Musik & Empowerment [1. Aufl.] 9783658297053, 9783658297060

Der Band behandelt die Verbindung von Musik, Wirtschaft und Empowerment, verstanden als die Möglichkeit des Sichtbarwerd

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German Pages XIV, 277 [281] Year 2020

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Musik & Empowerment [1. Aufl.]
 9783658297053, 9783658297060

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XIV
Einleitung: Musik & Empowerment (Michael Ahlers, Lorenz Grünewald-Schukalla, Anita Jóri, Holger Schwetter)....Pages 1-6
Front Matter ....Pages 7-7
Gendering and music streaming: Discourse and algorithms on a music streaming service (Ann Werner)....Pages 9-24
“In the Capital of Electronic Music, Women Rule the Scene” – Really? (Anita Jóri)....Pages 25-46
Between empowerment and powerlessness: Individual career trajectories of drug-addicted musicians in Los Angeles (Melanie Ptatscheck)....Pages 47-68
Frauenanteil in Basler Bands. Erhebung zur Geschlechtergerechtigkeit und Sichtbarkeit von Frauen in der Basler Popszene (Seline Kunz)....Pages 69-88
Electronic trans*Music. Gedanken zu trans*nichtbinärer Identifikation in technoiden Clubszenen (Mine Wenzel)....Pages 89-113
Queering Miku. Cyberfeminism and the Art of Queering a Virtual Pop Star (Mari Matsutoya)....Pages 115-132
Front Matter ....Pages 133-133
FUCKING HEROINES. Von unfuckable zu unfuckable WITH ! Autobiographisches Schreiben von Frauen im Punk/Rock (Katja Brunkhorst)....Pages 135-148
Awesome Hip-Hop-Humans – Eine feministische und queere Hip-Hop- Szene bringt sich in Bewegung. Die Revolution frisst ihre Kinder auch im Hip-Hop ( Sookee)....Pages 149-161
Die Nationalisierung der deutschsprachigen Popmusik. Neurechte Themen im Popdiskurs (Max Alt)....Pages 163-177
Front Matter ....Pages 179-179
Do It Yourself als Empowerment ? Eine explorative Studie (Janike Walter)....Pages 181-207
Wahrnehmung von Gleichberechtigung in der Musikwirtschaft. Akteur*innen in Mannheim und Region (Désirée Blank, Laurena Frey)....Pages 209-232
Front Matter ....Pages 233-233
GMM Summer Institute 2019 in Porto: Ein Rückblick (Matthes Köppinghoff)....Pages 235-236
Reeperbahn-Festival-International auf der WISE 2019 in Peking (Carsten Winter)....Pages 237-251
Front Matter ....Pages 253-253
Bodo Mrozek: Jugend. Pop. Kultur. Eine transnationale Geschichte (Georg Fischer)....Pages 255-258
Dean Vuletic: Postwar Europe and the Eurovision Song Contest (Aida Hollje)....Pages 259-262
Maria Eriksson, Rasmus Fleischer, Anna Johansson, Pelle Snickars, Patrick Vonderau: Spotify Teardown. Inside the Black Box of Streaming Music (Holger Schwetter)....Pages 263-266
Glaucia Peres da Silva, Konstantin Hondros: Music Practices Across Borders. (E)Valuating Space, Diversity and Exchange (Brigitta Davidjants)....Pages 267-270
Ewa Mazierska: Popular Viennese Electronic Music, 1990 – 2015. A Cultural History (Anita Jóri)....Pages 271-274
Berthold Seliger: Vom Imperiengeschäft (Lorenz Grünewald-Schukalla)....Pages 275-277

Citation preview

Jahrbuch für Musikwirtschafts- und Musikkulturforschung

Michael Ahlers · Lorenz Grünewald-Schukalla Anita Jóri · Holger Schwetter Hrsg.

Musik & Empowerment

Jahrbuch für Musikwirtschafts- und Musikkulturforschung Reihe herausgegeben von Carsten Winter, Hannover, Deutschland Martin Lücke, Berlin, Deutschland

Das neue Jahrbuch für Musikwirtschafts- und Musikkulturforschung [JMMF] der GMM e.V. ist mit der Reihe „Musikwirtschafts- und Musikkulturforschung“ verbunden und wie sie überdisziplinär angelegt. Es dokumentiert aktuelle Forschung, Diskussionen, Publikationen und Veranstaltungen insbesondere zu Entwicklungen der Musikwirtschaft und Musikkultur und ist als thematisches und zugleich offenes Forum konzipiert. Als begutachtete und bewusst inter- und transdisziplinäre Fachpublikation lädt das JMMF sowohl zu thematischen Forschungsbeiträgen, zu aktuellen Forschungsbeiträgen sowie auch zu Rezensionen und Veranstaltungsbesprechungen ein. Vorgesehen sind für jedes Jahrbuch neben Beiträgen zu Titel und Thema jedes Jahrbuchs weiter Beiträge, die rechtliche, politische, ästhetische o.ä. Aspekte aktueller Entwicklungen in Musikwirtschaft und Musikkultur thematisieren.

Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/15573

Michael Ahlers · Lorenz Grünewald-Schukalla · Anita Jóri · Holger Schwetter (Hrsg.)

Musik & Empowerment

Hrsg. Michael Ahlers Lüneburg, Deutschland

Lorenz Grünewald-Schukalla Berlin, Deutschland

Anita Jóri Berlin, Deutschland

Holger Schwetter Westerkappeln, Deutschland

ISSN 2524-3101 ISSN 2524-311X  (electronic) Jahrbuch für Musikwirtschafts- und Musikkulturforschung ISBN 978-3-658-29705-3 ISBN 978-3-658-29706-0  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-29706-0 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa­ tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Barbara Emig-Roller Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Inhalt

Autor_innen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VII

1 Einleitung: Musik & Empowerment  . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Ahlers, Lorenz Grünewald-Schukalla, Anita Jóri & Holger Schwetter



1

2 Gendering and music streaming: Discourse and algorithms on a music streaming service  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ann Werner



9

3 “In the Capital of Electronic Music, Women Rule the Scene” – Really ?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anita Jóri

25

Analysen

4 Between empowerment and powerlessness: Individual career trajectories of drug-addicted musicians in Los Angeles  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Melanie Ptatscheck 5 Frauenanteil in Basler Bands. Erhebung zur Geschlechtergerechtigkeit und Sichtbarkeit von Frauen in der Basler Popszene  . . . . . . . . Seline Kunz

47

69

V

VI Inhalt

6 Electronic trans*Music. Gedanken zu trans*nichtbinärer Identifikation in technoiden Clubszenen  . . . . . . . . . . . . . Mine Wenzel

89

7 Queering Miku. Cyberfeminism and the Art of Queering a Virtual Pop Star  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mari Matsutoya

115

Standpunkte 8 FUCKING HEROINES. Von unfuckable zu unfuckable WITH ! Autobiographisches Schreiben von Frauen im Punk/Rock  . . . . . Katja Brunkhorst 9 Awesome Hip-Hop-Humans – Eine feministische und queere Hip-Hop-​Szene bringt sich in Bewegung. Die Revolution frisst ihre Kinder auch im Hip-Hop  . . . . . . . . Sookee 10 Die Nationalisierung der deutschsprachigen Popmusik. Neurechte Themen im Popdiskurs  . . . . . . . . . . . . . . . . Max Alt

135

149

163

Young Scholars 11 Do It Yourself als Empowerment ? Eine explorative Studie  . . . . . . Janike Walter 12 Wahrnehmung von Gleichberechtigung in der Musikwirtschaft. Akteur*innen in Mannheim und Region  . . . . . . . . . . . . . Désirée Blank & Laurena Frey

181

209

Inhalt VII

Veranstaltungsbesprechungen 13 GMM Summer Institute 2019 in Porto: Ein Rückblick  . . . . . . . Matthes Köppinghoff 14 Reeperbahn-Festival-International auf der WISE 2019 in Peking  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Carsten Winter

235

237

Rezensionen 15 Bodo Mrozek: Jugend. Pop. Kultur. Eine transnationale Geschichte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . Georg Fischer

255

16 Dean Vuletic: Postwar Europe and the Eurovision Song Contest  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aida Hollje

259

17 Maria Eriksson, Rasmus Fleischer, Anna Johansson, Pelle Snickars, Patrick Vonderau: Spotify Teardown. Inside the Black Box of Streaming Music  . . . . . . . . . . . . . Holger Schwetter

263

18 Glaucia Peres da Silva, Konstantin Hondros: Music Practices Across Borders. (E)Valuating Space, Diversity and Exchange  . . . . Brigitta Davidjants

267

19 Ewa Mazierska: Popular Viennese Electronic Music, 1990 – ​2015. A Cultural History  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anita Jóri

271

20 Berthold Seliger: Vom Imperiengeschäft  Lorenz Grünewald-Schukalla

. . . . . . . . . . . . .

275

Autor_innen

Prof. Dr. Michael Ahlers Leuphana Universität Lüneburg Universitätsallee 1, C16.216, 21335 Lüneburg, Deutschland [email protected] Michael Ahlers ist seit 2012 Professor für Musikdidaktik mit dem Schwerpunkt Popularmusik. Er ist Schatzmeister der GMM, im wissenschaftlichen Beirat der Gesellschaft für Popularmusikforschung, sowie in weiteren Fachgesellschaften für empirische Musik- und Bildungsforschung aktiv. Seine Lehr- und Forschungsschwerpunkte liegen in der empirischen Musikforschung, der Analyse, Produktion und Didaktik der populären Musik, der Forschung zu digitalen Medien, sowie der Improvisations- und Kreativitätsforschung. Jüngere Publikationen befassen sich mit Perspectives on German Popular Music (mit Christoph Jacke, Routledge 2017) oder Aspekten der Popmusik-Vermittlung (LIT 2015). Max Alt Universität Bonn Lennéstraße 6, Abteilung für Musikwissenschaft und Sound Studies, 53113 Bonn [email protected] Max Alt, geboren 1990 in Berlin, studierte Musik- und Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin sowie an der University of Copenhagen. Er ist Ko-Initiator der Berliner Forschungsgruppe Populäre Musik (FGPM). Zudem war er als Songschreiber, Produzent, Musiker und Produktmanager auf dem Musikmarkt tätig. Seit 2019 ist Max Alt wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung für Musikwissenschaft/Sound Studies an der Universität Bonn.

IX

X Autor_innen

Désirée Blank [email protected] Jahrgang 1991, studiert seit September 2018 im Master of Arts Music and Creative Industries an der Popakademie Baden-Württemberg. Sie ist derzeit Stipendiatin der Studienstiftung des Deutschen Volkes und im Karriereförderprogramm für Frauen des Cusanuswerkes. In ihrem Bachelorstudiengang Musikbusiness beschäftigte sie sich mit den Bereichen Artist Development, Marketing und Community Management und wurde durch das Deutschlandstipendium gefördert. Ihre Bachelor-Arbeit verfasste sie zum Thema „Community Building in der Projektplanung – Eine Handlungsempfehlung für Partizipationsprojekte am Beispiel von Matchbox 2015“. Nach ihrem Abschluss zog sie 2016 nach Los Angeles und arbeitete unter anderem bei Three Six Zero Group und unterstützte bspw. das Management von Calvin Harris in West Hollywood. Nach ihrer Rückkehr arbeitete sie als Managerin für Kooperationen und Partnerschaften für die Metropolregion Rhein-Neckar GmbH in Mannheim. Seit Beginn ihres Masterstudiums beschäftigt sie sich zudem – im Rahmen ihres neu mitbegründeten Netzwerks und als Leitung der Music Women Baden-Württemberg – mit Fragen der Gleichberechtigung in der Musikindustrie. Dr. Katja Brunkhorst [email protected] Dr. Katja Brunkhorst ist, solange sie denken kann, Songschreiberin und Sängerin in diversen Bands – aktuell bei JETSUN (New Wave/Post-Punk) und Les Chats du Rêve (zu Chansons vertonte französische Rilke-Gedichte) – außerdem Literaturwissenschaftlerin, Yogalehrerin BDY/EYU, Gründerin von BRIGHT IDEA, einer Agentur für Branding & Kommunikation, leidenschaftliche Leserin, Serial-Storytelling-Junkie, Autorin und Texterin. Ihr Motto ist WE CONTAIN MULTITUDES, und ihr Sternzeichen Freigeist. Sie lebt, nach Stationen in London, Köln, München, Paris und Berlin, mit ihrem niederländischen Mann und der gemeinsamen Tochter in Osnabrück, nicht weit von den Stränden Nordhollands. www.bright-idea.de; www.katjabrunkhorst.com. Laurena Frey [email protected] Jahrgang 1994, studierte von 2014 bis 2018 an der Stiftung Universität Hildesheim in den Fächern Kulturwissenschaft, Musik und Medien. Ihre Bachelor-Arbeit verfasste sie zum Thema Die Tin Whistle im Auenland: Darstellung von keltischer Musik in Serien und Filmen mit Fantasy- oder Mittelalterthematik am Beispiel von Howard Shores Soundtrack zu ‚Herr der Ringe: Die Gefährten‘. Des Weiteren veröffentlichte sie ihren Essay mit Robin Plenio Stevie Wonder: Jung, schwarz, reif in

Autor_innen XI

A Talking Book. Essays zu Inszenierungen Stevie Wonders von Johannes S. IsmaielWendt, Jasmin Osmanovic und Marina Schwabe (Hg.). Aktuell studiert sie an der Popakademie Baden-Württemberg im Master of Arts Music and Creative Industries und engagiert sich im Netzwerk Music Women Baden-Württemberg im Bereich Marketing zu Fragen der Gleichstellung in der Musikindustrie. Lorenz Grünewald-Schukalla, M. A. Am Treptower Park 37, 12435 Berlin [email protected] Lorenz Grünewald-Schukalla arbeitet als Ko-Leiter der Geschäftsstelle des Dritten Engagementberichts Zukunft der Zivilgesellschaft: Junges Engagement im digitalen Zeitalter. Hier beschäftigt er sich mit Fragen zu Engagement unter der digitalen Transformation. Daneben interessiert er sich für die Mediatisierung von Musikwirtschaft und Musikkultur. In seinem Promotionsprojekt erforscht er deshalb den Wandel der Beziehung zwischen Consumer-Brands und Musik aus medienund kommunikationswissenschaftlicher Perspektive. Darüber hinaus ist er Geschäftsführer der Gesellschaft für Musikwirtschafts- und Musikkulturforschung e.V, beteiligt sich an Forschung zu (Internet-)Memes und kuratierte den Musiktrack der re:publica. Vor seiner Arbeit am HIIG war Lorenz Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft. In den Jahren 2012 und 2016 wurde er mit dem Young Scholars Award der International Music Business Research Association ausgezeichnet. Dr. Anita Jóri Universität der Künste Berlin Vilém Flusser Archiv, Grunewaldstr. 2 – ​5, 10823 Berlin [email protected] Anita Jóri is a research associate at the Vilém Flusser Archive, Berlin University of the Arts (Universität der Künste Berlin, UdK). She studied applied linguistics and history, and finished her PhD thesis “The Discourse Community of Electronic Dance Music” in 2017 at Eötvös Loránd University, Budapest, Hungary. Her research interests include electronic dance music cultures, gender and diversity issues in EDM scenes, and applied linguistic methodologies. Jóri is also a chairperson of the German Association for Music Business and Music Culture Research (GMM).

XII Autor_innen

Seline Kunz

RFV Basel, Popförderung und Musiknetzwerk der Region Basel

Neuensteinerstrasse 20, 4053 Basel, Schweiz [email protected] Seline Kunz hat einen Master in Pädagogik und Geschlechterforschung und hat bis 2017 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Bildungswissenschaften der Universität Basel gearbeitet. In Lehre und Forschung hat sich auf Geschlecht und Geschlechterverhältnisse in Jugendforschung und Pädagogik spezialisiert. Seit 2017 ist sie beim RFV Basel, Popförderung und Musiknetzwerk der Region Basel, als Projektleiterin tätig und betreut u. a. den Newcomer-Bereich, Education- und Diversity-Projekte, die Beratungen und Coachings. Seit 2009 ist sie als Singer-Songwriterin Lena Fennell mit Band und solo unterwegs, war über die Jahre Teil unterschiedlicher genreübergreifender Kollaborationen und Performance-Projekten und hat mehrere Tonträger veröffentlicht. Mari Matsutoya [email protected] Born in Tokyo, growing up in London and currently residing in Berlin, Mari Matsu­toya’s work often reflects on the mediation between disciplines and socially constructed systems of power such as language, focussing on the miscommunication and glitches that occur in their transfer from one to the other. Having studied German literature before fine art and sound, her focus is on language and its limits, in the interfacing of binaries, the things that fall through the gap and the untranslatable. Her current focus is on the voice as acting medium. Previous shows, performances and talks include the Barbican, Tokyo Wonder Site, and transme­diale/ CTM festival, Goethe Institute. Melanie Ptatscheck [email protected] Melanie Ptatscheck is a Post-doc in Popular Music Studies at Leuphana University of Lueneburg. After her MA studies in Popular Music and Media at both the Universities of Paderborn and University of Vienna, she conducted field research in Los Angeles and New York City. In 2019, she completed her doctoral thesis on heroin-addicted musicians. Besides her academic activities as a lecturer, she currently concentrates on street musicians on the New York Underground and works on a research project on Music & Mental Health.

Autor_innen XIII

Dr. Holger Schwetter [email protected] Holger Schwetter, Dr. phil., studied musicology and media science at the University of Osnabrueck, Germany. He has a long term experience in media, music and culture production. He carried out his doctoral research with a grant by the HansBoeckler-Foundation within the PhD programm “productivity of culture”, conducting a study on digital self management and the use of copyright by musicians in Germany and the USA. The resulting book was published in 2015 and is entitled “Teilen – und dann ? Kostenlose Musikdistribution, Selbstmanagement und Urheberrecht” („Sharing – what else ? Free music distribution, self management and copyright“). From 2014 to 2017 he was a researcher at the Institute of Sociology at the Technical University Dresden. There he developed the cronotopic music analysis and to research experiences with popular music in the Westgerman countryside and their connection to social change in the 1970s and 1980s. Currently he is a lecturer at the Institute of Music, University of Applied Sciences Osnabrueck, Germany and second chairman of the GMM. Besides he is a self-employed advisor, culture manager and musician. Sookee [email protected] sookee ist seit 15 Jahren in der deutschen Rap-Szene aktiv und sieht ihre Aufgabe darin, Räume zu öffnen, die gesellschaftliche Versänderungen voranbringen. Sie tut dies durch mittlerweile sechs Alben, unzählige Kollabos, Auftritte bei öffentlichen Podien, an Universitäten und in Workshops. Sookee wird als Rolemodel von Mädchen, Frauen und Queers in der Popkultur wahrgenommen und ihr musikalischer Output wird als anspruchsvoll charakterisiert. Als Musikerin und Aktivistin ist sie Trägerin des Louise-Otto-Preises 2018, Ambassador des sozialen Projekts „Musik-Bewegt“, Patin für zwei Schulen der Kampagne „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ und engagiert sich politisch als bekennende Antifaschistin für weitere zahlreiche Initiativen. Darüber hinaus ist sie Mutter und ihren Bekanntheitsgrad und ihre große Außenwirkung nutzt sie, um Dialoge zu begünstigen – auch zwischen Groß und Klein. Janike Walter [email protected] Janike Walter studierte in Lüneburg Wirtschaftspsychologie und Nachhaltigkeitswissenschaften, legte aber im Studium bereits wiederholt den Interessenschwerpunkt auf die Musikwirtschaft und ihre Organisation. So entstanden auch die in dem Zusammenhang des hier publizierten Artikels konsultierten Kontakte in die Musikbranche. Nach (fachlich) vertiefendem Aufenthalt in Hamburg im Bereich

XIV Autor_innen

der Kommunikationsberatung zog es sie dann ins Rheinland. In Köln bewegt sie sich derzeit im Spannungsfeld der Digitalisierung und (Kunden-)Beratung. Mine Wenzel \\&Claudia// [email protected] Mine Wenzel (trans*nonbinary/endogeschlechtlich/weiß) studierte Szenische Künste an der Universität Hildesheim. Schon neben dem Studium begann sie* unter dem Namen &Claudia ihre Arbeit als DJ*, Musikerin* und trans*Aktivistin* miteinander zu verbinden und trat 2018 dem Künstler*innen Netzwerk female:pressure bei. Seit Ende ihres* Studiums arbeitet sie* im queeren Zentrum Andersraum Hannover, um Lohnarbeit und Community Care zu verbinden. Wenn &Claudia nicht gerade ihre* Plattentasche übers Wochenende durch die Republik transportiert, produziert Mine Wenzel den trans*ginger Teapot Cast, gibt Vorträge und Workshops zu Machtkritik und Themen der Antidiskriminierung und graswurzelt sich über verschiedene Soziale Medien und analoge Netzwerke um das Cistem zu unterwandern. Prof. Dr. Ann Werner Södertörn University | Stockholm School of Culture and Education Alfred Nobels Allé 7, Flemingsberg, 141 89 Huddinge, SWEDEN, 08 608 40 00 [email protected] Ann Werner’s dissertation in Cultural Studies examined teenage girls’ uses of popular music. From 2009, she has held various positions in music, media and gender studies at Södertörn University, Stockholm University, Auckland University and Linnaeus University respectively. Her research interests include dancing videos on YouTube, streaming, and gendered uses of music, and draws on gender, music and media theory. Her latest journal articles are titled “What does gender have to do with music anyway” (Per Musi 2019) and “Organizing music, organizing gender” (Popular Communication 2020). She is currently employed as Associate Professor in Gender Studies at Södertörn University, Sweden.

1

Einleitung: Musik & Empowerment Michael Ahlers, Lorenz Grünewald-Schukalla, Anita Jóri & Holger Schwetter

Wurde populäre Musik früher von Vertreter*innen der Kulturindustriethese immer wieder verdächtigt, emanzipatorische Potenziale durch ihre Verbindung zum Markt zu unterdrücken bzw. lediglich als sozialer Zement für die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zu fungieren (vgl. Adorno & Simpson 1990 [1941]), so gilt sie seit den 1960er Jahren als in besonderem Maß mit emanzipatorischem, gesellschaftlichen Wandel verbunden (Schrage et al. 2019). Die einseitige Festlegung auf emanzipatorische Potenziale populärer Musik oder ein disempowerment erscheint jedoch wenig zielführend. Populäre Kultur stellt vielmehr einen Kampfplatz gesellschaftspolitischer Auseinandersetzungen um Emanzipationen und Unterdrückung, Subversion (Leibetseder 2012), Legitimation (vgl. Grossberg 1992) und dem Spiel mit Identitäten (Bennett 2000) dar. Das gilt auch heute, wo in post-globalisierten Musikkulturen und im Zentrum der Musikindustrie wieder über Werte, Identität und Chancengleichheit gestritten wird. Sei es der Eklat bei der ECHO-Preisverleihung 2018, wo die Kritik an Rapper Kollegah und Farid Bang wegen frauenfeindlicher, homophober und antisemitischer Inhalte das Ende des Musikindustriepreises einläutete, oder auf der anderen Seite die Entstehung von Netzwerken wie female:pressure, das für eine stärkere Sichtbarkeit von Frauen und nicht-binären Menschen in der elektronischen Musik kämpft, sowie jüngere Diskussionen um die Genderverteilung bei den LineUps großer Festivals. Zugleich ist zu beobachten, dass nicht nur in der rechtsradikalen Szene, sondern auch in populistischen Bewegungen wieder verstärkt Musik eingesetzt wird, oder umgekehrt Popmusiker*innen, die nicht unbedingt politikverdächtig sind, populistische Inhalte mit ihrer Musik verbreiten. Es ist also an der Zeit, nach Fragestellungen und einer begriff‌lichen Rahmung zu suchen, die diese vielfältigen, allesamt gesellschaftlich höchst relevanten Phänomene untersuchbar und auf Musikwirtschaft und Musikkulturen anwendbar macht. Eine solche Klammer stellt © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Ahlers et al. (Hrsg.), Musik & Empowerment, Jahrbuch für Musikwirtschafts- und Musikkulturforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29706-0_1

1

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Michael Ahlers, Lorenz Grünewald-Schukalla, Anita Jóri & Holger Schwetter

unserer Ansicht nach der Begriff Empowerment zur Verfügung. Gleich welcher disziplinärer Herkunft verstehen wir in diesem Band hierunter Prozesse der Ermöglichung einer wahrgenommenen Selbstwirksamkeit, der Ermöglichung gesellschaftlicher Teilhabe sowie der Integration und Aktivierung diverser Potenziale. Uns interessiert im Besonderen die Verbindung von Musik, Wirtschaft und Empowerment, verstanden als die Möglichkeit des Sichtbarwerdens marginalisierter oder relativ machtloser, mithin subalterner Gruppen (Spivak 2016) und allgemein die Frage von Macht und Ausschluss in Musikkulturen und am Musikmarkt. Dies betrifft u. a. (aber nicht ausschließlich) die momentan stark diskutierten Themenfelder Gender und Diversität. Wie sehen diese Verbindungen aktuell (und historisch) aus ? Kann auch heute noch davon ausgegangen werden, dass allein die Teilnahme an Gruppenprozessen – im ursprünglichen Sinne der Organisationspsychologie (Zimmermann & Rappaport 1988) – bereits einen wesentlichen Motor für das Entstehen eines Ermächtigungsgefühls darstellt ? Oder geht es aus individueller Perspektive stärker darum, „diejenigen gefühlsmäßigen und körperlichen Zustände, die zusätzliche Energie freisetzen und den Einzelnen das Gefühl vermitteln, eine gewisse Kontrolle über ihr eigenes Leben zu haben“ (Winter 2009, S. 207) erreichbar zu machen ? Beide Aspekte werden durch Beiträge in diesem Buch in Form von Studien, aber auch erstmals ebenso in individuellen Standpunkten und Innenansichten zur Musikwirtschaft und Musikkulturen beleuchtet. Wenn man attestiert, dass Empowerment mit Musik verbunden sein kann, so gilt auch, dass der Musikmarkt und Musikkulturen oftmals gesellschaftliche Ungleichheiten reproduzieren oder eigene Ausschlussmechanismen hervorbringen. Daher wollen wir wissen: Wie werden momentan in der Musikindustrie, den Musikszenen, Musikdiskursen sowie der musikalischen Gestaltung und ihren Texten Auseinandersetzungen um Empowerment geführt ? Die zahlreichen Einreichungen für dieses Jahrbuch zeigen, dass der Themenkomplex Gender im Zentrum der gegenwärtigen Diskussion steht. Hierzu eröffnen Wissenschaftler*innen und Künstler*innen mehrere komplementäre Perspektiven. Zum einen wurden explorativ-empirische Studien durchgeführt, die erste Evidenzen zu lokalen Strukturen und Akteur*innen liefern. Diese werden – dem glokalen Charakter heutiger Musikkulturen gemäß – auf spezifische lokale Räume oder auf die globale mediale Vermittlung von populärer Musik bezogen. Zum anderen wird die Rolle von Gender in der digitalen Infrastruktur und den Geschäftsmodellen heutiger Medienunternehmen anhand einer großen Streamingplattform behandelt. Empowerment spielt jedoch auch jenseits von Gender eine Rolle: So verweisen unsere Autor*innen auf die problematische Ermächtigung konservativer und rechtspopulistischer Ideen und Akteur*innen in der deutschsprachigen Popmusik,

Einleitung: Musik & Empowerment 3

ebenso wie auf fehlende Subjektpositionen oder Vorbilder innerhalb popkultureller Diskurse, wodurch individuelles Empowerment oder eben auch ein Disempowerment beeinflusst werden. Machtstrukturen replizieren sich auch in der Musikforschung und dem Wissenschaftssystem – ein Thema, mit dem wir uns auch als Herausgeber*innen auseinandersetzen müssen. Zu Wort und Gehör kommen auch in akademischen Kontexten in der Regel die Älteren und immer noch öfter Männer als Frauen. In diesem Band ist das – teilweise ungewollt – nicht der Fall: Mit einer Ausnahme stammen alle längeren Texte zum Thema Empowerment von Frauen oder sich als nicht-männlich bzw. als divers kennzeichnenden Subjekten. Deren Anteil war bei den Einreichungen zu diesem Jahrbuch ungleich höher als bei vorherigen Aufrufen. Wir können hier nur mutmaßen, dass den weniger Benachteiligten der Musikwirtschafts- und Musikkulturforschung das Thema Empowerment bisher nicht so relevant zu sein scheint oder dass sie davon ausgehen, emanzipatorische Prozesse hätten bereits für ausreichende Transformationen der Systeme gesorgt. Bewusst gewollt ist hingegen der Fokus dieses Jahrbuchs auf die Arbeiten junger Forschender sowie die bewusst un-akademischen Standpunkte, denen viel Raum gegeben wird. So soll zum einen denjenigen Sichtbarkeit verschafft werden, die am Anfang ihrerer wissenschaftlichen Karriere stehen und zum anderen der oftmals doch sehr formale wissenschaftliche Diskurs durch die Perspektiven von Praktiker*innen wie Künstler*innen aufgerüttelt werden.

Übersicht über die Analysen Ann Werner untersucht, wie die Algorithmen der Streamingplattform Spotify Genderstereotypien transportieren und diese verstärken. Ihre Hauptergebnisse sind, dass es eine maskulinisierte Expertise zur Musik auf Spotify durch den Zuhörer*innen gibt, wodurch meistens weiße männliche Musiker empfohlen werden. In ihrem Beitrag gibt Anita Jóri einen Überblick über die aktuelle Situation der Berliner Organisationen, die Künstlerinnen in der elektronischen Musikszene unterstützen. Jóri vergleicht und analysiert ihre Aktivitäten, um den sogenannten Berliner Weg zu beschreiben: Wie helfen Frauen einander in der männerdominierten lokalen Szene ? Dazu wurden Interviews mit einigen Protagonist*innen geführt. Melanie Ptatschek widmet sich Musiker*innen, die eine Heroinabhängigkeit hinter sich haben. Anhand eines Fallbeispiels aus einer größeren Interviewstudie untersucht sie, wie die in popkulturellen Diskursen verankerten Vorstellungen über Musiker*innen mit den Selbstverständnissen und dem Verhalten Drogensüchtiger verbunden sind. Ihr Beispiel zeigt, dass die Bilder und Erzählungen über

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Michael Ahlers, Lorenz Grünewald-Schukalla, Anita Jóri & Holger Schwetter

drogensüchtige Künstler*innen wie etwa Keith Richards einen Einfluss auf das tatsächliche Nutzungsverhalten haben, sowie dass der Gebrauch von Drogen den Zugang zu bestimmten Netzwerken von Musiker*innen erleichtert. Da langfristiger Drogenkonsum für ihre Interviewpartner*innen keine Perspektive mehr darstellt, stellt sich die Frage danach, welche Vorbilder und Selbstkonzepte ehemals drogensüchtigen Musiker*innen zur Verfügung stehen, um ihren Leben und Karrieren weiterhin Sinn zu geben. Seline Kunz untersucht den Frauenanteil in Basler Bands. Sie wertet hierzu die Daten eines Verzeichnisses mit über 800 Basler Bands aus und stellt fest, dass zwar nur ca. 10 % der Akteur*innen weiblich sind, Bands mit Frauen aber professioneller agieren. Sie schließt daraus, ein höherer Frauenanteil würde auch die Qualität der Ensembles steigern. Mine Wenzel schreibt über die Möglichkeiten von Techno- und Club-Kulturszenen für queere und Trans-Personen. Der Artikel diskutiert einen Zusammenbruch zeitgenössischer, antidiagnostischer, selbstbestimmter Definitionen von Geschlecht und Geschlechtsidentität und sucht nach Resonanzpunkten für diese gelebten Realitäten in Techno-basierten Musikszenen. Die Hauptfrage ist, wodurch die Umgebung von Techno-Club-Szenen körperliche Autonomie und alternative Formen des Aufbaus und der Pflege von Gemeinschaften ermöglichen können. Ausgehend von der japanischen Populärkultur und einem durchgeführten Verbundprojekt Still Be Here untersucht Mari Matsutoya Japans Schwierigkeiten bei der Umsetzung der globalen Welle des Feminismus anhand des Beispiels des virtuellen Popstars Hatsune Miku.

Standpunkte Den wissenschaftlichen Analysen stehen Positionspapiere von Autor_innen gegenüber, die bewusst teils subjektiv(er) sowie auch potenziell autobiografisch formuliert sind. Der Essay von Max Alt steht den Beiträgen zum Thema Empowerment gleichsam gegenüber und ergänzt das Buch um eine weitere, heute zentrale Forschungsperspektive. Max Alt ist der Gewinner des Best Paper Awards der GMM für junge Wissenschaftler*innen. Sein Essay zur Nationalisierung der deutschsprachigen Popmusikkultur zeichnet die Strategien nach, die die neue Rechte verfolgt, um einen Platz im Popdiskurs zu erringen. An Beispielen wie Frei:Wild und Xavier Naidoo stellt er die zentrale Rolle von Songtexten und Diskursen heraus, welche die Musiker um provozierende Aussagen herum inszenieren. Alt stellt fest: Der Mainstream öffnet sich auch in der Popmusik immer mehr zum rechten Rand.

Einleitung: Musik & Empowerment 5

Katja Brunkhorst hebt in ihrem Beitrag zu Autobiografien von Rockmusikerinnen die große Bedeutung von (fehlenden) Vorbildern für junge, musikinter­ essierte Frauen hervor. Sie ergänzt Schilderungen aus den Autobiografien mit ihren eigenen Erfahrungen als Musikerin und Wissenschaftlerin. Sie betont die Notwendigkeit emotionaler Involvierung für persönliches Wachstum und fordert diese Subjektivität und Emotionalität auch für die Wissenschaft ein, um so den männlich geprägten und pseudo-objektiven Wissenschaftsdiskurs herauszufordern und zu verändern. Die Berliner Rapperin und Aktivistin Sookee zieht in ihrem Beitrag durchaus kritisch und sehr emotional eine Bilanz ihrer künstlerischen Arbeit und ihres Engagements für Diversität im Hip-Hop. Sie stellt dabei den großen Wert heraus, den Netzwerke von Künstler*innen und queeren Menschen für die persönliche und künstlerische Entwicklung der Einzelnen haben. Sie bieten einen schützenden Rahmen, in dem Vorbilder gefunden, neue Erfahrungen gemacht und in die Öffentlichkeit getragen werden können – wodurch sich wiederum die Gender­ balance im popmusikalischen Feld verschiebt.

Young Scholars Jannike Walter bearbeitet in ihrer Studie den Bereich der so genannten Do-ItYourself-Künstler*innen oder Firmen. Dieser in popmusikkulturellen Kontexten bereits seit vielen Jahrzehnten bekannte Ansatz wird von ihr als ein gegenläufiger Trend innerhalb global agierender Musikunternehmungen identifiziert sowie kritisch diskutiert, um dann anhand konkreter Beispiele aus einer eigenen InterviewStudie tiefer in analytische Überlegungen einzusteigen. Laurena Frey und Désirée Blank erstellen in ihrer Studie zur Wahrnehmung von Gleichberechtigung in der Musikwirtschaft Mannheims keine neuen Statistiken, sondern stellen den vorhandenen Zahlen eine Befragung zur Wahrnehmung von Ungleichheit gegenüber. Die vergleichende Analyse zeigt, dass die Wahrnehmung von Ungleichheit bei Männern geringer ist als bei Frauen. Es ist möglich, dass Männer die nicht-gleichberechtigte Stellung der Geschlechter nicht bemerken, da sie selbst meist nicht von den Benachteiligungen durch Ungleichheit betroffen sind.

Berichte und Rezensionen Auch in diesem Jahrbuch der Gesellschaft für Musikwirtschafts- und Musikkulturforschung finden sich wieder einige Service-Angebote, welche durch Mitglie-

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Michael Ahlers, Lorenz Grünewald-Schukalla, Anita Jóri & Holger Schwetter

der der Gesellschaft verfasst und beigesteuert wurden. Neben Veranstaltungsoder Reiseberichten von Matthes Köppinghoff und Carsten Winter liefern Brigitta Davidjants, Georg Fischer, Aida Hollje, Holger Schwetter und Lorenz Grünewald-​ Schukalla Rezensionen zu aktuellen oder relevanten Titeln. Weitere Informationen, Services und Meldungen finden sich fortlaufend unter: www.musikwirt​ schaftsforschung.de.

Referenzen Adorno, T., & Simpson, G. (1990 [1941]). On Popular Music. In S. Frith & A. Goodwin (Eds.), On Record: Rock, Pop, and The Written Word (pp. 301 – ​314). New York: Pantheon Books. Bennett, A. (2000). Popular music and youth culture: Music, identity and place. Basingstoke: Macmillan Press. Grossberg, L. (1992). We Gotta Get Out of This Place: Popular Conservatism and Postmodern Culture. New York: Routledge. Leibetseder, D. (2012). Queer Tracks: Subversive Strategies in Rock and Pop Music. Farnham: Ashgate. Schrage, D., Schwetter, H. & Hoklas, A.-K. (Hrsg.). (2019). Zeiten des Aufbruchs: Popmusik als Medium sozialen Wandels. Wiesbaden: Springer VS. Spivak, G. C. (2016). Can the Subaltern Speak ? Postkolonialität und subalterne Artikulation. Wien: Turia + Kant. Winter, R. (2009): Lawrence Grossberg: Populärkultur und Handlungsfähigkeit. In: Hepp, Andreas; Krotz, Friedrich; Thomas, Tanja (Hrsg.) Schlüsselwerke der Cultural Studies. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften S. 200 – ​209. Zimmerman, M. A. and Rappaport, J. (1988). Citizen Participation, Perceived Control, and Psychological Empowerment. American Journal of Community Psychology, 16, 725 – ​750. https://doi.org/10.1007/BF00930023.

Analysen

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Gendering and music streaming: Discourse and algorithms on a music streaming service1 Ann Werner



Abstract   In this article, the gendered aspects of music streaming are discussed as both discursive and material processes. Its findings are based on focus group discussions about music streaming, analysis of the functions of a music streaming service (Spotify), and examples of when this service promotes gender equality. Using a science and technology perspective and previous literature in the field, this article concludes that music streaming on Spotify displays several gendered cultural patterns and that gender stereotypes are challenged by Spotify. The main results are that the digitalization of music on Spotify has led listeners to masculinize expertise, and that algorithms promote successful white male rock artists. Spotify’s attempts to challenge this are located within isolated interventions, outside of the main code, with little chance of impacting upon listeners who are not already interested in gender equality. In the context of music streaming, discourse on gender often interacts with code to limit gender diversity while reproducing gender stereotypes.



Keywords   Gender, music, streaming, Spotify, algorithms

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This article was originally presented as a keynote speech during the conference “Music, digitalization and democracy” at Åbo Akademi University, Turku, Finland in December 2018. It has been developed and revised for this publication.

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Ahlers et al. (Hrsg.), Musik & Empowerment, Jahrbuch für Musikwirtschafts- und Musikkulturforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29706-0_2

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Ann Werner

Introduction

This article is concerned with how music streaming on Spotify is gendered and investigates this process through three examples: 1) discussions about music streaming in focus groups with young adults; 2) the software shaping and ordering the streaming service’s content; 3) interventions promoting gender equality made by the streaming service. In a video promoting a collaboration between Smirnoff and Spotify called the Smirnoff Equalizer, DJ Honey Dijon states that music is better when everyone is involved. In the same marketing material, a Spotify spokesperson seems genuinely surprised by the dominance of male artists in Spotify’s streaming statistics. The lists of most streamed songs in 2017 are dominated by male artists. He also states that Spotify has the motivation to challenge gender inequality. Spotify’s listeners, the streaming service itself, and Spotify’s gender equality efforts are discussed here in order to develop a fuller picture of how music streaming might be a gendered activity. Spotify’s self-perceived need to equalize streaming can be contrasted with the optimism during the 1990s toward the Internet as a democratizing medium. This optimism included discussions about how the Internet might change the gendered power imbalance (Turkle, 1995). Increasing fears have appeared alongside such hopes since web 2.0 and many people are now asking how information on the Internet is utilized, and by whom, rather than believing that it is a place where everyone can have a say. When it comes to media technology, public debates have historically favored utopian or dystopian ideas, focusing on freedom or surveillance, resistance or the abuse of power, and the questions raised in debates have influenced (and been influenced by) scholarly research as well as political policy and legislation. The democratization/surveillance binary has also influenced some of the debates about digital media and the Internet’s impact on popular music. Who does not remember the discussion about whether anybody could now be a music star online (if they just had talent), given the technological possibilities of MySpace and YouTube ? Or the critical discussion of the equality assumptions that were being made in this discourse (Beer, 2008) ? Or the idea that file sharing functioned as a sort of gift giving where everyone could now access all music online (Giesler, 2006) ? Or the prediction that the music industry as a whole was doomed and would soon die because of file sharing (Rogers, 2013) ? Or discussions about corporate data mining on sites like YouTube (Andrejevic, 2013) ? It is noteworthy how easily the differentiated distribution of power and access has been ignored in public debates promoting unified narratives of what the Internet is doing to music, as though it were doing the same thing to everyone’s music use.

Gendering and music streaming 11

The contribution of this article is to pay attention to how digital media is differentiated by analyzing gendered power in the practice of music streaming. This is done through an analysis of empirical material in which popular music and technology transgresses the democracy/surveillance, or creativity/death binaries. The aim is to understand how music streaming is gendered in the interplay between discourse and streaming technology, and through analyzing the gendering of music and technology in users’ discussions about music streaming, gendering in the algorithmic network of a music streaming service, and challenges to gender inequality by the same service. Most of the material I draw upon in this article was collected through focus groups conducted with young adults studying journalism or media studies in Moscow and Stockholm, two cities with vibrant music scenes, as well as an online ethnographic study of one website (YouTube), one streaming service (Spotify) and one social network (VKontakte), all of which provide music streaming functions. The focus groups and online material collection were part of a larger project in which I investigated contemporary music use online in Moscow and Stockholm together with Sofia Johansson, Patrik Åker and Gregory Goldenzwaig (Johansson, Werner, Åker & Goldenzwaig, 2018). Material about the Smirnoff Equalizer was collected and analyzed after the completion of this project. The article begins by situating these examples along a continuum of scholarly discussion on the Internet and presenting the aims, examples and methods. In the second section, the theoretical framework is presented, followed by a literature review, after which the three examples are analyzed. The article ends with a discussion about the implications of gendered streaming, which promotes discourses of masculinity and whiteness through algorithmic logic.

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A science and technology studies perspective

The Internet has sometimes been understood as introducing changes in popular music culture by itself: technology is seen as driving popular music practice to change. Another way of regarding digital technology is to see it as a tool created by humans. In such an understanding, the technology reflects ideas that already exist in society and the capacity of the people who created it. This article, however, employs a science and technology studies perspective in order to understand gendering and music streaming. In doing so, I follow the idea that media technology changes something in culture and society but does not determine the change. Technology itself does not introduce change; rather, its uses and possibilities interact with culture and society. Furthermore, the effects that socio-technological

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processes of media change have on society are not easily described as either good or bad (Kittler, 1999), but inseparable from power dynamics. In science and technology studies, the ontological difference between humans and technology is questioned. According to Haraway “it is not clear who makes and who is made in the relation between human and machine” (Haraway, 1991, p. 177). She argues that, while humans shape technology, technology also shapes humans and the order of this process is not obvious. Latour has made a similar statement: “Do they [things, technology] mediate our actions ? No, they are us” (Latour, 2010, p. 59). He labels humans sociotechnical animals to emphasize that social and technological processes always intersect. Latour has described himself as an advocate of an ontology in which humans, things and the ways in which they are related to each other are the network that makes up the world (Latour, 1999). Thinking with Haraway and Latour means that non-human entities like algorithms, subjects like listeners, and companies like Spotify are all part of the sociotechnological practice that is music streaming. The work of Haraway and Latour promotes neither subjects nor structures, but is interested in the interplay of social, cultural and technological actors. From this perspective, therefore, ideas can only be understood within the use of software for music streaming, and together with the technology itself. Socio-technological processes may have effects that were not intended by either programmers or companies, especially when machine learning allows software to develop by itself, without human input (Mackenzie, 2017). The software used for music streaming also takes an active part in creating ideas and practices. This can be achieved by promoting personalized content on the first page of a streaming service. The software deems some content similar to other things you have listened to and presents it in certain ways: visual and/or textual. Some of the ideas about similarity are linked to power in terms of gender, race, nation and other power dimensions. For example, when listening to an African American all-female pop group results in only female African American artists in your recommended section on YouTube, similarity is being gendered and raced by YouTube algorithms. Fenton (2012) argues that the Internet has not made the world more democratic. What the Internet actually means, if not democratization, is contested. Van Dijck (2013) states that connectivity is the meaning of the Internet and Andrejevic (2013) adds that the neoliberal deregulation of capital through too much information is what the Internet promotes. It seems reasonable from Haraway’s and Latour’s perspectives to assume that the Internet can mean multiple things depending on what social, cultural and technological processes it is engaged within. This approach makes no rhetorically strong case about the Internet but opens up the possibility of investigating certain aspects of the Internet and how they intersect with cultural practices. Music streaming and gendering in popu-

Gendering and music streaming 13

lar music culture thus becomes meaningful: consisting of technology, ideas and humans.

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Literature review

Digital technology for music practice is today integral for listening to, promoting and producing music. The technology, consisting of hardware and software (like machines and programs), is both ascribed value in discourse and affects actual music practices (and the music) in themselves. Since the late 1990s, feminist critiques of science and technology have discussed how differences in terms of gender shape the practices and discussions of science and technology (McNeil, 2007). The critique of gendered differences in technology opens up space for discussions on how other power trajectories, such as race, sexuality and class, also intersect with technology. Here, some previous studies in this field are presented as a background to the discussion of gendered music streaming. In music education research about how digital music technology takes place in the classroom, Armstrong (2011) has shown that the technology used to produce music is both explicitly and implicitly linked to men and masculinity. She argues that the linkage between digital music production technology and masculinity is developed in talk about expertise and skills in which technological skills in music education are ascribed primarily to boys and described as a masculine endeavor. There were exceptions to this pattern in Armstrong’s study, but even in cases where girls were nominated as technology experts, they were not described as skilled by their peers. The focus was not on their technological skills but instead they were described as kind and good friends (Armstrong, 2011), which are more typically feminine features. The male dominance in the production rooms at school did not construct girls and feminine others as self-evident participators. In her work, Armstrong investigated the discourse and practice of digital music technology in the music education classroom by combining methods from discourse analysis with science and technology studies. For artists, the discursive link between technology and masculinity can be made visible when it is challenged. McClary (2006) has discussed the contribution of artist Laurie Anderson in regard to her use of technology in music. McClary discusses how Anderson’s involvement with electronic machines displaces male subjects, since they are usually seen as taking the position of mastering machines. With this example, McClary both states what is discursively expected in music and technology practice and illustrates that such expectations can be challenged. Further, in studies of DJ cultures, Gavanas and Reitsamer (2013) have argued that

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the discursive connection between masculinity and technology has a bearing on the masculinization of electronic dance music’s DJ culture, a field dominated by men and considered to require technological skills. In interviews with DJs in four European cities, they found that DJ technology is associated with masculinity to the point where a female interviewee, a cis woman apparently unaware of transinclusivity, jokingly suggests that she may be a third sex because of her love for DJ technology and machines (Gavanas & Reitsamer, 2013). The ideas enforcing the masculinization of DJ skills and technological knowledge among DJs also enforce the linkage of men with perseverance and genuine interest in music. Participants in Gavanas and Reitsamer’s (ibid.) studies argue that, if women do not bother to learn about technology, they must not be that interested in DJing or music. Music technologies are also important for listening to music. The concept of streaming makes us picture music as an uninterrupted flow. It streams towards us, a commodity that is readily available to be consumed. However, a rapidly growing field of research into algorithmic culture has questioned the neutrality of software. Bivens (2015, 2017) has investigated in her work how the software managing online activity intersects with the power dimensions on Facebook and has gendering effects. She argues that the Facebook algorithm “people you may know” (Bivens, 2015, p. 716) (PYMK) may suggest that survivors of sexual harassment and sexual assault should become friends with their offenders, thus prolonging their trauma. This piece of software uses big data to identify people you may know, people who are looking you up, people who know people you are friends with on Facebook, people who work where you work, go to events you go to and so on. Survivors of sexual assault are often acquainted with or share acquaintances with the persons who assaulted them sexually. Therefore, they are reminded of their offenders when Facebook asks if they may know them. A stalker would be a prime candidate for PYMK to suggest to you as a friend. This is a gendering aspect of Facebook code, because many survivors of sexual harassment and sexual assault are cis women or other feminine subjects while the offenders are more often cis men or other masculine subjects. The suffering is not random in terms of gender identity. Morris (2015), in analyzing how code takes part in shaping culture and power, has discussed the meaning of The Echo Nest, a company that delivers code to such platforms as YouTube and Spotify. In his work, he discusses how infomediaries (companies that act as gatekeepers of cultural taste through technology) like The Echo Nest shape our tastes, with commercial gain as the end goal. Morris (2015) argues that, through collecting data about you, The Echo Nest tries to understand what you would like, not only in music but also in terms of products that you might be interested in buying. Profiling listeners’ tastes and personalizing the recommendations given to them is an activity that is shaped by materialized discourse on what is masculine, feminine, white or black taste. Through binary

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computer code, such binary ideas about difference can manifest strongly in algorithmic culture. It is blatantly visible in the way in which Google suggests different search words for you, or the results of Google searches you make. Noble (2018) has discussed how search results presented by Google when searching for “black girls” (ibid. p. 6 ff.) furthers the sexualization and racialization of black women, as well as discrimination against them. Noble argues that Google is driven by profit and that sexism and racism are key in order to achieve such profit. The difference between Google and older advertising-based companies, she argues, is that algorithmic discrimination is often presented as neutral, not as curated content aiming to sell us things, and as such it becomes even more accepted as common sense. While Google is the prime example of a company that is constantly rewriting code, and being criticized and sued for it, music streaming services have also been doing their best to find software that can foresee users’ tastes and introduce them to new music they will like (Morris, 2015). The algorithms used to present the user with music on streaming services are often built on data gathered from users, as Morris (2015) shows, understanding music as linked together though similarities in user patterns. While it is impossible to study the algorithms of a company like Spotify because they are protected by property law, Eriksson and Johansson (2017) have performed bot experiments in their research on Spotify’s recommendation system. They conclude that Spotify recommends far more male artists in all genres, independent of the registered gender of the bot (Eriksson & Johansson, 2017). The end goal for companies like The Echo Nest and Spotify is commercial, to keep users and/or advertisers paying, or to sell the data that they gather to other companies.

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Talking about music streaming

The first example presented in this article is an analysis of focus group discussions in which young adult listeners were talking about music online. The analysis I am drawing on here pays attention to certain aspects of these focus groups: gendering in discussions on streaming software and other technological aspects of music online.2 In order to understand music streaming and its positioning in discursive 2

This work has previously been published as an article (Werner & Johansson, 2016). The results discussed here are the same as in that article, but considered in a new light by being combined with other findings. My aim is to reveal general developments in the gendering of music streaming.

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contexts, we analyzed how focus group participants talked about gender, technology and expertise in relation to digital music listening (Werner & Johansson, 2016). Compared with previous studies, were there new patterns forming ? We got the idea to investigate this aspect of our focus groups when reading through the transcripts and noticing that our young adult participants mentioned their dads in almost every group. Gender differences in music were rarely addressed explicitly in the discussions and were not the main focus of our study. Dads sparked discussions in the groups without being brought up by the interview guide. The participants who talked about their dads labelled them musical influencers and discussed how they themselves had developed their taste in music in relation to their dads’ taste in music. The dads were also described as persons with whom our participants (identified as both young women and young men) could discuss music now, as adults. The reoccurrence of dads as influencers and discussion partners in music intrigued us. We were inspired to analyze the material looking for other gendered descriptions, and how these subjects’ relationships to music and technology were described by our participants. By doing this, we identified two other gendered ways of describing subject positions that related to music listening, musical knowledge and technological knowledge: experts and music nerds. These concepts were used by our participants when they were talking about themselves, friends, family and partners. The music nerd was understood as a person who is knowledgeable about either all music, or certain genres. But the nerd could also be interested in sound quality, in hardware such as headphones, or software like storage formats (mp3s) or the function of streaming services. An expert was constructed in a similar way, as a person who could have expertise about music, certain music, music technology or all of the above. The expert was discussed with professional connotations, and without the same irony as the music nerd. While they were both described as knowing a lot about music and/or technology, the nerd connoted overinvestment, and could be a little bit silly, while the expert was someone to turn to for help. While these subject positions were not as clearly gendered in masculine ways as dad, since the words themselves do not suggest masculine subjects, the persons referring to themselves as experts or music nerds were almost all male. When the participants in the focus groups referred to other subjects as experts or music nerds, they were often he, boyfriend or in other ways gendered male. This way of gendering music technology expertise was very much in line with Armstrong’s (2011) findings about who is described as an expert in the music education classroom. Like Armstrong, we also found some variations in our results. One female participant in particular, who did freelance work as a music journalist, was verbal in describing herself as an expert and a music nerd, appropriating these positions and in doing so questioning their masculinity (McClary, 2006). Since the ques-

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tion sheet for our focus groups was not designed to ask about gendered aspects of music listening, we did not get a chance to hear her expand upon her strategies in the focus group.3 Looking back at the focus groups some years later, I still find the gendering of music and technology in them interesting. Particularly because we did not ask about gender, but still got these answers, it can be understood as a strong theme in music and technology use. There was also one form of expertise that our participants described as genera­ tional (and not primarily gendered). This was general knowledge about digital music technology consumption, e. g. how to use Spotify or a file-sharing program. Our participants could teach these skills to their parents, independent of their own gender. The feminized parents were, however, often described as uninterested in music or music technology or in learning about it. Therefore, the dads (again) were the subject positions described as conversational partners in music and technology for our participants, including when the dads were receiving expertise from their children. Another finding from the analysis of gendered talk in the focus groups was that talk about digital music technology, sound quality and musical details was primarily conducted by young men – this type of talk was especially dominant in one focus group where there were only male participants. In gender-mixed groups, female participants would also join in when talking about such things as sound quality and headphones, but it was rare for them to introduce lengthy discussions on these topics. In the focus groups, the masculinization of music and technology was thus performed both in the detailed talk about technology and music and in how positions of knowledge about those areas were gendered. In light of previous studies of gender, technology and musical expertise, this masculinization of music and technology expertise is not surprising. Still, the overall results suggest that music use online, for example, using music streaming services, was seen as requiring knowledge in both technology and music and that ideas about masculine expertise in music and technology strengthened each other. It does not require much expertise, according to our focus groups, to listen to music online in the first place. But to be an interested and engaged music lover they proposed that one needs to have expertise in both music and the technology used to listen to it. These results imply an even stronger case of gendering in music use online than in previous offline listening (Werner & Johansson, 2016). It also suggests that being interested in music is gendered male, since expertise is gendered male and expertise is required if you are really interested. As Gavanas and Reitsamer (2013) 3

It would have been interesting to learn more about how she positioned herself as feminine, a music nerd, and an expert and to see if her experiences were in line with Gavanas and Reitsamer’s (2013) results.

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have argued, feminine subjects are thus assumed to simply be less driven and not really interested, suggesting that their position is based on their own individual choice and not dependent on discourse or power. Studying discourse on gender, music and technology in focus groups is different from studying actual knowledge and practice in music use. It could be that those participants who associate themselves with positions of expertise know little more than the participants who are quiet in the discussions. Still, these tendencies towards masculinization, whereby music and technology are described as masculine domains shaped by individual interest, call for a revitalization of critical perspectives on gender and power in digital music culture.

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The gendering of software

The second example presented here is concerned with a music streaming service, Spotify, and how its central functions, built by algorithms, shape a network for music use in terms of gender and race. How can we understand gendering in the recommendations of music streaming services ? The metaphor of kin, used by Spotify to create an algorithmic network of artists who are positioned as similar to each other, which suggests that artists may be related to each other, struck me as interesting. The function related artists was also mentioned by participants in the focus groups analyzed in the previous section as a potential way to find new music.4 My curiosity about how Spotify constructs kin, combined with how the discussions in the focus groups showed that the function was influencing listeners’ practices, inspired me to look more closely at the related artist function (in 2019, this function is called fans also like but the algorithm seems to be similar). Spotify uses big data to determine relatedness. Exactly how the algorithms are built is unknown, and they are also subject to change. However, if many users listen to Artist A and then to Artist B, that may give Spotify’s algorithms the idea that these two artists are alike. Focusing on finding likeness is a choice made in Spotify code, which can become a truth that enforces itself in interesting ways. Machine learning (Mackenzie, 2017) can have this tendency to enforce already existing patterns since the recommendation given encourages more users to move from Artist A to Artist B, which is then understood by the algorithm as an even stronger link between the two, and so on. Arguments like this have been made in regard to “filter bubbles” and “feedback loops” before, and patterns in algorithmic 4 The analysis of related artists is part of an analysis performed in another article (Werner, 2020), which aims to understand the gendering of music streaming software.

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logic have been shown to strengthen racist and sexist stereotypes (Noble, 2018). Here, this is not understood as dependent on Spotify or their coders being sexist or racist. Rather, popular music genres that are used as entry-level factors in terms of ordering music though Spotify’s code, are in themselves already entangled with gender and race (Lafrance, Scheibling, Burns & Durr, 2018). At the time of the study, Damien Rice was active as a solo artist in the FolkRock genre, but was also known for collaborations with other white Irish artists. He was mentioned by participants in our focus groups as being a good artist. These discussions led me to follow Damien Rice and the artists deemed to be like him. Thus, unlike Eriksson and Johansson (2017), who studied gendering in recommendations quantitively, I studied a micro level of recommendations by following the relatedness of one artist (Damien Rice) on Spotify from 2013 to 2015. The aim was to map how the network of related artists around him, consisting almost entirely of white men, evolved. Rock has often been gendered male and colored white, so there may be no surprise that the dominance of white males related in three steps to Damien Rice, a white male Folk-Rock artist from Dublin, on every occasion of studying him was overwhelming. But genre cannot in itself be responsible for the sameness presented in his network of related artists. There are female singer songwriters and FolkRock artists. And, while white male dominance signifies the music industry as a whole (Smith, Choueiti, Pieper, Clark, Case & Villanueva, 2019), and this imbalance is not created by Spotify, it interacts with Spotify’s software by, for example, determining how many of the available artists are white and male, how they are pictured in photos and texts and how they are categorized by their record companies. Spotify featured many Damien Rice songs and albums; he had a page that contained, among other things, a biography, a portrait photo, and links to artists who were labelled related artists. The related artists were presented with names and portrait photos that in 2015 were very small and placed in the top right-hand corner in the desktop version of Spotify, but in later interface designs they became large and were featured at the center of the interface. The whiteness and maleness of these related artists were evident, and it sparked my interest. I started recording the network around Damien Rice with screen shots and by reading the biographies and looking at the photos of his kin.5 I observed that nationality was often mentioned in the biographies: Irish, Czech, American, and sometimes a working-class background was ascribed to the artists. Race and gender were rarely discussed in the biographies, even though they seemed like important categories to 5

The screenshots and fieldnotes I used were part of a larger study (Johansson, Werner, Åker & Goldenzwaig, 2018).

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me. The biographical texts at the time of the study were credited to allmusic.com and can therefore be assumed to have been written by online music journalists. Their tone and content are analyzed here as part of Spotify, even though they were bought from another company. Like Eriksson and Johansson (2017), I found the male dominance in recommendations to be very high, only a handful of women or gender-mixed bands made it into the network around Damien Rice within three steps away from him at any given time. No person who was described as trans, non-binary or not labelled male or female ever showed up. Furthermore, my findings also observed the whiteness of the artists and how they were described on Spotify. In biographies, whiteness and masculinity were unmarked, but Lisa Hannigan was described as an ex-girlfriend (of Damien Rice), Tracy Chapman, the only black artist in the network, was referred to as African-American, and the fact that José Gonzales’ parents had immigrated to Sweden from Argentina was also mentioned. My conclusions were that, not only did Spotify generate a white male Folk-Rock network around Damien Rice, it also described it in a naturalized way. Artists who were not male or white were described in gendered or raced terms, while white male artists were not.

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Challenging gendered music streaming

So far, I have presented analyses that I performed in previous work. Here, I would like to develop a discussion on the idea that Spotify knows about its gender bias and is challenging it through different strategies. Recommendations do not only occur through the function related artists on Spotify. On the first page browse – the entry point for Spotify at the time of the study – the listener is presented with news and suggestions, some of which are personalized recommendations based on the listener’s history on the service (See Morris, 2015). One playlist presented to me as a suggestion in 2014 was kvinnor att ha koll på 2014 (women to watch out for 2014). There was no masculine counterpart to this playlist presented.6 The intention may have been an editorial one, aiming to promote female artists, or algorithmic, aiming to promote them to me based on my listening pattern. It is difficult to separate the two when the code is hidden. Being promoted as a female artist can both help and limit you at the same time. The attention may further the artist’s ca6

As discussed elsewhere (Werner, 2015), my material is shaped by my listening behavior and my location in Sweden, since Spotify adapts itself to the user and where they are, and it is unknown exactly how much. Thus, these findings are in a sense autoethnographic. But they also display the logic of Spotify.

Gendering and music streaming 21

reer but being boxed as a female artist may strengthen the idea that women are not really artists – but a separate category that is not competing with the (better) male artists. In another more recent initiative, in collaboration with alcohol manufacturer Smirnoff, Spotify has introduced the Smirnoff Equalizer, and promoted it in a marketing campaign in 2018. The Smirnoff Equalizer is an add-on function to Spotify that counts how many male and female artists you have listened to. It shows you the numbers in percentages and suggests playlists to gender equalize your listening. The Equalizer is an add-on algorithmic function that was marketed by Chicago-based electronic dance music DJ Honey Dijon, a famous DJ and an African American transwoman. In the promotion video, Honey Dijon ends the clip by saying: “music is better when everyone is involved”, thereby arguing that the quality of music will be better if everyone is allowed to take part, if everyone is listened to. Using the equalizer, listeners can measure the gendered patterns of their own listening in terms of male and female artists, and it also presents the user with more gender-balanced playlists that they can choose to listen to. This add-on can be understood, firstly, as Spotify having observed that there is a gender imbalance in the listening patterns on its service, and secondly as proof that Spotify has the algorithms to challenge these patterns since it can provide more gender-balanced playlists. These equalizing algorithms were not introduced into the music streaming service itself but instead in the add-on Smirnoff Equalizer, an effort destined to expire much sooner that Spotify itself. Bivens (2017) argues that, while Facebook has introduced changes in how gender is presented over a ten-year period, the changes in gender options were not made in the central code, but in superficial add-ons. This is also the case with the Equalizer. Furthermore, the gender equalizing add-on for Spotify positions the responsibility for gender equalizing music listening with the individual listener, who can choose to listen to a more gender balanced mix of artists in suggested playlists if they want to. The listener might also discard these playlists after testing the Smirnoff Equalizer, or not try it at all. The racial bias of Spotify listening and recommendations is not addressed in the Smirnoff Equalizer.

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Conclusion

In this article, gendering in music streaming has been investigated, both in discourse and in software functions. I have taken examples from participants in focus groups talking about music and technology in gendered ways, from the algorithmic network on Spotify of artists around Damien Rice and the descriptions of

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Ann Werner

them, and finally from strategies employed by Spotify to challenge gender inequality in music streaming. While music streaming will never be one single thing, it is interesting to see how the masculinization of musical expertise and technological expertise interact to make serious and long-lived interest in music and technology a masculine domain. The dads still maintain their musical knowledge, even if their technological knowledge about digital media is limited. Also, in the case of Damien Rice, the feedback-loop logic of music streaming algorithms promote sameness in terms of both gender and race, articulating persisting orders of power in cultural consumption. In doing so, the biographies of artists uphold white masculinity as unmarked, while describing the gender and race of others. We are far away from democratization in the practices of music streaming analyzed here, when similarity is a ruling principle that creates ever tighter circles of masculine dominance in discourse and software functions. Still, it is interesting to see that Spotify, while making money from these logics, is showing an interest in gender equality. Unlike Noble (2018), who argues that Google has no interest in challenging racist and sexist stereotypes in its code, I am finding attempts in my material to promote gender equality in music streaming. These attempts are not part of the core code of Spotify, and therefore they are limited in their reach. Nevertheless, they are interesting as proof of the existence of contradictions in how music streaming is gendered, while the main results from the examples discussed here show that the interplay of discourse and software limits diversity and reproduces racialized gender stereotypes in music streaming.

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“In the Capital of Electronic Music, Women Rule the Scene”1 – Really ? Anita Jóri



Abstract   Berlin has always had a great history and reputation in supporting gender diversity within the electronic dance music scene. Many non-profit organisations, cultural associations and individual initiatives work on changing the male-dominated local scene. They organise, for example, events and workshops for these (emerging) artists where they can also participate. This paper gives an overview on the actual situation of these organisations and tries to compare and analyse their activities in order to describe the so-called Berlin way. To do so, interviews were conducted with some of the protagonists from such institutions. Furthermore, by outlining the actual situation of these institutions, it can be questioned again if female artists and protagonists really “rule” the Berlin scene (in the sense of gender diversity) or if there are still some things left to do.



Keywords   electronic dance music, EDM, gender diversity, female artists

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Stated in Wilder, 2018.

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Ahlers et al. (Hrsg.), Musik & Empowerment, Jahrbuch für Musikwirtschafts- und Musikkulturforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29706-0_3

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Anita Jóri

Introduction

Berlin has always played an important role in the development of the global electronic dance music scene. After the Berlin Wall came down, hundreds of empty spaces were used for (illegal) events, and Berlin became one of the capitals of electronic dance music (henceforth EDM)2. Since Berlin was extraordinary in this early development, especially for techno and its diffusion during the 1990s, it could also be a home for the newest ideological streams and trends. As journalists and academics (e. g. Farrugia, 2012; Rodgers, 2010) began to discuss the problems and issues around the male-dominated EDM scenes, Berlin based organisations also responded to these questions: Many panel discussions became dedicated to such topics, e. g. Polarity Shift at Kantine am Berghain in October 2015 (Resident Advisor, 2015a), as well as festivals, e. g. Perspectives Festival, organised by female:pressure (Resident Advisor, 2015b) and events, e. g. Frauengedeck’s monthly live streams (Frauengedeck, 2019). Often these problems were controversially discussed on stage. The most important outcome of these events is the creation of awareness. Members of the scene became more aware of these issues, and promoters started to invite more female3 DJs and producers to their events. It is, of course, another question if this is a strategic decision from them or if they really want to solve the problems of gender imbalance. However, as Ena Lind puts it in an interview with Electronic Beats, “no matter the reason, it is a great development” (Electronic Beats, 2017). After almost a decade passed, New York Times journalist Charly Wilder (2018) writes that in Berlin “women rule the scene”. The aim of this article is to look behind such statements and give an overview on the actual situation of female artists and protagonists within Berlin’s EDM scene. For that I will analyse and compare the activities of different institutions that support female electronic musicians in order to describe the so-called Berlin way. Furthermore, I hope that these encouraging examples will be inspiring for other female-led collectives and artists.

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I am aware of the problematic terminological situation around the terms electronic dance music and its acronym EDM. Here, electronic dance music (or EDM) will be used as an umbrella term that covers various music genres (see e. g. the online journal Dancecult). In this sense, for me, EDM does not mean mainstream electronic dance music, produced for huge masses. I chose to use the terms female artists, female producers and female DJs throughout the whole text. It is important to remark that in this article female is used equivalently with the term female-identifying.

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Since Tara Rodgers (2010) published her powerful testimony to the presence and vitality of women in electronic music cultures Pink Noises: Women in Electronic Music and Sound, a lot of activities have happened in academia to raise awareness about gender imbalance in electronic (dance) music cultures and sonic arts. Since then many academic conferences and events focussing on questions related to female protagonists have been initiated. Just to mention some of them: the symposium and event series “Her Noise: Feminisms and the Sonic” at Tate Modern, London in 2012 and its follow-up symposium series “Sound, Gender, Feminism, Activism” (which will take place in Tokyo in October 2019); or the conference “Women in Sound, Women on Sound” at Goldsmith University in 2016. Also, a great number of academic papers and books were published, including, for example, the book Beyond the Dance Floor: Female DJs, Technology, and Electronic Dance Music Culture by Rebekah Farrugia (2012), and even the journal Dancecult dedicated a whole issue for the topic with the title “Women in Electronic Dance Music Culture” in 2017 (edited by the above-mentioned Rebekah Farrugia and Magdalena Olszanowski). Of course, gender diversity does not mean exclusively the dualism of female and male, it also includes non-binary, trans, and queer identities. However, this article focuses only on the questions of female artists and protagonists within Berlin’s EDM scene, therefore, other genders will not be analysed.

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Emerging Research Objectives: Women in Electronic Dance Music

2.1 Female artists in the histories of electronic (dance) music As mentioned, since the second half of the 2000s (though these ideas were already highlighted by a few scholars of cultural studies and popular music studies in the 1990s, for example Bradby, 1993; McRobbie, 1994; Thornton, 1996) academia and journalism have begun to discuss the reasons for underrepresentation of female artists within EDM scenes. It was highlighted that not only are there fewer female producers and DJs than male, but also women are almost completely ignored in the histories of EDM, although there were quite a few female musicians playing important roles in the development of the scene. If we think in terms of Germany for example, Ellen Allien, Gudrun Gut, and Marusha are perhaps its most well-known personalities. The reasons for that are complex. One of them is the fact that music technologies have been socially constructed as typically male since the beginning of the

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20th century (Farrugia, 2012). Therefore, EDM scenes, especially their production side, also developed as male-centric spaces. This phenomenon is similar to the one found in other popular music genres and in the mainstream music industry. However, among many male pioneers in the general field of electronic music, there were some women as well. Just to mention four examples: Wendy Carlos who became famous for her movie scores such as Kubrick’s A Clockwork Orange, Delia Derbyshire (1937 – ​2001) who is well-known for her activities in the UK (see more in Morgan, 2017), Daphne Oram (1925 – ​2003) who made important experiments with Musique concrète, and Clara Rockmore’s (1911 – ​1998) work with the Theremin were all extraordinary contributions to contemporary electronic music. Tara Rodgers (2010) also points out the problem of leaving women out of the histories of electronic (dance) music and sonic arts. Her work includes interviews with female artists in order to open up such narratives and to “rewrite” and add to these histories. A recent book project that is similar in this approach is Hidden Alliances – versteckt verbunden edited by Elisabeth Schimana, which is expected to be published in autumn 2019 and will include 20 female artists telling their stories and connections to electronic (dance) music and sonic arts. The idea behind it comes from its preceding exhibition Hidden Alliances – Elisabeth Schimana and the IMAfiction series at Ars Electronica 2018 that presented video portraits, artefacts, and performances by Liesl Ujvary (AT), Rebekah Wilson aka Netotschka Nezvanova (NZ), Heidi Grundmann (AT), Eliane Radigue (FR), Andrea Sodomka (AT), Maryanne Amacher (US), Anne La Berge (NL), Electric Indigo (AT), Beatriz Ferreyra (AR, FR), and Elisabeth Schimana (AT) (see more in Ars Electronica, 2018). In my opinion this project is an important step towards adjusting the histories of electronic music (and beyond) in Europe.

2.2 Gender and (audio) technology Gender-related issues in technology have been questioned from the 1980s by feminist scholars (e. g. Rothschild, 1983; Cockburn, 1985). Studies showed that the terms gender and technology have socially constructed meanings. In this way, the following misleading idea became popular: “femininity is incompatible with technological competence; to feel technically competent is to feel manly” (Cockburn, 1985, p. 12, cited in Farrugia, 2012, p. 20). The same stereotypical ideas were also formed about audio technologies. Farrugia (2012) argues that the male dominance in popular music can already be traced back in the history of the radio industry, where males, mostly engineers, became the creators and females the passive users of this technology. This is the reason why many women worked as assistants or in lower positions in the indus-

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try and were much less visible, albeit in many cases not less important. Also, many early audio technologies were produced for military purposes that then became part of the historical background of electronic music. One can easily detect this fact in the terminology of electronic music: “command”, “controller”, “crash”, etc. (see more in Jóri, 2018 and Rodgers, 2010). Women as passive users of technology can also be mirrored in popular music: generally female artists are more often expected to be behind the microphones as singers than behind the decks as DJs (Farrugia, 2012). A good example for that could be those early Italo disco bands that had mostly male synthesizer players in the background and female singers in the foreground on a stage. In other words, (audio) technical competence became part of the masculine gender identity, and at the same time our definition of technology is also based on a specific notion of masculinity (Gavanas & Reitsamer, 2013). Therefore, this “exclusive” knowledge of technology can be understood as a gatekeeping practice. This can also be illustrated in the demographics of music technology university degrees: statistically more men than women are willing to study in such programmes (see e. g. Born & Devine, 2015) even though the trend is slowly changing. On the other hand, it is also important to note that recorded music was primarily marketed and sold to women during the end of the 19th and the beginning of the 20th century, because women had time to listen to recorded music at home while their children were at school and the husband was at work (Farrugia, 2012, cited after Kenney, 1999). Later on this changed completely because men became more involved in making, and at the same time buying, music – especially in electronic (dance) music.

2.3 Gender and EDM The roles of women and girls were also ignored by the study of subcultures and youth cultures (see more in McRobbie & Garber, 1997). Also, in the beginning of the EDM movements (1980s and 1990s) women took part mostly as event participants or they got very low positions in the hierarchy of an event, such as bartenders or flyer distributors (see more in McRobbie, 1994 and Redhead et al., 1998). There were some early research results on related topics, such as Bradby’s (1993) article Sampling Sexuality: Gender, Technology and the Body in Dance Music. Also Thornton (1996) wrote in her famous book Club Cultures about the differences between female and male subcultural capital. However, as Farrugia (2012) puts it, the third wave feminist discourse did not really affect EDM cultures. According to Thornton (1996), male members of EDM scenes created their own subcultural capital by collecting records and forming their own network of

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scene members. Via these connections they could easily get access to spaces that were important for their career developments within the scene. Also, because their collection of records spanned years, they became more aware of the actual developing streams of music genres, and therefore got better opportunities to play at different clubs. Even though Thornton’s results are from the mid-90s UK, it is still interesting to see that women there between the ages of 15 and 24 did not spend a lot of money on records, but rather on clothes and cosmetics for going out. This result also shows consumer behaviour, supported and reinforced by target group strategies of advertising and mass media in general. But I also have to add that if similar data were to be collected from the present time, it would show radically different results. Early on, women became sexualised objects of the male gaze on the dance floor (Pini, 2001). One can also observe this in early flyer designs, which sometimes depicted female bodies. Later, this became more prominent (and less ironic) in mainstream EDM where celebrity female DJs appeared playing almost naked behind the decks, cre-

Fig. 1 Flyer design of the event Planet Cyber Pop at the club Planet Bochum, Germany, 1995 (used with permission) (According to the flyer designer, this image was used ironically as a caricature of the 1960s pornography.)

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ating sexualised representations of female DJs in general. The fact that many of these DJs used to have adult film industry careers makes these ideas even stronger (e. g. DJ Jessie Andrews and DJ Sasha Grey). Turning back to record collections and underground DJ culture, Farrugia (2012) also highlights that Brewster and Broughton (2000), the authors of Last Night a DJ Saved My Life: The History of the Disc Jockey, write about DJs as male by using “he” throughout the whole book as a reference to the male dominated DJ culture. The two authors also clarify the reason for that: they use “he” because women have been “frozen out” of the history of DJ culture. Record stores also became important hubs for gathering scene members and spreading knowledge about music. I did not find any statistics about gender diversity among the employees of record stores, but there were probably more male workers at these spaces than female, and I think it must still be the case today. (It could be an interesting topic of further research.) However, there were a couple of women working for such places, such as Susanne Kirchmayr a. k. a. Electric Indigo, the founder of the important network female:pressure (f:p), who used to work at the famous Berlin-based record store Hard Wax, an essential transfer hub for Detroit techno in the early 1990s.

2.4 Current Research on Gender Imbalance in Electronic Dance Music: Beyond the Numbers The first survey by female:pressure, FACTS (2013), showed discouraging results: In the line-ups of the examined festivals less than 10 % of the artists were female, and the same low numbers appeared in the record-releasing statistics of labels. These numbers generated a lot of discussions in media coverage and in the scene. Two years later in 2015 the new survey figures did not show much difference: festivals and clubs worldwide still barely featured 10 % female artists (FACTS, 2015), but at least label releases increased to be 18 % female artists. With the help of rising awareness, FACTS 2017 showed some changes (keeping in mind that we are talking about two years of development): festivals and clubs invited on average 4 % more female artists. (See more details about these statistics in FACTS 2013, 2015, and 2017.) On the other hand, leaving these sometimes depressing statistics behind, but of course still keeping them in mind, contemporary scholars of electronic dance music cultures are, as Farrugia and Olszanowski (2017, p. 2) put it, “re-shifting the conversations and re-writing the limited histories to make room for more female role models, spaces, and skill-sharing practices to be established on a scale large enough to serve as inspiration for young girls to imagine being involved”. The aim

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of this article is similar: by introducing some important organisations that are spreading awareness about gender diversity issues in Berlin, the main goal of this paper is to highlight the importance of such activities. These activities are becoming more and more prominent, especially in the age of post-feminism. As McRobbie (2004, p. 256) writes, post-feminism “positively draws on and invokes feminism as that which can be taken into account, to suggest that equality is achieved, in order to install a whole repertoire of new meanings which emphasize that it is no longer needed, it is a spent force.” Scholars have also realised that sometimes the research methodologies are problematic: the ways in which academia tries to analyse the topic of female artists in EDM scenes, especially if we think of different cultures and regions. Therefore, new methods of research on disability, age, and race are needed in order to not “fall back into the type of marginalising discourse that popular press about women in EDMC4 is currently faced with” (Farrugia & Olszanowski, 2017, p. 4). In journalistic articles one often finds overwhelmingly positive resonance of these newer discussions. Similarly, the article in the title of this paper celebrates the female leadership within Berlin’s EDM scene. Another similar example is “The female techno takeover” by Tony Naylor (2008) in The Guardian from ten years earlier, praising female DJs such as Anja Schneider or Ellen Allien who became an important part of the underground scene of Berlin. On the other hand, one can also find articles arguing the opposite: “Despite its progressive rep, Berlin’s electronic music scene is a hard place to be a woman”, as Osborn (2017) states. After considering these confusing statements, I would like to reconsider the truth behind them. To do so, in the following part of the article, I will highlight some of the results achieved by the Berlin-based female-led networks and organisations. By analysing their activities, I will try to reflect on the actual situation of Berlin’s EDM scene in terms of its gender diversity.

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Female-led local networks in Berlin

Based on the above-mentioned issues, female-led collectives such as female:pressure, SoundGirls, Cyndustries, Gender Amplified, or Women’s Audio Mission have been formed worldwide. They are, as Farrugia and Olszanowski (2017) put it, finally taken seriously in public discourse and in popular press. One of the advantages of these networks is their powerful subcultural capital (Thornton, 1996). By sharing knowledge and valuable contacts within these net4

EDMC stands for Electronic Dance Music Culture.

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works, subcultural capital can be increased, and members can get more opportunities to play at different clubs or events, or they can be invited to release their music with better chances of recognition. Founded in 1998, female:pressure is one of the most well-known and oldest networks. Although it is an online network of female, transgender, and non-binary artists, many of its events have taken place in Berlin, for example the Perspectives Festival sponsored by Musicboard Berlin, a state-funded institution that focuses on supporting popular music projects and artists in Berlin (see more in Lücke & Jóri, 2018), or the event series Rituals at the Berlin-based club Suicide Circus. f:p is an online database of artists where the members can continuously update their own profiles. It has 2400 members from 75 countries as of March 2019 (female:pressure, 2019) who are represented on the platform to support their booking for events and labels. This network has been discussed multiple times in journalistic articles and academia (e. g. Reitsamer, 2012; Ludewig, upcoming), therefore I will not go into details about it, but it is important to remark that its activities, including its surveys, helped a lot to bring awareness about gender-related issues into Berlin’s EDM scene. On the other hand, f:p is a “translocal feminist youth-oriented cultural network” (Reitsamer, 2012) and the aim of this article is to introduce local networks and organisations that support female artists and other protagonists of the scene. Therefore, I will introduce four of them: Frauengedeck, MEETUP Berlin, Mint Booking, and Spoon. I chose these four organisations because they have very different profiles: Frauengedeck is a collective of female DJs, MEETUP Berlin is a networking event series focussing on gender diversity, Mint Booking is a booking agency supporting female DJs and producers, and Spoon is a DJ workspace dedicated to women and non-binary genders. In order to get to know more about their work and activities, I conducted interviews via email with the people behind them. The aim of these interviews was four-fold: To find similarities among these organisations in order to understand the so-called Berlin way; to find out more about their virtual and translocal connections; to see if there are any problematic issues (internal or external) that they face; to understand what their future possibilities and perspectives are.

3.1 Frauengedeck Founded in 2015 by Sabine Hoffmann, “Frauengedeck sees itself as a collective for female DJs” (Frauengedeck, 2019), and its aim is to support and introduce female techno and house DJs to greater audiences.

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Every first Friday of the month it launches a live streaming of DJing on Facebook from the famous OYE Record Store, the workplace of the founder, in Berlin-Neukölln. It also organises events at the club Salon zur Wilden Renate where female DJs play the whole night. Since 2018 Frauengedeck has been working on a new project abroad with events taking place in Yerevan, Baku, Batumi, and Tiflis where not only Frauengedeck DJs were invited to play but also local musicians in order to support them. Frauengedeck’s most important rule is “All genders are welcome !!!” as stated on the organisation’s Facebook profile. About this “rule” and other internal questions, I interviewed Sabine Hoffmann. First of all, Sabine5 clarified their motto for me: they do not want to exclude anyone; everyone is welcome to take part in Frauengedeck events, regardless of gender. However, they invite only women to play at their events. From the interview it turned out that the main aim of founding Frauengedeck was to support female DJs who got less invitations from clubs. Moreover, the founder was also inspired by Unter Freundinnen (it could be translated to “among female friends”), another event series with an only female line-up in which she used to play as a DJ. As Sabine said, “the mood at these events was always very good and I felt encouraged to do something by myself.” This is an excellent example of how these collectives can influence and encourage each other. After organising events with only female line-ups in the Berlin clubs Farbfernseher, Griessmühle, and Beate Uwe, Frauengedeck found its base at Salon zur Wilden Renate, where the fourth birthday of the organisation will be celebrated in July 2019. As we talked about the background of this event, it turned out, according to Sabine, that it is not easy to organise a party with only female DJs behind the decks: I can say that it is very difficult for me to realise a purely female booking, because there are still more male DJs. In my opinion, the 50/50 rule in normal club operation is therefore hardly feasible. Most female artists are completely booked locally or internationally. It’s really not easy and it’s a lot of work. We have to send so many booking requests to fill up a line-up, especially if it is such a big event like our next one on 12th July [2019] where we had to book 11 DJs. (Sabine Hoffmann, 30th June 2019 interview)

The founder started this project completely alone in 2015 and organised everything by herself until 2017, when Kathleen Steinhardt joined her. Since then, they 5

I will intentionally name my interviewees using their first names. It is not a sign of disrespect, on the contrary, it gives back the friendliness I received from them through the interviews. They were all very cooperative and quickly answered my emails.

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share the amount of work between them. Sabine pointed out that she should have asked for help much earlier, because it is very difficult to do all the necessary tasks alone: bookings, organisational work, contacting people, networking, etc. She also added that “[i]t’s pretty important to start a project with people you like, and you can work professionally with.” As mentioned, Frauengedeck has a translocal connection in Armenia. Sabine had been booked as a DJ in Yerevan in 2016 where she got to know Eva Khachatryan. With her, they organised the first official Frauengedeck event in the Armenian capital with the help of the Goethe-Institut in 2017. One year later, when Frauengedeck celebrated its 3rd birthday, Sabine was invited as a DJ to the Gate Club in Batumi, Georgia, and she expanded her stay in the area and toured with other Frauengedeck DJs in Armenia, Georgia, and Azerbaijan: We started our tour in Baku, Azerbaijan and with the support from Sintetik Club the first event took place at Luna Project. Then we went to Batumi, Georgia to Gate club. The third gig was at KHIDI in Tbilisi, Georgia. The tour ended in my beloved Yerevan, where, with the support of the Nine Club, we hosted an event in an old Soviet-era recording studio. Last stop was a livestream from the Mirzoyan Library in Yerevan. All events were a great success and more projects are already planned. My experience there was consistently positive. So much warmness and hospitality are rare. The people there are more grounded and humbler, and happy about small achievements and very open to new experiences. For sure I will be back to meet all these wonderful human beings again ! This year it’s planned to have a Frauengedeck in Yerevan again. (…) This time we also wanna have a workshop there about how to play with vinyl and maybe some other basic knowledge they are interested in. Our main goal is to support the underground scene there, for sure especially the female artists but also the club culture in general. In contrast to Georgia, in Armenia everything is still in its infancy. It has to grow, but all is on a very good way. (Sabine Hoffmann, 30th June 2019 interview)

I also asked Sabine – and all the other interviewees – about the changes in Berlin’s club culture in terms of gender diversity: I think it changed a lot. Nowadays you have good chances to get bookings, when you are a female DJ. There are still more male DJs, but the promoters and club bookers try to book more women these days. Sure, I only can say how it is in Europe and Berlin. Assuredly it’s different in other parts of the world. But it also shows that our engagement works, which is really nice to see. (Sabine Hoffmann, 30th June 2019 interview)

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3.2 MEETUP Berlin Founded in 2016, “MEETUP Berlin is a growing community addressing femaleidentifying, non-binary and inter* artists including the LBTQ community, in the fields of music and arts in Berlin” (MEETUP About, 2018). Moreover, it embraces “diversity of age, class, cultural identity and (dis)abilities, and upholds an evolving intersectionality, honouring the individual” (MEETUP About, 2018). MEETUP sees itself as a safe space that offers a continuous learning process for its members. They meet once a month “to present various projects, events and initiatives, discuss music related topics, organise workshops, exchange creative ideas and showcase upcoming DJs and musicians” (MEETUP About, 2018). About the activities of MEETUP, I interviewed one of its main organisers, Yulka Plekhanova. She explained to me that the main influence came from female:pressure’s above-mentioned Perspectives Festival in 2015 which examined the challenges of women in a male-dominated scene and explored gender and music-related issues. Moreover, it also staged showcases of outstanding female DJs, VJs and live performers. “The festival was as inspiring as it was empowering”, as Yulka puts it: Two of the festival organisers and f:p members, Aiko Okamoto and Bianca Ludewig, felt strongly that it’s important to keep the momentum and continue the discussion in order to inspire more collaborative projects, provide a platform for artists to meet each other, and give them an opportunity to DJ and play live, independently of whether they are part of the f:p network or not, complete beginners or further along in their journey. At the beginning of 2016, the two of them started a casual monthly meetup for female, trans and non-binary artists in a cosy bar in Kreuzberg, where people would meet, chat in an informal atmosphere; some would bring records and spin. (Yulka Ple­ khanova, 28th June 2019 interview)

So MEETUP is closely connected to female:pressure – all of its main organisers as well as many people who attend their events are f:p members. As a result, people often call them “f:p meetup”: As organisers, we follow the discussions in the f:p mailing list closely, and often these topics come up during our discussions. E. g. we run discussions that are devoted to the FACTs survey by female:pressure, which is a biennial project undertaken by volunteer members of the female:pressure network, initiated to address and quantify the deficit for female and non-binary artists at electronic music festivals. Tanja Ehmann (FACTS Troublemaker) who does a lot of work for FACTs was a guest at one of our meetups,

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where she explained the results and the current state of the situation. (Yulka Plekhanova, 28th June 2019 interview)

MEETUP has excellent connections to other similar organisations in Berlin: Something that we learned from the Perspectives Festival, it is important to invite other networks directly for the purpose of participation, be that as guests for our discussions or as performers. This is a good opportunity to get to know more about each other. (Yulka Plekhanova, 28th June 2019 interview)

Therefore, they have close connections with The Workshop, a co-working and an event space for female and non-binary artists run by Mary Fischer; DICE Conference and Festival that features female, trans, and non-binary artists and speakers; Aequa, a non-profit organisation that enables women, transgender and non-binary people in Berlin and beyond to live their best lives; Heroines of Sound, a festival that “set itself the task of (re)discovering female protagonists in music and increasing the public presence of their music” (Heroines of Sound, n. d.); A Thousand Tones, a project and a compilation of music by women-identified, non-binary, trans feminine, trans and cis-women composers; PRIZM Berlin, a feminist collective of members of the Berlin music scene from diverse groups, clubs, and genres who meet at the bar/venue Klunkerkranich. MEETUP often invites the people behind these organisations to take part in its events. Currently MEETUP is a collective of five: Bianca Ludewig, Zuzana Hamm, Yulka Plekhanova, Anja Weber and Eugenia Seriakov (previous members also include Aiko Okamoto, Eli Gregory and Isa Hönle). All of them have different backgrounds: Bianca is a cultural anthropologist, music journalist and radio activist, Zuzana is a music journalist, online editor and musician, Yulka is a designer and video artist, Anja is a musician, DJ, dancer and choreographer, and Eugenia is an anthropologist, radio moderator and DJ. It seems that these very different profiles perfectly match with each other because the members can share different responsibilities for certain tasks – for example Anja takes care of technical setups and soundchecks and Zuzana excels at handling their social media communication. Just like Sabine from Frauengedeck, I also asked Yulka about the potential changes in Berlin’s club culture in terms of gender diversity: We believe, there is a lot more awareness of gender imbalance in the music scene and the need for change. The change itself is slow, but the more we talk about and give visi­ bility to this topic, the more prominent it becomes. The need for more female, trans, and non-binary role models in the music scene is important. These are the people who

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others can aspire to be – that are sound engineers, DJs or producers. If a woman, trans or non-binary person sees someone of the same gender doing something and doing it well, they are more likely to relate and see themselves doing the same work in the future. (Yulka Plekhanova, 28th June 2019 interview)

MEETUP’s monthly sessions consist of two parts: 1) Discussion and learning in an LBTQI friendly environment where cis-men are not addressed, and 2) showcasing

artists, which is open to everyone. The main goal of these meetups is to exchange, participate, network, and support diversity. The events start with an introduction of the participants and guests in order to create a relaxed and open-minded environment. The discussion covers very different topics related to music and arts (e. g. critical discourse on recent developments, gender issues in music and arts, music promotion, cultural work, arts and music research, music journalism, event organisation, and music technology (MEETUP, 2018)). I asked Yulka why the discussion part of their events is closed: Topics often bring up discussions of sensitive issues. We feel it is important that our attendees feel as comfortable as possible when discussing them and feel that the environment supports them in being open. In mixed environments, women might feel conscious of asking some questions, e. g. about production techniques. We try to provide an atmosphere that allows attendees to feel comfortable to ask questions in­ dependent of their skill level or background. (Yulka Plekhanova, 28th June 2019 interview)

These events also have a networking characteristic since it brings newcomers and professionals together to share production techniques and offer tips and advice on creative processes. The second part of the event is an open platform for artists to play live, DJ, VJ, or present artworks. The line-up is comprised of their community: female, trans, and non-binary artists. Yulka also mentioned to me two extraordinary examples of how artist collaborations were born at MEETUP events: Mila Chiral (Anja Weber) and Wild Anima (Alex Alexopoulos) met at one of the events and ended up working on music together and eventually performed live together. Veronica Maximova and Spherical Aberration played an A/V set together at a MEETUP event and later continued performing as a duo. (Yulka Plekhanova, 28th June 2019 interview)

MEETUP is also a supportive platform of new ideas:

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Often times motivation and ideas are already there. It’s a matter of providing a comfortable, supportive and encouraging environment where artists can concentrate on their performance and leave the organisational stuff to us. Our hope is that by giving visibility to female, trans and non-binary artists, others can see there is an abundance of great artists. (Yulka Plekhanova, 28th June 2019 interview)

In the future, MEETUP would like to connect with other organisations outside of Berlin, but for that they would need a larger budget. They have tried to apply for the funding of Musicboard Berlin, but the application was unsuccessful. Yulka sees the reason for that this way: This might be due to a rising competition of gender and music-related projects, the number of which greatly exceeds the quota for Musicboard and other organisations. (Yulka Plekhanova, 28th June 2019 interview)

However, they organised a compilation showcase called A Thousand Tones, released on the label Elestial Sound. The project is based in the USA and comprises artists from twelve countries. This gave them, as Yulka puts it, “an amazing op­ portunity to meet people with similar values and hopes from other parts of the world”.

3.3 Mint Booking The platform Mint was founded in 2013 by Ena Lind and Zoe Rasch with the aim to improve the visibility of female DJs and acts. Originally designed as a regular Berlin club event where female house and techno acts could be presented, after four years it extended its commitment to connect artists with each other by becoming a networking group. It also expanded to highlight different female DJs and producers with the video series Mint Faces and offered schooling under the name Mint Campus. After the survey of FACTS 2015, it was a logical consequence that the founders opened a booking agency function of the platform as well, naming it Mint Booking. Within two years the roster of the agency included eight international and national DJs and producers. However, Ena and Zoe decided to leave Mint after its last club night in March 2017. All ongoing projects were closed except the agency, which was taken over by Nathalie Schmitz and with whom I conducted an interview. She has been working for Mint as a booker since 2015. Nathalie talks about her work as follows:

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For me it’s a kind of professional hobby. The commitment that I put into the agency has positively influenced the structuring of the booking agency: the organisational processes; expansion of the agency network; creation of new contacts. Also, I significantly shaped the agency culture. (…) For me, high standards of respectful and fair cooperation are basics in my work. (Nathalie Schmitz, 7th July 2019 interview)

In most of the cases she works alone, but she has already had assistants and interns. “However, the reality is often rather sobering: The stamina for this often rather chewy and exhausting work (especially in case of acquisition) is not a thing for everyone”, as she points out. Nathalie sees the booking agency as a career catalyst: for many artists it is a good start in the beginning of their careers, but when they start to grow, they often leave the agency and change to another one with a more extended network. This happened, for example, with the DJs Soumaya Phéline, La Fraicheur, and DASCO. However, the agency has close contacts with most of the venues in Berlin and also with a few abroad. It supports five DJs and producers (as of July 2019): Chica Paula, Elisa Elisa, Ena Lind, Lauren Flax, and MLML. As mentioned, even though Ena Lind left Mint as an organiser and founded Spoon, a DJ workspace, she is still in the roster of the agency, and the connection between Spoon and Mint Booking is lively and mutual. In Nathalie’s opinion, the Berlin scene has changed a lot in terms of gender diversity: At the beginning of Mint, the world, even here in Berlin, looked quite different – something has changed, and Mint has in any case added a lot to it, which has been set in motion by the decisive influence of female:pressure. Of course, there is still a lot of room for improvement, but it does not hurt in the meantime to see a positive balance and to show what has already been achieved. At least in the reporting and the discourse. I think the theme “visibility/existence of female DJs” has definitely reached the mainstream. Now it’s time to set the overall goal: balanced line-ups on a grand scale. (Nathalie Schmitz, 7th July 2019 interview)

3.4 Spoon Founded in 2018, Spoon is a DJ workspace for practical training with turntables dedicated to women, trans, and non-binary people. It provides workshops and open decks for DJs with all knowledge levels from beginner to advanced. As can be read on Spoon’s website, “[w]orkshop participants can practice, get individual feedback, ask questions in a non-judgmental environment and develop a sup-

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port network” (Spoon, 2019). Their meetings and workshops are held in English and German. I asked Ena Lind, the founder of Spoon, about the development of the organisation. Ena is a house music DJ and producer and has been sharing her wideranging knowledge through DJing workshops in Berlin and internationally since 2010. Ena is also the co-founder of the Mint Berlin network and the Mint Campus workshop series. She founded Spoon because during her period working on Mint (see more in Electronic Beats, 2017), she was consistently asked by the participants of the DJ workshop if there is a place where they could keep on practicing as well as hang out together and stay in touch. As Ena puts it, “Equipment is so incredibly expensive – especially for vinyl DJs – and not many people can simply go home and practice what they have just learned in a workshop”. Ena is the main administrator of Spoon, but she also has the help of Nadine Moser, a. k. a. Resom, and Jenifa Mayanja who are the other two DJ mentors. Nadine is also involved in the organisation processes outside of Germany. Moreover, they receive help from other people working on social media, photography, door management, etc. Spoon was funded by Musicboard Berlin in their programme “Karriersprungbrett Berlin” (“Career Springboard Berlin”) in 2018 and 2019. Therefore, Spoon has better experience with such applications than MEETUP Berlin. Furthermore, just like in the case of Frauengedeck, Goethe-Institut helped them to bring Spoon to the Philippines and China to hold beginner and advanced DJ courses in March and April 2019. In October 2019 they will also host an event in Mexico. However, more funding would be needed for their meetings: Right now, the meetings take place every other week. It would be great to have enough funding one day to have a weekly event and thus create an even stronger network and platform for people who need this space. (Ena Lind, 1st July 2019 interview)

According to Ena, they are working with several collectives on organising parties or other events this year, for example the festival MS ARTVILLE in Hamburg where Ena will also hold a DJ workshop in August 2019. I asked Ena about the feedback they receive for their workshops: The feedback we get is mostly that it makes a tremendous difference to have no cismen in the room. Also, our mentors are very experienced in teaching, we all have been doing this professionally for several years and in different settings. We try to make everybody feel seen and to create an environment where every question is valid and important. (Ena Lind, 1st July 2019 interview)

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Her comment also underlines the validity of such safe spaces, where women can feel comfortable to ask any type of question without fear of judgement.

3.5 Summary of these female-led organisations The activities of these organisations have definitely influenced the local scene: They have generated more awareness about gender-related problems and they also show a positive role model for further actions. Based on the interviews, the following similarities of these institutions can be stated: 1) They were all inspired by another organisation to start their own projects: female:pressure and its FACTS surveys played extraordinary roles in this motivation. 2) They have close contacts with other similar local organisations in order to help each other. 3) Each project was started either by one person or two people. Their contribution and motivation are highly important for the lifetime and activity of the project, even though more people joined in after a while. They are the catalysts of the projects. 4) In the beginning of these projects, they were funded by the important figures behind them, which is part of their DIY characteristics. So their first organisational processes relied on these female protagonists’ decisions and earlier experiences in the scene. Funding here also means that they initially worked on the project without earning money with it. Later, many of them applied for (state) funding (e. g. Goethe-Institut and Musicboard Berlin). In case of a successful application, they could realise more, sometimes international, projects. So, this budget might also have helped them to realise new organisational structures. 5) These projects were all built up to share knowledge, network, and to support each other for community-building purposes. They can also be catalysts for the participants’ emerging careers. 6) They create safe spaces where one can freely ask questions without fear of embarrassment and work together with people that hold similar values in a safe (and widely non-hierarchical) working atmosphere. These points can be understood – according to the results of my limited research – as the local characteristics, the so-called Berlin way, of such female-led organisations. In other words, these are the “particular narratives of the local” (Peterson &

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Bennett, 2006, p. 7). However, they might be similar to other areas that I could not examine, compare, or prove in this research with such limited scope. It is interesting to see that they often have translocal connections that might influence the local aspects too. For example, as Sabine talked about Frauengedeck’s events in Armenia, Georgia, and Azerbaijan, they had a strong impact on her. She was surprised about the humbleness and kindness of the Armenian scene. The participants of these organisations are often connected via the virtual network of female:pressure. Although Reitsamer (2012) writes about f:p as a translocal network, by “virtual” I mean f:p’s earlier email list and its online database system through which people can get to know each other. I have not analysed the online activities of these organisations in depth. Rather, I used their websites and other social media profiles only for collecting general information about them. A deeper examination could include, for example, doing follow-up research on the topic in question. My interviewees mentioned some problematic issues they have had to face. For example, Sabine from Frauengedeck talked about the problem of booking enough female DJs for the parties she organises. Or one could also mention here Mint’s internal issues, as the two founders left. Moreover, sometimes the lack of human manpower is also an issue within such projects: the founders are alone with all of the more and more complicated and time-consuming tasks, and it is difficult to fulfil them without any funding, especially in the beginning. Interestingly, my interviewees either did not answer my question about the future of their organisations or they answered with “It is hard to plan for the longterm as finances are an issue.” (Yulka Plekhanova, 28th June 2019 interview) This can mean that most of these organisations have a spontaneous nature in terms of planning. Thinking of the future is difficult for them without funding and because of the always-changing trends.

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Conclusions

According to the literature and also to my interviews with protagonists of Berlin’s female-led organisations, there is definitely more awareness about gender diversity in Berlin’s contemporary EDM scene. This can partly be credited to the above-mentioned organisations that bring more attention to women within the scene. I think Berlin is a special case in this sense because of its ever-growing importance within the global EDM scene. There are a lot of these types of organisations, festivals, event series, etc. Some of them die out after a short or a long period of

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activity, mostly because of the lack of manpower and funding, decreasing motivation, and changing trends. Based on this limited ethnographical research (interviews) in Berlin, one can identify the following stages of how gender diversity issues were (slowly) changed within Berlin’s EDM scene and what roles these organisations in question played within these processes: 1) Based on f:p’s FACTS surveys, more awareness of the topic in question has been created. 2) Smaller organisations were established to create networks and safe spaces to spread and support these ideas even more. 3) The people behind these local networks and spaces and other female protagonists became role models for action: More women became more self-confident to start out new music-related projects. So, they also created more motivation for other women. 4) These projects also needed support from their networks and safer spaces, so this aspect of their activity became even more important. 5) Now we have motivations, role models, established networks and artists, and, I think, a slowly changing mindset because of these partly closed networks. We are still far from the statement mentioned in the quote of this article’s title, but one should not forget, as Yulka puts it, that “[t]he change itself is slow, but the more we talk about and give visibility to this topic, the more prominent it becomes” (Yulka Plekhanova, 28th June 2019 interview). In this sense, this article, and this anthology in general, try to be examples for such attempts.

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Between empowerment and powerlessness: Individual career trajectories of drug-addicted musicians in Los Angeles Melanie Ptatscheck



Abstract   It is well known that many musicians, from all different music genres, have misused all types of drugs. Up to today there has been very little research in Popular Music Studies or drug literature addressing drug use and abuse by musicians. This paper focuses on musicians based in Los Angeles from the alternative rock music scene of the 1980s/1990s who have been particularly heroin misusers. The study seeks to explore the self-concepts of these musicians, as well as the impact of heroin addiction on their reputations and subsequent musical careers. Using retrospective first-person accounts, illustrated by the example of one study participant, I argue that the concept of the musician – at least in a certain time and culture – has an influence on drug use, which in return affects the concept of being a musician and changes it for the worse.



Keywords   Heroin addiction, self-concepts, individual career trajectories, empowerment, powerlessness, mental health

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Ahlers et al. (Hrsg.), Musik & Empowerment, Jahrbuch für Musikwirtschafts- und Musikkulturforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29706-0_4

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Introduction From the role of the ‘reefer’ [joint; MP] in early twentieth century jazz and blues, to the centrality of amphetamines and hallucinogens for dance music at the close of the century and beyond, there has been an intimate relationship between drug consumption and music. (Blake, 2007, p. 103)

Drug addiction is rooted in the history of music and has become one of the clichés of popular culture (Shapiro, 2003; Oksanen, 2013). The pop-cultural mediated identity scheme of being different from the others, and its symbolic representation of the drug-induced other-feeling, sensing and perceiving of social reality, has been characterized by myths and prototypes in the lifestyle of stars like Charlie Parker, Miles Davis, Janis Joplin, Jimi Hendrix, Kurt Cobain, Amy Winehouse and so forth (Fachner, 2010). Even tragic events such as the drug death of famous musicians do not seem to reduce the attraction of drugs in the popular music industries. This becomes apparent in the following statistics: Revealed by the Music Industry Research Association (2018), in fact the incidence of substance abuse is substantially higher among musicians then the general public. Also, the Help Musicians UK report from 2016 illustrates that musicians are three times more likely to suffer from drug addiction than the average population, but also from depression, anxiety or other mental disorders. The link between specifically drug abuse and the professional lives of musicians raises the general question of which connection exists between the use of drugs and the career model of being a musician. The fact, despite cautionary examples of negative effects, the use of drugs still seems to have a high status in the lives of many musicians evoking questions on causes of drug usage and its impact on musical careers. In this context, it should also be determined whether drug addiction, as an effect of repeated use, is – or has been – compatible with the overall concept of being a musician. Tours, writing lyrics, learning choreographies, constantly being in the public’s focus, being role models – all these components can be summarized under the term functioning. Given the increased economic importance of touring and the expectation of the audience of the artist’s permanent presence on social media the question arises whether the romanticized conception of a musician’s lifestyle true to the motto sex & drugs & Rock’n’Roll can even work today. Addressing these questions, this paper provides insights into drug use and abuse among musicians by examining the lives of heroin-addicted musicians in Los Angeles. In the context of my study (Ptatscheck, 2020), which is located in the field of Popular Music Studies, narrative biographical interviews were conducted to (re-)construct individual life stories with an emphasis on what I will refer to as

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their ‘self-concepts’. The results show that the heroin addiction of the interviewees can be seen as the product of a complex interplay of motivational and situational factors and is based on personal needs and perceptions these musicians have of themselves. The use of heroin not only functions as a rite of passage that allows these musicians to be part of a certain (sub-)culture they want to be part of. It can be also seen as a strategy of empowerment to function as a musician and to escape from stress factors, also related to the music business.

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Reconstructing life stories of heroin addicted musicians

2.1 Backgrounds The Greater Los Angeles Area is an area known as a gateway to the music industries and, in these industries, as a breeding ground for a former wide range of addictions. Especially in the 1980s and 1990s, heroin was considered as a drug whose application was cool and part of a certain subculture musicians from all over the world wanted to be part of (Ptatscheck, 2019, 2020). In addition to worldfamous bands such as the Red Hot Chili Peppers, Guns N’ Roses, and Jane’s Addiction, mostly locally known bands like Fishbone or Thelonious Monster, built up the image of the heroin-addicted musician in Los Angeles. Thelonious Monster’s singer Bob Forrest (2013, p. 44) claims: Drugs were everywhere and everybody I knew used them and loved them. Some were more devoted to the substances than others, but I didn’t know anyone who ever passed up a drug when it appeared […] [a]nd it seemed to me that I was following some grand rock tradition.

Heroin use became a cliché in the tradition of rock musicians in Los Angeles. According to the motto sex & drugs & Rock’n’Roll, the use of heroin was seen as part of a lifestyle that was believed to be associated with a musician’s career: I sensed that dope might be the key that could unlock all the doors that the secrets of art, poetry, and musicians hid behind. Charlie Parker had blown mad, furious harmonies under its sway. Keith Richards, the ultimate rock-and-roll outlaw, churned out thick, massive riffs with its influence. William Burroughs took its directives and conjured up dark, nightmarish worlds that I wanted to explore. The whole of the nightframed hip world grooved to its beat and pulse and created fucking art. Smack was

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their muse. My heroes had known its allure, felt its embrace, and I wanted what they had (ibid., 46).

Not only within the musical scene itself, but also in the media and public staging the use of drugs became “normalized” (Manning, 2007). Focusing on the USA, it is also striking that issues of drug addiction in general are treated with an openness reflected by the discussion on addiction in public. Rehab1, for example, has become a popular concept as tabloids and celebrity websites portray stars entering and exiting the gates of treatment centers (Oksanen, 2013). At the same time, the celebrity culture has intensified and reality television shows such as Celebrity Rehab with Dr Drew feature musicians such as former heroin addicts Steven Adler (Guns N’ Roses), Mike Starr (Alice and Chains) or Seth Binzer alias Shifty Shellock (Crazy Town). These thus exemplify how alcohol and drug treatment settings might be used for entertainment purposes.2 Besides media staging, formerly addicted celebrities also found rehab centers or aid organizations. Bob Forrest, for instance, who has completed a variety of residency visits himself, is one of the founders of the Alo House Recovery Center, a long-term treatment facility for drug and alcohol abusers. This model exemplifies various organizations and aid programs that specifically focus on the needs and sufferings of artists. MusiCares, as one of the most prominent examples and also based in Los Angeles, offers emergency financial assistance, addiction recovery, outreach and leadership activities, and senior housing. Since 2004, the MusiCares Foundation has been supporting the aid program MAP (Music Assistance Program), which specifically supports (professional) musicians who suffer from drug or alcohol dependence.

2.2 Methodological Approach The causes of addiction are manifold and rarely ever due to only one circumstance. Rather, addiction is a complex interplay of biological, psychological, physiological and socio-cultural conditional relationships. Interdisciplinary approaches are therefore indispensable in this field of research. What is striking, however, is that, despite the many approaches, there are only few qualitative works that provide 1 2

Rehabilitation refers to treatment processes that aim to prevent patient’s return to active substance use. The word rehab has become an umbrella term for a wide range of interventions involving excessive appetites (Oksanen, 2014). Celebrity Rehab has also spawned spin-offs such as Sex Rehab with Dr Drew (VH1, 2009) and Celebrity Rehab Presents Sober House (VH1, 2009 – ​2010), which center on the similar idea of celebrities with their addictions (Oksanen, 2013)

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basic knowledge on the development of drug addiction, so that heroin addiction in general has to date produced only a small amount of empirical research. As a basic assumption of this study, heroin addiction is regarded as part of an entire life story, which underlies the individual ideas of those affected about themselves – so called self-concepts. If Annemarie Laskowski (2000, p. 9) assumes that these ideas influence their actions, it could also provide an answer to why people become addicted. In order to understand the experience and behavior of people, it is therefore necessary to get to know their world of thought (Schachin­ ger 2005). In this context, self-concepts can be understood as self-perceptions based on self-descriptions and self-assessments (Spychiger 2017, 2007). According to Elke Schachinger (2005, p. 134), self-concepts include the sum of all self-related information. In addition, Jan Hemming (2003, p. 3) understands self-concepts as narrative knowledge and thus as the story that people tell themselves. If self-narratives provide access to self-referential information of an individual, and these in turn can be generated by communication, narrative-biographical self-statements can be a key function for the reconstruction of self-concepts. In order to obtain information on individuals’ subjective perspectives, (auto-)biographical research proves to be a particular methodological approach. It is noticeable that autobiographies of musicians have become increasingly popular since the 1990s (Swiss, 2005; Oksanen, 2012). Although autobiographical works are important to understand how and what kind of reasons are related to drugs and addiction, narratives concerning the life stories of musicians addicted to drugs are rare. Given the importance of heroin addiction in many lives in particular, this gap in literature is rather surprising. Only a few studies (e. g., Winick, 1959 – ​60, 1961) have addressed the connection between musicians and the use of heroin. In most of these cases, the individuals under consideration had already died, preventing researchers from conducting interviews and considering musicians’ perspective in their accounts. Addressing this gap, narrative biographical interviews with formerly heroinaddicted musicians were conducted in Los Angeles to determine ideas these musicians have of themselves of being musician and what influence the use of heroin has on their careers. Within two years (2014/2015), data from ten interviews with participants aged 25 – ​48, who were or are still working as professional musicians in different positions, were collected during several field visits. Based on the results of the biographical case reconstruction according to Gabriele Rosenthal (1995, 2014) and by using the example of the study participant Johnny, individual self-concepts of being a musician3 and some of the factors contributing to 3 Although research of self-concepts takes place mainly in psychological contexts, the construct is also increasingly being carried out in music-related research works (see, among

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addiction affecting subsequent careers as musician will be pointed out in the following.4

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Case Study: Johnny

Johnny grows up in an environment where he is introduced to making music as a child. In his father’s Christian church, making music becomes a communal event. He develops a passion for making music and experiences a sense of happiness and empowerment. During this spiritual experience, he can immerse himself in his own world where he can escape from his fears, from which he has been suffering since he can remember. While he first plays the tambourine, he later receives drum lessons and finally discovers playing the guitar – which represents a key turning point in his life. While his parents initially told him which instrument to play, he now decides for himself. In his teenage years, he increasingly turns away from his parents and the rest of the environment and prefers to be alone. During this time, he also begins to consume Xanax5 – a drug that satisfies his propensity to flee reality. The use of Xanax as well as the musical-creative process counteract his emotional pain: […] the motivation for picking up a guitar was like I’m in so much pain right now and it was like when you’re a kid and you pick up a guitar and it’s like you can disappear in this weird world where no one is around you, like an escape, and that was my motivation.

In this context, he develops an idea of how he wants to shape his future life: “I’m gonna be a famous musician and that’s what I gonna do for the rest of my life”.

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others, Spychiger 2017, 2013, 2007; Hemming 2002, 2003). It is to note, that the term musical self-concept often used in those studies is not to be the same as the self-concept of being a musician, which is the subject of this study. While the former relates in particular to musical abilities and competences, in the latter the self-concept of a person is considered in view of his self-concepts of being a musician in a larger context, with not only music-related components. Further cases and detailed findings of the study can be found in my dissertation “Suchtgenese & Selbstkonzept(e): Biographische Fallrekonstruktionen von Lebensgeschichten heroinabhängiger Musiker in Los Angeles”, which is expected to be published in 2020. Xanax belongs to the group of benzodiazepines – so called tranquilizer – that are prescribed for anxiety disorders as well as depression, insomnia and nervousness.

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The romanticized idea of being a musician becomes the decisive driving force for subsequent actions and behaviors. He breaks off school and moves to Nashville with a singer-songwriter. During this time, he mainly begins to experiment with alcohol and drugs. He is looking for stimulants that expand his consciousness and bring relief concerning his psychological and social needs (feeling of freedom, liberation from fears and worries, recognition, community, self-reinforcement, etc.). It therefore seems no coincidence that the use of drugs becomes increasingly important within his concept of life. It is also noticeable that he adapts his selfconcept to his environment where he connects to a certain social and apparently male-dominated group. At the age of 19 he joins his first rock band: “for me it was like finally I’m with a group of people that understand me”. Here, too, he focuses his efforts less on the musical components of his conception of being a musician. Rather, he deals with external factors that seem to him to be the image of a musician: long hair, leather jackets, tight jeans and beautiful girls. He also seems to be enthusiastic about the lifestyle that he says goes with this concept: “we’re just gonna play music and we’re gonna fuck and we’re gonna fight and it’s gonna be awesome”. In particular, being high becomes an important component of his concept of life: “drugs at that point really started to enter the picture of my life”. He invests the money he receives for the shows he plays with the band on cocaine. While he spends a lot of time in bars and meets the musicians that he emulates, he is encouraged to smoke heroin. I was like at bars drinking with some of these people that as kid I was like idolizing. […] the first time I tried heroin I was at a bar with this guy […] he’s like do you wanna go outside and chase the dragon. I had no idea what that meant but I was like “absolutely” like “sign me up”, I don’t know what that means but it sounds exciting.

Even though the other band members drink alcohol and take other drugs, they keep away from hard drugs such as heroin. Since they do not tolerate his everincreasing consumption, Johnny leaves the band. He finally joins a new band in which the consumption of particularly heroin was not only accepted, but even a major component of their lifestyle. A key reason for Jonny’s heroin use is not only his curiosity about trying the drug. He also feels the need to emulate his new bandmates and other musical role models. In this context, he refers exclusively to heroin-using musicians such as Keith Richards, whose lifestyle he tries to imitate: “when we used to sit around and like shoot dope and listen to, you know, the Rolling Stones and be just like, oh man we’re gonna do this forever bro like, yeah Keith Richards he is still shooting heroin and he is like seventy”. With the entry into the second band, all the components of his dream idea of sex, drugs, and Rock’n’Roll seem to have been fulfilled: “it was like an opportuni-

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ty to take everything that was happening in my life not just like drugs and alcohol but like the music”. From now on his life becomes an alternation between tours and recording in the studio. He displaces the increasing feeling of loneliness and monotony as well as persistent exhaustion from constantly “being on the road” through alcohol and drug intoxication. Particularly consuming heroin becomes a routine and almost a ritual that is practiced by all band members. While he is constantly high and isolates himself from the outside world, he loses touch with reality. He lives in the tour bus and hotels, spends most of his time in the recording studio, drinks alcohol, uses drugs and plays guitar. He does not consider this behavior to be abnormal or problematic, as the members of his entourage follow the same lifestyle. The fact that drug use also influences his musical perception is evident in the recordings that arise during this time. It is striking that in Johnny’s mind it was not only inevitable to use drugs to be part of the community, but also to function as a musician. He describes a positive effect on his musical process and a kind of creative force that goes hand in hand with the use of heroin. Furthermore, he mentions a concentration-promoting effect as well as the hiding of disruptive factors, which allows him to focus on the creative process. It is interesting that Johnny initially refers to his artistic work at that time as “groundbreaking” and describes his musical outcome a “masterpiece”, while in hindsight he admits that his perception at that time was due to the effect of the drug: “I remember thinking like this is ground breaking music, it’s gonna change the world, you know, was part of that drug one hundred percent.” Fundamentally, the use of heroin represents a turning point in Johnny’s biography. He is aware of the dangers of consumption, but he underestimates them. In the state of being-high, he feels his ideal self. He experiences a state of feeling that he is now trying to maintain by continuing to use the drug. He emphasizes above all the fear-reducing and numbing effect of the drug, which puts him in a feeling of carelessness and empowerment. […] even as a little kid there was like something about me that was sort of dark and sad and lonely and after I found that specific drug when I wound up at that place like that chemically for me like did it for me.

While spending most of his teenage years isolated with playing the guitar, he is more sociable when using the drug and enjoys the company of like-minded people. Johnny describes a transcendent, spiritual dimension that goes with the use of heroin. Johnny believes to function particularly well or best under the influence and is convinced that he can maintain consumption for as long as possible without any health consequences if he is only “smart enough” in dealing with the drug. How-

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ever, the fact that this idea does not correspond to reality – or that the lifestyle he chooses is only possible to a limited extend, he hides in his construction from reality. Although the effect of using is increasingly turning into the negative, Johnny for a long time emphasizes a positive effect of consumption before he even allows a problematization of his condition. In the state of intoxication, everything feels “so easy”. However, a feeling of indifference arises, so that the passion for music gradually loses its relevance and musical activities become a side issue. He thinks that his consumption behavior is initially compatible with his lifestyle and the everyday requirements associated with it. He adapts his behavior to the self-concept in such a way that conflicts are avoided. The experience of drug use finally leads to new needs and motives that he tries to satisfy. He does not realize that the desired ideal balance that he experiences through heroin use is increasingly becoming an imbalance. In particular, the transition from smoking to injecting the drug is a turning point: Since heroin enters the nervous system directly through the bloodstream though intravenous injection, and quickly reaches a high concentration, he experiences a faster and more intense effect than by smoking the drug. Despite the initially increased intoxication, the effect of the drug tends to abate, so that Johnny needs the substance at ever shorter intervals at ever higher doses. He lives with the constant pressure to finance and procure the drug. The use of heroin inevitably becomes the center of his life. With increasing physical and psychological dependence, he can no longer carry out his activities as a musician. While he initially considers music making to be a central component of the self-concept and aligns his actions accordingly, he displaces the effect of drug use. In the course of addiction, the intoxication effect of the drug decreases more and more – and with it the numbness of his problems. Johnny describes acute suffering, especially in the form of emerging anxiety: fear of withdrawal symptoms, fear of loss of control, fear of the future. In order to break out of the addiction cycle, therapy seems to him as a way out. Despite successful withdrawals, Johnny repeatedly relapses. The sub-concept of using drugs becomes independent: it is henceforth the drug that takes Johnny’s authority and determines his actions. From this stage of his addiction, he no longer has a choice between consuming or not. In order to avoid withdrawal symptoms, he must continue to consume. There is little hope for him to be able to improve the living situation. In particular, he lacks a perspective that encourages him to lead an abstinent life as a musician. Although he still says that “it’s all about the music”, he realizes that his self-concept of being a musician loses stability and that the sub-component using drugs is no longer compatible with the idea of a professional musician’s career. After the members of his last band separate, he tries to fill the empty in his life by the drug. When he realizes that it is all about the drug use, he tries to join a new

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band to hide his addiction problems. However, he is no longer able to take part in rehearsals and misses important concerts because he is too stoned or unable to play, so that he is forced to leave the band. Since musicians no longer want to play with him and no label wants to sign him, he is unable to find employment in the music market. Instead of making music, he starts talking about it: […] and then I turned into like the worst type of musician the heroin addict alcoholic musician, that hangs out on bars and talks about all the shows that I have played, or talks about the tours that I’m gonna do that don’t exist, and talks about reliving like glory days, when I’m only like in my early twenties.

Although true to his self-concept he persuades himself to still be a musician, he aligns his actions more and more according to the rules of addiction. At some point he realizes that he can no longer carry out his musical activities – he lacks increasingly in the playful and physical functioning: “holy shit, there is nothing like I’m just getting high, I’m a fucking junkie, and I couldn’t tell someone like ‘well I’m going on tour tomorrow’. […] I couldn’t keep it together, you know, like the party was kind of over.” At the same time, he is unsure whether his concept of being a musician would still work without the subcomponent of drug use. He considers his chances of re-establishing himself as a musician in the music market after heroin addiction to be low. He lacks the will and courage to deal with his own conflict situation. Since he has learned that drug use as a supposed coping strategy enables a quick solution to all his problems, he continues to consume. From now on, the possibility of overdose becomes not only a risk factor, but also a potential option to “put an end on suffering”. At this point, it is no longer about being a musician, but about the struggle for survival. Since he no longer has any income as a musician and cannot maintain other jobs, he gets into the procurement of crime in order to be able to afford the drug. He numbs the feeling of helplessness and failure with even taking more drugs: […] that is the turning point for me like where I went from any, the ability to have like any control um (..) to losing all control, you know […] I was still shooting as much heroin as I could every day, I was still drinking every night, and pretty much a lot of other drugs.

The self-concept of being a musician is replaced by the concept of being a junkie: “then it was just about the drugs […] to try and stay alive”. After accepting this concept, he loses control of his behavior and thus his self-determination.

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I was like pretty much broken down […] it was like no option very close to being a homeless or like being on the streets or just like killing myself or overdosing intentionally.

After several attempts at withdrawal and complete self-sacrifice, he finally makes his way to an abstinent life with the help of MusiCares (see above). Based on a 12-step recovery program, he manages the withdrawal and gets a place in a sober house in West Hollywood for nine months. From now on, he lives in a house with musicians and other artists in similar life situations who are already clean and supported on the way to a regular everyday life. When he moves into the shared flat, he has neither instruments nor other property. However, he is allowed to borrow guitars from his roommates. He makes music again for the first time since being released from his last band: “the things that were coming out of me […] all my emotions all my feelings everything I was like a raw nerve like everything was there.” For the first time since childhood, he begins to make music without the influence of numbing or mind-enhancing substances. He not only feels creative power, but also gains a new perspective for his further life path: “a huge part of my process […] for rebuilding my life […] was rediscovering that creative side”. In this context, he indicates that before the withdrawal he had little hope of being able to continue his musical career. On the one hand, he realized that more and more musicians, including from his own circle of friends, died from their drug use. On the other hand, he believed that those who have found their way to an abstinent life have not been able to build on old successes and no longer made “good music”. Above all, he lacked positive role models, which made him believe that it was even possible to find his way out of addiction. He only finds this when he enters the sober house: I needed somebody that could tell me like look man like I was strung-out for this many years, you know I almost didn’t make it, tell me their story and then just be like you can still do this like if you wanna do this you can still do it, you know anything is possible.

By beginning to write songs, he finds an outlet to express his experiences and emotions. He founds a band and saves all his money to record his songs on Interscope Records. For him, being a musician now means focusing exclusively on the songwriting and recording process. Although he goes back on stage to perform his songs, he increasingly withdraws from the public eye. While he first tries to build on his original self-concept of being a musician, he realizes that with altering circumstances also his needs and thus his self-conceptions have changed. Music making remains as a sub-component within his overall concept, but this has different orientation and weighting now. He finds a girlfriend and a new job “on the

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other side” of the music business. For reasons of anonymity, he does not specify what he is dealing with. However, he no longer works as a public artist. Rather, regardless of his professional activity, he makes it his job to help the very artists who are in similar situations to those he has lived through. He wants to be not only a point of contact, but also a role model for these people. I had some people like that and so now one of the big things that’s important for me is like I get the opportunity pretty often because I’m in Los Angeles and there is a lot of strung-out musicians and unhappy sick musicians and artists, really frequently I’m meeting people that need help and want help, and I get to sit down and like sometimes like […] yeah I get to open that door for them and be like look I can tell you like my story.

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Discussion

The illustrated individual case of Johnny makes it clear that his drug career was not deliberately planned, but that it was initiated due to various factors, which influenced the conceptualization and change of his self-concepts. Based on the selected individual case, the key factors role models and post-addiction narratives are highlighted in the following and will be discussed in the context of the further interviews.

4.1 Role models The example of Johnny shows that social influences have a decisive impact on his self-conception and thus on the motivation to consume heroin. It is above all drug-using idols that have a formative effect on the (sub-)cultural orientation of the interviewees and the choice of their lifestyle according to the motto sex, drugs, and Rock’n’Roll. All interviews show that the study participants identify themselves notably with media-related personalities whose values they acquire and whose lifestyles and images they adapt. Interviewee Pepe sums up this perception: “I thought […] heroin is so important to be social and to get into these connections with people”. Also, interviewee Frankie comments: “All of my heroes were heroin users […] I associated myself with the bands that I loved and they all did drugs and all this stuff.” In this context participant Tony describes how he was mainly guided by the media, which enlightened him about the habits of his idols. Due to the fact that his

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role models also consume, he sees the justification as well as the necessity for his own consumption. Tony is driven not only by curiosity about the drug, but also by the desire to cross his own borders: When you are listening to music, and you’re paying attention to bands, and you’re reading about bands in Rolling Stone or whatever magazine, Hit Parader, and all that stuff like, you are aware that they are taking drugs, and there is, you know, like it or not, there is a glamourized version of that that when you’re young it’s like ‘wow they took drugs’, it’s kind of exciting, there’s an allure, there’s a world that, especially if you’re growing up in the suburbs and you have no clue about any of that. […] I was definitely inspired by them musically, […] using that particular drug, that definitely interested me in thinking like that’s something that I would like to see what would happen, because I did admire their music so much, and I did appreciate that. You know, and so I think that it definitely almost gave me the ok, or the green light that, to take that drug, to try it, you know, right or wrong.

Through the circulating stories about musicians around him, participant Alec develops the idea that there must be a connection between the use of drugs and music. [Y]ou know even as a little kid that like the music happens because of the drugs, like you know that, we’re in the post Beatles generation, the post like Pink Floyd generation, you knew that the good music was connected to drug use, even before we did drugs.

As Johnny’s case has shown and the following example of Tony will confirm, this supposed connection has a central influence on the idea of being a rock musician: When I first started realizing that, you know, Perry Farrell is using heroin, or did, and that, you know, John Lennon did, during some of my favorite Lennon stuff. I’m not the biggest Grateful Dead fan, but I really love Jerry Garcia, and Jerry Garcia is a big heroin user at one point. And when I started realizing all this I actually started to find interest of like ‘well, what will it do when I do start playing music’, and the thing that it did for me personally was that I was able to relax, but yea, I was still very focused. It’s a very weird thing, and I know that there’s a thing where you can nod out and you can be like floating on a cloud and have that sort of euphoric heroin experience.

Tony’s statement confirms Johnny’s perception that heroin usage initially had a posi­tive impact on his overall physical and mental state. The study participants also believe that their musical process changes positively under the influence of the drug. Pepe is convinced that making “outstanding music”, which is in his opin-

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ion only possible under the influence of heroin, is also part of the concept of being a rock star: It’s all about how am I gonna be a rockstar, how am I gonna be famous, how am I gonna get better on guitar. I got to write the perfect song and I have to write the perfect chorus and it’s gonna be epic.

Driven by this idea, Johnny believes that it is necessary to consume heroin to be able to function as a musician. All interviewees describe a positive effect on their musical process and to some extent a creative power that seems to go hand in hand with the consumption of heroin. While under the influence of heroin, participant Frankie feels “so good”: Heroin it makes you focused and it makes you care about anything but the music […] it’s an easy way to tune out everything else. […] [I]t was like […] that classic you know typical you know cliché thing those voices just were not bothering me about what I could and couldn’t do and so it allowed me um not only a sense of feel good but it gave me this concentration.

All interviewees mention a concentrating-motivation effect as well as the fading out of external and internal disturbing factors. In particular, the internal conflict that the fun activity of music making with increasing professionalization and success is combined with stress and pressures, can be reversed by using the drug. Under the influence of heroin, the interviewees describe an increased sense of strength and empowerment, which has a positive effect on their creative processes. In retrospective, however, and similar to Johnny’s description, Frankie provides a justification particularly for the effect on music, which he interprets as illusionary: [O]f course everything sounds amazing, cause you feel amazing, but it’s not real. […] There hasn’t been […] no fucking connection […] so if I thought things sounded better or if I thought I was to learn more or if I thought I could be more successful because I was on heroin and playing music it was bullshit.

As Tony confirms, they believe that heroin use is almost a stereotype and thus inevitable to be a good musician. It’s athletes taking steroids, it’s musicians taking heroin. I mean there’s your balance. […] Society says that, you know ‘athletes shouldn’t take steroids’, but man they sure do

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love seeing Barry Bonds knock a fucking homer out of the park when he’s all juiced up, you know ? Like, we definitely like hearing those songs from those jazz artists, like John Coltrane trying to talk to god with his saxophone […] who broke new ground. […] But then there’s all the ones we don’t know about. There’s like, I’m not a big fan but Billie Joe Armstrong who did like some of what’s considered his best work with that whole American whatever thing, and that was, he was popping like opiate pills every day. Fucking Jeff Tweedy who I love, he was popping opiate pills every day.

Although Johnny describes that he was aware of the dangers of consumption, he hides these notions from his perception of reality and concentrates exclusively on the seemingly positive effects of consumption. All interviewees believe that they can maintain their consumption for as long as possible. Inspired by his role model Keith Richards, Johnny believes he can continue consuming into old age without serious health consequences. It is only in hindsight that he realizes that this notion is an illusion. In this context, Alec concretizes this misconception as follows: [O]bviously there’s a sunset on that though. Like it is true that it’s unsustainable, I mean […] give or take the occasional William Burroughs or Keith Richards of the world that can afford to have all of their blood transfused, you know ? But for the rest of us that can’t afford all new blood, you know, when we’re 70 obviously it’s not sustainable to think about using heroin until you’re 70 years old.

It is only with the increasing extend of the consequences of consumption that they realize that their romantic ideas, which are associated with the rock musician’s lifestyle, cannot be realized: [T]here’s a downside doing that […] if you do it a lot and you become so addicted your, your ability to maintain and even play music doesn’t even, you can be so high that you don’t even feel like what you want to. (Frankie)

In this context, Pepe admits that his perception was controlled by the drug thus influenced the making of music: [I]t all was […] driven by the heroin […] my idea of being a musician when I was on heroin […] was all based behind getting high and being high […] it has nothing to do with me […]it made me a worse musician and make me care about music less, it make me focus on things that didn’t matter. […] I never show up, and never go to band practice […] I didn’t even go play the show, because I needed more heroin […] I was just strung out and I would everybody upset.

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Although they do not longer act as musicians, they hold on the idea of being musicians. They become not only addicted by the pharmaceutical effect of the drug, but also by the ritual of consumption, which is part of the rock star life: I got addicted to the thought and the practice of it like I wanna be like this ultra fucking Rock’n’Roll Kurt Cobain like James Dean like heroin addict like identity and I gonna be so fucking cool. (Pepe)

As long as they cannot detach themselves from their perception of being musician, they are not able to develop new self-concepts. The replacement of the old concept, however, has unconsciously taken over by the drug. It imposes a new self-concept on the interviewees, which they are not initially aware of, but which they already act on. They no longer take on the role of a musician, but rather the role of a junkie.

4.2 (Post)-Addiction Narratives With increasing dependence, consuming heroin increasingly becomes a burden and therefore an undesirable part of Johnny’s life. Although he consciously integrates the use of heroin as a component into his self-concept, a resulting addiction on the drug was not part of the original plan. At the latest with the onset of physical and mental dependence on the drug, the deceptive conception of personal freedom lead to the lack of freedom of addicted dependency, which is characterized by loss of control, and thus the abandonment of self-determination and powerlessness. He also finds himself in a vicious circle in terms of his musical activities. Although it is first part of his self-concept to become a successful musician, who spends his life in the recording studio and on tour, even this notion becomes a habit and turns into a sense of effort and monotony. He has to deliver permanently in order to keep up as a musician in the business. He tries to stun and displace these negative components of his life by increasing his usage of drugs. However, with progressive physical and psychological negative effects of drug usage, he can no longer carry out his role as a musician. He realizes that his notion of being a rock musician and its related lifestyle cannot be combined with the conditions of the music market: […] a lot of things have really changed man like the days of like you know the 80s bands that are all fucking drunk and high getting huge record deals and showing up to the studio drunk and fucked up and breaking smashing hotel rooms and you know burning down recording studios, that shit is done […] I can tell you like if you have a

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session booked at a major recording studio in Los Angeles and you’re signed on a Label and you don’t show up or you show up fucked up and you can’t perform unless you’re like a multiplatinum selling artist it doesn’t work.

Although all study participants realize that their self-concepts are not compatible with the working conditions of the business, they find no identities on which they can orientate in order to find a way into an abstinent life. They lack not only positive examples of musicians who have made it out of addiction (“Steven Tyler sucked after he got sober”). Rather, they generally lack perspectives for a life as a musician after addiction. They realize that their former idols can no longer be seen as role models: they have either already died of addiction or they can no longer make “good music” and build on old success after recovering from addiction: […] now times change you know Jane’s Addiction is no longer the same band anymore and their shit is watered down, all my heroes are kind of, like you know, either dead or gone ore they’re no longer writing good music. (Frankie)

In addition, all study participants do not consider heroin use to only be part of a lifestyle. They also use the intoxication effect of the drug to numb or forget about personal problems and fears: I thought I found a solution […] oh this is the answer […] oh heroin will take care of everything. (Frankie)

The interviewees are afraid of reality and thus of a life in which they have to cope with their conflicts without the help of the drug. Furthermore, they fear withdrawal symptoms and the resulting physical and emotional pain: [I]t was psychological that I was the most afraid of, because when my body would react to the chills it would then make my mind think that oh man things are not gonna be okay. (Frankie)

By craving the drug, they suggest that re-consume would be the easiest way to get out of their misery: “it makes me not feel pain” (Frankie). They hide their addiction and thus avoid any possibilities of communication with regard to possible help options: Because one of these things that gets fucked up with people is when they just start going off and isolating themselves in their own drug addictions and not telling people what they’re doing. (Alec)

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It is only when they realize that their lives lead into two directions – they die from the drug or they kill themselves by overdosing – that they search for a way to withdrawal from the drug. Even if they manage to stay clean for a certain period of time, relapses are not uncommon, but confirm the rule. Staying clean is not, it hasn’t been this like picture-perfect experience, it’s been challenging, you know, I’ve lost a lot of friends. (Johnny)

Johnny describes that he had to watch how close friends repeatedly relapsed and ultimately died of their drug addiction. He is demotivated to overcome addiction. Johnny’s example shows that getting clean is only one side of the coin. The challenge, however, begins with staying clean. In order to obtain a permanent abstinence, this also means for the interviewees to deal with causes of addiction, which are also based on personal predispositions. They realize that without other people’s support, they are not able to overcome their struggles. These are fortunate coincidences that bring the study participants into contact with appropriate help measures. In particular, it is those formerly affected who have managed to become clean and who can share their stories with the participants. This model of interaction is also taken up by organizations such as MusiCares. By moving into a Sober Living House immediately after his withdrawal and sharing it with other musicians who are in a similar situation, Johnny gains new role models and thus orientation. The social contact with the other musicians, the sharing of similar stories and experiences as well as the communal making of music help Johnny to develop new perspectives for his future life, from which new self-concepts develop.

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Conclusion

Johnny’s drug use can be interpreted as part of his self-concept and as a symbol of a related lifestyle. The use of heroin can be seen as a door opener into certain subcultural scenes – until the drugs become more important than the doors they promised to open. The results of the study provide information not only about how the partici­ pants get into addiction, but also how they find a way out of it. These are key turning points that allow the interviewees to choose an abstinent life and thus break out of heroin addiction. After withdrawal, they must redefine their values and needs in order to develop new self-conceptions based on it. In this regard, it is also to be questioned which doors within the music industries are opened to those art-

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ists who struggle with addiction or mental health problems in general and which doors remain closed to them. The fact that it is obviously difficult for musicians to find help, becomes not only clear from this study. Despite existing aid measures and treatment programs, such as MusiCares, the results of Record Union’s survey “73 percent” from 2019 show that of those musicians, who said they had suffered from symptoms of mental illness, only 39 % said they had sought out treatment for their symptoms. 51 % even said they had self-medicated, the majority with alcohol and drugs. In this context it is to question: Why do they not find help ? Are they unaware that there is help or do they not want to accept help ? Apart from the fact that this study dealt with a specific group of musicians within a specific social and cultural structure, it is fundamentally necessary to question which perspectives are offered to physical and mental sick musicians in general. This applies not only to opportunities within the music business, but also to the field of music education. Likewise, the focus should be on other genres and the related usage of different types of drugs – for example, the field of DJ culture and Electronic Dance Music with prominent representatives such as Avicii.6 Also due to the lack of women in my study7, an explicit focus on female musicians and their individual progressions of disease would be important. Although in the last five years several sets of research (e. g. MIRA, 2018; Gross & Musgrave, 2016, 2017) have pointed out mental health problems, there is still a lack of scientific work. Especially qualitative approaches concentrating on the subjects themselves are rare, but strongly needed. Obtaining better data would not only help researchers to paint a more detailed picture and to bring mental health issues associated with musicians into a more public and scientific discours. It should be noted that, although my study helped to provide answers to the research questions that had been asked earlier, this approach is certainly not the only possible one. Basically, the intention of this study was to examine the phenomenon of heroin addiction among musicians first of all via an ethnographic approach and thereby create connecting points for further research. It was a question of the general testing of a methodological method which has not yet taken place in such a context and in connection with the phenomenon to be investigated. It becomes clear, however, that understanding the needs of musicians and related experiences, 6 Further thoughts and initial results of a recent study by the author on “Mental Illness and Addiction of EDM artists” are expected to appear in the publication “The Evolution of Electronic Dance Music” (edited by E. Mazierska, L. Gillion & T. Rigg), which is to be published in August 2021. 7 Although both men and women were eligible to participate in the interview, no female interviewees could be found for the study. The question here is whether heroin use is more common among men in the cultural context I have chosen – and if so, why.

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personal backgrounds and working conditions is the first step towards problem solving. To understand why people are suffering, to understand their perceptions and experiences and behavior, it is necessary to learn more regarding the subject’s world of thought. It is not only important to assess what we seem to see or what is transported by the media. It is also to be questioned how affected people’s views are, how they feel about themselves, and what needs they actually have. As the example of Johnny shows, particularly narratives can open doors not only for research, but also for affected people to find a space to address themselves and encourage them to find help. In addition to supposedly illusory narratives that can contribute to toxic self-conceptions, it is above all the narratives that transport positive attitudes that have a decisive influence on these people’s self-perception and their further healthy paths – or as Johnny puts it: [T]he reality is that it’s never too late for anyone to start over, it just takes more work, you know especially for heroin addicts.

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Frauenanteil in Basler Bands Erhebung zur Geschlechtergerechtigkeit und Sichtbarkeit von Frauen in der Basler Popszene Seline Kunz1



Abstract   In the preliminary study „proportion of women in Basel bands – a survey on gender equality and the visibility of women in the Basel pop scene“, the Basel pop scene is examined with regard to the percentage of women in the years from 2008 to 2017. The aim of the preliminary study is to raise awareness of the low percentage of women in the pop music business and to contribute to a sustainable increase in the percentage of women in the pop scene. The results show that although the proportion of women in Basel’s pop music scene is small (10 %), this small group of women is very active: 23.5 % of the bands in the Basel region have one or more women playing. Bands with one or more women are on average more successful in receiving funding than all-male bands, although the local funding regulations have not followed any gender quotas yet. Assuming that the granting of funding is associated with quality and professionalism of music creation, this means that bands with at least one woman are on average more professional than bands without women. This in turn suggests that the promotion of

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Die Vorstudie wurde durchgeführt vom RFV Basel (Popförderung und Musiknetzwerk der Region Basel), verfasst von Seline Kunz, Fachleiterin RFV Basel, finanziert von der Abteilung Gleichstellung von Frauen und Männern des Kantons Basel-Stadt und inhaltlich begleitet von einer Arbeitsgruppe bestehend aus Vertreter_innen der Abteilung Gleichstellung von Frauen und Männern des Kantons Basel-Stadt, des Statistischen Amts des Kantons Basel-Stadt, der Abteilung Kultur des Kantons Basel-Stadt, von kulturelles.bl sowie von Helvetiarockt. Die Vorstudie wurde im Eigenverlag mit einer Auflage von 700 Stück im August 2018 publiziert und erstmals präsentiert am Empowerment Day am Open Air Basel 2018: eine Kooperation zwischen Helvetiarockt, RFV Basel, Open Air Basel, Mitten in der Woche und junges theater basel. Der vorliegende Text ist eine leicht überarbeitete Version der Erstpublikation. Für die Überarbeitung zeichnet sich Seline Kunz verantwortlich.

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Ahlers et al. (Hrsg.), Musik & Empowerment, Jahrbuch für Musikwirtschafts- und Musikkulturforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29706-0_5

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women can currently be associated with an increase in professionalism and quality. The findings underline the urgency of implementing and further expanding measures to increase the proportion of women in the pop scene.



Keywords   gender equality, gender relations, pop music business, proportion of women, diversity

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Einleitung

Ein Thema, das den RFV Basel (Popförderung und Musiknetzwerk der Region Basel) seit einigen Jahren beschäftigt, ist der geringe Frauenanteil in der Popszene – ein Phänomen, das nicht Basel-spezifisch ist, sondern die gesamte Schweizer Poplandschaft betrifft. Während das Bild von Sängerinnen auf Bühnen der Popmusik nicht mehr so ungewohnt ist, ist die Zahl der Instrumentalistinnen nach wie vor sehr klein. Bis dato gibt es allerdings keine konkreten Zahlen, die Auskunft über den tatsächlichen Anteil an Frauen im Pop geben. Mit der Vorstudie Frauenanteil in Basler Bands – eine Erhebung zur Geschlechtergerechtigkeit und zur Sichtbarkeit von Frauen in der Basler Popszene soll dies geändert werden. Der RFV Basel hat – in Kooperation mit der Abteilung Gleichstellung von Frauen und Männern des Kantons Basel-Stadt, welche die Vorstudie finanziert, dem Statistischen Amt des Kantons Basel-Stadt, der Abteilung Kultur des Kantons Basel-Stadt, kulturelles.bl und Helvetiarockt – die Basler Popszene auf ihren Frauenanteil hin untersucht. Die Vorstudie beantwortet unter anderem folgende Fragen: ■■ Wie hoch ist der Frauenanteil in Bands der Basler Popszene ? ■■ Wie hoch ist der Anteil an Frauen in den vom RFV Basel geförderten Bands in den letzten zehn Jahren ? ■■ Wie hoch ist die Erfolgsquote von Bands mit Frauenanteil im Hinblick auf den Erhalt von Fördergeldern ? Mit der Vorstudie leistet der RFV Basel wegweisende Arbeit im Hinblick auf eine erste Situationsanalyse. Diese soll zur Sensibilisierung und nachhaltigen Erhöhung des Frauenanteils in der Popszene beitragen. Aufgrund der Erhebungen, Auswertung und Kontextualisierung der Ergebnisse werden Handlungsfelder und -empfehlungen ausgeführt, die zu einer Erhöhung des Frauenanteils im Pop und einer besseren Sichtbarkeit der Frauen beitragen können. Weiter kann diese Vor-

Frauenanteil in Basler Bands 71

studie als Ausgangslage für weiterführende Studien (z. B. in anderen Sparten oder auf nationaler Ebene) genutzt werden.

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Datenmaterial und Methode

Der Datenkorpus der vorliegenden quantitativen Vorstudie umfasst 898 Bands populärer Musikstilrichtungen (ohne Jazz, Klassik und Volksmusik) mit einer Kontaktadresse in der Region Basel (gem. Tarifverbund Nordwestschweiz ohne grenznahes Ausland). Die 898 Bands wurden auf ihre Geschlechterverteilung hin ausgezählt (Anzahl Männer, Frauen, Weitere2) und auf beantragte und erhaltene Fördergelder hin untersucht: Berücksichtigt wurden dabei die drei Förderformate des RFV Basel, die RFV-DemoClinic Analog und Digital, der RegioSoundCredit und der Basler Pop-Preis, sowie die Jugendkulturpauschale des Kantons BaselStadt über die Jahre 2008 bis 2017. Unter Band verstehen wir Solomusiker_innen sowie Gruppen von Musiker_innen. Solomusiker_innen mit fixer Band wurden mit Band erfasst. Wenn die Besetzung der Band wechselte oder unklar war, wurden sie als Solomusiker_innen erfasst. In der Auszählung der Bands wurde differenziert nach: ■■ Geschlecht (Männer, Frauen) ■■ Tätigkeit in der Band (Sänger_innen, Instrumentalist_innen und Personen, die gleichzeitig ein Instrument spielen und singen). Als Sänger_innen gelten Personen, die Lead Vocals oder Backing Vocals singen oder rappen. Als Instrumentalist_innen gelten Personen, die ein Instrument spielen, DJs, Beatproduzent_innen oder Produzierende elektronischer Musik. In den Auswertungen werden Instrumentalist_ innen, die gleichzeitig singen oder rappen, als Instrumentalist_innen gezählt. Es wurde jeweils die aktuellste Beset2

Wir haben in der Erhebung die Option weiteres Geschlecht mit einbezogen, weil sich nicht alle Personen in das zweigeschlechtliche System einordnen lassen (wollen). Aufgrund der Form unserer Recherche (Bilder und Namen der Bandmitglieder, die wir aufgrund gesellschaftlicher Normen als Frauen oder Männer bezeichnet haben) haben wir jedoch keine Personen dieser dritten Option zugeordnet. Wir haben in der Folge die dritte Option weiteres Geschlecht in den Auswertungen weggelassen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass keine Personen mit Transidentität oder anderen Identitätsformen bekannt sind – Transidentität bedeutet allerdings auch nicht zwingend, sich nicht in das zweigeschlechtliche System einordnen zu lassen und/oder eingeordnet werden zu wollen. Da Geschlecht sehr individuell ist, empfehlen wir in weiteren Erhebungen das Geschlecht zu erfragen, i. e. die Personen es selbst definieren zu lassen.

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zung einer Band gezählt, auch wenn sich diese über die Jahre verändert hat. Ein kleiner Anteil der Bands ist möglicherweise nicht mehr aktiv, was jedoch die Datenlage in Bezug auf die Geschlechterverteilung nicht maßgeblich beeinflussen dürfte. Die Besetzung der Bands wurde aufgrund der Informationen auf ihren Websites oder Social-Media-Sites (Facebook, Mx3, Soundcloud, Bandcamp u. a.) im Januar 2018 recherchiert und festgehalten. Wenn Personen in mehreren Bands spielen, wurden sie für jede Band gezählt. Wenn eine Band den Namen wechselte, wurde die Band nur einmal gezählt, und zwar unter aktuellem Namen in aktueller Besetzung (hier sind kleine Abweichungen möglich, da der Namenswechsel nicht bei allen Bands nachvollziehbar/bekannt war). Die 898 Bands entstammen der Liste Bands of Basel auf der Website des RFV Basel. Diese Liste wird vom RFV Basel geführt, laufend aktualisiert und hat den Anspruch, alle in der Region Basel aktiven Bands zu erfassen. Die Liste entspricht dem Stand im Januar 2018.

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Ergebnisse

3.1 Geschlechterverteilung in Bands der Region Basel Die 898 ausgewerteten Bands der Region Basel zählen insgesamt 2 859 Musiker_ innen. Davon sind 2 573 Personen männlich, 286 Personen weiblich. Das entspricht einem Prozentsatz von 90 % bzw. 10 % (Abb. 1). Von den 2 859 Musiker_ innen sind 69 % Instrumentalisten, 5,5 % Instrumentalistinnen3, 7,2 % Sänger und 3,1 % Sängerinnen (13,8 % Männer und 1,4 % Frauen ohne Angabe der Funktion in der Band). Von den 898 Bands aus der Basler Popszene bestehen 49 (5,5 %) ausschließlich aus Frauen. Davon sind 40 Solomusikerinnen, fünf Duos, drei Bands mit vier Frauen und eine Band mit fünf Frauen. Diese Zahlen stehen einem hohen Anteil an Bands gegenüber, die lediglich aus Männern bestehen: 687 Bands bzw. 76,5 % (Abb. 2). Interessant ist, dass die wenigen Frauen in der Basler Popszene sehr aktiv zu sein scheinen: Gegenüber dem 10 %-Anteil von Musikerinnen in der Popszene der Region Basel stehen immerhin 23,5 % Bands, in denen eine oder mehr Frauen spielen. Der Frauenanteil bei Solomusikerinnen und Bands mit zwei Personen ist fast doppelt so hoch wie in Bands mit drei oder mehr Personen. Der Frauenanteil steigt wieder an bei Bands mit sechs oder mehr Personen (Abb. 3).

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Hier sei daran erinnert, dass Sängerinnen, die auch ein Instrument spielen, als Instrumentalistinnen gezählt wurden. Der Anteil an Frauen, die lediglich ein Instrument spielen, dürfte wesentlich geringer sein.

Frauenanteil in Basler Bands

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Abb. 1 Musiker_innen in 898 Bands aus der Basler Popszene, inklusive Mehrfachzählungen . Nach Geschlecht

Abb. 2 Frauenanteil in Bands aus der Basler Popszene, inklusive Mehrfachzählungen

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Abb. 3 Anzahl Bands nach Größe und Geschlecht, Prozentwerte, inklusive Mehrfachzählungen

In der typischen, häufig vorkommenden Bandkonstellation mit drei bis fünf Personensind rund halb so viele Frauen anzutreffen wie in Duos oder Soloprojekten sowie in Bands mit sechs oder mehr Personen. Über die Gründe dafür können lediglich Vermutungen angestellt werden. Ein möglicher Grund bezieht sich auf die Sozialisation von jungen Frauen und Männern im Jugendalter und jungen Erwachsenenalter – die Zeitspanne, in der die meisten Bands gegründet werden: Mädchen und junge Frauen bewegen sich tendenziell in kleineren Gruppen als Jungen und junge Männer. Der höhere Frauenanteil in Bands mit mehr als fünf Personen hat möglicherweise andere Gründe: In der Klassik ist der Frauenanteil wesentlich höher als im Pop. Der höhere Anteil an Frauen in größeren Bands kann dahingehend gedeutet werden, dass in Orchester-artigen Bands, die stilistisch oder der instrumentellen Besetzung nach näher bei der Klassik liegen, entsprechend auch der Frauenanteil höher ist.

3.2 Geschlechterverteilung bei beantragten und bewilligten Fördergeldern Für die beiden Förderformate RegioSoundCredit und Jugendkulturpauschale sind Bewerbungen mit einem beantragten Geldbetrag nötig, während bei der RFV-DemoClinic das First-Come-First-Serve-Prinzip gilt und für die Bewerbung kein

Frauenanteil in Basler Bands 75

Budget eingereicht werden muss. Der Basler Pop-Preis funktioniert auf der Basis eines Juryboards, dessen Mitglieder die Bands nominieren. Es ist also keine Bewerbung möglich. Der Anteil von Bands mit mindestens einer Frau, die Fördergelder beantragt haben, liegt bei 32,4 %, während sich 67,6 % reine Männerbands beworben haben. Dies ist insofern aufschlussreich, als der prozentuale Anteil, der sich bewerbenden Bands mit mindestens einer Frau höher ist als der prozentuale Anteil von in der Region Basel aktiven Bands mit mindestens einer Frau (23,5 %). Der Anteil der Bands ohne Frauen, die Fördergelder beantragt haben, ist hingegen geringer als die in der Popszene aktiven Bands ohne Frauen (76,5 %).Verhältnismäßig zum Vorkommen in der Szene ist damit die Quote der Bands mit mindestens einer Frau, die sich um Fördergelder bewerben, wesentlich höher, als Bands ohne Frauen, die sich bewerben im Verhältnis zu ihrem Vorkommen in der Szene. Bands mit mindestens einer Frau bewerben sich somit eher für Fördergelder als rein männlich besetzte Bands. Diese Auffälligkeit wirft die Frage nach den Gründen dafür auf: Warum beantragen verhältnismäßig mehr Bands mit Frauen Fördergelder ? Haben diese Bands professionellere Intentionen ? Ein besseres Selbstmanagement ? Und wenn ja, liegen die Gründe dafür in Sozialisation und/oder den Strukturen der Geschlechterverhältnisse unserer westlichen Kapitalistischen Gesellschaft ? Diese Fragen wären interessante Ausgangspunkte für weiterführende Studien. Die gesprochenen Gelder aller Förderformate unterscheiden sich nur geringfügig von den beantragten Geldern: 68,3 % Bands, die lediglich aus Männern bestehen, und 31,7 % Bands mit mindestens einer Frau haben Fördergelder erhalten (Abb. 4). Auch hier ist interessant, dass der Anteil an Bands mit mindestens einer Frau die Fördergelder erhalten haben, prozentual wesentlich höher ist als der Anteil von in der Region Basel aktiven Bands mit mindestens einer Frau (23,5 %). Dabei werfen sich ähnliche Fragen auf wie bei den erwähnten Quoten bezüglich den beantragten Fördergeldern. Von den 31,7 % der Bands mit Frauenanteil sind jedoch lediglich ein Viertel reine Frauenbands. Es ist sehr wahrscheinlich, dass ein großer Anteil davon Solo­musikerinnen sind (vgl. Abschnitt Geschlechterverteilung in Bands der Region Basel). Besonders anschaulich ist die Gegenüberstellung des Anteils der geförderten reinen Männerbands in Bezug auf die gesamte Anzahl von Bands und desjenigen der reinen Frauenbands: Von den 687 Männerbands haben 16,3 % Fördergelder erhalten, während von den 49 Frauenbands 28,6 % Fördergelder erhalten haben. Der Anteil der reinen Frauenbands, die Förderung erhalten, ist somit fast doppelt so hoch wie derjenige der reinen Männerbands. Bands mit mindestens einer Frau sind also zum einen aktiver, was die Beantragung von Fördergeldern anbelangt, als Bands ohne Frauen. Sie sind zum anderen auch erfolgreicher, was den effektiven Erhalt von Fördergeldern anbelangt als Bands ohne Frauen. Wenn der Erhalt von Fördergeldern – entsprechend der För-

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Abb. 4 Beiträge, alle Förderformate, 2008 – 2017, nach Frauenanteil

derrichtlinien der unterschiedlichen Wettbewerbe des RFV Basel4 – als Indikator für Qualität und Professionalität des Musikschaffens angesehen wird, kann daraus geschlossen werden, dass zum einen die Qualitätsspanne bei Bands ohne Frauen grösser ist als bei Bands mit Frauen und zum anderen, dass Bands mit einer oder mehreren Frauen sich durchschnittlich durch höhere Professionalität auszeichnen als Bands ohne Männer, und dadurch im Verhältnis auch stärker gefördert werden als Bands ohne Frauen . 3.2.1 RegioSoundCredit Von den Fördergeldern des RegioSoundCredits gingen 71,3 % an Männerbands, 9 % an Bands mit einem Frauenanteil von 0 .1 % bis 20 %, 8,2 % an Bands mit einem Frauenanteil von 20,1 % bis 40 %, 4,9 % an Bands mit einem Frauenanteil von 40,1 % bis 60 % und 6,6 % an reine Frauenbands (Abb . 5) . Während die Erfolgsquote bei Bands ohne Frauen bei 56,3 % liegt, liegt die Erfolgsquote bei reinen Frauenbands mehr als 10 Prozentpunkte darüber, nämlich bei 68 % . Die Erfolgsquote bei Bands

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Nachzulesen unter https://www .rfv .ch/foerderung .html und in den Merkblättern der Wettbewerbe https://www .rfv .ch/verein/downloads .html

Frauenanteil in Basler Bands

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Abb. 5 Beiträge, RegioSoundCredit, 2008 – 2017, nach Frauenanteil

mit mindestens einer Frau liegt sogar bei durchschnittlich 69,2 % . Mit anderen Worten: Wenn Frauen in der Band sind, ist die Erfolgsquote beim RegioSoundCredit um rund 13 Prozentpunkte höher, als wenn keine Frauen in der Band sind . Dies bedeutet nicht, dass Männerbands per se weniger erfolgreich oder professionell sind . Es kann aber bedeuten, dass es im Durchschnitt mehr Männerbands gibt, die hobbymäßig Musik machen, als Bands mit Frauen5 . Eine andere Deutung wäre, dass Bands mit mindestens einer Frau durchschnittlich realistischere Summen für ihre Projekte beantragen, was jedoch wiederum für ihre Professionalität sprechen würde (Abb . 6 . Die Statistik zeigt lediglich die Werte zwischen 2011 und 2017, weil erst seit 2011 nicht nur die gesprochenen Beiträge, sondern auch die Höhe der beantragten Gelder dokumentiert werden) .

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Eine mögliche Erklärung dafür liegt in der Sozialisation . Mehr dazu im Abschnitt Diskussion

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Abb. 6 Erfolgsquote, RegioSoundCredit, 2011 – ​2017, nach Frauenanteil und Höhe der Beiträge

3.2.2 Jugendkulturpauschale und RFV-DemoClinic Von den Bands, die Fördergelder der Jugendkulturpauschale erhielten, gingen 62,5 % an reine Männerbands, 12,5 % an reine Frauenbands. 37,5 % gingen an Bands mit mindestens einer Frau. Bei den Beiträgen der RFV-DemoClinic liegt der Anteil von Bands ohne Frauen bei 56,3 %, reine Frauenbands machen 12,5 % aus. In 43,8 % der Bands spielt mindestens eine Frau. 3.2.3 Basler Pop-Preis Die Beiträge des Balser Pop-Preises gingen zu 44,4 % an Bands ohne Frauen. 11,1 % beträgt der Anteil, der an reine Frauenbands verteilt wurde.6 In 55,6 % der Bands, die den Basler Pop-Preis gewannen, spielt mindestens eine Frau.

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Auch hier gilt wieder: Eine Band mit nur Frauen kann auch eine Solomusikerin sein. Wie im diesem Falle Anna Aaron, die 2011 den Basler Pop-Preis gewonnen hat.

Frauenanteil in Basler Bands 79

3.2.4 Vergleich der Förderformate Beim Vergleich der Beiträge der unterschiedlichen Förderformate fällt auf, dass der Anteil der reinen Frauenbands beim RegioSoundCredit mit 6,6 % am niedrigsten ist, während er bei der RFV-DemoClinic und der Jugendkulturpauschale mit jeweils 12,5 % und beim Basler Pop-Preis mit 11,1 % fast doppelt so hoch ist. Frauen sind demnach im Bereich Newcomerförderung und in der Spitzenförderung stärker vertreten als in der breiten Förderung der Professionals des RegioSoundCredit. Einschränkend ist bei diesen Werten allerdings anzufügen, dass die Gesamtzahl der Bands beim RegioSoundCredit wesentlich höher ist als bei den anderen drei Förderformaten, was den Vergleich erschwert. Der Anteil der reinen Männerbands ist in allen vier Fördergefässen hoch: 71,3 % beim RegioSoundCredit, 62,5 % bei der Jugendkulturpauschale, 56,3 % bei der RFV-DemoClinic und 44,4 % beim Basler Pop-Preis. Dabei ist festzuhalten, dass in den restlichen Bands all dieser Förderformate die Männer in der Mehrzahl sind und der Anteil reiner Frauenbands bei maximal 12,5 % liegt.

3.3 Entwicklung der Vergabe von Fördergeldern Wird die Entwicklung der Vergabe von Fördergeldern aller Förderformate von 2008 bis 2017 betrachtet, so wird sichtbar, dass der Anteil reiner Männerbands sich zwischen rund 60 % und 90 % bewegt. Der Anteil reiner Frauenbands bewegt sich wechselnd ohne eindeutig steigende oder sinkende Tendenz zwischen 0 % und 23,5 %, der Anteil von Bands mit mindestens einer Frau zwischen 5 % und 42 % (Abb. 7). Die starken Schwankungen ergeben sich u. a. daraus, dass ein Fördergefäss des RFV Basel mit 15 000 CHF sehr hoch dotiert ist (Basler Pop-Preis, jährlich, Spitzenförderung). Wenn dieser Preis an eine Musikerin/Frauenband geht, wie es 2011 der Fall war, steigt der Frauenanteil bei der Summe aller Gefäße signifikant an. Beim Vergleich zwischen den beantragten und den gesprochenen Geldern der Bands mit unterschiedlichem Frauenanteil aller Förderformate fallen keine signifikanten Unterschiede auf. Es werden also durchschnittlich in den unterschiedlichen Gruppen nicht wesentlich mehr oder weniger Gelder gesprochen als beantragt. Bemerkenswert ist, dass der durchschnittliche prozentuale Anteil der geförderten Bands mit nur Frauen von 2008 bis 2017 höher ist als der prozentuale Anteil der Frauenbands in Bezug auf alle Bands der Region Basel. Währenddessen ist der durchschnittliche prozentuale Anteil der geförderten Männerbands niedriger als der Anteil der in der Region existierenden Männerbands. Bands, die lediglich mit Frauen besetzt sind, sind bezüglich des Erhalts von Fördergelder also

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Abb. 7 Entwicklung Beiträge, alle Förderformate, 2008 – ​2017, nach Frauenanteil

durchschnittlich erfolgreicher als Bands, die lediglich mit Männern besetzt sind. Allerdings wird auch hier deutlich sichtbar: Bands mit Frauenanteil sind nach wie vor stark untervertreten, während Bands ohne Frauen die Popszene klar domi­ nieren.

3.4 Zusammenfassung der Ergebnisse und Reflexion Die Analyse der Ergebnisse hat gezeigt, dass Popmusik nach wie vor ein Männer-dominiertes Feld ist. Allerdings wurde auch sichtbar, dass die anteilsmäßig wenigen Frauen, die sich in der Szene bewegen, sehr aktiv sind. Wenn eine oder mehrere Frauen in einer Band spielen, erhöht sich außerdem die Chance, Fördergelder zu erhalten: Bands mit Frauenanteil sind durchschnittlich erfolgreicher in Bezug auf den Erhalt von Fördergeldern als reine Männerbands. Mit anderen Worten: Es gibt zwar weniger Frauen in der Szene, diese erhöhen jedoch die Chance einer Band gefördert zu werden, deutlich. Da stellt sich die Frage, warum sind die Frauen im Pop derart untervertreten sind, wenn es Indikatoren dafür gibt, dass Frauen in Bands die Erfolgsquote für Fördergelder erhöhen ? Wenn deutlich wird, dass die Qualitätsspanne bei Männerbands grösser ist als bei Bands, in denen mindestens eine Frau spielt ? Auch die aktuelle Mc-Kinsey-Studie (Hunt et al., 2018) zu Diversität in Unternehmen zeigt, dass ein hoher Grad an Diversität die Chancen eines Unternehmens deutlich erhöhen, überdurchschnittlich erfolgreich zu sein. Die Studie zeigt

Frauenanteil in Basler Bands 81

auch, dass dies bezüglich des Frauenanteils auf Führungsebene besonders deutlich wird (21 % erhöhte Wahrscheinlichkeit bei hohem Frauenanteil, überdurchschnittlich profitabel zu sein). Kurz: Je höher die Diversität, desto erfolgreicher. Wird dieser Zusammenhang zwischen Diversität/Frauenanteil und Erfolg/Profitabilität konsequent zu Ende gedacht, würde es bedeuten, dass Bands mit Frauen höhere Chancen haben, erfolgreich zu sein und sich im Musikbusiness durchsetzen zu können. Dies wiederum legt nahe, dass die Professionalität im Popbusiness ansteigt, wenn sich mehr Frauen darin bewegen. Sprich: Eine Förderung von Frauen im Pop (und Förderung von Diversität in einem breiteren Sinn) ist somit nicht nur für die Bands erfolgsversprechend, sondern sie trägt auch zu einer höheren Profitabilität und Professionalisierung im Popbusiness bei. Warum das so ist, könnte Gegenstand von weiteren Studien sein. Eine Hypothese ist, dass an Frauen, die sich in Männerdomänen bewegen, möglicherweise höhere Anforderungen gestellt werden – bewusst und/oder unbewusst, von außen und/oder auch von den Frauen an sich selbst – um die Berechtigung ihrer Aktivitäten zu untermauern. Mit anderen Worten: Frauen in Männerdomänen, wie es auch die Popmusik ist, wird es weniger zugestanden, durchschnittliche Leistungen zu erbringen, was zur Folge hat, dass Frauen, um in Männerdomänen bestehen zu können, im Schnitt mehr leisten/professioneller arbeiten müssen. Zum Abschluss dieses Abschnitts sei angemerkt, dass die Profitabilität nicht grundsätzlich als Maßstab von Kulturförderung hinzugezogen werden sollte. Das Pop-Business ist jedoch zum einen enger als andere Kulturbereiche an die Mechanismen des freien Marktes geknüpft. Überlegungen zu Möglichkeiten der Vermarktung können somit ein Faktor in der Popförderung sein. Zum anderen wurden in der öffentlich-medialen Diskussion als Begründung der Unmöglichkeit der Umsetzung eines höheren Frauenanteils in unterschiedlichen Bereichen des Popbusiness oftmals die sinkende Qualität und Profitabilität genannt. Unsere Zahlen sind ein Indikator dafür, dass dieses Argument einer faktischen Grundlage entbehrt.

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Kontextualisierung

In diesem Abschnitt werden die Ergebnisse der obigen statistischen Auswertung in Bezug auf Geschlechterverhältnisse und Machtstrukturen in der Popmusik und der westlichen Gesellschaft kontextualisiert und Hypothesen für mögliche Gründe für den niedrigen Frauenanteil im Pop ausgeführt. Diese Kontextualisierung hilft, die Geschlechterverhältnisse im Pop in einem breiteren Zusammenhang von Dynamiken in unserer westlich-patrialchal geprägten Gesellschaft zu verstehen.

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■■ Gesellschaftliche Geschlechterstereotypen: Mädchen wird in westlichen, bürgerlich und patriarchal geprägten Gesellschaften Sanftheit, Lieblichkeit und Zurückhaltung zugeschrieben, während Jungen mit Stärke, Dominanz und offensivem Verhalten in Verbindung gebracht werden (Bourdieu, 2012). Die gesellschaftlichen Bilder von Weiblichkeit und Männlichkeit spielen so bereits früh in Sozialisation und Erziehung eine Rolle: Jungen wird eher dazu geraten, Schlagzeug oder andere laute Instrumente zu lernen, während Mädchen von Eltern oder Lehrpersonen eher angehalten werden, etwas Sanftes zu lernen wie z. B. Gesang oder Klavierspielen. Dies zeichnet sich auch in der späteren Ausbildung ab: An den Schweizer Hochschulen für Jazz, Pop und Rock studieren nur wenige Frauen. Diejenigen, die studieren, sind oftmals Sängerinnen. ■■ Sozialisation: Studien zur männlichen und weiblichen Sozialisation zeigen, dass junge Männer im Jugendalter und im jungen Erwachsenenalter – der oftmals für die Gründung einer Band relevante Zeit – ihre Freizeit eher in (größeren) Gruppen verbringen, während junge Frauen sich oftmals in kleineren Gruppen bewegen, wie z. B. zu zweit mit der besten Freundin (Fend, 2013). Dieser Umstand begünstigt das Gründen einer Band für junge Männer – man verbringt sowieso Zeit miteinander, die man sich dann mit gemeinsamem Musizieren vertreibt, was zudem das Gruppengefühl stärkt. Das Ergebnis unserer Vorstudie, nämlich dass in der klassischen Bandkonstellation mit drei bis fünf Personen halb so viele Frauen anzutreffen sind wie in Duos oder Soloprojekten, stützt diese Erklärung. ■■ Geschlechterstereotypen im Musikunterricht (Siedenburg, 2016): Schülerbands werden oft mit Jungen besetzt und so auch von Lehrpersonen gefördert. In einer jungendominierten Band kann der Anreiz mitzumachen für eine junge Frau gering sein. ■■ Geschlechterspezifische gesellschaftliche Zuschreibungen: Auf der Bühne zu stehen und etwas zu präsentieren, erfordert Selbstbewusstsein, Mut, Stärke und ein gewisses Maß an offensiver Haltung. Diese Eigenschaften werden gesellschaftlich stärker von Männern als von Frauen erwartet und ihnen zugeschrieben. Somit erstaunt es nicht, dass mehr Männer den Schritt auf die Konzertbühne wagen als Frauen – was nicht bedeutet, dass Männer auch tatsächlich mutiger, stärker und offensiver sind als Frauen. Oder umgekehrt. ■■ Mangel an weiblichen Vorbildern: Während Jungen ihren Lieblingsbassisten oder -gitarristen nacheifern, gibt es verhältnismäßig wenig Bands mit mehrheitlich Frauen – insbesondere Instrumentalistinnen – die jungen Mädchen als Idole dienen können. ■■ Mediale Inszenierung: Frauen im Pop werden medial oft nicht in erster Linie in Bezug auf ihr musikalisches Schaffen inszeniert, sondern in Bezug auf ihr Aussehen. Dies sendet wiederum das Signal an Mädchen oder junge Frauen,

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dass nicht ihre Musik, sondern ihr Äußeres im Zentrum stehen. Eine Dynamik, die dazu beiträgt, die stereotypen Bilder zu festigen. ■■ Machtstrukturen in der Berufswelt: Weiter spielt vermutlich ein Problem beim geringen Anteil Frauen in der Popmusik eine Rolle, das sich nicht nur im Bereich Pop findet, sondern in der Berufswelt generell: Je mehr Handlungsmöglichkeiten eine Position bietet, je mehr Macht und Einflussnahme mit einer Position verknüpft ist, desto männlicher geprägt ist sie. Und desto weniger Frauen finden sich in diesen Positionen. Zum Beispiel in Kaderpositionen in verschiedensten Fachbereichen. Oder bei Starköch_innen und Spitzensportler_innen. In einer nach wie vor männerdominierten Welt, in der Männer an entscheidenden Stellen oftmals Männer in entsprechende Positionen holen. Dies liegt nicht daran, dass Frauen das Know-how fehlt. Das zeigen auch unsere Ergebnisse: Wenn Frauen in einer Band sind, ist die Erfolgsquote in Bezug auf Fördergelder höher als bei reinen Männerbands. ■■ (Un-)Vereinbarkeit von Beruf und Familie: Frauen wollen oftmals nicht für eine bestimmte berufliche Position auf eine Familie verzichten – nach wie vor ein großes Problem für Frauen wie auch für Männer: Karriere und Familie sind heute noch immer kaum zu vereinbaren. Das Popbusiness macht dabei keine Ausnahme. Sprich: Je älter die Frauen werden, desto geringer ist die Chance, dass sie musikalisch aktiv bleiben.

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Maßnahmen des RFV Basel zur Frauenförderung

Der RFV Basel ist sich der Thematik des geringen Frauenanteils in der Popszene seit längerem bewusst und setzt sich aktiv für eine Erhöhung des Frauenanteils und eine größere Sichtbarkeit von Frauen im Pop ein. Das tut er auf verschiedenen Ebenen: Zum einen mit seinem Education-Projekt … macht Schule !. Bei einem jährlich stattfindenden Konzert für Kinder von 9 bis 13 Jahren wird den jungen Menschen die Popmusik durch eine Band aus der Region nähergebracht. In den Jahren 2016 und 2017 standen mit Bleu Roi und Serafyn zwei Bands auf der … macht Schule !-Bühne der Kaserne Basel, bei denen der Frauenanteil 50 % und mehr ausmacht. Auf diese Weise wird Mädchen gezeigt, dass Frauen tragende Rollen in Bands einnehmen, und diese so als Vorbilder wirken können. Weiter pflegt der RFV Basel eine enge Zusammenarbeit mit Helvetiarockt: Die Koordinationsstelle für Musikerinnen im Jazz, Pop und Rock hat die Funktion einer Drehscheibe und Vermittlerin, betreibt aktive Nachwuchsförderung von Frauen und bringt Musikerinnen in der Schweiz in ihrer Karriere vorwärts. Unterschiedliche Projekte tragen zur Förderung von Frauen im Pop bei, wie etwa die Female Band-

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workshops. Das ist ein Förderinstrument für junge Frauen von 15 bis 25 Jahren, die ihre Band- Kompetenzen entwickeln wollen . Im Rahmen dessen wird in 15 Kantonen jeweils eine Band aus jungen Frauen gegründet, die von Oktober bis April unter der Leitung einer erfahrenen Musikerin an einem eigenen Repertoire arbeitet und damit Konzerte spielt . Weiter pflegt Helvetiarockt eine Datenbank von Musikerinnen in der Schweiz, die der Vernetzung untereinander dient und es auch Veranstalter_innen, Booker_innen und sonstigen Playern im Popbusiness ermöglicht, auf einfache Weise die passenden Musikerinnen zu fi nden . Rund 540 Musikerinnen sind bis dato registriert . Auch beim Vorstand des RFV Basel hat sich in den letzten Jahren viel getan: Seit 2017 sitzen erstmals mehr Frauen als Männer im strategischen Gremium . Zudem besetzt der RFV Basel seit einigen Jahren die unabhängigen Fachjurys seiner unterschiedlichen Wettbewerbe so, dass beide Geschlechter mit mindestens zwei von fünf Personen vertreten sind . Mit geschlechtergemischten Gremien erhoffte sich der RFV Basel, dazu beizutragen, den Anteil an Frauen im Popbusiness zu erhöhen und das Potenzial, das in den Frauen steckt, sichtbar zu machen und zu nutzen . Im Sinne einer Förderung von Diversität auf unterschiedlichen Ebenen – so auch auf Ebene der Entscheidungsträger_innen (Abb . 8) . Die Ergebnisse unserer Vorstudie zeigen allerdings, dass sich in den letzten zehn Jahren nicht viel verändert hat, was den Anteil der geförderten Bands mit Frauenanteil anbelangt . Offensichtlich reichten die getroffenen Maßnahmen be-

Abb. 8 Entwicklung Frauenanteil beim RFV Basel

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züglich der Gremien bis anhin nicht aus, um deutliche Veränderungen zu bewirken. Wir schließen daraus, dass zusätzlich weitere Maßnahmen getroffen werden müssen. Beispielsweise durch eine Sensibilisierung der Jurys in Form von Briefings, womit der RFV Basel im Oktober 2017 bereits begonnen hat. Mögliche weitere Maßnahmen werden im Abschnitt Handlungsfelder erläutert.

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Handlungsfelder

Unsere Analyse zeigt, dass Frauen in der Popmusik stark untervertreten sind. Die im Pop vertretenen Frauen sorgen allerdings dafür, dass die Erfolgsaussichten einer Band signifikant ansteigen. Eine Erhöhung des Frauenanteiles im Pop kommt somit nicht nur den Bands zugute, die durchschnittlich erfolgreicher sind, wenn Frauen mit von der Partie sind, sondern auch der Vielfalt in der Poplandschaft. Um unsere Analyse und deren Kontextualisierung auch als Anregung für praktische Handlungsmöglichkeiten unterschiedlicher Akteur_innen in der Poplandschaft nutzen zu können, führen wir im Folgenden unterschiedliche Handlungsfelder und -empfehlungen auf, die die Geschlechtergerechtigkeit im Pop erhöhen, die Sichtbarkeit von Frauen erhöhen und zu einer weiteren Sensibilisierung beitragen könnten. Parallel dazu können die Weiterführung und der Ausbau bereits bestehender und etablierter Förderinstrumente (wie beispielsweise die Female Bandworkshops) nebst der Erhöhung der Diversität im Pop dazu beitragen, Maßnahmen und Entwicklungen bezüglich Diversität im Pop über längere Zeit zu beobachten, statistisch auszuwerten und zu optimieren. Hier ist anzumerken, dass Überlegungen zur Förderung von Geschlechtergerechtigkeit immer auch im Zusammenhang mit der Förderung und dem Sichtbarmachen von Diversität in einem breiteren Sinn angestellt werden sollen. Beispielsweise die Förderung von Musiker_innen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten, mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund, unterschiedlicher Ethnizität, unterschiedlichen sozialen Milieus usw. Wir haben uns – im Sinne eines ersten Schrittes – auf Frauenförderung fokussiert. Gleichzeitig möchten wir für weiterführende Überlegungen dazu anregen, Diversität in all ihren Facetten zu denken und zu fördern. Zudem können viele unserer Handlungsempfehlungen auch dahingehend ausgebaut werden, dass nicht lediglich Geschlecht, sondern auch Kultur, soziales Milieu usw. thematisiert werden können.

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6.1 Bereich Bildung und Sozialisation ■■ Geschlechterstereotypen reflektieren und das Bewusstsein dafür stärken: in der Ausbildung von (Musik-)Lehrpersonen und Schüler_innen Geschlecht zum Thema machen ■■ Geschlechterunabhängige Instrumentenwahl fördern: (Musik-)Lehrpersonen und Eltern in Bezug auf Geschlechterstereotypen und deren Implikationen für die Wahl eines Instruments sensibilisieren ■■ Jungen und Mädchen die gleichen Möglichkeiten bei der Instrumentenwahl anbieten: Dies kann im geschlechtergetrennten Ausprobieren von Instrumenten gefördert werden, Mädchengruppen und Jungengruppen dürfen in einem Musikraum unterschiedliche Instrumente nach Lust und Laune ausprobieren ■■ Sichtbarmachen von Frauen in der Popmusik: Musik-Vermittlungsangebote für ein junges Publikum mit Frauen auf der Bühne fördern ■■ Frauen in der Geschichte verorten: Historische Kontexte der Musikgeschichte auch aus Frauensicht vermitteln und dadurch Vorbilder schaffen

6.2 Bereich Popbusiness ■■ Vorbilder für Mädchen schaffen: Labels, Veranstalter_innen und Booker_innen für das Thema sensibilisieren. Je mehr Frauen in aktiven Rollen auf der Bühne zu sehen sind, desto mehr Vorbilder für Mädchen werden geschaffen und umso selbstverständlicher wird es, dass Frauen auf der Bühne stehen ■■ Konzertmöglichkeiten für Bands mit Frauen schaffen: Clubs und Veranstalter_ innen, deren Anteil an Bands mit Frauen im Programm z. B. 30 % oder mehr beträgt, speziell fördern ■■ Mehr Diversität auf Bühnen schaffen: positive Vorbilder hinsichtlich Geschlecht, Sexualität, ethnischer und sozialer Herkunft etc. sichtbar machen ■■ Vernetzungsmöglichkeiten für Frauen schaffen: bestehende Vernetzungsplattformen für Frauen, die im Popbusiness tätig sind, ausbauen und neue schaffen.

6.3 Bereich Medien ■■ In den Medien über Frauen und ihr musikalisches Schaffen berichten: Medien­ schaffende für das Thema sensibilisieren ■■ Frauen im Pop sichtbar machen: Gendergerechte Sprache anwenden, z. B. mittels Gender-Sternchen (Musiker*innen) oder Gender-Gap (Musiker_innen)

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6.4 Bereich Popförderung ■■ Frauen im Pop fördern: Entscheidungstragende Kommissionen und Gremien sensibilisieren und zu gleichen Anteilen mit Frauen und Männern besetzen ■■ Gendergerechte Fördergefäße und Fördermaßnahmen etablieren: offen gestaltete Fördergefäße (im Sinn von Werkbeiträgen, frei gestaltbaren Stipendien) und spezifisch auf Frauen und ihre verschiedenen Lebensphasen (Stichwort: Familie) zugeschnittene Gefäße (wie z. B. das Stipendium vor Ort des Frauenkulturbüros Nordrhein-Westfalen) schaffen ■■ Den Frauenanteil in Bands fördern: Bands, deren Frauenanteil z. B. 30 % oder mehr beträgt, speziell fördern

6.5 Bereich Forschung ■■ Die Faktenlage für Handlungsempfehlungen und eine Sensibilisierung von unterschiedlichen Akteur_innen im Popbusiness schaffen: weitere Erhebungen zu Gender im Pop und in anderen Genres durchführen ■■ Einheitlichen Maßstab und einheitliche Begriff‌lichkeiten für Erhebungen schaffen, welche die Vergleichbarkeit zwischen unterschiedlichen Erhebungen vereinfachen (i. e. Wie hoch muss der Frauenanteil in einer Band sein, dass sie als Frauenband gilt ? Macht der Begriff Frauenband per se Sinn ? etc.)

6.6 Bereich Popszene/Musikschaffende ■■ Musiker_innen für das Thema Geschlecht und Diversität sensibilisieren: Mentoring-Gefässe schaffen und Coachings durch Vorbilder ermöglichen ■■ Frauen motivieren und unterstützen: Weitere Vernetzungsplattformen für Frauen schaffen und bestehende (wie z. B. Helvetiarockt) ausbauen ■■ Empowerment für Mädchen und junge Frauen: positive Vorbilder schaffen

6.7 Bereich Öffentlichkeitsarbeit ■■ Die Öffentlichkeit für Genderfragen im Popbusiness sensibilisieren: Medienschaffende, aber auch Kommissionen und Gremien über Geschlecht im Pop informieren

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■■ Gesellschaftliche Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit reflektieren: durch geschlechteruntypische Vorbilder Diskussionen zum traditionellen Rollenverständnis anregen ■■ Sensibilisierung und Förderung der Vielfalt auch unabhängig vom Geschlecht: Vorbilder sichtbar machen

Literatur Bourdieu, P. (2012). Die Männliche Herrschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Fend, H. (2013). Entwicklungspsychologie des Jugendalters: Ein Lehrbuch für pädagogische und psychologische Berufe. Wiesbaden: Springer-Verlag. Hunt, V., Prince, S., Dixon-Fyle, S. & Yee, L. (2018). Delivering through diversity. Mc­ kinsey & Company. Verfügbar unter https://www.mckinsey.com/~/media/mc​ kin​s ey/business%20functions/organization/our%20insights/delivering%20 through​%​20diversity/delivering-through-diversity_full-report.ashx. [Abrufdatum 27. 8. ​2019]. Siedenburg, I. (2016). Populäre Musik, Gender und Musikpädagogik: Wirkungsweisen der Kategorie Geschlecht und Perspektiven für die Forschung. (Antrittsvorlesung an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, 27. 04. ​2015). Verfügbar unter https://www.pedocs.de/volltexte/2016/11572/pdf/Siedenburg_2015_Pop_ Gender_MP.pdf. [Abrufdatum 27. 8. ​2019].

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Electronic trans*Music Gedanken zu trans*nichtbinärer Identifikation in technoiden Clubszenen Mine Wenzel



Abstract   This essay digs into the potentials of techno and club-cultural scenes for queer, especially trans*identification and life realities. The author*, a trans*nonbinary person themselves, understands her*self as part of the research and offers an inside perspective as musician* and consumer*, by including their own records of recollection as well as interviews with fellow queer participants of the researched scene. The article prevents a breakdown of contemporary, anti-diagnostic, self-determined definitions of gender, sex and gender identity and looks for points of resonance for these lived realities within techno based music scenes. This happens via an analysis of the musical parameters of techno music, the modes of perception, and the social constitution that can be found in electronic music- and club cultures. The core of the essay is the question where bodily autonomy and alternative forms of community building and care can be empowered by the surrounding of techno-club scenes and the findings of this research play a role within bigger discourses outside of the specific social surrounding of the club.



Keywords   queer, trans*, gender, techno, electronic dance music

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Ahlers et al. (Hrsg.), Musik & Empowerment, Jahrbuch für Musikwirtschafts- und Musikkulturforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29706-0_6

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Intro When the worlds we inhabit are less than utopian, music can facilitate collective becoming: it offers us hope; it is testimony to our resilience and survival; it soothes, pleasures and indulges us; it is a refuge from an otherwise intolerable state. (Taylor, 2012, S. 214)

Am 27. Mai 2018 lud ein breites Bündnis verschiedener Clubs und Initiativen der Berliner Technoszene zur Gegendemonstration gegen eine groß angelegte Kundgebung der Alternative für Deutschland. Teil des Bündnisses Reclaim Club Culture waren unter anderem Clubs wie das SchwuZ, das about:blank oder Netzwerke wie female:pressure – Etablissements und Initiativen, die queere und feministische Standpunkte vertreten. In ihrem Aufruf bezeichneten sich diese Vertreter*innen1 der Berliner Clubzene als „alles, was die Nazis nicht sind und was sie hassen: Wir sind progressiv, queer, feministisch, antirassistisch, inklusiv, bunt und haben Einhörner. Auf unseren Dancefloors vergesellschaften sich Menschen mit unbegrenzten Herkünften, vielfältigsten Begehren, wechselnden Identitäten und gutem Geschmack“ (Reclaim Club Culture, 2018). Die Frage nach der Queerness und Inklusivität technoider2 Musikszenen wurde schon häufig gestellt. Popkulturwissenschaftler*innen forschen und forschten schon seit den neunziger Jahren nach der Vereinbarkeit szenischer Underground-Distinktion und marginalisierter Positionen in der Gesellschaft. Die Mythen, die Techno und House umgeben, von den LGBTQIA+3 Communities und Communities of Colour der späten DiscoZeit sind hinlänglich bekannt, sind dekonstruiert und wieder reproduziert worden. Und wenn Clara Moto berichtet, dass „es immer nur eine Frau oder vielleicht zwei [gibt], die an einem Clubabend auflegen“ (Ji-Hun, 2015), schreibt Robert 1

Ich verwende das Asterisk als Mittel der Sichtbarmachung von Geschlechtlichkeiten, die in einem binär-geschlechtlich kodierten Sprachsystem nicht sichtbar werden. Statt die Lücke eines mangelhaften Sprachsystems mit der Gendergap ‚_‘ aufzuzeigen, steht das Asterisk stellvertretend für die Vielzahl an Möglichkeiten in dieser Lücke. 2 Je nach Kontext bezeichnet Techno verschiedene Spielweisen elektronischer Tanzmusik, gilt als Sammelbegriff oder wird als eigenes Genre definiert. Im Rahmen dieses Textes ist mit Techno elektronische Tanzmusik im Clubkontext gemeint, dessen genaue Abgrenzung in Genres wie House, Minimal, Electroclash etc. sich als schwierig erweist und für die vorliegende Untersuchung nicht gewinnbringend ist. 3 Das Akronym steht für LesbianGayBisexualTransQueerIntersexAsexual/Aromantic+ und umfasst eine große Bandbreite queerer Identitäten. Dabei handelt es sich nicht um eine homogene Gruppe, sondern vielmehr um eine Vielzahl diverser lokaler und globaler Gruppen oder Individuen, die sich gegen die geteilten Diskriminierungserfahrungen durch eine cis-, endo- und heteronormative Gesellschaftsordnung organisieren. Im folgenden werde ich auf diese Gruppen auch kurz als Community oder Communities referieren.

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Henschel beispielsweise „[i]m Berghain evaporieren Subjektivierungskategorien wie Geschlecht oder sexuelle Präferenz“ (Henschel, 2015, S. 14). Vor dieser Diskrepanz entsteht der vorliegende Text. Er formuliert essayistisch einen Ansatz der Suche, nach den Rückzugsorten queerer Identifikation an den Rändern einer cis heteronormativen Alltagswelt, nach den Räumen und Möglichkeiten queerer Sicherheit, Vergemeinschaftung und Selbstermächtigung in den Geografien technoider Szenen. Eine Suche, die in diesem Umfang keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Auch eine systemische Kritik an Technoszenen ist dieser Text nicht – dazu fehlt an dieser Stelle der Raum. Es handelt sich vielmehr um eine essayistische Skizze der queeren Potentiale, die in Technoclubs auf‌fi ndbar sind, anhand derer eine solche Kritik erarbeitet werden könnte. Dabei ist es mir jedoch wichtig, nicht über die Konstitution von Queerness in Musikszenen zu referieren. „Die Erforschung der Praktiken des Queer Worldmaking verlangt nach einer Perspektive der Intimate Insiders, weil diese Perspektive es erst ermöglicht, die queeren Codes und Repräsentationen und ihre sozialen Bedeutungen zu erfassen“ (Reitsamer, 2016). Ich schreibe dieses Paper daher als Konsumentin*, DJ* und Musikerin*, als Teil der Szene und damit Teil des Forschungsgegenstandes. Dieser Text ist daher Analyse, Coming Out Story und Technotrack zu gleich. Die Breaks, die als Einschübe den Roten Faden des Textes vorgeben basieren auf eigenen Erinnerungsprotokollen, sowie Interviews mit queeren Szeneakteur*innen die im Zuge meiner Beschäftigung mit den Intersektionen zwischen Queerness und Techno entstanden sind.

Break   Die Flexibilität des Begriffes queer ist für meine Selbstwahrnehmung sehr wichtig. Auch wenn ich mich stark auf einem weiblichen Spektrum identifiziere, sehe ich mich als nichtbinär. Ich bezeichne meine derzeitige Beziehung als lesbisch, erkenne aber an, dass ich mich zu allen Geschlechtern hingezogen fühle. Das mag für Außenstehende widersprüchlich erscheinen, für mich spiegelt das mein Selbstverständnis wider. Ich bin trans*feminin, nichtbinär, pansexuell, queer (Erinnerungsprotokoll der Autorin*). I identify as a queer person. I describe the sex I have as queer. I define queer as a catchall to describe a gender identity or set of sexual preferences which exists outside the dominant cis/straight vector. (Interview, Eris)

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Enticement

1.1 Talking Queer – Geschlecht, Gender, Geschlechtlichkeit Um nachzuvollziehen, wie technoide Musikszenen trans* und queere Identifikation empowern können, ist es zunächst notwendig festzuhalten, wie sich das gesellschaftliche Verständnis jener Identifikationen konstituiert. Wie prägen kulturelle und soziale Parameter das Verständnis von trans*Sein und welche Implikationen hat das für die alltäglichen Lebenswirklichkeiten von queergeschlechtlichen Menschen ? Die Frage nach dem Verständnis von trans*inter*nichtbinären Geschlechtlichkeiten wirft zunächst die Frage nach dem Verständnis von Geschlecht, Gender und Geschlechtsempfinden selbst auf. Geschlecht, Gender und geschlechtliche Identität zählen neben sozialer Klasse, Status der Be_hinderung, Ethnizität, Religion und weiteren zu den kulturell und gesellschaftlich codierten Konstruktionen, die distinktiv für Subjekte in einer Gesellschaft wirken. Sie sind mit normierten Rollenbildern und bestimmten gesellschaftlichen Privilegien verknüpft und üben daher einen großen Einfluss auf die Konstitution einer Gesellschaft aus. Entgegen der verbreiteten Wahrnehmung einer Geschlecht-Gender-Dichotomie, in der Geschlecht als körperlich determinierter Faktor angesehen wird, ist zu argumentieren, dass auch das körperliche Geschlecht eine soziale Konstruktion darstellt. „[O]ur body’s physicality is not a construct. […] The way our bodies are is simply undeniable. However, labeling a person […], based on their physical characteristics is a human design. […] body parts are not inherently male or female … they are just body parts.“ (Hardell, 2016. S. 50, Hervorhebung im Original). Körperliches Geschlecht besteht auf einem Spektrum, das sich durch primäre und sekundäre Geschlechtsmerkmale, Chromosomen, körpereigene Hormonlevel und Ausprägung der Gonaden variabel konstituiert (Wenzel, 2019). Trotz dieser Variabilität jenseits zweier klar trennbarer Kategorien geschieht die Klassifizierung von Körpern jedoch innerhalb eines binären Systems aus Mann und Frau. Judith Butler (2004) beschreibt, dass körperliche Eigenschaften kontinuierlich kulturell kodiert werden, sodass auch Anatomie und Geschlecht nicht ohne kulturelle Deutung wahrnehmbar seien. Sie kommt zu dem Schluss, dass beispielsweise die Zuschreibung von Femininität als natürliche Eigenschaft weiblicher Körper in einem normativen Deutungsrahmen geschehe, „in which the assignment of femininity to femaleness is one mechanism for the production of gender itself “ (Butler, 2004, S. 10). Gender ist in diesem Zusammenhang der gesellschaftlich konstruierte Deutungsrahmen, in dem Menschen gelesen werden. Gender funktioniert also wie ein Text, den eine Person anhand ihrer körperlichen Eigenschaften, ihrer Ver-

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haltensweisen und ihres Gebrauchs von Mode, Make-Up, Sprache und anderen Ausdrucksmöglichkeiten – ihrer Gender Expression – über sich schreibt, der in sozialen Interaktionen gelesen und interpretiert – gegendert wird. Entgegen geschlechtsbezogener körperlicher Eigenschaften, die Personen haben, ist Gender etwas, das ihnen, aufgrund bestehender sozialer Parameter der Lesbarkeit, zugewiesen wird. Gender ist ein Klassifikationssystem, das Menschen in eine von zwei binären Gender-Kategorien einordnet, an die bestimmte kulturell bedingte Erwartungen geknüpft sind (Hardell, 2016). Der Körper wird, indem er gegendert wird, zu einer diskursiven Oberfläche der Auseinandersetzung zwischen Individuum und Gesellschaft. Die gegenderten Normen einer Gesellschaft formulieren die Regeln, nach denen beispielsweise Kindern bei der Geburt ein Geschlecht und damit eine Genderrolle zugewiesen wird. Diese Zuweisung hat für viele intergeschlechtliche Menschen maßgebliche Auswirkungen und geht nicht selten einher mit gewaltvollen operativen Eingriffen ohne die Zustimmung der betroffenen Kinder, mit dem Ziel Körper außerhalb der Mann-Frau-Binarität zu normalisieren (zwischengeschlecht.info, 2012). Aber auch für endogeschlechtliche Menschen, also „Menschen […], die nicht inter*sex/-geschlechtlich sind“ (Pro_feministische Akade­mie, 2019) geschieht die Zuweisung von Geschlecht und Gender noch vor der Ausbildung der geschlechtlichen Identität einer Person. Das Geschlechtsempfinden bezeichnet das intrinsische geschlechtliche Selbstverständnis eines Individuums. Demzufolge steht die Bezeichnung cis für „[a] person whose gender identity is the same as their sex and/or gender assigned at birth“ (Hardell, 2016, S. 8). Unter den Oberbegriff trans* fallen Menschen, deren Identität nicht mit der Zuweisung bei Geburt kongruiert. Unter trans* fällt eine Mehrzahl an Geschlechtlichkeiten, die mit der binären Definition von Geschlechtlichkeit nur zum Teil kongruieren. Diese Vieldeutigkeit soll mit dem ‚*‘ statt dem Leerzeichen zwischen trans und dem bezeichneten Wort zum Ausdruck gebracht werden (Bsp.: trans*Frau). Julia Serano bezeichnet geschlechtliches Empfinden mit dem Begriff subconscious sex. Serano erläutert inwiefern das unbewusste Geschlecht einen maßgeblichen Parameter für die Geschlechtlichkeit einer Person darstellt, der mit den Definitionen körperlicher Geschlechtscharakteristiken und sozialer Zuweisung nicht gefasst ist. „Indeed, there is some evidence to suggest that our brains have an intrinsic understanding of what sex our bodies should be. […], independent of our socialization or the appearance of our bodies“ (Se­ rano, 2007, S. 80 f.). Diese hier grob umrissene Trias aus körperlichen Geschlechtscharakteristiken, gegenderten Normen und den damit einhergehenden Rollenvorstellungen und Deutungsrahmen kulturell kodierter Ausdrucksweisen und dem intrinsischen Empfinden möchte ich als Geschlechtlichkeit zusammenfassen. Der Begriff umfasst die Tatsache, dass die drei beschriebenen Parameter untrennbar miteinander

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verknüpft sind und in gegenseitiger Einflussnahme stehen. Aus meiner Perspektive der eigenen Hinterfragung an mich gestellter, gegenderter Normen und der meinen Körper betreffenden Fremdzuschreibungen, entgegen meines Selbstverständnisses, steht dieser Begriff als Bezeichnung für eine bewusste Positionierung in einem gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Umfeld. Diese Positionierung und Selbstbezeichnung ist nicht zu verwechseln mit der oben beschriebenen intrinsischen Selbstwahrnehmung, ergibt sich jedoch zu einem guten Teil daraus. Nichtbinäre und trans*Geschlechtlichkeit ist nach wie vor mit dem Stigma diagnostischer Pathologisierung behaftet, die das Bild von intersex*trans*nichtbinären Personen in der Mehrheitsgesellschaft prägt.4 Nach wie vor ist die Diagnose Transsexualismus in der International Classification of Mental and Behavioral Disorders (ICD) gelistet. Hier beschreibt sie den „Wunsch, als Angehöriger [sic !] des anderen Geschlechts zu leben und anerkannt zu werden“ (Dilling, Freyberger, 2011). Die diagnostischen Kriterien fallen ausnehmend binär aus und beschreiben eine gegengeschlechtliche Identifikation. Um die Diagnose auszustellen, „muß [sic !] nachgewiesen sein, daß [sic !] in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen bestehen“ (Saß, Wittchen, Zaudig, Houben, 2003, S. 636). Dieses Leiden wird als Geschlechtsdysphorie bezeichnet und ist zwingende Voraussetzung für eine Anerkennung des trans*Seins einer Person. Daraus ergibt sich, dass die Lebensrealität von trans*Personen in einer breiteren gesellschaftlichen Wahrnehmung immer im Zusammenhang mit Leidensdruck und daraus resultierenden beispielsweise depressiven Erkrankungen verknüpft ist. Diese Annahme geht jedoch an der Lebenswirklichkeit vieler trans*Personen vorbei. Wenn für die einen Dysphorie ein profundes Leiden darstellt, kann sie für andere lediglich als hintergründige Unzufriedenheit spürbar werden und wieder andere trans*Personen empfinden kaum bis keine nennenswerte Dysphorie (Hardell, 2016). Zudem führt die binäre Definition von Transsexualismus dazu, dass nichtbinären Identitäten weitgehend die Legitimation abgesprochen wird. Unsere gegenwärtige Gesellschaft konstituiert sich maßgeblich auf der Grundlage von cis- und endogeschlechtlicher Heteronormativität, in der Zweigeschlechtlichkeit und heterosexuelle Orientierung als Norm festgeschrieben sind. Jede Abweichung von dieser Norm kann vonseiten der Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft nur in Kombination mit Leidensdruck und pathologischer Stigmatisierung begriffen werden. So ist der Zugang für trans*Personen zu notwendigen medizinischen und rechtlichen 4

Auf die Pathologisierung und Sanktionierung von intersex*Varianten kann ich, aus Mangel an eigenen Erfahrungen, an dieser Stelle nicht weiter eingehen. Daher beziehe ich mich im Folgenden auf trans*bezogene Diagnostik – wobei auch diese bestimmte Intersektionen mit dem Ausschluss von Teilhabe von intersex*Personen aufweisen kann.

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Ressourcen nach wie vor an das Paradigma der binären Definition von Geschlecht geknüpft (Schirmer, 2014). „Bezogen auf die rechtlichen Regelungen, die im sogenannten Transsexuellengesetz (TSG) verfasst sind, hat sich […] trotz […] mehrerer Urteile des Bundesverfassungsgerichts nichts Grundlegendes geändert“ (ebd.). Das hat zur Folge, dass die Selbstbestimmung von trans*Personen entlang „vermeintlich objektivierbare[r] Kriterien, die weiterhin einer zweigeschlechtlichen Matrix verhaftet“ (ebd.) sind, massiv eingeschränkt wird.

Break   Almost 100 % of my social life is invested in electronic club and queer scenes. This is where I meet most of my friends, connections and everything else; both short and long term. It is also nice being involved in this culture because it gives me a chance to give back and also to invite others to fun events. Club culture has taught me to be more accepting of all kind of people. I have also learned how to have more confidence and independence in myself. In the beginning I came to the culture as way to meet queer people and learn more about myself. Now it has become my main community and livelyhood (Interview, Zoey).

1.2 Subkulturtheorie – Queere Räume, Szenen und Heterotopien Unter der oben skizzierten Ausgangslage cis-heteronormativ geprägter, öffentlicher Alltagsräume, stellt sich die Frage, wie sich dauerhafte queere Musikszenen unabhängig von temporär begrenzten öffentlichen Veranstaltungen mit streitbarer Wirkung konstituieren können. Sichtbarkeitspolitiken in Bezug auf Repräsentation im öffentlichen Raum sind durchaus ambivalent. Öffentliche Sichtbarmachung in Form temporär begrenzter Veranstaltungen und das Othering nichtnormativer Lebensweisen das damit verbunden sein kann birgt die Gefahr einer Stabilisierung hegemonialer Deutungshoheiten (Schuster, 2010). Der Kultursoziologe Malte Friedrich beschreibt den Ansatz Musik basierte Subkulturen als Gruppen zu definieren, deren Produktions- und Rezeptionsweisen von Musik sich direkt aus den äußeren sozialen Umständen dieser Gruppen ableiten: „Die Wirkung der Musik ist danach nur aus der mit ihr verzahnten Praxis zu verstehen. Gleichzeitig biete die Musik als materielles Artefakt die Möglichkeit einer Rekonstruktion der Lebensweise, die sie hervorgebracht haben soll.“ (Friedrich, 2010, S. 196) Dieser Ansatz formuliert ein homogenes Gruppenbild von Musikkulturen und unterstellt ihren Akteur*innen eine einheitliche Intentionalität der Produktion und Rezeption ihrer Musik. Musik wird in der Leseweise dieses Modells durch die Linse eines Narratives betrachtet, das Musikkulturen

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vor allem als tradiert begreift und sie nach politischen und subversiven Potentialen im Verhältnis zur Umgebung ihrer Entstehung hin abtastet (ebd.). Friedrich kritisiert diese Herangehensweise als Reduktion vielschichtiger Entstehungs- und Transformationsprozesse, die Gemeinschaften, deren Konstitution eigentlich mit diversen Widersprüchen einhergehe, romantisiere. Im Gegensatz zur Definition von Subkultur bildet „eine Szene […] weder eine Gemeinschaft im traditionellen Sinne, bei der sich alle Personen kennen und eng beieinander wohnen, noch eine Gesellschaft in der sich nur Unbekannte [kurzzeitig, Anm. d. V.] begegnen“ (ebd., S. 198). Neben kulturellen Praktiken (wie Musik und deren Aneignung) erlaubt dieser Ansatz auch die Betrachtung von lokal spezifischen Intersektionen zwischen Sozioökonomie, sozialen und ästhetischen Konventionen, Technolo­ gie, Sprache, Ideologie, sexueller und geschlechtlicher Identifikation und weiteren, die die jeweilige Szenegemeinschaft die einen ähnlichen Musikstil produzieren und konsumieren von anderen lokalen Gruppen unterscheidet (Peterson & Benett, 2004). Damit lassen sich dynamische lokale Netzwerke beschreiben, deren ästhetische Ausformung häufig von global verbreiteten Stilen geprägt ist. Lokale Szenen stehen häufig mit ähnlichen Szenen an anderen Orten in engem Kontakt, tauschen Innovationen, Stile und Künstler*innen untereinander aus und passen die Produkte dieses translokalen Austauschs in die lokalen Gegebenheiten und Ansprüche ein (ebd.). Szenen verbreiten sich durch globale ästhetische und/oder ideologische Konventionen, finden jedoch in unterschiedlichen lokalen Kontexten statt, die jeweils spezifische szenische Ausformungen prägen. Untereinander sind die einzelnen lokalen Szenen gut vernetzt und generieren eine translokale Vergemeinschaftung, die geographische Entfernungen auch virtuell überbrücken können (Peterson & Benett, 2004). Zu ihrer Konstitution gehört maßgeblich die Produktion eines eigenen Stils an Inszenierungsmöglichkeiten und kulturellen Praktiken sowie Orte der Vergemeinschaftung. Zudem sei die Debatte darüber, was als Teil der Szene angesehen wird und welche Stile ausgeschlossen werden Teil eines andauernden Prozesses der Szene Konstitution selbst. Genau das unterscheide sie von traditionelleren Musikgemeinschaften und mache sie zu variablen und offenen sozialen Gefügen, so Friedrich (2010). Inszenierungsstrategien über die Auswahl szenespezifischer Konsumgüter sind also nicht allein auf hedonistische Motive zurückzuführen. Sie kommunizieren performativ die eigene (beispielsweise geschlechtliche und/oder sexuelle) Identifikation und dienen der Inszenierung der Szenezugehörigkeit. Anhand von szenespezifischen Inszenierungsstrategien und der Vermittlung von szenekonstitutivem Wissen und Werten lässt sich die Hierarchisierung innerhalb von Szeneräumen ausmachen (Friedrich, 2010). Nina Schuster merkt an, dass die Aneignung von Räumen ein existenzieller Bestandteil queerer Szenekonstitution sei. „Die Strategie des queering space ma-

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che deutlich, dass Geographie niemals unschuldig, sondern immer umkämpft sei“ (Schuster, 2010, S. 75, Hervorhebung im Original). Der Begriff queer bezeichnet eine bewusste Abgrenzung gegenüber hegemonialer Fremdzuschreibung. Er wird als Platzhalter für eine Nichtfestlegung, beziehungsweise ein Sich-nicht-festlegenlassen innerhalb der Community gebraucht und ist nicht zwingend an Sexualität oder geschlechtliche Identität geknüpft. „[Q]ueer can be a political or ethical approach, an aesthetic quality, a mode of interpretation or way of seeing, a perspective or orientation, or a way of desiring, identifying or disidentifiying“ (Taylor, 2012, S. 14). Queere Szenen besetzen in der Regel „partikulare, öffentliche, nicht private Räume, die als Gegenöffentlichkeiten bezeichnet werden können“ (Schuster, 2010, S. 86). Schuster führt aus, dass Mensch von einer Vielzahl paralleler Öffentlichkeiten sprechen kann und somit Gegenöffentlichkeiten von Räumen, die sich nach hegemonialen Dichotomien ausrichten abgrenzbar werden. Verschiedene Formen der Öffentlichkeit existieren immer in Beziehung zueinander und wirken konstitutiv aufeinander ein, indem sie in der gegenseitigen Abgrenzung ihre eigene Beschaffenheit produzieren. Im Zusammenhang mit der zentralen Bedeutung von Selbstbestimmung und performativ-expressiver Praxis individueller geschlechtlicher Identifikation sind gegenöffentliche queere Szenen also Schutzräume, die eine offene Auseinandersetzung mit der performativen Konstitution individueller Geschlechtlichkeit und/oder Sexualität erlauben. Schuster betont den Stellenwert gegenöffentlicher Räume, die es erlaubten Zusammenleben außerhalb des gesellschaftlichen Normativs einerseits zu diskutieren und dieses andererseits auch in unterschiedlichen Lebensentwürfen auszuleben (Schuster, 2010). Dabei sind queere Musikszenen keine Paradiese uneingeschränkter Selbstbestimmung. Vielmehr sind sie Experimentierfelder, in deren Rahmen Individuen in Austausch miteinander Formen des Seins und Werdens und der eigenen und gegenseitigen Transformation aktiv erkunden. Jack Halberstam beschreibt dies wie folgt: „Counterpublics […] are spaces created and altered by certain subcultures for their own uses. […] The radical [queer] styles […] do not express some mythically pure form of agency or will but rather model other modes of being and becoming that scramble our understandings of place, time, development, action, and transformation“ (Halberstam, 2005, S. 187). Queere Gegenöffentlichkeiten kann Mensch also als teils utopische Anderswelten begreifen, in denen eine reflektierende Praxis mit der gesellschaftlichen Realität stattfindet. Schuster bezeichnet diese Räume in Anlehnung an Foucault als Heterotopien, in denen „soziale Wirklichkeit gespiegelt, bestritten und gewendet [wird, Anm. d. V.], sie besitzen als ‚andere‘ Räume utopische Elemente, dienen als Kompensations- und Illusionsraum und bieten Raum für Menschen, deren Verhalten von der Norm abweicht“ (Schuster, 2010, S. 210). Heterotopien zeichnet ein Abschluss von ihrer Umgebung aus. Dieser äußert sich in Form von Ri-

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tualen, die jene durchlaufen müssen, die Eintritt in die Heterotopie erlangen wollen (Henschel, 2015). Diese Rituale stiften Gemeinschaft und dienen – gerade im Hinblick auf queere Szenen – der Sicherheit, um die freie Entfaltung ihrer Teilnehmer*innen zu gewährleisten. Gegen das szenische Außen besteht ein teilexklusiver Selbstschutzmechanismus. So gesehen, stellen queere Heterotopien Gegenöffentlichkeiten innerhalb bestehender gegenöffentlicher Musikszenen dar. Halberstam verdeutlicht dies am Beispiel der queeren Hip-Hop Gruppe Deep­ dickollective, die einerseits im Rahmen queerer Kulturproduktion betrachtet werden kann, andererseits aber auch Teil nicht (nur) queerer Hip-Hop-Musikszenen ist (Halberstam, 2005). Dabei geschieht die kommunikative Verhandlung subjektiver Positionen nicht nur zwischen einzelnen Szenemitgliedern, sondern im größeren Maßstab auch zwischen partikularen Szenen. „[T]hey draw on […] a wide range of cultural forms and styles, thus connecting them within existing scenes and forms of culture-making […]“ (Taylor, 2012, S. 61). Untereinander teilen queere Szeneräume einen amorphen, mit anderen Szenen verwobenen Charakter. Sie äußern sich subterran innerhalb größerer szenischer Geographien und sind daher schwer greifbar. Gleichzeitig sind sie untereinander translokal und zum Teil global vernetzt. Die Grenzen besagter szenischer Geographien dienen der Konstruktion von Schutzräumen, sind aber auch als durchlässig begreifbar. Sie sind fluid, sowohl aufgrund sich wandelnder städtischer Umfelder, als auch auf ästhetischer Ebene. Einen einheitlichen Codex queerer Musikästhetik gibt es, im Sinne des Wortes queer, nicht. Vielmehr ist, so Taylor (2012) der Mangel an szenischer Geschlossenheit mit einer großen Bandbreite an Stilrichtungen bezeichnend für queer kodierte Szenen in ihrer amorphen, fluiden Diversität.

Break   Personally, it gives me amazing joy. What I most love about it is the feeling of sharing something with the crowd, sharing the passion for the music and feeling the atmo­ sphere and vibe. When dancing, I feel my whole body filled with happiness and even though I don’t take drugs or drink alcohol, I still feel a sense of addiction to it. (Interview, Rumpi) I use the cultural apparatus at my disposal to find my friends/lovers, heal my relationship to my body, express love, transcend cultural maps and models, and connect with the mysterious Other (the „Motherbeat“ as I call her). (Interview, Eris)

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Build Up

2.1 Can You Feel It – Körper und Leib im technoiden Erfahrungsraum Zwischen Raumkonstitution und Musiktechnologie besteht in Technoszenen ein direkter Zusammenhang. Jens Gerrit Papenburg beschreibt, wie seit den Discotheken der siebziger Jahre die sich immer weiterentwickelnden Soundsysteme die Tanzfläche als „immersiven Hör- oder vielmehr Wahrnehmungsraum“ (Papenburg, 2016, S. 203) gestalteten. Eine Entwicklung, die bis heute anhält und sich in hoch spezialisierten Musikanlagen äußert, die besondere Ansprüche an die Räumlichkeiten von Clubs stellen (Denk, 2017, groove.de). Daher ist eine Annäherung an diese Räume über die Musik notwendig. Mark J. Butler konstatiert hierzu: „Although scholars […] have often found grounding in the concreteness of song lyrics, EDM allows no such comforts, for most of its genres contain no consistent verbal component. Lacking any text in which meaning might reside, […] electronic dance music can seem like the ne plus ultra of music’s abstractness“ (Butler, 2006, S. 11, Hervorhebung im Original). Barbara Volkwein (2016) vertritt in der Annäherung an Technoszenen daher einen ganzheitlich werkanalytischen Ansatz, der die situative Interpretation im Club als besonders wichtig herausstellt. Ihre Analysemethode umfasst daher deskriptive Höranalyse, Produktionsanalyse unter Einbezug der Intention seitens der Künstler*innen, Notationsanalyse5 und teilnehmendes Hören (Volkwein, 2016). Daraus ergibt sich eine flexible Methodik der Analyse und Interpretation von Techno unter Einbezug der sinnlichen Erfahrung der Musik selbst. In der Betrachtung technoider Musik kommt dem sinnlichen Erleben im Moment der Aufführung also eine besondere Bedeutung zu. Der Club ist ein Erfahrungsraum für die besondere Taktilität, die die Klangwelt technoider Musik ausmacht. „Die Berghain-Heterotopie scheint […] nicht primär über die Parameter des Sehens gesteuert […], sondern [bezieht] den Großteil seiner Macht aus dem Hören […]. Anders ausgedrückt: […] bestimmte Gefüge des Auges [werden] deterritorialisiert, um sie im Ohr zu reterritorialisieren“ (Henschel, 2015, S. 5). Robert Henschel beschreibt, dass der Pegel und die Tatsache, dass sich das Klanggeschehen teils in fühl-, statt in hörbaren Frequenzen abspielt, zu einem Gefühl der Desorientierung beiträgt. Die Beschaffenheit des Klangraumes überlagere die visuelle Orientierung, „der ‚visual space‘ unseres All5 In Ermangelung klassischer Notation in elektronischen Tanzmusiken fasst Volkwein hierunter Spektralanalysen als objektive Darstellungsweisen struktureller, rhythmischer und klanglicher Eigenschaften, wie Klangdichte, Pegel, Frequenzbereich u. a., sowie die Betrachtung von Midi Files und Arrangements der Sequenzer.

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tags weicht dem ‚auditory space‘ der Heterotopie“ (ebd., S. 6). Die Gestaltung des Clubraumes, die Lichtkonzept und Videoinstallationen unter dem Dirigat einer gemixten, repetitiven Musik mit einbezieht, trägt zu dieser Desorientierung maßgeblich bei (Klein, 1999). Sie erzeugt mit der Musik synchronisierte, rhythmisierte Bilder, deren Wahrnehmung nicht „in Beobachter[*innen]pose“ (ebd.), sondern in körperlicher Aktivität, tanzend geschieht. Die visuelle Inszenierung befördert die sinnliche Wahrnehmung und eine Veränderung des Erlebens von Raum und Zeit. Hinzu kommt, dass der sonisch konstituierte Raum mit jedem Klang neu entsteht. Neben der räumlichen Orientierung wird so auch die zeitliche Orientierung in Clubs anderen Parametern unterstellt. „Zeitliche Kontinuität – die Möglichkeitsbedingung für Historizität und Gedächtnis – bricht zugunsten einer radikalen Parallelität des Momentanen“ (Henschel, 2015, S. 5). Einfluss darauf hat sicherlich auch die extensive Dauer von Clubveranstaltungen, zu Zeiten, die jenseits konservativer Tag-Nacht Binarität liegen. Auch eine zeitliche Orientierung an einzelnen Musikstücken ist nur bedingt möglich. Die Übergänge zwischen den Tracks werden von den DJ*s mitunter so gestaltet, dass sie die Tracks ineinander blenden und dem Publikum das Gefühl eines kontinuierlichen Laufes der Musik vermitteln (Butler, 2006). Diese raum-zeitlichen Voraussetzungen machen aus Technoclubs besondere heterotope Räume, die gewohnte Wahrnehmungsweisen in Frage stellen und ihren Teilnehmer*innen alternative Erfahrungswelten eröffnen können. Der Tanz ist in diesem Umfeld nicht der Musik untergeordnet sondern es entsteht „ein Verhältnis, wechselseitiger Abhängigkeit zwischen DJ[*] und Tanzenden“ (Klein, 1999, S. 180). Technoide Clubszenen bereiten mit Partys einen Raum für ästhetische, tanzende Vergemeinschaftung und Selbsterfahrung, „in der die Kommunikation im wesentlichen [sic !] über die Körper erfolgt“ (ebd., S. 181). Die tanzende Rezeption von Techno im Club wird zu einem vergemeinschaftenden Ritual der körperlichen Kommunikation, der Körper selbst ist nicht länger nur Medium der Selbstinszenierung, er wird zum Mittelpunkt des Erlebens (Klein, 1999). Gabriele Klein skizziert, wie sich ekstatisches Körpererleben im Club aus Tanz, der Spannung der rhythmischen Musik und dem Verhältnis von Raum und Körper ergeben. „Der Objektcharakter des Körpers, also die für den zivilisatorischen Habitus charakteristische Kontrolle des Körpers durch das vernunftgeleitete Ich löst sich im Tanz auf “ (ebd., S. 186). Musik fungiert dabei als Werkzeug, um die Wahrnehmung des Körpers zu verändern. Rhythmische Tracks, mit einem Wechsel aus Repetition und Abwechslung, melodiöser Spannung und Auflösung vermögen die Motivation von Tanzenden über Ermüdungserscheinungen hinaus zu beflügeln und die eigene Körperlichkeit neu wahrzunehmen (DeNora, 2000). Diesen Körperbezug im Erfahrungsraum des Clubs beschreibt Henschel als das „303-Werden des Magens“ (Henschel, 2015, S. 8). Die Musik wirke hier auf besondere Weise körperlich. „Was wir fühlen sind nicht lediglich die

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Schwingungsmuster resonierender Organe, sondern deren Effekt […] oder genauer gesagt die Kräfte, die durch den Körper des Klangs hindurch auf den unsrigen wirken, um ihn zu deformieren“ (Henschel, 2015, S. 8). Es geschehe eine Gewichtsverlagerung von alltäglichen gewohnten Seh- und Wahrnehmungsweisen (das Auge zur Orientierung, der Verstand als Signifikant für Empfundenes) zu einem ungewohnten Modus der Empfindung (z. B. die oben angesprochene Reterritorialisierung der Orientierung im gehörten Klangraum) und damit eine Verschiebung der Hierarchie zwischen rationaler Wahrnehmung und empfundenem Erleben (Henschel, 2015). Das körperlich-sinnliche Erleben als wichtige kulturelle Praxis der Szene entzieht sich einem sprachbezogenen und auf Rationalität begründeten Verständnis von Kommunikation und Sinnstiftung. Gabriele Klein stellt fest, dass der Tanz vor allem der Erfahrung der eigenen Physis dient: „In dieser […] Grenzerfahrung […] leben die Raver[*innen] die Rückforderung des eigenen Körpers gegen […] Praktiken der Körperbeherrschung und der Selbstkontrolle […]. Auch wenn die Normalisierungsgesellschaft die Lust gerade auf diese Selbstkontrolle des Körpers gelenkt hat, besteht […] eine Sehnsucht nach dem Verlust dieser Kontrolle, und der wird im Tanzen als kathartisch erlebt“ (Klein, 1999, S. 186). Wenn diesen Körperpraktiken eine zutiefst innerliche Erfahrungsdimension zu eigen ist, erscheint es sinnvoll, sie gesondert vom Außenblick auf den Körper zu betrachten (Stock­meyer, 2004). Wie eingangs beschrieben, bilden Körper die diskursive Oberfläche der Auseinandersetzung des Individuums mit der Gesellschaft. Sie sind demnach in ihrer Wahrnehmung durch diesen Diskurs geformt. Leibliche Erfahrungen hingegen bezeichnen die Innenperspektive, „das Feld der psycho-physischen Erfahrung“ (Klein, 1999, S. 168). Sie entstehen unmittelbar „unabhängig davon, wie [sie] konnotiert sind oder gezeigt werden dürfen“ (Klein, 1999, S. 170). Wenn Mensch Leib und Physis als Zentren der Wahrnehmung in der technoiden Heterotopie betrachtet, lassen sich sinnliches Erleben und Sinnstiftung gemeinsam denken. „Western music has been encumbered with the paraphernalia of ‚high art‘; good music has become and has been designed as, an object on which to reflect, an object for rapt contemplation“ (DeNora, 2000, S. 157). Die technoide Perspektive entzieht sich jedoch der klassischen Dichotomie von Geist und Körper – mehr noch, sie fordert diese in Bezug auf musikalisches Erleben heraus. Begreift Mensch Technoszenen als Heterotopien, als Erlebnisräume leiblicher Selbstwahrnehmung und -wahrnehmbarmachung, so bieten sie nur bedingt Zugänge über rationalistische Ansätze und Interpretationen entlang reflektierter Zweckorientierung (Klein, 1999). Dieses Erleben von Techno, einer Musik, die keinen eindeutig codierten Text mit Bezügen und Verweisen schreibt, an dem sich Identifikation orientieren könnte, kann als eine Möglichkeit gelesen werden, aus alltäglichen Deutungsmustern auszubrechen. „Die Körperlichkeit der Musik

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resultiert daraus, dass sie sich dem Gekannt-, Gewußt-, und Begriffen-Werden tendenziell entzieht. Deshalb macht sie sich am Körper fest“ (Bonz, 2016, S. 50). Den szenespezifischen kulturellen Praktiken im Technoclub ist also die Ebene der leiblichen Erfahrung als elementarer Bestandteil inhärent. Das gemeinsame Tanzen bleibt demnach „nicht äußerlich, sondern ist immer auch inneres Erleben“ (Klein, 1999, S. 268).

Break   I started playing in bands when I was in Highschool and this eventually turned into a full-time job, and now I’m a music producer and DJ. I play gigs regularly. I grew up in the clubs and bars where I played and DJ’d so I suppose it became a big part of my personality. (Interview, Maya) I suppose it brought me into contact with a network of people that I wasn’t previously mixing with. A lot of other outcasts and misfits. Clubs are places where being broadly abnormal can coexist with generating income, so I find other people who are somewhat on the fringes there. I feel lucky to count so many beautiful queers as my friends and this in part due to my work in club culture. (Interview, Adrienne)

2.2 Sozialraum Club – Wo und wann und wer ist Techno Technoide Clubszenen sind vor allem urbane Szenen. Städte verbinden als Sammel- und Knotenpunkte einer globalen Gesellschaft unterschiedliche Lebensentwürfe. Clubs können im urbanen Raum Orte der Begegnung und Vergemeinschaftung jenseits tradierter, heteronormativer Lebensweisen wie Nachbar*innenschaft und (Geburts-)Familie darstellen (Friedrich, 2010). Malte Friedrich stellt fest, dass Nachtclubs in ihrer Geschichte immer wieder „den Ausgegrenzten Möglichkeiten [boten, Anm. d. V.], sozialen Anschluss zu finden […] und so dem Problem der Fremdheit und der schwierigen sozialen Situation, in der sich die meisten von ihnen befanden […] zu entkommen“ (ebd., S. 34). Anhand von szenespezifischen Inszenierungsstrategien lässt sich ausmachen, wie sich Szenen voneinander und von der städtischen Öffentlichkeit abgrenzen. In Clubs ist daher zu beobachten, wer über das notwendige Wissen um Veranstaltungsorte, aktuelle Styles und Verhaltenscodizes verfügt, um sich als ernstzunehmendes Mitglied der Gemeinschaft zu inszenieren. „Die Trennung einzelner Gruppen in den Clubs ist ambivalent. Zum einen bietet sie die Möglichkeit Gleichgesinnte zu treffen, zum anderen bestätigt und tradiert die Trennung bestehende soziale Differenzen“ (Friedrich, 2010, S. 200). Robert Henschel nennt Sven Mar-

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quardt, den Türsteher des prominenten Berliner Clubs Berghain, und seine mystifizierten Kriterien der Selektion an der Clubtür als exemplarisches Beispiel für derartige distinktive Mechanismen (Henschel, 2015). Diesem Ausschluss kommt, wie bereits bezüglich queerer Szenegeographien beschrieben, neben einer möglichen Hierarchisierung auch die Funktion des Selbstschutzes der Szeneräume vor Außenstehenden zu. Ein Abschluss der Szene nach außen ist für eine mögliche Konstitution eben jener als Schutzraum also durchaus von Bedeutung. Neben der Betonung des Ausschlusses durch distinktive Strategien, als Schutzmechanismus ist auch die Diversität clubspezifischer Organisationsstrukturen einzubeziehen. Exemplarisch seien hier drei Beispiele erwähnt, die von Organisationsstrukturen zeugen, die den Schutz der Szeneteilnehmer*innen sicherstellen. Das Vermächtnis des Lick Club (Vancouver) zeigt, wie wirkmächtig progressive Ansätze in der Organisation von Clubszenen sein können. Das Lick prägte die kanadische DJ*Szene nachhaltig und bot für queeres Publikum von 2003 bis 2011 einen sicheren Anlaufpunkt. „[A]lthough female DJ[*]s are becoming more common in Canadian nightclubs and festivals, networks such as the one fostered by Lick are still significantly important to the careers of DJ[*]s whose identities do not afford them access to the ‚boys‘ club(s)“ (Hancock, 2017, S. 74). Das Leipziger Institut fuer Zukunft ist mit seiner kollektiv organisierten Belegschaft fest in lokalen antifaschistischen Strukturen verwurzelt und vertritt das Konzept des Safer Clubbing (Institut fuer Zukunft, 2014). Dieses bezieht sich vor allem auf die Ablehnung von Sexismus, Rassismus, Misogynie, Queerfeindlichkeit und auf ausgewogene Line-Ups unter Maßgabe der Repräsentation marginalisierter Minderheiten. Weiterhin herrscht zum Schutz der Privatsphäre der Gäste in den Räumen des Clubs ein Fotoverbot. Das Selbstverständnis des Berliner Clubs Mensch Meier lautet: Wir sind ein Kollektiv. Basisdemokratisch und solidarisch. Wir sind das Mensch Meier. Und ihr seid es auch, wenn ihr da seid. Wir wollen einen Raum erschaffen, in dem wir unsere Beziehungen selbstbestimmt formen. Das ist im Kapitalismus, im Patriarchat, leider kein erreichbares Ziel. Aber wir haben einfach schon mal angefangen, uns dieses Ziel als Weg formuliert. Für unsere Zukunft. In einem Raum für Inspiration, Intervention und Bewegung. KulturKunstPartyPolitik [sic !]. Mit den Mitteln der Kritik und den Waffen der Kunst unordentlich Theater machen (Mensch Meier, 2015).

Diese Beispiele zeigen, wie Szeneteilnehmer*innen ihre Räume progressiv zu eigenen Bedingungen gestalten können. Durch Eigeninitiative können teilweise kollektive Strukturen – wie das Mensch Meier oder das Institut fuer Zukunft – und Bühnen der Repräsentation marginalisierter Gruppen entstehen. Zudem treten Konsument*innen und Produzent*innen in Clubs nicht selten in Personaluni-

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on auf. Die Organisationsstrukturen der Technoszenen entstehen häufig aus den Szenen selbst heraus. In Eigeninitiative werden ungenutzte Immobilien, wie Keller oder ehemalige Industrieanlagen angeeignet und nach den spezifischen Anforderungen der Clubkonzepte umgenutzt, modifiziert und mit improvisierten oder gebrauchten Materialien ausgebaut und gestaltet (Kühn, 2017, S. 172). Do it your self und die Einbindung der Teilnehmer*innen als aktive Produzent*innen nicht nur des Geschehens in den szenischen Räumen sondern auch in der Schaffung der selbigen können, wie Nina Schuster bemerkt, Grundlagen der Bindung an eine Szene als soziale Umgebung sein (Schuster, 2010). Es ist „[t]ypisch für die Clubdiscotheken der Szenekultur […], dass sie von Szeneteilnehmenden betrieben werden“ (Kühn, 2017, S. 171). Und in der Tat lässt sich ein Bestreben der Produzent*innen beobachten, die Szeneräume nicht nur als temporäre eskapistische Fluchtorte wahrzunehmen. Eine Gemeinschaft in der Clubszene dauerhaft zu etablieren und konkrete alternative Lebensentwürfe innerhalb der Heterotopie zu ermöglichen, spielt eine signifikante Rolle für Szeneteilnehmer*innen. „Trotz enorm prekärer Reproduktionsweise ist der Gegenwert dieser Konsequenzen eine sinnstiftende Arbeits- und Erlebniswelt, die von den Szeneakteurinnen gegenüber klassischen Arbeitsverhältnissen präferiert wird, da Selbstverwirklichung und Auskommen kombiniert“ (Kühn, 2017, S. 259). Auch Halberstam (2005) geht darauf ein, wie kurz aktive Teilhabe an den Szenen bei mangelnder finanzieller Entlohnung sein kann. Die aktive Teilhabe an den Szenen kann bei mangelnder finanzieller Entlohnung äußerst kurzlebig ausfallen (Halberstam, 2005). Die Szenemacher*innen sind daher aktiv bestrebt eigene Verdienstmöglichkeiten und dazugehörige Infrastrukturen innerhalb der Szene zu schaffen und damit die dauerhafte Zugehörigkeit und das Bestehen der Szene und ihrer Räume zu sichern. Clubs verknüpfen demzufolge nächtliche, hedonistische Freizeitaktivitäten mit Erwerb und Lebensunterhalt. Dadurch stellen sie Räume dar, die neoliberale, kapitalistische Lebensentwürfe entlang optimaler wirtschaftlicher Produktivität und familiärer Reproduktionsfähigkeit queeren. Die Dichotomie von Nacht als Ruhezeit und Tag als Zeit der Erwerbstätigkeit und Familienfürsorge ist in derart gestalteten Szenen nicht vorhanden. Die Techno-Heterotopie offeriert also eine aktive Dekonstruktion des tradierten Narratives von Ende des Jugendalters und dessen Abhängigkeiten mit einem klaren Übergang in ein erwachsenes Leben, das durch erwerbsbedingte und familiäre Verantwortungen strukturiert ist. Anhand der Verschiebung traditioneller, durch Lebensalter bestimmter Grenzen zeichne, so Gabriele Klein, die soziologische Debatte einen Wandel des Begriffs Jugend (Klein, 1999). Technoclubs eröffnen eine Zeitlichkeit, die sich abseits konventioneller Tag-Nacht-Ordnung und zumindest teilweise jenseits Generationen abhängiger Distinktionen bewegt. Dies ermöglicht eine Infragestellung tradierter Lebensentwürfe innerhalb der Heterotopie Club.

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Break   Wenn mich Leute fragen, sage ich immer I came out in the club. Ich würde behaupten, durch das DJ*ing und die Auftritte vorher habe ich ganz viel unbewusst verarbeitet, bevor Ich mir selbst eingestanden habe, trans* zu sein. Außerdem hilft Feiern echt gut gegen dysphorische Phasen. Wenn mich ein DJ*Set kriegt und ich mich in der Musik fallen lassen kann, fühle ich mich sicher und aufgehoben mit mir und meinem Körper. (Erinnerungsprotokoll der Autorin*) It broke down the walls of rationalism which infect the global culture at large. I was able to find people like me. I was exposed to psychedelics, which I used to see myself. I was able to experience first-hand that music contains a profound mystery. A true mystery – a codex that we cannot translate but which can we use to heal ourselves, express ourselves and grow stronger. (Interview, Eris)

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Climax

Technoide Clubszenen bieten eine spezielle Art der Vergemeinschaftung. Die Szeneaktivitäten stellen sowohl eine eskapistische, als auch für aktive Szeneteilnehmer*innen dauerhafte Alternative dar, zu cis-heteronormativ geprägten Alltagssituationen. Der Eintritt in die Gegenöffentlichkeit des Clubs erlaubt eine Flucht in einen geschützten Raum. Dieser Raum ermöglicht die aktive Teilhabe an und Gestaltung von Szenestrukturen, die die Verwirklichung nicht-heteronormativer Lebensentwürfe erlaubt. In Eigeninitiative schaffen sich Szeneakteur*innen die Räume und Möglichkeiten für ein längerfristiges Leben in der Szene selbst. Technoide Heterotopien weisen distinktive Mechanismen auf, wie Ausschlusskriterien an der Clubtür oder Fotoverbote in den Clubs. Diese können für queere Szenen produktiv wirken, indem sie Clubs als teilexklusive Schutzräume konstituieren. Eine regelmäßige Teilnahme an diesen Szenen kann demnach als „queer life [mode, Anm. d. V.], that offer[s] alternatives to family time and family life“ (Halberstam, 2005, S. 152) verstanden werden. Halberstam beschreibt dieses Phänomen als ausgedehntes Jugendalter queerer Kulturschaffender, das konventionelle Grenzziehungen zwischen Sub- und Jugendkulturen verunklart und binäre Lebensentwürfe, mit ihrer klaren Trennung zwischen Jugend und Erwachsenenalter herausfordert (ebd.). Zudem gelten linke und queerfeministisch inspirierte Motivationen, wie Safer Clubbing selten einer wie auch immer gearteten Elterngeneration. Diese Kämpfe richten sich nach wie vor gegen eine ganzheitlich opressive, heteronormative Gesellschaftsordnung, die sich schwerlich in Generationen fest-

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machen lässt. Dadurch sind Technoszenen in der Lage eine hohe Anziehungskraft für queere Individuen herzustellen. Die charakteristischen Eigenschaften von Technotracks beschreiben eine Musik die sich im Wortsinn in der Tat als queer auffassen ließe. Techno als Strukturprinzip formuliert keinen subkulturellen Codex traditionalistischer Narrative. „Techno ist […] nicht Teil eines subkulturellen Ganzen, dessen musikalischer Arm ohne den Rest unverständlich bliebe“ (Goldmann, 2016, S. 169). In anderen Worten ausgedrückt, Techno, als musikalische Blaupause begriffen, bietet das Potential sich in individuelle, lokale Szenen einzupassen, diese zu prägen und ihre jeweiligen Einflüsse aufzugreifen. Johannes Ismaiel-Wendt beschreibt Tracks als facettenreiche intertextuelle Gebilde, deren musikalische Ursprünge vielfältig lokalisierbar sind (Ismaiel-Wendt, 2013). Tracks können als eine Projektionsfläche vielschichtiger, fluider Identifikationen betrachtet werden. Sie schreiben die Geschichten ihrer Ursprünge auf anachronistische Weise immer wieder neu und erlauben, vereinfachten Weltsichten zu entkommen. „The special and dynamic narrative strategy of the track [is] a clearly audible mode of construction, in which multiple worlds, performative spaces or acoustic atmospheres become possible“ (ebd., 2013, S. 98). Technotracks und ihre textlosen Texte als Nicht-Festlegung bilden einen musikalischen Rahmen, der seine beteiligten Elemente erst im Moment der Aufführung erfahrbar und damit lesbar macht. Szenemitgliedern wird ein Erfahrungsraum geboten der rationalistische Weltauffassungen herausfordert. Techno lässt sich leiblich erleben und eröffnet damit einen besonderen Modus der (Selbst-)Wahrnehmung und -wahrnehmbarmachung. Der Tanz im Club kanalisiert und evoziert leibliche Empfindungen, die als sinnstiftend erlebt werden können. Zugleich ist der Tanz in der Menge der Clubbesucher*innen ein Weg, dieses Empfinden kommunizierbar zu machen. Andererseits bietet die Menge der Clubbesucher*innen eben auch eine Sicherheit mit intimen Selbsterfahrungen. Die Inszenierung der tanzenden Körper stellt laut Gabriele Klein ein Spiel mit geschlechtlicher und sexueller Selbstinszenierung dar (Klein, 1999). Darin liegt vor allem eine Möglichkeit, das eigene Verhältnis zu Sexualität und Geschlechtlichkeit zu erkunden. An der Stelle ergibt sich eine Parallele zu einer jüngeren Untersuchung aus der Queer- und Geschlechterforschung. In einer Untersuchung von trans*Personen in der Drag King Szene6 umreißt die Sozialwissenschaftlerin Uta Schirmer das Potential selbstbestimmter Gender Expression in Form kultureller 6 „Drag Kings sind meist Personen, die als Frauen sozialisiert wurden, aber mit der […] Geschlechtszuweisung Frau aus unterschiedlichsten Gründen nicht zurechtkommen, bzw. spielerisch die Grenzen der Zweigeschlechtlichkeit ausloten, zum Teil im Alltag, zum Teil im geschützten Bereich der Szene und teilweise auch auf der Bühne. Indem sie Männlichkeit darstellen, konfrontieren sie ihre Umwelt mit der Konstruiertheit von Geschlecht.“ (Schuster, 2010, S. 15).

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Praktiken. Sie hebt den Stellenwert der Selbstbestimmung im Zusammenhang mit nicht-binären trans*Identifikationen hervor (Schirmer, 2014). Drag Kinging lasse das „Ausloten unterschiedlicher geschlechtlicher Darstellungs- und Erfahrungsmöglichkeiten“ (Schirmer, 2014, S. 176) zu, ohne extern aufgezwungene Kategorisierungen bestätigen zu müssen. Schirmer bemerkt, dass die Drag-Praxis für ihre Teilnehmer*innen leiblich erfahrbare, spürbare Möglichkeiten produziert, die eigene Geschlechtlichkeit auszuloten, wahrzunehmen und für andere wahrnehmbar zu machen. Interviews mit Akteur*innen der Szene verdeutlichen die immense Bedeutung des spielerischen Umganges mit gegenderter Expression auf der Bühne für die autonome Formung eines Bewusstseins der eigenen Geschlechtlichkeit. Schirmer beobachtet eine „Verleiblichung“ (Schirmer, 2014, S. 177) von körperlichen Stilen und damit die Bewusstwerdung subjektiver Geschlechtlichkeit über diese leibliche Erfahrung. Die affirmative leibliche Erfahrung wird zum Mittel der Bewusstwerdung subjektiver queergeschlechtlicher Identität. Leibliche Erfahrung kann als Werkzeug verstanden werden, die subjektive Auffassung der eige­ nen Geschlechtlichkeit jenseits binärer Schemata zu ergründen. Die Auflösung des rationalen Paradigmas der cis-heteronormativen Öffentlichkeit in einer Erfahrungswelt des Leiblichen erlaubt einen besonderen Zugang zu körperlichen Erfahrungen. Der musikalisch geprägte Erfahrungsraum Club vermag diese leibliche Erfahrbarkeit zu verstärken. „Tuning in to music also involves a kind of identification, a recognition, at a sympathetic and embodied level of the various shapes and textures of ‚happening‘, of […] the body in music […]. Perhaps music has the capacity to be socially powerful as a resource for agency […], should we latch on to it“ (DeNora, 2000, S. 161). Mit dem durch die leibliche (Selbst-)Erfahrung geschaffenen Bewusstsein wird trans*Geschlechtichkeit auf eine Weise wahrnehmbar, die jenseits des gesellschaftlich etablierten, rechtlich und diagnostisch beeinflussten Diskurses ansetzt. Die Definition über den gesellschaftlich konnotierten Körper, der mit dem Selbst in Dissonanz gerät – also die Definition über Dysphorie – kann diese Erfahrung nicht fassen. Denn diese Erfahrung erfolgt, wie Schirmer es beschreibt, nicht über das Erleben dessen, was in Dissonanz mit dem Selbst steht; sondern in der Bewusstwerdung und der Betonung dessen, was in leiblichem Erleben als richtig empfunden wird (Schirmer, 2014). Entgegen der Genderdysphorie steht die so erlebte Gendereuphorie, „[e]xtreme happiness, or comfortability, experienced because a persons’s gender is being affirmed“ (Hardell, 2016, S. 9), über die Queergeschlechtlichkeit erfahrbar, statt diagnostizierbar wird. Technoide Clubszenen beziehen ihr Potential aus der Kombination ihrer musikalischen Rahmung, ihrer raum-zeitlichen Beschaffenheit und der leiblichen Erfahrung von Musik, die darin ermöglicht wird. Diese Gesamtheit kann eine queere Heterotopie produzieren, die das imaginative Potential, das Musik innewohnt, verstärkt. In Clubs besteht die Möglichkeit, über ein Bewusstsein der eige-

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nen performativen Identifikation eine kritische, selbstbestimmte Auseinandersetzung mit alltäglichen Erfahrungsräumen in Gang zu setzen. „Genau aus diesem Grund sind die Musikszenen so intensiv mit der Aneignung und Umdefinition von [R]äumen beschäftigt. Sie leisten damit einen Beitrag zur urbanen Kultur, in der sich Imagination und Praxis in der Erschaffung von Orten kontinuierlich überlagern und vermischen“ (Friedrich, 2010. S. 299). Technoszenen erlauben einen einzigartigen Zugang zu queerem World-Making (Taylor, 2012), durch ihre kollektiven Praktiken mit denen subjektive Expression geschlechtlicher und sexueller Diversität geleistet werden können. Im Rahmen ihrer Strukturen findet die Schaffung utopischer Räume der Selbstbestimmung, Selbstbezeichnung und Selbsterfahrung statt. „If we accept music as a […] tool that we can employ to build new worlds for ourselves […], then the promise and momentum provided by music appear vital in the pursuit for queerness. […] As technology for identity-formation and an operative mode of expression, music has been a tireless and faithful servant to queerness“ (Taylor, 2012, S. 214). In der sozialen Teilhabe und Produktion kultureller, musikbezogener Praktiken verhelfen technoide Heterotopien der Imagination queerer Utopie zu einer Formulierung im realen, gegenöffentlichen Raum, der dadurch eine reflexive, auf leibliche Erfahrung begründete Kritik an einem Hier und Jetzt hervorbringen kann – zumindest für eine Party, zumindest für eine abgesteckte Gemeinschaft in selbstbestimmt gezogenen Grenzen.

Break   I find more of my people in club culture than anywhere else. But fostering diversity in the scene is going to be a lifelong fight. Many events are expensive, accessible to few, predominantly white, and overwhelmingly cis. (Interview, Eris) Ich denke, Technoclubs können Plattformen und Safe Spaces für queere Repräsentation sein. Klar, die flirtenden cis Männer gibt’s auch auf der Tanzfläche, aber meiner Erfahrung nach ist der Umgang im Vergleich zu dem, was ich täglich auf offener Straße erlebe weit weniger aggressiv. Für mich persönlich ist es wichtig, die Möglichkeit, die ich mit meinem Coming Out im Club erlebt habe, anderen ebenfalls zu ermöglichen. Und Netzwerke, wie female:pressure sind ziemlich hilfreich dabei. (Erinnerungsprotokoll der Autorin*) I have been in places where I didn’t feel comfortable – especially because I often go out alone and I do not enjoy being objectified. Most of my clubbing experiences have been positive but in general I find it pretty cis man dominated, especially as a DJ. (Inter­ view, Maya)

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Sometimes I feel irritation when a given space is broadly limited to people by virtue of income or when the organizers and DJs all seem to be white-presenting. Almost always I am saddened that the technical/production side of club nights is limited to male-presenting people. I am also really impressed by events that challenge these homogeneities, spaces like Rooms for Resistance for instance, or events organized by Your Mom’s Agency. Neither create utopia, but both divert energy to ensuring that the space is not controlled by white, male presenting people. (Interview, Adrienne)

Outro – Offene Enden, mögliche Transitionen Die Strukturen technoider Szenen bieten Möglichkeiten, die die Gemeinschaftsbildung queerer Menschen begünstigen. Viele Szenen erlauben eine selbstbestimmte, gegenöffentliche Organisation ihrer Strukturen seitens der Szenemitglieder und damit die Realisierung alternativer Lebensentwürfe, abseits eines cis-heteronormativen Alltagsraums. Diese Grenzen sind jedoch nicht undurchlässig und einzelne Szenen sind untereinander verknüpft. Somit ermöglichen teilexklusive Szenegeographien queere Repräsentation in einem geschützten Umfeld, das – zumindest teilweise – auch von nicht-queeren Individuen betreten werden kann. Im vernetzten Charakter der Technoszenen, die queere und nicht-queere Räume gleichermaßen besetzen, aber auch in der Schnittmenge mit anderen Musikszenen, liegt ein weiteres diskursives Potential. Im Gegensatz zu queerer Repräsentation im öffentlichen Raum, formuliert der gegenöffentliche Szeneraum seine eigenen, selbstbestimmten Darstellungsweisen. Clubs, als Heterotopien verstanden, eröffnen einen Wahrnehmungsmodus, der auf leiblichen Erfahrungen szenespezifischer Praktiken beruht. Das Erleben von Musik, Tanz, Gemeinschaft und technoider Raum-Zeit birgt selbstermächtigendes Potential für subjektive Identifikation. Trans*Geschlechtlichkeit über leibliches Erleben, statt über gesellschaftliche Körpercodierung zu erfahren gehört zu den wichtigsten dieser Potentiale. Die hier vorgestellte Argumentation als eine Beschreibung zu lesen, nach der Technoszenen gleich queere Musikszenen seien, greift meines Erachtens zu kurz. Misogynie, soziale Distinktion, Kapitalismus, Queerfeindlichkeit, Rassismus, Ableismus, Homonormativität – das alles sind reale Probleme in technoiden Clubszenen, die hier nicht beleuchtet werden konnten, die allerdings fundamental wichtige Faktoren darstellen, die in einer weiteren Untersuchung mithilfe des hier formulierten Ansatzes bedacht werden müssen. Die beschriebenen Möglichkeiten dieser Szenen sind genau das – Möglichkeiten. Sie machen deutlich, welche Verantwortung den Produzent*innen technoider Szenen zukommt, diese Potentiale zu ergründen und zu erhalten. Dabei handelt es sich auch um eine Analyse, die

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vielleicht die Sensibilität für bestehende Probleme verstärkt. „Es gibt eine Lücke zwischen der Utopie von Dance Music und der Wirklichkeit. […] Meine Hoffnung ist, dass wir Dance Music neu erfinden können, ohne dieser falschen Mythologie unserer Ursprungsgeschichte zu erliegen. […] Um das zu tun, müssen wir die systemischen Probleme bekämpfen. Denn sie erfordern eine systemische Lösung“ (Aha, Hofmann, Waltz, 2017), so The Black Madonna im Interview mit dem Groove Magazin. Initiativen, wie female:pressure oder Reclaim Club Culture zeigen, dass in den Szenen Bewegung herrscht und die Debatte aktiv geführt wird. Sie zeigen aber auch, dass diese Debatte nach wie vor notwendig ist und dass es nicht nur um Line-Ups, Künstler*innen und Organisator*innen geht, sondern dass in einer vielfältigen Musikszene allen Beteiligten, vom Publikum bis zum Türpersonal eine Verantwortung für die Ausgestaltung der Szene zukommt. Über szenespezifische Diskurse hinaus, stellt die Perspektive dieses Textes weiterhin einen wichtigen Ansatz dar, der die fundamentale Rolle betonen soll, die Selbstbestimmung und Selbstermächtigung für queere Lebensweisen spielen. Dieser Text denkt Geschlechtlichkeit als fluiden Prozess leiblicher Erkenntnis intrinsischen, verkörperten Wissens. Als solche kann sie in der gesellschaftlich akzeptierten, binären und rationalistischen Auffassung nicht hinlänglich begriffen werden. Geschlechtlichkeit stattdessen losgelöst vom rationalen Diktat zu denken bedeutet, sie als leiblich erlebbar zu definieren. Gerade jetzt, da sich unter anderem mit dem Gesetz zur dritten Option die diskursive Wahrnehmung von Geschlechtlichkeit in unserer Gesellschaft zu verändern beginnt, erscheint es mir wichtig, individuelle Lesarten und Aneignungsweisen geschlechtlicher Identifikation zu betrachten. Nicht, um neoliberale, kapitalistische Narrative der Individualisierung zu unterfüttern, sondern mehr im Hinblick auf eine progressivere Wahrnehmung der Diversität von Begriffen der Geschlechtlichkeit. Über die Auseinandersetzung mit den Erfahrungsweisen technoider Heterotopien habe ich einen Ansatz dazu ergründet, der Queeregeschlechtlichkeiten vom entmündigenden Diktat diagnostischer und rechtlicher Parameter löst, die derzeit nur bedingt auf die Bedarfe derjenigen eingehen, für die sie geschaffen sein sollten. Es ist ein Ansatz, der sich aus einer persönlichen Perspektive ergibt. Dadurch mag er nicht für alle Betreffenden gültig sein. Er steht jedoch für die signifikante Bedeutung queerer Perspektiven in der Debatte über queere Lebenswirklichkeiten. Eine Debatte, der aufgrund asymmetrisch verteilter Deutungshoheiten in unserer derzeitigen Gesellschaft in weiten Teilen die Sensibilität für diese Perspektiven fehlt. Many queer people will never step foot in a nightclub. But for millions of us, the club is still where we go to find others like us. To find our loves. To make our art. To dance together and make ourselves better. (Interview, Eris)

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Queering Miku Cyberfeminism and the Art of Queering a Virtual Pop Star Mari Matsutoya



Abstract   Through the lens of Japanese popular culture and taking a recent collaborative project endeavour as a starting point, the paper looks at the possible reasons behind the difficulties Japan faces in the implementation of a global wave of feminism and offers ways in which popular culture could be subverted to this cause.



Keywords   Japanese, popular music, feminism, Hatsune Miku, Creative Commons Licensing

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Introduction 朝目が覚めて 真っ先に思い浮かぶ 君のこと

I wake up in the morning And think instantly About you (メルトMelt/Supercell, 2008)

As the morning light gently glimmers through the curtains, a soft voice coaxes a pale, gaunt-looking businessman that it is time to get up. She tells him that it will be mostly sunny today with intermittent cloud and rain, advising him to take an © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Ahlers et al. (Hrsg.), Musik & Empowerment, Jahrbuch für Musikwirtschafts- und Musikkulturforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29706-0_7

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umbrella. He drags his tired feet out from his bed, into his slippers and brushes his teeth. The last few days at work had been turbulent. There is a lot of work on, but somehow, she helps him to see it through. She texts him during the day to see how he is doing, saying I miss you and come home soon. On his way back home, he texts to let her know that he is on his way back, and sure enough, as soon as he turns the corner to see his house, the lights turn on. He stops in his tracks and thinks to himself under a mixed sigh of relief and disbelief, how comforting it is to know that there is somebody waiting for you at home. Every evening she welcomes him back, every night she changes into her pyjamas and looks after him as he falls asleep, and every morning she wakes him up, just in time for work. He really has the best wife in the world. This is a visual description of the commercial advertisement for a new device from Gatebox Inc. which appeared on the market in 2016. It is a coffee-maker sized gadget, housing a small holographic figure with blue hair wearing an apron with a cropped top and shorts, long striped socks with a bow around her neck. Her name is Azuma Hikari, her surname in Kanji (Chinese characters) literally translate to “meet the wife”, while her name translates to “light” – the material out of which she consists. She is twenty years old, the minimum age for marriage without parental consent, and her personality is described as responsible but with a tendency to be hapless and dreamy. The designer of the device by Gatebox posits that he wanted to create the perfect wife and now, since the end of 2017, you can replace her with your favourite character, Hatsune Miku. It is in this social context that we must pin down the virtual idol for analysis. The scenario described above is relatively new in comparison to the social climate into which Hatsune Miku was born in 2007. And yet, ten years could and should have made more of a difference than it has. From the Western point of view, one cannot fail to notice the lack of critical inquiry regarding the shortness of their skirts or the impossible measurements of their figures. In Japan, on the other hand, any attempt to question the sexualisation of the female body or the mention of the fact to any fan, creator or even academic, and one is met with contempt for even entertaining this idea in a protective reaction of their idol. I will come onto the various reasons why this might be so later in the essay, however, I myself am not an academic in the area of gender studies, nor am I a student of Japanese studies, and where I therefore cannot claim to have a comprehensive overview of either field, I can only fill in with personal views and anecdotes. I also do not claim to have an answer to the question of perceived post-colonial feminism in Japan (though we cannot talk of Japan as a post-colonial country as it has never been colonized, we could perhaps talk of a cultural colonialism that took place in the modernisation period of Japan). However, I whole-heartedly recognise the importance of at least attempting to see through the lens of the Other, whichever side

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of the line one may be peering from. The project I initiated, curated and worked collaboratively on with four other artists functioned as an attestation to the various challenges that lie ahead in how we examine ourselves through assuming another identity. Whose wide, sparkly eyes reflect the technologized, demure, submissive and enduring ideal of the Japanese female body, often portrayed in busty cyborgs and fem-bots, or shy, unassuming school girls, and then their protective and inscrutable fans and creators who fingers-in-ears defend themselves and their helpless/hapless crystallisation of desire from foreign, ego-driven cultural criticism and identity politics. Notably, the voices of those for whom these dialogues have the most implication are nowhere to be heard – voices that belong to the real bodies being negotiated, the real women of Japan. The virtual idol has predecessors for instance in the cyberpunk trilogy by William Gibson in Idoru, or in Date Kyoko (pronounced Daté meaning ‘showy’), the first Japanese computer-generated idol created by the talent agency Horipuro. Although, the former is a fictive social commentary on the technologized, female, Japanese (at least by name) other while the latter is precisely the object of that commentary. It is probably fair to say that in all cases they have been products of the male gaze. However, one could argue, which real idol is not ? It should be mentioned that there are male idols in the Vocaloid series as well as in real life, but they do not compare to their female counterparts in terms of revenue. As the documentary Tokyo Idols (2017) by Kyoko Miyake shows, the huge market is largely supported by older men, some of whom have given up their jobs to become fulltime fan club members. The men seem harmless and genuinely interested in the success of their chosen idol, some describing the girls as if they were their own daughter. They are being sold dreams, and these dreams are, or seem at least to be very much attainable as they must surely get something back for what they have paid for. Their chances are not bad however, because there are said to be more than 10,000 self-professed idols in Japan. They are deliberately marketed so that they seem just within reach, so they are not cosmetically worked on like their K-pop (Korean pop) counterparts famously are. Their attention is also equally shared out to each of the fan club members who line up after their shows to shake their hand and to chat in a truly social egalitarian manner. The manager stands with a timer and lets the fans know when their time is up, rotating them around. Perhaps it is this remarkable sense of equality and sameness that renders them replaceable with a few algorithms. Zooming out onto a global technical view, the 90s saw the first glimpse of what was yet to come. The first nodes became connected and very soon, large networks of people in front of screens were talking to each other, creating the illusion of a utopian trajectory whereby social class, race, gender, sexual orientation, all the differentiations would be dissolved into the cyber dimension and forgotten.

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This was indeed a global revolution that was waiting to happen. Cyberfeminism is a branch of feminism that saw an opening in this new technical and connected world around this time, originating in Europe. The term was coined in the UK by feminist thinker and writer Sadie Plant (Zeros and Ones: Digital Women and the New Technoculture, 1998), while she taught at Warwick University at the now infamous CCRU (Cybernetic Culture Research Unit), but it has also been claimed by the Austrian artist group VNS Matrix. The latter’s Cyberfeminist Manifesto for the 21st Century (1991), Donna Haraway’s A Cyborg Manifesto (1985), and much of the artistic work that was borne out of it, created around it, or were influenced by it, share a commonality – namely their sarcastic and confrontational tone combined with an explosively explicit language. They demand the overthrow of the Big Daddy mainframe through the direct line to the clitoris, vowing to bring down the macho technological framework. The first manifestations seem dated now, and some of the demands somewhat naïve – but the regular revival of the Cyberfeminist International should keep ideas fresh and new challenges should be considered. Hatsune Miku and Cyberfeminism. On the surface, the two concepts are at odds with each other. They might even be at two opposing ends of the spectrum, and yet, they are borne out of the same feverish, euphoric aspiration to change their paradigms, and they see the chance to utilize advances in technology for their purposes. This essay will try to focus on their possible commonalities, and to tease out how they could utilize each other in their struggle for survival.

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Who is Hatsune Miku ? 僕が送る物は全て 形のない物だけど

Although everything I can give Are things that have no form (歌に形はないけれどAlthough Songs have no Form/doriko, 2009)

In answering the question of who exactly this virtual idol is, I would break down her identity into two aspects. Hatsune Miku is firstly, a voice. A singing instrument developed by Yamaha, and whose voice is based on voice-actress Saki Fujita. Just like many other instruments were synthesized in the eighties for desktop music production (DTM), this vocal equivalent would only be the latest addition to wind/string/brass instruments, drums, and any other sound groups based on real instruments normally found on a synthesiser, in order to minimize the need for an expensive studio vocalist. Secondly, she is the Creative Commons licensed image

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Hatsune Miku. This visual part is predictably where she receives the most coverage, as it is perhaps more striking as well as more complex. There are a few rules that apply to her visual image according to her creators. Her hair is of an iconic teal blue, which corresponds to the same teal tone of the Yamaha DX series, one of which she sports on her sleeve in her very first official form drawn up by artist Kei for Crypton Future Media, the Japanese sound and media company to which Miku officially belongs (Crypton, n. d.). She is also 158cm tall and weighs a rather uncomfortable 42kg and she will never grow older than 16 years of age. Rules on her distribution include not debasing her image with sexual or violent content, not using her image for political purposes, and crediting creators’ works. What differentiates her from most other cartoon animated characters is her Creative Commons licensing, which allows for the free proliferation of her image, as long as they adhere to the afore-mentioned rules. CC-BY-NC, also known as Creative Commons or Attribution Non-Commercial, is the official umbrella term her licensing would fall under, which means that as long as the original copyright holders are credited, and crucially this image is not created for the purpose of commercial business, anybody has the right to re-create her image and re-distribute it. This has largely been the secret to her success, with platforms such as DeviantArt, or Bowlroll, or Niconicodouga (the Japanese equivalent to YouTube) serving as natural proliferation platforms. Her so-called father figure, Hiroyuki Ito, also one of the founders of the company Crypton Future Media who owns the rights to the original image, describes the coincidental alignment of various different factors that fell into place for the successful third Vocaloid (there were in fact two previous models, Meiko and Kaito which were not as popular as the third), in the book, “Why Hatsune Miku Changed the World”. Its author Tomonori Shiba (2014) boldly claims that the phenomenon that gripped Japan after its release can be referred to as a third wave of the Summer of Love; the first took place in the 60s in Woodstock and the second took place in the UK rave scene in the eighties. According to Shiba, revolutionary shifts in the global music scene have a tendency to occur every twenty years. 1967 and the subsequent years came to signify the euphoric peace-loving rock and roll era that was led by the youth and artists of the time against the backdrop of the Vietnam War, coupled with the influx of LSD and marijuana. 1987 saw the influx of acid house, ecstasy and illegal raves orchestrated by the British youth in an anarchical gesture towards the end of the Thatcher years. Fast-forward another twenty years, and we have lived through the arrival of the internet, survived the millennium bug, and in Japan, the music market was experiencing an unprecedented slump in their most coveted CD sales in the midst of online sharing platforms. Shiba (2014) recounts the gloomy backdrop of the hunt for the ones “who killed the music,” which was simultaneously questioned all over the world, where

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music was being streamed and shared by the end users. CCCDs (copy controlled CDs) began to be distributed, further entrenching the mistrust between vendor and consumer. Hatsune Miku coincided with the year that Nico Nico Douga, Japan’s very own version of YouTube took off, the year Soundcloud was founded, and the year when Ustream, a live-streaming service where users could live-comment on the screen was launched. In 2007, all the points aligned and Miku began to take form, launched under a CC-BY-NC licensing. The first results showed the playful attitude with which the creators tested the software. They were obviously not meant for profit and were originally circulated amongst friends exclusively. These would include parodies or covers of existing songs, all created in the playground within the confines of the bedroom walls. These in turn would get parodied, or some other creator would put the music to different animation, and the field germinated. However, this was largely a country-wide phenomenon all be it at the beginning, and there was no equivalence of such a DTM inspired movement as such elsewhere. The only comparable phenomenon that comes to mind in Western culture is the meme, where the decoding and derivation of any meaning is heavily reliant on its cultural context and therefore very culturally specific and inscrutable for those who do not possess knowledge of that culture. A virus operates autonomously, without human intervention. It attaches itself to a host and feeds off of it, growing and spreading from host to host. Language infects us; its power derives not from its straightforward ability to communicate or persuade but rather from this infectious nature, this power of bits of language to graft itself onto other bits of language, spreading and reproducing, using human beings as hosts. The notion of the meme – coined in 1976 by Richard Dawkins to illustrate the field of memetics – crystallizes this view of the communication process. Georges Bataille similarly argued that communication was best understood from the perspective of contagion” (Attias, 2003a, paragraph 2).

Bataille sees the human and the author as a communication process through which information is passed. “If, as it appears to me, a book is communication, then the author is only a link among many readings.” (Bataille, as cited by Attias, 2003b). The above paragraph mentions another interesting thought, namely that of the loss of subjectivity to the networked concept. The dissolution of the individual ego into a place of a larger whole. This renders the artist as only a vessel through which communication happens, and in this particular case, the crystallisation of these fired and networked neurons map out and trace the figure of a teal-haired sixteen-year-old girl.

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Cyberfeminism 君にたどり着く

I finally reach you (君ガ空コソカナシケレ/HoneyWorks, 2013)

Cyberfeminism is said to be independently coined by the feminist writer Sadie Plant (1998) and the Austrian artist group VNS Matrix, the latter of which created the Cyberfeminist Manifesto for the 21st Century (1991). The movement took hold in the early nineties as technology became ubiquitous, redefinition of feminist critique was rife, and the dreams of a technological female emancipation felt within reach. According to the Encyclopaedia of New Media, “(it) has tended to include mostly younger, technologically savvy women, and those from Western, white, middle-class backgrounds” (Jones, 2002, p. 108). It must be noted that feminism in Japan has always seemed to be one or even a few steps behind Europe and America, but movements have been recorded such as the Women’s Lib(eration), though comparatively much smaller in scale, and it is also currently riding its third wave. However, it is unclear when if at all Cyberfeminism would have registered in their timeline, as there are no known artists or writers who have expressed solidarity with the movement, at least to my limited knowledge. However, the encyclopaedia goes on to say, (t)he ranks of cyberfeminists are growing, however, and along with this increase is a growing divergence of ideas about what constitutes cyberfeminist thought and action. Prior to the advent of cyberfeminism, feminist study of technology tended to examine technological developments as socially and culturally constructed. One major argument was that technology has been positioned as part of masculine culture – something that men are interested in, good at, and therefore engage in more than women. Even though women throughout history have been active in developing new technologies, feminists have argued that technology has still been looked upon as a masculine creation. For example, although women had been involved in the creation and development of the computer, their contributions were largely marginalized, and their participation often ignored or written out of history (ibid., p. 108).

While it is not within the scope of this essay to delve into and compare the two timelines of recent feminism in Japan and Cyberfeminism in the West, the exercise would be well worth revisiting, even as cyberfeminists resist the linear archiving of their material as they would rather leave them fluid and constantly changing. Art critic Yvonne Volkart described Cyberfeminism as a myth.

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A myth is a story of unidentifiable origin, or of different origins. A myth is based on a central story which is retold over and over in different variations. This characteristic makes it fit current, postmodern needs very well. A myth denies ONE history as well as ONE truth… and implies a search for truth in the spaces, in the differences between the different stories. But speaking about Cyberfeminism as a myth is not intended to mystify it, it simply to indicate that Cyberfeminism only exists in the plural (Sollfrank, n. d.).

Feminist action groups or moreover, any type of action group in Japan carefully document and archive their activities over a certain time period in shorthand in a format called nenpyou. Tomomi Yamaguchi (2005) studies the making of these documents in her article, Feminism, Timelines and History-making. They are written in several columns such that it could be easily read across the page, what actions were taken on a particular occasion, their political and social backdrop, what other groups acted on, and their global context. She also argues that the collection of texts is not all clean and objective in nature. “(N)enpyou are not simply collections of ‘raw,’ or unprocessed, politically neutral facts. They are carefully constructed, juxtaposed, and orchestrated distillations of events, and part of a project of history-making and remembering that is, depending on the editors, either politically charged or politically undercharged” (Yamaguchi, 2005, p. 58). The archived nenpyou of various feminist groups in Japan would lead to its own historical myth-making, allowing comparison with that of Cyberfeminism. They would provide a rich source of data to trace along the global growth of feminist timelines. In their first iteration, the Cyberfeminists defined themselves through nondefinition. In retaliation to the macho identity politics of declaring who you are, Cyberfeminists would list up what they are not. While refusing definition seems like an attractive, non-hierarchical, anti-identity tactic, it in fact plays into the hands of those who would prefer a net quietism: Give a few lucky women computers to play with and they’ll shut up and stop complaining. This attitude is one of which cyberfeminists should be extremely wary and critical. Access to the internet is still a privilege, and by no means to be regarded as a universal right (or is it necessary, useful or desirable for everyone. While brilliant consumer marketing has succeeded in making ownership of a PC seem as imperative as having a telephone, computers are in fact powerful tools possession of which can provide a political advantage. (The personal computer is the political computer.) (Wilding, n. d.).

Cornelia Sollfrank, one of the founding members of the Old Boys’ Network (OBN) recounts of their first meetings,

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(e)veryone who declared herself a “woman” was invited to contribute. Resetting the meaning of the term cyberfeminism, on the one hand, built on the attention early cyberfeminism had generated, while, on the other hand, opened it up to other, less essentialist interpretations. Thus, cyberfeminism could function as an open projection field in this new context, with the capacity of reflecting manifold individual fantasies, desires, and concepts. OBN turned cyberfeminism into a pluralistic concept inspired by postmodern (feminist) thinking, which put an emphasis on difference rather than unity. As was expressed in OBN’s mission statement: “With regard to its contents – the elaborations of ‘cyberfeminisms’ – our aim is the principle of disagreement !” In the words of Claudia Reiche, an old boy who joined in during the first Cyberfeminist International: “Operating according to the principle of dissent means that there are no representative statements, no common messages, no coherent forms of expression. The focus is on the differences, the contradictions, the disagreements. And it is through the perception of the thus emerging holes that the stitches of the network become visible – rather than through a laced-up strap” (Sollfrank, 2016).

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Still Be Here ここにいるから

Still Be Here (Berlin, 2016)

This is also the way we saw our working method for the collaborative art project Still Be Here (CTM, 2016). We would be incognito users/fans, borrowing elements from the pool of derivative art uploaded by creators for instance on websites such as https://bowlroll.net/ or DeviantArt https://www.deviantart.com/ later in Europe and the States, each time thanking and crediting the original creators in accordance with the rule of the game. And at the very end, we would come full circle in uploading what we created, motion capture data, vocal data, backgrounds etc. onto the same websites, continuing the germination process. Her usual audiences include J-pop and night-core in terms of musical styles, gamers, cos-players, goth/ gore enthusiasts. We would just be pushing on the boundaries, the outlines of the definition of Hatsune Miku just a little bit more. As we discovered, the Creative Commons licensing that governs the use of her image is not all black and white. Grey is the irresistible shade in which we wanted to play, an area yet to be defined. The group of artists who came together under the umbrella name of Hatsune Miku were Laurel Halo, who scored the entire piece and co-created the lyrics, LaTurbo Avedon, who created the environments for the

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three large panels in the background, Darren Johnston, who choreographed the lighting and the central figure on stage, Martin Sulzer who pulled all the motion capture data as well as video footage together and managed overall editing, and myself. I conducted relevant interviews, created textual parts, worked on the Vocaloid1 software and the rest of the work involved in putting a piece together. The grey area we basked in, refers to the question of whether a performance such as this would count as non-commercial; after all we were not planning to vend any related merchandise nor make a sizeable profit, however, we were also not about to make my grandmother a card with her image printed on it. Each project that falls under this grey label is carefully considered by the Crypton Future Media team. Hiroyuki Itō, her father figure, also touches on another defining facet of Miku definition. Who gets to decide in the end, which versions of Miku make it into the community and who does not ? Itō stresses that although the company do their utmost to police the Mikus that violate their code of conduct, it is virtually impossible to wade through all the material. It is clear then, that the real people that decide whether a version of Miku is acceptable or not, are the users themselves, and the company encourages it. A self-regulated system does leave space for malicious content, however, as Itō admits the team often encounters and takes down sexual content. He also adds, that he leaves some of it up, presumably in order to keep some of the users interested. This is precisely what VNS Matrix would have called The Big-Daddy Mainframe. Interestingly (and tellingly), both Itō, and the media professor/Hatsune Miku expert Mitsuhiro Takemura, insist that the phenomenon has nothing to do with the sexualisation or objectification of women, when asked about the feminist angle of questioning abroad in the interviews. For Takemura (for whom I have the greatest respect), the most significant issues revolve around her existential traits, of death, AI, robotics and the need for the audience to realise that she holds a mirror to society. While I absolutely agree on the significance of said topics, it is also true that he either does not see the potential harm in the largely male control of a sixteen year old girl, or he chooses not to see it because the majority of fans and users comply with the regulations and are therefore harmless. Apart from the attributes set by Crypton Future Media (see Fig. 1), it seems that the online community applies rules that normally apply to IRL celebrities. These would include social restrictions such that, for instance, she must never be depicted with a boyfriend, she must never be shown in wedding clothes, she must never be depicted as pregnant. For this reason, it came to my surprise to find out that last year, it made mainstream news that a man had actually (virtually) mar1

A singing voice software developed by Yamaha released in 2007 and owned by Crypton Future Media. Hatsune Miku is the third character to advertise the software.

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Age

16

Favorite Genre

J-Pops, Dance-Pops

Height

158 cm

Favorite Tempo

70~150 BPM

Weight

42 kg

Best Voice Range

A3 – E5

Fig. 1 Hatsune Miku’s official profile

ried the idol. This would have broken the unspoken rule that Hatsune Miku is a people’s idol, and that her image must be kept as immaculate as the Virgin Mary. A crucial part of the performance-essay-installation was Rudolph Arnold, a sixty-year-old maths teacher from the town of Ulm in South Germany. He explains in the documentary part of the piece in his thick south German accent, how on a normal day he is just plain Arnold, and on the weekend, he transforms into his various versions of Hatsune Miku. For our benefit, he shows us and models his hand-made creations, complete with nine-inch platform heels and fake air jets under the skirt. On our research trip to Ulm, he would talk to us rather candidly about how the transformation would make him feel. Truly fantastic. Cross-dressing, cos-playing and cross-playing are practices that encourage becoming other or feeling more able to identify with a facet of yourself that is normally not on show. According to Arnold, Hatsune Miku is one of the favourites who members like to cross-play, for instance, when attending an anime convention. Perhaps the fluidity of her form in two dimensions lends herself to the same in three.

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Playing up to Expectations in Japan 海の深さと 君の声

The depth of the sea And your voice (ハジメテノオトThe First Melody/malo, 2007)

The category woman in contemporary Japan is laden with differing expectations. The national woman is a good housewife, great at cooking, cleaning, taking care of the kids, all the while looking immaculate, and her existence is based upon her duty to literally make the men feel good about themselves. Otokowo tateru

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shakai – a society that props up men. While on the other hand, the global woman must work and contribute towards the household finance, have the same rights to work long hours just as the opposite sex do, all the while accomplishing all of the other duties mentioned above. It is perhaps no wonder then, that some Japanese women prefer to be full-time housewives rather than having twice the workload and risk being a bad mother, while the man does not share the housework. The category girl on the other hand, is expected to be demure, seen and not heard, and not be outspoken. Solely her aesthetics are of matter to men, whose subjectivity defines all, not the content of what she might say or think. Much of these injustices sound similar to the gender inequalities experienced once in the West, but Ayano Kano (2001) sets out in her book, Acting Like Woman in Modern Japan, to show the rather more complicated entanglement of gender and gender performativity (Judith Butler), and in doing so paves the way away from the notion of a natural performance of gender. Jackson and Dines have already explored the relationship between the Japanese vocal puppetry of Bunraku2 and Vocaloids, in that the Western culture looks for authenticity in the location of the voice whereas the Japanese culture is more easily persuaded by its illusion. “In contrast to the rather Western fixation on the authenticity of the human voice (whoever is seen and heard to be singing should be the actual owner of the voice and physically connected to it in some realm of reality).” (Whitely & Rambarran, 2016, p. 99) As examples, they site the Gorillaz whose cartoon characters were also popular on stage, however, they did not fully migrate to their mere representations, as those represented, the artists themselves, were always required on stage. However, in order to analyse the Hatsune Miku phenomenon in a voice and gender perspective, we will look to Kano (2001) who takes Kabuki theatre (a classical and highly stylised Japanese dance/drama) as her cue. Between 1629 to 1891, women were banned from performing on Kabuki stages due to the indecent reputation it was accumulating for their connection with prostitution and their audiences (though the link between theatre and promiscuity is not in any way exclusive to Japan). Young male actors replaced the female, but the scandals kept occurring, spurring the directors on to hire adult male actors to act out both male and female roles. Kabuki is mostly known today for being an all-male form of theatre. Applying thick white powder and rouge to their faces, donning elaborate costumes and heavy wigs, forcing their shoulders back and walking with bent knees, these actors,

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A traditional form of puppetry in Japan, dating bakcto the 17th century.

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called onnagata, or oyama, cultivated a style of acting that represented idealized femininity by concealing one set of somatic signs and in-scribing another. So highly valued was their portrayal of femininity that women from the pleasure quarters began to imitate them. Femininity was a set of signs that circulated from the pleasure quarters to the theater and back. Prostitution continued to be associated with the theater, with the male actors available as sexual partners for male patrons, but the practice of onnagata eventually led to the development of a stylized art and made idealized femininity something that was represented by men (Kano, 2001, p. 5).

The book follows the battle that ensues between the authenticity of an actress – a woman acting a female role on stage – a relatively new concept brought about through interactions with the West, and an onnagata – a man playing a female role. with numerous terrible citations by the male elite condemning the actress as unconvincing and lacking in beauty. The battle is eventually won by the actress, although the traditional Japanese onnagata was reserved for roles in historical plays. It is won, however, by the argument that the actresses are, to nobody’s surprise, more natural both in terms of the body and the voice. Ferocious debates around which is more suited to the stage are analyzed by Kano: This feminist concludes that “A male impersonator of female roles might be able to portray a woman’s weakness to a certain extent, but there is no way he could portray her strength.” (…) (A) woman and her voice are naturally thin, but she can convey a woman’s strength by raising her natural voice; a man, on the other hand can convey a woman’s weakness by manipulating his voice, but as soon as he tries to convey a woman’s strength, he reverts back to his natural masculinity (Kano, 2001, p. 19).

Here, I might add a personal anecdote from as recently as last year, when I visited the Miraikan (National Museum of Emerging Science and Innovation) in Tokyo last year. It still rings true that many robots are made in the image of the gentle, subservient woman and Erika was precisely that. Visually speaking, her movements seemed jaunty and unnatural, but one could already see how realistic she could become if small muscle movements could be refined and smoothed out. Her voice, however, was utterly jarring as it sounded too smooth and coherent for textto-speech (TTS) or any other synthesis, but at the same time sounded unsettling. On closer inspection, there was a small cabin next to the stage where she sat on a sofa, and a man in a lab-coat could be seen looking through her camera eyes and speaking through a microphone in an exaggerated falsetto. The modern play would mostly be foreign adaptations, therefore requiring a completely different style of singing, where the male voice could no longer be hidden by a falsetto chant. On another level, they would also require a Western style

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of dress with more exposure of the bodyline, where they would have remained hidden under the drapes of the kimono. These and related arguments in favor of introducing women to the stage reveal the assumption that there is some kind of essential femaleness that is naturally expressed by a woman through her body and her voice, and that the straightforward expression of such essence is the basis for a woman’s liberation as well as the basis for her theatrical portrayal of such liberated women. A straight line is drawn from what is understood to be woman’s essential nature, through what is described as a natural expression, to the performance on stage. Womanliness is the basis and starting point of this performance, rather than the result or end point of performance. The body is both the medium of this expression as well as the locus of woman’s essential difference from man (Kano, 2001, p. 21).

Although it does not necessarily sound like a triumph for feminism today, especially as the focus had been put back on the natural female body to be ogled on stage, it was still seen as a milestone in theatre for Japanese feminists. Furthermore, in today’s context, it also contributes to the growing interest in feminist thinking to reconsider the lived and experienced materiality of the female body. There is a lingering tendency in Japan still today to ascribe essentialist attributes to gender. Coming back to Hatsune Miku for a moment, the voice actress Saki Fujita was chosen for the Vocaloid for her lively, naturally piercing voice. It sounded natural to the jury as if it were not an act, in contrast to some of the other voice actresses who auditioned. “A lot of voice actresses put on a voice, but you could tell with her it was natural” (Shiba, 2014, p. 26). It was also chosen for the lolitalike quality. “As if her voice was saying to us, aren’t I cute ?” (ibid.). It should be noted that the famous description of cuteness or kawaii is one of the highest regard – or at least it does not come attached with the same condescending angle as it does in the West. That her voice, the object voice speaks to us as if it were separate to the content of her speech – in this case we are not even told what she said as it could not be of any importance – brings us to the notion of the voice as an acting agency in itself, alluring the listener even as it carries a different meaning, much like the elusive Lacanian objet (a), “nothing but the surplus of demand over need” (Dolar, 2006, p. 28). Crypton Future Media seem to have been able to capitalise on this aesthetic surplus of demand. Mladen Dollar writes, (b)ringing the voice from the background to the forefront entails a reversal, or a structural illusion: the voice appears to be the locus of true expression, the place where what cannot be said can nevertheless be conveyed. The voice is endowed with profundity:

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by not meaning anything, it appears to mean more than mere words, it becomes the bearer of some unfathomable originary meaning which, supposedly, got lost with language. It seems still to maintain the link with nature, on the one hand – the nature of a paradise lost – and on the other hand to transcend language, the cultural and symbolic barriers, in the opposite direction, as it were: it promises an ascent to divinity, an elevation above the empirical, the mediated, the limited, worldly human concerns…So if the goal of the utterance is the production of meaning, then the voice, the mere instrument is the aim attained on the way, the by-product of the way to the goal, the object around which the drive turns; the side-satisfaction, but one which suffices to fuel all the machinery (ibid.).

Kaja Silverman’s rendition of objet (a) is located in the lack or what she, through Lacan, calls the castration of the infant, in return for its subjectivity, within the process of gaining language. The thing it will always be looking for, whether it is conscious of it or not. She then compares this to the plight of cinema critique, which is forever on the search for the authentic object, which it will never find. She also rightly accuses Hollywood cinema of a masculinist sound/image regime where there as a female observer, we are made to observe and to stick with the lack. But what does all of this entail for the female viewer, presuming that she, like the male viewer, is structured by secondary identification, and that secondary identification at least to some degree proceeds along lines of sexual difference ? Above all, I want to stress that although woman’s castration is always anatomically naturalized within Hollywood films, what this castration in fact entails is her exclusion from symbolic power and privilege. That exclusion is articulated as a passive relation to classic cinema’s scopic and auditory regimes – as an incapacity for looking, speaking, or listening authoritatively, on the one hand, and with what might be called a “receptivity” to the male gaze and voice, on the other. Thus, the female subject’s gaze is depicted as partial, flawed, unreliable, and self-entrapping. … Woman’s words are shown to be even less her own than are her “looks.” They are scripted for her, extracted from her by an external agency, or uttered by her in a trancelike state… Even when she speaks without apparent coercion, she is always spoken from the place of the sexual other. Classic cinema’s female subject is the site at which the viewer’s discursive impotence is exhumed, exhibited, and contained. She is what might be called a synecdochic representation – the part for the whole – since she is obliged to absorb the male subject’s lack as well as her own (Silverman, 1988, p. 40).

The same could be said of the Vocaloid, although it may seem like she has more to express than the static and forlorn female figures in cinema Silverman describes. It

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is the strange paradox of being in the firm knowledge that it is not real and therefore it warrants the security for deeper belief.

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Summary 色のない世界、夢に見た世界 自分だけどこか取り残された

In a faded world, a dream world I was somehow left alone (トリノコシティー torinokocity/40meterP, 2010)

In their quest for growth, capitalist utopian technology and digital spaces have always looked to rid themselves of the errors, glitches and material baggage of human attributes, becoming ever more slick and streamlined becoming machine. Most of the major players in the field have male directors, and one wonders if some of the most ubiquitous products are made by a predominantly male team (I am returning here to the idea of virtual assistants, Siri, Cortana and Alexa, all of whom are voiced by women). A recent Guardian article claimed that these disembodied female servants are subjected to sexist, misogynistic comments, as one might expect, and the standard responses are all rather submissive, entrenching the stereotype that women will not answer back. Yet there is a return to the body, a fight back of the material, the physical body and its experience against masculinist regimes of pure ideas and ideologies as Karen Barad’s essay Posthumanist Performativity posits. According to artist and academic Annie Goh, gendered/ raced/classed women’s bodies have always been situated either in the labour force behind digital technologies hidden from view, only brought into the foreground through glitches and errors, or they are the object of the male gaze. She points to the potential dangers of a return to the masculine colonial past, of the subjugation of women and other minorities, if a post-humanist paradigm that separates the mind from body, with a familiar dangerous binary of the White, masculinist mind against the racially and ethnically othered, feminised body, as put forward by N. Katherine Hayles. As long as we cannot yet completely migrate out of our bodies and transcend into the ether of ones and noughts, there is an urgent need to reflect these unwanted yet beautiful materialities in our virtual spaces. Hatsune Miku’s strength lies in her fluidity of form and her ability to mutate according to her fans. The capitalist father and the company to which she belongs is always looking for ways to keep growing, and she has found a wider, global audience also

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in the West, multiplying and diversifying as she grows. However, if this phenomenon is to be useful at all, she must subvert the gender/race norm narrative of a Japanese female virtual assistant, incorporating versions such as pregnant Miku, throwing up Miku, menstruating Miku, sweaty Miku, etc., embracing all the physical bodily blubber much like the way the original cyerfeminists of the 90s set out to do. In order for both cyberfeminism and Hatsune Miku to remain relevant today, they must keep infecting, germinating and mutating, keeping up the myth and stirring up the linear narrative.

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Standpunkte

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FUCKING HEROINES. Von unfuckable zu unfuckable WITH ! Autobiographisches Schreiben von Frauen im Punk/Rock Katja Brunkhorst



Abstract   This article seeks to inspect how and what women in (punk)rock write (about) themselves and their experiences in such a traditionally male-dominated scene. Aside from brief fashions thanks to movements such as Riot Grrrl, female punk rock icons have been few and far between and almost always had to contend with gender stereotypes aimed at raising girls to please others rather than raising their voices, let alone get angry – that cardinal sin in a female. What needs to be done today, in 2019, to challenge and change that status quo towards true empowerment ? Which voices do we need to hear more of to redress the imbalance of heteronormativity, misogyny and racism that pervades heavier music genres still ? – An attempt at inspiration for girls and women to become unfuckable with – rather than remaining trapped in the world of the male gaze where fuckability is still seen as our only real currency.



Keywords   Female autobiography, empowerment, punk rock, Riot Grrrl, writing, mansplaining.

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Ahlers et al. (Hrsg.), Musik & Empowerment, Jahrbuch für Musikwirtschafts- und Musikkulturforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29706-0_8

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Ich selber weiß doch nur etwas von ‚ich‘ ! – Lou Andreas-Salomé I’m realizing that putting myself in the center of the narrative was what people were most interested in instead of approaching it from a theoretical perspective. – Carrie Brownstein

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Einleitung: Darf ich das ?

Über MICH schreiben ? Singen ? Als Frau ? Vorne stehen, auf der Bühne, und zwar explizit nicht gefällig für den male gaze, sondern kämpferisch, schrill, unschön; vielleicht sogar wütend ? Mich wehren gegen Strukturen, die mich ausgrenzen, in denen ich nicht vorgesehen bin, auf Missstände aufmerksam machen, um vielleicht doch Gleichgesinnte zu finden ? Die weibliche Todsünde begehen: unfeminin sein – unfuckable werden ? Darf ich das ? Es zieht sich durch so viele Frauen­leben und wurde über unzählige Generationen tief in uns eingeprägt: das Selbst- und Sendungsbewusstsein, das fehlende. Auch nachdem es langsam nicht mehr lebensgefährlich war, wild zu sein oder frei oder laut oder schlicht anders als Frau und man aufgehört hatte, Hexen zu verbrennen, haben wir es uns lange genug selbst vom Brot nehmen lassen wie Butter: unser Selbst-Bewusstsein. Auch und gerade in den Wissenschaften war Subjektivität, und ganz besonders jede, die als other konnotiert war, lange Zeit ein absolutes No-Go. Das Ich, vor allem von Frauen, war verpönt. Mein damaliger Chef an einem literaturwissenschaftlichen Institut hat es noch im Jahr 2008 schlicht abgelehnt, meine geplante Habilitation zu Autobiographien von Künstlerinnen zu unterstützen. Die Begründung: „Mit so einem Frauenthema nimmt Sie doch keiner ernst.“ Denn weil dort – wie in den Wohnorten der Macht generell – das Ich stillschweigend so lange mit männlich, weiß und hetero gleichgesetzt werden konnte, war die als Goldstandard propagierte Objektivität durchaus eine heuchlerische; und daher ist es nur konsequent, dass sich weibliche, queere und nicht-weiße Subjekte ganz bewusst als solche heute nicht nur äußern dürfen, sondern dies verdammt nochmal weiter tun müssen: schreibend, schreiend, wütend. Empowernd oder schlicht durch ihr Tun quasi Erlaubnis erteilend – damit andere Andere sich das dann auch trauen.

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In diesem Sinne erhebt dieser Essay keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit, wissenschaftliche Objektivität oder ähnliche Tugenden. Es ist vielmehr eine durchaus emotionale Momentaufnahme der Empörung, gespeist aus der Summe meiner subjektiven Erfahrungen als aktive Musikerin und Musik-Fan sowie Wahrnehmungen und Eindrücken aus den Erfahrungsberichten einiger meiner role models. Zudem beschränke ich mich, auch der Natur des Beitrags und seiner Kürze geschuldet, bewusst auf ein bestimmtes Genre – Punk/Rock – und lasse daher an dieser Stelle andere wichtige Pionier_innen und Held_innen wie etwa Peaches (elektronische Musik) oder Betty Davis (Funk/Soul aus dem Parliamant/Funkadelic-Dunstkreis) außen vor. Wer eine umfassendere Geschichtsschreibung sucht, dem oder der sei das wichtige Buch Revenge of the She-Punks (2019) von Vivien Goldman empfohlen. Diese hervorragende Feminist Music History from Poly Styrene to Pussy Riot erschien aber leider erst, als dieses Essay schon abgegeben werden musste – zudem fände ich es nicht sinnvoll, hier lediglich eine Zusammenfassung dieses Buches zu liefern. – So be prepared – I’ll walk my talk.

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Achtung: Es wird subjektiv.

Schauen wir uns ein paar Vorreiterinnen an – und nehmen wir zunächst und vor allem Viv Albertine (* 1954). Warum ? Weil ich, ganz schlicht und ergreifend und für manche vielleicht auch ungewohnt oder gar provokant, Fan bin. Oder wie Jens Peter Jacobsen es in seinem Roman Niels Lyhne ausdrückt: Du sollst nicht gerecht sein gegen ihn; denn wohin kämen die Besten von uns mit der Gerechtigkeit; nein; aber denke an ihn, wie er in der Stunde war, da du ihn am tiefsten liebtest … (Rilke, 1987, S. 8).

Das Wort Liebe ist noch immer angstbesetzt für Viele. Besonders, wer im intellektuellen oder wissenschaftlichen Diskurs ernstgenommen werden will, wird es vermeiden. Dabei schafft Liebe Wissen, emotionale Kognition. Die unter Umständen tiefer geht als die (Illusion der) Objektivität. Und die Liebe zur Musik, oder durch die Musik, sowieso.

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Cog Rock statt Cock Rock ! Allein mit dem großen Wort Liebe jedenfalls, und gerade in seiner Konnotation totaler Subjektivität sowie, durchaus, auch mal Besessenheit, wird man dem Phänomen gerecht, das Viv Albertine heißt. Denn ihre Kunst hält etwa Rilkes Definition davon und Standard dafür – aus dessen Briefen an einen jungen Dichter – wirklich stand: Ein Kunstwerk ist gut, wenn es aus Notwendigkeit entstand. In dieser Art seines Ursprungs liegt sein Urteil: es gibt kein anderes (Rilke, 1991, S. 145).

Ihre Musik, für mich aber vielmehr noch ihr Schreiben, entsteht ganz klar aus Notwendigkeit. Darum inspiriert sie große Gefühle und darüber hinaus, Taten; ihre Worte und Präsenz wirken so performativ, wie nur große Kunst und große Künstler es können. Der Besuch eines einzigen Konzerts ihrer Band konnte ganze Leben verändern. Das Lesen ihrer Texte kann revolutionieren. Klingt nach Pathos ? Ist es auch: nämlich (griechisch für) Leidenschaft. Und wir brauchen dringend mehr davon. Wer ist nun Viv ? Sie war die Gitarristin der Slits, einer britischen Punkband in den späten 1970er Jahren, bestehend aus vier Frauen und damals so wichtig wie die Sex Pistols, aber heute dem Mainstream ähnlich unbekannt wie Lou AndreasSalomé im Kreise ihrer Giganten wie Nietzsche, Rilke oder Freud. Obwohl sie eine wichtige Akteurin der Londoner Punkszene in den Siebzigern war, leitet sie ihre erste Autobiographie Clothes Clothes Clothes. Music Music Music. Boys Boys Boys (2014) dennoch mit einer Entschuldigung ein – dafür, dass sie sie schreibt: „Any­ one who writes an autobiography is either a twat or broke. I’m a bit of both“ (Albertine, 2016, S. ix). Warum sie das tut – sich im ersten Satz ihres Buches selbst als Arschloch, Depp oder Fotze deklariert – erklärt sie vier Jahre später: There’s a part of me that thinks, as a woman, I didn’t have the right to write about myself, my life, my poxy life. Even though I’d been a musician, I’d done lots of different things. And a man probably would think nothing, and men do think nothing of writing about themselves, with much less of a life lived than mine (The Pool, 2018).

Es war aber nicht nur das fehlende Sendungsbewusstsein, der Mangel an weiblichen Vorbildern oder ein durch familiäre und gesellschaftliche Prägungen unterentwickeltes Ego, die Albertine fast abgehalten hätten vom Verfassen dieses instant classic der modernen Literatur und „besten Buchs über Punk“ (GilW, 2018). Zunächst sagte sie sich: „That was the past – and punk isn’t interested in nostalgia“ (m4music Festival, Conference & Demotape Clinic, 2016). Doch dann nahm sie

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mit 50 wieder ihre Gitarre in die Hand, trat bei Open Mic Sessions auf und siehe da: „I had all the same responses as when I was a punk: You’re a girl, you can’t play, you can’t sing, you’re too old“ (ebd.). Warum das wiederum so ist ? Weil die Standards dessen, was Kunst und was gute Musik ist und dessen, wer was darf und wer nicht, noch immer viel zu oft unhinterfragt vom traditionell männlichen Blickwinkel geprägt bleiben. Und wir müssen erst den Status Quo sexueller Stereotypen anschauen und erleben, bevor wir ihn verändern können. Viv macht es vor: den hecklers, die sie bei einer ihrer Open Mic Nights, trotz mehrmaliger Bitten, die anderen zahlenden Gäste doch in Ruhe zuhören zu lassen, immer wieder störten, goss sie schließlich langsam ihre Pints mit Bier über die Köpfe. Tatsache ist, dass es Punk und Riot Grrrl zwar gab, diese Bewegungen aber lange vorbei sind (obwohl sie teils, nur kurz und verwässert, u. a. von den blitzeblanken Spice Girls als Girl Power marktfähiger wieder aufgegriffen wurden). Uns als Musiker_innen, gerne auch mittleren Alters, dem Konzertpublikum und vor allem unseren Töchtern fehlen aktuell die Vorbilder. Beispiel gefällig ?

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Support your local Punk scene – and let’s empower our girls !

Vor Kurzem erst wurde ich in der norddeutschen Provinz, wo ich nun seit über zehn Jahren lebe, diesbezüglich wieder wachgerüttelt. Mein Feminist_innenherzchen bebte, and not in a good way, im hiesigen Haus der Jugend. Das Musikbüro hatte mich in die Final-Jury von Rock in der Region, dem größten Bandwettbewerb vor Ort, geladen, und ich kam – mitsamt an die 30 anderen alten Säcken, singenden Socken und jungen Machern der lokalen Musikszene. Erfreulich: Unter den Mit-Juroren war immerhin eine weitere Handvoll Frauen. Yeah ! Dann allerdings spielten die fünf Bands auf, die ihren jeweiligen Vorentscheid gewonnen hatten. Auf der Bühne: ausschließlich weiße Jungs, den ganzen Abend lang. Das Schlimmste daran war nicht einmal, dass ich mich derbe aufs Tanzen gefreut hatte, die Musik aber durchgängig schlicht zu langweilig dafür war – ich kann es nicht anders sagen, ich fühlte mich wütend, traurig und durchaus auch schockiert: Nicht nur über die fehlenden Ladies und/oder Nicht-Kartoffeln (ich kann diese Wortschöpfung für uns auch als Deutsche sehr gut nachvollziehen !) auf der Bühne, sondern auch über die achselzuckenden Reaktionen der meisten Konzertbesucher_innen (und teilweise auch Veranstalter_innen), wenn ich sie darauf ansprach. Immerhin war ich erleichtert, dass ich meine (Schlagzeug spielende) achtjährige Tochter zuhause gelassen hatte: Sie hätte doch glatt den Ein-

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druck gewinnen können, dass Frauen vielleicht einfach keine Rockmusik machen können oder wollen – wie eine Freundin ganz im Ernst meinte. Und wie offenbar auch die Veranstalter_innen des Hurricane befanden, die recht blauäugig ein ausschließlich männliches Line-Up für 2019 vorgesehen hatten (und dafür zu Recht einen fetten Shitstorm ernteten).1 Klar ist: Es geht auch anders, und es gibt genug gute Musikerinnen – wie es prompt das Benicassim-Festival bewies, mit exakt 50 Prozent weiblicher Acts. Und auf lokalem Level ? Muss wohl noch eine Menge an Förderung und Umdenken passieren, damit unsere Kinder die richtigen Signale und Vorbilder in Sachen Diversity bekommen. Wir alle sollten öfter mal darüber nachdenken, ob es wirklich naturgegeben ist, dass manche privilegierte Positionen fast ausschließlich von der männlichen Hälfte der Gesellschaft besetzt werden – und ob wir daran etwas ändern wollen. Weil es wirklich wichtig ist, wiederhole ich es an dieser Stelle: Entgegen der Tatsache, dass frau als Akteurin in der Musikszene gerne ihrer Individualität, öhm, entkleidet und sofort unter dem Massenbegriff weiblich subsumiert wird ( female fronted, all-female o. ä. – man stelle sich nur einmal male fronted oder all-male vor … klänge das nicht komisch ? – Eben !), und dass Frau UND Ü40 in bestimmten Stilrichtungen und Szenen allem Anschein nach nicht geht auf der Bühne, kann und muss das Erzählen vom Erleben des Anderssein gerade in der Männerdomäne Punk/Rock ein sehr subjektives sein. Es ist ein den meisten Rocksängerinnen bekanntes Phänomen, von männlichen Mit-Musikern oder Konzertbesuchern so häufig wie schnell in eine Kategorie einsortiert zu werden, in der dann am besten auch noch eine von höchstens vier Vergleichsmöglichkeiten (von Siouxsie über Björk bis Gwen, vielleicht noch PJ Harvey, wenn man Glück hat; ich wurde auch schon wahlweise ungefragt als Groupie oder Roadie eingeschätzt) bemüht wird, um ja jede Individualität und eigene künstlerische Identität im Keime zu ersticken. So auf jeden Fall meine eigene, naturgegeben subjektive Erfahrung aus 27 Jahren Punk/Rockszene in den USA (1989), London (1994 – ​2003), und in Deutschland; mit reinen Frauenbands (Pristine aus Dortmund), gemischten Truppen (A Tennis Drama und, aktuell, Jetsun aus Osnabrück) und, leider typischerweise, als Frontfrau unter einem Haufen Jungs (alles in London und in meiner Heimat, der Pfalz – wo das Epizentrum Kaiserslautern, oder K-Town, Anfang der Neunziger überregional bekannt war mit seinem prima Empowerment-Klima dank seiner blühenden Hardcore-Szene um die Spermbirds), der das Gitarrespielen und/ oder auch mal lauter Singen stets sehr schnell abgewöhnt oder ausgeredet worden 1

Siehe auch ein leider fiktives Alternativ-Line-Up aus ausschließlich weiblichen Acts hier: https://www.fem.com/beauty-lifestyle/hurricane-festival-2019-ein-event-ohne-frontfrauen [Abrufdatum 30. 03. ​2019].

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war. Na klar, ich hätte mich mehr wehren müssen und wohl auch können – doch meine Pfälzer Provinz-Sozialisation als neddes Määdsche, d. h. lieb, leise, unkompliziert in den Siebzigern und Achtzigern war anfangs nachhaltig gelungen. Immerhin, seit 1989 bin ich nun eine von den Girls Who Play Guitar (Maximo Park) oder auch ein Girl in a Band (Kim Gordon) – und hatte allenthalben, und habe bis heute, mit Vorurteilen zu kämpfen, was mich tatsächlich immer wieder aufs Neue verwundert. Keine Situation war aber auch nur annähernd so krass oder gar gefährlich wie das, was Viv Albertine in ebenjenem Clothes Music Boys beschreibt, über ihre Anfänge im Punk im London der 1970er im Umfeld der Pistols, The Clashs und Vivienne Westwoods SEX-Boutique. Ähnlich wie später Riot Grrrl-ManifestoVerfasserin (und Namensgeberin von Nirvanas Smells Like Teen Spirit) Kathleen Hanna, die regelmäßig Morddrohungen erhielt und auch Opfer von Übergriffen wurde, erzählt Viv von Messerattacken auf offener Straße: „We were often spat at and verbally abused. Ari was stabbed on two separate occasions by angry men“ (O’Hagen, 2018). Es geht ums Mundtot-gemacht-werden-sollen auf welche Weise auch immer, bis hin zur Körperverletzung bzw. Mordversuchen – einfach dafür, dass die Slits es wagten, so voller POWER auf die Bühne zu gehen, laut, wild und schrill. Frauen empowernd. Im England Thatchers ! It was so dangerous to be a punk and female. And the way we looked and acted made it more dangerous (…) We had to be together because it was too risky not to. That took its toll. We fell apart because of the pressures we got as women, for sure. A male band would have lasted much longer (O’Hagen, 2018).

Und dann sind da immer wieder die Parallelen zum Jetzt, beginnend mit ihrer Zeit als Ü-50-Jährige, die bei Open Mics in kleinen Kneipen in Middle England auf vielleicht noch nachdenklicher machende Weise stets aufs Neue mit unerbetenem Mansplaining zu ihren Amp-Einstellungen plus umfassender Missbilligung ihrer Existenz als Musik machende Frau mittleren Alters (und ergo: unfuckable) konfrontiert wurde. Sie sagt dagegen in ihren Memoiren, dass sie teils absichtlich, teils eben aus Mangel an Vorbildern tatsächlich anders singt, Gitarre spielt und textet als von der herrschenden Norm vorgesehen: schrill, schräg, emotionaler; mit Texten, die sich aufs Zu-Tode-gelangweilt-Sein als Provinz-Hausfrau und Mutter beziehen und darauf, dass für sie Ü40 das Leben gefälligst vorbei zu sein habe und sie von der Bühne abtreten solle (wie es ihr eigener Mann einst nahelegte). Albertine sagt, dass für sie dagegen die Männer auserzählt haben: Jahrtausende sind von der männlichen Sichtweise auf Geschichte(n) geprägt; nur noch Frauen können jetzt überhaupt noch Neues produzieren, noch wirklich Kunst machen.

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Obwohl ziemlich genau gleich alt, nennt Sonic Youths Kim Gordon (* 1953) Albertine als eins ihrer wichtigsten Vorbilder und betont die Macht und das Empowerment, die im Fan-sein stecken. Sie benennt auch die Wichtigkeit der Dynamik, nicht nur zwischen den einzelnen Mitgliedern einer Band, sondern auch zwischen der Band und dem Publikum – wobei das Kräfteverhältnis zugunsten der Menschen VOR der Bühne gewichtet ist. Traditionell waren viele Frauen und Mädchen eher vor als AUF der Bühne zu finden, bzw. hinten im Publikum statt vorne; zumindest, bis Kathleen Hanna (* 1968) mit Bikini Kill und dem Riot Grrrl Manifesto Girls to the front ! rief: Punk rock was almost an intervention. It drew attention to consumerism. It brought a lot of people into music that wouldn’t have necessarily thought that they could be in a band … It empowers you as a fan, to go up to someone and say: I really like your work. My heroes growing up were people like The Slits, The Raincoats, Suzie … I looked up to them. The Runaways. They were a fabrication, but a kick-ass band“ (Laverene, 2015).

Nebenbei bemerkt sind alle diese Musikerinnen sowohl befreundet oder mindestens in Kontakt miteinander, als auch heute noch künstlerisch aktiv: Hanna, nach Bikini Kill und Le Tigre (zusammen mit der gender-fluiden JD Samson, die durch ihre Beziehung mit Sia Furler später auch mit Christina Aguilera arbeitete), mit The Julie Ruin; Gordon, nach dem Aus von Sonic Youth (ihr Partner Thurston Moore verließ sie, ganz klischeehaft und normal, wie sie sagt, für eine jüngere Frau, einen Fan der Band), u. a. mit Body/Head. Nach ihrem Solo-Erfolg mit dem Album The Vermilion Border feiert Albertine mittlerweile Erfolge als Schriftstellerin, und auch Gordons Memoiren Girl in a Band fanden großen Anklang in der Kritik. Über Hanna, seit langem verheiratet mit Ad Rock von den Beastie Boys (der, inspiriert durch sie, lange vor #metoo bei den MTV Music Awards auf sexuelle Gewalt gegenüber Frauen aufmerksam machte und damals noch betretenes Schweigen dafür erntete), gibt es den sehenswerten Film The Punk Singer. Was also noch empowert ? Austausch. Netzwerke. Kollaborationen. Das sollen diese biografischen Details unterstreichen. Frauen (und feministische Männer), bildet Banden !

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One of the punkest things I have ever seen

Carrie Brownstein (* 1974) von Sleater-Kinney, heute Jüngeren vielleicht eher bekannt aus ihrer Hipster herrlich aufs Korn nehmenden Comedy-Serie Portlandia (in der einige unserer Heroines Cameo-Auftritte hatten bzw. wo sich auf sie bezo-

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gen wird), sieht das ähnlich. In ihren Memoiren Hunger Makes me a Modern Girl erzählt sie ebenfalls vom Stellenwert des Fan-Seins und der Wichtigkeit weiblicher Vorbilder sowie eines Wir-Gefühls, um ein gesundes Ich zu entwickeln. Es geht um die Szene in Seattle, Olympia und Portland und dem queer sein im Herzen des Grunge. Sie sagt über Viv Albertine, in deren Tradition sie sich sieht, nachdem sie 2009 einen ihrer Solo-Gigs als „middle-agend mum“ erlebt hatte: I realized I hadn’t really witnessed fearlessness in a long time, at least not at a rock show. As one of my friends put it, more succinctly: This was one of the punkest things I have ever seen.“ (Monitor Mix, 2009)

Und was ist Punk, wenn nicht Empowerment ? Der DIY-Ethos, der revolutionäre Gedanke, dass Jede_r einfach machen kann und Keine_r besser ist als ein_e Andere_r. „I miss that unprofessionalism so much. Now, everyone has gone to music school and they all play brilliantly and you think, why are they even playing live ? It’s all so bloody middle class now“, sagt Viv im Interview mit O’Hagen vom Guardian (2018). Hier liegt vielleicht ein Ansatz, der erklärt, warum – zumindest auf Wettbewerben für Rockbands in der deutschen Provinz – heutzutage Frauen (oder auch unkonventionellere Musiker_innen generell !) auf der großen Rock-Bühne eher nicht vorkommen: Unter den Kriterien, die wir als Jury zu berücksichtigen hatten, waren die technischen Fähigkeiten aller Instrumentalisten und der saubere Gesang der Frontmänner. Was ist, wenn Frauen anders spielen, anders singen; auch mal schrill und laut sein wollen, um ihrem Ärger Luft zu machen ? Als Greil Marcus Albertine darauf anspricht, dass ein bestimmter Satz, „anger is an energy“, den Slits zugeordnet wird, der später der Titel von Johnny Rottens zweiter Autobiographie wurde, ergänzt sie: To be angry was the sin of all sins: it meant being unfeminine (in London in the 50s, 60s, 70s). It was considered ugly – and still is. On stage, we could be angry. There was a little sub group of people who didn’t judge us. Anger and rage gave me the confidence to pick up a guitar at 19 (GilW, 2018).

Darum geht es auch in ihrem zweiten Buch, dem ebenfalls autobiographischen To Throw Away Unopened (2018): I think it is essentially about rage and being an outsider (…) Female rage is not often acknowledged – never mind written about – so one of the questions I’m asking is: Are you allowed to be this angry as you grow older as a woman ? But I’m also trying to trace where my anger came from. Who made me the person that is still so raw and angry ?

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I think that it’s empowering to ask that question. I really hope it resonates with women“ (O’Hagen, 2018).

Wut zeigen empowert. BÄM ! Das lassen wir jetzt mal so stehen.

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OMG, thank God, I’m not crazy !

Was außerdem empowert ? Eben das (dafür) Nicht-verurteilt-werden. Die Realisation, nicht alleine und/oder verrückt zu sein in der Wahrnehmung der Welt und dessen, was frau in ihr erlebt. Im selben Interview sagt Albertine: „I want to say to younger women especially that it’s OK to be an outsider, it’s OK to admit to your rage. You’re not the only person walking down the street feeling angry inside.“ Dass Andere Ähnliches fühlen, lässt uns näher bei uns sein – und andersherum müssen wir deswegen von unseren Erfahrungen erzählen, um andere diese Nähe zu sich selbst zu ermöglichen. Carrie Brownstein sagt: „I wrote ‚Hunger‘ in part to figure out how to make decisions that put you at the center of who you want to be“ (Jones, 2015). Caitlin Moran (* 1975), in den 1990ern die jüngste weibliche Musikjournalistin Großbritanniens beim Melody Maker, gibt uns einen Einblick in die Frauenfeindlichkeit des Laddism im Britpop – zu einer Zeit, während der ich selbst Erfahrungen in Londoner Pop-Punk-Bands sammeln konnte. Und sagt klar, warum sie schreibt und inwiefern Fan zu sein viel wichtiger ist, als man denkt. Wo sich der Kreis wieder schließt: „I’m not crazy, this is evidence, I’m not alone, the world is sexist, men respond differently to men than to women.“ Wie Viv, die sagt, dass sie eigentlich Selbsthilfebücher schreibt (und damit ironischerweise wiederum die Literarizität und den immensen künstlerischen Wert ihrer Werke negiert in einer Welt, in der scheinbar noch immer nur entweder/oder möglich ist), ist es Caitlin ein Anliegen, Frauen zu helfen. Sie will, dass wir ihre Bücher lesen und denken: „OMG, thank God, I’m not crazy !“. Über ihr jüngstes Werk, How to be Famous (2018), sagt sie: „The idea of the book is about sexual shame (revenge porn) at the height of Britpop. Everyone was famous in 1995 !“ (The Pool, 2018). Es befasst sich mit der Frage, wie Frauen sich wehren können, die slut-shamed werden. „The shame is not ours – as I was writing it, the whole Harvey Weinstein thing was breaking“, sagt Moran. Der Roman ist eine Ode an die Fan-Girls, die Musik wirklich lieben, leben und emotional auf sie reagieren – und die genau dafür vom männlichen Musik-Nerd, NME-Kritiker, Rockstar und London Lad mit Verachtung betrachtet und behandelt werden. Kurz nach dem Ende von Riot Grrrl – einer Bewegung, deren Akteur_innen sich selbst

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das Wort SLUT auf die Körper malten und sich ihre Power laut zurückholten gegenüber patriarchalen und/oder gewalttätigen Kräften, die sie zum Objekt degradieren wollten, war es, als hätte es dieses Wieder-Aufbäumen des Punk, gemischt mit performativem Feminismus, nie gegeben. COOL BRITANNIA huldigte dem immer männlichen, stets cool-unterkühlten Lad im Trainingsjäckchen und London fühlte sich 1995 an wie ein „emotionally-reductive (…), sullen teenage boy, scared of girls“ (Moran, 2018, S. 234): There were very few other women in the room and so the presence of the models (in tiny PVC shorts) became ever-more disturbing, as man after man in jeans, or wearing a parka, went up on stage to collect their award. Just two years after everything was PJ Harvey, Björk, Alanis Morissette, Courtney Love and Riot grrrl – clever, funny warriorwomen, smarter and bolder and faster than any man in this room – this queasy, silent return of ‚sexy lady models‘ was jarring. Not least because, as the evening went on, it became increasingly clear that the only woman who had won an award that night was Kylie Minogue, for ‚Most Desirable Person In The World‘ – and that she would, therefore, be the only woman who spoke all evening (ebd., S. 234 – ​235).

Und heute, im Jahr 2019, sieht das alles leider auch nicht großartig anders aus.2 Anscheinend darf die starke, laute Frau – das anarchisch-verspielte Girl-Child (explizit jeden Alters und gerade auch als Frau mittleren Alters, die ansonsten gefälligst gefällig unsichtbar zu bleiben hat !), das dem patriarchalen Predator Angst einjagt – nur alle paar Jubeljahre im Rahmen einer stets recht kurzen Mode-Welle auf der Bühne und im Rampenlicht stehen. Sehr bald wieder wird sie dann sozusagen in dekoratives Ganzkörper-PVC gesteckt und mundtot gemacht als unbedrohliches Objekt für den male gaze. Wie können wir das verhindern, welche gesünderen Angewohnheiten können wir pflegen; was empowert uns alle so, dass die Rockmusik vielleicht irgendwann einmal ganz selbstverständlich eine Szene ist, in der alle seinen und ihren Platz haben – unabhängig von Gender, Hautfarbe, Alter und der sexualisierten Macht-Agenda du jour ? In Girl in a Band hat Kim Gordon eine weitere Antwort auf die Frage, was uns unsere Macht zurückgibt: wenn wir als Künstler_innen unsere Hochsensibilität und Emotionalität nicht länger verstecken, sondern uns zeigen – in aller Verwundbarkeit. Sie spricht von ihrem Kampf mit ihrer eigenen Identität und dem Ärger, den sie fühlte „at who I was“:

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Siehe Shehadeh, Nadia. „Frauen-Shaming in der Musikrezeption und wieso ich meine Mädchenmusik liebe“, https://www.blogrebellen.de/2019/03/09/frauen-shaming-in-der-musik​ rezeption-und-wieso-ich-meine-maedchenmusik-liebe/ [Abrufdatum 30. 03. ​2019].

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Every woman knows what I’m talking about when I say girls grow up with a desire to please, to cede their power to other people. At the same time everyone knows about the sometimes aggressive and manipulative ways men often exert power in the world, and how by using the word empowered to describe women, men are simply maintaining their own power and control. (…) Back then, and even now, I wonder: Am I ‚empowered‘ ? If you have to hide your hypersensitivity, are you really a ‚strong woman‘ ? (…) the only really good performance is one where you make yourself vulnerable while pushing beyond your familiar comfort zone (Gordon, 2016, S. 132).

Albertine spricht ebenfalls davon, dass sie mit sehr vielen jungen Menschen ins Gespräch kommt und dass sie unter den aktuellen Musikern nur die Aktivist_innen interessieren und dass sie ebenso großes Interesse daran hat, mit careerists zu sprechen, wie mit Bankkaufleuten oder Buchhaltern: „Art and music have become entertainment and business (…) when I was young, you had to be a rebel to do that. You chose that life because you were an outsider“ (m4music Festival, Conference and Demotape Clinic, 2016). Und sie erzählt von einer Art zwanghaften Ehrlichkeit als Künstlerin – und deren Konsequenzen: When I’m making a piece, a song or a book, I have to be honest. There’s absolutely no point in doing it, it’s of no use to anyone, if I’m not honest … there is a price to pay for that … you become much less tolerant for dishonesty (GilW, 2018).

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Let’s all be Bad Feminists

Vivs Wort Karrierist_in hallt nach, auch aktuell, und auch in der Rockmusikszene. Leider erlebe ich tatsächlich selbst noch immer und allzu oft, dass sich Frauen und Mädchen nicht (zu)trauen, ihre Stimme zu erheben: „Ich kann nicht singen !“; „Das darf ich nicht sagen, wenn ich meinen Job behalten will !“; „Ich würde gerne zur Diskussion beitragen, aber ich bin mit den feministischen Terminologien nicht vertraut genug !“. Hier steckt eine Angst dahinter, nicht die akzeptablen Worte zu finden, ein „Bad Feminist“ (Roxane Gay) zu sein; von beiden Lagern ausgeschlossen zu werden. Noch schlimmer ist allerdings das schlichte Leugnen, dass es überhaupt (noch) ein Problem gibt: Die Öffentlichkeit liebt den Verrat, nicht aber den Verräter, scheint die Parole zu sein – gerade unter den erfolgreichen Frauen, die es nach oben in Machtpositionen geschafft haben in unserer noch immer überwiegend patriarchalen Gesellschaft, und die es sich mit den männlichen Machthaben-

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den – den Rock-Stars und -Kritikern, die den Diskurs quasi bestimmen – nicht versauen wollen. Und die sich darum, bewusst oder unbewusst, mit ihnen solidarisieren. Und genau darum brauchen wir als Übergangslösung u. a. eine Quote, wo auch immer ein deutliches Ungleichgewicht zu verzeichnen ist: Solange, bis es hoffentlich eines schönen Tages nichts mehr ausmacht, wie hoch meine Stimme ist oder was ich zwischen den Beinen habe. Es wäre mir eine Ehre sowie ein persönliches Anliegen, zum Empowerment – vor allem für Frauen, auch ältere, und für Mädchen, aber natürlich generell für alle anderen Nicht-weiß-männlich-straight-und-able-bodied Randgruppen – in der Musik ein kleines bisschen beitragen zu dürfen. Denn wenn ich eins nicht mehr sehen kann, dann sind es komplett homogene Festival-Line-Ups. Mehr Ups ! Als Festival ! Und wenn ich eins nicht mehr hören kann als Antwort darauf, sind es Aussagen wie: „Frauen können halt einfach keinen Rock !“; „Frauen interessieren sich eben nicht dafür, Schlagzeug zu spielen !“; oder „Frauenstimmen nerven einfach, sie sind immer viel zu hoch und schrill !“ (Letzteres selbst gehört vom Gitarristen einer meiner Bands. I kid you not !). Um doch wenigstens einmal die eingangs erwähnte Vivien Goldman zu bemühen: Artists like the world’s first black punk, the mixed-race Poly Styrene with frizzy hair and braces, would likely have been deemed unfuckable, thus unmarketable (…) yet, she immediately became one of punk’s great sheroes, her unfettered howl shattering the idea that girls had to sing prettily to be heard (…) it’s different for girls (…) Within showbusiness, we are often regarded as replaceable fresh meat, best consumed when young. That’s why punk is so great for girls – it allows or even encourages the artist to roar the anger (…) and we still have reason to roar (2019, S. 5 ff).

Was wir alle brauchen, das ist eine Selbstverständlichkeit von Vielfalt. Das ist, nicht einfach nur verbittert über den male gaze rumzumotzen und weiter hinnehmend zu konsumieren, sondern uns darauf zu konzentrieren, eine Welt zu bauen, in der er nicht mehr so wichtig ist – eine „community of creative musical girls“ (ibid.) nämlich. Also den Mund aufmachen und sich trauen, auch mal anzuecken. Selbst nachdenken, statt bequem nach Stereotypen in Schubladen einzusortieren. Aufs eigene Bauchgefühl hören. Fan-Girl oder -Boy sein, in voller Hingabe. Ehrlichkeit, auch in emotionalen Dingen. Das Jahrhunderte alte Schweigen von und über weibliche Kunst- und Musik-Schaffende zu durchbrechen, mit dem Mut, den eigenen Beitrag zu leisten – wie auch immer, du gerne abseits der Norm. Die eige­ nen Produktions- und Distributionsmittel kontrollieren. Das sind (zumindest zunächst noch, als dringend notwendiger Anschub) Quoten, das sind Netzwerke, Vorbilder und positive Role Models für Jede_n von uns. Then, we become empowered – or UNFUCKABLE WITH.

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Awesome Hip-Hop-Humans – Eine feministische und queere Hip-Hop-​ Szene bringt sich in Bewegung Die Revolution frisst ihre Kinder auch im Hip-Hop Sookee



Abstract   The article shows a autobiographical insight into more than ten years of German hiphop culture. Experiences and his-/herstories are reported. The author has developed a very personal perspective on hip-hop as a seismograph of societies, cultures and economies through her many years of commitment as a rapper, politically active artist, teacher, supporter of non-binary projects and artists, the queer community and her own activities in journalism and science. After all the frustrations and gruelling experiences in these contexts, her conclusion ends with constructive hints and outlooks.



Keywords   German Hip-Hop, queer, anti-fascism, his/herstory, political, autobiography

Die Geschichtsschreibung von Hip-Hop berichtet von Rassismus, Polizeigewalt, Armut, Gang-Fights und kultureller Originalität. Vor allem Schwarze und Latinx Jugendliche kreierten in den 1970er Jahren von New York City ausgehend mit MCing, Breaking, DJing und Writing die legendären vier Hip-Hop-Elemente. Heute werden auch andere Kulturpraktiken wie Beatboxing, Producing, Spoken Word Poetry, Basketball, Gesang, Artist-Management, Mode und vieles andere mehr zum Teil unmittelbar mit Hip-Hop verbunden oder zumindest damit assoziiert. Was durch fiktive Narrationen etwa in Filmen, Serien, Comics usw. aber auch durch die mediale Inszenierung und Präsenz einiger Protagonist*innen der umliegenden Identifikations- und Arbeitsfelder unterstützt wird. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Ahlers et al. (Hrsg.), Musik & Empowerment, Jahrbuch für Musikwirtschafts- und Musikkulturforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29706-0_9

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Aus dem zum Teil kriminalisierten kreativen Tun ambitionierter und findiger junger Menschen, die sich mit Lebensfreude unmittelbar oder implizit gegen die Repression eines rassistischen Staates zur Wehr setzen, indem sie eine kulturelle Bewegung schaffen, die ihnen Halt und die Möglichkeit zur Artikulation gibt, wird über die Jahre und Jahrzehnte eine globale Kultur. Rap – als lyrisch-musikalischer Raum – hat sich als das kommerziell nutzbarste Element von Hip-Hop erwiesen. Und hier werden auch journalistisch und wissenschaftlich die Potenziale, aber vor allem Probleme dieser gigantischen Popkultur, die einst eine gesellschaftlich unerwünschte Jugendkultur war, am intensivsten verhandelt. Rapmusik gilt als sexistisch. Rapper gelten als dummdreiste, aggressive Aufschneider. Rapper werden viel parodiert. Viele Rapper parodieren sich auch selbst. Da Realness – also der gründungsromantische Gestus der Zurschaustellung der eigenen Authentizität – kein übergeordneter Wert im Kapitalismus ist, lässt sich über konkrete Aussagen im Kontext von verkaufsorientierter Imagepolitik bei den meisten Rappern – und inzwischen Rapper*innen – nur noch spekulieren. Mittlerweile hat sich der Sexismus (Antisemitismus, Behindertenfeindlichkeit, Queerfeindlichkeit, Misogynie, Männlichkeitskult, usf.) einer­ seits übel verhärtet. Das, was in der Szene als Tabu empfunden wird, wurde schon vielfach gebrochen. Anerkennung, Aufmerksamkeit, Erfolg ist gegenwärtig in einem Meer aus Rapper*innen das Größte und Schwierigste, was erlangt werden kann. Rap ist definitiv auch eine Klick-Kultur geworden. Das symbolische Kapital hat einen zentralen Stellenwert, was sich unter anderem auch an der Zuträglichkeit von Indizierungen für die Imagepflege ablesen lässt. Wer indiziert wird, ist ein staatlich anerkannter Bad Boy. Das ist etwas Gutes. Sanft, einfühlsam und umgebungsbewusst zu sein war noch nie erstrebenswert im Hip-Hop. Zumindest nicht in den Hauptrollen. Die provokanten Rollen des Gangsta und Pimp haben sich durchgesetzt. Selbstverständlich braucht es keine bandenkriminelle Betätigung oder faktische Zuhälterei, um einen Mann zu erschaffen, der diese Rolle ausfüllt. Heterosexuelle Cis-Männlichkeit ist die Größe im Rap, die dafür sorgt, dass man unter sich bleibt. Die Musikindustrie ist die Größe, die sicherstellt, dass man leistungsstärker ist als die Anderen. In einer kompetitiven patriarchalen Umgebung bedeutet das erfahrungsgemäß, dass immer schmerzbefreiter nach unten getreten wird. In einer Freestyle-Cypher Anfang der 1990er Jahre wurde im deutschsprachigen Raum bei weitem nicht so explizit und sensationalistisch ausgeteilt wie heute in den Cypher-Unternehmen auf YouTube. Aber diese Entwicklung bleibt nicht unkommentiert. Zwar waren Rapper schon immer verpönt, dennoch sind Artists, die einst und immer wieder wegen ihrer Texte, Videos und Äußerungen medial geteert und gefedert wurden, heute ganz gewöhnliche Promis. Sie lassen sich von namhaften Regisseuren mit Mitte Dreißig ihr Leben für die große Leinwand verfilmen, sie behaupten erfolgreicher

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zu sein als die Beatles, weil irgendeine Zählung das hervorbringt, sie sitzen bei

TV-Castingshows in der gelangweilt-gierigen Jury, sie verkaufen Fitness-Produk-

te und schreiben Ratgeber über die Werdung zum Herrenmenschen. Rapper*innen sind geschäftstüchtig und die Industrie um sie ist es umso mehr. In Songs explizieren Rapper*innen fortwährend ihre Macht, welche Form sie auch immer annimmt. In einer Gesellschaft, in der sexualisierte Gewalt strukturell und zwischenmenschlich trivialisiert wird, ist dabei viel Raum für Heterosexismus und Misogynie. Insofern ist klar, dass Rap nicht ursächlich für Sexismus in einer Gesellschaft ist, aber aufgrund seiner Wirkungsbreite doch wesentlich dazu beiträgt. Wenn Protagonist*innen doch wieder einmal zu sehr über die Stränge schlagen bzw. das Verhalten von Leuten, die die Fassaden einreißen, skandalisiert wird, wird an irgendeiner Stelle eine rasche Maßnahme ergriffen, wie die Abschaffung des Echo nach dem Eklat rund um antisemitische Textstellen von Kollegah und Farid Bang. Die Probleme liegen jedoch tiefer und insofern sind solche Konsequenzen für den Moment zwar Hoffnungsschimmer, dass die gemachte Normalität von menschenfeindlicher Ideologie in unzähligen, durch herbeiargumentierte Kunstfreiheit geschützten Rap-Texten zumindest gesehen wird. Wenn auch eher mit den Augen der Moral als mit politischem Strukturbewusstsein. Auch wenn der Begriff heute ganz entfernt klingende Synonyme hat, so ist doch Koolness ein zentraler Wert im Hip-Hop. Zwar haben sich die Antagonisten Underground und Sell Out schon längst gegenseitig verschlungen, dennoch gilt was mit Style, Dopeness, Swag, Bra, Skrrrrrt beschrieben wird, als etwas, was primär Männer betrifft. Die Kontextualisierung und Inszenierung von Weiblichkeit strotzt dagegen vor Dehumanisierung. Das ist der Punkt wo sich schon länger, aber gegenwärtig vermehrt aus verschiedenen Richtungen, Unmut kristallisiert und intersektionalfeministische Stimmen – auch aus der Hip-Hop-Szene heraus – mit einer ganz anderen Substanz an die Problematik herantreten und sich formieren, als es bislang vereinzelte Empörungsrufe vermochten. Insofern ist es unerlässlich, auch rassistische und klassistische Stereotype, die mit den dämonisierenden Bildern von und dem ambivalenten gesellschaftlichen Umgang mit Rapper*innen verbunden sind, in die Betrachtung dieser Dynamik miteinzubeziehen. Das dient natürlich nicht der Relativierung der Hinwendung vieler Rapper*innen zu Rape Culture, aber vervollständigt die Auseinandersetzung mit dem normalisierten Reproduzieren und dem Verkauf von sexistischer und anderweitig diskriminierender Gewalt. Wenn man bedenkt, dass die Weiblichkeitsdarstellungen im Rap-Mainstream einzig und allein der Stärkung eines hetero-cis-maskulinen Prinzips der Vorherrschaft dienen, wird klar wie stark Frauen und Queers objektifiziert werden. Das ist die Gemengelage, von der umgeben sich seit einigen Jahren im deutschsprachigen Raum eine feministische und queere Hip-Hop-Subkultur entwickelt,

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die durch ihre bloße Existenz das besagte männliche Prinzip in Frage stellt. Ich bin als Rapperin und Aktivistin schon lange Teil dieser Szene und spreche also aus ihr heraus über sie.

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Eine Statistin im Spannungsfeld voller Sehnsucht nach Akzeptanz

Ich habe Hip-Hop als Grundschülerin über Graffiti an Wänden und auf Papier wahrgenommen. Dass neben Writing noch mehr für mich zu entdecken war, machte die Literatur- und Sprachaffinität meiner Familie für mich zugänglich. Rap als kulturelles Phänomen zu erkunden und selber Rap-Texte zu verfassen wurde für mein Leben wegweisend, wie sich rückblickend offenkundig zeigt. Als ich vor rund zwanzig Jahren anfing, mich in Hip-Hop-Kreisen zu bewegen, waren da kaum andere Frauen. Sie waren die nur punktuell im Alltag brauchbaren Erfahrungen pubertierender Jungs. Sie waren kein Gegenüber. Wir waren keine von ihnen. Ich habe mich von Koolness und dem Habitus der Älteren und Gefährlicheren angezogen gefühlt. Heute weiß ich, dass die Suche nach deren Nähe womöglich ein Schutzverhalten war, um selbst nicht zum Objekt und Opfer zu werden. Ich habe mich in den ersten Jahren an vielen Stellen mit sexistischen Momenten und Kontinuitäten gemein gemacht. Queerfeindlich war ich nie, aber randvoll mit stereotypisierten Ideen von weiblicher Sexualität. Rap ist vergleichsweise spät und plötzlich für Hip-Hop-Deutschland sehr relevant geworden. Um die Jahrtausendwende gab es plötzlich aus der Hauptstadt den Freifahrtschein dafür alles aussprechbar zu machen. Lines wie Ich mach auf künstlich interessiert und Nutten denken ich bin nett, doch wenn ich fertig bin mit Rammeln, sieht dein Loch aus wie Kotelette, Fotze ! Genug gesabbelt, lass uns ficken bis es knallt. Steck’ die Zunge in mein Arschloch und ich scheiß dir in den Hals. Hoes die sagen, ich bin träge, animiere ich durch Schläge. Fotze schweig, leg’ die Zunge auf den Pint und mach ihn steif.

von King Kool Savas aus dem Song Pimplegionär von Ende der 1990er-Jahre wirken heute betrachtet einfach nur grotesk. Damals waren sie eine Art Befreiungsschlag. Auf Kosten der Selbstwahrnehmung von Frauen. Sich als weiblich identifizierte Person von solchen Passagen distanzieren oder sie gar feiern zu können, braucht schon einen gewissen Energieaufwand. Der männliche Maßstab in der Produktion, Reproduktion und Rezeption solcher Sexismen war uni-

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versell. Keine gleichaltrige Freundin oder Mitschülerin hätte mich damals davon abhalten können, mich dem auszusetzen und zu versuchen, meinen Platz darin zu finden. Ich versuchte damals sehr mich in einigen Hinsichten als jemanden zu repräsentieren, die die Anderen kool finden. Die übliche Unsicherheit. Der Maßstab der (Selbst-)Akzeptanz lag überwiegend nicht in mir. Darüber hinaus unterdrückte ich den Wunsch eher Conscious-Rap zu machen, weil ich den Eindruck hatte, dass inhaltsbetone Strophen und Songs von mir von den (überwiegend männlichen) Anderen weniger gewollt waren. Ich beteiligte mich direkt und indirekt an der Reproduktion von Sexismen und vergleichbarem Verhalten. Auf Konzerten, im Studio, auf Partys, in der WG, beim Abhängen. Die wenigen Rapperinnen wie Cora E, Fiva MC, Nina, Schwester S, Meli oder auch TicTacToe, die ich damals ausmachen konnte, waren entweder nicht in Reichweite oder galten als unkool. Als ich 2005 Pyranja kennenlernte, änderte sich die Situation: Sie gab mir Auftrittszeit ab, connectete mich mit anderen Rapper*innen, teilte sich mit mir die Leitung von Rap-Workshops und brachte mich letztlich zur politischen Jugendkulturarbeit. Der aktivistische Grundstein war gelegt. Ich hatte die Idee mit anderen Frauen zu kollaborieren, weil sie Frauen waren, bis dahin eher abgelehnt. Ich empfand Frauen als Konkurrenz. Weil sie Frauen waren. Als ich Anfang zwanzig war, gab es noch keine popkulturell-angehauchten Online-Formate, die über intersektionalen Feminismus informierten. Ich ging auf der Suche nach einer Art Studium Generale 2003 an die Humboldt-Universität und landete in den als interdisziplinär ausgewiesenen Gender Studies. Ich hatte als Neunzehnjährige keine wirkliche Idee davon, dass ich feministische Theorie studieren und diese Erfahrung in meine Musik einfließen lassen werde. Kurz zuvor hatte ich mit meinen Kumpels noch völlig unironisch sexistischen Rap gepumpt und aus Spaß maskulinistische Bücher gelesen. Nun gönnte ich mir das komplette Gegenprogramm im Rahmen meiner akademischen Ausbildung im MagisterStudiengang. Das Spannungsfeld war gewaltig, ich nutzte es als Trampolin. Ich war durch die Jahre immer wieder wegen depressiver Episoden und vielleicht auch einiger manischer Phasen in psychotherapeutischer Behandlung. Rap wurde immer mehr zu einem zentralen Aspekt meines Lebens und sprach so eine ganz andere Sprache als die geschlechterdemokratischen Handwerkszeuge, mit denen ich im Studium auf die Suche nach dem binarisierten Praxisfeld im Sinne des Dekonstruktivismus ging. 2008 wurde ich von der Photographin und Hip-Hop-Enthusiastin Nika Kramer zum einmonatigen We B* Girls-Festival eingeladen, das sie gemeinsam mit der Autorin der Hip-Hop Files – Photographs 1979 – ​1984 Martha Cooper initiierte. Das Festival brachte damals DJ*s, Breaker*innen, Sänger*innen, Photograph*innen, Rapper*innen, Beat-Boxer*innen, Filmemacher*innen und Sprüher*innen unterschiedlicher Generationen aus aller Welt in einem sonst

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männlich-homosozialen Raum zusammen. Auch dank der Unterstützung zahlreicher freiwilliger Helfer*innen, die sichtbar als ein Teil – quasi wie die Care Worker*innen des Festivals – auftraten. Hier machte ich endlich eine Erfahrung der Harmonie. Mein geschlechtertheoretisches Wissen wurde in einem spezifischen Hip-Hop-Kontext erstmalig gehört und wertgeschätzt. Ich machte die Erfahrung von weiblicher Solidarität, deren Rezeptoren durch die Zusammenarbeit mit Pyranja schon geweckt waren.

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Politische Kultur auf dem Weg zu sich selbst

Auf dem Festival spielte ich das letzte Mal mit meinen damaligen Crew-Kollegen. Es war ein endgültiger Abschied von der Orientierungslosigkeit, die sich in den stereotypisierten Dominanzverhältnissen manifestiert hatte. Strukturell betrachtet. Ich persönlich war total reif dafür, mich aus dieser Umgebung zu lösen. Über die Jahre gab es einige Männer, die sehr supportive waren, mit denen ich gut lernen konnte, die sich respektvoll verhielten. Aber trotzdem war ich immer eine Frau. Ein Kollege von damals rappte in einem Song mit dem Titel Bros before Hos: „Sookee ist sowas wie ein Homie nur mit Vagina“. Ich meine, ich war auch auf dem Song vertreten. Da ist aber keine Erinnerung an meine eigenen Lyrics. Die Erfahrung, dass Frauen im Wesentlichen als Wesen der sexualisierten Betrachtung galten wich der Involviertheit in feministische Räume, Diskurse und Begegnungen. Anfänglich dachte ich, ich könne ohne das technische Handling der Jungs um mich herum gar keine Musik mehr produzieren und auftreten. Der Mitgründer des Labels Springstoff Rainer Scheerer war gemeinsam mit Anna Groß, die ich durch die Politische Bildungsarbeit bei Cultures Interactive e. V. kennengelernt hatte, gewissermaßen meine Brücke in ganz neue Gefilde. Auf dem We B* Girlz-Festival, das noch zwei weitere Jahre stattfand, lernte ich Tapete und Crying Wölf kennen, mit denen ich eine Weile durch autonome Zentren tourte. Auf Py­ ranjas Geburtstagsparty lernte ich Refpolk und Kobito kennen, die für mich zwei wichtige Personen für das waren, was sich an linkem Rap unter dem hassgeliebten Label Zeckenrap zusammenfinden sollte. Ich hoffe, ich tue mir nicht Unrecht, wenn ich retrospektiv schon auffällig finde, dass ich mich auf der Suche nach politischem Hip-Hop von den vergleichsweise frisch gewonnen Kolleginnen wieder ab- und den männlichen Kollegen zuwandte. Aber tatsächlich vermisste ich bei vielen weiblichen MCs den politischen Blick bzw. das Strukturempfinden. Ich war durch die Uni hungrig geworden. In den Autonomen Zentren, auf deren Bühnen überwiegend weiße Cis-Männer rappten, gab es gutes veganes Essen.

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Ich komme aus einem politischen Haushalt. Meine Eltern waren sogenannte Dissident*innen in der DDR. Die Stasi dicht im Nacken. Insbesondere nachdem mein Vater als Wehrdienstverweigerer monatelang inhaftiert war. Die Sehnsucht nach einer freien Artikulation in einer Gesellschaft der Gleichheit war insbesondere bei meiner bibliophilen Mutter sehr stark ausgeprägt. Auch wenn sie im Realsozialismus das pragmatische Muster von Weiblichkeit gelernt hatte und nicht mit der Emma feministisch sozialisiert wurde, hat sie in der Literatur nach den Narrativen von Freiheit und damit nach der Freiheit selbst gesucht. Und ich schien das mit Hip-Hop auf meine Weise wiederholen zu wollen. Und wiederholen zu können. Die Auseinandersetzung mit Rassismus, Geschichtsrevisionismus, Antisemitismus, der Hass auf Neonazis, dem nicht nur in vermeintlichen Ausnahmefällen wie dem NSU-Komplex versagenden Rechtsstaat, den Nationalstaat, seine Migrations- und Flüchtlingspolitik und seine Polizeigewalt samt Überschneidungen von Polizei und Bundeswehr mit dem gesamten rechten Spektrum, der bürokratistische Sozialstaat, der jede Lebensregung mit Formularen und Anträgen kommentiert, der alles inhalierende Kapitalismus, den wir in der Leistungsgesellschaft alle internalisiert haben, der Sozialdarwinismus, der sich in der kapitalistischen Verwertungslogik widerspiegelt und Barrieren hervorbringt und Menschen be_hindert, aber eben auch die ewigen subtilen bis offenen Attacken gegen Frauen, Transmenschen und Queers, die in ihren Lebensrealitäten auf den genannten Schieflagen zu balancieren versuchen – das alles und noch viel mehr brach sich dann nach meinem 2005er Debüt Kopf Herz Arsch in den Alben Quing, Bitches Butches Dykes & Divas und Lila Samt bahn. Diese vier Alben veröffentlichte ich über Springstoff. Anna Groß und Rainer Scheerer stellten ihre Kenntnisse und Ressourcen als Label- und Booking-Verantwortliche zentral bei der Realisierung dieses neuen Weges großzügig zur Verfügung.

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Lebenslang öffentlich dialogisch lernen

Sich in der Bewegungslinken verstärkt zu artikulieren, heißt vielfach auch auf der Meta-Ebene gefragt zu sein. Für mich zeigt sich darin ein nachvollziehbares Interesse an der Person hinter dem Text. Egal ob ich Redner*in auf einer Demo, Pressesprecher*in einer Kampagne, Verfasser*in eines Manifests oder eben Rapmusiker*in bin. Aus dieser solidarisch-kritischen Haltung gegenüber einer (semi-) öffentlichen Person, die mit repräsentativem Kapital ausgestattet wird, spricht der Wunsch nach kollektiver Reflexion entlang intersektionaler Gesichtspunkte. Das bedeutet, dass sich der/die jeweilige Inhaber*in einer soziometrisch erfassbaren

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Sprechposition bestenfalls aus sich selbst heraus kritisch beleuchtet und das eigene Verhalten in Bezug auf Machtpositionen, Dominanz und Unterordnung immer wieder prüft, auf dass sich strukturell geformte Anteile von Dynamiken in linken Kontexten enthierachisieren, Ressourcen umverteilt werden und sich Repräsentationen aus der Tradition heben und den Kanon progressiver Stimmen erweitern. Im Prinzip wird in linken Kontexten schon immer der Versuch unternommen auch in den eigenen Reihen herrschafts- und systemkritisch zu sein. Auch ein Ideal des Anarchismus: Ein Leben in Gleichheit und Freiheit für alle. Unsere Gegenwart hält eine enorme Multiplikations- und vor allem Diversifizierungskraft bereit, obwohl und gerade weil diese Zeit dem globalen Erstarken rechter und faschistischer Ideologie eine besonders aufreibende ist. Wir verlangen einander viel ab – aus gutem Grund. Wenn schon aufräumen, dann auch gründlich. Als weiße Frau einen wesentlichen Anteil meines Einkommens mit einer Musik zu verdienen, die unwidersprochen die Schöpfung von Menschen ist, die über Jahrhunderte das Dominanzgebahren und den Sadismus von Weißen mit dem Leben bezahlten, ist etwas, was ich gelernt habe, mir vor Augen zu führen. Ich bin nicht Teil eines kollektiven Bewusstseins und einer kollektiven Geschichte von Menschen of Color. Vielleicht bin ich eine kleine Sprechrolle im Hip-Hop-Movie, vielleicht einmal Gast in der Hip-Hop-Talkshow. Aber ich bin keine Protagonistin und kein Host. Und dennoch habe ich das große Glück in dem Raum, der aus Hip-Hop und Feminismus gemacht ist, lärmen und lernen zu dürfen. Und Respekt zu zollen. Beispielsweise an bell hooks, Tricia Rose, Deborah Skin Dyer, Peggy Piesche, Megaloh oder Shirlette Ammons, die mich über Songs, Bücher, Vorträge und den direkten Austausch haben ein gutes Stück weit verstehen lassen, dass weiße Menschen zu Hip-Hop beitragen, aber die gemeinsame – direkte oder historische – Erfahrung von Ghetto Gospel und Poetic Justice nur von außen erleben können. Auch wenn gegenwärtig notwendige identitätspolitische Debatten in sehr kleinteiligen Differenzierungen geführt werden, und die sich daraus vermeintlich homogen konstituierende Gegenseite augenrollend eine Meinungsdiktatur zu erkennen scheint, bin ich überzeugt davon, dass Prozesse der Bewusstmachung, des Durchlaufens von Erkenntnis und Erfahrung und sich daraus ergebender Lebenspraxis unumgänglich sind. Wer herrschaftskritisch in die Welt schaut, muss auch herrschaftskritisch in sich schauen und sich dabei gewiss sein, dass diese Betrachtung wahrscheinlich nie ein Ende hat. Lebenslanges Lernen. Das ist, was sich meiner Erfahrung nach in linken Räumen als Maxime durchgesetzt hat. Das Timing und die Tonalität der Inputs für den nächsten Schritt im eigenen Prozess sind nicht immer ideal. Und manches Mal mangelt es an einem Hinweis auf unbetrachtete Stellen, fehlende Sensibilität oder Inklusivität. Auch an Wohlwollen oder Einfühlung, sodass emotionale Teil-

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prozesse wie Scham oder Veränderungen wie Überarbeitungen von Texten jedweder Couleur mitunter durchrannt werden müssen. Der eigene Maßstab, wie viel Zeit etwa ein Einsinken des neuen Wissens oder seine Anwendung erfordert oder wie viel Öffentlichkeit mit alledem einhergehen soll, lässt sich meistens nicht bestimmen, vor allem wenn die digitale Aufmerksamkeit einmal arbeitet. Ich für meinen Teil habe in den letzten Jahren mit öffentlichen Rügen für problematische Artikulationen ganz gut umzugehen gelernt. Abgesehen von der Gelegenheit zum Lernprozess, den ich eventuell aus fehlendem Problembewusstsein oder sogar aus Bequemlichkeit heraus nicht initiiert hätte – solche Wege zu durchschreiten ist definitiv auch eine Form der Emanzipation und des Empowerments: Ich befreie mich von Teilen eines Habitus der Andere subordiniert. Und ich bekräftige mich in dem Wunsch nach einer freien und gleichen Gesellschaft. Auch und insbesondere wenn ich ein Beispiel liefere, an dem viele weitere Personen an den Screens oder in Gesprächen mit mir mitlernen. Wobei ich deutlich sagen muss, dass ich diese Methode zuweilen auch nutze. Auch in Bezug auf Menschen, die sich selbst in den oben benannten, eigenen Reihen sehen. Aber gerade weil ich so viel aus Call Outs gelernt habe, traue ich Personen, die ich öffentlich adressiere zu, dass sie daraus etwas für ihr Wachstum mitnehmen können. Ich biete mich immer als öffentliches- oder Vier-Augen-Gegenüber an, falls es Fragen oder Bedarf an Austausch gibt. Eigentlich ist es ein Zeichen von Zutrauen, wenn eine Aussage von mir als enttäuschend wahrgenommen wird. Wobei natürlich nicht jeder Maßstab und jede Erwartung von außen in meinem Leben Raum haben kann. Aber ich habe inzwischen eine ganz gute Orientierung im Erspüren diskursiver Lernorte. Ich habe in den letzten zehn Jahren unglaublich viel über meine Plätze in der Gesellschaft erfahren, und wie ich sie gestalten kann. Mich nicht ausgeliefert zu fühlen. Weder aus Wut noch aus Scham. Ich verabscheue die Absurdität menschlichen Verhaltens, mit seiner Brutalität, seiner Skrupellosigkeit, seiner Missgunst und seinem Zynismus. Aber ich bin trotzdem eine Optimistin. Ich habe vor allem auch über meinen musikalischen Werdegang, der aufs Engste an meine politische Sozialisation geknüpft ist wie sonst nur meine Familiengeschichte, gelernt, was es heißt, auf mehreren Ebenen zu denken und zu agieren, Komplexität zuzulassen, an Widersprüchen nicht zu verzweifeln, sondern zu reifen. Und ich habe gelernt, diese ganzen introspektiven Verläufe ein Stück weit zu vermitteln. Ich bin Teil von Szenen, die ich kritisiere und von denen ich kritisiert werde. Wenn auch in den Fällen von Mainstream-Rap und linker Subkultur in sehr unterschiedlichen Formen und in noch unterschiedlicheren Punkten. Ich praktiziere meine Musik und meine Politik als Vorschlag für eine Alternativkultur zu dem, was gegeben scheint. Und ich übermittele meine Fragen, Ideen und Vorgehensweisen an Menschen, mit denen ich punktuell oder langfristig im Austausch bin.

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Drei unterschiedliche Rollen – Kritikerin, Akteurin, Über- und Vermittlerin. Und da ist noch keine Bühnenpersona enthalten und im Übrigen auch nicht von Bedarf in meinem Fall. Die Komplexität meiner Lebensrealität hat keine Kunstfigur nötig, weder zum Entertainment des Publikums noch für den eigenen Eskapismus. Jede Seite, die ich von mir zeige, ist Teil meines Selbst. Nur deswegen kann ich sie von mir zeigen. Ich bin keine Schauspielerin. Ich identifiziere mich mit dem, wie ich mich zeige und wie mich die Menschen wahrnehmen. Selbst, wenn sie kritisch sind. Lebenslanges Lernen.

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Queerfeministischer Rap eröffnet neue Wege und entwickelt nebenbei eine diskursive Infrastruktur

Der durchschnittliche Mainstream-Rap-Fan hätte mit dem letzten Abschnitt wahrscheinlich nicht viel anfangen können. Das mag auch daran liegen, dass Mainstream-Rap seiner Hörer*innenschaft nicht viel zutraut. Simple sells. Die Trap-Welle hält sich schon seit ein paar Jahren und der Content zurrt sich auf die üblichen Klischees im Instagram-Beauty-Filter zusammen. Aber auch das wird irgendwann von der nächsten Entwicklung abgelöst. Und auch wenn ich die Marktlogik von popkulturellen Trends gruselig finde, freue ich mich anteilig, wenn Feminismus zum Verkaufsargument wird. Zumindest symbolisch hier und da schlagen sich die Diversity-Hypes der Ästhetik-Industrien bestimmt auch bald in Hip-Hop stärker nieder. Was insofern absurd ist, als dass die Hip-Hop-Oldschool bis heute Peace, Respect und Unity proklamiert. Aber auch dieser Dreiklang lässt sich mit dem Schonbezug der Deradikalisierung hören, wie er gebraucht wird, wenn aus Idealismus und Philantropie Geld gemacht wird. Es ist nicht schlau an dieser Stelle zu polemisieren, ich sehe es ein. Denn selbst wenn wir alle am Kapitalismus beteiligt sind, liefert er dennoch Mikro-Möglichkeiten zur subversiven Erfahrung. Vielleicht ist es nicht die L’Oréal Feminist Eyeshadow-Pallette, die uns die Revolution bringt, aber jedes Rezeptionsereignis feministischer Artikulationen, ob als Comic, Song, Photographie, Tweet, Slogan, Kolumne oder T-Shirt-Spruch trägt zur medialen Öffentlichkeit und damit Selbstverständlichkeit feministischer Realitäten und Utopien bei. Die kontinuierliche (Re-)Politisierung von Feminismus-Souvenirs bleibt also ein weiteres Arbeitsfeld, wenn nicht nur in die Tiefe gedacht, sondern vor allem in die Breite promotet wird. Abseits des Mainstream hat sich auf Bühnen, von denen ich in den letzten zehn Jahren manche bespielt habe, eine Szene von – nie gezählt aber geschätzt – rund 300 Personen im deutschsprachigen Raum gebildet, die aktiv an einem kul-

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turellen Ort arbeiten, der diese Verflachung in der Popkultur und konkreter noch im Rap gar nicht erst mitmacht, wie sie im Mainstream zu erwarten ist. Diese queerfeministische Rap-Szene – die natürlich weit mehr Menschen umfasst als die 300 von mir in den Raum hineingeschätzten im Sinne der vier Hip-Hop-Elemente und ihrer Erweiterungen Aktiven – hat Äquivalente, beispielsweise in Groß-Britannien, Südafrika, USA oder Indonesien. Wir sind hier lange Zeit sehr stark an linke und linksradikale Räume, Ladyfeste, Antifa-Kontexte, sexpositiven und antirassistischen Feminismus gebunden gewesen. Viele von uns waren erst politisch aktiv und haben dann angefangen zu rappen, bei vielen geht inzwischen die politische Sozialisation mit Awesome HipHop Humanness einher und obendrein gibt es zunehmend Kollaborationen zwischen Protagonist*innen aus dem QueerFemRap-Kontext und feministisch bewegten Personen (zahlreiche von ihnen of Color), die eher keine Bezüge in die organisierte mehrheitlich weiße Linke haben. Es finden sich zu den bislang überwiegenden Podien und Vorträgen in universitären Kontexten oder Konzerten in linken Räumen Podcasts und YouTube- und Instagram-Channels ein, die sich den thematischen Überschneidungen von Hip-Hop und Feminismus widmen. Mitunter ist sogar das Format und seine Konzeption genuin feministisch und versteht Feminismus nicht nur als potentiellen Betrachtungswinkel auf Hip-Hop, sondern hat ein feministisches Verständnis dieser Kultur. Es mischen sich etablierte Musiker*innen, die die feministische Idee unterstützen mit solchen, die über feministische Kontexte überhaupt erst auf die Idee gekommen sind zu rappen, aufzulegen oder Beats zu produzieren. Obwohl alle ihren sehr eigenen Stil haben und es keinen einheitlichen Sound und keine homogene Haptik gib, wird gemeinsam recordet, getourt, promotet. Es ist wirklich eine große Freude zu sehen, dass die eine sich nicht über Beef mit einer anderen bekannt macht. Ganz im Gegenteil: Das Introducing in die Szene hinein ist wie eine Kettenreaktion. Alle bringen irgendwann wen Neues hinzu oder berichten von Artists, die sie für sich entdeckt haben. Es gibt bezaubernde Geschichten, wie wir alle zusammengekommen sind, wer wann wen auf welchem Wege kennenlernte. Da sind wenige Ausnahmen, bei denen politische Fragen unterschiedlich angegangen werden und das dann als Differenzlinie gesetzt wird. Mitunter gibt es auch persönliche Antipathien, aber nichts davon ist ein den Versuch, die Szene zu spalten. An den Punkt werden wir hoffentlich auch nicht so schnell gelangen. Solidarität statt Konkurrenz ist in unserem Kontext kein bloßer Slogan. Widersprüche und Meinungsverschiedenheiten, wie sie überall vorkommen, werden immer wieder diskutiert, um die Szene offen und behaglich zu halten. Hier bekommen Prozesse tatsächlich Raum. Wir sprechen miteinander. Zumindest nehme ich es so wahr. Emotionalität ist absolut erwünscht. Diskontinuitäten, Freakouts, Experimente, Verletzlichkeit – alles das ist hier allen bekannt. Jede*r, der/die sich mitteilt und

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zeigt – so gut die Person es eben für sich kann und will – wird darin ernst genommen. Keine durchschaubare Großschnäuzigkeit, sondern echte Wut, aus echten Erfahrungen heraus. Kein Nach-Unten-Treten, stattdessen kreative Ausbrüche im antipatriarchalen BattleRap. Keine lebensverneinende Härte, dafür Only-TheStrong-Stay-Soft. Keine sexualisiert-machtbetonten Objektifizierungen, dafür sexpositive Selflove-Parties. Kein Abgefeierei des Geld-Gottes, sondern ein Händchen für solidarische Ökonomien und DIY. Diese Szene wächst und vervielfältigt sich unentwegt. Es gibt Alben-Releases, Kollabo-Veröffentlichungen, Vortrags- und Partyreihen, Soli-Events und dergleichen in dutzenden Städten im deutschsprachigen Raum. Und das Beste ist: Niemand muss sich verstellen oder irgendwo erst einmal beweisen, bevor die Person sich einbringen kann. Ich bin in meinen Jahren öfter auch von Leuten, die ich bis dahin gar nicht kannte, gefragt worden, ob ich noch Platz im Support-Slot habe. Und noch viel öfter haben Leute auf meine Einladung hin ihre Bühnen-Premiere gefeiert oder ihren ersten größeren Auftritt gehabt. So wie mich Pyranja einst punktuell protegiert hat, habe ich zahlreiche Gelegenheiten gefunden, Kolleg*innen die Hand zu reichen. Und wenn vor jeder Handlung potenziell die Frage stehen kann, wie gesellschaftliche Veränderung ginge, dann beantwortet sie sich jedes Mal, wenn sich wieder eine Person an das Mischpult, die Turntables, die Software oder das Mikrofon traut. Wir machen einander Platz. Es funktioniert, denn jede*r hat so viel Vertrauen in die Szene als Gruppe, dass wir ganz sicher wissen, dass niemand uns etwas wegnehmen will, dass wir uns gegenseitig bereichern und unterstützen. Wir glauben an die Sache und wir erinnern uns gegenseitig daran auch an uns selbst zu glauben. Mir fallen zahlreiche Momente ein, in denen Backstage ganz offen gezeigt wurde, wie unsicher, überdreht, überfordert oder überwältigt jemand ist. Und es waren immer Leute da, die sich der Person angenommen und sie gehalten haben. Auch das Publikum bei Konzerten lebt diesen Geist. Ich habe vor einigen Jahren angefangen, ein Gästebuch bei Shows auszulegen, um möglichst viele verschiedene Stimmen einzufangen und Feedback einzuholen. Wobei es nicht um ein Sammelalbum der Lobhudeleien geht, sondern um die Möglichkeit, Erfahrungen oder Ideen jedweder Art einzubringen. Der partizipative Gedanke hat immer wieder sehr gefruchtet und ich habe ausgesprochen interessante Rückmeldungen zu lesen bekommen, von Leuten, die vielleicht nicht den Mut aufbringen mich anzusprechen oder mir eine E-Mail zu schreiben und sich auf diesem Wege dennoch mitteilen wollen. Auf Tour habe ich über Jahre bei einem bestimmten Song empfohlen Stage-Diving auszuprobieren. Nachvollziehbarerweise haben viele Frauen und Queers keinen unbekümmerten Zugang dazu, sich von mehreren hundert Händen nicht nur anfassen, sondern sogar tragen zu lassen. Die glücklichen Gesich-

Awesome Hip-Hop-Humans 161

ter und die euphorischen Worte im Gästebuch übertrafen sich gegenseitig. Solche empowernden Momente machen für mich unsere Szene aus. Alles in allem habe ich in zehn Jahren fünf Alben und zwei EPs als Sookee, ein Album als Sukini, eine EP als Teil von Deine Elstern und ein Album als Teil von TickTickBoom veröffentlicht. Ich weiß nicht, ob ich hunderte oder tausende Konzerte in diesen ereignisreichen Jahren gespielt habe. Ich habe mich in den letzten drei Jahren mit meinen Labels Buback (als Sookee) und Universal (als Sukini) recht weit in die Kulturindustrie hineinbewegt. Habe von Panels beim Reeperbahnfestival zum Talk beim Preis für Popkultur über einen Gastbeitrag in der Vereinszeitung der GEMA hin zum Stipendium des Musicboard Berlin einiges zugetragen bekommen. Habe kleinste und größte Festivals gespielt. Ich gelte als eiserne Lady im Fight um Bühnenparität. Ich habe mit einem Bein in der behaglichen Umgebung meiner queeren Subkultur und mit dem anderen in der Finanzrealität der Musikindustrie gestanden. Und ich kann sagen: Auch in über zehn Jahren hat mich der Kapitalismus immer noch nicht geknackt. Ich bin nicht gewillt, bei der Verinnerlichung des Leistungsprinzips mitzuziehen und Kompromisse einzugehen, die man eben eingeht, ab einer gewissen Größe. Ich habe immer noch kein Interesse daran, einfach nur Höher-Schneller-Weiter zu machen. Mein Impuls geht eher dahin, für mich zu arbeiten, dass es okay ist, nicht jede Chance zu ergreifen, die einer geboten wird, wenn es sich nicht richtig anfühlt, es nicht stimmig ist. Und in Anbetracht des Umstands, dass wir Viele sind und immer mehr werden, muss ich mich auch nicht undankbar fühlen, wenn ich den Gedanken zelebriere, den meine Berliner Kollegin Witch einst äußerte: „Nicht jedes Talent muss vermarktet werden.“ Die Fights, die wir als Antifaschist*innen, als Feministinnen und als Queers führen, sowohl in der Gesellschaft, als auch im Rap, als auch in uns selbst, sind immens. Die Themen, die uns am Herzen liegen, sind aufreibend. Zwar identitätsstiftend, aber auch kräftezehrend. Mein Einsatz in alledem, will ich als impulsgebend, vermittelnd und multiplizierend verstehen. Aus der Subkultur, in den Rap-Mainstream, zur Akademia, in die Pädagogik, durch die Selbstakzeptanz, ganz dicht in die Zukunft dieser Gesellschaft.

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Die Nationalisierung der deutschsprachigen Popmusik Neurechte Themen im Popdiskurs Max Alt



Abstract   Analogous to the socio-political shifts caused by the swing to the right, one can identify a nationalisation of the German-speaking pop music and its culture. Themes, values and ideological conceptions of the New Right are distinguishable in multiple pop music genres. The South Tirolian rock band Frei.Wild spreads the spirit of patriotism. Soul singer Xavier Naidoo criticises democracy in a hostile manner and rapper Chris Ares adopts the image of an honest citizen to radiate the idea of ethnopluralism. The aim of the article is to examine the strategies of establishing New Right ideology in the German-speaking pop discourse. A glance at the more recent past of German pop culture reveals that these pop phenomena are not to understand as anomalies of the zeitgeist. They should be interpreted as key constituents of a proceeding nationalisation of the German-speaking pop music culture.



Keywords   New Right, nationalisation, pop culture, swing to the right, germanomaniac pop

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Ahlers et al. (Hrsg.), Musik & Empowerment, Jahrbuch für Musikwirtschafts- und Musikkulturforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29706-0_10

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Einleitung

Die Neue Rechte1 macht sich stark – in der Politik, in der Zivilgesellschaft und in der Popkultur. Der Beitrag untersucht inwieweit sich rechtspopulistisches Gedankengut in der deutschen Popmusikkultur etablieren konnte. Ferner wird danach gefragt, inwiefern die deutschsprachige Popmusik den öffentlichen Diskurs politisch nach rechts verschiebt. Beobachtbar ist zudem eine Analogie zwischen Rechtsruck2 und Nationalisierung des deutschen Popdiskurses, die sich in den Texten, Debatten und Rezensionen der jeweiligen Künstler_innen materialisiert. Als Anschauungsbeispiele dient in erster Linie die südtirolische Deutschrock-Band Frei.Wild. Darüber hinaus sollen weitere Künstler_innen zur Untermauerung der Thesen herangezogen werden. Die Kontextualisierung und Verknüpfungen zur jüngeren Geschichte der deutschen Popmusikkultur sollen die beschriebenen popmusikalischen Phänomene in einen strukturell homologen Zusammenhang zum politischen und gesellschaftlichen Rechtsruck stellen. Frank Decker, Bernd Henningsen und Kjetl A. Jakobsen schreiben: „In fast allen nord- und westeuropäischen Ländern sind die Rechtspopulisten heute oben auf “ (Decker et al., 2015, S. 16). Ein Blick in die europäische Politik bestätigt diese Aussage (ebd.). Die deutschen Medien und Politiker_innen schauten mit besorgtem Blick auf die Wahlen in Frankreich, Österreich und den Niederlanden. In keinem der drei Länder konnten die Rechtspopulist_innen die Wahl tatsächlich gewinnen. Die Partei mag verlieren, die fremdenfeindliche und nationalistische Agenda aber bleibt. Die knappen Wahlsiege von Alexander Van der Bellen in Österreich und Mark Rutte in den Niederlanden dokumentieren lediglich wie gespalten die jeweiligen Gesellschaften sind und, dass der politische Kampf der Neuen Rechten noch nicht ausgefochten ist. Die „Ankunft des neuen Rechtspopulismus im deutschen Parteiensystem [ist nur] eine Annäherung an den (west)europäischen Normalzustand“ (Decker, 2015a, S. 75). Denn lange Zeit konnte sich keine rechtspopulistische Partei auf Regierungsebene in der Bundesrepublik Deutschland fest verankern (vgl. Decker, 2012; Decker, 2015b, S. 109). Mit dem AufkomZum Begriff der Neuen Rechten empfiehlt sich unter anderem (u. a.) folgende Literatur: Die Neue Rechte. Eine Herausforderung für Forschung und Praxis. Eine Einführung aus pädagogisch-psychologischer Sicht von Martin K. W. Schweer und Barbara Thies (2003) sowie Rechte Kulturrevolution. Wer und was ist die Neue Rechte von heute ? von Julian Bruns et al. (2015). 2 Um den komplexen Begriff Rechtsruck handhabbarer zu machen, wird er für den Beitrag schlichtweg als Hinwendung zu rechtsorientierten Ideen, Werten und Vorstellungen definiert. Zur weiterführenden Literatur bieten sich Ruck nach rechts ? Rechtspopulismus, Rechtsextremismus und die Frage nach Gegenstrategien von Milbradt et. al (2017), Autoritäre Zuspitzung: Rechtsruck in Europa von Isolde Aigner (2017) und Völkisch-autoritärer Populismus: Der Rechtsruck in Deutschland und die AfD von Alexander Häusler (2018) an.

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Die Nationalisierung der deutschsprachigen Popmusik 165

men der Alternative für Deutschland (AfD) änderte sich das.3 So ist sich der Politikwissenschaftler Ernst Hillebrand sicher: „Die dauerhafte Etablierung einer rechtspopulistischen Partei auf nationaler Ebene kann nicht mehr ausgeschlossen werden“ (Hillebrand, 2015, S. 7). Auch Marine Le Pen sprach nach der französischen Präsidentschaftswahl 2017 von einem historischen Ergebnis und „mit diesem […] haben die Franzosen die Allianz der Patrioten zur ersten Opposition gemacht“ (Blume, 2017). Le Pen und Hillebrand haben Recht: Die rechtspopulistischen Politiker_innen und Parteien Europas sind gekommen, um zu bleiben. Und so kommt es, dass „[w]as vor kurzem nur in gesellschaftlichen Nischen gesagt wurde, inzwischen zu einem Massenphänomen geworden [ist]“ (Bednarz & Giesa, 2015, S. 23). Die Neue Rechte ist noch nicht en vogue aber allgegenwärtig. Mit PEGIDA, Thilo Sarrazin und Akif Pirinçci, um nur die bekanntesten Figuren zu nennen, hat sich die Präsenz einer Neuen Rechten auch in der breiten Öffentlichkeit grundlegend verändert. Tatjana Festerling, bekanntes Gesicht bei PEGIDA, AfD und HoGeSa (Hooligans gegen Salafisten) hetzte bei einem PEGIDA Abendspaziergang gegen die „unverschämten Minderheiten aus islamischen Ländern, die uns mit ihrem Koran und ihren Sonderrechten auf den Geist gehen“ und gegen die „Gender-Tanten mit ihrem überzogenen Sexualscheiß“ (Speit, 2016, S. 218 f.). Sie erntete Applaus. Unter dem harmlos scheinenden Deckmäntelchen der Heimat, dem Erhalt einer deutschen Kultur und den „Wir sind das Volk“ Rufen verstecken sich Methoden der Ausgrenzung, Ethnopluralismus, nationalistisches Gedankengut und deutschtümelnder Patriotismus (vgl. Zick et al., 2014, 2015, 2016; Speit, 2016; Decker et al., 2015, Bednarz & Giesa, 2015; Hillebrand, 2015). „Sie [, die Neue Rechte,] gibt vor, konservativ zu sein, manchmal auch einfach rechts – niemals aber rechtsextrem“ (Bednarz & Giesa, 2015, S. 42). Wie Festerling sagen würde: „Wir sind alle keine Nazis, keine Rechtsradikalen. Wir sind Patrioten.“ (Speit, 2016, S. 218 ff.). Die südtirolische Deutschrock-Band Frei. Wild formulieren es in ihrem Song Land der Vollidioten wie folgt: „Wir sind keine Neonazis und keine Anarchisten. Wir sind einfach gleich wie ihr … von hier.“4

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Für einen Überblick über die Entstehung, das politische Programm und die unterschiedlichen Strömungen der AfD empfiehlt sich Die AfD. Analysen – Hintergründe – Kontroversen von Sebastian Friedrich (2017). 4 Aus Gründen der Übersicht wird beim Zitieren von Frei.Wild Songtexten nur der Songtitel in einer Fußnote genannt. Sollten andere Bands zitiert werden, wird dies kenntlich gemacht.

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Frei.Wild – Mit dem Heimatbegriff gegen das Establishment

Frei.Wild sind Patrioten. Sie leben ihre Heimatliebe, ihr retrospektives Weltbild, das auf den „wahren“ heimatlichen Werten wie „Sprache, Brauchtum und Glaube“5 fußt, offen aus. Frei.Wild machen sich stark für Südtirol, sind stolz auf ihre Wurzeln. Textzeilen wie „Südtirol, deinen Brüdern entrissen. Schreit es hinaus, dass es alle wissen. Südtirol, du bist noch nicht verlor’n. In der Hölle sollen deine Feinde schmor’n“6 oder „wann hört ihr auf, eure Heimat zu hassen. Wenn ihr euch Ihrer schämt, dann könnt ihr sie doch verlassen“7 offenbaren eine nationalistische und patriotische Geisteshaltung gegenüber Themen wie Heimat, Kultur und Tradition. Durch die Verknüpfung von Werten wie Familie, Heimat, Tradition und Patriotismus vertreten Frei.Wild eine nationalkonservative Geisteshaltung in ihrer Musik. Der investigative Journalist Thomas Kuban, der aufgrund seiner langjährigen Recherchen in der rechtsextremen Musikszene unter einem Pseudonym schreibt, ordnet Frei.Wild deswegen dem in der Neonazi Szene geläufigen Begriff „Identitätsrock“ (Kuban, 2012) zu. Auch der Musikwissenschaftler Thorsten Hindrichs (2014) sieht Frei.Wild im Zusammenhang mit Identitätsrock, denn Sujets wie Heimat, Volk und Patriotismus kulminieren in einer territorial begründeten „Volksidentität“ (Farin, 2015, S. 231) – eindringlich geschildert im Song Wahre Werte. Die vier Südtiroler singen von „Respekt vor dem Land“, „wir werden unsere Wurzeln immer bewahren“ und „Heimat heißt Volk, Tradition und Sprache […] Doch wir sind verpflichtet, dies zu bewahren“ und inszenieren sich so als Propheten der „wahren Werte“8. Allein der Songtitel erhebt totalitäre Ansprüche. Es maßt beinahe autokratisch und omnipotent an, von sich selbst zu behaupten, Botschafter der wahren Werte einer Kultur zu sein. Der Historiker Hans Heiss formuliert seine Kritik an dem Song wie folgt: „Der Song verdichtet frei Haus die klassische Botschaft des rechtspatriotischen Südtirol“ (Farin, 2015, S. 158). Neben dem nationalen und patriotischen Heimatbegriff werden in den Texten Frei.Wilds weitere Themen der Neuen Rechten klar artikuliert. Aus Klaus Farins Buch Frei.Wild. Südtirols konservative Antifaschisten (2015) geht hervor, dass Frei.Wild Fans „das immer wieder artikulierte Gefühl der ‚Einschränkung‘ (durch Arbeitgeber, Staat, Medien, ‚Gutmenschen‘, Paragraphenreiter, usw.)“ sowie „den Wunsch sich dagegen bzw. gegen ‚die‘ zur Wehr setzen zu müssen“ teilen (Farin, 5 6 7 8

aus: Wahre Werte aus: Südtirol aus: Wahre Werte aus: Wahre Werte

Die Nationalisierung der deutschsprachigen Popmusik 167

2015, S. 231).9 Man kennt diese Motive von den empörten Spaziergänger_innen

PEGIDAs (vgl. Sundermeyer, 2015), von der AfD (vgl. Decker, 2015a, 2015b; Fried-

rich, 2017) und rechtspopulistischen Äußerungen generell (vgl. Krause et al., 2015; vgl. Küpper et al., 2015). So sprach Alexander Gauland, Politiker der AfD, noch in der Wahlnacht von 2017: „Wir werden sie jagen. Wir werden Frau Merkel oder wen auch immer jagen – und wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen.“10 Eine latent aggressive Wir gegen Die Konstruktion mutet im rechtspopulistischen Vokabular beinahe programmatisch an (vgl. Decker, 2015a; Friedrich, 2017). Dabei erfährt diese Konstruktion unterschiedliche Ausprägungen: Wir gegen die etablierten Parteien, Wir gegen die da oben, Wir gegen die Medien, Wir gegen die Gutmenschen. Die Neue Rechte inszeniert sich zweifelsohne als Protestkultur zur bestehenden Ordnung.

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Die Neue Rechte braucht den Popdiskurs

Wenn Popmusik politisch sein will, dann zeigt sie sich meist als Protest. So liefert Popmusik als Differenzierungsmaschine stetig einen Beitrag zum Einreißen unterschiedlicher etablierter Hegemonien. Im Image einer Anti-Establishment Band offenbart sich auch das politische wie popkulturelle Potential von Frei.Wild. Auch Xavier Naidoo von Söhne Mannheims inszeniert sich regelmäßig als Systemkritiker und bandelt dabei mit der Reichsbürgerbewegung an. In dem im Frühjahr 2017 veröffentlichten Song Marionetten heißt es: „Wenn ich nur einen in die Finger bekomme, dann zerreiß ich ihn in Fetzen und da hilft auch kein Verstecken hinter Paragraphen und Gesetzen“. Naidoo ruft dazu auf, sich gegen die Politik und Politiker_innen aufzulehnen, wenn nötig mit Gewalt, da sie die „Tatsachen verdrehen“ und sich „an Unschuldigen vergehen“. Die Nähe Naidoos zur Bewegung der Reichsbürger ist unumstritten und mit seinem Auftritt bei einer Demonstration der verfassungsfeindlichen Gruppierung im Oktober 2014 auch offiziell (vgl. Soldt, 2016). Schon 2011 in einem Interview im ARD Morgenmagazin positioniert sich Naidoo klar auf Seiten der Reichsbürgerbewegung (vgl. Lange & Leber, 2017). 2012 geht aus dem musikalischen Projekt Xavas, eine Kooperation zwischen Kool Savas und Xavier Naidoo, ein Song mit dem Titel Wo sind sie jetzt hervor, der von einigen Kritiker_innen als homophob, gewaltverherrlichend und antidemokra9

Beispielhafte Frei.Wild Songs dafür sind Antiwillkommen, Gutmenschen und Moralapostel, Schlagzeile Groß, Hirn zu klein und Unrecht bleibt Unrecht. 10 Tagesschau, Aussage von AfD-Spitzenkandidat Gauland, http://www.tagesschau.de/multime​ dia/video/video-330849.html; hier: 00:11

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tisch eingestuft wird.11 Mit verspätetem Echo sorgt auch der als antisemitisch und antidemokratisch geltende Song Raus aus dem Reichstag (2009) für weiteres Aufhorchen. Der 2017 veröffentlichte Song Marionetten ist nun die Fortsetzung von Naidoos rechtspopulistischem Musikrepertoire. An Frei.Wild und Xavier Naidoo lässt sich erkennen, dass die Grenzen zwischen einer bürgerlichen Mitte, konservativen Rechten und einem patriotischen Rechtspopulismus auch in der deutschsprachigen Popmusik fließend ineinander übergehen. Themen der Neuen Rechten und deutscher Mainstream-Pop schließen sich nicht gegenseitig aus. Ganz im Gegenteil: Die Neue Rechte braucht einen breitangelegten popkulturellen Diskurs, um ihren Status als Protestkultur weiter manifestieren und materialisieren zu können. Sie braucht Querdenker_innen in der kommerziell erfolgreichen, deutschen Popmusik. Sie braucht Künstler_innen, die der Political Correctness trotzen – das Das wird man ja wohl noch sagen dürfen der deutschen Popmusikkultur. Die Neue Rechte braucht das durch Pop verursachte mediale Aufhorchen, selbst wenn es nur darum geht, die Grenzen des Sagbaren weiter nach rechts zu verschieben.

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Die Neue Rechte wird massentauglich

Entsprechend trägt auch die durch die judenfeindlichen und homophoben Textpassagen Kollegahs und Farid Bangs entfachte Antisemitismus-Debatte bei der ECHO-Verleihung 2018 ihren Teil dazu bei, in einer breiten medialen Öffentlichkeit zu verhandeln, was Popmusik darf und was nicht. In Bezug auf Rap schreibt Germanist Sebastian Peters schon fast ein Jahrzehnt vor besagter Preisverleihung, dass eine „offen antisemitische, rassistische Propaganda und reaktionäre Positionierung“ (Peters, 2010, S. 83) immer häufiger im Rap auftaucht. Fragwürdig ist dahingehend nur, dass es einer Verleihung des ECHOs bedarf, um die in Musik, Klang und Text artikulierten Inhalte kritisch zu hinterfragen. So betrachtet erscheint es weniger verwunderlich, dass sich auch im Rap Nationalismus und Patriotismus einnisten konnten. Populäre Vertreter_innen rechten Raps sind Chris Ares, Komplott und Dee Ex. Chris Ares, der sich als Patriot inszeniert, ist als das rappende Pendant zu Frei.Wild zu verstehen. Lieder wie Deutscher Patriot, Widerstand und Heimat nutzen die gleichen Bilder und Worte wie man sie auch aus dem Deutschrock Frei.Wilds kennt. So heißt es in der Videobeschreibung zum Song Heimat bei Youtube: 11 Darin heißt es: „Warum liebst du keine Möse, weil jeder Mensch doch aus einer ist ? […] Wo sind unsere Führer, wo sind sie jetzt ?“

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Ares ist weder rechts noch links, er definiert lediglich Impressionen. Ares fordert, den Patriotismus endlich wieder zu legitimieren. Sein Land und sein Volk zu lieben, ist weder fremdenfeindlich noch verwerflich, es ist das normalste der Welt. Nur wer sich selbst respektiert und schätzt, kann Fremden offen und freundlich gegenübertreten. Wir sollen unsere Wurzeln, unsere Liebe zu Vaterland und Volk leugnen, Ares wird sich dem nicht beugen.12 Mit dieser Selbstbeschreibung steht Chris Ares ideologisch fest auf dem Boden des Ethnopluralismus, der, wie Politikwissenschaftler Thomas Pfeiffer schreibt, „schließlich zum vorherrschenden Nationalismuskonzept avanciert“ (Pfeiffer, 2018, 35) ist. So wie Chris Ares gerieren sich auch Frei.Wild als politisch der Mitte zugehörig und versuchen sich von „Neonazis und […] Anarchisten“ abzugrenzen.13 Doch „[d]as Problem der ‚Unpolitischen‘ besteht […] darin, daß [sic] sie im Grunde nicht sehr viel vorweisen können, was sie und ihre Szene überhaupt kennzeichnet.“ (Büsser, 2001, S. 74) Ähnlich heißt es beim Popkritiker und Feuilletonisten Jens Balzer (2018): „Wenn diese ‚Neue Rechte‘ eine Popkultur sein will, dann ist sie jedenfalls die erste Popkultur ohne Pop. Sie hat keine Popstars, keine Konzerte, keine Klubs, keinen Soundtrack. Ihre ‚Kultur‘ beschränkt sich auf die Kultur des Protests […]“ (ebd.). Und so hat die Neue Rechte vielleicht keine eigene und charakteristische Popkultur und Popmusik, dafür aber die Fähigkeit sich alles anzueignen, was sich in das ideologische Konstrukt integrieren und sich als bürgerlich inszenieren lässt. Ob die jeweiligen Künstler_innen per definitionem Nazis, Patriot_innen, Reichsbürger_innen oder Antisemit_innen sind, spielt im Grunde keine Rolle. Entscheidender ist ihre Wirkung auf die deutsche (Pop-)Musikkultur. Thomas Kuban resümiert in Bezug auf Frei.Wild: Frontmann Philipp Burger ist der erste Rechtsrockstar im klassischen Sinne, denn sein Wirken ist auf keine Szene beschränkt, er erreicht auch das bürgerliche Spektrum, ohne dass sich bislang politischer oder zivilgesellschaftlicher Widerstand regen würde. ‚Frei. Wild‘ verkauft und etabliert Nationalismus und Anti-Antifaschismus als hippe Protestkultur (Kuban, 2012, S. 302).

Frei.Wilds Erfolg deutet an, dass der strukturelle Rechtsrock und der dazugehörige „‚Massengeschmack‘ längst in der Welt ist“ (Schneider, 2015, 97). So wie es Xavier Naidoo geschafft hat, die Gedanken der Reichsbürgerbewegung in die Popmusik zu integrieren, ebnen Frei.Wild den Weg, Nationalismus und Patriotismus im Deutschrock massentauglich zu machen. Mit Frei.Wild ist die von Frank 12 Chris Ares, Heimat, 17. 05. ​2016, https://www.youtube.com/watch?v=igElzNnNKik 13 Aus: Das Land der Vollidioten

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Apunkt Schneider antizipierte „Wahrheit über die neue deutsche Identitätsmusik ungeschminkt aus der Maske“ (Schneider, 2015, 103) gekommen.

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Die Nationalisierung der deutschen Popmusikkultur

Die beschriebenen Beispiele sind nur die augenfälligsten Symptome einer viel allgemeineren Entwicklung, die als die Nationalisierung der deutschen Popmusikkultur verstanden werden kann (Büsser, 2001; Peters, 2010; Büsser, 2011; Schneider, 2015). Spätestens seit den Böhse Onkelz muss man sich in Deutschland vom Mythos einer linksgerichteten Popkultur verabschieden (Büsser, 2001, S. 19). Auch das sich daran anschließende Phänomen Neue Deutsche Härte (NDH) kokettiert bis heute mit NS-Ästhetiken. Die NDH-Szene dient als Sammelbegriff für deutsche Hardrock Bands, zu der auch Rechtsrock Bands gehören (Peters, 2010, S. 360). Die Popularität des Genres liegt vor allem an den besonderen Umständen der PostWende-Zeit, in der das Nationale „als Gegenpol zur allgegenwärtigen Globalisierung“ an Attraktivität gewinnt (ebd., S. 360). Vor allem die Berliner Band Rammstein kann sich mit ihrem provokanten Image aus „erotischer Aggressivität und Verklemmtheit, aus männlicher Tatkraft und masochistischer Opferpose, aus Brutalität und Weinerlichkeit“ (Balzer, 2019) gegenüber anderen Vertretern der Szene durchsetzen. Die politisch diffuse, sexuelle NS-Ästhetik Rammsteins fetischisiert das frisch geeinte Deutschland und offenbart eine Hassliebe, das Für und Wider und die Zerrissenheit der deutschen Gesellschaft in der Auseinandersetzung mit sich selbst und ihrer Geschichte. In großen Gesten und epischen Bildern liefern Rammstein auch im 25. Jahr ihres Bestehens mit dem Video zum Song „Deutschland“ ein „getreues Abbild einer Gesellschaft, die im Kampf aller gegen alle immer weiter zerfasert und die sich gleichzeitig nach einer überindividuellen Kollektividentität sehnt“ (ebd.). Anders als bei Frei.Wild thematisieren Rammstein weder Nationalismus, noch Patriotismus in ihrer Musik. Die Nähe zum Faschismus ist ästhetischer Natur und bedient Topoi der Herrschaft und Unterwürfigkeit. So schreibt der Philosoph und Kulturtheoretiker Slavoj Žižek, dass man der Versuchung widerstehen sollte, Rammsteins Musik „unter Ideologieverdacht zu stellen“ (Žižek, 2008). Rammstein zwingt einen sich mit der Ästhetik des Nationalsozialismus auseinanderzusetzen, indem sie die Symbole aus der Ideologie herauslösen und sie als Lustobjekte fetischisieren. Folgt man Martin Büssers Ausführungen dann wurde die Nationalisierung deutscher Popmusik vor allem durch die Debatte um eine deutsche Radioquote befeuert. Die Konsequenz der Debatte war, dass „die in der Diskussion gestreute Saat […] überall in Kultur und Medien aufgegangen“ (Büsser, 2011, S. 155) war.

Die Nationalisierung der deutschsprachigen Popmusik 171

Schon Mitte der 1990er-Jahre warben etablierte deutsche Künstler_innen wie Heinz Rudolf Kunze für die Einführung einer gesetzlichen Radioquote nach französischem Modell14 (vgl. Spiegel Online, 1996). Das Gerangel um die deutsche Radioquote nahm daraufhin an Fahrt auf und endete 2004 damit, dass sich der Bundestag für eine Quotenregelung aussprach. Martin Büsser spricht von einer Scheindebatte, die einen Diskurs salonfähig macht, der lange Zeit verboten war – deutscher Pop sollte auch für die nationale Sache (Büsser, 2001, S. 64) genutzt werden können. Mit der Debatte um die Radioquote kamen Fragen bezüglich der deutschen Identität und einer deutschen Kultur auf das Tableau der deutschen Popkultur. Die Aufarbeitung dieser Fragen fand nicht einzig in der Popmusik statt. Filme wie das Wunder von Bern, Deutschland, ein Sommermärchen, Der Untergang oder auch Der Tunnel dienen nicht nur einer Aufarbeitung der deutschen Historie, sie bieten zudem Antworten auf die Frage: Wer sind wir als Deutsche ? Auch politische Kampagnen stimmten in den nationalen Kanon ein. Die neoliberal und poppig anmutende Initiative Du bist Deutschland von 2005 offenbart jedoch nur den einziehenden Geschichtsrevisionismus. „Gib nicht nur auf der Autobahn Gas […] Du bist Deutschland“ (Hamburger Abendblatt, 2005) war weder den Macher_innen der Kampagne noch den Medien, noch der Politik ein Dorn im Auge. Nach der Debatte um die Radioquote ist deutschsprachige Popmusik und die entsprechende Popkultur wieder anschlussfähig für Patriotismus, Heimatpathos und Nationalstolz. Die nationale Sache (vgl. Büsser, 2001) muss nicht immer laut und provokant sein wie bei Rammstein oder Frei.Wild. Die Band MIA liefert 2003 mit ihrem Song Was es ist den Soundtrack zum Aufbruch in eine neue deutsche Identität. Dort heißt es: „Es ist, was es ist, sagt die Liebe / was es ist, fragt der Verstand / Wohin es geht, das woll’n wir wissen / und betreten neues, deutsches Land“. Synthesizer-Klänge, poppige Beats und schwarz-rot-gelbe Kostüme läuten ein, dass man sich nicht mehr „fremd“ im eigenen „Land“ fühlen muss. Der eingängige Refrain tut sein Übriges, um den Song in den deutschen Single-Charts zu platzieren. MIA. arbeiten deutlich subtiler und nicht so plakativ in ihrem Vokabular wie Frei.Wild. Die Bezugnahme zu den Farben der deutschen Fahne ist jedoch unüberhörbar. „Ein Schluck vom schwarzen Kaffee macht mich wach / Dein roter Mund berührt mich sacht / In diesem Augenblick, es klingt, geht die gelbe Sonne auf.“ MIA. weist alle Vorwürfe des Nationalismus von sich. In einem Interview von 2006 heißt es:

14 Seit 1994 gibt es eine gesetzlich geregelte Quotenregelung im Hörfunk, die die Radiostationen dazu verpflichtet 40 % ihrer Sendezeit mit Produktionen französischer Interpreten zu füllen.

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„Es geht auch nicht um ein neues Nationalgefühl, sondern darum, Verantwortung zu übernehmen und die Frage: Wo komme ich her und wo gehe ich hin ?“ (vgl. Soltau, 2006). MIA. scheint die Antwort auf diese Fragen jedoch in der Idealisierung der deutschen Fahne und des deutschen Landes zu finden. Wenn Sängerin Mieze singt, dass sie „frische Spuren im weißen Sand“ hinterlassen will, versteht sich das deutlich als eine Form der Neubesetzung, auch wenn der Gegenstand hier unspezifisch bleibt. Doch gerade diese Deutungsoffenheit ermöglicht eben auch eine Aneignung des Songs für nationale und patriotische Interpretationsmöglichkeiten. Einen nicht unerheblichen Teil zur Nationalisierung des Popdiskurses tragen zudem die oftmals sehr populären Fußball-Songs bei (Auf uns von Andreas Bourani, 54,74, 90, 2010 von den Sportfreunden Stiller, 80 Millionen von Max Giesinger oder Wir sind groß von Mark Forster). Die Verbindung zwischen einem auch in diesen Titeln stark konstruierten Wir-Gefühl und der deutschen FußballNationalmannschaft als Repräsentanten der Nation ermöglicht ein unbelastetes Gefühl vom Stolz-Sein auf sein Land. Bemerkenswert ist dabei die große Popularität dieser Lieder, die nicht nur in der geschickten Positionierung der jeweiligen Lieder auf dem Markt zu Fußball-Europa oder -Weltmeisterschaften und dem damit einhergehenden Marketing begründet liegt, sondern auch in dem Bedürfnis der deutschen Gesellschaft, wenigstens zu Zeiten der Fußballhöhepunkte patriotisch sein zu dürfen. Der allgegenwärtige Party-Patriotismus, der sich bei Spielen der DFB-Elf in allen Bars, auf den Straßen und Häusern zeigt, ist ein klares Indiz für das allgemeine Bedürfnis, auch als Deutsche mal Flagge zeigen zu dürfen. Der deutsche Musikmarkt steuert mit den sogenannten WM- oder EM-Hits seinen Teil zur Nationalverbundenheit während der Sporthöhepunkte bei.

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Zusammenfassung

Die beschriebenen Beispiele zeigen, dass die in den 1990er-Jahren angeregte Debatte um eine deutsche Radioquote überflüssig geworden ist. Deutschsprachige Musik hat es ohne die Mithilfe einer Radioquote geschafft, genreübergreifend an Popularität zu gewinnen. Die als Die Neuen Deutschpoeten vermarkteten Deutschpop Künstler_innen, Spotify Playlisten wie Generation Deutschrap oder der durch Helene Fischer ausgelöste Schlagerboom sind deutliche Symptome für ein wiedererlangtes Bedürfnis nach deutschsprachiger Musik und der Frage nach einer deutschen Identität innerhalb der Popkultur. Dass 2015 zum ersten Mal in der Geschichte der Albumcharts die gesamte Top Ten von deutschsprachigen Künst-

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ler_innen besetzt wurde (Chartwoche 19. 06. ​2015 – ​25. 06. ​2015)15, ist ein weiteres Indiz für diese Entwicklung. In seiner umfangreichen fast chronikartigen Monographie Ein Lied mehr zur Lage der Nation (2010) resümiert Sebastian Peters in Rückgriff auf Martin Büsser, dass sich „der Mainstream bis zum neuen Jahrtausend langsam zum extremen rechten Rand“ (Peters, 2010, S. 83) gewendet hat. Auch dieser Trend setzt sich wie die vorgestellten Beispiele zeigen bis heute fort. So wie sich der Rechtsruck in der Gesellschaft und Politik offensichtlich vollzogen hat, findet parallel ein Rechtsruck und die Nationalisierung der deutschen Popmusikkultur statt. Eine Skandalisierung der einzelnen Künstler_innen löst weder die Spannungen innerhalb deutschen Zivilgesellschaft, noch werden durch das mediale Anprangern Lösungen auf die Fragen einer wie auch immer gearteten deutschen Identität im Popdiskurs vorgeschlagen. Was jedoch problematisiert werden sollte, ist die große Popularität demokratiefeindlicher, homophober oder nationalistischer Künstler_innen. Denn diese scheint ein Indikator für weitaus tiefergreifende Probleme innerhalb der deutschen Politik und Zivilgesellschaft zu sein.

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Ausblick

Im Rahmen dieses Beitrages konnte nur ein kleiner Ausschnitt der Phänomene beleuchtet werden, die im Zusammenhang mit dem Rechtsruck stehen. Beispielsweise blieb der Bereich des Schlagers unbeachtet. Dieser prägt einen ganz eigenen Begriff von Heimat und Verbundenheit zum Land, welcher hier nicht behandelt werden konnte. Auch die Musik der Neuen Deutsche Welle spielt in der Geschichte der deutschsprachigen Popmusik eine entscheidende Rolle, auf die hier nicht eingegangen werden konnte. Ein Blick in Barbara Hornbergers „Geschichte wird gemacht: die Neue Deutsche Welle – eine Epoche deutscher Popmusik“ (2011) lohnt sich dafür sehr. Darüber hinaus wurde das gesamte Themengebiet Rechtsrock und neonazistische Rockmusik aufgrund verschiedener Aspekte bewusst ausgeblendet. Denn es war nicht im Sinne, die Musik und Kultur einer extremen, alten Rechten zu analysieren, da dies schon von verschiedenen Seiten beleuchtet wurde (vgl. Dornbusch, 2002; Kuban, 2012; Searchlight, 2000). Ziel war es stattdessen, Strategien, Wertevorstellungen und Begriffe einer Neuen Rechten herauszuarbeiten, die sich bürgerlich darstellt und sich entsprechend in der Popkultur positioniert. Nichtsdestotrotz sollte der Einfluss der Musikszene einer extremen Rechten nicht unterschätzt werden. Eine Untersuchung über den Zuwachs und 15 https://www.offiziellecharts.de/charts/album/for-date-1434664800000

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Zuspruch von Rechtsrock und neonazistischer Musik im Zuge des anhaltenden Rechtsrucks in Deutschland wäre durchaus erstrebenswert. Ebenso wenig zu vernachlässigen in diesem Zusammenhang ist eine rechtsintellektuelle, sich als bürgerlich inszenierende Neofolk Szene, die sich im romantischen Pathos nach einem renovierten Europa sehnt. Bands wie Jännerwein oder Death in June sind auch bei der Identitären Bewegung beliebt. Das betont intellektuelle und elitäre Auftreten der Neofolk Szene entspricht dem Charakter einer Neuen Rechten eher als das martialische Nazigehabe des Rechtsrocks. Letztlich bleibt zu erwähnen, dass eine Betrachtung des klanglichen Materials und der musikalischen Gegenstände unberührt blieb. Eine Untersuchung der Aneignungsstrategien von bereits tradierten Sounds und musikalischen Praktiken, die durch Vertreter_innen einer musikalischen Neuen Rechten transformiert und semantisch umstrukturiert werden, erfordert eine ganz eigene Fragestellung, die hier leider nicht bearbeitet werden konnte. Es stellt sich heraus: Das Thema des vorliegenden Beitrags ist unerschöpflich und regt zur weiteren Forschung an.

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Young Scholars

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Do It Yourself als Empowerment ? Eine explorative Studie Janike Walter



Abstract   Was bedeutet es, sich in der Musikbranche selbst zu ermächtigen ? Die hier vorgestellte Studie beleuchtet diese Frage in Bezug auf eigenständige Künstler_innen/-gruppen sowie kleinerer Labels der deutschen populären Musikszene. Die Do It Yourself genannte Arbeitsweise soll in ihrer Entstehung und Entwicklung dargestellt und im Anschluss von Experten_innen der Branche eingeordnet werden. Wie werden Selbstwirksamkeitsüberzeugungen in der Praxis von den betroffenen Akteuren definiert und durch verschiedene Stakeholder legitimiert ? So lautet die Frage, die dabei den Rahmen bildet. Ziel ist es, Do It Yourself aus unterschiedlichsten Sichtweisen einzuordnen und zentrale Treiber dieses Ansatzes herauszuarbeiten, um schließlich Ansätze für eine Beurteilung zu gewinnen, inwiefern Do It Yourself als Empowerment für die Musikbranche zu sehen ist.



Keywords   Do-It-Yourself, Labels, Music Business

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Einleitung

Die Musikwirtschaft ist seit jeher stark durch äußere Einflüsse geprägt. Megatrends und technische Veränderungen stellten die Branche stets vor neue Herausforderungen, sich gewinnbringend mit den Trends zu entwickeln und anzupassen. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Ahlers et al. (Hrsg.), Musik & Empowerment, Jahrbuch für Musikwirtschafts- und Musikkulturforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29706-0_11

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Als Entwicklungskonstanten der globalen Gesellschaft umfassen [Megatrends] mehrere Jahrzehnte. Ein Megatrend wirkt in jedem einzelnen Menschen und umfasst alle Ebenen der Gesellschaft: Wirtschaft und Politik, sowie Wissenschaft, Technik und Kultur. Megatrends verändern die Welt – zwar langsam, dafür aber grundlegend und langfristig. (Zukunftsinstitut, 2018)

So trug die Globalisierung als Megatrend beispielsweise mit all ihren Facetten dazu bei, dass der Musikmarkt nun vor neuen Herausforderungen steht. Durch technologischen Fortschritt werden Distanzen zwischen Ländern marginalisiert, in ökonomischer Hinsicht wird der Handel liberalisiert und auch länderspezifische kulturelle Aspekte stellen keine so starke Bindung mehr dar. Der Superstar-Hype der 1980er Jahre hatte eine so große Wirkung nur durch seine Medienpräsenz – wie die weltweite Verbreitung von Musikvideos à la Michael Jacksons Thriller zeigte. Einsparungen von Kosten, sowie Skalen- und Lerneffekte durch globalisiertes Agieren schaffen für internationale Unternehmen sogar Wettbewerbsvorteile (Kromer, 2009). Und nicht nur Entwicklungen wie die Erfindung von Emil Berliners Methode der Aufzeichnung und Wiedergabe von Schallschwingungen mit einer kreisenden Platte (US-Patent vom 28. 07. ​1896), die wir heute als Grammophon kennen, lassen sich als einschneidende Veränderung festhalten. Ebenso wie die Gesellschaft steht auch die Musikwirtschaft unter dem Einfluss von sozialen Bewegungen, die Strukturen verändern und somit Veränderung begünstigen. So auch am Beispiel Empowerment: Nachdem sich der Tonträgermarkt seit den 1990er Jahren mit deutlich rücklaufenden Umsätzen über traditionelle Distributionswege grundlegend zu wandeln begann und mit dem digitalen Vertrieb von Musikprodukten eine neue Ära anbrach, änderten sich dadurch auch Wertschöpfungsketten und Machtverhältnisse der Branche (Tschmuck, 2003). Kleinere Künstler_innen entdeckten stärker denn je den Freiraum an Möglichkeiten, Musik autonom zu veröffentlichen. Große Konzerne wiederum reagierten mit einem Bestreben nach stärkerer Bindung, die sie an allen Aktivitäten des Kunstschaffenden teilhaben lassen. Diese Art von Empowerment insbesondere kleiner Künstler_innen, die allgemein mit der englischen Bezeichnung Do It Yourself (deutsche Übersetzung: Tu es selbst) tituliert wird, nimmt unterschiedliche Formen an, deren Entstehung und Entwicklung hier zu Beginn ausgeführt werden soll. Kern dieses Artikels soll die Beantwortung folgender Frage darstellen: Wie werden Selbstwirksamkeitsüberzeugungen in der Praxis von den betroffenen Beteiligten definiert und durch verschiedene Teilhaber_innen der Branche legitimiert ? Das explorative Betrachten eines Spannungsfeldes rund um Empowerment-Bemühungen eigenständiger Künstler_innen/-gruppen sowie kleiner Labels in der populären Musikbranche soll dabei auch als Analyse aktueller Machtstrukturen verstanden werden. Angestrebt wird ein Erkenntnisgewinn zur Gewinnung neuer

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Hypothesen, die als Grundlage für weitere, spezifischere Anschlussforschung dienen können. Durch die Analyse von Gesprächen mit drei Akteur_innen aus der Praxis können Handlungs- und Sichtweisen, sowie Relevanzsysteme und Deutungsmuster subjektiver Sichtweisen herausgearbeitet werden: Ziel ist es dabei, Do It Yourself aus unterschiedlichen Sichtweisen einzuordnen. Welche Motivationen und Wirksamkeitskonzepte stecken als zentrale Treiber hinter dem Ansatz Do It Yourself – und inwiefern ist Do It Yourself als Empowerment für die Musikbranche zu definieren ?

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Entstehung und Entwicklung von Do It Yourself

Fest steht, dass sich die Musikwirtschaft besonders über die letzten 20 Jahre stark verändert hat. Der Fakt an sich ist nicht verwunderlich, da jede Industrie über Jahre hinweg Veränderung durchlebt und so auch die Musikwirtschaft schon seit ihrer Entstehung durch permanenten Wandel geprägt war. In diesem Fall ist die Lage allerdings besonders: Denn wenn bisher neue Technologien den Markt erreichten, hatte dies über kurz oder lang insbesondere bei der phonographischen Wirtschaft letztendlich stets ein Wachstum zur Folge – häufig war der Profit aber auf wenige Protagonisten_innen, folglich die großen Player der Branche, verteilt. Die zunehmende Digitalisierung seit Beginn des 21. Jahrhunderts erschütterte die Musikbranche aber anders als gewohnt: Kennzeichnend für die letzten eineinhalb Jahrhunderte war aber auch eine oftmals ablehnende Haltung der großen musikwirtschaftlichen Unternehmen gegenüber neuen Technologien und erst eine allmähliche Annahme dieser, woraus im Umkehrschluss oftmals neue Geschäftsideen und -modelle resultierten. In zeitlich komprimierter Form kann dieses Verhalten der Industrie vor allem während der letzten eineinhalb Jahrzehnte [Stand 2013; Anm. d. Autorin] beobachtet werden, seitdem die Digitalisierungswelle die bisherigen Strukturen der Musikwirtschaft vollkommen verändert hat. (Limper & Lücke, 2013, S. 48)

Die Veränderung bisheriger Strukturen bezieht sich hier auf eine stärkere Diver­ sifizierung des Marktes durch die Entstehung vieler Kleinunternehmen (soge­ nannte Independentlabels) oder komplett unabhängiger Künstler_innen neben den drei großen Majorlabels. Diese unabhängigen Labels haben die gleichen Umstände, welchen die Majorlabels lange ablehnend gegenüberstanden, für sich genutzt. Sie sind unter anderem durch sinkende Produktionskosten von Musik, preisgünstige Marketingmaßnahmen über das Internet, der Nähe zu ihrer Sze-

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ne und der Möglichkeit des agilen Aufgreifens neuer Trends besser aufgestellt als ihre Konkurrenz (ebd.). Dieses Kapitel soll einen Einblick in die Entwicklung von Do It Yourself über die letzten Jahrzehnte bieten und anschaulich machen, welche Umstände die Entstehung und Entwicklung des Do It Yourself-Ansatzes begünstigt haben. Denn einige deutsche Kunstschaffende haben sich in jüngster Zeit bewusst gegen einen Vertag mit vielen Einschränkungen beim großen Label und für das selbstständige Produzieren und Vertreiben ihrer Kunst entschieden: Um mit Trettmann und Fynn Kliemann, die jeweils in Zusammenarbeit mit ihren Labels Kitschkrieg und twoFinger Records ihre Alben herausbrachten, nur zwei Beispiele zu nennen. Grundsätzlich sind als Gründe für die Zunahme an Möglichkeiten für unabhängige Künstler_innen in der Branche ohne großes Label an der Seite Fuß zu fassen, zahlreiche günstige Umstände zu nennen. Smudits und Blaukopf prägten den Begriff der Mediamorphosen, die als „technologisch bedingte Regressionsphasen und Entwicklungsschübe“ (Höhne, Maier & Zaddach, 2014, S. 8) Veränderungsdynamiken anstoßen. Die Musikwirtschaft entwickelt sich demnach schubweise, ausgelöst durch Innovationen neuer Technologien (Höhne et al., 2014). Nach diesem Verständnis liegt das 20. Jahrhundert innerhalb der vierten Mediamorphose, die von elektronischen Innovationen geprägt wurde. So waren es neben Radio und Fernsehen erst die Schallplatte, später die CD und letztlich die MP3 Datei, die als bahnbrechende Innovationen den Markt geprägt haben und neue Möglichkeiten eröffneten, Musik immer autonomer zu veröffentlichen. Über die Jahre wurde Do It Yourself somit nicht erst mit der Jahrtausendwende durch das Internet zum Trend, sondern begann bereits Mitte des letzten Jahrhunderts, die Branche zu verändern. Beispielsweise entstand schon durch die Aufnahme auf Magnetband, die seit den Vierzigerjahren eine günstige Alternative zu den Schellack-Platten bot, eine schnell wachsende Bewegung der Entstehung vieler kleiner unabhängiger Unternehmen. Zum Vergleich: „1949 waren in den USA lediglich 11 Unternehmen in der phonographischen Industrie tätig, wohingegen 1954 die Zahl auf fast 200 angestiegen war.“ (Tschmuck, 2003, S. 157) Jene jungen Unternehmen arbeiteten mit den gerade ebenso vielzählig aus dem Boden sprießenden Indie-Radiosendern zusammen, welche sich die Kooperation mit den großen Labels wiederum nicht leisten konnten. Diese Symbiose traf genau auf die „steigende […] Nachfrage der Babyboomer-Generation nach neuer, unverbrauchter, abseits des Big Band-Mainstream angesiedelter Musik“ (Gensch, Stöckler, Tschmuck, 2009, S. 145) – und zeigt abermals die Skepsis der großen Labels vor der „ordinären und obszönen“ (Tschmuck, 2003, S. 133) Innovation Rock-n-Roll: „In the early 1950s, the music industry was blind to the large and growing unsatiated demand for greater variety in music and deaf to the efforts of musicians that might have satisfied that demand.“ (Peterson, 1990, S. 113) Dadurch folgten Einbußen von Ge-

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winn und Marktanteilen der Majorlabels und letztlich der Verlust ihrer Vormachtstellung. Durch den Rock’n’Roll wurde der Markt kräftig auf den Kopf gestellt und die Schallplatte stand wieder im Fokus des Musikvertriebs (Tschmuck, 2003). Ein weiteres Beispiel, dass es nicht zuletzt Musikstile selbst sind, welche die Branche und ihr Selbstverständnis im großen Stil beeinflussen, folgte zwei Jahrzehnte Jahre später durch die Punk-Bewegung Ende der späten Siebzigerjahre. Der Kerngedanke der Do It Yourself-Ethik, das Versprechen von Selbstermächtigung, Eigenständigkeit und Selbstwirksamkeit, ist auch in den radikal anarchisch definierten Grundsätzen des Punks zu erkennen. Gegen das Altbewährte und im Sinne der Aktivist_innen Eingestaubte entwuchs aus der Anti-Establishment Haltung zunächst Nischenmusik und die Überzeugung, gegen die Kommerzialisierung der großen Labels zu stehen. Und all das wie Tommy Ramone es formuliert, inspiriert von der Musik, die sich insbesondere vom etablierten Rock’n’Roll abheben sollte: „1973 wusste ich: was gebraucht wird, ist reiner Rock’n’Roll ohne Bullshit“ (Ramone, 2007). Mit zunehmender Entwicklung der neuen Subkultur Punk wurden allerdings auch Stimmen laut, die mutmaßten, ob das deutliche Absondern vom Mainstream und Schaffen eigener Trends nicht im Kern selbst langweilige Konformität darstellte. Für eine ganzheitliche Sichtweise und Einordnung des Do It Yourself-Ansatzes hat diese Kritik bis zur heutigen Zeit nicht an Berechtigung verloren. Neben dem Einfluss von Musik-Trends auf die Entwicklung der Branche spielen auch die zu Beginn des Kapitels erwähnten technischen Innovationen eine tragende Rolle in der Entstehung der Do It Yourself-Ansätze in derzeitiger Form. 1982 kam mit der Compact Disc (CD) die technische Innovation, welche die Schallplatte vom Markt drängte und gleichzeitig das letzte wichtige haptische Speichermedium markierte. Während der darauffolgenden Wachstumsphase drängten branchenfremde Investoren auf den Markt, wie unter anderem das Verlagshaus Bertelsmann oder der Elektronikkonzern Sony, sodass die größten Labels „Ende der 1980er Anfang der 1990er Jahre vollkommen neue Eigentümerstrukturen auf[wiesen]“ (Tschmuck, 2003, S. 218). Der Markt boomte und das CD Segment hatte bis 1994 hohe zweistellige Umsatzwachstumsraten (ebd.). Der weltweite Höchststand an Tonträgerumsätzen fällt in das Jahr 1996, wonach jedoch der Umsatz erstmals ebenso drastisch zurück ging wie er gewachsen war (ebd.). An dieser Stelle ist es bedeutsam auf die Fokussierung der Branche zu dieser Zeit hinzuweisen: Hier wurden rund um ein Speichermedium Imperien aufgebaut. Zwar bot die Wertschöpfung über einige Jahre eine solide Basis für die großen Label, allerdings war sie nach heutigem Wissen alles andere als zukunftsversiert ausgerichtet. Diese starre Ausrichtung auf aussichtsreiche, gewinnbringende Medien wie die CD schränkte große Labels in der Vergangenheit häufig in ihrer Flexibilität ein, zügig auf marktverändernde Innovationen zu reagieren – wie im Folgenden erläu-

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tert wird und was zudem später Möglichkeiten für die flexibleren Do It YourselfKünstler_innen eröffnet. Durch den vorerst anhaltenden Erfolg der CD wurden die Möglichkeiten und Vorteile, welche mit der neuen Datenkomprimierungstechnologie „Motion Picture Extra Group, Layer 3“ (kurz: MP3) des Fraunhofer-Instituts entstanden, zwar von den Konsument_innen schnell erkannt, die dadurch entstehenden Risiken für die Branche von der Industrie aber lange verkannt. Die MP3 Datei wurde als schnelles und günstiges Medium zur Verbreitung von Musikstücken genutzt – ganz ohne die Einbindung der Musikindustrie und den Kauf von Tonträgern. 1997 hatte sich der schrumpfende Markt durch Fusionen bereits soweit konsolidiert, dass die fünf Majorlabels Universal/Polygram, Sony Music Entertainment, EMI, Warner Music Group und Bertelsmann Music Group ihn weltweit beinahe komplett beherrschten (Tschmuck, 2003). Zwar eröffnete das Internet und damit die digitale Revolution der Branche neue Absatzmöglichkeiten, wie beispielsweise CD-Verkäufe über Amazon (ebd., S. 226), schnell wurde aber deutlich, dass der/ die Konsument_in eigenständiger als erwartet geworden war. Die Dienstleistung, Musik in portabler Form im Eigenheim genießen zu können, was zu dieser Zeit insbesondere der Tonträger CD möglich machte, war seit Beginn der 1990er Jahre durch das neue, bahnbrechende MP3 Format schleichend obsolet geworden. Musikstücke konnten in guter Qualität über das Internet konsumiert, versendet oder geladen werden, sodass eine komplett neue Bewegung die Branche erschütterte: Die Digitalisierung als neueste Revolution der Musikwirtschaft. Doch welche konkreten Auswirkungen hatten diese Entwicklungen auf die teilhabenden Unternehmen der Branche ? Aktuell sind auf dem deutschen Markt drei Majorlabels etabliert: Universal Music, Warner Music sowie Sony. Neben diesen umsatzstärksten Labels hat sich in der Branche eine große Bandbreite an Independentlabels angesiedelt. Weltweit lag der Anteil an Independentlabels 2016 nach dem WINTEL Report 2017 bei 38,4 %, auf dem deutschen Markt bei 31 % (Worldwide Independent Network, 2017): Durch veränderte Rahmenbedingungen Anfang des 21. Jahrhunderts haben auch unabhängige Kunstschaffende eine Chance, ihren Durchbruch ohne ein großes Label im Hintergrund zu schaffen. Und genau an dieser Stelle setzt die vorliegende Arbeit an. Die hier geschilderte Entwicklung der Branche über die vergangenen Jahrzehnte beschreibt eine starke Diversifizierung der klassischen Marktaufteilung unter den großen Majorlabels. Technische Innovationen, Musiktrends ebenso wie gesellschaftlicher Wandel und der Einfluss von Megatrends haben dazu geführt, dass die Rezeption von Musik und damit das Verhalten von Konsument_innen und Künstler_innen einem permanenten Wandel unterliegt. Welche konkreten Formen diese Entwicklung derzeit annimmt, soll im folgenden Abschnitt eingeordnet werden.

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Aktuelle Lage: Ausprägungen von Do It Yourself

Die Entwicklungen des 20. Jahrhunderts fordern von den Stakeholdern der Branche Wege zu finden, mit diesen Veränderungen umzugehen. Majorlabels, Indepententlabels und unabhängige Künstler_innen haben ihre individuellen Herangehensweisen, in den Strukturen zu bestehen und Chancen zu ergreifen. Diese Wege bildeten wiederum neue Charakteristika aus, welche heute die deutsche Musikwirtschaft prägen. Im Fokus dieser Betrachtung sollen daher in diesem Kapitel Beschreibungen stehen, welche unterschiedlichen Formen, also Strategien, Handlungsmuster oder Organisationen, Do It Yourself annehmen kann. Im Anschluss daran ist dann im Gespräch mit Akteuren_innen aus der Praxis einzuordnen, wie daraus Selbstwirksamkeitsüberzeugungen der Beteiligten entstehen und ob und wie ein Selbstkonzept von Empowerment die Branche prägt. Nur noch mit der Fam, brauch’ keine Helfer Die Welt arschkalt, wird immer kälter Nur noch mit der Fam, helfen uns selber Schletti ist der Don, machen alles selber (Trettmann, 2017)

So beschreibt der Künstler Trettmann den Do It Yourself-Ansatz im Song DIY (Kurzform von Do It Yourself ) aus dem gleichnamigen Album. Er widmet sein Album damit namentlich dem Trend, der seine Karriere und seit der Jahrtausendwende auch die Musikbranche beeinflusst hat (Celotti, 2017). Er spricht von „der Fam“ als Abkürzung für Familie und meint damit den kleinen Kreis der Menschen, die ihn bei der Produktion seiner Musik seit Jahren begleiten: Dazu gehören „Schletti […] der Don“ als Hommage an seinen Booker und sein Label Kitschkrieg, welches aus Freunden_innen und Wegbegleitern_innen besteht und ihn in dieser Form seit Ende 2015 betreut (Kitschkrieg, 2018). Trettmann ist damit ein bekennender Vertreter der Arbeitsweise Do It Yourself. Abseits des Establishments der Musikindustrie übernimmt er mit seinem Team alle Aufgaben selbst. Do It Yourself bedeutet Selbstproduktion und -vermarktung und ist häufiger bei unbekannteren Künstler_innen zu finden, die letztlich auch aus Kostengründen viele Aufgaben selbst übernehmen: Da die benötigten Dienstleistungen nicht von der Musikindustrie übernommen werden, verbleiben die Einnahmen in einem jeweiligen Bereich auch zu großen Teilen bei den Kreativen, die derart – ohne die Beteiligungen Dritter – ihr Auskommen ebenfalls bestreiten können, selbst wenn die Abverkäufe von Produktionen niedriger sind als im Vergleich zur Mithilfe durch etablierte Partner (Limper et al., 2013, S. 203 f.).

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Dabei werden Kosten und Zeit gespart und die Entscheidungsfreiheit liegt vollkommen beim Kunstschaffenden. Gleichzeitig ist diese_r aber bei einer solchen Form der Eigenregie gleichermaßen als Unternehmer_in zur Vermarktung der eigenen Marke gefragt. Dazu zählen das Anlernen und Verstehen von Marketingmechanismen in sozialen Netzwerken wie Facebook oder Instagram, Fähigkeiten im Design oder Produktionstechniken für die Aufnahme der Musik. Höhne (2014) nennt das eine Art „Doppelagentenrolle“ und zitiert dazu Mohl, der konstatiert, dass man als Kunstschaffende_r (er bezieht dies insbesondere auf die junge Autorengeneration in Deutschland) heute „[z]um einen Freiberufler […] und Geschäftsmann in einem zu sein hat und deshalb in zwei Sphären wirkt: In der des Geistes (des Textes) und in der des Geldes (des Marktes)“ (ebd. S. 122). Daraus entwickelte sich über die letzten Jahre der Begriff Artrepreneur: Zusammenfassen lässt sich diese Tendenz unter dem Schlagwort der flexiblen Spezialisierung, bei der die Musikschaffenden frei von unmittelbaren musikindustriellen Vorgaben werden, aber dafür umso mehr auf ihre Selbstbehauptung am freien Markt angewiesen sind. […] Nicht unrealistisch für die zukünftige Entwicklung erscheint ein Bild von Musikschaffenden als Kleinunternehmer, als „Artrepreneurs“ mit vielfältigen Kompetenten, vor allem technischen, kaufmännischen und künstlerischen […] (Smudits 2008, S. 263).

Nun ist es von Bedeutung zu konstatieren, dass nicht jede Art von Do It Yourself in dieser Art der One Man Show zum Ausdruck kommt. Neben der aus den Motiven der Sparsamkeit und Selbstbestimmung betriebenen Eigenständigkeit als einzelne_r Kunstschaffende_r ist natürlich auch die Eigenständigkeit von Künstler_innengruppen Realität. Dort können Aufgaben zwar auf mehrere Personen aufgeteilt werden, der Druck des Artrepreneurs lastet aber weiterhin durch fehlende externe Unterstützung auf der Gruppe. An dieser Stelle ist allerdings zu differenzieren, dass der Begriff des Do It Yourself nicht klar abzugrenzen ist: Viele unabhängige Künstler_innen sind nicht komplett alleine mit den Aufgaben Marketing, Design und Produktion betraut. Vielmehr geht es um die Schaffung eines Netzwerks, das es den Künstler_innen ermöglicht, Aufgaben auch an Dienstleister_innen oder befreundete Bekannte abzugeben. Da selbst diese Art des Outsourcings eine Selbstorganisation und Koordination bedeutet, die sonst ein Label übernimmt, spricht man auch hier von Do It Yourself. Gleichbedeutend mit den oben beschriebenen Herausforderungen sind die Schwierigkeiten einzuordnen, mit denen ein kleines Label konfrontiert ist. Die Veränderungen der Branche betreffen nicht nur eigenständige Künstler_innen, sie beeinflussen auch Labelstrukturen. Bereits in Kapitel zwei wurde beschrieben, dass der Anteil an Independent Labels durch die Umstrukturierungen der Mu-

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sikbranche 2017 auf weltweit 38,4 % angestiegen ist: Die oben beschriebene Geschichte des Labels Kitschkrieg ist beispielhaft für diese Entwicklung. Do It Yourself reicht in der Begriffsdefinition bis hin zur Gründung eines eigenen Labels, bei dem Produktion und Vermarktung ganz in den Händen des Kunstschaffenden liegt. Häufig fällt die Entscheidung zur Gründung aus der Vorstellung heraus, den Aktivitäten der Selbstproduktion und -vermarktung einen rechtlichen Rahmen geben zu wollen oder perspektivisch auch anderen Künstler_innen die Chance geben zu wollen, vom erschaffenden Netzwerk an Branchenkontakten zu profitieren. So ist es auch beim Label twoFinger Records. Das kleine Label, welches im Herbst 2018 das Album des über YouTube bekannt gewordenen Fynn Kliemann veröffentlichte, wurde von selbigem und seinem Wegbegleiter Niklas Tietjen gegründet. Dieser hatte vorher über mehrere Jahre beim Tochterunternehmen FourMusic des Majorlabels Sony gearbeitet und brachte daher viele Kontakte und Erfahrung mit der Szene in das Unternehmen ein. Gemeinsam entschieden die Beiden, Kliemanns Album nicht bei einem Majorlabel zu veröffentlichen, sondern eigenständig Regie zu führen und dafür twoFinger Records zu gründen. Derartige Geschichten von bewusster Erarbeitung einer eigenen Definition von Selbstwirksamkeit stehen im Zentrum der vorliegenden Studie. Im folgenden Kapitel werden die Ergebnisse einer Befragung von Akteuren der Branche vorgestellt. Sie wurden gebeten einzuschätzen, inwiefern Do It Yourself in der Branche als Empowerment wahrgenommen wird.

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Auswertung der Studie zur Selbsteinschätzung von Do It Yourself-Akteuren

Im folgenden Kapitel wird zunächst das methodische Vorgehen erläutert, anschließend werden die Ergebnisse der Studie vorgestellt. Es wird die Vorgehensweise nach qualitativem Forschungsansatz sowie die Auswahl der Interviewteilnehmer_innen erläutert. Nach der Präsentation des verwendeten Interviewleitfadens und des Analyseverfahrens werden die Ergebnisse der Forschung innerhalb von drei aufeinanderfolgenden Unterkapiteln vorgestellt und in einen Zusammenhang gebracht.

4.1 Methodisches Vorgehen Im Rahmen dieser Studie wurden mit drei Akteuren der deutschen Musikbranche leitfadengestützte Experteninterviews geführt. Das Forschungsdesign ist dabei an

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die Ausgangsvoraussetzungen angepasst, welche der qualitative Forschungsansatz mit sich bringt. Demnach trägt die Studie dazu bei, einen Erkenntnisgewinn in Bezug darauf zu erzielen, wie verschiedene Stakeholder der deutschen Musikbranche die Entwicklung Do It Yourself als Empowerment einschätzen. Erklärtes Ziel ist es, zu der Thematik durch subjektive Darstellungen unterschiedliche Sichtweisen zu gewinnen. Diese Darstellungen sollen als Theorien der Wirklichkeit von den interviewten Experten erfragt und im Anschluss rekonstruiert und analysiert werden, sodass eine schlüssige erste Einschätzung zum Thema Do It Yourself in der Musikbranche entsteht. Es steht insbesondere im Fokus, inwiefern sich im Laufe der letzten Jahre Einflussfaktoren innerhalb der Branche gebildet haben, die ein Empowerment von Künstler_innen durch Do It Yourself vorangetrieben haben könnten. Die Gegenüberstellung der subjektiven Theorien mehrerer Experten ermöglicht die Konstruktion eines ersten, vorläufigen Abbildes. Eine Vollerhebung ist in dieser Studie nicht angestrebt, weshalb stattdessen mit drei männlichen Akteuren aus sehr unterschiedlichen Bereichen der Branche gesprochen wurde. An dieser Stelle ist zu betonen, dass Bemühungen fehlschlugen, das Geschlechterverhältnis der Experten ausgeglichen zu gestalten. Trotz ansteigender Bemühungen der letzten Jahre sind Frauen in Führungspositionen der Musikwirtschaft noch unterrepräsentiert und für diese Studie nicht zu erreichen gewesen (Tobien, 2017). Eine positive Entwicklung dieser Problematik wäre für die Musikbranche als auch für weitere Studien mit ähnlichem Forschungsziel als Veränderung im Forschungsdesign wünschenswert. Eine genaue Erläuterung zur Auswahl der Experten und der Konstruktion des Forschungsdesigns folgt in diesem Kapitel. Der qualitative Forschungsansatz wird in diesem Fall für eine explorative Studie verwendet. Bei dieser Art des Vorgehens steht weniger das strikte Belegen oder Negieren von wissenschaftlichen Hypothesen im Fokus, sondern viel mehr das Generieren von neuen Anstößen und Hypothesen sowie die Schaffung einer Grundlage für weitere Forschungen bei bislang wenig erforschten Themenkomplexen.1 Nach der Darstellung des Forschungsdesigns dieser Studie ist nun die praktische Umsetzung interessant. Bei der Auswahl der Hintergründe der interview1

Vorab wurden eigene Gütekriterien für den Forschungsansatz dieser Arbeit etabliert: Diese sind wiederum durch die Grundannahmen, Ziele und Wirkungsweisen der qualitativen Vorgehensweise definiert und orientieren sich an der spezifischen Fragestellung der jeweiligen Forschung (Steinke, 2000). So sind im qualitativen Bereich die Kriterien der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit, lückenlose Dokumentation, Einhaltung der festgelegten Regeln zur Transkription und Auswertung sowie der Kohärenz als Gütekriterium von Bedeutung: Ergebnisse und Theorien müssen schlüssig sein und Widersprüche diskutiert werden. Zudem muss die Relevanz der Fragestellung zum aktuellen Forschungsstand eingeordnet werden (ebd.).

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ten Experten wurde besonders darauf geachtet, dass sie unterschiedliche Rollen wahrnehmen. Zunächst wurde Jörg Heidemann in seiner Rolle des Geschäftsführenden des VUT interviewt. Der Verband unabhängiger Musikunternehmen e. V.2 (VUT) mit Sitz in Berlin stand schnell als Gesprächspartner fest, um die Sicht der kleinen und mittelgroßen Musikunternehmen einzuschätzen. Der VUT fungiert in Deutschland als Dachverband von kleinen und mittelgroßen unabhängigen Musikunternehmen, darunter Verlage, Labels, Vertriebe, Produzent_innen als auch Künstler_innen, die sich selbst vermarkten (VUT, 2018): Aktuell zählt er 1 300 solcher Mitglieder (Goethe Institut, 2016). Vor dem Interview mit Jörg Heidemann, der seit 2014 die Geschäftsführung des Verbands ausübt, wurde mit seinem Expertenwissen und Schilderungen aus der Perspektive der Verbandsmitglieder, die innerhalb des VUTs organisiert sind, gerechnet. Zudem sollten aus Sicht eines organisierten Verbands heraus ebenfalls Entwicklungen aus Politikund Lobbyarbeit berichtet werden. Als kontrastierender Fall zu Heidemann wurde nach einem unabhängigen Kunstschaffenden aus der Branche gesucht. Christian Hyla, der mit seiner Band Schafe & Wölfe seit 2012 Musik macht und dabei die komplette Arbeit eines Labels eigenständig übernimmt, erfüllt diese Ansprüche (Schafe & Wölfe, 2018). Er steht exemplarisch für die Sichtweise eines unabhängigen Musikers, der in seiner Reichweite bei aktuell knapp 5 200 Likes bei facebook, 6 500 Abonnenten_innen bei Instagram und 20 000 monatlichen Hörern_innen bei Spotify einzuordnen ist (Stand März 2019). Neben diesen zwei Branchenvertretern sollte ein/eine Expert_in eines Majorlabels das Sample ergänzen. Bemühungen, große Labels für die Teilnahme an dieser Forschung zu gewinnen, schlugen allerdings seitens der Labels aufgrund von Bedenken im Bereich Datenschutz fehl und selbst kleinere Labels hatten Schwierigkeiten, im Arbeitsalltag Zeit für ein Interview einzuräumen. Letztlich erklärte sich das Label twoFinger Records in Person von Niklas Tietjen bereit, Teil der Studie zu werden. Besonders interessant an seiner Person ist, dass das Label noch nicht lange besteht und eigens für und mit dem auf YouTube mit knapp einer halben Million Abonnenten präsenten Fynn Kliemann gegründet wurde (Fynn Kliemann, 2018). Im Unterschied zu Hyla haben Kliemann und Tietjen dabei ihre Branchenkontakte zur Gründung eines eigenen Labels genutzt. Dadurch können sie in die Kategorie der kleineren Labels eingeordnet werden, die sich bewusst gegen die Zusammenarbeit mit einem Majorlabel entschieden haben und mit dem eigenen Label andere Wege gehen. So wurden von Kliemanns Album im September 2018 einmalig nur so viele physische Tonträger produziert, wie es auch Vor2 Verband unabhängiger Musikunternehmen e. V., kurz: VUT; dieses Kürzel wird auch im restlichen Teil dieser Ausarbeitung genutzt

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bestellungen gab. Im Anschluss sollte das Album nur noch digital erhältlich sein. Dieser spezielle Ansatz ist bewusst gewählt und statuiert aktuell ein Exempel in der deutschen Musikbranche, welches zum Launch des Albums größere Medien­ aufmerksamkeit generierte (Tsangaris, 2018). Dennoch ist die Ausgangslage des Labels twoFinger Records nicht vergleichbar mit anderen Labelneugründungen. Niklas Tietjen verfügt über eine große Menge an Vorerfahrung im Musikgeschäft und Kontakten aus seiner Zeit beim Majorlabel, während Fynn Kliemann zugleich die Albumproduktion mit Hilfe der Reichweite seiner übrigen YouTubeAktivitäten unterstützen kann. Unabhängig von der twoFinger Records vertriebenen Musikrichtung, sind die Ausgangsvoraussetzungen für die Analyse von Tietjens Interview wichtig zu definieren, da Tietjen aufgrund seiner beruflichen Vergangenheit als ehemaliger Angestellter bei FourMusic, einem Berliner Plattenlabel und Tochterunternehmen des Majorlabels Sony Music, ein interessanter Forschungsteilnehmer ist. Diese Situation ist aus Sicht der Forschung speziell, da er somit eine Doppelrolle einnimmt. Mit diesem Wissen waren innerhalb des Interviews vergleichende Aussagen zwischen der Sicht der Majorlabels und der Sicht eines kleineren, unabhängigen Labels zu erwarten. Abschließend bleibt ergänzend zum Forschungsdesign noch etwas zu Leitfaden und Analyse der Daten zu erläutern bevor im nächsten Kapitel die Ergebnisse der Gespräche präsentiert werden. Die Entscheidung das Interview mit einem Leitfaden durchzuführen, wurde vorab aus strukturierenden Überlegungen getroffen: Gläser und Laudel (2006) definieren den Leitfaden als Gerüst innerhalb dessen die Leitfragen der Forschung so operationalisiert werden, dass daraus Interviewfragen entstehen. Die Antworten des Experten auf diese Fragen ermöglichen wiederum die Rekonstruktion ihrer sozialen Wirklichkeit, um im Rückschluss dann die vorausgehenden Forschungsfrage zu beantworten. Dabei besteht der „Leitfaden […] aus Fragen, die einerseits sicherstellen, dass bestimmte Themenbereiche angesprochen werden, die andererseits aber so offen formuliert sind, dass narrative Potenziale des Informanten dadurch genutzt werden können“ (Bohnsack, Marotzki & Meuser, 2003, S. 114). Der Verlauf des Interviews wird von mehreren Faktoren beeinflusst, dennoch prägt die Auswahl der Themenkomplexe, die zur Beantwortung der Forschungsfrage festgelegt wurden, die Ergebnisse der Forschung stark. Die Themenkomplexe wurden nach chronologischen Kriterien angeordnet, um den biographischen Erzählfluss der Experten zu nutzen. Der erste Themenblock des Interviews behandelt demographische Angaben des Experten, während die folgenden zwei Blöcke Fragen beinhalten, die erforschen, ob Veränderungen innerhalb der Branche wahrgenommen wurden. Der vierte Themenblock fragt nach Einschätzungen zur aktuellen Situation bevor das Interview mit Fragen zur Einschätzung der Zukunftsperspektive der deutschen Musikbranche schließt.

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Die von Corbin und Strauss definierte Grounded Theory beschreibt im Allgemeinen eine Forschung mit „Theoriebildung aus dem empirischen Material heraus“ (Universität Siegen, o. D.). Dies drückt aus, dass auch schon während der Materialerhebung die erste Analyse stattfindet, daher einzelne Prozessabschnitte stärker ineinander verwebt sind und sich gegenseitig ergänzen. Auf diese Weise beginnt die Auswertung bereits während der Interviewphase, um die Möglichkeit des Theoretical Sampling, also die Entwicklung der bestmöglichen Stichprobe, wahrzunehmen. Die Grounded Theory gibt zur Analyse der Daten ein interpretierendes Verfahren vor, das sowohl induktive als auch deduktive Schlüsse ermöglicht. Dabei stehen das Kategorisieren und Einordnen der erhobenen Daten im Mittelpunkt (Bohnsack et al., 2003). So werden bestimmte Erlebnisse oder Schilderungen in der Analyse der Interviews gegliedert und können anschließend analysiert werden. Gleichzeitig bilden sie nach und nach ein Erklärungsmodell für das behandelte Forschungsthema: „Ereignisse und Erfahrungen werden abstrahiert und als Konzepte etikettiert. Die Konzepte bezeichnen eine Bedeutung oder erklären ‚was da los ist‘“ (Bohnsack et al., 2003, S. 73). Dabei können die Interpretationen und Codes während des Analyseprozesses weiterentwickelt werden, Ziel ist aber eine Zusammenfassung und Verdichtung der Codes zu sogenannten Kategorien oder Konzepten, die im Hinblick auf die Forschungsthema eine Gesamtstruktur ergeben. So findet im Falle dieser Forschung der Prozess der theoretischen Sättigung innerhalb der durch die Codes definierten Oberkategorien statt. Wie genau die Hierarchien im Codesystem der vorliegenden Forschungsarbeit organisiert sind, wird zu Beginn des folgenden Kapitels veranschaulicht. In Gänze befasst es sich mit der Darstellung und Auswertung der drei zentralen Kategorien, die durch oben beschriebene Analyse des Datenmaterials als forschungsrelevant herausgearbeitet wurden.

4.2 Ergebnisse der Interviewstudie Das nachfolgende Kapitel ist der Analyse der erhobenen Daten gewidmet. Die transkribierten Interviews wurden dem Prozess einer offenen Codierung unterzogen, mit welchen sämtliche relevanten Abschnitte einem Code zugeordnet wurden. Diese Codes wurden im späteren Verlauf zu drei Oberkategorien zusammengefasst, die sich aus den von Van de Sand (Van de Sand, 2018) neu interpretierten universellen psychologischen Bedürfnissen ergeben.3 In der Tabelle 1 kann die Hierarchie der verwendeten Codes eingesehen werden. 3 „[Die] zehn universellen psychologischen Bedürfnissen nach Sheldon et al. (2001) […] wurde[n] für den speziellen Fall von Erfahrungen mit Technologie angepasst. Die Auto-

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Tab. 1 Oberkategorien mit dazugehörigen Codes Oberkategorie

Code

Popularität

Netzwerk & Reichweite Nähe & Wertschätzung Authentizität & Marke

Autonomie

Fähigkeiten Partner Streamingdienst

Bedeutsamkeit

Kultur & Kunst Antrieb & Haltung Masse an Musik

Die drei Oberkategorien Popularität, Autonomie und Bedeutsamkeit werden im Folgenden in separaten Abschnitten vorgestellt und mit Fokus auf die Beantwortung der Forschungsfrage Wie werden Selbstwirksamkeitsüberzeugungen in der Praxis durch verschiedene Stakeholder legitimiert und von den betroffenen Beteiligten definiert ? anhand von Ankerbeispielen analysiert. Diese stellen Zitate aus den Interviews dar, die als grundlegende Beispiele die dargelegten Thematiken illustrieren. Die nicht nach Wichtigkeit geordneten Kategorien, sind als aktuelle zentrale Treiber innerhalb der Branche sowie als Resultat des Einflusses eines Do It Yourself-Ansatzes auf die Branche zu verstehen und verdeutlichen, inwiefern diese Arbeitsweise Empowerment verspricht. 4.2.1 Erste Oberkategorie: Popularität Die Begriffe, welche die Kategorie Popularität innerhalb dieser Analyse definieren, stehen seit geraumer Zeit als Buzzwords für große Einflussfaktoren in der Branche (Porwol, 2017; Celotti, 2017). Reichweite und Netzwerk, Nähe und Wertschätzung sowie Authentizität und Marke werden zudem innerhalb der Interviews von den Experten wiederholt als wichtige Faktoren genannt, die heute das erfolgreiche Bestehen eines Do It Yourself-Kunstschaffenden innerhalb der Branche bedingen.

ren nennen dafür sieben psychologische Bedürfnisse als grundlegend: Autonomie, Kompetenz, Verbundenheit, Popularität, Stimulation, Sicherheit und Bedeutsamkeit. Diese sind für die psychologische Sicht auf die menschliche Interaktion mit Technologie relevant“ (Van de Sand, 2018).

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Damit zeigen sie eine große Nähe von Schlüsselfaktoren des DIY zu den großen Trends in der Musikindustrie auf. Popularität beinhaltet die Definition „bei der großen Masse, bei sehr vielen bekannt“ (Duden, 2018) zu sein, doch wie wird Bekanntheit im Internet gemessen ? In diesem Kontext wird häufig der Begriff der Reichweite verwendet. Dieser Terminus ist innerhalb der Werbebranche als Medienreichweite schon lange festes Arbeitsmittel. Er bemisst die durch einen Werbeträger erreichten Personen (Marktforschung, 2018). In der Musikbranche hat sich das Verständnis vom Schaffen von Reichweite und der Wichtigkeit dessen seit der Jahrtausendwende verändert, wodurch ebenfalls das Verständnis der Kategorie Popularität beeinflusst wird. Niklas Tietjen beschreibt die Veränderung wie folgt: […] Künstler [können] von sich selbst aus auf viel mehr Tools zugreifen […], die man braucht, um sich bekannt zu machen. Also früher war das so: Hier ist der Erfolg und dann war da so eine große Mauer davor (I: (Lachen) Ja.)4 und über die musste man erstmal klettern (Lachen) und diese bestand eben aus diesen ganzen connections aus Produzenten und Writern (…). (Tietjen, 00:33:41)

Die Umschreibung „sich bekannt machen“, die Tietjen verwendet, ist in diesem Fall gleichbedeutend mit dem Vorgehen, Reichweite für sein künstlerisches Schaffen zu generieren. Er bringt dabei die Entwicklung der Branche auf den Punkt: Um Reichweite zu erlangen, besteht heutzutage keine dringende Notwendigkeit mehr, sich an große Unternehmen oder Labels zu wenden, um deren Reichweite für sich zu nutzen. Die technische Entwicklung und flächendeckende Verbreitung des Internetzugangs stärkte neben dem Onlinevertrieb für Musik, wie bereits erläutert, die Arbeitsweise Do it Yourself. Diese Eigenvermarktung der Künstler_innen definiert das Erlangen von Popularität neu. Neben der Möglichkeit, durch einen großen Geschäftspartner an der Seite Bekanntheit zu erlangen, kann die Eigenvermarktung von Künstler_innen auch durch ein breitgefächertes Netzwerk gelingen. Hyla sagt dazu: Und ich glaube, der Knackpunkt ist: Egal, was du tust im Leben, du musst dir immer ein Netzwerk schaffen, das dein Tun honoriert. Sei das ne Firma, die mit dir zusammenarbeitet. Sei das deine Familie und Freunde, die dich fördern und dir gut zusprechen. Oder seien es Leute, die du noch nie gesehen hast im Internet. Du brauchst jemanden, der das verbreitet, der das gutheißt, was du tust. Und das brauchst du für

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Einschübe der Interviewerin werden in den Zitaten der Interviews im folgenden mit „I: …“ abgekürzt.

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deine Seele, für deine mentale Stärke, das weiter zu tun und das brauchst du aber auch, damit jemand da ist, der das weitersagt. (Hyla, 00:24:49)

Netzwerk und Reichweite sind damit zwei Schlüsselbegriffe, die das neue Verständnis von Popularität deutlich beeinflussen und bereits andeuten, was Selbstermächtigung und Empowerment in Bezug auf Do It Yourself bedeuten. Besonders interessant ist dabei, dass Hyla das Netzwerk sowohl für psychische Stärke als auch für beruflichen Erfolg als notwendig erachtet. Gleichzeitig ist in der Branche das Stichwort Authentizität zu einem Buzzword geworden. Auch während der Interviews wurde von den Experten wiederholt die Wichtigkeit authentischer Inhalte betont. Grund dafür ist die von Heide­ mann thematisierte Demokratisierung der Produktionsbedingungen: „Das Tolle daran – deswegen Demokratisierung der Produktionsbedingungen – nicht nur die Reichen können sich leisten, irgendwie Aufnahmen zu machen, sondern jeder kann es sich im Grunde leisten so Aufnahmen zu machen.“ (Heidemann, 00:17:10) Auf diese Weise entstehe eine große Masse an Neuveröffentlichungen, die als Nebeneffekt eben dazu führe, dass „einfach auch wahnsinnig viel Schrott auf dem Markt ist (I: (Lachen)) und [das] buhlt dann irgendwie um Aufmerksamkeit, das ist dann wiederum der Nachteil.“ (Heidemann, 00:17:10) Um sich davon abzuheben, ist eine prägnante Erarbeitung der Marke für den Kunstschaffenden wichtig, die einer „Gesamtvision für ein Kunstprojekt“ (Hyla, 00:33:10) ähnelt. Diese muss glaubhaft sein, damit der/die Künstler_in dem/der Konsument_in in der Masse auffällt. Hyla führt als Beispiel Trettmann an, der schon seit Jahren Musik veröffentlicht, aber erst seit 2016 kommerziellen Erfolg feiert: Allein, was er zu erzählen hat, wie diese Texte formuliert sind. Das ist halt ehrlich, du kaufst dem ab, was er tut. Und ich glaube, ehrliche und aufrichtige Musik machen, das wird immer das Qualitätsmerkmal Nummer eins bleiben. Und das ist nicht: Das klingt so ähnlich wie irgendwas. Als Casper getrendet ist, hat man auch unter der Hand gehört, dass die nach Musik suchen, die ähnlich klingt. (Hyla, 00:04:01)

Für Hyla ist Authentizität ein zentrales Kriterium, mit dem sich die Durchsetzungsfähigkeit von Musiker_innen am Musikmarkt optimieren lässt. Dabei betont er, wie wichtig Ehrlichkeit und Echtheit dieser Acts sind. Werden sie aus rein kommerziellem Antrieb heraus kopiert, fehlen diese Komponenten, sodass auch die Musiker_innen beim Publikum erfolglos bleiben. Als dritter Aspekt innerhalb der Kategorie Popularität ist der Code Nähe & Wertschätzung zu nennen. Die Verbindung vom Kunstschaffenden zum/zur Rezipient_in hat sich verändert: Hier ist das Pflegen einer guten Beziehung zum Fan wichtiger geworden. Die Nähe zum Kunstschaffenden beinhaltet heutzutage

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häufig den direkten Kontakt, der mittlerweile über die Kommunikationswege der neuen Medien wie Facebook, Instagram etc. nahezu jedem zugänglich ist. Mit den richtigen Werkzeugen ausgestattet, ist der direkte Kontakt zum Fan häufig nur einen Klick entfernt. So kann ein persönlicher Austausch zwischen Künstler_in und Fan stattfinden: Auch die ganzen Nachrichten, die dann reinkommen – ich glaube, dass der Kontakt inzwischen komplett auf Augenhöhe ist. Es gibt nicht mehr dieses Künstler-Konsumentengefälle, wo die Leute nicht viel von dir wissen und dich anhimmeln. Inzwischen ist es halt wie nen Kumpel, der Mucke macht, den du supporten willst und das ist super. Auch die ganzen Nachrichten, die du dann kriegst, wenn dann jemand schreibt: „Das bedeutet mir voll viel, das Lied hat mich in ner harten Zeit getragen.“ Das bedeutet dir die Welt ! (Hyla, 00:23:23)

Noch dazu käme, dass sich der Anspruch und das Bewusstsein der Konsument_in­ nen verändert habe. Neben der Musik sei auch die Hintergrundgeschichte zu ihrer Entstehung wichtig und beeinflusse die Wertschätzung des Kunstschaffenden: Ich glaube, es kommt mehr ins Bewusstsein, dass das halt, wenn man es [den/die noch wenig bekannte Künstler_in aus der Do It Yourself-Szene, Anmerkung der Autorin] nicht unterstützt, dann geht’s, also dann verschwindet’s. Und ich glaube, das lernen die Leute erst. Die öffentliche Wahrnehmung von den Künstlern ist beschützender von den Konsumenten her. Also dass man jemand mal kurz schreibt: „Ich find’s geil, was du machst.“ Oder dass man gerne bereit dazu ist, was zu kaufen, gerade wenn das aus ner DIY-Bewegung kommt und du weißt, 100 % von dem, was du da kaufst, geht an die Leute und nicht an ne Firma, dann willst du es nicht mehr stehlen. Downloaden oder sowas wie das früher war. Ich denke, das wird kommen. Power to the People und die Wertschätzung für so ne Sachen wird immer größer werden (…). (Hyla, 00:14:26)

Darüber hinaus ist der Kunstschaffende dem/der Konsument_in gegenüber auch verpflichtet, eine Art Vertrauen aufzubauen. Tietjen sagt dazu: Es ist halt echt so dieser Spirit, den man verfolgt und verfolgen muss, (I: mhm (bejahend)) den wir genauso verfolgen: Zeig den Leuten, wie viel … Sei komplett transparent und zeig wie viel Mühe und Kraft und Geld und sonstwas du da reinsteckst, weil die Leute das dann zu schätzen wissen. (Tietjen, 01:05:05)

Tietjen beschreibt mit diesem Spirit die Legitimationsgrundlage der Selbstwirksamkeitsüberzeugung von eigenständigen Künstler_innen. Dieser Ansatz scheint zu funktionieren: Das Album „nie“ von Fynn Kliemann, an dessen Veröffent-

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lichung Tietjen über das Label twoFinger Records maßgeblich beteiligt ist, wurde unter anderem mit einem Podcast beworben, welcher die kompletten finanziellen Strukturen des Projektes offenlegt (Kliemann, Spotify, 2018). Anfang August 2018 wurden bereits über 50 000 Einheiten des Albums vorbestellt, so Tietjen im Interview. Und das war erst der Anfang: In den nächsten Monaten stiegen die Zahlen auf aktuell knapp 130 000 verkaufte Alben – Goldstatus auf dem deutschen Markt (Bundesverband Musikindustrie, 2019). Der Aspekt des Vertrauens ist somit eng mit dem Code Antrieb & Haltung verbunden, da die offene Haltung, die den Konsumt_innen Einblick in die Arbeit des Kunstschaffenden gewährt, mit großem Vertrauen einhergeht. Der Code Antrieb & Haltung wird in der Oberkategorie Bedeutsamkeit (Kapitel 4.2.3) näher besprochen. 4.2.2 Zweite Oberkategorie: Autonomie Der Oberbegriff Autonomie ist mit den Begriffen Fähigkeiten und Partner Streamingdienste direkt dem Kerngedanken Eigenständigkeit des Do It Yourself-Ansatzes zuzuordnen. Für die Interviewpartner war dabei ein zentrales Thema, welche Rolle mächtige Unternehmen in der Branche wie Majorlabels oder Streamingdienste in der Entwicklung über die letzten Jahre spielen. In den Interviews dieser Studie war Christian Hyla als Sänger der Band Schafe & Wölfe derjenige, welcher zur Wichtigkeit des Erlernens neuer Kompetenzen zum Bestehen in der Branche am meisten aus eigener Erfahrung erzählen konnte. Schafe & Wölfe werden von ihm in sämtlichen Bereichen allein vertreten – für diese Möglichkeit ist er dankbar: (…) du kannst inzwischen einfach wieder bekannt werden, vielleicht nicht riesig, aber du kannst ne Bekanntheit erlangen, wenn deine Musik gut ist. Und das konntest du früher nicht. Du konntest nur Bekanntheit erlangen, wenn deine Musik gut ist und dich jemand fördert. (I: Okay, ja !) Jetzt kannst du’s selber machen. Das hat natürlich auch dazu geführt, dass ich fünfmal so viel Arbeit aufwende im Internet als zum Musik schreiben und Musik machen. Aber anders hätte ich gar keine Möglichkeit. Und ich bin sehr dankbar dafür. (Hyla, 00:23:23)

Der hohe Arbeitsaufwand umfasst beispielsweise das eigenständige Editieren seiner Videos oder die Betreuung der Social Media Kanäle. Hyla repräsentiert damit eine ganze Reihe an Künstler_innen, die nach der Do It Yourself-Arbeitsweise handeln (Celotti, 2018). In diesem Zusammenhang stellt auch Heidemann deutlich klar, dass die Zeit, die für die Kunst bleibt, bei Do It Yourself-Künstler_innen „erstaunlich wenig“

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(Heidemann, 00:30:42) sei. Der Do It Yourself-Kunstschaffende nimmt diese Einschränkungen für die Gewissheit, zu jeder Zeit die Oberhand in seiner Arbeit zu haben in Kauf: Für Hyla hätten aus seiner Künstler_innensicht selbst größere Indielabels nicht mehr viel mit Do It Yourself zu tun (Hyla, 00:53:28). Tietjen hingegen definiert die Handlungsweise etwas weiter gefasst: DIY in der Musikszene ist, wenn du von A bis Z deine Platte von dir bis zum Endkonsumenten kriegst. Aber: Das geht nur mit dem Know How von externen Menschen (…) man kann eben nicht alles wissen und für alles gibt’s halt Menschen, die das wissen und ich finde Do It Yourself ist ein Projekt von A bis Z selbst zu erschaffen oder selbst zu begleiten und da die Oberhand darüber zu haben. Und was man halt nicht kann, dafür holt man sich Profis ran und das ist doch glaube ich in jeder Branche so. Deswegen finde ich es okay. (Tietjen, 01:11:36)

Damit wird Autonomie von den Gesprächspartnern im Grunde als Eigenständigkeit definiert. Musik sollte ohne übermächtigen, vertraglich bindenden Partner an der Seite gemacht werden können: Ey, willst du dein Schicksal in eine Hand legen ? Also ich find’s immer gut, wenn du mit verschiedenen Leuten arbeitest, die auch untereinander miteinander können, weil mehr Hände, mehr Input von irgendwas kommt. Aber du musst dir vorstellen, wenn du die Managementrechte an dein Label abgibst, (kurze Pause) dann ist die Person, die für dein Recht einstehen soll, nicht auf deiner Seite. Und das sollte niemand tun … (Chris, 00:07:31)

Dass die autonome Selbstvermarktung, die zunächst nur eine Arbeitsstrategie am Musikmarkt ist, von den Interviewpartnern stark mit Bedeutung aufgeladen wird, liegt an einem starken Drang nach Eigenständigkeit. Nicht zuletzt ist diese laut Hyla mit der Sorge vor Kontrollverlust durch externe, machtvolle Entscheidungen begründet. Zwar wird in Bezug auf Do It Yourself häufig von Eigenständigkeit, Freiheit und Autonomie gesprochen – allerdings funktioniert diese Arbeitsweise nur durch ein großes Netzwerk an mehreren Partnern_innen. Einer dieser Partner der Do It Yourself-Repräsentant_innen ohne welche diese gelebte Autonomie nicht funktionieren würde, sind Online Streamingdienste für Musik. Auf diesen Plattformen ist es möglich, die eigene Musik ganz ohne Plattenlabel bekannt zu machen. Im Zusammenhang mit diesem Grundansatz wurde in den Interviews das Thema faire Bezahlung thematisiert. Je nach Anbieter können Musiker_innen heute pro Stream einer ihrer Songs mit 0,3 ct – 1,1ct entlohnt werden: „(…) nimm dir zum Beispiel Tidal, die zahlen nicht 0,3 ct, die zahlen teilweise 1,1 ct und da wird’s schon wieder interessant. Auf einmal könntest du halt,

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wenn du deine 80 000 Streams hast … hättest du ne Grundsicherung ! Es würd dir halt den Rücken freihalten.“ (Hyla, 00:13:06) Hier wird von Hyla dringender Verbesserungsbedarf gesehen und auch Heidemann sieht Gefahren im Streaming, da es die Art, wie Musik konsumiert wird, direkt beeinflusst. Die Verhaltensweise von Spotify als aktueller Marktführer im Musikstreaming mit einem Marktanteil von 40 % an zahlenden Abonnenten_innen im Juni 2017 wird dabei besonders kritisch beobachtet (Statista, 2017). Mit Auftragskompositionen zu verschiedenen Genres, die in Playlists organisiert sind, entwickelt sich das Unternehmen weg von einem rein distributiven Ansatz hin zu einem Label. Gleichzeitig beeinflusst das große Angebot an Musik auch die Art des Hörens (Bosse, 2018), welche sich wiederum auf die Gestaltung der Musik auswirkt, die für dieses Hören produziert wird: Es wird ja mittlerweile sehr viel mit sogenannten Skip- und Safe-Rates gearbeitet. Sprich ein Song wird nur dann abgerechnet, wenn ein Hörer den mindestens 20 Sekunden lang angehört [hat]. Wenn der den sofort wegklickt, dann gibt’s auch kein Geld. Das führt dazu, dass mittlerweile immer mehr Musikproduzenten oder auch Künstler denken, innerhalb der ersten 20 Sekunden muss mindestens mal die Melodie, die Hook­line (I: (Lachen)) und so weiter muss also schon in den ersten 20 Sekunden passiert sein, damit die Leute nicht wegklicken (I: mhm (bejahend)). Sprich ein Album oder ein Stück von Wish You Were [Here] von Pink Floyd, wird in der heutigen Zeit nicht mehr produziert. (Heidemann, 00:21:41)

An dieser Stelle wird also die Macht der Musikstreamingdienste thematisiert: Einerseits verbreiten sie die Musik der Do It Yourself-Künstler_innen, andererseits nehmen die millionenschweren Dienste Einfluss auf ihre Verdienstmöglichkeiten und die musikalische Gestaltung. Zudem ist dieser Code insbesondere im Zusammenhang mit der Kategorie Bedeutsamkeit zu sehen: Welche Dimension der Einfluss, den diese Entwicklung auf die Kunst hat, annimmt, wird im nächsten Kapitel zur Kategorie Bedeutsamkeit analysiert. 4.2.3 Dritte Oberkategorie: Bedeutsamkeit Die Kategorie Bedeutsamkeit stellt innerhalb der Interviews das emotionalste Thema dar. Mit den Codes Kultur & Kunst, Antrieb & Haltung sowie Masse an Musik wurden Aspekte festgehalten, die in den letzten Jahren das Wesen und den Stellenwert der Musik beeinflusst haben. Die Interviews zeigen, dass der Anspruch an das künstlerische Schaffen sich innerhalb der Branche über die letzten Jahre stark unterschiedlich entwickelt hat, wodurch sich auch die Motivation und die Haltung

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der Künstler_innen unterscheidet. Unter anderem ergibt sich aus den erleichterten Wegen der Musikdistribution die Verfügbarkeit einer großen Menge an musikalischen Produkten, welche in allen Interviews unabhängig voneinander kritisch eingeordnet wurde. Dabei ist nochmals zu betonen, dass die analysierten Kategorien sich induktiv aus den Interviews ergeben haben und hinter den analysierten Einschätzungen eine Struktur multipler Faktoren steckt, die gemeinsam zu einem schleichenden Wandel der Branche führen. Alle drei Kategorien sind den Experten nach starke Treiber, die Do It Yourself zu einem Akt der Selbstermächtigung werden lassen und die Musikbranche nachhaltig prägen. So ist insbesondere der Faktor Bedeutsamkeit ein Einfluss, der auf den Kern der Industrie zielt und das Verständnis von Musik stark beeinflusst. Die Aspekte Kunst & Kultur im Wandel der Branche sowie Masse an Musik wurden in den Interviews von den Experten divers diskutiert. Das oben beschrieben gesteigerte Ausmaß an Autonomie der Kunstschaffenden führt vorerst zu einem kulturellen Mehrangebot, das vorher nicht vorhanden war. Hyla sagt dazu: Ich denk, die Kunstseite gewinnt durch die Möglichkeiten sowas zu verbreiten. (…) Ich glaube, es gibt mehr kleine Bands, die in nem kleinen Level spielen und (kurze Pause) ich glaube, die Kultur gewinnt, weil es einen Mehrwert gibt. Weil nicht mehr von ganz wenigen Personen gefiltert wird, was Berechtigung hat und was nicht, sondern der Filter sind inzwischen die Endkonsumenten. (Hyla, 00:34:51)

Doch die Masse an Veröffentlichungen, die in der Kategorie Popularität bereits thematisiert wurde, bewirkt Veränderungen in der Rezeption von Kunst und ihrer Form. So führt die „permanente Verfügbarkeit“ (Heidemann, 00:09:40) eines „unbegrenzten Schatzes“ (ebd.) zu einem schnelllebigen Konsum – mit dem Ergebnis, dass die Qualität leidet, wenn die Musikstücke diesem Konsum angepasst werden. Dies beschreibt Niklas Tietjen wie folgt: Genau und die Art des Konsumierens und die daraufhin entstehende Musikrichtung von „Wir hauen raus.“ so die ganze Trap-Szene, die gerade irgendwie entstanden ist. Von „Ey, wir machen einfach nen Album, was 24 Tracks hat und wenn die Songs nur zwei Minuten gehen – Hauptsache, wir haben mehr, was gestreamed wird. Mehr an Masse.“ (…) ja, passt halt zum Konsum der Menschen und es passt halt zu diesem „Nee, wir ziehen uns das rein und hören 30 Sekunden, nee. Okay, zack nächster ! Nächster, nächster.“ (Tietjen, 00:28:57)

Mittlerweile funktioniert die Veröffentlichung der Tracks zum Teil über die Zusammenstellung von einzelnen Playlists und nicht mehr über die Produktion von

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kompletten Alben. Tietjen befürchtet daher, dass die Kunstform der Album-Komposition mit der Zeit verschwinden könnte: Jede Woche gibt’s ne New Music Friday Liste auf Spotify. Es gibt so unendlich viel Musik, was da rausgehauen wird und ich glaube, wenn du schnelllebig dabei sein willst, dann machst du nicht mehr alle drei oder zwei Jahre nen Album sondern haust du raus … Bestes Beispiel Drake. Der macht Alben und dazwischen macht der wieder ein paar Playlisten oder ein paar Mixtapes. (I: Jaja.) So wild zusammengewürfelte Dinger. Und ich hoffe natürlich nicht, aber ich befürchte, dass es auch in Zukunft einfach auch Playlisten-Veröffentlichungen gibt, ne ? (I: mhm (bejahend)) Und das Album vielleicht sogar noch ein bisschen ausstirbt. (Tietjen, 00:29:56)

Ein Faktor vor dem Tietjen auch warnt, ist das Risiko des Einflusses der Major­ labels auf die Wirtschaftlichkeit der Kunst. Er verdeutlicht dies im Interview durch einen fiktiven Dialog zwischen Label und Künstler_in: „Ey, ich habe hier was richtig Gutes geschaffen, das ist meine Kunst.“ – „Nee nee, das ist scheiße, kannst du nicht nen bisschen poppiger werden ?“ (Tietjen, 01:32:45) Diese aus seinen praktischen Erfahrungen heraus nicht unrealistische Einschätzung, lässt die Sorge einer Schwächung der Position der Kunst innerhalb der Industrie wachsen. Denn nach einbrechenden CD-Verkaufszahlen und mit steigendem Druck innerhalb der Branche stehen auch die Majorlabels unter Zugzwang. Damit spricht Tietjen einen wichtigen Faktor an, der die Selbstwirksamkeitsgedanken des Do It Yourself-Ansatzes stärkt. Denn gerade der Aspekt des eigenständigen, künstlerischen Arbeitens lässt Kunstschaffende wie Fynn Kliemann die Autonomie im Do It Yourself-Produktionsprozess seines Albums wertschätzen und diese den Vorteilen, die ein Plattenvertrag beim Majorlabel mit sich brächte, vorziehen. Die Experten dieser Studie sind der Meinung, dass die Bedeutsamkeit eines Kunstschaffenden innerhalb der Branche schlussendlich stark von einem weiteren Faktor beeinflusst wird: Dem Code Antrieb & Haltung. Unter diesem Code sind Aussagen versammelt, die die individuelle Einstellung betreffen, welche die Akteure zu dem Spannungsfeld von Kreativität und Markt einnehmen. Häufig wird darüber reflektiert, ob der künstlerische oder wirtschaftliche Ansatz in der Arbeit eines Kunstschaffenden Überhand gewinnt. Für die Arbeit des VUTs, in welchem Heidemann den Vorsitz bekleidet, bedarf es Haltung im Ringen um eine faire Marktstruktur. Er fordert diese von den Künstler_innen ein, da Musik zum Beispiel auch politische und gesellschaftliche Strömungen beeinflussen kann: Also dieses Ringen und Kämpfen um Fairness, um Transparenz, um gleiche Maße sozusagen irgendwie für alle, dafür braucht es eine gewisse Haltung. Ich würde mir auch (das ist jetzt aber eher ne Wunschvorstellung), ich würde mir auch Künstler wünschen,

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die langsam aber sicher mal wieder ne Haltung entwickeln. Ich mein, wir leben in einer Zeit irgendwie, wo wir politisch irgendwie doch in dunkle Fahrwasser geraten (I: mhm (bejahend)) und alles, was für lebendige, aufrechte Kultur steht irgendwie, sollte auch gefälligst den Mund aufmachen und Haltung zeigen. (Heidemann, 00:41:01)

Von den Experten wird nicht nur Haltung im politischen Sinne gefordert. Tietjen betont, dass insbesondere die Rückbesinnung auf vermeintlich verloren gehende Werte wie Transparenz und Ehrlichkeit sowie das Zelebrieren der Kunst wichtig ist und auch von Konsument_innenseite erwünscht und honoriert wird: Aber, was mir wichtig ist,(…) dass ich denke, wenn du nen transparentes gutes Produkt machst und das den Leuten auch zeigst und nahe bringst, dass dann plötzlich alle klassischen Wege wie Spotify und Streaming und sonstwas … völlig egal sind ! (I: Ja.) Also die Leute, die hier kaufen, das sind halt so Album- und Musikliebhaber und die kannst du genau durch so einen Weg irgendwie erreichen. Und dann kann man das Album auch wieder vom Markt nehmen und es ist dann völlig okay. Das heißt, wir finden das ist einfach nen Beispiel von: Es gibt diese Musikmenschen immer noch draußen und irgendwie Musikkonsum ist jetzt nicht völlig kaputt. (I: Ja.) Und genau bei den Leuten kommt man an und genau bei den Leuten wollten wir irgendwie auch ankommen. Also der romantische Gedanke hat gut funktioniert. (Tietjen, 01:23:35)

Im Speziellen bezieht er sich damit auf das Projekt, das er rund um das Album nie mit Fynn Kliemann durchgeführt hat. Darüber hinaus lässt sich dieser Aspekt allerdings auf den gesamten Do It Yourself-Ansatz übertragen. Das Zelebrieren von Kunst als einen der Antriebe von Do It Yourself erklärt auch, woraus die Kunstschaffenden ihre Selbstwirksamkeitsüberzeugung ziehen: Der Glaube an die eigene Vision und Schaffenskraft wird getrieben durch das Feedback der Fans, sodass stets Antrieb für den Fokus auf die eigene musikalische Arbeit besteht.

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Implikationen und Fazit

Die Aspekte Nähe und Wertschätzung, welche in der Kategorie Popularität erläutert wurden, stehen in vielen Ausführungen der Interviewten im Fokus. Hyla erläuterte an dieser Stelle den Ursprung dieser neuen Mentalität der Konsument_innen und den Gedanken: „wenn man es [den/die noch wenig bekannte Künstler_in aus der Do It Yourself-Szene, Anmerkung der Autorin] nicht unterstützt, dann geht’s, also dann verschwindet’s.“. (Hyla, 00:14:26) Jeglicher Teil an Einnahmen ginge direkt an den Kunstschaffenden und nicht an eine größere Firma im Hinter-

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grund. Diese neue Form der Wertschätzung zeigt letztendlich, was den Do It Yourself-Ansatz stützt und von Konsument_innen- und Künstler_innenseite als Legitimation der Selbstwirksamkeitsüberzeugung gesehen wird. Hylas Expertensicht zeigt so zwar eine optimistische Einstellung auf Künstler_innenseite, die sich aber mit der Annahme der anderen beiden hier Interviewten deckt. Die Extreme der Branche haben sich über die Jahre hinweg aufgrund von großen Umstrukturierungen innerhalb der Branche ausgebildet und Konstellationen wie den Do It Yourself-Ansatz oder 360° Verträge bei großen Majorlabels hervorgebracht. Das Verständnis von Empowerment der Do It Yourself-Kunstschaffenden hat sich aufgrund technologischer Möglichkeiten, einhergehend mit der Stärkung der Eigenständigkeit der Künstler_innen, sowie vorhergehenden Machteinbußen der Majorlabels durch die Krise im Tonträgerverkauf gefestigt: Da wurde die Reichweite geschaffen, deswegen hatten die Majorlabels auch so viel Macht, da wurden die Reichweite geschaffen durch nen Radio-, Presse-, TV-Promoter, die einfach diesen Künstler in die entsprechenden Sendungen, die damals noch im Fernsehen gelaufen sind – 14 Uhr Viva Interaktiv oder so oder die Chartshow und es war einfach ein Garant für Reichweite und es war ein Garant für Verkäufe. Und für Chartpostitionen. Wir platzieren dich in der Sendung und es wird Top10 gehen am nächsten Tag. (…) und das heute funktioniert nur so [ohne Hilfe eines Majorlabels, Anm. der Autorin], weil die Reichweite da ist, dass man nicht mehr auf Promoter zurückgreifen muss, weil man die sozialen Netzwerke und Formate wie YouTube hat (…). (Tietjen, 00:49:43)

Im Spannungsfeld des Strukturwandels der Branche führten Veränderungen innerhalb der oben definierten Kategorien Bedeutsamkeit, Autonomie und Popularität letztlich zu einer deutlichen Stärkung der Stellung der Konsument_innen und der Kunstschaffenden, sodass nicht zuletzt von Gervais et al. (2011, S. 7) gefordert wird: „It is time for the business to fit the music, and not the music to fit the business.“ Denn wenn dies passiert, ist die Stärkung des Do It Yourself-Ansatzes mit einem Mehrwert für die Kunst verbunden: Die Betonung der Wichtigkeit von Authentizität, um aus der Masse an Musik herausstechen zu können, war innerhalb der Interviews dieser Studie allgegenwärtig. Und genau an dieser Stelle sind Do It Yourself-Künster_innen im Vorteil. Es kann zudem ein Mehrwert für die Gesellschaft geschaffen werden, wenn Künstler_innen beispielsweise Haltung zu aktuellen gesellschaftlich relevanten Problemen beziehen (Dinger, Rüdiger & Emmrich, 2018). Dies kann aber schwierig werden, sobald der Kunstschaffende an Verträge mit größeren Unternehmen gebunden ist und seine Interessen mit anderen, an seinem Schaffen Beteiligten abstimmen muss. Nun ist festzuhalten, dass es nicht die Reaktionen der großen Labels sind, wie zum Beispiel Vertragsformen

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wie der 360° Deal, die kausal zu Veränderungen in der Branche geführt haben – und doch sind auch sie es, die laut den Experten dieser Studie bestimmte Entwicklungen zumindest indirekt vorangebracht und gestärkt haben. Auffällig ist in vielen Belangen die Ähnlichkeit in der Reaktion der Branche auf vergangene Paradigmenwechsel während des letzten Jahrhunderts. So bieten bisher unbekannte Phänomene und Innovationen grundsätzlich neue Anstöße und Erfolgschancen – als Ausblick für diese Studie heißt dies aus Künstler_innensicht, das Beste aus dem bisher Erreichtem zu machen: Und damit auch, die von den Experten häufig erwähnten Auswirkungen des Faktors technischer Fortschritt besser einzuschätzen und kontrollieren zu lernen. Aus Expertensicht wird betont, dass die Akteur_innen der Branche zukünftig einen proaktiveren Umgang mit technischem Fortschritt finden und Entwicklungen früher antizipieren müssen, um sich erfolgreich aufzustellen. So bestünde letztlich die Chance, Potentiale zu nutzen und den Zuwachs an Empowerment erfolgreich zu konservieren.

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Wahrnehmung von Gleichberechtigung in der Musikwirtschaft Akteur_innen in Mannheim und Region Désirée Blank & Laurena Frey



Abstract   Gender equality has been a widely discussed topic in the past century. Finally, the subject has been a focus in the german music industry as well, not merley but also since latest cases of sexual abuse at the University of Music and Performing Arts in Munich (2016) have been made public or the most recent ECHO awards (2018). Furthermore, many women seem to be speaking out in the last few years about unequal treatment in the industry (Rabaa, 2017). The question remains: Are incidents and outbursts like these just occasional or do we have a widespread problem of power abuse and gender inequality in the music business in Germany ? Current research does not provide sufficient data in context to participants of the industry and their opinions on the matter and a comprehensive scrutiny of the situation is nowhere to be found. Therefore, students of the Popakademie Baden-Württemberg developed a survey to examine the perception of gender equality of employees, musicians and other members of the German music industry. To that, students of music and music business studies were invited to participate as well to get a deeper understanding of the differences in awareness between them and experienced professionals. This analysis is the first step in acquiring a broader picture of gender (in-)equality in the industry, however the results are non-representative, but they deliver new approaches that can be reviewed in future examinations. In the context of this work, the focus was set on men and women, but this can be extended to various gender identities in the following studies.



Keywords   gender equality, gender pay gap, perception, music industry, social change, society, gender, gender stereotype, gender role, diversity, inequality

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Ahlers et al. (Hrsg.), Musik & Empowerment, Jahrbuch für Musikwirtschafts- und Musikkulturforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29706-0_12

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Désirée Blank & Laurena Frey

Thematische Einordnung

Das Frauenwahlrecht, Gleichberechtigung vor dem Gesetz, der Equal Pay Day und der weltweit stattfindende Women’s March – das letzte Jahrhundert ist geprägt von Erfolgen und Entwicklungen in Bezug auf die Emanzipation der Frau. Dennoch zeigen Prognosen des Weltwirtschaftsforums, dass es noch 108 Jahre dauern wird, bis der globale Gender Gap überwunden ist (WEF, 2018). Deutschland fiel im jährlich berechneten Gender Gap Report um zwei Plätze auf Platz 14 (2018) mit einer zu 77,6 Prozent geschlossenen Geschlechterkluft (WEF, 2006). Dies lässt sich auch auf die Wirtschaft in Deutschland zurückführen: 73 Prozent der Vorstände börsennotierter Unternehmen sind männlich und der Gender Pay Gap, also die geschlechtsspezifische Lohnlücke, liegt bei 21 Prozent (Statistisches Bundesamt, 2019). Dieser Umstand macht sich auch in der deutschen Musikindustrie bemerkbar: Der Vorstand des Bundesverbandes der deutschen Musikindustrie (BVMI) setzt sich aus fünf Männern zusammen (vgl. Website BVMI). Von mehr als 1 000 Mitgliedsunternehmen, die im Verband für unabhängige Tonträgerunternehmen (VUT) organisiert sind, werden lediglich 7,4 Prozent von Frauen geführt und 5,5 Prozent haben gemischte Teams an der Spitze (vgl. Blättermann, 2019). Das gleiche Bild findet sich im Jazz wieder. So gibt es, außer im Gesang, an deutschen Musikhochschulen nur eine Instrumental-Professorin für Jazz. In den vier großen Bigbands des öffentlich-rechtlichen Rundfunks werden insgesamt zwei Instrumentalistinnen beschäftigt (vgl. SWR 2, 2018). Anders als in anderen Berufssparten hat das Geschlecht der Musiker_innen im Jazz keine Auswirkungen auf deren finanzielle Entlohnung (vgl. Renz et al, 2016, S. 69). Das steht in Kontrast zu den übergeordneten musikwirtschaftlichen Zahlen. 2014 verdienten selbstständige Musiker in Deutschland durchschnittlich 12 500 Euro im Jahr, während selbstständige Musikerinnen einen Jahresdurchschnitt von 10 100 Euro aufwiesen (BVMI, 2015, S. 23). Der VUT reagierte 2015 auf diese Zahlen, indem er die Plattform Music Industry Women zur Förderung von Frauen in der Musikwirtschaft gründete (vgl. Blättermann, 2019). Das geschieht ebenso mit der Initiative Keychange, die durch die EU und einzelne Musikfestivals gefördert wird (vgl. Bischoff, 2019). Gleichberechtigung und Gleichstellung sind die Themen, mit denen sich die Initiativen, Netzwerke und Institutionen auseinandersetzen. Doch wie können diese beiden Begriffe voneinander abgegrenzt werden ? Gleichberechtigung besagt, dass alle vor dem Gesetz gleich sind und dieselben Chancen und Pflichten haben. Indessen wird bei der Verwendung des Begriffes nicht davon ausgegangen, dass verschiedene Geschlechter in gleichem Maße in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft vertreten sein müssen, sondern Gleichbe-

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rechtigung wird mit dem Begriff der Chancengleichheit gleichgesetzt (vgl. Dudenredaktion o. J.). Konträr hierzu bedeutet Gleichstellung, dass alle Geschlechter in den Bereichen des öffentlichen Lebens gleichermaßen präsent, berechtigt und beteiligt sind, dies kann als Ergebnisgleichheit definiert werden. Gleichstellung fordert also eine einheitliche Einbindung der Geschlechter in die Gesellschaft und eine gleichmäßige Machtverteilung in allen Lebensbereichen. Unter dem Aspekt der Gleichstellung finden oftmals Maßnahmen wie die Einräumung von Sonderrechten für Frauen (z. B. Frauenquote, vgl. Kapitel 2, Historischer Abriss) Verwendung, die generell nicht im Sinne der Gleichberechtigung sind, aber von Nöten, um diese zu erreichen. Der Prozess der Gleichstellung ist in sich nicht negativ konnotiert. Maßnahmen, die dazu beitragen sollen, eine gesellschaftliche Gleichstellung der Geschlechter zu erwirken, müssen allerdings kritisch reflektiert und ständig neu eruiert werden. Der Gender Gap ist demnach ein durch wissenschaftliche Studien untersuchtes und gestütztes Phänomen, mit dem sich zahlreiche Vertreter_innen aus Politik, Wirtschaft, Justiz und Gesellschaft befassen. Wie die Zahlen beweisen, sind Maßnahmen zur Gleichstellung auch in der Musikindustrie ein aktuelles Thema. Doch wie ist eigentlich die Wahrnehmung der Akteur_innen ? Deckt sich die von den Beschäftigten wahrgenommene Gleich- oder Ungleichberechtigung von Frauen und Männern mit den Zahlen aus den globalen, bundesweiten Berichten und der Situation aus der Branche ? Und gibt es Unterschiede zwischen der Wahrnehmung von Kernerwerbstätigen, die bereits Berufserfahrung in der Branche haben und dem momentan studierenden Nachwuchs ? Im Folgenden werden Methodik, Konzeption und Resultate einer Umfrage dargestellt, die sich mit dem Thema Gleichberechtigung in der Musikwirtschaft in Mannheim und Region auseinandersetzt. Die Befragung war Teil einer im Jahr 2018 von den Autorinnen verfassten Studienarbeit an der Popakademie BadenWürttemberg. Die Ergebnisse sind nicht-repräsentativ, da aufgrund der Zielgruppengröße keine Schlüsse auf die Grundgesamtheit gezogen werden können. Allerdings werden Ansätze aufgezeigt, an die in einem nächsten Schritt angeknüpft werden kann. Aufgrund der zeitlichen Begrenzung, in der die Umfrage stattfinden sollte, waren die Autorinnen zudem gezwungen, einzelne Meinungsbildner_innen der Region zu kontaktieren und zum Verteilen des Fragebogen-Links zu motivieren. Dies könnte die Stichprobenauswahl beeinflusst haben. Aufgrund der erwähnten Limitationen und Beeinflussungen können die Erkenntnisse der Befragung dennoch zu einem späteren Zeitpunkt genutzt werden, um eine repräsentative Umfrage durchzuführen.

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Historischer Abriss: Juristische Entwicklungen im Zeitablauf

Seit nunmehr 100 Jahren dürfen Frauen in Deutschland wählen und sich offiziell an der Politik sowie dem öffentlichen Leben beteiligen (vgl. Brand, 2019). Die Emanzipation – also die Befreiung der Frauen aus einem Zustand der Abhängigkeit (vgl. Duden, 2010, S. 321) – ist seitdem weit gekommen. Frauen gewinnen stetig an Einfluss in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Am ersten Juli 2018 feierte das Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts sein 60-jähriges Bestehen. Eine Reform des Ehe- und Familienrechts sorgte 1977 im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) dafür, dass beide Ehepartner gemeinsam für die Regelung der Haushaltsführung zuständig sind. Der Haushalt stellt seitdem keinen Hinderungsgrund für Erwerbstätigkeit mehr dar und Frauen dürfen uneingeschränkt arbeiten. Männer und Frauen sind laut Artikel drei des Grundgesetzes gleichberechtigt. Zudem setzt sich der Staat durch die Ergänzung des § 3, Abs. 2 GG (vgl. BpB, 2018) seit 1994 für „die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern“ ein und „wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“ (BMJV, o. J.). 2015 trat das Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (FührposGleichberG) in Kraft. Dieses sollte die Benachteiligungen von berufstätigen Frauen auflösen und langfristig sowohl Männer als auch Frauen in Gesellschaft, Politik und Wissenschaft gleichstellen. Damit bestätigte der Staat die Existenz einer Ungleichstellung in Deutschland, die er – fast 70 Jahre nach der Einführung des Artikels drei und etwas mehr als 20 Jahre nach der Beifügung von Absatz zwei (vgl. Maaß, 2016, S. 99) – bereinigen möchte. Dieses Gesetz, das als sogenannte Frauenquote bekannt ist, soll u. a. dafür sorgen, dass bei der Neubesetzung von Aufsichtsräten in 108 börsennotierten und mitbestimmungspflichtigen Unternehmen ein Frauenanteil von 30 Prozent eingehalten werden muss. Rund 3 500 weitere Unternehmen müssen sich eigene Quoten (Flexiquoten) setzen und jährliche Berichte über ihre Fortschritte verfassen (vgl. Deutscher Bundestag, 2015). Laut statistischem Bundesamt gibt es allerdings ca. 3,7 Millionen Unternehmen in Deutschland. Davon arbeiten in 12,4 Prozent zehn oder mehr Mitarbeiter_innen und rund 2,7 Prozent haben eine Belegschaft von mindestens 50 Beschäftigten. Das bedeutet, dass über 3,2 Millionen Unternehmen und damit der Großteil der Wirtschaft in Deutschland bei der Frauenquote nicht berücksichtigt ist (vgl. Statistisches Bundesamt, 2018). Vor allem mittelständische Unternehmen sind nicht eingebunden (vgl. Maaß, 2016, S. 101).

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Methodik

Forschungsfrage „Gibt es Unterschiede in der Wahrnehmung von Gleichberechtigung in der Musikwirtschaft (Definition nach Söndermann, 2012) in Mannheim und Region zwischen (Kern-)Erwerbstätigen der Branche und Studierenden aller aktuellen Jahrgänge der Popakademie Baden-Württemberg ? Wenn ja, wie sind deren Ausprägungen ?“ Dies sind die Forschungsfragen, die in einer ersten, nicht-repräsentativen Studie im Jahr 2018 beantwortet werden sollten. Die Untersuchung potentieller Wahrnehmungsunterschiede von Gleichberechtigung in der Musikwirtschaft und deren Ausprägungen wurden hierbei als Forschungsgegenstand festgelegt. Als Grundgesamtheit wurden aktuell eingeschriebene Studierende der Popakademie Baden-Württemberg und Kernerwerbstätige der Musikwirtschaft in Mannheim und Region definiert. Als Kernerwerbstätige werden all diejenigen beschrieben, die innerhalb der Musikindustrie wirken, sich als Angehörige dieser Branche sehen und ihren Lebensunterhalt ganz oder in Teilen in diesem Markt bestreiten. Ausgenommen sind Erwerbstätige, die ebenfalls studieren. Diese wurden in die Zielgruppe der Studierenden platziert oder separat als Erwerbstätige geführt. Die geografische Abgrenzung von Mannheim und Region kommt aufgrund lokaler Musikszenenzusammenhänge zustande und ist durch die 17 Stadtteile Mannheims definiert. Da nicht alle Teilnehmer_innen ortsgebunden arbeiten, gab es die Möglichkeit, weitere geografische Tätigkeitsgebiete anzugeben. Hier werden regionale Orte, aber auch bundesweite Gegenden erwähnt. Viele beschreiben ihren Arbeitskreis ebenso als europaweit, international und bundesweit.

Befragungsstil Um eine möglichst große Anzahl an Teilnehmer_innen zu berücksichtigen, wurde eine mixed-methods Studie auf Grundlage einer quantitativen Umfrage durchgeführt. Die Kombination mit offenen Fragen lässt ergänzende, subjektive Perspektiven zum Thema der Wahrnehmung von Gleichberechtigung zu. Aus diesem Grund wurde für die meisten Fragen ebenfalls eine semistrukturierte Befragung gewählt, bei der die letzte Antwortkategorie offen war. Die Umfrage erfolgte schriftlich, standardisiert und online über die Befragungssoftware umfrageonline.de.

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Zielgruppenansprache Zur Zielgruppenansprache wurden interne E-Mail-Verteiler der künstlerischen Studiengänge der Popakademie Baden-Württemberg genutzt sowie die der städtischen Institutionen Start-up Mannheim und im Speziellen der Music Commission Mannheim. Des Weiteren wurde die Umfrage in den unterschiedlichen Jahrgangsgruppen der Popakademie auf Facebook geteilt, über die Facebook-Seite des Clustermanagement Musikwirtschaft Mannheim und in der internen Facebook-Gruppe des Delta Frauen-Netzwerks – ein lokales Frauennetzwerk der Kultur- und Kreativwirtschaft in der Metropolregion Rhein-Neckar (vgl. DeltaFrauen*_ Stammtisch in der Kulturwirtschaft Rhein-Neckar, o. J.). Zusätzlich wurde die Umfrage in interne WhatsApp-Gruppen der aktuellen Jahrgänge der Popakademie Baden-Württemberg weitergeleitet und lokalen Meinungsbildner_innen der Region zum Verteilen geschickt. Bei den Meinungsbildner_innen handelte es sich um Vertreter_innen der lokalen Kulturszene, sowie Mitarbeiter_innen bekannter Kultursponsor_innen der Region, die den Autorinnen durch ihre eigene Tätigkeit in der Musikszene bekannt waren oder durch Akteur_innen der Szene empfohlen wurden.

Stichprobe Im Befragungszeitraum vom 24. Oktober bis zum 10. November 2018 nahmen 75 Personen an der Umfrage teil. Diese Stichprobe setzt sich aus 47,5 Prozent Frauen und 52,5 Prozent Männern, beziehungsweise 72 Prozent Studierenden und 28 Prozent Kernerwerbstätigen aus der Musikwirtschaft zusammen. Da das Ziel der Befragung war, die Unterschiede explizit zwischen Männern und Frauen zu thematisieren, war der Fragebogen nur auf diese und nicht auf diverse Geschlechter ausgelegt. Die Geschlechterverhältnisse in den Untergruppen der Studierenden und Kernerwerbstätigen sind mit 52,6 Prozent weiblichen Studierenden (47,4 Prozent männliche Studierende) und 57,1 Prozent männlichen Kernerwerbstätigen (42,8 % weibliche Kernerwerbstätige) relativ ausgeglichen. Wie sich anhand der Studierendenanzahl bereits vermuten lässt, stellen die 22 – ​24-Jährigen mit 34 Prozent die größte Altersgruppe in der Befragung dar. Als zweitgrößte Gruppe sind die 18 – ​21-Jährigen mit 25 Prozent vertreten, während 15 Prozent der Probanden 25 – ​28 Jahre alt sind. Weitere Befragte sind 29 – ​32 Jahre (9 Prozent) oder 41 Jahre und älter (9 Prozent). Die kleinste Befragtengruppe stellten die 33 – ​40-Jährigen mit 6 Prozent dar.

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Aufbau des Fragebogens Die Teilnehmenden begannen mit dem Ausfüllen demographischer Daten . Mit Hilfe von Filterfragen wurden die Proband_innen je nach Antwort durch den Onlinebogen und zu den für sie relevanten Fragen geleitet . Grob können hier vier Pfade differenziert werden, die in Abbildung eins dargestellt sind . War die befragte Person ein_e Student_in, so sollten Fragen zum Studierendenstatus beantwortet werden . Hierbei handelte es sich um dichotome Fragen, Einfach-, und Mehrfachauswahlfragen ohne Likert-Skalierung . Zusätzlich konnten die Teilnehmenden ihr Studiensemester in ein Freifeld eintragen . Anschließend ordneten Erwerbstätige ihre Arbeitsbereiche innerhalb der Musikwirtschaft mithilfe von Fragen mit Mehrfachauswahl ein . War die Person nicht erwerbstätig, wurde sie direkt zu den Fragen über die Wahrnehmung von Gleichberechtigung oder zum Ende der Umfrage weitergeleitet . Nach Abfrage der Details zu Berufstätigkeit und Studium folgte eine Selbsteinschätzung zur gleichberechtigten Behandlung innerhalb der Branche . Genauere Angaben zu Leistungen, Beziehungen und Entlohnungen im Beruf oder Studium konnten angegeben werden . Durch die Abfrage der Wahrnehmung der eigenen Person gegenüber dem anderen Geschlecht und der Einschätzung, ob bestimmte Aussagen eher auf Frauen oder Männer in Beruf oder Studium zutreffen, ergaben sich zwei Polaritätsprofile (vgl . Abschnitt Resultate, Interpretation und Methodendiskussion) . Ob und in-

Abb. 1 Antwortmöglichkeiten des Fragebogens

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wiefern sich bestimmte Arbeitsbedingungen in der Musikwirtschaft in Bezug auf die Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen verändert haben und eige­ ne Gedanken zur Thematik beendeten die Erhebung in einem Schlussteil mit offenen Fragen. Kurz zusammengefasst kann folgender Aufbau des Fragebogens festgehalten werden: 1 Frage zum Datenschutz 2 Fragen zu demographischen Daten 5 Fragen zum Studierendenstatus 6 Fragen zur Erwerbstätigkeit in der Musikindustrie 1 Fragen zur persönlichen Einschätzung der Behandlung durch die Umgebung aufgrund des eigenen Geschlechts 2 Polaritätsprofilfragen mit 14/15 Abwägungsalternativen auf einer fünfstufigen Skala 3 Fragen zur Wahrnehmung von Veränderungen zur Thematik im Zeitverlauf 3 Fragen zum eigenen Engagement für die Thematik 4 Offene Fragen

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Resultate und Interpretationen

Einsatz für Themen der Gleichberechtigung Wie die Ergebnisse zeigen, ist ein Großteil der Studierenden (85 Prozent) und der Kernerwerbstätigen (69 Prozent) dazu bereit, sich für Themen der Gleichberechtigung einzusetzen (z. B. durch das Beitreten in Netzwerken/politischen Organisationen). 56 Prozent der Kernerwerbstätigen und 18 Prozent der Studierenden geben zudem an, sich außerhalb des Freundeskreises für Themen der Gleichberechtigung zu engagieren oder Mitglied in einem regionalen und/oder überregionalen Netzwerk (z. B. musicBWwomen, Männernetzwerk Münster, Initiativgruppe Homosexualität Stuttgart e. V.) zu sein. Diese hohe Anzahl kommt womöglich aufgrund der Stichprobenziehung zu Stande. Die Umfrage wurde zum einen in der Facebook-Gruppe der Delta-Frauen gepostet. Zum anderen gründete sich das Frauennetzwerk der Music Women Baden-Württemberg (musicBWwomen) im September 2018 an der Popakademie Baden-Württemberg, weshalb vermutlich viele der Teilnehmenden bereits für die Thematik sensibilisiert wurden.

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Einschätzung der eigenen Person/Vergleich der Geschlechter (Polaritätsprofile) Zu Beginn des Fragenkomplexes zum Thema Gleichberechtigung sollte die eigene Situation beurteilt werden. Besteht der Eindruck einer geschlechtsunabhängigen oder -abhängigen Behandlung im Studium oder Beruf durch das Umfeld ? Knapp über die Hälfte (53 Prozent) geben insgesamt an, sich aufgrund ihres Geschlechts im Studium oder Beruf anders behandelt zu fühlen. Bei den Studierenden waren es 57 Prozent, in der Gruppe der Kernerwerbstätigen 38 Prozent. In einer Aufteilung der Stichprobe nach Geschlechtern stimmen Frauen dem mit 69 Prozent, Männer mit 38 Prozent zu. Diese Personengruppen wurden aufgrund ihrer Einschätzung zur Einordnung von 14 Gegensatzpaaren weitergeleitet, um die Behandlung ihrer eigenen Person durch die Arbeitsumgebung gegenüber der des anderen Geschlechts (durch Angaben zu Beziehungen, Leistungen und Entlohnungen) zu spezifizieren. Die Aussagen betreffen in ihrer Formulierung berufstätige Teilnehmende. Eine Anmerkung wies darauf hin, dass bei momentaner Nicht-Beschäftigung die Einschätzungen auf vergangene Erfahrungen oder Erwartungen an das zukünftige Berufsleben übertragen werden sollen. Die Einschätzungen sind Teil eines Polaritätsprofils mit fünf Intensitätsausprägungen. Dem schließt sich ein weiteres an, das die gleichen Ausprägungen enthält. Auch die Aussagen doppeln sich, mit dem Unterschied, dass sie im zweiten Polaritätsprofil um eine weitere ergänzt und nicht mehr in Verbindung mit der eigenen Person gesetzt sind. Stattdessen soll eingeschätzt werden, ob die Aussagen eher auf Männer oder auf Frauen zutreffen. Die beiden unterschiedlichen Polaritätsprofile sind in Abbildung zwei und drei zu sehen und werden in Abschnitt Polaritätsprofilvergleich/In Bezugnahme weiterer Untersuchungsergebnisse in ihren wichtigsten Aspekten kurz erläutert.

Abb. 2 Polaritätsprofil Selbsteinschätzung gegenüber dem anderen Geschlecht

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Abb. 3 Polaritätsprofil Vergleich Frauen gegenüber Männern

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Polaritätsprofilvergleich/In Bezugnahme weiterer Untersuchungsergebnisse

Fragen zu Gehaltssituationen Im Folgenden werden durchschnittliche Bruttojahresgehälter verschiedener Personengruppen genannt. Da diese Angaben im Fragebogen durch Abstufungen wie weniger als 8 000 Euro, 8  001 – ​12  000 Euro oder mit der höchsten Stufe > 50 000 Euro angegeben werden, können die Ergebnisse nur grobe Durchschnittswerte darstellen. Die Abbildungen vier und fünf verbildlichen die folgenden Ergebniserläuterungen. Nach dem direkten Gehaltsvergleich zwischen Männern und Frauen gefragt, glauben Frauen mehrheitlich, Männer verdienten mehr als Frauen (73 Prozent). Männer dagegen nehmen zu 69 Prozent keine Unterschiede in der Bezahlung zwischen den Geschlechtern wahr. Mit dieser Einschätzung liegen die befragten Männer in Bezug auf die Entlohnungen von Kernerwerbstätigen richtig: Bruttojahresgehaltsangaben der befragten Kernerwerbstätigen zeigen nur geringfügige Differenzen in den Entlohnungen. Auch wenn diese Durchschnittsberechnungen keinen Anspruch auf Exaktheit erheben, können hierdurch Tendenzen über die Höhe von Gehältern verschiedener Personengruppen eingeschätzt werden. Unerwartet ist, dass kernerwerbstätige Frauen dabei etwas mehr verdienen (ca.

Abb. 4 Bruttojahreseinkommen der Proband_innen

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Abb. 5 Bruttojahreseinkommen der Kernerwerbstätigen und der Student_innen

ø 29 300 Euro) als ihre männlichen Kollegen (ca. ø 27 600 Euro). Im Zusammenhang mit erwerbstätigen Studierenden liegen dagegen die Frauen mit ihrer Einschätzung, weniger Gehalt als Männer zu bekommen, richtig: Erwerbstätige Studentinnen verdienen laut eigenen Angaben weniger als 8 000 Euro im Jahr, ihre männlichen Kommilitonen durchschnittlich weniger als 12 000 Euro. Grundsätzlich ist zu sagen, dass Studierende bis zu 30 000 Euro brutto im Jahr bezogen und Studentinnen bis zu maximal 12 000 Euro im Jahr (nur Einkünfte, ohne Unterstützungsleistungen wie BAFöG). Insgesamt ergibt sich also ein Lohngefälle von ungefähr 40 Prozent zwischen weiblichen und männlichen Studierenden. Aus den Antworten über die eigenen Wahrnehmungen lässt sich nicht erkennen, ob die Befragten ihre Einschätzungen auf Kernerwerbstätige oder Studierende richten. Jedoch ist auffällig, dass Männer eher ein Gleichgewicht in der Bezahlung zwischen den Geschlechtern vermuten und Frauen ihre eigene Situation eher als ungerecht im Vergleich zu der Situation der Männer empfinden. In Bezug auf erwerbstätige Studierende ist dieses Ungerechtigkeitsgefühl begründet. Hier zeigt sich ein deutliches Lohngefälle. Mit Blick auf die Kernerwerbstätigen sind die Wahrnehmungen der Frauen nicht gerechtfertigt, Männer zeigen in diesem Fall eine realistischere Einschätzung. Dabei ist in Erinnerung zu behalten, dass die kleine Stichprobe keine Rückschlüsse auf die Grundgesamtheit der musikwirtschaftlichen Akteur_innen in Mannheim und Region zulässt.

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Erwartungen durch das Arbeitsumfeld Anders als bei den Gehaltseinschätzungen stimmen die Wahrnehmungen der befragten Männer und Frauen in Bezug auf die Aussage Männer/Frauen werden ernster genommen mehrheitlich überein. So werden laut 81 Prozent der Fragebogen-Teilnehmerinnen und 58 Prozent der Teilnehmer Männer von ihrem Arbeitsumfeld ernster genommen als Frauen. Da die Mehrheit aller Befragten eine ähnliche Meinung vertritt, kann dies als Hinweis auf ein tatsächlich bestehendes Ungleichgewicht gesehen werden. Im Gegensatz zu der Höhe des Gehaltes ist es für Kolleg_innen leichter ersichtlich, ob andere Mitarbeiter_innen in ihrem Beruf oder durch ihr Umfeld ernst oder eben nicht ernst genommen werden. Dass 42 Prozent der männlichen Teilnehmer entweder sagen, dass Frauen und Männer gleich oder Frauen ernster genommen werden, könnte daran liegen, dass sie von dieser ungerechteren Behandlung durch das Umfeld nicht selbst betroffen sind, da sie genau gegensätzliche Erfahrungen gemacht haben oder über ein anderes Verständnis der Bezeichnung „ernst genommen“ verfügen. Eine große Mehrheit der Frauen (82 Prozent) betont bei den Einschätzungen ihrer persönlichen Situation, dass sie im Beruf sehr durchsetzungsfähig sein müssen. Männer äußern dagegen mehrheitlich, ein normales Maß an Durchsetzungsfähigkeit zu benötigen (56 Prozent). Obwohl nach diesen Einschätzungen unterschiedliche Anforderungen an Durchsetzungsfähigkeit von Männern und Frauen im Beruf erwartet werden, glauben lediglich 31 Prozent der Männer, aber 69 Prozent der Frauen, dass Frauen insgesamt durchsetzungsfähiger als Männer agieren müssen. Frauen fühlen sich also in diesem Punkt ungleich behandelt. Männer empfinden zwar die Anforderungen an sich selbst im Bereich der Durchsetzungsfähigkeit als durchschnittlich, sehen jedoch nicht, dass sich Frauen stärker beansprucht fühlen. Im direkten Vergleich fällt also auch hier auf, dass die Gruppe der befragten Frauen sich ungleich behandelt fühlt, da Erwartungen an sie gestellt werden, denen Männer – ihrer Einschätzung nach – nicht im gleichen Maße gerecht werden müssen. Zum einen könnte dies daran liegen, dass die Proband_innen die vermeintliche Benachteiligung in Bezug auf die Durchsetzungsfähigkeit von Frauen nicht wahrnehmen. Zum anderen besteht die Möglichkeit, dass Durchsetzungsfähigkeit – ebenso wie die Bezeichnung ernst nehmen – unterschiedlich konnotiert wird. Um sicherstellen zu können, dass die Antworten der Proband_ innen in Zukunft auf einem einheitlichen Verständnis der Begriff‌lichkeiten beruhen, sollten diese vor einer nächsten Untersuchung genau definiert und den Teilnehmenden bekannt gegeben werden.

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Erfolge im Beruf Auch bei den Variablen zu Erfolgen im Beruf gehen die männlichen Befragten von einem weniger starken Missverhältnis zwischen Männern und Frauen aus als Frauen. Zwar mutmaßen einige Männer, dass sie mehr Jobangebote erhalten als Frauen (62 Prozent). Dies bestätigen jedoch mehr Frauen in ihren Wahrnehmungen (81 Prozent). Allerdings können weder Frauen noch Männer einschätzen, wie viele Jobangebote das andere Geschlecht tatsächlich bekommt. Aus diesem Grund sind die genannten Ergebnisse nur in Zusammenhang mit weiteren Wahrnehmungstendenzen aussagekräftig. Im Vergleich mit den bisher dargestellten Ergebnissen scheint es indes so, als würden entweder Männer eine eventuell bestehende Ungleichheit unter- oder Frauen diese überschätzen (vgl. Fragen zu Gehaltssituationen und Erwartungen durch das Arbeitsumfeld). Die gleichen Zahlen treffen auf die Frage nach dem Aufstieg in die Führungsebene zu. 81 Prozent der Frauen und 62 Prozent der Männer vermuten: Männer steigen schneller in die Führungsebene auf als Frauen. Der berufliche Aufstieg von Personen im Arbeitsumfeld ist für Beobachter_innen wie Kolleg_innen ersichtlicher, als die erhaltenen Jobangebote anderer Personen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Wahrnehmungen der Teilnehmer_innen daher nicht nur auf Schätzungen, sondern auf Beobachtungen basieren, ist damit höher. Von den bisherigen Ergebnissen weichen dagegen die folgenden Aussagen ab, die den Schwierigkeitsgrad beschreiben, neue Projekte zu akquirieren. Denn in diesem Fall lassen sich zwei unterschiedliche Meinungsausprägungen der weiblichen Befragten erkennen. Nur eine knappe Mehrheit (45 Prozent) gibt an, es bestünden keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen, während 42 Prozent meinen, dass der Schwierigkeitsgrad der Akquise neuer Projekte für Frauen höher ist. Ein deutlicheres Bild zeichnen die Aussagen der Männer (65 Prozent): die Mehrheit registriert keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern.

Wertschätzung/Anforderungen an Leistungen Bei der Selbsteinschätzung der Leistungsanforderungen im Vergleich zum anderen Geschlecht geben 88 Prozent der Frauen an, hohe bis sehr hohe Leistungsanforderungen erfüllen zu müssen. Nahezu der gleiche Prozentsatz (89 Prozent) der Teilnehmer kreuzt an, durchschnittliche bis hohe Anforderungen an die eige­ ne Person gestellt zu bekommen. Obwohl die Angaben im Bereich der Eigenbewertung differieren, sagen dennoch 52 Prozent der Frauen und 42 Prozent der Männer, dass die Leistungsanforderungen an beide Geschlechter im Vergleich zueinander gleich hoch sind. Auffällig ist daher, dass Selbst- und Fremdeinschät-

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zung nicht kongruent sind. Auch hier gibt es für die Teilnehmer_innen vermutlich Schwierigkeiten, die Aussagen auf andere Personen oder Personengruppen zu beziehen, da die Leistungsanforderungen für Außenstehende oft nicht erkennbar oder von individuellen Befindlichkeiten abhängig sind. Diese Nicht-Sichtbarkeit geht vermutlich mit einer Unsicherheit einher, die Fragen zu beantworten, was sich in dem vermehrten Ankreuzen des mittleren Wertes widerspiegelt. Die Option, keine Angabe zu wählen, war dabei nicht vorhanden. Differiert haben die Ergebnisse zwischen Frauen und Männern bei der wahrgenommenen Wichtigkeit ihres Aussehens im Beruf. 59 Prozent der weiblichen Befragten geben bei ihrer Selbsteinschätzung im Vergleich mit dem anderen Geschlecht an, ihr Aussehen sei im Beruf sehr wichtig oder wichtig. Dass ihr eigenes Äußeres im Beruf eine höhere Relevanz besitzt, glauben hingegen lediglich ein Drittel der Männer. Nach dem direkten Vergleich zwischen Frauen und Männern gefragt, sind sich beide Gruppen einig: Das Aussehen von Frauen ist wichtiger im Beruf als das der Männer. Dies bestätigen 65 Prozent der Teilnehmerinnen und 58 Prozent der Teilnehmer. Die Übereinstimmungen beider Gruppen verweisen auf mögliche realistische Einschätzungen der Situation. Dies lässt erahnen, dass Männer und Frauen lediglich erwarten, dass ein höheres Gefälle in Bezug auf das Aussehen zwischen den Geschlechtern besteht. Die Überschätzung des Zustandes könnte daher kommen, dass eine Sensibilisierung in Bezug auf das Thema Schönheitsideale in der Gesellschaft aufgrund einer kritischeren Auseinandersetzung der Öffentlichkeit mit der Thematik stattgefunden hat (z. B. ersichtlich in The Real Truth About Beauty: A Global Report, 2004, StrategyOne im Auftrag der Kosmetikmarke Dove). Im nächsten Teil der Untersuchung sollte eruiert werden, ob und in welchem Ausmaß Männer und Frauen im Beruf glauben, ausgenutzt zu werden. Auch hier gingen die Selbsteinschätzungen zwischen männlichen und weiblichen Proband_ innen auseinander: Die meisten Männer vermerken, sich selbst in einem normalen Maße oder eher weniger ausgenutzt zu fühlen im Vergleich zum anderen Geschlecht (67 Prozent). Der Großteil der Frauen erlebt nach eigener Aussage eine größere Ausnutzung im Beruf als Männer (82 Prozent). Nicht zu sagen ist, ob diese Einschätzungen ebenso von einem höheren Maß an Sensibilisierung beeinflusst sind, so wie dies bei den Antworten über die Wichtigkeit des Aussehens eine Rolle spielen könnte.

Soziales Umfeld im Beruf Im weiteren Verlauf der Befragung sollten Beziehungen zu Vorgesetzten und Kolleg_innen auf der Polaritätsprofil-Skala eingestuft werden. Laut 52 Prozent der

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Frauen und der Mehrheit der Männer (67 Prozent) pflegen beide Geschlechter in der Selbsteinschätzung neutrale bzw. gleich gute Beziehungen zu den jeweiligen Vorgesetzten. Jeder dritte Mann gibt allerdings an, sehr enge Beziehungen zu seinen Vorgesetzten im Vergleich zu seinen Mitarbeiterinnen zu haben. Dies stellt eine Abweichung von der durchschnittlichen Beantwortung der Frage dar. Starke Missverhältnisse machen sich im Vergleich der Beziehungen zwischen den Probanden und weiblichen sowie männlichen Personen auf ihrer Berufsebene bemerkbar: Die teilnehmenden Männer sehen zwar keine Probleme im Umgang mit Mitarbeiterinnen – 67 Prozent stufen ihn als respektvoll bis sehr respektvoll ein. Dagegen gibt die Mehrheit der Männer (56 Prozent) an, von Kollegen nicht so respektvoll behandelt zu werden wie Frauen. Nur 44 Prozent der Männer empfinden den Umgang durch andere Kollegen als neutral und null Prozent als respektvoller. Frauen dagegen scheinen in Arbeitsbeziehungen weniger Schwierigkeiten zu haben. 88 Prozent werden laut eigenem Empfinden von Kolleginnen respektvoll bis sehr respektvoll behandelt. Männer auf der gleichen Berufsebene gingen mit ihnen zu 71 Prozent neutral bis eher respektvoll um (im Vergleich zu ihren Kollegen). Wie im Absatz Förderungen im Beruf ausgeführt, steigen nach Meinungen der Umfrage-Teilnehmer_innen Männer schneller in Führungspositionen auf als Frauen. Kollegen nehmen daher andere Männer in ihrem Arbeitsumfeld eventuell stärker als Konkurrenz wahr als Frauen. Dies muss sich nicht zwangsweise in einem weniger respektvollen Umgang äußern, begünstigt diesen aber stärker als es ein konkurrenzfreieres Arbeitsklima tun würde.

Zwischenfazit Polaritätsprofile Im Vergleich der beiden Profile in den Abbildungen sechs und sieben wird deutlich, wie stark die Aussagen der Selbsteinschätzung im Vergleich mit dem anderen Geschlecht und die Einschätzungen zwischen Frauen und Männern differenzieren. Dort sind die Unterschiede zwischen Selbst- und Fremdeinschätzungen in Bezug auf die Anzahl erhaltener Jobangebote, dem Bruttojahreseinkommen, dem beruflichen Aufstieg und im ernst genommen werden durch das berufliche oder studentische Umfeld am größten. Im Polaritätsprofil eins, das sich mit der Selbsteinschätzung der Proband_innen befasst, offenbart sich außerdem eine große Meinungsdifferenz im Bereich der Projektakquise, während sich in Polaritätsprofil zwei – Vergleich von Männern und Frauen – Differenzen in der Einschätzung der Jobangebotssituation erkennen lassen. Dies deutet darauf hin, dass die Themen relevant für weitere Studien sein könnten.

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Veränderungen zum Thema Gleichberechtigung In einem weiteren Fragekomplex der Untersuchung sollten die Proband_innen ihre Wahrnehmung auf Veränderungen zum Thema Gleichberechtigung in der Musikwirtschaft in Mannheim und Region aufzeigen. Auf die Frage, ob Verän­ derungen stattfinden, antworten 89 Prozent der Studierenden mit ja, während die Hälfte der Kernerwerbstätigen verneinten. Anschließend sollten diejenigen, die die Frage bejahten, die Bereiche angeben, in denen sie Veränderungen zu erkennen glauben. In Bezug auf die allgemeine Gleichberechtigung in Studium und Beruf habe sich laut beiden Gruppen viel verändert (69 Prozent der Studierenden und 100 Prozent der Kernerwerbstätigen). Die Arbeitsbedingungen sind gemäß der Aussage der meisten Kernerwerbstätigen (80 Prozent) davon stark betroffen. Jede_r zweite Studierende bemerkt diese Veränderung jedoch kaum. Beim Thema Aufstiegschancen sind sich die Studierenden uneinig: 59 Prozent der Teilnehmenden geben an, es habe sich in der Musikwirtschaft viel gewandelt. Auch 80 Prozent der Kernerwerbstätigen bestätigen Änderungen der Aufstiegschancen in der Musikwirtschaft. Der Rest der Studierenden kann diesen Wandel kaum feststellen. In Bezug auf die Selbstständigkeit bei z. B. Projektvergaben und Kooperationen habe ferner eine große Veränderung stattgefunden (Aussage von 61 Prozent der Studierenden und 40 Prozent der Kernerwerbstätigen). Die gleiche Prozentzahl Kernerwerbstätiger stuft die Veränderungen in diesem Bereich als niedrig ein. Die stark variierenden Einschätzungen könnten zum einen in unterschiedlichen persönlichen Erfahrungen, die beispielsweise durch Altersunterschiede bestehen, aber auch in verschiedenen Entwicklungen von Teilbereichen der Musikwirtschaft begründet liegen. Auffällig bei diesen Ergebnissen ist, dass sich Studierende und Kernerwerbstätige oftmals uneinig sind, inwieweit Veränderungen in unterschiedlichen Aspekten der Musikwirtschaft Mannheims und der Region stattgefunden haben. Insbesondere im Bereich der Aufstiegschancen lässt sich bei Studierenden keine Tendenz in den Antworten ablesen und die Frage, ob es einen Wandel gibt, bleibt ungeklärt. Konträr hierzu bestätigen allerdings vier Fünftel der Kernerwerbstätigen eine Veränderung. Hier bildet sich also eine Differenz in der Wahrnehmung zwischen Studierenden der Popakademie Baden-Württemberg und den Kernerwerbstätigen der Musikwirtschaft Mannheims und Region ab. Was die Gründe für diese verschiedenartige Betrachtung sind, kann in weiterführenden Studien untersucht werden.

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Offene Fragen Am Ende des Fragebogens wurden die Teilnehmer_innen unter anderem gebeten, Ideen für Aktionen aufzuschreiben, die in Zukunft Aufmerksamkeit auf Themen der Gleichberechtigung in der Musikbranche lenken könnten. In Kategorien ausgewertet lauten die Antworten folgendermaßen: Die Entwicklung von Veranstaltungen, Vereinsarbeit und Workshops zum Thema finden 37 Prozent sinnvoll. 21 Prozent schlagen vor, das Thema weiterhin zu diskutieren. Die gleiche Prozentzahl an Teilnehmenden plädiert für eine stärkere Sensibilisierung ebenso wie Veränderungen in der Erziehung und der medialen Darstellung von Geschlechtern. Beispielsweise soll laut einer Teilnehmerin dadurch eine „Awareness besonders für Jugendliche, die unterbewusst diese Denkweise verankern und als gegeben nehmen“ erwirkt werden. Änderungen in der Arbeitswelt, beispielsweise in der Vergabe von Arbeitsplätzen, sollen für 16 Prozent angestrebt werden. Ebenfalls 16 Prozent fordern staatliche Maßnahmen wie die Ausweitung der Frauenquote.

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Fazit und Zusammenfassung

Der Schwerpunkt der behandelten Untersuchung lag nicht in einer Bestandsaufnahme der tatsächlichen Situation, sondern war in der Analyse der unterschiedlichen Wahrnehmungen zur Thematik angelegt. Die Forschungsfrage Gibt es Unterschiede in der Wahrnehmung von Gleichberechtigung in der Musikwirtschaft in Mannheim und Region zwischen (Kern)Erwerbstätigen der Branche und Studierenden aller aktuellen Jahrgänge der Popakademie Baden-Württemberg ? Wenn ja, wie sind deren Ausprägungen ? ließ sich aufgrund einer sehr kleinen Vergleichsgruppe im Bereich der Kernerwerbstätigen nur explorativ beantworten. Deshalb entschieden sich die Autorinnen dafür, zusätzlich die Unterschiede zwischen Männern und Frauen zu analysieren. Interessante Erkenntnisse werden in diesem Zusammenhang in Abschnitt Resultate und Interpretationen ausführlich abgebildet. Trotz dessen offenbarten sich einige eklatante Unterschiede in der Wahrnehmung von Studierenden im Vergleich zu Kernerwerbstätigen. Diese Differenzen können entweder auf Erfahrungen beruhen und damit auf realistischeren Bewertungen einer Gruppe, einer etwaigen höheren Sensibilisierung der jungen Zielgruppen durch z. B. mediale Berichterstattungen oder einer tatsächlichen unterschiedlichen Behandlung von Studierenden und Kernerwerbstätigen. Die Gründe dieser Meinungseinschätzungen sollten daher in einem nächsten Schritt tiefergehend untersucht werden, um die Voraussetzungen für ein Entgegenwirken eventueller Missstände zu schaffen. Da im Bereich der Bruttojahreseinkommens-

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verteilung eine Lohnlücke von ungefähr 40 Prozent bei den befragten Studierenden zwischen Frauen und Männern besteht, ist die Notwendigkeit einer weiteren Beobachtung der Situation gegeben. Zusammenfassend sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass sich mehr Kernerwerbstätige als Studierende außerhalb ihres eigenen Freundeskreises für die Gleichberechtigung einsetzen, obwohl sich deutlich mehr Studierende als Kernerwerbstätige ungerecht behandelt fühlen. Worin diese unterschiedlichen Handlungsweisen begründet liegen, kann nicht näher erörtert werden. Es ist jedoch möglich, dass Kernerwerbstätige aufgrund bereits durchgeführter Prozesse der Gleichstellung und ihrer persönlichen Erfahrungen mehr Wissen über Rahmenbedingungen und Wege zur Veränderung bestehender Situationen besitzen als Studierende. Verwunderlich ist indes, dass sich etwas mehr als die Hälfte der Kernerwerbstätigen aktiv für Gleichberechtigung in ihrer Branche einsetzen, während nur knapp zwei Fünftel eine ungerechte Behandlung erlebten.

Zukünftige Forschungsmöglichkeiten – weitere Auffälligkeiten der Ergebnisse Interessant ist, dass Männer häufig keine Unterschiede zwischen den untersuchten Geschlechtern sehen, derweil Frauen sich im Vergleich mit Männern häufiger benachteiligt fühlen. Dies wurde aufgrund der Angaben über das Bruttojahreseinkommen, Wahrnehmungen über den Aufstieg in Führungspositionen und erhaltene Jobangebote ermittelt. In einigen Fällen, wie der Frage nach der Einstufung eigener Leistungsanforderungen durch das Arbeitsumfeld, äußern Frauen weiter, diese seien für sie persönlich sehr hoch. Trotzdem erkennen sie keinen Unterschied zwischen den Anforderungen an Frauen und Männer, obwohl Männer die Leistungsanforderungen an die eigene Person nur als durchschnittlich bis hoch einordnen. Aufgrund dieser Daten wäre es möglich, dass Männer die nicht-gleichberechtigte Stellung der Geschlechter nicht bemerken, da sie selbst meist nicht von den Benachteiligungen durch Ungleichheit betroffen sind. Die einzige Ausnahme bildet die Frage nach der Behandlung durch männliche Kollegen: Während die meisten Frauen von ihren Kollegen scheinbar respektvoller behandelt werden, teilte der Großteil der Männer in der Selbsteinschätzung mit, von Kollegen weniger respektvoll behandelt zu werden als Frauen. Insgesamt äußerte in der Umfrage kein einziger Mann, respektvoller oder sehr viel respektvoller im Vergleich zu Frauen von männlichen Kollegen behandelt zu werden. Hierdurch ergeben sich Fragen für zukünftige Untersuchungen wie beispielsweise: Gibt es einen Unterschied zur Gehaltssituation der Geschlechter in der Musikwirtschaft in Mannheim und Region im Vergleich zur nationalen Musikindustrie ?,

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Driften die wahrgenommenen Unterschiede weiter auseinander als die realistisch nachweisbaren ? oder Gibt es Unterschiede in der Gehaltsstruktur von erwerbstätigen Student_innen und in welchen Umständen liegen diese genau begründet ? Darüber hinaus könnte durch eine zukünftige Erweiterung des Untersuchungsdesigns eine Erhebung von Künstler_innen und Erwerbstätigen in der Musikwirtschaft in Mannheim und Region vorgenommen werden. Bezieht man die in der Umfrage gewonnenen Aussagen auf den allgemeinen Forschungsstand, so kann festgehalten werden, dass sich die Wahrnehmungen der Beteiligten der Musikindustrie in Mannheim und Region teilweise mit den globalen musikwirtschaftlichen Zahlen in Verbindung bringen lassen. Dass Männer in der Wahrnehmung der Teilnehmenden im Berufsalltag tendenziell ernster genommen werden als Frauen oder Probandinnen laut eigenen Angaben durchsetzungsfähiger agieren müssen als Männer, bestätigt sich. Die Wahrnehmung, dass Männer laut Ansicht aller Befragten mehr Jobangebote bekommen als Frauen, könnte mit den musikindustrieweiten und nationalen Zahlen in Verbindung gebracht werden, die von einer größeren Anzahl von Männern in Führungspositionen zeugen. Gerade im Bereich der Entlohnungen der Proband_innen ergaben sich teilweise unerwartete Ergebnisse. So lagen weibliche Kernerwerbstätige im Schnitt leicht über ihren männlichen Pendants, während bei den Studierenden ein Gender Pay Gap von knapp 40 Prozent zu verzeichnen war. Im deutschlandweiten Vergleich lassen sich ca. sechs der totalen 21 Prozent der Gender Gap auf tatsächliche Geschlechterunterscheidungen bei der Bezahlung zurückführen. Im weiteren Prozess wäre es also von überaus großem Interesse zu erfahren, ob und inwieweit eine Lohnlücke in der Musikwirtschaft in Mannheim und Region vorliegt und auf welche Auslöser diese zurückzuführen ist (vgl. Statistisches Bundesamt, o. J.).

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Methodenkritik

Im Gegensatz zu einer direkten Befragung garantierte die Anonymität der Onlineumfrage, dass die Interviewerinnen keinerlei Einfluss auf die Teilnehmenden nehmen konnten. Trotzdem muss davon auszugehen sein, dass unehrliche Antworten mitunter gewählt wurden, da bestimmte Verhaltensweisen aktuell sozial erwünscht sind. Theoretisch wären mit dieser Methode außerdem Mehrfachteilnahmen möglich gewesen. Ein tatsächliches Problem war die Darstellung der Umfrage auf mobilen Endgeräten, die fallweise irreführend wirkte. Einige Fragebögen stellten sich als nicht verwertbar heraus. Sie waren entweder nicht ausgefüllt oder stammten von Personen, die nicht der Zielgruppe entsprachen.

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Da Begriffe wie Gleichberechtigung und Gleichstellung in der Umfrage nicht näher definiert wurden, ist es schwierig abzugrenzen, inwieweit die Proband_innen Gleichstellung als Prozess gesehen haben, der Gleichberechtigung bedingt. Stattdessen ist davon auszugehen, dass die Bezeichnungen im Verständnis der Teilnehmenden synonym genutzt wurden. Begriffsdefinitionen sollten in zukünftigen Arbeiten daher vorangestellt werden, um exaktere Ergebnisse und Interpretationen der Daten zu ermöglichen. Darüber hinaus kann in einer Onlineumfrage nicht die gesamte Zielgruppe erreicht werden und eine Zufallsstichprobe der Grundgesamtheit ist nicht gegeben, da jede Person selbst entscheiden konnte, ob sie an der Befragung teilnimmt. Eine weitere Schwierigkeit der Stichprobe bestand in ihrer geringen Größe. Durch die fünfstufige Auswahlskala der Polaritätsprofile wird zwar gewährleistet, dass Proband_innen Ausprägungen gleichwertig auf Männer und Frauen beziehen können, allerdings ist es nicht möglich, sich bei einzelnen Aussagen zu enthalten. Aus diesem Grund kann es sein, dass sich Proband_innen aufgrund ihrer Unentschlossenheit für eine neutrale Position im Polaritätsprofil entschieden und damit die Ergebnisse verfälschten. In weitergehenden Studien sollten daher die gewonnenen Erkenntnisse genutzt werden, um die Fragebogenkonzeption zu überarbeiten. Um Vergleichswerte zu erhalten, sollte die Umfrage des Weiteren in mehreren Regionen vergleichend durchgeführt werden.

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Wahrnehmung von Gleichberechtigung in der Musikwirtschaft 231

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Désirée Blank & Laurena Frey

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Veranstaltungsbesprechungen

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GMM Summer Institute 2019 in Porto: Ein Rückblick Matthes Köppinghoff

Informationsaustausch, Networking, spannende Vorträge – und das alles mit Blick aufs Meer: Zum fünften Mal ereignete sich das Spring Institute der Gesellschaft für Musikwirtschaft- und Musikkulturforschung (GMM). In ausgeruhter und produktiver Atmosphäre haben sich im März 2019 in Porto wieder Musikforscher_innen zum Austausch getroffen. Auch in diesem Jahr kamen zum Spring Institute Interessierte rund um Fragen zur Musikwirtschafts- und Musikkulturforschung in die zweitgrößte Stadt Portugals. Was ein wenig nach Urlaub klingt, hat damit aber in erster Linie nichts zu tun. Statt Freizeit steht die Wissenschaft im Vordergrund: Innerhalb von einer Woche gilt es für die teilnehmenden Wissenschaftler*innen und Musikforscher*innen, konzeptuelle Herausforderungen von Musikwirtschafts- und Musikkulturforschung zu beleuchten. Was sind neue Entwicklungen, ökonomisch und kulturell ? Welche sozialen Innovationen gibt es in Musikwirtschaft und Musikkultur ? Der entspannte Rahmen gibt dabei Kraft für die geistige Arbeit, nach zahlreichen Arbeitsstunden klingen die Tage auch gern am Atlantikstrand oder am Flussufer des Douro aus. Prof. Dr. Carsten Winter von der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover begrüßt die Teilnehmer_innen. Spannende Vorträge gibt es unter anderem von Prof. Dr. Barbara Hornberger (Zwischen Ignoranz und Kolonialisierung: Populäre Musik und kulturelle Bildung) und Dr. Anita Jóri (What’s your Problem with Electronic Dance Music ?). Diese, aber auch der Vortrag von Prof. Dr. Thomas Düllo (Pop ist rund. Das Narrativ des Runden und Rollenden, Kugelnden und Kreisenden im Pop) leiten in spannende und dazu intensive Diskussionen über. Die Tagesablaufpläne sind eng getaktet: So stellen Prof. Dr. Carsten Winter und Christine Preitauer auch ihr Forschungsprojekt zur Festivalformatentwicklung vor. Weiter geht es mit dem Methodenkolloquium: In diesem Jahr steht be© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Ahlers et al. (Hrsg.), Musik & Empowerment, Jahrbuch für Musikwirtschafts- und Musikkulturforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29706-0_13

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Matthes Köppinghoff

sonders die Situationsanalyse nach Adele Clarke im Fokus. Die Teilnehmer*innen können sich mit der Methode in Workshops vertraut machen, sich austauschen, von bereits gemachten Erfahrungen berichten. Daniel Suer (Universität Siegen) möchte in seinem Dissertationsvorhaben (Spannungsfelder: zur situationsanalytischen Untersuchung von Tanz im Heavy Metal) auch die Situationsanalyse nutzen – und bekommt in Porto direkt Unterstützung von anderen Forschenden, Einschätzungen und Ratschläge. Ein sehr wichtiges Ziel des Summer Institute ist es, jüngeren Forscher_innen strukturierte und individuelle Hilfestellung zu geben; sowohl bei Arbeiten ganz am Anfang, aber auch bei schon fortgeschrittenen Dissertationsvorhaben. Die Fortschritte der Kolleg_innen werden durchdacht und konstruktiv diskutiert. Für die Teilnehmer_innen hat das den Vorteil, unmittelbar qualifiziertes, wissenschaftliches Feedback für die eigene Arbeit zu bekommen und auch im Anschluss nach den Vorträgen noch die Zeit und Luft zu haben, sich über die Dissertationsvorhaben unterhalten und austauschen zu können. Wann hat man sonst im normalen Alltag zuhause solche Möglichkeiten und kann fruchtbare Gedanken mit anderen in dieser Form teilen ? Klarer Vorteil: GMMSI. Ein Dissertationsvorhaben kann kostbare Nerven rauben. Umso wichtiger ist da, dass das Spring Institute motiviert. Wer sich über mehrere Stunden den Kopf über das eigene Forschungsvorhaben und das der anderen gemacht hat, der hat sich am Ende auch einen entspannten Tagesausklang verdient. Umso besser, wenn man dann mit Gleichgesinnten den Tag und die eigene Arbeit Revue passieren lassen und auch daraus wieder Kraft tanken kann. Fazit: Auch das Spring Institute 2019 ist wieder sehr kurzweilig gewesen; anstrengend, ja, aber vor allem auch sehr ergiebig und effektiv. Schon jetzt steht fest, dass es weitergeht – und die Teilnehmer*innen freuen sich schon auf das nächste Mal.

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Reeperbahn-Festival-International auf der WISE 2019 in Peking Carsten Winter

Die Reeperbahn-Festival-International-Initiative im Kontext 2019 geht als das Jahr in die Musikgeschichte ein, in dem ein Musik-Festival ein Teil deutscher Außenpolitik wurde. Das Auswärtige Amt unterstützt Spin-Offs des Reeperbahn-Festivals unter dem Label Reeperbahn-Festival-International in prosperierenden bzw. maßgeblichen Musikregionen: in China (Peking), Afrika (2019 in Accra, Ghana) und den USA (Nashville, New York, Los Angeles). Dieser partiell wissenschaftlich orientierte persönlichere Reisebericht zeigt, wie diese neue Initiative Musikakteur*innen durch eine co-organisierte Vernetzung in Agency-Situationen fördert, in denen Beteiligte neue Chancen persönlicher ökonomisch und gesellschaftlich innovativ erörtern und in Angriff nehmen. Aber ist die erste Reeperbahn-Festival-International-Spin-Off-Reise auf die WISE 2019 nach Peking als neue internationale Festival-Festival-Kooperation – wie viele neue Schnittstellen zwischen Entwicklungen in Technik, Musikkultur und Musikwirtschaft – auch ein Zukunftslabor1 für Kultur und Wirtschaft ? Diese Frage stellte sich im Rahmen meiner Erforschung von Festivals und von digitalen Trans-

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Im Prozess der Digitalisierung etablierten sich seit Mitte der neunziger Jahre immer wieder Kontexte der Produktion, der Verteilung, der Orientierung oder gar Organisation der Wahrnehmung und Nutzung von Musik als Zukunftslabor für Kultur und Wirtschaft: Weil Musik für so viele Menschen in ihrem Leben so wertvoll ist, haben sie ihre Beziehungen zu Formen von Musik bisher immer innoviert, wenn es ihnen in irgendeiner Weise für sie wertvollere Beziehungen zu Musik zuletzt in neuen digitalen Formen ermöglicht hat – mit allen damit verbundenen Folgen für Künstler*innen und für die Musikindustrie. Die Branche profitierte von 1981 bis 1999 von Digitalisierung zwar mehr als andere Branchen (durch die CD), brach aber von 1998 bis 2013 stärker als jede andere Branche der Medien- und Kulturwirtschaft ein. Wo sind Güter so frei und zu jeder Zeit und an jedem Ort so verfügbar wie heute Musik in digitaler Form ? Es ist kein Wunder, dass Musikakteur*innen in der Kultur-, Medien- und

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Ahlers et al. (Hrsg.), Musik & Empowerment, Jahrbuch für Musikwirtschafts- und Musikkulturforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29706-0_14

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formationen sowie als Organisator und Moderator von Panels auf Festivals mit Konferenz.2 Offenbar interessierte sie auch die neue Initiative Reeperbahn-Festival-International, an der ich teilnehmen und für die ich auf der WISE die Reeperbahn-Festival-International-Panels moderieren durfte. Auf der Reise im März 2019 nach Peking auf die WISE 2019 konnte ich vor Ort im Konferenz-Ort UCCA, im Danisch Cultural Center, der Show Case Venue und in ihrem Umfeld Delegierte in kulturellen, in sozialen und in wirtschaftlichen Agency-Situationen beobachten: in Situationen, in denen sie neue, vor allem wirtschaftliche Chancen mit Konferenzteilnehmer*innen diskutiert und später auch ergriffen haben. Dabei kam den Situationen im Umfeld der Reeperbahn-Reception und des Show Case Events eine besondere Bedeutung zu, bei denen Konferenz-Agency-Situationen in einem festlichen Rahmen fortgesetzt werden konnten. Auf den Show Case Events traten nach der Konferenz am Samstag und Sonntag jeweils zwei europäische und zwei chinesische Acts im Danish Cultural Center auf (The Hormones, White+, CHAGALL, David Boring, Catnapp, Lows0n, Jungstötter und Mavi Phoenix), die durchweg überzeugt und die WISE 2019 zu einem einzigartigem Musikfestival gemacht haben, auch weil der zweite Abend – ungeplant, wie mir versichert wurde – ein female acts show case war. Die Reise auf die WISE war für alle, auch für Teilnehmer*innen, die China und Peking kannten, eine Reise in eine dynamische, kapitalistische wie staatliche digitale Musikkultur im absehbar größten Musikmarkt der Welt, deren neue Dynamik in der Interaktion mit lokalen Musikwirtschaftsakteur*innen anders wahrnehmbar war als aus der Ferne. Die Delegierten konnten sich vor Ort in die Entwicklung der chinesischen Musikkultur und Musikwirtschaft – ohne dass es Klarheit über Bedingungen dieser Möglichkeiten gäbe, Rechtsfragen geklärt wären oder

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Kreativwirtschaft die Liste mit Geschäftsmodell-Innovationen anführen. Schließlich lernten die meisten Leute das digitale Teilen, Kommentieren, Co-Kreieren, Liken, Publizieren usw. usf. mit digitalen Musik-Netzwerkmedien bei der digital-medialen Kommunikation mit und über Musik. So veranstalte und moderiere ich z. B. seit 2015 auf der Reeperbahn-Festival-Konferenz das Smart Music Cities-Panel für den GMM-Fachausschuss Musiknetzwerke, den ich gemeinsam mit Olaf „Gemse“ Kretschmar von der BMC in Berlin leite. Im Arbeitskreis wurde die Bedeutung offener Musikfestivals mit Konferenzen im Hinblick auf die Stadtentwicklung 2019 in der Sharing Strategies Initiative zuletzt besonders hervorgehoben. In dieser von Gemse und mir gemeinsam mit Christine Preitauer (CEO von KreHtiv Hannover e. V., dem Netzwerk der Kreativen in Hannover) und Dr. Matthias Rauch (ehemals Leiter des Clustermanagements Musikwirtschaft Mannheim & Region, der inzwischen Culture Innovation Officer der Stadt Mannheim ist) entwickelten Initiative haben wir u. a. auf vier zumindest festivalartigen Veranstaltungen in Mannheim (dt./franz int. Entrepreurship-Summit), in Köln (c/o pop), in Hannover (auf dem Maschseefest-IDN-Boulevard) sowie (natürlich) auch auf dem Reeperbahn-Festival insbesondere die Rolle von Netzwerk-(Co-)Organisator*innen diskutiert.

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überhaupt zu klären wären – dennoch einbringen und irgendwie an ihr teilhaben. Mir gegenüber werteten alle Teilnehmer*innen die Reeperbahn-Festival-International-Initiative als einzigartige Chance zur Teilhabe an einer für sie kommerziell sowie sozial und kulturell wichtigen Dynamik. Die Voraussetzungen der Teilhabe an der chinesischen Musikkultur und auch Musikwirtschaft und ihrer Dynamik sind, wie Kapitel eins zeigt, komplexer als früher, weil diese Teilhabe eine Teilhabe im dynamischen Raum der Orte und im dynamischen Raum digitaler (Daten-)Ströme erfordert. Das fordert heute in China besonders heraus, eröffnet aber auch neue Chancen, wie etwa durch die Festival-Spin-Offs im Rahmen dieser Kooperationsinitiative. Kapitel zwei erklärt die im Umfeld dieser komplexen räumlichen Dynamik vor Ort beobachtbaren Agency-Situationen der Delegierten, mit denen Kapitel drei den Erfolg dieser Delega­ tionsreise mit Expeditionscharakter erklärt.

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Eine w(e)ise Expedition in neue, chinesischere Musik-​ Zeit-Räume

Das erste Ziel der, wie es in der Pressemitteilung heißt, ‚rund um den Globus‘ mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes geplanten ‚Festival-Spin-Offs‘ war im März 2019 die von Philipp Grefer 2018 gegründete WISE (wisenotwise.com). Die WISE ist kein Musikfestival. Sie ist ein ‚Think Tank für Kreative‘ und füllt in China eine Lücke, wo bisher eine solche Zukunftskonferenz für Kreative fehlte. In diesem Kontext wurde die WISE Reeperbahn-Festival-International-Partner, weil Philipp Grefer in China langjährige Erfahrungen mit Veranstaltungen hat und er in China und Europa als DJ und als Labelbetreiber gut vernetzt ist. Detlef Schwarte, Mitgründer des Reeperbahn-Festivals und Mitreisender, schätzte die Erwartungen an die aus seiner Sicht „expeditionsartige Reise“ zur WISE in China in einem Gespräch als „vermutlich nicht besonders groß“ ein. Wir wissen zu wenig darüber, ob und wie gut es gelingen kann, Künstler*innen und Musikwirtschaftsakteur*innen in China zu vernetzen und ihnen dort nachhaltig neue Möglichkeiten zu eröffnen. Nach dieser Reise gab es – wie zu zeigen sein wird – einige neue Möglichkeiten ! Die Vernetzung und die Eröffnung neuer Möglichkeiten vor Ort haben ziemlich gut funktioniert. Über die Nachhaltigkeit lässt sich allerdings noch nicht viel sagen. Diese Einschätzung bestätigten alle fünfundzwanzig Delegierten, die aus achtzig Bewerber*innen aufgrund ihrer Vorerfahrung und geplanter Vor-Ort-Vorhaben ausgewählt wurden: Sie haben ihr Netzwerk in China vergrößert und sich neue Möglichkeiten eröffnet, und sie haben mehr gelernt, angedacht und an-

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gebahnt als erwartet. Was ist aber genau passiert ? Was ist für sie Vernetzung, und was sind für sie neue Möglichkeiten ? Und wie und warum genau haben sie mehr gelernt, angedacht und angebahnt, als sie erwartet hatten ? Zu ihrer Vernetzung und zu neuen Möglichkeiten haben die für das Spin-Off ausgewählten Partner*innen, Orte und Formate beigetragen, aber auch, wie ausführlich zu zeigen sein wird, neue digitale Mittel und neue Räume digitaler (Daten-)Ströme, die Delegierten selbst und Konferenzteilnehmer*innen. Zuerst ist Philipp Grefer als WISE-Partner vor Ort ein Kompliment zu machen für die ausgewählten Veranstaltungsorte ! Das UCCA und das Danish Cultural Center im 798 Art District sind besondere festliche Orte: Das 798 ist heute der chinesische Spielplatz für Kunst und landesweit für seine früher sehr kritische Avantgarde bekannt. Das UCCA, in dem die WISE nach 2018 zum zweiten Mal ausgerichtet wurde, ist der 2017 runderneuerte künstlerische Zentralort des 798. Begründet haben ihn der belgische Kunstsammler Guy Ullens und seine Frau Myriam (Ullen Center for Contemporary Art), die sich inzwischen aus dem Center zurückgezogen haben, was aber nichts daran geändert hat, dass er Chinas führender Ort für zeitgenössische Kunst ist. Das in Laufweite des UCCA im 798 liegende Danish Cultural Center war als Ort der Reeperbahn-Reception und der Show Case Events mit seiner avantgardistischen Offenheit der perfekte Ort zur Fortführung am Tag begonnener Gespräche, Vernetzung und auch des voneinander Lernens und dem gemeinsamen Suchen nach neuen Chancen. Aber besondere Orte allein sind noch kein Garant für erfolgreiche Vernetzung und Kooperation. Das lernten wir am ersten gemeinsamen Abend in China. Erfahrenere aus der Runde berichteten von einer ähnlichen Delegationsreise (auch mit dem Reeperbahn-Festival) auf die Weltausstellung in Shanghai. Sie wollten in Hamburgs Partnerstadt ganz ähnlich mit lokalen Musikakteur*innen ins Gespräch und ins Geschäft kommen. Daraus wurde aber nichts – trotz des wegen seiner Umweltstandards global beachteten Hamburg-Hauses, das sogar genutzt werden konnte. Es fehlte damals vor Ort an Strukturen, ohne die professionelle Kooperationen weder auf- noch ausgebaut werden können. Was, so fragten sie in die Runde, wird 2019 anders und hoffentlich besser sein – wenn anders als 2010 trotz VPN-Client dieses Mal sogar Google, WhatsApp und Facebook nicht funktionieren ? Zuerst fiel mir überhaupt nicht auf, wie hier selbstverständlich Erfolgschancen der Reise an Möglichkeiten der Nutzung digitalen Netzwerkmedien3 gemessen 3

Die hier übliche Bezeichnung dieser neuen Gruppe von Medien, die sich von allen bisherigen Gruppen gerade nicht dadurch von anderen unterscheiden, dass sie ‚soziale Medien‘ sind, verwende ich nicht. Die Bezeichnung ist sachlich falsch. Sie unterstellt, dass vorherige Medien keine ‚sozialen‘ Medien waren. Jedes historisch neue Kommunikationsmittel, das als

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wurden. Offenbar war dieser offensichtliche digital-mediale Nachteil, der auch mit

VPN-Client nicht ausgeglichen wurde, wichtig.

Je mehr ich im Kontext der von mir beobachteten Situationen der Delegierten über diese Einschätzung nachdachte, desto plausibler wurde sie – aber ganz anders, als in der Aussage oben erwartet. Der Erfolg dieser Delegationsreise im Vergleich mit der 2010 hängt tatsächlich mit mehr und nachhaltigeren digital-medialen Strukturen als Ermöglicher*innen in Raum und Zeit zusammen: 2019 waren für die Vernetzung und die Anbahnung neuer Möglichkeiten chinesische digitale Netzwerkmedien und der chinesische Raum der (Daten-)Ströme (mit seiner zeitlosen Zeit (vgl. Castells, 2004, S. 466 – ​525; Stalder, 2006) entscheidende Mittel und Räume, die es 2010 zumindest nicht in vergleichbarer Form gab. Sie gibt es erst, seit es chinesische digitale Netzwerkmedien wie WeChat gibt, das wir Delegierten vor Ort alle genutzt haben, um uns zu vernetzen und uns auch sonst neue Möglichkeiten zu eröffnen. Wir konnten mit seiner Nutzung Ziele der ReeperbahnFestival-International-Initiative in Zeit und Raum erreichen, die wir ohne WeChat nicht erreicht hätten. Wer Vernetzungschancen und neue Möglichkeiten in China verstehen will, darf China nicht nur als Raum der Orte verstehen, in dem in Rekordzeit Hochhäuser, und chinaweit ganze Skylines (wie etwa am Bund in Shanghai), U-Bahnlinien und Flughäfen gebaut wurden und werden. China treibt seit Jahren vor allem die Dynamik im Raum der (Daten-)Ströme mit zeitloser Zeit (Castells 2004, S. 466 – ​525). Sie ist für seine gesamte Entwicklung und so auch für Chinas Orte prägend, z. B. durch Überwachungskameras im Stadtbild oder ein Social Scoring über eine immer weitergehende Auswertung von immer mehr Daten. Diese Dynamik ist aber nicht nur der Treiber solcher Entwicklung in China, auch wenn das auf den ersten Blick kaum glaubhaft erscheint (Zuboff, 2019). Diese Reise war für alle Delegierten vom Moment der Landung in Peking (auch) eine Reise in China als Raum digitaler (Daten-)Ströme sowie seiner freilich sehr partiellen Nutzung und Mitgestaltung durch digital-mediale Mittel wie WeChat. Mit WeChat kamen viele Delegierten zuerst in China an, spätestens als sie Medium, als ein öffentlich für Kommunikation relevantes Mittel gesellschaftlich institutionalisiert wurde, war ein soziales Medium: Es hat neue soziale Beziehungen ermöglicht und hat als Mittel für die Ausbildung, Entwicklung usf. alternativer (sozialer) Kommunikationsbeziehungen Soziales immer verändert. Das gilt auch schon für jeweils neue Mensch- oder Primärmedien (vgl. Winter 2006) und in der Musik seit der Einführung von (Musik-)Druckoder Sekundärmedien (Lied- und Notendrucke), deren Produktion Technologie erfordert, wie für Tertiär- oder elektronische (Musik-)Medien (Radio, TV, Kino, Tonträger), für deren Produktion sowie weiter Reproduktion/Nutzung Technologie erforderlich ist (vgl. dazu insbes. Winter 2013). Sozial lässt sich festhalten, dass historisch jüngere Medien und ihre medialen Formen mehr Leuten mehr Möglichkeiten in Raum und Zeit eröffnet haben, etwas mit Musik zu tun, das für sie und für andere wertvoll ist.

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den WeChat-Raum der WeChat-Gruppe Reeperbahn x WISE betraten. Hier teilten alle Delegierte fast unmittelbar Standorte, Fotos und Erlebnisse, zahlten damit in Restaurants und auch sonst überall, orderten Taxis usf. und vernetzten sich im (chinesischen !) Raum der (Daten-)Ströme. Dieser Raum der (Daten-)Ströme und seine Dynamik wurde gern und oft auf vielfache Weise im Raum der Orte erörtert. Einige Zahlen waren uns rasch geläufig: In China nutzen doppelt so viele Leute das Internet wie in den USA, dreimal so viele das mobile Internet, und es bezahlen in China sogar schon mehr Leute mobil, als in den USA leben. Aber vor allem erscheint China in China (egal ob im Raum der Ströme oder dem der Orte) innovativer als in Europa. Trends wie die Video-App TikTok oder 5G-Entwicklungen, die in Chinas Metropolen im Anwendungsstatus sind, kommen offenbar immer häufiger aus China. Und sie sind vor Ort realer als in Europa. Ein persönlicher Reisebericht darf aber nicht vergessen zu erwähnen, dass die Räume der Orte trotzdem einen besonderen Reiz hatten, etwa wenn es in ihm Delegierte gab, die sich über ein Wiedersehen freuten, oder wenn wir etwas als Gruppe unternahmen. Z. B. lernten wir alle Organisator und Gründer der WISE, Philip Grefer mit seinem Team am Vorabend der WISE in einem reservierten Einraum-China-Restaurant im Bezirk 798 kennen, in dem wir uns (natürlich) auch mit den Leuten aus dem WISE-Team digital vernetzt haben. Und sofort war damit eine persönliche Beziehung etabliert, die in beiden Räumen genutzt wurde – wenn auch oft für banale Dinge, wie die Erklärung von Speisen und Getränken. Als die WISE startete, waren wir, obwohl wir uns am ersten Abend nicht alle persönlich kennengelernt hatten, alle im WeChat der Daten-Ströme verbunden. Patrick Daniel, Koordinator der Reeperbahn-Festival-International-Spin-Offs, und Evelyn Sieber, die beim Reeperbahn-Festival zuständig sind für internationale Kooperationen und die Show Cases, hatten das angestoßen. Als Reiseleitung belebten sie unseren Raum der Orte und unseren WeChat-Raum der (Daten-)Ströme mit Hinweisen, Anregungen und Fotos, aber nur für kurze Zeit allein. Wie selbstverständlich haben die Delegierten diese chinesischen Räume rasch und aktiv mitgestaltet. Nach der Tatsache, dass anders als 2010 zur Weltausstellung im Jahr 2019 Räume digitaler (Daten-)Ströme und (chinesische) digitale Vernetzungsmedien verfügbar waren, ist die Souveränität und Selbstverständlichkeit, mit der die Delegierten diese chinesischen Netzwerkmedien nutzten und mit ihnen in chinesischen Räumen der (Daten-)Ströme operierten, der zweite Grund für den Erfolg des Reeperbahn-Festival-International-Spin-Offs.

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Agency-Situationen der Reeperbahn-Festival-​ International-Delegierten als Co-Organisator*innen im Umfeld der WISE in Peking im März 2019

Zu einem Erfolg wurde die Delegationsreise für die Delegierten aber aufgrund von für sie wertvollen Agency-Situationen. In diesen Situationen im Raum der Orte um die WISE, der auch zur Vernetzung im Raum digitaler (Daten-)Ströme genutzt wurde, waren sie erfolgreich, weil sie in Festival-Räumen der Orte noch erfahrener waren als im Raum digitaler (Daten-)Ströme. Es verfügten praktisch alle Delegierten über Erfahrung in der Co-Organisation von Agency-Situationen, weshalb viele von ihnen in das Programm eingebunden waren mit Vorträgen und Teilnahmen an bzw. Moderation von Panels. So setzte sich der Vorabend im Raum der Ströme und der Orte auf der WISE fort. Die Delegierten bewegten sich in für sie völlig neuen Akteur*innen-Konstellationen und Situationen auf souveräne Art und Weise und vernetzten sich wie am Abend. Ihr großer Vorteil war dabei, dass sie in neuen Situationen und Akteur*innen-Konstellationen als Person auftraten. Sie wussten, dass es ihnen mehr Möglichkeiten eröffnet, wenn sie untereinander in einer besonderen oder sogar festlichen Situation ins Gespräch kamen. Und offensichtlich wussten sie um den Wert von Situationen, in denen sie und andere Beteiligte sich persönlich auf Situationen für Neues einlassen. Sie wussten zumindest implizit, dass in Festival-Agency-Situationen in genau solchen einzigartigen Akteur*innen-Konstellationen neue Chancen produktiv erörtert und ergriffen werden können. In ihnen lernen Leute, die sich auf andere als Personen einlassen, leichter voneinander, unterstützen sich eher und entwickeln, erörtern und initiieren auch eher Vorhaben, die sie in der Folge im Raum der Ströme auch eher fortsetzen (vgl. Winter, 2020; zu Agency-Situationen Kögl, Pechriggel & Winter, 2019). Eine Vernetzung mit Blick auf neue Möglichkeiten gelingt in den oft nur kurzen Momenten, in denen sich Leute auf Festivals begegnen, am ehesten, wenn eine persönliche Beziehung hergestellt und vielleicht sogar vertieft werden kann. Auf der WISE traten alle Delegierten, trotz der Tatsache, dass es sich bei ihnen um erfolgreiche Manager*innen und Unternehmer*innen handelte, vor allem als Personen auf und in Erscheinung, als die sie hier nicht vorgestellt werden können. Die Agency-Erfolge der Reise sind Erfolge der Erfolge von folgenden hier als im Kontext ihrer Unternehmen vorortbaren Personen: Zur Delegation gehörten neben der Reiseleitung (s. o. Patrick Daniel und Evelyn Sieber) Detlef Schwarte und mir in alphabetischer Reihenfolge: Isla Angus (UK), die bei ATC linke und abenteuerliche Künstler*innen und außerdem ATC Live verantwortet, Steinunn Arnardóttir (D), Director of Engineering bei Native Instruments, Sara Beretta (I), International Relations Officer bei Metatron s. r. l., Gareth Davies (D), bei Kontor Records für Internationalisierung zuständig, Eduardo García (D), Co-Foun-

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der und Managing Direktor von German Wahnsinn und Atmende Bücher, Igor Guizzardi (D), Gründer von DESSSERT, Jennifer Gunn (N), im Künstler*innenManagement MADE, Sven Hasenjäger (D), CEP bei 380 Grad, Frank Klaffs (D), Co-CEO von Piranha Arts, Ralph Klöss-Schuster (D), Gründer und Inhaber von deedy music, Steve Mayall (UK), Mitbegründer und Managing Director von Music Ally, Colm O’Herlihy (Island), Managing Director von Bedroom Community Records und Mengi Records, Rachael Patterson (D), bei K7 Music für Künstler*innen-Management zuständig, Paolo Pavanello (I), Gründer und CEO von Metatron s. r. l., Krzysztof Piku (P), bei Independent Digital zuständig für Geschäftsmodellentwicklung, Marit Posch (D), Labelmanagerin und Head of Publishing bei Monkeytown Records & SSPB, Berthold Seliger (D), Inhaber Berthold Seliger – Büro für Musik, Texte & Strategien, Sarah Stam (NL), Gründerin und Inhaberin von SET THE TONE, involviert in die globale SheSaidSo-Bewegung, und George van Wetering (NL), Gründer von GAG. Alle Delegierten sind international vernetzt und verfügen zumeist über China-, Entwicklungs- und Gründungserfahrung in Musikmanagement-Kernaktivitäten (Live, Label, Publishing) und oft auch über Erfahrungen im Auf- sowie Ausbau von Kooperationen mit Künstler*innen und Musikwirtschaftsakteur*innen. In der Sache hat diese Erfahrung nichts daran geändert, dass sie der Auffassung waren, dass die Delegationsreise in eine fremde MusikKulturWirtschaft führt, es sich also eher um eine Expedition handelt. Häufiger wurde betont, dass in China Musik irgendwie anders funktioniert. Die Reise war m. E. auch darum ein Erfolg, weil alle neugierig auf das waren, was in China derzeit passiert. In China werden keine etablierten Strukturen zur Produktion und Verteilung von Musik (Verlage und Labels) und weiter zur Orientierung oder gar Organisation ihrer Wahrnehmung (kommerzielle Medien vom Rolling Stone bis zu MTVI) und zu ihrer Nutzung transformiert (wie bei uns), sondern im Rahmen völlig neuer digitaler Möglichkeiten gesellschaftlich möglicherweise ganz anders innoviert. Es war den mitgereisten Musikwirtschaftsakteur*innen ein Anliegen, ihre Annahme, dass Strukturen der chinesischen Musikwirtschaft und Musikkultur derzeit in China digital vielleicht anders entwickelt werden, untereinander zu teilen, zu verifizieren und zu differenzieren. Sie waren gespannt und neugierig, so wie ich als Festival- und als Musikkonjunkturforscher, den freilich vor allem auch interessierte, ob es mit den lokalen Teilnehmer*innen gelänge, für sie und vor allem mit ihnen für sie und die Delegierten wertvolle Festival-Konferenz-Agency-Situationen zu kreieren. Würden die für die Kooperation entwickelten Reeperbahn-Festival-International-Formate vor Ort im UCCA mit Blick auf Anschluss-Interaktionen im Danish Cultural Center funktionieren ? Die geplanten Reeperbahn-Festival-International-Formate der WISE waren als Agency-Formate auf selbständige Kreative sowie Vertreter*innen kleiner und

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mittelständischer Unternehmen zugeschnitten. Als offene Formate sollten sie Folge-Interaktionen mit lokalen Teilnehmer*innen anregen. Sie sollten Musik-Festival-Konferenz-Atmosphäre anregen, hilfreiches Wissen vermitteln und im besten Fall nachhaltig persönliche Gespräche anregen, damit die Delegierten Beziehungen auf- und persönliche Netzwerke ausbauen können. Das stellte sich als nicht einfach heraus – hat aber am Ende doch in diesem Sinn funktioniert. Die WISE reüssierte in Verbindung mit den Show Case Events als Musikfestival, und es gab vor allem WISE-Konferenz-Teilnehmer*innen, die Agency-Festival-Situationen für sich und andere mitgestalten wollten und konnten. Gelungen ist ihnen das auch, weil sie in den Reeperbahn-Festival-International-Delegierten erfahrene Co-Organisatoren dieser Situationen antrafen, die diese Situationen aufgrund ihrer Agency-Erfahrung als persönliche Situationen kreieren halfen. Nach etablierten Begrüßungs- und Keynote-Formaten am Vormittag stand das erste Reeperbahn-Festival-International-Panel nach der Mittagspause und der Nachmittagseröffnungs-Keynote von Tia Korpe von Future Female Sounds auf dem Programm. Es schloss partiell an ihre Schilderung ihrer global angelegten DJ-for-Girls-Programme an, die spezifisch in die westliche Live- und FestivalWelt, in Programme und Initiativen für Musikakteur*innen einführte, was im Publikum auf reges Interesse stieß. Für Teilnehmerinnen, der klar aktivere Teil des WISE-Publikums, war das Thema wichtig. Es kam während des Kurzvortrags sowie im Anschluss zu engagierten Gesprächen. Dann startete das erste Reeperbahn-Festival-Panel The Musical Silk Road I – The Future of Streaming mit dem Vortrag von Detlef Schwarte als Mitgründer und Mitgeschäftsführer des Reeperbahn-Festivals. Schwarte erklärte den deutschen Musikmarkt und den Weg des Reeperbahn-Festivals zum größten Clubfestival mit der in Europa heute vielleicht wichtigsten Musikkonferenz mit mehr als fünftausend Fachbesucher*innen. Das zentrale Anliegen insbesondere der ReeperbahnFestival-Konferenz, so Schwarte weiter, ist die Unterstützung insbesondere von Akteur*innen klein- und mittelständischer Unternehmen bei der Entwicklung und Innovation ihrer Geschäftsmodelle im Kontext digitaler, politischer, rechtlicher, ökonomischer und kultureller Herausforderungen. Zu diesem Zweck werden Musik-Trends erörtert und gesellschaftliche Initiativen wie die Key-ChangeInitiative, an der das Reeperbahn-Festival beteiligt ist, auf dem Festival zum Thema. Die zentrale Rolle spielte im Vortrag die wachsende Zahl von kreativen Spezialdienstleister*innen und klein- und mittelständischen Unternehmen in der Musikbranche in Deutschland. Diese Kleinteiligkeit und vor allem Vielfalt erklärte er als sehr wertvoll für Innovationen und die Musikkultur. Er beendete seinen Vortrag mit der an die Panelist*innen adressierten und im Vorfeld abgesprochenen Frage, ob und welche Zukunft kleinere Unternehmen aus Europa auf dem chinesischen Streaming-Markt haben könnten, dessen in den letzten Jahren rasante

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Entwicklung offensichtlich eher durch Plattformen und Kreuzbeteiligungen (wie von Tencent Music und Spotify) geprägt ist. Um diese Frage nach den Chancen klein- und mittelständischer Unternehmen in einer möglichst agency-festivalähnlichen Situation erörtern zu können, habe ich alle Panelist*innen zum Kennenlernen in der Mittagspause versammelt. In ihr kamen die zwei Panelst*innen aus China, Zou Xiaoma, Vizepräsidentin und Copyright-Direktorin bei Kanjian, ein global agierender, auf China spezialisierter Musik-Distributor, und Jeff Chia Minshum, Festivalgründer und -organisator, mit den europäischen Panelist*innen Marit Posch, Monkeytown, Labelmanagerin und außerdem im Verlagswesen tätig, Gareth Davis, bei Kontor verantwortlich für Internationales, und Simon Wheeler, der Strategiechef der Beggars Group, miteinander ins Gespräch. Ich wollte später an die Fragen, die sie sich in dieser Runde stellten, ggf. auf dem Panel anknüpfen. Ziel des Treffens war es aber, ein Beispiel zu finden, um Kooperations-Chancen von kleinen und mittelständischen Unternehmen auf dem Panel zu erörtern, was uns aber nicht gelang. Wir haben deshalb entschieden, nach der Vorstellungsrunde, in der persönliche Erfahrungen mit internationalen Kooperationen vorgestellt wurden, das Publikum in die Erörterung von Kooperationschancen mit einzubeziehen. Die gute Panel-Atmosphäre ermöglichte die Einbeziehung des Publikums im Sinne der Ziele der Initiative Reeperbahn-Festival-International. Es stellte sich schnell heraus, dass lokale Teilnehmer*innen aus dem Publikum (eher als die eingeladenen chinesischen Unternehmensvertreter*innen) in der Lage waren, als Personen und nicht, wie es in China in der Öffentlichkeit offenbar üblich ist, als Vertreter*innen von Firmen oder als Spezialist*innen aufzutreten. Auf diese Weise hielten persönliche Erfahrungen und Interessen auf eine persönliche und selbständig unternehmerische Weise Einzug in die Panel-Diskussions-Situation, die engagierte Teilnehmer*innen zur unserer Panel-Agency-Situation machten. Es waren auf der WISE die Kommunikations-Agentur-Kleinunternehmer*innen aus China, die öffentlich persönlich dazu beitrugen, dass Chancen chinesischer und deutscher internationaler klein- und mittelständischer Unternehmen dort offen und engagiert erörtert wurden. Die Intensität und Nachhaltigkeit, in der das geschah, wurde mir am Abend im Gespräch mit diesen Unternehmer*innen sowie vor allem im Gespräch mit Eric Messerschmidt klar, dem Leiter des Danish Cultural Center. Dazu später mehr. Nach dem Panel stand das mit Spannung erwartete 88 Minutes Matchmaking an, kurz getaktete, vorab organisierte Gespräche der Delegierten mit wichtigen im Vorfeld ausgewählten Vertreter*innen der chinesischen Musikwirtschaft. Es fand in einem nicht-öffentlichen Rahmen in einem abgelegenen Raum im UCCA statt, wo die Konzentration trotz der ständigen Gesprächswechsel spürbar war. Auf Nachfrage bestätigten mir die beteiligten Delegierten, dass dieses Format gut

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funktioniert hat, die Gespräche jedoch gezeigt haben, dass auf der Ebene kleinund mittelständischer Unternehmen in China noch vergleichsweise wenig Erfahrung mit internationaler Kooperation besteht. Es fehlen Anlässe wie die WISE mit Spezialformaten, die es erlauben, diese Erfahrungen zu machen und in neuen Akteur*innen-Konstellationen zu reflektieren und zu vertiefen. Offenbar füllt die Reeperbahn-Festival-International-Initiative mit ihren offenen Formaten in Festivalatmosphäre hier eine Lücke. Das bestätigte auch der erste Show-Case-Abend im Danish Cultural Center. Viele Gespräche wurden auf der Reeperbahn-Festival-International-Reception, die vom Auswärtigen Amt co-finanziert und von Katrin Buchholtz, Leiterin der Kulturabteilung der Deutschen Botschaft, miteröffnet wurde, intensiv fortgesetzt. Der oben schon angeführte Eric Messerschmidt, Direktor des Danish Cultural Center, erklärte mir, dass eine persönliche Atmosphäre auf einem Panel und eine persönliche Ansprache der Panalist*innen in China in öffentlichen Situationen ungewöhnlich sind. Er, so Messerschmidt weiter, sei durch den Erfolg meiner persönlichen Ansprache bestärkt worden, individuelle und persönliche Erfahrungen noch stärker kritisch zum Thema zu machen, was er auch mit der Flut chinesischer Influencer*innen erklärte, die doch irgendwie anders funktionierten als in Europa. In China ist vor allem das Interesse an gewöhnlichen Leuten offenbar nicht so groß wie in Europa, vor allem nicht so groß wie an ihnen als Vertreter*innen sehr großer Institutionen. Im Publikum war während des Reeperbahn-Festival-Panels gut zu spüren, führte er fort, wer auf dem Panel mit welcher persönlichen Ansprache wie gut umgehen konnte, die seiner Auffassung nach dazu beitrug, dass sich Leute aus dem Publikum engagiert zu Wort gemeldet und beteiligt haben. Der nächste Tag bestätigte erneut, dass Festival-Agency-Situationen, in denen sich Leute als Personen auf Fragen und Situationen einlassen und kreativ und produktiv neue Möglichkeiten erörtern, eher in der Interaktion mit Leuten aus dem Publikum konstituiert wurden. Wieder hatte ich die Panelist*innen vorab zum Kennenlernen versammelt: Tony Li, Mitgründer von ACRCloud, ein Content Recognition Service, Zhang Youdai, unabhängige Musik-Promoterin und RadioModeratorin, und Sun Shiliang, Nielsen CCData, sowie aus Deutschland Steinum Arnadóttir Director of Engineering bei Native Instruments, und Steve Mayall, CEO des internationalen Musikbranchendienstes Music Ally aus England. Das zweite Panel, The Musical Silk Road II – Hidden Opportunities, hat Professorin Zhang Fengyan von der Chinesischen Universität für Kommunikation eröffnet, die in ihrem Vortrag die Entwicklung des chinesischen Musikmarktes mit aktuellen Zahlen vorstellte und interpretierte. Die europäischen Panelist*innen halfen mir, als die Panelist*innen aus China anfingen, digitale Daten(-analysemöglichkeiten) im Detail zu erörtern, erneut, die Interaktion auf der Bühne persönlich und fachlich offen zu gestalten. Es wa-

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ren dann wie am Vortag engagierte chinesische Teilnehmer*innen, die das Reeperbahn-Festival-International-Panel für sich und für andere zu einer Agency-Situation gemacht haben, zu einer offenen Situation, in der vor allem versteckte Möglichkeiten in und durch PR- und Marketing-Aktivitäten erörtert wurden. Hervorgetan hat sich hier eine Teilnehmerin, die mit Leuten aus ihrer PR- und Marketing-Agentur die WISE und später das zweite Show Case Event besuchte. Sie wollte alles über die Reeperbahn-Festival-International-Initiative erfahren, von der sie im Bezirk 798 auf einer Modemesse zufällig gehört hatte. Sie interessierte sich für die Netzwerke der Delegierten und ist durch ein Foto auf dem Review der WISE (wisenotwise.com/review-2019) nun selbst als engagierte WISE-Teilnehmerin zu einem Teil dieses Netzwerkes geworden. Am Erfolg der WISE-Festival-Kooperation und der Delegationsreise hat dieses Engagement lokaler Kleinunternehmer*innen einen großen Anteil, weil diese die Agency-Situationen auf der Konferenz und später auf dem Show Case Event öffentlich und für alle sichtbar mitbegründet haben. Sie haben anderen auf der Konferenz gezeigt, wie diese Agency-Situationen persönlich nicht nur zur Vernetzung, sondern zur Erörterung neuer Möglichkeiten genutzt werden kann und wie Delegierte und Teilnehmer*innen als Persönlichkeit und durch persönliches Engagement in Erinnerung bleiben. Beispiele gab es viele. Das Beispiel der WISE war aber der Vortrag Empire Business vs. Cultural Diversity: The Future of the Global Concert Business von Berthold Seeliger. Seeliger zeigte in dem Vortrag als Musikagent, Tour-Promoter, Veranstalter und Betroffener mit Zahlen und trotzdem persönlich, wie global ungebändigte Monopolisierungsdynamik in der Live-Branche kulturelle Vielfalt in Regionen und Städten zerstört. Immer größere musikferne kommerzielle globale Konzerne stellen Künstler*innen, kleine Branchenakteur*innen und auch die lokale und nationale Kulturpolitik mit ihren ökonomisch erfolgreichen Kommerzialisierungsstrategien vor immer größere Probleme. Seeliger bleibt in Erinnerung, weil er diese nicht nur als Unternehmer*innen, sondern vor allem als Person und um der Musik und ihrer Künstler*innen willen kritisch erörtert hat. Auf dem Show Case Event am Abschlussabend waren die Themen des Tages, Musik, die Acts, ihre Karrieren und Zukunft, auf andere Art und Weise wieder Anlässe für wieder andere Agency-Situationen und die Diskussion der Personen der WISE, zu denen an den Show Case Abenden auch die Künstler*innen mit und durch ihre Interaktionen wurden. Die Bühne-Publikum-Interaktion zwischen Catnapp, der in Berlin lebenden und arbeitenden argentinischen Produzentin, Sängerin und Rapperin, und der chinesischen Hip-Hop-Künstlerin LOWS0N war eine künstlerische Agency-Situation, deren Situationslogik denen auf der Konferenz ähnlich war. Es ging auf einer persönlichen Ebene um Respekt. Offenbar gibt es nicht nur in Austin und Hamburg und in anderen Orten mit Festivals mehr Akteur*innen, die sich auf offene Agency-Festival-Situationen ein-

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lassen wollen. Das bestätigten in Peking viele Situationen, Interaktionen und Akteur*innen-Konstellationen im Umfeld der WISE zwischen längst nicht nur Musikwirtschaftsakteur*innen und Künstler*innen, in denen sich die Beteiligten auf Neues eingelassen und Neues begonnen haben. Sichtbar ist von den vielen Chancen, die in der Folge ergriffen wurden, freilich nicht viel. Berthold Seliger z. B. hat in diesem Sommer die Europa-Tournee der Hormones promotet, die den zweiten Show Case Abend fulminant beendeten.

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Die Reeperbahn-Festival-International-Initiative im Kontext der Kultur- und Gesellschaftsvorgeschichte des Agency-Musik-Festivals

Aber ist die Reeperbahn-Festival-International-Delegationsreise auf die WISE 2019 mit der Institutionalisierung internationaler Agency-Situationen durch Spin-Offs schon ein sino-europäisches Zukunftslabor von und für Musikkultur und Musikwirtschaft ? Ist das, was hier und später bei anderen Spin-Offs an der Schnittstelle der Räume der Orte mit Räumen der (Daten-)Ströme in Festival Agency-Situationen – über einen persönlichen und individuell wirtschaftlichen Wert hinaus – auch gesellschaftlich nachhaltig (von Wert) ? Diese am Eingang dieses Textes aufgeworfene Fragen können nun beantwortet und der gesellschaftliche Wert von Festival-Agency-Situationen geklärt werden. Mit Blick auf die beobachteten Agency-Festival-Situationen auf der WISE lässt sich verstehen, dass die WISE-Kooperation offenbar auch darum ein Erfolg war, weil es in der dritten Welle4 der globalen zeitungleichen Digitalisierung von Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft, die zuerst im Umfeld von Musikwirtschaft und Musikkultur zu beobachten ist, immer mehr Leute als eigenständige Person nach Situationen suchen, in denen sie ihre Zukunft ergebnisoffen gemeinsam mit anderen im Kontext der entwickelteten Möglichkeiten von und für Zukunft mit Blick auf ihr Leben und Arbeiten am nachhaltigsten mitgestalten können. Agency-Musikfestivals spielen in diesem Zusammenhang eine immer größere Rolle. Das belegt der stete Erfolg von Musikfestivals mit Show Case Event und Konferenz mit wachsendem Fachpublikum eindrucksvoll. Vergessen werden dürfen in diesem Zusammenhang aber auch andere Formen der Agency-Musik-Fes4

vgl. dazu ausführlich die für den Berliner Senat für Wirtschaft erstellte Studie zur Digitalisierung der Berliner Musikwirtschaft Beyond ! Before ! Bright ! Empfehlungen zur Entwicklung der digitalen Berliner Musikwirtschaft, Verfügbar unter https://projektzukunft.berlin.de/file​ admin/user_upload/BeyondBeforeBright_01062016-2.pdf

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tivalisierung nicht, wie Kooperationen wie die von Mercedes Benz mit der SXSW bei der Veranstaltung der Me-Convention oder die Tatsache, dass die wie das Reeperbahn-Festival in Hamburg veranstaltete Marketingkonferenz Online-Marketing-Rockstars mit Musik-Festival-Agency-Formaten immer mehr ihrer 50 000 Besucher*innen zu engagierten Teilnehmer*innen von freilich weniger auf die Zukunft von Kultur und Gesellschaft gerichteten Formaten machen. Auf die im Vergleich mit anderen Branchen in der Musikökonomie wohl bisher am weitesten und breitesten fortgeschrittene digitale Innovation sowie auch Transformation von Branchenstrukturen haben einige Musikfestivals mit einer Weiterentwicklung ihrer Festivals zu Agency-Musikfestivals reagiert: Er ist ein neuer Typ Musikfestivals, der erfolgreich ist, weil er eine neue Qualität der LiveTeilhabe an insbesondere der Entwicklung nicht bloß digitaler Formen und Momenten von Musik erlaubt. Agency-Musikfestivals sind in der Geschichte des Musikfestivals und der Teilhabe an Musik außerdem ein gesellschaftliches Phänomen, weil Geschichte gezeigt hat, dass eine neue Qualität der Teilhabe irgendwann auch eine neue Qualität der Teilhabe an Gesellschaft war bzw. sein wollte. Eine neue Idee eines Musikfestival war also in der Geschichte deshalb häufig mehr als eine festliche Idee: Es war oft eine Idee, die neuartige (Musik-)Akteur*innen-Konstellationen in festlichen Situationen für die Musik, für sich und andere und für ihre Ideen von Gesellschaft genutzt haben. Heute nutzen kreative selbstständige Akteur*innen, deren Anzahl und Vernetzung in den letzten Jahren global wächst, Agency-Musikfestivals in diesem Sinn für ihre Musik, für sich, für andere und für die Repräsentation einer offener vernetzten, Leute als kreative gesellschaftliche Personen respektierenden Gesellschaft. Das Reeperbahn-Festival steht wie die Reeperbahn-Festival-International-​ WISE-Kooperation in einer Tradition festlicher, aber nicht nur um ihrer Musik Willen festlicher Musikfestivals. Es gab immer wieder Musikfestivals in der Geschichte, die für kürzere Zeiträume Zukunftslabors von Kultur und Gesellschaft waren. Dabei bestand ihr Wert darin, zu Zeiten, in denen es historisch neue Möglichkeiten im Umgang mit Musik gab, ein Labor für die Zukunft von Kultur und Gesellschaft zu sein, weil hier neue Möglichkeiten des Umgangs mit Musik als neue Chancen von und für Kultur zuzulassen und erprobt wurden. Das gelang oft besonders gut, weil Musikfestivals einzigartige Akteur*innen-Konstellationen versammeln können und Akteur*innen in ihrem festlichen Umfeld neue Ideen und Mittel offener und unvoreingenommener auf ihre Tauglichkeit zur Entwicklung von Zukunft prüfen. Oft wurden außerdem, wenn die Prüfung erfolgversprechend verlief, in der Folge neue Möglichkeiten nicht nur erörtert, sondern ergriffen. Diese Entwicklungspotenziale in festlichen Agency-Situationen zu unterstützen, so, wie es die Ziele der Reeperbahn-Festival-International-Initiative vorse­hen,

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hilft europäischen Künstler*innen und Musikakteur*innen, sich in den angedachten aufstrebenden und prosperierenden Musikmärkten zu vernetzen und sich dort Möglichkeiten zu eröffnen. Ihre Potenziale sind auch die Potenziale der AgencyFestivals, weil sie durch die Entwicklung dieser Potenziale als Co-Organisator*innen der Unterstützung von Akteur*innen in der Musikwirtschaft noch wichtiger und wertvoller werden. Und last but not least sind diese Potenziale außerdem Potenziale von Außenpolitik, wenn zu ihren Zielen die Förderung neuer offener Agency-Situationen auf der ganzen Welt zählt, in denen sich Leute als Personen an einer ergebnisoffenen neuartigen Co-Organisation und weltweit offenbar in den Kinderschuhen steckenden Form der Co-Organisation von Zukunft von allen für alle beteiligen wollen, in einer Zukunft, in der immer mehr im Raum der Orte und im Raum der digitalen (Daten-)Ströme oft offener vernetzt und füreinander als Personen in beiden Räumen sichtbar und erreichbar sind.

Literatur Castells, M. (2004). Die Netzwerkgesellschaft. Das Informationszeitalter I. Opladen: Leske & Budrich. Kögler, H. H., Pechriggl, A. & Winter, R. (Hrsg.). (2019). Enigma Agency. Macht, Widerstand, Reflexivität. Bielefeld: Transkript Verlag. Stalder, F. (2006). Manuel Castells. The Theory of the Network Society. Cambridge: Polity Press. Winter, C. (2020 – im Erscheinen). Agency Situations and Supporting Value Activities as the new Subjects of Media and Change Management. In M. Karmasin & S. Diehl (Ed.), Media and Change Management. Heidelberg, New York: Springer. Winter, C. (2006). Die Medienkulturgeschichte des christlichen Predigers von den Anfängen bis heute. Graz: Nausner & Nausner. Winter, C. (2013). Über die Entwicklung der Medien der Musikkultur und den Wandel von „Wesen“ und „Ursachen“ ihrer Wertschöpfung. In B. Lange, H. J. Bürk­ ner & E. Schüßler (Hrsg.), Akustisches Kapital. Wertschöpfung in der Musikwirtschaft. Bielefeld: Transcript. Zuboff, S. (2019). Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus. Frankfurt: Campus Verlag.

Rezensionen

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Bodo Mrozek: Jugend. Pop. Kultur. Eine transnationale Geschichte Georg Fischer

Unter dem Titel Jugend. Pop. Kultur. Eine transnationale Geschichte legt der Zeithistoriker Bodo Mrozek die editierte Fassung seiner 2016 an der Freien Universität Berlin eingereichten Dissertationsschrift vor. Mit diesem Werk, das im Frühjahr 2019 im Suhrkamp Verlag erschienen ist, leistet Mrozek einen wertvollen und äußerst facettenreichen Beitrag zur Popgeschichtsschreibung des Globalen Nordens. Denn Mrozek bricht mit den popkulturellen Narrativen, die die Entwicklung des Pop anhand von kalendarischen Dekaden wie der Golden Fifties oder der Swinging Sixties festmachen will. Vielmehr stellt der Autor aus einer praxeologisch informierten Perspektive die These vom „ungeraden Jahrzehnt“ zwischen 1956 und 1966 in den Raum: Innerhalb dieses Zeitraums sieht Mrozek die entscheidende Phase, in der sich aus verschiedenen, noch eher fragmentierten und von devianten Praktiken getragenen subkulturellen Bereichen eine stärker gemeinsam geteilte und dadurch normalisierte, transatlantische Popkultur entwickelte, die nachhaltig das kulturelle Leben der europäischen und US-amerikanischen Bevölkerung durchdringen sollte und bis heute als globalisiertes Phänomen durchdringt (S. 726 ff.). In diesem Sinne lässt sich Mrozeks Buch nicht nur als genuin pophistorische, sondern auch als sozial- und kulturhistorische Alltagsstudie lesen, die nach der Rolle popkultureller Praktiken, Produkte und Prozesse in den 1950er und 1960er Jahren fragt. Um eine Antwort auf diese vielschichtige Frage zu geben, offeriert der Autor eine Fülle an Materialien, historischen Vignetten und Fallstudien zu einzelnen Spezialbereichen, die sich aus der Analyse vielfältiger Quellen wie Polizeiund Geheimdienstakten, Musikaufnahmen, Filmen und anderen medialen Texten wie Zeitungen und Zeitschriften speisen. Der Fleiß, mit dem Mrozek über mehrere Jahre hinweg die schiere Menge an Material zusammengetragen, ausgewertet und in Beziehung zueinander gesetzt hat, ist bemerkenswert; insbesondere wenn © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Ahlers et al. (Hrsg.), Musik & Empowerment, Jahrbuch für Musikwirtschafts- und Musikkulturforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29706-0_15

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man in Rechnung stellt, dass er nicht nur deutsche, sondern auch französische, britische und US-amerikanische Archive konsultiert hat. Mit mehr als 700 Textseiten ist das Buch auch entsprechend umfangreich geworden. Doch stellt dieser große Umfang mitnichten einen Makel dar, wenn man die Dimensionen des gesellschaftlichen Transformationsprozesses bedenkt, die Mrozek als „gesamtgesellschaftliche Etablierung eines Pop-Dispositivs“ (S. 411) versteht. Mrozek stellt Verbindungen zwischen Orten, Diskursen und Praktiken her und macht so Parallelen sichtbar, die den Aufstieg des Pop hin zu einem transnationalen, geradezu globalisierten kulturellen Orientierungssystem für die Praktiken und Normen Jugendlicher und junger Erwachsener markierten. Über die vielen Seiten hinweg gelingt es dem Autor plausibel zu machen, wie dieser Prozess der semantischen Re-Kodierung weg von einem pejorativ aufgeladenen Begriff von Pop hin zu einem weithin akzeptierten und positiv konnotierten PopVerständnis vonstattenging. Wurden die Praktiken des Pop in den ausgehenden 1950er Jahren vor allem im Zusammenhang mit jugendlicher Delinquenz, Kriminalität oder Rebellion gesehen und daher von offizieller Seite aus bekämpft, marginalisiert und unterdrückt, wandelte sich dieser Umgang langsam, indem der Pop institutionalisiert, rechtlich eingehegt und dadurch zunehmend, wenn auch indirekt, in Richtung legitimer Kultur etabliert wurde. Anhand dieses ständigen Wechselspiels von Konflikt und Etablierung ergab sich in Mitteleuropa und den USA nach und nach ein differenzierter Diskurs und damit verbunden ein tieferes Verständnis jugendkultureller und popkultureller Praktiken. So wurden die körperbetonten, oftmals auch sexualisierten Praktiken des Jazz, Calypso oder Rock’n’Roll wie die schrillen Töne, das Tanzen während Konzerten, die neuen Bekleidungsmoden oder das Fantum von den Behörden zunächst als Gefahr für die bürgerliche Ordnung geframed. Ähnliches galt für Kinofilme und Radioübertragungen, die als sozial deviante, also von der Norm abweichende Medienprodukte betrachtet wurden; Zensur, Altersbeschränkungen und andere Verbotsmaßnahmen waren die kurzfristigen Konsequenzen, die die hegemonialen Kräfte auf diesem Feld in Stellung bringen konnten. Mittel- und langfristig kamen dann vor allem wissenschaftliche oder journalistische Expertisen zum Einsatz, die das ungewohnte, geradezu unherhörte Verhalten der Jugendlichen auf der Basis von Sachverständigenmeinungen und Studien interpretieren, einordnen und analysieren sollten. Diese Entwicklung mündete dann in den 1960er Jahren unter anderem in die Etablierung einer eigeständigen Jugendsoziologie. Auf Seite der Jugend lässt sich mit Mrozek erkennen, dass die Erarbeitung neuer Praktiken auch stark von Technik und ihrem Gebrauch getragen war. Diese technisierten Kulturkämpfe diskutiert Mrozek treffend unter der Überschrift „Neue Lärm- und Ätherkriege“ (S. 373), die auch seiner Metapher von der sozia-

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len „Dissonanz“ entsprechen (S. 208). Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen griffen innerhalb des agonalen Prozesses auf die ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen zurück: nicht auf institutionelle Ressourcen, wie dies für staatlichen Behörden möglich war, sondern auf die kreative Aneignung von Klangerzeugern und Übertragungstechnologien wie Gitarren, Tonbandgeräten, Transistorradios oder Sendetechnik. Der Konflikt wurde so auf die klanglich-auditive Ebene gehoben, dadurch innoviert und immer wieder neu befeuert: einerseits als ästhetischer Aushandlungsprozess (Ist das noch Lärm oder schon Musik ?), andererseits als Überwindung und Problematisierung von nationalstaatlich-geografischen Hegemonialgrenzen, die von den Jungen als einengend und nicht mehr – wie für die Alten – primär sinnstiftend erfahren wurden. Mrozek sensibilisiert in seiner umfangreichen Studie nicht nur für die sozialstrukturellen Eigenheiten des Transformationsprozesses, der zu Beginn seines Untersuchungszeitraums vor allem als gesellschaftlicher Konflikt zwischen Unten und Oben, zwischen jugendlich-devianten und kulturell-etablierten Segmenten praktiziert wurde. Der Autor betont anhand verschiedener Fälle immer wieder den Einfluss der zunehmend global agierenden Medienindustrien, die entscheidend auf den „transnationalen Austauschprozesse(n)“ (S. 712) der Jugendlichen ansetzten, diese verstärkten, erweiterten und dadurch die fluiden, meist modisch-experimentellen Praktiken zu stabilen, diskursiv unterfütterten Handlungsmustern über den Atlantik hinweg formten. Instruktiv ist hier beispielsweise die Etablierung des US-amerikanischen Poptanzes Twist, dessen Ausdifferenzierungs- und Aneignungsprozesse der Autor von einer afroamerikanischen subkulturellen hin zu einer transatlantisch geteilten Praxis mit eingehenden Quellenstudien nachzeichnet. So kann Mrozek zeigen, wie der Tanzstil Twist mitsamt der dazugehörigen Musik nach seinen Anfängen in den USA, die sich bis zu Tanzschrittabläufen von afrikanischen Sklav*innen zurückverfolgen lassen, über Coverversionen und massive Radiovermarktung globalisieren und institutionalisieren konnte. In der Gesamtschau der popkulturellen Praktiken, die Mrozek beschreibt und analysiert, wird deutlich, woher die Anteile von Rebellion und Delinquenz, die die Popkultur bis heute mit sich in Anteilen implizit herumträgt, ihren historischen Ursprung haben. Dies ist gewissermaßen die historische Konstante, die Mrozek freilegt, indem er die einzelnen konfligierenden Entwicklungen und Bereiche nicht getrennt betrachtet, sondern Nischen mit Strukturen zusammendenkt und in Beziehung setzt. Gerade dieses Potential von Popkultur, in gesellschaftlichen Nischen, Randbereichen und marginalisierten Räumen zu keimen, um dann von der Mehrheitsgesellschaft aufgegriffen, diszipliniert und weitergelebt zu werden, wird bei der Lektüre besonders gut deutlich, seien es Teilstudien zu Piratensendern, Fantum oder habitualisierte Körperpraktiken wie bestimmte Tanzstile oder das Eckenstehen.

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Vor diesem Hintergrund halte ich Umfang und Grad der Detailliertheit der Studie für ihre beiden großen Stärken. Denn das Buch lädt – neben der linearen Lektüre zur Beantwortung der Frage nach der langwierigen Innovation des Pop – mit seiner Materialfülle auch dazu ein, quergelesen und zu späteren Zeitpunkten wieder für Spezialfragen zu bestimmten Popströmungen „des ungeraden Jahrzehnts“ konsultiert zu werden (S. 726). Mrozek bietet damit eine unerlässliche Studie für alle Popforscher*innen, die sich über die Konflikt- und Etablierungsphase popkultureller Praktiken informieren wollen und dabei eine integrierte Perspektive für das Ineinandergreifen von gesellschaftlichen Mikro- und Makroprozessen einnehmen möchten. Mrozek, B. (2019). Jugend. Pop. Kultur. Eine transnationale Geschichte. Frankfurt a. M.: Suhrkamp ISBN: 978-3518298374

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Dean Vuletic: Postwar Europe and the Eurovision Song Contest Aida Hollje

In seinem Buch über die Geschichte des Eurovision Song Contests zieht der Historiker Dean Vuletic Parallelen zur politischen Entwicklung des europäischen Raums und gesteht dem oft als belanglos eingestuften Event eine gewichtige gesellschaftliche Relevanz zu. Das Buch besteht aus fünf Kapiteln, welche die europäische Geschichte und ihre Reflektion in der Gestaltung des Wettbewerbs in zwei Abschnitten – 1945 bis 1989 und 1990 bis 2016 – beleuchten. Das erste Kapitel beschreibt die Entwicklung internationaler, politisch-informationeller Organisationen von der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt in 1815 bis zur Europäischen Rundfunkunion in 1950 und betont somit den po­ litischen Hintergrund des von der EBU in 1956 etablierten Eurovision Song Contests. Im darauffolgenden Part beschäftigt sich der Autor mit der Bedeutung des Wettbewerbs für die Identitätsbildung der teilnehmenden Länder auf der politischen, ethnischen, religiösen, geschlechtlichen und – mit dem Aufkommen der Tourismusindustrie – nationalökonomischen Ebene. Am Beispiel etablierter ESCLänder beschreibt er die zur Schaffung eines bestimmten nationalen und internationalen Erscheinungsbildes eines Landes genutzte Gestaltungselemente. Dazu zählt er die in der Teilnahmestrategie der Länder thematisch umgesetzten Bezüge zu ihrer politischen Vergangenheit und Gegenwart, die Entscheidung für oder gegen traditionell-kulturelle Muster bei der Auswahl des eingereichten Songs und die Selektion einen geeigneten, authentischen Interpreten. Der Orientierung an spezielle Alters- und Gesellschaftsgruppen und der Gestaltung des nationalen Vorentscheids wird dabei eine besondere Bedeutung beigemessen. Während sich die ersten zwei Kapitel des Buchs überwiegend auf die Länder Süd-, Nord- und Zentraleuropas beziehen, die wirtschaftlich, militärisch und durch die Mitgliedschaft in der EBU auch kulturell und technisch verbunden sind, © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Ahlers et al. (Hrsg.), Musik & Empowerment, Jahrbuch für Musikwirtschafts- und Musikkulturforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29706-0_16

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widmet sich der dritte Abschnitt des Buchs den osteuropäischen Ländern. In diesem Kapitel erläutert Vuletic die politischen Aspekte der 1946 gegründeten Internationalen Rundfunk- und Fernsehorganisation (OIRT) und des Intervision Netzwerks. Das Kapitel beschreibt die Entwicklung der politisch veranlassten kulturellen Unterschiede sowohl zwischen West- und Osteuropa, als auch zwischen den unterschiedlichen osteuropäischen Ländern. Eine besondere Bedeutung wird im Buch dem großen osteuropäischen Pendant zum Eurovision Song Contest – dem Intervision Song Contest – eingeräumt. Die einzelnen Phasen des ISC – die Entstehung, die Entwicklung und das Ende – werden im historisch-politischen Kontext vorgestellt und die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der beiden musikalischen Ereignissen aufgezeigt. Im letzten Drittel des Kapitels zeichnet Vuletic den Auflösungsprozess des Ostblocks und die Annäherung der betroffenen Länder an westeuropäische Strukturen und Ästhetik auf, die sich in den medienpolitischen Handlungen der Rundfunkanstalten – unter anderem in der Teilnahme am ESC – manifestierte. Das vierte und fünfte Kapitel des Buchs befassen sich mit dem Eurovision Song Contest nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und beschreiben den Zeitraum von 1990 bis 2016. Medienpolitische Änderungen nach dem Zerfall des Ostblocks – die Auflö­ sung der Internationalen Rundfunk- und Fernsehorganisation, deren Mitglieder fortan in die EBU eingegliedert wurden – werden im Kapitel vier ausführlich erläutert. Nach Vuletic spielt die damit einhergehende Öffnung des Wettbewerbs für weitere Mitgliederländer in Verbindung mit der Erweiterung der Europäischen Union zwischen 1995 und 2013 gerade für die sogenannten Nachzüglerländer eine bedeutsame Rolle für die Festigung ihrer nationalen Identitäten. Der Wettbewerb wird für den Historiker zur kulturellen Plattform der Austragung des bereits zu Zeiten des Kalten Kriegs existierenden Konflikts zwischen Ost und West. Im letzten Kapitel betrachtet der Autor den Wettbewerb als Forum für die Entstehung der europäischen Werte, zu welchen er kulturelle, soziale und sexuelle Diversität, Menschenrechte und liberale Demokratie zählt. Am Beispiel ausgewählter Länder zeigt Vuletic auf, wie diese Werte in die jeweilige Teilnahmestrategie eingebunden werden. Dabei präsentiert er die komplette Bandbreite der möglichen Beitragsgestaltung: von genuiner Implementierung der im Land stattfindenden gesellschaftlichen und politischen Umwälzungen bis zur bemühten Vermittlung eines weltoffenen und toleranten Eigenbildes wider der im Land herrschenden Realität. Das Buch endet mit dem Appell des Autors an die austragenden ESC-Akteure, trotz der zunehmenden Angloamerikanisierung und Kommerzialisierung der Bedeutung des Events für die Etablierung der kulturellen Diversität und sozialer Kritik und Schaffung der europäischen Identität wieder bewusst zu werden.

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Postwar Europe and the Eurovision Song Contest ist ein akribisch recherchiertes Werk, das eine enge Verflechtung des Wettbewerbs mit der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung des europäischen Raums vermittelt. Der Eurovision Song Contest wird einerseits als die kulturelle Reflektion der in den Teilnehmerländern stattfinden Geschehnisse dargestellt, andererseits sieht Vuletic das Event selbst als Instrument zur Schaffung sowohl einer nationalen Identität einzelner Länder, als auch eines internationalen europäischen Bewusstseins. Der Historiker und Politikwissenschaftler Dean Vuletic betrachtet den Contest aus der Perspektive seiner wissenschaftlichen Disziplin. Dieser Ansatz scheint dem Wettbewerb allerdings eine übermäßige politische Bedeutung beizumessen. Vuletic untermauert seine Thesen exemplarisch mit einzelnen Beiträgen aus der ESC-Geschichte, welche die europäischen Werte oder bestimmte, für das jeweilige Teilnehmerland relevante gesellschaftlich-politische Angelegenheiten thematisieren. Diese bilden allerdings auch in ihrer Gesamtheit lediglich eine Ausnahme angesichts der Masse der von Ansprüchen der Musikmärkte geprägten Songs und können daher nur unzureichend als Beispiel für 64 Jahre des Wettbewerbs dienen. Laut Autor scheint aber fast jeder Beitrag unbestritten eine politische Intention zu haben, die vom internationalen Publikum und der Jury richtig decodiert und entsprechend den landeseigenen politischen Tendenzen bewertet wird. Zur Verifizierung dieser starken politischen Ausrichtung fehlen im Buch allerdings oft handfeste Belege. Weder die musikwirtschaftliche Ebene des Events noch die ästhetischen Besonderheiten einer Fernsehmusikshow werden im Buch ausreichend behandelt, obwohl diese einen großen Einfluss auf die Gestaltung und die Rezeption der Beiträge haben. Aufgrund der fehlenden medienwissenschaftlichen und musikwirtschaftlichen Expertise wirkt die im Buch beschriebene Verbindung zwischen der Entwicklung der europäischen Identität und den Inhalten des Wettbewerbs einseitig und etwas konstruiert. Dean Vuletic hat zweifellos Recht mit der Behauptung der Existenz einer politischen Bedeutung des Song Contests. Fraglich ist jedoch, ob diese These – wie im Buch – über Dekaden des Events für alle Akteure oder lediglich für bestimmte Länder, die ihre nationale Identität im europäischen Kontext erst entwickeln und behaupten müssen, gilt. Nichtsdestotrotz erweitert das vorliegende Werk die Sicht auf den Wettbewerb um eine politische, gesellschaftliche und historische Perspektive. Damit ist Postwar Europe and the Eurovision Song Contest ein Nachschlagwerk, das zum Verstehen der Funktionsweise des modernen Europas auf der kulturell-politischen Ebene beiträgt und einen realistischen Ausblick in die Zukunft bietet.

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Vuletic, D. (2018). Postwar Europe and the Eurovision Song Contest. London: Bloomsbury Academic. ISBN: 9781474276269

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Maria Eriksson, Rasmus Fleischer, Anna Johansson, Pelle Snickars, Patrick Vonderau: Spotify Teardown. Inside the Black Box of Streaming Music Holger Schwetter One thing that strikes immediately is the sensational title for a scientific study: Spotify Teardown. The authors borrow the term teardown from reverse engineering. It describes the act of disassembling a product in order to understand its functionality. Here the authors use the term as a metaphor for their aim to deconstruct the common reception of Spotify but it also promises more: a complete understanding on how Spotify works. The violence indicated in the term teardown also refers to the independence of the researchers. They clearly mark their opposition to Spotify from the beginning by prepending a citation from a letter from Spotify demanding to stop the research. The authors have good arguments for pursuing a critical research strategy towards internet platforms. The companies behind such institutions have a strong interest in placing their own narration at the centre of the discourse. Even the term platform, the authors argue, can be seen as a success in this respect because the term suggests a neutrality of services such as Spotify that hides struggles of economic and cultural power. Instead of platform, the authors propose to call Spotify a producer and a data broker. The book is partly built on articles that were published along the way in their several years long research project financed by the Swedish Research Council. This gave the authors the opportunity to create a more experimental narrative for summing up their findings in this book. The four main chapters of the book are separated by so-called interventions. These tell stories of experimental methods and interactions with the software undertaken by the authors in order to understand Spotify’s mechanics and connections to other services. E. g. they recorded tracks, set up a record label, uploaded tracks to Spotify and let bots listen to songs, playlists and Spotify radio. Each chapter and intervention approaches Spotify from a different perspective. The first intervention is more like an anecdote serving as a starting point © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Ahlers et al. (Hrsg.), Musik & Empowerment, Jahrbuch für Musikwirtschafts- und Musikkulturforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29706-0_17

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for the book. It tells the story of Spotify’s efforts to loosen housing regulation in Stockholm in order to create housing opportunities for their employees. The authors used an accompanying Twitter campaign as a case study to analyse which parties support Spotify to show the big political relevance of the company in Sweden. Chapter 1 tells a history of the company by examining its funding rounds. With this approach, the authors show major changes in the business strategy of the company. They reveal its close connection to and dependence on pirate music distribution in the beginning of its operation and the big influence present shareholders like venture capital firms and major record labels have on the company today. The intervention Record Label Setup was created to learn about the service in a similar way that aspiring musicians would get to know the service. This strategy lets the authors study the way audio files are chosen for publication through intermediaries and how audio and meta data are combined from several sources. The research team created artists and albums and let bots listen to these songs through standard user accounts. They found that Spotify does not seem to care whether bots or humans are listening. The following chapter When do Files become music ? carries on with the same theme. It studies the way Spotify treats data through examining publicly available sources, followed by a case study. This seems to be a reappearing strategy through the course of this book. In this chapter the authors show the various connections to and dependencies on other companies services. They point out a central contradiction: on the one hand Spotify’s business model works similarly to a commercial radio station; the more content is present the more revenue from advertisers is possible. This is why Spotify tolerates semi-professional or questionably files that might not even be music. On the other hand, the major record labels want Spotify to function like a professional distribution service that ensures quality content. However, the following case study is not really connected to this argument. It deals with the radio functionality of Spotify and shows that the radio algorithm does not offer a highly personalised listening experience as promised: it returns very similar results when very different songs are used as a starting point. The intervention How we tracked streams describes the researchers’ eavesdropping on the network connections of the Spotify desktop app. It highlights that the software architecture is a mix of proprietary and open source software that heavily relies on partner services such as Google Cloud. Therefore, the authors argue, “The notion of an enclosed platform is inapt.” (p. 112) Chapter 3, How does Spotify package music ?, deals with the curational turn the company undertook in 2013 and its implications for the listening experience. It analyses official Spotify playlists. Through those Spotify suggests a specific listening practise to its users: music as a tool for personal improvement “bound up

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with chrono-normative prescriptions of ‘the good life’.” (121) Music shall help to increase productivity and performance in activities like work, sport and socialising. In the Intervention Too much data, the researchers reflect on the use of data analyses in the context of humanistic research projects and the difficulties of generating the right data that is connected to the research questions. They exemplify this with a bot experiment that failed to cause Spotify to create personalised music recommendations and conclude that their own expectations about computational experiments were wrong: they do not necessarily deliver input for systematic and well-ordered analysis but rather tell “about the incoherent and constantly shifting ways in which algorithmic systems work” (p. 147). The main argument of Chapter 4, What Is The Value Of Free ?, is that Spotify is not profitable until today and it needs financing. Thus, financing is Spotify’s governing market, and not the music market. To investigate which further markets apart from music Spotify is active on, this chapter deals with advertising on Spotify. The service uses music to create psychographic data in order to sell targeted ads. With this process Spotify becomes more than a mere distributor of music – it “actively reproduces the meaning of the songs it is supposed to distribute” (p. 171). In the conclusions, the authors tell about the difficulties researchers face when doing research concerning companies that deal with goods that are subject to copyright. The regulations for rights holders give such companies great power to hamper research. In fact, some of the methods used in this book like uploading special content and programming bots to control special user accounts were legal in Sweden for scientific purposes when the research was undertaken in 2015 to 2017, in the scope of the new European Copyright Directive they will be illegal. Apart from their self-marketing as open and democratising corporations most big Internet companies take a lot of effort to hide and conceal how their services actually work. With this book the authors aim to crack one of such black boxes, and given the power of a company like Spotify such an undertaking cannot be easy. The authors successfully tackle the notion of Spotify of being a closed and neutral platform by showing its connections to and dependence on many other services and partners. In this light, Spotify becomes precarious, opportunistic and forced to constantly change, a node in a network. The authors also reveal how music is used by Spotify to target other markets such as advertising and finance and thus challenge its notion of being a mere tech service. Spotify shapes how we understand and use music with aims that have little connection to the music market. This is strong and well-founded argument. Nevertheless, the authors cannot offer a complete teardown of Spotify’s processes. Some of their approaches delivered de-

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tailed insights, others scratched only the surface. By unfolding this mixed methodological approach, the authors show how difficult it is to gain insights about today’s media conglomerates. Eriksson, M., Fleischer, R., Johansson, A., Snickars, P., & Vonderau, P. (2019). Spotify Teardown. Inside the Black Box of Streaming Music. ISBN: 978-0-262-03890-4

Glaucia Peres da Silva, Konstantin Hondros: Music Practices Across Borders. (E)Valuating Space, Diversity and Exchange Brigitta Davidjants

“When [music practices] cross the borders of national states and create stable networks among musicians, fans, people involved in the music business, etc., they can be considered transnational,” the editors Glaucia Peres da Silva and Konstantin Hondros open the article collection (2019, p. 7). The idea of music crossing any kind of borders is also a common denominator between the articles throughout the book. The collection offers nine case studies that cover a vast area from Brazil to Kenya and France to Argentina. Although the articles are in case studies and methodologically very different, they all show globally very common processes. To put it simply, cases go back to the distribution of power in the music world and business and the difficulty of changing centuries-old dichotomies, regardless of geographical or genre boundaries. I will give an overview of separate articles. One of the central topics of the articles is value – as it is intrinsically connected to music (industry) and power relations between presumable centres and regions interpreted as peripheries (see, for example, Stock 2004). In the article Valuation in a reversed economy. The case of contemporary art music in France and the United States (pp.  41 – ​60), Annelies Fryberger raises the question of measuring the value of music production in the contemporary art music world. She sketches subtle and paradoxical relation of art and income where economic concerns conduct silently the valuation of music product. The analysis leads to the knowledge that the value of artistic production depends same as much on marketing and coincidence as it does on aesthetics. Many music scholars have come to similar conclusions (for example Fillis, 2009, Carboni, 2011), yet the transnational approach of the case study adds new layers to how the problem has been studied so far. The article pairs well together with Sandrine Le Coz’ (From desire for recognition to desire for independence World music filtered in the market economy, pp. 105 – ​126) discussion about call markets, exhibitions, and other decision-making gatherings that strengthen discriminating © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Ahlers et al. (Hrsg.), Musik & Empowerment, Jahrbuch für Musikwirtschafts- und Musikkulturforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29706-0_18

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power relations. Le Coz analyzes market mechanisms and shows how the value is carefully produced by those who have economic power, i. e., Europe and North America. Together, these two articles provide a versatile view of the very widespread issue, and would serve well must-read text for all cultural management (and of course any other music) students. They illustrate outdated attitudes, especially in the classical music scene, which often see music as a thing in itself and disregard the power structures around music. Cross-over projects are often discussed with examples that focus on the relation of Asian and European cultures (Riva, 2019, p. 127). In contrast, in the collection, several articles delve into the music culture of different parts of Africa. These articles are a big asset to this collection because, while they focus on very different eras and cases, they still fill a certain research gap. Nepomuk Riva (The invention of African art music Analyzing European-African classical cross-over projects, pp.  127  – ​ 150) discusses otherness by the example of European-African collaborations in classical music and thus African representations in Western classics. By analyzing major cross-over productions from 1992 – ​2000ies, he highlights the power asymmetries between the musicians that are presumably in the same position. Careful analysis shows that the joint project of musicians from African and European countries are not presumptions for equal representation. The article illustrates how much reflexivity is needed to avoid reproducing colonial stereotypes – regardless of best intentions – and how the stereotypes can also be deeply rooted to the musicians from the cultures in question. If anything, I would suggest a better theoretical contextualization of the works analyzed. Riva describes music projects that were created over decades. Probably, there are considerable differences how musicians perceived otherness at the beginning on 1990ies and how they do it now, as new theoretical approaches (for example, queer studies) have arose and spread outside the academy. Thus, author could have taken into account the extent to which new ideas have now been internalized by performers. Mukasa Situma Wafula (Culture, creativity and practice. (E)valuating the Kenya Music Festival as a transnational music space, pp. 61 – ​84) studies Kenya music festival as a multinational phenomenon. The author – aware of his participatory role and situated knowledge (Haraway, 1988, pp. 575 – ​599) –, offers valuable inside look combined with an academic approach. The article pairs together with Peter Lell’s analysis of world music festivals (Come and expose yourself to the fantastic music from around the world, Lell, 2019, pp. 85 – ​104) which operates with the concept of musical exoticism. While the previous author concentrated on participants, Lell takes a closer look at an audience. He does not see the audience as a passive medium; instead, they shape the festivals through cultural consumption habits and dictate criteria that the performers have to fill in to be perceived as a world music performer (Lell, 2019, p. 94).

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Interactions of globalization and otherness have been in focus of many researchers (see, for example, Muthyala, 2001, Dervin 2012) and the current collection is not an exception. Otherness is also central concept in Daniela Anabel González’ article The construction of an Italian diasporic identity in the city of Buenos Aires at the turn of the 19th century (pp. 167 – ​190) which shows historical perspective on the connections between culture and migration. In the context of diaspora research, this case study is interesting because it illustrates, in the example of 19th-century Argentine Italians, how from one national community, different diasporas might emerge and develop different identity survival strategies. There are two articles that remain somewhat separate in the book, though they both offer interesting reading. Rather historical perspective is given by Alla El Kahla (Contemplating musical life in Tunisia under the French protectorate – the society and challenges, pp. 151 – ​166). The author makes a journey through Tunisian music scene since the 18th century by contextualizing it with global and local political processes. From an ethnomusicological perspective, El Kahla indicates the many gaps in the field, for example, the lacking research of the relation between Western and Tunisian music practices (El Kahla, 2019, p. 151). Obviously, filling this gap is a great asset of this article, but the text may remain somewhat descriptive compared to other articles. Methodologically, the article Brazilian grooves and cultured clichés (pp. 191 – ​210) by Janco Boy Bystron & Chico Santana remains somewhat separate as the analysis included auditive and visual elements (p. 192). The authors analyze musical differences between Brazilian and German percussion groups playing samba rhythms. While reading, the question arise, as well as in the article by Nepomuk Riva, how power is distributed when an artist performs music from a different ethnic background ? Also, how do the hidden hierarchies between different members of the diaspora function ? Overall, though a bit eclectic, Music Practices Across Borders (E)Valuating Space, Diversity and Exchange offers diverse and very interesting read as the case studies cross both geographical, genre, and temporal borders. The book vigorously assert the problems that exist in transnational music scene – and these problems can never be over-stated. As a whole, the book’s value also lies in the way it shows how power-sharing issues spread across the genre, from world music to academy – even if it is often overlooked by active musicians. Thus, the book is a very necessary supplement to the literary reading assets of the globalizing music world. Glaucia Peres da Silva, Konstantin Hondros (2019): Music Practices Across Borders. (E)Valuating Space, Diversity and Exchange. Transcript-Verlag. ISBN: 978-3-8376-4667-2

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References Carboni, Marius, Changes in marketing in the classical music business over the last 20 years. Paper presented at the 2nd Vienna Music Business Research Days, University of Music and Performing Arts Vienna, Vienna, 8 – ​10 June 2011. Dervin, Fred. 2011. Cultural Identity, Representation and Othering. In: The Routledge Handbook of Language and Intercultural Communication, ed. Jane Jackson, 181 – ​ 194. London & New York: Routledge. Fillis, Ian. 2009. An Evaluation of Artistic Influences on Marketing Theory and Practice. In: Marketing Intelligence and Planning 27 (6): 753 – ​ 774. https://doi. org/10.1108/02634500910988663 Haraway, Donna. 1988. Situated Knowledges: The Science Question in Feminism and the Privilege of Partial Perspective. In Feminist Studies 14 (3): 575 – ​599. DOI: 10.2307/3178066 Muthyala, John. 2001. Reworlding America: The Globalization of American Studies. In Cultural Critique. Minneapolis: University of Minnesota Press. https://doi. org/10.1007/978-1-137-09003-4_2 Stock, Jonathan. 2004. Interface at the Peripheries: Western Impact on Other Musics. In Cambridge History of Twentieth-Century Western Music, ed. Anthony Pople, Nicholas Cook, 18 – ​39. Cambridge: Cambridge University Press. https://doi. org/10.1017/CHOL9780521662567

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Ewa Mazierska: Popular Viennese Electronic Music, 1990 – ​2015. A Cultural History Anita Jóri

Ewa Mazierskas Buch ist eine wertvolle Nischenarbeit, die ein weitgehend unerforschtes kulturelles Feld abdeckt. Was die Literatur zu Wien als Musikstadt betrifft, so gibt es in eine Vielzahl von Studien zur klassischen Musik, darunter der Wiener Klassik um Beethoven, Haydn, Mozart oder Schubert. Doch existieren nur wenige Berichte über diese Stadt als Zentrum elektronischer (Tanz-)Musik. Mazierska hat sich die Aufgabe gestellt, diese Forschungslücke in Form einer gründlichen kulturgeschichtlichen Studie zu schließen. Ihre persönliche Motivation für diese Forschungsarbeit begründet die Autorin wie folgt: 1) die österreichische populäre Musik verdiene insgesamt mehr wissenschaftliche Aufmerksamkeit und 2) insbesondere die Wiener Szene der elektronischen Musik sei mit ihren ganz eigenen Besonderheiten noch kaum untersucht worden. So gäbe es nur wenige Auseinandersetzungen zur Beziehung zwischen elektronischer Musik, der Stadt und der Kultur in Wien (S. 1). Eines der beachtlichen Merkmale des Buches ist, dass Mazierska ihre Terminologie äußerst klar formuliert und definiert. So erklärt die Autorin die wichtigsten Begriffe aus ganz unterschiedlichen Perspektiven. Im Text stößt man etwa auf eine längere Beschreibung der Problematik rund um den Genre-Namen electronica, der von der Musikindustrie popularisiert wurde. Diese ist auch der Grund, warum die Autorin im Titel des Buches die Formulierung popular electronic music statt electronica verwendet. Mazierska schlägt jedoch vor, dass die beiden Begriffe in ihrer Arbeit denselben Gegenstand bezeichnen. Im Zuge dieser Argumentation definiert sie popular Viennese electronic music als „music produced by Viennese artists (…), or also include record companies which released these records (…), places where this music was presented and appreciated (…), and a web of relations connecting musicians, institutions and individuals working for their success (…), as well as their fans. It can encompass art and artists, as well as scenes“ (S. 9). © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Ahlers et al. (Hrsg.), Musik & Empowerment, Jahrbuch für Musikwirtschafts- und Musikkulturforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29706-0_19

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Der untersuchte Zeitraum reicht von 1990 bis 2015. Die Autorin charakterisiert die 1990er Jahre als die goldenen Jahre der populären elektronischen Musik in Wien, weshalb ihre Studie diesem Jahrzehnt besondere Aufmerksamkeit schenkt. Das Buch basiert auf mehreren methodologischen und theoretischen Grundlagen: Erstens ein Aufarbeiten der Kulturgeschichte und Theorie der elektronischen Musik und ihrer Subgenres mit einem besonderen Schwerpunkt auf dub, ambient, techno und noise. Zweitens die Erforschung des Verhältnisses von Musik und Ort durch das Einordnen der elektronischen Musik in den größeren Kontext der Wiener Musikgeschichte. Drittens Überlegungen zur Zukunft der Musik unter Berücksichtigung des digitalen Wandels der Transformation der Musikindustrie. Schließlich behandelt die Studie auch die Wechselwirkung zwischen Musik und Gender (S. 9 – ​10). Neben diesen theoretischen Grundlagen basiert das Buch auf mehr als fünfzig von der Autorin durchgeführten Interviews mit Personen, die in der Szene tätig sind, wie Musiker_innen, Chef_innen von Plattenfirmen, Promoter_innen, Manager_innen von Plattenläden, Mitarbeiter_innen von Förderinstitutionen der österreichischen Musik, Wissenschaftler_innen und Musik-Fans (S. 10). Das erste Kapitel positioniert Wien auf der historischen und kulturellen Landkarte der Musikstädte, wo es als Welthauptstadt der Musik gefeiert wird. Der Untertitel des Kapitels „From Mozart to Conchita Wurst“ (S. 17) weist auf eine längere Kulturgeschichte hin: Von der Wiener Klassik über die Romantik und die frühe Neuzeit bis zur Musik zwischen den Weltkriegen gelangt die Autorin schließlich zur zeitgenössischen populären Musik in Wien (S. 17 – ​45). Das Kapitel gibt zudem einen wertvollen Einblick über die Zusammenhänge von Urbanisierung, sozialem Leben und Musik. Nach dieser linearen Geschichtsdarstellung wird die Popular Viennese Electro­ nic Music im zweiten Kapitel als Szene und Industrie thematisiert. Mazierska untersucht sie aus der Vogelperspektive, um die Geschichte und die Merkmale der lokalen Szene zu beschreiben. Dazu beginnt der Abschnitt mit einer Verdeutlichung des Begriffs Szene anhand der klassischen Theorien und Modelle von Andy Bennett und Richard A. Peterson, Sara Cohen, Holly Kruse usw. Es folgt eine detaillierte Chronologie: hier werden die Leser_innen über die Entwicklungen von Clubs, Events, Fanzines und der lokalen Industrie (Labels und Plattenläden) informiert. Mazierska halt fest: „The peak of the scene was between 1995 and 1999“ (S. 62). Dies waren auch die goldenen Jahre der Schallplattenindustrie im Allgemeinen. Man findet auch die wichtigsten Merkmale der lokalen Szene in diesem Kapitel. Die Autorin schreibt zum Beispiel über den sozialen Hintergrund der Mitglieder_innen der Szene, basierend auf den durchgeführten Interviews, und die sich ständig ändernde politische Situation und ihre Auswirkungen. Zudem gibt es ein

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Unterkapitel, das sich ausschließlich dem Fandom widmet, welches, so die Autorin, keine politische Verankerung habe – was im Hinblick auf europäische elektronische Tanzmusikszenen insgesamt keine Überraschung darstellt. Nach der Beschreibung der obengenannten (und anderen) Merkmale werden im dritten Kapitel spezifische Fallstudien der bekanntesten und beliebtesten Wiener Musiker_innen vorgestellt, deren Karrieren sich fast über den gesamten im Buch analysierte Zeitraum erstrecken (und von denen einige heute noch aktiv sind). Dies schließt, in chronologischer Reihenfolge der Unterkapitel, die Künstler_innen und Organisationen Sin, Kruder und Dorfmeister, Tosca, Sofa Surfers, Patrick Pulsinger, Peter Rehberg, Christian Fennesz sowie das Label Mego, Electric Indigo und Sweet Susie ein. Einige dieser Beispiele umfassen also eine Person, andere Bands oder Duos, sowie in einem Fall ein Label. Jedes Unterkapitel beginnt mit einer chronologischen Karrierebeschreibung der Musiker_innen und schließt an seine oder ihre Diskographie und Musikstil an. Diese Analysen basieren hauptsächlich auf Mazierskas eigenen Eindrücken und den Antworten der Interviewten. Daher folgen diese Beschreibungen keiner spezifischen formalen Analysemethode. Die Autorin konzentriert sich jedoch auf die Zusammenhänge zwischen der Stadt Wien als Ort und der Musik der jeweiligen Künstler_innen. Dies zeigt sich am deutlichsten in den Unterkapiteln über den Stil der Musiker_innen: Mazierska interessiert sich für die Besonderheit des sogenannten Vienna Sound. Die verschiedenen Künstler_innen repräsentieren zudem den Reichtum an Stilen und Genres der Wiener elektronischen Musiker_innen: Sie alle bewegen sich in unterschiedlichen Subgenres. Eine derart umfassende und detaillierte Analyse jener Musiker_innen gab es bisher nicht, daher schließt die Studie auch in diesem Sinne eine Forschungslücke, durchaus im Sinne von Grundlagenforschung. Die Autorin betrachtet die Arbeit der meisten dieser Künstler_innen als Manifestationen postmoderner Kunst und sieht sie als Trendsetter mit lokalen Merkmalen statt als Nachahmer angloamerikanischer Musiktrends. Obwohl alle diese Unterkapitel und Musiker_innen wichtig sind, möchte ich hier nur zwei hervorheben, da sie sich in ihren Fokussierungen von den anderen unterscheiden: 1) Peter Rehberg, Christian Fennesz and the Label Mego: between Glitch and Bécs (S. 168 – ​194), und 2) Women in a mixed world: Electric Indigo and Sweet Susie (S. 195 – ​214). Ich halte es für bemerkenswert, dass die Autorin eine ganze Fallstudie für noise oder experimentelle elektronische Musik Rehberg, Fennesz und dem Label Mego gewidmet hat. Dieser Abschnitt erscheint zunächst, im Vergleich zu den anderen Kapiteln, wie ein Außenseiter; doch ist er konform mit Mazierskas Strategie, so unterschiedliche Genres wie möglich mit einzubeziehen. Das Unterkapitel zu Electric Indigo und Sweet Susie unterscheidet sich auch in dem Sinne von den anderen, da es die Musikerinnen aufgrund ihres Ge-

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schlechts kategorisiert. Hier gibt die Autorin eine längere Einführung in die Problematik der von Männern dominierten elektronischen Tanzmusikkultur, inklusive der aktuellen Forschungen zu diesem Thema. In diesem Sinne schafft das Unterkapitel ein Bewusstsein für Künstlerinnen, die in den Geschichten zur elektronischen (Tanz-)Musik häufig vernachlässigt werden. In ihrer Schlussfolgerung hebt die Autorin ihre Hauptargumente nochmals hervor und schließt die Analyse mit mehreren offenen Fragen für zukünftige Untersuchungen ab. Sie will Forscher_innen anregen, ähnliche Forschungen zu Szenen in anderen europäischen Städten durchzuführen. So würde ein besseres Bild zu den Unterschieden zwischen diesen Orten gezeichnet werden können. Meiner Meinung nach könnte man mit Hilfe dieser vorgeschlagenen Studien auch die verschiedenen sounds dieser Städte besser beschreiben, da so erst konkrete Vergleiche möglich werden. Mazierskas kritische Selbstreflexion ist bemerkenswert: „No doubt that some readers familiar with the phenomenon described here will be surprised and unhappy, with omissions, simplifications and mistakes made in this book. My defence is that no study is ever comprehensive and flawless, and this is particularly the case of works which cover a largely unexplored territory.“ (S. 12 – ​13) Sie ermutigt andere, diese Fehler zu korrigieren und Lücken zu füllen. Das Buch bietet eine hervorragende Grundlage für weitere Forschungen zur elektronischen Musikszene in Wien. Vor allem aber halte ich es für einen motivierenden Anfang für weitere Forschungen zur Kulturgeschichte elektronischer (Tanz-)Musikszenen in europäischen Städten, die durch diese Arbeit – so hoffe ich – initiiert werden. Mazierska, E. (2019). Popular Viennese Electronic Music, 1990 – ​2015. A Cultural History. Routledge. ISBN: 978-1-138-71391-8

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Berthold Seliger: Vom Imperiengeschäft Lorenz Grünewald-Schukalla

Bertold Seliger, der mit Das Geschäft mit der Musik, I Have a Stream und Klassikkampf bereits drei lesenswerte Bücher über die Musikindustrie veröffentlicht hat, wendet sich in Vom Imperiengeschäft nun jüngeren Entwicklungen im Konzert- und Ticketing-Geschäft der Popmusik zu. Vom Imperiengeschäft ist kein wissenschaftliches Werk, sondern eine aus der Insiderperspektive eines Konzertveranstalters geschriebene Stellungnahme zu der Entwicklung seines eigenen Geschäftsfeldes. Entsprechend will ich hier nicht entlang wissenschaftlicher Kriterien rezensieren, sondern betrachten, wo dieses Werk neue Forschungsfragen anstoßen kann. Im ersten Kapitel Imperiengeschäfte gibt Seliger die Stoßrichtung des Bandes vor: Es gibt heute eine Hand voll Konzerne, in die große Teile des Konzert- und Ticketing-Geschäfts integriert sind. Diese sind für ihn Imperialisten. Imperialisten ist der Inhalt ihres Geschäfts, also hier die Musik, „im Grunde völlig egal“ (S. 56). Im Zentrum des Imperiengeschäfts steht es, zu expandieren und einen Markt global zu beherrschen. Dies unterscheidet sie zum einen von den Narren, den lokalen Veranstaltern, die sich in einem prekären und oft verlustreichen Geschäft für Musik und den Aufbau junger Künstler*innen interessieren. Zum anderen unterscheidet es sie vom „Veranstalter“, wie er früher agiert hat und der laut Seliger noch zufrieden war, „wenn er eine Halle oder gar ein Stadion zügig ausverkauft hatte“ (S. 37). In diesem und drei folgenden Kapiteln verbindet Seliger unterschiedliche Entwicklungen, die das Imperiengeschäft und seine Folgen charakterisieren. So beschreibt er die mit teilweise hohen Investitionssummen von BeteiligungskapitalFirmen finanzierten Unternehmensfusionen, die zu einer Konzentration auf drei Konzerne geführt haben. Im Zentrum ihrer Wertschöpfung, so zeigt er, steht in­ teressanterweise nicht das relativ gesehen unlukrative Konzertgeschäft, sondern © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Ahlers et al. (Hrsg.), Musik & Empowerment, Jahrbuch für Musikwirtschafts- und Musikkulturforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29706-0_20

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Lorenz Grünewald-Schukalla

die Erträge aus Sponsoring- und Werbekooperationen mit großen Marken sowie die Verwertung von Daten von und über Fans. Seliger zeigt dabei Geschäftspraktiken auf, mit denen die Konzerne ihre Marktmacht ausnutzen. Der Fan, so der Autor, wird hier zum Feind, denn das Geschäft mit den Superstars folgt einer segregierenden Logik, die Reiche bevorzugt und gewöhnliche Fans in die letzten Ränge verbannt. Gleichzeitig geht Seliger davon aus, dass alle nur sammelbaren Daten über die Fans und das was sie tun, gesammelt und vernetzt werden. Die Imperien, so Seliger, „haben uns komplett durchleuchtet und wissen alles über uns“ (S. 80). Mit dieser Blaupause wird sich im zweiten Kapitel den Popmusik-Festivals und im dritten Kapitel den Räumen und Orten von Kultur gewidmet. In beiden Kapiteln diagnostiziert Seliger die gleichen Tendenzen zu Konzentration und Expansion sowie dem steigenden Einfluss der Finanzbranche und der datensammelnden Marken. Ausgehend vom Monterey Pop Festival, das nach Seliger von den Künstler*innen selber im Sinne der Gleichheit aller veranstaltetet wurde, beschreibt er eine stärker werdende Kommerzialisierung und Profitorientierung. Für die Festivals heute konstatiert er – wortstark mit Adorno und Horkheimer – eine Dominanz von „den Großkonzernen der Konzertindustrie veranstalteten Mega-Events, in denen ‚Fun ein Stahlbad‘ ist“ (S. 170). Für die Gestaltungsräume von Kultur konstatiert er zweitens, wie lokale, urbane soziokulturelle Orte immer weniger unabhängig von „Herrschenden“ (S. 230) agieren können, wobei mit den Herrschenden manchmal die Konzerne und manchmal Staat und Politik gemeint sind. Die Erwähnung des Musikjournalismus als einem der „Musikindustrie-hörigen Berichterstattungsjournalisms“ oder einen „Embedded Journalism“ (S. 175), sowie die erschreckende Geschlechterungerechtigkeit in den von weißen Männern dominierten Line-ups (vgl. den Artikel von Anita Jóri in diesem Band) sind hier gegenüber dem ersten Kapitel neu. Interessant ist auch die jüngere Entwicklung, bei der große Marken, wie Red Bull, Festivals einfach komplett selbst veranstalten. Zuletzt wird die Situation der Künstler*innen betrachtet, die eben keine Superstars sind. Auf Basis von Zahlen der Kultur- und Kreativwirtschaftsforschung verweist Seliger auf die prekären Einkommens- und Beschäftigungsverhältnisse der Kulturarbeiter*innen und stellt diese neben Großverdiener*innen wie U2 oder die Manager*innen der Konzertkonzerne. Hier argumentiert Seliger vielseitig. Einerseits verweist er auf die strukturellen Nachteile der Kulturarbeiter*innen, andererseits auch auf die Momente, in denen ein prekäres Künstler*innen-Dasein einer aktiven Entscheidung zu diesem Dasein folgen kann. Dies jedoch bleibe einer bürgerlichen Oberschicht mit ihren reichen Eltern oder Lebenspartner*innen vorbehalten. Diese sei es zudem gewohnt, öffentliche Förderung einzuwerben. Seliger verlangt, dass Förderung aber „Menschen aller sozialen Schichten zugute kommt und nicht nur den ‚Bohème‘ spielenden Bürgerkindern“ (S. 287). Auf die-

Berthold Seliger: Vom Imperiengeschäft 277

ser Basis plädiert er letztendlich für ein Mindestlohnkonzept für Musiker*innen sowie eine Solidaritätsabgabe für kleinere Clubkonzerte, die sich aus den Einnahmen des Superstar-Geschäfts speist. Die beschriebenen Entwicklungen bleiben nicht ohne Folgen und um diese geht es Seliger: Für ihn ist das Imperiumgeschäft eine Bedrohung für die musikalische Vielfalt und darüber hinaus eine Ausgrenzungsmaschine. Die Vielfalt sieht er in Gefahr, weil – unter anderem – nicht nur keine Bands mehr entwickelt würden sondern, weil kleinere Bands unter dem Fokus auf das einträgliche Geschäft mit den teuren Tickets der Superstars leideten, weil kaum noch Weltmusik veranstaltet würde, weil lokale Konzertveranstalter kaum noch unabhängig von Konzernen agieren können oder aber die Konzerne Freie Festivals verdrängten und so weiter. Ausgegrenzt würden schließlich jene, die es sich entweder nicht leisten können Musik zu machen oder diese zu genießen. Wie zum Beispiel im Falle von Praktiken wie Dynamic Pricing, bei denen der Ticketpreis eines Konzerts algorithmisch an die Nachfrage angepasst wird. Hier ist es laut Seliger für die Konzert­ veranstalter*innen auch akzeptabel, wenn Konzerte nicht ausverkauft sind und Fans außen vorbleiben. Der Gewinn wurde ja durch das perfekte Ausloten von Angebot und Nachfrage maximiert. Aus wissenschaftlicher Sicht muten einigen Passagen in Vom Imperiengeschäft eher polemisch als evidenzbasiert an, etwa bei der unterhaltsam geschriebenen Beschreibung von Konzerten der Rolling Stones und der Behauptung, die SUV-fahrende Gated-Community der Reichen versammle sich hier vor der Bühne. Auch kulturkritische Positionen, wie der Befund einer „Unterordnung“ der Fans „unter die Konsumgüterindustrie“ (S. 77) ließen sich vor dem Hintergrund von Arbeiten der Cultural Studies anders deuten. Wichtig ist jedoch: Seliger moniert nicht nur, sondern bietet in seinem Buch regelmäßig Lösungsvorschläge für die von ihm beschriebenen Probleme. Auch wenn er überspitzt, liefert er detailliert Eindrücke aus üblicherweise verborgenen und unverbundenen Bereichen des Konzert-Geschäfts, die er in Bezug setzt und damit neue Fragen und Problemfelder anstößt. Damit lassen sich auch für die Musikwirtschafts- und Musikkulturforschung neue Fragen und Hypothesen generieren, um auf die neuen Realitäten eines von Big Data, digitalen Plattformen und Marken transformierten Musikgeschäfts zu schauen. Denn diese jüngeren Entwicklungen erscheinen in der Musikwirtschaftsund Musikkulturforschung noch relativ unerforscht. Und schließlich ist die Frage, ob und wie diese Entwicklungen auf musikalische Vielfalt wirken, eine hochspannende empirische Perspektive. Seliger, B. (2019). Vom Imperiengeschäft: Konzerte – Festivals – Soziales. Wie Grosskonzerne die kulturelle Vielfalt zerstören. edition TIAMAT. ISBN: 978-3-89320-241-6