Musik Im Spannungsfeld Zwischen Nationalem Denken Und Weltburgertum: Franz Liszt Zum 200. Geburtstag 3825363678, 9783825363673

English summary: Franz Liszt acted in his compositions and in his cultural-political activity as a convinced cosmopolita

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Musik Im Spannungsfeld Zwischen Nationalem Denken Und Weltburgertum: Franz Liszt Zum 200. Geburtstag
 3825363678, 9783825363673

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dorothea redepenning (Hg.)

Der Band arbeitet diese Dialektik im Dialog mit anderen Disziplinen heraus und erweitert den Blickwinkel zugleich auf andere Komponisten, die – sei es aus politischen Gründen oder aufgrund persönlicher Entscheidungen – in ähnlicher Weise zwischen zwei oder mehreren Nationen stehen. In den Vordergrund rückt also weniger die Begründung nationaler Musikkulturen, als der internationale Austausch, zu dem diese Komponisten maßgeblich beitrugen und der die Voraussetzung für die jeweils besondere Musikkultur bildet.

isbn 978-3-8253-6367-3

Musik im Spannungsfeld zwischen nationalem Denken und Weltbürgertum

ranz Liszt trat in seinen Kompositionen und in seinem kulturpolitischen Handeln zugleich als überzeugter Kosmopolit und als bekennender ungarischer Patriot auf. Diese dialektische Symbiose praktizierte er umso nachdrücklicher, je stärker nationale Partikularismen in Europa Raum griffen. Damit gab er Komponisten und Pianisten aus aller Herren Länder ein Vorbild, sei es als Berater, als Lehrer oder als Förderer mit vorzüglichen internationalen Beziehungen.

redepenning (Hg.)

redepenning (Hg.) Musik im Spannungsfeld zwischen nationalem Denken und Weltbürgertum

Musik im Spannungsfeld zwischen nationalem Denken und Weltbürgertum Franz Liszt zum 200. Geburtstag

g e r m a n isch -rom a n isch e mo natssch rift Begründet von Heinrich Schröder Fortgeführt von Franz Rolf Schröder Herausgegeben von

r e nat e s tau f in Verbindung mit

cord-friedrich berghahn bernhard huss ansgar nünning peter strohschneider GRM-Beiheft 67

dorothea redepen n i ng

(Hg.)

Musik im Spannungsfeld zwischen nationalem Denken und Weltbürgertum Franz Liszt zum 200. Geburtstag

Universitätsverlag

w i n ter Heidelberg

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

umschlagbild: Franz von Lenbach: Franz Liszt (ca. 1880)

i s b n 978-3-8253-6367-3 Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © 2o15 Universitätsverlag Winter GmbH Heidelberg Imprimé en Allemagne · Printed in Germany Druck: Memminger Medien Centrum, 87700 Memmingen Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem und alterungsbeständigem Papier Den Verlag erreichen Sie im Internet unter: www.winter-verlag.de

Inhalt Vorwort .................................................................................................................. 7

I. KULTUR UND POLITIK Detlef Altenburg (Weimar) „Man fordert von Weimar nur Kunst …“ Zu Liszts Programm des Neuen Weimar................................................................................................................... 9 Klaus Ries (Jena) Mit Goethe gegen die deutsche Nation? Franz Liszt und die Idee einer Goethe-Stiftung.................................................................................................... 27 Nicolas Dufetel (Angers) Die europäische Identität Franz Liszts, Weimar und die Wartburg in den Briefen und Tagebüchern des Großherzogs Carl Alexander* ............................. 41 Rossana Dalmonte (Bologna) Universalität im Denken und Schaffen Franz Liszts ........................................... 71 Jonathan D. Bellman (Northern Colorado, USA) Franz Liszt and the Anxiety of National Identity ................................................ 83

II. KOMPOSITION UND ÄSTHETIK Cord-Friedrich Berghahn (Braunschweig) Literatur, Kunst und ‚poetische‘ Musik: Intermedialität in Franz Liszts Années de Pèlerinage ........................................................................................ 101 Gunnar Hindrichs (Basel) Ungarische Rhapsodien ..................................................................................... 125 Ágnes Watzatka (Budapest) Die Ungarische Krönungsmesse Antithesen und Synthesen der Kirchenmusik einer Nationalfeier .................................................................................. 145

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Inhalt

Dorothea Redepenning (Heidelberg) Liszts Spätwerk im Spannungsfeld zwischen nationalem Denken und Weltbürgertum ................................................................................................... 161

III. REZEPTION UND TRANSFER Valentina Sandu-Dediu (Bukarest) Rhapsodie hongroise, Rhapsodie roumaine. Versuch einer „nationalen Musik“ ............................................................................................................... 181 Kenneth DeLong (Calgary) Liszt and Smetana in the Mirror of Czech National Music ............................... 191 Jens Hesselager (Kopenhagen) Provincialism within limits? Nationalism and cultural transfer in Danish mid-19th century musical culture ....................................................................... 205 Elena Chodorkovskaja (Sankt Petersburg) Der Fall Rubinstein ............................................................................................ 223 Susanne Fontaine/Thomas Menrath (Berlin) Busoni und Liszt Künstlerischer Selbstentwurf und Pianistik .......................... 235 Thomas Schipperges (Tübingen) Lisztschüler. Zur Regeneration einer Erinnerungsfigur .................................... 259 Register .............................................................................................................. 289

Vorwort Der Band vereinigt die Beiträge der internationalen und interdisziplinären Konferenz, die im Sommer 2011 im Rahmen der 625Jahresfeier der Universität Heidelberg unter dem Doppeltitel Musik im Spannungsfeld zwischen nationalem Denken und Weltbürgertum. Franz Liszt zum 200. Geburtstag / Music between Nationalistic and Cosmopolitan Thought – Anniversary Reflections on Franz Liszt (1811–2011) stattfand. 15 Wissenschaftler (Musik, Literatur, Geschichte, Philosophie) aus acht Ländern erörtern Aspekte der vielschichtigen Dialektik von nationalen Denkmustern und kosmopolitischen Vorstellungen, wie sie in den kulturellen Äußerungen Liszts und ihm nahestehender Komponisten zum Ausdruck kommen. Die hier versammelten Autoren verfolgen die Intention, die Frage nach Weltbürgertum und Nationalem Denken im 19. Jahrhundert, die in Literatur- und Kulturwissenschaft in letzter Zeit nachhaltig diskutiert wird, auch in die Musikwissenschaft weiter hineinzutragen; denn sie richtet den Blick bislang vornehmlich auf „Nationale Schulen“ (deren Wegbereiter Liszt auch war) als kulturelle Manifestationen der jungen bzw. der politisch noch nicht existierenden Nationalstaaten. Liszts künstlerisches Credo und sein kulturpolitisches Konzept zielten aber gerade nicht in diese partikularistische Richtung, sondern waren – mindestens am Anfang – eher dem Kultur-Optimismus Herders und Goethes verpflichtet. Seine Überzeugung und sein Handeln entwickelten sich an den Widerständen, die ihm als reisender Pianist-Komponist, als Weimarer Musikpolitiker und später als Abbé und als Lehrer entgegenschlugen, hin zu einem Selbstverständnis, in dem ein patriotisches Bekenntnis zu Ungarn und kosmopolitische Überzeugung eine dialektische Symbiose eingehen, die sich an seinen Kompositionen ablesen lässt und die aus der Förderung von Komponisten aus aller Herren Länder eindrucksvoll hervorgeht. Die Fragestellung zielt daher darauf, diese Dialektik, die Liszt paradigmatisch verkörpert, im Dialog mit anderen Disziplinen herauszuarbeiten und den Blickwinkel zugleich auf andere Komponisten zu erweitern, die – sei es aus politischen Gründen, durch die Zufälle ihres Lebenslaufs oder aufgrund persönlicher Entscheidungen – in ähnlicher Weise zwischen zwei oder mehreren Nationen stehen. In den Vordergrund rückt also weniger die Begründung nationaler Musikkulturen, als der internationale Austausch, zu dem diese Komponisten maßgeblich beitrugen und der die Voraussetzung für die jeweils besondere Musikkultur bildet. Der erste Teil des Bandes (Kultur und Politik) fokussiert Liszts Aktivitäten im Lichte kosmopolitischer und nationaler Vorstellungen im Besonderen während der Weimarer Zeit, aber auch aus seinen religiösen Vorstellungen heraus und im Spiegel internationaler Reaktionen. Der zweite Teil (Komposition und

8 Ästhetik) veranschaulicht das Spannungsfeld nationalen und kosmopolitischen Denkens an der Schnittstelle von Musik und Literatur, an der Idee des Ungarischen und am Spätwerk Liszts. Der dritte Teil (Rezeption und Transfer) geht der Ausstrahlung Liszts auf ästhetische und kulturpolitische Vorstellungen von Komponisten und kulturellen Akteuren in anderen Ländern nach. Die nationale Ausrichtung der Musikgeschichtsschreibung, beginnend mit den großen Komponistenmonographien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, hat diese grenzüberschreitende Perspektive mehr und mehr verstellt. In dem Maße, in dem Kulturgüter zu nationalen Prestigeobjekten umgedeutet wurden, auch in dem Kosmopolitismus in Verruf geriet (bis hin zum Schimpfwort), verschwanden diesbezügliche Fragestellungen. In den großen DenkmälerReihen (seit Ende des 19. Jahrhunderts) ist für Komponisten, die zwischen zwei Nationen stehen, kein Platz; auch Gesamtausgaben sind in der Regel nationale Projekte. An Fallbeispielen macht der Band deutlich, dass Musikgeschichte – und insgesamt Kulturgeschichte – auch im 19. Jahrhundert zunächst und vor allem eine Sache des internationalen Austauschs, des kollegialen Gesprächs über politische und Sprachgrenzen hinweg gewesen ist. Im weiteren 19. Jahrhundert sind kosmopolitische Vorstellungen durchaus lebendig und internationale Verbindungen wirksam geblieben, auch wenn Herders weltbürgerliche Idee vom „Blumengarten der Nationen“ an Aktualität eingebüßt hatte. In engem Verbund mit den Nachbardisziplinen und mit Fachkollegen aus anderen Ländern will dieser Band, ausgehend von Franz Liszt, einen Anstoß geben, die Musikwissenschaft in die aktuelle ideengeschichtliche Debatte über das 19. Jahrhundert einzubinden und dazu ermuntern, musikalischen Werken (und insgesamt Kulturgegenständen) wie den hier behandelten, europäische und nicht nationalstaatliche Würdigung entgegenzubringen. Mein herzlicher Dank gilt der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die die Konferenz finanziell gefördert hat, sowie der Universität Heidelberg, die die Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt und einen Druckkostenzuschuss gewährt hat. Ebenso herzlich danke ich den Kollegen Renate Stauf und Cord-Friedrich Berghahn für die Aufnahme des Bandes in ihre interdisziplinäre Reihe der Beihefte zur Germanisch-Romanischen Monatsschrift und dem Universitätsverlag WINTER – insbesondere seinem Leiter Andreas Barth – für Druck und Vertrieb sowie Matthew Gardner für die Überprüfung der englischen Abstracts und Christine Roth für die redaktionelle Einrichtung des Bandes. Heidelberg, im Oktober 2014

Dorothea Redepenning

I

KULTUR UND POLITIK

„Man fordert von Weimar nur Kunst …“ Zu Liszts Programm des Neuen Weimar Detlef Altenburg (Weimar) When Liszt finished his career as virtuoso and settled in Weimar in 1848, where he had been appointed Court Kapellmeister-in-Extraordinary in 1842, he had time and again dreamt of a regeneration of the glorious traditions of Goethe and Schiller. Under Liszt’s aegis, Weimar again became a centre of the arts, which for more than a decennium served as a magnet for artists around the world as it had during Goethe’s time. Liszt’s visions from the first moment focused on the realization of his New Weimar idea. Laying claim to the heritage of Weimar and Vienna Classicism as well, he declared a new type of synthesis of literature and music as the new approach. As prototypes of Wagner’s music drama and the new declamatory style, he presented Tannhäuser and Lohengrin as examples for a new type of programme music through which he introduced the dramatic symphonies of Berlioz to the Weimar audience. Step by step he also realized his own contributions to this development: the symphonic poems, his Dante Symphony and his Faust Symphony. The framework programme behind all these activities was Liszt’s plan for a Goethe-Foundation in Weimar as national endowment of the arts and as forum for all branches of the arts (literature, painting, sculpture and music). The political development in Germany in the 1850s made it impossible to implement this project.

I Franz Liszt ist zweifellos heute einer der großen Unbekannten unter den bekannten Komponisten des 19. Jahrhunderts. Von seinen Klavierwerken kennt man in der Regel nur einen kleinen Ausschnitt, vielfach kaum mehr als den dritten Liebestraum, die zweite Ungarische Rhapsodie und die h-Moll-Sonate. Dies ist umso schwerer zu erklären, als Liszt einst in ganz Europa einer der bekanntesten Musiker seiner Zeit war und seine Lebensgeschichte die Phantasie gleich mehrerer Generationen europäischer Biographen beflügelt hat. Diese zwiespältige Position Liszts im kulturellen Gedächtnis unserer Zeit ist insofern paradox, als er im 19. Jahrhundert einer der großen Mittler zwischen den Kulturen Europas war und eine der zentralen musikästhetischen Diskussionen ausgelöst hat. Das Interesse ganzer Heerscharen von Biographen, die sich seit seinem 24. Lebensjahr mit seinem Leben beschäftigt haben, ist nur zu verständlich: Ein Knabe aus der westungarischen Provinz der Habsburgermonarchie, dessen

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Detlef Altenburg

Ausbildungschancen per se eigentlich äußerst gering sind, avanciert zu einer der bekanntesten Persönlichkeiten seiner Zeit. Das weckt Assoziationen zu der sprichwörtlichen Karriere vom Tellerwäscher zum Millionär. Dies ist der Stoff, aus dem die Träume sind. Franz Liszt wurde 1811 in Raiding geboren. Weder von der Schulbildung noch von der musikalischen Infrastruktur her scheint das Dorf damals die Voraussetzungen für eine große europäische Karriere zu bieten. Doch der Schein trügt, denn in der Ruhe der Provinz des pannonischen Raumes liegt offenbar die Kraft für große Visionen. Der Vater erteilt dem Knaben den ersten Klavierunterricht und möchte ihm eine Ausbildung ermöglichen, wie sie ihm selbst versagt geblieben war. Er glaubt ohne Wenn und Aber an die ungewöhnliche Begabung seines Sohnes und gibt seinen eigenen Beruf auf, um ihm die bestmögliche Förderung zuteil werden zu lassen. Die entscheidenden Stationen des Bildungsweges und frühen Prägung sind die Zentren der Musik jener Zeit: Wien, Paris und London. Der Vater erweist sich nicht nur als bemerkenswert umsichtig im Hinblick auf das Ausbildungskonzept seines Sohnes, sondern er ist offenkundig auch ein hervorragender Manager mit einem erstaunlichen Einfallsreichtum im Marketing. All dies scheint zu scheitern, als der Vater nach einer der Konzertreisen in Frankreich völlig unerwartet stirbt. Noch nicht einmal sechzehnjährig, ist Franz Liszt ab 1827 auf sich allein gestellt. Er überwindet immer wieder neue Krisen und Rückschläge und wird in wenigen Jahren zu einem der bekanntesten Pianisten in Paris, seit spätestens 1838 auch in ganz Europa. Das Erfolgsgeheimnis ist so einfach wie wirksam: Mit einer Energie sondergleichen betreibt er literarische Studien zur Vervollkommnung seiner Allgemeinbildung, erarbeitet sich eine Klaviertechnik, wie sie zuvor noch kein Pianist beherrschte, und studiert nicht nur die bedeutendsten Werke der Klaviermusik, sondern auch der Symphonik und der Oper. Das Klavier wird in seinen Klavierrecitals zum Mikrokosmos des gesamten Repertoires seiner Zeit. Von den Klaviersonaten Beethovens über die Lieder Schuberts als „Lieder ohne Worte“ und die Symphonien eines Berlioz und Beethoven bis hin zu den bedeutendsten Opern: alles wird von ihm adaptiert und Bestandteil seines ganz persönlichen Repertoires, das er zudem um eigene Kompositionen erweitert. Und nicht zuletzt hat er bei seinem Wiener Lehrer Carl Czerny das Improvisieren erlernt, mit dem er sein Publikum zu wahren Begeisterungsstürmen hinreißt. Zu all dem kommt hinzu: Dieser Künstler, der schon früh durch seine Haartracht im Stile der Nazarener auffällt, ist eine Erscheinung, die die höheren Töchter Europas in wahre Verzückung versetzt. Wohl kein Musiker des 19. Jahrhunderts wurde so häufig und von so vielen namhaften Malern und Bildhauern porträtiert wie Franz Liszt. Als Interpret – auch in diesem Punkt setzt er neue Maßstäbe – unternimmt er Konzertreisen buchstäblich kreuz und quer durch ganz Europa. Liszt wird zu einem der ersten Medienstars seiner Zeit. Nicht nur über seine Musik, sondern auch über seine tatsächlichen und erfundenen Amouren berichteten die Journale in ganz Europa. All das, was heute selbstverständlicher Bestandteil einer ausge-

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prägten Fankultur ist, entzündet sich an diesem jungen Musiker: Seit seinen ersten Konzerten in Marseille 1826 bieten die Konzertveranstalter Porträtdrucke an, später zum Teil sogar handsigniert. Im Umfeld der Konzerte vertreiben die Händler neben den Porträts Liszt-Büsten, Medaillons und viele andere Merchandising-Artikel.1 Auf dem Höhepunkt seiner Karriere als Pianist erklärt Liszt diese für beendet und lässt sich 1848 in Weimar nieder, wo er 1842 zum „Hofkapellmeister in außerordentlichem Dienst“ ernannt worden war. In kürzester Zeit erblüht der seit Goethes Tod verwaiste „Musenwitwensitz“, über den schon Heinrich Heine spöttelnd konstatiert hatte, „Goethe sei tot und Eckermann sei noch am Leben“,2 zu einem Zentrum der musikalischen Avantgarde, dessen Anziehungskraft bis hin nach Paris, Göteborg, ins ferne Sankt Petersburg und nach Boston reicht. Diesem Phänomen, das Liszt als das „neue Weimar“ und das man in Weimar in Verkennung der wenig schmeichelhaften Implikationen lange Zeit als „Silbernes Zeitalter“ apostrophierte, gelten die folgenden Betrachtungen. In kurzem Abstand boten Liszt nach seinem Eintreffen zwei herausragende Ereignisse der Weimarer Memorialkultur die Chance, das intellektuelle Europa darauf aufmerksam zu machen, dass die von Heine thematisierte Vakanz des „Musenwitwensitzes“ beendet und eine neue Ära der Kunst angebrochen sei. Mit der Goethe-Zentenarfeier 1849 bescherte ihm sein großer Vorgänger am Hoftheater eine weit über das deutsche Sprachgebiet hinausreichende Aufmerksamkeit; anlässlich der Einweihung des Herder-Denkmals und der geplanten Gründung der Goethe-Stiftung im darauffolgenden Jahr lud man namhafte Künstler und Intellektuelle aus ganz Europa zur Uraufführung von Wagners Lohengrin ein. Zu den Gästen zählte auch Edouard Fétis aus Brüssel, der seinen Vater, den berühmten Musikhistoriker, Theoretiker und Komponisten FrançoisJoseph Fétis, vertreten und in der Presse ausführlich über das Neue Weimar berichtet hatte. In seinem Dankbrief schrieb Liszt am 19. März 1851: Damit Sie das Andenken an diese Stadt mit kleinen Ausmaßen und großen Erinnerungen nicht gänzlich einbüßen, erlauben Sie mir, Ihnen heute eine Broschüre vorzulegen, die ich gerade veröffentlicht habe und die sozusagen das Programm des neuen Weimar darstellt, das durch die Verwirklichung der die Fondation-Goethe leitenden Ideen begründet werden wird.3

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Vgl. hierzu die Zusammenstellung im Ausstellungskatalog Franz Liszt – Ein Europäer in Weimar. Katalog der Landesausstellung Thüringen im Schiller-Museum und Schlossmuseum Weimar. 24. Juni – 31. Oktober 2011, hg. von Detlef Altenburg, Köln 2011, Abb. 002, 004–018, 036, 045 und 112–114; vgl. ferner Gerda Wendermann: Josef Danhauser: Liszt am Flügel, in: Ebd., S. 80–83, sowie Gert-Dieter Ulferts: Begegnungen mit Franz Liszt – Zeitgenössische Bildnisse, in: Ebd., S. 112–115. Heinrich Heine: Der Tannhäuser, in: Sämtliche Schriften, Bd. 7: Schriften 1837– 1844, hg. von Klaus Briegleb, München/Wien 1976, S. 354. Hans Rudolf Jung (Hg.): Franz Liszt in seinen Briefen, Berlin 1987, S. 118.

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Detlef Altenburg

Damit reklamierte Liszt erstens für seine Schrift über die Goethe-Stiftung, sie sei das Programm eines „neuen Weimar“, und zweitens, dass die leitenden Ideen dieses Programms in Weimar schrittweise verwirklicht werden. Der vielleicht provozierendste Punkt aber ist, dass Liszt unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Ära Goethe explizit von einem „neuen Weimar“ sprach und sich damit ausdrücklich zum Nachfolger Goethes erklärte. Tatsächlich durchzieht dieser Anspruch von Anfang an Liszts gesamtes Weimarer Wirken und Schaffen, ja schon 1844 wird dieser Anspruch in Briefen an Marie d’Agoult und 1846 an Carl Alexander mit der berühmten Wendung thematisiert, dass seine Gedanken sich ganz auf das Neue Weimar („la nouvelle Weymar“), das Vaterland des Ideals („la patrie d’idéal“), richten.4

II Eine entscheidende Voraussetzung für die Entfaltung umfassender künstlerischer Wirkungsmöglichkeiten in Weimar, so schien es Liszt zunächst, war die Übernahme der Leitung der Hofoper. Hier trat er bezüglich der Programmplanung der Oper ganz unmittelbar in die Nachfolge des „Oberdirectors des Hoftheaters“ Goethe, der von 1791 bis 1817 die Verantwortung sowohl für das Sprechtheater und als auch für die Oper getragen hatte.5 In der Ära Goethe hatte das Weimarer Hoftheater – insbesondere in der Phase der glücklichen Zusammenarbeit zwischen Goethe und Schiller – eine beispiellose Blüte erlebt.6 Neben dem Schauspiel galt auch das Interesse Goethes schon in einem bemerkenswerten Maße der Oper. Der Weimarer Spielplan zeichnete sich unter seiner Leitung durch die Entdeckung von Mozart und Gluck und zugleich durch Aktualität im Bereich der italienischen Oper aus. Der 1819 nach Weimar berufene Hofkapellmeister Johann Nepomuk Hummel hatte dem Publikum zwar ebenfalls ein auffallend vielseitiges Opernrepertoire mit einer großen Zahl an Erstaufführungen geboten,7 4

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Brief an Marie d’Agoult vom 23. Januar 1844 in: Serge Gut/Jaqueline Bellas (Éd.): Correspondance Franz Liszt – Marie d’Agoult, Paris 2001, S. 1078; Brief an Carl Alexander vom 6. Oktober 1846 in: La Mara (Hg.): Briefwechsel zwischen Franz Liszt und Carl Alexander, Großherzog von Sachsen, Leipzig 1909, S. 7. Vgl. Wolfram Huschke: Musik im klassischen und nachklassischen Weimar 1756– 1861, Weimar 1982, S. 28–62 und 131–144. Einen Schwerpunkt bildeten im Weimarer Opernspielplan seit 1791 die Opern Mozarts und Glucks, die hier zugleich erste Beispiele für die Ausbildung eines festen Opernrepertoires sind. Zur Zauberflöte plante Goethe eine Fortsetzung, einen zweiten Teil, der allerdings Fragment blieb. Vgl. Johann Wolfgang von Goethe: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe, hg. von Karl Richter, München/Wien 1986, Bd. 6,1, S. 101–126. Vgl. hierzu die informative Statistik von Axel Schröter: Der historische Notenbestand des Deutschen Nationaltheaters Weimar. Katalog (Musik und Theater 6), Sinzig

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das aber kaum überregionale Wahrnehmung erfuhr. Unter Liszts Ägide wurde das Weimarer Hoftheater in kürzester Zeit wieder eine Spielstätte von Rang, über die ähnlich wie in der Ära Goethe und Schiller im ganzen deutschen Sprachgebiet berichtet wurde. Auch wenn die Zahl der Erstaufführungen deutlich zurückging, gelang es Liszt im Unterschied zu Hummel, den Aufführungen der Weimarer Hofoper bis hin nach Frankreich, Russland und Amerika Beachtung zu sichern. Liszts Verdienst ist dabei umso höher einzuschätzen, als sich von Anfang an abzeichnete, dass die Strukturen einer Hofoper ihm weder eine konsequente Spielplanpolitik ermöglichen, noch die erforderlichen finanziellen und personellen Ressourcen bieten würden, die für die Verwirklichung seiner Ideen erforderlich gewesen wären. Das aktuelle Opernrepertoire seiner Zeit war für den Pianisten Liszt seit seiner Jugend immer wieder Ausgangspunkt für seine Opernfantasien und Opernparaphrasen gewesen. Jetzt eröffnete sich ihm in Weimar die Chance, diese Opern mit der Weimarer Hofkapelle aufführen zu können. Einen besonderen Akzent setzte er mit den Aufführungen des Tannhäuser, Lohengrin und des Fliegenden Holländers, mit denen er Richard Wagner in Weimar als Repräsentanten einer neuen Ära der Kunst nach Goethe feierte, und dies ausgerechnet zu einer Zeit, in der Wagners Wirken nach seiner Beteiligung an der Revolution in Dresden in den deutschen Staaten definitiv beendet schien. Dass er sich damit nicht nur Freunde, sondern sich auch politisch angreifbar machte, war ihm in der vollen Tragweite offenbar nicht bewusst. Liszt hatte die Weimarer Erstaufführung des Tannhäuser einem herausragenden Ereignis des Weimarer Festkalenders vorbehalten: Sie fand am 16. Februar 1849 aus Anlass des Geburtstages von Großherzogin Maria Pawlovna statt. Noch im Jahr zuvor hatte Liszt als Geburtstagsoper Flotows Martha dirigiert. Das Beispiel des Tannhäuser lässt ahnen, welch veränderter Anspruch sich nun für Liszt mit den Aufführungen zu den repräsentativen Anlässen des Weimarer Festkalenders verband: Er präsentierte Maria Pawlowna programmatisch das Kunstideal des Neuen Weimar, jener neuen Ära der Kunst, die er mit Erbgroßherzog Carl Alexander über Jahre hinweg beschworen hatte. Da seine eigenen größeren Kompositionsprojekte sich noch im Stadium der Planung befanden, griff er zu Maria Pawlovnas Geburtstag auf das Werk Wagners zurück, das wie kaum ein anderes seiner Zeitgenossen geeignet war, dem Kunstideal des Neuen Weimar den Weg zu bahnen. In Wagners Konzeption des Tannhäuser sah Liszt einen neuen Typ der deutschen Oper, der mit seiner Verarbeitung großer Stoffe der Weltliteratur und der Integration des symphonischen Stils gleichsam das Erbe der Weimarer und Wiener Klassik zu einer Synthese führte. In Wagner sah er den kongenialen Künstler, der in der Oper verwirklichte, was er selbst für seine eigenen größeren Projekte erstrebte.

2010, S. XXIX–XXXII.

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Wagners Tannhäuser mit seinem legendären Sängerkrieg, der der Überlieferung nach auf der Wartburg stattfand, eignete sich, wie Liszt erkannte, angesichts der Bemühungen Erbgroßherzog Carl Alexanders um die Restaurierung der Wartburg geradezu ideal als Inszenierung einer einzigartigen Identitätskonstruktion des Hauses Sachsen-Weimar-Eisenach: Der Sängerkrieg war in seiner Deutung das bereits im Mittelalter dokumentierte Urbild des Weimarer Musenhofes der Ära Goethe und Schiller. Am 18. bzw. 20. Mai veröffentlichte Liszt im Journal des Débats und in der Musikzeitschrift La Musique. Gazette de la France Musicale für das französische Publikum eine Würdigung des Tannhäuser, die 1851 und 1852 auch in französischer Sprache und in deutscher Übersetzung in Buchform erschien. In Liszts Text sind die entscheidenden kulturpolitischen Aspekte für die Identitätsstiftung des Hauses Sachsen-WeimarEisenach klar benannt: Die Handlung des Tannhäuser spielt auf der Wartburg (bei Eisenach), die zum Hoheitsgebiet des Großherzogs von Weimar gehört und jetzt durch den Erbgroßherzog mit vollkommenem Geschmack wiederhergestellt wird. Dieses Schloß war im Mittelalter berühmt. Die Landgrafen von Thüringen haben dort den Sängern ihrer Zeit glanzvollen Schutz angedeihen lassen, und die wunderbaren Tugenden der heiligen Elisabeth, die dort herrschte, wurden noch vor kurzem den Gläubigen wieder in Erinnerung gerufen durch die poetische und fromme Gelehrsamkeit des Herrn de Montalembert.8

Alle wesentlichen Aspekte der Verlängerung der Weimarer Identitätskonstruktion in die Zeit des Mittelalters sind hier von Liszt zusammengetragen. Der Tannhäuser wird für Liszt zum Dokument einer bis ins Mittelalter zu verfolgenden Traditionslinie als Musenhof. Die Stimmigkeit des Konzeptes untermauert er ausdrücklich mit Wagners Syntheseleistung: Der Stoff der Oper ist den alten Sagen dieser Gegend entlehnt. Indem er einige Begebenheiten, die in verschiedene Chroniken verstreut waren, zusammenstellte und verband, hat der Verfasser aus denselben eine Episode voll poetischer, phantastischer und dramatischer Elemente zu bilden gewußt.9

Und so, wie Liszt in seinen eigenen Schriften zum Tannhäuser und wenig später zu Lohengrin zugleich entscheidende Beiträge zur Wagnerinterpretation leistete, die für die internationale Wagnerrezeption von entscheidender Bedeutung waren,10 skizzierte er 1854 in einer Folge von Essays, die später auch in einer 8

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Franz Liszt: Sämtliche Schriften, hg. von Detlef Altenburg, Bd. 4: Lohengrin et Tannhaüser [sic] de Richard Wagner/Lohengrin und Tannhäuser von Richard Wagner, hg. von Rainer Kleinertz, kommentiert unter Mitarbeit von Gerhard J. Winkler, Wiesbaden 1989, S. 97, Z. 1-7. Ebd. Vgl. ebd.

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Buchausgabe als Dramaturgische Blätter erscheinen sollten, die operngeschichtliche Bedeutung auch anderer von ihm aufgeführter Werke und forderte eine konsequente Spielplanpolitik. Manche Sätze dieser Artikel sind heute so aktuell wie damals: Und nur dann, wenn man es dahin bringt, das Repertoir [sic] streng nach künstlerischen Grundsätzen zu bilden, würde es möglich sein, sich Hoffnungen einer in jeder Hinsicht glänzenden Zukunft für eine Bühne zu machen [...]. Es wird Niemand beikommen, von einem Hoftheater in Weimar den scenischen Prunk der großen europäischen Bühnen zu fordern. […] Man fordert von Weimar nur Kunst, mehr Kunst und eine von falschem Schein freiere Kunst als sie in Paris, Berlin oder Wien zu finden ist.11

Aus diesen Prämissen leitete Liszt seine konkreten Kriterien für die Spielplangestaltung ab: Es sei Aufgabe des Theaters, gleichberechtigt die Meisterwerke der Vergangenheit, die etablierten Werke der Gegenwart und Opern der Avantgarde zu berücksichtigen. Diese Forderung wurde von ihm selbst bis zu einem gewissen Grad durchaus eingelöst. Einerseits knüpfte er an Goethes Gluck- und Mozartpflege an und führte in Weimar jene Opern auf, die seiner Auffassung nach paradigmatisch für die Meisterwerke der Vergangenheit standen: Iphigénie en Aulide, Orphée et Eurydice, Armide und Alceste sowie den Don Giovanni. Andererseits wurden mit Verdis Ernani, I due Foscari und Il trovatore sowie Meyerbeers Robert le Diable und Les Huguenots Opern auf die Weimarer Bühne gebracht, die für ihn das etablierte internationale Repertoire der Gegenwart repräsentierten. Demgegenüber machten die Uraufführungen unter quantitativen Aspekten mit Werken wie Wagners Lohengrin (1850), Franz Schuberts Alfonso und Estrella und Peter Cornelius’ Barbier von Bagdad (1858) eher einen bescheidenen Anteil aus, der gleichwohl umso intensiver wahrgenommen wurde. Während Wagner und Cornelius von ihm als die Vertreter des Neuen Weimar betrachtet wurden, handelte es sich bei Schubert eher um die ‚Ausgrabung‘ einer Oper des von ihm verehrten Liedkomponisten. Der leitende Aspekt für die innovativen Tendenzen in der Oper war für Liszt, wie er in seinen Essays klarstellte, der seit Gluck eingeführte deklamatorische Stil und Wagners Idee des Dramas, das für Liszt vor allem auf eine ideale Synthese von Dichtung und Musik zielte. Nicht ganz in dieses Bild passt die Tatsache, dass Liszt in Weimar 1850 auch Ein Abenteuer Carl des Zweiten des Wiener Komponisten Vesque von Püttlingen und 1852 auch dessen komische Oper Der lustige Rath zur Uraufführung brachte.12 11

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Franz Liszt: Sämtliche Schriften, hg. von Detlef Altenburg, Bd. 5: Dramaturgische Blätter, hg. von Dorothea Redepenning/Britta Schilling, Wiesbaden 1989, S. 5, Z. 2-4, 41-42 und S. 6, Z. 1-3 (Weber’s Euryanthe). Die Partitur zu der Oper Der lustige Rath wurde von Liszt sogar eigenhändig mit Korrekturen und Änderungsvorschlägen zur Instrumentation versehen. Die Partitur

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Detlef Altenburg

III Liszts Überlegungen zu einer von einem hohen kulturpolitischen Ethos getragenen Spielplanpolitik vermochten indes nichts daran zu ändern, dass das Opernrepertoire wegen der erforderlichen Einnahmen in der Tendenz ebenso bunt zusammengewürfelt war wie in der Ära Goethe und unter der Ägide Johann Nepomuk Hummels und seines Nachfolgers André Hippolyte Chélard. Neben Stücken, die den hehren Idealen des Theaters als „moralische Anstalt“ entsprachen, stand das gesamte Arsenal der zeitgenössischen Tagesproduktion auf dem Spielplan wie zu Goethes Zeit auch. Allerdings hatte Liszt diese Aufführungen nicht selbst zu leiten, sie fielen vielmehr in das Ressort von Hofkapellmeister Chélard, der die fest etatisierte Planstelle innehatte, und später in die Zuständigkeit des Musikdirektors Johann Nikolaus Conrad Götze.13 Nachdem Liszt in den ersten Jahren zunächst als „Hofkapellmeister in außerordentlichem Dienst“ neben Chélard wirkte, wurde ihm nach dessen Suspendierung am 17. April 1851 – wenngleich ohne Vertragsänderung – die alleinige Direktion übertragen.14 Insbesondere die Leitung der Hofkapelle führte ab 1848 zu einer entscheidenden Verlagerung des Schwerpunktes seiner Tätigkeit, und zwar sowohl im Hinblick auf sein Wirken als Interpret als auch hinsichtlich seines Schaffens als Komponist. Liszts künstlerische Entwicklung hatte bis dahin das Klavier bestimmt. Nur gelegentlich war er vor seiner Ernennung in Weimar auch als Dirigent hervorgetreten. Ab 1844 hatten sich seine Auftritte als Dirigent gemehrt. Mit den zentralen Gattungen der Instrumentalmusik seiner Zeit hatte Liszt sich schon während seiner Virtuosenjahre eingehend auseinandergesetzt. Das Klavierkonzert war ihm gleichermaßen aus der Sicht des Solisten wie des Komponisten vertraut. Mit der großen symphonischen Tradition der Wiener Klassik, insbesondere mit Beethovens Symphonien und mit deren Rezeption durch Berlioz in seiner Symphonie fantastique, hatte er sich intensiv beschäftigt, indem er sie für das Klavier bearbeitete. Die Adaption für das Klavier war die für seinen kompositorischen Werdegang charakteristische Form der satztechnischen bzw. stilistischen Aneignung. In Weimar nun boten ihm die Konzerte im Hoftheater und im Stadthaus sowie die Hofkonzerte im Schloss die Möglichkeit, diese Werke in der originalen Orchesterfassung aufzuführen. Unter seiner Leitung und unter Leitung seiner Gastdirigenten – wie Hector Berlioz und Hans Bronsart von Schellendorf – fand die Weimarer Hofkapelle, die in ihrer Geschichte schon einmal als eine Art Vorposten der Wiener Klassik gewirkt

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befindet sich im Thüringischen Landesmusikarchiv, die Korrekturbögen in der Bibliotheca Albertina: Universitätsbibliothek Leipzig, Sondersammlungen (N.I.10329). Vgl. Wolfram Huschke: Franz Liszt. Wirken und Wirkungen in Weimar, Weimar 2010, S. 77. Ebd.

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hatte,15 erneut Anschluss an das internationale Repertoire und wurde zum Hüter der „Meisterwerke der Vergangenheit“ wie zum Inbegriff der musikalischen Avantgarde. Sein Weimarer Wirken ließ trotz der von ihm wiederholt angemahnten Unterbesetzung und Defizite die Weimarer Hofkapelle zu einem Symphonieorchester von Rang werden, das gleichermaßen dem ‚Übervater‘ der Symphonik des 19. Jahrhunderts, Ludwig van Beethoven, den etablierten Zeitgenossen und der musikalischen Avantgarde verpflichtet war. Vor allem aber ermöglichte ihm das Orchester, seine eigenen symphonischen und chorsymphonischen Werke, die hier planmäßig entstanden, vor der Drucklegung im Konzertsaal zu erproben. Sein neues Kunstideal der Symphonischen Dichtung, das ihm als eine Synthese von Ideen der Weltliteratur und Musik vorschwebte und das er in den symphonisch-dramatischen Werken von Hector Berlioz nur im Ansatz verwirklicht sah,16 wäre ohne Liszts ‚Laboratorium‘ der Weimarer Hofkapelle vielleicht bloße Theorie geblieben. Allerdings unterscheidet sich Liszts Tätigkeit als Hofkapellmeister in Weimar von der Hummels ganz grundlegend. Liszt war zwar für neu in den Spielplan der Oper aufzunehmende Werke eine, wenn nicht die maßgebliche Instanz, aber er war nicht für das Tagesgeschäft der Oper zuständig. Dies war Aufgabe der beiden Musikdirektoren Carl Eberwein (bis 1852) und Johann Nikolaus Conrad Götze sowie bis April 1851 von Hofkapellmeister André Hippolyte Chélard.17 Liszt konzentrierte seine Auftritte in der Oper und den Hoftheaterkonzerten auf repräsentative Anlässe wie die Geburtstage und Dichterjubiläen. Darüber hinaus war Liszt vor allem für die Hofkonzerte zuständig, die aber quellenmäßig außerordentlich schlecht dokumentiert sind. Im Rahmen der Hofkonzerte wurden beispielsweise so gewichtige Werke wie Ce qu’on entend sur la montagne 1. (UA 2/1850) und. 2. Fassung (UA 1853), Festklänge 2. Aufführung (21. Mai 1855), Der Tanz in der Dorfschenke (UA 8. März 1861) und das 2. Klavierkonzert (UA 17. Februar 1855) aufgeführt. Inwieweit auch seine verstärkte Zuwendung zur Gattung Lied mit dem Bedarf der Hofkonzerte zusammenhängt, wäre zu untersuchen. Die Feiern anlässlich der großen Dichterjubiläen, kurz die Anfänge der Weimarer Memorialkultur, boten Liszt ein weit über das deutsche Sprachgebiet hinaus wirkendes Forum, um das von ihm proklamierte neue Weimarer Kunstideal öffentlich vorzustellen. 1849 führte er zu Goethes 100. Geburtstag u.a. Teile aus Schumanns Szenen aus Goethes Faust auf – und damit ein Werk jenes Komponisten, dessen Musikdenken er sich mit Recht sehr nahe fühlte und das ihn in seiner Idee einer Synthese der Künste bestärkte. 1850, anlässlich der Feiern zur Enthüllung des Herder-Denkmals und der geplanten Gründung der 15

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Vgl. Cornelia Brockmann: Instrumentalmusik in Weimar um 1800. Aufführungspraxis – Repertoire – Eigenkompositionen (Musik und Theater 7), Sinzig 2009, S. 154–162. Allerdings entsprach die enge Orientierung an Elementen der äußeren Handlung nicht seiner eigenen, auf die ‚Erzählung innerer Vorgänge‘ ausgerichteten Konzeption. Vgl. Huschke: Franz Liszt. Wirken und Wirkungen, s. Anm. 13, S. 71–87.

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Goethe-Stiftung, leitete er die Uraufführung von Wagners Lohengrin. In den folgenden Jahren, 1851 bis 1856, kam neben Berlioz’ Haroldsymphonie, der Symphonie fantastique, Roméo et Juliette und dem Oratorium L’Enfance du Christ sowie der Oper Benvenuto Cellini auch dessen von Goethes Faust inspirierte Symphonie mit Chören La Damnation de Faust zur Aufführung, die mit Höllenfahrt und Pandämonium das Weimarer Publikum überzeugt haben dürfte, dass der Untergang der Musik endgültig nahe ist. Und 1857 präsentierte er schließlich in den Festkonzerten zur Enthüllung des Goethe- und Schiller-Denkmals der Öffentlichkeit erstmals seine eigene Symphonische Dichtung Die Ideale und seine Faust-Symphonie und damit die Schlusssteine seines in Weimar entstandenen symphonischen Œuvres.18 Mit seiner Wagner-Woche (1853) und den Berlioz-Wochen (1852, 1855, 1856) hatte Liszt inzwischen eine ganz eigene neue Festkultur entwickelt.

IV In Weimar entfaltete Liszt als Komponist eine schier unvorstellbare Produktivität. Mit großem Elan nahm er die Arbeit an seinen beiden Klavierkonzerten sowie am Totentanz wieder auf und arbeitete eine definitive Fassung aus. Nach verschiedenen experimentellen Kompositionen auf dem Weg zu einer neuen Synthese von Dichtung und Musik, unter denen die Chöre zu Herders Entfesseltem Prometheus die interessantesten sind, konzentrierte er sich auf die Konzeption der Symphonischen Dichtung und der Programmsymphonie. Hier in Weimar entstanden nahezu alle symphonischen Hauptwerke, insbesondere nicht weniger als zwölf Symphonische Dichtungen und zwei große Symphonien, Eine Faust-Symphonie in drei Charakterbildern (nach Goethe) und Eine Symphonie zu Dantes Divina commedia. Liszt griff in diesen Werken ein breites Spektrum der Themen der europäischen Literatur auf und verlieh ihnen seine spezifisch musikalische Interpretation in den Kategorien der Symphonik. Wie sein persönliches Credo als Weimarer Hofkapellmeister mutet seine Kantate An die Künstler an, deren Textauswahl er an Mendelssohn Bartholdys gleichnamigem Werk orientierte:19 „Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben.“ Die große Form und das repräsentative symphonische Werk, die wir heute vor allem mit Liszts Weimarer Plänen verbinden, sind indes nur ein Teilmoment des kompositorischen Schaffens seiner Weimarer Jahre. Auch weite Teile seines Klavierwerks wurden einer tiefgreifenden Revision unterzogen und um zahlreiche neue Kompositionen ergänzt. Auf seine früheren Klavierkompositionen 18

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Nach Serge Gut: Franz Liszt, Sinzig 2009, S. 755, wurde Die Ideale eher kühl aufgenommen, während die Faust-Symphonie derartige Beifallsstürme auslöste, dass das gesamte Werk wiederholt wurde. Vgl. Gerhard J. Winkler: Liszts An die Künstler, in: Liszt und die Weimarer Klassik (Weimarer Liszt-Studien 1), hg. von Detlef Altenburg, Laaber 1997, S. 83–84.

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zurückgreifend, ordnete er die großen Klaviermusikzyklen, arbeitete die Mehrzahl der Stücke um und gab sie neu heraus. Dies gilt für die Zwölf Etüden (1827/ 1839/1852), die Harmonies poétiques et religieuses (1836/–/1853), die Ungarischen Rhapsodien (1840–1847/1851–1853), die Années de pèlerinage (1840/ 1846/1858/1861) und die Consolations (1844–1850/1849–1850). Außerdem schuf er eine große Zahl neuer Werke, darunter so bedeutende Kompositionen wie die h-Moll-Sonate (1852–1853), die Orgelwerke Fantasie und Fuge über den Choral »Ad nos ad salutarem undam« (1850) und Praeludium und Fuge über den Namen B-A-C-H (1855–56). Und nicht zuletzt entstand eine ganze Reihe von Fantasien über die aktuelle Opernproduktion seiner Zeit. Das Bestreben, seine Werke der Virtuosenjahre einer grundlegenden Revision zu unterziehen, betrifft indes nicht nur das Klavierwerk, sondern auch, wie schon Dorothea Redepenning 1984 nachwies,20 sein Liedschaffen. Der Symbolort der deutschen Dichtung war für Liszt Anlass, weite Teile seines Liedschaffens zu revidieren. Von nicht weniger als 28 Liedern entstanden revidierte Fassungen. Hinzu kommen 18 Lieder, die erst in Weimar komponiert wurden. Auch die Gattung, die traditionell Inbegriff für die Idee einer Synthese von Dichtung und Musik ist, das Lied, ist für ihn keineswegs obsolet geworden, sondern ist in seinem Weimarer Œuvre in einem erstaunlichen Ausmaß präsent.

V Wie hängt, diese Frage drängt sich auf, dieses disparate Wirken und Schaffen mit den eingangs zitierten „leitenden Ideen“ der von Liszt geplanten Goethe-Stiftung zusammen? Tatsächlich sind Liszts kunsttheoretische Schriften insgesamt, und vor allem die Schrift De la Fondation-Goethe à Weimar, der Schlüssel zu den geschichtsphilosophischen Prämissen und zum ästhetischen Anspruch seines Weimarer Schaffens. Was Liszts Weimarer Wirken bis 1861 in einem hohen Maße motivierte und bis heute die Faszination seiner künstlerischen Pläne ausmacht, ist das Projekt einer Goethe-Stiftung in Weimar. Dies Projekt sollte ihn bis in die letzten Jahre seines Lebens immer wieder beschäftigen, wurde aber nie verwirklicht. Es knüpfte an den Aufruf von führenden Berliner Gelehrten und Künstlern vom 5. Juli 1849 an, die im Zusammenhang mit den Feiern aus Anlass von Goethes 100. Geburtstag die Gründung einer Stiftung angeregt hatten: „Göthe’s Andenken ist es werth, der Träger eines bleibenden gemeinsamen Wirkens aller Edelen Deutschlands zu sein. Möge die bevorstehende Feier dazu Anlaß bieten und eine Stiftung hervorrufen, die in seinem Geiste deutsches Kunstleben und den Einfluß desselben auf die Versittlichung des Volkes stärke 20

Dorothea Redepenning: Das Spätwerk Franz Liszts: Bearbeitungen eigener Kompositionen (Hamburger Beiträge zur Musikwissenschaft 27), Hamburg 1984, S. 70-104, insbes. S. 70–81.

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und mehre.“21 Unter dem Eindruck des Scheiterns der Frankfurter Nationalversammlung und der Mai-Revolution hatten unter anderen Friedrich Adolph Diesterweg, Alexander von Humboldt, Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling und Karl August Varnhagen von Ense zur Gründung einer Goethe-Stiftung aufgerufen, die auf dem Gebiet der Kunst symbolisch jene nationale Einheit verwirklichen sollte, die dem Parlament der Paulskirche auf der Ebene der Politik versagt geblieben war: Nach dem Scheitern der Politik richteten sich die Hoffnungen der Intellektuellen auf die Kunst als integratives Element der kulturellen Identität aller deutschen Staaten. Eine eigene Konzeption hatten die Unterzeichner des Berliner Aufrufs nicht vorgelegt, vielmehr forderten sie zur Einsendung entsprechender Vorschläge auf. Die in der Berliner „Aufforderung“ beschworene versittlichende Wirkung der Kunst hatte Liszt schon 1835 in seiner Schrift De la situation des artistes, et de leur condition dans la société beschäftigt, ja die Überzeugung von der „puissance civilisatrice de l’art“ – der zivilisatorischen Macht der Kunst – war hier bereits eine der tragenden Prämissen seines eigenen Konzeptes für eine Reform des Musiklebens in Frankreich gewesen.22 Entsprechend nahm Liszt den Berliner Aufruf jetzt zum Anlass, seine Idee eines Neuen Weimar zu konkretisieren und einen eigenen Plan vorzulegen. Nach dem Ende der Weimarer Jubiläumsfeier zu Goethes 100. Geburtstag reiste Liszt 1849 mit seiner Lebensgefährtin, der Fürstin Carolyne von SaynWittgenstein, und deren Tochter nach Helgoland, wo Dingelstedt mit einer bunten Schar von Intellektuellen die dortige Goethefeier organisiert hatte. Außer Dingelstedt trafen sie hier auf den auf der Flucht befindlichen Julius Fröbel, den ebenfalls flüchtigen Conrad von Rappard sowie auf Friedrich Zabel, den Hauptredakteur der National-Zeitung, ferner auf Fanny Lewald, Adolf Stahr, den dänischen Maler Ernst Meyer und auf Rudolf Lehmann. Bereits am 18. September 1849 legte Liszt – begeistert von der Idee, die seinen von saint-simonistischem Gedankengut beeinflussten Vorstellungen von der gesellschaftlichen Aufgabe der Kunst entsprach – einen eigenen, noch skizzenhaften Vorschlag vor. Diesen sandte er an Carl Alexander, der ihn seiner Mutter, Großfürstin Maria Pawlowna, und Staatsminister Christian Bernhard von Watzdorf vorlegte und sich in den folgenden Monaten für das Projekt sehr engagiert einsetzte. Der im Original französisch abgefasste Text wurde für die weiteren Schritte mehrfach kopiert und ins Deutsche übersetzt. Um die Gründung der Stiftung vorzubereiten, berief man ein entsprechendes Komitee, dem auch Liszt angehörte. In Berlin wie in Weimar wurde nun unabhängig voneinander über die eingegangenen Vorschläge beraten, bis nach zeitweise mühseliger Korrespondenz zwischen Weimar und Berlin auf 21

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Franz Liszt: Sämtliche Schriften, hg. von Detlef Altenburg, Bd. 3: Die GoetheStiftung, hg. von Detlef Altenburg/Britta Schilling-Wang, Wiesbaden u.a. 1997, S. 188. Franz Liszt: Sämtliche Schriften, hg. von Detlef Altenburg, Bd. 1: Frühe Schriften (De la situation des artistes), hg. von Rainer Kleinertz, Wiesbaden u.a. 2000, S. 28.

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Drängen Carl Alexanders Liszts Plan angenommen wurde. Liszt arbeitete unterdessen Anfang 1850 einen umfassenden Stiftungsplan aus, der offenbar den Beratungen der Gründungsversammlung zugrunde liegen sollte. Diese sollte zu Goethes 101. Geburtstag am 28. August 1850 einberufen werden. Nicht genug damit, dass der Weimarer Festkalender dem Projekt größtmögliche Wahrnehmung im deutschen Sprachgebiet verhieß, die politische Entwicklung schien Liszts Vision zudem unverhofft in die Hände zu spielen und sie zu einem Stück realistischer Kulturpolitik werden zu lassen. So war für den 8. März 1850 die erste Sitzung des Erfurter Unionsparlaments angesetzt, mit dem Preußen nach dem Scheitern der Frankfurter Nationalversammlung noch eine kleindeutsche Lösung herbeiführen wollte. Der Traum von einer Union unter preußischer Führung mit dem politischen Zentrum Erfurt und dem kulturellen Zentrum Weimar gab Liszts Idee einer Nationalstiftung der Kunst plötzlich einen völlig neuen und ungemein aktuellen Sinn. Liszt nutzte die Zeit zu Kontakten mit zahlreichen Deputierten des Erfurter Parlaments, die auch nach Weimar anreisten und von Maria Pawlowna zu einer Aufführung von Wagners Tannhäuser eingeladen wurden. Es waren offenkundig bewegte Zeiten, wenn es möglich war, den angereisten Parlamentariern „auf Höchsten Befehl“ in Weimar das Werk eines steckbrieflich gesuchten Künstlers vorzuführen.23 Die Bemühungen um eine Union unter preußischer Führung waren indes durch den massiven Einspruch Österreichs zum Scheitern verurteilt. Das Erfurter Parlament stellte am 29. April 1850 seine Sitzungen ein. Und in den Folgemonaten erhöhte Österreich derart den Druck, dass mit dem Misserfolg der Union letztlich auch Liszts Traum einer Goethe-Stiftung in Weimar jegliche politische Grundlage entzogen wurde. Damit nicht genug: Staatsminister von Watzdorf wandte sich am 12. Juni 1850 an seinen für die Kultur und Justiz zuständigen Kollegen Oskar von Wydenbrugk und warnte ihn nachdrücklich vor den finanziellen Risiken. Tatsächlich überstieg Liszts Konzept alle Vorstellungen, die man in Weimar nach dem Tode Goethes bis dahin der Kulturförderung gewidmet hatte. In den bisherigen Überlegungen war man von einem Finanzrahmen von 500 Reichstalern ausgegangen. Liszts Projekt sah einen Stiftungsfonds von 60.000 bzw. 100.000 Reichstalern vor. Die Summe sollte zwar durch einen Stiftungsaufruf eingeworben werden, aber der Hof hätte die Spenden mit einem namhaften Betrag eröffnen und im Fall der Fälle die noch fehlenden Mittel aus eigener Kraft aufbringen müssen. Waren schon die finanziellen Risiken beträchtlich, so waren die politischen Risiken unübersehbar und wahrscheinlich der entscheidende Grund, von dem Projekt abzurücken und den Weimarer Hof zur Zurückhaltung zu verpflichten. 23

Vgl. Liszt: Sämtliche Schriften, s. Anm. 21, Bd. 3, S. 212. Vgl. auch den kurzen Bericht der Weimarer Zeitung vom 22. April 1850, der wichtige Gäste dieser Aufführung namentlich erwähnt, in: Helmut Kirchmeyer: Situationsgeschichte der Musikkritik und des musikalischen Pressewesens in Deutschland, 4. Teil: Das zeitgenössische Wagner-Bild, Bd. 3: Dokumente 1846–1850, Regensburg 1968, S. 624f.

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Der Hof befand sich wegen seiner dynastischen Bindungen in der Tat in einer heiklen Lage. Er stand aufgrund der gleichzeitigen Bindung an Preußen (Carl Friedrichs Töchter Marie und Augusta waren mit den preußischen Prinzen Karl und Wilhelm verheiratet) und an den Hof des Zaren Nikolai (Maria Pawlowna war dessen Schwester), der wie Österreich die Unionspläne entschieden ablehnte, zwischen den Parteien. Trotz dieser komplizierten Situation und gegen alle nachdrücklichen Warnungen seines Ministers von Watzdorf sagte Großherzog Carl Friedrich noch am 3. Juli 1850 dem Berliner Komitee seine Unterstützung zu. Da mittlerweile die Musikfeste in den Diskussionen in den Hintergrund getreten waren, von denen sich Carl Alexander und Liszt Rückenwind für ihre Stiftungsidee erhofft hatten, suchten sie durch eine geschickt lancierte Publizistik aus dem Ausland Unterstützung zu gewinnen. So sprachen sie etwa in Paris Blaze de Bury an, der einst als Diplomat in Weimar gewirkt hatte. Der kannte die Weimarer Situation allerdings nur zu gut und sagte höflich ab. Nur einige amerikanische Zeitungen berichteten über die geplante Stiftung. Ende August kamen diese Meldungen indes schon zur Unzeit, da die Pläne einer Union unter Führung Preußens zu gravierenden Spannungen zwischen Österreich und Preußen geführt hatten.24 Ihr Ziel, die Gründung der Goethe-Stiftung, erreichten Liszt und Carl Alexander nicht. Die für den 28. August 1850 anberaumten Verhandlungen der beiden Komitees (Berlin und Weimar) fanden in aller Stille statt, und die feierliche Inauguration unterblieb, auch wenn ein höchst bescheidenes Teilergebnis die Entscheidung war, die für die Bildhauerkunst geplante Preisverleihung am 28. August 1851 durchzuführen. Preisträger des Wettbewerbs für den besten Entwurf des geplanten Goethe-Schiller-Denkmals war Christian Daniel Rauch. Realisiert wurde es schließlich 1857 in deutlich modifizierter Form von dessen Schüler Ernst Rietschel. Liszt gab das umfassende Projekt einer Goethe-Stiftung nach dem Scheitern der Erfurter Union keineswegs auf. Er arbeitete sein Exposé samt einer ausführlichen Geschichte des Hauses Sachsen-Weimar-Eisenach aus und bereitete die Publikation bei Brockhaus in Leipzig vor. Nachdem er wegen der politischen Konflikte um die preußischen Unionspläne die Veröffentlichung im Herbst 1850 für einige Monate zurückgestellt hatte, erschien die Schrift am 16. Februar 1851 – zum Geburtstag Maria Pawlownas – in französischer Sprache unter dem Titel De la Fondation-Goethe à Weimar und entfachte in der Presse eine breite Diskussion. Liszt verteilte eine große Zahl der Exemplare an einflussreiche Politiker und Publizisten, darunter auch an den eingangs zitierten Edouard Fétis.

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Zum Kontext vgl. den Kommentar in: Liszt: Sämtliche Schriften, s. Anm.21, Bd. 3, S. 204–218.

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VI Liszts Konzeption einer Goethe-Stiftung hat bis heute ihre Aktualität nicht verloren. Die Erkenntnis, dass das Erbe einer großen Tradition die Gefahr birgt, in musealer Verwaltung, reiner Traditionspflege oder als Hort des Epigonentums zu erstarren, bildete den Ausgangspunkt für seine Stiftungsidee. Sein Ziel war es, mit der Goethe-Stiftung Weimar den Rang eines Zentrums der zeitgenössischen Kunst dauerhaft zu sichern. Sein Entwurf zeichnete sich dadurch aus, dass er von einem universalen Kunstbegriff ausging: Im Gegensatz zu allen konkurrierenden Entwürfen umfasste Liszts Plan alle Zweige der Kunst. Mit der Idee der Ausschreibung von Wettbewerben knüpfte er teils an das Vorbild des Prix de Rome, teils an Goethes eigene Idee der Kulturförderung durch Preisaufgaben an.25 Im jährlichen Turnus wechselnd, sollte nach seinem Vorschlag in einer Art ‚Olympiade der Künste‘ jeweils die Literatur, Malerei, Skulptur oder Musik im Zentrum großer Kunstwettbewerbe stehen. Die preisgekrönten Werke der bildenden Künste sollten in das Eigentum eines Museums übergehen, das sich im Laufe der Jahrzehnte auf diese Weise zu einer Nationalgalerie der Gegenwartskunst entwickeln würde. Das dafür erforderliche Gebäude, das 1863–1868 von dem tschechischen Architekten Josef Zítek errichtete heutige Neue Museum, gehört übrigens wie das Goethe-Schiller-Denkmal zu den wenigen verwirklichten Teilen des Goethe-Stiftungsprojektes. Preisgekrönte literarische und musikalische Werke sollten durch die Goethe-Stiftung im Druck veröffentlicht werden. Ein eigenes Publikationsorgan sollte mit der Erörterung wissenschaftlicher und kunsttheoretischer Fragen in ähnlicher Weise den kunsttheoretischen Diskurs befördern wie zu Goethes und Schillers Zeiten deren Zeitschriften Die Horen und die Propyläen. Im Fache der Musik war geplant, den Kompositionswettbewerb jeweils mit einem großen Musikfest zu verbinden, wobei Liszt bereits bei der ersten Ankündigung dieses Konzept mit dem Namen Richard Wagners verknüpfte: Lange Zeit hoffte Liszt, Wagners Festspiele, in deren Rahmen die Uraufführung des Rings stattfinden sollte, in seine eigene Gesamtplanung integrieren zu können. Liszts Plan einer Goethe-Stiftung zielte auf nichts Geringeres als auf eine Nationalstiftung der Künste in Weimar, der er im Blick auf die ungelöste deutsche Frage eine unmittelbare kulturpolitische Funktion zugedacht hatte. Mit ihren jährlichen Kunstfesten war sie als identitätsstiftende Instanz einer gemeinsamen Tradition aller Staaten des Deutschen Bundes und zugleich als ein Forum avantgardistischer Kunst konzipiert. Die politischen Turbulenzen, die aus dem handstreichartigen Versuch einer kleindeutschen Lösung in Erfurt resultierten und Ende 1850 fast zu einer militärischen Auseinandersetzung zwischen Österreich und Preußen führten, ließen nicht nur Preußens Version der Lösung der 25

Vgl. Johann Wolfgang von Goethe: Sämtliche Werke. Münchner Ausgabe, München/ Wien 1989, Bd. 6,2, S. 411–545 und Kommentar S. 1082–1127.

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deutschen Frage, sondern auch Liszts Goethe-Stiftungsprojekt scheitern.26 Da das Projekt sich früh mit dem Namen Richard Wagners verband, hatte es nach dessen Beteiligung an der Revolution in Dresden eine zusätzliche Brisanz gewonnen, die auch in den Folgejahren eine Realisierung politisch nicht durchsetzen ließ. Liszt gedachte mit der Goethe-Stiftung, die auf dem Erbe der Weimarer und der Wiener Klassik aufbauen sollte, aller avantgardistischen Kunst in Weimar eine dauerhafte Heimstätte zu schaffen. Damit war Liszt seiner Zeit weit voraus. Er antizipierte nichts Geringeres als Ideen, wie sie im 20. Jahrhundert u.a. mit dem Büchner-Preis, der documenta und dem Schleswig-Holstein Musikfestival verwirklicht wurden, nur dass er diese Großereignisse der Kultur an einem einzigen Ort konzentrieren wollte. Angesichts der politischen und kulturpolitischen Hindernisse ließ sich schließlich im Jahr 1861 mit der Gründung des Allgemeinen Deutschen Musikvereins, in dessen Konzeption sich die Interessen von Franz Brendel, dem Redakteur der Neuen Zeitschrift für Musik, und Liszt trafen, in deutlich reduzierter Form nach dem Goethe-Schiller-Denkmal nur ein Teilaspekt des Gesamtkonzeptes realisieren. Für die Musik sollte dieser Verein in einem hohen Maße die Aufgabe erfüllen, die Liszt für alle Gebiete der Kunst der Goethe-Stiftung zugedacht hatte. Die vom Allgemeinen Deutschen Musikverein veranstalteten Tonkünstlerfeste entwickelten sich in den kommenden Jahrzehnten in der Tat zu einem bedeutenden überregionalen Forum für zeitgenössische Musik in Deutschland, dessen Idee nach mehr als sieben Jahrzehnten schließlich durch ihre Umfunktionierung der Nationalsozialisten zu Reichsmusiktagen pervertiert wurde.

VII Liszts Weimarer Schaffen steht in einem unlösbaren Zusammenhang mit dem hier skizzierten Projekt der Goethe-Stiftung. Das Kunstideal des Neuen Weimar war orientiert an der Idee einer Synthese der Künste. Aus seiner Perspektive verwirklichte sich diese Synthese im Bereich des Musiktheaters in Wagners Konzeption des musikalischen Dramas, dessen Prototypen für ihn dessen Tannhäuser und der Lohengrin waren. Im Bereich der chorsymphonischen Musik sah er das neue Kunstideal in Werken wie Schumanns Szenen aus Goethes Faust verwirklicht. Diesem Ideal einer Synthese der Künste war vor allem aber sein nahezu gesamtes Weimarer Schaffen verpflichtet, auch wenn die Vorstufen vieler dieser Werke – wie beispielsweise der Klaviermusikzyklen – deutlich weiter zurück26

Zur Entstehung sowie zur Aufnahme und Wirkung der Schrift De la FondationGoethe à Weimar vgl. Liszt: Sämtliche Schriften, s. Anm. 21, Bd. 3, S. 193ff. und 257ff.

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reichen. Mit seiner poetischen Klaviermusik, mit seinen Symphonischen Dichtungen und Symphonien erhob Liszt den Anspruch, an die Werke der Weltliteratur und der Malerei anzuknüpfen. Hier entwickelte er eine Musiksprache, die nicht naive Illustration zu literarischen Werken ist, sondern sich an der Idee orientiert, mit den Mitteln der Musik eigene Interpretationen der von der Literatur thematisierten aktuellen Themen seiner Zeit zu sein: In den symphonischen Werken geht es um die Funktion des Künstlers in der Gesellschaft (Ce qu’on entend sur la montagne), die Macht der Musik (Orpheus), die Ideale des Menschen (Die Ideale) oder um metaphysische Grenzerfahrungen wie in seiner Faust-Symphonie sowie um den Sinn des Lebens. In seiner Klaviermusik erstehen vor der Imagination des Zuhörers die Schlüsselszenen eines verdischen Rigoletto, in seinen Ungarischen Rhapsodien erzählt er gleichsam von den leidvollen Geschicken und der vitalen Lebensfreude des ungarischen Volkes, in seiner Dante-Sonate führt er den Zuhörer in jene christliche Ideenwelt, um die es Dante in seiner Divina commedia geht. In Liszts Kompositionen gewinnen diese Sujets durch Konzentration und Sublimierung der Handlung ganz eigenständige Deutungen in Dimensionen, wie sie nur die Musik zu vermitteln vermag. Hier aber lag auch das heute kaum noch abzuschätzende Provokationspotenzial von Liszts Idee eines Neuen Weimar. Gerade in einer Zeit, in der Goethe zum Symbol für die Einheit der deutschen Staaten avancierte, usurpierte Liszt dessen Idee der Weltliteratur und beanspruchte für seine Musik, im Kunstideal des Neuen Weimar sei das Erbe der Literatur aufgehoben. Aus einem Schreiben an Maria Pawlowna vom 14. Januar 1852 muss man schließen, dass die durch ihn vollzogene Verlagerung des Schwerpunktes vom Sprechtheater auf das Musiktheater in Weimar auf Kritik stieß. In seinem Brief fragte er unverhohlen, wo die großen Dramen seien, die das Erbe Goethes würdig antreten könnten und die jene Qualität aufweisen, die der musikalische Spielplan durchaus gewährleiste.27 Und wenn dann der Jenaer Literaturwissenschaftler Hermann Hettner gar erklärte, dass die große Ära des deutschen Dramas nun abgelöst werde von einer Ära des Wagnerschen Musiktheaters,28 so war der Weg geebnet zu einer geschichtsmythologischen Legitimation seiner großen Idee eines Neuen Weimar. Die entscheidende Qualität des Kunstideals des Neuen Weimar sah Liszt in einer durchaus neuartigen Symbiose von großer Literatur und Musik. Eine Verbindung zwischen Literatur und Musik habe es schon immer gegeben, die neue Qualität bestand für ihn in der Intensivierung dieser Verbindung, in der Vereinigung beider Künste,29 in neuen Kunstkonzepten wie Wagners musikalischem Drama sowie in seiner eigenen poetischen Klaviermusik, der Symphonischen Dichtung sowie der Programmsymphonie. Die neuen Gattungsbezeichnungen 27

28 29

La Mara (Hg.): Briefwechsel zwischen Franz Liszt und Carl Alexander, Großherzog von Sachsen, s. Anm. 4, S. 38. Liszt: Sämtliche Schriften, s. Anm. 8, Bd. 4, Kommentar S. 252–253. Vgl. Franz Liszt: Berlioz und seine Haroldsymphonie, in: NZfM 43 (1855), S. 77.

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verweisen darauf, dass die Musik ähnlich wie bei Mendelssohns Liedern ohne Worte selbst zur Dichtung bzw. in der Programmsymphonie zur musikalischen Epopöe wurde. Liszts berühmtes Diktum „Die Musik nimmt in ihren Meisterwerken mehr und mehr die Meisterwerke der Literatur in sich auf“30 brachte seine große Idee des Neuen Weimar auf eine griffige Formel. Mit seiner poetischen Klaviermusik und seiner Programmmusik appellierte er an den Bildungskanon des europäischen Bürgertums seiner Zeit, der gerade im Zeichen von Goethes Idee der Weltliteratur von nationaler Verengung weit entfernt war. Mit dieser Bildungseuphorie und dieser supranationalen Dimension von Liszts ‚Weltliteratur in Tönen‘ erklärt sich auch, dass im Zeichen einer Gesellschaft, die eher Asterix als Faust zum Inbegriff von Bildung stilisiert und Dichtung als elitäres Gedankenspiel missversteht, die Voraussetzungen für den Assoziationshorizont der europäischen Literatur und Malerei in einem hohen Maße verloren gegangen sind, auf dem Liszts Musik aufbaut. So faszinierend Liszts Musik zweifellos auch ohne diese Dimension wirken kann, ist ihr damit doch ein wesentliches Element entzogen. Das Hörbuch der Gegenwart weckt die Hoffnung, dass auf diesem Wege vielleicht auch breitere Publikumsschichten wieder für diesen Assoziationshintergrund sensibilisiert werden, an den weite Bereiche von Liszts Klaviermusik und Symphonik appellieren.

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Ebd.

Mit Goethe gegen die deutsche Nation? Franz Liszt und die Idee einer Goethe-Stiftung Klaus Ries (Jena) Political history as well as the historical development of music in the nineteenth century were characterised by ‘universalism’ and ‘nationalism’ as two categories of thinking. This paper explores the question of how the relationship of these two categories developed within Franz Liszt’s works and thought in reference to Johann Wolfgang Goethe. As will be shown, the emphasis shifted to nationalism as the major nineteenth century movement, away from the universalistic ideas of the Enlightenment that had still been dominant around 1800. Hence, the result was a rather biased reception of Goethe who was being used as an iconic figure of nationalism, which has had a lasting effect on our image of Goethe until today.

Der Titel mag auf den ersten Blick etwas seltsam anmuten: Mit Goethe gegen die deutsche Nation – geht dies überhaupt, gilt Goethe nicht vorrangig als deutscher, als nationaler Dichter, wie überhaupt die „Klassik“, so der allgemeine Tenor der Studien von Dieter Borchmeyer, in erster Linie eine ‚deutsche‘, ja: nationale Angelegenheit war?1 Aber erstens steht ein Fragezeichen hinter dem Titel und zweitens kann man mit Goethe durchaus auch gegen die deutsche Nation sein; denn Goethe gilt nicht nur als nationaler Dichter, sondern auch und vor allem als Weltbürger. Von seinem ganzen Selbstverständnis her war er wohl sogar (wenn man überhaupt eine Prioritätenliste aufmachen möchte) zuerst Weltbürger und dann erst Deutscher; denn – und das ist das eigentlich Entscheidende – beides widersprach sich überhaupt nicht (noch nicht, muss man sagen): Man konnte zur Zeit Goethes, also in der Zeit um 1800, durchaus national und zugleich kosmopolitisch bzw. universalistisch sein.2 Beide Einstellungen schlossen sich nicht nur nicht aus, im Gegenteil: Sie ergänzten sich geradezu kongenial! Das war das Erbe der Aufklärung und zugleich das Programm der Klassik und der Romantik, das noch sehr weit ins 19. Jahrhundert nachwirkte. Die ältere Forschung hat hier 1 2

Vgl. Dieter Borchmeyer: Weimarer Klassik. Porträt einer Epoche, Weinheim 1998. Es wird hier, weil dies zu weit führen würde, kein Unterschied getroffen zwischen Universalismus und Kosmopolitismus; vgl. dazu Andreas Klinger: Deutsches Weltbürgertum und französische Universalmonarchie. Napoleon und die Krise des deutschen Kosmopolitismus, in: Das Jahr 1806 im europäischen Kontext. Balance, Hegemonie und politische Kulturen, hg. von dems., Köln 2008, S. 205-232; s. zu dem Themenkomplex auf breiter literarischer Basis Andrea Albrecht: Kosmopolitismus. Weltbürgerdiskurse in Literatur, Philosophie und Publizistik um 1800, Berlin 2005.

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allzu holzschnittartig und vereinfacht einen Ablöseprozess vom Kosmopolitismus der Aufklärung zum ‚modernen‘ Nationalismus des 19. Jahrhunderts, der sich bereits in der Zeit der Französischen Revolution und Napoleons vollzogen habe, beschrieben – eine Vorstellung, welche die neuere Forschung in vielfacher Hinsicht revidiert und differenziert hat.3 Die Umbruchszeit um 1800 gilt heute vielmehr als eine Experimentierphase, als eine offene Ausgangslage, in welcher vieles noch unausgegoren nebeneinander existierte und ganz bewusst in dieser Offenheit gehalten wurde.4 Diese Ergebnisoffenheit als Denkprinzip schlug sich auch im Verhältnis der beiden Kategorien Universalismus und Nationalismus nieder: Sie standen allerdings, wie man bei einigen Denkern nachweisen kann, nicht in einem unverbundenen Verhältnis zueinander, sondern waren aufeinander bezogen und es war keineswegs so, dass der Nationalismus bereits das universalistische Denken zu verdrängen begann. So lässt sich beispielsweise bei dem angeblich so großen Nationalpropheten Johann Gottlieb Fichte zeigen, dass seine berühmten vierzehn Reden an die Deutsche Nation, gehalten im Winter 1807/08 im Rundsaal der Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, von ihrer ganzen Anlage her nicht in erster Linie national oder gar nationalistisch ausgerichtet waren, sondern weiterhin das universalgeschichtliche Denken Fichtes, das er bereits in den zuvor als Vorlesung gehaltenen Grundzügen des gegenwärtigen Zeitalters (1804/05) ausgebreitet hatte, im Mittelpunkt stand.5 Man kann es sogar noch etwas genauer fassen: In der Zeit um 1800 war der in Deutschland neu entfachte Nationalismus lediglich ein Mittel zur Erreichung des höheren, wie auch immer gearteten universalistischen Ziels. Universalismus und Nationalismus standen in einem hierarchischen Verhältnis zueinander. Es war immer noch (wie seit der Zeit der Aufklärung) der Universalismus, der das Denken dominierte; der durch die Französische Revolution und die napoleonische Herrschaft ausgelöste Nationalismus diente vorerst lediglich als Katalysator des universalistischen Denkens, das ebenfalls durch die An- und Zumutungen einer französischen Universalherrschaft wiederbelebt und zusätzlich angefacht wurde.6 Auch bei Friedrich Schiller, dem Weggefährten Goethes, 3

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Vgl. dazu mit den entsprechenden Forschungsreferaten die Beiträge in Tim Blanning/Hagen Schulze (Eds.): Unity and Diversity in European Culture c. 1800, Oxford 2006. Siehe dazu auch die weiterführende Rezension von Andreas Klinger in: Sehepunkte 9 (2009), Nr. 4. Dahinter steht die Vorstellung eines „langen 18. Jahrhunderts“ als des Zeitalters der sogenannten „ersten Moderne“; vgl. dazu, weil immer noch keine Synthese vorliegt, das Forschungsprogramm des Jenaer Forschungszentrums „Laboratorium Aufklärung“ auf der Website: fzla.uni-jena.de, Web, letzter Zugriff 01.01.2014. Vgl. dazu Klaus Ries: Johann Gottlieb Fichte zwischen Universalismus und Nationalismus, in: Die Vergangenheit der Weltgeschichte. Universalhistorisches Denken in Berlin 1800-1933, hg. von Wolfgang Hardtwig/Phillip Müller, Göttingen 2010, S. 29-48. Vgl. auch zu Frankreich als universalistisch ausgerichteter politischer Wertgemein-

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zeigte sich diese Konstellation. Sein berühmtes Gedichtfragment Deutsche Größe von 1802, das im späten 19. Jahrhundert eilfertig nationalistisch überhöht wurde,7 war ebenfalls noch ganz und gar durchdrungen vom universalistischen Denken; Schiller propagierte hier, wie die neuere Forschung zeigen konnte, „einen nationalistisch überformten Universalismus“8 oder mit den Worten Conrad Wiedemanns: Wo, wie im geschichtsphilosophischen Modell, Selbstauflösung des Staates und Aufgang des Vernunftsreiches sich gegenseitig bedingen, besteht die paradoxe Möglichkeit, die politisch zerrüttetste Nation [gemeint ist Deutschland, K.R.] zur fortschrittlichsten, ja zum Prototyp der moralischen (oder ästhetischen) Weltrepublik zu erheben.9

Man konnte demnach durchaus mit Goethe, der hier ganz ähnlich wie Schiller dachte (und auch nur als Chiffre für das Programm der Klassik steht), gegen die deutsche Nation sein – je nachdem, wie universalistisch man eingestellt war. Auch in der Musikgeschichte stellen (wenn auch mehr aus kunsttheoretischer Perspektive) die beiden Kategorien „Nationalismus und Universalität“ – darauf hat vor allem Carl Dahlhaus immer wieder aufmerksam gemacht – die wichtigsten Eckpfeiler musikalischen Schaffens im ‚langen‘ 19. Jahrhundert dar. Und Dahlhaus beschreibt bei aller Komplexität dieser – wie er es nennt – „überaus verwickelte[n] Relation“ ein der Literatur und Philosophie um 1800 durchaus entsprechendes hierarchisches Verhältnis, wenn er festhält: Das Verhältnis zwischen der Idee der Universalität, die zur Hinterlassenschaft der Klassik gehörte, und dem nationalen Charakter, mit dem man im 19. Jahrhundert die Musik, besonders die Oper zu durchdringen trachtete, ist niemals als Gegensatz verstanden worden. Universalität sollte durch Nationalität, nicht gegen sie erreicht werden.10

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schaft Christian Jansen/Henning Borggräfe: Nation, Nationalität und Nationalismus, Frankfurt a.M. 2007, S. 118-126. Vgl. Friedrich Meinecke: Weltbürgertum und Nationalstaat. Studien zur Genesis des deutschen Nationalstaates, München/Berlin 51919, S. 58-61, für den es sich „hier um ein keusches Geheimnis unserer nationalen Geschichte handelt“, weil „hier der Gedanke der Nation in Deutschland einen neuen und tieferen Inhalt bekommen“ habe (S. 58f.). Georg Schmidt: Staat, Nation und Universalismus: Weimar-Jena als Zentrum deutscher Identitätssuche im späten Alten Reich, in: Identitäten. Erfahrungen und Fiktionen um 1800, hg. von Gonthier-Louis Fink/Andreas Klinger, Frankfurt a.M. 2004, S. 59. Conrad Wiedemann: Deutsche Klassik und nationale Identität. Eine Revision der Sonderwegs-Frage, in: Klassik im Vergleich. Normativität und Historizität europäischer Klassiken, hg. von Wilhelm Voßkamp, Stuttgart 1993, S. 560. Carl Dahlhaus: Die Musik des 19. Jahrhunderts, Wiesbaden 1980, S. 30.

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Auch im Musikschaffen hatte also die Idee der Universalität oberste Priorität, ihre Erfüllung (eine universale Kunst zu schaffen) prägte das musikalische Schaffen im gesamten 19. Jahrhundert ganz wesentlich. Kaum ein Musiker, so wird man ohne Übertreibung sagen können, verkörperte den Versuch der Verbindung beider Elemente in seinem Schaffen so sehr wie der in Ungarn geborene, von Frankreich beeinflusste und in Deutschland wirkende Pianist und Komponist Franz Liszt, und interessanterweise tat er dies exakt mit Goethe im Rücken. Es stellt sich demnach die Frage, ob das Verhältnis von Universalismus und Nationalismus bei Franz Liszt tatsächlich noch mit demjenigen der GoetheZeit vergleichbar war oder ob sich um die Mitte des 19. Jahrhunderts nicht vielmehr eine Akzentverschiebung erkennen lässt, die den Übergang in die Moderne mit der Dominanz des Nationalen kennzeichnet. Dem will ich im Folgenden nachgehen. Zunächst muss man sagen: Franz Liszt war in den 1840er Jahren tatsächlich mit der Absicht nach Weimar gekommen, um selbstredend das Erbe der Klassik anzutreten, das literarische Erbe Goethes und Schillers auf musikalischem Gebiet aus- und weiterzubilden.11 Weimar diente ihm als Chiffre, Musik und Dichtung zu einer neuartigen Synthese, zum „Poème symphonique“, auszubilden: „Non pas Delendo [korrekt: delenda, K.R.] Carthago, mais Aedificanda Vimaria“ (nicht Karthago zerstören, sondern Weimar bauen), schrieb er 1844 an seine Geliebte Marie dʼAgoult, und weiter: „Weymar était sous le feu Grand Duc Charles Auguste, une nouvelle Athènes, songeons aujourd’hui à construire la nouvelle Weymar.“12 Das „neue Weimar“ bauen, hieß so viel wie ‚klassische Literatur‘ und ‚Musik‘ zu einem neuartigen Kunstideal zu vereinen, einer nicht-sprechenden Kunst wie der Musik eine Sprache zu verleihen, oder die Idee – wie Dahlhaus es nennt – einer „redenden Musik“ zu verwirklichen.13 Durch die bewusste Anlehnung an den Kanon und das Programm der klassischen Literatur übernahm Franz Liszt auch intentional den universalistischen Bildungs- und Erziehungsanspruch der Klassik. Zugleich blieb er jedoch – wie in den Jahren zuvor (z. B. in seiner Pariser Zeit im Gefolge der Julirevolution) – nicht unbeeinflusst von den politischen Ereignissen der Zeit,14 die sich in seiner frühen Weimarer Phase ganz im Banne der Revolution von 1848/49 und deren Doppelziel von ‚staatlicher Einheit und gesellschaftlicher Freiheit‘ befanden. Von daher stand sein Schaffen in Weimar von Anfang an im Spannungsfeld von Universalismus und 11

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Vgl. dazu grundlegend Detlef Altenburg: Franz Liszt und das Erbe der Klassik, in: Liszt und die Weimarer Klassik, hg. von dems., Laaber 1997, S. 9-32. Zit. nach ebd., S. 11. Carl Dahlhaus: Liszts Idee des Symphonischen, in: Referate des 2. europäischen LisztSymposions, München/Salzburg 1981, S. 37. Knapp zum Einfluss des Saint-Simonismus auf Liszt vgl. Klaus Ries: Die Einheit der Kunst. Franz Liszt zwischen Universalismus und Nationalismus, in: Liszt und Europa, hg. von Detlef Altenburg/Harriet Oelers, Laaber 2008, S. 27-42.

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Nationalismus.15 Hier muss man allerdings gleich einschränkend hinzusetzen, dass Weimar für Liszt nicht der Lieblingsort war, an dem er unbedingt immer schon wirken wollte; ihn zog es vielmehr stets nach Wien, ins Zentrum der Musik, das jedoch in der 1848er-Revolution zu sehr zum Zentrum der Unruhen geworden war, sodass er sich gewissermaßen als Notlösung ins ruhige Weimar, „in eine Provinzstadt mit Erinnerungen“, begab.16 Dennoch muss man das Programm, das Liszt in Weimar entfaltete, ernst nehmen und als authentisch ansehen; es soll hier nur vor einer Teleologie oder gar einem ‚Masterplan‘, den es so nie gab, gewarnt werden. In Weimar entstand in der Folge die Idee der Errichtung einer Goethe-Stiftung, die bekanntlich nicht realisiert wurde, über die Franz Liszt jedoch aufgrund seines Konzeptes einer Symphonischen Dichtung so viele schriftliche Quellen hinterlassen hat, dass es möglich ist, seine politischen resp. nationalen und/oder universalistischen Ideen etwas genauer in den Blick zu nehmen. Vor allem sein voluminöses Buch Exposé de la Fondation-Goethe à Weimar, das 1851 auf Französisch erschien und vier Jahre später ins Deutsche übertragen wurde, stellt ein zeitgenössisches Dokument ersten Ranges dar, aus dem sich nicht nur das Verhältnis der beiden Kategorien Universalismus und Nationalismus, sondern auch ihre jeweiligen Implikationen herauslesen lassen. Im Folgenden sollen vor allem diese Schrift und die in ihrem Umfeld entstandenen kleineren Schriften zum Weimarer Wirken Liszts ideengeschichtlich analysiert werden.17 Die konkrete Idee zur Gründung einer Goethe-Stiftung taucht zum ersten Mal in einem Berliner Aufruf von Künstlern und Gelehrten im Juli 1849 auf und wird dann von Liszt anlässlich der Goethe-Säkular-Feierlichkeiten (les Fêtes de Goethe) Anfang September im Journal des Débats aufgegriffen, auf Helgoland zu einer umfangreichen, dem Weimarer Erbgroßherzog überreichten Denkschrift ausgearbeitet und sollte schließlich unter Ausnutzung der preußischen Unionspläne (die mit dem Erfurter Parlament die Revolution für kurze Zeit in den Thüringer Raum zogen) im Rahmen der Herder-und Goethe-Feiern am 28. August 1850 zu Goethes Geburtstagsjubiläum realisiert werden.18 Dazu kam es jedoch nicht; denn abgesehen davon, dass der endgültige Vorschlag Liszts den Rahmen aller früheren Planungen sprengte (aus einer Kulturförderung des Weimarer Hofs mit einem Finanzierungsrahmen von 500 Reichstalern sollte am 15 16 17

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Vgl. dazu ebd. Dahlhaus: Musik des 19. Jahrhunderts, s. Anm. 10, S. 198. Alles sehr gut gebündelt in dem vorzüglich kommentierten dritten Band der von Detlef Altenburg herausgegebenen sämtlichen Schriften Liszts: Detlef Altenburg/Britta Schilling-Wang (Hgg.): Franz Liszt. Sämtliche Schriften, Bd. 3: Die Goethe-Stiftung. Les Fêtes de Goethe. De la Fondation-Goethe à Weimar. Das Septemberfest zur Feier von Carl August’s hundertjährigem Geburtstag, Wiesbaden/Leipzig/Paris 1997 (künftig: Liszt SS Bd. 3). Vgl. das kenntnisreiche Vorwort von Detlef Altenburg und Britta Schilling-Wang zur Edition in: Ebd., S. VII-XIII.

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Ende eine „Olympiade der Künste“ mit einem Stiftungskapital von über 100.000 Reichstalern stehen): Mit dem Scheitern der preußischen Unionspläne am Widerstand von Österreich und Russland und dem erzwungenen Vertrag von Olmütz Ende November 1850 (im Volksmund fortan nur noch „Preußens Canossa“ genannt), war auch, wie Detlef Altenburg es nannte, das „kulturpolitische Seitenstück zur Preußischen Union“, also das Lisztsche Projekt der Goethe-Stiftung, zum Scheitern verurteilt.19 Liszt verfolgte dennoch seinen Plan auch in den folgenden Jahren weiter, zuweilen schien es sogar so, als Carl Alexander, sein Mentor, 1853 die Herrschaft übernahm, dass er sich realisieren ließe; aber es blieb lediglich bei Teilaspekten, die verwirklicht wurden, wie das spätere Landesmuseum in Weimar und vor allem einige Satzungspunkte des 1861 gegründeten Allgemeinen Deutschen Musikvereins, der jedoch im Ganzen nicht mit dem Mammutprojekt der Goethe-Stiftung zu vergleichen war – allein schon die Reduzierung auf die Musik entsprach nicht derjenigen „Olympiade der Künste“, wie sie sich Liszt mit der Verbindung von Literatur, Malerei, Skulptur und Musik, die im jährlichen Turnus Wettbewerbe im nationalen Rahmen abhalten sollten, gedacht hatte.20 Schauen wir uns die Idee der Goethe-Stiftung unter dem Aspekt des Spannungsverhältnisses von nationalem Denken und Weltbürgertum etwas genauer an. Man kann es gleich vorweg schicken: Es ist nicht mehr der Universalismus, der beim Lisztschen Projekt der Goethe-Stiftung von 1849/50 im Zentrum steht (wie eventuell das oben zitierte Diktum von Carl Dahlhaus noch vermuten ließe), sondern der Nationalismus erscheint jetzt als das dominierende Element. Das Exposé de la Fondation-Goethe beginnt bereits mit dem bezeichnenden Satz, dass die folgenden Blätter „ganz besonders an die deutsche Nation“ gerichtet seien und Liszt entschuldigt sich regelrecht dafür, in einer fremden Sprache (nämlich Französisch) seine Gedanken abgefasst zu haben.21 An mehreren Stellen dieser zentralen Programmschrift zeigt sich, dass das nationale Moment im Mittelpunkt steht und die universale Idee gewissermaßen überwölbt. Darüber hinaus wird der Universalismus bzw. die Universalität ausschließlich kunstintern gebraucht, d. h. unter Rückbezug auf die Klassik und ihre angestrebte Verbindung aller Künste. Das ist der kunsttheoretische Begriff der Universalität, der jetzt – viel deutlicher noch als in der Zeit um 1800 – an den politischen Begriff des Nationalen geknüpft und diesem (wiederum ganz im Unterschied zur Zeit um 1800) funktional untergeordnet wird, ja beinahe nur noch instrumentellen Charakter besitzt. Unter Bezugnahme auf den die Goethe-Stiftung initiierenden Berliner Aufruf vom September 1849, der von namhaften Künstlern und Gelehrten (wie Alexander von Humboldt, Schelling, Cornelius und Rauch) unterzeichnet war, formuliert Liszt in seiner Projektskizze: 19 20 21

Altenburg: Franz Liszt und das Erbe der Klassik, s. Anm. 11, S. 24. Vgl. das Vorwort zur Edition in: Liszt SS Bd. 3, s. Anm. 17, S. XI-XII. Ebd., S. 25.

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Für immer werden die berühmtesten Namen Deutschlands in den Reihen Derer zu erscheinen haben, die zur Leitung der Goethestiftung berufen werden, da letztere ihre Wurzeln in der Betheiligung des gesammten Vaterlandes hat, daher auch für ganz Deutschland ein gemeinschaftliches Band und Interesse zu bilden vermag. Weil sie für die schönen Künste bestimmt ist, welche in den Arbeiten von Göthes forschendem Geiste einen so reichen Platz einnehmen, muß ihre Sphäre naturgemäß sich über deren Hauptzweige verbreiten, theils um ein mehr universelles Interesse zu bewähren, theils um einer ausgänglichen betrübenden Stockung vorzubeugen.22

Damit ist exakt das neue Verhältnis von Universalismus und Nationalismus beschrieben: Während zu Beginn des Jahrhunderts der Universalismus der Aufklärung noch ganz augenscheinlich den mit der Französischen Revolution neu entflammten Nationalismus dominierte und regelrecht zähmte (man kann dies auch sehr gut bei Herder zeigen),23 scheint sich um die Jahrhundertmitte das Verhältnis geradezu umgekehrt zu haben: Der nationale Aufbruch, der mit der 1848erRevolution einherging und europäische Ausmaße annahm, dominierte nun den Universalismus, der sich nicht mehr (oder kaum noch) ins Politische erstreckte, sondern fast nur noch auf die Künste bezog und in der Lisztschen Idee einer „Olympiade der Künste“ einen seiner Höhepunkte feierte. Es scheint tatsächlich so, als ob die Einheit der Kunst als letztes Relikt eines einst viel weiter gefassten universalistischen Denkens übrig geblieben sei: die Reduktion des weltbürgerlichen Denkens auf die Universalität der Kunst, könnte man dies pointiert nennen.24 So pauschal lässt sich das natürlich aufgrund der herangezogenen, begrenzten Dokumente nicht behaupten. Aber so viel scheint klar: Die Prioritätenskala hatte sich um die Jahrhundertmitte eindeutig verschoben. Zuerst müsse der „Nationalgeist“ befördert werden, dann erst die „geistige Cultur“, heißt es unumwunden bei Liszt in seiner Schrift zur Goethe-Stiftung – und weiter: Vorzüglich möchte an der Thatsache festzuhalten sein, daß bei keinem Volke die geistige Cultur sich verallgemeinert hat, bevor sein Nationalgeist sich in großen schönen Werken offenbarte, die es der Inspiration seines eigenen Gefühls verdankt.25

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25

Ebd., S. 103. Vgl. z. B. sehr anschaulich bei Horst Turk: Am Ort des Anderen. Natur und Geschichte in Herders Nationenkonzept, in: Unerledigte Geschichten. Der literarische Umgang mit Nationalität und Internationalität, hg. von Gesa von Essen/Horst Turk, Göttingen 1999, S. 425ff. Dies deckt sich auch mit dem Universalismus-Begriff, den Dahlhaus verwendet: s. Dahlhaus: Musik des 19. Jahrhunderts, s. Anm. 10, S. 29-34. Liszt SS Bd. 3, s. Anm. 17, S. 47.

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Konsequenterweise spricht Liszt jetzt auch in seiner „Skizze eines Planes zur Göthe-Stiftung“ vom „Charakter deutscher Universalität“ (!),26 der das Leitungskomitee der künftigen Stiftung kennzeichnen sollte. Der „Charakter deutscher Universalität“ – um 1800 hätte man noch (wie oben an Fichte kurz dargelegt wurde) eher von einem ‚universalistischen Nationalismus‘, einem vom weltbürgerlichen Denken dominierten und gezähmten Nationalismus gesprochen,27 jetzt war umgekehrt der ‚nationale Universalismus‘ oder genauer: die nationale Universalität zur festen Größe geworden. Wir fragen jetzt: Wie sieht dieser ‚neue‘ Nationalismus, den Franz Liszt propagierte, aus? Auch dafür geben die Schriften im Umfeld der Goethe-Stiftung einige nicht unwesentliche Anhaltspunkte. Zunächst: Ein wichtiger Aspekt des Lisztschen Nationalismus ist im vorletztem Zitat bereits angeklungen: Es ist noch (möchte man sagen), immer noch ein durch und durch „romantischer Nationalismus“, den Liszt hier transportiert und der im Übrigen allenthalben in Deutschland um die Mitte des 19. Jahrhunderts noch sehr virulent war.28 In der historischen Forschung hat man diese Kontinuitätslinien aus der Frühen Neuzeit lange Zeit übersehen, alles über den Leisten der Französischen Revolution gezogen und erst in jüngster Zeit wird vor allem die romantische Seite der liberalnationalen Einheitsvorstellungen stärker betont.29 Wie am Ende des oben erwähnten Zitats deutlich wurde, ist es die „Inspiration“ des „eigenen Gefühls“ eines Volkes, welche die großen, schönen Werke hervorbringt, in denen sich der „Nationalgeist“ offenbart. Der Nationsbegriff, den Liszt hier verwendet, wird nicht an die harten, aufgeklärt-rationalen Kriterien von Staat, Verfassung und Recht (wie sie in der Französischen Revolution zum ersten Mal realisiert wurden) geknüpft, sondern – ganz romantisch – an Emotionen und Sinneseindrücke, die wiederum am besten durch die Kunst der Musik befördert werden.30 So heißt es beispielsweise dann weiter bei Liszt:

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Ebd., S. 117. Vgl. dazu nochmals Ries: Fichte, s. Anm. 5. Vgl. zu dieser Kontinuitätslinie vor allem Wolfgang Hardtwig: Vom Elitebewusstsein zur Massenbewegung. Frühformen des Nationalismus in Deutschland 1500-1840, in: Nationalismus und Bürgerkultur in Deutschland 1500-1914. Ausgewählte Aufsätze, hg. von dems., Göttingen 1994, S. 34-54; Thomas Nipperdey: Auf der Suche nach der Identität: Romantischer Nationalismus, in: Ders.: Nachdenken über die deutsche Geschichte. Essays, München 21986, S. 110-125. Dazu jetzt der Versuch einer modernen Lesart Klaus Ries: „Romantischer Nationalismus“ – Anmerkungen zu einem vernachlässigten Idealtypus, in: Romantik und Revolution. Zum politischen Reformpotential einer unpolitischen Bewegung, hg. von dems., Heidelberg 2012, S. 221-246. Vgl. dazu jetzt die Beiträge in Klaus Ries (Hg.): Romantik und Revolution, s. Anm. 28. Vgl. zu dieser idealtypischen Gegenüberstellung immer noch Meinecke: Weltbürgertum, s. Anm. 7.

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Die Musik bietet uns gewissermaßen einen Übergang von den durch die Sprache bedingten zu den plastischen Künsten. Überdieß ist sie diejenige Kunst, welche von allen am unmittelbarsten des Gefühls sich bemächtigt und welche hierdurch am meisten befähigt erscheint: ‚das Leben der Kunst in Deutschland zu kräftigen und zu beleben und ihren bildenden Einfluß auf den geistigen Fortschritt der Nation zu vermehren‘.31

Es lohnt sich, diese letzte Passage des über die Emotionen der Kunst ausgelösten Nationalgedankens etwas genauer unter die Lupe zu nehmen: Liszt spricht – noch einmal – davon, „das Leben der Kunst in Deutschland zu kräftigen und zu beleben und ihren bildenden Einfluß auf den geistigen Fortschritt der Nation zu vermehren.“ Dabei soll es sich, wie es heißt, um eine direkte Anleihe aus dem Berliner Aufruf vom 5. September 1849 handeln, weshalb Liszt diese Passage auch explizit (sic!) als Zitat ausweist. Ein Textvergleich ergibt jedoch, dass dem nicht so ist und Liszt bereits eine nicht unwesentliche Modifizierung vorgenommen hat: denn im Berliner Aufruf steht nichts von einem „geistigen Fortschritt der Nation“, dort heißt es lediglich: man möge „[...] eine Stiftung hervorrufen, die in seinem [Goethes] Geiste deutsches Kunstleben und den Einfluß desselben auf die Versittlichung des Volkes stärke und mehre.“32 Nicht ‚Fortschritt der Nation‘ also, sondern ‚Versittlichung des Volkes‘ steht im Original. Liszt verzerrt demnach ganz bewusst den Berliner Aufruf in nationaler Weise, um so seiner eigenen Idee einer deutschen Nationalstiftung noch (!) größeren Nachdruck zu verleihen – ein Argument mehr, wie ich denke, für die Dominanz des nationalen Gedankens um die Jahrhundertmitte! Auch an anderen Stellen lässt sich dies nachweisen, wenn Liszt etwa – sich wiederum explizit auf den Berliner Aufruf beziehend und diesen national überhöhend – die Hoffnung aussprach, „im Bereiche der Poesie und der Künste die Einheit des germanischen Geistes sich bilden zu sehen“.33 Dabei war es eigentlich gar nicht nötig, eine nationale Überhöhung vorzunehmen; denn der Berliner Aufruf selbst war bereits durch und durch national-patriotisch, von einem weltbürgerlichen Bezug in Anlehnung an Goethe war hier bereits nichts mehr zu spüren. Eine zentrale Passage des Berliner Aufrufs lautete etwa: „Götheʼs Andenken ist es werth, der Träger eines bleibenden gemeinsamen Wirkens aller Edelen Deutschlands zu sein.“34 Goethe wurde im Revolutionsjahr zuerst und zuletzt als nationale Größe wahrgenommen und zugleich auch als Ordnungsfaktor instrumentalisiert.35 Der Berliner Aufruf war übrigens unter anderem vom ehemaligen Haupt der 31 32 33

34 35

Liszt SS Bd. 3, s. Anm. 17, S. 85. Ebd., S. 188. Ebd., S. 133. Im Original findet sich keine Passage zum ‚germanischen Geist’, vgl. ebd., S. 188f. Ebd., S. 188. Goethe sollte nämlich auch in gewisser Weise revolutionskanalisierend wirken: als „Geiste der Ordnung, der Mäßigung, der Besonnenheit“ (ebd.).

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romantischen Schule in Deutschland, Friedrich Wilhelm Schelling, unterschrieben.36 Liszt dienten nunmehr ausschließlich, wie er schrieb, die Künste und die Wissenschaften, „sei es in ihrer Gesamtheit, oder in ihren besonderen Zweigen“,37 als Transportinstrumente und Katalysatoren nationaler Einigung. Wenn man die alte, um 1900 von dem Historiker Friedrich Meinecke getroffene, etwas holzschnittartige (und vor allem auch politisch motivierte) Unterscheidung zwischen ‚Staatsnation‘ und ‚Kulturnation‘ bemühen möchte,38 dann entwickelte Liszt hier so etwas wie ein romantisch geprägtes kulturnationales Projekt, in welchem die Künste, allen voran die Musik, einen zentralen Stellenwert einnahmen. Was für Herders Nationalismus um 1800 noch die Sprache gewesen war, war für Liszt ein halbes Jahrhundert später die Musik – an der romantischen Grundierung des nationalen Gedankens hatte sich kaum etwas geändert.39 Ein weiterer Aspekt des Lisztschen Nationalismus: Es handelt sich – geradezu klassisch möchte man sagen – um das Konzept einer „föderativen Nation“, wie es in jüngster Zeit vor allem in der deutschen Geschichtswissenschaft gegen die alte borussische Zentralstaatsperspektive seit Heinrich von Treitschke stark gemacht wird.40 Mit dem Begriff der ‚föderativen Nation‘ soll zum Ausdruck gebracht werden, dass regionale und nationale Orientierungen sich nicht widersprechen, sondern im Gegenteil sich kongenial ergänzen. Der Bezug auf den Klein- oder Mittelstaat musste nicht mit einer Absage an zentralstaatliche Visionen einhergehen, wie dies die ältere Forschung noch angenommen hat. Der Klein- und Mittelstaat bzw. der jeweilige Ort, auf den man sich bezog, konnten vielmehr als Motor einer überregional-nationalen Perspektive fungieren, als erstes Etappenziel auf dem Weg eines wie auch immer gearteten Nationalstaates.41 Genau so dachte auch Liszt. Für ihn stellte Weimar die absolute Bezugsgröße seiner kulturnationalen Vorstellungen dar, eben weil Weimar, wie Dahlhaus schrieb, „eine Provinzstadt mit Erinnerungen“ war.42 Ganz ähnlich wie Goethe in unmittelbarer Reaktion auf die Französische Revolution im Jahre 1791 36 37 38

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Vgl. ebd., S. 189. Ebd., S. 135. Zur politischen Motivation Meineckes, die in der deutschen historischen Forschung kaum diskutiert bzw. geflissentlich übergangen wird, vgl. vor allem die einsichtigen Überlegungen von Otto Gerhard Oexle: Meineckes Historismus. Über Kontext und Folgen einer Definition, in: Ders.: Geschichtswissenschaft im Zeichen des Historismus. Studien zu Problemgeschichten der Moderne, Göttingen 1996, S. 95-136. Vgl. dazu nochmals die oben in Anm. 28 genannten Beiträge zum romantischen Nationalismus im 19. Jahrhundert. Vgl. die Beiträge in Dieter Langewiesche/Georg Schmidt (Hgg.): Föderative Nation. Deutschlandkonzepte von der Reformation bis zum Ersten Weltkrieg, München 2000. Vgl. Dieter Langewiesche: Föderativer Nationalismus als Erbe der deutschen Reichsnation: Über Föderalismus und Zentralismus in der deutschen Nationalgeschichte, in: Ebd., S. 215-242. Dahlhaus: Musik des 19. Jahrhunderts, s. Anm. 10, S. 198.

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seinem Herzog Carl August einen „Reunionspunkt deutscher Gelehrten-Kultur“ in Weimar-Jena vorschlug, um die früh schon gegen Frankreich gerichtete nationale Idee in kultureller Hinsicht zu befördern,43 erhob Liszt über ein halbes Jahrhundert später Weimar erneut zur ‘nationalen Chiffre’: Von hier, der „Hauptstadt“ der Künste, so schrieb er, sollte der nationale Gedanke seinen Ausgang nehmen, von hier aus sollten Musikfeste organisiert werden, derer sich die geplante Goethe-Stiftung anzunehmen hatte, um sie – ganz in der alten Tradition Thüringens, die durch die Stürme der Revolution vorübergehend unterbrochen worden sei – „wieder aufleben zu lassen, und nicht auf Thüringen sie beschränkend, über ganz Deutschland zu verbreiten.“44 Man kann das Septemberfest zum 100-jährigen Geburtstag Carl Augusts 1857 mit guten Gründen als das erste große föderative Nationalfest der nachrevolutionären ‚Reaktionszeit‘ – vor den zwei Jahre später inszenierten Schiller-Feierlichkeiten45 – ansehen, das auch Liszt dazu veranlasste, noch einmal trotz der bereits gescheiterten Pläne zur Goethe-Stiftung an den ‚nationalen Auftrag‘ Weimars zu erinnern, wenn er schrieb: Die Hoffnung, den Ort, der einst den Beinamen des deutschen Parnasses erhalten hatte, zum Sammelplatz der geistigen Größen des deutschen Vaterlandes werden zu sehen, an einem Tage, der der Ruhmesfeier seiner bedeutendsten und volksthümlichsten Dichter geweiht sein sollte, schien auch durch den Umstand eine weitere Berechtigung erhalten zu haben, daß die deutsche Kunst einen ihrer schönsten Triumphe zu feiern bestimmt war.46

Weimar bleibt also auch noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Symbol nationaler Einigungsbestrebungen, der föderative Nationsgedanke durchzieht weiterhin auch das kulturnationale Konzept Franz Liszts. Ganz eng verwoben mit der Idee der föderativen Nation – und dies kann als letztes Kennzeichen des Lisztschen Nationalismus genannt werden – ist der Schulterschluss mit der Regierung, mit dem Establishment, dem Staat und seinen

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Goethe an Carl August v. 1. Juli 1791, in: Hans Wahl (Hg.): Briefwechsel des Herzogs-Großherzogs Carl August mit Goethe, Bd. 1: 1775-1806, Neudr. d. Ausg. Berlin 1915-1918, Bern 1971, S. 161. Zum Kontext einer kulturnationalen Politik SachsenWeimars vgl. Klaus Ries: Kultur als Politik. Das „Ereignis Weimar-Jena“ und die Möglichkeiten und Grenzen einer „Kulturgeschichte des Politischen“, in: Historische Zeitschrift (2007), S. 303-354. Liszt SS Bd. 3, s. Anm. 17, S. 85. Vgl. zu den Schiller-Feiern von 1859 als föderative Nationsfeste Dieter Langewiesche: Kulturelle Nationsbildung im Deutschland des 19. Jahrhunderts, in: Nation und Gesellschaft in Deutschland. Historische Essays, hg. von Manfred Hettling/Paul Nolte, München 1996, S. 49f. Liszt SS Bd. 3, s. Anm. 17, S. 157. Danach kam er auf das Denkmal Rietschels zu sprechen.

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Eliten: Das föderative Nationskonzept ist zumindest offen für diese mögliche Bindung an das jeweilige Herrscherhaus; die nationale bzw. liberal-nationale Initiative kommt zwar aus der Gesellschaft, aber sie sucht und braucht die Rückendeckung durch den Staat. In Thüringen und speziell in Sachsen-WeimarEisenach lag diese Option geradezu auf der Hand. Für Liszt war es daher eine regelrechte Selbstverständlichkeit, dass seine national-kulturellen Vorstellungen nur mit Unterstützung des Weimarer Staates erfolgen konnten. Dies ergab sich für ihn ganz natürlich aus der jahrhundertealten Tradition des Mäzenatentums der Thüringer Herrscherhäuser, der er in seinem Buch De la Fondation-Goethe gleich zu Beginn, gewissermaßen als historische Legitimierung seiner eigenen neuen kunsttheoretischen Pläne, ein umfängliches Kapitel widmete, von den Thüringer Landgrafen des Mittelalters bis zu dem großen Kunst- und Kulturförderer Carl August, dem Vorgänger seiner eigenen Zeit.47 Liszt erhoffte sich vom Weimarer Kleinstaat tatkräftige Unterstützung seiner nationalen Kunstpläne, ja mehr noch: er sah die Künste und Wissenschaften angesichts der langen Tradition des „in so liberaler Weise geübten beständigen Schutz[es]“ durch das Weimarer Regentenhaus vielmehr in der Pflicht, „ihrerseits Dasjenige nicht zu vernachlässigen, was Weimarʼs Fürsten einen Theil der Vortheile wieder zu erstatten vermag, die sie aus deren Händen empfingen.“48 Das föderative Nationskonzept Liszts beruhte auf einem wechselseitigen Verhältnis von gesellschaftlicher Initiative und staatlicher Förderung. Nur in dieser Doppelung sah Liszt den Schlüssel zum Erfolg. Die politischen Umstände nach der gescheiterten 1848er-Revolution mussten allerdings auch diese kulturnationalen Pläne, die auch „ein Stück versagter Politik und nationaler und liberaler Identifikation“ waren,49 zunichtemachen. In der Zeit der ‚Reaktion‘, d.h. der 1850er Jahre nach der gescheiterten Revolution, waren solche Einheitsvorstellungen – gleich welcher Art und Legitimierung – unmöglich durchzusetzen, nahezu unrealistisch. Auch deswegen blieb dem nationalen Projekt Liszts einer Goethe-Stiftung letztlich der Erfolg versagt. Was er vorhatte mit seinen jährlichen Wettbewerben einer „Olympiade der Künste“ von Literatur, Malerei, Skulptur und Musik, wäre in der überregionalen und nationalen Akzentuierung auf so etwas Ähnliches wie die „Gesellschaft der Deutschen Naturforscher und Ärzte“ hinausgelaufen, welche der Jenaer Naturforscher Lorenz Oken 1822, ebenfalls in restaurativer Zeit (unmittelbar nach dem Erlass der Karlsbader Beschlüsse) gründete, und die im verfassungsund parlamentslosen Deutschland quasi als ein gut getarntes Ersatzparlament fungierte.50 Diesen wissenschaftspolitischen „Wanderzirkus“ (Rüdiger vom 47 48 49

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Ebd., S. 25-65 (man beachte die Länge!). Ebd., S. 105. Mit Bezug auf die Schiller-Feierlichkeiten von 1859 Thomas Nipperdey: Wie das Bürgertum die Moderne fand, Berlin 1988, S. 22 Vgl. Klaus Ries: Lorenz Oken und die Universität Jena, in: Von Freiheit und Verantwortung in der Forschung. Symposium zum 150. Todestag von Lorenz Oken, hg.

Mit Goehte gegen die deutsche Nation?

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Bruch) hatte man damals schon, im Schatten von Karlsbad, mit Argusaugen beobachtet – ein zweites solches Gremium konnte und wollte man sich in der Reaktionszeit nicht leisten. Liszt war nach all dem, was wir gesehen haben, tatsächlich ‚mit Goethe nicht gegen die deutsche Nation‘. Er instrumentalisierte vielmehr den großen Klassiker für ein Projekt, das in erster Linie eine nationale Ausrichtung besaß und den universalistischen Gedanken eines wie auch immer gearteten Weltbürgertums zurückstellte bzw. auf die „Universalität der Kunst“ reduzierte: Die Idee einer Goethe-Stiftung stellt tatsächlich primär ein ‚kulturpolitisches Seitenstück‘ nicht nur der Preußischen Union, sondern überhaupt der 1848er-Revolution dar. Offenbar hat die starke Nationalisierungswelle der Revolution alle anderen, universalistischen und/oder kosmopolitischen Ideen überschwemmt. Aber es muss am Ende doch noch die Frage gestellt werden, ob wirklich nur und erst die Revolution von 1848/49 zu einem Verdrängungsprozess weltbürgerlichen Denkens geführt hat oder ob dieser Prozess nicht bereits vorher, im Vormärz mit seinen neuen sozialen und nationalen Problemen eingesetzt hat. Meines Erachtens hatte das weltbürgerliche Denken der Aufklärung spätestens in den 1840er Jahren seine Energie aufgezehrt und verbraucht; andere Fragen waren wichtiger geworden, wie z. B. die soziale Frage mit der Krise des alten Handwerks und dem Aufkommen der neuen Industrialisierung, das große Pauperismus-Problem oder auch die nach zwei bedeutenden Revolutionen in Frankreich (1789 und 1830) nun auch für die anderen europäischen Länder (wie Deutschland und Italien) immer drängender werdende Frage der Bildung eines Nationalstaates. Auch der Nationalismus erhielt nunmehr eine ganz neue Qualität: Der Prozess der „inneren Nationsbildung“, der seit den 1840er Jahren verstärkt einsetzte und eine enorme soziale Breitenwirkung erreichte und erstmals konkrete Nationalstaatskonzepte produzierte,51 verdrängte zunehmend auch das universalistische Gedankengut der Aufklärung, das noch sehr lange, bis ins erste Drittel des 19. Jahrhunderts nachgewirkt hatte. Franz Liszt wurde paradoxerweise just in dem Moment ‚nationaler‘, als er nach Weimar, den Ort weltbürgerlichen Denkens, kam. Das lag jedoch nicht an der „Provinzstadt mit Erinnerungen“, sondern an den Zeitumständen, die durch die „Zäsur der 40er Jahre“, ausgelöst durch die Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV. in Preußen sowie die außenpolitische Belastungen der Rheinkrise und der Schleswig-Holstein-Frage, eine „nationale Massenbewegung“ in Gang setzten,52 von der offenbar auch die Kunst nicht verschont blieb. Von daher hat Franz Liszt im Windschatten der Revolution mit seiner Idee einer Goethe-Stiftung nur das nachvollzogen, was seit etwa einem Jahrzehnt beinahe alle Gemüter, vor allem die Intellektuellen, bewegte. Und auch dafür konnte ihm natürlich Goethe Schützenhilfe leisten: Der Weimarer Weltbürger trat hinter den 51

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von Dietrich von Engelhardt/Jürgen Nolte, Stuttgart 2002, S. 49. Vgl. Elisabeth Fehrenbach: Verfassungsstaat und Nationsbildung 1815-1871, München 1992, S. 24-39. Ebd., S.24.

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Klaus Ries

nationalen Dichter zurück – von hier an setzte eine ganz spezifische und auch einseitige Goethe-Rezeption ein, die bis heute ihre Wirkung nicht verfehlt. Wenn man Liszts Schriften kritisch liest und kontextualisiert, kommt man auch Goethe besser auf die Spur und ist gefeit vor weiteren Legendenbildungen.

Die europäische Identität Franz Liszts, Weimar und die Wartburg in den Briefen und Tagebüchern des Großherzogs Carl Alexander* Nicolas Dufetel (Angers) Many Liszt sources in Weimar’s Goethe- und Schiller-Archiv and Thüringischen Hauptstaatsarchiv are still either overlooked or unpublished. Among them, the grand-duke Carl Alexander’s archives (Großherzogliches Hausarchiv) provide substantial new information about both unknown and known aspects of the composer’s life, career, and work. This article, based on Carl Alexander’s unpublished diaries and correspondence with his former Swiss preceptor Frédéric Soret (written mainly in French) focuses on Liszt’s first appearances as a conductor in Weimar in the early 1840s, his marriage with Princess Wittgenstein, and on his important links to the Wartburg with a unique presentation of the 1867 and 1873 Wartburg-Feier, where his Legend of Saint Elizabeth and Wartburg-Lieder where performed. As shown by their secret meetings at the Wartburg or at Schloss Wilhelmstahl, Carl Alexander considered his Kapellmeister ‘in exceptional services’ as his ‘secret minister’. In fact, Liszt wrote drafts for the letters that the grand-duke would eventually send to Tsar Alexander II and Cardinal Antonelli – this is, however, only one aspect of the considerable impact, influence, and fascination he had on his young patron. Finally, Liszt’s presence in Weimar as well as German historically and nationalistic landmarks are seen as central to his European identity and network.

Schon 1989 machte Detlef Altenburg deutlich, dass die Liszt-Forschung sich auf neue Bahnen zubewegen müsse. Vorgestellt wurden die zukünftigen Projekte, die folgende Quellen-Forschung betreffen: die Neue Liszt-Ausgabe der musikalischen Werke, die neue Ausgabe seiner Schriften und eine Gesamtausgabe seiner Briefe. Am Horizont steht immer die methodologische Frage des Verhältnisses zwischen der „Sage“ von Liszt, wie sie in frühen Arbeiten und Biographien erscheint, und den zahlreichen, oft unveröffentlichten Dokumenten, die diese Legende in Frage stellen: Die Tatsache, dass ein Komponist zu Lebzeiten schon seit frühester Jugend im Blickpunkt der Öffentlichkeit stand, die jede persönliche Veränderung und künstlerische Entwicklung mit seismographischer Genauigkeit registrierte, lässt für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dessen Biographie und Schaffen geradezu ideale Voraussetzungen erwarten.1 * 1

In diesem Beitrag wurde auf Übersetzung der französischen Zitate verzichtet. Detlef Altenburg: Eröffnungsvortrag. Auf dem Weg zu einem neuen Liszt-Bild, in: Die

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Nicolas Dufetel

Liszt selbst hatte das Problem aufgeworfen, als er seiner „offiziellen“ Biographin Lina Ramann anvertraute, dass „[S]eine Biographie [...] weit mehr zu erfinden als nachzuschreiben“2 sei. Die Idee des Nebeneinanderbestehens von Dichtung und Wahrheit, sowie, natürlich, die Goethe’sche Anschauung der Autobiographie liegt immer nahe.3 Was die Briefe, Tagebücher und Autobiographien Richard Wagners betrifft, haben Carl Dahlhaus und John Deathridge das Phänomen einer Opposition zwischen zwei „Wahrheiten“ erklärt. Sie stellen das Binom einer poetischen Wahrheit und einer empirischen Wahrheit dar, die beide jedoch kein Gegensatz sondern eine Komplementarität bilden: Understanding the paths along which Wagner’s imagination set off is more important than correcting conscious or unconscious inaccuracies. Yet editorial meticulousness is not to be despised: it is only against the background of empirical truth that the ‘poetic truth’ can be recognized for what it is – another truth and not a distortion that the exegete is at liberty to dismiss.4

In dieser Richtung hat Alexander Rehding eine Theorie über die Konstruktion der Autobiographie von Liszt entwickelt, die den gleichen Ideen folgt.5 Heute wirft derjenige, der sich mit der Historiographie, der Epistemologie oder der Erkenntnistheorie beschäftigt, tatsächlich Probleme auf, die für die Liszt-Forschung grundlegend sind. In der Tat ist es immer möglich, die Karriere, das Werk und die europäische Identität Franz Liszts anhand neuer Dokumente zu illustrieren; fast jeden Tag könnte man neue Briefe und Tatsachen finden und veröffentlichen, doch Quellen-Forschung dieser Art soll kein Selbstzweck sein. Eine solche Fakten-Forschung, die mehr journalistisch oder dokumentarisch als kritisch-musikwissenschaftlich ist, soll immer ausgerichtet auf eine epistemologische und historiographische Methode sein.

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3

4

5

Projekte der Liszt-Forschung. Bericht über das Internationale Symposion in Eisenstadt 18.-21 Oktober 1989 (Wissenschaftliche Arbeiten aus dem Burgenland 87), hg. von Detlef Altenburg/Gerhard J. Winkler, Eisenstadt Burgenländisches Landesmuseum 1991, S. 9-17. Lina Ramann: Lisztiana. Erinnerungen an Franz Liszt (1873-1886-87), hg. von Arthur Seidl, Mainz 1983, S. 407. Alexander Rehding: Inventing Liszt’s Life: Early Biography and Autobiography, in: The Cambridge Companion to Liszt, ed. by Kenneth Hamilton, Cambridge 2005, S. 14-27; Nicolas Dufetel: Introduction. Liszt et Wagner: Dichtung und Wahrheit, in: Franz Liszt. Trois opéras de Richard Wagner considérés de leur point de vue musical et poétique, éd. par id., Arles 2013, S. 9-74. John Deathridge/Carl Dahlhaus: The New Grove Wagner, New York 1984, S. 91 („Letters, diaries, autobiography“); S. auch John Deathridge: Wagner beyond Good and Evil, Berkeley 2008, S. 3-17 (Kapitel 1, „Wagner Lives“). Alexander Rehding: Liszt’s Musical Monuments, in: 19th Century Music 26/1 (2002), S. 52-72 („Inventing Liszt’s Life: Early Biography and Autobiography“).

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In dieser Hinsicht stellt die Beziehung zwischen Liszt und Carl Alexander einen zentralen Punkt dar und beinhaltet ein noch zu erklärendes Feld der Forschung. Dieser Beitrag basiert ausschließlich auf unbekannten und unveröffentlichten Quellen. Sein Ziel ist es, hauptsächlich mithilfe einiger Dokumente aus dem Großherzoglichen Hausarchiv (Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar) und dem Goethe- und Schiller-Archiv (Klassik Stiftung Weimar) das Porträt der europäischen Identität Liszts aufzudecken. Dabei soll gezeigt werden, wie Liszt, Carl Alexander und Weimar sich im Zentrum des kulturellen und politischen Deutschlands und Europas befinden, in der Mitte delikater Verhandlungen und einer Geheimdiplomatie, in der die Privatsphäre sich häufig mit politischen und künstlerischen Interessen überlagert. Wenn Liszt tausende Kilometer in seinem Leben zurückgelegt hat, befand er sich trotzdem, besonders während seines Aufenthaltes in Weimar (1848-1861), im Zentrum eines außergewöhnlichen Netzes europäischer Korrespondenzen, die zum größten Teil nicht oder noch nicht wissenschaftlich und kritisch ediert sind. Pauline Pocknell hat erklärt, dass der Komponist enge Verbindungen zu Akteuren europäischer Spionage unterhielt – namentlich mit Agnes Street-Klindworth, deren Vater ein „berühmter“ Spion war.6 Und wie die Briefe, die der Komponist mit Carl Alexander ausgetauscht hat, und die Archive des letzteren zeigen, handelte er wie ein echter Diplomat: Er agierte im Schatten seines Großherzogs und schrieb ihm in größter Geheimhaltung Entwürfe, Noten und Empfehlungen.7 Carl Alexander betrachtete Liszt zudem als seinen „intimen“ und „geheimen Minister“ („Ministre intime“ und „ministre occulte“),8 ähnlich wie Goethe der Berater von Großherzog Carl August gewesen ist. 1878 schrieb Carl Alexander sogar an seinen Kapellmeister, dass er seine Berufung verfehlt hatte: „Décidément, mon cher ami, Vous avez manqué Votre vocation car Vous auriez

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7

8

Pauline Pocknell: Liszt, les Klindworth et les “rapports belges”, in: Bulletin de la Société Liégeoise de Musicologie 87 (1994), S. 18-31; Id.: Liszt, the Klindworths, and Austro-Hungarian Affairs: Hidden Hands in Liszt’s Correspondence, in: The Hungarian Quarterly 37/143 (1996), S. 132-49; S. auch James Deaville: A “Life with Liszt”: Pauline Pocknell Remembered, in: Journal of the American Liszt Society 61-62 (2010-2011), S. 41-51. La Mara (Hg.): Briefwechsel zwischen Franz Liszt und Carl Alexander, Großherzog von Sachsen, Leipzig 1909. Eine neue, kritisch-Ausgabe ist in Vorbereitung (hg. von N. Dufetel). „Avez-Vous pu poser les points d’interrogation devant Rubinstein sur lesquels nous étions convenus hier, cher ministre occulte ? […]“ (Brief von Carl Alexander an Liszt, 10. Februar [1869], in: D-WRgs 59/27,12a, F41); „Ma lettre à la Duchesse est prête, celle à mon autre correspondant le sera. À quelle heure puis-je soumettre mes deux élaborations à mon Ministre intime ? Veuillez décider et me l’apprendre. [...] Bonjour cher Maestro, ami, conseiller, confident, et souffre douleur – Il suo umilissimo seccatore.“ (Brief von Carl Alexander an Liszt, o. D. [1877?], in: D-WRgs 59/12a, F90).

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Nicolas Dufetel

dû devenir diplomate puisque Vous savez atteindre Votre but et que Vous savez charmer.“9

I

Liszt in Weimar in der Korrespondenz von Carl Alexander und Frédéric Soret (1844-1854)

Sein ganzes Leben hindurch hat Carl Alexander Tagebücher geführt, die noch fast ganz unveröffentlicht sind.10 Allerdings notiert er nur ab dem Jahr 1859, als seine Mutter, die Großherzogin Maria Pawlowna, stirbt, täglich etwas. Tausende Seiten, verfasst in einer winzigen Schrift, mehrheitlich auf Französisch, ein wenig auch auf Deutsch, auf Russisch und auf Italienisch, liefern wesentliche Informationen: Carl Alexander war ein privilegierter Zeuge von Liszts Karriere von Anfang der 1840er Jahre bis zu seinem Tod in 1886. Leider hat er während des Aufenthaltes des Komponisten in Weimar als Hofkapellmeister im außerordentlichen Dienst (1848-1859) noch nicht jeden Tag Tagebuch geführt. Jedoch hat er glücklicherweise auch eine ungeheure, fast übermenschliche Korrespondenz gepflegt, wovon heute tausende Briefe zeugen, die teilweise die nicht vorhandenen Tagebücher für die Zeit von 1840-1859 ausgleichen. Das Haus Sachsen-Weimar-Eisenach stand im Zentrum eines europäischen politischen Netzwerks, und Carl Alexander selbst stand mit ganz Europa in Kontakt. Einer seiner bevorzugten Korrespondenzpartner war sein ehemaliger Hauslehrer, Frédéric Soret, der mit Goethe bekannt war und deshalb wie eine Schlüsselfigur zwischen dem „goldenen“ und dem „silbernen“ Zeitalter Weimars erscheint.11 Seine Korrespondenz mit Carl Alexander ist von höchstem Interesse, weil darin Informationen über das erste Erscheinen Liszts in Weimar, insbesondere neue Bezeugungen von seinen ersten Darbietungen als Hofkapellmeister und Dirigent12 zu finden sind. Die Geschichte seiner Aktivität als Dirigent ist noch zu schreiben im Lichte der Studien zur Aufführungspraxis, aber es ist jetzt Dank der Forschung Axel Schröters gewiss, dass Liszt wenig in Weimar dirigiert hat.13

9 10

11 12

13

Brief von Carl Alexander an Liszt, 23. Juli 1878 [?], in: D-WRgs 59/12a, F92. Angelika Pöthe hat in ihrer Biographie von Carl Alexander einige Passage aus seinen Tagebüchern zitiert (Carl Alexander. Mäzen in Weimars „Silberner Zeit“, Köln 1998). Einige wenige Seiten wurden auf Deutsch übersetzt: Carl Alexander: Tagebuchblätter von einer Reise nach München und Tirol im Jahre 1858, hg. von Conrad Höfer, Eisenach 1933. Über den Einfluss Sorets auf Carl Alexander s. ebd., S. 26-35 und 151f. D-WRl HAA XXVI/1074a-k (5 Bände mit Briefen von Soret und 6 mit Briefen von Carl Alexander). Axel Schröter: Der historische Notenbestand des Deutschen Nationaltheaters Weimar. Katalog, Sinzig 2010.

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Am 7. Januar 1844 fand die Première von Liszt in Weimar als Dirigent statt. Allerdings hat er nur die erste Abteilung des Konzerts „zum Besten des HofKapell-Wittwen-Pensions-Fonds“ im Großherzoglichen Hof-Theater dirigiert, die andere stand unter der Leitung von Hippolyte Chélard: Erster Theil dirigirt vom Herrn Kapellmeister Dr. Liszt 1) 2) 3)

Symphonie in C-moll von L. van Beethoven Aria von Mozart, vorgetragen von Fräulein von Ottenburg Konzert in H-moll von J. N. Hummel, vorgetragen vom Herrn Kapellmeister Dr. Liszt

Zweiter Theil dirgirt vom Herrn Kapellmeister Chélard 4) 5) 6) 7)

Fantaisie concertante für Orchester von Chélard Preghiera aus den Briganti von Mercadante und Aria aus Robert d’Evreux von Donizetti, vorgetragen von Herrn Pantaleoni Fantaisie von F. Liszt14

In der Weimarischen Zeitung vom 10. Januar 1844 konnte man lesen: „Der Kapellmeister Dr. Liszt, welcher seit kurzem hier verweilt, gewährte dieser Kunstdarstellung einen besonderen Reiz durch seine Vorträge.“15 Später am 3. April 1844 konnte man in der Allgemeinen musikalischen Zeitung Zeilen über die Beethoven’schen Wahlverwandtschaften Liszts lesen: Zum Dirigat der 5. Symphonie Beethovens etwa heißt es, Liszt habe sich damit „nicht nur den lebhaftesten Applaus von Seiten des Publicums, sondern auch den fast unbedingten Beifall der Kenner“ erworben: Unsere Hofcapelle wirkte unter seiner durchaus klaren, umsichtigen und geistvollen Leitung mit unverkennbarer Lust und Liebe und mit einem Erfolge, der ihren altbewährten Ruhm auf’s Neue sicher stellte. [...] Sein Feuergeist dämpfte sich vielmehr dabei zu ächt künstlerischer Ruhe und Besonnenheit, ohne an Kraft und Lebendigkeit zu verlieren. Wenn Herr Fr. Liszt diese Ruhe und Sicherheit auch in der Oper bewährt und sie mit jener Geduld und Ausdauer verbindet, welche zum Einstudiren neuer Werke erforderlich ist (wir möchten wohl einmal die neunte in Weimar noch nie gegebene Symphonie Beethoven’s unter seiner

14

15

S. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar/Universität Jena: Theaterzettelprojekt, in: urmel-dl.de/Projekte/TheaterzettelWeimar, Web, letzter Zugriff 08.09.2013 (D-WRl A10419/31, Bl. 59). Weimarische Zeitung, 10. Januar 1844, Nr.3, S. 11.

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Nicolas Dufetel Direction hören!), so können wir uns nur darauf freuen, ihn öfter an der Spitze einer Capelle zu sehen, welche freilich Meister in sich begreift, die auch gar tüchtig den Comandostab zu führen verstehen.16

Am 21. Januar 1844 dirigierte Liszt sein erstes vollständiges Konzert mit der Großherzoglichen Hofkapelle: Erste Abtheilung 1) 2) 3) 4) 5)

Sinfonia eroica von Beethoven Arie aus Torquato Tasso von Donizetti [...] Fantasie über Motive aus der Oper: Die Tochter des Regiments, komponirt und vorgetragen vom Herrn Kammermusikus Stör „Gute Nacht“, Lied von M. C. Eberwein [...] Konzertstück von C. M. von Weber, vorgetragen vom Herrn Kapellmeister Dr. Liszt

Zweite Abtheilung 6)

Musik zu Egmont von Beethoven, mit Text von Mosengeil, gesprochen von Herrn Genast. Die Lieder vorgetragen von Fräulein von Ottenburg17

Nach diesen zwei ersten Konzerten, äußert sich Carl Alexander in einem Brief an Soret erstaunt darüber, dass Liszt so schnell Fortschritte mit den Musikern seiner Kapelle gemacht hat: Liszt est encore ici. Il a pris la direction de l’orchestre pour les concerts et déjà on s’aperçoit des bons résultats de son influence. Son premier concert, qu’il dirigea en partie, fut très beau, le second, dirigé par lui entièrement, fut admirable, rarement j’en ai entendu de plus beaux. Je n’ai jamais vu un changement aussi visible dans si peu de temps que celui qui s’est effectué avec notre orchestre.18

Im folgenden Monat Februar kommt der Erbgroßherzog auf den Erfolg Liszts mit dem Orchester noch einmal zurück und beschreibt die Faszination, die ihn zu erfassen beginnt, eine Faszination, die im Laufe der Jahre eine crescendo-Form annehmen wird. Es handelt sich dabei um eine leidenschaftliche Beschreibung der Wirkung, die Liszt auf den jungen Fürsten ausübt, und man sieht darin die hauptsächliche Charakteristik ihrer Beziehung gekennzeichnet: Nous avons été très occupé[s] cet hiver sous le rapport musical par la présence du nouveau maître de chapelle de mon Père – Liszt. [La] flamme qu’il a exercé[e] sur 16 17 18

Allgemeine musikalische Zeitung, 3. April 1844, Nr. 46 14, S. 243-246. Ebd., S. 243-246 (D-WRl A10419/31, Bl. 66). Brief von Carl Alexander an Soret, 18. Januar 1844, in: D-WRl HAA XXVI/1074b, 78.

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l’orchestre a été si heureuse que nous avons eu une suite de concerts vraiment magnifiques – l’orchestre n’était plus à reconnaître. Quant à l’individu même c’est une individualité si originale, si peu ordinaire qui m’a surtout intéressé et attiré, plus encore que son génie. On trouve si souvent que des artistes même fort distingués, ne méritent, ne permettent cette expression que sous le point de vue unique de leur voix ou de leur doigts, de leur talent en un mot. C’est tout le contraire avec Liszt, qui me paraît tout aussi distingué comme homme que comme artiste. Une grande génialité de connaissances, un esprit brillant le rendent intéressant et aimable, une noblesse et une grande délicatesse de caractère le rendent estimable. Je l’ai vu souvent et toujours je le vis avec un intérêt presque nouveau. – Parmi les soirées dont il fit le charme et que je n’oublierai jamais, je citerai un concert chez ma femme où le professeur Wolff de Jena lut Faust tandis que Liszt l’accompagna en improvisant sur le piano. Dussé-je vivre 1000 ans, je n’oublierai jamais l’impression que cette soirée m’a laissé. Je vous assure que je comprends [maintenant autrement et] à merveille la fable d’Orphée.19

Der „Professor Wolff“, nämlich Oskar Ludwig Bernhard Wolff (1799-1851), hatte den Text zu seiner Festkantate zur Enthüllung des Beethoven-Denkmals in Bonn20 geschrieben, und der Komponist plante, eine Oper auf ein Libretto von ihm zu komponieren (Spartacus).21 Vielleicht waren die Klänge, die Liszt am Klavier improvisierte, Anfänge zu Einer Faust-Symphonie in drei Charakterbildern,22 später nach Goethe 1854-1861 komponiert. Im Rahmen der von Carl Alexander und seiner Ehefrau Sophie wieder organisierten literarisch-künstlerischen Soireen am Schloss Ettersburg, die wie ein Echo der Zeit Anna Amalias und ihres Musenhofes erscheinen, improvisierte der neue „Orpheus von Weimar“, wie Victor Hugo ihn nannte,23 am 1. Februar 1850 anlässlich eines musikalischen und literarischen Abends über ein anderes Monument der europäischen Kultur und der Weltliteratur, die Göttliche Komödie von Dante: D’abord à [Ettersburg] j’ai fait revivre ces réunions littéraires qui avaient repris l’année passée ; leur renaissance a été signalée par des succès. Ensuite, de retour ici, je tâche de continuer la même voie […]. Ainsi avant hier, j’ai donné un concert où 3 chants du Dante ont été lus accompagnés de l’improvisation de Liszt, et dont le génie vraiment divin le rendit, ce soir-là, digne de l’immortel poète dont il [sert à] traduire les élans […].24

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Brief von Carl Alexander an Soret, 25. Februar 1844, in: D-WRl HAA XXVI/1074b, 82. LW L1, S 67, 1845. LW T10, 1848. LW G18, S 108. „Le proscrit de Jersey serre la main à l’Orphée de Weimar“ (zit. n. Agnès De Naublet: Un univers d’artistes. Autour de Théophile et Judith Gautier, Paris 2003, S. 374). Brief von Carl Alexander an Soret, 3. Februar 1850, in: D-WRl HAA XXVI/1074c, 6.

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Am 19. Februar 1850 antwortete Soret: „l’œil de mon imagination m’a fort bien représenté vos extases et celles de tous les auditeurs à l’ouïe et à la vue des accords dantesques arrachés au piano par les vigoureux poings de Liszt [...].“25 Vielleicht war diese Improvisation tatsächlich ein Teil der zukünftigen Symphonie zu Dantes Divina Commedia,26 deren Thema des „Infernos“ Liszt der Fürstin Carolyne zu Sayn-Wittgenstein schon drei Jahre früher vorgespielte hatte.27 Die Melodie Le vieux vagabond,28 1848 auf einen Text von Béranger komponiert, benutzt tatsächlich Themen, die in Les Préludes und in der DanteSymphonie verwendet werden. 1849 bereitet sich Weimar, wo Liszt seit einigen Monaten fest eingerichtet ist, darauf vor, mit großem Pomp den 100. Geburtstag Goethes zu feiern. Im Zuge der sommerlichen Festivitäten, bei denen Liszt sehr beteiligt ist, informiert Carl Alexander Soret: Nous nous préparons à célébrer dignement l’anniversaire du 28 Août ; j’exposerai le modèle d’un monument pour Goethe et Schiller réunis que j’ai commandé à Rauch ; on donnera le Tasse, j’ai prié mon ami Liszt d’en composer l’ouverture. Puisse le génie de celui dont nous célébrons la mémoire planer à jamais sur notre [pays].29

Leider wurden die Archive der Privatschatulle von Carl Alexander, aus denen die Vergütung Liszts ersichtlich wird, zerstört: Es ist also unmöglich, genau zu erkennen, wie die finanziellen Modalitäten seiner Position in Weimar waren; auch kann man nicht sehen, ob manche seiner Werke (und welche?) von dem Großherzog bezahlt worden sind. In jedem Fall muss man nun im Hinterkopf behalten, dass andere Stücke als jene, von denen man schon weiß, dass sie Gelegenheitsmusik waren, vielleicht die Frucht eines Auftrages des Großherzogs sind. Zum Beispiel war die Ouvertüre zu Tasso, die später als Symphonische Dichtung unter den Titel Tasso. Lamento und Trionfo30 überarbeitet wurde, anscheinend ein Auftrag des Großherzoges. Dank Rena Charnin Mueller wissen wir, dass die ersten Skizzen zu Tasso aus dem Jahr 1847 stammen. Das bedeutet vielleicht, dass Liszt, als Carl Alexander seinem Kapellmeister gebeten hat, eine 25 26 27

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Brief von Soret an Carl Alexander, 19. Februar 1850, in: D-WRl XXVI/1074k, 2. LW G15, S 106, 1855-1856. Peter Raabe: Franz Liszt, Bd. 2: Liszts Schaffen, Stuttgart/Berlin 1931, S. 304. „Sie waren also mit der Bergsymphonie zufrieden, das ist mir eine Große Freude, schrieb die Fürstin an Liszt. – Ich vergesse nie, daß diese Motive mir von Ihnen in Woronince gespielt wurden, und daß es mit Mazeppa und dem Pater in Kiew die Motive des Dante waren, die mich lehrten, daß Sie ein Genie wären.“ (Brief von Carolyne SaynWittgenstein an Liszt, zitiert in Julius Kapp: Franz Liszt, Berlin/Leipzig 1918, S. 116. Kapp schreibt, dass der Brief von 1881 oder 1882 stammt). LW N44, S 304. Brief von Carl Alexander an Soret, 1. Juli 1849, in: D-WRl HAA XXVI/1074b, 184. LW G2, S 96, 1847-1854.

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Ouvertüre zu schreiben, schon die Idee zu einem Werk über Tasso zu komponieren hatte (vielleicht im Hinblick auf die Feierlichkeiten von 1849), und dass er die Skizzen benutzte, die schon 1847 komponiert wurden.31 Nach den Goethe-Festen fertigt der Erbgroßherzog einen kurzen Bericht an Soret an, um ihm seine große Zufriedenheit mitzuteilen: Le Tasse fut très bien donné et pour ainsi dire traduit en musique par le génie de mon fid[èle] ami Liszt que j’avais chargé de composer l’ouverture. L’originalité et la haute portée de son génie créateur et directeur se prononça bien plus le lendemain au concert qui nous présenta dans son ensemble une véritable perfection musicale.32

Laut Carl Alexander ist damals die Präsenz Liszts eine Antriebskraft für die Entwicklung der Musik in Weimar: „On fait beaucoup de musique grâce à la présence de Liszt. Hier nous organisâmes un concert d’amateurs où Sophie se fit entendre. Un concert religieux va avoir lieu dans la chapelle la semaine prochaine.“33 Und zehn Monate später schrieb er noch, dass „nous entendons beaucoup de musique et d’excellente“. Er erwähnt dann das Projekt einer MusikSchule, die den Namen von J. S. Bach tragen solle: On forme içi [sic] une sorte de conservatoire qui portera le nom de notre célébrité musicale d’Eisenach, [Jean-] Sébastien Bach. Elle se bornera, pour le moment, à réunir tous les différents chœurs chantant içi, [...], chacun dans son coin et à les mettre sous une bonne direction. Elle promet quelque chose, l’idée me semble raisonnable et exécutable.34

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32

33 34

„We must therefore conclude that Liszt’s development of Tasso as music for the Goethe Centenary Festival of 1849 came well after his conception of the work“, schreibt Rena Charnin Mueller (Liszt’s “Tasso” Sketchbook. Studies in Sources and Revisions, Diss., New York University 1986, S. 279). Ich möchte mich bei Rena C. Mueller für ihre Hilfe bei der Geschichte der Komposition von Tasso herzlich bedanken. Brief von Carl Alexander an Soret, 15. September 1849, in: D-WRl HAA XXVI/1074b, 186. Brief von Carl Alexander an Soret, 23 März 1850, in: D-WRl HAA XXVI/1074c, 10. Brief von Carl Alexander an Soret, 28. Januar 1851, in: D-WRl HAA XXVI/1074c, 35. Über die Geschichte der Musik-Schule in Weimar und die Rolle von Liszt bei ihrer Gründung und Entwicklung, die heutige unter den Namen Hochschule für Musik Franz Liszt bekannt ist, s. Wolfram Huschke: Zur Liszt-Identität der Musikhochschule in Weimar, in: Franz Liszt and Advanced Musical Education in Europe (Studia Musicologica 42/1-2 (2001)), ed. by Mária Eckhardt, S. 197-211, und Elgin Strub-Ronayne: Liszt and the Founding of the Weimar Conservatory, in: Hungarian Quarterly 34/130 (Summer 1993), S. 148-158; s. auch Wolfram Huschke: Zukunft Musik. Eine Geschichte der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar, Köln 2006.

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Nicolas Dufetel

Am 15. Mai 1851 teilt Carl Alexander den Ankauf der Altenburg mit, die schon von der Fürstin und ihrer Tochter bewohnt war, wohingegen Liszt offiziell im Erbprinz Hotel residierte: Maman [die Großherzogin Maria Pawlowna] a acheté l’Altenburg qui deviendra ainsi une terre de rapport. On donnera une partie de la montagne dominant la ville à la loge des franc-maçons afin d’y construire un bel hotel.35

Carl Alexander verschweigt, dass die Großherzogin Maria Pawlowna das Haus Liszt und seiner Gefährtin zur Verfügung stellen wird. Und als Soret Carl Alexander antwortete, war von der Bewohnerschaft natürlich nicht die Rede: L’emplette de l’Altenburg est une bonne acquisition, lors-même que ce ne serait point un placement d’un grand rapport ; l’habitation dominant le château et commandant les abords de la ville, Son Altesse Impériale, je trouve été fort inspirée en voulant en assurer la possession à sa famille. Elle me fait aussi honneur de me parler de cette affaire et de ses intentions sur la destination future de cette belle propriété ; mais c’est de vous que j’apprends le don fait à la loge des Franc Maçons d’une partie de la montagne ; j’espère qu’on y aura mis la condition de maintenir les arbres qui y sont plantés et qui en font tout l’ornement.36

Soret war kein Freund von Liszt und sah seinen Einfluss auf den jungen Erbgroßherzog nicht gerne, deshalb wird sein Name in ihrer Korrespondenz immer weniger erwähnt. Der Fall Hoffmanns von Fallersleben und seine Empfehlung von Liszt sind in dieser Hinsicht aufschlussreich. Liszt wollte den Dichter, dessen liberale Haltung ihm aber politische Probleme brachte, in Weimar installieren, um ihm zu helfen, ein Weimarisches Jahrbuch herauszugeben. Anfang März 1854 schrieb er an Carl Alexander: Monseigneur, J’ai à informer Votre Altesse Royale d’une visite intéressante : celle de Mr Hoffmann (von Fallersleben) — il désire vivement avoir l’honneur d’entretenir Monseigneur des projets qui lui sont en partie déjà connus par Mr Schade et s’est adressé à moi, pour transmettre à Votre Altesse Royale son désir – Comme le temps de son séjour ici est fort limité, je lui ai fait espérer que Monseigneur lui accordera un quart d’heure dans la journée de demain – [...].37

Der Erbgroßherzog antworte sogleich, dass er bereit sei, den Protégé von Liszt zu treffen:

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Brief von Carl Alexander an Soret, 15. Mai 1851, in: D-WRl HAA XXVI/1074c, 40. Brief von Soret an Carl Alexander, 30. Mai 1851, in: D-WRl HAA XXVI/1074k, 30. Brief von Liszt an Carl Alexander, [5. März? 1854], in: D-WRgs 59/72,16, Nr. 2.

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51

[…] Amenez-moi M. Hoffmann de Fallersleben ce soir à 7 heures, mon cher ; je désire beaucoup que Vous soyez présent Tout à Vous C38

Dass Liszt auf gewisse Weise ein „Eintreiber“ für Talente und bemerkenswerte Werke ist, wird einer der hauptsächlichen roten Fäden der Beziehung zwischen den beiden Männern, ihres gemeinsamen Vorgehens für ein ideales Weimar und ihrer Korrespondenz sein. Der Auftrag, die Mission des Musikers ist es demzufolge, das Wappen Weimars wieder zu vergolden, die intellektuelle und künstlerische Tradition wiederzubeleben, um der Stadt Strahlkraft zu verleihen. Die beste Methode zu diesem Ziel zu gelangen, ist es, die künstlerische Elite anzuziehen, sie zu umsorgen und die großen Männer der Zukunft zu protegieren, um sie an den Ruhm Weimars zu binden.39 Die unveröffentlichte Korrespondenz zwischen Liszt und Carl Alexander bietet ähnliche Beispiele an Briefen im Überfluss, die der Komponist für Persönlichkeiten aus der Kunstszene vorbereitet hat, aber auch für deutsche Fürsten, die der Großherzog unterzeichnet. Diese Dokumente sind von La Mara in ihrer Edition von 1909 ausgelassen worden, zweifellos, um den immensen und prägenden Einfluss, den der Musiker auf den Großherzog hatte, verdeckt zu halten. Unter den vielen Beispielen von Künstlern und Schriftstellern, die Liszt versucht hat, mit oder ohne Erfolg, nach Weimar zu ziehen, ist der Fall von Hoffmann emblematisch. Was dies betrifft, lässt der Komponist seinen Freund sofort wissen, dass Carl Alexander Interesse hat, ihm zu treffen: Verehrter Herr und Freund, S. K. H. haben mir bis jetzt keine Stunde bestimmen lassen. Wahrscheinlich aber treffe ich Ihn heute gegen 7 Uhr abends — und komme dan[n] vom Schloß sogleich zu Ihnen in Erbprinz. Hochachtungsvoll Ihr Aufrichtig ergebenen F. Liszt Dienstag 11 Uhr40

38 39

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Brief von Carl Alexander an Liszt [ 6. März? 1854], in: D-WRgs 59/27,12a, E60. S. Nicolas Dufetel: Comment continuer et compléter l’œuvre de Charles Auguste et de Goethe, afin d’assurer à Weimar en Allemagne la place qu’occupe Florence en Italie ? : La politique culturelle de Liszt et Carl Alexander à Weimar (1848-1861), in: Les grands centres musicaux du monde germanique (XVIIe-XIXe siècle), éd. par JeanFrançois Candoni/Laure Gauthier, Paris 2014, S. 379-412. Liszt an Hoffmann von Fallersleben, März 1854, in: D-Bsb, Nachlass Hoffmann von Fallersleben, Nr. 2.

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Nicolas Dufetel

Soret kam es zu Gehör, dass Carl Alexander den aufrührerischen Dichter aufnehmen wollte: Vous me questionnez sur le Journal. Il m’en faut un pour la fondation Goethe dont il doit être l’organe et il en convient un à l’Allemagne qui porte le caractère sérieux et élevé de „reviews“ d’Angleterre. Il ne sera qu’allemand, j’en ai exclu la politique et la religion. J’ai choisi quelques hommes qui feront du moins l’essai. Nous verrons. L’un deux, Hoffmann de Fallersleben, fera jeter des cris à beaucoup de monde, mais ceux qui aspirent à être indépendants [...] trouveront que j’ai raison [...].41

Am 18. Juli 1854 schrieb Soret an Carl Alexander, um sein Misstrauen mitzuteilen und zu raten, dass Hoffmann von Fallersleben wegen seines schlechten Charakters und seiner schlechten „moralité“ nicht in Weimar engagiert werden solle.42 In seiner Antwort jedoch erwähnt Carl Alexander weder den Namen Liszts noch die Rolle, die er in Bezug auf den Dichter spielt: Vous me parlez de Hoffmann puisqu’on vous en a parlé. Je m’en vais vous tracer le narré de son histoire en tant qu’elle se rapporte à moi afin qu’elle éclaire la position. Je désirai depuis longtems entreprende la publication d’un journal littéraire. Un docteur Oscar Schade de Bonn s’offrit à moi. Il me convint, je l’acceptai. Toutefois déclara-t-il ne pas pouvoir entreprendre la chose sans M. Hoffmann et je déclarai que je n’avais rien contre que ce dernier vienne habiter W[eimar] pendant quelque tems, pourvu qu’il ne m’incommode, car, dans ce cas, je lui retirerai la permission. Je le fis savoir à Hoff., je le lui répétai de bouche lorsqu’il vint. Je connais ses antécédents, j’ignorai ce qui concerne un prétendu livre sur Weimar, et j’observe que n’ayant pas été publié il est difficile d’en faire la critique […]. Je n’ai point appelé Hoff. Il s’est offert, je lui accorde ma protection jusqu’à ce qu’il me force de la lui retirer. Il est vrai que j’avais, que j’ai l’idée d’aider à mon journal par la publication de cette correspondance [zwischen Goethe und Carl August]. Je ne puis le faire sans la coopération des deux Goethe. Elle ne m’est point encore assurée complètement. Il va sans dire que je ne livrerai jamais le manuscrit et que ce ne seront que des copies, choisies et corrigées par moi que l’on lira. Telle est ma réponse. Faites en usage partout et de quelle façon.43

Schon 1851 notiert Carl Alexander in seinem Tagebuch, dass Liszt ihm erklärt habe, wie schwer war es für ihn sei, seine literarischen Texte zu schreiben (es ist die Zeit der Entwicklung der Goethe-Stiftung). Trotz dieser Schwierigkeiten und Sorgen um das Schreiben seiner literarischen Werke, die gut bekannt sind, denkt der Erbgroßherzog, dass Liszt geradeheraus die Musik verlassen könnte, um sich der Literatur zu widmen: 41 42 43

Brief von Carl Alexander an Soret, 30. Mai 1854, in: D-WRl HAA XXVI/1074c, 98. Brief von Soret an Carl Alexander, 18. Juli 1854, in: D-WRl HAA XXVI/1074k. Brief von Carl Alexander an Soret, 24. Juli 1854, in: D-WRl HAA XXVI/1074c, 99.

Die europäische Identität Franz Liszts

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La réception de Mad. De Plötz Vendredi passé fut plus intéressante que jamais, car Liszt y vint avec la verve spirituelle qui lui est propre. Il nous fit des aveux intéressants sur la difficulté avec laquelle il travaille ses écrits – parce qu’il assure ne pas avoir fait de solides études. Pour le moment il est très occupé de la GoetheStiftung. Je m’y intéresse peut-être plus que lui, du moins je crois que mon point de départ est peut-être plus élevé que le sien. En attendant Liszt grandit en importance incontestable. Il grandit en spirale car il présente toujours de nouvelles faces – être extraordinaire. Je ne serais pas étonné de lui voir quitter la musique tout à fait pour ne s’occuper que de littérature.44

Ein Jahr später vertraut er seinem ehemaligen Lehrer, die Art der Bewunderung, die er für einige Leute empfindet, mit denen er „verbunden“ war, an. Auch wenn er nicht Liszt nennt, sollte dieser Beweis die Faszination, die er dem Musiker entgegenbringt, ins Licht rücken: Vous êtes fou ! Vous me comparez à une coquette ! Quelle diable de coquetterie voulez-Vous qu’il y ait entre Vous et moi ? Et s’il y a du féminin dans mes lettres tant pis pour Vous si vous n’aimez pas le féminin. Savez-Vous que je me crois hermaphrodite ! Je vous entends pousser un grand cri. Criez et écoutez. Je me suis très rarement lié avec quelcun [sic] – ce que l’on appelle lié. Lorsque je l’ai fait l’attachement que j’ai voué à la personne a été toujours si véhément que je prétends qu’il y avait de l’intensité de sentiment de l’homme et de la femme. Voilà ce qui me fait aspirer à l’étrange privilège que je viens de baptiser. Peut-être jetterezVous des Ah et des Oh – tant qu’il vous plaira, mais le fait est tel que je vous l’écris. Du moins pour aujourd’huy ne me direz-Vous pas que je ne me compromets pas, et en tous les cas serez-Vous embarrassé de dire si c’est la partie féminine qui domine dans ma lettre de ce soir.45

Während der ungefähr 44 Jahre, die ihre Freundschaft gedauert hat, erlebten Liszt und Carl Alexander aber auch Momente der Schwierigkeit. Ihre Beziehung wurde durch Missverständnisse und Enttäuschungen geprägt, die durch ihre Korrespondenz und die Briefe zwischen Liszt und der Fürstin nachvollzogen werden können.

II

Sankt-Petersburg und Rom – das Vorgehen Carl Alexanders in Bezug auf die Heirat Liszts (1849-1861)

Aufgrund seiner Beziehung mit der Fürstin Carolyne zu Sayn-Wittgenstein, die Liszt über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren hinweg heiraten wollte, befindet sich der Komponist in den 1850er Jahren im Mittelpunkt eines 44 45

Carl Alexander: Tagebuchblätter, 18. Mai 1851, in: D-WRl HAA XXVI/1948, f. 58. Carl Alexander: Tagebuchblätter, 22. Februar 1852, in: D-WR1 HAA XXVI/ 1074c, 54.

54

Nicolas Dufetel

Austausches zwischen Weimar, Russland und Italien. Im Januar 1849 schreibt die Fürstin an Zar Nikolaus I., wobei sie selbst das Thema ist. Liszt bittet Carl Alexander, den Brief dem Zaren, also seinem Onkel, mit einer unterstützenden Nachricht zu überreichen: Votre Altesse Royale a bien voulu me permettre de lui confier les deux lettres ciaprès, dont le sort décidera du mien. La lettre du G[énéral] Comte Orloff46 contenant la copie de celle adressée à S. M. l’Empereur, il m’est venu un scrupule de la fermer ; j’ose donc prier V. A. R., avant l’envoi définitif d’y faire apposer le cachet de Madame la princesse que je joins ici, avec mon exemplaire du Dante [die Göttliche Komödie], dont vous daignerez excuser l’apparence maladive que les voyages lui ont donnée. J’ai l’honneur d’être, Monseigneur, De V. A. R. , Le très humble, dévoué et reconnaissant serviteur F. Liszt 28 Janvier 1849.47

In ihrem Brief, von dem eine Kopie mit dem Billet von Liszt unter der gleichen Signatur beilag, bittet die Fürstin um die Hilfe des Zaren; sie schreibt, dass sie, wenn ihre „Dinge“ geregelt und ihre Ehescheidung mit ihrem Mann, Fürst Nikolaus zu Sayn-Wittgenstein ausgesprochen ist, Liszt zu heiraten wünscht: Copie Sire ! Daignez ne pas repousser les accens d’une reconnaissance vraie, et qu’il me soit permis, d’offrir à Votre Majesté l’expression de ma gratitude pour son récent bienfait, dont je suis profondément pénétrée. Lui devant déjà tant, il m’est en quelque sorte commandé d’enhardir ma confiance en la Justice et la Bonté avec lesquelles Votre Majesté écoute les prières et les demandes de ses sujets, lorsqu’ils recourent à sa protection pour se mettre à l’abri de l’iniquité de leurs ennemis. Pourrai-je donc hésiter à implorer le secours de Votre Majesté, alors que d’elle seule dépendent ma paix et mon repos, qu’une vie sans tache et sans reproche [illisible] obtenir de ceux qui avaient le devoir de me les donner. Un fils du Prince Maréchal Wittgenstein,48 démentant contre toute attente, la réputation d’honneur et de loyauté, laissée par lui à sa si juste [libre], réputation qui m’avait fait croire que je trouverais dans cette alliance un mari honnête [si bon] 46 47

48

Vielleicht der Graf Alexis Orloff (1786-1861), General der russische Kavallerie. Brief von Liszt an Carl Alexander, 28. Januar 1849, in: D-WRl HAA XXVI/560a, 21). Nikolaus zu Sayn-Wittgenstein (1769-1843), Ehemann der Fürstin zu Sayn-Wittgenstein, war der Sohn von Peter zu Sayn-Wittgenstein, eines berühmten und ruhmreichen Helden der Russische kaiserliche Armee.

Die europäische Identität Franz Liszts

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intelligent, il ne m’est resté d’autre moyen de me libérer de l’ignoble intérieur qu’on m’a créé, que de recourir à l’impérieuse nécessité du divorce, devant lequel une pieuse résignation m’a fait longtemps reculer, malgré les conseils des personnes responsables, qui avec leur expérience, ne voyaient de salut pour moi, que dans ce refuge auquel j’avais le plus entier droit, selon les réglemens religieux. Ce divorce sera très prochainement prononcé par les autorités compétentes. Après avoir passé tant d’années dans une réclusion volontaire, absorbée par les [illisible] de mes constantes tribulations, et les luttes fatigantes qu’on ne m’a pas épargnées, j’ai résolu de donner à la dernière partie de ma vie le calme qui m’a manqué jusqu’ici. Je veux rendre impossible, en y ôtant même tout prétexte, le renouvellement des misérables ennuis dont j’ai été abreuvée, et qui m’ont été suscités principalement par la fatale influence qu’a toujours exercée sur son frère, le Prince Alexandre Wittgenstein,49 qui ayant espéré depuis longues années mettre à profit l’incapacité avérée de son frère, et ma crédulité de femme, se trouvant enfin [déçu] dans ses calculs, s’acharne conformément à ses menaces, à m’enlever traîtreusement ma fortune, dans laquelle sa convoitise cherche un moyen de réparer la sienne. C’est avec espoir en la bonté de Votre Majesté, que je viens la supplier de daigner permettre que je prenne de suite des dispositions de fortune, par lesquelles abdiquant mes droits de propriété sur mon héritage paternel je ferai don de tous mes biens à ma fille, me réservant seulement : – d’en recevoir les revenus ma vie durant, hormis la part que je lui en ferai lors de son mariage ou de sa majorité ; – et la faculté de nommer leur administrateur. Si Votre Majesté, daigne accueillir cette prière, je demanderai que cet administrateur soit Mr Vissareff (longtems chef de la chancellerie du général gouverneur Orsibideff) qui par ses rares qualités d’intelligence et de caractère, m’inspire l’estime nécessaire pour lui confier une tâche dans laquelle j’ai besoin d’être rassurée contre les dilapidations et l’incurie habituelles dans ces cas. Je renoncerai donc aux avantages d’une position qu’on m’a rendue si cruelle pour trouver enfin cette dignité et cette douceur de la vie intime, que toute femme peut demander à la destinée, dans un mariage selon mon cœur, avec Mr Liszt, dont le caractère si diversement éprouvé m’a donné la certitude d’une parfaite noblesse. En quittant le nom d’un héros, je le rendrai aux siens tel que je l’ai porté : l’honneur intact. Si joignant une grâce à tant d’autres, Votre Majesté, daignait généreusement permettre, que je garde en mon entière possession, même après mon second mariage, une terre peu considérable, de mille paysans (Woronince) qui m’a été donnée en dot, que j’ai toujours habitée et à laquelle se rattachent pour moi tous les souvenirs qui rendent cher le lieu de notre naissance, cette faveur particulière de Votre Majesté, qui impliquerait celle de continuer à rester sa très humble sujette serait reçue, avec toute la gratitude que savent porter des cœurs, qui n’ont jamais manqué à un noble sentiment. Tout mon espoir, tout mon avenir est entre vos mains Sire ! Les bienfaits, que Votre Majesté a déjà répandus dans ma vie, me donnent le courage à moi qui n’ai jamais compris d’autre ambition pour une femme, que de traverser cette terre dans la paix et le silence du foyer domestique, d’élever encore une voix jusqu’à votre 49

Alexander zu Sayn-Wittgenstein, Bruder von Nikolaus zu Sayn-Wittgenstein.

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Nicolas Dufetel Trône, ce recours des opprimés – Si mes vœux sont exaucés et que Votre Majesté daigne ne pas retirer la main protectrice d’une existence, qu’elle a déjà sauvée, c’est à elle seule que je suis destinée à devoir toutes les garanties de ma sincérité et de mon bien être, et c’est en cela que je bénirai l’action providentielle qui répare les malheurs, que le sort ne m’a pas ménagés. J’ai l’honneur d’être, Sire, Avec le plus profond respect de Votre Majesté La très humble et très fidèle sujette Princesse Carolyne Wittgenstein Née Iwanowska50

Elf Jahre später – der Fürst Nikolaus zu Sayn-Wittgenstein ist bereits wieder mit einer anderen Frau verheiratet – ist die Sache mit der Heirat Liszts mit der Fürstin noch immer nicht vorangekommen. Durch die Heirat der Tochter der Fürstin, der „Prinzessin“ Marie zu Sayn-Wittgenstein, mit Fürst Constantin zu Hohenlohe-Schillingsfürst 1859 erreichte das Problem der Heirat ihrer Mutter mit Liszt ein anderes, vielleicht noch komplizierteres Niveau.51 Jetzt spielten Gegenkräfte hinein – in Wien, wo die Fürstin Marie von nun an wohnte, und in Rom, wo ihre Mutter sich im Mai 1860 niedergelassen hatte und wo auch der Bruder ihres Mannes, Monsignore Gustav zu Hohenlohe-Schillingsfürst, lebte. Liszt musste also um Unterstützung von Carl Alexander nicht nur gegen Sankt-Petersburg und Rom, sondern auch gegen diese neue Wiener Opposition suchen. 1860 bittet Liszt den Großherzog inständig, ihm zu Hilfe zu kommen, und verfasst zu diesem Zweck mehrere Entwürfe von Briefen, von denen der Herrscher einen nach Sankt-Petersburg weiterleitet, an seinem Cousin Zar Alexander. Im Januar schickt Liszt ihm die folgende Notiz, um ihm einen Teil des Briefes zu diktieren, den er dem Zaren schicken soll:

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Fürstin zu Sayn-Wittgenstein an dem Zar Nikolaus I., Januar 1849, in: D-WRl HAA XXVI/560a, 21 (Kopie von Fürstin Sayn-Wittgenstein selbst). S. Paul Merrick: Liszt’s Transfer from Weimar to Rome: A Thwarted Marriage, in: Studia Musicologica 21 (1979), S. 219-238; Donna Maria Di Grazia: Liszt and Carolyne Sayn-Wittgenstein: New Documents on the Wedding that Wasn’t, in: 19th-Century Music 12 (1988), S. 148-162; Liszt, The Princess, and The Vatican: New Documents Concerning the Events of 1861, MA Thesis, University of California, Davis 1986; Alan Walker/Gabriele Erasmi: Liszt, Carolyne and the Vatican. The Story of a Thwarted Marriage (Liszt Society Studies Series 1), New York 1991; Pauline Pocknell/Malou Haine/Nicolas Dufetel (Éd.): Lettres de Franz Liszt à Marie de Hohenlohe-Schillingsfürst, née de Sayn-Wittgenstein, Paris 2010.

Die europäische Identität Franz Liszts

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Voici, Monseigneur, quel serait en substance le contenu du paragraphe qui me concerne : „Mon intérêt affectueux pour Liszt n’ayant pas diminué mais augmenté depuis les 18 ans qu’il est en service de ma maison, je souhaite lui donner un témoignage de la satisfaction que m’ont inspirée sa conduite loyale et son attachement à ma personne, en {régularisant enfin sa position à Weimar par son mariage avec la Princesse Wittgenstein. Ce mariage deviendra une chose aussi simple qu’aisée du moment que vous voudrez l’envisager comme moi, de bon œil. Il ne s’agit pour en effectuer la conclusion que de lever les instructions contraires données dans l’affaire du divorce de la Princesse et qui font craindre à ceux dont elle dépend d’offenser l’autorité en la jugeant impartialement et conformément à la demande de la Princesse Wittgenstein laquelle est d’autant plus légitime que le Prince Nicolas Wittgenstein auquel elle avait été mariée a contracté depuis trois ans un second mariage. C’est donc mon désir personnel que je vous exprime très … (adverbe au choix de Monseigneur) en vous priant d’être favorablement disposé à ce sujet, afin que des mesures soient prises pour que cette affaire (présentement confiée à un avocat de la princesse qui a obtenu du pape l’ordre adressé au métropolitain de Pétersbourg de faire réviser son divorce) marche promptement à bonne fin.} –.“52

In dem Brief, den Carl Alexander am 20. Januar 1860 an den Zar Alexander adressieren wird, übernimmt er einige von Liszt diktierte Formulierungen Wort für Wort (die Passage ist mit {} gekennzeichnet): Il me faut t’arrêter encore un instant pour te rappeler une conversation que nous eûmes un jour, cet automne, à un dîner à Lasensky. Je t’y fis part de ce que je venais d’apprendre que le Pape avait réclamé la révision du procès de la princesse Wittgenstein à fin [sic] de le voir terminer ; j’osais alors y joindre la prière que tu daignes laisser libre cours à cette affaire et tu me le laissas espérer. Je suis forcé aujourd’hui d’y revenir où après que tout semblait aplani et être prêt à finir à l’amiable on met de rechef l’affaire en doute depuis la Russie en annonçant comme perdue la demande papale par rapport à la révision du procès. Tu sais et comprends que je dois désirer ardemment de {régulariser la position de Liszt à Weimar par son mariage avec la princesse Wittgenstein ; or ce mariage deviendra une chose aussi simple qu’aisée que tu voudras l’envisager comme moi de bon œil. Il ne s’agit pour en effectuer la conclusion que de lever les instructions contraires données dans l’affaire du divorce de la princesse et qui font craindre à ceux, dont elle dépend, d’offenser l’autorité en la jugeant impartialement et conformément à la demande de la princesse Wittgenstein laquelle est d’autant plus légitime que le prince Nicolas Wittgenstein auquel elle avait été mariée a contracté depuis 3 ans un second mariage. C’est donc mon désir personnel que je t’exprime, cher ami, en te suppliant d’être favorablement disposé à ce sujet afin que des

52

Brief von Liszt an Carl Alexander, o. D. [16. O. 17. Januar 1860], in: D-WRl HAA XXV/455, Nr. 361, 5-6.

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Nicolas Dufetel mesures soient prises pour que cette affaire (présentement confiée à un avocat de la princesse qui a obtenu du pape l’ordre adressé au Métropolitain de Pétersbourg de faire réviser son divorce) marche promptement à bonne fin.}53

In diesem Jahr, sowie in anderen Phasen ihrer Beziehung, hat Liszt der Fürstin regelmäßig seine Korrespondenz mit Carl Alexander mitgeteilt.54 Diese Briefe, die viel über die Gedanken Liszts erklären, finden sich nicht in der Edition von La Mara. Am 21. Oktober 1860 sendet Liszt schließlich ein Telegramm in höchster Dringlichkeit an den Großherzog, der sich in Warschau bei seinem Cousin aufhält. On tâche du côté de Vienne d’obtenir de nouvelles rigueurs contre la Princesse de l’Empereur Alexandre à Varsovie. – Je supplie Monseigneur de Daigner ÿ mettre empêchement.55

Der Brief, den Liszt später an die Fürstin schrieb, erklärt diese Probleme, die aus Wien stammen: Les relations entre le ministère des Affaires étrangères de Paris et la Légation de France à W[eimar] sont peu fréquentes à ce qu’il paraît. […] Ayant eu vent que Const[antin zu Hohenlohe-Schillingsfürst] profiterait de l’entrevue de Varsovie pour obtenir de l’E[empereur] A[lexandre] une sanction définitive des intrigues W[ittgenstein] et H[ohenlohe] contre vous, j’ai télégraphié de suite le 21 octobre soir à mon retour ici à Mr S[acha = Carl Alexander] ces mots : „On tâche du côté de Vienne d’obtenir de nouvelles rigueurs contre la Princesse de l’E. de R. à Varsovie. Je supplie M[onseigneur] de daigner y mettre empêchement – „Sans me faire illusion sur notre faiblesse relative, j’ai pourtant bon espoir, et vous supplie de partager le sentiment qu’exprime le grand apôtre : „Si Deus nobiscum, quis contra nos !“ Du reste Mme S[acha] a été pleine de tact et je dirai même de bienveillance envers moi à cette dernière visite – Aussi ne désespérerai-je pas de la convertir plus entièrement à la droiture de nos sentimens….. mais il faut encore un peu de temps pour cela. Je retournerai à la W[artbourg] un de ces jours. […] Voici une nouvelle importante que j’ai appris[e] hier de source certaine : M. Kiss a écrit au Cte Beust pour le prier d’informer S[acha] que S[a] S[ainteté = Pie IX] avait permis le mariage de la Pcesse W[ittgenstein]. avec Mr L[liszt]. Mal[titz] est naturellement dans la confidence et on m’a assuré même que Mme Malt[titz] commençait presque à s’indigner contre les Hoh[enlohe] de ce qu’ils continuent ainsi le rôle des Witt[genstein]. S’il en est ainsi, c’est un assez bon symptôme.56 53

54 55

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Brief von Carl Alexander an Alexander II., 8./20. Januar 1860, in: D-WRl HAA XXVI/895g, 1-5. S. z. B. D-WRgs 59/81. Telegramm von Liszt an Carl Alexander, 21. Oktober 1860, in: D-WRl HAA XXV/457, Akten, 385, Nr. 6. Brief von Liszt an Fürstin zu Sayn-Wittgenstein, 26. [?] Oktober 1860, in: D-WRgs

Die europäische Identität Franz Liszts

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Auf Bitten Liszts wird sich der Großherzog auch an Rom, an Kardinal Giacomo Antonelli, eine Schlüsselfigur der diplomatisch-familiären Tragödie, wenden um zu versuchen, das Problem der Heirat zu regeln. Am 2. Oktober 1860 führen die zwei Männer auf der Wartburg eine lange Unterhaltung, von der Carl Alexander in seinem Tagebuch berichtet: Liszt arriva et monta avec moi à la Wartb[urg]. En route il me conta ses chagrins. Ces confidences engendrent une nouvelle lettre à Antonelli qu’il loue (la lettre) ce qui me réjouit parce que je désire l’aider et que Liszt étant un des caractères les plus indépendants que je con[n]aisse et à moi dévoué et un esprit des plus distingués, être approuvé et apprécié par lui est une vérité et de celles qui honorent la personne à laquelle elles s’adressent. J’eus avec lui deux heures de conv[ersation] des plus intéressantes. Je lui fis part de mes observations sur D[in]g[el]s[ted]t] afin d’avoir une doublure en cas de son départ. Il me nomma Strebel, Jutskow, et approuva celui que j’indiquai moi.57

Mehrere von Liszt und Carl Alexander an Kardinal Antonelli geschriebene Entwürfe und andere Handschriften könnten noch viel erklären.58 Es ist aber hier nicht der Ort, um im Detail über die komplizierte Geschichte der gescheiterten Heirat Liszts zu erzählen.59 Die Wartburg war ein privilegierter Ort für die Konversationen von Liszt und Carl Alexander „en tête à tête“, vor allem für die, die die Heirat betrafen. Sie spielte aber auch eine sehr wichtige Rolle in Werken von Liszt, ihrer Inspiration und ihrer deutsch-europäische Identität.

III

Die Wartburg als „Erinnerungsort“ Deutschlands und Europas (die Wartburgfeste 1867 und 1873)

Am 25. Dezember 1861, etwas mehr als zwei Monate nachdem Liszt sich in Rom gemütlich eingerichtet hat, vertraut er dem Großherzog Carl Alexander an, dass „La température de Rome [lui] convient parfaitement“: er komponiert, liest und „comme récréation“ besucht er Kirchen, Galerien und Ateliers der ewigen Stadt.60 Er schreibt auch, dass er hofft, vor Ostern sein Oratorium Die Legende

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59/81, Nr. 38. Carl Alexander: Tagebuch, 2. Oktober 1861, in: D-WRl HAA XXVI/1959, 8. D-WRl HAA XXV/458, Nr. 387, 3-5; Akten 460, Bd. 16, 25 (Register). S. Brief von Liszt an Carl Alexander, o. D. [16. O. 17. Januar 1860], in: D-WRl HAA XXV/455, Nr. 361, 5-6, s. Anm. 46 und andere Dokumente in Nicolas Dufetel: Franz Liszt à Weimar d’après la correspondance inédite de Carl Alexander (1844-1861), in: Akten der Tagung The European Sound in the Era of Liszt: The Musical Tour in the 19th Century, ed. by Fulvia Morabito, Brepols, in Vorbereitung. Brief von Liszt an Carl Alexander, 25. Dezember 1861, in: D-WRl HAA XXVI/560a, 164-165.

60

Nicolas Dufetel

von der heiligen Elisabeth fertigzustellen, und dass sich vielleicht später eine Gelegenheit bieten werde, es entweder in Weimar oder auf der Wartburg aufzuführen.61 Das Werk wird allerdings nicht wie geplant fertig: Erst am 1. November 1862 schreibt er an Carl Alexander, dass es vollendet ist. Nach der Erstaufführung auf Ungarisch in Budapest (15. August 1865) sowie Aufführungen in Prag und München drückt Liszt Carl Alexander seinen Wunsch aus, es ihn hören zu lassen: Mon « Elisabeth » a rencontré bon accueil à Pest, Prague et Munich. Diverses personnes qui se piquent de ne pas apprécier mes compositions, assurent pourtant que j’ai passablement réussi en celle-ci. Je désirerais beaucoup la présenter très humblement et la faire entendre à Madame la Grande Duchesse et à Vous, Monseigneur, car Vos Altesses Royales sont les parrains d’honneur de cette partition, destinée d’abord au programme d’une fête à la Wartburg. Pareille fête sera-t-elle célébrée ? Y aura-t-il de sitôt place en Allemagne pour d’autre musique que les tambours ? A vue de pays, le concert européen actuel semblerait de nature à déconcerter les musiciens qui rechercheraient d’autres satisfactions que de travailler selon le sens proverbial „pour le roi de Prusse“.62

Carl Alexander schlägt also vor, Die Legende von der heiligen Elisabeth in die Feste zu integrieren, die im folgenden Sommer (1867) zum 800jährigen Bestehen der Wartburg begangen werden, unter der Bedingung, dass Liszt kommt und selbst dirigiert – was der Komponist akzeptiert.63 Der Großherzog widmet dem Fest mehrere Seiten in seinem Tagebuch, die am Geburtstag Goethes mit der Aufführung des Oratoriums in der Burg selbst, in der die Heilige gelebt hat, ihren Höhepunkt finden. In Hinblick auf das Bild der Elisabeth – einer heiligen ungarischen Franziskanerin, einer Deutschen und Europäerin, in vielen Punkten Liszt ähnlich, sodass man seine Verbundenheit mit ihr versteht – sind die Feste ein Termin des kulturellen Lebens Deutschlands aber auch Europas.64 Als „Erinnerungsort“65 und Symbol der deutschen Einheit ist die Wartburg auch ein Monument der europäischen Kultur, über das die Heilige Elisabeth und Liszt, zwei im Thüringer Exil lebende Ungarn, verbunden sind. 1846 schrieb Liszt an

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„J’espère avoir terminé à Pâques mon oratorio de Ste Elisabeth, et peut-être se présentera-t-il plus tard quelqu’occasion de vous le produire soit à Weimar soit à la Wartburg“ (Ebd.). Brief von Liszt an Carl Alexander, 11. September 1866, in: D-WRl HAA XXVI/560a, 190-191. Brief von Liszt an Carl Alexander, 7. Januar 1867, in: D-WRl HAA XXVI/560a, 192. S. Elisabeth von Thüringen. Aufsätze. Eine europäische Heilige. Begleitbuch zur Ausstellung, Petersberg 2007. Pierre Nora: Auf der Suche nach europäischen ‚Orten der Erinnerung‘, in: Abendland Unter? Reden über Europa, hg. von Henning Schullte-Noelle/Michael M. Thoss, München 2007, S. 150-156.

Die europäische Identität Franz Liszts

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Schober, der einen Artikel über die Wartburg geschrieben hatte und diesen in Frankreich publizieren wollte, dass L’article tel qu’il est ne serait publiable dans aucun journal français : il faut en faire un autre, où l’on explique en peu de mots en quoi et comment la Wartburg est historiquement intéressante pour l’Europe, et pourquoi l’Europe doit s’intéresser à sa réputation : puis faire une courte description architecturale du château : mais surtout ne pas oublier qu’on doit être lu par des Français, insouciants de ce qui se passe en Allemagne et ignorants au suprême degré d’histoire et de légende allemande.66

Acht Jahre später schrieb er an die Fürstin zu Sayn-Wittgenstein über die europäische Identität der Wartburg: A souper, j’ai parcouru le Journal des Débats du 8 Juillet, où il y a un petit article de Saint-Marc-Girardin sur la visite du Roi de Prusse à la Wartburg. ‘Ce château, y est-il dit, est cher à plusieurs titres à tous les patriotes allemands, et nous ne sommes pas étonnés que le Grand-duc de Saxe-Weymar, qui étudie avec non moins de zèle que de succès l’histoire de l’Allemagne, ait eu la bonne pensée de restaurer la Wartburg, et même d’y placer un musée de vielles armures. La Wartburg sera pour l’Allemagne du moyen âge ce que Versailles est pour la France du 17ème siècle !’67

Im August 1867 finden sich das Deutschland der Gekrönten und das der Künstler und Journalisten auf der Wartburg zusammen. Dieses prachtvolle Gefolge wird von vielen Ausländern vervollständigt. Am 27. August 1867 begeben sich Liszt und Carl Alexander gemeinsam auf den Weg zur Wartburg und treffen auf der Route viele Bekannte: Pris Liszt à son hôtel. Nous causons remplacement [de] Dingelstedt68 en route et arrivons ainsi à Immelborn où nous trouvons toutes sortes de Coryphées musicaux ; Milde, Gille etc. à Salzungen nous voyons poindre Gaspérini le rédacteur de la Liberté. A Eisenach nous tombons de rechef sur un public musical. Je rencontre Bronsard mari et femme, Liszt embrasse Ollivier son gendre, il me fait l’effet d’un char de triomphe. Je le mène au château en ville où je l’établis et je [me rends] à la [Wartburg].69 66

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Brief von Liszt an Schober vom 28. Mai 1846, in: Franz Lisztʼs Briefe, hg. von La Mara, Leipzig 1893, S. 63. Brief von Liszt an die Fürstin zu Sayn-Wittgenstein vom 8. Juli1854, in: Franz Lisztʼs Briefe, hg. von La Mara, Leipzig 1899, S.193. Am 26. August 1867 schrieb Carl Alexander in seinem Tagebuch, er habe „Reçu la demande de Dingelstedt de quitter mon service pour prendre à Vienne la direction de 2 théâtres. […] cette perte m’est extrêmement pénible“ (D-WRl HAA XXVI/1964, 135v). D-WRl HAA XXVI/1964, 135v.

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Allerdings liefert Carl Alexander den Bericht des großen Festtages nicht in seinem Tagebuch, sondern in einem sehr langen, sehr detaillierten und gefühlvollen Brief an seine Schwester Augusta, der wirkt, als wolle er die deutschnationale, die europäische, und die ökumenische Seite austarieren: […] Appelé à Liebenstein le 25 par un concert du „Neudeutschen Musikverein“ dont je suis protecteur, j’en revins le 27, le matin, amenant Liszt à Eisenach. J’eus la joie de retrouver en lui l’esprit, l’ardeur et la vigueur que j’ai aimés à mesure que je l’ai connu et que j’ai connu à mesure que je l’ai admiré. Depuis le château où je l’établis je me rendis directement à la Wartbourg ou ma femme et mes filles me rejoignirent quelques heures plus tard. Déjà ville et château se paraient, guirlandes et drapeaux en parlaient. J’eus la satisfaction de voir qu’un [tout] artistique parfait avait présidé à l’ornementation de la Wartbourg ; on n’avait fait que le juste nécessaire pour élever la beauté de l’architecture et caractériser l’époque que le centenaire rappelait. Je parcourus tout le palais dans son étendue actuelle avec émotion, je n’ai pas d’autre expression pour ma reconnaissance envers Dieu. Il y eut un dîner fort restreint et [à] quatre heures nous nous rendîmes dans la grande salle assister à la répétition de l’oratorio de Liszt. Il dirigea avec l’ancienne sagacité et énergie. Il le prouva jusqu’après dix heures du soir où les [pas ?] du nombreux public et orchestre se perdirent sous les voûtes. Le temps changea pendant la répétition, un orage passa sur le château, Liszt aurait-il agi en nouvel Orphé[e] ? Cela ne m’étonnerait pas. – Le 28 vint. D’épais brouillards cachèrent la contrée et enveloppèrent le château, il avait plu la nuit. J’étais toutefois sûr que Dieu éclairerait cette fête de reconnaissance pour lui de sous le soleil, tellement que lorsque les premiers rayons baisèrent les murs du « Pallast », au moment où le cortège se mettait en marche pour aller à la chapelle, je ne fus pas surpris mais bien heureux et reconnaissant. Je courais partout le matin. Je voulais respirer la fête partout. Déjà partout grande activité, des hommes mettaient la dernière main aux arrangements, des curieux accouraient […], les soldats à leur poste. Je déjeunais avec mes filles dans la chambre de Willibald Pirkjeimer à Nüremberg, l’ami d’Albrecht Dürer et qui acheté[e] par Sophie a été donnée par elle à la Wartbourg, où elle a été artistement et heureusement intercalée entre les deux autres chambres historiques de cette aile : celle de Luther et celle du sauveur de Catherine de Hohenstaufen. […] L’heure de la toilette vint. A dix heures arriva la femme de Hermann, sa délicieuse fille, et ses deux fils aînés qui me plaisent infiniment. Le ciel s’éclaircit, il y eut un cri : voilà du bleu, voilà le soleil. On avertit que tout était prêt à la Chapelle, on s’y rendit précédé et suivi de la cour. J’avais convoqué le clergé de toute l’Allemagne entière à cette cérémonie […]. [L]e président, M. Gruneisen de Stuttgart, le même qui il y a douze ans inaugura la chapelle de la Wartbourg tint le sermon après que le surintendant d’Eisenach, Thier, prononça la prière d’introduction accompagné de chants admirables exécutés au dehors de l’enceinte de la chapelle. […] Des chants des troubadours de l’époque de la lutte des „Minnesänger“ aller-venaient [sic] pendant le dîner dans les grandes arcades de la salle

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avec les sons de musique moderne mais classique dans la gallerie [sic] de Ste Elisabeth. Le banquet terminé on passa dans la chambre de Ste Elisabeth au rez-dechaussée. J’y avais fait arranger dans sa chambre particulière une exposition de ses souvenirs. Le buffet dans lequel elle conservait le pain pour les pauvres, une broderie de sa main, une nappe apportée par elle de Hongrie et donnée à ma femme par le prince de Brannfels qui la possédait, un livre de prières ayant appartenu à la Sainte. [..] Il y avait des journalistes distingués, des poëtes et auteurs célèbres, des artistes remarquables, des catholiques et des protestants, prêtres et laïques. La foule pendant ce temps remplissait de plus en plus le palais. Nous nous retirâmes pendant une petite heure, et à 7 heures nous allâmes en grand cortège à la Grande salle. Comment nous dépeindre cet aspect ! Un monde énorme composé d’une foule d’étrangers, d’une foule d’indigènes, d’une foule de personnes intéressantes, connues, puis un orchestre immense, des centaines de chanteurs et tout cela inondé de lumière et encadré et dominé par cette étrange architecture qui semble appartenir à une imagination qui n’est plus de notre temps. Notre cortège passa par la colonnade à la grande porte du milieu, traversa la salle et gagna le „haut-pas“, le même d’où Hermann écouta les luttes de ses troubadours. Nous saluâmes la foule et prîmes place ; le concert commença. Si je dis qu’il fut beau je dis vrai mais pas assez ; si je dis qu’il fut curieux je dis plus, si je dis qu’il fut digne du lieu et de la circonstance je dis assez. L’aspect de cette salle, de cette foule, de cette solennité du soir fut étrangement beau. Ajoutez-y un comme-il-faut parfait, malgré cette foule énorme et à peine comme une politesse extrême et soutenue malgré la durée du concert et vous vous retrouverez dans les traditions de notre famille. Nous mîmes dans l’intervalle une heure à faire [cercle ?] et cela encore superficiellement. A 11 heures tout fut terminé. En quittant la salle on trouva le château magnifiquement éclairé, une nuit calme chaude et étoilée succéda [à] la journée. Le 29 je reçus artistes et poëtes dans la matinée, il y eut une répétition de l’oratorio [de] Liszt en ville à l’église de St Georges où Liszt ne dirigeait pas. Il a emporté enfin une grande et décisive victoire ; son oratorio est, je puis le dire sans exagération, sublime car il en a prié des parties et le caractère de la prière intime et fervente a passé à l’ouvrage. J’avoue que je fus touché jusqu’au[x] larmes ce qui m’est arrivé rarement dans ma vie pendant cette musique et beaucoup de personnes partageaient cette impression. Pour le diner nous remontâmes à la Wartbourg, il fut moins nombreux que la veille, mais non moins intéressant. Il eut lieu de nouveau dans la salle des troubadours. Nous la quittâmes pour nous tenir sur le perron et recevoir les hommages de toutes les écoles de la ville, auxquelles la ville donna une fête ce soir et à laquelle vous avez si généreusement et gracieusement contribué. L’aspect de cette grande cour remplie d’enfants fut charmant et touchant à la fois. Mais comment décrire le pittoresque de la fête même, qui suivit dans la vallée au pied de la Wartbourg du côté du „Marienthal“. Il y eut à peu près 6 mille personnes qui s’y placèrent commodément. Au milieu de la fête apparut une procession du moyen-âge portant la petite princesse de Hongrie dans son berceau d’argent et distribuant des cadeaux – ce qui fut ravissant. La nuit vînt. La Wartbourg s’illumina de nouveau. Des feux de Bengale éclairèrent. Nous partîmes, une procession éclairée de

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Nicolas Dufetel lanternes de couleurs nous conduisait dans le Marienthal puis elle aussi disparut dans la nuit et nous sommes enrichis d’un souvenir de plus. Mais quel souvenir ! Tant que je vivrai je me rappellerai avec émotion de ce jour, avec émotion de la jubilation de reconnaissance que j’ai porté aux pieds de l’Éternel, je n’oublierai non plus le caractère de cette fête. Elle fut, ou pour mieux dire, son caractère grandit en dehors de ce qu’au fond on avait pensé car elle est devenue nationale [...].70

Am 29. August 1867 wurde das Oratorium, wie Carl Alexander seiner Schwester erzählte, noch einmal unter der Leitung von Carl Müller-Hartung in Eisenach aufgeführt. Der Großherzog vertraut seinem Tagebuch einen anderen, noch detaillierteren Bericht des zweiten Konzerts an: Er begibt sich in Begleitung seiner Frau und seiner Töchter dort hin und bemerkt, dass eine Menge Ausländer anwesend waren. Liszts Werk erscheint ihm noch schöner und „eloquenter“, und er war, wie andere Leute, „zu Tränen gerührt“: Vers 10h avec la [grande-duchesse] et mes filles en ville à l’église St. Georges où l’oratorio de Ste Elisabeth est répété. Foule. Nous sommes très bien placés sur le haut près du chœur. L’œuvre de Liszt me parut encore plus belle que la veille, plus claire, plus éloquente. Je fus touché jusqu’aux larmes et je ne le fus pas seul. J’en vis dans les yeux de Liszt auquel Müller Hartung baisa la main lorsque le premier remercia le second de son admirable direction. Beaucoup d’étrangers, parlant […] anglais, derrière nous.71

Nachher blieb Liszt ein paar Tage mit der großherzoglichen Familie im Schloss Willhelmsthal, und Carl Alexander bringt in seinem Tagebuch einige Details seines Aufenthaltes.72 70

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Brief von Carl Alexander an Augusta, 29. August 1867, in: D-WRl HAA 797/8, 86-95. Carl Alexander: Tagebuch, 29. August 1867, in: D-WRl HAA XXVI/1964, 136. Carl Alexander: Tagebuch für das Jahr 1867, in: D-WRl HAA XXVI/1964; „Liszt s’y établit [Wihlemsthal] le soir. Il joua ainsi que le violon hongrois Reményi en perfection. Ils exécutèrent sans l’avoir essayé préalablement une délicieuse composition“ (Ebd., 30. August, 136); „Beaucoup causé avec Liszt. Temps divin? Rémenyi joue encore le soir.“ (Ebd., 31. August, 136.); „Beaucoup causé avec Liszt. Eté à la chasse dans les forets de Wihlemsthal […] Liszt joue et accompagne la G[rande] d[uchesse] qui chanta délicieusement des airs italiens […]“ (Ebd., 2. September, 137); „Mad Palolo [?] nous lit la traduction de la tragédie du Cte Tolstoy Yvan le terrible en présence de Liszt. Elle est grandiose mais sera moins goutée en Allemagne qu’elle ne l’a été en Russie parce qu’ici l’histoire du pays natal [?] ni la nationalité de l’auteur ne pèseront dans la balance. […] Liszt reste et [fait] musique avec la G[rande] d[uchesse] le matin.“ (Ebd., 3. September, 137); „Je passai une partie de la matinée avec Liszt qui repart auj. Il est bien la preuve vivante de la supériorité de ceux qui vivent surtout dans l’esprit car on dirait qu’il ne voit tout qu’à vol d’oiseau; aussi ne s’occupe-t-il jamais des accessoires si ce n’est lorsqu’il sont nécessaires au but.“ (Ebd.,

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1873 war die Wartburg Ort eines anderen nationalen, wenn nicht gar internationalen Ereignisses, das erneut die großherzogliche Familie, Liszt, MüllerHartung und die Heilige Elisabeth vereinte: die Festlichkeiten zu Ehren der Hochzeit von Carl August, dem Sohn Carl Alexanders, mit seiner Cousine Pauline von Sachsen. Im Jahr zuvor hatte Carl Alexander bei Liszt eine Musik zur Begleitung eines „Lyrischen Festspiels“ in Auftrag gegeben, dessen Text von Viktor Scheffel geschrieben worden ist.73 Das Werk wurde unter dem Titel Wartburg Lieder (Der Braut Willkommen auf Wartburg),74 1873 veröffentlicht. Am 23. September 1873 finden sich um 19 Uhr fast 500 Personen zusammen, um das Festspiel in demselben „Großen Festsaal“ der Wartburg zu begehen, in dem einige Jahre zuvor Die Legende von der heiligen Elisabeth aufgeführt worden war. Die Allgemeine Illustrirte Zeitung. Über Land und Meer gab einen langen Bericht des Ereignisses, der die ganze thüringisch-weimarische – doch deutsche75 – Mythologie zusammenstellt.

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4. September, 137); „Comme Liszt partit en même temps pour Meiningen et Munich, nous firent route ensemble jusqu’à Wasengen [?]. Il fut pour moi chargé de sonder le poète Paul Heyse de s’établir à Weimar si Dieu permet et si je vis et comme mon bibliothécaire et comme directeur artistique du [théâtre] de Weimar.“ (Ebd., 19. September, 142). „[…] Scheffel hat mir ein Poem gesendet das reizend ist, so poetisch als für Ort und Zweck passend. Es kommt, so Gott will heute in die Hände des von dem Kasseler Musiktagen nach Weimar zurückkehren – den Liszt. Da die einzelnen Gestalten der thüringischen Sagen sehr scharf gezeichnet sind und voneinander verschieden soll, lässt ein Genie wie Liszt das Richtige auch in seiner Sprache: der Musik finden. Ich bin ganz glücklich über Einsicht und Aussicht, Gott gebe bestes Gedeihen.“ (Akten der Wartburg Stiftung betr. Franz Liszt, Nr. 361/17: Brief von Carl Alexander an Bernhard von Arnswald, Kommandant der Wartburg, 2 Juli. 1872); S. auch die Akten der Grossherzogl. Sächs. Commandantur der Wartburg (1869-1873), Wartburg-Stiftung Eisenach, Archiv: Brief von Scheffel an Carl Alexander, 24 Juni 1872, in: Hs 306 und Der Brautwillkomm auf Wartburg im September 1872 / Ein lyrisches Festspiel von F. Viktor Scheffel, in: Hs 305. Die Tagebuchblätter von Arnswald im Archiv der Wartburg enthalten Berichte über Liszt. LW L14, S345. In ihrer gemeinsamen Vision der Geschichte von Weimar überdenken Carl Alexander und Liszt, dass das Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach und Thüringen viele Elemente der deutschen Geschichte und Identität vereinen soll (Luther und die Wartburg, Goethe, Schiller usw.) und dass diese sich logischerweise an seiner gegenwärtigen Kulturpolitik und seinen „Pflichten“ orientieren soll: „Les devoirs de Weimar vis-à-vis de l’Allemagne sont connus. Ils sont la conséquence naturelle et inévitable de son passé, du passé de Weimar. Ce passé doit commander le présent afin de préparer l’avenir. – C’est vers ces devoirs que les efforts doivent converger. Or ces efforts doivent être soutenus par une attention aussi scrupuleuse que persévérante. […] Mais qu’on n’oublie pas: ces détails ne sont qu’un détail d’un ensemble dont Weimar porte la responsabilité vis-à-vis de l’Allemagne non seulement, mais vis-à-vis du monde civilisé.“ (Carl Alexander an Liszt, 1. Oktober 1856 [?], in: D-WRgs 59/27,12a,

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Nicolas Dufetel Nachdem fast ein halbes Tausend Geladener im großen Festsaale versammelt war, der Hof eingetreten und alle Platz genommen hatten, rauschte der Vorhang vor der an der einen Schmalseite errichteten Bühne empor und es begann: “Der Brautwillkomm auf Wartburg den 23. September 1873. Lyrisches Festspiel von J. Viktor Scheffel. Mit begleitender Musik von Franz Liszt.” Frau Aventiure ruft ihre Treuen zum Brautgruss: “Ihr, die in Lied und Sage der Wartburg zugehört, Gestalten fernster Tage, herbei!“ Zuerst huschen Frau Venus und Gefolge scheu vorbei, denn; „andrer Zauber beherrscht diesen Ort“. Dann kommt der getreue Ekkard: „Hab’ nicht mehr viel zu schaffen Im Hörselberggeheg’; Ich seh’ ein Volk in Waffen Und auf dem rechten Weg. Nur Eins ist noch zu warmen, Das warnt sich nie genug: Lasst Euch nie mehr umgarnen Von fremdem Lug und Trug!“ König Attila und Chriemhilde mit hunnischem Gefolge beschließen die „uralte“ Märchenwelt. Als zweite Gruppe der von Frau Aventiure Gerufenen erscheinen Landgraf Hermann I. von Thüringen und die sieben Sänger des Wartburgkrieges, die sämmtlich sinnige Brautgaben bringen. Nachdem deren Lieder verklungen, naht die heilige Elisabeth, als Landgräfin, die Krone auf dem Haupt, ihren Sohn Ludwig an der Hand, von dienenden Frauen begleitet, von welchen eine den Korb in Rosen verwandelter Brote trägt: „Berehrt Ihr mein Gedächtniss, So thut, wie ich gethan:

E70-71). „Weimar en devenant le Parnasse de l’Allemagne aurait droit d’être considéré comme un terrain neutre où les branches les plus éloignées de la famille germanique seraient appelées à fraterniser dans les pacifiques régions des luttes intellectuelles.“ (Liszt an Carl Alexander, 3. Februar 1860, in: D-WRl HAA XXVI/560a, 115-118). Nach dem Krieg von 1870/71 und der deutschen Einheit kann Weimar auch eine friedliche Rolle spielen; es handelt sich auch darum, einen Gegengewicht gegen die preußische Hegemonie aufzustellen: „Il faudra faire abstraction de la prétention de fixer à Weimar les auteurs distingués comme condition d’exécution du projet [einer deutschen Akademie], mais considérer l’Allemagne entière – l’Empire en un mot – comme une seule résidence. Cela facilitera la chose et n’empêchera pas de se fixer à Weimar si l’on veut. – J’ai parlé sur la première feuille d’urgence’. Il y en a car le besoin de labourer par la paix la terre sillonnée par la guerre se fait sentir en Allemagne et l’idée de concentrer la vie intellectuelle pour l’Allemagne à Berlin en Prusse. Autant que le premier symptôme est réjouissant, autant le second est menaçant. Il est donc moralement et politiquement des devoirs de Weimar de redoubler d’activité.“ (Carl Alexander à Liszt, 16. August 1871, in: D-WRgs 59/27,12a, F46; 49).

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Mein heiliges Vermächtniss Ist jeder flehe Mann. [...]“ Unter Voranschreiten der Eisenacher Grundschüler erscheint endlich Martin Luther als Junker Georg in ritterlicher Kleidung mit der Laute, gefolgt von Gestalten der Reformationszeit. Nachdem die Gurrendschüler gesungen: „Als Letzter kommt zum Feste Ein starker Gottesmann, Der auch auf dieser Beste Manch’ gutes Lied ersann,“ u[sw]. schließt Luther mit kräftigem Segen. Das überaus stimmungsvolle und wirkungsreiche Festspiel war vom General-Intendanten Baron Loën und dem Regisseur Otto Devrient trotzt der beschränkten räumlichen Verhältnisse vortrefflich in Szene gesetzt, die Kostüme waren eben so prachtvoll als historisch treu, die Aufführung von wahrer Begeisterung gehoben, und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, akkompagnirte Franz Liszt am Piano, unterstützt von Harmonium, Harfe und einigen Saiten- und Blasinstrumenten, selbst die von ihm meisterhaft komponirten Gesänge, die sich dem Weihevollsten und Melodischsten anreihen, das Liszt je geschrieben hat. Nach dem Festspiel, das trotz der naturgemäßen Etikette lauten Enthusiasmus hevorrief, begab sich der Hof und seine Gäste in die andern Räume, wo zahlreiche Büffets in prachtvoller Weise aufgestellt waren. Nicht nur prachtvoll, sondern auch durch die lukullischen Genüsse, die geboten wurden, sondern auch durch das Arrangement, das genau nach alten Stichen dem Banket nachgebildet war, das Karl VII. einst im Römer zu Frankfurt gab.76

Ein Kupferstich, der in der gleicher Nummer der Allgemeinen Illustrirten Zeitung. Über Land und Meer abgedruckt worden war, hält diesen Moment für alle Ewigkeit fest (Der Brautwilkommen auf der Wartburg, Originalzeichnung von O. Günther). Als Schauplatz des Festspiels wurde der nördliche Teil des großen Festsaals hergerichtet, wo ein Podium auf der Tribüne angebracht wurde. Gegenüber der kleinen Bühne sitzen im ersten Rang die Großherzogin Sophie, der Großherzog Carl Alexander, der den Blick auf uns richtet, die Erbgroßherzogin Pauline, die sich Luft zufächelt und der Erbgroßherzog Carl August. Im Hintergrund, auf der Seitengalerie befandet sich der Chor, und Müller-Hartung hält sich aufrecht neben einem kleinen Klavier, an dem Liszt selbst sitzt; in der Soutane und die Brille schön auf der Nase zurecht gerückt, hat der Begleiter-Komponist seinen Blick entweder auf seine Partitur oder auf die Bühne gerichtet, wo

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L. K. von Kohlenegg: Die Enkelhochzeit im Hause Karl August’s, in: Allgemeine Illustrirte Zeitung. Über Land und Meer 8 (1873), S. 155-156.

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mehrere Personen die Heilige Elisabeth, welche ihren Sohn Ludwig an der Hand hält, im historischen Kostüm umgeben.

Abbildung 1: Der Brautwilkommen auf der Wartburg, Originalzeichnung von O. Günther.

IV

Liszts Tod, oder der Kampf um den Erinnerungsort

Das Ende des Lebens von Liszt und die Art und Weise, wie Carl Alexander davon erfährt, sind auch in einem bestimmten Sinn mit der Wartburg verbunden. Es ist dort, dass der Großherzog von seinen Tod erfährt, der am 31. Juli 1886 in Bayreuth eingetreten ist. Wie sein Tagebuch bezeugt, ist er tief getroffen: Un télégr[amme] de Joukoffsky de Bayreuth qui me parvint auj[ourd’hui] matin m’apprit que Liszt est mort cette nuit !!! – Journée passée dans la douleur et la peine. Pauvre Weimar ! Walther Goethe, Liszt – deux bûchers dans mon existence ! Prié, pleuré et pensé […].77

Am nächsten Tag schreibt er, dass die Schüler des Musikers und andere Persönlichkeiten darum gebeten haben, seine sterblichen Überreste nach Weimar zu überführen:

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Carl Alexander: Tagebuch, 31. Juli 1886, in: D-WRl HAA XXVI/1984, 16.

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Reçu beaucoup de lettres et télégr[ammes] se rapportant à la mort de Liszt. Ses élèves réunis à Bayreuth me sollicitent pour que je réclame que Liszt soit enterré à Weimar […]. Le valet de ch[ambre] de Liszt assure que son maître lui a dit à Rome en décembre dernier qu’il voulait être enterré où il mourrait et ne pas être transporté. Je m’arrête à cette déclaration d’autant plus qu’elle me sauve de toutes sortes d’embarras. Resté le jour sous le coup de la circonstance.78

Carl Alexander bleibt tatsächlich mehrere Tage lang tief erschüttert über Liszts Tod. Das Schicksal Liszts sterblicher Überreste war keine kleine Sache und zeigt post mortem die Wichtigkeit und die Realität der europäischen Identität und des Erbes des ungarischen Tondichters. Es beginnt die Geschichte seiner Grabstätte, die ähnlich seiner Karriere einem Roman nahekommt und sich in internationalem Rahmen abspielt, denn in Weimar, Bayreuth und Budapest zerreißt man sich zu entscheiden, wer die Ehre habe, seine letzte Ruhestätte zu beherbergen.79 Liszt hatte sich eines Tages selbst nach einem schönen Wortspiel als „Zu einer Hälfte Zigeuner, zu andern Franziskaner“ definiert.80 Diese Formulierung konnte dazu benutzt werden, um die angenommene Dichotomie, wenn nicht gar die Unbeständigkeit der Persönlichkeit des Komponisten zu illustrieren. Tatsächlich wurden die Begriffe „Zigeuner“ und „Franziskaner“ häufig gegenüber gestellt, ohne dass versucht wurde zu erklären, worin sie sich annähern. Gewiss folgen die Franziskaner – im klösterlichen Sinne – einem geregelten, einfachen, spirituellen und barmherzigen Leben. Der Zigeuner sehnt sich nach Hektik, Bewegung und öffentlichem Erfolg. Diese zwei Bezeichnungen entsprechen perfekt der Persönlichkeit, der Karriere und dem ausgezeichneten Werk Liszts. Dennoch sollte man sie nicht nur antagonistisch gegenüber stellen, denn sie ergänzen sich und veranschaulichen die ungeheure Komplexität, indem sie an die andere Konstante seiner Persönlichkeit und seiner Biografie erinnern: das Nomadendasein. Und der Ort seiner Grabstätte, die zufällig dort ist, wo er starb, bietet das letzte Symbol dieser Vagabundenexistenz oder zumindest eines tiefen Wanderercharakters, der nirgendwo ein Zuhause findet: „πόλις καὶ πατρὶς … ὡς δὲ ἀνθρώπῳ ὁ κόσμος“ („Meine Stadt und mein Vaterland [...], als Mensch, ist der Kosmos“)81. Die europäische Identität und das Erbe Liszts haben sich im Laufe seiner Reisen herausgebildet, aber erscheinen auch in Weimar, dieser „Patrie de

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Ebd., 17. S. Dobroslav Orel: František Liszt a Bratislava na základé nevydané korrespondence Fr. Liszta a kňežny C. Wittgensteinové (Filosofická Fakulta University Komenského 3/36), Bratislava 1925, S. 62-69; Nicolas Dufetel: Franz Liszt, franciscain „du berceau jusqu’à la tombe“, in: Études franciscaines 2/2 (2009), S. 303-339. Brief von Liszt an Fürstin zu Sayn-Wittgenstein, 13. August 1856, in: La Mara (Hg.): Franz Liszt’s Briefe, Leipzig 1899, Bd. 4, S. 316. Mark Aurel: Selbstbetrachtungen, VI/44.

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l’Idéal“,82 die, wie es jede beliebige Karte zeigt, sich genau in der Mitte des Europas von Liszt befindet. Weimar – eine Kulturhauptstadt Europas, in der kaum bekannte und sogar inedierte Quellen lagern, von denen in diesem Artikel nur einige verwendet wurden – beheimatet, als einer der wichtigsten Erinnerungsorte Europas, einzigartige historische und musikalische Reichtümer, zu denen die Lisztforschung einen besonderen Zugang eröffnet.

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Brief von Liszt an Carl Alexander, 6. Oktober 1846, in: D-WRl HAA XXVI/560a, 5-8.

Universalität im Denken und Schaffen Franz Liszts Rossana Dalmonte (Bologna) The paper examines the expansion of the concept of Cosmopolitism toward that of Universalism in the music of Liszt. It gives a brief overview of the main studies on this topic (Klaus Ries, Dana Gooley, Winfried Kirsch). On the basis of some writings by Liszt the author demonstrates his idea of a trans-national sacred music in the past and in the present. Liszt did not intend the simple setting and ease of performance of some of his pieces for extra-liturgical occasions as a ‘lowering’ of the art level compared to the music for official occasions, but rather as a means of attaining a possibly higher goal: to write universal music intended for a general reform of the everyday sacred music. As an example of this highly contaminated music the first setting of Pater noster (1844 or 1846) is discussed. The modal fluctuations, the shift between distant and unrelated keys or chords do not derive from any known tradition even if a flavour of Gregorian chant and of Palestrinian polyphony is perceptible.

Der Titel dieser Konferenz „Musik im Spannungsfeld zwischen nationalem Denken und Weltbürgertum” mit Bezug auf Franz Liszt erlaubt – nehme ich an – eine Ausdehnung des Inhaltes des Konzepts „Weltbürgertum“ auf das der „Universalität“. Und nach dieser zweiten Bedeutung habe ich meine Reflexion ausgerichtet. Das Thema der Universalität ist kein neues in der Liszt-Forschung, aber es wurde nicht so gut wie andere durchdacht. Und es ist – wie jedes andere Thema um Liszt – ein umstrittenes. Daher ist es nötig, die wichtigsten Vorstellungen von Liszts Universalität zuerst zusammenzufassen. Im 19. Jahrhundert ist die Idee der Universalität – eine Erbe der Klassik – niemals als Gegensatz zur Nationalität verstanden worden; im Gegenteil, wie Dahlhaus behauptet: „Universalität sollte durch Nationalität nicht gegen sie erreicht werden“.1 Kürzlich ist dieser Gesichtspunkt von Klaus Ries eingehend untersucht und mit Schriften Liszts der Weimarer Periode verbunden worden: Weimar diente Liszt als kulturnationale Chiffre, um die für ihn ohnehin nie gegensätzlich gedachten Kategorien von Nationalismus und Universalismus noch enger einander zu knüpfen. [...] Liszts Nationalismus war – so paradox das klingt – universal.2 1 2

Carl Dahlhaus: Die Musik des 19. Jahrhunderts, Wiesbaden 1980, S. 30. Klaus Ries: Die Einheit der Kunst. Franz Liszt zwischen Universalismus und Nationalismus, in: Liszt und Europa, hg von Detlef Altenburg/Harriet Oelers, Laaber 2008, S. 37 und 39.

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Rossana Dalmonte

Als Quelle für diese Behauptung gilt besonders der Essay Exposé d’un projet de la Fondation-Goethe.3 Eine unterschiedliche Auffassung der Idee „Universalität” bei Liszt setzt die Idee der Einheit der Kunst in den Brennpunkt. Die romantische Voraussetzung, dass alle Künste – Dichtkunst, Malerei, Musik – aus demselben universalen Geist stammen,4 wird als die theoretische Basis für die Suche nach einer musikalischen Sprache interpretiert, die aus einer Verschmelzung von Kompositionsstilen und Attitüden im Vortrag charakterisiert ist und die Liszts Karriere als Virtuose mit den Merkmalen des Weissagers und des Saltimbanque prägte. Die These eines neuen Artikels von Dana Gooley ist eigentlich, dass bis in die 1840er Jahre die Universalität Liszts als Komponist und als Pianist in seiner Fähigkeit liege, Katheder und Theater, Pantomime und Erzählung, hohe und populäre Elemente mehr oder weniger bewusst zusammenzufassen.5 Nicht nur die vielfältigen Aspekte der Virtuosität können zu einer Interpretation von Liszts Schaffens im Sinne der Universalität führen, auch das Thema „Musik und Religion“, oder „religiöse Musik“ ist von verschiedenen Gesichtspunkten her an das Thema des Universalismus gebunden. Diese Untersuchungsrichtung ist meiner Meinung nach sogar noch fruchtbarer, und deshalb werde ich ihr folgen. Über dieses Thema haben wir mehrere Äußerungen von Liszt selbst, die von den generellsten Prinzipien bis ins kompositorische Detail reichen, und die in Schriften und Briefen während seines ganzen Lebens zu finden sind. Als Grundlage kann ein Satz in einem Brief vom 20. Mai 1865, wahrscheinlich aus Rom, gelten: „On peut dire que la Musique est religieuse par essence, et comme l’âme humaine ‘naturellement chrétienne’.“6 Das Zitat ist aus dem Brief eines reifen Mannes, aber seit seiner Jugend war Liszt mit ähnlichen

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Franz Liszt: Exposé d’un projet de la Fondation-Goethe, in: Franz Liszt Sämtliche Schriften, Bd. 3: Die Goethe Stiftung, hg. von Detlef Altenburg/Britta SchillingWang, Wiesbaden 1997, S. 122-151. Vgl. August Wilhelm Schlegel/Friedrich Schlegel (Hg.): Athenaeum. Eine Zeitschrift 1 (1973), fotomechanischer Nachdruck von der 1798 verlegten Zeitschrift: „Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie” (Ebd., S. 204); „Die Poesie ist Musik für das innere Ohr, und Mahlerey für das innere Auge […]“ (Ebd., S. 221); „In den Werken der größten Dichter athmet nicht selten der Geist einer anderen Kunst” (Ebd., S. 289). Dana Gooley: Franz Liszt, popular theater, and performance of universality, in: Genie – Virtuose – Dilettant. Konfigurationen romantischer Schöpfungsästhetik, hg. von Gabriele Brandstetter/Gerhard Neumann, Starnberg Stiftung für Romantikforschung 2011, S. 151-170. „Man kann sagen, dass die Musik ihrem Wesen nach religiös ist, und wie die menschliche Seele ‚von Natur aus christlich‘.“ (La Mara: Franz Liszt’s Briefe, Bd. 8, S. 171, Brief Nr. 130). Der Brief ist an einen Komponisten adressiert, dessen Name nicht bekannt ist.

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Themen beschäftigt. Lesen wir, zum Beispiel, eine Passage aus dem Artikel Über zukünftige Kirchenmusik: Ein Fragment (1834): Heute, da der Altar erbebt und schwankt [...] muß die Kunst [gemeint ist die Musik] notwendigerweise aus dem Tempel heraustreten, sie muß sich verbreiten und ihre kühne Entwicklung außerhalb vollenden. [...] Um dies zu erreichen, muß eine neue Musik geschaffen werden. Diese zutiefst religiöse, starke und wirksame Musik [...] wird THEATER und KIRCHE in gewaltigen Ausmaßen vereinigen. Sie wird zugleich dramatisch und weihevoll sein, prachtvoll und einfach, pathetisch und ernst, feurig und wild, stürmisch und ruhig, heiter und zart.7

Einige Musikwissenschaftler – unter anderen Winfried Kirsch – behaupten, dass Liszt sich nur in den beiden großen Festmessen (Graner und Krönungsmesse) an dieses Konzept gehalten habe, und dass andere Werke, zum Beispiel die Missa choralis und die Männerchormesse, „lediglich von seiner Ambivalenz den kirchenmusikalischen Fragen seiner Zeit gegenüber”8 zeugen. In derselben Passage zitiert Kirsch ähnliche Äußerungen von Klaus Wolfgang Niemöller über das Oratorium Die Legende von der heiligen Elisabeth und von Elmar Seidel. Er selbst beschreibt auf den folgenden Seiten seines Artikels die Anwesenheit von opernhaften Elementen in Stücken geistlicher Musik, wie zum Beispiel in den Psalmen, und endet mit der Frage, wieso Liszt, der so viele dramaturgische Züge in seinen geistlichen Werken zeigte, kein richtiges Bühnenwerk geschrieben habe. Meiner Meinung nach rührt die vermutete „Ambivalenz“ Liszts gegenüber den kirchenmusikalischen Fragen seiner Zeit nicht von den stilistischen Unterschieden der für verschiedene Angelegenheiten geschriebenen Werke her, weswegen man die geistliche oder religiöse Musik nicht als eine Einheit betrachten darf. Es gibt keine „einzige“ religiöse Musik, sondern so viele, wie es Anwendungsbereiche gibt, und daher ist es keine Frage der „Ambivalenz“, wenn sie verschiedene Schreibweisen benutzen. 1 2 3

7

8

Es gibt Musik für die kirchlichen Riten, und Musik für den außerkirchlichen Gebrauch. Es gibt Musik für festliche oder offizielle Gelegenheiten, und Musik für Haus und populäre Anlässe. Es gibt Musik für ein gebildetes Publikum und für das „Volk“.

Franz Liszt: Zur Situation der Künstler. Die Kirchenmusik, in: Franz Liszt Sämtliche Schriften, hg. von Detlef Altenburg, Bd. 1: Frühe Schriften, hg. von Reiner Kleinhertz, kommentiert unter Mitarbeit von Serge Gut, Wiesbaden 2000, S. 57 und 59. Winfried Kirsch: Musik zwischen Theater und Kirche: Zur Dramaturgie geistlicher Musik der Neudeutschen Schule, in: Liszt Studien 3, hg. von Serge Gut, München/ Salzburg 1986, S. 92.

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Mit anderen Worten: religiöse Musik kann überall und für alle Menschen sein. Das ist – meiner Meinung nach – das erste Merkmal der Universalität von Liszts Schöpfungen, da er Stücke in allen diesen Arten religiöser Musik geschrieben hat. Ein zweiter Punkt im Sinne der Universalität wäre: in der religiösen Musik Liszts werden viele verschiedene Stile und Praktiken verschmolzen, als ob sie – die religiöse Musik – alle Musiktypen umfassen könnte. Der oben erwähnte Artikel von Winfried Kirsch unterstreicht das Zusammentreffen von theatralischen und kirchlichen Zügen, aber das ist nicht die einzige Art von Stilverschmelzung in Liszts religiöser Musik, und – umgekehrt – findet man nicht nur in der religiösen Musik zusammengemischte theatralische und kirchliche Zügen, etwas ähnliches kommt in anderen Werken vor, wie, zum Beispiel im Totentanz für Klavier oder in der Hunnenschlacht auf der symphonischen Ebene. Eine nähere Untersuchung könnte freilich die Wirkung der Musik Palestrinas auf Liszts Werke unterschiedlicher Natur zusammen mit Zügen der musikalischen Praxis des 19. Jahrhunderts häufig entdecken. Etwa in kirchenmusikalischen Stücken wie der Missa choralis und des Requiems, in den Psalmen, im Stabat Mater des Oratoriums Christus, und sogar in instrumentaler Musik wie der Dante-Sonate und dem Weihnachtsbaum hört man zusammen mit den raffiniertesten Harmonien charakteristische Züge von Renaissancemusik, das heißt „einfache“ Musik aus meistens vollkommenen, konsonierenden Akkorden, mit regelmäßigen Rhythmen, deren Sequenz nicht den Regeln des tonalen Systems folgt.9 Auch in diesen Fällen beweist die Verschmelzung von Stileigentümlichkeiten die Fähigkeit der geistlichen Musik, „alles“ zusammenzufassen, das heißt, ihre Universalität, unabhängig davon, „welche“ Stile zusammengebracht werden. Die Idee von der religiösen Musik als universale, alles umfassende Sprache beruht nicht nur darauf, dass sie Kirchenmusik ist: sie ist selber – als Musik – heilig und universal. Wie Helmut Hucke schreibt: „Die Idee einer idealen Musica sacra konnte erst entstehen, als man die Musik als eine universale Sprache betrachtete, wie es am Ende des 18. Jahrhunderts entstanden ist.“10 Dazu kommt – besonders was Liszt betrifft – das Ideal der Romantiker, das wir mit den Worten von Novalis aussprechen können: „Die katholische Religion ist gewissermaßen schon angewandte christliche Religion.“11 Auf diesem romantischen Boden wurzeln und gedeihen wichtige Einflüsse der Jugendzeit. Es ist nur nebenbei zu erwähnen, wie tief die demokratischen und republikanischen Prinzipien der Pariser Julirevolution zusammen mit den neuen, der unterdrückten und leidenden Menschheit zugewandten Heilslehren 9

10

11

Vgl. James Garratt: Palestrina and the German Romantic Imagination. Interpreting Historicism in Nineteeth-Century Music, Cambridge 2002, S. 227-229. Helmut Hucke: Kirchenmusik als Universalsprache, in: La musica come linguaggio universale, a cura di Raffaele Pozzi, Firenze 1990, S. 34. Novalis: Fragmente, hg. von Ernst Kamnitzer, Dresden 1929, Fragment 1724, S. 550.

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der Saint-Simonisten auf Liszt wirkten, und wie er sein Leben lang meinte „dass die Kunst kein menschliches Produkt sei, sondern aus dem Göttlichen herausfließe und wieder in das Göttliche münden müsse. [...Diese] Idee des Mittlerdienstes des Künstlers zwischen dem Göttlichen und der Welt“,12 die aus der Bekanntschaft mit dem Abbé Lamennais stammt, gibt mehreren Werken, und besonders mehreren religiösen Werken, ein Zeichen von Universalität. Viele Äußerungen Liszts machen deutlich, dass seine Idee von der Religion keine konfessionelle sondern eine „universale“ war, und dass er nur an den Bildungseffekten der „guten“ Musik interessiert war: [...] parmi les compositeurs, qui me sont connus, il n’en est aucun qui ait un sentiment aussi intense et profond de la Musique religieuse que votre très humble serviteur. De plus mes anciennes et nouvelles études de Palestrina, Lassus – jusqu’à Bach et Beethoven, qui sont les cimes de l’art catholique, me donnent un grand appoint.13

Unter den großen Meistern der geistlichen Musik zitiert Liszt zugleich Palestrina und Bach, wie es Herder im Essay Cäcilia (1793) mit fast denselben Worten gemacht hatte: Neben den größten Meistern der Neapolitanischen Schule Leo, Durante, Pergolesi, zitiert Herder den Venezianer Marcello, den Princeps der Musiker Palestrina und Händel und Bach.14 Wie inzwischen klar sein sollte, ist meine These, dass ein wichtiges Merkmal von Universalität in Liszts religiöser Musik der übernationalen Vorstellung entspricht, die durch das Zusammensein von Elementen verschiedener Herkunft und Natur erzeugt wird. Es gibt eine Gruppe von Werken, in denen dieses Merkmal noch deutlicher ist als in den übrigen Stücken: ich meine die im Sinne der Lehren Saint-Simons entstandenen, besonders für außerkirchliche Benutzung geschriebenen Werke. In diesem Repertoire – das bis in die letzten Jahre seines Lebens fortgeführt wird – sind die Annäherungs-, Spannungs- und Kontaminationspunkte zwischen der volkstümlichen und der kultivierten Tradition, zwischen alten und modernen Stileigentümlichkeiten besonders aktiv.

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13

14

Lina Ramann: Franz Liszt als Künstler und Mensch, Leipzig 1880, Bd.1, S. 159. Zum selben Konzept siehe auch Ralph P. Locke: Liszt’s Saint-Simonian adventure, in: 19th Century Music 4/3 (1981), S. 215. „[…] unter den Komponisten, die mir bekannt sind, gibt es keinen einzigen, der ein so intensives und profundes Gefühl für die religiöse Musik hat, wie Ihr sehr ergebener Diener. Ferner sind mir meine vergangene und gegenwärtige Beschäftigung mit Palestrina, Lassus – bis hin zu Bach und Beethoven, die die Krone der katholischen Kunst sind, eine große Unterstützung.“ (Pauline Pocknell (Ed.): Franz Liszt and Agnes Street-Klindworth. A correspondence, 1854 – 1886, Hildesheim NY 2000, S. 330, Brief Nr. 55). Johann Gottfried Herder: Cäcilia, in: Werke, hg. von H. Düntzer, Berlin o.J., Bd. 15, S. 337.

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Indem Liszt sich engagiert, eine moderne, für alle Menschen brauchbare Musik zu schreiben, schafft er – bewusst oder teilweise unbewusst – hochinfizierte Stücke, die oft als „ambivalent” beurteilt wurden. Die einfachen Schriftzüge, die leichten Zusammenhänge des Kontrapunkts, die schlichte Rhythmik zielen auf ein klares Verständnis des heiligen Texts und auf eine möglichst verbreitete Benutzung des Stückes. Aber seine feinsinnlich künstlerische Ausbildung, seine tiefe Kenntnis der musikalischen Ausdrucksmittel taucht oft mit etwas verwirrendem Effekt aus den Winkeln der Komposition auf. Nach Liszts Auffassung sollte diese Musik von „Allen“ gesungen werden können, aber manchmal schreibt er sehr anspruchsvolle Solopartien hinzu. Sie sollten in der Kirche, aber auch außerhalb der Kirche gesungen werden, acappella oder von der Orgel begleitet, und manchmal auch mit der Mitwirkung von Trommeln und Pauken. Es gibt Stücke für bestimmte, lokale Heilige, und Gebete, die für die ganze Christenheit bestimmt sind. Liszt hielt die Einfachheit des musikalischen Satzes und die relative Leichtigkeit des Vortrags dieses Repertoires nicht für eine Erniedrigung gegenüber seiner übrigen Produktion für offizielle Angelegenheiten, sondern betrachtete sie als ein Mittel, um ein höheres Ziel zu erreichen: eine universale Musik, die alle Menschen singen, verstehen und genießen können. Richtete Liszt seine religiöse Musik nur nach diesem katholisch-praktischen Ziel? Ich glaube nicht: neben dem Gläubigen, für seine Religion arbeitenden Musiker stand immer der Romantiker, der seine Identität suchende Künstler. Aus beiden Vorstellungen stammt Liszts religiöse Musik. Für ihn galten die althistorischen Modelle der Gregorianik und der Renaissance als Mittel, um vielen Menschen nahe zu kommen, aber auch um seine eigene Musik durch alte, eigenartige Stileigentümlichkeiten zu bereichern. Er war kein akademischer Historiker, kein „rückwärts gekehrter Prophet” wie Schlegel sagen konnte,15 sondern ein neugieriger Erforscher aller möglichen Aspekte der Musik. In diesem Sinn unternahm er sehr ernste Studien sogar im Repertoire des Gregorianischen Chorals und in der Polyphonie der Renaissance; er hörte auch der Musik des Volkes aufmerksam zu: das alles galt für ihn, wie für Friedrich Schlegel, als „Naturpoesie“, die er zusammen mit dem „Bildungsstoff“ eines gelehrten Musikers zusammenbrachte. Die Originalität suchte er in seiner kompositionellen Vorstellungkraft, und in seiner Fähigkeit, die benutzten Materialien in modernem Sinn zu interpretieren. Nur später und trotz des unterschiedlichen Charakters versuchte er mit den Cäcilianern in Regensburg und mit den gelehrten Vätern von Solèsmes in Beziehung zu treten,16 aber von beiden Seiten bekam er nur wenig Hilfe, da die 15 16

Athenaeum 1 (1973), s. Anm. 4, S. 196. Elmar Seidel: Über die Wirkung der Musik Palestrinas auf das Werk Liszts und Wagners, in: Liszt Studien 3, s. Anm. 8, S. 162-175; Michael Saffle: Liszt and Cecilianism. The evidence of documents and scores, in: Der Caecilianismus: Anfänge – Grundlagen – Wirkungen (Eichstätter Abhandlungen zur Musikwissenschaft 5), hg. von

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jeweiligen Ziele zu verschieden waren. Während man in Solèsmes die Gregorianische Musik zu einem ewigen, philologisch reinen Monument erheben wollte, und in Regensburg nach einer Palestrina-Renaissance gestrebt wurde, wollte Liszt sich beide Repertoires aneignen, um sie wieder in den lebendigen Fluss der gegenwärtigen Musik zu bringen, damit sie – die gegenwärtige Musik, seine Musik – etwas von der ursprünglichen Reinheit des frühen Christentums gewinnen möge. Sein Leben lang wurde Liszt von der kompositionellen Möglichkeiten der transkulturellen Mischungen bezaubert, wie eine neue Studie von Shay Loya über die Beziehungen Liszts zum Verbunkos-Material nochmal und in eindrucksvoller Weise gezeigt hat.17 Wie sich Liszt die ursprüngliche Musik seines Vaterlandes aneignete und damit sehr moderne und originelle Stücke komponierte, so verhielt er sich der alten religiösen Musik gegenüber. Nur die Effekte waren verschieden: während fast Liszts ganzes Repertoire Ungarischer Musik bewundert wurde, blieb die religiöse Produktion fast ungehört. Die Gründe dafür sind verschieden und könnten in soziologischen, politischen und persönlichen Umständen gesucht werden. Ohne den gemeinen Kontext unterschätzen zu wollen, denken ich, das die Unverständlichkeit gegenüber seiner religiösen Musik an der besonderen Art seiner Kompositionsweise liegt, an seinem Projekt, das auf die Befruchtung der neuen durch die alte Musik zielt. Um ein konkretes Beispiel des Gesagten anzuführen, möchte ich den ersten Teil des Pater Noster II analysieren, ein Stück, das außerhalb des Cäcilianerkreises entstand. Es ist bekannt, dass die erste von mehreren Vertonungen des Pater Noster 1846 von Haslinger in Wien und Paris gedruckt worden ist; aber da im selben Jahr ein Pater Noster für Klavier als Nr. 5 der Sammlung Harmonies poétiques et religieuses vom selben Verlag herausgegeben worden war, das wie eine notengetreue Transkription eines vokalen Stückes aussieht, kann man vermuten, dass die a-cappella-Version vor 1846 geschrieben worden ist.18 Im Short-HowardKatalog heißt es: Pater Noster II [erste Version] komponiert 1842 oder 1844, das heißt, mitten in seiner Glanzperiode; dazu meint Stefan Keym, dass das Stück schon in den 1830-er Jahren seine Wurzeln habe.19 Wegen seiner Entstehungsgeschichte und wegen der verschiedenen Versionen, die der ersten

17

18

19

Hubert Unverricht, Tutzing 1988, S. 203-213. Shay Loya: Liszt’s transcultural modernism and the Hungarian-Gypsy tradition, Rochester/NY 2011. „Das Pater Noster d’après la Psalmodie de l’Eglise ist eine Abschrift des Stückes gleichen Namens für Männerchor (1846). Die Seite, auf der es geschrieben war, wurde aus dem Skizzenbuch Nr. 9 abgerissen und ist heute in der National Bibliothek Paris mit der Signatur Ms 163 aufbewahrt” (Albert Brusee (Éd.): Harmonies poétiques et religieuses (1847) (XYZ 1093), S. XV). Stefan Keym: Franz Liszt und die Ästhetik der französischen Gregorianik-Renaissance, in: Liszt und Europa, hg von Altenburg/Oelers, s. Anm. 2, S. 101.

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folgten, ist das Stück bemerkenswert, aber es ist noch bemerkenswerter aus dem Gesichtspunkt der Kompositionstechnik, des Stiles. Die erste Version ist für zwei Tenor-und zwei Bass-Stimmen, a-cappella20 und mit einer Orgel-Begleitung geschrieben.21 Die Anzahl der Takte in den zwei Versionen ist ein bisschen unterschiedlich – 53 und 57 –, weil der Satz „sicut et nos dimittimus debitoribus nostris“ in der ersten Version im 4/4-, und in der zweiten im 3/4-Takt steht. Beide Taktarten folgen in beiden Stücken aufeinander. Wir wissen nicht, ob dieses Pater Noster von irgendeiner katholischen Gemeinde jemals gesungen wurde, das heißt, wir wissen nicht, ob es vom Volk akzeptiert worden ist. Wir wissen nur, dass die Fachleute solche Musik ablehnten, da sie nicht nach den Regeln einer offiziell anerkannten Grammatik geschrieben war: Sie war weder eine antike Monodie noch ein polyphonisches Werk nach Palestrina-Art, noch ein Stück im spätromantischen Stil. Sie war etwas Neues, was die Kritiken gering schätzten oder sogar für unbedeutend hielten. Kürzlich habe ich das Stück aus dem Gesichtspunkt seiner möglichen Beziehungen mit der mündlichen Überlieferung analysiert,22 hier möchte ich eine andere Richtung wählen: In der Tat erlauben (oder sogar empfehlen) solche multikulturellen Objekte unterschiedliche Analysemethoden. Schon im Titel finden wir einen Schlüssel, um seine Bedeutung zu entdecken: d’après la Psalmodie de l’Eglise. In der Tat gibt es zwischen den „Toni communes“ für dieses Gebet drei Melodien, die als A, B und C markiert sind. Abgesehen von der Rhythmik bildet Liszt in der oberen Stimme seines Pater Noster diesen Melodien nach; aber er wählt keine einzige Version, sondern nur einige Sätze von jeder der drei Vertonungen als Vorbild. Dazu ist die Nachahmung nicht exakt: einige Noten, und besonders die Kadenzen, sind anders, und verschieden ist auch die Segmentierung der Verse.

Abbildung 1: Pater noster II S21i. Erster Satz der Version “C” der kirchlichen Psalmodie entsprechend, mit Variation in der Segmentierung und in der Kadenz.

20

21 22

Hg. von Leslie Howard im Liszt Society Journal 2004, S. 50-51, mit dem Titel: Pater Noster II, number of the Searle catalogue: S21i (d’après la Psalmodie de l’Église). Auf der Basis dieser Transkription werde ich meine Analyse führen (Bsp. 1). Hg. in: GA, Bd. 5, S. 106-107. Rossana Dalmonte: “As once and even more today, Music has to be involved in people and God”: Liszt’s sacred music for extra-liturgical occasions, in: Multipart music: a specific mode of musical thinking, expressive behaviour and sound, ed. by Ignazio Macchiarella, Udine 2012, S. 67-77.

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Abbildung 2: Pater noster II S21i. Erster Satz des zweiten Teils der Version “C” der kirchliche Psalmodie entsprechend.

Hat er das bewusst mit einem Kirchenbuch unter den Augen getan, oder hatte er den Gesang einer bestimmten Volksgruppe im Ohr, und hat er auswendig die Melodien aufgeschrieben? Man weiß, dass diese „Toni communes“ überall in den christlichen Ländern gesungen wurden, und man kann vermuten, dass jede Gemeinde Änderungen einzuführen pflegte. Aber die von Liszt eingeführten Änderungen sind zu raffiniert, um vollkommen aus einem volkstümlichen Model zu stammen. Das hängt von vielen Gründen ab. Erstens: Die Form ist anders. Alle drei gregorianischen Vertonungen sind durchkomponiert. Weder die seltsamen Wiederholungen eines Incipits, noch die „normale“ Repetition des Rezitativ-Tons – wie in der Version B der Psalmodie – erlauben eine Verteilung. Im Gegenteil hat Liszts dem Gebet eine klare und klassische Form A – A’ – B gegeben. Die Reprise im T. 23 ist mit Doppelstrich markiert; der Anfang des dritten Satzes des Gesanges „et ne nos inducas in tentationem” wird zuerst von einer Solostimme gesungen, dann vom ganzen Chor homophon wiederholt: so wird der Satz besonders hervorgehoben, ein absolut seltsames Vorkommen in den „Toni communes“ und in den täglichen Gebeten. Zweitens: die Melodie. Wie gesagt nimmt Liszt einige Sätze von den drei Gregorianischen Vertonungen als Model für die Stimme des ersten Tenors, und eigentlich in dieser Folge: C – B – A – C – A. Dieses Verfahren bringt zusammen mit den chromatischen Veränderungen eine der Psalmodie vollkommen unbekannte melodische Kontur hervor:

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Abbildung 3: Pater noster II S21i. Erster Teil, T. 1-22.

Nicht nur für den ersten Tenor wählt Liszt die gregorianische stufenweise Bewegung, auch den übrigen Stimmen gibt er die gleiche Führung; allein der Bass II singt weite Sprünge, die sogar tonale Arpeggi zeigen. Die Tonleiter, aus denen die Melodien bestehen, ist diatonisch (mit einigen chromatischen Abweichungen), aber die Wahl der Noten der Melodie und die Kadenzen rechtfertigen sie als Tonarten nicht. Sätze im ersten Teil 1) Pater noster, qui es in coelis 2) sanctificetur nomen tuum

Benutzte Noten c, d, e, f, g, a, h = C-Dur? Oder Modus 11-ionisch? b, c, d, es , f, g, a = B-Dur?

Kadenzen plagal auf a plagal auf b

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3) adveniat regnum tuum 4) fiat voluntas tua

5) sicut in coelo et in terra.

b, c, d,23es, f, g, a24= BDur, Moll? a, h, cis, d, e, f, gis = ADur (mit verminderter Sexte)? c,25 d, e, f, g, a, h = C-Dur?

plagal auf f V–I

plagal auf g

Da man nicht von Tonarten sprechen kann, darf man auch nicht von Modulationen reden: man merkt nur den unruhigen, der klassischen Polyphonie vollkommen unbekannten Wechsel von „Tonleitern“. Alles, was den Regeln widerspricht, alles, was unerwartet klingt, wird in diesem Kontext besonders auffallend und expressiv. Der Satz „fiat voluntas tua” gleicht in Tenor I dem in der Vertonung B der gregorianischen Psalmodie, und seine Harmonisierung bildet einen schroffen Gegensatz zum vorherigen Satz. Warum hat Liszt die Musik für diese Worte aus der gregorianischen Vertonung B genommen und mit einer so unerwarteten Harmonisierung versehen? Auf Gott sich verlassen mit „fiat voluntas tua” – möchte ich antworten –, ist oft schwierig zu ertragen. Die Unterstreichung durch tonalen Mittel – möchte ich denken – hat einen expressiven Zweck. Was die Harmonisierung angeht, merkt man sofort die überwiegende Zahl der Grundstellung der Dreiklänge: nur zweimal findet man die erste Umkehrung – b6, d6 – in T. 13, T. 15. Die Dissonanzen sind Einzelfälle, die entweder als Wechselnoten oder als Vorhalte vorkommen. Die Regeln des „strengen Satzes” sind gewahrt, doch hätte man solche Tonartfortschreitungen im 16. Jahrhundert nie erdacht. Was die Kadenzen angeht, bemerkt man den Vorzug für das plagale Model, aber dazu kommen zwei ganz klare und lange Dominantseptakkorde (in T. 16, und in der parallelen Stelle, T. 28), die mit der Renaissance-Polyphonie wenig zu tun haben (auch wenn die Theorie die Erhöhung der Terz, den sogenannten „falschen Leitton”, erlaubt). Ein Stück, das wie eine alte Polyphonie auf ein gregorianisches „Thema” aussieht und ganz einfach zu singen scheint, ist im Grunde eine raffinierte Komposition, in der viele Traditionen verschmolzen sind und zusammenwirken. Liszt hat einige Elemente von der gregorianischen Psalmodie und einige von der Renaissance-Polyphonie mit der romantisch-expressiven Musik des 19. Jahrhunderts vermischt, und er hat dieser Mischung eine klassische Form gegeben,

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24 25

Des ist auch vorhanden, aber hier wird d vorgezogen, weil es in der Kadenz vorkommt. As ist auch vorhanden, aber hier wird a vorgezogen, weil es in der Kadenz vorkommt. Cis ist auch vorhanden, aber es ist immer als Wechselnote d-cis-d (das heißt als Ornament) benutzt. Deshalb ist möglich c als Ton der Tonleiter auszuwählen.

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damit das kleine Gebet über die Zeiten der Musik schwebe und für alle Menschen gültig sei. Später hat er das Pater Noster noch dreimal anders vertont, bis zu der riesigen Partitur im Oratorium Christus. Auch die viele Vertonungen zeigen, dass Liszt versuchte, vielen Menschen nahe zu kommen; aber meiner Meinung nach ist das erste Ur-Pater Noster eines der reinsten „modernen” und „universalen” Musikstücke.

Franz Liszt and the Anxiety of National Identity Jonathan D. Bellman (Nothern Colorado, USA) Since Liszt’s own lifetime, commentators have registered a kind of discomfort with his command of a variety of national idioms, especially the Hungarian-Gypsy one. For Richard Wagner it “could make no claim to lasting art”, Edward Dannreuther called its appearance in his church music “as incongruous as a Gypsy musician in a church vestment”, and Sacheverell Sitwell later called it “tawdry … of noisy, melodramatic feeling.” Still, the very same elements that Liszt and others used in his nationally inflected music – characteristic figures, exotic or folkloric scales, the imitation of specific instruments – were praised when composers such as Carl Maria von Weber or Mihály Mosónyi took similar approaches. It was thus more a matter of who was doing it than what was being done, and such capricious critical judgments therefore require reevaluation.

I

Liszt en mode hongrois

National identity has a long and problematic history in Liszt reception. At the core of the issue are the proprietary feelings of a variety of different groups: Liszt’s Hungarian countrymen; the German nationalists, especially among the Zukunftsmusiker, and their descendants; those who prefer to view Liszt in an urbane French context; and those who found in Liszt’s music an artistic cosmopolitanism, universality even, that exceeds the narrow limits of mere national sympathy. However one chooses to interpret the numerous compositional styles, approaches, and even voices in which he expressed himself, though, Liszt himself seems to have been quite clear on the matter of his own national identity. Despite this, the critical reception of his music has in general not regarded his feelings as settling the matter, one way or the other. And although there are various musical and political reasons for this, the core issue has to do with how national music was composed – that is, what a composer did that enabled music to be identified as “national” in some way – and how, then, the varieties of such music were heard and understood both among musicians and in the wider contemporary culture. Liszt’s music, as it happens, has played a relatively minor part in these disagreements, possibly because arguing from the music (surprisingly difficult, even for musicians and musicologists) would seem to simplify the nationalism issue in some ways but confuse it in others. Nineteenth-century musical expressions of national feeling of whatever kind were effected by the use of recognizably national elements, including but not limited to folk-like melodic

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gestures, rhythms derived from nationnal dances, and imitations of folk instruments. Such music has always been attractive to audiences, who enjoy the local flavor and are grateful for not being made to struggle with a highly cultivated, academic, or unfamiliar musical language. Critics, however, have tended to put national music in a conditional, less exalted category, like folk art or dialect literature, and such aesthetic discomfort has only increased since the nineteenth century. This sea-change in reception puts later writers in the untenable position of evaluating a composer’s national music when the very means used to express national feeling have subsequently come under suspicion, even to the point of being considered openly inferior. Liszt’s national music has been characterized as empty virtuosity, as ethnically and politically disingenuous, and even (for the later compositions) as needlessly progressive and dissonant.1 National music by other nineteenth-century composers has been received, generally, with more goodwill; what was suspect for him, for some reason, seems to have been more acceptable in the music of others. The almost haphazard reactions might suggest that a number of musicians and writers somehow felt Liszt to have been a threat of some kind. A survey of the major episodes in Liszt’s interactions with Hungary and its culture will demonstrate how some of the quarrels and resentment evolved, outline his approaches to composing overtly nationnal music (also called “local color”, in a slightly condescending shorthand), and compare the ways Liszt’s national music and that of his contemporaries was received. At that point we can identify what might contribute to anxiety about Liszt in particular, why standards seem to be inconsistently applied, and how the issue might be better illuminated in the future. Liszt had a long, productive, and robust life, with plenty of opportunity to express his national feelings and engage national issues. Inevitably, certain statements and actions caused offense, and the sincerity of his national sympathies – especially given his childhood emigration to Paris and ignorance of the Hungarian language – was viewed with some suspicion, or at least reserve. Yet his Hungarian musical voice more or less awakened when, as a child, he heard the famous Gypsy violinist Janos Bihari improvise on national melodies, as Romungre musicians often did,2 and at a farewell recital before his family’s departure for Paris Liszt improvised on such popular Hungarian melodies as the Rákóczi March.3 As a young Parisian virtuoso, he occasionally transcribed Hungarian 1

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The Wagner, Rubinstein, Dannreuther, Kentner, and Sitwell quotations cited in notes 8, 32, 36, 37, 42 and 43 are examples of a much larger pattern. The Romungre were “magyarized” Roma, as they are often described, having been resident in Hungary for centuries, and they had a reputation for their instrumental music. “Nous n’étions déjà plus si enfant quand nous entendîmes, en 1822, ce grand homme entre les virtuoses bohémiens, pour n’avoir pas été frappé et impressionné par lui, au point de garder fidèle souvenance de ses inspirations, qui s’infiltraient en notre âme

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melodies, and in 1840 spent the evening with a Gypsy band and was reacquainted with their music.4 This evening set up the central musical engagement between Liszt and his homeland. The next two decades saw the publication of, first, the collected arrangements of Hungarian music he called the Ungarische Nationalmelodien (1839-1847), then much of the same musical material in revised form as the Rhapsodies hongroises (early 1850s), and finally (in 1859) the book Des bohèmiens et de leur musique en hongrie, which purported to explain the Rhapsodies and his purposes in offering up this Hungarian-Gypsy “national epic”, as he called it. Liszt mistakenly believed that this beloved music was actually of Gypsy origin, a point the book made effusively and ambitiously, but in reality it was the bewitching performance style that was characteristic of the Romani musicians, while the music source-materials were Hungarian. Alan Walker has pointed out that Liszt’s well-meaning but erroneous celebration of the Gypsy musical contribution caused real offense in Hungary, and was perceived as an appropriation of the nation’s music for his own self-aggrandizing purposes.5 The Hungarian music that the Romungre musicians played consisted mostly of popular art songs composed by minor nobility and dances in the verbunkos idiom, an already commodified derivative of the recruiting music played in the seventeenth and

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comme intussusception d’un suc de vie généreux et excitant. En nous recordant, par le suite, ces auditions, nous en vînmes à penser que les émotions que nous éprouvions alors devaient être semblables à l’effet produit par un de ces élixirs mystérieux que les hardis alchimistes du moyen âge, magiciens endémonés, concoctaient, disait-on, en leurs laboratoires secrets: breuvages, pleins de vertu, qui auraient instillé dans nos veines un principe nouveau de force, di virilité, de vaillance, d’orgueil, d’incorruptibilité et d’invulnérabilité.” (Franz Liszt: Des Bohémiens et de leur musique en Hongrie, Paris 1859, pp. 294–95). ).[“We were just beginning to grow up when, in 1822, we heard this great man amongst other Bohemian virtuosi, and we were therefore even then not too young to be struck and impressed by him. We have not only retained an impression of his inspirations, but they much have distilled into our soul like the essence of some generous and exhilarating wine; for, in recalling his performances to mind, it seems to us that the emotions which we then experienced must have been rather like the effect produced by one of those mysterious elixirs concocted in the secret laboratories by the bold, almost demoniacal alchemists of the Middle Ages, and which are supposed to have had the power of instilling into the veins a new principle of force, virility, valour, and pride; besides rendering incorruptible and invulnerable.”] (Liszt: The Gipsy in Music, trans. Edwin Evans, London 1960, pp. 339–40).The recital actually took place on May 19, 1823; the Rákóczi March was also a mainstay of Bihari’s performances (Alan Walker: Franz Liszt: The Virtuoso Years, 1811–1847, Ithaca/NY 1987, p.87 n. 43). A few sketches of Hungarian pieces can be found in Liszt’s notebooks from the 1830s, but the Hungarian voyage seems to have been the real catalyst for his consistent reengagement with the style. Walker: Liszt: The Virtuoso Years, see note 3, pp. 340–41.

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eighteenth centuries. In the Ungarische Nationalmelodien and the Rhapsodies hongroises, Liszt arranged music from these repertories – which came from commercial publications, not in situ collection and transcription – in the current, popular fashion. That he considered these melodies to be actual folk music later provoked harsh criticism from the Bartók-Kodály circle, to the point that for a time the Hungarian Rhapsodies even fell out of favor as performance vehicles.6 But even these “Hungarian” problems in connection with this book were only part of the negative reception, which was exacerbated by the authorial (and racist) intrusions of the Princess Caroline Sayn-Wittgenstein, especially in the second (1881) edition. The overall effect of the book was something of a disaster for Liszt, with his Hungarian sympathies, musical understanding, and even authorial integrity coming under harsh scrutiny, and the end result was little more than personal heartache and damage to his reputation. A further indignity was the condescension of the Wagnerian camp. Liszt’s later Hungarian efforts used a dissonant idiom largely devoid of Gypsy inflections, with a thorny harmonic language speculatively derived in part from old Hungarian modes.7 Despite the support Liszt himself gave Wagner’s works, which were challengingly modern for many contemporary listeners, the favor was not returned. In 1882 Wagner, according to his wife Cosima, was at a loss: Er beginnt heute abermals und gar schroff in seiner Wahrhaftigkeit über den Vater zu sprechen; als ‘keimenden Wahnsinn’ bezeichnet er die Arbeiten, er habe [etwa 12 Wörter unleserlich] den Mißklängen abzugewinnen unmöglich und anhaltend setzt er mir das auseinander, ich schweige still, traurig, daß ich nichts erwidern kann!8

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Ibid., p. 341 and n. 47. It is ironic that Bartók, who was strongly critical of Liszt’s Rhapsodies hongroises and their non-folk origins, had himself used that idiom (his Rhapsody Op. 1 is one such example), and his own Hungarianness was called into question also: Emile Haraszti suggested that he was “becoming an apostle of Czech, Romanian and Slovak music,” at the expense of Hungarian. (David E. Schneider: Hungarian Nationalism and the Reception of Bartók’s Music, 1904–40, in: The Cambridge Companion to Bartók, ed. by Armanda Bayley, Cambridge 2001, p. 180). A fuller treatment of Bartók’s disdain for Gypsy music as antithetical to “true” Hungarian music may be found in David E. Schneider: Bartók, Hungary, and the Renewal of Tradition, Berkeley/Los Angeles 2006, Chapter 1). Walker notes that even though Brahms took a similar approach in the Ungarische Tänze, he never garnered the same criticism. See especially Shay Loya: Liszt’s Transcultural Modernism and the Hungarian-Gypsy Tradition, Rochester/NY 2011, which is based on The Verbunkos Idiom in Liszt’s Music of the Future: Historical Issues of Reception and New Cultural and Analytical Perspectives, Diss., King’s College London 2006. Cosima Wagner, diary entry of 29 November 1882, in: Tagebücher, Zürich, vol. 2, pp. 1059–60.

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However, the Wagnerians found it more expedient to retain the familiar view of Liszt as crowd-pleasing virtuoso – carnival entertainer, even – rather than include him in their sphere of musical progressivism. The specifically Hungarian character of much of Liszt’s late music could then be, and indeed was, eclipsed by Wagner’s own music-dramas and late-Romantic musical language. And if all of this weren’t enough, influential biographers, writing in an era that privileged the hallowed German tradition above all others, sought to rehabilitate Liszt by viewing him as more German than Hungarian, or more cosmopolitan and “universal” than either.9 Withal, Liszt’s view of himself was steadfast, writing on 7 May 1873 to Baron Antal Augusz: Man darf mir wohl gestatten, daß ungeachtet meiner beklagenswerthen Unkentniss der ungarischen Sprache, ich von Geburt bis zum Grabe im Herzen und Sinne, Magyar verbleibe…10

What is more, he seems to have maintained his faith in the style hongrois – the popularized version of the Hungarian musical language – itself, even though his own language eventually developed in other directions, on 14 August 1877 Cosima wrote: “Mein Vater spielt uns abends das Divertissement à la Hongrois zauberisch vor, allein R. bleibt verstört.”11 The Divertissement was Liszt’s transcription of Schubert’s most extensive essay in the style hongrois, a four-hand work of the same title. So this was not a work completely of his own devising, and it was in neither his Hungarian modernist style nor his mature verbunkos style; it was his transcription of Schubert’s profoundly Viennese HungarianGypsy effort. For all the missteps associated with the Gypsy book, Liszt believed deeply in this idiom as a truly Hungarian utterance, and he always retained his feeling for it. In a thank-you note of 4 February 1883 for the composer Albert Fuchs’s dedication of his Op. 12 Hungarian Suite, Liszt said: Ihre Ungarische Suite ist ein vortreffliches und wirkungsvolles Werk. Aus dem musikalisch ungarischen Boden entsprossen, verbleibt sie doch Ihr Eighenthum, weil darin keine Nachahmungen noch verbrauchte Floskeln vorfindlich wohl aber manche neue harmonische Wendung und stets nationales Colorit.12

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The 1900 Liszt treatment by the music critic Rudolf Louis does not follow this pattern; Louis is content largely to echo Liszt’s own statements, and plead Liszt’s case without criticism or analysis (Rudolf Louis: Franz Liszt, Berlin 1900, especially pp. 69–70 and 110–12). Letter of 7 May 1873 to Baron Antal Augusz, in: Margit Prahács (Hg.): Franz Liszt: Briefe aus ungarischen Sammlungen, 1835–86, Kassel 1966, p. 160. Cosima Wagner, diary entry of 14 August 1877, in: Tagebücher, see note 8, vol. 1, p. 1066. La Mara (Hg.): Franz Liszt’s Briefe, Leipzig 1893, vol. 2, p. 344.

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To this listener, Fuchs’s suite seems to be a fairly superficial deployment of style hongrois elements, and it does make a certain use of familiar ornamentations. Liszt must be allowed some politesse, here; he is after all thanking a composer for the honor of a dedication. What is clear, though, is that for Liszt the style hongrois in its earlier form – its most readily accessible, “national”, local-color incarnation – retained its relevance as a musical language, its power of expression not yet exhausted. It is on precisely this point that Liszt parts company with later composers, and certainly with most of the critical community; that he was no longer using a musical language did not necessarily mean, for him, that the language had been spent or was now without national significance. In this he was less in line with the spirit of the later nineteenth century and more in sympathy with the musical environment of his youth, where national music and local color were for the most part considered to be living and expressive musical idioms, to be used in ways that were well established and widely shared.

II

National Music: Varieties, Implications, and Reception

In this respect – its deployment at a musical topic – musical nationalism is much like the cognate practices of musical archaism and musical exoticism in that they all suggest a place and/or time via commonly understood musical devices. Carl Maria von Weber’s Jägerchor from Act III of Der Freischütz is a paradigmatic example: the composer’s use of clearly folkloric musical elements – huntinghorn figures and close, Singverein-style harmonies – evokes an unmistakably German and rustic frame of reference. Musical archaism suggests the distant past via specific gestures that may or may not – and it matters little either way – have some element of authenticity. Johannes Brahms had a particularly wide archaistic vocabulary, so his music provides numerous examples: a pseudo-altdeutsch tone for certain Lieder, a studied stile antico that appears in the choral music, the damp Celtic past of the “Edward” Ballade (Op. 10, No. 1), and especially the constellation of gestures I have called the “Chivalric Style,” which combined faux-modal harmonic deployments with fanfares and horncalls to evoke the age of the Crusades and the heroism associated with that time (particularly in stories for the young).13 Finally, there is musical exoticism, which references either distant peoples (e.g. the Turkish Janissaries, as in the eighteenthcentury “Turkish” style, the Arabian fantasyland of Schumann’s Op. 66 Bilder aus Osten, or the misty chinoiserie of Daniel Auber’s 1835 opera Le cheval bronze), or exotics within such as the Hungarian Roma. As just mentioned, the 13

See Jonathan Bellman: Aus alten Märchen: The Chivalric Style of Schumann and Brahms, in: The Journal of Musicology 13/1 (Winter, 1995), pp. 117–35. Examples of Brahms’s use of the Chivalric Style, which he inherited from Schumann, are to be found in the Op. 33 cycle of Romanzen aus L. Tiecks Magelone, in the third movements of the Piano Quartet Op. 25 and Piano Quintet Op. 34, among other places.

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musical style used to suggest both Hungary and its Gypsies, from the early Romantic era and throughout most of Liszt’s lifetime, was what is often called the style hongrois, which designates a musical idiom formed largely of elements derived from Hungarian music as played by the Gypsy bands. Gestures specific to the style hongrois included the kuruc-4th, a rebounding between the fifth scale degree and upper prime, the many variants of the bókazó-cadence, derived from the spur-clicking gestures of traditional Hungarian dance, and imitations of the traditional instruments of the Gypsy band, such as the fiddle, tárogató, and cimbalom.14 The style hongrois is, like certain other musical dialects, able to function as either musical exoticism (if one is referring to the Gypsies, or to Hungary from outside its borders), or bona fide musical nationalism, if a Hungarian composer is basing a national language on the preexistent style hongrois – examples would include Liszt, Mihály Mosónyi, Ferenc Erkel, and others.15 In all forms of local color, the relative authenticity of the musical materials is less important than the symbolism. Brahmsian pseudo-modalities, which most often result from his characteristic application of common-tone principles, are in no way authentic in the sense of the way actual Renaissance modes were used; yet, the strangeness of the triadic movement evokes a kind of idealized, artless medieval vigor. (Actual medieval gestures – Landini cadences, the textures of parallel or florid organum, or the rhythmic modes, to choose three examples at random – would, in such contexts, simply have sounded strange, and been far less effective for the purpose at hand.) Similarly, Romungre Gypsies would almost certainly not have had a harmonic vocabulary as wildly colorful as what Schubert, Brahms, or Liszt himself incorporated into the style, but the effects of referring to their music were still maximally effective. So, less important than actual derivation of the musical gestures is the way they are understood: if they are recognizably German, or ancient, or Hungarian, or anything else, then the purpose is achieved: the place or identity is understood via musical gesture or process or even structure.16 Whatever the time, place, or ethnic frame of 14

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Examples of all the style hongrois formulas may be found in Chapter 5 of Jonathan Bellman: The Style Hongrois in the Music of Western Europe, Boston 1993. Briefly, the kuruc-4th is to be found in the opening themes of Schubert’s F-Minor Fantasy for Piano, Four Hands (D. 940) and Liszt’s Hungarian Fantasia for Piano and Orchestra; the basic bókazó-cadence rhythm may be seen in mm. 21 ff. of the first movement of Schubert’s Divertissement à l’Hongroise for Piano, Four Hands (D. 818) and mm.13– 14 of Liszt’s Hungarian Rhapsody no. 3. Fiddle imitations may be found in virtually many fast melodies (Brahms’s Hungarian Dance no. 5 is a familiar example), cimbalom evocations at the beginning of Liszt’s Hungarian Rhapsodies nos. 11 and 12, and a masterful tárogató treatment in the middle section of the slow movement of Brahms’s Quintet for Clarinet and Strings, Op. 115. See, for example, James Parakilas: Folk Song as Musical Wet Nurse: The Prehistory of Bartók’s For Children, in: Musical Quarterly 79/3 (Fall 1995), pp. 476-499. I am thinking, here, of such cases as Liszt’s Second Hungarian Rhapsody and Ravel’s

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reference, the process involved in “national” music – local color – is always the same: the subject and especially its broader cultural associations are referenced via familiar musical gestures and principles. It is, perhaps, the simplicity of the process, the way that music here draws closest to the explicitness of spoken language (that is, in the same way that a particular sound/collection of phonemes is immediately recognizable as French, Russian, etc.), that has made it aesthetically suspect. The critical standards that determined national music to be aesthetically suspect, though, could be capricious and inconsistently applied, and seeking a consistent explanation will help little. Some uses of local color seemed to have been acceptable while others were disdained, and how effective or expressive or even how clever the evocations of place, time, or identity were – whether of Here or There, Now or Then, Us or Them – mattered less than who was doing the evoking and the political or cultural merits of the nationality or cause being evoked. This critical inconsistency informs the reception of the music of Frédéric Chopin, who was almost an exact contemporary of Liszt. Shortly after Chopin’s 1829 departure from Warsaw, an incomepetent rebellion had provided the Czar an excuse to send in the Russian army to crush Poland, and both Polish suffering at home and the dispersion of many of Poland’s best and brightest were followed with interest by western European intelligentsia. Such listeners as Robert Schumann and Wilhelm von Lenz heard Chopin’s music, with its Polish dance rhythms and occasionally altered scales, as political – like the Lord’s song sung in exile, by the waters of a figurative Babylon. This meant that his music was not only artistically and commercially successful; it sang righteously of a just cause as well. And although certain Poles considered Chopin too cosmopolitan and insufficiently devoted to the Polish cause,17 his early death in 1849 meant that posterity would safely canonize him as Poland’s wieszcz, its prophet-bard, eternally singing his nation’s sorrows to the world.18 Had he lived longer, he might have risked a backlash similar to what Liszt faced (resentment for success, or for presuming to define the national music, or for being insufficiently committed to the national music), but his death allowed the Poles to cherish him in an everevolving series of nationalistically attractive images. Whether Chopin’s music was understood as Polish exoticism or Polish nationalism, he was hardly alone in using a highly colored national style; locally inflected, “characteristic” musical languages were widely used and enjoyed just at the time Liszt left the virtuoso’s life for that of a full-time composer. Two

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Tzigane, which have the form of a czardas, with the Lássan and Friska sections. A good summary of Chopin reception in Poland within the composer’s lifetime is Zofia Chechlińska: Chopin’s Reception as Reflected in Nineteenth-Century Polish Periodicals: General Remarks, in: The Age of Chopin, ed. by Halina Goldberg, Bloomington/Indianapolis 2004, pp. 247–58. See Halina Goldberg: ‘Remembering that tale of grief’: The Prophetic Voice in Chopin’s Music, in: Ibid., pp. 54–93.

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more nationalist-exotics on the Parisian piano scene were Louis Moreau Gottschalk, who captivated audiences with his Louisiana blends of Spanish, Indian, Caribbean, and American parlor styles, and Félicien David, whose evocative Arabism likewise gained a substantial following (though novelist George Moore reported that the opera composer Daniel Auber, when asked his opinion of David’s music, demurred with the comment “I’ll wait until he gets off his camel”19). Beyond Schumann’s aforementioned, exotic Bilder aus Osten, his music im Volkston (including the middle section of the first movement of his Op. 17 Piano Fantasy, the Op. 94 Romances for oboe and piano, the Five Pieces, Op. 102 for cello and piano both composed in 1849 and published in 1851), evoked a kind of idealized German past. By 1852 Brahms was already using his “Chivalric” style in the Second Piano Sonata, Op. 2, and he would continue to do so throughout his life. (This Brahmsian idiom seems to have much in common with certain Schumann passages, though whether it was clear derivation or the gestures were simply in the air is an open question.) Further east, the year 1848 saw the composition of Mikhail Glinka’s Kamarinskaya, a treatment of two Russian folk themes which Tchaikovsky later famously called “the acorn” from which the Russian symphonic school grew20 (the second theme is given the paradigmatic Russian “changing background”21 treatment, which would indeed become a hallmark of the nationalist style). Kamarinskaya would not be published until 1860, but the point is that throughout this period – the first half of both the Romantic era and the “long nineteenth century”22 – a variety of different “national” musics were in vogue, and if critical voices were raised against it they were not influential. So Chopin, Gottschalk, and David were cherished as nationalist/exotics, the German chivalry and Volkston of Schumann and Brahms made repeated appearances, and the entire Russian nationalist school was just beginning to blossom. Liszt, however, seems to have been judged by different rules. Though unnamed, he was the clear target of the caustic remark of Friedrich Wieck: 19

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Quoted in George Moore: Avowals: V. Kipling and Loti, in: Pall Mall Magazine 33 (May–August 1904), p. 373. In a diary entry of 27 June 1888 Tchaikovsky wrote that the Russian symphonic school was “all in Kamarinskaya, just as the whole oak is in the acorn.” (Quoted in David Brown: Mikhail Glinka: A Biographical and Critical Study, London 1974, p. 1). The concept of the Russian “changing background” variation was first put forth by Gerald Abraham in On Russian Music, London 1939, pp. 35–36, in a discussion of Glinka. The term “long nineteenth century,” the period from 1789 to 1914 (the French Revolution to the outbreak of World War I) originated with the British historian Eric Hobsbawm. Hobsbawm mapped out his conception, which is now a historiographical commonplace, in three books: The Age of Revolution: Europe 1789–1848 (1962), The Age of Capital: 1848–1875 (1975), and The Age of Empire: 1875–1914 (1987).

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Jonathan D. Bellman Das Publicum mag die lappigen Potpourris, die langweiligen Etüden, die siebenbürgischen Rhapsodien, die fantasielosen Fantasien, den monotonen Claviergraus, die endlosen, wohlfeilen, nichtssagenden, absurden Cadenzen nicht mehr hören.23

As time went on, more and more composers raised their voices against national music, including both composers who approved some uses of national music but excoriated others, and even some who had used national music themselves. Clearly, more issues were involved than just musical taste and criticism.

III

Wagner Pro and Con

Richard Wagner exemplifies this inconsistency. He openly praised the aforementioned Huntsman’s Chorus from Weber’s opera Der Freischütz (which, in his words, opened the operatic world to the “edle Bahnen des Volkstümlichen”24), and – what is less well known, since it was never published in translation – in 1863 he also praised Mihaly Mosónyi’s Hungarian Studies for the Performance of Hungarian Music (Tanulmányok zongorára, a magyar zene elődásának képzésére/Übungen für das Pianoforte zur Bildung des Vortrages für ungarische Musik, Pest, 1860) which were exercises in the nascent Hungarian national style: Wie mannigfaltig und für den Ausdruck bedeutend dagegen jener ursprüngliche Reichthum in der kunstgerechten Behandlung der Volksmusik nicht nur wiedergewonnen, sondern veredelt und weitergeführt werden kann, davon eben geben mir jene mitgetheilten “Ungarischen Studien” überraschend erfreuliche Belege. Ja, wie nahe eine wirklich charakteristische, künstlerische Behandlung das noch vollständig nationale Motiv an die Producte der vollendetsten Kunstmusik heranbringen kann, davon gibt mir z. B. Nr. XIII. im zweiten Hefte der “Ungarischen Studien” von Mosonyi ein Beispiel. Wer erkennt in diesem Stücke das andererseits auffallend den Typus des ungarischen „Lassu” trägt, nicht den Geist eines der phantastischsten Präludien Sebastian Bach’s?25

Of course, fine as they are, Mosónyi’s pieces are based not on real folk music but rather on the same Hungarian-Gypsy idiom as were Liszt’s earlier Hungarian works and even those of Hummel, Schubert, Weber, and even Brahms.

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Friedrich Wieck: Clavier und Gesang: Didaktisches und Polemisches, Leipzig 1853, p. 78. The fuller passage reads: “Das Genie Webers war es, welches die Oper durch Hinzuziehung des deutschen Männerchorgesanges…in edle Bahnen des Volkstümlichen leitete” (Richard Wagner: Sämtliche Schriften, vol. 10, p. 164). Richard Wagner: Über ungarische Musik, in: Niederrheinische Musik-Zeitung 11/35, (29.08.1863, reprinted from Pesther Lloyd [a Hungarian Music paper], no. 188), p. 280.

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Significant, too, is the way Wagner cherished his memories of Weber’s music for the play Preziosa, which he had seen when young. Cosima described it this way: Gestern auf der Fahrt erinnerte mich R. daran, wie er einen Abend in München so heftig in der Aufführung von Preciosa geweint hätte, er sagt: ‘Diese Musik erinnerte mich an den unauslöschlichen Eindruck, den sie in der Jugend auf mich gemacht: alle meine Vorstellungen von südlicher Glut und Anmut basieren auf diesem Eindruck. Wie zierlich war doch auch der Text gemacht, man kann eine Novelle nicht hübscher bearbeiten. Wie grob dagegen, was heute geliefert wird!26

The Preziosa music was full of style hongrois elements, and some Spanish inflections as well, so Wagner is here taking Weber’s somewhat two-dimensional Gypsy flourishes as the basis for all his ideas of “southern fire and gracefulness” (!). Still, he could also execrate such composers as Meyerbeer, Mendelssohn, and Brahms for Scottish, Hungarian, archaic, and religious inflections in their music – “Wirkung ohne Ursache” as he called them.27 The ultimate cause of Meyerbeer’s and Mendelssohn’s aesthetic failings was, of course, their Jewish background; for Wagner, their uses of local color exemplified various aspects of his anti-Semitic cosmology (Jews using everyone else’s language, never having one of their own, and so forth – “Diese Leute haben nicht die Seele ihrer Begabung”, as he once put it.28). Like many later writers, “cosmopolitanism” was for Wagner a loaded word, signifying something Jews were after (since they were, putatively, both international and without real a true nationality, sympathy, or consciousness); this is certainly relevant to any considerations of “cosmopolitan thought” as it relates to Liszt, Wagner, or anyone else.29 Brahms aroused Wagner’s ire for other, well-known historical reasons, but there are numerous examples of Wagner’s dislike of Hungarian music especially, whoever was composing it. (Again, his article about Reményi and Mosónyi, just quoted, is an exception.) For example, he told his wife Cosima (who was ready to hear all, believe all, suffer all, and record all), that her father

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Cosima Wagner, diary entry of Monday, 17 July 1871, in: Tagebücher, see note 8, vol. 1, p. 415. “Effects without Causes.” See, for example, Richard Wagner: Opera and Drama, (1851/1869), On the Application of Music to the Drama (1879), On Poetry and Composition (1879), and Judaism in Music (1850/1869). Cosima Wagner, diary entry of Monday, 24 October 1870, in: Tagebücher, see note 8, vol. 1, p. 303. For instance, in a diary entry of Tuesday, 27 September 1870, Cosima quotes Wagner: “Daß dem Juden nichts an Form und Bildung des Deutschen Reiches liegt, daß er dagegen das Kosmopolitische gern aufbringen möchte, wissen wir.” (Ibid., vol. 1, p. 292).

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Jonathan D. Bellman ‘…ist der Illustrator einer untergehenden Welt gewesen,’ sagt R., ‘so z. B. die Zigeunerweisen, die keinen Anspruch auf dauernde Kunst machen könnten; Mittelpunkt dieses Wesens war das nun verschwundene Paris.’30

And there is also this amusing episode, related in Cosima Wagner’s diary, when their ten-year-old son Siegfried happened upon some of Brahms’s music that a friend had brought over to discuss: Als Siegfried die Hefte von Brahms liegen sah, bat er seinen Vater, ihm die ungarischen Tänze zu spielen; R. sagt mir dies wieder in einem Ton, der mir keinen Zweifel über seinen Eindruck läßt; mir ist es ein Stich…31

Wagner was also inconsistent in his reception of the German folk style (which he may have understood no better than he did the Hungarian). On Friday, 17 March 1871, Cosima recounts: Kriegerische Lieder sind gestern angekommen, wir dachten, sie stammten von einem Soldaten, und fanden sie nicht gut; nun aber fand sich’s daß sie von Heinr. Dorn waren, und die ganze Abgeschmacktheit ekelte uns an; wenn der Volkston nachgemacht wird, ist es gleich Kladderadatsch; “ja, sie fälschen jetze alles”, sagt R.32

Yet, just under a year later: Von der ‘Zauberflöte’ sprechend sagte er: “Das ist volkstümlich; wenn man uns Deutschen sagen kann, wir hätten keine Kunst, so können wir erwidern: wir haben aber Volkstümlichkeit steht die Kunst, denn seit den Griechen hat es eigentlich keinen wirklichen Künstler gegeben.”33

Wagner’s numerous resentments colored his reactions to composers of national music, but this strain of aesthetic distrust endured long after. A similar kind of inconsistency can be seen in Claude Debussy; the composer of (among other works using local color) the Marche écossaise, Ibéria, and the Six epigraphes antiques – meditations on a traditional Scottish march, a richly fantasized Spain, and a sensuously painted Ancient Greece, respectively – could also write (possibly thinking of such works as Vincent d’Indy’s 1886 Symphonie sur un chant montagnard français):

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Cosima Wagner, diary entry of 12 October 1871, in: Tagebücher, see note 8, vol. 1, p. 448. Cosima Wagner, diary entry of Wed., 10 September 1879, in: Ibid., vol. 2, p. 407. Cosima Wagner, diary entry of 17 March 1871, in: Ibid., vol. 1, p. 371. Cosima Wagner, diary entry of 8 March 1872, in: Ibid., vol. 1, p. 498.

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Bientôt cependant, la mode du thème populaire s’étendit sur l’univers musical: on remua les moindres provinces, de l’est à l’ouest; on arracha à de vieilles bouches paysannes, des refrains ingénus, tout ahuris de se retrouver vêtus de dentelles harmonieuses. Ils en gardèrent un petit air tristement gêné, mais d’impérieux contre-points les sommèrent d’avoir à oublier leur paisible origine.34

Such condescension continues up to the present day, from similar comments by Schoenberg and Stravinsky through the writing of critics such as Joseph Kerman and Susan McClary and even after.35 Over the years, a disapproval that was largely the product of Wagner’s personal animus and anti-Semitism, came to be accepted (as, indeed, he would have wished) as a higher aesthetic view, the artistically appropriate conception. In the more recent critical environments of Postcolonialism and Cultural Criticism, where accusations of cultural appropriation are much easier to level than refute, the kind of polylingual style competence that Liszt practiced is all but unheard-of, and certainly suspect. Although he created a vast corpus of Hungarian music embracing a variety of styles and compositional approaches, then, Liszt’s music is somehow always viewed conditionally; derided as cheap virtuoso music (he never outlived the resentment of his concert successes), or as appropriation of the Gypsies’ voice, or as misuse of that voice,36 or as facile pseudo-patriotism, or even self-indulgent experimentalism.37 Yet, Liszt’s Hungarian musical identity, first expressed in 34

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Claude Debussy, A la Société nationale: Concert d’orchestra du 16 mars, in: Revue blanche (1 April 1901), Monsieur Croche et autres écrits, Paris 1971, p. 26. “The fashion for popular airs has spread quickly throughout the musical world; from east to west the tiniest villages have been ransacked, and simple tunes, plucked from the mouths of hoary peasants, find themselves, to their consternation, trimmed with harmonic frills. This gives them an appearance of pathetic discomfort, but a lordly counterpoint ordains that they shall forget their peaceful origin.” (Josiah Fisk (Ed.): Composers on Music: Eight Centuries of Writings, Boston 21997, p. 202). A brief overview of this kind of inconsistent reception is provided in Jonathan Bellman: ‘Noble Pathways of the National’: Romantic and Modern Reactions to National Music, in: Pendragon Review 1/2 (Fall, 2001), pp. 46–65. For example, the German-American pianist Edward Dannreuther wrote of Liszt’s Ungarische Krönungsmesse (1866–67) that the composer “aimed at characteristic national color, and tried to attain it by persistently putting forward some of the melodic formulæ common to music of the Hungarian type which occurs in the national Rákóczi March and in numberless popular tunes – or an emphatic melisma known to everybody through the famous Rhapsodies. […] But the style of the entire Mass is as incongruous as a Gypsy musician in a church vestment – doubly strange to students of the present day, who in Liszt’s Rhapsodies and Brahms’s Ungarische Tänze have become familiar with the rhythmical and melodic phrases of the Hungarian Gypsy idiom, and who all along have known them in their most mundane aspect.” (Quoted in James Huneker: Franz Liszt: The Man and His Music, New York 1911, pp. 189–90). Anton Rubinstein, for example, accused Liszt of posing “in his Hungarian Rhapsodies, before the Gypsies” (quoted in: Ibid., pp. 156–57; see also Wagner’s

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childhood with his public improvisations, deepened and matured throughout his career – but was still regarded with the slightly mistrustful admiration reserved for all cosmopolitans (all implications of the word being in play, here): no amount of Hungarian composition could make up for his strengths in other areas, his refusal to be limited to one mode of expression, and his broad circle of friends and students. One further point about Liszt and nationality touches upon both his use of local color and his Hungarian national compositions. His Hungarian works cover a great breadth of expression, it must be said, greater than the pieces and passages of Schubert and Brahms. His earliest Hungarian idiom was based on a colorful Gypsy virtuosity, where the “Gypsy Epic” he sought to create was based on tunes gleaned from commercial publications; the works in this group would include the Ungarische Nationalmelodien and the first fifteen Hungarian Rhapsodies. The moods included varieties of traditional slow playing – the kuruc style found in his transcription of the Rákoczy Nóta, no. 10 (in D Major) of the Ungarische Nationalmelodien, the slow, heavy csárdás mood of the Third Hungarian Rhapsody, and the full gamut of slow (instrumental) songs and marches – and plenty of pieces in the Friska style, such as the famous closing sections of the Second and Sixth Hungarian Rhapsodies. Some interesting harmonic choices begin to be made, as for example in the Fourteenth Hungarian Rhapsody, where the Allegro Vivace theme begins to take on odder, less functional harmonic colors. This process continues in the tone poems. On hearing Hungaria (1854) at the piano, Wagner told Cosima, “Dein Vater ist doch viel mehr Musiker als wie ich, ich könnte so etwas nicht schreiben…”38 The 1857 poem Hunnenschlacht uses Hungarian gestures to represent the pagan Huns, but Gypsy elements are much less in evidence. Finally, of course, is the late Hungarian style of (for example) the Sunt lacrymae rerum en mode hongrois (1871), the Csárdás macabre (1881), and the Csárdás obstiné (1886). The idiom is almost totally without Gypsy inflection, and is based on harmonic extrapolations from old Hungarian modes, which results in the kind of dissonant idiom that Wagner (as quoted above) bridled against. So in the Hungarian cyclical works, the tone poems, the Hungarian sacred music, and the late, futuristic works, Liszt composed, over the course of virtually his entire musical lifetime, a body of varied and stylistically evolving Hungariana that to any reasonable person would render the question of his nationality settled beyond the shadow of a doubt, particularly in view of the letter quoted earlier. Yet – and this another point that could not have escaped the notice of the anti-cosmopolitan faction – Hungary was not the only country to so inspire Liszt, and so the more generalized question of local color again becomes relevant. In

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comments about Liszt’s dissonances, quoted by Cosima, above). Cosima Wagner, diary entry of 4 December 1878, in: Tagebücher, see note 8, vol. 2, p. 249.

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addition to his Spanish- and Swiss-tinged efforts,39 he devoted a great deal of musical (and real-life) time to Italy: the Italy of the Catholic church, the Italy of medieval historical sites, the Italy of Dante, with whom he identified as a young man (romantically enough, with Marie d’Agoult as his Beatrice), operatic Italy,40 and the Italy of folkdance and folksong. Consider the spectrum: his Miserere after Palestrina, from the mid 1840s, is a prayerful, pseudo-archaic evocation of Roman chant in falsobordone harmonization. (Compare Psaume, from the Swiss book of the Années de pèlerinage, which is the evocation of root-position choral harmony from the Geneva of John Calvin.) In Venezia e Napoli (1840/1859) Liszt captures the spirit of bel canto popular song and the Tarantella folkdance. Later, in Les Jeux d’eau à la Villa d’Este (1877), Liszt gives the waters of the fountains of the Tivoli gardens at the Villa d’Este fountain a wholly impressionistic depiction that clearly foreshadows Debussy, but uses seemingly no Italian local color at all. So the Italian music, and to a lesser extent the Swiss, follows the same pattern of the Hungarian: composed over a series of decades, covering a gamut of styles, from overtly religious to folk like to progressive, and splendidly crafted band heartfelt.

IV

The Underlying Critical Inconsistency

It may seem that the equivalency of approaches in the Hungarian and italianate music – that is, a kaleidoscopically changing mix of local color elements, poetic elaborations, and progressive tendencies – does indeed indicate a true artistic cosmopolitanism, that Hungary is no more privileged, in terms of musical tributes, than the beloved but adopted Italy. But to argue from the music in that way illustrates nothing beyond the problematic nature of the concept of “cosmopolitanism” per se. The issue was often represented as if one could either have a firm tie to the homeland or have broad cultural experience or sympathies, but not both (cf. Wagner’s association of cosmopolitanism with Jews, who he saw as stateless, without a language,41 etc.). Of course, to take such a position reduces music to the level of political tracts, as if a composer can only be capable of having one legitimately strong feeling. Obviously, though, the suggestion that if Liszt composed compellingly about both Hungary and Italy, he must have 39

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James Parakilas has examined these works in some detail in How Spain Got a Soul, in: The Exotic in Western Music, ed. by Jonathan Bellman, Boston 1998. Liszt has some fascinating comments on the operatic world in his newspaper pieces from the 1830s. See Charles Suttoni (Ed.): An Artist’s Journey: Lettres d’un bachelier de musique, Chicago 1989. Wagner did not consider Yiddish to be a real language, and almost certainly knew nothing of such cognate tongues as Ladino or Judeo-Greek. Hebrew was still a dead language at this point; Eliezer ben Yehuda had not yet embarked on his project to resuscitate the language.

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been no more committed to the one than the other is untenable. Far better to say that Liszt “spoke”, so to say, the piano idioms of his time with unparalleled ease; to take his command of this one or that as a litmus test of his “real” loyalties is to ignore the fact that musical nationalism and musical exoticism shared an approach, and that the successful use of both depended on artistic inspiration and compositional craft, not some kind of righteousness or integrity. Liszt, as loyal Hungarian, true cosmopolitan, and legitimately gifted artist, is ill served by such a skewed view. It is a peculiar position in which to put any artist, though it has been a persistent (if, sometimes, subliminal) trope in the critical literature. The end result of all these national and critical anxieties as they affect Liszt’s reception is that they have conspired, in a sense, to make any retrospective national integrity impossible for him. The Hungarians resented his historical mistakes and perceived disrespect for his country – a strain of thought that has only become more entrenched since Bartók’s time. Moreover, Liszt’s most ready musical means for expressing national feeling – local color, musical evocations of peoples, places, and times – were increasingly regarded as a cheap or dubious compositional strategy in the decades that followed (the Wagnerian aftermath, so to speak), with audience appreciation and receptivity being taken, paradoxically, as further proof of ephemerality and limited artistic merit. It is in that spirit that the pianist Louis Kentner could dismiss the Hungarian Fantasia for piano and orchestra as a “brilliant (though to many musicians, vulgar) showpiece … rounded off …with all the usual pyrotechnics,”42 while the critic Sacheverell Sitwell called it Tawdry […] of noisy, melodramatic feeling. The descent of many Jazz composers, and George Gershwin is not the least of these, can be traced to it. […] The longest, most drawn-out agonies in restaurant and cinema, the worst and noisiest thunders of the concert hall are laid to the door of Liszt.43

The point here is not to mock Kentner and Sitwell, but rather to point up the trend in musical thought that essentially ignores the changing fortunes of certain musical forms of expression, and judges artworks and composers according to current but anachronistic (and, be it said, somewhat dubious) standards. To disrespect the use of local color per se, be it that of Liszt or of anyone else, is a mistake for several reasons, but the most pressing one here is that to disallow an artist’s chosen language is to dismiss the artwork out of hand. This is like dismissing the literary merits of Mark Twain because of the stylized rural Missouri dialects he used. If, instead, we were to accept that Liszt’s real musical mother tongue was a composite of the musical idioms available to him, our criticism would be on sounder footing. We might then address his use of these idioms, 42

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Louis Kentner: The Interpretation of Liszt’s Piano Music, in: Franz Liszt: The Man and His Music, ed. by Alan Walker, London 1970, p. 258. Sacheverell Sitwell: Liszt, Boston/New York 1934, p. 205 and 207.

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which would be more helpful than damning him for their subsequent unfashionability, or for the problems associated with Des bohémiens. In this light, we might conceive the issue less as involving precisely where Liszt falls on the thin line between pure nationalism and pure cosmopolitanism, and more to do with how both Liszt’s nationalism, which he proclaimed his entire life, and his cosmopolitanism, which he demonstrated in the world and in his compositions, are reflected in his music. A rehabilitated understanding of local color and the way he (and others) used it is a good place to start, for it will be far more profitable to study Liszt’s compositions if we don’t profess a fashionable discomfort for their mode of expression from the very beginning. Arguing “from the music,” as I formulated it earlier, is in some ways more challenging than from biography and culture and ideas, and even when speaking analytically about music it is difficult to integrate all these perspectives into the same discussion. With his poetic uses of traditional musical styles (of various kinds), and his subsequent speculative, modernistic, and non-traditional uses of traditional musical elements, Liszt has set us a challenge. Meeting this challenge, without ideology, without the style snobbery of our critical forebears and their descendants, and without crippling nationalistic biases, has been a pressing critical need for far too long.

II

KOMPOSITION UND ÄSTHETIK

Literatur, Kunst und ‚poetische‘ Musik: Intermedialität in Franz Liszts Années de Pèlerinage Cord-Friedrich Berghahn (Braunschweig) Dedicato a Gianluca Luisi The cycle Années de Pèlerinage, on which Liszt worked between 1835 and 1877, is an important key to understanding Franz Liszt’s intermedial and intertextual idea of ‘poetic’ music. The complex history of the cycle is increased by the fact that there are numerous versions of the individual compositions that differ radically from each other. Each of these versions presents not just a re-working of a prior one but rather a fundamentally new composition in terms of formal and technical features. By analysing the relationship between music, literature and the pictures in the printed scores of selected pieces from the Album d’un Voyageur and from the Années de Pèlerinage, this essay explores the dense net of intertextual and intermedial devices of the cycle and consequently demonstrates that this music is to be understood as an intermedial experiment, corresponding with and at the same time differing from the intertextual and intermedial experiments of Berlioz, Schumann, and Wagner.

I Wohl kein Komponist des 19. Jahrhunderts versteht seine Musik so sehr als Teil eines integralen, Text und Bild umfassenden Begriffs von Kunst wie Franz Liszt. Nicht Richard Wagner, dessen „Gesamtkunstwerk“ die Bilder und Texte im revolutionär politischen Sinn synthetisieren, in ihrer Autonomie aufheben und eben nicht fortschreiben soll;1 nicht Robert Schumann, dessen Begriff einer poetischen Musik wesentlich durch die Dichtung bestimmt bleibt; und auch nicht 1

Der Begriff „Gesamtkunstwerk“ wird von Wagner in dieser Hinsicht zum ersten Mal im Hinblick auf das integrale Konzept des antiken griechischen Theaters benutzt; er schreibt 1849: „Und so war es bei der Wiedergeburt der Künste, daß wir zunächst auf diese vereinzelten griechischen Künste trafen, wie sie aus der Auflösung der Tragödie sich entwickelt hatten: das große griechische Gesamtkunstwerk durfte unserem verwilderten, an sich irren und zersplitterten Geiste nicht in seiner Fülle zuerst aufstoßen: denn wie hätten wir es verstehen sollen?“ (Richard Wagner: Die Kunst und die Revolution, in: Gesammelte Schriften und Dichtungen, Leipzig o.J. [31907], Bd. 3, S. 29).

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Hector Berlioz, dessen Musik im Aufnehmen der Dichtung die Neuerfindung des Dramas zu verwirklichen sucht.2 Liszts enzyklopädische Idee der Kunst, sein Konzept einer Musik als Integral von Weltliteratur und Weltkunst zeichnet sich bereits in den 1830er Jahren ab, nämlich 1.) in der Auseinandersetzung mit Paganinis Virtuosität, die für Liszt nicht länger ein Oberflächenphänomen über einer klassizistischen Struktur sein will, sondern zum wesentlichen Element einer romantischen Verwandlung der Textur der Musik avanciert;3 2.) in der Begegnung (und pianistischen Transformation) der Symphonie fantastique des Freundes Hector Berlioz; und 3.) in der pianistischen Aneignung der Symphonien Beethovens, deren Transkriptionen Liszt programmatisch als „Partituren“ bezeichnet. Dieses Welt-Kunstkonzept ist in den 1830er Jahren und bis in die frühe Weimarer Zeit des Komponisten wesentlich vom Klavier her gedacht, eine Folge der Wandlung des einstigen Wunderkindes zum Paganini des Klaviers. Bei Liszt wird das Virtuose, die Faktur, zum wesentlichen Element der Komposition.4 Dabei avanciert die Musik zum Archiv einer prinzipiell unendlichen Verwandlung, in deren Logik die Grenzen zwischen Originalkomposition und Bearbeitung, Tradition und Moderne, Komponist und Interpret durchlässig werden. Liszts nie ermüdende Fähigkeit, neue Gattungen zu erfinden und sein Stolz auf diese Gattungen deuten darauf, dass die nur in ihm verbürgte Identität von Komponist und Interpret den Begriff der Musik selbst und den ihrer Gattungen neu definiert: „Es gibt“, so Norbert Miller, daher „keinen grundsätzlichen Unterschied, auch keinen des Rangs, zwischen einem Stück wie Vallée d’Obermann und einer der gleichzeitigen Opernparaphrasen.“5 Bereits 1837, in seinem Aufsatz Robert Schumann’s Clavierkompositionen Op. 5, 11, 14, bezeichnet Liszt die neue Musik seit Beethoven als „eine dichterische Kunst“, deren eigentliches Gebiet jenseits des Schilderns und jenseits der normativen Herrschaft der Form in ihrer „Beziehung zum Seelenleben“ liege.6 An Kompositionen von Schumann, die mit kargem thematischen Material zu größeren Einheiten, Variationen und Zyklen zusammengebunden sind, zu 2

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Wolfgang Dömling: Franz Liszt und seine Zeit (Große Komponisten und ihre Zeit), Laaber 1985, vgl. S. 59-68 und 108ff.; vgl. zu Berlioz’ Idee des symphonischen Dramas aus dem Geist der romantischen Literatur Andrea Hübener: Kreisler in Frankreich. E.T.A. Hoffmann und die französischen Romantiker (GermanischRomanische Monatsschrift. Beiheft 22), Heidelberg 2004, S. 322-380. Vgl. Carl Dahlhaus: Die Musik des 19. Jahrhunderts (Neues Handbuch der Musikwissenschaft 6), Darmstadt 1997 (1. Aufl. Wiesbaden 1980), S. 111. Charles Rosen: The Romantic Generation, Cambridge, Mass. 1998, S. 491ff. („The Invention of Romantic Piano Sound“). Carl Dahlhaus/Norbert Miller: Europäische Musik in der Romantik, Bd. 2: Von E.T.A. Hoffmann zu Richard Wagner, Stuttgart/Weimar 2007, S. 927. Franz Liszt: Gesammelte Schriften, hg. von L. Ramann, Leipzig 1880-1883 [Reprint Hildesheim/New York 1978] (künftig: GS), Bd. 2, S. 104.

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Einheiten, die nicht länger thematisch, sondern motivisch bestimmt werden,7 knüpft Liszt bei seinen Experimenten mit der poetischen Musik unmittelbar an. Wo Schumann das (bisweilen esoterische) charakteristische Motiv zum Zentrum seiner Zyklen macht, da greift Liszt zu Literatur und Kunst. Beider Ergebnis ist – wie Eva-Maria von Adam-Schmidmeier überzeugend darlegt8 – ein nicht nur kultur-, sondern auch musikgeschichtlicher Äonensprung, als dessen Ergebnis der Klaviermusikzyklus für eine Generation zu einem entscheidenden Zentrum der Erweiterung und Nobilitierung der solistischen Instrumentalmusik avanciert und damit auch zum Organon des ästhetischen Experiments. Der Klavierzyklus als poetisches Genre – und später, analog zu dieser Entwicklung, die Symphonische Dichtung – soll wie die Literatur und die Bildende Kunst die großen Themen der Menschheit behandeln. Das Poetische bedeutet für Liszt die Grenzziehung zwischen Kunst und „Nicht-Kunst“.9 Im Vorwort zum 1842 gedruckten Album d’un Voyageur schreibt er, dass diese neue, poetische Klaviermusik in Zyklusform vielleicht mehr als die Poesie selbst geeignet ist, alles das auszudrücken, was unsern altgewohnten Horizont erweitert, alles das, was sich der trockenen Zergliederung entzieht, was sich in den unzugänglichen Tiefen unstillbarer Sehnsucht, unendlicher Ahnungen bewegt.10

Die unbestreitbaren Gemeinsamkeiten, die Liszt mit seinen Generationsgenossen Berlioz, Schumann, Chopin und Wagner teilt, können die bemerkenswerten Differenzen zwischen den jeweiligen Auffassungen, was poetische Musik nun sei, nicht überdecken. Mir soll es im Folgenden um die Präzisierung des Poetischen im Hinblick auf seine Funktion als musikalisches Prinzip bei Liszt gehen. Bei ihm zeigt sich – so meine These – ein selbst in der literarisch und ästhetisch universal gebildeten Generation der Romantiker einzigartiger Zugriff auf Literatur und Kunst. Ein Zugriff, der faszinierend zweideutig ist, komplex und hochgradig intermedial, und der bis in die Gegenwart einer zureichenden Darstellung (und Interpretation) harrt.

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Vgl. Rosen: The Romantic Generation, s. Anm. 4, S. 669ff. und 683ff. Eva-Maria von Adam-Schmidmeier: Das poetische als zyklisches Prinzip. Studien zum Klaviermusikzyklus im 19. Jahrhundert (Musicologica Berolinensia 10), Berlin 2003. Detlef Altenburg: Franz Liszt, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik, hg. von Ludwig Finscher, Kassel/Basel/Stuttgart/ Weimar [u.a.] 21994-2008, (künftig: MGG), Bd. 9, Sp. 286. Zit. n. ebd., Bd. 9, Sp. 286.

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II Kein Werk aus dem Œuvre Liszts lässt diesen intermedialen Anverwandlungsund Transformationsprozess so deutlich beobachten, wie der Klavierzyklus der Années de Pèlerinage. Und kaum eines ist so wie er darauf angewiesen, die intertextuellen und intermedialen Anspielungen, Verweise und Vernetzungen in Rechnung zu ziehen. Die drei Teile der Années de Pèlerinage lassen sich als ein Zentrum im kompositorischen Œuvre von Franz Liszt deuten. An den Stücken arbeitet er zwischen 1835 und 1877. Der abschließende Band erscheint sogar erst 1883. Diese vertrackte Werk- und Publikationsgeschichte wird durch die zahlreichen Versionen der Kompositionen zusätzlich verkompliziert. So existieren von einigen Stücken der Années de Pèlerinage, etwa dem Sonetto 104 del Petrarca, mehrere, radikal verschiedene Versionen; jede unter ihnen nicht etwa lediglich eine Überarbeitung, sondern eine formal und technisch grundsätzlich neu aufgefasste Komposition. Die Années de Pèlerinage umspannen also fast ein halbes Jahrhundert und damit vier sehr unterschiedliche Lebens- und Werkabschnitte von Franz Liszt: Zunächst die eigentlichen ‚Wanderjahre‘ 1835-1839 an der Seite der Geliebten Marie d’Agoult (1805-1876), die das Paar von Frankreich über die Schweiz nach Italien führen; dann Liszts Comeback als Pianist in den Jahren 1840-1847; dann, nach 1848, die Jahre als Dirigent, Komponist und Musikästhetiker in Weimar, in deren Zentrum die Arbeit an den Symphonischen Dichtungen steht. Die letzten der Stücke schließlich, die im Troisième Année versammelt sind, entstehen erst nach 1860, in einer Epoche seines Lebens, in der Liszt, versehen mit den Weihen eines Abbés, im römischen Kloster Madonna del Rosario lebt. Hier entsteht ein hochexperimentelles Spätwerk, das erst im späten 20. Jahrhundert angemessene Würdigung finden wird.

III 1835 verlassen der 24-Jährige Franz Liszt und seine Geliebte, die verheiratete Gräfin Marie d’Agoult, die Pariser Gesellschaft; sie ziehen damit die Konsequenzen aus einer Liebe, die im Rahmen der Konventionen der Julimonarchie zur Illegitimität verurteilt ist.11 Die folgenden zwei Jahre verbringen sie in der 11

Zu den wichtigsten Darstellungen dieser Beziehung zählen die entsprechenden Kapitel der Liszt-Biographie von Ernest Newmann: The Man Liszt. A Study of the TragiComedy of a Soul Divided Against Itself, London 1934; Emile Haraszti: Franz Liszt – Author Despite Himself: The History of a Mystification, in: Musical Quarterly 33 (Oct. 1947), S. 490-516; Jacques Vier: La comtesse d’Agoult et son temps, Bd. 1: Le Faubourg Saint-Germain (1805-1835), Paris 1955-1963, S. 82ff. und 133ff.; Charles Suttoni: Liszt and Madame d’Agoult. A Reappraisal, in: Franz Liszt and His World (Analecta Lisztiana 1). Proceedings of the International Liszt Conference held at

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Schweiz. Hier wird die erste Tochter Blandine geboren und hier entstehen die ersten Stücke der Années de Pèlerinage.12 Zyklisch gibt Liszt sie zunächst 1837 bei Ricordi als Album d’un Voyageur in Druck; 1842 erscheint die definitive Fassung dann bei Haslinger in Wien.13 Der Titel Album d’un Voyageur nimmt dabei nicht nur die zeitgenössische Begeisterung für Reiseliteratur auf, und er spielt nicht nur auf Liszts Autorschaft der zwischen 1835 und 1840 erscheinenden Reisebriefe eines Baccalaureus der Tonkunst (Lettres d’un bachelier ès musique) an,14 sondern intoniert mit dem Voyageur, dem Reisenden, dem Wandernden, dem Unbehausten ein Leitmotiv von Liszts musikalischer und literarischer Autorschaft.15 Eines, das als geheimes, nur dem Eingeweihten hör- und entzifferbares Motiv die Stücke des Album wie später der Années durchzieht. Im Album d’un Voyageur versucht Liszt zum ersten Mal in seiner Klaviermusik, die Charakterstücke eines Zyklus mit Hilfe einer poetischen Idee und zugleich durch musikalische Verweise miteinander zu verknüpfen. Gerahmt von den Stücken Lyon (das an den Lyoneser Weberaufstand von 1834 erinnert und den politischen Grundton bildet)16 und Psaume (das den religiös-revolutionären Impetus von Liszts Katholizismus Lamennais’scher Prägung trägt) versammelt der erste Teil des Album unter dem Titel Impressions et Poésies Charakterstücke, die landschaftliche und literarische Orte reflektieren. In der späteren Fassung des Album d’un Voyageur als Première année: Suisse der Années de Pèlerinage ist diese Disposition durch den Wegfall der Rahmung zwar modifiziert, grundsätzlich aber beibehalten. In der Wiener Ausgabe heißt es 1842:

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Virginia Polytechnic Institute and State University 20-23 May 1993 (Franz Liszt Studies Series 5), ed. by Michael Saffle, Hillsdale, S. 17-35; letzterer ausgesprochen kritisch gegenüber Mme dʼAgoult. Vgl. dazu Alan Walker: Franz Liszt. The Virtuoso Years 1811-1847, London 1983, S. 209-284. Vgl. Franz Liszt: Neue Ausgabe sämtlicher Werke. Supplementbände zu den Werken für Klavier zu zwei Händen, zgst. von Adrienne Kaczmarczyk/Imre Mezó, Budapest 2010 (künftig: NSW 13), Bd. 13, S. XXf. („Die Vorgeschichte des Zyklus [Années de Pèlerinage]“). Sie finden sich, übersetzt von Lina Ramann, in Bd. 2 von Liszts Gesammelten Schriften, s. Anm. 6, S. 113-257. Das hat Gerhard Herrgott besonders eindrücklich am Beispiel des Vallée d’Oberman aus dem Album d’un voyageur gezeigt, vgl. ders.: Wanderer-Fantasien. Franz Liszt und die Figuren des Begehrens. Mit der französischen Version: Imaginations du Promeneur (Max Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte. Preprint 342), [Berlin] 2008. Die Publikation begleitet eine CD-Aufnahme von Liszts Zyklus, die 2006 live mitgeschnitten wurde. Lyon ist dem politischen Philosophen Hugues Félicité Robert de Lamennais (17821854) gewidmet, dessen katholischer Sozialismus Liszts Denken nachhaltig geprägt hat.

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Cord-Friedrich Berghahn Ayant parcouru en ces derniers temps bien des pays nouveaux, bien des sites divers, bien des lieux consacrés par l’histoire et la poësie, ayant senti que les aspects variés de la nature et les scènes qui s’y rattachent en passaient pas devant mes yeux comme des vaines images, mais qu’elles remuaient dans mon âme des émotions profondes; qu’il s’établissait entre elles et moi une relation vague mais immédiate, un rapport indéfini mais réel, une communication inexplicable mais certaine, j’ai essayé de rendre en musique quelques unes de mes sensations les plus fortes, de mes plus vives perceptions.17

Das ist der Ton, den wir aus Etienne Pivert de Senancours (1771-1846) Roman Oberman (1804) kennen. Und dem Vorwort Liszts liegt auch die Gleichung zugrunde, aus der die Spannung dieses handlungsarmen und reflexionsreichen Romans resultiert. Oberman ist für Liszt – nach der ästhetischen Erweckung durch Victor Hugos Theater und durch seine Oden, nach der religiös-politischen durch Lamennais und der spirituellen durch die Lyrik Lamartines – die „Bestätigung und Intensivierung des früher nur dumpf empfundenen Gleichnisses für den Zusammenhang von Natur und menschlicher Erfahrung, von Dichtung und Religion“.18 Damit ist von vorneherein jede naive Klangmalerei ausgeschlossen. Sujet des Album d’un Voyageur sind Reflexionen, die in eine „geistig vorgefasste Landschaft“ transponiert werden.19 Und die Art der Transposition ist ein revolutionärer Aspekt dieser Sammlung. Neben esoterischen Ton- und Motivverbindungen, die Gerhard Herrgott überzeugend dechiffriert hat,20 unternimmt Liszt auf der exoterischen Ebene der Präsentation die Verbindung der einzelnen Stücke des Zyklus durch Mottos, durch evozierte Bilder und lange Zitate. Diese intermediale Strategie der Partitur 17

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Album d’un Voyageur. Compositions pour le Piano par F. Liszt. 1re Année. SUISSE. Vienne, Haslinger [1842], o.J. [Hervorhebung im Original]. „Da ich in der letzten Zeit viele neue Länder, verschiedene Gegenden und Orte durchwanderte, Orte, die durch die Geschichte und Poesie geheiligt sind; und ich fühlte, daß die abwechslungsreichen Antlitze der Natur und die Szenen, die ihnen anhaften nicht als leere Bilder an meinen Augen vorbeizogen, sondern in meiner Seele tiefe Gemütsbewegungen erregten; daß zwischen ihnen und mir eine unbestimmte, doch sofortige Beziehung, eine ungeklärte, doch tatsächliche Verbindung, eine unerklärbare, doch sichere Gemeinschaft entstand, habe ich versucht, einige meiner stärksten Empfindungen und lebhaften Eindrücke in Musik wiederzugeben.“ (Zit n. Franz Liszt: Neue Ausgabe sämtlicher Werke, Serie I: Werke für Klavier zu zwei Händen, Bd. 6: Années de Pèlerinage. Première Année: Suisse, hg. von Imre Sulyok/Imre Mezö, Kassel/Basel/Tours/London/Budapest 1976 (künftig: NSW 6), S. X). Norbert Miller: Elevation bei Victor Hugo und Franz Liszt. Über die Schwierigkeiten einer Verwandlung von lyrischen in symphonische Dichtungen [1975], in: Ders.: Von Nachtstücken und anderen erzählten Bildern, hg. von Markus Bernauer/Gesa Horstmann, München 2002, S. 146. Ebd., S. 147. Herrgott: Wanderer-Phantasien, s. Anm. 15, vgl. insbes. S. 9-16.

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hat der Komponist für den gesamten späteren Komplex der Années de Pèlerinage beibehalten. Schauen wir daher etwas genauer hin: Liszt bedient sich bei der Drucklegung einer literarischen Verweistechnik, die als erster Sir Walter Scott (1771-1832) konsequent verwendet. Jedem der Klavierstücke ist ein Zitat vorangestellt. Zum Teil besteht es nur aus einem Satz – etwa dem Ruf des Schweizer Freiheitskampfes „Einer für alle – Alle für Einen“21 oder aus dem Motto der kämpfenden Weber von Lyon „Vivre en travaillant ou mourir en combattant“ [arbeitend leben oder kämpfend sterben] –, zum Teil aber stehen über dem Beginn der Komposition mehrere Verse, ja ganze Strophen. Bei Vallée d’Obermann – das abweichend vom Roman bewusst mit zwei ‚n‘ geschrieben wird – kombiniert Liszt auf einer ganzen, dem Titelkupfer nach-, dem Notendruck aber vorgeschalteten Seite ein langes, montiertes Zitat aus Senancours Oberman mit einer Strophe aus Lord Byrons Versepos Childe Harold’s Pilgrimage (1812-1818). Jedes dieser mit viel Überlegung gewählten Zitate lässt sich in vielfacher Hinsicht interpretieren; jedes zeigt die intellektuelle Anlage dieser Musik, in der sich der Leser Liszt zu erkennen gibt.22 Die Zitate perspektivieren die Musik gewissermaßen noch vor der Aufführung. Alle Stücke des Album d’un Voyageur wie der Années de Pèlerinage wären in dieser Hinsicht so intensiv zu analysieren, wie Gerhard Herrgott dies mit Vallée d’Obermann exemplarisch gezeigt hat. Dies kann ich hier nicht tun. Mir kommt es auf diese intertextuelle und intermediale Dimension bei Liszt an. Schauen wir deshalb, wie diese Zitate gedacht sind und wo genau ihre Wirksamkeit im Hinblick auf das Poetische der Musik zu sehen ist. Walter Scott, der Schöpfer des modernen Historischen Romans, ist der ‚Erfinder‘ dieser literarischen Vernetzungstechnik, in deren Verlauf einzelnen Romankapiteln literarische Mottos vorangestellt werden. In seinem ersten Historischen Roman Waverley (1814) finden sich vor bestimmten Kapiteln Mottos aus Stücken Shakespeares, aus Volksliedern und Balladen und aus Texten der Elisabethanischen Zeit, es finden sich darüber hinaus sogar Bibelverse und Zitate aus der Gegenwartsliteratur. Diese Verweistechnik gibt den Kapiteln nicht nur eine Grundierung, die den Leser auf den Inhalt einstimmt. Mit ihrer Hilfe gelingt es Scott auch, die erheblichen Brüche der Darstellung – die die Gattung des Historischen Romans notwendig mit sich bringt – in einem das Romanganze durchziehenden Paratext aufzufangen. Die jeweilige historische Erzählung erhält durch die Zitate eine Klammer, mit deren Hilfe die Form des Romans gegen den Zerfall in charakteristische Binnenerzählungen versichert wird. Scott hat in seinen Romanen nach Waverley aus diesem Grund jedes Kapitel mit einem Zitat überschrieben. 21 22

NSW 6, s. Anm. 13, S. 2. Vgl. die Darstellung des Lesers Liszt und seiner Lektürewelten durch Ben Arnold: Liszt as Reader, Intellectual and Musician, in: Liszt and His World, ed. by Michael Saffle, s. Anm. 11, S. 37-60 (mit Bibliographie).

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Kann er so den Anspruch auch des Historischen Romans – also einer Gattung, die wesentlich von couleur locale und couleur du temps lebt23 – auf die große epische Form ebenso legitimieren wie den Widerstand des Poetischen gegen die Prosa der Verhältnisse, so bricht gegen seine Absicht mit diesen Zitaten doch ein Element der Reflexion in seine Romane ein. Das aber, was schon bei Scott verstört (und deshalb zumeist ignoriert wird), muss bei der Übertragung von einem Medium, der Literatur, in ein anderes, die Musik, den Grad der Reflexion notwendig potenzieren. Und genau darauf gründet Liszts Technik der Zitatüberschriften. Sind die Zitate über den Kapiteln der Romane Scotts, Coopers und Bulwers gewissermaßen mit einer Fermate gleichzusetzen, so markieren die Zitate über den Stücken des Album d’un Voyageur den Einbruch eines epischen und verfremdenden Prinzips in den Bereich der Musik. Liszt ist nicht der einzige romantische Musiker, der diese intermediale Strategie verwendet. Auch der Freund Berlioz arbeitet in den Huit Scènes de Faust von 1828 mit Literaturzitaten; hier findet sich über jedem der neun Stücke ein Text aus Hamlet oder Romeo and Juliet. „Zitate aus der französischen Übersetzung des Faust, die nicht mitgesprochen werden, rahmen darüber hinaus die einzelnen Szenen ein.“24 Berlioz zielt damit – so Andrea Hübener – auf die Potenzierung des Dramas zum wahrhaft romantischen Drama, auf eine Überbietung der Dramatik Victor Hugos25 aus dem Geist eines universalen, synkretistischen, historistischen und kosmopolitischen Kunstbegriffs. Französische Musik, deutsche und englische Dichtung, schließlich die Bildwelt Eugène Delacroix’ amalgamiert er in den Huit Scènes zu einem Drame zwischen Text, Bild und Musik. Die zeitliche Nähe der Huit Scènes de Faust zur Symphonie Fantastique (1830) und zum „Mélologue“ Le Retour de la Vie (der Urform des Lélio von 1831) deutet auf ähnliche Phänomene einer intermedialen Grenzüberschreitung im Zeichen der Weltliteratur. Wie der Protagonist des Melologs sieht sich der Pianist des Album und des ersten Jahrs der Années de Pèlerinage mit teilweise erheblichen Prosapassagen konfrontiert, die er neben und über der Musik zu beachten hat.

IV In der Umarbeitung des Album d’un Voyageur zum ersten Jahr der Années de Pèlerinage nimmt Liszt zwischen 1848 und 1855 bedeutende Verschiebungen vor. Lyon und Psaume fallen weg, und damit auch die politisch-religiöse Rahmung des Album. Nach wie vor aber bildet Vallée d’Obermann das Zentrum dieses ersten Jahrs der Années de Pèlerinage. Ein Stück, das nicht notwendig mit 23

24

25

Beide Begriffe stammen aus Victor Hugos berühmter Préface zum Drama Cromwell (1829). Andrea Hübener: Kreisler in Frankreich, s. Anm. 2, S. 323f.; Vgl. ebd., S. 324f., wo die komplexe Text-Motto-Musikbeziehung der Huit Scènes de Faust analysiert wird. Vgl. ebd., S. 326.

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der Schweiz, sondern topographisch auch, wie Liszt im Brief an Schott selbst bemerkt, mit dem Wald von Fontainebleau verbunden ist.26 Trotzdem ist es neben Byron Senancour, dessen Texte am intensivsten mit der Musik verwoben und am extensivsten zitiert werden.

Abbildung 1: Vallée dʼObermann. Frontispiz, Mainz: Schott, 1855.

26

„[…] es bezieht sich“, wie Liszt im Brief an Schott bemerkt, in dem er die Illustration des Stücks durch ein Alpental moniert, „einzig und allein auf den französischen Roman Obermann von Senancour, dessen Handlung blos die Entwicklung eines besonderen Seelen-Zustandes bildet […]. Das düstere hyper-elegische Fragment ‚La vallée d’Obermann‘ welches in den Schweizer Jahrgang der Années de Pèlerinage aufgenommen (da die Szene des Buchs ebenfalls die Schweiz ist) bringt mehrere Hauptmomente des Werks von Senancour, worauf auch die gewählten Epigraphen hinweisen.“ (Edgar Istel (Hg.): Elf ungedruckte Briefe an Schott, in: Die Musik 5 [1905/06], Heft 13, S. 46).

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Von Byron stammt die Gestimmtheit des Helden Harold. Sie ist der Schlüssel für ihren Autor selbst, aber auch für den Voyageur, als der sich der Komponist inszeniert. Byrons Vorwort liest sich daher wie eine Beschreibung der literarischen Klammer Liszts. „A fictitious character“, so Byron, „is introduced for the sake of giving some connexion to the piece; […] ‘Childe Harold,’ […] is the child of imagination, for the purpose“.27 Von Senancour hingegen stammt die elementare Gleichung von Natur, Religion und Subjekt des Schreibens. Und es ist kein rezeptionsgeschichtlicher Zufall, dass Oberman bei seinem Erscheinen im Glanz der napoleonischen Ära klanglos zu verhallen drohte, in Saint-Beuves Ausgabe von 1833 aber die gesamte Generation der französischen Romantiker mitreißt. Diese fiktiven und als Inszenierung des Autors und seiner Epoche so vielschichtigen Charaktere finden sich im Reisenden des Album potenziert, der seine Abstammung von Franz Schuberts „Wanderer“ schon in den Eingangsakkorden von Vallée d’Obermann ausweist. Byron und Liszt; Senancour und Liszt – gespiegelt in den Wassern der Schweizer Seen und Quellen, vermittelt aber in jenem Mal du Pays, das Liszt 1855 aus dem Zyklus Fleurs mélodiques des Alpes des Album d’un Voyageur herauslöst, um es in das erste der Années de Pèlerinage zu übernehmen. Vallée d’Obermann fängt daher nicht mit den Noten, sondern mit einem Landschaftsbild an, dem eine reine Textseite folgt. Auf ihr stehen drei lange Zitate aus zwei ‚Briefen‘ des Romans. Liszt bricht deren Chronologie auf und montiert ohne genaue Quellenangabe den 63.28 vor den 4. Brief. Vor dem „hyper-elegischen Fragment“29 Vallée dʼObermann liest man: Was will ich? Was bin ich? Was verlange ich von der Natur? Jede Ursache ist verborgen, jeder Ausgang trügerisch; jede Form ist veränderlich, jede Dauer begrenzt[:] … ich empfinde, ich existiere, um mich in unbezähmbaren Wünschen zu verzehren, um mich den Verführungen einer phantastischen Welt hinzugeben, und dann unter ihren sinnlich bezaubernden Irrtümern zusammenzubrechen. (Brief 63) Unsagbare Empfindsamkeit, Wonne und Qual unserer törichten Jahre – volles Bewußtsein einer überall überwältigenden, überall unerforschlichen Natur – allumfassende Leidenschaft, Gleichgültigkeit, frühzeitige Weisheit, wonnige Hingabe – alles das, was das Herz eines Sterblichen an Verlangen und tiefen Sorgen erfüllen kann, alles habe ich gefühlt, alles empfunden in dieser denkwürdigen Nacht. Ich habe einen entscheidenden Schritt hin zu den Jahren der Entkräftung getan; ich habe zehn Jahre meines Lebens durcheilt. (Brief 4)30 27 28

29 30

Byron: Poetical Works, ed. by Frederick Page, Oxford/New York 1970, S. 179. Der Erstdruck des ersten Jahrs der Années de Pèlerinage von Schott (Mainz 1855) gibt falsch den 53. Brief als Quelle an, vgl. die dort auf den Titelkupfer des Vallée d’Obermann folgende unpaginierte Seite. Vgl. Liszts Charakterisierung des Stücks im Brief an Schott (Anm. 26). Hier in der deutschen Übersetzung der Ausgabe: Franz Liszts musikalische Werke, hg. von der Franz Liszt-Stiftung, Abt. 2: Pianofortewerke, Bd. 6: Wanderjahre, hg. von

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Diesem langen, aus dem Zusammenhang isolierten und montierten SenancourZitat schließt sich eines aus Byrons Childe Harold an, und zwar die 97. Strophe aus dem III. Canto, die eine Nacht an der Rhône als Setting hat: Could I embody and unbosom now That which is most within me, – could I wreak, My thoughts upon expression, and thus throw Soul, heart, mind, passions, feelings, strong or weak, All that I would have sought, and all I seek, Bear, know, feel, and yet breathe – into one word, And that one word were Lightning, I would speak; But as it is, I live and die unheard, With a most voiceless thought, sheathing it as a sword.31

Beide Zitate spielen auf eine entscheidende Nacht an; beide auf eine Wende zum Schlechten. Im Brief an die Geliebte und Schülerin Agnes Street-Klindworth zwingt Liszt Zitat, Stück und Existenz in ein Bild: Was habe ich Ihnen zu sagen, durch so viel Schweigen hindurch, das auf meinem Geschick lastet? ‚And if it was lightning, I would speak‘ sagte Childe Harold. […] Wenn Dir dieser Band in die Hände kommt, dann lies noch einmal diese Zeilen aus dem dritten Gesang, den ich als Motto eines ziemlich verworrenen Stückes gewählt habe, das kürzlich im ersten Band (Schweiz) meiner Wanderjahre erschienen ist und das vielleicht einen bescheidenen Platz auf dem ‚Parnasso confuso‘ verdient, von dem der gute Metastasio einst träumte […].32

Damit wird die autobiographische Bedeutung hinter dem komplexen Verweissystem der Partitur erkennbar. Und erkennbar wird in der Komplexität dieses Verweissystems zugleich, dass hier kein Identitätsverhältnis und auch kein abbildendes der Grund ist. Liszt komponiert nicht nach, was er erlebt; und er antizipiert sein Leben auch nicht in der Musik, entwirft also keinen Komplex, dem das Leben wenn nicht geopfert, so doch nachgeordnet wird. In der gedruckten Partitur als der aufgeladenen Abschrift eines Stücks, das sich immer wieder verändert – und sich doch immer gleich bleibt, wie es im Lied ‚ohne Worte‘ von Salvator Rosa im zweiten Année de Pèlerinage heißt –, in der Fixierung des Klavierstücks, das zusammen mit Bild und Zitatmontage gelesen werden will, fallen Existenz und Werk in eins. Diese Konfiguration des Künstlers und des Werks

31 32

José Vianna da Motta, Leipzig u.a. 1916, S. 30. – In der leicht greifbaren Übersetzung des Obermann durch Jürg Peter Walser (Frankfurt a.M. 1982) finden sich die zitierten Passagen auf den S. 28 (Brief 4) und 241 (Brief 63). Byron: Poetical Works, s. Anm. 27, S. 223. Zitiert nach Reinhard Haschen: Franz Liszt oder die Überwindung der Romantik durch das Experiment, Berlin 1989, S. 73. (Metastasios Parnaso confuso ist eine einaktige „azione teatrale“, die 1765 mit der Musik Glucks in Wien uraufgeführt wurde).

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sprengt die herkömmlichen Kategorien der biographischen Erfassung. Liszt hat dies gewusst, und er hat diese komplexe Autorschaft nicht ohne Hintergedanken mit der Signatur des späten Goethe in Verbindung gebracht. Dessen Wanderjahre, also der letzte der Wilhelm Meister-Romane, würden auf dem „Parnasso Confuso“, der sicherlich von einem klassizistischen Formbegriff umzäunt ist, eine wohl ebenso gute Figur machen wie Liszts „hyper-elegisches Fragment“ Vallée d’Obermann.

V Wenn wir diese Autor-Werk-Konfiguration weiter verfolgen, nimmt die Komplexität der Verweissysteme, nimmt der Grad der Intermedialität im Rahmen der Wechselwirkungen zwischen Musik, Literatur und Kunst weiter zu. Ich will dies wenigstens andeutungsweise am Beispiel des zweiten der Années de Pèlerinage tun. Italie stellt eine Fortsetzung jenes romantischen Abenteuer- und Liebesromans dar, den Liszt und Marie d’Agoult 21 Jahre vor dem Erscheinen des zweiten Wanderjahres gelebt und in Briefen beschworen hatten.33 Nach den zwei Schweizer Jahren zieht es 1837 die kleine, skandalumwitterte Familie Lisztd’Agoult weiter nach Italien. Dort wird 1839 die zweite Tochter Cosima geboren, die spätere Frau Richard Wagners. Hier entstehen auch die ersten Versionen jener Klavierstücke, die den zweiten Band der Années de Pèlerinage bilden. Dabei fasst Liszt bereits in dieser Zeit die Idee zu einem weitausholenden Zyklus, der die Reisejahre in der Schweiz und Italien unter den Begriff der Wander- oder Pilgerschaft stellt. Aus dem Voyageur, dem Traveller oder Reisenden der Sammlung von 1842, wird 1854-58 der Pilgrim oder Wayfarer der Années de Pèlerinage. Damit ist der poetische Anspruch nicht nur der einzelnen Stücke, sondern des gesamten Zyklus unterstrichen. Dieser Anspruch zeigt sich in der oszillierenden Bedeutung des Titels. Années de Pèlerinage: das kann mit Pilger-, aber eben auch mit Wanderschaft übertragen werden. Beide Übersetzungen deuten die literarische Idee an, die dem nun zweiteiligen Zyklus zugrunde liegt; sie verweist auf Texte Goethes, Tiecks und Byrons. Johann Wolfgang von Goethes Roman Wilhelm Meisters Wanderjahre (1820/29), Ludwig Tiecks romantischer Künstlerroman Franz Sternbalds Wanderungen (1798) und Byrons Versepos Childe Harold’s Pilgrimage haben bei der Konzeption der zyklischen Anlage der Années de Pèlerinage eine entscheidende Rolle gespielt. Goethes Roman durch seine textuelle

33

Vgl. dazu Cord-Friedrich Berghahn: Études d’Execution Transcendante: Der Briefwechsel zwischen Franz Liszt und Marie d’Agoult, in: SchreibLust. Der Liebesbrief im 18. und 19. Jahrhundert, hg. von Jörg Paulus/Renate Stauf, Berlin/New York 2013, S. 287-306.

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Disposition, Tiecks durch seine Thematik, Byrons Epos durch seine autobiographische Anlage. In seinem letzten Roman nutzt Goethe die Romanform als Klammer, um die heterogensten Textmodelle zwischen Aphorismus, Novelle und Szene unter der Idee der „Wanderschaft“ zu versammeln. Jede Erzählung, jedes Gedicht und jede Maxime des Romans beansprucht dabei Selbständigkeit, jede ist in sich formal neu und einzig und zugleich auch wieder Teil des Romangebildes. Das gilt auch für die einzelnen Stücke der Années de Pèlerinage. Und mit der offenen Anlage des Goethe’schen Romans, der in der letzten Fassung von 1829 mit den Worten „Ist fortzusetzen“ endet,34 lassen sich auch die unzähligen Revisionen der einzelnen Stücke der Années de Pèlerinage als Teil einer prinzipiell unabschließbaren Arbeit an der Reflexion des eigenen Lebens und der Zeit, der Natur und der Kunst im Medium der Musik erkennen.35 Ludwig Tiecks Künstlerroman Franz Sternbalds Wanderungen, der zu den wichtigsten Romanen der deutschen Romantik gehört, erzählt die Geschichte des fiktiven Malers Franz Sternbald, der als Schüler Albrecht Dürers aufbricht, um in Italien zur wahren Kunst und zur wahren Liebe zu finden. Dabei durchläuft Franz Sternbald eine Entwicklung, die ihn von einer naturalistischen Kunst- und Naturauffassung zu einer idealistischen, reflektierten führt, ihn letztlich als Künstler aber scheitern lässt. Das Erlebnis der Natur während der Wanderung gipfelt im Erlebnis der italienischen Kunst, vor allem der Kunst Raffaels. Das Besondere an Tiecks Roman ist neben seiner Künstlerthematik auch der Versuch, Werke der Bildenden Kunst in den Roman zu integrieren, sie im Medium der Sprache fortzuschreiben und weiterzudichten.36 Im Verlauf des Romans wird nicht nur die mediale Grenze zwischen Bildender Kunst und Literatur durchlässig, Tieck entwirft auch eine ‚musikalische‘ Poetik der Malerei.37 34

35

36

37

Johann Wolfgang Goethe: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe, hg. von Karl Richter in Zusammenarbeit mit Georg G. Göpfert/Norbert Miller/Gerhard Sauder, Bd. 17: Wilhelm Meisters Wanderjahre/Maximen und Reflexionen, hg. von Gonthier-Louis Fink/Gerhart Baumann/Johannes John, München 1991, S. 714. Und selbst die von Wilhelm von Humboldt bis in die Gegenwart geführte Diskussion über die Form dieses ‚formlosen‘ Romans spiegelt sich in der Rezeptionsgeschichte der Musik Liszts wider. Dass bei Liszt – nicht anders als bei Goethe – ein eigenes poetisches Prinzip das Gelingen der Form gewährleistet, beschreibt Herrgott: „Bei Liszt geht aus einem konfusen Anfangszustand ein thematischer Prozeß hervor, der niemals eine endgültige Gestalt erreicht.“ (Hergott: Wanderer-Phantasien, s. Anm. 15, S. 11). Cord-Friedrich Berghahn: Flucht in die Bilder. Ludwig Tiecks Bildpoetik („William Lovell“ – „Der blonde Eckbert“ – „Franz Sternbald“), in: Intermedialität und Kultusaustausch. Beobachtungen im Spannungsfeld von Künsten und Medien, hg. von Annette Simonis, Bielefeld 2009, S. 167-196, vgl. insbes. S. 182-196. Dominik Müller: Vom Malen erzählen. Von Wilhelm Heinses „Ardinghello“ bis Carl Hauptmanns „Einhart der Lächler“, Göttingen 2009, vgl. zum Sternbald S. 73ff.

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Lord Byrons Versepos Childe Harold’s Pilgrimage trägt, wie Liszts Klavierzyklus, den Begriff der Pilgerschaft im Titel, und wie Liszts Kompositionen ist auch der Text um die weltergreifende Weltflucht Harolds ein autobiographischer. Byrons Held erfährt in den vier Gesängen (Cantos) des Epos den Weltschmerz des 19. Jahrhunderts und damit eine mentale Disposition, die auch Liszt charakterisiert. Wie Liszts Zyklus (in der ursprünglich zweiteiligen Anlage von 1855/ 1858) endet auch Harolds Reise in Italien, das in seinem Text zu einem Erinnerungsort des Ich avanciert.38 Byrons Anspruch, in der subjektiven Wahrnehmung zugleich objektive Erkenntnis über das eigene Ich und die gegenwärtige Epoche gewinnen zu können, spiegelt sich auch in den Natur- und Kunstreflexionen der Années de Pèlerinage. Ohne die Vorstellung einer Vermittlung, ohne die Erkenntnis ihrer Reflektiertheit ist weder die Literatur Goethes, Byrons und Tiecks, noch die Musik Liszts adäquat zu verstehen. Von dieser Vorstellung ausgehend, zeigt sich die Rezeption des zweiteiligen (und bewusst fragmentarischen) Sternbald-Romans im Zyklus Années de Pèlerinage. So wie Tiecks fiktiver Maler durch das Erlebnis der Natur im ersten Teil des Romans in seinem zweiten Teil zur Kunst geführt wird, führen die musikalischen Naturbilder des ersten Jahrs der Années de Pèlerinage zu den Kunsterlebnissen des zweiten Jahrs. Das erste Wanderjahr des Zyklus versammelt unter dem Titel Suisse neun Stücke, die auf die Schweizer Landschaft und ihre Wahrnehmung Bezug nehmen. Auch hier ist die Idee der Reflexion zentral, darum sind allen Stücken literarische Motti vorangestellt, und darum sind ihnen in der 1855 gedruckten Partitur Zeichnungen Wilhelm Kretschmers beigegeben, auf denen die in der Musik beschworenen Landschaftsszenen abgebildet waren.39 Das zweite Jahr der Années de Pèlerinage thematisiert die italienische Kunst und ihre Wahrnehmung. Unter dem Titel Italie versammelt der Erstdruck von 1858 sieben Stücke. Sie sind durch ein Verweissystem charakterisiert, das Verbindungen aufzeigt zwischen Malerei, Skulptur, Dichtung und Musik. Diese Verbindungen sind als wechselseitige Erhellungen und Potenzierungen angelegt. Verfolgen wir diesen Prozess an zwei Beispielen: am Penseroso und an der berühmten Dante-Sonate, die den Abschluss des zweiten Wanderjahrs in der Fassung von 1858 bildet.

38

39

(„Grenzziehungen zwischen den Künsten“) und S. 79ff. („Mediale Entgrenzungen“). Vgl. in diesem Zusammenhang den Aufsatz von Rolf Lessenich: Italy as a Romantic Location in the Poetry oft he Original English Della Cruscan Poets, in: Romantic Localities (The Enlightenment World 19), ed. by Christoph Bode/Jacqueline Labbe, London 2010, S. 156-167, zu Byron S. 162ff. Eine quellenbasierte Darstellung der Zusammenarbeit zwischen Kretschmer, dem Verlagshaus Schott und Franz Liszt ist nach wie vor ein Desiderat der LisztForschung.

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Abbildung 2: Il Penseroso. Frontispiz, Mainz: Schott, 1858.

Il Penseroso bezieht sich durch den Titel auf Michelangelos Statue für das Grabmal Lorenzo de Medicis in der Medici-Kapelle von San Lorenzo; der ganzseitige Kupferstich, der der Klavierpartitur in der Ausgabe von 1858 vorangestellt ist, zeigt Michelangelos Statue aus den Jahren 1521-1534. Von ihr

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überliefern die einschlägigen Künstler-Viten, dass Michelangelo das Werk, das er emphatisch begann, nach dem Schock des Sacco di Roma (1527) und angesichts der neuen Verhältnisse „mehr von Angst, denn von Liebe getrieben“ vollendet.40 Das weiß auch Liszt, der Leser der Michelangelo-Viten Giorgio Vasaris (1550/1568) und Ascanio Condivis (1553). Die Abbildung vor der Partitur zeigt aber noch mehr. Unter dem Bild des Denkers – der nicht länger den Namen der Macht trägt – stehen kommentarlos vier Zeilen Michelangelos: [Grato] Caro m’è ’l sonno, e più l’esser di sasso, [M] mentre che ’l danno e la vergogna dura, [N] non veder, non sentir, m’è gran ventura: [P] però non mi destar, deh[’ – ]! parla basso.41

Rätselhaft sind diese Verse und mit der abgebildeten Statue des Denkers nur schwer zu verbinden. Bild und subscriptio ergeben ein Emblem, das sich nur dem Eingeweihten erschließt. Der aber erkennt die Verse als gedichtete Antwort der allegorischen Statue Die Nacht (La Notte). Und diese gehört nicht zur Statuengruppe um Lorenzo de Medici, sondern befindet sich diesem gegenüber zu Füßen der Statue des Giuliano de’ Medici. Doch die von Liszt hier arrangierte Verbindung von Skulptur und Literatur ist durch ihre Taktik des Verschweigens noch komplexer. Michelangelos Gedicht aus dem Jahr 1545, das er der Skulptur der Nacht in den steinernen Mund legt, antwortet nämlich aus dem Abstand mehrerer Jahre auf Verse des Florentiner Humanisten Giovanni Strozzi (1517-1570), die dieser unter Michelangelos Nacht angebracht hatte. Sein Epigramm mit dem Titel Sopra la Notte di Michelangelo lautet: La Notte, che tu vedi in sì dolce atti dormir, fu da un Angelo sculpita in questo sasso, e perché dorme ha vita. Destala, se nol credi, e parleratti.42 40

41

42

Condivi: Vita di Michelangelo, zit. nach: Bernard Ceysson/Geneviève Bresc-Bautier: Renaissance, in: Skulptur. Von der Antike bis zur Gegenwart, Köln 1999, Bd. 3, S. 84. Condivis Vita di Michelangnolo [!] Buonarotti entstand unter den Augen des Künstlers und besitzt daher nicht weniger Quellenwert wie die Vita aus der Feder Vasaris, vgl. Ian Chilvers (Ed.): The Oxford Dictionnary of Art and Artists, Oxford 42009, S. 139f. Ich zitiere die Verse nach der Ausgabe: Michelangelo: Lebensberichte, Briefe, Gedichte, hg. und übersetzt von H. Hinderberger, Zürich 1947, S. 432; in eckigen Klammern sind die Abweichungen vermerkt, die sich im Druck der Années de Pèlerinage von 1858 finden. – In der Nachdichtung von Hannelore Hinderberger lauten die Verse: „Ich lieb den Schlaf; doch daß ich Stein bin, preise / ich höher, da nur Schmach und Leid bestehen. / Glück ist mir, nichts hören und nichts sehen, / drum wecke mich nicht auf; o sprich ganz leise“ (Ebd., S. 433). Ebd., S. 430. – In der Nachdichtung Hinderbergers: „Die Nacht, die du mit lieblichen

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Um das Klavierstück arrangiert Liszt hier ein Verweissystem der Künste. In ihm spricht der späte, düstere Michelangelo durch seine allegorische Figur, während der Penseroso die melancholische Haltung schlechthin einnimmt. Wir kennen diese Haltung von Dürers Melencolia I, einem Bild, das die gesamte abendländische Melancholietradition in sich aufnimmt und diese Disposition im Zeichen der Künste und des Künstlers neu interpretiert.43 Michelangelo kannte die Tradition und er kannte Dürers Bild – das 300 Jahre später in den Kreisen der Pariser Romantik, in denen auch Liszt sich bewegt, nachgerade den Status eines Kultbildes einnimmt.44 Das monothematische Klavierstück ist durch seine düstere, lastende Melancholie charakterisiert, die sich in einer überaus komplexen, Wagners Tristan antizipierenden Harmonik niederschlägt. Dabei erfährt die dissonante Weltsicht Michelangelos ihre schmerzliche Apotheose in der Schlussdissonanz cis-d. Sowohl in der Harmonik, wie auch in der fast besessenen Verfolgung eines einzigen Motivs (das auf einer Note zu verharren scheint) finden sich in Il Penseroso Züge, die auch für Liszts Symphonische Dichtungen charakteristisch sind.

VI Das in der ursprünglichen Anordnung von 1858 letzte Stück der Années de Pèlerinage, die berühmte Dante-Sonate, trägt zwei Titel, die beide auf die von Liszt angestrebte Wechselwirkung zwischen den Künsten deuten: Après une lecture de Dante verweist auf Dante Alighieri (1265-1321), den Dichter des Inferno und des Paradiso, zitiert aber zugleich ein Gedicht Victor Hugos (1802-1885) aus dem Zyklus Les Voix intérieures; Une Fantaisie quasi Sonate spielt auf Beethovens Klaviersonaten Op. 27.1 und Op. 27.2 an (1800/1801), die beide mit dem Untertitel Sonata quasi una fantasia überschrieben sind. Gegen die späteren Konventionen der Benennung der Dante-Sonate (wie ich das Stück nun der Einfachheit halber nenne) dreht der Erstdruck das Verhältnis von Inhalt und Form, Titel und Untertitel um: Das Stück heißt 1858 Une Fantaisie Quasi Sonate und trägt den Untertitel Après une lecture de Dante.

43

44

Gebärden / hier ruhn siehst, meißelte aus diesem Stein / ein Engel, und sie muß lebendig sein. / Weck sie und glaub; es wird dir Antwort werden!“ (Ebd., S. 431). Raimond Klibansky/Erwin Panofsky/Fritz Saxl: Saturn and Melancholy: Studies in the History of Natural Philosophy, Religion and Art, Nendeln 1979 [Reprint d. Ausgabe London 1964]. Vgl. die intensive Lektüre des Dürer-Bilds auf den S. 284-374, zur Neucodierung der Ikonographie als Symbolbild des Künstlers vgl. insbes. S. 317ff. Karl Heinz Stierle: Der Mythos von Paris. Zeichen und Bewußtsein der Stadt, München 1998, vgl. S. 861-865.

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Abbildung 3: Une Fantaisie Quasi Sonate. Frontispiz, Mainz: Schott, 1858.

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Liszts programmatische Gattungsbezeichnung ist eine anerkennende Geste Robert Schumann gegenüber, der seine 1836 komponierte Fantasie Op. 17, die ursprünglich den Titel Große Sonate trug, Liszt widmet. Wie Liszt in seiner DanteSonate unternimmt Schumann in seiner Fantasie Op. 17 den Versuch einer Neubegründung der Klaviersonate aus dem Geiste der Fantasie. Soweit die schon ziemlich vertrackte Vernetzung des Titels. Schaut man auf die Genese des Stücks, wird sie noch komplizierter. Die ersten Aufzeichnungen darüber, wie der Italienzyklus des zweiten Wanderjahres aussehen soll, datiert die Kritische Ausgabe auf den Winter 1848/49, also in Liszts erstes Weimarer Jahr. Schon in dieser ersten Skizze ist die Monumentalität des zweiten Wanderjahres klar erkennbar, das von der späteren Dante-Sonate eröffnet werden soll und den später an anderem Ort publizierten „Totentanz“ (unter dem Titel Campo Santo di Pisa: Danse des Morts) einschließt.45 In einer frühen Tagebuchnotiz des Jahres 1839 firmiert Dante neben Michelangelo und Faust als Teil jenes poetisch-artistischen Triumvirats, das Liszts symphonisches und pianistisches Œuvre der kommenden 20 Jahre nachhaltig prägen wird. Liszt schreibt: „Wenn ich dann genug Lebenskraft in mir verspüren werde, versuche ich mich an einem symphonischen Werk nach Dante, danach mit einem anderen nach dem Faust.“46 Zwischen den ersten Skizzen des Stücks, den ersten Konzepten des Zyklus und der Komposition der Fassung in den Années de Pèlerinage von 1858 liegen etliche Jahre, in denen die Dante-Sonate in immer neuen Konfigurationen und Metamorphosen erwähnt wird. 1839 erscheinen sowohl die spätere Dante-Symphonie wie die spätere Dante-Sonate als „composition symphonique d’après Dante“ und als „Fragment Dantesque“. Und bereits im Dezember des Jahres ist die Urform der Dante-Sonate in einem Wiener Klavierabend zu hören.47 Liszt hat dieses Fragment nach Dante (das im Werkverzeichnis vor 1848 als „Fragment nach Dante’s Hölle“ firmiert) nie veröffentlicht, aber zur Grundlage einer Revision gemacht, die zwischen 1845 und 1848 vorgenommen wurde. Aus ihr entstand ein Stück mit dem Titel Paralipomènes à la „Divina Commedia“. Fantaisie symphonique, das zur Veröffentlichung vorgesehen war.48 Interessant für meine Überlegungen ist der Titel, der mit dem Begriff Paralipomena eine Brücke zum zweiten Faust Goethes und zu den Wanderjahren mit ihrer philologischen Schreibart schlägt.49 Denn mit der Bezeichnung des Stücks als Paralipomena deutet Liszt zum einen die philosophische Würde des Stücks an, zum anderen aber auch die Ästhetik des Rahmens, eine parergonale Ästhetik, 45 46

47 48 49

Vgl. NSW 13, s. Anm. 13, S. XXII. Ebd. Hier wird auch die Komposition des „Pensiero“ (= Penseroso) nach Michelangelo zum ersten Mal erwähnt. Über das von Liszt nie in den Druck gegebene Stück informiert ebd., S. XXVIIf. Ebd., S. XXIX. Vgl. Matthias Buschmeier: Poesie und Philologie in der Goethe-Zeit. Studien zum Verhältnis der Literatur mit ihrer Wissenschaft (Studien zur deutschen Literatur 185), Tübingen 2008, S. 381ff.

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in deren Zentrum der imaginierte, in der Musik fortgeschriebene und potenzierte Text steht. Das gilt auch für die etwas spätere Version der Dante-Sonate von 1849, die Liszt als Prolegomènes à la „Divina Commedia“, Fantasia quasi Sonata bezeichnet. Seit Juni 1853 trägt die Komposition den Titel Après une lecture de Dante. Er zitiert das gleichnamige Gedicht Victor Hugos. Liszt perspektiviert mit diesem neuen Titel das weltliterarische Verweissystem der DanteSonate beträchtlich. Denn nicht länger der direkte Bezug auf die Divina Commedia, sondern die Reflexion der Wirkung sind nun im Titel begriffen. Dass trotz dieser späten Titelredaktion die ersten, das Inferno aufgreifenden Impulse erhalten bleiben, belegt eindrücklich die Kontinuität der Ideen, die den Wandel der Gestalten in Liszts Werken auszeichnet. Von daher ist der Kommentar der Kritischen Liszt-Ausgabe problematisch, wenn er hinsichtlich des Titels von „borgen“ spricht.50 Nicht borgen und entlehnen, Nacheinander und Abhängigkeit, sollten die Parameter sein, mit denen wir die Titelgebung (und damit auch den Schlüssel zum ‚Programm‘) verstehen. Es geht vielmehr um Resonanz, um die Vernetzung der Komposition in einem dichten, gleich gestimmten Gewebe von Literatur, die sie weder abbildet noch begleitet. Ein Blick in Hugos Les voix intérieures unterstreicht dies. Dem 1837 erschienenen Zyklus hat Hugo ein programmatisches Vorwort vorangestellt, in dem der damals 35-Jährige seine Dichtung als Resonanzphänomen, als Teil einer ‚inneren‘ Musik der Menschheit bezeichnet, und zwar mit einem stark modifizierten Shakespeare-Zitat: Shakespeares Porcia spricht an einer Stelle von jener Musik, die jeder Mensch in sich trägt. – Unglücklich ist jener, so Porcia, der sie nicht vernehmen kann! – Diese Musik, auch die Natur trägt die ihre in sich. Wenn dieses Buch [die Voix intérieures] etwas ist, dann der ohne Zweifel verwirrte und geschwächte, aber doch, wie der Autor meint, treue Widerhall jenes Gesangs, der in uns auf jenen Gesang antwortet, den wir außer uns vernehmen.51

Hugo entwickelt eine komplexe Poetik des Aufnehmens und Fortschreibens der eigenen Werke. Eine Autor-Poetik, in deren Zentrum das Ich Hugo als Widergänger des lyrischen Ich seiner vorangegangenen Gedichtzyklen (Les Orientales v.a. aber der Feuilles d’Automne) figuriert und in der dieses wandelbare und doch immer gleich bleibende Ich des Dichters einen offenen Werkbegriff 50 51

Vgl. NSW 13, s. Anm. 13, S. XXX. „La Porcia de Shakespeare parle quelque part de cette musique que tout homme a en soi. – Malheur, dit-elle, à qui ne l’entend pas! – Cette musique, la nature aussi l’a en elle. Si le livre qu’on va lire est quelque chose, il est l’écho, bien confus et bien affaibli sans doute, mais fidèle, l’auteur le croit, de cet chant qui répond en nous au chant que nous entendons hors de nous.“ (Victor Hugo: Oeuvres Poétiques I. Avant l’exil 1802-1851, éd. par Pierre Albouy, Paris 1965, S. 919, Übersetzung von C.-F. B.).

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praktiziert, der die Gedichte als fortlaufendes Projekt einer Annäherung an diese innere Musik sieht. Continuer ceux qui l’ont précédé – das kann als Programm auch der Metamorphosen der Dante-Sonate verstanden werden. Für Liszt offenbart die Lektüre der Voix intérieures die Poetik eines prinzipiell nicht-abschließbaren Arbeitens am Werk und zugleich die Versicherung, dass der einzelne kompositorische oder literarische Moment Gültigkeit beanspruchen kann. Liszt erkennt in Hugos Dichtung einerseits das eigene Programm wieder. Zum anderen entwirft der Franzose in seinem Vorwort ein poetisches Prinzip, das der Weimarer Liszt als seiner Idee der poetischen Musik verwandt empfindet. Denn das Amalgamieren der inneren Musik des Menschen mit der Musik der Natur und der Musik der Dinge ist hier das eigentliche Metier des Künstlers, der die Musik des Innen, der Natur und der Dinge zu einer „triple parole“ schmilzt, die drei Lehren in sich trägt, „la première s’adresse plus particulièrement au cœur, la seconde à l’âme, la troisième à l’esprit“.52 Die Nähe dieser Formulierung zu Liszts Préface des Album d’un Voyageur ist unüberhörbar – und sie liegt nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis begründet, sondern in der Analogie ästhetischer Überlegungen. Ein Blick auf Hugos Gedicht mag dies verdeutlichen. Liszt wird den ursprünglichen, von Hugo entlehnten Titel seiner Komposition Après une lecture de Dante wesentlich später zu Après une lecture du Dante ändern. Damit betont er die Stellung Dantes als Dichter schlechthin. Hugos 32 Verse umfassendes Gedicht in rimes plates unterstreicht die düsteren Aspekte der Dichtung Dantes. Im Zentrum des Gedichtes steht die Lektüre des Inferno aus der Divina Commedia – und ihre Wirkung auf das Ich des Gedichts. Der erste Vers lautet: „Quand le poète peint l’enfer, il peint sa vie“.53 Im Verlauf des Gedichts werden assoziativ zitierte Bilder aus Dantes Dichtung mit dem (unverkennbar autobiographischen) lyrischen Ich von Après une lecture de Dante analogisiert. An seinem Ende steht Vergils Aufforderung an den Dichter der Divina commedia, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Hugo datiert dieses Gedicht in der letzten Zeile des Textes auf den 6. August 1836. Damit ist das Alter des Lyrikers dem Alter des Erzählers der Divina Commedia gleich, und so ist der Moment in der Lebensmitte, von dem der Anfang der Divina Commedia ausgeht, auch der biographische Moment der lyrischen Reflexion Hugos – und der musikalischen Reflexion der Reflexion durch Liszt. Hugo interpretiert Dante in seinem Gedicht als archetypische Figuration des Dichters und zugleich als Präfiguration seiner selbst. Zusammen mit Aischylos ist Dante der Verbannte kat‘ exochén – wie sich Hugo selbst auch vor 1851 deutet und wie Liszt sein Leben nach 1835 sieht. Diese Koinzidenzen sind für die Titelgebung der Dante-Sonate in Liszts Weimarer Jahren entscheidend. Der neue Titel impliziert mehr Deutlichkeit im Hinblick auf die kompositorische Absicht: 52 53

Ebd., S. 919. Ebd., S. 991.

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Die Dante-Sonate ist Musik über Musik und Musik über ein Gedicht, das von der Wirkung eines Epos handelt. Und sie ist zugleich auch ein Stück über Dante, ein Kommentar, ein Paralipomenon, eine Scholie. Die Divina Commedia beginnt mit den berühmten Versen: „Nel mezzo del cammin di nostra vita / mi ritrovai per una selva oscura.“ An sie schließen sich die Gesänge des Inferno an, in denen das Ich der Divina Commedia an der Hand Vergils durch die Kreise der Hölle geführt wird. Diese in der europäischen Romantik unendlich bewunderten Bilder des Entsetzens werden von Hugos Gedicht wie von Liszts Klavierstück aufgerufen. Die Tonsprache des mehr als 17-minütigen Stücks beschwört die frenetische Landschaft des Inferno durch ihre unerhörte, die Grenzen der Tonalität herausfordernde Harmonik. Insbesondere die übermäßige Quarte, die schon in der Introduktion eine prominente Rolle erhält, bestimmt den Charakter dieser schroffen Harmonik. In seinen beiden Sonaten Op. 27, die den Untertitel Sonata quasi una fantasia tragen, hat Beethoven das Schema des Sonatensatzes aufgelockert zugunsten eines fast freien Improvisierens über kurze, liedartige Motive. In der ersten der Sonaten, Op. 27 Nr.1, lässt er dabei sogar alle Sätze nahtlos ineinander übergehen. Auf diese formale Revolution reagiert Schumann in seiner Fantasie Op. 17. Das einsätzige Stück ist strukturell eigentlich eine dreisätzige Sonate, die aber durch laufende Tonartenverschiebungen und durch die ungewöhnliche Disposition von Reprise und Durchführung ihre Dreiteiligkeit aufzuheben scheint.54 Doch nicht nur Beethoven und Schumann, auch Schubert ist ein Bezugspunkt der Dante-Sonate: Seine Wanderer-Phantasie entwickelt, nicht anders als Liszts Stück, die Themen ihrer drei Sätze aus einem identischen Anfang: aus Schuberts Lied Der Wanderer. Après une lecture de Dante steht also in der revolutionären Tradition dieser Kompositionen. Es ist Liszts bis dahin formal komplexestes, pianistisch anspruchsvollstes und musikgeschichtlich zukunftweisendstes Werk; der direkte Vorgänger der h-moll-Sonate des Jahres 1859. Beide Werke verkörpern Liszts Ideal der Mehrsätzigkeit in der Einsätzigkeit. Zwei einander schroff entgegengesetzte Themen durchlaufen zahlreiche harmonische und rhythmische Metamorphosen. Das erste, die infernalischen Aspekte der Lecture unterstreichend, ist ein chromatisches Thema in d-Moll; das zweite eine choralähnliche Fis-Dur Melodie, die wohl auf die Erlösung der Seelen im Paradiso Dantes deutet. Durch den schnellen Wechsel zwischen Tritonus, Quarte und Quinte erhält die Textur des Stückes ein erzählerisches, vorwärtsdrängendes Element. In der Dante-Sonate (wie in der nur wenig späteren h-moll-Sonate) legt Liszt nicht nur eine Reflexion auf Italien, auf die Dante- und Hugo-Lektüre vor, gestaltet er nicht nur eine autobiographische Aussage in musikalischer Form, sondern gibt auch eine Antwort auf die musikgeschichtliche Situation um 1850. Sein 54

Dazu ausführlich Dömling: Liszt und seine Zeit, s. Anm. 2, S. 129-132, dem ich hier folge.

Literatur, Kunst und ‚poetische‘ Musik bei Franz Liszt

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hier abgelegtes Bekenntnis zur Sonate als formal freier und ‚poetischer‘ Musik, als Aufwertung der Fantasia durch die Form der Sonate, wird sein Ideal der Symphonischen Dichtung nachhaltig prägen. Fantasia quasi Sonate schließt dialektisch an die experimentellen Modelle Beethovens, Schuberts und Schumanns an und hebt zugleich die undialektische Trennung von ‚absoluter‘ und ‚programmatischer‘ Musik auf.

VII Liszts Années de Pèlerinage sind ein auf Unabschließbarkeit und Entgrenzung hin angelegtes Projekt. Die wenigen, von mir hier beobachteten Momente sind eben wirklich nur Momente, in denen ein bestimmter Zustand eines bestimmten musikalischen Materials fixiert ist. Dieser Zustand erreicht in den Ausgaben des ersten und zweiten Wanderjahrs von 1855 und 1858 ein Maximum an Intertextualität und Intermedialität. Wenn wir das 19. Jahrhundert als das Zeitalter der (durch Goethe begrifflich bestimmten55) „Weltliteratur“ begreifen, und wenn wir die Idee der Vermittlung und der Grenzüberschreitung nicht als Dilettantismus, sondern als produktives Prinzip ernst nehmen, dann müssen wir in Franz Liszt einen der avanciertesten Vertreter dieser Ästhetik sehen. Dass dieses kosmopolitische, liberale, synkretistische und intermediale Kunstideal in den politischen Entwicklungen nach 1850 zunehmend unter Beschuss geriet, hat sich auch auf die Rezeption der Musik Liszts verheerend ausgewirkt.56

55

56

Vgl. Manfred Koch: Weimaraner Weltbewohner. Zur Genese von Goethes Begriff von „Weltliteratur“ (Communicatio 29), Tübingen 2002. Am Beispiel von Wagners und Liszts Stellung zum deutsch-französischen Krieg von 1870/71 hat Dorothea Redepenning gezeigt, wie für den Kosmopoliten und Weltbürger der Musik Liszt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und insbesondere nach 1871 eine ganze Welt zusammenbrach und wie dieser Zusammenbruch auch seine Ästhetik modifiziert hat (Liszt, Wagner und der deutsch-französische Krieg, in: Wagner-Spektrum 7 (2011), Schwerpunkt: Wagner und Liszt, S. 9-40).

Ungarische Rhapsodien Gunnar Hindrichs (Basel) This essay discusses the Hungarian character of Liszt’s Hungarian Rhapsodies in its aesthetical function. It argues for the constructive role of characteristic sounds and for the logical job of virtuosity. In this framework, the essay assesses Liszt’s Hungarian Rhapsodies as musical translations of music, connecting them to Walter Benjamin’s idea that the hidden aim of translation is the sublation of Babylonian confusion into a universal language. It thus unites the Rhapsodies’ national character with cosmopolitan transcendence.

I

Nationale Charakteristik

Das ästhetische Urteil verwendet die Begriffe „Nation“ und „Weltbürgertum“ im Blick auf Musik anders, als historische, soziologische oder politische Urteile sie verwenden würden. Es versteht nicht Musik als eine Funktion der mit jenen Begriffen bezeichneten Sachverhalte; es versteht vielmehr diese Sachverhalte als Funktionen der Musik. Das heißt, dem ästhetischen Urteil bilden Nation und Weltbürgertum nicht Zusammenhänge, innerhalb deren musikalische Tatbestände sich erläutern lassen. Es begreift im Gegenteil das musikalische Kunstwerk als den Zusammenhang, innerhalb dessen das, was die Begriffe „Nation“ und „Weltbürgertum“ bezeichnen, ihren Sinn erlangt. Nation und Weltbürgertum werden zu Gesichtspunkten des gelungenen Werkes.1 Als solche Funktionen des musikalischen Kunstwerkes sind Nation und Weltbürgertum Momente des Charakteristischen einer Musik. Das Charakteristische einer Kunst ist die besondere Darstellung eines besonderen Inhalts. Es vereinzelt künstlerische Gehalte und Verfahren zu einem konkreten Gebilde. Das Charakteristische betrifft daher – mit Hegels Worten gesprochen – „die Zweckmäßigkeit, in welcher das Besondere der Kunstgestalt den Inhalt, den es darstellen soll, wirklich heraushebt.“2 Nicht alle möglichen Formen vermögen einen bestimmten Inhalt künstlerisch darzustellen, sondern nur ganz bestimmte Formen, die an ganz bestimmte Techniken und Verfahren gebunden sind. Einen 1

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Die hier im Hintergrund stehende Konzeption des musikalischen Kunstwerkes verteidigt mein Buch Die Autonomie des Klangs. Eine Philosophie der Musik, Berlin 2014. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik I (Werke X/1), Berlin 1842, S. 24.

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Gunnar Hindrichs

besonderen Inhalt darzustellen erfordert solche Formen. Für seine Darstellung sind sie zweckmäßig. Das charakteristische Kunstwerk zeichnet sich folglich dadurch aus, dass es nur das als eines seiner Momente zulässt, was für die Erscheinung des von ihm dargestellten Inhaltes zweckmäßig ist, und sein Inhalt wiederum wird in dieser Erscheinung zu einem konkreten Inhalt. Hegel verdeutlicht das am Beispiel des Dramas. Wenn ein Drama eine bestimmte Handlung darstellen soll, dann kann nicht all das, was Menschen tun, in die dramatische Darstellung eingehen. Nur das, was die bestimmte Handlung zur Erscheinung bringt, darf zum Moment des Dramas werden. Die Handlung wiederum gibt es als bestimmte Handlung nur in ihrer Erscheinung, wie sie das Drama darstellt. So ist die kühne Tat nur als bestimmte Handlung darstellbar, deren Charakteristik dadurch erzeugt wird, dass alle Darstellungsmomente auf sie bezogen bleiben. In diesem Zusammenhang stehen auch die Begriffe „Nation“ und „Weltbürgertum“. Sie beschreiben Darstellungsmomente, die künstlerische Gehalte in besondere Gebilde von charakteristischer raumzeitlicher Bestimmtheit verwandeln. Wo sie dies nicht tun, verletzen sie die Zweckmäßigkeit des Charakteristischen und werden zu kunstfremden, womöglich ideologischen Zutaten, die den Rang des Werkes beschädigen. Hegels Ausführungen zum Charakteristischen versagen vor der Musik. Weil Hegel glaubt, dass der von Musik dargestellte Inhalt die Empfindungen des Subjekts seien, sieht er das musikalisch Charakteristische an den Ausdruck von Leidenschaften gebunden. Der Ausdruck von Leidenschaften wiederum droht, durch seine Unbeständigkeit einen Wechsel charakteristischer Bestimmtheit über die musikalische Schönheit triumphieren zu lassen, die Hegel in der Einheit der Melodie begründet sieht.3 Das kann wenig überzeugen. Weder lässt sich der von Musik dargestellte Inhalt auf subjektive Empfindungen reduzieren, noch lässt sich ihre Schönheit an melodische Einheit binden. Dennoch können Hegels Überlegungen zum Charakteristischen auch für die Musik Geltung beanspruchen, wenn man sie aus ihrer Bindung an Hegels verfehlte Musikphilosophie löst. Sie besagen dann: Sofern Musik einen Inhalt auf eine Weise darstellt, deren Eigenart sich aus dem Bezug auf diesen Inhalt herleitet, ist sie charakteristisch. Nun sind musikalische Inhalte solche Inhalte, die sich in spezifisch musikalischen Bestimmungen fassen lassen. Sie bilden den Bezugspunkt des ästhetischen Urteils über Musik. Als spezifisch musikalisch bestimmt aber kann der Inhalt der Musik nur ein Inhalt sein, der sich in musikalischen Klängen auffinden lässt. Der Inhalt, den Musik darstellt, besteht folglich in den musikalischen Klängen selbst oder in Inhalten, die sich mit diesen Klängen identifizieren lassen. Hiernach ist charakteristische Musik eine Musik, deren Darstellung entweder besonderen musikalischen Klängen entspricht oder besonderen außermusikalischen Inhalten, die sich in solchen Klängen niedergeschlagen haben. Letztes tritt dann 3

Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik III, in: Ders.: Werke X/3, Berlin 1843, S. 205.

Ungarische Rhapsodien

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ein, wenn musikalische Klänge im Laufe der Geschichte auf welche Weise auch immer mit bestimmten außermusikalischen Sachverhalten in Verbindung standen. Solche außermusikalischen Sachverhalte stellt Musik nicht intentione recta dar, sondern intentione obliqua: indem sie sich auf musikalische Klänge richtet, die mit ihnen einher gehen. Schärfer gesagt: Musik ist niemals „Weltanschauungsmusik“4 – und vermag dennoch Welt in sich zu tragen. Denn sie steht in keiner direkten Beziehung zur Welt, sondern bezieht sich auf Welt, indem sie bestimmte Klänge darstellt, deren Geschichtlichkeit sie mit außermusikalischem Sinn angereichert hat. Nation und Weltbürgertum als Funktionen des musikalischen Kunstwerkes sind Momente musikalischer Charakteristik, deren Inhalt in Musik besteht, in der sich außermusikalische Inhalte niedergeschlagen haben. Ein Musikstück, das eine nationale Charakteristik aufweist, hat mithin nicht „Nationales“ zu seinem Inhalt, sondern Klänge, die sich geschichtlich mit einer bestimmten Nation verbunden haben. Um das Stück unter dem Gesichtspunkt des Nationalen zu verstehen, sind diese Klänge zu verstehen. Das Stück ist demnach nicht in einen kulturgeschichtlichen Rahmen einzubetten, sondern in seiner Eigenlogik zu artikulieren. Gleiches gilt, mutatis mutandis, für Musik von weltbürgerlicher Charakteristik.

II

Prinzip der Konstruktion

Liszts Ungarische Rhapsodien tragen ihre nationale Charakteristik bereits im Titel. Der Titel benennt ihren Anspruch, einen „ungarischen“ Gehalt zu vermitteln. Hierzu verwenden die Rhapsodien musikalische Klänge, die ungarisch besetzt sind. Diese Klänge entspringen nicht Ungarns Bauernmusik, sondern stammen aus der von Zigeunerensembles gespielten Musik ungarischer Dilettanten, die nur wenige Jahrzehnte alt war. Das musikalische Material, das die nationale Charakteristik der Ungarischen Rhapsodien gewährleisten soll, stellt also eine Mischung aus meist städtischer Volksmusik und Zigeunermusik dar.5 Aus ästhetischer Sicht ist unerheblich, ob diese musikalischen Klänge, die im 4 5

Anders Hermann Danusers Buch Weltanschauungsmusik, Schliengen 2009. Dazu Zoltán Gárdonyi: Die ungarischen Stileigentümlichkeiten in den musikalischen Werken Franz Liszts (Ungarische Bibliothek 1/16), Berlin/Leipzig 1931, passim. Anna Echtenacher stellte mir dankenswerterweise eine Kopie dieses Buches zur Verfügung. Außerdem Klára Hamburger: Franz Liszt und die Zigeuner, in: Liszt und die Nationalitäten. Bericht über das internationale musikwissenschaftliche Symposium Eisenstadt, 10.-12. März 1994 (Wissenschaftliche Arbeiten aus dem Burgenland 93), hg. von Gerhard J. Winkler, Eisenstadt 1996, S. 62-73; Serge Gut: Franz Liszt. Les éléments du langage musical, Lille 1977, untersucht Liszts musikalisches Material umfassend. Zum ungarischen Komplex: S. 79ff. und S. 394ff. Im Folgenden baue ich auf dem Stoff dieser Untersuchungen auf.

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Gunnar Hindrichs

19. Jahrhundert als ungarisch galten, tatsächlich ungarische Folklore oder nicht darstellen.6 Erheblich ist einzig, dass sie ein Werk als ungarisch zu charakterisieren vermögen, weil sie aus geschichtlichen Gründen mit Ungarn identifiziert waren. Das Faktum ihrer ungarischen Identifikation ist mithin hinzunehmen, um auf seiner Grundlage die ästhetische Funktion der Klänge zu begreifen. Die Klänge – von denen er viele auf seinen Ungarnreisen kennenlernte und skizzierte – hat Liszt in den Jahren 1834 bis 1847 in seinen Kompositionen Ungarische Nationalmelodien (Magyar Dallok) verarbeitet, aus denen dann die ersten 15 Stücke der Ungarischen Rhapsodien entstanden, die in den 1850er Jahren erschienen. Der Vorlauf des Materials in den Ungarischen Nationalmelodien ist insofern bemerkenswert, als Liszt diese ursprünglich in das Album d’un voyageur und später in die Années de Pèlerinage einzureihen dachte.7 Sie sollten dort gleichberechtigt neben Melodien anderer Nationen stehen. Die nationale Charakteristik der Musik gewinnt ihre Bedeutung somit in einem Kontext, in dem Liszt Melodien aus Ländern komponiert, die er als Reisender besucht hat. Das heißt, dass das Ungarische der Ungarischen Rhapsodien von Anfang an im Zeichen der Erinnerung steht. Jemand, der durch die Lande gereist ist, denkt an das zurück, was er dort erfahren hat. Dieser Sachverhalt wird in der Werkgestalt der Ungarischen Rhapsodien sich geltend machen. Die Klänge nun, die die Charakteristik der Rhapsodien als ungarisch ermöglichen, sind vor allem durch die drei Hauptmerkmale der ungarischen Zigeunermusik bestimmt, die Liszt selber herausstellt.8 Diese Merkmale bestehen erstens in einem besonderen Tonsystem, das nach einer anderen Motivik und Harmonik verlangt und das namentlich in der sogenannten Zigeunertonleiter mit ihren augmentierten Tonschritten auffällt; zweitens in der reichen Ornamentik, die die oft schlichte Melodie hinter einem Schleier von Tonkaskaden verbirgt; und drittens in dem freien und abrupten Rhythmus, der sich in unberechenbaren Verbindungen und Verschiebungen gestaltet und mit bestimmten Tänzen in Verbindung steht, insbesondere mit dem ungarischen Werbungstanz, dem Verbunkos. Zu Rhythmus, Ornamenten und Tonsystem treten andere eigentümliche Elemente wie die magyarische Kadenz und die Klangfarben des durch Geige, Kontrabass und Cymbal geprägten Instrumentariums. Ihre Übertragung auf das Klavier bewirkt die nationale Charakteristik der Komposition.

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7

8

Einspruch erhoben Béla Bartók: Das ungarische Volkslied. Versuch einer Systematisierung der ungarischen Bauernmelodien (Ungarische Bibliothek 1/11), Berlin/ Leipzig 1925, S. 2 und Zoltán Kodály: Die ungarische Volksmusik, Budapest 1956, S. 5ff. Dazu Bettina Berlinghoff: Ein patriotisches Bekenntnis? Zur Entstehungs- und Editionsgeschichte von Franz Liszts “Magyar Dallok“, in: Liszt und die Nationalitäten, hg. von Gerhard J. Winkler, s. Anm. 5, S. 45-61. Franz Liszt: Des Bohémiens et de leur musique en Hongrie (1859), Leipzig 1881, S. 393.

Ungarische Rhapsodien

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Um nicht in die Zentrifuge von Einflussforschung und Entwicklungsgeschichte zu geraten, sind die Klänge auf das Werk zu beziehen, innerhalb dessen sie ihren charakterisierenden Sinn erlangen. Die Ungarischen Rhapsodien sind pianistische Kunstwerke. In ihnen macht sich der Eigensinn der virtuosen Klaviertechnik geltend, die Liszt entwickelt hat. Deren neue Spielarten – weitgriffige Akkorde, Oktavengänge, Nachschlagtechnik, weitreichende Arpeggien, Überschlagtechnik, ausgedehnte Tremolopassagen, Trillerketten, grenzwertig gesteigerte Dynamik, Klangerzeugung durch Lagen, deren Wechsel, Kombination und Mischung, Pedalbehandlung, Anschlagsarten, Massenzusammenfassungen,9 kurz das, was Schumann Liszts „Kunst des Vortrags, so ganz verschieden von dem Detailspiel des Virtuosen“10 nannte – verlangen nach entsprechenden musikalischen Klängen. Die Musik der ungarischen Zigeunerkapellen liefert solche Klänge. Ihre Übertragung in Pianistik verwandelt die improvisatorische Virtuosität der ungarischen Zigeunerensembles in virtuose Klaviermusik. Zugleich erhält die Virtuosität des Klavierspiels mit ihr einen Bezug, der sie aus dem Bereich zirkushafter Brillanz herausholt und zu dem Medium der angemessenen Darstellung jener Klänge macht. Die neuen Spielarten vermögen mithin einerseits das in Tonsystem, Rhythmus, Ornamentik und Farbe fremde Material formal zu integrieren und erhalten anderseits durch es substantielle Bedeutung.11 Das heißt, dass die Arbeit der virtuosen Pianistik mit dem ungarischen Klangmaterial weder Fingerspiel noch Exotismus darstellt. Vielmehr besteht in ihr die Konstruktion des Werkes. Die Klänge, die die nationale Charakteristik dieser Klaviermusik bewirken, sind kein folkloristischer Schmuck, keine couleur locale, die eine anderweitig aufgebaute Faktur charakteristisch einfärbt, sondern selber die konstruktiven Grundlagen, an denen die virtuose Technik ansetzt. Deren Eigensinn schließt sich zu einem konkreten Gebilde zusammen, indem er diese Formen in einen pianistischen Zusammenhang überführt. Das Stück stellt mittels ihrer statt einer Schule der Geläufigkeit einen besonderen Inhalt dar. Um ein Beispiel zu geben: Der gar nicht einmal sonderlich virtuose, aber unverkennbar pianistische Mittelteil der dritten Rhapsodie setzt das Cymbal in den Klavierklang um. Die Pedalwirkung und die Zweiunddreißigstel erhalten hieraus ihren Sinn, ebenso das wie Hämmerchen klingende Stakkato der Melodie. Die Fiorituren am Ende der beiden dreitaktigen Abschnitte verstärken einerseits die Klangtextur, anderseits stellen sie auskomponierte Improvisationen dar. Das Improvisatorische wird durch die Fermaten auf den Pausen ergänzt, deren Innehalten die Abschnitte nicht trennt, sondern als Zeit der sich spannenden 9

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Matthias Matuschka: Die Erneuerung der Klaviertechnik nach Liszt (Berliner musikwissenschaftliche Arbeiten 31), München 1987, S. 11. Siehe auch den Beitrag von Susanne Fontaine und Thomas Menrath in diesem Band. Robert Schumann: Symphonie von H. Berlioz, in: Ders.: Gesammelte Schriften über Musik und Musiker Leipzig 1854, Bd. 1, S. 138. Carl Dahlhaus: Die Musik des 19. Jahrhunderts (Neues Handbuch der Musikwissenschaft 6), Laaber 21989, S. 111.

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Gunnar Hindrichs

Phantasie verbindet. Die Melodie wiederum ist nichts anderes als die Zigeunertonleiter, die zweimal eine Quinte und dann die gesamte Oktave in Tonwiederholungen abwärts läuft.

Abbildung 1: Franz Listz: III. Rhapsodie Hongroise, in: Neue Ausgabe Sämtlicher Werke I/3, Kassel/Budapest 1972, T. 17-22.

All das färbt nicht eine anderweitig bestimmte Struktur mit Lokalkolorit ein. Vielmehr gibt es hier gar keine andere Struktur als das durch Zigeunertonleiter, Cymbalton und komponierte Improvisation, den „Improvisationsstil“12 des Stückes, bestimmte Gebilde. Denn Melodik, Harmonik, Rhythmik, Klangfarbe erbauen sich insgesamt aus den Klängen nationaler Charakteristik, die wiederum dem Klang des Klaviers und der pianistischen Komposition Substanz geben. So werden Pedalwirkung, Geklingel durch Stakkato und Zweiunddreißigstelbegleitung, Abbrechen und Innehalten in Pausen nach geschwinden Tonkaskaden zu einem geformten Stück, indem sie Zigeunertonleiter, Cymbal und Improvisation ins Werk setzen. Die Komposition besitzt die ungarischen Klänge zu einem Prinzip ihrer Konstruktion. 12

Arnold Schering: Über Franz Liszts Persönlichkeit und Kunst, in: Ders.: Von großen Meistern der Musik, Leipzig 1940, S. 141.

Ungarische Rhapsodien

III

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Virtuosität und Werkgestalt

Die konstruktive Bedeutung, die die nationalen Klänge für die pianistischen Kunstwerke besitzen, macht die gängige Entgegensetzung der Ungarischen Rhapsodien zur Tradition des konstruktiven Werkes haltlos. Zu meinen, das Skizzenhafte, Abrupte, Ornamentale der Kompositionen, auch ihr Bruch mit metrischen Bindungen oder ihre bisweilen fremdartige Harmonik stünde der Idee der Werkkonstruktion gegenüber, verfehlt den musiklogischen Sinn, den jene, mit den nationalen Klängen verbundene Eigenschaften in den Ungarischen Rhapsodien besitzen. Das skizzenhafte, gebrochene Werk bleibt nichtsdestoweniger ein Werk, weil seine Skizzenhaftigkeit in dem Konstruktionsprinzip beschlossen ist, das die nationalen Klänge für es darstellen. Das Kunstwerk wird daher nicht in die improvisatorische Virtuosität der ungarischen Zigeunerkapellen aufgelöst; vielmehr dienen deren Formen allererst zur Konstruktion des pianistischen Kunstwerkes. So besitzt das gebrochene Gebilde eine in seiner Brüchigkeit kohärente Gestalt. Personifizieren sollte den Unterschied von Werk und Skizze oft der Gegensatz von Beethoven und Liszt. Auch er ist in dieser Hinsicht falsch. Die ältere Literatur zeichnete den Kontrast zwischen der an Beethoven orientierten Werkidee und Liszts Kompositionen fast immer zuungunsten der letzten. Und wenn man sich ab und an aufraffte und Liszt als eine Möglichkeit unter mehreren Möglichkeiten von Musik nach Beethoven begriff, dann meist als die alogischste: Hans Mersmanns Einbezug von Liszt in das Erbe Beethovens etwa, dessen Universalität sich in die Partialitäten des dramatischen Prinzips (Wagner), symphonischen Prinzips (Bruckner) und koloristischen Prinzips (Liszts) gespalten habe, weist Liszt nur Farbe, nicht Struktur, zu.13 Solche Modelle überzeugen nicht, weil sie die strukturelle Kohärenz des Werkes auf dessen geschlossene Form reduzieren und dadurch die konstruktive Bedeutung aufbrechender Momente übersehen. Neuerdings aber wird das alte Schema einfach mit umgekehrter Wertung wiederholt. Nun ist es Liszt, dessen brüchige Kompositionen einen angeblichen Totalitarismus des musikalischen Werkes zu überwinden scheinen. Liszt gerät zum Bezwinger logozentrischer Autorschaft, der Aufführung, Distribution und Dissemination an die Stelle kompositorischer Autorität gesetzt habe. Das Übereinander einer auktorialen Hierarchie weicht hiernach dem Nebeneinander der Zerstreuung. Dadurch soll Liszts Musik den Widerstreit gegen ihre Identifikation im festen Ort des Werkes, das vom Geist des Autors beherrscht werde, verkörpern und es in rhapsodische Zerstreuung dekonstruieren.14 Was hier mit poststrukturalistischem Pathos, allerdings ohne musikalische Analyse verkündet wird, lässt sich etwas vorsichtiger als „Autonomie der Virtuosität“ formulieren, die der 13

14

Hans Mersmann: Die moderne Musik seit der Romantik (Handbuch der Musikwissenschaft), Wildpark-Potsdam 1931, S. 39. Susan Bernstein: Virtuosity of the Nineteenth Century. Performing Music and Language in Heine, Liszt and Baudelaire, Stanford 1998, S. 100ff.

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„Autonomie des Werkes“ gleichberechtigt sei.15 Solche Autonomie der Virtuosität tritt indessen abermals als Sieg des ephemeren Details über die Substanz des Werkes auf: als Befreiung des Supplements, die die Unterdrückung des Libidinösen und Anarchischen, die das Meisterwerk vollziehe, hinter sich lasse. Und auch der Gegensatz zu Beethoven ist wieder da. Denn es sei die mit Beethoven verbundene, „deutsche“ Ausrichtung auf das Meisterwerk gewesen, von der die Virtuosität an den Rand gedrängt worden und gegen die sie sich zu behaupten gehabt hätte.16 Derart bleibt das Schema erhalten, während die Wertung umgedreht wird. Das alte Schema in die Gegenüberstellung von logozentrischer, triebbeherrschender, deutscher Werkidee und zerstreuender, befreiender, pluraler Rhapsodie umzuwerten, ist freilich selber kein neuer Gedanke. Vladimir Jankélévitch hat die Umwertung nach dem Zweiten Weltkrieg eindrücklich vertreten. Seine Überlegung lautete: Die wahre europäische Modernität sei – gegen die angemaßte Alleinherrschaft einer Nation – als „rhapsodischer Nationalismus“ (nationalisme rhapsodique) zu begreifen. Musikalisch bedeute das den Aufstand gegen die Universalität der Wiener Klassik und ihre Idee vom Meisterwerk. Denn die sogenannte Universalität der Wiener Klassik sei in Wahrheit bloß eine Verschleierung des pangermanischen Totalitarismus (un camouflage du totalitarisme pangermaniste), dessen Ausdruck die Sonate mit ihrer Herrschaft musikalischer Vernunft und Regularität darstelle.17 Hiergegen setzt Jankélévitch die Muse der Rhapsodie und der Improvisation als Muse der Befreiung. Liszts „rhapsodischer Schwung“ (verve rhapsodique) bilde den Frühling, den Keimzustand, die fröhliche Verrücktheit des Irregulären.18 Er überwinde den pangermanischen Totalitätsanspruch. Jankélévitchs Ausführungen berühren vor dem zeithistorischen Hintergrund. Freilich ist ebenso deutlich, worauf sie aufbauen: auf Nietzsches Kontrast zwischen dem Apollinischen und dem Dionysischen, der die Polarität von individuierender Vernunftherrschaft und auflösender Irregularität bezeichnet. Die Schrift aber, in der Nietzsche Dionysos und Apoll als die Pole menschlicher Kreativität einführte, war eine Schrift zur Propagierung – Wagners.19 Um dem pangermanischen Totalitarismus des musikalischen Werkes zu begegnen, werden demnach die Gedanken eines deutschen Philosophen zugunsten des Wagnerischen Gesamtkunstwerkes bemüht. Diese merkwürdige Konstellation ist keineswegs auf Jankélévitchs Umwertung des alten Gegensatzes von Beethoven (Werk) und 15

16 17

18 19

Jim Samson: Virtuosity and the Musical Work. The „Transcendental Studies“ of Liszt, Cambridge 2003, S. 79. Ebd., S. 102. Vladimir Jankélévitch: La Rhapsodie. Verve et improvisation musical, Paris 1955, S. 8. Ebd., S. 53. Friedrich Nietzsche: Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik, in: Ders.: Werke I, München 1960, S. 7-134.

Ungarische Rhapsodien

133

Liszt (Skizze) beschränkt. Denn auch die poststrukturalistischen Erwägungen zur Virtuosität leben von Nietzsches Ideen. Die Suche nach einer Überwindung des Logozentrismus durch die Dissemination des Supplements ist ohne Nietzsches Genealogie der Macht gar nicht denkbar, und die Liebe zur anarchischen Virtuosität benötigt die dionysische Entindividuation, die zur Auflösung des identischen Werkes drängt. Die Umwertung des Gegensatzes von Beethoven und Liszt als Befreiung des Ephemeren vom Identitätszwang des Meisterwerkes steht so in ihrem Horizont. Beethovens Meisterwerk verfällt Nietzsches Vernunftkritik. Durch diese Konstellation wird der Verdacht gegen die versteckte Herrschaft einer partikularen, nämlich deutschen Vernunft der Musik, die sich universal gibt, selber verdächtig. Warum sollen Beethoven und das Meisterwerk „deutsch“ sein, Nietzsches Kult des Irregulären hingegen nicht? Vollends aber zerfallen die Grenzziehungen zwischen Virtuosität und musikalischem Kunstwerk dort, wo es nicht um kulturphilosophische Gemälde geht, die dem pangermanischen Totalitarismus mit einem rhapsodischen Nationalismus begegnen wollen, sondern um die Musik selbst. Denn in den Stücken lässt sich nicht die Auflösung des Werkes feststellen, sondern die Verwandlung seiner Form. Statt einer geschlossenen Form erhalten sie offene Formen: Formen, die den Fortgang der Ereignisse unableitbar aus dem Vorangegangen machen, indem sie Verbindungen durch Pausen erzeugen, Verläufe abbrechen, Ornamente die Melodie überwuchern lassen. In solcher Offenheit besteht die Kohärenz des Werkes. Indem es die Prinzipien seiner Konstruktion in Klängen findet, die Improvisation, Brüche und Irregularitäten darstellen, schließt es sich zu einer offenen Form zusammen. Die Zerstreuung und Inkohärenz seiner Momente geschieht hierdurch innerhalb des Werkzusammenhanges, der sich aus den Klängen errichtet, die die Zerstreuung in rhapsodischer Virtuosität gestalten. Statt eines Sieges des Ephemeren über die auktoriale Vernunft des Werkes erweist sich dessen musikalische Vernunft als eine, die noch die Gebrochenheit in der Einheit des Werkes darzustellen vermag. Liszt selber wehrte sich dagegen, die Virtuosität als bloßen Auswuchs von der musikalischen Substanz abzugrenzen. Er wollte sie als ein notwendiges Element der Musik verstanden wissen.20 Auch die zitierte Wertschätzung Liszts durch Schumann, der dessen „Kunst des Vortrags“ vom „Detailspiel des Virtuosen“ abgrenzte, zielte auf die Verbindung von virtuoser Pianistik und kompositorischer Substanz ab: Liszts Klavierspiel wird als Kunst erkannt – und diese entäußert sich als Komposition. Solches Verständnis beglaubigt die Gestalt der Ungarischen Rhapsodien. Sie erweist, dass die künstlerische Notwendigkeit ihrer Virtuosität zuletzt darin besteht, Gebrochenheit in einer Werkeinheit offener Form zu erzeugen. Folglich stehen sich die Autonomie der Virtuosität und die Autonomie des Werkes nicht gegenüber. Vielmehr ist jene deren Funktion. 20

Franz Liszt: Clara Schumann (1855), in: Ders.: Gesammelte Schriften, hg. von Lina Ramann, Leipzig 1882, Bd. 4 S. 191f.

134 IV

Gunnar Hindrichs

Musik als Übersetzung

Die Frage nach dem Verhältnis von Virtuosität und Kunstwerk hat sich an den nationalen Klängen entzündet, die die Ungarischen Rhapsodien aus der Virtuosität der ungarischen Zigeunerkapellen gewannen. Die These lautete, dass sie zur Konstruktion musikalischer Kunstwerke dienen. Das aber heißt, dass die pianistische Arbeit mit ihnen, die ein auf ungewohnte Weise modulierendes, sprunghaftes, skizzenhaftes Werk erschafft, jene Klänge in die andere musikalische Sprache des pianistischen Kunstwerkes übersetzt. Und da die Ungarischen Rhapsodien hierin eines ihrer Konstruktionsprinzipien besitzen, sind sie solche Übersetzungen in ihrem Wesen. Ihr Übersetzungscharakter hat weitreichende Folgen. Denn wenn die Ungarischen Rhapsodien in ihrem Wesen Übersetzungen sind, dann ist ihre erklingende Musik nur aus ihrem Bezug zu einer nicht-erklingenden Musik zu verstehen. Die nicht-erklingende Musik bilden die Stücke der ungarischen Dilettanten, wie sie von den Zigeunerensembles gespielt werden. Die erklingende Musik hingegen ist Musik, die diese Stücke in pianistische Kunstwerke übersetzt hat. Das Ungarische der Ungarischen Rhapsodien wird mithin nicht durch Zitate oder die Übernahme einer bestimmten Manier der Komposition erlangt, sondern dadurch, dass die erklingende Musik die Erscheinung einer nicht-erklingenden Musik darstellt.21 Dadurch weisen die Ungarischen Rhapsodien das auf, was Liszt an Schumanns Werken beschrieben hat: une manière indirecte.22 Denn direkte Musik sind die Ungarischen Rhapsodien nur als Übersetzungen einer durch sie indirekt anwesenden Musik. Zwischen deren Erklingen und den Hörer hat sich der Komponist geschoben, der die Stücke der ungarischen Dilettanten, wie sie die Zigeunerkapellen spielten, in die Pianistik übersetzt hat. Die musikalische Wirklichkeit, auf die die Ungarischen Rhapsodien sich beziehen, ist somit nicht präsent. In diesem Sinn bieten sie indirekte Musik dar, die durch die musikalische Übersetzungsarbeit ihrer direkten Musik erklingt, ohne selber anwesend zu sein. Der Sachverhalt trägt zur Verwirklichung der Idee einer poetischen Musik bei. Bei allen kompositorischen und gedanklichen Unterschieden trafen sich Liszt und Schumann darin, diese Idee zu verfolgen.23 Um zu verstehen, wie sie 21

22

23

Das Prinzip dieses Sachverhaltes hat Manfred Hermann Schmid: Musik als Abbild. Studien zu Weber, Schumann und Wagner, Tutzing 1984, an der deutschen Tradition herausgearbeitet. Franz Liszt: Compositions par piano, de M. Robert Schumann, in: Ders.: Sämtliche Schriften, hg. von Detlef Altenburg, Bd.1, hg. von Rainer Kleinertz, Wiesbaden 2000, S. 378. Dazu Detlef Altenburg: Robert Schumann und Franz Liszt. Die Idee der poetischen Musik im Spannungsfeld von deutscher und französischer Musikanschauung, in: Robert Schumann und die Französische Romantik (Schumann Forschungen 6), hg. von Ute Bär, Mainz 1997, S. 125-138.

Ungarische Rhapsodien

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sie ins Werk setzen, ist freilich die jeweilige Materialbehandlung zu betrachten. Hier zeigt sich bei Schumann, dass das Poetische seiner Musik dadurch entsteht, dass die erklingende Musik dem Hörer eine andere Musik vorzaubert, die er nur ahnt, die aber selber nicht erklingt.24 Solche geahnte Musik ist der Bezugspunkt des poetischen Geistes, der die endliche, gegebene Wirklichkeit, auch die musikalische, übersteigt. Ähnliches gilt für Liszts Ungarische Rhapsodien. Auch sie zaubern dem Hörer eine Musik vor, die selber nicht erklingt, auf die vielmehr die Klavierwerke verweisen. Die Eigentümlichkeit, dass die poetische Zauberei ausgerechnet durch scheinbar gegenwärtigste, situationsgebundenste Verfahren, nämlich durch pianistische Virtuosität, die außerhalb des Hier und Jetzt wenig Sinn zu ergeben scheint, vollzogen wird, gibt der Indirektheit der Musik noch einmal eine besondere Note. Die allerdirekteste Spieltechnik vermag als Übersetzung einer anderen musikalischen Wirklichkeit in pianistische Kunstwerke zur bloßen Erscheinung nicht-erklingender Musik zu werden. Alfred Einsteins Beobachtung, dass das Klavier den Gegensatz von Intimität und Brillanz in sich schließe und dadurch zum eigentlichen Instrument der Romantik geworden sei, vermag in diesem Zusammenhang aufschlussreich zu werden.25 Brillanz und Intimität des Klaviers erlauben es, die Gegenwärtigkeit der Virtuosität mit dem poetischen Zug zum Ungegenwärtigen zu verbinden. Die brillante Spieltechnik vollführt die intimen Verwandlungen der Zigeunerkapellen durch den Komponisten, der zwischen diesen und den Hörern steht. Die endliche Gegenwart der Virtuosität entpuppt sich als Beziehungsglied eines Verweisungsverhältnisses. Das Poetische in Liszts Ungarischen Rhapsodien besteht daher – anders als in den Symphonischen Dichtungen – nicht so sehr in Programmen oder Ideen, die sie darstellten. Das Poetische besteht eher in jenem Verweisungsverhältnis von direkter und indirekter Musik, das in ihrem übersetzenden Wesen beschlossen ist. Die erklingende Musik der Rhapsodien steht nicht für sich selber. Sie steht als Übersetzung für etwas anderes, von dem sie nur Erscheinung ist und auf das hin ihre endliche Gestalt vom poetischen Geist überschritten wird. Ein Beispiel kann das verdeutlichen. Einige der Melodien, die die Ungarischen Rhapsodien verarbeiten, sind identifiziert worden. So beruhen die Takte 185 ff. der ersten Rhapsodie auf einem Lied von Károly Thern, das 1842 komponiert wurde.26 Es lautet:

24 25 26

Schmid: Musik als Abbild, s. Anm. 21, S. 57ff. Alfred Einstein: Die Romantik in der Musik (1947), Stuttgart 1992, S. 178. Zoltán Gárdony: Paralipomena zu den Ungarischen Rhapsodien Franz Liszts, in: Franz Liszt. Beiträge von ungarischen Autoren, hg. von Klára Hamburger, Budapest 1978, S. 205.

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Abbildung 2: Lied von Karóly Thern

In der ersten Ungarischen Rhapsodie werden nun die beiden markanten Elemente des Liedes, der Quartfall mit folgender Skala und die wiederholte Vorschlagsfigur, im Staccato und allegro animato montiert. Das erste Element erhält hierbei durch einen Auftakt zusätzlichen Schwung. Ihre Montage erfolgt auf skizzenhafte, improvisatorische Weise, erst in D-Dur, dann in C-Dur, bevor sie ab T. 209 über einem metrisch starren Achtelorgelpunkt sequenziert wird. Das durch den Auftakt veränderte Kopfmotiv des Liedes türmt sich in dieser Sequenz poco a poco crescendo bis zum dreigestrichenen h, um sich dann erneut, vom eingestrichenen g zwei Oktaven tiefer ausgehend, in ihrem ersten Moment, dem Quartfall mit folgender Skala, oktaviert und unisono più crescendo und sempre staccato nach oben zu sequenzieren und in Triolen in die Tonika E-Dur zu rennen. Dort erklingt nun die gesamte Melodie des Liedes, più moderato und marcato energico, in Oktavgängen, vollgriffigen Akkorden, Lagenwechseln, Sprüngen in der linken Hand, mit Tremolopassage und großen dynamischen Kontrasten.

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Abbildung 3: Franz Liszt: I. Rhapsodie Hongroise, in: Neue Ausgabe Sämtlicher Werke I/3, Kassel/Budapest 1972, T. 234-256.

Nach Erklingen der Liedmelodie werden die beiden markanten Elemente schließlich in einer virtuosen Sechzehntelkette bis zur Unkenntlichkeit verschliffen. Die direkte Musik des Liedes wird auf diese Weise indirekt. Die erklingende Musik der Rhapsodie ruft sie aus der Ferne herbei, indem sie ihre markanten Elemente in formaler und harmonischer Vagheit ins Spiel bringt. Dieses Spiel wird immer rauschhafter, und aus dem Rausch tritt dann, harmonisch und formal gefestigt, die Melodie des Liedes. Aber auch sie besitzt ihre Gegenwart ganz und gar als Klavierklang, den die erwähnten Spieltechniken erzeugen. Das Lied erklingt nur vermittels eines pianistischen Abbildes. Dieses ist mehr als ein Zitat des Liedes auf dem Klavier. Aus der pianistischen Beschwörung der Liedelemente entstehend, bildet es einen Teil solcher Beschwörung, indem es als die Übersetzung des Liedes in Klavierklang auf dieses verweist. Und so wie das Lied aus der Ferne herbeigerufen wurde, so löst es sich nach Erklingen seines pianistischen Abbildes auch wieder in das schiere Klavierspiel auf. Die pianistische Musik bleibt nur eine Erscheinung der musikalischen Wirklichkeit des Liedes. Solch Übersetzungscharakter verwandelt die direkte Musik. Bisweilen entsteht eine „Lust am Grotesken“.27 Die Fremdheit der Klavierkomposition, zu der sich rasende Läufe, Tonkaskaden auf kleinstem Raum oder extreme Lagen – mithin das, was George Sand, in einem Vergleich mit E.T.A. Hoffmann, Liszt

27

Alfred Brendel: Nachdenken über Musik, München 1977, S. 126.

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als zu bewundernde „Unmäßigkeit“ (intémperance) zuschrieb28 – verdichten, lässt diese an manchen Stellen ohne musikalischen Sinn erscheinen. Sie klingen grotesk. Das musikalisch Groteske entspricht der Fremdheit der indirekten Musik. James Clifford hat auf die gemeinsame Wurzel von Surrealismus und Ethnologie zu Beginn des 20. Jahrhunderts hingewiesen.29 Beide blickten das Alltägliche und das Exotische mit denselben Augen an und lösen dadurch die Normen von Schönheit und Realität auf. Der Gebrauchsgegenstand stellte wie das objet sauvage eine Fundsache dar, die ihren Gebrauch überlebte, und wurde so zum fremden Bekannten, dessen Sinn nicht mehr greifbar war. Ähnliches gilt bereits für das Groteske in Liszts Musik. Deren Bezug auf das objet sauvage der ungarischen Zigeunermusik ließ Harmonik, Melodik, Rhythmik, Farbe ihren Gebrauch überleben und mittels der ungemessenen Pianistik zu fremden Bekannten werden. Ihr Sinn kann auf diese Weise verloren gehen. Losgelöst von der nicht-erklingenden Musik, deren Erscheinung sie darstellen, wirken sie bisweilen grotesk. Die Übersetzung gewinnt derart, für sich genommen, eine neue musikalische Qualität. Wichtiger freilich als das Groteske, das durch die Verselbständigung der Übersetzung entsteht, ist deren Erinnerungshaltung. Liszts ursprüngliche Absicht, die ungarischen Stücke in seine musikalischen Reisebilder aufzunehmen, hat sich in der kompositorischen Gestalt niedergeschlagen. Sie erbaut aus den Klängen der bereisten Gegend im Medium der Pianistik ein neues Werk. So hört man nicht-erklingende Musik durch die Ohren dessen, der ihr einst begegnete: auf indirekte Weise. Die Ungarischen Rhapsodien sind nicht selber ungarische Musik, sondern deren Erscheinungen im Modus der Erinnerung. Das gilt selbst da, wo die erinnerte Musik in direkter Gestalt zu erklingen scheint. Die gleichsam ungarischste der Ungarischen Rhapsodien mag die 15. sein: der „RákócziMarsch zum Konzert-Vortrag bearbeitet“. Der Rákóczi-Marsch, angeblich der Lieblingsmarsch des Fürsten II. Ferenc Rákóczi, der 1703-1711 den nach ihm benannten großen Adelsaufstand gegen die Habsburger anführte, ist bis heute eine inoffizielle Nationalhymne Ungarns. Er bildet die thematische Substanz der 15. Rhapsodie und führt die Idee nationaler Selbstbehauptung in die Musik ein. In T. 14 ff. erklingt er: fortissimo marcatissimo. Scheinbar ungebrochen tritt das national charakteristische Material in den Vordergrund. Vorangegangen sind jedoch dreizehn pausenlose Takte unbestimmten Gegrummels, das sich allegro animato tumultuoso vom Kontra-E zum viergestrichenen f in einem einzigen Crescendoklang aus Sechzehnteln empor bäumt, der abrupt abbricht, damit der Marsch erklingen kann. Dessen Bestimmtheit schält sich aus der Unbestimmtheit des schieren Klavierklanges heraus, der durch die Lagen des Instruments braust. Die Musik des Marsches wird aus dem Klavierklang herbeigerufen. Ihre 28

29

George Sand: Lettres d’un voyageur, in: Dies.: Œuvres complètes IX, Paris 1843, S. 364. James Clifford: The Predicament of Culture, Cambridge, Mass. 1988, S. 117ff.

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scheinbare Direktheit entpuppt sich daher als pianistische Erinnerung an andere Musik, die als erinnerte Musik indirekt bleibt. Verstärkt wird das durch raue Harmonisierung des Marsches. Die in einer übermäßigen Quinte absteigenden ruppigen Akkorde der linken Hand zerstören das a-Moll des Marsches und lassen den unbestimmten Klang des Klaviers über harmonische Bestimmtheit siegen. Auch das Unisono des Nachsatzes verzichtet auf akkordische Ausharmonisierung der Melodie und setzt stattdessen pianistische Oktavierung ins Werk.

Abbildung 4: Franz Liszt: XV. Rhapsodie Hongroise, in: Neue Ausgabe Sämtlicher Werke I/4, Kassel/Budapest 1973, T. 14-22.

Durch solche Eigenheiten tritt der Klavierklang in den Vordergrund. Das lässt den Marsch im Medium dieses Klanges erscheinen. Zwischen die direkte Musik der heimlichen Nationalhymne Ungarns und den Hörer hat sich so die pianistische Komposition gestellt, die jene erinnert.

V

Weltbürgertum

Die Verwandlung direkter Musik in indirekte Musik versetzt das Ungarische der Ungarischen Rhapsodien insgesamt in den Modus der Erinnerung. Die nationale Charakteristik der Stücke besteht nicht in deren unmittelbarer Teilhabe an einem musikalischen Bestand, der einer bestimmten Nation zugeordnet ist. Sie besteht stattdessen in der Reflexion dieses Bestandes vermittels seiner Übersetzung. Nationale Charakteristik geschieht in reflexivem Abstand zur Nation.

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Dieser reflexive Abstand, den die Werke als erinnernde Übersetzungen einer nicht-erklingenden Musik in erklingende Musik einnehmen, wird dadurch noch verstärkt, dass die Ungarischen Rhapsodien nicht nur ungarisch, sondern auch Rhapsodien sind. Der Titel Rhapsodie bezieht sich sowohl auf das Brüchige und Inkohärente der Musik als auch auf den antiken Begriff des Rhapsoden. Der erste Aspekt betrifft die offene Form der Stücke. Sie sind rhapsodisch, weil ihr Zusammenhang keinem systematischen Bauplan unterliegt. Der zweite Aspekt betrifft den epischen Sänger. Die Ungarischen Rhapsodien geben sich als Gesänge eines ungarischen Epos aus. So hat Liszt sie selber begriffen. Das Epos wiederum verstand Liszt – im Einklang mit einem gängigen Verständnis, das sich auch bei Herder oder Hegel findet – als „Einheit einer nationalen Inspiration“. Diese Einheit sei die Einheit der Zigeunernation. Auf sie beziehen sich die Rhapsodien, die darum „ungarisch“ heißen, weil – nach Liszt – die Ungarn die Zigeuner als ihre nationalen Musiker angenommen hätten.30 So singen die Ungarischen Rhapsodien aus einer nationalen Inspiration, die über die Zigeunermusik erfolgt. Allerdings hat Liszt ebenfalls deutlich gemacht, dass es ein solches Epos nicht gebe. Vielmehr sollen die Rhapsodien dazu dienen, die Fragmente der ungarischen Zigeunermusik zu einem Epos erst zusammenzufügen. Das Rhapsodische im Sinne des Unsystematischen und das Rhapsodische im Sinne des antiken Rhapsoden treffen sich an dieser Stelle: Der Sänger des Epos aus nationaler Inspiration hat es mit lauter Momentaufnahmen zu tun. Die Ungarischen Rhapsodien stellen mithin Rekonstruktionen der Skizzen eines noch nicht existierenden Nationalgesanges dar. Dieser Sinn des Titels, unter dem die Stücke stehen, gibt der musikalischen Übersetzung, die sie vollziehen, noch einmal eine andere Wendung. Wenn die Einheit der nationalen Inspiration in den rhapsodischen Fragmenten erst errichtet wird, diese aber erinnernde Übersetzungen nationaler Klänge darstellen, dann ist die Einheit der nationalen Inspiration selber nur auf indirekte Weise gegenwärtig. Das Ungarische der Ungarischen Rhapsodien ist etwas, das die Übersetzung der nationalen Klänge in die Sprache der Pianistik dem Hörer zu denken gibt: ein Fluchtpunkt, der durch die Übersetzung des Erinnerten in ein neues Gebilde überhaupt erst entsteht. Vor diesem Sachverhalt verliert die nationale Charakteristik den letzten Anstrich von Unmittelbarkeit. Kein vorreflexiver Ausdruck eines Volksgeistes, keine gegebene Identität spricht sich in den Ungarischen Rhapsodien aus. Stattdessen entwirft die Verwendung nationaler Klänge zur Konstruktionsgrundlage musikalischer Werke erst die Idee der ungarischen Nation. Ihr Entwurf im Abstand der Reflexion auf erinnerte musikalische Formen lässt die nationale Charakteristik der Musik hinter die erklingende Musik treten. National an dieser sind die indirekte Musik der 30

Liszt: Des Bohemiens, s. Anm. 8, S. 537f. Die Idee des Zigeunerepos als Bezugspunkt der Rhapsodien untersucht Benedikt Jäger: Die Ungarischen Rhapsodien Franz Liszts (Musik und Musikanschauung im 19. Jahrhundert 9), Sinzig 2009, zumal S. 153ff.

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Zigeunerensembles, die sie übersetzt, und die durch solche Übersetzung entworfene Einheit des nationalen Epos, das es nicht gibt. Die direkte Musik ist hingegen nur die Erscheinung solcher nationalen Besonderheiten. Der Sachverhalt, dass nationale Charakteristik nur in der Erinnerung der Übersetzung und in deren Entwurf eines einheitlichen Epos erfolgt, befreit das Nationale aus der Beschränkung auf sich selbst. Abermals Liszt selber meinte, dass die Rhapsodien die ungarische Musik in die „höhere Sphäre der Kunst“ höben, und diese Sphäre bezieht er ohne Umschweife auf Goethes Idee der Weltliteratur.31 Die Übersetzungen, die die Ungarischen Rhapsodien darstellen, errichten hiernach nicht nur den Fluchtpunkt der nationalen Einheit; sie übertragen das Nationale zugleich ins Weltbürgerliche. Dieses Selbstverständnis des Komponisten zeigt sich am Werk selbst. Walter Benjamin hat über die Aufgabe des Übersetzers gesagt, sie erfülle sich in der Integration der vielen Sprachen zur einen wahren. Diese aber ist jene, in welcher zwar die einzelnen Sätze, Dichtungen, Urteile sich nie verständigen – wie sie denn auch auf Übersetzung angewiesen bleiben –, in welcher jedoch die Sprachen selbst miteinander, ergänzt und versöhnt in der Art ihres Meinens, übereinkommen.32

Die Idee, unter der Übersetzungen sich vollziehen, ist folglich die Versöhnung der babylonischen Sprachverwirrung. Ohne den Eigensinn der jeweiligen Sprache zu verwischen, würden diese in der wahren Sprache zusammen sprechen. Nun haben sich die Ungarischen Rhapsodien in ihrem Wesen als Übersetzungen erwiesen. Auch sie stehen daher unter der Idee nachbabylonischer Versöhnung. Indem sie die Musik der ungarischen Zigeuner in eine andere Musik bringen, beinhalten sie, dass diese jene zu erinnern vermag. Dieses Vermögen setzt die Idee einer Übereinkunft der verschiedenen Musiken voraus. Die nationalen Klänge kommen mithin in einem Verfahren zum Ausdruck, das sich auf das versöhnte Miteinander der nationalen Charakteristiken ausrichtet. Zugleich hatte sich gezeigt, dass die nationale Charakteristik der Ungarischen Rhapsodien durch gar nichts anderes als die Übersetzung national besetzter Klänge und dem Gedanken eines nationalen Epos in das pianistische Kunstwerk erfolgt. Nationale Charakteristik entsteht also nicht unabhängig von der weltbürgerlichen Idee des versöhnten Sprachenmiteinanders. Sie wird im Gegenteil durch die unter dieser Idee stehende Übersetzung erst errichtet. Als Übersetzung besitzt die Musik einen nationalen Charakter in weltbürgerlicher Fluchtlinie. Nation und Weltbürgertum stellen hiernach nicht zwei gegensätzliche Pole der Ungarischen Rhapsodien dar. Sie sind vielmehr zusammengehörige Be31 32

Liszt: Des Bohemiens, s. Anm. 8, S. 536. Walter Benjamin: Charles Baudelaire, Tableaux parisiens. Deutsche Übertragung mit einem Vorwort über die Aufgabe des Übersetzers, in: Ders.: Gesammelte Schriften IV/1, Frankfurt a.M. 1972, S. 16.

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stimmungen, denen das Charakteristische ihrer Musik unterliegt. Als Übersetzungen nationaler Klänge sind die Ungarischen Rhapsodien weltbürgerlichen Charakters, weisen aber eben als solche Übersetzungen zugleich einen bestimmten Nationalcharakter auf. So macht das Nationale, das das musikalische Kunstwerk hier bestimmt, sich aus einer Distanz geltend, die sich im Zusammenhang der nachbabylonischen Sprache weiß. Die Ungarischen Rhapsodien evozieren ein Ungarn in der Erinnerung und im Entwurf, denkbar nur in der Versöhnung des Weltbürgertums.

VI

Nachklang: Potenzierte Reflexivität

Die reflexive Distanz der Ungarischen Rhapsodien zum nationalen Bestand, die ihre nationale Charakteristik überhaupt erst ermöglicht, potenziert sich noch einmal in den Rhapsodien 16 bis 19. Sie entstanden 30 Jahre nach den ersten 15 Rhapsodien in den Jahren 1882-1885. Mit Ausnahme der allerletzten arbeiten sie ausschließlich mit Material, das Liszts eigene Erfindung darstellt. Die Rhapsodien 16 bis 18 übersetzen somit nicht die Musik, die der Reisende einst gehört hat, in pianistische Kunstwerke. Dennoch halten sie – wie ihr Titel bereits aussagt – an der nationalen Charakteristik der Musik fest. Das geschieht dadurch, dass sie einige ihrer Momente, etwa die Zigeunertonleiter oder die Rhythmik, als selbstständige, von jeder wirklichen ungarischen Musik abgetrennte Konstruktionsprinzipien verwenden. Sie werden in ihrer Losgelöstheit von der direkten Musik aufgegriffen und gehen als solche in die neuen Werke ein. Dadurch vergrößert sich der reflexive Abstand zu jener Musik, mit der die Momente nationaler Charakteristik ursprünglich verbunden waren. Die späten Rhapsodien reflektieren die 15 früheren: Was diese als klaviermusikalische Übersetzungen der musikalischen Wirklichkeit Ungarns darbieten, gerät nun zum künstlerischen Vorwurf einer anderen Musik. Mit andern Worten: Die späten Rhapsodien übersetzen die früheren. Sie stellen dar, was pianistische Darstellungen ungarischer Musik ausmacht. Hierzu reduzieren sie diese auf einige wenige Bestandteile, die in ihrer Nacktheit vorgeführt werden: ohne Brillanz, ohne Eleganz.33 Besonders eindringlich vollzieht das die 17. Ungarische Rhapsodie. Das Zigeunermoll, die entwicklungslose Wiederholung der Figuren, der schiere Klang des Lagenwechsels und der hohlen Oktavierung, die verkürzte Melodik im Quintraum, die offene Form, nicht zuletzt der unmögliche Schluss auf dem Ton der augmentierten Sekunde, der keinen funktionsharmonischen und auch keinen sonstwie 33

James M. Baker: Liszt’s Late Piano Works, in: The Cambridge Companion to Liszt, ed. by Kenneth Hamilton, Cambridge 2005, S. 110, beschwert sich über die Wiederholungen, die wenig balancierten Melodien, die mechanische Sequenzierung des begrenzten Materials und die Schlüsse der späten Rhapsodien. Er begreift nicht, dass diese Momente den Rang der Werke ausmachen, weil sie deren potenzierte Reflexivität gestalten.

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herleitbaren Sinn besitzt, der nur die Eigentümlichkeit des anderen Tonsystems herausstreicht und deshalb einfach eingehämmert wird, sind Elemente, die die Übersetzung nationaler Klänge in die Pianistik gewonnen hatte, im Modus ihrer Verselbstständigung. Sie erklingen uneigentlich, ihrem ehemaligen Sprachzusammenhang entfremdet. Hier ist die Versöhnung der nachbabylonischen Sprache so weit gediehen, dass die Momente einer besonderen Sprache unabhängig von dieser gehört werden. Sie verweisen zwar weiterhin auf sie, mehr noch aber darauf, dass sie aus ihr in eine andere Sprache übersetzt worden sind und also für sich genommen werden können. Die Reflexivität der ersten 15 Ungarischen Rhapsodien potenziert sich zu einer Reflexion dieser Reflexivität. Der hohle Klang der späten Rhapsodien kündet so von zweierlei: vom Verlust der besonderen Gegebenheit wie vom weltbürgerlichen Zustand der Übersetzung. Nur durch beides vermochte sich jener Fortschritt des Materials zu vollziehen, der in den unerhörten, die formbildenden Tendenzen der tonalen Harmonik durchstreichenden Klängen der späten Stücke zum Ausdruck gelangt:

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Abbildung 5: Franz Liszt: XVII. Rhapsodie Hongroise, in: Neue Ausgabe Sämtlicher Werke I/4, Kassel/Budapest 1973, T. 59-76.

Die Ungarische Krönungsmesse Antithesen und Synthesen der Kirchenmusik einer Nationalfeier Ágnes Watzatka (Budapest) Franz Liszt was an innovative and original composer, who accomplished in his works the bold synthesis of the most diverse musical elements. A cosmopolitan living in different countries in Europe, Liszt remained always faithful to his Hungarian origin and identity. The Hungarian Coronation Mass was composed for the coronation of Emperor Franz Joseph I. and Empress Elisabeth as king and queen of Hungary 1867. In this mass, Liszt made a subtle synthesis of the classic music and the Hungarian folk music, charging the festive church music with the rhythms and melodies of the Hungarian folk songs and dances, bringing in the Benedictus a violin solo reminding the improvisations of the gipsy musicians. The mass was received with interest and admiration by Schelle, the successor of Hanslick in Vienna and it marked the first successful attempt to compose church music in Hungarian style.

Franz Liszt war nicht der bekannteste und auch nicht der geschätzteste Komponist seiner Zeit. Er war aber bestimmt einer der innovativsten und originellsten Musiker, der in die Musiksprache so viel Neues gebracht hat, dass seine Musik genau wegen ihrer Neuheit und Ungewöhnlichkeit für seinen Zeitgenossen schwer zu annehmen und zu schätzen war. Liszt besaß herausragende musikalische Fähigkeiten. Seine angeborene Technik war selbst bewundernswert. Hinzu kommt die Empfindsamkeit und Expressivität seines Spieles, mit welcher er auf sein Publikum eine ganz tiefe Wirkung ausüben konnte. Man bewunderte bei ihm neben der Improvisationskraft auch die außergewöhnliche Leichtigkeit, mit welcher er Orchesterpartituren las. Es scheint, dass Liszt mit einer nicht durchschnittlichen Intelligenz begabt war. Alles interessierte ihn, und er suchte in allem das Neue, das Außergewöhnliche, das Weiterführende. Liszts Musik ist weniger instinktiv als intellektuell und rational. Die meisten Effekte sind in ihr genau geplant und aufgebaut. Jegliche Einseitigkeit war ihm fremd: sein Leben, seine Ideen, seine Gefühle waren immer in Richtung Synthese orientiert, und natürlich finden wir in seinen Werken die wagemutigsten Synthesen, was die musikalische Sprache und die Formbildung angeht. Liszts außerordentliches Leben erlaubte es ihm oft beide Pole eines Chiasmus zu erleben: Glanz und Lärm der Weltberühmtheit und andächtige Stille des Klosters in Rom, Freundschaft von Königen und Prinzen und franziskanische Schlichtheit, die sein Leben in den letzten Jahren kennzeichnete.

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Ob seine Vorliebe für Synthese aus den Erfahrungen seines Lebens kam oder sein Leben von seiner Gesinnung bestimmt wurde, ist schwer zu entscheiden. Liszts Schicksal bestimmte ihn für Weltbürgertum. Er hatte einen längeren Wohnsitz nicht nur in Ungarn, Frankreich, Thüringen und Italien, sondern auf seinen vielen Reisen verweilte er manchmal drei bis vier Wochen oder vielleicht noch länger in verschiedenen Städten Englands, „Deutschlands”, Russlands, Polens, der Niederlande, etc. Manche der Freundschaften, die er in den vielen Ländern Europas schloss, währten lebenslang. Jedoch hielt Liszt fest an seiner Identität als Ungar, die er sich durch die Erziehung und durch das Beispiel seines Vaters angeeignet hatte. Der Rückkehr nach Ungarn 1839-1840 setzte Liszt wieder in das Milieu seiner Kindheit und veranlasste Begegnungen mit der Musik seiner Heimat. Liszt verweilte täglich Stunden lang in Restaurants, wo er von der Kunst der Zigeunermusiker bezaubert wurde. Er machte Bekanntschaft mit ihnen und besuchte mit ihnen die Zelte der wandernden Zigeuner im Wald.1 Liszt entdeckte eine Verwandtschaft zwischen seinen musikalischen Fähigkeiten und denen der ungarischen Zigeuner, und später äußerte er den Wunsch, „Ungarns erster Zigeuner” zu werden. ... j’ai bel et bien la prétention d’être de part Droit divin le 1er Zigeuner du royaume de Hongrie, tout aussi bien que Latour d’Auvergne avait celle d’être le premier grenadier de France... 2

Liszt reagierte empfindlich auf die Liebe und Begeisterung, mit welcher er von seinen Landsleuten empfangen wurde. Am ersten Abend wurde er mit einer für ihn komponierten Kantate und mit der Serenade eines Militärorchesters willkommen geheißen. Bei seinem vierten Konzert, am 4. Januar 1840 bekam er ein Prachtschwert – Teil der Nationaltracht des Adels – und wurde mit Fackelzug zu seinem Wohnort begleitet. An den vielen Banketten, zu denen er als Ehrengast eingeladen wurde, erklangen begeisterte Toasts, in welchen er als „die von allen beneidete Ehre der Heimat“ und „das Augenlicht der Nation“ bezeichnet wurde.3 Liszt fühlte sich glücklich und schrieb begeistert über die Liebe des ungarischen Publikums:

1 2

3

Vgl. Franz Liszt: Die Zigeuner und ihre Musik in Ungarn, Pesth 1861, S. 111-121. „Ich strebe aufrichtig um das göttliche Recht, der erste Zigeuner des ungarischen Reichs zu sein, ebenso gut wie Latour d’Auvergne anstrebte, der erste Grenadier Frankreichs zu sein.“ (Brief an Graf Leó Festetics, 5. August 1846, in: Margit Prahács (Hg.): Franz Liszt Briefe aus ungarischen Sammlungen 1835-1886, Budapest 1996, Nr. 22., S. 57, Übersetzung von Á. W.). Toast von Lázár Petrichevich-Horváth am Bankett vom 29. Dezember 1839. Veröffentlicht am 8. Januar 1840 in der Zeitschrift Társalkodó.

Die Ungarische Krönungsmesse

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Le timbre de Pesth déjà me fait battre le cœur parfois. J’étais si bien là au milieu de vous ! Que sont les applaudissements et les bravos répétés à l’infini en comparaison de ce que vous m’avez donné ! Ainsi que je le disais un jour à Augusz, partout ailleurs j’ai affaire avec le public, mais en Hongrie je parle à la nation. Et certes c’est là une belle et grande chose d’entrer ainsi en rapport sympathique avec une nation comme la nôtre.4

Vielleicht genau wegen seiner empfindlichen Nationalgefühle zeigte Liszt großes Verständnis für die Nationalgefühle von anderen. Liszt spielte mehrere Konzerte für den Aufbau des Kölner Doms, komponierte Musik zum Nationallied Was ist des deutschen Vaterland und zum Rheinweinlied, er dirigierte sie in Berlin und gewann damit nicht nur die Sympathie der Berliner, sondern löste eine frenetische, übertriebene Begeisterung aus, die Heine als „Lisztomanie” bezeichnete.5 Es ist interessant zu konstatieren, dass Liszt durch diese Erlebnisse von dem deutschen Nationalismus nicht hingerissen und in seiner ungarischen Identität nicht erschüttert wurde. Jedoch entschied er sich nicht für die Karriere eines ungarischen Komponisten. Etabliert in Weimar als außerordentlicher Hofkapellmeister, komponierte Liszt Werke mit Bezug auf die großen Themen der Weltliteratur: Prometheus, Orpheus, Dante, Tasso, Faust etc. Als Fortsetzung dieser Reihe wurde die symphonische Dichtung Hungaria komponiert. Liszts ungarische Klavierwerke „par excellence”, die Ungarischen Rhapsodien (Nr. 1-15) gewannen ihre endgültige Fassung ebenso in der Weimarer Zeit, im Schatten der großen, der Weltliteratur gewidmeten symphonischen Werke, mit welchen Liszt die Erneuerung und das Wiederbeleben des deutschen Symphonismus plante. Nationalmusik sollte in Liszts Auffassung ein Teil der Universalmusik sein, und mit seinen Rhapsodien, und später mit allen anderen Kompositionen ungarischen Charakters und ungarischer Thematik beabsichtigte Liszt, der universalen Musikliteratur einen würdigen Beitrag von der Seite der ungarischen Nation darzubieten. Die Integration der ungarischen Musik in die europäische (universale) klassisch-romantische Musik war im 19. Jahrhundert ein Grundproblem der ungarischen Musiker. Die Aufgabe, ungarische Musik auf dem Niveau der besten europäischen Musik zu komponieren, war jedoch ziemlich problematisch. Die 4

5

„Manchmal lässt schon die Pester Briefmarke mein Herz klopfen. Es war so gut da bei Ihnen! Was sind die endlos wiederholten Applause und Bravos im Vergleich mit dem, was Sie mir gegeben haben! Wie ich eines Tages zu Augusz gesagt hatte, habe ich überall mit dem Publikum zu tun; in Ungarn spreche ich aber mit der Nation. Und es ist ohne Zweifel eine bedeutende Sache mit einer Nation wie der unseren, eine solche herzliche Beziehung zu knüpfen.“ (Brief Liszts an Graf Leó Festetics, Leipzig, 21. März 1840, in: Prahács (Hg.): Franz Liszt Briefe, s. Anm. 2, Nr. 9, S. 49, Übersetzung von Á. W.). Vgl. Heinrich Heine: Musikalische Saison von 1844. Erster Bericht. Paris, 25. April 1844, in: Ders.: Werke und Briefe in zehn Bänden, Berlin/Weimar 1972, Bd. 6, S. 563-572.

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„ungarische Musik” oder „Zigeunermusik” war eine solche Unterhaltungsmusik, die Melodien von ganz verschiedener Herkunft enthielt: städtische und dörfliche Volksmusik, Werbungsmusik, neue Kompositionen im Stil von diesen, und auch fremde Melodien. Diese Musik funktionierte nach anderen Prinzipien als die klassische Musik in Europa: sie enthielt modale Stücke, die mit dem tonalen System unvereinbar waren, und Tanzmelodien, die mit ihren auffallenden punktierten Rhythmen und Synkopen sich nicht zur Bearbeitung im Rahmen der klassischen Musik eigneten.6 Die punktierten und synkopierten Rhythmen, die der ungarischen Musik den unverkennbaren „feurigen” Charakter verleihen, entstehen aus dem Rhythmus der ungarischen Sprache.

Abbildung 1: Volkslied aus Nordungarn, Szilice (Gömör), benutzt auch als Tanzmusik, in: A magyar népdaltípusok katalógusa (Katalog der ungarischen Volksliedtypen), Bd. I/B, Budapest 1988, S. 584.

Liszt schuf 1856 mit seiner Symphonischen Dichtung Hungaria ein herausragendes symphonisches Werk ungarischen Charakters. 1860 war er bereit zu einer noch kühneren Leistung: Kirchenmusik ungarischen Charakters zu komponieren, das heißt: Kirchenmusik und Volksmusik zu einer organischen Synthese zu bringen. Die Krönung von Kaiser Franz Joseph und Kaiserin Elisabeth, obwohl eine kirchliche Feierlichkeit, war eigentlich ein politisches Ereignis, dessen Bedeutung in der Validierung der Ergebnisse des Ausgleiches zwischen den beiden Staaten lag. In der „Pragmatica Sanctio“ war die Beziehung zwischen Österreich und Ungarn als eine Personalunion festgelegt: die zwei Staaten waren durch die Person des Kaisers vereinigt. 1848 proklamierte Ungarn seine Unabhängigkeit, 6

Die beiden Begriffe, „Ungarische Musik” und „Zigeunermusik” bezeichneten und bezeichnen auch heute dieselbe Musik; der erste Begriff betont den nationalen Ursprung, der zweite die üblichen Interpreten dieser Musik.

Die Ungarische Krönungsmesse

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und versuchte sie durch den Freiheitskampf 1848-1849 zu verteidigen. Mit Hilfe der russischen Armee niedergeschlagen, wurde Ungarn 1849-1867 unter Missachtung der alten Gesetze, als eine Kolonie regiert. Unter dem Druck anderer politischer Ereignisse wie des Freiheitskampfes in Italien, zeigte sich die Wiener Regierung bereit, mit Ungarn eine neue Vereinbarung zu schließen. Der sogenannte Ausgleich verwandelte die österreichische Monarchie in die dualistische Monarchie Österreich-Ungarn, in welcher Ungarn sein politisches und wirtschaftliches Leben wieder selbständig bestimmen konnte. Die Krönung des kaiserlichen Ehepaares als König und Königin von Ungarn besiegelte die Rückkehr zu dem gesetzlichen Zustand der Personalunion, der die Freiheit Ungarns nicht durch Separation von Österreich, sondern durch ihre Definition als gleichberechtigt sicherte. Obwohl das ungarische Volk den Ausgleich mit Misstrauen betrachtete, teilte Liszt den Optimismus der ungarischen Politiker, die mit Recht auf einen baldigen wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung hofften. Bei seinem ersten Besuch in Ungarn 1839-40 war Liszt von den Aristokraten besonders herzlich empfangen worden. Einige der Freundschaften, die er in dieser Zeit schloss, dauerten bis in seine späten Lebensjahre. Baron Antal Augusz (1807-1878) war ein der ersten ungarischen Bekannten Liszts und blieb bis zu seinem Tod Liszts bester Freund in Ungarn. Er durchlief eine glänzende politische Karriere, er wurde 1852-1859 Vizepräsident der Statthalterei in Ofen und Vertrauter Prinz Albrechts, des Regenten. Auch später, zurückgezogen von der Politik, besaß er einen bedeutenden politischen Einfluss und wirkte besonders als Mäzen der Künste. Aus dem Briefwechsel zwischen Liszt und Augusz können wir erschließen, dass Liszt schon 1860 durch Augusz von der Möglichkeit eines zukünftigen Ausgleichs informiert war und Augusz ihn schon zu dieser Zeit zur Komposition einer Krönungsmesse ermutigte.7 Liszt war froh und stolz, mit einer solchen Aufgabe verpflichtet zu werden. Begeistert schrieb er am 20. Februar 1865: Exempt de pusillanimité aussi bien que des vulgaires vanités, j’ambitionne loyalement l’honneur d’être désigné pour écrire la Messe du couronnement et de m’en montrer digne comme catholique, comme hongrois et compositeur.8

7

8

Die Verhandlungen des Ausgleiches blieben lange Zeit geheim. Für die Mehrheit der Bevölkerung war eine solche Versöhnung mit dem früheren Feind in dieser Zeit unvorstellbar. Die Öffentlichkeit wurde erst im April 1865 von den Verhandlungen in Bezug auf den geplanten Ausgleich informiert. „Frei von Feigheit sowie von vulgärer Eitelkeit, strebe ich treulich um die Ehre, für das Komponieren der Krönungsmesse bestellt zu werden, und mich dafür als Katholik, als Ungar und als Komponist würdig zu zeigen.“ (Wilhelm von Csapó: Franz Liszts Briefe an Baron Antal Augusz, 1846-78, Budapest 1911, Nr. 43, S. 100-101, Übersetzung von Á. W.).

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Am 14. März 1867 bekam Liszt, wieder durch die Vermittlung von Augusz, von Primas János Simor (1813-1891) den offiziellen Auftrag zum Komponieren der Messe. Er bedankte sich schriftlich bei Baron Augusz: Paratum cor meum, Deus, paratum cor meum: cantabo et psalmum dicam ! – Telle est ma simple réponse, très cher ami, que je vous prie de transmettre très humblement au Primat de Hongrie, Monseigneur l’Archevêque Simor, en implorant sa bénédiction pour moi. Alors que le Cardinal Scitovszki daigna me notifier son désir de faire exécuter une messe de ma composition au couronnement de Sa Majesté le Roi de Hongrie, je me suis mis à l’œuvre de suite. L’esquisse de cette Messe est prête, et il ne me resterait que l’instrumentation á ajouter.9

Liszt instrumentierte die Messe schnell, in drei Wochen war die Hälfte der Messe schon fertig: Wie soll ich Dir Danken? Nicht besser vermag ich es als durch mein Werk, – ein kirchliches und ungarisches zugleich. Partitur und Clavier Auszug des Kyrie, Gloria und Agnus Dei habe ich Dir gestern zugesandt; Credo und Sanctus empfängst du nächstens. […] Die Messe ist sehr kurz und äusserst leicht aufzuführen. Sie soll nicht die geringste Umständlichkeit veranlassen!10

Es ist leicht zu verstehen warum diese Messe einen ungarischen Charakter haben sollte; die Krönung, obwohl eine kirchliche Zeremonie, die ungefähr fünf Stunden dauerte, war jedoch ein politisches Ereignis größter Bedeutung. Das bedeutendste Merkmal der ungarischen Musik ist ihr Rhythmus. Liszt sollte in seiner Messe vor allem die punktierten und synkopierten Rhythmen der ungarischen Musik zur Geltung bringen. Er verwendete aber auch andere Merkmale der ungarischen Musik: die Zigeunertonleiter, das Timbre der Violine, und auch ein musikalisches Zitat. Alle diese Elemente sollten der Musik ein ungarisches Kolorit verleihen.

9

10

„Paratum cor meum, Deus, paratum cor meum: cantabo et psalmum dicam! Das ist meine einfache Antwort, lieber Freund, die ich dich demütig bitte, dem Primas von Ungarn, Erzbischof Simor weiterzuleiten, seinen Segen für mich erflehend. Als der Kardinal Scitovszki geruhte mir seinen Wunsch mitzuteilen, eine Messe von meiner Komposition bei der Krönung Seiner Majestät dem König von Ungarn aufführen zu lassen, habe ich mit der Arbeit begonnen. Der Entwurf der Messe ist fertig, und es bleibt mir nur noch die Instrumentierung hinzufügen.“ (Ebd., Nr. 45, S. 122-123, Übersetzung von Á. W.). Das lateinische Zitat stammt aus dem 108. Psalm: „Mein Herz ist bereit, o Gott, / mein Herz ist bereit, / ich will dir singen und spielen!“. Ebd., Nr. 47, 3. April 1867, S. 124-125.

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Die Messe beginnt im Tutti mit einem beeindruckenden absteigenden Oktavsprung in gleichzeitig punktiertem und synkopiertem Rhythmus.11

Abbildung 2: Kyrie, Takte 1-10.

Als Kontrast zum Kyrie Eleison wird das Christe Eleison von einer einzelnen Sopranstimme eingeführt. Die weiche, weibliche Melodie ist ebenfalls aus Synkopen aufgebaut. Am Ende der Phrasen finden wir die typischen Kadenzen der ungarischen Tänze (bokázó), auf welchen die Tänzer besondere Fußwechsel machen. 11

Die Notenbeispiele wurden dem Klavierauszug der Julius Schuberth’schen Ausgabe (Leipzig/New-York/Philadelphia 1869, im Besitz der Franz Liszt Akademie für Musik, Budapest) entnommen.

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Abbildung 3: Kyrie, Takte 59-66.

Wegen der verbindlichen Kürze des ganzen Werkes hat Liszt das Gloria nicht in vielen kleinen abweichenden Segmenten ausgearbeitet, sondern ziemlich einheitlich gehalten. Ein einziger großer Tempo- und Charakterwechsel folgt in Takt 136 auf die Worte „Qui tollis peccata mundi”. Diese Worte werden Lento assai auf einen absteigenden Tetrachord aus der sogenannten Zigeunertonleiter gesungen. Liszt benutzte diese von ihm für typisch ungarisch gehaltene Tonleiter, da diese seiner Empfindung nach durch die zwei übermäßigen Sekunden und die dadurch entstehenden verminderten Quarten und Terzen etwas vom leidenschaftlich-tragischen Lebensgefühl der Ungarn zum Ausdruck bringen konnte. Das „Zigeuner-Motiv” ist durch das ihm folgende Dur-Motiv friedlich aufgelöst. Das Nebeneinandersetzen eines „ungarischen” und eines „Wiener”

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Tetrachords symbolisiert höchstwahrscheinlich die neue Union der beiden Staaten. Diese zwei Tetrachord-Motive erscheinen wieder im Agnus Dei.

Abbildung 4: Agnus Dei, Takte 1-11.

Im Gloria hat Liszt auch ein musikalisches Zitat aus dem Rákóczi Marsch verwendet. Ferenc Rákóczi war der Leiter des Freiheitskampfes gegen Wien Anfang des 18. Jahrhunderts, und sein Marsch wurde im 19. Jahrhundert zum Symbol der Revolte gegen die habsburgische Monarchie. Liszt erweckte mit dem Spiel dieses Marsches 1840 in Pest tobende Begeisterung, und in den 1850er Jahren wurde dieser Marsch schon als Symbol der Revolution und des Freiheitskampfs von 1848-49 betrachtet. Liszt zitiert im Gloria seiner Messe die „Kuruc’sche Quarte” aus dem zweiten Teil des Rákóczi Marsches, die als ein Kampfsignal wiederholt ertönt. Liszt hat mit dem Effekt dieses musikalischen Zitats besonders gerechnet, und seine Erwartungen wurden vollkommen erfüllt: das Publikum erkannte mit Vergnügen die beliebten Töne des Marsches.

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Abbildung 5: Gloria, Takte 29-38.

Im Benedictus überrascht Liszt seine Zuhörer durch die Verwendung einer solistischen Violine, die eine 33-taktige Einleitung auf das Thema des Christe Eleison spielt. Diese Violine sollte die Landsleute Liszts an den Solisten der Zigeunerbanden erinnern. Liszt beabsichtigte, dieses Solo von Ede Reményi spielen lassen, der in Ungarn und im Ausland besonders für die „zigeunerische” Art seiner Aufführungskunst beliebt war.

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Abbildung 6: Bendedictus, Takte 1-17.

Liszt war zufrieden mit seiner Messe, in welcher „die beiden Haupt Charaktere, – der kirchliche und der ungarische [...] prägnant ausgesprochen“ waren.12 Er benutzte in dieser Messe die Methode der Thementransformation: Die ungarischen punktierten und synkopierten Rhythmen, die im Tempo giusto zum Tanzen einladen, verlieren in einem langsamen und feierlichen Tempo aufgeführt ihren Tanzcharakter, steigern die feierliche Kirchlichkeit, und bleiben dennoch für die Zuhörer erkennbar. Liszt beendete seine Messe am 14 April 1867.13 Laut den Vorschriften des Wiener Hofes sollte die Musik für ein solches Ereignis vom Kapellmeister der Hofmusikkapelle komponiert und von der Hofmusikkapelle aufgeführt werden. Liszt, der zum Komponieren dieser Messe vom Primas aufgefordert wurde, brauchte jetzt eine Aufforderung von Seiten des Wiener Hofes, die Messe aufzuführen oder zur Aufführung zu übergeben. Diese Aufforderung verspätete sich. In dieser Situation setzte Baron Augusz die Öffentlichkeit in Bewegung. Am 14. April 1867 erschien in den Zenészeti Lapok (Blätter für Musik) der Aufruf von Michael Brand-Mosonyi: Pár szó a koronázási mise érdekében (Ein paar Worte zugunsten der Krönungsmesse). Es war ein leidenschaftliches, jedoch sachliches Plädoyer für die Messe Liszts. Am Ende derselben Nummer war unter „Neuigkeiten” zu lesen, dass die Stadt Debrecen eine Antrag bei dem Parlament zur Aufführung der Messe Liszts gestellt hatte. Der Redakteur äußerte seine Meinung, dass ein solches Gesuch von Seite des Nationalkonservatoriums auch willkommen sei. Zwei Wochen später wurde der Antrag des Ofner Kirchenmusikvereins an den ungarischen Kultusminister veröffentlicht. Er argumentierte, dass die Aufführung der Messe Liszts eine treffende Möglichkeit für die ungarische Nation sei, dem König mit ihrer eigenen Kunst zu huldigen.14 12 13

14

Csapó: Franz Liszts Briefe, s. Anm. 8, Nr. 47, S. 124-125. Ebd., Nr. 46, S. 123-124: „Roma, Palm-Sonntag 1867. Heute ist meine Krönungs Messe beendet.” Zenészeti Lapok 7 (1866-1867), Sp. 472-473, Übersetzung aus dem Ungarischen von Á. W. Der Präsident des Vereins war Liszts Freund Baron Augusz.

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Es scheint, dass Augusz nicht nur gut daran getan hat, Liszt das Komponieren der Messe vorzuschlagen, sondern auch der Sache genützt hat. Liszt war von den Ungarn so verehrt und geliebt, dass sie sich mit aller Energie für Liszts Messe einsetzten. Auf der anderen Seite konnte man hoffen, dass ein berühmter Künstler wie Liszts vom Kaiser nicht abgewiesen werden würde. Und wirklich, unter dem Druck der Öffentlichkeit billigte der Wiener Hof Anfang Mai 1867 die Aufführung der Messe. Diese wurde nach Wien geschickt, wo sie von einer Kommission untersucht wurde. Ende Mai begannen die Proben der Hofmusikkapelle in Wien. Franz Doppler, ungarischer Flötist und Freund Liszts, wohnte am 26. Mai einer Probe bei. Er veröffentlichte am 2. Juni einen Aufsatz mit seinen Eindrücken; er war tief bewegt von dem ungarischen Charakter der Musik und erkannte mit Freuden das Zitat aus dem Rákóczi-Marsch. Er schrieb seinem Freund, dem Redakteur Kornél Ábrányi: Nach dem Lesen dieses kurzen Berichtes, wirst du dir die Schönheit der Musik vorstellen können, die uns alle, mich, die Künstler und alle anderen Zuhörer mit der aufrichtigsten Begeisterung für unseren großen Landsmann erfüllt hatte, der als Mensch und Künstler gleichermaßen die Ehre und Bewunderung von uns allen gewonnen hat.15

Es wurden weitere Proben in der Ofner Burg gehalten, welchen auch Liszt, der am 4. Juni nach Pest angekommen war, beiwohnte. Er zeigte sich zufrieden mit dem Ensemble, jetzt von Gottfried Preyer, Vizekapellmeister der Hofmusikkapelle geleitet, da Johann Herbeck krank war. Preyer wollte die Zahl der Mitwirkenden durch ungarische Musiker vermehren, um damit einen besseren Effekt zu erhalten. Seine Bitte wurde abgelehnt. Das Solo im Benedictus wurde von Joseph Hellmesberger gespielt, Liszt war damit auch zufrieden. Die Krönung wurde am 8. Juni 1867 in der Liebfrauenkirche zu Ofen vollzogen.16 Da Liszt kein Ehrengast war und er auch an der Aufführung nicht beteiligt war, war er nicht berechtigt, an der Krönung teilzunehmen. Das Komitee des Konservatoriums verschaffte ihm einen Platz neben der Orgel, von wo aus er seine Messe hören konnte. Die Stimmen der 18 Sänger waren ein wenig schwach, doch klang die Musik schön. Der Erfolg war reizend. Die Zeitschrift Zenészeti Lapok berichtete auf der Titelseite über die Krönung, und sie drückte die tiefste Dankbarkeit gegenüber Liszt aus: Die ungarische Nation hat ihren König gekrönt. Franz Liszt ist gekommen, und er hat seine Krönungsmesse mitgebracht, deren himmlische Töne die Schönheit und Würde jeglicher anderer Musik übersteigen, mit welcher eine andere Nation 15 16

Ebd., Sp. 551-552, Übersetzung aus dem Ungarischen von Á. W. Diese Kirche ist allgemein als „Mathias-Kirche” bekannt. Der Renaissance-König feierte hier seine zweite Heirat.

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jemals an ihren Gott gebetet habe […]. Liszt eroberte mit dieser Messe zwei Welten: das Herz der ungarischen Nation, und die Welt der Musik. […] Wenn er sich von uns verabschiedet, von der Verehrung und Dankbarkeit der ganzen Nation begleitet, schicken wir ihm einen warmen Händedruck, und ein Gruß aus der reinsten Tiefe unseres Herzens!17

Nach dem Hören seiner Messe wartete Liszt nicht das Ende der Zeremonie ab. Er wohnte in Pest im Gebäude der Stadtpfarrei, auf dem Kirchplatz, genau dort, wo der König seinen königlichen Schwur ablegen sollte. Vor dem Ende der Krönungsfeier beeilte er sich, nach Hause zu kommen und die Menge zu vermeiden, die sich in kurzer Zeit in dieselbe Richtung bewegen sollte. Eine junge Dame, Janka Wohl, die Liszt persönlich kannte, war in der Menge anwesend, auf das Kommen des Königs wartend. Sie beschrieb in ihren Erinnerungen Liszts Heimgang nach der Krönung: Man muß den majestätischen Strom vor Augen haben, die schimmernde blaue Donau, mit der Kettenbrücke, diesem Bindestrich zwischen Ofen und Pest; die Ofner Festung und das königliche Schloss von terrassierten Gärten umgeben; die ganze malerische, lachende Landschaft, die sich am rechten Ufer der Donau hinzieht, als schönster Aussichtspunkt für die lange Palastreihe des linken Ufers – und das ganze Bild im Festgewande, mit Blumen, Flaggen, farbenprächtigen Teppichen geschmückt, von strahlendem Frühlingssonnenschein vergoldet. Dazu auf hunderten von Tribünen, an den Fenstern, auf den Dächern, den bewimpelten Dampfschiffen eine riesige, nach Aufregung lechzende Menschenmenge, die den Krönungszug erwartete, der bald die Brücke passieren sollte. Nachdem der Kaiser von Oesterreich in der Ofner Mathias-Kirche zum König von Ungarn gekrönt worden war, mußte er von der Festung nach Pest herüberkommen, um den traditionellen Schwertstrich zu führen, hoch zu Rosse, der Brücke gegenüber auf einem Hügel, der, nach uralter Sitte aus der Erde aller Komitate Ungarns errichtet, das gesamte Land symbolisierte. In diesem Momente fieberhafter Erwartung erschien auf der breiten weißen Straße, die von der Festung zur Donau hinabführt, und die man für den Zug freigehalten hatte, die hohe Gestalt eines Priesters in langer schwarzer Soutane, mit zahllosen Orden geschmückt, das weiße Haupthaar wie in Erz gegossen, den Hut in der Hand. Bei seinem Anblick erhebt sich ein Gemurmel, welches in dem Maße zunimmt, als die Gestalt sich nähert und von der Menge erkannt wird. Der Name Franz Liszt läuft wie der Blitz von Tribüne zu Tribüne, von Mund zu Mund. Von hunderttausend Lippen ertönt ein frenetischer Jubel, ein Orkansturm der Begeisterung. Die Menge am linken Donau-Ufer mußte glauben, daß es der König sei der sich nähere, begrüßt von dem enthusiastischen Entzücken eines versöhnten Volkes. Es war nicht der König, wohl aber ein König, dem sich die Sympathien einer dankbaren Nation zuwandten, einer Nation, die Stolz darauf war, einen solchen Sohn zu besitzen.18 17 18

Zenészeti Lapok, 7 (1866-1867), s. Anm. 14, Sp. 577-579, Übersetzung von Á. W. Janka Wohl: Franz Liszt. Erinnerungen einer Landsmännin, Jena [1887], S. 19-21.

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Liszts Messe machte einen großen Eindruck auf das ungarische Publikum. Sie wurde als patriotisches Stück aufgenommen und als solches von den verschiedenen Chören Ungarns gelernt und aufgeführt. Der Kirchenmusikverein von Preßburg, zum Beispiel, führte die Krönungsmesse in den folgenden 50 Jahren beim Hauptgottesdienst an jedem staatlichen Feiertag auf. Liszt ergänzte später seine Krönungsmesse durch ein Graduale und ein Offertorium. Dieses letzte ist wieder ein ungarisches Stück, ähnlich einem Palotás, einem feierlichen Tanz der ungarischen Aristokraten.19 Die Partitur der Messe und ein Klavierauszug wurden 1869 von Julius Schubert & Co, Leipzig-New York-Philadelphia veröffentlicht, die Partitur enthält schöne farbige Titelblätter in lateinischer, ungarischer und deutscher Sprache. Das Offertorium und das Benedictus wurden auch für Violine und Klavier bearbeitet. Liszt spielte sie oft und gerne mit Ede Reményi, der auch klassische Stücke ein bisschen „zigeunerisch” – rubato – spielte, was Liszt sehr viel gefiel. Liszts Ungarische Krönungsmesse bezeichnet einen ersten Versuch, Kirchenmusik im ungarischen Stil zu komponieren. Obwohl die Idee der „ungarischen Musik”, die in ihr verkörpert ist, heute überholt ist – Bartók und Kodály entdeckten und stellten erst im 20. Jahrhundert die wahre ungarische Volksmusik vor, – bezeichnet die Ungarische Krönungsmesse ein bedeutendes Moment in der Entwicklung der ungarischen Nationalmusik. Die Ungarische Krönungsmesse erregte auch die Aufmerksamkeit der musikalischen Kritik. Nach der Zeremonie berichtete Liszt stolz an die Fürstin Sayn-Wittgenstein: Le succès de ma Messe est complet. Elle a surpris tout le monde par sa brièveté, sa simplicité – et, si j’ose dire, par son caractère. Un critique de renom, Mr Schelle de Vienne, qui était venu exprès pour l’entendre, me dit hier – je cite textuellement: Je croyais bien que nous en avions fini de la musique d’Église, et qu’on ne pourrait guère faire du neuf qui soit bon, ou du bon qui soit neuf en ce genre. Mais votre œuvre ou plutôt votre chef-d’œuvre, car c’en est un, me donne un démenti éclatant – et j’aurai soin de le dire au public dans mon article, car il convient qu’on sache de quoi il s’agit.20 19

20

Der Name des Tanzes bedeutet „Palast-Tanz”. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts schufen Tanzmeister aristokratische Nationaltänze durch Kombination der Elemente aus Volkstänzen und modischen europäischen Tänzen. „Der Erfolg meiner Messe ist vollkommen. Sie überraschte durch ihre Kürze, Einfachheit – und wenn ich wage es zu sagen, durch ihren Charakter. Ein renommierter Kritiker, Herr Schelle aus Wien, der ausdrücklich gekommen ist, um sie zu hören, sagte mir gestern – ich zitiere wörtlich: Ich dachte, dass wir mit der Kirchenmusik ausgedient haben, und dass wir kaum etwas Neues schaffen könnten, das gut sei, oder kaum etwas Gutes schaffen das neu sei in diesem Genre. Aber Ihre Arbeit oder lieber Ihr Meisterwerk, denn ein solches ist es, gibt mir eine eklatante Widerlegung – und ich werde darauf achten, es der Öffentlichkeit in meinem Artikel bekannt zu machen, denn man sollte wissen, worum est geht.“ (Brief vom „Samedi, 8 Juin 67, midi, in: La

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Es war eine große Genugtuung für Liszt, nach so viel erlittener Missgunst, vom Nachfolger Eduard Hanslicks in Wien anerkannt und gelobt zu werden. Und es bedeutete, dass diese Musik nicht nur als ungarische Musik, sondern auch als universale Kirchenmusik angenommen und anerkannt wurde. In dieser Messe musste Liszt auf eine ausführliche Ausarbeitung wegen der allgemeinen Länge der Zeremonie und der Erwartungen ihrer Organisatoren verzichten. Die kurze, relativ leicht ausführbare, konzentrierte Ungarische Krönungsmesse markiert einen interessanten Moment in der Entwicklung des Lisztschen Œuvres: sie repräsentiert eine erste Stufe in der Entwicklung des Spätstils.

Mara (Hg.): Franz Liszts Briefe, Leipzig 1900, Bd. 6, Nr. 132, S. 130-132, Übersetzung von Á. W.). Eduard Schelle (1816-1882) war der Nachfolger Hanslicks bei der Zeitschrift Die Presse in Wien.

Liszts Spätwerk im Spannungsfeld zwischen nationalem Denken und Weltbürgertum Dorothea Redepenning (Heidelberg) The starting point of the article is the paradigm shift that occurred in art and culture in the aftermath of the Franco-German War in Europe. The entanglement of national exposure, in the case of Liszt the Hungarian, and with Liszt the European cosmopolitanism, he practiced while Kapellmeister in Weimar, became increasingly obsolete under the new political conditions. Liszt responded sensitively by exerting influence on concert programs and artistic concepts, as far as this was still possible in his no longer institutionnalized position, and by commenting lucidly on the development of European music after 1871, but also with an increased commitment to the development of music education in Hungary. The consequences of the changed situation for his compositional process display a profound resignation and the rejection of large, representative works of art on the one hand, and by a demonstrative openness to now contradictory concepts such as the Wagner and Verdi on the other hand.

Für Peter Raabe bezeichnete das Jahr 1871 die ungefähre Grenze, „jenseits derer Liszt nichts mehr von wirklicher Bedeutung hervorgebracht“1 habe. Er erklärte das mit Liszts angeblichem geistigen Verfall, eine Verurteilung, die Richard Wagner und seine Frau Cosima2 schon aussprachen und der sich andere Autoren3 angeschlossen haben. Die Liszt-Forschung der letzten 40 Jahre hat das gründlich widerlegt, indem sie die Kühnheit und Kompromisslosigkeit des Spätwerks herausarbeitete. Kaum betont wurde in dem Zusammenhang, dass der deutschfranzösische Krieg für den französisch denkenden, beiden Nationen tief verbundenen Liszt das Ende seiner kulturellen Welt bedeutet haben muss:4 die hohen 1 2

3

4

Peter Raabe: Liszts Schaffen, Stuttgart 1931, S. 161f. Cosima Wagners Tagebucheintragung vom 29. November 1882: „Er [Wagner] beginnt heute abermals und gar schroff in seiner Wahrhaftigkeit über den Vater zu sprechen; [als ‚keimenden Wahnsinn‘ bezeichnet er die Arbeiten, er habe [etwa 12 Wörter unleserlich] den Mißklängen abzugewinnen unmöglich,] und anhaltend setzt er mir das auseinander, ich schweige still, traurig, daß ich nichts erwidern kann!“ (Cosima Wagner: Die Tagebücher, hg. von Martin Gregor-Dellin/Dietrich Mack, München 1976/77, Bd. 2, S. 1059f.). Vgl. u.a. Sacheverell Sitwell: Franz Liszt, London 1955, deutsche Ausgabe Zürich 1958 und Emile Haraszti: Franz Liszt, Paris 1967. Vgl. dazu Dorothea Redepenning: Franz Liszt, Richard Wagner und der DeutschFranzösische Krieg, in: Wagner-Spectrum 1 (2011), Schwerpunkt Wagner und Liszt, Würzburg 2011, S. 9-39.

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Dorothea Redepenning

humanistischen Ideale, in denen die Künste über nationale Grenzen hinweg zusammengehen, in denen eine nationale Ausrichtung gleichberechtigt neben anderen steht und denen er in seinen großen Werken apotheotisch Ausdruck verliehen hatte, waren mit diesem Krieg zerschlagen. Der Krieg zog einen Paradigmenwechsel nach sich, der in persönlichen Weltbildern und in den Künsten Ausdruck fand. Dieser Paradigmenwechsel zeitigte – zumal im nun preußisch geeinten Deutschland, im gedemütigten Frankreich, auch im durch die Doppelmonarchie aufgewerteten Ungarn – eine jeweils nationalistische Grundhaltung mit entsprechend nationalistisch ausgerichteten Kunstwerken, die ein Miteinander nicht mehr zuließ: Herders Blumengarten der Nationen, Schillers Weltbürger, Liszts Konzert der nationalen Schulen (um Herder zu paraphrasieren), das er in Weimar zur Blüte gebracht und das er die Kraft zusammenzuhalten hatte – dieses Konzept, das nationales und kosmopolitisches Denken in eins fassen kann, hatte nach 1871 seine Tragfähigkeit verloren. Richard Wagners Lohengrin und Hector Berlioz’ Benvenuto Cellini, Franz Schuberts Alfons und Estralla und Anton Rubinsteins Sibirische Jäger, also die Vielfalt stilistischer und nationaler Ausprägungen zur Anschauung zu bringen, gehörte – sehr zu Wagners Verdruss5 – ebenso zu Liszts Weimarer Konzept wie das Zusammengehen der Idee der Weltliteratur in Tönen in der Faust- und Dante-Symphonie mit der Idee des Nationalepos in Tönen, wie es in den Ungarischen Rhapsodien und Hungaria, der neunten und vorläufig letzten Symphonischen Dichtung zum Ausdruck kommt. Die Offenheit gegenüber künstlerischen Konzeptionen und die Entscheidung, nationale Ausrichtungen gleichberechtigt zu fördern, war für Liszts Wirken in Weimar programmatisch und verband sich für ihn mit der Vorstellung einer weiter gefassten, nicht nur auf den Bereich „Oper“ beschränkten „Zukunftsmusik“. Nach 1871 musste er erkennen, dass so ein Programm nicht mehr aktuell war, unter den veränderten Bedingungen vielleicht sogar naiv anmuten musste. Die Fragstellung lautet also: 1. wie äußert sich dieser Paradigmenwechsel, 2. wie reagierte Liszt darauf und 3. welche künstlerischen Konsequenzen zog er daraus?

I

Paradigmenwechsel um 1870

Die Umwandlung der Begriffe und Werte vollzog sich schleichend, was an zwei exemplarischen öffentlichen Äußerungen gezeigt sei: Franz Brendel, der 1859 den Terminus „neudeutsche Schule“ einführte, beendete seine 1853 erschienene

5

„Ueberhaupt habt Ihr denn: Oper und Drama gelesen? Wenn dieß der Fall ist, wie kann Liszt noch glauben, mit Berlioz mir dienen zu können?“, schreibt Wagner Anfang 1852 an Hans von Bülow, in: Richard Wagner: Briefe an Hans v. Bülow, Jena 1916, S. 21.

Liszts Spätwerk

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Artikelsequenz Die bisherige Sonderkunst und das Kunstwerk der Zukunft mit Blick auf Richard Wagner: Das wahre Weltbürgerthum besteht nicht in charakterlosem Hin- und Herschwanken, wie es die deutsche Geschichte jetzt bis so oft gezeigt hat, es erhebt sich allein auf der Grundlage des nationalen Bewußtseins. Dies ist, was im tiefsten Grunde fest und sicher vorhanden sein muß, ehe die wahrhafte Universalität erreicht werden kann. So ist Wagner’s Kunst jetzt eine nationale, dem Kunstwerk der Zukunft aber, was durch jene vorbereitet wird, wohnt eine Universalität bei, die gerade es, meiner Ansicht nach, vorzugsweise in den Stand setzt, alle Nationen um sich zu versammeln, eine Weltkunst hervorzurufen.6

Brendel baut mit dieser Schlagwortkette einen dialektischen Dreischritt auf: aus dem „wahren Weltbürgertum“, das er von einem als beliebig verstandenen Kosmopolitismus abgrenzt, und dem „nationalen Bewußtsein“, gemeint ist das deutsche, geht als Synthese „wahrhafte Universalität“ hervor. Alle drei Begriffe, zunächst politisch und weltanschaulich konnotiert, werden transponiert in den Bereich der Kunst. Diese, nun als künstlerisches Konzept zu verstehende Universalität wird sich im noch zu schaffenden – von Wagner zu schaffenden – „Kunstwerk der Zukunft“ manifestieren. Die dann erreichte „Universalität“ vermag „alle Nationen um sich zu versammeln“ und so eine „Weltkunst hervorzurufen“. Diese „Weltkunst“, die nichts mit der heutigen „Weltmusik“ gemeinsam hat, ist noch nicht explizit ausgesprochen „deutsch“, beansprucht noch nicht ausdrücklich Hegemonie. Knapp 20 Jahre später ist das anders. Nun haben sich die Koordinaten verschoben, was man etwa im Schlussbild von Wagners Meistersingern (UA 1868) oder in seiner Abhandlung Deutsche Kunst und deutsche Politik (gleichfalls 1868) nachlesen kann: Hier erhebt sich der „deutsche Geist“ über den „welschen“; er spricht sich selbst „Universalität“ zu und begründet damit seinen Hegemonialanspruch. In Hermann Mendels Musikalischem Conversations-Lexicon, erschienen ab 1870, ist „Universalität“ zu einer deutschen, einer deutsch-nationalen Qualität geworden und ein argumentatives Instrument, um die Musik anderer Nationen herabzuwürdigen. Im Artikel Deutschland, deutsche Musik heißt es, zugleich Vokalmusik und Oper gegen Instrumentalmusik ausspielend: Sonate, Symphonie, Ouvertüre u.s.w. sind deutsch im wahrsten Sinne des Wortes. Doch darf hierbei nicht übersehen werden, daß die Musik bei den Deutschen nur deshalb die großartige Pflege gewann, weil sie sich nicht an das nationale Bedürfniß einseitig anschloß, wie bei Italienern und Franzosen. Nur weil unsere deutschen Meister die Kunst als Selbstzweck betrachten und üben und nicht einseitig dem nationalen Bedürfniß der Massen unterordnen, gewinnt diese 6

Franz Brendel: Die bisherige Sonderkunst und das Kunstwerk der Zukunft, in: NZfM 1853, Nr. 8, S.77-79, Nr. 9, S.89-92, Nr. 10, S. 101-104, Nr. 11, S. 109-113, Nr. 12, S. 121-126, Nr. 13, S. 133-136; Zitat S. 136.

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Dorothea Redepenning höchste Vollendung. Die altitalienische Kirchenmusik konnte deshalb keine höhere Bedeutung gewinnen, weil sie einseitig darauf gerichtet war, die geheimnißvolle Pracht des katholischen Kirchencultus zu erhöhen, und in derselben Weise diente und dient bis auf den heutigen Tag die französische und italienische profane Musik den niederen Zwecken des gemeinen Lebens. Unsere großen deutschen Meister gestalten dagegen in ihren Kunstwerken die höchsten und heiligsten Ideen, unbekümmert darum, ob sie damit auch einem Bedürfniß des Lebens genügten, und gewannen damit den einzig richtigen Kunststandpunkt. Dies hauptsächlich ist das charakteristische Merkmal der deutschen Musik, daß sie in ewig mustergiltigen Formen ihre Ideale [...] darstellt. Die deutsche Musik ist von unseren Meistern immer nur in diesem Sinne als Kunst geübt worden, und deshalb ist sie nicht nationaler Beschränkung verfallen [...], sondern sie ist universell geworden im besten Sinne.7

Das pathetische Meistersinger-Schlusswort ist hier zu einem Objektivität beanspruchenden Lexikonartikel geworden. Der Verfasser ist August Reissmann, in den 1850er Jahren ein Schüler Liszts, und späterer Herausgeber des Konversationslexikons. Mit Ausbruch des deutsch-französischen Kriegs richtete sich Liszts deutsches Umfeld ganz auf eine nationalistisch-patriotische Linie ein: Wilhelm Kaulbach etwa, zu dessen Hunnenschlacht Liszt 1857 eine Symphonische Dichtung verfasst und der ihn im gleichen Jahr porträtiert hatte, war, wie es Liszt gegenüber der Fürstin Sayn-Wittgenstein ausdrückte, derart vom Kriegsfieber gepackt, dass er „eher geneigt scheint, eine Waffe zu tragen als eine Palette!“8 Hans von Bronsart, Liszts ehemaliger Schüler und seit 1867 Direktor des Königlichen Theaters Hannover, zog als Freiwilliger in den Krieg. Seine Frau Ingeborg, gebürtige Schwedin, in Sankt Petersburg aufgewachsen und als Schülerin Liszts nach Deutschland gekommen, entsagte ihrem weltbürgerlichen Hintergrund und verfasste patriotischer Lieder und Chöre, darunter Ferdinand Freiligraths auf den 25. Juli 1870 datiertes Gedicht Hurrah Germania! als Männerchor. Liszts ehemaliger Dienstherr Carl Alexander ließ ebenso mobil machen wie Wagners Gönner Ludwig II. und die anderen deutschen Fürsten. Wagner nutzte seine 7

8

Hermann Mendel (Hg.): Musikalisches Conversations-Lexicon. Eine Encyklopädie der gesammten musikalischen Wissenschaften. Für Gebildete aller Stände, Berlin 1870-1879, Bd. 3, 1874, S. 138f.; Der Artikel Frankreich, französische Musik (Bd. 4, 1874, S. 20-43) ist ungleich umfangreicher, behandelt ausführlich, was man über die Musik des Mittelalters – also die der französischen Notre-Dame-Zeit, der Ars antiqua und Ars nova – wusste und beschreibt die französische Musikgeschichte ohne polemische Zuspitzungen. Selbst in der Darstellung der „gegenwärtigen Musikzustände“ (S. 36-38) hält sich der Verfasser zurück. „Il serait maintenant plus disposé à saisir un fusil qu’à manier la palette!“ (Brief vom 27. Juli 1870 aus Wien, in: La Mara (Hg.): Franz Liszt’s Briefe, Bd. 6: Briefe an die Fürstin Carolyne Sayn-Wittgenstein, dritter Teil, Leipzig 1902, S. 255; alle Übersetzungen aus dem Französischen, wenn nicht anders angegeben, von DR).

Liszts Spätwerk

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Beethoven-Schrift 1870 für anti-französische Propaganda und engagierte sich später mit dem „aristophanischen Lustspiel“ Eine Kapitulation. Liszt war nun in Deutschland ein Außenseiter. Er zog sich bei Kriegsausbruch nach Ungarn zurück, erst wohnte er bei Baron Anton Augusz in Szekszárd, der wie er selbst pro-französisch dachte, dann ging er nach Pest. Am 6. November 1870 notierte Cosima in ihrem Tagebuch: „Mein Vater will nicht nach Weimar, aus französischen Sympathien, damit ist nun die Kluft vollends unausfüllbar.“9 An die Fürstin schrieb Liszt im März 1871, ein paar Wochen nach der Reichsgründung: „Tomber en plaines fêtes de Germanisme ne me sourit point.“10 Der Krieg bedeutete auch für Liszt als Privatperson eine Tragödie: Sein Schwiegersohn Emile Ollivier, Witwer seiner Tochter Blandine und Vater seines Enkels Daniel, Emile Ollivier, der auch Liszts Mutter bis zu ihrem Tod beherbergt und sie würdig zu Grabe getragen hatte, sprach in der Funktion eines Premierministers unter Napoleon III. am 15. Juli 1870 die Kriegserklärung gegen Preußen aus; am 19. Juli begannen die Kampfhandlungen. Liszts Tochter Cosima ließ sich am 18. Juli von Hans von Bülow scheiden; am 25. August heirateten Cosima und Richard Wagner.11 Der Bruch, den der Krieg zwischen Franzosen und Deutsche schlug, fand in Liszts privaten Verhältnissen eine direkte Fortsetzung, die auch die Konfessionsfrage betraf. Die Ehe der Wagners wurde in der protestantischen Kirche von Luzern geschlossen; Cosima erzog die Kinder fortan protestantisch und vollzog die Konversion als bewussten Schritt.12 Gleichzeitig spitzte sich die Konfessionsfrage im bi-konfessionellen Deutschland insofern zu, als das Bekenntnis zu einem Politikum wurde und sich die katholische Bevölkerung plötzlich herabgewürdigt sah.13 Liszts Briefe aus den Kriegsmonaten, gerichtet an Personen, die wie er nicht pro-preußisch dachten, verdeutlichen, dass die Koordinaten, über die er sich in der Welt positionierte, verschoben waren. Ein Brief an die Fürstin, am 4. März 1871 verfasst, macht Liszts Einschätzung der aktuellen Situation exemplarisch deutlich: Depuis 6 semaines, l’opinion que j’exprime très humblement à mes amis est que, dans l’état actuel des choses politiques, la forme du gouvernement républicain me paraît le seul possible en France. Ni Henri V ni les Orléans, ne sauraient maintenant monter sur un trône – moins encore s’y tenir! Quant aux Napoléons, leurs 9 10

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Cosima Wagner: Tagebücher, s. Anm. 2, Bd. 1, S. 309. „Mitten in die Feiern des Germanismus zu geraten, lockt mich gar nicht“ (La Mara (Hg.): Franz Liszt’s Briefe, s. Anm. 8, Bd. 6, S. 292, datiert auf März 1871). Liszt erfuhr davon aus der Tagespresse, vgl. seinen Brief vom 11. September 1870 an die Fürstin Sayn-Wittgenstein, in: Ebd., Bd. 6, S. 265. Sie konvertierte erst 1872, am 31. Oktober, dem Reformationstag, zum Protestantismus. Manuel Borutta: Antikatholizismus. Deutschland und Italien im Zeitalter der europäischen Kulturkämpfe, Göttingen 2010.

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Dorothea Redepenning chances, quoique vivace encore – reculent avec les cessions de territoire stipulées par le traité de paix. Le nom de Napoléon signifia victoire et agrandissement de la France – non défaite et reddition des provinces! Quelle terrible et navrante pensée que 18 siècles de christianisme, quelques siècles déjà de philosophie, de culture intellectuelle et morale, n’aient pas délivré l’Europe du fléau de la guerre! Combien de temps faudra-t-il encore s’entr’égorger? Quand les préceptes de la religion et les songes d’humanité parviendront-ils à s’effectuer? Le décalogue ordonne de ne point tuer – les philosophes chrétiens et autres prêchent constamment la douceur des mœurs, la bonté, la charité. Néanmoins les hommes se tuent sans cesse par rage et nécessité! Suicides, duels, batailles, ensanglantent le monde – même la justice réclame du bourreau sa plus haute sanction! Ah! que Dieu prenne pitié des générations futures – et que la peine de mort, les duels et les guerres soient à jamais abolis! Les hommes d’État persifflent ces rêveries pastorales, on le sait – mais ils se sont si souvent trompés dans leur fallacieuse sagesse, qu’il n’est pas absolument déraisonnable d’aspirer contre leurs oracles! Pardonnez-moi ces fatrasies humanitaires – auxquels je ne renoncerai qu’avec peine, tout en ne cherchant guère à les imposer à qui que ce soit.14

Aus der Grundhaltung von Resignation und Verzweiflung wird hier ein Bekenntnis zum Pazifismus, das Liszt sogleich ironisiert, wohl wissend, dass es seinen Zeitgenossen, zumal 1870/71, naiv erscheinen musste. Die „fatrasies 14

„Seit sechs Wochen ist die Meinung, die ich gegenüber meinen Freunden bescheiden vertrete, die, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt der politischen Angelegenheiten die republikanische Staatsform mir die einzig mögliche für Frankreich erscheint. Weder Henri V. noch die Orléans könnten heute einen Thron besteigen, noch weniger sich darauf halten! Was die Napoleons betrifft, schwinden ihre wiewohl noch lebhaften Chancen mit den Gebietsverlusten, die der Friedensvertrag vorschreibt. Der Name Napoleon bedeutete Sieg und Expansion für Frankreich, nicht Niederlage und Verzicht auf Provinzen. Welch ein schrecklicher und deprimierender Gedanke, das 18 Jahrhunderte Christentum, schon einige Jahrhunderte der Philosophie, geistiger und moralischer Kultur Europa nicht vor der Geißel des Krieges bewahren konnten! Wie lange muss man sich noch gegenseitig erwürgen? Wann wird es den Weisungen der Religion und den Träumen an die Humanität gelingen, sich zu verwirklichen? Die zehn Gebote verbieten zu töten – die christlichen Philosophen und andere predigen ständig sanfte Sitten, Güte und Nächstenliebe. Dennoch töten sich die Menschen ohne Unterlass aus Wut oder Notwendigkeit! Selbstmord, Duelle, Schlachten verwandeln die Welt in ein Blutbad – selbst die Justiz nimmt den Galgen als ihre höchste Sanktion in Anspruch! Ach! Möge Gott Mitleid mit künftigen Generationen haben – und dass die Todesstrafe, Duelle und Kriege auf immer abgeschafft würden! Die Staatsmänner verhöhnen diese friedlichen Träumereien, man weiß das – aber sie haben sich in ihrer trügerischen Weisheit so oft getäuscht, dass es nicht vollkommen unvernünftig ist, gegen ihre Orakel zu hoffen! Verzeihen Sie mir diesen humanistischen Unsinn – auf den ich nur mit Mühe verzichte, indem ich kaum versuche, ihn wem auch immer aufzudrängen“ (La Mara (Hg.): Franz Liszt’s Briefe, s. Anm. 8, Bd. 6, S. 289f.).

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humanitaires“ – der „humanistische Unsinn“, das sind die Ideale, auf die Liszt seine geistige Identität und sein Tun gebaut hatte: Katholizismus und französische Kultur, verstanden in einem viel breiteren Zusammenhang als die Säulen des christlichen, romanisch geprägten Europas. Aus Äußerungen wie diesen, kann man, auch wenn Liszt das an keiner Stelle explizit sagt, schließen: sein Ideal war eine europäische humanistische Gesellschaft, sie definiert sich durch das Christentum in seiner ursprünglichen, d. h. katholischen Gestalt, und durch eine aufgeklärte, weltbürgerliche Kultur, die vor allem französisch konnotiert ist. Diese Werte wurden mit Preußens Sieg über Frankreich hinweggefegt.

II

Wie reagiert Liszt auf den Paradigmenwechsel?

Für den Weimaraner Liszt waren die großen Themen der Kulturgeschichte und nationale Themen, gekleidet in musikalisches Nationalkolorit, zwei Seiten einer Medaille. Beides gehörte zusammen und war programmatisch ineinander verschränkt. Ebenso hatten alle großen, repräsentativen Gattungen – Oper und Oratorium, Symphonische Dichtung und Symphonie – gleiches Recht auf der Weimarer Bühne. Diesem Konzept war nach 1871 die Grundlage entzogen. Liest man Liszts Briefe der letzten 15 Jahre mit Blick auf diese Werteverschiebung, dann wird deutlich, wie sensibel er diesen Paradigmenwechsel registrierte, auch wenn ihm dieser Terminus nicht zur Verfügung stand. Zwei ausgewählte Textstellen mögen das veranschaulichen: Als Joseph Joachim, Initiator und Rektor der 1869 eröffneten Berliner Musikhochschule, 1873 eine deutsch-national akzentuierte Konzertreihe ins Leben rief, spottete Liszt in einem Brief an den Komponisten Otto Leßmann: Vermöge der von Joachim gestellten Klausel bei den ‚Novitäten-Concerten’ – „dass nur solche Componisten in den Programmen Berücksichtigung erfahren sollen, deren Ruf als künstlerische Vertreter der deutschen Nation feststeht“ – wären Bach, Händel, Mozart, ja selbst Beethoven zu ihrer Lebzeit schlecht weggekommen! Ob es der Berliner Hochschule geziemt, sich vorzugsweise hoffärtig zu gebahren, bleibe dahingestellt. Indessen darf man wohl erwarten, dass ein solches Gebahren auch einige einschränkende ‚Klauseln’ erfährt.15

Mit der Nennung der großen, über alle Zweifel erhabenen Namen wird der Irrsinn solcher Einschränkungen schlaglichtartig greifbar. Sie sind das Gegenteil dessen, was Liszt ein Jahrzehnt lang in Weimar propagiert hatte, und führen unweigerlich in dumme Streitereien und Provinzialismus. Liszt war klar, dass sein „Ruf als künstlerischer Vertreter der deutschen Nation“ zu dieser Zeit 15

24. September 1873 aus Weimar an Otto Leßmann, in: La Mara (Hg.): Franz Liszt’s Briefe, Bd. 2: Von Rom bis anʼs Ende, Leipzig o.J. [1893], S. 192.

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keineswegs feststand. Dass Joseph Joachim in seiner Position so agierte, wirft auch ein Licht auf das kulturelle Klima in der Hauptstadt des jungen deutschen Kaiserreichs: Es ist hier nicht zu entscheiden, ob Joachim aus deutschpatriotischer Gesinnung so handelte oder ob er mit so einer Ausrichtung möglichen antisemitischen Anfeindungen vorbeugen wollte. Dass Kunst zu einer nationalen, jeweils andere Nationen ausschließenden Angelegenheit wurde, galt nicht allein in Deutschland. Bei Carl Riedel, dem Leiter des nach ihm benannten Gesangsvereins, der u.a. die Uraufführung der Graner Messe gesungen hatte, bedankte sich Liszt 1874 für einen Konzertbericht: Mit besonderem Vergnügen bemerke ich, dass Grützmacher [gemeint ist der Cellist Friedrich Grützmacher] eine Suite von Saint-Saëns wählte. Dieser wird zwar nicht kommen können, – um so weniger als ihm vor ein paar Jahren sein Auftreten in einem ganz harmlosen Conzert in Baden-Baden gräßliche Verweise in der Pariser Presse zugezogen hat. Seither hat sich die Stimmung in Frankreich nicht gemildert; den deutschen Künstlern aber geziemt es, sich billig und gerecht gegen den Auswärtigen zu zeigen, und solange Auber’s und Gounod’s Opern auf allen deutschen Bühnen fungieren, sehe ich keinen triftigen Grund gegen die Berücksichtigung und Aufführung anderer Werke von französischen Componisten. Unter den neueren schätze ich Saint-Saëns und Massenet als die tüchtigsten und begabtesten.16

Das lässt ahnen, wie tief der Riss drei Jahre nach Kriegsende immer noch war, und welchen Schaden die Kultur beider Länder dadurch erlitt. Liszts Blick richtet sich auch auf die Ungereimtheiten einer nationalistischen Position. Populäre Werke, die sich seit vielen Jahren im Repertoire halten, sind in die nationale Kultur eingemeindet. Dass ihre Komponisten keinesfalls zu den „künstlerischen Vertretern der deutschen Nation“ gehören, wird erst in dem Moment vermerkt, wenn es um neue oder unbekannte Werke geht. Damit benennt Liszt die Verlogenheit nationalistischer Positionen. Zugleich wird deutlich, dass Liszt sich – nach wie vor und wohl auch nun erst recht – für Kompositionen aus allen Ländern interessierte und sie, soweit es ihm möglich war, propagierte. Camille Saint-Saëns’ Werke schätze er hoch; zudem verband beide eine herzliche Freundschaft. So nimmt es nicht wunder, dass Liszt sich Saint-Saëns’ historische Oper Henry VIII begeistert äußerte: Puisse l’abominable ergoteur et sanglant doctrinaire, Henri VIII, fournir un éclatant et durable succès à St Saëns, qui le mérite grandement; mais en fait d’opéras sérieux le public est arrivé à ce point de blasement que le mot d’un naïf réformateur allemand, Ronge, explique: ‘Ce que nous avons, nous ne voulons plus; et ce que nous voudrions, on ne le sait guère.’ Wagner a su vouloir et perpétrer – glorieusement, quoique et parce que son œuvre s’immortalise déjà.17 16 17

Brief vom 9. Mai 1874 aus Pest an Carl Riedel, in: Ebd., Bd. 2, S. 201. „Möge der abscheuliche Streiter und blutige Doktrinär Henry VIII. Saint-Saëns einen

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Liszts Bedenken sind vielsagend: Ein herausragendes französisches Werk über ein Sujet aus der englischen Geschichte wird wegen des Universalitätsanspruchs, den Wagner und die Wagner-Propaganda geltend machen, kaum eine Chance haben. Das hindert Liszt aber keinesfalls, den künstlerischen Rang von Wagners Werken anzuerkennen und zu würdigen. Saint-Saëns’ Henry VIII versuchte Liszt, wissend, dass so ein Werk in Deutschland schwerlich unterzubringen ist, in Budapest anzupreisen. Die Uraufführung des Henry VIII fand am 5. März 1883 an der Opéra statt; einen Tag später erbat sich Liszt von Malwine Tardieu den Pressebericht, um ihn in der französischsprachigen Gazzette de Hongrie unterbringen zu lassen.18 Wohl davon ausgehend, dass Sujets aus der nationalen Geschichte dem internationalen Geschmack der Zeit entsprachen, hatte Liszt in Wien, Prag und Budapest auf Henry VIII. aufmerksam gemacht. Im April und Mai 1884 unterrichtete Liszt Saint-Saëns von seinen Bemühungen:19 Das Budapester Opernhaus solle im September 1884 mit Ferenc Erkels historischer Oper István király (Le Roi St. Etienne) eröffnet werden, dann seien weitere Opern von ungarischen Komponisten über ungarische Sujets geplant, so dass die Chancen nicht gut stünden. Erkel stellt Liszt als den Autor von Hunyadi Laszlo und Bank Ban vor, die beide weit mehr als hundert Aufführungen erlebt hatten, „ohne je die Grenze überquert zu haben.“20 Im ungarischen, französischen und deutschen Musikleben konstatiert Liszt jeweils nationalistische Verhärtungen, mit denen Desinteresse und Intoleranz gegen die jeweils anderen, überhaupt gegen andere einhergeht – es sei denn, es ist von lange etablierten Werken die Rede, auf die niemand verzichten will, oder von Werken, die man als exotisch goutieren kann. Eine derartige Musikpflege und Musikpolitik widersprach nicht nur dem, was Liszt im Weimarer Jahrzehnt ins Leben gerufen und emphatisch mit dem Begriff „Zukunftsmusik“ verknüpft hatte, sondern es machte auch deutlich, dass für seine Kunst und sein Kunstverständnis in so einem Partikularismus kein Platz war. Auch darüber war sich Liszt im Klaren, er begründete es aber mit der Einseitigkeit der Repertoiregestaltung.

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durchschlagenden und dauerhaften Erfolg bescheren, den er wirklich verdient; doch was ernste Opern angeht, ist das Publikum an jenem Punkt der Sättigung angekommen, den das Wort eines naiven deutschen Reformators, Ronge, so erklärt: ‚Was wir haben, wollen wir nicht mehr; und was wir möchten, wissen wir kaum.‘ Wagner hat zu wollen verstanden und durchzuhalten – glorreich, obwohl und deshalb. Sein Werk ist schon dabei, unsterblich zu werden.“ (Brief vom 12. September 1882 an Malwine Tardieu, in: Ebd., Bd. 2, S. 330). Brief vom 6. März 1883 an Malwine Tardieu, in: Ebd., Bd. 2, S. 349f. Brief von April/Mai 1884 an Saint-Saëns, in: Ebd., Bd. 2, S. 360. „Sans jamais dépasser la frontière“ (Brief vom 29. April 1884, in: Ebd., Bd. 2, S 359).

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Dorothea Redepenning Hélas! tout ce qui n’est pas du théâtre et n’appartient pas au répertoire des anciens maitres classiques, Händel, Bach, Palestrina etc. ne jouit pas encore de la considération attentive et payante – critérium décisif – du public. Berlioz, de son vivant, en fournit la preuve.21

Die tiefe Resignation, die Liszt nach 1871 erfasste und die in dem kleinen Orgelstück Resignatione (1877-81) Ausdruck findet, wurzelt auch in der Erkenntnis, dass nach 1871 eine Welt entstanden war, in der die künstlerischen Ziele, für die Liszt gekämpft hatte und immer noch bereit war zu kämpfen, entweder obsolet geworden waren oder eine nationalistische Wendung genommen hatten. Was Liszt 1854 für Weimar gefordert hatte: „Planvolles, unparteiisches Alterniren mit den besten Werken italienischer, französischer und deutscher Meister, ohne Vorurtheil gegen ein oder das andere Genre, ohne Ausnahme einer oder der anderen Schule“,22 mutete nach 1871 unzeitgemäß an. Weder die Budapester noch die Pariser noch die Berliner Intendanz hätte nach so einer Devise handeln können; und der Universalitätsanspruch, der hinter Liszts Konzept stand und dem er nicht entsagen wollte, hatte sich in Bayreuth als Universalitätsanspruch Wagners und seines Œuvres im Sinne eines deutschen Hegemonialanspruchs verwirklicht. Vor diesem Hintergrund mutet es seltsam, fast starrköpfig an – genauer, es kündet von Noblesse, dass Liszt am patriotischen Bekenntnis zu Ungarn und am künstlerischen Bekenntnis zu Wagner unbeirrbar festhielt. Die Äußerungen zum Ring des Nibelungen und zum Parsifal zeugen von höchster Achtung, klingen aber auch merkwürdig steif: „Meine Unzufriedenheit mit mir selbst findet reichlich Trost in der immer sprossenden Freude an den Meisterwerken der Vor- und Jetztzeit: – am meisten in Wagner’s hehren Wort-Tonschöpfungen“,23 heißt es in einem Brief vom 6. Januar 1878 an Kornel von Abrányi, und anlässlich der Uraufführung des Parsifal: „Bei und nach der gestrigen Darstellung […] war der allgemeine Eindruck, dass sich über dieses Wunderwerk nichts sagen lässt. Ja wohl verstummt es die davon tief ergriffenen: sein weihevoller Pendel schlägt vom Erhabenen zum Erhabensten.“24

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„Ach! Alles, was nicht Theater ist und nicht zum Repertoire der klassischen alten Meister, Händel, Bach, Palestrina usw. gehört, genießt noch nicht die aufmerksame und – entscheidendes Kriterium – zahlende Beachtung der Öffentlichkeit. Berlioz, zu seinen Lebzeiten, war der Beweis“ (Brief vom 6. März 1883 an Malwine Tardieu, in: Ebd., Bd. 2, S. 349f). Formulierung in Liszts programmatischem Artikel: Weberʼs Euryanthe, in: NZfM 1854, in: Franz Liszt Sämtliche Schriften, Bd. 5: Dramaturgische Blätter, hg. von Dorothea Redepenning/Britta Schilling, Wiesbaden 1989, S. 6. La Mara (Hg.): Franz Liszt’s Briefe, s. Anm. 15, Bd. 2, S.276. Brief vom 27. Juli 1882 an Hans von Wolzogen, in: Ebd., Bd. 2, S. 329.

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Es ist müßig, darüber zu spekulieren, ob Liszt im Nachhinein bereut hat, sich nicht unbeirrt und rücksichtslos wie Wagner auf das eigene Werk und hier auf eine einheitliche Ausrichtung konzentriert zu haben. Sicher aber hat er erkannt, dass das kulturelle Klima nach 1871 und im nunmehr existierenden deutschen Nationalsaat für Wagner günstig, für ihn selbst aber, ungeachtet mancher äußerer Erfolge, fragwürdig geworden war. Sein ungarischer Patriotismus blieb für Liszt eine Verpflichtung. Das wird im Zusammenhang mit der Gründung der Budapester Musikakademie 1875, der Flutkatastrophe 1876 und der Pariser Weltausstellung 1878 gleichermaßen deutlich. Was er dem Komponisten Edmund von Mihalovich angesichts der Startschwierigkeiten der Musikakademie versichert, ist ungeachtet der theatralischen Formulierung aufrichtig: Je ne veux plus me répéter que sur un seul point: mon religieux dévouement à notre pays et notre art. Les servir quelque peu, selon la modique mesure de mon talent, soit en travaillant isolé à mes manuscrits (ce qui m’est beaucoup le plus commode), soit en coopérant avec mes amis aux choses du domaine public, voilà mon simple et exclusif désir, tout à fait dénué des prétentions personnelles et de vaniteux soucis qu’on m’impute á tort.25

Die Reise nach Paris betrachtete Liszt als Dienst am Vaterland, obwohl ihm klar war, dass ihn das auf vier Wochen bindet. Gegenüber seinem Cousin Eduard begründete er: „Ohne jemals Geschwätz-Patriotismus zu treiben, stelle ich gerne bescheidenst meinen Mann, wo es gilt, für Ungarn etwas zu tuen.“26

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„Ich will mich nicht mehr wiederholen, abgesehen von einem Punkt: meine religiöse Hingabe an unser Land und unsere Kunst. Ihnen ein wenig zu dienen, wie mein bescheidenes Talent es zulässt, sei es, indem ich isoliert an meinen Manuskripten arbeite (was mir das angenehmste ist), sei es in Kooperation mit meinen Freunden an Dingen des öffentlichen Bereichs, das ist mein schlichter und ausschließlicher Wunsch, ganz frei von persönlichen Ansprüchen und eitlen Sorgen, die man mir zu Unrecht unterstellt.“ (Brief vom 8. Dezember 1874 an Edmund von Mihalovich, in: Ebd., Bd. 2, S. 215). Brief vom 2. April 1878 an Eduard von Liszt, in: Ebd., Bd. 2, S. 269; Was das heißt, hat Liszt gegenüber der Fürstin erläutert: „Mon office ne sera pas divertissant – il me faudra entendre et apprécier plusieurs centaines d’instruments de musique, depuis les pianos et pianinos jusqu’aux flutes langoureuses et les trompettes exterminantes, plus les tubas et les guitares! Du 28 Mai au 18 Juni, je resterai à Paris.“ (Brief vom 7. Mai 1878 aus Weimar, in: La Mara (Hg.): Franz Liszt’s Briefe, Bd. 7: Briefe an die Fürstin Carolyne Sayn-Wittgenstein, vierter Teil, Leipzig 1902, S. 218). [„Mein Geschäft wird nicht unterhaltsam werden – ich muss mehrere hundert Instrumente hören und würdigen, von Klavieren und Pianinos bis hin zu schmachtenden Flöten und vernichtenden Trompeten, dazu noch Tuben und Gitarren! Vom 28. Mai bis 18. Juni bleibe ich in Paris“].

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Die schöne Formulierung Geschwätz-Patriotismus macht klar: Es geht Liszt um künstlerische und kulturpolitische Aktion, für Ungarn – ebenso wie für alle hohen Werte: „Mes amis sont ceux qui hantent l’idéal, cher ami, nous nous reconnaissons et nous reconnaitrons toujours“,27 heißt es im selben Brief an Mihalovich. Umso härter traf Liszt die Empörung über sein Buch Les Bohémiens et leur musique en Hongrie, das 1882 in zweiter Auflage und von der Fürstin SaynWittgenstein um antisemitische Passagen erweitert erschienen war. Liszt verwahrte sich gegen den Vorwurf des Antisemitismus mit einem Offenen Brief in der Gazette de Hongrie vom 8.02.1883,28 ohne auf Einzelheiten des Zustandekommens der Neuauflage einzugehen. Das Ungarische Königslied, das Liszt für die Eröffnung des Budapester Opernhauses im September 1884 zeitig geschrieben und in diversen Fassungen bereitgestellt hatte, wurde wegen seiner angeblich revolutionären Melodie abgelehnt. Alan Walker vermutet zurecht, dass es weniger um den Namen Rákóczi ging, der im ursprünglichen Text vorkam, als um die Sorge, dass es nach der Unruhe wegen des Zigeunerbuchs zu einem Eklat kommen könnte.29

III

Wie verhält sich der Komponist Liszt?

Ein Blick in Liszts Werkverzeichnis lehrt, dass er die Nationalisierung nicht mitmachte, vielleicht sogar gezielt unterwanderte. Hatte er in Weimar ein von nationalen Zuordnungen unabhängiges Konzept verfolgt, dabei aber die „hohen“ Gattungen der Symphonik und vokalen Symphonik ins Zentrum seines Schaffens gestellt, so treten nach 1871 wieder Bearbeitungen aller Art in den Vordergrund. Die Walhall-Bearbeitung schickte Liszt im November 1876, wenige Monate nach der Uraufführung des gesamten Rings an Breitkopf und Härtel mit der Erläuterung: Nebenbei bemerkt waren meine Wagner-Transcriptionen keineswegs Sache der Speculation für mich. Erschienen Anfang der 50er Jahre, wo allein das Weimarer Theater die Ehre hatte, Tannhäuser, Lohengrin und den fliegenden Holländer aufzuführen, dienten solche Trenscriptionen nur als bescheidende Propaganda am dürftigen Clavier für den hehren Genius Wagner’s, dessen strahlender Ruhm jetzt und hinfort dem Stolze Deutschlands angehört.30

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„Meine Freunde sind jene, die das Ideal anstreben, lieber Freund, wir erkennen uns und werden uns immer erkennen.“ (Brief vom 8. Dezember 1874 an Edmund von Mihalovich, in: La Mara (Hg.): Franz Liszt’s Briefe, s. Anm. 15, Bd. 2, S. 215). Ebd., Bd. 2, S. 344-346, vgl. Alan Walker: Franz Liszt, Bd. 3: The final years, 18611886, London 1997, S.408. Walker: Franz Liszt, s. Anm. 28, Bd. 3, S. 405ff. Brief vom 23. November 1876 an Breitkopf , in: La Mara (Hg.): Franz Liszt’s Briefe, s. Anm. 15, Bd. 2, S. 247.

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Wagner brauchte solche Reklame nicht mehr. Liszt aber hatte offenkundig Freude daran. Stellt man die späten Wagner- und Verdi-Bearbeitungen31 gegenüber, dann wird sichtbar, dass beide Komponisten jedenfalls nach 1870 bei Liszt gleichberechtigt sind (Übersicht I). Aus Liszts Perspektive ging es offenbar darum, aktuelle Werke für das Klavier zu adaptieren, und bei Wagner auch um Vollständigkeit. Schaut man in Liszts Schaffen zurück, dann sieht man, dass sich das Verhältnis zwischen diesen beiden Komponisten für Liszt – als Bearbeiter – auch früher nicht anders darstellte. Zieht man alle Bearbeitungen fremder Werke nach 1871 in Betracht, dann gewinnt man den Eindruck, dass Liszt nun noch viel internationaler und historisch breiter denkt (Übersicht II): Händels Almira, eine Melodie des PalestrinaForschers Giuseppe Baini, Massenet und Saint-Saëns, die russischen Komponisten, für die Liszt sich seit den 1870er Jahren nachdrücklich interessierte, Peter Cornelius’ Barbier von Bagdad, die Danses galiciennes des jung verstorbenen polnischen Komponisten Juliusz Zarębski – es geht nicht darum, welchen Kunstanspruch diese Werke und Liszts Bearbeitungen dazu beanspruchen dürfen, sondern darum, dass Liszt sich offensichtlich für die Musik aus anderen Ländern interessierte und ganz bewusst über die nationalen Borniertheiten seiner näheren Zeitgenossen hinausblickte. Ein statistischer Blick auf das Werkverzeichnis erhellt weiter, dass das Thema Ungarn für Liszt aktuell blieb und dass er weiterhin, lokalpatriotische Interessen bediente (Übersicht III). Für die Enthüllung des Carl-August-Denkmals am 3. September 1875 verfasste er den „einen kurzen, einfach populär gehaltenen Chorgesang“32 Der Herr bewahret die Seelen seiner Heiligen (96. Psalm, V. 10-11), den Festgesang Carl August weilt mit uns sowie eine Hymne Kaiser Wilhelm!, die bis heute unveröffentlicht geblieben ist. Mit Werken dieser Art hatte Liszt auch früher dem Weimarer Hof gedient. Für die Säkularfeier vom 3. bis 5. September 1857, bei der u.a. der Grundstein für das Carl-August-Denkmal gelegt worden war, hatte er Weimars Volkslied in mehreren Fassungen bereitgestellt. Solche Werke betrachtete er offenbar als Dienst oder als Verpflichtung, sei es gegenüber seinen einstigen Dienstherrn, sei es gegenüber dem ungarischen Staat (Übersicht IV). Der Festgesang Ungarns Gott, verfasst für das Nationale Chorfest in Debrecen, und das Ungarische Königslied, das Liszt für die Eröffnung des Budapester Opernhauses vorgesehen hatte, folgen dem gleichen Muster wie die Weimaraner lokalpatriotischen Gesänge. Daraus und im Lichte der vielen unterschiedlichen Bearbeitungen kann man schlussfolgern, dass Liszt sich nicht nationalistische Vorstellungen zu eigen machte, sondern – modern gesprochen – ein bestimmtes Format bediente. 31

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Vgl. dazu Detlef Altenburg: Verdis Geist aus Liszts Händen: Opernbearbeitung und Ideentransfer im Europa des 19. Jahrhunderts, in: Liszt und Europa (Weimarer LisztStudien 5), hg. von dems./Harriet Oelers, Laaber 2008, S. 169-183. Brief vom 17. Juli 1875 an Eduard von Liszt, in: La Mara (Hg.): Franz Liszt’s Briefe, s. Anm. 15, Bd. 2, S. 223.

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Liszt betrachtete sich nach wie vor als „Programm-Komponist“.33 Wenn die Verschmelzung von Literatur und Musik die Kernidee in Liszts Schaffen ist und im Weimarer Konzept programmatisch mit „Zukunftsmusik“ verknüpft war und wenn diese Idee zugleich weltbürgerliches und nationales Denken als zwei Seiten einer Medaille emphatisch mit einschloss, so dass sie in hohem, pathetischen Ton formuliert und mit einer Apotheose gekrönt werden konnte, dann besagen die späten Werke, dass dieses schöne Ideengebäude zusammengestürzt ist. Trauer, religiöse Zuversicht, Ungarn als eine poetische Idee, makabre Tänze und das Vergessen (Übersicht V) – dies sind die programmatischen Themen des späten Liszt, Themen, die keine Apotheosen, ja nicht einmal mehr große Formen zulassen. Eine Romance und vier Valses führen das Wort oublié im Titel. Als Gattungen gehören beide in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. Was „oublié“ heißt, hat Liszt anlässlich einer Hamlet-Oper von Alexander Stadtfeld verdeutlicht, die Anfang der 1850er Jahre entstanden war und 1882 posthum uraufgeführt wurde. L’opéra de Hamlet de Stadtfeld […] est du meilleur genre Meyerbeer-Donizetti que je connaisse. L’invasion Wagner modifie singulièrement à présent les exigences théâtrales. Plus moyen d’écrire un „Hamlet“ selon la coutume d’un Duprez, ténor absolu quelconque, avec le fameux ut de poitrine, ne de faire intervenir l’Ombre du papa de „Hamlet“ afin d’effectuer un Trio ou Quatuor, même de jolie facture musicale. Donc l’œuvre distinguée de Stadtfeld appartient au passé théâtral, si riche en oubli …34

Cosima Wagner hat diesen Aspekt schon 1871 unter dem frischen Eindruck des Krieges und der Reichsgründung formuliert: Während die Kinder mit Vreneli beim Kasperl sind, unterhalte ich mich mit R. über den Vater und dessen Wirkung auf die Leute mit solchen Sachen wie Norma, Somnambula, ‚er ist der Illustrator einer untergehenden Welt gewesen‘, sagt R., so z. B. die ‚Zigeunerweisen‘, die keinen Anspruch auf dauernde Kunst machen können; Mittelpunkt dieses Wesens war das nun verschwundene Paris‘.“35 33 34

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Brief vom 26. September 1877 an Breitkopf und Härtel, in: Ebd., Bd. 2, S. 259. „Die Hamlet-Oper von Stadtfeld [...] ist von der besten Meyerbeer-Donizetti-Art, die ich kenne. Die Wagner-Invasion verändert auf einzigartige Weise die gegenwärtigen Theaterbedingungen. Keine Möglichkeit mehr, einen Hamlet nach der Art eines Duprez zu schreiben, eines beliebigen absoluten Tenors mit dem berühmten Brust-C, auch nicht den Schatten von Hamlets Papa eingreifen zu lassen, um dann ein Trio oder ein Quartett folgen zu lassen, selbst wenn es von schöner musikalischer Gestalt ist. Also gehört das erlesene Werk Stadtfelds der theatralen Vergangenheit an, die so reich an Vergessenem ist.“ (Brief vom 10. Juni 1882 an Malwine Tardieu, in: Ebd., Bd. 2, S. 326; Alexander Stadtfeld (1826-1853), Oper Hamlet, 1851-1853, UA Weimar 1882). Cosima Wagner: Tagebücher, s. Anm. 2, Bd. 1, S. 448.

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Diese „untergegangene Welt“ der italienischen und französischen Opern, der Paraphrasen und Klavierwalzer tragen Liszts späte Werke zu Grabe. Wenn man die kompositorischen Verfahren dazu beschreiben will, ohne zugleich abzuwerten, muss man zu einem Terminus wie Dekonstruktion greifen, der in den 1970er Jahren zur Beschreibung literarischer Verfahren geprägt wurde: Die Abschnitte, die – in den Valses, in der Romance, in den Trauerstücken – periodisch strukturiert sind, bilden quasi Inseln in einstimmigen, also nicht harmonisierten und nicht periodisch geordneten Teilen. So wird in die musikalische Form gleichsam ein Zeitfaktor – Vergänglichkeit, Vergessen – mit einkomponiert. Sehr anschaulich ist dieses Verfahren in den Historischen Ungarischen Bildnissen,36 die Persönlichkeiten – toten Persönlichkeiten – aus der ungarischen Kultur und Politik gewidmet sind (Übersicht VI). Durch ausgedehnte „vorthematische“ Partien zu Beginn und am Ende wirken die periodisch gebauten und mit funktionaler Harmonik verknüpften Abschnitte im Zentrum wie Zitate, wie musikalisch in Anführungszeichen gesetzt. Diese thematischen Teile sind ihrerseits durch Repetitionen und Rückungen fragmentiert (Széchenyi) oder durch Chromatik und permanentes Ostinato der Periodizität entzogen (Teleki). Solche Verfahren tragen auch dazu bei, dass der heroisch-apotheotische Ton, der in jedem der sieben Sätze anklingt, gebrochen wirkt.

Fazit Liszts viel zitiertes Wort, dass er seinen „Speer in den unendlichen Raum der Zukunft“37 werfen wolle, ist am Beispiel seiner Harmonik und Formbildung ausführlich gezeigt worden. Nachdrücklich betont werden sollte noch einmal, dass die Innovationen im harmonischen Bereich von Anfang an, in den frühen Harmonies poétiques et religieuses (1832), in den Symphonischen Dichtungen und Symphonien und sogar in den schlichten geistlichen Chorwerken der 1860er Jahre präsent sind. Innovative Harmonik ist eher ein personalstilistisches Phänomen als eine Eigentümlichkeit des Spätwerks. Allerdings tritt sie hier deutlicher hervor, weil sie rücksichtsloser formuliert ist. Liszt definierte sich, idealtypisch zugespitzt, über vier Koordinaten: 1

über das Bekenntnis zu Ungarn, das er 1838 mit Pathos öffentlich machte und literarisch poetisierend in das Modell des in der Diaspora lebenden Sohnes kleidete, der in der Stunde der Not herbeieilt, das Vaterland zu retten,

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Karen Walker Browns Dissertation An analysis of the Historical Hungarian portraits of Franz Liszt, University of Oregon 1990, befasst sich mit Harmonik und Skalenbildung. Brief an die Fürstin vom 9. Februar 1874, in: La Mara (Hg.): Franz Liszt’s Briefe, s. Anm. 26, Bd. 7, S. 58.

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Dorothea Redepenning

über das Bekenntnis zur großen Kunst, die sich über nationale Beschränktheiten erhebt, das er in Weimar als kulturpolitisches Programm durchzusetzen versuchte und das sich emphatisch mit der Idee des Fortschritts und der Zukunftsmusik verband, über das Bekenntnis zu Frankreich als Basis der europäischen Kultur, das Liszt erst bewusst formuliert, als der von ihm verehrte Napoleon III. scheitert, über den Katholizismus als geistiger Pol seiner Welt und Zuflucht in Not.

In diesen Koordinaten sind nationales Denken und Weltbürgertum als zwei sich gegenseitig bedingende Haltungen enthalten. Keine dieser Koordinaten überstand die großen Umbrüche um 1870. Ungarn hatte durch die Errichtung der Doppelmonarchie einen Status erhalten, der nationalistischen Tendenzen Vorschub leistete. Die Idee der Zukunftsmusik war mit Wagner und Bayreuth zu einer deutsch-nationalen, auch nationalistisch-partikularistischen Gegenwartsmusik mit Universalitätsanspruch geworden. Frankreich hatte seine kulturelle Führungsposition eingebüßt; ebenso hatte der Katholizismus nach der nationalstaatlichen Einigung Italiens und nach dem Unfehlbarkeitsdogma Einbußen erlitten und die Freigeister unter seinen Anhängern brüskiert. Liszt fügte sich: „Qui se dit catholique doit obéir – ‚in articulo mortis‘ à tout le moins. C’est claire et irrécusable!“38 Man greift sicher nicht zu kurz, wenn man sagt, die Ereignisse um 1870 bedeuteten für Liszt eine Katastrophe, die Zerschlagung seines Weltbilds. In dieser Perspektive sind die ungarischen und Trauerstücke, die religiösen Meditationen und das große Oublié, die zerfallenden Formen und die nicht mehr funktionale Harmonik ein stiller Abgesang auf eine untergegangene Welt und eine radikale Antwort auf die lärmenden Apotheosen der Gegenwart.

38

„Wer sich katholisch nennt, muss gehorchen – zumindest in der Todesstunde. Das ist klar und unwiderruflich!“ (Brief an die Fürstin, in: La Mara (Hg.): Franz Liszt’s Briefe, s. Anm. 8, Bd. 6, S. 291).

Liszts Spätwerk

177

Übersicht I – Wagner- und Verdi-Bearbeitungen ab 1871

Wagner-Bearbeitungen 1871 1872 1875 1882

„Am stillen Herd“ aus den Meistersingern (A 254)39 – UA 1868 Ballade aus dem fliegenden Holländer (A 259) – UA 1843 „Walhall“ aus dem Ring des Nibelungen (A 269) – UA des ganzen Ring 1876 „Feierlicher Marsch zum heiligen Gral“ aus Parsifal (A 315) – UA 1882

Verdi-Bearbeitungen 1876 (?) 1877-1822 1882

Aida, danza sacra e duetto finale (A 276) – UA 1871 Agnus Dei de la Messe de Requiem für Klavier (A 284), für Orgel oder Harmonium (E 29) – UA 1874 Réminiscences de Boccanegra (A 314) – UA Endfassung 1881

Übersicht II – späte Bearbeitungen 1874 1876 1877-1880 1879 1879 1879 1879 1879 1880

39

Dantes Sonett Tanto gentile e tanto onesta – nach einem Lied von Hans von Bülow (A 265) Danse macabre [Saint-Saëns] (A 273) Peter Cornelius: Zweite Ouvertüre zum Barbier von Bagdad (G 38) Sarabande und Chaconne aus dem Singspiel Almira von Händel (A 290) Tarantelle, transcrite et amplifiée pour le piano à deux mains – nach Dargomyzhski (A 291) Revive Szegedin, marche hongroise de Szabady – nach Massenets Marche héroïque de Szabadi (A292) Polonaise aus der Oper Jewgeny Onegin (A 293) O Roma nobilis – nach Giuseppe Baini (A 294) und für Chor (J 36) Seconda mazurka variata da Pier Adolfo Tirindelli (A 297)

Diese Angaben beziehen sich auf das von Mária Eckhardt und Rena Mueller erstellte Werkverzeichnis: Art. Franz Liszt. Works, in: oxfordmusiconline.com, Web, letzter Zugriff 10.12.2014).

178 1880 1881-1882 1881 1883 (?) 1885

Dorothea Redepenning

Liebesszene und Fortunas Kugel aus Die sieben Todsünden von Adalbert von Goldschmidt (A 298) Danses galiciennes von J. Zarębski (G 39) O! wenn es doch immer so bliebe – über Lied von Anton Rubinstein (A 304) Der Asra –über ein Lied von Anton Rubinstein (A 329) Tarantelle – nach C. Cui (A 327)

Übersicht III – Weimarer Lokalpatriotismus 1875 1875

1875 1857

Der Herr bewahret die Seelen seiner Heiligen (96. Psalm, V. 10-11; I 6) Carl August weilt mit uns, Festgesang zur Enthüllung des CarlAugust-Denkmals in Weimar für Männerchor, Blechbläser und Schlagzeug, Klavierfassung (A 268) Kaiser Wilhelm! Nationale Hymne (A 272) Weimars Volkslied (Peter Cornelius) für Männerchor; Blasorchester, Schlagzeug in E-Dur und für gemischten Chor im Unisono in Blasorchester in C-Dur (L 10) als Lied mit Klavierbegleitung (N 54) für verschiedene Chorbesetzungen mit Klavierbegleitung (M 32) als Klavierstück (A 191) für Klavier vierhändig (B 16) für Orgel oder Harmonium (E 6)

Übersicht IV – ungarischer Patriotismus 1881

1883

A magyarok Istene (Ungarns Gott) für Bariton, Männerstimmen, Blasorchester, Schlagzeug (L 16) für Bariton, Männerstimmen ad libitum und Klavier (M 37) für Klavier und für Klavier, für die linke Hand(A 309) für Orgel oder Harmonium (E 37) – für Orchester (G 40) yar király-dal (Ungarisches Königslied) für Männerstimmen a cappella, gemischte Stimmen a capella, Männerstimmen mit Klavier, gemischte Stimmen mit Klavier, Männer- oder gemischte Stimmen mit Orchester, Kinderstimmen (L 17) für Singstimme und Klavier (N 81) für Klavier (A 328) für Klavier vierhändig (B 60)

Liszts Spätwerk

Übersicht V – späte Klavierwerke (ohne Bearbeitungen) 1872 1872 1874 1874-1876 1877 1877 1877 1877 1877-1882

1878-1881 1880 1880 1881 1881 1881 1881-1884 1881 1881/1882 1882/1883 1882-1885 1883 1883 1883 1884 1885 1885 1885 1885 1885

Impromptu (Nocturne, A 256) Einleitung und Ungarischer Marsch (A 258) Elegie I (Schlummerlied im Grabe, A 266) Weihnachtsbaum (12 Stücke, A 267) Elegie II (A 277) Sancta Dorothea (A 278) Dem Andenken Petöfis (A 279) Receuillement (A 280) Années de pèlerinage, troisième année (A 283) 1. Angelus! Prière aux anges gardiens 2. Aux cyprès de la Villa d’Este, thrénodie 3. Aux cyprès de la Villa d’Este, thrénodie 4. Les jeux d’eaux à la Villa d’Este 5. Sunt lacrymae rerum, en mode hongrois 6. Marche funèbre 7. Sursum corda Zweiter Mephisto-Walzer (A 288) Romance oubliée (A 299) In festo transfigurationis Domini nostri Jesu Christi (A 300) Trübe Wolken (Nuages gris, A 305)) Ave Maria (A 308) Von der Wiege bis zum Grabe (diverse Fassungen) 4 Valses oubliées (A 311) Unstern! Sinistre, disastro (A 312) Csárdás macabre (A 313) Mephisto-Polka (A 317) La lugubre gondola, 2 unterschiedliche Stücke (A 319) R.W.–Venezia (A 320) Am Grabe Richard Wagners (A 321) Schlaflos, Frage und Antwort, nocturne (A 322) 2 Czárdás (Czárdás und Czárdás obstiné, A 323) Trauervorspiel und Trauermarsch (A 324) Historische ungarische Bildnisse (7 Sätze, A 355) En rêve, nocturne (A 336) Vierter Mephisto Walzer (A 337) Bagatelle ohne Tonart (Bagatelle sans tonalité, A 338)

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Übersicht VI – Historische ungarische Bildnisse 1 2 3

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Stephan Széchényi – Graf István Széchényi (1791-1860, Staatsmann, Reformer, führend in der liberalen Bewegung) Franz Deák – Ferenc Deák (1803-1876), Politiker, leitete den Ausgleich mit Östereich 1867 in die Wege Ladislaus Teleki – Graf László Teleki (1811-1861) Schriftsteller und Staatsmann, beteiligte sich an der Revolution, in Abwesenheit zum Tode verurteilt, lange im Ausland, Anfang 1861 begnadigt und Rückkehr nach Ungarn, endete durch Suizid Josef Eötvös – Baron Jószef Eötvös (1813-1861), Schriftsteller und Staatsmann, trat für die Gleichstellung der jüdschen Bevölkerung ein; Eötvös, Deák und Széchenyi standen während der Revolution für die pazifistische Seite des Ministerrats Michael Vörösmarty – Mihály Vörösmarty (1800-1855), Dichter, Schriftsteller, Übersetzer Alexander Petőfi – Sándor Petőfi (1823-1849), Dichter, kam als Freiheitskämpfer bei der Revolution ums Leben Michael Mosonyi – Mihály Mosonyi (1815-1870), Komponist

III

REZEPTION UND TRANSFER

Rhapsodie hongroise, Rhapsodie roumaine. Versuch einer „nationalen Musik“ Valentina Sandu-Dediu (Bukarest) (aus dem Rumänischen von Sorin Georgescu) Like other young states constituted after the 1848 European revolutions, Romania aims for cultural modernity. The concepts of nation and nationalism are significant for writers and composers: some of them are trying to define a Romanian identity through folklore. In such a context, the idea of Franz Liszt – to include the national flavour within romantic music by citations from popular music – seems inspiring. I will focus on some points made by traditional Romanian musicology about Liszt’s concert tours in Romania (1846, then 1879), on some ‘mythology’ surrounding these tours, and also on possible influences of Liszt on Romanian composers.

Ähnlich wie andere junge Nationen Osteuropas, schlug auch Rumänien nach der Revolution von 1848 den Weg der gesellschaftlich-kulturellen Modernisierung ein. Konzepte wie „Nation“ und „Nationalismus“ waren zentrale Begriffe, mit denen sich Literaten und Komponisten auseinandersetzten. Das Zurückgreifen auf die Folklore wurde als erster Schritt angesehen, um eine eigene Identität zu definieren, die einen nationalen Kanon in der Musik entstehen lassen würde – erste Versuche in dieser Richtung hatte es bereits in den ersten Dekaden des 19. Jahrhunderts gegeben. Das Interesse an der Volksmusik nahm mit der Entdeckung der musikalisch-literarischen Folklore zu – übrigens ein typisches Merkmal der romantischen Haltung, wobei sich der nicht-wissenschaftliche Charakter der sogenannten „Folkloresammlungen“ noch in zahlreichen Anthologien aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts feststellen lässt. So erschienen verschiedene Bände „Rumänischer Nationalarien“ mit einem äußerst eklektizistischen Inhalt. Neben städtischer Volksmusik findet man hier als Melodiequellen populäre ausländische Romanzen (gefühlsbetonende französische Chansons, Salonmusik, russische volkstümliche Romanzen); somit wurde die Grenze zwischen dem Volkstümlichen und dem „Akademischen“ häufig verwischt. Diese widersprüchlichen Charakterzüge weisen alle Emanzipationsprozesse der „Nationalschulen“ in Osteuropa auf.1 1

S. Valentina Sandu-Dediu: Rumänische Musik nach 1944, Saarbrücken 2006, Anhang 2, S.235-257 („Zum historischen und stilistischen Hintergrund der rumänischen Musik des 19. Jahrhunderts und beginnenden 20.Jahrhunderts“).

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Valentina Sandu-Dediu

Vor diesem Hintergrund dürfte die Idee Franz Liszts, der Musik mittels Bearbeitung folkloristischer Zitate einen „nationalen Geist“ einzuhauchen, den rumänischen Musikern sehr naheliegend erschienen sein, insbesondere nach der umjubelten Tournee des Pianisten Liszt in den rumänischen Fürstentümern. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Sichtweise (die streckenweise heute noch vertreten wird) der rumänischen Musikwissenschaft im 20. Jahrhundert zur genannten Konzertreise. Die im Nationalkommunismus geltende Anschauung berichtet über die historischen Begebenheiten mit demselben Pathos und Nationalstolz, die den Journalisten von 1846 eigen waren. Mehr noch: Bis heute werden Mythen über die Aufenthalte Liszts in den rumänischen Fürstentümern weiterverbreitet, die nicht immer mit Quellen belegbar sind. Zwei Mythen möchte ich im Folgenden erwähnen: die Umstände der mutmaßlichen Begegnung zwischen Franz Liszt und dem moldauischen Volksmusikanten Barbu Lăutaru und die behauptete (aber nie erwiesene) Vater-Sohn-Abstammung Carola Davilas, des Gründers der modernen rumänischen Medizin und des öffentlichen Gesundheitswesens, von Franz Liszt. Die 1963 erschienene, Liszt gewidmete Monographie des rumänischen Musikwissenschaftlers Theodor Bălan ist zwar substanziell (über 400 Seiten), gut dokumentiert und anspruchsvoll im Stil, zollt aber der offiziellen Ideologie den damals unvermeidlichen Tribut – immer wieder ist die Rede von „kapitalistischer Unterdrückung“ und von dem bitteren Schicksal, das dem Künstler in der bürgerlichen Gesellschaft zuteil werde, außerdem sind Zitate aus Marx und Engels keine Seltenheit. Der Autor betont, dass Liszt sich „vorbehaltlos dem ungarischen Volk zugehörig fühlte und dies bei jeder Gelegenheit hervorhob.“2 Dies sei umso wichtiger, weil „die überwiegende Mehrheit der Fachliteratur von deutschen Autoren über den Komponisten tendiert, sein Werk der deutschen Musikwelt zuzuschreiben und ihn als einen vaterlandslosen, kosmopolitischen europäischen Musikschaffenden darzustellen“, so Bălan.3 Im nationalkommunistischen Regime Rumäniens durfte man wohlgemerkt nicht offen sagen, dass Liszt nie in seinem Leben dem Populismus, Nationalismus oder jedwedem anderen Radikalismus verfiel, wie es ältere Forschungen schon länger nachgewiesen hatten und neuere einschlägige Literatur es auch bestätigt.4 Ganz im Gegenteil: Im nationalkommunistischen Kanon war das Bild eines Liszt als „glühenden Patrioten“ äußerst willkommen. Liszts Konzert-Tournee in Siebenbürgen und den Donaufürstentümern beginnt im November 1846 in der Banater Metropole Temeswar, führt durch wichtige Musikzentren Siebenbürgens und endet in Bukarest und Jassy. Die Publikumsbegeisterung für den Klaviervirtuosen Liszt (der seinen Konzertflügel 2

3 4

Theodor Bălan: Liszt, Bukarest 1963, S. 91. Ebd., S. 92. S. Leon Botstein: A Mirror to the 19th Century: Reflections on Franz Liszt, in: Franz Liszt and His World, ed. by Christopher Howard Gibbs/Dana Gooley, Princeton University Press 2006.

Rhapsodie hongroise, Rhapsodie roumaine

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immer mitbeförderte) steigert auch die Bewunderung für die fortschrittliche Einstellung des Musikers, umso mehr als die Ideen der Revolutionen von 1848 schon in der Luft lagen. In Sibiu/Hermannstadt beginnt Liszt, folkloristische Elemente für eine Rhapsodie Roumaine zu sammeln: Er schreibt sich beispielsweise das Thema eines rumänischen Reigentanzes (Hora) auf, den er Hermannstädter betitelt.5 Die Rhapsodie Roumaine galt lange Zeit als verschollen, bis Béla Bartók Anfang des 20. Jahrhundert im Weimarer Liszt-Museum einen interessanten Fund machte: Ein Musikalbum mit 16 Rhapsodien von Liszt enthält auch dieses Stück, Bartók schreibt daraufhin den befreundeten rumänischen Musikwissenschaftler Octavian Beu 1930 an. Beu forscht weiter, bis er das Original entdeckt (die Partitur im Weimarer Liszt-Museum war nur eine Kopie), das Stück wird am 17. Dezember 1931 von der Pianistin Aurelia Cionca in Rumänien uraufgeführt und 1936 bei der Universal Edition gedruckt.6 Erhalten aus der Zeit der Konzertreise in den Donaufürstentümern ist auch das Skizzenheft Liszts, in welchem er, von einer gewissen „Exotik“ der Folklore inspiriert, die gehörten Melodien niederschrieb. Auf diese „Melodiesammlungen“ folgen Improvisationen des Pianisten während der Konzerte – die Presse schreibt, dass der Virtuose Variationen nach „alten rumänischen Volksweisen“ zum Besten gegeben habe.7 Die Umstände dürften allerdings zum Ausreifen der Rhapsodie Roumaine beigetragen haben, die 25 Seiten der Partitur enthalten nicht wenige Folklore-Zitate. Liszt hatte sich auch viele ungarische Volksmelodien aufgeschrieben, insbesondere in Siebenbürgen, wo er die örtlichen Musikantengruppen zu hören wünschte. Die Kunst der Volksmusikanten fasziniert ihn sichtlich; darauf baut die rumänische Historiographie mit großer Emsigkeit auf und erzählt die kurze Begegnung von Liszt mit dem Geigenspieler Barbu Lăutarul in überschwänglichen Worten. 5

6 7

Pianist Leslie Howard, über diese Rhapsodie: „No. 20, the so-called ‘Rumanian Rhapsody’, which has been very misleasingly called ‘Hungarian Rhapsody No. 20’ by a number of ignorant writers, is a work of stunning harmonic originality which has been far too rarely recued fpr public performance. The innocent little accompanimental figure at the beginning gives small hint of what is to come, and the main slow section was considerably diminished from its present grandeur when Liszt incorporated the melody for the slow section of the sixth Hungarian Rhapsody. Here it is wonderfully proud and elaborate. The change to G major with the ‘Hermannstädter’ introdruces some nasty hand-splitting stretches before the harmonic wizardry of the ‘Walachische Melodie’ gives us the uneasy feeling that this music ist more than half a century ahead of its time. The next composer who made such sounds was surely Bartók. Other themes crowd in, including a pair which crop up again in the twelth Hungarian Rhapsody, but the ‘Walachische Melodie’ wins the day.” (Art. Franz Liszt (18111886). Sämtliche Werke für Klavier solo, vol. 29 – Magyar Dalok & Magyar Rapszódiák. Leslie Howard (Klavier), in: hyperion-records.co.uk, Web, letzter Zugriff 24.05.2011). Bӑlan, Liszt, s. Anm. 3, S.352. Ebd., S.353.

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Valentina Sandu-Dediu

Das französische Wochenblatt La vie parisienne berichtet 1847 (nach unbenannten Quellen), wie sehr Liszt die Fertigkeiten des Violinisten Barbu Lăutarul imponiert haben. Der Komponist befand sich just in jenem Jahr in Jassy, und der Volksmusikant soll auf seiner Geige nach Themen improvisiert haben, die der prominente Gast vorgegeben hatte. Die Berichterstattung im französischen Feuilleton ist stellenweise ein Genuss, der rumänische Historiograph Viorel Cosma übernimmt den Artikel8 vollständig und übersetzt ihn (siehe Appendix). Obwohl die romantische Anekdote keineswegs belegbar ist, wird die Art und Weise, wie Liszt dem rumänischen Volksmusikanten vermeintlich huldigte, nach wie vor voller Überzeugung und Bewunderung kolportiert. Eine romantische Legende wird somit zum Bestandteil historiographischer Werke, von denen man Ende des 20. Jahrhunderts mehr Objektivität erwartet hätte. Zu Liszts Konzertreisen „in rumänischen Landen“ sei noch hinzugefügt, dass der Musiker 1879 ein zweites Mal nach Siebenbürgen reist; sein Aufenthalt beschränkt sich allerdings auf Cluj/Klausenburg, ihn begleitet der einarmige Pianist Géza Zichy, einer seiner Lieblingsschüler.9 Zu Ehren des Komponisten werden Fragmente seines Oratoriums Die Legende von der heiligen Elisabeth und der letzte Teil aus Schuberts Symphonie in C-Dur aufgeführt. Die Klausenburger Presse der damaligen Zeit (Samoil Brassai) zerreißt das Ereignis und mokiert sich über die schwache Interpretation: „Die fromme Heilige Elisabeth des Herrn Liszt wurde in Klausenburg gemartert und gekreuzigt, und der Komponist musste sich ihre Pein anschauen und ihren Todesseufzer anhören – und das gleich zweimal: das eine Mal bei der Generalprobe, das zweite Mal im Konzert“.10 Zurück zu Liszts Haupttournee in den rumänischen Fürstentümern (1846/47). Abgesehen von den fulminanten und von romantischen Anekdoten umwobenen Auftritten des Pianisten Liszt, muss man sich fragen, ob der Komponist der heimischen Komposition, die gerade einen „Europäisierungsprozess“ durchmachte, nicht etwaige Impulse gab. Liszts Musikschaffen war – ausgenommen der populären Stücke seines Repertoires – dem rumänischen Publikum nahezu unbekannt. (Den vorherrschenden Geschmack prägten Wandertruppen mit italienischer Oper im Programm). Liszt schreibt seine erste Rhapsodie hongroise 1846, folglich brauchte es noch Zeit, bis die rumänischen Komponisten sich von der vorgegebenen Möglichkeit hätten inspirieren können, Folklore in ihre eigenen Konzertstücke einfließen zu lassen. Doch die Lisztsche Vision eines „ungarischen Nationalepos in Tönen“,11 die übrigens Bedřich Smetana einige Jahrzehnte später beeinflussen wird, bleibt auch bei den rumänischen Musikern nicht ganz ohne 8

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Viorel Cosma: Lăutarii de ieri și de azi (Spielmänner von gestern und von heute), Bukarest 21996. Bălan: Liszt, s. Anm. 3, S. 363. Octavian Lazăr Cosma: Hronicul muzicii românești (Chronik der rumänischen Musik), Bd.4: Romantismul. 1859-1898, Bukarest 1975, S.96-97. Vgl. Detlef Altenburg: Liszts Idee eines ungarischen Nationalepos in Tönen, in: Studia Musicologica Academiae Scientiarum Hungaricae 28/1 (1986), S. 213-223.

Rhapsodie hongroise, Rhapsodie roumaine

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Resonanz. Liszts Konzertauftritte entfachen zunächst ästhetische Debatten um die Bearbeitung der Folklore in der Kunstmusik. Auch Schriftsteller (deren Interesse in erster Linie der literarischen Folklore galt) greifen in die Diskussion ein und liefern sich ein lebhaftes Pro und Kontra zur Frage, ob rumänische Volksmelodien überhaupt in Noten transkribierbar seien.12 Ähnliche spätere Debatten werden erst gegen 1920 die Herausbildung einer eigenen Stimme der rumänischen modernen Komposition katalysieren. Doch bis dahin war es noch ein weiter Weg. Für die rumänischen Komponisten der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts scheint das Vorbild Liszt vorerst weniger signifikant als für ihre polnischen oder tschechischen Kollegen zu sein.13 Näherliegend sind die klassizistische Romantik eines Mendelssohn Bartholdy, die russische Chortradition und die mittelalterlichen Modi (an der Pariser Schola Cantorum studiert, wo viele rumänische Musiker Ende des 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts ihre Ausbildung vertieften). Die Geschichtsschreibung hält einige Namen fest, die aber vielmehr für ihren Verdienst erwähnenswert sind, die erste rumänische Symphonie, das erste Streichquartett, die erste Oper usw. komponiert zu haben, als für den intrinsischen Wert dieser Partituren. Diese ersten Versuche werden allerdings zur Herausbildung einer nationalen Musiksprache beitragen, die am Anfang auf Gattungen aus dem westeuropäischen Musikschaffen zurückgriff. Bescheidene Versuche, Rhapsodien nach Lisztschem Vorbild zu komponieren, hat es dennoch gegeben: seine Rapsodia română (Rumänische Rhapsodie) schrieb Ciprian Porumbescu (1853-1883) ursprünglich für Klavier (1882) und orchestrierte sie später. Weitere Rumänische Rhapsodien für Klavier komponierte der in Bukarest eingebürgerte Pole Zdisław Lubicz (1845-1909). Skizzenhaft und eher linkisch sind auch die symphonischen Anstrengungen George Stephănescus (1843-1925): Der Autor der ersten rumänischen Symphonie komponierte auch Șase hori naționale (Sechs nationale Horas [Reigentänze]) für Orchester; die mit programmatischen Titeln versehenen „symphonischen Miniaturdichtungen“14 weisen folkloristische Züge auf. Auch der Publikumsgeschmack [...] war damals wenig emanzipiert und wirkte sich negativ auf die heimische Komposition aus. [...] Bediente man sich einer fortschrittlicheren, zeitgenössischen Musiksprache – selbst ohne an die Chromatik Wagners, an die Symphonik César Francks anzubinden, sondern eher auf mehr oder weniger wiedererkennbare Vorbilder aus dem Schaffen von Schumann,

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14

Cosma: Hronicul muzicii românești, s. Anm. 10, Bd. 4, S.41. Vgl. Jim Samson: Nations and Nationalism, in: The Cambridge History of 19th Century Music, ed. by Jim Samson, Cambridge 2002, S.568-600. Octavian Lazăr Cosma: Hronicul muzicii românești, Bd. 3: Preromantismul. 18231859, Bukarest 1975, S.423.

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Valentina Sandu-Dediu Weber, Berlioz, Liszt und seine Rhapsodien zurückgreifend –, so hielt das Publikum die Musik für zu gewagt, zu fortgeschritten.15

Erst George Enescu (1881-1955), die erste große Gestalt der rumänischen Komposition, zeigt sich sichtbar an Liszts Suggestion interessiert, Rhapsodik als Formel für ein nationales Musikschaffen einzusetzen. Die rumänische Musikwissenschaft hat die Einwirkung Liszts auf die Frühwerke Enescus wie etwa Poema Română op.1 (Rumänische Dichtung, 1897) und vor allem die beiden Rapsodii Române op.11 (Rumänischen Rhapsodien, 1901) bislang noch nicht eingehend untersucht. Sonderbar erscheint mir, dass so oft die Rede ist von einer Beziehung BrahmsEnescu [...] und kaum über die Relation Lizst-Enescu gesprochen wird. [...] Enescus Verhältnis zur Folklore seiner Heimat (insbesondere zur Volksmusik der Moldau und der Walachei) hatte eine andere Tiefe und Intensität als beispielsweise das Verhältnis Liszts zur ungarischen Foklore. Anders gesagt, um es zu verdeutlichen, war es ein viel intensiveres Verhältnis als jenes des französischen Komponisten, der eine norwegische Rhapsodie schuf, ein tieferes Verhältnis auch als jenes des russischen Tondichters [Michail Glinka], der ein „Capriccio espagnole“komponierte, und eine tiefer gehende Beziehung auch als jene des belgischen Komponisten, der sich aus der rumänischen Volksmusik inspirierte.16

Interessant könnte auch eine andere Parallele sein. Liszt vertrat die Auffassung, dass die authentische ungarische Volksmusik von Roma geschaffen wird; folglich sind hier die Quellen des Folklorismus in seinen Ungarischen Rhapsodien17 zu finden. Derselbe romantische Glaube, dass die Bewahrer der echten Volkskunst die Zigeunermusikanten seien, dürfte auch der vermeintlichen Bewunderung für Barbu Lăutaru zugrunde liegen. Enescu hat seinerseits nie systematisch Folklore gesammelt, so wie es etwa sein Zeitgenosse Bartók tat. Die rumänisch-folkloristischen Reflexe in Enescus Musik stammen daher ebenfalls aus der Tradition der Zigeunermusikanten (rum. lăutari), sie entspringen dem affektiven Gedächtnis des Komponisten, der in seiner Kindheit die Kunst der LăutariViolinisten sehr bewundert hatte. Enescu zitiert Folklore aber nur äußerst selten (etwa in seinen Rhapsodien – und auch dort nur vorübergehend), in seinen Kompositionen erfindet er vielmehr neue Melodien im Folklore-Stil, so etwa in der dritten Violinsonate (Originaltitel: Sonate dans le caractère populaire roumain, pour piano et violon, 1926). Es mag zwar unwichtig erscheinen, es ist aber vielleicht doch kein Zufall, dass die Musikträgerindustrie heute CDs verlegt, auf denen häufig Liszts zweite Ungarische Rhaposdie (in Orchesterfassung) und die beiden Rumänischen 15 16

17

Cosma: Hronicul muzicii românești, s. Anm. 10, Bd. 4, S.311. Pascal Bentoiu: Capodopere enesciene (Enescus Meisterwerke), Bukarest 1984, S. 58-59. Altenburg: Nationalepos, s. Anm. 11, S.220.

Rhapsodie hongroise, Rhapsodie roumaine

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Rhapsodien Enescus kombiniert sind. Die allgemeine Bekanntheit und Beliebtheit dieser Stücke stellt auch das Repertoire namhafter Dirigenten unter Beweis. Was nun Enescu anbelangt, hat ihn der nie verblassende Erfolg seiner Rhapsodien (insbesondere der ersten) gegen sein Lebensende immer mehr irritiert: Ein halbes Jahrhundert hatte er als Autor der Rhapsodien gegolten, seine übrigen Kompositionen führen auch deshalb bis heute ein unverdientes Schattendasein. Zum Schluss die versprochene zweite Anekdote. Wie schon gesagt, ist das Verhältnis Liszts zum rumänischen Raum von zwei Mythen geprägt. Die bereits besprochene Begegnung Liszts mit dem Geiger Barbu Lăutaru generierte den Mythos der übermäßigen Bewunderung, die der Komponist für den Volksmusikanten empfunden habe. Ein zweiter Mythos sieht in dem tüchtigen und hingebungsvollen Arzt Carol Davila, der den Grundstein der modernen Medizin in Rumänien legte (siehe Appendix), einen Nachkommen Franz Liszts. Davila war in Wirklichkeit ein Waisenkind, seine beiden Elternteile waren nicht bekannt. Er pflegte dafür eine zuneigungsvolle, Sohn-Mutter-ähnliche Beziehung zur Gräfin Marie d’Agoult – der Briefwechsel der beiden bezeugt es. Trotzdem heißt es aus der Gerüchteküche, dass Marie d’Agoult gegen 1830 in Avila bei Parma einen Jungen namens „Carlos Antonio Francesco, genannt d’Avila, nach dem Geburtsort, zur Welt gebracht habe. Weder das genaue Geburtsjahr [...], noch der leibliche Vater sind bekannt, und Carol d’Avila oder der spätere Davila schweigen sich dazu gründlich aus.“18 Die berühmte Liaison der Gräfin mit Liszt beginnt aber nach 1833, was einige rumänische Musikwissenschaftler dennoch auch heute nicht davon abhält, zu behaupten, dass im Falle Davila die Mutter zwar unbekannt, der Vater aber mit Sicherheit Liszt sei! In Davilas Biographie gibt es ein sonderbares Detail. Davila ist eines der seltenen, außerordentlichen und seltsamen Fälle, in denen der Vater fast sicher, die Mutter aber nicht mit ziemlicher Sicherheit bekannt ist. Wie Marin Banu Bădescu in seinem 1985 erschienenen Buch Die Reisen Carol Davilas schrieb, war sein Vater der berühmte Franz Liszt, während man von seiner Mutter nicht genau weiß, wer sie war. Nach den verfügbaren Informationen ist anzunehmen, dass seine Mutter die Gräfin Marie d’Agoult gewesen sein dürfte, die in der französischen Literatur unter dem Pseudonym Daniel Stern bekannt ist.19

Die bekannte Monographie von Alan Walker spricht auch diesen geheimnisvollen Aspekt an, zeigt aber die Absurdität der Gerüchte in aller Deutlichkeit auf.

18 19

Ioana Pârvulescu: În intimitatea secolului 19, Bukarest 2005, S. 117. Ana Popandron: CAROL DAVILA (sau Carlos Antonio Francesco – fiul lui FRANZ LISZT), străinul care a schimbat fața României (CAROL DAVILA, der Fremde, der Rumäniens Antlitz veränderte), Blogeintrag vom 24. August 2010, in: cugiralba.wordpress.com, Web, letzter Zugriff 23.05. 2011.

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Valentina Sandu-Dediu In 1956 there appeared Davila: Fils de Liszt? by Loretta Berthoud, which devoted nearly three hundred pages to the pursuit of the barren hypothesis that Davila was a hitherto unrecognized offspring of Marie d’Agoult and Liszt. This story was ‚substantiated‘ by such witnesses as Madame Claire de Charnace (Marie’s legitimate daughter by Charles d’Agoult) and King Carol I of Rumania. When the inquiring reader turns the page he discovers that these ‚witnesses‘ are merely cited by other people twice and thrice removed, rendering it impossible to nail down a single verifiable fact. The day after Davila died in 1884, L’Indépendance roumaine published an obituary notice which archly referred to him as the offspring of two superior creatures “whose names we all know”. That is considerable more than the rest of the world has ever been able to discover, and although a century has meanwhile passed, we are no nearer to establishing Davila’s true identity than we ever were.20

Auch heute gibt es Stimmen der rumänischen Musikwissenschaft, die mit patriotischem Stolz andeuten, dass der Arzt Davila Liszts unehelicher Sohn gewesen sei. Man geht wohl davon aus, dass ein berühmter Vorfahre Davila eine Art Legitimation und seiner Leistung mehr Wert einflöße. Davilas Verdienste sind übrigens tatsächlich außerordentlich und unumstritten. Statt „rumänischer Rhapsodien“ dieser Art zum Thema Liszt, wären seriöse Abhandlungen über die Partituren des europäischen Komponisten sicherlich begrüßenswerter.

APPENDIX

Liszt – Barbu Lăutaru (?1780-?1860) „Liszt saß stets auf seinem Sessel aus Eichenholz, hörte gebannt zu, nahm seine Augen selbst beim Essen nicht von den Spielmännern, und seine Sinne gerieten zuweilen in ein leichtes Beben, das sein wohlgestaltetes Gesicht widerspiegelte. Als der letzte Akkord ausklang, faltete er seine Hände zusammen, und seiner stämmigen Brust entkam ein erlösender Seufzer:‚Ach, wie schön!‘, sagte er.“ [...] „Liszt hob an, ein Präludium zu spielen, seine außerordentliche Inspiration und seine angespannten Nerven beflügelten ihn sodann, einen ungarischen Marsch zu improvisieren, dessen lange und wohlklingende Melodie immer wieder inmitten der Arpeggien, Triller und Ehrfurcht einflößenden Kunststücke hervortrat.“ [...] „Der Spielmann kehrte zu seinen Musikanten zurück, setzte seine Geige an den Hals und hob an, den ungarischen Marsch zu spielen. Nichts vergaß er, 20

Alan Walker: Liszt and the Literature, in: Franz Liszt, The Virtuoso Years: 18111847, New York/London 1983, S.25.

Rhapsodie hongroise, Rhapsodie roumaine

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nachzuspielen, er ließ keinen Triller und kein Arpeggio aus, weder die Variationen mit sich wiederholenden Noten, noch die entzückenden Läufe im Halbtonschritt, mit denen er zurück zum ersten Motiv fand. Barbu Lăutarul spielte auf seiner Geige die gesamte Improvisation des Pianisten genauestens nach, der wiederum ehrfurchtsvoll der Darbietung zuhörte, die er selbst Augenblicke zuvor zum ersten Mal auf dem Klavier erbracht und womöglich auch schon wieder vergessen hatte. Als die Darbietung endete, stand Liszt auf einmal auf, schritt geradewegs auf den alten Barbu zu, küsste ihn herzlich, nahm dann – nach alter Gewohnheit – sein Glas Champagner, hielt es dem Alten entgegen und sprach:‚Trink, Barbu, du Spielmann, du mein Gebieter, trink, denn Gott schuf dich zum Künstler, und du bist begnadeter als ich!‘“

Liszt – Carol Davila (?1828, Parma – 1884, București) „Carol Davila verschlägt es am 13. März 1853 als knapp 25 Jahre jungen Mann nach Bukarest. Zuvor hatte er in Paris den Doktortitel in Medizin erlangt und sich um die Bekämpfung der Choleravon 1849 in Champigne und Cherre verdient gemacht. Nur drei Jahre wollte er ursprünglich in der Walachei verweilen, blieb aber bis an sein Lebensende hier. Im Auftrag des Fürsten Barbu Știrbei stellte er das öffentliche Gesundheitswesen in seiner Wahlheimat auf die Beine. Er trug auch wesentlich zur Gründung der Bukarester Medizinfakultät bei.“

Liszt and Smetana in the Mirror of Czech National Music Kenneth DeLong (Calgary) Broadly considered, Bedřich Smetana is known today as the composer of the comic opera The Bartered Bride and The Moldau (Vltava), the second in the series of six symphonic poems that together comprise Má Vlast (My Country). Through the widespread popularity of these two works, Smetana has acquired a reputation, first as the father of Czech nationnal music in opera, and second as a disciple of Liszt in the composition of symphonic poems. For the most part, Smetana the follower of Liszt has been overshadowed by Smetana the nationalist composer, his operas, symphonic poems, and other works discussed more for their Czech national style rather than as exemplifications of neo-romanticism. Aside from the casual citation of a few basic biographical facts, Smetana’s relationship to Liszt, either in its personal or in its artistic dimension, has been explored only in generalized terms. In the Liszt literature, for example, Smetana is usually treated as a peripheral member of Liszt’s Weimar circle;1 and in the Smetana literature, Liszt is generally regarded as an influence only on Smetana’s early period, a passing phase on the road to his achievements in Czech national music.2 Yet an examination of the Liszt-Smetana correspondence located in the Smetana Museum in Prague, consisting of roughly a dozen letters, as other related documents, reveals an exceptionally warm mutual regard between the two composers, a regard that on Smetana’s part led him repeatedly to stress his indebtedness to Liszt as mentor and as the principal inspiration behind his all his artistic achievements.3 1

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For example, in his recent definitive biography of Liszt, Alan Walker devotes only one sentence to Smetana; see Franz Liszt. The Weimar Years, Ithaca 1993, vol. 2, p. 409. Smetana fares slightly better in Derek Watson’s new biography for the Master Musicians Series, where he rates half a page plus four passing references; see Liszt, New York 1989, pp. 101-02. Vaclav Holzknecht’s recent 400-page biography of Smetana makes frequent mention of Liszt, but only as a “great figure” known by Smetana; see Bedrich Smetana: Život a dílo (Bedrich Smetana: Life and Works), Prague 1984, pp. 73-78 and 103-12; Hana Sequardtova’s more recent 300-page biography of Smetana mentions Liszt but only in passing; see Bedřich Smetana, Prague: 1988. The most sensitively considered account of Smetana’s relationship to Liszt is found in Vladimír Helfert: Die schöpferische Entwicklung Friedrich Smetanas, Leipzig 1956, pp. 150-159. The two standard English-language sources on Smetana, Brian Large’s Smetana, New York 1970, and John Clapham’s Smetana, London 1972, mention Liszt frequently but treat his relationship to Smetana only in general terms. František Bartoš: Bedřich Smetana: Letters and Reminiscences, Prague 1955. In this crucial source on Smetana, references to Liszt comprise the largest single entry in the index.

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I Smetanaʼs first direct knowledge of Liszt came through the series of six concerts Liszt gave in Prague in March 1840, which the sixteen-year-old Smetana is known to have attended.4 The experience was seminal for Smetana, and although he did not actually meet Liszt at this time, the image of the famous pianist stayed with him during his years of struggle during the late 1840s and 1850s, years during which he was attempting to establish himself as a composer and pianist.5 A diary entry from January 23, 1843, reads: “By the grace of God and with his help I shall one day be a Liszt in technique, in composition a Mozart.”6 Given his later orientation in composition and his reputation as a fastidious, neat performer, it is something of a paradox that he eventually achieved something resembling the opposite of his expressed intentions: a Mozart in technique and a Liszt in composition. Liszt returned to Prague in 1846, the same time as a visit to the city by Berlioz, during which Berlioz’s Roméo et Juliette was performed. On this occasion Liszt spoke at a dinner in Berlioz’s honor at which, according to Berlioz’s memoirs, Liszt got roaringly drunk.7 It is possible, but not documented, that Smetana, who was completing his composition studies with the blind pianist and theorist Josef Proksch, met Liszt at this time. He was, in any case, caught up in the fever of excitement that surrounded Berlioz’s and Liszt’s visits, and the works he composed at this time strike out in a new, more “advanced” direction.8 4

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Smetana recorded his impressions of these concerts in his diary. See Large: Smetana, see note 2, pp. 9-10. Liszt’s visits to Prague are outlined in Anton Buchner: Liszt in Prague, in: Studia Musicologica 5 (1963), pp. 27-36, and described more fully in Bohumil Plevka: Liszt a Praha, Prague 1986, 137 pp. The often-quoted diary entry of January 1843: “By the grace of God and with his help I shall one day be a Liszt in technique, in composition a Mozart” gives some idea of the young Smetana’s view of Liszt and also of his musical goals at that time (Bartos: Letters and Reminiscences, see note 3, p. 18). Paradoxically, Smetana was to achieve something of the reverse of his stated intentions: it was his compositions that were notable for their Lisztian elements; his piano playing was characterized by its Mozartian tidiness, grace, and precision. Bartoš: Letters and Reminiscences, see note 3, p. 18. The circumstances surrounding the concert and the banquet are entertainingly described by Berlioz. See David Cairns (Ed.): The Memoirs of Hector Berlioz, London/ Grenada 1970, pp. 506-08. For a more detailed account of Berlioz’s visit and his relationship to Prague at that time see Geoffrey Payzant: Eduard Hanslick and Ritter Berlioz in Prague: A Documentary Narrative, Calgary 1991, pp. 92-106. Berlioz gave six concerts in Prague between January and April of 1846 in which he presented many of his recent works, including the King Lear and Roman Carnival overtures, excerpts from Harold in Italy and the Symphonie fantastique, as well as the complete Roméo et Juliette. These concerts were extensively covered by the Prague press, including a long, adulatory essay by the young Eduard Hanslick. Wenzel

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In January 1846, for example, Smetana composed an Etude in A minor that is modeled closely upon Liszt’s Gnomenreigen.9 In 1848 an event occurred that decisively oriented Smetana toward Liszt. Desperately poor and having just composed his Six morceaux caractéristiques, Op. 1, for piano, Smetana turned to Liszt – seemingly in an act born of desperation – and in a long, emotional letter Smetana begged him for financial help and for assistance in publishing his new work.10 Liszt’s reply, which reached Smetana in just over a week, was characteristic of his generosity of spirit: The “Morceaux Caractéristiques” together with the accompanying letter were handed to me barely a quarter of an hour prior to my departure for Vienna. First of all I would like to express warm thanks for the dedication which I accept with all the more pleasure since the pieces are the most outstanding, finely felt and most finished that recently have come to my note. […] Difficult though it is today to find a good publisher, I nevertheless hope to be able shortly to give you news of the publication of your “Morceaux Caractéristiques,” and I shall certainly do what I can to see that you get a decent fee.11

Liszt was as good as his word, and three years later, in 1851, the Six morceaux caractéristiques were published by Kistner in Leipzig, with a dedication to Liszt. Although Liszt did not provide Smetana with any direct financial aid, his support in arranging for the publishing of the Six morceaux caractéristiques was an important step in Smetana’s career as a composer, an act of generosity that he never forgot.12 During the ensuing years Smetana remained in contact with Liszt and

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Heinrich Veit, a local composer, even wrote Episode in the Life of a Tailor, a parody of Berlioz’s Symphonie fantastique (see Payzant: Eduard Hanslick and Ritter Berlioz, see note 7, p. 47 and 104). Large: Smetana, see note 2, p. 35. On the relationship between Smetana’s and Liszt’s piano writing, see J. Jiránek: Liszt und Smetana, in: Studia Musicologica 5 (1963), pp. 139-92. Liszt’s music figured prominently in Smetana’s recital programs both before and after this period. Smetana’s letter reads in part: “Up to now, however, nobody has done anything for me. […] In my distress, without prospects of help and utterly friendless, a thought suddenly flashed through my brain: the name ‘Liszt’ on a piece of music that lay on my table moved me to tell everything to you, an artist without equal, of whose magnanimity the whole world speaks. In order to acquaint you with my slight abilities, I composed this sketch, the first work which perhaps will introduce me to the public. I now stand before you with the request that you kindly accept this work and have it printed. Your name would open the doors of the musical world to my works. Your name will be the cause of my future happiness, my everlasting gratitude.” (Bartoš: Letters and Reminiscences, see note 3, p. 25. Ibid., pp. 26-27. Liszt suggested that the first of the pieces, which had been titled by Smetana as “Gretel in the Woods”, be changed to the simpler form of “In the Woods,” a suggestion Smetana accepted (Letter to Liszt, 5 December 1848, Prague, Smetana

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began to send him some of his compositions for comment. It was during this period (the middle 1850s) that Smetana began to look upon Liszt as his advisor and mentor. The first documented meeting of Liszt and Smetana took place on 8 August 1856 upon the occasion of a banquet given for Liszt by the Prague pianist Alexander Dreyschock.13 However, the visit that truly cemented their personal and artistic relationship came shortly after, from the 20th to the 30th of September 1856, when Liszt came to Prague to conduct his “Gran” Mass.14 During the ten days Liszt was in Prague, Smetana met daily with him, showed him his compositions, and was introduced to Liszt’s recent works and ideas regarding program music.15 Smetana also received from Liszt copies of some of his recently published symphonic poems, including Tasso and Hungaria.16 Within weeks of Liszt’s departure, Smetana himself left Prague for Göteborg, where he was to spend the next four winters.17 During his years in Sweden, Smetana regularly returned to Bohemia during the summer months, making several side trips to Weimar to visit Liszt and to be immersed, however briefly, in the atmosphere of the Liszt circle.18 On Liszt’s invitation, Smetana went to Leipzig in 1859 to attend the festivities surrounding the Allgemeiner Deutscher Musikverein and became, in essence, a member of Liszt’s band of “New Germans.” During the next twenty years, the most important of Smetana’s creative years, he kept in regular contact

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Museum). Holzknecht: Smetana, see note 2, p. 94. According to Karel Teige, Liszt and Smetana first met in the summer of 1849, but this has not been conclusively confirmed (Helfert: Die schöpferische Entwicklung Friedrich Smetanas, see note 2, p. 150). Lisztʼs 1856 visit to Prague is discussed in A. Buchner: Liszt in Prag, see note 4, pp. 27-36, and in Helfert: Die schöpferische Entwicklung, see note 2, pp. 150-51. The details of Smetana’s association with Liszt at this time and during the following years are most fully recounted in Helfert, Die schöpferische Entwicklung, see note 2, pp. 150-59; Large: Smetana, see note 2, pp. 68-97; and J. Smolka: Smetanova symfonická tvorba, pp. 45-64. The first six of Liszt symphonic poems (Tasso, Les Preludes, Prometheus, Mazeppa, and Festklänge) were first published by Breitkopf und Härtel in April 1856, four months before Lisztʼs visit to Prague. Smetana received Tasso and perhaps other scores from Liszt as a gift (see also Walker: Franz Liszt, see note 1, pp. 303-04). The essential documentary material regarding Smetana’s years in Sweden has been collected by Clara Thörnqvist: Smetana in Göteborg, Göteborg, 64 pp. The book, originally an exhibition catalogue, details Smetana’s teaching and concert activities in Göteborg, including several performances of works by Liszt and Wagner. Smetana’s comments on this visit to Weimar were recorded in his diary and are cited in Karel Teige: Dopisy Smetanovy, Prague 1896, pp. 16-17, and also in Rychnovsky: Smetana, p. 81. During this visit Smetana performed his two symphonic poems twice (on the piano) for Liszt. Liszt also played Smetana’s Six morceaux caractéristiques and there was a public performance of his Piano Trio in G minor.

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with Liszt, visiting him in Budapest in 1865,19 Munich in 1870,20 and spending time with him when Liszt came to Prague in 1871.21 The ten days with Liszt in September 1856 were the most intense of the Liszt-Smetana encounters and occurred at an important crossroads in Smetana’s development, a period in his life when he was clearly searching for a key to unlock the door to the next stage in his artistic growth. Smetana’s letters and comments regarding his meetings with Liszt during this period provide an indication of their importance to his new orientation as a composer. Writing to Liszt from Göteborg in April 1857, six months after his arrival in Sweden, Smetana referred to “those memorable, never-to-be-forgotten days of your stay in Prague last year” and stated that, “If I do not belong to the happy ones who call themselves your pupils, you are nevertheless the Master for me and I have everything to thank you for.”22 And in October 1858, a year after his first visit to Weimar, Smetana wrote to Liszt in still more emphatic terms, stating his allegiance to his ideas and ideals: Just one year has passed since I spent those unforgettable September days […] with you, which had such a deep and beneficent effect on me. […] It would be ‘carrying owls to Athens’ were I again to describe to you the soul-stirring impression your music made on me, and how I conceived, not the “conviction” – for this indeed had been mine – but the necessity of the progress of art, as taught by you in so great, so true a manner, and made it my credo. Please regard me as one of the most zealous disciples of our artistic school of thought, one who will champion its sacred truth in words and deed.23

Even discounting a certain measure of ingratiating overstatement, it is evident from these remarks that Smetana was at this point clearly under the influence of Liszt’s powerful personality and saw himself as Liszt’s acolyte – indeed, as an apostle of program music and neo-romanticism.

II Smetana’s conversion to Liszt and his compositional orientation took place at a point in European history when other historical forces were beginning to make themselves felt within Bohemia. I refer, of course, to the Obrození – the Czech word for “national revival” or “national awakening.” The complex history of this movement can only be fleetingly touched upon here. Broadly speaking, the 19 20 21 22 23

Bartoš: Letters and Reminiscences, see note 3, pp. 91-92. Ibid., pp. 116-17. Ibid., p.124. Ibid., p. 40. Ibid., pp. 47-48.

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Obrození refers to the period, coinciding with Smetana’s maturity and continuing beyond the nineteenth century, in which all aspects of Czech artistic and political life became overtly national in character.24 In terms of Czech music, it is the period in which Smetana, followed by Dvořák and Janáček, became acclaimed as the emblems of Czech national music, a process already complete by the 1870s, at least as it concerns Smetana. The heady symbol in this story of Czech cultural nationalism was the opening of the National Theatre in 1881 on the banks of the Vltava River in Prague, with Smetana’s pageant opera, Libuše as the inaugural work. By this time, Smetana, aging and ill, had become the living symbol of Czech music art. When viewed through the prism of the 1840s, however, Smetana was a very different person. As Richard Taruskin has commented: Smetana, the son of a prosperous brewer who serviced the local gentry […] was brought up to call himself Friedrich rather than Bedřich, and to aspire to a cosmopolitan career like any urban, educated, middle-class child of a loyal Bohemian subject of the Kaiser. Indeed, his place of birth (Bohemia), his native language (German), and his early cultural orientation were all the same as Hanslick’s, although […] his ethnicity was different. […] The fact that Smetana ultimately came to identify with his Slavic ethnicity, rather than with his original native language, his Teutonic cultural milieu, or his lifelong political allegiances, encapsulates more vividly than any other single musical-historical fact the metamorphosis that the idea of nation underwent over the course of the nineteenth century.25

A quick glance at the list of Smetana’s early works to 1848, most of them for solo piano, confirms Taruskin’s comment. The piano works largely consist of drawing room pieces of the kind that could be heard anywhere in France or Germany with, of course, the exception of the polka. Even here, however, the polka was (for Smetana during the 1840s and early 50s) simply a local dance that the dance-loving young composer churned out easily and somewhat unthinkingly, at least from a socio-political point of view; at this point, there is no particular connection between the polka and the idea of “national music,” at least as this term was to be understood later. Just when the ideas of cultural awakening and “national music” began to coalesce as part of a wider socio-political consciousness in Bohemia is difficult to determine. In matters of language and literature, it dates from the first half of the nineteenth century, but it has been customary to use certain watershed dates and events to localize this change. Tomášek, the great musical reactionary of 24

25

Of the countless books and articles on this general topic, the recent article by Vladimír Macura covers the ground from a modern perspective. See Vladimír Macura: Problems and paradoxes of the national revival, in: Bohemia in History, ed. by Mikuláš Teich, Cambridge 1998, pp. 182-197 (with bibliography). Richard Taruskin: Music in the Nineteenth Century, in: The Oxford History of Western Music, Oxford 2009, p. 443.

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Prague, died in 1848, conveniently also the year of the revolution. By the early 1860s the Germanizing excesses of the hated “Bach” regime, instituted after the Revolution, had been rescinded, and the following years saw and outpouring of “national” oriented activates that included the establishment of the Czech National Party, the establishment of the Umělecká beseda (the Society of Arts), the competition for a ‘national’ Czech opera (won by Smetana), and the establishment of the provisional theatre and its orchestra (initially led by Smetana). Thus the easy historical construct, still generally followed, localizes the beginning of this development to the period from about 1848 to 1865, by which time the sense of revival was clearly the dominant force in Czech social history. It is at this point that different camps began to emerge within the broader movement, ultimately pitting the older, more cosmopolitan-minded stáročéški Czechs like Palacky, who largely spoke German, against the younger mládočéški politicians, such as Karel Haviliček, who argued for an irradiation of German elements from Czech cultural and political life. It is my view that the decisive events that ultimately determined Smetana’s artistic path can be found in the political and artistic conflicts of the 1860s.

III In developing this view, if in an encapsulated way, it might be useful to consider for a moment the significance of a well-known anecdote concerning Liszt, Smetana, and his path to “Czech national music.” The anecdote is reported by Václav Novotný, a student of Smetana, who was evidently recalling something, told to him – likely by Smetana in his later years. The anecdote refers to the period around 1857, when Smetana was visiting Liszt in Weimar. In the Weimar circle of that time there was, apart from Smetana, the well-known Viennese composer Herbeck, who was a confirmed enemy of everything Czech. […] Herbeck began, pointedly and maliciously, to attack the honour of the Czech nation. ‘What have you achieved up to now,’ he scoffed, turning to Smetana. – ‘All that Bohemia can bring forth is fiddlers, mere performing musicians who can brag only of their perfection in craftsmanship, in the purely mechanical side of music. […] You have not a single composition to show which is purely Czech as to adorn and enrich European music literature by virtue of its characteristic originnality.’ These words seared Smetana’s soul like a shaft of lightening, for in this accusation, directed again our musical life at the beginning of our century, there is, unhappily, more than a grain of truth. […] Music was still cosmopolitan. The classics and after them the romantic held unlimited sway over all educated nations. Modern musical art has shaken off this colourless cosmopolitanism and has raised national music to new heights by reaching out for elements characteristic in national music. Smetana shot up as though stung by a snake, righteous anger flashing in his eyes.

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Kenneth DeLong At that moment, however, Liszt, who had followed the quarrel with a quiet smile, bent slightly forward, took a bundle of notes from the table, and with the words: ‘Allow me, gentleman, to play you the latest, purely Czech music,’ sat down at the piano. In his enchanting, brilliant style, he played through the first book of Smetana’s character pieces. After he had played the compositions, Liszt took Smetana, who was moved to tears, by the hand and said: ‘here is a composer with a genuine Czech heart, an artist by the grace of God’. […] On the way home, Smetana turned moist eyes to the starry heaven, raised his hand, and deeply moved, swore in his heart the greatest oath: that he would dedicate his entire life to his nation, to the tireless service of his country’s art.26

From the point of view of Smetana as emblem of Czech national music, this is, of course, a very pretty story. And whatever truth it might contain as fact, it certainly also contains its full share of romantic national ideology, an ideology that, reaching back to Herder, finds artistic truth in the “voice of the nation.”27 This is an aesthetic construct also embraced by the Russian nationalists, especially Balakirev, and also slightly later by Grieg. Similar views were also developed by Vaughan Williams in his book on National Music. While there is much than might be said about this idea, for the present, let us put Liszt’s remarks about Smetana’s “purely Czech music” to the test. The first piece from Smetana’s Six morceaux caractéristiques is “Im Walde.”

26 27

Bartoš: Letters and Reminiscences, see note 3, pp. 45-47. Jan Bažant/Nina Bažantová/Frances Starn (Eds.): The Czech Reader: History, Culture, Politics, Durham/London 2010, pp. 123-125.

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Example 1: Smetana: “Im Walde”, mm. 1-18, from Six morceaux charactéristiques.

Whatever its musical charms, this is hardly Czech or national music by any later standard; rather it is exactly the sort of music Taruskin suggested would be natural for a young man of Smetana’s orientation at the time of its composition. The opening melody is presented, at least initially, in canon, the stark quality of the music an initial image of the woods as slightly forbidding. With the additional of the accompanimental figures in measure eleven, the music develops a warmer tone, not far from the sound of Schumann’s miniatures, a composer important to Smetana at the time of its composition. There are no elements of national style as later understood here; clearly, Smetana’s turn toward “national music” clear lay in the future. The first evidence comes in Smetana’s gradual poetization of the genre of the polka, a process that dates principally from his Swedish years. Nostalgic for his homeland, Smetana gradually began to treat the polka as a symbol of his Czech background, his works in this form often called “Memories of Bohemia” or “Poetic Polkas”. It is also important to note the continuing importance of Liszt as image and musical mentor in Smetana’s compositional life. During his Swedish years, Smetana composed three symphonic poems, as well as the highly virtuoso Sketch for Macbeth and the Witches (1859) and the Etude in G-sharp minor (1859) – all modeled after Liszt’s symphonic and virtuoso piano writing.28 Having returned to Bohemia in 1862 and quickly becoming immersed in the activeties surrounding the push for a National Theatre, Smetana composed a Fantasie concertante on Czech Folk Songs in 1862 for a concert tour he took to raise money for the National Theatre. Here, for the first time, in a work of no great significance in artistic terms, we see Smetana fusing elements of folk music with the virtuoso style. Despite its Czech thematic material, the work draws clearly draws upon Liszt’s paraphrase style as its basis, the tunes embedded in garlands of notes in the virtuoso manner of Smetana’s musical hero.

28

Kenneth DeLong: “In the Masterʼs Footsteps” Programme and Musical Design in Smetana’s Richard III, in: Bedřich Smetana 1824-1884: Report of the International Musicological Conference, Prague, May 1994, ed. by Olga Mojžíšová/Marta Ottlová, Prague 1995, pp. 102-117 and idem: Smetana’s ‘Swedish’ Symphonic Poems and their Lisztian Models, in: Liszt and his World, ed. by Michael Saffle, New York 1998, pp. 295-334.

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Example 2: Smetana: Fantasy concertante on Czech National Folk Songs (1862), mm. 1-14.

The setting of the melody in the middle register of the piano is also a Lisztian trait, as are the cadenzas, and even the hymn-style writing – an extreme contrast in texture. Although the tune may be of Czech origin, the Lisztian gestures dominate, turning the simple Czech melody into something like the source material for an Hungarian rhapsody. Here, however, there is no issue of this being a piano enriching of a distinctive and known musical idiom, as was the case with the Hungarian Rhapsodies. For the next thirteen years, Smetana wrote no piano music, but concentrated his energies on the composition of opera and symphonic poems, as well as conducting. With the exception of the The Bartered Bride, these works did not engage folk materials or folk styles, something that was a little interest to Smetana. In this he became part of an extended controversy in the press over the Czech qualities of his work. In the German press, Smetana was reviled for being a Wagnerian Czech, his music redolent of the style and harmonic language of Wagner. The Czech press, however, was notably more sympathetic.29 Thus, to simplify slightly, Smetana had little success with the very group of German-Bohemian that was, in truth, the social strata from which he himself sprang. His support came from the more overtly national-minded Czechs, and little by little, learning Czech only when he was 35 years old, Smetana became associated with the “Young Czechs,” as they were then called. Because Smetana’s major works during this period were operatic, it is natural to view them against the backdrop of Wagner’s style. It is probably equally 29

This issue is demonstrated through primary documents throughout much of Bartoš: Letters and Reminiscences, see note 3. See also Johan Clapham: The Smetana-Pivoda Controversy, in: Music and Letters 52/4 (1971), pp. 353-64; and DeLong: Smetana’s ‘Swedish’ Symphonic Poems, see note 28, pp. 330-34. A broader view is contained in Brian Locke: Smetana, Hostinský, and the Aesthetic Debates of the Nineteenth Century, in: Opera and Ideology in Prague, Rochester 2006, pp. 14-35.

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Kenneth DeLong

reasonable, however, to view the musical style of his music as more broadly “New German,” since it was to these musical and aesthetic values to which Smetana had been converted much earlier, and was based in Liszt. This point can be seen in the later works as well. Beginning in the middle 1870s, around the time he went deaf, Smetana composed Má Vlast, his set of 6 symphonic poems on themes associated with Bohemian history and landscape. The model here is, of course, Liszt. And Liszt’s presence can even be felt in the final keyboard works, his two sets of Czech dances, the first a set of four polkas, the second a set of 10 different dances. The well-known Furiant from the Bartered Bride, inserted as part of the various revisions the work underwent, contains what amounts to a paraphrase of a well-known Czech folksong – a rare instance of Smetana’s use of folk song. And of course, the important point is not the quotation but its transformation into symphonic terms. A decade later, Smetana, in his final work for the piano, returned to this tune, now transforming it completely. The operatic version presents the folk melody in a style that is now recognized as “typically Czech,” the orchestral colours vivid and rich, with a playful treatment of the melody that is treated to a type of variation treatment. In the Czech Dances this melody is once again the basis of the composition, but now it is treated in a most pianistically sophisticated manner: there is an introduction (in the Lisztian manner) with hints of the furiant rhythm, but when the tune itself appears, it is now inverted – what initially went up now goes down. The approach to the thematic idea retains the larger phrase rhythm and character of the familiar tune, but its inversion “works” the material so that the piece ultimately sounds like a transformation of the original idea. In this treatment, Smetana is following the spirit of Liszt, even as the music asserts a now recognizable Czech character. And to close: The wider issues of the of national versus universal art, of German art appropriated as universal – issues raised by Dahlhaus and still hotly contested – cannot be addressed in full here. From the range of the music Liszt wrote – from Italian-inspired works, to Spanish-style pieces, to songs to German and French texts, to his Hungarian works, it is evident that he was, principally, a composer whose fundamental sensibility was cosmopolitan in orientation. He was, like Smetana, caught up socio-political forces that propelled him into a condition in which he was made to stand for all that was Hungarian in music in an era that increasingly found meaning only in works centered in national consciousness. Smetana’s path was very similar: a youth spent in the embrace of GermanBohemian culture and values, values he was encouraged to exploit in his years in Sweden. As the years passed, and as Smetana’s desire to return to Bohemia grew stronger, he ultimately found that the way forward for him could not be through an exclusive “New German” orientation. Rather, in an era of nationalism, especially beginning in the later 1860s, Smetana could achieve success (as did

Liszt and Smetana in the Mirror of Czech National Music

203

Dvořák a few years later) only by cloaking himself in “nationalism.” Having been converted the second time (to Czech nationalism), Smetana gave his best efforts to the cause, composing keyboard works, operas, and symphonic poems all in an idiom that embraced his personal synthesis of “progressive” musical values and national colouring. That his works have become that touchstone for “Czech style” is a testament to the success of his efforts. What I would like to stress, however, is that for Smetana, his ultimate role as the father of “Czech music,” and his growing to see himself that way, was an extended process rooted in the musical values he espoused from his early maturity, values that he saw as “progressive” and which were centered in the figure of Liszt. Smetana, like Liszt, was at once a national and a cosmopolitan figure. It was Smetana’s goal to find his individuality within the context of these ideas. If in the end the Czech nationalists of the 1860s and 70s, as well as the wider musical world, has found it in their own interests to see Smetana almost exclusively through nationalist eyes, this is more the stuff of history than of the inherent sensibility of the composer himself. In his lifetime, Smetana was often accused of copying other composers, most notably Wagner, a charge he always denied. Toward the end of his life, in a letter the conductor Adolf Cech, Smetana wrote: I am no enemy of old forms in old composition, but I am never in favour of imitating them and looking for beauty and the whole organism of music in these falsifications. […] I imitate no famous composers, I only recognize as good and beautiful and above all truthful in art. You have known me well for a long time, but others do not know me and think that I am introducing Wagnerism!!! I have enough to do with Smetana-ism, as long as the style is honest.30

30

Bartoš: Letters and Reminiscences, see note 3, p. 269.

Provincialism within limits? Nationalism and cultural transfer in Danish mid-19th century musical culture Jens Hesselager (Kopenhagen) This article argues that provincial culture in the nineteenth century, even while presenting itself as patriotic and nationalist, may sometimes contain elements in which a certain aspiration to overcome provincialism and introduce a cosmopolitan quality to local culture is detectable. The themes of cosmopolitanism and provincialism in relation to music is developed with reference to Franz Liszt, who in the context of this article comes to function as a sort of ‘cosmopolitan’ mirror image of the ‘provincial’ Danish composer, Henrik Rung (1807-1871). Rung’s work Slaget ved Fredericia (1850) – a piece of nationalist political propaganda, in effect – is analyzed, and it is suggested that while it is certainly suffused with patriotic rhetoric (such as the occasion demanded), Rung nevertheless at the same time took the opportunity to incorporate a number of significant international musical influences, notably from Félicien David’s symphonic ode, Le désert, Meyerbeer’s Les Huguenots and from the vocal music of the Italian renaissance. These influences are interpreted as indicative of an international outlook, differing quite markedly from that of his internationally renowned contemporary, Niels W. Gade, and on several points in closer accordance with Franz Liszt’s.

19th century cosmopolitanism is easily associated with the image of a progressive intellectual elite, attracted primarily to centers of international cultural and commercial exchange – which is to say: urban culture. We may well think of well-off people who can afford to travel, who meet in the salons of Paris, and the like, belonging to a sophisticated, transnational community. At the same time, however, the idea that the proper entity to consider and address, in political, cultural and aesthetic matters (or in all those matters at once), should be all of humanity, naturally entails a strong attraction towards the idea of the province and the exotic. The cosmopolitan vision of all of humanity often takes the form of a panoramic vision that surges out towards the peripheries, beyond the metropolis, scanning the outskirts for members to include in an imagined community that is, or should be, by definition, all-inclusive. Franz Liszt’s saint-simonean vision in the fifth installment of his essay, De la situation des artistes, et de leur condition dans la société, published in 1835 in the Gazette musicale, may serve as a fitting example here, adding as it does the dimension of sound and music to the geographic and demographic panorama:

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Jens Hesselager Comme autrefois, et plus même, la musique doit s’enquérir du PEUPLE et de DIEU ; aller de l’un à l’autre ; améliorer, moraliser, consoler l’homme, bénir et glorifier Dieu. Or, pour cela faire, la création d’une musique nouvelle est imminente, essentiellement religieuse, forte et agissante, cette musique qu’à défaut d’autre nous appellerons, humanitaire, résumera dans de colossales proportions le THEATRE et L’ÉGLISE. […] Oui, n’en doutons pas, bientôt nous entendrons éclater dans les champs, les hameaux, les villages, les faubourgs, les ateliers et dans les villes, des chants, des cantiques, des airs, des hymnes nationaux, moraux, politiques, religieux, faits pour le people, enseignés au peuple, chantés par les laboureurs, les artisans, les ouvriers, les garçons et les filles, les hommes et les femmes du peuple.1

As this may illustrate, the idea of an all-embracing brotherhood of men must include some sort of strategy that concerns the lower classes and the provinces in order not to stagnate in a self-sufficient attitude of intellectual, urban exclusivity – an exclusivity which fundamentally contradicts the central tenets of cosmopolitan ideology. Such a strategy may also occasion, however, a certain anxiety, an attitude of mixed feelings towards ‘the people’ and ‘the provinces’. On the one hand cosmopolitanism embraces the idea of inclusion, of belonging to one large community; on the other hand it is itself an easy target of ridicule, at risk of being accused of being arrogant, exclusive, and out of touch with the people. Giuseppe Mazzini, the intellectual spearhead of the Italian Risorgimento, seems to have sensed this ‘weak point’ quite acutely in the essay Nationality and Cosmopolitanism, published in People’s Journal, London, in 1847: I have heard many honorable men, animated by the best intentions, declare this standard of Nationality that we cherish to be dangerous and retrograde. They told me: “We are more advanced than you,” and they continued: “We no longer believe in the nation; we believe in humanity: We are Cosmopolitans.” Now, I am not like Ugo Foscolo, that voluntary exile from Italy, who whenever he heard any

1

Franz Liszt: De la situation des artistes, et de leur condition dans la société, in: Gazette musicale, 30.08.1835, p. 292; “As in the past, and even more so today, music must concern itself with PEOPLE and GOD, hastening from one to the other, improving, edifying, and comforting mankind while it blesses and glorifies God. And to bring this about, the creation of a new music is imminent. Essentially religious, powerful, and stirring, that music, which for want of another name we will call humanistic music, will sum up both the THEATER and the CHURCH on a colossal scale. […] Yes, have no doubt about it, we will soon hear bursting from the fields, the hamlets, the villages, the suburbs, the workshops, and the cities, songs, canticles, tunes, and hymns which are patriotic, moral, political, and religious in nature, written for the people, taught to the people, and sung by the laborers, the workingmen, the craftsmen, the sons and daughters, the men and women who are the people.“ (Franz Liszt: Religious Music of the Future, in: An Artist’s Journey: Lettres d’un bachelier ès-musique 1835-1841, Chicago 1989, p. 237).

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one declare himself a Cosmopolitan, got his hat and left. But I do believe that this word, cosmopolitanism, implies a somewhat outdated idea, which is much more vague and difficult to realize than that of Nationality.2

The risk of ridicule, of course, is not reserved for cosmopolitans. The mirror image of cosmopolitanism in this respect seems to be provincialism, rather than nationalism as such. Provincialism is not, to be sure, a concept that works on the same level as cosmopolitanism – it is not an ideology, for instance – but to a certain extend it may make sense, nevertheless, to position a constructed ideal type called ‘cosmopolitan man’ in relation to another such construct, ‘provincial man’. Each of these two ‘men’ has his anxieties: ‘Cosmopolitan man’ may easily feel accused of being arrogant, elitist, out of touch with the people and so on, while ‘provincial man’ may easily feel accused of being ignorant, backward, out of touch with the world. What I want to suggest here, therefore, is that the cosmopolitan position carries within it a certain (potential) incentive to ‘reach out’ towards the province, and that the nationalist or provincial position carries within it a certain (potential) incentive to ‘aspire’ to the standards of the cultural centers. And I am curious whether this drive towards overcoming provincialism may sometimes be detectable within nationalist culture itself. To that end, I also want to suggest that the relation between cosmopolitanism and nationalism should not be construed as one of absolute opposites, but rather as a relation of contacts, ‘meetings’ and exchanges, and that such exchanges should often be understood in a very concrete way. Exchanges between cultural provinces and cultural centers by the middle of the 19th century should not only be considered in abstract and general terms, as an exchange of ideas, or as processes in which culture of itself transpires from one country to another, being automatically mediated, transformed or translated along the way. Rather, such exchanges rely on points of physical contact, of people traveling and meeting each other, of books being shipped and sold and sometimes translated into other languages, of musical scores being bought or copied by hand, and then transported from one place to another, possibly being performed in that other place, of travelling musicians giving concerts here and there, etc. To consider the concreteness of this type of activity also means, I believe, recognizing that a great measure of ‘contingency’ or ‘accident’ goes into such processes. Describing this type of concrete cultural transfer as ‘cultural traffic’, Alexander Cowan has suggested that one distinguishes between ‘intentional’ and ‘accidental’ cultural traffic.3 So, for instance, a score of a popular 2

3

Stefano Recchia/Nadia Urbinati (Eds.): A Cosmopolitanism of Nations: Giuseppe Mazzini’s Writings on Democracy, Nation Building, and International Relations, Princeton 2009, pp. 57-58. Alexander Cowan: Cultural Traffic in Lübeck and Danzig in the Sixteenth and Seventeenth centuries, in: Scandinavian Journal of History 28/3-4 (2003), pp. 175-185. See

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opera which may have arrived in Denmark because the Royal Theatre wanted to perform the opera, and therefore ordered the score to be shipped to Denmark, would qualify as a trace of intentional traffic, while another opera score which a traveler accidentally comes across on a travel (perhaps through a chance meeting with a fellow musician), then buys and brings to Denmark, would qualify as a trace of accidental traffic. While it may sometimes be difficult to distinguish clearly between these categories when discussing concrete cases, I think it useful to keep in mind that much of the cultural exchange that happened in 19th century Europe, happened precisely because this and that individual happened to discover this and that cultural artifact on a travel, or decided to translate this and not that book, or happened to visit this place and not another etc. It would be fair, and in line with his general cosmopolitan outlook, to consider Franz Liszt one of the most significant individual contributors to such processes of cultural traffic by the middle of the 19th century: As a travelling virtuoso in the pre-Weimar years he visited large parts of Europe, including Denmark, and thus introduced not only novelties of repertoire but also his innovative style of playing to the places he visited. After settling in Weimar, he made his own home into a cosmopolitan centre, receiving visitors from all over Europe, and helping a large repertoire of works from the ‘provinces’ getting performed there. One such work was the one-act opera Liden Kirsten (1846) by Hans Christian Andersen and Johann Peter Emilius Hartmann, performed in Weimar in 1856 as Klein Kirsten.4 The work, although unusually short, was in many ways a pinnacle of a romanticist way of articulating Danish nationalism musically, seeking to revive medieval folk ballad material. Andersen had, of course, done his best to persuade Liszt (a personal friend to both Andersen and Hartmann) to have this and other works performed in Weimar. At the same time, however, Liszt did not, I believe, accept this idea merely in order to do his Danish friends a favor. Rather, staging this work in Weimar may be interpreted as following a type of cosmopolitan strategy on Liszt’s behalf, in line with his earlier saint-simonean credo: He functioned, thereby, as an advocate and a mediator of some of those patriotic, moral, political, and religious songs, canticles, tunes, and hymns that he wished to see bursting from the fields, hamlets, villages, suburbs, workshops, and cities.

4

also Annegret Fauser/Mark Everist (Eds.): Music, Theater and Cultural Transfer: Paris 1830-1914, Chicago 2009. See, for instance, Mária Eckhardt: Liszt und die Musik der Skandinavischen Länder, in: Liszt und die Nationalitäten: Bericht über das Internationale Musikwissenschaftliche Symposion Eisenstadt, 10.-12. März 1994, hg. von Gerhard J. Winckler, Burgenländische Landesmuseum 1996, p. 152.

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I

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Slaget ved Fredericia – cosmopolitan elements within a nationalist discourse

While Liszt in this way represents ‘cosmopolitan man’, I want to now turn to what may serve as a representative of his opposite: ‘provincial man’. I want to do this by considering a work that never travelled outside Denmark, and which was surely not designed to do so either. It is an occasional work, celebrating a recent Danish military victory over the Prussian army in Fredericia – a town in the southern part of Denmark – and performed as part of a charity concert. The revenue of this concert went towards the funding of a monument in Fredericia, commemorating the Danish victory. I will try – at first sight somewhat counterintuitively, perhaps – to consider the work in question, Slaget ved Fredericia (Battle of Frederica), within a context of cultural transfer, as a work which, from within a nationalist and rather provincialist position seeks to nevertheless overcome (some aspects of) this provincialism, ‘reaching out’ towards or ‘aspiring’ to a more cosmopolitan position. ‘Counter-intuitively’, because the work may rather seem to exemplify a species of quite aggressive, nationalist propaganda, taking pride in Danishness per se, and celebrating the military defense of the Nation’s borders in a rather unequivocal way. My proposal is, that while the work obviously expresses the patriotic sentiments of the day, it may at the same time be seen as an experiment in appropriating a framework for representing the ‘exotic’, modeled – partly at least – on the French composer, Félicien David’s ‘saint-simonean’ symphonic ode, Le Désert. I also suggest that the composer, Henrik Rung (1807-1871), sought to seize the opportunity to discreetly prepare the Danish audience to sympathize with a particular fascination of his own: the vocal repertoire of the Italian renaissance, particularly the sacred works of Palestrina. Finally, I suggest that Rung’s composition may plausibly be seen in the context of a latent conflict within musical culture in Denmark that was not as yet particularly evident in 1850, when the work was performed, but which became somewhat clearer in the following decades. A few words, first, concerning the political context of the event which the musical work Slaget ved Fredericia deals with, and of the performance of the work itself. Until a year before this military confrontation, Denmark had been an absolute monarchy. The French revolution in February 1848, however, inspired action amongst the political opposition in Denmark. This was the case in Copenhagen, amongst the national liberals, whose leading figure was Orla Lehman, and which also counted Carl Ploug, the author of the text for Slaget ved Fredericia. This liberal opposition held a decisive meeting on 20th March 1848 at the Casino theatre in Copenhagen – the very venue where Slaget ved Fredericia would also eventually be performed some two years later. Only two days after this meeting in 1848, the Danish King – Frederik VII – agreed to absolve absolutism. These events, meanwhile, had very much to do with related events in the

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Jens Hesselager

primarily German speaking dukedoms of Schleswig and Holstein, where political opposition wanted to break the ties with Denmark and the Danish King altogether. Like their counterparts in Copenhagen they were much inspired by the revolutions in France and, a little later, Germany. They were definitely not, however, supported by Orla Lehman and his followers in Copenhagen, who insisted that Schleswig should stay part of Denmark proper. A civil war, lasting for three years, broke out. The Prussian army at first assisted the revolutionaries in Schleswig-Holstein, but after the Danish victory at Fredericia on 6th July 1849 (i.e. the event which Slaget ved Fredericia celebrates), Prussia withdrew from the conflict. When Slaget ved Fredericia was performed at the Casino theatre close to one year after this victory, on 8th May 1850, this civil war was in fact still going on. Since the work recounted the events of the battle which happened one year previously, it may on the surface of it be seen as a sort of ‘historical drama’, albeit with a quite recent subject. But at the same time, then, the political conflict with which it dealt was still alive. And the work’s political bias and its function as a piece of political propaganda obviously cannot be in any way questioned: It was firmly imbedded in the political and cultural milieu of the national liberals in Copenhagen. Slaget ved Fredericia is composed for orchestra, choir, and recitation. There are also quite a few musical numbers in the work for solo-singers, but it appears that these were expected to be sung by individual singers within the choir. On the title page of the score the work is given the simple generic title ‘Poem by P.R. composed by H. Rung’. P.R. are the initials of Poul Rytter, pseudonym of the aforementioned Carl Ploug.

II

Learning from Le désert

The work consists of an introduction – an orchestral prelude and a recited prologue – followed by three separate parts: The first is called Aften (Evening), the second Nat (Night), the third Morgen (Morning). A recited section introduces the second and third parts, just as the prologue had introduced the first part. It is striking to notice how this design resembles that of Félicien David’s Le désert (Paris 1844), which likewise consists of three parts of which the first is called Le desert, the second La nuit, and the last Le lever du soleil. And although the recited sections in Slaget ved Fredericia, unlike those in Le désert, are unaccompanied by music, certain qualities seem nevertheless strangely reminiscent of the way in which recited text is employed in David’s work. This association would, perhaps, be quite irrelevant if there were no reason to believe that Henrik Rung and Carl Ploug might have looked to David’s work for inspiration. As it happens, Le désert was performed in Copenhagen four years previously, in a Danish adaptation, in which the recited text was translated into Danish. This happened at a

Provincialism within limits

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concert on 4th November 1846 – i.e. only two years after its Parisian premiere: a concert which was otherwise almost entirely devoted to the performance of music composed by Henrik Rung himself. The concert contained 12 original compositions by Rung, of which quite a few betray his strong attachment to the music of Italy. Titles include, for instance, Canzonetta da bere, and Notturno.5 Rung, it should be noted, had travelled Europe between 1837 and 1840, staying in Rome most of the time, and returning via Paris, where he met Auber, Halévy and Meyerbeer, yet was first and foremost attracted to the Théâtre Italien.6 Except for David’s symphonic ode, which concluded the concert, the only composition not by Rung was an aria from Rossini’s Il barbiere di Siviglia. This type of concert – almost entirely devoted to presenting the works of one single composer – was by no means common fare at the time. Something similar, however, had happened on 21 May 1845, when Niels W. Gade had presented a program that included only his own compositions – including Nachklänge von Ossian and the Scottish overture, Im Hochland, Op. 7, which had been performed in Leipzig the previous year.7 Rung’s 1846 concert seems, in other words, to have been intended as a sort of personal statement – a counterpart, in a sense, to Gade’s concert in 1845. In so far as the introduction of David’s Le désert on that same occasion may be seen as part of that personal statement, it would seem that Rung took on the role here as a sort of champion of David’s work – as well as of Italian musical styles – within a Danish context. One characteristic quality of the recited text in Le désert is that it serves to describe, from a first person singular point of view, and in the present tense, what is seen and heard and sensed, right now in the desert. The speaker is present in the desert, as a caravan passes, and he treats the audience as if they too were present. The recited text in Slaget ved Fredericia adopts the same strategy in order to make the audience feel present, as if they were witnessing the battle at Fredericia themselves: “Come here! Sounds are approaching” (“Følg med! Der nærmer Toner sig […]”), it begins. In Le désert, one of the means of evoking this sense of presence, furthermore, has to do with the poetic, almost meditative descriptions of the exotic landscape, the air, the sounds of the place, and also the characterizations of various times of day: the night, the morning etc. The structure of Slaget ved Fredericia makes it possible to adopt a similar strategy, and the effect is that much of the music is in fact not at all militant or violent. Rather it depicts moods, it meditates on the Danish landscape, which it tends to exoticcize, and the music is made to function accordingly. The text of the second part – the “Night” section, with the subtitle “A view from Strib” (Strib is a village on the island of Funen, from whence Fredericia can be seen across the waters) – begins: 5 6 7

Carl Thrane: Cæciliaforeningen og dens stifter, Copenhagen 1901, pp. 96-97. See ibid., p. 39ff. For the programme of Gade’s concert, see ibid., p. 96.

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Jens Hesselager How beautiful this night is!/Mildly the summer wind waves its wing […] behold the moon majestically stride/across the deep blue of the high ceiling.8

This is preceded by a short prelude of which example 1 shows the first bars.

Example 1: Henrik Rung: 2den Afdeling. Nat. Udsigt fra Strib (2nd part. Night. View from Strib).

Comparing this music to the equivalent moment in Le désert – the beginning of the second part (example 2) – reveals quite a few apparent similarities, I believe. So, for instance, the key of E-flat is common to both pieces and both employ a triple meter to obtain a calmly rocking effect (although the 9/8 of Rung’s music has a slightly different feel to it, which may well be associated with Italian or Italianate genres such as the sicilienne, the barcarole, or, more to the point, of course: the notturno). Also, the solemn and somewhat distant-sounding horntimbre (pp) is a prominent feature in both pieces, and in both pieces a woodwind melody appears after a little while on top of an accompaniment enlivened by wavy figurations in low, husky string-sonorities. As far as atmosphere and tone is concerned, in short, these two openings are close cousins.

8

“Hvor denne Nat er Skjøn!/Mildt vifter Sommervinden med sin Vinge […] Se Maanen majestætisk skride/gjennem Højeloftets dybe Blaae.” (Carl Ploug: Samlede Digte, Copenhagen 1876, p. 291, translation by J. H.).

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Example 2: Félicien David: Le Désert. Deuxième Partie. La Nuit.

I do not, in fact, point to these similarities in order to simply suggest that Rung borrowed his basic structure from David, or that he did so in an unoriginal or uninventive fashion. Rather, the appropriation of certain techniques and expressive qualities of David’s music within the context of Rung’s ‘Danish’ work seems to represent an instance of ‘transfer’ and – indeed – ‘transformation’ not only of musical ideas, but also of musical meanings. For what happens at this point in Slaget ved Fredericia is, I believe, that the orientalizing and exoticizing gaze of David’s Le désert is turned on Denmark. Denmark, or the Danish landscape, becomes an exotic place, a ‘special’ place, and a place that may be considered desirable in a rather peculiar sense: It is made attractive in the same way foreign places are attractive. It even seems to have a benign, almost southern climate; it is a land in which a summer night may arouse the type of sensations portrayed musically by an Italian notturno, or an oriental night mood. Rung’s music is surely supposed to ‘mean’, then, what it means on the surface of it, and what the recited text makes explicit, namely that Denmark is a wonderful place, possibly even the best place on earth, ‘we’ (i.e. the Danish audience present in the Casino theatre in 1850) should love it, be proud of it, be glad to be Danish, and so on and so forth. It is patriotism attached to the landscape. But it also means something else. It is also the painting of a picture of Denmark in the image of somewhere else. It signifies that the authors have taken over a perspective on Denmark, that somehow resembles the ‘panoramic’ saint-simonean, or cosmopolitan vision of the all the provinces that make up the world. A ‘panoramic’ quality that even seems to be reflected in the subtitle “View from Strib”, as it invites us to imagine the landscape from a distance, across the waters, as we listen.

III

Desert people and coal burners

Le désert not only portrays exotic landscapes, it also portrays exotic people. It does so, for instance, in the first choral piece, “Allah, Allah, Allah”, in the instrumental “Fantasie arabe” and “Danse des Almées”, and in the piece called “La Liberté au Désert” – and elsewhere. In “La Liberté au Désert”, the people of the desert speak of themselves, comparing their own lives with the sorry, pale lives of urban dwellers – you just go ahead resting in your tombs of stone, they

214

Jens Hesselager

sing to the audience: “A nous le soleil et l’espace, à nous le mirage éclatant […] a nous les sables qui scintillent”.9 And a little later: “Le désert est notre patrie, nous sommes libre, fiers et forts”.10 Musically, this piece is characterized, among other things, by a fast tempo and a marked, dactylic rhythm that introduces the piece – it almost sound like a polonaise at first, or like the introductory bars of a cabaletta (see example 3). In between the homophonic, often unison phrases sung by the desert people, the orchestra interpolates fast and furious upward surging gestures, ending in the high register, with a piccolo flute on top. This type of musical idiom seems unmistakably related to the type of choruses heard in contemporary opera houses, where more or less similarly exotic and wild groups of people are depicted – as in the ‘gothic’ chorus of the witches and ghosts in Marschner’s Der Vampyr (1828) for instance, or in the choir “Noir démons, fantômes” in Meyerbeer’s Robert le diable (1831), or in the gypsies’ choir, “Coro di zingari”, of Verdi’s Il Trovatore (1853).

Example 3: Félicien David: La liberté au désert. 9

10

“Ours are the sun and the space, ours the shimmering mirage […] ours the glittering sables” (Translation by J. H.). “The desert is our father country, we are free, proud and strong” (Translation by J. H.).

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One would not think it likely, perhaps, that the subject of the battle at Fredericia would offer an opportunity to depict an exotic group of people, or of fashioning the Danes or the Danish soldiers as exotic in a manner that would make them appear quite as exciting, free and independent as the people of the desert in David’s work. It did, however, and Ploug and Rung seized the opportunity. As it happens, one of the Danish military heroes of the battle, general Olaf Rye, who played a key role in the successful Danish military strategy, and who died in the midst of the battle, led a group of soldiers which partly consisted of untrained, but, according to legend, rather wild and furious people, the so-called ‘kulsviere’, which is to say professional coal-burners. These were people who generally lived outside of cities or villages, in their own camps north of Copenhagen, where they produced coal, which they would eventually sell in central Copenhagen, where a central square is still named after this commerce – Kultorvet (the coal-market-square). According to legend these were unreliable, rough people, prone to drinking and fighting, and their job – burning coal – naturally meant that they had the appearance of being of darker skin color than the rest of the Danish population. They were exotic people, in other words, enjoying a somewhat gypsy-like reputation, yet presumably indigenously Danish (although popular belief seems to have differed on that point). And as was often the case with gypsies elsewhere – in Hungary for instance – they were recruited as footmen or cannon fodder for the army. (Nothing suggests, however, that a musical tradition, comparable to that of the Hungarian verbunkos, flourished in that connection.)11 The chorus of the coal-burners appears in Slaget ved Fredericia towards the middle of the second part – which is to say that its position within the general scheme of the work is quite analogous to that of “La Liberté au Désert” in Le Désert. Musically it shares some of the characteristics mentioned above in connection with that piece: It is fast, it deploys a marked dactylic rhythm quite extensively, the piccolo flute is used to add the stereotypical ‘gipsy-style’ sonority to it all, not least in fast upward surging gestures that are heard every once in a while. The text, too, adopts a strategy of collective self-portraiture that at certain points is rather close to that employed in “La Liberté au Désert”: We want to fight you now, be it one against two: Our hands are the hands of coalburners and our faith is the faith of coal-burners. Hurrah! […] Let’s go forward to

11

Official historiography on ‘Kulsviere’ is hard to find. Apart from various webpages devoted to the subject, mostly from the perspective of local history (such as kulsvier.dk, Web, last retrieved on 01.01.2014), Anders Uhrskov’s Kulsvierbogen: Skildringer paa nordsjællandsk Folkemaal, Hillerød 1967 may be mentioned. Popular legend concerning the lifestyle of the coal-burners is reflected in Georg Nordklid’s (little-known) novel Kulsvierblod (Coal-burner’s blood) from 1929.

216

Jens Hesselager the front row of the army – that’s where we are used. We, whose hands are the hands of coal-burners and whose faith is the faith of coal-burners. Hurrah!12

Example 4: Henrik Rung: No. 8. Kulsviernes Sang (Coal-burners Song).

IV

Learning from Meyerbeer

David’s Le Désert may not be the only work in which Rung has found inspiration here, however. The introductory bars together with the tempo marking for this movement (Allegro molto feroce assai), seem to give away another one, namely that of the “Chœur des meurtriers” of Meyerbeer’s Les Huguenots (Allegro feroce):

12

“Vi vil slaas med Jer nu, var det En imod To:/Vi har Kulsviernæver og Kulsviertro. Hurra! […] Frem i Spidsen for Hæren, der bruges vi jo,/ Vi med Kulsviernæver og Kulsviertro. Hurra!” (Ploug: Samlede, see note 8, pp. 297-98, translation by J. H.).

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Example 5: G. Meyerbeer: No. 27 c. “Chœur des meurtriers”.

The “Choeur des meurtriers” and the “Chorus of coal burners” (who is no doubt intended to be perceived as similarly murderous, while not similarly evil, as their counterparts in Meyerbeer’s opera) are both set in motion by a series of accentuated beats on the tonic, followed by a ‘ferocious’ melodic pattern which repeatedly hammers out the minor third, achieving thereby a certain effect of ‘roughness’. A Danish translation and adaption of Les Huguenots had been performed in Copenhagen in 1844, and as with the Danish performance of Le Désert, Henrik Rung had been centrally involved in this piece of cultural transfer. Although the newly appointed musical director, Franz Gläser, seems to have been the leading force behind the ambitious project of staging Les Huguenots in Denmark, Rung also took active part in it. He was at this point singing-master at the Royal Danish Theatre, which is to say that he was responsible for training the singers. As I have argued elsewhere, the experience of working with this work, which for the Danish stage at this point must count as an extraordinarily demanding work, appears to have had a decisive influence on Rung, as he himself tried his hand at creating a Danish grand opéra the following year – a historical drama in five acts, Stormen paa København (Aussault on Copenhagen, 1845), on the subject of another important military event in the Danish history, namely the Swedish

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Jens Hesselager

assault on Copenhagen in 1659.13 I have proposed to see this work of Rung’s as an appropriation of French models, particularly Les Huguenots – the result of a process of cultural transfer, in effect, which was initiated by the translation and adaptation for the Danish stage of a handful of French works within this genre, and which then later was followed up through the creation of an original work.

V

Crossbreeding

One might reasonably consider works which demonstrably respond to the experience of important (foreign) works within a theoretical context of reception history or reception theory. In doing so, however, it seems that one would automatically emphasize the centrality of the original work, and consider the later works merely significant in terms of the reception history of the work to which it may be seen as a reaction. What I would rather want to stress here is the process of ‘cross-breeding’ or métissage which takes place, and which within theories of cultural transfer serves to describe not so much a process of confrontation as a fertile process of ideas and practices that cross borders, inspire innovative thinking and so on.14 Although I have suggested that David’s Le Désert served as a central inspiration for Slaget ved Fredericia, and Meyerbeer’s Les Huguenots another, then, I want now to modify this analysis, claiming that these are in fact only two amongst several influences that ‘cross-breed’ in this work. Some musical elements in the work, for instance, clearly refer to a rather stereotypical repertoire of styles or musical signifiers associated with Danishness or with the ideology of nationalism or national liberalism. So, for instance in the first part, we hear a romance, sung by a Danish peasant – a romance which clearly belongs to the category of (newly composed) ‘medieval’ Danish songs that were much in vogue at the time – a genre with which Rung was perhaps primarily associated at the time. Indeed his first success, which earned him not only a name in Denmark, but also the government grant that allowed him to travel to Italy and France, was with Henrik Herz’ romantic tragedy Svend Dyring’s hus (1837) for which he provided the incidental music. The perceived ‘medieval’ tone of Rung’s music, not least the sung romances for this play was much praised. H.C. Andersen and J.P.E. Hartmann’s opera Liden Kirsten drew, as already mentioned, on this tradition too. Also related to the topos of Danish musical nationalism is the scene at the end of the second part of Slaget ved Fredericia in which the choir of Danes confront the choir of Prussians. The scene is entitled: “The Danes prevail. The 13

14

Jens Hesselager: »There be light!« : »Stormen paa Kjøbenhavn« (1845) and the Danish Reception of French Grand Opera, in: Die Tonkunst 4 (2010), pp. 199-207. See Fauser/Everist (Eds.): Music, Theater, and Cultural Transfer, see note 3, p. 6.

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enemy flees”. Here the Danish chorus simply uses the melody of a strophic tune, Dengang jeg drog afsted, which was extremely popular at the time and very well-know still today. It was written the year previously, and it immediately became the battle-cry of the Danish national liberals – it came to function as the Danish ‘Marseillaise’ of 1848, so to speak. I want to focus on foreign influences in the midst of such demonstrations of Danishness, however, and so I want to conclude by calling attention to a quite different type of element of the work. This points to a lifelong musical fascination of Rung’s, which, incidentally, he shared with Liszt (although possibly without knowing it), and which at the same time fit rather badly with the Danish nationalist atmosphere of the day. As mentioned above, Rung spent a rather long period of time in Rome during his European travels between 1837 and 1840. In fact, for the duration of some months in 1839, he and Liszt were both in Rome at the same time. Liszt was no admirer of the present state of opera in Italy at the time. This he made rather clear in his letter on the state of music in Italy, De l’état de la musique en Italie, to the editor of the Gazette Musicale, Maurice Schlesinger, written in early 1839. On the other hand, Liszt expressed his deep admiration for the music of the Sistine Chapel in a letter to Hector Berlioz later that same year. He did not elaborate, however, for he felt that he did not as yet know enough about “toute cette grande école de musique sacrée qui nous est trop peu connue.” Nor did he have the time to study it just then.15 Later, of course, he would return to this repertoire, but that is another story, which cannot be dealt with here. Henrik Rung’s experience of musical life in Italy seems to have been much the same as Liszt’s. Like Liszt, he was not impressed by the contemporary Italian opera, which he felt was in a state of decline since the glorious days of Rossini. And like Liszt, he was fascinated by the performances at the Sistine Chapel. In a letter, dated 17 March 1838, Rung writes that he had the opportunity to hear the Sistine Chapel every Sun- and Holiday, and that he enjoyed the happy privilege of having access to the “most famous library in Rome” in which he studied church-compositions. “This”, he added, “is particularly interesting, since both the music and the style in which it is written, is practically unknown at home.”16 Like Liszt, then, Rung sensed that great treasures were hidden here. Part of what made it interesting was that it had, in the eyes of both, something genuinely novel to contribute to contemporary musical life at home. Unlike Liszt, Rung had the time, and he spent a lot of it in the libraries, studying and transcribing the music of Palestrina, Lotti, Marcello etc.17 He made 15

16 17

Franz Liszt: Lettre d’un bachelier ès-musique. San Rossore, 2 octobre 1839. A M. Hector Berlioz, in: Gazette musicale, 24.10.1839, p. 418. Thrane: Cæciliaforeningen, see note 5, p. 39. See also John Bergsagel: Henrik Rung – “A feeling for music libraries”, in: Fund og Forskning 43 (2004), pp. 381-393. The manuscripts of Rung’s transcriptions are preserved at the Royal library in Copenhagen.

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contacts, and took singing lessons with Girolamo Ricci, who introduced him to the old Accademia di S. Cecilia, and to Giuseppe Baini, the Palestrina biographer. And he led a choral society, mostly consisting of members of the Danish and German community of artists, writers etc. in Rome. All in all, this provided him with a rich material, which he eventually brought home to Denmark. Back in Denmark he sought to introduce this repertoire whenever he had the chance, first within the context of the Scandinavian Society – a male chorus otherwise devoted to the music of Bellman, Crusell and other Scandinavian composers then in fashion. He also emulated aspects of this style in his own compositions, as for instance in the Mottetto from 1844, for choir and Orchestra, in which he, among other things, experimented with various doublechoir techniques. Eventually the Scandinavian Society was dissolved and succeeded by the Society of St. Cæcilia, founded in 1851 by Rung. Rung’s enthusiasm for the old Italian church music repertoire did not meet with much understanding by the Danish audience, however. It did not seem to have a natural place within the nationalist discourse that dominated public life at the time. As far as this was concerned, he was not easily discouraged, though. The third part of Slaget ved Fredericia depicts the morning of 6 July – after the battle. One of the musical numbers here is a piece for choir and orchestra, entitled “From the Catholic Chapel”. The excuse for introducing this piece here, is that on the morning of 6 July the wounded and dead soldiers, including general Rye, were in fact at first assembled in the Catholic Church in Fredericia. This ‘historical’ fact, in other words, gave Rung the opportunity to include a movement imitating the style of old Italian church music, with much a cappella singing, and a texture that experiments extensively with splitting up the choir in sections.

VI

Rung vs. Gade

I have now arrived at my final point, in which I want to consider Rung’s work in relation to a latent conflict in Danish musical culture at the time, and particularly in the following decades. For as it happened, the military conflict between Denmark and Prussia that for the time being culminated in the battle at Fredericia, also played a role in provoking the most internationally renowned Danish musician, Niels W. Gade, to decide to return from Leipzig to Denmark. As he returned, it was only natural, of course, that he came to play a crucial role in musical life in Copenhagen.18 This meant, in effect, that German musical culture in general, and Mendelssohnian aesthetics in particular came to gradually dominate musical life in Copenhagen 18

See, for instance, Inger Sørensen: Niels W. Gade. Et dansk verdensnavn, Copenhagen 2002, pp. 130ff.

Provincialism within limits

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quite markedly. While it is difficult to assert to what extend Henrik Rung opposed this tendency, and whether Rung and Gade felt themselves to be engaged in an open conflict with each other, it is rather clear that much of what Rung stood for went quite in the opposite direction of the dominant values that Gade propagated, implicitly or explicitly. Without taking the comparison too far, it may be suggested that the values that Rung supported within Danish musical culture, vis a vis the ever more dominant position of Gade and his followers, seem quite similar to those of Liszt’s within an international context. And while Niels W. Gade, due to his brilliant international career, which was matched by no other Danish musician at the time, may in retrospect appear to reign supreme as the foremost representative of musical cosmopolitan culture within Danish musical life, and while Rung, on the other hand, in retrospect is primarily associated with a less extrovert, more provincialist, nationalist position, it may be suggested that both of these musicians in fact, in each their way, from each their perspective, contributed centrally to bringing musical life in Denmark into a more dynamic and engaged contact with the rest of Europe and its cultural centers.

Der Fall Rubinstein Elena Chodorkovskaja (Sankt Petersburg) (aus dem Russischen von Dorothea Redepenning) Thanks to his family background and his education, Anton Rubinstein was a polyglot and a cosmopolitan personality whose European experience gave him the determination to raise the music culture of his homeland to a European level. Close contact with Liszt and Mendelssohn, as well as a good working relationship with the Grand Duchess Elena Pawlowna encouraged him to launch first a music company and then a conservatory in St. Petersburg – the first in Russia. This article summarizes these developments and analyses the sometimes short-sighted and narrow-minded difficulties that were inflicted on him, especially through anti-Semitic motives, by his countrymen. Rubinstein’s model of combining a music society and a Conservatory set a trend in Russia.

Im Spätherbst des Jahres 1889 wurde die Hauptstadt des russischen Imperiums Zeugin einer Jubiläumsfeier von nie dagewesenem Ausmaß: Im Verlauf von sechs Tagen, vom 17./29. November bis zum 22. November/4. Dezember feierte Sankt Petersburg die fünfzigjährige künstlerische Tätigkeit und den sechzigsten Geburtstag von Anton Grigorjewitsch Rubinstein1 (1829-1894). Der musikalische Teil der Festlichkeit war in einem dem Anlass entsprechenden Maßstab organisiert: Neben der Uraufführung der Oper Die Kummervolle (Gorjuša) im Mariinskij-Theater fanden zwei Konzerte mit Werken des Jubilars und unter der Leitung von Peter Tschaikowsky statt. Beim ersten erklang die fünfte Symphonie (Russische Symphonie, Op. 107, 1880), das Konzertstück für Klavier und Orchester As-Dur Op. 113, uraufgeführt mit Rubinstein selbst als Solist, und das symphonische Stück Russland (Rossija, o. Op., 1882). Beim zweiten Konzert spielte man die Ouvertüre zur Oper Dmitrij Donskoj2(1852), das Stück Rusalka für Alt, Frauenchor und Orchester (Op. 63, 1861), Tänze aus der Oper Feramors3 und – zum ersten Mal in Sankt Petersburg – das Oratorium Der Thurm zu Babel (Vavilonskoe stollotvorenie, Op. 80),4 bei dessen Aufführung ungefähr 700

1

2 3 4

Russische Namen sind deutsch-phonetisch wiedergeben (Rubinstein, nicht Rubinštejn); die Werktitel erscheinen in deutscher Übersetzung und eingeklammert original in wissenschaftlicher Transliteration. Haupttitel: Schlacht auf dem Kulikowo-Feld (Kulikovskaja bitva). Nach Thomas Moores orientalischem Opus Lalla Rookh, Uraufführung Dresden 1863. Als Geistliche Oper mit deutschem Titel und deutschem Text 1870 in Königsberg uraufgeführt.

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Personen beteiligt waren. Alle Einnahmen aus den Jubiläumskonzerten spendete Rubinstein dem Fond zum baulichen Erhalt des Petersburger Konservatoriums. Das Programm der Konzerte, das Rubinstein selbst zusammengestellt hatte, ist bemerkenswert wegen des überwiegenden Anteils von Werken mit russischer Thematik. Der Verdacht der Absicht hinter einer solchen Werkauswahl lässt sich kaum entkräften. Diese Werkliste liest sich wie eine demonstrative Geste des herausragenden Musikers, mit der er sein Recht verteidigt, ein russischer Komponist genannt zu werden und auf diese Weise seine eigene Sicht des „RussischSeins“ in Gestalt eines letzten Wortes seiner künstlerischen Laufbahn zu behaupten. Selbstverständlich hoffte Rubinstein nicht, seine Landsleute auf diese Weise zu überzeugen, die in ihm nicht einen „nationalen Komponisten“ sahen – Landsleute wie Vladimir Stassow, Mili Balakirew, Nikolaj Rimski-Korsakow oder die Mitglieder des Beljaew-Kreises, gar nicht zu reden von den Autoren antisemitischer Veröffentlichungen in der konservativen Presse. In seinem programmatischen Aufsatz Unsere Musik seit den letzten 25 Jahren behauptet Stassow: „Zum Schaffen im russischen nationalen Stil hatte Rubinstein überhaupt keine Fähigkeit.“5 Diese Haltung gegenüber Rubinstein war typisch für die Komponisten des „Mächtigen Häufleins“, wobei sie in diesem Zusammenhang nicht vergaßen, an Rubinsteins ethnische Herkunft zu erinnern. So schrieb Balakirew ein Jahr vor Rubinsteins Jubiläum an Stassow: Ich gebe zu, ich fand es sehr seltsam, in ihrer kleinen Entgegnung an V.C. Solowjow den Namen Antokolskijs6 zu lesen, den Sie als Beweis für russische (!!) Begabung und die Stärke der jungen russischen Kunst anführen. Über sein Talent will ich nicht streiten, aber sagen Sie doch bitteschön, aus welchem Grund er ein Vertreter der russischen Schule sein soll, wo er doch von Haus aus ein Jude ist, der nicht einmal getauft ist, ständig in Paris lebt und sogar schlecht russisch spricht. – Ist es vielleicht nur, weil er ein russischer Staatsbürger ist? Dann müssen Sie auch Rubinstein als russischen Musiker anerkennen.7

Rimski-Korsakow verhielt sich am tolerantesten gegenüber Rubinstein. Dennoch hielt auch er es, wie einige andere aus dem Beljajew-Kreis, nicht für nötig, bei Rubinsteins Jubiläum zu erscheinen.8 Rubinstein war an Stigmatisierungen 5

6

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V.V. Stasov: Unsere Musik seit den letzten 25 Jahren (Naša muzyka za poslednie 25 let, 1822/83), in: Aufsätze zur Musik (Stat’i o muzyke), Moskau 1977, Bd. 3, Zitat S. 193. Mark Matveevič Antokol’skij, eigentlich Mordych Matisovič Antokol’skij (18431902), Bildhauer, konvertierte nicht zum orthodoxen Glauben, als Skulptor Begründer einer russischen nationalen Schule und von Stasow hoch geschätzt (Anm. der Übersetzerin). M. A. Balakirev/V. V. Stasov: Briefwechsel (Perepiska), Moskau 1971, Bd. 2, S. 133. Siehe dazu: Lev A. Barenbojm: Anton Grigorʼevič Rubinštejn: žizň‘, artističeskij put‘, tvorčestvo, muzykal‘no-obščestvennaja dejatel’nost‘ (Leben, künstlerischer Weg,

Der Fall Rubinstein

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dieser Art längst gewöhnt. Doch Ende der 1880er Jahre kam das Gefühl des Ausgestoßen-Seins hinzu, des Abgelehnt-Werdens in allen gesellschaftlichen Beziehungen – den ethischen, den konfessionellen, den künstlerischen –, denen er angehörte. Von der dramatischen Erfahrung der vollkommenen Entfremdung (was ihn nicht hinderte, als Komponist für die Darstellung dieser Erfahrung eine brillante rhetorische Form zu finden) berichtete Rubinstein zwei Monate vor der Jubiläumsfeier in einem Brief an den Leipziger Notenverleger Bartholf Senff: „Den Juden bin ich ein Christ, den Christen ein Jude; den Russen bin ich ein Deutscher, den Deutschen ein Russe, den Klassikern ein Zukünftler, den Zukünftlern ein Retrograder u.s.w. Schlußfolgerung: ich bin weder Fisch noch Fleisch – ein jammervolles Individuum.“9 Der Fall Rubinstein – des Künstlers, der bis zu diesem Zeitpunkt sein Lebens- und Schaffensprojekt erfolgreich verwirklicht hatte, aber auf die Resultate mit dem Gefühl tiefer Verzweiflung blickte – hat paradigmatische Bedeutung für das Verständnis jener spezifischen Probleme (einschließlich des Problems des russischen „Arrangements“ von Konzepten des Nationalismus und Kosmopolitismus), mit denen die russische Gesellschaft sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts konfrontiert sah bei dem Versuch, eine eigene kulturelle Identität zu konstruieren. Umfang und Auswirkungen von Rubinsteins beispielloser schöpferischer, kultureller und organisatorischer Tätigkeit schufen nicht nur institutionelle Voraussetzungen für die Existenz der Musik in Russland. Seine Initiativen trugen ihrerseits dazu bei, durch Gestaltung und öffentliche Präsentation konkurrierende Ansichten auf dem Weg der Selbstbestimmung der nationalen Musik zu ermöglichen und dadurch die Diskussion musikalischer Fragestellungen in das Format kulturbildender Konflikte zu überführen. Die Polemik war von Rubinsteins Aufsatz Über die Musik in Russland10 ausgegangen, in dem er als Ursache für die Notlage der russischen Musik den Dilettantismus nannte und als Lösung des Problems die Professionalisierung der Musik einklagte. Mit schärfsten Einwänden traten zwei der einflussreichsten Musikkritiker, Vladimir Stassow und Alexander Serow, sofort gegen Rubinstein an – Kritiker, deren Ansichten abgesehen von ihrer Aversion gegen Rubinsteins Ideen in keiner Weise übereinstimmten.11 Solche Konflikte waren nicht von Rubinstein

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10

11

Schaffen, musikalisch-gesellschaftliche Tätigkeit), Leningrad 1957 und 1962, Bd. 2, S. 252; zur antisemitischen Kampagne, die sich im Zusammenhang mit Rubinsteins Jubiläum auf den Seiten der russischen ultranationalistischen und chauvinistischen Presse (Graždanin (Der Bürger) und Novoe vremja (Die neue Zeit)), vgl. ebd. S. 358f. Brief vom 11./23. September 1889, in: Anton Rubinsteinʼs Gedankenkorb, Leipzig 1897, S. 422. Vek (Das Jahrhundert) 1861, 1. Nachdruck in: Anton G. Rubinštejn: Literaturnoe naseldie (Literarischer Nachlass), hrsg. von Lev A. Barenbojm, Moskau 1983-1986, Bd. 1, S. 46-53. V. V. Stasov: Ein Konservatorium in Russland (Konservatorija v Rossii), in: Biene des Nordens (Severnaja pčela) vom 24.02.1861; A.N. Serov: Über die Musik in Russ-

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beabsichtigt; sie ergaben sich aus der russischen Kultursituation selbst, den biografischen und künstlerischen Umständen, die die Struktur von Rubinsteins Persönlichkeit formten. Man könnte Rubinstein einen Menschen der Grenze nennen. Geboren in einem Ansiedlungsrayon für ethnische Juden, überquerte er seine erste „Grenze“ nicht nach eigenem Willen. Im Juli 1831 konvertierte die Familie des im ukrainischen Stadt Berdytschiw ansässigen Kaufmanns Ruben (orthodox: Roman) Rubinstein, 35 Personen einschließlich des Enkels Anton, zum orthodoxen Glauben. Anfang der 1830er Jahre ließen sich die Eltern des zukünftigen Komponisten mit ihren Kindern in Moskau nieder. Sein Vater, Grigorij Romanowitsch, schloss sich den Reihen der Moskauer Kaufleute an und führte sein Geschäft mit wechselndem Erfolg, während sich die Mutter Kaleria (orthodox: Klara) Christoforowna, in Breslau (Preußisch-Schlesien) geboren, der Kindererziehung widmete. Als Anton fünf Jahre alt war, begann sie, ihn in Musik zu unterrichten. Drei Jahre später wurde der bekannte Moskauer Pädagoge Alexander Iwanowitsch Villoing (russisch: Villaun) sein Lehrer, der sofort die außerordentliche musikalische Begabung des Kindes erkannte. Am 11./23. Juli 1839 gab Rubinstein sein erstes öffentliches Konzert in Moskau; im Herbst 1840 begab er sich mit seinem Lehrer nach Paris. Was hat Europa Rubinstein gegeben? Das eine Jahr Unterbrechung, das mit seiner Rückkehr nach Russland verbunden ist, nicht mitgerechnet, lebte er dort bis 1848; er kam als elfjähriger Knabe in Paris an und reiste als 19-Jähriger Jüngling aus dem von revolutionären Unruhen ergriffenen Berlin wieder ab. Er begann als typisches Wunderkind, das mit seinem Lehrer alle europäischen Metropolen und etliche kleinere Städte bereiste. Seine sensationellen Auftritte erweckten nicht nur die Aufmerksamkeit des Publikums, sondern auch das Interesse bedeutender Musiker: Die Bekanntschaft mit Fryderyk Chopin, Franz Liszt, Paulina Viardot, Klara Schumann, mit Giacomo Meyerbeer und Felix Mendelssohn fällt in diese Zeit. Als er sich 1844 mit der Mutter und dem Bruder Nikolaj in Berlin niederließ, wohin sie die Kinder gebracht hatte, um ihnen eine Ausbildung zu geben, war aus dem reisenden Wunderkind ein junger Student von Siegfried Dehn geworden, dem besten Berliner Theoretiker, den Mendelssohn empfohlen hatte (im Hause Mendelssohns pflegten Anton und Nikolaj Rubinstein sonntags zu Gast zu sein). 1846 kehrten die Verwandten nach Russland zurück; Anton Rubinstein blieb und begann ein selbständiges professionelles Leben – zunächst in Wien und dann noch einmal in Berlin – ein hartes, wechselhaftes von Hunger geprägtes Leben, beruhend auf schlecht bezahlten Musikstunden und seltenen Konzerten, auf die sehr unterkühlte Reaktionen der Kritiker folgten. Allerdings bestand die wichtigste Lehre, die Rubinstein aus der europäischen Jugend mitnahm, in vielfältigem Wissen, in Kenntnissen und Erfahrung, vor allem im Zustandekommen von weitreichenden Kontakten in den Kreisen der land (O muzyke v Rossii), in: Lesebibliothek (Biblioteka dlja čtenija) 1861, Nr. 2.

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künstlerischen Elite. Die Essenz dessen, was er sich angeeignet hatte, formulierte der Historiker James Loeffler folgendermaßen: [...] the greatest legacy of this time was less Rubinstein’s individual contacts with major musicians than his prolonged exposure to European artistic cosmopolitanism at its peak. In the salons of Berlin and Vienna, Jews, Christians, and converts, Germans and foreigners, all came together around the ideals of art and conversation. [...] In the 1840s these grand salons, often run by haute-bourgeois women of Jewish origin, were still in their heyday, and artists, writers, scholars, musicians, and other wealthy elites pursued the new secular religion of European high culture. Under the influence of Romanticism, German art music at the time aspired to be a cosmopolitan, universal cult of art and had not yet began to acquire the chauvinist overtones of nationalism that would emerge after 1848. Rubinstein thus imbibed a Romantic vision of art as a pan-European culture in which artists moved literally and figuratively across geographic, political, and social borders with ease.12

Diese Erfahrung hatte systembildende Bedeutung in der Prägung von Rubinsteins Persönlichkeit. Sie wurde zum Träger seines künstlerischen Lebensentwurfs, zum Retter für den Fremden aus dem zaristischen Grenzland. Das romantische Konzept der Universalität der Kunst gab dem Künstler Rubinstein die einzig mögliche Art und Weise, das Problem seiner russisch-jüdisch-deutschen Identität durch schöpferische Arbeit zu überwinden. Als er 1848 nach Russland zurückkehrte, überzeugt sich Rubinstein schnell, wie schlecht das dortige Musikleben für die Annahme solcher Ideen vorbereitet war. Der junge Musiker, der auf den Schultern die Erfahrung europäischer Erfolge trug, fand sich plötzlich in der Lage einer rechtlich ungeschützten Person von niedrigem sozialen Status und mit einer sehr geringen Auswahl an Optionen für die berufliche Entwicklung. Mindestens zwei dieser Umstände begegnete Rubinstein gleich in den ersten Tagen nach seiner Ankunft in der Heimat. Beim Überschreiten der Grenze forderte man seinen Pass. Rubinstein hatte nicht nur kein solches Dokument, er verstand nicht einmal die Bedeutung dieses Wortes (als er Russland 1844 verließ, war er ein Kind und im Pass der Mutter eingetragen). Die folgenden Wochen, die er in Erwartung der Aufenthaltserlaubnis damit verbrachte, an die Duma der Stadt Berdytschiw zu schreiben und nach Petersburg zu senden, verwandelten sich in einen wahrhaftigen Alptraum. Die Grenzbeamten verlangten jeden Morgen seinen Pass, zwangen ihn, aus dem Hotel auszubuchen und die Wohnung von Freunden zu verlassen, die ihm Obdach gewährt hatten. Polizeichef Galachow und Generalgouverneur Schulgin drohten mit Gefängnis, Fesseln und Deportation nach Sibirien, ungeachtet höchster Protektion und

12

James Loeffler: The Most Musical Nation: Jews and Culture in the Late Russian Empire. Yale University Press 2010, S. 20-21.

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Bürgschaft. Die abschließende Episode dieses Sittenbildes lohnt es, mit Rubinsteins eigenen Worten wiederzugeben: […] zu meinem Glück fand am Hof ein Ball oder ein Konzert statt, ich weiß nicht genau, jedenfalls eine Versammlung. Alle meine Bekannten, denen ich von Schulgin und Galachow erzählt hatte, fielen über sie her. ‚Was machen Sie mit Rubinstein? Verzeihen Sie, wie kennen ihn von Kindesbeinen an, er gab Konzerte; wie gehen Sie mit ihm um?‘ Am nächsten Tag komme ich zu Galachow. Nach alledem lässt er mich etwa zwei-drei Stunden warten, die ganze Zeit stehend, mich zu setzen hatte ich kein Recht. Schließlich ruft er mich in sein Kabinett. ‚Nun, Brüderchen, man hat mir von Dir gesagt, dass Du so ein Musikant bist, geh also zu Tschesnokow, dem Chef meiner Kanzlei, und spiele ihm etwas vor, damit wir wissen, ob Du wirklich ein Musiker bist! Denn er versteht etwas von Musik!13

Nachdem Tschesnokow dem Polizeimeister überbracht hatte, dass „Rubinstein wirklich spielt“, gewährte man ihm einen Aufschub von drei Wochen. Die institutionellen Formen des Musiklebens der russischen Hauptstadt, in die Rubinstein eintrat, waren von tief archaischen Merkmalen gekennzeichnet. Das Operntheater, auf das der Zarenhof ein Monopol hatte, und die Auftritte zahlreicher Solisten und Ensembles in Gastspielen waren die Grundfeiler dieses Bildes. Symphonische Musik erklang selten: Die Direktion der Kaiserlichen Theater organisierte eine Konzertsaison in der Fastenzeit, während der die Spektakel im Theater verboten waren. Die seit 1802 existierende Philharmonische Gesellschaft gab in diesen Tagen nicht mehr als zwei bis drei Konzerte, ebenso viele gab die 1850 von A. F. Lwow gegründete Konzertgesellschaft, die wegen der teuren Eintrittspreise nur der wohlhabenden Elite zugänglich waren. Ein umfangreicheres Programm boten die 1842 ins Leben gerufenen sogenannten Universitätskonzerte, die als Proben des Studentenorchesters deklariert waren (von dort stammt ihr offizieller Name: „Musikalische Übungen der Studenten der Kaiserlichen Universität“ und entsprechend die Möglichkeit, nicht nur in den Tagen der Fastenzeit aufzutreten). Das Orchester bestand tatsächlich aus Studenten, hinzu kamen Liebhaber und einige Berufsmusiker. Rubinstein zufolge, der einige Male mit ihnen als Solist und als Dirigent auftrat, „spielten sie schrecklich“.14 Die Situation in der Ausbildung entsprach diesem Bild. Schulischer und außerschulischer Musikunterricht war an vielen Bildungseinrichtungen vorgesehen, nicht unbedingt bestimmt für junge Adlige, wohlhabende Personen nahmen Privatunterricht. Allerdings boten nur die sogenannte Hofsängerkapelle und die dem Kaiserlichen Theater angegliederte Schule eine Vorbereitung auf eine professionelle Laufbahn. Sie rekrutierten ihre Schüler aus niederen sozialen 13

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A. Rubinstein: Autobiographische Skizzen (Avtobiografičeskie razkazy, im Original russisch); vgl. Rubinštejn: Literarischer Nachlass, s. Anm. 10, Bd. 1, S. 76. Ebd., Bd. 1, S. 78.

Der Fall Rubinstein

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Schichten. Die soziale Distanz zwischen den einheimischen professionellen Musikern und ihren Zuhörern war gewaltig: Sie zeugte von Russland als einem im kulturellen Bereich prämodernen Land. In den sechs Jahren, die Rubinstein bis zur nächsten Auslandsreise (1854) in Russland verbrachte, erlebte er aus eigener Erfahrung die patriarchalische Lebensweise und den Provinzialismus dieser Ordnung, was in krassem Gegensatz zu den europäischen kulturellen Normen und institutionellen Gepflogenheiten stand. Die Möglichkeiten einer regelmäßigen, bezahlten professionellen Tätigkeit, Ansehen und finanzielle Sicherheit – all das konnte der heimische Arbeitsmarkt einem Pianisten nicht bieten. Rubinsteins Debüt als Opernkomponist – die Premiere seiner ersten Oper Dmitrij Donskoj fand 1852 auf der Bühne des Petersburger Bolschoi-Theaters statt – wurde begleitet von unvergesslichen Eindrücken der Grobheit und Arroganz des damaligen Direktors der kaiserlichen Theater A. M. Gedeonow: „Er duzte ausnahmslos alle, auch mich“, heißt es in Rubinsteins Erinnerungen.15 Zumeist sehr schlecht bezahlte Privatstunden und seltene Konzerte, die den finanziellen Aufwand für ihre Durchführung nicht deckten, waren an der Tagesordnung; und die Berühmtheit im Kreis der aristokratischen Amateure im Lande, deren soziale Ordnung schon von Peter I. fest strukturiert und begründet worden war als sogenannte „Rangtabelle“, hatte darauf keinerlei Einfluss. Zu diesen hochwohlgeborenen Amateuren gehörte auch Jelena Pawlowna (1807-1873), geborene Prinzessin Friederike Charlotte Marie von Württemberg, Ehefrau des Großfürsten Michail Pawlowitsch, Bruder der Zaren Alexander I. und Nikolai I. Anfang 1852 berief sie Rubinstein als Pianist und Begleiter an ihren Hof und bot ihm zugleich Kost und Logis in ihrem Palast. Die Großherzogin, die sich vor den Mitgliedern des russischen Kaiserhauses durch Aufgeklärtheit und breite künstlerische Interessen auszeichnete, erwies sich gegenüber Rubinstein anteilnehmend und freundlich.16 Rubinstein seinerseits, der in der Situation formal die Rolle eines Bediensteten bei einem hochgeborenen Gönner innehatte, nutzte diese Situation auf eine Weise, die einer modern denkenden Persönlichkeit und eines Künstlers wahrhaft würdig ist: Einige Monate später hatte er das Projekt zur Eröffnung einer Musikakademie (Konservatorium) in St. Petersburg ausgearbeitet und schickte es an seine Gönnerin. Es vergingen allerdings nicht weniger als sieben Jahre, bis Rubinstein 1859 mit seinen beispiellosen Reformen beginnen konnte, deren praktische Verwirklichung wiederum in vielem der Unterstützung der Jelena Pawlowna zu verdanken war. Sie wurde die offizielle Schirmherrin und Sponsorin der auf Rubinsteins Initiative hin neu geschaffenen Institutionen – der Russischen Musikgesellschaft (Russkoe muzykal’noe obščestvo, RMO 1859) und des Petersburger Konservatoriums (1862).

15 16

Ebd., Bd. 1, S. 79. Ebd., Bd. 1, S. 79.

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In den Jahren zuvor, die er hauptsächlich in Westeuropa verbracht hatte (1854-1858), erreichte Rubinsteins Reputation ihren Höhepunkt – als großer Pianist, der im Rang nur Liszt an die Seite gestellt werden konnte und der von ihm als rechtmäßiger „Nachfolger“ anerkannt wurde, als ernsthafter Komponist, der der Ästhetik Schumanns und Mendelssohns treu folgt und produktiv zu allen Gattungen beiträgt, von Lied und Klaviermusik bis zu Oper, Symphonie und Oratorium. Dieses Kapital an Reputation hat Rubinstein in das Programm der Modernisierung des russischen Musiklebens investiert. Welche Ziele verfolgte Rubinstein, als er dieses Programm konzipierte? Die Punkte, die in den Satzungen der neuen Institutionen, in dem Aufsatz Über die Musik in Russland (1861), bei der Rede anlässlich der Eröffnung des Konservatoriums17 und – viel später – in den Autobiographischen Skizzen formuliert wurden, alle diese Punkte beschränkten sich nicht auf das Erreichen einer neuen Stufe im Bereich der Musikausbildung und des Konzertlebens. Sie sollten vielmehr sicherstellen, dass „Konservatorien in Russland aus ihren Schülern und Schülerinnen eine neue Schicht russischer Bürger und Bürgerinnen heranbilden, die die Bezeichnung ‚freier Künstler‘“18 verliehen bekommen. Damit erwies sich Rubinstein auch als echter Sozialreformer. Den romantischen Glauben an die große zivilisatorische Kraft der Musik aufrechterhaltend, wollte Rubinstein in Russland eine neue künstlerische Elite heranbilden als alternative Quelle von Macht und Autorität gegenüber der staatlichen Bürokratie, einer Elite, deren Können die große Kraft der Kunst sicherstellen würde. Es ist schwer der Versuchung zu widerstehen und nicht anzunehmen, dass eines der Modelle, an denen Rubinstein sich orientierte, Franz Liszt war, mit dem er besonders Mitte der 1850er Jahre eng verbunden war. Als er Russland 1854 verließ, begab er sich direkt zu Liszt nach Weimar, wo er sich mehrere Monate aufhielt, denn Liszt dirigierte hier 1854 die Uraufführung seines Operneinakters Die Sibirischen Jäger (Sibirskie ochotniki). Wie Liszt unterbrach auch Rubinstein, als er sich auf dem Gipfel des Ruhmes befand, seine Karriere als reisender Virtuose, um sich auf ein großes Kulturprojekt zu konzentrieren. Wie Liszt nutzte auch Rubinstein die Autorität eines Mäzens aus dem Hochadel. In Anbetracht Weimars, das „nicht nur dank Liszt, sondern auch dank dem Großherzog Karl August zum Zentrum der Intelligenz“19 geworden war, konnte Rubinstein sich von einem solchen Beispiel inspirieren lassen, ähnliche Ergebnisse in Petersburg anzustreben, nur mit dem Unterschied, dass er diese musikalische Intelligenz noch schaffen musste. 17 18

19

Ebd., Bd. 1, S. 53-55. Rubinštejn: Autobiographische Skizzen, s. Anm. 13, S. 87; die Bezeichnung „freier Künstler“, die die Absolventen der Kunstakademie seit langem erhielten, garantierte einen gewissen sozialen Status und eine Reihe von Privilegien: Kinder von Bauern und Bürgern befreite der Status von Steuern und Rekrutierung; Juden erlaubte er, außerhalb der für Juden vorgesehenen Gebiete zu leben. Ebd., S. 82.

Der Fall Rubinstein

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Als er die Russische Musikgesellschaft (RMO) und das Konservatorium organisierte, handelte Rubinstein als Patriot, der von Mendelssohn und Liszt eine breite, kosmopolitisch orientierte Sicht auf die Kultur übernommen hatte. Der erste Paragraph in der Satzung der RMO nennt als Ziel „die Entwicklung der musikalischen Bildung, des musikalischen Geschmacks in Russland und Förderung der heimischen Talente.“20 Von der Eröffnung der Gesellschaft am 23. November/5. Dezember 1859 bis zu seinem Rückzug 1867 hat Rubinstein allein das Konzertrepertoire zusammengestellt und die Konzerte (zehn pro Saison) dirigiert. In jedem der Konzerte war sichergestellt, dass russische und westliche Musik, alte und neueste Musik erklang. Rubinstein erwies sich hier als wahrer Sohn des Jahrhunderts des Historismus, indem er in seine Programme, wie er Liszt voll Stolz mitteilte, „Werke aller Komponisten, aller Schulen und aller Zeiten“ aufführte.21 In diesen Jahren hörte das Petersburger Publikum Werke von Bach, Händel, Gluck, Beethoven, Schubert, Schumann, Berlioz, Liszt, Wagner. Die Spannweite russischer Komponisten reichte von Paschkewitsch, Fomin und Cavos bis zu Glinka, Werstowski, Dargomyshski, Balakirew, Serow, Mussorgski, Cui und Tschaikowsky.22 Die Integration der russischen Musik in einen europäischen Kontext erschien so als Maßnahme der Repertoirepolitik. Das Konservatorium wiederum sollte eine analoge Aufgabe lösen, nämlich auf nationaler Ebene Rahmenbedingungen zu schaffen, die den höchsten westeuropäischen professionellen Standards entsprechen. Zu diesem Ziel engagierte Rubinstein die besten Musiker als Lehrer, die in der Mehrheit, natürlich, Ausländer waren (viele von ihnen waren zu der Zeit bereits in Petersburg tätig). Zur ersten Generation der Konservatoriumsprofessoren gehörten Teodor Leszetycki (Klavier), Henryk Wieniawski (Violine), Carl Schuberth (Cello), Ernesto Cavalli (Klarinette), Albert Zabel (Harfe), Henriette NissenSaloman (Gesang). Theorie unterrichtete Nikolai Saremba, ein Schüler von A. B. Marx – er war der erste, der in russischer Sprache unterrichtete. Das von Rubinstein vorgesehene Programm der Integration der russischen Musikkultur in den europäischen künstlerischen Kontext über europäische institutionelle Formen rief heftigen Widerstand bei den Adepten des „nationalen“ 20

21

22

Zit. nach I. F. Petrovskaja: Musikalische Bildung und musikalische gesellschaftliche Organisationen in Petersburg 1801-1917. Enzyklopädie (Muzykal’noe obrazovanie i muzykal’nye obščestvennye organizacii c peterburge 1801-1917, Ėnciklopedija), Petersburg 1999, S. 255. Brief an Liszt vom 12./24. November 1859 (original französisch), zit. n. Rubinštejn: Literarischer Nachlass, s. Anm. 10, Bd. 2, S. 103. Vgl. N. Findejzen: Skizze der Tätigkeiten der St. Petersburger Abteilung der Kaiserlich Russischen Musikgesellschaft, 1859-1909 (Očerk dejatel’nosti S.-Peterburgskogo otedelenija Imperatorskogo Russkogo muzykal‘nogo obščestva, 1859 – 1909), Petersburg 1909; L.A. Barenbojm: A. G. Rubinštejn. Leben, künstlerischer Weg, Schaffen, musikalisch-gesellschaftliche Tätigkeit (Žizn‘, artističeskij put‘, tvorčestvo, muzykal’no-obščestvennaja detel’nost‘), Leningrad 1957, Bd. 1, S. 253.

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Weges für die Entwicklung der einheimischen Musik hervor, vor allem bei den schon erwähnten eloquentesten Advokaten dieser Richtung – bei dem Ideologen und Mentor des „Mächtigen Häufleins“, Vladimir Stassow, und dem Einzelkämpfer Alexander Serow. Jeder von beiden hatte seine Gründe, Rubinsteins Konservatorium anzugreifen. Ohne sich auf eine detaillierte Analyse dieser Gründe einzulassen,23 muss dennoch hervorgehoben werden, dass die beiden untereinander verfeindeten Kritiker in ihrer Gegnerschaft gegen Rubinstein und den vorgebrachten Motiven einmütig argumentierten. Hören wir zuerst Stassow: Herr Rubinstein ist bei uns Ausländer, der weder mit unserem Volk, noch mit unserer Kunst etwas gemeinsam hat (obwohl einige ausländische Zeitungen ihn gelegentlich zu den russischen Komponisten zählen); er ist ein Ausländer, der weder einen Begriff von den Bedürfnissen des ersteren noch vom historischen Gang der letzteren hat.24

Stassow veröffentlichte seinen Aufsatz ist in der konservativen „Biene des Nordens“ (Severnaja Pčela), deren Auflagen bis gegen 10.000 gingen. Im selben Blatt erschien in der Ausgabe vom 9. Mai 1862 eine Bemerkung Serows, „Verheißungen wahrer musikalischer Ausbildung in Sankt-Petersburg“ überschrieben. Ohne Rubinsteins Namen zu nennen, führte er aus: […] wir, Russen, begeben uns freiwillig unter das Joch unbegabter Ausländer, unter das Joch musikalischer Jankels, die bereit sind, wie Gogol im Taras Bulba sagte, ganze Provinzen zu verwittern. Wir sehen auch, dass diese zu uns eingereisten musikalischen Aufklärer Russlands über uns spotten […]. Wir […] dämmern in unserer slawischen Apathie, doch die Herren Jenkel dämmern nicht, im Gegenteil, und darum geht es, dass sie die alle musikalischen Aktivitäten in Sankt-Petersburg und Moskau, mal mit dem einen, mal mit dem anderen Zaumzeug knebeln, und bald, mit der Gründung des von ihnen herbeigesehnten Konservatoriums, der zukünftigen Brutstätte mittelmäßiger musikalischer Beamter, werden sie sich in ihrem erworbenen Herrschaftsgebiet schon ganz despotisch als Hausherren aufspielen und versuchen, in Russland alle Musikalität zu zerschlagen, nicht wegen ihrer „Jankel“-Partei, sondern aus Hass werden sie auf alles Russische alle Anstrengungen richten, um zu ihrem eigenen Vorteil die direkte, natürliche Entwicklung der russischen musikalischen Talente zu unterbinden.25 23

24

25

Diese berühmte Episode in der Geschichte der russischen Musik ist sehr umfangreich, wenn auch in ungleich in der Qualität dargestellt. Eine detaillierte Beschreibung der Motive der einzelnen Beteiligten in dem Konflikt bietet Dorothea Redepenning: Geschichte der russischen und der sowjetischen Musik, Bd. 1: Das 19. Jahrhundert, Laaber 1994, S. 112-119. V. Stasov: Ein Konservatorium in Russland (Bemerkungen zum Aufsatz des Herrn Rubinštejn) (Konservatorija v Rossii [Zamečanija na stat’ju g. Rubinštejna]), in: Aufsätze zur Musik (Stat’i o muzyke), Moskau 1976, Bd. 2, S. 5. Vgl.: A. Serov: Aufsätze zur Musik (Stat’i o muzyke), Moskau 1989, Bd. 5, S. 259. In der mehrbändigen Ausgabe der Aufsätze Serovs, die 1984 bis 1990 erschienen ist,

Der Fall Rubinstein

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Das, was Stassow und Serow, russische liberal gesonnene Intellektuelle, als sie Fragen der nationalen kulturellen Identität diskutieren, schlägt mit Leichtigkeit um in die Sprache des Chauvinismus. Es sagt viel über die damalige ideologische Atmosphäre. In dieser Atmosphäre, die von einem unverhohlenen Antisemitismus durchtränkt ist, verwandelten sich Patriotismus und Kosmopolitismus in einander ausschließende Ideologeme. Die Konstruktion der nationalen Identität entfaltete sich im Horizont des „Fremden“, mit dem man zu kämpfen oder zu konkurrieren hat. Dieser Geist entsprach auf ideale Weise der Epoche der Weltausstellungen, die Stassow besuchte, der eifersüchtig die Wettbewerbsfähigkeit der russischen Kunst verfolgte. Die universalistisch-kosmopolitische Position Rubinsteins wirkt vor diesem Hintergrund zutiefst anachronistisch. In historischer Perspektive wurde Rubinsteins Projekt von glänzendem Erfolg gekrönt. Auf das Petersburger Konservatorium folgend eröffneten auch in Moskau zunächst eine Abteilung der Russischen Musikgesellschaft und dann ein Konservatorium; so ging es im ganzen Land weiter. Dank Rubinstein hat sich das russische Musikleben unwiderruflich gewandelt, das Petersburger Konservatorium diente als Modell für ähnliche Musikschulen in Russland und gab Bildungsstandards vor, dank denen Russland und später die Sowjetunion zu einer der führenden Kräfte in der Musik entwickelte (vor allen in den Bereichen Klavier und Streichinstrumente). Rubinsteins Initiativen, wie auch die anderer seiner Zeitgenossen, Führungspersönlichkeiten von komplexer Identität – Mendelssohn, Liszt oder später Busoni – trugen zur Veränderung der Zusammensetzung der kulturellen Gemeinschaften bei, in denen sie wirkten, und erfüllten so ihre Mission.

lässt Vlavimir Protopopov den letzten Absatz unkommentiert. Dabei bereitet das Auffinden des Zitats keinerlei Schwierigkeit: Serov selbst kümmerte sich darum, indem er Autor und Werk benannte. Dort im zehnten Kapitel des Taras Bul‘ba macht Gogol‘ den Leser mit dem Mieter und Gastwirt Jankel bekannt: „ […] der bekannte Jankel […] hat nach und nach von allen benachbarten Herren und Adligen in ein wenig in seine Hände gebracht, nach und nach das ganze Geld ausgesogen und seine jüdische Präsenz im jenem Land große Bedeutung verliehen. Im Umkreis von drei Meilen blieb nicht eine Hütte in Ordnung. Alles ist zerfallen, altersschwach geworden, alles in Armut und zerlumpt wie nach einer Feuersbrunst oder der Pest, verwittert die ganze Region. Und wenn Jankel dort noch zehn Jahre gelebt hatte, dann wäre wahrscheinlich das ganze Schlesien verwittert.“; Jankel ist ein jiddischer Vorname, eigentlich in der Bedeutung, „Er [Gott] möge schützen“, die aber schon im Alten Testament umgedeutet wurde in „Fersenhalter“, „er betrügt, er verdrängt“ (vgl. Art. Vorname Jankel, in: vornamen.ch, Web, letzter Zugriff 19.08.2014, Anm. der Übersetzerin).

Busoni und Liszt Künstlerischer Selbstentwurf und Pianistik Susanne Fontaine und Thomas Menrath (Berlin) The pianist, composer and author Ferruccio Busoni never had piano lessons with Franz Liszt. All the same – as this essay points out – in questions of artistic self-conception and above all with regard to piano playing, Liszt was Busoni’s guide. Different aspects of this ‘inheritance’ are outlined on the basis of his own comments, eye-witness accounts, articles on the methodology of piano teaching as well as photographs, sound recordings and annotated printed music editions including fingerings by Busoni. Busoni’s dictum concerning Liszt, ‘from his “style” I constructed my technique’ can thus be rendered more precise. Shoulder support in piano playing, eschewing putting the thumb under, and the outstanding importance of pedalling are the characteristics of Busoni’s un-romantic piano playing, which is not oriented towards the ideal of singing, but instead monumentally aims at larger canvasses in the period following Liszt.

Ferruccio Busoni (1866–1924) folgte als Künstler zwei großen Vorbildern: Goethe und Liszt. Der allen dreien gemeinsame Bezugsort ist die Stadt Weimar. An Goethe faszinierte Busoni vor allem dessen Lebensentwurf als sozial hoch geachteter uomo universale. Goethe war das stärkere und auch das spätere der beiden Rollenvorbilder, vor allem, da Busoni im Laufe seines Lebens immer weiter von seiner Rolle als konzertierender Künstler abrückte. Das zweite und in Busonis Leben früher verfolgte Rollenvorbild für den komponierenden und publizierenden Pianisten Busoni war Franz Liszt. Um ihn geht es in den folgenden Ausführungen. Neben den Aspekten des Selbstentwurfs als Künstler befassen sie sich vor allem mit Busonis Pianistik in der Nachfolge Liszts, so wie sie aus Bildund Textquellen, Tonaufnahmen und Kompositionen zu erschließen ist. Das folgende, mit „Weimar, September 1900“ datierte Photo zeigt Busoni im heute nicht mehr existierenden ‚Tempelherrenhaus’ im Weimarer Park. Hier fanden im Sommer 1900 und 1901 die beiden Meisterklassen statt, die Busoni auf Einladung des Großherzogs Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach hielt.1 Es ist ebendieser Fürst, der seinerzeit geistigen Austausch mit Liszt

1

Wir danken Stefan Lerche und Robert Sutcliffe, Hamburg, für die Übersetzung des Abstracts, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Musikabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, vor allem Dr. Roland Schmidt-Hensel und Ralf Beyer, sowie Prof. Dr. Christine Siegert, Christiane Huth und Shinta Kato, Universität der Künste Berlin, für den Notensatz. Die Erinnerungen von William Draber lassen die Atmosphäre dieser Sommerkurse

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Susanne Fontaine und Thomas Menrath

pflegte, die nach ihm selbst benannte Gesamtausgabe der Werke Liszts veranlasste und Busoni als einen der Herausgeber zu diesem Projekt hinzuzog. Der Aufbau der Photographie aus dem Tempelherrenhaus ist sorgfältig überlegt, von den Händen der schützenden Muse über die lesbaren Titelblätter der Noten von Charles-Valentin Alkan und Anton Rubinstein, die verdeutlichen, dass hier ein Virtuose ins Bild gesetzt wird, bis zum Metronom als Zeichen, dass hier gearbeitet wird, der Künstler dem Werk dient, und dem zweiten Flügel, der klarstellt, dass hier, wenige hundert Meter von der Hofgärtnerei entfernt, nicht alleine geübt, sondern unterrichtet wird. Nicht nur der porträtierte Busoni schaut den Betrachter an, sondern aus dem abgebildeten Bilderrahmen auf dem Lehrerflügel heraus auch der Abbé Liszt, aufgenommen ebenfalls von Louis Held, vom selben Weimarer Photographen also, von dem auch das Busoni-Bild stammt.

Abbildung 1: Busoni im Tempelherrenhaus (Quelle: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv, Mus. Nachl. F. Busoni, P I, 80).

Etwa 15 Jahre nach der Entstehung dieser Photographie, 1916, entwarf Busoni selbst in einem Programmheftbeitrag sein Bild von Liszt. Die Meßlatte für eine Identifikationsfigur kann kaum höher angelegt werden:

lebendig werden; vgl. ders.: Busoni in Weimar, in: Musikblätter des Anbruch 3 (1921), S. 39f.

Busoni und Liszt

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‚Liszt’ – so sprach einmal der achtzigjährige Großherzog Karl Alexander von Weimar zu mir – ‚war, wie ein Fürst sein sollte.’ Er war Fürst und Künstler, und schon bei Lebzeiten eine Legende. Fürstlich waren seine Gesinnung, seine Erscheinung und Haltung; – zum Künstler stempelte ihn die glückliche Vereinigung von Begabung, Intelligenz, Beharrlichkeit und Idealismus. Als solcher besaß er alle Kennzeichen der Großen: die Universalität seiner Kunst, die drei Schaffensperioden, das Suchende bis zuletzt; – das Rätselhafte seiner Fähigkeiten, die taschenspielerische Art seines Darbietens, die magnetischen Wirkungen seiner Künste verliehen Liszt das ‚Legendarische’. Seine Ziele sind Aufstieg, Veredelung und Befreiung. Nur ein Hoher strebt zum Aufstieg, nur ein Edler nach Veredlung, nur ein Freiherr kann Freiheiten einräumen. – Er ist das Symbol des Klaviers geworden, das er in den Fürstenstand erhob, damit es seiner selbst würdig werde.2

I

Biographische Parallelen

Von ihrem Lebensweg her gab es durchaus Ansatzmöglichkeiten der Identifikation für Busoni mit Liszt, weitaus mehr als zu Anton Rubinstein, dem zweiten Pianisten, der für Busoni von maßgeblichem Einfluss war. Wie Liszt war Busoni habsburgisch sozialisiert; die kulturelle Infrastruktur seiner Jugend war von Triest aus klar auf Wien ausgerichtet. Die Ausbildung Busonis verlief ebenso wie die Liszts nicht in institutionellen, akademischen Bahnen, sondern überwiegend autodidaktisch. Die einzige längere Ausbildungsphase Busonis bestand in einem privaten Kompositionsstudium bei dem Grazer Komponisten Wilhelm Mayer (Pseudonym: W. A. Remy). Dem Einfluss seines Lehrers entsprechend, sind Busonis Stücke dieser frühen Phase stilistisch Johannes Brahms verbunden. Die ersten Schritte Busonis in die künstlerische Selbständigkeit im Anschluss an die Wunderkind-Phase fanden aber im Falle Busonis, vermittelt über Brahms, in Leipzig statt und nicht in Paris. Auch Busoni begann eine Karriere als reisender Virtuose; er war aber anfangs als Lehrer institutionell angebunden, zunächst an den Rändern der damaligen westlichen Welt, in Helsingfors, Moskau, Boston und New York, bevor er 1894 nach Berlin zog und überwiegend dort, bis zu seiner Berufung zum Vorsteher einer Meisterklasse für musikalische Komposition an die Preußische Akademie der Künste im Jahr 1920, freiberuflich arbeitete. Unterbrochen wurde diese Zeit vor allem durch das Exil in Zürich und New York während des Ersten Weltkrieges. Dem Vorbild Liszts folgend, nahm er für Unterricht keine Honorare von den Schülern. Wie Liszt war Busoni katholisch.

2

Ferruccio Busoni: Aus den Zürcher Programmen. III. Liszt, in: Von der Einheit der Musik. Von Dritteltönen und Junger Klassizität, von Bühnen und Bauten und anschließenden Bezirken. Verstreute Aufzeichnungen von Ferruccio Busoni, Berlin 1922, S. 226.

238

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Aber im Gegensatz zu Liszt lag ihm wenig an Religiosität und an theologischen Fragen. Seine Position lässt sich als ‚kulturkatholisch’ bezeichnen. Für ihn bedeutete – darin wieder Liszt vergleichbar – der Katholizismus einen weltoffenen und großzügigen Gegenentwurf zum engen deutsch-nationalen Protestantismus, wie er ihn in Fausts Wittenberger Universitätswelt fand und wie ihn in seiner Sicht Robert Schumann verkörperte. Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen Liszt und Busoni wurde vielleicht durch die rudimentäre Schulbildung und das langjährige Reiseleben beider begünstigt: die ausgeprägte Liebe zur Literatur. Sie führte dazu, sich auch als Künstler als Intellektueller zu verstehen und sich publizistisch zu Fragen der Kunst und des Künstlertums zu äußern.

II

Pianistische Tradition

Busoni war kein Schüler Liszts. Als Pianist, Klavierkomponist und Lehrer gilt er dennoch vielen als Fortsetzer einer Tradition, die durch Liszt begründet wurde. Hier soll daher die Pianistik Busonis im Vordergrund stehen. Als Pianist stand er nicht unter dem unmittelbaren oder mittelbaren Einfluss Liszts. Seinen ersten Klavierunterricht erhielt er bei seiner Mutter. Ihr Spiel charakterisiert Busoni als in der „Reihe der Thalbergschen Art; sehr geläufig, etwas salonmäßig und clavieristisch im reinsten Sinne.“3 Busoni hat Dent zufolge4 zwar als elfjähriges Kind 1877 den alten Liszt noch spielen hören und ihm auch selbst vorgespielt,5 jedoch scheint dies voererst wenig folgenreich gewesen zu sein. Wichtiger war zunächst die Begegnung mit Anton Rubinstein, dem der junge Busoni 1875 in Wien vorgestellt wurde.6 Busoni hat ihm auch später vorgespielt, u. a. 1884 seine f-Moll-Sonate, die er Rubinstein widmete. Dent zufolge hat Busoni sich erst in Helsingfors seit 1888 näher mit Liszt beschäftigt, vermittelt über Martin Wegelius, den Gründer des dortigen Musikinstituts. Eine wirklich intensive Beschäftigung mit Liszt fand jedoch erst etwa 1893 in Boston statt. Diese erste eingehende Auseinandersetzung mit den Klavierkompositionen Liszts löste in dem fast dreißigjährigen Busoni eine, wie er es selbst empfand, entscheidende Wandlung aus. Wie sehr im Anschluss daran Liszt zum ‚Hausgott’ wurde, belegen verschiedenste Zeugnisse:

3

4 5

6

Ferruccio Busoni: Zwei autobiographische Fragmente, in: Wesen und Einheit der Musik, Berlin 1956, S. 84. Edward Dent: Ferruccio Busoni. A Biography, London 1974, S. 102. Busoni: Zwei autobiographische Fragmente, s. Anm. 3, S. 91, vgl. Dent: Ferruccio Busoni, s. Anm. 4, S. 24 und S. 77. Ebd., S. 91, und Dent: Ferruccio Busoni, s. Anm. 4, darauf basierend, S. 20.

Busoni und Liszt

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Abbildung 2: Photo Busoni mit Cottlow im Arbeitszimmer (Quelle:Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv, Mus. Nachl. F. Busoni, P II, 7).

Dieses Bild zeigt Busoni 1912 oder 1913 in seinem Berliner Arbeitszimmer neben seiner amerikanischen Schülerin Augusta Cottlow sitzend, darüber hängt eine Kopie der Lebendmaske Liszts von Bartolini, rechts hinter Busoni hängt eine Reproduktion des Liszt-Porträts von Scheffer.7 Über seine Beschäftigung mit Liszt um 1893 schreibt Busoni 1910 rückblickend in einem Programmheftbeitrag: 7

Es handelt sich hierbei um eine Kopie der Lebendmaske Liszts von Lorenzo Bartolini sowie – mit Reflexen auf dem Glas – eine Reproduktion des Porträts von Ary Scheffer (vgl. Ernst Burger: Franz Liszt. Eine Lebenschronik in Bildern und Dokumenten, München 1986, S. 111 und S. 93). Dass eine solche Kopie der Maske Liszts in Busonis Wohnung hing, belegt die Rückseite einer Postkarte aus der Porträtsammlung in den Beständen der Berliner Staatsbibliothek. Die Karte ist mit dem 13. März 1916 datiert und einen Tag später in Locarno gestempelt. Wer die Karte geschrieben hat, ließ sich nicht identifizieren, jedenfalls zählen die Schreiberin, die als „Eure getreue Grethe“ unterzeichnet, wie auch die Adressaten, das Ehepaar Casanova in Pallanza, zum persönlichen Umfeld Busonis. Auf der Rückseite des Abzugs steht: „So sind bei Busoni verschiedene Zimmer als Bibliotheken sehr geschmackvoll eingerichtet u. oben hängt meine Liszt-Maske“ (Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz – Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv, Porträtreihe, Mus P Busoni, F., I, 53, Rückseite).

240

Susanne Fontaine und Thomas Menrath Nach dem Vorbilde Liszts […] habe ich, bereits vor etwa 17 Jahren, im frischen Nachahmungsdrang meiner jäh aufgeloderten Liszt-Begeisterung, die ‚Spanische Rhapsodie’ symphonisch umgestaltet. Es war jene Zeit meines Lebens, da ich mir solcher Lücken und Fehler in meinem eigenen Spiele bewußt geworden war, daß ich mit energischem Entschlusse das Studium des Klaviers von vorne und auf ganz neuer Grundlage begann. Die Werke Franz Liszts wurden meine Führer und erschlossen mir eine ganz intime Kenntnis seiner besonderen Art; aus seinem ‚Satz’ konstruierte ich meine Technik […].8

III

Tonsatz und Klaviertechnik

Worin bestand das ‚Neue’ dieser Klaviertechnik Busonis? Das äußere Bild des klavierspielenden Busoni schildern einige Schüler und Zeitgenossen Busonis, so etwa Heinrich Kosnick: Busonis Haltung beim Spiel war auffallend ruhig; seine Ellbogen verrieten keine ,Freiheit’, sie schaukelten nicht. Busonis Körperhaltung war aufrecht, sein Blick gradaus in die Ferne gerichtet [...], die Folge hiervon war die geistige Überschau und Aristokratie seines Wesens, ja, wie aus der Ferne her sog er die Konzeption.9

Abbildung 3: Photo Busoni am Klavier. Deutlich zu erkennen ist Busonis hoher Sitz und die daraus folgende, für das Spiel aus der Schulter charakteristische Haltung der Arme auf dieser Künstlerpostkarte von Busonis Verlag Breitkopf & Härtel aus dem Jahr 1905. (Quelle: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv, Mus. Nachl. F. Busoni, P I, 92).

8

9

Ferruccio Busoni: Wert der Bearbeitung, in: Von der Einheit der Musik, s. Anm. 2, S. 147. Heinrich Kosnick: Busoni. Gestaltung durch Gestalt, Regensburg 1971, S. 15.

Busoni und Liszt

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In seiner Busoni-Biographie zitiert Hans Heinz Stuckenschmidt aus Briefen und Dokumenten von Zeitzeugen, vor allem aus dem Schülerkreis.10 Aus ihnen lassen sich bis zu einem gewissen Grad Rückschlüsse auf Bewegungsabläufe am Instrument und auf ihre künstlerischen Resultate schließen. Edward Weiss, Klavierschüler Busonis in den zwanziger Jahren, charakterisiert das Spiel seines Lehrers: Seine Grundidee […] war körperliche Entspannung verbunden mit geistiger Spannung. Er pflegte zu sagen, Klavierspielen sei Ameisenarbeit. Nach außen absolute Ruhe, keine unnötigen Bewegungen, die den Zuhörer [!] ablenken könnten.11

Walter Niemann nennt bei Stuckenschmidt Busonis Spiel „geradezu unbegreiflich in der Kunst des leichtfedernden, von der Rückenmuskulatur getragenen modernen Oktavenspiels.“12 Ähnlich beobachtet der Pianist Mark Hambourg, 10

11

12

Hans Heinz Stuckenschmidt: Ferruccio Busoni. Zeittafel eines Europäers, Zürich/ Freiburg i. Br. 1967, bes. S. 143-162. Stuckenschmidt bewegt sich in dieser Publikation auf dem Grat zwischen Publizistik und Wissenschaft. Daher verzichtet er bei den Zitaten auf genaue Nachweise und dankt lediglich im Nachwort zusammenfassend allen Korrespondenten, die ihn unterstützt haben. Schreibweisen sind in Stuckenschmidts Buch normalisiert und weichen daher z. T. von der Schreibweise der Quellen ab, z. B. in der Namensschreibweise Weiß/Weiss. Das Material zu diesem Buch sowie die Korrespondenz mit Edward Weiss befinden sich im Nachlass Stuckenschmidts im Bestand der Akademie der Künste Berlin zählt (Berlin, Akademie der Künste, Hans-Heinz-Stuckenschmidt-Archiv, Nr. 2534 und Nr. 555). Stuckenschmidts Bibliothek befindet sich im Bestand der Bibliothek des Staatlichen Instituts für Musikforschung in der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, ebenfalls in Berlin. Leider war es nicht in allen Fällen möglich, Stuckenschmidts Belegstellen nachzuweisen. Ebd., S. 158. Die Passage aus einem undatierten Brief Weiss’ lautet: „Seine Grundidee war körperliche Entspannung verbunden mit geistiger Spannung. Er pflegte zu sagen, Klavierspiel sei Ameisenarbeit. Nach aussen hin absolute Ruhe, keine unnötigen Bewegungen, die den Zuhörer ablenken könnten. Er war der eigentliche Gründer des neuen Klavierspiels, besonders im Gebrauch des Pedals. Sein epochemachendes Spiel hat leider keine Folgen gehabt. Viele haben danach gestrebt, aber keiner hat erfasst, worum es Busoni ging. Der heutige pianistische Nachwuchs ist im Gegensatz zu Busoni, zu emotionell, unruhig und unbeherrscht, erfolghasschend [!] und nicht Diener am Werk“ (Berlin, Akademie der Künste, Hans-Heinz-Stuckenschmidt-Archiv, Nr. 555). Stuckenschmidt: Busoni, s. Anm. 10, S. 63. Das Zitat lautet bei Walter Niemann: Meister des Klaviers. Die Pianisten der Gegenwart und der letzten Vergangenheit, Berlin 1919, S. 25: „Die [Busonis Technik] ist nach romanischer Art durchaus architektonisch-formal und plastisch, glänzend virtuos gerichtet, staunenswert zuverlässig und treffsicher, ohne alle Thalbergsche oder Chopinsche ‚Kunst auf dem Klavier zu singen’ und gradezu unbegreiflich – trotz Theodor Kullak und Teresa Carreño! – in der Kunst des leicht federnden, von der Rückenmuskulatur getragenen modernen Oktavenspiels.“

242

Susanne Fontaine und Thomas Menrath

Busoni habe mehr aus der Schulter als aus dem Handgelenk gespielt und damit gewaltige Wirkungen erzielt.13 Busonis Schüler Heinrich Kosnick zitiert aus einem Brief Busonis an seine Frau: „Nur das Clavierspiel geht gut, ich spiele fast gar nicht mehr mit den Händen. Dieses Spiel wirkt überall gleich stark, was ich auch vortrage.“14 Diese für einen Pianisten etwas rätselhafte Bemerkung wird verständlich durch eine Beobachtung des Dirigenten Henry Wood, die Stuckenschmidt wiedergibt: [Er] wunderte sich, daß Busoni beim Spielen einen ungewöhnlich breiten Klaviersessel benutzte, eine Art Orgelbank. Er fragte, warum das so sei und erhielt zur Antwort: weil Busoni beim Spiel den Körper oft nach rechts oder links gleiten lasse, wenn er höchste oder tiefste Oktaven brauche.15

Die Beobachtung Woods lässt darauf schließen, dass es Busoni offenbar daran gelegen war, auf der glatten Holzoberfläche des Sitzes in seitlicher Richtung zu rutschen, um nicht nur die Hand und die Arme, sondern den ganzen Körper in eine Position zu bringen, die einen vom gesamten Körper her gestützten Anschlag

13

14 15

Stuckenschmidt zieht hier Harold C. Schonberg: Die großen Pianisten. Eine Geschichte des Klaviers und der berühmtesten Interpreten von den Anfängen bis zur Gegenwart, Bern u.a. 1965, S. 345f. als Beleg heran. Das Zitat von Hambourg ist bei Schonberg auch im Original (New York 21987, S. 373) weder belegt noch datiert. Vgl. Stuckenschmidt: Busoni, s. Anm. 10, S. 64. Weiss schreibt in diesem Sinn am 11. Juni 1966 an Stuckenschmidt: „Mark Hambourg hat recht, wenn er sagt ‚Busoni spielt mehr aus der Schulter als aus dem Handgelenk.’ Sein Legato-Spiel erzeugte er durch Betonung eher als durch Bindung und auch durch Pedalgebrauch. Drei Arten des Oktavspiels hat er angewandt, Vollarm, Halbarm und aus dem Handgelenk geschüttelt, wie in der Campanella und besonders in ‚Nun freut Euch’ drei verschiedene Anschlagsarten. Er ist der Gründer der neuartigen Pedalisierung.“ (Berlin, Akademie der Künste, Hans-Heinz-Stuckenschmidt-Archiv, Nr. 555). Gemeint ist Busonis 1898 erschienene Klaviertranskription des Orgelchoralvorspiels BWV 734. Kosnick: Gestaltung, s. Anm. 9, S. 15. Stuckenschmidt: Busoni, s. Anm. 10, S. 68. Stuckenschmidt bezieht sich auf Henry J. Wood: My Life of Music, London 1938, Reprint Freeport 1971, S. 140 f.: „I used him for sitting on a long stool at the piano. ‚That’s an organ stool‘, I told him. ‚What do you want to sit on a thing like that for?‘ ‚You can tell me this, my friend‘, he said. ‚If I want to shift a couple of inches to the right when I am playing high up in the treble, or to the left when I am occupied down in the bass, who is going to stop me?‘ I had no answer for that, especially as his movement so slight that nobody in the audience could possibly have detected it. What impressed me most about him technically was his amazing use of the pedals. His pedalling was a revelation. He produced the most amazing effects with his sostenuto pedal – wrongly called the loud pedal – and could change the tone of the entire instrument, with at times almost orchestral effects.“

Busoni und Liszt

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ermöglichte. Das von Kosnick zitierte Diktum Busonis, er spiele fast gar nicht mehr mit den Händen, ist zwar sehr geeignet, den nicht nur von diesem Autor gepflegten Mythos vom vergeistigten Klavierspiel Busonis zu verfestigen, lässt sich aber gerade im Gegenteil als Aussage zur Körperlichkeit des Instrumentalspiels lesen. Das Briefzitat wird noch konkreter zu einer Aussage Busonis über die Sicherheit im Pianistisch-Handwerklichen, wenn man es im Kontext der – immer noch stark redigierten – Briefausgabe liest. Der Schluss des Briefs vom 7. März 1909 handelt von den Strapazen einer Konzertreise, von denen auch in anderen Briefen während dieser Tournee die Rede ist: Liebe Gerda, ich schreibe nicht viel, weil ich sehr müde bin; ich denke an Nichts mehr, als an Züge, Programme und das Ende der Reise. Ich bin aus Allem heraus, nur das Clavierspiel geht gut, ich spiele fast gar nicht mehr mit den Händen. Dieses Spiel wirkt überall gleich stark, was ich auch vortrage...16

Busonis Spiel war nach der Umstellung durch das intensive Studium Liszts seit den frühen 1890er Jahren also primär von der Schulter und vom Rücken her angelegt und nicht, wie in der klassischen Spieltechnik, von den Fingern mit anschließender Anpassung des Armes. Das bedeutet die Preisgabe des Ideals vom kantablen Spiel als übergeordnetem Ziel, wie es die klassische Klaviertechnik pflegte. Sie unterschied sich aber zugleich von der romantischen Technik etwa eines Anton Rubinstein, deren Handgelenk- und Armkreisungen mit auswärts geschwungenem Ellenbogen bis heute charakteristisch für viele Pianisten der russischen Schule geblieben sind. Beim Akkord- und vor allem Oktavenspiel ermöglichte dieses In-Position-Bringen eine beträchtliche Steigerung der Geschwindigkeit, wie der Klavierpädagoge Rudolf Maria Breithaupt beobachtete: Als Vorbild solcher ‚Blitzoktaven’ kann das Spiel Prof. Ferruccio Busonis gelten, dessen ,Vibration’ so ausgezeichnet funktioniert, dass es scheint, als ob der Künstler die Oktaven ,aus dem Ärmel’ schüttelt. Er balanciert die Oktaven förmlich und gibt ihnen durch eine Auf- und Niederbewegung, durch ein wellenartiges Mitgehen und Mitführen der Hand im Handgelenk (zum Zwecke einer ständigen Auslösung der Gelenkspannung und zur Verhütung von Ermüdungen) eine Geschwindigkeit, wie sie vollendeter nicht zu denken ist.17

Dass diese „Schultertechnik“, wie Carl Adolf Martienssen sie nannte,18 von Busoni nicht nur für Akkordisches und Oktavengänge angewandt wurde, sondern 16

17

18

Ferruccio Busoni: Briefe an seine Frau, hg. von Friedrich Schnapp, ErlenbachZürich/Leipzig 1935, S. 173. Rudolf Maria Breithaupt: Die natürliche Klaviertechnik, Bd. 1: Handbuch der modernen Methodik und Spielpraxis, Leipzig 51921, S. 225, Anmerkung. Carl Adolf Martienssen: Schöpferischer Klavierunterricht, Leizig 21957, S. 211-215. Zu Martienssens Kontext vgl. Thomas Menrath: Das Unlehrbare als methodischer Gegenstand. Studien zu den Grundbegriffen der Klaviermethodik von Carl Adolf

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Susanne Fontaine und Thomas Menrath

auch für Skalen, Figurationen usw., berichtet Theophil Demetriescu, ein Schüler Busonis aus den späten Berliner Jahren. Im Unterricht wurde wohl das Übersetzen gepflegt, das Untersetzen jedoch soweit wie möglich ausgeschaltet.19 Es handelt sich also um ein ausgesprochen in Lagen geführtes Spiel, was von Anfang an das Denken in größeren Einheiten begünstigt oder auch voraussetzt. Ein solches aus der Schulter geführtes Lagenspiel erfordert klaviertechnisch einen eher etwas höheren Sitz nicht zu dicht an der Klaviatur, um die Kraft- und Gewichtsübertragung aus dem Körper zu ermöglichen und eine Unterbrechung dieser Übertragung durch angewinkelte Arme zu vermeiden. Vor allem aber erfordert diese Spieltechnik zwingend einen sehr bewussten Umgang mit der Fixierung des gesamten sog. Spielapparats, was Martienssen in den 1920er Jahren im Hinblick auf die Klavierübung Busonis20 konstatierte. Dieses Lehrwerk hatte Busoni in den späten Berliner Jahren ausgearbeitet (1918–22); der Titel des Werks verweist ganz offensichtlich auf Bachs Clavierübung.21 Denn diesem Willen, die Ganzheit des Organismus zu einer fixierten, federnden [...] Einheit [...] zu gestalten, entspringt das ganze Werk [Busonis Klavierübung].22

Martienssen gibt einige Beispiele, die bereits am Fingersatz erkennen lassen, dass hier die „Schultertechnik“ gefragt ist.

19

20

21

22

Martienssen (Forum Musikpädagogik 57), Augsburg 2003. Martienssens Definition lautet: „Beim Schulterspiel ist der Arm vom Fingergrundgelenk bis zu Schulter eine in sich geschlossene, leicht fixierte Einheit“ (vgl. Martienssen: Schöpferischer Klavierunterricht, S. 212). Vgl. Stuckenschmidt: Busoni, s. Anm. 10, S. 158. Zu dieser Aussage ließ sich keine Belegstelle ausfindig machen. Ferruccio Busoni: Klavierübung in fünf Teilen (1. Sechs Klavierübungen und Präludien, 2. Drei Klavierübungen und Präludien, 3. Lo Staccato, 4. Acht Etüden von Cramer, 5. Variationen. Perpetuum mobile. Tonleitern), Leipzig 1918-1922, dazu und zum Projekt einer auf zehn Bände erweiterten und mit Werken Johann Sebastian Bachs angereicherte Fassung vgl. Jürgen Kindermann: Thematisch-chronologisches Verzeichnis der musikalischen Werke von Ferruccio B. Busoni (Studien zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts 19), Regensburg 1980, S. 461-466 und Anna Ficarella: Die Kategorie des Spätwerks in der Klaviermusik des 19. und 20. Jahrhunderts. Studien zur Klavierübung von Ferruccio Busoni (Kölner Beiträge zur Musikforschung 205), Kassel 1999. Johann Sebastian Bach: Klavierübung (1. Sechs Partiten BWV 825-830, 2. Italienisches Konzert BWV 971 und Französische Ouvertüre BWV 831, 3. Duette BWV 802-805, 4. Goldberg-Variationen BWV 988). Martienssen: Schöpferischer Klavierunterricht, s. Anm. 18, S. 92.

Busoni und Liszt

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Abbildung 4: Ferruccio Busoni: Klavierübung. Studien und Vortragsstücke. Erstes Buch. Tonleitern, Leipzig 1918/1925, S. 1.

„Erstes Buch: Tonleitern – nicht in der üblichen Weise. [Diese ] – vorzugsweise 12345 auslaufen lassend – ist aber klanglich nur möglich in fixierter Ganzheitsform“, lautet Martienssens Kommentar zu diesem Beispiel.23 In den folgenden Bänden seiner Klavierübung differenziert Busoni im zweiten Buch noch die von Tonleitern abgeleiteten Formen und führt dies im dritten Buch für Akkordbildungen weiter. Besonders hierbei sowie bei den schnellen Lagenwechseln des vierten Buches wird dieser klaviertechnische Ansatz notwendig.24

23 24

Ebd., S. 92. Ebd., S. 92f.

246 IV

Susanne Fontaine und Thomas Menrath

Klangliche und pianistische Konsequenzen

Die klanglichen und pianistischen Folgerungen dieser durch Fixierung gestützten Kraft- und Gewichtsübertragung und der Zusammenfassung in größeren Einheiten sind in historischen Aufnahmen zu hören. Allerdings mit Einschränkungen: Bei Aufnahmen mittels Papierrollen wie dem Welte-Mignon-Verfahren dürfte einiges an dynamischen und klanglichen Nuancen sowie hinsichtlich der Pedalisierung verloren gehen, bei den Wachswalzenaufnahmen ist die Tonqualität gering bzw. die Nebengeräusche sind sehr stark. Zu beachten ist natürlich auch, dass sie digital nachbearbeitet wurden.25 Man ahnt dennoch, dass der dynamische Ambitus von Busonis Spiel beträchtlich gewesen sein muss, und zwar nicht nur im Forte-Bereich, sondern auch im Piano. Deutlich hörbar ist die rapide Zusammenfassung, d. h. auch: Geschwindigkeit in den schnellen Abschnitten bzw. Passagen. Am auffälligsten ist die Linienführung. Sie ist wenig legato, im Klang weniger gesanglich, sondern eher prägnanter, wie gemeißelt. Tatsächlich ging Busoni vom non-legato-Spiel als der dem Instrument entsprechenden Artikulation aus. Sein Kommentar zum d-Moll-Präludium aus dem ersten Band von Bachs Wohltemperiertem Klavier macht das deutlich: Es scheint dem Hr. [Herausgeber] angemessen, hier auf die Wichtigkeit des non legato-Spiels hinzuweisen, als derjenigen Anschlagsart, welche der Natur des Pianoforte am meisten entspricht. In ihr ist, z. B., das Geheimniss [!] des sogenannten „perlenden Spiels“ zu suchen, welches auf die [!] gleichen Voraussetzungen der Getrenntheit, Weichheit und Gleichmässigkeit beruht. Das von der älteren Schule bevorzugte Legato-Spiel ist auf dem Clavier thatsächlich nicht vollkommen erreichbar, wenn auch – in einzelnen Fällen – eine Täuschung zuwege gebracht werden kann, welche der Legato-Wirkung nahekommt. Das Jagen nach dem „gebundenen Ideal“ ist auf Rechnung jener Zeit zu setzen, da die Spohr’sche Violin-Schule und die italienische Gesangskunst eine unbarmherzige Herrschaft über den Vortrag führten. Es bestand (und besteht noch) unter Musikern die irrige Ansicht, dass die Instrumentaltechnik ihr Vorbild im Gesange zu suchen habe; dass sie um so vollkommener zu heissen, je mehr sie diesem höchst willkürlich aufgestellten Vortragsmuster gleichkommt. Aber die Bedingungen – des Athemholens, der Zusammengehörigkeit oder Trennung von 25

Es liegen einige Tondokumente vor, in denen Busoni Liszt interpretiert. Besonders deutlich für die hier diskutierten pianistischen Probleme ist die Aufnahme von Liszts Paganini-Etüde E-Dur Nr. 5, La Chasse, aus dem Jahr 1915. Die Aufnahme der Ungarischen Rhapsodie Nr. 13 a-Moll entstand einer Beilage zu einer Schallplatteneinspielung zufolge ca. 1919 als Schallplattenaufnahme für British Columbia Records (Issue Number L 1456, Matrix Number 3220 und 3221 (Berlin, Akademie der Künste, Hans-Heinz-Stuckenschmidt-Archiv, Nr. 2534. Dazu der Brief von Edward Weiss an Stuckenschmidt vom 20.7.1968, ebd. Nr. 555). Die Aufnahmen beider Werke sowie der weiteren Tonaufnahmen Busonis liegen in verschiedenen Ausgaben vor, allerdings in digitaler Bearbeitung.

Busoni und Liszt

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Sylben, Worten und Sätzen – der Verschiedenheit der Register – auf welchem die Gesangskunst beruht, verlieren schon bei der Geige stark von ihrer Bedeutung und haben auf dem Clavier gar keine Gültigkeit.26

Damit vollzog er eine ziemlich radikale Abkehr vom pianistischen Klangideal des 19. Jahrhunderts, dem gesanglichen Klavierton. Dies letztere muss ebenso wie die Pedalisierung für die Zeitgenossen ungewöhnlich und neuartig gewesen sein. Das Pedal wird z. B. in Passagen erstaunlich sparsam eingesetzt, um die Prägnanz nicht zu gefährden, andererseits geradezu ausgiebig genommen zur Herstellung riesiger Bögen und Flächen. Insgesamt wird deutlich hörbar, wie durchdacht der dramaturgische Verlauf in großen Einheiten geführt und wie genau die verschiedenen Ebenen in den Registern des Klaviers durchgehört sind. Dieser neue Stil, insbesondere die Liszt-Interpretation Busonis, wurde von den Zeitgenossen schon früh aufmerksam registriert und kritisch bewertet. Stuckenschmidt zieht dazu eine von Stevenson zitierte Rezension aus dem Jahr 1895 heran. Sie stammt also aus jener Phase kurz nach der von Busoni selbst erwähnten Umstellung seines Klavierspiels mit Hilfe der Kompositionen von Liszt. In dieser Kritik bleiben sowohl die von Busoni entzückten Mailänder Damen skeptisch wie auch der Kritiker des Corriere della Sera selbst: Man hörte über seine Leistung, so außergewöhnlich sie auch war, sagen: Aber das spricht zum Kopf, nicht zum Herzen. Ob wir nun immer mit den Gedanken des anmutigen Teils der Hörer übereinstimmen oder nicht, bekennen wir offen unsere Meinung: Busoni hat uns in Staunen versetzt, aber nicht bewegt.27 26

27

Johann Sebastian Bach: Das wohltemperierte Klavier. Erster Teil, bearbeitet und erläutert, mit daran anknüpfenden Beispielen und Anweisungen für das Studium der modernen Klavierspieltechnik von Ferruccio Busoni, in: Ders: Klavierwerke. Neue Ausgabe von Ferruccio Busoni, Egon Petri und Bruno Mugellii, Leipzig o. J, [Copyright Schirmer, New York 1894], Bd. 1,1, S. 34f. Clm., Notizie musicali. Concerti Bossi-Busoni, in: Corriere della Sera 20 (1895), 9./10.12.1895, o. S., [S. 3], ins Englische übersetzt von dem schottischen Pianisten Ronald Stevenson; vgl. ders.: Busoni – The Legend of a Prodigal, in: The Score 15 (3/1956), S. 17. Der entsprechende Passus aus der Rezension lautet: „Il suo primo presentarsi, l’altra sera, dinanzi all’uditorio della Società del Quartetto, interessò in modo specialissimo le signore, cui piaquero e il viso da Nazzareno, e le lunghe chiome inanellate, e gli occhi ispirati di lui, che subito fu chiamato il ‚Lohengrin in cravatta bianca‘. Ma quando egli suonò, anche le signore credo abbian dovuto trattenere l’entusiasmo che già eran disposte al lasciar divampare. Della sua esecuzione, per quanto eccezionale, debbono aver detto: Ma ciò parla alla mente – e al cor, proprio, non parla. Abbia o non abbia io indovinato il pensiero della parte più gentile del pubblico, dirò francamente la mia opinione: il Busoni mi ha stupito, ma non mi ha commosso.“ [„Sein erster Aufttritt neulich im Saal der Società del Quartetto interessierte vor allem die Damen, denen sowohl sein Nazarener-Gesicht wie auch seine langen, lockigen Haare und seine geistvollen Augen gefielen, sodaß er bald der ‚Lohengrin mit der weißen Halsbinde‘ genannt wurde. Aber als er spielte, mußten auch die Damen,

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Stuckenschmidt sieht darin einen Kritikpunkt, der Busoni sein weiteres Leben hindurch begleiten sollte.28 Walter Niemann erkennt seine technischen Vorzüge an, bemängelt aber, „daß es ihm an der [...] Kunst, auf dem Klavier zu singen, fehle.“29 Martienssen bemerkt eine gewisse Gefahr der ‚Schule’ Busonis: „Wenn nicht so leicht über dem Ganzen eine gewisse Starrheit läge!“,30 stellt aber zugleich am Beispiel der sechs Berliner Liszt-Abende Busonis zum Jubiläumsjahr 1911 die Neuartigkeit seines Liszt-Spiels heraus: „Wie schlug es manchen alten Lisztianer vor den Kopf, wenn Busoni im zweiten der Abende den Schluß des St. François de Paule marchant sur les flots ganz ohne jede ekstatische Deklamation, ganz schlicht, ganz einfach, der äußeren Gebung nach scheinbar „bloß auf Linie“ spielte [...].“31 Dies als eine befremdliche Kühlheit des Interpreten zu

28 29

30 31

glaube ich, ihre Begeisterung zurückhalten, die sie bereits aufflammen zu lassen bereit waren. Über seine gleichwohl außergewöhnliche Art zu spielen sollen sie gesagt haben: Aber das spricht zum Verstand und, offen gesagt, nicht zum Herzen. Ganz gleich, ob ich die Auffassung des schöneren Teils des Publikums erraten habe oder nicht, sage ich frei meine Meinung: Busoni hat mich erstaunt, aber nicht bewegt.“] Nach einer Passage, in der Busonis Technik gelobt wird, macht jedoch in den Augen des Rezensenten die offensichtliche Vorliebe des Pianisten für Liszt seine Defizite als Interpret deutlich; die ganze Besprechung erweist sich gerade dadurch als ein hochachtungsvoller Verriss: „Ma al di là dell’ammirazione per la sua abilità il Busoni non ci porta. Sembra anzi che egli non vi pensi. Come spiegare diversamente il fatto che nel suo programma hanno trovato posto nientemeno che quattro pezzi di Liszt, i quali, come sempre, sono altretanto ricchi di difficoltà quanto poveri e vuoti di idee? Come scusare l’esecuzione di quel San Paolo che cammina sulle onde, che è forse il pezzo piu rumoroso e senza senso scritto dall’abbate di Weimar? Non so se tutti divideranno la mia impressione, ma per mio conto, pur annoverando fra i primi questo concertista che non conosce difficoltà, mi permetto di esprimere il desiderio ch’egli non si limiti a voler mettere in mostra le sue mani prodigiose: interpreti e eseguista con maggior passione. Le sue mani sarebbero eloquentissme se anche il suo cuore parlasse.“ [„Aber jenseits der Bewunderung für seine Technik bringt Busoni uns nichts. Es scheint, daß er nicht daran denkt. Wie soll man sich anders den Umstand erklären, dass sich in seinem Programm nicht weniger als vier Stücke von Liszt befanden, die, wie immer, ebenso reich an Schwierigkeiten sind wie arm und leer an Gedanken? Wie soll man die Interpretation dieses St. François de Paule marchant sur les flots entschuldigen, das wahrscheinlich das lärmendste und sinnloseste Stück ist, das der Weimarer Abbé geschrieben hat? Ich weiß nicht, ob alle meinen Eindruck teilen, aber für meinen Teil erlaube ich mir den Wunsch, dass, auch wenn dieser Interpret, der keine Schwierigkeiten kennt, zu den ersten zählt, er sich darin mäßigen möge, uns seine Wunderhände zu demonstrieren: Interpreten und Ausführende mit größerer Leidenschaft. Seine Hände wären noch beredter, wenn auch noch das Herz spräche.“] Stuckenschmidt: Busoni, s. Anm. 10, S. 59. Niemann: Meister des Klaviers, s. Anm. 12, S. 25, zitiert bei Stuckenschmidt: Busoni s. Anm. 10, S. 63. Martienssen: Schöpferischer Klavierunterricht, s. Anm. 18, S. 94. Ebd., S. 87.

Busoni und Liszt

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kritisieren, bedeutet für Martienssen ein Missverständnis, denn es gehe Busoni nicht um die individuelle künstlerische Expression, sondern um den überindiviuellen Ausdruck und die Überhöhung der persönlichen Aussage ins Allgemeine: Jetzt erst versteht man recht die anscheinende Kühle im einzelnen beim Abschluß des heiligen Franziskus in der Darstellung Busonis: nicht um ‚Gefühle’ im einzelnen handelt es sich hier, nicht um ein Prunken mit den Sinnlichkeiten des klavieristischen ‚Deklamationstones’, – sondern um den Abschluß eines architektonisch aus großen Einheiten aufgebauten Kunstwerkes.32

Zusammenfassend lässt sich Busonis Pianistik also folgendermaßen charakterisieren: Von außen gesehen, aus der Sicht des Publikums, zeichnet sie sich durch sehr ruhige Spielhaltung und sparsamste äußere Spielbewegungen aus. Auffällig ist der etwas erhöhte Sitz mit nicht angewinkelten Armen. Von innen, von der Bewegungsempfindung, der Propriozeption des Pianisten her, ist sie durch das Schulterspiel charakterisiert, durch das In-Position-Bringen des gesamten Körpers hinter den Anschlagspunkt, die Kraft- und Gewichtsübertragung von der Schulter und vom Rücken her und durch die Fixierung des Spielapparats. Die musikalische Gestaltung, insbesondere die Phrasierung, zeichnet sich durch Denken in Lagen, großen Bögen und Flächen aus, so dass die Gesamtform gewissermaßen architektonisch gebaut wird. Die Abkehr vom Ideal des Gesanglichen hat einen Wandel der Klavierästhetik und des Umgangs mit dem Instrument zur Folge, indem die Pedalisierung zum wesentlichen und strukturbildenden Gestaltungsmittel wird. Wie lässt sich, diese Charakteristik im Auge behaltend, die Äußerung Busonis verstehen, dass ihm beim „Studium des Klaviers von vorne und auf ganz neuer Grundlage“ die Werke Liszts zum Vorbild wurden, wie insbesondere seine Bemerkung: „Aus seinem ,Satz’ konstruierte ich meine ,Technik’“?33

V

Parallelen in der Spiel- und Interpretationshaltung

Die Haltung Busonis am Klavier, sein Habitus als Interpret erinnern tatsächlich an Liszt, allerdings an den späten Liszt. Oft wird Liszts Pianistik nur assoziiert mit dem theatralischen Virtuosen, wie wir ihn aus zeitgenössischen Kritiken aus den 1830er und frühen 1840er Jahren kennen, und wie er, was die bekannte Karikatur Wilhelm Buschs zeigt, lange äußerlich nachgeahmt wurde. Theatralisch war Liszt sicherlich auch: „Aber man muß das hören und auch sehen, Lißt dürfte durchaus nicht hinter den Coulissen spielen; ein großes Stück Poesie ginge 32 33

Ebd., S. 89. Busoni: Wert der Bearbeitung, s. Anm. 9, S. 147.

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dadurch verloren,“ konstatierte Schumann,34 ohne jedoch die Aufrichtigkeit und Stärke von Liszts Ausdrucksspiel infrage zu stellen. Liszts Spiel veränderte sich offenbar aber seit dem Anfang der 1840er Jahre. Heinrich Heine beobachtete 1841: [...] bey Liszt [...] denkt man nicht mehr an überwundene Schwierigkeit, das Clavier verschwindet, und es offenbart sich die Musik. In dieser Beziehung hat Liszt, seit wir ihn zum letztenmale hörten, den wunderbarsten Fortschritt gemacht. Mit diesem Vorzug verbindet er eine Ruhe, die wir früher an ihm vermißten. Wenn er z. B. damals auf dem Pianoforte ein Gewitter spielte, sahen wir die Blitze über sein eignes Gesicht dahinzucken, wie vom Sturmwind schlotterten seine Glieder [...]. Wenn er jetzt auch das stärkste Donnerwetter spielt, so ragt er doch selber darüber empor, wie der Reisende, der auf der Spitze einer Alpe steht, während es im Thale gewittert: die Wolken lagern tief unter ihm, die Blitze ringeln wie Schlangen zu seinen Füßen, das Haupt erhebt er lächelnd in den reinen Aether.35

Liszts Klavierspiel in den späteren Jahren war für die Zeitgenossen durch eine überlegene Ruhe und Souveränität im Einsatz der pianistischen Mittel bestimmt. Alexander Borodin hörte Liszt 1877 und erinnerte sich: Im Gegensatz zu dem, was ich häufig darüber gehört habe, überraschte mich die ausgesprochene Schlichtheit, Nüchternheit und Strenge seiner Interpretation. Irgendwelche Überspanntheiten, affektiertes Gehabe und jegliches nur auf äußeren Effekt Gerichtete fehlen bei ihm völlig. Seine Tempi sind mäßig, nicht überzogen, und er braust nicht auf. Und dennoch: Welche Fülle an Energie, Leidenschaft, Hingabe und Feuer! Sein Ton ist rund, voll und stark; die Deutlichkeit, der Reichtum und die Verschiedenheit der Nuancen – einfach bewundernswert.36

Die Ähnlichkeit zwischen dem Habitus Liszts und demjenigen Busonis wird in der Gegenüberstellung der beiden folgenden Zitate besonders deutlich. Das erste gibt die Beobachtung einer Schülerin Liszts, Amy Fay, aus dem Jahr 1873 wieder. Aber obgleich er unsre Seelen durchdringt, so scheint er selbst keiner besonderen Empfindung unterworfen. […] In der That, bei seinem Spiele sind zwei Personen in ihm – der Zuhörer und der Spieler. Aber welch’ ungewöhnliche 34

35

36

Robert Schumann: Franz Lißt, in: Ders.: Gesammelte Schriften über Musik und Musiker, hg. von Gerd Nauhaus, Wiesbaden 1985, Bd. 3, S. 233. Heinrich Heine: Lutezia. Berichte über Politik, Kunst und Volksleben. Erster Theil (Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke 13/1), hg. von Volkmar Hansen, Hamburg 1988 S. 125. Alexander Borodin: Meine Erinnerungen an Franz Liszt (1878), in: Alexander Borodin. Sein Leben, seine Musik, seine Schriften (Musik konkret 2), hg. von Ernst Kuhn, Berlin 1992, S. 151. Vgl. auch Alfred Brendels Vorwort zur Neuausgabe von Lina Ramanns Liszt-Pädagogium, Wiesbaden 1986, o. S.

Busoni und Liszt

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Selbstverleugnung bedingt das! Mit welcher Geschwindigkeit er auch spielt, immer hat man die Empfindung: „Es ist noch genug Zeit, da ist keine Angst nötig.“ Man könnte ebensogut versuchen, eine Pyramide zu bewegen, als ihn zu übereilen.37

1921, rund 50 Jahre später, beschreibt Stefan Zweig die gleiche Ruhe des Körpers beim Spiel, die den Pianisten gleichsam ‚über den Dingen stehend‘ erscheinen lässt: Andere sind erregt im Schaffen, sie schaufeln, sie graben donnernd die Töne aus dem weißen Steinbruch der Tasten, ihr ganzer Körper schwingt in Anstrengung mit. [...] Er aber, Busoni, lauscht. Er lauscht sich selber im Spiel. Eine unendliche Ferne scheint dann zwischen den geisternden Händen da unten, die in den Tönen wühlen, und dem erhobenen Antlitz voll seliger Entrücktheit […].38

Der überlegenen Ruhe in der äußeren Spielhaltung entspricht also eine verinnerlichte, gewissermaßen abgeklärte Interpretationshaltung, die jede Übertreibung vermeidet. Beides ist für ein angemessenes Liszt-Spiel zwingend erforderlich. Die äußere Ruhe bildet die Voraussetzung für einen sehr bewussten ökonomischen Einsatz der pianistischen Mittel, entspringt also einer technischen Notwendigkeit angesichts der enormen technischen Herausforderungen. Die etwas zurückgenommene, aber keineswegs kalte Interpretationshaltung ermöglicht zum einen den von Liszt so genannten „periodischen Vortrag“39 der kleineren 37

38 39

Amy Fay aus Weimar am 19. Juni 1873, in: Dies.: Musikstudien in Deutschland. Aus Briefen in die Heimath, Regensburg 1996, S. 134. Stefan Zweig: Busoni, in: Blätter der Staatsoper. Busoni-Heft, Berlin 1921, S. 2. Mit der Formulierung vom „periodischen Vortrag“ kritisiert Liszt Dirigenten, die zwecks Koordination des Zusammenspiels der Orchestermusiker das Taktmetrum durchschlagen. Mit seinem Anspruch, der Dirigent solle sich stattdessen auf die musikalische Interpretation verlegen, nimmt er eine radikale und nicht unbedingt praxisnahe Position ein, denn sie verlangt im Grunde ein kammermusikalisches Zusammenspiel des Orchesters. „Gleichzeitig [zum Vorschlag, Registerproben durchzuführen] sei mir gestattet zu bemerken, dass ich das mechanische, taktmässige, zerschnittene Auf- und Abspielen, wie es an manchen Orten noch üblich ist, möglichst beseitigt wünsche, und nur den periodischen Vortrag, mit dem Hervortreten der besonderen Accente und der Abrundung der melodischen und rhythmischen Nuancirung, als sachgemäss anerkennen kann. In der geistigen Auffassung des Dirigenten liegt der Lebensnerv einer symphonischen Production, vorausgesetzt, dass im Orchester geziemenden Mittel zu deren Verwirklichung sich vorfinden; andernfalls möchte es rathsamer erscheinen, sich nicht mit Werken zu befassen, welche keineswegs eine Alltags-Popularität beanspruchen.“ Noch deutlicher wird er in der französischen Fassung: „Il ne suffit pas qu’une composition soit régulièrement bâtonnée et machinalement exécutée“ [„Es reicht nicht aus, dass eine Komposition gleichmäßig geschlagen und maschinenartig ausgeführt wird“] (Franz Liszt: [Vorwort an die Dirigenten], in: Ders.: Symphonische Dichtungen für grosses Orchester, Nr. 3: Les

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musikalischen Formteile, der, ebenso wie der Bau der größeren Einheiten und die Herstellung einer überzeugenden Gesamtdramaturgie, ein beträchtliches Maß an interpretatorischer Reflektion voraussetzt. Zum anderen verhindert diese Haltung eine direkte Identifikation des Interpreten mit dem Ausdruck eines Werks, die zu einem Chargieren des Pianisten führen würde und zudem die technische Realisierung gefährdete. Alfred Brendel bemerkte hierzu: „Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist hier manchmal nur ein Schritt.“40

VI

Der Lisztsche ,Satz‘

Die spieltechnischen Neuerungen, die Erweiterung des Tonumfangs sowie des dynamischen Ambitus, wie wir sie in Liszts Werken vorfinden, wurden durch die Weiterentwicklung des Instrumentenbaus ermöglicht. Ein Akkordvibrato wie in der Schlusssteigerung von Vallée d’Obermann41 wäre ohne das double échappement, die doppelte Auslösung der Repetitionsmechanik der Gebrüder Erard bzw. Henri Herz’ kaum möglich gewesen. Der Tonumfang von Beethovens Broadwood-Flügel hätte für diese Stelle nicht ausgereicht, sein Holzrahmen wäre mit dem Fortissimo vermutlich überfordert gewesen, dazu bedurfte es der Eisenverstärkungen des Holzrahmens der Instrumente, bis das Holz schließlich durch Gusseisen ersetzt wurde. In diesem Stück finden wir einige typische Merkmale des Lisztschen ‚Satzes’ vereinigt, die Großräumigkeit der Anlage in der Dreiteiligkeit des Gesamten wie in den großzügigen Bögen und Steigerungen – allein die Schlusssteigerung erstreckt sich über mehr als drei Seiten, die Aufgerissenheit der Form, das „skizzenhaft Herausgeschleuderte, Fragmentarische“, das Brendel als „konstitutionell in Liszts Musik“42 betrachtet, sowie im häufigen Abbrechen und Verstummen des ersten Teils43 ebenso wie das scheinbar Improvisierte in der mit „Recitativo“ bezeichneten Passage.

40 41

42 43

Préludes, Leipzig 1856, o. S). Lina Ramann überträgt Liszts Anweisungen zur Phrasierung, die das Schlagbild des Dirigenten betreffen, aus den Anweisungen für den Vortrag von Orchestermusik auf die Interpretation von Klaviermusik; vgl. Lina Ramann: Liszt-Pädagogium, s. Anm. 36, S. 3f. Alfred Brendel: Nachdenken über Musik, München 81996, S. 117. Vgl. Franz Liszt: Vallée d’Obermann [2. Fassung von 1855], in: Franz Liszts musikalische Werke, hg. von der Franz-Liszt-Stiftung [F. Busoni, P. Raabe, Ph. Wolfrum u.a.], Bd. 6: II. Pianofortewerke, hg. von José Vianna da Motta, Farnborough, Hants., 1966, S. 44, T. 200-207. Brendel: Nachdenken, s. Anm. 40, S. 116. Liszt: Vallée d’Obermann, s. Anm. 41, S. 33, T. 54-74.

Busoni und Liszt

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Abbildung 5: Franz Liszt: Vallée d’Obermann, s. Anm. 41, S. 36, T. 119-124.

Das ganze Stück ist ausgesprochen orchestral gedacht, nicht nur in den Fortissimo-Steigerungen wie im ersten Beispiel, sondern sogar mehr noch in den Pianissimo-Phrasen des ersten Teils.

Abbildung 6: Franz Liszt: Vallée d’Obermann, s. Anm. 41, S. 34-35, T. 75-86.

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An Beispiel der Takte 75 bis 82 sieht man sehr deutlich, wie durch das Ineinandergreifen der Hände die Nebenstimmen gewissermaßen hierarchisiert werden, die Oberstimme der linken Hand wird etwas hervorgehoben. Würden alle Achtel mit der linken Hand gespielt, ergäbe sich ein flacherer Klang. Der akkordische Satz in allen Registern des Instruments ist vorherrschend, sei es als Akkordvibrato, als Tremolo oder zur Verstärkung der Hauptstimme.44 Sehr ausgedehnter Gebrauch wird von Oktavgängen gemacht, wie an den bisherigen Beispielen bereits zu sehen war. Eine Passage aus Vallée d’Obermann in der Ausgabe des Liszt-Schülers Emil von Sauer zeigt die für Liszt so typische Verteilung der Oktaven auf beide Hände und demonstriert zugleich, wie die Pedalisierung zur Phrasierung, zur Herstellung von Klangflächen und zur Markierung von Abschnitten eingesetzt wird, die eine architektonischen Großform konstituieren:

Abbildung 7: Franz Liszt: Vallée d’Obermann, hg. von Emil von Sauer, Leipzig 1915, S. 42, T. 139-147.

44

Vgl. ebd., S. 33, T. 54-74 (Akkordvibrato), S. 36, T. 119-128 (Tremolo) und S. 33, T. 54-74 sowie S. 34f., T. 75-102 (Verstärkung der Hauptstimme).

Busoni und Liszt

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Spieltechnisch sind alle diese Beispiele mit klassischem Fingerspiel nicht ansatzweise zu bewältigen. Sie erfordern im Akkordspiel, im Tremolando, in den Oktaven sowie nicht zuletzt in den Sprüngen einen leicht bis relativ stark fixierten Griff, der natürlich immer wieder mit Entspannung kombiniert werden muss. Um einen befriedigenden Klang vor allem im Forte zu erzeugen, d. h. um die oberen Nebengeräusche auszuschalten, die sich mit dem Anschlag aus wieterer Entfernung ergeben, ist es ratsam, den Anschlag so dicht wie möglich von der Taste aus zu führen. Damit der Ton nicht forciert und gepresst klingt, sondern voll und tragend, ist es besser, sich auf eine wohldosierte Gewichtsübertragung zu verlassen statt auf Muskelkraft zu setzen. Daraus folgt ein Anschlag dieser fixierten Griffformen, der kaum vom Handgelenk oder Ellenbogen aus, sondern von der Schulter aus bewusst und nicht im freien Fall geführt wird. Die Parallele zu Busonis Spieltechnik liegt auf der Hand. Was das Passagenspiel betrifft, bietet Vallée d’Obermann wenig Anschauungsmaterial. Hier sei als Beispiel der Beginn der Exposition aus der h-Moll-Sonate gegeben. Die hier wiedergebenen Fingersätze stammen von Liszt selbst.

Abbildung 8: Franz Liszt: Klaviersonate h-Moll, hg. von Ernst Herttrich, Fingersätze von Hans-Martin Theopold, München 1973, S. 2, T. 18-25. Die Lagenwechsel sind hier durch Balken markiert.

Die Sechzehntelfigur in T. 18 wird auf beide Hände verteilt ausgeführt. Der Fingersatz in der linken ist nicht von Liszt und auch nicht zweckmäßig, die Hand würde aus der Griffform gebracht. Sie setzt besser mit dem ersten Finger an, spielt die Figur aus bis zum fünften und springt dann zum Ton g. Hierdurch wird die Artikulation und die Akzentuierung des g erreicht. Die Situation ist in T. 23

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eine andere. Hier und erst hier schreibt Liszt einen Untersatz, der in der Folge eine Akzentuierung auf dem h vermeidet und so einen leisen Beginn des Crescendos ermöglicht. Der folgende Fingersatz Liszts für die linke Hand verzichtet auf Untersatz, die Passage wird in Lagen durch Versetzen der Hand ausgespielt.45 Das Ziel des Lisztschen Satzes bzw. in diesem Fall auch Fingersatzes besteht darin, größere Einheiten zu schaffen, die nicht – wie in der klassischen Technik – von der Fingerspitze her geführt, sondern vom Arm und überwiegend von der Schulter her zusammengefasst werden. Hierdurch wird die Geschwindigkeit beträchtlich erhöht, nicht nur technisch gesehen, sondern vor allem auch gedanklich: Man denkt nicht im Einzelanschlag, sondern in Lagen, muss also auch hier größere Abläufe vorausdenken und -hören. Und auch hier ist eine gewisse Fixierung zwingend, das schnelle Versetzen mit anschließendem rapiden Ausspielen bzw. Abrollen wäre anders nicht möglich.46 Von diesen Beispielen aus erhält die Formulierung Busonis: „Ich spiele fast gar nicht mehr mit den Händen“47 einen sehr konkreten Sinn. In seiner Klavierübung hat Busoni dieses Lagenspiel konsequent ausgebaut, wie bereits gezeigt wurde. Dies erfolgte sicherlich in einer Radikalität und vielleicht auch Einseitigkeit, die über Liszt hinausging, insbesondere, was die Abkehr vom Ideal des kantablen Klaviertons betrifft.48 Zum Schluss sollte nicht unerwähnt bleiben, dass es sich bei dieser wesentlich durch abgestufte Fixierung gekennzeichneten Schultertechnik keineswegs um eine Anfängertechnik handelt. Sie hat eine gründliche Schulung in der klassischen Spieltechnik zur Voraussetzung.49 Überspringt man dieses Stadium, so hätte dies Verkrampfungen zur Folge, weil die Innervation der Finger bzw. vor allem der Fingerspitze noch nicht hergestellt wäre.50 Auch klanglich hätte dies 45

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Dieses Lagenspiel durch Versetzen der Hand bzw. Ablösen der Hände kennzeichnet auch das Folgende: T. 26: Ablösen; T. 29: Versetzen der rechten Hand und Ablösen; T. 32: Versetzen, die Akzente in Vierergruppen werden mit einem Impuls von der Schulter aus gesetzt und die Gruppe dann abgerollt, ähnlich T. 33 rechts; T. 36-44: Versetzen bzw. Übersetzen; T. 45-50: vor allem der Beginn des zweiten Bogens wird durch einen leichten Impuls aus dem Arm neu angesetzt, um die synkopische Struktur zu verdeutlichen, die Figur dann ausgespielt; T. 51-54: Versetzen, Akzente aus der Schulter. Vgl. hierzu auch Martienssens Formulierung „fixierte Ganzform“, in: Ders.: Schöpferischer Klavierunterricht, s. Anm. 18, S. 93. Busoni: Briefe an seine Frau, s. Anm. 16, S. 173. Auf die Perspektive, die sich aus der Pianistik Liszts, vermittelt über Busoni, für das Klavierspiel im 20. Jahrhundert ergibt, verweist Linde Großmann, Art. Klavierspiel, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, hg. von Ludwig Finscher, Kassel u. a. 2 1996, Sachteil, Bd. 5, Sp. 430f. Auf dieser Feststellung basiert der gesamte Aufbau des methodischen Lehrwerks von Martienssen in den 1930er Jahren (v.a. Schöpferischer Klavierunterricht, s. Anm. 18). Dazu bis heute grundlegend George Kochevitsky: The Art of Piano Playing. A

Busoni und Liszt

257

Folgen, der Klang wird so leicht grob bzw. die Figuration leicht unklar. Auch die Zusammenfassung aus der Schulter benötigt die Sensibilisierung der Fingerspitze beim Anschlag.

VII

Vorbild statt Schülerschaft

Busoni hatte keinen Klavierunterricht bei Franz Liszt und auch nicht bei Lehrern aus dem Kreis der Liszt-Schüler. Und doch kann man ihn, freilich auf indirekte Weise, als einen Liszt-Schüler bezeichnen. Wenn man die Aussage „[…] aus seinem ‚Satz’ konstruierte ich meine Technik“51 ernst nimmt, zeigt sich – und das sollten die Beispiele deutlich gemacht haben –, wie Busoni aus Liszts Klaviersatz Rückschlüsse auf die Klaviertechnik gezogen hat, die notwendig ist, um diese Art von Klaviermusik zu realisieren. In Busonis klavierpädagogischen Veröffentlichungen, vor allem in der Klavierübung, manifestiert sich diese Rekonstruktion und ihre Weiterführung. Auch in anderer Hinsicht beeinflusste Liszt Busoni: Er war ihm Vorbild als intellektueller Pianist,52 der auch komponierend53 und publizistisch aktiv war. Dieses Bild ist bewusst vom artistisch – um nicht zu sagen: zirzensisch – ausgerichteten Typus des Klaviervirtuosen unterschieden. Auch dem Lehrer Busoni ging es in der Nachfolge Liszts um mehr, als Klavier- oder später Kompositionsunterricht zu erteilen; sein Ziel war es, Künstler in einem emphatischen und umfassenden Sinne auszubilden. Nicht jeder international aktive Pianist ist per se ein Weltbürger. Dazu gehört unbedingt die intellektuelle Offenheit und Neugier für das, was um einen herum geschieht. In diesem Sinne verstandenes Weltbürgertum kann man sowohl Liszt als auch Busoni attestieren. Das belegen der sehr umfangreiche Briefwechsel Busonis, sein Verhältnis zur Literatur und nicht zuletzt Kompositionen wie Kultaselle oder die beiden Teile des Indianischen Tagebuchs. Allein die Orte von Busonis Unterrichtstätigkeit an Konservatorien in Helsingfors, Moskau, Boston und Berlin, aber auch die Meisterklassen in Weimar, Basel und Wien sorgten für eine internationale Schülerschaft, die ihrerseits Liszts Erbe, vermittelt durch Busoni, weltweit verbreitete. Einen Schwerpunkt bilden dabei die USA, nicht nur als Herkunftsland von Busonis Schülern, sondern auch als Zielland des Exils, in das sich viele von ihnen später begeben mussten, die ursprünglich nicht aus den USA stammten.54 Eine ‚Busoni-Schule’ der Pianistik in der Nachfolge Liszts ist,

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Scientific Approach, Miami 1967, passim. Busoni: Wert der Bearbeitung, s. Anm. 9, S. 147. Wobei es bezeichnend ist, dass Busoni Robert Schumann, der in dieser Hinsicht an der Seite Liszts steht, verschweigt. Die Frage, inwiefern Liszt auch in kompositorischer Hinsicht Vorbild für Busoni war, wäre gesondert zu verfolgen. Um einige Beispiele zu nennen: Michael von Zadora war polnischstämmiger

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Susanne Fontaine und Thomas Menrath

auch mangels der institutionellen Anbindung vieler Busoni-Schüler, nicht entstanden. Eine weltweite Verbreitung bedeutete auch die Preisgabe ‚reiner Lehren’. Die Liszt-Interpretation auf dem Klavier wurde von Busoni jedoch auf lange Sicht gesehen maßgeblich beeinflusst. Er benutzte das Werk nicht als Vehikel zur Darstellung technischer Bravour oder als Projektionsfläche der eigenen Befindlichkeit. Sein Spiel beruhte auf genauer Textanalyse, Quellenstudium, durchdachter Dramaturgie und nicht zuletzt auf einem sinngemäß differenzierenden Pedalgebrauch, wie es in unserer Zeit z. B. bei Alfred Brendel zu hören war.

Amerikaner und unterrichtete später an der Julliard School in New York, deutschamerikanisch war die Herkunft von Edward Weiss. Ebenfalls nordamerikanische Klavierschüler von Busoni waren Augusta Cottlow und Louis Gruenberg. Der russische Pianist Leo Sirota emigrierte nach 1945 nach langjähriger Lehrtätigkeit in Japan in die USA; der Deutsche Egon Petri unterrichtete in Berlin, Manchester und Zakopane, bevor er 1939 ebenfalls in die Vereinigten Staaten übersiedelte. 1946 ging auch die ungarische Busoni-Schülerin Etelka Freund in die USA. Leo Kestenberg emigrierte über Prag nach Palästina. Seine pianistische Laufbahn und seine Tätigkeit als Klavierlehrer setzte er in der Tradition Busonis und damit Liszts, geprägt durch die Weimarer Meisterklassen in Palästina/Israel fort; vgl. Leo Kestenberg: Bewegte Zeiten. Musischmusikantische Lebenserinnerungen, in: Ders.: Die Hauptschriften, Bd. 1: Gesammelte Schriften, hg. von Willfried Gruhn, Freiburg i. Br. 2009, S. 205-393, sowie Judith Cohen: Musik, Erziehung und Ideologie. Die Vision einer Musikerziehung in Israel, in: Leo Kestenberg. Musikpädagoge und Musikpolitiker in Berlin, Prag und Tel Aviv, Freiburg i. Br. 2008, S. 263-272, bes. S. 271f., sowie Theda Weber-Lucks: Leo Kestenberg und seine Schüler, in: Ebd., S. 299-315.

Lisztschüler. Zur Regeneration einer Erinnerungsfigur Thomas Schipperges (Tübingen) The extensive and longterm teaching activity of Franz Liszt produced a genuine wave of Liszt pupils (Lisztschüler). Occasionally Liszt’s teaching is differentiated between the classes he held in Weimar during the years 1848 to 1861 and a second period beginning in 1869. The pupils came from the whole of Europe, from Scandinavia to Russia and also from the United States, leading Harold C. Schonberg to speak of a ‘real Liszt-factory’. Furthermore the many popular biographies about Liszt have painted this picture with constantly varying colours. When Liszt died in 1886, the composer and pianist passed away, but evidently not the teacher and his school. Once a Liszt pupil, always a Liszt pupil – over a lifetime and far beyond. As a Liszt pupil one exists within one’s own students, the Liszt grand disciples (Lisztenkelschüler), great grand disciples (Liszturenkelschüler) and so on. Liszt pupil – this is a separate category, a fixed idea, which, as a significant memorial to the composer, remains vivid and immediate on a range of different levels in the present.

„Liszt als Lehrer der reproducirenden Künstler“1 − es ist viel hierzu geschrieben worden.2 Zahlreich liegen Erinnerungszeugnisse aus der Lisztschule selbst vor, darunter die Erinnerungen von August Göllerich,3 Alexander Siloti4 oder August Stradal,5 die Tagebücher und Aufzeichnungen von Auguste Boissier,6 Arthur 1

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Lina Ramann: Franz Liszt als Künstler und Mensch, Leipzig 1880-1894, Bd. 2, 2. Abteilung, 4. Buch, Kap. 7, S. 101-111. Darunter: Paul Michel: Franz Liszt als Lehrer und Erzieher, in: Studia Musicologica Academiae Scientiarum Hungaricae 5 (1963), S. 217-226; Mária P. Eckard (Ed.): Franz Liszt and Advanced Muiscal Education in Europe, Budapest 2000; Vladimir Gurevič: Liszt und seine Weimarer Schüler aus der Sicht der zeitgenössischen Presse Rußlands, in: Liszt und Europa, hg. von Detlef Altenburg/Harriet Oelers, Laaber 2008, S. 275-287; Claude Viala (Éd.): Colloque musicologique Franz Liszt pédagogue. Internationale Tagung der Académie musicale de Villecroze, 15-19. September 1999, in: academie-villecroze.com, Web, letzter Zugriff 15.08.2012. August Göllerich: Franz Liszt. Erinnerungen, Berlin 1908; Wilhelm Jerger: Franz Liszts Klavierunterricht von 1884-1886 dargestellt an den Tagebuchaufzeichnungen von August Göllerich, Regensburg 1975. Alexander Siloti: Meine Erinnerungen an Franz Liszt, in: Zeitschrift der Internationalen Musikgesellschaft 14 (1913), S. 294-318. August Stradal: Erinnerungen an Franz Liszt, Bern 1929. Auguste Boissier: Liszt pédagogue, Paris 1976; Franz Liszt als Lehrer, in deutscher Übers. von Daniela Thode von Bülow, Berlin 1930.

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Friedheim7 oder Karl Lachmund,8 Briefe der Amerikanerin Amy Fay in die Heimat9 oder mehrere Zeugnisse der Weimarer Schriftstellerin Adelheid von Schorn.10 Erinnerungszeugnisse sagen meist mehr aus über den Erinnernden als über den Erinnerten oder das Erinnerte, so etwa im Fall der Aufzeichnungen der Lisztschülerin Lina Schmalhausen, die den alternden Meister auf Empfehlung von Kaiserin Augusta in den letzten Lebensjahren betreute und zunehmend von der übrigen Schülerschar abzuschirmen suchte.11 Und unauslöschliche Spuren hinterließen auch die Souvenirs d’une cosaque aus der Feder der liszttollen12 und bis zum Mordanschlag liebesenttäuschten Ukrainerin Olga Zielińska, selbsternannte Marquise Cezano, alias Olga (von) Janina, alias Robert Franz.13 Erinnerungen an Franz Liszt aus der Feder von Lisztschülern und Lisztschülerinnen: Es ist ein eigenes literarisches Genre mit jedenfalls reichen Facetten. Nach dem Tod seines Vaters 1827 begann der fünfzehnjährige Liszt in Paris Klavierunterricht zu geben, damals meist Amateuren. Im Genf hatte er Mitte der dreißiger Jahre ehrenamtlich eine Klavierprofessur am Konservatorium inne. Seine eigentliche und nachhaltige Unterrichtstätigkeit setzt mit der Weimarer Zeit an. Hier unterrichtete Liszt zunächst von 1848 bis 1861. Das ist die sogenannte erste Lisztschule. Die zweite Lisztschule, das sind die Schüler der Jahre ab 1869. Lachmund differenziert noch einmal die Schüler ab 1878. Nicht zuletzt die vielen populären Lebensbeschreibungen, die zu Liszt erschienen14 oder auch Pianistenbücher wie Harold C. Schonbergs Die großen Pianisten haben dieses 7

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Arthur Friedheim: Life and Liszt, New York 1961; Neuausg. der Erinnerungen von Siloti und Friedheim mit Einleitung von Mark N. Grant: Remembering Franz Liszt, New York 1986. Karl Lachmund: Mein Leben mit Franz Liszt, Eschwege 1970; Alan Walker (Ed.): Living with Liszt. The Diary of Carl Lachmund, an American Pupil of Liszt, 18821884 (Franz Liszt Studies Series 4), Stuyvesant/NY 1995. Amy Fay: Music Study in Germany, Dover 1965, deutsche Übers.: Musikstudien in Deutschland. Aus Briefen in die Heimath, Regensburg 1996, S. 157. Darunter: Erinnerungen und Briefe, Berlin 1901; Zwei Menschenalter. Erinnerungen und Briefe aus Weimar und Rom, Stuttgart 1913. Ernst Burger: Leben und Sterben in Bayreuth. Mit Lina Schmalhausens Tagebuch über Liszts letzte Tage, Regensburg 2011; zuerst: Alan Walker (Ed.): The Death of Franz Liszt. Based on the Unpublished Diary of His Pupil Lina Schmalhausen, Ithaca/ London 2002. „Sie ist eine kleine, geistreiche, närrische Person und liszttoll“ (Ferdinand Gregoriovius: Römische Tagebücher, Stuttgart 1892, S. 458). Olga Janina (alias Robert Franz): Souvenirs d’une cosaque, Paris 1874; der Liedkomponist Robert Franz gehörte zu Liszt ältesten Freunden; mit dem Pseudonym suchte Zielińska offensiv Liszts Ärger auszulösen; hierzu Alan Walker: Franz Liszt. The Final Years 1861-1886, London 1997, S. 187f. Zuletzt Oliver Hilmes: Franz Liszt. Biographie eines Superstars, München 2011, oder Christoph Rueger: Franz Liszt. Seine Musik – sein Leben, Berlin 2011 (es handelt sich um Ruegers vierte Liszt-Biographie).

Lisztschüler: Zur Regeneration einer Erinnerungsfigur

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weite Feld immer neu und bunt ausgemalt: „Aus England, Frankreich und Deutschland, aus Italien und Russland, aus Skandinavien und Amerika kamen die Schüler in Scharen.“ Man kann, führt Schonberg aus, „fast von Liszts ‚Pianistenfabrik‘ sprechen,“15 Liszt unterrichtete bis in seine letzten Lebensjahre, und zwar in der Regel in mehreren Etappen im Jahreslauf. Zu Jahresbeginn war er in Budapest präsent und ab Oktober meist in Rom. Frühjahr bis Sommer seiner „vie trifurquée“16 verbrachte er in Weimar. Dazwischen lagen Reisen. Das war noch in Liszts Todesjahr 1886 so. Am 17. Mai dieses Jahres traf der Komponist völlig erschöpft in Weimar ein. Gleichwohl setzte er seine Unterrichtstätigkeit sechs Wochen lang fort, bevor er nach Bayreuth aufbrach. Am 21. Juli traf er dort ein. Vierzehn Tage später war Liszt tot. Mit dem Komponisten gestorben war auch der Lehrer Liszt. Nicht aber die Lisztschüler. Lisztschüler blieb man sein Leben lang, und weit darüber hinaus. Als Lisztschüler lebt man in seinen eigenen Schülern fort, den Lisztenkelschülern, Liszturenkelschülern und so weiter. Lisztschüler – das ist eine Kategorie für sich. Es ist ein festes Bild. Die alten Geisteswissenschaften sprachen von einem Topos (griech. Ort).17 Die Kulturtheorie heute benennt, angesichts modisch allgegenwärtiger „Verortung“ und in Anlehnung an die Diktion des französischen Historikers Pierre Nora, Erinnerungsorte.18 Solche, mit Nora, lieux de mémoire sind neben örtlich oder materiell Greifbarem auch historische Ereignisse und Vorstellungen, Träger des kulturellen Gedächtnisses wie Bilder und Begriffe, Institutionen und Jahresdaten, Symbole oder Personen als Figuren.19 Einhundertzweiundzwanzig Deutsche Erinnerungsorte versammelt ein von Etienne François und Hagen Schulze herausgegebenes Sammelwerk. Unter den Figuren – von Karl dem Großen über Bismarck und Goethe bis zu Rosa Luxemburg – begegnen nur zwei Musiker: Johann Sebastian Bach und Richard Wagner. Franz Liszt findet sich in zahlreiche dieser Deutschen Erinnerungsorte eingeflochten. Zu Bach20 und Wagner21 fällt sein Name, natürlich zu Weimar,22 eher beiläufig sodann zu

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Harold C. Schonberg: The Great Pianists, London 1969, deutsche Übers.: Die großen Pianisten, München 1972, S. 242. Serge Gut: Franz Liszt, Paris 1989, deutsche Ausgabe von Inge und Serge Gut: Franz Liszt (Musik und Musikanschauung im 19. Jahrhundert. Studien und Quellen 14), Sinzig ²2011, S. 326. Hierzu nach wie vor unverzichtbar: Ernst Robert Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Bern 111993. Pierre Nora: Les Lieux de mémoire, Paris 1997; zahlreiche Neuaufl. und Teilübers. ins Deutsche, zuerst: Erinnerungsorte Frankreichs, München 2005. Etienne François/Hagen Schulze (Hgg.): Deutsche Erinnerungsorte, München 2001. Ebd., Bd. 3, S. 243. Ebd., Bd. 3, S. 564. Ebd., Bd. 1, S. 216f.

262

Thomas Schipperges

Wartburg, Faust, Beethovens Neunte, Loreley. Einen eigenen nationalen Erinnerungsort gibt der Weltbürger Liszt offenbar nicht ab. Vielleicht fließen in dieser Figur aber auch einfach nur allzu viele Assoziationen zusammen, als dass man ihn auf einen Erinnerungsort herunterrechnen könnte. In diesem Zusammenhang hat sich eine Erinnerungsfigur eigener Art verfestigt, die Figur „Lisztschüler“. Es ist von Anfang an und bis heute eine weltkulturelle Erinnerungsfigur. Ich möchte sie in zwölf Streiflichtern beleuchten.

I

Quantität: Lisztschüler-Verzeichnisse

Die Zahl der Lisztschüler geht in die Hunderte. Das ist die offizielle Sprachregelung. Lisztschüler treten als Gruppe auf oder in Gruppen, etwa als kollektiv Enttäuschte bei der pietätlosen Beisetzung des Meisters während der Bayreuther Festspielglorie 1886.23 Und Lisztschüler werden in Listen verzeichnet. Ein erstes solches Verzeichnis legten offenbar die Schwestern Anna und Helene Stahr an, Töchter des Jenaer Historikers Adolf Stahr und beide langjährige Lisztschülerinnen. Sie sammelten die Namen der von ihnen zu „Musikalischen Kaffee-Nachmittagen“ eingeladenen Lisztianer.24 Wohl auf der Basis dieser Stahr-Liste veröffentlichte Ludwig Nohl 1881 einen von Liszt selbst korrigierten und autorisierten Katalog der hier sogenannten „Hauptschüler Liszts“.25 Der Lisztschüler Göllerich legte in seiner Fortführung der Biographie Nohls von 1887 einen erweiterten Schülerkatalog vor: Der Begriff Schüler ist hier in weitestem Sinne zu fassen. Konnte der Meister naturgemäß eingehendere Lehre nur dem engsten Kreise seiner Schüler, auch außerhalb der eigentlichen „Stunden“ weihen, so sind doch alle in eben diesen Stunden von ihm Geförderten berechtigt, sich der „Lisztschule“ beizuzählen.26

1911 veröffentlichte James Hunekers in seinem Lisztbuch eine Liste mit ähnlich weitem Schülerbegriff. Auf Stahr, Göllerich und Huneker konnte Lachmund zurückgreifen. Er recherchierte vor allem in Budapest weiter und legte ein Vollständiges Namensverzeichnis der Liszt-Schüler mit 315 Namen vor, darunter auch Sänger, Dirigenten und sonstige Musiker, „die maßgebend unter dem 23

24 25 26

Hierzu Felix Weingartner: Lebenserinnerungen, Zürich 1928, Bd. 1; oder Burger: Leben und Sterben in Bayreuth, s. Anm. 11 und Walker (Ed.): The Death of Franz Liszt, s. Anm. 11 sowie Klára Hamburger: Ein unbekanntes Dokument über Franz Liszts Tod, in: Studia Musicologica Academiae Scientiarum Hungaricae 46 (2005), S. 403-410. Vgl. Walker: Franz Liszt, s. Anm. 13, S. 220f. Ludwig Nohl: Liszt. Erster Theil (Musikerbiographien 4), Leipzig o. J. [1881–82]. August Göllerich: Liszt. Zweiter Theil (Musikerbiographien 8), Leipzig o. J. [1887], Anhang S. 131.

Lisztschüler: Zur Regeneration einer Erinnerungsfigur

263

Einfluss des Meisters gestanden haben.“27 Nicht aufgenommen wurden die sogenannten „angeblichen Liszt-Schüler“: Freilich hat der Meister selbst zu dieser Gattung seiner Schüler beigetragen, denn er gestattete in seiner Herzensgüte, daß Absolventen von Musikschulen ohne besondere Auswahl seine Klasse besuchen durften.28

1972 erschien Goodmans Dissertation über Die amerikanischen Schüler Franz Liszts mit Listungen von 22 Schülerinnen und 22 Schülern.29 Weitere Schülerlisten finden sich zahlreich in Lisztbiographien. Sie gehören beinahe zum Grundbestand dieses Genres dazu. In der Regel einig sind sich die Biographen darin, dass es oft genug lediglich darum ging, in den Nimbus des Meisters einzutauchen. Lisztschüler ist von Anfang an ein fester Faktor, eine Erinnerungsfigur. Freia Hoffmann hat sich vor einigen Jahren in einem klugen Aufsatz mit der gesellschaftlichen Funktion von Musikeranekdoten beschäftigt. „Die Anekdote“, so Hoffmann, „will mit Konstellation, Handlung und Pointe durch den dargestellten Augenblick hindurch einen Zusammenhang sichtbar machen.“30 In dieser Weise ist in der Tat gerade die Anekdote geeignet, aufzuweisen, wie sich die Erinnerungsfigur Lisztschüler manifestiert. „Einer beliebten Anekdote zufolge nannte sich jeder Pianist, dem Franz Liszt auch nur die Hand geschüttelt hatte, von da an stolz ‚Liszt-Schüler‘.“31 Tatsächlich verleihen Berichte dieser Anekdote ein Fundament. 1873, gerade in Weimar angekommen, schrieb Amy Fay ihren Eltern nach Chicago: „In ganz Weimar ist kein Klavier, weder für Geld noch für gute Worte zu haben.“32 Die Stadt sah sie voll junger Musiker, die alle nur ein Ziel hatten: Liszt vorzuspielen. Sämtliche Klaviere waren im Umkreis von rund hundert Kilometern verkauft. Der Fülle der Absichten und der Gesichter passte Liszt seinen Unterrichtsstil an. Einzelunterricht bei ihm war kaum möglich und die technische Seite der Kunst wurde ohnedies uneingeschränkt vorausgesetzt. Die Gruppe versammelte sich nachmittags in oder vor

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Lachmund: Mein Leben mit Franz Liszt, s. Anm. 8, S. 297. Ebd., S. 297. Alfred Goodman: Die amerikanischen Schüler Franz Liszts (Veröffentlichungen zur Musikforschung 1), Wilhelmshaven 1972, S. 18f. Freia Hoffmann: „Gewaltig viele Noten, lieber Mozart!“ Über die gesellschaftliche Funktion von Musikeranekdoten, in: Warum wir von Beethoven erschüttert werden und andere Aufsätze über Musik, hg. von Peter Schleuning, Frankfurt a.M. 1978, S. 193. Michael Loos: Rez. Busoni, Ferruccio – Transkriptionen. Spektakulär und tiefgründig (Brilliant classics 2011), in: magazin.klassik.com, Web, letzter Zugriff 11.08.2012. Fay: Music Study in Germany, s. Anm. 9, deutsche Übers.: Musikstudien in Deutschland, s. Anm. 9, S. 157; zit. nach Hilmes: Franz Liszt, s. Anm. 14, S. 288, zu Fay vgl. Goodman: Die amerikanischen Schüler Franz Liszts, s. Anm. 29, S. 40-46.

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Liszts Domizil, der ehemaligen Hofgärtnerei am Ilmpark, und wartete auf des Meisters Mittagsschlaf Ende.

Abbildung 1: Liszt-Schüler vor der Hofgärtnerei in Weimar, Liszt oben am Fenster, unten „unter anderen Walter Bache (7. von links), Alfred Reisenauer (Bildmitte, Hände in den Taschen), Karl Lachmund (rechtes Bein auf der Stufe), Aufnahme 1883, in: Hilmes, Franz Liszt, s. Anm. 14, S. 289.

Zeigte sich Liszt am Fenster, konnte der Unterricht beginnen. Liszt ließ ausgewählte Stücke von ausgewählten Schülern spielen, in der Regel pro Nachmittag vier bis acht.33 Die übrigen Lisztschüler lauschten öffentlich: Liszt […] ist ein Herrscher, und wenn er sein königliches Scepter ausstreckt, so mögt Ihr Euch hinsetzen und ihm vorspielen. Ihr dürft ihn niemals auffordern, Euch etwas vorzutragen, so heiß Euer Herz auch darnach verlange. Wenn er in der richtigen Stimmung ist, wird er spielen, wenn nicht, müßt Ihr Euch mit wenigen Bemerkungen begnügen.34

Dass schließlich auch Nicht-Lisztschülerschaft zum festen Bestandteil einer Biographie werden kann, zeigt das Beispiel Leopold Godowskys. Der Pianist, 1870 33

34

Vgl. Göllerich: Franz Liszt. Erinnerungen, s. Anm. 3; ähnlich mit Bezug auf Alexander Siloti, Felix von Weingartner und Wendelin Weissheimer: Michel: Franz Liszt als Lehrer und Erzieher, s. Anm. 2, S. 224f. Zit. nach Hilmes: Franz Liszt, s. Anm. 14, S. 290; Hilmes vergleicht Liszts charismatisches Unterrichtskonzept mit der heute an Musikhochschulen oder in Kursen verbreiteten „Meisterklasse“.

Lisztschüler: Zur Regeneration einer Erinnerungsfigur

265

in Polen geboren und bereits in Berlin bei Ernst Rudorff ausgebildet, kehrte von einem längeren Amerikaaufenthalt just 1886 nach Europa in der Absicht zurück, bei Liszt in Weimar zu studieren. Als Godowsky ankam, bekam er den didaktischen Mantel des Meisters nicht mehr zu fassen. Liszt war gerade gestorben. Die Erzählung von Godowskys verhinderter Lisztschülerschaft aber lebt weiter.35

II

Qualität

Lisztschüler – das ist indes nicht nur ein Gruppen- und Listenname. Es ist, wertend ein- und ausgrenzend, zugleich ein Qualitätsbegriff. Nohl stellte eine Gruppe mit 48 Namen qualitativ als „Die Hauptschüler Liszts“ heraus.36 Noch radikaler wertend sichtete Lina Ramann die ihr vorliegenden Listen und stellte – streng gendermäßig getrennt – 31 Namen von Lisztschülern und Lisztschülerinnen heraus: Die Schüler der Weimarperiode waren, alphabetisch geordnet: Fr. Altschul, W. (?) Bauer, Carl Bärmann, H. v. Bronsart, H. v. Bülow, Franz Bendel, Dietrich, A. W. Gottschalg, Louis Hartmann, Ad. Jensen, Karl Klindworth, William Mason, N. Nélisoff, Robert Pflughaupt, Dionys Prukner, Theod. Ratzenberger, Jul. Reubke, Ferd. Schreiber, Karl Tausig, Rud. Viole, Al. Winterberger; unter ihnen die Damen: Josefine Bondy (?), Gisberte Freiligrath, Marie Gärtner, Aline Hundt, Rosa Kastner (?), Sophie Pflughaupt, Clara Riese, Martha v. Sabinin, Ingeb. Stark, Hilda Tegerström.37

Ramann schreibt hierzu: „Die Genannten bilden den Kern der Liszt-Schule.“ Hiervon trennte sie zwei weitere Gruppen ab: „Andere, die während der genannten Zeit nur vorübergehend die Anregungen des Meisters genossen“ und die „fahrenden Schüler“. Sie fanden sich „jahrein, jahraus, Künstler und Virtuosen aller Himmelsstriche auf der Altenburg in vollster Freizügigkeit ein, zogen bereichert von hinnen, doch ohne im Princip, noch im praktischen Können der LisztSchule entschieden anzugehören“. Schon Ramann konzediert freilich, dass „auch sie die Bezeichnung Lisztschüler beanspruchten.“38 Auf Liszt selbst scheint die Bezeichnung „Halbschüler“ zurückzugehen, offenbar zur Bezeichnung von Schülern vor der eigentlichen Weimarer Lehrerzeit.39 35

36 37 38 39

Emerson Withorne, Biographical Sketch, in: Leopold Godowsky: A Night in Spring (Frühlingsnacht) (Progressive Series Compositions 1208), St. Louis 1915, S. 1. Nohl: Liszt, s. Anm. 25. Ramann: Franz Liszt, s. Anm. 1, S. 107. Ebd., S. 107. Für einen der wenigen Schüler der Wanderjahre, Johann Nepumuk [Janós Nepomuk] Dunkl, überliefert der englische Wikipedia-Eintrag diesen Begriff (ohne Beleg) als Liszts eigene Bezeichnung: „Liszt later called him a ‚Halbschüler‘ (half-student‘)“ (Art. Franz Liszt, in: en.wikipedia.org, Web, letzter Zugriff 15.08.2012); Dunkl

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Paula Rehberg nahm eine dreifache Abstufung vor. Neben die erdrückende Gesamtzahl von saisonal jeweils 40 bis 50 Weimarer Schülern stellte sie eine Liste mit 38 Namen, die sie „bedeutende Lisztschüler“ nennt, dies wiederum mit dem Vermerk „außer den früher schon genannten“, das sind „d’Albert, Göllerich, Reisenauer, Martha Remmert, Rosenthal, Sauer, Siloti, Stavenhagen, Stradal und als einer der jüngsten Felix Weingartner“.40 Kerngruppen begegnen namentlich auch in Lisztschüler-Photos. Der Photograph Louis Held bildete in Weimar mehrfach Liszt im Kreis seiner Schüler ab, darunter 1884, anlässlich des von Liszts dreiundsiebzigsten Geburtstag, elf Personen.

Abbildung 2: Franz Liszt an seinem dreiundsiebzigsten Geburtstag in Weimar, 22. Oktober 1884, Photo Louis Held, Klassik Stiftung Weimar.

40

gehörte weiterhin dem Lisztkreis an, 1873 spielte er mit diesem und Ödön Mihalovich im just vereinigten Budapest Bachs Konzert für drei Klaviere (Gut: Franz Liszt, s. Anm. 16, S. 773). Paula Rehberg: Franz Liszt. Die Geschichte seines Lebens, Schaffens und Wirkens, Zürich 1961, S. 488f.

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Abbildung 3: Eine Photographie von 1886 zeigt sieben Lisztschüler in Sondershausen, in: Christoph Rueger: Liszt-Schüler, in: Harenberg-Klaviermusikführer, hg. von dems., Dortmund 1998, S. 519.

Abbildung 4: eine weitere bekannte Ablichtung beleuchtet das Treffen von 15 ehemaligen Lisztschülern im Jahr 1911, in: Christoph Rueger: Liszt-Schüler, in: Harenberg-Klaviermusikführer, hg. von dems., Dortmund 1998, S. 530f.

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Abbildung 5: Liszt-Schüler: Zehn eigenhändige Musikzitate auf einem Blatt, 23,5 x 19,5 cm, 1928-1929, in: Liszt-Schüler: 10 Musikzitate auf einem Blatt, in: liveauctioneers.com, Web, letzter Zugriff 22.05.2011.

Im Lisztjahr 2011 im Internet zu ersteigern war ein Blatt mit Unterschriften von zehn Lisztschülern. Nicht zufällig erscheint die Fülle wertender Adjektive: prominent, beachtlich, berühmt: Für eine Sammlung von Autographen prominenter Musiker haben sich auf einer Seite eines Quartblattes mit Musikzitaten vereinigt: [NN] August Stradal, Fritz Fuhrmeister, E. Heuser, Frederic Lamond, Emil von Sauer, Friedrich Spiro, Moritz Rosenthal, Stefan Thoman, M. Ehinger und Bertrand Roth. Am Kopf des

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einseitig beschriebenen, dekorativen Blattes ein Liszt-Porträt in Orig.-Farbstiftzeichnung von M. Wutzer. − Beachtliche Versammlung der berühmtesten Klaviervirtuosen ihrer Zeit.41

Neben der Quantität gehört die gruppenmäßig erfasste oder gestaffelte Qualität zur Erinnerungsfigur Lisztschüler fest dazu. Ein Höchstmaß an Lisztschülerschaft kommt dem Kern der Liszt-Schule und den Hauptschülern zu, es folgen die Lisztschüler im weitesten Sinne, die fahrenden Schüler und die Halbschüler sowie jene, welche Liszts Anregungen vorübergehend genossen, und ganz am Ende stehen die angeblichen Lisztschüler.

III

Kanon

Vergleicht man die Lisztschülerlisten und Gruppenphotos miteinander, so weisen sie in hohem Maß Überschneidungen auf und bleiben auch über die Zeitläufte hinweg im Kern homogen. Mehr als ein Jahrhundert Abstand liegt zwischen der Photographie Helds (1884) und dem aktuellen Franz-Liszt-Wikipedia-Eintrag (2012).42 Von hier nach dort sind gleichwohl keine nennenswerten Entwicklungen ablesbar. So gut wie alle Lisztschüler, die am Anfang (Held, Ramann) herausgehoben wurden, sind auch in den jüngsten Listungen (Rueger, Wikipedia) noch mit dabei. Auch die Zwischenstationen erweisen eine stabile Rezeption. Es gibt einen Lisztschülerkanon.

41

42

2x

Photo Held (1884) Gottschalg

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Reisenauer

Ramann (1894) Gottschalg Klindworth Stark Viole Bendel Bronsart Reubke Tausig

Rehberg (1961) Stavenhagen Stradal

Range (1964) Ansorge

Rueger (1998) Ansorge Stevenhagen Stradal

Wikipedia (2012) Klindworth Stark Viole

dʼAlbert Reisenauer

dʼAlbert Reisenauer

dʼAlbert Bendel Bronsart Reubke Tausig

Bendel Bronsart Reubke Tausig

Art. Liszt-Schüler: 10 Musikzitate auf einem Blatt, in: liveauctioneers.com, Web, letzter Zugriff 22.05.2011. Art. Franz Liszt, in: de.wikipedia.org, Web, letzter Zugriff 15.08.2012; sehr viel ausführlicher zu den Schülern und Schülerlisten: Art. Franz Liszt, in: en.wikipedia.org, Web, letzter Zugriff 15.08.2012.

270 4-5x

Thomas Schipperges Rosenthal von Sauer Siloti

von Bülow

Rosenthal von Sauer Siloti

von Bülow Rosenthal von Sauer Siloti

von Bülow Rosenthal von Sauer Siloti

von Bülow von Sauer

Abbildung 6: Tabelle: Lisztschülerlisten in verschiedenen Quellen.

IV

Superlative

Um einerseits in der Fülle der Liste und anderseits im Kanon erkennbar zu bleiben, bedarf es weiterer Separierung. Das probate Sprachmittel, um etwas unmissverständlich herauszuheben, ist der Superlativ. Er wird entsprechend gern angewandt und mit dem erwartbaren Ergebnis der Selbstabschaffung des Exklusiven durch Inflation. Auch das trägt als fester Punkt zur Generierung der Erinnerungsfigur Lisztschüler bei. Als Beleg mögen ein paar Zitate genügen. Sie stammen gleichermaßen aus wissenschaftlichen wie populären Lisztbiographien, finden sich in Lachmunds Kommentaren zum Vollständigen Namensverzeichnis der Liszt-Schülerinnen und Liszt-Schüler oder lassen sich Pianisten- und Klaviermusikhandbüchern, aktuellen Konzertprogrammen, Pressetexten oder Künstlerviten entnehmen. Gewertet wird objektiv: Moriz Rosental (vierzehnjährig, als er zu Liszt kam), gehört „zu den jüngsten Liszt-Schülern“,43 Emil von Sauer gehört „zu dessen letzten Schülern“44 und „gilt als einer der letzten Repräsentanten der Schule Franz Liszts“,45 Conrad Ansorge als „einer seiner letzten Schüler“,46

oder subjektiv-allgemein: Bülow, Rosenthal, Stavenhagen (und viele andere) sind jeweils der bedeutendste Schüler von Liszt, Tausig – „der hervorragendste im pianistischen Sinne“,47 Emma Grosskurth,48 Martha Remmert,49 Vera Timanoff – jeweils „eine der besten“ Schülerinnen Liszts,50 43 44

45

46 47 48 49 50

Rueger: Liszt-Schüler, s. Anm. 14, S. 526. Art. Sauer, Emil von, in: Harenberg-Klaviermusikführer, hg. von Rueger, s. Anm. 14, S. 1942. Art. Emil von Sauer (Komponist), in: de.wikipedia.org, Web, letzter Zugriff 22.05.2011. Rueger: Liszt-Schüler, s. Anm. 14, S. 520. Schonberg: Die großen Pianisten, s. Anm. 15, S. 242. Lachmund: Mein Leben mit Franz Liszt, s. Anm. 8, S. 301. Ebd., S. 306. Ebd., S. 308.

Lisztschüler: Zur Regeneration einer Erinnerungsfigur

271

Juhász Aladár – „der begabteste“,51 Felix Draeseke – „sein genialster Schüler“52

oder nach Nationalitäten: István Thomán – „einer der besten ungarischen Schüler Franz Liszts“,53 Anima Goodwin – „eine der besten englischen Schülerinnen“,54 Fräulein Guili – „die beste Schülerin in Rom“.55

Superlative beleuchten auch den Grad der Vertrautheit von Schüler zu Meister: Über Conrad Ansorge schrieb Rudolf Steiner: „er bekannte sich als einen der Liszt-Schüler, die dem Meister künstlerisch am treuesten anhingen“,56 Karl Klindworth gehörte „zu dessen engstem Schüler- und Freundeskreis“,57 Sophie Menter nannte Liszt selbst „seine einzige legitime Klaviertochter“,58 Bernhard Stavenhagen – „sein Lieblingsschüler“.59

Und sie lassen sich in Kombination weiter steigern: Stavenhagen „gilt als Liszt letzter und bedeutendster Schüler […] und sein Spiel stand nach Aussage von Zeitgenossen „dem seines Lehrers Liszt am nächsten“,60 Tausig – sein „größter und geliebtester Schüler“.61

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52

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Art. Juhász Aladár (1856-1922), in: shop.strato.de/epages/15412908.sf/, Web, letzter Zugriff 22.05.2011; Aladár starb 1922 und taucht in kaum einer der Schülerlisten auf. Art. Franz Liszt und sein genialster Schüler, in: suedpfalz.city-tiger.de, Web, letzter Zugriff 22.05. 2011. Art. Liszt Kruzifix, in: hfm-weimar.de, Web, letzter Zugriff 22.05.2011. Lachmund: Mein Leben mit Franz Liszt, s. Anm. 8, S. 301. Ebd., S. 301. Rudolf Steiner: Mein Lebensgang, in: anthroposophie.byu.edu, Rudolf Steiner Online Archiv (GA Bd. 28), 32009, S. 309, Web, letzter Zugriff 22.05.2011. Art. Karl Klindworth, in: de.wikipedia.org, Web, letzter Zugriff 22.05.2011. Rueger: Liszt-Schüler, s. Anm. 14, S. 524. Hans Rudolf Jung: Art. Stavenhagen, Bernhard, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, hg. von Friedrich Blume, Kassel 1965, Bd. 12, Sp. 1200. Art. Bernhard Stavenhagen, in: de.wikipedia.org, Web, letzter Zugriff 22.05.2011. Lachmund: Mein Leben mit Franz Liszt, s. Anm. 8, S. 307; ähnlich: Art. Carl Tausig, in: de.wikipedia.org, Web, letzter Zugriff 22.05.2011: „Im Alter von 14 Jahren ging er nach Weimar, um Unterricht bei Liszt zu erhalten, dessen liebster Schüler er bald wurde“; Rueger: Liszt-Schüler, s. Anm. 14, S. 531: „[…] lieben und außerordentlichen Sprößling“.

272

Thomas Schipperges d’Albert – der „von Liszt bewunderte ‚Albertus Magnus‘“, „größter, genialster Pianist seit Anton Rubinstein“,62 einer „der prominentesten Liszt-Schüler […], der zugleich als Komponist der Einzige von Weltruhm war.“63

Am genialsten, besten und größten oder am treuesten, engsten und geliebtesten: Die Beispiele lassen sich fortsetzen. Diesen Aspekt der Erinnerungsfigur Lisztschüler bringt einmal mehr die Anekdote auf den Punkt, hier formuliert von Ernst Heimeran: „Unter seinen zahlreichen Schülern war sein Lieblingsschüler bei weitem der zahlreichste.“64

V

Lisztschülerlehrer

„Liszt’s Aufgabe“, schreibt Lina Ramann im Duktus der Weihe, galt „der unmittelbaren Übertragung seiner Auffassung und Wiedergabe der Werke der Meister auf seine Schüler und Jünger. Somit ward seine Lehre eine Übergabe des Vortrags, wie letzterer aus dem Widerspiegel des schaffenden Geistes hervorgeht.“65 Liszt nahm nur fertige Schüler an. Hieraus erschließt sich ein weiterer Aspekt der Erinnerungsfigur Lisztschüler. Es ist die Figur des auf Liszt vorbereitenden Lehrers: „Die bekanntesten auf Liszt vorbereitenden Lehrer waren Theodor Kullak und Carl Reinecke.“66 Beide waren selbst keine Lisztschüler, treten in der hier genannten Funktion aber dem Lisztschülerkreis bei. Auch Karl Klindworth gehörte dazu, natürlich nach seiner eigenen Lisztschülerzeit.

VI

Diesen Kuss der ganzen Welt: Die Weihekusslegende

Eine besondere Facette der Erinnerungsfigur Lisztschüler wirft der Rückblick auf Liszts Kindheit auf. Dass das Epitheton ornans Lisztschüler in der Tradition des 19. Jahrhunderts so wirksam werden konnte, ist nicht zuletzt dem romantischen Beethovenbild geschuldet.67 Am Beginn von Liszts eigener Karriere steht jener Weihekuss, den Beethoven seinem eigenen − über Carl Czerny − Enkelschüler Liszt nach der legendären Überlieferung nach einem Konzert am 13. April 1823 in Wien auf die Stirn drückte. 62 63 64

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Lachmund: Mein Leben mit Franz Liszt, s. Anm. 8, S. 298. Art. CD-D’Aldabert, in: alexandra-oehler.de, Web, letzter Zugriff 22.05.2011. Ernst Heimeran: Professor Kalauer’s ausgewählte musikalische Schriften, Kassel 1996-2004, S. 17. Ramann: Franz Liszt, s. Anm. 1, S. 101. Schonberg: Die großen Pianisten, s. Anm. 15, S. 241. Axel Schröter: „Der Name Beethoven ist heilig in der Kunst“. Studien zu Liszts Beethoven-Rezeption (Musik und Musikanschauung im 19. Jahrhundert 6), Sinzig 1999, S. 31-37.

Lisztschüler: Zur Regeneration einer Erinnerungsfigur

273

Gehört haben kann Beethoven Liszts Klavierspiel nicht mehr. Er war damals bereits vollständig ertaubt. Und überhaupt weist nichts auf Beethovens Konzertbesuch hin. Die Übertragung von Beethovens Geist auf den jungen Liszt über die Metapher eines Musenkusses geht offenbar zurück auf Peter Cornelius und seinen Festprolog, den der Dichtermusiker 1858 für eine Reihe von Beethovenkonzerten Liszts in Weimar verfasste: Der Wunderknabe Liszt hat einst in Wien Die junge Kunst dem Meister zeigen dürfen. Der, taub schon ganz, doch mit den Augen lauschend, Ergriff gerührt den Knaben nach dem Spiel, 68 Und schloß mit einem Kuß ihn an sein Herz.

Göllerich verfestigte die poetisch gefasste Metaphorik als Anekdote über ein Lisztzitat (womit er zugleich sich und allen Lisztschülern ein Stück des Kusses sicherte): „Zu meinem zweiten Wiener Konzert erschien Beethoven, Czerny zuliebe, und küßte mich auf die Stirne.“69 Eine ähnliche Eigenaussage legte auch Ilka Horowitz-Barnay ihrem Meister in den Mund. Ihre Szene ist angesiedelt bei einem morgendlichen Vorspiel Liszts, begleitet von seinem Lehrer Czerny, in den „Stuben im Schwarzspanierhause, wo Beethoven wohnte.“ Ich spielte den ersten Satz aus dem C-Dur-Concerte. Als ich fertig war, fasste mich Beethoven an beiden Händen, küßte mich auf die Stirn und sagte weich: „Geh! Du bist ein Glücklicher! Denn Du wirst viele andere Menschen beglücken und erfreuen! Es gibt nichts Besseres, Schöneres!70

In einem Brief an den Großherzog von Weimar vom 1. November 1862 beschwor Liszt selbst den vergöttlichten Geist Beethovens über diesen Kuss: „Je la reconnus instantanément avec transport, car tandis qu’Elle [!] était encore exilée en cette vie, elle avait consacré mon front par un baiser.“71 68

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Zit. nach Axel Schröter: Franz Liszt als Beethoven-Interpret. Mythos und Wahrheit, in: tlz.de, Thüringische Landeszeitung, 17.09.2011, Web, letzter Zugriff 15.09. 2012. Göllerich: Franz Liszt. Erinnerungen, s. Anm. 3, S. 160; auch Anton Schindler (Beethoven in Paris, Münster 1842) erwähnte Beethovens Besuch dieses Konzertes, behauptete allerdings 1860 in der dritten Auflage seines Beethoven-Buches (Beethoven, Münster 31860) das Gegenteil. Dass Beethoven bei dem Konzert nicht anwesend war, ist heute weitgehend Konsens der Lisztforschung. Zuletzt versuchte Alan Walker Teile der Legende zu retten (Franz Liszt. The Virtuoso Years, 1811–1847, Itahca 1987, S. 81-85); hierzu die Zusammenschau bei Gut: Franz Liszt, s. Anm. 16, S. 15-19. In: Neue Freie Presse, 7. Juli 1898, abgedruckt bei Theodor von Frimmel: Beethoven Studien II: Bausteine zu einer Lebensgeschichte des Meisters, München 1906, S. 101. La Mara (Hg.): Briefwechsel zwischen Franz Liszt und Carl Alexander Grossherzog von Sachsen/Correspondance entre Franz Liszt et Charles Alexandre, Leipzig 1909,

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Thomas Schipperges

Abbildung 7: „Der Weihekuss“. Lithografie eines unbekannten Künstlers (Ausschnitt), 1873, Foto: Liszt Gedenkmuseum und Forschungsstätte, Budapest.

Geradezu kanonisch hat die Weihekusslegende Zsolt von Harsányi in seinem Roman Ungarische Rhapsodie (1936) gefasst. In zahlreichen Auflagen und Neuausgaben verbreitete sich das Buch über Jahrzehnte hinweg flächendeckend über die Haushalte und setzte damit nachhaltige Akzente zum bildungsbürgerlichen Lisztbild. Die Szene des Weihekusses brannte der nachmalige Leiter eines Lustspieltheaters mit spannungsvoller Dramaturgie ins kollektive Gedächtnis als ein Ereignis von singulärer Wucht: Beethoven ist da! Ein unerhörtes Ereignis! […] Nach den einzelnen Vorträgen applaudierte er nicht. […] Der Wunderknabe verneigte sich. Er verbeugte sich auch vor Beethoven, und da sah er, daß der Vergötterte aufstand und auf ihn zukam … Beethoven ging mit trottenden Bärenschritten auf das Podium, trat zu ihm, griff ihm unter die Arme, hob ihn zu sich hoch und drückte ihn an sich. Sanft und lang anhaltend küsste er ihn auf die Stirn. Im Saale dröhnte noch immer der unbändige Applaus. dann setze der Meister das Kind nieder und stieg vom Podium herab. Dire dicht gedrängte Menge gab ihm ehrfurchtsvoll den Weg frei. Man konnte lange mit den Augen verfolgen, wie sich die Schar der Zuhörer in tiefster Ergriffenheit vor ihm öffnete und hinter ihm wieder schloß. Der Junge dankte nicht mehr für den Beifall. Er stand an der Rampe des Podiums, verzückt, wie einer, der eine glanzvolle Vision hatte … .72

72

S. 116; zit. nach Gut: Franz Liszt, s. Anm. 16, S. 17. Gut gibt eine umfassende Zusammenschau und Wertung der Darstellungen und der Literatur. Zsolt von Harsányi: Magyar rapzódia, aus dem Ungarischen übertragen und bearbeitet von Joseph P. Toth und Arthur Luther: Ungarische Rhapsodie. Der Lebensroman von Franz Liszt, Leipzig, die bisher letzte Ausgabe erschien offenbar als Taschenbuch bei Droemer Knaur, München 1988, Zitat hier nach der elften Aufl., Leipzig 1940, S. 103f.

Lisztschüler: Zur Regeneration einer Erinnerungsfigur

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In der Folge dieser Vision verbindet sich die Lisztschülertradition mit dem Beethoven-Mythos. Liszt selbst bemühte sich lebenslang um Beethoven, als Interpret, Editor, Schriftsteller, Komponist, Bearbeiter und Lehrer und hinterließ mit allen diesen Tätigkeiten auch bei seinen Schülern nachhaltige und wissenschaftlich nachweisbare Spuren.73 Nachhaltig nachweisbar bleibt freilich auch der Weihekuss. Ein Beethoven-Pianist wie der englische Lisztschüler Frederic Lamond konnte seine Interpretationskunst emphatisch auch aus dem Weihekuss herleiten. Über seine erste Begegnung mit Liszt in Weimar 1885 berichtete er in seinen Memoiren: „Plötzlich öffnete sich die Tür seines Schlafzimmers und da stand jener Mann vor mir, der als Kind den Weihekuss des mächtigen Beethoven empfangen hatte.“74 Die Unmittelbarkeit der Tradition Beethoven – Liszt setzt sich selbstverständlich fort in die Lisztenkelschüler- und Liszturenkelschülergeneration. Ein Beispiel ist die offizielle Künstlervita von Paul Badura-Skoda. BaduraSkoda, Jahrgang 1927, ist Schüler von Edwin Fischer: „Fischers Lehrer war Martin Krause, dieser war Lisztschüler, und Liszts Lehrer war der BeethovenSchüler Carl Czerny.“ Und es fehlt nicht eine entsprechende Kausalbegründung: „Von daher kommt auch eine direkte Beethoven-Brahms-Liszt-Tradition.“75 Im Fortdenken dieser Traditionslinie meinte Arnošt Košt‘ál in einem Beitrag zum Lisztjahr 1986 mit wohl nur leicht ironischem Augenzwinkern: „Es ist schade, daß Arnold Schönberg nicht als kleiner Pianist anfing. Franz Liszt hätte ihn beim Konzert umarmen und küssen können, und wir hätten eine schön abgegrenzte Ära des Romantizismus gehabt.“76 Mehr als im Selbstverständlichen verfestigen sich Erinnerungsfiguren im Abwegigen. Geradezu skurril mutet der Konnex Beethoven – Liszt an, wenn Beethovens Weihekuss in eine traditionsfortführende Stellvertreterfunktion tritt. Liszt selbst, so berichtete Alexander Borodin, pflegte seine Schüler auf die Stirn zu küssen, wenn er beim Unterricht auf etwas ganz besonderes aufmerksam machen wollte.77 Und weiter noch: Andór Foldes, er starb 1992, erwähnte einen 73

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Schröter: Franz Liszt als Beethoven-Interpret, s. Anm. 67: „Liszts Schüler Hans von Bülow, Eugen dʼAlbert, Frederic Lamond und Karl Klindworth legten Ausgaben der Beethovenschen Klaviersonaten vor, die eine erstaunliche Korrespondenz untereinander zu erkennen geben.“ Ebd. Art. Paul Badura-Skoda, in: musikverein.at/monatszeitung, Web, letzter Zugriff 22. Mai 2011. Arnošt Košt‘ál: Franz Liszt (1811-1886), in: Musiknachrichten aus Prag 7 (1986), S. 2. In: liszt-2011.hu/de, Web, letzter Zugriff 22.05.2011. Auch vom tschechischen Geiger, Komponisten und Musikpädagogen František Ondřiček (gest. 1922) − er brachte Dvořáks Violinkonzert in Prag zur Uraufführung und machte es in Europa bekannt − wird ein Konzert in Budapest erwähnt, „wo ihn F. Liszt umarmte und küsste“ (Zedenek Vyborny, Art. Ondřiček, František, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, hg. von Blume, s. Anm. 59, Bd. 9, Sp. 1935).

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Thomas Schipperges

Besuch Anfang der 1930er Jahre bei Emil von Sauer, damals einer der letzten aktiven Lisztschüler. Sauer zeigte sich vom Spiel des jungen ungarischen Virtuosen sehr beeindruckt. Beim Abschied drückte der alternd abtretende Lisztschüler Sauer dem aufstrebendem Jungkünstler Foldes einen Kuss auf die Stirn „mit der Erklärung, einst habe er selbst diesen Kuss von Franz Liszt empfangen mit der Aufforderung, ihn einmal an einen begabten und würdigen Klavierschüler weiterzugeben“78 Im Kontext der Erinnerungsfigur Lisztschüler wandelt sich der Stirnkuss Beethovens von der Metapher über Legende und Vision zur Didaktik.

VII

Komponisten

Eher schwer tun sich heutige Komponisten mit einem emphatischen Lisztbezug. Allein am Missbrauch der Préludes-Fanfare durch die Nazis mag das inzwischen kaum mehr liegen. Dass Hitler die Meldung der Stalingradkatastrophe mit dem Trauermarsch der Götterdämmerung unterlegen ließ, allerhand ambivalente Meistersinger-Apotheosen und nicht einmal durch antisemitische Obsession geprägte Figuren wie Mime oder Alberich79 halten Avantgardisten strenger Observanz wie etwa den Leipziger Komponisten und Musikschriftsteller ClausSteffen Mahnkopf von ernsthafter Auseinandersetzung mit Wagner ab.80 Gleichwohl ist der weit innovativere Liszt, dem Wagner selbst viel verdankte,81 für die meisten Komponisten heute kein Aushängeschild mehr. Eine Ausnahme bilden allenfalls die späten Klavierstücke. Auf diese Musik bezieht sich auch der aus Amerika stammende, in Berlin lebende und in Mannheim lehrende Komponist Sidney Corbett in seinem Quartett (In memoriam Liszt) für vier Violoncelli des Jahres 2011.82 Auch in der Literatur über Komponisten – Wissenschaft ebenso 78 79

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Art. Andor Foldes, in: de.wikipedia.org, Web, letzter Zugriff 22.05.2011. Zum „Erlösungsantisemitismus“ Wagners und Hitlers einfühlsam und reflektiert Saul Friedländer: Hitler und Wagner, in: Wagner im Dritten Reich. Ein Schloss-ElmauSymposion, hg. von dems./Jörn Rüsen, München 2000, S. 165-178. Mit mehreren Beiträgen des Herausgebers etwa: Richard Wagner. Konstrukteur der Moderne (Musik & Ästhetik. Sonderband), hg. von Claus-Steffen Mahnkopf, Stuttgart 1999. Nur eine Ebene dieses weiten und weitgehend brachliegenden Feldes benannte Simon Rattle: „Wenn man die Walküre kennt, dann ist es ein Schock, Liszts-Faust-Sinfonie kennen zu lernen und zu hören, wie viel Wagner daraus gestohlen hat“ (Nicholas Kenyon: Simon Rattle. Abenteuer der Musik, Berlin 2001, S. 299). Das Stück entstand für die hier dokumentierte Liszttagung. Es wurde im Abschlusskonzert am 5. Juni 2011 in der Aula der Alten Universität Heidelberg uraufgeführt. Mein Dank gilt Sidney Corbett für diese fabelhafte Miniatur sowie Michael Flaksman und Jelena Očič, die das Werk mit Schülern ihrer Violoncelloklasse einstudierten (Boris Nedialkov, Zherar Yuzenghidyan, Hong Min Kim und Andrea Mereu). Auch den übrigen Mitwirkenden am Konzertrahmen der Tagung danke ich sehr, Kolleginnen

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277

wie Essay oder Feuilleton – spielen kompositorische Einflüsse Liszts meist nur eine geringe Rolle. Erwähnung findet Liszts Kompositionsunterricht in Goodmans Dissertation über die amerikanischen Schüler83 und ein aktiv apostrophiertes kompositorisches Lisztschüler-Verhältnis gehört auch zu Josef Weiß, einem Komponist also von Filmmusik.84 Und wenn der Klaviermusikführer aus dem Verlagshaus Harenberg in immerhin einem eigenen Beitrag „Liszt-Schüler“ diese auch als Komponisten darstellt, so verbindet er explizit beiden Sphären über Liszts „Doppelexistenz als Virtuose und Komponist“.85 Wohl wird in diesem Rahmen auch auf jene hingewiesen, die Liszts doppeltes Erbe „nicht mehr selbst antraten, aber an ihre eigenen Schüler weitergaben, die damit zu legitimen Liszt-Enkeln aufrückten.“ Doch finden sich in diesem Beitrag aus der Gruppe der Komponisten unter den Lisztenkelschülern allein Sergei Rachmaninow („über Alexander Siloti“) und Richard Strauss („über Alexander Ritter“86) erwähnt. Auch auf dieser Ebene ließe sich leicht eine Listung lancieren, mit Komponisten von A (George Antheil, über Constantin von Sternberg) und B (Bartók, über Stefan Thomán, oder Bortkiewicz, über Alfred Reisenauer) über P (Poulenc)87 oder S (Schulhoff) bis Z (Grete von Zieritz, über Martin Krause). Für Komponisten spielt auch der Lehrer Liszt als Erinnerungsfigur indes keine Rolle. Der Lisztenkelschüler George Antheil? Hier werden andere Assoziationen wirksam. Kennzeichnend für die Erinnerungsfigur Lisztschüler bleibt die pianistische Seite.

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und Kollegen (Robert Benz, Paul Dan, Ulrich Eisenlohr, Scott Faigen, Rudolf Piernay und Snežana Stamenković) sowie ausführenden Studierenden und ganz besonders Heike-Dorothee Allardt. Goodman: Die amerikanischen Schüler Franz Liszts, s. Anm. 29. Reinhard Kungel: Filmmusik für Filmemacher. Die richtige Musik zum besseren Film, Gau-Heppenheim 2004, S. 40: „1913 komponierte der Liszt-Schüler Josef Weiß die Filmmusik zu Stellan Ryes Der Student von Prag.“ Rueger: Liszt-Schüler, s. Anm. 14, S. 519-532. Ebd., S. 519. Poulencs Lisztenkelschülerschaft findet sich nicht näher konkretisiert im Kontext des pianistischen Adels der Mutter: „Seine Mutter andererseits war eine vergnügungsfreudige und gebildete Pariserin aus einer Künstlerfamilie. […] Sie war eine vollendete Pianistin, hatte bei einem Liszt-Schüler studiert – und von ihr erhielt Poulenc seine ersten Klavierstunden“ (Programmheft Evangelische Kantorei Leichlingen 20.11.1991, in: kirche-leichlingen.de, Web, letzter Zugriff 24.01.2014).

278 VIII

Thomas Schipperges

Konflikthafte Identität

Die erinnerte Identität lässt sich aber nicht nur ex negativo konstruieren, sie kann auch konflikthaft oder abwertend besetzt sein.88 Ein Beispiel hierfür ist Hermann Cohen. Zum Lisztjahr 2011 hat ihm der Heidelberger Schriftsteller, Langstreckenläufer und Musikjournalist Marcus Imbsweiler als Erzähler seines FranzLiszt-Romans Die Entdeckung des Himmels ein Denkmal eigener Art gesetzt. Der Roman beleuchtet die Episode von Liszts Aufenthalt auf der Rheininsel Nonnenwerth im Jahr 184189 aus der Perspektive des jungen Cohen. Imbsweiler hat seine Methode, sich als Romancier einem historischen Thema zu widmen, als „knapp daneben“ beschrieben.90 So nähert er sich auch der Beziehung Liszts zu seinem (gelegentlich mit dem Superlativ „begabtesten“ versehenen) Schüler Cohen durch phantasiereiches Weiterdenken der Quellen selbst und erfasst damit wie beiläufig ihre verwickelte Ambivalenz. 1820 (oder 1821) in Hamburg als Sohn jüdischer Eltern geboren, gab Hermann Cohen ganz früh erste Konzerte und komponierte. In der Tradition Adam Liszts schickte Cohens Vater, David Abraham Cohen, sein Wunderkind nach Paris, denn hier war „le petit Liszt“ zur Sensation gereift.91 Tatsächlich reichte man auch das Kind Hermann Cohen bald durch die Salons und Konzertsäle. So wurde Cohen in Paris Lisztschüler. Liszt selbst war damals gerade 23 Jahre alt. George Sand verhätschelte Cohen als „chouchou“ und verpasste ihm den aus ihren Lettres d’un Voyageur wie aus Liszts Briefen bekannten Kosenamen „Pussi“ oder „Le mélancholique Puzzi“ (abgeleitet vom deutschen „putzig“, wie Czerny ja auch seinen Schüler Liszt genannt haben soll). Der Knabe Cohen folgte Liszt 1835 nach Genf. 1840/41 begleitete er ihn auf der Konzertreise nach Ungarn, Prag, Wien, Dresden und Leipzig. Ein Eintrag ins Gästebuch des Goethehauses in Weimar verweist mit Datum vom 1. April 1840 auf den mitreisenden Cohen.92 88

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Art. Was ist ein Erinnerungsort?, in: erinnerungsorte.uni-oldenburg.de, Web, letzter Zugriff 22. Mai 2011. Liszts Aufenthalt auf Nonnenwerth aus der Sicht Marie d’Agoult beschreibt der Roman von Christan Lindner: Sommermusik – Ein Liebestraum Franz Liszts. Capriccio, Berlin 2011. Marcus Imbsweiler: Knapp daneben. Zum Verhältnis von Musikwissenschaft und Belletristik, Vortrag, gehalten auf dem Symposium Musik – wissenschaftlich – pädagogisch – politisch aus Anlass des siebzigsten Geburtstags von Arnold Werner-Jensen am 3. Februar 2012 an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg; dem Autor sei für die Überlassung des Manuskripts herzlich gedankt. Zum Verhältnis Liszt-Vater-Sohn zuletzt eingehend: Michael Stegemann: Franz Liszt. Genie im Abseits, München 2011. Evelyn Liepsch: Liszts erster Besuch in Weimar – unbemerkt und unspektakulär, in: klassik-stiftung.de, Europa in Weimar. Visionen eines Kontinents. Jahrbuch der Klassik Stiftung Weimar 2008, hg. von Hellmut Th. Seemann, Göttingen 2008, S. 351, Abb. 1, Web, letzter Zugriff 22.05.2011.

Lisztschüler: Zur Regeneration einer Erinnerungsfigur

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Abbildung 8: Seite des Gästebuches des Goethe-Hauses in Weimar, in: Evelyn Liepsch: Liszts erster Besuch in Weimar – unbemerkt und unspektakulär, in: klassik-stiftung.de, Europa in Weimar. Visionen eines Kontinents. Jahrbuch der Klassik Stiftung Weimar 2008, hg. von Hellmut Th. Seemann, Göttingen 2008, S. 351, Abb. 1, Web, letzter Zugriff 22.05.2011.

Cohen hatte sich jeweils vor Ort um das Reisemanagement zu kümmern. Über offenbar schlampige Abrechnungen kam es zur Auseinandersetzung mit Liszt. Marie d’Agoult, von Anfang an missgünstig ob der trauten Lehrer-SchülerBeziehung, riss den Streit an sich, beschuldigte Cohen heftig in Briefen und drohte mit der Veröffentlichung von Details. Liszt wollte vor Gericht ziehen. Hermann Cohen war 19 Jahre alt. Seine Welt als Lisztschüler lag in Trümmern. Er reiste noch ein paar Jahre lang mit Mutter und Schwester als Konzertpianist durch Europa, komponierte und schlug sich mit Spielsucht und Schulden herum.

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Thomas Schipperges

Wenig später erfolgte der Lebensbruch. Hermann Cohen konvertierte zum Katholizismus und empfing 1851 in Südfrankreich die Priesterweihe. Als Augustinus Maria vom Heiligsten Sakrament lebte Cohen in einem Karmeliterkloster bei Bordeaux. 1870/71 geriet er als Franzose deutscher Herkunft zwischen die Nationalitätenfront. In Berlin pflegte der Priester, selbst interniert, französische Kriegsgefangene und starb während einer Pockenepidemie. Ebenso rasch, wie Cohen in Liszts Leben eingetreten war, verschwand er wieder aus ihm. Bereits 1841 hatte Liszt an Marie d’Agoult geschrieben: „J’espère ne plus entendre parler de lui.“93 Zwar erfolgte 1852 – von beiden Seiten aus betrieben – eine Aussöhnung. Man traf sich in Rom. Für die Musikgeschichte blieb Cohen eine Fußnote im Gefolge Liszts. Anders für die Klostergeschichte. Cohen selbst hinterließ Bekenntnisse und Briefe. 1880 erschien eine umfassende Biographie über den Karmeliterprediger Cohen, die 1925 ins Englische übersetzt und 2009 neu herausgegeben wurde. Seit 2001 betreibt Cohens Heimatkloster Le Broussey seine Seligsprechung. Begründet wird dies mit einem Damaskuserlebnis und einer Wunderheilung in Lourdes.94 Aufschlussreich ist die Wahrnehmung und Reflexion des Lisztschülers aus der Ordensperspektive: Von revolutionären Utopien verführt, wurde Hermann in kurzer Zeit zu einem der eifrigsten Propagandisten für die Abschaffung der Ehe, für den Terror, für die Güterteilung, für hemmungslose Sinnesfreuden usw. Die Schriftstellerin George Sand nahm ihn unter ihre Fittiche und flößte ihm das Gift ihrer schlimmsten Romane ein. Liszt floh überraschend mit der Gräfin Marie dʼAgoult in die Schweiz. Hermann beschloss, seinem Lehrer zu folgen; er lebte in enger Verbundenheit mit diesem wilden Ehepaar […]. Er fieberte bereits dem Tag entgegen, an dem er selbst eine Leidenschaft wecken konnte, die so viele Hindernisse zu überwinden fähig war. Nach Paris zurückgekehrt, ließ er sich von der Spielleidenschaft fesseln und stürzte sich in Schulden. Seine Musikstunden brachten ihm zwar Geld ein, doch das Geld diente […] seinen Vergnügungen. […] Tatsächlich war er zum Sklaven [übler] Leidenschaften geworden.95

„Mein Leben“, schrieb Cohen selbst später über sein Leben als Lisztschüler, „war damals eine völlige Hingabe an all meine Launen und Grillen. Wurde ich dadurch glücklicher? Nein […]! Der Durst nach Glück […] wurde […] in keiner Weise gestillt.“ 93

94

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Zit. nach Art. The Spiritual Journey of Hermann Cohen, in: users.cloud9.net/ ~recross/why-not, Web, letzter Zugriff 22.05.2011. Zu diesem Erlebnis vom Mai 1847: Dom Antoine Marie OSB: Geistlicher Brief der Abtei St.-Joseph de Clairval vom 15. November 2011, in: clairval.com, Web, letzter Zugriff 22.05.2011; vgl. zur Bekehrung des Pianisten auch Maria Baptista a Spiritu Sancto OCD: Künstler und Karmelit. Hermann Cohen (1821-1871), Wiesbaden 1958. Dom Antoine Marie OSB: Geistlicher Brief, in: clairval.com, Web, letzter Zugriff 22.05.2011, s. Anm. 94.

Lisztschüler: Zur Regeneration einer Erinnerungsfigur

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Sündiges Weltleben ist ein zentraler Topos von Heiligenviten. Die Bibel erzählt entsprechend von Paulus und Maria Magdalena. Im Nachleben des Hermann Cohen bildet seine Lisztschülerschaft eine parallele Chiffre für das verderbte Weltleben.

IX

Beziehungszauber

Angesichts der engen Verzahnung von Komposition und Interpretation würdigte Lina Ramann in einem eigenen Absatz jene Lisztschüler, die nicht primär vom Klavier her kamen, darunter die Organisten Alexander Winterberger, Alexander Wilhelm Gottschalg und Julius Reubke. Dem thüringischen Kantor, Organisten und Komponisten Gottschalg widmete die Stadt Weimar eine eigene Ausstellung, die ins Lutherhaus nach Eisenach und in die Michaeliskirche nach Erfurt weiterwanderte. Offiziell benanntes Ziel dieser Ausstellung war es, Gottschalgs vielseitiges kirchenmusikalisches Wirken „als Musiklehrer, Hoforganist, Redakteur, Herausgeber und Orgelrevisor“ zu beleuchten.96 Anlass der Ausstellung freilich war das Lisztjahr 2011. Und am Ende, so spiegelt es selbst der Pressetext wider, beleuchtete die Ausstellung doch vor allem Gottschalg als Lisztschüler. Dabei traf im Falle der Begegnung beider Künstler nicht Gottschalg auf Liszt, sondern Liszt auf Gottschalg. Jener Alexander Wilhelm Gottschalg war damals bereits ein fertiger Musiker, seit sieben Jahre Kirchenorganist in Tiefurt, heute ein Ortsteil von Weimar. Liszt hörte den Organisten beim zufälligen Vorbeistreifen an der Kirche, und die Künstler freundeten sich an. Liszt selbst profitierte am Ende nicht wenig von dieser gut 30 Jahre dauernden Freundschaft. Gottschalg beriet ihn bei seinen Orgelwerken, und Liszt erkannte seine Überlegenheit auf diesem Gebiet an. Er widmete Gottschalg drei seiner Kompositionen. Und 1863 schrieb er ihm aus Rom: „Sollte je meinem Componisten Nahmen ein fester Credit gewährt werden, so haben Sie, Geehrter Freund, viel dazu beigetragen.“97 Der Organist Gottschalg stand auch bei anderen Komponisten hoch in Kurs. Er förderte Joseph Reinberger und Max Reger. Beide widmeten ihm in Dankbarkeit Orgelwerke. Gottschalk ist eine vielseitig verdiente Figur der Musikgeschichte. Gleichwohl: am Ende siegte die Lisztlegende. Liszt nannte Gottschalg seinen „legendarischen Kantor“98 und meinte: „Wenn ich einmal selbst zur Legende geworden bin, wird Gottschalg mit mir fortleben.“99 Die Musikgeschichte kennt heute nur noch den Lisztschüler Gottschalg. 96

97 98

99

Lutherhaus – Gottschalg-Austellung im Liszt-Jahr 2011, in: eisenach.de, Web, letzter Zugriff 20.05.2011. Ebd. Art. Ausstellung über Alexander Wilhelm Gottschlag, Franz Liszts „legendarischen Kantor“, in Weimar-Tiefurt, in: nmz.de/kiz, Web, letzter Zugriff 22.05.2011. Ramann: Franz Liszt, s. Anm. 1, S. 108.

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Diese Umkehrung von Ursache und Wirkung in der Rezeption ist kein Einzelbeispiel. „Ähnlich wie gegenüber der Orgel“, schreibt Ramann in ihrem Lisztschülerabschnitt, ging der Meister mit der Harfe und der Posaune vor. So „diente die Großh[erzogliche] Hof-Harfenistin Johanna Eith-Pohl – die erste Gattin Dr. Richard Pohl’s – seinen Zwecken, während er zugleich ihr Spiel zu höherem Flug antrieb. Die praktische Durchführbarkeit seiner ebenso vielseitigen wie charakteristischen Behandlung der Harfe als Orchesterinstrument, von Liszt wie von keinem andern Komponisten dem Orchester inkorporirt, ist zum großen Theil Resultat der Studien mit dieser Künstlerin.100

Gleicherweise, noch einmal Lina Ramann, […] entriß der Meister der Posaune mächtigste Klänge. Hier war es der PosaunenVirtuos Große, Mitglied der Weimaraner Hofkapelle, den er bis zur denkbarsten Beherrschung dieses Instrumentes influencirte und ihn zum Interpreten seiner Intentionen bezüglich der Posaune erhob.101

Auch in diesen beiden Fällen ist Liszt Lernender, also Schüler. Im Nachleben Liszts – und dieses gewinnt durch Lina Ramann deutlich an Schwung – dreht sich das Schülerverhältnis um: Eduart Grosse ebenso wie Johanna Eith-Pohl, sind, schreibt Ramann, „obwohl im weiteren Sinne, in die Reihe der Schüler Liszt’s zu stellen.“ 102 Die Lisztschülerlegende, das ist klar, gereichte selbstverständlich auch den Virtuosen auf Orgel, Harfe und Posaune zum Vorteil. Es gibt schlechteren Nachruhm.

X

Lisztenkel- und Liszturenkelschüler: Generierung des Topos im „Kreis ohne Meister“

Für einen Lisztschüler ging es nicht nur um Unterricht und künstlerischen Fortschritt. Es ging um das Dabeisein in verschworener Gemeinschaft, das Dazugehören zum Meisterkreis. Der Lisztkreis ist ein beliebtes Hauptkapitel auch der populären Lisztbücher: Es bedurfte nur der Nachricht, Liszt sei wieder in Weimar, um die Blicke der Musiker Deutschlands auf die kleine thüringische Residenz zu lenken. […] Liszt hielt sich in Weimar vom öffentlichen Musikleben zurück. Es genügte, daß er wieder da war, und schon kam die Jugend mit Kompositionen, die man ihm vorlegen 100 101 102

Ebd., S. 108. Ebd., S. 108. Ebd., S. 108.

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wollte, oder mit dem Verlangen, von ihm das Geheimnis des großen Stils im Klavierspiel zu lernen. Es kamen Würdige und Unwürdige, Berufene und Unberufene, Talent und Mittelmäßigkeit, und er entschied oft mit einem Wort über ihr Schicksal, gütig, aber unbestechlich.103

Seit 1854 reorganisierte sich der Kreis um den Neu-Weimar Verein mit einem eigenen Vereinsorgan. Dessen Name Die Laterne markiert eine missionarische Aufgabe. Liszts Kunstanschauungen sollten die Welt erhellen. Und die direkt Bestrahlten kreisten und strahlten weiter – über die Lisztenkelschüler hinaus bis hin zu den Liszturenkelschülern. Zumal diese Deutungshoheit des Weimarer Lisztkreises im Weiterkreisen um eine Figur jenseits der Person erinnert − als „Kreis ohne Meister“ − an den Heidelberger Stefan-George-Kreis.104 Der Lisztkreis generiert sich bis heute und evoziert immer noch Staunen und Raunen. „Liszt, der durch Hunderte von Schülern und Enkelschülern aus aller Herren Länder die Klavierkunst bis heute prägt.“105 Diese drei Kennzeichnungen bilden die zentralen Topoi ab: Hunderte von Schülern − aus aller Herren Länder − bis heute prägend. Die Lisztlegende ziert unzählige Künstlerbiographien.

Abbildung 9: Lisztschüler-Verzeichnis. Tafel über die Beziehungen zwischen Lehrern und Schülern im Umkreis von Franz Liszt, in: Hans Peter Range: Die Konzertpianisten der Gegenwart, Lahr 1964, S. 132; nach Range ergänzt von Laszlos Gracza, in: liszt-archiv.de, Web, Zugriff 15.08.2012. Für den Hinweis auf die von Gracza ergänzte Liste danke ich herzlich meinem Kollegen an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Mannheim Andreas Pistorius. 103 104 105

Walter G. Armando: Franz Liszt. Eine Biographie, Hamburg 1961, S. 276. Vgl. Ulrich Raulff: Kreis ohne Meister. Eine abgründige Geschichte, München 2009. Wolfgang Schreiber: Weimar feiert den 200. Geburtstag des Komponisten Franz Liszt in einer großen Ausstellung. Zeitgenosse der Zukunft, in: Süddeutsche Zeitung, 5. Juli 2011.

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Auch Liszturenkelschüler also ist ein eigener Topos. Eine solche Kategorie findet sich bei keinem anderen Lehrer. Hier ist sie offiziell. Liszturenkelschüler gab es bereits zu Liszts Lebzeiten. Zu Alexander Skrjabin schreibt Gottfried Eberle im Lexikon Komponisten der Gegenwart: „1883 kam er zu dem 21jährigen Georgij Konjus, der bei dem Liszt-Schüler Paul Pabst studierte.“106 Was hier – beim Komponisten Skrjabin – über den bloßen Konnex hinaus nicht weiter thematisiert wird, erhält in pianistischen Zusammenhängen Botschaftscharakter. Ein Beispiel nur: Roberto Leonardy. Der 1940 geborene Künstler lehrte von 1971 bis 2009 an der Musikhochschule in Saarbrücken und leitet heute die Musikfestpiele Saar. Über den Ausnahmepianisten schrieb Joachim Kaiser: „Ach, wenn es doch mehr Künstler gäbe, die so neugierig, wagemutig, unternehmungslustig, vielseitig sind wie Robert Leonardy − und außerdem so fabelhaft virtuos Klavierspielen können!“107 Sobald ein solcher Künstler Liszt spielt, findet sich für Ankündigungen, Berichten und Rezensionen unfehlbar auch ein Lehrername mit entsprechendem Bezug. 2010 spielte der Künstler in einem Benefizkonzert „die Rigoletto-Paraphrase von Franz Liszt, für dessen Œuvre er ohnehin prädestiniert scheint: Leonardy studierte an der Frankfurter Musikhochschule bei Erich Flinsch, dem Enkelschüler von Liszt.“108 Auch Alfred Brendel bekannte immer wieder seine Affinität zu Liszt. Er war Schüler von Edwin Fischer und über dessen Lehrer, den Lisztschüler Martin Krause, Liszturenkelschüler. Brendel setzte seinen Klavierunterricht dann in Graz fort und, so steht es im Österreichischen Musiklexikon, herausgegeben vom Grazer Institut für Musikwissenschaft, „bei Ludovika von Kaan, einer Schülerin von Bernhard Stavenhagen, der wiederum ein Liszt-Schüler war.“109 Und weiter: „Muss man da noch fragen, woher Brendels lebenslanger Einsatz für diesen Komponisten herrührt.“110

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110

Gottfried Eberle: Art. Alexander Skrjabin, in: Komponisten der Gegenwart, Wiesbaden 1992. Süddeutsche Zeitung; zit. nach der Homepage des Pianisten: robert-leonardy.de, Web, Zugriff 22.05.2011. Reiner Henn: Robert Leonardy gibt ein Benefizkonzert, in: Die Rheinpfalz, 2. Oktober 2010; zit. nach der Homepage des Pianisten: robert-leonardy.de, Web, letzter Zugriff 22.05.2011. Rudolf Flotzinger/Gennot Gruber (Hgg.): Musikgeschichte Österreichs, Wien/Köln/ Weimar 1995. Art. Brendel, Alfred, in: austria-lexikon.at, Biographien bekannter Österreicherinnen und Österreicher, Web, letzter Zugriff 22.10.2010.

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XI

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Inflation der Genealogie

Liszturenkelschüler – für einen Alfred Brendel ist das Adelsetikett an sich nicht weiter relevant. Brendel ist eine Ausnahmeerscheinung eigener Art. Anders freilich die Petersburger Pianistin Eva Smirnova. In ihrem Künstlerlebenslauf heißt es: „Ihre erste Lehrerin“ – ein Name wird gar nicht erst genannt – „hatte bei Alexander Siloti, einem der bedeutendsten Liszt-Schüler, studiert.“111 Smirnova erhält stets fabelhafte Kritiken und wird abwechselnd mit Clara Haskil und Arthur Rubinstein, Swjatoslaw Richter und Vladimir Horowitz, Alfred Brendel oder Krzysztian Zimmermann verglichen. Ein weites Pianistenfeld also. Die Wege zum ganz großen Erfolg bleiben natürlich unabwägbar. Smirnova trat in Deutschland in Bad Gröbenzell auf und in Bad Kissingen oder, mit Orchester, auch im Würzburger Mainfränkischen Museum. Ohne Etikette läuft das Marketing bei ihr (noch) nicht. Der Pianist Martin Dalheimer lebt im mittelfränkischen Hilpoltstein. Er war Korrepetitor beim Ausbildungsmusikchor der Bundewehr und tritt in Seniorenheimen, Kurhäusern und Schulen auf, gibt Klavierunterricht und spielt in regionalen Bars und Hotels. Er spielt zuweilen auf einem Broadwood von 1830, man kann seine Kunst vielfach über YouTube verfolgen und ihn selbst über Facebook erreichen: Mein Großmeister und Mentor war ein Franz-Liszt-Enkelschüler, der begnadete und in Österreich auch recht bekannte Ernst Gröschel, selbst Schüler von Emil von Sauer. Guckt mal bei mir rein in youtube.112 Es wäre mir eine große Freude und Ehre, von euch einen Kommentar zu erhalten, Martin.113

Dalheimer, Jahrgang 1960, Künstler also einer heute mittleren Generation, ist Urenkelschüler Liszts. Und es ist noch keineswegs Schluss mit der Generierung neuer Topoi. Florian Oberhummer musiziert als Pianist in der Band Kosmotron Kollektiv. Er spielt, erkennbar ironisch, mit Mythen, mit dem Mythos Bach ebenso wie mit dem Mythos Lisztschüler: Oberhummer ist „Liszt-Schüler in vierter Generation.“114 Ironie und Spiel mit dieserart Genealogie freilich machen erst auf der Grundlage einer festen Topik Sinn. Genealogien finden sich als Kerntexte mit Kernaussagen bereits in der Bibel. Sie prägen die biblischen Bücher vom Ersten Buch Moses bis zum Stammbaum Jesu im Neuen Testament. Als Textsorte erfüllen diese Genealogien stets einen 111 112 113

114

Art. Vita. Eva Smirnova, in: evasmirnova.de, Web, letzter Zugriff 03.01.2014. youtube.com/watch?v=NHAI38EJnus, Web, letzter Zugriff 20.05.2011. Vgl. Art. Martin Dalheimer & sein broadwood 1830. Vita, in: sites.google.com /site/martindalheimer, Web, letzter Zugriff 20.05.2011. Art. Bitches Bach, in: argekultur.at, Arge Kultur Salzburg, Web, letzter Zugriff 22.05.2011.

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Zweck: Sie haben eine Botschaft. Festgehalten wird, was zusammenpasst und „wer zu einer bestimmten Gruppe gehört.“115 die sogenannten Urkönige von Adam bis Noah, die Kainiten und Sethiten, die Geschlechter von Sem bis Abraham, die Nachkommen Ismaels, Esaus usw. Das alles hat Ordnung und stiftet Sinn. Die Botschaft der Jesusgenealogie in Lukas 3, 23-28 lautet: Es gibt einen gemeinsamen Ursprung, von Gottes Schöpfung an. Lisztschüler, Lisztenkelschüler, Liszturenkelschüler, Lisztschüler der vierten Generation … – auch mit dieser Genealogie verbinden sich Inhalte und eine künstlerische Botschaft. „Summa summarum“, schreibt Ramann, war Liszts Lehrtätigkeit „ein energischer Protest gegen jenen mechanisirten und mechanisirenden Theil der Künstlererziehung, der den Geist abtödtet.“116 Harenbergs Sammelartikel erfasst diese Botschaft als gemeinsame Aura der Lisztschüler: „Großzügigkeit, Sinnlichkeit, Weltoffenheit und Demut vor der Kunst, Ernsthaftigkeit des Handwerks und Fähigkeit zu Visionen zeichnen sie aus.“117 Exzessivität, Eigenwilligkeit und Esprit prägten in dieser Weise auch das Spiel von Elly Ney. Die einstige Reichsklaviergroßmutter ist Schülerin von Franz Wüllner und Emil von Sauer und somit Enkelschülerin Liszts: „Dies [!] wird vielfach mit dem in Kritiken gelobten ‚exzessiven Temperament‘ in Verbindung gebracht“, gepaart „mit einem sehr eigenwilligen Esprit.“118 Teilweise trägt man das Genealogische offenbar sogar im Blut. Beim LisztKlavierfestival 2011 in Fürstenzell bei Passau spielte der Pianist Robert Lehrbaumer, „ein Urenkel-Schüler von Franz Liszt – sein Lehrer Hermann Schwertmann war Student des berühmten Liszt-Schülers Emil von Sauer.“ Und dann heißt es weiter: „Das wusste Robert Lehrbaumer allerdings am Beginn seiner Karriere noch nicht, als er als virtuoser und dramatischer Liszt-Spieler pianistisch bekannt geworden ist.“119 „Meine Biographie ist weit mehr zu erfinden, als nachzuschreiben“, so Liszt zu Lina Ramann, die von 1874 bis 1894 seine Vita verfasste, schrieb. Viele haben inzwischen nicht nur an der Figur Liszt weitergeschrieben und weitererfunden, sondern über diese Figur auch an ihrer eigenen Biographie. Für einen Bezug genügt am Ende sogar eine ideelle Genealogie, ganz ohne persönliche und historische Berührungen. Peter Feuchtwanger, einer der renommierten, weltweit tätigen Klavierpädagogen und Klavierphysiologen, bekannte im Interview der Neuen Züricher Zeitung: „Zu Hause hatten wir viele Schallplatten. […] Diese Platten hörte ich oft. […] Alfred Cortot, Ignaz Friedman, Eugène dʼAlbert und 115

116 117 118

119

Horst Dieter Preuß/Klaus Berger: Bibelkunde des Alten und Neuen Testaments, Heidelberg/Wiesbaden ³1985, S. 25. Ramann: Franz Liszt, s. Anm. 1, S. 110. Rueger: Liszt-Schüler, s. Anm. 14, S. 519. Christoph Kammertöns/Sigfried Mauser (Hgg.): Lexikon des Klaviers (InstrumentenLexika 2), mit einem Geleitwort von Daniel Barenboim, Laaber 2006, S. 530. Art. Meisterkonzerte 2011, in: begegnungenportenkirche.de, Web, letzter Zugriff 20.05.2011.

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Frédéric Lamond – diese grossen Pianisten und Liszt-Schüler hatten starken Einfluss auf mich.“120 Dass Cortot (geb. 1877) und Friedmann (geb. 1882) keine Lisztschüler waren,121 spielt inzwischen fast schon ebenso wenig eine Rolle, wie die so sehr unterschiedlichen Stammbäume Jesu im Lukas- und im MatthäusEvangelium.

120

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Peter Hagmann: Klavierspielen als die natürlichste Sache der Welt. Zu Besuch bei dem Pianisten und Pädagogen Peter Feuchtwanger, in: Neue Zürcher Zeitung, 17. November 2008. Cortot studierte am Pariser Conservatoire bei Louis Diémer und Friedmann war Leschetitzky-Schüler; Feuchtwanger mag ihn mit dem Lisztschüler Arthur Friedheim verwechselt haben.

Register I

Personen- und Werkregister

A Abraham 286 Ábrányi, Kornél 156, 170 Adam 286 Agoult, Charles d’ 188 Agoult, Marie dʼ (alias Daniel Stern) 12, 30, 97 104f., 112, 187f., 278ff. Aischylos 121 Aladár, Juhász 271 Albert, Eugen d‘ 266, 269, 272, 275, 286 Albrecht, Prinz von ÖsterreichTeschen 149 Alexander I./Aleksandr I. Pavlovič Romanov, russischer Zar 229 Alexander II./Aleksandr II. Nikolaevič Romanov, russischer Zar 41, 56ff. Alkan, Charles-Valentin 236 Altschul, Friedrich 265 Andersen, Hans Christian 208, 218 Liden Kirsten (Klein Kirsten) 208, 218 Anna Amalia von BraunschweigWolfenbüttel 47 Ansorge, Conrad 269ff. Antheil, Georges 277 Antokol’skij, Mark Matveevič 224 Antonelli, Giacomo 41, 59 Arnswald, Bernhard von 65 Auber, Daniel 88, 91, 168, 211 Le cheval bronze 88

Augusta Marie Luise Katharina von Sachsen-Weimar-Eisenach 22, 62, 64, 260 Augusz, Antal 87, 147, 149f., 155f., 165 Auvergne, Latour d’ 146

B Bach, Johann Sebastian 49, 75, 92, 167, 170, 197, 231, 244, 246, 261, 285 Clavierübung 244 d-Moll-Präludium 246 Das Wohltemperierte Klavier 246 Bache, Walter 264 Badura-Skoda, Paul 275 Baini, Giuseppe 173, 177, 220 O Roma nobilis 177 Balakirew/Balakirev, Milij Alekseevič 198, 224, 231 Bärmann, Carl 265 Bartók, Bela 86, 98, 158, 183, 186, 277 Rhapsodie Op. 1 86 Bartolini, Lorenzo 239 Beethoven, Ludwig van 10, 16f., 45f., 75, 102, 117, 122, 123, 131ff., 165, 167, 231, 252, 262, 272-276 Klaviersonaten 10, 117, 275 Loreley 262 Musik zu Egmont 46 Sonaten Op. 27 122

290 Symphonien 16, 102 3. Symphonie 46 5. Symphonie 45 9. Symphonie 262 Beljaew/Beljaev, Mitrofan Petrovič 224 Bellini, Vincenzo 174 Norma 174 Bellman, Carl Michael 220 Bendel, Franz 265, 269 Benjamin, Walter 125, 141 Berlioz, Hector 9f., 16ff., 101ff., 108, 162, 170, 186, 192, 219, 231 Benvenuto Cellini 18, 162 Le carneval roumain 192 La Damnation de Faust 18 L’enfance du Christ 18 Harold en Italie 18, 192 Huit Scènes de Faust 108 Lélio 108 Le Retour de la Vie 108 Le roi Lear 192 Roméo et Juliette 18, 108, 192 Symphonie fantastique 16, 18, 102, 108, 192 Bihari, Janos 84f. Bismarck, Otto von 261 Boissier, Auguste 259 Bondy, Josefine 265 Borodin, Alexander 250, 275 Bortkiewicz/Bortkevič, Sergej Eduardovič 277 Brahms, Johannes 86ff., 91-96, 186, 237, 275 Edward Ballade 88 Klavierquartett op. 25 88 Klavierquintett op 34 88 Quartett für Klarinette und Streicher 89 Romanzen aus L. Tiecks Magelone 88 Ungarische Tänze 86, 94f. Nr. 5 89

Register

Zweite Klaviersonte 91 Brand-Mosonyi, Michael 155 Pár szó a koronázási mise érdekében (Ein paar Worte zugunsten der Krönungsmesse) 155 Brassai, Samoil 184 Breithaupt, Rudolf Maria 243 Brendel, Alfred 252, 258, 284f. Brendel, Franz 24, 162f. Die bisherige Sonderkunst und das Kunstwerk der Zukunft 163 Neue Zeitschrift für Musik 24 Bronsart von Schellendorf, Hans 16, 164, 265, 269 Bronsart von Schellendorf, Ingeborg 164 Hurrah Germania! 164 Bruckner, Anton 131 Bülow, Hans von 162, 165, 177, 265, 270, 275 Tanto gentile e tanto onesta 177 Bulwer-Lytton, Edward 108 Bury, Blaze Henri de 22 Busch, Wilhelm 249 Busoni, Ferruccio 233, 235-251, 255-258 La Campanella (nach Liszt) 242 f-Moll-Sonate 238 Indianisches Tagebuch 257 Klavierübung 244f., 256f. Kultaselle 257 Spanische Rhapsodie (nach Liszt) 240 Transkritpion des Orgelchoralvorspiels BWV 734 242 Busoni, Gerda 243 Byron, George Gordon Lord 107, 109-114 Childe Harold’s Pilgrimage 107, 111f., 114

Personen- und Werkregister

C Carl Alexander von SachsenWeimar-Eisenach 12ff., 20ff., 32, 41, 43f., 46-62, 64-69, 164, 235 Carl August von Sachsen-WeimarEisenach 30, 37, 38, 43, 52, 65, 67, 230 Carl Friedrich von SachsenWeimar-Eisenach 22 Carl von Preußen 22 Carreño, Teresa 241 Casanova, Silvio di 239 Cavalli, Ernesto 231 Cavos, Catterino 231 Cech, Adolf 203 Cezano, Marquise alias Olga (von) Janina alias Robert Franz 260 Charnace Claire de 188 Chélard, André Hippolyte 16f., 45 Fantaisie concertante 45 Chopin, Frédéric 90f., 103, 226, 241 Cionca, Aurelia 183 Cohen, David Abraham 278 Cohen, Hermann 278-281 Condivis, Ascanio 116 Vita di Michelangnolo [!] Buonarotti 116 Cooper, JamesFenimore 108 Corbett, Sidney 276 Quartett (In memoriam Liszt) 276 Cornelius, Peter 15, 32, 173, 177f., 273 Der Barbier von Bagdad 15, 173 2. Ouvertüre 177 Weimars Volkslied 178 Cortot, Alfred 286f. Cosma, Viorel 184 Cottlow, Augusta 239, 258 Crusell, Bernhard Henrik 220 Cui, César 178, 231

291

Tarantelle 178 Czerny, Carl 10, 272f., 275, 278

D Dalheimer, Martin 285 Dannreuther, Edward 83f., 95 Dante 17f., 25, 47f., 54, 97, 117, 119-122, 177 Divina Commedia 17, 25, 47f., 54, 119-122 Inferno 117, 120ff. Paradiso 117, 122 Tanto gentile e tanto onesta 177 Dargomyshski/Dargomyžskij, Aleksandr Sergeevič 177, 231 Tarantelle 177 David, Félicien 91, 205, 209, 210216, 218 Le Désert 205, 209, 210-218 Allah, Allah, Allah 213 Danse des Almées 213 Fantasie arabe 213 Le lever du soleil 210 La Liberté au Désert 213ff. La nuit 210, 213 Davila, Carol 182, 187ff. Deák, Ferenc 180 Deathridge, John 42 Debussy, Claude 94, 97 Ibéria 94 Marche ecossaise 94 Six epigraphes antiques 94 Dehn, Siegfried 226 Delacroix, Eugène 108 Demetriescu, Theophil 244 Devrient, Otto 67 Diémer, Louis 287 Diesterweg, Friedrich Adolph 20 Dingelstedt, Franz von 20, 59, 61 Donizetti, Gaetano 45f, 174 Robert d’Evreux 45

292 Toquato Tasso 46 Doppler, Franz 156 Dorn, Heinrich 94 Draber, William 235 Draeseke, Felix 271 Dreyschock, Alexander 194 Dunkl, Johann Nepomuk 265 Duprez, Gilbert 174 Durante, Leo 75 Dürer, Albrecht 62, 113, 117 Melancholia I 117 Dvořák, Antonín 196, 203, 275 Violinkonzert 275

E Eberwein, Carl, 17, 46 Gute Nacht 46 Eckermann, Johann Peter 11 Eith-Pohl, Johanna 282 Elisabeth von Österreich-Ungarn 145, 148 Elisabeth, Hl. 14, 60, 63, 65f., 68, 184 Enescu, George 186f. Poema Română op.1 186 Rapsodii Române op.11 186f. Sonate dans le caractère populaire roumain, pour piano et violon 186 Engels, Friedrich 182 Ense, Karl August Varnhagen von 20 Eötvös, Jószef 180 Erkel, Ferenc 89, 169 István király (Le Roi St. Etienne) 169 Esau 286

Register

F Fay, Amy 250, 260, 263 Fétis, Edouard 11, 22 Fétis, François-Joseph 11 Feuchtwanger, Peter 286f. Fichte, Johann Gottlieb 28, 34 Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters 28 Reden an die deutsche Nation 28 Fischer, Edwin 275, 284 Flinsch, Erich 284 Flotow, Friedrich von 13 Martha 13 Foldes, Andór 275f. Fomin, Jewstignei Ipatowitsch 231 Foscolo, Ugo 206 Franck, César 185 Franz Joseph I., Kaiser von Österreich 145, 148 Franz, Robert 260 Franziskus, Hl. 249 Frederik VII., König von Dänemark 209 Freiligrath, Ferdinand 164 Hurrah Germania! 164 Freiligrath, Gisberte 265 Freund, Etelka 258 Friedheim, Arthur 260, 287 Friedman, Ignaz 286f. Friedrich Wilhelm IV. 39 Fröbel, Julius 20 Fuchs, Albert 87f. Ungarische Suite 87f. Fuhrmeister, Fritz 268

G Gade, Niels W. 205, 211, 220f. Im Hochland 211 Nachklänge von Ossian 211 Gärtner, Marie 265

Personen- und Werkregister

Gedeonow, A. M. 229 George, Stefan 283 Gershwin, George 98 Gläser, Franz 217 Glinka, Michail Ivanovič 91, 186, 231 Capriccio espagnole 186 Kamarinskaya 91 Gluck, Christoph Willibald 12, 15, 111, 231 Alceste 15 Armide 15 Iphigénie en Aulide 15 Orphée et Eurydice 15 Parnasso confuso 111 Godowsky, Leopold 264f. Goethe, Johann Wolfgang von 7, 9, 11-44, 47f., 52f., 60, 65, 68, 112ff., 119, 123, 141, 235, 261 Faust 17f., 24, 47, 108, 119, 147, 262 Propyläen 23 Wilhelm Meisters Wanderjahre 112, 119 Gogol/Gogol‘, Nikolaj Vasil‘evič 232f. Taras Bulba 232f. Goldschmidt, Adabert von 178 Die sieben Todsünden 178 Göllerich, August 259, 262, 266, 273 Goodwin, Anima 271 Gottschalg, Alexander Wilhelm 265, 269, 281 Gottschalk, Louis Moreau 91, 281 Götze, Johann Nikolaus Conrad 16f. Gounod, Charles 168 Grieg, Edvard 198 Gröschel, Ernst 285 Grosse, Eduart 282 Grosskurth, Emma 270 Gruenberg, Louis 258

293

Gruneisen, Carl 62 Grützmacher, Friedrich 168 Günther, Otto Edmund 67f. Der Brautwilkommen auf der Wartburg 67f.

H Halévy, Jacques Fromental 211 Hambourg, Mark 241f. Händel, Georg Friedrich 75, 167, 170, 173, 177, 231 Almira 173, 177 Chaconne 177 Sarabande 177 Hanslick, Eduard 145, 159, 192, 196 Harsányi, Zsolt von 274 Ungarische Rhapsodie 274 Hartmann, Johann Peter Emilius 208, 218 Liden Kirsten (Klein Kirsten) 208, 218 Hartmann, Louis 265 Haskil, Clara 285 Haviliček, Karel 197 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 125f., 140 Heine, Heinrich 11, 147, 250 Held, Louis 236, 266, 269 Hellmesberger, Joseph 156 Henri V., König von Frankreich 165f. Henry VIII., König von England 168 Herbeck, Johann 156, 197 Herder, Johann Gottfried 7, 8, 11, 17f., 31, 33, 36, 75, 140, 162, 198 Cäcilia 75 Der entfesselte Prometheus 18 Herz, Erard 252 Herz, Henri 252

294 Herz, Henrik 218 Svend Dyring’s hus 218 Hettner, Hermann 25 Heyse, Paul 65 Hitler, Adolf 276 Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich 50ff. Hoffmann, E. T. A. 137 Hohenlohe-Schillingsfürst, Constantin zu 56, 58 Hohenlohe-Schillingsfürst, Gustav zu 56 Horowitz, Vladimir 285 Horowitz-Barnay, Ilka 273 Howard, Leslie 183 Hugo, Victor 47, 106, 108, 117, 120ff. Après une lecture de Dante 117f., 120ff. Feuilles d’Automne 120 Les Orientales 120 Les voix intérieures 117, 120f. Humboldt, Alexander von 20, 32 Humboldt, Wilhelm von 113 Hummel, Johann Nepomuk 12f., 16f., 45, 92 Konzert in h-Moll 45 Hundt, Aline 265

I Imbsweiler, Marcus 278 Die Entdeckung des Himmels 278 Indy, Vincent d’ 94 Symphonie sur un chant Montagnard français 94 Ismael 286

Register

J Janáček, Leos̆ 196 Jelena Pawlowna/Elena Pavlovna Romanova, Großfürstin von Russland 223, 229 Jensen, Adolf 265 Jesus 285, 287 Joachim, Joseph 167f. Joukoffsky/Žukovskij, Vasilij Andreevič 68

K Kaan, Ludovika von 284 Kaiser, Joachim 284 Karl der Große 261 Karl I., König von von Rumänien 188 Karl VII., König von Frankreich 67 Kastner, Rosa 265 Kaulbach, Wilhelm 164 Hunnenschlacht 164 Kentner, Louis 84, 98 Kestenberg, Leo 258 Klindworth, Karl 265, 269, 271f., 275 Kodály, Zoltán 86, 158 Konjus, Georgij Eduardovič 284 Kosnick, Heinrich 240, 242f. Krause, Martin 275, 277, 284 Kretschmer, Wilhelm 114 Kullak, Theodor 241, 272 La Mara 51, 58

L Lachmund, Karl 260, 262, 264, 270 Lamartine, Alphonse de 106 Lamennais, Félicité Robert de 75, 105f.

Personen- und Werkregister

Lamond, Frederic 268, 275, 287 Lasso, Orlando di 75 Lăutaru, Barbu 182ff., 184, 186189 Lehman, Orla 209f. Lehmann, Rudolf 20 Lehrbaumer, Robert 286 Lenz, Wilhelm von 90 Leonardy, Roberto 284 Leschetitzky/Leszetycki, Teodor 231, 287 Leßmann, Otto 167 Lewald, Fanny 20 Liszt, Adam 278 Liszt, Blandine 105, 165 Liszt, Eduard von 171, 173 Liszt, Franz Album d’un voyageur 101, 103, 105, 106ff., 110, 121, 128 Fleurs mélodiques des Alpes 110 Impressions et Poésies 105 Lyon 105, 108 Almira (nach Händel) 173, 177 Chaconne 177 Sarabande 177 A magyarok Istene (Ungarns Gott) 173, 178 Am Grabe Richard Wagners 179 Dem Andenken Petöfis 179 An die Künstler 18 Années de pèlerinage 19, 97, 101, 104f., 107-114, 116f., 119, 123, 128 Première année: Suisse 105, 109f., 114, 123 Vallée d’Obermann 102, 107110, 112, 252-255 Deuxième Année. Italie 111f., 114, 123 Dante-Sonate 25, 74, 114, 117, 119-122

295

Il Penseroso 114, 115, 117, 119 Psaume 97, 105, 108 Sonetto del Petrarca 104 Troisième Année 104, 179 Angelus! Prière aux anges gardiens 179 Aux cyprès de la Villa d’Este, thrénodie 179 Les jeux d’eaux à la Villa d’Este 97, 179 Marche funèbre 179 Sunt lacrymae rerum, en mode hongrois 96, 179 Sursum corda 179 Der Asra (nach Rubinstein) 178 Ave Maria 179 Bagatelle sans tonalité 179 Barbier von Bagdad (nach Cornelius) 173, 177 2. Ouvertüre 177 La Campanella 242 Campo Santo di Pisa: Danse des Morts 119 Carl August weilt mit uns 173, 178 Ce qu’on entend sur la montagne/Bergsymphonie 17, 25, 48 La Chasse 246 Christus 74, 82 Chöre zu Herders Entfesseltem Prometheus 18 Consolations 19 Czárdás 179 Czárdás macabre 96, 179 Czárdás obstiné 96, 179 Danses galciennes (nach Zarębski) 173, 178 Danse macabre (nach SaintSaëns) 177 Dante-Symphonie 9, 18, 48, 119, 162

296 De la Fondation Goehte à Weimar 19, 22, 31, 32, 38, 72 De la situation des artistes, et de leur condition dans la société 20, 205 Des bohémiens et de leur musique en hongrie 85, 99, 172 Deux Légendes 248 St. François de Paule marchant sur les flots 248 Divertissement (nach Schubert) 87 Dramaturgische Blätter 15 Einleitung und Ungarischer Marsch 179 Elegie I 179 Elegie II 179 En rêve, nocturne 179 Fantasie und Fuge über den Choral „Ad nos ad saluta rem undam 19 Faust-Symphonie 9, 18, 25, 47, 162, 276 Festkantate zur Enthüllung des Beethoven - Denkmals in Bonn 47 Festklänge 17, 194 Gnomenreigen 193 Graner Messe 73, 168, 194 Harmonies poétiques et religieuses 19, 77, 175 Der Herr bewahret die Seelen seiner Heiligen 173, 178 Historische Ungarische Bildnisse 175, 179f. h-Moll Sonate 9, 19, 122, 255 Hungaria 96, 147, 148, 162, 194 Hunnenschlacht 74, 96, 164 Die Ideale 18, 25 Impromptu 179 In festo transfigurationis Domini nostri Jesu Christi 179 Jewgeny Onegin (nach Tchaikowsky) 177

Register

Kaiser Wilhelm! Nationale Hymne 173, 178 Klavierkonzert Nr. 1 18 Klavierkonzert Nr. 2 17f. Die Legende von der Heiligen Elisabeth 41, 59f., 62-65, 73, 184 De l’état de la musique en Italie 219 Lettres d’un bachelier ès musique 105 Liebestraum 9 Lieder 19 La lugubre gondola 179 Männerchormesse 73 Marche héroïque de Szabadi (nach Massenet) 177 Revive Szegedin, marche hongroise de Szabady 177 Mazeppa 48, 194 Mephisto-Polka 179 Mephisto Walzer 179 Zweiter 179 Vierter 179 Miserere d’après Palestrina 97 Missa choralis 73f. Nuages gris 179 Opernfantasien 13, 19 Opernparaphrase 13 O Roma nobilis (nach Baini) 177 Orpheus 25 Oublié 176 O! wenn es doch immer so bliebe (nach Rubinstein) 178 Pater noster II 71, 77-80, 82 Präludium und Fuge über den Namen B-A-C-H 19 Les Préludes 48, 194, 276 Prometheus 18, 194 Receuillement 179 Réminiscence de Norma (nach Bellini) 174 Requiem 74 Resignatione 170

Personen- und Werkregister

Rhapsodie roumaine 181, 183 Rheinweinlied 147 Robert Schumann’s Clavierkompositionen Op. 5 11, 14, 102 Romance oubliée 174f., 179 R.W.–Venezia 179 Sancta Dorothea 179 Schlaflos, Frage und Antwort, nocturne 179 Seconda mazurka variata da Pier Adolfo Tirindelli 177 Die sieben Todsünden (nach Goldschmidt) 178 La Sommambula 174 Spanische Rhapsodie 240 Spartacus 47 Stabat mater 74 Tanto gentile e tanto onesta (nach Bülow/Dante) 177 Der Tanz in der Dorfschenke 17 Tarantelle (nach Cui) 178 Tarantelle (nach Dargomyzhski) 177 Tasso. Lamento und Trionfo 48f., 194 Totentanz 18, 74 Trauervorspiel und Trauermarsch 179 Über zukünftige Kirchenmusik. Ein Fragment 73 Ungarische Fantasie 89, 98 Ungarisches Königslied 172f. 178 Ungarische Krönungsmesse 73, 95, 145, 150, 155f., 158f. Agnus Dei 150, 153 Benedictus 145, 154, 156 Credo 150 Gloria 150, 15ff. Graduale 158 Kyrie 150ff. Offertorium 158 Sanctus 150

297

Ungarische Nationalmelodien 85, 86, 96, 128 Rákoczy Nóta 96 Ungarische Rhapsodien 19, 25, 85f., 95f., 125, 127-131, 133ff., 138-143, 147, 162, 181, 186, 201 Nr. 1 135ff., 141, 184 Nr. 2 9, 89, 96, 186 Nr. 3 89, 96, 129f. Nr. 6 96, 186 Nr. 11 89 Nr. 12 89, 183 Nr. 13 246 Nr. 14 96 Nr. 15 Rákóczi-Marsch 85, 95, 138f., 153, 156 Nr. 16 142 Nr. 17 142ff. Nr. 18 142 Nr. 19 142 Unstern! Sinistre, disastro 179 4 Valses oubliées 174f., 179 Venezia e Napoli 97 Verdi Bearbeitungen 173, 177 Agnus Dei de la Messe de Requiem 177 danza sacra e duetto finale (Aida) 177 Réminiscences de Boccanegra 177 Rigoletto-Paraphrase 284 Le vieux vagabond 48 Von der Wiege bis zum Grabe 179 Wagner Bearbeitungen 172f., 177 Am stillen Herd (Meistersinger) 177 Ballade (Der fliegende Holländer) 177 Feierlicher Marsch zum heiligen Gral (Parsifal) 177

298 Walhall (Ring des Niebelungen) 172, 177 Wartburg-Lieder 41 Was ist des deutschen Vaterland 147 Weimars Volkslied (nach Cornelius) 173, 178 Wheinachtsbaum 74, 179 Zwölf Etüden 19 Loën, August von 67 Lotti, Antonio 219 Louis, Rudolf 87 Ludwig II., König von Bayern 164 Luther, Martin 65, 67 Luxemburg, Rosa 261 Lwow/L’vov, Aleksej Fëdorovič 228

M Maltitz, Baron von 58 Maltitz, Baronin von 58 Marcello, Alessandro 75, 219 Maria Magdalena 281 Maria Pawlowna/Marija Pavlovna, Großfürstin von Russland und Großherzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach 13, 20ff., 25, 44, 50 Marie von Sachen-WeimarEisenach 22 Marschner, Heinrich August 214 Der Vampyr 214 Marx, Adolf Bernhard 231 Marx, Karl 182 Mason, William 265 Massenet, Jules 168, 173, 177 Marche héroïque de Szabadi Revive Szegedin, marche hongroise de Szabady 177 Mayer, Wilhelm alias W. A. Remy 237 Mazzini, Giuseppe 206

Register

Nationality and Cosmopolitanism 206 Medici, Giuliano de 116 Medici, Lorenzo de 115 Meinecke, Friedrich 36 Mendel, Hermann 163 Musikalischem ConversationsLexicon 163 Mendelssohn Bartholdy, Felix 18, 26, 93, 185, 223, 226, 230f., 233 Lieder ohne Worte 26 Menter, Sophie 271 Mercandante, Saverino 45 Briganti 45 Metastasio, Pietro 111 Parnaso confuso 111 Meyer, Ernst 20 Meyerbeer, Giacomo 15, 93, 174, 205, 211, 214, 216f., 226 Les Huguenots 15, 205, 216ff. Robert le Diable 15, 214 Michail Pawlowitsch/Pavlovič Romanov, Großfürst von Russland 229 Michelangelo 115ff., 119 La Notte 116 Penseroso 114-117 Mihalovich, Edmund von 171f. Mihalovich, Ödön 266 Moore, George 91 Moore, Thomas 223 Lalla Rookh 223 Mosengeil, Carl Friedrich August 46 Mosónyi, Mihály 83, 89, 92f., 180 Übungen für das Pianoforte zur Bildung des Vortrags für ungarische Musik 92 Mozart, Wolfgang Amadeus 12, 15, 45, 167, 192 Don Giovanni 15 Die Zauberflöte 12, 94 Müller-Hartung, Carl 64f., 67

Personen- und Werkregister

Mussorgski/Musorgskij, Modest Petrovič 231

N Napoleon Bonaparte 28, 110, 166 Napoleon III., Kaiser von Frankreich 165, 166, 176 Nélisoff/Nelisov, Ivan Femistoklovič 265 Ney, Elly 286 Nietzsche, Friedrich 132f. Nikolaj I. Pavlovič Romanov, russischer Zar 22, 54, 56, 229 Nissen-Saloman, Henriette 231 Noah 286 Nohl, Ludwig 262, 265 Nordklid, Georg 215 Kulsvierblod (Coal - burner’s blood) 215 Novalis 74 Novotný, Václav 197

299

Pantaleoni, Adrianoglin 45 Paschkewitsch/Paškevič, Vasilij Alekseevič 231 Past Pius IX. 58 Pauline von Sachsen 65, 67 Paulus 281 Pergolesi, Giovanni Battista 75 Peter I. Pjotr Romanov, Zar und Großfürst von Russland 229 Petöfi, Sándor 180 Petri, Egon 258 Pflughaupt, Robert 265 Pflughaupt, Sophie 265 Ploug, Carl alias Poul Rytter 209f., 215 Slaget ved Fredericia 209ff., 213, 215, 218, 220 Pohl, Richard 282 Porumbescu, Cirprian 185 Rapsodia română 185 Poulenc, Françis 277 Preyer, Gottfried 156 Proksch, Josef 192 Prukner, Dionys 265

O Oberhummer, Forian 285 Oken, Lorenz 38 Ollivier, Emile 61, 165 Ondřiček, František 275 Orloff/Orlov, Graf Aleksej Fëdorovič 54 Ottenburg, Anna von 45f.

P Pabst, Paul 284 Paganini, Nicolò 102, 246 Palacky, Frantis̆ek 197 Palestrina, Giovanni Pierluigi da 74f., 78, 170, 173, 209, 219f. Miserere 97

R Rachmaninow/Rachmaninov, Sergej Vasil’evič 277 Raffael 113 Rákóczi, Ferenc 138, 153, 172 Ramann, Lina 42, 265, 269, 272, 281f., 286 Rappard, Conradt von 20 Rattle, Simon 276 Ratzenberger, Theodor 265 Rauch, Christian Daniel 22, 32, 48 Ravel, Maurice 89 Tzigane 90 Reger, Max 281 Reinberger, Josef 281 Reinecke, Carl 272

300 Reisenauer, Alfred 264, 266, 269, 277 Reissmann, August 164 Reményi, Ede 64, 93, 154, 158 Remmert, Martha 266, 270 Reubke, Julius 265, 269, 281 Ricci, Girolamo 220 Richter, Swjatoslaw/Svjatoslav Teofilovič 285 Riedel, Carl 168 Riese, Clara 265 Rietschel, Ernst 22, 37 Rimski-Korsakow/Rimskij-Korsakov, Nikolaj Andreevič 224 Ritter, Alexander 277 Ronge, Johannes 168f. Rosa, Salvator 111 Rosenthal, Moritz 266, 268, 270 Rossini, Gioachino 211, 219 Il barbiere di Siviglia 211 Roth, Bertrand 268 Rubinstein/Rubinštejn, Anton Grigor‘evič 43, 84, 95, 162, 178, 223-233, 236ff., 243, 272, 285 Der Asra 178 Autobiographischen Skizzen 230 Dmitrij Donskoj 223, 229 Ouvertüre 223 Feramors 223 Konzertstück 223 Die Kummervolle 223 O! wenn es doch immer so bliebe 178 Rusalka 223 Russische Symphonie 223, 230 Russland 223 Die Sibirischen Jäger 162, 230 Der Thurm zu Babel 223 Über die Musik in Russland 225, 230 Rubinstein/Rubinštejn, Grigorij Romanovič 226

Register

Rubinstein/Rubinštejn, Kaleria Christoforovna 226 Rubinstein/Rubinštejn, Nikolaj Grigor‘evič 226 Rubinstein, Ruben/Rubinštejn, Roman 226 Rudorff, Ernst 265 Rung, Henrik 205, 209-213, 216221 Canzonetta da bere 211 Mottetto 220 Notturno 211 Slaget ved Fredericia 205, 209ff., 213, 215, 218, 220 The Danes prevail. The enemy flees 218f. From the Catholic Chapel 220 Kulsviernes Sang (chorus of the coal-burners) 215ff. 2den Afdeling. Nat. Udsigt fra Strib 211ff. Stormen paa København 217 Rye, Olaf 215, 220 Rye, Stellan 277 Der Student von Prag 277

S Sabinin, Martha von 265 Saint-Marc-Girardin, François Auguste 61 Saint-Saëns, Camille 168, 169, 173, 177 Danse macabre 177 Henry VIII 168f. Saint-Simon, Henri de 75 Sand, George 137, 278, 280 Lettres d’un Voyageur 278 Saremba, Nikolai/Zaremba Nikolaj Ivanovič 231 Sauer, Emil von 254, 266, 268, 270, 276, 285f.

Personen- und Werkregister

Sayn-Wittgenstein, Alexander zu 55 Sayn-Wittgenstein, Carolyne zu 20, 48, 53f., 56ff., 61, 69, 86, 158, 164f., 171f. Sayn-Wittgenstein, Marie zu 56 Sayn-Wittgenstein, Nikolaus zu 54-57 Sayn-Wittgenstein, Peter zu 54 Schade, Oskar 50, 52 Scheffel, Viktor 65 Wartburg Lieder (Der Braut Willkommen auf Wartburg) 65f. Scheffer, Ary 239 Schelle, Eduard 145, 158, 159 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von 20, 32, 36 Schiller, Friedrich von 9, 12ff., 18, 22ff., 28f., 30, 37f., 41, 43, 48, 65, 162 Deutsche Größe 29 Die Horen 23 Schlegel, Friedrich 76 Schlesinger, Maurice 219 Schmalhausen, Lina 260 Schober, Franz von 61 Schönberg, Arnold 275 Schorn, Adelheid von 260 Schreiber, Ferdinand 265 Schubert, Franz 10, 15, 87, 89, 92, 96, 110, 122f., 162, 184, 231 Alfonso und Estrella 15, 162 Divertissement 87 Divertissement à l’Hongroise 89 Fantasie f-Moll (D. 940) 89 Lieder 10 Symphonie in C-Dur 184 Der Wanderer 122 Wanderer-Phantasie 122 Schubert, Julius 158 Schuberth, Carl 231 Schulhoff, Erwin 277 Schumann, Klara 226

301

Schumann, Robert 17, 88, 90f., 101, 119, 122f., 129, 133ff., 185, 199, 230f., 238, 250, 257 Bilder aus Osten 88, 91 Drei Romanzen für Oboe und Klavier 91 Fantasie op. 91, 119, 122 Fünf Stücke im Volkston 91 Poetische Miniaturen 199 Szenen aus Goehtes Faust 17, 24 Schwertmann, Hermann 286 Scitovszki, Ján 150 Scott, Walter Sir 107f. Waverley 107 Sem (Geschlecht) 286 Senancour, Etienne Pivert de 106f., 109ff. Oberman 106f., 109f. Senff, Bartholf 225 Serow, Alexander/Serov, Aleksandr Nikolaevič 225, 231ff. Shakespeare, William 107, 120 Hamlet 108 La Porcia 120 Romeo and Juliet 108 Siloti, Alexander/Ziloti, Aleksandr Il’ič 259, 264, 266, 270, 277, 285 Simor, Jénos 150 Sirota, Leo 258 Skrjabin, Alexander/Aleksandr Nikolaevič 284 Smetana, Bedřich 184, 191-203 Etüde in a-Moll 193 Etüde in ges-Moll 199 Fantasie concertante über tschechische Volkslieder 199ff. Klaviertrio 194 Libuše 196 Macbeth und die Hexen 199 Má Vlast 191, 202 Die Moldau 191 Six morceaux caractéristiques 193f., 198f.

302 Tschechische Tänze 202 Die verkaufte Braut 191, 201f. Smirnova, Eva 285 Solowjow/Solov’ëv, Vladimir Sergeevič 224 Sophie von Sachsen-Weimar 47, 49, 62, 67 Soret, Frédéric 41, 44, 46-50, 52 Spiro, Friedrich 268 Spohr, Louis 246 Stadtfeld, Alexander 174 Hamlet 174 Stahr, Adolf 20, 262 Stahr, Anna 262 Stahr, Helene 262 Stark, Ingeborg 265, 269 Stassow, Vladimir/ Stasov, Vasil’evič 224f., 232f. Unsere Musik seit den letzten 25 Jahren 224 Stavenhagen, Bernhard 266, 269ff., 284 Steiner, Rudolf 271 Stephănescu, George 185 Șase hori naționale (Sechs nationale Horas) 185 Sternbald, Franz 113 Sternberg, Constantin von 277 Știrbei, Barbu 189 Stör, Carl 46 Fantasie über Motive aus der Oper: Die Tochter des Regiments 46 Stradal, August 259, 266, 268f. Strauss, Richard 277 Strawinsky, Igor/Stravinskij Igor’ Fëdorovič 95 Street-Klindworth, Agnes 43, 111 Strozzi, Giovanni 116 Sopra la Notte di Michelangelo 116

Register

Stuckenschmidt, Hans Heinz 241f., 246ff. Széchényi, István 175, 180

T Tardieu, Malwine 169f., 174 Tausig, Karl 265, 269ff. Tegerström, Hilda 265 Teige, Karol 194 Teleki, László 175, 180 Thalberg, Sigismund 238, 241 Thern, Károly 135f. Thomán, István 271 Thomán, Stefan 268, 277 Tieck, Ludwig 88, 112ff. Franz Sternbalds Wanderungen 112f. Magelone 88 Timanoff/Timanova, Vera Viktorovna 270 Tirindelli, Pier Adolfo 177 Seconda mazurka 177 Tomášek, Václav Jan 196 Treitschke, Heinreich von 36 Tschaikowsky, Peter/Čajkovskij, Pëtr Il’ič 91, 223, 231 Jewgeny Onegin 177 Twain, Mark 98

V Vasari, Giorgio 116 Veit, Wenzel Heinrich 193 Episode in the Life of a Tailor, a parody of Berlioz’s Symphonie fantastique 193 Verdi, Giuseppe 15, 25, 161, 173, 177, 214 Aida 177 I due Foscari 15

Personen- und Werkregister

Ernani 15 Messe de Requiuem 177 Réminiscences de Boccanegra 177 Rigoletto 25, 284 Il trovatore 15, 214 Vergil 121f. Vesque von Püttlingen, Johann 15 Ein Abenteuer Carl des Zweiten 15 Der lustige Rath 15 Viardot, Paulina 226 Villoing, Alexander Iwanowitsch 226 Viole, Rudolf 265, 269 Vörösmarty, Mihály 180

W Wagner, Cosima 86f., 93f., 96, 112, 161, 165, 174 Wagner, Richard 9, 11, 13ff., 18, 21, 23ff., 42, 83f., 86f., 92-97, 101, 103, 112, 117, 123, 131f., 161-165, 168-174, 176f., 185, 194, 201, 203, 231, 261, 276 Beethoven 164 Deutsche Kunst und deutsche Politik 163 Der Fliegende Holländer 13, 172, 177 Götterdämmerung 276 Eine Kapitulation 165 Lohengrin 9, 11, 13ff., 18, 24, 162, 172, 247 Die Meistersinger 163f., 177, 276 Oper und Drama 162 Parsifal 170, 177 Ring des Nibelungen 170, 177 Walhall 172, 177 Tannhäuser 9, 13f., 21, 24, 172 Tristan und Isolde 117

303

Wagner, Siegfried 94 Watzdorf, Christian Bernhard von 20ff. Weber, Carl Maria von 46, 83, 88, 92f., 186 Freischütz 88, 92 Jägerchor 88 Konzertstück 46 Preciosa 93 Wegelius, Martin 238 Weingartner, Felix 264, 266 Weiss, Edward 241f., 246, 258 Weiß, Josef 277 Werstowskij, Alexei /Verstovskij, Aleksej Nikolaevič 231 Wieck, Friedrich 91 Wiedemann, Conrad 29 Wieniawski, Henryk 231 Wilhelm I. von Preußen 22 Williams, Vaughan 198 National music 198 Winterberger, Alexander 265, 281 Wohl, Janka 157 Wolff, Oskar Ludwig Bernhard 47 Wolzogen, Hans von 170 Wood, Henry 242 Wüllner, Franz 286 Wydenbrugk, Oskar von 21

Y Yehuda, Eliezer ben 97

Z Zabel, Albert 231 Zabel, Friedrich 20 Zadora, Michael von 257 Zarębski, Juliusz 173, 178 Danses galiciennes 173, 178 Zdisław Lubicz 185

304 Rumänische Rhapsodien 185 Zichy, Géza 184 Zielińska, Olga (alias Robert Franz) 260 Souvenirs d’une cosaque 260

Register

Zieritz, Grete von 277 Zimmermann, Krzysztian 285 Zítek, Josef 23 Zweig, Stefan 25

Sachregister

II

305

Sachregister

A Accademia di S. Cecilia 220 Allgemeine Illustrirte Zeitung. Über Land und Meer 65, 67 Allgemeine musikalische Zeitung 45 Allgemeiner Deutscher Musikverein 24, 32, 194 Amerika 13, 261, 265, 276 Antisemitismus 168, 172, 233 Archaismus 88 Aufklärung 27f., 33, 39 Avantgarde 11, 15, 17 Avila 187

B Babylon 90 Bad Gröbenzell 285 Bad Kissingen 285 Baden-Baden 168 Barkarole 212 Basel 257 Bayreuth 68f., 170, 176, 261f. Berdytschiw/Berdičiv 226f. Berlin 15, 19f., 22, 28, 66, 147, 170, 226f., 237, 239, 244, 248, 257f., 265, 276, 280 Berliner Aufruf 20, 31f., 35 Berliner Hochschule 167 Biene des Nordens/Severnaja Pčela 232 Böhmen 194-197, 199, 201f. Bokázó-Kadenz 89, 151 Bonn 52 Bordeaux 280 Boston 11, 237f., 257 Breitkopf und Härtel 172, 174, 194 Breslau 226

Broussey, Le (Karmeliterkloster) 280 Brüssel 11 Büchner-Preis 24 Budapest 60, 69, 169f., 195, 261f., 266, 275 Musikakademie 171 Opéra 169, 172f. Bukarest 182, 185, 189

C Cabaletta 214 Cäcilianer 76f. Carl-August-Denkmal 173, 178 Chauvinismus 233 Chicago 263 Corriere della Sera 247 Couleur du temps 108 Couleur locale 84, 88ff., 93-99, 108, 129 Cultural traffic 207f.

D Dänemark 208ff., 213, 217f., 220f. Königliches Dänisches Theater 208, 217 Nationalliberale 219 Debrecen 155, 173 Deutscher Bund 23 Deutsch-Französischer Krieg 1870/71 66, 123, 161f., 164ff., 168, 174, 280 Deutschland 9, 19, 24, 28ff., 3339, 43, 52, 59-66, 146, 162, 164f., 168f., 172, 196, 210, 260f., 285 Documenta 24 Dresden 13, 24, 223, 278

306 E Eisenach 14, 49, 61f., 64, 281 Lutherhaus 281 England 146, 261 Erfurt 21f., 23, 31, 281 Erfurter Union 22 Michaeliskirche 281 Unionsparlament 21, 31 Erinnerungsfigur 259, 262f., 269f., 272, 275, 276f. Erinnerungsort 59f., 68, 70, 114, 261f. Europa 9ff., 43f., 59ff., 70, 145f., 148, 161, 166f., 208, 211, 221, 226, 259, 265, 275 Osteuropa 181 Westeuropa 230 Exotismus 88ff. 98, 129

F Folklore 128, 181, 183-186 Folklorismus 186 Fontainebleau 109 Frankfurt 20f., 67, 284 Nationalversammlung 20f. Musikhochschule 284 Frankreich 10, 13, 20, 28, 30, 37, 39, 58, 61, 104, 146, 162, 165168, 176, 196, 210, 218, 261 Julimonarchie 104 Fredericia 209ff., 215, 220 Schlacht von Fredericia 220 Funen 211 Fürstenzell 286

G Gazette de Hongrie 172 Gazette musicale 205, 219

Register

Genf 260, 278 Konservatorium 260 Gesamtkunstwerk 101, 132 Goethe-Stiftung 9,11f., 18-24, 28, 31-34, 37ff. 52f. Goethe Zentenarfeier 11 Goethe-Schiller-Denkmal 22ff, 48 Göteborg 11, 194f. Graz 237, 284 Graždanin/Der Bürger 225

H Hamburg 278 Hannover 164 Königliches Theater 164 Haslinger 77, 105 Heidelberg 8f., 276, 278, 283 Helogland 20, 31 Helsingfors 237f., 257 Musikinstitut 238 Herder-Denkmal 11, 17 Hermannstadt 183 Hilpoltstein 285 Historismus 231 Holstein 210

I Immelborn 61 Indépendance roumaine L’ 188 Intermedialität 101, 112, 123 Intertextualität 123 Israel 258 Italien 39, 54, 97, 104, 112ff., 122, 146, 149, 176, 206, 211, 218f., 261 Einigung 176 Freiheitskampf 149

Sachregister

J Japan 258 Jassy 182, 184 Journal des Débats 14, 31, 61 Julius Schubert & Co 158

K Karlsbader Beschlüsse 38 Kasseler Musiktage 65 Kiew 48 Kistner 193 Klassik 27, 29f., 32, 71, 197 Klausenburg 184 Klaviertechnik 10, 129, 240, 243, 257 Kölner Dom 147 Königsberg 223 Kopenhagen 209f., 215, 217f., 220 Angriff auf Kopenhagen 1659 218 Casino-Theater 209f., 213 Kultorvet 215 Kosmopolitismus 8, 23, 28, 71, 163, 225, 233 Kosmotron Kollektiv 285 Kulturförderung 21, 23, 31 Kulturkritik/Cultural Criticism 95 Kultur-Optimismus 7 Kulturpolitik 21, 65 Kulturtransfer/cultural tansfer 205, 207, 209, 213, 217f.

307

Lisztianer 248, 262 Lisztomanie 147 Lisztschule 259, 262, 265, 269 Erste Listzschule 260 Zweite Lisztschule 260 Lisztschüler 254, 257, 259-273, 275-287 Halbschüler 265, 269 Hauptschüler 262, 265, 269 Liszturenkelschüler 259, 261, 275, 282-286 Locarno 239 Logozentrismus 133 Lokalkolorit 130 London 10, 206 Lourdes 280 Luzern 165 Lyoner Weberaufstand 105, 107

M Manchester 258 Mannheim 276 Meiningen 65 Métissage/cross-breeding 218 Moderne 30, 102 Moskau 226, 232, 233, 237, 257 München 60, 65, 93, 195 Musikpolitik 169 Musique, La. Gazette de la France 14

N L Leipzig 22, 158, 211, 220, 225, 237, 276, 278 Liebenstein 62 Lisztenkelschüler 259, 261, 275, 277, 282f., 286

Nation 7f., 27, 29, 32, 35f., 39, 125-128, 132, 139ff., 146f., 155ff., 161, 163, 167f., 181, 196ff., 206, 209 Nationale Charakteristik 126-130, 138, 139-142 Nationale Einheit 20, 34, 141

308 Nationale Identität 83 Nationale Klänge 131, 134, 140143 Nationale Musik 182 225 Nationale Schule 7, 162, 224 Nationalepos 162, 184 Nationaler Liberalismus 218 nationales Denken 7, 32, 71, 174, 176, 161 Nationalgefühl 147, 202 Nationalhymne 138f., 206 Nationalisierung 39, 172 Nationalismus 27- 34, 36f., 71, 83, 88ff., 98, 132f., 181f., 196, 202f., 205, 207f., 218, 225, 227 Nationalität 24, 64, 71, 90, 93, 96, 206f., 271 Nationalkommunismus 182 Nationalmusik 83f., 88, 90,ff., 94, 147, 158, 191, 196-199 Nationalschule 181 Nationalstaat 7, 36, 39 Nationalstil 90ff., 191, 199, 224 National-Zeitung 20 Neapolitanische Schule 75 Neudeutsche Schule 162, 194, 202 Neudeutscher Musikverein 62 Neue Zeitschrift für Musik 24 Neue Züricher Zeitung 286 New York 158, 237, 258 Julliard School 258 Niederlande 146 Nonnenwerth 278 Novoe vremja (Die neue Zeit) 225 Nürnberg 62

O objet sauvage 138 Ofen 149, 155ff. Burg 156 Liebfrauenkirche 156

Register

Mathias-Kirche 157 Olmütz Vertrag von Olmütz 32 Österreich 21ff., 32, 148, 285 Österreich-Ungarn 149

P Palästina 258 Palestrina-Renaissance 77 Pallanza 239 Paris 10, 11, 15, 22, 30, 58, 77, 84, 94, 104, 117, 168, 170f., 174, 185, 189, 205, 210f., 224, 226, 237, 260, 278, 280, 287 Conservatoire 287 Schola Cantorum 185 Théâtre Italien 211 Weltaustellung 1878 171, 233 Parma 187, 189 Passau 286 Patriotismus 95, 171, 178, 233 Pedalisierung 235, 242, 246f., 249, 254 People’s Journal 206 Pest 60, 92, 147, 153, 156f., 165, 168, 233 Pianistik 129, 133f., 138, 140, 143, 235, 238, 249, 256f. 257 Polen 90, 146, 265 Postkolonialismus 95 Prag 60, 169, 191f., 194-197, 258, 275, 278 Smetana Museum 191 Nationaltheater 196, 199 Preßburg 158 Kirchenmusikverein 158 Preußen 21ff., 32, 39, 60f., 66, 165, 167, 209f., 220 Preußische Union 32, 39 Preußische Akademie der Künste 237

Sachregister

Prix de Rome 23 Programmmusik 26, 94f. Propaganda 165, 169, 172, 205, 209f. Provinzialismus 167, 205, 207, 209, 229

R Raiding 10 Regensburg 76f. Renaissance 74, 76, 81, 89, 205, 209 Revolution 210 1848 30, 31, 33, 38f., 153, 181, 183, 197, 210 Dresdner Mairevolution 13, 24 französische 28, 33-36, 38f., 91, 209 Juli 1830 30, 39, 74, 210 Mai 1848 20 Ungarische 180 Rhapsode 140 Rhapsodie 92, 95, 132, 140, 185f. Rheinkrise 39 Ricordi 105 Risorgimento 206 Rom 53, 56, 59, 69, 72, 145, 211, 219f., 261, 271, 280, 281 Kloster Madonna del Rosario 104 Sacco di Roma 116 Sistnische Kapelle 219 Roma 84, 88, 186 Romantik 27, 89, 113, 117, 122, 135, 181, 185 Romantizismus 227, 275 Neo-Romantizismus 187, 195 Romungro 84f., 89 Rumänien 181ff., 187f. Russische Musikgesellschaft 229, 231, 233

309

Russland 13, 32, 54, 57, 64, 146, 223, 225ff., 229-233, 257, 261

S Saarbrücken 284 Musikfestpiele Saar 284 Musikhochschule 284 Sachsen-Weimar-Eisenach 38, 65, 231 Haus Sachsen-Weimar-Eisenach 14, 22, 38, 44 Großherzogtum 65 Sachsen-Weimar 37 Saint-Simonismus 30 Salzungen 61 San Lorenzo 115 Sankt Petersburg 11, 53, 56ff., 164, 223, 227, 229-232, 285 Bolschoi-Theater 229 Kaiserliches Theater 228f. Hofsängerkapelle 228 Kaiserliche Universität 228 Konservatorium 224, 229- 233 Konzertgesellschaft 228 Mariinskij-Theater 223 Operntheater 228 Philharmonische Gesellschaft 228 Universitätskonzerte 228 Schleswig 210 Schleswig-Holstein 210 Schleswig-Holstein-Frage 39 Schleswig-Holstein Musikfestival 24 Schloss Ettersburg 47 Schloss Willhelmsthal 41, 64 Schott 109f., 114 Schultertechnik 243f., 256 Schweden 194f., 202 Schweiz 104f., 107, 109-112, 280 Freiheitskampf 107

310 Sibirien 227 Siebenbürgen 182ff. Singverein 88 Skandinavien 259, 261 Solèsmes 76f. Sondershausen 267 Sowjetunion 233 Spieltechnik 135, 137, 234f., 255f. Stuttgart 62 Style hongrois 87ff., 93 Surrealismus 138 Symphonische Dichtung 9, 17f., 25, 30f., 48, 96, 103f., 117, 123, 134f., 147f., 162, 164, 167, 175, 191, 194, 199, 201ff. Szekszárd 165 Szilice 148

T Temeswar/Timișoara 182 Thüringen 14, 37f., 65, 146 Tonkünstlerfest 24 Totalitarismus 131ff. pangermanischer 132f. Triest 237 Tschechien Jungtschechen 201 Nationalmusik 191, 196ff. Nationalpartei 197 Umělecká beseda (Künstlerischer Verein, Tschechien) 197

U Ungarn 7, 30, 60, 63, 84f., 89, 96f., 138ff., 142, 145-150, 154, 156ff., 161f., 165, 170-176, 180 215, 278 Folklore 128

Register

Freiheitskampf 1848-1849 149, 153 Kultusminister 155 Nationalmusik 158 Nationalstil 92 Ungarische Musik 77, 84ff., 89, 93, 95, 141f., 147f., 150 Universalismus 27-34, 71f. Universalität 29f., 32ff., 39, 71f., 74f., 131f., 163, 227, 237 Universalmusik 147 Urbane Kultur 205 USA 257f.

V Verbunkos 77, 85, 87, 128, 215 Versailles 61 vie parisienne, La 184 Virtuosität 72, 84, 96, 102, 125, 129, 131-135 Volksmusik 86, 92, 127, 145, 148, 158, 181, 186, 199 Volkston 91, 94 Vormärz 39

W Wagnerianer 86f.,98, 201 Wagner-Woche 18 Walachei 186f. Warschau 58, 90 Wartburg 14, 41, 58-63, 65f., 68, 262 Wartburgfest 59f. Weihekuss 272, 274f. Weimar 7, 9, 11-16, 18-24, 30ff., 36-39, 41, 43ff., 47-52, 54, 57f., 60, 65f., 68-71, 104, 147, 161f., 165, 167, 170ff., 174, 176, 178, 191, 194f., 197, 208, 230, 235,

Sachregister

237, 248, 257, 259, 261, 263266, 271, 273, 275, 278f., 281f. Altenburg 50, 265 Goethehaus 278f. Hochschule für Musik Franz Liszt (ehem. Musik-Schule) 49 Hofgärtnerei 236, 264 Hofkapelle 13, 16f., 45f., 282 Hofoper 12f. Hoftheater 11ff., 16f., 45 Hotel Erbprinz 50f. Landesmuseum 32 Liszt-Museum 183 Neues Weimar 9, 11ff., 15, 20, 24ff., 30 Neu-Weimar Verein 283 Die Laterne 283 Schloss 16 Stadthaus 16 Tempelherrenhaus 235f. Weimarer Hof 21, 31, 173 Weimarer Klassik 13 Weimarisches Jahrbuch 50 Weimarische Zeitung 45 Weltanschauungsmusik 127 Weltbürgertum 7, 32, 39, 71, 125ff., 139, 141f., 146, 161, 163, 176, 257 Weltbürger 27, 39, 96, 98, 123, 145, 162, 202f., 207, 209, 223, 257, 262 Weltbürgerliches Denken 7, 33f., 39, 93, 174 Welte-Mignon-Verfahren 246 Weltkrieg Erster 91, 237 Zweiter 132

311

Weltkunst 102, 163 Weltliteratur 13, 17, 26, 47, 102, 108, 123, 141, 147, 162 Weltmusik 163 Wien 10, 15, 31, 56, 58, 61, 77, 105, 145, 153, 156, 158f., 164, 169, 193, 226f., 237f., 257, 272f., 278 Hofmusikkapelle 156 Wiener Hof 155f. Wiener Klassik 9, 13, 16, 24, 132 Wiener Opposition 56 Wihlemsthal 64 Woronince 48, 55 Würzburg 285 Mainfränkisches Museum 285

Z Zakopane 258 Zenészeti Lapok (Blätter für Musik) 155f. Zigeunerensemble 89, 127, 129, 134, 141 Zigeunerkapelle 129, 131, 134f. Zigeunermusik 86, 127, 128, 138, 140, 148, 174 Zigeunermusikant 186 Zigeunermusiker 95, 145f. Zigeunernation 140 Zigeunerstil 79, 215 Zigeunertonleiter 128, 130, 142, 150, 152 Zukunftsmusik 162, 169, 174, 176 Zukunftsmusiker 83 Zürich 237