This study is the first to examine the prosodic structure of everyday sung language and its relevance for language acqui
236 56 6MB
German Pages 354 Year 2009
Table of contents :
Frontmatter
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Singen: Zwischen Musik- und Sprachprosodie
3. Vom Sprechen und Singen mit Kindern
4. Empirische Grundlage der Untersuchungen
5. Vokalräume im Singen und Sprechen
6. Silben- und Segmentstruktur im tonalen Ereignis
7. Gleitende Konturen im Singen
8. Phrasengrenzen – Musik, Atmung, Syntax
9. Motherese- und Melodiekonturen im Vergleich
10. Fazit: Vom Singen zum Spracherwerb?
Backmatter
Simone Falk Musik und Sprachprosodie
Language, Context, and Cognition Edited by Anita Steube
Volume 9
≥ Walter de Gruyter · Berlin · New York
Simone Falk
Musik und Sprachprosodie Kindgerichtetes Singen im frühen Spracherwerb
≥ Walter de Gruyter · Berlin · New York
앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier, 앪 das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISBN 978-3-11-021989-0 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ” Copyright 2009 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandentwurf: Christopher Schneider, Laufen Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen
Wiegenlied“ von Lilian Salem. Ausstellung: Der ” ” andere Weg“, Grafiken j¨ udischer und arabischer Jugendlicher, St. Stephan, W¨ urzburg
F¨ ur die st¨arksten M¨ utter, die ich kenne: Johanna, Karin, Gertraud
Vorbemerkung Dieses Buch entstand im Rahmen einer Promotion zwischen 2005 und 2008 im Internationalen Promotionsprogramm Linguistik (LIPP) der Ludwig-Maximilians-Universit¨ at M¨ unchen. Die Schnittstelle zwischen Musik und Sprache stellt ein faszinierendes Arbeitsgebiet dar, das so umfangreich ist, dass die F¨ ulle der zu ber¨ ucksichtigenden relevanten Gesichtspunkte fast unersch¨ opflich ist. Daher bin ich dankbar, dass sich so viele in dieser Zeit mit mir f¨ ur das Thema begeistert haben, mit mir diskutiert, Kontakte hergestellt und mich bei der Arbeit an diesem Buch unterst¨ utzt haben. Ohne sie w¨ are es nicht das geworden, was es ist. Prof. Dr. Elisabeth Leiss danke ich f¨ ur das Vertrauen, die Ermutigung und die Begleitung in all den Jahren meines Studiums und der Promotion. Die Studienstiftung des deutschen Volkes hat durch ihre finanzielle und ideelle F¨orderung diese Forschung erst erm¨ oglicht, ebenso danke ich Dr. Melanie Moll, Prof. Dr. Konrad Ehlich und Prof. Dr. Thomas Krefeld, stellvertretend f¨ ur das LIPP-Programm. F¨ ur ihr Interesse, Wohlwollen, f¨ ur intensive Diskussionen und interdisziplin¨ are Hilfe danke ich Prof. Dr. Wolfgang Auhagen, Prof. Dr. Jonathan Harrington, Prof. Dr. Anita Steube und meinen Test” lesern“ Dr. Clemens W¨ ollner, Ernst Dombrowski, Dr. Judith Haug, Dr. Gesa zur Nieden, PD Dr. Phil Hoole, Christian Barnikel, Johanna Falk und Dr. Heinrich Kirschbaum. Besonders wichtig f¨ ur die Entstehung dieser Arbeit waren auch die positive Energie, der Zuspruch und die Gelassenheit meiner Eltern und meines Mannes, die mich in dieser Zeit begleitet und getragen haben. Ohne die M¨ utter und V¨ ater, die sich bereit erkl¨art haben, mit ihren Kindern vor dem Mikrofon zu singen, w¨ are diese Arbeit nicht m¨oglich gewesen, daher: an Sie alle vielen Dank, mer¸ci beaucoup, sposibo balshoe! Dies gilt ebenso f¨ ur alle, die mir geholfen haben, diese Eltern zu finden, dies sind: die Kinder-Ambulanzen des Haunerschen Spitals und des Schwabinger Krankenhauses in M¨ unchen, das Team des Geburtshauses M¨ unchen, das Laimer Familienzentrum (M¨ unchen), Judith Schuster (M¨ unchen), die Praxis Dr. Guido Krandick (Oberhaching), Sophie Greli´e von Eclats“ (Bordeaux), die Leitung und die Teams folgender Kin” dertageseinrichtungen in Bordeaux: Maison de la petite enfance Armand
X
Vorbemerkung
Faulat, Cr`eche des Chartrons, Maison de l’enfance, Cr`eche de la Cit´e Administrative, Jardin de l’eau vive, Halte-garderie du Grand Parc. Ein Dank geht schließlich an alle, die Ansprechpartner f¨ ur meine zahlreichen theoretischen, technischen, methodischen und Recherche-Fragen zur Musik- und Literaturwissenschaft, Linguistik, Psychologie und Phonetik waren: Prof. Dr. Helmut Schwichtenberg, Prof. Dr. Ulrich Konrad, Dr. Christiane Hofbauer, Prof. Dr. Thomas Stoffer, Prof. Dr. Rolf Oerter, Prof. Dr. Arnold Lohaus, Dr. Barbara Vogel, Kathrin R¨oger, Dr. Kathrin Schlemmer, PD Dr. Florian Schiel, Dr. Katalin Mady, Olga Douibina, Dr. Tamara Rathcke, Olga Schumacher, Tatjana Gavrilova, Sonja Schmidt, Prof. Paul Boersma, Prof. Francis Nolan, Sibylle Tiedemann, Olga Heindl, Martina Werner, Dr. Christina Knels, Dr. Andr´e Sch¨ uller-Zwierlein, Dr. Katja Mellmann, Prof. Piet Mertens, Prof. Dr. Annegret Boll´ee, Prof. Benoˆıt de Cornulier, Dr. Patrizia Noel, Dr. Andreas Dufter, PD Dr. David Restle, das Team des Volksliedarchivs Freiburg, vor allem Barbara Boock und Renate Sarr, sowie die Internationale Jugendbibliothek Schloss Blutenburg in M¨ unchen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung 1.1 Aktuelle Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Neuropsychologische, psycholinguistische Ans¨atze 1.1.2 Entwicklungs- und musikpsychologische Ans¨atze 1.1.3 Phonologische Ans¨ atze . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.4 Phonetische Ans¨ atze . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Einordnung der Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Aufbau des Buches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1 2 3 5 5 7 9 11
2 Singen: Zwischen Musik- und Sprachprosodie 2.1 Musik und Sprache – ein schwieriges Begriffspaar . . . . 2.2 Prosodie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Prosodische Substanz . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Prosodische Prominenz . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Singen als poetische“ Strukturgebung . . . . . . . . . . ” 2.4 Prosodische Strukturen in Musik und Sprache . . . . . . 2.4.1 Kleinste Kategorien: Phoneme und T¨one . . . . . 2.4.2 Kleinste Zeitstrukturen: Silben und Intervalle . . 2.4.3 Sprachliche Prominenzstrukturen: Fuß, Wort . . . 2.4.4 Musikalische Prominenzstrukturen: Takt, Motiv . 2.4.5 Makrostrukturen: Phrasen, Verse, S¨atze . . . . . . ¨ 2.5 Die Aquivalenzhypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.1 Verarbeitungsbedingungen von Musik- und Sprachprosodie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ¨ 2.5.2 Aquivalenzen im Singen . . . . . . . . . . . . . . .
14 14 17 17 19 20 23 24 25 28 31 34 37
3 Vom Sprechen und Singen mit Kindern 3.1 Sprach- und Musikerwerb im ersten Lebensjahr . . . . . 3.1.1 Prosodic Bootstrapping . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Verarbeitungsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Entwicklungsphasen . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Merkmale gesungener und gesprochener Sprache . . . . 3.2.1 Physiologische Aspekte: Atmung und Phonation
43 43 44 45 47 51 52
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XII
Inhaltsverzeichnis
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4 Empirische Grundlage der Untersuchungen 4.1 Vorbemerkung: Der Begriff Kinderlied . . . . . . . . . . 4.1.1 Kinderlieder fr¨ uher und heute . . . . . . . . . . . 4.1.2 Orale Tradierung: Das Umsingen . . . . . . . . 4.2 Datengewinnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 TeilnehmerInnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Warum singen? – Einige Begr¨ undungen . . . . . 4.2.4 Aufnahmesituation . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.5 Auswahl der Aufnahmen . . . . . . . . . . . . . 4.3 Korpusstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Funktionale Musik: Typische Situationen . . . . 4.3.2 Was wird gesungen? . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3 Strukturelle Merkmale des Gesungenen . . . . . 4.4 Interaktionale Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1 Antizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2 Rhythmische Begleitung . . . . . . . . . . . . . . 4.4.3 Mitlauten, Mitatmen . . . . . . . . . . . . . . . . ¨ 4.5 Uberleitung: Untersuchungen zur A-, B- und C-Prosodie
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70 70 71 72 74 75 78 79 80 82 83 83 86 91 98 98 100 104 108
3.3
3.2.2 Stimmumfang und Tonh¨ ohenmodifikationen 3.2.3 Pausen, Tempo, Rhythmus . . . . . . . . . . 3.2.4 Artikulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.5 Syntaktische und lexikalische Besonderheiten 3.2.6 Altersabh¨ angige Prozesse . . . . . . . . . . . 3.2.7 Unterschiede und Gemeinsamkeiten . . . . . Die Motheresehypothese . . . . . . . . . . . . . . .
5 Vokalr¨ aume im Singen und Sprechen 5.1 Einleitung: Vokale in der Motherese . . . 5.2 Vorstudie im Russischen . . . . . . . . . . 5.2.1 Material und Methode . . . . . . . 5.2.2 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . 5.2.3 Diskussion . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Deutsche Vokale im Sprechen und Singen 5.3.1 Material . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . 5.3.3 Diskussion . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . .
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XIII
Inhaltsverzeichnis
6 Silben- und Segmentstruktur im tonalen Ereignis 132 6.1 Vor¨ uberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 6.1.1 Wann beginnt ein Ton? . . . . . . . . . . . . . . . 132 6.1.2 Mikrotiming im Singen und Sprechen . . . . . . . 135 6.1.3 Deutsch – eine Silbenschnittsprache? . . . . . . . 137 6.2 Untersuchungsaufbau: These, Material, Vorgehen . . . . . 139 6.3 Beobachtungen am franz¨ osischen und russischen Material 141 ¨ 6.3.1 Ergebnisse im Uberblick . . . . . . . . . . . . . . . 141 6.3.2 Weitere Einflussfaktoren und Diskussion . . . . . . 144 6.3.3 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 6.4 Gesungene Schnittkontraste im Deutschen . . . . . . . . . 146 ¨ 6.4.1 Ergebnisse im Uberblick . . . . . . . . . . . . . . 146 6.4.2 Weitere Einflussfaktoren und Diskussion . . . . . . 150 6.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 7 Gleitende Konturen im Singen 156 7.1 Einleitung: Tonale (In)stabilit¨ at im Singen . . . . . . . . . 156 7.2 Material und Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 ¨ 7.3 Ergebnisse im Uberblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 7.3.1 H¨ aufigkeit und Art der gleitenden Konturen . . . . 161 7.3.2 Musikprosodische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . 164 7.3.3 Sprachliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 7.4 Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 7.4.1 Franz¨ osisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 7.4.2 Deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 7.4.3 Russisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 7.5 Exkurs: Instabile tonale Phasen als Marker direkter Rede 178 7.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 8 Phrasengrenzen – Musik, Atmung, Syntax 8.1 Einleitung: Der Begriff Phrase“ . . . . . . . . . ” 8.2 Material und Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Musikalische und syntaktische Phrasierung . . . 8.3.1 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.2 Beispielanalysen . . . . . . . . . . . . . . 8.4 Atmungsabschnitte und musikalische Phrasen . . 8.4.1 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.2 Konflikte: Beispielanalysen . . . . . . . . 8.5 Exkurs: Grenzt¨ one franz¨ osischer Akzentgruppen 8.6 Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . .
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186 186 190 196 196 203 207 207 213 218 221
XIV
Inhaltsverzeichnis
9 Motherese- und Melodiekonturen im Vergleich 9.1 Einleitung: Funktionen tonaler Konturen . . . . . 9.2 Material und Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . 9.3 Ergebnisse: Schlaf- und Beruhigungskontext . . . 9.3.1 Deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.2 Franz¨ osisch . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.3 Russisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.4 Sprachvergleich . . . . . . . . . . . . . . . 9.4 Ergebnisse: Bewegungskontext . . . . . . . . . . 9.4.1 Deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.2 Franz¨ osisch . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.3 Russisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.4 Sprachvergleich . . . . . . . . . . . . . . . 9.5 Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . .
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224 224 227 230 231 233 234 235 237 237 239 241 242 243 248
10 Fazit: Vom Singen zum Spracherwerb? 10.1 Gesang: Schnittstelle von Musik- und Sprachprosodie . 10.2 Kindgerichtetes Singen: ein hochstrukturiertes Register 10.3 Parallelen zur Motherese . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4 Einzelsprachliche Musterbildung . . . . . . . . . . . . 10.5 Singen im Blick zuk¨ unftiger Forschung . . . . . . . . .
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251 252 254 258 260 263
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A Anhang zu den Kapiteln 14 und 16
267
B Anhang: Notentranskripte 272 Franz¨ osische Lieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 Deutsche Lieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 Russische Lieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schlagwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
302 337
1
Einleitung
Im Mittelpunkt dieses Buches steht ein bestimmtes sprachlich und gleichzeitig musikalisch gepr¨ agtes Register: Das Singen f¨ ur Kinder im Alter bis zu einem Jahr. In dieser Zeit machen Kinder rasante Entwicklungen durch, insbesondere beim Entdecken der ersten sprachlichen Einheiten und Regularit¨ aten ihrer Muttersprache. Das Singen mit Kindern stand bisher kaum auf der Forschungsagenda einer Disziplin. Es wird eher unter sozialen und p¨adagogischen Aspekten betrachtet. Es sei ein wichtiges kulturelles Sozialisierungsinstrument, f¨ordere insbesondere die interaktionale Kompetenz und sogar die Gesundheit, wie es schon der russische Volkskundler Anikin (1957, S.88) formulierte: to poistine pozi detstva i otroqestva. Ee zameqatelnye svo˘ istva obnaruilis v tom, qto ona na protenii stoleti˘ i s uspehom formirovala duxevny˘ i mir zdorovyh i veselyh russkih lde˘ i. Detski˘ i folklor – to sloivxas v vekah narodna pozi, nerazdelno soedinenna s praktiqesko˘ i pedagogiko˘ i. (Dies ist im wahrsten Sinne die Poesie der Kindheit und Jugend. Ihr erstaunlicher Charakter zeigt sich darin, dass sie hundert Jahre lang mit Erfolg die seelische Welt gesunder und lustiger russischer Leute formte. Die Kinderfolklore ist u ¨ber Jahrhunderte hinweg gestaltete Volkspoesie, untrennbar verbunden mit praktischer P¨ adagogik.)1
Die aktuelle Forschung zeigt, dass die prosodische Struktur der Sprache Kleinkindern im fr¨ uhen Spracherwerb erheblich dabei hilft, wichtige Kategorien ihrer Muttersprache zu erlernen. Prosodie ist der Sammelbegriff f¨ ur die lautliche Seite von Sprache, die u ¨ber das pure Lautinventar und dessen Kombination hinausgeht und die keine prim¨ar paralinguistischen Funktionen erf¨ ullt wie z.B. den Ausdruck von Emotionen, Machtverh¨altnissen etc. (Fox 2000 f¨ ur verschiedene Definitionsans¨atze). Prosodische ¨ Aspekte von Sprache sind z.B. die Akzentstruktur einer Außerung, der 1
¨ Ubersetzung durch die Verfasserin.
2
Einleitung
Aufbau und die Abfolge von Silben, phonologischen W¨ortern oder Phrasen. Ob auch die Prosodie gesungener Sprache einen Beitrag zum Spracherwerb leisten kann, an welchen Stellen die prosodische Struktur im Singen einzelsprachlich gepr¨ agt ist und welche Hinweise auf die Anwesenheit und Grenzen wichtiger sprachlicher Dom¨ anen und Einheiten von den Eltern dabei gegeben werden, ist Gegenstand dieses Buches. Gleichzeitig soll pr¨ azisiert werden, wie das Singen an der Schnittstelle zwischen Musik und Sprache funktioniert und genauer beschrieben werden kann. Prosodische Strukturen haben in verschiedenen Sprachen unterschiedliche Aufgaben. Um aufzudecken, ob sich dieser Unterschied im Singen fortsetzt, werden in dieser Arbeit die drei prosodisch unterschiedlich klassifizierten Sprachen Franz¨ osisch, Russisch und Deutsch untersucht, die jedoch ann¨ahernd im gleichen kulturell-musikalischen Kontext der westlich-tonalen Musik stehen. Umfangreiche Feldaufnahmen in diesen Sprachen bilden die Grundlage von f¨ unf exemplarischen Untersuchungen zur Vokalartikulation, zur Silbenstruktur, zu Betonungskorrelaten, zur Phrasenstruktur und zur funktionalen Bedeutung von Melodiekonturen im Singen. Im Folgenden werde ich die zentralen Fragen im Hinblick auf die aktuelle Forschung er¨ortern ¨ und anschließend einen Uberblick u ¨ber den inhaltlichen Aufbau des Buches geben.
1.1
Aktuelle Forschung
Die Forschung zu Korrespondenzen von Musik und Sprache hat in den letzten zehn Jahren – besonders in der (Neuro)Psychologie mit starken Impulsen aus dem kanadischen Raum2 – einen enormen Aufschwung erlebt und eine Vielfalt an methodischen Ans¨ atzen hervorgebracht. Der Schwerpunkt liegt auf experimentellen und bildgebenden Verfahren unter gleichzeitig geringerer qualitativer und theoriebildender Forschung3 . Dabei tut sich ein breites Spektrum auf, zu dem ich nur einige aktuelle Publikatio2
3
Hier sind insbesondere das International Laboratory for Brain, Music and Sound Research an der Universit´e de Montr´ eal, MC Gill University und das MC Master Institute for Music and the Mind in Ontario zu nennen sowie das Auditory Perception and Music Cognition Research and Training Laboratory der University of Prince Edward Island. Zum Sprach- und Musikerwerb im Speziellen: das Infant and Child Studies Center der University of Toronto. Der einzige systematische theoretische Rahmen, der bisher zur Verf¨ ugung stand, ist die generative Theorie tonaler Musik nach Lehrdahl & Jackendoff (1983), die sich auch mit anderen generativen oder generativ inspirierten Theorien wie der Metrical Grid“-Theorie nach Hayes (1995) oder der Optimalit¨ atstheorie ” (Prince & Smolensky 1993) gut verbinden l¨ asst.
Aktuelle Forschung
3
nen4 nennen werde: Ein Teil der Studien befasst sich mit dem Ursprung und der evolution¨ aren Entwicklung von Musik und Sprache (Cross & Woodruff (2009), Altenm¨ uller 2004), weitere Studien konzentrieren sich auf Korrelationen zwischen musikalischen und sprachlichen F¨ahigkeiten (z.B. Wong & Perrachione 2007; Schwanhaeusser 2008; Sallat 2008) oder auf den emotionalen Ausdruck und seine Wirkung in Musik und Sprache (z.B. Sollberger et al. 2003; Juslin & Laukka 2003), schließlich werden neue Methoden entwickelt, um rhythmische und melodische Aspekte von Musik und Sprache (computergest¨ utzt) zu vergleichen (z.B. Schreuder 2006; Patel et al. 2006). Ein eigenes Gebiet stellt die neurophysiologische Hirnforschung dar, die anhand bildgebender Verfahren sprachliche und musikalische Verarbeitungswege vergleicht (z.B. Zatorre & Gandour 2008, Koelsch et al. (2009); Jentschke et al. (2008). Gerade die (Neuro)Psychologie widmet sich in den letzten Jahren im Zuge der Forschung zu den Unterschieden und Gemeinsamkeiten von Sprache und Musik auch der Frage nach den Unterscheidungen zwischen Singen und Sprechen. Einige Erkenntnisse aus diesem Bereich sollen im folgenden Abschnitt in aller K¨ urze vorgestellt werden. 1.1.1
Neuropsychologische, psycholinguistische Ans¨ atze
Besonders die rehabilitative Neuro-Psychologie findet vermehrt Interesse ¨ an den Zusammenh¨ angen zwischen Sprechen und Singen (s. den Uberblick in Peretz (in Vorbereitung). Bereits im 19. Jahrhundert wurde mehrfach von Patienten berichtet, die an starken expressiven Sprachst¨orungen litten, jedoch noch in unterschiedlichem Ausmaß die F¨ahigkeit besaßen, zu ´bert et al. 2003, neuere Fallstudien: Warren singen (Edgren 1894; He et al. 2003; Mogharbel et al. 2005/2006; Peretz et al. 2004a; Straube et al. 2008). Dieses Ph¨ anomen wurde in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts zur Grundlage einer Aphasietherapie f¨ ur Schwerstaphasiker, die als Melodic Intonation Therapy (MIT) bekannt wurde (s. Sparks et al. 1974). Aufgrund umstrittener Wirkung stand die MIT l¨angere Zeit nicht mehr im Mittelpunkt des Interesses. Sie erlebt nun jedoch ein Comeback durch die Forschung am Beth Israel Deaconess Medical Center und der Harvard Medical School in Boston, Massachusetts. Dort zeigte das Team um Gottfried Schlaug mit bildgebenden Verfahren, wie die MIT durchaus erfolgreich bei Broca-Aphasikern eingesetzt werden kann und arbeitet an einer Weiterentwicklung der Therapieformen (Schlaug et al. 2008; Wilson et al. 2006). Auch in anderen Studien werden Patienten, die nicht sprechen, aber singen k¨ onnen, mit bildgebenden Verfahren untersucht, 4
¨ Als Uberblickswerke zu den wichtigsten Fragestellungen empfehle ich Patel (2008); Cook (2002) sowie die Sammelb¨ ande Zatorre & Peretz (2003); `ge & Sloboda (1996). Deutsch (1999); Delie
4
Einleitung
um die neuronale Basis von Sprechen und Singen besser erforschen zu k¨ onnen (Yamadori et al. 1977). Ausgangspunkt vieler neurophysiologischer Untersuchungen ist die Beobachtung, dass die rechte Hemisph¨ are des Großhirns beim Singen eine besondere Rolle spielt (z.B. Jeffries et al. 2003). Beim koverten Singen beispielsweise (“inneres Singen”, im Geiste ohne zu artikulieren) sind Regionen im rechten Planum temporale st¨ arker aktiv als bei einer entsprechenden Sprechaufgabe (Callan et al. 2006, s.a. Kleber et al. 2007). Strukturen, die insbesondere beim Singen rechtshemisph¨arisch vermehrte ¨ Aktivit¨ at zeigten, sind nach Ozdemir et al. (2006) der Gyrus temporalis superior, der Gyrus frontalis inferior sowie der untere Teil des Operculum centrale. Im Kleinhirn hingegen scheint es gerade umgekehrt eine linkshemisph¨ arische Spezialisierung f¨ ur musikalische Stimuli (inkl. Singen) zu geben und eine rechtshemisph¨ arische Spezialisierung f¨ ur segmentale sprachliche Informationen (Riecker et al. 2000; Callan et al. 2007). Insgesamt involvieren sowohl die Lautproduktion als auch die Wahrnehmung von Singen und Sprechen sehr komplexe Prozesse in beiden Hemisph¨aren, die noch weiter erforscht werden m¨ ussen, es zeigen sich jedoch auch Gemein¨ samkeiten (Perry et al. 1999; Ozdemir et al. 2006; Cadalbert et al. 1994; Brown et al. 2004). Psycholinguistische Studien legen weiterhin nahe, dass es unterschiedliche Verarbeitungsregionen und Speichersysteme von Text und Melodie beim Singen gibt, dabei ist noch nicht abschließend gekl¨art, ob und unter welchen Bedingungen die Melodie das Merken von Texten erleichtert oder nicht5 (Saito et al. 2006; Bonnel et al. 2001; Racette & Peretz 2007; van Besouw et al. 2005; Kilgour et al. 2000; Peretz et al. 2004b). Ein m¨ oglicher Zusammenhang zwischen musikalischer und sprachlicher Tonh¨ ohenverarbeitung (Melodie und Intonation) wird immer wieder diskutiert (z.B. Patel et al. 1998; Nicholson et al. 2003). Versuchspersonen mit Amusie, bzw. Dysmusie sind in diesem Forschungszweig besonders gefragt (Peretz 2003; Patel 2008). Hier gibt es spezielle rhythmische und melodische St¨ orungen, die auch unabh¨angig voneinander auftreten k¨ onnen (Hyde & Peretz 2004). Die Untersuchung des synchronen Singens in der Gruppe ist ebenfalls ein Forschungsgebiet, das erstaunliche Ergebnisse zeitigt (Saito et al. 2006). Peretz und ihr Team zeigten, dass sich Aphasiker mehr W¨ orter merken und wiederholen konnten, wenn sie mit einer computergenerierten Stimme gemeinsam sangen als wenn sie alleine sangen oder sprachen (Racette et al. 2006). Das Team arbeitet derzeit daran, diesen Effekt f¨ ur die Therapie einzusetzen. Schließlich ist im therapeutischen Kontext die Arbeit des Sprachheilp¨adagogen Sallat (2008) besonders erw¨ ahnenswert, der untersucht, inwieweit musikali5
Hier spielen auch methodische Unterschiede eine Rolle.
Aktuelle Forschung
5
sche Fertigkeiten mit sprachlichen Erwerbsstufen bei Kindern einhergehen und als Diagnoseinstrument f¨ ur Sprachentwicklungsverz¨ogerungen dienen k¨ onnen. Dies f¨ uhrt uns zu den entwicklungspsychologischen Ans¨atzen zum Singen. 1.1.2
Entwicklungs- und musikpsychologische Ans¨ atze
Die musikalische Entwicklung von Kleinkindern und damit einhergehend auch das kindgerichtete Singen fanden hier einige Beachtung. Grundlage daf¨ ur war die Forschung zum kindgerichteten Sprechen, die ab den 60er und verst¨ arkt in den 80er Jahren wesentliche Besonderheiten des elterlichen Sprechens mit Kleinkindern beschrieb (z.B. Ferguson 1964, 1977, Snow 1977; Garnica 1977; Stern et al. 1982, 1983; Fernald et al. 1989, Papouˇ sek et al. 1991). Parallelen dazu suchten insbesondere die kanadischen Forscher Sandra Trehub und Laurel Trainor (z.B. Trehub & Trainor 1998). Die Interaktion als Ausgangspunkt der fr¨ uhkindlichen sprachlichen/musikalischen Entwicklung stellen vor allem Colwyn Trevarthen (z.B. Trevarthen 1999), Stefanie Stadler Elmer (Stadler Elmer 2002) und Ellen Dissanayake (z.B. Dissanayake 1999) in den ¨ Mittelpunkt ihrer Forschung. Ein ausf¨ uhrlicherer Uberblick zu den Erkenntnissen auf diesem Gebiet erfolgt im Kapitel 3.2. 1.1.3
Phonologische Ans¨ atze
Die Sprachwissenschaft behandelt Gesang bisher nur am Rande, das Singen mit Kindern wird – bis auf einige Ausnahmearbeiten, die sich mit Kinderliedern besch¨ aftigen – gar nicht thematisiert. Das Verh¨altnis von Musik und Sprache im Gesungenen, insbesondere im Volkslied, wird haupts¨achlich im Rahmen der metrischen Phonologie untersucht. Die meisten dieser Arbeiten beruhen dabei auf folgenden mehr oder weniger explizit genannten Annahmen bzw. Voraussetzungen: 1. Textliche und musikalische Struktur eines Liedes geh¨oren getrennten Systemen an und k¨ onnen unabh¨ angig voneinander untersucht werden. Daher lassen sich Regeln aufstellen, wie sich die beiden Strukturen aufeinander abbilden lassen ( text-to-tune setting“, Ver” tonungsregeln). ¨ oßten Ubereinstimmungen finden sich im rhythmisch-metri2. Die gr¨ schen Bereich, Melodie ist ein spezifisch musikalischer Bereich. 3. Der Text (Sprache) ist prim¨ ar: Er wird entweder vertont oder bestimmt in systematischer Form Bereiche der musikalischen Struktur.
6
Einleitung
4. Das Verh¨ altnis Musik und Sprache wird in der Regel anhand von bereits verschriftetem Material untersucht. ¨ Ubergeordnetes Ziel dieser Untersuchungen ist es, eine Vertonungsgram” matik“ aufzustellen, d.h. die Regeln zu ergr¨ unden, wie sprachliche und musikalische metrisch-rhythmische Merkmale in angloamerikanischen Liedern bzw. europ¨ aischen Volksliedern aufeinander abgebildet sind. Dabei orientiert sich die Forschung weitgehend an der generativen Theorie tonaler Musik von Lehrdahl & Jackendoff (1983). Einen umfassenden Versuch, diese Theorie anzuwenden, hat sicherlich Lehrdahl (2001) – aufbauend auf Lehrdahl & Halle (1991) – selbst gemacht, indem er ein Gedicht gem¨ aß prosodiespezifischer Regeln vertonte. Ein optimalit¨ atstheoretisches Paradigma zur Beschreibung von mehr oder weniger komplexen Versvertonungen mit Hilfe metrischer Gitter entwickelten Hayes & Kaun (1996); Hayes & McEachern (1998); Kiparsky (2006); Hayes (2008). Sie zeigten, dass metrische Strukturen im Volkslied dazu geeignet sind, Metastrukturen wie Verse und Strophen abzugrenzen. In der romanistischen Forschung schlug Dell einen methodisch ¨ ahnlichen Weg f¨ ur franz¨ osische Folklore ein (Dell 1989, 2004; Dell & Halle 2006). Dell (2004) geht jedoch davon aus, dass die metrische Struktur im Lied ein Nebenprodukt des generellen Vertonungsprozesses ist, d.h. dass aus Musik und Text eine Struktur entsteht ( Segment Struc” ture“), die einen Kompromiss zur Abgrenzung wichtiger Strukturen in beiden Bereichen darstellt und nicht ausschließlich metrisch, prosodisch oder musikalisch determiniert ist. Zur Analyse des bayerischen Zwiefachen machten Vetterle & Noel (2006) einen ebenfalls metrisch basierten Vorschlag. Dieser hat zum Ziel, die These der nat¨ urlichen Versifikation nach Vennemann (1995) auf gesungene Sprache zu u ¨bertragen6 . Die These besagt, dass musikmetrische Systeme, die u ¨ber einen l¨angeren Zeitraum in einer Sprachgemeinschaft entwickelt werden, ausschließlich prosodische Besonderheiten der Sprache stilisieren. Allerdings stellten Vetterle & Noel (2006) keine Bedingungen auf, wann nat¨ urliche Vertonung7 erreicht ist. Kinderlieder tauchen in der Forschung nur am Rande auf. Untersuchungen, die sich ihnen explizit widmen, sind eher selten und orientieren sich meist an folgenden Pr¨ amissen: 1. Kinderlieder sind sprachlich/musikalisch einfache, nat¨ urliche Strukturen. 2. In ihnen zeigen sich sprachliche/musikalische Universalien. 6 7
Als These der nat¨ urlichen Vertonung, s. Vetterle & Noel (2006). Sie sehen die Vertonung des Sprachrhythmus des Neuhochdeutschen (sic) im Zwiefachen als genauso nat¨ urlich an wie im deutschsprachigen Rap, obwohl im Rap, wie sie selbst feststellen, viel st¨ arkere Einschr¨ ankungen f¨ ur die Sprachprosodie durch den dominanten Beat gelten.
Aktuelle Forschung
7
Beide Fragen r¨ uckte der amerikanische Anthropologe Burling (1966) in seiner viel zitierten Studie ins Licht. Er kam zum Ergebnis, dass sich die Vers- und Strophengestaltung von englischen, chinesischen und indonesischen Kinderreimen verbl¨ uffend ¨ ahnelten: Die meisten Reime wiesen Strophen mit vier Versen a` jeweils vier Akzente ( Schl¨age“ bei Burling) auf. ” Burling (1966) folgerte daraus, dass diese Gemeinsamkeiten ein Hinweis auf die kognitiven F¨ ahigkeiten der common humanity“ (S.1435) und auf ” eine gemeinsame Ur-Poetik der Sprachen der Welt seien. Noch vor Burling war der Musikethnologe Brailoiu (1956/1973) ebenfalls an universellen Merkmalen der Kinderrhythmik interessiert. In seiner Untersuchung zu Kinderliedern aus 23 L¨ andern Europas und Afrikas sowie aus der Arktis stellte er einen isochronen Rhythmus fest, der sich aus Zeitintervallen von acht Einheiten (am ehesten acht Achtelnoten) zusammensetzt. Die Suche nach der universalen metrischen Struktur fand in der neueren Forschung ihre Fortsetzung, z.B. in den Arbeiten von Dufter & Noel (2006), die das 4-Akzente-Schema sowohl in franz¨osischen als auch in deutschen Abz¨ ahlreimen untersuchten oder von de Cornulier (2000), der ein 2+2 Akzent-Schema im franz¨ osischen Kinderlied und in Slogans verwirklicht sieht. Turner & P¨ oppel (1983) interpretieren diese ein” fache“ metrische Struktur als Evidenz f¨ ur einen kognitiven (und damit universalen) Ged¨ achtnis- und Verarbeitungsmechanismus. Sehr viel seltener sind Arbeiten, die sich mit der einzelsprachlichen Seite der Kinderlieder/reime auseinandersetzen. Hier zu nennen sind sowohl Dufter & Noel (2006) als auch Noel et al. (2002), die die einzelsprachliche und historische Variabilit¨ at von Kinderreimen beleuchteten. Diese wurde u ¨brigens schon von Burling (1966) bemerkt, aber zugunsten des universalen Aspektes in den Hintergrund gedr¨angt. Die AutorInnen best¨ atigten in ihrer Untersuchung von verschrifteten Kinderreimen in 15 Sprachen (zumeist Abz¨ ahlreime) ebenfalls Burlings Ergebnisse, was die Vers- und Strophengestaltung angeht. Sie zeigten jedoch auch, dass nicht nur unmarkierte“ alternierende Metren auftreten, sondern h¨aufig auch ” tern¨are oder un¨ are Muster zu finden sind, und f¨ uhrten dies auf einzelsprachliche Gegebenheiten zur¨ uck. 1.1.4
Phonetische Ans¨ atze
In phonetischen Untersuchungen geht es insbesondere um artikulatorische Aspekte des professionellen, klassischen Singens (z.B. Eckardt 1999), die akustischen Eigenschaften von gesungenen Vokalen (z.B. Sundberg 1991a; Benolken & Swanson 1990; Bloothooft & Plomp 1988; Horii 1989; s.a. Kap. 5) sowie die Realisierung von Intonationsstrukturen, Tonemen und spektralen Charakteristika in verschiedenen Gesangsstilen (Wee 2007; Ho 2006; Serper 2000; Boersma & Kovacic 2006;
8
Einleitung
Stegem¨ oller et al. 2008). Die Sozio-, Variet¨aten- und Kontaktlinguistik/phonetik greift vereinzelt ebenfalls auf gesungenes Material zur¨ uck: Arvaniti & Joseph (2004) nutzten Tonaufnahmen von Volksliedern zu Beginn des 20. Jahrhunderts, um den griechischen Lautwandel bei NasalPlosivverbindungen zu untersuchen. Corcoran & Gunn (1994) versuchten die Auswirkungen des Sprachkontakts zwischen dem G¨alischen und Englischen in der Entstehung irisch-englischer Volkslieder nachzuzeichnen. Weitere Studien stammen z.B. von Torp (2001), der zur Untersuchung verschiedener r-Laute in den nordgermanischen Sprachen Operngesang hinzuzog, von Yaeger-Dror (1993), der betrachtete, wie verschiedene ethnische Gruppen gesungene r-Laute im Hebr¨aischen realisieren, oder von Chekmonas (1999), der mithilfe von Volksliedern einen Dialekt an der russisch-weißrussischen Grenze beschrieb. Zum kindgerichteten Singen stellten Arnold & Jusczyk (2002) eine Untersuchung an. Sie versuchten, melodische Muster und die Intonationsstruktur im kindgerichteten Singen zu vergleichen. Ihre Ergebnisse zeigten die Tendenz, dass in englischen Kinderliedern zwar nicht immer die spezielle Kontur von Satzakzenten in der Melodie erhalten wird, jedoch durchaus die Stelle, an der der Akzent realisiert wird. Eine interdisziplin¨ ar angelegte Arbeit von Ross & Lehiste (2001, 1998) zu phonetisch-phonologischen Merkmalen im Singen deckte historische Relikte im Singen auf. Diese Untersuchung vereint auf vorbildliche Weise phonetisch-phonologisches und musikwissenschaftliches Know-how. In estnischen Runen- und Klageliedern untersuchten die AutorInnen, inwieweit sich die dreiteilige L¨ angenunterscheidung des Estnischen in der Dauerstruktur der T¨ one nachweisen l¨ asst. Dabei stellten sie fest, dass eine Eins-zu-eins-Projektion nicht stattfindet, sondern wahrscheinlich ein ¨alteres prosodisches System in diesen Liedformen erhalten ist, das nur eine zweifache L¨angenunterscheidung kannte. Zwei vielversprechende interdisziplin¨ are Ans¨ atze zum Vergleich von Intonation und Melodie erprobten Dombrowski (1992, 1995), Dombrowski et al. (2007). Ziel war es, Parallelen zwischen gesprochenen und musikalischen/gesungenen Aussageund Fragekonturen aufzudecken. Dombrowski (1992) untersuchte die melodische Gestaltung von Frage- und Aussages¨atzen in Spontanges¨angen deutscher Kinder und Erwachsener. Er zeigte, dass es starke Einfl¨ usse der Intonationsstruktur des Deutschen auf die spontane Melodiegestaltung gab. Außerdem stellten Dombrowski et al. (2007) anhand eines Perzeptionsexperimentes fest, dass Probanden perzeptiv unterschiedliche Intervalleigenschaften mit zwei Intonationskonturen f¨ ur offene Fragen im Deutschen verbanden. Dieses Ergebnis l¨ asst es erstmals zu, eine Verbindung zwischen harmonischer Struktur und Eigenschaften der Intonation herzustellen.
Einordnung der Studie
1.2
9
Einordnung der Studie
¨ Wie dieser Uberblick zeigt, gibt es eine Vielfalt an Interessen zum Themengebiet Musik und Sprache und am Singen im Allgemeinen, die Forschungsanstrengungen zum kindgerichteten Singen sind jedoch bisher eher gering. Gerade aus sprachwissenschaftlicher Sicht ersch¨opft sich die Literatur hier schnell. Zu einzelsprachlichen Besonderheiten von Gesungenem ist bisher ebenfalls wenig bekannt. Auch die Spracherwerbsforschung besch¨ aftigte sich nur peripher mit Gesang als relevantem sprachlichem Input. Die wenigen Untersuchungen betrafen vor allem p¨ adagogische M¨ oglichkeiten und Wirkungen des Singens beim Zweitspracherwerb von Schulkindern und Erwachsenen (z.B. Racette & Peretz 2007; Sch¨ on et al. 2008; Ayotte 2004). Das Interesse an der Rolle des Singens beim Erstspracherwerb nimmt erst in j¨ ungster Zeit zu (u.a. Kouri & Winn 2006; Kouri & Telander 2008; Nakata & Trehub 2004). Indeed, characteristic rhythmic and pitch structures of spoken languages have also been observed in the musical rhythm and pitch structures from the corresponding culture [...]. Future studies might examine whether these speech–music similarities exist in children’s music, and whether crossdomain influences between music and speech can be observed during development. (Hannon & Trainor 2007, S.470)
Mit dieser Arbeit m¨ ochte ich einen ersten Schritt zur Schließung dieser L¨ ucke tun und – wie Hannon & Trainor (2007) vorschlagen – die sprachprosodischen Charakteristika im Singen genau untersuchen, die Kindern im ersten Lebensjahr bei ihrer Sprachentwicklung helfen k¨onnten. Diese Frage wurde bislang nicht erforscht – einen m¨oglichen Grund daf¨ ur formulieren Patel et al. (2006, S.3034), die die Relevanz nicht gegeben sehen: It might not be surprising if vocal music reflected speech prosody: after all, such music must adapt itself to the rhythmic and melodic properties of a text.
Haben Patel et al. (2006) mit ihrem Einwand recht, so ist es umso erstaunlicher, warum die Spracherwerbs- und sprachwissenschaftliche Forschung so lange auf die Untersuchung des Singens verzichtet hat. Weiterhin l¨ asst das Zitat erkennen, dass Patel et al. davon ausgehen, dass erstens die musikalische Struktur eines Liedes von der sprachlichen klar trennbar sei und dass zweitens die sprachliche Seite dominant sei, was andere Forscher, wie z.B. Kim (2003, S.3) oder Reschke (1982) genau anders herum sehen:
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Einleitung Die gewisse Zweitrangigkeit der beim Singen artikulierten Quasimitteilung kann durch k¨ unstlerische Gestaltung der musikalischasthetischen Seite des Gesangs im Extremfall zur v¨ olligen Unter¨ ordnung der Textseite f¨ uhren. (Reschke, 1982, S.545)
Tats¨ achlich beruhen diese Vorstellungen mehr auf Axiomen denn auf empirisch belegbaren Tatsachen. Es ist daher meiner Ansicht nach lohnenswert die sprachlich relevanten und irrelevanten Bereiche im konkret Gesungenen zu benennen8 . Da bisher viel zu wenig u ¨ber die Beschaffenheit musik- und sprachprosodischer Strukturen im Singen bekannt ist, sehe ich den Einwand von Patel et al. (2006) als verfr¨ uht an. Die grundlegende Konzeption der in diesem Buch vorgestellten Studie l¨asst sich folgendermaßen beschreiben: 1. Die Arbeit ist empirisch-explorativ angelegt und arbeitet mit Material aus dem aktuellen Feld. Dieser erhebliche Mehraufwand hat den unersetzbaren Vorteil, dass eine einheitliche Analyse und Transkription der Daten m¨ oglich wird und damit Fragestellungen zul¨asst, die in schon verschriftetem Material nicht mehr untersucht werden k¨ onnen. Insbesondere er¨ offnet sich dadurch die M¨oglichkeit, Performance-Merkmale des Gesungenen zu untersuchen, also solche Aspekte musik- und sprachprosodischer Struktur, die die Eltern kontextbezogen in der konkreten Interaktion mit ihrem Kind hervorheben. 2. Universelle Merkmale sind nicht das prim¨are Interesse, sondern – wo immer m¨ oglich – die Rolle und Auswirkung der Einzelsprache auf prosodische Parameter im kindgerichteten Singen. Am besten werden einzelsprachliche Einfl¨ usse im Vergleich unterschiedlich strukturierter Sprachsysteme ersichtlich. Drei Sprachen ziehe ich daf¨ ur heran: das Deutsche, Russische und Franz¨osische bzw. ihre unterschiedlichen prosodischen Systeme. 3. Es handelt sich um eine Pilotstudie. Ziel ist es, m¨oglichst viele neue Fragestellungen zu formulieren, geeignete Analysemethoden und deren Praktikabilit¨ at zu erproben. Dies geschieht vorwiegend nach G¨ utekriterien der qualitativen Forschung (s. Tab. 1.1 und Lamnek 2005, S.161ff) Wo immer es die Datenlage erlaubt, werden auch quantitative Verfahren einsetzt. Wie die aktuelle Forschung zeigt, sollten neue Ans¨ atze auf dem Gebiet Sprache und Musik auf wissenschaftlich fruchtbaren Boden stoßen, k¨onnten anschließend aufgegriffen und weiterentwickelt werden. Insbesondere f¨ ur die Sprach8
Mit nat¨ urlichen (nicht-experimentellen) und m¨ oglichst spontanen Daten zu arbeiten, empfiehlt u ¨brigens auch Pearl (2004, S.71).
Aufbau des Buches
11
wissenschaft k¨ onnte damit das Singen als Sprachregister begr¨ undet und sein Wert f¨ ur die Erforschung von Sprache(n) deutlich werden. Methodisch gesehen bewegt sich die Studie weitgehend im qualitativen Bereich, wie die Tabelle 1.1 zeigt. Arbeitsschritt Kategorienbildung Vorl¨ aufige Hypothesenbildung Datengewinnung
Theorie- und Hypothesenu ufung ¨berpr¨ Auswertung des Materials
methodisches Paradigma qualitativ-interpretativ deduktiv vorwiegend qualitativ, im Feld“, ” teilnehmende Beobachtung, geringf¨ ugige Standardisierung bei Probandenauswahl (zum Teil durch Fragebogen) vorwiegend analytische Induktion interpretative sowie statistische Methoden
¨ Tabelle 1.1: Ubersicht zur methodischen Ausrichtung der Arbeit
1.3
Aufbau des Buches
Die ersten drei Kapitel stellen die Voraussetzungen vor, unter denen man gesungene Sprache als wichtigen Input f¨ ur Kinder w¨ahrend der Sprachentwicklung betrachten kann. Nach einigen Begriffskl¨arungen steht in Kapitel 2 ein theoretischer Vergleich der in der Literatur benannten sprach- und musikprosodischen Kategorien im Mittelpunkt. Dies soll helfen, Klarheit ¨ u und Unterschiede in Aufbau und phonetischer Rea¨ber deren Ahnlichkeit lisierung zu erlangen. Der Vergleich erfolgt hierarchisch, d.h. zun¨achst werden die grundlegenden Bausteine betrachtet (Abschnitt 2.4.1), dann folgen durch Prominenz oder zeitliche N¨ ahe gruppierte Einheiten (Abschnitte 2.4.2 und 2.4.3), schließlich die Makrostrukturen (Abschnitt 2.4.5). Dabei werden die prosodischen und musikalischen Besonderheiten der drei Untersuchungssprachen f¨ ur die jeweilige Kategorie dargestellt. Aus dem Strukturvergleich ergibt sich die erste Leitthese (Abschnitt 2.5) f¨ ur die Untersuchungen im empirischen Teil der Arbeit. Sie besagt, dass sprachund musikprosodische Grenz- und Prominenzstrukturen konsistent aufeinander abgebildet sein m¨ ussen, wenn sprachprosodische Merkmale im Singen erkennbar sein sollen. Kapitel 3 er¨ ortert, wie Kinder im ersten Lebensjahr dank prosodischer Merkmale von der lautlichen Substanz zur abstrakten Form der Sprache gelangen k¨ onnen und welche Eigenschaften den sprachlichen/musikali-
12
Einleitung
¨ schen Input in dieser Zeit auszeichnen. Grundlage dieser Uberlegungen ist die Spracherwerbsthese des Prosodic Bootstrapping“ (Abschnitt 3.1.1), ” die in Untersuchungen zum Verlauf der Sprachentwicklung innerhalb des ersten Lebensjahres bereits vielfach Best¨ atigung gefunden hat. Diese werden im Abschnitt 3.1.3 unter Ber¨ ucksichtigung von sprachspezifischen Verl¨ aufen – soweit bekannt – skizziert. Anschließend stehen die Eigenschaften des Inputs im Mittelpunkt. Abschnitt 3.2 fasst zusammen, was in der Forschung u ¨ber die Form und Funktion kindgerichteten Singens und Sprechens in der Praxis bekannt ist. Dabei wird deutlich, dass kindgerichtetes Sprechen sich den altersabh¨ angigen sprachlichen Bed¨ urfnissen des Kindes anpasst, ideal seine Aufmerksamkeit anspricht und sehr ¨ klar strukturiert ist. Es deutet sich zudem an, dass es Uberschneidungen zum kindgerichteten Singen gibt, aber auch (vor allem funktionale) Unterschiede. Aus diesen Betrachtungen heraus folgt die zweite Leitthese ¨ (Abschnitt 3.3), dass strukturelle Ahnlichkeiten zwischen kindgerichtetem Singen und Sprechen ein starker Hinweis auf gemeinsame sprachf¨ordernde Funktionen sein m¨ ussen. Die beiden Thesen der Kapitel 2 und 3 dienen als Ausgangsbasis f¨ ur f¨ unf empirische Untersuchungen, die in den Kapiteln 5-9 dargestellt sind. Zuvor beschreibt Kapitel 4 die Datengrundlage der Arbeit, die Gewinnung der Informanten, Aufnahmesituation und die Auswahl der Daten. Eine erste Analyse des im Feld gewonnen Materials soll zeigen, wie die Korpusstruktur beschaffen ist, insbesondere mit welcher Absicht gesun¨ gen wurde, welche Uberlieferungskontexte f¨ ur einzelne Lieder gelten und welche musikstrukturellen Besonderheiten das deutsche, franz¨osische und russische Repertoire auszeichnen (Abschnitte 4.3.2 und 4.3.3). Da zum kindgerichteten Singen bislang wenig bekannt ist, stelle ich in diesem Kapitel zus¨ atzlich die Begr¨ undungen dar, warum Eltern u ¨berhaupt singen (Abschnitt 4.2.3), in welchen Situationen sie es tun (Abschnitt 4.3) und zeige anhand von Beispielen, wie vielf¨ altig die Reaktionen der Kinder und die interaktionalen M¨ oglichkeiten beim Singen sind (Abschnitt 4.4). Anschließend folgen f¨ unf Untersuchungen, die die beiden Leitthesen konkretisieren und an einzelnen prosodischen Merkmalen der Mikro- und Makroebene u ufbar machen. Die Untersuchungen werden im Ab¨berpr¨ schnitt 4.5 einleitend vorgestellt. In Kapitel 5 wird untersucht, ob deutsche und russische Eltern im Singen Vokale deutlicher oder undeutlicher artikulieren als im Sprechen. Kapitel 6 besch¨aftigt sich mit dem Verh¨altnis von subsilbischer Struktur und tonalen Ereignissen. Dort steht die Frage im Mittelpunkt, ob das sprachspezifische Timing von Konsonanten und Vokalen im Singen erhalten bleibt oder zugunsten tontragender Vokale von den Eltern aufgegeben wird. Im Kapitel 7 geht es um instabile tonale Phasen (‘gleitende Konturen’) im Singen, die an sprachprosodische Muster
Aufbau des Buches
13
erinnern. Anhand von Modellen der Wort- und Satz/Phrasenprosodie in den drei Sprachen wird gepr¨ uft, ob dieses Ph¨ anomen tats¨achlich als Ein” bruch gesprochener Prosodie“ ins Gesungene verstanden werden kann. Die Untersuchung in Kapitel 8 widmet sich den phrasalen Makrostrukturen im Singen und ihrem Bezug zur syntaktischen Struktur der Liedtexte in den drei Sprachen. Es geht darum, zu zeigen, ob die Grenzen musikalischer Phrasen und Atmungsabschnitte mit den Grenzen syntaktischer Phrasen synchronisiert sind und ob dadurch syntaktische Konstituenten sinnvoll geb¨ undelt werden. Kapitel 9 schließlich stellt die Fortf¨ uhrung eines Ansat¨ zes von Cordes (2005) dar und hat zum Ziel, die funktionale Aquivalenz von Motherese- und Melodiekonturen in der Eltern-Kind-Kommunikation einzelsprachlich zu vergleichen. Anschließend diskutiere ich in Kapitel 10 zusammenfassend die Erkenntnisse der Arbeit und zeige die Konsequenzen und M¨ oglichkeiten f¨ ur weitere Forschung auf.
2
Singen: Zwischen Musik- und Sprachprosodie
Es ist nicht immer leicht, Musik und Sprache, und insbesondere Sprechen und Singen, in der Praxis voneinander abzugrenzen. Der Sprechgesang, z.B. als Rezitativ in der Oper oder als Rap in der Popmusik, beinhaltet offensichtlich Komponenten beider Ausdrucksformen, die untrennbar miteinander verwoben sind. Das an prosodischen Merkmalen reiche kindgerichtete Sprechen kann in manchen F¨ allen genauso gut als gesungen gel¨ ten oder zeigt zumindest fließende Uberg¨ ange (s. Kap. 3). Zudem h¨angt es von der gesellschaftlich-kulturellen Wertung ab, ob etwas als Gesang eingeordnet wird oder als gesprochen: F¨ ur einen arabisch-islamischen H¨orer spricht ein Muezzin, denn das Singen im religi¨osen Kontext wird in Teilen der arabischen Welt als unsittlich bewertet (Vogels 1998, S.302). Die Grenzen zwischen Musik und Sprache sind im Gesang schwer zu setzen und kulturabh¨ angig definiert (ein Vorschlag dazu in List (1963), vgl. auch Kapitel 7). In diesem Kapitel werde ich zuerst einleitend kl¨aren, welche Aspekte der Begriffe Musik, Sprache und Prosodie in dieser Arbeit betrachtet werden. Darauf folgt eine Einf¨ uhrung, welche musikalischen und sprachlichen Strukturmerkmale im Singen grunds¨atzlich vereint werden m¨ ussen und wie man sie vergleichend betrachten kann. Abschließend versuche ich zu modellieren, wie sprach- und musikprosodische Strukturen im Singen aufeinander abgebildet sein sollten, um eine positive Rolle im fr¨ uhen Spracherwerb spielen zu k¨ onnen.
2.1
Musik und Sprache – ein schwieriges Begriffspaar
Bruno Nettl (1983) weist darauf hin, dass zwar jede Kultur u ¨ber Musik verf¨ ugt, keineswegs aber unbedingt u ¨ber einen Begriff, der unserem westlichen Verst¨ andnis nahe kommt. Musik ist ein sehr variables Konzept und wird in vielen Kulturen nur f¨ ur bestimmte Kontexte verwendet oder
Musik und Sprache – ein schwieriges Begriffspaar
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u ¨berschneidet sich mit anderen Begriffen wie z.B. Tanz oder Dichtung1 . Auch einzelne musikalische Formen entsprechen in den Kulturen sehr unterschiedlichen Erscheinungen: Eine chinesische Oper hat mit Oper im abendl¨ andischen Verst¨ andnis nur wenig gemeinsam (allenfalls die L¨ange, Yung 1991). Kantonesische Opern beispielsweise haben keinen Komponisten, sie werden nicht geprobt und sind nie musikalisch notiert worden. Die S¨ anger lernen den Text auswendig und improvisieren w¨ahrend der Auff¨ uhrung. Sie greifen dabei auf ein Repertoire aus grob definierten Melodien zur¨ uck, das sie frei den geeigneten Textpassagen zuordnen. Im abendl¨ andischen Kontext beklagt Stadler Elmer (2002, S.84): Musik wird konzipiert als ein fertiges und in sich geschlossenes, geregeltes und monolithisches System, das als konstanter Umgebungsfaktor f¨ ur alle gleichermassen (gar universell) gegeben ist.
Nach der abendl¨ andischen Konzeption von Musik kann dieses statische System erworben werden. Dazu gesellt sich die nativistische Annahme, musikalische Begabung sei weitgehend angeboren und nur Wenigen vorbehalten (s. die Diskussion bei Noy 1968). Diese Sichtweise r¨ uhrt wohl auch daher, dass die abendl¨andische Musik u ber eine hochentwickelte Schriftkultur verf¨ ugt, die das Konzept des ¨ Autors“ sehr hoch bewertet. Die ausgepr¨ agte Verschriftlichung und damit ” verbundene Produktions- und Rezeptionsmechanismen f¨ ur Musik bewirken ein Aufbrechen des Musikbegriffs: Entsprechend zur Verschriftlichung von Sprache entwickelt sich ein Distanz- und ein N¨ahesystem (nach Oesterreicher 1988) f¨ ur musikalische Erscheinungen. In der Sprachwissenschaft wird als Distanzsprache“ oder konzeptuelle Schriftlichkeit“ sol” ” ches sprachliche Verhalten eingeordnet, das nicht emotional oder spontan ¨ ist, in der Offentlichkeit stattfindet, eine hohe Reflektiertheit und geringe Kooperation zwischen den Kommunikationspartnern erfordert. N¨ahe” sprache“ oder konzeptuelle M¨ undlichkeit“ ist als Gegenpol zu sehen, fin” det vor allem im privaten Umfeld statt und setzt sowohl r¨aumlich-zeitliche N¨ ahe, als auch die emotionale Beteiligung der Kommunikationspartner voraus (Koch & Oesterreicher (1990, S.1-17), Koch & Oesterreicher 1985). Eine Entwicklung von Distanz- und N¨ahekriterien f¨ ur die Musik w¨ are sicherlich ein fruchtbares Forschungsfeld. Die Wissenschaftsdisziplinen besch¨ aftigen sich traditionell vorwiegend mit der musikalischen/sprachlichen Hochkultur“, also mit den Distanz” systemen in Musik und Sprache, deren Reinformen – auch in ihren gesellschaftlichen Funktionen und ihrer historischen Entwicklung – weit aus1
Vgl. z.B. Georgiades (1958) zum umfassenden Konzept der ‘musik´e’ bei den Griechen, die Tanz, Poesie und Gesang beinhaltet, oder dem swahilischen ‘ngoma’, das in Tansania ebenfalls gleichzeitig Tanz-Gesang-Ritual bedeutet, s. Bjørkvold (1990).
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Singen: Zwischen Musik- und Sprachprosodie
einander zu liegen scheinen. Der soziale Kontext und der kreative Aspekt beim Aus¨ uben und Konstruieren” von Musik und Sprache werden dabei ” oft vernachl¨ assigt. Den Erscheinungen der N¨ahe, die in der Musikwissenschaft im Fokus der Volksmusikforschung oder Musikethnologie, in der Linguistik im Fokus der Variet¨ aten- und Soziolinguistik stehen, kommt hingegen in beiden Disziplinen ein geringerer Stellenwert zu. Im N¨ahekontext spielt die Verkn¨ upfung von Musik und Sprache im Singen jedoch eine große Rolle, hier sind vielf¨ altige Verbindungen zu erwarten. Der Unterschied zwischen Sprache und Musik wird in vielen Abhandlungen in etwa so zugespitzt, wie es Deutsch et al. (2003, S.461) tun: Was Musik im Allgemeinen und Singen im Besonderen auszeichnet und von Sprache unterscheidet, sind tonale Strukturen, die in ihrem zeitlichen Ablauf genauer als Sprache gegliedert sind. Genau wie Sprache unterliegen sie Regeln und Konventionen, die allerdings anders als bei der Sprache keine symbolisch ausgedr¨ uckten Bedeutungen vermitteln, sondern einen unmittelbaren Zugang zur Welt der Gef¨ uhle im Menschen haben.
Eine gegens¨ atzliche Position nimmt Meschonnic (1982, S.135) ein, indem er diese psychologisation de la musique“ als “un mythe antilinguis” tique d’une communication enfin sans langage” kritisiert. Erstrebenswerter sei es seiner Ansicht nach, das spezifisch Musikalische und spezifisch Sprachliche zu untersuchen und dabei an das jeweilige System angepasste Theorien zu entwickeln. Beide hier aufgef¨ uhrten Denkans¨atze zu Sprache und Musik gehen im Grunde davon aus, dass es sich um getrennte, voneinander unabh¨ angige Systeme handelt2 . Dies liegt sicherlich auch an der abendl¨ andischen Vorstellung, dass Musik in der Regel Instrumentalmu¨ sik sei. Nettl (1983, S.23f) gibt allerdings nach einem Uberblick u ¨ber Musikdefinitionen zu bedenken: If music can be defined, it cannot easily be circumscribed, its boundaries are unclear, and one may have to accept certain phenomena as both music and something else, the latter usually being language. Indeed, since so much music is singing with words, we may have to consider the possibility that it is not, after all, really separable from language.
Ich m¨ ochte das hier zugrundeliegende Verst¨andnis von Sprache und Musik an zwei Punkten festmachen. Erstens wird das ‘monolithische System’ in den Hintergrund gestellt und das Prozesshafte, Kreative, ‘Parole’ und Performanz von Sprache und Musik, betont. Um mit Wilhelm von Humboldt (1836/1949, S.44) zu sprechen: 2
Auch in der psycholinguistischen Literatur wird hier oft modularen Systemen ausgegangen, vgl. z.B. Peretz & Coltheart 2003. Zur Diskussion s.a. McMullen & Saffran (2004).
Prosodie
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Die Sprache [Musik, Anm.d.Verfassers], in ihrem wirklichen Wesen aufgefaßt, ist etwas best¨ andig und in jedem Augenblick Vor¨ ubergehendes. Selbst ihre Erhaltung durch die Schrift ist immer nur eine unvollst¨ andige, mumienartige Aufbewahrung, die es doch erst wieder bedarf, dass man dabei den lebendigen Vortrag zu versinnlichen sucht. Sie selbst ist kein Werk (Ergon), sondern eine T¨ atigkeit (Energeia).
Daher wird in dieser Arbeit weniger von Sprache und Musik die Rede sein als vom Sprechen und Singen. Auch auf den weitgehend normativen und aus der Schriftliteratur stammmenden Begriff des Kinderlieds“ (s.a. ” Abschnitt 3.1.1) soll hier weitgehend verzichtet werden. Zweitens erscheint es ratsam, vorsichtig mit den Begriffsinventaren der beiden Wissenschaftsdisziplinen umzugehen. Fragen, welche Syntax in der Musik zu gelten hat (Lehrdahl & Jackendoff 1983) oder wie man in Dur oder Moll spricht (Schreuder 2006), f¨ uhren oft zu unvollkommenen Ergebnissen oder wirken sehr k¨ unstlich (s. Kritik an der generativen Theorie tonaler Musik bei Bradter 1998), da sie ganz bestimmten Anforderungen und Definitionen der jeweiligen Disziplin unterliegen. Vielmehr m¨ ochte ich meinen Blick auf die gemeinsame klanglich-lautliche Basis sowie gemeinsame Wahrnehmungs- und Verarbeitungsprinzipien richten.
2.2
Prosodie
Der Begriff Prosodie, der aus dem Griechischen stammt und das Da” zugesungene“ bedeutet, bezeichnet zun¨ achst alle lautlichen Prozesse und Strukturen von Sprache die u ¨ber den Einzellaut hinausgehen, sogenannte Suprasegmentalia. Durch sie ist es dem H¨ orer m¨oglich, gr¨oßere lautlichklangliche Muster, Gruppen und Gestalten zu bilden. Solche Prozesse und Strukturen gibt es in Musik und Sprache, weswegen ich im Folgenden auch von Musik- und Sprachprosodie sprechen werde. 2.2.1
Prosodische Substanz
Im Singen und Sprechen ist die prosodische Substanz an die M¨oglichkeiten der menschlichen Stimme gebunden und hat damit gleiche artikulatorische Ursachen. Die relevanten Parameter sind in Tabelle 2.1 dargestellt. Tillmann & Mansell (1980, S.108ff) entwerfen ein Modell prosodischer Erscheinungen, das alle lautlichen Ph¨ anomene der Sprache umfasst. Sie analysieren sprachliche prosodische Substanz dreifach und zwar als A-, B- und C-Prosodie. Darunter ist zu verstehen, dass sich eine sprachliche Schall- bzw. Lautsequenz phonetisch in verschiedene Ebenen gleichzeitig
18
Singen: Zwischen Musik- und Sprachprosodie Artikulatorisch Stimmlippenschwingung pulmonaler Druck Dauer Oberschwingungen
Akustisch F0 Amplitude (Intensit¨ at) Zeit Spektrum
Perzeptiv Tonh¨ ohe Lautst¨ arke Dauer Klangfarbe
Tabelle 2.1: Phonetische Basis prosodischer Erscheinungen
ablaufender Ereignisse zerlegen l¨ asst. Jede dieser Ebenen weist eine an¨ dere Geschwindigkeit auf. Langsame Anderungen der Eigenschaften der Lautsequenz, wie z.B. intonatorische Bewegungen und Akzente, k¨onnen wir bewusst beobachten, sie geh¨ oren der A-Prosodie an. Die Merkmale, die A-prosodisch relevant sind, werden artikulatorisch vor allem durch die Bewegungen der Brust/Lungenmuskulatur und durch den Kehlkopf ver¨ andert. Die sozusagen makroskopisch beobachtbare A-Prosodie u ¨berlagert einerseits die mikroskopische C-Prosodie, deren Ver¨anderungen sehr schnell ablaufen und vor allem durch die Artikulatoren und die Stellungen des Ansatzrohrs sowie des Kehlkopfs bedingt sind. Hierunter f¨allt die intrinsische dynamische und spektrale Struktur von Sprachlauten wie z.B. die einzelnen Phasen eines Plosivs, Formant¨ uberg¨ange zwischen Vokalen und Konsonanten oder die intrinsische Lautst¨arke von Phonen. Andererseits nehmen Tillmann & Mansell (1980) eine weitere Ebene als Mittler zwischen dieser mikro-und makroskopischen Ebene an, die B-Prosodie. ¨ Sie betrifft die Eigenschaften und Anderungen von Silben in der lautlichen Ereignissequenz, insbesondere deren vokalischen Anteile und ist z.B. f¨ ur die Beschreibung von sprachrhythmischen Aspekten relevant. A-, B-, C- Prosodie stehen in einem engen Wechselverh¨altnis zueinan¨ der. Die A-Prosodie steht im Dienste semantischer Inhalte von Außerungen, dadurch werden wichtige Silben B-prosodisch st¨arker hervorgehoben, was dazu f¨ uhrt, dass diese auch C-prosodisch deutlicher artikuliert sind. Inwieweit diese sprachprosodische Beschreibung auf Musik u ¨bertragbar ist, ist weitgehend ungekl¨ art. Im Singen jedoch – im Gegensatz zu rein instrumentaler Musik – spielen die sprachprosodischen Ebenen in jedem Fall eine Rolle, da Lautsprache ein wesentlicher Bestandteil eines Liedes ist. Die prosodische Struktur bildet also eine erste Vergleichsgrundlage zwischen gesprochenem und gesungenem Input, wobei gekl¨art werden muss, in welcher Weise sich A-, B- und C-prosodische Ph¨anomene im Gesungenen unter dem gleichzeitigen Einfluss von Musik- und Sprachprosodie ver¨ andern.
Prosodie
2.2.2
19
Prosodische Prominenz
Die A-Prosodie dient – wie wir eben gesehen haben – der Konturierung von ¨ Außerungen, der Hervorhebung wichtiger und der Abschw¨achung unwe¨ sentlicher Außerungsbestandteile. Diese Konturierung entsteht dadurch, dass wichtige Bestandteile mehr Prominenz erhalten, so dass sie sich phonetisch von ihren Umgebungen abheben. Sie stehen dadurch in einem Kontrast-Verh¨ altnis zu ihrer Umgebung und sind f¨ ur den H¨orer dank der Wahrnehmungsprinzipien unseres H¨ orsystems (s. z.B. Wertheimer 1923) leichter zu erkennen. Prominente Einheiten erhalten dadurch mit gr¨ oßerer Wahrscheinlichkeit die Aufmerksamkeit des H¨orers. Sie bewirken die Ordnung und Gruppierung von weiteren Elementen ihrer Umgebung, haben eine bestimmte Bindungskapazit¨ at und dominieren andere Elemente. Das Besondere an prosodischer Prominenz ist, dass das Geh¨or unmittelbar auf Intensit¨ ats-, Dauer-, Tonh¨ ohen- und spektrale Kontraste im akustischen Signal reagiert. Sie wirkt also unwillk¨ urlich aufmerksamkeitssteuernd und ist – vorausgesetzt das Geh¨or ist normal entwickelt – unabh¨ angig vom Vorwissen eines H¨ orers. Deswegen kann sie, wie wir im Kapitel 3 sehen werden, einem Kleinkind ebenso als erster Ansatzpunkt zum Erlernen einer Sprache dienen wie einem erwachsenen Sprachlerner. Sprachlich gibt es weiterhin syntaktisch und lexikalisch prominente Einheiten. Daf¨ ur wurde in der linguistischen Literatur der Begriff Kopf“ ” eingef¨ uhrt. Anders als bei sprachprosodischen Prominenztr¨agern/K¨opfen sind diese grammatischen K¨ opfe f¨ ur den H¨ orer nicht unmittelbar zug¨anglich. Hier ist erhebliches Vorwissen n¨ otig, um die Aufmerksamkeit auf die richtigen Einheiten zu lenken (s.a. stellvertretend die Diskussion um die unterschiedlichen Merkmale syntaktischer K¨opfe bei Zwicky 1993). Zwischen lexikalischen, syntaktischen und prosodischen Prominenztr¨agern ergibt sich ein interessantes Zusammenspiel. So sind z.B. nicht morphosyntaktische K¨ opfe, sondern lexikalische K¨ opfe prosodisch prominent: Inhaltsw¨ orter werden im Sprechen, besonders im kindgerichteten Sprechen, hervorgehoben, Funktionsw¨ orter sind fast immer unbetont. Auch gibt es einen Zusammenhang zwischen der Wortstellung in einer Sprache und der prosodischen Prominenz: Je nach Kopfdirektionalit¨at ergibt sich ein spezifisches Betonungsmuster, da das Komplement (z.B. Objekt) prosodisch prominent ist, nicht aber der Kopf (z.B. Verb, Guasti et al. 2000). Die Beziehungen zwischen grammatischen und prosodischen K¨opfen sind also regelhaft, aber in den Prominenzbeziehungen gewissermaßen spiegelverkehrt (Selkirk 1980). Dies ist der Grund, warum das Verh¨altnis von Syntax und Phonologie so kontrovers diskutiert wird. Dennoch geben prosodische K¨ opfe Hinweise auf das Vorhandensein und die Grenzen der f¨ ur beide Ebenen wichtigen hierarchischen Einheiten: z.B. auf phonologische W¨orter
20
Singen: Zwischen Musik- und Sprachprosodie
sowie freie Morpheme, auf phonologische Phrasen sowie Satzglieder, S¨atze ¨ und Außerungen. Einem sprachlernenden Kind kann dies hilfreich sein, um die Form der Sprache aus der Substanz heraus zu entdecken.
2.3
Singen als poetische“ Strukturgebung ”
Singen mit Worten stellt eine sehr spezielle Verbindung von Musik- und Sprachprosodie dar, die in dieser Arbeit ausf¨ uhrlich untersucht wird. Nach Aussage von Freitag (2001, S.143f) sind im Lied Text und Musik in einem System organisiert, das sprachliche und musikalische Mittel gleich” wertig und in gegenseitiger Abh¨ angigkeit benutzt.“ Betrachten wir noch einmal kurz, was wir u ¨ber die sprachlichen und musikalischen prosodischen Mittel wissen: F¨ ur sprachliche Schalleigenschaften ist typisch, dass sie durch die menschliche Stimme erzeugt werden und eine lineare, komplexe Abfolge von Ger¨ ausch-, Klangphasen und Pausen bilden, wobei die spektrale Zusammensetzung des Schalls – je nach Stellung des Stimmtraktes – sehr schnell wechselt. ¨ Die Anderungen von sprachlichen Schalleigenschaften haben in erster Linie eine sprachlich-distinktive Funktion (Trubetzkoy 1939/1958): Durch sie werden Bedeutungen unterschieden, mit denen auf bestimmte real oder in der Vorstellung existierende Zust¨ande und Dinge verwiesen werden kann. Der H¨ orer wird bei der Analyse der lautlichen Kontraste in der sprachlichen Substanz auf ein Inventar ¨aquivalenter Bedeutungsklassen verwiesen (s. Abb.2.1), die regelhaft kombiniert werden. Die Zuordnung von lautlichen Kontrasten und Bedeutungen erfolgt willk¨ urlich und ist mit erheblichem Vorwissen verbunden3 . Die klanglich-lautliche Struk¨ tur unterliegt in rein instrumentalen musikalischen Außerungen langsameren Ver¨ anderungen als im Sprechen. Die Kontraste verweisen jedoch – im Gegensatz zum Sprechen – nicht auf willk¨ urlich zugeordnete Bedeutungen, sondern stehen in unmittelbarer Beziehung zum strukturellen System, also den Regeln und Formen, mit denen musikalische Struktur (z.B. harmonische, rhythmische Bezugssysteme) beim Musizieren aufgebaut wird. So stellt z.B. Pierrehumbert (1991, S.138) fest: Music [...] does not have an arbitrary association between form and meaning. Quite the contrary : The meaning of a musical fragment appears to be closely tied up with its melody, key, rhythm, and so on [...]. 3
S.a zum Prinzip der sprachlichen Arbitrarit¨ at die Konzeption des sprachlichen Zeichens bei Ferdinand de Saussure (1916): Cours de linguistique g´en´ erale. Ed. Payot.
Singen als poetische“ Strukturgebung ”
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Sprachliche Bedeutung Morphematische Äquivalenz ich
reit+
1. Ps
ihr
geh+
2. Ps.
sie
sieg+
3. Ps.
sie
sieg+
t
Opposition
Kombination
Kontrast
¨ Abbildung 2.1: Lautliche Kontraste der konkreten Außerung / Substanz (x-Achse) verweisen auf abstrakte sprachliche Formen, die ¨ aquivalente Bedeutungsklassen bilden.
Wiederum vereinfacht dargestellt (Abb. 2.2) f¨ uhren die verschiedenen Kombinationen von Lautst¨ arke-, Tonh¨ ohe-, Tempo-, Dauer- und spektralen Kontrasten beim Musizieren zum Aufbau eines f¨ ur dieses St¨ uck g¨ ultigen Bezugssystems von a quivalenten Klassen (z.B. Motive, die ab¨ gewandelt werden, Anfangs- und Schlusswendungen, tonale Beziehungen ¨ usw.). Die Analyse der Aquivalenzen f¨ allt dem H¨orer sicherlich leichter, wenn er die Konventionen schon kennt, die eine Gemeinschaft / Kultur f¨ ur Musik in bestimmten sozialen Kontexten vorsieht, es ist jedoch auch in einem musikalischen Idiom unge¨ ubten H¨ orern m¨ oglich, musikalische Bez¨ uge zu erkennen, w¨ ahrend dies bei sprachlichen Strukturen nicht ohne Weiteres gilt. Damit sind wir in der Lage, die besondere Verbindung von Musik und Sprache im Singen zu modellieren: Durch die Kombination musikalischer und sprachlicher Form- und Bedeutungsgebung bekommt jedes dieser bisher zweidimensionalen Systeme eine dritte Dimension, die ich mit Jakobson (1970, 1933/34) poetisch“ nenne. Diese poetische Struk” turgebung hat Jakobson (1970, 1933/34) ausf¨ uhrlich f¨ ur die Poesie be¨ sprochen. Sprachlich zeichnet sich eine poetische Außerung dadurch aus, dass das Wort als Wort und nicht als bloßer Repr¨ asentant des benannten Objekts oder als Gef¨ uhlsausbruch empfunden wird. Dadurch, daß die W¨ orter und ihre Zusammensetzung, ihre Bedeutung, ihre ¨ außere und innere Form nicht nur indifferenter Hinweis auf die Wirklichkeit sind, sondern eigenes Gewicht und selbst¨ andigen Wert erlangen. Jakobson (1970, 1933/34, S.20)
22
Singen: Zwischen Musik- und Sprachprosodie
''2 '
Kontrast Kombination Opposition
lautliche Äquivalenz musikalische Bedeutung ¨ Abbildung 2.2: Akustische Kontraste der konkreten Außerung / Substanz (x-Achse) f¨ uhren zum Aufbau eines Bezugssystem struktureller mu¨ sikalischer Aquivalenzklassen.
¨ Dies wird erreicht, indem die beiden oben dargestellten Aquivalenz-Prinzi¨ pien (lautliche und morphematische Aquivalenz) miteinander kombiniert werden. Dazu Jakobson (1960, S.358): The poetic function projects the principle of equivalence from the axis of selection into the axis of combination. Equivalence is promoted to the constitutive device of the sequence. In poetry one syllable is equalized with any other syllable of the same sequence; word stress ist assumed to equal word stress as unstress equals unstress; [...]
An der ersten Strophe eines Gedichtes von Heinrich Heine4 demonstriert sieht die dritte Dimension des Poetischen wie in Abb. 2.3 gezeigt aus. Im ¨ Gedicht entstehen durch die Aquivalenzen der lautlichen Struktur Klassen von Prominenzkonturen, die in der Metrik Hebungen, F¨ uße, Reime, Verse usw. genannt werden. Diese Klassen sind stark an sprachprosodische M¨ oglichkeiten gekoppelt5 . Im Singen sind dank der kombinierten sprachund musikprosodischen Struktur, die zus¨ atzliche tonal-harmonische oder 4
5
Sie saßen und tranken am Teetisch/ Und sprachen von Liebe viel./ Die Herren, die waren ¨ asthetisch/ die Damen von zartem Gef¨ uhl. Zum Beispiel zu finden in: Deutsche Gedichte. Eine Anthologie. Hg.v. Dietrich Bode. Stuttgart: Reclam, S. 177. Wie z.B, Noel (2003) anhand der Geschichte des Hexameters in Deutschland eindr¨ ucklich zeigt, sind die metrischen Systeme prosodisch verschiedener Sprachen nicht ohne weiteres u ussen dementsprechend angepasst ¨bertragbar und m¨ werden. Im Laufe der Zeit ist auch immer wieder angenommen worden, dass sich musikalische Erscheinungen nach sprachlichen Gegebenheiten richten k¨ onnten (z.B. Rousseau 1989; Wundt 1911; Cross 2003).
Prosodische Strukturen in Musik und Sprache
23
Morphemklassen (Äquivalenz) ich wir hock-(PAST) 1.Ps. oder sie sitz- (PAST) 3.Ps. und
sie und Die die Die Klasse ‚betont‘ (lautliche Äquivalenz)
saß spra
Her Da Lie
be
en chen
und von
Opposition
Kombination
ren die men von muss
Kontrast
Abbildung 2.3: Die poetische dritte Dimension im Sprechen anhand eines Gedichtes von Heinrich Heine
¨ metrisch-rhythmische Bez¨ uge zul¨ asst, sogar vielf¨altigere lautliche Aqui¨ valenzen denkbar. Ob diese Aquivalenzen im Singen auch Hinweise auf sprachliche Klassenbildung geben, wird in den empirischen Untersuchungen in den Kapiteln 5 bis 9 anhand der Sprachen Deutsch, Russisch und Franz¨ osisch betrachtet werden.
2.4
Prosodische Strukturen in Musik und Sprache
Im folgenden Abschnitt werde ich die lautlichen Charakteristika wichtiger sprach– und musikprosodischer Strukturen – vereinfachend – miteinander vergleichen. Gleichzeitig werden die sprachprosodischen Besonderheiten des Franz¨ osischen, Deutschen und Russischen dargestellt. Anschließend erfolgt der Versuch einer Einordnung dieser Strukturen in das hier verwendete Modell von Tillmann & Mansell (1980, S.108ff) der A-, Bund C-Prosodie.
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Singen: Zwischen Musik- und Sprachprosodie
2.4.1
Kleinste Kategorien: Phoneme und T¨ one Phoneme
Phoneme sind die kleinsten bedeutungsunterscheidenden Einheiten der Sprache und gleichzeitig B¨ undel von vorwiegend artikulatorisch definierten distinktiven Merkmalen (vgl. Jakobson et al. 1952; Jakobson & Halle 1956/1971; Chomsky & Halle 1968). Phoneme werden kategorial wahrgenommen. Alle tats¨ achlich artikulierten Exemplare eines Phonems bilden die Kategorie wobei es sehr gute Vertreter und randst¨andige Exemplare gibt, die auch schlechter in die Kategorie eingeordnet werden k¨ onnen (s. Abschnitt 3.1.2). Allerdings sind Phoneme keine prim¨aren perzeptuellen Einheiten, sondern werden ganzheitlich in gr¨oßeren Strukturen, vor allem in Silben, wahrgenommen (Savin & Bever 1970). Jede Sprache verf¨ ugt u ¨ber ein (mehr oder weniger gut) abgrenzbares Phoneminventar. Das umfangreichste6 Konsonantensystem der drei Untersuchungssprachen in dieser Arbeit weist das Russische mit 34-36 Phonemen inklusive Affrikaten auf. Daf¨ ur z¨ ahlt es lediglich sechs Vokalphoneme, die in unbetonter Position auf das prim¨ are Vokaldreieck /a, i, u/ reduziert werden (Bondarko 1998). Das Deutsche wird mit 19 bis 24 (inklusive Affrikaten) Konsonantenphonemen beschrieben. Das Vokalsystem ist in der Einordnung sehr problematisch, die Zahl der Vokalphoneme kann je nach theoretischem Standpunkt zwischen acht und 16 Vokalen plus drei Diphthonge schwanken (z.B. Hall 2000 vs. Vennemann 1991). Das standardfranz¨osische7 Konsonantensystem ist am wenigsten komplex (Delattre 1965; Meisenburg & Selig 1998). Es weist zwischen 17 und 20 Konsonantenphoneme auf. Bemerkenswert am Franz¨ osischen ist das große Vokalsystem, das zwischen 10 und 16 Vokalphoneme beinhaltet8 . Umstritten ist, ob die Gleitlautverbindungen [wa], [w˜E] und [űi] als Diphthonge gewertet werden sollen (Meisenburg & Selig 1998). T¨ one Ein Großteil der Vokal- und Instrumentalmusik (außer z.B. Perkussionsmusik) baut auf abgrenzbaren Toninventaren bzw. Tonskalen auf (vgl. F¨ odermayr 1998). T¨ one sind durch den Parameter Tonh¨ohe definiert, der sich wiederum zusammensetzt aus dem Chroma eines Tons (Farbigkeit, Lage innerhalb einer Oktave) und seiner Helligkeit (Lage der Oktave, 6 7 8
Dies ist auf die ausgepr¨ agte Opposition zwischen palatalisierten und nichtpalatalisierten Konsonanten zur¨ uckzuf¨ uhren. F¨ ur das S¨ udfranz¨ osische, das in dieser Arbeit eine Rolle spielt, wird ein kleineres Vokalsystem angenommen, vgl. Durand (1992). Eine Sprache, die beinahe ebenso viele Vokale wie Konsonanten hat ist typologisch gesehen selten (Maddieson 1984). Mitunter liegt das daran, dass das Franz¨ osische auch Nasalvokale hat.
Prosodische Strukturen in Musik und Sprache
25
Cross et al. 2001; Winckel 1966; Rakowski 1999). Jakobson (1969) hat diese beiden Kategorien zur Beschreibung des prim¨aren Vokaldreiecks genutzt: Dabei bilden die Phoneme /i/ und /u/ die Helligkeitsachse (/i/ hell, /u/ dunkel) w¨ ahrend zwischen maximal geschlossenen Vokalen und maximal ge¨ offneten Vokalen das Chroma ausschlaggebend f¨ ur die Vokalqualit¨ at ist. /a/ ist maximal chromatisch, /i/ und /u/ sind hingegen achromatisch. T¨ one sind den Vokalen der Sprache am ehesten vergleichbar, da sie ebenfalls periodische Schwingungen sind. T¨ one werden ebenso wie Phoneme kategorial wahrgenommen. In der abendl¨ andischen Musik bilden Halbtonschritte neue Kategorien, andere Systeme kennen auch Viertelt¨ one (z.B. arabische Musik). Ein weiteres Merkmal der Toninventare ist es, dass die Zahl der konstitutiven T¨one der Skalen zwischen f¨ unf und sieben schwankt9 und dass diese in unregelm¨aßigen Abst¨ anden aufeinanderfolgen. So sind die zwei Viertongruppen der siebenstufigen Tonleiter auf drei Ganztonschritten und einem Halbtonschritt aufgebaut. Tonh¨ ohen werden auch in der Sprache genutzt, um Bedeutungen zu unterscheiden. Die Tonh¨ ohenkategorien sind hier allerdings viel gr¨ ober als in musikalischen Systemen und weniger stabil. Die hier untersuchten Sprachen sehen keine Kategorie Ton in ihrem phonologischen System vor. 2.4.2
Kleinste Zeitstrukturen: Silben und Intervalle Silben
Die Silbe wird meist als phonotaktische Einheit definiert, in der die Abfolge der einzelnen Phone geregelt ist. Sie ist die kleinste Einheit der prosodischen Hierarchie, die wahrscheinlich alle Sprachen besitzen10 (vgl. Nespor 1999). Die Definition der Silbe erweist sich f¨ ur Phonologen und Phonetiker als schwierig. Als Metriker hat Heusler (1956, S.16) eine treffende Beschreibung gefunden, die sich auch mit Perzeptionsstudien (Bertoncini et al. 1988, 1995) deckt: Silben sind Lautmassen, die der ” H¨ orer als zeitlich unteilbar empfindet; letzte Zeiteinheiten der geh¨orten Rede.“ Der prominente Teil einer Silbe ist ihr Kern oder Nukleus. Die Eigenschaft, die ihn im Vergleich zu seiner Umgebung auszeichnet, ist seine Sonorit¨ at11 . Welche Laute den Kern besetzen k¨onnen, ist in den Sprachen 9
10 11
Eine interessante Parallele: Auch die prim¨ aren Kardinalvokale belaufen sich auf acht, die Vokalsysteme der Welt beruhen zum Großteil auf nicht mehr als f¨ unf Vokalen, s. Maddieson (1984). Die More spielt hingegen nur in quantit¨ atssensitiven Sprache eine Rolle. Dieses Konzept bezeichnet die wahrgenommene Schallf¨ ulle oder Lautheit eines Lautes und ist somit psychoakustischer Natur. Je sonorer ein Laut, desto eher ist er als Silbenkern geeignet.
26
Singen: Zwischen Musik- und Sprachprosodie
der Welt unterschiedlich geregelt. Alle lassen in dieser Position Vokale zu. Das Deutsche erlaubt zudem Nasale (/m, n/) als auch Liquide (/r, l/) in unbetonter Position. Im Franz¨ osischen werden Liquide nach SchwaTilgung wie in quatr oder tabl in unbetonter Position ebenfalls als silbisch behandelt. Russische Phonetiker (z.B. Bondarko 1998, S.212) gehen davon aus, dass sowohl Liquide als auch Plosive silbisch sein k¨onnen, dies allerdings nur am absoluten Phrasenende. Die Zahl der Silben ist leicht an der Zahl der Silbenkerne zu erkennen. Die Grenzen einer Silbe sind hingegen nicht immer eindeutig zu bestimmen. Zum einen h¨ angt die Silbifizierung in manchen Sprachen (so z.B. im Deutschen und Russischen) von morphologischen Bedingungen ab, zum anderen verschieben sich die Silbengrenzen je nach Sprechtempo und Artikulationssorgfalt (Laeufer 1995, 1991; Adda-Decker et al. 2005 f¨ ur das Franz¨ osische und Deutsche). Meist sind die R¨ander einer Silbe jedoch da zu suchen, wo ein Minimum an Sonorit¨at herrscht. W¨ ahrend das Deutsche eher diffuse Silbengrenzen (ambisilbische Konsonanten, Silbenschnitt, vgl. Kapitel 6) und vorwiegend geschlossene Silben aufweist, haben sowohl das Franz¨ osische (z.B. Wioland 1985; Delattre 1965) als auch das Russische (Akademia-Nauk 1980, S.22ff, Bondarko 1969, S.20) eine Tendenz zur offenen Silbe, wobei im Franz¨osischen die einfache CV-Form die pr¨ aferierte ist. Im Deutschen und Russischen sind die Silbenformen komplex: Konsonantencluster im Onset k¨onnen im Russischen bis zu vier, im Deutschen bis zu drei Konsonanten umfassen, im Reim sind in beiden Sprachen bis zu vier Konsonanten zu finden (Kohler 1995; Bondarko 1998). Eine weitere Unterscheidung, die die Silbe involviert, ist die zwischen schweren und leichten Silben. Weder das Franz¨osische noch das Russische weisen diese Strukturen auf. Im Deutschen ist umstritten, ob von schwe´ry 2001; ren und leichten Silben auszugehen ist (Vennemann 1991; Fe Wiese 1996). Langvokale sind im Deutschen erlaubt, jedoch ausschließlich in betonter Position, was eine phonologisierte L¨angenunterscheidung ¨ im Deutschen eher unwahrscheinlich macht (Uberblick bei Becker 1998). Vennemann (1991) fasst dieses Ph¨ anomen unter der suprasegmentalen Eigenschaft ‘Silbenschnitt’ (s. Kap.6). W¨ ahrend in den Sprachen der Welt maximal drei phonologisch relevante L¨ angendistinktionen unterschieden werden (z.B. im Estnischen, Ross & Lehiste 2001), gibt es in der Musik vielf¨altiger geregelte Dauerverh¨ altnisse. Dies trifft jedoch vor allem auf klassische Musik zu, in der Volksliedtradition u ¨berwiegen ebenfalls zwei und drei Dauerunterscheidungen (Stadler Elmer 2002, S.120). Dauerunterscheidungen in der Musik werden u ¨ber den Vergleich mehrerer tonaler Ereignisse“ in einer ” zeitlichen Umgebung getroffen.
Prosodische Strukturen in Musik und Sprache
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Tonale Ereignisse und Intervalle Das Konzept Ton“, wie es oben beschrieben wurde, ist noch nicht ausrei” chend, um die kleinsten musikalischen Bausteine zu beschreiben. Bisher handelt sich um ein abstraktes Tonh¨ ohensignal ohne zeitliche Ausdehnung. Der Begriff Note“ umfasst zus¨ atzlich eine zeitliche Vorstellung, ” wirkt aber leider missverst¨ andlich, da Note“ (ebenso wie Buchstabe“ ” ” in der Sprache) zuerst einmal die verschriftete Form von musikalischen Ph¨ anomen bezeichnet. Die intendierte oder konkrete zeitliche Ausdehnung eines Tones, hier rhythmischer Wert“ genannt, ergibt sich erst im ” Verh¨ altnis zu anderen T¨ onen, also im Kontext mindestens eines Intervalls. Ich m¨ ochte die Kombination der beiden Parameter Tonh¨ohe (Helligkeit + Chroma) und rhythmischer Wert im Folgenden als tonales Ereignis“ be” zeichnen. Im Gesang werden nicht T¨ one und Phoneme, sondern tonale Ereignisse und Silben miteinander verbunden. Diese Verbindung wird im Kap. 6 genauer unter die Lupe genommen. Intervalle bilden die kleinsten Prominenzstrukturen in der Musik. Sie bestehen aus mindestens zwei tonalen Ereignissen, die nacheinander oder simultan erklingen k¨ onnen. Jedes tonale Ereignis kann dabei der Kopf bzw. Bezugston des Intervalls sein. Das kleinste Intervall ist die Prime, bei der zwei tonale Ereignisse mit der gleichen Tonh¨ohe erklingen. Im monophonen Gesang ist die Prime nur im sukzessiven Melodieverlauf erkennbar, in polyphoner Musik k¨ onnen die einzelnen tonalen Ereignisse simultaner Primen auch durch die unterschiedlichen Klangf¨arbungen von Instrumenten oder Stimmen geh¨ ort werden. Von einem Intervallschritt spricht man erst, wenn die T¨ one der tonalen Ereignisse einen Sekundschritt (also ein oder zwei Halbt¨ one) auseinanderliegen, von einem Intervallsprung, wenn die T¨ one mehr als eine Sekunde auseinanderliegen (Ziegenr¨ ucker 2004, S.78). Es gibt prominentere Intervalle und weniger prominente. Die entscheidende Eigenschaft dabei ist die Konsonanz bzw. Dissonanz des Intervalls. Zu den in den musikalischen Systemen der Welt prominenten Intervallen geh¨ oren die Oktave und die Quinte (Schellenberg & Trehub 1996). Sie werden als sehr konsonant und sehr ¨ ahnlich empfunden. Zugleich lassen sich prominente Intervalle durch einfache mathematische Verh¨altnisse beschreiben (z.B. Oktave 2:1). Je dissonanter ein Intervall desto komplexer das Verh¨ altnis (z.B. Tritonus 45:32). Die Prominenz (bzw. Konsonanz) eines Intervalls h¨angt mitunter von der hierarchischen Stellung der beteiligten T¨ one ab. In dem Modell von Krumhansl (2005) sind die verschiedenen Tonstufen einer Tonleiter (und damit die durch sie repr¨ asentierten Intervalle bezogen auf den Grundton) untereinander hierarchisch geordnet. Hochrangige T¨one wie auf der Quint-
28
Singen: Zwischen Musik- und Sprachprosodie
oder Oktavstufe12 werden als einander ¨ ahnlich geh¨ort. Ein Tonpaar wird als zusammengeh¨ orig empfunden, wenn der zweite Ton hierarchisch h¨oher, d.h. stabiler, ist. Prominenzverh¨ altnisse im Intervall sind also dadurch geregelt, [...], dass jeder Ton von einem Ton gr¨ oßerer Stabilit¨ at [...] angezogen wird bzw. die Erwartung besteht, dass ihm als Aufl¨ osung ein Ton gr¨ oßerer Stabilit¨ at folgt. (Krumhansl, 2005, S.272)
Das h¨ aufigste Intervall, auf das Lied-Melodien aufbauen, umfasst meist nicht mehr als drei bis vier Halbt¨ one, eher noch weniger (F¨ odermayr 1998, Nettl 1983, S.39f, Schellenberg et al. 2002). Hierarchisch hohe T¨ one sind in Liedern h¨ aufiger und l¨ anger zu h¨oren. In instrumentaler Auff¨ uhrungspraxis werden sie zus¨ atzlich mit mehr Vibrato und lauter gespielt, die vorangehenden T¨ one bilden oftmals ein Crescendo (Sundberg 1991b). Schlusswendungen von musikalischen St¨ ucken (Kadenzen) sind stets mit hierarchisch hohen T¨ onen besetzt. In der abendl¨andischen Musik (ebenso in der deutschen und franz¨ osischen Folklore) ist die h¨aufigste Kadenz ein Quintsprung von der V. Tonstufe, der Dominante einer Tonart zum Grundton, I. Stufe, Tonika. Moll-Lieder enden auch auf der Dominante (Ziegenr¨ ucker 2004). In der russischen Folklore sind tonale Verh¨altnisse wesentlich variabler als im westeurop¨aischen Kontext: Kadenzen sind nicht so stark reglementiert, die Tonalit¨ at eines Liedes ist instabiler und verschiedene Abschnitte k¨ onnen durchaus wechselnde Grundt¨one aufweisen (Waldmann 1998; Zemtsovsky 2001). Zudem k¨onnen – zumindest in sehr alten u ¨berlieferten Liedern – bestimmte Tonstufen (Terzen und Sekunden, Sexten), einer gewissen Ver¨ anderlichkeit unterliegen: Die Intervalle werden chromatisch ‘eingef¨ arbt’ und liegen dann entweder zwischen der großen und kleinen Form des Intervalls, was Popova (1977, S.26) neutrale“ Terz oder Sekunde nennt, oder etwas h¨oher, z.B. n¨aher ” an der Quarte als die große Terz (Zemtsovsky, 2001). Zu dieser großen tonalen Variabilit¨ at passt, dass russische Volkslieder h¨aufig zwischen Moll und Dur schwanken, was auch ein Effekt der Schichtung von großen und kleinen Terzen ist (ebd.). 2.4.3
Sprachliche Prominenzstrukturen: Fuß, Wort
Dieser Abschnitt befasst sich mit den Einheiten, die durch Gruppierung aufgrund von Akzenten (sprachlich abstrakte Form) bzw. Betonungen 12
In der russischen Volksmusik jedoch scheint die Beziehung von Grundton und Oktavstufe weniger eng zu sein (Waldmann 1998).
Prosodische Strukturen in Musik und Sprache
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(konkrete Realisierung von Akzenten in der Rede)13 auf lexikalischer Ebene entstehen. ¨ Einzelne Silben in sprachlichen Außerungen stechen f¨ ur den H¨orer dadurch hervor, dass sie betont sind. Die Betonung entsteht phonetisch durch Ver¨ anderungen in der Tonh¨ ohe, Steigerung der Lautst¨arke und/oder durch Dehnung und ist einzelsprachlich geregelt. Dehnung mit eventueller Intensit¨ atszunahme gilt als wichtigstes phonetisches Korrelat im Russischen (Stock & Velickova 2002; Kodzasov 1999; Lehfeldt 1999). Dehnung mit optionaler Tonh¨ ohenbewegung charakterisiert die Betonung im Franz¨ osischen (Lacheret-Dujour & Beaugendre 1999; Mertens 1990). Im Deutschen herrscht eine Mischung aus Intensit¨ats- und Dauerzunahme sowie Tonh¨ ohenbewegung (Koreman et al. 2008; Stock & Velickova 2002; Dogil & Wiliams 1999). Die Funktionen von Akzenten beschrieb Trubetzkoy (1939/1958). Akzente sind in einigen Sprachen bedeutungsunterscheidend (distinktive Funktion). Vor allem aber bewirkt die Betonung eine Gruppierung von Silben zu F¨ ußen, W¨ ortern und Wortgruppen, indem eine betonte Silbe als stabiler Kern unbetonte Silben zu sich hin zieht. Dabei kann die betonte Silbe, sofern sie an eine bestimmte Stelle im Wort gebunden ist, direkte Hinweise auf die Grenzen des Wortes geben (demarkative Funktion). In der Literatur gilt als konstitutive Eigenschaft von W¨ortern, dass sie genau einen Hauptakzent ( word stress“) tragen (kulminative Funktion). ” F¨ uße ¨ Im Deutschen wird die Anpassung der Betonungsst¨arken in der Außerung durch die prosodische Einheit Fuß“ geregelt. Dies ist eine rhythmische ” Einheit, die eine betonte und eine bis zwei14 unbetonte Silben umfasst. Der Sprachrhythmus des Deutschen wird als troch¨aisch-daktylisch beschrie¨ ben, dementsprechend sind auch Nebenbetonungen u ¨ber eine Außerung verteilt (z.B. Noel 2003). Ob im Franz¨ osischen und Russischen der Fuß eine Rolle spielt, ist umstritten (Dies bejahen f¨ ur das Franz¨osische zum Beispiel Durand 1992, S.223, f¨ ur das Russische van der Hulst 1999, S.50ff). Im Franz¨ osischen wird als wichtigste rhythmische Einheit die Silbe gesehen und gilt als klassische silbenz¨ ahlende Sprache nach Abercrombie (1967). Die Fußstruktur im Deutschen sorgt f¨ ur mehr oder weniger 13
14
Diese Trennung zwischen abstrakter Form und konkreter Substanz hat in der Russistik Tradition, vgl. Lehfeldt (2003), sie soll auch in dieser Arbeit angewendet werden. In der derzeitigen Forschung zur Verfußung sind tern¨ are Strukturen umstritten. van der Hulst (1999) und Hayes (1995) lehnen sie beispielsweise ab und versuchen, sie auf bin¨ are Strukturen zur¨ uckzuf¨ uhren.
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Singen: Zwischen Musik- und Sprachprosodie
Isochronie zwischen einzelnen Betonungen, nur in poetischer Sprache ist sie voll ausgepr¨ agt (Kohler 1982). Phonologisches Wort Das phonologische Wort ist eine Einheit, die mit dem lexikalischen Wort zusammenfallen kann, aber nicht muss. Dies geschieht im Deutschen regelm¨ aßig und im Russischen sehr h¨ aufig bei Simplexw¨ortern. In Komposita, die eigentlich phonologische Phrasen sind, tr¨agt jedes phonologi¨ sche Wort seinen eigenen Akzent. In der tats¨achlichen Außerung k¨onnen diese Akzente jedoch zu Nebenbetonungen werden oder sogar ganz ausfallen, besonders dann, wenn zwei akzentuierte Silben aufeinander folgen (sogenannter stress clash“). Im Deutschen sind zweigliedrige Komposita ” vor allem auf dem linken Bestandteil hauptbetont (ausf¨ uhrlich bei Kohler 1995, S.186ff), im Russischen ist es umgekehrt der rechte Bestandteil (Kodzasov, 1999, S.867). Die Komposita-Bildung im Franz¨osischen ist sehr beschr¨ ankt, folgt jedoch denselben Akzentprinzipien, die f¨ ur rhythmische Gruppen (s.u.) im Allgemeinen gelten. Der Akzent in nicht-zusammengesetzten W¨ortern wird im Deutschen als relativ fest klassifiziert, d.h. er f¨ allt zuverl¨assig auf eine der letzten drei Silben eines Wortes, wobei die P¨ anultima die bevorzugte Position zu sein scheint (Jessen 1999; Wiese 1996; Vennemann 1991). Der Kernbereich des deutschen Wortschatzes besteht u ¨berwiegend aus troch¨aischen ´ry 2001). Im Russischen ist der WortZweisilbern (Eisenberg 1991; Fe akzent frei, d.h. er folgt keiner festen Position, sondern ist vor allem morphologisch determiniert bzw. muss einfach gelernt werden (Halle 1971; Lehfeldt 2003). Allerdings gibt es eine leichte Pr¨aferenz f¨ ur die P¨anultima, besonders bei drei- und viersilbigen W¨ortern (s. Bondarko 1998, S.217). Abgeleitete Lexeme im Russischen sind immer stamm- oder endungsbetont (Lehfeldt 1999). Im Franz¨osischen wird dem Wortakzent keine große Bedeutung15 beigemessen, vielmehr wird er unter den Akzent f¨ ur rhythmische Gruppen subsumiert, der stets auf die letzte betonbare Silbe einer Gruppe f¨ allt (s.u.). Allerdings tritt mehr und mehr auch der (als emphatisch eingestufte) vor allem durch Intensit¨atszunahme und konsonantische Dehnung charakterisierte Initialakzent im Franz¨osischen zu `re 1991; Mertens et al. 2001b; VaisTage (Grammont 1933; Vaissie ` siere & Michaud 2006). 15
Davon zeugt auch der Beitrag von Rossi (1980), der in Frage stellt, ob es im Franz¨ osischen u ¨berhaupt einen Wortakzent gibt.
Prosodische Strukturen in Musik und Sprache
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Klitische Gruppe Phonologische W¨ orter k¨ onnen zu gr¨ oßeren phonologischen Einheiten zusammengefasst werden. Im Franz¨ osischen und Russischen hat sich daf¨ ur die Bezeichnung Taktgruppe“ bzw. groupe rythmique“ eingeb¨ urgert. ” ” Eine Taktgruppe im Russischen umfaßt entweder genau eine akzentoge” ne Wortform (dies ist der h¨ aufigste Fall) oder [...] noch ein Klitikon oder mehrere Klitika.“ (Lehfeldt, 1999, S.37). Diese Gruppe besteht aus einer bis neun Silben und dauert in der Produktion maximal drei Sekunden. Im Zentrum steht eine Silbe mit Wortakzent (Stock & Velickova 2002). Im Franz¨ osischen ist die Entsprechung eine groupe rythmique“ (Terminus ” und Darstellung nach Lacheret-Dujour & Beaugendre 1999; Mei16 senburg & Selig 1998 ). Sie besteht aus drei bis sieben Silben (drei `re 1991), einer bis vier Silben in der Regel in poetischer Sprache, Vaissie Wortform und mehreren Klitika und endet mit einer betonten Silbe. Taktgruppe und rhythmische Gruppe entsprechen in etwa der klitischen Grupur das pe17 der prosodischen Hierarchie von Nespor & Vogel (1986). F¨ Deutsche konnte Wiese (1996) keine Belege f¨ ur klitische Gruppen finden. Allerdings werden im Deutschen auch nach Wiese phonologische W¨orter zu neuen, gr¨ oßeren phonologischen W¨ ortern zusammengesetzt: Dies betrifft morphologisch komplexe Formen. Abgeleitete W¨orter verschmelzen mit ihren Affixen, die eigene phonologische W¨orter bilden, zu gr¨oßeren Einheiten. 2.4.4
Musikalische Prominenzstrukturen: Takt, Motiv
In der Musik dienen Betonungen zum einen der Verdeutlichung wichtiger musikalischer Ereignisse und T¨ one. Zum anderen haben sie demarkative Funktion, indem sie auf Beginn und Ende von musikalischen Ereignissen und Gruppen hinweisen. Die Grenzen k¨ onnen zeitlich definiert sein, melodisch oder metrisch. Im Zusammenspiel werden durch die verschiedenen Gruppierungsmechanismen h¨ ohere musikalische Strukturen f¨ ur den H¨orer deutlich: Motive, Themen, S¨ atze und ihre Variationen. Im Grunde gibt es in der Musik drei Hauptarten von Betonungen (nach Drake & Palmer 1993): 1. Melodische Betonungen, die durch Ver¨ anderungen in der Tonh¨ohe entstehen. Intervalle die gr¨ oßer als drei Halbt¨one sind, lassen den 16
17
Die Terminologie ist hier sehr uneinheitlich. Weitere Ausdr¨ ucke f¨ ur dieselbe Einheit sind: mot phon´etique“ (Grammont 1933), mot prosodique“ (Prosodic ” ” `re & Michaud 2006; di Cristo 1998), “groupe accentuel“ word, s. z.B. Vaissie (Mertens 2006). Die klitische Gruppe gilt als eigene phonologische Einheit/Dom¨ ane als umstritten (s. z.B. Nespor 1999). Einige Forscher ordnen Gebilde dieser Art dem prosodischen Wort zu.
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Singen: Zwischen Musik- und Sprachprosodie
zweiten Ton des Intervalls als betont erscheinen. Je gr¨oßer das Intervall, desto prominenter der zweite Ton. Weiterhin werden Akzente auf dem jeweils letzten Ton (Maximum, Minimum) einer ab- oder aufsteigenden Kontur wahrgenommen oder auf dem unmittelbar darauf folgenden Ton. Hohe T¨ one sind immer prominenter: Sie werden als lauter empfunden (Fraisse 1982) und in der Auff¨ uhrungspraxis auch lauter gespielt (Sundberg 1991b). 2. Metrische Betonungen (s.u.). Starke metrische Positionen befinden sich unmittelbar am Anfang eines Taktes und in einigen Taktarten etwa in der Mitte. Diese werden in der Auff¨ uhrung eines (instrumentalen) St¨ uckes dadurch kenntlich gemacht, dass sie lauter und l¨anger gespielt werden. Manchmal werden vorangehende T¨one (letzte Position im vorangehenden Takt) gel¨ angt, um den Beginn zu verz¨ogern (Drake & Palmer 1993). 3. Betonungen durch zeitliche Gliederung ( rhythmische Betonungen“ ” bei Drake & Palmer (1993)): Die Tendenz zum Gruppieren liegt unserem Wahrnehmungssystem zugrunde. Dabei markieren Intensit¨ atsmaxima eher den Beginn einer Gruppe, Dehnungen eher das Ende. Aus einer Folge zeitlich und auch in anderen Eigenschaften v¨ ollig gleicher Stimuli bilden Probanden Zweier- und Dreiergruppen, in denen ihnen das erste Element lauter, das letzte l¨anger erscheint (Fraisse 1982). In der Auff¨ uhrungspraxis wird diese Gruppierungstendenz dadurch unterst¨ utzt, dass Musiker direkt den ersten sonst gleicher T¨ one betonen, den letzten h¨aufig dehnen und leicht verz¨ ogert spielen (Drake & Palmer 1993). L¨angere T¨one sind prominenter und stellen zeitliche Betonungen dar. Die zeitliche Gliederung wird zus¨ atzlich durch Pausen verdeutlicht. Metrum, Rhythmus, Takt Metrische Betonungen werden im Takt geregelt. Der Takt beruht auf dem, was Cooper & Meyer (1960, S.3) Puls“ nennen: eine Folge aus ” m¨ oglichst isochron wiederkehrenden Schl¨agen. Das Metrum eines Liedes entsteht dadurch, dass bestimmte Schl¨ age betont werden, wodurch gr¨oßere Zeitabschnitte bzw. Betonungseinheiten entstehen. Oder wie Drake & Palmer (1993, S.34) es ausdr¨ ucken: Meter divides music into segments of equal duration (measures), within which a periodic alternation of strong and weak beats form a multileveled hierarchy of accents.
Takte werden in gerade und ungerade Taktarten eingeteilt. In geraden Takten stehen die betonten zu den unbetonten Z¨ahlzeiten im Verh¨altnis
Prosodische Strukturen in Musik und Sprache
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1:1 (1 betont – 1 unbetont) im ungeraden Takt im Verh¨altnis 1:2 (1 betont – 2 unbetont). Gerade im osteurop¨ aischen Raum finden wir oftmals kombinierte Takte, die aus Zweier- und Dreiereinheiten bestehen (z.B. 54 ). Die unmarkiertesten“, prototypischen Taktarten der abendl¨andischen ” Musik sind der 44 und 24 -Takt sowie der 34 -Takt. In ihnen gelten bestimmte Betonungshierarchien: In beiden Takten ist die erste Z¨ahlzeit am st¨ arksten betont (Ziegenr¨ ucker 2004). Im Viervierteltakt sind die Betonungsr¨ ange danach so gegliedert, dass auf der dritten Z¨ahlzeit eine relativ starke Nebenbetonung f¨ allt: —1 3 2 4—. Im Dreivierteltakt erfolgt die Betonung nach dem Muster —1 2 3—. Dieses Muster erf¨ahrt leichte Abwandlungen je nach musikalischem Stil: Im Wiener Walzer beispielsweise wird die erste Note zwar lauter gespielt, sie ist jedoch gek¨ urzt, daf¨ ur die zweite gel¨ angt (Gabrielsson 1999). Der Takt als Tempoeinheit bestimmt bis zu einem gewissen Maße den Bewegungsmodus eines Liedes (Seidel 1998). So treten Tempowechsel bevorzugt zwischen Takten und nicht innerhalb eines Taktes auf (Shaffer 1981). Takte oder Halbtakte sind am ehesten mit (idealen) Isochronieintervallen in der Sprache bzw. Metrik zu vergleichen: betonungsbasierte F¨ uße, die wie Troch¨ aus, Jambus bin¨ ar oder wie Daktylus, Anap¨ast tern¨ar sein k¨ onnen bzw. noch mehr unbetonte Silben umschließen (russische bzw. franz¨ osische Taktgruppe, Halbvers oder Kolon in der Metrik). Deutlich wird dies auch an der Fachterminologie. Der Taktbegriff fand sowohl Eingang in die Metrik (vor allem Heusler 1956) als auch in die Linguistik, die Fußtypologie wurde musikwissenschaftlich aufbereitet (z.B. Cooper & Meyer 1960; Lehrdahl & Jackendoff 1983; Lehrdahl 2001). Ein kurzer Einschub sei hier erlaubt: Die Abgrenzung der Begriffe Rhythmus und Metrum stellt bis heute ein Problem in der Musik-, Literatur- und Sprachwissenschaft dar (s.a. Dufter 2003; Seidel 1998). F¨ ur diese Arbeit m¨ ochte ich die Begriffe18 wie folgt verwenden: Rhythmus ist ein Gruppierungsmechanismus, der auf Prominenzverh¨altnissen innerhalb einer Ton- bzw. Silbenfolge beruht und dementsprechend dazu beitr¨ agt, dass der H¨ orer Abschnitte im Geh¨orten segmentieren kann. Metrum hingegen ist ein spezieller (rhythmischer) Gruppierungsmechanismus, der auf regelm¨ aßigen Zeitintervallen basiert und vom H¨orer als periodisch wiederkehrender Ereignis(Im)puls wahrgenommen wird. Die¨ se Begriffsverwendung macht unmittelbar deutlich, warum die Uberg¨ ange zwischen Rhythmus und Metrum fließend sind, es handelt sich wie Seidel (1998) bemerkt, nicht um Begriffsgegens¨ atze. Nach dieser Definition kann es immer Rhythmus geben, auch wenn kein offensichtliches Metrum vorhanden ist. 18
Ich richte mich hier in Ans¨ atzen nach Cooper & Meyer (1960) und Auhagen (2005).
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Singen: Zwischen Musik- und Sprachprosodie
Nat¨ urlich sind in der Musik noch andere Gruppierungsmechnismen wirksam, die in normaler Sprache weniger greifen, in poetischer Sprache hingegen sind einige dieser Mechanismen durchaus relevant. Wie Fraisse (1982) bemerkt, k¨ onnen auch Tempowechsel, Artikulationswechsel (staccato, legato), Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten in der Klangfarbe, Intensit¨ atsunterschiede (crescendo, decrescendo, piano, forte etc.) Gruppierungen und Abgrenzungen ausl¨ osen. Wie diese Betonungsstrukturen miteinander interagieren und wie der H¨ orer bei Konflikten der einzelnen Signale gruppiert und segmentiert, ist bisher nur wenig erforscht (s. Auhagen 2005). Motiv Zeitliche und melodische Betonungen spielen besonders f¨ ur die motivische Arbeit eine Rolle. Von allen Einheiten der musikalischen Hierarchie ist das Motiv dem Wort in der Sprache am ¨ ahnlichsten. Nach Ziegenr¨ ucker 2004, S.174 stellt es eine unverwechselbare, musikalisch sinnvolle Ein” heit dar.[...] Im Motiv kann das Melodische, das Harmonische, aber auch das Rhythmische u ¨berwiegen.“ Im Motiv wirken also alle oben genannten Akzentformen zusammen. In kurzen Passagen, die aus einem Motiv und seiner Fortf¨ uhrung (Anschlussglied) bestehen, realisieren Musiker besonders Betonungen der zeitlichen Gliederung, am wenigsten stabil erweisen sich melodische Betonungen (Drake & Palmer 1993). Motive sind prinzipiell nicht an Takte gebunden, ihre innere Struktur u ¨berschreitet den Taktstrich. Dennoch nehmen sie in Volksliedern, die dem klassischen“ ” Periodenbau folgen, oftmals zwei Takte ein. 2.4.5
Makrostrukturen: Phrasen, Verse, S¨ atze
Die gr¨ oßten in dieser Arbeit betrachteten Einheiten sind Phrasen. Wie in Kap. 8 ausf¨ uhrlicher dargestellt wird, gibt es verschiedene M¨oglichkeiten Phrasenstrukturen zu definieren, hier folgt daher nur eine kurze Einf¨ uhrung. Sprachprosodische Phrasen Phonologische Phrasen und Intonationsphrasen grenzen oft wichtige semantische und syntaktische Abschnitte ab. Dabei sind sie in ihrer Gr¨oße variabel: Sie k¨ onnen relativ große Abschnitte wie S¨atze oder auch einzelne Satzglieder umfassen. Konstitutives Merkmal sprachprosodischer Phrasen ist die Betonungsstruktur: Jede Intonationsphrase verf¨ ugt z.B. u ¨ber mindestens eine Hauptbetonung, die durch Tonh¨ohenbewegungen zustande kommt (im Folgenden Tonakzent“ genannt). Diese hat im Gegensatz ”
Prosodische Strukturen in Musik und Sprache
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zum Wortakzent jedoch nicht immer eine feste Position, weswegen zur Identifikation einer Phrase Grenzsignale entscheidend sind. Durch Pausen, bestimmte Tonbewegungen am Ende und vor allem Dehnungen der letzten betonten Silbe sind Intonationsphrasen leicht zu erkennen und abzugrenzen. Die Prominenz eines Tonakzentes h¨ angt im Russischen und Deutschen vor allem vom Ausmaß der Tonh¨ ohenver¨ anderung in der Phrase ab ´ry 1993; Ode ´ 2003). Innerhalb einer oder mehrerer Silben steigt der (Fe Tonh¨ ohenverlauf ins obere Sprechregister an oder f¨allt ins tiefere Sprechregister ab. Die Wahrnehmungsprinzipien, die hier gelten, sind dabei wesentlich dieselben wie oben f¨ ur melodische Betonungen in der Musik beschrieben. Wichtigstes Merkmal des nuklearen Akzents einer Phrase im Franz¨ osischen ist seine Dauer. Die Tonh¨ ohenbewegung auf dieser Silbe ist mehr oder weniger steil steigend, daher wird Franz¨osisch in der Intona`re & Michaud, 2006, tionsforschung auch als rising language“ (Vaissie ” S.49) bezeichnet. Tonakzente setzen auf Wortakzenten auf, d.h. unakzentuierte Silben erhalten nur in seltenen Ausnahmen (z.B. Kontrastakzent, besonders emphatischer Akzent) einen Tonakzent. Im Russischen hat dies zur Folge, dass Phrasenbetonungen im Vergleich zu normalen Wortbetonungen noch st¨ arker gedehnt werden (Lehfeldt 1999). Markus (2006, S.111) weist darauf hin, dass die phonetischen Korrelate f¨ ur Betonungen in lexikalischen und postlexikalischen Domainen unterschiedlich ausgepr¨agt sind, wodurch eine perzeptive Hierarchie der Betonungen im Redefluss entsteht. Die Funktion des Tonakzents im Russischen und Deutschen ist vor allem die Hervorhebung wichtiger, besonders emotionaler oder neuer In´ry 1993; Ode ´ 2003). In Kombination mit der flexiblen formation (Fe Wortstellung bietet die Intonation ein ideales Mittel, solche pragmatischen Informationen effektiv, schnell und sehr abgestuft an den H¨orer zu vermitteln. Im Franz¨ osischen sind die M¨ oglichkeiten hier eingeschr¨ankter. Daf¨ ur bietet die Intonation, wie die Arbeiten von Piet Mertens und Mitarbeitern zeigen (z.B. Mertens 1990; Mertens et al. 2001b), ein sehr gutes Abbild syntaktischer Verh¨ altnisse (vgl. Teil 3, Kap. 8.5). Musikalische Phrasen Musikalische Phrasen (auch: Satz“, seltener Satzglied“ genannt) fassen ” ” Motive zu thematischen Bl¨ ocken zusammen und machen so deren Variationen deutlich. Sie sind – ebenso wie sprachliche Phrasen (vgl. hier z.B. Fant et al. 1991; Lindbløm 1978) – durch Pausen und Dehnungen sowie tonale Merkmale (z.B. Kadenzen) am Ende abgegrenzt und in ihrer Gr¨oße variabel (s. Kap. 8). Musikalische Phrasen machen im Zusammenspiel aller musikalisch denkbaren Gruppierungs- und Betonungsmechanismen die
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Singen: Zwischen Musik- und Sprachprosodie
Dramaturgie eines Liedes, St¨ uckes aus. Durch die Anordnung, Wiederholung und Variation der Phrasen entstehen die verschiedenen musikalischen Groß- und Kleinstformen, die im Volkslied besonders vielf¨altig sind (vgl. Altmann 2001). Verse Eine Sonderform der phonologischen Phrase, der ich einen kurzen, im Anbetracht der F¨ ulle an Literatur stark vereinfachenden, Abschnitt widmen m¨ ochte, ist der Vers. Verse sind wichtige Einheiten poetischer Schreibund Sprechweise, die, wie Lotz (1960, S.135) sich ausdr¨ uckt, durch eine numerische Regulierung des phonetischen Materials“ entstehen bzw. ” die im einfachsten Fall eine metrische Form aufweisen19 . Ein Vers ist also notwendigerweise in ein (klassischerweise metrisches) System eingebunden, eine einzelne Phrase kann daher niemals als Vers bezeichnet werden (de Cornulier 1995). Mehrere Verse bilden Strophen, mehrere Strophen eine Gedichtform. Verse sind nicht nur – wie musikalische und sprachliche Phrasen – durch Pausen und Enddehnungen gekennzeichnet. Reimformen und Alliterationen, die sowohl in der franz¨osischen, russischen als auch in der deutschen Poesie Verwendung finden, signalisieren effektiv die Grenzen von (Halb)versen. Verschiedene Reimmuster verdeutlichen auch die Grenzen von Strophen. ¨ Die zeitliche Aquivalenz von Einheiten spielt beim Aufbau eines Verses eine wichtige Rolle: Unterschiedliche Versifikationen beruhen auf Einheiten aus kurzen und langen (griechisch-lateinische Metrik), betonten und unbetonten Silben (deutsche Metrik) oder auf einer bestimmten Zahl an Silben (franz¨ osische Metrik). In der deutschen Verstradition seit dem Mittelalter ist ein Vierfuß- oder Viertaktschema von besonderer Bedeutung f¨ ur den Versbau (4+4 Takte bzw. Hebungen mit F¨ ullungsfreiheit nach Albertsen 1997). Das Franz¨ osische entfernte sich von der quantitierenden Metrik des Lateinischen schnell und entwickelte ein auf Silbengruppen aufbauendes System. Als ¨ altester und auch in der Volkslyrik noch h¨ aufig anzutreffender Vers darf der 8-Silber gelten (de Cornulier 1982, Kap.1). Im Russischen wird ein troch¨ aischer Versbau mit 5+5 Akzenten als volkst¨ umliche Form diskutiert (Bailey 1995). 19
In der Definition von Lotz sind selbst freie (per definitionem nicht-metrische) Verse eingeschlossen, die, wie Lilja (2002) zeigt, ebenfalls komplexen, jedoch analysierbaren Regelm¨ aßigkeiten unterliegen.
¨ Die Aquivalenzhypothese
2.5 2.5.1
37
¨ Die Aquivalenzhypothese
Verarbeitungsbedingungen von Musik- und Sprachprosodie
Wie wir in den letzten Abschnitten gesehen haben, sind sowohl musik- als auch sprachprosodische Strukturen ¨ ahnlich hierarchisch geordnet (Abb. 2.4 u. 2.5). bXHUXQJ 3KRQRORJLVFKH3KUDVH
0DNURVWUXNWXUHQ SULPlUH3URPLQHQ]VWUXNWXUHQ NOHLQVWH=HLWVWUXNWXUHQ NOHLQVWH.DWHJRULHQ
.OLWLVFKH *UXSSH 3KRQRORJLVFKHV:RUW )X 6LOEH 3KRQHP
¨ Abbildung 2.4: Ubersicht: Sprachprosodische Hierarchie
Wie kann diese Ordnung nun auf das hier verwendete Prosodiemodell projiziert werden? Inwieweit ergeben sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Musik- und Sprachprosodie? Um diese Fragen (wenigstens skizzenhaft) zu beantworten, m¨ ussen weitere, kognitive Voraussetzungen f¨ ur die Verarbeitung der Prosodien gekl¨ art werden. Strukturelle Begrenzung Gemeinsam ist sowohl Musik- als auch Sprachprosodie, dass sie Begrenzungen unterliegen, die durch die Kapazit¨ at des (Arbeits)Ged¨achtnisses begr¨ undet sind. Diese Grenzen sind zum einen struktureller Natur. Laut dem klassischen Aufsatz von Miller (1956/1994), aber auch laut Cowan (2000) liegt die strukturelle Begrenzung vermutlich bei maximal 7 +/- 2 Einheiten. Diese magische Zahl“ finden wir in vielen der oben genann”
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Singen: Zwischen Musik- und Sprachprosodie 3HULRGH 0XVLNDOLVFKH3KUDVH
0DNURVWUXNWXUHQ SULPlUH3URPLQHQ]VWUXNWXUHQ NOHLQVWH=HLWVWUXNWXUHQ NOHLQVWH.DWHJRULHQ
0RWLY 7DNW ,QWHUYDOO 7RQ
¨ Abbildung 2.5: Ubersicht: Musikprosodische Hierarchie
ten sprachlichen und musikalischen Bereiche20 : Die konstitutiven T¨one einer Tonleiter (die Chroma-Kategorien) betragen weltweit zwischen f¨ unf und sieben T¨ onen, eine Silbe enth¨ alt selten mehr als sieben Laute, der Acht-Silber und das 4+4 Takte-Schema sind grundlegende Versschemata im Franz¨ osischen und Deutschen. Die Takt- bzw. rhythmische Gruppe im Franz¨ osischen und Russischen umfasst zwischen einer bis neun Silben und dauert nicht l¨ anger als drei Sekunden. Die achttaktige Periode gilt in der abendl¨ andischen Musik als kleinste komplexe Struktureinheit, die ein musikalisches Thema bildet. Dieses Maß hat mit Kategorienbildung und Chunking zu tun. Chunking ist ein psychischer Mechanismus. Aus diskreten Einheiten werden gr¨ oßere Informations-Pakete gebildet, damit mehr Information leichter und schneller verarbeitet werden kann. Sowohl prim¨are Kategorien21 , als auch gr¨ oßere Chunks in Musik- und Sprachprosodie, scheinen dieser Beschr¨ ankung auf 7+/-2 Einheiten in verbl¨ uffender Regelm¨aßigkeit zu unterliegen. 20
21
Phoneme widersprechen dieser Einschr¨ ankung nicht: Sie sind keine prim¨ aren Kategorien, sondern werden durch distinktive Merkmale definiert, die aufgrund von Unterspezifikation pro Phonem wohl ebenfalls nicht u ¨ber der ‘magischen’ Zahl liegen. Tonh¨ ohen-Klassen, Intensit¨ atsklassen, eine Ausnahme scheinen Dauerklassen zu sein: Fraisse (1982) gibt hier ein Maximum an 3 isoliert unterscheidbaren Dauerklassen an.
¨ Die Aquivalenzhypothese
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Zeitliche Begrenzung Vielleicht noch mehr als strukturelle Begrenzungen spielen auch zeitliche Maße eine entscheidende Rolle bei der Verarbeitung von Musik und Sprache. [...] the problems raised by the organization of language seem to me to be characteristic of almost all other cerebral activity [...] Not only speech, but all skilled acts seem to involve the same problems of serial ordering even down to the temporal coordination of muscular contractions in such a movement as reaching and grasping. (Lashley 1951, S.121f)
Die eben ausf¨ uhrlich besprochenen sprachlichen und musikalischen Einheiten h¨ angen stark mit der psychomotorischen ‘Syntax der Bewegung’, wie es Lashley (1951, S.122) in seinem einflussreichen Aufsatz nennt, also der Taktung des K¨ orpers, respektive des Gehirns zusammen. Dabei denkt“ das Gehirn in bestimmten Zeitintervallen. Zum Beispiel liegt ” das bevorzugte Tempo bzw. der bevorzugte Puls eines Musikst¨ uckes bei einem zeitlichen Abstand der Schl¨ age von 500-700 ms (Fraisse 1982). Diese Frequenz findet sich auch bei anderen motorischen Aktivit¨aten, wie beim Herzschlag oder beim Laufen. Die offenbar niedrigste Zeittaktung im Gehirn betrifft die Wahrnehmung aufeinanderfolgender Ereignisse. Zwischen zwei Ereignissen m¨ ussen mindestens 30 ms liegen, damit man ihre Reihenfolge u ¨berhaupt angeben kann (Wittman & P¨ oppel 1999). Im Gehirn hat sich die linke Gehirnh¨ alfte auf die Verarbeitung dieser zeitlich kleinsten Gr¨oße spezialisiert. Besonders f¨ ur die Verarbeitung C-prosodischer Aspekte von Sprache ist dieses Zeitintervall von Bedeutung. Dazu z¨ ahlt das Erkennen des Lautmaterials in der Silbe, d.h. der schnellen Abfolge spektraler Unterschiede, und die Identifikation zeitlich bedingter Unterschiede zwischen einzelnen Lauten (z.B. Voice Onset Time bei stimmhaften und stimmlosen Plosiven). Musikprosodisch ist eine ¨ ahnlich hohe Verarbeitungsgeschwindigkeit weniger vonn¨ oten. Die zeitliche Aufl¨ osung, um tonale Strukturen wahrzunehmen, so die Hypothese von Zatorre et al. (2002), sei gr¨ ober als bei Sprachlauten, da T¨ one in der Regel l¨ anger dauerten als Phone. Darin liege letztlich der Grund, warum sich die rechte Hirnh¨ alfte f¨ ur die Verarbeitung von Melodie und Tonh¨ ohe spezialisiert h¨ atte, die linke auf sprachliche Signale. Eine Melodie m¨ usse aus Noten mit einer Dauer von mindestens 160 ms bestehen, sonst sei das Wiedererkennen der Melodie quasi unm¨oglich. Ich m¨ ochte hier jedoch einwenden, dass wom¨ oglich nicht die Aufl¨osung von spektral-tonaler Information diese Zeit in Anspruch nimmt, wie Zatorre et al. (2002) vermuten – laut Koelsch & Siebel (2005) ist diese feature ”
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Singen: Zwischen Musik- und Sprachprosodie
extraction“ in k¨ urzester Zeit von 10 bis 100 ms m¨oglich –, sondern dass Gruppierungsprozesse, insbesondere die Intervallidentifikation, hier eine Rolle spielen. Dies w¨ urde auch in das Modell von Koelsch & Siebel (2005) passen, die die untere zeitliche Grenze f¨ ur Gruppierungsprozesse bei 100 bis 200 ms, f¨ ur hierarchisch h¨ ohere Strukturierungsprozesse bei 180 bis 400 ms ansetzen. Sprachprosodisch ist in diesem Zeitfenster evtl. die Verarbeitung B-prosodischer Aspekte von Sprache wie z.B. von Silbenfolgen anzusiedeln und einiger A-prosodischer Aspekte wie akzentbasierten Fußstrukturen und phonologischer W¨ orter. Die obere Grenze f¨ ur die Gruppierung von Ereignissen und Gestaltwahrnehmung scheint hingegen eindeutig zu sein: Wittman & P¨ oppel (1999) sowie Fraisse (1982) setzen daf¨ ur zwei bis vier Sekunden an. Diese psychische Pr¨ asenzzeit“ ist auch die zeitliche Begrenzung des Arbeits” ged¨ achtnisses. Wenn zwei Ereignisse, z.B. zwei Metronomschl¨age, u ¨ber zwei Sekunden auseinanderliegen, werden sie nicht mehr als zusammengeh¨ orig wahrgenommen. Eine drei Sekunden-Grenze erweist sich in Sprache und Musik als bedeutsam: Verse in der Poesie verschiedenster Sprachen der Welt haben eine ungef¨ ahre Dauer von drei Sekunden. (Turner & P¨ oppel 1983), sprachliche Turns finden bevorzugt alle drei Sekunden statt, viele musikalischen Motive in der klassischen Musik dauern kaum l¨ anger (Wittman & P¨ oppel 1999; P¨ oppel 2000). In grober Ann¨aherung k¨ onnten Einheiten, die in diesem Zeitfenster verarbeitet werden, der A-Prosodie zugerechnet werden. Dies w¨ are bei sprach- und musikprosodi¨ schen Makrostrukturen wie Phrasen / Außerungen der Fall. 2.5.2
¨ Aquivalenzen im Singen
Wie der vorangegangene Abschnitt zeigt, lassen sich vor allem A- und Bprosodische Ebenen von Sprache und Musik identifizieren, die hierarchisch, ¨ sowie in der strukturellen und zeitlichen Verarbeitung große Ahnlichkeiten aufweisen. Eine rein musikalische C-Prosodie ist nach dem Verst¨andnis von Tillmann & Mansell (1980) schwer auszumachen, da keine Ebene mit ann¨ ahernder Ereignisdichte wie in der Sprache zu existieren scheint. ¨ Einen Ubergangsbereich zwischen A- und B-prosodischen Ph¨anomenen bilden Fuß-, Takt- und Wortstrukturen. In zuk¨ unftigen Untersuchungen sollten die zeitlichen Bedingungen f¨ ur Musik- und Sprachprosodie vergleichend weiter untersucht werden, dadurch w¨are es m¨oglich, das Modell von Tillmann & Mansell (1980) st¨ arker zu pr¨azisieren und f¨ ur vielf¨altige Fragestellungen nutzbar zu machen. A- und B-prosodische Strukturen bieten also beste Vergleichsm¨oglichkeiten f¨ ur Aspekte der Musik- und Sprachprosodie im Singen. Eine weitere Beobachtung ist hier n¨ utzlich: F¨ ur die prim¨aren A- und B-prosodischen Zeit- und Ordnungsstrukturen l¨ asst sich jeweils ein Kopf benennen, der die
¨ Die Aquivalenzhypothese
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Struktur zusammenh¨ alt“. In einigen Ordnungsstrukturen nutzen musik” und sprachprosodische K¨ opfe gleiche prominenzverleihende Eigenschaften, wie die folgende Tabelle zeigt: Prominenzverleihende Eigenschaft Sonorit¨ atsverlauf Konsonanz
Akzente (durch Tonh¨ ohe, Dauer Intensit¨ at)
Kopf
Komplemente
Strukturname
Nukleus hierarchisch hoher Ton (Harmonieton) betonte Silben
Onset, Koda hierarchisch niederer Ton (Nebenton) unbetonte Silben
Silbe Intervall
Fuß, phon. Wort, klit. Gruppe, Takt, Motiv
Tabelle 2.2: Ordnungsstrukturen und ihre prominenten Bestandteile
Die Makrostrukturen weisen Grenzmarkierungen auf, die in Musik- und Sprachprosodie sehr ¨ ahnlich sind (s. Tab. 2.3). In der lyrisch u ¨berformten Sprache, die oft im Singen zu finden ist, kommen zus¨atzliche lautliche und ¨ metrische Aquivalenzen durch das Reimschema hinzu. Grenzsignale Grenzt¨ one, Kadenzen Pausen, finale Dehnungen, Reimstruktur
Strukturname Intonationsphrase, Periode musikalische und prosodische Phrasen ¨ Verse, Periode, Außerung
Tabelle 2.3: Grenzmerkmale von Ordnungsstrukturen
Wie in Kapitel 3 deutlich werden wird, scheint das spracherwerbende Kind auf prominente Kontraste in der lautlichen Substanz zu achten, um diese in Opposition zueinander bringen und dadurch Lexikon und syntaktische Strukturen aufbauen. Damit dies im Lied effektiv m¨oglich ist, sollte eine Verbindung zwischen Musikprosodie und Sprachprosodie vorliegen. Auf diesem Hintergrund lautet die erste Hypothese, die ich in den Kapiteln 6, 7, und 8 empirisch u ufen werde: Musikalische und sprachliche ¨berpr¨ Prominenz- und Grenzstrukturen sind aufeinander abgebildet. Dies wird auch daran ersichtlich, dass Singen einzelsprachlich gepr¨ agt ist. Sollte sich herausstellen, dass dies zutrifft, w¨are das ein starkes Argument f¨ ur eine positive Rolle des Singens im Spracherwerb. Dadurch k¨onnten Kinder leichter von der Substanz zur Form ihrer Erwerbssprache
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Singen: Zwischen Musik- und Sprachprosodie
finden. Im n¨ achsten Kapitel wird daher zun¨achst der Frage nachgegangen, wie Kinder den sie umgebenden Input nutzen, um Sprache zu erwerben und wie prosodische und musikalische Struktur – laut Forschungsberichten – im kindgerichteten Sprechen und Singen praktisch realisiert werden.
3
Vom Sprechen und Singen mit Kindern
Was lernen Kinder im ersten Lebensjahr u ¨ber Sprache und Musik? Welche Eigenschaften nehmen sie u ¨berhaupt wahr? Und welchen Input bieten ihnen Eltern und Umgebung an? Wie wir heute dank u ahriger reichhaltiger Forschung wis¨ber dreißigj¨ sen, kommen Kinder mit erstaunlichen Wahrnehmungsf¨ahigkeiten auf die Welt. Das Geh¨ or spielt dabei eine herausragende Rolle. Schon im Mutterleib nimmt es als erster voll ausgebildeter Sinn seine T¨atigkeit auf. Nach der Geburt folgt das H¨ oren – wie bei Erwachsenen – den von Wertheimer (1923) beschriebenen Gestaltprinzipien der N¨ahe, des Kontrastes und der guten Fortsetzung. Dies erm¨ oglicht es Kindern, ¨ahnliche lautliche Signale zu Gruppen zusammenzufassen und Kontraste zur Trennung von Einheiten zu nutzen. Auf dieser Grundlage – so besagt die Spracherwerbstheorie des Prosodic Bootstrapping“ – gelingt es ihnen, in k¨ urzester Zeit ” von der lautlichen Substanz zur Form der Sprache zu gelangen. Dieses Kapitel stellt die wesentlichen Erkenntnisse der Literatur vor, wie und in welchen Schritten Kinder im ersten Lebensjahr sprachliche und musikalische F¨ ahigkeiten erwerben und welche prosodischen Eigenschaften des Inputs – der in ihrer Umgebung gesungenen und gesprochenen Sprache – ihnen dabei hilfreich sein k¨ onnten.
3.1
Sprach- und Musikerwerb im ersten Lebensjahr
Sprach- und Musikerwerb k¨ onnte auch – prozessorientierter – als For” mung der Sprache/Musik“ beschrieben werden. Damit ist gemeint, dass Kinder nicht etwas erwerben, was im Sinne einer angeborenen Grundlage bereits vorhanden ist, sondern sie entwickeln dank allgemeiner kognitiver F¨ ahigkeiten und des Inputs, den sie erhalten, ein System grammatischer und semantischer Bez¨ uge, das im Laufe der Zeit den Konventionen einer Sprach/Kulturgemeinschaft mehr und mehr angepasst wird. Vor allem was Sprache betrifft, ist das ein sehr erstaunlicher Prozess, denn der Input, den Kleinkinder nach ihrer Geburt erhalten, ist zun¨achst einmal ein kontinuierliches Klang- und Ger¨ auschsignal, das – so wissen wir aus eige-
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Vom Sprechen und Singen mit Kindern
ner Erfahrung, wenn wir eine fremde Sprache lernen – keine erkennbaren Grenzen f¨ ur wichtige grammatische und lexikalische Einheiten aufweist. Wie kann ein Kind aus dieser lautlichen Substanz heraus formale, abstrakte Formen der Sprache entdecken und und etwas u ¨ber die lexikalischsemantische, morphosyntaktische und diskurspragmatische Struktur lernen? 3.1.1
Prosodic Bootstrapping
Eine Spracherwerbstheorie besagt, dass die lautliche Substanz der gesprochenen Sprache ein so geordnetes Signal ist, dass Kleinkinder dank ihrer Wahrnehmungsf¨ ahigkeiten tats¨ achlich den Einstieg zur abstrakteren sprachlichen Form u ¨ber prosodische Merkmale im Sprachsignal schaffen. Dieses Prosodic Bootstrapping“ (vgl. Gleitman & Wanner (1982), ” Mehler et al. (1996); Jusczyk (2000); Gerken (2001), weitere Bootstrapping-Theorien, vgl. Klann-Delius 1999) hat im wesentlichen drei theoretische Voraussetzungen. Erstens: Die Verkn¨ upfung zwischen Form und Substanz ist nicht zuf¨ allig und willk¨ urlich sondern es verbirgt sich dahinter eine strukturelle Analogie“ wie es Anderson (2006) genannt hat. ” Die strukturelle Analogie besteht darin, dass in beiden Systemen KopfKomplement-Beziehungen vorherrschen und dass sich K¨opfe und Komplemente aus dem lautlichen und syntaktischen Bereich – wenn auch nicht eins zu eins – aufeinander abbilden lassen. Zweitens: Kinder m¨ ussen in der Lage sein, die prosodischen Cues, die Ausdruck dieser Verbindung sind, im Input u ¨berhaupt wahrzunehmen. Und drittens: Sie sollten diese Merkmale auch nutzen, um die morphosyntaktische Struktur zu erschließen. Die Forschung bietet zu allen drei Punkten mittlerweile eine F¨ ulle an Literatur. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Theorie des Prosodic Bootstrapping einige Berechtigung hat und dass Kinder die prosodische Substanz tats¨ achlich zur Formung“ ihrer Muttersprache verwenden. Zu” ordnungsprinzipien zwischen Prosodie und Syntax stellten beispielsweise bereits Selkirk (1980); Nespor & Vogel (1986) anhand umfangreicher Untersuchungen in verschiedenen Sprachen der Welt auf. Punkt zwei ist in der reichhaltigen Spracherwerbsliteratur experimentell gut bearbeitet worden. Es gibt mittlerweile Erwerbsreihenfolgen, wann Kinder ihre Aufmerksamkeit auf bestimmte Merkmale richten. Auch zu Punkt drei gibt es eine Vielzahl experimenteller Studien, die zeigen, dass sich die Erkennensund Ged¨ achntnisleistung der Kinder f¨ ur morphosyntaktische Klassen und Konstituenten dank prosodischer Hinweisreize verbessert. Beispielsweise k¨ onnen Kinder im Deutschen, Englischen oder Niederl¨andischen die Klasse Wort“ bilden, indem sie ein bestimmtes Betonungsschema segmentie” ¨ ren und mit referentiellen Bedeutungen verkn¨ upfen. Einen Uberblick zu diesen Ergebnissen f¨ ur das erste Lebensjahr gebe ich im Abschnitt 3.1.3.
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Zun¨ achst sollen jedoch die grundlegenden kognitiven Verarbeitungsmechanismen vorgestellt werden, die dem sprachlichen und wohl auch musikalischem Lernen zugrundeliegen. 3.1.2
Verarbeitungsprinzipien
Kategoriale Wahrnehmung Wie Erwachsene zeigen Kleinkinder schon mit zwei Monaten eine kategoriale Einordnung von Konsonanten. Wenn man ihnen nur graduell verschiedene artikulatorische Varianten zweier Konsonanten pr¨asentiert (z.B. [ba] und [pa]), so nehmen sie an einer ganz bestimmten Stelle eine Grenze zwischen beiden Konsonantenkategorien wahr (Eimas 1995). Diese Kategorienbildung l¨ asst sich auch bei Vokalen nachweisen. Interessanterweise erfolgt die Wahrnehmung des Tongeschlechts (bei Erwachsenen) in gleicher Weise kategorial (Sloboda 1990, S.31). Iverson & Kuhl (2000) und Kuhl (1991) nennen dieses Ph¨anomen bei Vokalen Perceptual Magnet Effect“. Phoneme, die sehr nah an ” den Prototypen bzw. an das beste Exemplar einer Kategorie herankommen, werden sehr schlecht unterschieden. Dabei zeigt sich ein Serialisierungseffekt: Wird zuerst der prototypische Vokal pr¨asentiert, so erkennen ¨ sechs bis sieben Monate alte Kinder keine Anderung, wenn ein nichtprototypischer Vokal pr¨ asentiert wird. Ist die Reihenfolge umgekehrt, unterscheiden Kinder beide Vokale. Interessanterweise sind auch Asymmetrien beim Erkennen der Tonart bei Erwachsenen festgestellt worden, die jedoch entgegengesetzt zu den phonematischen Effekten erscheinen: Wenn zuerst der prototypische Ton (zur Tonleiter geh¨orend) dargeboten wird und anschließend ein nicht-prototypischer, ist die Unterscheidung der beiden T¨ one besser als bei umgekehrter Reihenfolge (Krumhansl 2000). Gruppierungsmechanismen ¨ Unterschiede oder Ahnlichkeit in Tonh¨ ohe, Lautst¨arke, Klangfarbe und Pausen helfen Kindern, Gruppen aus verschiedenen Schallereignissen zu bilden und gleichzeitig Grenzen zu setzen. Wichtige Grenz-und Gruppierungssignale sind Tonh¨ ohenabst¨ ande: Grosse Tonh¨ohenabst¨ande signalisieren Grenzen prosodischer, musikalischer und auch syntaktischer Einheiten, kleine Abst¨ ande l¨ osen Gruppierungen aus. Der Quintabstand spielt in musikalischen Strukturen eine herausragende Rolle als Grenzsignal. ´len (1999) zeigte beispielsweise, dass sieben bis zehn Monate alte Me Kinder einen Quintsprung schneller und h¨ aufiger als eine kleine Terz bemerken. Auch Trehub (2003) weist auf die Bedeutung der Quinte f¨ ur die fr¨ uhe Wahrnehmung hin und ihre Universalit¨at in den musikalischen
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Systemen der Welt. Insgesamt verarbeiten und merken sich Kinder (wie Erwachsene auch) Intervalle mit kleinen mathematischen Verh¨altnissen (Oktave 1:2, Quinte 2:3 oder Quarte 3:4) leichter als komplexe Intervalle (z.B. Tritonus 45:32, Schellenberg & Trehub 1996). Zudem bevorzugen sie schon ab vier Monaten Musik, in der viele dieser einfachen Intervalle auftreten (Zentner & Kagan 1998) – zum Beispiel Kinderlieder. Im ersten Halbjahr ist die Tonh¨ ohe f¨ ur Kinder das herausragendste Merkmal des lautlichen Signals. Im zweiten Halbjahr nutzen sie auch andere Merkmale der lautlichen Substanz: Sie gruppieren T¨one entweder nach gleicher Lautst¨ arke oder gleicher Klangfarbe (Thorpe & Trehub 1989) oder nach ihrer zeitlichen N¨ ahe (Trehub & Thorpe 1989), unabh¨ angig vom Tempo. Dabei gilt: Je einfacher das temporale Verh¨altnis zwischen T¨ onen, desto besser die rhythmische Verarbeitung. So zeigen Kinder Schwierigkeiten in der Verarbeitung synkopierter Rhythmen (Trehub 2003, S.9). Die Sensibilit¨ at f¨ ur Dauer- und Lautst¨arkeunterschiede ist bei Kindern, die eine Sprache mit starken Betonungsmustern lernen1 , besonders f¨ ur das Wortlernen relevant. Offenbar sind sie schneller in der Lage, bestimmte Betonungsmuster als mehrsilbige W¨orter aus gesprochener Rede zu segmentieren als Kinder, deren Sprache keinen dynamischen Akzent aufweist (s.u). Serialisierungsmechanismen Ein weiterer wichtiger Lernschritt ist es, dass Kinder die Chunks, die sie ¨ aus musikalischen und sprachlichen Außerungen gewonnen haben, korrekt anordnen. Dabei verlassen sich Kinder zun¨achst auf globale Konturen: So¨ wohl in musikalischen als auch sprachlichen Stimuli nehmen sie Anderungen wahr, wenn dadurch die Kontur verletzt wird. So merken sie, wenn ein Satz oder eine musikalische Phrase an ungew¨ohnlichen Stellen durch Pausen unterbrochen wird (z.B. Krumhansl & Jusczyk 1990), wenn ¨ eine Außerung nicht der Standardkontur entspricht (Soderstrom et al. 2005) oder wenn sich die Wortstellung und damit das globale rhythmische Muster ¨ andert (z.B. Guasti et al. 2000). In musikalischen Phrasen neh¨ men sie tonale Anderungen nur wahr, wenn diese die Kontur ver¨andern (Trehub et al. 1984) und bevorzugen konsonante Intervalle (Zentner & Kagan 1998; Trainor & Heinmiller 1998; Trainor et al. 2002) . Zus¨ atzlich erweisen sich Kinder als kleine Statistiker“: Im zweiten ” Halbjahr ihres ersten Jahres beobachten sie sehr genau die Abfolge von Lauten und Silben und ihre H¨ aufigkeit (Saffran et al. 1996). Silben, die 1
Z.B. Englisch, Niederl¨ andisch, leider keine Daten zu Deutsch oder Russisch, Echols 2000, Houston et al. 2000.
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immer zusammen auftreten, werden schließlich als W¨orter segmentiert. Diese F¨ ahigkeit k¨ onnte auch f¨ ur das Erlernen harmonischer Prinzipien relevant sein (z.B. Kadenzfolge als Schluss eines Musikst¨ ucks). Dass Harmonie und Syntax bei Erwachsenen unter ¨ ahnlichen Bedingungen im Gehirn verarbeitet werden, zeigten z.B. Maess et al. (2001) sowie Besson & Sch¨ on (2001). Auch die Phonotaktik von Silben wird im zweiten Halbjahr des ersten Lebenjahres immer relevanter. So k¨onnen Kinder Silbenund Wortgrenzen anhand allophonischer Cues und der Abfolge von Konsonantencluster bestimmen (Jusczyk et al. 1999a, Mattys et al. 1999). 3.1.3
Entwicklungsphasen
Im Folgenden werde ich wichtige Abschnitte der Wahrnehmungsentwicklung musik- und sprachprosodischer Eigenschaften aufzeigen. Es sei vorweggeschickt, dass die Forschung zum prosodischen Erwerb und seiner Bedeutung f¨ ur die Sprachentwicklung weit umfangreicher ist als zur musikalischen Entwicklung2 . Letztere konzentriert sich zudem auf die zweite H¨ alfte des ersten Lebensjahres (6 bis 11 Monate). Weiterhin betrifft die Forschung zu dieser fr¨ uhen Phase des Spracherwerbs vor allem das Englische, f¨ ur die Sprachen in dieser Arbeit bestehen erhebliche Defizite (einen ¨ aktuellen Uberblick zum prosodischen Erwerb des Deutschen bis ins 3. Lebensjahr bietet Falk (2009)). Entwicklungsschritte: 0-3 Monate W¨ ahrend des ersten halben Lebensjahres nehmen Kinder besonders globale Strukturen der Sprache wahr. Ab der Geburt sind sie in der Lage, Sprachen mit sehr unterschiedlichem Sprachrhythmus3 zu unterscheiden. ¨ Schon mit zwei Monaten nehmen sie auch Anderungen in der Wortstellung wahr, sofern die globale rhythmische und intonatorische Kontur der ¨ Außerung intakt ist (Mandel et al. 1996). Die erste sprachliche Einheit, f¨ ur die Neugeborene eine erh¨ohte Sensitivit¨ at zeigen, ist die Silbe (zur Diskussion s. H¨ ohle & Weissenborn 2000) oder wenigstens, wie Mehler et al. (1996) vermuten, der vokalische Teil der Silbe. Bertoncini et al. (1988), Bijeljac-Babic et al. (1993) und Bertoncini et al. (1995) zeigten, dass franz¨osische Neugeborene we¨ der auf die Anderung der Phonem- noch Morenzahl reagieren, wohl aber ¨ auf Anderungen der Silbenzahl von W¨ ortern. 2
3
¨ Einen komprimierten Uberblick bieten: Kuhl (2007); Jusczyk (2002); Hennon et al. (2000); zum Vergleich sprachlicher und musikalischer Entwicklung, s. McMullen & Saffran 2004. Franz¨ osische Neugeborene unterscheiden zwischen Franz¨ osisch und Russisch (Mehler et al. 1988), Japanisch und Englisch, nicht aber zwischen Englisch und Niederl¨ andisch (Nazzi et al. 1998).
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Vom Sprechen und Singen mit Kindern
Neugeborene erkennen die Stimme ihrer Mutter, mit der sie schon im Mutterleib intensive Erfahrungen gemacht haben (DeCasper & Fifer 1980). Dabei spielen offenbar die Intonationskonturen eine besondere Rolle (Cooper et al. 1997). Zudem scheinen sie schon in der pr¨anatalen Phase ein Ged¨ achtnis f¨ ur sprachliche Ereignisse entwickelt zu haben: So reagieren sie auf ein Gedicht, das sie w¨ ahrend der letzten Schwangerschaftswochen oft geh¨ ort haben (DeCasper et al. 1994). In den ersten drei Monaten beginnen S¨auglinge aktiv mit dem Erkunden ihres Stimmtraktes, produzieren viele velare Laute und Gurrlaute, spielen mit den Lippen und der Zunge (z.B. Papouˇ sek 1994b). Schon mit S¨ auglingen k¨ onnen Eltern interagieren: Gegenseitiges Imitieren von Lauten und Ger¨ auschen wird zum beliebten Spiel am Wickeltisch, je ¨alter das Kind desto mehr vokalisiert es, gerne auch gleichzeitig mit dem Gespr¨ achspartner (z.B. Gratier 2003). Entwicklungsschritte: 3-6 Monate Mit drei Monaten beginnen S¨ auglinge verst¨arkt, mit ihrem Partner zu interagieren, sie l¨ acheln, halten l¨ anger Blickkontakt. Das gleichzeitige Vokalisieren wird immer seltener, bald findet konsequentes Turn-Taking statt. Kinder reagieren ab vier Monaten auch auf ihren Namen (Jusczyk 1997). Mit vier Monaten richten Kinder ihre Aufmerksamkeit auf (globale) Tonh¨ ohenkonturen, die im kindgerichteten Sprechen besonders hervorstechen (Fernald & Kuhl 1987). Mit viereinhalb Monaten zeigen sie erstmals Sensibilit¨ at f¨ ur die musikalische Phrasenstruktur. Dabei dienen ihnen mutmaßlich vor allem große fallende Intervalle, unter Umst¨anden auch phrasenfinale Dehnungen als Hinweise (Jusczyk & Krumhansl 1993). Ab f¨ unf Monaten k¨ onnen Kleinkinder sicher ihre Muttersprache identifizieren (z.B. treffen amerikanische Kinder die subtile Unterscheidung zwischen amerikanischem und britischem Englisch, vgl. Nazzi & Ramus 2003). Etwa zum gleichen Zeitpunkt spezialisieren sie sich auch auf das Lautinventar ihrer Muttersprache: Sie verlieren die F¨ahigkeit, phonetische Kontraste wahrzunehmen, die in ihrer Muttersprache nicht relevant sind (Werker & Tees 1984, Werker & Tees 1999). Diese Entwicklung beginnt bei Vokalen etwas fr¨ uher (ca. vier Monate) als bei Konsonanten (ca. f¨ unf Monate). Mit sieben Monaten ist diese F¨ahigkeit ein guter Maßstab f¨ ur die sp¨ atere sprachliche Entwicklung (Kuhl et al. 2005). Auch in der Produktion findet eine Orientierung zur Muttersprache statt: Kinder versuchen nun erste silben¨ ahnliche Verbindungen zu sprechen, ihre Laute und Intonationen a hneln mehr und mehr der Muttersprache. ¨ Zwischen vier und sechs Monaten zeigen Deutsch lernende Kinder in bildgebenden und behavioralen Verfahren zum ersten Mal eine Reaktion auf ein troch¨aisches (betont-unbetont) rhythmisches Muster (H¨ ohle et al.
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2007; Weber et al. 2004). Es wird angenommen, dass dieses Muster – wie bei englischlernenden Kindern auch – ihnen sp¨ater helfen wird, erste W¨ orter aus gesprochener Rede zu segmentieren. Entwicklungsschritte: 6-9 Monate Im zweiten Halbjahr werden Kinder zu Spezialisten ihrer Muttersprache: Sie beobachten nun relevante Betonungsmuster und erkennen erste Inhaltsw¨ orter in gesprochener Rede, sie beachten die H¨aufigkeit und Verteilung von Silben und Lauten und lernen etwas u ¨ber die Phonotaktik ihrer Sprache. Die Tonh¨ ohe spielt immer noch eine gewichtige Rolle bei der Verarbeitung, allerdings werden auch weitere akustische Parameter wie die Dauer relevant. Kinder sind nun voll in der Lage, Laute und T¨ one wie Erwachsene zu gruppieren (s. 3.1.2). Die Interaktion mit den Eltern ist weiterhin sehr intensiv und findet vor allem face-to-face statt. Noch k¨ onnen sie sich nicht selbst¨ andig fortbewegen, erreichen aber schon Gegenst¨ ande, die sie interessieren, und drehen sich selbst¨andig auf den Bauch und R¨ ucken. In dieser Phase produzieren Kinder ihre ersten kanonischen Silben, sie reduplizieren sie oder kombinieren verschiedene Silben miteinander. Jetzt u arkt verschiedene Lautklassen, ih¨ben sie auch verst¨ re Artikulationsart und -orte ein. Ab neun Monaten werden Vokale und ansatzweise Konsonanten mit den spezifisch muttersprachlichen phonetischen Parametern erzeugt (de Boysson-Bardies et al. 1984). Intonationskonturen und Melodien nehmen Kinder weiterhin global ¨ wahr. So erkennen acht Monate alte Kinder Anderungen von Tonh¨ohen in einer Melodie nur dann, wenn diese die Kontur stark ver¨andern (Trehub ¨ et al. 1984, Uberblick in Ilari 2002). Dies k¨ onnen Kinder im Gegensatz zu Erwachsenen auch in Melodien, die nicht den kulturellen musikalischen Konventionen entsprechen (Schellenberg & Trehub 1999), wobei sie schon mit 6 Monaten eine gewisse Erfahrung mit dem eigenen kulturellen Tonsystem an den Tag legen (Lynch et al. 1995). Saffran und Kollegen (Saffran & Griepentrog 2001, Saffran 2003a) fanden heraus, dass acht Monate alte Kinder auch absolute Tonh¨ohen unter bestimmten Testbedingungen u ¨ber einen kurzen Zeitraum erinnern k¨onnen. Deutsch (2002) mutmaßt, dass die F¨ ahigkeit von Kindern, die absolute Tonh¨ohe zu speichern f¨ ur den Erwerb lexikalischen Tons von Nutzen ist. Tats¨achlich berichten Deutsch et al. (2004), dass erwachsene Sprecher des Vietnamesischen und Mandarin-Chinesischen deutlich besser als Englisch-Sprecher in einer Aufgabe abschnitten, in der sie sich absolute Tonh¨ohen merken mussten. Metrisch-rhythmische Aspekte von Sprache und Musik sind in dieser Phase besonders relevant. Deutsche Kinder nehmen mit sieben Monaten erstmals unbetonte Funktionsw¨ orter wahr (H¨ ohle & Weissenborn
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Vom Sprechen und Singen mit Kindern
2003), was die wachsende Sensibilit¨ at f¨ ur Betonungsmuster zeigt. Amerikanische Kinder im selben Alter k¨ onnen nun erste zweisilbige W¨orter in der gesprochenen Rede wiedererkennen (Jusczyk et al. 1999b). Sie st¨ utzen sich dabei auf ein troch¨ aisches Betonungsmuster, dass noch bis zum zehnten Monat als wichtigster Hinweis auf Wortgrenzen fungiert. W¨ orter mit anderem Betonungsmuster werden bis zum zehnten Monat falsch segmentiert. Dieser Bias ist ebenfalls f¨ ur deutsche und russische Kinder wahrscheinlich4 . Franz¨ osische acht Monate alte Kinder segmentieren bestenfalls Einsilber aus dem Lautstrom (Gout 2001). Der Unterschied zu Englisch lernenden Kindern r¨ uhrt vermutlich daher, dass der dynamische Akzent im Englischen prominenter hervorsticht und den Kontrast unbetonter und betonter Silben besser zum Ausdruck bringt als im Franz¨osischen, das traditionell als silbenz¨ ahlende Sprache mit schwachen Prominenzkonturen klassifiziert wird (Abercrombie 1967). Diese Ergebnisse laufen parallel zu Experimenten mit erwachsenen Sprechern des Englischen und Franz¨osischen, die unterschiedliche Segmentierungsstrategien in beiden Sprachen ¨ vermuten lassen (guter Uberblick in Cutler 1991). Verschiedene Sprecher, die dasselbe Wort sprechen, verschlechtern die Worterkennung bei sieben Monate alten Kindern, was darauf hinweist, dass sie sprecherspezifische Information, wie Stimmfarbe, Sprechgeschwindigkeit im Ged¨ achtnis behalten (Houston & Jusczyk 2000). Ebenso speichern Kinder Klangfarbe und Tempo verschiedener Versionen instrumentaler Musik und das Tonregister von Gesungenem (Trainor et al. 2004; Volkova et al. 2006). Amerikanische Kinder bilden nun – parallel zur wachsenden rhythmisch-metrischen Sensibilit¨at in der Sprachwahrnehmung – erstmals rhythmisch-metrische musikalische Klassen (Hannon & Johnson 2005) und k¨ onnen Ver¨ anderungen sowohl in einfachen wie auch in komplexen musikalischen Metren (z.B. bulgarischer und mazedonischer Stil) erkennen, w¨ ahrend amerikanische Erwachsene sich bei den ungewohnten komplexen Metren schwer tun (Hannon & Trehub 2005). In einer anderen Studie entdeckten amerikanische neun bis zehn Monate alte Kinder Ver¨ anderungen in der zeitlichen und melodisch-harmonischen Struktur einer Tonsequenz leichter in geraden als in ungeraden Taktarten (Bergeson & Trehub 2006) Kinder erkennen Satz- und Phrasengrenzen anhand der Pausenstruk¨ tur und bevorzugen solche Außerungen, in denen Pausen syntaktisch sinn¨ voll gesetzt werden (Hirsh-Pasek et al. 1987). Ahnliches gilt f¨ ur musikalische Phrasen (Krumhansl & Jusczyk 1990): Anhand phrasenfinaler 4
Zumindest berichtet Chukovskij (2000, S.324) von einem troch¨ aischen Muster in den fr¨ uhesten W¨ ortern russischer Kinder, was auch bei deutschen Kindern der Fall ist (Fikkert et al. 1998).
Merkmale gesungener und gesprochener Sprache
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Dehnungen k¨ onnen acht Monate alte Kinder nun sicher musikalische Phrasengrenzen erkennen, zudem entwickeln sie ein musikalisches Ged¨achtnis, in dem musikalische Phrasen zwei Wochen lang gespeichert werden (Trainor & Adams 2000, Saffran 2003b). Entwicklungsschritte: 10-13 Monate Zum Ende des ersten Lebensjahres sind Kinder in der Lage, mehrsilbige W¨ orter in gesprochener Rede zu erkennen und selbst erste W¨orter zu ¨ außern. Dabei nutzen amerikanische Kinder das Ende phonologischer Phrasen, um gleichzeitig Wortgrenzen zu lokalisieren (Christophe et al. 2003). Ein Sprecherwechsel beeintr¨ achtigt nicht mehr das Worterkennen (Houston & Jusczyk 2000). Englischlernende Kinder k¨onnen mit 10,5 Monaten zweisilbige Nomen mit unterschiedlichem Betonungsmuster (troch¨ aisch und jambisch) aus gesprochener Rede segmentieren (Jusczyk et al. 1999b), Verben scheinen erst sp¨ ater segmentiert zu werden (Nazzi et al. 2005, je nach phonotaktischer Struktur des Verbs mit 13;5 oder sogar erst 16;5 Monaten). Franz¨ osisch-lernende Kinder hingegen zeigen erste Anzeichen zur zweisilbigen Wortsegmentierung mit 11 bis 12 Monaten und erst mit 16 Monaten die volle Beherrschung dieser F¨ahigkeit (Nazzi et al. 2006, Gout 2001). Dennoch erscheint die passive Wortschatzentwicklung bei franz¨ osischen Kleinkinder zwischen acht und sechzehn Monaten ¨ ahnlich zu verlaufen wie bei anderssprachigen Kindern, die produktiven F¨ ahigkeiten sind jedoch sp¨ ater entwickelt (Kern 2007)5 . Kinder unterscheiden muttersprachliche Laute nun sehr gut und wesentlich besser als nicht-muttersprachliche Laute (Werker & Tees 1999). In den ¨ Außerungen des Kindes sind erste Intonationskonturen der Muttersprache zu erkennen, unter Umst¨ anden treten erste Fragekonturen auf. Das Kind wird mobil, es krabbelt durch die Wohnung und macht erste Laufversuche, damit sind die Grundlagen der aktiven Erforschung der Umgebung und Objekte, und letztlich des Bedeutungserwerbs gegeben.
3.2
Merkmale gesungener und gesprochener Sprache
Innerhalb der ersten drei Lebensjahre sprechen Eltern mit Kindern anders als mit Erwachsenen – und dies in vielen Kulturen und Sprachgemeinschaften (Fernald et al. 1989, Grieser & Kuhl 1988, Ferguson 1964, 1977, Papouˇ sek et al. 1991, Kuhl et al. 1997). 5
Unter Umst¨ anden sind diese Ergebnisse der Testmethode geschuldet, die sich in diesem Artikel auf die Berichte von Eltern st¨ utzte.
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Vom Sprechen und Singen mit Kindern
Dieses kindgerichtete Sprechen (auch Motherese, Parentese, Babytalk genannt) reiht sich in andere Sprechregister ein (Foreigner-Talk, Sprechen mit Tieren), die Ferguson (1964) als einer der ersten als vereinfach” te Register“ bezeichnete. Kindgerichtetes Sprechen gilt als einfach, was seine syntaktische und semantische Gestaltung angeht, und ist reich an prosodischen Merkmalen. Die jeweiligen sprachlichen Merkmale h¨angen einerseits von der Sprache und dem kulturellen Umgang mit Kindern ab, andererseits variieren sie mit dem Alter des Kindes, seinen Bed¨ urfnissen und Reaktionen. Die prosodischen Merkmale sind von der Geburt bis zum Alter von 18 Monaten besonders deutlich ausgepr¨agt und ver¨andern sich w¨ ahrend dieser Zeit stark (Stern et al. 1983, Henning et al. 2005). S¨ auglinge bevorzugen kindgerichtetes Sprechen ab wenigen Wochen nach der Geburt. Sie sind aufmerksamer, fixieren den Gespr¨achspartner l¨ anger, l¨ acheln h¨ aufiger und vokalisieren mehr, wenn sie auf diese Weise angesprochen werden (Fernald & Kuhl 1987, Cooper et al. 1997, Cruttenden 1994, Niwano & Sugai 2002). Auch beim Singen gibt es – ebenfalls kultur¨ ubergreifend – eine kindgerichtete Version, die von Kindern bevorzugt wird ( ‘Songese’ genannt von Longhi 2009, s.a. Literatur bei Trehub & Trainor 1998, Nakata & Trehub 2004). Diese unterscheidet sich zum Teil recht deutlich in ihrer melodischen, rhythmischen und textlichen Form vom erwachsenengerichteten Singen (vgl. hierzu die kindgerichteten und erwachsenengerichteten Versionen des Liedes C’est ” la baleine“, s. Anhang, 279). Eltern beeinflussen beim Singen effektiv den k¨ orperlichen Zustand ihres Kindes, das sie dabei l¨anger anschaut und k¨ orperlich ruhiger ist (de l’Etoile 2006; Shenfield et al. 2003; Trehub & Nakata 2002, Tafuri & Villa 2002, Rock et al. 1999). Warum dieser besondere Umgang mit Kindern? Drei Funktionen stehen in den meisten Publikationen zur Motherese im Mittelpunkt: emotionale Botschaften transportieren, das Kind zur Interaktion anregen und ¨ Aufmerksamkeit erregen, sowie den Spracherwerb erleichtern (Uberblick in Cruttenden 1994, Snow 1977; Ferguson 1977). Die Eigenschaften von (idealisiertem) kindgerichtetem Sprechen und Singen werden im Folgenden kurz vorgestellt. Allerdings gibt es sprachabh¨angige Besonderheiten, die ich hier so gut es geht – trotz der stark am Englischen ausgerichteten Forschung – im Hinblick auf das Franz¨osische, Russische und Deutsche darstellen m¨ ochte. 3.2.1
Physiologische Aspekte: Atmung und Phonation
Atmung und Phonation im kindgerichteten Sprechen und Singen sollten sich nicht wesentlich vom normalen Sprechen und Singen unterscheiden. Die folgende Darstellung erfolgt auf der Grundlage von Sundberg (1987).
Merkmale gesungener und gesprochener Sprache
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Beim normalen Sprechen atmen wir etwa alle f¨ unf Sekunden, beim Singen ist eine Spanne von zehn Sekunden durchaus u ¨blich. Das Einatmen beim Sprechen ist aktiv, das Ausatmen geschieht passiv und wird f¨ ur die normale Phonation beim Sprechen genutzt. Beim professionellen Singen erfolgt das Atmen kontrollierter, dabei k¨onnen bis zu 100 Prozent der Vitalkapazit¨ at des Lungenvolumens (bei M¨annern f¨ unf Liter) bewegt werden, beim normalen Sprechen werden hingegen nur 55 Prozent bewegt. Ausgebildete S¨ anger kontrollieren nicht nur ihre Muskeln zum Ein- und Ausatmen besser, sie haben auch eine gr¨ oßere Vitalkapazit¨at und k¨onnen mehr Luft aus der Lunge herauspressen. Ein wichtiger Unterschied zwischen Singen und Sprechen ist der Zusammenhang zwischen Lungendruck und Frequenz. Beim normalen Sprechen sind diese beiden Faktoren aneinander gekoppelt und variieren gemeinsam (Tonh¨ ohen-Intensit¨ ats-Kopplung). Das bedeutet, dass bei vergr¨ oßertem Lungendruck die Tonh¨ ohe ansteigt, und zwar um 0,3 bis 0,4 Halbt¨ one pro Dezibel (Nawka 2006). Vielen Leuten erscheint Singen deswegen als schwer, weil es eine getrennte Kontrolle der beiden Faktoren Druck und Frequenz erfordert, damit lautes Singen nicht gleichzeitig (unfreiwillig) in die H¨ ohe geht. Weiterhin hat Singen ein klareres Frequenzspektrum als Sprechen, was Stegem¨ oller et al. (2008) vermuten lassen, dass Singen daher als konsonanter wahrgenommen werden kann als Sprechen. 3.2.2
Stimmumfang und Tonh¨ ohenmodifikationen Auspr¨ agungen
Wie besonders in der Untersuchung von Fernald et al. (1989) deutlich wird, sind eine erh¨ ohte Sprechlage und ein erweiterter Stimmumfang herausragende Kennzeichen des kindgerichteten Sprechens. Bei franz¨osischen und deutschen Eltern ist die Sprechlage um etwa drei Halbt¨one6 erh¨oht. Auch Chelibanova (2002) berichtet von einer erh¨ohten Sprechlage bei russischen M¨ uttern. Im Gegensatz zum Sprechen mit Erwachsenen7 sind die Intonationskonturen und Tonh¨ ohenmodifikationen im kindgerichteten Sprechen stark u ¨berzeichnet: Im Deutschen wie auch im Russischen (Gavrilova 2001) k¨ onnen sie u ¨ber zwei Oktaven gehen, sogar in einer einzigen Silbe (z.B. ‘gell?’, ‘na’, Fernald & Simon 1984). Eltern nutzen dabei ein Repertoire an f¨ unf bis sechs Konturtypen (Papouˇ sek 1996): Am h¨aufigsten sind kontinuierlich fallende oder steigende Konturen, aber auch flache, U6 7
Deutsche M¨ utter sprechen mit ihren Neugeborenen vier Halbt¨ one h¨ oher (Fernald & Simon 1984). Von nun an AD-Sprache genannt.
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Vom Sprechen und Singen mit Kindern
oder glockenf¨ ormige Konturen treten auf. Diese Tonh¨ohenmodifikationen sind f¨ ur Kleinkinder laut Fernald & Kuhl (1987) die attraktivste Eigenschaft des Sprechens. Besonders deutlich im Vergleich zur AD-Sprache ¨ sind die extremen Tonh¨ ohenbewegungen am Außerungsende (z.B. Stern et al. 1983). Wenn franz¨ osische M¨ utter mit ihren 10 bis 14 Monate alten Kindern sprechen, betr¨ agt ihr mittlerer Stimmumfang etwa 12 Halbt¨one (AD: 10), bei deutschen M¨ uttern 13 (AD: 10) (Fernald et al. 1989). Damit nutzen sie fast ihren gesamten Sprechumfang aus, bei (deutschen) Frauenstimmen liegt dieser bei 15 Halbt¨ onen (Hacki 1999). Im normalen Sprechen mit Erwachsenen bewegt sich die mittlere Sprechlage (bei deutschen Sprechern) zwischen einer u aßigen Quarte und Oktave (6 bis 12 Halbt¨one, ¨berm¨ Hacki 1999). Bei russischen Sprechern ist der normale Sprechumfang ´ (2005) berichtet von Tonh¨ohenschwankungen offensichtlich gr¨ oßer: Ode ¨ zwischen 15 bis 17 Halbt¨ onen in spontansprachlichen Außerungen, Keijsper (2003) sogar von 24 Halbt¨ onen. Der Tonumfang der menschlichen Stimme ist beim Singen wesentlich gr¨ oßer als beim Sprechen. Zwar stimmen Singen und Sprechen in den untersten Frequenzbereichen u ¨berein, der h¨ochste Ton, auf dem gesprochen wird, erreicht jedoch maximal die H¨alfte dessen, was beim Singen m¨ oglich ist. So kann eine ausgebildete Singstimme vier bis f¨ unf Oktaven umfassen, die ge¨ ubte Singstimme (Chor- und sonstige Viels¨anger) bewegt sich innerhalb von etwa drei Oktaven (Hacki 1999, Spitzer 2004). Beim allt¨ aglichen Singen (ohne Chor oder Anleitung) wird jedoch eher der untere Frequenzbereich gew¨ ahlt (Stadler Elmer 2002, S.75), was von den Kindern auch bevorzugt wird (Volkova et al. 2006). Zudem singen M¨ utter die Lieblingslieder ihrer Kinder sehr stabil in einer Tonart (Bergeson & Trehub 2002). Nach Trainor & Zacharias (1998) bevorzugen Kinder die h¨oher gesungene Version eines Liedes. Allerdings unterscheidet sich kindgerichtetes von erwachsenengerichtetem Singen in der Tonh¨ohenmodifikation laut Nakata & Trehub (2004), Trehub & Trainor (1998) deutlich weniger als im kindgerichteten Sprechen. Die Singlage wird lediglich um einen bis zwei Halbt¨ one angehoben. St¨ arker scheint beim Singen der Ausdruck zu wirken: Trainor (1996) berichtet von einem l¨ achelnden Tonfall, der entscheidend dazu beitr¨agt, dass Erwachsene kultur¨ ubergreifend kindgerichtetes Singen identifizieren konnten. Zus¨ atzlich ist im kindgerichteten Singen ein st¨arkeres Fluktuieren der Tonh¨ ohen zu beobachten (Trainor et al. 1997), was Trehub & Trainor (1998) als Ausdruck gr¨ oßerer Emotionalit¨at werten. Trehub & Nakata (2002) gehen davon aus, dass der hohe positive emotionale Gehalt kindgerichteten Singens und Sprechens der Hauptgrund ist, dass Kin-
Merkmale gesungener und gesprochener Sprache
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der so stark darauf reagieren. Insofern sprechen sich Trehub & Nakata (2002, S.46) gegen ein eigenes Register f¨ ur kindgerichtete Kommunikation aus: Kindgerichtetes Sprechen und Singen seien von stark emotionaler erwachsenengerichteter Sprache nicht zu unterscheiden (s.a. die Untersuchung von Trainor et al. 2000). Funktionen Eltern k¨ onnen durch Tonh¨ ohenmodifikationen den Erregungszustand ihres Kindes beeinflussen. Shenfield et al. (2003) fanden nach dem Singen ¨ signifikante Anderungen im Cortisolgehalt des Speichels bei sechs Monate alten Kindern. Dies ist ein Maß f¨ ur Stresszust¨ ande und deutet an, dass Kinder durch Singen unmittelbar physisch beeinflusst werden. Besonders deutlich wird dieser Effekt bei Fr¨ uhchen und kranken Neugeborenen auf der Intensivstation, die durch Musik ruhiger werden, besser atmen und an Gewicht zunehmen (z.B. Shoemark 2006, Kurz¨ uberblick in Ilari 2002). Tonh¨ ohen¨ anderungen im Sprechen haben sehr pr¨azise kommunikative Ziele. Steigende Konturen stimulieren gerade bei zwei und drei Monate alten Kindern besonders effektiv die Aufmerksamkeit (Henning et al. 2005), regen sie zum Blickkontakt und Turntaking an, glockenf¨ormige Konturen signalisieren das Ende eines Turns und lobende Zustimmung. Stetig fallende Konturen beruhigen das Kind, abrupt einsetzende und stark fallende Konturen werden f¨ ur Verbote, Missfallen und Warnungen verwendet (Papouˇ sek 1996, Papouˇ sek et al. 1991). Dies ist in so unterschiedlichen Sprachen wie Mandarin-Chinesisch, Deutsch und amerikanischem Englisch ¨ ahnlich. Die kommunikativen Funktionen von Tonkonturen werden auch im kindgerichteten Singen ausgenutzt. So scheinen sanft fallende Melodiekonturen kultur¨ ubergreifend charakteristisch f¨ ur Schlaf- und Wiegenlieder zu sein – wie im Sprechen wirkt diese Kontur vor allem beruhigend (Unyk et al. 1992; Holaubeck-Lawatsch 1985; Cordes 1998). In Kapitel 9 wird dies am Material dieser Arbeit gepr¨ uft werden. Weiterhin transportiert die Tonh¨ ohe emotionale Botschaften. Das h¨ohere Sprechen und Singen sowie der l¨ achelnde Tonfall sind Ausdruck von Zuneigung und Sympathie (Trainor et al. 2000, Gussenhoven 2004, Kapitel 5, Ohala 1983), der gr¨ oßere Tonumfang Ausdruck positiver Grundstimmung und Freude (z.B. Trehub & Trainor 1998, S.63). Deutliche Tonh¨ ohenmodifikationen k¨ onnen auch beim Erkennen wichtiger linguistischer Kontraste helfen. So erleichtern sie die Identifikation von Vokalen (Trainor & Desjardins 2002, s. 3.2.4). Auch Satzakzente werden im kindgerichteten Sprechen deutlicher markiert wie Garnica (1977); Fernald & Mazzie (1991) und Goldfield (1993) zeigen: Amerikanische M¨ utter setzen beim Sprechen mit ihren 12 bis 14 Mona-
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Vom Sprechen und Singen mit Kindern
¨ te alten Kindern neue W¨ orter ans Ende der Außerung und betonten die prominente Silbe deutlicher als beim Sprechen mit Erwachsenen. Auch Gavrilova (2001, S.232) berichtet, dass beim russischen kindgerichte¨ ten Sprechen der nukleare Satzakzent ans Ende bestimmter Außerungen verlagert wird. Thiessen et al. (2005) fanden, dass sieben Monate alte Kinder W¨ orter besser aus kindgerichteter Sprache segmentierten als aus erwachsenengerichteter Sprache, was sie ebenfalls den aufmerksamkeitssteigernden (tonalen) Merkmalen dieses Registers zuschreiben. 3.2.3
Pausen, Tempo, Rhythmus Auspr¨ agungen
Im kindgerichteten Sprechen sind Artikulation und Tempo deutlich verlangsamt (z.B. Fernald et al. 1989). Dies gilt auch f¨ ur das Singen, wobei sonores Lautmaterial, vor allem Vokale gedehnt werden (Eckardt 1999, Trehub & Trainor 1998; Trainor et al. 1997). M¨ utter singen ihren Kindern Lieder u ¨ber Wochen hinweg stabil im ann¨ahernd gleichen Tempo vor (Bergeson & Trehub 2002). Pausen sind im kindgerichteten Sprechen und Singen deutlich l¨anger als in AD-Sprache und -Gesang (Stern et al. 1983, Trainor et al. 1997). ¨ Die Außerungsphrasen sind k¨ urzer, im ersten Lebensjahr markieren Pausen im Gesprochenen sehr konsistent syntaktische Grenzen (Fernald & Simon 1984), w¨ ahrend in AD-Sprache verst¨arkt Z¨ogerpausen vorkommen, die syntaktisch willk¨ urlicher gesetzt sind (Cruttenden 1994). Ein weiteres Grenzsignal ist die Dehnung der Silbe am Ende von Phrasen und ¨ Außerungen. Diese Dehnung ist zumindest im englischen kindgerichteten Sprechen sehr deutlich (Bernstein-Ratner 1986). Auch im kindgerichteten englischen Singen sind deutliche finale Dehnungen erkennbar (Trevarthen 1999, S.182). Kindgerichtetes Singen erscheint st¨ arker rhythmisiert, wenn Eltern mit ihrem Kind spielen, seine Aufmerksamkeit gewinnen und es stimulieren wollen. Amerikanische M¨ utter und V¨ ater verst¨arken dabei die metrische Struktur, indem sie zus¨ atzliche dynamische Akzente setzen und betonte Silben dehnen (Trehub & Trainor 1998, S.62). Singen, das dem Beruhigen oder Einschlafen dient, wirkt auf Erwachsene weniger rhythmisch (Rock et al. 1999). Insgesamt sollten rhythmisch-metrische Beziehungen im Singen st¨ arker geregelt sein als im Sprechen. Allerdings berichten Fernald & Simon (1984), dass der akzentz¨ahlende Sprachrhythmus im kindgerichteten Sprechen von deutschen M¨ uttern u ¨berraschend deutlich zu Tage tritt. Wenn deutsche M¨ utter mit ihren Neugeborenen sprechen, so ¨ sind die Intervalle zwischen Betonungen u hinweg ¨ber mehrere Außerungen fast metrisch genau verteilt. Dies entspricht schon beinahe einem ideali-
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sierten Sprachrhythmus, der bestenfalls in der metrisch regulierten Gestalt von Gedichten, nicht jedoch im normalen Sprechen mit seinen verschiedenen Kompressionserscheinungen hervorsticht (Kohler 1982, S.102). Auch Ferguson (1977) beobachtete zus¨ atzliche und intensivierte Betonungen im kindgerichteten Sprechen in verschiedenen Sprachen. Zum Franz¨osischen und Russischen sind leider keine Daten vorhanden. Funktionen ¨ Die Verlangsamung der Artikulation sowie k¨ urzere Außerungen dienen der besseren Verst¨ andlichkeit und geben dem Kind mehr Zeit, Geh¨ortes zu verarbeiten und zu reagieren. Zudem weckt langsames Sprechen verst¨arkt die Aufmerksamkeit von ein bis vier Monate alten Kindern (Cooper & Cooper 2000). Als Grenzsignale f¨ ur sprachliche und musikalische Einheiten sind Pausen und Dehnungen besonders wichtig. Kinder zeigen fr¨ uh eine Sensibilit¨at f¨ ur die korrekte Pausensetzung nach sprachlichen, aber auch musikalischen Phrasen und S¨ atzen (z.B. Krumhansl & Jusczyk 1990, Jusczyk & Krumhansl 1993, Soderstrom et al. 2005). Kindgerichtetes Sprechen erleichtert ihnen das Erkennen der Grenzen dieser Strukturen wie Kemler-Nelson et al. (1989) zeigten. Die rhythmische Form kindgerichteter Sprache k¨ onnte insgesamt das Erkennen der Muttersprache oder anderer Sprachen erleichtern, da S¨ auglinge schon sehr fr¨ uh auf die globalen rhythmischen Merkmale reagieren (s. Abschnitt 3.1.3). Eine herausragende Funktion von rhythmischen Merkmalen im kindgerichteten Singen und Sprechen ist, mit dem Kind ins Gespr¨ach zu kommen. Die Interaktion zwischen Kind und Elternteil erfolgt sowohl beim Singen als auch beim Sprechen mit erstaunlicher metrischer Pr¨azision – und das schon im Alter von zwei Monaten, wie Malloch (1999) zeigt. Zwischen den Partnern entwickelt sich eine Art Taktschlag, auf den die Turns stattfinden. Diese zeitlichen Intervalle verk¨ urzen sich mit zunehmendem Alter. Beim Singen synchronisieren Kleinkinder ihre Vokalisierungen mit wichtigen Stellen im Takt (Malloch 1999). Auch motorisch zeigen S¨ auglinge immer wieder rhythmisch orientiertes Verhalten, indem sie versuchen, sich durch Bewegungen der Gliedmaßen oder Zunge mit der Sprache ihres Partners zu synchronisieren (z.B. Condon & Sander 1974). Allerdings ist kindgerichtetes Sprechen deutlich st¨arker dialogisch als kindgerichtetes Singen, das wenigstens in der ersten H¨alfte des ersten Lebensjahr monologisch bleibt (Trehub & Trainor 1998), anschließend lauten Kinder auch selbst mit (de l’Etoile 2006).
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Vom Sprechen und Singen mit Kindern
3.2.4
Artikulation
Ein wesentlicher Unterschied von Sprechen und Singen ist das Verh¨altnis von sonorem Lautmaterial zu nicht-sonorem Material. Eckardt (1999, S.23) verweist auf die Dominanz von vokalischem Material im Singen (Verh¨ altnis 5:1 im Deutschen) und konsonantischem Material im Sprechen (Verh¨ altnis 1:1 im Deutschen). Auch Kaiser (1983) stellt in seiner (leider nicht n¨ aher beschriebenen) Untersuchung zum Englischen fest, dass beim Singen stimmhafte Laute 90-95 Prozent der Dauer einer gesunge¨ nen Außerung einnehmen, w¨ ahrend nur 5-10 Prozent der Zeit stimmlose Laute produziert w¨ urden. Bei solchen Feststellungen sollte jedoch klar nach Sprachen unterschieden werden. In einer Sprache mit komplexen Silbenstrukturen wie dem Deutschen ist zu erwarten, dass die Konsonanten mehr Raum einnehmen, im Franz¨ osischen und Russischen mit Tendenz zur offenen Silbe sollte vokalisches Material u ¨berwiegen (s. Kapitel 6). In der Forschung zum kindgerichteten Sprechen steht die These im Mittelpunkt, dass besonders klar artikuliert wird, um dem Kind lautliche Kontraste zu verdeutlichen und seine sprachliche Wahrnehmung zu schulen. Hier ergeben sich jedoch, wie die folgende Diskussion in Ans¨atzen zeigt, Unterschiede bei Vokalen und Konsonanten. Da Eltern beim Sprechen und Singen mit ihren Kindern h¨ aufig l¨acheln, sollte auch dies Auswirkungen auf die Artikulation haben (Stimmtraktverk¨ urzung!). Zum kindgerichteten Singen sind kaum Daten vorhanden, weswegen auch auf Untersuchungen zum professionellen Singen zur¨ uckgegriffen wird. Vokale Das pr¨ agnanteste Merkmal von gesungenen im Gegensatz zu gesproche¨ nen Außerungen ist nach Stadler Elmer (2002, S.36 und S.159) sowie Scotto di Carlo (2005) die Vokaldehnung. Dadurch entsteht die M¨ oglichkeit zur Stabilisierung und Ausgestaltung der Tonh¨ohenbez¨ uge, was beim normalen Sprechen aufgrund der Sprechgeschwindigkeit nicht der Fall ist. Jedoch werden auch im kindgerichteten Sprechen Vokale gedehnt (Kuhl et al. 1997, Englund & Behne 2006, Stern et al. 1983). ¨ Gesungenen Vokalen sind sie in solchen Außerungen besonders ¨ahnlich, in denen das Tonh¨ ohenniveau gleich bleibt (Level-Kontur, s. Fernald & Simon 1984, S.108) Die Formantstruktur von Vokalen ist im Singen und Sprechen unterschiedlich. Formanten sind Frequenzbereiche im Obertonspektrum eines Lautes, die im Vokaltrakt besonders verst¨arkt werden und dadurch gut h¨ orbar sind. Vor allem die ersten beiden Formanten bestimmen die Identit¨ at eines Vokals. Studien zum Singen (Sundberg 1982, Sundberg 1991a, Scotto di Carlo 2005) zeigen, dass Erwachsene Vokale mit zu-
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nehmender Tonh¨ ohe immer schlechter unterscheiden k¨onnen. Besonders drastisch ist dies im klassischen Gesang (Scotto di Carlo 2005). Bei Frauenstimmen liegt nach Sundberg (1987, S.176) die optimale Vokalverst¨ andlichkeit im Singen um F4 (ca. 350 Hz), bei M¨annern eine Oktave tiefer, danach werden Vokale immer schlechter unterschieden, bis bei Frauenstimmen (um F5) jeder Vokal nur noch nach ’a’ klingt, bei M¨annern nach ’¨ o’. Dies liegt daran, dass beim professionellen Singen erhebliche Modifikationen in der Formantstruktur stattfinden, um in bestimmten Frequenzbereichen an Lautst¨ arke gegen¨ uber begleitenden Instrumenten oder anderen Stimmen zu gewinnen (Sundberg 1991a, 1987). M¨annliche Operns¨anger senken den Kehlkopf ab und lassen dadurch einen neuen Resonanzbereich entstehen, den sogenannten “S¨ angerformanten”, der zwischen 2500 und 3500 Hertz liegt. S¨ angerinnen hingegen ¨ offnen sehr weit den Mund und verschieben dadurch bei T¨ onen mit sehr hoher Grundfrequenz den 1. Formanten nach oben. Damit u ¨berlagern sie die Frequenzen der Grundfrequenz und des 1. Formanten, was den Ton lauter macht (vgl. als gut verst¨ andliche Darstellung Spitzer 2004). Die h¨ ohere Tonh¨ ohe im kindgerichteten Sprechen k¨onnte der Vokalverst¨ andlichkeit also eher abtr¨ aglich sein. Tats¨ achlich fanden Trainor & Desjardins (2002), dass sechs bis sieben Monate alte englische Kinder zwar eine h¨ ohere Sprechlage bevorzugen, die isolierten Vokale [i] und [I] bei 340 Hz aber schlechter unterscheiden konnten als bei 240 Hz. Diese Ergebnisse u ¨berraschen, da ja gerade in diesem Frequenzbereich die beste Vokalverst¨ andlichkeit einer Frauenstimme liegen sollte. Die Ergebnisse sind eher vorsichtig zu bewerten, da die Aufgabenstellung (silben- und kontextlose, isolierte, sehr ¨ ahnliche Vokale unterscheiden) sehr schwierig und unnat¨ urlich ist. Kindgerichtetes Sprechen birgt jedoch auch Vorteile f¨ ur die Vokalverst¨ andlichkeit: Zum einen erleichtern stark fallende Intonationskonturen Kleinkindern, Vokale zu unterscheiden, wie dieselbe Studie von Trainor & Desjardins (2002) erbrachte. Bei gleichbleibender Tonh¨ohe verschlechterte sich die Leistung deutlich. Dies wirft die Frage auf, ob kindgerichtetes Singen, in dem Vokale auf konstanter Tonh¨ ohe gesungen werden, eher Nachteile f¨ ur die Vokalverst¨ andlichkeit hat (vgl. Kap. 5 und 7). Zum anderen werden Vokale im Sprechen mit Kindern ab drei Monaten u ¨berartikuliert, d.h. der Formantraum des prim¨aren Vokaldreiecks [i, u, a] ist u ¨bereinzelsprachlich erweitert, so dass die einzelnen Vokale bes-
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Vom Sprechen und Singen mit Kindern
¨ ser unterscheidbar sind8 . Uber den Vokalraum im kindgerichteten Singen existieren keine Studien. Eine Untersuchung von Rosenau (1999) zeigt, dass professionelle deutsche S¨ anger beim Singen von isolierten Vokalen in Sprechlage den ersten Formanten von [a, i, u] leicht absenken, den ¨ zweiten bei [u] anheben und bei [a] und [i] absenken9 . Diese Anderungen w¨ urden eher eine Verkleinerung des Vokalraumes bewirken. Die inh¨arente Tonh¨ ohe der Vokale, die beispielsweise f¨ ur [i] h¨oher ist als f¨ ur [a], wird nach Fowler & Brown (1997) allerdings auch im nicht-professionellen Singen realisiert. Die obige Darstellung legt nahe, dass Kleinkinder Vokale im kindgerichteten Sprechen besser als in AD-Sprache verstehen k¨onnen. Im kindgerichteten Singen sollte dies weniger der Fall sein. Dieser Frage wird in Teil 3, Kap. 5 nachgegangen. Konsonanten Wie bei den Vokalen, so scheinen auch Konsonanten in kindgerichteter Sprache teilweise u ¨berartikuliert zu werden. Hier konzentriert sich die Forschung vor allem auf Plosive. Aspiration und Voice Onset Time (VOT) stehen dabei im Mittelpunkt des Interesses. W¨ahrend Sundberg (2001) und Malsheen (1980) eine u ¨berdeutliche Artikulation des VOTKontrastes zwischen stimmhaften und stimmlosen Plosiven im Schwedischen und Englischen fr¨ uhestens zum Beginn des Wortlernens ab 11 Monaten feststellten, fand Englund (2005) im Norwegischen eine h¨ohere VOT f¨ ur [g, k, d, t] und [b] im kindgerichteten Sprechen schon innerhalb der ersten sechs Monate (im Gegensatz zu Sundberg & Lacerda ¨ 1999). Ferguson (1977) sieht auch dort Uberartikulation am Werk, wo Konsonanten im kindgerichteten Sprechen geminiert werden. Verschiedene phonologische Prozesse sind im kindgerichteten Sprechen u uhe Sprache von ¨bereinzelsprachlich beobachtet worden, die auch die fr¨ Kindern auszeichnen: Substitutionen von Lautklassen (z.B. Liquide durch Obstruenten oder Approximanten, hintere durch vordere Konsonanten), Vereinfachung von Konsonantenclustern, Elision unbetonter Silben, Konsonantenharmonie und Reduplikationen von Silben (vgl. Cruttenden 1994, Ferguson 1964). Im russischen kindgerichteten Sprechen, der soge8
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Bisherige Ergebnisse liegen zum Mandarin-Chinesischen, Niederl¨ andischen, Englischen, Russischen, Schwedischen und Norwegischen vor: Bernstein-Ratner (1984), van de Weijer (2001), Liu et al. (2003), Kuhl et al. (1997), Chelibanova (2002), Englund & Behne (2006). Bestimmte artikulatorische Besonderheiten wie L¨ acheln oder die vermehrte Lippenrundung im Russischen (Gavrilova 2002, S.35) k¨ onnten allerdings die Verst¨ andlichkeit auch beeintr¨ achtigen und den Charakter der Vokale wesentlich ver¨ andern. Eine n¨ ahere Diskussion erfolgt in Teil 3, Kap. 5. Gleiches Ergebnis f¨ ur den zweiten Formanten bei [i] in Sundberg (1987, S.117).
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¨ nannten sjusjukanije“, sind die konsonantischen Anderungen besonders ” hervorstechend (Gavrilova 2002, S.28-35): Im kindgerichteten Sprechen werden h¨ aufig harte Konsonanten durch weiche ersetzt10 , es gibt mehr Frikative als im normalen Sprechen, der Frikativ [S] und die Affrikate [tj š] werden h¨ aufig durch andere Frikative oder Plosive ersetzt11 . Wenn die Kinder schon selbst Worte lernen und sprechen, ersetzen Erwachsene den r-Laut [r] h¨ aufig durch [l]12 , [lj ] oder [u], was allerdings auch im normalen Sprechen passiert. Die Vereinfachung konsonantischer Cluster tritt ebenfalls nicht vor Beginn des Wortlernens im kindgerichteten Sprechen auf, kommt jedoch auch im normalen Sprechen vor und ist meist auf bestimmte W¨ orter beschr¨ ankt (z.B. [baëSoj] ‘groß’ wird zu [basj oj]). Da einige dieser Prozesse erst um den Beginn des Wortlernens auftreten, sieht Cruttenden (1994, S.2134) die Hauptfunktion dieser Erscheinung als [...]an indication to the child that an adult is on the same wave” length as the child. The adult speaks like the child to reinforce solidarity with the child.“ Dies kann jedoch nicht die vollst¨andige Erkl¨arung sein. Plausibler erscheint mir der Ansatz, in diesen Prozessen einen R¨ uckgriff auf unmarkierte Strukturen der Einzelsprache zu sehen, um dem Lerner unn¨ otige Komplexit¨ at in einer Lernphase mit sehr vielen Anforderungen zu ersparen. Diese Erscheinungen sind daher einzelsprachlich bestimmt. Ferguson (1977) beispielsweise verweist auf verschiedene bevorzugte Silbenstrukturen (CVC, CVCV, CVCCV) im kindgerichteten Sprechen, die je nach Sprache (Arabisch, Berber, Japanisch) variieren. Beim kindgerichteten Singen, so berichten Rock et al. (1999), werden Konsonanten in Spielsituationen ebenfalls sehr deutlich artikuliert. Deutlicher sei auch die Artikulation beim Singen f¨ ur Zwei- bis Drei-J¨ahrige als f¨ ur sechs bis elf Monate alte Kinder (Bergeson & Trehub 1999). Diese Wertungen sind allerdings rein perzeptiv und stammen von erwachsenen H¨ orern. Sie wurden nicht durch akustische oder artikulatorische Analysen best¨ atigt. Beim beruhigenden Singen hingegen sei die Artikulation weniger genau und verst¨ andlich. Zum professionellen Singen ist bei Nelson & Tiffany (1980) zu lesen, dass die Verst¨ andlichkeit von Konsonanten auch in hohen Tonlagen nicht beeintr¨ achtigt sei – im Gegensatz zu den Vokalen (s.o.). In Texten zur Gesangsp¨ adagogik wurde und wird bei der Artikulation der Konsonanten 10 11
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Z.B. tuk-tuk [tj uk-tj uk] oder nu ‘Na’ [nj u]; slon, ‘Elefant’ [slj on]. Z.B. kann das Fragewort /Sto/ ‘was’ als [sto], [fto], [tj to] erscheinen, das Wort /otj šIn/ ‘sehr’, erscheint auch als [otj In] oder [otsj In]. Wie schon Ferguson (1964) in seiner Untersuchung des kindgerichteten Sprechens im syrischen Arabischen, Spanischen, Englischen, Marathi, Gilyak und Comanche feststellte, sind Sibilanten allgemein h¨ aufig von Ersetzungen durch andere Konsonanten betroffen. Auch dies ist ein h¨ aufiger Prozess im kindgerichteten Sprechen, Ferguson (1964).
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Vom Sprechen und Singen mit Kindern
auf phonetische Erkenntnisse u uckgegrif¨ber die gesprochene Sprache zur¨ ´cuyer 1769/1972). Eckardt (1999) sieht in fen (Westerman 2002, Le seiner artikulatorischen Analyse wenige Unterschiede zwischen gesprochenen und gesungenen Konsonanten. Die Kiefer¨offnung kann beim Singen geringf¨ ugig gr¨ oßer sein, insbesondere bei den Nasalen. Der ganze Vokaltrakt ist beim (professionellen) Singen durch tiefere Zungenlage, weiter ge¨ offnete Lippen und Kiefer sowie abgesenkten Kehlkopf im Vergleich zum Sprechen vergr¨ oßert. Das Gaumensegel ist beim Singen st¨arker angehoben und wird gezielter bewegt, allerdings nimmt die Beweglichkeit der Zunge zum Rachen hin ab und ist geringer als beim Sprechen. Allerdings berichten McCrea & Morris (2007), dass es durchaus Unterschiede zwischen der Voice Onset Time von stimmlosen Plosiven im Sprechen und Singen gibt (k¨ urzere VOT im Singen), wobei erst weitere Studien die genauen Umst¨ ande der Variation kl¨ aren m¨ ussen. 3.2.5
Syntaktische und lexikalische Besonderheiten Einfache Syntax und Morphologie
Kindgerichtetes Sprechen im ersten Lebensjahr wird als syntaktisch einfach bewertet, die Komplexit¨ at des Vokabulars steigt mit zunehmender Interaktion des Kindes an. Funktionsw¨ orter treten durchaus auch in kindgerichteter Sprache auf, sie sind aber im Gegensatz zu AD-Sprache wesentlich weniger prosodisch reduziert (z.B. Malsheen 1980). Kindgerichtetes Singen wird ebenfalls als musikalisch einfacher bewertet als das Singen f¨ ur Erwachsene, wobei Spiellieder strukturell einfacher erscheinen als Wiegenlieder (Trehub & Trainor 1998, Unyk et al. 1992). Im Russischen ist ein h¨ aufiger Gebrauch von Diminutivbildungen auff¨ allig (Kempe et al. 2001, auch in gesungenen Texten vorzufinden, vgl. das Lied Malen’kij Jozhik“, 297). Diese Diminutiva tragen zur Vereinfa” chung des Genussystems bei und k¨ onnten somit den Erwerb dieser Kategorie sowie der Deklinationsklassen im Russischen erleichtern13 . Zugleich vermuten Kempe et al. (2001, S.1243), dass sie auch die Verteilung der (im Russischen freien) Wortakzente regularisieren k¨onnten und dadurch den Erwerb von Akzentmustern f¨ ur das Kind vereinfachen. Auch im kindgerichteten Singen treten viele Diminutivformen auf. Im Alter, in dem das Kind beginnt, W¨ orter zu lernen, platzieren Eltern ¨ neue W¨ orter vermehrt am Ende ihrer Außerungen (Fernald & Mazzie 1991, zu Platzierung von wichtigen W¨ ortern im Lied, vgl. Kapitel 8). Zusammen mit weiteren Grenzsignalen wie der Dehnung der finalen Silbe, einer stark konturierten Intonation und l¨angeren Pausen k¨onnte dies 13
F¨ ur erwachsene Lerner des Russischen stellten Kempe & Brooks 2001 diesen Effekt fest.
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durchaus dazu beitragen, das Erkennen prosodischer und syntaktischer Einheiten, aber auch das Wortlernen zu erleichtern. Tats¨achlich scheinen schon neun Monate alte Kinder das von Slobin (1985, S.1251) postulierte Operating Principle“, besonders das Ende von Einheiten und betonte ” Silben zu beachten, als Lernstrategie zu nutzen (Echols 2000). Strukturelle Stabilit¨ at: Hohe Repetitivit¨ at Die Repetitivit¨ at von kindgerichtetem Sprechen und Singen ist sehr hoch. Wiederholungen und stabile Muster erleichtern es Kindern, Strukturen zu erkennen und sich zu merken, auf das Gesagte und Gesungene zu reagieren. Wenn das Kind bestimmte Inhalte antizipieren kann, hat es auch bessere M¨ oglichkeiten, auf den Partner einzugehen. Die Erwartbarkeit und Stabilit¨ at von Strukturen ist beim kindgerichteten Singen h¨oher als beim kindgerichteten Sprechen, wie der folgende Absatz zeigt. Wiederholungen von Intonationskonturen sind im kindgerichteten Sprechen sehr h¨ aufig. Besonders auff¨ allig ist das geh¨ aufte Auftreten phatischer F¨ uller (na, ja, gell, hm im Deutschen, nu, da, aga, agu im Russischen, oui, hm im Franz¨ osischen), die sehr oft mit ¨ ahnlicher Intonationskontur wiederholt werden (Fernald & Simon 1984). Auch der Gebrauch reduplizierter Formen ist im kindgerichteten Sprechen stark ausgepr¨agt. Im Franz¨osischen ist dies besonders auff¨ allig: Hier hat sich ein ganzer Spezialwortschatz gebildet: dodo f¨ ur ‘schlafen gehen’, lolo f¨ ur ‘Milch’ oder doudou f¨ ur ‘Kuscheltier’. Silbische Reduplikationen treten auch im Singen h¨aufig auf: bestimmte Schlafw¨ orter (z.B. bajubaju im Russischen, vgl. Anhang S. 292) und andere Nonsenssilben (lolo, lala, mamama, vgl. Anhang, S.219), sowie Onomatopoetika. Weiterhin wiederholen sich in Liedern W¨orter, musikalische Phrasen und Strophen regelm¨ aßiger als im Sprechen, wobei jedoch Stern et al. (1983) bei englischsprachigen M¨ uttern feststellten, dass diese im Gespr¨ ach mit ihren zwei Monate alten Kindern immerhin jede zweite Phrase wiederholten. Auch auf subsilbischer Ebene treten viele Wiederholungen auf: Im Singen werden die poetischen Mittel von Reim und Alliteration besonders stark genutzt (Trehub & Trainor 1998), sowohl im Franz¨ osischen als auch im Russischen und Deutschen. Strukturelle Unverst¨ andlichkeit: Beeintr¨ achtigende Faktoren Andererseits gibt es gerade im Singen Merkmale, die der Verst¨andlichkeit und Lernbarkeit von Strukturen m¨ oglicherweise abtr¨aglich sind. Kindgerichtetes Singen erfolgt meistens in metrisch gebundener Form, wodurch die Syntax teilweise eher komplizierter als einfacher wird. In traditionellen Liedern ist oft ein altert¨ umliches oder seltenes Vokabular zu finden (z.B. N¨ aglein f¨ ur ‘Flieder’ im deutschen Lied Guten Abend, gute ”
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Vom Sprechen und Singen mit Kindern
Nacht“, sabots ‘Holzschuh’ im franz¨ osischen Lied En passant par la Lor” raine“). Auch Nonsensw¨ orter und Onomatopoetika k¨onnen die Verst¨andlichkeit beeintr¨ achtigen (Trehub & Trainor 1998, S.44). Im kindgerichteten Sprechen sind jedoch auch Ph¨ anomene beobachtet worden, die nicht aus der Erwerbssprache zu kommen scheinen (Ferguson 1977) und die Verst¨ andlichkeit beeintr¨ achtigen k¨ onnten: die Verlagerung des Wortakzents auf un¨ ubliche Silben (z.B. im Japanischen, Comanche), der distinktive Gebrauch des Wortakzents ohne lexikalische Grundlage (wie im rum¨ anischen p` apa ‘Essen’ und pap` a ‘Tsch¨ uß’) oder das Auftreten von nicht-muttersprachlichen Lauten. Die Funktion dieser Erscheinungen ist nicht vollst¨ andig gekl¨ art. Eine Folge dieser Merkmale sind bis ins sp¨atere Lebensalter andauernde Verh¨ orer”, wie sie zum Beispiel Axel Hacke und Roman Kellner in ” ihren Sammlungen beschreiben14 . 3.2.6
Altersabh¨ angige Prozesse
Schon Stern et al. (1983) berichteten u ¨ber starke Ver¨anderungen im Sprechen mit Englisch lernenden Kindern innerhalb des ersten Lebensjahres, die z.B. auch das Team um Kitamura in anderen Sprachen beobachtet hat (Kitamura et al. 2001, Kitamura & Burnham 2003). Ver¨ anderungen in der Prosodie sind besonders zu beobachten, wenn Eltern mit Neugeborenen, mit Kindern von drei bis vier Monaten, neun Monaten und zw¨ olf Monaten sprechen. Mit drei bis vier Monaten erreichen die tonalen Merkmale im kindgerichteten Sprechen ihren H¨ohepunkt, in der zweiten H¨ alfte des ersten Lebensjahres zeigen sich einzelsprachliche Modifikationen im Sprechen mit Kindern. Beim Sprechen mit Neugeborenen fallen besonders die langen Pausen auf (Stern et al. 1983), Tonh¨ ohenmodifikationen und Konturen sind noch nicht so ausgepr¨ agt, das Vokabular und der grammatische Bau sind sehr einfach. Eltern wollen ihre Kinder beruhigen, ihnen Sicherheit und ein positives Gef¨ uhl vermitteln. Je st¨ arker die Kinder reagieren, l¨acheln, dem ¨ Partner ins Gesicht sehen und vokalisieren, desto l¨anger werden die Auße14
Axel Hacke (2004): Der weiße Neger Wumbaba. Kleines Handbuch des Verh¨ orens. 7. Auflage. Kunstmann Verlag. Roman Kellner (2005): Von Eisb¨ arsalat bis Kn¨ ochelverzeichnis. Die besten Verh¨ orer deutscher Sprache. Uberreuter. Ein Verh¨ orer ist die Uminterpretation einer Stelle eines (Lied-, Gebets- oder Gedicht)Textes, die aus irgendeinem Grund f¨ ur den H¨ orer unverst¨ andlich bleibt: z.B. ... und aus den Wiesen steiget der weiße Neger Wumbaba“ statt der weiße ” ” Nebel wunderbar“, wie es in der Originalversion von Matthias Claudius heißt. Oder Gott, der Herr, hat sieben Z¨ ahne“ statt Gott, der Herr hat sie gez¨ ahlet“ ” ” in dem Lied “Weißt du wieviel Sternlein stehen”. F¨ ur den Hinweis auf diese vergn¨ uglichen B¨ ucher danke ich Prof. Dr. Helmut Schwichtenberg.
Merkmale gesungener und gesprochener Sprache
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rungen der Eltern und das Vokabular wird vielf¨altiger (Henning et al. 2005). Ab zwei bis drei Monaten intensiviert sich die Interaktion zwischen Eltern und Kindern. Es handelt sich um direkte Face-to-Face-Situationen, da das Kind noch nicht so beweglich ist und sich daher ganz auf den Gespr¨ achspartner konzentrieren kann. In dieser Interaktionsphase sprechen (deutsche, englische) M¨ utter mit deutlich erh¨ohter Stimmlage, sie nutzen den vollen Stimmumfang f¨ ur starke Tonh¨ohenbewegungen aus und wiederholen oft Phrasen oder W¨ orter (Stern et al. 1983, Kitamura & Burnham 2003). Selbst chinesisch-sprechende M¨ utter zeigen ausgepr¨agte Intonationskonturen (Grieser & Kuhl 1988), wobei sie ab und zu auch lexikalische Tonkonturen u sek & Hwang 1991). ¨bergehen (Papouˇ Zwischen neun und zw¨ olf Monaten, wenn das Kind aktiv seine n¨ahere Umgebung untersucht und zu krabbeln beginnt, u ¨berwiegt von Seiten der M¨ utter laut Kitamura & Burnham (2003) direktives Verhalten: Sie wollen die Aufmerksamkeit des Kindes auf bestimmte Situationen und Gegenst¨ ande lenken. Die Sprechlage ist unter Umst¨anden nicht mehr so hoch und auch die Tonh¨ ohenmodifikationen fallen zunehmend geringer aus (Stern et al. 1983). Daher wird auch in einer Tonsprache wie dem Thai in dieser Phase Ton zunehmend wie in erwachsener Kommunikation verwendet (Kitamura et al. 2001). Das kindgerichtete Sprechen unterst¨ utzt zunehmend bestimmte grammatikalisch sprachspezifische Eigenheiten (z.B. Fokusmarkierung im Englischen, Fernald & Mazzie 1991). ¨ Uber altersabh¨ angige Variationen beim Singen mit Kindern ist wenig bekannt. In ihrer Untersuchung fand Longhi (2003) heraus, dass vier Monate alte Kinder beim Singen st¨ arker zur Interaktion angeregt werden als acht Monate alte Kinder, die hingegen st¨ arker auf Sprechen reagierten. de l’Etoile (2006) wiederum fand, dass die acht Monate alten Kinder in ihrer Studie eher dazu neigten, beim Singen mit der Mutter mitzulauten und zu vokalisieren. Zur Struktur des kindgerichteten Singens gibt es eine entwicklungabh¨ angige Studie von Bergeson & Trehub (1999). Dabei untersuchten sie, wie Eltern mit sechs bis elf Monate alten Kindern und 2;10-3;11 Jahren alten Kinder singen. W¨ ahrend Bergeson & Trehub (1999) keine Ver¨ anderungen in Tempo, Intensit¨at, Pausen-, Phrasenund Vokall¨ ange fanden, sangen M¨ utter f¨ ur die j¨ ungeren Kinder in h¨oherer Tonlage und artikulierten klarer f¨ ur die a lteren Kinder. Leider l¨asst sich ¨ aus dieser Studie nichts weiter ableiten als der Trend, der sich beim Sprechen ergibt, dass ein wesentlicher Unterschied zwischen Kindern in der Phase des aktiven Wort- (und Grammatik)erwerbs und j¨ ungeren Kindern besteht, wobei Tonh¨ ohenmodifikationen besonders in der Kommunikation mit S¨ auglingen und Kleinkindern dominieren.
66
Vom Sprechen und Singen mit Kindern
3.2.7
Unterschiede und Gemeinsamkeiten
From the infant’s perspective, music and language may not be nearly as different as they are for the adult listener, at least when considering what is to be gleaned from a listening experience. (Saffran, 2003b, S.39)
Kindgerichtetes Singen und Sprechen haben – wie die vorangegangene Zusammenschau zeigt – vieles gemeinsam, so dass eine konzeptuelle Trennung f¨ ur das Kind sehr schwierig sein d¨ urfte. An seinen Reaktionen sieht man allerdings, dass es durchaus anders auf Sprechen reagiert als auf Singen: Das Singen scheint die Aufmerksamkeit des Kindes in dem Maße zu fordern, dass es motorisch weniger aktiv ist, sich der Hormonhaushalt messbar ¨ andert und es l¨ anger Blickkontakt zum Partner h¨alt als beim Sprechen, welches wiederum einen st¨ arker interaktionalen Charakter mit periodischem Turntaking hat. W¨ ahrend im kindgerichteten Sprechen der schnelle Wechsel zwischen extremen Tonh¨ ohenmaxima und -minima charakteristisch ist und die Aufmerksamkeit besonders von sehr kleinen Kindern weckt, erfolgt dieser Wechsel im Singen systematischer (Intervalle), langsamer und weniger extrem. Im Sprechen haben Tonh¨ ohenkonturen eine sehr spezifische kommunikative Funktion, dass dies im Singen auch der Fall sein k¨onnte legen die Untersuchungen von Cordes (1998, 2005) nahe (mehr dazu im Kap. 9). Die emotionale Beteiligung spielt in beiden Registern eine entscheidende Rolle, dr¨ uckt sich jedoch etwas anders aus: Im Sprechen scheint der Hauptparameter die erh¨ ohte Sprechlage zu sein, im Singen hingegen ein l¨ achelnder“ Tonfall, der nicht unbedingt mit einer Erh¨ohung der Sing” lage zusammengeht. Ein wesentlicher Vorteil des Singens gegen¨ uber dem Sprechen sind die deutlichen Wiederholungen auf verschiedenen Ebenen (musikalische Phrasen, Motive, Text, Silben, Reime), was optimale Lernbedingungen f¨ ur das Kind bietet. Grenzmerkmale gr¨ oßerer Strukturen wie Phrasen und S¨atze sind in beiden Registern sehr deutlich (Dehnung, Grenzt¨one, Kadenzen ect.). Das Sprechen ist in syntaktisch-lexikalischer Hinsicht jedoch einfacher und regelhafter als das Singen, in dem auch archaischer oder poetischer Satzbau sowie vermehrt lexikalische Ausnahmeerscheinungen auftreten k¨onnen. In Tabelle 3.1 sind wesentliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede noch einmal zusammengefasst. Die Forschung zum kindgerichteten Singen und Sprechen in den drei Untersuchungssprachen dieser Arbeit ist leider so sp¨ arlich, dass ich aufgrund der vorhandenen Daten keine Schlussfolgerungen zu sprachspezifischen Besonderheiten ziehen kann. Folgende Sachverhalte sind immerhin auff¨ allig: Im Russischen werden im grammatischen Bereich besonders viele Diminutiva gebraucht, was im Deutschen sicherlich seltener, im Franz¨ osischen u ¨berhaupt nicht m¨oglich ist. Das
Die Motheresehypothese Merkmal
Gemeinsamkeiten
Pausen, Tempo Tonh¨ ohe
verlangsamt
Rhythmus
stark rhythmisiert metrisches Turntakting phrasenfinale Dehnung
Artikulation
verlangsamt
Repetitivit¨ at
hoch
erh¨ ohte Sprech-, Singlage
Syntax Lexikon
67
Unterschiede Singen – Sprechen
Sing.: geringere Erh¨ ohung des Registers Sprech.: gr¨ oßerer Stimmumfang, extreme Konturen auf einer Silbe m¨ oglich Sing.: deutlichere Rhythmisierung, eher monologisch
Sing.: l¨ achelnder Tonfall, st¨ arkere Vokaldehnung, Vokalverst¨ andlichkeit evtl. beeintr¨ achtigt Sprech.: hohe Vokalverst¨ andlichkeit Sprech.: vor allem Intonationskonturen Sing.: Phrasen, Strophen, Reime Sprech.: syntaktisch einfach Sing.: evtl. archaische Syntax Sing.: evtl. archaischer Wortschatz
Tabelle 3.1: Charakteristika kindgerichteten Singens und Sprechens
Franz¨ osische weist daf¨ ur einen großen Spezialwortschatz an reduplizierten Ausdr¨ ucken auf. Weiterhin deutet die Forschungslage darauf hin, dass die Tonh¨ ohenver¨ anderungen im deutschen und russischen kindgerichteten Sprechen drastischer sind als im Franz¨ osischen und dass das Register im Russischen im Gegensatz zum AD-Sprechen starke konsonantische Ver¨ anderungen aufweist.
3.3
Die Motheresehypothese
Die Forschung zeichnet ein Bild des Kindes als aktiven H¨orer, der schon ab dem ersten Lebenstag bestens f¨ ur die Verarbeitung komplexer lautlicher Signale ausgestattet ist. Kinder sind h¨ ochst sensibel f¨ ur die lautli-
68
Vom Sprechen und Singen mit Kindern
chen Aspekte Lautst¨ arke, Tonh¨ ohe, Dauer und Klangfarbe im Sprechen und Singen. Ihre Aufmerksamkeit gilt prominenten Signalen, die lauter und/oder l¨ anger sind als ihre Umgebung bzw. gr¨oßere Tonh¨ohenbewegungen darstellen. Kinder beobachten die sequentielle Ordnung des Signals und sind ab der zweiten H¨ alfte des ersten Lebensjahres in der Lage, statistisch h¨ aufiger vorkommende Elemente und Kombinationen zu erkennen und sich zu merken. Im ersten Jahr nutzen sie diese F¨ahigkeiten, um wiederkehrende Muster aus dem Lautstrom zu extrahieren und erste Kategorien aus diesen Mustern zu bilden. Nur dadurch ist zu erkl¨aren, dass Kinder am Ende des ersten Jahres bereits in der Lage sind, W¨orter zu erlernen und einer lautlichen Gestalt Bedeutung zuzuordnen. Aus der Betrachtung der Forschungsergebnisse zeigt sich jedoch auch, wie wenig u ¨ber den einzelsprachlichen Verlauf der Entwicklung bei Kindern bekannt ist. So stellen erst neuere Erkenntnisse in Frage, ob es tats¨ achlich eine einheitliche Sprach-Ontogenese gibt. Die Forschung weist darauf hin, dass so elementare Prozesse, wie das Wortsegmentieren in verschiedenen Sprachen zeitlich ganz unterschiedlich ablaufen oder dass bestimmte Wortarten sprachspezifisch erworben werden. Ein einheitlicher Entwicklungsverlauf ist also ab dem 6. Monat nicht mehr wahrscheinlich. Leider ist uns zu diesen Prozessen noch viel zu wenig bekannt, weswegen eine endg¨ ultige Bewertung sp¨ ateren Forschergenerationen u ¨berlassen werden muss. Eine f¨ ur diese Arbeit wichtige Aussage der Studien ist, dass die Verbindung zwischen sprachlichem Input und der Entwicklung des Kindes verbl¨ uffend eng ist. Die oben vorgestellten Spracherwerbs-Etappen korrespondieren teilweise mit Ver¨ anderungen im Sprechen mit Kindern, wobei ich auch die Erkenntnisse zum kindgerichteten Singen ber¨ ucksichtigen m¨ ochte: Gerade bei Neugeborenen sind die sprachlichen Ausschnitte, mit denen die Kinder konfrontiert werden, sehr kurz und mit sehr langen Pausen verbunden, so dass das Kind Ver¨ anderungen in der globalen Struktur schnell bemerken kann und schon sehr fr¨ uh phrasen- und satzartige Gebilde abgrenzen kann. Die erste lautliche Eigenschaft, auf die Kinder verst¨ arkt ihre Aufmerksamkeit richten, ist die Tonh¨ohe, die im kindgerichteten Sprechen differenzierte kommunikative Funktion u ¨bernimmt und somit erste Zuordnungen von Formen und vagen/globalen Bedeutungen erm¨ oglicht. Die Eltern bieten dabei im Sprechen und Singen auff¨allige Tonh¨ ohen- und Melodiekonturen an, deren globale Strukturen f¨ ur Kinder besonders interessant sind. Die hohe Wiederholungsrate besonders beim Singen k¨ onnte hier das Wiedererkennen und Merken erleichtern. Im Alter von drei bis vier Monaten hat diese Phase ihren H¨ohepunkt erreicht. Danach spezialisieren sich Kinder langsam auf ihre Muttersprache, sie entwickeln eine Vorstellung von anderen globalen Strukturen wie dem
Die Motheresehypothese
69
spezifischen Rhythmus und den Betonungsmustern, aber auch vom Lautinventar, das sie durch die deutliche Artikulation beim kindgerichteten Sprechen wom¨ oglich leichter kategorisieren k¨ onnen. W¨ahrend Kinder zunehmend die lautlichen Besonderheiten ihrer Sprache entdecken, r¨ ucken im kindgerichteten Sprechen auch grammatische Besonderheiten in den Mittelpunkt, die tonalen Komponenten nehmen ab. Ab dem 9. Monat verdeutlichen Eltern Wort- und Satzgrenzen unter anderem damit, dass sie wichtige W¨ orter oft am Phrasenende wiederholen. Wenn Eltern mit verst¨ arkter Betonung sprechen und singen, k¨ onnte das vor allem den Kindern helfen, die anhand eines Betonungsmusters W¨orter segmentieren. Die zum Ende des ersten Jahres einsetzenden vereinfachenden phonologischen Prozesse im kindgerichteten Sprechen, wie Konsonantenreduktion oder Lautsubstitutionen, k¨ onnten dem Kind auch die Produktion erster Silben, W¨ orter und Protow¨ orter erleichtern. Die vorangehende Betrachtungen zeigen, dass Eltern den Sprachinput in der Praxis den kognitiven F¨ ahigkeiten des Kindes anpassen. Im Gegensatz zur These vom vereinfachten Register (Ferguson 1964) handelt es sich um prosodisch hochstrukturierten bzw. sogar u ¨berstrukturierten ¨ Input. Wie in Kapitel 3 schon betrachtet wurde, gibt es Ahnlichkeiten zwischen kindgerichtetem Sprechen und Singen. Meine zweite Hypothese, die ich in den Kapiteln 5 und 9 in Ans¨ atzen u ufen werden, lautet da¨berpr¨ her: Kindgerichtetes Singen weist prosodische Korrespondenzen zum kindgerichteten Sprechen auf. Dieses macht Ordnungsangebote im Lautstrom, durch die ein Kind wichtige sprachliche Funktionen und Einheiten kennen lernen kann. Sollte sich diese ¨ Hypothese best¨ atigen lassen, w¨ are das ebenso wie die Aquivalenzhypothese (Abschnitt 2.5) ein starkes Argument, dass kindgerichtetes Singen beim Spracherwerb hilfreich sein k¨ onnte.
4
Empirische Grundlage der Untersuchungen
Dieses Kapitel beschreibt die Gewinnung und strukturelle sowie funktionale Einordnung der Daten, die die Grundlage f¨ ur die anschließenden empirischen Untersuchungen bilden. Das in den drei Sprachen Deutsch, ¨ Franz¨ osisch und Russisch erhobene Material bietet einen aktuellen Uberblick dar¨ uber, wie und in welchen Situationen heutzutage in Familien verschiedener europ¨ aischer Kulturen gesungen wird. Zudem zeigt das Kapitel Beweggr¨ unde und Begleitumst¨ ande beim Singen auf, die Zusammensetzung des gesungenen Liedguts in den drei Sprachgruppen und einige ausgew¨ ahlte strukturelle Merkmale der Lieder. Es zeichnet ein spannendes Bild der Kreativit¨ at der Eltern und der Intensit¨at der fr¨ uhen Eltern-KindInteraktion. Einige besonders erw¨ ahnenswerte Beobachtungen w¨ahrend der Aufnahmen werde ich herausgreifen, um die sprachlich und prosodisch anregenden Interaktionen zwischen Eltern und Kind zu demonstrieren.
4.1
Vorbemerkung: Der Begriff Kinderlied
Da ein Großteil des kindgerichteten Singens, um das es in dieser Studie geht, im allgemeinen Sprachgebrauch als Kinderlied“ bezeichnet wird ” ( chansons enfantines“ im Franz¨ osischen, detskije pesni“ im Russischen), ” ” soll an dieser Stelle eine kurze Auseinandersetzung mit diesem Begriff erfolgen. Im Abschnitt 4.3.1 sowie im Kapitel 9 wird noch einmal von Klassifizierungsrastern f¨ ur Kinderlieder die Rede sein. Kinderlieder sind Volkslieder, die speziell von oder f¨ ur Kinder gesungen, bzw. auch komponiert werden. Ein großer Teil der Kinderlieder entstammt einer m¨ undlichen Tradition. In dieser Studie werden jedoch Kinderlied-Formen, die Kinder selbst und untereinander entwickeln1 oder verwenden (z.B. Abz¨ahlreime), nicht ber¨ ucksichtigt. 1
Eine hervorragende Arbeit, wie Kinder Lieder singen, ist Stadler Elmer 2002.
Vorbemerkung: Der Begriff Kinderlied
4.1.1
71
Kinderlieder fr¨ uher und heute
Das Kinderlied“ als Textsorte ist, ebenso wie das Volkslied“, das erst im ” ” Zuge der Aufkl¨ arung in Europa durch Johann Gottfried Herder gepr¨agt wurde, noch gar nicht so alt, obwohl es wahrscheinlich zu allen Zeiten f¨ ur ihre Kinder singende Eltern gegeben hat2 . Kinderlieder, die auch als solche f¨ ur Kinder geschrieben wurden, gab es im Mittelalter nicht. Die ¨altesten deutschen Belege f¨ ur Wiegenlieder stammen zwar aus dem 13., 14. Jahrhundert. In ihnen sind jedoch h¨ aufig Themen angesprochen, die der Erwachsenenwelt zuzuordnen sind wie Liebe und Sexualit¨at. Wiegenlieder haben, wie es scheint, weltweit eine enge Verbindung zu Liebesliedern: Indianische Liebes- und Wiegenlieder aus Nordamerika sind strukturell so ahnlich, dass sie kaum unterscheidbar sind (Trehub & Trainor 1998, ¨ S.59). Auch zu Zauberliedern und Beschw¨ orungsformeln haben Wiegenlieder einen engen Bezug (Anikin 1957, S.87ff). Zwischen Kinderwelt und Erwachsenenwelt gibt es ein st¨ andiges Nehmen und Geben, eine Art Wellenbewegung, eine Art Umkehrungsprozeß: Auf der einen Seite spielen Kinder die Erwachsenenwelt nach. Ehemalige Erwachsenenwelt ist in die Kinderfolklore abgewandert. R¨ ohrich (2002a, S.291)
Was Lutz R¨ ohrich hier beschreibt, geschieht auch beim Singen mit den ganz Kleinen (s. Abschnitt 4.2.3): Erwachsene singen sowohl f¨ ur Kinder bestimmte Lieder als auch Lieder, die ihnen selbst gefallen wie Volkslieder, Seemannslieder, Pop-Lieder, Schlager, Filmhits usw. Erst ab dem 15. und 16. Jahrhundert begann man in Deutschland, das Kind als solches zu entdecken und ihm seine eigenen Ausdrucksformen zuzugestehen. Als Pionier darf hier, allerdings in moralisch-belehrender Absicht, Martin Luther gelten. Das 18. Jahrhundert bringt mit dem aufkl¨ arerischen Denken die ersten Kinderdichter hervor wie Christian Felix Weise. Das Kinderlied“, wie wir es heute kennen, erf¨ahrt seinen großen ” Aufschwung im 19.Jahrhundert durch ein neues (verkl¨artes) Verst¨andnis von Kindheit und Erziehung. Die altdeutschen Lieder wurden von den romantischen Dichtern und Komponisten dabei als Vorlagen f¨ ur ihre eigenen Produktionen benutzt, die die Reinheit der Mutter-Kind-Beziehung abbilden sollten. Dies verdeutlicht eines: Mit dem sich wandelnden Verst¨andnis der Erwachsenen und dem kulturellen Umgang mit Kindern wandelt sich auch das Kinderlied“. Heute gibt es sogenannte Kinderliedermacher“ in ” ” Deutschland z.B. Detlef J¨ oker oder Rolf Zuckowsky, in Frankreich Henri D`es oder Steve Warring, die explizit f¨ ur ein kindliches Publikum komponieren. In Russland (Anikin 1957) wuchs das Interesse an Kinderfolklore 2
Die Darstellung im folgenden Absatz betrifft Deutschland und ist sehr kurz gehalten. Empfehlenswerte Ausf¨ uhrungen z.B. in Vahle (1992) und Tappe (1993).
72
Empirische Grundlage der Untersuchungen
im 19. Jahrhundert. Zur st¨ arkeren, wissenschaftlichen und k¨ unstlerischen Auseinandersetzung kommt es erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts (z.B. mit Autoren wie Chukovskij 2000). 4.1.2
Orale Tradierung: Das Umsingen
Der Urheber eines Kinder- oder Volksliedes spielt f¨ ur dessen Form und Text eine untergeordnete Rolle. Der Grund: Im Laufe der Zeit ver¨andern sich sowohl Text als auch Form der Lieder, sofern sie vor allem m¨ undlich weitergegeben werden. Dieses m¨ undliche Umsingen“, das einen großen ” Variantenreichtum hervorbringt, wird in der Volkskunde als entscheidendes Merkmal von Volksliedern gesehen (Klusen et al. 1978, Wiora 1941). Erst das Weitersingen macht das Lied zum Volkslied. An den durch Umsingen aus den verschiedensten Gr¨ unden entstehenden Varianten kann man den Grad der Volksl¨ aufigkeit messen. (R¨ ohrich, 2002b, S.21)
Ein Lied, das aus der aktuellen Unterhaltungsmusik stammt, z.B. aus einem neueren Zeichentrickfilm, kann also auch ins Volks- und Kinderliedrepertoire u ugend Eltern/Kinder es singen und ¨bergehen, wenn nur gen¨ dabei abwandeln. Auch in dieser Studie finden sich zahlreiche Beispiele f¨ ur umgesungene Lieder, die in mehreren Varianten vorliegen, z.B. das franz¨ osische Spiellied Bateau sur l’eau“ Anhang, S. 276, das deutsche ” Lied Erst kommt der Sonnenk¨ aferpapa“ Anhang, S. 287, und das russi” sche Schlaflied Baju Bajushki baju“, s. Anhang, S. 292. Das Umsingen ” folgt bestimmten Gesetzm¨ aßigkeiten wie Klusen et al. (1978) experimentell anhand einer deutschen Ballade mit 40 Versuchspersonen zeigten: • Der Rhythmus ist stabiler als die Melodie. Diese Erscheinung ist dadurch zu erkl¨ aren, daß die Sprachdeklamation dem musikalischen Rhythmus zu einer Festigkeit verhilft, die sich gegen¨ uber den ver¨ andernden Kr¨ aften (Vergessen, individuelle Gestaltung) als relativ resistent erweist. (Klusen et al. 1978, S.18)
Klusen et al. (1978) begr¨ unden diese Aussage damit, dass die Ballade sowohl Wort- als auch Satzakzente stilisiere. Insgesamt erwies sich der Text ebenfalls als wenig ¨anderungsanf¨allig. Rhythmische Ver¨ anderungen betrafen in wenigen F¨allen punktierte Noten, die die Versuchspersonen in gleichm¨ aßig fortschreitende umwandelten. Zudem k¨ urzten sie l¨ angere Notenwerte, sobald eine neue Textsilbe dazu kam. Auch die Taktart wechselt im Deutschen beim Umsingen kaum.
Vorbemerkung: Der Begriff Kinderlied
73
• Melodische Ver¨ anderungen sind nicht abh¨angig von der Position im Lied. Intervallspr¨ unge werden in der Tendenz eher verkleinert. Exakte Tonwiederholungen werden eher vermieden und in Sekundschritte umgewandelt. • Beim Umsingen bevorzugten die Versuchspersonen Melodien, die sich zwischen Tonika und Dominante bewegten. Dabei war der letzte Ton einer Melodie stets an die Tonika gebunden. Subdominanten wurden selten eingesungen“. Wie Stoffer (1979) und Stadler ” Elmer (2002, S.130ff) in ihren Strukturanalysen deutscher Kinderlieder zeigen, sind diese tonalen Merkmale auch in normativen, schriftlichen Fassungen vorhanden. Stabil bleibt meist auch das Tongeschlecht (Dur oder Moll). • Die Ver¨ anderungen sind meist keine Neuerungen, sondern die Versuchspersonen griffen bereits Geh¨ ortes aus anderen Teilen des Liedes wieder auf. Bei diesen Ausf¨ uhrungen muss darauf verwiesen werden, dass es sich um eine Untersuchung zu deutschen Liedern handelte. Es ist daher fraglich, ob in anderen Sprachen/Kulturen nicht auch andere tonale und rhythmische ¨ Ver¨ anderungen beim Umsingen stattfinden. Am Uberblick im Abschnitt 4.3.3 l¨ asst sich in groben Z¨ ugen erkennen, dass wir es nicht – wie z.B. Burling (1966) und andere in der Einleitung genannte Forscher annehmen – mit universellen Strukturen in Kinderliedern zu tun haben, ja, dass die gesungenen Formen der drei hier untersuchten Sprachen offensichtlich musikalisch und sprachlich sehr unterschiedlich komplex sind. Zudem sind die Aussagen dieses Experimentes vorl¨ aufig, da es innerhalb eines sehr kurzen Zeitraums (4 Wochen) stattfand. Leider liegen weder f¨ ur das Russische noch f¨ ur das Franz¨ osische a hnliche Untersuchungen vor. ¨ Wie diese beiden Abschnitte zeigen, geh¨ oren Kinderlieder“ einem ” N¨ ahesystem an, dessen Tradierung in der Regel seit Generationen m¨ undlich geschieht und dessen wesentliches Merkmal darin besteht, dass nichtprofessionelle S¨ angerInnen Texte und Musik immer weiter umsingen und dadurch neu erschaffen. Dennoch ist der Begriff Kinderlied“ bereits teil” weise ideologisch aufgeladen (durch das jeweils aktuelle Verst¨andnis von Kindheit“) als auch normativ besetzt ( einfache Form“) und bezieht sich ” ” oft auf Schriftfassungen der Lieder. So werde ich mich im Folgenden mit dem terminologisch weiter fassbaren kindgerichteten Singen befassen und den Begriff Kinderlied so wenig wie m¨ oglich nutzen.
74
Empirische Grundlage der Untersuchungen
4.2
Datengewinnung
Das Korpus dieser Studie enth¨ alt Audio-Aufnahmen von Eltern, die mit ihren Kindern in russischer, franz¨ osischer und deutscher Sprache singen und sprechen. Die Kinder sind nicht ¨ alter als 13 Monate, sie sind keine Fr¨ uhgeburten und machen eine unauff¨ allige kognitive und auditive Entwicklung durch. Insgesamt haben sich 53 Eltern sowie zwei Großeltern an dieser Studie beteiligt. Grunds¨ atzlich ist zu sagen, dass es relativ schwierig ist, Eltern zu finden, die sich bereit erkl¨ aren, vor einem Mikrofon zu singen. Die Stimme wird, wenn sie wie im Singen so offensichtlich im Vordergrund steht, offenbar im europ¨ aischen Kulturkreis als etwas sehr Intimes empfunden, viele Hemmungen sind beim Singen in Anwesenheit anderer Personen vorhanden. Manche Eltern wollen dabei nicht einmal von ihrem Ehepartner beobachtet werden. Vor allem das Selbsturteil, dass man nicht singen k¨onne3 oder eine schlechte Stimme habe, f¨ uhrte dazu, dass viele potentielle InformantInnen nicht an der Studie teilnehmen wollten. Diese Argumentation war bei allen drei hier untersuchten Sprachgruppen zu finden und h¨ angt wahrscheinlich damit zusammen, dass sich bei vielen Leuten durch die Maßst¨ abe des professionellen Gesangsstils und den h¨aufigen Konsum von durch Studiobearbeitungen perfektioniertem Gesang u ¨ber Radio und Tontr¨ ager u ¨bersteigerte Werturteile zu stimmlichen Qualit¨aten herausgebildet haben, an denen das eigene individuelle Singen gemessen wird. Hinzu kommt m¨ oglicherweise der Umstand, dass im europ¨aischen Raum – wie auch im amerikanischen Raum – allgemein nicht mehr so viel in Gemeinschaft gesungen wird, wie beispielsweise Trehub & Trainor (1998, S.45) nahelegen: Thus, except for a small number of committed music-makers and for caregivers of young children, adults in modern industrial societies devote relativ little of their time to singing, generally considering it of trivial significance.
Auch Horak (1985, S.120) sieht ge¨ anderte Lebensgewohnheiten, den Medienkonsum und den Zerfall der Familie als Ursache daf¨ ur, dass viele Spiele, Reime und Lieder nicht mehr in den Familien weitertradiert werden und daher das Liedwissen im Laufe der Zeit immer weiter abnehmen wer3
Dalla Bella et al. (2007) berichten von sehr guten gesanglichen Qualit¨ aten von nicht-professionellen S¨ angerinnen aus Qu´ebec. Die gr¨ oßten Unterschiede zu professionellen S¨ angern waren tempoabh¨ angig, die Pr¨ azision im melodischen Bereich war allgemein sehr gut.
Datengewinnung
75
de. Letztlich wissen wir bisher wenig wissenschaftlich Erforschtes4 u ¨ber den derzeitigen Stellenwert des Singens in Familien. Wie sich aus einer im Vorfeld dieser Studie durchgef¨ uhrten Befragung von etwa 100 Eltern aus dem M¨ unchner Raum ergab, scheint die Situation nicht so dramatisch zu sein, wie von Horak (1985) vermutet: 77 Prozent der Befragten gaben an, mehrmals oder einmal am Tag mit ihrem Kind zu singen, nur sieben Prozent sangen niemals. Die teilnehmenden Eltern dieser Studie waren insgesamt engagierte“ S¨ angerinnen und S¨ anger. Ihr einziger Anreiz, an ” der Studie teilzunehmen, war pers¨ onliches Interesse5 . Dies hatte zur Folge, dass sich ein Bias der Ergebnisse auf eine besser gebildete Mittelschicht (vor allem sozial privilegierte, weibliche Personen) ergab, wie nach Bortz & D¨ oring (2002, S.75ff) in solch einem Fall zu erwarten war. Die folgenden Abschnitte beschreiben die Rahmendaten dieser Eltern und ihrer Kinder, ihre musikalischen Aktivit¨ aten und ihre Eigenwahrnehmung, was das Singen angeht. Anschließend werden Aufnahmesituation und Auswahl der Aufnahmen kurz dargestellt. 4.2.1
TeilnehmerInnen
Deutschsprachige Teilnehmerinnen Die deutschsprachige Gruppe besteht aus M¨ uttern, die im Bereich M¨ unchen und n¨ ahere Umgebung wohnten. Die Frauen wurden im Zuge einer halbstandardisierten Befragung u ¨ber das Singen mit Kindern im Zeitraum vom 31.05.2005 bis 2.02.2006 f¨ ur die Teilnahme gewonnen. Dies geschah in Kooperation mit Kliniken, Kinder¨ arzten, Hebammen und Mutter-KindGruppen. Von ca. 100 Befragten waren 25 M¨ utter f¨ ur eine Aufnahme bereit. Die h¨ aufigsten Gr¨ unde zur Absage waren Zeitmangel, seltenes oder schlechtes“ Singen sowie schwierige famili¨ are Verh¨altnisse. Mit 13 Kan” didatinnen kam schließlich ein Termin zustande. Zwei Drittel von ihnen waren in S¨ uddeutschland geboren, u alfte in Oberbayern oder ¨ber die H¨ M¨ unchen. Die restlichen Teilnehmerinnen stammten aus anderen Regionen Deutschlands. Sechs der 13 Teilnehmerinnen gaben an, mit Dialekt aufgewachsen zu sein. Trotz der Unterschiede in der Herkunft und verschiedener dialektaler Pr¨ agungen, sprachen und sangen alle Teilnehmerinnen in der Aufnahmesituation Hochdeutsch. Insgesamt ist in der deutschen Sprachgruppe – nach eigenen Angaben der Teilnehmerinnen – die Sprachenkompetenz hoch. Lediglich eine Mutter gab an, ausschließlich Deutsch zu beherrschen. 4
5
In den letzten Jahren scheint die wissenschaftliche Aufmerksamkeit f¨ ur dieses Thema in den Industriel¨ andern wieder zu wachsen: s. Mackinlay & Baker (2005) f¨ ur den australischen Raum, Longhi (2003) f¨ ur Großbritannien, f¨ ur Japan Adachi (2006). Es gab kein Honorar, nur kleines pers¨ onliches Dankesch¨ on f¨ ur jeden Teilnehmer.
76
Empirische Grundlage der Untersuchungen
Franz¨ osischsprachige TeilnehmerInnen Im s¨ udwestfranz¨ osischen Bordeaux lebten die franz¨osischsprachigen Eltern dieser Studie (sechsw¨ ochiger Forschungsaufenthalt vom 27.02.2006 bis 11.04.2006). Hier wurde die Kontaktaufnahme wesentlich durch Ein´ richtungen der Kinderbetreuung und die K¨ unstlerorganisation Eclats erleichtert, die Workshops zum Singen f¨ ur Eltern mit ihren Kindern anbietet. Die Tagesst¨ atten in Frankreich nehmen Kinder ab der 10. Woche auf (Ende des gesetzlichen Mutterschaftsurlaubs) und verf¨ ugen u ¨ber flexible Betreuungsangebote – von der Ganztagesbetreuung bis zur w¨ochentlichen vierst¨ undigen Betreuung am Vormittag, je nach Lebenssituation der Eltern. In acht Kindertagesst¨ atten fand ich in pers¨onlichen, durch das Personal vermittelten Gespr¨ achen oder in Sing-Workshops 23 Eltern, die sich zur Aufnahme bereit erkl¨ arten. Aus diesem Kreis kam mit 21 TeilnehmerInnen ein Termin zustande. 17 der 18 franz¨osischsprachigen TeilnehmerInnen stammten urspr¨ unglich aus Frankreich, eine Teilnehmerin aus Belgien. Sieben Eltern waren in Bordeaux und Umgebung geboren, aufgewachsen und wohnten immer noch dort. Weitere sechs waren aus dem S¨ uden und Westen Frankreichs nach Bordeaux gezogen. Aus dem Zentrum, Norden und Osten des Landes stammten insgesamt vier TeilnehmerInnen. Ein s¨ udlicher Einschlag war bei einigen TeilnehmerInnen in der Aussprache erkennbar, aber im Großen und Ganzen nicht stark ausgepr¨ agt. Bei den franz¨ osischen TeilnehmerInnen konnten sich nur vier ausschließlich in ihrer Erstsprache verst¨ andigen, alle anderen hatten weitere Fremdsprachen gelernt. Russischsprachige TeilnehmerInnen Die russischsprachige Gruppe ist die heterogenste. Sie hebt sich auch in einigen Merkmalen des musikalischen Repertoires von den anderen beiden Gruppen ab (s. Abschnitt 4.3). Die TeilnehmerInnen an der Studie wohnten zum gr¨ oßten Teil in M¨ unchen, eine Mutter lebte in Rosenheim, eine andere in Bordeaux. Mit Hilfe verschiedener Einrichtungen zur russischen Kulturpflege, zur Betreuung von Sp¨ ataussiedlern sowie der j¨ udischen Gemeinde und durch pers¨ onliche Kontakte konnten 25 Eltern angesprochen werden, von denen 15 zur Teilnahme bereit waren. Die russischsprachigen TeilnehmerInnen kamen urspr¨ unglich aus verschiedenen L¨andern und Regionen der ehemaligen Sowjetunion nach M¨ unchen und Umgebung, aus dem Norden, Osten und Westen Russlands, aus Weißrussland, der Ukraine, aus Kasachstan und Armenien. Daraus ergeben sich sehr individuelle Migrationsmotive und -geschichten in dieser Gruppe. Die Muttersprache aller TeilnehmerInnen ist Russisch, jedoch hatten einige der Eltern auch andere Sprachen gelernt, so dass alle russischsprachigen TeilnehmerInnen
77
Datengewinnung
angaben, noch mindestens eine (und h¨ ochstens vier) weitere Sprachen sprechen oder verstehen zu k¨ onnen. Weitere Merkmale der TeilnehmerInnen ¨ Tabelle 4.1 zeigt im Uberblick die Daten zu Geschlecht, Alter, Bildung, Beruf und musikalischer Vorbildung der Eltern, die vor jeder Aufnahme mittels Fragebogen erhoben wurden.
M¨ utter V¨ ater Alter (Mittelwert) j¨ ungster Informant altester Informant ¨ Bildung berufsbezogen universit¨ ar Promotion keine musikalische Vorbildung Musikalisch ge¨ ubt davon ge¨ ubte S¨ anger
alle Eltern (N= 46) 40 6 32 26 40 19 22 5 13 33 17
dt. (n= 13) 13 0 33 27 40 9 3 1 1 12 6
frz. (n= 18) 15 3 33 29 38 6 10 2 7 11 6
ru. (n= 15) 12 3 32 26 39 4 9 2 5 10 5
Tabelle 4.1: Merkmale der TeilnehmerInnen
Ich m¨ ochte hier nur die Daten zur musikalischen Vorbildung n¨aher betrachten, da dies f¨ ur die Einsch¨ atzung der Aufnahmen sehr wichtig ist. Viele der teilnehmenden Eltern sind musikalisch aktiv oder waren es einmal. Bei den deutschsprachigen M¨ uttern haben alle bis auf eine ein Instrument gelernt, im Chor gesungen oder getanzt, bei den russischsprachigen TeilnehmerInnen hatten immerhin ein Drittel und elf der 18 franz¨osischsprachigen Eltern musikalische Vorerfahrungen. Der gr¨oßere Anteil an musikalischen Aktivit¨ aten in der deutschsprachigen Gruppe k¨onnte daran liegen, dass in Deutschland schon lange ein recht breites und f¨ ur viele zug¨ angliches System der musikalischen Fr¨ uherziehung existiert, w¨ahrend in den Ex-Sowjetstaaten, wie die Eltern vielfach berichteten, vor allem Hochbegabte Unterricht in musischen Disziplinen erhielten und in Frankreich zwar Musikkurse angeboten wurden, welche aber nicht von allen TeilnehmerInnen genutzt wurden. Von den musikalisch aktiven Eltern hatte eine deutsche Mutter eine Gesangsausbildung, die allerdings schon Jahre zur¨ ucklag, alle anderen der in Tabelle 4.1 genannten ge¨ ubten S¨anger“ ” sangen h¨ aufig im Chor oder anderen Gesangsgruppen.
78
Empirische Grundlage der Untersuchungen
4.2.2
Kinder
Die Altersstruktur der Kinder sowie Geschlecht und Geschwisterzahl sind in der folgenden Tabelle6 zu sehen. Jungen M¨ adchen Alter: 2-5 Monate Alter: 5,5-8,5 Monate Alter: 9-12 Monate Erstgeborene 1 Geschwister 2-3 Geschwister
alle Kinder (N=42) 22 20 11 13 19 21 19 3
dt. 7 6 4 5 4 5 7 1
frz. 8 9 3 5 9 7 8 2
ru. 7 5 4 3 6 9 4 0
Tabelle 4.2: Merkmale der Kinder
Keines der Kinder hatte einen H¨ orschaden und die Eltern sangen regelm¨ aßig mit ihnen – fast ausschließlich in ihrer Muttersprache. F¨ unf der Kinder wuchsen zweisprachig auf. Die Entwicklungen der Kinder sind sehr individuell zu beurteilen, einige waren motorisch weiter, andere zeigten sprachlich fr¨ uhe Entwicklungen. Eine genaue Sprachstandsbestimmung konnte im Rahmen dieser Studie nicht vorgenommen werden. Daher folgen an dieser Stelle nur einige grobe Einordnungen, die aus Beobachtungsprotokollen erstellt wurden. Insgesamt entsprechen die Beobachtungen dem in Abschnitt 3.1.3 beschriebenen Entwicklungsverlauf. Die j¨ ungsten Kinder (zwei Monate) zeigten außer Schreien erste Gurrlaute. Eine ausf¨ uhrlichere Exploration des Stimmtrakts begann bei den Kindern dieser Studie ab drei Monaten, das Vokalisieren nahm mit dem Alter zu. Die Explorationslaute waren bei allen Kindern bis zum vollendeten ersten Lebensjahr weiterhin zu beobachten. Bei drei Kindern waren mit f¨ unfeinhalb, sechs bzw. sieben Monaten erste silben¨ahnliche Verbindungen zu erkennen, bei allen anderen f¨ unf bis sieben Monate alten Kindern noch nicht. Ein russischlernendes Kind zeigte bereits mit siebeneinhalb Monaten reduplizierte und bunte Silbenkombinationen und darf damit als sprachlich fortgeschritten gelten. Sechs der 19 Kinder zwischen neun und 12 Monaten (das J¨ ungste mit neuneinhalb Monaten) sprachen erste Protow¨ orter mit noch sehr weiter Bedeutung, ein deutschlernendes Kind beherrschte mit einem Jahr sogar schon die Bedeutung und Aussprache von zehn W¨ ortern. Neun Kinder dieser Altersgruppe verstanden 6
Bei den 13 Kindern von 5;5 bis 8;5 Monaten ist ein M¨ adchen doppelt gewertet, da sowohl der franz¨ osischsprachige Vater als auch die russischsprachige Mutter an der Untersuchung teilnahmen.
Datengewinnung
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und reagierten auf verbale Anweisungen ihrer Eltern. Lediglich zwei Kinder, ein russisch- und ein franz¨ osischlernendes Kind, entsprachen nicht dem allgemeinen Entwicklungsstand und zeigten noch kaum silben¨ahnli¨ che Außerungen mit einem Jahr bzw. 11 Monaten. Diese Kinder waren auch motorisch nicht weit fortgeschritten, da sie beide nur sitzen, sich aber nicht fortbewegen konnten und auch feinmotorisch nicht sehr aktiv waren. 4.2.3
Warum singen? – Einige Begr¨ undungen
Warum singen Eltern u ¨berhaupt mit ihren Kindern? Die Antworten der deutschen, franz¨ osischen und deutschen InformantInnen auf diese Frage zeigten ein u ur ihre Kinder, ¨berraschendes Ergebnis: Sie singen nicht nur f¨ sondern auch und vor allem f¨ ur sich selbst. Weil es Spaß macht... Mehr als zwei Drittel der Eltern gaben an, dass ihnen das Singen großen Spaß und gute Laune mache und k¨ orperliches Wohlbefinden schaffe. Die franz¨ osische Mutter Sandrine G. formulierte dies besonders eindr¨ ucklich, als sie sich an die Geburt ihres ersten Kindes erinnerte: Apr`es l’accouchement je me sentais en mille morceaux. C’est si on avait mis au monde soi-mˆeme, parce que l’enfant jusque-l` a faisait partie de toi. En plus, tu te retrouves dans une situation tout ` a fait inconnue, ce petit b´eb´e et ses besoins que tu ne connais pas encore. A ce moment-l` a, le chant m’a rassur´ee, je me suis calm´ee en chantonnant, par cela, j’ai retrouv´e un cadre pour moi-mˆeme.7
Mackinlay & Baker (2005) berichten von ¨ ahnlichen Erfahrungen australischer Eltern. Trehub & Trainor (1998, S.47ff) nennen dies die selbst” regulierende Funktion des Singens“, das bei der Kinderpflege und k¨orperlichen Arbeit Wohlgef¨ uhl und Entspannung schaffe und die Last dieser T¨atigkeiten mildere. Ebenso wie zur Erzeugung positiver Stimmung, dient das Singen manchmal als Ventil f¨ ur negative Gef¨ uhle, wie zwei M¨ utter berichteten. Auch in der Literatur zu Kinderliedern wird diese Funktion immer wieder erw¨ ahnt (z.B. Boock 2001; Vahle 1992). Gerade in ¨alteren Wiegenliedern zeugen zahlreiche Schreckgestalten und Drohungen in den 7
¨ Ubersetzung: “Nach der Geburt f¨ uhlte ich mich wie in tausend St¨ ucke zersplittert. Das ist, als ob man sich selbst zur Welt bringt, denn bis zu diesem Zeitpunkt ist das Kind ja ein Teil von dir. Zus¨ atzlich befindest du dich danach in einer v¨ ollig neuen Situation mit dem kleinen Baby und seinen Bed¨ urfnissen, die du noch nicht kennst. In diesem Moment hat mir das Singen Sicherheit gegeben, ich habe mich beim Singen beruhigt und mir selbst wieder einen Rahmen gegeben.”
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Empirische Grundlage der Untersuchungen
Liedtexten von der Hilflosigkeit und Wut der Ammen und M¨ utter dem schreienden Kind gegen¨ uber oder sind als Klage der S¨angerinnen u ¨ber ihr Schicksal, ihre Not und Sorgen zu verstehen. C´eline Z. beispielsweise singt lieber mit ihrer drei Monate alten Tochter als dass sie mit ihr spricht, wenn sie sich ge¨ argert hat. Sie will sie nicht durch ihren rauen Ton erschrecken oder wom¨ oglich zum Weinen bringen. Karine P. m¨ochte im Singen ihrer, wie sie sagt, trockenen Art zu sprechen“ einen freundlicheren Klang ” geben. Positiver Einfluss auf das Kind An zweiter Stelle der Gr¨ unde der TeilnehmerInnen steht, dass das Singen ihrem Kind gef¨ allt und sie eine positive Reaktion bekommen bzw. dass sie es durch Singen gut beeinflussen k¨ onnen. Letzteres ist besonders bei unliebsamen T¨ atigkeiten und Konfliktsituationen wie Baden, Essen oder Einschlafen der Fall, in denen Lieder das Kind von seinem Unmut ablenken k¨ onnen und so schneller zum gew¨ unschten Ergebnis f¨ uhren. Auch beim Autofahren dient gemeinsames Singen h¨ aufig als Ablenkungsman¨over (in vielen F¨ allen wird aber auch einfach Musik eingeschaltet). Bessere Kommunikation, p¨ adagogische Ambitionen und der Mutterinstinkt“ ” Etwa ein Drittel der TeilnehmerInnen gab an, dass sie durch Singen mit ihren Kindern besser kommunizieren k¨ onnten, dass diese aufmerksamer seien und sich leichter eine pers¨ onliche Beziehung herstellen lasse als beim Sprechen. Ungef¨ ahr genauso viele TeilnehmerInnen legten Wert auf den p¨ adagogischen Aspekt, dass Singen die (vor allem musikalische) Entwicklung ihres Kindes f¨ ordere. Zwei russische Eltern und eine franz¨osische Mutter fanden, dass Singen zur Vermittlung von Sprache, neuem Vokabular und der Kultur besonders wichtig sei. Drei M¨ utter wunderten sich ¨ selbst dar¨ uber, dass sie mit ihrem Kind singen, da sie nach eigener Uberzeugung weder eine gute Stimme h¨ atten noch sonst zuvor in ihrem Leben gesungen h¨ atten. Seit der Geburt ihres Kindes h¨atten sie jedoch instink” tiv“ zu singen begonnen. 4.2.4
Aufnahmesituation
Die Aufnahmen fanden im nat¨ urlichen Umfeld der Eltern und Kinder zu Hause statt. Der Ablauf war in allen F¨allen ¨ahnlich: Einem Interview zu Erfahrungen und Gewohnheiten beim Singen und zur sprachlichmotorischen Entwicklung des Kindes folgte eine ca. 15-60 min¨ utige Aufnahmephase, in der die Eltern gebeten wurden, mit ihren Kindern zu spielen und zu singen, wie sie es sonst auch taten. Zum Abschluss der
Datengewinnung
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Aufnahme sollten die Eltern schließlich eines der Lieder nochmals ohne das Kind (erwachsenengerichtet) singen, was nicht in allen F¨allen gelang8 . Insgesamt dauerte ein Aufnahmetermin – abh¨ angig von Eltern und Kind – zwischen 45 Minuten und vier Stunden. Die Aufnahme geschah mit einem DAT-Recorder (Sony TCD-D100)9 und einem Sony-Mikrofon ECMMS907. Zu jeder Aufnahme wurde ein Beobachtungsprotokoll erstellt, in dem Daten zu Kind und Mutter/Vater sowie der Kontext der Aufnahme festgehalten wurden. Die Aufnahme kann methodisch gesehen als teilnehmende Beobachtung eingestuft werden. Hier tritt ein Sachverhalt ein, der in der Literatur als Beobachterparadox“ beschrieben wird. Dieses Paradox entsteht da” durch, dass der Forscher eine authentische Situation beobachten will, aber durch seine Anwesenheit die Situation ver¨ andert. Das Singen mit Kindern in der eigenen Wohnung ist Teil der Privatsph¨are, wenn nicht sogar der Intimsph¨ are. Der normale Tagesablauf von Eltern und Kind wird durch die Aufnahme erheblich beeintr¨ achtigt. Oberstes Ziel w¨ahrend der Aufnahme war es, Gespr¨ achs- und Situationsablauf so weit wie m¨oglich den InformantInnen zu u ¨berlassen. Die Aufnahmesituation gestaltete sich unproblematischer als erwartet10 , da die Eltern sich nach einer Eingew¨ ohnungsphase von 10 bis 20 Minuten voll auf ihr Kind konzentrierten. Schwieriger war es hingegen, die Kinder, besonders wenn sie ¨ alter als ein halbes Jahr waren, vom scheinbar hochinteressanten Mikrofon vor dem Mund der Mutter/des Vaters abzulenken. Ein Ansteckmikrofon h¨ atte dieses Problem vielleicht etwas gemildert, jedoch h¨ atte die Gefahr bestanden, dass das Mikrofon durch den k¨ orperlichen Kontakt zwischen Kind und Eltern h¨aufig St¨orger¨ausche verursacht h¨ atte. Um f¨ ur sp¨ atere phonetische Analysen eine gute Tonqualit¨ at zu gew¨ ahrleisten, war es zudem n¨ otig, Position und Einstellung der Ger¨ ate w¨ ahrend der Aufnahme gut zu kontrollieren. Daher wurde darauf verzichtet, den Eltern die Aufnahme selbst zu u ¨berlassen. Dieses Vorgehen h¨ atte den Vorteil gehabt, dass die Aufnahme noch unbefangener h¨ atte ablaufen k¨ onnen und das Beobachterparadox gemildert h¨atte, da der Zeitpunkt selbst gew¨ ahlt werden kann und die Atmosph¨are f¨ ur 8
9
10
Gerade bei sehr kleinen Kindern konnten Mutter und Kind nicht getrennt werden, weswegen die Aufnahme trotz Hinweis wieder kindgerichtet wurde. Auch die physische Pr¨ asenz eines Kindes im Raum ohne unmittelbaren K¨ orperkontakt ließ die Eltern in einigen F¨ allen von der erwachsenengerichteten Version zur¨ uck ins kindgerichtete Singen fallen. Einige der Probeaufnahmen waren noch mit MD-Player (MZ-R50) aufgenommen worden, diese wurden nicht f¨ ur feinphonetische Analysen (z.B. Formantbestimmung) verwendet. de l’Etoile (2006, S.466) berichtet beispielsweise, dass einige Eltern beim Singen mit ihren Kindern im Labor gehemmt waren, sich w¨ ahrend der Aufnahme unwohl und gestresst f¨ uhlten.
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Empirische Grundlage der Untersuchungen
die Eltern im gewohnten Umfeld ohne fremde Personen entspannter ist. Weiterhin wurde darauf verzichtet, Kameraaufnahmen zu machen, da dies die Aufnahmesituation erheblich beeintr¨ achtigt h¨atte. Solch ein Vorgehen w¨ are f¨ ur eine Langzeituntersuchung sicherlich zu erw¨agen, da die Reaktionen und auch die k¨ orperliche Synchronisation von Kindern und Eltern beim Singen ein interessantes Untersuchungsgebiet darstellen (s. 4.4). 4.2.5
Auswahl der Aufnahmen
Insgesamt dienten Aufnahmen mit einer Gesamtdauer von 28 Stunden als Grundlage f¨ ur die Materialauswahl. Das Aufgezeichnete wurde gesichtet und kindgerichtete gesungene und gesprochene Passagen ausgew¨ahlt. Ebenso wurde erwachsenengerichtetes Sprechen und Singen in einigen F¨ allen f¨ ur sp¨ atere Analysen herausgefiltert. Von den gesungenen Aufnahmen mussten einige zur¨ uckgestellt werden. Diese werden im Folgenden als Randdaten“ bezeichnet. Die Ausschlusskriterien waren wie folgt: ” 1. Sprache: Entweder sang und sprach der Informant im Dialekt oder in einer Sprache, die nicht seine Muttersprache war oder nicht zu den Untersuchungssprachen geh¨ orte. 2. Erwachsenengerichtet statt kindgerichtet: Entweder sang der Informant ausschließlich zum Beobachter oder zu a¨lteren Geschwistern. 3. Verhalten des Kindes: Manchmal schlief das Kind w¨ahrend der Aufnahme ein, so dass die Eltern eher erwachsenengerichtet sangen. Auch solche Aufnahmen, die durch lautes Schreien und Kreischen des Kindes unkenntlich geworden sind, mussten ausgeschlossen werden. 4. Probeaufnahmen und Aufnahmequalit¨ at: Vor der eigentlichen Erhebung der Daten wurden einige Probeaufnahmen gemacht, die noch nicht allen Kriterien und nicht der n¨otigen Qualit¨at entsprachen. 5. Gesprochenes: Reime und gesprochene Spiele werden nur in einzelnen Fragestellungen untersucht (z.B. in den Kapiteln 5 und 9). Aus diesem Ausschlussverfahren ergibt sich ein Datenbereich, den ich als Kerndaten bezeichne. In der folgenden Tabelle ist er in seiner Grobstruktur dargestellt:
83
Korpusstruktur Zahl InformantInnen: N= 46 Ndeu = 13 Nfran = 18 Nruss = 15
Zahl Kinder: N= 43 ndeu = 13 nfran = 17 nruss =13
Zahl gesungene Items: N= 596 ndeu = 221 nfran = 238 nruss = 137
Tabelle 4.3: Struktur der Kerndaten zum kindgerichteten Singen (N= Gesamtzahl, n= Zahl der einzelnen Items oder Personen, deu= deutsch, fran= franz¨ osisch, russ= russisch)
4.3 4.3.1
Korpusstruktur
Funktionale Musik: Typische Situationen
Singen mit Kindern ist vor allem funktionale Musik“ wie Cordes (2005) ” treffend feststellt. Das bedeutet, dass Eltern mit dem Singen vielfach einen bestimmten Zweck verfolgen, ihre Kinder auf bestimmte Situationen vorbereiten oder von ihnen ablenken wollen. Dabei h¨ angt es stark vom Kind ab, wie sich die Funktionalit¨at entwickelt. Einige der Eltern gaben beispielsweise an, dass sie mit ihrem Kind nicht vor dem Schlafen singen, da das Kind entgegen ihrer Absicht dadurch aufmerksamer und wacher w¨ urde. Weiterhin berichteten sie, dass sie die Liedauswahl danach gestalteten, wie das Kind auf ein Lied reagierte. Lieder, die keine oder eine negative Reaktion hervorrufen, werden auch nicht mehr gesungen. Lieder mit positiver Reaktion des Kindes werden sehr oft wiederholt. Auch die Rolle von Geschwistern beim Singen ist nicht zu untersch¨ atzen. Wenn ¨ altere Geschwister bestimmte Lieder einfordern oder selbst singen, reagieren die kleineren Geschwister meist positiv darauf und wollen diese Lieder auch h¨ oren. Abbildung 4.1 (S. 84) zeigt die Situationen, in denen die Eltern dieser Studie ihren eigenen Angaben zufolge vorwiegend singen. Wie zu sehen ist, singen die Eltern am h¨ aufigsten, um mit dem Kind zu spielen oder eine gemeinsame Kommunikationssituation aufzubauen. In diesen Situationen (einschließlich des Wickelns) entstanden auch u ¨ber drei Viertel der Auf¨ nahmen des Korpus (s. Abb. 4.2, S. 85). Uber die H¨alfte dieser Spiellieder waren dabei mit Bewegungen verbunden: Entweder bewegten die Eltern den gesamten K¨ orper des Kindes, indem sie es hochhoben oder auf den Knien schaukelten (Kniereiter), oder indem sie einzelne Gliedmaßen zum Lied bewegten (Finger, H¨ ande, Arme, Beine oder F¨ uße). Zu diesen Bewegungsliedern z¨ ahlen auch Kitzelspiele, bei denen die Mutter/der Vater mit den Fingern am K¨ orper des Kindes entlang l¨auft oder Spiele, die das Kind anregen sollen, bestimmte Gesten (z.B. Winken, Klatschen, Grimas-
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Empirische Grundlage der Untersuchungen
Abbildung 4.1: Typische Sing-Situationen. Anzahl positiver Antworten je Kategorie (N=46). Lange Balken bilden h¨ aufig genannte Situationen, kleine Balken selten genannte Situationen ab
sen Schneiden) oder auch Laute und Silben nachzuahmen. Ein weiteres Drittel der Lieder wurde von den Eltern ohne Bewegungen oder in anderem Kontext vorgesungen. Dies geschah entweder, um die Aufmerksamkeit des Kindes (zur¨ uck) zu gewinnen oder um es zum Lachen zu bringen. Bei den j¨ ungsten Kindern vermieden die Eltern gr¨oßere Bewegungen, weil der K¨ orperbau der Kinder, insbesondere der Halsbereich, noch nicht stabil genug und verletzungsgef¨ ahrdet ist. In vielen F¨allen schienen beide Kommunikationspartner einfach das gemeinsame ¨asthetische Erlebnis zu genießen, die Eltern vielleicht besonders, weil sie dadurch einmal ohne gr¨ oßere Zielsetzung, Aktion oder Botschaft mit dem Kind kommunizieren konnten. Der restliche Teil der Aufnahmen in dieser Liedgruppe waren Lieder, die thematisch-textlich zu Objekten in der Umgebung wie den Bildern eines Buches, Stofftieren, Pflanzen usw. passten oder die als Belohnung oder Tadel eingesetzt wurden. Eine spezielle Spielsituation, in der besonders intensiv gesungen, aber auch anderweitig kommuniziert wird, ist das Wickeln. Dies gilt f¨ ur alle Eltern und durch alle Altersstufen w¨ ahrend des ersten Jahres hindurch. Ein wichtiger Beweggrund daf¨ ur ist, dass Eltern die Kinder vom ungeliebten An- und Ausziehen ablenken, ein weiterer, dass sie damit die Bewegungen des Kindes besser unter Kontrolle bringen k¨onnen (dadurch, dass das
Korpusstruktur
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Abbildung 4.2: Zusammensetzung der Aufnahmen f¨ ur alle TeilnehmerInnen der Studie nach Situationen, Gesamtkorpus: 600 Aufnahmen
Kind aufmerksam zuh¨ ort, sich auf die Mimik, Gestik konzentriert und weniger strampelt). Da sich Mutter/Vater und Kind dabei direkt ansehen, ist der Impuls, zu interagieren, sofort gegeben. Die zweit wichtigste Funktion der Lieder liegt darin, die Kinder zu beruhigen, zum Einschlafen zu bringen (insbesondere bei Kindern bis zu 4 Monaten) oder auf das Schlafen vorzubereiten (Kinder ab 5 Monaten). Dies war in 33 von 43 Familien der Fall. W¨ ahrend der Aufnahmen konnten 37 Lieder mit dieser Funktion authentisch beobachtet werden. Dieses Singen zeichnet sich dadurch aus, dass es oft leise, ab und zu sogar nur gefl¨ ustert, langsam und in unmittelbarer k¨ orperlicher N¨ahe zum Kind geschieht, unter Umst¨ anden verbunden mit Wiegebewegungen. Charakteristisch ist, dass es pro Familie meist nur ein oder zwei Lieder mit dieser Funktion gibt, die konstant u ¨ber Monate und Jahre hinweg gesungen werden. Meistens sind sie der Kategorie traditionelles Wiegen/Schlaflied“ ” zuzuordnen (s. Abschnitt 4.3.2). Funktionale Liedtypen werden von den Eltern auch altersabh¨angig eingesetzt. Drei funktionale Kontexte werden im Folgenden betrachtet: Schlaf- und Beruhigungslieder, Bewegungsspiele11 und Spiellieder, mit denen die Eltern direkt auf ein Objekt oder eine Situation in der Umgebung Bezug nahmen. Wie in der Graphik 4.3 zu sehen, sangen die Eltern ihren Kindern unabh¨ angig von der Sprachzugeh¨ origkeit in jedem Alter am 11
Weitere Untersuchungen zu diesen beiden funktionalen Kontexte folgen im Kapitel 9.
86
Empirische Grundlage der Untersuchungen
h¨ aufigsten Bewegungslieder vor, der Anteil an Beruhigungs- und Schlafliedern ist aber bei den Kindern im Alter bis zu f¨ unf Monaten am h¨ochsten und nimmt bei den Kindern, die in der zweiten H¨alfte des ersten Jahres sind, ab. Lieder mit referentiellem Bezug zur Umgebung sind im letzten Jahresdrittel am h¨ aufigsten, wahrscheinlich auf Kosten der Bewegungsspiele, die im Vergleich zum f¨ unften bis achten Monat abnehmen.
(a) 2 bis 5 Monate alte Kinder
(b) 5,5 bis 8,5 Monate alte Kinder
(c) 8 bis 13 Monate alte Kinder
Abbildung 4.3: (a-c) Altersabh¨ angige Entwicklung dreier Funktionen von Liedern im ersten Lebensjahr, 178 authentisch beobachtete Lieder, gesungen von 44 Eltern
4.3.2
Was wird gesungen?
¨ Die nun folgende Ubersicht u uberlieferungen und einige musi¨ber die Lied¨ kalische Merkmale der aufgenommenen Liedvarianten und Liedausschnitte erfolgt skizzenhaft und erhebt keinerlei Anspruch auf Vollst¨andigkeit. Mit ihr m¨ ochte ich nur eine grobe Vorstellung vermitteln, wie reich und vielf¨ altig das Liedgut, das von den Eltern an ihre Kinder weitergegeben wird, im Augenblick ist, sowie einige wesentliche Unterschiede – besonders musikprosodischer Art – der drei Sprachgruppen herausarbeiten.
Korpusstruktur
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Deutsches Repertoire Die deutschsprachigen Eltern dieser Studie singen sehr gerne traditionelle Kinderlieder. Etwa die H¨ alfte der Lieder des Korpus stammen aus u ¨berliefertem Liedgut (s. z.B. von Arnim & Brentano 1874–1876; Erk & B¨ ohme 1893, 1894), darunter sind sehr alte, mindestens aus dem 14. Jahrhundert u ¨berlieferte Schlaflieder (z.B. Schlaf, Kindlein, schlaf“, Die ” ” Bl¨ umelein, sie schlafen“). Sie singen auch Tanz- oder Liebeslieder (z.B. Heißa Kathreinerle“, Zum Tanze da geht ein M¨adel“) oder den Kanon ” ” Abendstille“, und wenige Kirchenlieder (z.B. Es ist f¨ ur uns eine Zeit ” ” angekommen“). Zwei aus anderen Sprachen adaptierte Lieder ( Bruder ” Jakob“ vom franz¨ osischen Fr`ere Jacques“ und Imse Bimse Spinne“ vom ” ” englischen Itsy bitsy spider“) wurden ebenfalls von den Eltern gesungen. ” Ein Viertel der Lieder entstanden in j¨ ungster Zeit oder im 20. Jahrhundert. Darunter sind viele Lieder der zeitgen¨ ossischen Kinderliedermacher Fredrik Vahle, Detlef J¨ oker, Rolf Zuckowski und Robert Metcalf, die die Eltern meist von Schallplatten und CDs kennen, oder Lieder p¨adagogischer Einrichtungen12 .
Abbildung 4.4: Zusammensetzung der deutschen Liedvarianten nach Entstehungs- und Tradierungskontext
Einige wenige Lieder sind dem Schlagerrepertoire (Comedian Harmonists, Christian Anders) zuzuordnen oder aus Zeichentrickfilmen ( Das Dschun” gelbuch“). Das letzte Viertel des Materials sind selbst erfundene Lieder 12
Z.B. Begr¨ ußungs- und Abschiedslieder der Krabbel- und PEKiP-Gruppen (Prager Eltern-Kind-Programm).
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Empirische Grundlage der Untersuchungen
bzw. Liedbestandteile oder dem gesprochenen naher Singsang, im Folgenden freies Repertoire“ genannt13 . Die deutschsprachigen Eltern kennen ” die Lieder, die sie singen, vorwiegend aus ihrer eigenen Kindheit, dabei spielte die Vermittlung durch die eigenen Eltern eine große Rolle. Zwei Drittel gaben an, dass ihre Eltern viel mit ihnen gesungen h¨atten. Sie greifen aber auch ab und zu auf Tontr¨ ager und Liederb¨ ucher zur¨ uck, um sich neue Lieder anzueignen. Eltern mit mehreren Kindern lernen neue Lieder auch u alteren Kinder, die in den Kindergarten oder die ¨ber die ¨ Schule gehen. Franz¨ osisches Repertoire Die franz¨ osischen Liedvarianten des Korpus entstammen zu einem guten Drittel dem traditionell u ¨berlieferten Liedgut14 . Dazu z¨ahlen sowohl alte Wiegenlieder (z.B. Dodo, l’enfant do“, Fais dodo, Colas“), Tanzreigen ” ” (z.B. Savez-vous planter les choux“, Sur le pont d’Avignon“) und Volks” ” lieder (z.B. A la claire fontaine“). ”
Abbildung 4.5: Zusammensetzung der franz¨ osischen Liedvarianten nach Entstehungs- und Tradierungskontext
Ein weiteres gutes Drittel ist im 20. Jahrhundert u uher¨ber musikalische Fr¨ ziehungsprogramme in den Krippen und Vorschulen sowie durch Kinderliedermacher (z.B. Henri Salvador Une chanson douce“) sowie Zei” 13 14
S. Anhang, Nr. 35, S. 287; Nr. 68, S. 291; Nr. 85-87, S. 289; Nr. 104, S. 286; Nr. 173, S. 287; Nr. 174, S. 291; Nr. 452, S. 290; Nr. 453, S. 289. S. z.B. Widor & de Monvel 1884, Poirier 1941, Weckerlin & de Monvel 1884, Rolland 1883/1967, Montel & Lambert 1880/1975.
Korpusstruktur
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chentrickfilme hinzugekommen (z.B. aus dem urspr¨ unglich japanischen Film Bouba“). Ein Vater sang auch Schlager, einen Fußballfansong und ” adaptierte Melodien aus franz¨ osischen Serien und 70er-Jahre-Filmen, um seine eigenen Texte dazu zu dichten15 . Eine Mutter sang Lieder, die sie in einem Kurs f¨ ur pr¨ anatales Singen gelernt hatte und die eigens zu diesem Zweck komponiert wurden (z.B. Nr. 325, S. 285). Ein Viertel der Lieder geh¨ oren zum freien Repertoire, dies ist vor allem drei erfindungsfreudigen M¨ uttern zu verdanken16 . Immerhin sieben Lieder sind rhythmisch-melodische Dubletten deutscher und englischer Lieder17 Besonders erw¨ ahnenswert erscheint das Lied einer Mutter, die ihren eigenen Text auf das deutsche Lied von Brahms Guten Abend, gut Nacht“ ” (Anhang S. 278 erfunden hat. Insgesamt haben franz¨osische Eltern ein großes Interesse an nicht-franz¨ osischsprachigen Kinderliedern (vor allem aus den D´epartements und Territoires d’Outre-mer bzw. aus den ehemaligen Kolonien in Afrika), auch wenn sie diese weniger selber singen als sich und den Kindern von Tontr¨ agern vorspielen. Die meisten franz¨ osischsprachigen Eltern kennen die Lieder, die sie ihren Kindern vorsingen, aus der eigenen Kindheit. Jedoch gibt die H¨alfte von ihnen an, dass sie oft auch Lieder aus Liederb¨ uchern und von CDs kennen lernen und diese anschließend in ihr eigenes Repertoire integrieren. ¨ Die Uberlieferung von Liedern durch Medien spielt bei diesen TeilnehmerInnen eine gr¨ oßere Rolle als bei den deutschen Eltern. Russisches Repertoire Das Repertoire der russischsprachigen TeilnehmerInnen unterscheidet sich erheblich vom deutschen und franz¨ osischen Repertoire. Erstens ist erstaunlich, dass die Eltern – obgleich es sich um die heterogenste Gruppe handelt, was ihre regionale Herkunft angeht (s. Abschnitt 4.2.1) – die homogenste Gruppe ist, was den Liedbestand angeht. Zweitens besteht das russische Material zu u ¨ber 60 Prozent aus Liedern, die zu Sowjetzeiten im 20. Jhd. entstanden sind und meist u ¨ber das Medium Film/Fernsehen rezipiert wurden. Gleichzeitig gaben u ¨ber die H¨alfte der InformantInnen an, dass ihre eigenen Eltern nicht oder sehr wenig mit ihnen gesungen h¨ atten, als sie klein waren, was den großen Einfluss des Fernsehens in der Liedgutvermittlung erkl¨ aren w¨ urde. Ein Drittel aller gesungenen Lieder stammt aus Zeichentrickfilmen. Diese Klassiker aus den 1930/40er Jahren 15 16
17
Nr. 311, S. 274; Nr. 318, S. 278, Nr. 317, S. 283. Diese Lieder sind im Anhang zu finden: Nr. 231, S. 274; Nr. 258, S. 275; Nr. 230, S. 284; Nr. 232, S. 284; Nr. 269, S. 285; Nr. 277, S. 282; Nr. 284, S.281; Nr. 285, S. 285; Nr. 293, S. 276; Nr. 330/331, S. 284. Stille Nacht“, Itsy, bitsy spider“, Das Tunnell“, Von den blauen Bergen kom” ” ” ” men wir“, Lied von Mogli“, aus dem Trickfilm Das Dschungelbuch“ ” ”
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Empirische Grundlage der Untersuchungen
Abbildung 4.6: Zusammensetzung der russischen Liedvarianten nach Entstehungs- und Tradierungskontext
sind – wie die fr¨ uhen Walt-Disney-Filmen im Westen – noch heute sehr beliebt bei russischen Eltern und Kindern und werden h¨aufig auf DVD im Haushalt aufbewahrt. Die meisten dieser Filmmelodien stammen aus der Feder des 1925 geborenen Komponisten und Kinderliedermachers Vladimir J. Shainskij. Shainskij hat u ¨ber 300 Kinderlieder geschrieben. Darunter z.B. Antoshka“, Das Lied von Cheburashka“ oder Goluboj vagon“ ” ” ” (‘der blaue Wagon’). Die beliebtesten Schlaflieder sind Spt ustalye ” igruxki“ (‘Es schlafen die m¨ uden Spielsachen’) von Arkadij Ostrovskij und die nach der Melodie von Schlafe, mein Prinzchen“ 18 gesungene ” Dublette “Spi mo radost“ (‘Schlaf, meine Freude“, S. 297). Sie sind u annchen-Sendung Spoko˘ ino˘ i noqi malyxi!“ (‘Gute ¨ber die Sandm¨ ” Nacht Kinder!’) in der ganzen ehemaligen Sowjetunion verbreitet worden. Weitere Lieder stammen z.B. vom Sowjet-(Kinder)liedermacher Michail I. Krasev sowie von Pop/Schlager-S¨ angern der 1980er Jahre wie Boris Grebenchikov (Band: Aquarium) oder Jasmin. Lediglich eine Mutter hatte u unchen Zugang zu ¨ber eine russische Spiel- und Krabbelgruppe in M¨ neueren Liedern, die f¨ ur die aktuelle Fr¨ uhp¨adagogik entwickelt wurden (z.B. Nr. 497, S. 293). Die traditionellen Lieder (z.B. Anikin 1957) machen mit etwas mehr als zehn Prozent nur einen kleinen Teil der Sammlung aus. Das beliebteste Lied darunter ist das Schlaflied Ba-baxki-ba (Baju-bajushki-baju, S. 292), das vermutlich sehr alt ist. Das traditionelle ukrainische Volkslied Veselye gusi“ ( Die fr¨ohlichen G¨anse“, S. 294) ” ” 18
Dieses Lied stammt vermutlich vom Komponisten Bernhard Flies, 1796, wurde aber lange Zeit Mozart zugeschrieben.
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ist wahrscheinlich u ¨ber einen Zeichentrickfilm bekannt geworden. Eine Mutter sang zwei Volkslieder, die keine Kinderlieder sind. Das freie Repertoire nimmt im russischen Korpus etwa ein Viertel der Aufnahmen ein19 . Bemerkenswert erscheint mir schließlich, dass russische Eltern im Vergleich zu deutschen und franz¨ osischen Eltern ihren Kleinkindern sehr viele Reime vorsprechen, gern spontan reimen und ganze Gedichte auswendig k¨ onnen. Die meisten dieser Reime/Gedichte stammen von den bekannten Kinderdichtern Kornej Chukovskij (1882-1969), der als erster ein p¨adagogisches Programm zur Sprach- und Kunstf¨orderung von Kindern entwarf, sowie von Sergej Michalkov (geb. 1913). 4.3.3
Strukturelle Merkmale des Gesungenen
¨ Im folgenden Abschnitt werde ich einen Uberblick u ¨ber einige strukturelle Unterschiede der hier gesammelten Lieder in den drei Sprachen geben und mit dem abgleichen, was u ¨ber schriftlich fixierte Kinderlieder (bzw. Volkslieder) der drei Kulturen bisher bekannt ist20 . Dabei best¨atigen sich viele der bereits in der Literatur genannten Charakteristika, was die Repr¨ asentativit¨ at des Korpus belegt. Alle Liedvarianten wurden in Notenform transkribiert (s. Beispiele im Anhang) und einzelne strukturelle Merkmale in einer Datenbank verzeichnet. Strukturell gleiche Varianten (Liedvarianten, die von dergleichen oder verschiedenen S¨angerinnen gesungen wurden, jedoch sonst gleich sind) wurden gefiltert, so dass von 547 F¨ allen, 382 u ¨brig blieben (135 deutsche, 146 franz¨osische, 101 russische Liedvarianten). Funktionale Aspekte verschiedener Liedklassen stehen im Mittelpunkt von Kapitel 9. Form Die Grundform deutscher Kinderlieder ist die achttaktige Periode, daneben sind kleinere (viertaktige) Formen ebenso m¨oglich wie eine große Zahl von Abwandlungen des prim¨ aren achttaktigen Schemas (Altmann 2001, 63ff). Dies gilt im wesentlichen f¨ ur alle Lieder dieses Korpus. Viele Lie19 20
Dies sind im Anhang folgende Lieder: Nr. 478, S. 297; Nr. 479, S. 297; Nr. 551, S. 292; Nr. 559, S. 296; Nr. 579, S. 295; Nr. 580/81, S. 301; Nr. 593-596, S. 295. Dabei liegen mir weitaus weniger Daten zum Franz¨ osischen und Russischen vor als zum Deutschen. Zur komplizierten Datenlage zur russischen Folklore vgl. z.B. die Aussage von Zemtsovsky (2001, S.1): A description of Russian folk music ” is hampered not only by its complexity but also by the fact that as a system it has been inadequately studied. Many collections are obviously incomplete, and of these much has not yet been systematized on a modern scholarly level, while a large quantity of material has not been published (most of the collections published are small anthologies). Reliable material is only gradually being amassed by researchers, and much remains to be done.“
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der existieren als einstrophige Form, die meisten haben jedoch mehrere Strophen. Dies ist auch im russischen und franz¨osischen Material der Fall. Tonale, melodische Merkmale Trehub & Trainor (1998) stellen in ihrer Zusammenschau musikethnologischer Forschung fest, dass offensichtlich wesentlich weniger Melodietypen im m¨ undlich u ¨berliefertem Liedgut der V¨olker existieren als Texte (auch im vorliegenden Korpus gibt es wenige Dubletten). Zudem sind internationale Bez¨ uge herstellbar (R¨ ohrich 2002a). Dennoch existieren Unterschiede in der bevorzugten Ausgestaltung von Melodien. Deutsche und franz¨ osische Melodien bewegen sich nach Literaturangaben typischerweise zwischen einer Quinte und Oktave21 (Marcel-Dubois & Laborde 2001; Altmann 2001). Im Vorliegenden Korpus ist in diesen beiden Sprachen der Oktavumfang am h¨ aufigsten (Abb. 4.7). Im Deutschen haben 90 Prozent der Lieder einen Umfang zwischen sieben und 16 Halbt¨onen, wobei minimal drei Halbt¨ one, maximal 17 vorkommen. Im Franz¨osischen ist der Gesamtumfang etwas gr¨ oßer, er geht von minimal einem Ton bis maximal 21 Halbt¨ one. 90 Prozent der Lieder liegen zwischen 6 und 17 Halbt¨ onen.
Abbildung 4.7: Histogramme zum Vergleich des Tonumfanges in den Liedern der drei Sprachgruppen
Das Russische hebt sich in seiner Tonalit¨ at deutlich von den anderen beiden Sprachen ab. Im tonalen Umfang variieren die einzelnen russischen Lieder st¨ arker als im Deutschen und Franz¨osischen. Ein russisches Lied, das sich tonal u ¨ber zwei Oktaven bewegt, zeigt den gr¨oßten Tonumfang 21
Dabei ist jedoch auch der funktionale Kontext wichtig: Lieder, die dem Einschlafen dienen, werden im Franz¨ osischen kaum u ¨ber einen Quintumfang hinaus gesungen.
93
Korpusstruktur
des Korpus. Minimaler Tonumfang ist – wie im Deutschen – die kleine Terz. 90 Prozent der russischen Lieder umfassen zwischen f¨ unf und 17 Halbt¨ onen. Dies entspricht nicht ganz den Literaturdaten: Dort wird berichtet, dass traditionelle russische Spiellieder im Rahmen einer Quarte mit typischen Melodiemustern a-c-d und g-a-c (Zemtsovsky 2001) blieben. Ich f¨ uhre diese Diskrepanz im Umfang auf den großen Anteil neuerer Lieder im russischen Repertoire dieses Korpus zur¨ uck. Nichtsdestotrotz sind solche nach Moll klingenden Trichorde“ (Popova 1977, ” S.28f) aus einer kleinen Terz und einer großen Sekunde auch im Korpus h¨ aufig zu finden. Sie sind besonders typisch f¨ ur die russische Folklore und fanden auch Eingang in die großen Werke der russischen Klassik (z.B. in die Oper Boris Godunov“ von Mussorgsky oder Snegurochka“ von ” ” Rimsky-Korsakov). Russische Schlaflieder beruhen nach Popova (1977) wesentlich auf einer Dreitonfolge, die eine kleine Terz ergibt, was wiederum einen Moll-Eindruck entstehen l¨ asst. Dies ist ein auff¨alliges Merkmal ¨ des russischen Korpus: Uber die H¨ alfte der Lieder sind in Moll oder wechseln zwischen Moll und Dur (s. Tabelle 4.4, vgl. das Lied Spjat ustalyje ” igrushki“, S. 298). Sprache Deutsch Franz¨ osisch Russisch
Dur 98 % 87 % 49 %
Moll 1% 6% 13 %
Moll/Dur 1% 7% 38 %
Tabelle 4.4: Vergleich des Tongeschlechts der Lieder aller Sprachen
Auch dies unterscheidet diese Sprachdaten deutlich von den deutschen Kinderliedern, die bis auf zwei F¨ alle in Dur gesungen werden, sowie vom franz¨ osischen Repertoire, in dem es ebenfalls vor allem Dur-Lieder gibt mit einem etwas gr¨ oßeren Anteil an Moll-Liedern als im Deutschen und einigen Mischf¨ allen. Dem Dur-Moll-Wechsel in vielen Liedern ist es auch zuzuschreiben, dass das Russische mehr tonale Kategorien in den Liedern nutzt als die anderen beiden Sprachen. Eine tonale Kategorie wird hier als Ton mit bestimmtem Chroma und Helligkeit verstanden, die in einem tonalen Paradigma (Tonart) vorkommt (vgl. Abschnitt 2.4.1). Im Russischen haben die Lieder im Schnitt eine tonale Kategorie mehr als im Franz¨ osischen und Deutschen. Im Deutschen gibt es zwischen zwei und 12 Kategorien in den Liedern (Median: 7), im Franz¨osischen zwischen einer und 12 Kategorien (Median: 7) und im Russischen zwischen zwei und 16 Kategorien (Median: 8). Stadler Elmer (2002) und Stoffer (1979) fanden in ihren Untersuchungen schriftlich fixierter Kinderlieder eine Bevorzugung der Tonika,
94
Empirische Grundlage der Untersuchungen
auf der die meisten Lieder enden, und der Dominante mit einigen wenigen Beispielen, in denen auch die Subdominante eine Rolle spielt. Im Russischen gelten diese Regeln nicht so strikt: Zemtsovsky (2001) berichtet im New Grove Dictionary of Music von Kinderliedern mit Kadenzen auf der Supertonika (2. Stufe der Tonleiter). Dies erscheint f¨ ur westliche Ohren sehr exotisch. Deutsche Lieder zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass im 44 -Takt, die Betonungsr¨ ange 1 und 2 stets Harmoniet¨one oder Vorhalte enthalten, Betonungsrang 3 kann auch andere harmoniefremde T¨ one enthalten (Stoffer 1979). Pentatonische Formen22 sind im franz¨ osischen Raum h¨ aufiger anzutreffen (Marcel-Dubois & Laborde 2001), auch in diesem Korpus sind einige (auch neuere) Lieder vertreten (vgl. Sans souci“, S. 285). ” Zu erw¨ ahnen sei noch, dass in diesem Material bei drei russischen Eltern der tonale Aufbau der Lieder noch komplexer wirkte, da bestimmte Intervallspr¨ unge nicht eindeutig getroffen“ wurden. Sangen diese Eltern ” f¨ ur Erwachsene, waren die Intervalle meist eindeutig. Diese Erscheinung interpretiere ich als das bereits im Kapitel 2.4.2 erw¨ahnte Einf¨arben von Intervallen (Zemtsovsky, 2001; Popova, 1977), das im Falle des Singens mit Kindern unter Umst¨ anden auch dem emotionalen Ausdruck dient (z.B. Trainor et al. 1997) und das in der alten russischen Folklore systematisch vorhanden war. Es setzt sich wohl bis heute als Gesangsstil fort. Schließlich noch ein Blick auf die Intervallstruktur, die in den Liedern vorkommt. Im Deutschen gehen in 25 Liedern (18,5 Prozent) die Intervallspr¨ unge nicht u ¨ber eine große Terz hinaus. Im Franz¨osischen und Russischen ist dies in weniger Liedern der Fall (franz¨osisch: 10,5 Prozent, russisch: 12 Prozent). In den meisten Liedern ist das gr¨oßte Intervall ein Quart-, Quint- oder Sextsprung (deutsch: 70,4 Prozent, franz¨osisch: 81,2 Prozent, russisch: 72,5 Prozent). Oktavspr¨ unge, Nonen und Dezimen sind selten, im Deutschen kommen sie immerhin noch in 12 Liedvarianten vor, im Franz¨ osischen und Russischen in jeweils nur sechs Liedern. Rhythmische und metrische Merkmale Das Material zeigt in allen drei Sprachen einen u ¨berwiegenden Anteil gerader Taktarten (Tab. 4.5). Dies ist in den russischen Liedern besonders deutlich, die zu 93 Prozent aus geraden Taktarten bestehen, von den wenigen russischen Liedvarianten mit ungeraden Taktarten sind zwei melodisch aus deutschem Liedgut entlehnt. Diese Pr¨aferenz des geraden Taktes k¨ onnte mit textuellen Merkmalen zu tun haben: Das von Burling (1966) in seiner Pilotstudie zum englischen, mandarin-chinesischen und 22
Dies ist jedoch bei weitem nicht der charakteristische Modus von Kinderliedern, wie noch in Dahlhaus & Eggebrecht (1978, S.639) berichtet wird.
95
Korpusstruktur Sprache Deutsch Franz¨ osisch Russisch
gerader Takt 81 % 73 % 93 %
ungerader Takt 18 % 24 % 6%
Taktwechsel 1% 3% 1%
Tabelle 4.5: Vergleich der Taktarten der Lieder der drei Sprachgruppen
indonesischen Abz¨ ahlreimen festgestellte metrische Schema einer vierteiligen Strophe mit drei- bis vierhebigen Versen wird von einigen Forschern heute als universelles Merkmal von Kinderpoesie dargestellt, allerdings mit streng troch¨ aischem Muster (kritische Auseinandersetzung bei Noel et al. 2002). In der Literatur zum Deutschen (Wagenknecht 1999) und Russischen (Zemtsovsky 2001) wird dieses Muster ebenfalls als grundlegend f¨ ur Kinderlieder dargestellt. Dies steht, wenigstens im Deutschen, in gewisser Diskrepanz zur poetischen Metrik: hier herrscht zwischen den Hebungen prinzipiell F¨ ullungsfreiheit. Bis zu f¨ unf Silben k¨onnen zwischen zwei Hebungen auftreten (Wagenknecht 1999). Zudem sind bin¨are Metren – bedingt durch den h¨ aufigen Auftakt – (Stadler Elmer 2002, 120ff) eher jambisch, was jedoch in der musikalischen Struktur ebenfalls durch Auftakte gel¨ ost wird. Brailoiu (1956/1973) und Arleo (2003) sehen auch im franz¨ osischen Kinderlied das troch¨ aische Muster verwirklicht. Das Versmuster in franz¨ osischen Volksliedern wird allerdings wie in der Poesie nach Silbenzahlen betrachtet. So sind 6-, 8- oder 10silbige Verse durchaus u ¨blich (Marcel-Dubois & Laborde 2001). Im franz¨osischen Korpus finden sich sowohl gerade als auch ungerade Taktarten, mit fast einem Viertel der Liedvarianten hat es den gr¨ oßten Anteil an ungeraden Taktarten aller drei Sprachen, zudem gibt es f¨ unf taktwechselnde Lieder (vgl. z.B. Gentil coquelicot“, S. 282). Im Deutschen erreicht der Anteil ” ungerader Taktarten fast ein F¨ unftel des Liedmaterials. Ein taktwechselndes Lied wurde jeweils im Russischen und Deutschen gefunden, wobei es sich im Deutschen um einen Zwiefachen handelt, ein f¨ ur den bayerischen Raum typisches taktwechselndes Tanzlied (vgl. dazu eine Analyse von Vetterle & Noel 2006). Was die Anzahl der rhythmischen Kategorien angeht, so gibt es in 75 Prozent der Lieder aller drei Sprachen zwischen einer und vier rhythmischen Kategorien. Als rhythmische Kategorie wurde jeder rhythmische Wert gewertet, der in einem einfachen Zahlenverh¨altnis zu einem anderen Wert wahrgenommen und so notiert wird. Lieder mit nur einer rhythmischen Kategorie waren allerdings in allen drei Sprachen selten. Das franz¨ osische Liedmaterial zeigt die rhythmisch variabelsten Lieder, die zwischen einer und sieben rhythmischen Kategorien besitzen. Das Russi-
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Empirische Grundlage der Untersuchungen
sche weist weniger Kategorien als die anderen beiden Sprachen auf: Fast in der H¨ alfte aller russischen Liedvarianten nutzen die Eltern nur eine oder zwei rhythmische Kategorien, maximal sind es f¨ unf rhythmische Kategorien. Dehnungen und Verk¨ urzungen von Notenwerten sind recht h¨aufig, die S¨ anger aller Sprachen verwenden dieses rhythmisch anregende Stilmittel (Franz¨ osisch und Deutsch: in 40 Prozent der Lieder, im Russischen: 35 Prozent). Dies tr¨ agt zur Komplexit¨ at der rhythmischen Struktur der Lieder bei. Synkopen (die Verlagerung einer Betonung auf eine unbetonte Z¨ ahlzeit, z.B. Cooper & Meyer 1960, S.99f) sind etwa in einem Dutzend Liedvarianten in allen Sprachen zu finden. Diese Lieder stammen allerdings aus dem 20. Jahrhundert, zwei sind aus dem freien Repertoire und spiegeln, so meine Annahme, die H¨ orgewohnheiten der Eltern wider. Es ist zu erwarten, dass sich die Synkope, die im traditionellen Kinderliedgut bisher als abwesend galt, in neuerer Zeit dank der afroamerikanisch beeinflussten Pop- und Rockmusik (und der wiederum daraus abgeleiteten Produktion von Liedern f¨ ur Zeichentrickfilme oder Schlager) auch im kindgerichteten europ¨ aischen Liedgut etabliert. Text F¨ ur die Lieder aller drei Sprachen gilt, dass Text und Melodie silbisch aufeinander abgebildet sind, d.h. eine Silbe entspricht in der Regel einem Ton. Melismen (mehrere T¨ one pro Silbe) sind eher rar, sie sind etwas mehr im Deutschen als in den anderen beiden Sprachen zu finden. Laut Literatur sind sie im franz¨ osischen Volkslied nur auf der vorletzten Silbe vor Versende zu finden (Marcel-Dubois & Laborde 2001; Dell 2004). Dies ist auch bei den wenigen franz¨ osischen F¨allen mit Melismen in diesem Korpus nicht anders (z.B. im Lied Il pleut, il mouille“, S. 283). Große ” Teile der Liedtexte aller drei Sprachen zeichnen sich durch Reimbindung aus. Ein weit verbreitetes Schema der vierversigen Strophe im Deutschen ist laut Wagenknecht 1999, S.49 ‘xaxa’. In den alten russischen Volksliedern – wie auch in der Volkspoesie – war keine Reimbindung u ¨blich (Popova 1977, S.18, Gasparov 2000), heutige russische Lieder (auch diejenigen des Korpus) beruhen zumeist auf Reimen. Im Franz¨osischen, das der konsequenten Reimbindung in der Poesie hohe Bedeutung beimisst, tritt u ¨berraschenderweise ebenfalls eine Form mit abgeschw¨achter
Korpusstruktur
97
Reimbindung23 auf. Dies mag daran liegen, dass ein gesungenes Gedicht musikalische Mittel nutzt, um wichtige Einheiten wie Verse abzugrenzen oder dass dem Vers als Einheit keine große Bedeutung beim Singen zukommt (letzteres kann ausgeschlossen werden, vgl. die Untersuchung in Kap. 8). Weiterhin sind im franz¨ osischen Volkslied auch dreiversige Strophen zu finden (ABA), w¨ ahrend das Russische und Deutsche eher zweioder vierversige Strophen bevorzugen. Zum Schluss noch einige weitere generelle Hinweise aus der Literatur zum Verh¨ altnis von sprach- und musikmetrischen Aspekten (z.B. Takt-, bzw. Wortakzenten). Dazu wurde in dieser Arbeit keine eingehende Analyse angestellt, da andere Performance-Merkmale im Vordergrund standen (vgl. Kap. 7). F¨ ur das Deutsche und Russische wird berichtet, dass sich Takt- und Wortakzente sehr h¨ aufig entsprechen (s. z.B. Tatubaev 1982; Albertsen 1997). Anders im Franz¨ osischen: Hier sollte eher ein geringer Bezug von Wort- und Taktakzenten bestehen, da der Hauptakzent im Franz¨ osischen nicht dem Wort, sondern einer rhythmischen ” Gruppe“ (s. Abschnitt 2.4.3) zugeordnet ist. Pensom (1998, S.55) fand jedoch in franz¨ osischen Liedern von Lully eine starke Korrespondenz zwischen Taktbetonungen und (potentiellen) Wortakzenten. In den Hauptbetonungsr¨ angen 1 und 2 kommen kaum atone oder Schwasilben vor. Einfach ist das Verh¨ altnis zwischen Sprach- und Musikmetrik jedenfalls nicht: Vielfach berichten Forscher, dass sprachmetrische/rhythmische Regeln im Lied verletzt werden k¨ onnen. Hayes & Kaun (1996) zeigen in ihrem Beitrag, dass es bei gesungenen (englischen) Texten h¨aufig Konflikte (‘lexical inversions’, S.287) zwischen metrischem Raster und nat¨ urlicher Akzentverteilung am Versende gibt, insbesondere bei weiblichen Versendungen. Dieses Ph¨ anomen betrachten auch Noel et al. (2002) f¨ ur das Deutsche. Tarlinskaja (2002) entdeckte a ¨hnliche abweichende phrasale Betonungsverh¨altnisse zugunsten des metrischen Rasters in russischen Versen. Im Franz¨ osischen stellen Dell (1989) und Morin (2003) das merkw¨ urdige Verhalten des ‘e muet’ im Gesungenen fest, das so gar nicht standardsprachlichen Regeln entsprechen will. Diese Erscheinungen weisen darauf hin, dass Singen letztlich mehr als die Summe seiner Teile – Text und Musik – ist und spezifischen Gesetzm¨aßigkeiten gehorcht, die unter Umst¨ anden keinem der beiden Systeme getrennt zuzuordnen sind. 23
Der Rab´ e-aa“ oder Rab´ e-raa“ wie de Cornulier (1996) diese Form bezeich” ” net, sieht ein Reimschema abaa vor, in dem die 1. und 3. a-Stelle die exakte Wiederholung desselben Wortes (meist auch in Verbindung mit demselben Vers) aufweisen. Z.B.: Savez-vous planter les choux/ A la mode, ` a la mode/ Savez” vous planter les choux/ A la mode de chez nous”. Diese spezielle Form konnte Andy Arleo (2003) auch in englischen Liedern nachweisen.
98
Empirische Grundlage der Untersuchungen
4.4
Interaktionale Aspekte
Beim Singen entstehen intensive kommunikative Situationen, in denen Eltern und Kinder wechselseitig aufeinander eingehen und regelrecht miteinander musizieren. Die Interaktion nimmt nach den ersten f¨ unf bis sechs Monaten deutlich zu. Malloch (1999) nannte diese Erscheinung treffend communicative musicality“ und lieferte einige beeindruckende Ana” lysen zu diesem Konzept. Ebenfalls bemerkenswert ist hier die Studie von Longhi (2009). Den Beispielen dieser Untersuchung m¨ochte ich einige bemerkenswerte Situationen aus meinen Beobachtungen hinzuf¨ ugen. 4.4.1
Antizipation
Kinder verbinden schon sehr fr¨ uh Lieder mit den Situationen, in denen diese u ¨blicherweise gesungen werden. In der direktesten und einfachsten Form nimmt das Kind Einfluss auf das Singen der Eltern, indem es sie protestierend durch Schreien, Kn¨ oren oder Weinen unterbricht, woraufhin die Eltern das Lied meistens abbrechen. Dieses Verhalten trat bei den Kindern dieser Studie fr¨ uhestens mit f¨ unf Monaten auf. Dass es eine direkte Reaktion auf das Lied war, wurde dadurch klar, dass das Kind zuvor gelacht hatte und guter Laune war und der Stimmungswechsel abrupt und unmittelbar auf das bzw. w¨ ahrend des Singens erfolgte. Typischerweise geschah solch ein Protest, wenn Eltern Schlaflieder sangen, obwohl ihre Kinder gar nicht ins Bett wollten. Das Lied nimmt symbolisch das Schlafritual vorweg und das Kind dr¨ uckt durch seine Reaktion aus, dass es f¨ ur diese Handlung noch nicht bereit ist oder nicht zustimmt. Einige Eltern berichteten auch, dass Kinder die Lieder nicht nur Situationen, sondern auch einzelnen Personen zuordneten (Vater, Mutter, Schwester) und heftig protestierten, wenn das Lied vom falschen Ansprechpartner“ ” gesungen wurde. In der Regel wiederholen Eltern ein Lied ganz von selbst, wenn das Kind positiv reagiert, lacht oder mitlautet. In einigen F¨allen versuchen Kinder jedoch direkt, die Eltern zur Wiederholung des Spieles/Liedes zu bringen. Die Aufforderung, ein Spiel fortzusetzen, geschieht bei j¨ ungeren Kindern meistens gestisch, d.h. eine typische Bewegung aus einem Spiel wird wiederholt. Zum Beispiel ließ sich ein Junge, der auf den Knien seiner Mutter saß, nach hinten fallen, um die Fortsetzung eines Kniereiter-Spieles zu erreichen. Diese Bewegung stand am Ende des Spieles und das Kind zeigte dadurch, dass es das Ende kennt und es nochmals spielen m¨ochte. Solche Antizipationen sind auch w¨ ahrend des Spiels zu beobachten: Kinder lachen oder machen eine Bewegung bevor diese im Lied vorgesehen ist. Derartige Antizipationen waren in meinen Daten ab f¨ unf Monaten zu beobachten. Das Wiedererkennen von Liedern ist m¨oglicherweise auch
99
Interaktionale Aspekte
schon vorher m¨ oglich: Eine Mutter berichtete, dass ihr drei Monate alter Sohn schon in Vorfreude zu lachen und zu strampeln beginne, wenn sie oder das Kinderm¨ adchen ein ganz bestimmtes Lied anstimmten. Erst bei Kindern ab dem 10. Monat geschieht die Aufforderung zur Fortsetzung eines Liedes/Spieles auch durch verbale Gesten. Ein M¨adchen (10;5 Monate) stieß nach Ende des Liedes ein kr¨aftiges ‘¨a’ aus, um eine Wiederholung einzufordern. Offensichtlich hatte sich dieser Code in der Kommunikation zwischen Tochter und Mutter im Laufe der Zeit entwickelt. Um den Beginn des zweiten Lebensjahres herum k¨onnen Kinder auch schon einfache Liedanf¨ ange nachahmen, um zu einem Spiel aufzufordern. Dies war bei zwei franz¨ osischen Kindern (12 und 14 Monate alt) der Fall, die erkennbar das Lied Bateau sur l’eau“ (Anhang, S. 276) an” stimmten, um das zugeh¨ orige Spiel einzuleiten. Die Abbildungen 4.8 und 4.9 zeigen das erste Wort des Liedes bateau, gesungen von der Mutter und ihrem Sohn Alexandre.
b
a
t
o
Abbildung 4.8: Sonagramm des Liedbeginns ["bato], gesungen von der Mutter; schwarze Linie: Grundfrequenz
Die Betonung ["bato] im Lied l¨ auft der regul¨ aren Wort- bzw. Phrasenendbetonung /ba"to/ allerdings zuwider. Die phonetische Form des Wortes bateau ["bato] erscheint noch sehr variabel. Der 14 Monate alte Alexandre artikuliert ["bato] zwar sehr deutlich und richtig, dies geschieht jedoch innerhalb einer ganzen Reihe verschiedener Realisationen (z.B. ["had@], ["babo], ["bati], ["bapø]). Das Dauer- und Intensit¨ atsverh¨altnis der beiden Sil-
100
Empirische Grundlage der Untersuchungen
b
a
t
o
Abbildung 4.9: Sonagramm des Liedbeginns ["bato], gesungen von Alexandre (14 Monate); schwarze Linie: Grundfrequenz
ben (1. Silbe lang, betont, zweite kurz, unbetont) ist u ¨bertriebener als bei seiner Mutter, jedoch insgesamt sehr stabil. Der fallende Intervallsprung kommt in den meisten F¨ allen einer Terz sehr nahe, ist manchmal etwas gr¨ oßer (bis zu einer Quinte). Die wesentlichen Bestandteile dieses Liedanfangs hat Alexandre erfasst, das Lied ist identifizierbar. 4.4.2
Rhythmische Begleitung
In der Literatur (Gembris, 2005; Moog, 1963) ist zu lesen, dass Kinder fr¨ uhestens mit 18 Monaten erste Ans¨ atze zur motorischen Synchronisierung mit musikalischen Rhythmen zeigten und dass diese F¨ahigkeit sich erst (durch Schulung) im Kindergartenalter entwickelte. W¨ahrend meiner Aufnahmen habe ich Beobachtungen gemacht, die erste Synchronisierungsversuche vor dieser Zeit vermuten lassen. Drei Kinder (7, 10 und 11;5 Monate alt) begleiteten ihre singenden M¨ utter eine kurze Zeit lang rhythmisch im Takt (etwa drei bis f¨ unf Sekunden, einer bis zwei Phrasen im Lied entsprechend). Zwei taten dies mit einer Rassel, ein Kind schlug mit einer leeren Plastikflasche auf den Boden. Alle drei F¨alle sollen kurz besprochen werden. Es ist leider nicht m¨oglich, nachzuvollziehen, ob es sich lediglich um Zufall handelte oder ob diese Kinder regelm¨aßig solches Verhalten zeigten, da keine Langzeitbeobachtungen vorliegen. Die Eltern konnten dar¨ uber keine Aussagen machen. Was die drei F¨alle so interessant
101
Interaktionale Aspekte
macht, ist, dass ein Einfluss der Eltern auf ihre Kinder ausgeschlossen ist, da sie sich zwar in unmittelbarer N¨ ahe, jedoch nicht in k¨orperlichem Kontakt zu ihnen befanden. Was die drei Lieder angeht, so sind sie alle geradtaktig und rhythmisch variiert. Sie wurden von den M¨ uttern beschwingt gesungen, was die Kinder wohl zum Mitmachen anregte. Situation im Fall 1: Die sieben Monate alte Jula sitzt mit ihrem Lieblingsspielzeug, der Rassel, auf dem Fußboden, w¨ahrend ihre Mutter das Lied H¨ anschen klein“ singt. Jula h¨ ort zun¨ achst aufmerksam zu, mit Blick” kontakt zur Mutter. Kurz vor Ende des Liedes bewegt sie die Rassel in nahezu regelm¨ aßigen Abst¨ anden zu den letzten zwei Versen (s. Abb. 4.10). Dabei ist auff¨ allig, dass sie viermal eine st¨arkere Bewegung (hier durch ‘H’ gekennzeichnet) zur Taktbetonung macht (in diesem Fall: auch Wortbetonung). Die Silben besinnt sich das Kind kehrt nach Haus ” geschwind“ erscheinen st¨ arker betont. Ihren Einsatz leitet Jula durch Mitlauten auf der ersten taktbetonten Silbe und deren Folgesilbe ein.
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Abbildung 4.10: Synchronisierung von Mutter und Kind (7 Monate) zum Lied H¨ anschen Klein“. Die Box zeigt ein Textgrid aus dem Programm ” Praat mit den Dauern der Silben und den Punkten der Rasselschl¨ age( ‘H’ in Zeile 2: st¨ arkerer Rasselschlag).
Situation im Fall 2: Der 11;5 Monate alte Loik sitzt etwa in einem Meter Abstand seiner Mutter gegen¨ uber und h¨ alt eine Rassel in der Hand. W¨ ahrend seine Mutter das Lied Les crocodiles“ singt, beginnt er das ” Instrument versuchsweise zu bewegen. Zu Beginn kommen die Schl¨age verz¨ ogert nach den Silben (Un * cro * codile *, dann jedoch erfolgen sie auf einigen taktbetonten Silben in unregelm¨ aßigen Abst¨anden. W¨ahrend des Refrains, der im Tempo beschleunigt ist, beginnt er zun¨achst wild zu rasseln.
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Empirische Grundlage der Untersuchungen
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Mutter
Rassel
Abbildung 4.11: Synchronisierung von Mutter und Kind (11,5 Monate), Lied: Les crocodiles“. Die Box zeigt das Textgrid aus Praat mit den ” Dauern der Silben und den Punkten der Rasselschl¨ age.
Doch dies ist nur von kurzer Dauer, dann fallen seine Rasselbewegungen mit taktbetonten Silben zusammen, die zum Schluss des Refrains sehr regelm¨ aßig und rhythmisch erscheinen (s. Abb. 4.11). Im Refrain bieten auch Tonh¨ ohe und Dauer Hinweise auf Betonungen: die betonten cro“” Silben liegen eine Terz tiefer als die anderen cro“-Silben. ” Situation im Fall 3: Sascha (10 Monate) sitzt zu F¨ ußen seiner Mutter und spielt mit einer leeren Plastikflasche, rollt sie herum und schl¨agt damit auf den Boden. Seine Mutter beginnt ein Lied aus einem Zeichentrickfilm, das rhythmisch komplex ist (s. Abb. 4.12 und Anhang Nr. 560, S. 301). In der Mitte des Liedes gibt es eine kurze Sequenz, w¨ahrend der Sascha die Flasche in regelm¨ aßigen Abst¨anden auf den Boden schl¨agt. Allerdings trifft er dabei genau die nicht-taktbetonten Silben. Dennoch ist seine Handlung – sollte sie tats¨ achlich im Zusammenhang mit dem Lied stehen – bei einer derart komplexen Rhythmik erstaunlich. Bemerkenswert ist, dass alle drei Kinder eine lange Vorlaufzeit“ hatten, um sich ” rhythmisch auf das Lied einzustellen. Die Lieder sind strophig aufgebaut, mindestens eine Strophe wurde von den M¨ uttern bereits gesungen, bevor das Kind – eher gegen Ende des Liedes – rhythmisch einfiel. Weiterhin ist davon auszugehen, dass die F¨ ahigkeit zur rhythmischen Begleitung mit der motorischen Entwicklung zusammenh¨angt. Alle drei oben genannten Kinder waren motorisch weit fortgeschritten: Sascha (10) ist feinmotorisch sehr geschickt und hat gerade zu Laufen begonnen. Loik (11;5) krabbelt sehr schnell und ist mimisch wie gestisch sehr expressiv, zudem feinmotorisch u ¨berdurchschnittlich, da er schon eine sehr komplexe Armbewegung ausf¨ uhren kann (die Windm¨ uhle“, bei der man die Unterarme – wie beim ”
103
Interaktionale Aspekte
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Atmen
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Mutter
Kind
Abbildung 4.12: Synchronisierung von Mutter und Kind (10 Monate), Lied: Ja na solneshke lezhu“. Die Box zeigt das Textgrid aus Praat mit ” den Dauern der Silben und den Punkten der Flaschenschl¨ age.
Aufrollen eines Wollkn¨ auels – um einander herum bewegt). Jula (7) rollt noch auf dem Fußboden herum, kann aber feinmotorische Bewegungen mit den H¨ anden ausf¨ uhren. Auch wenn Synchronisierung vielleicht eher die Ausnahme in diesem Alter ist, regt das Singen24 Kinder an, motorisch aktiv zu werden. Einige Eltern berichteten davon, dass ihre Kinder mit Fuß, Bein oder Arm beim Singen mitwippten. Ein M¨ adchen (11 Monate), das schon stehen und laufen konnte, federte mit den Knien, wenn ihre Mutter sang, ein anderes (ebenfalls 11 Monate) bewegte im Sitzen den Oberk¨orper zum Lied. Auch bei Liedern, die immer mit Bewegungen verbunden sind, versuchen vor allem ¨ altere Kinder die Bewegungen selbstst¨andig auszuf¨ uhren. Beim franz¨ osischen Lied Bateau sur l’eau“ (S. 276) bewegen sie sitzend den ” Oberk¨ orper vor und zur¨ uck oder versuchen bei Klatsch- oder Fingerspielen wie Backe Kuchen“, Tappe, tappe“, Ladoshki“, Wie das F¨ahnchen ” ” ” ” auf dem Turme“ oder Aramsamsam“ die H¨ ande, Finger und Arme zum ” Lied zu bewegen (meist helfen dabei aber die Eltern). Bei anderen Spielen ahmen sie ihre Eltern mimisch nach (z.B. Zunge herausstrecken bei M, m macht der kleine Frosch“ von Robert Metcalf, Gesicht verziehen ” 24
Die Anregung h¨ angt vermutlich von der Tempo- und Rhythmusgestaltung (eher schneller gesungen und rhythmisch klare Betonungen), dem Bekanntheitsgrad und Kontext (z.B. Spiellieder mit Bewegungen) sowie dem Alter der Kinder (eher ¨ alter als 6 Monate) ab. In anderen F¨ allen wurden Kinder – wie z.B. auch die Untersuchungen von Tafuri & Villa (2002) oder Shenfield et al. (2003) zeigten – beim Singen eher ruhiger, bewegten sich weniger und sahen gebannt ihre singenden Eltern an.
104
Empirische Grundlage der Untersuchungen
am Ende des franz¨ osischen Liedes Dans le jardin de ma grand-m`ere“, in ” dem berichtet wird, dass eine Hexe Regenw¨ urmer verzehrt). 4.4.3
Mitlauten, Mitatmen
Das Mitlauten beim Singen wurde bereits von Moog (1963) bei Kindern ab einem halben Jahr beobachtet. Beim Sprechen vokalisieren kleine Kinder oftmals ebenfalls gleichzeitig mit ihren Eltern. Es besteht jedoch ein Unterschied zwischen beiden Lautungsarten, zwischen Sprechlallen und Lallgesang, wie Moog (1963) es nennt. Dazu schreibt er (Moog, 1963, S.178): Besteht das Sprechlallen aus Silbenfolgen oder -repetitionen, so zeigt der Lallgesang verschiedenste Tonh¨ ohen auf einer einzigen oder auf wenigen Silben oder Vokalen. Nicht selten wird f¨ ur ausgedehnte Lallges¨ ange nur e i n Vokal benutzt, um betr¨ achtliche Tonr¨ aume“ zu durchmessen. ”
In dieser Studie berichteten acht Eltern, dass ihre Kinder oftmals bei den Liedern mits¨ angen, fr¨ uhestens trat dieses Verhalten ihren Aussagen zufolge um den 5. Monat auf. Bei vier Kindern konnte ich dieses Mitlauten w¨ ahrend der Aufnahme beobachten. Ein sieben Monate altes M¨adchen begleitete das Lied Weißt du wieviel Sternlein stehen“ mit einem mit ” geschlossenen Mund gesummten“ Ton (der allerdings so gepresst artiku” liert wurde, dass er eher an ein Knurren erinnerte). Diesen versuchte sie, u ¨ber zwei Intonationsphrasen der Mutter hinweg auszuhalten, wobei sie selbst dreimal neu ansetzen musste. Bei jedem neuen Einsatz schien sie die Tonh¨ ohe dem ersten gesungenen Ton der Mutter anpassen zu wollen, wobei ihr Ton zwischen einer kleinen und großen Terz u ¨ber dem der Mutter lag. Ein Anpassen der eigenen Tonh¨ ohe beim Vokalisieren an geh¨orte Tonh¨ ohen ist bereits ab vier Monaten m¨ oglich, wie Kessen et al. (1979) in ihrer Untersuchung drei bis sechs Monate alter Kinder fanden. Ein elf Monate altes M¨ adchen begleitete jedes Lied der Mutter zeitweise mit einer um einen Sekundschritt schwankenden Intonationsfolge auf den Vokal [a] (’aa-aa-aa-aa-aa-aa-a’25 ). Dabei wippte es stehend in den Knien. Diese Kontur hatte die Mutter mit dem Kind f¨ ur ein bestimmtes Lied regelrecht trainiert und das M¨ adchen u ¨bertrug das Muster auf alle gesungenen Formen der Mutter. Die elf Monate alte Lea lautete auf differenziertere Weise mit: Sie bewegte ihre Zunge im Mund hin und her und produzierte dazu verschiedene Tonh¨ ohen. Das Lied der Mutter Erst kommt der Sonnenk¨aferpapa“ ” 25
Ein ’-’ bedeutet den Wechsel der Tonh¨ ohe.
Interaktionale Aspekte
105
Abbildung 4.13: Gemeinsames Lauten von Mutter und Tochter (11 Monate); schwarz: Melodie der Mutter, schwarz-weiß: Intonation des Kindes
(Nr. 40, S. 287) und der ungef¨ ahre Verlauf der Vokalisierungen sind in der Abbildung 4.13 zu sehen26 . Auf der y-Achse sind die Tonh¨ ohen der diatonischen Tonleiter aufgetragen. Die x-Achse zeigt die Zeit in Sekunden, sowie die Silbenverteilung des Liedes der Mutter. Die Punkte sind diskrete tonale Ereignisse. Das Lied der Mutter ist in schwarz, das Muster des Kindes in schwarz-weiß notiert. Schließlich zeigen die schwarzen Klammern am oberen Rand die Grenzen der Intonationsphrasen der Mutter an. Auf den ersten Blick l¨asst ¨ sich keine Ahnlichkeit zwischen den Lautungen des Kindes und dem Gesungenen der Mutter erkennen. Moog (1963) berichtete bei seinen Versu26
Zur Analyse und Darstellung gleichzeitigen Lautens und Singens werden die von Franz-Josef Elmer und Stefanie Stadler Elmer (2002) entwickelten Programme Pitch Analyzer und Notation Viewer verwendet (Internetzugang u ¨ber http://mmatools.sourceforge.net). Der Notation Viewer erm¨ oglicht die Darstellung von kindlichem Gesungenen ohne auf die konventionelle (und f¨ ur kindliche Tonstrukturen nicht angepasste) musikalische Notation zur¨ uckgreifen zu m¨ ussen. An dieser Stelle ein Dank an das Ehepaar Elmer f¨ ur ihre schnelle Unterst¨ utzung bei Fragen zu den Programmen.
106
Empirische Grundlage der Untersuchungen
¨ chen, dass bis zum Alter von 18 Monaten keine Ahnlichkeit zwischen dem vorgespielten Gesungenen und den Produktionen der Kinder bestand. In dem Beispiel von Lea f¨ allt allerdings beim zweiten Hinsehen auf, dass es sich doch um einen Nachahmungsversuch handeln k¨onnte. Das Kind vokalisiert Teile der Konturen der Mutter – nur zeitversetzt und rhythmisch ver¨ andert. Dabei interferiert das von der Mutter gesungene Signal sicherlich auch mit dem aktuell Geh¨ orten, wodurch die Konturen verzerrt werden. Das letzte Beispiel bezieht sich auf die Reaktion des 9;5 Monate alten Cl´ement auf das ihm gut bekannte franz¨ osische Lied Dans sa cabane un ” grand cerf“ (Nr. 280, S. 179). Seine Vokalisierungen sind in der Abb. 4.14 dargestellt. Sie sind lautlich variierter als die der anderen Kinder und sie bewegen sich zwischen vier T¨ onen, die auch in dem Lied der Mutter h¨aufig vorkommen.
Abbildung 4.14: Gemeinsames Lauten von Mutter und Sohn (9;5 Monate); schwarz: Melodie der Mutter, schwarz-weiß: Intonation des Kindes
Interaktionale Aspekte
107
Hier ergibt sich ein rhythmisches Wechselspiel zwischen Mutter und Sohn, w¨ ahrenddessen Cl´ement die Pausen zwischen den Intonationsphrasen der Mutter f¨ ullt. Taktbetonte Silben (moi, chasseur, tuera, viens, main) scheinen als Ankerpunkte f¨ ur seine Artikulationen zu dienen, so dass das Lied mit seiner Begleitung rhythmisch stimmig wirkt. Eine ¨ahnliche Orientierung an betonten Silben hat Malloch (1999) bereits bei einem vier Monate alten Kind beobachtet, das begleitend zu einem Reim seiner Mutter vokalisierte. Zum Abschluss dieses Kapitels m¨ ochte ich noch eine Beobachtung erw¨ ahnen, die die Atmung eines Kindes beim Singen seiner Mutter betrifft. Aus der Literatur wissen wir, dass Musik und besonders ihr Rhythmus physiologische Wirkungen schon auf S¨ auglinge hat, auf die Regelm¨aßigkeit ihres Herzschlags und ihrer Atmung (Cassidy & Standley 1995, andere Ergebnisse in Courtnage 2001). Diese Wirkung von Rhythmus ist auch bei poetischer gesprochener Sprache m¨oglich: Bei Erwachsenen passen sich Herzschlag und Atmung an den Versrhythmus eines Gedichtes an, w¨ ahrend sie es gehend rezitieren (Cysarz et al. 2004). Beide Erkenntnisse werden bereits therapeutisch genutzt. Ob Singen mit Kindern eine Synchronisierung der Atmung mit dem metrischen Muster des Liedes hat, ist bisher nicht untersucht. Im folgenden Beispiel (Abb. 4.15) konnte ein synchrones Mitatmen f¨ ur kurze Zeit beobachtet werden. Vor allem bedingt durch begleitende Bewegungen, erhielt das Kind k¨ orperliche Impulse, durch die es den Takt des Liedes atmend mitmachte. Der sechs Monate alte Yannick sitzt auf dem Schoß seiner Mutter. Sie bewegt ihn zu dem Lied Es tanzt ein Bibabut” zemann“ rhythmisch auf den Knien. Bei dieser Aufnahme ist die Atmung von Yannick h¨ orbar, weil er k¨ urzlich erk¨ altet war und noch eine verstopfte Nase hat. Am Ende des Liedes atmet Yannick absolut gleichm¨aßig zum Rhythmus des Liedes, so dass die Ausatmung immer mit dem Taktschlag zusammenf¨ allt. In diesem Beispiel ging die Synchronisierung vermutlich von der Mutter und ihren eigenen rhythmischen Bewegungen aus, mit denen sie das Kind in den Rhythmus des Liedes versetzte27 . Die k¨orperliche Erfahrung beim H¨ oren hat bei Kindern unmittelbaren Einfluss auf die Wahrnehmung und das Erlernen metrischer Muster, wie Phillips-Silver & Trainor (2005) bei sieben Monate alten Kindern zeigen konnten. Welche Auswirkungen die respiratorische und motorische Synchronisierung langfristig auch auf die Entdeckung sprachrhythmischer Prinzipien, wie die Dauer von F¨ ußen, Silben und Intonationsphrasen, haben kann, w¨are deswegen unbedingt in weiteren Untersuchungen zu pr¨ ufen. 27
Offen bleibt die Frage, ob auch Synchronisierung ohne Bewegungen m¨ oglich ist.
108
Empirische Grundlage der Untersuchungen
G 24 P
ˇ ˇ ˇ Es
ˇ ˇ
tanzt einBi- Ba-
ˇ ˇ ˇ ˇ
ˇ ˇ
But zemann in unserm
ˇ ˇ Haus he-
ˇ > rum
Abbildung 4.15: Atmung des Kindes (6 Monate) auf das Lied “Es tanzt ein Bibabutzemann“. Die Box zeigt das Textgrid aus Praat mit den Beginn der taktbetonten Silben. Die vertikalen Striche der zweiten Zeile markieren die Stelle der Ausatmung relativ zum Silbenbeginn.
4.5
¨ Uberleitung: Untersuchungen zur A-, B- und C-Prosodie
Das eben beschriebene Korpus dient als Grundlage f¨ ur die folgenden f¨ unf phonetisch ausgerichteten Untersuchungen, die sich einigen A-, B- und C-prosodischen Aspekten (vgl. Kapitel 2.2.1) der drei Sprachen und ihren Auspr¨ agungen im Singen mit Kindern widmen. Die Auswahl des Materials aus dem Korpus erfolgt aufgrund der einzelnen Fragestellungen und den jeweiligen methodischen Notwendigkeiten. Es werden solche prosodischen Merkmale betrachtet, die in mindestens zwei der untersuchten Sprachen Unterschiede aufweisen und auf die Kinder im ersten Lebensjahr – laut Literaturberichten – u ¨berhaupt achten. Unter den in 2.5 und 3.3 ¨ formulierten Leitthesen (Motherese- und Aquivalenzhypothese) wird das Sprachspezifische, das einem Kleinkind beim Erwerb seiner Muttersprache hilfreich sein k¨ onnte, dabei im Mittelpunkt stehen. Kapitel 5 und 6 besch¨ aftigen sich mit den C- und B-prosodischen Aspekten von Vokalen und Silben¨ uberg¨angen im Singen. In Kapitel 5 untersuche ich auf dem Hintergrund der Motherese-Hypothese, wie klar die akustische Qualit¨ at von Vokalen im Singen f¨ ur Kinder ist. Vokale sind die ersten Ereignisse der Lautkette, die nachweislich die Aufmerksamkeit von Kleinkindern auf sich ziehen. Im professionellen Singen, so wird in der Literatur berichtet, ist die Verst¨ andlichkeit von Vokalen oft stark beein-
¨ Uberleitung: Untersuchungen zur A-, B- und C-Prosodie
109
tr¨ achtigt, im gesprochenen Singsang der Motherese zeigt sich eine gr¨oßere Deutlichkeit der Vokalartikulation, die ein gut wahrnehmbares Hilfsmittel f¨ ur Kinder beim Erwerb des Lautsystems darstellt. Im Kapitel wird betrachtet, ob die prim¨ aren Vokalqualit¨ aten /a, i, u/ des Russischen und Deutschen im kindgerichteten Singen akustisch bessere oder schlechtere Qualit¨ at als im Sprechen aufweisen. Im Kapitel 6 steht das Verh¨ altnis von T¨ onen und Silben, von Konsonanten und Vokalen an gesungenen Silben¨ uberg¨angen im Mittelpunkt. Das Deutsche besitzt hier im Vergleich zu den anderen beiden Sprachen eine, wie es Tillmann & Mansell (1980, S.115) ausdr¨ ucken, stark ” steuernde C-Prosodie“, d.h. dass der Konsonantismus sehr ausgepr¨agt ist und die Silbenstruktur dadurch recht komplex ist. Dies f¨ uhrt dazu, dass die Interaktion zwischen Vokal- und Folgekonsonant im Deutschen eine bedeutungsunterscheidende Opposition bildet, die unter dem Begriff Silbenanschluss- bzw. Silbenschnittopposition in die phonologische Literatur einging. Die Forschungsfrage in Kapitel 6 geht im Sinne der ¨ Aquivalenz-Hypothese dahin, ob sich diese Dominanz der deutschen Konsonanten ebenfalls im Singen zeigt. Dies w¨ are deswegen u ¨berraschend, da der/die S¨ angerIn potentiell auf sonore Phasen und damit auf Vokale angewiesen ist, um Melodie und Intervallstruktur eines Liedes zu verdeutlichen. Im Vergleich zu den anderen Sprachen wird ermittelt, ob der spezielle Konsonantismus des Deutschen im Singen mit Kindern akustisch hervortritt. Kapitel 7 bis 9 besch¨ aftigen sich eingehender mit den A-prosodischen Aspekten der drei Sprachen. In Kapitel 7 wird das Auftreten von kontinuierlichen Tonh¨ ohenver¨ anderungen im sonst tonal-kategorialen Singen betrachtet. Im Material ließ sich beobachten, dass Eltern gelegentlich oder regelm¨ aßig Vokale singen, die insgesamt oder in der Anfangsphase keine stabile tonale Phase aufweisen. Es wird untersucht, ob diese vokalische Ver¨ anderung auf bestimmten sprachlich oder musikalisch prominenten Stellen erfolgt und ob es sich dabei um ein sprachliches bzw. ein¨ zelsprachlich motiviertes Betonungskorrelat handeln k¨onnte (AquivalenzHypothese). Dabei mache ich den Versuch, Modelle gesprochener Satzund Wortbetonung auf das Gesungene zu u ¨bertragen, um herauszufinden, ob Eltern mithilfe der tonal instabilen Vokale bereits einen ersten (globalen) Eindruck der Grundstruktur sprachlicher Phrasen vermitteln k¨ onnten. In Kapitel 8 werden die Grenzen von syntaktischen, musikalischen und Atem-Abschnitten in den Liedern miteinander in Beziehung gesetzt. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob im Singen hierarchische syntaktische Beziehungen transparent werden, auf die Kleinkinder im Laufe des ersten Lebensjahres ihre Aufmerksamkeit richten. Die Abgrenzung kann dabei
110
Empirische Grundlage der Untersuchungen
durch die musikalische Phrasenstruktur oder/und durch die Atmung der ¨ Eltern geleistet werden. Ich diskutiere hier im Hinblick auf die Aquivalenzhypothese, welche syntaktischen Ebenen und welche prosodischen Grenzmerkmale in den drei Sprachen besonders relevant sind. Kapitel 9 schließlich stellt noch einmal den Versuch dar, kindgerichtetes Singen mit kindgerichtetem Sprechen in Beziehung zu setzen (Motherese-Hypothese). Diesmal geht es darum, ob funktional gesteuerte Konturen der Motherese mit gesungenen Melodiekonturen vergleichbar sind. Dieses Kapitel stellt die Fortf¨ uhrung eines Ansatzes von Cordes (1998, 2005) dar, jedoch r¨ ucke ich die einzelsprachliche Perspektive in den Vordergrund. Zentral ist dabei die Frage, ob melodische Konturen im Lied ahnliche funktionale Botschaften transportieren wie es im Gesprochenen ¨ der Fall ist und ob sie dieselbe Form annehmen. Weiterhin frage ich, ob die drei Sprachen unterschiedliche Auspr¨ agungen dieser Konturen aufweisen. Bis auf Kapitel 5, f¨ ur das nicht gen¨ ugend geeignete gesprochene Aufnahmen im Franz¨ osischen vorhanden waren, stellen alle Kapitel einen Vergleich der drei Sprachen Deutsch, Russisch und Franz¨osisch dar.
5
Vokalr¨ aume im Singen und Sprechen
¨ In diesem Kapitel steht der Vokalraum in kindgerichteten Außerungsformen im Mittelpunkt. Die Fl¨ ache des Vokalraumes, den die drei Vokale [a], [i] und [u] aufspannen, wird in der Literatur als Kriterium f¨ ur die Klarheit der gesprochenen Sprache gewertet. Je extremer die Werte der ersten beiden Formanten der drei Vokale, desto gr¨ oßer der Vokalraum und desto deutlicher die Qualit¨ at der Vokale. Dieses Kapitel betrachtet den Vokalraum in verschiedenen kindgerichteten Registern im Russischen (Singen, Sprechen, Reime) und Deutschen (Singen) im Vergleich zum erwachensenengerichteten Sprechen und Foreigner-Talk1 . Die Ergebnisse2 zeigen, dass es deutliche Unterschiede zwischen erwachsenengerichteten und kind¨ gerichteten Außerungsformen gibt. Die Vokale im Singen sind dabei von besonders klarer Sprachqualit¨ at, was den Kindern den Erwerb sowohl des Vokalsystems ihrer Sprache als auch weiterer prosodischer Prozesse und Regeln erleichtern k¨ onnte.
5.1
Einleitung: Vokale in der Motherese
Die Identit¨ at eines Vokals wird in der Sprechstimme durch Formanten festgelegt. Dies sind Obert¨ one der Grundfrequenz, die in bestimmten Artikulationsstellungen im Vokaltrakt besonders gut verst¨arkt werden und die durch einen hohen Amplitudenausschlag als Resonanzmaxima im Sonagramm erkennbar sind (Pompino-Marschall 2003, S.108ff, Terhardt 1998, S.188ff). Es gibt vier und mehr Formanten, aber f¨ ur die Qualit¨at von Vokalen sind die ersten beiden ausschlaggebend. Dabei hat jeder Vokal ein spezifisches Formantmuster (Harrington, im Druck): Je gr¨oßer die Mund¨ offnung bei der Artikulation, desto h¨ oher liegt der Wert des ersten Formanten (F1). [a] als offenster Vokal hat daher den h¨ochsten ersten Formanten aller Vokale. Die Zungenposition wiederum ist f¨ ur die Werte des zweiten Formanten (F2) verantwortlich. Je weiter die Zunge sich im 1 2
Sprechen zu nicht-kompetenten erwachsenen Sprechern der Muttersprache. F¨ ur ihre Hilfe bei der statistischen Auswertung mit SPSS und EMU-R danke ich Phil Hoole und Jonathan Harrington.
112
Vokalr¨ aume im Singen und Sprechen
Mundraum nach vorne verschiebt, desto h¨oher ist F2, je weiter hinten sie liegt, desto niedriger ist F2. [i] und [u] stellen daher die Extrema f¨ ur den h¨ ochsten bzw. niedrigsten zweiten Formanten dar. Im Gehirn sind die Formanten in Klangkarten im Mittelhirn mit Bezug auf die Grundfrequenz abgebildet (Langner et al., 1997). Die Vokale einer Sprache geh¨ oren zu den lautlichen Gestalten, die die Aufmerksamkeit von S¨ auglingen fr¨ uh auf sich ziehen (Mehler et al., 1996). Wie Kuhl et al. (1997) als erste sprach¨ ubergreifend f¨ ur amerikanisches Englisch, Russisch und Schwedisch zeigen konnten, artikulieren Eltern Vokale in Inhaltsw¨ ortern deutlicher, wenn sie mit ihren Kleinkindern sprechen, als wenn sie mit Erwachsenen sprechen. Diese klarere Aussprache zeigt sich in einer Erweiterung des Vokalraumes um u ¨ber 90 Prozent, so dass die Formantwerte kindgerichteter Vokale weiter voneinander entfernt liegen als in erwachsenengerichtetem Sprechen. Die Ergebnisse wurden in weiteren Studien f¨ ur das Japanische (Andruski et al. 1999), f¨ ur australisches Englisch (Burnham et al. 2002), f¨ ur MandarinChinesisch (Liu et al. 2003) und f¨ ur das Niederl¨andische (van de Weijer 2001) best¨ atigt. Englund & Behne (2005) beobachteten an weniger stark kontrollierten Daten f¨ ur das Norwegische ebenfalls Ver¨anderungen im Vokalraum, allerdings fanden sie vor allem eine Verlagerung des Vokalraumes auf der F1-Achse. Diese Studie und auch die von Kirchhoff & Schimmel (2005), die keine Erweiterung fanden, lassen vermuten, dass verschiedene situationale und funktionale Faktoren Einfluss auf die konkrete Formantstruktur haben. Kirchhoff & Schimmel (2005) vermuten, dass die Vokalqualit¨ at davon abh¨ angt, wie stark das Wort akzentuiert ist bzw. auch davon, ob das Wort neue oder bekannte Information in den Diskurs einf¨ uhrt. Bei Funktionsw¨ ortern beobachtete van de Weijer (2001) sogar den gegenteiligen Effekt – also eine Verkleinerung des Vokalraums im kindgerichteten Sprechen im Vergleich zum erwachsenengerichteten Sprechen. Kinder profitieren durchaus von einem erweiterten Vokalraum: Die Studie von Liu et al. (2003) legt einen starken positiven Zusammenhang zwischen der Klarheit der Vokalqualit¨ at im kindgerichteten Sprechen und der Diskriminierungsleistung der Kinder nahe. Weiterhin zeigte de Boer (2005) in Computersimulationen anhand der Daten von Kuhl et al. (1997), dass kindgerichtete Vokale besser erlernbar seien als erwachsenengerichtete Vokale3 . Ein interessanter Aspekt dieser Untersuchung ist, dass mehrere Generationen virtueller Lerner von der kindgerichteten Version eines Vokalinventars vor allem dann profitierten, wenn sie mit komplexen Vokalsystemen wie im Schwedischen und Englischen konfrontiert waren 3
Etwas andere Ergebnisse – mit anderem Material – bei Kirchhoff & Schimmel (2005).
Vorstudie im Russischen
113
(de Boer, 2005, S.119). Das Vokalsystem zeigte u ¨ber die Generationen hinweg eine gr¨ oßere Stabilit¨ at. F¨ ur Systeme mit nur f¨ unf oder sechs Vokalen wie im Russischen oder Chinesischen war dieser Effekt kindgerichteten Sprechens nicht so deutlich. Die Literatur zum Singen liefert uns bisher nur Aussagen zum professionellen Singen. Dar¨ uber ist bekannt, dass die Verst¨andlichkeit der Vokale beeintr¨ achtigt ist, wenn die Grundfrequenz steigt (Sundberg, 1982, 1987; Scotto di Carlo, 2005; Andreas, 2006). Hollien et al. (2000) berichten, dass die Verst¨ andlichkeit der Vokale abnimmt, sobald die Grundfrequenz den Wert des ersten Formanten erreicht oder ihn u ¨bersteigt. Dies betrifft vor allem die Vokale [i] und [u], da ihre ersten Formanten besonders tief liegen. Sie werden bei m¨ annlichen Stimmen ab ca. 390 Hz als Vokale mit h¨ oherem ersten Formanten, z.B. als [e] und [a], missinterpretiert. Bei weiblichen Stimmen ist die Verst¨ andlichkeit bei sehr hohen T¨onen noch geringer, da ihre Grundfrequenz bis zu zwei Oktaven u ¨ber dem ersten Formanten liegen kann. In diesem Fall wird der Vokal h¨aufig als ein zentrales [a] interpretiert. Bei M¨ annern liegt nach Morozov (2002, S.75) bzw. Sundberg (1987, S.176) das Optimum der Vokalverst¨andlichkeit bei etwa 170 Hz, bei Frauen bei ca. 350 Hz. Weiterhin ist die Unterscheidbarkeit der Vokale besser, wenn der Vokal im konsonantischen Kontext steht (Hollien et al. 2000, Westerman & Scherer 2006). Eine Studie von Rosenau (1999), der gesungene und gesprochene deutsche Langvokale im Frequenzbereich der Sprechstimme untersucht hat, l¨asst vermuten, dass der Vokalraum im Singen eher schrumpft. Dies ist besonders bei hellen weiblichen (Sopran)Stimmen der Fall. Im Folgenden wird untersucht, wie sich kindgerichtete gesungene Vokale im Gegensatz zu erwachsenengerichteten und anderen kindgerichteten Sprechregistern verhalten. Werden wir eher eine Erweiterung des Vokalraums wie im kindgerichteten Sprechen finden oder eine Verkleinerung wie im professionellen Singen? Die Untersuchungen finden nur mit russischem und deutschem Sprach- und Singmaterial statt, da im Franz¨osischen zu wenig geeignete Sprachdaten vorlagen. Im Sinne der Motherese-Hypothese werden die Ergebnisse zeigen, ob kindgerichtetes Singen in der Ausdehnung des Vokalraumes mit kindgerichtetem Sprechen vergleichbar ist.
5.2
Vorstudie im Russischen
5.2.1
Material und Methode
Die erste Untersuchung dient als Vorstudie, um die verschiedenen Sprechregister und ihre Vokalr¨ aume zu verorten. Dazu wurden Daten einer russischsprachigen Mutter (37) aus Weißrussland analysiert, die mit ihrem
114
Vokalr¨ aume im Singen und Sprechen
viereinhalb Monate alten Sohn sowohl gesungen, gesprochen als auch f¨ ur ihn gereimt hat. Ein Interview mit der Teilnehmerin u ¨ber die Pflege des Kindes und ihre derzeitigen Berufsperspektiven kann als gem¨aßigter erwachsenengerichteter Foreigner-Talk eingestuft werden, da die Interviewerin selbst Russisch als Fremdsprache auf einem guten Niveau verstand und sprach. Auch der Foreigner-Talk ¨ ahnelt in seinen Vokalauspr¨agungen kindgerichtetem Sprechen: Uther et al. (2007) fanden keine Unterschiede in den Vokalr¨ aumen ausgepr¨ agten englischen Foreigner-Talks und kindgerichteten Sprechens vor. Das Material wurde in die folgenden vier Sprechmodi eingeteilt: kindgerichtetes Singen, kindgerichtetes Sprechen, kindgerichtete Reime und erwachsenengerichteter Foreigner-Talk. Alle betonten Vokale [a], [i] und [u] wurden im vorhandenen Material segmentiert. Es gab je Sprechmodus mindestens 15 Varianten von [i] und [u] und mindestens 18 Varianten von [a]. Die ersten beiden Formanten (F1, F2) wurden in der stabilen Formantphase (Target) im zeitlichen Mittelpunkt des Vokals mit dem Programm Praat (Boersma, 2001)4 gemessen, ebenso wurden Dauer und Grundfrequenz vermerkt. Ein Problem bei diesem Vorgehen besteht in der Variabilit¨at des Kontextes. Da die Aufnahme ohne spezielle Vorgaben f¨ ur das Wortmaterial stattfand, um die M¨ utter m¨ oglichst zur nat¨ urlichen Interaktion mit ihrem Kind zu veranlassen, waren verschiedene konsonantische Kontexte bei den Vokalen zu erwarten. Wie Hillenbrand et al. (2001) in einer Studie zu englischen Vokalen zeigen, variieren die Targets der einzelnen Vokale je nach konsonantischer Umgebung. Besonders der linke vorangehende Konsonant und sein Artikulationsort spielen dabei eine Rolle. Im Russischen zeigt z.B. die Palatalisierung von Konsonanten Einfluss (Kouznetsov, 2002): Palatalisiertes [u] und [a] haben h¨ohere zweite Formanten als ihre nichtpalatalisierten Allophone, auch die ersten Formanten k¨onnen leicht variieren. Leider ist nicht bekannt, ob l¨ angere Vokaldauern, wie sie im Singen u blich sind, den Effekt des konsonantischen Kontextes abschw¨achen ¨ bzw. ganz neutralisieren k¨ onnten. Eine klassische Studie von Stevens & House (1963) legt jedenfalls nahe, dass kurze Vokaldauern den Einfluss des konsonantischen Kontextes noch erh¨ohen k¨onnten. Im Folgenden wurde der linke konsonantische Artikulationsort f¨ ur alle Sprechmodi ausgewertet, um m¨ ogliche Verzerrungen der Ergebnisse offen legen zu k¨onnen. Insgesamt wurden 229 Vokale analysiert. Hierin enthalten sind zus¨atzlich neun kindgerichtete isolierte Vokale [a], [i] und [u], die die Mutter ihrem Kind beim Spiel Mundgymnastik“ vormachte, um es zur Imitation anzu” regen. Diese Vokale werden im Folgenden als ‘Modellvokale’ bezeichnet. 4
Das Computerprogramm von Paul Boersma und David Weenink kann auf der Website http://www.praat.org kostenlos heruntergeladen werden.
115
Vorstudie im Russischen
5.2.2
Ergebnisse
Zuerst werden die Unterschiede zwischen kindgerichtetem Singen und erwachsenengerichtetem Foreigner-Talk betrachtet. In Abb. 5.1 sind deutliche Ver¨ anderungen der Formantwerte (Mediane in Hz) zu sehen, die eine Dehnung des Vokalraums im kindgerichteten Singen bewirken. 0 AD 100
ID gesungen
200
[u]
300
[i]
500
F1 (Hz)
400
600 700 800 900
[a]
1000 3500
3000
2500
2000
1500 F2 (Hz)
1000
500
0
Abbildung 5.1: Vokalr¨ aume kindgerichteter (ID) gesungener und erwachsenengerichteter (AD) gesprochener Vokale einer russischen Mutter. Mediane der Formanten (Hz). x-Achse: 2. Formant, y-Achse: 1. Formant
Bei [i] betreffen diese Ver¨ anderungen vor allem F2, bei [a] F1 und bei [u] beide Formanten. [i] wird im kindgerichteten Singen weiter vorne artikuliert (h¨ oherer F2), [a] ist offener (h¨ oherer F1) und [u] wird weiter hinten (niedrigerer F2) und geschlossener (niedriger F1) gesprochen als im erwachsenengerichteten Foreigner-Talk. Die Vokale aller Register sind in Abb. 5.2 zu sehen. Der Vokalraum (in Hz) ist in den kindgerichteten, gesprochenen Registern (Reime, ID-Sprechen) erweitert, allerdings erscheint er im Vergleich zum Foreigner-Talk und zum Singen zus¨atzlich auf der F1Achse verschoben. Dabei sind die Werte in Reimen extremer als die Werte im kindgerichteten Sprechen. Bei [i] liegen die Werte beider kindgerichteter Sprechregister sehr nahe an den Werten im kindgerichteten Singen. [a] wird in Reimen noch offener artikuliert als im Singen oder Sprechen mit Kindern. [u] zeigt keine Unterschiede f¨ ur kind- und erwachsenengerichtetes Sprechen, wohl aber f¨ ur Reime. Schließlich sind in Abb. 5.3 die isoliert gesprochenen neun ‘Modellvokale’ im Verh¨ altnis zu den kindgerichteten gesungenen Vokalen zu sehen.
116
Vokalr¨ aume im Singen und Sprechen
Die ‘Modellvokale’ waren von allen analysierten Vokalen am extremsten artikuliert. Die Formantwerte im Singen n¨ahern sich ihnen an. $' ,'JHVXQJHQ ,'VSUHFK 5HLP
>X@
)+]
>L@
>D@
)+]
Abbildung 5.2: Vokalr¨ aume aller untersuchten russischen Register. ID: kindgerichtet, AD: erwachsenengerichtet. Mediane der Formanten (Hz). x-Achse: 2. Formant, y-Achse: 1. Formant
0 ID gesungen Modell 200
[u] [i]
600
800
1000
[a] 1200 3500
3000
2500
2000 1500 F2 (Hz)
1000
500
0
Abbildung 5.3: Vokalraum kindgerichteter (ID) gesungener Vokale zu neun isoliert gesprochenen Vokalen. Mediane der Formanten (Hz). x-Achse: 2. Formant, y-Achse: 1. Formant
F1 (Hz)
400
Vorstudie im Russischen
117
Die Formantwerte f¨ ur die vier Sprechmodi sind schließlich in den Boxplots5 f¨ ur den ersten Formanten (Abb. 5.4) und den zweiten Formanten (Abb. 5.5) noch einmal abgebildet. Es zeigt sich, dass die Streuung der Werte gerade f¨ ur den ersten Formanten im kindgerichteten Sprechen am gr¨oßten ist.
Abbildung 5.4: Erster Formant: Boxplots der gemessenen Werte (in Hz) der drei Vokale in allen Sprechmodi der russischen Mutter
Abbildung 5.5: Zweiter Formant: Boxplots der gemessenen Werte (in Hz) der drei Vokale in allen Sprechmodi der russischen Mutter
5
Ein Boxplot ist wie folgt zu lesen: Die Box zeigt 50 % der Beobachtungen an, vom ersten bis zum dritten Quartil. Die schwarze Linie in der Box markiert die ¨ Lage des Medianwertes: Uber ihr und unter ihr liegen jeweils 50 % der Daten. Die Antennen geben den Maximal- und Minimalwert der Beobachtungen an. Extremwerte und Ausreißer sind mit Kreisen und Sternen gekennzeichnet.
118
Vokalr¨ aume im Singen und Sprechen
Dies h¨ angt m¨ oglicherweise mit der Grundfrequenz zusammen, da der erste Formant bei hohen Tonlagen an die Grundfrequenz angepasst wird und kindgerichtetes Sprechen den gr¨ oßten Tonh¨ohenumfang aufweist (Tabelle 5.1). Weiterhin ist in dieser Tabelle zu sehen, dass Reime und kindgerichtetes Singen oft doppelt so lange Vokaldauern aufweisen, wie kindgerichtetes und erwachsenengerichtetes Sprechen. Sprechmodus
Median F0 (Hz)
Umfang (Hz)
ID Singen ID Sprechen Reime AD Sprechen
254 252 253 226
92-412 96-618 137-480 83-380
mittlere Dauer (ms) [a] [i] [u] 200 130 290 130 110 100 230 130 190 120 90 70
Tabelle 5.1: Kennwerte der gemessenen Vokale. ID: kindgerichtet, AD: erwachsenengerichtet
K¨ onnten diese Ergebnisse durch den linken konsonantischen Kontext beeinflusst sein? Die Auswertung ergibt, dass bei [a] in Reimen der velare Kontext einen 15 Prozent gr¨ oßeren Anteil hat als in den anderen Sprechmodi. Dies w¨ urde sich vor allem auf F2 auswirken, der h¨ohere Werte annehmen k¨ onnte als in den anderen Sprechmodi, was hier jedoch nicht deutlich wurde. Weiterhin haben bei [u] palatale Kontexte im Singen gr¨oßere Anteile (¨ uber 30 Prozent mehr als in den anderen Modi) und alveolare Kontexte (35 bis 40 Prozent) im erwachsenengerichteten Sprechen. Dies sollte nach Hillenbrand et al. (2001) in beiden F¨allen zur Anhebung von F2 von [u] f¨ uhren. Das Material zeigt jedoch f¨ ur gesungenes [u] genau den gegenteiligen Trend im Vergleich zu den anderen Modi, weswegen ein Einfluss ausgeschlossen wird. Beim erwachsenengerichteten Sprechen k¨ onnten jedoch die alveolaren Kontexte dazu gef¨ uhrt haben, dass F1 von [u] niedriger und F2 von [u] h¨ oher lag als in den anderen Sprechmodi. F1 f¨ allt hier nicht ins Gewicht, da es im Vergleich zu den anderen Sprechmodi sowieso eher h¨ oher liegt. Die Ergebnisse f¨ ur F2 von [u] sind jedoch kritisch zu betrachten. F¨ ur [i] liegen keine Verzerrungen vor. Eine einfaktorielle ANOVA (vgl. Bortz 2005, S.247ff) mit dem Faktor Sprechmodus wurde f¨ ur jeden Vokal durchgef¨ uhrt, um die Unterschiede in den vier Sprechmodi zu u ufen. Voraussetzung f¨ ur die Durchf¨ uhrung ¨berpr¨ einer ANOVA ist die Homogenit¨ at der Varianzen der Stichprobe. Diese ist nach der Levenestatistik f¨ ur F1 von [a], f¨ ur F2 von [i] und f¨ ur F1 von [u] gegeben. F¨ ur diese Formanten kann die Nullhypothese, dass die Gruppen identisch sind, zur¨ uckgewiesen werden. F¨ ur F1 von [a] und F2 von [i] ist das Ergebnis bei p< 0,001 signifikant, f¨ ur F1 von [u] bei p=0,001.
Vorstudie im Russischen
119
Post-hoc-Tests (Scheff´e-Prozedur f¨ ur ungleichm¨aßig große Stichproben) zeigen im Fall von F1 von [a], dass sich erwachsenengerichtetes Sprechen signifikant von allen anderen kindgerichteten Sprechmodi unterscheidet (und zwar: vom kindgerichteten Sprechen auf einem Signifikanzniveau von p ˇ ˇ ˇ ˇ P1
P1
ja-
vku)
P1
(i
s mu kha- mi
dru-
zhil)
Das n¨ achste Beispiel aus dem deutschen Material stellt eine Phrasierung nach Konstituenten 1. Ordnung dar und ist ein optimales Lernprogramm f¨ ur die grundlegende Informationsstrukturierung im Satz (ThemaRhema)15 . Die Phrasengrenzen 2. Ranges bilden in fast allen Strophen die Grenze f¨ ur Konstituenten 1. Ordnung, also die prim¨are Subjekt-NP und die Pr¨ adikat-VP. Nur in der hier aufgef¨ uhrten ersten Strophe steht statt einer Nominativerg¨ anzung ein Komplement (die Dativerg¨anzung zehn kleinen Zappelm¨ annern) in der Fokus-Topik-Position. Das a¨ndert jedoch nichts an der Thema-Rhema-Struktur. Thema (also der Satzgegenstand; wor¨ uber etwas gesagt wird und das dem H¨orer unter Umst¨anden bekannt ist) sind in jedem Vers die Zappelm¨anner. Rhema (das potentiell Neue, das u ¨ber das Thema gesagt wird) ist der anschließende zweite Teil der Phrase 1. Ranges. Diese sprachlich-musikalische Struktur wurde von allen drei M¨ uttern, die dieses Lied sangen, zus¨atzlich durch ein Fingerspiel begleitet. Darin vollzogen sie mit den Fingern die Bewegungen nach, die im rhematischen Teil sprachlich beschrieben sind. 14
15
In vielen Liedern des Kinderliedermachers Detlef J¨ oker ist dies ebenfalls bei Phrasen 1. Ranges der Fall, z.B. in Aufgewacht du s¨ uße Maus“, Ich bin der ” ” kleine Zappelmann“, oder Hallo kleiner Wal“. Im Franz¨ osischen ist dies z.B. ” in den Liedern Il pleut, il mouille“ (S. 283) oder Une souris verte“ (bis auf ” ” die ersten beiden Phrasen, im Russischen z.B. in den Liedern Ja na solneshke ” lezhu“ (S. 301) oder Spi poka temno“ der Band Aquarium aus dem Film ASSA ” ebenfalls durchgehend der Fall. Auch das bekannte russische Spiellied Ladoshki“ (s. Anhang, S. 294) verdeut” licht dies sehr gut anhand der Diskursfolge von Frage und Antwort
205
Musikalische und syntaktische Phrasierung
G 24
ˇ` ( ˇ ) ˇ
ˇ
(Zehn klei- ne (Zehn klei- ne
G ˇ (zehn (zehn
P2
ÏÏ ˇ ˇ
‰
P1
ˇ ˇ
Zap- pel- m¨ an-ner) Zap- pel- m¨ an-ner) P2
‰
ˇ ˇ
˘ ˇ
‰
(zap-peln hin und her,) (zap-peln rund herum,)
ˇ
P1
ˇ
‰
ˇ` ( ˇ ) ˇ
klei- nen klei- ne
Zap- pel- m¨ annern)(f¨ allt das gar nicht schwer.) Zap- pel- m¨ anner)(finden das nicht dumm.)
ˇ
ˇ
ˇ
ˇ
ˇ
˘
Ein nahezu perfektes Beispiel, das die Konstituenz im Lied sehr klar osische Lied Dans la forˆet un ouistiti“ 17 . Alle nichtmacht16 , ist das franz¨ ” pronominalen Konstituenten 2. Ordnung, aber auch die Konstituenten dritter Ordnung werden in eigenen Phrasen abgebildet. Diese treten dadurch hervor, dass sie entweder auf der Tonika oder auf der Dominante enden und das letzte tonale Ereignis im Vergleich zum vorangehenden tonalen Ereignis l¨ anger ist. P1
G 44 ˇ
`ˇ ( ˇ ) ˇ
(Dans la
‰
>
ˇ
fo- rˆet)
Adjunkt, lokal P1
G `ˇ ˇ ˇ ˘
‰
ˇ`
(un
? la)
Lautmalereien 16 17
ˇ ?
oui- sti- ti)
P1
‰
ˇ
(tout pe-
ˇ `ˇ ( ˇ ) ˇ >
ˇ `ˇ ˇ ) ˇ ‰ ˇ ( ? P1
(d’i- ci
Verbalkomplex
ˇ(
‰
Komplement, Subjekts-NP
P1
G ˇ
ˇ) ˇ -
tit,) (tout petit,) (se ba-lan- ¸cait)
Attribute zum Subjekt
P1
˘
(hop- la!)
‰
de l`a) P1
ˇ
(Un
(hop-
Adjunkt, direktiv
`ˇ (
grand
ˇ)
ˇ
‰
>
serpent)
Kompl., Subjekts-NP
Weitere bemerkenswerte franz¨ osische Liedvarianten in dieser Hinsicht sind z.B. Sans souci“ (S. 285) oder J’ai un gros nez rouge“, (S. 283). ” ” Ouistiti“: Es handelt sich dabei um eine kleine Affenart mit langem Schwanz ” (Pinsel¨ affchen).
206
G
Phrasengrenzen – Musik, Atmung, Syntax
Ř ˇ ‰ Ř ˇ . ˇ` ( ˇ ) ˇ ˇ ˇ P1
ˇ
(vint en rampant) VP
‰ ˇ ` ˇ ˇ) ˇ > G P1
(Le oui- sti- ti,)
Kompl., topikalisiertes Subjekt
˝ ˇ ‰ P1
>
O ˇ š papillon volant. ‰ ‰ ˇ O ˇ ˇ ˇ O ˇ O ˇ
a-
ŔŔ ˇ ˇ
reux
se
nait
vait
un
mou-
plaig-
P2
P1
ˇ
P2
P1
‰ ˇ O ˇ
d’u-
P2
d’un
ne
gre-
nouil- le P1
ˇ ˇ mal
de
ˇ
‰
> O
dent.
Konflikt Fehlbetonung im Takt. Im zweiten Takt atmet die Mutter nach dem Wort une und erreicht durch die Atempause eine Abschw¨achung der Taktbetonung und eine zus¨ atzliche Hervorhebung des nun folgenden Inhaltswortes citrouille. Das gleiche geschieht im Takt 6. Konflikt Textverletzung und Attributstruktur. Im Takt 4 u ¨bergeht die Mutter die Phrasengrenze zweiten Ranges und singt alle T¨one zus¨ atzlich legato, so dass bis zur Atemgrenze Verb und Subjekt-NP vivait un papillon gruppiert werden. Dadurch kann der musikalische Einschnitt durch die textverletzende musikalische Phrasengrenze 2. Ranges nicht in den Vordergrund treten. Zugleich wird durch diese Atmung auch das erste Adjektivattribut volant von seinem syntaktischen Kopf getrennt. Die Attributsstruktur des Subjekts sieht – syntaktisch geklammert – so aus: ((un papillon (volant)) ((((fort) amoureux) d’une grenouille) qui se plaignait d’un mal de dent)) Ab dem vierten Takt unterst¨ utzt auch die musikalische Phrasierung die Attributstruktur, die Atmung verl¨ auft synchron. Die Phrasengrenzen 1. und 2. Ranges fallen jeweils mit dem Beginn/ Ende der hierarchisch niedrigeren Attribute fort amoureux, d’une grenouille, qui se plaignait[...] zusammen. Obwohl im Takt 8 auch eine Atmung nach mal m¨oglich gewesen w¨ are, verzichtet die Mutter hier darauf. Damit bleibt die Einheit von
215
Atmungsabschnitte und musikalische Phrasen
Komplement und Attribut d’un mal de dent gewahrt, die jedoch beide nicht zur direkten Attributstruktur der Subjekt-NP geh¨oren. Ein weiteres Beispiel f¨ ur Text-Phrasen-Konflikte ist das deutsche Lied Kommet all und seht“ (). Es ist sowohl von der musikalischen Struktur ” als auch von der Textstruktur her verzwickt.
‰ ˇ O > ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ Kom met all und seht: vor dem Haus da Ï Ï Ï Ï ‰ ‰ Ľ Ľ Ľ Ľ ‰ G ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ O ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ > G 24
P2
P1
P2
steht ein dicker Mann und lacht, er ist aus Schnee
P1
gemacht.
Textlich ist zu sehen, dass die Strophe des Gedichts in Vers 2 und 3 ein Enjambement enth¨ alt – eine Verschiebung im Satzbau, so dass ein obligatorisches Satzelement erst im n¨ achsten Vers steht, in diesem Fall sogar das Satzsubjekt: Kommet all und seht: ” vor dem Haus, da steht ein dicker Mann und lacht, er ist aus Schnee gemacht.“ In der musikalischen Struktur haben wir an den Versenden musikalische Phrasengrenzen, die durch die Dominante angezeigt werden, am Strophenende durch die Tonika. Die musikalischen Phrasengrenzen von Vers 2 und 3 sind jedoch nicht eindeutig markiert, da die T¨one dort keine L¨ ange aufweisen und direkt an die folgenden Achtel anschließen (daher sind sie hier auch als Phrasengrenzen 2. Ranges eingeordnet). Die Mutter atmet nach dem ersten Vers und der damit verbundenen dominanten musikalischen Grenze, beim folgenden Enjambement ignoriert sie jedoch Phrasen- und Versgrenze und pausiert kurz nach dem vollst¨andigen Satz. Hier kommt ihr zugute, dass nun im Vergleich zu den Achteln l¨angere Viertel folgen, was auch musikalisch einen gewissen Einschnitt darstellt. Nach demselben Muster pausiert sie schließlich nochmals vor den letzten beiden T¨ onen am Strophenende. Die Mutter pr¨ aferiert bei ihrer Phrasierung des Liedes das musikalische Merkmal L¨ ange“ vor dem harmonischen ” Merkmal und unterst¨ utzt damit die syntaktische Struktur des Liedes und nicht das syntaktisch unvollst¨ andige Versschema. Ein weiteres Beispiel, in dem die Atmung entgegen der musikalischen Phrasierung l¨auft, ist das Lied Jamais on n’a vu“. ”
216
Phrasengrenzen – Musik, Atmung, Syntax
G 24
ˇ` ( ˇ ) ˇ Ja- mais on
ˇ
G ˇ` ( ˇ ) ˇ O la
fa
` G ˇ-
les
pa- pa
ˇ
n’a
-
.
vu,
`ˇ ‰ ˇ -
ˇ
ˇ) ˇ rir
a-
.
ˇ ‰ ˇ ÉÉ
tor- tue
P1
ˇ O en-
fants tor- tue
et
i-
ˇ -
la
ˇ
ront
‰ ˇ O P1
ˇ
ˇ` ‰ ˇ
les
ˇ
ma- man
ˇ ÉÉ
ver- ra
pr`es
ˇ O .
‰ ˇ O P1
ˇ ne
ˇ` ˇ`
P1
-
on
-
cou-
`ˇ ‰ ˇ
.
mais
.
tue
ˇ ˇ
-
ja-
P2
ˇ .
ˇ`
P2
mille tor
G ˇ` ( ˇ ) ˇ O le
ˇ` ‰ ˇ ˇ
rats,
P1
-
.
ˇ
Pˇ ‰
tor- tue et
ˇP
tou- jours au
P1
pas.
Die Atmung erfolgt ab Takt 3 in diesem Beispiel asynchron zu den musikalischen Phrasengrenzen und ist vorverlagert“. Daf¨ ur liegen vermut” lich Gr¨ unde vor, die mit der Melodief¨ uhrung zu tun haben. Durch die Atempausen wird zwar das regelm¨ aßige Wiederkehren des Wortes tortue markiert. Ich nehme jedoch an, dass in diesem Fall die Atmung mit dem folgenden großen Intervallsprung und dem hohen Ton zusammenh¨angt, f¨ ur den die Mutter nochmals Atem sch¨ opft. Dieses Bed¨ urfnis war hier so stark, dass sowohl die syntaktische als auch die musikalische Phrasierung gest¨ ort wurde. Auch eine andere Mutter, die dieses Lied sang, bevorzugte dieselbe Atmung. Das letzte franz¨ osische Beispiel bezieht sich auf das oben beobachtete Ph¨ anomen des Atmens am Phrasen/Strophenende, das eine verst¨arkende ¨ Endmarkierung sein k¨ onnte. Das Uberraschende an dem Lied Pomme, ” poire, abricot“ ist, dass es einen Nachsatz“ mit der Phrase qui s’appelle ” ¨ Marie Margot hat. Die Mutter unterst¨ utzt diesen ‘Uberraschungseffekt’ durch ihre Atmung. Es zeigt eindr¨ ucklich, wie hier musikalisch und durch das Atmen der Mutter ein Schluss im neunten Takt vorbereitet wird, der sich dann aber als vorzeitig erweist. Musikalisch gesehen, ist bei y en a une de trop der Punkt erreicht, wo ein Kadenzschluss mit der DominantTonika-Verbindung vorl¨ age. Die Mutter pausiert vor den letzten beiden T¨ onen (de und trop) als sei hier das Lied zu Ende. Der nun folgende Nachsatz macht eigentlich erst klar, dass der zweite Liedteil auftaktig zu interpretieren war. Durch die (im u ¨brigen h¨aufig) geringe Betonung der Taktsilben im Franz¨ osischen wurde das zun¨achst nicht deutlich.
217
Atmungsabschnitte und musikalische Phrasen
‰ ÉÉ ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ Pomme, poire, abricot, y en a une ‰ ‰ ÉÉ G ˇ ĽĽˇ ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ O ˇ ˇ O ˇ ˇ y en a u- ne. Pomme, poire, a-bri- cot, y en a ‰ ‰ ĽĽ ĽĽˇ G ˇ O ˇ O O ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ > P1
G 24
P1
P1
P1
une
de
trop qui
P1
s’ap pelle
Ma- rie
Mar
-got.
Diese beiden Eigenschaften des franz¨ osischen kindgerichteten Singens – schwache Taktmarkierung26 und besondere Endmarkierung von Phrasen – halte ich f¨ ur einen f¨ ur diese Sprache typischen Gesangsstil. Er entspricht der nat¨ urlichen Prosodie, in der u ¨berwiegend finale Phrasenakzente realisiert werden und phraseninterne Wortakzente minimal bis gar nicht markiert sind (s. Abschnitte 2.4.3 sowie 7.4.1). Da der phrasenfinale Akzent und seine Tonh¨ ohe in der gesprochenen Sprache auch f¨ ur die Gruppierung von syntaktischen Bestandteilen eine Rolle spielt (s. Exkurs 8.5), erscheint seine Markierung besonders wichtig. Dies ist im Singen z.B. durch die Atmung m¨ oglich, die auch eine Verlangsamung bewirkt und die phrasenfinalen Elemente durch Pausen besonders hervorhebt. Mit einem dritten Korrelat schienen vier franz¨ osische M¨ utter das Liedende (und somit das Ende des gesungenen Diskurses“) zu markieren. Charakteristisch daf¨ ur ” war, dass diese Eltern den Dominant-Tonika-Schluss des Liedes aushebelten und statt der Dominante einen h¨ oheren Ton und damit einen gr¨oßeren Intervallsprung realisierten oder einen Intervallsprung einbauten, wo keiner vorgesehen war (s. u.). Aufs erste H¨ oren schienen diese Eltern die tonale Ordnung des Liedes gesanglich nicht zu beherrschen, wahrscheinlicher ist jedoch, dass es sich wie beim phrasen- und strophenfinalen Atmen um eine besondere Hervorhebung des Liedendes handelt. Das erste Beispiel zeigt den erwachsenengerichteten Schluss (AD) des Liedes Ainsi ” font, font, font“ einer franz¨ osischen Mutter, das zweite die kindgerichtete Version (ID). 26
Die schwache Betonung einer franz¨ osischen Mutter f¨ uhrte z.B. auch in dem Lied A la claire fontaine“ (S. 274) zur Irritation, da nicht eindeutig bestimmt wer” den konnte, ob es sich in dieser Interpretation um ein geradtaktiges oder ein taktwechselndes Lied handelte (in der Transkription schließlich geradtaktig interpretiert).
218
Phrasengrenzen – Musik, Atmung, Syntax
G 24
ˇ(
ĽĽ ˇ ˇ
AD: trois pe-
G 24
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ĽĽ ˇ ˇ
ID: trois pe-
8.5
tits
tits
ÉÉ ˇ ˇ tours
et
ÉÉ ˇ ˇ tours
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ÉÉ ˇ ˇ 4ˇ
puis
ˇ( puis
s’en
4ˇP -
s’en
vont
P ˇ vont
Exkurs: Grenzt¨ one franz¨ osischer Akzentgruppen
Vieles in der Literatur weist darauf hin, dass Melodie und Intonation aufgrund ihres einerseits diskret-harmonischen und andererseits kontinuierlich-tonalen Charakters unterschiedliche Funktionen erf¨ ullen. Doch gibt es ermutigende Ans¨ atze, wie den von Ho (2006, 1998), die u.a. f¨ ur das Kantonesische u ¨berzeugend zeigen konnte, dass es eine enge Beziehung zwischen den (diskreten) Tonemen dieser Tonsprache und der Melodief¨ uhrung gibt (s.a. Mang (2007)). Im Franz¨ osischen herrscht nach Mertens ein tonal hierarchisch geordnetes System, das mit Hilfe der Intonation eine syntaktische Gruppierung erm¨ oglicht (vgl. z.B. Mertens 1990, 1993; Mertens et al. 2001b,a; Mertens 2006). Das folgende Beispiel zeigt, dass die tonale Ordnung gesprochener Sprache auch im Lied wirksam sein k¨onnte. Nach Mertens erf¨ ullen die Grenzt¨ one von Intonationsgruppen ( grou” pes intonatifs“, GI) im Franz¨ osischen die Funktion, mehrere Intonationsgruppen syntaktisch sinnvoll zusammenzufassen. Er nimmt vier Grenztonh¨ ohen-Niveaus an: sehr tief (B-B-), tief (BB), hoch (HH), sehr hoch (H+H+). Diese Grenzt¨ one sind stets mit der betonbaren finalen Silbe einer Akzentgruppe ( groupe accentuel“, GA) assoziiert und sind unterein” ander hierarchisch geordnet. Eine Akzentgruppe wird durch ein Inhaltsoder Funktionswort gebildet, das eine potentiell betonbare Silbe besitzt. Nicht betonbare W¨ orter (vor allem Funktionsw¨orter), die links vom betonbaren Wort stehen, klitisieren zu einer Akzentgruppe. Dominante Grenzt¨ one bewirken nach links eine Zusammenfassung aller Intonationsgruppen, die hierarchisch geringere Grenzt¨ one besitzen. Die Hierarchie der Grenzt¨ one ist wie folgt: -B-B > H+H+ > HH > BB. Im Grunde gilt: Je h¨ oher die Frequenz eines Grenztones, desto dominanter ist er, abgesehen vom sehr tiefen Niveau, das die gr¨oßte Abgeschlossenheit signalisiert und folglich immer eine Grenze nach rechts darstellt.
219
Exkurs: Grenzt¨ one franz¨ osischer Akzentgruppen
(L’anneau) BB)
(de marriage) HH)
(de la femme) BB)
(du pr´esident) B-B-)
Ein Beispiel ist diese Nominalphrase, die aus vier Akzentgruppen besteht, die auch als vier Intonationsgruppen mit Grenzt¨onen realisiert werden27 . Die Dominanz des zweiten hohen Grenztones HH u ¨ber den Grenzton BB f¨ uhrt zu einer Regruppierung dieser beiden Intonationsgruppen. Da darauf ein niedrigeres Grenztonniveau BB folgt, wird eine Nebenordnung dieser Intonationsgruppe bewirkt, diese wird jedoch wieder durch den folgenden sehr tiefen Grenzton dominiert: (L’anneau de marriage) HH)
(de la femme du pr´esident) B-B-)
Im Lied Fais dodo, Colas“ scheint eine ¨ ahnliche Ordnung wirksam zu ” sein. Der Liedtext wurde in seine Akzentgruppen zerlegt, die im Lied in Klammern dargestellt sind (betonbare Silben in Fettdruck).
G 34 ˘ ˇ
˘
do)
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(fais) (do-
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do)
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ˇ
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˘ ˇ
ˇ
las) (mon pti)
(fr` e-
ˇ
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ras) (du
ˇ lo-
ˇ
re)
>
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Die Frage ist nun, ob die Tonh¨ ohenniveaus der Akzentt¨one – wie in gesprochener Sprache – eine syntaktische Gruppierung unterst¨ utzen w¨ urden. Da im Gesungenen diskrete Tonh¨ ohenniveaus erkennbar sind, muss wahrscheinlich nicht von vier Niveaus ausgegangen werden, sondern der jeweils h¨ ohere Ton kann als dominant angesehen werden. Das, was Mertens als sehr tiefes Niveau in der Intonation identifiziert, k¨onnte in gesungener Sprache das Grundtonniveau sein, das den h¨ ochsten Grad an Abgeschlossenheit signalisiert bzw. auch die Dominante, die den Schluss auf der Tonika vorbereitet.
27
Dies muss nicht immer so sein. Akzentgruppen stellen nur potentiell betonbare Positionen zur Verf¨ ugung, die der Sprecher realisieren kann oder nicht. Dies h¨ angt u.a. von Tempo, Stil und anderen Faktoren ab und ist prinzipiell nicht vorhersagbar.
220
Phrasengrenzen – Musik, Atmung, Syntax
Aufgrund der T¨ one der Akzentsilben, die hier zum Großteil durch den Takt hevorgehoben sind, ergibt sich f¨ ur dieses Lied folgende Gruppierung28 : e < Tonika Grupp. fais dodo VP
>d= Nebenord. Colas Anredenominativ
d d < Tonika Grupp. t’auras du lolo NP+VP
Die tonalen Niveaus der Akzentsilben ergeben in diesem Fall eine sinnvolle syntaktische Gruppierung, die weder allein durch die musikalische Phrasierung noch durch die Taktgebung vorgegeben ist. Die melodische Abfolge unterst¨ utzt die Integration der Akzentgruppen in gr¨oßere, syntaktisch sinnvolle Gruppen. Fraglich ist allerdings, wie die betonten Akzentgruppensilben im Singen f¨ ur den H¨ orer kenntlich werden. In gesprochener Sprache heben die Sprecher die Silbe durch Tonh¨ohenbewegung hervor, im Singen m¨ ussten andere Faktoren – wie hier z.B. der Takt – eine Rolle spielen. Im Lied Au clair de la lune“ ist beispielsweise nicht ” jede Akzentgruppensilbe hervorgehoben, jedoch treten die taktbetonten, phrasenfinalen langen T¨ one besonders hervor. In diesem Fall k¨onnte man die phrasalen Abschnitte als Intonationsgruppen reinterpretieren.
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plu- me)] P1
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l’eau, la rivi`ere il tombe dans l’eau, le bateau a Fortsetzung gesprochen: et plouf ! Camille est tomb´ee!
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ri- vi`e- re.
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Nr. 286, 291, Mutter RE
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Bienvenue ` a Montalivet Nr. 318, Vater HA
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Monta- li- vet! Ra- da- di- ra- da- da!
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l’air! Radadiradada! j’m’en
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fiche , je mon-tre mon der- ri`ere. Ra- da- di-
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ra- da- da!
Bonne nuit, nach dem dt. Lied Guten Abend, gut Nacht Nr. 335-337, Mutter PE
G
3 4
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279
Liedverzeichnis
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pon- tin et
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demain ma- tin!
Textalternative Nr. 335, 337: Bonne nuit, ma jolie, Mathilde, mon bel enfant Ma ch´erie, ma jolie, petit tr´esor de mon coeur. Alternativer Schluss:
G
3 4
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Ma- man
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que toi
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fa- ¸con ` a nous de nous dire bonne
nuit.
C’est la baleine Nr. 185, Mutter FRI
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C’est la
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lune comme un point sur un
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i-
i,
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la- di
sur un clocher la lune“:
ˇsur ˇun ˇclo- `ˇcher ˇla( 3 4
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ˇsur ˇun ˇclo- ˇcher ˇla
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lu- ne
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lu- ne
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281
Liedverzeichnis
Dada (Frei) Nr. 284, Mutter PET (alle Silben auf da)
G
4 4
G
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2ˇ
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Dodo, s.a. textliche Variation des Liedes Bateau Nr. 239, 240, Mutter PET
G
4 4
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Do- do,
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l’en-fant do,
G6˘ ˇ >
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ˆe- tre.
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l’enfant do, l’enfant
Do- do
G ˘
l’en-fant do,
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Do- do
7 ˘
peut-
˘ ˘ ¯
dor mi- -ra bien-tˆot.
ˇ ˘
> ˇ
l’en-fant dor-mi- ra bien vi- te.
> ˇ
ˇ
˘
ra
É Ľ É Ľ ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ >
ˇ ˇ
< ˘
ˇ ˇ ˇ ˇ
ˇ ˇ ˇ >
Do-do,
ˇ
l’en-fant dor- mi-
Nr. 218, Mutter BRO
G
ˇ ˇ
ˇ
l’en- fant do,
É Ľ É Ľ ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ
P
l’en- fant dor- mi- ra
bien- tˆot.
P ˇ
< ˘
Nr. 196, Mutter FRI
G
4 4
˘
ˇ ˘
Do- do,
ˇ
< >
ˇ
ˇ( ˇ
l’en-fant do,
`ˇ
ˇ
ˇ ˇ
> ˇ
l’en-fant dor-mi- ra bientˆot!
Nr. 606, Mutter FRI
G
4 4
˘
ˇ Do- do
> ˇ
l’enfant
ˇ
P ˇ
> ˇ
do, l’enfant
ˇ
ˇ
ˇ
ˇ
dor mi- ra
>
P˘ P ˘
bien-tˆot!
je te change rai
G ˇ
4ˇ ( ta
ˇ
> ˇ rai
ˇ
ˇ
tou- te
la
jour- n´ee,
ÈÈ Ľ ˇ ˇ ˇ 4ˇ Ľ ˇ >
couche est toute
ˇ
? sale,
4ˇ
je te change rai:
ˇ ˇ
je
>
ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ >
du soir au ma- tin,
ˇ
Ï Ï ˇ
Č Č ˇ ˇ
te
ˇ( chan- ge-
P ˇ`
rai!
284
Anhang: Notentranskripte
Lala (Frei) Nr. 230, Mutter ZE (alle Silben auf la)
Č ˇ ˇ ˇP Č ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ ( ˇ ààˇ š àà àà ăă ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ
Ž G 24 ˇ ( ˇ ˇ ˇ ˇ à G ˇ àˇ ˇ
àà ˇ ˇ ˇ ˇ
P
ˇ
>
> >
cie,
ˇ ˇ
(usw.)
.
ver.
Lu-
.
`ˇ (
ˇ)
ˇ
`ˇ ( ˇ
˘
3 4
de d´e- cem-
P 4˘
4˘
4ˇ` (
4˘
4 4
de l’hi-
la
ˇ
2 4
>
mi`e-re
>
4ˇ
G 4˘`
ˇ
`ˇ ( ˇ )
ma lu- mi`ere
>
G ˇ
ˇ ˇ
4ˇ` (
4˘
bre. Lu-
ˇ
˘ Lu-
cie,
lu-
mi`ere
>
du
ˇ
ˇ` >
`ˇ (
lu-
4ˇ
˘
>
ˇ >
ˇ ˇ
ˇ
.
ˇ)
4P¯
Monsieur et madame (Frei) Nr. 330, Mutter PE
G 24 ˇ
ˇ ˇ
ˇ ˇ
ĹĹ ˇ ˇ ˇ
ˇ ˇ
> ˇ
ˇ ˇ
ˇ ˇ
Mon- sieur et madamedans le fond du bol, mon- sieur et madame
285
Liedverzeichnis
Nr. 331, Mutter PE
ˇ
G 24 ˇ
ˇ
ˇ ˇ
ˇ ˇ
Monsieur, madame dans le
ˇ ˇ
fond du
ˇ ˇ
ˇ
ˇ
bol, monsieur ma- dame
Non, non, non (Frei) Nr. 285, Mutter RE, alle Silben auf Non“ ”
ňň ňň G 24 ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ
ňň ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ
ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ ňň
ňň ÔÔ ˇ ˇ ˇ ˇ ˘
Petit papillon (Frei) Nr. 269, Mutter GRA
G 44 ˘
> ˇ
ˇ
la, la,
G ˇ
ˇ ˇ
> moi,
G ˇ
ˇ
gar- de
G ˇ
ˇ
ˇ
>
l` a,
ˇ
me voi- l` a
ˇ
> ˇ
qui voi-
ˇ
pourle
ˇ me
voi-
ˇ
lon,
ˇ
ˇ
> ˇ
la, la, la,
ˇ
ˇ
ˇ
ˇ >
ˇ la, la,
ˇ
pe- tit pa- pil-
ˇ
˘ >
ˇ
la, la, la,
ˇ re-
ˇ
˘ >
ˇ
ˇ
l`a,
ˇ
c’est
ˇ
> ˇ
pe- tit pa- pil- lon,
ˇ
>
ca- lin,
ˇ
ˇ ˇ
P P ˘ >
me voi- l`a,
˘ la, la...
Sans souci Nr. 325-328, Mutter PE
P
G 34 ˇ Sans
ˇ
P
˘ sou- ci,
Č Č ˇ
ˇ
tout pe-
˘
ˇ Ŕ Ŕ ˇ
˘
tit, ton ch´e- ri,
>
< ˇ
ˇ Ã Ã en
se-
286
Anhang: Notentranskripte
ˇ
G ˘
ˇ Ï Ï
cret, tu
G ˘
ˇ
te
ˇ ˇ Ŕ Ŕ
`ˇ
ˇ( ˘
fais len- te- ment.
ˇ
˘
tit, ton ch´e- ri,
˘
Č Č ˇ ˇ
Sans sou-
ci,
tout pe-
ˇ Ã Ã
ˇ
je
vi- bre de
te
`ˇ
Ŕ Ŕ ˇ ˇ ˇ ˇ -
ˇ ˇ
vie en
˘
chan- tant.
Tappe, tappe Nr.188, Mutter FRI; Nr.271, Mutter RE
G 34 ˘
˘ ˇ
Tap- pe, vo- le,
G ˇ pepe-
G ˇ
ˇ tap- pe, vo- le
7 7
ˇ
`˘
tit tit
moupois-
lin. son.
bien en-
P ˇ
pe- tipe- tit
ˇ >
ˇ ˇ
˘` te oi-
˘
main, tour-ne, seau, na- ge,
ˇ
ˇ
ˇ
PePe-
titit
te oi-
main seau
ˇ
`˘ ˇ
ˇ
tapvo-
p´e, l´e,
pe- tit mou- lin a pois son dans l’eau a
˘ ˇ
ˇ
tour-ne na- ge,
>
ˇ
ˇ
˘ ˇ
˘
ˇa
s’est
P ˇ
`˘
bien tour- n´e. bien na- g´e!
Deutsche Lieder Da ist der kleine Mann (Frei) Nr. 104, 105, 610, Mutter HI
G 24 G ˇ
P ˇ
ˇ Da
ist der klei-ne
ˇ
ˇ `ˇ ( ˇ )
ˇ ˇ
ˇ
? ˇ( ˇ
ˇ
É É É É ˇ ˇ ˇ
É É ˇ ˇ ˇ` ( ˇ )
Mann, der so sch¨on tan- zen
ˇ
ŋˇ ˇ ŋ
ˇ
ist der klei- ne Mann, der so fan- tastisch tan- zen
? ˇ( kann, da
? ˇ( ˇ
kann. La
7
287
Liedverzeichnis
G ˇ
ˇ` (
ˇ) ˇ
la
la
la
la
ˇ
`ˇ (
ˇ)
la
la
la
la
G ˇ la
?
ˇ
ˇ
şˇ ş
la
la
à à ˇ
ˇ(
ˇ
la
la
ˇ)
`ˇ (
ˇ
ˇ
ˇ
ˇ
à Ãla la la la ˇ ˇ ˇ ) `ˇ ( ˘
la
la
la
la
la
la
la
la.
Eine neue Windel (Frei) Nr. 173, Mutter KE, freies Repertoire
G 38
ˇ( ˇ
ˇ( ˇ
Ei- ne Ei- ne
`ˇ
neu- e neu- e
`ˇ
ˇ( ˇ
ˇ( ˇ
`ˇ
f¨ ur die klei- ne kriegt die klei- ne
Win- del Win- del
7 `ˇ
Smil- la! Smil- la!
Ein Mikrofon (Frei) Nr. 35, Mutter SCHR
G 34 ˇ
ˇ
ˇ ˇ
˘
Ein Mi- kro- fo- on
Erst kommt der Sonnenk¨ afer Nr. 40, 41 (AD), Mutter SCHR
G 24
V
Û ˇ ˇ ˇ
Erst kommt dann kommt
G ˇ
ˇ
-klein, die
ˇ
7 ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ ŐŐ
ŐŐ ˇ ˇ ˇ ˘
der Sonnen k¨ a- fer- pa- pa und hintendrein ganz klitze die Sonnen k¨ a- fer- ma-ma.
? ˇ(
G ˇ
Ľ ˇ ˇ ˇ ˇ
ˇ
R¨ ockchen an
ˇ
ˇ
ˇ
É É ˇ ˇ ˇ
Fine
Son-nen-k¨ a- fer- kin- der- lein.
? ˇ( ˇ
ˇ
ˇ
ˇ
Ľ Ľ ˇ 4ˇ
ˇ ˇ
ˇ
ˇ
ˇ
Sie ha- ben ro- te
ˇ ˇ
mit vielen schwar- zen Punkten dran! Ja! al Fine
288
Anhang: Notentranskripte
Nr. 121, Mutter EI
V
G 24
ˇ
Õ Õ ˇ
ˇ
Erst kommt dann kommt
ˇ
G ˇ
ˇ
der die
ˇ ˇ
ˇ
ˇ
Ľ Ľ ˇ ˇ
Krabbel-k¨ a- ferKrabbel-k¨ a- fer-
ˇ
? ˇ(
ˇ
ˇ
ˇ
7 ˇ ˇ
Fine
É ˇ ˇ ˇ
sie
ˇ ? ˇ(
Ľ Ľ ˇ 4ˇ
ˇ ˇ ˇ ˇ
ˇ ˇ
ganz klit-ze- klein, die Krabbelk¨ a- fer- kin-der-lein.
Û G ˇ ˇ ˇ ˇ
˘
und hin- tendrein,
pa- pa ma- ma.
ˇ
ˇ
ˇ
So machen
ˇ >
den Sonntagsgang auf unsrer Gartenbank ent- lang!
al Fine
Nr. 159, 160, Mutter HI
G 24
V
Ľ Ľ ˇ ˇ
ˇ
ˇ
ˇ
Ľ Ľ ˇ ˇ ˇ
ˇ ˘
Ľ Ľ ˇ ˇ
Erst kommt der Sonnenk¨ aferpapa, dann kommt die
Ľ Ľ ˇ ˇ
G ˇ
Fine
P ˇ
7
?
k¨ a- fer- ma- ma 1.
G ˇ ˇ
ˇ ˇ
á á ˇ ˇ
ˇ
ˇ
ˇ
Son- nen-
Õ Õ ˇ ˇ
ˇ
ˇ ˇ
ˇ
ˇ
ˇ ˇ 7
ˇ
>
R¨ ockchen an,
Č Č ˇ ˇ
Sonntags- gang auf uns- rer
ˇ
É É ˇ
ˇ
Son-nen- k¨a- fer-
kin- der- lein,
ˇ ˘
ˇ
ˇ( 7 ˇ
ˇ
Sie ha- ben ro- te
G ˇ
ˇ(
ˇ Ţ Ţ
ˇ
ˇ
und hintendrein ganz klit-ze- klein die 2.
Son-nen- k¨ a- fer-
G 7ˇ
ˇ
ˇ
ˇ
ˇ
ˇ
ˇ
ˇ
kin- der- lein.
Ľ Ľ ˇ ˇ
ˇ
sie ma- chen ih- ren
ˇ
Gar-tenbank
ˇ ˘
entlang!
al Fine
289
Liedverzeichnis
Gut gemacht (Frei) Nr. 85-87, Mutter HI
É É ˇ ˇ ) ˇ` (
1.
G 24 ˇ
ˇ ˇ
`ˇ ( ˇ ) ˇ ˇ
É ˇ ˇ ) ˇ` (
ˇ
la.
ˇ
? ˇ(
> ˇ
tra- la- la- la-
G ˇ
ˇ
ˇ
gemacht und gut gemacht und tra- la- la- la-
Gut 2.
G ˇ
ˇ
ˇ
ˇ
ˇ
`ˇ ( ˇ )
Tra-la- la- la-
ˇ
ˇ
ˇ` ( ˇ ) ˇ ˇ
la,
ˇ
la und gut gemacht und gut gemacht und
ˇ >
7 >
la,
ˇ
`ˇ ( ˇ )
tra- la- la- la-
ˇ
ˇ ) `ˇ (
> ˇ
tra-la- la- la-
la.
Kleiner Frosch (Frei) Nr. 453, Mutter MU
G 34
ˇ( ˇ
ˇ
Klei ner
ˇ( ˇ
ˇ
Frosch, klei-ner
ˇ(
G ˇ
?
ˇ
ˇ( ˇ
?
?
ˇ( Klei-ner
ˇ
ˇ
G ˇ
ˇ(
ˇ( ˇ
?
ˇ( ˇ
ˇ
Frosch, klei- ner
?
ˇ
ˇ(
ˇ(
?
ˇ
ˇ(
Kleiner Frosch, kleiner Frosch, ich
zu,
Ð Ð ˇ ˇ ˇ
ˇ(
`ˇ
Welt kommt jetzt zur
ˇ
ˇ(
Frosch, klei- ner
ˇ
`ˇ
Frosch, mach die Au- au- gen
kleiner Frosch, kleiner Frosch, die
G ˇ
ˇ
Ð Ð ˇ ˇ ˇ
Ď Ď ˇ ˇ ˇ
Ð Ð ˇ ˇ
Ruh.
ˇ
Frosch
ˇ
`ˇ
schlaf ein!
Ð Ð ˇ ˇ
leg dich ins Be- ett hi-
`ˇ
nein.
290
Anhang: Notentranskripte
Kommt ein Vogel geflogen Nr. 12, 13, Mutter DI; Nr. 16-18, Mutter BE; Nr. 103 (101), Mutter HI
Č Č ˇ
G 34 ˇ
ˇ
Kommt ein
G ˇ
Fuß,
ˇ
ˇ
Vo- gel ge-
Ľ ˇ ˇ
>
ˇ ˇ ˇ
Č Č ˇ ˇ ˇ
ˇ
ğˇ ğ ˇ
ˇ
flo- gen, setzt sich nie- der auf mein
ˇ
ˇ ˇ
ˇ
Ľ ˇ ˇ
ˇ
ˇ
ˇ
ˇ
hat ein Zet-tel imSchna- bel, von der Mutter einen Gruß.
2. Strophe: Lieber Vogel flieg(e) weiter, nimm ein Gruß mit und ein Kuss, denn ich kann dich nicht begleiten, weil ich hier bleiben muss. Text Jedes Tierlein hat sein Essen“ Mutter HI: ” Jedes Tierlein hat sein Essen, jedes Bl¨ umlein trinkt von Dir, hast auch unser nicht vergessen, Lieber Gott, wir danken Dir!
Mein kleiner Pavian (Frei) Nr. 452, Mutter MU, freies Repertoire
G 44
ˇ` ( ˇ ) ˇ
ˇ(
Ľ Ľ ˇ ˇ
? ˇ(
Mein klei- ner Pa- vi- an,
G ˇ` (
ˇ)
ˇ
Č Č ˇ ˇ
ma- chen wir denn nun?
?
ˇ` ( ˇ ) ˇ
Ľ Ľ ˇ ˇ
? ˇ(
was fang ma denn jetzt an,
Č Č ˇ ˇ
ˇ(
`ˇ (
Was
solln ma denn jetzt tun?
ˇ)
ˇ
2. Strophe: Der Bauch tut weh und dr¨ uckt, der Po ist rot und zwickt. Was soll ma denn jetzt tun, was machen wir denn nun? (Es folgt: Wh. von Strophe 1)
?
was
291
Liedverzeichnis
Letzte Strophe:
G 44
ˇ
ˇ(
Ľ Ľ ˇ ˇ ˇ
ˇ
? ˇ(
Jetzt schlag ich Dir was vor,
G ˇ
ČČ ˇ ˇ ˇ
schmier den Po
ˇ
ˇ
?
ich
dick ein
Ľ Ľ ˇ ˇ ˇ ˇ
? ˇ(
߬ usters dir ins Ohr,
ČČ ˇ
ich
ˇ( ˇ
und
dann wirds wie -der fein.
ˇ
ˇ
˘
Wir reisen in die Ku ¨ che (Frei) Nr. 174, Mutter KE, freies Repertoire
G 38 ˇˇ
ˇ(
ˇ ˇ ˇ
Wir rei- sen jetzt, wir
ˇ(
ˇ( ˇ
ˇ( ˇ
ˇ
ˇ(
ˇ
ˇ(
reisenjetzt, wirrei- sen in die K¨ u-che.
Zickzack (Frei) Nr. 68, Mutter MI, freies Repertoire
G 24 ˇ
ˇ ˇ
Zick zack,
G ˇ
ˇ ˇ
ˇ zick zack,
ˇ
wik- kel, wak- kel
ˇ ˇ
ˇ
ˇ ˇ
zik-
kel,
zak- kel,
ˇ
ˇ
ˇ ˇ
ˇ
ˇ
wick wack, zik- kel, zak- kel,
ˇ zick zack,
ˇ ˇ
zick zack.
292
Anhang: Notentranskripte
Russische Lieder Die russische Transliteration erfolgt im GOST-16876-71-System, da dieses ohne Diakritika auskommt. Weiterhin sind die Lieder nach dem russischen Alphabet geordnet (im Liedverzeichnis allerdings in der lateinischen Ordnung).
Ai luli (Frei) Nr. 551, 552, Mutter GRO
ˇ G 24 ˇÕ Õ A- i-
G ˇ
ˇ
ˇ
ˇ Ľ Ľ
ˇ
lu- li,
ai- lu-
ˇ
2ˇ
ˇ Õ Õ
ai- lu- lu- li,
ai-
ˇ Õ Õ
li,
ˇ
2ˇ ˇ Õ Õ
lu- li,
ai-
ˇ
6ˇ
ˇ ˇ
ˇ Õ Õ
ai- lu- lu- li,
ˇ
2ˇ ˇ Õ Õ ˇ
ˇ
ˇ
ai- lu-
li,
2ˇ ˇ Õ Õ
ˇ
lu- lu- li,
ai-
lu- li!
Baju Bajushki baju Nr. 475, Mutter KI; (Mutter SCH, nicht transkribiert)
G 24 ˇ
ˇ ˇ
ˇ ˇ
ˇ
É É Õ ˇ ˇ 4ˇ Õˇ
ˇ
Ba- ju ba- ju- shki ba- ju, ne lopri- djot se- ren’- kij vol- chok i u-
ˇ
zhi- sja ku- sit
ˇ
7 ˇ
na kra- ju, za ba- chok
Nr. 527, 528, Mutter MA (Anfang tonal schwierig)
G 24 ˇ
ˇ ˇ
ˇ ˇ
ˇ ˇ
ˇ
ˇ ˇ
ˇ ˇ
ˇ ˇ
7
Ba- ju ba- ju- shki ba- ju, ne lo- zhi- sja na kra- ju, pri- djot se- ren’- kij vol- chok ei u- ta- shhit za ba- chok
G ˇ
ˇ ˇ
ba-
ju- baj
ˇ
ˇ ˇ
ba- ju- baj
ˇ
ˇ
ˇ
ˇ ˇ
po sko- re- e
ˇ ˇ
za- sy- paj!
Nr. 529, Fragment, Mutter MA
G 24 `ˇ Ba-
ˇ(
`ˇ
ˇ(
ˇ ˇ
ˇ
ju
ba-
ju-
shki
ba-
ju.
>
7
293
Liedverzeichnis
Nr. 554, Vater LI
G 24 ˇ
ˇ ˇ
ˇ ˇ
ˇ
Õ Õ Õ Õ ˇ ˇ ˇ
ˇ ˇ
ˇ
Ba- ju ba- ju- shki ba- ju, ne lo- zhi- sja pri- djot se- ren’- kij vol- chok i u- khvatit
ˇ
ˇ
na kra- ju, za bo- chok
Nr. 504, Mutter GA
G 24 ˇ
ˇ ˇ
Ba- ju
G 4ˇ
ˇ ˇ
ba- ju-
ˇ ˇ
ˇ ˇ
ˇ
shki ba- ju,
Ţ Ţ ˇ ˇ
ˇ
6ˇ ˇ
ˇ
4ˇ
Ba- ju
G 4ˇ
ba- ju-
ˇ a
ˇ ˇ
ˇ
ˇ
ˇ
ˇ ˇ
ˇ
ˇ)
to se- ren’- kij vol- chok
te-
na kra- ju,
ˇ
ˇ
ˇ ˇ
za
ˇ
ˇ
ˇ
4ˇ
ˇ
ne lo- zhi- sja
4ˇ ( @
ˇ
ˇ
u- ku- sit
ˇ
shki ba- ju,
ˇ ˇ
ˇ
ˇ ˇ
ne lo- zhi- sja
pri- djot se- ren’- kij vol- chok i
G 6ˇ
ˇ ˇ
ˇ
bochok.
ˇ ˇ
na kra- ju,
ˇ ˇ
ˇ
ˇ
bja u- ta- shhitza bochok.
Guljat’ Nr.497, 498 Mutter GA; tonal schwierig
G 24
Ľ ąˇ ˇ Ľ ą ˇ ˇ
ˇ(
ˇ ˇ
ˇ ˇ
ˇ ˇ
ˇ
4ˇ
Zel- jo- na- ja mar- tyshka poshla gul- jat’,gulZhi- raf vy- so- kij strojnyj poshjol cve- ty na-
G ˇ
ˇ ˇ
ˇ ˇ
ˇ
4ˇ ˇ
rab- ka- las’ na pal’-mu, spubral bu- ket kra- si- vij, ver-
G ˇ
ˇ
ˇ
ˇ
mishka ko- ca jo- nyj plo- skij
ˇ ˇ
ˇ
ˇ
4ˇ
? ˇ(
jat’. Vskabrat’, so-
ˇ ˇ
?
ˇ(
sti- las’ k nam opjat’ ! Nash nul- sja k nam opjat’ ! Zel-
ˇ
ˇ
ˇ
ˇ ˇ
la- py poshjol gul- jat’, gul- jat’. kro- ko- dil poshjol gul- jat’, gul-
? ˇ( Pojat’.
294
Anhang: Notentranskripte
G ˇ
ˇ ˇ
ˇ ˇ
ˇ ˇ
ˇ ˇ
ˇ ˇ
? 7 ˇ
ˇ
ku- byr- kal- sja na lo- gu, ver- nul- sja k nam opjat’ ! Po- pol- zal on v dal’ Ni- la, ver- nul- sja k nam opjat’.
Zhili u babusi (Vesjolye gusi) Nr.577, 578 (Fragment), Vater BE
à à ˇ
G 24 ˇ
à à ˇ ˇ
Zhi- li
u
Ţ ˇ Ţ ˇ
G ˇ
à à ˇ
ˇ
ba-
ˇ
bu- si
din se- rij,
à à ˇ
ˇ
ˇ
ˇ
dva ve- sjo- lykh
É Ţ É Ţ ˇ ˇ ˇ ˇ
ˇ( -
o-
ˇ
É Ţ É Ţ ˇ ˇ ˇ ˇ
dru- goj be- lij,
dva ve- sjo- lykh
gu- sja
4ˇ
ˇ
gu- sja
Nr.518, Mutter SCH
G 24 ˇ ˇ
Zhi- li
G 7ˇ ˇ o-
ˇ
ˇ
ˇ
ˇ
u
ba-
bu- si
É É ˇ
din se- rij,
ˇ
ˇ
ˇ
ˇ
ˇ
É É ˇ ˇ
ˇ
ˇ
dva ve- sjo- lykh
ˇ
dru- goj be- lij,
ˇ
ˇ
É É ˇ
ˇ
ˇ
gu- sja
ˇ
ˇ
dva ve- sjo- lykh gu- sja
Ladoshki Nr.488, Mutter GA
G 44
Ã Ã Û Û ˇ ˇ ˇ ˇ
ˇ ˇ
ˇ
La- doshki, la- doshki, a
G 7 ˇ
A A
ˇ
Č Č ˇ ˇ ˇ
chto e- li? chto pi- li?
ˇ
Ã Ã Č Č Ã Ã ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ
7 ˇ
gde by- li?
ˇ
U
ba- bush-ki.
ÃÃ Û Û 2ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ
Kashku. Chto pek- li? brashku.
O- la- dosh ki,
7
295
Liedverzeichnis
G 7 ˇ
Ľ ˇ Ľ Ľ Ľ ˇ ˇ ˇ ˇ
ˇ
7 7
na ok- no po- sta- vi- li. i o- sty- t’sja sta- vi- li
G ˇ
Č Č ˇ ˇ
ˇ
ˇ
Pti chki pri- le-
G 7 ˇ
Č Č ˇ ˇ
ˇ
Sno- go uNa go- lo-
G
te-
levu
ˇ
li.
7
te- li. se- li.
La- doshki, la- dosh- ki,
ÃÃ ˇ
7 ˇ
le- te- li. kle- va- li.
ÃÃ 2ˇ ˇ
ˇ
ˇ
ˇ
ˇ
Pe- sen’- ku
a
7
sty- lis’ S”e- li. na- kro- she- li
pripo-
ˇ
óó Ľ Ľ Ľ Ľ 2 ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ
ˇ
2ˇ ˇ
Mishki kroshki
ˇ ˇ
ˇ
Kogda oKrosh ki
7 ˇ
ˇ
ÉÉ ˇ ˇ
2ˇ
ˇ ˇ
za- pe- li.
Ľ Ľ Ľ Ľ ˇ ˇ ˇ ˇ 6ˇ
ˇ
gde by- li? U
ba- bush-ki.
Lala 1 (Frei) Nr. 579, Vater BE (alle Silben auf la)
ÈÈ ÈÈ ˇ ˇ ˇ ˇ
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Lala 2 (Frei) Nr.596, Mutter DYA
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296
Anhang: Notentranskripte
Lala 3 (Frei) Nr.593, Mutter DYA
ŋ G 44 ˇ ŋˇ ˘ la
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Lala 4 (Frei) Nr.595, Mutter DYA
G 24 ˇ Ľˇ ˇ
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Malen’kij (Frei) Nr.559, Mutter KOP
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G 24 ˇ
à à ˇ ˇ ˇ
Ma- len’- kij,
ma- len’- kij,
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ne
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ˇ
kho- chu i-
˘
grat’s to- boj!
Malen’kij Jozhik Nr.493, Mutter GA
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G 44 ˇ
Ma- len’- kij
G 6 ˇ
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le-
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jo-
zhik,
chet-
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ve-
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djot, i-
duf- ti-
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su
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duf- ti,
G ˇ
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ˇ
duf- ti-
sa- myj sil’- nyj ja
ˇ
za spi- noj me- shok ne-su,
ˇ
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no ba- jus’ od- ny li-
zhek
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po- jot:
ˇ tu,
no-
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djot, pe- sen- ku
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vle- su,
> ˇ
su.
ˇ > ˇ
Fu!
297
Liedverzeichnis
2. Strophe: Malen’kij jozhik chetvera nozhek po lesu idjot, ijot, pesenku pojot. Dufti-dufti-dufti-du, ” samij sil’nij ja v lesu za spinoi lisu nesu, ne bajus’ odnu lisu! Fu!“
Nozhki (Frei) Nr.478, Mutter KO
G 24 ˇ ˇ
ňňˇ ˇ ˇ ˇ
ˇ ˇ
Nozhki,
ˇ ˇ
ˇ ˇ
ˇ ˇ
ˇ ˇ
ˇ ˇ
nozhki be- gut podo- rozhke, toptop nozhki, toptop nozhki!
Nozhka (Frei) Nr.479, Mutter KO
G 24 ˇ ˇ
ˇ ˇ
ˇ ˇ
ˇ >
ˇ ˇ
Nozhka, no- zhka,top top top.
ˇ ˇ
ˇ ˇ
ˇ >
Ru-chka ru- chka flopflop flop.
Spi moja radost’, nach dem dt. Lied Schlafe mein Prinzchen Nr.411, 412, Mutter KIN
G 68 ˇ ˇ
ˇ ˇ
ˇ ˇ
G ˇ
ˇ
4ˇ
ˇ
pti- chki u-
G ˘
ˇ >
du.
G ˘
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˘ ˇ
4ˇ
> ˇ
ˇ
vsa- du,
ryb- ki
˘ ˇ
4ˇ
ˇ ˇ
>
Me-sjac na ne- be ble- stit,
> dit,
usni! V do- me po- gas-li
tikh- li
ˇ
> ˘
Spi mo- ja ra- dost’
Ł Ř Ł Ř ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ
ˇ ˇ
ˇ
spi mo- ja
ˇ ˇ
ˇ
ra- dost’,
ˇ
>
og- ni,
ˇ
ˇ u-
snu- li vpru-
ˇ
ˇ ˇ
ˇ
ˇ
4ˇ
me- sjacv o-koshko glja-
> ˘
˘
u-sni!
˘ ˇ
É É ˇ
Spi u-
`˘
sni!
298
Anhang: Notentranskripte
Spjat ustalyje igrushki Nr.414, 428, Mutter KIN, Nr.485 Mutter GA, Nr.530 Mutter MA
G 44 ˇ`
ˇ`
ˇ( Spjat u-
G `ˇ
sta- ly-
`ˇ
2ˇ ( o-
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de-
2ˇ ( ja-
la
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ˇ ˇ
je
i-
grushki
ˇ ˇ i
po-
ˇ
6ˇ
˘ ˇ
ˇ
knizhki
ˇ
˘ ˇ
ˇ
dush- ki
spjat
zhdut re-
bjat
Fortsetzung Mutter GA:
G 44 ˇ
ˇ ˇ
ˇ` ˇ
da- zhe ska- zka
G 2ˇ`
2ˇ ( ˇ
ˇ
ˇ ˇ spat’lo-
nam pri- sni- t’sja
Ŕ Ŕ ˇ ˇ >
zhi- tsja
ˇ ˇ
6ˇ
ˇ
chto-by
¯ ˘ vaj!
Ba- ju
ˇ
gla- zki za- kry-
ˇ ˇ
no- ch’ju
˘ ¯
baj!
Anschließend: Strophe 1 und Strophe 2.
Fortsetzung Mutter KIN:
G 44 ˇ Za
G ˇ
ˇ ˇ
ˇ ˇ
ˇ
den’ my u-
ˇ ˇ
koj- noj no- chi!
ˇ sta- li
2ˇ
2ˇ
ˇ
ˇ ˇ o-
chen’ skazhem vsjem: spo-
ˇ
2ˇ
gla- zki za- kry-
2. Strophe: V skazke mozhno pokatat’sja na Lune I po raduge promchat’ja na kone! So slonjonkom po druzhit’sja i pojmat’ piro Zhar – pticy, Glazki zakryvaj! Baju-baj!
ˇ ˇ
ˇ
¯ ˘ vaj!
Ba- ju
˘ ¯
baj!
299
Liedverzeichnis
3. Strophe: Baju-baj dolzhny vsje ljudi (detki, GA) noch’ju spat’ ! Baju-baju zavtra budet den’ opjat! Za den’ my ustali ochen’, skazhem vsjem: spokojnoj nochi! Glazki zakryvaj! Baju-baj!
Nr.540 Vater KO, (Mutter SCH nicht transkribiert)
G 44 `ˇ Spjat
ˇ(
`ˇ
u-
sta- ly-
ˇ
ˇ je
i- grush- ki knizh- ki
ˇ(
ˇ
ˇ
Ő G ˇ ŐŐˇ ˇ Ő ˇ ˇ >
ˇ` 2ˇ ( `ˇ 2ˇ (
ˇ ˇ 6ˇ ˇ
o- de- ja- la
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Ŕ Ŕ Ŕ G ˇŔ ˇ ˇ ˇ ˇ
>
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ˇ
la la la la la
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la
la
la
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ˇ
> spjat
ˇ ˇ ˇ >
po- dushki zhdut rebjat
ˇ
ˇ
ˇ
da- zhe ska- zka
2ˇ 2ˇ ˇ
ˇ ˇ
la
ˇ
ˇ ˇ
ˇ
ˇ ˇ
ˇ ˇ
spat’lo- zhi- tsja
¯ ˇ
˘ ˘
¯
chto- by no- ch’ju nam prisni t’sja Ty ei po- zhe- laj: Ba- ju
baj!
Fortsetzung Strophe 2 und 3, s. Mutter Ga, Nr.414. Nr.523, Mutter KA
G 44 ˇ` Spjat
ˇ(
ˇ`
u-
sta- ly-
ˇ(
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ˇ je
i- grush- ki knizh- ki
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Ő G ˇ ŐŐˇ ˇ Ő ˇ ˇ >
ˇ` 2ˇ ( `ˇ 2ˇ (
ˇ ˇ 6ˇ ˇ
Ŕ Ŕ Ŕ G ˇŔ ˇ ˇ ˇ ˇ
o- de- ja- la
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la la la la la
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la
la
la
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ˇ ˇ
ˇ
> spjat
ˇ ˇ ˇ >
po- dushki zhdut rebjat
ˇ
da- zhe ska- zka
ˇ
ˇ
ˇ ˇ
spat’lo- zhi- tsja
300
Anhang: Notentranskripte
G ˇ
ˇ ˇ
2ˇ 2ˇ ˇ
ˇ ˇ
ˇ
ˇ ˇ
¯ ˇ
˘ ˘
¯
chto- by no- ch’ju nam prisni-t’sja gla- zki za- kry- vaj! Ba- ju
baj!
Fortsetzung: s. Strophe 2 und 3, Nr. 414, Mutter GA. Nr.550, Vater LI, Nr.536 Mutter SKO
G 44 `ˇ Spjat
G ˇ`
ˇ(
`ˇ
u-
sta- ly-
ˇ`
2ˇ ( o-
ˇ(
de-
2ˇ ( ja-
la
ˇ
ˇ je
i- grush-
ˇ ˇ
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ki
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ˇ
i
po-
dushki
knizh-
ˇ ˇ
zhdut
ˇ
˘ ki
spjat
ˇ
˘ re-
bjat.
Fortsetzung Vater LI:
G 44 ˇ
ˇ ˇ
Za
ˇ ˇ
G ˇ
den’ my u-
ˇ ˇ
ˇ
ˇ
sta- li
ˇ o-
skazhem chen,
ˇ
ˇ
ˇ
koj- noj no- chi!
ˇ
>
ˇ
vsjem spo-
¯ ˘ vaj!
Ba- ju
ˇ
Gla- zki za- kry-
ˇ ˇ
ˇ ˘
¯
baj!
Fortsetzung Mutter SKO: (anschließend Strophe 2, s. Nr. 414, Mutter GA)
G 44 ˇ
ˇ ˇ
ˇ ˇ
Da- zhe ska- zka
G ˇ
ˇ ˇ
ˇ
nam pri- sni- t’sja
ˇ
ˇ
spat’ lo-
ˇ
ˇ
ˇ
ˇ
zhi- tsja
ˇ
ˇ
gla- zki za- kry-
ˇ ˇ
chto- by
ˇ no- ch’ju
¯ ˘ vaj!
Ba- ju
˘ ¯
baj!
301
Liedverzeichnis
Top top (Frei) Nr. 580, Vater BE
Õ Ľ Õ G 24 Ľ ˇ ˇ ˇ ˇ
Top top top top
Õ Ľ Õ Ľ ˇ ˇ ˇ ˇ
Ľ Ľ ˇ ˇ ˇ
top top top. top top top top
Ľ Ľ ˇ ˇ ˇ
top top top.
Tratata (Frei) Nr. 581, Vater BE
G 24 ˇ
ˇ ˇ
Tra- ta- ta,
ˇ
ˇ ˇ
ˇ
tra- ta- ta,
ˇ ˇ
ˇ ˇ
tra- ta- ta- ta-
ˇ ˇ
ta- ta- ta!
Ja na solneshke lezhu Nr.560, 561, Mutter KOP (Anfang tonal instabil)
G 44 ˇ`
ˇ) -
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ˇ
ˇ( ˇ(
9
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Ja na sol- ny- shke lezhu Kroko- dil, dil, dil ply-vjot,
ˇ` -
ˇ) ˇ
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7
9
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ja na sol- nyshko glja zhu, na- so- rok,rok,rok i- djot,
G ˇ` ( ˇ ) `˘ ˇ` ( ˇ ) ` ˇ` ( ˇ ) ˇ ˇ ˘ ˇ ˇ ( ˇ ( 9 ˘ ? @ ˇ ) ˇ` ( ˇ ) vsjole- zhui le- zhui nu a ja, vsjole- zhui
? @ ˇ ) `ˇ ( ˇ )
G ˘
ram,
pa- ram-pa-
na sol-nyshko na sol-nyshko
gljazhu. Paramgljazhu...
ˇ` ( ˇ ) `ˇ ( ˇ ) `ˇ ( ˇ ) `ˇ ( ˇ )
ram,pa- ram-pa- ram,pa- ram-pa-
3. Strophe (danach erst parampampam): Rjadom ljonochek lezhit, i ushami shevelit nu a ja vsjo lezhu, i na l’vjonka ne gljazhu...
pa
P `˘ ram.
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Schlagwortverzeichnis A Absolutes Geh¨ or 46 ¨ Aquivalenz-Hypothese19–21, 35, 39, 134, 185, 250 Akzent, Satz (Tonakzent) 32, 248 Akzent, Wort (stress) 27 Ambisilbizit¨ at 132 Antizipation 93 Arbeitsged¨ achtnis 35 Artikulation 57, 248 Atmung 49 Atmung, synchron 102 Atmungsabschnitte 187, 202 Attribut 188, 200, 209 Aufmerksamkeit 115, 242 Autosegmentale Phonologie 163 B Babbling Beobachterparadox Betonung Musik Phrase Wort Bewegungslieder
46 76 29, 31 163 27, 168 222, 232
C Chunking 36, 42 Communicative musicality 44, 53, 92
D Dependenzgrammatik 182, 188 Deutsch Akzent, Phrase 33 Akzent, Wort 28 Betonung (Phonetik) 27 Fußprosodie 168 Gespanntheit 131 Intonation 33 Konsonantendauer 142 Langvokale 131, 158 Liedrepertoire 82 Liedrhythmus 90 Liedtext 91 Melodiekonturen 227, 234 Phonemsystem 23 Silbenstruktur 24, 25, 132 Sprachrhythmus 28 Syntax im Singen 217 Taktarten 89 Tonakzente 166 Tonalit¨at 87 Verbalkomplex 183, 194 Versbau 34 Vokalraum 120 Vokalsystem 120 Dezentralisierung 117 Diskriminierung, Laute 45, 48 Dominante 185 Dur-Moll-Wechsel 88, 185
338 E Euklidische Distanz Expressivit¨ at
Schlagwortverzeichnis
GTTM 117 131
F Foreigner-Talk 109 Formanten im Singen 114 Franz¨ osisch accent initial 162 Akzent, Phrase 33 Akzent, Wort 29 Betonung (Phonetik) 27 Grenzton 214 Intervallsprung 212 Intonation 33, 213 Intonationsphrase 163 Liedrepertoire 83 Liedrhythmus 90, 241 Liedtext 91 Melodiekonturen 229, 235 musik. Phrase 164 Phonemsystem 23 rhythmische Gruppe 29, 213 Schwa 135 Silbenstruktur 24, 25 Sprachrhythmus 28 Syntax im Singen 197 Takt 212, 218 Taktarten 90 Tonalit¨at 87 Verbalkomplex 183 Versbau 34 Vokale im Singen 138 Funktion demarkative 27, 29 distinktive 19, 22, 27 poetische 20 Fuß 28, 31, 168 G Gestaltprinzip 40 Gestaltwahrnehmung 38 Grenzsignale 42, 53, 179, 185
16, 184
H Hyperartikulation Konsonanten 56 Vokale 55, 114, 117, 252 I Instinkt 75 Interaktion 92, 109, 174, 258 Interdisziplinarit¨at 246, 260 Intervokalintervall 130 Intonationsphrase 32, 182, 224 Isochronie 28, 31 J Jitter
51
K Kadenz 27, Kategoriale Wahrnehmung Kinderbetreuung Kinderlied (narrativ) Kinderlied (Textsorte) Kinderliedermacher Kinderreime 86, Klitische Gruppe Konsonanz-Dissonanz Konstituentenstruktur Konvention Kopf prosodisch syntaktisch 18, 182, Kreativit¨at L L¨acheln Lautmalerei Lautsubstitutionen Liebeslieder Lieddublette funktional Liedklassifizierung
181 42 71 173 66 66 109 29 26 182 260 18 194 15
54, 120 194 56 66 82, 84, 85 225 221, 241
339
Schlagwortverzeichnis
Liedtradierung Loblied Luther, Martin
81, 260 221, 243 66
M Melodie u. Sprachprosodie 179 Melodiekontur, Funktion 220 Metrum see Rhythmus Mikrotiming V-C 136, 142 Mismatch (stress) 59, 160 Mitlauten 53, 60, 95, 99 Motherese 48 Funktionen 219 Pausen 52 Rhythmus 52 Tonkonturen 51, 152, 220 VOT 56 Motherese-Hypothese 64, 108, 219, 250 Motiv 32, 33, 38 M¨ undlichkeit 14, 67, 246 Musik, abendl¨ andische Definition 14, 15 Prominenz 26 Takt 30, 31 Tonskala 23 Musik. Fr¨ uherziehung 72, 85 N Neugeborene; Wahrnehmung 44 P P-Center 128 Perceptual Magnet Effect 42 Performanz 15, 250, 256 Phonation 49 Phonem 22, 23 Phrase Dauer im Singen 240 musikalisch 33, 38, 164, 181, 186, 223 phonologisch 32 syntaktisch 182, 187, 240
Prosodic Bootstrapping 41, 249 Prosodie A-Prosodie 17, 38, 247 B-Prosodie 17, 38, 247 C-Prosodie 17, 37, 247, 248 Definition 16, 38 Prominenz 18, 21 Prosodische Hierarchie 181, 184 Q Quantit¨at, komplement¨are
131
R Referenz (beim Singen) 79 Rhythmus 30, 31 Russisch Akzent, Phrase 33 Akzent, Wort 28 Betonung (Phonetik) 27, 33 Intonation 33 Liedrepertoire 84 Liedrhythmus 90 Liedtext 91 Lyrik 172 Melodiekonturen 230, 236 neutrale Terz 27, 89 Phonemsystem 23 rhythmische Gruppe 29 Silbenstruktur 24, 25 Syntax im Singen 217 Takt 172 Taktarten 89 Tonalit¨at 27, 87 Verbalkomplex 183 Versbau 34 Vokale im Singen 138 Vokalraum 109, 114 S S¨ angerformant Satz, syntaktisch Satzglied Schlaflieder
54 191, 207 183, 188 222, 225
340
Schlagwortverzeichnis
Vokale 121 Schriftlichkeit 14 Schwingtyp 220, 244 Segmentierung, W¨ orter 45, 47 Silbenschnitt 132, 158, 258 Singen im Alltag H¨ aufigkeit 70 Repertoire 82 Situation 78 Singen(ID) Vokaldauer 112, 117, 130 Vokalraum 109, 114, 116 Sjusjukanije 56 Spiellieder 78, 87, 222, 243 Sprechen (AD), Vokalraum 116 Sprechen (ID), Vokalraum 109 Stimmhaftigkeit 139, 144, 154 Stressreduktion beim Singen 51 Subjekt-NP 193, 196 Synchronisierung 94 T Takt 30 Taktarten 31 Taktgruppe 29 Taktwechsel 90 Text-to-tune 92 Text-to-tune-Matching 129, 208 Thema-Rhema 199, 217 Ton Beginn 128 stabile Phase 158 tonale Hierarchie 26 tonales Ereignis 25, 131 Tonh¨ ohe 23 Tonskala 23 Tonh¨ ohe gleitende Kontur 155 intrinsische 154 Umfang 50 Tonika 185 Tonkonturen 152 Tonsprachen 46, 60
Transparenz, syntaktische 217 Turntaking, metrisches
201, 53
U Umsingen Universalien
67 6, 42, 222
V Valenz 188 Verarbeitung, strukturell 35 Verarbeitung, zeitlich 37 Verh¨orer 59 Vers 34, 38, 187, 197, 204, 207 Vokaldreieck 23 Vokale 252 Dehnung 54, 148 Formanten 106 Motherese 107 Verst¨andlichkeit54, 106, 108 Vokalh¨ohe 139 Vokalisieren 44, 60, 93 Vokalraum 106 W Wahrnehmung, kategoriale Wickeln (Interaktion) Wiederholung Wiegenlieder 66, Wohlbefinden und Singen Wort, phonologisches
23 79 58 80 74 28