkmal abweichen; und das wollen wir bei mehreren Einzelformen einen Teil der Eigentümlichkeit nennen; die nicht durch Zufall, sondern durch eine Laune der Natur bedingt ist. Daher habe ich in meinen Beschreibungen, die immer auf die lebende Pflanze abgestimmt und öfter auch auf den Amboss (incudem) zurückgeführt werden, sogar die geringsten Einflüsse angeführt; nach variierenden Teilen habe ich mit größtmöglicher Sorgfalt geforscht. Und das habe ich mir zum Grundsatz gemacht; in einer Ausdrucksweise, zwar nicht in einer feingebildeten und geschliffenen, aber prägnanten und verständlichen, wie sie in der Kunst die Männer anzuwenden pflegen. So werde ich auch für jene Botaniker Vorsorge treffen, die vielleicht nach mir dereinst dieselben Gegenden mit gemischten Gefühlen sehen werden, und ihnen selbst, da ich ja viel herunterschlucken musste, den Ekel erleichtern; die ohne alle Unklarheiten werden die Pflanzen bestimmen können, die dort schon veröffentlicht sind, und die fehlenden und unerwähnt gebliebenen ordnungsgemäß unterscheiden. Ich glaube aber, dass es welche geben wird, denen meine Sorgfalt übertrieben erscheint, wenn sie merken, dass ich allzu große Sorgfalt auf die geometrischen Abmessungen der Teil verwendet habe. Gerne gebe ich zu, dass ich hierin nicht weiser gewesen bin als die große Masse; dass ich einen Strauch immer Strauch und einen Baum immer Baum genannt habe, ohne dass ich Wert auf edle Stücke gelegt hätte. So wird nämlich bei allen Festhalten an gesetzmäßigen und unveränderlichen Unterscheidungsmerkmalen der zu definierenden Gewächse weniger passend und nur ganz selten auf den Größenzustand eine Beziehung hergestellt, wenn jenes [Gewächs] einmal nicht die bestimmte Proportion einhalten sollte. Wenn ich andererseits bei der Beschreibung irgendeiner nur unbekannten Pflanze über alles im Klaren sein sollte, ausgenommen allein die beliebige Größe, bilde ich mir dennoch ein, von der Gesamtheit etwas vermissen und mir nicht die Art einer derartigen Pflanze vorstellen zu können, wie ich es gewünscht hätte. »Andererseits«, wirst Du sagen, »könnte doch diese Größe selbst kaum noch etwas verändern«. Aber deswegen

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habe ich jene größere Gemeinsamkeit überall zur Auswahl herangezogen und es angemerkt, wenn sie irgendeiner Veränderlichkeit unterworfen wäre. Ich habe ferner Pflanzen beschrieben, wie sie mir Amerika selbst zur Schau stellte. Daher möchte ich, dass sich die Botaniker daran erinnern, wenn sie einmal irgendeiner von meinen Pflanzen im Gewächshaus begegnen, die sich vor der gebotenen Beschreibung in einer oder andern Hinsicht unterscheidet, dass sie nicht argwöhnen, sie seien auf ein von meinem unterschiedliches Gewächs gestoßen oder ich hätte Falsches bzw. Irrtümliches von mir gegeben. Ich habe nämlich oftmals am Originalplatz Pflanzen gesehen, teils amerikanische, teils europäische, allerfeinst und genussvoll anzublicken, und dass genau dieselben, wenn sie in Gärten gezüchtet werden, ihres ursprünglichen Ganzen entkleidet und gänzlich unscheinbar waren; dass hinwiederum andere dort [im Ursprungsland] durch Vernachlässigung ihres Äußeren keine Aufmerksamkeit bei den Vorübergehenden finden, hier aber eine neue Schönheit erlangen, die Augen aller auf sich lenken, aber dennoch nicht voll zufrieden stellen können. In beständigem Laubgrün sind am Ursprungsplatz auch jene mehrjährigen Gewächse, von denen ich gesagt habe, dass sie die Blätter nicht fallen lassen, obwohl sie, wenn sie in die europäischen Gewächshäuser transferiert werden, diese heimatliche Gewohnheit nicht beibehalten. Überprüft habe ich die Staubbeutel, die anschwellen, ohne dass der Pollenstaub ausgeworfen ist; irgendeinmal zeigen sie dann eine dauerhafte und eigentümliche Gestalt; wenn sie erschöpft sind, pflegen sie sich gar nicht zu verändern und nehmen auch ein allgemeineres Äußeres an. Wenn aber über den der unbekannten Pflanze zu gebenden neuen Namen verhandelt wurde (diese Angelegenheit scheint mir in der Tat – wenn wir uns nicht barbarisch verhalten und keine Verwirrung heraufbeschwören wollen – eher eine Sache zu sein, die mehr dem Gutdünken als den strengsten Gesetzen unterworfen ist), wollte ich schon als Entdecker mein gewisses persönliches Recht genießen. Und ich habe auch vom Griechischen, weil es ja geeignet ist, Namen abgeleitet. Indem ich den Spuren des berühmten Plumier folgte, habe ich jene Namen auf Männer bezogen, die, weil sie sich um unsere Wissenschaft wohlverdient gemacht hatten, würdig erschienen, dass sie die Pflanzenwelt mit botanischer Unsterblichkeit entschädigt. Ich habe daher auch nicht die Nachreden jener gefürchtet, die sich als Unbelohnte einbildeten, dass unter allen sie allein es besser verstünden. Ich halte nämlich auf Leute, in deren Fußstapfen ich treten möchte, Tournefort, Boerhaave, Dillenius, die beiden Jussieu, Linn8, Haller, Burman und – um die übrigen hochgebildeten Männer zu verschweigen – den erbittersten Gegner des Linn8’schen Fleißes, nämlich Heister. Denn solange ich – wie gesagt – in einer reinen Gutdünkensangelegenheit durch die Meinung und das Beispiel ähnlicher Männer gestützt bin, werde ich das nichtssagende Gelächter dieser Herren geringschätzen. Freilich gebe ich derartigen Namen kein höheres Gewicht als anderen. Ja ich bin sogar überzeugt, dass man, was auch immer man bezeichnen will, aus allem anderen eine Auswahl treffen muss. Aber wie selten sich etwas Eindeutiges anbietet, wie schwierig angesichts einer großen Zahl von neuen Gattungen derartige Namen bestimmt und zugeteilt werden können, wird der Fachmann eingestehen. Ein leichter Ausweg wäre hier gewesen, wenn ich die alten und außer Gebrauch gekommenen Namen heute unbekannter Gewächse, die bei Pedanius Dioskurides begegnen, sofort diesen meinen Pflanzen gegeben hätte. Aber diese habe ich immer für unantastbar gehalten und die Meinung vertreten, dass die Namen der Gewächse, welche in Griechenland und in bei den Alten genannten Gegenden gedeihen, in dieser Form niemals

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amerikanischen oder ähnlichen exotischen Pflanzen aufgesetzt und zugewiesen werden dürfen. Botaniker, die sich dieser Mäßigung nicht unterwarfen, haben die Wissenschaft der Medizin mit unentwirrbarer Konfusion bestraft. Auch werden wir uns nicht schicksalhaft dazu verpflichten, dass wir die Pflanzen, die in den alten Zeiten verherrlicht wurden, wir aber jetzt nicht kennen, in Ewigkeit nicht kennen werden. Es kann sich ergeben, was uns vielleicht versagt ist, dass sich unsere Nachkommen dieses Glückfalles erfreuen. Es sollen diesen [Nachkommen] möglichst viele von jenen Pflanzen bekannt werden, und wenn sie bekannt geworden sind, sollen sie die von anderen ungerechterweise usurpierten Namen als die ihrigen beanspruchen können! Wenn es jemanden gibt, der sich über meine Unterlassung wundert, die Heilkräfte der Pflanzen zu überdenken, und dies tadelnd vermerkt, gebe ich ihm zur Antwort: Die Wilden hätten die Gewohnheit, wenn sie wirksamere Pflanzen kennten, diese in tiefem und ewigem Schweigen zu verbergen, so als ob sie ihnen von ihren neuen Gästen als alleinige Schätze hinterlassen worden seien; und diese seien um keinen Preis und keine Versprechungen erkaufbar. Die Kräfte der meisten anderen Pflanzen sind freilich weniger beachtenswert. Aber diese werden dann weit und breit so gepriesen, und selbst sehr zahlreich vorkommende werden zum Gebrauch herangezogen, dass es eines Arztes bedürfte, der sich für Jahre an demselben Ort niederlässt, um durch wiederholte Versuche die echten Heilpflanzen herauszufinden und die falschen zu unterscheiden. Das kann man von einem Reisenden, der auch anderwärtig höchst beschäftigt ist, auf keinen Fall verlangen. Bei der Zitierung von Autoren habe ich mich nach Kräften davor gehütet, mich durch Ähnlichkeit täuschen zu lassen. Dass auf diesen nicht seltenen Fehler auch allergrößte Botaniker hereingefallen sind, kann niemanden, der halbwegs in deren Schriften versiert ist, entgehen; notwendigerweise entstehen daraus Unklarheit und Mehrdeutigkeit. Das widerfährt einem gewöhnlich dann besonders, wenn wir über nicht Gesehenes oder von anderen zu wenig ausführlich Beschriebenes ein eiliges Urteil fällen. Ich habe die Beobachtung gemacht, dass einheimische Namen für Pflanzen in den Landstrichen selbst oder in benachbarten Ansiedlungen häufig differieren. Wenn es allgemeinere Bezeichnungen gab, habe ich das vermerkt; die übrigen Namen, die nur ein heilloses Durcheinander zur Folge gehabt hätten, habe ich weggelassen. Die Abbildungen, mit denen ich das Werk illustriert habe, sind von mir in Amerika anhand der lebenden Pflanzen in natürlicher Größe gezeichnet. Bei der Herstellung habe ich alle Sorgfalt walten lassen, damit sie ganz genau sind. Und jene habe ich so geschmückt, dass sie den Augen nicht mehr gefallen als der Wirklichkeit nahe kommen. In der zweiten Auflage habe ich das System Linn8s angewandt, wie es vom hochberühmten Johannes Andreas Murray im Jahr 1774 veröffentlicht wurde; die fallengelassene frühere Zitierweise soll anzeigen, dass eine Pflanze ebendort nicht zu finden ist. Aus meinen anderen Werken habe ich mehrere Pflanzen, die hieher gehören, wieder aufgenommen. Das ist es, was ich vorausschicken musste. Wenn ich doch dem Werk und dem Vorhaben eine Rechtfertigung geben könnte!«

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IV. 3. Collegia Chymica (Vorwort). Nikolaus Jacquin, Collegia Chymica. Budapest, Orsz#gos Szechen8nyi Konyvt#r. Quart Germ., Handschrift. Kommentar Es handelt sich um eine Mitschrift der Vorlesung Jacquins an der Bergschule, entstanden zwischen 1765 und 1767. »Ein solche im Jahr 765 zu Ende und folgenden 766sten Jahrs von dem Kaysl. Königl. Professorem Chymiae und Berg=Rath v. Jacquin von Tag zu Tag gehalten worden, in der Kayserl. Königl. Freyen Bergstadt Schemnitz / Vorrede des Professoris v. Jacquin. Nachdem mir von Ihro Kaysl. Königl. Myst. allergnädigst aufgetragen worden, in hiesiger Bergstadt die Stelle eines öffentlichen Lehrers der Metallurgischen Chymie zu vertretten, so hab ich es mir hoch angelegen seyn laßen, darauf bedacht zu seyn, auf was Arth und Weise ich am besten dieses Ihro Kaysl. Königl. Myst. allergnädigstes, und zum grösten Nutzen des Berg=Wesens ziellendes Wohlgefallen erfüllen könthe. Nachdem ich aber zugleich erwehnete, daß den meisten Herren [!] Practicanten, so wohl durch ihre eigene Angelegenheiten, als durch andere umstände [!] es nicht frey stehen würde, mehrere Cursibus Chymicis als einen beyzuwohnen, So [!] habe es für guth befunden / einen Authorem zu erwählen, selben vorzulesen, deßen Grund sätze, und übrigen Inhalt auszulegen, alles so viel möglich seyn wirdt durch zulängliche Versuche zu bestreiten, und überdem noch eine aufrichtige Erwehnung von allen demjenigen zu thun, was durch eigene Erfahrung und durch Bemühungen von neuen Schrift Verfaßern gelehrnet habe. Wir werden hiedurch nehmlichen eine nicht geringe Erleichterung empfinden, da wir die im nächsten Collegio vorzukommende Sachen vorhero kennen, und in Betrachtung nehmen, nach geendigten Collegio selben nachzusinnen, und alsdann zu Haus, bey Überlesung des Authors sich leicht alles desjenigen werden erinnern können, was in dem Collegio abgehandlet worden. Es giebt eine unzehlbahre Men/ge Chymischer Schriftsteller, und wer sollte wohl glauben, daß die vielfältige Manuscripta, zu geschweigen die durch den Druck bekanth gemachte die Zahl von 5000 überschreitten. Die meisten verdienten kaum genannt zu werden, unter den guten hätten aber nicht alle, mit einer Absicht geschrieben, die ältesten hatten die Alchymie, und besonders das O machen, um das Medicamentum universale zu ihren Zweckh gehabt, andere haben ihre Arbeith gantz der Arzney Kunst gewidmet, und auf diese Weise, wurde die Chymie in denen meisten Universitäten tradiert. Viele und hieher gehören die neueste haben die Chymie wie einen Theil der Naturkunde angesehen, welches sie auch würklich ist, und dahin ihre Arbeith gerich/tet, daß sie allen Wißenschaften und Künsten nützlich seyn solle. Einen einzigen Authorem kenne ich, welcher einen methodischen und hinlänglichen Cursum Chymicum in Druckh gegeben, und dieser zwar ist der Sächsische Berg= Rath v. Gellert, seinem Werkh hat er dem Titl. gegeben Von denen Anfangs =Gründen zur Metallurgischen Chymie und hat solches im 2. Theil dem Theoretischen und Practischen abgetheilet. In selben findet man fast alles dasjenige abgehandlet, was ein Berg= Mann

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insonderheit der des Probiren und Schmöltzen aus dem Grunde zu verstehen sich befleißigen will, aus der Chymie zu wißen benöthiget seye, und ohne welches zu wißen, und deßen eine auf/richtige und gründliche Käntnuß zu besitzen einen Probirer oder einen Schmöltzer unmöglich ist, eine gründliche Explication seiner Manipulation zu geben. Nun also den Anfang zu machen, und zuvohr von der Metallurgischen Chymie so ist es höchst erförderlich sich eine Kantnuß nächst folgenden Chymischen Zeichen zu machen.«

IV. 4. Nicolaus Joseph Jacquin, Hortus Botanicus Vindobonensis, seu Plantarum Rariorum, quae in Horto Botanico Vindobonensi, Augustissimae Maria Theresiae Munificentia Regia in Universitatis Patriae Excellens Ornamentum Publicamque Utilitatem Extructo Coluntur, Icones Coloratae et Succinctae Descriptiones. Vindobonae 1770. Nikolaus von Jacquin, Wiener Botanischer Garten bzw. was es an selteneren Pflanzen im Wiener Botanischen Garten [der] erhabensten Herrscherin Maria Theresia gibt […] Band 1, Wien 1770. »Vorwort Seitdem sich die finanzielle Großzügigkeit der erhabenen Herrscher ergeben hatte und der Wiener Botanische Garten gedieh, prangte dieser von mannigfaltigen und ganz seltenen Pflanzen, mit denen ihn das Wohlwollen nicht weniger um das Pflanzenwesen hochverdienter Männer zu ihrer eigenen wohlbekannten Ehre und zur Förderung des hiesigen – Botanikstudiums bereichert hatte. Von jenen Pflanzen ist nun, wie das oft zu geschehen pflegt, eine nicht geringe Anzahl zugrunde gegangen; von manchen ist auch mit ihnen selbst die Erinnerung an sie abhanden gekommen. Unter diesen dürften überhaupt jedoch welche gewesen sein, deren richtige Kenntnis zur Erweiterung der Pflanzenkunde beigetragen hätte. Dass auf die überlebenden und neu hinzugekommenen Pflanzen nicht ein ähnliches Schicksal warte, habe ich es in diesem Werk unternommen, von diesen Abbildungen und Beschreibungen den Botanikern zu bieten. Ziel war es, jene Pflanzen so darzustellen, dass kaum noch ein Zweifel bestehen konnte in der Unterscheidung dieser von verwandten. Außerdem – was meine Meinung ist – genügt eine bloße Beschreibung, mag sie auch die allerbeste sein, nur in recht seltenen Fällen, selbst wenn sie vielleicht für den Augenblick ausreichend sein sollte, und deswegen wird eine später hinzugekommene Erkenntnis über die Pflanze nicht immer auf festen Füßen stehen. Es kann sie nämlich eine neu entdeckte und irgendwann erforschte Pflanze unzulänglich machen. Eine ganz genaue Darstellung wird – abgesehen davon, dass sie beim einmaligen Hinschauen mehr lehren sollte, im Geiste lebendiger haften bleiben sollte, die Gestalt der Pflanze leichter und in größerem Umfang ins Gedächtnis führen sollte – wenn sie zu einer richtigen Beschreibung hinzugefügt wird, niemals täuschen. Ich habe daher die Gewächse in ihrer natürlichen Größe dargestellt, immer allerdings einen so großen Teil von diesen, dass daraus auf die ganze Gestalt leicht geschlossen werden kann. Auch mitsamt den Wurzeln; wo das vom Papier her möglich war, musste ich es in der Form größer wählen. Daneben befinden sich

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manchmal einzelne Teile der ausgewachsenen Frucht, auch durch das Mikroskop vergrößert, wenn dies ihre Struktur erforderte, die bisher zu wenig bekannt war, allzu klein war oder an dem abgebildeten Gewächs nicht richtig zu erkennen war. Übrigens waren sie unbeachtet geblieben. Die Bilder habe ich weder selbst gemalt noch gezeichnet. Aber ich habe, wenn sie von einem Künstler angefertigt wurden, persönlich jede Sorgfalt angewendet, dass sie alle dem natürlichen Original genau entsprachen. Ja sogar betreffs der Farben wurde das mit Sorgfalt gemacht. Alljährlich werde ich in ununterbrochener Reihe etliche Tafeln hinzufügen (welche größtenteils schon gestochen sind), in einer Anzahl, die die nicht geringen Herstellungskosten ergeben haben. Nur wenige werden dieses zukünftige, notwendigerweise teure Werk kaufen. Ich habe dann dafür gesorgt, dass 162 Exemplare gedruckt werden, wobei alles zu kolorieren ist. Mehr wird, nachdem die Kupfertafeln schon zerstört sind, in Zukunft nicht gedruckt werden. Im Titel des Werkes wird die Ordnungszahl des Exemplars angegeben sein.«

IV. 5. Nicolaus Joseph Jacquin, Florae Austriacae, sive plantarum selectarum in austriae archiducatu sponte crescentium, Icones, ad vivum coloratae, et descriptionibus ac synonymis illustratae. Vol. I., Vindobonae 1773. Nikolaus Jacquin, Österreichische Flora oder Bilder ausgewählter, im Erzherzogthum Österreich frei wachsender Pflanzen, nach der Natur gezeichnet und koloriert und mit ihren Synonymen ausführlich beschrieben. Wien 1773. »Vorwort In unserem Zeitalter schließlich erlangte die »Res Herbaria«, eine vage und wegen der Vielzahl der Objekte das Maß des menschlichen Gedächtnisses fast überschreitende Wissenschaft, einen Grad der Sicherheit, der umso weniger erhofft werden zu können schien, je mehr allzu häufig neue Irrtümer und neue Zweifel nachzufolgen pflegten, nachdem die alten vertrieben worden waren. Wenn es beliebt, im Geiste zu überlegen, dass so viele und so verschiedenen Normen die Botanik abzuhandeln angewandt worden sind, zu durchforsten, dass in den schwierigsten Gegenden der Welt gewaltige und andauernde Fortschritte gemacht worden sind, und die unglaubliche Menge an Autoren selbst zu bedenken; dann kann zugleich für die die beobachten, dass diese Wissenschaft sich möglichst oft wendet, ja wie von Grund auf »losgesprochen« wird, wie in der Unterscheidung und Beschreibung selbst der sehr ähnlichen Sachen, so in der Benennung der Schreiber, die glauben über diese Sachen selbst abgehandelt zu haben, die Ursache der Irrtümer nicht lange verborgen bleiben. Ich nehme deswegen freilich nichts den guten Beschreibungen der Pflanzen weg, auch nichts der klug gewählten Synonomien, bei denen ich bei beiden sehr überzeugt bin, dass sie zum Erwerb der legitimen Kenntnis der Pflanzen, wie ich glaube, immer möglichst viel beitragen, ja sogar oft absolut notwendig sind. Aber ich wollte dadurch klarstellen, dass allein jene, weil ja klar ist, dass sie nicht selten geirrt haben, überhaupt täuschen können. Freilich pflegen wir alle nicht auf dieselbe Weise durch Worte das auszudrücken, was wir mit den Augen aufnehmen; und nicht mehr werden andere aus unseren Erzählungen der erblickten Dinge mit unserer Art überall

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erfüllt, sie gestalten dieselben Spezies immer für sich. Dann auch jenen äußerlichen Aufbau der Gewächse, sei des den Umfang und die Gestalt (wir nennen es »habitus«), die die erfahrene Hand des Zeichners so lebensecht wie richtig ausdrückt, erreicht sehr selten ein Erforscher der Natur durch seine Erklärung; sodass, während dieser sich abmüht, etwas deutlicher zu sagen, man gezwungen wird, Zuflucht zu nehmen, einen Vergleich mit Dingen, die dem Volk schon bekannt sind, einzuführen. Wenn daher (was mir erlaubt sei anzunehmen) keine Zeichnung von irgendeiner Pflanze, die die Botaniker heranziehen könnten, je existiert hätte, was hätten wir da für eine unvollständige und von engen Grenzen eingeschränkte Kenntnis des Pflanzenreichs? Aber nehmen wir das Gegenteil an, dass ab dem heutigen Tag von uns die besten Darstellungen aller ausgewählten Pflanzen besessen werden, und diese noch dazu färbig, ob etwa binnen kurzem alle Streitigkeiten der Botanik weichen würden und so größte Sicherheit entstünde, etwas durch eine andere nicht leicht zu erhoffende und zufällig zu beherrschende Methode. Einem aufgrund einer konsultierten Beschreibung zögernden Botaniker soll das geeignete Bild einer Pflanze angeboten werden, ziemlich schnell wird der lästige Zweifel verschwinden und die Gefahr eines jeden Irrtums wird weit in die Flucht geschlagen werden. So werden im Gleichschritt und nach einem gegebenen Wort für ein gemeinsames Ziel sowohl Zeichner als auch Schreiber die Res Herbaria vorantreiben; diese muss daher (damit ich nun schließe, wozu ich die ganze Rede gerichtet habe) den erhaltenen größeren Teil seiner Anschaulichkeit und Perfektion, dem zu Recht verdienten »iconismo« zugestehen. Und infolgedessen konnte nichts jemals Geeigneteres ausgedacht werden, um unser Wissen zu vollenden, als jene außerordentliche und illustre Einrichtung, wodurch wir freudig gesehen haben, dass vor einigen Jahren unter der Schirmherrschaft der allermächtigsten Könige von Dänemark die glänzendsten Gestalten aller Pflanzen, die in den Reichen Dänemarks von sich aus wachsen, vom sehr gefeierten Oeder ins Licht der Öffentlichkeit hinausgeschickt worden sind. Durch diese königliche Wohltat, die bei den Nachkommen niemals verloren gehen wird, strahlt nun die beste Hoffnung aus, dass nach Ablauf weniger Jahre wie im Königreich Dänemark auch die hiesige Kenntnis der Pflanzen aus einer zweifelhaften, schwierigen und langen zu einer sicheren, leichten und sehr kurzfristigen wird. Aber weil er der Einrichtung einen neuen und ebenso großen Wert hinzufügt, wird nicht alleine Dänemark diesen ganzen Nutzen des eigenen Werkes aufsaugen: Ja vielmehr werden auch die Botaniker hier eine Basis haben, auf die die einzelnen ihre Flora aufbauen, alle können die kompletteste Flora ganz Europas darauf aufbauen. Jede einzelne Gegend soll ihren Beitrag leisten und die Pflanzen hinzufügen, die in früheren Werken fehlen; so wird schließlich irgendwann einmal bei den einzelnen europäischen Pflanzen Sicherheit und Veranschaulichung entstehen, welche wir sonst (obwohl) durch alle unsere Systeme gestützt, immer vergeblich ersehnen werden. Daher werde ich, der ich nicht einen gefunden habe, der die Herausgabe des sehr teuren Werkes auf sich nehmen wollte, der dänischen Flora den ersten Beitrag Österreichs auf eigene Kosten darbieten, darin berichten von den elegantesten und seltensten Pflanzen, bei denen es bei mehreren, die jede Kultivierung zurückweisen,225 den Botanikern nicht gegeben ist, sie außerhalb ihres natürlichen Wachstumsgebiets lebend (in der Natur) zu

225 Wörtlich: die auf jede Kultur spucken.

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betrachten und es wird oft selbst dort nicht gegeben ohne anhaltende Mühen oder sogar Gefahr für die Gesundheit. Ungefähr 300 Pflanzen werden diese Flora Österreichs anfüllen, wenn die Liebhaber der Pflanzen mein Unternehmen begünstigen. Wenn nicht, soll dieser erste Faszikel auch der letzte sein. Dennoch bin ich neulich ziemlich inständig aufgefordert worden fortzusetzen durch einen Brief des sehr bekannten und sehr gebildeten Herrn De Saussure, eines Professors aus Genf, aus dem ich mit höchstem Vergnügen für meine Seele entnommen habe, dass jener darüber nachdenke, einen weiteren schweizerischen Beitrag zu leisten; wie viel davon erwartet werden kann, lehrt das herausragende Werk von Haller. Auch habe ich dann diese Flora so eingerichtet, dass sie gemeinsam und gleich meinem »Botanischen Garten zu Wien« betrachtet werden kann und so als ob es so zwei Werke eines einzigen wären, wenn es gefällt. Außerdem habe ich auch die Ähnlichkeit der Struktur und Buchstaben bewahrt. Der »Hortus« besteht aus echten für österreichische Verhältnisse exotischen Pflanzen, als seien es Gäste. In der Flora werden nur die Pflanzen enthalten sein, die im Erzherzogtum Österreich wild vorkommen, wahre Bürger, die nicht zugleich in Dänemark aufzufinden sind. Dennoch nehme ich hier die Doldenblütler auf, den Grund für deren Wiederholung werde ich angeben. Die Kenntnis dieser riesigen und sehr schwierigen Familie ist bis zum heutigen Tag schwach geblieben, sodass diejenigen, welche sich eine bessere Kenntnis dieser Gewächse verschafft haben, nicht merkten, mit welcher Mühe sie diese erkauft haben. Österreich ist ertragreich an Doldenblütlern und es nährt der Garten nicht wenige exotische. Ich besitze getrocknete, damit ich imstande bin, sie zu unterscheiden und viele andere von Autoren beschriebene. Daher kam mir die Mühe, die nicht unnütz erschien in den Sinn, wie im »Hortus« so auch in der »Flora« solche Abbildungen von jenen sehr vielen herauszugeben, durch welche ihre rasche und sichere Erkenntnis für jedermann sich ergibt. Der Band versammelt mehr zur Darstellung dieser Pflanzen; diese bieten sich freilich in engem Abbild allzu sehr zusammengezogen, wie auch immer wahrhaft und elegant herausgegeben, dennoch nicht allen Augen mit ersehnter Veranschaulichung dar. Dass ich daher beim Malen dieser Pflanzen weder an Sorgfalt noch Kosten gespart habe, werden die wahren »Wertschätzer« der Dinge leicht erkennen. Inzwischen gebe ich über die übrigen Pflanzen kein fixes Versprechen, dass überhaupt keine dänische in unserer Flora stecken wird. Aber ich verspreche, eines abzugeben, sobald der Index der dänischen Flora, das mir vom berühmten Oeder versprochen wurde, in meine Hände gelangt, eine Wiederholung, soweit möglich vermeiden werde. Bei Namensgleichheiten von Pflanzen habe ich eifrig nachgeforscht. Mit Ausnahme von Caspar Bauhinus habe ich den echten Namensgeber oder Synonymista selten zitiert. Niemals aber hab ich andere Autoren der österreichischen oder benachbarten Flora übergangen, sodass es scheint, dass ich, wo auch immer ich diese schweigend übergehe, geurteilt habe, dass diese Pflanze bei denselben nicht existiert. Wenn irgendein Unterschied zwischen meiner und der von anderen gegebenen Benennung ist, habe ich durch übereinkommende Bemerkungen meine Meinung nicht geschützt, welche ich dem Leser zu beurteilen überlasse. Den Namen Linn8s habe ich allen anderen vorgezogen, weil ich gewohnt bin, diesem sehr gefeierten Mann in diesen Dingen zu folgen; dann habe ich jene Autoren gelobt, die denselben Genus-Namen verwendet haben. Triviale [gewöhnliche, vernaculare] Beinamen (wenn diese doch immer auf festem Fuß stehen würden!) habe ich anderen vorgezogen, weil sie sich der Erinnerung leichter einprägen werden und länger

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hängen bleiben. Die veränderliche und flüchtige Menge der Bestimmungen und Definitionen, anderswo sehr nützlich, habe ich hier außer Acht gelassen; dennoch musste ich gegen meinen Willen auch zu denen gelangen beim Zitieren der Autoren, die sich trivialer Namen enthalten haben. Aber niemand soll glauben, dass er durch diese Ordnung verletzt sei, die ich nicht selten gegen eigene Einschätzung eingeführt habe gemäß dem vorgeschriebenen Gesetz. Und weder mache ich irgendeinen Namen zu dem meinigen, noch dränge ich anderen meine eigenen neuen Pflanzen gegebene [Namen] auf. In dieser Sache werde ich freilich allzu nachsichtig, ja sogar ziemlich unwissenschaftlich gehandelt zu haben nicht wenigen erscheinen, die, weil ich die Namen, die vielleicht der Wesensart selbst, die von mir gegeben wurden, widersprechen, beibehalten habe, das sehr tadeln werden, indem sie die Doldenblütler als offenkundiges Argument anführen werden. Aber ich verstehe nämlich nicht (damit wir bei dem einen Beispiel der Doldenblütler bleiben, durch das Ausschließen der übrigen Klassen der Pflanzen), warum ich bei dieser Familie den Samen, wenn man so will, mehr Gewicht zuschreiben soll als den Hüllen, der Gestalt der Kronblätter226 oder anderen Teilen. Nicht mehr verstehe ich auch, warum diesen im Gegensatz mehr als den Samen? Irgendwelche Teile werden mir freilich einen Vorwurf einbringen, wenn allein aufgrund dieser Teile eine Ordnung der Genera angestrebt wird, unüberwindbare Hindernisse227 für die Veranschaulichung und die Sicherheit. Bei den Samen, damit ich viele andere Teile verschweige, lehrt uns das ausreichend allein die Hasselquistia tordylii heraclei,228 und fast möchte ich sagen, sie trägt drei verschiedene Früchte des Korianders auf einmal. Anders konnte das sicher nicht geschehen; denn was offensichtlich in der Natur nicht gegeben ist, suchen wir vergebens in diesen Genera und wir werden es weiter vergeblich suchen. Jene [Natur] fährt durch unverfälschte Species, die auf tausende Arten der Verwandtschaft unter einander wechselseitig verbunden sind, fort, nicht durch jene einfache Reihe, der wir in unseren Systemen zu folgen gezwungen werden, sondern in einer vielfältigen und sehr zusammengesetzten Ordnung, sodass eine Pflanze mit vielen anderen sehr verschiedenen, freilich in unterschiedlicher Hinsicht, aber dennoch mit einem genauso festen Band zusammenhängt. Diese Ordnung freilich oder eher die zahllosen Verbindungen der ganzen Ordnung, allein das ursprüngliche System der Natur in Tabellen zu führen ist dem Menschen nicht gegeben. Je mehr Pflanzen uns nun bekannt sind, die durch diese komplexe Verbindung offenkundiger und näher verkettet sind, desto mehr Spezies nehmen wir freilich wahr ; aber desto weiter weichen die Genera vor uns zurück, verschwinden schließlich. Und das erproben wir ungern bei den Doldenblütlern, von denen Europa nun den weitaus größten Teil besitzt. Wir würden es erproben, wenn ich mich nicht täusche, in allen Familien, wenn wir alle Gewächse des Universums gleicher Art gut erforscht hätten. Je weiter wir die Klassen ausdehnen werden, und je mehr Genera wir zusammenziehen werden, desto eher werden wir uns der Natur nähern. Wenn daher eine Art geschaffen würde, in die die Doldenblütler gleichsam als Species eintreten würden, würden wir der Natur weniger Widerstand leisten und wie auch immer würde die unsinnige Debatte über die heutigen Genera derselben ein Ende haben. Aber wiederum, welche Pflanze würde den Heereszug der Doldenblütler anführen, welche würde ihn be226 Blatt der inneren Blütenhülle in der Blüte von bedecktsamigen Pflanzen. 227 Eigentlich Riegel. 228 Aus der Familie der Doldenblütler von Linn8 zu Ehren von Fredrik Hasselquist benannt.

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schließen? Aber wahrlich, das gehört weniger hierher, ich wollte es nur deswegen kurz angesprochen haben, damit die Weise meiner Sorglosigkeit beim Korrigieren der Genera Namen in dem nicht systematischen Werk offengelegt ist. Die Beschreibung, die vorher, sei es von mir selbst oder von einem anderen Autor, überliefert worden ist, hielt ich für hier wiederholenswert und zwar in verbesserter Form, wo es notwendig war, damit auch nicht irgendein Bild die legitime Erklärung entbehrt. Wenn ich bei diesen vielleicht allzu ausführlich scheine, möge der Leser es meiner Weitschweifigkeit zuschreiben, seinen Schaden durch meinen Nachteil erkauft, wird er wohlwollend entschuldigen. Beim Beschreiben der Pflanzen erzähle ich von keiner Autorität gesteuert, was ich gesehen habe und zwar öfter gesehen habe. Hier habe ich, soweit ich konnte, das meine mit fremden Beobachtungen verglichen und ich habe ziemlich eifrig Widersprüchliches notiert. Der Vergleich wird dieses lehren, weil ich eben sehr selten einen Autor anführe, der anderer Meinung ist als ich. Wenn mir selbst ein Fehler unterlaufen sein sollte, habe ich, wenn mir diese Irrtümer vorgeworfen wurden, weder eine Ausrede gesucht, noch werde ich eine suchen, sondern sowohl diese als auch andere redlich verbessern. Niemals aber werde ich über mich so niedrig denken, dass ich auf unwürdige Sticheleien, die entweder der bissige Neid zu diktieren pflegt oder unfaire Angriffe eines ungezügelten Geistes auszustoßen pflegt, wie auch immer es leicht Rache sein kann, gereizt antworten werde. Den Charakter der Blüte und der Frucht habe ich nach der sechsten Ausgabe der Linnaeischen Genera geprüft, so freilich, dass ich nach allen Seiten sich unterscheidende Merkmale aufzeigte; welche ich aber trockenen Fußes überging, diese können für übereinstimmend mit den von mir gefundenen gehalten werden. Die genaueren Phasen der Fruchtentwicklung, die genauer zu kennen von Interesse war, sind am Rand der Tafel abgesondert angeführt, oft sogar mit einem Mikroskop vergrößert. Nach dem Rat des gefeierten Linn8 habe ich die Samen der Doldenblütler meistens sogar quer durchgeschnitten vorgelegt. Die nicht leicht erfassbare Haarigkeit wird nicht selten in der Zeichnung übergangen, weil diese durch die Gravierung auffallender als der Wahrheit entsprechend herauszukommen pflegt. Ich habe die zwölfte Stockholmer Ausgabe des Linn8’schen Systems zitiert. Bei den Exemplaren des Waldes sind alle Pflanzen abgebildet, wenn ich nicht ausdrücklich Gegenteiliges erwähne. Um den Gestalten die rechte Fassung zu geben, wurde die größte Mühe angewandt, dass sie möglichst exakt geraten, und nicht feiner als in der Natur. Die Größe ist immer die natürliche, und entweder wird die Pflanze ganz vorgelegt oder aber ein so großer Teil der sehr großen Pflanzen wird aufgestellt, wodurch ein sehr rasches Urteil von neuem gefällt werden kann. Die alpinen Pflanzen lagen mir vor allem am Herzen, welche mir ein hervorragender Maler, ein Begleiter auf meinen Alpenwanderungen, in den Alpen selbst fast alle malte. Und hier freilich muss ich speziell und öffentlich einem sehr bedeutenden und sehr großzügigen Mann, Ernst Graf von Hoyos, Grundherr in Horn, Froschdorf229 und anderen Orten danken, dem Besitzer der Berge der Schneebergregion, der entsprechend seines großartigen Wohlwollens und seiner Humanität alle jene Begünstigungen zuhauf mir und den Begleitern immer zur Verfügung stellte oder durch seine Leute zur Verfügung stellen ließ, welche das ungastliche Äußere des Ortes mit sich bringen konnte: Wie sehr diese Sache freilich imstande ist dem

229 Wohl das heutige: Frohsdorf.

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botanischen Zweck zu nutzen, wissen jene, die die Alpen bestiegen haben. Und es ziemt sich auch hier überhaupt mich jenes Mannes zu erinnern, des in Pflanzenkunde äußerst erfahrenen, des sehr angesehenen Franz de Mygind, des Hofrats, dessen aufrichtige Freundschaft und ausgewähltes Urteil nicht wenig Hilfe bei der Beendigung dieses Werkes brachten. Die erste Zenturie wird den ersten Band bilden können; die nächste, die vielleicht nach einem Jahr erscheinen wird, den zweiten; die übrigen Bilder den dritten. Ich schrieb in Wien am 16. Februar 1773.«

IV. 6. Nicolaus Joseph Jacquin, Icones Plantarum Rariorum, Vol. I., Vindobonae 1781. Nikolaus Joseph Jacquin, Bilder seltener Pflanzen. Wien 1781. »Seitdem ich die »Österreichische Flora« und den »Wiener Botanischen Garten« beendet hatte, habe ich nicht mehr aufgehört, seltenere Pflanzen einer Prüfung zu unterziehen, sowohl die neuen Exoten im erwähnten kaiserlichen Garten von Schönbrunn als auch die, die uns auf den Pflanzenexkursionen in letzter Zeit in die Hände gefallen sind. Ich habe sogar, indem ich mich meinem inneren Trieb und meiner Gewohnheit fügte, die Erinnerungsbilder der meisten von diesen malen lassen; nachdem sie dann gestochen, gedruckt und koloriert waren, habe ich geglaubt, in diesem Bildband erstmalig zwei Hundertschaften den Liebhabern der Botanik anbieten zu können, damit sie gleichsam einen Anhang an die »Flora« und den »Garten« haben. Sie haben dieses Werk mit so großem Beifall aufgenommen, dass jetzt kein einziges Exemplar von ihnen im Handel erhältlich ist. Eingefügt habe ich auch mehrere Bilder ausgewählter Pflanzen, die großzügig von Freunden beigesteuert wurden; weil sie diesem Werk keineswegs geringe Zierde verleihen, strahlt deren ganzer Ruhm auf jene, und deshalb liest man am unteren Rande der Tafelerklärung den Namen des Veranlassers. Ausführliche Beschreibungen habe ich in meinen Miszellaneen nur angedeutet und ich werde sie in den Sammelbänden weiterhin nur skizzieren, damit sich wegen des geringeren Preises mehr Leute diese, falls es wert sein sollte, anschaffen können; hier will ich nur Abbildungen veröffentlichen. Diesen habe ich aber eine eher sparsame Erklärung angefügt und kurz ausgewählte Synonyma. Verwendet habe ich hier ganz gegen meine Gewohnheit sogenannte spezifische Fachausdrücke, die ich ansonsten aufgrund öffentlicher oder privater Ermahnung weggelassen habe; ziemlich viele Botaniker beteuerten, dass sie das gar nicht guthießen. Deren Wunsch wurde also entsprochen. Obwohl ich mich hatte überzeugen lassen, dass diese [Fachausdrücke] in jedem methodischen Werk höchst notwendig sind, meinte ich dennoch, dass sie in einem oberflächlichen Werk, das keine Ordnung wahrt, wenn man nicht weitschweifig werden will, wenig nützlich sind, solange nur eine genaue Beschreibung all jene Einzelheiten umfasst, aus denen eine solche Bestimmung – wie auch immer – gesucht und zurechtgelegt werden kann. Abgeschreckt hat mich nicht weniger der unsichere Charakter dieser Fachausdrücke; denn weder gefallen sie, die als passende entstanden sind, allen, noch sind sie wegen der neuen zufällig zu entdeckenden neuen verwandten Pflanzen genug gesichert; sie hätten bald nach Gut-

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dünken und Belieben, bald aus einer Notwendigkeit heraus von anderen geändert werden können oder müssen. Ich selbst habe in diesem Werk gewichtige Beispiele ähnlicher Abänderungen gegeben, wobei ich weder eigene noch herkömmliche Fachausdrücke geschont habe. Während ich das System Linnaeus zitiere, sehe ich die 14. Auflage ein, in der viele Gewächse aufgezählt werden, in diesem meinem Werk, das in Faszikeln erscheint, sind es sowohl schon vorher veröffentlichte als auch neue. Es begegnen hier auch wenige Objekte, die bereits bei anderen Botanikern durch große sehr gute Bilder illustriert werden; aber das kann weder ihnen noch mir als Fehler angekreidet werden. Ungefähr zur gleichen Zeit werden Pflanzen publiziert, wobei die Autoren von den Absichten anderer nicht unterrichtet waren. Es könnte jemand Schaden erleiden, der dieselbe Pflanze zweimal zu kaufen beabsichtigt; es könnte sich eine daraus entstandene unvermeidliche Vielfalt von Namen ergeben. Zustandekommen wird trotz allem eine gewisse Nützlichkeit (ev. gewisser Vorteil), dass der sorgfältige Fleiß der Verfasser bei der Erstellung der Bilder verglichen und das Wissen in den Beschreibungen beurteilt werden können.«

IV. 7. Nicolaus Joseph Jacquin, Animadversiones Quaedam in Henrici Johannis Nepumuceni Crantz Fasciculos stirpium Austriacarum. In: Nicolaus Joseph Jacquin (Hg.), Collectanea ad botanicam, chemiam et historiam naturalem spectantia, cum figuris, Vol. 1., Vindobonae 1786, 365–386. Nikolaus Jacquin, Einige Bemerkungen gegen die »Fasciculi (Bündel) der österreichischen Pflanzen« von Heinrich Johannes Nepomuk Crantz. Kommentar : Es handelt sich hier nicht um ein Vorwort, sondern einen Ausschnitt einer Entgegnung Jacquins. Insgesamt enthält diese 27 Paragraphen, hier werden nur die ersten zwei übersetzt. »Vieles, dessen öffentliche Kenntnis nichts dazu beitragen kann, um die Botanik weiterzubringen, dann das, was in den Werken von Crantz und in meinen fortwährend Gegensätzliches vorkommt rund um dieselben gesehenen und am selben Ort gefundenen Pflanzen, woraus Unsicherheit entstehen muss, die von auswärtigen Botanikern nicht leicht beseitigt werden kann, hat mich Widerstrebenden und spät schließlich dazu bewegt, dass ich gegen Gewohnheit und Vorhaben diese Bemerkungen herausgebe. I. Auf meiner Amerikareise, die ich gegen Ende des Herbstes 1754 unternommen habe und von wo ich am Ende des Sommers 1759 zurückkehrte, konnte ich, von Büchern im Stich gelassen, über die gesehenen und beschriebenen Pflanzen nicht mit jener Sicherheit urteilen, die eine öffentlichen Ausgabe überhaupt erforderte. Dann befasste ich mich im folgenden Jahr ganz damit, jene ordnungsgemäß zu bestimmen und zu vergleichen und dann bot ich sie unseren Buchhändlern gratis an, um sie zu drucken, erlitt dennoch überall eine Zurückweisung. Alle scheuten den Aufwand der Tafeln und sie sagten, dass sie auf

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einen noch nicht bewährten Autor nicht setzen würden. So entglitt mir wieder ein Jahr, schließlich nahm der Buchhändler Johannes Paul Kraus das Werk auf sich unter dieser doppelten Bedingung, dass ich zuerst etwas gewisses anderes Einfaches mit botanischem Inhalt herausgeben würde, und, nachdem das von Kundigen gelobt worden wäre, dass ich dann die Hälfte des Aufwandes für die Tafeln, die in Kupfer graviert werden müssten, aufbringen würde, bis jenes mein Meisterstück diesen Aufwand durch etwas mehr Exemplare des Werkes kompensiere. Ich akzeptierte diese belastende Bedingung. Schon in den Jahren 1752 und 1753 hatte ich sehr viele Exkursionen wegen Kräuter im Gebiet von Wien unternommen, ich hatte Pflanzen gesammelt und Beschreibungen angedeutet; das hatte ich freilich alles nach meiner Rückkehr aus Amerika vermehrt. Von diesen ohne System schlecht geordneten verfasste ich im Winter des Jahres 1761 hastig ein ungeordnetes kleines Werk, wenn auch nur die meisten Bestimmungen von Linn8 ausgeborgt waren: und so entstand die »Enumeratio stirpium agri Vindobonensis« (die Aufzählung der Pflanzen des Wiener Raums). Die Berühmtheit der österreichischen Pflanzen aufgrund von Clusius (sicher nicht das Verdienst dieses Büchleins) gewann für dasselbe so viele Käufer, dass nach zwei Jahren kaum ein Exemplar übrig war. Ich verhinderte eine zweite Ausgabe mit jeder Anstrengung im Wissen um die allzu vielen Fehler des Büchleins. Dem Buchhändler war Genüge getan und er hatte daher mein einzigartig Vorgelegtes in Augenschein genommen. Jenes Manuskript »Enumeratio«, nach Brauch von der kaiserlichen Zensur der Bücher am 4. Tag des Jänners 1762 zugelassen, begann auf Empfehlung von Kraus der Buchdrucker Joseph von Kurtzböck binnen kurzer Zeit zu drucken, sodass gegen Ende des März (nur mehr) das eine oder andere Blatt zu drucken übrig war. Aber dann nahm man urplötzlich von jedem Druck Abstand; und während ich vergeblich darauf drängte und nach drei verstrichenen Wochen schließlich selbst die Druckerei aufsuchte, entschuldigte sich der Drucker bei mir, und sagte, der Grund für die Verzögerung sei der Druck eines dringenden Büchleins, das schon beendet werden müsse, und ich sah Seiten dieses (Werkes) in der Werkstatt, frisch gedruckt und zum Trocknen aufgehängt, eines botanischen Themas, von dem ich dann erfuhr, dass es der erste Faszikel der österreichischen Pflanzen von Crantz gewesen ist, den er auf eigene Kosten ohne Namen dem Buchhändler zum Drucken gegeben hatte, um es sofort Freunden zu schicken, und das nach einem Jahr schließlich dem Buchhändler übergeben worden ist. Aus den kommunizierten Akten der kaiserlichen Bücherzensur erfuhr ich, dass jener Fasciculus am 6. April 1762 zugelassen worden ist. Nachdem dieses vorausgeschickt worden ist, gehe ich jetzt über zu »Thlaspi230 montanum primum« des Clusius, aus welchem Crantz in Fasciculus I, Seite 2 zu Recht ein neues Genus begründete, welches er Bohadschia (Seegurke) nannte, während ich jenes in der Enumeratio mit einer auf eine neue Art Peltaria nach den von Clusius peltatragenden Filiculae231 nannte. Wenn jener Faszikel von Crantz herausgegeben worden wäre, bevor ich meine Enumeratio der Druckerpresse gegeben hätte, hätte ich überhaupt den Namen von Crantz beibehalten. Aber ebenso war mir absolut unbekannt das Vorhaben von Crantz, irgendetwas über das Thema Kräuter herauszugeben, wie jenes meinige (sc. Vorhaben) für Crantz unvermutet war, bis der Buchhändler Kraus ihm selbst in seinem Geschäft das Manuskript meiner Enumeratio gezeigt hatte. Dennoch wurde ich schon im nächsten Jahr 230 Täschelkräuter. 231 Engelfuß, filiculae peltatae; pelta = ein halbmondförmiger Schild.

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in einer wissenschaftlichen belgischen Rezension (vom niederländischen Courant232) auf Seite 323 bei einer Rezension meiner Enumeratio des missgünstigen Verschweigens bezichtigt. Nämlich, dass ich, während ich der oben erwähnten Pflanze eine neuen Namen gäbe, keine Erwähnung von Crantz einwerfen würde. Und das ist auch an anderer Stelle wiederholt worden. Nichts anderes gab Crantz selbst zu verstehen, während er im ersten Teil der ›österreichischen Pflanzen‹ auf Seite 6 ausruft: ›Ich habe sie Bohadschia genannt, und ich habe sie als Erster aller Botaniker benannt.‹ Aber man muss meinen, dass ein Botaniker sie dann so benannt hat, wenn er es öffentlich der Druckerpresse gesagt hat; und so habe ich sie entweder vor Crantz benannt oder sicherlich nicht nach jenem. Warum kämpft schließlich Crantz schon in der ersten Ausgabe seines Fasciculus mit so großer Glut gegen ›peltatas filiculas‹ an? Denn er sagt: ›Peltata (halbmondförmig) sind nicht die Samen, wie Clusius hinterlassen hat, sondern rund, sodass diese Aussage zu einem Irrtum führen könnte. Denn Pelta ist ein sehr kurzer Schild nach Art des Halbmondes, wie Vergil im 1. Buch der Aeneis bezeugt.‹ Weshalb er es in einer Angelegenheit eines so unbedeutenden Themas in der Botanik von fast keinem Interesse so sprachwissenschaftlich ausbreitet? Freilich wusste er aus dem Kraus’schen Geschäft, dass sie in der Enumeratio Peltaria genannt wurde. So wurde der beste Clusius meinetwegen der Unwissenheit angeklagt. Aber ob Crantz daher nicht wusste, dass diese Bezeichnung bei den Botanikern nicht so strikt angenommen wurde? Dass ›folia peltata‹ in Gebrauch war, dass ich »peltae« den Flechten zugeordnet habe, etc. während hier nichts halbmondartiges da ist? Und dass niemals hieraus ein Irrtum entstanden ist? Ich hätte sicher Vergil, dem größten Dichter, kaum das Epitheton (lunatum) halbmondförmig bei den Schilden verziehen, wenn alle Peltae notwendigerweise lunatae gewesen wären, aber zu dessen Ehrenrettung überrede ich mich, dass jener diese Peltae hier bestimmen und von den anderen Peltae unterscheiden wollte, wenigstens von jenen, von denen Xenophon behauptet, dass sie die Form eines Efeublattes haben, Plinius, dass sie die Form eines Blattes des indischen Feigenbaumes haben, etc. wo nichts halbmondförmig ist. […]«

IV. 8. Caroli Linnaei Epistolae ad Nicolaum Josephum Jacquin ex Autographis edidit Car. Nic. Jos. Eques a Schreibers C. F., Praefatus est notasque adjecit Stephanus Endlicher. Vindobonae 1841. Carl Nikolaus Josef Schreibers (Hg.), Carl Linn8s Briefe an Nikolaus Joseph Jacquin. Vorwort und Anmerkungen von Stephan Endlicher. Wien 1841 »Vorwort Dass die vorliegende Herausgabe der Briefe Carl Linn8s an Nikolaus Joseph Jacquin, die von der gelehrten Welt öfters gefordert und von Franz Joseph Jacquin lange erwogen wurde, jetzt schließlich vom Enkel der höchst angesehenen Männer und Sohn Karl Schreibers’ erstellt wird, darüber freuen sich mit mir all die Botaniker, die alles, was von Linn8s und Jacquins Arbeiten noch übrig ist, in ehrfürchtiger Dankbarkeit aufzunehmen pflegen. 232 Zeitungsname.

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Die handschriftlichen Briefe des Botanikerfürsten an seinen Vater, die vom Sohn unter den wertvollsten Produkten der gelehrten Familie wie ein Heiligtum bewahrt worden waren, gingen nach dem Tod des ehrwürdigen Greises – obwohl er reich an Verdiensten und Jahren war, bedauern wir seinen Verlust dennoch als frühzeitig – an seinen Enkel über, den er als einziges Kind seiner Tochter zurückließ. Der zu höchster Hoffnung berechtigende junge Mann, dem abgesehen von der großväterlichen über die Mutter vererbten Zierde auch der Name des Vaters Ansporn war, glaubte, dass man es dem Andenken der berühmten Männer zukommen lassen müsse, dass Zeugnisse des wissenschaftlichen Schrifttums nicht länger vergraben blieben. Obwohl es eines Mahners nicht bedurfte, habe ich gerne Entschlusskraft und Mühe bei der wunderbaren Veröffentlichung aufgewendet, dass außerhalb der zeitlichen Abfolge angeordnete Briefe, möglichst genau an das Original angelehnt, im Druck wiedergegeben werden. Bei der Gruppierung der Briefe hat er es so gehalten, dass er jene, denen Linn8 – was er oft tat – kein Datum beisetzte, deren Entstehungszeit er aber aus den beigefügten Notizen Jacquins begründbar erschloss, unter die übrigen einreihte. Bei der Wiedergabe des Textes blieb er dem Original so treu, dass er ihn ganz und gar vorlegte, wie Linn8 ihn geschrieben hat, wobei nicht einmal das verändert wurde, was an Grammatikfehlern nur so wimmelte. Dieses kann und muss ein Herausgeber in unserer Zeit tun, die freilich weit entfernt ist von der törichten Zanksucht jener Menschen, die glaubten, man müsse Haller arg schelten, weil er in den Briefen Linn8s die stilistischen Fehler nicht korrigiert hat. Das ist es, was man in einer derartigen Veröffentlichung bieten muss und an dieser Stelle gebeten wurde. Ich gebe zu, dass das Büchlein die kleinen Notizen, die ich den Briefen unten angefügt habe, leicht entbehren könnte; ich habe sie trotzdem angeschlossen, wie sie sich während des Lesens zufällig ergeben haben, weil sie für niemanden eine Belästigung sind auch den Umfang des maßvollen Buches nicht vergrößern. Zum Lob Linn8s und Jacquins, der weitaus berühmtesten beiden Männer unter den Koryphäen der Botanik, habe ich nichts hinzuzufügen, denn ihr Ruhm fliegt über den Erdkreis und wird bei der Nachwelt fortdauern. Für das Angedenken Jacquins wurde in hervorragender Weise durch jene feinsinnige Gedenkrede gesorgt, die der großartige kaiserliche Leibarzt Johann Nepomuk Ritter von Raimann in der Aula unserer Universität vor 23 Jahren gehalten und dann im Druck herausgegeben hat (Rede zur Gedächtnissfeyer des Nic. Jos. Freiherrn von Jacquin. Gehalten im Saale der hohen Schule am 9. Juli 1818 von Joh. Nep. Raimann. Wien, 1818.4) Die Biographie hat Leopold Fitzinger einem Handbüchlein anvertraut (Oesterreichische National-Encyklopädie. Wien, 1835. Band III, S. 5– 10), dem ist weniges, was ich in den Gegendarstellungen des Joseph Franz über die Abstammung Jacquins vermerkt finde, hinzuzufügen. Dass die Brüder Claudius und Nikolaus Jacquin ungefähr 1679 von Paris nach Leyden übersiedelt sind und durch die Ausübung des Bäckerhandwerkes auf gemeinsame Kosten einen Hausstand gegründet haben, stand für die Nachwelt fest. Während Claudius im Jahr 1694 nach Paris ins Elternhaus zurückkehrt, bleibt Nikolaus, der durch ehrsamen Fleiß sein Vermögen vermehrt hat, in Leyden, durch seine Verbindung mit Maria Broekhuysen ist er Vater einer Tochter, die später Gerard Hoop, einen recht bekannten Arzt in Haarlem heiratete, und des Claudius Nikolaus (geb. am 10. Mai 1694). Claudius Nikolaus, in den besten Wissenschaften gebildet, leitet prachtvoll das Vaterhaus, reich geworden durch seine Heirat mit Elisabeth Maria (gestorben am 12. März 1755), der Alleinerbin einer sehr bekannten Familie Heyningen. Diesen wird – abgesehen von

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mehreren Töchtern, deren eine, Agathe Maria (geb. am 1. Juli 1735), danach Gattin des bekannten Herrn Johannes Ingenhousz war, und Johannes Jacob (gestorben am 25. August 1768), der in ’s-Gravenhage (= Den Haag) Pharmazie praktizierte – am 16. Februar 1727 Nikolaus Joseph, der größte Botaniker, geboren. Claudius Jacquin, von dem ich erwähnt habe, dass er im Jahr 1694 nach Paris zurückgekehrt war, hatte eine Gattin aus der Familie Poquelin und von ihr zwei Söhne. Den einen von diesen, auf der französischen Insel Martinique Notariatsbeamter, hat unser Nikolaus Joseph im Jahr 1755 in Amerika getroffen, der andere, der in gleicher Weise den Namen Claudius trug, ist der Großvater der Jacquins von Betencourt, die angeblich jetzt noch in BesanÅon in Wohlstand leben. Soviel steht fest, dass das Leben des Linn8, sooft auch immer das von vielen versucht worden ist, bis heute von keinem kompetenten Autor dargestellt wurde. Die lange versprochene Biographie, die auch durch diese an Jacquin gerichteten Briefe passend zu erläutern ist, wird unser Martius liefern. Ich schrieb dies in Wien, im Haus des Universitätsgartens am 26. August 1841 Stephan Endlicher.« Schlussbemerkung: Wir verzichten auf eine vollständige Übersetzung des Hortus Schönbrunnensis, da Teile in unserer Analyse enthalten sind und dieser Text bereits zu Jacquins Zeit übersetzt veröffentlicht wurde. Siehe dazu Kap. V. 1.

Abb. 60: Brief Jacquins an Linn8 mit Pflanzensendung, 26. Juli 1767 [L 3928]

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Zeittafel 1727, 16.02. 1741, 10.03. 1743, 03.05. 1744, 07.09. 1744–1748 1745, 11.01. 1748–1752 1752, 20.06. 1753, 19.01. 1754, 01.03. 1754, 09.12. 1755, 28.06. 1759, 17.07. 1763, 09.06. 1763, 30.08. 1764, 01.09. 1766, 07.02. 1767, 11.05. 1768, 10.08. 1769, 14.03. 1769, 08.07. 1769, 09.10. 1774, 30.07. 1775, 24.11. 1788–1791 1791, 17.01.

Geburt von Nikolaus Joseph Jacquin in Leiden Einschreibung des 14-jährigen Jacquin in das Gymnasium Leiden Tod von Jacquins Vater, 49 Jahre alt Ende von Jacquins Gymnasialzeit in Antwerpen in Löwen (Propädeutikum an der Universität) Immatrikulationseid Jacquins an der Universität in Löwen Studium an den Universitäten Leiden und Paris Ankunft Jacquins in Wien Immatrikuliert in Wien an der Medizinischen Fakultät unter »Rector Henschel« Eintragung Jacquins als Hörer in der Akademie der Bildenden Künste Expeditionsbeginn (Überlandreise mit Aufenthalten in Livorno und Marseille) Ankunft in Martinique Rückkehr nach Wien Ernennung Jacquins zum k.k. Bergrat und Professor der Chemie und Metallurgie in Schemnitz Heirat mit Katharina Josepha Schreibers Beginn von Jacquins Vorlesungen in Schemnitz Geburt des Sohnes Joseph Franz in Schemnitz Geburt des Sohnes Emil Gottfried in Schemnitz Angebot der Lehrkanzel für Botanik und Chemie an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien Promotion Jacquins (42 Jahre), erst nach seiner Berufung zum Universitätsprofessor Aufnahme in die Medizinische Fakultät der Universität Wien Geburt der Tochter Franziska in Wien Adelsdiplom, Edler von Heirat Jacquins Schwester Agatha (40 Jahre) mit Jan Ingenhousz (45 Jahre) Grand Tour des Sohnes Joseph Tod von Jacquins Frau Katharina mit 57 Jahren

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Anhang

1817, 26.10.

Tod seines 25-jährigen Sohnes Gottfried Jacquin Vermählung von Franz Joseph Jacquin mit Barbara von Natorp und am 14.4. Franziska von Jacquin mit Leopold von Lagusius September Oberaufsicht über die kaiserlichen Gärten mit Ende des Studienjahres zieht sich Jacquin gänzlich vom Lehramte zurück Ritter des Stephansordens, bedeutet die Aufnahme in den erblichen österreichischen Adelsstand mit dem Prädikat »Freiherr von« Rektor (mit 82 Jahren) als emeritierter Prof. d. Chemie und Botanik an der Universität Wien Tod Nikolaus Jacquins in der Oberen Bäckerstrasse 760

1780 1783 1786 1788 1802 1804 1807 1810

Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu St. Petersburg Mitglied Akademie der Wissenschaften zu Stockholm Mitglied der Akademie der Wissenschaften Berlin Mitglied der Royal Society London Mitglied der Gesellschaft der Wissenschaften in Haarlem Mitglied der Acad8mie de Science Paris Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften München Ehrenmitglied der kais. med.-chirurg. Akademie in Petersburg

1792, 24.01. 1792, 10.04. 1792 1796/97 1806, 14.06. 1809

1.1

1

1.1.2

! 1764 Catherine

**Linie Betencourt, die 1842 noch in Besancon belegt ist

*begründet die Martinique Linie

BERTIN

! 1767 Marie Anne

Claude Nicolaus (1734–1809)

Marie Anne Catherine (ca. 1731–1755/1763)

BERTIN

Alexandre Antoine (1740–?)

1.1.1.2

1.1.1.1

1.1.1.3

Robert Nicolas**

! 1730 Marie Anne Colombe PINEL (gest. 1770)

! 1694 Maria Broekhuysen

Nicolas (3.6.1657–1718)

2

2 Söhne und 4 Töchter

(gest. 1755)

! Elisabeth Marie van Heyningen

1.2.1 Claude Nicolas (1694–1743)

1.2

! Jacqueline Curot (gest. 1693)

Guy JACQUIN (gest. 1693)

! 1693 Catherine Poquilin (1653–1747)

Claudius (1646–1718)

1.1.1 Claude Francoise* (gest. 1770)

1

! Gerard Hoop

Tochter

Stammtafel

591

Stammtafel der Familie

1.2.1.1

Johannes Jacobus (gest. unverheiratet 1768)

2

1.2.1.2

3

Nikolaus Joseph (1727–1817)

1.2.1

Marie Therese (1728– ? ) ledig

1.2.1.3 Anna Maria (1731–1753) ledig

1.2.1.4 1.2.1.5

1.2.1.6

Agatha Maria Katharina (1735–1800) (2x verheiratet, 2 Söhne) ∞ 1775 Jan Ingenhousz (1730 – 1799) kinderlos

∞ Elisabeth Marie van Heyningen (gest.1755)

Claude Nicolas (1694–1743)

592 Anhang

Carl

Carl ?

Flora

Tochter

Moritz

Isabella (1806–1865) ledig

Ernst (1806–1865) Alle kinderlos

Maria

Nikolaus von Lagusius (1793–1868 ) ! 1824 Barbara von Mosel

Franziska (1769–1850), ! 1792 Leopold von Lagusius (1767–1828)

Moritz (1847–1887)

! 1878

Nikolaus Joseph Karl (1820–1887) ! 1846 Rosa Magdalena Schmer

Emma (1857–1928), ! 1874 Oskar Wodickh kinderlos

* Mit Isabella stirbt die männliche Linie der Jacquins in Wien aus

Oskar von Mitis (1874–1955)

Maria (1842–1915) ! 1860 Peter von Mitis

Karoline Barbara (1814–1843) ! 1839 Georg MITIS (1810–1889)

Isabella (1794–1857) * ! 1810 Karl Franz Anton v. SCHREIBERS (1775–1852)

Emil Gottfried (1767–1792) ledig

! 1763 Katharina Josepha v. Schreibers (1734-1791)

1.2.1.2 Nikolaus Joseph JACQUIN (1727–1817)

Joseph Franz (1766–1839) ! 1792 Maria Barbara Natorp (1769–1844)

Sophie (1811–1869) ledig

3

Stammtafel

593

Abbildungsverzeichnis

Titelblatt: Botaniker im Feld (Handgezeichnetes Titelblatt, Johann Jakob Well, Phytanthologia Eikonike, 3. Bd., 1768f., T ÖNB, HAD). Abb. 1: Nikolaus Joseph Freiherr von Jacquin mit Perücke (Jos. Kreitzinger pinx. Vienne, Jacob Adam sculp. 1784, T ÖNB, BAG). Abb. 2: Titelblatt der zweiten Publikation Jacquins mit Phönix (N. J. Jacquin, Enumeratio Stirpium Plerarumque, Quae Sponte Crescunt In Agro Vindobonensi, Montibusque Confinibus, Wien 1762, T ÖNB, HAD). Abb. 3: Triumphierende Putti, den Ruhm verkündend: Vignette, die in Jacquins Publikationen öfter als schmückendes Detail vorkommt (N. J. Jacquin, Collectanea, 1787, T UBW). Abb. 4: Tempel des Ruhmes mit Phoenix im linken Bildteil, Vignette (N. J. Jacquin, Collectanea 1790, T UBW). Abb. 5: Karte der Karibik (Samuel Dunn, A compleat Map of the West Indies. London 1774, Detail, T ÖNB, KAR). Abb. 6: Mit der »Ginoria Americana« (Ginoria americana Jacq., aus einer Gattung der Lycopodiaceae), bedankte sich Jacquin für die freundliche Aufnahme im Hause des Gouverneurs Carlo Ginori in Livorno (N. J. Jacquin, Selectarum, Wien 1763, Taf. 137, T UBW). Abb. 7: Beleg über die Gesamtkosten der Karibik-Expedition (HHStA, Hausarchiv, Poschakte, JS, Karton 2, 2–16, fol. 65). Abb. 8: Belsazar de la Motte Hacquet, für die Alpenreise gerüstet (Kupferstich von Klimess, gezeichnet von Leopoli 1793, Privatbesitz Klemun).

596

Abbildungsverzeichnis

Abb. 9: Thaddäus Haenke in legerer Reisekleidung, Expeditionsteilnehmer der nach Südamerika führenden Malaspina-Expedition (»Thadäus Hänke geb. 1761, gest. 1817«, T ÖNB, BAG). Abb. 10: Sturm in der Karibik, Titelkupfer (N. J. Jacquin, Selectarum Stirpium Americanarum Historia, Wien 1763, T ÖNB, HAD). Abb. 11: Baum des Todes, »Hippomane ManÅanilla«, (Hippomane mancinella L.) (Kolorierter Kupferstich aus: N. J. Jacquin, Selectarum Stirpium Americanarum Historia, Wien 1763, Taf. 238, T ÖNB, HAD). Abb. 12: Einziger nachweislich aus dem ehemaligen Besitz Nikolaus Jacquins erhalten gebliebener, ethnographischer Gegenstand, chin. oder japan. Herkunft (Weltmuseum Wien). Abb. 13: »Jacquinia armillaris« (Jacquinia armillaris Jacq.), die Benennung einer Gattung nach Jacquin wurde von Linn8 schon 1760 vorgeschlagen (N. J. Jacquin, Selectarum Stirpium Americanarum Historia, Wien 1763, Taf. 39, T ÖNB, HAD). Abb. 14: Ausschnitt des Frontispizes von Jacquins Enumeratio (1762) mit der Widmung an Linn8 (das Exemplar befindet sich in der Linnaean Society London. T By permission of the Linnaean Society of London). Abb. 15: Gerard van Swieten, Jacquins Mäzen (Aquarell nach einem Entwurf von Karl Lorenz Gindl, o. J., um 1807, T ÖNB, BAG). Abb. 16: Jacquins Lieblingspflanze: »Alpinia spicata« (Costus spicatus Jacq.), (N. J. Jacquin, Selectarum Stirpium Americanarum Historia, Wien 1763, Taf. 1, T ÖNB, HAD). Abb. 17: »Alpinia spiralis«, (Alpinia spiralis Jacq., Costus spiralis (Jacq.) Roscoe (Kolorierter Kupferstich auch im Horti Schoenbrunnensis, Taf. 1, Wien 1797, UBW). Abb. 18: Hofbibliothek, erster Wohnort Jacquins (Joseph Daniel Huber, Die Kaysl.-Koenigl. Haupt- und Residenz-Stadt Wien vom Jahre 1769, Wien [1778], Detail des Plans, T ÖNB, KAR). Abb. 19: Laurens Theodor Gronovius (1730–1777) im Kreise seiner Kinder und Naturobjekte (Wikimedia Common).

Abbildungsverzeichnis

597

Abb. 20: Indigene mit Karte der Karibik, umgeben von Früchten und Pflanzen (Costus, im rechten Eck) (Titelkupferstich des zweiten Teils von N. J. Jacquin, Selectarum Stirpium Americanarum Icones, Wien 1763, T ÖNB, HAD). Abb. 21: Karibikszene, Textvignette (Kupferstich aus: N. J. Jacquin, Selectarum Stirpium Americanarum Historia, Wien 1763, T ÖNB, HAD). Abb. 22: Blick auf die Stadt Schemnitz (Bansk# Sˇtiavnica, heute Slowakei, kolorierte Lithographie um 1825, T ÖNB, KAR). Abb. 23: Schemnitz (Bansk# Sˇtiavnica, heute Slowakei): Schmelzhütte (kolorierte Lithographie um 1825, T ÖNB, KAR). Abb. 24: Dracaena umbraculifera Jacq., die Pflanze wurde von der Isle de France (Mauritius) nach Schönbrunn gebracht (N. J. Jacquin, Horti Schoenbrunnensis, Vol. 1, 1797, Taf. 95, T UBW). Abb. 25: Franz Boos: Plan des Schönbrunner Gartens 1780, Detail (Kol. Handzeichnung, T ÖNB, KAR). Abb. 26: Der Baum der Reisenden, Ravenala madagascarienis Sonn., Endemit aus Madagaskar, wurde über die Isle de France (Mauritius) als Sensation nach Schönbrunn gebracht (Kolorierter Kupferstich aus Horti Schoenbrunnensis, Vol. 1, 1797, Taf. 93, T UBW). Abb. 27: Bergbau, Vignette (N. J. Jacquin, Anfangsgründe der medicinischpractischen Chymie, Wien 1783, T ÖNB, HAD). Abb. 28: Krecsm#ry-Haus, Jacquins Unterkunft und zugleich Sitz der ersten Bergschule in Schemnitz (Bansk# Sˇtiavnica, heute Slowakei), wo auch von ihm das erste chemische Labor eingerichtet wurde (Foto: T Peter Konecˇny´). Abb. 29: Wohnstätte und Arbeitsort: Wohnhaus Obere Bäckerstrasse 792 und die alte Universität (Joseph Daniel Huber, Die Kaysl.-Koenigl. Haupt- und Residenz-Stadt Wien vom Jahre 1769, Wien [1778], Detail, T ÖNB, KAR). Abb. 30: Botaniker im Feld mit Blechkandel (Vorläufer der Botanisiertrommel), Ausschnitt (Handgezeichnetes Titelblatt, Johann Jakob Well, Phytanthologia Eikonike, 3. Bd., 1768f, T ÖNB, HAD).

598

Abbildungsverzeichnis

Abb. 31: Glaskolben für das chemische Labor an der Bergschule in Schemnitz, Skizzen Jacquins (Slovensky´ n#rodny´ arch&v – Slovensky´ bansky´ arch&v, SNA – SBA, Bestand Hlavny´ komorskogrjfsky fflrad (HKG), Ordinaria, 1764, Nr. 499a, T Peter Konecˇny´). Abb. 32: Waage und Brennofen, »Probierkunst«, Vignette (N. J. Jacquin, Anfangsgründe der medicinisch-practischen Chymie, Wien 1783, T ÖNB, HAD). Abb. 33: Botanischer Garten der Universität Wien, Rennweg 7 (Joseph Daniel Huber, Scenographie der kays. königl. Haupt- und Residenz Stadt Wien, vom Jahre 1769, Wien [1778], T ÖNB, KAR). Abb. 34: Botanischer Garten der Universität Wien, Plan (Kolorierter Kupferstich aus: Hortus Botanicus Vindobonensis, Vol. 2, 1776, Detail, T UBW). Abb. 35: Alpenhütte am Vorplateau des Schneebergs, Gahns. Unterkunft Jacquins während seiner Geländearbeit, Titelblatt (N. J. Jacquin, Florae Austriacae, Vol. 1, Wien 1773, T UBW). Abb. 36: Botaniker, zeichnend im Gelände, Frontispiz (Heinrich J. Nepomuk Crantz, Stirpium Austriacarum, 1769, T ÖNB, HAD). Abb. 37: Vignette, eine Apotheke andeutend (N. J. Jacquin, Collectanea, Vol. 4, Wien 1791, T UBW). Abb. 38: Sauerklee. »Oxalis cernua«, Oxalis cernua Thunb. (Kolorierter Kupferstich aus: N. J. Jacquin, Oxalis. Monographia iconibus illustrata, Wien 1794, Taf. 6, T ÖNB, HAD). Abb. 39: Wohnstätte Jacquins, Bürgerspitalskomplex (Wien), nahe dem Kärntnertor (Joseph Daniel Huber, Die Kaysl.-Koenigl. Haupt- und Residenz-Stadt Wien vom Jahre 1769, Wien [1778], Detail des Plans, T ÖNB, KAR). Abb. 40: Wappen des Nikolaus Joseph Jacquin, Erhebung in den Adelsstand 30. Juli 1774 (ÖStA-231181 / 0001-AVA FHKA/ 2008). Abb. 41: Partitur gewidmet Jacquin, »Quartette par W. A. Mozart / Paris, 1778. Manuscrit du compositeur, reÅu du baron de Jacquin« (T ÖNB, MUS). Abb. 42: »Nicolaus Joseph Freyherrn von Jacquen[!], nach einer Original Zeichnung von Kinninger lithogr. und gedr. von Kunike« (T ÖNB, BAG).

Abbildungsverzeichnis

599

Abb. 43: Porträt des Sohnes von Nikolaus Jacquin, »Josephus L. P. Jaquin [!], Chem. Ac Botan. Prof.« (T ÖNB, BAG). Abb. 44: »Lachenalia«. Handzeichnung Jacquins, gesendet an seinen Sohn im Juli 1789 (T Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Bibliothek, Nachlass Heufler). Abb. 45: »Nicol. Jos. L. B. v. Jacquin. Zu finden in der lithographische Anstalt d. Brüder Minsinger in München« [1840] (T ÖNB, BAG). Abb. 46: Carl von Linn8, Porträt (T ÖNB, BAG). Abb. 47: Hostia coerulea Jacq., von Jacquin gewidmet seinem Wiener Freund und Schüler Nikolaus Host, Leibarzt des Kaisers (kolorierter Kupferstich, N. J. Jacquin, Horti Schoenbrunnensis, Vol. 1, 1797, Taf. 114, T UBW). Abb. 48: Eines der unterschiedlichen handgemalten Titelblätter des Amerikawerkes von Franz Bauer, dediziert an das Kaiserhaus (Franz Bauer, kolorierte Handzeichnung, N. J. Jacquin, Selectarum Stirpium Americanarum Historia, Wien 1780, T ÖNB, HAD). Abb. 49: Eines der unterschiedlichen handgemalten Titelblätter des Amerikawerkes von Franz Bauer, das an die Universitätsbibliothek Wien kam (Franz Bauer, kolorierte Handzeichnung, N. J. Jacquin, Selectarum Stirpium Americanarum Historia, Wien 1780, T UBW). Abb. 50: »Cette plante est elle connue en Angleterre?« Handzeichnung Jacquins, gesendet an seinen in London weilenden Sohn, Wien 1789 (T Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Bibliothek, Nachlass Heufler). Abb. 51: »Voici deux piper nouveaux, sont ils connus en Angleterre?« – kolorierte Handzeichnung Jacquins, gesendet an seinen Sohn, Wien 1789 (T Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Bibliothek, Nachlass Heufler). Abb. 52: Pflanzenskizze als Beleg für eine fragliche neue Art. Die Skizze dient als Grundlage der Diskussion über große Distanzen hinweg, Bleistiftzeichnung von N. Jacquin in einem Brief an seinen Sohn, Wien um 1789 (T Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Bibliothek. Nachlass Heufler). Abb. 53: Bienenfleiß, Vignette (Hortus Vindobonensis, Vol. II, 1776, T UBW).

600

Abbildungsverzeichnis

Abb. 54: Bienenfleiß, Vignette (Hortus Vindobonensis, Vol. II, 1776, T UBW). Abb. 55: »Quittung« für den Verleger Christian Friedrich Wappler, Autograph N. J. v. Jacquin (Wien 1788, T ÖNB, HAD). Abb. 56: Nikolaus Joseph Jacquin im Talar (Altersporträt ? T ÖNB, BAG). Abb. 57: Obelisk, Vignette (N. J. Jacquin, Hortus Vindobonensis 1770, Vol. 1., T UBW). Abb. 58: »Rosa Carolina«. Kolorierte Handzeichnung Jacquins, gesendet an seinen Sohn, Wien 1789 (T Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Bibliothek, Nachlass Heufler). Abb. 59: Brief Jacquins an Linn8, 7. August 1760 ([L 2779], T The Linnean Society London. By permission of the Linnean Society of London). Abb. 60: Brief Jacquins an Linn8 mit Pflanzensendung, 26. Juli 1767 ([L 3928], T The Linnean Society London. By permission of the Linnean Society of London).

Quellen- und Literaturverzeichnis

Quellenverzeichnis Wien Österreichische Nationalbibliothek, Sammlung für Handschriften und alte Drucke, ÖNB, HAD ÖNB, HAD, Autograph 13/77–1, Nikolaus J. Jacquin, Dankesbrief an van Swieten in Hexametern vom 15. Mai 1752. ÖNB, HAD, Autograph 21/60–1, Schreber an Jacquin, Erlangen, 28. Juni 1783. ÖNB, HAD, Autograph 183/50–1, Nikolaus Jacquin, Plan einer auf allerhöchsten Befehl seiner k.k. Majestät vorzunehmenden Reise, meines Sohnes Joseph von Jacquin. 24. Jänner 1788. Volldigitalisat. Wurde restituiert. ÖNB, HAD, Autograph 14/1–3, Joseph von Jacquin, Brief aus London an [Gottfried] van Swieten vom 2. Juni 1789. ÖNB, HAD, Autograph 199/6–1, Nikolaus J. Jacquin, Conduitenliste der Hofgärtner. Volldigitalisat. Wurde restituiert. ÖNB, HAD, Autograph 9/47– (2), Giesecke an Karl Fr. A. Schreibers, Dublin, 15. Mai 1821. ÖNB, HAD, Cod. 12713, fol. 132, Brief von Gerard van Swieten an Antonij Nunes Ribeiro Sanches. ÖNB, HAD, Cod. 12778, fol. 1–48, N. J. Jacquin, Litterae triginta septem ad Jacobum Gronovium datae a. 1744–1759 [37 Briefe an Jacobus Gronovius, 1744–1759]. ÖNB, HAD, Cod. Ser. n. 9755, Joseph Franz von Jacquin (Verfasser), Johann Nepomuk von Raimann (Schreiber), Biographie des Nikolaus Jacquin (Wien 16. 8. 1817), 103 fol. Darin enthalten, »Die Reise meines Vaters nach Westindien«, fol. 16–66. Volldigitalisiert. Die Handschrift wurde mittlerweile restituiert. ÖNB, HAD, Cod. Ser. n. 9756, Joseph Franz von Jacquin, Familiengeschichte (Konzept) 1806. Volldigitalisiert. Wurde restituiert. ÖNB, HAD, Cod. Ser. n. 20235, Biographie des Vaters Nicolaus von Jacquin. 3 Bl., Ergänzung zu Cod. Ser. n. 9756. ÖNB, HAD, Cod. 12486, »Instruction Pour le S. Nicolas Jacquin, que Sa Majest8 Imperialeenvoye en Amerique«. Und anschließend: »Supplement # l’instruction du S. Nicolas Jacquin«, fol. 26–30.

602

Quellen- und Literaturverzeichnis

ÖNB, HAD, Cod.Ser. n. 2023, fol. 9f., Erzherzog Rainer, »Beschreibung einer Reise auf den Schneeberg, die Schneealpe und nach Neuberg vom 1sten August 1802 bis…«. Volldigitalisat. ÖNB, HAD, Cod. Ser. n. 3517, fol. 412, Bredemeyer an Cobenzl, Genua, 22. April 1792. ÖNB, HAD, Cod. Ser. n. 3794, Pars. I., fol. 52, Cobenzl an Märter, 21. November 1785.

Österreichisches Staatsarchiv, ÖStA HHStA [Haus-, Hof- und Staatsarchiv], Hausarchiv, Poschakten, JS (=Jüngere Serie), Karton 2, 2–16. Kostenauflistung der Karibikreise. HHStA, St.K, Karton 6, Wissenschaft, Kunst und Literatur, VI. Naturwissenschaften und Mathematik: A-Q, fol. 11, Jacquin an Starhemberg, Marseille, 3. Februar 1755. HHStA, OMeA [Obersthofmeisteramt], Sr 176, Die Absendung der Gärtner nach Ost- und Westindien. HHStA, Hausarchiv, Hofakten des Ministeriums des Inneren 11–22–6, Ansuchen um Zueignung. FHKA [Finanz- Hofkammerarchiv] Kommerz IÖ Akten 494, Agrikultursozietät in Steiermark 176–1767, Fasz. 23, Sess. 38; Commerz rote Nr. 337, fol. 126f. FHKA, SUS Realien C 86, MBW 1803, C. Akt rote Nr., Neue Methoden zur Erzeugung von Quecksilberpräzipitat. HKA, MBW [Hofkammerarchiv, Münz- und Bergwesen], rote Nr. 235, fol. 419–421, 430– 432. HKA, MBW, rote Nr. 2364, & 672ff. (HKA 437), 21. Jänner 1769. HKA, MBW, Akten Abt. II, Wien, Karton 1734, Nr. 40, Ansuchen vom 1. September 1768. HKA, MBW, Schachtel 1245, Nr. 979, Gutachten. HKA, MBW, rote N. 235, 13.VI. 440–41, Teilnahme an Sitzungen des Oberstkammergrafenamtes.

ÖStA, Allgemeines Verwaltungsarchiv, AVA AVA, Studienhofkommission, Univ. Wien, Sign.4, Univ. Wien, Medizin, Kart. 18, 39 ex 1754. AVA, FA Harrach, Karton 2030 (1746–1759) und Karton 2031 (1761–1782). AVA, Adelsakten, Jacquin, Edler von, fol. 1–4. AVA, Inneres NÖLR, Allgemein F5 47/1844, fol. 1–32, Verlassenschaftsakt der Barbara, Freiin von Jacquin.

Wiener Stadt- und Landesarchiv D42/1850 Verlassenschaftsakt zu Franziska von Lagusius, geb. von Jacquin.

Quellenverzeichnis

603

Wiener Stadt- und Landesbibliothek, Handschriftensammlung M09H, H.I.N. 7151*, Ehekontrakt zwischen Joseph Jacquin und Barbara Natorp. Rolle 140, Zahl 59 6351, fol. 13, Nikolaus Joseph Jacquin, Totenbeschauprotokoll. M09H, H.I.N. 76044*, N. J. Jacquin, 6 Quittungen und eine Aufstellung für Artaria, 1780. 76044/1–76044/7.

Naturhistorisches Museum, Archiv für Wissenschaftsgeschichte, NHM, AfW Briefe an Jacquin, 10 Kartons mit ca. 1000 Briefen, die alphabetisch geordnet sind.

Archiv der Akademie der bildenden Künste (Wien) Chronologisches Verzeichnis der Eintrittsdaten 1738–1765, Bd. 1b, 135 und Bd. 1c, 131.

Universitätsarchiv Wien, UAW UAW, Kons. Akten, Fasz. I, in gen. Reg. Nr. 491, CA 1.0.504, Totenfeier Jacquins. UAW, Kons. Akten Ca3,1512 Fasc.III. Lit.J. N.48, Bescheid über Jacquins Nobilitierung an die Universität. UAW/CA 1.0.386, Schachtel Nr. 9, Kriegskontributionszahlung der Universität, 8. Oktober 1809–9. Juli 1810. UAW/CAVA Fasz., 69 Nr. 7, Verlassenschaft der Kammerjungfrau von Katharina Jacquin. UAW/CA 1.0.430, Feierlichkeit zu Ehren der Professoren von Jacquin 1812. UAW, Acta Inclytae Facultatis Medica ab Anno 1749, Med., fol. 2, 134 und 135.

Innsbruck Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Bibliothek, Nachlasssammlung Nachlass Heufler, TLMF, Bibl., NL-Smlg, Heufler, Nikolaus Joseph Jacquin 49 Briefe an seinen Sohn (1788–1791).

Bonn Universitäts- und Landesbibliothek Bonn, ULB, Autographensammlung Brief Gerard v. Swieten an Jacquin vom 17. Jänner 1764.

604

Quellen- und Literaturverzeichnis

Budapest Széchényi Konyvtár (Ungarische Nationalbibliothek) Nikolaus Jacquin, Collegia Chymica. Quart. Germ. Budapest, Orsz#gas Handschrift 237.

Erlangen Universitätsbibliothek, UB, Handschriftensammlung UB Erlangen, HS-Abteilung, Briefsammlung Trew, Popowitsch Nr. 110, urn:nbn:de:bvb: 29-bv041758603-6. UB Erlangen, Ms 1924, Nr. 38, Wulfen an Schreber vom 7. April 1781. UB Erlangen, Ms 3000/243, Schreber an Jacquin, Erlangen, 2. November 1784. UB Erlangen, Ms 1924, Nr. 23, Wulfen an Schreber vom 16. Dezember 1786. UB Erlangen, Ms 1920, Jacquin an Schreber, Wien, 10. März 1799.

Den Haag Königliche Bibliothek KB KB: 78 F 8, Gigot d’Orcey an Jacquin, 12. Jänner 1786. KB: 78 F 8, Extract d’un lettre de Mrs S. Vaughan, 27. Februar 1786. KB: 78 F 8, nr. A.a.8, Nicolaus Carl Molitor an N. Jacquin, Mainz, 21. März 1788.

Leiden Universitätsbibliothek B P L 246, Brief van Swietens an Abraham Gronovius, Wien, 18. Jänner 1758. B P L 246, Brief van Swietens an Abraham Gronovius, Wien, 28. Jänner 1758. B P L 246, Brief van Swietens an Abraham Gronovius, Wien, 11. August 1760. B P L 1886, Brief von H. D. Gaubius an N. J. Jacquin, 20. November 1778.

Nürnberg Germanisches Nationalmuseum Historisches Archiv, 1 A K37–1762, L. T. Gronovius an N. Jacquin, 14. September 1762. Historisches Archiv, Kramer G-A-K14–1763–8–08b Kramer an Jacquin, 8. August 1763. ABK, Fasz. 15, Wulfen an N. Jacquin, 11. Oktober 1772.

Quellenverzeichnis

605

Schemnitz (Banská Sˇ tiavnica) Sˇt#tny fflstredny´ bansky´ archiv v Banskej Sˇtiavnici fondy, Bestände HKG, AS, Protokoll de Anno 1763/2. Sˇt#tny fflstredny´ bansky´ archiv v Banskej Sˇtiavnici fondy, Bestände HKG, AS, 616, 13. Feb. 1770.

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Personenregister

Adam, Jakob (1748–1811), Kupferstecher 485 Adanson, Michel (1727–1806), Naturforscher 216, 398 Agosti, Joseph (1715–1785), Botaniker 382 Albert von Sachsen-Teschen (1738–1822), Kunstmäzen 228 Albinus, Bernhard Siegfried (1697–1770), Anatom und Botaniker 147f., 151, 484, 487 Albrecht, Ignaz (18. Jh.), Kupferstecher 458 Aldhelm von Malmesbury (um 639–709), Abt in Malmesbury 510 Alembert, Jean Le Rond d’ (1717–1783), Mitherausgeber der »Encyclop8die« 173, 216 Alix, Joseph Vesuntius, Begleiter Jacquins in der Karibik 73, 100–102, 112, 496 Allioni, Carlo Ludovico (1728–1804), Naturforscher 279 Angl8s, Jules (1778–1828), Politiker, 1809 Stadtintendant in Wien 364 Apicius, Marcus Gavius (um 25 v. Chr.– vor 42), römischer Gourmet 184 Aquart, Benoit (18. Jh.), Kontaktperson Jacquins in der Karibik 72, 79–82, 87f., 91, 95–97, 101f., 104, 107, 127, 316, 378, 423, 471 Arnauld, Antoine / Ange d’Arnaut (1612– 1694), Philosoph und Priester 134, 481

Aristoteles (384 v. Chr.–322 v. Chr.), Philosoph 154, 541 Asklepios / Äskulap, Gott der Heilkunst in der griechischen Mythologie 457 Audibert, Joseph und Georg, Handelshaus in Marseille 485, 491, 526 Bacon, Francis, Baron Verulam (1561– 1626), Naturphilosoph 266 Bacon, Roger (um 1220–nach 1292), Philosoph 266 Bäck, Abraham (1713–1795), Arzt 561 Baillou, Jean Baptiste de, Johann Ritter von (1684–1758), Naturaliensammler 58, 75, 102f., 206f., 211, 225, 492, 502, 524, 546, 553, 555, 558 Baldinger, Ernst Gottfried (1738–1804), Mediziner 418 Banks, Joseph (1742–1820), Naturforscher 109f., 336, 348, 355f., 358f., 432, 508 Barculla, Francesco (18. Jh.), Vogelfänger, Begleiter Jacquins in der Karibik 52, 57, 65, 68, 71–75, 101, 491, 493–495, 499, 502, 546, 556 Barlaeus, Caspar (1584–1648), Humanist 136 Barth, Joseph (1746–1818), Mediziner 238 Bartsch, Johann (1709–1738), Arzt und Botaniker 177f. Bassand, Jean-Baptiste (1680–1742), Mediziner 50, 564

638 Batsch, August Johann (1761–1802), Botaniker und Mediziner 297 Bauer, Ferdinand Lucas (1760–1826), Zeichner und Maler 336, 366, 457 Bauer, Franz (1758–1840), Zeichner und Maler 336, 358, 429f., 457 Bauhin, Caspar (1560–1624), Botaniker 577 Baumgarten, Johann Christian Gottlob (1765–1843), Botaniker und Arzt 414, 418 Bela IV. (1206–1270), König von Ungarn 194 Belh#zy, (Vorname unbekannt) (18. Jh.), Stadtrichter in Schemnitz 197 Bentick-Rhoon, Willem (1704–1774), niederländischer Politiker 518 Beretta, Marco (21. Jh.), Wissenschaftshistoriker 271f. Berghaus, Heinrich (1797–1884), Kartograph 191f. Bernard, Marie-Catharina, geb. Natorp (1775–?), Schwester Barbara Jacquins 364 Bertuch, Friedrich Justin (1747–1822), Verleger 365–367 Besson, Madame de (Vorname unbek.) (18.Jh.), der Kolonialelite Martiniques zugehörig 88 Biagioli, Mario (1955– ), Wissenschaftshistoriker 39 Black, Joseph (1728–1799), Chemiker 270–274, 503 Bl.mont, Graf von (Pseudonym des Franz Stephan von Lothringen) 50 Blumauer, Alois (1755–1798), Schriftsteller 449 Blümegen, Heinrich Kajetan von (1715– 1788), Hofbeamter 410 Böhm, Joseph Daniel (1794–1865), Medailleur 23 Boehm, Laetitia, Historikerin 254 Böhme, Hartmut, Kulturwissenschaftler 69 Böhmer, Georg Rudolf (1723–1801), Mediziner und Botaniker 423

Personenregister

Boerhaave, Herman (1668–1738), Mediziner, Botaniker und Chemiker 50, 105, 147, 150f., 174, 177–179, 236, 251, 263, 271f., 276f., 312, 404, 410, 426, 487f., 532, 564, 571 Boileau-Despr8aux, Nicolas (1636–1711), Dichter und Satiriker 523f., 537 Bompar, Maximin de (1698–1773), ab 1750–1757 Gouverneur auf Martinique 78, 493 Bonnet, Charles (1720–1793), Naturforscher 443 Boos, Franz (1753–1832), Hofgärtner in Schönbrunn 212f., 215, 217–219, 221, 356, 461 Boos, Joseph (1794–1879), Hofgärtner, Sohn des obigen 218 Born, Ignaz (1742–1791), Mineraloge 212, 232, 252, 281, 291, 306, 309f., 317, 336, 343, 346, 378, 395, 455 Bouguer, Pierre (1698–1758), Astronom und Physiker 209 Boyle, Robert (1626–1692), Naturphilosoph 271 Boym, Michael (1612–1659), Jesuit und Missionar in China 299 Brechka, Frank T., Historiker 137 Bredemeyer, Franz (1758–1839), Hofgärtner in Schönbrunn 212, 461 Broekhuysen, Wilhelm (17. / 18. Jh.), Verwandter N. Jacquins 133, 480f. Broekhysen, Maria (17. / 18. Jh.), Urgroßmutter N. Jacquins 481, 584 Brown, Edward (1644–1708), Mediziner 305 Browne, Patrick (1720–1790), Mediziner und Botaniker 125f., 390f., 568f. Bright, Richard (1789–1858), Arzt 365 Brugmans, Sebald Justinus (1763–1819), Mediziner und Botaniker 279 Brünnich, Morten Thrane (1737–1827), Zoologe und Mineraloge 378 Buffon, Georges-Louis Leclerc, Comte de (1707–1788), Naturforscher 191 Buonamici, Giovanni (18. Jh.),Vogelsteller, Begleiter Jacquins in der Karibik 52,

Personenregister

57, 65, 68, 71, 73, 100f., 491, 493–495, 499, 502, 546, 556 Burman, Johannes (1707–1779), Arzt und Botaniker 120, 174, 558, 571 Büsching, Anton Friedrich (1724–1793), Theologe und Geograph 195 Buset, Joseph Gabriel de (18. Jh.), Landesrat zu Laibach 378 Carigal / Carjigal della Vega, Francesco (1691–1777), spanischer Kolonialverwalter 74, 500 Caserius, Johannes (um 1468–1550), Humanist und Arzt 423 Cassirer, Ernst (1874–1945), Philosoph 160 Catesby, Mark (1683–1749), Naturforscher 92, 513, 525 Cavanilles, Antonio Jos8 (1745–1804), Botaniker 370 Chomel, Jean Baptiste Louis (1700–1765), Mediziner 423 Chotek, Johann Nepomuk (1773–1824), Kunstmäzen 370 Circe / Kirke, Zauberin der griechischen Mythologe 490 Clark, William, Historiker 146 Clifford, George (1685–1760), Jurist und Naturliebhaber 177, 558 Clusius, Carolus (1526–1609), Naturforscher 25, 117, 123, 294f., 300, 302, 403, 408, 411, 485, 582f. Cobenzl, Johann Philipp (1741–1810), Staatsmann 370 Commerson, Philibert (1727–1773), Botaniker 216 Condamine siehe La Condamine Cook, James (1728–1779), Seefahrer und Entdecker 100, 109, 398, 508 Cotes, Thomas (1712–1767), Kapitän 497 Courts siehe La Courts Crantz / Cranz / Krantz, Heinrich Johann Nepomuk (1722–1797), Mediziner und Botaniker 34, 170, 247f., 273, 298, 377f., 408–413, 416, 455, 475, 562, 581– 583

639 Cronstedt, Axel Frederic (1722–1765), Mineraloge und Chemiker 307 Czempinski, Paul (18. Jh.), Mediziner und Student von N. Jacquin 291 Daston, Lorraine (1951– ), Wissenschaftshistorikerin 159, 248, 419 Demosthenes (384 v. Chr.–322 v. Chr.), griechischer Redner 518 Deutz, Wilhelm Gideon (1697–1757), Bankier und kaiserlicher Agent in Amsterdam 65, 208, 495f. Diderot, Denis (1713–1784), Philosoph und Schriftsteller 173 Dietrichstein, (Vorname unbekannt) Graf von (18. Jh.) 336 Dietrichstein, Therese, verh. Kinsky (1768–1821) 354 Dillenius, Johann Jacob (1684–1747), Botaniker in Oxford 456, 571 Dioskurides, Pedanios (1. Jh.), Arzt und bedeutender Pharmakologe 436–438, 520, 571 Dolliner, Georg (1794–1872), Mediziner und Botaniker 403 Driessen, Petrus van (1753–1828), Chemiker und Pharmazeut 249 Droysen, Johann Gustav (1808–1884), Historiker 37 Duhamel / du Hamel, Henry Louis (1700– 1782), Jurist und Botaniker 423 Dunn, Samuel (1723–1794), Geograph und Kartograph 43 Duriau, Francois (18. / 19. Jh.), Militärarzt in der napoleonischen Armee 364 Eilenburg, Christoph Heinrich (1709– 1771), Leiter der Dresdner Naturalienkammer 441 Elmsly, Pierre (18. Jh.), englischer Verleger 340, 372 Endlicher, Stephan (1804–1849), Botaniker und Sinologe 25, 346, 583, 585 Erndl, Leopold (1716–1761), Mediziner in Wien 185, 226, 330f., 484, 489

640 Erxleben, Johann Christian Polycarp (1744–1777), Physiker, Mineraloge 273 Estner, Franz Joseph Anton (1730–1801), Verfasser mineralogischer Werke 308, 310 Eugen, Prinz von Savoyen (1663–1736), Feldherr und Mäzen 520 Euklid (3 Jh. v. Chr.), griechischer Mathematiker 265 Fenzl, Eduard (1808–1879), Botaniker 246 Ferro, Pascal-Joseph (1753–1809), in Österreich tätiger Mediziner 311 Firmian, Leopold Ernst von (1708–1783), Fürstbischof von Passau 393f. Fischer, Joseph (1769–1822), k.k. Kupferstecher 255 Fitzinger, Leopold (1802–1884), Zoologe 108, 584 Flacourt, Etienne de (1607–1660), Naturforscher und Historiker 216 Forsskal, Pehr / Peter (1732–1763), Naturforscher 111, 559 Forster, Georg (1754–1794), Naturforscher und Reiseschriftsteller 72, 100, 210, 225, 344, 348f., 395, 443 Forster, Johann Reinhold (1729–1798), Naturforscher 398 Franklin, Benjamin (1706–1790), Naturforscher und Staatsmann 339, 387 Franz I., Stephan v. Lothringen (1708– 1765), ab 1745 römisch-deutscher Kaiser 28, 48, 50, 52f., 55–58, 60f., 63f., 75f., 101, 121, 125, 153, 162, 166, 181, 204, 206f., 211, 252, 334, 337, 373, 379, 422, 426f., 431, 437f., 462, 469–471, 485f., 489, 492, 502f., 518, 522–527, 538, 541, 544, 546, 555f., 558f, 567f., 573 Franz II. / I. (1768–1835), letzter Kaiser des Heil. Röm. Reiches Deutscher Nation 253, 362f., 462 Frölich, Josef Alois von (1766–1841), Arzt und Botaniker 385

Personenregister

Füger, Heinrich Friedrich (1751–1818), Maler 367 Fus8e Aublet, Jean Baptiste Christophe (1720–1791), Botaniker und Apotheker 378 Galilei, Galileo (1564–1641), Universalgelehrter 116 Garelli, Pius Nikolaus von (1675–1739), Leibarzt Karls VI. und 1723 Präfekt der kaiserlichen Hofbibliothek 60 Gaubius, Hieronymus David (1705–1780), Mediziner und Chemiker 147f., 151, 167, 225, 227f., 232, 303, 484, 487, 517, 532, 537, 562–565 Gellert, Christlieb Ehregott (1713–1795), Metallurge, Chemiker und Mineraloge 229, 231, 264, 573 Geuns, Steven Jan van (1767–1795), Arzt und Botaniker 249 Geymüller, Johann Heinrich (1754–1824), Bankier 364 Ginori, Carlo Andrea (1702–1757), Politiker und Unternehmer 65, 68–70, 76– 78, 101, 423–425, 490f., 492 Gleditsch, Johann Gottlieb (1714–1786), Botaniker 507 Gmelin, Johann Friedrich (1748–1804), Naturwissenschaftler 272, 406 Godin, Louis (1704–1760), Astronom 209 Gouan, Antoine (1733–1821), Botaniker 279 Gräffer’sche Buchhandlung in Wien 449 Greiner, Charlotte (1740–1816), Wiener SaloniHre 343 Gronovius, Abraham (1695–1775), niederländischer Philologe 139, 141, 145, 509, 513, 518f., 521 Gronovius, Jakob (1645–1716), Philologe, Historiker und Geograph 141 Gronovius, Jakob / Jacobus (1727–1762), Nikolaus Jacquins Jugendfreund 17, 54, 56, 61, 68, 72, 112, 139, 141f., 144, 148, 151–153, 160f., 168, 175, 179, 183– 185, 235, 326, 330f., 371, 488, 507, 509– 548

Personenregister

Gronovius, Jan Fredrik (1686–1762), Botaniker 141, 174, 177f., 406, 511, 558 Gronovius, Laurens Theodor (1730–1777), Botaniker und Ichthyologe 116, 119f., 135, 141, 151, 153, 160, 174f., 179f., 263, 279, 371, 376f., 397, 437, 483, 488, 507, 511–516, 518, 522, 525–527, 530, 544– 546, 548, 558, 560–562, 564 Gruber, Gabriel (1740–1805), Generalsuperior der Jesuiten in Russland 310 Guimpel, Friedrich (1774–1839), Kupferstecher und Maler 447 Hacquet, Belsazar de la Motte (1739/40– 1815), Naturwissenschaftler 49, 83f., 281, 310, 418 Haen, Anton de (1704–1776), Mediziner 51, 170, 240, 249, 279, 332, 338, 367, 410, 484, 489, 524, 541, 545, 556, 562 Haenke, Thaddäus (1761–1816), Naturforscher 83, 85, 290, 296, 300, 359, 455 Hales, Stephen (1677–1761), Physiker und Physiologe 271 Haller, Albrecht von (1708–1777), Naturforscher und Mediziner 53, 121, 123, 133, 141, 150, 173f., 176, 236, 276, 281, 299, 338, 371, 395, 406, 410f., 425f., 438, 442f., 445, 451, 507f., 542, 555, 571, 577, 584 Hamel siehe Duhamel Hardenberg, Friedrich August von (1700– 1768), Staatsmann 53 Harrach, Grafen von (ohne Vornamen) 370, 401 Hasenöhrl / Lagusius, Johann Georg (1730–1796), Leibarzt Leopolds II. 146, 330, 362, 484, 489 Hasselquist, Frederik (1722–1752), Naturforscher 111 Hawkins, John (18. Jh.), Esq. of Dorchester, Botaniker 313 Hecker, Georg Heinrich (18. Jh.), Kaufmann in Lübeck 460 Hedwig, Johann (1730–1781), Arzt und Botaniker (Bryologe) 383

641 Heesen, Anke te (1965– ), Wissenschaftshistorikerin 303 Heister, Lorenz (1683–1758), Botaniker und Anatom 410, 423 Helm, Emil Gottfried (18. Jh.), Fiskalrat 332, 334 Helv8tius, Claude Adrien (1715–1771), Philosoph 69, 492 Henkel, Johann Friedrich (1678–1744), Arzt, Metallurge und Mineraloge 303 Herberstein, Johann Seyfrid (1706–1771), 1762–1765 Hofkammerpräsident 168f., 224 Herder, Johann Gottfried (1744–1803), Dichter 21 Hertz, Wiener Bankiersfamilie 365 Heyningen, (Vorname unbekannt), Frau des Gouverneurs von St. Eustache 71, 494 Heyningen, Elisabeth Maria van, verh. Jacquin (1692–1755), Mutter N. Jacquins 132, 139, 140, 481, 511, 513–515, 519, 522, 525f., 584 Heyningen, Siegeberta (17. / 18. Jh.), eine der Großmütter von N. Jacquin 132f., 138, 481 Heynitz, Friedrich Anton von (1725–1802), Begründer der Bergakademie Freiberg 305 Hill, John (um 1716–1775), Arzt, Apotheker und Botaniker 423 Hiort, Jörgen / Jörg (1737–1804), Mineraloge 307 Hippokrates von Kos (um 460 v. Chr.– um 370 v. Chr.), berühmtester Arzt des Altertums 146, 422, 485, 488 Hire, Jean-Nicolas de La (1685–1727), Arzt und Botaniker 423, 431 Hobhouse, Henry (1924–2016), Historiker 313 Hochstetter, Ferdinand (1829–1884), Geologe 93 Hofbauer, Joseph (18. Jh.), Pflanzenmaler 457 Hofer, Franz (18. Jh.), Pflanzenmaler, Kolorist 458

642 Hohenwart, Sigismund Anton von (1730– 1820), Geistlicher, Fürsterzbischof 371 Hohenwart, Sigismund Ernst von (1745– 1825), Bischof von Linz und Botaniker 281, 296 Holm von Holmskjold / Holmskiöld, Johann Theodor (1731–1793) 309, 371 Hoop, Gerhard (18. Jh.), Arzt in Harlem und Onkel N. Jacquins 481, 584 Horaz (65 v. Chr.–8 v. Chr.), römischer Dichter 18, 80 Hörnigk, Philipp Wilhelm (1640–1714), Merkantilist 132, 223 Hornstein, Johann Michael (18. Jh.), Schüler Jacquins 454 Host, Nikolaus Thomas (1761–1834), Botaniker 384, 386, 389, 403, 418f., 455 Houstoun, William (1695/1703–1733), Arzt und Botaniker 120 Howard, Richard Alden (1917–2003), amerikanischer Botaniker 392 Hoyos-Sprinzenstein, Ernst von (1747– 1803) 281, 292f., 370, 453, 579 Huber, Joseph Daniel (1730/31–1788), österreichischer Militärkartograph 171, 238, 277f., 331 Humboldt, Alexander von (1769–1859), Naturforscher 39, 220 Ikarus, mythologische griechische Figur 18 Ingenhousz, Jan (1730–1799), Arzt und Naturforscher, Schwager Jacquins 109f., 210, 250, 281, 337–341, 362f., 367, 420, 585 Jacquin, Agatha / Agathe, verh. Ingenhousz (1735–1800), Schwester Jacquins 110, 161, 168, 338–340, 362f., 367f., 484, 512, 514–519, 521, 525, 533, 544, 585 Jacquin, Barbara siehe Natorp, Barbara Maria (Babette) Jacquin, Anna Maria (1731–1753), Schwester N. Jacquins 481, 518

Personenregister

Jacquin, Claude / Claudius (1646–1718), Begründer der Jacquin’schen Linie in Westindien 131f., 480, 483, 585 Jacquin, Claude FranÅois (1695–1770), Cousin von N. Jacquins Vater, lebte auf Martinique 71, 88, 483, 493 Jacquin, Claude Nicolas (1694–1743), Vater N. Jacquins, Unternehmer 132, 138, 140, 480, 584 Jacquin, Emil Gottfried (1767–1792), zweitgeborener Sohn N. Jacquins 214, 278, 334, 337, 346, 349–352, 354, 357, 360f. Jacquin, Franziska, verh. Lagusius (1769– 1850), Tochter N. Jacquins 337, 346, 350, 354, 362–365, 505 Jacquin, Isabella (1794–1857), Enkelin N. Jacquins 365, 505 Jacquin, Johannes Jacob (?–1768), Bruder N. Jacquins 68, 179, 481, 515, 528, 585 Jacquin, Joseph Franz (1766–1839), erstgeborener Sohn N. Jacquins 25, 46, 54, 66, 110, 133, 153–155, 162, 166, 189, 211–215, 246f., 253, 282, 291, 326, 333, 336f., 346–362, 364–367, 374, 417f., 432–435, 457, 467, 469f., 475, 477, 480, 483, 486, 497, 503, 505, 508, 583f. Jacquin, Katharina / Catharina Josepha, geb. Schreibers (1734–1791), Ehefrau N. Jacquins 185, 278, 330, 332f., 337, 354, 360f. Jacquin, Katharina (18. Jh.), Schwester N. Jacquins 515, 519 Jacquin, Marie Therese (1728–?), Schwester N. Jacquins 481, 484, 518, 522f. Jacquin, Nicolas (1657–1718), Großvater N. Jacquins 131f., 480, 584 Jadot, Jean Nicolas (1710–1761), lothringischer Architekt 237 Jancke, Gabriele, Historikerin 35 Jaskiewicz, Jan (1749–1809), Arzt und Naturforscher, Student Jacquins 291 Johann, Erzherzog (1782–1859), Mitglied des Hauses Habsburg, Bruder Kaiser Franz I. 310

Personenregister

Joseph II. (1741–1790), 1765 römischdeutscher Kaiser 211, 212, 214f., 251f., 334f., 353, 355f., 358, 360, 427, 462, 506 Juncker, Johann (1679–1759), Chemiker 260 Jussieu, Antoine de (1686–1758), Botaniker 49, 113, 170, 370, 484, 571, 636 Jussieu, Bernard de (1699–1777), Botaniker 49, 113, 170, 370, 484, 507, 571, 636 Justi, Johann Heinrich Gottlob (1717– 1771), Ökonom und Rechtswissenschaftler 223, 412 Kageneck, Johann Friedrich (1741–1800), Diplomat 371 Kalm, Pehr (1716–1779), Naturforscher 51 Kant, Immanuel (1724–1804), Philosoph 187, 443 Karl VI. (1685–1740), ab 1711 römischdeutscher Kaiser 235, 520 Karl August v. Sachsen-Weimar (1757– 1828), Mäzen 459 Kaunitz-Rietberg, Wenzel Anton von (1711–1794), Staatsmann 77, 132 Kepner, Friedrich (1745–1820), Schriftsteller 291 Kerner von Marilaun, Anton (1831–1898), Botaniker 24, 421 Kerner, Johann Simon (1755–1830), Arzt und Botaniker 433 Khevenhüller–Metsch, Graf Johann Joseph von (1706–1776), Staatsmann 206 Kielmansegg, Bernadine, geb. von Natorp (1778–1847), Schwester von Barbara Jacquin 364 Kinsky, Franz Ulrich Graf von (18. Jh.) 370 Kinsky, Philipp Joseph Graf von (1741– 1827), Militär 354 Kitaibel, Paul (1757–1817), Botaniker 281, 300, 389 Klein, Ursula, Wissenschaftshistorikerin 266

643 Knapp, Johann (1778–1833), Blumenmaler 24 Knecht, Johann Anton (1741–1810), Staatsrat, Vertrauter Joseph II. 354– 356 Knecht, Carl Wilhelm (1755–1830), Staatsund Konferenzrat in Wien 354 Knoll, Leonhard von (1775–1841), Schriftsteller und Historiker 25 Knowles, Charles (1704–1777), Admiral, 1752–1756 Gouverneur auf Jamaica 74, 498 Koch, Karl Heinrich (1809–1879), deutscher Botaniker 403 Koelreuter, Joseph Gottlieb (1733–1806), Botaniker in Karlsruhe 456 Kollar, Adam Franz von (1718–1783), Hofbibliothekar 436f. Koller, Lorenz (1794 pensioniert), Obergärtner im Botanischen Garten am Rennweg 279 Kolowrath, Leopold Graf von (1726–1809), Staatsmann 268, 370 Kölpin, Alexander (1731–1801), Chirurg 170 Konecˇny´, Peter, Historiker 197, 261 Kramer / Cramer, Johannes Andreas (1710–1777), Metallurg 177f., 558f Kramer, Wilhelm Heinrich (1724–1765), Arzt und Botaniker 34, 122, 389, 401– 408, 558f., 561f Kraus / Krauss / Krauß, Johann Paul (1725– 1789), Wiener Verleger 119, 123, 175, 398, 425, 431, 456, 582f. Kronfeld, Ernst Moritz (1865–1942), Botaniker und Publizist 219, 353, 360 Krünitz, Johann Georg (1728–1769), Enzyklopädist 92, 105, 209, 260, 264 Kuhn, Adam (1741–1817), amerikanischer Botaniker deutscher Abstammung 378 Kurtzböck, Joseph (1736–1792), Buchdrucker 582

644 La Condamine, Charles Marie de (1701– 1774), Mathematiker und Naturforscher 68, 70, 209, 313, 491, 502 La Courts, Petrus (1664–1739), Kaufmann in Leiden 177 Lachenal, Werner de (1736–1800), Botaniker 358 Lagusius, Franziska geb. Schreibers (1769– 1792), Frau von Alexander Lagusius, Nichte Jacquins 361 Lagusius, Franziska, geb. Jacquin siehe Jacquin, F. Lagusius, Isabella (1806–1865/66), Enkeltochter Jacquins 364f. Lagusius, Johann Georg (1730–1796), siehe Hasenöhrl Lagusius, Leopold (1767–1828), Hofkammersekretär verheiratet mit Franziska Jacquin 362, 364f. Lagusius, Nikolaus (1793–1869), Enkelsohn N. Jacquins 364f. Lamarck, Jean Baptiste de (1744–1829), Botaniker und Zoologe 398 Landsdowne, Lord William Petty Fitzmaurice (1737–1805), britischer Staatsmann 340 Lang, Franz Innocenz (1752–1835), Geistlicher, Pädagoge 254 Langmayer, Ignaz Joseph (18. Jh.), Mediziner 291 Lauber, Franz (18. Jh.), Jesuit 486 Latour, Bruno (1947– ), Wissenssoziologe und Philosoph 59, 259 Laugier, Alexander (1719–1774), Mediziner, Musikliebhaber 343, 556 Laugier, Robert Francois (1722–1793), Mediziner, erster Leiter des Botanischen Gartens in Wien 116, 120, 122, 169f., 242–244, 246, 265f., 278f., 401, 423f., 487, 503, 556, 558f. Lavoisier, Antoine de (1743–1794), Chemiker 270–272, 274, 504 Lawson, Isaak (1704–1747), Arzt und Mineraloge 175, 177f. Le Cat, Claude Nicolas (1700–1768) 484, 488

Personenregister

Leempoel, Johannes Franciscus (1696– 1756), Arzt und Bürgermeister von Rotterdam 48 Leibniz, Gottfried Wilhelm (1646–1716), Universalgelehrter 420 Leopold II. (1747–1792), von 1790–1792 römisch-deutscher Kaiser 214f., 217, 228, 253, 360f., 461f., 473, 489, 504 Levret, Andr8 (1703–1780), Chirurg und Geburtshelfer 409 Lichtenstein / Liechtenstein, (Vorname unbekannt) Fürst von (18. Jh.) 239, 520, 523, 537, 565 Lieberkühn, Johann (1711–1756), Mediziner und Physiker 177f. Link, Heinrich Friedrich (1767–1851), Naturforscher 284, 400 Linn8, Carl (1707–1778), schwedischer Botaniker und Naturforscher 25, 47f., 51f., 65, 79, 82, 92, 95, 111–128, 153, 156, 166, 170, 174–178, 232, 245–247, 251, 255, 275, 279, 281, 283, 285f., 290, 296, 299f., 307f., 313, 317, 332, 338, 371–383, 385, 387–392, 395–403, 405– 408, 411–413, 417, 421–425, 428, 430– 432, 434, 436–439, 444, 448, 453f., 470, 477, 482–484, 487–489, 491, 507f., 548, 553–562, 566, 569, 571f., 577–579, 581– 585, 587 Linn8, Carl jun. (1741–1783), Botaniker 398, 431 Lipp, Franz Joseph (1734–1775), Botaniker in Freiburg im Breisgau 279, 370, 378 Löfling, Pehr (1729–1756), Botaniker 111, 392, 406 Luca, Ignaz de (1746–1799), Statistiker und Schriftsteller 237, 266 Ludwig XIV. (1638–1715), ab 1643 französischer König 134 Lühe, Friedrich Carl Emil von der (1751– 1801), kaiserlicher Regierungsrat und Botaniker 20, 215, 461 Lukian von Samosta (um 120 n. Chr.– 180 n. Chr.), Satiriker 518

Personenregister

Mach, Ernst (1838–1916), Physiker und Wissenschaftstheoretiker 154 Malaspina, Alessandro (1754–1810), italienischer Expeditionsleiter in spanischen Diensten 83, 85 Maly, Franz (1823–1891), Gärtner, Botaniker 403 Maria Theresia (1717–1780), österreichische Regentin 29, 51, 55, 162, 167, 169, 198, 211, 225f., 234, 236, 242–244, 332, 335, 338, 340, 348, 393f., 408f., 444, 460, 462, 487f, 489, 503, 506, 518, 521–523, 525, 537, 545, 561, 573f, Marquart (18. Jh.), Kapitän 208, 496 Marsili, Giovanni (1727–1795), Botaniker 279 Martius, Carl Friedrich Philipp (1794– 1868), Naturforscher und Freund Endlichers 585 Masson, Francis (1741–1805), Botaniker 465 Mastallir, Jakob Joseph (18. Jh.), Mediziner 246 Maximilian II. (1527–1576), ab 1564 römisch-deutscher Kaiser 295 Medicus, Friedrich Casimir (1736–1808), Botaniker in Mannheim 432 Meerburgh, Nicolas (1734–1814), Gärtner und Pflanzenillustrator 59, 484 Meerman, Johan van Dalem (1753–1815), Schriftsteller 250 Meisl, Antonio (18. Jh.), Botaniker 378 Mendelsohn, Moses (1729–1786), Philosoph 492 Menzinger, Franz Ignatius (1745–1830), Professor der Chemie und Botanik in Freiburg 370 Merian, Maria Sybille (1647–1717), Naturforscherin und Künstlerin 58 Meyer, Johann Friedrich (18. Jh.), Apotheker in Osnabrück 270, 272f., 503 Meyerbeer, Giacomo (1791–1864), Komponist 106 Mikan, Joseph Gottfried / Bohumir (1743– 1814), Botaniker in Prag 246, 281

645 Miller, Magdalena (18. Jh.), Küchenmagd bei N. Jacquin 268 Minerva, römische Göttin, Hüterin des Wissens 183 Misley / Mislei (Vorname unbekannt) (18. Jh.), Botaniker 558 Mittrowsky / Mittrovsky, Johann Baptist (1736–1811), Oberst-Landkämmerer Mährens 371 Molitor, Nikolaus Karl (1754–1826), Arzt und Chemiker 291, 347, 420 Montesqieu, Charles–Louis de (1689– 1755), Philosoph 68 Moore, Henry (1713–1769), von 1756–1759 Gouverneur auf Jamaika 74 Moser, Hans (19. Jh.), Künstler 25 Moser-Piffl, Erna (1904–1987), Künstlerin 25f. Mos(s)er, Joseph (1779–1836), Apotheker und Chemiker 364 Mozart, Constanze (1762–1842), Sopranistin und Ehefrau von W. A. Mozart 351 Mozart, Wolfgang Amadeus (1756–1791), Komponist 34, 346, 349–352, 354, 361, 367, 475 Murray, Johan Andreas (1740–1791), Mediziner und Botaniker 358, 370, 507, 572 Musil, Robert (1880–1942), Schriftsteller 38 Muschenbroek / Musschenbroek, Pieter van (1692–1761), niederländischer Arzt und Naturforscher 147, 487 Mygind, Franz von (1710–1789), Hofkommerzienrat, Pflanzensammler 120, 122, 232, 247, 281, 291, 300, 336, 377, 396, 398, 401, 423f., 431, 441, 453, 566, 580 Mylius, Christlob (1722–1754), Naturforscher und Literat 53, 55, 470 Nahuys, Alexander Peter (1737–1794), Naturwissenschaftler 370 Napoleon Bonaparte (1769–1821), Feldherr 363–365

646 Natorp, Nanette von (1766–1791), Freundin Gottfried Jacquins 336, 350–352, 361 Natorp, Barbara Maria (Babette) von (1769–1844), Schwiegertochter N. Jacquins 337, 351f., 355, 362, 364f. Natorp, Franz Wilhelm von (1729–1802), Großhändler 277, 351, 362, 364 Natorp, Johann-Baptist (1788–1845), Bruder von Barbara Jacquin 364 Natorp, Theodor (1786–1826), Bruder von Barbara Jacquin 364 Neilreich, August (1803–1871), Botaniker 402f. Nemnich, Philipp Andreas (1764–1822), Enzyklopädist, Reiseschriftsteller 299 Nickelsen, Kären, Wissenschaftshistorikerin 433f. Nicolai, Friedrich (1733–1811), Verlagsbuchhändler und Reiseschriftsteller 249, 336, 455 Nissole, Guillaume (1647–1734), Botaniker 423 Noortwyck, Willem (1713–1777), Arzt, Schwager des Gerard van Swieten 519 Oeder, Georg Christian (1728–1791), Botaniker 301, 451, 453, 576f. Ödipus, griechische mythologische Figur 437 Oldendorp, Christian Andreas (1721– 1787), Herrnhuter 80 Oppel, Friedrich Wilhelm von (1720– 1769), kursächsischer Oberberghauptmann 305 Orcy, Jean Gigot d’ (1737–1793), Mineraloge 370 Ovid (43 v. Chr.–17 n. Chr.), antiker römischer Dichter 19 Owen, John (1560–1622), neulateinischer Dichter 514, 518 Pacassi, Nikolaus von (1716–1790), Architekt, Leiter des Hofbauamtes 205 Pallas, Peter Simon (1741–1811), Naturforscher 49, 308, 460, 507

Personenregister

Paracelsus / Theophrastus Bombastus von Hohenheim (1493–1541), Arzt und Humanist 271 Peithner, Thaddäus (1727–1792), Montanbeamter 168f., 223f., 309 Pennant, Thomas (1726–1798), Zoologe 562 Petit, Francois (1664–1741), Mediziner und Naturforscher 423, 431 Pezzl, Johann (1756–1823), Schriftsteller und Bibliothekar 329 Pfeiffer, (Vorname unbekannt) (18. Jh.), Leinwandhändler 268 Pichler, Caroline (1769–1843), Schriftstellerin und SaloniHre 343, 346–348 Plappart, Joachim Friedrich (1753–1845), Mediziner 454 Plazer, Maria von (1842–?), Schriftstellerin 88 Plumier, Charles (1646–1704), Botaniker 92, 119, 125f., 423, 428, 431, 503, 568f., 571 Plutarch (um 45–um 125), griechischer Schriftsteller 36 Pöckh, Thomas Ignaz von (18. Jh.), niederösterreichischer Regierungskanzler 334 Poda, Nikolaus von Neuhaus (1723–1798), Jesuit und Entomologe 169 Pohl, Johann Baptist (1782–1834), Botaniker 24 Poivre, Pierre (1719–1786), Physiokrat und Reisender 70 Polanyi, Michael (1891–1976), Chemiker und Philosoph 40 Popowitsch, Johann Siegmund (1705– 1774), Sprach- und Naturforscher 122, 281, 291, 374, 413 Poseidippos von Pella (um 310 v. Chr.– 240 v. Chr.), hellenistischer Dichter 522 Pranter, (Vorname unbekannt) (19. Jh.), Steinmetz in Wien 24 Priestley, Joseph (1733–1804), Chemiker und Physiker 272, 387

Personenregister

Proculeius Gaius (56 v. Chr.), reicher Römer, Freund Kaiser Augustus 18 Prohaska, Georg (1749–1820), Anatom und Physiologe 364 Quarin, Joseph (1733–1814), Mediziner 355, 542 Raimann, Johann Nepomuk (1780–1847), Mediziner 22, 28, 66, 162, 189f., 486, 584 Rainer, Erzherzog (1783–1853), Mitglied des Hauses Habsburg, Bruder Kaiser Franz I. 292 Rameth, Johann (18. Jh.), Obergärtner im Botanischen Garten am Rennweg 116, 562 Raspe, Gabriel Nikolaus (1712–1785), Buchhändler in Nürnberg 448 Ray, John (1627–1705), Naturforscher 411 R8aumur, A. Ferchault de (1683–1757), Naturforscher 53 Reichardt, Johann Friedrich (1752–1814), Schriftsteller und Publizist 222 Reiter, Christine (18. u. 19. Jh.) 365 Richecourt, Comte de Emmanuel (1694– 1768), kaiserlicher Agent in der Toskana 64, 77f. Rivinus, August (1652–1723), Arzt, Botaniker und Astronom 411 Rohrer, Joseph (1769–1828), Professor der Kameralwissenschaft 300 Roth, Albrecht Wilhelm (1757–1843), Arzt und Botaniker 297 Rottböll, Christian Friis (1727–1797), Botaniker 279, 456 Rousseau, Jean Jacques (1712–1778), Naturphilosoph 288, 294 Royen, Adrian van (1704–1779), Mediziner und Botaniker 147f., 151, 174, 177– 179, 279, 371, 411, 484, 487f., 519, 564 Royen, David van (1727–1799), Botaniker 378, 564 Rubel, Franziskus (18. Jh.), Student N. Jacquins 454

647 Rücker, Johann Konrad (1691–1778), Rektor in Leiden 147 Rudolph, Daniel Gottlob (18. Jh.), Naturalienkenner 304 Rudolphi, Karl Asmund (1771–1832), Naturforscher 457 Rumpf, Georg Eberhard (1627–1702), Naturforscher und Forschungsreisender 378 Rupke, Nicolaas A. (1944– ), Wissenschaftshistoriker 39 Russell, Alexander (um 1715–1768), Naturforscher 423 Ruysch, Frederik (1638–1731), Anatom und Botaniker 423 Sander, Heinrich (1754–1782), Pädagoge und Schriftsteller 211, 252, 336f., 340, 346, 348f., 352f., 359 Sartori, Anton (18. Jh.), Vorsteher des Bergwerkes in Idria 226 Saussure, Horace-B8n8dict de (1740– 1799), Naturforscher 281, 287, 300f., 359, 577 Sauvages, Francois Boissier de Lacroix (1706–1767), Arzt und Naturforscher 69f., 112–114, 279, 444, 491, 501 Schaeffer / Schäfer, Jacob Christian (1718– 1790), Botaniker 281, 371, 378, 424, 440f. Scharf, Johannes (1765–1794), Pflanzenmaler 458 Scheidl, Franz Anton (1731–1801), Maler, Buchillustrator 291, 347, 447, 457 Scherer, Johann Baptist Andreas (1755– 1844), Mediziner und Naturforscher 364, 455 Scholl, Georg (1751–1831), Schönbrunner Gärtner 212, 466 Schonenbosch, Cornelius (?–1782), Bediensteter van Swietens, Bibliotheksdiener 112, 167, 517, 519, 532, 548 Schot, Richard / Ryk van der (1733–1790), Hofgärtner in Schönbrunn, Begleiter

648 Jacquins während der Expedition 51, 58, 65, 68, 71, 73, 88, 90, 99–101, 190, 205, 213–216, 218f., 355, 358, 360, 419, 461, 485, 490, 494, 527, 546, 556 Schreber, Johann Christian Daniel (1739– 1810), Professor der Botanik in Erlangen 385, 388f., 460f., 507 Schreber, Daniel Gottfried (1708–1777), Jurist 223 Schreibers, Familie 185, 367 Schreibers, Franz Christian Xaver (1733– 1798), Sekretär des Hofkriegsrats, Schwager N. Jacquins 185, 330, 332, 484 Schreibers, Franziska (1710–1771), Schwiegermutter N. Jacquins 331, 334, 337 Schreibers, Franziska (1769–1792), siehe Lagusius Schreibers, Johann Heinrich (1677–1743), nö. Regierungsrat, Vater von N. Jacquins Frau 331f. Schreibers, Josef Ludwig (1735–1809), Arzt und Schwager Jacquins 146, 185, 330– 332, 354, 360, 484, 489 Schreibers, Karl Franz Anton von (1775– 1852), Direktor des Hofnaturalienkabinetts und Ehemann von Jacquins Enkelin 185, 212, 364, 389, 583 Schreibers, Nikolaus Joseph / Josef Karl (1820–1887), Urenkel Jacquins 583 Schreibers, Katharina Josepha siehe Jacquin Schreibers, Maria-Anna (1731–?), Schwägerin N. Jacquins 334, 337 Schultes, Joseph August (1773–1831), Naturforscher und Reiseschriftsteller 293f., 296, 400, 403, 418f., 475 Schuppen, Jacob (1670–1751), Hofmaler am kaiserlichen Hof in Wien 60 Schwiboda, Jacob (18. Jh.), Apotheker in Schemnitz 306 Scopoli, Giovanni Antonio / Johannes Anton (1723–1788), Arzt und Naturforscher 34, 247, 308, 310, 389, 393– 401, 408, 439, 475, 558f.

Personenregister

Scott, Joan Wallach, Historikerin 40 Seb8ok, Alexander (18. Jh.), Student N. Jacquins 454 Selica, Hauptfigur in J. Meyerbeers Oper die »Afrikanerin« 106 Sedelmayer, Martin (1766–1799), Pflanzenmaler 458 Sherard, William (1659–1728), Botaniker 277 Sibthorp, John (1758–1796), Botaniker 457 Sickingen, Karl Heinrich Joseph von (1737–1791), Diplomat und Chemiker 210 Sloane, Hans (1660–1753), Naturforscher 92, 126, 174, 428, 569 Smith, Adam (1723–1790), Nationalökonom 186 Smith, James Eduard (1759–1828), Botaniker 327, 398, 400 Soban, Darinka, Botanikerin 400 Sömmering, Thomas (1755–1830), Mediziner und Paläontologe 210, 225, 344, 349, 395 Sonnauer, Joseph (18. Jh.), Schüler Jacquins, Amtsarzt im Wien/Josefstadt 319f., 454 Sonnerat, Pierre (1748–1814), Naturforscher 216f. Spary, Emma, Wissenschaftshistorikerin 303 Spendou, Joseph (1757–1840), Dompropst zu St. Stephan 255 Spielmann, Jakob Reinbold (1722–1783), Straßburger Apotheker und Chemiker 112f., 187, 279, 313, 370, 378, 501 Sprengel, Kurt (1766–1833), Botaniker 46, 222, 313 Stahl, Georg Ernst (1659–1734), Chemiker, Metallurg und Arzt 270f. Stanislaus Leszczyn´ski (1677–1766), König von Polen, Herzog von Lothringen, Großherzog der Toskana (ab 1734) 153, 519 Starhemberg, Georg Adam von (1724– 1807), Diplomat 77f.

649

Personenregister

Steckhoven, Adrian van (1705–1782), Gartendirektor in Schönbrunn 51, 55–57, 166f., 170, 205, 379, 414, 485, 489f., 522–524, 536, 538, 541, 544, 546, 556, 558 Störck, Anton von (1731–1803), Mediziner 146, 170, 311f., 317f., 330, 484, 489 Störck, Melchior (?–1756), Arzt und Bruder des obigen 409 Swieten, Gerard van (1700–1772), Mediziner, Präfekt der Hofbibliothek, Reformer 29, 32, 45, 48f., 51–58, 60, 65, 69, 77, 83, 93, 96, 99, 112f., 116f., 124f., 129, 138, 141, 144f., 151–153, 162–170, 177–181, 191, 204f., 211, 224f., 226, 232–236, 238–244, 267, 311f., 314, 330, 332–334, 338, 357, 372, 380, 389, 392–394, 397, 401, 404–406, 408–410, 423–425, 427, 436–438, 470– 473, 482, 484, 487–489, 516–521, 523f., 529f., 530, 532, 536–538, 541, 544f., 548–559 Swieten, Gottfried van (1733–1803), Diplomat in österreichischen Diensten 353–357, 359, 482, 518 Tabares, Diego (18. Jh.), 1755–1761 Gouverneur von Cartagena 74, 499 Tamposch, Isabella von, verh. Natorp (1751–1821), Stiefmutter von Barbara Jacquin 364 Thoms, Frederick de (1669–1746), Kunstsammler und Schwiegersohn H. Boerhaaves 426 Thouin, Andr8 (1747–1824), Botaniker 370, 507f. Thunberg, Carl Peter (1743–1828), Naturforscher 459, 507 Thurn, Franz Anton Hannibal Graf von (1699–1768), Mäzen 485 Tidström, Anders (1723–1779), Mineraloge und Chemiker 307 Tihavsky, Franz (?–1822), Chemiker und Schüler Jacquins 455

Tournefort, Joseph Pitton de (1656–1708), Botaniker 394, 411, 423, 571 Toussaint, Franz Joseph (1689–1762), Kabinettssekretär und kaiserlicher geheimer Finanzrat 61, 76, 78 Townson, Robert (1762–1827), Reisender und Naturforscher 221, 309 Trattinnick, Leopold (1764–1849), Botaniker 22, 403, 419 Trattner, Johann Thomas von (1717–1798), Hofdrucker 394 Trew, Christoph Jakob (1695–1769), Arzt und Botaniker 52, 122, 413 Turner, R. Samuel, Historiker 251 Ulloa, Don Antonio de (1716–1795), Gelehrter und Reisender 209 Unger, Franz (1800–1870), Botaniker 246 Usbeck, fiktive Figur in Montesquieus »Persische Briefe« 68 Usteri, Paul (1768–1831), Arzt und Naturforscher 21 Vahl, Martin (1749–1804), Botaniker 49 Valette, Antoine de la (1708–1767), Jesuit und Leiter der Mission auf Martinique 78 Vandelli, Domenico (1735–1816), Naturforscher in Portugal 279, 378 Vaughan, Samuel (1720–1802), Plantagenbesitzer auf Jamaika und Kaufmann 387 Venuti, Filippo (1709–1769), Enzyklopädist 68, 491 Viera y Clavijo / Clavigo, Jos8 (1731–1813), kanarischer Naturforscher, Geistlicher 348 Vergil (70 v. Chr.–19 v. Chr.), lateinischer Dichter 145, 583 Volta, Alessandro (1745–1827), Physiker 443 Vossius, Johannes Gerhard (1577–1649), Theologe und Gelehrter 518 Wagner, Joseph (1706–1780), Kupferstecher 124, 426

650 Waldeck, Christian August von (1744– 1798), General in österreichischen Diensten 354 Waldstein, Franz von (1759–1823), Botaniker 389 Wallerius, Johan Gottschalk (1709–1785), Chemiker und Mineraloge 307f., 395 Walther / Walter (18. Jh.), Verleger in Erlangen 388 Wappler, Christian Friedrich (1741–1807), Wiener Verleger 418, 449f. Wargentin, Pehr Wilhelm (1717–1783), Astronom 371 Watson, William (1715–1787), Apotheker 209 Weber, Max (1864–1920), Soziologe 132 Well, Johann Jakob (1725–1787), Apotheker und Professor für Naturgeschichte 257, 273, 281, 291, 310, 317– 319, 364, 395, 454f. Wellens, Jacob Thomas Josef (18. Jh.), Bischof von Antwerpen 482 Westhofen, Carl (18. Jh.), Schüler Jacquins 419 Widmanstätten, Alois von (1754–1849), Naturwissenschaftler 364 Wieland, Christoph Martin (1733–1813), Dichter 250, 443 Wiesner, Julius (1838–1916), Botaniker 25 Wilhelm III. v. Oranien (1650–1702), Statthalter der Niederlande 205

Personenregister

Willdenow, Carl Ludwig (1765–1812), Botaniker 21, 504 Wille, Christoph Ludwig Arnold (1758– 1846), Montanist 370 Willich, Christian Ludwig (1718–1773), Arzt und Botaniker 371, 378, 443 Witten, Nikolaus (17. Jh.), niederländischer Seefahrer 187 Wood, Charles (1702–1774), Eisenhüttenbesitzer 208 Woodward, John (1665–1728), Geologe, Arzt und Naturforscher 63, 98 Wranitzky, Anton (1761–1820), Komponist, Dirigent und Geiger 19 Wulfen, Franz Xaver (1728–1805), Jesuit und Naturforscher 281, 290, 296–298, 300, 359, 380–386, 405, 413, 426, 432, 446, 454f., 457 Zedler, Johann Heinrich (1706–1751), Verleger und Reiseschriftsteller 157, 159, 303, 410, 460 Zimmermann, Carl Friedrich (18. Jh.), Montanist 305 Zimmermann, Johann Georg (1728–1795), Arzt und Schriftsteller 150 Zinzendorf, Karl von (1739–1813), Staatsmann 214, 217, 341 Zois, Carl von (1756–1799), Botaniker 370 Zorn, Johannes (1739–1799), Apotheker und botanischer Illustrator 448