Negative Informationsfreiheit: Zugleich ein Beitrag zur negativen Grundrechtsfreiheit [1 ed.] 9783428486557, 9783428086559

137 110 22MB

German Pages 244 Year 1997

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Negative Informationsfreiheit: Zugleich ein Beitrag zur negativen Grundrechtsfreiheit [1 ed.]
 9783428486557, 9783428086559

Citation preview

JÖRG FENCHEL

Negative Informationsfreiheit

Schriften zum Recht des Informationsverkehrs und der Informationstechnik Herausgegeben von Prof. Dr. Horst Ehrnano und Prof. Dr. Rainer Pitschas

Band 15

Negative Informationsfreiheit Zugleich ein Beitrag zur negativen Grundrechtsfreiheit

Von

Jörg Fenchel

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Fenchel, Jörg:

Negative Informationsfreiheit : zugleich ein Beitrag zur negativen Grundrechtsfreiheit I von Jörg Fenchel. Berlin : Duncker und Humblot, 1997 (Schriften zum Recht des Informationsverkehrs und der lnformationstechnik; Bd. 15) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1995 ISBN 3-428-08655-4 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten

© 1997 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany lSSN 0940-1172 ISBN 3-428-08655-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 8

Meiner Familie

Vorwort Die im August 1991 begonnene Arbeit lag der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg i. Br. im Januar 1994 als Dissertation vor. Sie wurde überarbeitet und auf den aktuellen Stand gebracht. Einzuarbeiten war insbesondere die Dissertation "Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte" von Johannes Hellermann, die erstmals eine umfassende Würdigung negativer Grundrechtsfreiheit enthält, allerdings deren praktische Bedeutung und Berechtigung anzweifelt. Meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Thomas Würtenberger, der die Arbeit mit großem Interesse betreut hat und stets für mich ansprechbar war, gilt mein besonderer Dank. Er unterstützte mich mit wertvollen Hinweisen und Anregungen, ließ mir aber zugleich großen Freiraum bei der Bearbeitung. Die Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl bot nicht nur ideale Arbeitsbedingungen, sie hat mir auch viel Freude bereitet. Fertiggestellt wurde die Arbeit während meines Referendariats in Gießen. Von großem Wert für mich waren die Gespäche mit meinen Freiburger Kollegen und Freunden Ulrich Becker, Dirk Heckmann und Heribert Lennartz. Danken möchte ich auch an dieser Stelle meiner Familie für die Unterstützung, insbesondere meiner Frau Elisabeth Leistner, die mir den notwendigen Rückhalt gab. Herrn Prof. Dr. Dietrich Murswiek danke herzlich ich für die Erstellung des Zweitgutachtens, Herrn Prof. Dr. Horst Ehmann und Herrn Prof. Dr. Rainer Pitschas für die Aufnahme in die Reihe "Schriften zum Recht des Informationsverkehrs und der Informationstechnik". Die Wissenschaftliche Gesellschaft Freiburg im Breisgau hat die Drucklegung dieser Arbeit durch einen großzügigen Zuschuß unterstützt. Dafür danke ich sehr. Gießen, im Februar 1996

Jörg Fenchel

Inhaltsverzeichnis

A. Einleitung ............ . .... .. ....... . . .. . . . ......... .

13

B. Begriff der negativen Grundrechtsfreiheit und der negativen Informationsfreiheit . 24 I. Negative Grundrechtsfreiheit - negative Freiheit II. Abgrenzung gegenüber Grundrechtsverzicht

111. Begriff der negativen Informationsfreiheit C. Negative Grundrechtsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

I. Gewährleistung negativer Grundrechtsfreiheit im Grundgesetz

24

29 30 32 32

II. Negative Grundrechtsfreiheit - eine allen Freiheitsrechten immanente Kompo... ... . . ..... . ..... . ... . ........... ......... . .. . . . 36 nente? I. Negative Grundrechtsfreiheit - ein logisches Korrelat der positiven Grundrechtsfreiheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

2. Folgerungen aus der Struktur der Freiheit

42

3. Art. 2 Abs. I GG- das "Muttergrundrecht"?

45

4. Negative Grundrechtsfreiheit als Ausdruck der Selbstbestimmung

51

a) Menschenwürde und Selbstbestimmung .... . ............ .

51

b) Selbstbestimmungsrecht und negative Grundrechtsfreiheit . . . .

56

111. Negative Grundrechtsfreiheit und Grundpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

IV. Ablehnung der negativen Seite der Freiheitsrechte wegen Dysfunktionalität

66

V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 D. Gewährleistung negativer Informationsfreiheit . . ... .. . ....... . ... . I. Meinungsstand zur Gewährleistung negativer Informationsfreiheit im Grundgesetz II. Wortlaut des Art. 5 Abs. I S. I GG ..

70 70 76

lll . Systematisches Argument aus Art. 12a Abs. 5 S. 2 und Art. 140 GG i. V. 111. Art. 136 Abs. 4 WRV? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 IV. Entstehungsgeschichte - historische Auslegung

82

10

Inhaltsverzeichnis V. Bedeutung der Infonnationsfreiheit im Kommunikations- und Meinungsbildungsprozeß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Negative Informationsfreiheit als Ausdruck der Selbstbestimmung . . . . . . . . .

85 89

a) Informationsfreiheit als Auswahlfreiheit

90

b) Fremdbestimmte Meinungsbildung ..

9\

2. Begrenzte Kapazität zur Informationsaufnahme und Infonnationsverarbeitung

95

3. Meinungsbildung als evolutionärer Prozeß

97

VI. Rechtsvergleichende Betrachtung des Schutzes negativer Infonnationsfreiheit die Captive-audience Doktrin des amerikanischen Supreme Court . . . . . . . . VII. Aufgedrängte Infonnation und allgemeines Persönlichkeitsrecht-Kritikder herrschenden Meinung

101 112

I. Aufgedrängte Werbung als Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht die Argumentation der herrschenden Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . .

114

2. Verhältnis allgemeines Persönlichkeitsrecht - negative Infonnationsfreiheit

119

VIII . Beeinträchtigung der negativen Infonnationsfreiheit durch Private - Drittwirkung und Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Zwischenergebnis ..... . E. Sachliche Reichweite der negativen Informationsfreiheit - Schutzbereich und Eingriff .. .. ... . . .. . . .. .. .. .. .. . . .... .. ..... . ..... ... ..... . . . . I. Information . .. . . . . II. Schutz nur vor Infonnationen aus "allgemein zugänglichen Quellen"? . . . . . . . 111. Eingriff in die negative lnfonnationsfreiheit - Zwang zur Unterrichtung

124 128

130 130 133 136

I. Zwang zur Informationsaufnahme

137

2. Erheblichkeil der Beeinträchtigung

138

3. lnfonnationsobliegenheiten und gekoppelte lnfonnationen . . . . . . . . . . . . .

141

a) Mit anderen Leistungen gekoppelte Informationen . . . . . . . . . . . .

141

b) Amtliche Bekanntmachungen in Zeitungen . . . . . . . . . . . . . . . . .

142

c) lnfonnationsobliegenheiten aufgrundstaatlich geforderter Beflthigungsnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

145

4. Erzwungene Entgegennahme von lnfonnation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Nur unterbewußt wahrnehmbare lnfonnationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Die verfassungsrechtlichen Schranken der negativen Informationsfreiheit . .

I. Die "Schrankenprob1ematik" .. ..... ... . .. . . . . .. .......... .. . II. Die negative Informationsfreiheit in der praktischen Anwendung: Auswirkungen und Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

145 148 153 153 157

Inhaltsverzeichnis

II

I. Negative lnformationssfreiheit und aktive Kommunikationsfreiheiten

157

2. Programmunterbrechende Fernsehwerbung und der Grundsatz der lnfonnationsklarheit . .........................

162

a) Beschränkungen der Fernsehwerbung

162

b) Grundsatz der Informationsklarheit ....... .... ......... .

167

c) Unterbrechende Fernsehwerbung und negative Informationsfreiheit

170

3. Kollision von positiver und negativer Informationsfreiheit 4. Weitere Einzeltlilie

175 176

a) Brietkastenwerbung

176

b) Neue Medien: Werbung "Onlinc"

186

c) Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Darstellungen von Sex und Gewalt sowie vor Werbung

190

d) Informationsgebote in der Schule

193

e) Staatliche Öffentlichkeitsarbeit und die Erfilllung staatlicher Informationspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

194

I) Informationsgebote zur Gefahrenabwehr

195

g) Staatsbürgerliche Bildung ..... .

196

h) Verkehrsunterricht, Nachschulung

198

aa) Verkehrsunterricht zum Erwerb der Fahrerlaubnis . . . . . . . . . . . . . .

I 98

bb) Nachschulung beim Führerschein auf Probe . . . . . . . . . . . . . .

198

cc) Verkehrsunterricht wegen Mißachtung von Verkehrsvorschriften

199

G. Exkurs: Schutz vor Information im Völkerrecht

204

H. Schlußbetrachtung

212

I. Thesen

216

Literaturverzeichnis

222

Stichwortverzeichnis

241

Abkürzungsverzeichnis ABI EG AcP Alt. Komm. AöR ARSP BGE DAR

DJT

ebd. ESVGH EuGRZ GRUR HbStR HbV~rtR

HPRG i. V.m. JflR JurA L Ed L Ed 2d LMedG LRG LVG MP NZV RuF StGH VOR VVDStRL WRP ZevKR ZUM

Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Archiv flir die civilistische Praxis Kommentar zum Grundgesetz flir die Bundesrepublik Deutschland in 2 Bänden, Reihe Alternativkommentare Archiv des öffentlichen Rechts Archiv fiir Rechts- und Staatsphilosophie Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts Deutsches Autorecht Deutscher Juristentag ebenda = in derselben Fußnote Entscheidungssammlung des hessischen und des baden-württembergischen Verwaltungsgerichtshofes Europäische Grundrechte Zeitschrift Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Handbuch des Staatsrechts, hrsg. v. lsensee/Kirchhof, mit Angabe des Bandes in röm. Ziff. Handbuch des Verfassungsrechts, hrsg. v. Ernst Benda u.a. Hessisches Privatrundfunkgesetz in Verbindung mit Jahrbuch für Internationales Recht Juristische Analysen Lawyer's Edition, United Supreme Court Reports Lawyer's Edition, Second Series, United Supreme Court Reports Landesmediengesetz Landesrundfunkgesetz Landesverwaltungsgericht Media Perspektiven Neue Zeitschrift fllr Verkehrsrecht Rundfunk und Fernsehen Staatsgerichtshof Zeitschrift für Verkehrs- und Ordnungswidrigkeitenrecht Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Wettbewerb in Recht und Praxis Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht Zeitschrift flir Urheber- und Medienrecht

Im übrigen wird verwiesen auf Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, und Duden, Rechtschreibung.

A. Einleitung Schutz vor Information durch negative Informationsfreiheit - besteht dafür eine rechtliche Notwendigkeit? Kann es ein Recht geben, sich der Kommunikation zu verweigern, ein Grundrecht, keine Informationen aufzunehmen und uninformiert zu bleiben? Oder ist ein derartiges "Grundrecht auf Passivität" des Staatsbürgers von vorneherein abzulehnen, 1 weil damit einseitig der Individualismus auf Kosten des Gemeinsinns betont werden würde und dies die Gefahr einer Interpretation der Grundrechte der Verfassung als "Magna Charta des Egoismus" 2 verstärken würde? Die Meinungen in der Rechtswissenschaft zur Gewährleistung negativer Grundrechtsfreiheit im Grundgesetz sind geteilt. Sie reichen von völliger Ablehnung einer negativen Komponente der Freiheitsrechte bis hin zu der Auffassung, daß jedes Grundrecht als "logisch notwendiges Korrelat" zugleich das mit gleichem Schutz ausgestattete- Recht enthalte, die von diesem Grundrecht eingeräumte Verhaltensmöglichkeit auch unterlassen zu können. 3 Entsprechende Handlungsgebote würden also grundsätzlich in das Grundrecht eingreifen. Daher soll zunächst untersucht werden, ob sich ein solch allgemeiner, für alle Grundrechte geltender Grundsatz begründen läßt. 4 Im weiteren soll der Versuch einer spezifischen Begründung für den Schutz negativer Informationsfreiheit in Art. 5 Abs. I S. I GG gemacht werden. 5 So Heckmann, VBIBW 1992, S. 164. 169.

Kurt Biedenkopj. Meldung der FAZ v. 09.03 .1993. Nr. 57, S. 4; bereits Rudolf Smend warnte in seiner Rede an läßlich der Reichsgründungsfeier der Friedrich-Wilhelm-Universität Berlin am 18. Januar 1933 vor einer Interpretation der Grundrechte als "magna chartades unpolitischen bürgerlichen Individualismus"- Smend, "Bürger und Bourgeois im deutschen Staatsrecht". in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 309, 314; Langer,lnformationsfreiheit als Grenze informationeller Selbstbestimmung, S. 188, kritisiert die Autonomievorstellungen des Bundesverfassungsgerichts als "übertrieben"; auch Redeker, NJW 1993, 1835 f., bemängelt eine zunehmende "Individualisierung", wendet sich aber insbesondere gegen eine "Wohlstandsrechtsprechung", die nur der Durchsetzung der Rücksichtslosigkeit anderer diene. Dazu im einzelnen unten, S. 32 ff.

S. u., S. 32 ff. S. u., S. 70 tf.

14

A. Einleitung

Ausgehend von der grammatischen und historischen Auslegung wird bei der Interpretation des Art. 5 Abs. I S. I GG der Frage, inwieweit mit der zwangsweisen Informierung Gefahren flir die freie Meinungsbildung verbunden sind, entscheidende Bedeutung zukommen. Untersucht werden soll auch eine etwaige Ausstrahlung des menschlichen Autonomieanspruches und des Selbstbestimmungsrechts auf die Kommunikationsgrundrechte. Schließlich wird rechtsvergleichend auf die Rechtsprechung des amerikanischen Supreme Courts, den bereits mehrmals Abwehransprüche gegen aufgedrängte Informationen beschäftigten, eingegangen werden.6 Nach Klärung dieser grundsätzlichen Fragen sollen Reichweite und Grenzen des Schutzes der negativen Informationsfreiheit genauer bestimmt und die praktischen Konsequenzen für die Kommunikation - auch an Hand von Einzelfallbetrachtungen- untersucht werden. 7 Teilweise wird behauptet, Beispiele flir den Zwang zur Aufnahme von Informationen seien eigentlich nur in totalitären Systemen denkbar.8 In der Tat lassen sich gerade unter der Herrschaft des Totalitarismus besonders drastische Eingriffe in den Meinungsbildungsprozeß vorstellen. George Orwells Roman "1984" liefert ein eindrucksvolles Beispiel dafür, welche Gefahr von einer Informationspflicht ausgehen kann: Jedermann war verpflichtet, mehrmals täglich die sogenannte "Zwei-Minuten-Haß-Sendung" zu verfolgen, die mit propagandistischen Mitteln auf geradezu hypnotische Weise die Menschen zu manipulieren vermochte.9 Da Freiheitsrechte in erster Linie eine omnipotente staatliche Gewalt ausschließen und in ihrer demokratiesichemden Bedeutung insbesondere der Abwehr jedes totalitären Regimes dienen sollen, 10 wäre allein die Gefahr eines derartigen Mißbrauchs staatlicher Macht und die Möglichkeit, Meinungsmanipulationen durch Informationszumutungen vorzunehmen, Grund genug für einen grundrechtliehen Schutz vor staatlich erzwungener Infonnationsaufnahme. 11

Dazu im einzelnen unten, S. 101 ff. Zur sachlichen Reichweite der negativen Informationsfreiheit- Schutzbereich und Eingriff, s. u., S. 130 tT.; zu den verfassungsrechtlichen Schranken und Einzeltlilien S. 153 tT.

Woh/and, Informationsfreiheit und politische Filmkontrolle, S. 123. Orwel/, 1984. S. 14 ff. 1"

Vgl. Hesse. Grundzüge, Rdnr. 292, 294.

Sicher ist es zutreffend, wenn Hellermann, S. 238. darauf hinweist, daß in totalitären Regimen Druck meist diftils und nicht durch expliziten Betehl ausgeübt wird, so daß rechtstechnische Instrumente insoweit versagen müssen. Ohne unterschwelligen Zwang, der sich in einzelnen Fällen auch manifestiert. bliebe ein entsprechender diffuser Druck aber folgenlos. Deshalb kommt der 11

A. Einleitung

15

Die Bedeutung einer negativen Komponente der Informationsfreiheit auf diesen Fall zu beschränken, würde jedoch ihre praktische Relevanz stark verkürzen. Denn trotzjüngster Krisen dürfte die Gefahr totalitärer Regime in den westlichen Industriestaaten gering sein. Der erreichte Grad an Bildung und Aufklärung, der allgemeine Wohlstand, die weitgehende soziale Absicherung, starke wirtschaftliche und politische Verflechtungen auf internationaler Ebene und nicht zuletzt die Zunahme der Mobilität und der Kommunikationsmöglicheiten haben den Boden ftlr eine dauerhafte Verwurzelung der Demokratie im Bewußtsein der Menschen bereitet. 12 Gefragt ist eher ein Mehr an Demokratie. 13 Auch wenn es gilt, jeglichen anti-demokratischen, totalitären Tendenzen vorzubeugen, dürfen die Grundrechte nicht in der Abwehr der klassischer Freiheitsbeeinträchtigungen erstarren. In den westlichen Demokratien sind die klassischen Freiheitsrechte in hohem Maße verwirklicht, 14 Verletzungen in Einzelfallen können vor nationalen oder internationalen Gerichtshöfen angegriffen werden. Die Gefahr, daß unliebsame Bücher wegen ihrer politischen Tendenz aus Buchhandlungen oder Bibliotheken entfernt werden, ist weitgehend irrelevant geworden. Sicher gilt es auch weiterhin, derartige Übergriffe staatlicher Gewalt bereits im Ansatz zu bekämpfen. Solange es sich dabei aber um vereinzelte Ausnahmen handelt, könnte die davon ausgehende Gefahr aber vergleichsweise gering sein gegenüber einer möglicherweise von ganz anderer Seite drohenden Gefahr ftir die Freiheit des Kommunikationsprozesses und weitergehend flir die Geistesfreiheit des einzelnen: 15 Nachdem es lange Zeit galt, einem Mangel an Informationen entgegenzuwirken und Schutz vor staatlichen Behinderungen des Informationsflusses beispielsweise durch Aufnahme der Informationsfreiheit in Art. 5 Abs. I S. I GG zu schaffen, ist das Bild des modernen Menschen dadurch geprägt, daß ihm eine Fülle von Informationen zu Verfugung steht - der Begriff der "lnformationsgesellschaft" wurde zu einem geflügelten Wort.

negativen Grundrechtsfreiheit die wichtige Funktion zu, diejenigen vor Repression zu schützen, die sich gegen den einen entsprechenden Druck auflehnen. 12 Pos/man, Wir informieren uns zu Tode. in: Die Zeit. Nr. 41 v. 02.10.1992. S. 61 : "Indem die Medien Informationen demokratisierten, waren sie der Feind der Tyrannei."

" Vgl. die rechtswissenschaftliche und rechtspolitische Diskussion um die Eintlihrung plebiszitärer Elemente im Grundgesetz. "

Ebenso Marcic, Festgabe flir Voegelin. S. 392.

;,

Pos/man. Wir amüsieren uns zu Tode, S. 172.

A. Einleitung

16

Diese Entwicklung begann Mitte des 15. Jahrhunderts mit der Erfindung des Buchdrucks, die dafllr sorgte, daß den Menschen Informationen zugänglich gemacht wurden, auf die sie sonst nie hätten zugreifen können. Seither wurde die Informationstechnologie perfektioniert. Die heute zur VerfUgung stehenden Kommunikations- und Informationsmittel haben das Problem der Information auf den Kopf gestellt. Ausgehend von der Erfindung der Telegrafie und der Fotografie im 19. Jahrhundert bis hin zu den sogenannten Neuen Medien des ausgehenden 20. Jahrhunderts hat sich das Angebot an Informationen, die filr den gewöhnlichen Menschen keinerlei Beziehung mehr zur Lösung von Problemen besitzen, immer mehr vergrößert. 16 Die traditionell als Wert anerkannte und positiv besetzte Information erhielt damit auch ein negatives Vorzeichen. 17 So ist zunehmend die Rede von einer "lnformationslawine", 18 "Informationsflut" oder "lnformationsexplosion'" 9 : Erhöhte Mobilität, neue Kommunikationstechnologien und zunehmendes Eindringen der Werbung in Lebensbereiche, die ihr vorher verschlossen waren, erzeugen eine Reizflut, die den einzelnen zu überfordern droht. 20 Es wird geschätzt, daß sich das menschliche Wissen etwa alle 5 Jahre verdoppelt - entsprechend vermehren sich auch die Veröffentlichungen in der Fachliteratur. 21 Längst haben die größten Bibliotheken der Welt den Vollständigkeitsanspruch ihrer Sammlungen aufgegeben. Weltweit erscheinen mehr als 300.000 Zeitungen und Zeitschriften, allein in der Bundesrepublik sind es fast 10.000.22 In den USA gibt es heute 350 Millionen Fern~ sehgeräte- bei 255 Millionen Einwohnern. 23 In Deutschland sind 300 Hörfunk(weltweit 30.000) und rund 100 Fernsehkanäle (weltweit 3000) zu empfangen. 24 Die mit der Verkabelung und der Einrichtung von Satellitenfernsehen verbunde-

'" Pos/man, Wir amüsieren uns zu Tode, S. 86 ff, 170 ll'.; ders., Wir informieren uns zu Tode, in: Die Zeit, Nr. 41 v. 02.10.1992, S. 61, 62. 17

Vgl. Druey, Festschrift filr Pedrazzini, S. 379, 381, 383.

"

Bischof!, Die Informationslawine.

''' Pos/man, Wir informieren uns zu Tode, in: Die Zeit, Nr. 41, v. 02.10.1992, S. 61: Degler, Wissenszwerge unter Druck, in: Der Spiegel, Nr. 14/1993, S. ISO.

'" So warnen der Psychiater Erwin Ringel und der Psychologe Regina/d Földy vor einer "Depression durch Überinformation", Földy/Ringe/, S. 10. 21 Degler, Der Spiegel, Nr. 14/1993, S. ISO; Bischo_ff, lnformationslawine, S. 7. Stand 1967: Verdoppelung der Fachliteratur alle I 0 Jahre.

22

Degler, Der Spiegel, Nr. 14/1993, S. 150.

" Pos/man, Wir informieren uns zu Tode, in: Die Zeit, Nr. 41 v. 02.10.1992, S. 61, 62; Einwohnerzahl Stand 1993, Harenberg, Aktuell '95, S. 561. 24

Deg/er, Der Spiegel, Nr. 14/1993. S. 150.

A. Einleitung

17

ne Vermehrung der Programme stellt jedoch noch nicht das Ende der Entwicklung auf diesem Sektor dar: Durch digitale Datenkompression ("Compressed Digital Video") kann die für die Übertragung eines normalen Fernsehbildes erforderliche Datenmenge auf einen Bruchteil reduziert werden -statt 90 Mbps (Megabits pro Sekunde) werden nur noch zwischen 2,9 und 6,6 Mbps benötigt. Mit Hilfe dieser Datenreduktion können mehrere hundert TV-Kanäle ausgestrahlt werden. 25 Auch das individuelle Abrufen von Fernsehprogrammen Uber Telefonleitungen ist möglich. 26 Dem Fernsehzuschauer wird damit die Möglichkeit eröffnet, sein Programm aus einer unvorstellbaren Vielfalt von "Pay-perview"- oder "Video-On-Demand"-Kanälen auszuwählen. Selbst Programme für kleinste Zielgruppen werden möglich, auch ökonomisch werden. 27 Bereits jetzl erreicht die auf den einzelnen einströmenden Informationsmenge ungeahnte Dimensionen. Die japanische Regierung hat die auf ein Individuum niedergehenden Datenmengen messen lassen - nach dieser Untersuchung wirken auf einen Menschen pro Jahr statistisch rund 483 Billiarden Worte aus Fernsehen, Radio, Zeitungen, Gesprächen und Werbung ein 28 - der amerikanische KommunikationswissenschaftlerNeil Postman meint gar: "Information ist zu einer Art Abfall geworden". 29 Ein nicht unerheblicher Teil der Information besteht aus Werbung. Trotz Konjunkturschwäche wurden im Jahr 1992 in der Bundesrepublik fast 47 Milliarden DM für Werbung ausgegeben. 30 Jeder Amerikaner ist täglich etwa 3000 Werbebotschaften ausgesetz131 - ein Deutscher etwa 1200.32 Werbebotschaften prägen alle Medien - wir sind es gewohnt, daß Zeitschriften und Zeitungen zu einem Großteil aus Werbeanzeigen bestehen. Die für die Werbung aufgewendeten Geldmittel erlauben eine hundertprozentige Finanzierung von Anzeigenblättern und ermöglichen private Rundfunk- und Fernsehsender. Deren zusätzliches Angebot wird durch ständige Konfrontation mit Werbung "erkauft" -

25 Scheithauer, Auf dem Weg in ein neues Femsehzeitalter, in: Frankfurter Rundschau, 13.05.1993, S. II.

'"

Heuser, in: Die Zeit, Nr. 44 v. 29.10.1993, S. 41 f.

27

Scheithauer, Frankfurter Rundschau v. 13.05.1993, S. II.

'"

Degler, Der Spiegel, Nr. 14/1993, S. 150.

'"

Postman, Wir informieren uns zu Tode, in: Die Zeit, Nr. 41 v. 02.10.1992, S. 61. 62.

'" Nach Angabe des Zentralverbandes der Deutschen Werbewirtschaft, Bonn- vgl. Bericht der FAZ vom 12.05.1993, Nr. 109, S. 16; Harenberg, Aktuell '94, S. 520.

"

Uthmann, Die Macht der Zigarre, FAZ v. 20.01.1992, Nr. 16, S. 27.

"

Schnibben, Die Reklame-Republik, in: Der Spiegel Nr. 52/ 1992, S. 114, 115.

2 Fenchel

A. Einleitung

18

mehrmalige Unterbrechungen von ungewisser Dauer während eines Spielfilms gehören hier zum abendlichen Familienprogramm. Um der dadurch gestärkten Finanzkraft privater Fernsehsender Paroli bieten zu können, greifen die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten auf neue Werbeformen wie dem Sponsoring zurück und versuchen durch extensive Auslegung der Staatsverträge ihr Werbeaufkommen zu steigern. Neue technische Entwicklungen der Vervielfältigung von Informationen ermöglichen mit geringem Kostenaufwand das Direkt-Marketing von Produkten: Die elektronische Datenverarbeitung erlaubt mühelos den Austausch ganzer Adressenkarteien und die individuelle Adressierung von Massendrucksachen jetzt "Infopost" genannt. 33 Im Briefkasten finden sich "persönliche" Briefe, die Massenwerbung enthalten und von wichtiger Post erst nach dem Öffnen zu unterscheiden sind. In amerikanischen Briefkästen landen jedes Jahr etwa 60 Milliarden Werbeschriften - fast 20 Kilogramm fur jeden Erwachsenen 34 in der Bundesrepublik dürften es kaum weniger sein. Die "individuelle Massenkommunikation" wird auch durch neue lnformationstechnologien erleichtert: Mitteilungen können zu Tausenden mit wenig Aufwand und Kosten über Telefonkabel, ISDN oder die Datex-Netze gesendet und in dem elektronischen Briefkasten von Online-Datennetzen, dem elektronischen Postfach einer "Mailbox"35 oder auch über Modem und Faxkarte direkt vom Personalcomputer empfangen und gespeichert werden. 36 Ernüchtert stellt der Literaturwissenschaftler Bazon Brock fest, daß mit dem Blick auf die in keiner Weise beein-

" So lautet die Bezeichnung seit 01.04.1993 im Wege des Konzepts "Brief2000" der Deutschen Post AG.

"

Fehr. FAZ v. 04.10.1991, Nr. 230, S. II.

•; Bei einer Mailbox sind die Teilnehmer mit ihrem PC über die Telefonleitung mit einem externen Computer (Server) verbunden, der die Datenübermittlung steuert. In dem Server stehen Speicherplätze zur Verfugung, in denen die Benutzer elektronische Informationen allgemein zugänglich auf "Brettern" hinterlegen oder auch einem bestimmten Teilnehmer in sein "Postfach" übermitteln, Ebnet, S. 37. "' Mit einer Faxkarte kann der PC als Telefaxgerät einzusetzt werden, so daß Mitteilungen elektronisch erstellt, gesendet, empfangen und gespeichert werden können; ein Modem wandelt digitale Signale eines PC in analoge um, so daß Daten über die gewöhnliche Telefonleitung transportiert werden können (Übertragungsgeschwindigkeit z. Zt. 4800 - 57.600 hit!s): höhere Kanalkapazitäten erreichen ISDN (lntegrated Services Digital Network - 64 Kbit/s) und die DatcxNetze (Data Exchange Service) "Datex-P" (!Ur Paketvcrmittlung, 64 Kbit!s) und "Datcx-M" (llir Multimedia, max. 140 Mio. bit/s) durch Digitalisierung des Fernmeldenetzes - langsamer ist die Datenübertragungsgeschwindigkeit bei "T-Onlinc" (9600 hit!s). Harenberg, Aktuell '94. :-. . 158 f. . 292: Spektrum der Wissenschaft. Dossier I (1995): Datcnautohahn, S. 114.

A. Einleitung

19

flußbaren Bedingungen der Kommunikation von Freiheit kaum die Rede sein könne. 37 Seit einigen Jahren mehren sich vor Gericht die Klagen gegen aufgedrängte Werbung - auch der Bundesgerichtshof mußte sich mehrmals damit befassen, selbst das Bundesverfassungsgericht wurde bemüht. Dabei stellte man auf seiten des Adressaten nur auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht, den Schutz der Privatsphäre und der Willensfreiheit ab. 38 Die Frage einer negativen Komponente der Informationsfreiheit wurde nicht aufgeworfen, obwohl eine solche negative Seite bei anderen Grundrechten wie beispielsweise der Religions-, der Vereinigungs- oder der Meinungsfreiheit weithin anerkannt ist. Auch der Terminus des "lnformationseingriffs" wird nur bezogen auf das Recht der informationeBen Selbstbestimmung des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. I Abs. 1 GG. 39 Dabei erscheint es naheliegend, daß der Kommunikationsprozeß ftir beide Seiten - für den Kommunikator und für den Rezipienten - frei gestaltet werden können muß. Welche Gefahren von den immer größer werdenden Mengen an Informationen, mit denen die Medien die Welt versorgen, ausgehen können, hat Postman40 untersucht. Er kommt zu dem Schluß, daß die neuen Medien zwar keine Tyrannei über die Information ausüben, aber eine neuartige Tyrannei durch Information hervorbringen würden41 -der italienische Filmregisseur Pasolini spricht im Zusammenhang mit der Macht der Werbung gar von "Konsumfaschismus".42 Postman greift in seinem Bestseller "Wir amüsieren uns zu Tode" die Warnungen von Aldous Huxley auf, der in seinem Roman "Brave New World" 41 eine von George Orwells "1984" gänzlich verschiedene Zukunftsvision entwickelte. Während Orwell Roman die Unterdrückung durch eine äußere Macht beschreibt, bedarf es in Huxleys "Schöner neue Welt" keines Großen Bruders, um den Menschen ihre Autonomie, ihre Einsichten und ihre Geschichte zu rauben. Huxley rechnete damit, daß die Menschen ihre Unterdrückung lieben und die Technologien anbeten könnten, die ihre Denkfähigkeit zunichte machen. ln der

2*

17

Brock. Kommunikation und Freiheit. S. 291, 293 .

"

Dazu u .. S. 112 ff.

'''

Eckhoff, Grundrechtsein griff, S 223.

'"

Postman unterrichtet an der New York University "Communication Arts and Sciences".

41

Postman, Wir informieren uns zu Tode. in: Die Zeit. Nr. 41 v. 02.10.1992. S. 61.

42

Eren:, Die Zeit. Nr. I 0 v. 05.03.1993, S. 58.

"

Huxley. Brave new World. 1932 (dt.: Schöne neue Welt. 1953).

A. Einleitung

20

"Schönen neuen Welt" geht die Bedrohung nicht von einer Vorenthaltung von Informationen aus, sondern davon, daß die Menschen so mit Informationen überhäuft werden könnten, daß sie sich davor nur in Passivität und Selbstbespiegelung retten können. Während Orwell befUrchtete, die Wahrheit könnte verheimlicht werden, warnte Huxley davor, daß die Wahrheit in einem Meer von Belanglosigkeiten untergehen könnte. 44 Trifft heute also der Vers von Coleridge "Wasser, Wasser überall, aber keinen Tropfen zu trinken" auch auf das Informationsangebotzu-eine Flut von Informationen, aber wenig davon ist brauchbar?45 In der Tat beruhen die heutigen Probleme zu einem großen Teil nicht auf einem InformationsmangeL Für viele wesentliche Entscheidungen besitzen wir alle erforderlichen Informationen. Wenn es zu einer Umweltkatastrophe kommt, dann nicht wegen unzulänglicher Information. 46 Wir kennen seit langem die schädlichen Auswirkungen der übersteigerten Mobilität in den Industriestaaten. Wir wissen, daß ein Erdbeerjoghurt vom Hersteller und dessen Zulieferem zum Verbraucher einen Weg von insgesamt 9115 km zurücklegt.47 Was fehlt, ist oftmals das Bewußtsein und der Wille, entsprechend den gewonnenen Erkenntnissen zu handeln. Sicher mangelt es teilweise auch an Informationen. Die menschlichen Erkenntnisse über die Welt, in der wir leben, sind noch immer relativ gering. Würden wir die Konsequenzen unseres Verhaltens genau kennen, wäre manche Entscheidung leichter zu treffen. Die Frage, ob Informationsmangel oder Informationsüberfluß herrscht, kann also nur mit "teils ... teils" beantwortet werden. 48 Auch im Falle des Mangels bedarf es jedoch eines Bewußtseins daflir, welche Informationen sinnvoll und bedeutsam sind. Die Informationsschwemme fuhrt dazu, daß die Aufmerksamkeit der Menschen abgelenkt und ihre Kräfte aufgezehrt werden. Postman berichtet von einer Untersuchung, nach der 51 Prozent der Zuschauer

"

Postman, Wir amüsieren uns :zu Tode, S. 7 f.

So Postman. Wir amüsieren uns zu Tode, S. 87; Samuel Taylor Coleridge, Die Ballade vom alten Seemannffhe Rime of the Ancient Mariner ("Water, water everywhere, nor any drop to drink"), Zeile 120 f. '5

"' Pos/man. Wir informieren uns zu Tode, in: Die Zeit v. 02.10.1992, Nr. 41, S. 61. 62, bezogen auf die Gefahr einer Nuklearkatastrophe. " 3494 km von den Zulieferem zum Hersteller, 4953 km von Zulieferer :zu Zulieferer, 668 km Vertrieb - Stefanie Böge, "Auswirkungen des Straßengüterverkehrs auf den Raum. Erfassung und Bewertung von Transportvorgängen durch eine produktbezogene Transportanalyse", Diplomarbeit, Wuppertal, zitiert in: Zeitmagazin Nr. 5 v. 29.01.1993, S. 14 ff. " Ebenso Noelle-Neumann, S. 155, 157; Druey, Festschrift flir Pedrazzini, S. 371.}. 383. spricht von "lnformationsarmut im lnformationsübertluß" .

A. Einleitung

21

sich wenige Minuten, nachdem sie eine Nachrichtensendung im Fernsehen gesehen hatten, an keine einzige Meldung mehr erinnern konnten. 49 Gegenüber dem Informationsüberangebot sind verschiedene Lösungsstrategien denkbar: Luhmann zieht aus der Quantität der Anregungen, Reize und Informationen, mit denen der einzelne überschüttet wird, den Schluß, daß diesem selbst die Auswahl dessen, was er aufnehmen und bewußt verarbeiten wolle, nicht völlig überlassen bleiben könne; er wäre sonst reiner Zufall, wenn sich Rollenpartner mit übereinstimmenden Informationen begegneten. Die öffentliche Kommunikation sei daher in allen wichtigen Sparten der Gesellschaft besonderen Organisationen anzuvertrauen, die sich speziell mit der Vorauswahl, der Vereinfachung und der Aufmachung der Informationen befassen.50 Ebenso betont Druey die Bedeutung der Informations-Mittler bei der Bekämpfung der "Datenverschmutzung" und der Herstellung von "informationeller Ökologie" und setzt dabei neben den Medien auch auf staatliche lnformationsvermittlung.51 Kriele will die Information des Bürgers durch die Schaffung einer Journalistenkammer verbessern, die vor allem bei Funk und Fernsehen über die Wahrung von Pluralismus, Ausgewogenheit, Sachlichkeit und gegenseitige Achtung wachen soll. 52 Die organisierte Informationsvermittlung birgt jedoch die Gefahr in sich, daß der Kommunikationsprozeß und die Meinungsbildung leichter manipulierbar wird. Auch Druey gibt zu bedenken, daß das Vertrauen, das in den Informations-Mittler gesetzt werden müsse, nicht durch rechtliche Mechanismen restlos abgesichert werden könne. 53 Andere vertrauen auf eine freiwillige Selbstbeschränkung der lnformierenden. 54 Mag auch ein gewisses Maß an Selbstzensur in jedem kommunikativen Geschehen unabdingbar sein55 - allein auf die Zurückhaltung des Kommunikators zu setzen, würde den Rezipienten diesem hilflos ausliefern.

' ''

Postman, Wir amüsieren uns zu Tode, S. 185.

5"

Luhmann, S. 92.

Druey, Festschrift flir Pedrazzini, S. 379, 382 f.. 394 f.; ähnlich spricht auch /'irilio. Psychologie heute, 5/1993, S. 54, 57 von einer "Ökologie der Bilder" und einer "ungeheuren Versehrnutzung der natürlichen Lebenswelt zumeist mittels der Massenmedien" ; vgl. a. Uischer. Medienökologie. 11

52

Kriele. ZRP 1990, S. 109, II I.

51

Dies gibt auch Druey, Festschrift flir Pedrazzini. S. 379. 396. zu bedenken.

54

Brack, S. 298: Druey, Festschrift flir Pedrazzin1. S. 379. 382 ff.

55

Brock~ S. 298.

A. Einleitung

22

Auch ein rechtlicher Abwehranspruch des Rezipienten gegen das Aufdrängen von Informationen vermag ftlr sich genommen das Problem der Informationsschwemme nicht zu lösen. Eine negative Informationsfreiheit könnte aber helfen, überhaupt eine Auswahlmöglichkeit unter den vorhandenen Informationen sicherzustellen, und Schutz vor Informationszumutungen bieten. Von besonderer Bedeutung wird sein, inwieweit sich die negative Informationsfreiheit auf die von seiten Privater aufgedrängten Informationszumutungen auswirkt, ob entsprechende zivilrechtliche Abwehransprüche bzw. staatliche Schutzpflichten bestehen.56 In diesem Zusammenhang soll auch die bisherige Rechtsprechung zur Abwehr unerwünschter Informationen mittels Werbebriefe, Postwurfsendungen oder Bildschirmtextmitteilungen untersucht, sowie auf die Verfassungsmäßigkeit der rundfunkrechtlichen Werberegelungen eingegangen werden. 57 Weitere Anwendungsfalle negativer Informationsfreiheit könnten sich im Bereich von Schule, staatsbürgerlicher Bildung und staatlichen Informationsgeboten zur Gefahrenabwehr, sowie bei Anordnungen zum Verkehrsunterricht bei Verkehrsverstößen ergeben. 58 Die für die Auswahlentscheidung erforderlichen Auswahlkriterien liefert die negative Komponente der Informationsfreiheit nicht. Die negative Informationsfreiheit wäre nur das rechtliche Instrument, um Auswahlfreiheit herzustellen, gesellschaftliche und politische Defizite kann sie dahingegen nicht ausgleichen. Ebensowenig vermag die negative Informationsfreiheit das Problem der Sucht nach Fernsehen oder Berieselung und die Willensspaltung zwischen NichtWollen und Doch-Wollen zu lösen. 59 Es wäre Aufgabe der schulischen und elterlichen Erziehung, auf den Umgang mit Informationen und Informationstechnologien vorzubereiten, um zu verhindern, daß in der Informationsgesellschaft der Zukunft60 ein großes Proletariat aus "Wissenszwergen" entsteht, die

"'

Dazu im einzelnen unten, S. 124 ff.

17

S. u., S. 112 ff.

"

S. u., S . 193 ff.

'''

Dazu Druey, Festschrift fllr Pedrazzini, S. 379, 382.

''" Nach Steger, Die Zeit, Nr. 37 v. 10.09.1993, S. 28, Besprechung von Peter F. Drucker, Die Postkapitalistische Gesellschaft, Düsseldorf 1993, wird die postkapitalistische Gesellschaft eine "Wissensgesellschaft" sein, da Eigentumsrechte gegenüber der VerfUgung von Wissen eine immer geringere Bedeutung einnehmen werde. Der weltweit von der Informationsindustrie erzielte Umsatz von 2.850 Mrd. US-$ wird schon jetzt nur noch von der Tourismusindustrie mit 2.900 Mrd. US-$ übertroffen- zum Vergleich: der Umsatz der Textilindustrie betrug 1990 1.620 Mrd. US-$, der Umsatz der Chemischen Industrie 1.320 Mrd. US-$, der Kfz-Industrie 1.100 Mrd. US-$ (Quelle: Deg/er. Der Spiegel, Nr. 14/1993, S. 150, 154).

A. Einleitung

23

weder über das technische Know-how verfügen, sich der Infonnationstechnologien zu bedienen, noch über ein ausreichendes Selektions- und Bewertungsvermögen, um die neuen Möglichkeiten sinnvoll zu einzusetzen.61

"' Degler, Wissenszwerge unter Druck, in: Der Spiegel, Nr. 14/1993, S. 150, 154, den Konstanzer Philosophen Jürgen Mittelstrass zitierend. Ob hier, wie in Sachsen geplant (vgl. Der Spiegel, Nr. 20/1994, S. 73), die Einfllhrung eines eigenen Schulfachs der "Medienerziehung" Abhilfe schaffen kann, bleibt fraglich. Pos/man, Wir informieren uns zu Tode, in: Die Zeit. Nr. 41 v. 02.10.1992, S. 61, 62, glaubt, daß eine verstärkte Beschäftigung mit "Erzählungen transzendenten Ursprungs" in der Erziehung von Nutzen sein könnte. Postman versteht darunter solche Erzählungen Ober die Geschichte der Menschheit, die der Vergangenheit Bedeutung zuschreiben, die Gegenwart erklären und fllr die Zukunft Orientierung liefern. Ohne solche Erzählungen gedeihe keine Kultur. Sie könnten den Menschen beim Sichten und Einschätzen von Informationen helfen, sowie bei der Entscheidung darüber, welches Wissen ihnen noch fehle - ausführlich hierzu Postman. Keine Götter mehr.

B. Begriff der negativen Grundrechtsfreiheit und der negativen Informationsfreiheit I. Negative Grundrechtsfreiheit - negative Freiheit Unter "negativer Freiheit" oder "negativer Grundrechtsfreiheit" wird in der Grundrechtstheorie das Recht verstanden, die Vornahme einer grundrechtlich geschützten positiven Handlung auch unterlassen zu dürfen, also von der eingeräumten Handlungsmöglichkeit keinen Gebrauch machen zu müssen. Negative Grundrechtsfreiheit gewährleistet damit den grundrechtliehen Schutz der Entscheidung über das "Ob" der Grundrechtsausübung. 1 Die "positive Grundrechtsfreiheit" ist demgegenüber als Recht zu verstehen, eine Handlung vorzunehmen. Neben dem "Wie" der Betätigung ist hierdurch das "Ob" nur insoweit geschützt, als die getroffene positive Entscheidung fllr die Vornahme der grundrechtlich geschützten Handlung durch Handlungshindernisse beeinträchtigt wird, sei es hinsichtlich der Aufnahme oder der Fortsetzung der betreffenden Betätigung.2 Als negative Meinungsfreiheit wird das Recht bezeichnet, seine Meinung nicht äußern bzw. eine bestimmte, andere Meinung nicht vertreten zu müssen, als negative Vereinigungsfreiheit das Recht, keiner Vereinigung beizutreten. Weitere Beispiele negativer Grundrechtsfreiheit wären das Recht, keinen Beruf zu ergreifen, keinen Glauben zu haben oder das Recht, sich nicht zu informieren . Ob die einzelnen Freiheitsrechte eine solche negative Komponente enthalten, ist im einzelnen umstritten - die geschriebenen Verfassungen benennen meist nur positive Handlungsfreiheiten ausdrücklich. 3

1 Starck, v. Mangoldt/Kiein/Starck, Art. I. Rdnr. 171: Merlen. HbStR VI,§ 144. Rdnr. 53,57: vgl. a. Herzog, Maunz/Dürig, Art. 4, Rdnr. 24.

Vgl. Hel/ermann, S. 57.

' S. u., S. 32 ti

I. Negative Grundrechtsfreiheit - negative Freiheit

25

Negative Grundrechtsfreiheit ist begrifflich zu unterscheiden vom status negativus der Grundrechte. 4 Im Anschluß an Jellinek wird mit status negativus die Funktion der Grundrechte als Abwehrrecht des BUrgers gegenüber dem Staat bezeichnet. 5 Auch die negative Grundrechtsfreiheit ist zunächst vor allem ein Abwehrrecht Sie schützt vor staatlichen Handlungsgeboten - und zwar vor Geboten, die zu einer Handlung verpflichten, deren Vomahme durch ein Grundrecht vor staatlichen Eingriffen geschützt wäre. Hierbei können Handlungsgebote, die nur allgemein zum Gebrauch der jeweiligen Freiheit verpflichten, und Handlungsgebote, die den Gebrauch der Freiheit in einer bestimmten Weise erzwingen sollen, unterschieden werden. Negative Grundrechtsfreiheit kann aber auch einen status positivus beinhalten, nämlich Anspruch auf Leistungen, insbesondere auf staatlichen Schutz der negativen Grundrechtsfreiheit Denkbar wäre ein grundrechtlicher Anspruch gegen den Gesetzgeber, die Fernsehanstalten zur Angabe von Dauer und Zeitpunkt unterbrechender Fernsehwerbung zu verpflichten.6 Umgekehrt kann es auch eine negative Grundrechtsfreiheit im status positivus geben, nämlich in Form des Rechts, von einem Anspruch keinen Gebrauch machen zu mUssen. 7 "Negativ" an der negativen Grundrechtsfreiheit ist ihr auf Verneinung der eingeräumten Verhaltensmöglichkeit gerichteter Schutz. Im Unterschied zur positiven Freiheit, etwas tun zu dürfen, gewährleistet die negative Grundrechtsfreiheit die Umkehrung dieses Rechts, also ein Recht, dieses etwas nicht tun zu mtissen. 8 Dies bedeutet nicht, daß die negative Grundrechtsfreiheit stets nur den Schutz der Passivität des Grundrechtsberechtigten beinhalten wtirde. 9 Meist wird dies zwar zutreffen und die negative Grundrechtsfreiheit sich phänomenologisch als passives Verhalten, als Nichthandeln darstellen. Die negative Grundrechtsfreiheit kann aber auch als ein Recht zum Handeln vorgestellt werden: So würde z. 8. das - in seiner Herleitung und seinem Bestand höchst

' Daher kann auch nicht ohne weiteres ("zwangsläufig") aus dem Abwehrcharakter der Grundrechte das Bestehen einer negativen Komponente gefolgert werden - so aber Starck, v. Mangoldt/Kiein/Starck, Art. 5 Abs. I, 2, Rdnr. 12. ; G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 94 ff., insbes. S. 103-105; s. a. Stern 11111, S. 427 f. " Dazu u .. S. 162 fl 7 Merten. VcrwArch 73 (1982), S. 103, 107, unter Berufung aufG. Jellinek. Systt:m. S. 340, der allerdings dt:n BegritT der negativen Freiheit im hier zugrundegelegten Sinne nicht v~:rwendet.

' Zeidler. Recht auf Demonstration, S. 8, spricht von einer "Umkehrwirkung" der Grundrechte. '' So aber Merten. HbStR VI, § 144, Rdnr. 53; ders. , VcrwArch 73 (1982), S. 103. 104.

B. Begriff negativer Grundrechtsfreiheit

26

umstrittene - Recht auf Selbsttötung, begriffe man es als negative Komponente des Rechts auf Leben, die negative Ausübung des Grundrechts durch eine aktive Handlung garantieren. 10 Auch im Rahmen der positiven Grundrechtsfreiheit kann im übrigen eine "passive" Ausübung geschützt sein. So kann die Informationsaufnahme aktiv oder passiv erfolgen: Aktiv durch selbständige Beschaffung der Information, und passiv, indem man die Information "auf sich zukommen" läßt, um sie dann wahrzunehmen. Negative Grundrechtsfreiheit bezeichnet nur einen Teil, die "negative Seite", 11 "negative Komponente"12 oder "negative Dimension"13 des durch die Freiheitsrechte geschützten Freiheitsraumes. Gebräuchlich ist auch die Bezeichnung als "negatives Grundrecht".14 Dadurch wird jedoch der Eindruck erweckt, als handele es sich hierbei um ein eigenes Grundrecht. 15 Negative Grundrechtsfreiheit kann jedoch immer nur Teil des jeweiligen speziellen Grundrechts selbst sein, es handelt sich um eine inhaltlich abhängige, negative Komponente. Genau genommen ist also auch die Bezeichnung der negativen Komponenten der Meinungs- oder Informationsfreiheit als negative Meinungs- oder negative Informationsfreiheit unpräzise, da es sich nicht um eigenständige Freiheitsrechte handelt. 16 Diese Bezeichnung der negativen Komponente hat sich jedoch weitgehend durchgesetzt und zeichnet sich auch durch eine gewisse Griffigkeit und Plastizität aus; sie soll vorliegend daher beibehalten werden - es muß jedoch gegenwärtig bleiben, daß es sich nicht um selbständige Grundrechte, sondern

1° Fink, Selbsttötung, S. 117: " ... Befugnis zur Nichtausübung oder, wie bei der Selbsttötung, zu einer Ausübung, die jeden weiteren Gebrauch ausschließt"; dazu im einzelnen unten, S. 34. 11 Bleckmann, S. 635; Dürig, Maunz/Dürig, Art. II, Rdnr. 39; Friauf, Festschrift fur Reinhardt, S. 389, 390; H. Hofmann, VVDStRL 41, S. 42, 73, Fn. 118; Jarass, Jarass/Pieroth, Art. 9, Rdnr. 5; Monjau, Festgabe fur Küchenhoff, S. 121 , 130; Randelzhofer, Bonner Kommentar, Art. II, Rdnr. 55.

12 Bleckmann. S. 286; Herzog, Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. I, 2, Rdnr. 40; Merlen, HbStR VI, § 144, Rdnr. 53; Randelzhofer, Bonner Kommentar, Art. II , Rdnr. 55; Scholz, Maunz/Dürig, Art. 9, Rdnr. 43; Slarck, v. Mangoldt!Kiein/Starck, Art. 5 Abs. I, 2, Rdnr. 12;

" Kunig, v. Münch/Kunig, Art. 2, Rdnr. 17; v. Campenhausen, HbStR VI, § 136. Rdnr. 93 ("negative Grundrechtsdimension"). 14

Bleckmann, S. 285, 318; Merlen, VerwArch 73 (1982), S. 103, 104.

Zudem wird unter der Bezeichnung "negatives Grundrecht" zum Teil die negatorische Funktion der Grundrechte verstanden- so beispielsweise Currie. AöR III (1986), S. 230. 231 f. 11

"' Vgl. Monjau, Festgabe filr Küchenhoff, S. 121, 122 f., zum Begriff der "negativen" Koalitionsfreiheit "scheußliche und irrefuhrende Wortbildung" .

I. Negative Grundrechtsfreiheit - negative Freiheit

27

um Ausschnitte derselben handelt. Unproblematisch ist insofern die Bezeichnung als negative Grundrechtsfreiheit. 17 Die "negative lnanspruchnahme" 18 eines grundrechtlich garantierten Entfaltungsraumes ist also nicht das Gegenteil oder gar die Negierung grundrechtlieber Betätigung, sondern Teil der grundrechtliehen Freiheitsgewährleistung selbst. 19 Bethge hat dies in einem scheinbaren Paradoxon veranschaulicht: "Negativer Grundrechtsgebrauch ist positiver Grundrechtsgebrauch" .20 Daraus folgt nicht, daß die Denkfigur der negativen Grundrechtsfreiheit überhaupt aufgegeben werden müßte. 21 Negative Grundrechtsfreiheit beschreibt einen Teil des grundrechtliehen Schutzbereichs, der zwar regelmäßig nicht ausdrücklich und eigenständig gewährleistet ist/ 2 aber besonderer Betrachtung bedarf, gerade weil der Wortlaut der Grundrechte meist nur auf den Schutz der positiven Komponente ausgerichtet ist und sich die Gewährleistung negativer Grundrechtsfreiheit nicht unmittelbar aus dem Wortlaut ableiten läßt. Es kann daher durchaus eine Notwendigkeit für eine begriffliche und rechtstheoretische Unterscheidung von negativer und positiver Grundrechtsfreiheit festgestellt werden, ohne daß damit bereits die Frage des Schutzes negativer Grundrechtsfreiheit durch das Grundgesetz vorweggenommen werden soll. Der Begriff der "negativen Freiheit" findet auch in anderem Zusammenhang Verwendung: In der Grundrechtstheorie wird darunter auch die negativ definitierte allgemeine Freiheit verstanden. Negative Freiheit bezeichnet hier die Abwesenheit von äußerem physischen und psychischen Zwang, also die Freiheit, frei von Handlungshindernissen in Form von positiven Hinderungshandlungen anderer zu sein.23 Dieser Begriff der negativen Freiheit ist verwandt mit 17 H. Hofmann, VVDStRL 41, S. 42, 73. Zum Teil wird auch der Begriff "negative Freiheit" verwendet- Merlen, DÖV 1990, S. 762; Hamacher, S. 97; Hesse, Grundzüge, Rdnr. 288; Leventis, S. 42 f. -wegen der Vieldeutigkeit des Begriffs der "negativen Freiheit" sollte diese Bezeichnung jedoch ebenfalls vermieden werden - s . u., S. 29.

" BVerfGE 58, 358, 364; v. Mangoldt/K/ein. 2. Aun .. Bd. I, S. 320. ''' Ähnlich Wiethölter, S. 297: Die negative Grundrechtsfreiheit sei nicht Kehrseite, sondern Teilbezirk. 20

Bethge, Grundpflichten als verfassungsrechtliche Dimension, NJW 1982, 2145, 2147.

21

So aber Fischer, Vorgänge 70, S . 4, 6 f.

22

Dazu im einzelnen u., S. 32 ff., S. 76 ff., S. I 53 ff.

Böckenförde/Enders, Freiheit in: Herder Staatslexikon, Spalte 705 - als äquivalente Begriffe werden Wahlfreiheit oder subjektive Freiheit verwendet; s. a. Alexy, S. 200 ff., 318. Eine klassische Formulierung findet sich bereits bei Hobbes, Leviathan, S . I 07 (Ch. 21 ): "Liberty, or Freedom signifieth (properly) the absence of Opposition"; s. a. S. 64 (Ch. 14): "By Liberty, is understood, 21

B. Begriff negativer Grundrechtsfreiheit

28

dem des status negativus24 : Er beschreibt den mit dem status negativus bezweckten Zustand der Abwesenheit von Zwang und sollte besser als "negatorische Freiheit" bezeichnet werden . Eine weitere Definition negativer Freiheit findet sich bei Alexy, der eine "negative Freiheit im weiteren" und "im engeren Sinn" unterscheidet. Unter negativer Freiheit im weiteren Sinn versteht er die Freiheit, "zu tun und zu lassen, was man will, also die Möglichkeit, zwischen Handlungsalternativen zu wählen". Dieser umfassende Begriff der negativen Freiheit beinhaltet also sowohl die Freiheit, positive Handlungen vorzunehmen, als auch die Freiheit, diese zu unterlassen. 25 Als "negative Freiheit im engeren Sinn" bezeichnet Alexy eine Freiheit, die darin besteht, zu tun und lassen was man will, und die nicht durch positive Hinderungshandlungen versperrt ist - also nur ein entsprechendes Abwehrrecht zu ihrem Schutz benötigt. 26 Alexys begriffliche Unterscheidung von negativer Freiheit "im engeren" und "im weiteren Sinne" verwischt jedoch die erforderliche Differenzierung zwischen negatorischer, positiver und negativer Grundrechtsfreiheit. 27 Sein Begriff negativer Freiheit im weiteren Sinne enthält positive und negative Grundrechtsfreiheit, während negative Freiheit im engeren Sinne quasi als "Schnittmenge" zwischen Alexys negativer Freiheit im weiteren Sinn und negatorischer Freiheit zu verstehen ist. Der Begriff der "negativen Freiheit" findet sich auch in der Philosophie. Negative Freiheit, auch als "Freiheit im negativen Verstande" bezeichnet, meint hier, daß menschliche Willensentschlüsse nicht restlos determiniert seien weder im Sinne eines Motivationsdeterminismus noch eines ethischen Determinismus: Aus gleichen Motiven erfolge selbst unter gleichen Umständen nicht notwendig der gleiche Willensentschluß. Auch ethische Sollensforderungen stellten keine unentrinnbare Bindung dar, es sei vielmehr eine Frage der persönlichen Entscheidung, ob eine Determination des Willens durch Werte stattfinde oder nicht: Wenn die Freiheit nur darin bestünde, recht zu tun, ginge ihr ein

according to the proper signification of the word, the absence of extemall Impediments." 24

Nach Carl Schmitt, Grundrechte und Grundpflichten, S. 207, "Ausdruck des status positivus".

H

Alexy, S. 318. 198 f.

"' A/exy, S. 199 ff., 318. 27 Zum hier eingeführten Begriff der negatorischen Freiheits. o., S. 28, zum Begriff der positiven Grundn:chtstreiheit s. o., S. 25, und zum Begrill' der negativen Grundrechtsfreiheit s. o., S. 24 ff.

II. Abgrenzung gegenüber Grundrechtsverzicht

29

wesentlicher Kern verloren. 28 Die Philosophie versteht also unter negativer Freiheit das Fehlen von Freiheitshindernissen, von Bindungen an Kausalität oder an das Sittengesetz; kennzeichnend flir die negative Freiheit sind Indetermination und Selbstbestimmung. 29 Angesichts dieser Vieldeutigkeit des Begriffs der "negativen Freiheit" sollte auf seine Verwendung möglichst verzichtet werden. Mißverständnisse können durch die Bezeichnung als "negative Grundrechtsfreiheit" sowie durch die Umschreibungen "negative Komponente" und "negative Seite des Grundrechts" vermieden werden. Auch die Bezeichnungen einzelner Ausprägungen der negativen Grundrechtsfreiheit als negative Informationsfreiheit oder negative Meinungsfreiheit schließen eine Verwechslung aus.

II. Abgrenzung gegenüber Grundrechtsverzicht Inhaltlich ist die Frage des Bestehens negativer Grundrechtsfreiheit von dem Problem des Grundrechtsverzichts zu unterscheiden. 30 Der Grundrechtsverzicht enthält eine individuelle Verfügung über eine Grundrechtsposition 31 , also einen Verzicht auf die Schutzwirkungen des Grundrechts, mit der Folge, daß trotz einer an sich in den Schutzbereich eingreifenden Maßnahme normativ - wegen des Einverständnisses - kein Eingriff vorliegt. 12 Negative Grundrechtsfreiheit stellt demgegenüber eine Erweiterung des Schutzes dar: Der Schutzbereich des Grundrechts bleibt nicht beschränkt auf die positive Handlungsfreiheit, sondern erstreckt sich auch auf den grundrechtliehen Schutz des Unterlassens der eingeräumten Handlungsmöglichkeit.

2"

83).

Zippelius. Wesen des Rechts, S. 164; Hartmann, Ethik, S. 686 ff.. 748 ff. (Kapitel 72, 80-

2'' Hartmann, Ethik, S. 784 (Kap. 82); von einer grundsätzlichen Willensfreiheit geht auch unsere Rechtsordnung aus - Privatautonomie im Zivilrecht und persönlicher Schuldvorwurf im Strafrecht sind ohne Willensfreiheit nicht vorstellbar- vgl. dazu a. Jürgens, VerwArch 53 (1962), S. 105, 119; ausführlicher zur Willens- und Geistesfreiheit s. u., S. 91 ff. )n

So auch Bethge, HbStR VI, § 137, Rdnr. 16, und Stern 11112, § 86 II 2, S. 904 f.

)I

Pietzcker, Der Staat, Bd. 17 (1978), S. 527, 531; Stern III/2, § 86 I I, S. 887 f.;

Stern III/2, § 86 IV I, S. 926 f.; 8/eckmann. Grundrechte. S. 405 f.; zur Frage, inwieweit ein Grundrechtsverzicht zulässig ist und zum Meinungsstand in Literatur und Rechtsprechung, vgl. Stern III/2. § 86. S. 887 ff. )2

30

B. Begriff negativer Grundrcchtstreiheit

Grundrechtsverzicht und negative Grundrechtsfreiheit stehen dabei völlig unabhängig nebeneinander, 33 insbesondere setzt Grundrechtsverzicht nicht das Bestehen negativer Grundrechtsfreiheit voraus. Die Frage, ob die Geltung einer Grundrechtsnorm so absolut ist, daß selbst der durch sie Begünstigte nicht darüber disponieren kann, ist kein Problem des Schutzbereichs, sondern des Geltungsanspruchs der Norm. Der vermeintliche Zusammenhang zwischen den beiden Rechtsfiguren des Grundrechtsverzichts und der negativen Grundrechtsfreiheit beruht vielmehr auf einer semantischen Unschärfe der Sprache: "Nichtgebrauch" oder "Nichtausübung eines Grundrechts" kann nicht nur im Sinne der negativen Grundrechtsfreiheit als Nichtvornahme des grundrechtlich geschützten Verhaltens begriffen werden, sondern auch im Sinne des Grundrechtsverzichts als Nichtinanspruchnahme des grundrechtliehen Schutzes (miß-)verstanden werden.34 Im grundrechtliehen Bereich bedarf der Geltungsanspruch eines Grundrechts aber keiner Aktualisierung im Einzelfall. Da man insoweit also nicht von "Ausübung" oder "Gebrauch" eines Grundrechts sprechen kann, sollte der Grundrechtsverzicht auch nicht als Nichtgebrauch oder Nichtausübung des Grundrechts bezeichnet werden. 35

III. Begriff der negativen Informationsfreiheit Nach der vorstehend gewonnenen Begriffsbestimmung ist also die negative Komponente eines Freiheitsrechtes zu definieren als das Recht, von der durch das Freiheitsrecht gewährten positiven Freiheit keinen Gebrauch machen zu müssen. Ohne einer inhaltlichen Bestimmung der jeweiligen negativen Grundrechtsfreiheit vorgreifen zu wollen, kann negative Grundrechtsfreiheit begrifflich regelmäßig durch Umkehrung, d. h. durch Negation der positiven Handlungsmöglichkeit, bestimmt werden. Die negative Informationsfreiheit wäre also das Recht, sich nicht aus allgemein zugänglichen Quellen zu unterrichten. Gewährleistet wäre mithin (insbesondere) ein Abwehrrecht gegenüber einem

n Ebenso Stern 11112, § 86 II 2, S. 904 f.; in der Literatur wird dieser Unterschied nicht immer hinreichend beachtet- vgl. unten S. 39 ff.; unpräzise in dieser Hinsicht auch Fink, Selbsttötung, S. 113 ff. " In letzterem Sinne insbesondere Göldner, JZ 1976, S. 3 52, 3 55: Verzicht sei Gebrauchmachen durch Eingehen einer Bindung und Verpflichtung zum Nichtgebrauch. 15 U. a. beschreiben a. Däub/er, S. 31, Leventis, S. 42. und Herzog, Maunz/Diirig, Art. 4, Rdnr. 60, die negative Grundrechtsfreiheit als "Nichtgebrauch" oder "Nichtausilbung" des Grundrechts.

III. Begriff der negativen lnlormationsfreiheit

31

Zwang, sich zu unterrichten. Ein Zwang zur Unterrichtung könnte dabei in verschiedener Hinsicht ausgeübt werden: Einmal ganz allgemein als Gebot, sich überhaupt ("gut") zu unterrichten, was in dieser Allgemeinheit allerdings wenig praktisch sein dürfte, oder konkreter und realistischer in Form eines Zwanges, sich zu einem bestimmten Thema zu informieren, eine bestimmte Information aufzunehmen bzw. eine bestimmte Informationsquelle zu nutzen. Ausgangspunkt der Untersuchung, ob das Grundgesetz in Art. 5 Abs. I S. I GG auch die negative Informationsfreiheit gewährleistet, soll zunächst die Auseinandersetzung mit der verbreiteten These sein, jedes Freiheitsrecht enthalte eine solche negative Komponente.

C. Negative Grundrechtsfreiheit I. Gewährleistung negativer Grundrechtsfreiheit im Grundgesetz Das Bestehen einer negativer Komponente ist bei zahlreichen Grundrechten anerkannt. So umfaßt Art. 9 Abs. I GG nach ganz herrschender Meinung auch die negative Vereinigungsfreiheit- streitig ist hier im wesentlichen nur, inwieweit auch Schutz vor öffentlich-rechtlichen Zwangsvereinigungen besteht. 1 Ebenfalls große Beachtung in Wissenschaft und Praxis hat die negative Koalitionsfreiheit erfahren. 2 Das Bestehen einer negativen Meinungsfreiheit als Recht, keine Meinung zu äußern/ wird ebensowenig bestritten wie der Schutz der negativen Versammlungsfreiheit in Art. 8 Abs. I GG 4 und der negativen Freizügigkeit nach Art. II GG als Recht, an einem Ort bleiben zu können.' Bei der

1 Die negative Vereinigungsfreiheit beschränkend auf den Schutz vor privatrechtliche Zwangszusammenschlüssen: BVerfGE 10, 89, 102; 38, 281, 297 f.; Jarass, Jarass/Pieroth, Art. 9, Rdnr. 5 f.; Löwer, v. Münch/Kunig, Art. 9, Rdnr. 17; Merlen, HbStR VI,§ 144, Rdnr. 58-62; mit Bedenken: Erichsen, HbStR VI, § 152, Rdnr. 70; fllr den Schutz vor öffentlich-rechtlichen Zwangsvereinigungen durch Art. 9 Abs. I GG: Etzrodl, S. 119, 189 f. ; Hesse, GrundzUge, Rdnr. 414; Mronz, S. 289; v. Mutius, Jura 1984, S. 193, 196 f. ; Pieroth/Schlink, Rdnr. 795 ; Rinken, Alt. Komm., Art. 9 Abs. I, Rdnr. 58; Scholz, Maunz/Dürig, Art. 9, Rdnr. 91 (zumindest. wenn sie in Konkurrenz zu einer privatrechtliehen trete); insgesamt a. A. Friauf, Festschrift fur Reinhardt, S. 389, 397. 2 Anerkannt von BVerfGE 50, 290, 367; 55, 7, 21; BAG, Großer Senat, AP Nr. 13 zu Art. 9: Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem; Koch, Koalitionsschutz und Fernbleiberecht; Däubler, Negative Koalitionsfreiheit?, S . 34-36; Mayer-Maly, Negative Koalitionsfreiheit?, S . 24; Monjau', Schutz der sogenannten negativen Koalitionsfreiheit, Festgabe filr Kuchenhoff. S. 121 ff. 1 BVerfGE 57, 170, 192; s. a. BVerfGE 65, I, 40 f. (Angaben zu einer statistischen Erhebung seien aber keine Meinungsäußerung); Merlen, DÖV 1990, S. 761 ff.; Herzog, Maunz/Dilrig, Art. 5 Abs. I, 2, Rdnr. 40; Jarass, Jarass/Pieroth, Art. 5, Rdnr. 4; Kloepfer, Produkthinweispflichten, S . 28 f. Starck, v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5, Abs. I, 2, Rdnr. 12; Pierolh/Schlink, Rdnr. 612614; Schmidt-Jortzig, HbStR VI,§ 141 , Rdnr. 27; Wendt, v. MUnch/Kunig, Art. 5, Rdnr. 18. 4 BVerfGE 69, 315, 343; Herzog, Maunz/Dürig, Art. 8, Rdnr. 26 ff.; Jarass, Jarass/Pieroth, Art. 8, Rdnr. 4; Merlen, MDR 1968, S . 621 , 626, Fn. 59; Zeidler, Recht auf Demonstration, S. 8.

5 Dürig, Maunz/DUrig, Art. II, Rdnr. 39 (die negative Seite des Nichttunmüssens sei ungleich wichtiger als die positive Seite des freien "Dürfens"); Merlen, Inhalt des Freizügigkeitsrechts, S. 41 ff.

I. Gewährleistung negativer Grundrechtsfreiheit im GG

33

negativen Glaubensfreiheit wird diskutiert, ob nur der weltanschaulich motivierte oder jeder, auch der auf Indifferenz beruhende Nichtglaube von Art. 4 Abs. 1 GG geschützt wird.6 Ausdrücklich gewährleistet sind Teilbereiche der negativen Glaubensfreiheit in Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 III 1, IV und 141 WRV. Art. 12 Abs. 2 GG bietet Schutz vor dem Zwang zu einer bestimmten Arbeit - die weit überwiegende Ansicht nimmt an, daß darüber hinaus die Freiheit, keinen Beruf zu ergreifen und auszuüben, durch Art. 12 Abs. I GG gewährleistet ist. 7 Umstritten ist, ob Art. 38 Abs. I S. I GG auch eine negative Wahlfreiheit umfaßt, die vor der Einführung einer Wahlpflicht schützt8 und ob sich eine negative Eheschließungsfreiheit aus Art 6 Abs. 1 GG oder nur aus

" Preuß, Alt. Komm., Art. 4, Rdnr. 17; fllr einen umfassenden Schutz der negativen Glaubensfreiheit: BVerfGE 4I, 29, 49; 46, 266, 267; 52, 223, 246; 65, I , 39; Hess. StGH ESVGH 16, I, 7-IO, I4; v. Campenhausen, HbStR VI, ~ 136, Rdnr. 44, 94 fl'.; Herzog, Maunz/Dürig, Art. 4 Rdnr. 54 ff.; Starck, v. Mangoldt/Kiein!Starck, Art. 4, Rdnr. 13; die negative Glaubensfreiheit beschränkend auf den Fall, daß die Entscheidung auf einer Gewissensentscheidung beruht: Zippelius, Bonner Kommentar, Art. 4, Rdnr. 33, 99 ff.; v. Münch, v. MUnch/Kunig, Art. 4, Rdnr. 23; Jarass, Jarass/Pieroth, Art. 4, Rdnr. 8. 7 Für den Schutz der negativen Berufsfreiheit BVerfGE 58, 358, 364 f.; Bachof, Bettermann/Nipperdey/Scheuner, Grundrechte 111/I, S. I95; Klein, v. Mangoldt/Kiein, Bd. I, 2 . Autl.. S. 37I (Anm. IV 2b); Rittstieg, Alt. Komm., Art. 12, Rdnr. 159; s. a. Uber, Festschrift für Schack, S. I67 ff.; a. A. Scholz, Maunz!Dürig, Art. 12, Rdnr. 2, 477: keine (ranggleiche) negative Berufsfreiheit, nur das Aufnötigen eines bestimmten (anderen) Berufes soll durch Art. 12 Abs. I GG geschützt sein.

• Für den Schutz negativer Wahlfreiheit: Stern I, S. 322 f. ; bereits die Teilnahme, nicht erst die Stimmabgabe sei eine politische Willenskundgabe; ähnlich Erichsen, Jura I 983, S. 635, 641 : Mehr noch als durch Stimmenthaltung könne der Wähler bereits durch demonstratives Fernbleiben seine politische Meinung kundtun, eine geringe Wahlbeteiligung könne viel über den politischen Willen der Wählerschaft, z. B. die Ablehnung der etablierten Parteien, aussagen; Pieroth, Jarass/Pieroth, Art. 38, Rdnr. 7; v. Münch, Art. 38, Rdnr. 30; Seifert, Bundeswahlrecht, Art. 38, Rdnr. 15; a. A. Merlen, Festschrift fllr Broermann, S . 308 ff., der zwischen der negativen Wahlentscheidungsfreiheit (S. 309 f.) und der negativen Wahlbeteiligungsfreiheit (S. 309 ff.), die nicht geschützt sei, differenziert: Historische Auslegung und Entstehungsgeschichte sprächen dagegen (S. 3 12-3 I4), von Beeinträchtigungen der Wahlbeteiligungsfreiheit gehe auch keine Gefahr fiir die Wahlentscheidungsfreiheit aus, da das "Recht der negativen Entscheidung" auch im Falle der Wahlpflicht behalten werde (S. 3 I4); ebenso Zippelius, Allgemeine Staatslehre,~ 24 I, S. I93: Eine Wahlptlicht sei vereinbar mit dem Grundsatz der freien Wahl, weil sie dem Wähler alle angebotenen Entscheidungsmöglichkeiten, einschließlich der Abgabe eines offenen Stimmzettels offenhalte: MangoldtiKlein, 2. Auflage, Bd. 2, Art. 38, S. 88 I ; Klein, Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 38, Rdnr. 18: Maunz, Maunz/Dürig, Art. 38, Rdnr. 32;Schneider, Alt. Komm., Art. 38, Rdnr. 48: das Bundesverfassungsgericht, E 7, 63, 69: I5, I65, 166, hatte bisher nur Anlaß festzustellen, daß die "freie Wahlbetätigung" gewährleistet wird. 3 Fenchel

C. Negative Grundrechtsfreiheit

34

Art. 2 Abs. I GG ergibt. 9 Von der herrschenden Meinung abgelehnt wird die Ableitung eines negativ gewendeten Rechts auf Leben, also eines Rechts auf Beendigung des Lebens aus Art. 2 Abs. 2 S. I GG.10 Etwas skurril mutet die Annahme eines Rechts aus Art. 4 Abs. 3 GG an, "nicht den Kriegsdienst zu verweigern". 11 Unstreitig ist, daß es aufgrund der ausdrücklichen Normierung einer Erziehungspflicht in Art. 6 Abs. 2 GG kein negatives Elternrecht gibt. 12 Dieser kurze Überblick über den Meinungsstand zur Gewährleistung negativer Grundrechtsfreiheit im Grundgesetz bestätigt die bereits eingangs bei der Bestimmung des Begriffs der negativen Grundrechtsfreiheit aufgestellte These, daß eine Freiheit, von einem Grundrecht keinen Gebrauch machen zu müssen, nur Sinn macht bei den Grundrechten, die eine Handlungsfreiheit gewährleisten13- Freiheitsrechte, 14 Handlungsrechte 15 oder Rechte des Dürfens 16 genannt.

9 BVerfGE 56, 363, 384 leitet ein Recht, keine Ehe eingehen zu wollen, nur aus Art. 2 Abs. I GG ab; ebenso: Maunz, Maunz/Dürig, Art. 6, Rdnr. 15a, 15b; Pieroth, Jarass/Pieroth, Art. 6, Rdnr. 3; flir eine Zuordnung zu Art. 6 Abs. I GG: Schwenzer, JZ 1988,781,784 und v. Campenhausen, VVDStRL 45 ( 1987), S. 7, 19, Fn. 48- eine negative Eheschließungsfreiheit würde, ebenso wie der "besondere Schutz", unter den Art. 6 Abs. I GG die Ehe stellt, gegen eine gesetzliche Gleichstellung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft sprechen; gesetzliche Regelungen wären damit aber nicht gänzlich ausgeschlossen, da Begünstigungen sowie Regelungen flir Notsituationen nicht die negative Eheschließungsfreiheit betreffen; sehr weitgehendE. M v. Münch, v. Münch/Kunig, Art. 6, Rdnr. 5, die nur eine völlige Gleichbehandlung flir unzulässig hält. Die negative Eheschließungsfreiheit würde andererseits aber auch einer zu starken Benachteiligung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft entgegenstehen - a. A. wohl Pirson, Bonner Kommentar, Art. 6, Rdnr. 132, der die Ausschließlichkeit der Ehe als familienrechtliches Statusverhältnis llir verfassungsrechtlich geboten erachtet.

"' Dürig, Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 2, Rdnr. 12; Kunig, v. Mllnch/Kunig, Art. 2, Rdnr. 40; Lorenz, HbStR VI. ~ 128, Rdnr. 62; Starck, v. Mangoldt/Kiein/Starck, Art. 2, Rdnr. 129; a. A. Herzog, Artikel "Selbstmord", in: Ev. Staatslexikon, Sp. 3112; Fink, S. 71, 117, 198; der ßGH räumte in seinem Beschluß v. 08.07.1987, NJW 1988, S. 1532, dem Selbstbestimmungsrecht einer Patientin, die einen ernsthaften, freiverantwortlichen Selbsttötungsentschluß gefaßt hatte. Vorrang vor der Verpflichtung des behandelnden Arztes zur Lebensrettung ein - allerdings ohne Anerkennung eines entsprechenden Grundrechts auf Beendigung des Lebens. 11 Kritisch a . Stern 111/1, § 66 II 3. S. 632, Fn. 42, § 65 VI 3 b, S. 615, Fn. 555: ll.ir einen Schutz: Herzog, Maunz/Dürig, Art. 4, Rdnr. 59.

" Zum Verhältnis Grundpflichten - negative Grundrechtsfreiheit s. u., S. 58 ff. n So auch Merlen, VerwArch 73 (1982), S. 103, der die Handlungsrechte von den (reinen) Abwehrrechten unterscheidet; s. insbesondere a. He/lermann, S . 131 ff.

" Giese, Grundrechte, S. 90 fl'.: Herzog, Allgemeine ')taatslehre, S. 373: kritisch Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 39, Fn. II . 15

Merlen, VerwArch 73 (1982), S . 103: f!el/ermann. S . 13 1 ff.

I. Gewährleistung negativer Grundrechtsfreiheit im GG

35

Wird nicht nur eine bestimmte Handlung, sondern ein ganzer Bereich unter Schutz gestellt, wie bei der Freiheit der Kunst, der Wissenschaft, des Rundfunks, des Films, der Presse oder beim Recht auf Eigentum, ist eine negative Grundrechtsfreiheit nur vorstellbar bezüglich einzelner, in diesen Freiheiten ebenfalls enthaltener Handlungsrechte. Nicht denkbar ist eine negative Grundrechtsfreiheit bei Gleichheitsrechten, da diese keine Handlungsmöglichkeit gewährleisten, die negiert werden könnte: In Betracht käme allenfalls die Nichtge/tendmachung des Schutzes eines Gleichheitssatzes - diese wäre aber als Grundrechtsverzicht einzustufen.17 Gleiches gilt ftir die in Art. I 0 und Art. 13 GG gewährleisteten Schutzrechte des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses und der Unverletzlichkeit der Wohnung. 18 Es fällt auf, daß der Wortlaut der im Grundgesetz verbürgten Grundrechte nur in Einzelfällen Anhaltspunkte für das Bestehen negativer Grundrechtsfreiheit bietet: Eine ausdrückliche Normierung einer negativen Grundrechtsfreiheit findet sich in Art. 12 Abs. 2 GG, der Zwangsarbeit verbietet, Teilbereiche der negativen Glaubensfreiheit sind in Art. 140 GG i. V. m. Art 136 Abs. 3 und 4 und Art. 141 WRV ausdrücklich geregelt. Daß auch die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. I GG das Recht umfaßt, eine Handlung zu unterlassen, kann durch Auslegung ebenfalls unmittelbar aus dem Wortlaut geschlossen werden. Eine freie Entfaltung der Persönlichkeit wäre nicht gewährleistet, wenn kein Schutz vor Handlungsgeboten bestände - das Recht zur Passivität gehört unabdingbar zur freien Entfaltung. Dies wird bei Art. 2 Abs. I GG durch die Entstehungsgeschichte bestätigt: Man entschied sich nur aus sprachlichen Gründen gegen die Formulierung, "Jedermann ist frei, zu tun und zu lassen, was die Rechte anderer nicht verletzt

"' Merlen, VerwArch 73 (1982), S. 103, unter Hinweis auf Bühler. Zur Theorie der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 26, 50 f., 58, der die Gewährleistung einer "Betätigungsmöglichkcit" durch die subjektiven Rechte. das "Tundürfen", hervorhebt: auch nach Merlen. HbStR VI,§ 144. Rdnr. 5. ist der Umstand, ob es sich um ein "Recht des Dürfens" oder "Darf-Recht" handelt. bedeutsam fUr die Frage einer negativen Komponente; vg/. a. C Schmitt, Grundrechte und Grundptlichten. S . 181. 208, Fn. 70; Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 37 ff.: Wilke. S. 20 f. 17

Zur Abgrenzung der negativen Grundrechtsfreiheit vom Grundrechtsverzicht s. o .. S. 29

So auch Merlen, VerwArch 73 (1982), S I 03. mit der Begründung. daß Schutzrechte (Abwehrrechte) keine Freiheitsbetätigungen schützen und daher auch nicht ausgeübt werden könnten. 1"

C. Negative Grundrechtsfreiheit

36

( ... )". 19 Unabhängig von dem Bestehen einer negativen Komponente im Rahmen der speziellen Grundrechte ist also die Passivität, das Nichtstun, generell durch Art. 2 Abs. I GG geschützt. Die Frage nach der Gewährleistung negativer Grundrechtsfreiheit durch die Einzelgrundrechte kann also neben einer möglichen Verstärkung des Schutzes nur eine präzisere Zuordnung bewirken, die dem Schutz negativer Grundrechtsfreiheit mehr Kontur verleiht. Bei anderen Grundrechten finden sich für das Bestehen negativer Grundrechtsfreiheit keine Anhaltspunkte im Wortlaut- Art. 8 Abs. I, Art. 9 Abs. I und Abs. 3, Art. 12 Abs. I GG sprechen nur von dem Recht auf Vornahme einer positiven Handlung. Auch Art. 5 Abs. I GG enthält keinen ausdrücklichen Hinweis auf die Gewährleistung negativer Meinungs- oder Informationsfreiheit.20 Es muß auf die bezüglich des Bestehens negativer Grundrechtsfreiheit wenig Substanz bietenden Normtexte zurückzuführen sein, daß sich in der Literatur zahlreiche Ansätze finden, allgemein für alle Handlungsgrundrechte eine negative Komponente als immanenten Bestandteil jedes Freiheitsrechts anzunehmen. Diese allgemeinen Begründungen sollen im folgenden näher untersucht werden. Ließe sich tatsächlich durch eine allgemeingültige Theorie die Gewährleistung negativer Grundrechtsfreiheit durch die Einzelgrundrechte begründen, so wäre damit zugleich auch die Frage des Bestehens negativer Informationsfreiheit geklärt.

II. Negative Grundrechtsfreiheit - eine allen Freiheitsrechten immanente Komponente? Betrachtet man die Stellungnahmen in der Literatur zum Bestehen negativer Grundrechtsfreiheit, so scheint es ein eherner Grundsatz zu sein, daß alle Freiheitsrechte des Grundgesetze eine negative Komponente beinhalten.21

''' Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 16.11 .1948, Drucks. Nr. 282, in: Pari. Rat, GO-Entwürfe, S. 17; vom Bundesverfassungsgericht in E 6, 32, 36 f. ungenau zitiert mit "Jeder kann tun und lassen was er will"; vgl. die Äußerung v. Mangoldts, dies klinge "zu vulgär"Pari. Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, 42. Sitzung, S. 533; s. a. Abgeordneter Lensing, Maschinenschriftliches Stenoprotokoll, S. 7, bei Matz, v. Doemming/Füßlein/Matz, JöR N.F., Bd. I (1951), S. 57: "Freie Entfaltung umfaßt alles." 2"

Zur Auslegung des Wortlaut des Art. 5 Abs. I GG im einzelnen s. u., S. 76 ff.

" Bethge. HbStR VI , ~ 137, Rdnr. 16; Bleckmann, S. 285 f. ; Herzog, Artikel "Selbstmord", in: Ev. Staatslexikon. Sp. 3112; ders., Maunz/DUrig, Art. 4, Rdnr. 77, Art. 5 Abs. I, 2, Rdnr. 40: "Alle Grundrechte mit Ausnahme des Art. 6 II"; Hesse, Grundzüge, Rdnr. 288; Hans H. Klein, Der

II. Eine allen Freiheitsrechten immanente Komponente?

37

Herzog beispielsweise spricht von einem "selbstverständlichen Grundsatz der Grundrechtsauslegung", daß jedes Grundrecht auch die Freiheit seiner Nichtausübung enthalte, 22 nach Hesse ist "stets nicht nur die positive Freiheit ( ...), sondern ebenso die negative Freiheit" gewährleistet. 23 Ein solcher Grundsatz wird auf verschiedene Weise zu begründen versucht: Relativ häufig findet sich die Annahme, das Bestehen negativer Grundrechtsfreiheit ließe sich denknotwendig und logisch aus den Gewährleistungen positiver Handlungsfreiheiten ableiten (I.). Zum Teil wird ausgehend von einem allgemeinen Begriff der Freiheit und ihrer Struktur auf eine identische Struktur der speziellen Freiheitsrechte geschlossen (2.). Andere leiten eine identische Struktur der Einzelgrundrechte aus einem Verständnis von Art. 2 Abs. I GG als Muttergrundrecht ab (3.). Vertreten wird auch die Begründung negativer Grundrechtsfreiheit als Ausfluß des in Art. 1 Abs. I GG garantierten Selbstbestimmungsrecht des Menschen, das die Interpretation der Einzelgrundrechte bestimme (4.):

Staat 10, 1970, S. 145, 164; Merlen, VerwArch 73 (1982), S . 103, 106 f.; Randelzhofer. Bonner Kommentar, Art. II, Rdnr. 55; Renck, NVwZ 1994, S. 544; Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 42; Starck, v. Mangoldt/Kiein/Starck, Art. I, Rdnr. l71;Zeid/er. Rechtauf Demonstration. S. 8; indirekt a. Dürig, Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. I, Rdnr. I 0; einschränkend Stern 111/1, § 66 II 2 b, S. 628 f.: Die negative Komponente sei "dem Begrifl' der Verhaltensfreiheit immanent". was aber keineswegs bedeute, daß jedem Grundrecht, das Verhaltensmöglichkeiten gegen staatliche Eingriffe schütze, begriffnotwendig eine negative Dimension zukommen müsse. Das Bundesverfassungsgericht hat bisher nur für einzelne Grundrechte den Schutz einer negativen Komponente bejaht allerdings scheint das Gericht davon auszugehen, daß es keiner besonderen Begründung flir den verfassungsrechtlichen Schutz der negativen Komponente durch das jeweilige spezielle Freiheitsrechte bedürfe: in den Entscheidungen BVerfGE 33, 23, 28; 41, 29, 50; 46,266, 267; 52.223. 246 zur negativem Religions- und Glaubensfreiheit, Art. 4 Ahs. I GG; E 57, 170, 192; 65. I. 40 f. zur negativen Meinungsäußerungsfreiheit, Art. 5 Abs. I S. I GG; E 69, 315, 343 zur negativen Versammlungsfreiheit, Art. 8 Abs. I GG; E I 0, 89, I 02; 38. 28 1, 298 zur negativen Vereinigungsfreiheit. Art. 9 Abs. I GG; E 55, 7, 21; 73.261. 270 zur negativen Koalitionsfreiheit Art. 9 Abs. 3 GG, fehlt eine entsprechende Begründung völlig, in BVerfGE 58. 358, 364 wird die negative Berufsfreiheit als "notwendige Kehrseite der positiven Frciheitsverbürgung, bewgcn auf das Ziel, einen Lebensbereich von staatlichen Eingritlen freizuhalten" verstanden; nur in BVerfGE 50. 290, 367 wird der Versuch einer spezifischen Begründung fi.ir die Gewährleistung der negativen Koalitionsfreiheit gegeben, indem diese aus der Freiheit des Zusammenschlusses zu Koalitionen abgeleitet wurde, über den die Beteiligten selbst, eigenverantwortlich und grundsätzlich fn:i von staatlicher Einflußnahme, bestimmen würden. 22 Herzog. Artikel "Selbstmord", in: Ev. Staatslexikon. Sp. 3112; ders, Maunz/Dlirig. Art. 4. Rdnr. 77, Art. 5 Abs . I, 2. Rdnr. 40 ("Alle Grundrechte mit Ausnahme des Art. 6 Ab,. 2 CIG")

" Hesse. Grundzüge. Rdnr. 288.

38

C. Negative Grundrechtsfreiheit

1. Negative Grundrechtsfreiheit- ein logisches Korrelat der positiven Grundrechtsfreiheit?

Vielfach wird das Bestehen negativen Grundrechtsfreiheit auf das Argument gestützt, es handele sich bei der negativen Grundrechtsfreiheit um ein "logisches Korrelat" der positiven Grundrechtsfreiheit Nach Ernst Rudolf Huber hat die Auffassung, daß jedem positiven Freiheitsrecht kraft der Logik der Sache das entsprechende negative Freiheitsrecht innewohne, ihre Wurzel in der herrschenden Lehre zur Auslegung des Art. 12 der Revidierten Verfassung Preußens von 1850, der nicht bloß als Gewährleistung positiver, sondern auch negativer Religionsfreiheit verstanden wurde. Ausgehend von dieser "epochemachenden" Auslegung des Art. 12 der Revidierten Verfassung habe das Prinzip, daß Freiheit aufhöre, Freiheit zu sein, wenn sie nicht auch das Entscheidungsrecht über Handeln und Nicht-Handeln in sich schließe, das gesamte Verfassungsrecht durchdrungen. Es sei das Ende der Freiheit, wenn diese Verbindung von positiver und negativer Freiheitsgarantie an irgendeinem Punkt gelöst werde. 24 Die Berufung auf eine logische Notwendigkeit des Schutzes negativer Grundrechtsfreiheit findet sich vor allem ftir die Vereinigungs- und die Koalitionsfreiheit Da diese Argumentation aber nicht auf Besonderheiten des Art. 9 GG abstellt, sondern von einem allgemeinen Begriff der Freiheit ausgeht, handelt es sich um einen allgemeingültigen Ansatz, der geeignet wäre, auch bei anderen Grundrechten die Gewährleistung einer negative Komponente zu begründen. 25 So spricht Maunz von der negativen Vereinigungsfreiheit als einem "logischen Korrelat zum Grundrecht der positiven Vereinigungsfreiheit",26 Rinck von einem "Gegenstück" der Freiheit, sich zusammenzuschließen/7 Monjau von einer "logisch zwingenden Ergänzung". 28 Ernst RudolfHuber 24 E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 111, S. I 06 unter Berufung auf Anschütz, Verfassungsurkunde fiir den Preußischen Staat, S. 191 f., und die Äußerung des Abgeordneten Peter Reichensperger (Stenographischer Bericht des 2. preußischen Konvent 1849, S. II 00, zit. bei Huber, ebd., Fn. 24): "Es ist nicht bloß die Freiheit der Religion ( ...), sondern sogar die Freiheit von jeder Religion, also die Religionslosigkeit, für ein Grundrecht der preußischen Staatsbürger erklärt worden."

,; Ebenso Hellermann, S. 40, ganz allgemein über die zur Begründung einzelner negativer Freiheitsrechte vorgetragenen Argumente: Diese zielten nicht auf Besonderheiten einzelner Grundrechtsbestimmungen ab, es handele sich vielmehr um eine allgemein-grundrechtsdogmatische Figur der negativen Seite. "' Maunz, Dt. Staatsrecht, 19. Auflage,§ 20 II 3, S. 172. 27

sen").

Rinck, Wirtschaftsrecht, 2. Auflage, S. 83 (5 . Auflage. Rdnr. 585 : "notwendigmiteingeschlos-

II. Eine allen Freiheitsrechten immanente Komponente?

39

erachtet die negative Vereinigungsfreiheit als "begrifflich und sachlich notwendiges Korrelat der positiven Vereinigungsfreiheit", das "ein der Gewährleistung des Art. 9 Abs. 1 GG immanentes verfassungsrechtliches Prinzip" bilde.29 Scholz und Etzrodt meinen, Freiheit könne sich niemals in einer positiven Handlungschance erschöpfen, sondern erfordere als logisches Korrelat auch die negative Handlungschance: Freiheit zum positiven Tun ohne Freiheit zum negativen Tun bedeute im Ergebnis einen Zwang zum Tun.30 Nach Etzrodt wäre eine in diesem Sinne zwangsweise ausgeilbte Freiheit zum positiven Tun ein Widerspruch in sich selbst, daher könne in "logischer Hinsicht" nur der als frei bezeichnet werden, der eine Handlungsalternative besitze.31 Ähnlich argumentiert Koch: Eine Freiheit, die nur das "Wie" umfasse, enthalte auch eine Pflicht des einzelnen von der ihm zustehenden Freiheit Gebrauch zu machen. Dies sei mit dem Freiheitsbegriff des Grundgesetzes unvereinbar, da damit die Souveränität des Verhaltens, also das wesentliche Merkmal der Freiheit, eingeschränkt werde. Hinter der Pflicht zur Freiheit stehe regelmäßig der Zwang, der die Einhaltung der Verpflichtung gewährleisten soll. Die Pflicht zur Freiheit komme daher einem Zwang zur Freiheit gleich. Eine zwangsweise ausgeübte Freiheit sei jedoch ein Widerspruch in sich selbst, da Zwang das direkte Gegenteil von Freiheit sei. Eine Grundfreiheit enthalte demnach außer dem positiven Recht auf selbstgewählte Betätigung auch das negative Recht der Nichtausübung. Eine positive Freiheit für sich allein sei nicht denkbar, sie wUrde sich selbst in Frage stellen, da sie den "Keim der zulässigen Zwangsausübung" in sich trage, Zwang aber Unfreiheit bedeute. 32 Die Argumentation, daß die negative Komponente das logische Korrelat der positiven Freiheit sei, beruht jedoch auf einer unzutreffenden Prämisse: Es wird angenommen, daß eine Freiheit, die nur das "Wie", nicht aber das "Ob" der Grundrechtsausübung enthalte, in eine Pflicht zur Ausübung umschlage. Es ist

'" Monjau, Festgabe fur Küchenhoff, S. 121 , 130. 2'

E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 252.

'" Schatz, Koalitionsfreiheit, S. 42; ihm folgend: Etzrodt, S. 97 f. " Etzrodt, S. 97 f. (der Hinweis auf Hartmann ist problematisch, da die wechselseitige Bedingtheit von positiver und negativer Freiheit sich bei Hartmann auf einen anders detinierten Begriff der negativen Freiheit bezieht- s. o., S. 28); an anderer Stelle (S. 95) gibt auch Et=rodt zu bedenken, daß "logisch gleichwertige Seiten ein und derselben Freiheit" vom Verfassungsgeber "verschieden bewertet" werden könnten. 12 Koch, S. 19 f.; Koch beruft sich aber zudem auf die rechtliche Struktur der allgemeinen Freiheit; zu diesem Argument s. u., S. 42 ff.

40

C. Negative Grundrechtsfreiheit

aber ein Unterschied, ob ein Grundrecht nur keinen Schutz gegen eine einfachgesetzlich oder sonstwie begründete Verpflichtung zur Ausübung bietet oder ob es selbst eine derartige Verpflichtung begründet. 33 Damit ist die These des logischen Korrelats allerdings noch nicht widerlegt: So könnte ein logischer Widerspruch darin zu sehen sein, daß ein Freiheitsrecht zwar die positive Grundrechtsfreiheit, etwas zu tun, gewährleistet, aber keinen Schutz vor Geboten und Verpflichtungen bietet. Dies wäre anzunehmen, wenn sich positive und negative Komponente wechselseitig bedingen, also eine positive Grundrechtsfreiheit ohne Schutz der negativen Seite sinnlos wäre. Gebot und Verbot korrespondieren insoweit miteinander, als daß sich jedes Verbot auch als Gebot darstellen läßt: Ein "Verbot, x zu tun" ist vollständig äquivalent mit dem "Gebot, x nicht zu tun". Ein Schutz vor einem "Verbot, x zu tun" schützt also auch vor einem "Gebot, x nicht zu tun" 34 Dieser Zusammenhang fuhrt aber flir die Frage nach negativer Grundrechtsfreiheit nicht weiter- denn dort geht es um den Schutz vor einem "Gebot, x zu tun". Es fragt sich also, inwieweit ein Handlungsrecht durch ein Handlungsgebot berührt wird. Eine Berührung ist in mehrfacher Hinsicht möglich: (I) Der Zwang zu einer bestimmten Handlung macht unter Umständen eine anderweitige Betätigung zur gleichen Zeit unmöglich, nämlich sofern die verlangte Handlung flir einen gewissen Zeitraum die volle Aufmerksamkeit erfordert. Diese Beeinträchtigung ist aber in aller Regel als gering zu veranschlagen und sie ist, was entscheidend ist, bei einer Verpflichtung zur Ausübung der betreffenden Freiheit nicht qualitativ anderer Art als bei jeder sonstigen Verpflichtung zu einem bestimmten Tun. Betroffen ist hier also nur die bloße Dispositionsbefugnis über die eigene Zeit, welche als allgemeine Handlungsfreiheit geschützt ist.

" Koch, S. 22 f.. untersucht ergänzend den Begriff des subjektiven Rechts: Ein subjektives Recht sei eine Willensherrschaft, die von dem Begünstigten nach freiem Belieben ausgeübt werden könne. Das subjektive Recht enthalte ein "Dürfen", sein Gegensatz sei das Verbot, das "Nicht-dürfen". Fraglich sei, ob das "Dürfen", das subjektive Recht, begrifflich auch das "Nicht-müssen" enthalte. Verneine man diese Frage, so bedeute dies die Zulässigkeil eines Zwanges zur Ausübung des gewährten Rechtes. Ein solcher Zwang widerspreche jedoch grundsätzlich dem Wesen des subjektiven Rechtes. ein Recht, das ausgeübt werden müsse, werde zu einem Gebot, einer Verpflichtung. Auch dieser Herleitung kann nicht gefolgt werden: Daß ein Zwang zur Ausübung zulässig wäre, bedeutet nicht, daß das Recht selbst bereits die Verpllichtung zur Ausübung enthält " Vgl. a. Afexy. S. 183 f

II. Eine allen Freiheitsrechten immanente Komponente?

41

(2) Möglich ist weiter eine Beeinträchtigung dergestalt, daß ein Gebot zum Handeln das Recht zum Handeln entwertet oder überflüssig macht. (a) Ein logischer Widerspruch bestehtjedenfalls dann, wenn die Ausführung des Handlungsgebots das bestehende Recht zu handeln vollständig absorbiert, weil die geschützte Handlung nur einmal vorgenommen werden kann. Ein Beispiel wäre die Pflicht des A, B zu heiraten oder die Verpflichtung einer Person, eine bestimmte Meinung zu einer bestimmten Frage zu äußern, weil dann eine andere Meinung zu diesem Thema widersprUchlieh wäre. Der Zwang, einen bestimmten Beruf zu ergreifen, würde der Freiheit der Berufswah I widersprechen. (b) Eine Beeinträchtigung der positiven Grundrechtsfreiheit durch ein Gebot zu einer Handlung, die im Schutzbereich dieses speziellen Freiheitsrecht liegt, kann auch vorliegen, wenn die Ausübung des Freiheitsrechts zwar nicht unmöglich gemacht, aber praktisch entwertet wird. In welchen Fällen eine solche Entwertung vorliegt, denkbar ist dies beispielsweise bei Zwangsmitgliedschaften, kann aber nicht allgemein für alle Grundrechte bestimmt werden, sondern muß der Beurteilung im Einzelfall überlassen bleiben. (3) Bei einer bloßen Verpflichtung zur Ausübung des Grundrechts, die die Ausübung der Freiheit hinsichtlich des "Wie" der Ausübung nicht weiter beschränkt, wird nur die Entscheidung über das "Ob" der Freiheitsausübung berührt. Nur wenn die positive Grundrechtsfreiheit auch die Freiheit enthält, über das "Ob" der Grundrechtsausübung zu entscheiden, liegt also eine Beeinträchtigung der positiven Grundrechtsfreiheit vor, die einen logischen Widerspruch begründen würde. Die Entscheidung über das "Ob" ist die Entscheidung über Gebrauch oder Nichtgebrauch des Grundrechts, über Tun oder Unterlassen. Die Freiheit zu dieser Entscheidung definieren wir als negative Grundrechtsfreiheit. Unterstellt man also, daß die positive Grundrechtsfreiheit auch die Entscheidung über das "Ob" der Grundrechtsausübung enthält, setzt man das Bestehen der negativen Grundrechtsfreiheit, das bewiesen werden soll, bereits voraus - ein klassischer Zirkelschluß, auf den bereits Friauf hingewiesen hat. 35 Nur in den Fällen, in denen die Ausübung des Grundrechts sinnlos wird oder unmöglich gemacht wird durch den Zwang zur Ausübung der Freiheit, ist die negative Grundrechtsfreiheit logisch bereits von der Gewährleistung positiver

15 Friauj; Festschrift tur Reinhardt. S. 389, 393, unter Hinweis auf Brohm. S 275-276. und Füss/ein, Vereins- und Versammlungsfreiheit, S. 425. 435. 43 1.

C. Negative Grundrechtsfreiheit

42

Handlungsfreiheit umfaßt. Ansonsten gilt: Was erlaubt ist, kann dennoch geboten sein.) 6 Es bleibt also einstweilen festzuhalten, daß von negativer Grund rechtsfreiheit als "logischem Korrelat" der positiven Grundrechtsfreiheit i. S. sich denknotwendig wechselseitig erfordernder und bedingender Gewährleistungen der Freiheit in dieser Allgemeinheit nicht gesprochen werden kann. Mit Mitteln der Logik kann aus der positiven Grundrechtsfreiheit nicht allgemein auf das Bestehen einer negativen Entsprechung geschlossen werden. Die formale Logik bietet angesichts der Problemorientiertheit rechtlicher Dogmatik nur ein sehr eingeschränkt verwendbares Instrumentarium zur Lösung rechtswissenschaftlicher Probleme. 37 Negative Grundrechtsfreiheit kann daher kein logisches, sondern allenfalls ein normatives Korrelat der positiven Grundrechtsfreiheit sein.) 8

2. Folgerungen aus der Struktur der Freiheit

In seiner "Theorie der Grundrechte" entwickelt Alexy im Anschluß an MacCallum 39 und Rawls40 mit den Mitteln der juristischen Logik eine Struktur des Begriffs der rechtlichen Freiheit. Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Beschreibung der Freiheit als Eigenschaft einer Person: Wer sage, eine Person sei frei, setze voraus, daß für diese Person keine Hindernisse, Beschränkungen oder Widerstände bestehen. Neben der Person und dem Hindernis, dem die Person ausgesetzt ist, müsse als drittes Element der Freiheitsgegenstand hinzutreten, der bezeichne, was durch das Hindernis verhindert werde. Im Ergebnis ist Alexys Begriff der rechtlichen Freiheit also durch eine dreisteHige Relation gekennzeichnet, nämlich durch die Beziehung zwischen einem Freiheitsträger (bzw. Unfreiheitsträger), einem Freiheitshindernis und einem Freiheitsgegenstand. Diese Relation bilde die Basis jeder rechtlichen Freiheit; allgemein formuliert laute sie: Eine Person ("A") ist frei von einem Hindernis ("Vor-

'" Alexy, S. 184. Ähnlich Ehmke, VVDStRL 20, S. 53, 57; Fink, Selbsttötung, S. 39; gegen "Rechtskonkretisierung und insbesondere Verfassungskonkretisierung durch formallogische syllogistische Schlüsse" wendet sich auch Friedrich Müller, Juristische Methodik, S. 79. 17

'" Ebenso Vossieg, S. 34; Mayer-Maly, S. 22; Etzrodt, S. 189, spricht von einem logischen und normativen Korrelat. w Gerald C. MacCallum, Jr., Negative and Positive Freedom, in: Philosophical Review 76 (1967), S. 314 ff.

'" John Rawls, A Theory of Justice, S. 20 I tl'.

II. Eine allen Freiheitsrechten immanente Komponente?

43

enthaltung von Devisen" oder "Verbot des Verkaufs von Flugscheinen", "Berufsverbot im Falle des Besuchs"), etwas tun ("B im Ausland zu besuchen"). 41 Alexy sieht eine entscheidende Weichenstellung flir den Begriff der Freiheit darin, ob der Freiheitsgegenstand in einer Handlungsalternative oder in genau einer Handlung bestehe. Von einer Handlung gehe der aus, flir den die Freiheit darin besteht, das Notwendige, Vernünftige zu tun- dies ist nach der Definition von Alexy als positive Freiheit zu bezeichnen. 42 Von einer rechtlichen Freiheit könne aber nur dann die Rede sein, wenn Freiheitsgegenstand eine Handlungsalternative sei. Handlungsalternative heiße, die Wahl zwischen Handeln und Unterlassen oder zwischen mehreren Handlungsalternativen zu haben. Eine Person sei in dem Maße "im negativen Sinne frei", in dem ihr Handlungsalternativen nicht verspent sind. 43 Die rechtliche Freiheit ist flir Alexy somit eine Konjunktion einer rechtlichen Erlaubnis, etwas zu tun und einer rechtlichen Erlaubnis, etwas zu unterlassen 44 und beinhaltet damit grundsätzlich auch die negative Grundrechtsfreiheit Alexy betont, daß sein Ziel die Entwicklung einer "allgemeinen juristischen Theorie der Grundrechte des Grundgesetzes" ist - und nicht die einer Theorie der Grundrechte schlechthin.45 Es erscheint jedoch fraglich, ob aus der gewonnenen Erkenntnis über die Struktur der Freiheit im allgemeinen unmittelbar Rückschlüsse auf die Reichweite der einzelnen im Grundgesetz normierten Grundrechte gezogen werden können. Das wäre nur dann anzunehmen, wenn es sich bei der Freiheit um eine fraktale Struktur46 handelte, d. h. allgemeine Freiheit und spezielles Freiheitsrecht im Grundgesetz selbstähnlich wären. Dies anzunehmen, wäre aber eine gewagte Unterstellung: Warum sollte die Struktur eines einzelnen Freiheitsrechtes des Grundgesetzes einer Struktur der Freiheit,

41

Alexy, S. 196 f.; dort auch Beispiele.

42

Alexy, S. 197.

Alexy, S. 198- Alexys Begriff der negativen Freiheit (im weiteren Sinn) ist weiter als der hier zugrunde gelegte Begriff (vgl. oben II. 1.): Er beinhaltet sowohl den ansonsten als positive Freiheit, etwas zu tun bezeichneten Bereich, als auch die negative Freiheit, etwas nicht zu tun. 1983, S. 399; NJW-RR 1990, S. 244; OLG München, NJW 1984, S. 2422; OLG Stuttgart, NJW 1988, S. 2615; NJW 1991. S. 2912; KG, NJW 1990, S. 2142; NJW 1990, S. 2824, 2825; LG Bremen, NJW 1990, S. 456 f.; LG Freiburg, NJW 1990, S. 2824; LG Hagen, NJW 199 1, S. 2911; LG Kassel, NJW 1991, S. 2912; LG Nürnberg-FUrth, NJW 1985. S. 1642.

172 BGHZ 106, 229, 232 f.; OLG Bremen, NJW 1990, S. 2140; OLG Frankfurt, NJW 1988, S. 1854; OLG Hamburg, NJW 1991, S. 2914; OLG Karlsruhe, NJW-RR 90, S. 244; OLG NUrnberg, Afl> 1972, S. 23 f.; LG Bremen, NJW 1990, S. 456; LG Freiburg, NJW 1990, S. 2824; LG Hagen, NJW 1991, S. 2911; LG Kassel, NJW 1991, S. 2912,2913. 17·'

Dazu im einzelnen nachfolgend, S. 115 ff.

174

BGHZ, 13, 334, 338; Palandt-Thomas, § 823, Rdnr. 175 ff., m. w. N.

Die Begriffe negatorischer und quasi-negatorischer Anspruch werden in Literatur und Rechtsprechung uneinheitlich definiert und verwendet - s. Palandt-Bassenge, § I 004, Rdnr. 2. 175

176 BGHZ 54, 188, 190 ff. (Telefonwerbung); 59,317 (Telexwerbung); OLG Karlsruhe. NJWRR 1990, S. 244 (Briefkastenwerbung: Werbezettel); KG NJW 1990, S. 2142 (Postwurfsendung); OLG Harnburg 1991, S. 2914 (Postwurfsendung); Alt. WRP 1985. S. 319, 321 f.; BaumbachiHefermeh/, § I UWG, Rdnr. 67 ff.; Freund, BB 1986, S. 409; Krüger-Nieland, GRUR 1974, S. 561, 563 tf.; Schrey , S. 196 f., 214 f.; bzgl. Telefonwerbung: Erman-Ehmann, Anhang zu § 12, Rdnr. 382; im Grundsatz a. BGH NJW 1992, 1109, 1110 (Postwurfsendung); LG Berlin NJW 1984, S. 2423: OLG Hamburg, NJW 1991, S. 2914: i. E. ebenso, aber ohne ausdrückliche Be-

VII. Allgemeines Persönlichkeitsrecht

113

Verwaltungsgerichte sind bei Klagen gegen die Bundespost wegen Zustellung von Postwurfsendungen und Beilegen von Werbung in Postgirokontoauszügen dieser Qualifikation aufgedrängter Information als Problem des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gefolgt. 177 Auch die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts zog in einem Nichtannahmebeschluß lediglich eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. I i. V. m. Art. 1 Abs. I GG in Betracht, als die Zustellung von Parteiwerbung durch die Post entgegen eines ablehnenden Briefkastenaufklebers verfassungsrechtlich zu beurteilen war. Da der Empfänger nicht gezwungen sei, den Inhalt der Werbesendungen zur Kenntnis zu nehmen oder sich gar mit ihnen zu befassen, sei das Grundrecht aber nicht in schwerwiegender Weise betroffen. 178 Das Aufdrängen fremder Meinungen wird vom Bundesverfassungsgericht auch in einer Entscheidung zu § 15 Abs. 2 SoldatenG nur als Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht angesehen. Gemäߧ 15 Abs. 2 SoldatenG findet das Recht der freien Meinungsäußerung der Soldaten während der Freizeit innerhalb der dienstlichen Unterkünfte und Anlagen seine Schranken an den Grundregeln der Kameradschaft: Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts will § 15 Abs. 2 SoldatenG damit jedes Verhalten ausschließen, das einen Soldaten in seiner dienstfreien Zeit gegen seinen Willen in eine politische Auseindersetzung drängt. Dies sei damit zu rechtfertigen, daß der Soldat in der Kaserne seine Privatsphäre nur unter erschwerten Bedingungen schützen könne; das Recht des Soldaten, "in Ruhe gelassen zu werden", sei in dieser besonderen Situation besonders gefährdet und deshalb in besonderem Maße schützenswert, so daß die "aktive Ausübung" des Rechts auf freie Meinungsäußerung einschränkt werden könne. 179 Es entspricht also einer inzwischen gefestigten Rechtsprechung, die Frage der Abwehr aufgedrängter Information und insbesondere aufgedrängter Werbung als Problem des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu qualifizieren. ln der Literatur fand diese Qualifikation einhellige Zustimmung, diskutiert wird i. w.

zugnahme auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht Jäckle. WRP 1986, S. 648; a. A. noch OLG Schleswig, BB 1954, S. 850, 851; kritisch Ehlers, WRP 1983, S. 187, 191. 177 BVerwGE 82, 29 ff.; VGH Mannheim, NJW 1990, S. 2145; VG Hannover NJW 1986. 1630; VG Stuttgart NJW 1989, 1050; offengelassen in BVerwG NJW 1991, S. 754 .

17" BVerfG NJW 1991, S. 910 f.: Der Eingriffwurde i. w. deshalb als gerechtfertigt angesehen, da die Parteien gern. Art. 21 GG bei der politischen Willensbildung mitwirken, wobei die Werbung ein Mittel dazu sei. 17''

~

BVertGE 44. 197. 203.

Fenchel

114

D. Gewährleistung negativer Informationsfreiheit

nur die sachliche Reichweite eines entsprechenden Abwehrrechts. 180 Im folgenden soll daher zunächst auf die Begründung dieser Zuordnung durch die herrschende Meinung näher eingegangen werden (1.) und anschließend das Verhältnis des durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleisteten Schutzes vor aufgedrängter Information zur Gewährleistung negativer Informationsfreiheit untersucht werden (2.):

I. Aufgedrängte Werbung als Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht- die Argumentation der herrschenden Meinung

Der Bundesgerichtshof stützte die Anerkennung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts im Zivilrecht im wesentlichen auf verfassungsrechtliche Erwägungen: Da das Grundgesetz das Recht des Menschen auf Achtung seiner Würde und das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit auch als "privates, von jedermann zu achtendes Recht" anerkenne, müsse das allgemeine Persönlichkeitsrecht als ein "verfassungsmäßig gewährleistetes Grundrecht" angesehen werden; ohne weitere Begründung wird daraus vom Bundesgerichtshof der Schluß gezogen, daß das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch als ein zivilrechtlich Schützenswertes absolutes Recht i. S. von § 823 Abs. I BGB anzusehen ist. 181 Das Bundesverfassungsgericht folgte dem Bundesgerichtshof in der Sache, als es aus Art. I Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. I sowie Art. 19 Abs. 2 und Art. 1 Abs. 3 GG folgerte, daß "dem einzelnen Bürger eine Sphäre privater Lebensgestaltung" vorbehalten sei, 182 später wurde auch der Begriff des allgemeinen

"" Alt, WRP 1985, S. 319, 323; ders., NJW 1986, S . 1597, 1598; Baumbach/Hefermehl, § I UWG, Rdnr. 28 tT.; Hefermeh/, GRUR 1980, S. 622, 626; Ehlers, WRP 1983, S. 187 ff; Freund, BB 1986, S. 409 ff.; ders., Persönlichkeitsrecht des Umworbenen. S. 108 f. 141 f.. 227 ff; Jahn!Gonzales, WRP 1991, S. I, 3 f., 8;Jauernig-Teichmann, § 823. Anm. Ylll, A 2 a: KrügerNie/und, GRUR 1974, S. 561 ff.; Palundt-Thomas, § 823. Rdnr. 195; Schrey. S. 192 ff. 214 f; Schwerdtner, MündJener Kommentar, Anhang zu§ 12, Rdnr. 234; Soergel-Müh/, § 1004. Rdnr. 177; grds. a. Kaiser, NJW 1991 , S. 2870, 2873, u. Wronka. AfP 1973. S . 440 (alle Stellungnahmen in der Literatur beziehen sich ausschließlich auf Abwehransprüche gegenüber aufgedrängter Werbung). "' BGHZ. 13, 334, 338 im Anschluß an Enneccerus-Nipperdey. Allgemeiner Teil, I llalbband, 14. Autl ., 1952, S. 293 (§ 78 I 2), Enneccerus-Lehmann. Schuldrecht 14. Autl., 1954. S. 907 f (§ 233 2 c) und Cuing SJZ 1947, S. 642 f ; wegbereitend auch Hubmann, Das allgemeine Persönlichkeitsrecht, 1953 . m BYerfGE 6. 32, 41.

VII. Allgemeines Persönlichkeitsrecht

115

Persönlichkeitsrechts übemommen. 183 Im Mikrozensus-Beschluß führte das Bundesverfassungsgericht weiter aus, daß dem Einzelnen um der freien und selbstverantwortlichen Entfaltung seiner Persönlichkeitwillen ein "Innenraum" verbleiben müsse, in dem er "sich selbst besitzt" und "in den er sich zurückziehen kann, zu dem die Umwelt keinen Zutritt hat, in dem man in Ruhe gelassen wird und ein Recht auf Einsamkeit genießt" . 184 Insoweit gewährleiste das allgemeine Persönlichkeitsrecht einen Schutz der Privatsphäre. Auch in der Literatur fand der Schutz der Privatsphäre als Recht des Menschen auf "Selbstfindung im Alleinsein" 185 und auf "Isolation" 186 Zustimmung. Welche praktischen Konsequenzen sind nun mit der Anerkennung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Schutzes der Privatsphäre für die Frage nach zivilrechtliehen Abwehransprüchen gegen aufgedrängte Information verbunden? Die Rechtsprechung hatte sich bereits mit verschiedenen Formen von unerwünscht aufgedrängter Werbung zu befassen. Nur bei der Telefonwerbung wurde jedoch eine Verletzung der Privatsphäre angenommen; bei aufgedrängter Telex-, Bildschirmtext- und die Brietkastenwerbung wurden Unterlassungsansprüche dahingegen auf andere Erwägungen gestützt. In seinem Urteil vom 19.06.1970 qualifizierte der Bundesgerichtshof Telefonwerbung als unlauteren Wettbewerb i. S. von § I UWG, da sie in sittenwidriger Weise das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Umworbenen verletze. Begründet wurde die Persönlichkeitsrechtsverletzung mit der technischen Eigenart des Telefons, das ein unkontrollierbares Eindringen in die Privatsphäre des Anschlußinhabers ermögliche, da nicht erkennbar sei, wer anrufe. Höflichkeit, Unsicherheit, Überraschung könnten den Umworbenen davon abhalten, das Gespräch sofort zu beenden. Bei einem weiteren Umsichgreifen dieser Werbeform könne es zu untragbaren Belästigungen und Beunruhigungendes privaten Lebensbereichs kommen. Die Individualsphäre sei aber gegenüber dem wirtschaftlichen Gewinnstreben Dritter zu schützen. 187

'"' BVerfG E 54, 148, 153; 65, I, 41 ; dazu kritisch v. Münch. GG. 3. Aufl. Art 2. Rdnr. 22 ("überwiegend zivilrechtliches Recht"), in der 4. Autl. von Kunig, v. Münch/Kunig. Art. 2. Rdnr. 32 aufgegeben. '"' BVerfGE 27. I. 6 f., Wintrich, Grundrechte, S. 15. zitierend. '"5

Steindorff, Persönlichkeitsschutz im Zivilrecht, S . 23.

'"' Schmi/1 Glaeser. HbStR VI,§ 129. Rdnr. 30. 1K7

BGHZ 54. 188, 191 f.: bestätlgt von BGH GRUR 1989, S. 753 : GRUR 1990. S. 2RO. 281

(nur bei ausdrlicklichcr vorheriger Zustimmung zulässig): zustimmend die h. L: Baumhaclvllefermehl. §I UWG. Rdnr. 67: Bülow. WRP 1978. S. 774 f : H ff Hofmann . WRP 1970. S. 8: KruK*

116

D. Gewährleistung negativer Informationsfreiheit

Auch die Telexwerbung untersagte der Bundesgerichtshof wegen Wettbewerbswidrigkeit gemäß § 1 UWG. Dabei griff er allerdings nicht auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht zurück. Da Fernschreibanschlüsse überwiegend oder ausschließlich dem geschäftlichen Verkehr dienten, komme dem Schutz der Individualsphäre gegenüber dem Gewinnstreben Dritter, der bei dem Verbot der Telefonwerbung im Vordergrund stehe, eine geringere Bedeutung zu. Auch fehle es an dem unmittelbaren Kontakt des Werbenden zum Adressaten. Gestützt wurde das Sittenwidrigkeltsurteil stattdessen auf die mit der zwangsweisen Entgegennahme der Telexwerbung verbundene zeitweilige Blockierung der Anlage, sowie auf den erheblichen Arbeits- und Zeitaufwand. 188 Diese Argumente werden auch gegen die Zulässigkelt von Telefaxwerbung angeführt, ergänzend wird auf die beim Empfänger durch die Inanspruchnahme fremden Materials entstehenden Kosten verwiesen. 189 Ebenfalls nicht auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht, sondern auf den erforderlichen Aufwand an Zeit und Mühe stellte der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung zu Werbung im Bildschirmtext-Mitteilungsdienst ab. Das Gericht hielt unverlangt zugesendete und nicht gekennzeichnete BildschirmtextWerbemitteilungen für geeignet, Belästigungen des Empfängers hervorzurufen, die einen Verstoß gegen § 1 UWG darstellen könnten. 190

ger-Nie land, WRP 1979, S. I, 5 f.; GRUR 1974, S. 561, 562; Schrey, S. 179 ff., 194-197; kritisch Nordemann, AfP 1991, S. 484; Zöller, GRUR 1992, S. 297, 299 f.; Ehlers, WRP 1983. S. 187, 190: im Normalfall würde ein aufgeklärter und selbstbewußter Verbraucher das Gespräch einseitig beenden, so daß eine Belästigung allenfalls im Telefonanruf selbst, nicht aber im eigentlichen Werbegespräch liegen könne- auszugehen ist aber nicht von einem idealtypischen, selbstbewußten Verbraucher, sondern von einem Durchschnittsmenschen; im geschäftlichen Bereich kann Telfonwerbungnach BGH, GRUR 1991, S. 764 f., bei Sachbezogenheit zum Geschäft des Anrufenden und einem aufgrund konkreter Umstände zu vermutenden Interesse des Angerufenen zulässig sein, insbesondere bei bestehender Geschäftsverbindung. ''" BGHZ 59, 317, 319 f.; zustimmend: Freund, BB 1986, S. 409, 410; Ehlers, WRP 1983, S. 187, 190 t:; Bülow, WRP 1978, S. 774, 775; nach Krüger-Nieland, GRUR 1974, S. 561, 562, WRP 1979. S. I. 6. verletzt auch unerwünschte Telexwerbung die Privatsphäre. " '' OLG Hamm. GRUR 1990, S. 689; NJW-RR 1990. S. 1324; NJW-RR 1991. S. 160; LG Hamburg, NJW-RR 1989, S. 487; Baumbach/Hefermehl, § I UWG, Rdnr. 69a, 69b: Schrey, S. 182 ff.; ebenso zu Werbung über Teletex: KG NJW-RR, 1986. S. 122 f.; LG Harnburg NJW-RR 1986, s. 124 r ''" BGH AlP 1988, S. 129, 130 f. - siehe dazu ausführlicher u., S. 186 ff. (zur Feststellung, welches Ausmaß die zeitliche Inanspruchnahme erreichen kann, wurde die Sache an das Berufungsgericht zurlickverwiesen). Zustimmend: Baumbach-Hefermehl. § I UWG, Rdnr. 70; Schrey, S. 205 ff. ; ebenso bereits Bart/, Handbuch Btx. Rdnr. 198a; ders., NJW 1985, S. 258 f. ; Jäckle, WRP 1986, S. 648 f.; Lachmann, WRP 1983, S. 591 tl'.; zur Zulässigkeil tendierend, aber auf den Einzelfall abstellend Wienke. WRP 1986. S. 455. 457. 459.

VII. Allgemeines Persönlichkeitsrecht

117

In seinen Entscheidungen zur Briefwerbung vom 16.02.1973, 191 zur Handzettelwerbung vom 20.12.1988 192 und zu Postwurfsendungen vom 05.12.1991 193 sah der Bundesgerichtshof eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht bereits im unverlangten Einwurfvon Werbematerial in den Briefkasten, da sich die mit Brief- und Handzettelwerbung verbundene Belästigung nicht interessierter Empflinger noch in zurnutbaren Grenzen bewege und grundsätzlich im Verbraucherinteresse liege. Die Zustellung unerwünschter Postsendungen beeinträchtige den Werbeadressaten nur in geringem Maße. Anders als beispielsweise bei einer Telefonwerbung greife der Werbende nicht unmittelbar in den persönlichen Bereich des einzelnen ein. Mit der Werbesendung werde der Adressat erst konfrontiert, wenn er sich mit dem Posteingang befasse. Dadurch, daß ihm der Werbecharakter der Postsendung ohne weiters erkennbar sei, könne er sich der Werbung ohne Mühe entziehen, indem er sich ihrer durch Wegwerfen entledige. 194 Der Bundesgerichtshof nahm dennoch ein individuelles Abwehrrecht gegen aufgedrängte Werbung aus §§ 1004 i. V. m. 823 Abs. 1 BGB wegen einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts an, stützte dieses aber auf einen Eingriff in einen anderen Teilbereich des Persönlichkeitsrechts, das personale Selbstbestimmungsrecht: Für entscheidend hielt der Bundesgerichtshof die Nichtbeachtung des Widerspruchs des Adressaten, der durch einen Aufkleber am Briefkasten zum Ausdruck bringt, daß er die Zusendung von Werbematerial nicht wünsche. Der eigentliche Eingriff in das Persönlichkeitsrecht wird also nicht in der Konfrontation mit Werbung gesehen, sondern in der Mißachtung des ausdrücklich erklärten Willens des Betroffenen und der Tatsache der dadurch hervorgerufenen Verärgerung. 195 Besonders hervorgehoben wird der Umstand der Verärgerung des Empfängers in einer Entscheidung des OLG Karlsruhe: Die Verärgerung zeige, daß der gebotene Respekt vor der Willensäußerung des einzelnen gerade Ausfluß des Persönlichkeitsrechts des Menschen als natürliche Person sei und somit von juristischen Personen nicht geltend gemacht werden könne. 196

I'JI

BGHZ 60, S. 296 ff.

1'"

BGHZ I 06. S. 229.

1'')

BGH NJW 1992. S. 1109.

BGH NJW 1992, S. 1109. 1110; der VGH Mannheim. NJW 1990. 2145. 2147. stellte fest. daß die Zustellung von durchschnittlich zwei Postwurfsendungen im Monat den Brietkasten nicht überflute. 1'"

1'' 5

BGHZ 60, 296, 300 f.

I%

OLG Karlsruhe, Afl> 1983. S 399. 400

118

D. Gewährleistung negativer Informationsfreiheit

Erst bei der Frage der Schutzwürdigkeit des geäußerten Willens erlangt nach der Rechtsprechung die Frage Bedeutung, welche Zwecke die Beteiligten verfolgen und welche Folgen die Nichtbeachtung des Widerspruchs flir den Betroffen hat: Nach Auffassung des Bundesgerichtshof ist der Wille des Bürgers, seinen Lebensbereich von jedem Zwang zur Auseinandersetzung mit Werbung nach Möglichkeit freizuhalten, als Ausfluß seines personalen Selbstbestimmungsrechts schutzwürdig. Jedenfalls flir den Bereich der Privatsphäre setze sich das Recht des Einzelnen, Aktivitäten entgegenzutreten, die unter gegenständlichem Eindringen in seine Privatsphäre - Einfluß auf seine Konsum-Entscheidungen zu gewinnen suchen, gegenüber den entgegenstehenden Interessen der Werbewirtschaft durch. Dies wird insbesondere mit dem Stellenwert dieses Bereichs flir eine individuelle Lebensgestaltung ohne Fremddiktat begründet. 197 Zahlreiche andere Gerichte folgten dem Bundesgerichtshof in dieser Begründung. 198 Auch in der Literatur wird ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Konsumenten durch aufgedrängte Werbung vorwiegend in der Mißachtung des gegenteiligen Willens des Adressaten 199 und einem Eindringen in die Privatsphäre gesehen/00 bei nicht als solcher erkennbarer Werbung auch in der damit verbundenen Belästigung. 201 Nur vereinzelt wird auf die Suggestivwirkung der Werbung, mit der der Werbeadressat konfrontiert wird, abgestellt: 202 Schrey hält in allen genannten Fällen die Einwirkung des Werbenden auf die Entscheidungsfreiheit des Konsumenten flir entscheidend. Eine sittenwidrige Belästigung liege in den genannten Fällen vor, weil der Adressat ohne Rücksicht auf sein Desinteresse angesprochen und versucht werde, ein Bedürfnis zu wecken. 203 Die

'" BGHZ I 06, S. 229, 233 f.; ähnlich bereits BGHZ 60, 296, insb. 300 f. '''" OLG Karlsruhe, NJW-RR 1990, S. 244; LG Freiburg, NJW 1990, S. 2824; KG NJW 1990, S. 2824; LG Bremen NJW 1990, S. 456, 457; VGH BW NJW 1990, S. 2145,2146 -ebenso bereits OLG Karlsruhe, AfP 1983, S. 399 f.; OLG München, NJW 1984, S. 2422. I'J'J

Alt, WRP 1985, S. 319, 323; Freund, BB 1986, S. 409 f., 413; Zöller, GRUR 1992, S. 297,

299.

"" Alt, WRP 1985, S. 319, 321 f.; ders., NJW 1986, S . 1597, 1598; Bart/, Handbuch BtxRecht, S. 172; Bülow, WRP 1978, S. 774, 775; Freund, BB 1986, S. 409, 415; ders.. Persönlichkeitsrecht des Umworbenen, S. 174 ff.; Hefermeh/, GRUR 1980, S. 622 ff.; Hofmann, WRP 1970, S.8, 9; sehr zurückhaltend Ehlers, WRP 1983, S. 187, 194; 2" 1 Alt, WRP 1985, S. 319, 322; Freund. Persönlichkeitsrecht des Umworbenen. S . 178: Jäckle. WRP 1986, S. 648, 649; Lachmann, WRP 1983, S. 591. 594: Wronka. AfP 1973. S . 440. 2112

S. a. Jahn/Gonzales, WRP 1991. S. 1. 3.

2rn

Schrey. S. 190 f.

VII. Allgemeines Persönlichkeitsrecht

119

Verfassung verbürge mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht in den Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG grundsätzlich auch ein Recht, frei von aufdringlicher Werbung leben zu können. Dem Konsumenten müsse daher aufgrundseines persönlichen Selbstbestimmungsrechts die Kompetenz zugestanden werden, sich, wenn auch nicht überhaupt, so doch "in gewisser Form und Reichweite" den Werbewirkungen entziehen zu können.Z04 Dabei genieße der Konsument eindeutigen Vorrang vor der Werbefreiheit des Unternehmers. 205 Grundsätzlich stimmt der Ansatz der herrschenden Meinung im Zivilrecht mit der herrschenden Interpretation des allgemeinen Persönlichkeitsrechts im Verfassungsrecht überein: Sowohl Beeinträchtigungen der Privatsphäre als auch Eingriffe in das personale Selbstbestimmungsrecht durch Mißachtung des Willens und Beeinträchtigungen der Willensfreiheit können dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zugerechnet werden. 206

2. Verhältnis allgemeines Persönlichkeitsrecht- negative Informationsfreiheit

Die von der herrschenden Meinung vorgenommene Einordnung unerwünschten Aufdrängens von Informationen als möglicher Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht erscheint allerdings bei Anerkennung einer negativen Komponente der Informationsfreiheit unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes "Iex specialis derogat legi generali" bedenklich. Die Willensfreiheit und das Selbstbestimmungsrecht sind wichtige und das ganze Grundrechtssystem beherrschende Ausprägungen des Menschenwürdeprinzips.Z07 Alle Grundrechte, die bestimmte menschliche Handlungen ver-

204

Schrey, S. 194 f.

Schrey, S. 196; kein Abwehranspruch soll nach herrschender Ansicht allerdings gegenOber Postwurfsendungen bestehen, weder gegenOber dem Werbenden noch gegenOber der Post· dazu im einzelnen noch später, S. 176 ff. 2" 5

'"' Jarass, Jarass/Pieroth, Art. 2, Rdnr. 27: Das "Person-Sein" werde in zwei Richtungen geschlitzt: einerseits als Recht in Ruhe gelassen zu werden und andererseits als zentrale Voraussetzung flir das Tätigwerden der Person in Beziehung mit Dritten; s. a. 8/eckmann, S. 446 f.. zum personalen Selbstbestimmungsrecht als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts; verfassungsrechtlich könnte allerdings unter dem Gesichtspunkt der Mißachtung der Willensfreiheit auch eine Qualifikation unerwünscht aufgedrängter Information als Eingriff in die allgemeine Handlungs· freiheil des Art. 2 Abs. I GG zu erwägen sein, da es sich bei der Weigerung, Informationen entgegenzunehmen, nicht nur um einen inneren Willensentschluß handelt, sondern ein nach außen getretenes Handeln bzw. Unterlassen-Wollen. "" S. o., S. 51 ff.

120

D. Gewährleistung negativer Informationsfreiheit

bürgen, schützen diese als Willensverwirklichung und damit zugleich auch den entsprechenden Handlungswillen.208 Nur wenn keines der speziellen Freiheitsrechte einschlägig ist, bleibt der Rückgriff auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Auffangrecht für Willensbeeinträchtigungen jeder Art. Durch das alleinige Abstellen auf die Beeinträchtigung der Willensfreiheit ließe sich jeder Eingriff in ein Freiheitsrecht als Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts qualifizieren. Gegenüber der durch Art. 2 Abs. I i. V. m. Art. I Abs. I GG geschützten personalen Selbstbestimmung wäre also die negative Informationsfreiheit Iex specialis- vorausgesetzt, daß die betreffende Handlung auch in den Schutzbereich des Grundrechts der Informationsfreiheit fiele. Ob dies bei Briefkastenwerbung tatsächlich anzunehmen ist, kann allerdings erst nach einer genaueren Untersuchung der Reichweite des Schutzes vor aufgedrängter Information festgestellt werden. 209 Überschneidungen des grundrechtliehen Schutzes finden sich im Verhältnis der negativen Informationsfreiheit zum Schutz der Privatsphäre. Das Recht, nicht zwangsweise informiert zu werden, ist zumindest in wesentlichen Teilbereichen bereits in dem Recht auf Ruhe, auf Isolation enthalten: Das Recht auf Privatsphäre ist verletzt, sofern insbesondere durch die Art und Weise des Aufdrängens von Information unzumutbare Beeinträchtigungen der Ruhe und Isolation drohen. 210 Allerdings reicht der Schutzbereich der negativen Informationsfreiheit in einigen Bereichen auch über den reinen Privatsphärenschutz hinaus. So schützt die negative Informationsfreiheit im Unterschied zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht auch vor dem Zwang zur Informationsbeschaffung.211 Soweit der Schutz der Privatsphäre als Teilbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und die negative Informationsfreiheit miteinander konkurrieren, stellt sich die Frage, ob hier beide Freiheitsrechte nebeneinander Anwendung finden oder ob eines das andere verdrängt. Nach herrschender Meinung hebt sich das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. I i. V. m. Art. I Abs. I GG in seiner inhaltlichen Prägung von der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. I GG ab und steht damit grundsätzlich in Parallele zu den

2'"

Kloep(er, Grundrechte, S. 61.

2"''

Zur Brieikastenwerbung s. u .. S . 176 ff.

21 "

Vgl BGHZ 54, 188, 191 f.. bzgl. Telefonwerbung.

Denkbar wäre dies allenfalls unter dem Gesichtspunkt e ines Persönlichkcitsrcchts. mit der Umwelt nicht in Kontakt treten zu müssen; dieses wäre inhaltlich dann aber weitgehend ic.J~ntisch mit der negativen Informationsfreiheit. 211

VII. Allgemeines Persönlichkeitsrecht

121

speziellen Freiheitsrechten. Andererseits ist anerkannt, daß das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch einige spezielle Freiheitsrechte konkretisiert wird. Soweit eine Konkretisierung durch andere Grundrechte stattfindet, gehen diese als Iex specialis der Anwendung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vor. 212 Als spezielle Ausprägungen des Persönlichkeitsrechts in seiner Funktion als Schutz der Privatsphäre gelten das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung in Art. 13 Abs. 1 GG, das die "räumliche Privatsphäre", das Recht, in seiner Wohnung in Ruhe gelassen zu werden, sichert,213 und die durch Art. 10 GG geschützten Grundrechte des Brief-, Post- und Femmeldegeheimnisses.2 14 Auch soweit Art. 4 Abs. 1 und 2 GG i. V. m. Art. 140 GG, Art. 136 Abs. 3 WRV das forum intemum der Glaubens- und Gewissensfreiheit garantieren, wird ein Informationserhebungsverbot gewährleistet, das gegenüber dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht vorrangig ist. 215 Die Grundrechte der Art. 5, 8 und 9 GG sollen dahingegen den Rückgriff auf Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. I Abs. I GG nicht ausschließen, sondern nur verstärkend hinzutreten. Sie würden schwerpunktmäßig gerade nicht auf Geheimhaltung und Abschottung zielen, sondern seien auf Kommunikation mit anderen gerichtet. 216 Bei dieser Argumentation wird jedoch das Bestehen einer negativen Komponente der Informationsfreiheit nicht berücksichtigt. Diese beinhaltet ja gerade ein Recht auf Isolation, nämlich ein Recht, sich nicht zu informieren und nicht informiert zu werden. Die Verweigerung der Informationsaufnahme bezweckt ebenfalls einen Zustand des In-Ruhe-gelassen-werdens und dient damit auch dem Schutz der Privatsphäre. Die Isolation, die der Meinungsbildung dient, ist also sachlich enthalten in der Isolation, die die Privatsphäre schützen soll: Seine Meinung unter Ausschluß von (weiteren) Umwelteinflüssen mit Informationsgehalt selbst bilden zu können, ist auch eine Form der Selbstentfaltung in einem von der Außenwelt abgeschirmten Innenbereich. Auch hier wird das forum internum geschützt, um die Autonomie der Persönlichkeit und ihrer Identitätstindung in Form der Meinungsbildung zu-

212

Jarass, Jarass/Pieroth, Art. 2, Rdnr. 26.

21 ·'

BVertGE 32, 54. 75; 65. 1, 39 f.~ Löwer. v. Münch/Kunig, Art. 13, Rdnr. I u. 51.

w

BVeriGF 67, 157, 171; Löwer, v. Münch/Kunig. Art. 10, Rdnr. I, 40, 43 .

w Schmitt C/aeser. HbStR VI,§ 129, Rdnr. 3; ßVerfGE 65, I, 38 f. "'' Schmlft Claeser, HbStR VI, § 129. Rdnr. 41 ; a. A. Rohlj, Der grundrechtliche Schutz der l'rivatsphäre. S. 236 f.

122

D. Gewährleistung negativer Informationsfreiheit

sichern. 217 Wegen seiner Bedeutung flir die Meinungsbildung ist der Schutz vor Informationen jedoch grundsätzlich der negativen Informationsfreiheit zuzuordnen, die deshalb als Iex specialis gegenüber dem Schutz der Privatsphäre in Art. 2 Abs. I i. V. m. Art. I Abs. I GG anzusehen ist. Eine Konzentration jeglichen Privatsphärenschutzes in Art. 2 Abs. I i. V. m. Art. I Abs. I GG ist abzulehnen, da dann auch diejenigen Grundrechte leerlaufen würden, die wie Art. I 0 und Art. 13 GG den Privatsphärenschutz in einem speziellen Bereich konkretisieren. Die dabei entstehende Zersplitterung muß in Kauf werden, wäre sie doch auch im umgekehrten Falle durch die Ausgliederung der negativen Kommunikationsfreiheiten aus dem Schutzbereich der Kommunikationsfreiheiten zu beklagen. 218 Als "lnformationenschutzrecht"219 bleibt Art. 2 Abs. I i. V. m. Art. I Abs. 1 GG sedes materiae, soweit es darum geht, die Privatsphäre vor Ausspähung und Ausforschung zu schützen. Gegen "lnformationseingriffe" durch staatliche Informationserhebung, -Verarbeitung und -Speicherung bietet allein das Recht auf informationeile Selbstbestimmung des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. I Abs. 1 GG als spezielle Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Schutz.220 Wird das informationeile Selbstbestimmungsrecht durch den Zwang zur Kundgabe einer Meinung beeinträchtigt, kommt auch eine Beeinträchtigung der negativen Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. I S. I GG in Betracht.221 Im Grenzbereich zwischen negativer Informationsfreiheit und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ist die Frage anzusiedeln, ob es ein Recht darauf gibt, seine persönlichen Daten nicht zu kennen. Zu denken ist hier beispielsweise an die Offenbarung einer unheilbaren, tödlichen Krankheit oder die Mitteilung des Ergebnisses einer Genomanalyse mit Informationen über erbliche Anlagen und Defekte. Diese Informationen haben flir das weitere Leben und die Lebensflihrung des Betroffenen derart einschneidende Auswirkungen, daß ein Recht

217

Ähnlich Rohlf, S. 141, filr das Verhältnis Glaubensfreiheit- Schutz der Privatsphäre.

2 1M

Rohlf, S. 237.

21 ''

Vgl. Schmitt Glaeser, HbStR § 129, Rdnr. 4, Privatsphärenschutz sei "lnformationenschutz".

220 BVerttiE 65, 1, 41 ff.; Bu/1, in: Gedächtnisschrift flir Sasse, S. 869, 878; Vage/gesang, Grundrecht auf informationeHe Selbstbestimmung?; zur polizeilichen Datenerhebung und -Verarbeitung: Heckmann, VBIBW 1992, S. 164 ff. und 203 ff.; Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht, Rdnr. 353 ff.

221 BVerfGE 65, I, 40 f.; ebenso Rohlf, S. 183 ff., der in den negativen Kommunikationsfreiheiten eine Schranke flir staatliches Auskunftverlangen sieht, aber den weiten Meinungsbegriffs der positiven Meinungsfreiheit bei der negativen Meinungsfreiheit filr untauglich hält (ebd., S. 185).

VII. Allgemeines Persönlichkeitsrecht

123

auf Unkenntnis dieser flir das persönliche Schicksal bedeutsamen Informationen anzuerkennen ist. 222 Betroffen ist die eigene persönliche Lebensgestaltung; die Frage, ob der einzelne über sein eigenes persönliches Schicksal Kenntnis erlangen möchte oder nicht, ist Ausdruck seiner Persönlichkeit. Dies spräche flir die Verortung in Art. 2 Abs. l i. V. m. Art. l Abs. I GG. Andererseits ist die Folge der aufgedrängten Information über persönliche Daten ein unerwünschter Meinungsbildungsprozeß. Der Betroffene möchte diese Daten nicht in seinen Meinungsbildungsprozeß über seine persönliche Lebensgestaltung einfließen lassen, sondern lieber unbeschwert bleiben. Es konkurrieren also auch hier allgemeines Persönlichkeitsrecht und negative Informationsfreiheit. Im Hinblick auf eine einheitliche Lösung ist auch in diesem Fall ein Schutz vor aufgedrängter Information vorrangig in Art. 5 Abs. I GG zu verorten. Die gravierenden Auswirkungen auf die persönliche Lebensgestaltung können als verstärkender Gesichtspunkt in die Abwägung miteinfließen. Zumindest im Verfassungsrecht fuhrt also das Bestehen negativer Informationsfreiheit zu einer anderen rechtlichen Beurteilung: Soweit der Schutzbereich des Art. 5 Abs. I S. I GG reicht, ist ein Rückgriff auf Art. 2 Abs. I i. V. m. Art. I Abs. I GG ausgeschlossen. Für einzelne Problemfelder kann diese allgemeine Erkenntnis jedoch erst konkretisiert werden, wenn die Reichweite des Schutzbereichs der negativen Informationsfreiheit näher bestimmt und flir die einzelnen Anwendungsf