MRTskript-Trier

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MRTskript-Trier

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Handbuch zur Einführung in die Praxis der Männer Radikal Therapie für Gruppen

© 1997 Horst Gräser, Martin Häfele, Reinhard Hallwachs u.a. (redaktionell überarbeitet im Januar 2005 von Horst Gräser)

Inhalt

Teil 1 Was ist allgemein wichtig? 1. Metaregeln 2. Durchbrechen des Körpertabus 3. Aufmerksamkeitsstörungen, Minis

Seite 3 4 5

Teil 2 Die Sitzung 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.

Blitzlicht Gutes und Neues Arbeitszeiten Wiedererkennung Beziehungsklärung Das Retter-Dreieck bzw. Retterspiel Gespinste Grolle Schmuser und Selbstwertschätzung

6 6 10 12 13 15 20 23 28

Teil 3 Arbeitsstrategien 13. 14. 15. 16.

Kontrakte Counseln Transaktionsanalyse Rational-Emotive Therapie

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32 34 39 44

Teil 1 Was ist allgemein wichtig?

1. Metaregeln

Die Regeln, die während der Sitzungen gelten, haben sich als sehr nützlich für das gute Funktionieren einer Gruppe erwiesen. Die Regeln sind für die Menschen da und nicht umgekehrt. • Keine Drogen (Alkohol/Hasch etc.) vor oder während der Sitzungen. Keine

Zigaretten/Getränke/Knabberzeug während der Sitzungen. • Jeder soll sich körperlich wohl fühlen, deshalb: Hosenknopf auf, beengte

Kleidung öffnen oder ausziehen. • Furzen, Rülpsen und Gähnen wird nicht unterdrückt, denn die Unter-

drückung beraubt uns unserer Aufmerksamkeit. Also raus damit! • Störungen haben Vorrang. Wenn jemand bemerkt, daß er unaufmerksam,

bzw. aufgeregt ist, dem eigentlichen Sitzungsinhalt nicht folgen kann, sollte derjenige beim Leiter eine Minis erbitten. In einer Mini (2 bis 5 Min) kannst du deine jeweilige Unkonzentriertheit mit einem Unterstützer besprechen, es rausschreien, es "rauszappeln", etc. Nach einer Mini solltest du wieder genügend Aufmerksamkeit für die Gruppe haben. • Jeder hat die Verantwortung für sich selbst und für die Gruppe. Jeder hat zu

jeder Zeit die Aufgabe für sich zu sorgen, das bedeutet beispielsweise nicht darauf zu warten, daß ein anderer irgend wie erahnt, daß es dir schlecht geht und dich darauf anspricht. Jeder ist für sich selbst verantwortlich. • Jeder hat gleich viel Zeit. Es wird mit der allgemeinen gesellschaftlichen

Regel gebrochen "Die Armen ärmer und die Reichen reicher". Die Uhr geht rum.

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2. Durchbrechen des Körpertabus

In unserer Gesellschaft wird das Bedürfnis von Kindern nach Nähe, Wärme und Zärtlichkeit als normales und lebenswichtiges Bedürfnis eingestuft und entsprechend befriedigt. Das Kind wird gestreichelt, in den Arm genommen und liebkost, sei es durch die Mutter, den Vater oder auch durch Spielkameraden. Diese elementaren Bedürfnisse des Kindes werden "geschlechts-neutral" befriedigt und dieses Verhalten wird in unserer Gesellschaft als "gut und normal" eingestuft. Das alles ändert sich im Erwachsenenalter. Für Männer gilt häufig die Regel: "Kein Körperkontakt oder aber gleich sexuellen Kontakt". Alle Zwischentöne gelten als unmännlich. Unter Männern wird Körperkontakt, z.B. die Hände eines Mannes halten; streicheln, einen anderen Mann in den Arm nehmen usw., als latent schwules Verhalten abgetan. Nichtsdestotrotz sehnen wir uns nach Nähe, Zärtlichkeit und Wärme und das bekommen wir, wenn überhaupt, von Frauen. Die Möglichkeit, diese Bedürfnisse wieder, wie als Kind, geschlechtsneutral zu handhaben, ermöglicht uns zum einen, unseren "Hunger" an vielen Quellen zu stillen, zum anderen wird die diesbezügliche Abhängigkeit den Frauen gegenüber durchbrochen. In der radikalen Therapie versuchen wir, dieses sehr lebensfeindliche Muster zu durchbrechen, indem wir die Zwischentöne wieder als normales und erstrebenswertes Verhalten einstufen und fördern. Jeder Mann hat die Möglichkeit, neue Formen des Körperkontaktes auszuprobieren. Sicherlich ist das am Anfang noch sehr ungewohnt und schwierig. Vielleicht empfinden wir sogar Angst, aber ein Ausprobieren und sich darauf Einlassen lohnt sich, denn es ermöglicht uns, in diesem Punkt zu wachsen und einen Teil der "alten Freiheiten" zurückzugewinnen. Wichtig dabei ist natürlich, daß jeder für sich selbst verantwortlich ist und daß niemand zu etwas verpflichtet ist. Jeder hat zu jeder Zeit das Recht zu sagen: „Ich will das nicht!“ (Ohne Begründung!).

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3. Aufmerksamkeitsstörungen, Minis

Die Mini ("Minisession") ist die kleinste Arbeitszeit. Sie sollte zwischen 2 und 3 bis 4 Minuten dauern. Es geht darum, daß du deine volle Aufmerksamkeit wiederherstellst. Wenn du also während einer MRT-Sitzung merkst, daß du nicht mehr ganz aufmerksam bist, etwa, daß du eine körperliche Spannung bemerkst, die dich ablenkt, oder daß dir ein bestimmter Gedanke nicht aus dem Kopf gehen will und dich beschäftigt, daß du von dem, was du hörst, gefangen genommen wirst, dann nimm dir eine Mini. Der erste Zweck einer Mini ist, daß du dich ausdrücken kannst: werde los, was du los werden willst, befreie dich von dem, was dich beschäftigt indem du es ausdrückst. Laß deinen Gefühlen freien Lauf, tob dich körperlich aus. Es ist nicht so wichtig, daß du damit konstruktiv weiter arbeitest, das kannst du nachher noch machen. Es ist vor allem wichtig, daß du dich von dem befreist, was dir deine Aufmerksamkeit raubt. Wenn dir etwas die Aufmerksamkeit geraubt hat, was einen anderen Mann betrifft, so frage ihn, ob er damit einverstanden ist, daß du über ihn arbeitest (ob er das im Moment vertragen kann). Sonst mache deine Mini außerhalb der Gruppe. Achte wirklich sorgsam darauf, ob du aufmerksam sein kannst. Männer sind gut im Aushalten und Wegstecken von Belastungen. Wenn du etwas davon bemerkst, versuche nicht, trotzdem aufmerksam zu sein („Ach, es geht schon..“). Nutze deine Möglichkeit, die Aufmerksamkeit wiederzuerlangen, indem du auch bei kleinen Beeinträchtigungen eine Mini anmeldest. Nimm dir nicht zu wenig Zeit dafür (z.B. nicht weniger als 1 Minute!). Denn schon das bloße Hinspüren, was denn eigentlich los ist, braucht Zeit - und der volle Ausdruck dessen, was dich beschäftigt und beeinträchtigt, auch noch. Auch das bloße Ausschütteln, Schreien, Hüpfen, Klopfen, was man auch machen kann, braucht Zeit. Unterstützer: Der Unterstützer gibt Aufmerksamkeit. Er achtet darauf, daß der arbeitende Mann auch wirklich das ausdrückt, was mit ihm ist. Eventuell kann der Unterstützer auch etwas mitteilen, was er bemerkt (z.B. „Deine Hände sind 5

jetzt wärmer als vorher“). Am Schluß kann er vielleicht nachfragen, ob der arbeitende Mann auch wirklich alles "raus hat" oder ob er irgendwo noch eine Beeinträchtigung spürt. Teil 2 Die Sitzung

4. Blitzlicht

Das Blitzlicht ist die erste Runde einer Sitzung der radikalen Therapie. Jeder hat hier innerhalb von z.B. einer Minute die Möglichkeit, den anderen mitzuteilen, an welchem Punkt er im Augenblick steht. Es soll nicht lang und breit berichtet werden, was man heute oder in der letzten Woche gemacht hat, sondern wie man sich "hier und jetzt" fühlt. Es geht darum, jetzt einen Schnitt durch den persönlichen "Lebensstrom" zu machen, sich bewußt zu werden, was im Augenblick in einem vorgeht. Das Blitzlicht dient natürlich auch dazu, daß die anderen Gruppenteilnehmer mitbekommen, wie es den Mitmännern im Augenblick geht. Es erleichtert den Umgang miteinander: man weiß, wie die anderen "drauf sind" und kann sich entsprechend verhalten. Gleichzeitig kann man sich bewußt machen, daß man meistens nichts mit der schlechten Laune anderer zu tun hat. Das Blitzlicht muß nicht unbedingt verbal ausgeführt werden. Man kann seinen Zustand auch pantomimisch oder durch "Grunzlaute" etc. vermitteln.

5. Gutes und Neues

Die zweite Runde im Anfangsritual einer Sitzung der radikalen Therapie heißt "Gutes und Neues". Jedem Mann steht eine festgelegte Zeit von z.B. zwei oder drei Minuten zur Verfügung. Arbeiter und Unterstützer stehen und nehmen Körperkontakt

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auf - z.B. gegenüberstehen und der Arbeiter legt seine Hände in die vom Unterstützer. Der Arbeitende erzählt, was er in der letzten Woche an Gutem und Neuem gemacht hat, bzw. was ihm widerfahren ist. Neu kann z.B. sein, daß er etwas getan hat, was er früher nie getan hat, er hat somit ein bestimmtes Muster durchbrochen. Auch wenn die Zeit schon vorbei ist, kann er den letzten Gedanken/Satz noch beenden. Warum gibt es die Runde "Gutes und Neues"? Die Runde "Gutes und Neues" verfolgt zwei verschiedene Ziele. • Selbstwertschätzung

In der radikalen Therapie gehen wir davon aus, daß in dieser Gesellschaft alle an einem chronischen Muster (etwas Unangenehmes, das uns immer wieder passiert) leiden, nämlich dem Muster, daß wir uns selbst immer wieder zu wenig schätzen. Häufig liegt der Hauptakzent unserer Wahrnehmung auf dem, was nicht gut ist oder darauf, was wir noch alles verbessern müssen. Unsere eigenen Stärken und Kräfte sind uns oft nicht mehr bewußt. Wir müssen unser Selbstvertrauen wieder zurückbekommen. Uns bewußt zu machen, was wir an Gutem gemacht oder erfahren haben, ist ein systematisches Training hin zu mehr Selbstvertrauen. Jeder in der Gruppe bekommt sein Selbstvertrauen zurück und wird stärker. Und das ist in unserer Gesellschaft sehr wichtig. Die Selbstentfremdung von dem, was ich bin und kann, wird aufgelöst. Ich bin so gut wie ich bin und das darf ich laut sagen: „Ich bin O.K.“ • Freie Aufmerksamkeit bekommen

Wenn wir in die Gruppe kommen und gleich von den Sorgen des Tages erzählen, dann haben wir keine vollständige Aufmerksamkeit mehr für uns, für die anderen und für das, was in der Gruppe geschieht. Wir können unsere Aufmerksamkeit zurückbekommen, uns im "Hier und Jetzt" spüren und wahrnehmen, wenn wir uns bewußt machen, was es alles Gutes in unserem Leben und an uns selbst gibt. Die Co-Counseltheorie besagt, daß, wenn ein Problem unsere ganze Aufmerksamkeit für sich beansprucht, wir das Problem sind, was letztlich bedeutet, daß wir nicht daran arbeiten können. Wenn man zunächst seine 7

Aufmerksamkeit vom Problem abzieht und bei seinen starken Seiten (in der sicheren Umgebung, in der wir uns befinden) verweilt, dann ist es in der Arbeitszeit um so eher möglich, das Problem anzugehen. Wie man sich bei Gutem und Neuem austrickst: • Wir sind sehr stark im "Schwächermachen" dessen, was wir an Gutem und

Neuem erzählen. Das geschieht durch negative Zusätze wie "aber" ("ich bin in der letzten Woche meinem Chef mutig entgegengetreten, aber heute gelang das wieder überhaupt nicht") und bedeutet oft: vergiß alles, was vor dem "aber" steht und glaube alles, was danach kommt. Laß diese "aber"s weg. Laß alle negativen Zusätze weg. • Gleichfalls die Worte: "wenn", "weil", "obwohl" etc. Dies sind alles

Bedingungen, die du anscheinend erst erfüllen mußt, bevor du aus einem Erlebnis ein uneingeschränktes Gutes und Neues machen darfst. Laß die Leistungsgesellschaft vor der Tür. • Wir sind sehr stark im Entkräften durch Verkleinerungen. Standardwörter

sind: "ganz gut", "eigentlich", "ziemlich". Laß diese Verkleinerungen weg. Wiederhole den Satz ohne diese Verkleinerungen. • Wir machen uns klein, wenn wir "Gutes und Neues" leise erzählen. Es ist

eine Form der Entkräftung. Achte auf deine Haltung. Achte auf deine Sprache. Sag mit voller Überzeugung was du an Gutem zu erzählen hast. • Nimm nicht zu schwere Sachen (z.B.: Du hast etwas Gutes über einen

Streit, den du mit deiner Partnerin geführt hast, zu erzählen. Während solcher Schilderungen kommen auch manche schwierige Dinge nach oben, und es ist in dieser Runde nun gerade die Absicht, daß das nicht passiert). Nimm dir Dinge, die nicht schwer beladen sind. Nimm nicht die typische Mannrolle ein: Ärmel aufgekrempelt und ackern! • Erzähle, was du gemacht oder empfunden hast und nicht, was du "nicht"

gemacht oder empfunden hast. z.B. nicht „Ich bin nicht wütend geworden“, sondern „Ich bin ruhig geblieben“. Positive Formulierung! • Vermeide doppelte Verneinungen wie "nicht ungut". • Achte auf deine Sprache: keine distanzierenden Worte (z.B. technisch/

mechanische), sondern gefühlvolle Worte für gefühlvolle Inhalte. 8

• Kein Herunterbeten von Erlebnissen. Nimm Kontakt auf mit einigen guten

Dingen in deinem Leben und erzähle davon. • Sag nie: „Ich weiß nichts!“ Schärfe den Blick für dein wunderbares Leben.

Es gibt immer kleine Sachen, die du nennen kannst. Es ist herrlich, sich auch diese kleinen Sachen bewußt zu machen (z.B. „Heute abend habe ich eine Amsel gehört. Ich habe mir etwas Zeit genommen, mich auf eine Bank gesetzt und ihrem wunderschönen Gesang zugehört“). • Mach keine Arbeitszeit daraus, denn das ist nicht das Ziel dieser Runde. Es

geht darum, wieder freie Aufmerksamkeit zu bekommen. Reduziere dein Anliegen auf das Wesentliche - komme auf den Punkt. Auch während einer Arbeitszeit kannst du dich auf "Gutes und Neues" konzentrieren. Es geht darum, wieder freie Aufmerksamkeit zu bekommen. • Gutes und Neues für das alltägliche Leben: Mache für dich Gutes und

Neues, oder auch Selbstwertschätzung, so oft du willst oder immer dann, wenn du dich klein fühlst oder deine Gedanken/Gefühle nicht hundertprozentig bei dem sind, was du gerade machst. • Nach "Gutem und Neuem" solltest du wieder genügend Aufmerksamkeit

für die anschließenden Runden haben. Wenn das nicht der Fall ist, kannst du dir eine Mini nehmen. Wie verhält sich der Unterstützer und die Gruppe? Der Unterstützer gibt in erster Linie nur Aufmerksamkeit. Er kann am Anfang, oder auch zwischendurch die Formel benutzen „Was gibt es Gutes und Neues?“ Der Unterstützer kann auch schon mal nachhaken, bzw. den Arbeiter fragen, was an der Sache im Detail gut und neu war. Das dient dazu, konkret zu werden. Wir erliegen manchmal der alten Angewohnheit, oberflächlich zu erzählen, wenn es sehr persönlich wird. Die anderen Gruppenmitglieder verhalten sich ruhig, sind jedoch voller Aufmerksamkeit für den Mann, der gerade an der Reihe ist.

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6. Arbeitszeiten

Arbeitszeit ist die Zeit, die dir in einer MRT-Sitzung zur Verfügung steht, um an einem Thema zu arbeiten. Du wählst selbst aus, an was du arbeiten willst. Du bestimmst selbst, wie lange du an diesem Thema arbeiten willst. Du bist der Meister. Keiner kann deine Angelegenheiten besser einschätzen als du selbst. Wähle dir zum Arbeiten einen Unterstützer aus, von dem du glaubst, daß er dich am besten von allen unterstützen kann. Folge dabei deiner Intuition. Du kannst ruhig alle ansehen und prüfen, wer von diesen Männern dir wohl die für dich beste Unterstützung geben kann. Wenn du dann einen Unterstützer ausgewählt hast, besprich mit ihm wie er dich am besten unterstützen kann: was soll er tun, damit du optimale Aufmerksamkeit für dein Thema haben kannst? Sage ihm frei, was du brauchst um dich deinem Thema zuwenden zu können. Bei der Arbeitszeit ist der Ausdruck von Gefühlen wichtig. Von deinen Angelegenheiten zu sprechen ist wichtig, das soll aber nicht distanziert oder als bloßes "darüber reden" geschehen. Wenn sich beim Sprechen über deine Angelegenheiten Gefühle entwickeln (z.B. merkst du, daß dir die Augen feucht werden, daß du im Gesicht rot anläufst, daß deine Faust sich schließt und die Muskeln sich anspannen), dann laß diese Gefühle zu und gib deiner Trauer, deiner Scham, deiner Wut angemessenen Ausdruck. Gib solchen Gefühlen Raum und Zeit, damit sie zum Ausdruck kommen können. Nach den theoretischen Vorstellungen des reevaluation counseling handelt es sich dabei um "Entladung“, die Vorbedingung für eine Neubewertung von Erfahrungen ist und ohne die keine Befreiung von alten hemmenden und einengenden Mustern zu erreichen ist. Am Schluß der Arbeitszeit ist es wichtig, wieder "aufzutauchen" und die Arbeit abzurunden. Du selbst kannst am besten abschätzen, wie viel Zeit du dafür etwa brauchen wirst. Vereinbare mit dem Mann, der auf die Zeit achtet, daß er dir rechtzeitig sagt, daß das Ende der Arbeitszeit bevorsteht (etwa eine oder zwei Minuten vorher). Fange dann kurz vor dem Ende kein neues oder aufregendes Thema mehr an. So kannst du noch mal in Ruhe das Wichtige 10

erfassen, was die Arbeitszeit bisher schon ergeben hat und du kannst zu einem guten Schluß kommen. Verhalten des Unterstützers: Sage eine Unterstützung nur zu, wenn du auch volle Aufmerksamkeit für diesen Mann aufbringen kannst. Du sollst nur dann unterstützen, wenn du das von deinem Gefühl her auch kannst. Du darfst (und sollst auch!) eine Unterstützung ablehnen, wenn sie für dich in irgend einer Weise schwierig wäre. Als Unterstützer hörst du aufmerksam zu, gibst liebevolle Aufmerksamkeit. Du gibst dem Arbeitenden ein Gefühl der Sicherheit: Ich bin für dich da. Du gibst keine Tips, Ratschläge oder Deutungen. Deine Haltung soll ausdrücken: ich unterstütze dich: was willst du tun? Du bist ein Unterstützer und kein Retter. Der Arbeitende braucht nur deine Aufmerksamkeit, nicht deinen Trost, nicht deine Neugierde, nicht deinen Beifall. Verhalten der Gruppe: Auch die liebevolle Aufmerksamkeit der Gruppe ist wichtig. Versuche als Zuhörer mit deiner Aufmerksamkeit bei dem arbeitenden Mann zu bleiben. Nicht abwenden, nicht den eigenen Gedanken nachhängen, nicht anders beschäftigen, z.B. mit Fingerspielen oder gar einschlafen! Die Arbeitszeit eines Mannes ist ein geschützter Raum, in dem der Mann Gelegenheit hat, alles zu sagen und körperlich auszudrücken, was ihn beschäftigt. Das ist oft schwer genug, weil es für die meisten einfach ungewohnt ist: wir haben es anders gelernt. Deshalb soll der Vertrauensschutz auf jeden Fall erhalten und gefestigt werden. Aus diesem Grund sind vor allem folgende Regeln zu beachten:

1. Die Sitzungen sind vertraulich; Gegenüber dritten keine Namen nennen, auch keine Äußerungen über die Themen, die einzelne Männer bearbeiten. Dies betrifft besonders die Arbeitszeiten. 2. Auch innerhalb der Gruppe ist das Vertrauen jedes Mannes in den 11

besonderen Schutz seiner Arbeitszeit wichtig. Deshalb die Arbeitszeiten nicht in der Pause kommentieren oder gar kritisieren. Wenn Arbeitszeiten durchgesprochen werden sollen, um die Technik der Unterstützung besser zu lernen, so ist der arbeitende Mann vorher zu fragen, ob er seine Arbeitszeit nachbesprochen haben will. Auch dann wird nicht der Inhalt kommentiert, sondern die Art und Weise, wie die Arbeitszeit sich entwickelt hat, wie die Unterstützung war und wie der Unterstützer hätte besser unterstützen können. Verhalten des Leiters: Aufgabe des jeweiligen Leiters ist es, die angemeldeten Arbeitszeiten zeitlich und räumlich zu koordinieren. Dazu soll er einen Vorschlag machen und diesen mit den beteiligten Arbeitenden und Unterstützern abstimmen. Wenn es zu viele Anmeldungen gibt, so daß in der verfügbaren Zeit nicht alle Männer arbeiten können, dann besteht auch die Möglichkeit, parallel in getrennten Räumen zu arbeiten. Das hat aber den Nachteil, daß nicht alle Männer über alle Arbeitszeiten Bescheid wissen: es verringert die Transparenz in der Gruppe. Trotzdem ist das meistens besser als daß jemand wegen Zeitmangel nicht arbeiten kann.

7. Wiedererkennung

Wenn du die Arbeitszeit eines anderen Mannes aufmerksam verfolgst, wirst du einiges, was er bearbeitet, aus eigenem Erleben wiedererkennen. Vielleicht geht er aber auch mit einem Thema, das du aus eigenem Erleben kennst, ganz anderes oder in einem bestimmten Punkt anders um. Für die Arbeit an deinen eigenen Themen ist es wichtig, zu erkennen, inwieweit das, was du erlebst, auch von anderen Männern erlebt wird. Dadurch wird es möglich, gemeinsame Muster des männlichen Erlebens zu erkennen. Das wiederum stärkt die Solidarität miteinander. Das Erkennen von Gemeinsamkeiten ermöglicht unter Umständen auch einen Blick auf größere gesellschaftliche Zusammenhänge, z.B. Lebensbedingungen. die solche Muster fördern, z.B. Sozialisationspraktiken, die zu bestimmten Formen des Lebens als Mann führen.

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Wenn du Wiedererkennung geben sollst, dann: • gib sie nur, wenn du sie auch wirklich erlebst. Sage kurz und klar, was du bei dir auch kennst. • sage nicht, was du bei dir nicht kennst (dies verstärkt eventuell beim Arbeitenden den Eindruck, mit dem eigenen Erleben allein zu sein). • packe in die Wiedererkennung keine emotionale Entladung hinein (die gehört in eine Mini, nicht in die Wiedererkennung!), sondern sage klar und einfach, was du bei dir auch kennst. • mache kleine Schritte, gib auch für Kleinigkeiten Wiedererkennung (du mußt nicht für eine ganze Arbeitszeit welche geben). Wenn du mehreres wiedererkannt hast, sage es besser in getrennten Äußerungen, nicht alles auf einmal - dann kann es besser ankommen. • Wiedererkennung geben ist das Mitteilen von auch so oder ähnlich Erlebtem, es ist keine Bewertung. • Wiedererkennung geben ist keine Arbeitszeit. Wenn dich das, was ein anderer gesagt hat, so angerührt hat, daß du darüber arbeiten willst, dann tu das in einer eigenen Arbeitszeit mit einem passenden Unterstützer, nicht in der Wiedererkennungsrunde. Wenn du Wiedererkennung bekommen sollst, dann: • sei nicht enttäuscht, wenn es nicht sehr viel ist. Das heißt dann nicht unbedingt, daß du mit deinem Muster allein bist. Es kann sein, daß es den anderen im Moment schwer fällt, von ihren Erfahrungen zu berichten, (das sollte sich dann in Minis zeigen). • Du kannst auch fragen, ob andere Männer für einen bestimmten Punkt aus deiner Arbeitszeit Wiedererkennung haben. Wenn du genauer sagst, was dir für die Wiedererkenung wichtig ist, hilft das den anderen auch, ihre Aufmerksamkeit bei sich auf dieses Thema zu lenken.

8. Beziehungsklärung

Die Beziehungsklärung ist ein Konflikt-Lösungsmodell der radikalen Therapie. Gibt es offenkundig Konflikte zwischen zwei Gruppenmitgliedern, (das gleiche gilt für Partnerschaften / Freundschaften etc., in denen ein faires, offenes Streiten notwendig ist), dann kann das folgende Konflikt-Lösungsmodell verwendet werden. 13

In der Beziehungsklärung geht es in erster Linie darum, die gegenseitigen Sichtweisen zu klären. Was passiert vor der Beziehungsklärung? • Den beiden Konfliktpartnern steht während der Beziehungsklärung, jeweils gleich viel Zeit zu Verfügung. Diese Zeitvorgaben sollten zu Beginn vereinbart werden. • Jeder der beiden wählt sich den für ihn besten Unterstützer. Dieser Unterstützer achtet in erster Linie darauf, daß die Regeln eingehalten werden. Zeitaufteilung: • Einer der beiden beginnt beispielsweise mit acht Minuten Arbeits- bzw. Redezeit. • Anschließend arbeitet/redet der andere auch acht Minuten. Das ganze wiederholt sich dann noch einmal bzw. nach Bedarf auch noch zweimal, entweder wieder mit acht Minuten oder auch mit weniger Zeit. • Erst am Ende der Beziehungsklärung sprechen die beiden miteinander. Verhalten der Konfliktpartner: • Jeder der beiden äußert sich zu zwei Fragen: 1. Was ist positiv an unserer Beziehung, bzw. an der Situation? 2. Was möchte ich verändern? • Jeder sagt, was für ihn gilt. Das bedeutet: wie nehme ich die Situation wahr, was passiert dann mit mir, was fühle ich dann? Gibt es bei mir da ein Muster? • Kritik an den Äußerungen des anderen sind tabu. • Wenn inhaltlich etwas nicht verstanden wurde, kann nach der Redezeit nachgefragt werden. • Es geht zu keinem Zeitpunkt darum, sich zu rechtfertigen. • Wünsche sind nicht angesagt. 14

• Der Nicht-Arbeitende legt sein Hauptaugenmerk darauf, daß er möglichst gut versteht, was in dem anderen vorgeht. • Sollten keine Unterstützer dabei sein, kann er auch aktiv zuhören.

9. Das Retter-Dreieck bzw. Retterspiel

Die Rollen: Zwei Menschen befinden sich in der Ausgangsposition. Der eine spielt die Rolle des Retters, der andere die des Opfers. Das Retterdreieck besagt, daß jeder der beiden, einer nach dem anderen, eine dieser Positionen einnehmen wird: Retter /Opfer /Verfolger. Der Partner nimmt die jeweilige Komplementär-Position ein. Zu den Rollen gehören die jeweiligen Gefühle. Der Retter (Erhabenheit; aber auch Schuldgefühle). Das Opfer (Hilflosigkeit). Der Verfolger/Aufklärer (Du bist hilflos und selbst schuld daran). Die Rollen sind gegenseitig austauschbar. Zwei Menschen, die das Retterspiel spielen, werden einer nach dem anderen jede dieser Positionen einnehmen; dennoch sind bestimmte Positionen beherrschend. Der Grund für die Primärrolle, liegt im jeweiligen Lebensskript mit den dazu gehörigen Mustern. Diese Neigung kannst du an dir und an anderen feststellen. Der eine nimmt meistens die Retterrolle ein, der andere spielt eher das Opfer. Von Wichtigkeit ist das Konzept der Ausstauschbarkeit dieser Rollen. Du kannst nicht die Rolle des Retters spielen, ohne in die Rolle des Verfolgers zu geraten. Du kannst nicht die Rolle des Opfers einnehmen, ohne später die des Verfolgers einzunehmen. Wie tauscht man die Rollen? Der Retter tut natürlich sein Bestes. Trotz seiner investierten "Arbeit" bleibt das Opfer Opfer, kommt nicht so recht voran, tut häufig nicht das, was der Retter ihm rät. Das ärgert den Retter natürlich. Er bemüht sich doch so intensiv, er läßt häufig sogar seine eigenen Bedürfnisse außer acht. Er investiert viel Zeit und Energie in den Anderen, obwohl er doch wahrlich 15

erfreulichere Dinge tun könnte, als diesem Elend beizuwohnen. Das Opfer bleibt einfach in seinem Unglück sitzen, es ändert sich nichts wesentliches. Jetzt wechselt der Retter unversehens in die Rolle des Verfolgers. Anfänglich ist das Opfer froh, endlich jemanden gefunden zu haben, dem er seine Probleme erzählen kann. Er hat jemanden, der ihn stützt, zu dem er aufsehen kann. Aber es macht nicht immer Spaß, sich als "Untergebener" zu fühlen und die Rolle als Helfer füllt der Retter auch nicht zur Zufriedenheit aus. Du sitzt immer noch in der selben Scheiße. Irgendwann nimmst du ihm das alles übel, es war so nett am Anfang, jetzt reicht es dir damit und du wirst immer ärgerlicher. Jetzt begibt sich das Opfer, auch unversehens, in die Rolle des Verfolgers. Das ist ein Beispiel, wie die Ausgangspositionen verändert werden können. Wenn der eine wechselt, kann der andere in die jeweils frei gewordene Position wechseln. Der Retter ist zum Verfolger geworden. Das Opfer entschließt sich, gegen den Willen des Verfolgers, sich aus dieser prekären Situation zu befreien und wechselt einfach über in die Rolle des Retters. Dem Retter wird klar gemacht, daß er versagt hat. Sein Selbstbild als Retter bekommt einen Riß, er hat sich solch große Mühe gegeben und schon wechselt er in die Rolle des Opfers. Jetzt ist die Retterrolle frei geworden und der Verfolger wechselt über in die Retter-Position. Warum ist es falsch, das Retterspiel zu spielen? Der Versuch, jemanden zu retten, ist sowohl unterdrückend als auch anmaßend. Im Opfer wird die Apathie und das Gefühl des Unvermögens verstärkt. Besser wäre es, an die Kraft des anderen zu appellieren und ihn zu fragen, was er denn machen will. Es ist herrlich, die Rolle des Helfers zu spielen, es macht manchmal auch Spaß, wie ein Kind behandelt zu werden. Die Lieblingsrolle scheint ein Quell der Aufmerksamkeit, der Wärme und Anerkennung zu sein. Aber es sind nur indirekte Manöver, um das alles zu bekommen. Es sind Spiele. Hört auf damit. Scheinbar ist es liebevoll, die Rolle des Retters einzunehmen und die eigenen Bedürfnisse außer acht zu lassen. Aber das Dreieck hat Recht, du wirst auch Verfolger werden. So liebevoll ist es also gar nicht. Auch als 16

"Hilfloser" wirst du schließlich jemanden, der sehr viel für dich getan hat, verfolgen und auch das ist nicht unbedingt liebevoll. Es gibt angenehmere Möglichkeiten miteinander umzugehen. Wenn das Retterspiel gespielt wird, werden lediglich chronische Muster, anhand des Lebensskriptes der beteiligten Personen, bestätigt. Der Retter bleibt immer Retter, das Opfer wird in seiner Hilflosigkeit bestätigt. Es scheint hart zu sein, dieses Spiel nicht mitzuspielen (denke an eine Situation, in der jemand eindeutig die Rolle des Opfers einnimmt und du bewußt nicht die Rolle des Retters gehst). Es ist schwierig, aber notwendig, die jeweiligen Muster zu durchbrechen. Es verlangt eine große Ehrlichkeit von Seiten des Retters. Er sollte dem "Hilflosen" klar machen, daß er die Hilfe nur deshalb ablehnt, weil er um die Zusammenhänge des Retterdreiecks weiß und weil er sein eigenes Muster durchbrechen möchte. In unserem Kulturkreis ist die Retterrolle hoch angesehen. Es braucht Zeit, bevor du erkennst, daß es eine Unterstützung für den Hilfesuchenden ist, ihm eine derartige Hilfe zu verweigern. Gib die Retterrolle auf: Wann sitzt du in der Retterrolle? • Wenn du etwas tust, woran du keine Lust hast. • Wenn du mehr als die Hälfte der Arbeit des Partners machst. • Wenn du nicht auf deine eigenen Bedürfnisse achtest. Mach keine Sachen, wozu du keine Lust hast. Wenn jemand um deine Zeit und Aufmerksamkeit bittet, obwohl du keine Lust hast, denkst, „ach Gott er braucht es aber wirklich“, dann befindest du dich in der Retterrolle. Wenn du eigentlich einen Groll für jemanden hast, gleichzeitig aber denkst, „damit kann er ganz bestimmt nicht umgehen, er ist zu ...!“, dann trittst du in die Retterrolle ein. Indirekt merkt das Opfer sowieso, daß du einen Groll für ihn hast. Setzt alles daran, die Beziehungen ausgewogen zu gestalten. Wenn du dich in einer Beziehung befindest, in der du einen Hauptteil der Arbeit machst, dann spielt ihr das Retterspiel. Wenn du immer wieder Rat17

schläge gibst, viel Aufmerksamkeit für deinen Partner hast, wenn du dir immer wieder Mühe gibst, der andere aber nur konsumiert, ohne damit wirklich etwas zu tun, geschweige denn etwas zu ändern, dann machst du mehr als die Hälfte der Arbeit. Wenn du dich mehr verantwortlich fühlst für den anderen, als er das selbst tut, dann spielt ihr das Retterspiel. Deshalb ist die abwechselnde Rollen- und gleichmäßige Zeitverteilung beim Co-Counseling und in der radikalen Therapie auch von so außerordentlich großer Bedeutung. Die Zeit und die Rollen sind schon im voraus ausgewogen verteilt. Wenn du während der Gruppensitzungen eigentlich Zeit benötigst, dieses Anliegen wegen der anderen aber zurückstellst („schau nur wie schlimm es den anderen geht“), du somit nicht richtig für dich sorgst, dann befindest du dich in der Retterrolle. Dein Leitfaden sollten deine eigenen Bedürfnisse sein und nicht die der anderen. Gib die Opferrolle auf: Laß niemanden bestimmen, wie du an deinen Problemen arbeitest. Übernimm die Verantwortung für deine Probleme Jammere nicht nur, tu was! Das Retterspiel fängt an, wenn du die Verantwortung für dich selbst aus den Händen gibst und der andere diese übernimmt (oder umgekehrt). Deshalb ist es auch von enormer Wichtigkeit, keine Tips und Ratschläge in Hinsicht auf Probleme eines anderen zu geben. Du übernimmst damit zu viel Verantwortung, bzw. du überläßt deine Verantwortung einem anderen. Stelle deine Zeit, Energie, Aufmerksamkeit und Unterstützung zur Verfügung, aber laß den anderen selbst bestimmen, was er zu tun gedenkt. Auch wenn du denkst: „Mensch wie dumm er sich anstellt!“, ist es seine eigene Wahl und das ist wichtig. Bedeutet das jetzt, daß wir uns nicht mehr gegenseitig unterstützen dürfen? Überhaupt nicht. Es gibt viele Gründe, um unser versorgendes Eltern-Ich mehr und mehr zu entwickeln. Aber es sollte darauf geachtet werden, ob 18

jemand sich zum Opfer macht, oder ob er auf eine "gute Art und Weise" klein ist. Ein kleines Wort, ein bißchen Unterstützung, ein Blick reichen, um jemandem zu erlauben, klein zu sein. Er fängt beispielsweise an zu weinen und er ist bereit, etwas damit zu machen. Jemand, der in der Opferrolle sitzt, wird, auch wenn zehn Leute an ihm ziehen, die Opferrolle so ohne weiteres nicht verlassen. Jemand, der auf eine "gute Art und Weise" klein ist, wird auf die Unterstützungsfrage „Was willst du damit jetzt machen?“ eine Antwort haben. „Ich finde es bedrückend, aber ich würde gerne in der Gruppe an diesem Problem arbeiten.“ Ein Opfer würde auf diese Frage antworten: „Ich weiß es nicht!“ (und stillschweigend folgern, daß du das für ihn in die Hand nehmen mußt). Sorge für deutliche Kontrakte: Der Zweck eines Kontraktes, zwischen Arbeiter und Unterstützer, ist schon einmal erwähnt worden. Die Initiative sollte dabei immer vom Arbeiter ausgehen. Denke als Unterstützer also nicht für den anderen. Das, was der Arbeiter vom Unterstützer will, sollte immer vorher festgelegt werden. So behält der Arbeiter die Verantwortung für sich und sein Problem. Auf die "Hilfsanfrage" sollte es immer eine klare Antwort seitens des Unterstützers geben. Sage ja, oder nein, oder unter welchen Bedingungen du etwas tun willst. Hierbei spielt auch die festgelegte Zeit eine wichtige Rolle. Alle wissen, woran man sich zu halten hat, und du als Unterstützer kannst dazu ja oder nein sagen. (Im Privatleben sollten übrigens die gleichen Regeln gelten. Wenn jemand kommt und gleich viel Aufmerksamkeit von dir will, dann unterbreche erst und setze Regeln, die dir angenehm sind.) Sorge dafür, daß ausgewogen gearbeitet wird, daß man von gegenseitiger Anstrengung sprechen kann. Der Aufmerksamkeit, Unterstützung und Zeit des Unterstützers steht die Anstrengung und Verantwortung des Arbeiters gegenüber. Der Arbeiter unternimmt deutliche, konkrete Schritte, um sich zu ändern, arbeitet an Schwierigkeiten, um bestimmte Hürden zu nehmen. Wenn jemand das nicht tut, löse den Kontrakt.

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Sorge für eine Gegenleistung. Das Modell der radikalen Therapie setzt deshalb auch Gleichheit voraus. So ist gewährleistet, daß du das, was du gibst, auch zurück bekommst. Schmuser für das Aufgeben der Retter bzw. Opferrolle: Wenn jemand die Retter- bzw. Opferrolle nicht einnimmt, sollte das von der Gruppe immer explizit gewürdigt werden. Auch wenn jemand daran arbeitet, sollte das Anerkennung finden. Würdige dich selbst jedesmal, wenn du es geschafft hast, nicht in eine der beiden Rollen geschlüpft zu sein. (Bitte dann auch immer um Feedback aus der Gruppe, was sie zu diesem Punkt denken, respektive fühlen.)

10. Gespinste

Was meinen wir mit Gespinsten? Im Grunde zwei Sachen. Die eine ist: Vorstellungen, die wir darüber haben, wie andere von uns denken (im MRT-Reader heißt das auch "paranoide Phantasie"). Das beinhaltet: ein Gedanken-/Vorstellungskomplex, begleitet von einem mißtrauischen Gefühl und/oder der Überzeugung, daß jemand es nicht gut mit mir meint. Ihre Ursachen liegen primär im Inneren, sie haben aber auch fast immer einen äußeren Anlaß: irgend etwas, klar oder sehr diffus wahrgenommen, was den Auslöser abgibt. Solche Vorstellungen über das, was andere von uns denken, prüfen wir gewöhnlich nicht, weil wir wissen: „das macht man nicht“. Diese Gespinste haben einen wahren und einen unwahren Anteil. Das Ziel der Arbeit mit dieser Art von Gespinsten ist, zu sehen, was was ist. Die andere Sache, die mit dem Wort "Gespinst" gefaßt wird, ist diese: Intuitive Vorstellungen, Bilder über andere, die daraus entstanden sind, was wir an Signalen aufgefangen haben - also nicht direkt ausgesprochene Dinge, die "mitschwingen" (vielleicht durch Gestik, Mimik, den Ton des Gesagten etc.). Intuitiv nehmen wir vieles wahr - aber normalerweise gibt es keinen Raum, nun offen darüber zu reden. Auch das haben wir im Laufe der Sozialisation "verlernt".

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Beispiel: Jemand erzählt mir mit gepreßter Stimme von seinem tollen neuen Job. Ich ahne, daß es für ihn auch viel Druck mit sich bringt, diesen Job zu haben. Nutzen der Arbeit mit Gespinsten allgemein: • "Paranoide Phantasien" haben mit unseren negativen Selbstbildern zu tun und bestärken diese - was uns blockiert und einschränkt. Die Arbeit mit Gespinsten dient dazu, diese Phantasien aufzulösen. Negative Selbstbilder können widerlegt oder relativiert werden. • Statt von unserer intuitiven Wahrnehmung in Paranoia gestürzt zu werden, lernen wir, sie positiv zu nutzen: feinfühlig zu sein und durch freundliches Nachfragen Kontakt zu schaffen. • Paranoia ist die normale Reaktion auf die Erfahrung, die wir im Laufe unseres Lebens mit unehrlicher und versteckter Kommunikation gemacht haben. Das können wir abbauen und wieder tieferes Vertrauen lernen. für die Gruppe: • Das Aussprechen fördert den Tiefgang, die Gruppensituation wird sauber gehalten. • Was zwischen Gruppenmitgliedern vor sich geht, kommt auf den Tisch und kann konstruktiv bearbeitet werden. • Durch das Äußern von Gespinsten stimulieren wir uns gegenseitig, halb bewußte Vorstellungen überhaupt erst einmal klar wahrzunehmen, die wir vorher aus Angst lieber weggeschoben haben. • Das Selbstvertrauen des einzelnen Mannes wird gestärkt: Wenn ich mich in einer Situation unwohl gefühlt habe, brauche ich das nicht mehr ausschließlich auf mich zu beziehen. Ich kann vielmehr sehen, daß es auch mit der Situation, mit dem, was vorging, zu tun hatte. Oft zeigt sich, daß mein Gespür mit dem Empfinden anderer übereinstimmt.

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Anleitung: • Formulierung: „Ich habe ein Gespinst an dich, Paul, und zwar...“ oder: „Ich habe das Gespinst, Paul, daß du. ...“ • Die Antwort sollte ehrlich sein. • Die Antwort sollte "ja" oder "nein" sein. Dabei sollte aber beachtet werden, daß man Gespinste nicht leichtfertig verneint. Man sollte prüfen, ob man sich vorstellen kann, was der andere intuitiv gespürt haben mag. Dann sollte man sagen: „Es stimmt nicht, daß..., aber es ist wohl wahr, daß...“ Dies ist jedoch nicht zu verwechseln mit ungefragten Erklärungen (die nämlich unter Umständen unbewußt dazu dienen, etwas "wegzuerklären"). Prinzipiell sollte die Antwort knapp und klar sein. • "Nein" sollte man sagen, wenn man hundertprozentig sicher ist, daß nichts an dem Gespinst dran ist - und nur dann: Es geht ja darum, Vertrauen in unsere Intuition zu stärken! • Ein Gespinst sollte nicht sofort durch ein Gespinst beantwortet werden. Warte ein oder zwei andere Gespinste ab! • Stelle möglichst immer nur ein Gespinst auf einmal (wenn zur Klärung unbedingt nötig auch mal zwei). Mache keine "Fragestunde"! • Gespinste sind nicht dazu da, Ärger, Wut oder Irritation zum Ausdruck zu bringen. Das gehört in die Grollrunde. • Versuche, die Chance zu nutzen, in dem Schonraum der MRT-Gruppe den Umgang mit Gespinsten zu üben und pro Gespinste-Runde wenigstens ein Gespinst zu äußern. • Am Ende fragt der Leiter, ob es noch dringende Gespinste gibt; für diese sollte noch Raum sein. • Dringende Gespinste können auch während der Sitzung - nach Anfrage beim Leiter - gestellt werden, wenn sonst die Aufmerksamkeit beeinträchtigt wäre.

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11. Grolle

• In Gruppen, die längere Zeit miteinander arbeiten (das gilt auch für zwei Menschen) entstehen zwangsläufig Irritationen und Ärger. Diese Irritationen bzw. Grolle beanspruchen einen Teil der Aufmerksamkeit und verhindern eine offene und freundliche Haltung den anderen Männern gegenüber. • Das Geben und Empfangen von konstruktiver Kritik, ohne sofort mit Selbstverteidigung / Rechtfertigung bzw. Bewertung / Verurteilung zu reagieren, ist eine Fähigkeit, die wir verlernt haben. Ziel der Grollrunde ist es daher, den Ärger zu erspüren und zu äußern. • Die Form der konstruktiven Konfliktaustragung in der Grollrunde hält die Gruppe funktionsfähig und "sauber" von unbewußten Gruppenprozessen. • Beim "Herunterschlucken" von Ärger oder Irritiertheit wird es schwierig, manchmal unmöglich, Schmuser zu geben. (Wenn du bemerkst, daß du es bei der Schmuserunde schwierig findest, jemandem einen Schmuser zu geben, dann prüfe nach, ob es einen zurückgehaltenen Groll gibt.) • „Eine auffallende, aber psychologisch sehr richtige Erfahrung ist die Entdeckung, daß in einer Gruppe, in der wenige Gespinste und Grolle ausgesprochen werden, das Schmuse-Klima oft sehr dünn ist. Auf einem Boden von Unlust wächst nichts Schönes. Nicht ausgesprochene Grolle (auch unbewußte) be- bzw. verhindern Schmuser. Die Parole lautet also: möchtest du die Schmuser genießen, dann äußere zuerst deine Grolle.“ (Zitat: Margot van Leeuwen doktoraalprojekt FORT aus: Fortissima) • Ein Fehler, der immer wieder gemacht wird, ist das Sammeln von Grollen für eine Person. In der Transaktionsanalyse spricht man von "Sparen". Grolle werden aufgespart, bis es zur großen Explosion kommt. Wir lernen in der Gruppe, Grolle auszudrücken und nicht zu sammeln. • In der radikalen Therapie (das gilt auch für das Co-Counseling) wird Wert auf das Positive in dir und in den anderen Gruppenmitgliedern gelegt. Deshalb gehören Grolle ausschließlich in die Grollrunde.

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• In dieser Grollrunde gibt es feste Regeln, die zu befolgen sind. Gruppen, die sich strikt an diese Regeln halten, funktionieren zumeist sehr gut. • Kritik zu geben und zu bekommen ist eine Fähigkeit, die wir verlernt haben. Deshalb ist es eine gute Übung, die nicht nur in der Gruppe, sondern auch "draußen" für dich nützlich ist, z.B. Kritik besser relativieren zu können. • Leider scheitern viele Gruppen am Zurückhalten von Irritationen und Ärger. Regeln und Bemerkungen zur Grollrunde: • Am Anfang der Runde wird gefragt: „Wer möchte keinen Groll haben?“ (In einer späteren Phase werden die Mitglieder selber sagen, daß sie keinen Groll möchten.) Es ist sehr gut möglich, daß du an diesem Tag oder in dieser Woche schon genug mitgemacht hast. Darum möchtest du jetzt nicht auch noch einen Groll bekommen. Dieser Schutz ist da, und er soll zu jeder Zeit respektiert werden. Derjenige, der einen Groll bekommt, ist der Meister. Der Wunsch, keinen Groll zu bekommen, hat Vorrang vor dem Wunsch, einen Groll zu geben. • Wichtig ist, daß, wenn du keinen Groll möchtest, das nicht bedeutet, daß du keine Grolle geben darfst. Das entspricht zwar nicht unbedingt unserem Höflichkeitsgefühl, hat sich jedoch als Regel sehr gut bewährt. • Jemand der einen Groll hat, sagt: „Ich habe einen Groll für...(Name)“ und bringt seinen Groll dann deutlich zum Ausdruck. • Verwende keinen Groll für die Inhalte von Arbeitszeiten (Tabu!) • Gib nur Grolle, die vor der Grollrunde entstanden sind. Wenn du einen Groll bekommst, kann es sein, daß sofort ein Groll zum "Geber" aufkommt (Gegengroll). Wenn du diesen Groll vorher nicht deutlich spürtest, gib ihn nicht! Das kannst du eventuell nächstes Mal machen. • Wenn du einen Groll bekommen hast, du aber vor der Grollrunde schon einen Groll für diesen Grollgeber hattest, dann reagiere nicht sofort mit diesem anderen Groll auf den Groll des Gebers. Warte, bis weitere Grolle gegeben worden sind und erzähle dann deinen. Achte darauf, das er sich nicht zu einem Gegengroll entwickelt. 24

• Beschränke die Grolle auf die Grollrunde. Während des restlichen Abends solltest du weder direkt noch indirekt Grolle äußern. Macht euch darauf aufmerksam, wenn jemand außerhalb der Grollrunde Groll äußert. Das ist eine sehr wichtige Regel, um die positive, unterstützende Atmosphäre zu schaffen, die kennzeichnend ist für die radikale Therapie. • Es ist nicht wichtig, daß andere verstehen, worum es sich konkret bei einem Groll handelt. Manchmal haben Leute Mühe damit. Aber das Ziel ist, daß die Spannung zwischen zwei Menschen verschwindet. Die anderen sind aufmerksam, solidarisieren sich aber nicht, sie sind lediglich Beobachter. Jeder Mann ist für sich selbst verantwortlich. • Sollte es mehrere Grolle für einen Mann geben, so kann er selbst entscheiden, ob er sich das zumuten will oder nicht. • Am Ende der Grollrunde kommt die Frage: „Wer hat noch einen dringenden Groll?“ Jeder sollte hintereinander laut sagen: „Ich habe keinen Groll mehr!“ oder aber seinen Groll noch erzählen. Grollgeber: • Der Grollgeber muß etwas verlieren, und das legt er in die Mitte der Gruppe. Er braucht denjenigen, der den Groll bekommt, nicht durchdringend anzusehen. Es ist kein Angriff. • Nimm deinen Groll ernst, sage, was dich stört, drücke deine Gefühle klar und deutlich aus. Reduziere deine Gefühle nicht (z.B. Lachen, „Ich habe nur einen "kleinen" Groll“). • Es ist falsch, einen Groll mit Beschimpfungen wie „Du bist ein Arschloch“ etc. zu beginnen. Solche Ausdrücke haben in einem Groll nichts zu suchen. Erzähle nur, was in dir selbst vorgeht, was du betreffend des Grolls fühlst. Also in etwa: „Wenn du das machst, passiert bei mir jenes und das fühlt sich nicht gut an. Ich empfinde dann ...!“ • Benenne die Situation, das Gefühl, die Irritation und gegebenenfalls das bei dir zugrunde liegende Muster. Erzähle nicht nur von der Irritation, sondern auch von deinen Wünschen, sowohl an den anderen Mann als auch an dich selbst. 25

• Achte darauf, daß der Groll anschließend auch wirklich verschwunden ist. Grollempfänger: • Derjenige, der den Groll bekommt, antwortet nicht. Er soll nichts erklären, er soll keinen Groll zurückgeben, es soll keine Diskussion entstehen, kein Hahnenkampf. Wenn du Kritik gibst und sofort Kritik zurückbekommst (die mehr über den anderen aussagt als über dich selbst), wirst du beim nächsten Mal wohl eher deinen Mund halten. Die Grundidee bei der Grollrunde ist, daß der Grollgeber seinen Groll (und somit die negative Energie und Aufmerksamkeit für den Groll) los wird! • Die einzige Reaktion desjenigen, der einen Groll bekommt, kann sein, nachzufragen, wenn er inhaltlich etwas nicht verstanden hat. Das ist etwas anderes, als nicht damit einverstanden sein. Du kannst dann den Geber bitten, den Groll zu wiederholen oder ihn konkreter zu formulieren. Mögliche Reaktionen: • Wenn du einen Groll bekommst, laß ihn in der Mitte liegen. Verschlucke ihn nicht. Bedenke in Ruhe, was du tun möchtest. Jetzt und in der Zeit bis zur nächsten Sitzung. Bedenke bei Grollen, daß nur ein Teil mit dir zu tun hat. Ein großer Teil der emotionalen Entladung hat einzig mit dem Grollgeber zu tun und du bist häufig nur der Auslöser. Vielleicht gleichst du wichtigen Personen aus seiner Vergangenheit.Vielleicht wird eine Situation restimuliert, die er früher nicht ausreichend verarbeitet hat. Vielleicht tust du etwas, was der andere auch gerne tun würde, in seiner Entwicklung ist er jedoch noch nicht soweit, er möchte das aber nicht so gerne sehen. Vielleicht gleichst du ihm sehr stark. • Es kann sein, daß du beschließt: - Für mich entspricht dieser Groll der Wahrheit. Mein Verhalten möchte ich ändern. - Das gehört in erster Linie zum Grollgeber, gut, daß er es gesagt hat, aber ich persönlich fühle das nicht so und ich bleibe so wie ich bin, das ist gut so, obwohl jemand anderes damit Mühe hat. - Möglich ist auch, daß du nur einen Teil von dem Groll übernimmst. 26

• Es kann sein, daß du einen Groll bekommst und ihn nicht in der Mitte liegen lassen kannst. Du verschluckst ihn und deine ganze Aufmerksamkeit wird dadurch abgezogen. Wenn du das nicht "still" bearbeiten kannst, wenn du deine Aufmerksamkeit nicht zurückbekommst, dann bitte den Leiter um eine Mini. Wähle einen neutralen Partner, gehe aus dem Raum und raste einige Minuten aus (z.B. 5 Min.). Du kannst es außerhalb der Gruppe abschütteln und bearbeiten: das ist dein Schutz. Wenn du nach der Mini noch immer Groll empfindest, gehört das in die nächste Sitzung. • Bedenke bei Grollen immer, daß es sehr zärtlich ist, Grolle zu bekommen und zu geben. Wenn du einen oberflächlichen Kontakt haben möchtest, brauchst du deine Grolle nicht zu äußern. Wenn du hingegen herzlich und "tief" mit anderen zusammen leben und arbeiten möchtest, solltest du deine Grolle mitteilen. Wenn du jemandem einen Groll gibst, dann bedeutet das, daß er wichtig für dich ist. Wenn du einen Groll bekommst, bedeutet das, daß der andere dich ernst nimmt und den Kontakt mit dir "sauber" halten möchte. Derjenige, der dir einen Groll gibt, macht das auch um dir offen und frei gegenüber treten zu können. Offen und frei, um am selben Abend Aufmerksamkeit, Unterstützung und Anerkennung zu geben. Andere Möglichkeiten: Neben der Grollrunde besteht noch die Möglichkeit, sich eine Arbeitszeit zu nehmen, die einen anderen Mann und etwaige Grolle für ihn thematisiert. • Wenn du über jemanden arbeiten möchtest, solltest du das am Anfang deiner Arbeitszeit sagen und dir die Zustimmung dieses Mannes holen. Wenn dieser Mann das nicht möchte, sollte das immer respektiert werden. • Befinden sich Gruppen noch in ihrer Anfangszeit (die ersten 15 Sitzungen), wird dringend von solchen Arbeitszeiten abgeraten. Es dauert lange bis eine sichere, gute und vertraute Atmosphäre geschaffen ist. Wir haben jahrelanges Mißtrauen aufgebaut, das nur sehr schwer abzulegen ist. Der Akzent sollte auf dem Abbau dieses Mißtrauens liegen. Das Positive ist sehr wichtig. Jeder, der Irritationen hat, kann daran immer in Arbeitszeiten außerhalb der Gruppe und mit einem neutralen Partner in Counsel-Sessions arbeiten.

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• Es gibt bestimmte Gruppen (z.B. Co-Counsel Gruppen) in denen es keine direkte Grollrunde gibt. In der ganzen Zusammenarbeit gibt es ausschließlich positive Unterstützung und keine Kritik. Die zugrunde liegende Idee ist die, daß der Groll in erster Linie mit der Person, der ihn gibt, zu tun hat (alte Schmerzen) und nur entfernt mit dem, der ihn bekommt. Deshalb wird es für unsinnig gehalten, den letzteren damit zu belasten. Beim Co-Counseln wird die Irritation bzw. der Groll in Sitzungen mit einem neutralen Unterstützer bearbeitet. Das, was nach dieser Sitzung noch an Ärger verblieben ist, kann dann mit dem Beteiligten direkt besprochen werden. (Siehe auch Counsel-Theorie)

12. Schmuser und Selbstwertschätzung

Was meinen wir mit "Schmusern" (auch: "Anerkennung", "Knutsche")? Gemeint sind physische und verbale "Streicheleinheiten": freundliche körperliche Berührung aller Art, Lob, Anerkennung, Wertschätzung - auch nonverbal ausgedrückt (Mimik, Gestik). Theoretisch-ideologischer Hintergrund: Wir gehen davon aus, daß "Streicheleinheiten" (Schmuser) für den Menschen ein Grundbedürfnis sind, genauso wie z.B. Nahrung und Schlaf. Der Mangel daran führt zu depressiven Erscheinungen. Deshalb ist der Austausch von "Streicheleinheiten" (Schmusern) als eine der wichtigsten menschlichen Aktivitäten anzusehen. Gesellschaftlicher Kontext: Konkurrenz ist ein zentrales Thema unserer Gesellschaft; auch in Bezug auf Schmuser. Wir wachsen mit der (unbewußten) Vorstellung auf, daß wir um Anerkennung und Zuneigung kämpfen und wetteifern müssen, daß wir hart dafür arbeiten müssen. Schmuser sind entsprechend dieser Grunderfahrung knapp, es herrscht ein Mangel daran. Diesen Mangel versuchen wir zu durchbrechen.

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Was wollen wir mit der Durchbrechung des Schmuse-Mangels erreichen? • Das Selbstwertgefühl des Einzelnen steigt. • Mit einer besseren Befriedigung des Schmusebedürfnisses bekommen wir auch einen klareren Blick dafür, wo es Schmuser gibt und lernen, unsere gewohnten eingeschränkten Wege der Schmuse-Befriedigung zu verlassen bzw. zu erweitern. • Wir fangen an, langsam all die Spiele aufzugeben, mit denen wir - zumeist unbewußt - indirekt an Streicheleinheiten zu kommen versuchen. Solche Spiele haben meistens destruktive Nebeneffekte. Bei genügend direkten Schmusern brauchen wir sie nicht mehr. • Unser Glaube an das Positive im Menschen wird gestärkt: Wir erleben, daß andere ebenso wie wir selbst gerne und in ausreichendem Maße Schmuser geben. Der Schmusemangel entsteht durch gewisse in unserer Gesellschaft verbreitete Verhaltensnormen. Diese lassen sich in fünf Regeln zusammenfassen, denen wir für gewöhnlich folgen: Regel 1: Gib keine Schmuser. Es ist unpassend, gefragt oder ungefragt ungehemmt nette Sachen über andere zu sagen. Tu das nur unter ganz besonderen Umständen und bei auserwählten Leuten. Regel 2: Frage keine Schmuser an. Auch nicht, wenn du sie brauchst. Es ist unpassend, Aufmerksamkeit für dich anzufragen und auch noch nette Sachen hören zu wollen. Regel 3: Gib dir selbst keine Schmuser. Denn: „Eigenlob stinkt!“ (Unter den Gegebenheiten des Schmusemangels kann Selbstwertschätzung in der Tat dazu mißbraucht werden, sich selbst zu erhöhen und damit den Anwesenden das Gefühl zu geben, daß sie niedriger, schlechter ... sind. Das muß jedoch nicht der ausschließliche Normalfall sein, wie die Redewendung „Eigenlob stinkt!“ es impliziert.) Regel 4: Nimm Schmuser nicht voll an. Laß sie nicht in dich eindringen; besser ist z.B., das Gelobte herunterzuspielen. Glaube es nicht. Genieße es nicht. Nimm dir keine Zeit dafür, sondern gib schnell etwas zurück..

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Regel 5: Lehne Schmuser nie offen ab. Wenn du eine der seltenen Streicheleinheit nicht willst, weil sie sich nicht gut anfühlt für dich oder dir zuwider ist, dann zeige das nicht; sie abzulehnen ist gänzlich unpassend. In MRT kehren wir diese Regeln nun absichtsvoll um und geben uns folgende Regeln: 1. Gebt euch - gefragt und ungefragt - ungehemmt Streicheleinheiten; und das nicht nur in der Schmuse-Runde, sondern auch sogar außerhalb der Gruppensituation. Dies ist eine Fähigkeit, die wir ursprünglich hatten; wir versuchen, sie als zweite Natur wieder zu erlernen. 2. Frage ungehemmt nach Streicheleinheiten - immer dann, wenn du das Bedürfnis danach hast. Bitte um allgemeine oder spezifische Anerkennung und schäme dich nicht deshalb. 3. Gib dir selbst so viele Streicheleinheiten wie möglich. Tu das mit aufrechter und selbstbewußter Haltung. Das mag sich am Anfang schwierig anfühlen; übe es immer wieder. Nach einiger Zeit wird es dir keine Mühe mehr machen. 4. Laß Streicheleinheiten in dich eindringen. Nimm dir Zeit dafür. Wenn dabei negative Selbstbilder aktiviert werden, warte, bis diese inneren Stimmen wieder weggehen und lasse dir den Schmuser wiederholen. 5. Wenn ein Schmuser sich nicht gut anfühlt, weil du z.B. gewertschätzt wirst für etwas, was du überwinden willst, dann lehne ihn offen heraus ab. Das heißt nicht, daß der Schmuser nicht in Ordnung wäre; er paßt für dich nur einfach nicht. Worauf man bei der Schmuse-Runde achten sollte: • Reagiere nicht mit „danke“ oder ähnlichem; wir wollen lernen, es als etwas Selbstverständliches zu sehen, Schmuser zu bekommen. • Gib nicht sofort einen Schmuser zurück, sondern laß dir genügend Zeit, den Schmuser in dich eindringen zu lassen. • Achte auch darauf, ob du sonstige subtile Mechanismen hast, die das Eindringen von Schmusern abwehren. Arbeit daran, sie abzubauen.

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• Gib nur ehrlich gemeinte Schmuser. Halte die Situation rein; gib lieber keinen als einen unreinen Schmuser! Die ganze Sache steht und fällt mit dem Vertrauen in die Ehrlichkeit der Schmuser. • Gib deshalb auch Schmuser nur aus einem guten Gefühl zum Empfänger heraus. • Wenn du das Gefühl hast, andere bekommen mehr oder es ist für dich nicht genug, dann bleib nicht auf diesem Gefühl sitzen, sondern bitte um Schmuser. Laß dich nicht in das Gefühl fallen: „Sie mögen mich nicht“, was außerordentlich lähmend ist. Entdecke, daß die Wirklichkeit anders aussieht. • Lehne einen Schmuser, der sich nicht gut anfühlt, offen heraus ab. Versuche als Geber eines abgelehnten Schmusers, die Ablehnung nicht auf dich zu beziehen. Dein Schmuser war in Ordnung; er paßt bloß für den Empfänger nicht. Eine wesentliche Rolle bei der Überwindung des Schmusemangels kommt der Selbstwertschätzung zu. Wir haben nicht nur die Regel verinnerlicht, uns vor anderen keine Schmuser zu geben, sondern dies auch im Stillen zu unterlassen. Wir tendieren dazu, unter all dem Druck, unter dem wir stehen, uns innerlich hauptsächlich damit auseinanderzusetzen, was alles nicht o.k., nicht gut genug, nicht schnell genug, ... an uns ist. Beobachte dich in dieser Hinsicht in deinem Alltag. Versuche mehr Zeit dafür zu verwenden, dich selbst (im Stillen) ganz bewußt wertzuschätzen, dir selbst eine wohlwollende Haltung entgegenzubringen. Schmusemangel hat auch stark mit der Haltung zu sich selbst zu tun, die oft hart oder gleichgültig, manchmal erbarmungslos ist. Das führt zu einem - oft unbewußten - Hunger nach Anerkennung von außen. Eine ausgehungerte Grundhaltung aber kann in der Interaktion blockierend wirken und eben das Gegenteil bewirken, nämlich, daß man weniger Zuneigung bekommt. Selbstanerkennung in der Schmuserunde (oder auch sonst unter Gruppenmitgliedern) laut auszusprechen ist dabei stimulierend: Man sieht, daß es o.k. ist; andere werden angeregt, es auch zu tun. 31

Selbstwertschätzung ist auch insofern wichtig, als sie dazu führt, daß man Anerkennung von anderen leichter und tiefer annehmen kann. Außerdem fällt es leichter, anderen etwas zu geben, wenn man sich selbst genug gibt. Teil 3 Arbeitsstrategien

13. Kontrakte

Jeder Mensch nimmt sich tagtäglich vor, gewisse Dinge zu tun, z.B. „heute bleibe ich mal nicht vor der Glotze hängen, sondern lese ein Buch“ oder „ich will jeden Tag wenigstens einen Satz in mein Tagebuch schreiben“. Oft geht das daneben und man tut doch nicht, was man sich vorgenommen hat. Bei MRT gibt es das Medium des Kontraktes, um mit solchen Situationen („der Geist ist willig, doch das Fleisch ist schwach“) umzugehen. Ein Kontrakt ist kein Vertrag, bei dem bei Nichterfüllung eine Strafe verhängt wird. Ein Kontrakt wird geschlossen, damit du dir eine angemessene Unterstützung zur Verwirklichung deiner Vornahmen sichern kannst. Kontrakte dienen dem gezielten Arbeiten an einer Sache über einen längeren Zeitraum. Du kannst den Kontrakt in einer oder in mehreren Arbeitszeiten entwickeln bis dir klar ist, was du dir vornimmst, was du erreichen willst, wie du es erreichen willst, über welche Zeitspanne du dich darum bemühen willst, wie du unterstützt werden willst. Ein Kontrakt wird schriftlich festgelegt, weil diese Form nachhaltiger ist als eine bloße mündliche Vereinbarung (z.B. kann man sich einen schriftlich festgehaltenen Kontrakt immer wieder durchlesen und sich vergewissern, was man sich vorgenommen hat). Themenfindung: Wenn du in etwa weißt, was du erreichen willst, dann konkretisiere in einer Arbeitszeit, wie der Kontrakt aussehen soll. Wenn du mehrere Themen hast, die dir alle gleich wichtig erscheinen, dann kläre in einer Arbeitszeit, ob diese Themen vielleicht eine Gemeinsamkeit 32

haben. Wenn das der Fall ist, dann nimm diese Gemeinsamkeit zum Anlaß, einen Kontrakt zu formulieren. Oder du erstellst eine Prioritätenliste und beginnst mit dem wichtigsten Thema. Die anderen kommen dann später dran. Wenn du gar nicht so richtig weißt, was du bearbeiten möchtest, dann kannst du in einigen Sitzungen daran arbeiten, was für dich wichtige Themen sind. Mit diesem Vorsatz hättest du fast schon einen Kontrakt. Formulieren eines Kontraktes: Hilfreiche Fragen für die Formulierung eines Kontraktes sind: • • • • • •

Was stört mich? („Womit bin ich unzufrieden?“) Was will ich ändern? („So soll es nicht sein!“) Was ist mein Ziel? („So soll es sein!“) Wie will ich dieses Ziel erreichen? Wie lange soll der Kontrakt dauern? Wie soll meine Unterstützung aussehen?

Nimm dir nicht zuviel vor: gehe den Weg der kleinen Schritte und bleibe bei überschaubaren, erreichbaren, realistischen Zielen. Die Zeitperspektive ist wichtig: formuliere deine Kontrakte so, daß du sie in überschaubarer Zeit erfüllen kannst: es geht darum, Erfolge zu erleben und unnötigen Frust zu vermeiden. Wenn du Schwierigkeiten mit deinem Kontrakt erlebst (wenn er dich nicht gut genug bei deinem Vorhaben unterstützt), dann formuliere ihn neu. Du kannst jederzeit Bilanz ziehen und aus deinen Erfahrungen lernen. Kontrakte können (und sollten!) ins Logbuch geschrieben werden, ebenso die Änderungen, die eventuell vorgenommen werden. So kannst du sehen, wie sich der Kontrakt entwickelt. Es ist hilfreich, in den MRT-Sitzungen regelmäßig auch den Punkt Kontrakte zur Sprache zu bringen. Das erinnert alle an die eigenen Vornahmen, gibt Anlaß zu Korrekturen - und es ist eine gute Unterstützung, zu erleben, daß die anderen Männer auch an ihren Kontrakten arbeiten.

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Wie verhält sich der Unterstützer? Für den Arbeiter ist das genaue Aushandeln wichtig, wie der Unterstützer ihn unterstützen soll. So weiß er, worauf er bauen kann. Die genaue Vereinbarung über die Art und Weise und über den Umfang der Unterstützung ist auch als Absicherung zu verstehen, daß der Unterstützer nur das tut, was er soll und nicht etwa beginnt, eigene Ziele zu verfolgen (z.B. den Arbeiter zu "retten"). Auch für den Unterstützer ist die genaue Vereinbarung über die Art und Weise und über den Umfang der Unterstützung wichtig. Er muß schließlich in der Lage sein zu prüfen, ob er das Verlangte leisten kann und will. Wie beim normalen Arbeiten auch kann sich der Unterstützer darauf verlassen, daß der Arbeiter selbst am besten weiß, wie er unterstützt werden kann. Der Unterstützer muß nur entscheiden, ob er das Verlangte tun kann und tun will (z.B. ob es mit seinen sonstigen Aufgaben im Alltag vereinbar ist, ob er die dazu nötige Zeit aufbringen will, u.ä.). Wenn er sich zur Unterstützung entschlossen hat, dann sollte er den Arbeiter bei seinem Kontrakt genau so unterstützen, wie es vereinbart wurde.

14. Counseln

Counseling, Co-Counseling oder Re-Evaluation Counseling (gegenseitiges Beraten) geht auf Harvey Jackins zurück, der in den 50er Jahren in den USA eine ganze "Counsel-Bewegung" initiiert hat. Informationen dazu findet man z.B. gut aufbereitet im Internet unter www.rc.org. Menschenbild: Der Mensch ist von Natur aus gut, das natürliche Lebensgefühl des Menschen ist Lebensfreude. Alle anderen Gefühle / Verhaltensweisen sind erworben - es ist etwas schiefgegangen: wir wurden verletzt, haben Schmerzerfahrungen erlitten. Jemand, der einen großen Teil seines Leides verarbeitet hat, wird "rationales Verhalten" zeigen, d.h. in jeder Situation aufs neue flexibel, kreativ und offen reagieren. Kleinkinder haben noch die Fähigkeit, sich von Schmerz / Spannung spontan zu entlasten (Weinen, Zittern, Lachen, Wutanfall). 34

Der natürliche Prozeß der emotionalen Entladung / Entlastung ist ein Heilungsprozeß. Störungen entstehen, wenn keine Entladung der negativen Gefühle erfolgt. Nicht entladene und unverarbeitete schmerzliche Erfahrungen werden zwangsläufig zu Gefühls- und Verhaltensrollen oder -mustern. Wenn du heftig auf jemanden oder eine Situation reagierst, ist dies ein Zeichen dafür, daß du mit altem Schmerz konfrontiert wirst (Re-Stimulation). Deine roten Knöpfe werden gedrückt. Es gibt latente Muster: sie beeinträchtigen, aber beherrschen dich nicht. Erst wenn ein Knopf gedrückt wird, leuchtet das rote Lämpchen auf. Und es gibt chronische Muster: sie wirken ständig; du merkst nicht mehr, daß das rote Lämpchen ständig brennt. Formen von Entladung: • • • • •

Lachen (oft aus Verlegenheit, es steckt ein anderes Gefühl dahinter) Wut (heftige Bewegungen, Schreien, Schwitzen) Angst (Zittern, Schwitzen) Weinen (Traurigkeit) Gähnen (körperliche Spannung)

Warum wir uns entlasten: • um Spannungen los zu werden • um spontan zur Einsicht in uns selbst zu kommen • um starre Rollen und angenommene Verhaltensmuster abzulegen Ergebnis von Entladung: • • • •

sofort sichtbare Veränderung von Gefühlen, lebendiger werden mehr freie Aufmerksamkeit tiefe Entspannung Veränderung im Äußerlichen

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Ziele des Counseling: 1.Das wichtigste beim Counseln ist, daß dir die Erlaubnis gegeben wird, schmerzhafte Gefühle zu fühlen und dich ihrer zu entledigen. Das Hauptziel beim Counseln ist, diese Entlastung zu fördern. 2.Du lernst die Fertigkeiten, die du nötig hast, um deine Arbeitszeit so effektiv wie möglich zu gestalten und so schnell wie möglich das entstandene Leid zu verarbeiten. 3.Du lernst, anderen Menschen Hilfestellung zu geben, damit sie sich von ihren rigiden, festgefahrenen Gefühlen und Verhaltensweisen befreien können, die sie infolge früherer Verletzungen zurück behalten haben. 4.

Du lernst, länger in einem Zustand der Flexibilität, Realitätsbezogenheit und Problemlösungsfähigkeit zu leben, anstatt dein Leben von irrationalen Verhaltensmustern bestimmen zu lassen.

5.Du lernst, dich so anzunehmen, wie du bist; die guten Seiten zu sehen, aber auch die sog. "schlechten Seiten" zu akzeptieren: positive Selbstanerkennung! Der Arbeitende / Klient: Ablauf einer Counsel-Sitzung / Arbeitszeit: • "Du bist der Boß" (Vertrag schließen, Techniken deiner Person anpassen, Vorschläge verweigern) • Reinkommen (Schmerzerfahrung hervor holen, entladen) • Einsichten bekommen (Rollen und ihre Herkunft erkennen) • Gegenentschlüsse fassen (gegen die Muster / für den Alltag) • Erreichbare Ziele setzen (als Ergebnis der Einsichten) • Rauskommen (Volle Aufmerksamkeit erlangen, das Positive der Sitzung zusammenfassen) • Nimm dir Zeit, der Rest kommt schon!

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Grundprinzipien für den Arbeitenden: Selbstbestimmung: • Du weißt am besten über dein Leben Bescheid, kannst am besten Lösungen formulieren, Entscheidungen für dich treffen (Verzicht auf Ratschläge etc.) • Selbstverantwortung: Du bestimmst selbst, wie lange und wie intensiv du an welchen Themen arbeiten willst. • Arbeit auf der Grundlage von Stärken: Akzeptiere dich mit deinen positiven Eigenschaften / Stärken / Erfolgen, in deinem Leben! Der Unterstützer: Du hast die Aufgabe, deinen Partner dabei zu unterstützen, daß er sich von seinen Verhaltensmustern / Rollen befreien kann. Unterstützungsverträge: • Minimalvertrag (Zuhören, Verständnisfragen) • Normalvertrag (öfter nachfragen) • Intensivvertrag (Jeder Schmerz- und Entlastungshinweis wird aufgegriffen) Du bist verantwortlich für die Zeiteinteilung und die Hilfe für den Partner, am Ende wieder in das "Hier und Jetzt" zurückzukehren. Zuhören, mit Interesse und voller Aufmerksamkeit (nicht reden). Ermutige deinen Partner, fortzufahren, wenn Entlastungserscheinungen zu erkennen sind. Keine Stellungnahmen, keine Interpretationen, Ratschläge, Antworten etc. . Hilfreiche Fragen: • • • • • •

Wie fühlst du dich? Wo fühlst du das? Kennst du das irgendwoher? Wie hast du dich damals gefühlt? Wie fühlst du dich jetzt? Wie geht es dir? Wie willst du damit umgehen? Was willst du tun? 37

• Was fehlt dir? Counsel-Techniken: 1.

Auf Anerkennung gerichtete Techniken: Selbstanerkennungs-Übungen. Lernen, wann du Anerkennung in deinen Counsel-Sitzungen brauchst.

2.

Aufmerksamkeitstechniken: Lernen, als Unterstützer volle Aufmerksamkeit geben zu können, sich nicht durch eigene Angelegenheiten ablenken zu lassen. Lernen, als Arbeitender das Gleichgewicht zu finden zwischen deinem alten Schmerz und deinen Rollen einerseits und deiner jetzigen sicheren Umgebung und deinen starken Seiten andererseits.

3.

Techniken, die auf Entlastung gerichtet sind: Übungen zum Lösen von Körperspannung, die Entlastung verhindert Acting-Into-Techniken: Wie du dich (künstlich) in heftigere Gefühle hineinsteigern kannst In der Gegenwart erzählen Wiederholung von Gefühlsentladung Anwenden von Assoziationen, mehr das Unterbewußte arbeiten lassen Scanning: Deine Vergangenheit nach übereinstimmenden Geschehnissen abtasten Rollen und Blockierungen widersprechen lernen, bewußt etwas "anders" machen. Gegenentschlüsse fassen Eine Richtung einhalten während der ganzen Counselsitzung Rollenspiele Fantasiereisen

• • • • • • • • • •

Der Arbeitende kann seine Arbeitszeit mit solchen Techniken effektiver machen. Der Unterstützer kann dem Arbeitenden die Anwendung solcher Techniken / Übungen vorschlagen bzw. ihn bei der Durchführung unterstützen. Die Counsel-Sitzungen müssen nicht unbedingt während des Gruppenabends stattfinden. Mit einem Partner kann auch Zuhause oder eventuell auch per Telefon gecounselt werden. „Folgende Einstellungen sind förderlich für ein erfolgreiches Arbeiten: Anerkennung, Respekt, Freude, Vertrauen, entspannte hohe Erwartung, Liebe.“ (Harvey Jackins) 38

15. Transaktionsanalyse

Unser Unterbewußtsein ist ein stoischer Diener. Jeder Gedanke, jede Vorstellung, die unser Unterbewußtsein verarbeitet, wird von ihm als gegenwärtige "Realität" interpretiert, und es gibt entsprechende Ausführungsbefehle an den Körper. Im Laufe eines jeden Tages, wird das Unterbewußtsein mit vielen guten und sinnvollen, aber auch mit vielen negativen und unsinnigen Gedanken beschäftigt. Egal ob Sinn oder Unsinn, Realität oder nur Vorstellung, Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft, unsere Gefühle werden durch diese Gedanken und Bilder produziert. Bestimmte Gedanken und Bilder über dich und die Welt tauchen, sei es nun bewußt oder mehr oder weniger unbewußt, musterartig immer wieder auf. Diese Gedanken bestimmen, wie du dich dir und anderen gegenüber fühlst, oder kurz gesagt, „so bin ich und so ist die Welt“. Diese grundsätzlichen Einschätzungen werden in der Transaktionsanalyse als Basis-Positionen bezeichnet. Die Basis-Positionen: Es gibt vier dieser Basis-Positionen. 1. 2. 3. 4.

Ich bin Ich bin Ich bin nicht Ich bin nicht

O.K., O.K., O.K., O.K.,

du bist du bist nicht du bist du bist nicht

O.K. O.K. O.K. O.K.

Diese Positionen entstehen in jedem als Kind, sowohl durch positive als auch durch negative Zuwendungen. Wenn du dich nicht O.K. fühlst, hast du wahrscheinlich als Kind mehr negative als positive Unterstützung bekommen.

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h:

Im Kind werden bestimmte Basis-Positionen erst einmal verankert, z.B. die Basisposition "Ich bin nicht O.K. du bist O.K.". Dem Kind werden immer wieder Dinge gesagt, die ihm klar machen sollen, daß es so nicht in Ordnung ist, und es solle sich doch mal ein Beispiel an den anderen nehmen. Das Kind lernt im Laufe der Zeit, selbständig diese "Nicht O.K. Gedanken" zu produzieren und so wird es auf eine der Basis-Positionen eingeschworen. Warum hat man heute diese "Nicht O.K. Gefühle" immer noch? Sehr vereinfacht ausgedrückt besteht das Gehirn aus drei unabhängig voneinander agierenden Programmen. In der Transaktionsanalyse werden diese Programme als "Ego-Zustände" bezeichnet. Ego-Zustände: Es gibt den Ego-Zustand des Kindes, den Ego-Zustand der Eltern und den des Erwachsenen. Das Kind-Ich: Im Programm des Kindes befinden sich sämtliche Aufzeichnungen seines Verhaltens, seiner Wahrnehmungen, seiner Gedanken und seiner Gefühle bis ungefähr zum siebten Lebensjahr. Es kann natürlich sein, d.h. sich frei, fröhlich und spontan verhalten, es kann sich aber auch ängstlich und traurig benehmen. Es kann sich, aufgrund seiner Intuition, intelligent benehmen, aber auch angepaßt, wie seine Norm-Eltern es gerne sehen wollen. Das Programm des Kind-Ichs stellt den wertvollsten Persönlichkeitsanteil in dir dar; der, der wirklich genießen kann (Spontanität, Sexualität, Kreativität, Lebensfreude). angepaßtes Kind:

• angepaßt / rebellierend, von elterlichen Anforderungen geprägt

kleiner Professor:

• neugierig, lebhaft, intuitiv, intelligent

natürliches, freies Kind:

• intensives Empfinden, Kreativität, Spontanität

Das Eltern-Ich: Im Programm der Eltern ist aufgezeichnet, wie das Kind das Verhalten, die Wahrnehmungen, die Gedanken und die Gefühle der Eltern subjektiv wahrgenommen hat. Das Eltern-Ich in dir fühlt bzw. benimmt sich so, wie deine Eltern / Erzieher sich gefühlt bzw. benommen haben. Das 40

Eltern-Ich ist im großen und ganzen zusammengesetzt aus dem Verhalten, das von den Eltern oder maßgebenden Figuren kopiert ist. Das Eltern-Ich kann kritisierend oder beschuldigend sein (Buhbuh-Eltern, Schweine-Eltern, NormEltern). Dein Eltern-Ich kann auch versorgend und nett sein, dich ohne Bedingungen lieben (versorgende Eltern). nährend:

• positiv: versorgen, zuwenden, hegen und pflegen • negativ: ersticken (retten)

normierend:

• positiv: lebensrettende Gebote und Verbote • negativ: unterdrückend

Diese Programme sind von Person zu Person unterschiedlich stark ausgeprägt. Einer dieser Ego-Zustände hat jeweils die Oberhand, er bestimmt das jeweilige Denken. Beispielsweise befinden wir uns im Ego-Zustand des ängstlichen Kindes. Dieses Programm entwickelt ständig unhinterfragte AngstGedanken. Ein anderes Beispiel wäre, wenn wir uns im Ego-Zustand der Norm-Eltern befinden: Uns geraten immer wieder normierende und einengende Gedanken ins Bewußtsein. Das Bewußtsein kontrolliert diese Gedanken und Bilder nicht auf Richtigkeit bzw. Aktualität, sondern produziert lediglich die entsprechenden Gefühle. Wenn ich diesen "Nicht O.K." Gefühlen blindlings vertraue („Es ist leider so, ich fühle das ja sogar“, ist der Kreislauf geschlossen und meine BasisPosition hat sich im "Hier und Jetzt" bestätigt. Das Erwachsenen-Ich: Neben diesen beiden Programmen existiert noch ein drittes, nämlich das Erwachsenen-Programm. Dieses Programm findet aufgrund der vorliegenden "Fakten" Lösungen. Es läuft ohne Emotionen, ist rein sachlich, sortiert Informationen, stellt sie neu zusammen und trifft so Entscheidungen. Dieses Programm sollte über die beiden anderen Programme wachen. Es sollte die guten Gedanken von den schlechten trennen. Es sollte immer wieder die Frage stellen: „Ist es wahr, was mir da in den Sinn kommt?“ Die Auskunftsquellen: Die drei Ego-Zustände Eltern-Ich, Kind-Ich und Erwachsenen-Ich definieren dich selbst. Ein Teil dieser drei übernimmt in bestimmten Momenten die Leitung (handlungsleitend). Du kannst nur in jeweils einem Ego-Zustand sein. Die drei Ego-Zustände können innerhalb deiner Person in Kontakt stehen 41

(miteinander "streiten"), aber auch außerhalb von dir, also mit einem anderen Menschen in Kontakt treten. Um zu bestimmen, in welchem Ego-Zustand du dich befindest, sind drei Auskunftsquellen vorhanden: • Dein Benehmen (deine innere Haltung, deine verbale und nonverbale Kommunikation) • Wie du mit einem Gegenüber umgehst und wie der andere auf dich reagiert (z.B. reagierst du aus dem Ego-Zustand des natürlichen Kindes oder dem EgoZustand des kritischen Eltern-Ichs; der andere nimmt dann oft die entgegengesetzte Position ein, daß heißt die jeweilige Eltern- bzw. Kindrolle.) • Dein eigenes Gefühl und deine Meinung darüber (du kannst in jedem Augenblick den Ego-Zustand, in dem du dich befindest, aufgrund deiner Gefühls- bzw. Gedankenlage bestimmen). Schweine-Botschaften: Der Ego-Zustand der Schweine-Eltern bzw. Buhbuh-Eltern ist der Feind des Kindes. Die Schweine Eltern stellen das schlechte Gewissen dar, das uns von ungebremster Selbstentwicklung fernhält. Die Schweine-Eltern vertreten die herrschenden Ideologien, z.B. wie man sich als Mann oder Frau zu verhalten hat, daß man nicht ungebremst lustvoll sein darf, daß man sich in die gesellschaftliche Ordnung hinzufügen hat. Die Schweine-Eltern benutzen Worte wie: "muß", "soll", "besser", "am besten", "übel", "dumm", "häßlich", "blöd", "abnormal". Schweinebotschaften sind Stimmen in deinem Kopf, und diese Botschaften erhalten sozialisationsbedingte Unterdrückung ein Leben lang aufrecht. Wir unterdrücken uns selbst, durch das "eingebaute" Programm der SchweineEltern. Die Schweine-Eltern drücken unhinterfragte Werte und Normen aus. Die Schweine-Eltern sind herablassend. Die Schweine-Eltern sind lieb zum Kind und versorgen es, solange es sich dem Willen der Eltern fügt. Dann aber sind die Schweine-Eltern kritisch und nicht-akzeptierend. Sie fördern Leistungen, Perfektion und sagen meist: „Nicht gut genug“.

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Wie man damit fertig wird: • Rede und denke positiv über dich (uneingeschränkte Selbstwertschätzung oder "pochen", wie es in der Transaktionsanalyse heißt) • Vernichte die Schweinebotschaften, indem du in der Gruppe so lange daran arbeitest, bis du sie los wirst. • Erspüre die Schweinebotschaft in deinem Kopf und widersprich ihr. Suche nach rationalen Alternativ-Gedanken, die dir nutzen. • Laß die Buhbuh-Stimme und das natürliche Kind miteinander reden. Dabei kannst du dich, in den jeweiligen Ego-Zuständen, auf verschiedene Kissen/Stühle setzen. • Wenn du einen Schmuser bekommst und du bemerkst, daß deine SchweineEltern diesen Schmuser nicht akzeptieren wollen („das meint er ganz bestimmt nicht ehrlich“, „wenn er mich besser kennen würde, gäben er diesen Schmuser nicht“), dann laß diese Botschaft los und bitte die anderen, den Schmuser so lange zu wiederholen, bis er wirkt. • Nach der Grollrunde ist es manchmal sinnvoll, eine Schweinerunde zu machen. Überlegt, welche Schweinebotschaften euch ins Bewußtsein drangen, als die einzelnen Grolle geäußert wurden. (Und anschließend weg damit). • Solltet ihr bemerken, daß sich bei jemandem die "sorgenden Eltern" entwickeln, dann verstärkt das (z.B. in der Schmuse-Runde). • Im Teil "Körperübungen" gibt es eine Übung "Weg mit dem Schwein". Das ist eine sehr kräftige Übung. Für die "Vernichtung" der Schweinebotschaften ist es wichtig, in einer sicheren und Unterstützung gebenden Gruppe zu arbeiten. Die Gruppe gibt die "Erlaubnis" ("Permission") für die Vernichtung der Schweinebotschaft, daß heißt, sie stimmt der Vernichtung zu. Gleichzeitig gibt sie dem Arbeitenden Schutz ("Protektion"), durch die Unterstützung und die Streicheleinheiten. So merkt das Kind-Ich, daß es sich 43

hier, in dieser sicheren Atmosphäre, frei ausleben und entfalten kann, obwohl die Schweine-Eltern das eigentlich nicht gestatten. Es geht darum, unsere Fähigkeit ("Potenz") zu benutzen und zurück zu bekommen, zu dem zu stehen was wir sind und sagen, dies auch durchzusetzen (und zu guter Letzt auch noch, mit den Schweine-Eltern eines anderen Mannes umzugehen). Die drei großen Ps der Schweine-Botschaften heißen also: • Permission (= Erlaubnis) • Protektion (= Schutz) • Potenz (= Fähigkeit)

16. Rational-Emotive Therapie

Wachsende Erkenntnis über die Mängel der traditionellen Psychotherapieformen regte vor allem in den fünfziger Jahren zur Suche nach neuen und wirksameren Formen der Hilfeleistung für Menschen an. In den Vereinigten Staaten kamen damals eine Anzahl neuer Vorgehensweisen auf, von denen vor allem die Verhaltenstherapie und die Gestalttherapie auch bei uns bekannt geworden sind. Viel weniger bekannt als die beiden letztgenannten ist über lange Zeit die Rational-Emotive Therapie (RET) geblieben, deren Prinzipien 1955 zum ersten Mal von dem amerikanischen Psychologen Albert Ellis formuliert wurden. Nach Ellis sind menschliche Emotionen hauptsächlich (wenn auch nicht ausschließlich) Formen des Denkens oder Resultate des Denkens. Eine Kontrolle der Emotionen ist möglich, wenn die "internalisierten" Sätze oder die "Selbstverbalisation" verändert werden. Wie unser Denken und unsere Gefühle zusammenhängen In jedem bewußten Augenblick unseres Lebens bewerten wir die Ereignisse um uns herum und uns selbst. Das tun wir, indem wir ein inneres Selbstgespräch, die sogenannte Selbstverbalisation, führen. Es gibt keinerlei Sinneswahrnehmung ohne daß unser Gehirn eine Bewertung vornimmt. Das ist

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sinnvoll, denn unser Leben hängt davon ab, daß wir in jedem Augenblick wissen, ob wir uns in Gefahr befinden oder nicht. Unsere Bewertungen sind erlernt. Sie setzen sich zusammen aus eigenen unmittelbaren Erfahrungen und aus dem, was wir von unserer Umwelt (z.B. den Eltern) vermittelt bekommen oder gelesen haben. Wir haben gelernt, auf eine bestimmte Weise zu reagieren. Die Situation als solche kann nichts in uns an Gefühlen auslösen, wofür wir nicht die passenden Gedanken haben. Ausnahme hierfür sind bestimmte Reflexe und körperlicher Schmerz. • Generell und rein theoretisch gibt es für jede Situation drei Möglichkeiten diese zu bewerten: positiv, neutral, negativ. A.Situation

A. Situation

A.Situation

B. Bewertung

B. Bewertung

B. Berwertung

positiv, gut, richtig, keine Gefahr

neutral, weder gut noch schlecht

negativ, schlimm, Gefahr

C. Gefühl

C. Gefühl

C. Gefühl

positiv, Freude, Liebe

neutral, Ruhe, Zufriedenheit

negativ, Angst, Ärger, Depression

• Negative Bewertungen (Selbstverbalisation) wie "gefährlich", "schlimm", "furchtbar", "katastrophal", "unerträglich", führen unausweichlich zu negativen Gefühlen wie Angst, Wut, Depression. • Positive Bewertungen wie "schön", "angenehm", "sympathisch" führen dagegen zu positiven Gefühlen wie Liebe, Freude. • Neutrale Gefühle werden von uns meistens nicht direkt registriert. Wir bezeichnen diesen Zustand als normal. Wir fühlen uns ruhig und ausgeglichen wenn wir uns neutrale Gedanken machen. Neutrale Gedanken sind in der Tendenz weder positiv noch negativ: "das geht in Ordnung", "das klappt", alles normal", "wie gewohnt", sind beispielsweise solche Bewertungen. 45

Erst, wenn wir die Bewertungen verändern, können wir unsere Gefühle auch wieder ändern. Jedes Gefühl, das wir kennen, entsteht nach dem ABC der Gefühle • Mit A bezeichnen wir die Situation, die wir gerade erleben oder uns im Geiste ausmalen. • Mit B bezeichnen wir die Bewertung der Situation anhand unserer gespeicherten Erfahrungen als positiv, negativ oder neutral für uns. • Mit C bezeichnen wir unsere Gefühle (körperlich und seelisch) und unser Verhalten in der betreffenden Situation. Der Mensch funktioniert, außer wenn es sich um Reflexe oder angeborene Reaktionsweisen handelt, die jeder Mensch zeigt, immer nach diesem Prinzip. Eine Handlung und eine Gefühlsreaktion erfolgen erst, nachdem man die Situation in der Auswirkung auf seine Person blitzschnell aufgrund eines Vergleichs mit seiner früheren Erfahrung und seinem angelesenen Wissen bewertet hat. Diese innere Bewertung, oder anders ausgedrückt, dieses innere Selbstgespräch, ist uns meist nicht mehr bewußt, sondern erfolgt automatisch. Statt zu sagen „Diese Situation macht mir Angst“ müßten wir uns richtigerweise sagen „Ich mache mir Angst mit dieser Situation“. Der Nachteil unseres Denkens Die menschliche Fähigkeit zu denken hat uns nicht nur Vorteile gebracht. Nachteil des Denkens ist, daß unser Denken nicht das wiedergeben muß, was wirklich passiert. Unsere Gedanken sind frei, wie es so schön heißt. Das Tragische dabei ist, daß wir die Freiheit haben, falsch zu denken, aber dann in Kauf nehmen müssen, daß unser Körper einfach das umsetzt, was wir ihm als Bewertung oder Kommando geben. Der Zusammenhang zwischen einem Gedanken und der zugrunde liegenden "wirklichen" Begebenheit, läßt sich am besten mit der Beziehung einer Karte zu dem jeweiligen Gebiet vergleichen. Zum einen ist die Karte nicht das Gebiet, das sie darstellt. Zum anderen erfaßt eine Karte nicht alle Merkmale des Gebietes. Die Karte kann noch so gut sein, sie ist trotzdem nicht in der Lage, alles wiederzugeben. Unser Gefühl gibt also nur das wieder was wir denken. Es kommt also, wenn wir gut funktionieren wollen, darauf an, daß wir richtig und an den 46

Tatsachen orientiert denken. Wir müssen lernen, die Situation, unsere Fähigkeiten und die Tatsachen angemessen einzuschätzen. Kurz gesagt geht es in der Rational-Emotiven Therapie darum, alten Bewertungen nachzuspüren, diese Bewertungen zu überprüfen, ob sie heute noch angemessen sind, möglicherweise eine Korrektur der alten Bewertungen vorzunehmen, was eine Gefühls- und Verhaltensänderung zur Folge hat. Rational-Emotive Therapie In der Rational-Emotiven Therapie geht es um die Überprüfung der eigenen Glaubenssätze, also um die unter B aufgeführten Bewertungen. Diese Glaubenssätze werden auf ihre Rationalität hin überprüft. Nach dem Psychiater Maxie C. Maultsby wird der Begriff "rational" genauer definiert. Er hat fünf Kriterien eingeführt, mit deren Hilfe man bestimmen kann, ob ein Gedanke rational ist oder nicht. Ein Gedanke ist rational, 1. wenn er auf der objektiven Realität basiert oder auf bekannten Tatsachen, 2. wenn er der Person dabei hilft, ihre physische Existenz zu erhalten, 3. wenn er der Person hilft, ein von ihr angestrebtes Ziel zu erreichen, 4. wenn er der Person dabei hilft, unerwünschte persönliche Gefühle zu verhindern oder ihnen vorzubeugen, 5. wenn er der Person dabei hilft, unerwünschten Konflikten mit ihrer Umgebung zuvorzukommen oder sie zu vermeiden. Rationale Selbstanalyse Die rationale Selbstanalyse ist ein Selbsthilfeinstrument, das entwickelt worden ist, um auf systematische Weise ein emotionales Geschehen zu analysieren und Einsicht und Veränderung in der irrationalen Selbstkommunikation zustande zu bringen. Irrationale Glaubenssätze werden innerhalb der Rationalen Selbstanalyse aufgedeckt. Ausführung einer schriftlichen Rationalen Selbstanalyse: (Das ganze kann natürlich auch mündlich in einer Arbeitszeit gemacht werden, wobei aber die Gefahr besteht, daß Gedanken "verloren" gehen.) 1.) Als erstes wird ein emotionales Geschehen subjektiv nach dem ABC-Modell beschrieben. • Unter A wird die Situation beschrieben, also die Tatsachen und Ereignisse 47

in dieser Situation. • Unter B werden die Gedanken wiedergegeben, die man in dieser Situation hatte. • Bei C wird das Gefühl festgehalten, das man in der Situation hatte. 2.) Anschließend werden die oben genannten Beschreibungen anhand der Kriterien für rationales Denken überprüft. • In der sogenannten Disputation D wird zunächst die Situation, wie sie unter A beschrieben ist, auf Objektivität hin überprüft, d.h. man prüft nach, ob die Situation ohne persönliche Bewertungen oder Werturteile beschrieben ist. Um die Objektivität zu überprüfen, benutzt man die "Kameraregel", d.h., man stellt sich die Frage „Wenn ich die Situation gefilmt hätte, würde ich dann ungefähr das gleiche auf dem Film sehen wie das, was ich aufgeschrieben habe?“ • Als nächstes beschreibt man dann unter dem Punkt E, wie man sich in der Situation fühlen möchte, wenn sie sich noch einmal wiederholt. In der rationalen Verhaltenstherapie werden nur drei reine Gefühlszustände anerkannt, nämlich positiv, neutral und negativ. Man beschränkt sich nur auf den physiologischen Aspekt der Emotion, wenn man über Gefühle spricht. Worte, die im Alltag Gefühle auszudrücken pflegen, werden in der rationalen Therapie als Gedanken angesehen. Sagt beispielsweise jemand, „Ich fühle mich hilflos“, dann sagt dies noch nichts über die Qualität seines Gefühls aus. Ist Hilflosigkeit ein negatives, positives oder neutrales Gefühl? Das hängt wahrscheinlich von den Dingen oder Personen ab, denen gegenüber er sich hilflos fühlt. Das "Gefühl" Hilflosigkeit wird in der Rationalen Therapie also wie ein Gedanke behandelt. Im Falle der Hilflosigkeit wird dies wohl in einen Gedanken münden wie „Es ist dieses oder jenes passiert, und ich kann nichts dafür, obwohl ich eigentlich finde, daß ich hätte etwas unternehmen sollen.“ Unter C würde dann erscheinen: negativ. Der Widerstand gegen den Gebrauch von "Gefühlsworten" ist teilweise eine Reaktion auf den heutigen Trend, Meinungen und Gedanken mit der Formulierung „Ich fühle, daß...“ oder „Mein Gefühl sagt mir...“ zu beginnen. Die rationale Theorie sieht diesen Sprachgebrauch als kommunikationszerstörend an. Ein Satz wie „Ich fühle, daß es nicht richtig ist“ läßt für eine Diskussion weniger Raum als der Satz „Ich denke, daß es nicht richtig ist“. Diese Formulierung beinhaltet, das man auch anders darüber denken kann.

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• Danach geht man wieder zurück zum Punkt D (Disputation). Man überlegt, inwieweit die Gedanken unter B den fünf Kriterien der Rationalität genügen. Genügen die Gedanken diesen Anforderungen nicht, versucht man, neue alternative Gedanken zu formulieren, die den fünf Kriterien entsprechen. Die zweite Phase der rationalen Verhaltenstherapie besteht in der Ausführung rational-emotiver Imaginationsübungen. Während man sich entspannt, versucht man, sich die "objektive" Situation so gut wie möglich vorzustellen, und gleichzeitig nicht, wie bisher, die irrationalen Gedanken, zu denken, sondern neue, rationale Gedanken. Das macht man so lange und so oft, bis der gewünschte Effekt, also ein entsprechendes Gefühl, eintritt. Wenn man diese Imaginationsübungen häufig durchführt, wird man auf die Dauer in den jeweiligen Situationen, in denen man sich früher irrational verhalten hat, jetzt automatisch rational denken und sich dementsprechend fühlen. In der dritten Phase begibt man sich dann in die subjektiv erlebte schwierige Situation, während man die in der Analyse formulierten und in der Imaginationsübung erlernten rationalen Gedanken denkt. Man wird merken, daß die Situation längst nicht mehr so schwierig sein wird. Irrationale Gedanken Einer der Grundgedanken der Rational-Emotiven Therapie besagt, daß negative Emotionen durch irrationale Gedanken verursacht sind. Albert Ellis nennt zwölf irrationale Vorstellungen, auf denen fast alle irrationalen Gedanken basieren, die in unserer Kultur weit verbreitet sind und die seiner Meinung nach zu Störungen führen müssen. 1. Der Gedanke, daß jeder Erwachsene von jeder wichtigen Persönlichkeit in seinem Umfeld geliebt und respektiert werden muß. 2. Der Gedanke, daß jemand in jeder Hinsicht perfekt, kompetent und erfolgreich sein muß, damit er sich selbst akzeptieren kann. 3. Der Gedanke, daß es schlechte und niederträchtige Menschen gibt und daß man diese Menschen hart anfassen und bestrafen muß. 4. Der Gedanke, daß es entsetzlich oder tragisch ist, wenn die Dinge nicht so verlaufen, wie du das gerne möchtest. 5. Der Gedanke, daß menschliches Leid äußere Ursachen hat, und daß es 49

kaum Möglichkeiten gibt, sein Schicksal selbst zu steuern. 6. Der Gedanke, daß, wenn etwas gefährlich oder schädlich ist oder sein könnte, man sich darüber schreckliche Sorgen machen muß und darauf achten muß, daß man diese Gefühle meidet. 7. Der Gedanke, daß es einfacher ist, Schwierigkeiten und Eigenverantwortlichkeit aus dem Weg zu gehen als zu versuchen, mit ihnen umzugehen. 8. Der Gedanke, daß du von anderen abhängig bist und du jemanden brauchst, der stärker ist als du und dem du vertrauen kannst. 9. Der Gedanke, daß die Vergangenheit einer Person deren heutiges Verhalten entscheidend beeinflußt und daß, wenn etwas jemals einen großen Einfluß auf jemanden gehabt hat, dieser Einfluß immer bestehen bleiben wird. 10. Der Gedanke, daß man sich über die Sorgen und Probleme anderer Leute aufregen muß. 11. Der Gedanke, daß es für jedes menschliche Problem eine unveränderliche, richtige und perfekte Lösung gibt und es katastrophal ist, wenn man diese perfekte Lösung nicht findet. 12. Die Vorstellung, daß es unmöglich ist, mit Wahrscheinlichkeiten oder Unsicherheiten zu leben.

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