Neuere Entwicklungen im Staatshaftungsrecht: Vortrag gehalten vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin am 6. Juni 1984 9783110869798, 9783110103052

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Neuere Entwicklungen im Staatshaftungsrecht: Vortrag gehalten vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin am 6. Juni 1984
 9783110869798, 9783110103052

Table of contents :
I. Zur gegenwärtigen Lage
II. Tendenzen im Bereich der Ämtshaftung
III. Bestand und Gestalt des enteignungsgleichen Eingriffs
IV. Der enteignende Eingriff
V. Ausblick

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Fritz Ossenbühl Neuere Entwicklungen im Staatshaftungsrecht

Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft zu Berlin Heft 90

W DE G 1984

Walter de Gruyter · Berlin · New York

Neuere Entwicklungen im Staatshaftungsrecht Von Fritz Ossenbühl

Vortrag gehalten vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin am 6. Juni 1984

w DE

G 1984

Walter de Gruyter · Berlin · N e w York

Dr. jur. Fritz

Ossenbühl

o. Professor für Öffentliches Recht an der Universität Bonn

CIP-Kurztitelaufnahme

der Deutschen

Bibliothek

Ossenbühl, Fritz: Neuere Entwicklungen im Staatshaftungsrecht : [Vortrag, gehalten vor d. Jurist. Ges. zu Berlin am 6. Juni 1984] / Fritz Ossenbühl. Berlin ; New York : de Gruyter, 1984. (Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft zu Berlin ; H. 90) ISBN 3-11-010305-2 NE: Juristische Gesellschaft (Berlin, West): Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft e. V. Berlin

© Copyright 1984 by Walter de Gruyter & C o . 1000 Berlin 30 Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Printed in Germany Satz und Druck: Saladruck, Berlin 36 Bindearbeiten: Verlagsbuchbinderei Dieter Mikolai, Berlin 10

I. Zur gegenwärtigen Lage Das Staatshaftungsrecht gedeiht zunehmend zu einer Materie mit esoterischem Charakter, in der sich auch Spezialisten nur noch mit Mühe zurechtfinden können. Für diese Entwicklung des Staatshaftungsrechts zur „Geheimwissenschaft" gibt es mehrere Gründe. Ich nenne die drei wesentlichen. Erstens ist das Staatshaftungsrecht in seinem heute geltenden Zustand das Ergebnis einer rechtsgeschichtlichen Entwicklung, die schon in den Anfängen bei der Konzeption einer Haftung für Staatshandeln Geburtsfehler aufweist, welche bis heute nachwirken. Dies gilt namentlich für eine der Säulen des geltenden Staatshaftungsrechts : den Amtshaftungsanspruch. Er ist in seinem Wesen als persönliche Beamtenhaftung konzipiert 1 und hat auch nach der Haftungsübernahme durch den Staat nicht die volle Wandlung zur unmittelbaren Staatshaftung erfahren. Eine Reihe von Schwierigkeiten resultiert deshalb daraus, die aus heutigem Staatsverständnis schlechthin nicht mehr nachvollziehbare Konzeption der persönlichen Beamtenhaftung so zu modifizieren, daß sie der heute allein zeitgemäßen unmittelbaren Staatshaftung soweit wie möglich angeglichen wird. Das heißt konkret: Abbau aller Haftungsbeschränkungen, die auf die persönliche Beamtenhaftung zugeschnitten sind. Zweitens hat die komplizierte Lage des Staatshaftungsrechts ihre Ursache in der Unsicherheit von Grenzziehungen, die auch durch eine sorgfältige Gesetzgebung nicht auszuräumen ist. Dies hat das Bemühen um ein Staatshaftungsgesetz in den 70er Jahren und das Scheitern der Reform erneut deutlich gemacht. Das Bundesverfassungsgericht hat bekanntlich durch Urteil vom 19. Oktober 19822 das vom Bund erlassene Staatshaftungsgesetz vom 16. Juni 1981' für verfassungswidrig und nichtig erklärt, weil das Gesetz kompetenzwidrig erlassen worden ist. Die wahren Gründe für das Scheitern der Reform liegen aber nicht in der mangelnden Kompetenz des Bundes, sondern in einem Dissens über die Frage, wie weit eine Reform der Staatshaftung gehen kann. Insoweit hat von Anfang an das Problem des Verschuldens eine zentrale Rolle gespielt. An ihm entzündete sich der Widerstand der Finanzminister; an ihm ist schließlich auch das anfängliche Zusammengehen aller Parteien im Bundestag, das eine notwendige Verfassungsänderung ermöglicht hätte, gescheitert.

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Vgl. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 3. Aufl. 1983, S. 1 ff. BVerfGE 61, 149. BGBl. I 553.

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Hinter dem Tatbestandselement des Verschuldens und hinter dem massiven Widerstand der Finanzminister steht letztlich die Frage nach der Verteilung des Risikos, Unrecht zu tun; ein Risiko, das der Rechtsstaat notwendig mit sich bringt, und zwar um so mehr, je mehr die Verrechtlichung aller Lebensbereiche zunimmt. Vereinfacht ließe sich sagen: „Viel Recht ermöglicht auch viel Unrecht und viel Rechtsunsicherheit".

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Unrecht und Rechtsunsicherheit zu beseitigen, erfordert nicht nur ein ausgebautes Entscheidungssystem - das haben wir in den ausgeprägten Gerichtsbarkeiten - , sondern auch und vor allem Zeit. Wer soll das Risiko dieses u. U . mit erheblichen finanziellen Verlusten verbundenen Zeitbedarfs tragen, wenn etwa die Verwaltung ein unklares Gesetz schuldlos falsch anwendet und dem Bürger eine Bau- oder Gewerbeerlaubnis vorenthält, aber erst nach Jahren vom Richter korrigiert wird? Ist die durch ein unklares oder sachnotwendig vage gefaßtes Gesetz erzeugte unsichere Entscheidungslage ein Risiko des Staates (gleichsam als Veranlasser und Verursacher) oder das Risiko des Bürgers (gleichsam als Äquivalent für das Privileg, in einem Rechtsstaat leben zu dürfen)? 4 Unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfange soll der Staat haften? - Diese U r - und Grundfrage ist, wie das Schicksal der Staatshaftungsreform gezeigt hat, von einem Konsens weiter entfernt denn je. Drittens

kann das Staatshaftungsgesetz gar nicht anders als kompliziert

und verwirrend sein, weil es - auch bei gelungener gesetzlicher Ausformung - stets in wesentlichen Partien der

richterrechtlichen

Ausprägung

bedarf. Dies zeigt schon ein Vergleich der Probleme, die das für nichtig erklärte Staatshaftungsgesetz gelöst hätte, mit jenen, die ungelöst geblieben sind oder neu aufgeworfen worden wären 5 . Das Staatshaftungsrecht ist seiner Natur nach offenbar ein geborenes Anwendungsfeld für case law. Mehr als in anderen Bereichen ist das Staatshaftungsrecht durch richterrechtliche Rechtsfortbildung geprägt. D e r gewaltigen Verdichtung und Intensivierung staatlichen Handelns, Planens und Zugreifens auf Rechte und Güter der Bürger im 20. Jahrhundert konnte haftungsrechtlich verständlicherweise nicht mit einer Anspruchsgrundlage begegnet werden, die dem Denken und den tatsächlichen Verhältnissen des 19.Jahr-

4 Vgl. Ossenbühl, Der Regierungsentwurf eines Staatshaftungsgesetzes - Beginn oder Ende einer Reform? JuS 1978, 720 (721 1. Sp.); Boujong, Enteignungsgleicher und enteignender Eingriff, UPR 1984, 137ff. (139); BGHZ 32, 208 (212 f.); NJW 1971, 1694 (1697). 5 Ich nenne nur die „Drittbezogenheit der verletzten Verhaltenspflicht gegenüber dem Geschädigten" in § 1 StHG und die Problematik des Verschuldens und der Grundrechtseingriffshaftung in §2 StHG.

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hunderte mit einem anderen Staatsverständnis und dementsprechend anderen Staatszwecken verhaftet ist. Haftungslücken hat die Rechtsprechung in Anlehnung an bestehende Haftungs- und Entschädigungsgrundlagen, namentlich Art. 14 Abs. 3 G G , entwickelt 6 . Nachdem diese Aufgabe sich in einem über drei Jahrzehnte erstreckenden Lernprozeß der Rechtsprechung zu konsolidieren begann, entstand erhebliche neue Unruhe durch den bekannten Naßauskiesungsbeschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Juli 1981 7 , aufgrund dessen wiederum maßgebliche Grundlagen des Staatshaftungsrechts in Frage gestellt sind und neue Rechtsunsicherheit entstanden ist8. Im folgenden geht es mir darum, zunächst neuere Tendenzen der Rechtsprechung im Bereich der Amtshaftung aufzuzeigen. Sodann sollen Bestand und Gestalt des enteignungsgleichen Eingriffs nach Erlaß des Naßauskiesungsbeschlusses erörtert werden. Schließlich sind einige Perspektiven aufzuzeigen, aus denen eine Fortentwicklung des Staatshaftungsrechts betrachtet werden kann.

II. Tendenzen im Bereich der Ämtshaftung Im Bereich der Amtshaftung zeigt sich weiterhin die Tendenz einer Haftungsausweitung, die bei verschiedenen Tatbestandselementen sichtbar wird. Schon durch das Reichsgericht angebahnt und in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes längst verfestigt ist die Entschärfung des Verschuldenselementes durch Objektivierungen. An die Stelle des Verschuldensnachweises

eines

konkret-individuellen

Amtswalters

treten

objektive Verhaltensstandards, Schuldvermutungen und Hypostasierungen wie die idealtypische Gestalt des „pflichtgetreuen Durchschnittsbeamten" oder die Figur des „Organisationsverschuldens"'. Darüber ist hier nicht zu berichten. Bemerkenswert und neueren Datums hingegen ist der radikale Abbau der Subsidiaritätsklausel des § 839 Abs. 1 Satz 2 B G B und die Ausweitung der Drittbezogenheit der Amtspflicht in Anlehnung an Vorbilder des Verwaltungsrechts.

1. Zum Abbau der Subsidiarität der Amtshaftung Nach der Subsidiaritätsklausel des § 839 Abs. 1 Satz 2 B G B kann der handelnde Amtswalter bei Fahrlässigkeit nur dann in Anspruch genom-

' Vgl. Ossenbühl, 7

Staatshaftungsrecht, 3. Aufl. 1982, S. 144 ff.

BVerfGE 58, 300.

8 Dazu im Text unten sub III. ' Vgl. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 3. Aufl. 1983, S.46.

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men werden, wenn der Geschädigte nicht auf andere Weise Ersatz zu verlangen vermag. Dieses schon bei den Beratungen des BGB nicht unumstrittene Privileg10, auf andere Ersatzpflichtige verweisen zu können, wurde ursprünglich als Schutzbestimmung des Beamten interpretiert". Mit der Übernahme der Beamtenhaftung durch den Staat gilt das Verweisungsprivileg als „antiquiert"12 und als „anachronistisches Fiskusprivileg"13. Anderen erscheint es als „Schandfleck"14 des BGB. Diesen „Schandfleck" hat der Bundesgerichtshof entsprechend vielfachen Forderungen des Schrifttums nahezu beseitigt. Dazu waren allerdings mehrere „Waschgänge" erforderlich, deren rechtliche Säuberungswirkung durchaus unterschiedlich zu beurteilen sind. a) Entgegen einigen OLG-Entscheidungen hat der BGH von Anfang an nicht zugelassen, daß der Staat den Verletzten auf Leistungen des Arbeitgebers nach dem Lohnfortzahlungsgesetz verweisen konnte15. Hier hatte sich von vornherein die Einsicht durchgesetzt, daß die Leistungen nach dem Lohnfortzahlungsgesetz nicht den Sinn haben können, staatliches Unrecht wiedergutzumachen. Daß der Arbeitgeber den Lohn für einen Arbeitnehmer fortzahlen soll, der durch eine hoheitliche Maßnahme arbeitsunfähig geworden ist, muß trotz einiger gegenteiliger OLGEntscheidungen als unerträgliches Ergebnis bezeichnet werden. b) Anders gesehen wurden die Dinge hingegen jahrzehntelang bei den Versicherungsansprüchen, gleichgültig, ob sie aus der Sozialversicherung oder den Privatversicherungen herrührten. Die Verweisung des Verletzten auf solche Versicherungsansprüche war sowohl nach der Rechtsprechung des R G wie auch des BGH ein klassischer Anwendungsfall der Subsidiaritätsklausel16. Im Ergebnis wurden damit den Solidargemeinschaften der Versicherten letztlich die finanziellen Lasten staatlichen Unrechts aufgebürdet. Diese Konsequenz war deshalb in besonderem Maße unannehmbar, weil der Versicherungsanspruch des Geschädigten .durch eigene Leistung erworben wird und überdies die Inanspruchnahme

10 Bei der 2. Beratung im Reichstagsplenum fiel das Wort „Privilegium der Dummheit" (vgl. Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, 1899, S. 1396 oben). 11 RG JW 1938, 2667. 12 Scheuner, DÖV 1955, 548; zustimmend BGHZ 42, 176 (181). 13 Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 1968, S. 86 ff. 14 E.Schneider, NJW 1966, 1263 (1264). 15 BGHZ 62, 380; NJW 1974, 1816 (1817). 16 Vgl. Waldeyer, NJW 1972, 1249ff.; Marschall von Bieberstein, in: Festschrift für R. Schmidt, 1976, S. 776 ff. weist nach, daß das RG erst ab 1932 zu seiner Praxis gefunden habe, und zwar ohne hinlängliche Begründung, also offenbar in der Absicht, die Staatskasse zu entlasten.

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von Versicherungsleistungen f ü r den geschädigten Versicherten infolge von Prämienverlusten und Rückstufungen mit Nachteilen verbunden ist. - Diese und weitere im Schrifttum 17 vorgetragene Bedenken haben den B G H in den letzten Jahren veranlaßt, die Anwendung der Subsidiaritätsklausel auf Versicherungsansprüche schrittweise abzubauen". Die Begründungen lassen sich auf einen kurzen N e n n e r bringen: der Zweck des Abschlusses von Versicherungen besteht nicht darin, dem Staat das Haftungsrisiko f ü r zugefügtes Unrecht abzunehmen. Diese These ist so überzeugend, daß allein verwunderlich bleibt, warum die Rechtsprechung solange gebraucht hat, u m das Verbot einer Verweisung des Verletzten auf Versicherungsansprüche auszusprechen. c) Im Ergebnis ebenso, in der Begründung weniger überzeugend, hat der B G H die Subsidiaritätsklausel schließlich auch im Rahmen der Amtshaftung bei der Teilnahme am allgemeinen Straßenverkehr f ü r unanwendbar erklärt". Auch hier läßt sich die Begründung auf einen einfachen und plausiblen N e n n e r bringen: wer sich im öffentlichen Verkehrsraum bewegt, kann - von den Blaulichtfahrern abgesehen - keine Sonderrechte f ü r sich in Anspruch nehmen, weder hinsichtlich der Verkehrsregeln noch der Haftungsvorschriften. Alle Verkehrsteilnehmer sind haftungsrechtlich gleich zu behandeln. - Dieser vom B G H gewählte Ausgangspunkt müßte allerdings schon zu der Konsequenz führen, nicht nur die Subsidiaritätsklausel des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB, sondern die gesamte Amtshaftung, also den ganzen §839 BGB aus dem „Haftungssystem des Verkehrsrechts" zu verbannen 20 . Mit diesem Schritt würde nebenbei bemerkt ein weiterer Problemkomplex der Amtshaftung gegenstandslos, nämlich die Frage, wann ein Beamter sich hoheitlich und wann er sich privat ans Steuer setzt 2 '. N a c h d e m dem B G H jedenfalls im Ergebnis auch hier applaudiert worden war, dehnte das Gericht schließlich den Ausschluß der Subsidiaritätsklausel auch auf die Verletzung der als hoheitliche Aufgabe obliegenden Straßenverkehrssicherungspflicht aus22, ohne allerdings insoweit auch nur den Ansatz einer rechtfertigenden Begründung liefern zu können 23 .

" Vgl. namentlich Marschall von Bieberstein, wie vorige Fußnote; Stoll, Zur richterlichen Fortbildung der Staatshaftung für Unfallschäden, in: Festschrift für Hauß, 1978, S. 349ff.; Lässig, Primäre Amtshaftung bei Verkehrsunfällen von Hoheitsträgern, JuS 1978, 679 ff. 18 BGHZ 70, 7; 79, 26; 79, 35; NJW 1983, 1668; NJW 1983, 2191 und 2192. " BGHZ 60, 217 (220); DVB1. 1979, 517; NJW 1981, 681. 20 Vgl. auch Lässig, JuS 1978, 679 (682). 21 Vgl. dazu Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 3. Aufl. 1983, S. 24. 22 BGHZ 75, 134; NJW 1981, 682. 23 Vgl. die Kritik von Papier, in: Münch. Komm., §839 Rdn.998.

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d) Zieht man Bilanz, so ist zunächst festzuhalten, daß die durch teleologische Reduktion verursachte Erosion der Subsidiaritätsklausel per saldo beträchtliche Ausmaße angenommen hat. Allerdings muß man sehen, daß der bisherige Kahlschlag im Bereich der Subsidiarität der Amtshaftung weitergehendere Folgen hat, als die Kritiker des Verweisungsprivilegs vielleicht gewollt haben. Die erste Folge betrifft die Sinngebung der Subsidiaritätsklausel. Der Ausgangspunkt dafür, die Subsidiaritätsklausel als „anachronistisches Fiskusprivileg" zu apostrophieren, war die Haftungsübernahme durch den Staat. Daraus folgt, daß die Subsidiaritätsklausel ihre ursprüngliche Sinngebung, „übertriebene Ängstlichkeit" des Beamten zu vermeiden und seine Entscheidungsfreude zu fördern, jedenfalls für jene Bereiche behalten hat, in denen eine Haftungsübernahme durch den Staat nicht erfolgt ist und deshalb die persönliche Beamtenhaftung fortbesteht. Dazu gehören beispielsweise die Beamten der Ausländerbehörden, wenn sie Amtspflichten gegenüber einem Ausländer verletzen, für den die Gegenseitigkeit nicht verbürgt ist24. Die Begründungen, die nach der Rechtsprechung des BGH für die Einschränkung der Subsidiarität der Amtshaftung gegeben werden, knüpfen jedoch nicht an die Haftungsübernahme durch den Staat, sondern an andere rechtssystematische Erwägungen an, deren Geltung nicht auf die vom Staat übernommene Beamtenhaftung beschränkt ist. Das bedeutet: soweit bislang die Subsidiarität der Amtshaftung in der Rechtsprechung eingeschränkt worden ist, gilt diese Einschränkung ohne Rücksicht darauf, ob im Außenverhältnis der Staat oder der Beamte persönlich haftet. Mir scheint, daß diese Konsequenz noch nicht klar gesehen worden ist. - Die zweite Folge betrifft die Subsidiarität des Aufopferungsanspruchs. Nach feststehender Rechtsprechung des BGH ist der Aufopferungsanspruch als „äußerster Rechtsbehelf" gegenüber den Sozialversicherungsansprüchen subsidiär24'. Die Begründungen für diese Subsidiarität sind nach den neuen Erkenntnissen, die sich in der Rechtsprechung zur Subsidiarität der Amtshaftung durchgesetzt haben, nicht mehr tragfähig. Zumindest beim Aufopferungsanspruch für rechtswidrige Eingriffe scheidet eine Subsidiarität gegenüber Versicherungsansprüchen aus24b. Dies wird der BGH, wenn er seine Rechtsprechung widerspruchsfrei halten will, bedenken müssen.

Vgl. § 7 R B H G ; dazu Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 3. Aufl. 1983, S.59. Vgl. BGHZ 20, 81; 28, 297 (301); 45, 58 (80). 24b So schon Konow, Zur Frage der Subsidiarität der Aufopferungsansprüche, DVBl. 1968, 205 ff. 24

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Dies führt zu dem weiteren Vorschlag einer Radikalkur mit dem Argument: cessante ratione legis lex ipsa cessât25. Die Subsidiaritätsklausel sei insgesamt außer Anwendung zu setzen, weil ihre ratio mit der Haftungsübernahme durch den Staat entfallen sei. Ein solcher Vorschlag ist jedoch nicht ohne weiteres schlüssig, und zwar aus zwei Gründen. Zum einen bleibt die ratio der Subsidiaritätsklausel dort unberührt, wo die persönliche Beamtenhaftung bestehen geblieben ist26. Zum andern kann die These vom Schwinden der ratio des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB in den Fällen der Haftungsübernahme durch den Staat nur dann aufrechterhalten werden, wenn man den Innenregreß aus den Betrachtungen völlig ausscheidet27. - Dies ergibt sich aus einem Vergleich der Verschuldensmaßstäbe zwischen Außenhaftung und Regreß. Die Subsidiarität der Amtshaftung gem. § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB entfällt nur dann, wenn der Beamte vorsätzlich gehandelt hat; sie wird also durch grob fahrlässige Pflichtverletzung nicht berührt. Der Rückgriff auf den Beamten bleibt jedoch gem. Art. 34 Satz 2 GG bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit vorbehalten. Daraus folgt, daß der Beamte - eine entsprechende Praktizierung des Rückgriffs vorausgesetzt2' - trotz der Haftungsübernahme durch den Staat im Außenverhältnis bei grob fahrlässiger Pflichtverletzung haftungsrechtlich schlechter dasteht, wenn die Subsidiaritätsklausel entfällt, als wenn sie fortbesteht. Denn im letzteren Falle kann kraft Subsidiarität eine Haftung auch bei grob fahrlässigem Verhalten unter Umständen völlig entfallen, während sie sonst voll zur Geltung kommen kann. Die These vom Wegfall der ratio der Subsidiaritätsklausel ist also in der Form, in der sie aufgestellt wird, unzutreffend. Man kann demgegenüber m. E. lediglich einwenden, daß es über den Rahmen des Vertretbaren und Legitimierbaren hinausgeht, den Beamten auch bei grob fahrlässigem Handeln vom Haftungsrisiko freizustellen;

25 So Bettermann, D Ö V 1954, 304; Grundrechte III/2, S. 837f.; Marschall von Bieberstein, a. a. O. (Fn. 16), S. 775; Deutsch, J Z 1974, 713; Lässig, JuS 1978, 681 ; Papier, in: Münch. Komm., § 839 Rdn. 198. 26 § 7 R B H G : Amtspflichtverletzungen gegenüber Ausländern, wenn die Gegenseitigkeit nicht verbürgt ist; für selbstliquierende beamtete Ärzte kommunaler oder staatlicher Krankenhäuser: BGHZ 85, 393; Urt. v. 10. Januar 1984 - VI ZR 158/82; danach haftet der beamtete Arzt persönlich (außer aufgrund Vertrages) nach § 839 BGB (Schmerzensgeld!), kann aber insoweit auf den Krankenhausträger (Freistaat Bayern) verweisen, der gem. §§31, 89, 831 BGB haftet. 27 Das wäre jedoch aus der psychologischen Sicht des Beamten nicht sachgemäß. Für den Beamten macht es unter dem Gesichtspunkt „übertriebener Ängstlichkeit" keinen Unterschied, von wem er letztlich in Anspruch genommen wird. 2S Der Hinweis, daß der Regreß in der Praxis „beamtenfreundlich" praktiziert wird, ändert - selbst wenn er sachlich zuträfe - an der Haftungslage nichts.

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insoweit könnte man auf die in Art. 34 Satz 2 G G zum Ausdruck kommende Wertung der Verfassung verweisen 29 . Jedoch wäre dieser Einwand ein rechtspolitischer. E r kann nicht dazu führen, die Subsidiaritätsklausel als Ganzes pauschal zu verabschieden, schon gar nicht mit dem undifferenzierten Hinweis auf den Wegfall ihrer ratio. Insoweit würde das Richterrecht wohl an seine Legitimationsgrenzen stoßen.

2. Ausweitung der Drittbezogenheit von Amtspflichten Eine crux des Amtshaftungsanspruchs bildet seit eh und je die Frage nach der sog. „Drittbezogenheit" von Amtspflichten". Schadensersatz wird nur geleistet, wenn und soweit 31 die verletzte Amtspflicht (auch) „gegenüber dem Geschädigten" bestand. Aktivlegitimation und Umfang des Schadensersatzes werden durch Inhalt, Umfang und Zielrichtung der Amtspflicht determiniert. Die Pflichtwidrigkeit staatlichen Handelns ist Grund und Grenze der staatlichen Unrechtshaftung 32 . Die „Drittbezogenheit" der verletzten Amtspflicht als haftungsbegründendes Tatbestandsmerkmal ist deshalb kein Spezifikum des Amtshaftungsanspruchs, sondern ein Wesenselement jeder Staatshaftung und insofern, wie auch § 1 des Staatshaftungsgesetzes vom 26. Juni 1981 zeigt33, ein ewiges Problem der Staatshaftung. Ist die Pflichtverletzung das konstituierende und legitimierende Element der Amtshaftung, so fällt im Amtshaftungsprozeß der (Be-)Deutung der verletzten Amtspflicht eine zentrale Rolle zu. Die Bestimmung von Inhalt und Umfang der verletzten Amtspflicht wird prozeßentscheidend. Unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit stellen sich insoweit besondere Probleme, als die Amtspflichten im Sinne des § 839 B G B weder irgendwo katalogisiert noch inhaltlich hinreichend umrissen sind34. Die

29 Auch wenn man den Gesetzgeber für befugt erachtet, den Rückgriff auf Vorsatz zu beschränken (vgl. Dagtoglou, in: Bonner Kommentar, Art. 34 Rdn. 348), dürfte doch der in Art. 34 GG ausgesprochene Vorbehalt auch für grobe Fahrlässigkeit den Normalfall markieren. 30 Vgl. Blankenagel, Die „Amtspflicht gegenüber einem Dritten" - Kasuistik oder Systematik?, DVB1. 1981, 15 ff.; Ossenbiihl, Staatshaftungsrecht, 3. Aufl. 1983, S. 36 ff. 31 Vgl. zur „Relativierung der Drittbezogenheit": Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 3. Aufl. 1983, S.40; Kreft, Öffentlich-rechtliche Ersatzleistungen, 1980 = BGB RGRK, 12. Aufl., §839 Rdn. 246. 32 Vgl. auch Entwurf StHG, BT-Drucks. 8/2079 S. 36. 53 § 1 Abs. 1 lautet: „Verletzt die öffentliche Gewalt eine Pflicht des öffentlichten Rechts, die ihr einem anderen gegenüber obliegt, so haftet ihr Träger dem anderen für den daraus entstehenden Schaden nach diesem Gesetz". 34 Vgl. Blankenagel, DVB1. 1981, 16 („juristisches Potpourri").

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Drittbezogenheit der Amtspflicht stellt demnach eine entwicklungsoffene Flanke des Amtshaftungsanspruchs dar. Dies zeigen erneut die in den letzten 5 Jahren ergangenen Urteile des Bundesgerichtshofes zur Bankenaufsicht35. Sie betreffen die Frage, ob die staatliche Bankenaufsicht durch das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen lediglich das Ziel hat, die ordnungsgemäße Durchführung der Bankgeschäfte zu gewährleisten und Nachteile für die Gesamtwirtschaft abzuwenden, oder auch dem Zweck dient, die Gläubiger des einzelnen Kreditinstituts vor Verlusten zu schützen. Diese Frage hat nicht nur einen fundamentalen dogmatisch-methodischen Aspekt; sie ist auch von nahezu existentieller Bedeutung für die Bankenaufsicht und für die Staatsfinanzen. In einem der einschlägigen Konfliktsfälle standen nicht weniger als 200 Mio DM auf dem Spiel"; zum Vergleich: das Finanzvolumen der Staatshaftungsausgaben im Jahre 1972 lag für Bund, Länder und Gemeinden insgesamt deutlich unter 20 Mio DM37, betrug also weniger als '/ίο der Summe eines einzigen Anspruchs. Die praktische Relevanz liegt des weiteren darin, daß der Bundesgerichtshof die grundsätzliche Einbeziehung der einzelnen Gläubiger in den Schutzumfang der Bankenaufsicht mit Erwägungen begründet, die verallgemeinerungsfähig sind und deren Übertragung auf andere Gebiete staatlicher Wirtschaftsaufsicht (z.B. Versicherungswesen, Kartellaufsicht)38 nahegelegt wird. Richtet man den Blick auf die dogmatischen Zusammenhänge, so bietet sich außer dem ganz natürlichen Aufschrei des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen und einer gewissen Hysterie3' anderer Betroffener nichts Absonderliches. Methodisch durch und durch kunstgerecht versucht der Bundesgerichtshof durch Auslegung des § 6 des Gesetzes über das Kreditwesen zu ermitteln, welcher Inhalt, Umfang und welche Schutzrichtung der Bankenaufsicht zuzumessen ist. Daß das Gericht hierbei fündiger 35 BCHZ 74, 144 ; 75, 120; NVwZ 1982, 269; zustimmend: Kopf/Bäumler, Die neue Rechtsprechung des B G H zur Amtshaftung im Bereich der Bankenaufsicht, N J W 1979, 1871; Papier, Wirtsdhaftsaufsicht und Staatshaftung, JuS 1980, 265; ders., in: Münchener Kommentar, § 839 Rdn. 158; Karl Bender, Die Amtspflichten des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen gegenüber einzelnen Gläubigern eines Kreditinstitutes, N J W 1978, 622; Gisela Meister, Drittbezogene Amtspflichten bei der staatlichen Aufsicht über Banken und Versicherungen, 1982; kritisch: Püttner, Von der Bankenaufsicht zur Staatsgarantie für Bankeinlagen?, J Z 1982, 47 m. w. N.

Vgl. Kopf/Bäumler, N J W 1979, 1871. Vgl. BT-Drucks. 8/2079 S.23. 3 ! Vgl. Gisela Meister, Drittbezogene Amtspflichten bei der staatlichen Aufsicht über Banken und Versicherungen, 1982. 39 Vgl. z . B . Starke, Drittschutzwirkung der Bankenaufsicht und ihre Konsequenzen, W M 1979, 1402 (1420) (Nichtigkeit des BGH-Urteils!). 34 37

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geworden ist als frühere Interpreten, kann nur denjenigen verwundern, der die Entwicklung der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zu den sog. nachbar- und drittschützenden Normen verpaßt hat. Jeder Kenner dieser Rechtsprechung weiß, daß es den Verwaltungsgerichten nach jahrzehntelanger Züchtung gelungen ist, aus dem Humus objektiver Aufgabennormen viele zunächst zarte Pflänzchen in Gestalt subjektiv-öffentlicher Rechte hervorsprießen zu lassen, die aber immer mehr in Wildwuchs ausarten und den gutwilligen Gärtner zunehmend in Atem halten. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Bankenaufsicht erscheint in dieser Sicht nur als ein später Versuch, sich an der neuen Bodenkultur zu beteiligen. In der Tat: schon in der Begründung zum Staatshaftungsgesetz wird die gleichsam rechtslogisch gebotene Kongruenz zwischen dem primären und sekundären Rechtsschutz hervorgehoben40. Dies bedeutet: Schadensersatz wegen einer Pflichtverletzung kann nur derjenige verlangen, der sich als Betroffener auch im primären Rechtsschutz unmittelbar gegen die Pflichtverletzung wenden könnte. Methodisch und im System gesehen läßt sich die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Bankenaufsicht m. E. nicht erfolgreich angreifen, mag man auch über die Bewertung einzelner Auslegungsschritte geteilter Meinung sein können41. Ernstere Zweifel ergeben sich erst bei den ja durchaus legitimen Folgenerwägungen. Dies in zweifacher Hinsicht. Zum einen bedeutet die Ausweitung der staatlichen Bankenaufsicht auf den konkret-individuellen Gläubigerschutz eine Neubestimmung der Risikoverteilung in der Kreditwirtschaft. „Von der Bankenaufsicht zur Staatsgarantie für Bankeinlagen?"42, so lautet der provozierende Titel einer kritischen Stellungnahme. Letztlich geht es darum, ob man einen Bankzusammenbruch als von jedem selbst zu tragendes Risiko der freien Marktwirtschaft zu qualifizieren hat oder nicht. - Zum anderen geht es darum, ob die Ausweitung der Bankenaufsicht auf den konkret-individuellen Gläubigerschutz zu einer finanziell untragbaren Staatshaftung führen würde. Die bisher vorliegenden Urteile haben einen solchen Einbruch nicht bewirkt. Verschiedene Haftungsbremsen haben eine weiche Landung auf neuem Boden garan-

40 BT-Drucks. 8/2079 S. 36. - Dieser Zusammenhang kann allerdings auch zu einer Restriktion von Entschädigungsansprüchen führen (vgl. BGH DVB1. 1983, 628 betr. § 39 I b O B G N W , wonach eine „rechtswidrige Maßnahme" nur dann einen Entschädigungsanspruch herbeiführt, wenn die verletzte Norm auch den Geschädigten schützen soll (Nachbarschutz im BauR)). 41 Unterschiedliche Deutungen findet man ζ. B. hinsichtlich der Entstehungsgeschichte des KWG.

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Püttner, JZ 1982, 47.

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tiert: über die sachangemessene Umreißung des Ermessens des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen 43 , die restriktive Fassung der Kausalität und das Mitverschulden des einlegenden Bankgläubigers lassen sich die Haftungsfolgen sachangemessen begrenzen. Vom praktischen Nutzeffekt aus der Sicht der Bankengläubiger gesehen fand bisher nicht mehr statt als ein Sturm im Wasserglas. Damit aber auch dieses nicht überschäumt, geschieht ein weiteres: nach einem Anfang des Jahres eingebrachten Gesetzentwurf der Bundesregierung 44 wird §6 des Gesetzes über das Kreditwesen in der Weise klargestellt, daß die Bankenaufsicht „nur im öffentlichen Interesse" wahrgenommen werde. Damit wäre dann wiederum dem Satz von Kirchmann Genüge getan: „Drei berichtigende Worte des Gesetzgebers und ganze Bibliotheken werden zu Makulatur" 45 .

III. Bestand und Gestalt des enteignungsgleichen Eingriffs Der Amtshaftungsanspruch weist als Anspruchsgrundlage für den Ausgleich von hoheitlichem Unrecht erhebliche Haftungsdefizite auf, die auch durch eine großzügige Rechtsprechung nicht kompensiert werden können. Das gilt namentlich für das Verschulden als Haftungsvoraussetzung. Dieses Haftungsdefizit hat die Rechtsprechung schon frühzeitig dazu veranlaßt, einen Ersatzanspruch für rechtswidrige, aber schuldlose Eingriffe von hoher Hand zu entwickeln. Das Reichsgericht hat insoweit Anlehnung an §75 EinlALR, also an den allgemeinen Aufopferungsanspruch gesucht*. Der Bundesgerichtshof ist demgegenüber einen anderen, wie sich später herausstellte, verhängnisvolleren Weg gegangen. Er hat auf der Grundlage des Art. 14 G G den sog. enteignungsgleichen Eingriff entwickelt 47 , dessen Name, Tatbestandsprofil und Rechtsfolge seine Abstammung deutlich verraten. Der enteignungsgleiche Eingriff diente als neues Haftungsinstitut u. a. der Uberwindung der bekannten strukturellen Mängel und Haftungsdefizite der Amtshaftung und der zeitgerechten Fortentwicklung der Staatsunrechtshaftung 48 . In ihrer gegenwärtigen Gestalt hat die Haftung aus enteignungsgleichem Eingriff - jedenfalls partiell - den Stand einer unmittelbaren, primären und verschuldensunab43

Vgl. Oppermann/Tiemann, Verschuldensmaßstäbe bei Amtshaftung der Deutschen Bundesbank, 1983. 44 BR-Drucks. 60/84 S.2, 19, 20. 45 Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, 1848 [Nachdruck 1973], S. 25. 46 RGZ 140, 276 (283). " Vgl. Ossenbiihl, Staatshaftungsrecht, 3. Aufl. 1983. 48 Vgl. Papier, bei Maunz/Dürig/Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Art. 14 Rdn. 598.

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hängigen Staatshaftung erreicht 4 '. Diese Entwicklung, die Anfang der 50er Jahre einsetzte, ist ungeachtet begleitender Kritik im einzelnen in den vergangenen drei Jahrzehnten jedenfalls im Grundsatz vom Fachschrifttum positiv aufgenommen worden. Das Bedürfnis nach einer Entschädigung in den in Rede stehenden Fällen und damit die Begründung einer verschuldensunabhängigen Staatshaftung wurde allgemein anerkannt. Meinungsverschiedenheiten gab es nicht über das Ziel, auch nicht über die Legitimation des Richters zur Fortbildung des Staatshaftungsrechts, sondern lediglich über den dogmatisch richtigen Weg oder, genauer gesagt, über den Startpunkt, von dem aus das anvisierte Ziel zu erreichen sei. Der Bundesgerichtshof ist von Art. 14 G G aus „gestartet". Der von diesem Startpunkt beschrittene Weg war kurven- und dornenreich, aber begehbar. Heute jedoch stellt sich die Frage, ob das Bundesverfassungsgericht in seinem Naßauskiesungsbeschluß 50 mit einer Neuorientierung der inneren Systematik des Art. 14 G G den Weg, den der B G H gegangen ist, völlig versperrt hat, ob der B G H zu einer Ausweichbewegung gezwungen und überhaupt in der Lage ist, oder ob er nicht etwas tun sollte, was einige von Anfang an empfohlen hatten51, nicht den Weg des Art. 14 G G zu gehen, sondern über den allgemeinen Aufopferungsanspruch zu marschieren, so wie es das Reichsgericht schon viel früher getan hat.

1. Bedeutung des Naßauskiesungsbeschlusses des BVerfG Zunächst können in wenigen Sätzen einige vor kurzer Zeit noch umstrittene Feststellungen getroffen werden. Entgegen voreiligen Todeserklärungen 52 hat der enteignungsgleiche Eingriff als Haftungsinstitut die Neuordnung der inneren Systematik des ' Papier, wie vorige Fußnote, Rdn.603. BVerfG E 58, 300. 51 Vgl. z . B . Hans ]. Wolff, Verwaltungsrecht I, 4. Aufl. 1961, S.378; Wolff/ Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl. 1974, S. 529; Selmer, Der Aufopferungsanspruch auf vermögensrechtlichem Gebiet, Diss. Frankfurt, 1965. 52 Vgl. Scholz, NVwZ 1982, 337 (347); Bull, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1982, S.403 f.; Dolde N J W 1982, 1797 mit F n . 2 0 2 ; Schrödter, DVB1. 1982, 323 (328); Berkemann, J R 1982, 229 (232); Rupp, N J W 1982, 1731 (1733); - vgl. auch Kreft, N J W 1982, 1578; Baur, N J W 1982, 1734 (1735f.); Bäumler, D Ö V 1980, 341; H. Weber, JuS 1982, 855; LG München, NVwZ 1983, 636. Für eine (eingeschränkte) Fortgeltung: Ossenbühl, N J W 1983, 1 ff.; Schwerdtfeger, JuS 1983, 105 (110); ders., Die dogmatische Struktur der Eigentumsgarantie, 1983, S.25ff.; Papier, NVwZ 1983, 258ff.; ders., in: Maunz/Dürig/Herzog, Art. 14 Rdn.631 ff.; Bender, BauR 1983, Iff.; J.Ipsen, DVB1. 1983, 1029 (1032ff.); Hendler, DVB1. 4

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1983, 873 (881 ff.); Götz, DVB1. 1984, 395; ders., AgrarR 1984, 1; Rüfner, in: Erichsen/Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl. 1983, § 5 2 I 2, S.481, 482; Scheuing, in: Festschrift für Bachof, 1984, S. 359 Fn.65; Boujong, Enteignungsgleicher und enteignender Eingriff, U P R 1984, 137 ff.

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Art. 14 GG durch den Naßauskiesungsbeschluß des Bundesverfassungsgerichts überlebt. Zwar hat der Naßauskiesungsbeschluß die Eigentumsordnung in vieler Hinsicht zum Beben gebracht". Aber der enteignungsgleiche Eingriff war von Art. 14 GG, dem Epizentrum dieses Bebens, schon zu weit entfernt, um ernsthaft erschüttert zu werden. Heute geht es nicht mehr um die Frage, ob der enteignungsgleiche Eingriff überlebt hat, sondern wie er überlebt hat; ob er seine ursprünglich infolge dogmatischer Geburtsfehler nicht gerade ansehnliche, aber doch in ihrer juristischen Potenz kraftvolle Gestalt behalten hat oder zum Krüppel geworden ist. Die Bedeutung des Naßauskiesungsbeschlusses des Bundesverfassungsgerichts für den enteignungsgleichen Eingriff besteht darin, daß Herkunft und Gestalt, Grundlage und Anwendungsbereich, Tatbestandsprofil und Rechtsfolgen des enteignungsgleichen Eingriffs grundsätzlich neu überdacht und neu orientiert werden müssen. Insoweit kann die Krise, in die der enteignungsgleiche Eingriff geraten ist, zu einer heilsamen Wende für das Staatshaftungsrecht im ganzen führen. 2.

Rechtsgrundlage

Die Zukunft des enteignungsgleichen Eingriffs hängt weitgehend davon ab, welche Rechtsgrundlage man für ihn als tragend und tragfähig erachtet. Wie schon erwähnt, hat der Große Senat für Zivilsachen in seiner Ausgangs- und Grundsatzentscheidung vom 10.Juni 1952" den enteignungsgleichen Eingriff in „entsprechender Anwendung des Art. 14 GG"55 entwickelt, aber an mehreren Stellen deutlich gemacht, daß er die Entschädigung wegen rechtswidriger Eigentumsverletzung in Analogie zu Art. 14 GG nur als einen Anwendungsfall des allgemeinen Aufopferungsgedankens der §§ 74, 75 EinlALR versteht56. Nachdem der enteignungsgleiche Eingriff sein eigenes Profil erhalten hatte, ist die Analogiestütze des Art. 14 GG nur noch gelegentlich erwähnt", also - bildlich gesprochen - „abgelegt" worden. Der enteignungsgleiche Eingriff war gleichsam selbständig geworden; er stand auf eigenen Beinen, bedurfte nicht mehr der Anlehnung an Art. 14 GG. Diese Verselbständigung wird nunmehr in der Grundsatzentscheidung des BGH vom 26. Januar 198458, die aus dem

" Vgl. z.B. Baur, NJW 1982, 1734. 54 BGHZ 6, 270. 55 BGHZ 6, 270 (291); es ist nicht die Rede von „entsprechender Anwendung des Art. 14 Abs. 3 GG".

56 57 58

BGHZ 6, 270 (275, 291). BGHZ 76, 375 (384).

DVB1. 1984, 391 = NJW 1984, 1169.

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Naßauskiesungsbeschluß des Bundesverfassungsgerichts erste Konsequenzen zieht, mit Nachdruck betont. Mit drei Erwägungen wird der enteignungsgleiche Eingriff aus dem Einflußbereich des Art. 14 GG entfernt und damit gegen Erschütterungen immunisiert, die durch die Neuordnung der inneren Systematik der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG ausgelöst worden sind. Erstens wird hervorgehoben, daß der enteignungsgleiche Eingriff zwar aus dem Eigentumsschutz des Art. 14 GG abgeleitet sei, „seine Ausgestaltung im einzelnen nach Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen aber auf der Ebene des einfachen Rechts liege". - Damit grenzt der BGH seine Rechtsfortbildungskompetenz gegenüber dem Interpretationsvorrang des Bundesverfassungsgerichts auf der Ebene des Grundgesetzes ab. Vor allem aber bewahrt er seine bisherige Rechtsprechung davor, daß ein Umräumen im Obergeschoß der Verfassung unmittelbar auf den enteignungsgleichen Eingriff im Erdgeschoß des einfachen Rechts durchschlägt. Zweitens weist der BGH - wiederum zutreffend - darauf hin, daß die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Naßauskiesung nur die „Enteignung" im engeren Sinne betrifft5', die ihrerseits mit dem Thema des enteignungsgleichen Eingriffs nichts zu tun hat. Drittens heißt es schließlich im Hinblick darauf, daß Art. 14 Abs. 3 GG eine Entschädigung wegen rechtswidriger Eigentumsverletzung nicht zur Verfügung stellt: „Der Aufopferungsgedanke in seiner richterrechtlich geprägten Ausformung bietet eine hinreichende Anspruchsgrundlage, die dort zum Zuge kommt, wo es sich nicht um eine Enteignung i. S. von Art. 14 Abs. 3 GG handelt." Damit ist der enteignungsgleiche Eingriff als eine kraft Gewohnheitsrechts geltende Anspruchsgrundlage auf der Ebene des einfachen Rechts charakterisiert60. Diese Charakterisierung sollte auch im Etikett zum Ausdruck kommen. Schon mit Rücksicht auf den anders gearteten Enteignungsbegriff des Bundesverfassungsgerichts erscheint es aus Gründen der Klarheit angebracht, anstatt vom „Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff" vom „Anspruch aus rechtswidriger Eigentumsverletzung" zu sprechen. Damit würde nicht nur zum Ausdruck kommen, daß es sich um

59 Ebenso: Ossenbühl, N J W 1983, 1 (3); ders., Staatshaftungsrecht, 3. Aufl. 1983, S. 114; Hendler, DVB1. 1983, 873ff. (875); J.Ipsen, DVB1. 1983, 1029 (1033); Boujong, U P R 1984, 137; Krohn/Löwisch, Eigentumsgarantie, Enteignung, Entschädigung, 3. Aufl. 1984, Rdn.24ff. ω Vgl. Boujong, U P R 1984, 137f.; Papier, bei Maunz/Dürig/Herzog, Art. 14 Rdn. 632. Von „Verfassungsgewohnheitsrecht" spricht Scheuing, Haftung und Gesetze, in: Festschrift für Bachof, 1984, S.359 mit F n . 6 9 ; hiergegen: J.Ipsen, DVB1. 1983, 1029 (1035 f.).

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ein selbständiges, von Art. 14 G G gelöstes Anspruchsinstitut handelt; es würde vor allem auch durch das Attribut „rechtswidrig" deutlich markiert, welche Funktion diesem Anspruchsinstitut von Anfang an zugedacht war. Denn das Motiv aller rechtsschöpferischen Bemühungen um den enteignungsgleichen Eingriff bestand von Anfang an darin, Ersatz auch dort zu begründen, wo der Amtshaftungsanspruch versagte. Bei näherem Zusehen ergibt sich, daß es sich bei dem Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff um einen „verdeckten Staatshaftungstatbestand" 61 handelt. Er bildete und bildet auch heute noch eine Rechtsgrundlage für den (partiellen) Ausgleich staatlichen Unrechts. Diese lückenfüllende Funktion des „Anspruchs aus rechtswidriger Eigentumsverletzung" war ungeachtet dogmatischer Detailkritik - von Anfang an erkannt und und anerkannt. Insoweit ist der „Anspruch aus rechtswidriger Eigentumsverletzung" heute, nach mehreren Jahrzehnten ein selbständiges gewohnheitsrechtliches Anspruchsinstitut geworden, das keiner Anlehnung oder Stützung mehr bedarf, weder durch Art. 14 G G noch durch den allgemeinen Aufopferungsgedanken. Aufgrund allgemeiner Rechtsüberzeugung und ständiger Übung als Gewohnheitsrecht anerkannt, ist der „Anspruch aus rechtswidriger Eigentumsverletzung" ein Schulbeispiel geglückter Rechtsfortbildung. Der Anspruch trägt als gewohnheitsrechtliches Institut seine Rechtfertigung, Legitimation und Geltungskraft in sich selbst'2. Die Krücken positivierter Regelungen sind abgelegt und überflüssig geworden. In dieser längst fälligen Neubestimmung der Rechtsgrundlage des enteignungsgleichen Eingriffs, die durch den Naßauskiesungsbeschluß angeregt worden ist, eröffnen sich für die Fortentwicklung des Staatshaftungsrechts Chancen und Gefahren. Sie resultieren daraus, daß der enteignungsgleiche Eingriff als Anspruchsinstitut die Haftung des Staates für dem Bürger zugefügtes Unrecht nur teilweise zu begründen vermag. Aufgrund der beschränkten Rechtsfolge („Entschädigung" statt „Schadensersatz") und des an der Enteignung orientierten Tatbestandsprofils bleibt ein gewisser Bereich staatlichen Unrechts haftungsrechtlich unerschlossen. Das Problem der Zukunft des Staatshaftungsrechts besteht nun darin, ob es „generelle Aufgabe der Rechtsprechung" sein kann, anders gesprochen: ob der B G H aus eigener Kraft und Legitimation in der Lage ist, das Institut des enteignungsgleichen Eingriffs „von den Elementen des Enteignungsrechts

" Jörn Ipsen, DVB1. 1983, 1029 (1034). So auch Jörn Ipsen, wie vorige Fußnote.

62

20

zu befreien" 63 und zu einer gleichsam flächendeckenden Generalanspruchsgrundlage für den vollen Ersatz des durch staatliches Unrecht zugefügten Schadens weiterzuentwickeln. Die Schwere dieser Aufgabe erschließt sich, wenn man sich vor Augen führt, was dem enteignungsgleichen Eingriff alles fehlt, um zu einer flächendeckenden Generalanspruchsgrundlage bei Staatsunrecht zu avancieren. 3.

Rechtsfolgeprobleme

Insoweit ist als erstes darauf hinzuweisen, daß der enteignungsgleiche Eingriff in der Rechtsfolge auf „Entschädigung", nicht auf „Schadensersatz" gerichtet ist. Darin liegt ein grundlegender Unterschied 64 . Die Entschädigung „ist anders als der Schadensersatzanspruch ihrem Wesen nach nicht darauf gerichtet, den Eingriff ungeschehen zu machen"65. Sie ist vielmehr nach Umfang und Höhe grundsätzlich durch den Wert des entzogenen Objekts bestimmt. Die rechtswidrige Vorenthaltung der Bauerlaubnis führt nicht zum Ersatz für die inzwischen eingetretene u . U . beträchtliche Verteuerung der Baukosten, sondern lediglich zur Zahlung einer Bodenrente, die aus einem fiktiven Miet-, Pacht- oder Erbbauzins resultiert". Der Unterschied ist regelmäßig beträchtlich. Andererseits ist nicht zu übersehen, daß die Rechtsprechung mit der Anerkennung von sog. Folgeschäden67, etwa bei der notwendigen Verlegung eines Gewerbebetriebes, und der Anerkennung des Ersatzes des merkantilen Minderwertes 68 erste wichtige Schritte in Richtung auf einen vollen Schadensersatz getan hat. Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang auch, daß das Bundessozialgericht mit dem sozialversicherungsrechtlichen Herstellungsanspruch als Haftungsinstitut für staatliches Unrecht bereits eine Anspruchsgrundlage entwickelt hat, die auf vollen Schadensersatz gerichtet ist6'. Nachdem der enteignungsgleiche Eingriff seine Vermummung abgelegt und als gewohnheitsrechtlich erhärtete

63

So J ö r n Ipsen, DVB1. 1983, 1029 (1037). Vgl. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 3. Aufl. 1983, S. 138 ff., 160ff. 65 BGH N J W 1972, 1574 (1575); N J W 1975, 1966 (1967). 66 BGHZ 30, 338 (351); 65, 182 (189); N J W 1980, 1567 (1571); W M 1980, 658 (660). 67 Vgl. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 3. Aufl. 1983, S. 141 ff. 68 BGH N J W 1981, 1663. 69 Vgl. Harald Bogs, Sozialversicherungsrechtlicher Schadensausgleich im Staatshaftungssystem, in: Festschrift BSG, 1980, S. 149ff.; Karl-Jürgen Bieback, D e r sozialrechtliche Herstellungsanspruch als Institut staatlicher H a f t u n g für rechtswidriges Verwaltungshandeln, DVB1. 1983, 159 ff. 64

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Anspruchsgrundlage für den Ausgleich hoheitlichen Unrechts voll ins Licht gerückt ist, können die schon vollzogenen Schritte zur Totalreparation als die der Unrechtshaftung entsprechende Rechtsfolge durch weitere Schritte ergänzt werden. Eine unvermittelte pauschale Umstellung der Rechtsfolge auf vollen Schadensersatz dürfte hingegen nicht nur die Frage nach den Grenzen des Richterrechts aufwerfen, sondern auch die schon aus der Staatshaftungsreform bekannten Ungewißheiten über die finanziellen Folgen eines solchen Schritts erneut bewußt werden lassen.

4.

Tatbestandsprobleme

Von einer umfassenden Anspruchsgrundlage für Schadensersatz wegen hoheitlichen Unrechts unterscheiden den enteignungsgleichen Eingriff auch seine an der Enteignung im technischen Sinne orientierten Tatbestandselemente. a) Dies gilt zunächst für die Beschränkung der Entschädigung auf „vorhandene Eigentumspositionen" 70 . Nicht jede Rechtsverletzung löst Entschädigungspflichten der öffentlichen Hand aus. Voraussetzung für eine Entschädigung ist vielmehr der „Eingriff" in eine als Eigentum im Sinne des Art. 14 G G geschützte konkrete Rechtsposition. In dieser Beschränkung liegt ein ebenso schwieriges wie in der Praxis wirksames Haftungsbegrenzungselement des enteignungsgleichen Eingriffs. Welche Unsicherheiten sich sogleich einstellen, wenn es darum geht, das Eigentum als Rechtsposition zu umgrenzen, ist hinlänglich bekannt 71 . Diese Unsicherheiten teilen sich naturgemäß dem enteignungsgleichen Eingriff mit. Ungeachtet dessen erfaßt der enteignungsgleiche Eingriff jedenfalls nicht den schädigenden Eingriff in andere Rechts- oder Grundrechtspositionen, wie etwa Art. 12 G G (Erwerbsschutz!) 72 und auch nicht generell den Schutz des Vermögens 73 . Damit bleiben unbeschadet einer denkbaren Amtshaftung im Einzelfall jene Fälle entschädigungslos, in denen der Staat durch rechtswidrige Verweigerung einer Gewerbeerlaubnis den Bürger in seinen beruflichen Plänen stört und schädigt, und auch jene Fälle, in denen der Bürger durch rechtswidrig erhobene Steuern und

70

BGHZ 78, 41.

Vgl. die Kritik von Baur, NJW 1982, 1734 am Naßauskiesungsbeschluß des BVerfG. 72 Vgl. dazu Ulrich Battis, Erwerbsschutz durch Aufopferungsentschädigung, 1969. 73 Vgl. BGH WM 1982, 663 (Bardepot); dazu krit. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 3. Aufl. 1983, S. 153 Fn. 1. 71

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Angaben u.U. erhebliche Schäden in Gestalt von Zinsverlusten oder Zinszahlungen bei gebotener Kreditaufnahme erleidet. Solche und andere Fälle bei Entschädigungsbedürftigkeit mit abzudekken, wäre der enteignungsgleiche Eingriff nur in der Lage, wenn das ihn prägende und ihm seinen Namen gebende Tatbestandselement, nämlich „Schutz vorhandener Eigentumspositionen", nur noch als ein Anwendungsbereich dieses Anspruchsinstituts verstanden würde. Bei der schon dargelegten Abkoppelung von Art. 14 GG und auch von dem Aufopferungsgedanken bestehen für eine Erweiterung des Anwendungsbereichs an sich keine unübersteigbaren Hindernisse. Doch stellt sich hier aufs neue die Frage, ob die dritte Gewalt nicht überfordert ist, wenn man von ihr gleichsam im Handstreich die Lösung eines Problems erwartet, das der parlamentarische Gesetzgeber trotz eingehender Beratungen wegen finanzpolitischer Bedenken nicht einmal in 10 Jahren bewältigt hat. b) Eine weitere Einschränkung des Anwendungsbereichs des enteignungsgleichen Eingriffs resultiert daraus, daß der BGH als „Eingriff" i. S. dieses Anspruchsinstituts nur positives Handeln des Staates verstanden und damit die Rechsfigur einer „Enteignung durch Unterlassen" ausgeschlossen hat74. Diese Restriktion folgt ersichtlich aus der ursprünglichen Anlehnung des enteignungsgleichen Eingriffs an die Enteignung im technischen Sinne, die ihrerseits die Inanspruchnahme (das Nehmen), nicht das Vorenthalten (das Nichtgeben) umfaßte. Nachdem der enteignungsgleiche Eingriff als Anspruchsgrundlage des Staatshaftungsrechts auf eigenen Beinen steht, ist die in der Rechtsprechung übliche Trennung zwischen Handeln und Unterlassen reif zur Verabschiedung. Unter dem Gesichtspunkt der Wiedergutmachung von Unrecht war sie immer willkürlich, weil nach der Rechtsordnung ein Unterlassen bei gegebener Rechtspflicht zum Handeln durchgehend dem positiven Tun gleichzuachten ist75. Insoweit wird der BGH seine bisherige Rechtsprechung neu bedenken müssen. c) Aus dem Tatbestand des enteignungsgleichen Eingriffs kann ferner das Element „zum Wohle der Allgemeinheit" ausgeschieden werden. Dieses Tatbestandsmerkmal ist auf rechtmäßige Eingriffe gemünzt und demzufolge der Enteignung und der in den §§ 74, 75 EinlALR fixierten Aufopferungslage immanent. Im Zusammenhang mit rechtswidrigen Eingriffen hat es nie einen rechten Sinn erfüllen können76. Einer Staatsunrechtshaftung ist es der Sache nach fremd. Vgl. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 3. Aufl. 1983, S. 157ff. Vgl. Ossenbühl, wie vorige Fußnote, S. 158; Löwer, Staatshaftung für unterlassenes Verwaltungshandeln, 1979. 74

75

76 Vgl. Ossenbühl, wie vorige Fußnote, S. 82, 154; Papier, H e r z o g , Art. 14 R d n . 6 1 3 .

bei Maunz/Dürig/

23

d) Angepaßt werden müßte schließlich die Verjährungsfrist", die für den enteignungsgleichen Eingriff 30 Jahre beträgt 78 , für die Unrechtshaftung hingegen im allgemeinen wesentlich kürzer ausfällt7'.

5. Z«r Subsidiarität des enteignungsgleichen

Eingriffs

Weit problemreicher ist ein weiteres negatives Tatbestandselement, welches der B G H durch Entscheidung vom 26. Januar 198480 dem enteignungsgleichen Eingriff eingefügt hat. Dabei geht es um die Subsidiarität des enteignungsgleichen Eingriffs gegenüber anderen Abwehrmöglichkeiten, die unsere Rechtsordnung gegenüber dem Staat eröffnet. Der Antrieb für die neu entfachte Diskussion über die Subsidiarität des enteignungsgleichen Eingriffs geht vom Naßauskiesungsbeschluß aus. In unausgesprochenem Bezug auf die frühere Rechtsprechung des B G H vermerkt das Bundesverfassungsgericht, der Betroffene habe kein Wahlrecht, „ob er sich gegen eine wegen Fehlens der gesetzlichen Entschädigungsregelung rechtswidrige „Enteignung" zur Wehr setzen oder unmittelbar eine Entschädigung verlangen will. Läßt er den Eingriffsakt unanfechtbar werden, so verfällt seine Entschädigungsklage der Abweisung". Es heißt dann verallgemeinernd weiter: „Wer von den ihm durch das Grundgesetz eingeräumten Möglichkeiten, sein Recht auf Herstellung des verfassungsmäßigen Zustandes zu wahren, keinen Gebrauch macht, kann wegen eines etwaigen, von ihm selbst herbeigeführten Rechtsverlustes nicht anschließend von der öffentlichen Hand Geldersatz verlangen" 81 . Das Prinzip der Subsidiarität der Entschädigung folgt nach dem Kontext des Naßauskiesungsbeschlusses aus dem Vorrang der Bestandsgarantie des Eigentums gegenüber der in Art. 14 Abs. 3 G G zum Ausdruck kommenden Wertgarantie. Die Aussage des Bundesverfassungsgerichts ist also auf die Enteignung im technischen Sinne beschränkt. Sie hat deshalb für den enteignungsgleichen Eingriff keine unmittelbare Bedeutung. D e r B G H konnte die Betonung des Gedankens der Subsidiarität der Entschädigung jedoch als Anregung verstehen, seine bisherige Rechtsprechung insoweit zu überprüfen. Dies ist geschehen. In Anknüpfung an frühere Erkenntnisse 82 hat das Gericht das Prinzip der Subsidiarität der Entschädigung, allgemeiner gesprochen und anders ausgedrückt, den Vorrang des Primärrechtsschutzes vor dem Sekundärrechtsschutz, mit

77 78 79 80 81 82

Vgl. Jörn Ipsen, DVB1. 1983, 1029 (1037). BGHZ 72, 273. §852 BGB; ferner z.B. §41 OBG NW und §13 StHG. DVB1. 1984, 391 = NJW 1984, 1169. BVerfGE 58, 300 (324). BGHZ 76, 387 (394); 56, 57 (65).

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dem Rechtsgedanken des §254 BGB aufgenommen und zum negativen Tatbestandsmerkmal des enteignungsgleichen Eingriffs ausgeformt. Dieses negative Tatbestandsmerkmal läßt sich vorerst wie folgt umreißen: macht der Betroffene von den ihm nach der Rechtsordnung zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfen in zumutbarer Weise keinen Gebrauch, so daß ihm sein Unterlassen als „Verschulden in eigener Angelegenheit" angerechnet werden kann, so steht ihm im Regelfall ein Entschädigungsanspruch für solche Nachteile nicht zu, die er mit den Mitteln des Primärrechtsschutzes hätte vermeiden können83. So weit, so gut. Im Prinzip wird man den Vorrang des Primärrechtsschutzes vor dem Sekundärrechtsschutz akzeptieren können, obwohl tieferdringende Begründungen bis heute fehlen'4. Aber der Teufel steckt bekanntlich nicht im Prinzip, sondern im Detail. Das wird sogleich deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, wie das Prinzip der Subsidiarität praktisch gehandhabt werden soll. Vorgewarnt ist man insoweit schon durch die Anwendungsschwierigkeiten des § 839 Abs. 3 BGB, der in vergleichbarer Weise den Anspruchsverlust an den Nichtgebrauch von Rechtsmitteln zur Schadensabwendung knüpft. Zunächst geht es mir darum, die durch das Prinzip der Subsidiarität aufgeworfene Problematik zu illustrieren. Außerhalb des Problemfeldes stehen jene Fälle, in denen ein Primärrechtsschutz von vornherein ausscheidet, ζ. B. plötzlich eintretende Schädigungen durch hoheitliche Realakte oder Verzögerungsschäden bei rechtswidrig vorenthaltener Bauoder Gewerbeerlaubnis85. Aber wie soll in folgenden Fällen geurteilt werden? Erstens: Die Behörde erläßt aufgrund eines mit Entschädigungsregelung versehenen ordnungsgemäßen Enteignungsgesetzes einen rechtswidrigen Enteignungsakt. Muß der Betroffene die Anfechtung betreiben? Auch dann, wenn die Rechtslage unklar, ein Prozeß mit Risiken versehen ist86? Und weiter: welcher Prozeß wäre ohne Risiken angesichts des aus der Rechtspraxis überlieferten Erfahrungssatzes: „Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand." - Und wer trägt die Prozeßkosten, BGH DVBl. 1984, 391 (395). Von selbst versteht sich die Obliegenheit zur Schadensabwendung. Indessen geht es bei der Alternative Primärrechtsschutz oder Sekundärrechtsschutz um höchst ungewisse Wege. - Für verfehlt halte ich den Standpunkt, der Vorrang des Primärrechtsschutzes folge daraus, daß im demokratischen Rechtsstaat der Einzelne die Pflicht habe, an der Durchsetzung des Rechts nicht nur um seiner selbst willen, sondern auch um der Sozialordnung willen mitzuwirken (so Klecatsky, Das Staatshaftungsrecht in Osterreich, in: Kopp (Hrsg.), Entwicklungen im Staatshaftungsrecht, 1982, S. 33 ff. (42). 8)

84

85 86

Vgl. OssenbUhl, N J W 1983, 1 (3, 5); Boujong, U P R 1984, 137ff. (139). Vgl. Boujong, U P R 1984, 137 ff. (140).

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wenn der Betroffene, weil er es zur Vermeidung von Rechtsverlusten für notwendig hält, Primärrechtsschutz in Anspruch nimmt - und verliert? Zweiter Fall: Eine Straße wird aufgrund fehlerhafter Vermessung über ein Privatgrundstück geführt. Der Uberbau ist nicht beträchtlich. Die Widmung ist mangels Zustimmung des Eigentümers rechtswidrig, aber wirksam. Eine Anfechtung der Widmung wird Erfolg haben, sofern sie überhaupt noch fristgerecht möglich ist. Aber ein Folgenbeseitigungsanspruch scheitert an der Unzumutbarkeit der Wiederherstellung. Der Betroffene wird also nur eine Entschädigung verlangen können. Muß er Anfechtungsklage und Folgenbeseitigungsklage zunächst hinter sich bringen, um Entschädigung vor den Zivilgerichten einklagen zu können? Dritter Fall: Er betrifft eine breite Gruppe von Sachverhalten, die dadurch gekennzeichnet ist, daß sich der enteignungsgleiche Eingriff als atypische Auswirkung eines Gesetzes darstellt' 7 . Modellhaft ist folgende praktisch gewordene Situation. Ein Wirtschaftsunternehmen nimmt Umsatzsteuervergünstigungen nach dem Berlinförderungsgesetz in Anspruch, die zeitlich befristet sind und in die Unternehmenskalkulation eingehen. Die Umsatzsteuervergünstigungen werden durch ein Haushaltsstrukturgesetz vorzeitig gestrichen. Das Unternehmen macht pleite. Es klagt beim Landgericht aus enteignungsgleichem Eingriff. Das Landgericht verweist den Kläger auf den Primärrechtsschutz vor den Finanzgerichten. Die Finanzgerichte werden die Umsatzsteuerbescheide nur kassieren, wenn sie sie für rechtswidrig halten. Das kommt nur in Betracht, wenn man das Haushaltsstrukturgesetz für verfassungswidrig hält. Der Kläger landet also schließlich in Karlsruhe. Das Bundesverfassungsgericht hat aber nicht über den konkreten Einzelfall, sondern über die Verfassungsmäßigkeit des abstrakt-generellen Haushaltsstrukturgesetzes zu entscheiden. Da dieses Gesetz kein Enteignungsgesetz darstellt, scheidet Art. 14 Abs. 3 G G als Prüfungsmaßstab aus. Eigentumsverletzungen durch atypische Auswirkungen von Abgabengesetzen kann danach wohl nur noch durch Teilnichtigerklärung Rechnung getragen werden. Dies wiederum ist anderes Neuland' 8 . '7 Hierzu gehören insbes. die Gesetze mit salvatorischen Entschädigungsklauseln (vgl. Weyreuther, Uber die Verfassungswidrigkeit salvatorischer Entschädigungsregelungen im Enteignungsrecht, 1980, S. 7f.). " Vgl. BVerfGE 58, 137 (Pflichtexemplar). Es geht um die sog. entschädigungspflichtige (ausgleichspflichtige) Inhaltsbestimmung des Eigentums (vgl. besonders Lerke Schulze-Osterloh, Entschädigungspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums und Enteignung, NJW 1981, 2537ff. (2543f.); Battis, Eigentumsschutz und Entschädigung, NVwZ 1982, 585 ff. (589); Hendler, DVB1. 1983, 873 (879 f.); Schwabe, JZ 1983, 273 (276); Götz, DVB1. 1984, 396 f.

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Genug der Beispiele. Sie sollten lediglich demonstrieren, welche seltsamen Wege den Betroffenen zugemutet werden müßten, wollte man mit dem Vorrang des Primärrechtsschutzes ernst machen. Der BGH wäre gut beraten, wenn er den neu aufgenommenen Gedanken der Subsidiarität der Entschädigung mit aller Behutsamkeit in die Praxis umsetzen würde. An die Obliegenheit", sich selbst vor Schäden zu bewahren, dürfen dann keine strengen Anforderungen gestellt werden, wenn zweifelhaft erscheint, ob ein Mittel zur Schadensabwendung geeignet ist oder unter Umständen den Schaden noch vergrößert90. Das Bundesverfassungsgericht hatte, was m. E. durchgehend übersehen wird, im Naßauskiesungsbeschluß diese Situation des Betroffenen überhaupt nicht vor Augen, als es die Subsidiarität der Entschädigung zum Prinzip erklärte". Der BGH orientiert sich in seiner ersten Grundsatzentscheidung vom 26.Januar 1984 an zwei Kriterien: der Zumubarkeit des Primärrechtsschutzes und des Verschuldens bei unterlassener Prüfung und Anfechtung des Eingriffsaktes. Was die Frage des Verschuldens anbetrifft, so gibt es eine alte Diskussion, aus der die Rechtsprechung für ihre neue Aufgabe schöpfen kann. Gemeint ist die bei der Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte sich stellende Frage, unter welchen Umständen das Vertrauen des Betroffenen auf den Fortbestand des Verwaltungsaktes schutzwürdig ist. In diesem Zusammenhang kommt es ebenfalls darauf an, ob die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes vom Betroffenen erkannt werden konnte'2. Das Verwaltungsverfahrensgesetz hat in § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 die Regel aufgestellt, daß der Begünstigte sich auf Vertrauen dann nicht berufen kann, wenn er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Diese Regel könnte ein erster Anhalt sein für die Erfassung der Prüfungsund Anfechtungsobliegenheit des Betroffenen im Rahmen des enteignungsgleichen Eingriffs. Es wäre vielleicht nützlich, in der weiteren Ausformung dieser Obliegenheit Parallelen zu ziehen zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts betreffend die Prüfungspflicht des Begünstigten bei der Rücknahme fehlerhafter Verwaltungsakte.

So BGHZ 33, 136 (143); Boujong, U P R 1984, 137 (140). Ζ. B. durch Prozeßkosten des Primärrechtsschutzes. 91 Vgl. BVerfGE 58, 300 (324), wo es am Schluß (vor c)) heißt: „Die Verweisung auf die Anfechtung des Verwaltungsaktes stellt für den Betroffenen keine unzumutbare Belastung dar. Die Entscheidung, diesen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, ist nicht schwieriger zu treffen als die, eine Entschädigung einzuklagen. Sie setzt lediglich die Feststellung voraus, ob das Gesetz eine Entschädigung vorsieht." 89

w

92 Vgl. Ossenbühl, Die Rücknahme fehlerhafter begünstigender Verwaltungsakte, 2. Aufl. 1965, S. 84ff.; Becker, D Ö V 1973, 379ff. (383).

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IV. Der enteignende Eingriff Eine letzte Bemerkung gilt dem enteignenden Eingriff. Er sei gleichsam anhangsweise miterwähnt, denn zum Staatshaftungsrecht im engeren Sinne, verstanden als Unrechtshaftung, gehört er nicht mehr. Im Gegensatz zum enteignungsgleichen Eingriff, der sich auf rechtswidrige Maßnahmen von hoher Hand bezieht, erfaßt der enteignende Eingriff schädigende Folgen rechtmäßiger hoheitlicher Maßnahmen. Das Anwendungsfeld enteignender Eingriffe erstreckt sich auf Schädigungen, die Anlieger durch Straßen- und U-Bahn-Bauarbeiten erleiden und auf Auswirkungen, die von öffentlichen Einrichtungen ausgehen, die der Bürger dulden muß. Die Schädigungssituation erinnert an § 906 BGB, der im Nachbarschaftsverhältnis die Duldungspflicht bei der Zuführung unwägbarer Stoffe regelt und in Abs. 2 Satz 2 bei gegebener Duldungspflicht einen Ausgleichsanspruch gewährt. Es lag denn auch nahe, daß die Rechtsprechung die Maßstäbe und Kriterien dieses nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs im öffentlichen Recht analog anwendet". Der enteignende Eingriff ist von den Bewegungen, die der Naßauskiesungsbeschluß ausgelöst hat, unberührt geblieben'4. Enteignende Eingriffe werden von dem Begriff der Enteignung im technischen Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG nicht erfaßt. Auch das Problem der Subsidiarität der Entschädigung stellt sich für den enteignenden Eingriff nicht, denn einen Primärrechtsschutz kann es hier nicht geben, weil der Betroffene die rechtmäßigen hoheitlichen Maßnahmen dulden muß und deshalb nicht abwehren kann. In diesem Sinne hat der BGH in seiner jüngsten einschlägigen Entscheidung vom 29. März 198495 folgerichtig eine Entschädigung für Geruchsimmissionen zugesprochen, die von einer städtischen Kläranlage ausgingen. Soweit die Klägerin diese Geruchsimmissionen nicht verbieten konnte, wurde ihr ein Entschädigungsanspruch unter dem Gesichtspunkt des enteignenden Eingriffs zugesprochen. Als Grundlage des enteignenden Eingriffs nennt das Gericht „den allgemeinen Aufopferungsanspruch der §§74, 75 EinlALR in seiner richterrechtlichen Ausprägung". Da der enteignende Eingriff nur rechtmäßige hoheitliche Maßnahmen erfaßt, führt dieser Bezug auf den allgemeinen Ausopferungsanspruch nicht zu dogmatischen Problemen, wie dies beim enteignungsgleichen Eingriff der Fall ist.

93 94 95

Vgl. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 3. Aufl. 1983, S. 88 ff. Vgl. Boujong, U P R 1984, 137ff. (141 f.). III ZR 11/83.

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V. Ausblick Ich komme zum Schluß. Hebt man den Blick vom Detail und sieht aufs Ganze, so zeigt sich, daß die dogmatische Dauerkrise des Staatshaftungsrechts wieder voll ins Bewußtsein getreten ist. Der Amtshaftungsanspruch ist durch neue Interpretationsansätze im Bereich der Subsidiaritätsklausel und der Drittbezogenheit der Amtspflicht dogmatisch modernisiert worden. Er wird dadurch aufnahmefähiger und zeitgerechter. Die festgestellten Modifikationen des Amtshaftungsanspruchs bleiben deutlich im Bereich legitimer richterlicher Erkenntnis und richterlicher Rechtsfortbildung. Weitere Entwicklungsmöglichkeiten dürften hier beim Verschulden in Richtung auf eine Objektivierung des Verschuldens bestehen. Schwieriger stellen sich die Probleme beim enteignungsgleichen Eingriff, mit dem die Rechtsprechung einen verdeckten Staatshaftungstatbestand entwickelt hat, der eine verschuldensunabhängige Staatsunrechtshaftung partiell vorwegnimmt. Sein Fortbestand steht heute trotz des Naßauskiesungsbeschlusses des Bundesverfassungsgerichts und der durch ihn verursachten Rechtsunsicherheit in der Rechtspraxis außer Zweifel. Seine Fortentwicklung zu einer umfassenden Anspruchsgrundlage für den Ausgleich staatlichen Unrechts dürfte indessen der Rechtsprechung aus eigener Kraft kaum gelingen. Der entscheidende Grund hierfür liegt wohl weniger in den die Rechtsfortbildung hemmenden Hindernissen verfassungsrechtlicher Legitimation des Richterrechts als vielmehr in der allgemeinen Ungewißheit, die namentlich die Staatshaftungsreform geprägt und schließlich zum Scheitern gebracht hat, wie weit eine Staatsunrechtshaftung finanziell getragen werden kann. Insoweit allerdings ist ungeachtet der angespannten Haushaltslage in Bund, Ländern und Gemeinden zu wiederholen: die Wiedergutmachung staatlichen Unrechts ist eine fundamentale Forderung des Rechtsstaates. Der Rechtsstaat ist dem S0zialst3.it nach der grundgesetzlichen Ordnung zumindest gleichwertig. Deshalb ist es ganz unverständlich und letztlich ein Verfassungswiderspruch, wenn der Sozialstaat soziale Wohltaten in Milliardenhöhe austeilt, der Rechtsstaat hingegen aus Kostengründen staatliches Unrecht bestehen oder unausgeglichen ließe. Der staatsgeschädigte Bürger darf nicht deswegen leer ausgehen, weil er keine Lobby hat.