Museum zum Mitnehmen: Mit Bildern die Sinne anregen und fanfasie fördern 9783748601821

Kunst bringt Farbe ins Leben. Kunst regt an. Zum Betrachten, zum Nachdenken, zum Austausch. Das Museum „ins Haus zu hole

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German Pages 106 Year 2019

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Museum zum Mitnehmen: Mit Bildern die Sinne anregen und fanfasie fördern
 9783748601821

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorbemerkungen
Madonna im Rosenhag
Mona Lisa
Die Erschaffung Adams
Die niederländischen Sprichwörter
Der Gemüsegärtner
Apfelschälerin
Tromp-l‘œil
Das Schokoladenmädchen
Kreidefelsen auf Rügen
Der Sonntagsspaziergang
Das Mittagessen
Die Rasenbleiche
Die Kinderstube
Die Dorfschule von 1848
Großes helles Schaufenster
Alt-Berlin, Waisenstraße
Danksagung
Autorin

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Andrea Friese

Museum zum Mitnehmen Mit Bildern die Sinne anregen und Fantasie fördern

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© VINCENTZ NETWORK, Hannover 2019 Besuchen Sie uns im Internet: www.altenpflege-online.net Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen und Handelsnamen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass solche Namen ohne Weiteres von jedermann benutzt werden dürfen. Vielmehr handelt es sich häufig um geschützte, eingetragene Warenzeichen. Titelbild: AdobeStock_ JackF/ AdobeStock_NinaMalyna Composing Illustration: AdobeStock_ zgurski1980/ AdobeStock_NinaMalyna Composing Druck: Gutenberg Beuys Feindruckerei GmbH, Langenhagen ISBN 978-3-7486-0182-1

Andrea Friese

Museum zum Mitnehmen Mit Bildern die Sinne anregen und Fantasie fördern

Inhaltsverzeichnis Vorbemerkungen Zur Handhabung des Buches

6 7

Inhaltsverzeichnis

Die Bilder:

4

1.

S tephan Lochner, Madonna im Rosenhag (1450)

2.

eonardo da Vinci, L Mona Lisa (1503)

15

3.

M ichelangelo, Die Erschaffung des Adam (1508)

21

4.

ieter Bruegel d. Ä., P Die niederländischen Sprichwörter (1559)

27

5.

Giuseppe Arcimboldo, Der Gemüsegärtner (1590)

33

6.

G abriël Metsu, Apfelschälerin (1655/57)

39

7.

S amuel van Hoogstraten, Tromp-l‘oeil (1666)

45

8.

J ean-Étienne Liotard, Das Schokoladenmädchen (1746)

51

9.

aspar David Friedrich, C Kreidefelsen auf Rügen (1818)

57

9

63

11. Claude Monet, Das Mittagessen (1868)

69

12. Max Liebermann, Die Rasenbleiche (1882)

75

13. F ritz von Uhde, Kinderstube (1889)

81

14. Albert Anker, Die Dorfschule von 1848 (1896)

87

15. August Macke, Großes helles Schaufenster (1912)

93

16. Hans Baluschek, Alt-Berlin, Waisenstraße (1927)

99

Danksagung

105

Autorin

106

Museum zum Mitnehmen

10. Carl Spitzweg, Der Sonntagsspaziergang (1841)

5

Vorbemerkungen

Vorbemerkungen

6

In Gesprächen mit hochbetagten Bewohnern stationärer Einrichtungen habe ich festgestellt, dass Museumsbesuche im Leben vieler Senioren einen hohen kulturellen Wert hatten. Dabei wurden unterschiedliche Gestaltungsarten genannt, sei es die eher ungebundene Form der Wissensaneignung im informellen Rahmen eines Museums oder das Erschließen von Ausstellungen anhand organisierter Führungen. Auch die Motivation der Museumsbesuche konnte zum einen den Wunsch nach vertiefender Auseinandersetzung mit Kunst und Malerei erfüllen, andererseits der Zerstreuung und Freizeitunterhaltung dienen. Kunst und Musik bieten Erlebnis- und Erfahrungsräume für lebensbegleitendes Lernen bis ins sehr hohe Alter, wenn eine methodisch-didaktische Inszenierung im Sinne einer Teilhabe aller Interessierter gelingt. Veranstaltungsformen, die eine „multiple sensorische Aktivierung“ zum Ziel haben, ermöglichen die Teilhabe an Bildungserlebnissen auch für die hochaltrigen Personen, die an Seh- und/oder Hörbehinderungen leiden.1 Die Fachhochschule Münster hat den Bedarf an kultureller Bildung im Alter erkannt und bietet seit 2011 analog zur „Musikgeragogik“ eine einjährige berufsbegleitende Weiterbildung „Kulturgeragogik“ an, die dazu befähigt, „mit künstlerischen und kulturpädagogischen Mitteln mit Älteren in unterschiedlichen Lebenslagen arbeiten zu können“. Im Vorwort des Begleitbandes zur Fachtagung „Kulturgeragogik“ heißt es: „Gerade die Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur beinhaltet vielfältige Entwicklungspotenziale für den Einzelnen. Sie fördert nicht nur den kreativen Selbstausdruck, sondern schafft Anlässe für soziale Teilhabe, für Lebenslanges Lernen und vermittelt für das Alter wichtige Schlüsselkompetenzen. Künstlerische Aktivität kann somit bei der Alltagsbewältigung helfen und trägt zu mehr Lebensqualität 1  Kolland, Franz (2006): Bildungsangebote für ältere Menschen. In: Bildungsforschung Jahrgang 3 Ausgabe 2, Schwerpunkt „Bildung Älterer” (hrsg. von Bernhard Schmidt), S. 13

und Zufriedenheit bei“.2 So öffnen sich – angesichts des demografischen Wandels und nicht zuletzt auch unter Marketingaspekten – Museen zunehmend neuen Zielgruppen wie Hochbetagte oder sogar Menschen mit Demenz und bieten spezielle museumsgeragogische Führungen an.3 Um die Annäherung an Kunst auch für diejenigen zu ermöglichen, die früher selten die Gelegenheit hatten, in eine Bilderausstellung, eine Vernissage oder ein Museum zu gehen oder die aktuell aus Gründen körperlicher Beschwerden keinen Ausflug mehr machen möchten, ist dieses Buch entstanden. Die Äußerungen von hochbetagten Bewohnern sollten ernst genommen und ihre Ansprüche an kulturelle Aktivitäten in die Angebotspalette der Einrichtung eingebunden werden. Das Museum ins Haus zu holen ist eine Möglichkeit, die Teilhabe am kulturellen Erbe und an der gesellschaftlichen Debatte über Fragen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auch für Bewohner in stationären und teilstationären Einrichtungen bis ins hohe Alter zu fördern. Neben Angeboten mit dem Charakter eines geselligen Beisammenseins sollten im Veranstaltungsplan von Einrichtungen immer auch kulturelle und literarische Themen ihren Platz haben, die an Biografie, Kompetenzen und Erfahrungswissen anknüpfen. „Man sollte alle Tage wenigstens ein kleines Lied hören, ein gutes Gedicht lesen, ein treffliches Gemälde sehen und – wenn es möglich wäre – einige vernünftige Worte sprechen.“ (Johann Wolfgang von Goethe) 2  IBK (Institut für Bildung und Kultur e.V.) (Hg.) (2011): Kulturgeragogik. Kulturarbeit mit Älteren. Impulse für die Kulturarbeit mit Älteren. Dokumentation zum Fachtag am 11. Oktober 2011 in der Akademie Franz Hitze Haus in Münster 3  Vgl. auch Behrens, Heidi; Ciupke, Paul; Reichling, Norbert (2000): Neue Lernsettings in Kultureinrichtungen. Expertise im Rahmen des DIE-Projekts „Entwicklung und Förderung innovativer weiterbildender Lernarrangements in Kultur- und Weiterbildungseinrichtungen“ (EFIL). Bildungswerk der Humanistischen Union – wissenschaftlichpädagogische Arbeitsstelle, Essen. Online verfügbar unter http:// www.die-frankfurt.de/efil/expertisen/behrens_ciupke_reichling00_09.htm, zuletzt geprüft am 25.02.2019.

In diesem Buch werden 16 Bilder vorgestellt, deren Entstehungszeit vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert reicht. Dabei handelt es sich um Kunstwerke völlig unterschiedlicher Epochen, Stilrichtungen und Genres meist von sehr renommierten Malern, aber auch einigen eher weniger populären Künstlern. Geordnet sind die Werke nach der Zeitfolge ihrer Entstehung. Die Epochen lassen sich zeitlich nicht ganz scharf abgrenzen, außerdem waren manche Künstler epochenübergreifend tätig. Eine Kurzbiografie zum jeweiligen Maler wird seinem Werk vorangestellt, um über seine Lebensumstände zu informieren. Alle Gemälde sind ganzseitig farbig abgebildet und sind auf der beiliegenden CD-Rom gespeichert. So kann die anleitende Person für alle Teilnehmer einer Gruppe Ausdrucke machen oder das jeweilige Bild per Beamer großflächig darstellen. Eine kurze Bildanalyse schließt sich an, um der anleitenden Person Hinweise zur eigenen Deutung zu geben. Diese möchte keine fertigen Antworten geben – da Kunst nie eindeutig zu bewerten ist und immer auch Vielstimmigkeit zulässt, ist eine Interpretation stets subjektiv. Methodisch-didaktisch ist es sinnvoll, dass gut sehende Teilnehmer jeweils das Bild beschreiben, um auch den Sehbehinderten das visuelle Erleben zu ermöglichen. Zudem können diese Beschreibungen den Zuhörern Zugangswege zu Kunstwerken öffnen und damit zu neuen Sichtweisen auch des eigenen Alltags beitragen. Bei der Betrachtung von Gemälden wird insbesondere der Sehsinn angesprochen. Um die Teilnehmenden nicht nur für die Werke zu begeistern, sondern auch deren sinnliche Qualität transparent zu machen, laden zusätzliche Anregungen für die Sinne dazu ein, den Dialog aktiv mitzugestalten. Die Teilnehmenden sollen das ausgewählte Bild in aller Ruhe betrachten und auf sich wirken lassen. Die Bildbetrachtung kann auch für einige Minuten mit leiser Musik unterlegt werden, passende Musikstücke werden jeweils vor-

geschlagen. Diese sind durch Eingabe in eine Suchmaschine im Internet zu finden. Um die Teilnehmer in den Gedankenaustausch zu bringen, gibt es zu jedem Werk ausführliche Gesprächsanregungen. Einige Fragen sind immer gleich, z. B. soll die Frage nach der subjektiven Wirkung und ästhetischen Bewertung zur Diskussion in der Gruppe anregen: Welches Detail zieht Ihren Blick an? Ist es eine bestimmte Farbe, Form oder Figur? Fühlen Sie sich wohl, wenn Sie das Bild sehen? Der offizielle Titel eines Gemäldes eröffnet eine weitere Bedeutungsebene für das Kunstwerk. Indem die Teilnehmenden dem Bild einen eigenen Titel geben, regt dieser Denkprozess nicht nur ihre Fantasie und Kreativität an, sondern verleiht dem Werk eine zusätzliche subjektive Bedeutung. Die weiteren Fragen beziehen sich auf biografische Erfahrungen mit dem jeweiligen Thema und haben auch immer einen aktuellen Bezug zur selbst erlebten Lebenswirklichkeit, um vielleicht neue Sichtweisen zu eröffnen und gleichzeitig ein Nachdenken über die personale Identität in einer sich ständig verändernden Welt zu ermöglichen. Zitate des Malers oder zum Thema regen ebenfalls zum Nachdenken und weiterführenden Gesprächen an. Zu jedem Werk gibt es noch einige ausgewählte interessante Informationen zur Zeitgeschichte im Entstehungsjahr. Ein Einblick in das historische Umfeld kann aufzeigen, unter welchen Umständen das Bild entstanden ist und wie sich der Maler entwickelt hat. Literarisches zum Motiv rundet die Ausführungen zu jedem Werk ab – die Gedichte, kleinen Geschichten oder Auszüge aus erzählender Literatur bilden den besinnlichen Abschluss jeder „Museumsrunde“. Ich wünsche allen Kunstliebhabern – und solchen, die es werden wollen – anregende, inspirierende und lebendige Erzählrunden mit dem „Museum zum Mitnehmen“. Andrea Friese

Museum zum Mitnehmen

Zur Handhabung des Buches

7

Museum zum Mitnehmen

Stefan Lochner: Madonna im Rosenhag (um 1440 – 1442) Mischtechnik auf Eichenholz, 50,5 × 40 cm Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Köln, erworben 1954 © bpk / Lutz Braun Rahmen: AdobeStock_vvoe

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Stefan Lochner 

Madonna im Rosenhag Stefan Lochner, auch genannt Meister Stefan, ist der bedeutendste Maler der Kölner Malerschule. So bezeichnet man die Maler, die im Köln des Mittelalters und in seiner Umgebung ihre Werkstätten hatten.

Kurzbiografie: Stefan Lochner (ca. 1400 – 1451)

Ü

Stefan Lochner  Madonna im Rosenhag

ber Stefan Lochner ist nur wenig belegt. Er wurde um 1400 bis 1410 wahrscheinlich in Hagnau (bei Meersburg) am Bodensee geboren. In den Malerschulen seines Heimatgebietes wurde er anscheinend ausgebildet; sein Malstil lässt vermuten, dass er sich danach u.a. in den Niederlanden aufgehalten hat. Offenbar kam er gegen Ende der 1530er-Jahre nach Köln, nachweislich war er 1442 in Köln tätig, wo er im Rahmen des Besuchs König Friedrichs III. Festschmuck bemalte. Urkundlich bekannt ist auch, dass er 1444 unter erheblichen finanziellen Anstrengungen zwei Häuser in der Nähe der Malerhäuser der Schildergasse und des Rathauses erwarb. Die Kölner Malergilde im 15. Jahrhundert war in mehreren großen Werkstätten organisiert. Meister Stefan genoss über seine Zunft hinaus beträchtliches Ansehen – dafür spricht seine Wahl zum Ratsherrn der Schildergaffel4 in den Jahren 1447 und 1450. Von Pfingsten bis Weihnachten 1451 wütet in Köln die Pest, die über 20.000 Todesopfer gefordert haben soll. Lochner ist vermutlich Ende 1451 an dieser Seuche gestorben. Die Kölner Maler – so auch Stefan Lochner – pflegten ihre Werke nicht zu signieren; das einzige ihm sicher zugewiesene Werk ist der Dreikönigsaltar (seit dem 19. Jahrhundert im Kölner Dom). Weitere ihm zugeschriebene bekannte Werke sind die Bilder „Weltgericht“ sowie „Madonna im Rosenhag“ (auch „Madonna in der Rosenlaube“ genannt).

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Zum Bild Das Gemälde ist eines der letzten Bilder von Stefan Lochner. Den Mittelpunkt bildet Maria, aufrecht auf einem roten Kissen sitzend, von einer Rasenbank gestützt, eingehüllt in ein leuchtend blaugefärbtes Gewand. Im Mittelalter war Blau die Farbe des Himmels, die Farbe Gottes, der Keuschheit, das Symbol der Treue (Vergissmeinnicht). Auf ihrem Schoß sitzt das Jesuskind, das in der Hand einen Apfel hält. Maria neigt ihren Kopf leicht nach rechts. 4  E ine Gaffel in Köln war eine Vereinigung von Bürgern, die ihren Ursprung in einer oder mehreren Zünften hatte. Der Name Gaffel stammt von den beim feierlichen gemeinsamen Essen verwendeten zweizinkigen Gabeln, eben den „Gaffeln“. Den Schildergaffeln zugehörige Zünfte waren die der Maler, Glaser und Sattler.

Die Halspartie ist unbedeckt, gut sichtbar hebt sich die große Brosche auf dem blauen Kleid Marias ab. Nur wenn man genau hinschaut, kann man auf der Brosche ein Einhorn erkennen. Maria trägt eine goldene mit Edelsteinen besetzte Krone, die von einem goldenen Heiligenschein umrahmt wird. Maria und das Kind werden von Engeln umrahmt: Vier – jeweils zwei zur Rechten und Linken – sitzende Engel musizieren im Vordergrund mit Laute, Harfe und tragbarer Orgel. Hinter den beiden auf ihrer linken Seite hocken drei Engel, auf ihrer rechten Seite sehen wir weitere vier. Der vordere Engel dieser Vierergruppe hält in der Hand eine Schüssel mit Äpfeln, aus der er dem Jesuskind wohl schon einen überreicht hat. Mutter und Kind sitzen auf einem Teppich aus Maiglöckchen, Veilchen, Gänseblümchen, Akelei und Erdbeerpflanzen, die sich auf der Rasenbank fortsetzen. Dahinter befinden sich weiß und rot blühende Rosenstöcke, die dem Bild seinen Namen gaben. Über der Szene raffen zwei Engel einen schweren Brokatvorhang zur Seite. Ein Engel aus der Dreiergruppe weist mit ausgestrecktem Arm nach oben, wo Gottvater mit der Taube des Heiligen Geistes über allem thront und auf die Szene hinabschaut.

Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud in Köln ist eine der großen klassischen Gemäldegalerien Deutschlands. Das älteste Museum der Stadt Köln beherbergt in einem Gebäude von 2001 die weltweit umfangreichste Sammlung mittelalterlicher Malerei, insbesondere der „Kölner Malerschule“, sowie eine repräsentative Auswahl an Kunst des 16. bis 19. Jahrhunderts.

Anregungen für die Sinne Beispiele für Material: Ein Säckchen wird mit Objekten wie Kerze, Rose, Rosenkranz, Esel, Windel, etwas Stroh, Herz, Bibel, Krone, Glöckchen, Engel, der Zahl 7 … bestückt. Die Teilnehmer ziehen jeweils einen Gegenstand aus dem Beutel und bringen ihn mit dem Bild in Verbindung.

Musikvorschläge »» Franz Schubert – Ave Maria für Violine

»» Franz Schubert – Ave Maria, gesungen von Luciano Pavarotti »» Maria durch ein Dornwald ging

Museum zum Mitnehmen

Handmassage mit Rosencreme: Die Teilnehmer tragen die Creme auf den Handrücken der einen Hand auf und verreiben sie mit den Fingern der anderen Hand vorsichtig zwischen den Handknochen vom Handgelenk in R ichtung Fingerspitzen. Danach wird die andere Hand mit den gleichen Bewegungen massiert.

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Gesprächsanregungen Info: Maria genießt in der katholischen und in der orthodoxen Kirche höchste Verehrung. In der evangelischen Kirche gilt Maria als Vorbild des Glaubens. Auch im Islam wird Maria (Maryam, Meriem) vielfach als Mutter des Propheten Jesus (Isa) verehrt und im Koran äußerst positiv beschrieben. Von Seiten der Muslime wird ihr hohe Wertschätzung entgegengebracht, sie wird als die reinste und rechtschaffenste Frau dargestellt. » Was ist auf dem Bild zu sehen? Beschreiben Sie es.

» Wie wirkt dieses Bild auf Sie? Welche Gefühle löst es ganz spontan bei Ihnen aus? » Welchen Titel würden Sie dem Bild geben?

» Kennen Sie noch andere berühmte Marienbilder?

» Welche Marienwallfahrtsorte kennen Sie? (Lourdes, Fatima, Kevelaer …)

» Haben Sie schon einmal eine Marienwallfahrt unternommen? Wohin ging es? » Was verbindet Katholiken und Protestanten, wenn sie von Maria sprechen?

» Die Rose wird auch die Königin der Blumen genannt und ist ein Mariensymbol. Es gibt über 200 verschiedene Arten von Rosengewächsen. Erzählen Sie Situationen aus Ihrem Leben in denen Sie Rosen geschenkt bekommen haben? Was war der Anlass? Wer hat sie Ihnen geschenkt? Welche Gefühle kommen auf, wenn Sie daran zurückdenken? » In welchen Situationen haben Sie selbst Rosen verschenkt? Wem und weshalb? » Welche Erfahrungen haben Sie mit Zucht, Pflege, Verwendung oder Umgang mit Rosen?

» Es gibt sehr viele Begriffe, in denen das Wort Rose enthalten ist – welche fallen Ihnen ein? (Rosenhochzeit, Rosenkohl, Rosenkranz …)

Stefan Lochner  Madonna im Rosenhag

Zitate zum Thema

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„Rufe nur mit Andacht zu Maria, sie wird deine Not nicht unbeachtet lassen, da sie barmherzig, ja die Mutter der Barmherzigkeit ist.“ (Bernhard von Clairvaux, 1091 – 1153)

„Wir können niemals aus unserer Abhängigkeit von Maria herauswachsen, sie bleibt immer unsere Mutter.“ (Francisco Borgia, 1510 – 1572) „Die Verehrung Mariens besteht vor allem darin, daß man ihrem Sohn nachfolgt und die rechte Art der Nachfolge von ihr lernt.“ (Vincenzo Pallotti, 1795 – 1850) „Maria ist derjenige Mensch, der wie kein anderer ihren Sohn kennt, Sie ist berufen, Mutter der Menschen zu sein.“ (Thérèse von Lisieux, 1873 – 1897)

Zeitgeschichte um 1440 1440: Johannes Gutenberg erfindet die beweglichen Lettern für den Buchdruck. Dadurch wird es möglich, Bücher und Schriften wie z. B. Reiseberichte, Tagebuchaufzeichnungen, später auch Zeitungen und Zeitschriften, aber auch Zeichnungen, Bilder sowie Karten schneller und in größeren Auflagen zu vervielfältigen. Bis dahin wurden Texte aller Art durch Abschriften verbreitet. Um 1440 wird die Holzschnitttechnik erfunden. Mit der Entwicklung des Holzschnittes begann wahrscheinlich die Produktion von Spielkarten, denn dadurch konnten diese preiswert hergestellt und als Serienprodukte vervielfältigt werden. Das so genannte Hofämterspiel, das um 1450 entstand, ist das älteste gedruckte und nachträglich kolorierte Kartenspiel, das bis heute erhalten geblieben ist 1441: Europäer bringen die ersten schwarzen Sklaven nach Europa mit. 1442/43: Einer der längsten Winter der überlieferten Wettergeschichte in Mitteleuropa (Dauer: acht Monate). Von Ende September 1442 bis Ende Mai 1443 herrschen fast durchgehend Temperaturen unter null Grad und es kommt zu starkem Schneefall.

Gedichte zum Motiv Sei gegrüßt Sei gegrüßt, du Frau der Welt, Königin im Himmelszelt, Reinste Jungfrau der Jungfrauen, Morgenstern, auf den wir schauen. Sei gegrüßt du göttlich Licht, voller Gnad, schön zugericht, komm zu Hilf dem Erdenkreis, Du, o aller Frauen Preis.

Ich sehe dich in tausend Bildern Ich sehe dich in tausend Bildern, Maria, lieblich ausgedrückt, doch keins von allen kann dich schildern, wie meine Seele dich erblickt. Ich weiß nur, daß der Welt Getümmel seitdem mir wie ein Traum verweht, und ein unnennbar süßer Himmel mir ewig im Gemüte steht. Novalis, 1772 – 1801

Museum zum Mitnehmen

Angelus Silesius, 1624 – 1677

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Du bist im Strahlenkleide Du bist im Strahlenkleide Die Sonne, lieb und mild, Du bist auf grüner Heide Ein schön‘ Madonnenbild. Der lichte Schein des Goldes Erglänzt in deinem Haar: Blau-Äugelein, du holdes, O schütz‘ mich immerdar. Ich sinke vor dir nieder Voll sehnender Begier, Und jedes meiner Lieder Ist ein Gebet zu dir, Ein Flehen nur, ein scheues, Um Rettung aus Gefahr; Blau-Äugelein, du treues, O schütz‘ mich immerdar. O diese Augen beide So mild, so fromm, so gut, Darüber das Geschmeide Der zarten Wimper ruht! Sie sind voll lieben Scheines Das schönste Sternenpaar; Blau-Äugelein, du reines, O schütz‘ mich immerdar.

Stefan Lochner  Madonna im Rosenhag

Eduard Ernst Heinrich Kauffer, 1824 – 1874

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Rahmen: AdobeStock_vvoe

Museum zum Mitnehmen

Leonardo da Vinci: Mona Lisa (zwischen 1503 und 1506) Öl auf Pappelholz, 77 × 53 cm, Louvre, Paris © bpk / RMN – Grand Palais / Michel Urtado

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Leonardo da Vinci 

Mona Lisa

Der italienische Maler, Bildhauer, Architekt, Anatom, Mechaniker, Ingenieur und Naturphilosoph Leonardo da Vinci gilt als einer der berühmtesten Universalgelehrten aller Zeiten.

Kurzbiografie: Leonardo da Vinci (1452 – 1519)

Leonardo da Vinci  Mona Lisa

L

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eonardo da Vinci wurde am 15. April 1452 in Vinci, einem kleinen Dorf ca. 30 Kilometer westlich von Florenz geboren. Sein Vater Piero war ein erfolgreicher Notar mit ehrbaren Klienten in Florenz, seine Mutter Caterina arbeitete als Magd. Die beiden gingen später jeweils Ehen mit anderen Partnern ein; Piero nahm Leonardo jedoch als leiblichen Sohn an. Schon früh interessierte Leonardo sich für Musik, Zeichnen und Modellieren. Der begabte Junge durfte bei Andrea del Verrocchio, einem bedeutenden Bildhauer, Maler und Goldschmied in Florenz, eine Lehre machen. Auch nach der Ausbildung blieb der Zwanzigjährige dort und arbeitete weiter in der Künstlerwerkstatt, wo er immer wieder interessante Aufträge durchführte, später dann auch als freier Künstler unter der Patronage des Stadtherrn von Florenz. Um 1482 erhielt Leonardo eine feste Anstellung am Hof der Familie Sforza, die zu dieser Zeit Mailand und die Lombardei regierte und eng mit der Florentiner Herrscherfamilie Medici verbündet war. In Mailand entwickelte sich Leonardo zum führenden Künstler. Im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen war er eine äußerst gepflegte Erscheinung und achtete sehr auf Sauberkeit, da er bereits den Zusammenhang zwischen Schmutz und Pest erkannte. Er organisierte die erste Müllabfuhr in Mailand und trug somit zu einer wesentlichen Verbesserung der Lebensqualität in der Stadt bei. In seiner Mailänder Zeit begann er die Proportionen von menschlichen Körpern und Gesichtern zu studieren, denn er wollte „das Innere des Menschen“ genau kennenlernen. Aus dem Jahr 1492 stammt die Studie über Körperproportionen und die Skizze, die einen Mann mit ausgestreckten Extremitäten in zwei überlagerten Positionen zeigt. Zwischen 1495 –1497 entstand das bekannte Abendmahl-Fresko an der vorderen Wand der Kirche Santa Maria delle Grazie in Mailand; es stellt den Moment dar, in dem Jesus seinen Jüngern mitteilt, dass einer von ihnen ihn bald verraten würde. Erst 1500 kehrte er zurück nach Florenz, wo er als Militäringenieur für Cesare Borgia arbeitete. Sechs Jahre später ließ er sich erneut in Mailand nieder, um im Dienste des französischen Hofes tätig zu sein. Seine letzten Lebensjahre verbrachte Leonardo ab 1516 im Schloss Clos-Lucé bei Amboise, wo er einige Gemälde schuf, sich mit mathematischen und hydraulischen Studien beschäf-

tigte und architektonische Projekte verwirklichte. Dort starb er am 2. Mai 1519. Heute ist Clos-Lucé ein Leonardo-da-Vinci-Museum, in dem neben Zeugnissen der bedeutenden Vergangenheit der Region vor allem Leonardos Entwürfe und zahlreiche Modelle seiner Konstruktionen und Erfindungen, Kopien einiger Gemälde sowie Zitate aus seinen Aufzeichnungen ausgestellt sind.

Zum Bild Das Originalgemälde – französisch als La Joconde bezeichnet – ist seit dem Ende des 18. Jahrhunderts im zentralen Pariser Louvre ausgestellt und gilt als eines seiner bekanntesten Exponate. Im Zentrum des Bildes sehen wir eine Frau, die vielleicht Mitte Zwanzig sein mag. Sie scheint zu sitzen, denn ihr linker Arm ruht auf einer hölzernen Armlehne, die rechte Hand ist darübergelegt und berührt das linke Handgelenk. Ihr Gesicht wendet sie dem Betrachter zu. Ihr rötlich-braunes feingelocktes Haar trägt die Frau offen. Die hohe Stirn liegt frei und die Haarlinie – nur von einem feinen hauchdünnen Schleier bedeckt – ist ein wesentlicher Teil des optischen Gesamteindrucks. Auch wenn der Kopf dem Betrachter zugewandt ist, blicken ihre braunen Augen ein wenig zur linken Seite, die Mundwinkel der sinnlich geformten Lippen deuten ein leichtes Lächeln an. Das dunkle Gewand weist einen freizügigen Brustausschnitt auf, dessen Saumkante mit einem ornamentalen Muster bestickt ist und in senkrechte Fältchen übergeht. Einen Überwurf hat sie sich über die linke Schulter gelegt. Im mittleren Teil des Hintergrunds sehen wir wild zerklüftete Gebirgszüge, dahinter ein verschwommenes Landschaftsarrangement mit undeutlichen Wasserformationen und Wegen. In der Ferne kann man die verwischten Konturen einer Waldlandschaft erkennen.

Der Pariser Louvre war ursprünglich im 12. Jahrhundert als Festung gebaut worden. Später wohnten französische Könige in den Gebäuden und erst 1793 wurde das Museum eröffnet.

Die Teilnehmer werden selbst zum Bild: sie versuchen, Mimik und Gestik von Mona Lisa darzustellen und sich so in die Situation hineinzuversetzen. Wer möchte, kann eine Person in der Gruppe beschreiben, ohne deren Namen zu nennen. Die anderen Teilnehmer raten, um wen es sich handelt.

Musikvorschläge » Ludwig van Beethoven, Klavierstück a-Moll (Für Elise) » Demis Roussos – Schön wie Mona Lisa (1975)

Museum zum Mitnehmen

Anregungen für die Sinne

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Gesprächsanregungen » Was ist auf dem Bild zu sehen? Beschreiben Sie es.

» Wie wirkt dieses Bild auf Sie? Welche Gefühle löst es ganz spontan bei Ihnen aus? » In welcher Reihenfolge werden Sie durch das Bild geführt – was fällt Ihnen zuerst ins Auge? » Haben Sie den Eindruck, dass die Mona Lisa unserem Blick ständig zu folgen scheint? » Was meinen Sie, warum zieht dieses Bild bis heute Tag für Tag tausende Besucher in seinen Bann? » Welchen Titel würden Sie dem Bild geben?

» Noch heute trifft man auf Volksfesten und Jahrmärkten oder in Ferienorten gelegentlich Scherenschnittkünstler und Schnellzeichner an. Haben Sie schon einmal für ein solches Portrait Modell gesessen? Wie war das, waren Sie mit dem Ergebnis zufrieden oder war es eher kitschig? » Erzählen Sie von Ihrem schönsten Passbild!

Zitate von Leonardo da Vinci „Wissen ist das Kind der Erfahrung.“ „Das wahre Wissen kommt immer aus dem Herzen.“ „Liebe siegt über alles!“ „Das Auge, welches man auch das Fenster der Seele nennt.“ „Wieviel Schönheit empfängt das Herz durch die Augen!“

Zitate zum Motiv „Dem Klugen wird auch ein Gesicht zur Sprache.“ (Publilius Syrus, ca. 90 – 40 v. Chr.)

Leonardo da Vinci  Mona Lisa

„Das Gesicht ist ein Abbild der Seele.“ (Cicero)

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„Das Gesicht verrät die Stimmung des Herzens.“ (Dante Alighieri) „Jeder Mensch trägt einen Zauber im Gesicht; irgendeinem gefällt er.“ (Friedrich Hebbel)

„Ein ewig heiterer Gesichtsausdruck ermüdet uns auf Dauer weit mehr, als ein ständisches Stirnrunzeln.“ (Oscar Wilde) „Was im Herzen brennt, man im Gesicht erkennt.“ (Deutsches Sprichwort) „Nicht jeder Mensch kann ein schönes Gesicht haben, aber ein freundliches!“ (Aus Indien)

Zeitgeschichte um 1500 1500/1505 erscheint erstmals das „Straßburger Rätselbuch“. Dieses erste im deutschsprachigen Raum bekannte gedruckte Rätselbuch wird als Beleg für ein gestiegenes Bedürfnis nach Unterhaltung angeführt. Das erste Nachthemd wird um 1500 in Italien erwähnt. Danach wurde es von der gesamten europäischen Oberschicht übernommen und in Deutschland zunächst auch Herzschützer genannt. 1502: Christoph Kolumbus lernt bei den Mayas die Kakao-Bohne kennen und bringt sie nach Europa. 1505 erscheint das „Wetterbüchlein“, das erste Verzeichnis von Wetterregeln, das sich nicht ausschließlich auf die Wetterkunde aus antiken und mittelalterlichen Quellen stützt, sondern auch auf Beobachtungen. Der Schraubstock wurde nach einer Skizze aus dem Jahre 1505 von dem aus Nürnberg stammenden Martin Löffelholz erfunden.

Texte zum Motiv Ein Lächeln Ein Lächeln kostet nichts, aber es gibt viel. Es macht den reich, der es bekommt, ohne den, der es gibt, ärmer zu machen. Es dauert nur einen Augenblick, aber die Erinnerung bleibt – manchmal für immer. Niemand ist so reich, dass er ohne es auskommen kann und niemand so arm, dass er nicht durch ein Lächeln reicher gemacht werden könnte. Ein Lachen bringt Glück ins Haus, fördert den guten Willen im Geschäft und ist ein Zeichen für Freundschaft.

Man kann es nicht kaufen, nicht erbetteln, leihen oder stehlen, denn es ist so lange wertlos, bis es wirklich gegeben wird. Manche Leute sind zu müde, dir ein Lächeln zu geben. Schenke ihnen deines, denn niemand braucht ein Lächeln nötiger als jener, der keines mehr zu geben hat. Unbekannter Autor des 17. Jahrhunderts

Museum zum Mitnehmen

Es gibt dem Erschöpften Ruh, dem Mutlosen Hoffnung, dem Traurigen Sonnenschein und es ist der Natur bestes Mittel gegen Ärger.

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Dein Antlitz

Dein Antlitz war mit Träumen ganz beladen. Ich schwieg und sah dich an mit stummem Beben. Wie stieg das auf! Dass ich mich einmal schon In frühern Nächten völlig hingegeben Dem Mond und dem zu viel geliebten Tal, Wo auf den leeren Hängen auseinander Die magern Bäume standen und dazwischen Die niedern kleinen Nebelwolken gingen, Und durch die Stille hin die immer frischen Und immer fremden silberweißen Wasser Der Fluss hinrauschen ließ, wie stieg das auf! Wie stieg das auf! Denn allen diesen Dingen Und ihrer Schönheit, die unfruchtbar war, Hingab ich mich in großer Sehnsucht ganz, Wie jetzt für das Anschaun von deinem Haar Und zwischen deinen Lidern diesen Glanz! Hugo von Hofmannsthal, 1874 – 1929

Das Lächeln der Mona Lisa Ich kann den Blick nicht von dir wenden. Denn über deinem Mann vom Dienst hängst du mit sanft verschränkten Händen und grienst. Du bist berühmt wie jener Turm von Pisa, dein Lächeln gilt für Ironie. Ja ... warum lacht die Mona Lisa? Lacht sie über uns, wegen uns, trotz uns, mit uns, gegen uns – oder wie –?

Leonardo da Vinci  Mona Lisa

Du lehrst uns still, was zu geschehn hat. Weil uns dein Bildnis, Lieschen, zeigt: Wer viel von dieser Welt gesehn hat – der lächelt, legt die Hände auf den Bauch und schweigt.

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Kurt Tucholsky, 1907 – 1935 unter dem Pseudonym Theobald Tiger in: Die Weltbühne, 27.11.1928, Nr. 48, S. 819

Museum zum Mitnehmen

Michelangelo: Die Erschaffung des Adam (zwischen 1508 und 1512) Fresko, 480 × 230 cm Sixtinische Kapelle, Rom © bpk / Scala

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Michelangelo 

Die Erschaffung Adams Michelangelo Buonarroti, oft nur Michelangelo genannt, war ein italienischer Maler, Bildhauer, Architekt und Dichter. Er gilt als einer der bedeutendsten Künstler der italienischen Hochrenaissance.

Kurzbiografie: Michelangelo (1475 – 1564)

Michelangelo  Die Erschaffung Adams

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ichelangelo stammte aus einer angesehenen Bürgerfamilie in Florenz. Schon als Junge wollte er gegen den Widerstand seines Vaters Künstler werden. Nach einem heftigen Streit siegte sein Wille über den Stolz seines Vaters, und so wurde er mit 13 Jahren bezahlter Schüler in der Werkstatt von Domenico Ghirlandaio, einem florentinischen Maler. Hier erlernte Michelangelo die Grundlagen der Freskokunst, mit der er zwanzig Jahre später in Rom Erfolg haben sollte. Noch vor Beendigung seiner Ausbildungszeit als Maler trat er für drei Jahre in die Kunstschule von Lorenzo de’ Medici ein, der ihn wie einen Sohn aufnahm und in Kunst und Philosophie förderte. Bei einem Streit schlug ihn ein Mitschüler ins Gesicht und entstellte ihn. Sein ganzes Leben litt er unter dieser von ihm empfundenen „Hässlichkeit“. 1492 starb sein Ziehvater. Den Fall der Familie Medici vorausahnend, floh er nach Bologna. Nach Jahren in Bologna und Florenz erhielt er im Frühjahr 1498 den Auftrag für eine Marmorskulptur im Petersdom („Pietà von St. Peter“), die er 1499 vollendete. 1501 erhielt Michelangelo von der Wollweberzunft der Stadt Florenz den Auftrag für die Marmorstatue des „David“. Dazu verwendet Michelangelo einen riesigen Marmorblock, an dem sich schon 40 Jahre zuvor ein anderer Bildhauer vergeblich versucht hatte. Michelangelo vollendete 1504 die Figur des David, die bis heute als zeitloses Meisterwerk in der Akademie der Künste in Florenz zu bewundern ist. Nach seiner Rückkehr nach Rom 1505 beschloss Michelangelo, sich verstärkt der Bildhauerei zuzuwenden. Von daher war er zunächst wenig begeistert von dem Auftrag, die Sixtinische Kapelle mit Wand- und Deckengemälden auszuschmücken, und so ging er 1508 dieses Projekt mit großem Widerwillen an. Viereinhalb Jahre mühseliger Arbeit brauchte der Künstler, um sein Werk zu vollenden. Besonders anstrengend waren die Tätigkeiten an der weit ausgedehnten Deckenfläche, da er ständig mit dem Gesicht nach oben malen musste. Oft tropfte ihm dabei die Farbe in die Augen. Bis heute sind die Decken- und Wandmalereien in der Sixtinischen Kapelle sein bedeutendstes Werk. In den darauffolgenden Jahren führte Michelangelo diverse künstlerische Aufträge in Florenz und Rom aus und wurde 1534 von Paul III. zum Architekten, Bildhauer und Maler am päpstlichen Hofe ernannt. 1564 verstarb Michelangelo in Rom und wurde in Florenz beigesetzt.

Zum Bild Die Erschaffung des Adam ist ein Ausschnitt aus dem Deckenfresko in der Sixtinischen Kapelle in Rom. Es gehört zu einem Zyklus von neun Einzelfresken, welche das 1. Buch Mose (Genesis) 1 – 9 bildlich umsetzen. Die Deckenmalereien gestaltete Michelangelo im Auftrag von Papst Julius II. auf insgesamt 520 m2 mit 115 überlebensgroßen Charakteren. Dargestellt wird, wie Gottvater mit ausgestrecktem Zeigefinger Adam zum Leben erweckt. Links im Bild sehen wir den sehr muskulös dargestellten nackten Adam, der seinen linken Arm ausstreckt, um mit seinem Zeigefinger Gott zu erreichen. Von rechts streckt Gottvater seinen rechten Zeigefinger aus, um auf Adam den Lebensfunken überspringen zu lassen. Adams Geste wirkt noch lässig und zaghaft, er stützt sich mit dem rechten Arm auf den noch unbewachsenen Boden. Sein Gesichtsausdruck scheint hilflos und verunsichert, so als ob er nicht recht wüsste, was ihm geschieht. Gleichzeitig lässt sein Blick eine Sehnsucht erkennen, vielleicht nach göttlichem Beistand, der ihn aus der hilflosen Position befreien soll. Gottvater ist als älterer Mann mit silbergrauem Haar und wallendem Vollbart dargestellt. Ein leichtes weißes Gewand umhüllt seine auffallend menschlich gezeichnete Gestalt, die von 12 Gestalten, vorwiegend Engeln und Putten, umgeben ist. Bei der Person, die Gottvater mit dem linken Arm umschlungen hält, könnte es sich um Eva handeln, deren Schöpfungsakt Michelangelo hier schon vorbereitet. Die gesamte Gruppe schwebt in einem rötlichen Manteltuch umfangen am Firmament. Mit dynamischer, kraftvoller Bewegung blickt Gottvater in Richtung Adam. Als Betrachter kann man den Eindruck gewinnen, dass sich die winzige Lücke zwischen den Fingern Adams und Gottvaters jeden Moment schließen wird, dass die Distanz zwischen beiden rasch überwunden und Adam als der erste Mensch auf Erden durch die göttliche Berührung zum Leben erweckt wird, so wie es in der Genesis lautet: „Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn.“

Anregungen für die Sinne Die Teilnehmer stellen jeweils zu zweit die Szene der sich fast berührenden Zeigefinger nach. Sie fühlen sich bewusst in die Position hinein, um die inhaltliche Aussage für sich persönlich nachzuvollziehen.

Musikvorschläge »» Haydn – Die Schöpfung (Oratorium) Nr. 23 „Und Gott schuf den Menschen“ »» Johann Sebastian Bach – Air

Museum zum Mitnehmen

Die Sixtinische Kapelle ist der Ort, an dem das Konklave (Versammlung der Kardinäle zur Papstwahl) abgehalten wird, und beherbergt einige der berühmtesten Gemälde der Welt. Ihr Name bezieht sich auf Papst Sixtus IV., unter dem sie zwischen 1475 und 1483 erbaut wurde.

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Gesprächsanregungen »» Was ist auf dem Bild zu sehen? Beschreiben Sie es.

»» Wie wirkt dieses Bild auf Sie? Welche Gefühle löst es ganz spontan bei Ihnen aus? »» In welcher Reihenfolge werden Sie durch das Bild geführt – was fällt Ihnen zuerst ins Auge? »» Welchen Titel würden Sie dem Bild geben?

»» Haben Sie das Fresko oder andere Werke Michelangelos schon einmal im Original gesehen? »» Haben sich Ihre Gottesvorstellungen im Lauf des Lebens verändert?

»» Die sich fast berührenden Zeigefinger Adams und Gottvaters gibt es mittlerweile nicht nur auf Souvenirs und Ansichtskarten, sondern auch als Dekor für Wohnzimmerwände, auf Postkarten und billiger Kitschware und es wird so weltweit vermarktet. Was meinen Sie, warum ist gerade dieser Bildausschnitt so beliebt?

Zitate von Michelangelo „Gott hat uns nicht geschaffen, um uns in der Not zu verlassen.“ „Wer sich mit Liebe wappnet, überwindet Zorn, Elend, Übermacht und Missgeschick.“ „Das Echteste an jedem Menschen sind seine Fehler.“ „Die Sonne ist nur ein Schatten Gottes.“ „Die Kunst gehört keinem Land, sie stammt vom Himmel.“

Michelangelo  Die Erschaffung Adams

Zeitgeschichte um 1510

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Auf der Weltkarte von Martin Waldseemüller erscheint 1507 zum ersten Mal der Name „America“ für den neu entdeckten Kontinent. In England finden wir eine aus dem Jahr 1509 stammende schwarz-weiß-Tapete, die aus ausgemusterten Dokumenten besteht, deren Rückseite bedruckt wurde. Der Nürnberger Feinmechaniker Peter Henlein stellt um 1510 die erste am Körper tragbare Uhr her. Nikolaus Kopernikus veröffentlicht 1510 zum ersten Mal seine Thesen seiner heliozentrischen Astronomie, d. h. dass sich die Erde um die Sonne dreht und nicht umgekehrt.

Texte zum Motiv Das Buch Genesis 1. Mose 1,26 Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich. Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriechtiere auf dem Land. 1. Mose 1,27 Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie.

Gott zeigt Adam das Paradies Führt der gütestille Herr der Welten, Ewig jung in seinem blonden Barte, Vor das Blüheland der jungen Erde Adam hin, den nackten braunen Knaben. Zeigt ihm all die moosblühbunten Steine, All die schönen Vögel, stillen Tiere, All die weiten saftiggrünen Wiesen, Berg und Tal und Busch und Baum und Wasser. Alles liegt in frischer, keuscher Reine Unterm silbergrauen hohen Himmel. Und er spricht mit leisen Deuteworten, Wie der Vater spricht zum kleinen Kinde, Und er legt den Vaterarm um Adam. Ängstlich vor dem Reichtum steht der Knabe, Halbgebeugt vor dieser schönen Erde. Hielt ihn nicht der Gottesarm, der linde, Sank er nieder auf den Schoß der Keime. Ahnung senkte ihm ins Herz der Vater.

Museum zum Mitnehmen

Otto Julius Bierbaum, 1865 – 1910

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In der Sistina In der Sistine dämmerhohem Raum, Das Bibelbuch in seiner nervgen Hand, Sitzt Michelangelo in wachem Traum, Umhellt von einer kleinen Ampel Brand. Laut spricht hinein er in die Mitternacht, Als lauscht‘ ein Gast ihm gegenüber hier, Bald wie mit einer allgewaltgen Macht, Bald wieder wie mit seinesgleichen schier: „Umfaßt, umgrenzt hab ich dich, ewig Sein, Mit meinen großen Linien fünfmal dort! Ich hüllte dich in lichte Mäntel ein Und gab dir Leib, wie dieses Bibelwort. Mit wehnden Haaren stürmst du feurigwild Von Sonnen immer neuen Sonnen zu, Für deinen Menschen bist in meinem Bild Entgegenschwebend und barmherzig du! So schuf ich dich mit meiner nichtgen Kraft: Damit ich nicht der größre Künstler sei, Schaff mich – ich bin ein Knecht der Leidenschaft – Nach deinem Bilde schaff mich rein und frei! Den ersten Menschen formtest du aus Ton, Ich werde schon von härterm Stoffe sein, Da, Meister, brauchst du deinen Hammer schon. Bildhauer Gott, schlag zu! Ich bin der Stein.“

Michelangelo  Die Erschaffung Adams

Conrad Ferdinand Meyer, 1825 – 1898

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Museum zum Mitnehmen

Pieter Bruegel der Ältere: Die niederländischen Sprichwörter (1559) Öl auf Eichenholz, 117 × 163 cm Gemäldegalerie Berlin, © bpk / Gemäldegalerie, SMB / Volker-H. Schneider Rahmen: AdobeStock_vvoe

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Pieter Bruegel der Ältere 

Die niederländischen Sprichwörter Der Maler der Niederländischen Renaissance ist vor allem bekannt für seine Darstellungen des bäuerlichen Lebens im Herzogtum Brabant (Niederlande und Flandern) des 16. Jahrhunderts – aufgrund dessen wird er oft der „Bauernbruegel” genannt. Daneben finden wir aber ebenfalls den Beinamen „Pieter der Drollige“. Für seinen Namen existieren die unterschiedlichsten Schreibweisen, z. B. Brueghel, Breugel, Brügel, Brügl, Brögel und sogar Briegel – hier wird die tatsächliche oder mögliche Aussprache in deutscher Schreibweise festgehalten. Bis 1558 signierte er mit „Brueghel“, danach änderte er seine Signatur in „Bruegel“.

Kurzbiografie: Pieter Bruegel (um 1525/1530 – 1569)

Pieter Bruegel der Ältere  Die niederländischen Sprichwörter

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ber Pieter Bruegels Leben ist nur wenig bekannt. Zwischen 1525 und 1530 wurde er vermutlich in Breda geboren. Ein Chronist schreibt, dass Bruegel Schüler des Antwerpener Künstlers Pieter Coecke van Aelst war. In den Antwerpener Gildenlisten findet sich jedoch kein Eintrag darüber. Zwischen September 1550 und Oktober 1551 arbeitete Bruegel an einem (heute verschollenen) Triptychon am Altar der Handschuhmacherzunft von Mecheln, einer Stadt zwischen Antwerpen und Brüssel. Mit Sicherheit weiß man, dass er 1551 Freimeister wurde und in die Antwerpener Malergilde eingetreten ist. Die Mitglieder der Gilde waren im Durchschnitt zwischen 21 und 25 Jahre alt – von daher lässt sich sein vermutliches Geburtsdatum auf die Zeitspanne zwischen 1525 und 1530 festlegen. Zwischen 1552 und 1555 unternahm er eine große Reise über die Alpen nach Frankreich und bis in den Süden Italiens. Seine Eindrücke während der Reise verarbeitete er in Landschaftszeichnungen. Danach kehrte er nach Antwerpen zurück, wo er sich bis 1556 vorwiegend mit Grafiken beschäftigte. 1563 übersiedelte er nach Brüssel und heiratete dort die 19-jährige Maria Cock (oder Coecke), die er Maryken oder Mayken nannte. Der erste Sohn Pieter der Jüngere wurde 1564 oder 1565 geboren, der zweite Sohn Jan 1568. Pieter Bruegel der Ältere starb im September 1569 möglicherweise an einem Magengeschwür. Er wurde, wie auch seine Frau Maria neun Jahre später, in der Kapellenkirche in Brüssel beigesetzt. Mit Pieter Bruegel d. Ä. erreichte die flämische Landschaftsmalerei ihren Höhepunkt. Etwa vierzig Gemälde sind erhalten, die ihm unstrittig zugeordnet werden können, u. a. die Niederländischen Sprichwörter (1559), die Kinderspiele (1560), die Jahreszeitenbilder (1565), das Schlaraffenland (1567), die Bauernhochzeit (1568).

Zum Bild Der Betrachter schaut von oben auf das bewegte Alltagsleben in einem Dorf an der Meeresküste hinab. Eine diagonale Achse von links unten nach rechts oben unterteilt die Szene. Auf der linken Seite ist ein sehr großes – für damalige Verhältnisse sehr stattliches – Haus zu sehen, rechts daneben schließen sich die Mauern einer Burg an. Die Symmetrie der Gebäude steht im völligen Gegensatz zu den Schuppen und Baracken in der rechten diagonalen Bildhälfte. Die Bauwerke links sind aus soliden Materialien wie Stein errichtet, während als Baumaterialien für die ärmlichen Behausungen wahrscheinlich Lehmwände, grob bearbeitete Stämme und Holzbretter genutzt wurden. Es scheint so, dass die sozialen Schichten räumlich in verschiedenen Dorfbereichen getrennt angesiedelt sind, nur durch einen ausgetretenen Fußweg genau zwischen den beiden diagonalen Bildhälften getrennt. Doch dieser Weg ist es, der die Bevölkerungsgruppen auch wieder vereint. Hier spielt sich das Alltagsleben ab. Mehr als 50 Personen bei den unterschiedlichsten Tätigkeiten sind dargestellt. Und die kräftigsten Farben fallen genau in der Bildmitte auf: die rote Fahne mit Halbmond, das blaue Dach auf dem Säulen-Entree sowie die Dame in Rot und der Herr in Blau gewandet bilden die zentralen Punkte des Gemäldes. Die hier dargestellten auch im deutschen Sprachraum bekannten Sinnsprüche und Redewendungen sind u. a.: »» Mit dem Kopf durch die Wand

»» Verkehrte Welt

»» Er hängt der Katze die Schelle an

»» Seine Pfeile verschossen haben

»» Rosen (Perlen) vor die Säue werfen

»» Zwei Hunde an einem Bein (Knochen) kommen selten überein »» Er sitzt zwischen zwei Stühlen

»» Sich um ungelegte Eier kümmern »» Auf glühenden Kohlen sitzen

»» Gegen den Strom schwimmen

»» Sein Geld zum Fenster hinauswerfen »» Sein Mäntelchen nach dem Wind hängen »» Zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen

Anregungen für die Sinne Beispiele für Material: Kleine Gegenstände wie Würfel, Perlen, Schelle, Kreide, Krug, Pfeil, Päckchen, Ei, Karten … werden auf den Tisch gelegt. Die TN finden die entsprechenden Sprichwörter dargestellt im Bild.

Museum zum Mitnehmen

Die Berliner Gemäldegalerie am Kulturforum Berlin beherbergt die Bestände alter europäischer Malerei vom 13. bis zum 18. Jahrhundert, die sich im Besitz der Staatlichen Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz befinden.

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Musikvorschläge »» Orlando di Lasso: Chansons, Madrigale, Lieder, z. B. Chanter je veux »» Tanzmusik der Renaissance

Gesprächsanregungen Info: Sammlungen von Sprichwörtern waren zu Pieter Bruegels Zeit allgemein üblich. Bereits im Jahr 1500 gab es eine Sammlung von Sprüchen und Wendungen lateinischer Autoren. Bruegels Werk ist jedoch die erste umfangreiche bildliche Zusammenstellung. Von den 157 Redewendungen und Sprichwörtern, sind heute noch 40 im deutschen Sprachraum geläufig. »» Was ist auf dem Bild zu sehen? Beschreiben Sie es. »» Wie wirkt dieses Bild auf Sie? Welche Gefühle löst es ganz spontan bei Ihnen aus? »» Welchen Titel würden Sie dem Bild geben?

»» Das Bild wurde in den Niederlanden gemalt – welche Sprüche kennen Sie?

»» Gibt es ein Sprichwort, dass Sie durch Ihre Leben hindurch begleitet hat?

»» Welches Sprichwort, welche Redensart ist für Sie heute noch von Bedeutung? »» Viele Sprichwörter, Redewendungen und Redensarten verdanken wir der Bibel oder speziellen Fachsprachen, z. B. die der Seeleute, Jäger und Handwerker. Kennen Sie vielleicht auch moderne Sprüche und Lebensweisheiten?

Pieter Bruegel der Ältere  Die niederländischen Sprichwörter

Zitate zum Thema

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„Sprichwörter sind Vorratskammern der Weisheit.“ Aus Persien „Sprichwörter sind die Töchter der täglichen Erfahrung.“ Aus Holland „Sprichwörter sind Schmetterlinge, einige werden gefangen, andere fliegen fort.“ Altes Sprichwort

„Sprichwörter sind wie Medizin. Einige wirken sofort, andere muss man erst verdaut haben, um die Wirkung zu erfahren.“ Unbekannt „Was Blumen für den Garten, Gewürze für die Speise, die Sterne für den Himmel, das sind die Sprichwörter, die in die Rede eingeflochten werden.“ Hebräisches Sprichwort

„Der gemeine Mann ist sich selbst ein guter Prediger. Das beweisen die Sprichwörter, die wohl nicht auf Schul- und Kirchenkanzeln, sondern auf Feldern und in Wäldern gewachsen sind.“ (Ludwig Aurbacher, 1784 – 1847) „Je älter man wird, desto mehr erstaunt man, wie viele seiner Erfahrungen man vorher als Sprichwörter auswendig gelernt hat.“ (Peter Sirius, 1858 – 1913)

Zeitgeschichte um 1559 1558: Die Börse in Hamburg wird gegründet. 1559: Papst Paul IV. veröffentlicht eine Liste verbotener Bücher. In Württemberg wird in der großen Kirchenordnung eine Schulpflicht festgelegt, die allerdings nur für den männlichen Teil der Bevölkerung gilt. Die Große Kirchenordnung von 1559 legt die Besoldung der evangelischen Pfarrer fest. Adam Ries (1492 – 1559), der „Rechenmeister des deutschen Volkes“, stirbt in Annaberg. Der in Süddeutschland weitverbreitete Batzen (Lied: „Ein Heller und ein Batzen“) wird mit der Reichsmünzordnung im Jahr 1559 verboten.

Literarisches zum Motiv Das Sprichwort Manch hochgepriesnes Sprichwort hat sich schlecht bewährt, das Gegenteil von Jenem folgte, was es lehrt; drum hass‘ ich deren Viele, eins doch find‘ ich gut: Die Rechte soll nicht wissen, was die Linke tut.

Es bot, für falsches Zeugnis, mir ein reicher Mann sehr vieles Geld – ich nahm es mit der Linken an, hingegen mit der Rechten haut‘ ich ihn aufs Blut: Die Rechte soll nicht wissen, was die Linke tut. Ignaz Friedrich Castelli, 1781 – 1862

Museum zum Mitnehmen

Ich hatt‘ in einer Gasse einst der Liebchen zwei und dennoch glaubte Jede: ihr nur sei ich treu; Beachtung meines Sprichworts hielt mir Beide gut: Die Rechte soll nicht wissen, was die Linke tut.

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Zwei Sprichwörter Ich kenne zwei Sprichwörter, und die sind beide wahr, wenn sie schon einander widersprechen. Von zwei unbemittelten Brüdern hatte der eine keine Lust und keinen Mut, etwas zu erwerben, weil ihm das Geld nicht zu den Fenstern hereinregnete. Er sagte immer: „Wo nichts ist, kommt nichts hin.“ Und so war es auch. Er blieb sein Leben lang der arme Bruder Wonichtsist, weil es ihm nie der Mühe wert war, mit einer kleinen Ersparnis den Anfang zu machen und nach und nach zu einem größeren Vermögen zu kommen. So dachte der jüngere Bruder nicht. Der pflegte zu sagen: „Was nicht ist, das kann werden.“ Er hielt das wenige, was ihm von der Hinterlassenschaft der Eltern zuteil geworden war, zusammen und vermehrte es nach und nach durch eigene Ersparnisse, indem er fleißig arbeitete und zurückgezogen lebte. Anfänglich ging es hart und langsam. Aber sein Sprichwort: „Was nicht ist, das kann werden“ gab ihm immer Mut und Hoffnung. Mit der Zeit ging es besser. Er wurde durch unverdrossenen Fleiß und Gottes Segen noch ein reicher Mann und ernährt jetzt die Kinder des armen Bruders Wonichtsist, der selber nichts zu beißen und zu nagen hat. Johann Peter Hebel, 1760 – 1826 aus: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes (1811)

Redensart Auf Freiers Füßen geht Herr Pelt. Der Ausdruck ist hier gut gewählt; Denn wär‘ ein Kopf dabei gewesen, So hätt‘ er Annen nicht erlesen. Ignaz Friedrich Castelli, 1781 – 1862

Pieter Bruegel der Ältere  Die niederländischen Sprichwörter

Sprichwörter

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Man darf dem Tag nicht vor dem Abend dankbar sein und soll das Schicksal nicht für alles loben. Ein Gutes kommt niemals allein, und alles Unglück kommt von oben. Die Peitsche liegt im Weine. Die Wahrheit liegt beim Hund. Morgenstund hat kurze Beine. Lügen haben Gold im Mund. Ein Meister nie alleine bellt. Vom Himmel fallen keine Hunde. Dem Glücklichen gehört die Welt. Dem Mutigen schlägt keine Stunde. Fred Endrikat, 1890 – 1942

Museum zum Mitnehmen

Giuseppe Arcimboldo: Der Gemüsegärtner (um 1590) Öl auf Holz, 36 x 24 cm Museo Civico in Cremona, © bpk / Scala Rahmen: AdobeStock_vvoe

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Giuseppe Arcimboldo 

Der Gemüsegärtner Der italienische Maler Giuseppe Arcimboldo war berühmt für seine Tafelbilder, auf denen er Blumen, Früchte oder Gemüse darstellte.

Kurzbiografie: Giuseppe Arcimboldo (um 1526 – 1593)

Giuseppe Arcimboldo  Der Gemüsegärtner

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iuseppe Arcimboldo wurde vermutlich im Jahre 1526 geboren. Er stammte aus einer Mailänder Familie mit hohen Geistlichen und Juristen, aber auch Künstlern, so wie sein Vater Biagio. Im Jahr 1549 wurde er erstmals urkundlich erwähnt. Damals arbeitete er gemeinsam mit seinem Vater an der Ausgestaltung des Mailänder Doms, diese Arbeiten dauerten bis 1559 an. Er galt als begabter Porträtist, und so kam Arcimboldo 1562 an den Hof des Kaisers Ferdinand I. nach Wien. Er blieb dort als Hausporträtmaler auch unter den Nachfolgern Maximilian II. und Rudolf II. Als Hofmaler schuf er die ersten Bildfolgen der „Vier Jahreszeiten“ und der „Vier Elemente“ in der für ihn typischen Malweise. Nicht nur Arcimboldos Ideen als Maler, sondern auch seine Ausrichtung von Umzügen und prunkvollen Festlichkeiten wurde allgemein bewundert. 1570 wurde das Multitalent nach Prag geschickt, um für Maximilian einen großen Festumzug zu gestalten. Solche glänzenden, kostspieligen Feste waren dazu geeignet, die Macht des Kaisers darzustellen, seinen Ruhm zu vergrößern und die Menschen im Volk wenigstens für kurze Zeit von seinen Alltagssorgen abzulenken. Seit 1575 war er Hofmaler des Kaisers Rudolf II., Maximilians Sohn und Nachfolger. Der eher unbedeutender Kaiser war jedoch ein Liebhaber der Künste und der Wissenschaft und hielt sich einen bunten Hofstaat von Künstlern, Astronomen, Astrologen und Alchimisten. Auch Arcimboldo blieb an seinem Hof, bis ihm 1587 erlaubt wurde, in seine Heimatstadt Mailand zurückzukehren. Ein Jahr vor seinem Tod wurde er mit dem Titel eines Pfalzgrafen ausgezeichnet. Arcimboldo verdankt seinen Ruhm seinen Porträts aus Blumen, Früchten, Tieren, aber auch anorganischen Dingen, die er kunstvoll arrangierte.

Zum Bild Das Gemälde gehört zu Arcimboldos Umkehrbildern, auf denen zunächst Stillleben aus Gemüse oder Blumen zu sehen sind; werden sie auf den Kopf gestellt, verändern sie sich zu Porträts. Dieses Bild zeigt ein traditionelles Stillleben: eine Metallschüssel voller Gemüsepflanzen. Dreht man das Bild um, werden die Formen lebendig und übermitteln ein grinsendes Gesicht. Die Schüssel selbst bildet den Hut des Mannes.

Karotten

Pilze

Rübe

Zwiebel

Nüsse

Rettich

Nüsse

Die Kunstsammlung des Stadtmuseums „Ala Ponzone“ befindet sich in Cremona im Palazzo Affaitati aus dem 16. Jahrhundert. Sie hat ihren Ursprung in den Sammlungen der Familie Ponzone im 16. Jahrhundert, die 1842 schlieβlich von Markgraf Giuseppe Sigismondo Ala Ponzone testamentarisch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Werke aus einigen aufgelassenen Kirchen von Cremona erweiterten das zugängliche Material. Heute umfasst die Sammlung mehr als 2000 Gemälde und Skulpturen.

Beispiele für Material: Rüben, Karotten, Zwiebeln … werden auf den Tisch gelegt. Die TN finden die entsprechenden Darstellungen im Bild. Anschließend kann das Bild abgedeckt werden: Welche Farbe haben die Rüben? Welche Wurzelgemüsesorten sind zu sehen? Welche Gemüseart dominiert im Bild? Wie viele Karotten zeigt das Gemälde?

Musikvorschläge »» Das Wiener Gemüseorchester – dessen Instrumente bestehen nur aus Gemüse, gegebenenfalls werden noch Küchengeräte (z. B. Messer oder Mixer) verwendet »» Orlando di Lasso: Chansons, Madrigale, Lieder; z. B. Chanter je veux »» Tanzmusik der Renaissance

Museum zum Mitnehmen

Anregungen für die Sinne

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Gesprächsanregungen Info: Wurzelgemüse aller Art war noch bis ins 18. Jahrhundert ein beliebtes und wichtiges Grundnahrungsmittel. Karotten werden schon seit der Antike angebaut – im 16. Jahrhundert waren Möhren jedoch nicht orange, sondern violett. Erst 200 Jahre später wurden sie durch Kreuzungen mit der gelben Futtermöhre zur Variante, wie wir sie heute kennen. »» Was ist auf dem Bild zu sehen? Beschreiben Sie die Einzelheiten. »» Wie wirkt dieses Bild auf Sie?

»» Welchen Titel würden Sie dem Bild geben?

»» Warum heißt das Bild wohl „Der Gemüsegärtner“?

»» In welcher Jahreszeit werden die abgebildeten Naturalien geerntet?

»» Welche weiteren Gemüse und Früchte sind typisch für Herbst und Winter? »» Welche Arten von Wurzelgemüse kennen Sie?

»» Welche „alten“ Gemüsesorten sind auf dem Markt selten zu finden? (Gelbe Bete, Mairübe, Pastinake, Mangold, Steckrüben …) »» Die Steckrübe war während des 2. Weltkrieges die Hauptnahrung. Was meinen Sie, warum wollte danach erst einmal keiner mehr etwas von ihr wissen? »» Mit welchem Rezept würden Sie die Steckrübe heute anderen Personen schmackhaft machen?

Zeitgeschichte um 1590 1589 wird das Staatliche Hofbräuhaus in München als herzogliche Brauerei gegründet.

Giuseppe Arcimboldo  Der Gemüsegärtner

1590 Das Mikroskop wird entwickelt. Die einzelnen Künste Text – Musik – Malerei – Architektur – Kostüm – Tanz – Licht entwickeln sich zur neuen Kunstform: der Oper.

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1591 wird die Rialtobrücke in Venedig für den Verkehr eröffnet. Das erste große Fass des Heidelberger Schlosses, das Johann-Casimir-Fass, wird 1591fertiggestellt. Es hat ein Fassungsvermögen von ca. 127 000 Litern.

Zitate zum Thema Obst und Gemüse „Zu hegen und zu pflegen sei bereit, das Wachsen überlass’ der Zeit.“ (Deutsches Sprichwort)

„Wer gut für sein Schwein sorgt, der wird es in seinem Gemüse wiederfinden.“ (Deutsches Sprichwort)

„Die Rübe soll gerüttelt sein, wenn sie soll gedeihen fein.“ (Bauernweisheit)

„Um die besten Ergebnisse zu erzielen, müssen Sie mit Ihrem Gemüse sprechen.“ (Prinz Charles) „Der beste Dünger ist der Schatten des Gärtners.“ (Autor unbekannt) „Ein Blumenkohl ist ein Kraut mit einer Hochschulausbildung.“ (Mark Twain) „Alles ist gut, wie es aus den Händen der Natur kommt!“ (Johann Wolfgang v. Goethe)

„Die gut gemalte Rübe ist besser als die schlecht gemalte Madonna.“ (Max Liebermann)

Literarisches zum Motiv Bohnen Wie eigenwillig sind die Bohnen! Sie wollen sich nun mal partout nach rechts, nach der Schattenseite hin, um die Stange wickeln. Vergebens würde man sich bemühn, sie auf andere Gedanken zu bringen. Ist`s mit uns Leutchen nicht ebenso? Trotz dem Milieu, den einwirkenden Umständen bleibt der Grundzug hartnäckig derselbe. Wilhelm Busch, 1832 – 1908

Der verarmte Feinschmecker

Es glänzt verlockend in der Sonne Böhmens Fasan mit hellem Schein ... Für mich blinkt in des Krämers Tonne ein Hering mager nur und klein. Heinrich Seidel, 1842 – 1906

Museum zum Mitnehmen

Die Trüffel reift in Frankreichs Gauen, verborgen in der Erde Schoss. Allein für mich, auf märkischen Auen, wächst die Kartoffel bloß.

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Weiße Rübensuppe Rindfleisch schlage, stampfe, klopfe, Brüh es ab im irdnen Topfe, Spargelschnitzel, Portulacke Nimm aus sauberm Sommersacke, Morcheln, eine ganze Sippe, Ziehe von der Fensterstrippe, Petersilie, Kohl vom Wirsich, Sellerie (den ‚Bowlenpfirsich‘), Gelbe Möhren, große, runde, Lass sie kochen eine Stunde, Lass sie kochen, bis die Trübe Klar sich schäumt, dann Rübe, Rübe, Weiße Rübe schnell hinein, Und so wird‘s gelungen sein. (Macbeth, Koch) Theodor Fontane, 1819 – 1998 (Verfasst anlässlich einer Einladung von Karl und Emilie Zöllner, Bernhard von Lempel und Hermann Wichmann am 19. Januar 1867. Anmerkung: Portulacke ist eine Gewürzpflanze.).

Giuseppe GiuseppeArcimboldo  Arcimboldo Der DerGemüsegärtner Gemüsegärtner

Die Geschichte vom Rübenziehen

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Väterchen hat Rüben gesät. Er will eine Rübe herausziehen; er packt sie beim Schopf, er zieht und zieht und kann sie nicht herausziehen. Väterchen ruft Mütterchen. Mütterchen zieht Väterchen, Väterchen zieht die Rübe, sie ziehen und ziehen und können sie nicht herausziehen. Kommt das Enkelchen. Enkelchen zieht Mütterchen, Mütterchen zieht Väterchen, Väterchen zieht die Rübe, sie ziehen und ziehen und können sie nicht herausziehen. Kommt das Hündchen. Hündchen zieht Enkelchen, Enkelchen zieht Mütterchen, Mütterchen zieht Väterchen, Väterchen zieht die Rübe, sie ziehen und ziehen und können sie nicht herausziehen. Kommt das Hühnchen. Hühnchen zieht Hündchen, Hündchen zieht Enkelchen, Enkelchen zieht Mütterchen, Mütterchen zieht Väterchen, Väterchen zieht die Rübe, sie ziehen und ziehen und können sie nicht herausziehen. Kommt das Hähnchen. Hähnchen zieht Hühnchen, Hühnchen zieht Hündchen, Hündchen zieht Enkelchen, Enkelchen zieht Mütterchen, Mütterchen zieht Väterchen, Väterchen zieht die Rübe, sie ziehen und ziehen – schwupps, ist die Rübe heraus und das Märchen ist aus! Russisches Volksmärchen

Rahmen: AdobeStock_vvoe

Museum zum Mitnehmen

Gabriël Metsu – Apfelschälerin (La Paleuse de Pomme) (ca. 1655/1657) Öl auf Leinwand, 28 × 26 cm Louvre, Paris © bpk / RMN – Grand Palais / Franck Raux

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Gabriël Metsu 

Apfelschälerin Metsu gilt als einer der volkstümlichsten Genremaler der holländischen Schule.

Kurzbiografie: Gabriël Metsu (um 1629 – 1667)

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Gabriël Metsu  Apfelschälerin

abriël Metsu wurde 1629 oder 1630 in Leiden geboren. Sein Vater war der flandrische Maler Jacob Metsu. Über seine Lebensumstände ist nur wenig bekannt; einige Eckdaten sind historischen Dokumenten zu entnehmen. So steht fest, dass er 1648 mit 18 Jahren in die Malergilde in Leyden aufgenommen wurde - wer ihn ausgebildet hat, lässt sich nicht ermitteln. Auch wenn er in seinem Malstil möglicherweise von Jan Steen, aber auch von Rembrandt beeinflusst worden war, ging er seinen eigenen künstlerischen Weg. Um 1655 zog er nach Utrecht und lernte bei den Malern Jan Baptist Weenix und Nicolaus Knüpfer, 1657 ließ er sich in Amsterdam als freischaffender Künstler nieder. Hier lebte er in einer Gasse unweit des Gemüsemarktes. Eine Überlieferung besagt, dass er wegen einer Nachbarin, die das Lärmen seiner Hühner nicht mochte, umziehen musste. Im Jahre 1658 heiratete er Isabella Wolff, im Jahr danach erhielt er das Bürgerrecht der Stadt Amsterdam. Als Maler bekam er mehrere Aufträge vom Tuchhändler und Kunstsammler Jan J. Hinlopen. Im Oktober 1667 verstarb er in Amsterdam. Metsu widmete sich zumeist der Genremalerei und schuf Alltagsszenen aus dem täglichen Leben der Dienstmägde und Straßenhändler, Trinker und Raucher, mit seinen Bildern führt er den Betrachter in die Küchen- und Kellerräume. Später holte er sich seine Motive zunehmend aus den freundlichen Stuben holländischer Patrizierhäuser und widmete sich den Freizeitbeschäftigungen in gehobenen bürgerlichen Kreisen. Daneben war er auch als Portraitmaler tätig. Bereits zu seinen Lebzeiten bezahlten Sammler aus dem In- und Ausland viel Geld für Metsus Bilder, auch später erzielten seine Werke bei Auktionen hohe Preise.

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Zum Bild Das Gemälde zeigt eine fast idyllisch anmutende Küchenszene. Im Mittelpunkt sehen wir eine Frau, vielleicht die Hausfrau, Köchin oder Küchenmagd, sitzend auf einem Stuhl mit einer Rückenlehne aus gedrechseltem Holz. Sie ist in ein rotes Obergewand gekleidet, darunter sieht man eine langärmlige weiße Bluse, deren breiter weißer Kragen mit den spitz zulaufenden Enden als schmückendes Element dient.

Entweder trägt sie einen schwarzen Rock oder eine Schürze oder ein breites Tuch in dunkler Farbe schützt ihre Kleidung bis zur Höhe ihrer Taille – die sitzende Position lässt dies nicht genau ausmachen. Die Haare hat sie nach hinten frisiert, vielleicht am Hinterkopf zu einem Knoten geformt. Darüber trägt sie eine weiße Haube, wie sie in der holländischen Mode zur damaligen Zeit beliebt war. Das rechte, dem Betrachter zugewandte Ohrläppchen ziert ein mit Perlen besetztes Ohrgehänge. In der rechten Hand hält sie ein langes Küchenmesser, mit dem sie gerade den Apfel in ihrer Linken schält. Die Schale hängt vom bereits zur Hälfte geschälten Apfel spiralförmig herunter. Sie schaut freundlich zum Betrachter hin, vielleicht möchte sie zum Probieren einladen. Die mehr als ein Dutzend Äpfel im Korb zu ihrer Linken sind in Größe, Form und Farbe sehr unterschiedlich und scheinen frisch von einer Streuobstwiese geerntet – diese Art der Kulturlandschaft lässt sich bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgen. Auf dem Tisch zu ihrer Rechten liegt ein frisch erlegter Hase, der darauf wartet, ausgenommen zu werden. Dahinter steht ein Gefäß, möglicherweise werden die geschälten Äpfel dort hineingegeben. Das Tischtuch ist ebenfalls in Rottönen gehalten, mit einem feinen Streifenmuster. Die Wand im Hintergrund ist grob gekalkt und wird etwa im linken hinteren Drittel von einem angedeuteten Kamin eingenommen.

Der Louvre ist ein Kunstmuseum in Paris. Es ist das meistbesuchte und, gemessen an der Ausstellungsfläche, das drittgrößte Museum der Welt.

Anregungen für die Sinne Beispiele für Material: Verschiedene Apfelsorten liegen auf dem Tisch und werden benannt, später gekostet; Bilder von unterschiedlichen Apfelsorten können zugeordnet werden.

Musikvorschläge »» Flämische Barockmusik, z. B. Johann Christian Schickhardt: Konzert für Flöte, 2 Oboen, Streicher in g-Moll

Gesprächsanregungen Info: Das Leben im 17. Jahrhundert war sehr ländlich geprägt. Meistens versorgten sich die Familien selbst. Das Frauenbild im niederländischen Barock war geprägt von der Rolle als fleißige Hausfrau, doch zeigen Schilderungen in Reiseberichten auch auf, dass das selbstständige Auftreten der niederländischen Frauen als etwas Besonderes galt. Die Niederländer waren eine Handels- und Seefahrer-

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»» Lieder zum Thema „Apfel“, z. B. In meinem kleinen Apfel

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nation, und so führten Frauen daheim ihr gesellschaftliches und kulturelles Leben, während ihre Männer mitunter für lange Zeit auf Seereisen waren. »» Was ist auf dem Bild zu sehen? Beschreiben Sie es.

»» Wie wirkt dieses Bild auf Sie? Welche Gefühle löst es ganz spontan bei Ihnen aus? »» Welchen Titel würden Sie dem Bild geben?

»» Das Bild wurde in den Niederlanden gemalt – erinnern Sie sich an eine ähnliche Szene in Ihrem Leben? »» Was könnte es wohl als Mittagessen geben?

»» Die Äpfel im Korb haben unterschiedliche Größen und Formen – um welche Sorten könnte es sich handeln? »» Welche weiteren Apfelsorten kennen Sie?

»» In welcher Form essen Sie Äpfel am liebsten?

»» Welche Gerichte können aus Äpfeln zubereitet werden?

»» Wie lange halten sich Äpfel, wie sollten sie gelagert werden? »» Wo gibt es in Ihrer Gegend noch Streuobstwiesen?

Redensarten zum Thema „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.“ „Der glänzendste Apfel beinhaltet den größten Wurm.“ „Ein Apfel am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen.“ „Ein Apfel pro Tag, mit dem Doktor kein Plag.“ „Manchmal muss man in den sauren Apfel beißen.“ „Verbotene Äpfel sind süß.“ „Wenn der Apfel reif ist, fällt er ab.“

Gabriël Metsu  Apfelschälerin

„Wer in einen sauren Apfel gebissen hat, dem schmeckt der süße umso besser.“

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Zeitgeschichte 1655 – 1658 1655: Der gehbehinderte Nürnberger Uhrmacher Stephan Farfler erfindet den ersten „automobilen“ Rollstuhl, der mit einer Handkurbel angetrieben wird. 1656 werden künstliche Perlen (Wachsperlen) erfunden, die echte Perlen täuschend echt nachahmen.

1657: Das erste Opernhaus Münchens wird eröffnet. 1658: Rudolf Glauber entdeckt das Natriumsulfat, das u. a. heute noch für Lebensmittel allgemein zugelassen ist und im Rahmen von Fastenkuren unter der Bezeichnung „Glaubersalz“ zur Darmentleerung eingesetzt wird.

Texte zum Motiv Zu der Apfelverkäuferin Zu der Apfelverkäuferin kamen Kinder gelaufen, alle wollten kaufen; mit munterm Sinn griffen sie aus dem Haufen, beschauten mit Verlangen nah und näher rotbäckige Wangen. Sie hörten den Preis und warfen sie wieder hin als wären sie glühend heiß. Was der für Käufer haben sollte der Ware gratis geben wollte! Johann Wolfgang von Goethe, 1749 – 1832

In meinem kleinen Apfel In meinem kleinen Apfel, da sieht es lustig aus: es sind darin fünf Stübchen, grad‘ wie in einem Haus.

Sie träumen auch noch weiter gar einen schönen Traum, wie sie einst werden hängen am schönen Weihnachtsbaum. Text: Volksgut Melodie: Wolfgang Amadeus Mozart, 1756 – 1791 aus „Die Zauberflöte“ („Das klinget so herrlich“)

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In jedem Stübchen wohnen zwei Kernchen schwarz und fein, die liegen drin und träumen vom lieben Sonnenschein.

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Einkehr Bei einem Wirte wundermild, da war ich jüngst zu Gaste. Ein goldner Apfel war sein Schild an einem langen Aste. Es war der gute Apfelbaum bei dem ich eingekehret. Mit süßer Kost und frischem Schaum hat er mich wohl genähret. Es kamen in sein grünes Haus viel leichtbeschwingte Gäste, sie sprangen frei und hielten Schmaus und sangen auf das Beste. Ich fand ein Bett in süßer Ruh auf weichen, grünen Matten, der Wirt, er deckte selbst mich zu mit seinem kühlen Schatten. Nun fragt ich nach der Schuldigkeit, da schüttelt er den Wipfel. Gesegnet sei er allezeit von der Wurzel bis zum Gipfel. Ludwig Uhland, 1787 – 1847

Röschen biss den Apfel an

Gabriël Metsu  Apfelschälerin

Röschen biss den Apfel an, und zu ihrem Schrecken brach und blieb ein Perlenzahn in dem Butzen stecken.

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Und das gute Kind vergaß seine Morgenlieder; Tränen ohne Unterlass perlten nun hernieder. Gottfried Keller, 1819 – 1890

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Samuel van Hoogstraten: Tromp-l‘oeil (1664) Öl auf Leinwand, 46 x 58 cm Dordrechts Museum, erworben 1992, © akg-images Rahmen: AdobeStock_vvoe

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Samuel van Hoogstraten 

Tromp-l‘oeil

Der niederländische Maler gehört mit seinem „Augenbetrüger“-Stillleben zu den Pionieren dieser besonderen Gattung der Illusionsmalerei.

Kurzbiografie: Samuel van Hoogstraten (1627 – 1678)

Samuel van Hoogstraten  Tromp-l‘oeil

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amuel van Hoogstraten wurde am 2. August 1627 in Dordrecht (Provinz Südholland) geboren. SeinVater war Goldschmied – dieser gab seinen Beruf jedoch zugunsten der Malerei von Landschaften, Tierstücken, Stillleben und effektvollen perspektivischen Ansichten auf. Über seine Jugend ist nur bekannt, dass der Vater, Dirck van Hoogstraten, Samuel und seinen jüngeren Bruder Jan im Malen unterrichtete. 1641 trat Samuel als 14-jähriger in die Werkstatt Rembrandts ein, der in Amsterdam als selbstständiger Meister Lehrlinge und Schüler ausbildete. Im Jahr 1648 kehrte er nach Dordrecht zurück. Auf einer Reise nach Wien gemeinsam mit seinem Bruder beschäftigte ihn Kaiser Ferdinand III. Dieser schätzte den Künstler so sehr, dass er ihm eine goldene Kette mit Ehrenmedaille verlieh. Diese bildete er in zahlreichen seiner Werke ab. Samuel besuchte dann 1652 Rom, 1653 Wien und kehrte im folgenden Jahr nach Dordrecht zurück, wo er in guten Verhältnissen lebte und neben der Kunst auch Schriftstellerei betrieb. Zwischendurch verbrachte er einige Jahre in London (1662 – 1666) und in Den Haag (1668 – 1671). Kurz vor seinem Tod erschien seine wichtigste Schrift „Einführung in die Hohe Schule der Malkunst“ über die Holländische Malerei des 17. Jahrhunderts, die er eigenhändig mit Radierungen verzierte. In seinem Geburtsort Dordrecht starb er im Jahr 1678 im Alter von 51 Jahren. Samuel van Hoogstratens Werke umfassen sowohl Porträtmalereien als auch Genre-, Tier-, Landschafts- und Historienbilder sowie Stillleben. Auch glänzt er in der meisterhaften Ausführung von perspektivischen Darstellungen und Trompe-l’œil-Motiven. Info: Ein Trompe-l’œil (frz. „täusche das Auge“, von tromper „täuschen“ und l’œil „das Auge“) ist eine illusionistische Malerei, die mittels perspektivischer Darstellung Dreidimensionalität vortäuscht. Besonders in Wand- und Deckenmalereien lassen solche Bilder Räume größer erscheinen oder erzeugen einen Ausblick auf Phantasielandschaften. Ein Trompe-l’œil ist täuschend echt gemalt und stellt gleichzeitig die Gegenstände in Originalgröße so naturgetreu dar, dass ein Betrachter meinen kann, die Objekte tatsächlich vor sich zu haben.

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Das Dordrecht Museum ist eines der wichtigsten Museen für bildende Kunst in den Niederlanden. Es unterhält eine beindruckende Sammlung holländischer Gemälde vom 17. Jahrhundert bis heute.

5  Kamee= Schmuckstein mit einem figürlichen Motiv, das wie eine Relief aus dem übrigen Stein herausragt.

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Zu sehen ist ein mit schwarzem Stoff überzogenes Brett, an dem drei quer verlaufende rote Lederbändchen mit Nägeln fixiert sind. Dahinter festgesteckt sind Objekte, die im 17. Jahrhundert wohl alltäglich verwendet wurden. Links am oberen Riemen ist eine hellblaue Schleife befestigt, an der eine Medaille hängt. [Wenn wir die biografischen Angaben zum Künstler im Auge behalten, handelt es sich hier mit großer Sicherheit um das kaiserliche Ehrenmedaillon, das van Hoogstraten von Ferdinand III. in Wien erhalten hatte.] Daneben – von links nach rechts angeordnet – sehen wir ein Rasiermesser, eine rote Schleife mit einer Perlenkette und einen Gegenstand mit verziertem Holzgriff, der als Brieföffner Verwendung finden könnte. Der nächste Gegenstand in der oberen Reihe könnte ein Federkiel sein, den man im 17. Jahrhundert als Schreibgerät benutzte. Das letzte Objekt oben rechts scheint aus Metall zu bestehen; der obere Teil einer langen Nadel endet in einer Kapsel, es könnte sich hier um eine Gewandnadel handeln. Am mittleren Lederriemen sind folgende Gegenstände fixiert: Am Nagel ist ein Zwirnfaden befestigt, an dessen einen Ende ein Nadelkissen aus weißem Leinen befestigt ist und dessen anderes Ende das Fingerloch einer Schere umschlingt. Ein zusammengefaltetes, leicht geknicktes Dokument bedeckt teilweise die untere Reihe. Ein großer Hornkamm steckt mit seinen groben Zinken fest am Lederband. Eine dreifarbige Schleife trägt eine Kamee5 mit einer Fassung aus roten Edelsteinen. Ein weiteres gefaltetes Dokument schließt sich rechts an. Darüber liegt ein weißes Band mit einem roten Siegel – dieses scheint das Schriftstück verschlossen zu haben. Rechts daneben ist ein Buch mit ockerfarbenem Ledereinband zu sehen, dessen Prägung „Anno 1664“ auf ein Tagebuch schließen lässt. Im Umschlag sind zwei blaue Bänder eingearbeitet, so dass das Album, so wie es hier dargestellt ist, mit Schleifen zugebunden werden kann. Eine gerollte Broschüre mit leicht beschädigtem marmoriertem Deckblatt am rechten Rand ragt über die obere Reihe hinaus. In der unteren Reihe sehen wir das schon beschriebene Nadelkissen, acht goldfarbene Nadeln sind zu einem runden Muster gesteckt. Beim rechteckigen Kamm mit den feinen Zinken könnte es sich um einen Läusekamm handeln. Daneben die Schere, die Kamee und die blaue Schleife wurden bereits erwähnt.

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Anregungen für die Sinne Beispiele für Material: Knöpfe, ein Kamm, Kette, Schleifen in verschiedenen Farben … werden auf den Tisch gelegt. Die TN finden die entsprechenden Darstellungen im Bild.

Musikvorschläge »» Georg Friedrich Händel – Passacaglia aus der Cembalosuite HWV 432 in g-Moll »» Frühe Venezianische Lautenmusik

»» J. S. Bach, Suite Es-dur für Cembalo, BWV 819, 1/3 »» J.S. Bach: Preludium in c-Moll für Laute BWV 999

Gesprächsanregungen »» Was ist auf dem Bild zu sehen? Beschreiben Sie es.

»» Wie wirkt dieses Bild auf Sie? Welche Gefühle löst es ganz spontan bei Ihnen aus? »» Welchen Titel würden Sie dem Bild geben?

»» Haben Sie selbst im Leben etwas gesammelt?

»» Welche Dinge in Ihrem persönlichen Umfeld haben für Sie einen so hohen Wert, dass Sie sich damit auf einem Steckbrett repräsentieren würden? »» Sammeln Sie heute noch etwas? Wenn ja, wie sind Sie dazu gekommen?

»» Können Sie sich als Experte für Ihr Themengebiet zur Verfügung stellen? »» „Die Freude des Sammelns und der Schmerz des Verlustes gehören zusammen.“ Können Sie diesem Zitat zustimmen?

Samuel van Hoogstraten  Tromp-l‘oeil

»» Gibt es spezielle Dinge, die nur Frauen oder Männer sammeln (Schuhe, Briefmarken, Werkzeuge …)? Oder sind das Klischees?

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Zitate „Das Schicksal zerstreut, der Mensch muss sammeln.“ (Johann Jakob Mohr) „Was jeder von uns gern sammeln möchte: Medaillen ohne Kehrseite.“ (Otto Weiss) „Es sollen nicht die Kinder den Eltern Schätze sammeln, sondern die Eltern den Kindern.“ (Neues Testament, 2.Kor 12,14) „Die haben sich vor Dieben nicht zu fürchten, die sich Schätze für den Himmel sammeln.“ (Bernhard von Clairvaux) „Sammler sind glückliche Menschen.“ (Johann Wolfgang Goethe)

Zeitgeschichte 1664 Die Straßburger Brauerei Kronenbourg wird gegründet. Robert Hooke schlägt den Schmelzpunkt von Eis als Nullpunkt der Thermometerskala vor. Im Schloss Versailles findet das erste große mehrtägige Fest von König Ludwig XIV. mit seinem Hof statt. Der französische Sonnenkönig entwickelt bei der Ausgestaltung des Festes als besondere Aktivität ein mehrstündiges Feuerwerk und lässt 100.000 Feuerwerkskörper zünden. Nieuw Amsterdam (deutsch Neu-Amsterdam) war von 1624 bis 1664 Verwaltungssitz der niederländischen Kolonie Nieuw Nederland (Neu-Niederland) auf dem weitläufigen Gebiet rund um das heutige Manhattan und wird nach der Eroberung durch die Briten in New York umbenannt.

Gedichte zum Motiv Unnützes Sammeln Es liebt der Mensch, soweit er kann, Mit gieriger Hand um sich zu greifen, Ameisenfleißig Spänchen anzuhäufen – Was aber hilft‘s ihm, daß er viel gewann? Mit Gold und Stein, mit Wust und Scherben Verengt er Leben sich und Haus, Und kommt es dann mit ihm zum Sterben, Wie höhnt ihn sein Besitztum aus! Reich ist, wer wenig nur begehrt! Dem folgen Glück und Friede gerne. Doch willst du, dass dir viel gehört: Sei wie ein Kind – und dein sind Mond und Sterne. Johannes Trojan, 1837 – 1915

Was wir sammeln, was wir speichern, mag‘s die Erben noch bereichern, einst vergeht‘s. Nur der Schatz der Seelenspenden wächst, je mehr wir ihn verschwenden, jetzt und stets. Richard Fedor Leopold Dehmel, 1863 – 1920

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Reinertrag

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Was dir gelungen Was Dir gelungen und was Du vollbracht, Sammle Dir‘s fleißig mit frohem Bedacht. Was Dir mißlungen, mein lieber Sohn, Sammeln die guten Freunde Dir schon. Rudolf Presber, 1868 – 1935

Vom Sammeln Jemand, der sein Talent verschlief, ist äußerst selten produktiv, als Ausgleich fällt ihm deshalb ein, auch Sammeln kann vergnüglich sein.

Samuel van Hoogstraten  Tromp-l‘oeil

Da sind zum Beispiel alte Sachen, die herzerfrischend Freude machen. Auch alte Möbel sind begehrt. Mit Wurmstich von besond’rem Wert. Sie kosten ziemlich viel Moneten, doch mancher liebt Antiquitäten. Es ist schon eine Leidenschaft, wer sammelt und zusammenrafft. Vom Brief die Marken, sie entzücken, dann, wenn sie ganze Alben schmücken. So manches ist noch zu erfassen, wie Silbermünzen, alte Tassen, und Fotoalben, schlaue Bücher, auch neue und gebrauchte Tücher. Und selbst Pokale, Orden, Krüge, oft Zündholzschachteln zur Genüge, selbst Blumenvasen und Krawatten und Tabakpfeifen für den Gatten. Und noch viele bunte Sachen, die dem Sammler Freude machen.

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Aber sammeln wir nicht alle in dem ein und and’ren Falle, was das Leben uns bescherte oder auch, was es verwehrte. Sammeln wir Erinnerungen aus den Zeiten, die verklungen. Auch Erfahrung sammeln wir als ein schönes Souvenir. Wilhelm Klaus (aus: Gedankenflüge – Das Beste aus sechs Jahren Lyrischer AWO-Freundeskreis Hannover)

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Jean-Étienne Liotard – Das Schokoladenmädchen (ca. 1744) Pastellmalerei auf Pergament, 82,5 x 52,5 cm Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden, © akg-images Rahmen: AdobeStock_vvoe

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Jean-Étienne Liotard 

Das Schokoladenmädchen Die Pastellzeichnungen des Schweizers Jean-Etienne Liotard prägen bis heute das Bild des Rokokos.

Kurzbiografie: Jean-Étienne Liotard (1702 – 1789)

Jean-Étienne Liotard  Das Schokoladenmädchen

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ean-Étienne Liotard wurde am 22. Dezember 1702 in Genf geboren. Er und sein Zwillingsbruder Jean-Michel waren die jüngsten Kinder französischer Auswanderer, die wie viele andere protestantische Glaubensflüchtlinge Ende des 17. Jahrhunderts in der Schweiz Fuß gefasst und schon bald in Genf Bürgerrechte erworben hatten. Seine Kindheit und Schulzeit verbrachte Jean-Étienne in Genf. Bereits mit 12 Jahren zeichnete er das Bild seines Vaters als erstes Portrait, mit 19 Jahren entwarf er dann seine ersten Pastellmalereien. In diesem Jahr – 1721 – begann er zunächst eine Lehre beim Genfer Maler Daniel Gardelle. 1723 brach er nach Paris auf, um bei dem Historien- und Miniaturmaler Jean-Baptiste Massé eine fundierte Ausbildung zu absolvieren. Bis 1736 blieb er dort und beschäftigte sich insbesondere mit Pastell- und Miniaturbildnissen. Neapel, Rom und Florenz waren die Stationen seiner italienischen Reise, die er von 1736 bis 1737 unternahm und während derer er Portraits von bekannten Persönlichkeiten schuf. Weiter führte ihn die Route nach Malta, Griechenland bis nach Konstantinopel, wo er ab 1738 fünf Jahre lang lebte und zeichnete. In dieser Zeit festigte sich sein Ruhm als Porträtist über Europas Grenzen hinaus. 1743 führte ihn eine Einladung Königin Maria Theresias nach Wien. Er porträtierte die spätere Kaiserin von Österreich und ihre Familie. Während seines Aufenthaltes in Konstantinopel (dem heutigen Istanbul) hatte er sich den Sitten und der Kleidung des Landes angepasst. Dass er auch später weiterhin in türkischem Stil gekleidet blieb – mit Turban und langem Bart –, ist aus seinen zahlreichen Selbstporträts bekannt. Sehr wahrscheinlich wurde dieses exotische Aussehen zu seinem Markenzeichen und verhalf ihm zu gut bezahlten Aufträgen nicht nur an den wichtigsten Adelshöfen in ganz Europa. In Wien entstand auch „Das Schokoladenmädchen“, eines seiner bekanntesten Bilder. Zwischen 1745 und 1756 führen ihn weitere Reisen nach Venedig (wo sein Zwillingsbruder lebte), Darmstadt, Paris, London und Amsterdam, wo er die Tochter eines französischen Kaufmanns heiratete. Im Jahr 1758 ließ er sich endgültig in Genf nieder, wo er noch etwa 30 Jahre tätig war und von wo aus er bis ins hohe Alter gelegentliche Reisen unternahm. Am 12. Juni 1789 starb JeanÉtienne Liotard in seiner Geburtsstadt Genf.

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Die Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden ist Teil der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Sie befindet sich in der Sempergalerie des Zwingers. Mit ungefähr 750 ausgestellten Meisterwerken aus dem 15. bis 18. Jahrhundert zählt sie zu den renommiertesten Gemäldesammlungen der Welt. Zu den Schwerpunkten des Museums gehören italienische Werke der Renaissance sowie holländische und flämische Maler des 17. Jahrhunderts. Präsentiert werden auch herausragende Gemälde altdeutscher und altniederländischer Malerei.

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Das Gemälde entstand wahrscheinlich im Dezember 1744 in Wien, kurz bevor Liotard nach Venedig aufbrach. Zu sehen ist eine hübsche junge Frau, möglicherweise hat eine Zofe oder ein Kammermädchen am Hofe Maria Theresias ihn zum Bild inspiriert. Die im Profil dargestellte Person hält ein rechteckiges dunkelbraun lackiertes Tablett, das mit einem mit Wasser gefüllten Glas und einer hohen Porzellantasse mit heißer Schokolade bestückt ist. Sie scheint auf dem Weg in einen Raum, der sich vom Betrachter aus auf der rechten Seite befindet. Eine rosafarbene Seidenhaube mit einem breiten weißen Spitzenband bedeckt ihr straff nach hinten gekämmtes Haar. Die Kleidung sieht trotz ihrer Einfachheit kostbar aus: Die rotbraune Jacke mit Schößchen – einem an der Taille im Rücken angesetzten Stoffteil – setzt einen farbigen Akzent; der leicht gemusterte Rock ist farblich gedeckt gehalten. Die Ärmel sind bis zum Ellbogen eng anliegend, danach von bequemer Weite und vielleicht hochgeschoppt, denn von der Unterkleidung ragt noch ein weißes Armbündchen etwas unterhalb des rechten Ellbogens heraus. Der bodenlange Rock ist hinten aufgebauscht, vielleicht durch den sogenannten „Weiberspeck“, einen ringartigen Wulst, den sich Frauen nach der damaligen Mode unter dem Rock um die Hüften banden. Die Brust scheint weniger eingeschnürt als die der Damen aus höheren Ständen, um mehr Bewegungsfreiheit zu ermöglichen. Zur weiteren Ausstattung gehören eine weiße Schürze mit vielen Längsfalten und ein Schultern sowie Ausschnitt bedeckendes Tuch (Fichu). Unter dem Rock lugt vorwitzig der rechte Schuh hervor. Der erhöhte Absatz ist schon recht modisch für diese Zeit, in der einfache Bedienstete normalerweise schlichtes und klobiges Schuhwerk trugen. Die aufrechte Haltung der jungen Frau vermittelt Selbstbewusstsein und Energie, ihre ganze Konzentration ist auf das Tablett gerichtet, um auf keinen Fall etwas von der kostbaren Schokolade zu verschütten. Bei der Tasse handelt es sich um eine sogenannte Trembleuse, d. h. in die Untertasse wurde ein hochgezogener Ring eingearbeitet, in den der henkellose Porzellanbecher hineingestellt wurde, so dass auch eine zitternde Hand das kostbare Getränk nicht verschütten konnte.

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Anregungen für die Sinne Stellen Sie mit den Teilnehmern heiße Schokolade her, wie sie früher zubereitet wurde: 35 – 40 g Kakao werden mit 1 – 2 Esslöffeln Zucker (je nach gewünschtem Süßegrad) trocken gemischt. Danach gibt man 1 – 2 Esslöffel kaltes Wasser dazu und fügt die gelöste Mischung unter ständigem Rühren mit einem Schneebesen in einen Liter kochende Milch. Einmal kurz aufkochen lassen und in Tassen verteilen. Zum Schluss kann man noch mit Vanillezucker süßen und/oder ein Sahnehäubchen daraufsetzen.

Musikvorschläge »» J. Haydn, Streichquartett in F-Dur, Op. 3, Nr.5

»» G. F. Händel, Wassermusik Suite in G-Dur, BWV 350 – Menuett & Trio

Gesprächsanregungen Info: Schokolade war im 17. und 18. Jahrhundert ein neuartiges, exotisches und sehr teures Genussmittel – ebenso wie Kaffee und Tee sowie Tabak. In dieser Zeit wurde Schokolade ausschließlich als heißes Getränk genossen und kann geschmacklich kaum mit den heute üblichen Kakaogetränken verglichen werden. Historische Rezepte weisen darauf hin, dass man Schokolade bis ins 19. Jh. in den meisten Fällen nur mit Wasser anrührte, manchmal auch mit Eiern oder einem Schuss Wein. »» Was ist auf dem Bild zu sehen? Beschreiben Sie es.

»» Wie wirkt dieses Bild auf Sie? Welche Gefühle löst es ganz spontan bei Ihnen aus?

Jean-Étienne Liotard  Das Schokoladenmädchen

»» Welchen Titel würden Sie dem Bild geben?

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»» Erinnern Sie sich an Ihre erste Tasse heiße Schokolade, die Sie getrunken haben? »» Woraus wird Schokolade hergestellt?

»» Wofür kann man Schokolade verwenden?

»» Kennen Sie Firmennamen, die mit der Herstellung von Kakao, Schokolade und Pralinen zu tun haben? »» Naschen Sie gerne? Welche Schokoladensorten essen Sie am liebsten?

»» Zu welchen Gelegenheiten bekamen Sie als Kind Schokolade geschenkt? War es immer eine ganze Tafel? Mussten Sie mit jemandem teilen? »» Haben Sie es fertig gebracht, Ihren Osterhasen oder Nikolaus aus Schokolade aufzuheben? »» Gab es in Ihrem Haushalt spezielle Verstecke für Schokolade oder Süßigkeiten?

Zitate zum Thema „Ein ganz klein wenig Schokolade kann viel Bitteres verschwinden machen.“ (Francesco Petrarca)

„Die Chocolade fangt an zu fehlen. Schicke mir doch welche, auch Sonnabend wieder Wein.“ (Johann Wolfgang von Goethe am 9. April 1795, Briefwechsel mit seiner Frau)

„Die Chocolade wirkt belebend, stärkend und erfrischend, ohne dass man genöthigt ist große Quantitäten zu genießen – sie vereinigt somit alle Eigenschaften, ein wirkliches, volkstümliches Nahrungsmittel zu werden.“ (Rudolf Sprüngli-Ammann, 1883)

Zeitgeschichte um 1740 – 45 1740: Henricus Oldenkott produziert in Weesp erstmals Tabakwaren. Berlin durchbricht als erste deutsche Stadt die 100.000-Einwohner-Grenze und wird damit zur Großstadt. Im September 1742 regelt eine Verordnung Ludwigs XV. in Frankreich das Briefgeheimnis. Postbeamten, welche Briefe und Pakete aufbrechen und sich darin enthaltene Gegenstände aneignen, droht die Todesstrafe. 1743 kommen die ersten Platanen aus den amerikanischen Kolonien über England und Frankreich nach Deutschland. 1744 werden dem Rat der Stadt Edinburgh die ersten Golfregeln präsentiert. Am 2. April findet das erste Golfturnier um den von der Stadt gestifteten Silbernen Löffel statt. Die Hymne „God Save the King“ wird 1745 Arne zu Ehren von König George II. von Großbritannien und Irland erstmals aufgeführt. Papst Benedikt XIV. verurteilt das Laster des Darlehenszinsnehmens. Das Zinsverbot begründet er mit den Heiligen Schriften.

Literarisches zum Motiv Man nehme eine Tafel Schokolade und zermahle sie entweder mit einem Mörser oder zerreibe sie zu feinem Pulver. Man vermische dies mit Zucker und gieße es in einen kleinen Topf, in dem Wasser kocht. Dann nehme man den Topf vom Feuer und bearbeite es gründlich mit seiner kleinen Mühle; hat man keine Mühle, gieße man es etliche Male von einem Topf in einen anderen um, doch das ist nicht ganz so gut. Schließlich trinke man es, ohne den Schaum davon abzutrennen. Philippe Sylvestre Dufour, 1622 – 1687

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Rezept

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Recept zur Stärkungschokolade Der Provisor mengt geschwinde Euch zwo Theilchen Teufelsmist, Und ein Theilchen Chinarinde, Fein wie dies Gemengsel ist, Hier im Pülverchen zu schauen; Rühmenswerth ist seine Kraft, Weils den Männern und den Frauen Wieder junge Kräfte schafft. In ein Schälchen Chokolade Nehmt Ihr einer Erbse groß, Daß es dem Geschmack nicht schade. Delicat und tadelloß Schmeckt Euch diese Chokolade, Stärkt Euch Nerven und Gebein, Wenn Ihr schon am Styxgestade Schatten wähnt zu sein.

Gewogen scheinst du mir zu sein, Du lächelst der kleinen Gabe; Und wenn ich deine Gunst nur habe, So ist kein Täfelchen zu klein. Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832) im Jahr 1823 an Ulrike von Levetzow

Anna Louisa Karsch (1722 – 1791)

Wenn die Schokolade keimt, wenn nach langem Druck bei Dichterlingen „Glockenklingen“ sich auf „Lenzesschwingen“ endlich reimt und der Osterhase hinten auch schon presst, dann kommt bald das Osterfest.

Jean-Étienne Liotard  Das Schokoladenmädchen

Joachim Ringelnatz (1883 – 1934)

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Ich wünsch mir was! Was ist denn das? Das ist ein Schloss aus Marzipan mit Türmen aus Rosinen dran und Mandeln an den Ecken, ganz zuckersüß und braungebrannt und jede Wand aus Zuckerkand: Da kann man tüchtig schlecken! Und Diener laufen hin und her mit Saft und Marmelade, und drinnen, in dem Schlosse drin, sitzt meine Frau, die Königin, die ist aus Schokolade! Kindervers

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Caspar David Friedrich: Kreidefelsen auf Rügen (1818) Öl auf Leinwand, 90,5 × 71 cm Kunst Museum Winterthur, © bpk / Hermann Buresch

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Caspar David Friedrich 

Kreidefelsen auf Rügen Caspar David Fridrich gilt als der bedeutendster Maler und Zeichner der deutschen Früh-Romantik.

Kurzbiografie: Caspar David Friedrich (1774 – 1840)

Caspar David Friedrich  Kreidefelsen auf Rügen

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aspar David Friedrich wurde am 5. September 1774 in Greifswald (damals zum Königreich Schweden zugehörig) geboren. Er war das sechste von zehn Kindern eines Talgseifensieders und Talgkerzengießers, der in der Hafenstadt an der Ostsee eine später sehr erfolgreiche Lichtgießer-Werkstatt betrieb und das Bürgerrecht im zweiten Stande als „Fabrikant und Großhändler in Seife und Licht“ erworben hatte. Nach dem frühen Tod der Mutter im Jahr 1781 kümmerte sich eine Haushälterin um Haushalt und Kinder. Über Caspar Davids Schulzeit ist nichts bekannt, lediglich einige Schriftübungen sind überliefert. Ein ihn prägendes Ereignis war der tödliche Unfall seines Bruders im Jahr 1887; beim Versuch, den ins Wasser gefallenen 13-jährigen Caspar David zu retten, ertrank dieser selbst. Wie neue biografische Forschungen ergeben, litt er offensichtlich zwei Drittel seines Lebens unter schweren, sich periodisch wiederholenden Depressionen. Dieses Erlebnis wird als mögliche Ursache Caspar Davids späterer depressiver Phasen angegeben. Um 1790 – im Alter von 16 Jahren – bekam er bei einem akademischen Maler und Architekten wöchentlich einige Stunden Zeichenunterricht. Von 1794 – 1798 studierte er an der Königlich Dänischen Kunstakademie in Kopenhagen. Nach dem Studium zog er nach Dresden, dessen städtische Atmosphäre bereits zu dieser Zeit von Kunst und Kultur geprägt war. Von Dresden aus unternahm er zeitlebens immer wieder Reisen zu Fuß auf die Insel Rügen und in seine Heimatstadt Greifswald, aber auch viele Wanderungen, u. a. durch den Harz und das Riesengebirge. Die Motive seiner Landschaftsstudien verwendete er später in seinen Gemälden. 1818 heiratete Caspar David Friedrich im Alter von 43 Jahren die 24-jährige Caroline Bommer. Die Hochzeitsreise führte die beiden in seine Heimat Vorpommern und nach Rügen. 1924 wurde er zum außerordentlichen Professor an der Dresdner Akademie ernannt. Bis Ende der 1820er-Jahre wurde ihm als romantischer Landschaftsmaler große künstlerische Anerkennung zuteil, in dieser Zeit war er finanziell unabhängig. Das änderte sich mit dem Aufkommen des Realismus als neuer Kunstströmung. In den 1830er-Jahren wurden C. D. Friedrichs Bilder immer weniger beachtet. Ihr Verkauf gestaltete sich als sehr schwierig, die Familie lebte zunehmend in finanzieller Not. 1835 erlitt er einen Schlaganfall mit Lähmungserscheinungen. Auch wenn ihm das Malen nun sehr schwerfiel, entstanden doch noch ein Ölgemälde und Zeichnungen. Caspar David Friedrich starb am 7. Mai 1840 im Alter von 65 Jahren in seiner Wahlheimat Dresden.

Zum Bild Das Gemälde entstand im Anschluss an die Hochzeitsreise Caspar David Friedrichs mit seiner Frau Caroline im Sommer 1818, die das Paar auch auf die Insel Rügen führte. Der Betrachter steht am Rand einer Steilküste und schaut mit einer dargestellten Reisegruppe in die schwindelnde Tiefe hinab. Rechts und links stehen zwei Bäume, die sich am oberen Bildrand berühren und in der Bildgestaltung als eine Art Fenster den Blick auf das Meer eröffnen. Im Vordergrund links ist eine sitzende Frau zu sehen, mit hochgestecktem Haar, in einem roten Kleid. Sie hält sich mit der linken Hand an einem Ast fest und zeigt mit der rechten Hand in Richtung der Klippen. Das Kleid ist sehr auffallend, es ist das herausstechende Element in der sonst naturfarbenen Komposition. Rot als dynamische Farbe wird oft mit Leidenschaft und Liebe in Verbindung gebracht – das legt die Vermutung nahe, dass es sich hier um seine Frau Caroline handelt, die Caspar David Friedrich im Januar 1818 geheiratet hatte. Rechts steht ein Mann mit vor der Brust verschränkten Armen an einen Baumstumpf gelehnt. Auch er steht knapp vor dem Abgrund, unter seinen Füßen einige verdorrte Äste, schaut in die Ferne aufs weite Meer hinaus. In der Mitte des Vordergrundes ist ein weiterer Mann zu sehen. Er kriecht auf dem Boden, scheint sich vielleicht aus Höhenangst vorsichtig am Gras des schmalen Rasenstreifens festzuklammern und dabei zaghaft über den Rand zu spähen. Hut und Wanderstock hat er abgelegt, da sie ihn hier nur behindern. Im Mittelgrund bildet der Bereich der zerklüfteten kreideweißen Felsen einen starken Kontrast zum ruhigen, nur von wenigen Wellen gekräuselten Wasser, auf dem zwei Segelboote unterwegs sind. Das blaugrüne Meer verblasst erst am rosablauen Horizont.

Das Kunst Museum Winterthur/Reinhart am Stadtgarten, vormals Museum Oskar Reinhart, wurde als erstes privates Museum der Schweiz im Jahr 1951 eröffnet. Es umfasst neben Schweizer auch deutsche und österreichische Kunst.

Beispiele für Material: Weitere Bilder von Caspar David Friedrich und anderen Künstlern der Romantik liegen auf dem Tisch. Welche lassen sich vom Stil her C. D. Friedrich zuordnen, welche nicht? Fertigen Sie vom Bild Puzzles an, mit unterschiedlicher Anzahl an Teilen je nach kognitiven Fähigkeiten der Teilnehmer.

Museum zum Mitnehmen

Anregungen für die Sinne

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Musikvorschläge »» Franz Schubert: Der Wanderer, D 493 »» Franz Schubert: Ständchen D 957

»» Ludwig van Beethoven, Streichquartett Nr. 15 a-Moll op. 132 »» Richard Wagner, Lohengrin Prelude

Gesprächsanregungen »» Was ist auf dem Bild zu sehen? Beschreiben Sie es.

»» Wie wirkt dieses Bild auf Sie? Welche Gefühle löst es ganz spontan bei Ihnen aus? »» Welchen Titel würden Sie dem Bild geben?

»» Wo haben Sie das Bild zum ersten Mal gesehen – auf einem Kalenderblatt, in einem Schulbuch oder in einer Ausstellung? »» Haben Sie schon einmal eine Reise nach Mecklenburg-Vorpommern unternommen? Wer schon einmal auf Rügen war, kennt sicherlich die bekannten Sehenswürdigkeiten der Insel, von denen die Kreidefelsen am Königsstuhl zweifellos am bedeutendsten sind. »» Haben Sie auch dort gestanden, wo Caspar David Friedrich das Bild gemalt hat? »» An welche ähnliche wie auf dem Bild dargestellte Situation erinnern Sie sich?

Caspar David Friedrich  Kreidefelsen auf Rügen

»» Caspar David Friedrich hat viele Wanderungen unternommen, bis sie ihm aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen nicht mehr möglich waren. Sind Sie auch gerne „per Pedes“ unterwegs? Durch welche Gegenden haben Ihre Wanderungen Sie schon geführt?

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Zitate von Caspar David Friedrich „Der Maler soll bloß malen, was er vor sich sieht, und nicht, was er in sich sieht.“ „Ein Bild muss nicht erfunden, sondern empfunden sein.“ „Wo Herz und Gemüt erkaltet ist, da kann die Kunst nie heimisch sein.“ „Nie aber darf das Gefühl eines andern uns als Gesetz aufgebürdet werden.“ „Die Abende gehe ich über Feld und Flur, den blauen Himmel über mir, um und neben mir grüne Saat, grüne Bäume, und ich bin nicht allein; denn der so Himmel und Erde schuf, ist um mich und seine Liebe stützet mich.“

Zeitgeschichte 1818 »» Karl Drais erhält das französische Patent für die Draisine.

»» In München wird das neue Königliche Hof- und Nationaltheater eröffnet. »» Studenten organisieren sich überregional in der „Allgemeinen Deutschen Burschenschaft“.

»» Die letzten Wölfe des Westerwaldes werden im Jahr 1818 in Ettinghausen erschlagen. »» Aufgrund eines Vulkanausbruchs auf der kleinen indonesischen Insel Sumbawa hatte es bis 1817 auch in Europa kaum Ernten gegeben – im Jahr ohne Sommer schlachteten die Menschen in ihrer Not ihre Zugtiere, gruben die Saatkartoffeln wieder aus und buken aus Gipspulver, Eichel- oder Sägemehl gestreckte Hungerbrötchen. Ab 1818 wird es wieder besser – in manchen Kirchen sind noch Hungerbrote in Glaskästen zu sehen, die aus Dankbarkeit aufgehängt wurden. »» Die Vorläufer der Sparkassen entstehen; bei ihnen können Bauern von nun an einen Notgroschen deponieren. »» Am 24. Dezember wird in der Kirche St. Nikolaus in Oberndorf bei Salzburg das Weihnachtslied „Stille Nacht, heilige Nacht“ erstmals aufgeführt.

Literarisches zum Motiv Himmel und Meer Wie sich im Meere jede Wolke malt, Wie‘s alle Sonnenstrahlen wiederstrahlt, Wie es bei jedem leisen Hauche bebt, Der aus der fernen Höh‘ herniederschwebt, So ist mein Herz dein Meer, mein Himmel du! Wann gönnest du den Wogen endlich Ruh‘?

Heimweh nach Rügen O Land der dunkeln Haine, O Glanz der blauen See, O Eiland, das ich meine, Wie tut‘s nach dir mir weh! Nach Fluchten und nach Zügen Weit übers Land und Meer, Mein trautes Ländchen Rügen, Wie mahnst du mich so sehr! Ernst Moritz Arndt, 1769 – 1860

Museum zum Mitnehmen

Wilhelm Müller, 1794 – 1827 (aus: Lyrische Reisen und epigrammatische Spaziergänge, 1827, Muscheln von der Insel Rügen)

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Rügen Tief und still in grauem Regen liegen Wald und liegen Wiesen ... tief und still mit müden, schweren Wellen schleppt das Meer zum Strand ... graue Möwen flügelschlagend schreien um die Kreidefelsen, und im weißen Dunst der Ferne zieht in breitgeballter Wolke dicken Qualmes, wie der schwarze Schwan des Todes, horizontentlang ein Dampfer, tief und still in grauem Regen. Cäsar Flaischlen, 1864 – 1920

Caspar David Friedrich  Kreidefelsen auf Rügen

Gotthilf von Schubert über Caspar David Friedrich auf Rügen

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„Die stille Wildnis der Kreidegebirge und der Eichenwaldungen seiner vaterländischen Insel Rügen waren im Sommer, noch mehr aber in der stürmischen Zeit des Spätherbstes und im angehenden Frühling, wenn auf dem Meer an der Küste das Eis brach, sein beständiger, sein liebster Aufenthalt. In Stubbenkammer, wo damals noch kein Gasthaus stand, verweilte er am öftesten, dort sahen ihn die Fischer manchmal mit Sorge um sein Leben, ja wie einen, der freiwillig in der Flut sein Grab suchen wollte, auf und zwischen den Zacken der Bergwand und ihren ins Meer hinausragenden Klippen herumklettern. Wenn der Sturm am kräftigsten war und die Wogen, mit Schaum bedeckt, am höchsten heranschlugen, da stand er, von dem heranspritzenden Schaume oder auch von einem plötzlichen Ergusse des Regens durchnässt, hinschauend wie einer, der sich an solcher gewaltigen Lust der Augen nicht satt sehen kann. Wenn ein Gewitter mit Blitz und Donner über das Meer daher zog, dann eilte er ihm wie einer, der mit diesen Mächten den Freundschaftsbund geschlossen, entgegen auf den Felsensaum der Küste oder ging ihnen nach in den Eichenwald, wo der Blitz den hohen Baum zerspaltete, und murmelte da sein halblautes ,wie groß, wie mächtig, wie herrlich’. “ Gotthilf Heinrich von Schubert, 1780 – 1860

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Museum zum Mitnehmen

Carl Spitzweg: Der Sonntagsspaziergang (1841) Öl auf Holz, 28 × 34 cm Salzburg Museum, © akg-images

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Franz Carl Spitzweg 

Sonntagsspaziergang Kurzbiografie: Franz Carl Spitzweg (1808 – 1885)

Franz Carl Spitzweg  Sonntagsspaziergang

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ranz Carl Spitzweg wurde als zweiter von drei Söhnen 1808 in München geboren. Seine Mutter gehörte als Tochter eines reichen Früchtegroßhändlers dem Großbürgertum Münchens an, sein Vater stammte aus dem Dorf Unterpfaffenhofen im heutigen Landkreis Fürstenfeldbruck (in Oberbayern), wo seine Familie zu Reichtum gekommen war. In München genoss Franz Carl eine wohlbehütete Jugend. Spitzweg ist schon Anfang der 1820er-Jahre während seiner Gymnasialzeit künstlerisch tätig. Von 1825 – 1828 absolvierte er eine Lehre in der Königlich-Bayrischen Hofapotheke in München. 1830 begann er mit dem Studium der Pharmazie, Botanik und Chemie an der Münchner Universität, das er 1832 mit Auszeichnung abschloss. Er war nun als praktischer Apotheker zugelassen und arbeitete als solcher u. a. auch in der Stadtapotheke in Erding. 1833 brach Spitzweg seine ApothekerLaufbahn ab. Während eines Kuraufenthaltes nach einer Krankheit fasste er den Entschluss, sich hauptberuflich der Malerei zu widmen. Finanziell war er jetzt unabhängig, da er zu dieser Zeit seinen Erbanteil zugewiesen bekam. Spitzweg hat nie eine Kunstakademie besucht, er eignete sich seine künstlerische Bildung im Selbststudium und mithilfe befreundeter Künstler an. Besonders beeinflusst wurde er durch die Freundschaft mit dem Landschaftsmaler Eduard Schleich d. Ä. (1812 – 1874), mit dem er viele Studienreisen und Wanderungen unternahm. Auf diesen Reisen zeichnete er etliche Skizzen als Vorlagen für spätere Bilder. Spitzweg stellte Menschen in ihrem zeitbedingten bürgerlichen Milieu dar: kauzige Sonderlinge, biedermeierliche Kleinbürger mit ihren menschlichen Schwächen und romantische Begebenheiten. Das bekannteste und beliebteste Bild Spitzwegs ist „Der arme Poet“ aus dem Jahre 1839. Seine Lieblingspflanze, der Kaktus, ist im Bild „Der Kaktusliebhaber“ verewigt: Ein Schreiber mit Glatze, rötlicher Knubbelnase und hochgeschlossenen Rock beugt sich dem Kaktus mit der roten Blüte entgegen, der sich ihm seinerseits zuneigt. Weitere bekannte Gemälde sind „Beim Antiquar“, „Schildwache am Tor“, „Der Sterndeuter“, „Der Bücherwurm“, „Ein Besuch“, „Abschied“ sowie „Der Bettelmusikant“. Nahm Spitzweg in seinen früheren Bildern meist die Sitten der Zeit aufs Korn, verzichtete er in seinen späten Werken eher auf die ironischenAspekte und betonte immer öfter das Idyllische. Vom Jahr 1859 bis zu seinem Tod beschäftigte sich Spitzweg viel mit „kleinen Landschaften“, die er oft auf den Brettchen seiner Zigarrenkisten malte. Franz Carl Spitzweg verstarb am 23. September 1885 im Alter von 77 Jahren an einem Schlaganfall in seiner Münchner Wohnung.

Zum Bild Es ist Hochsommer, kurz vor der Erntezeit: das Getreide ist reif, die Sonne scheint. Am Himmel sieht man einige Wolken – vielleicht zieht bald ein Gewitter auf? In der hügeligen Landschaft im Hintergrund ist fernab ein Gebäude zu sehen, wahrscheinlich eine Kirche. Die Mitglieder einer Familie spazieren über einen schmalen Weg, der mitten durch die Kornfelder führt. Es ist wohl drückend heiß, das Sonnenlicht blendet, denn allen voran der Vater als Familienoberhaupt trägt seinen Zylinder auf einem Wanderstab als Sonnenschutz vor sich her. Seinen blauen Gehrock hat er ausgezogen und über die Schulter geworfen, man sieht sein weißes Hemd unter der grünen Weste. Nur bei genauem Hinschauen erkennt man, dass er ein kleines Kind an der linken Hand führt, zwischen den hohen Ähren sind ein blauer Farbtupfer des Kleidchens und ein großer Hut zu sehen. In kurzem Abstand folgt seine schlanke Frau, auch fein herausgeputzt, mit einem aufgespannten Sonnenschirmchen. Ihr Gesicht ist unter dem Hut mit breiter Krempe und dekorativem grünem Zierband verborgen, der Blick scheint starr auf ihren Mann gerichtet. Mit größerem Abstand folgen zwei Töchter, die ebenfalls modische Hüte tragen. Das Gesicht der Jüngeren ist gut zu erkennen; sie senkt den Blick, vielleicht sucht sie nach weiteren Blumen für ihr Sträußchen, das sie stolz in der linken Hand hält? Die Ältere hinter ihr wirkt sehr steif, vielleicht auch bedingt durch das Halten der Handtasche. Auch sie blickt starr auf den Boden. Bemerkenswert ist die Konstruktion ihrer beider Sonnenschirme, die sie abgeknickt aufgespannt haben. Auch der Mutter und den beiden älteren Töchter scheint es in ihrem unpraktischen Sonntagsstaat zu warm zu sein, denn sie tragen ihre Umhänge oder Capes – um welche Oberbekleidung es sich handelt, kann man nicht erkennen – sorgfältig zusammengelegt über dem linken Arm. Nur der Stammhalter der Familie rechts außen im Bild scheint diesen Tag zu genießen: mit einem Kescher jagt er sorglos nach Schmetterlingen oder Käfern. Betrachtet man die Bildkomposition als Ganzes, so scheint dieser Sonntagspaziergang mehr eine Pflichtveranstaltung als ein Vergnügen zu sein, ganz nach dem Motto: Sehen und gesehen werden.

Anregungen für die Sinne Beispiele für Material: Unterschiedliche Naturmaterialien werden auf den Tisch gelegt. Die TN überlegen, welche Dinge zum Bild passen.

Museum zum Mitnehmen

Das Salzburg Museum in der Neuen Residenz, ehemals Carolino Augusteum, ist ein Museum für Kunst- und Kulturgeschichte von Stadt und Land Salzburg.

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Musikvorschläge »» Beethoven – Sinfonie Nr. 6 F-Dur op. 68 (Pastorale) »» Grieg – Peer Gynt Suiten

»» Geh aus, mein Herz, und suche Freud

Gesprächsanregungen Info: Im 19. Jahrhundert war es in der bürgerlichen Gesellschaft sehr verbreitet, am Sonntagnachmittag mit der Familie spazieren zu gehen. In Kurorten und Seebädern wurden eigens Promenaden angelegt, auf denen man flanieren konnte. Auch in der Literatur wurde dem Motiv des Spaziergangs viel Raum gegeben, man denke nur an die Lyrik Joseph von Eichendorffs (O Täler weit, o Höhen). In diesem Zusammenhang darf man nicht vergessen, dass in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 14 bis 16 Stunden Arbeit täglich durchaus normal waren, auch für Frauen und Kinder. Der Sonntag als Phase der Regeneration nach der schweren Arbeitswoche war für alle notwendig. »» Was ist auf dem Bild zu sehen? Beschreiben Sie es.

»» Wie wirkt dieses Bild auf Sie? Was ist Ihr spontaner Gedanke zu diesem Bild? »» Welchen Titel würden Sie dem Bild geben?

»» Erinnern Sie sich an den Osterspaziergang in Goethes „Faust“? Die letzte Zeile des Gedichts lautet: „Hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein!“ Wann haben Sie ein solches Gefühl einmal selbst erlebt? »» Kennen Sie solche sonntäglichen „Familienspaziergänge“ aus eigener Erfahrung? Wann war es, wer hat sie organisiert, wo ging es hin, wer war dabei?

Franz Carl Spitzweg  Sonntagsspaziergang

»» Gibt es einen speziellen Menschen, der Sie bei solchen Spaziergängen auf Landschaft und Natur aufmerksam gemacht und bei Ihnen das Interesse dafür geweckt hat?

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»» Wie war ein solcher Ausflug für die Kinder der Familie? Wurden deren Interessen berücksichtigt oder war es für sie eher eine Pflichtübung? »» Heute flanieren die Menschen in den Fußgängerzonen, in Parks, gehen Eis essen … wo unternehmen Sie heute gerne einen Spaziergang? »» Früher legten die Menschen am Sonntag ihre beste Kleidung an, den „Sonntagsstaat“ – wie ist das heute?

Zur Biografie Spitzwegs Carl Spitzweg hatte eine Vorliebe für Typen wie Sammler und Insektenfänger. Das Anlegen einer Schmetterlingssammlung war zu seiner Zeit sehr beliebt. Welches Sammelhobby hat Ihr Leben geprägt?

Zitate von Carl Spitzweg „Außer unserer Copier- und Studienzeit sind wir einer gräulichen Langeweile anheimgegeben, deßwegen bleiben wir so lange wie möglich beschäftigt und machen nur die höchst nothwendige Bewegung auf einem Wiesenweg – Gegend ist eigentlich gar keine hier.“ Spitzweg aus Pommersfelden, 1852 „Ein Genie kann auf einem Spaziergang mehr lernen, als ein Thor auf einer Reise um die Welt.“ „Du kannst Dir gar nicht vorstellen, welche Sehnsucht und Lust zu reisen ich habe.“

Zeitgeschichte 1841 Am 11. September 1841 erhält John Goffe Rand das amerikanische Patent für die Erfindung der Tube. Darin können nun Farben für längere Zeit aufbewahrt werden; bis dahin musste Farbe umständlich in Schweinsblasen oder Ledertaschen gelagert werden und trocknete darin schnell aus. Seit 1841 werden Schrauben mit Standardgewinde hergestellt. Die ersten Glühlampen werden schon ausprobiert, zunächst wird aber ein Glühfaden aus Platin verwendet. Adolphe Sax führt sein neues Instrument – das Saxophon – erstmals auf einer Industriemesse in Brüssel vor. Jakob Christian Rad erfindet den Würfelzucker. Der Dichter und Literaturprofessor August Heinrich Hoffmann von Fallersleben schreibt auf der Insel Helgoland das „Lied der Deutschen“ als Ausdruck der Sehnsucht nach nationaler Einheit, das mit der Melodie der Kaiserhymne Joseph Haydns (1732 – 1809) unterlegt am 1. September 1841 bei Hoffmann und Campe in Hamburg als Einzeldruck veröffentlicht wird.

Gedichte zum Motiv

Wenn dir‘s vergönnt je, dann richt es so ein, dass dir ein Spaziergang das Leben soll sein! Stets schaue und sammle, knapp nippe vom Wein, mach unterwegs auch Bekanntschaften fein, des Abends kehr selig bei dir wieder ein und schlaf in den Himmel, den offnen, hinein! Carl Spitzweg, 1808 – 1885

Museum zum Mitnehmen

Lebensregel

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Auszug aus: Der Spaziergang Frei empfängt mich die Wiese mit weithin verbreitetem Teppich, Durch ihr freundliches Grün schlingt sich der ländliche Pfad, Um mich summt die geschäftige Bien‘, mit zweifelndem Flügel Wiegt der Schmetterling sich über dem rötlichten Klee, Glühend trifft mich der Sonne Pfeil, still liegen die Weste, Nur der Lerche Gesang wirbelt in heiterer Luft. Johann Christoph Friedrich von Schiller, 1759 – 1805

Sonntag Weit in das Land die Ström ihr Silber führen, Fern blau Gebirge duftig hingezogen, Die Sonne scheint, die Bäume sanft sich rühren, Und Glockenklang kommt auf den linden Wogen; Hoch in den Lüften Lerchen jubilieren, Und, so weit klar sich wölbt des Himmels Bogen, Von Arbeit ruht der Mensch rings in die Runde, Atmet zum Herren auf aus Herzensgrunde. Joseph Freiherr von Eichendorff

Franz Carl Spitzweg  Sonntagsspaziergang

An den Mai

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Komm, lieber Mai, und mache Die Bäume wieder grün! Und laß mir an dem Bache Die kleinen Veilchen blühn! Wie möcht‘ ich doch so gerne Ein Blümchen wieder sehn! Ach lieber Mai, wie gerne Einmal spazieren gehn! Christian Adolf Overbeck, 1755 – 1821

Kornrauschen Bist du wohl im Kornfeld schon gegangen, wenn die vollen Ähren überhangen, durch die schmale Gasse dann inmitten schlanker Flüsterhalme hingeschritten? Zwang dich nicht das heimelige Rauschen, stehn zu bleiben und darein zu lauschen? Hörtest du nicht aus den Ähren allen wie aus weiten Fernen Stimmen hallen? Klang es drinnen nicht wie Sichelklang? Sang es drinnen nicht wie Schnittersang? Hörtest nicht den Wind du aus den Höhn lustig sausend da sie Flügel drehn? Hörtest nicht die Wasser aus den kühlen Tälern singen du von Rädermühlen? Leis, ganz leis nur hallt das und verschwebt, wie im Korn sich Traum mit Traum verwebt, in ein Summen wie von Orgelklingen, drein ihr Danklied die Gemeinden singen. Rückt die Sonne dann der Erde zu, wird im Korne immer tiefre Ruh‘, und der liebe Wind hat‘s eingewiegt, wenn die Mondnacht schimmernd drüber liegt. Wie von warmem Brot ein lauer Duft zieht mit würz‘gen Wellen durch die Luft. Ferdinand Avenarius, 1856 – 1923

Museum zum Mitnehmen

Claude Monet: Das Mittagessen | Le Déjeuner (1868) Öl auf Leinwand, 150 x 230 cm, Städel Museum Frankfurt © Städel Museum/ARTOTHEK Rahmen: AdobeStock_ JackF

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Claude Monet 

Das Mittagessen Die Werke des bedeutenden französischen Malers umfassen mehrere Stilepochen – vom Realismus über den Impressionismus bis hin zur Annäherung an abstrakte Malerei.

Kurzbiografie: Claude Monet (1840 – 1926)

Claude Monet  Das Mittagessen

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laude Monet wurde am 14. November 1840 in Paris geboren. Sein Vater betrieb dort einen Kolonialwarenhandel. Die wirtschaftliche Situation der Familie verschlechterte sich um 1845 so weit, dass die Familie nach Le Havre umzog, wo der Vater im Handelskonzern seines Schwagers Arbeit fand. Dort im Städtischen Gymnasium erhielt er als Schüler Zeichenunterricht. Schon während seiner Schulzeit machte er sich als begabter Karikaturist im Ort einen Namen. Als Sechzehnjähriger lernte er den Maler Eugène Boudin kennen, der ihn anregte, sich mit der Landschaftsmalerei zu beschäftigen. Aus dem Jahr 1857, in dem auch seine Mutter starb, stammt sein erstes Landschaftsbild. Trotz Ablehnung seines Antrags auf ein Stipendium verfolgte er weiterhin sein Ziel, Maler zu werden. Er besuchte Ausstellungen, nahm Kontakt zu Künstlern auf und studierte ab 1860 an der freien Malschule Académie Suisse in Paris. Nach kurzer Militärzeit setzte er seine Studien fort, er widmete sich weiterhin vorwiegend der Landschaftsmalerei. 1864 eröffnete Monet mit seinem Freund Fréderic Bazille ein gemeinsames Atelier in Paris. Dort lernte er die 18-jährige Camille Doncieux kennen, die ihm zunächst Modell saß und mit der er dann eine Beziehung einging. 1867 wurden die beiden Eltern eines Sohnes, 1870 heiratete Monet seine langjährige Geliebte. Im gleichen Jahr zog er nach London, wo er sich eingehend mit den Werken von William Turner und John Constable beschäftigte. 1871 starb Monets Vater und hinterließ ihm eine kleine Erbschaft, die es ihm ermöglichte, nach Paris zurückzukehren. 1873 gründete er dort eine Künstlergesellschaft, gemeinsam organisierten die Maler 1874 eine erste Ausstellung. Der Titel des Bildes „Impression – Sonnenaufgang“, das Monet 1872 in Le Havre gemalt hatte, gab die Inspiration zur Bezeichnung für die neue Kunstrichtung, die das zeitgenössische Publikum jedoch eher mit Spott bedachte. 1876 fand die zweite Impressionisten-Ausstellung statt. In diesem Jahr beauftragte der Kaufhausbesitzer Ernest Hoschedé ihn mit Malereien in dessen Wohnschloss. 1878 gebar Camille Monets zweiten Sohn, sie verstarb ein Jahr später. 1883 zog er zusammen mit seiner neuen Lebensgefährtin Alice Hoschedé, deren Kindern und seinen zwei Söhnen nach Giverny, wo er bis zu seinem Lebensende blieb. Nach seiner ersten Einzelausstellung 1883 wurde ihm zunehmend mehr Anerkennung zuteil. Privat widmete er sich zunehmend seinem Garten, in dem er über 70 Blumenbeete anlegte und der ihn zu seinen berühmten Seerosenmotiven inspirierte. 1892 heiratete

er die Witwe Alice Hoschedé. 1908 verschlechterte sich Monets Sehvermögen, 1911 wurde bei ihm doppelseitiger grüner Star diagnostiziert. Im gleichen Jahr starb seine innig geliebte Alice. Er malte weiter, auch wenn ihm das Augenleiden sein Schaffen zunehmend erschwerte. 1923 gewann er durch eine Operation das Augenlicht zurück. Claude Monet starb am 5. Dezember 1926.

Drei Frauen und ein Kind formen einen Halbkreis um einen runden Tisch, der die zentrale Mitte des Bildes einnimmt. Auf einem weißen Tischtuch sind ein Essig-und-Öl-Ständer, eine Weinflasche, eine Wasserkaraffe, einen Brotlaib, Weintrauben, Gelee, Kartoffeln, gekochte Eier und angemachter Salat in allen Abstufungen von Braun- und Gelbtönen dargestellt. Der Tisch ist für drei Personen gedeckt. In der Mitte sitzend sieht man wohl die Hausherrin, sie betrachtet den kleinen Jungen, der, einen Löffel fest in seinem Fäustchen haltend, auf den reich gedeckten Tisch schaut. Sein Teller ist noch leer. Der Junge mit blondem Haar und blauer Kleidung mit weißem Lätzchen hebt sich vom dunkleren Hintergrund ab. Das Auge des Betrachters fällt auf einen leeren Stuhl und ein noch unberührtes Gedeck im Vordergrund; zu sehen sind Messer und Gabel sowie ein leeres Glas zur Rechten und die sorgfältig im Ring eingerollte Serviette zur Linken des Tellers sowie ein abgeschnittenes Stück vom Brotlaib. Daneben liegt die noch unberührte Tageszeitung – in Paris ist dies seit 1866 „Le Figaro“. Auf dem Teller befinden sich zwei gekochte Eier, eines davon in einem Eierbecher aus Porzellan – das gleiche Ensemble wie auf dem Pendant der Hausherrin gegenüber. Auf wen wird hier gewartet – auf den Hausherrn, der seit dem frühen Morgen an seiner Staffelei arbeitet? Vermutlich ist es Claude Monet selbst, den seine Lebensgefährtin Camille und ihr gemeinsamer Sohn Jean erwarten, um mit dem Essen beginnen zu können. Am Fenster zur Linken lehnt eine schwarzgekleidete Frau und betrachtet die Szene am Tisch. Sie trägt Handschuhe und einen Spitzenschleier vor dem Gesicht und scheint eine Besucherin zu sein, denn für sie ist nicht gedeckt und der Stuhl neben ihr ist mit einem Nähkörbchen belegt. Der über die Stuhllehne gehängte Kinderhut sowie die aus Stoff gefertigte Puppe und der Ball darunter bewirken eine familiäre Atmosphäre. Den kindlichen Objekten genau diagonal gegenüber bemerken wir mehrere aufeinander gestapelte Bücher, eine Lampe und einen schwarzen Zylinder; die männliche Präsenz des Hausherren ist trotz seiner Abwesenheit unübersehbar. Das Hausmädchen mit schwarzem Kleid, weißer Haube und weißem Kragen am halb geöffneten Wandschrank im Hintergrund kann als Kennzeichen für die gehobene soziale Stellung der Familie in der Gesellschaft gedeutet werden, denn Dienstboten waren eine Art „Aushängeschild“ für das Bürgertum im 19. Jahrhundert. Das Städel Museum in Frankfurt am Main ist eines der bedeutendsten deutschen Kunstmuseen. Seine Sammlung umfasst mehr als 4000 Gemälde vom Mittelalter bis zur Moderne und zur Gegenwartskunst.

Museum zum Mitnehmen

Zum Bild

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Anregungen für die Sinne Beispiele für Material: Brot, Trauben, Kartoffeln … werden auf den Tisch gelegt. Die TN finden die entsprechenden Darstellungen im Bild.

Musikvorschläge »» Beethoven– Für Elise

»» Chopin – Prelude Op. 28 No. 7 in A-Dur

»» Klaviermusik von Erik Satie

Gesprächsanregungen Info: Nach 1789 kamen in Frankreich die ersten Restaurants in Mode, 1803 wurde der „Almanach der Feinschmecker“ veröffentlicht. Vorher war das Déjeuner die erste Mahlzeit des Tages, vergleichbar dem heutigen Frühstück. Dann verschob sich das Dîner, ursprünglich das Mittagessen, immer weiter in den späteren Nachmittag. Ab etwa 1830 bezeichnete man das Mittagessen nicht mehr als Dîner, sondern als Déjeuner. Mit dem Wandel des Berufslebens veränderte sich auch der Tagesablauf und dieser erforderte eine Anpassung der Essgewohnheiten. »» Was ist auf dem Bild zu sehen? Beschreiben Sie es.

»» Wie wirkt dieses Bild auf Sie? Welche Gefühle löst es ganz spontan bei Ihnen aus? »» Welchen Titel würden Sie dem Bild geben?

»» Was gehört für Sie alles zu einem guten Mittagessen auf den Tisch? »» Zu welchen Mahlzeiten haben Sie Ihren Tisch ähnlich arrangiert wie auf dem Bild, z. B. mit Stoffservietten?

Claude Monet  Das Mittagessen

»» Was meinen Sie – wer entscheidet, wann am Tisch mit dem Essen begonnen wird?

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»» In vielen Familien mit kleinen Kindern wird auch heute noch vor der gemeinsamen Mahlzeit eine Tradition gepflegt: der Tischspruch. Welcher Vers ist in Ihrer Familie üblich? »» Welche Ess- und Tischgewohnheiten sind Ihnen wichtig?

Zitat von Claude Monet „Die Aufgabe des Künstlers besteht darin, das darzustellen, was sich zwischen dem Objekt und dem Künstler befindet, nämlich die Schönheit der Atmosphäre.“

Zitate zum Thema „Wir leben nicht, um zu essen; wir essen, um zu leben.“ (Sokrates) „Das Essen soll zuerst das Auge erfreuen und dann den Magen.“ (Johann Wolfgang von Goethe)

„Iss, was gar ist, trink, was klar ist, red‘ was wahr ist.“ (Martin Luther) „Frauen, welche schlecht kochen und welche kein gemütliches Heim zu schaffen vermögen, treiben ihren Mann aus dem Haus und dem Schnapsteufel in die Arme.“ (Dr. August Oetker)

Zeitgeschichte 1868 Die Tabascosauce wird erfunden. Der Eisenbahnkühlwagen wird in den USA zum Patent angemeldet, so dass verderbliche Lebensmittel über eine große Distanz transportiert werden können. Ein Betrieb in den USA führt den ersten Acht-Stunden-Arbeitstag der Welt ein. Die erste Lichtsignalanlage der Welt wird am 10. Dezember 1868 in London auf dem Parliament Square aufgestellt. Sie wird mit Gaslicht betrieben und explodiert nach kurzer Zeit. 1868 ordnet der US-amerikanische Zeitungsherausgeber Christopher Latham Sholes die Tasten der Schreibmaschine erstmals nicht mehr alphabetisch an, sondern führt die QWERTY-Tastaturbelegung ein. Da das „Z“ im Deutschen viel häufiger als das „Y“ verwendet wird, wurde die deutsche Tastaturbelegung leicht geändert zu QWERTZ.

Ein guter Salat

Yolante und Marie

Fünf Köpfe bringen einen guten Salat zustande: Ein Geizhals, der den Essig träufelt, ein Verschwender, der das Öl gibt, ein Weiser, der die Kräuter sammelt, ein Narr, der sie durcheinander rüttelt, ein Künstler, der den Salat serviert.

Diese Damen, sie verstehen, wie man Dichter ehren muss: Gaben mir ein Mittagessen, mir und meinem Genius.

Jean Anthelme Brillat-Savarin, 1755 – 1826

Ach! die Suppe war vortrefflich, und der Wein hat mich erquickt, das Geflügel, das war göttlich, und der Hase war gespickt. Sprachen, glaub ich, von der Dichtkunst, und ich wurde endlich satt; und ich dankte für die Ehre, die man mir erwiesen hat. Heinrich Heine, 1797 – 1856

Museum zum Mitnehmen

Literarisches zum Motiv

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Die drei Geschwister (Ein Rätselgedicht) Kannst du die drei Geschwister nennen? Sie zeigen wenig Ähnlichkeit; Du lerntest schon als Kind sie kennen, Obwohl nicht ganz zur gleichen Zeit.

Das dritte kam nun, fein von Sitten, Doch darfst du ihm zu sehr nicht traun; Es hat schon oft arg aufgeschnitten; Bei ihm heißt‘s, auf die Finger schaun.

Bleich sind und hohl des ersten Wangen, Und zahnlos seine Lippe ist; Du hast mit herzlichem Verlangen Sie in der Wiege doch geküsst.

Alltäglich im Geschwisterbunde Kommt uns Besuch von diesen Drei‘n, Und manchem scheint die schönste Stunde Die Stunde des Besuchs zu sein.

Die Schwester dann mit dürrem Finger Hat dir manch Bisslein zugesteckt. Da schien des ersten Wert geringer, Er hat wohl Abscheu gar erweckt.

In Wahrheit, ihr Verkehr erneuet, Das ganze Leben Kraft gewinnt. Drum hat man recht, wenn man sich freuet. Obwohl sie nicht drei Grazien sind. Franz Brentano, 1838 – 1917 (Lösung: Löffel, Gabel und Messer)

Claude Monet  Das Mittagessen

Das Mittagessen im Hof

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Man klagt häufig darüber, wie schwer und unmöglich es sei, mit manchen Menschen auszukommen. Das mag denn freilich auch wahr sein. Indessen sind viele von solchen Menschen nicht schlimm, sondern nur wunderlich, und wenn man sie nur immer recht kennte, inwendig und aufwendig, und recht mit ihnen umzugehen wüsste, nie zu eigensinnig und nie zu nachgebend, so wäre mancher wohl und leicht zur Besinnung zu bringen. Das ist doch einem Bedienten mit seinem Herrn gelungen. Dem konnte er manchmal gar nichts recht machen und musste vieles entgelten, woran er unschuldig war, wie es oft geht. So kam einmal der Herr sehr verdrießlich nach Hause und setzte sich zum Mittagessen. Da war die Suppe zu heiß oder zu kalt oder keines von beiden; aber genug, der Herr war verdrießlich. Er fasste daher die Schüssel mit dem, was darinnen war, und warf sie durch das offene Fenster in den Hof hinab. Was tat der Diener? Kurz besonnen warf er das Fleisch, welches er eben auf den Tisch stellen wollte, mir nichts, dir nichts, der Suppe nach, auch in den Hof hinab, dann das Brot, dann den Wein, und endlich das Tischtuch mit allem, was noch darauf war, auch in den Hof hinab. „Verwegener, was soll das sein?“ fragte der Herr und fuhr mit drohendem Zorn von dem Sessel auf. Aber der Bediente erwiderte kalt und ruhig: „Verzeihen Sie mir, wenn ich Ihre Meinung nicht erraten habe. Ich glaubte nicht anders, als Sie wollten heute in dem Hof speisen. Die Luft ist so heiter, der Himmel so blau, und sehen Sie nur, wie lieblich der Apfelbaum blüht, und wie fröhlich die Bienen ihren Mittag halten!“ - Diesmal die Suppe hinabgeworfen und nimmer! Der Herr erkannte seinen Fehler, heiterte sich im Anblick des schönen Frühlingshimmels auf, lächelte heimlich über den schnellen Einfall seines Aufwärters und dankte ihm im Herzen für die gute Lehre. Johann Peter Hebel, 1760 – 1826 (Aus dem Schatzkästlein des Rheinischen Hausfreundes)

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Museum zum Mitnehmen

Max Liebermann: Die Rasenbleiche (1882) Öl auf Leinwand, 109 x 173 cm Wallraff-Richartz-Museum Köln, erworben 1954, © akg-images

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Max Liebermann 

Die Rasenbleiche Der deutsche Maler und Grafiker Max Liebermann gehört zu den bedeutendsten Vertretern des deutschen Impressionismus.

Kurzbiografie: Max Liebermann (1847 – 1935)

Max Liebermann  Die Rasenbleiche

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ax Liebermann wurde als Sohn eines wohlhabenden Industriellen in Berlin geboren. Schon als Kind vertrieb er sich lieber durch Zeichnen die Zeit als durch den Schulbesuch. Auch wenn seine Eltern nicht sehr begeistert von diesem Hobby waren, unterstützten sie ihn trotzdem und ermöglichten ihm privaten Malunterricht. „Ich hatte schon als kleiner Junge Spaß am Basteln, am Zeichnen, am Zusammensetzen von sogenannten Ausschneidebogen. Das machte mir einen solchen Spaß, dass mein Vater mir eine richtige Tischlerwerkstatt einrichtete“, so ist in einem historischen Tondokument zu hören. Nach dem Abitur schrieb er sich auf der Universität ein. Doch statt sich ernsthaft um sein Chemiestudium zu kümmern, widmete er sich lieber der Malerei. Nach zwei Jahren wurde er schließlich wegen „Studienunfleiß“ von der Universität exmatrikuliert. Sein Vater war zwar darüber sehr enttäuscht, jedoch finanzierte er ihm den Unterricht an der Großherzoglich-Sächsischen Kunstschule in Weimar. In dieser Zeit lernte Liebermann die Werke des niederländischen Malers Rembrandt kennen und schätzen, die seinen Kunststil fortan beeinflussen sollten. Liebermanns frühe Bilder zeigen Gruppen von Menschen im Arbeitsalltag, seien es „Die Gänserupferinnen“ (1872), „Bauern bei der Rübenernte“ (1873) oder auch „Die Rasenbleiche“ (1882). In den folgenden Jahren hielt sich Liebermann oft in Paris und in den Niederlanden auf. 1884 heiratete er Martha Marckwald. Die Hochzeitsreise führte das Ehepaar Liebermann jedoch nicht nach Italien – wie es damals üblich war –, sondern in die Niederlande. Dort sammelte er Inspirationen und Ideen für weitere Werke. 1894 starb sein Vater. Liebermann erbte neben einem Millionenvermögen das Elternhaus am Pariser Platz in Berlin. In den nächsten Jahren wurde sein Stil zunehmend von der modernen französischen Kunst beeinflusst. Schließlich entwickelte er sich zu einem der bedeutendsten Vertreter des deutschen Impressionismus. 1898 erhielt er bei der Großen Berliner Kunstausstellung die Große Goldene Medaille und wurde zum Professor der Königlichen Akademie der Künste in Berlin ernannt. Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 zog sich Liebermann immer mehr in sein Privatleben zurück. 1927 wurden er und sein Lebenswerk in einer großen Ausstellung anlässlich seines 80. Geburtstags von der Öffentlichkeit gefeiert und die Stadt Berlin verlieh ihm die Ehrenbürgerwürde. 1935 starb er im Alter von 87 Jahren in seinem Haus am Pariser Platz.

Zum Bild Das Gemälde entstand im Sommer 1882 während eines Aufenthaltes Liebermanns im niederländischen Zweeloo (Provinz Drenthe). Zu sehen ist ein großer Bauerngarten mit altem Obstbaumbestand und großer Wiesenfläche, auf der zwei bäuerlich gekleidete Frauen in gebückter Haltung große Wäschestücke zum Bleichen ausbreiten. Das Weiß der Laken hebt sich von den unterschiedlichen Grüntönen des Gartens ab, und auch wenn das Bild ansonsten in gedeckten Farben gehalten ist, strahlt die Szene eine unbeschwerte Harmonie aus. Im Vordergrund befinden sich keine Personen; die Szene spielt sich eher im perspektivisch mittleren und hinteren Bereich des Bildes ab. In der ursprünglichen Fassung des Bildes befand sich auch im Vordergrund eine Wäscherin. Nach kritischen Bemerkungen auf der ersten öffentlichen Ausstellung des Gemäldes 1883 im Pariser Salon entschied sich Liebermann, diese zu übermalen und das Bild grundlegend zu überarbeiten. Im Hintergrund links sitzt ein Mädchen an einen Baum gelehnt. Am Ende des Grundstücks unterhalten sich zwei Frauen über den hölzernen Zaun hinweg, die eine hinter der Abgrenzung scheint ein Kind auf dem Arm zu tragen. Den rechten Hintergrund nimmt das alte Bauernhaus mit seinen roten Ziegelwänden ein. Der besonders augenfällige Apfelbaum im rechten Vordergrund beugt sich ausladend nach hinten und verleiht dem Bild damit eine besondere räumliche Tiefe. In der Nähe des Hauses tummelt sich eine bunte Hühnerschar, so wie man sich auch heute noch eine ländliche Idylle vorstellen mag. Der hölzerne Waschbottich ganz vorne im Bild ist schon fast leer, die Arbeiten scheinen bald beendet zu sein.

Das Wallraf-Richartz-Museum wurde 1827 unter dem Namen „Wallrafianum“ gegründet und ist das älteste Museum der Stadt Köln. Es beherbergt die weltweit umfangreichste Sammlung mittelalterlicher Malerei, insbesondere der „Kölner Malerschule“, sowie eine repräsentative Auswahl an Kunst des 16. bis 19. Jahrhunderts. Das Museum verfügt über die umfangreichste Sammlung impressionistischer und neoimpressionistischer Kunst in Deutschland.

Beispiele für Material: Blätter eines Apfelbaums oder ein Apfel, ein Stück Baumrinde, eine Hühnerfeder, ein Rest weißer Baumwollstoff, ein kleiner Blumentopf … werden auf den Tisch gelegt. Die TN finden die entsprechenden Darstellungen im Bild.

Museum zum Mitnehmen

Anregungen für die Sinne

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Musikvorschläge »» Mozart – Violinsonate Es-Dur KV 302 »» Händel – Sarabande

»» Bach – Double Violin Concerto in D minor 2nd movement, Largo »» Beethoven – Spring Sonata (Violin Sonata No. 5 ) »» Kofelgschroa – Wäsche

Gesprächsanregungen Info: Früher wurde Wäsche üblicherweise gebleicht. In einigen Städten und Dörfern gab es dafür sog. öffentliche „Bleichwiesen“. Dort wurde die Wäsche zum Bleichen und Trocknen in die pralle Sonne gelegt. So gab es z. B. in Düsseldorf eine solche Wiese direkt am Rheinufer in Oberkassel, wo heute die große „Oberkasseler Kirmes“ stattfindet. Manche Bauern hatten eine eigene Bleiche. Durch die Einwirkung der Sonnenstrahlen in Kombination mit Wasser und dem Sauerstoff aus den Gräsern der Wiese entstand in kleinen Mengen Wasserstoffperoxid – ein Bleichmittel, das auch heute noch u. a. beim Blondieren von Haaren oder in der Zahnmedizin zum Bleichen von Zähnen eingesetzt wird. »» Was ist auf dem Bild zu sehen? Beschreiben Sie es.

»» Wie wirkt dieses Bild auf Sie? Welche Gefühle löst es ganz spontan bei Ihnen aus? »» Welchen Titel würden Sie dem Bild geben?

»» Das Bild wurde in den Niederlanden gemalt – erinnern Sie sich an eine ähnliche Szene in Ihrem Leben? »» Welche Arbeitsgänge waren nötig, wenn das Bleichen nicht möglich war (z.B. im Winter)?

Max Liebermann  Die Rasenbleiche

»» Auf dem Bild sind große Wäschestücke zu sehen, wahrscheinlich handelt es sich um Tischdecken oder Bettwäsche. Wie haben Sie immer Ihre Bettwäsche zusammengelegt?

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»» Auf dem Bild ist ein Waschtag auf dem Land zu sehen – welche Möglichkeiten der Wäschepflege hatten Städter in Zeiten, als vollautomatische Waschmaschinen noch selten waren? »» Welche Hilfsmittel zur Wäschepflege standen Ihnen früher zur Verfügung? »» Welche Hilfsarbeiten konnten von Kindern erledigt werden? »» Was gab es am Waschtag zu essen?

»» Welche körperlichen Beschwerden waren die Folgen von solchen schweren Tätigkeiten im Haushalt? »» In welchen Ländern wird auch heute noch die Wäsche im Fluss gewaschen?

Zur Biografie Liebermanns »» Die Hochzeitsreise der Frischvermählten führte sie in die Niederlande. Wohin ging bei Ihnen die Reise oder welches Ziel hätten Sie sich ausgesucht? »» Max Liebermann sammelte auch auf der Hochzeitsreise Ideen für seine Werke. Wie war das bei Ihnen – konnten Sie und Ihre Familie Urlaub und Beruf voneinander trennen? Wie schätzen Sie die Situation von Berufstätigen heute ein?

Zitate von Max Liebermann „Die gut gemalte Rübe ist besser als die schlecht gemalte Madonna.“ „Der Impressionismus ist nicht – wie man‘s täglich hören oder lesen muss – eine Richtung, sondern eine Weltanschauung: Jeder kann in ihr nach seinem Talent selig werden.“ „Nicht das sogenannte Malerische, sondern die Natur malerisch aufzufassen ist’s, was ich suche, die Natur in ihrer Einfachheit und Größe – das Einfachste und das – Schwerste“.

Zeitgeschichte 1882 Der Anker-Steinbaukasten geht in Serienproduktion. Die erste dauerhafte elektrische Straßenbeleuchtung wird in Nürnberg in Betrieb genommen. Paul Carl Beiersdorf erfindet die Guttaperchapflastermulle (Wundschnellverband, Pflaster). Ernst Werner von Siemens lässt den Oberleitungsbus „Elektromote“ auf einer Versuchsstrecke fahren. Wilhelm Bartelmann erfindet den Strandkorb. Der Odenwaldklub, einer der ersten deutschen Wandervereine, wird gegründet.

Der Bettelstudent (Operette in drei Akten von Carl Millöcker) wird uraufgeführt.

Museum zum Mitnehmen

In Barcelona erfolgt die Grundsteinlegung der von Antoni Gaudí entworfenen, bis heute im Bau befindlichen Kathedrale Sagrada Família.

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Gedichte zum Motiv Auf der Bleiche Bringst du Leinen auf die Bleiche? Kommt dir nicht der Wind darüber? Über Dämme, über Deiche wirbelt er vom Meer herüber. Willst mit Klammern, willst mit Steinen dir den weißen Schatz erhalten? Einmal wird mit deinem Leinen doch ein fremder Wille schalten. Kommt‘s in deiner Töchter Kästen, kommt‘s in deiner Enkel Hände, ist der Faden auch vom Besten, das Gewebe nimmt ein Ende. Hier ein Flicken, dort ein Flicken. Soll man‘s kunterbunt besetzen? Weg damit! so will sich‘s schicken. Und der Wind spielt mit den Fetzen.

Wäsche im Wind Tollt der Wind über Feld und Wiese, hat seinen Spaß er überall, aber am liebsten neckt er die Liese mit einem tückischen Überfall. Will sie ihr Zeug auf die Leine bringen, zerrt er: Liese, dies Hemd ist mein! Um jedes Laken muss Liese ringen, jedes Stück will erobert sein. Gibt es der Sausewind endlich verloren, schlägt er noch im Übermut ihr das nasse Zeug um die Ohren: Da, liebe Liese, häng‘s auf und sei gut. Gustav Falke, 1853 – 1916 (Aus der Sammlung Hohe Sommertage, 1902)

Gustav Falke, 1853 – 1916 (Aus der Sammlung Hohe Sommertage, 1902)

Wäsche

Max Liebermann  Die Rasenbleiche

Wäsche ist von des Menschen Umäußerung das Innerste, also das Feinste, und soll immer das Reinste sein, wie im Menschen selber die Seele.

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Was immer ihr fehle, die Sauberkeit fehle ihr nie. Und schön und schöner, wenn außerdem sie noch Wohlgeschmack, einen freien Geist und das Verständnis für neueste Zeit und für die Gesetze der Ewigkeit beweist. – Wie doch die innersten Blättchen der Blüten die innigsten sind. – Wäsche sollst du wie dein Gewissen und wie dein Kind peinlich pflegen und sorgsam behüten. Joachim Ringelnatz, 1883 – 1934

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Museum zum Mitnehmen

Fritz von Uhde: Die Kinderstube (1889) Öl auf Leinwand, 110,7 x 138,5 cm Hamburger Kunsthalle © bpk / Hamburger Kunsthalle

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Fritz von Uhde 

Die Kinderstube Die Bilder des sächsischen Malers Fritz von Uhde sind stilistisch zwischen Realismus und Impressionismus angesiedelt.

Kurzbiografie: Fritz von Uhde (1848 – 1911)

Fritz von Uhde  Die Kinderstube

F

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ritz von Uhde (gebürtig Friedrich Hermann Carl Uhde) wurde am 22.05.1848 auf Schloss Wolkenburg (Sachsen) geboren. Sein Vater war Kreis-Direktor von Zwickau, sächsischer geheimer Regierungsrat und Präsident des Evangelischen Landeskonsistoriums in Sachsen und wurde 1883 geadelt. Noch im Kleinkindalter zog die Familie nach Zwickau, wo er seine Kinder- und Jugendzeit verbrachte. Beide Elternteile waren künstlerisch begabt und förderten das zeichnerische Talent von Fritz und seinen beiden Schwestern. Von fachlicher Seite wurde dem Jungen seine künstlerische Begabung bescheinigt, und so begann er nach dem Abitur eine Ausbildung an der Kunstakademie in Dresden. Dort fühlte er sich jedoch nicht wohl und brach nach drei Monaten das Studium ab, um im sächsischen Gardereiterregiment eine Offizierslaufbahn einzuschlagen. Aufgrund seiner Verdienste im deutsch-französischen Krieg in den Jahren 1870/71 erhielt er das Eiserne Kreuz. Während dieser Zeit hielt er seine Kriegserlebnisse malerisch fest. 1876 verabschiedete er sich vom aktiven Militärdienst und siedelte im Jahr darauf nach München über. 1878 begann er das Studium der alten Meister in der Pinakothek. Seine Vorliebe galt den alten niederländischen Meistern, die seine ersten Bilder stark beeinflussten. Im Jahr 1880 heiratete er in München Amalie Endres, mit der er drei Töchter hatte: Anna (1881 – 1970), Amalie (1882 – 1977) und Sophie (1886 – 1956). Seine Familie war ihm wichtig; seine Töchter stellte er in verschiedenen Bildern zeichnerisch dar, z.B. in der „Kinderstube“ und „In der Gartenlaube“. Die Bekanntschaft mit Max Liebermann inspirierte ihn zu seiner eigenen Art der Darstellung von Kindern. Seine religiösen Motive werden als Vorläufer der modernen Kirchenkunst des 20. Jahrhunderts angesehen. In München wurde Uhde der Titel „Königlicher Professor“ verliehen und er wurde mit einem Lehrauftrag an der Akademie der Bildenden Künste betraut, die sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts zu einer der angesehensten internationalen Kunsthochschulen entwickelt hatte. Am 25. Februar 1911 starb Uhde nach längerer Krankheit im Alter von 62 Jahren in München.

Zum Bild Das Gemälde zeigt einen geräumigen hellen Raum, wahrscheinlich ist er das Schlaf- und Spielzimmer der abgebildeten Kinder. Aus biografischen Quellen ist

bekannt, dass es sich hier um die Münchener Wohnung des Künstlers handelt. Die Szene gewährt den Einblick in ein lebendiges Kinderzimmer, in dem drei Mädchen unter Aufsicht einer Erwachsenen spielen und mit Handarbeiten beschäftigt sind. Die Szene spielt vermutlich an einem Sonntag, wenn man das Kalenderblatt mit der roten Zwei als Anhaltspunkt nimmt. Die hellblaue Rapporttapete mit weißem ornamenthaften Streifendekor verleiht dem Raum seine Dreidimensionalität. Das Fenster gewährt einen Blick auf die gegenüberliegende Häuserfront, die beiden offenen nach innen aufschlagenden rechten Fensterflügel lassen den Betrachter in einer lichtdurchfluteten Atmosphäre verweilen. Auf einem Stuhl am Fenster sitzt das älteste Kind – etwa acht Jahre alt –, mit übergeschlagenen Beinen, ganz vertieft in eine Nadelarbeit. Es trägt ein rosapastellfarbenes Kleid mit blauem Besatz und blauem Halstuch. Links von ihm unmittelbar unter dem Fenster steht auf einem kleinen Holztischchen eine runde Schachtel mit den Nähutensilien. Die etwas jüngere Schwester sehen wir weiter im Vordergrund auf einem Kinderstuhl sitzen. Sie trägt ein gemustertes Kleid, darüber eine Kittelschürze, wie sie für Kinder im 19. Jahrhundert üblich war. Sie spielt mit einer hellblau gekleideten Puppe, ihr rechter Kniestrumpf ist heruntergerutscht. In der Mitte des Zimmers steht das etwa dreijährige Schwesterchen im roten Kleid mit weißer Schürze und rosa Strumpfhose. Es freut sich sichtlich über seine Puppe, mit der es Gehversuche wagt – das Kind blickt strahlend zum Betrachter hin. Im Zimmer sind noch einige weitere Puppen vorhanden, eine liegt im Puppenwagen aus Rohrgeflecht, der im vorderen Bildteil zu sehen ist. Auf dem Parkettboden liegen weitere Spielzeuge verstreut, kleine Bäume und ein Holzhäuschen. Rechts vorne dominiert ein großer runder Holztisch, der mit diversen Puppenkleidern und zwei Körben belegt ist, aus denen verschiedene Stoffcoupons herausschauen. Dahinter ist eine erwachsene Person dargestellt, es könnte sich um die Mutter oder ein Kindermädchen handeln. Sie ist mit einer Strickarbeit beschäftigt, man sieht das Nadelspiel in ihren Händen. Auch sie befasst sich sehr konzentriert mit ihrer Handarbeit. In der linken hinteren Ecke befindet sich ein Kinderbett mit goldfarbenen reich verzierten schmiedeeisernen Gittern; an der gegenüberliegenden Wand rechts kann man ein gleiches Bett vermuten.

Anregungen für die Sinne Beispiele für Material: Spielzeuge wie Puppen, Bären, Bauklötze … werden auf den Tisch gelegt. Die TN finden die entsprechenden Darstellungen im Bild. Welches Spielzeug gab es schon damals, welches ist modern?

Museum zum Mitnehmen

In der Hamburger Kunsthalle sind mehrere bedeutende Kunstsammlungen beheimatet. Diese spannen den Bogen vom Mittelalter bis zur modernen und zeitgenössischen Kunst.

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Musikvorschläge »» Wolfgang Amadeus Mozart – Wiegenlied, K. 350 »» Wolfgang Amadeus Mozart – Variationen K 265

»» Robert Schumann – Kinderszenen Op. 15

Gesprächsanregungen »» Was ist auf dem Bild zu sehen? Beschreiben Sie es.

»» Wie wirkt dieses Bild auf Sie? Welche Gefühle löst es ganz spontan bei Ihnen aus? »» Welchen Titel würden Sie dem Bild geben?

»» Das Bild wurde zu einer Zeit gemalt, als Ihre Großeltern oder Urgroßeltern Kinder waren. Was wissen Sie über deren Lebenssituation? »» In welchen Räumen durften Sie sich als Kind aufhalten – zum Schlafen, Spielen usw.? Wie waren sie eingerichtet, welche Möbel durften Sie nutzen? »» Hatten Sie ein eigenes Bett oder mussten Sie sich die Schlafstatt mit Geschwistern teilen? »» Wo spielte sich das Familienleben ab?

»» Womit haben Sie sich die Zeit vertrieben? Welches Spielzeug stand Ihnen zur Verfügung? Gab es Unterschiede im Spielzeug von Mädchen und Jungen? »» Welche Kinderspiele im Freien und im Zimmer waren zu Ihrer Zeit üblich? »» Wie sah Ihre Kleidung zu Ihrer Kinderzeit aus?

»» Bis zu welchem Alter durften Sie „Kind sein“, wann fing das Erwachsenenleben an? »» Was meinen Sie – ist Kind sein heute schöner und einfacher als früher?

Fritz von Uhde  Die Kinderstube

Zitate zum Thema Kinder

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„Kennt ihr das sicherste Mittel, ein Kind unglücklich zu machen? Ihr müsst es daran gewöhnen, alles zu erhalten. Sein Verlangen wächst unaufhörlich. Bald oder spät wird euch die Ohnmacht zwingen, ihm etwas zu versagen, und dies ungewohnte Versagen wird ihm weit größere Qual sein als die Entbehrung des verlangten Gegenstandes.“ (Jean-Jacques Rousseau) „Viele, die bei Kindern sind, tun ihre Pflicht, aber das Herz ist nicht dabei. Das merkt das Kind.“ (Wilhelm von Humboldt) „Wer sich seiner eigenen Kindheit nicht mehr deutlich erinnert, ist ein schlechter Erzieher.“ (Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach) „Die Aufgabe der Umgebung ist nicht, das Kind zu formen, sondern ihm zu erlauben, sich zu offenbaren.“ (Maria Montessori)

Zeitgeschichte 1889 Die Allianz Versicherungs-AG wird in München gegründet. In Kyōto wird die Firma Nintendo gegründet, um Spielkarten zu produzieren. Im Mai 1889 wird der Eiffelturm pünktlich zur Weltausstellung in Paris freigegeben. Die Pariser Bevölkerung empfindet das zu diesem Zeitpunkt höchste Bauwerk der Welt als einen Schandfleck und sammelt Unterschriften für seine Entfernung. Im Pariser Stadtviertel Montmartre (18. Arrondissement) wird das Vergnügungslokal „Moulin Rouge“ eröffnet, das sich zum berühmtesten Varietétheater der Welt entwickeln wird. Der Name geht auf die bekannte Nachbildung einer roten Mühle auf dem Dach zurück. In San Francisco kommt erstmals ein Musikautomat mit Münzeinwurf öffentlich zum Einsatz. Der Vorläufer der Filmkamera wird erfunden. In Worpswede wird die Künstlerkolonie gegründet. Theodor Fontane veröffentlicht unter anderem die Ballade „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“.

Gedichte zum Motiv Die Kindheit Noch bin ich ein Kind Noch fühl ich nur Unschuld und Freuden Und weiß nicht was Leiden Und Kümmernis sind.

Ich kenne noch nicht Des Lebens betäubende Sorgen Die Nacht und der Morgen Hat Freud im Gesicht! O lass mich als Kind, Gott! Leben und Dasein empfinden Und Seligkeit finden, Wo Tugenden sind! Gottlob Wilhelm Burmann, 1727 – 1805

Museum zum Mitnehmen

Noch sehe ich die Welt So lachend wie Blumengefilde Voll göttlicher Milde, Die Alles erhält.

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Kinderseele Was eine Kinderseele aus jedem Blick verspricht! So reich ist doch an Hoffnung ein ganzer Frühling nicht. August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, 1798 – 1874

Sonett Es saß ein Kind ganz still zu meinen Füßen, Und spielte froh mit freundlichen Gedanken, Es blickt mich an, bis ihm die Blicke sanken, Und goldne ferne Lande sich erschließen, Von allen Seiten dringt ein süßes Grüßen, Das alte Leben muss nun abwärts wanken, Dass neue frohe Zweige grün umranken Und rund umher ihm zarte Blumen sprießen. Das Kind erwacht, und fraget mich mit Bangen, Ob andern wohl ein solcher Traum gelinge, Ob ich’s allein mit Zauberei umfangen, Dass dankbar es die Arme um mich schlinge. Da rötet mir Verwunderung die Wangen Woher das Kind die kühne Frag‘ erschwinge. Clemens Brentano, 1778 – 1842

Puppenwiegenlied

Fritz von Uhde  Die Kinderstube

Schlaf, Püppchen, schlaf, schlafe in Ruh, schlaf, Püppchen, schlaf, und mach die Äuglein zu! Darfst nicht lesen und schreiben, kannst im Bettchen bleiben morgen so wie heut, hast dazu die Zeit.

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Schlaf, Püppchen, schlaf, schlafe in Ruh, schlaf, Püppchen, schlaf, und mach die Äuglein zu! Liegst du still und schläfst du brav, sing ich dir vom kleinen Schaf, sing ich dir vom Watschelgänschen mit dem kleinen Wickel-, Wickelschwänzchen, schlaf, mein Püppchen, schlaf! Melodie: Carl Reinecke (1824 – 1910), Nr. 8 aus Zehn Kinderlieder op. 75 Text: volkstümlich

Museum zum Mitnehmen

Albert Anker: Die Dorfschule von 1848 (1896) Öl auf Leinwand, 104 × 175,5 cm Kunstmuseum Basel © akg-images Rahmen: AdobeStock_vvoe

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Albert Anker 

Die Dorfschule 1848 Albert Anker ist der populärste Schweizer Maler des 19. Jahrhunderts.

Kurzbiografie: Albert Anker (1831 – 1910)

Albert Anker  Die Dorfschule 1848

A

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lbert Samuel Anker wurde am 1. April 1831 in Ins (Kanton Bern, Schweiz) als Sohn eines Tierarztes geboren. Seine zeichnerische Begabung wurde schon früh erkannt, und so bekam er zwischen 1845 und 1848 private Zeichenstunden. Als er 16 Jahre alt war, verstarben im selben Jahr seine Mutter und sein älterer Bruder. Auf Wunsch des strengen Vaters studierte er nach der Matura (Abitur) von 1851 - 1854 in Bern und Halle Theologie. Doch er spürte immer wieder den Drang zu malen. Vor seinem letzten Examen sollte er eine Probepredigt halten, doch statt die Bergpredigt auszulegen, trug er ausführliche Naturschilderungen vor. Von seinem Professor erhielt er den Rat, lieber Maler als Priester zu werden. 1854 erlaubte ihm der Vater – mithilfe des vermittelnden Professors – das Studium abzubrechen und Maler zu werden. Sofort reiste Anker nach Paris, wo er zwischen 1855 und 1860 die „École des Beauxarts“ besuchte. Bereits im zweiten Studienjahr war er mit seinen Bildern regelmäßig auf Kunstausstellungen in der Schweiz und später auch in Paris vertreten, so dass er ohne Unterhalt seines Vaters leben konnte. 1860 starb der Vater. Von da an verbrachte Anker die Sommermonate im Geburtshaus in Ins, den Winter in Paris. 1864 heiratete er Anna Rüfli, eine Freundin seiner 1852 verstorbenen Schwester. Sechs Kinder hatte er mit ihr, alle gingen in Paris zur Schule. In seinem Heimatort Ins hätte er kaum Geld verdienen können, in Paris dagegen konnte er mit Fayencemalerei (Bemalen von Keramiktellern) den Lebensunterhalt der Familie bestreiten. Anker hätte als Malstil den Impressionismus bevorzugt, der in Paris gerade aufkam, doch er musste solche Bilder malen, die sich auf dem Kunstmarkt verkaufen ließen. Impressionismus entsprach zu dieser Zeit nicht gerade dem Publikumsgeschmack. In einem Brief schrieb er: „Nur wenn ich für mich selber male und nicht für den Verkauf fühle ich mich als ein freier Mann, bin ich wirklich glücklich.“ Für seine Werke – er schuf etwa 600 Werke in Öl, wovon ca. 250 Bilder Darstellungen von Kindern zeigen – erhielt er schon zu Lebzeiten vielfache Ehrungen. 1890 gab er seinen Wohnsitz in Paris auf und zog ganz nach Ins. 1900 wurde er mit dem Ehrendoktor der Universität Bern ausgezeichnet. Als Folge eines Schlaganfalls im Jahr 1901 litt er unter Einschränkungen an seiner rechten Hand und konnte keine großen Ölbilder mehr malen. Von nun an zeichnete er fast 600 Aquarelle in einer Arbeitsposition, die ihm das Anlehnen seiner zitternden Hand ermöglichte. Albert Anker starb am 16.Juli 1910 in seinem Geburtshaus in Ins im Alter von 79 Jahren.

Zum Bild

Das Kunstmuseum Basel bietet mit seiner rund 4.000 Gemälde, Skulpturen, Installationen und Videos sowie 300.000 Zeichnungen und Druckgrafiken umfassenden Sammlung aus sieben Jahrhunderten die größte öffentliche Kunstausstellung der Schweiz.

Anregungen für die Sinne Beispiele für Material: Dinge aus der Schule früher und heute liegen auf dem Tisch (Schiefertafel, Schwamm, Radiergummi, Tintenkiller, Kugelschreiber …). Die TN strukturieren die Gegenstände nach zeitlichen Gesichtspunkten.

Museum zum Mitnehmen

Das Gemälde zeigt den Klassenraum einer Dorfschule im 19. Jahrhundert. An hölzernen Schultischen – in drei Reihen frontal hintereinander angeordnet – sitzen zusammengedrängt jeweils sechs bis sieben Jungen, eine Lektüre vor sich auf der geneigten Schreibfläche. Die Mädchen umrahmen die Szene optisch: sie sitzen ohne Schreibpulte auf Holzbänken längs der Wandseiten. Eine Wandtafel gibt es nicht, jedes Kind hat ein dünnes Schriftwerk vor sich liegen. Seitlich am Pult in der ersten Reihe hängt eine Schiefertafel, wie sie noch in der Mitte des 20. Jahrhunderts in Gebrauch ist. Der Lehrer ist mit einem Zeigestock ausgerüstet und wendet sich den Jungen zu. Die Kinder in den ersten beiden Reihen scheinen noch relativ aufmerksam zu sein – nur einen Schüler sieht man zusammengesunken, den Kopf auf dem rechten Arm platziert, die Augen geschlossen. Vielleicht handelt es sich hier um die „Musterschüler“? Oder kann der Lehrer sich nur in unmittelbarer Reichweite des Rohrstocks Autorität verschaffen? In der dritten Tischreihe sitzen Jungen, die weniger interessiert am Unterricht zu sein scheinen. Einige schwatzen miteinander, starren in die Luft, ein Schüler lehnt am großen Kachelofen und wärmt sich die Hände. Die Mädchen dagegen sind konzentriert in ihre Lektüre vertieft. Ihr Bewegungs- und Handlungsspielraum scheint sehr eingeschränkt; sie haben keine Möglichkeiten, die Schriftstücke irgendwo abzulegen. Wer fertig ist, muss das Blatt weiter in der Hand halten, kann es nur auf dem Schoß halten. Sehr auffällig ist, dass die Mädchen in der Unterzahl vertreten sind, zudem scheinen einige Mädchen etwas älter als die Jungen zu sein. Der Korb mit dem Strickzeug mittig im Vordergrund verweist auf Handarbeiten als typisch weibliches Fach. Die Kleidung entspricht der Bevölkerung des 19. Jahrhunderts auf dem Land; üblich waren Leinen- und Baumwollstoffe in den Farben Weiss, Schwarz, Braun, Blau und Rot. Die Mädchen tragen ländliche Trachten mit vorwiegend gestreiften Schürzen. In der Ecke des Klassenraums sind Werkzeuge abgebildet; diese deuten darauf hin, dass der Lehrer noch einen Nebenberuf als Handwerker ausüben muss, um finanziell über die Runden zu kommen. Der Aushang an der Eingangstür im Hintergrund könnte die Schulordnung beinhalten, die aufzuhängen ab 1862 verpflichtend war.

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Musikvorschläge »» Chopin – Nocturne b-Moll Op. 1 No 9

»» Das arme Dorfschulmeisterlein (Volkslied aus dem 19. Jh.)

Gesprächsanregungen »» Was ist auf dem Bild zu sehen? Beschreiben Sie es.

»» Wie wirkt dieses Bild auf Sie? Welche Gefühle löst es ganz spontan bei Ihnen aus? »» Welchen Titel würden Sie dem Bild geben?

»» Erinnern Sie sich an Ihre eigene Schulzeit? Wie wurde damals gestraft? Was meinen Sie – sind Strafen zum Erziehen notwendig? »» In welcher Reihe saßen die „Musterschüler“?

»» Welche Gruppen wurden zu Ihrer Schulzeit getrennt unterrichtet – Jungen und Mädchen, katholische und evangelische Schüler? »» Mit wem aus dieser Zeit pflegen Sie heute noch Kontakt? »» Welche Dinge kann man in der Schule nicht lernen?

Zitate zum Thema „Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sie widersprechen ihren Eltern, legen die Beine übereinander und tyrannisieren die Lehrer.“ (Sokrates) „Lieber sechs Stunden Schule als gar keinen Schlaf.“ (Schülerweisheit) „Die Welt ist die wahre Schule, denn da lernt man alles von selbst.“ (Johann Nepomuk Nestroy)

„Das ist der Schule höchstes Ziel, dass sie ist ‚Menschenbildnerin‘.“

Albert Anker  Die Dorfschule 1848

(Johannes Georg Keilmann)

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„Die Schule soll ein Ziehhaus, aber kein Zuchthaus sein!“ (Deutsches Sprichwort)

„Wer lesen und schreiben kann, hat vier Augen.“ (Deutsches Sprichwort) „Ein Schulmeister muss singen können.“ (Martin Luther)

Zeitgeschichte 1896 Gründung der Wandervogel-Vereinigung, die zum wichtigsten Träger der Jugendbewegung wird. In Athen finden die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit statt. Das erste Patent für ein Radio wird beantragt.

Gedichte zum Motiv Der Schulgenoss Wohin hat dich dein guter Stern gezogen, O Schulgenoss aus ersten Knabenjahren? Wie weit sind auseinander wir gefahren In unsern Schifflein auf des Lebens Wogen! Wenn wir die Untersten der Klasse waren, Wie haben wir treuherzig uns betrogen, Erfinderisch und schwärm‘risch uns belogen Von Aventuren, Liebschaft und Gefahren! Da seh‘ ich just, beim Schimmer der Laterne, Wie mir gebückt, zerlumpt ein Vagabund Mit einem Häscher scheu vorübergeht – ! So also wendeten sich unsre Sterne? Und so hat es gewuchert, unser Pfund? Du bist ein Schelm geworden – ich Poet! Gottfried Keller, 1819 – 1890

Also lautet ein Beschluss, Dass der Mensch was lernen muss. – Nicht allein das Abc Bringt den Menschen in die Höh‘; Nicht allein in Schreiben, Lesen Übt sich ein vernünftig Wesen; Nicht allein in Rechnungssachen Soll der Mensch sich Mühe machen, Sondern auch der Weisheit Lehren Muss man mit Vergnügen hören. – Dass dies mit Verstand geschah, War Herr Lehrer Lämpel da. Wilhelm Busch, 1832 – 1908 Aus: Max und Moritz, Vierter Streich

Museum zum Mitnehmen

Lehrer Lämpel

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Schulschluss Hörst du‘s schlagen halber acht? Gleich das Buch zurechtgemacht! Schau, schon rudelts, Groß und Klein, dick und dünn zur Schul hinein. Willst du gar der Letzte sein? Schnell die Mappe übern Kopf Und die Kappe auf den Schopf! Und nun spring und lern‘ recht viel. Wer sich tummelt kommt ans Ziel. Friedrich Wilhelm Güll, 1812 – 1879

Erster Schulgang Heut hab ich mein Mädel zur Schule gebracht. Gar schlimme Gedanken hab ich gedacht: Mein Herzenskleinchen, mein Sonnenscheinchen, Nun tust du auf deinen flinken Beinchen Aus unsrer überängstlichen Mitte In die schlimme Welt deine ersten Schritte, Und bist für immer hingegeben Dem bösen Feinde – ich meine das Leben. Lernst früh aufstehn und tausend Pflichten Unnütz als nötig Ding zu verrichten. Wir haben dir jede Lüge verwehrt; Nun siehst du, wie sie die Welt durchfährt. Wir zogen dich auf zu Wahrheit und Reinheit. Wer aber siegt? Wahr dich! Die Gemeinheit. So ziehen dir ins Herzelein Denn Gram und Neid und Argwohn ein. Und endlich wirst du, mein liebes Kind, Wie sie, wie wir, wie alle sind ... Jakob Julius David, 1859 – 1906

An meinen Lehrer

Albert Anker  Die Dorfschule 1848

Ich war nicht einer deiner guten Jungen. An meinem Jugendtrotz ist mancher Rat Und manches wohlgedachte Wort zersprungen. Nun sieht der Mann, was einst der Knabe tat. Doch hast du, alter Meister, nicht vergebens An meinem Bau geformt und dich gemüht. Du hast die besten Werte meines Lebens Mit heißen Worten mir ins Herz geglüht.

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Joachim Ringelnatz, 1883 – 1934

Verzeih, wenn ich das Alte nicht bereue. Ich will mich heut wie einst vor dir nicht bücken. Doch möcht ich dir für deine Lehrertreue nur einmal dankbar, stumm die Hände drücken.

Museum zum Mitnehmen

August Macke: Großes helles Schaufenster (1912) Öl auf Leinwand, 106,8 × 82,8 cm, Sprengel-Museum Hannover © bpk / Sprengel Museum Hannover / Michael Herling / Aline Herling Rahmen: AdobeStock_vvoe

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August Macke 

Großes helles Schaufenster Der deutsche Maler war einer der bedeutendsten deutschen Künstler des Expressionismus.

Kurzbiografie: August Macke (1887 – 1914)

August Macke  Großes helles Schaufenster

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ugust Robert Ludwig Macke wurde am 3. Januar 1887 in Meschede (Hochsauerland) als jüngstes von drei Kindern geboren. Schon bald nach seiner Geburt zog die Familie nach Köln. Dort besuchte er ab 1897 das Gymnasium in der Kreuzgasse und nach einem weiteren Umzug der Familie nach Bonn wechselte er 1900 auf das dortige Städtische Realgymnasium. Schon während der Schulzeit zeigten sich seine große Begabung im Zeichnen und Malen und sein Interesse an Kunst. Auf dem Schulweg lernte er seine spätere Frau Elisabeth Gerhardt kennen – sie war 15, er war 16 Jahre alt, als sie sich 1903 zum ersten Mal begegneten. Elisabeth sollte von da an sein beliebtestes Modell sein, er schuf über 200 Portraits von ihr. Gegen den Willen des Vaters verließ Macke im Jahr 1904 die Schule in der Unterprima (12. Klasse), um an der Düsseldorfer Kunstakademie eine Ausbildung zu beginnen. Vom Lehrplan und der Art der Lehrenden dort war er schon bald sehr enttäuscht, und so verließ er die Akademie 1906. Für das Düsseldorfer Schauspielhaus entwarf er mit leidenschaftlicher Begeisterung Bühnendekorationen und Kostüme für Aufführungen. Eine feste Stellung lehnte er jedoch ab, er wollte sich frei entfalten können. 1907 unternahm er eine Reise nach Paris. Dort lernte er den Impressionismus kennen, war sofort begeistert von diesem Kunststil und beschloss, seine künstlerische Ausbildung bei einem deutschen Impressionisten zu vervollkommnen. Bei Lovis Corinth, der an einer privaten Kunstschule in Berlin Kurse gab, nahm er Unterricht. Der einjährige Militärdienst ab Oktober 1908 unterbrach sein künstlerisches Schaffen völlig. 1909 heiratete er Elisabeth Gerhardt, deren väterliches Erbe dem Paar ein sorgenfreies Dasein ermöglichte. 1910 wurde sein Sohn Walter geboren, 1913 der zweite Sohn Wolfgang. Nach einem Jahr voller Schaffensdrang am Tegernsee kehrte die junge Familie 1910 nach Bonn zurück. Eine enge Freundschaft verband ihn mit dem Maler Franz Marc, durch den er die Verbindung zur Künstlergruppe „Der Blaue Reiter“ erhielt. Neue Kunstströmungen wie Kubismus und Futurismus faszinierten ihn sehr und gaben seiner Malerei neue Impulse. Die Zeit vom Herbst 1913 bis Sommer 1914 verbrachte er mit seiner Familie in Hilterfingen am Thuner See (Schweiz). Seine zweiwöchige Tunesienreise im April 1914 inspirierte ihn zu Aquarellen und Gemälden mit exotischen Motiven. Am 1. August 1914 brach der Erste Weltkrieg aus; er war unter den ersten Wehrpflichtigen, die eingezogen

wurden. Am 26. September 1914 fiel er an der Westfront bei Perthes-lès-Hurlus in der Champagne. Er wurde nur 27 Jahre alt.

Zum Bild Eine Frau mit langem blauen Mantel und Hut steht auf dem Bürgersteig und schaut sich die Auslage eines Geschäftes an. Sie ist in Rückenansicht dargestellt, trotzdem wirkt ihre Kleidung elegant: der Mantelkragen ist mit braunem Pelz besetzt, eine rote Feder ziert die Schauseite des dazu passenden breiten Hutes und verleiht ihm zusätzlich noch etwas an Höhe. Unter dem die Figur weich umfließenden Mantel lugt ein Rock hervor, dessen Saum bis zum Boden reicht. Das Schaufenster ist keine einfarbige gleichmäßige Fläche, sondern eine Komposition aus unvollständigen Formen und unterschiedlichen Farbflächen. Auf den ersten Blick wirkt es wie ein Kaleidoskop-Bild, das die Umgebung in viele Einzelmuster zergliedert. Da sie hier verweilt, hat die Betrachterin sicherlich Interesse an den Auslagen. Was jedoch im Einzelnen im Schaufenster präsentiert wird, ist nicht richtig zu erkennen – die Auslagen haben keine eindeutigen Konturen, man kann nur andeutungsweise ausmachen, dass es sich bei zwei Ausstellungsstücken um einen Rock und vielleicht um das Schema eines Sessels handelt. Unterschiedliche Eindrücke überlagern sich, die Gegenstände an sich sind vermutlich gar nicht so wichtig. In den Glasscheiben scheint sich das Treiben auf der Straße im Rücken der Betrachterin zu spiegeln: Ein nach rechts gerichteter Droschkenkutscher, ein Pferd bewegt sich in die entgegengesetzte Richtung. Haltung der Person und Gangart des Pferdes drücken Geschwindigkeit aus, ganz im Kontrast zur flanierenden Dame. Der Arm mit einer Pistole oben rechts im Bild – ganz in Schwarz – passt nicht richtig zum Bildmotiv „Schaufenster“. Das Fenster präsentiert sich an den Rändern hin als eine Ansammlung unterschiedlicher geometrischer Elemente wie Dreiecke, Würfel sowie asymmetrisch angeordnete scharfe Kanten und Zacken in etwas dunkleren Farben. Vielleicht ist es gerade dieser Kontrast, der den Blick auf die ruhig dastehende Dame vor dem hell beleuchteten Schaufenster lenkt und auf den Betrachter eine Wirkung von Gelassenheit erzeugt.

Anregungen für die Sinne Im Anschluss an die Beschreibung wird das Bild weggelegt und gemeinsam überlegt: Was haben wir von dem gesehenen noch im Gedächtnis behalten? Welche Waren sind zu sehen, was spiegelt sich im Schaufenster? Wie ist die Dame gekleidet?

Museum zum Mitnehmen

Das Sprengel Museum Hannover zählt mit Schwerpunkten wie dem deutschen Expressionismus und der französischen Moderne zu den bedeutendsten Museen der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts.

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Musikvorschläge »» Bach – Sonata No 1 G-Dur BWV 1027 »» Claude Debussy – Clair de Lune

Gesprächsanregungen Info: Die ersten Schaufenster zur Warenausstellung – vor allem für Mode – entstanden in den 1840er-Jahren in den USA. In dieser Zeit entstanden in Paris die ersten modernen Großwarenhäuser, die alles boten, was das Herz begehrt. Mit deren Verbreitung im ausgehenden 19. Jahrhundert dominierten auch Schaufenster das Straßenbild vieler Metropolen – realisierbar wurde dies durch den technischen Fortschritt, der die Verglasung auch großer Flächen möglich machte sowie die Erfindung und Verbreitung des elektrischen Lichtes, wodurch Schaufenster auch von innen beleuchtet werden konnten. In Deutschland eröffnete Georg Wertheim das erste Warenhaus 1876 in Stralsund. Um die Jahrhundertwende entstanden die ersten Ketten mit Filialen, z. B. in Norddeutschland die Karstadt-Warenhäuser und im Süden Hertie (nach dem Begründer Hermann Tietz). »» Was ist auf dem Bild zu sehen? Beschreiben Sie es.

»» Wie wirkt dieses Bild auf Sie? Welche Gefühle löst es ganz spontan bei Ihnen aus? »» Was meinen Sie – hat die Dame schon ihre Einkäufe getätigt oder plant sie den nächsten Einkauf? »» Welchen Titel würden Sie dem Bild geben?

»» Erinnern Sie sich an Ihren ersten Schaufensterbummel? »» Gab es einen Gegenstand in einer Schaufensterauslage, vor dem Sie oft stehen geblieben sind?

August Macke  Großes helles Schaufenster

»» Erinnern Sie sich an eine Situation, in der Sie um einen Preisnachlass gefeilscht haben?

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»» Flanieren Sie gerne auch ohne etwas zu kaufen?

»» Kann ein gut gestaltetes Schaufenster Sie zum Betreten eines Geschäftes verlocken? Erzählen Sie von einem Schaufenster, das Sie sehr beeindruckt hat! »» Was halten Sie von den großen Einkaufszentren, wie sie heute in jeder größeren Stadt vorhanden sind?

Zitate zum Thema „Wenn du einkaufen gehst, benutze deine Augen, nicht deine Ohren.“ (Sprichwort aus Tschechien)

„Konkurrenz belebt das Geschäft.“ (Deutsche Redensart) „Durch die großen Schaufenster ist etwas Unruhiges in das moderne Straßenbild gekommen.“ (Karl Widmer, 1906) „Es gibt in der Kunst ein unumstößliches Gesetz. Was einer recht auffällig ins Schaufenster legt, das führt er gar nicht.“ (Kurt Tucholsky, 1932)

Zeitgeschichte 1912 Carl Brandt gründet in Hagen die Märkische Zwiebackund Keksfabrik C. & F. Brandt GmbH. In Berlin wird die weltweit erste Diesellokomotive fertiggestellt. Der Reclam-Verlag stellt in Erfurt erstmals Buchautomaten zum Verkauf von Büchern auf. Am 14. April um 23.40 Uhr rammt der Luxusdampfer R.M.S. Titanic im Nordatlantik einen Eisberg. Die Titanic versinkt am 15. April um 2.20 Uhr im Atlantik. Melitta Bentz lässt ihren Kaffeefilter nun auch seriell fertigen und nimmt eine eigene Filterproduktionsanlage in Betrieb.

Es war ein Modewarenhaus an der Ecke der Rue de la Michodière und der Rue Neuve-SaintAugustin, dessen Auslagen im milden Licht dieses Oktobermorgens in hellen Farben erstrahlten. […] Das Geschäft erschien fast endlos mit seinen Schaufenstern im Erdgeschoß und seinen Spiegelscheiben im Zwischenstock, hinter denen man geschäftiges Treiben beobachten konnte. […] Hier lag, sozusagen auf dem Gehsteig, ein ganzer Haufen von billigen Waren, Gelegenheitsartikel, welche die Kunden im Vorbeigehen anziehen sollten. Lange Bahnen der verschiedensten Stoffe ergossen sich aus dem Zwischenstock herab und flatterten wie Fahnen in allen Farben, schiefergrau, meerblau, olivgrün. Daneben hingen gleichsam als Umrahmung des Eingangs schmale Pelzstreifen als Kleiderbesatz herab. Unten schließlich waren in Fächern und auf Tischen mitten unter Stößen von Stoffresten Berge von Waren aufgestapelt, die für eine Kleinigkeit zu haben waren: gewirkte Handschuhe und Schals, Kopftücher, Leibchen, eine förmliche Ausstellung von Wintersachen in bunten, scheckigen, gestreiften Mustern. Es war ein riesiger Jahrmarkt; das Geschäft schien vor Überfülle bersten und seinen Überfluss auf die Straße ausschütten zu wollen. Emile Zola, 1840 – 1902 Aus: Das Paradies der Damen

Museum zum Mitnehmen

Literarisches zum Motiv

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Manchmal gehe ich an kleinen Läden vorbei, in der Rue de Seine etwa: Händler mit Altsachen oder kleine Buch-Antiquare oder Kupferstichverkäufer mit ganz, ganz vollen Schaufenstern: Nie tritt jemand ein bei ihnen, sie machen offenbar keine Geschäfte: aber man sieht hinein, und sie sitzen und lesen, unbesorgt (und sind doch nicht reich); sorgen nicht um morgen, ängstigen sich nicht um ein Gelingen, haben einen Hund, der vor ihnen sitzt, gut aufgelegt, oder eine Katze, die die Stille um sie noch größer macht, indem sie die Bücherreihen entlangstreicht, als wischte sie die Namen von den Rücken. Ach, wenn das genügte: Ich wünschte manchmal, mir so ein volles Schaufenster zu kaufen und mich mit einem Hund darunterzusetzen für zwanzig Jahre. Rainer Maria Rilke, 1875 – 1926

Durch die Stadt bummeln ‚Wir bummeln durch die Innenstadt‘, verkünden Ehefrauen. Sie laufen sich die Füße platt, beim Sichten und beim Schauen. Die Wünsche geben sich bedeckt, und zeigen kein Verlangen. Die Waren werden abgecheckt, selbst die auf Kleiderstangen. ‚Hereinspaziert!‘ meint die Boutique. Es lockt die Frühjahrsmode. Genießt auch jeden Augenblick, und Sonderangebote.

August Macke  Großes helles Schaufenster

Natürlich werden Frauen schwach bei diesen Niedrig-Preisen. Kein Ehemann hält sie in Schach, wenn sie ein Kleid umkreisen.

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Nach Hause strebt die Ehefrau, bepackt mit Einkaufstüten. Dort macht sie eine Modenschau und ist mit sich zufrieden. © Roman Herberth, *1955 (mit freundlicher Genehmigung des Autors)

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Hans Baluschek: Alt-Berlin, Waisenstraße (1927) Öl auf Leinwand, 87 × 120,5 cm Märkisches Museum, Berlin © akg-images Rahmen: AdobeStock_vvoe

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Hans Baluschek 

Alt-Berlin, Waisenstraße Der deutsche Maler, Grafiker und Schriftsteller gilt als einer der Hauptvertreter des deutschen kritischen Realismus, der in seinen Bildern das Leben des Proletariats darstellte und dementsprechend vor allem die Menschen des Arbeiterstandes in Berlin.

Kurzbiografie: Hans Baluschek (1870 – 1935)

Hans Baluschek  Alt-Berlin, Waisenstraße

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ans Baluschek wurde im Jahr 1870 als Sohn eines Eisenbahningenieurs in Breslau geboren. 1876 zog die Familie nach Berlin, wo sie im kleinbürgerlich-proletarischen Milieu inmitten anderer Arbeiterfamilien lebte. In Berlin besuchte Hans Baluschek das Gymnasium, die letzten beiden Schuljahre bis zum Abitur 1889 verbrachte er in Stralsund, wohin sein Vater versetzt worden war. Bereits in Berlin hatte er Kunstausstellungen besucht und zu malen begonnen. Im selben Jahr nach seinem Abitur erhielt er die Zulassung für das Studium an der Königlichen Akademie der bildenden Künste in Berlin und kehrte nach Berlin zurück. Nach Beendigung seines Studiums im Sommer 1893 arbeitete er als freier Künstler. Die naturalistische Literatur von Gerhart Hauptmann, Leo Tolstoi, Henrik Ibsen und Arno Holz beeindruckten ihn sehr; unter deren Einfluss malte er Szenen aus dem Berliner Volksleben und fand zu seinem individuellen Stil eines sozialkritischen Realismus. Durch seine Ausstellungen in den Jahren 1895, 1896 und 1897 in der Galerie Gurlitt präsentierte er erstmals seine Bilder einem größeren Publikum. 1898 gründete er mit Freunden (u. a. Max Liebermann) die Künstlergruppe „Berliner Secession“, die sich zunächst als Gegenbewegung zum akademischen Kunstbetrieb sah, sich aber im Laufe der Jahre zur anerkannten Größe des Kunstbetriebs entwickelte. Gemeinsam mit Käthe Kollwitz und Heinrich Zille vertrat Hans Baluschek die bodenständige und sozialkritische Kunst. 1902 heiratete er die Theaterschauspielerin Charlotte von Pazatka-Lipinsky, die er einige Jahre vorher durch seine Verbindungen zur Theaterwelt kennengelernt hatte. Die Ehe blieb kinderlos, 1913 wurde das Paar geschieden. Im gleichen Jahr heiratete er die 25 Jahre jüngere Irene Drösse, seine ehemalige Malereischülerin. Ihre beiden Töchter Regine und Renate kamen 1916 und 1918 zur Welt. Im Ersten Weltkrieg diente Hans Baluschek einige Zeit als Landsturmmann. In den Jahren nach dem Krieg bebilderte er vor allem Märchenbücher. Bekanntheit erlangte er insbesondere durch seine Illustrationen von Büchern wie „Peterchens Mondfahrt“ von Gerdt von Bassewitz (1919). 1920 trat er in die SPD ein. 1923 eröffnete er gemeinsam mit dem Reichspräsidenten Friedrich Ebert die Große Berliner Kunstausstellung und wurde 1929

bis 1933 deren Leiter. 1933 setzten die Nationalsozialisten Baluschek als „marxistischen Künstler“ von seinen Ämtern ab, schlossen ihn später von allen Arbeits- und Ausstellungsmöglichkeiten aus und brandmarkten seine Werke als „Entartete Kunst“. Am 28. September 1935 starb Hans Baluschek im Berliner Franziskus-Krankenhaus an einem Nierenleiden. Er wurde auf dem Wilmersdorfer Waldfriedhof in Stahnsdorf beigesetzt.

Das Gemälde zeigt eine schmale Straße, die zwischen einem dicht bebauten Häuserkomplex und einem großflächig dargestellten Friedhofsareal nach rechts in den Hintergrund führt. Die Fassadenreihe der drei- bis viergeschossigen Altstadthäuser auf der linken Seite veranschaulicht auf realistische Weise das kleinbürgerliche Milieu im Berlin der 1920er-Jahre, so wie man es sich gedanklich vorstellen mag. Ganz links im Bild weist das Reklameschild „Berliner Kindl“ auf ein Gasthaus hin – beim Vergleich mit Fotografien Berlins aus der Entstehungszeit des Gemäldes fällt sofort auf, dass es sich bei diesem Gebäude um das bekannte Restaurant „Zur letzten Instanz“ handelt, das nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut wurde. Die erstmals 1561 urkundlich erwähnte Branntweinstube wurde um 1715 „Zum Bierstübchen am Glockenspiel“ genannt – die Endbuchstaben „-bchen“ auf dem Wirtshausschild könnten noch darauf hindeuten. Die Straßensituation ist von vielen Figuren belebt, die jede für sich eine eigene Geschichte erzählt. Auf dem Bürgersteig spielen zwei Mädchen mit Puppe und Holzpuppenwagen. Vor dem Haus neben dem Gasthof ist ein altes Paar zu sehen, sie sitzt auf einem Stuhl, die Füße auf einem Hocker, und ist leicht eingenickt; er lehnt sich an die Hauswand und blickt in die Ferne. Eine Mutter hält ihr in rotem Babyanzug gekleidetes Kind im Arm, sie steht auf der Straße und scheint das Baby zu wiegen. Hinter ihr öffnet ein Mann die Haustür – am Gebäude befinden sich zwei Schilder „Patzenhofer“ und „Schultheiss“: entweder handelt es sich nur um Reklame oder um ein zweites Wirtshaus in dieser Straße. Ein Vater und seine beiden Kinder – Sohn und Tochter – entfernen sich die Straße hinauf. Auf der gleichen Höhe der Straße kommt dem Betrachter ein Arbeiter entgegen, in der linken Hand einen Henkelmann schwenkend. Ein Stück weiter entfernt sitzt eine Frau mittleren Alters vor dem Haus. Der Kirchhof (der Parochialkirche) auf der rechten Seite kontrastiert schon durch die Farbgebung zur farblich in grau gehaltenen Häuserzeile gegenüber. Steinerne alte Grabmale sowie Mausoleen zeugen davon, dass vermutlich Personen aus der Berliner Oberschicht auf dem parkähnlichen Areal beigesetzt wurden. Auf dem Bürgersteig vor dem Kirchengelände sind einige Passanten zu sehen: eine bürgerlich gekleidete Frau mit Mantel und Hut scheint es eilig zuhaben, zwei Männer unterhalten sich, zwei junge Frauen stehen abwartend daneben. Einen jungen Mann mit Korb sieht man um die Ecke gehen. Ein Schutzpolizist in für die Zeit typischer Uniform patrouilliert in der vorderen Bildmitte.

Museum zum Mitnehmen

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Das Märkische Museum wurde 1874 als Märkische Provinzialmuseum im Palais Podewils gegründet und war das erste rein bürgerliche, vom Königshaus unabhängige Museum Berlins. Heute werden dort Ausstellungen und Objekte zur Geschichte, zur Kultur und zum Alltag der Stadt Berlin präsentiert.

Anregungen für die Sinne Beispiele für Material: CD oder App mit Geräuschen aus der Großstadt, z. B. Baustelle, Straßenverkehr, belebte Fußgängerzone, Schritte auf der Straße, Fahrradklingel, Motorrad, Markthalle, Kirchenglocken … Die Teilnehmer identifizieren die jeweilige Quelle. Sie überlegen, welche Geräuschquellen es zur Entstehungszeit des Bildes schon gegeben hat.

Musikvorschläge »» Reinhard Mey – Frühling in der Großstadt »» Reinhard Mey – Großstadt 8 Uhr früh

»» Alltagsschlager aus dem Berlin der 1920er-Jahre

Gesprächsanregungen Info: Berlin entwickelte sich in den 1920er-Jahren zu einer Industriemetropole, in der die für die Hauptstadt so charakteristisch werdenden Mietskasernenblöcke entstanden, wie auch Zille sie in seinen Milieustudien beschreibt. »» Was ist auf dem Bild zu sehen? Beschreiben Sie es.

»» Wie wirkt dieses Bild auf Sie? Welche Gefühle löst es ganz spontan bei Ihnen aus?

Hans Baluschek  Alt-Berlin, Waisenstraße

»» Welchen Titel würden Sie dem Bild geben?

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»» Hans Baluschek hat auf seinem Bild eine Straße in Berlin portraitiert – kennen Sie eine solche Stadtszene aus eigener Anschauung? »» Wo sind Sie geboren und aufgewachsen? Wo haben Sie den Großteil Ihres Lebens verbracht – in der Stadt oder auf dem Land? »» Waren der Wohnort und Arbeitsplatz in der gleichen Stadt oder Gemeinde? »» Was haben Sie an Ihrem Wohnort vermisst? »» Was sind die Vorteile des Stadtlebens?

»» Welche Metropolen/Großstädte haben Sie auf Reisen besucht? »» Gibt es eine Großstadt, die Sie besonders mögen?

Zitate zum Thema „Die Menschen, nicht die Häuser, machen die Stadt.“ (Aus England) „Die Stadt ist gut, sagte der Bauer, aber die Leute taugen nichts.“ (Deutsches Sprichwort)

„Gott machte das Land, der Mensch die Stadt.“ (William Cowper, 1731 – 1800) „Je größer die Stadt, desto größer die Spitzbuben!“ (Unbekannt) „Die große Stadt hat nicht Zeit zum Denken, und was noch schlimmer ist, sie hat auch nicht Zeit zum Glück.“ (Theodor Fontane) „Das zählt ja zu den Vorzügen der großen Stadt. Es gibt immer hundert Dinge, worüber sich plaudern lässt.“ (Theodor Fontane)

Zeitgeschichte 1927 Charles Lindbergh fliegt nonstop von New York nach Paris. Der Hindenburgdamm, der die Insel Sylt mit dem Festland verbindet, wird eröffnet. Der deutsche Reichstag verabschiedet das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung. Es gibt jetzt einen echten Rechtsanspruch auf Arbeitslosengeld. Die Miss Deutschland wird erstmals gewählt. Gründung des Fürther Versandhauses Quelle.

In diesem Haus in der Waisenstraße wohnte eine alte Frau in einer Stube, in die nie Licht, geschweige denn die Sonne hineinkam. Erst als das Haus in der Neuen Friedrichstraße, das davor stand, abgerissen wurde, sagte die Alte freudestrahlend: „Jetzt scheint mir die Sonne in den Hals!“ Aber es dauerte nicht lange. Bald wurde ein neuer, noch höherer Komplex in der Neuen Friedrichstraße aufgeführt. Da saß die Alte wieder im dunklen Loch. Heinrich Zille, 1858 – 1929 Aus: Das Zillebuch – Kapitel 11 („Milljöh“)

Museum zum Mitnehmen

Literarisches zum Motiv

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Frühling in Berlin Der erste Vogel singt dort drüben In hellster Wonne Wiederklang, Er will die kleine Kehle üben Für einen Sommer voll Gesang. Die Kinder spielen auf den Straßen, Ihr Lärmen dringt zu mir herauf, Quälend … Weit über alle Maßen Regt jeder mich der Töne auf. So weit bereits hat mich der Kummer Vom Land der Freudigkeit entfernt – Ihr Echo schon stört seinen Schlummer, Sein Sang und Lachen ich verlernt. John Henry Mackay, 1864 – 1933

...Straße, Berlin S Alles erzählt mir von meinem Glücke – Wie es sich schuf und wie es in Stücke Ging – Alles erzählt mir davon! Alles erzählt mir von jenen Tagen, Wie sie entstanden – doch wie ich tragen Diese soll, davon erzählt mir kein Ton. Hundertmal wandere ich durch die Straßen, Wieder und wieder! – O über die Maßen Teurer, geliebter, geheiligter Ort! Und was bist du? – Nur eine Gasse, – Seh ich sie nicht, o wie ich sie hasse! – Drin alles Leben hinsiecht und verdorrt! Aber d e i n Fuß hat sie beschritten! Aber h i e r hast du gejauchzt und gelitten! Und wir beide, wir fanden uns hier! Was unerträglich ist, hier kann ich’s tragen – Alles erzählt hier von jenen Tagen, Alles von meinem Glücke mir! … John Henry Mackay, 1864 – 1933

Hans Baluschek  Alt-Berlin, Waisenstraße

Ich bin zufrieden, dass ich die Stadt gesehn, Und ohn Ermüden will ich ihr näher gehn Und ihre hellen goldenen Gassen Lebenslang nicht aus den Augen lassen.

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Johann Timotheus Hermes, 1738 – 1821 auch unter den Pseudonymen Heinrich Meister deutscher Romanschriftsteller, Theologe und Dichter geistlicher Lieder

So seltsam es klingt, die Großstadtleute wohnen zu weit voneinander weg. In der Großstadt ist es weiter von der einen Tür zur andern als von einem Hof im Tal bis zum Nachbarn den Berg hinauf. Wenn dich jemand in der Großstadt nach den Bewohnern deines Nachbarhauses fragt, so kennst du nicht einmal ihre Namen. Paul Keller, 1873 – 1932

Danksagung Ein solch innovatives Buchprojekt lässt sich nur mit Hilfe eines engagierten Verlagsteams verwirklichen. An dieser Stelle möchte ich mich bei allen Personen bedanken, die zur Entstehung dieses Werkes beigetragen haben, vor allem bei Bettina Schäfer, die von Anfang an von meiner Konzeptidee begeistert war. Sie hat mich beim Entstehungsprozess und bei der Realisierung dieser Publikation mit großem Engagement begleitet, unterstützt und beraten und gab dem Buch den letzten Schliff. Klaus Mencke, der als Gesamtverantwortlicher bereit war, dieses besondere Konzept in das Verlagsprogramm aufzunehmen und mir eine flexible Zeitplanung zu erlauben! Andrea Hübener-Fietje, die in einem langwierigen Prozess Kontakt mit den Museen und Bildagenturen aufgenommen und sich um Abdruckgenehmigungen für die Bilder gekümmert hat. Rita Zottl für ein Cover, das neugierig macht auf den Inhalt, für den eine sehr ansprechende Gestaltung gelungen ist. Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern meiner Gruppen, die mich zu diesem Buch motiviert und inspiriert haben und die sich mit wertvollen und bereichernden Impulsen beteiligt haben.

Museum zum Mitnehmen

Dank auch an die Museen und Bildagenturen, die uns erlaubten, Abbildungen ihrer Exponate in diesem Buch und auf der CD aufzunehmen.

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Autorin

Autorin

Andrea Friese, Pädagogin und promovierte Erziehungswissenschaftlerin, 1993 Ausbildung zur Gedächtnistrainerin, in den Jahren 2000 – 2001 Weiterbildung zur Fachtherapeutin für Hirnleistungsstörungen und anschließend zur Ausbildungsreferentin des BVGT e.V. (Bundesverband Gedächtnistraining). Ab 1992 langjährige Tätigkeit im Sozialen Dienst eines Seniorenzentrums, seit 2010 ehrenamtliche Begleitung eines Demenz-Cafés und Aufbau einer Selbsthilfegruppe für pflegende Angehörige im Rahmen eines niederschwelligen Angebotes. Seit 2010 Pädagogische Leitung des BVGT e.V., daneben freiberufliche Dozentin.

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