Moses Mendelssohns Sprachpolitik 3110275597, 9783110275599

Die erste umfassende Untersuchung zur Sprachauffassung des Philosophen Moses Mendelssohn (1729-1786) führt den Leser que

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Moses Mendelssohns Sprachpolitik
 3110275597, 9783110275599

Table of contents :
Danksagung
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
Sprachenfrage und Mendelssohnforschung
Struktur und Inhalt der Untersuchung
I. Sprachenfrage und Mendelssohn-Rezeption
i. Rechtssituation und preußische Sprachplanung zwischen 1750 bis 1786
ii. Sprache und Nation
iii. Heilige deutsche Nationalsprache
iv. Wie »deutschgesinnt« war Mendelssohn?
v. Grundlegungskräfte vs. Zermalmungskräfte
II. Übersetzung als Sprachpolitik
i. Mendelssohns Apologien des Hebräischen und Deutschen
ii. »Von den Übersetzungen«
iii. Der Ursprung der Sprache – Mendelssohns agnostisches Argument
III. Der Name Gottes, das Erhabene und die Dichtkunst der Hebräer
i. Poetologische Bibelkritik und historisch-kritische Methode
ii. Parallelismus vs. Silbenmaß
iii. Schönes und Erhabenes – Affekttheorie als Erkenntnistheorie
iv. Der Name Gottes als »Denkwort«
v. Herders Geschichtsphilosophie des »Erhabenschönen«
vi. Das Erhabene als Kritik der Indifferenz
IV. Zeichensprache in Mathematik und Metaphysik
i. Evidenz und Wahrscheinlichkeit
ii. Evidenz und Infinitesimalgrößen
iii. Das Kriterium der Unermesslichkeit in Mathematik und Philosophie
iv. Zeichengebung und Wirklichkeit
V. Logos und Offenbarung
i. Apologie der Logik
ii. Die Logik im System der Wissenschaften
iii. Logik und heilige Sprache?
iv. Konvention und Tradition im System der Logik
v. Dialektik des Vorurteils – Zu Mendelssohns Projekt der Aufklärung
VI. Sprache und Politik
i. Das Zeremonialgesetz als Zeichensprache
ii. Innerer Sinn und äußerliches Zeichen
iii. Zeichen der Macht: Hobbes, Mendelssohn und Hamann
Schluss
Bibliografie
Register

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Grit Schorch Moses Mendelssohns Sprachpolitik

Studia Judaica Forschungen zur Wissenschaft des Judentums Begründet von Ernst Ludwig Ehrlich Herausgegeben von Günter Stemberger Band 67

De Gruyter

Grit Schorch

Moses Mendelssohns Sprachpolitik

De Gruyter

Das vorliegende Buch ist die leicht überarbeitete Fassung der Studie „Irdische“ und „himmlische“ Sprachpolitik bei Moses Mendelssohn, die von der Philosophischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Jahre 2010 als Dissertation angenommen wurde.

ISBN 978-3-11-027559-9 e-ISBN 978-3-11-027562-9 ISSN 0585-5306 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. ” 2012 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/Boston Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ⬁ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Für meine Großmutter Margarete Irmgard Tänzer, geb. Xylander

Danksagung Dieses Buch ist das Ergebnis unzähliger Gespräche und Diskussionen mit vielen Menschen. Es wäre ohne die unermüdliche Unterstützung von Lehrern, Kollegen, Freunden und Familie nicht zu Stande gekommen. So schwer es mir immer noch fällt, das Buch aus den Händen zu geben, so froh bin, mich bei allen bedanken zu können, die geholfen haben, es zu beginnen, zu schreiben und zu Ende zu bringen. Der größte Dank geht an Giuseppe Veltri (Halle/Leipzig) und Thomas Meyer (München/Chicago), die mich von Anfang an in vielfältiger Weise unterstützt haben. Von beiden habe ich sehr viel gelernt und nicht zuletzt durch sie verstanden, dass Mendelssohn ein Thema der Jüdischen Studien/Judaistik und der Philosophie gleichermaßen ist. Sie haben mir immer wieder das Gefühl vermittelt, dass meine Thesen diskutierbar sind, und es wert ist, sie der Öffentlichkeit zu übergeben. Ich danke ihnen sehr herzlich für Hilfe, Hinweise, Anmerkungen und Kritik in allen Entstehungsphasen des Buches. Für Inspiration in der Phase der Themenfindung bedanke ich mich bei Yaacov Shavit (Tel Aviv), Shmuel Feiner (Bar-Ilan) und Louise Hecht (Olmütz). Dan Diner (Leipzig/Jerusalem) und Ludwig Stockinger (Leipzig) verdankt das Projekt wesentliche Impulse sowie die finanzielle Förderung durch das SimonDubnow-Institut (Leipzig) und ein Promotionsstipendium aus dem Sächsischen Hochschul- und Wissenschaftsprogramm. Die Gespräche und der Austausch erster Texte mit Stephan Braese (Aachen) und Nicolas Berg (Leipzig) hatten zur Folge, dass nicht Moses Mendelssohns Ästhetik, sondern sein Sprachdenken ins Zentrum der Studie gestellt wurde. Die IQN-Nachwuchsforschergruppe »Jüdische Beiträge zur Sprachtheorie in Deutschland« unter der Leitung von Ashraf Noor (Jerusalem) war ein wichtiger Ort der Texterschließung und Ideenfindung. Mein ganz besonderer Dank gilt Christoph Schulte (Potsdam), dessen Interesse an meiner Forschung mich von Anfang an motiviert und begleitet hat. Ich bedanke mich bei David Sorkin (Madison), der mich nachhaltig in meinem Entschluss bestärkt hat, eine Untersuchung zu Mendelssohns zweisprachiger Sprachphilosophie anzufertigen. Gad Freudenthal (Paris) hat mir mit vielen Hinweisen zur Frühaufklärung und zur Sprachendiskussion im jüdischen Mitelalter geholfen. Wenn es mir gelungen ist, nur einiges davon fruchtbar umzusetzen, so ist es schon viel. Ein zweijähriger Lehr- und Forschungsaufenhalt an der University of Illinois in Urbana-Champaign hat neue Perspektiven auf mein Thema ermöglicht. Das »Program in Jewish Culture and Society« unter der damaligen Leitung von Michael Shapiro (Chicago) sowie das »Department of Germanic Languages and

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Danksagung

Literatures« an der University of Illinois, Urbana-Champaign haben mir hervorragende Forschungsbedingungen bereitgestellt. Ich bedanke mich bei meinen dortigen Kollegen. Insbesondere der Gedankenaustausch mit Eva GruensteinNeuman (Urbana-Champaign), Adam Sutcliffe (London) und Yasemin Yildiz (Urbana-Champaign) hat meine Arbeit sehr geprägt. Ich danke Albrecht Döhnert, Sabine Kraemer und Angelika Hermann vom Verlag Walter de Gruyter, für die effektive, geduldige und sachdienliche Betreuung und Lektorierung des Manuskripts. Für Layout und Formatierungf des Buches geht ein ganz großes Dankeschön an meine Schwester, Katrin Meißgeier (Jena/Weimar), die Typografin. Für Kritik und Korrekturen an den Texten des Buches in verschiedenen Entstehungsphasen bedanke ich mich sehr herzlich bei: Ruth von Bernuth (Chapel Hill), Evelyn Burkhardt (Halle/Berlin), Julia Itin (Berlin/Bratislava), Anke Költsch (Haifa), Kerstin von der Krone (Berlin), Claudia Melica (Rom), Eva Gruenstein-Neuman, Thomas Meyer, Susanne Plietzsch (Graz), Monika Schrimpf (Bayreuth) und Giuseppe Veltri. Von ganzem Herzen möchte ich mich bei Familie und Freunden bedanken, die mir über lange und noch längere Wegstrecken hinweg Vertrauen und Energie geschenkt haben, insbesondere seien genannt: Heinz Zahn, Carla Meißgeier, Katrin Meißgeier, Karin Förster, Andrea Rotstein, Hubert Seiwert, Bärbel Teubert, Uta Kallenberg, Sharon Gordon, Yaacov Ariel, Matan Oram, Dorothee Schneider, Harry Liebersohn, Anke Pinkert, Gabriele Gysi, Rachel Ariel, Loren Oram, Monika Schrimpf und Igal Babayof. Meinen beiden wundervollen Kindern, Hannah und Jakob, meiner leider viel zu früh verstorbenen Mutter, Brigitte Meißgeier-Kregel, und meiner einzigartigen Großmutter, Margarete Irmgard Tänzer, danke ich für das größte Geschenk: Mit ihrer Kreativität, Lebensfreude und Liebe haben sie mir mehr gegeben als ich mit Worten sagen kann.

Tel Aviv im Mai 2012

Inhalt Danksagung .................................................................................................... VII Abkürzungsverzeichnis ..................................................................................... XI Einleitung .......................................................................................................... 1 Sprachenfrage und Mendelssohnforschung ................................................ 2 Struktur und Inhalt der Untersuchung ..................................................... 14 I. Sprachenfrage und Mendelssohn-Rezeption .................................................. 17 i. Rechtssituation und preußische Sprachplanung zwischen 1750 bis 1786 ... 17 ii. Sprache und Nation ................................................................................. 27 iii. Heilige deutsche Nationalsprache ............................................................ 33 iv. Wie »deutschgesinnt« war Mendelssohn? ................................................. 45 v. Grundlegungskräfte vs. Zermalmungskräfte .............................................. 60 II. Übersetzung als Sprachpolitik ...................................................................... 67 i. Mendelssohns Apologien des Hebräischen und Deutschen ........................ 69 ii. »Von den Übersetzungen« ........................................................................ 79 iii. Der Ursprung der Sprache – Mendelssohns agnostisches Argument ......... 89 III. Der Name Gottes, das Erhabene und die Dichtkunst der Hebräer .............. 96 i. Poetologische Bibelkritik und historisch-kritische Methode ....................... 97 ii. Parallelismus vs. Silbenmaß .................................................................... 103 iii. Schönes und Erhabenes – Affekttheorie als Erkenntnistheorie................ 111 iv. Der Name Gottes als »Denkwort«.......................................................... 125 v. Herders Geschichtsphilosophie des »Erhabenschönen«............................ 131 vi. Das Erhabene als Kritik der Indifferenz.................................................. 136 IV. Zeichensprache in Mathematik und Metaphysik ...................................... 141 i. Evidenz und Wahrscheinlichkeit ............................................................. 142

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Inhalt

ii. Evidenz und Infinitesimalgrößen ............................................................ 151 iii. Das Kriterium der Unermesslichkeit in Mathematik und Philosophie.... 162 iv. Zeichengebung und Wirklichkeit........................................................... 169 V. Logos und Offenbarung............................................................................. 185 i. Apologie der Logik .................................................................................. 188 ii. Die Logik im System der Wissenschaften ............................................... 194 iii. Logik und heilige Sprache? .................................................................... 197 iv. Konvention und Tradition im System der Logik .................................... 207 v. Dialektik des Vorurteils – Zu Mendelssohns Projekt der Aufklärung....... 214 VI. Sprache und Politik .................................................................................. 219 i. Das Zeremonialgesetz als Zeichensprache ................................................ 220 ii. Innerer Sinn und äußerliches Zeichen .................................................... 231 iii. Zeichen der Macht: Hobbes, Mendelssohn und Hamann ...................... 241 Schluss ........................................................................................................... 249 Bibliografie..................................................................................................... 253 Register .......................................................................................................... 288

Abkürzungsverzeichnis AA BMH FA JubA KrV KU N MH

Immanuel Kant: Gesammelte Schriften. Akademie-Ausgabe (1900– ) Moses Mendelssohn: B’iur Millot ha-Higgajon (Kommentar zu Maimonides' Termini der Logik, 1761/64) Johann Gottfried Herder: Werke. Frankfurter Ausgabe (1985–2000) Moses Mendelssohn: Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe (1929 ff) Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft, A/B (1781/87) Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft (1790) Johann Georg Hamann: Sämtliche Werke. Hg. von Josef Nadler (1950–1957) Moses Maimonides: Millot ha-Higgajon (=Termini der Logik) (hebr. Übers. des arab. Originals)

Einleitung Der jüdische Philosoph und jiddische Muttersprachler mit preußischem Aufenthaltsrecht, Moses Mendelssohn (1729–1786),1 markiert mit seinem Werk in der Mitte des 18. Jahrhunderts den Beginn zweier Spracherneuerungsbewegungen. Als Angehöriger einer religiösen Minorität, deren sprachliche und rechtliche Autonomie sich unter absolutistischen, machiavellistischen und merkantilistischen Maximen der Staatsführung gerade aufzulösen begann, gehörte er zu jener Gruppe jüdischer Intellektueller, welche die jüdische Aufklärung (Haskala) einleiteten. Aneignung, Gestaltung und Reformierung der multilingualen Gegebenheiten seiner Herkunft, in welcher Muttersprache, Amtssprache und sakrale Sprache der Tradition in drei separate Idiome – Jiddisch, Hochdeutsch und Hebräisch – auseinanderfielen, haben, so die zentrale These vorliegender Arbeit, nicht nur Mendelssohns Übersetzungsschaffen, sondern ebenso sein exegetisches, ästhetisches, philosophisches sowie politisch-philosophisches Werk nachhaltig geprägt. Die Frage, ob, und wenn ja, welche Zusammenhänge es zwischen Mendelssohns hebräischer und deutscher Sprachreform sowie seinen Sprach- und Zeichenbetrachtungen in Übersetzungstheorie, Ästhetik, Metaphysik, Logik und Politik gibt, stand ganz am Anfang dieser Arbeit. Es liegt auf der Hand, dass mit einer so umfassenden Fragestellung, herangetragen an ein sehr umfangreiches Œuvre hebräischer und deutscher Schriften eines philosophisch und wissenschaftlich anspruchsvollen Autors, klein und konkret begonnen werden musste, sowohl, was die Auswahl der zu analysierenden Texte als auch die methodische Herangehensweise betrifft. Ich stand vor der Herausforderung, sehr unterschiedlich geartete Schriften in zwei verschiedenen Sprachen so zu analysieren, dass sie vergleichend aufeinander bezogen werden konnten. In einer Reihe von »close readings« einzelner Texte, die im Hinblick auf den Forschungsgegenstand der Studie so ausgewählt wurden, dass sie exemplarisch die Mehrdimensionalität und Komplexität von Mendelssohns Sprach- und Zeichenreflexionen aufzeigen, wird an Hand philologischer Texterschließung die Voraussetzung für die weiterführende Interpretation geschaffen. Diese Methode, die durch die Zweisprachigkeit des Werkes vorgegeben war, liefert die Grundlage für die genaue Kontextualisierung von Mendelssohns Sprach- und Zeichenreflexionen in den zeitgenössischen Debatten sowie diachronen Diskussionszusammenhängen der jüdischen Philosophie- und Textauslegungstradition. Erst von hier aus können die originellen und innovati1

Seine hebräischen Namen waren: Mosche ben Menachem (Mendel), Mosche (me-)Dessau.

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Einleitung

ven Momente von Mendelssohns Sprachdenken bestimmt werden. Dass nicht die metaphysische sondern die politisch-praktische Dimension von Mendelssohns Sprachphilosophie im Mittelpunkt der ideengeschichtlichen Untersuchung steht, war zunächst durch die Rezeption seines Sprachenprojektes im Kontext der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Emanzipation der jüdischen Minderheit im 18. Jahrhundert vorgegeben, hat aber im Entstehungsprozess der Studie eine neue, philosophische Bedeutung bekommen.

Sprachenfrage und Mendelssohnforschung Die Frage, auf welchen expliziten und impliziten Vorentscheidungen die Übersetzungs-, Sprach- und Zeichenpolitik Moses Mendelssohns beruht, hat nicht nur die Mendelssohn-Rezeption immer wieder gespalten, sondern Mendelssohn selbst ins Zwielicht gesetzt. Wie Jonathan Frankel richtig beobachtete, war »the linguistic issue […] one of a number of the factors which combined to reduce sharply the status of Moses Mendelssohn, the dominant and founding figure in the German Haskalah movement.«2 Im Bann der weit ausgreifenden Wirkungsgeschichten erscheint es schwierig, Mendelssohns Beitrag zur Sprachendiskussion isoliert von seinen nachträglichen Zuschreibungen wahrzunehmen und sich von den Mendelssohn-Deutungen abzugrenzen, laut derer Mendelssohns Wirken entweder als Nations-,3 Aufklärungs-, oder Religionsbetrug4 deklariert wurde. Mendelssohn hatte mit jenen Zeitgenossen in intensivem Austausch gestanden, die vor allem durch die Vermittlung der Frühromantik zu den leitenden Autoritäten der großen Metanarrative der Moderne im deutschen Sprachraum wurden: Immanuel Kants (1724–1804) Version der Vernunftkritik wurde zum intellektuellen Standard der Aufklärungsdiskussion, Johann Gottfried Herders (1744–1803) einflussreiche Theorie der Nationenbildung bereitete den Weg für die Hegemonie monolingualer Sprach- und Literaturpolitiken, Johann Georg Hamanns (1730– 1788) Rückkehr zum Glauben absorbierte die Kritik an Kant in einer christlichen 2 3 4

Jonathan Frankel: Assimilation and Community. The Jews in Ninetheenth-century Europe. N. Y. et al.: Cambridge University Press, 1992, 7. In diesem Sinne: Peretz Smolenskins Mendelssohn-Polemik, s.u. Kap. I.v. Vgl. u.a. Allan Arkushs zentrale These in Moses Mendelssohn and the Enlightenment. Albany: State University of New York Press, 1994. In der Verteidigung seiner Position gegen David Sorkin wird Allan Arkush am deutlichsten: »If my interpretation of his writings is correct, there is less justification for regarding Mendelssohn as the founder of modern Jewish philosophy than as someone for whom Judaism retained only a limited, instrumental value. I realize, however, that the textual and circumstantial evidence I have marshaled in support of my position constitutes less than irrefutable proof of Mendelssohn’s concealed faithlessness. That a figure as central to the history of Jewish thought as Moses Mendelssohn was not truly a believing Jew may in any case seem to some people too preposterous a notion to entertain for even a moment« (The Questionable Judaism of Moses Mendelssohn. In: New German Critique 77 (1999), 29–44, 41).

Einleitung

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Perspektive und avancierte zum esoterischen Tipp für Eingeweihte. Die Werke von Mendelssohns berühmten Zeitgenossen haben in Philosophie-, Sprach-, Literatur- und Nationalgeschichtsschreibung schnell kanonischen Status erlangt5 und dominierten als autoritative Texte auch die jüdische Mendelssohn-Rezeption. Besonders die Königsberger Trias Hamann, Kant, Herder hatte ihre historischen, philosophischen, theologischen und politischen Thesen in der stillen oder öffentlichen Auseinandersetzung mit Mendelssohn geschärft.6 Mendelssohns Ansichten hatten polarisierend und theoriebildend gewirkt.7 Die Rezeption von Mendelssohns Werk an Hand der Leitideen eben jener Zeitgenossen, die er einst zu Gegenthesen und zum Widerspruch gereizt hatte, verzerrte die Wahrnehmung 5 6

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Die Hamann-Rezeption stellt in dieser Hinsicht eine Ausnahme dar. Die »Auseinandersetzung« zwischen Johann Gottfried Herder und Moses Mendelssohn hat wie die zwischen Immanuel Kant und Moses Mendelssohn als stillschweigendes Gespräch stattgefunden (Norbert Hinske: Das stillschweigende Gespräch. Mendelssohn und Kant. In: Michael Albrecht/Eva J. Engel/Norbert Hinske (Hgg.): Moses Mendelssohn und die Kreise seiner Wirksamkeit. Tübingen: Max Niemeyer, 1994, 136–146). Johann Georg Hamanns direkte und öffentliche Erwiderung auf Mendelssohns Jerusalem (1783) stellt eine wichtige Ausnahme dar, zeigt aber gleichzeitig an, wie grundsätzlich der Streit über die Differenzen der Auffassungen hätte geführt werden müssen (Golgatha und Scheblimini, N III, 291–320); Mendelssohn hat auf die von Hamann mit Golgatha und Scheblimini (1784) offensiv formulierte Herausforderung nie reagiert. Insbesondere durch Hegels Vermittlung ist Hamann im 19. Jahrhundert nachhaltig der Vergessenheit entrissen worden. Hegel hielt die Jerusalem-Parodie Hamanns für »ohne Zweifel das bedeutendste, was er [Hamann] geschrieben« hat (Hegel: Hamanns Schriften. In: Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Sämtliche Werke. Neue kritische Ausgabe. Bd. XI, Berliner Schriften 1818–1831. Hg. von Johannes Hoffmeister. Hamburg: Verlag von Felix Meiner, 1956, 264). Simon Rawidowicz war m.W. der erste, der auf diese Zusammenhänge verwiesen hat, vgl. seine Schrift: Zur »Jerusalem«-Polemik. Sonderabdruck aus der Kaminka-Festschrift. Wien: 1937. Mendelssohn war insgesamt in vier verschiedene Kontroversen involviert: 1.) Die Lavater-Affäre um Deismus, Judentum und Christentum, die in der Konversionsaufforderung Lavaters ihren Höhepunkt erreichte; 2.) die anonyme Herausforderung des Deisten Krantz, der in der mosaischen Staatsverfassung und Mendelssohn Bekenntnis zum Judentum eine politische Gefahr für den Deismus sah und zum Auslöser für Mendelssohns Jerusalem-Text von 1783 wurde; 3.) Hamann hat mit seiner Jerusalem-Polemik versucht, Mendelssohn in eine Kontroverse über seine Auffassung vom Judentum zu verwickeln, was ihm aber nicht gelang; 4.) der Spinoza-Streit ist die letzte Kontroverse, in die Mendelssohn von Jacobi involviert wurde, der Lessings philosophische Nähe zum Spinozismus posthum behauptet hatte, um ein philosophisches Statement Mendelssohns zum Atheismus zu provozieren, was ihm jedenfalls teilweise gelang, indem Mendelssohns letzte beide Schriften Morgenstunden und An die Freunde Lessings auf die Vorwürfe umfassend eingingen. Johann Caspar Lavater (1741–1801) und Friedrich Heinrich Jacobi (1743–1819) waren durch die öffentlich ausgetragenen Streitgespräche mit Mendelssohn überhaupt erst einem breiteren Publikum bekannt geworden. Ze’ev Levy konstatiert die Verbündung der drei Hauptgegner im Zuge des Spinoza-Streites: »There came into being at the time a kind of alliance between Mendelssohn’s three polemists – Lavater, Jacobi, Hamann – which surprisingly, was also joined by Herder. Hamann wrote to Lavater that his good luck provided him with three ›Jonathans‹ (i.e. good and reliable friends) – Lavater, Herder and Jacobi« (Ze’ev Levy: Johann Georg Hamann's Concept of Judaism and Controversy with Mendelssohn's Jerusalem. In: Leo Baeck Yearbook XXIX (1984), 296f., 301).

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Einleitung

nicht nur seiner Philosophie- und Religionsauffassung, sondern in erster Linie die seiner divergenten Position in der Sprachenfrage. Die kritische Sichtung der Mendelssohn-Rezeption des 19. Jahrhunderts wurde schon 1929 zum Ausgangspunkt eines Projektes, das den Weg zurück zu den Quellen antrat. Ismar Elbogen, Julius Guttmann und Eugen Mittwoch von der Berliner »Akademie der Wissenschaft des Judentums« nahmen den 200. Geburtstag Moses Mendelssohns zum Anlass, ihn an Hand der kritischen Ausgabe seiner Schriften wieder selbst zu Wort kommen zu lassen. Bis heute zeigt sich die gesamte MendelssohnForschung von dem Jubiläumsprojekt der Gesammelten Schriften Mendelssohns nachhaltig geprägt. Nicht nur für die Herausgeber von Mendelssohns Schriften, sondern auch für die Mitarbeiter des größten jüdischen Publikationsprojekts der »Wissenschaft des Judentums«, Fritz Bamberger, Haim Borodianski, Simon Rawidowicz, Bruno Strauss und Leo Strauss, Eugen Mittwoch, oder für später so einflussreiche jüdische Intellektuelle wie Max Wiener, Jacob Katz und Alexander Altmann, die nicht direkt an dem Projekt beteiligt waren, begann eine neue, intensive Auseinandersetzung mit Mendelssohns Denken. Diese ist nicht nur in die Kommentierung der Schriften in der Jubiläumsausgabe eingeflossen, sondern hat auf unterschiedlichste Weise in den Werken der Projekt-Mitarbeiter seine Spuren hinterlassen (die bislang noch kaum rekonstruiert wurden).8 Dieses außergewöhnliche Publikationsprojekt wurde durch eine nationalsozialistische, antisemitische und faschistische Politik unterbrochen, die den Juden nicht nur die mühsam erkämpften staatsbürgerlichen Rechte wieder entzog, sondern ihre Vernichtung als ethnische Minderheit ideologisch vorbereitete, organisierte und zwischen 1941 und 1945 auf grausamste Weise durchführte. Das Mendelssohn-Projekt der Akademie wurde erst dreißig Jahre später von Alexander Altmann neu aufgenommen und ist noch immer nicht beendet. Die »Epochenscheide«9 von 1933 hat Mendelssohn aus einem lebendigen Rezeptions- und Diskussionskontext gerissen, dessen Koordinaten sich gerade zu ändern begannen. Die Suche nach diesen Koordinaten bestimmt den heutigen Blick auf das Mendelssohn'sche Werk. Mendelssohns schriftstellerisches Werk ist zweigeteilt und besteht aus einem hebräischen Œuvre, welches sich vor allem aus Kommentaren und Einleitungen zu Texten der jüdischen Tradition zusammensetzt, und dem bekannteren deutschen Œuvre, das sehr vielgestaltig ist und neben Übersetzungen, philosophischen, ästhetischen und literaturkritischen Schriften auch wirtschaftliche, politische und rechtliche Schriften enthält. Mit der Herausgabe des Bandes 20.1 im 8

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Jenseits der umfassend erforschten Werke von Franz Rosenzweig, Martin Buber, Gershom Scholem und Leo Strauss ist in jüngster Zeit ein neues Forschungsinteresse an den jüdischen Philosophen und Religionsphilosophen der Weimarer Republik zu verzeichnen. Das wirft auch neues Licht auf die Mendelssohn-Rezeption der Zeit, die sich von dem historisierenden MendelssohnBild des 19. Jahrhunderts auf verschiedensten Wegen zu distanzieren versuchte. Thomas Meyer: Vom Ende der Emanzipation. Jüdische Philosophie und Theologie nach 1933. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2008, 11.

Einleitung

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Jahre 2005 hat die Jubiläumsausgabe eine außerordentlich wertvolle Ergänzung erhalten. Dieser Band enthält die deutschen Übersetzungen der ersten hebräischen Veröffentlichungen Mendelssohns, die bislang nur ausschnittweise teils ins Deutsche oder Englische übertragen worden waren, und somit nun erstmals vollständig einem nicht-hebräischsprachigen Publikum zugänglich sind. Christoph Schulte hat zu Recht auf die außergewöhnliche Bedeutung des Bandes hingewiesen, der einige »lieb gewonnene Klischees der meist auf die deutschen Texte fixierten Mendelssohn-Forschung« korrigieren hilft.10 Die Übersetzungen aus dem Hebräischen nehmen sowohl auf Grund ihres Umfangs als auch ihrer inhaltlichen Disposition wiederum eine Sonderstellung im deutschen Werk ein. Im Zentrum steht hier Mendelssohns Übersetzung der Fünf Bücher Mose ins Deutsche, die er zwischen 1778 und 1783 anfertigte. Die Schwierigkeit eines einheitlichen methodischen Zugangs zu dem inhaltlich und formal so gespaltenen Werk multipliziert sich angesichts seiner heterogenen Rezeptionsgeschichten, die gleichzeitig als Ausdruck seiner komplexen theoretischen Anlage gelesen werden können. Auf der Grundlage sehr kontrapunktischer Interpretationen war es in der Vergangenheit nicht leicht, die Einheit des Werkes zu behaupten und zu vertreten. Angefangen mit Isaac Euchel, dem Zeitgenossen und ersten Biographen Mendelssohns, kam der Darstellung von Mendelssohns Leben im Hinblick auf das Gesamtwerk besondere Bedeutung zu. Sehr früh schon hatte sie den fehlenden theoretischen Zugriff zu ersetzen, und verwob die Interpretation seiner Schriften mit seinen Lebensdaten. Entlang der Chronologie von Ereignissen, Werk- und Publikationsgeschichten, Auseinandersetzungen mit Gegnern, Entwicklung von Freundschaften, Familiendaten etc. wurde der innere Zusammenhang eines Werkes hergestellt, das sich gegen eine integrative Betrachtung ansonsten zu sperren schien. So sind es immer wieder die Mendelssohn-Biographen gewesen, die der Forschung den Trend gesetzt haben. Angefangen mit Isaac Euchels hebräischer IntellektuellenBiographie (1788),11 welche Mendelssohn unter systematischer Vernachlässigung seines deutschen Werkes als Haupt- und Gründergestalt der Haskala exponierte; über Meyer Kayserling, den Mendelssohnbiographen des 19. Jahrhunderts,12 der Mendelssohn als Gründergestalt der deutsch-jüdischen Symbiose feiert; bis hin zu 10 11

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Christoph Schulte, Der doppelte Moses. Die hebräischen Schriften des Aufklärers Mendelssohn, in: Neue Zürcher Zeitung, 1. Sept. 2005. Isaac Euchel: Toldot Rabenu Moscheh ben Menachem. In: JubA 23, 102–263 (deutsche Übers. von Reuven Michael); Die Mendelssohn-Biographie Isaac Euchels ist die erste große hebräische Biographie der Haskala. Sie erschien in vier Teilen im Ha-Meassef schon zwei Jahre nach Mendelssohns Tod und steht in einem Kontext mit den (kürzeren) Biographien von Isaac Abravanel, Joseph Delmedigo, Moses Raphael d’Aguilar, Moses Maimonides, Menasse ben Israel, Isaac Orobio de Castro und Jacob Jehuda Leon. Die Biographie wurde 1840 von Joseph Zedner ins Deutsche übersetzt. Ausführlich zur Mendelssohn-Biographie Euchels: Andreas Kennecke: Isaac Abraham Euchel: Architekt der Haskala. Göttingen: Wallstein Verlag, 2007, 378–396. Meyer Kayserling: Moses Mendelssohn. Sein Leben und seine Werke. Leipzig: H. Mendelssohn, 1862.

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Einleitung

Alexander Altmanns Moses Mendelssohn. A Biographical Study von 1973, das auf beeindruckend breiter Quellenbasis eine Neuauflage von Kayserlings These darstellt, nun allerdings auf der Grundlage einer ambivalenten Kritik des Symbiosegedankens selbst.13 Dass der biographische Trend auch die aktuelle Forschung bestimmt, zeigen die Monographien Dominique Bourels und Shmuel Feiners, die auch ins Deutsche übersetzt wurden.14 Selbst der unglaubliche Umfang der am Detail ausgerichteten und auf der Sichtung je neuen Archivmaterials beruhenden Untersuchungen Altmanns und Bourels kann das Fehlen eines theoretischen Ansatzes für die Interpretation des Gesamtwerkes nicht verdecken. Bis auf wenige Ausnahmen haben die großen Mendelssohnforscher Biographien geschrieben und sich so immer wieder neu mit der Symbiose-These Kayserlings auseinandergesetzt.15 Einen methodologischen Neuansatz versuchte Carola Hilfrich im Jahre 2001 mit »Lebendige Schrift«: Repräsentation und Idolatrie in Moses Mendelssohns Philosophie und Exegese des Judentums. Ihr Vorwurf galt einer ideengeschichtlich orientierten Mendelssohnforschung, welcher der Zugang zu den großen Diskussionen der modernen Kulturphilosophie, die um Themenkomplexe wie Übersetzbarkeit von Kulturen, Alteritätsdenken und Interkulturalität kreisen, fehlt. Mendelssohn werde in einem kleinen Zirkel von Spezialisten ausschließlich als historisches Phänomen behandelt.16 Hilfrichs Anliegen, »die Modernität seines Denkens und ihre Relevanz für heutige Fragestellungen« aufzuzeigen,17 entsprach einem tatsächlichen Desiderat, wurde aber durch ihre eigene Monographie nur bedingt eingelöst.18 Denn, indem sie sich methodologisch von David Sorkins MendelssohnStudie Moses Mendelssohn and the Religious Enlightenment (1996) absetzte und nicht nur dessen konventionellen, ideengeschichtlichen Zugriff scharf kritisierte, sondern in der Einordnung Mendelssohns in das vernachlässigte Phänomen der

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Hierzu David Sorkin, Religious Enlightenment, xviiif: »Altmann called him the ›patron saint‹ of German Jewry by virtue of his acquisition of the German language and participation in German culture, his uncompromising loyalty as a Jew, his formulation of a modern philosophy of Judaism, and his advocacy of Jewish civil rights. Yet Altmann could not make this assertion unequivocally. ›In many ways Mendelssohn was the first modern German Jew, the prototype of what the world came to recognize as the specific character, for better or worse, of German Jewry. ›For better or worse.‹ This phrase reminds us how two centuries of history haunt any investigation of Mendelssohn.« Dominique Bourel: Moses Mendelssohn. Begründer des modernen Judentums. Aus dem Französ. von Horst Brühmann. Zürich: Ammann Verlag, 2007 (Orig.: Moses Mendelssohn. La naissance du judaïsme moderne, 2004); Shmuel Feiner: Moses Mendelssohn. Ein jüdischer Denker in der Zeit der Aufklärung (aus dem Hebr. von Inge Yassur). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2009. Sorkin, ebd. Vgl. Carola Hilfrich: »Lebendige Schrift«. Repräsentation und Idolatrie in Moses Mendelssohns Philosophie und Exegese des Judentums. München: Wilhelm Fink Verlag, 2000, 18. Hilfrich, ebd., 19. Hilfrich, ebd.

Einleitung

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»religiösen Aufklärung« nur eine neue Grablegung Mendelssohns erblickte, verkannte sie das innovative und weiterführende Potential des Sorkin'schen Ansatzes. Denn gerade dank seiner Forschung ist es möglich geworden, die Ergebnisse der engeren Mendelssohnforschung in die allgemeinen religions- und kulturpolitischen Debatten um »Repräsentation«, »Sprachpolitik«, »Multilingualismus«, »Polyglossie« etc. zu überführen. Er war der erste, der die Zweigeteiltheit von Mendelssohns Werk in ein hebräisches und ein deutsches als offene Herausforderung an einen einheitlichen methodischen Zugang expressis verbis benannt hat.19 Seine Suche nach dem »missing link« der beiden Werkteile führte Sorkin zu wertvollen Einsichten in die Fehlwahrnehmung von Mendelssohns Denken, das seit langem der kanonisierten Germanisierung zum Opfer gefallen war. Es gelang ihm zu zeigen, dass Mendelssohns hebräische Schriften seit der ersten Herausgabe von Mendelssohns Gesammelten Schriften in den Jahren 1843–1845 für die Gesamtinterpretation des Werkes entweder gar keine oder allenfalls eine untergeordnete Rolle spielten und einer mythopoietischen Germanisierung verhaftet waren: »For the past century and a half the scholarly interpretation of Moses Mendelssohn has been locked into a mythopoietic method of Germanification. Ever since the 1843–45 edition of his works, Mendelssohn has been presented by scholars primarily, if not exclusively, as a German thinker, that is, a prominent figure of the Berlin Aufklärung and the preeminent Jewish intellectual of his day who wrote in German. That he also wrote in Hebrew has always been acknowledged, yet scholars have consistently ignored or marginalized those works by failing to take account of their contents. This practice has been flagrant, albeit excusable among those scholars who wrote about Mendelssohn the ›Aufklärer‹, for they assumed that knowledge of his Hebrew works was irrelevant. It has been egregious and, I would submit, unjustifiable among those who wrote about him as a Jewish thinker or who aimed to give a comprehensive interpretation of his thought.«20

In Allan Arkushs Monographie Moses Mendelssohn and the Enlightenment (1994) sieht Sorkin eine Reproduktion dieses Topos' und den Nachweis für dessen Virulenz bis in die Fragestellungen der aktuellen Mendelssohnforschung hinein. Arkush, der sagt, dass es weniger Anlass gibt in Mendelssohn den Begründer der modernen jüdischen Philosophie zu sehen, als in jemandem, für den das Judentum nur einen begrenzten, instrumentellen Wert darstellt, behauptet, mit seiner Studie den Beweis für Mendelssohns heimlichen Unglauben erbracht zu haben. Arkushs provokanter These, dass Mendelssohn »not truly a believing Jew« gewesen sei,21 setzt Sorkin den antinomischen Begriff der »religiösen Aufklärung«22 als 19 20 21

David Sorkin: The Mendelssohn Myth and its Method. In: New German Critique 77 (1999), 7–28. David Sorkin, The Mendelssohn Myth and its Method, 7. So Arkush in der Verteidigung seiner Mendelssohn-Interpretation in: The Questionable Judaism of Moses Mendelssohn, 41; Hierzu Shmuel Feiner: »Arkush attempted to uncover the ›real‹ Mendelssohn, whose Jewish thought, he believes, served merely as a mask for his deism« (Shmuel

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Antithese entgegen. Indem er die Haskala als jüdisch-neologische Bewegung kennzeichnet, Mendelssohns deutsche Schriften aber in die Nähe der protestantischen geprägten Neologie stellt, ordnet er Mendelssohn der »religiösen Aufklärung« zu und findet so einen Weg, die getrennten Werke Mendelssohns aufeinander zu beziehen. Dieser, nicht nur wegen seines unspezifischen Philosophiebegriffs sondern vor allem wegen seiner tendenziellen Nivellierung der positiven Religionen zu problematisierende Ansatz, gab Sorkin jedoch die Möglichkeit, in drei Kapiteln Mendelssohns »Philosophie«, seine »Theorie der Schriftauslegung« und seine »Politische Theorie« abzuhandeln, ohne mit einem Aufklärungsverständnis zu kollidieren, dessen Begriffe an der radikalen Religionskritik insbesondere der französischen Aufklärung geschult sind. Interessant ist an Sorkins Studie nicht nur die Gewichtung der gesetzten Schwerpunkte,23 sondern vor allem die dadurch formal zum Ausdruck gebrachte Einordnung Mendelssohns in eine philosophische Tradition, die auf das jüdische Mittelalter zurückgeht, von Sorkin in der Nachfolge von Bernhard Septimus als andalusische Philosophietradition bezeichnet.24 Von außerordentlichem Wert für die konkrete Diskussion von Sorkins großer These sind die Mikrostudien Raphael Jospes sowie nun auch Adam Shears jüdische Rezeptionsgeschichte des Kusari.25 Mendelssohns Einordnung als Wolffianer oder Leibnizianer, die Arkush neu konsolidierte, wird mit diesen Arbeiten stillschweigend relativiert. Sorkin, Jospe und auch Edward Breuer26 haben Mendelssohn aus jenem Zirkel befreit, der ihn immer wieder neu an die deutsche Sprache und die konkrete Geschichte des deutschen Judentums band. Ihre Arbeiten öffnen die Option, Mendelssohns Denken als Beitrag zum modernen jüdischen Denken überhaupt zu beschreiben.27 Insbesondere Sorkin folgte einer Akzentuierung, die Max Wiener mit seiner »Retrospektive« der jüdi-

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Feiner: The Jewish Enlightenment. Transl. by Chaya Naor. Philadelphia: University of Pennsylvania Press, 2004, 10). In der deutschen Übersetzung von Sorkins Mendelssohn-Studie wird der Begriff »religious enlightenment«, der sich im Titel findet, irreführend mit »theologischer Aufklärung« wiedergegeben. Während Mendelssohns Philosophie dreißig Seiten gewidmet sind, werden Exegese und Politik jeweils auf dem doppelten Umfang abgehandelt. Sorkin, Religious Enlightenment, xxii. U.a. hat Raphael Jospes Artikel »The Superiority of Oral vs. Written Communication: Judah Ha-Levi's Kuzari and Modern Jewish Thought« Sorkins These vorbereitet (in: Jacob Neusner et al (Hgg.).: From Ancient Israel to Modern Judaism. Intellect in Quest of Understanding. Essays in Honor of Marvin Fox. Vol. Three. Atlanta: Scholars Press, 1989, 127–156); Ders.: Moses Mendelssohn – A Medieval Modernist. In: Resianne Fontaine et al. (Hgg.): Sepharad in Ashkenaz. Medieval Knowledge and Eighteenth-Century Enlightened Jewish Discourse. Amsterdam: Koninklijke Nederlandse Akademie van Wetenschappen, 2007, 107–140; Adam Shear: The Kuzari and the Shaping of Jewish Identity, 1167–1900. Cambridge/N. Y.: Cambridge University Press, 2008. The Limits of Enlightenment. Jews, Germans and the Eighteenth-Century Study of Scripture (1996). Sorkin, Religious Enlightenment, xix.

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schen Emanzipation bereits 1933 eingeleitet hatte. Das mit dem Wirken Moses Mendelssohns hervortretende deutsche Judentum diente schon Wiener nur mehr als Präzedenzfall einer allgemeinen Moderne-, Liberalismus- und Religionskritik aus jüdischer Perspektive, weil, so Wiener, in dieser Periode »der deutsche Zweig des Judentums für die Entwicklung des jüdisch-religiösen Lebens führend« war.28 Dominique Bourel ist mit der Hauptthese seines Opus Magnum Moses Mendelssohn. Begründer des modernen Judentums Sorkin gefolgt, so dass dessen These nunmehr auch außerhalb der Vereinigten Staaten durch eine wichtige Autorität der Mendelssohnforschung vertreten ist. Michah Gottlieb hat sich jüngst meiner Bestandsaufnahme der amerikanischen Mendelssohn-Diskussion29 angeschlossen und mit seinem Buch Faith and Freedom: Moses Mendelssohn’s Theological-Political Thought (2011) »a middle position between Arkush und Sorkin« eingenommen.30 Gottlieb folgt Arkushs oszillierender Beurteilung von Mendelssohns philosophischem Projekt, versucht diese jedoch mit einem neuen Label aufzufangen, indem er Mendelssohn als politischen Theologen charakterisiert. Die Mendelssohn von Arkush unterstellte Hypokrisie wird von Gottlieb relativiert, indem der willkürliche bzw. rhetorische Umgang mit der religiösen Tradition als Spezifikum der theologischen Methode selbst ausgemacht wird: »Mendelssohn does what all theologians do; namely, he adopts a selective attitude toward the Jewish tradition, drawing on sources that reflect his deep-seated commitments and ignoring or marginalizing contrary perspectives.«31 Gottlieb, der entgegen seiner Strauss'schen Ausgangsprämissen die Theologie aus der Perspektive des Historikers evaluiert,32 nimmt Mendelssohns erste philosophische Prägung durch Maimonides ernst und dringt zu einer neuen systematischen Wertschätzung von Mendelssohns komplexer Auseinandersetzung mit der Philosophietradition des jüdischen Mittelalters sowie zu einer kritischen Weiterentwicklung von Sorkins Thesen vor, konsolidiert

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Max Wiener: Jüdische Emanzipation im Zeitalter der Emanzipation. Hg. von Daniel Weidner. Berlin: Jüdische Verlagsanstalt, 2002 (Orig.: Berlin: Philo Verlag, 1933), 3. Vgl. Grit Schorch: Philosophie und Gesetz. Moses Mendelssohn in Leo Strauss' Wissenschaftsprogramm. In: Mendelssohnstudien 15 (2007), 73–106, bes. 73–75. Michah Gottlieb: Faith and Freedom: Moses Mendelssohn’s Theological-Political Thought. Oxford/N. Y.: Oxford University Press, 2011, 9. Gottlieb, ebd. 9, 58. Gottlieb erklärt: »The theologian simply cannot imagine that his faith tradition does not cohere with his other deeply held beliefs. While the historian often sees the theologian as reshaping tradition, the theologian sees himself as uncovering the deep truth of his received tradition« (ebd., 58). Gottliebs Bestandsaufnahme, die von einem nicht näher spezifizierten Wahrheitsbegriff ausgeht, ignoriert den von Mendelssohn selbst in verschiedenen Schriften entwickelten Wahrheitsbegriff. Dass Mendelssohn der jüdischen Tradition keine tiefe, exklusive Wahrheit konzediert, räumt Gottlieb selbst ein (ebd., 57). Ungeachtet dessen werden diese Einsichten nicht für das übergreifende Argument der Studie ausgewertet: Mendelssohn sei von der Wahrheit des Judentums und der Wahrheit der Aufklärung so überzeugt gewesen, dass er diese beiden Wahrheiten als Theologe, d.h. rhetorisch schlichtete (ebd., 9).

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jedoch Mendelssohns Abwertung als Philosoph. Seine Einordung von Strauss und Mendelssohn in die politische Theologie bleibt unbestimmt, und es wird nicht klar, welcher Erkenntnisgewinn angestrebt wird, wenn Mendelssohns politische Philosophie in Carl Schmitts Terminologie klassifiziert wird.33 Da Schmitts Polemik-Theorie der Kampfbegriffe (entwickelt in Der Begriff des Politischen) und sein radikaler Antisemitismus strukturell zusammengehören, muss eine solche Einordung – insofern sie für nötig befunden wird – genauer vorgenommen werden.34 Im Gegensatz dazu nimmt vorliegende Studie Mendelssohn als Philosophen ernst, welcher seine Argumente nicht in erster Linie rhetorisch sondern logisch expliziert. Dieser Prämisse scheint zunächst auch Anne Polloks Studie Facetten des Menschen. Zur Anthropologie Moses Mendelssohns (2010) zu folgen.35 Bei der Arbeit Polloks handelt es sich um eine solide philosophiegeschichtliche Studie, deren Methode sich an der Konstellationsforschung orientiert: Mendelssohn soll »als ein Denker in Kontexten verstanden«,36 seine Schriften sollen »nicht isoliert, sondern in dem sie strukturierenden und prägenden intellektuellen Umfeld, und das heißt auch in Bezug auf die seine Ansichten prägendenden Schriften anderer Autoren« analysiert werden.37 Angesichts dieser Setzungen irritiert es, dass Mendelssohns Auseinandersetzung mit der jüdischen Philosophietradition ignoriert wird. Wenn die Autorin einräumt, dass Mendelssohns »Perspektive auf die Philosophie, nicht zuletzt in ›wissenschaftspolitischer‹ Sicht, durch seine Herkunft entscheidend geprägt ist«, scheint das Wahrnehmungsdefizit erkannt, jedoch behält sich Pollok die »nähere Besprechung des Problemkomplexes für einen späteren Zeitpunkt vor«.38 Mit einer solchen Vorgehensweise wird nicht nur die bereits überwundene Zweiteilung von Mendelssohns Werk neu konsolidiert, sondern auch der Blick auf die Originalität von Mendelssohns Denken verhindert. Indem Pollok eine

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Vgl. Gottlieb, ebd., 6–8, 122. Zu Carl Schmitts Antisemitismus und Verstrickung in den Nationalsozialismus vgl. Andreas Koenen: Der Fall Carl Schmitt: Sein Aufstieg zum „Kronjuristen“ des Dritten Reiches. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1995; Raphael Gross: Carl Schmitt und die Juden. Eine deutsche Rechtslehre. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 2000; Dirk Blasius: Carl Schmitt: Preußischer Staatsrat in Hitlers Reich. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2001; Mark Lilla: The Reckless Mind. Intellectuals in Politics. N.Y: The New York Review of Books, 2001, 49–55. Konkret zum Stellenwert der Mendelssohn-Polemik in Carl Schmitts politischer Kampf-Theologie vgl. meinen Aufsatz: Carl Schmitt und die Hamann-Mendelssohn-Kontroverse. Ein sprachpolitischer Austausch in Hobbes. In: Germanisch-Romanische Monatsschrift 62.2 (2012). Anne Pollok: Facetten des Menschen. Zur Anthropologie Moses Mendelssohns. Hamburg: Felix Meiner, 2010. Ebd., 25. Ebd, 27. Ebd., 9.

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Kantische Perspektive auf Mendelssohns Denken einnimmt,39 verbaut sie sich selbst die kreative Auswertung ihrer sorgfältig ausgeführten Einzelanalysen und wiederholt alte Mendelssohn-Topoi der deutschen Philosophiegeschichtsschreibung.40 Vor dem Hintergrund des neuen Interesses an der Möglichkeit einer praktischen und theoretischen Grundlegung eines pluralistisch angelegten Staatsmodells ist Mendelssohns politischer Philosophie in den letzten Jahren verstärkt Interesse zuteil geworden. Cord-Friedrich Berghahn hat schon im Jahre 2001 Mendelssohns Jerusalem, oder über religiöse Macht und Judentum von 1783 als Beitrag zur Geschichte der Menschenrechte und der pluralistischen Gesellschaft beschrieben.41 Die Studie Enlightenment in the Colony. The Jewish Question and the Crisis of Postcolonial Culture (2007) von Aamir R. Mufti legte den Grundstein für die fruchtbare Diskussion der deutsch-jüdischen Emanzipationserfahrung im Rahmen postkolonialer Theorie. Seine Studie befragt die deutsch-jüdische Aufklärungskritik systematisch auf ihren Wert für die Analyse der derzeitigen Krise des Liberalismus. Mufti beschreibt die deutsch-jüdische Diskussion der »Judenfrage« im 18./19. Jahrhundert als Exemplum der Minoritätenkrisen der westlichen Moderne. Der Edward Said-Schüler stellt die These auf, dass die Krise muslimischer Identität in Indien strukturell durch die Übernahme des westlichen LiberalismusModells angelegt und damit direkt mit dem jüdischen Minoritätskonflikt im europäischen Liberalismus in Verbindung zu bringen ist. Er schlägt deshalb vor, die Krise der säkularen Gesellschaften aus der Perspektive minoritärer Existenz zu untersuchen, und dafür die deutsch-jüdische Diskussion als theoretischen Ausgangspunkt nutzbar zu machen. In diesem Zusammenhang erfährt Mendelssohns Text Jerusalem eine eingehende Besprechung, denn, so Mufti: »The problem that Mendelssohn’s philosophical discourse attempts to tackle is the classic dilemma of minority existence: how to remain distinct and at the same time enter into the fullness of political experience as citizens.«42 Im Mittelpunkt der Analyse steht die Interpretation der politischen Funktion von Mendelssohns Zeichentheorie im

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Die Schlusspassage Polloks zitiert bezeichnenderweise Kants Urteil über Mendelssohn aus »Was heißt sich am Denken orientieren?« (ebd., 583). Zur kantianischen resp. neo-kantianischen Mendelssohn-Rezeption vgl. Kap. I.v.: »Grundlegungskräfte vs. Zermalmungskräfte«. Mendelssohn »gelingt kein überzeugender theoretischer Gesamtentwurf«, »seine Versuche einer Bestimmung des Menschen sind Schritte auf einem Weg, der nicht umfassend und befriedigend zu Ende gegangen ist« (Pollok, ebd., 28), »den Weg zu einem befriedigenden Vernunftbegriff ist Mendelssohn nicht zu Ende gegangen, in einer strikt ontologischen Lesart der zugrundeliegenden Prinzipien konnte er dies auch nicht« (ebd., 583), etc. pp. Cord-Friedrich Berghahn: Moses Mendelssohns ›Jerusalem‹. Ein Beitrag zur Geschichte der Menschenrechte und der pluralistischen Gesellschaft in der deutschen Aufklärung. Tübingen: Max Niemeyer Verlag, 2001. Aamir R. Mufti: Enlightenment in the Colony. The Jewish Question and the Crisis of Postcolonial Culture. Princeton/Oxford: Princeton University Press, 2007, 68.

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Hinblick auf dessen politische Emanzipationstheorie.43 Dieses neue Interesse an Mendelssohns Jerusalem-Text, das mit Muftis Beitrag die großen akademischen Diskussionen um Neoliberalismus, Aufklärung und Religion erreicht hat, kann auf wichtige Vorarbeiten zurückgreifen. So hatte schon Hilfrich Amos Funkensteins Hinweis auf die Bedeutung von Mendelssohns Zeichentheorie zum Leitfaden ihrer Jerusalem-Monographie gemacht, obwohl hier angemerkt werden muss, dass es nicht Funkenstein, sonder Simon Rawidowicz war, der als erster von einer »Theorie der Zeichen und der Sprache« in Jerusalem gesprochen hat.44 Neben Hilfrichs, Berghahns und Muftis Jerusalem-Interpretationen haben in den letzten fünfzehn Jahren u.a. Allan Arkush (1994), David Sorkin (1996), Jeffrey S. Librett (2000), Michael Mack (2003), Willi Goetschel (2004, 2007), Dominique Bourel (2007), Shmuel Feiner (2009) mit eigenen Interpretationen des Textes aufgewartet.45 Von Naomi Seidman liegt seit 2006 eine Diskussion von Mendelssohns Übersetzungsverständnis im übergreifenden Rahmen jüdischer Übersetzungspolitik vor.46 Der Spezialist für Sprachtheorien der Aufklärung, Ulrich Ricken, ist bislang jedoch der einzige, der die Sprachthematik als integratives Merkmal für Mendelssohns Gesamtwerk geltend gemacht hat. Sein Artikel »Mendelssohn und die Sprachtheorien der Aufklärung« setzte im Jahre 2000 Maßstab und Rahmen für den Umfang eines solchen Projektes, das durch eine einzelne Studie nur bedingt eingelöst werden kann. Ricken formulierte den Anspruch, Sprach- und Zeichenreflexion als Voraussetzung von Mendelssohns Denken sichtbar zu machen und seine diesbezüglich zu analysierenden Reflexionen über Sprachursprung, Sprache und Denken, symbolische Zeichenerkenntnis und deren rituelle resp. politische Bedeutung im Kontext der anthropologischen Aufklärungsdiskussion miteinander zu verknüpfen. Er unternahm auch die ersten wegweisenden Schritte, Mendelssohns Beitrag zur Sprachphilosophie des 18. Jahrhunderts mit Bezug auf 43 44 45

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Ebd., 56–69. Amos Funkenstein: Perceptions of Jewish History. Berkeley: University Press, 1993, 222–229; Simon Rawidowicz, Zur »Jerusalem”-Polemik«, 113, 111–113. Arkush, Mendelssohn and the Enlightenment, 167–231; Sorkin, Religious Enlightenment, 91–146; Jeffrey S. Librett: The Rhetoric of Cultural Dialogue. Jews and Germans from Moses Mendelssohn to Richard Wagner and Beyond. Stanford: University Press, 2000, 43–74; Michael Mack: The German Idealism and the Jew. The Inner Anti-Semitism of Philosophy and German Jewish Responses, Chicago/London: The University of Chicago Press, 2003, 79–88; Dominique Bourel, Moses Mendelssohn. Begründer des modernen Judentums, 382–444; Willi Goetschel: Spinoza’s Modernity. Mendelssohn, Lessing, and Heine. Madison: The University of Wisconsin Press, 2004, 147–169; Ders.: Mendelssohn and the State. In: MLN 122 (2007), 472–492f; Shmuel Feiner: Moses Mendelssohn. Ein jüdischer Denker in der Zeit der Aufklärung (Übers. von Inge Yassur). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2009, 2005), 145–174. Eine Übersicht über die Forschung zu Mendelssohns Jerusalem bis 2005 gibt Michael Albrecht in seiner Einleitung zu Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum. Mit dem Vorwort zu Manasse ben Israels »Rettung der Juden« und dem Entwurf zu »Jerusalem«. Hamburg: Felix Meiner, 2005, XLIII–LIV. Naomi Seidmann: Faithful Renderings. Jewish-Christian Difference and the Politics of Translation. Chicago/London: The University of Chicago Press, 2006.

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Baumgarten, Condillac, Wolff und Herder als originell zu kennzeichnen. Indem Mendelssohns »Ansatz zur Zeichentheorie der Ästhetik« und seine »Semiotik der Künste« von Ricken im gleichen Reflexionskontext situiert werden wie die zeichentheoretische Grundlegung der Anthropologie, Metaphysik und politischen Philosophie, wird auch ein neuer Zusammenhang zwischen Mendelssohns Ästhetik, Metaphysik und politischer Philosophie sichtbar.47 Parallel zu Ricken hat Willi Goetschel (2004, 2007, 2011) dieses Projekt ebenso entscheidend befördert. Im Rahmen seiner Evaluierung der politischen und soziophilosophischen Spinoza-Rezeption hat er sich intensiv mit Mendelssohns Zeichentheorie auseinandergesetzt. Neu und endlich angemessen gewürdigt wurden durch ihn Mendelssohns Theorie des Trauerspiels, seine Semiotik der Künste, sowie Mendelssohns Einfluss auf Lessings Laokoon. Seine Spinoza-Studie stellt Mendelssohn in einen argumentativen Kontext mit Spinoza, Lessing und Heinrich Heine.48 Anders als bei Ricken, wird von Goetschel der politische und religiöse Minoritätsstatus Mendelssohns als Quelle für die Originalität von Mendelssohns Denken konsequent berücksichtigt, ohne jedoch dabei Mendelssohns eigenen universalen Anspruch aus den Augen zu verlieren. Was sowohl Ricken als auch Goetschel außer Acht lassen, ist der Umstand, dass Mendelssohn nicht nur mit der Aufklärung im synchronen Diskussionszusammenhang steht, sondern dass sich sein Sprachdenken diachron in die jüdische Tradition einordnet. Im Sinne des Sorkin'schen Postulats einer gleichberechtigten Bewertung für die Interpretation des Gesamtwerkes von Mendelssohns hebräischen und deutschen Schriften sowie seiner Übersetzungen muss von hier aus ein nächster Schritt getan werden: Die hebräischen Schriften Mendelssohns sind systematisch in die Untersuchung der sprach- und zeichentheoretischen Reflexionen einzubeziehen und für die Interpretation fruchtbar zu machen. Eine diesbezügliche Analyse der hebräischen Schriften Mendelssohns stellt wie die Zusammenfassung, Systematisierung und Weiterentwicklung der bereits gewonnenen Erkenntnisse ein Desiderat dar. Andrea Schatz hat jüngst mit ihrer Monographie Sprache in der Zerstreuung: Die Säkularisierung des Hebräischen im 18. Jahrhundert den lang erwarteten Überblick über die jüdische Sprachendiskussion in der der ersten und zweiten Generation der Haskala gegeben und an Hand der hebräischen Quellen nachvollzogen.49 Die Analyse von Mendelssohns 47

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Ulrich Ricken: Mendelssohn und die Sprachtheorien der Aufklärung. In: Michael Albrecht/Eva J. Engel (Hgg.): Moses Mendelssohn im Spannungsfeld der Aufklärung. Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog, 2000, 195–241; vgl. aber auch die systematischen Beobachtungen zur Bedeutung von Mendelssohns Zeichentheorie für die Metaphysik von Ernst Cassirer in: Die Philosophie Moses Mendelssohns. In: Moses Mendelssohn zur 200Jährigen Wiederkehr seines Geburtstages. Hg. Von der Encyclopaedia Judaica. Berlin: Verlag Lambert Schneider, 1929, 40– 68, bes. 48–50. Willi Goetschel: Spinoza’s Modernity. Mendelssohn, Lessing, and Heine. Madison: The University of Wisconsin Press, 2004. Andrea Schatz: Sprache in der Zerstreuung: Die Säkularisierung des Hebräischen im 18. Jahrhundert. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2009.

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hebräischer Sprachauffassung nimmt in ihrer Studie, die vor allem durch die philologische Erschließung bislang un- oder weniger bekannter Quellen besticht, einen zentralen Platz ein.50 Die Auswertung der Untersuchungsergebnisse wurde jedoch im Hinblick auf geschichtsphilosophisch begründete Säkularisierungszusammenhänge vorgenommen, die durch Mendelssohns Sprachenprojekt selbst hinterfragt werden. Das wird dann deutlich, wenn Mendelssohns Sprachkonzept in seiner ganzen Breite als hebräisches, deutsches und universales wahrgenommen wird, sowie die applikative Prägung seiner Sprach- und Zeichentheorie51 konsequent Berücksichtigung findet. Hierfür sind nicht nur vergleichende Textlektüren der deutschen und hebräischen Texte erforderlich, sondern auch komplexe Einzeluntersuchungen zu den spezifischen Anwendungsfeldern.

Struktur und Inhalt der Untersuchung Ausgehend von den Parametern einer von Johann Gottfried Herders Nationalsprachenkonzept dominierten, mehr als zweihundertjährigen Geschichte der Mendelssohnrezeption inner- und außerhalb akademischer Kontexte,52 expliziert das erste Kapitel die Notwendigkeit und das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Untersuchung. Eine Monographie zu Mendelssohns Sprachauffassung stellt seit langem ein Desiderat der Mendelssohn- und Aufklärungsforschung dar. Ulrich Ricken hat in seinem programmatischen Aufsatz zu Mendelssohns Sprachauffassung von 2001 den Umfang eines solchen Projektes umrissen, ohne dabei jedoch die Zweisprachigkeit des Werkes zu berücksichtigen. Das von Ricken skizzierte Projekt kann nicht durch eine einzelne Studie eingelöst werden; dies umso weniger, wenn das hebräische Werk und Mendelssohns multilinguale Perspektive in die Analyse mit einbezogen werden.53 An Hand der Sprach- und Zeichenreflexionen in ausgewählten Schriften Mendelssohns führen die folgenden fünf Kapitel in sehr verschiedene Debatten des 18. Jahrhunderts. Die einzelnen Kapitel sind so angelegt, dass sie das Argument der Studie entwickeln, aber auch als in sich geschlossene Einheiten gelesen werden 50 51 52

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Schatz, ebd., passim, bes. 176–194, 241– 259. Ricken, Moses Mendelssohn und die Sprachtheorien der Aufklärung, 236. Die Mendelssohnrezeption führt in sehr verschiedene Kontexte. Exemplarisch seien an dieser Stelle drei genannt: Zur germanisierenden Rezeption des Werkes umfassend David Sorkin: The Mendelssohn Myth and its Method. In: New German Critique 77:1999, 7–28; mit Schwerpunkt auf der osteuropäischen Rezeption: Isaac E. Barzilay: Smolenskin's Polemic against Mendelssohn in Historical Perspective. In: Proceedings of the American Academy for Jewish Research, 53 (1986), 11–48; zur Mendelssohn-Rezeption in der jüdischen Orthodoxie: Meir Hildesheimer: Moses Mendelssohn in Nineteenth-Century Rabbinical Literature. In: Proceedings of the American Academy for Jewish Research, 55 (1988), 79–133. Soweit nicht anders gekennzeichnet, stammen die in der Arbeit zitierten Übersetzungen vom Hebräischen ins Deutsche von mir.

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können. Der applikativen Prägung von Mendelssohns Sprachtheorie entsprechend, leiten die Sprach- und Zeichenbetrachtungen jeweils zu den ästhetischen, philosophischen und politischen Diskussionen über, innerhalb derer sie eine erkenntnisleitende Rolle spielen. So widmet sich das zweite Kapitel der Analyse zweier hebräischer Schriften Mendelssohns: Kohelet Musar (1755/58) und Or la-Netiva (1782), die sich je mit dem Status des Hebräischen als heiliger und Nationalsprache auseinandersetzen. Als Verteidigung von Mendelssohns Tora-Übersetzung (Netivot ha-Shalom) entwickelt Or la-Netiva auch eine Verteidigung des Hochdeutschen als jüdischer Sprache. Die Fragen, wie Mendelssohn zwei Sprachreformen widerspruchsfrei verteidigt, auf welcher theoretischen Grundlage er das Verhältnis von Hebräisch und Deutsch, von heiliger, Universal- und Partikularsprache bestimmt und welchen politischen Fluchtpunkt er damit verbindet, bilden den Leitfaden der Darstellung. Das dritte Kapitel fragt nach der ideengeschichtlichen Herkunft von Mendelssohns Erhabenheitsästhetik und dem Verhältnis von poetologischer und historisch-kritischer Bibelkritik. Die zeichentheoretische Umdeutung der rhetorischen Kategorie des Erhabenen, sowie deren erkenntnistheoretische Relevanz und ästhetische Bedeutung für Minoritätskonstellationen sind genauso Gegenstand der Untersuchung wie deren Spiegelung in der jüdischen Tradtion der GottesnamenAuslegung. Robert Lowths, Johann Gottfried Herders und Immanuel Kants Erhabenheitstheorien bilden dafür den Vergleichshintergrund. Das vierte Kapitel analysiert Mendelssohns zeichentheoretische Betrachtungen in der Abhandlung über die Evidenz in den metaphysischen Wissenschaften (1764). Die Analyse führt in die mathematisch-naturwissenschaftlichen Diskurse. Sie stellt die Frage nach den Grundlagen von Mendelssohns skeptischem Wissenschaftsverständnis und seiner Verhältnisbestimmung von Mathematik und Metaphysik auf der Grundlage der symbolischen Zeichensprache der Infinitesimalrechnung. Im Mittelpunkt des fünften Kapitels stehen Mendelssohns hebräische Einleitung und Kommentar zu der Maimonides zugeschriebenen Logikschrift Millot ha-Higgajon (1761/64). Das Problem der Korrelation von Logikauffassung und »heiliger Sprache« stellt das leitende Interesse des Kapitels dar: Ist eine Logik in der heiligen Sprache nicht eine contradictio in adjecto? Das sechste Kapitel wendet sich schließlich Mendelssohns politischer Philosophie, vorgetragen in Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum (1783), zu. Diese Schrift, die Mendelssohns politisches Modell auf eine zeichentheoretische Basis stellt, wird auf ihren Zusammenhang mit den Sprachreflexionen in den anderen Schriften Mendelssohns befragt und mit Thomas Hobbes' sowie Johann Georg Hamanns politisch konnotiertem Nominalismus konfrontiert. Mendelssohn schrieb sich mit Jerusalem in die Hobbes-Interpretation ein, und Hamann legte mit seiner Jerusalem-Kritik Golgatha und Scheblimini 1784 eine spezifische

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Version des Sprachkonzeptes vor, gegen das sich Mendelssohns politische Sprachkritik gewendet hatte. Hamanns Erwiderung verweist, wie wir seit Isaiah Berlin wissen, auf die politischen Entwicklungen, die erst nach Mendelssohn kommen sollten: Nationalstaatenbewegung, Nationalsozialismus, Faschismus und Totalitarismus. Die Bedeutung von Mendelssohns skeptischer Sprachpolitik liegt daher in ihrem aufklärungskritischen Potential, das – aus minoritärer Perspektive entwickelt –, Aufklärung nicht verwirft, sondern auf der Grundlage der Anerkennung ihrer Grenzen verteidigt.

I. Sprachenfrage und Mendelssohn-Rezeption i. Rechtssituation und preußische Sprachplanung zwischen 1750 bis 1786 Bis zum achtzehnten Jahrhundert unterschied sich die Lebensweise der Juden in Deutschland nicht von der in anderen europäischen Ländern. Die Juden lebten als religiöse Traditionsgemeinschaften in nur für sie bestimmten Stadtteilen und besaßen kein verbrieftes Recht auf Aufnahme oder Duldung seitens des Landes oder der Stadt, so dass eine ständige Abhängigkeit von den Behörden ihr Dasein bestimmte. Die Ghettos existierten weitgehend isoliert von der Außenwelt, mit der sie nur über geschäftliche Begegnungen oder behördliche Kontakte Berührungspunkte hatten. Wenn eine jüdische Gemeinde groß genug war, übte sie alle Funktionen des gemeinschaftlichen Lebens aus: Das Rabbinat besaß die nötigen Machtbefugnisse, um Steuern einzutreiben und den Verhaltenskodex festzulegen. Außerdem war es verantwortlich für die Einrichtungen der Gemeinde, zu denen die Synagogen, die Talmud-Tora-Schulen und Jeshivot als Lern- und LehrInstitutionen gehörten, aber auch Krankenpflege und Bestattungsgesellschaften. Die zentrale Aufgabe des Rabbinats lag in der Beobachtung der Religionsgesetze entsprechend der Halakha, der jüdischen Gesetzesüberlieferung. Im preußischen Staat wurden die vormodernen restriktiven Bedingungen für Juden unter der absolutistischen Politik Friedrich II. (Regierungsperiode 1740–1786) aus pragmatischem Kalkül fortgeschrieben. Das »Revidierte General-Privilegium und Reglement für die Judenschaft im Königlichen Preußen«, welches er 1750 in Kraft setzte, spiegelt das wider. Es verschärfte die Erlasse des Generalprivilegiums seines Vaters Friedrich Wilhelm I. von 1730, das unter anderem das jüdische Steuerwesen zentralisiert und die Zahl der Schutzjuden in Berlin stark beschränkt hatte. Wichtigster Teil der neuen restriktiven Regelungen war die systematische Einordnung der preußischen Juden in sechs verschiedene Klassen: die Einteilung in Generalprivilegierte, Ordentliche Schutzjuden, Außerordentliche Schutzjuden, Publique Bediente, Tolerierte und Geduldete und Privatdienstboten. Die schärfste Bestimmung dieses festen Reglements bestand darin, dass für die Ordentlichen Schutzjuden, die zusammen mit den Außerordentlichen Schutzjuden eine Art Mittelstand der preußischen Judenschaft bildeten, das zugebilligte Aufenthaltsrecht nur noch

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auf ein Kind übertragbar war.54 Den höchsten Status, den Moses Mendelssohn im Laufe seines Lebens erlangen konnte, war der Status eines Außerordentlichen Schutzjuden, was bedeutete, dass sein Aufenthalt an einem festgelegten Ort geschützt, das Privileg aber auf die einzelne Person beschränkt und der Schutz nicht auf die Kinder vererbbar oder nach dem Tode auf die Ehefrau übertragbar war.55 Mit der Zeitspanne von 1750 bis 1786 ist sowohl die Regierungszeit Friedrich II. als auch Mendelssohns Wirkungszeit als Schriftsteller und Philosoph bezeichnet. Mendelssohns erste durch Lessing besorgte Publikation erschien 1755,56 die letzte – wenige Tage vor seinem Tode fertiggestellt – im Februar 1786.57 Mendelssohns Wirkungszeit fällt damit politisch mit der voremanzipatorischen Periode sowohl der bürgerlichen als auch jüdischen Emanzipationsbewegung zusammen.58 In dieser Zeit war das jüdische Streben nach staatsbürgerlicher Verbesserung und Anerkennung fast ausschließlich eine wirtschaftliche, intellektuelle und publizisti54

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Zu den beiden preußischen Königen und deren Judenpolitik vgl.: Albert A. Bruer: Geschichte der Juden in Preussen (1750–1820). Frankfurt/M. /New York: Campus Verlag, 1991, 46–48; ausführlich zum Generalprivilegium, ebd., 69–74. Detailliert zum rechtlichen Status Moses Mendelssohns: Heinz Knobloch: Herr Moses in Berlin. Auf den Spuren eines Menschenfreundes. Berlin: Buchverlag Der Morgen, 51989, 62–65. Von den ohngefähren Zufällen (Entwurf zu Fragen der Theodizee) ist ein unpubliziertes Fragment geblieben, ist aber ein Beleg für Mendelssohns philosophisches und schriftstellerisches Interesse vor der Bekanntschaft mit Lessing. Seine erste Publikation sind die Philosophischen Gespräche von 1755, die auf Mendelssohns Gespräche über Spinoza und Leibniz mit Lessing zurückgehen, und die Lessing anonym und ohne Wissen des Autors publizierte (vgl. Fritz Bamberger, Einleitung, JubA 1, XVIIIf). Moses Mendelssohn an die Freunde Lessings. Ein Anhang zu Herrn Jacobi Briefwechsel über die Lehre des Spinoza. Berlin: Christian Friedrich Voß, 1786. Zu Begriffsgeschichte und Anwendung des aus dem römischen Recht stammenden Begriffs »Emanzipation«, der dort »die Entlassung aus der väterlichen Gewalt, also einen personenbezogenen Rechtsakt« bezeichnete, und in Deutschland »erst mit dem napoleonischen Code Civil wieder in der Rechtssprache auftauchte«, auf die bürgerliche und staatsbürgerliche Verbesserung der Juden vgl. Rudolf Vierhaus: Aufklärung als Emanzipation? In: Karlfried Gründer/Nathan Rotenstreich (Hgg.): Aufklärung und Haskala in jüdischer und nichtjüdischer Sicht. Heidelberg: Lambert Schneider, 1990, 161–171, 161; Grundlegend Amos Funkenstein, der in den politischen Theorien zur jüdischen Emanzipation von Mendelssohn, Marx und Herzl die einzigen fundierten Theorien überhaupt sah, da sie sich entgegen der communis opinio für eine Trennung von Emanzipation und Assimilation aussprachen, in: The Political Theory of Jewish Emanzipation from Mendelssohn to Herzl. In: Walter Grab (Hg.): Deutsche Aufklärung und Judenemanzipation (Jahrbuch des Instituts für deutsche Geschichte, Beiheft 3). Tel Aviv: NateevPrinting and Publ. Enterprises, 1980, 13–28; vgl. auch den geschichtlichen Abriss von Peter Pulzer: Emancipation and ist Discontents: The German-Jewish Dilemma. In: Edward Timms/Andrea Hammel (Hgg.): The German-Jewish Dilemma. From the Enlightenment to the Shoah. Lewiston et al.: Edwin Mellen Press, 1999, 5–23; Zur allgemeinen Begriffsgeschichte über den jüdischen Kontext hinaus s. den Eintrag »Emanzipation« von Karl Martin Grass/Reinhart Koselleck in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hgg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 2. Stuttgart: KlettCotta, 31994, 153–197.

Rechtssituation und preußische Sprachplanung zwischen 1750 bis 1786

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sche Angelegenheit.59 Den geistigen Umbrüchen dieser Zeit parallel verlief ein erster wirtschaftlicher Aufschwung unter den Juden Preußens, ohne den eine intellektuelle Emanzipation nicht denkbar gewesen wäre.60 Der Kampf um die bürgerliche Verbesserung der Juden61 benutzte die gleichen Medien wie die bürgerliche Emanzipationsbewegung. Bereiche wie Philosophie, Naturwissenschaften, Literatur, Literaturkritik, Ästhetik, Publizistik, Geschichtsschreibung und Freimaurertum eroberten sich neue Deutungshoheiten und waren die Keimzellen für die politischen Institutionen und Strukturen der bürgerlichen Gesellschaft.62 Sie setzten nicht nur die Kenntnis der deutschen Standardsprache voraus, sondern reformierten sie im Sinne ihrer politischen und aufklärerischen Ziele. Deren Konzeptionen artikulierten sich oft als Begriffskritik in Form von geschichtsphilosophisch verstandenen Begriffen und Gegenbegriffen wie: Aufklärung vs. Religion, Freiheit vs. Despotie, Nationalstaat vs. absolutistische Kleinstaaterei etc.63 Die neuen Foren und Öffentlichkeiten, die sich zunächst als private Zirkel bildeten, waren Treffpunkte von Leuten verschiedener Herkunft, verschiedener Stände, Schichten und Klassen. Indem Juden zumindest teilweise zu diesen Zirkeln zugelassen wurden, ergaben sich neue Möglichkeiten zur neutralen Kommunikation, die nicht von 59

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Mendelssohn, der vom Erzieher, Buchhalter und Manager zum Teilhaber des Seidenunternehmens der Familie Bernhard aufstieg, partizipierte nicht nur an den intellektuellen sondern auch an den ökonomischen Emanzipationstendenzen; zu Mendelssohns Unternehmerischer Tätigkeit vgl. Brigitte Meier: Jüdische Seidenunternehmer und die soziale Ordnung zur Zeit Friedrichs II.: Moses Mendelssohn und Isaak Bernhard: Interaktion und Kommunikation als Basis einer erfolgreichen Unternehmensentwicklung. Berlin: Wissenschafts-Verlag, 2007. Beide Reformen – geistige und wirtschaftliche – wurden von Reinhart Koselleck als hypokritischer Griff auf die politische Macht interpretiert, der sich im entpolitisierten Binnenraum des absolutistischen Staates vollzog. Die politische Philosophie von Thomas Hobbes sowie die dazugehörige negative Anthropologie applizierte Koselleck auf die realpolitischen Verhältnisses des 18. Jahrhunderts und beschrieb so den hegemonialen Anspruch der Universalität der aufgeklärten Morallehren als logische Folge der institutionellen Spaltungen der überkonfessionellen Rechtsordnung, d.h. der Trennungen von Innen und Außen, Staat und Individuum, Mensch und Bürger (Reinhart Koselleck: Kritik und Krise. Eine Studie zur Pathogenese der bürgerlichen Welt. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 81997, 31). Vgl. auch Jürgen Habermas, der wie Koselleck die These vertritt, dass jenes in der privaten Öffentlichkeit des Binnenraum sich ausbildende Bewusstsein des Moralmonopols politisch verstanden werden muss: »Der Prozeß, in dem die obrigkeitlich reglementierte Öffentlichkeit vom Publikum der räsonierenden Privatleute angeeignet und als Sphäre der Kritik an der öffentlichen Gewalt etabliert wird, vollzieht sich als Umfunktionierung der schon mit Einrichtungen des Publikums und Plattformen der Diskussion ausgestatteten […] Öffentlichkeit« (Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Mit einem Vorwort zur Neuauflage 1990. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 51996, 116). Vgl. die terminologische Setzung von Christian K. W. von Dohm, der in seiner diskursprägenden Schrift Über die bürgerliche Verbesserung der Juden von 1781 nicht von Emanzipation, sondern von Verbesserung der Juden spricht. Koselleck, Kritik und Krise, 81–104. Koselleck, Kritik und Krise, 83.

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den vormodernen Religionsdifferenzen zwischen Christentum und Judentum bestimmt waren.64 Das linguale Medium dieser neutralen Kommunikation war nicht eine der politisch etablierten Sprachen des öffentlichen Gebrauchs, wie das Französische oder das Lateinische, sondern die sich seit dem 16. Jahrhundert langsam entwickelnde hochdeutsche Schrift- und Standardsprache, die gegenüber den nieder-, mittel- und oberdeutschen Dialekten eine überregionale, einheitsorientierte und nationale Politik der Sprachplanung repräsentierte. Seit Luthers Bibelübersetzung hatte sich das Konzept einer neuhochdeutschen Standardsprache auf der Basis eines Ausgleichs der obersächsischen Kanzleisprache, thüringischer und niedersächsischer Ausspracheregelungen stetig durchgesetzt.65 Im stark zentralisierten Königreich Sachsen waren bereits wichtige Standardisierungsprozesse auf dem Wege zur Amtssprache vorweggenommen worden. Als institutionell verankerter Anspruch der Zentralisation und Vereinheitlichung prägte er das Hochdeutsche ebenso wie Luthers Reform-Agenda und deren dezidiert populistische Absicht. In einem langen Prozess verdrängte die hochdeutsche Ausgleichsvariante die dominante Sprache des Mittelalters und der frühen Neuzeit, das Lateinische, aus Wissenschaft und Theologie. In einem kurzen aber umso wirkungsvolleren Kampf vertrieb sie das Französische aus Politik und höfischer Kultur. Die deutsche Standardsprache, die beginnend mit Christian Wolff das Lateinische auch aus der Philosophie verdrängte, durch Johann Christoph Gottsched zur herrschenden Literatursprache wurde und schnell die preußischen und habsburgischen Institutionen eroberte, wurde zur selben Zeit von den intellektuellen Eliten einer religiösen und politischen Minorität als neutrales Medium des paritätischen, politischen, religiösen, kulturellen und philosophischen Austauschs erschlossen.66 So wie die Entwicklung der Literaturkritik, Journalistik und Presse eine Öffentlichkeit jenseits der deutschen Dialekte hervorbrachte, Kleriker und Theologen das Latein hinter sich ließen und die Bühne das Französische verabschiedete, so gab die jüdische Minorität im deutschen Sprachraum den west-jiddischen Diaund Soziolekt auf und veränderte ihre Einstellung zum Hebräischen. Die Umgangssprache der aschkenasischen Juden zur Zeit der Ausbildung der deutschen Standardsprache war das West-Jiddische, ein Idiom, das sprachgeschichtlich und 64

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Jacob Katz hat für diese konfessionsübergreifende Kommunikation den Begriff der »halbneutralen Gesellschaft« (semi-neutral society) geprägt und sieht hier »einen Fall von institutionalisierter Neutralität, wo wenigstens entsprechend der erklärten Absicht – eine Grundlage für Geselligkeit existierte […] trotz der Kluft zwischen den verschiedenen Kirchen und Konfessionen« (Aus dem Ghetto in die bürgerliche Gesellschaft. Jüdische Emanzipation 1770–1870. Übers. von Wolfgang Lotz. Frankfurt/M.: Jüdischer Verlag bei Athenäum, 1986. (Orig.: Out of the Ghetto. The Social Background of Jewish Emancipation, 1770–1870, 1973), 56). Herbert Wolf: Martin Luther. Eine Einführung in germanistische Lutherstudien. Stuttgart: J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung, 1990, 55–58, 86–92. Nils Römer hat aus soziolinguistischer Perspektive Einblick in die Komplexität des jüdischen Sprachwandels im 18. Jahrhundert gegeben: Tradition und Akkulturation. Zum Sprachwandel der Juden in Deutschland zur Zeit der Haskalah. Münster/N. Y.: Wachsmann, 1995.

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soziolinguistisch in verschiedenen Kategorien beschrieben worden ist und unter zahlreichen Namen firmierte. In der Sprachwissenschaft hat es sich durchgesetzt, von der Sprache, die sich in Bayern, in der Rheingegend und im Elsass seit dem 10. Jahrhundert herausgebildet hat und in hebräischen Lettern verschriftlicht wurde, als dem Jüdisch-Deutschen oder Westjiddischen zu sprechen. Die moderne Bezeichnung Jiddisch, die aus dem Amerikanischen stammt, hat sich für auch für dessen westeuropäische Variante durchgesetzt.67 Die heiligen Sprachen der jüdischen Liturgie und Schrifttradition waren Hebräisch und Aramäisch. Im Gegensatz zur vormodernen christlichen Gesellschaft war Analphabetentum im Judentum keine verbreitete Erscheinung. Der Aneignung einer weiteren Sprache standen daher keine größeren Hürden im Wege, im Gegenteil, durch eine lange Tradition der Mehrsprachigkeit und einer hoch entwickelten Übersetzungskultur schien sie als Methode in der Tradition selbst angelegt. Die Aneignung und der Gebrauch der hochdeutschen Sprache versprach die Einlösung des liberalen Zieles der bürgerlichen Anerkennung. Das Streben nach bürgerlicher Verbesserung und staatsbürgerlicher Gleichberechtigung führte die jüdische Minorität daher nicht nur zur Neuentdeckung des Hebräischen als Nationalsprache,68 sondern vor allem auch zu dem Idiom, dessen politische, nationale, religiöse, kulturelle, philosophische und ästhetische Konnotationen selbst noch im Entstehen begriffen waren. Als vorhandenes aber freischwebendes und weitgehend willkürlich handhabbares Format wurde die deutsche Sprache zu einem Instrument, das im Sinne ganz verschiedener Ziele funktionalisiert und gestaltet werden konnte. Für Juden schuf gerade die Offenheit, ja weitgehende Konzeptionslosigkeit des Neuhochdeutschen die Voraussetzung für dessen neutrale Verwendung. Parallel zum Majoritätsdiskurs der Aufklärung entfaltete diese periphere Reformbewegung ein Denken, das sich der geschichtsphilosophischen Vereinnahmung durch aufklärungskritische Theorien wie die von Koselleck und Habermas entzieht. Der politische und kommunikative Rahmen, innerhalb dessen jüdische Intellektuelle agieren konnten, wurde im Zuge der aufklärerischen Kritik des Christentums neu definiert. Diese Kritik schien als philosophische Religionskritik die Option einer aufgeklärten Religionsdiskussion über die Grenzen der christlichen Konfessionen hinweg zu versprechen. Wie systematisch ambivalent diese Option in Bezug auf das Judentum war, konnte Adam Sutcliffe in Judaism and Enlightenment (2003) für die

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So waren unter anderem folgende Bezeichnungen im Gebrauch: Jüdisch, Taitsch, Ivri-taitsch, Jüdisch-Deutsch, Judendeutsch, Jiddisch, Kauderwelsch, Jargon, Jüdeln, Mauscheln, vermischte Sprache, verderbte/ verstümmelte/rohe Sprache, jüdischer Dialekt, Weiberdeutsch, lashon ashkenas, targum ashkenas (sehr ausführlich: Achim Jaeger: Eine jüdischer Artusritter. Studien zum jüdisch-deutschen ›Widuwilt‹ (Artushof) und zum ›Wigalois‹ des Wirnt von Gravenberc. Tübingen: Niemeyer, 2000, 17–28; aber auch das Kapitel »Sprachwandel und Literalität« von Susanne Bennewitz in: Basel lernen. Das jüdische Leben in der Stadt im frühen 19. Jahrhundert. Diss.: Universität Basel, 2005, 335–456). Andrea Schatz, Sprache in der Zerstreuung, bes. 195–225.

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westeuropäische Aufklärung zum ersten Mal zusammenhängend zeigen.69 Indem die Pioniere der Aufklärung ihre Begriffe und Ideen rund um und gegen das traditionelle Christentum entwickelten, blieben sie weitgehend dem Referenzrahmen verhaftet, der durch die verschiedenen orthodoxen Theologien vorgegeben war.70 Die Auseinandersetzung mit dem Judentum vollzog sich so im Spannungsfeld eines potenzierten Problems, in dem verschiedene Faktoren eine Rolle spielten. In der traditionellen, unauflöslichen, typologischen Verknüpfung des Christentums mit einem Judaismus, der aus der neutestamentlichen Projektion auf das Alte Testament seine inhaltlichen Konturen bezog, stellte der christliche Judaismus schon immer eine existentielle Bedrohung für das Judentum dar. Jedoch hatte er nicht nur negative Implikationen, denn schließlich ehrte und anerkannte er einen wichtigen Teil der jüdischen Texttradition. Problematisch und gefährlich wurde er aber immer dann, wenn die christliche Idee dieses Judaismus und sein vertretener Wahrheitsanspruch durch ein von Juden vertretenes Judentum relativiert wurden. Der christlich-jüdische Religionsstreit gehört deshalb von Anbeginn zur Geschichte des Abendlandes, er ist Teil der perpetuierenden Konversionsaufforderung, deren Erfolg für das Christentum von heilsgeschichtlicher Bedeutung ist, weil allein die Anwesenheit von unkonvertierten Juden die Autorität des Christentums hinterfragt.71 Im Zuge der Aufklärung erhielt der Relgionsstreit eine neue Dimension, die sich aus einer (säkular-)christlichen Christentumskritik ergab, die sich als universale Religionskritik verstand. Als solche konnte sie das orthodoxe Judentum, das oft für den extremsten Ausdruck von religiöser Verfehlung herzuhalten hatte, ohne Probleme in die rationale Polemik gegen die Orthodoxie einbeziehen. Den alten Vorurteilen wurde so nur ein neues säkularisiertes Mäntelchen umgehängt. Sutcliffe sieht Voltaire als »vital link« zwischen mittelalterlichem und modernem Antisemitismus. Judenhass ist nicht Deformierung der aufklärerischen Vernunft, sondern tief in ihr verwurzelt.72 Antijudaismus und Antisemitismus stellen somit ein wesentliches Bindeglied zwischen christlicher Orthodoxie, radikal-atheistischer und gemäßigter Aufklärung dar.73 69 70 71

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Adam Sutcliffe: Judaism and Enlightenment. Cambridge: Cambridge University Press, 2003. Ebd., 5. Zum christlich-jüdischen Religionsstreit vgl. Hans Liebeschütz: Synagoge und Ecclesia. Religionsgeschichtliche Studien über die Auseinandersetzung der Kirche mit dem Judentum im Hochmittelalter. Heidelberg: Lambert Schneider, 1983 (1938). Sutcliffe (ebd., 7) folgt hier Arthur Hertzberg: The French Enlightenment.and the Jews: The Origins of Modern Anti-Semitism. N. Y.: Columbia University Press, 1990. Gerhard Lauers Buch Die Rückseite der Aufklärung. Geschichte einer kleinen Aufklärung (Göttingen: Wallstein Verlag, 2008) widmet sich der Untersuchung der Verhältnisse im deutschen Sprachraum und muss wohl als das missglückte Pendant zu Sutcliffes Studie gelten. Lauer, der sich ostentativ nicht mit dem Antisemitismus des 17. und 18. Jahrhunderts auseinandersetzt, schildert die Genese der Haskala, abgesehen von den Bezügen zur jiddischen Literatur, konsequent aus der Perspektive der Majoritjätsgeschichte. Dabei kommt er kaum zu neuen Erkenntnissen, sondern wiederholt Beobachtungen, die seit Ronnie Po-chia Hsia's Artikel »Christian

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Indem die Intellektuellen der jüdischen Aufklärung die eigene Partikularität als kontradiktische Denkvoraussetzung immer mitreflektieren und als Bezugspunkt aufrechterhalten mussten, war das ostentative Ausklammern von Religion und Tradition aus philosophischen und politischen Überlegungen ebenso wie die stillschweigende Übernahme vormoderner Konventionen in einem existentiellen Sinne problematisch. »Die Haskala war« deshalb, wie Christoph Schulte richtig schreibt, »Aufklärung mit doppeltem Publikum aus Juden und Christen, mit einem jüdischen Binnendiskurs und einem nichtjüdischen Außendiskurs«.74 Sie war »zugleich Aufklärung der Juden als Menschen und Aufklärung der Juden als Juden«,75 sie »war eine religionsnahe und religionsfreundliche Aufklärung.«76 Erst der politische Erfolg der bürgerlichen Emanzipationsbewegung deckte die voneinander abweichenden politischen Ziele auf und generierte als ebenso paradoxe wie logische Folge ein Interessengefälle zwischen deutsch-bürgerlicher und jüdischer Emanzipation.77 Die verschiedenen Funktionalisierungen der deutschen Sprache wurden aus der neuen Perspektive nun bereits in ihren Entstehungsmilieus als Muster sichtbar, die den »neutralen« Boden der deutschen Sprache als Fiktion entlarvten. Ein Riss begann den jüdischen Gebrauch der deutschen Standardsprache immer sichtbarer werdend von den herrschenden Maßgaben zu trennen. Andreas Gotzmann, Arndt Kremer und Stephan Braese haben in den letzten Jahren damit begonnen, den stillen Kampf national-, religions- und kulturphilosophischer Sprachkonzeptionen, der vor allem das 19. Jahrhundert prägte, nachzuzeichnen.78

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Ethnographies of Jews in Early Modern Germany« von 1994 unter dem Terminus »ethnographic descriptions of Judaism« gesammelt und ausgewertet worden sind, in: Raymond B. Waddington/Arthur H. Williamson (Hgg.): The Expulsion of the Jews: 1492 and After. N. Y.: Garland Pub., 1994, 223–235). In Anbetracht von Lauers Koselleck-Lektüre (Lauer, ebd., 41) entspricht sein Fazit genau dem Erkenntnisgewinn, den Kosellecks Ansatz von vornherein nur zulässt: »Die Rückseite der Haskala war die Konfessionalisierung des Judentums« (ebd., 392). Christoph Schulte: Die jüdische Aufklärung. Philosophie, Religion, Geschichte. München: C.H. Beck, 2002, 30. Ebd., 26. Ebd., 43. Aus gegenemanzipatorischer Perspektive widmet sich Bruno Bauers Schrift Die Judenfrage (Braunschweig: Friedrich Otto, 1843) erstmals systematisch der Ambivalenz von bürgerlicher und jüdischer Emanzipation; Marx führt daraufhin die Unterscheidung von staatsbürgerlicher und menschlicher Emanzipation ein (Zur Judenfrage, 1844). Andreas Gotzmann: Vatersprache und Mutterland: Sprache als nationaler Einheitsdiskurs im 19. Jahrhundert. In: Michael Brenner (Hg.): Jüdische Sprachen in deutscher Umwelt. Hebräisch und Jiddisch von der Aufklärung bis ins 20. Jahrhundert. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2002, 28–42; sowie das Kapitel »Judentum und Sprache« desselben Autors in: Eigenheit und Einheit. Modernisierungsdiskurse des deutschen Judentums der Emanzipationszeit. Leiden/Boston: Brill, 2002, 243–289; Stephan Braese: Eine europäische Sprache. Deutsche Sprachkultur von Juden 1760–1930. Göttingen: Wallstein Verlag: 2010; Arndt Kremer: Deutsche Juden – deutsche Spra-

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Mendelssohn, der als Philosoph, Literarkritiker, Übersetzer, Publizist und als einer der erfolgreichsten Wirtschaftsunternehmer seiner Generation die intellektuelle Reform der Juden auf allen relevanten Gebieten entscheidend mitbestimmte, gehörte zu den ersten, die sich der jüdischen Gestaltung der deutschen Sprache annahmen und in ihr das Ziel nach bürgerlicher Verbesserung artikulierten. Realpolitisch öffnete sich allerdings erst nach Mendelssohns Tod ein Horizont für die Emanzipationsbestrebungen der Juden. Erst nach dem Thronwechsel von Friedrich II. zu Friedrich-Wilhelm II. vollzog sich seit 1786 ein langsamer Wandel in der preußischen Politik, die wie im Habsburgerreich bereits vier Jahre vorher mit dem Erlass des Toleranzedikts von 1782 durch Joseph II., nun den Forderungen der Juden nach Gewährung bürgerlicher Rechte nachzugeben begann. Die Ergänzung zum Toleranzpatent Josephs II. von 1781 gilt als das erste gesetzgeberische Dokument allgemeinen Charakters, das die Tolerierung der Juden – als erster Schritt zur Emanzipation – an deutsche Sprachpraxis knüpft. Sowohl Hebräisch und Jiddisch wurden aus dem Handelsverkehr verbannt; jüdische Kinder sollten deutschsprachige Schulen besuchen, die in einer großangelegten Erziehungs- und Bildungsreform eingerichtet wurden. Der jüdische Aufklärer, Freund Mendelssohns, Pädagoge und habsburgische Regierungsbeamte Herz Homberg (1749– 1841) unterstützte diese Reform als Ober-Aufseher über die jüdischen deutschen Schulen in Galizien.79 Behm spricht hier von einer »politisch forcierten Umerziehungsmaßnahme«, die auf »die Abschaffung des Jiddischen und Hebräischen« zielte.80 Die Toleranzpatente versprachen den Juden erst »nach erfolgter Umerziehung, also nach einer erbrachten Assimilationsleistung« gleiche Rechte.81 Die Verknüpfung von Toleranz, bürgerlicher Verbesserung und Sprachkompetenz gab dem Sprachwandel eine zutiefst ambivalente Legitimation: Einerseits trug die Toleranzgesetzgebung entscheidend dazu bei, den Status hochdeutscher Sprachpraxis als Schlüssel zur Emanzipation zu begründen – und damit dauerhaft positiv zu besetzen in der Wahrnehmung all jener, welche die vormoderne soziale Kondition der Juden aufzusprengen hofften; andererseits legte die Toleranzgesetzgebung offen, dass die deutsche Sprache zugleich der unverhandelbare Preis für die erhofften Verbesserungen sein sollte – ein Preis, der insbesondere dort, wo das eingeforderte Ausmaß der lingualen Assimilation als Einschränkung jüdischer Identität

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che. Jüdische und judenfeindliche Sprachkonzepte und -konflikte 1893–1933. Berlin/N. Y.: De Gruyter, 2007. Homberg war von 1778–1782 Hauslehrer der Kinder Moses Mendelssohns und Mitarbeiter am Bi’ur, dem ersten maskilischen Gemeinschaftsprojekt. Vgl. hierzu Dirk Sadowski: Haskala und Lebenswelt. Herz Homberg und die jüdischen deutschen Schulen in Galizien 1782–1806. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2010, bes. 52–62, 137. Britta L. Behm: Moses Mendelssohn und die Transformation der jüdischen Erziehung in Berlin. Eine bildungsgeschichtliche Analyse zur jüdischen Aufklärung im 18. Jahrhundert. Münster et al.: Waxmann, 2002, 220. Behm, ebd.

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empfunden wurde, nicht akzeptiert werden konnte. Vor dem Hintergrund dieser ambivalenten Aufladung gestaltete sich eine jüdische Identitätssuche zwischen den Sprachen Hebräisch und Hochdeutsch. Die Haskala entfaltete als Aufklärung einer staatenlosen Minorität im Rahmen des absolutistischen Staatsgefüges ein reformatorisches Denken und eine moderne Textkultur, die inmitten der komplizierten Kommunikationsmechanismen einer sich selbst gerade im Umbruch befindlichen Gesellschaft ihre Entstehungsbedingungen und literarischen Vorbilder findet, ohne mit diesen identisch zu sein.82 Dieses Denken hat in einer hebräischen und deutschen Textkultur seinen Niederschlag gefunden, die für die jüdische Moderne außerordentlich prägend war. Bereits die Lehrer Moses Mendelssohns, Rabbiner David Fraenkel (1707–1762)83 und Rabbiner Israel ben Moses Halevi von Zamośź (1700–1772)84 hatten die Öffnung gegenüber der Philosophie und den Wissenschaften vorangetrieben und ihre Ideen in kleinen Unterrichtszirkeln an ihre Schüler weitergegeben. Damit einher ging eine Sensibilisierung für Sprache, Ästhetik und Literatur.85 Aaron Salomon Gumpertz (1723–1769)86 und Moses Mendelssohn wurden zur Keimzelle einer zweisprachigen Aufklärungsbewegung, zu der später – um nur die wichtigsten zu nennen – Isaak Satanow (1732–804),87 Naphtali Herz Wessely (1725–1805)88 82 83 84

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Das Standardwerk zur Geschichte der Haskala ist Shmuel Feiners The Jewish Enlightenment. Transl. by Chaya Naor. Philadelphia: University of Pennsylvania Press, 2004. Zu David Fraenkel vgl. Max Freudenthal: R. David Fränckel. In: Markus Brann/Ferdinand Rosenthal (Hgg.): Gedenkbuch zur Erinnerung an David Kaufmann. Breslau: 1900, 575–589. Zamośź hat die frühe Haskala v.a. in ihrer Öffnung gegenüber den Wissenschaften und der Philosophie geprägt. Darüber hinaus stellen seine Schriften die Verbindung zwischen den zeitgenössischen philosophischen Diskursen und der Philosophie/Wissenschaft des jüdischen Mittelalters her. Vgl. hierzu Gad Freudenthal: Hebrew Medieval Science in Zamosc, ca. 1730: The Early Years of Rabbi Israel ben Moses Halevi of Zamosc. In: Resianne Fontaine et al. (Hgg.): Sepharad in Ashkenaz. Medieval Knowledge and Eighteenth-Century Enlightened Jewish Discourse. Amsterdam: Koninklijke Nederlandse Akademie van Wetenschappen, 2007, 25–68; Ders.: Jewish Traditionalism and Early Modern Science: Rabbi Israel Zamosc’s Dialectic of Enlightenment (Berlin, 1744). In: David Biale/Robert S. Westman (Hgg.): Thinking Impossibilities: The Intellectual Legacy of Amos Funkenstein. Toronto: University of Toronto Press, 2008, 63–96. Feiner, The Jewish Enlightenment, 47. Gumpertz, der frühe Freund Lessings, studierte Medizin an der Universität Frankfurt/Oder und war der erste jüdische Doktor der Medizin in Preußen. Er hat sich intensiv mit den zeitgenössischen Entwicklungen in den Naturwissenschaften beschäftigt und sie in ihrem Verhältnis zur jüdischen Tradition diskutiert (vgl. Ma’mar ha-Mada‘), außerdem ist er Verfasser eines Superkommentars zu Ibn Ezras Kommentar der Chamesh Megillot (Megalleh Sod) sowie der Verfasser der ersten jüdischen Emanzipationsschrift im 18. Jahrhundert. Vgl. hierzu Gad Freudenthals Artikel: Aaron Salomon Gumpertz, Gotthold Ephraim Lessing, and the First Call for an Improvement of the Civil Rights of Jews in Germany (1753). In: Association for Jewish Studies Review 29.2 (2005), 299–353. Satanow ist der Autor von Kommentaren zu More Nevuchim, dem Kuzari und der aristotelischen Ethik, er hat neben seinen philosophischen und literarischen Schriften, Werke zur Sprachtheorie, hebräischen Grammatik und Linguistik verfasst, und als einer der ersten eine hebräische Natio-

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und Salomon Dubno (1738–1813)89 aus Osteuropa und den Niederlanden hinzustießen.90 Im größten Unternehmen der ersten Generation der Haskala – der Übersetzung und Kommentierung der schriftlichen Tora – ist die produktive Spannung zwischen den beiden einflussreichen Sprachparadigmen erstmals sichtbar festgehalten: Das Hebräische, das für diachrone Kontinuität im Judentum einsteht, erhält durch die Form der Übersetzung einen Bezug zur Emanzipationssprache Deutsch. Diese Übersetzung überschreitet und verändert zwei Sprachund Kulturräume. Indem sie die jüdische Tradition den ästhetischen und literarischen Maßstäben der politischen Umwelt öffnet, markiert sie einen Wendepunkt hin zur modernen hebräischen Wissenskultur. Indem sie die deutsche Zielsprache für eine nichtchristliche Aufnahme des hebräischen Bibeltextes erschließt, erfährt der deutsche Sprachraum eine Veränderung. Das habsburgische Toleranzedikt von 1782 ging direkt auf »die erste systematische und ausführliche Diskussion der Emanzipationsfrage in der Öffentlichkeit« zurück,91 die von Moses Mendelssohn und Christian Konrad Wilhelm von Dohm (1751–1820) ausgelöst worden war. Dohms 1781 veröffentlichte Schrift Über die bürgerliche Verbesserung der Juden, die auf Anregung Mendelssohns entstand, ist ein Plädoyer für die bürgerliche Emanzipation der jüdischen Minderheit, von deren moralischer, rationaler, politischer und habitueller Rückständigkeit auch

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nalpoesie entworfen. Isaak Satanow ist, gemessen an seiner Vielseitigkeit als Philosoph, Naturwissenschaftler, Kommentator, Kritiker, Schriftsteller und Poet sowie seiner Bedeutung, die er für Haskala generell und für das hebräische Sprachenprojekt insbesondere hatte, der am wenigsten erforschte Autor. Vgl. aber: Moshe Pelli: The Age of Haskalah: Studies in Hebrew literature of the Enlightenment in Germany. Leiden/Boston: Brill, 1979, 151–170; Bersohn, Nehama R.: Isaac Satanow: An Epitome of An Era. In: LBI Yearbook XXV (1980), 81–99; Bersohn, Nehama R.: An Eighteenth Century Expression of Jewish Nationalism: the Case of Isaac Satanow. In: Proceedings of the Eighth World Congress for Jewish Studies 8:c (1981), 111–116; sowie: Schatz, Sprache in der Zerstreuung, 268–278. Naphtali Herz Wessely entwickelte auf der Grundlage einer Ursprungsästhetik einen neuen Zugang zur hebräischen Sprache, der sich letztlich zwischen Reform und Tradition nicht entscheiden wollte. Die kreative Reproduktion des literarischen und poetischen Stils des Bibelhebräischen stand im Zentrum dieser Spracherneuerung, die die Entwicklung eines modernen, hebräischen Literatur- und Sprachbegriffs in Osteuropa im 19. Jahrhunderts mit vorbereitete. Zu Wessely vgl. die beiden Artikel Edward Breuers: Naphtali Herz Wessely and the Cultural Dislocations of an Eighteenth-Century Maskil. In: David Sorkin/Shmuel Feiner (Hgg.): New Perspectives on the Haskalah. London: Littman, 2001, 27–47; sowie: Jewish Study of the Bible. Before and During the Jewish Enlightenment. In: Magne Saebo (Hg.): Hebrew Bible, Old Testament: From the Renaissance to the Enlightenment (1300–1800). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2008, 1006–1023; Vgl. auch Andrea Schatz, Sprache in der Zerstreuung, bes.233–241, 260–268. Feiner, The Jewish Enlightenment, 43f. Zur »Frühen Haskala« vgl. Feiner, The Jewish Enlightenment, 36–67. Wie in Christoph Schultes viel kürzerer, deutscher Überblicksdarstellung Die jüdische Aufklärung. Philosophie, Religion, Geschichte (2002) lenkt auch Feiner den Fokus auf die zweite Generation der Haskala. Eine umfassende Untersuchung zur »Frühen Haskala« stellt nach wie vor ein Desiderat dar. Mufti, Enlightenment in the Colonoy, 58.

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Dohms Argument immer noch ausging. Die Schrift, die auf das konkrete Gesuch der jüdischen Minorität im Elsass an Moses Mendelssohn um Unterstützung bei der Abfassung einer Denkschrift an die französische Regierung von 1780 zurückgeht, wurde schon 1782 ins Französische übersetzt und beeinflusste die französische Diskussion, wie später auch Mendelssohns Jerusalem, direkt.92 Auch Lessings Nathan der Weise von 1781 gehört ins Umfeld dieser intellektuellen Diskussion, die von Preußen nach Europa ausstrahlte. In Preußen selbst beeinflusste die theoretische Diskussion die juristische Praxis in Form zahlreicher Einzelregelungen, die – nicht nur in der Sprachenfrage – zu einem ähnlichen Ergebnis führten wie in der Habsburger Monarchie. Die jüdischen Bestrebungen zur bürgerlichen Verbesserung mündeten im Emanzipationsedikt von 1812, das den Juden gleiche Rechten und Freiheiten gewähren sollte, aber den Gebrauch des Deutschen oder Französischen als Amtssprache sowie für rechtliche und kommerzielle Belange vorschrieb.93 Die staatsbürgerliche Emanzipation der Juden blieb bis 1871 Spielball der politischen Interessen Preußens, in deren Zentrum die Errichtung eines einheitlichen, deutschen Nationalstaates und die Stärkung der deutschen Machtposition im innereuropäischen Kräftegleichgewicht standen. Die preußische Emanzipationspolitik blieb so bis 1864 von Halbherzigkeit und Willkür geprägt, die zwischen Zugeständnissen und deren Annullierung ständig schwankte.94

ii. Sprache und Nation Die Französische Revolution war das Ereignis, das der Sprachenfrage politisch eine neue Wendung gab. Die 1789 von der Nationalversammlung verabschiedete Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte schrieb nicht nur die Staatsform der Demokratie in der Verfassung fest, sondern auch deren nationale Verankerung.95 Die französische Ausprägung des demokratischen Staatsmodells sollte für die kontinentale Liberalismus-Variante maßgeblich werden und die Agenda für die nächsten zwei Jahrhunderte bestimmen. Das universal-liberale Versprechen auf 92

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Vgl. die Schrift von Honoré Gabriel de Riquetti, Marquis de Mirabeau: Sur Moses Mendelssohn, sur la reforme politique des juifs: et en particulier sur la révolution tentée en leur faveur en 1753 dans la grande […]. Londres 1787; zur französischen Rezeption Mendelssohns s. den zweiteiligen Artikel von Paul Michaelis und Hanns Reissner: Moses Mendelssohns Echo in Frankreich. In: Gedenkbuch für Moses Mendelssohn. Hg. vom Verbande der Vereine für jüdische Geschichte und Literatur in Deutschland. Berlin: M. Poppelauer, 1929, 71–85. Sander S. Gilman: Jewish Self-Hatred. Anti-Semitism and the Hidden Language of the Jews. Baltimore/London: 1986, 81f. Vgl. Stefi Jersch-Wenzel: Rechtslage und Emanzipation 1780–1847. In: Brenner, Michael/ Stefi Jersch-Wenzel/Michael A. Meyer (Hgg.): Deutsch-Jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. II. Emanzipation und Akkulturation 1780–1871. München: C.H. Beck, 287–325. Déclaration des Droits de l'Homme et du Citoyen (Artikel 3): »Le principe de toute souveraineté réside essentiellement dans la nation«.

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volle staatsbürgerliche Gleichberechtigung basierte von vornherein auf der imaginierten Zugehörigkeit des Citoyen zu einer national verfassten Gemeinschaft. Die Gleichheit der Individuen wurde so über das Konstrukt nationaler Zugehörigkeit überhaupt erst generiert: Geographische und genetische Herkunft sowie die Muttersprache entschieden über die politischen Rechte als Staatsbürger.96 Für ethnische, religiöse und sprachliche Minderheiten wurde damit ein existentielles, politisches Problem geschaffen: die unauflösbare Spannung zwischen eigener Identität und Staatszugehörigkeit. Die ergebnislose Diskussion um die staatsbürgerlichen Rechte der Juden in der französischen Nationalversammlung im Jahre 1789 machte diese Aporie nach außen sichtbar. In seiner Rede am 23. Dezember 1789 vor der Nationalversammlung lehnte Stanislas Marie Adelaide de ClermontTonerre (1757–1792), der einer ihrer vehementesten Befürworter war, die Emanzipation der Juden als distinkte Entität resp. Gruppe, Gemeinschaft oder Klasse auf der Grundlage einer Argumentation ab, die Mendelssohns Jerusalem entlehnt war.97 Mit der Verabschiedung der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte wurden Volksherrschaft, Nationalstaat und Überwindung der Religion zu den neuen Garanten der Moderne, des Fortschritts, der politischen Emanzipation und der Einlösung der universalen Ideale Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Nicht nur im Falle des Französischen verschmolzen auf dieser Basis Nationalsprache und Universalsprache ununterscheidbar zu einem Konzept.98 Die europäischen Sprach- und Literaturreformen des 18. Jahrhunderts hatten die politischen Entwicklungen mit vorbereitet und differenzierten sich erst aus, als die Auswertung der Revolutionsereignisse und Napoleonischen Kriege die dezidiert politische Stellungnahme notwendig machte. In diesen Reformen spiegelt sich der Kampf um die unterschiedlichen politischen Interessen als Widerstreit konzeptioneller Spannungen. Die umfangreiche, historische Erforschung von Genese, Entwicklung, Konsolidierung, Krise und Kollaps der Nationalstaatenbewegungen hat diese Spannungen oft zu Gunsten einer vereinheitlichenden Darstellung geglättet. Im Mittelpunkt stand dabei eine mimetische Recherche, die aufdecken sollte, wie sich über den Zusammenhang von Sprache und Nation der Ausschließlichkeitsanspruch der einzelnen Nationalbewegungen etabliert hat. Mit verschiedenen Schwerpunktsetzungen wurde so gezeigt, wie und mit welcher Absicht die Leitideen von Herkunft, Territorium und Sprache im Hinblick auf die als Einheit imaginierte Nation sowohl der geistigen Fundierung der liberal-demokratischen 96 97 98

Bernhard Giesen: Die Entdinglichung des Sozialen. Eine evolutionstheoretische Perspektive auf die Postmoderne. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1991, 198–201. Aamir Mufti, Enlightenment in the Colony, 60. Naomi Seidman hat den Doppelcharakter des Französischen als Sprache der Aufklärung und der französischen Nation an Hand einer Erinnerungserzählung ihres Vaters, in der das Jiddisch der osteuropäischen Flüchtlinge mit dem administrativen Französisch nach dem Ende des II. Weltkrieges in Paris aufeinanderprallen (Faithful Renderings, 1–6).

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Staatsform dienten, als auch deren nationalsozialistische und faschistische Pervertierung vorbereiteten. Darauf, wie sehr diese Analysen bis heute die Paradigmen der Zeit benutzen, mit der sie kritisch abrechnen wollen, hat Sue Wright mit ihren sprachpolitischen Publikationen wiederholt hingewiesen.99 Das Hauptproblem der meisten dieser Darstellungen liegt darin, dass sie von einer geschichtsphilosophischen Zeichenkritik ausgehen. Für Benedict Anderson setzte die Geschichte der modernen Nation in dem Moment ein, wo die Arbitrarität des Zeichens die »sakrale Ontologie« der mittelalterlichen Welt verdrängte.100 Die Moderne wird so durch den Verlust des Zusammenhangs von Sprache und Wirklichkeit charakterisiert.101 Dieser Riss erst schuf, so Homi K. Bhaba in seiner Anderson-Kritik, Platz für das arbiträre Zeichen, welches »das imaginäre oder mythische Wesen der Gesellschaft der Nation« hervorhebt.102 Indem die Vormoderne über die Hegemonie einer sakralen Ontologie definiert wird, steht die Arbitrarität des Zeichens stellvertretend für den Verlust des ontologischen Sprachzusammenhangs. In einer derart definierten Moderne befinden sich die alten sakralen Sprachen Latein, Griechisch und Hebräisch in direkter Konkurrenz mit sämtlichen Volks-, Schrift- und Umgangssprachen, die auf anthropozentrischer und (inner)weltlicher Basis zu ihren Äquivalenten werden. Keine Sprache, so Anderson, könne auf dieser Grundlage mehr die Autorität Gottes beanspruchen sondern werde zum Eigentum der jeweiligen Muttersprachler selbst.103 Der in den nationalsprachlichen Modellen postulierte Zusammenhang von Sprache, Sprecher, Volk, Wirklichkeit und Geschichte kann auf der Basis dieser geschichtsphilosophischen Analyse nur noch als menschlich konstruierter, imaginierter und erfundener Zusammenhang begriffen werden.104 Das hat zur Folge, dass die sakrale Ontologie als genuin aufgefasst wird, postaufklärerische Sprachontologien hinge99

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Vgl. Sue Wright: Language Policy and Language Planning. From Nationalism to Globalisation. N. Y.: Palgrave Macmillan, 2004, 251: »it has become clear how much current work on lingua francas, linguistic rights and endangered languages is still framed by the nationalist paradigm even though we may actually moving beyond the national model.« Homi K. Bhaba: DissemiNation. Zeit, narrative Geschichte und die Ränder der modernen Nation. In: Ders.: Die Verortung der Kultur. Tübingen: Stauffenburg Verlag, 2000, 207–253, 235f. Benedict Anderson: Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts. Frankfurt/M.: Campus, 21993 (Orig.: Imagined Communities), 14f, 33; die Parallelen von Andersons geschichtsphilosophischer Bestandsaufnahme zu Michel Foucaults zeichentheoretischer Moderne-Kritik sind nicht zu übersehen: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1974 (Orig.: Les mots e les choses, 1966). Homi K. Bhaba, DisseminNation, 235–40. Anderson, Imagined Communities, 70. Vgl. auch Eric J. Hobsbawms Arbeiten, die der Sprachenproblematik im Vergleich mit Anderson und Gellner die geringste Aufmerksamkeit schenken, hier v.a. die berühmte Aufsatzsammlung, zus. mit Terence O. Ranger: The Invention of Tradition. Cambridge/N. Y.: Cambridge University Press, 1983; Hobsbawms Monographie Nations and Nationalism Since 1780: Programme, Myth, Reality. Cambridge/N. Y.: Cambridge University Press, 1983, trägt jedoch den Turm zu Babel auf dem Cover.

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gen nur Konstruktionen auf der Basis der Arbitrarität des Zeichens sind, so als hätten sich mit der Aufklärung sowohl die Erkenntnisfähigkeit des Menschen als auch die Qualität des Zeichens geändert.105 Ernest Gellners Theorie der Nationalsprache ist um einiges komplizierter, da sie einem Erkenntnisinteresse folgt, das der Autor fortwährend selbst der Revision unterzieht. Während Gellners akadamische Laufbahn mit einer Kritik der linguistischen Philosophie beginnt,106 widmet er sich später historischen Fragestellungen, um am Ende seines Schaffens beide Dimensionen aufeinander zu beziehen, und so einerseits sein eigenes Interesse an der Sprachphilosophie zu historisieren, andererseits die Theorien der Nationenbildung strukturell zu analysieren. In Nations and Nationalism beschreibt Gellner die Erfindung der Nation als Paradox, »demzufolge die historische Notwendigkeit der Idee der Nation konfligiert mit den kontingenten und arbiträren Zeichen und Symbolen, die für das affektive Leben der nationalen Kultur verwendet werden.«107 Wieso sich die Nation auf der Basis eines zufällig und willkürlich gewählten, kulturellen Patchworks legitimieren konnte, deren Prinzip jedoch einer historischen Notwendigkeit folgen soll, kann Gellner nicht erklären, es wird von ihm einfach postuliert.108 Die normative Soziologie Emil Durkheims,109 deren Gesellschaftsideal den vormodernen, religiös verfassten Gesellschaften abgeschaut war und der die Kritik am aufgeklärten Nationalstaat bereits zu Grunde liegt, wird von Gellner herangezogen, um den Unterschied zwischen »a tacitly reductionist ›faith‹, and the real thing which had preceded it« zum Kriterium einer Epochenscheide zu machen, welche die Moderne von der früheren europäischen Geschichte trennt.110 Was Gellner genau meint, wenn er vom vormodernen Glauben als »the real thing« spricht, ist nicht ganz klar. Im Gegensatz zu Anderson vermeidet er es, von einer »sakralen Ontologie« zu sprechen. Die Auslassung der begrifflichen Wendung heißt aber nicht, dass die ihr zu Grunde liegende geschichtsphilosophische Konzeption ebenfalls fehlt. Wie die Vordenker und Theoretiker der Nationenbildung selbst, behandelt auch er das Phänomen der Nationalsprachen vor jenem geschichtsphilosophischen Horizont, der von einer Reihe deutscher Intellektueller »erfunden«

105 Diesen Vorgang mit dem Begriff der »Säkularisierung« zu bezeichnen, ist zur communis opinio geworden. Komplexere Zusammenhänge können damit jedoch kaum mehr indiziert werden. Die unendliche Fülle an kursierenden »Säkularismus«-Definitionen ist Ausdruck dieses Dilemmas. Vgl. Jürgen Habermas: Dialektik der Säkularisierung. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 4 (2008), 33–46, bes. 34–36. 106 Vgl. Ernest Gellner: Words and Things. An Examination of, and Attack on, Linguistic Philosophy. London/N. Y.: Routledge, 2005. 107 Homi K. Bhaba, DissemiNation, 210. 108 Ernest Gellner, Nations and Nationalism, 54–56. 109 Vgl. Hans Kelsen: Der soziologische und der juristische Staatsbegriff. Kritische Untersuchung des Verhältnisses von Staat und Recht. Tübingen, J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1922, 51–59. 110 Gellner, Nations and Nationalism, 56.

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wurde.111 Die Dekonstruktion des Nationalismus bedient sich so der gleichen Methode wie seine Architekten, die ja selbst bereits einem aufklärungskritischem und romantischem Reflex gefolgt waren und nicht die Religion überwinden wollten, sondern vielmehr die universale Kritik am religiösen Zeitalter sowie den damit verbundenen Verlust von Identität und alten Sicherheiten.112 Die Verfasser von Kritik und Dekonstruktion der geistigen Grundlagen des Nationalstaates haben sich stärker bewusst zu machen, dass sie mit der Kritik der Aufklärungskritik zu den ahistorischen Fragestellungen der Aufklärung selbst zurückgekehrt sind. Nur dann kann dem geschichtsphilosophischen Zirkel der Analysen entkommen werden. In seinem erst posthum erschienenen Werk Language and Solitude von 1998 konfrontierte Ernest Gellner Malinowskis und Ludwig Wittgensteins Sprachphilosophien als universelle Repräsentationen des Nationalsprachenkonzepts mit einem logischen Sprachkonzept, das an Poppers Fallibilismus anschließt.113 Insbesondere Wittgenstein fällt seiner Kritik gänzlich zum Opfer: Während der frühe Wittgenstein die abstrakte, kontextlose, absolute Universalität der Sprache und des Denkens behaupte, die sich nur hinter dem gemeinen Sprachgebrauch verberge, ging der späte Wittgenstein zu dem anderen Extrem über, und sagte nun, dass das Universale überhaupt nicht existiere. Es anzustreben, gehöre zu den pathologischen Krankheiten der Moderne, die es zu heilen gilt.114 Für Gellner ist Wittgensteins Sprachphilosophie, die den Zusammenhang zum sozio-politischen Denken selbst nicht herstellt, eine »coded theory of society«, die davon ausgeht, dass die Menschheit in Form kultureller Gemeinschaften (»Lebensformen«) existiert, die autark, selbstlegitimierend sowie logisch und letztlich normativ sind: »They can only be described, they cannot be justified or explained, for they constitute the terminal, ultimate point of any explication or validation. From time to time, men are tempted into seeking extra-cultural or transcultural grounds for their conceptual custom: this is the error in philosophy.«115 Die Aufgabe der Philosophie sei es 111 Vgl. Stockinger: Sprachkonzept und Kulturnationalismus. Anmerkungen zur Theorie der Reinheit der deutschen Sprache bei Herder und Fichte. In: Volker Hertel et al. (Hgg.): Sprache und Kommunikation im Kulturkontext. Frankfurt/M.: Peter Lang, 1996, 71–84; Selbst Homi K. Bhaba, der die Theorien der Nationen- und Nationalstaatenbildung aus postkolonialer Perspektive kritisiert, bleibt dem geschichtsphilosophischen Muster noch verhaftet. 112 In diesem Sinne Isaiah Berlin: Vico and Herder. In: Henry Hardy (Hg.): Isaiah Berlin. Three Critics of the Enlightenment. Vico, Hamann, Herder. Princeton/Oxford: Princeton University Press, 2000, 1–242, 235–239. 113 Vgl. Steven Lukes: Einleitung zu Gellners Language and Solitude, xix; Popper selbst hat seine »Idee der Unsicherheit oder der Fehlbarkeit aller menschlicher Theorien, auch der am besten bewährten, ›Fallibilismus‹ genannt« (vgl. Karl R. Popper: Die beiden Grundprobleme der Erkenntnistheorie. Aufgrund von Manuskripten aus den Jahren 1930–1933. Hg. von Troels Eggers Hansen. Tübingen: J. C. B. Mohr (Siebeck), 1979, XXI). 114 Gellner, Language and Solitude, 150. 115 Gellner, ebd., 145.

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nach Wittgenstein, so Gellner weiter, den Menschen von der Versuchung abzuhalten, sich in den Fehler zu verlieren, nach transkulturellen, universalen Konzepten zu suchen und ihn vielmehr anzuhalten, sich seiner eigenen kulturellen und linguistischen Bräuche zu vergewissern. Gellner übersetzt Wittgensteins sprachphilosophische Überlegungen in politische Terminologie und sieht ihn in der Nähe nationaler und populistischer Sprachkonzepte, die individualistisches, universalistisches und liberales Sprachdenken grundsätzlich in Frage stellen.116 Auch die Kulturtheorie ist den Schwierigkeiten noch nicht entkommen, indem sie das Konzept des nationalsprachlichen Monolingualismus durch die Idee des Multilingualismus ersetzt hat. Das Forschungsinteresse für das Nebeneinander einer Vielfalt von Kulturen und Sprachen steht noch im Zeichen des nationalstaatlichen Paradigmas und kann sich dem Verdacht der Konsolidierung von hegemonialen Konstellationen nicht immer entziehen.117 Auch hinter solchen Konzepten wie Globalisierung, Multikulturalismus, Multilingualismus, Polyglossie etc. können sich monistische Tendenzen verbergen. Dass die deutsche Kultur-, Sprach- und Literaturwissenschaft in dieser Hinsicht besondere Defizite zu verzeichnen hat, konnte Yasemin Yildiz aufschlussreich zeigen.118 Solange das Konzept des Multilingualismus den individuellen Sprecher ausschließlich als Repräsentanten einer spezifischen Sprechergemeinschaft (resp. Nation) versteht, der neben Repräsentanten anderer Sprechergemeinschaften koexistiert, gibt sie die Verkoppelung von monolingualer und nationaler Identität des Sprechers als Fundament seiner politischen Existenz nicht auf. Erst wenn der Blick auf die Dispersionsphänomene innerhalb einer Kultur gelenkt wird und der individuelle Sprecher selbst als Repräsentant dieser Dispersionsphänome sichtbar wird, kann der Kulturbegriff selbst von mono-nationalen und -lingualen Rechtfertigungsmuster befreit werden. Nur der Schwerpunktwechsel von der Idee einer »diversity of cultures« (wie er bereits von Herder vertreten wurde) hin zu einer »diversity in

116 Gellner, ebd., 145. 117 Vgl. Michael Blake: Language, Death and Liberal Politics. In: Will Kymlicka/Alan Patten (Hgg.): Language Rights and Political Theory. Oxford: University Press, 2003, 217: »to defend a diversity of cultures often involves the effort to constrain the influx of foreign cultural materials into any given culture, and so represents an attempt to preclude a certain form of diversity in culture. At the very least, we can say that the justification of linguistic and cultural diversity does not provide us with a simple way of condemning linguistic destruction from within liberal theory.« 118 Yasemin Yildiz: Beyond the Mother Tongue: The Postmonolingual Condition. N. Y.: Fordham University Press, 2012. Yildiz' Buch ist ein wichtiger Beitrag zur theoretischen Diskussion von Mehrsprachigkeit, da sie die einflussreichen Thesen Jaques Derridas in Die Einsprachigkeit des Anderen: Oder die ursprüngliche Prothese (Übers. von Michael Wetzel. München: Wilhelm Fink, 2003) einer kritischen Sichtung unterzieht und weiterentwickelt. Sie zeigt, dass Derrida trotz seiner Kritik des monolingualen Paradigmas, weiter in ihm befangen bleibt: »In his focus on monolingualism, even if it is the ‹monolingualism of the Other», he tends to overlook mutlilingualism too completely, however« (ebd., 16).

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culture«119 öffnet das Feld der vergleichenden Kulturtheorie für die politische Philosophie. Dieser Fokuswechsel ermöglicht die Verschmelzung von sprachphilosophischen, sprach-soziologischen und sprachpolitischen Betrachtungsweisen jenseits der Debatten um Nationalstaat und Nationalsprache. Die Anerkennung kultureller und lingualer Diversität, die Akzeptanz von kollektiver und individueller Sprachenvielfalt schafft ein Moment der linguistischen Äquivalenz, das der Kritik an metaphysischen und ontologischen Sprachkonzepten eine neue Perspektive universalphilosophischer Sprachbetrachtung zu geben vermag. Die den nationalsprachlichen Debatten und ihren Metadiskursen zu Grunde liegende universale Diskussion über die Verknüpfung von Staatsmodell und Sprachauffassung kann erst im Zuge eines solchen Paradigmenwechsels wieder stärker in den Fokus zu rücken und so mit der klassischen (politischen) Philosophietradition sowie dem mittelalterlichen Sprachdenken in Verbindung gebracht werden.

iii. Heilige deutsche Nationalsprache In Anbetracht der außerordentlich einflussreichen Wirkungsgeschichte von Herders Theorie der Nationalsprache sowie deren Entwicklung zum linguistischen Leitparadigma der europäischen Nationalstaatenbewegung,120 ist das Verhältnis Mendelssohn – Herder von besonderem Interesse. Sowohl die Reflexionen über Sprache als auch die damit verknüpften sprachreformatorischen Absichten waren bei beiden Schriftstellern in einem ähnlichen Spannungsfeld zwischen Religion, Aufklärung, Anthropologie, Erkenntnistheorie, Universal-, deutscher und hebräischer Sprache entstanden. Weder Herder noch der 15 Jahre ältere Mendelssohn kann/können Bestandteil einer Wirkungsgeschichte des jeweils anderen sein. Als Zeitgenossen verband sie eine intellektuelle Freundschaft, von der nicht viele, aber immerhin doch zwölf beeindruckende Briefe Zeugnis ablegen. Der Duktus dieser Briefe ist vor allem nach Lessings Tod 1781 von einer großen Offenheit geprägt, in der die »so verschiedenen Sphären« des protestantischen Aufklärers Herder und des jüdischen Aufklärers Mendelssohn eine von beiden Seiten mit großem Respekt behandelte Reflexionsebene darstellten.121 Es ist bemerkenswert, dass Herder und Mendelssohn sich zwar ihre Schriften (u.a. Älteste Urkunde des Menschengeschlechts, Das Lied der Lieder, Netivot ha-Shalom) wechselseitig zuschickten, ein tiefer gehender, inhaltlicher Austausch über die Texte aber fehlt.122 Nicht nur im realen Leben in Bad Pyrmont markiert die Begegnung beider

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Wie von Michael Blake vertreten in: Language, Death and Liberal Politics, 217. Sue Wright, Language Policy and Language Planning, 255. So Herder an Mendelssohn am 21. Februar 1781 in: JubA 13, 8. Vgl. den Brief Mendelssohns an Herder vom 20. Juni 1780 in: JubA 12.2, 193f.

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Schriftsteller eine Leerstelle, sondern auch in ihren Texten.123 Eine Ausnahme stellt hier das literaturkritische Engagement beider Schriftsteller dar. Herders Über die neuere deutsche Literatur. Fragmente (1766/67) wiesen sich als »Beilage zu den Briefen, die Neueste Litteratur betreffend« aus und reagierten damit unmittelbar auf das ästhetisch-literaturkritische Zeitschriftenprojekt G. E. Lessings, Friedrich Nicolais und Mendelssohns.124 Es ist bezeichnend, dass Herder dem universalästhetischen Anspruch der drei Herausgeber einen »deutschen« Literaturbegriff entgegensetzt. Zu der von Mendelssohn geplanten Veröffentlichung einer Rezension zu Herders Schrift kam es jedoch nicht. Auch die Sprachreflexionen stellen insofern eine Ausnahme dar, als sich Mendelssohn in einer Rezension direkt mit Herders Abhandlung über den Ursprung der Sprache sowie in zwei unpublizierten Schriften mit den dort behandelten Problemen auseinandersetzt.125 Eine konfrontative, an thematischen Referenzpunkten orientierte Analyse der Sprach- und Ästhetikkonzepte ermöglicht es, die ihnen unterliegenden, politischen und religiösen Konzepte auf »neutraler« Basis miteinander zu vergleichen. Während also einerseits Herders Sprachennationalismus auf seine universale Aussage hin befragt werden muss, um ihn mit Mendelssohns universal-philosophischer, pluralistischer Sprachpolitik vergleichbar werden zu lassen, muss die Bewertung von Mendelssohns liberaler Sprachpolitik aus der Engführung jüdischer Geschichtsschreibung herausgelöst werden, die mit ihrer Verortung in der Emanzipationserzählung vorgeschrieben scheint. Herders Vielvölkeridee, Ethnolinguismus und Internationalismus sind von Jeffrey A. Grossman und anderen in den letzten Jahren einer kritischen Sichtung unterzogen worden.126 Es fehlt jedoch bislang weitgehend an Versuchen, Mendelssohns Sprachenprojekt in seiner theorierelevanten, kulturenund sprachenübergreifenden Dimension sichtbar werden zu lassen.127 Herders Nationalsprachenkonzept formulierte eine Herausforderung an die Aufklärung, indem es zwar an deren Universalismuspostulat anschloss, ihr aber das Nebeneinander verschiedener partikularer Völker, Kulturen und Sprachen

123 Vgl. die Briefe von Herder an Mendelssohn und Mendelssohn an Herder vom Februar und März 1781 in: JubA 13, 7–8, 10–12. 124 Briefe, die Neueste Litteratur betreffend (1759–1765) in: http://www.ub.uni-bielefeld.de/diglib/aufklaerung/. 125 Mendelssohn, Herder und Tiedemann. Ursprung der Sprache, JubA 5.2, 174–183; sowie Mendelssohns »Sprachwissenschaftliche Schriften« in: JubA 6.2, 3–56; Zu Mendelssohn und Herder s. auch Kap. II.iii sowie Kap. III. 126 Jeffrey A. Grossman: The Discourse on Yiddish in Germany. From the Enlightenment to the Second Empire. Rochester: Camden House, 2000; hier sind u.a. zu nennen: George L. Mosse, Georg Iggers, Ludwig Stockinger, Charles Blattberg, Sue Wright. 127 Vgl. aber Yaacov Shavit, der auf das bilinguale Sprachenprojekt Mendelssohns eingeht, allerdings ohne vordergründiges theoretisches Interesse: A Duty too Heavy to Bear: Hebrew in the Berlin Haskalah, 1783–1819: Between Classic, Modern, and Romantic. In: Lewis Glinert (Hg.): Hebrew in Ashkenaz. Language in Exile. N. Y./Oxford: Oxford University Press, 1993, 111–128.

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entgegensetzte.128 In Herders geschichtsphilosophischem und kulturnationalistischem129 Ansatz ist das Individuum nicht nur Teil der Menschheit, sondern auch Angehöriger einer distinkten nationalen Gruppierung, die sich von anderen Gruppen durch natürliche Merkmale, eine je eigene Geschichte, Sprache, Poesie und Literatur unterscheidet. Es ist charakteristisch für Herder, dass seine Sprachbetrachtungen das Verhältnis von National- und Universalsprache nicht explizit klären. Anthropologische, ethnologische und sprachgeschichtliche Interpretamente überlagern sich nicht nur in den sprachtheoretischen Schriften und sind schwer voneinander zu trennen.130 Mit der von Rousseau übernommenen Kulturund Zivilisationskritik rückt Herder die individuelle Sprachbildung, den Spracherwerb, das Konzept der Muttersprache sowie Begriffsbildung und Zeichenerkenntnis ins Zentrum seines Erziehungs- und Reformprogramms. Erst die Ausbildung der Sprachfähigkeit macht den Menschen zu einem sozialen Wesen. Dabei ist der Mensch in aufsteigender Reihenfolge: Teil der Familie, der Nation oder des Volkes bzw. der gesamten Menschheit.131 Vice versa lässt sich die Verfasstheit einer Nation bzw. der gesamten Zivilisation am Zustand der Sprache ablesen. Dies ist Herders Ansatzpunkt für die Sprach- und Literaturreform. Umfassend äußerte sich Herder in seiner Abhandlung über den Ursprung der Sprache (1771/72), die von der Preußischen Akademie der Wissenschaften mit dem ersten Preis prämiert wurde, zur Sprachenfrage. Seine einflussreichen Thesen boten nicht nur eine Alternative zur herkömmlichen Auffassung an, dass Sprache den Menschen göttlich offenbart sei, sondern wandten sich auch gegen eine rein rationale Sprachauffassung, die in ihr eine exklusive menschliche Erfindung und ein Instrument der Vernunft sehen wollte.132 Dass Herders revolutionierende Sprachauffassung das große öffentliche Podium der Preußischen Akademie der Wissenschaften überlassen bekam, zeigt, wie sehr seine Ideen als Lösung einer grundsätzlich aporetischen Diskurssituation wahrgenommen wurden. Bereits sei-

128 Grossman, Discourse on Yiddish in Germany, 29: »Herder challenged the teleological view of the Enlightenment, which advocated universalism but viewed its own development as the norm for that universalism.« Grossman ist der Meinung, dass Herder den »falschen« Universalismus der Aufklärung überwand, indem er »alternatively, placed new value and emphasis on cultures, peoples, and periods in history that did not correspond to the Enlightenment norm.« Es wird noch zu zeigen sein, dass man nicht von einer Überwindung sprechen kann, sondern lediglich von einer Verschiebung oder Verlagerung des Problems, denn Herder funktionalisiert den Universalismus für partikulare Zwecke. 129 Zum Konzept der »Kulturnation« bei Herder und Friedrich Meinecke vgl. ebenfalls Grossman, ebd., 33. 130 Zur Ambivalenz von kulturellem Universalismus und Nationalismus bei Herder vgl. Stockinger, Sprachkonzept und Kulturnationalismus, 71–84. 131 Grossman, ebd., 35. 132 Ebd., 30.

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ne frühen Schriften der Rigaer Jahre133 hatten jene Akzentverschiebung vorbereitet, durch die der individuelle Spracherwerb von der Offenbarungsfrage abgekoppelt und in den menschlichen Erkenntnisprozess eingegliedert wurde, der so in den Mittelpunkt des Sprachkonzepts trat. In der Nachfolge Leibniz' ließ die anthropozentrische Entfaltung der Sprachproblematik rund um Erfahrung, Erkenntnis, Entwicklung, Bildung und Pflege der (Mutter)Sprache die Diskussion um natürliche oder göttliche Gegebenheit der Sprache zweitrangig werden.134 Bewiesen zu werden brauchte von Herder lediglich die Möglichkeit der natürlichen Sprachgenese. Schon in Journal meiner Reise von 1769 entwickelte Herder die Koordinaten seines Bildungskonzeptes und der damit in Zusammenhang stehenden organischen Sprachauffassung: »Jeder Mensch muß sich eigentlich seine Sprache selbst erfinden, und jeden Begriff in jedem Wort so verstehen, als wenn er ihn erfunden hätte. […] Ein Kind lernt tausend Wörter, Nuancen von Abstraktionen, von denen es durchaus keinen Begriff hat; tausend andre, von denen es nur halben Begriff hat. […] Das ist der Fehler der Zeit in der wir leben: man hat lange vor uns eine Sprache erfunden, tausend Generationen vor uns haben sie mit Begriffen bereichert: wir lernen ihre Sprache, gehen mit Worten in 2 Minuten durch, was sie in Jahrhunderten erfunden und verstehen gelernt. Lernen damit nichts: veralten uns an Grammatiken und Wortbüchern und Diskursen […]. Mein Kind soll jede Tote Sprache lebendig, und jede lebendige so lernen, als wenn sie sich sie selbst erfände. […] Und wer seine Muttersprache so lebendig lernte, daß jedes Wort ihm so zur Zeit käme, als er die Sache sieht und den Gedanken hat: welch ein richtiger, philosophisch denkender Kopf, welch eine junge blühende Seele!«135

Der kindliche Spracherwerb diente Herder als Muster für den kollektiven, nationalen Erziehungsprozess: Auch dieser hat beim erfahrenden Individuum und mit der Verbesserung der Sprache zu beginnen. So wie die Spracherziehung des Kindes, das natürlicherweise noch im Zustand der sinnlichen, von der Zivilisation unverdorbenen Erfahrungsfähigkeit verharrt, soll eine lebendige Nationalliteratur die »Jugend der menschlichen Seele« wiederherstellen.136 Aus der Zivilisationskritik entwickelt Herder seine Gesellschaftsutopie, welche auf die Menschheit bezogen ist, sich aber durch das »richtige« Erlernen der (Mutter)Sprache realisiert. In Analogie zur Entwicklungsgeschichte des Kindes vollzog sich die Sprachwerdung auf dem großen Podium der Weltgeschichte: 133 U.a.: Fragmente über die neuere deutsche Literatur (1766–67), Kritische Wälder, oder Betrachtungen die Wissenschaft und Kunst des Schönen betreffend« (1769), Journal meiner Reise im Jahre (1769). 134 Vgl. zu Leibniz die von Walther Schmied-Kowarzik schon 1916 zusammengestellte Textsammlung Deutsche Schriften. 1. Bd.: Muttersprache und völkische Gesinnung. 2. Bd.: Vaterland und Reichspolitik. Leipzig: Felix Meiner, 1916. 135 Johann Gottfried Herder, Journal meiner Reise, FA 9.2, 9–126, 117; Zur Schwierigkeit der Umsetzung dieses Vorhabens vgl. ebd., 119: »Es ist eine schwere Sache, jede Wissenschaft in allen Begriffen und jede Sprache in allen Worten auf die Sinne zurückzuführen, in denen und für die sie entstanden sind, und das ist doch zu jeder Wissenschaft und Sprache nötig.« 136 Ebd.

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»In einer feinen, spät erfundenen metaphysischen Sprache, die von der ursprünglichen wilden Mutter des menschlichen Geschlechts eine Abart vielleicht im vierten Gliede und langen Jahrtausenden der Abartung selbst wieder Jahrhunderte ihres Lebens hindurch verfeinert, zivilisiert und humanisiert worden: eine solche Sprache, das Kind der Vernunft und Gesellschaft, kann wenig oder nichts mehr von der Kindheit ihrer ersten Mutter wissen; allein die alten, die wilden Sprachen, je näher zum Ursprunge, enthalten davon desto mehr.«137

Die Metapher der »Mutter« ersetzt bei Herder die Vakanz des Ursprungs, welche durch die Marginalisierung der Offenbarungserzählung aufgerissen war. Die »wilde«, »ursprüngliche« Mutter, über deren eigene Kindheit die ursprungsnahen Sprachen auf jeden Fall mehr wissen als wir, ist die neue Autorität für richtiges, authentisches Sprechen, wie es nur noch in der Volkspoesie anzutreffen ist. Das semantische Feld, das sich zwischen den Begriffen »Mutter«, »Ursprung«, »Originalität«, »Poesie« und »Volk« entfaltet, löst den Offenbarungsbegriff ab, der damit obsolet wird, ohne dass gleichzeitig das theologische Konzept, welches sich dahinter verbirgt, unbedingt mit preisgegeben werden muss, denn: eine Gesellschaft der Vernunft kann mit Herder hierüber nichts oder allenfalls wenig wissen. Das theologische Diktum seines Lehrers Johann Georg Hamann, dass die Poesie Muttersprache der Menschheit sei,138 wird von Herder geschichtsphilosophisch umgedeutet. In Herders Bildungsmorphologie139 entspricht die Volkspoesie dem kindlichen, naiven Ausdruck der ersten Stufe des Bildungsprozesses, zu dem eine erneuerte Literatur, Volkslieder, Märchen, Geschichtserzählungen, lebendiges Sprachen- und Naturstudium wieder einen Zugang herstellen sollen. Kindliche Kreativität, Wesenhaftigkeit des sprachlichen Ausdrucks und unmittelbare Zeichenerkenntnis beim Erlernen der deutschen Umgangssprache sind für Herder gleichzeitig die unausweichlichen Grundlagen für philosophisches Denken. »Die meisten Vorschläge zur Bildung der Sprache«, so Herder, »fallen in ein Äußerstes, statt das Mittel zu halten« zwischen einem »Plan zur philosophischen Sprache« und der »dichterische[n] Seite«. Das »Glück unsrer Sprachenverbesserung« liege aber vielmehr in ihrer gleichmäßigen, aufeinander bezogenen Entwicklung.140 Der lebendige Zusammenhang von Zeichen, bezeichneter Sache und Gedanke soll die tote, abstrakte, in Hülsen erstarrte Begriffs- und Wissenschaftssprache ablösen, die nicht nur die akademische Bildung sondern auch Liturgie,

137 Herder, Abhandlung über den Ursprung der Sprache, FA 1, 695–810, 701; vgl. auch den Abschnitt »Von den Lebensaltern der Sprache« in den Fragmenten Über die neuere deutsche Literatur, Erste Sammlung, FA 1, 181–184; wo nicht anders vermerkt, wird aus der ersten Ausgabe (FA 1, 161–649) zitiert; die zweite Ausgabe findet sich in: FA 1, 541–649. 138 J. G. Hamann, Aesthetica. In. Nuce. Eine Rhapsodie in Kabbalistischer Prose, N II, 197. 139 Zu Herders Konzepten von Bildung und Bildungsgeschichte vgl. die kritische Perspektive von Grossman, The Discourse on Yiddish in Germany, 30. 140 Herder, Über die neuere deutsche Literatur, Erste Sammlung, FA 1, 187.

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religiöse und schulische Erziehung bestimmte.141 Das Sprachenstudium trat so ins Zentrum des neuen pädagogischen Konzepts, welches das eigene Reformprofil in dezidierter Absetzung vom herkömmlichen Schul- und Bildungssystem konturierte. Entsprechend der lingualen Schwerpunktsetzung wurde das auf das Theologiestudium hinführende Latein- und Hebräisch-Curriculum zum Paradigma des erstarrten Bildungskanons, der überwunden werden sollte.142 Die Polemik gegen die lateinische Sprache jedoch hatte auch einen politischen Hintergrund: Als »Sprache der Römer« stand sie stellvertretend für ein Volk, »das zum Herrschen über die Welt geboren zu sein glaubte. Sie war das unglückliche Werkzeug, das freien Nationen despotische Gesetze gab.«143 Die Überwindung des Latinismus implizierte für Herder die endgültige Befreiung des Deutschen von römischer Überfremdung, die zwar in der germanischen Frühgeschichte von Arminius glücklich abgewendet, aber im Zuge der Expansion des katholisch-römischen Staatskirchentums religiös, politisch und sprachlich Realität geworden war. Luther hatte mit seiner Bibelübersetzung in die deutsche Volkssprache den Einfluss des Lateinischen bereits zurückgedrängt. Die von ihm mit den Mitteln der Sprachreform begonnene religiös-politische Reform hatte aber auf dem Weg zur nationalreligiösen Selbstbesinnung noch eine wichtige Etappe vor sich: Nicht nur der Einfluss der lateinischen Sprache auf Kirche, Staat, Theologie und Philosophie musste korrigiert werden, sondern die lateinische Überfremdung der deutschen Sprache selbst.144 Erst dann würde der einst von Tacitus beschriebene Volkscharakter der Deutschen, der »durch keine Vermischung mit andern entadelt« sei, die »eigne, unverfälschte originale Nation, die von sich selbst das Urbild ist«, zum Vorschein bringen.145 Die Reformierung bzw. Erweiterung der deutschen vernacularSprachen zur hochdeutschen Literatursprache implizierte einen Anspruch auf den Status der Literarizität des Lateinischen (und des Hebräischen)146 und verband mit der monolingualen Idee einer deutschen Einheitssprache das politische Versprechen auf eine »Staatsverfassung in der Literatur so unabhängig und republikanisch […] als möglich.«147 Nolens volens werden bei Herder Formfragen zu Fragen der Semantik, diese wiederum als Problem der Philosophie und Erkenntnistheorie erörtert, die ihrerseits die Grundlage für theologische und politische Positionierungen bilden.

Herder, Journal meiner Reise, FA 9.2, 117f. Vgl. den Anfang in Herder, Vom Geist der Hebräischen Poesie, FA 5, 661–1308. Herder, Über die neuere deutsche Literatur, Dritte Sammlung, FA 1, 374. Ebd., 372–379. Ebd., 376. Giulio Lepschy: Mother Tongues and Literary Languages. In: The Modern Language Review 96.4 (2001), xxxiii–xlix, xlviif. 147 Herder, »Was haben wir von den Franzosen zu lernen?«, in: Über die neuere deutsche Literatur, Erste Sammlung, FA 1, 234–239, 238. 141 142 143 144 145 146

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Wie viele monolinguale Sprachreformen bleibt Herders umfassendes Reformprogramm an die Inhalte, Texte und Literaturen mindestens zweier Traditionen geknüpft, jener, die das zu überwindende Idiom in der Vergangenheit zu vermitteln half, und derjenigen, welche von der Reform erst konstruiert wird. Die neue Sprache entsteht aus der Überwindung der alten; die neuen Inhalte, die sie transportiert, generieren sich im lebendigen und kritischen Zugriff auf Altbekanntes. Andersons scharfe zeichentheoretische Zäsur zwischen vormodernen und nationalstaatlich verfassten Gesellschaften gibt eine geschichtsphilosophische Antwort auf das, wie es scheint, eher strukturelle Problem des Verhältnisses von Religion und Nation. Kontinuitäten können aber sichtbar gemacht werden, wenn der Frage nach dem konkreten Literaturkorpus, auf welchen die Sprachreform bezogen ist, nicht ausgewichen wird. Nur so können die Konzepte aufgespürt werden, an die Herder anschließt oder von denen abzusetzen er sich vorgenommen hat. Wie schon gesagt, sollte dabei vermieden werden, Herders eigene geschichtsphilosophische Perspektive in der Analyse zu reproduzieren. Viele europäische Spracherneuerungsbewegungen begannen mit einer BibelÜbersetzung in die Landessprache. Sprache, Nation und Text der Bibel bildeten eine Trias, die auf Grund der konstruktivistischen, funktionalistischen und geschichtsphilosophischen Herangehensweise in der Erforschung der Nationalsprachenbewegungen oft auseinandergerissen wurde. Durch sie wird jedoch der Zusammenhang zu den vormodernen religiösen (meist christlichen) Traditionen hergestellt, der nahezu alle europäischen Nationalsprachenbewegungen nachhaltig geprägt hat.148 Im Falle Herders ist dieses Wahrnehmungsdefizit umso erstaunlicher, da sich seine Literatur- und Sprachreform kaum von seiner Theologie trennen lässt.149 Die systematische Beschäftigung des protestantischen Theologen Herder mit der deutschen Sprache und Literatur beruht auf theologischen Vorentscheidungen, welche direkt in den Kern seiner Reform führen. Herder gehörte neben Robert Lowth (1710–1787), Johann David Michaelis (1717–1791) und Johann Gottfried Eichhorn (1752–1827) zu jenen protestantischen Theologen des 18. Jahrhunderts, die an einer Umkehrung des Autoritätsverlustes des Alten Testaments federführend beteiligt waren. So jedenfalls scheint es zunächst, wenn bei Herder die Beschäftigung mit dem Alten Testament zeitlebens in ihrem Stel148 Zu demselben Phänomen im philosophischen Diskurs vgl. Gianni Vattimo: Die Spur der Spur. In: Jacques Derrida/Gianni Vattimo: Die Religion. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 2001, 107–124. 149 Herder gilt als Vorgänger Ernst Schleiermachers und damit Begründer der hermeneutischen Methode, die von Wilhelm Dilthey und Hans-Georg Gadamer als philosophische Methode, von Bultmann, Troeltsch, Gunkel in der religionsgeschichtlichen Schule aufgenommen und weiter entwickelt wurde. Richard E. Burnett vertritt in seiner Studie Karl Barth’s Theological Exegesis: The Hermeneutical Principles of the Römerbrief Period (Grand Rapids (Michigan): Eerdmans Publishing, 2004) die Meinung, dass Herders Signifikanz für die gesamte moderne Theologie kaum hoch genug veranschlagt werden kann (ebd., 168f). Barth’s Entwicklung der dialektischen Theologie erfolgte in der intensiven Auseinander- und Absetzung mit und von Herders Theologie (ebd., 151, 143–149, 169, 188).

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lenwert über dem des Neuen Testaments rangierte. Dass es sich hier jedoch in Wahrheit um eine theologische Abwertung des Alten Testamentes handelte, wird in den Schriften Herders deutlich, die sich seiner modernen Umbewertung widmen.150 Die Spezifika der »ältesten, simpelsten und erhabensten Poesie«151 werden von Herder zu allgemeinen Charakteristika für Volkspoesie, Nationalliteratur und Volksdichtung und können überall dort aufgespürt werden, wo sich Volkspoesie noch aus der Nähe zur Reinheit ihrer Ursprünge speist. Nicht in ihrer singulären Besonderheit ist die hebräische Volkspoesie/Nationalliteratur für Herder Gegenstand des Interesses, sondern als Norm. In Herders Interpretation wird das Alte Testament zum Paradigma der Ursprungspoesie. Die Differenzen der verschiedenen Sprachen und Literaturen verschwinden in einem philosophisch determinierten Einheitsprinzip, das die Unterschiede der Textkulturen nicht an Hand ihrer Diversität festmacht, sondern an dem gesetzten Maßstab der Wesenhaftigkeit des Ausdrucks. Die konkrete spezifische Tradition der Zeichen-, Sprach- und Begriffsbildung in Zusammenhang mit den grammatikalischen Eigenarten der jeweiligen Sprache wird daran gemessen, inwiefern sie diesen Maßstab erfüllt. Die von Herder selbst vehement geforderte Anerkennung der Varietät der Kulturen mündet so in der Frage: Welcher Nation gelang es in der Geschichte am besten, sich die Ursprungsnorm zu bewahren? Oder: Welche Nation darf auf Grund ihrer spezifischen Voraussetzungen hoffen, sich den Weg zurück zu dieser Ursprungsnorm zu bahnen? Herders Antwort auf diese Frage ist eindeutig, aber nicht unkompliziert. Sie findet sich nicht zufällig in der Schrift, die den »Bund der Humanität« zwischen den Völkern proklamiert. Innerhalb dieses Bundes herrscht kein Parteigeist mehr, »kein Jude noch Grieche, kein Knecht noch Freier, kein Mann noch Weib«, sondern nur »Eins und Einer«.152 Das PaulusMotto aus dem Galater-Brief 3.28 ist den Briefen zur Beförderung der Humanität in der lutherischen Übersetzung vorangestellt. Herder verzichtet auf die Erwähnung desjenigen, durch den Paulus das universalistische und kosmopolitische Einheitskonzept einzulösen verspricht: Jesus Christus. Trotzdem heißt das nichts anderes, als dass Herder die Überlegenheit der deutschen Nation und ihrer Sprache vom Boden eines neutestamentlichen Universalismus zu erweisen sucht. Der Nachweis der Unvermischtheit und Reinheit der deutschen Sprache hat dieser den Status der »Originalmundart« zu sichern, der allein für die Unmittelbarkeit und Wesenhaftigkeit des Ausdrucks bürgt und die Voraussetzung ist, um eine

150 In seinen beiden Schriften Älteste Urkunde des Menschengeschlechts (1778/1781) und Vom Geist der Hebräischen Poesie (1782/83); Dass in beiden Schriften der genaueste Aufschluss über den Konnex von National- und Universalsprache zu finden ist, zeigt, wie eng Herders theologische Prämissen mit seinem Kulturnationalismus verwoben sind. Ausführlicher hierzu Kap. III.v. 151 Herder, Vom Geist der Hebräischen Poesie, FA 5, 663. 152 Herder, Briefe zur Beförderung der Humanität, FA 7, 1. Brief, 14.

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dem Charakter der Nation entsprechende Nationalliteratur hervorzubringen.153 Ein jeder sei »glücklich, dem diese Blüte vom Gipfel des Stammes der aufgeklärtesten Nation zu brechen vergönnt ist,«154 denn das Hebräische habe diese Fähigkeit im Laufe der Geschichte verloren,155 das Griechische wurde im Verlauf seiner dekadenten römischen Adaption künstlich überformt,156 das Französische hat als Vulgärvariante des Lateinischen diese Fähigkeit nie besessen.157 Ihr eigentlicher Vorteil jedoch sollte der deutschen Sprache gerade aus dem Hauptfehler der deutschen Nation erwachsen, den Herder in ihrer »zu großen Gefälligkeit gegen Fremde« ausmachte.158 Während alle anderen europäischen Sprachen von einer »Zwitternatur« geprägt gewesen seien, weil die von ihnen ausgebildeten nationalen »Originalformen« gleichzeitig ihr Vermögen einschränkten, sich anderen Sprachen und Literaturen durch Übersetzung anzuverwandeln, hat »die deutsche Sprache, unvermischt mit andern, auf ihrer eignen Wurzel blühend und eine Stiefschwester der vollkommensten, der griechischen Sprache, […] eine unglaubliche Gelenkigkeit, sich dem Ausdrucke, den Wendungen, dem Geist selbst den Sylbenmaßen fremder Nationen, sogar Griechen und Römern anzuschließen und zu fügen. Unter der Bearbeitung jedes eigentümlichen Geistes wird sie gleichsam eine neue, ihm eigene Sprache.«159 Die deutsche Sprache vermag es, so Herder weiter, »wie keine andre Nation« fremde Idiome nachzubilden.160 Herders überall postulierte Anerkennung der Diversität der Sprachen, Kulturen und Völker, sein – in dem Worte von Dilthey berühmt gewordenes – »kongeniale[s] Sich-

153 Das Deutsche ist für Herder selbstverständlich eine »Originalmundart« und »Hauptsprache« (Herder, Über die neuere deutsche Literatur, Erste Sammlung (2. Ausgabe), FA 1, 570–576), d.h. ist nicht aus der »vermischung und vermengung der Voelcker« entstanden, sondern ist »vermittelst der hoechstloblichen Tapfrigkeit unserer Vorfahren« durch die griechischen, lateinischen, französischen, spanischen, keltischen etc. Fremdeinflüsse hindurch als »unsere angeborne / vollkommene / reine / wortreichste Muttersprache« erhalten geblieben, wie Schottelius schon 1643 anmerkte (Georg Schottelius: Der Teutschen Sprach Einleitung (1643), 170f); vgl. auch die Artikel »Teutsche Sprache« und »Muttersprache« in Zedlers Universallexikon: Bd. 43, Sp. 143–169; Bd. 22, Sp. 1656–1658; s. auch: Stockinger, Sprachkonzept und Kulturnationalismus, 78). 154 Herder, Briefe zur Beförderung der Humanität, 88. Brief, FA 7, 494. 155 Vgl. u.a.: Journal meiner Reise, FA 9.2, 64; Vom Geist der hebräischen Poesie, FA 5, 661–63; »Die Wirkung der Dichtkunst bei den Ebräern«, in: Über die Wirkung der Dichtkunst auf die Sitten der Völker in alten und in neuen Zeiten, FA 4, 158–169. 156 Herder, Über die neuere deutsche Literatur, Dritte Sammlung, FA 1, 373f. 157 Herders Polemik gegen das Lateinische besitzt eine doppelte Stoßrichtung: Der (römische) Katholizismus wird abgewertet und dem Französischen wird der Status der »Originalmundart« abgesprochen, denn die römische Okkupation der fränkischen Gebiete hatte eine eigenständige Entwicklung des Franzöischen von vornherein verhindert (ebd., 374–376). 158 Herder, Briefe zur Beförderung der Humanität, 101. Brief, FA 7, 549; Zu diesem Vorwurf vgl. auch den Zedlerartikel »Teutsche Sprache« in Zedlers Universallexikon, (s.o.). 159 Herder, ebd., 552. 160 Ebd.

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Einfühlen in die Seele von Zeitaltern und Völkern«,161 geht indirekt von einer Überlegenheit des Deutschen vor allen anderen Sprachen aus. Qua LutherÜbersetzung war nicht nur das Konzept der heiligen, auserwählten, vollkommenen, universalen Sprache vom Hebräischen auf das Deutsche, sondern ebenso das biblische Konzept der Auserwähltheit auf die deutsche Nation transferiert worden.162 Damit die so postulierte Hegemoniestellung der deutschen Sprache und Literatur gegenüber allen anderen Nationalsprachen und -literaturen behauptet werden konnte, musste das altbewährte Instrument der Übersetzung erneut und nun in umgekehrter Richtung zum Einsatz kommen: »Wenn wir von allen Völkern ihr Bestes uns eigen machten: so wären wir unter ihnen das, was der Mensch gegen alle die Neben- und Mitgeschöpfe ist, von denen er Künste gelernt hat. Er kam zuletzt, sah Jedem seine Art ab und übertrifft oder regiert sie alle.«163

Der universal und kosmopolitisch angelegte Poesie- und Literaturbegriff suggeriert so zwar das Nebeneinander verschiedener Kulturen, Sprachen und Literaturen, denen auf der Basis ihrer disparaten Bildungsgeschichten ein rechtmäßiges Autonomiebedürfnis zugestanden wird. Gleichzeitig bleibt es bei einem monolithischen Nebeneinander der verschiedenen Kulturen. Auf dieser Grundlage kann sich jedes nationale Autonomiestreben nur als singulär verstehen, wenn es sich exklusiv im Kampf gegen andere Kulturen durchsetzt und indem es seine höhere Originalität permanent neu nachweist. Diversität entsteht so in Form hegemonialer und hierarchischer Muster miteinander konkurrierender Kulturen, nicht als Qualität von Kultur selbst.164 So wie die Lutherische Bibelübersetzung eine »translatio« vom römischen Regensburg zum protestantischen Wittenberg einleitete, soll die Übersetzung der Literaturen der Welt in die deutsche Sprache Herders Idee einer Nationalliteratur als Weltliteratur den Weg bereiten. Der Protestantismus steht noch nicht am Ende seiner paulinischen Mission. Herders aufklärerische Vision einer friedlichen Weltgesellschaft, in der die Nationen als »Vaterländer« ruhig nebeneinander liegen werden, da es »der ärgste Barbarismus der menschlichen Sprache« sei, wenn »Vaterländer gegen Vaterländer im Blut-

161 Wilhelm Dilthey: Die Entstehung der Hermeneutik (1900). In: Ders.: Gesammelte Schriften, Bd. V. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1924, 317–383, 326f. 162 Charles Blattberg: Secular nationhood? The importance of language in the life of Nations. In: Nations and Nationalism 12:4 (2006), 597–612, 600; vgl. auch Umberto Eco: Auf der Suche nach der vollkommenen Sprache. München: dtv, 1997 (Orig.: La ricerca della lingua perfetta nella cultura europea), 84. 163 Herder, Briefe zur Beförderung der Humanität, 101. Brief, FA 7, 551. 164 Erst Karl Barth hatte gegen die religionsgeschichtliche Schule, insbesondere gegen Ernst Troeltsch, auf das Problem der historischen Methode hingewiesen, Variation nur in Form von Analogien erfassen zu können, d.h. des Vergleiches an Hand einer festgelegten Norm von Qualität (Burnett, Karl Barth’s Theological Exegesis, 188).

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kampf«165 stehen, scheint erst dann garantiert, wenn die deutsche Sprache siegreich aus dem Wettstreit der »Muttersprachen« hervorgegangen ist. Wie für viele deutsche Intellektuelle stellte auch für Herder die Französische Revolution eine Zäsur dar, die nicht nur die Aporien seiner Vielvölker-Idee aufdeckten, sondern auch die partikularen Interessen, die seine humanistischen und universalen Ideale begleiteten. Anders als seine sonstigen Betrachtungen zu Judentum, Altem Testament, hebräischer Sprache und Poesie widmet sich Herder in Bekehrung der Juden der zeitgenössischen, jüdischen Minderheitenproblematik. Herder sieht in den Juden ein fremdes asiatisches Volk, dem er den Status einer Nation abspricht und stellt die Frage nach der wirtschaftlichen und politischen Nützlichkeit der Juden,166 deren inhärenten Funktionalismus Mendelssohn schon 1782 mit seiner Vorrede zur Übersetzung von R. Menasseh ben Israels Vindiciae Judaeorum (Rettung der Juden) dezidiert abgelehnt hatte. Es ist kein Zufall, dass die Stellungnahme zur politischen Emanzipation der Juden gleichsam exemplarisch die Grenzen von Herders Pluralismus sichtbar werden lässt.167 Um die Erfahrung der Napoleonischen Kriege reicher, wird dann Johann Gottlieb Fichte in seinen Reden an die deutsche Nation dazu aufrufen, den Kampf der Sprachen und Kulturen auf dem Schlachtfeld fortzuführen, um die politische Unabhängigkeit Deutschlands wiederherzustellen. Wenn er der Befreiung Deutschlands aus der französischen Fremdherrschaft menschheitsgeschichtliche Bedeutung beimisst, schließt er unmittelbar an die bei Herder angelegten konzeptionellen Tendenzen an.168 So sehr sich die Beiträge zu einer Theorie der Nationalsprache Herders und Fichtes von denen anderer Denker wie Klopstock (1724–1803), Voss (1751– 1826), Hamann (1730–1788), Alexander (1769–1859) und Wilhelm Humboldt (1767–1835) auch unterschieden, so ist ihnen allen gemein, dass sie den Universalismusanspruch der Aufklärung auf der Grundlage des deutschen Nationalgedankens hinterfragten.169 Die von ihnen entwickelten Konzepte von Nationalsprache und -literatur nahmen den heraufziehenden deutschen Nationalstaat entweder vorweg oder begleiteten seine Genese. Obwohl sie zum wichtigen Instrument der Durchsetzung der liberalen Postulate der Aufklärung wurden, ließen sie sich nur teilweise mit diesen harmonisieren. Herders Nationalismuskonzept ist 165 Herder, Briefe zur Beförderung der Humanität, 57. Brief, FA 7, 338. 166 Vgl. Martin Bollacher: »Feines, Scharfsinniges Volk, ein Wunder der Zeiten!« Herders Verhältnis zum Judentum und zur jüdischen Welt. In: Christoph Schulte (Hg.): Hebräische Poesie und Jüdischer Volksgeist. Die Wirkungsgeschichte von Johann Gottfried Herder im Judentum Mittel- und Osteuropas. Hildesheim et al.: Georg Olms Verlag, 2003, 17–33, 31. 167 Sander Gilman, Jewish Self-Hatred. Anti-Semitism and the Hidden Language of the Jews, 86; Grossman, The Discourse on Yiddish in Germany, 32f. 168 Zum Zusammenhang von Krieg, Sprache und Philosophie bei Fichte: Mufti, Enlightenment in the Colony, 74. 169 Sue Wright, Language Policy and Language Planning, 32f.

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für diese Ambivalenz paradigmatisch. Es formulierte eine ernsthafte Herausforderung an die Aufklärung, indem es zwar an deren universal- und popularphilosophischen Erziehungsauftrag anknüpfte, mit dessen national-kultureller Implementierung diesem aber die Ursprünglichkeit partikularer Völker, Kulturen und Sprachen als konkurrierende Norm entgegensetzte. In seinem geschichtsphilosophischen und kulturnationalistischen Ansatz ist das Individuum nicht nur Teil der Menschheit, sondern in erster Linie Angehöriger einer distinkten nationalen Gruppierung, die sich von anderen Gruppen durch natürliche Merkmale, eine je eigene Geschichte, Sprache, Poesie und Literatur unterscheidet. Die Relation von National- und Universalsprache bleibt bei Herder mehrdeutig.170 Seine aufklärerische Agenda folgt einem partikularen Ziel, dass sich ganz konkret auf die Erziehung der »Völker Deutschlands« zu einem politischen Gebilde bezieht, welches die deutsche Nation als »eigne, unverfälschte, originale Nation« sichtbar werden lässt.171 Der erste Schritt auf dem Weg zu diesem Ziel ist die Sprachreform, der letzte die politische Macht, wie Herders klimaktische Aufzählung der auszubildenden (deutschen) Tugenden verrät: »Mittelst der Sprache wird eine Nation erzogen und gebildet; mittelst der Sprache wird sie Ordnung- und Ehrliebend, folgsam, gesittet, umgänglich, berühmt, fleißig und mächtig.«172 Die eher implizit als explizit und eher unkonkret als präzis formulierte politische Agenda ermöglichte eine große Varianz der Interpretationen, die sich dem Beispiel Herders folgend ebenfalls in Sprach- und Literaturbegriffen Bahn brachen. Indem Herders Theorie der Nationalsprache zum linguistischen Leitparadigma der europäischen Nationalstaatenbewegungen wurde,173 kam der Diskussion um Sprachund Literaturbegriffe zunehmend politische Bedeutung zu. Sowohl in der polemischen Rezeption von Moses Mendelssohns Sprachpolitik als auch in Form ihrer monolingualen Überfremdung hat sich diese Diskursprägung auf die Mendelssohn-Rezeption in doppelter Hinsicht ausgewirkt. Die systematische Fehlwahrnehmung von Mendelssohns Sprachpolitik ist so in erster Linie ein Spiegel der problematischen Implikationen des nationalsprachlichen Leitnarrativs.

170 Grossman, Discourse on Yiddish in Germany, 29: »Herder challenged the teleological view of the Enlightenment, which advocated universalism but viewed its own development as the norm for that universalism.« Grossman ist der Meinung, dass Herder den »falschen« Universalismus der Aufklärung überwand, indem er »alternatively, placed new value and emphasis on cultures, peoples, and periods in history that did not correspond to the Enlightenment norm«. 171 Herder, Über die neuere deutsche Literatur, Dritte Sammlung, FA 1, 376. 172 Herder, Briefe zur Beförderung der Humanität, 57. Brief, FA 7, 305. (Hervorh., G.S.) 173 Wright, Language Policy and Language Planning, 255.

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iv. Wie »deutschgesinnt« war Mendelssohn? Für die jüdische Minorität stellte bereits die Umsetzung des liberalen Gleichheitspostulats auf nationaler Grundlage eine Bedrohung für die eigene Identität dar, wie das Beispiel Frankreichs zeigt. Das Versprechen der staatsbürgerlichen Anerkennung konnte seiner ambivalenten Grundlegung nicht entkommen. Die aufklärungskritische Tendenz des Nationalismusgedanken aber stellte den jüdischen Emanzipationsgedanken viel grundsätzlicher in Frage. Andererseits schuf sie jedoch die Voraussetzung für eine genuin jüdische Aufklärungskritik resp. die Ausbildung einer jüdischen Nationalidee. Moses Mendelssohn, der 1786 – also drei Jahre vor der Französischen Revolution – starb, wirkte in einer Zeit, in der diese für Minderheiten paradoxale Situation im Entstehen begriffen war. Nicht nur sein berühmter Text Jerusalem, oder über religiöse Macht und Judenthum von 1783, den Dominique Bourel zu Recht die »Charta des modernen Judentums« genannt hat,174 platziert sich in einer Matrix der Widersprüche, die durch Aufklärung und Aufklärungskritik sowie Minoritäts- und Majoritätsbezug vorgegeben war,175 sondern auch das von ihm geleitete Projekt der Tora-Übersetzung (1778–1782) ist genau dort angesiedelt. Bis dahin hatte Mendelssohn zwar den größeren Teil seines umfangreichen Werkes auf Deutsch publiziert, doch nie hatte er Übertragungen von Kerntexten der jüdischen Tradition in deutscher Sprache veröffentlicht. Es handelte sich um ein Novum, dem von Anfang an gleichermaßen Ablehnung wie Zustimmung zu Teil wurde. Die verschiedenen Dimensionen der jüdischen Rezeption von Mendelssohns Sprachpolitik begannen sich so noch zu seinen Lebzeiten abzuzeichnen. Das 1784 von der »Gesellschaft Hebräischer Literaturfreunde« gegründete erste hebräischsprachige, literaturkritische Periodikum, HaMeassef (Der Sammler), das mit größeren und kleineren Unterbrechungen zwischen 1784 und 1811 in Königsberg, Breslau, Berlin, Hamburg und Dessau erschien, gehörte zu den wichtigsten Multiplikatoren des Mendelssohn'schen Sprachenprojektes.176 Die Zeitschrift, die sich der Erneuerung, der Pflege und Reinheit der hebräischen Sprache verpflichtet sah,177 war zweisprachig angelegt 174 Bourel, Moses Mendelssohn, 382. 175 Hierzu Aamir Mufti: »Jerusalem is an attempt to rethink, from within the Enlightenment project, the structure of relations to state and society which define the Enlightenment citizen subject. It is produced […] from the position I described […] as minority: it resists, from within, the resolutions and narratives of ethical development produced within the ›major‹ work« (Enlightenment in the Colony, 43). 176 Die erste Serie des Ha-Meassef publizierte Isaac Euchel zwischen 1784–1786 in Königsberg, und von 1788–1790 in Königsberg und Berlin. Sie wurde unter der Herausgeberschaft von Joel Brill Loewe und Wolfsohn zwischen 1794–1797 in Berlin und Breslau fortgesetzt. Eine zweite Serie wurde von Shalom Hacohen zwischen 1809–1811 in Berlin, Altona und Dessau herausgegeben. 177 Zur Bedeutung der Zeitschrift für die hebräische Haskala vgl. Moshe Pelli: Tchijat ha-lashon hechela ba-haskala: ›Ha-Meassef‹, ktav ha-et ha-ivri ha-rishon, ke-makhshir le-chidush ha-safa (= Die Wiederbelebung der Sprache begann mit der Haskala: ›Ha-Meassef‹, die erste hebräische

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und enthielt von Beginn an ein Supplement, das deutschsprachige Beiträge in hebräischen Lettern abdruckte.178 Erst die Publikationsprojekte auf dem Gebiet der jüdischen Literaturkritik im 19. Jahrhundert führten unter dem Vereinheitlichungsdruck zu einer Trennung des hebräischen und deutschen Sprachenprojektes. Ha-Meassef bereitete so den Weg für eine deutschsprachige jüdische Presse, die von der Zeitschrift Sulamith (1806–1848) erstmals eingelöst wurde,179 stellte aber auch die Weichen für die osteuropäische hebräischsprachige Presse- und Literaturentwicklung.180 Es waren jeweils Meassfim, welche die neuen Zeitschriften gründeten. Shalom Hacohen, der letzte Herausgeber des Ha-Meassef war auch der Herausgeber von Bikkurei ha-‘Ittim (1820–1831), der Zeitschrift, die direkt das Erbe der hebräischen Sprachenpflege antrat und viele Meassef-Beiträge noch einmal publizierte. Auch David Friedländer und Joseph Wolf, die im Jahre 1806 Sulamith gründeten, gehörten zu den regelmäßigen Beiträgern des Ha-Meassef.181 Nur drei Monate vor der Besetzung Dessaus durch Napoleon waren die Herausgeber sich auf der Grundlage eines liberalen Selbstverständnisses einig, dass sie in einer Zeit lebten und wirkten, in der sich die Lage der Juden zunehmend verbesserte. Der Lebensweg Mendelssohns vom Sohn eines mittellosen Toraschreibers aus Dessau zum Berliner Weltweisen und Firmenbesitzer galt ihnen als Symbol für die Verbesserung der Lage der Juden in den deutschen Ländern.182 In der Zeitschrift sahen sie ein Instrument zur Vervollkommnung der Juden zu nützlichen Staatsbürgern.183 Im Zentrum der »Zeitschrift zur Beförderung der Kultur und Humanität unter der jüdischen Nation« – so ihr Untertitel – stand das Wie-

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Zeitschrift, als Instrument der Erneuerung der Sprache). In: Leshonenu La-Am 50:2 (1999), 59– 75. Andrea Schatz, die die inhaltlichen Sprachdiskussionen des Ha-Meassef nachzeichnet, verweist ebenfalls auf die »zweisprachige Ordnung […], in der beide Sprachen, das Hebräische und Deutsche, sich ergänzen« als Charakteristikum der Zeitschrift (Sprache in der Zerstreuung, 268). Tsemah Tsamriyon: Ha-Meassef. The First Modern Periodical in Hebrew (Hebr.). Tel Aviv: University Press, 1988, 75f; Moshe Pelli: The Gate to Haskalah. An Annotated Index to Hame’sef, the First Hebrew Journal (Hebr.). Jerusalem: Magnes Press, 2000, 41, 86f, 173–200. Vgl. das Kapitel »The Periodical ›Sulamith‹ and the Beginnings of Bourgois Judaism« in Benjamin Maria Baader: Gender, Judaism, and bourgois culture in Germany 1800–1870. Bloomington: Indiana University Press, 2006, 19–41; Werner Grossert: »Sulamith« die Friedliebende aus Dessau, 1806–1848. Die erste jüdische Zeitschrift in deutscher Sprache und Schrift. Dessau: MosesMendelssohn-Gesellschaft e.V., 2001, 3–8; zur jüdischen Presseentwicklung im deutschen Sprachraum im 19./20. Jahrhundert vgl. nun die lang erwartete Überblicksdarstellung von Kerstin von der Krone: Wissenschaft in Öffentlichkeit: Die Wissenschaft des Judentums und ihre Zeitschriften. Berlin/Boston: de Gruyter, 2012. Jacob Toury: Die Anfänge des jüdischen Zeitungswesens. In: LBI Bulletin 10 (1967), 93–123; Péter Varga: Die drei Mendelssohns. Wirkungen der deutsch-jüdischen Aufklärung in Osteuropa. Diss.: Universitas Scientiarum Budapestinensis, 2001, 9f. Der Ausstieg Joseph Wolfs aus dem neuen Zeitschriftenprojekt nach nur einem Jahr, deutet ebenfalls auf interne Spannungen, vgl.: Grossert, »Sulamith« die Friedliebende aus Dessau, 15. Grossert, »Sulamith« die Friedliebende aus Dessau, 90. Sulamith 1.2 (1807), 1f.

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dererwachen, die Bildung und Vervollkommnung der jüdischen Nation. Dass sich die Herausgeber mit der Wahl des sprachlichen Mediums in einen Zwiespalt begaben, ist nur daran erkennbar, dass die Problematisierung des Themas fast ganz ausgespart blieb. In Joseph Wolfs kurzer Einleitung »Vom Inhalt, Zweck und Titel dieser Zeitschrift« wird die Sprachenfrage überhaupt nicht berührt, obwohl ihn an der jüdischen Nation nicht das Allgemeine sondern deren wesentliche Eigenschaften interessieren, das heißt: »das Besondere, das Nationelle, das Menschen von Menschen unterscheidet.«184 Die Sprache scheint kein Kriterium dieser Unterscheidung zu sein. Der zweite Gründer, David Fränkel, wirft in seinem Programmtext die Frage wie am Rande und nur rhetorisch auf: »Die Herausgabe einer deutschen Zeitschrift für die jüdische Nation ist der erste Versuch seiner Art. Die Frage: wie wird sie aufgenommen werden? muß sich also, wie leicht zu erachten bei dem Schreiben einer jeden Zeile nothwendig aufdringen.«185 Mit der Zeitschrift wird also eine linguistische Wende vollzogen, die zugleich auch eine politische darstellt. Sie ist jeder Zeile der ersten Ausgabe von Sulamith bewusst aufgeprägt. Das war nur möglich, weil Sulamith eine jüdische Öffentlichkeit in deutscher Sprache zum Vorschein brachte, die in der mündlichen Kommunikation, in den literarischen Salons, im Briefverkehr, in Form von Publikationen und deren Leserschaft längst existierte. Sulamith ist der Beginn einer sich immer weiter ausdifferenzierenden jüdischen Presselandschaft in deutscher Sprache, die am Ende des 19. Jahrhunderts kaum mehr zu überblicken sein wird.186 Moses Mendelssohn wird zum Gründungsmythos dieses, des jüdischen Gebrauchs der deutschen Sprache. Wie die meisten ihrer Generation, sah die bekannte Vertreterin der Berliner Salonkultur, Rahel (Levin) Varnhagen-Ense (1771–1833), in Mendelssohn daher den Spracherzieher der deutschen Juden und lobte seinen deutschen Schreibstil als unerreicht. Mendelssohns Bibelübersetzung, so ihr Plädoyer, soll ganz in die deutsche Sprache geholt und in deutschen Lettern – nicht in hebräischen und auch nicht in lateinischen (sic!) – gesetzt werden.187 Ganz im Zuge die184 Joseph Wolf, Sulamith 1.1 (1806), 1–11, 1: »Jedes Volk hat seine eignen Anlagen und Bedürfnisse, seine eignen Begriffe und Fähigkeiten. In seinem frühern Entstehen haben sie ihren Grund, in der Art seiner Organisation ihre Selbstständigkeit und Dauer, und sind daher, als wesentliche Eigenschaften, von der Existenz desselben untrennbar. Der uneingenommene Menschenbeobachter wird sie nicht in Nebendingen und Zufälligkeiten suchen, er wird nicht muthwillig streben, den Grund ihres Seyns in dem allgemeinen Menschencharakter entdecken zu wollen; denn hier findet er nur den Menschen, nicht das Besondere, das Nationelle, das Menschen von Menschen unterscheidet.« 185 David Fränkel: Vorläufige Bemerkungen über die zweckmäßigsten Mittel zur Beförderung der Kultur und Humanität unter der jüdischen Nation. In: Sulamith 1.1 (1806), 12–40, 37. 186 Vgl. Das Online-Wissenschaftsportal für Jüdische Studien: http://www.compactmemory.de/, das über hundert jüdische Periodika in deutscher Sprache zwischen 1806 und 1938 in digitalisierter Form präsentiert. 187 Rahel (Levin) Varnhagen-Ense in einem Brief vom 28. Oktober 1817 zum Druck der Bibelübersetzung in deutschen Lettern In: Karl August Varnhagen von Ense (Hg.): Rahel. Ein Buch des

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ses neuen Zeitgeistes verzichteten die Herausgeber der ersten Werkausgabe Moses Mendelssohns – unter dem Titel Gesammelte Schriften – ganz auf die Aufnahme der hebräischen Schriften.188 Der Begründer der »Wissenschaft des Judentums«, Leopold Zunz (1794– 1886), gehörte zu denjenigen, die nicht nur Mendelssohns deutsche Sprachreform zu würdigen wussten, sondern vielmehr Mendelssohns Doppelreform als emanzipationspolitisches Unternehmen fortführten.189 Für Zunz war es »Mendelssohns pentateuchische Version, in welcher der Genius der hebräischen und der der deutschen Sprache mit vereinter Kraft dem Jüdisch-deutschen den Todesstreich versetzte«, wie Zunz in Die gottesdienstlichen Vorträge der Juden schreibt.190 Für Zunz ermöglichte Mendelssohns sprachschöpferische Leistung überhaupt erst die staatsbürgerliche Emanzipation, durch die das Judentum wieder Anschluss finden Andenkens für ihre Freunde. Berlin: Duncker & Humblot, 1834, 492: »Da die Neujuden es nun einmal – in die Wette mit den Neuchristen – durchgesetzt haben, ihre Mädchen einzusegnen – die bisher, rein unter Gottes Obhut blühten – und in besondern Kapellen und Tempeln deutsch zu predigen und zu beten, und modernen Cermeonien zu folgen, so soll er mir helfen, daß auch das Gute davon entstehe, daß des Moses Mendelssohn Übersetzung der Bücher Moses, in wirklich deutschen – aber nicht lateinischen, sondern deutschen wie Luthers Bibel – gedruckt werde. Es schreibt bis jetzt niemand besser Deutsch, als dieser wahrhafte Künstler in der Sache; Hebräisch wusste er gewiß sehr gut: ich bin gewiß, die Übersetzung ist ein Meisterstück, ganz deutsch, und doch dem Originale nah. Wer aber kann sie mit jüdischen Lettern lesen?« 188 Das sechsbändige Werk erschien zwischen 1843–45 und war ein Unternehmen der Familie Mendelssohn. Moses Mendelssohn: Moses Mendelssohn’s gesammelte Schriften. Nach den Originaldrucken und Handschriften herausgegeben von G.B. Mendelssohn. Leipzig: Brockhaus, 1845. Ausführlich zu den Hintergründen der Edition: David Sorkin, Mendelssohn Myth and Its Method, 8–14. 189 Zu Zunz' sprachpolitischem Projekt vgl. zuletzt Stephan Braeses Bestandsaufnahme (Eine europäische Sprache, 104–108), der jedoch in seiner Darstellung unkritisch der Perspektive Heinrich Heines auf die Sprachdiskussion im »Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden« folgt. In seiner Darstellung von Heines Parodie auf das sprachreformatorische Projekt Zunz' wird letzteres in seiner Eigenständigkeit nicht beachtet. So geht auch vollkommen unter, dass Heines sprachkritische Parodie auf die Zeitschrift des Vereins mit den sprachpolitischen Kategorien arbeitet, die Zunz im Austausch mit den anderen Vereinsmitgliedern entwickelt hatte. Wenn Heinrich Heine als »Der jüdische Dichter zwischen den Sprachen« (ebd., 110) bezeichnet wird, ist das in Bezug auf die herkömmlichen, jüdischen Sprachen (Jiddisch und Hebräisch) nur in einem sehr eingeschränkten Sinne richtig, denn Heine, der sich zwar mit seiner jüdischen Identität als Schriftsteller und Poet sehr umfassend auseinandersetzte und zu originellen Ausdrucksformen fand, hatte sich frühzeitig und eindeutig für das Deutsche als künstlerisches Ausdrucksmedium entschieden. Im Hinblick auf den traditionellen jüdischen Multilingualismus bezeichnet Heines moderne Zweisprachigkeit zwischen Deutsch und Französisch eine Zäsur, die m.W. als solche noch nicht untersucht wurde. Vgl. im Gegensatz dazu Zunz, der sich freilich nicht als Literat, sondern als Wissenschaftler verstand, und exemplarisch seine Herausgeberschaft und hebräische Einleitung zu Nachman Krochmal: Sefer More Nevuchei ha-Sman (= Führer der Unschlüssigen dieser Zeit). Lemberg: 1851. 190 Leopold Zunz: Die gottesdienstlichen Vorträge der Juden historisch entwickelt. Ein Beitrag zur Altertumskunde und biblischen Kritik, zur Literatur- und Religionsgeschichte. Hildesheim: Georg Olms Verlagsbuchhandlung, 1966, 450.

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sollte an die eigene, abgerissene Tradition. Zunz ging es wie Mendelssohn um eine Entmischung der Sprachen. Das Jüdisch-deutsche bzw. Westjiddische – das auch Zunz' Muttersprache war – wird v.a. deshalb von beiden abgelehnt. Jedoch setzte Zunz nicht nur einen viel deutlicheren Akzent auf Mendelssohns Beitrag zur Verdrängung des West-Jiddischen, sondern schob dessen deutsche Übersetzungsleistung und Sprachreform viel stärker in den Fokus als Mendelssohn selbst das je getan hatte. Zunz kommt hierauf im Kapitel »Gegenwart« der Gottesdienstlichen Vorträge ausführlich zu sprechen: »Schnell verdrängte die neue Uebersetzung alles bisherige der Art, und die grosse Anzahl von Auflagen derselben bezeugte die bleibende Herrschaft des Hochdeutschen, die gleichzeitig auch durch Kaiser Joseph's Edict gefördert wurde. […] Als nun vollends die Verbesserung des Schulunterrichts, die Einführung guter Lehrbücher und die Verbreitung deutscher Lectüre mit der bürgerlichen Freimachung der Juden, mit civilisirenden, stets die deutsche Sprache begünstigenden Gesetzen zusammentrafen: wurde das Jüdisch-deutsche aus der Umgangssprache, den Schulen, dem Munde der Lehrer und Rabbiner, aus der Literatur und dem Gottesdienste gänzlich verdrängt. Mit diesem wesentlichen Fortschritt war ein grösserer Anbau der Wissenschaft, eine Fürsorge für Erziehung und Schulanstalten innig verknüpft.«191

In seiner Festrede auf der Berliner Feier zu Ehren von Mendelssohns hundertstem Geburtstag wiederholte Zunz diese Thesen an prominenter und öffentlicher Stelle.192 Die Verdrängung des Westjiddischen aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens stellte für Zunz die Voraussetzung für den Fortschritt in der Wissenschaft dar. Es ist nun besonders interessant, dass Zunz auf dieser Grundlage auch die Revitalisierung des Hebräischen postulierte, denn »Hebräische Grammatik und Poesie« könnten so »wieder auf deutschen Boden verpflanzt« werden: »Wie vor dem Deutschen das Jüdisch-deutsche floh, also vor der correcten Sprache der schlechte hebräische Stil. Statt der langen Sätze voll von Reminiscenzen und leer an Inhalt, kehrte in die jüdischen Werke ein gediegener Vortrag ein, der Reize darbot und geistige Speise. Philosophie und die Schätze fremder Literaturen wurden vermittelst der hebräischen Sprache unter Israel heimisch, und nächst R. Herz Wessely haben in dieser Hinsicht besonders die in Deutschland erschienenen hebräischen Zeitschriften Verdienst.«193

191 Ebd., 452f. 192 »Moses Mendelssohn war es, der ihnen zuerst die Mosaischen Bücher in einer verständlichen, schönen Übersetzung darreichte. Vielfältige traurige Ursachen hatten unsere Glaubensbrüder seit einigen Jahrhunderten dem Hochdeutschen völlig entfremdet […] Auch Moses übrige deutsche Schriften haben die Kenntnis der deutschen Sprache bei seinen Glaubensgenossen sehr befördert« (Leopold Zunz: Rede, gehalten bei der Feier von Moses Mendelssohns hundertjährigem Geburtstage, den 12. Elul oder 10. September 1829 zu Berlin, von L. Zunz. In: Leopold Zunz: Gesammelte Schriften. Herausgegeben vom Curatorium »Zunzstiftung«. 3 Bände in einem Band, 2. Bd. Hildesheim: Georg Olms Verlagsbuchhandlung, 1976, 102–115, 106f). 193 Zunz, Die gottesdienstlichen Vorträge der Juden, 468.

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Für Zunz hatte sich die postulierte Erneuerung und Verbesserung des hebräischen Stils vor allem der hochdeutschen Sprachreform zu verdanken. So wie das Jüdisch-deutsche dem Deutschen gewichen war, so sollte der schlechte hebräische Stil einer korrekten Sprache weichen.194 Die Einführung der deutschen Sprache in die Synagoge – für Zunz der genuine »Ausdruck jüdischer Nationalität« – sollte die »uralte« und zentrale jüdische Institution vor dem Verfall retten.195 Die Verbesserung des Hebräischen wurde so zum erwünschten Effekt der deutschen Reform, blieb aber der deutschen Reform unter- und nachgeordnet. Damit nahm Zunz, der Mendelssohns emanzipatorisches und sprachpolitisches Reformwerk fortführte, eine neue Schwerpunktsetzung vor, im Zuge derer Hebräisch und Deutsch neu ins Verhältnis gesetzt wurden. Für beide war das Hebräische die Nationalsprache der Juden und das Deutsche vor allem die Amtssprache des Staates, unter dessen Herrschaft Juden lebten. Jedoch hatten sich die Sprachregelungen der Umgebung geändert. Mit der Ausbildung des deutschen Nationalstaates ging die Amtssprache des Preußischen Staates eine nahezu symbiotische Verknüpfung mit nationalsprachlichen Konzepten ein. Dementsprechend folgte auch Zunz' Liberalismuskonzept nationalstaatlichen Setzungen. Er verwendete nicht nur die Begriffe »Gesellschaft«, »Volk«, »Nation« und »Staat« nahezu bedeutungskongruent, sondern unterschied auch nicht zwischen Nationalsprache und Amtssprache.196 Mendelssohns politisch determinierter Multilingualismus, demzufolge die heilige Sprache, das Hebräische als Nationalsprache der Juden sowie die jeweilige

194 Ebd. 195 Ebd., 454. 196 In einer Demokratie sei das sich selbst regierende Volk der Urheber der gemeinsamen Taten, welche in ihrem Zusammenhang das Volksleben verkörpern, während »die auf diese Weise lebendig thätige Nation […] den S t a a t bildet. Der Staat ist keine Menagerie, wo wilde Thiere im Käfig gefüttert, keine Meierei, wo zahme Thiere regelrecht geschoren werden, er ist das einheitliche Wesen des mündigen Volkes, welches lebt; das organische Leben des Volkes aber fällt zusammen mit dem Dasein des Volkes, und so ist der Staat weder über uns und wir seine Untergebenen, noch neben uns, und wir müssten mit ihm kämpfen, denn er ist überhaupt nicht außer uns. Wir sind der Staat, Jeder ist ein Mitglied des Staates, in Jedem spiegelt der Staat sich ab; Jeder fühlt sich als zu ihm unzerreissbar gehörig, Jeder dient dem Ganzen. Alle sind dann Staatsdiener, und den ersten Staatsdiener nannte sich schon Friedrich der Grosse. Keiner aber ist ein Unterthan, die Unterthanenschaft steht im Widerspruch mit dem Begriffe der Mündigkeit, die nur dem von ihr selbst mit kundgegebenen Gesammtwillen sich unterordnet« (Die Prinzipien der Demokratie. Ein im 8. Berliner Volksverein gehaltener Vortrag des Dr. Zunz. Berlin: K. W. Krügers Verlagsbuchhandlung, 1849. Zitiert nach: Leopold Zunz: Gesammelte Schriften. Hrsg. vom Curatorium »Zunzstiftung«. 3 Bände in einem Band, Bd. 1. Hildesheim: Georg Olms Verlagsbuchhandlung, 1976, 308–325, 315); Vgl. auch Leopold Zunz: Politisch und nicht politisch. Vortrag des Herrn Dr. Zunz, gehalten am 20. Februar 1862 im Verein junger Kaufleute von Berlin. Berlin: W. Adolf & Co., 1862. Zitiert nach: Ebd., 325–332, 327): »Da dieser Mann nicht jener verschlagene Robinson sondern ein Mitglied der Gesellschaft ist, fortwährend Andere stösst und Andern gestossen wird, von zahllosen Beziehungen bestimmt, die man den Staat nennt, so ist er ein Bürger, d.i. ein Mitglied des Staates, der Nation.«

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Amtssprache des Staates idealerweise friedlich koexistieren sollten,197 wird von Zunz in das Nebeneinander zweier verschiedener Nationalsprachenkonzepte transformiert: Hebräisch ist partikulare Nationalsprache der Juden, Deutsch Nationalsprache des aufkommenden deutschen Nationalstaates mit universalem, auf das Gemeinwesen bezogenem Anspruch. Die partikulare Dimension der deutschen Nationalsprache geriet Zunz nicht zufällig aus dem Blick. Die Identität von majoritärer Nationalsprache, Universalsprache und politscher Amtssprache war in den Invarianzen des französischen Versprechens auf bürgerliche Gleichheit und Meinungsfreiheit genauso angelegt wie in Herders Kulturnationalismus. Zunz' politische Schriften bekennen sich konsequent zur universalen Agenda der Französischen Revolution. Wenn Zunz in seiner 1849er Demokratie-Rede als erstes Prinzip der Demokratie »die Gleichberechtigung« nennt, dann verbindet er damit eine konkrete und zwar egalitäre Rechtsvorstellung: »Es hat in der gesammten Nation Niemand ein Vorrecht. Dies ist der Urquell, welcher der Demokratie die Nahrung zuführt.«198 Das Prinzip der Gleichheit, verstanden als Prinzip der rechtlichen Gleichstellung aller Bürger, bildet für Zunz das Fundament des demokratischen Staates. Die Abschaffung der vormodernen Privilegien, welche einzelnen Klassen mehr Rechte verschaffen, ist für ihn das Initialmoment der demokratischen Rechtsgleichheit. Die Abstammung, der Glauben, die Haut, Beschäftigung und Besitz benennt Zunz als die Ursachen der Rechtsungleichheit unter den Bürgern des vordemokratischen Staates.199 Unterschiede in den fünf von Zunz genannten Kategorien bedingen politische Vorrechte auf der einen Seite und verursachen Unterdrückung auf der anderen. Den Klassikern der Theorie des Nationalstaates zu Folge determinieren aber geographische Herkunft, Abstammung und Muttersprache das Egalitätsprinzip des Nationalstaates überhaupt erst.200 Damit liegen dem Gleichheitspostulat ähnliche Kategorien zu Grunde wie den abzuschaffenden Privilegien selbst, sie definieren exklusiv, wer dazu gehört und wer nicht. Zunz war überzeugter Europäer, Zeit seines Lebens folgte er »dem Ideal eines aufgeklärten, demokratischen […] Europa«.201 Die Einforderung des Gleichheitsprinzips hat bei ihm keine nationale sondern eine menschenrechtliche Grundlage. Für Zunz war die 1789er Revolution nicht beendet, sondern ein anhaltender Prozess, weil »die Ursachen der Revolution […] noch nicht überall be-

197 198 199 200

Vgl. hierzu Kap. II. Zunz, Die Prinzipien der Demokratie, 308. Zunz, Die Prinzipien der Demokratie, 310. Bernhard Giesen: Die Entdinglichung des Sozialen. Eine evolutionstheoretische Perspektive auf die Postmoderne. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1991, 198–201. 201 Manfred Voigts: Die ›Deutschen Briefe‹ von Leopold Zunz. In: Mark H. Gelber/Jacob Hessing/Robert Jütte (Hgg.): Integration und Ausgrenzung: Studien zur deutsch-jüdischen Literatur. Berlin/N. Y.: De Gruyter, 2009, 131–152, 134.

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seitigt« seien.202 Indem er als Mitbegründer des »Vereins für Cultur und Wissenschaft des Judentums« eine Wissenschaftsbewegung ins Leben gerufen hatte, die sich ganz konkret auf die politisch-rechtliche Gleichstellung der jüdischen Minderheit im Preußischen Staat bezog,203 reihte sich das jüdische Reformprojekt in die allgemeine Gesellschaftsreform ein, für die Zunz sehr frühzeitig eintrat. Bereits in den 40er Jahren hatte er sich der »Demokratischen Bewegung« angeschlossen. Im Zuge der Revolutionsereignisse um 1848, wandte er sich dann – wie viele andere auch – vehement der Politik zu. Die Ereignisse schärften die Konturen seiner liberal-demokratischen Position innerhalb der komplexen Debatten um Reaktion, Nationalstaat, Demokratie, Sozialismus, und Anarchismus und ließen wohl auch nicht zuletzt deren inhärente Widersprüche klarer hervortreten. Spätestens in dem Moment, wo in Deutschland die politische Realisierung des französischen Versprechens möglich schien, wurde die Palette der unterschiedlichen Hoffnungen, die das Versprechen ausgelöst hatte, in ihren Gewichtungen nach der nationalen oder universellen Seite sichtbar.204 Zunz hat nie verborgen, dass sich sein jüdisches Wissenschaftsprogramm in eine politische Agenda einfügt. Im Februar 1862, in seinem Vortrag Politisch und nicht politisch im »Verein junger Kaufleute von Berlin« heißt es: »Jede Wissenschaft ist politisch, denn Wissenschaft ist ein zusammenhängendes Wissen vom Werden und Fortgang eines schöpferischen Gedankens und von dem, was dieser Gedanke in der menschlichen Gesellschaft hervorgebracht hat. Jede Arbeit kann durch ihre Anwendung ein politischer Stoff werden.«205

Das Beispiel einer solchen Arbeit, das Zunz im Zusammenhang des Vortrages zur Illustration wählt, ist das der »Sprachkunde«.206 Die Sprache ist für Zunz nicht nur das wichtigste Instrument des Wissenschaftlers, sondern verbindet auch die Wissenschaft mit der Politik. Das erste Prinzip der Demokratie, die Gleichberechtigung, fordert Zunz für die jüdische Minderheit auf dem Boden der deutschen Sprache ein. Das utopische Ideal der Gleichheit aller Bürger soll in einer andau202 Leopold Zunz: Revolution. Vortrag des Herrn Dr. Zunz, gehalten am 5. Juli 1865 im BezirksVerein der alten Stadtbezirke 78–81. In: Leopold Zunz: Gesammelte Schriften. Hrsg. vom Curatorium »Zunzstiftung«. 3 Bände in einem Band, Bd. 1. Hildesheim: Georg Olms Verlagsbuchhandlung, 1976, 347–354, 353. 203 Der Name des 1819 gegründeten Wissenschaftszirkels lautete zunächst »Verein zur Verbesserung des Zustandes der Juden im deutschen Bundesstaate«. 204 Richard Wagners berühmte reaktionäre Wende infolge der Revolutionsereignisse ist ein Beispiel für deren kritische Auswertung aus deutsch-nationaler Perspektive. Vgl. v.a.: »Die Kunst und die Revolution« von 1849. In: Sven Friedrich (Hg.): Richard Wagner. Werke, Schriften und Briefe. Berlin: Digitale Bibliothek, 2004, 1.025–1.082. Wagner ließ die liberalen und sozialistischen Gesellschaftskonzepte gerade wegen ihrer Indifferenz in der deutsch-nationalen und jüdischen Frage hinter sich, die nach 1848 immer mehr zum Testfall der politischen Programme und Theorien wurden. 205 Zunz, Politisch und nicht politisch, 330. 206 Ebd.

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ernden Revolution verwirklicht werden. Erst wenn »der Boden gepflügt« ist – so prophezeit Zunz in messianischem Duktus – und »alles Unkraut der Vorrechte vertilgt, die Steine der hundertjährigen Unterdrückungen aus dem Wege geräumt« sind, so »dass ein freies, ungebeugtes […] Geschlecht von Gleichen emporkomme«, erst dann mag die Liebe den Thau ihrer Milde ausgiessen, dass jede Kraft, auch die kleine, sich entfalte, auszusöhnen das Schwache mit dem Starken; sie wird keine Almosen des Privilegiums spenden, sondern für die Gleichberechtigten Liebesgaben.«207 Das reale Gefälle zwischen der eigenen jüdischen Herkunft, dem damit verbundenen politischen Minoritätsstatus und dem deutschen Nationalgedanken nivelliert Zunz in der utopischen Vorwegnahme dessen, was sein sollte, aber noch nicht ist. In dieser Utopie verschwindet das deutsche Judentum als distinkte Gruppe. Indem jedoch die Utopie in Endzeitmetaphorik beschrieben wird, die den Prophetenbüchern entlehnt ist, ist in erster Linie auf den Prozess verwiesen, der zur Einlösung des Gesellschaftsideals führt. Dass der Sprache, bzw. ganz konkret der deutschen Sprache, eine besondere Bedeutung für diesen Prozess zugesprochen wird, erklärt sich aus der Tatsache, dass diese – anders als geographische Herkunft, Abstammung und Hautfarbe – willentlich erworben, angeeignet, verbessert, erweitert, reformiert und vervollkommnet werden kann: »Leib und Seele, Luft und Sprache, Geist und Empfindung bleiben,« wie Zunz in den Namen der Juden sagt, »jedes Menschen unverletzliches Eigenthum.«208 Die Sprache wird Zunz zum Garanten der Einlösung eines Ideals aber auch zum Gradmesser des Zustandes der Gesellschaft. Dass Zunz' Augenmerk sich immer wieder neu den Barbarismen der deutschen Sprache, ihrer Überfremdung, Reinheit und Korrektheit widmet, hängt hiermit zusammen. In den Deutschen Briefen von 1872 fordert er im Fahrwasser Herders die Bereinigung des Deutschen von Fremdwörtern, dabei insbesondere von französischen Implementen und Überformungen. Vor dem Hintergrund des gerade beendeten deutsch-französischen Krieges von 1870/71 wertet Zunz den Verfall und Niedergang der deutschen Sprache kultur- und gesellschaftskritisch aus und konstatiert: »Der Vernachlässigung des eigenen Sprachschatzes folgt der bürgerliche Verfall, die Abschwächung der ureigenen Stammeskraft. Alle Großthaten der Soldaten helfen nichts gegen innere Krebsschaden: dem Verderbniß der Sprache folgt die der Sprechenden.«209

Nicht nur der Zustand der hebräischen Sprache, sondern auch der Erfolg der jüdischen Emanzipation sind für Zunz vom Zustand der deutschen Sprache unter Juden und Nichtjuden abhängig. Zunz' Schrift Die Namen der Juden entwickelt diesen Zusammenhang systematisch. In einer langen historiologisch angelegten Apologie verteidigt sie den jüdischen Gebrauch deutscher Namen: »Persische und 207 Zunz, Die Prinzipien der Demokratie, 311. 208 Leopold Zunz: Namen der Juden. Eine geschichtliche Untersuchung. Leipzig: L. Fort, 1837, 124. 209 Leopold Zunz: Deutsche Briefe. Leipzig: Brockhaus, 1872, 5.

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syrische, griechische und römische, arabische und mittelalterliche Namen haben ihren Weg zu den Familien Israels gefunden. […] Uralt ist es, dass Juden europäische Namen führen, dass sie altübliche im Stich lassen, jüngere […] auswählen, dass sie Namen ändern, übertragen, einführen.«210 Die Anlage von Zunz' Schrift folgt Mendelssohns Verteidigung der deutschen Pentateuch-Übersetzung in Or laNetiva,211 verteidigt wird von Zunz hier aber nicht die Enteignung der schriftlichen Tora in eine fremde Sprache – das Deutsche –, sondern vielmehr fordert er für deutsche Juden das Recht ein, deutsche Namen tragen zu dürfen. Wie von Mendelssohn vorgegeben, ordnet sich die deutsche Sprache in Zunz' Argument in einen diachronen, jüdischen Multilingualismus ein. Bezüglich der Vor- und Taufnamen der Christen in Deutschland schreibt Zunz:212 »Die deutschen [Namen] gehören der deutschen Sprache an, die sie im Heidenthume geboren hat, und bleiben, wie ihre Mutter, ein freies, von Gott jedem deutsch redenden, jedem, welcher dieses als seine Muttersprache anerkennt, verliehenes Eigenthum, dessen er nicht verlustig gehet, wenn er das Christenthum nie gehabt, oder nicht länger haben will. Die deutschen Juden haben keine andere Sprache, folglich gehören ihnen die Eigennamen eben so rechtmässig, als die Gattungswörter, und nur wer ihnen die Sprache zu nehmen vermag, soll Namen verbieten.«213

Das individuelle Bekenntnis zur deutschen Sprache, dessen Neutralität in Bezug auf das Christentum für Zunz gesichert schien,214 entschied über die Zugehörigkeit zur Nation. Die Sprache war damit nicht mehr angestammtes Merkmal der Nation (wie in Herders Kulturnationalismus), sondern generierte diese im Akt der Besitzergreifung überhaupt erst. Richard Wagners linguistischer Antisemitismus reagierte auf die hier zu Tage tretende Differenz der Nationalsprachenbegriffe mit Polemik.215 Der jüdische Gebrauch des Deutschen wurde ihm zum Paradigma der nationalen Bedrohung. Wagner gelangte zu folgendem Fazit: Hebräisch, die Sprache der Juden, sei tot; Deutsch, die Nationalsprache der Deutschen, werde für Juden immer eine fremde Sprache bleiben, da diese nicht »unbewusst« in der deutschen Sprach- und Volksgemeinschaft aufgewachsen, sondern im besten Falle Zuschauer ihrer Ausbildung und Entwicklung gewesen waren. Seit jeher außerhalb der »geschichtlichen Gemeinsamkeit« stehend, in der das Deutsche schöpfe-

Zunz, Namen der Juden, 101. Hierzu ausführlich Kap. II.i.–ii. Ebd., 120. Ebd., 121. Das natürlich ganz im Gegensatz zu Herders Nationalsprachenreform, die sich als Fortsetzung/Vollendung der Lutherischen Reform verstand, vgl. Kap. I.iii. 215 Vgl. Richard Wagner: Das Judentum in der Musik. In: Werke, Schriften und Briefe, 2.298–2.333. Das Judentum in der Musik ist eine Ergänzung zu Wagners Revolutionsauswertung in Kunst und Revolution (1849), das als universelle Fassung von Wagners gegenemanzipatorischer Theorie gelesen werden kann; vgl. Paul Lawrence Rose: Race and Revolution. New Haven: Princeton University Press, 1992, 49–88. 210 211 212 213 214

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risch entwickelt wurde, sei für sie nur der individuelle Zugriff auf das nationale Gut zugänglich und der Genius der deutschen Sprache daher für immer verschlossen. Die hilflose sprachliche Imitation ersetze so das »wirkliche Reden«.216 Wagners linguistischer Antisemitismus ist im Rahmen der vorliegenden Studie nur insofern von Interesse, als sich Spuren der Auseinandersetzung mit seiner fremdenfeindlichen Sprachpolemik in der jüdischen Rezeption von Mendelssohns Sprachenprojekt selbst niedergeschlagen haben. Insbesondere dort, wo das Hebräische zu Gunsten eines deutschen Monolingualismus ganz aufgegeben wurde, mussten Anschauungen wie die Richard Wagners abgewehrt werden. Anders als Zunz, dem es gelang, Mendelssohns bilinguales Sprachenprojekt auch unter den Bedingungen des entstehenden deutschen Nationalstaates fortzuführen, war Heinrich Graetz, der einflussreiche Begründer der modernen jüdischen Geschichtsschreibung, der monolingualen Überfremdung der jüdischen Tradition erlegen. Moses Mendelssohn, dessen hebräische Schriften er vollkommen ignorierte, wurde von ihm als Gründergestalt des deutschen Judentums exponiert: »Der Jude [Moses Mendelssohn] war deutschgesinnter oder deutschfühlender, als die meisten Deutschen seiner Zeit.«217 Abgesehen von der Fehlwahrnehmung Mendelssohns trennt Graetz die Eigenschaften »deutschgesinnt« und »deutschfühlend« von der deutschen Herkunft und gibt ihnen eine höhere Wertigkeit. Das heißt, im Gegensatz zu Zunz, der mit einem umfassenden politischen Reformprogramm auf die rechtliche Unterdrückung der jüdischen Minderheit reagierte, nahm Graetz die Rhetorik der Umgebung auf und ließ sich auf den Konkurrenzkampf der Kulturen ein. Franz Muncker, der zusammen mit Karl Lachmann die erste kritische Ausgabe von Lessings sämtlichen Werken besorgte, und als erster Moses Mendelssohns Bedeutung für die deutsche Literatur und Literaturkritik beschrieb, reproduzierte im Vergleich Mendelssohn – Lessing die sprachpoliti216 Vgl. Wagner, Das Judenthum in der Musik, 2.304–2.306: »Entscheidend wichtig ist jedoch die Beachtung der Wirkung auf uns, welche der Jude durch seine S p r a c h e hervorbringt […]. Der Jude spricht die Sprache der Nation, unter welcher er von Geschlecht zu Geschlecht lebt, aber er spricht sie immer als Ausländer. […] Eine Sprache, ihr Ausdruck und ihre Fortbildung, ist nicht das Werk Einzelner, sondern einer geschichtlichen Gemeinsamkeit: nur wer unbewußt in dieser Gemeinsamkeit aufgewachsen ist, nimmt auch an ihren Schöpfungen Theil. Der Jude stand aber außerhalb einer solchen Gemeinsamkeit, einsam mit seinem Jehova in einem zersplitterten, bodenlosen Volksstamme, welchem alle Entwickelung aus sich versagt bleiben musste, wie selbst die eigenthümliche (hebräische) Sprache dieses Stammes ihm nur als eine todte erhalten ist. In einer fremden Sprache wahrhaft zu dichten, ist nun bisher selbst den größten Genies noch unmöglich gewesen. Unsere ganze europäische Civilisation und Kunst ist aber für den Juden eine fremde Sprache geblieben; denn, wie an der Ausbildung dieser, hat er auch an der Entwickelung jener nicht theilgenommen, sondern kalt, ja feindselig hat der Unglückliche, Heimathlose ihr höchstens nur zugesehen. In dieser Sprache, dieser Kunst kann der Jude nur nachsprechen, nachkünsteln, nicht wirklich redend dichten oder Kunstwerke schaffen.« 217 Heinrich Graetz: Geschichte der Juden: Von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Bd. 11: Geschichte der Juden vom Beginn der Mendelsshohn’schen Zeit (1750) bis in die neueste Zeit (1848). Leipzig: Oskar Leiner, 1870, 8–11.

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schen Stereotypen Wagners: Mendelssohns Sprachvermögen fehle »die derbe Kühnheit Lessings […], der stets von neuem aus dem urkräftigen Borne der volkstümlichen Rede« schöpfen konnte. Auch fehle Mendelssohn »das leidenschaftliche Pathos Lessings, der Ausdruck subjektiv persönlicher Teilnahme« sowie »die großartigen Gleichnisse und Bilder, denen Lessings Sprache vornehmlich ihre eigentümliche Färbung verdankte, wie überhaupt die poetischen Elemente in derselben«.218 Fehlender Patriotismus und Lebendigkeit in der Sprache waren für Muncker Anzeichen eines falschen Umgangs mit der Wahrheit. Insbesondere die fehlende Polemik der Schreibweise deute darauf hin, dass für Mendelssohn der »beständige […] Kampf um die Wahrheit gegen den Irrtum« nicht im Vordergrund gestanden habe.219 Hier handelt es sich um ein sehr einflussreiches Argument, das nicht nur von Hermann Cohen aufgegriffen wurde.220 So sehr wie sich im 19. Jahrhundert Mendelssohns deutsches Werk als Projektionsfläche für die Selbstbestimmungsdiskurse des deutschen Judentums anbot, so intensiv wurden die Feinheiten der inneren Problematik seiner Vereinnahmung für die deutschsprachige »Wissenschaft des Judentums« in Osteuropa erkannt und diskutiert. Die Herabstufung der Haskala und deren hebräischer Sprachreform wurden nun von denjenigen, die sich als deren Erben verstanden, auf Mendelssohn selbst zurückgeführt. Aus der Feder des hebräischen Novellisten Perez Smolenskin, der zu den Gründern der Chovevei Zion-Bewegung221 gehörte, stammt die wohl einflussreichste Mendelssohn-Polemik. Sie ist als Reaktion auf die Germanifizierung Mendelssohns im Rahmen der »Wissenschaft des Judentums« zu verstehen, die den Assimilationsvorwurf quasi provoziert hatte. Die direkte Auseinandersetzung zwischen Graetz und Smolenskin in den 70er Jahren lief auf einen Kampf um die intellektuelle Hegemonie zwischen Ost- und West-

218 Vgl. Franz Muncker: Moses Mendelssohn und die deutsche Literatur. In: Gedenkbuch für Moses Mendelssohn. Hg. vom Verbande der Vereine für jüdische Geschichte und Literatur in Deutschland. Berlin: M. Poppelauer, 1929, 41–70, 55f. 219 Muncker, ebd. 220 Eine eingehende Analyse von Mendelssohn's Schreibstil liegt nun mit Willi Goetschels Artikel »Writing, Dialogue, and Marginal Form: Mendelssohn's Style of Intervention« vor, der die Sperrigkeit von Mendelssohns Texten folgendermaßen auf den Punkt brachte: »The more one reads Mendelssohn the more his texts open up questions. While Mendelssohn is usually read as an author of straightforward texts, his texts resist easy translation. This resistance is integral to his writing and it is by encouraging the reader to work through this resistance […] Mendelssohn's texts elicit a critical move of rethinking the terms of philosophy in critical fashion« (in: Reinier Munk (Hg.): Moses Mendelssohn's Metaphysics and Asthetics. Springer, 2011, 21–37, 22; Ich danke Willi Goetschel, dass er mir seinen Artikel zur Verfügung gestellt hat). 221 Auch unter der Nominalbildung »Chibbat Zion« (Zionsliebe). Die um 1880 gegründete Bewegung gehört zu den Vorreitern des kulturellen und praktischen Zionismus. Ihr Ziel war es, die jüdische Einwanderung nach Palästina, den Aufbau von Siedlungen und die landwirtschaftliche Erschließung des Landes zu befördern.

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Judentum hinaus.222 Mendelssohn spielte in dieser Auseinandersetzung eine wichtige Rolle. Spiegelbildlich zur Heldenverehrung des »deutschen« Mendelssohn unter den deutschen Juden, erhielt er einen zentralen Platz in Smolenskins Kritik des West-Judentums. In Smolenskins Augen war Mendelssohn nicht nur für die Fehlentwicklungen verantwortlich, die das Judentum seiner Tage erlebte, sondern auch für die des folgenden Jahrhunderts. Indem die Verfehlungen des WestJudentums als exemplarisch für die gesamte jüdische Nation im Zeitalter der Moderne angesehen wurden, geriet Mendelssohn ins Feuer einer Kritik am modernen Judentum überhaupt.223 Im Zentrum von Smolenskins Anklage standen: 1.) Mendelssohns Leugnung des jüdischen Nationalgedankens sowie sein antinationales Konzept vom Judentum, das zu einer Schwächung der jüdischen Einheit geführt habe; 2.) sein Humanismus, der den Trend zu Assimilation und Konversion ausgelöst habe; sowie 3.) seine Tora-Übersetzung ins Deutsche, die zu einem starken Verlust des Status des Hebräischen und des hebräischen Sprachwissens unter den Juden geführt habe.224 Insbesondere warf Smolenskin Mendelssohn vor, dass er sich der hebräischen Sprache und religiösen Terminologie nur deshalb bedient habe, damit in der jüdischen Gemeinschaft umso schneller ein höherer Stand der Aufklärung, Emanzipation, Akkulturation, Integration und Assimilation erreicht werde. Mendelssohns Übersetzung der Tora galt Smolenskin als das Hauptinstrument dieser Verschleierung, die vorgab, das Studium und das Verständnis der Tora zu befördern, aber in Wahrheit den Zweck erfüllte, den Übergang zur deutschen Sprache zu vollziehen.225 Smolenskin hatte richtig erkannt, dass das deutsche Judentum gezwungen war, den Anschluss an deutschnationale Muster zu suchen und die Merkmale ethnischer Differenz zu unterdrücken, um den universellen Charakter des Judentums herauszustellen. Es scheint, dass Smolenskins Polemik gegen Mendelssohn durch die historischen Ereignisse gerechtfertigt wurden. Aber konnten die Vorwürfe Smolenskins Mendelssohn überhaupt treffen? Zielten sie nicht vielmehr schon auf seine Rezeption im Westjudentum des 19. Jahrhunderts? Welchen Preis wäre Mendelssohn überhaupt selbst bereit gewesen, für die bürgerliche Verbesserung der Juden zu zahlen? Hatte nicht erst im deutsch-nationalen Klima der Restaurationszeit die Frage nach dem Verhältnis von Hebräisch und Deutsch zu einer Entweder-Oder-Distinktion ge-

222 Isaac E. Barzilay: Smolenskin’s Polemic against Mendelssohn in Historical Perspective. In: Proceedings of the American Academy for Jewish Research 53 (1986), 11–48, 46. 223 Barzilay, ebd., 16. 224 Barzilay, ebd., 12, 16f. 225 Perez Smolenskin: Et lata‘at. In: Ma’amarim, Bd. 2. Jerusalem: Keren Smolenskin, 1924/25, 3– 241, 68–86, 222, 232–238, 244–251, passim; zu Smolenskin sehr ausführlich: Werner Weinberg: Language Questions relating to Moses Mendelssohn’s Pentateuch Translation. In: HUCA LV (1984), 197–242, 201.

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führt, die eine Entscheidung provozierte, welche zu Gunsten des Deutschen ausfiel und das Hebräische immer mehr an den Rand drängte?226 Beeinflusst durch die Ideen von Herder, Schlegel und Fichte, die russische Romantik und sowie die politischen Ereignisse im Zuge der erwachenden europäischen Nationalstaatenbewegungen war in Osteuropa in den Jahrzehnten nach Mendelssohn die Sprache neben den Schriften der Tradition zum wesentlichen Unterscheidungsmerkmal nationaler Essentialität geworden.227 Für Achad Ha-Am (1856–1927), den Begründer des Kulturzionismus garantierten nicht mehr religiöse Tradition und Praxis den nationalen Zusammenhang, sondern das historische Bewusstsein und der jüdische Nationalgeist der Angehörigen des jüdischen Volkes kreierten mit Bezug auf Land, Sprache, Literatur, Geschichte etc. diesen Zusammenhang selbst.228 Die monolinguale Herangehensweise kollidierte jedoch mit der multilingualen Praxis229 und mündete nach der Jahrhundertwende im offensiv ausgetragenen Kampf zwischen Jiddischisten und Hebraisten um den Status »Jüdische Nationalsprache«.230 Während das Jiddische als jüdische Alltagssprache wesentliche Kriterien einer Nationalsprache wie Mündlichkeit, Lebendigkeit und Sprechernähe erfüllte, brachte das Hebräische den Ursprungsmythos mit, der für Originalität, Herkunft und Stabilität bürgte. Beide Spracherneuerungsbewegungen generierten im Laufe des 19. Jahrhunderts einen modernen Literaturkorpus, der sich in jeder der beiden Sprachen sowohl an die Gattungsvorgaben der bereits etablierten Nationalliteraturen Europas hielt als auch an eine eigene Literaturent226 Vgl. Shulamit Volkov: Die Juden in Deutschland 1780–1918. München: Oldenburg Verlag, 1994, 12: »Die Wahl der Sprache war durchweg eine entscheidende Frage: Der ursprüngliche Vorstoß, Hebräisch als die authentische, ›reine‹ jüdische Sprache wiederzugewinnen, wurde aufgegeben, als der innere und äußere Druck auf die Juden wuchs, die Sprache ihrer Umwelt zu lernen und zu benutzen.« 227 Michael Berkovitz: Zionist Culture and WestEuropean Jewry before the First World War. Cambridge: University Press, 1993, 41. 228 Vgl. Laurence J. Silberstein: Judaism as a Secular System of Meaning: The Writings of Achad Haam. In: Journal of the American Academy of Religion 52.3 (1984), 547–568, 557f. 229 Theodor Herzl wurde genau dieser Situation gerecht, indem er einen Sprachenförderalismus vorschlug: »Vielleicht denkt jemand, es werde eine Schwierigkeit geben, dass wir keine gemeinsame Sprache mehr haben. Wir können doch nicht Hebräisch miteinander reden. Wer von uns weiß genug Hebräisch, um in dieser Sprache ein Bahnbillet zu verlangen? Das gibt es nicht. Dennoch ist die Sache sehr einfach. Jeder behält seine Sprache, welche die liebe Heimat seiner Gedanken ist. Für die Möglichkeit des Sprachenförderalismus ist die Schweiz ein endgültiges Beispiel« (in: Der Judenstaat: Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage. Berlin: Jüdischer Verlag, 1918, 63). 230 Benjamin Harshav: Hebräisch. Sprache in Zeiten der Revolution. Frankfurt/M.: Jüdischer Verlag, 1995 (Orig.: Language in Time of Revolution, 1993), 141f, 181–188; vgl. aber zu Bsp. die harmonisierende Sichtweise Osias Thons: Jargon und Hebräisch (1908). In: Ders.: Essays zur zionistischen Ideologie. Berlin: Buchhandlung »Kedem«, 1930, 125–135, 126: »Die Tatsache der Zweisprachigkeit, die unleugbar bei einem großen Teile des jüdischen Volkes besteht, hat für mich nichts Schreckhaftes oder Bedenkliches. Genau genommen gibt es ja gar kein Volk mit einer ausgeprägten Literatur, das bloß eine Sprache hätte.«

Wie »deutschgesinnt« war Mendelssohn?

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wicklung anknüpfen konnte.231 Entscheidend für den Siegeszug des Hebräischen zur Nationalsprache wurde die Autorität, die es der religiösen Tradition verdankte. Ob ihrer ungebrochenen diachronen Vermittlerrolle konnte dem Hebräischen auch eine Schlüsselfunktion als Träger nationaler Identität im synchronen Maßstab zugewiesen werden.232 Die Erfolge des praktischen Zionismus in Palästina und der ausgeprägte, hebräische Sprachpurismus einer Handvoll einflussreicher Hebraisten im »Jishuv« sind nicht die Gründe sondern nur Indizien der politischen Dominanz des Hebräischen, das sich langsam aber stetig als Umgangs-, Verkehrs- und Literatursprache durchsetzte und 1948 erste Amtssprache des neugegründeten Staates Israel wurde.233 Mit seinem hebräischen Œuvre zählte Moses Mendelssohn zu den frühen Vorbereitern dieser Wiederbelebung des Hebräischen zur gesprochenen und Literatursprache.234 Ein Engagement, dessen wissenschaftliche und kulturelle Würdigung man insbesondere in Israel erwarten würde, wo durch die »Akademie der hebräischen Sprache« in den letzten Jahrzehnten eine umfangreiche, institutionalisierte Sprachpolitik betrieben wurde. Mendelssohns Nähe zur Berliner Aufklärung, sein schriftstellerisches Wirken in deutscher Sprache sowie sein Übersetzungsschaffen, das nicht nur Smolenskins Polemik provoziert hatte, verhinderten aber auch die klare Einordnung Mendelssohns in den hebräisch-zionistischen Narrativ.235 In Deutschland hatte die Hinwendung zur deutschen Sprache unter den assimilierten Juden oft zum Verlust jedweden hebräischen Sprachwissens geführt, so dass die nationale Besinnung hier vor einer Sprachbarriere stand. Vermittelt vor allem durch die recht schnell ins Deutsche übersetzten Schriften von Achad HaAm und deren Verbreitung durch Martin Buber, fielen die Ideen des Kulturzio231 Der Anspruch des Jiddischen auf eine (nicht: die!) »Jüdische Nationalsprache« wurde zum ersten Mal 1908 auf der Sprachenkonferenz in Czernovitz formuliert (vgl. das Kapitel »The Politics of Yiddish« in: David E. Fishman: The Rise of Modern Yiddish Culture. Pittsburgh: University of Pittsburgh Press, 2005, 18–32). Die Literaturgeschichtsschreibung ist für die Ausbildung einer jiddischen Nationalliteratur mindestens genau so wichtig gewesen wie die schriftstellerischen Erzeugnisse selbst. Die ersten Vorarbeiten zu einer jiddischen Literaturgeschichte sind im Umfeld der Jiddisch-Konferenz in Czernovitz entstanden und stammen von Max Weinreich. 1924 legte Israel Zinberg die erste umfangreiche Jiddische Literaturgeschichte in acht Bänden vor. 232 Vgl. Anderson, Erfindung der Nation, 82–85. 233 Dass das monolinguale Muster bis heute einflussreich ist, belegt u.a. die Studie von Shlomo Karmi: One People and One Language. The Revival of the Hebrew Language in an Interdisziplinary Perspective (Hebr.: Am Echad ve-Safa Achat). Bet ha-Hotza’a shel Misrad ha-Bitachon, 1997. 234 Vgl. Shlomo Haramati: Dibbur ‘ivri be-tkufat ha-haskala. Yerushalayim: Akademia le-lashon ha‘ivrit, 1989, (Leshonenu la-Am, 39), 3–18; 235 Das Jerusalemer Straßennetz ist sprechendes Indiz einer Gesamtsituation wissenschaftlicher und kultureller Fehlwahrnehmung, die durchaus programmatisch ist: Die Straßennamen überziehen als kartographisches Netz die Stadt und suggerieren die gleichzeitige Präsenz aller Epochen der jüdischen Tradition, welche an Hand der großen jüdischen Gestalten, Propheten, Rabbiner, Gelehrten, Philosophen, Literaten und Zionisten personell vermessen wurde. Bis zum heutigen Tage gibt es keine Straße, die nach Moses Mendelssohn benannt ist.

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nismus insbesondere in intellektuellen Kreisen auf fruchtbaren Boden. Damit entstand für die Juden in Deutschland die wohl recht einmalige und ebenso merkwürdige Konstellation, dass der Erwerb nationaler Identität mit dem Erwerb einer »fremden« Sprache einherging. Indem dieser Prozess der Neuaneignung mit Hilfe der deutschsprachigen, wissenschaftlichen Instrumentarien vollzogen wurde, welche die Wissenschaft des Judentums im 19. Jahrhundert entwickelt und bereitgestellt hatte, ordnete sich dieser neue Hebraismus in der gleichzeitigen kritischen Abwehr der säkularen Wissenschaftsbewegung, an die er anschloss, dialektisch in die longue durée der jüdischen Ideengeschichte ein. Die unter diesen Maßgaben erfolgte Beschäftigung mit der hebräischen Sprache ermöglichte, ja provozierte sogar ein neues Anknüpfen an die religiöse Tradition des Judentums. Für Intellektuelle wie Hugo Bergmann, Franz Rosenzweig und Gershom Scholem wurde die hebräische Sprache daher zur tragenden Kategorie einer neuen Selbstverortung. Scholems Diktum, »das Judentum beginnt und endet im Hebräischen«, steht gleichsam paradigmatisch für diese Tendenz.236

v. Grundlegungskräfte vs. Zermalmungskräfte Mit der Revision von Hermann Cohens Neo-Kantianismus durch die jüdischen Philosophen der folgenden Generation in den 20er und 30er Jahren war auch eine Neubewertung Mendelssohns angelegt, die sich allerdings nur vorsichtig, in der Peripherie der großen Strömungen und gegen die alten Vereinnahmungen durchzusetzen begann. Neuentdeckung und Revision Mendelssohns gingen hier Hand in Hand mit jener Gemengelage aus Verehrung, Kritik, Problematisierung, Marginalisierung und Abwertung, welche schon das Mendelssohn-Bild des 19. Jahrhunderts geprägt hatte. Mendelssohn blieb auch jetzt die Schlüsselfigur für das Emanzipationsprojekt des deutschen Judentums. Nun allerdings wurde er nicht mehr nur für dessen Erfolge und Aporien verantwortlich gemacht, sondern die kritische Neulektüre seiner Schriften brachte zögerlich einen Mendelssohn zum Vorschein, der sich den herkömmlichen Deutungen sperrte. Wie oben schon gesagt, traf schon in Franz Munckers (positivem) Mendelssohn-Urteil die Sprachkritik an Mendelssohn mit dem Verdikt des Kantianismus zusammen, eine Konstellation, die mit Herders philosophischer Begründung der Nationalsprache bereits vorbereitet war. Denn obwohl Mendelssohn unmittelbar nach seinem Tod zunächst mit der posthumen Auswertung des Spinoza-Streites der Polemik der sogenannten Gegenaufklärung ausgeliefert war, ging eine viel 236 Gershom Scholem in einem Brief an Werner Kraft vom 31.01.1918 (Werner Kraft (Hg.): Gershom Scholem. Briefe an Werner Kraft. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1986; vgl. auch die erste These in Gershom Scholems: »95 Thesen über Judentum und Zionismus«. In: Peter Schäfer/Gary Smith (Hgg.): Gershom Scholem zwischen den Disziplinen. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1995, 287– 295, 289: »Das Judentum ist aus seiner Sprache herzuleiten«.

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stärkere Langzeitwirkung von Immanuel Kants Mendelssohn-Rhetorik aus.237 Sie war es letztlich, die die reibungslose Instrumentalisierung Mendelssohns für das deutsch-jüdische Emanzipationsprojekt von Anfang an verhindert hat. Mendelssohn gehörte zu jenen Philosophen, die von der geschichtsphilosophischen Rhetorik der Kritik der reinen Vernunft von 1781 unmittelbar betroffen waren. Mit der ersten seiner drei Kritiken hatte Kant die »Abstellung aller Irrungen« und damit ein Zeitalter angekündigt, in dem »nicht eine einzige metaphysische Aufgabe sein müsse, die […] nicht aufgelöst, oder zu deren Auflösung nicht wenigstens der Schlüssel dargereicht worden« wäre.238 Nur selten in der Geschichte der Philosophie hat es ein Werk gegeben, das einen so fundamentalen Vollkommenheitsanspruch formulierte wie die KrV. Die Selbstprophezeiung Kants wollte einer Philosophie, die seit David Humes skeptizistischer Erkenntniskritik in einer ernsten Krise gesteckt hatte, neue Koordinaten geben. Kants Überwindung des Zeitalters der Vernunft qua Vernunftkritik schien der Moderne die alten Sicherheiten zurückzugeben. Die Publikation seiner ersten Kritik überwand aber nicht nur die Krise, sondern entsprach einem rhetorischen Ausstieg aus der paritätischen Diskussion mit seinen philosophischen Zeitgenossen. Die »Revolution der Denkart«239 verbannte Kants Kontrahenten in den historisch überholten Bereich der Irrungen, noch bevor sie ihre Kritik an der der KrV formuliert hatten. Jeder dieser Kritiken war der Duktus der Verteidigung von vornherein eingeschrieben. Im »Zeitalter der Kritik«240 gab es jedoch keinen größeren Affront gegen die Philosophie als die Apologie, die immer mit einer Rechtfertigung der vorkritischen Metaphysik und alter Positionen in Verbindung gebracht wurde. Das heißt, dass jede Verteidigung gegen Kants Frontalangriff dessen »System der Philosophie« konsolidierte und sogar zu rechtfertigen schien. Von Anfang an war Kritik an Kant an die Kritikwürdigkeit und Akzeptanz der Gegner gekoppelt und musste system-immanent bleiben.241 Es waren vor allem die Philosophen, Literaten und 237 Zuletzt zum Spinoza-Streit: Goetschel, Spinoza's Modernity, 170–180; Ausführlich zur HamannMendelssohn-Kontrovorse: Ze’ev Levy, der auch auf die zunehmende Polarisierung zwischen christlichen und jüdischen Aufklärern besonders am Ende von Mendelssohns Lebens hinweist: Johann Georg Hamann's Concept of Judaism and Controversy with Mendelssohn's Jerusalem; vgl. außerdem Karlfried Gründer: Hamann und Mendelssohn. In: Karlfried Gründer/Karl Heinrich Rengstorf (Hgg.): Religionskritik und Religiosität in der deutschen Aufklärung. Heidelberg: Lambert Schneider, 1989, 113–144; Isaiah Berlin: The Magus of the North, J.G. Hamann and the Origins of Modern Irrationalism. Hg. von Henry Hardy. N. Y.: Farrar, Straus and Giroux, 1994 (Orig.: London: John Murray, 1993), 17–21, 46–54, 90); zuletzt: Cord Friedrich-Berghahn, Moses Mendelssohns Jerusalem, 256–273. 238 Vgl. Kants Vorrede zur 1. Auflage in: KrV A, AA IV, 10. 239 Vgl. Kants Vorrede zur 2. Auflage in: KrV B, AA III, 9, 10, 11, 15, passim. 240 Kant, KrV A, AA IV, 9. 241 Zum Problem des Jüngertums vgl. Otto Liebmanns Kant und die Epigonen von 1865. Hier wird »die gesamte nachkantische Philosophie, namentlich Fichte, Schelling, Hegel, Herbart, Fries und Schopenhauer als Epigonentum« aufgefaßt (Georg Mohr/Markus Willaschek: Einleitung: Kants

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Theologen der nächsten Generation, welche diese Bedingungen des Jüngertums erfüllten. Kants Frontalangriff gegen den Dogmatismus und die alten Denksysteme transformierte so das philosophische Gespräch in eine neue Sprache, das durch eine radikale Zäsur von den alten Diskurslagen getrennt blieb. Lange bevor das liberale Ziel der staatsbürgerlichen Gleichberechtigung eingelöst war, versprach Kants Philosophie jüdischen Intellektuellen nicht nur eine Philosophie und Ethik auf der Basis der Vernunft, sondern auch eine neue, scheinbar unbelastete, philosophische Sprache. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Tatsache, dass »die führenden Köpfe der zweiten Generation der jüdischen Aufklärer fast sämtlich Kantianer« waren,242 neue Bedeutung. Großzügig sahen die Maskilim über Kants antijudaistische Tendenzen der Spätschriften hinweg und schrieben ihre Kritik in die Kant-Auslegung selbst ein. Für Markus Herz, Isaac Euchel, Saul Ascher, Salomon Maimon und Lazarus Bendavid wurde Kant das Tor zur deutschen Geisteswelt, die mit ihrem christlichen Erbe rigoros abgerechnet zu haben schien. Mendelssohn hatte es vorgezogen, einer Konfrontation mit Kant aus dem Wege zu gehen und ließ diesen auf die erhoffte Replik zur ersten Kritik vergeblich warten. Sein Schweigen freilich kostete den hohen Preis, damit anderen die Interpretation der eigenen Position in die Hände zu spielen. Nicht nur von der deutschen Philosophie sondern auch von den Maskilim konnte Mendelssohn so auf der Grundlage seiner wenigen, kurzen Bemerkungen zu Kants Vernunftkritik zum Dogmatiker der Vernunft, »zum Metaphysiker im Sinne der Schulphilosophie Christian Wolffs und Gottfried Wilhelm Leibniz’« stilisiert werden, der sich mit der kritischen Wende der Philosophie nicht abfinden mochte.243 Sein letzter Brief an Kant, der grußlos endet, schließt mit einem Satz, der – obwohl er auf seinen letzten philosophischen Gegner Friedrich Heinrich Jacobi abzielt – allgemein gehalten ist: »Ich fürchte die Philosophie hat ihre Schwärmer, die eben so ungestüm verfolgen und fast noch mehr auf das Proselyten machen gesteuert sind, als die Schwärmer der positiven Religion.«244 Seine Bitte um öffentliche Unterstützung in der Auseinandersetzung mit Friedrich Heinrich Jacobi um Lessings Spinozismus hatte Kant unbeantwortet gelassen. Das berühmte Wort vom »alleszermalmenden Kant«245 in der Vorrede zu den Morgenstunden ist Mendelssohns letztes Wort in der spärlich dokumentierten Auseinandersetzung mit Kant. Die wenigen Bemerkungen Mendelssohns deuten an, dass seine Einwände gegen Kants Vernunftkritik grundsätzlicher Natur waren und nur akzidentiell mit sei-

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Kritik der reinen Vernunft. In: Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Berlin: Akademie Verlag, 1998, 1–36, 34). Schulte, Die jüdische Aufklärung, 157. Schulte, Die jüdische Aufklärung, 156. Brief Mendelssohns an Kant vom 16. Oktober 1785, JubA 13, 313. Vorbericht zu den Morgenstunden oder Vorlesungen über das Daseyn Gottes, in: Mendelssohn, JubA 3.2, 3.

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ner, von ihm selbst ins Spiel gebrachten, Nervenkrankheit in Verbindung standen.246 Obwohl Mendelssohn seiner Hoffnung Ausdruck gab, dass Kant mit derselben Gründlichkeit wieder aufbauen werde, was er eingerissen habe, hat nur das Wort vom »Alleszermalmer« Karriere gemacht.247 Schon wenige Wochen nach Mendelssohns Tod wurde klar, dass es sich bei Kants ausgebliebener Hilfeleistung im Spinoza-Streit um kein zufälliges Versäumnis gehandelt hatte. Er nannte den sechs Jahre später geborenen Mendelssohn nun öffentlich einen »versuchten Philosophen« und verwies ihn nachdrücklicher denn je in die Schranken vorkritischer Metaphysik.248 Dass Mendelssohn schon 1786 als überholt und überwunden galt, hat nicht nur die Generation der Meassfim einem Zwiespalt ausgeliefert, sondern insgesamt die jüdische Kant- und Mendelssohn-Rezeption nachhaltig beeinflusst. Beide Rezeptionen blieben ambivalent aufeinander bezogen, das lässt sich bei Chaim Steinthal, Heinrich Heine, Moritz Lazarus, Samson Raphael Hirsch, Fritz Mauthner, Hermann Cohen, Ernst Cassirer, Ludwig Feuchtwanger, Julius Guttmann, Franz Rosenzweig und einer Reihe anderer jüdischer Philosophen nachweisen. Bei Hermann Cohen, »der als Verkörperung dessen [galt], was man als die Idee des deutschen Judentums der Emanzipationszeit ansehen kann«,249 erreichte diese Ambivalenz ihren wohl prägnantesten Ausdruck, indem er die Mendelssohn'sche Sprachreform direkt mit der Kantischen Philosophie-Reform konfrontierte. Franz Rosenzweig stellte Cohens Gesamtwerk in die Tradition der Widerlegung von Mendelssohns Diktum vom alleszermalmenden Kant. Er schrieb Hermann Cohen die Entdeckung zu, »dass das Wesentliche der Kantischen Kritik nicht ihre

246 Am 10. April 1783 schrieb Mendelssohn an Kant, dass er der Metaphysik wie abgestorben sei, seine Nervenschwäche ihm alle Anstrengung verbiete und er sich stattdessen »mit minderangreifenden Arbeiten« amüsiere. »Ihre Kritik der reinen Vernunft«, so fuhr er fort, »ist für mich auch ein Kriterium der Gesundheit. So oft ich mich schmeichele, an Kräften zugenommen zu haben, wage ich mich an dieses nervensaftverzehrende Werk, und ich bin nicht ganz ohne Hoffnung, es in diesem Leben noch ganz durchdenken zu können« (JubA 13, 100). Mendelssohn wiederholt diese Entschuldigung im Vorbericht zu den Morgenstunden 1785 fast wörtlich: »Seit zwölf bis fünfzehn Jahren befinde ich mich nehmlich in dem äußersten Unvermögen, meine Kenntnisse zu erweitern. Eine sogenannte Nervenschwäche, der ich seitdem unterliege, verbietet mir jede Anstrengung des Geistes, und, welches den Ärzten selbst sonderbar vorkömmt, sie erschweret mir das Lesen fremder Gedanken fast noch mehr, als eigenes Nachdenken« (JubA 3.2, 3). Zu Mendelssohns Krankheitsrhetorik Jeffrey S. Librett, The Rhetoric of Cultural Dialogue, bes. 75– 83. 247 Mendelssohn, JubA 3.2, 5. 248 Immanuel Kant: Einige Bemerkungen zu Ludwig Heinrich Jakob's Besprechung der Mendelssohn'schen Morgenstunden, AA VIII, 151. Man kann sich des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass Kant nicht nur den durch den Spinoza-Streit stark geschwächten Status Mendelssohns sondern auch die Tatsache ausnutzte, dass dieser sich nicht mehr verteidigen konnte. 249 Hans Liebeschütz: Von Georg Simmel zu Franz Rosenzweig: Studien zum Jüdischen Denken im deutschen Kulturbereich. Tübingen: J.C.B. Mohr, 1970, 7.

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›Zermalmungs‹- sondern ihre ›Grundlegungs‹-Kräfte seien.«250 Kant und Mendelssohn wurden nicht nur von Cohen zur gleichen Urszene der Emanzipation gezählt. Cohen hatte für eine ganze Generationfolge gesprochen, als er sagte: Mendelssohn »bleibt der Reformator des Judentums, weil er mit dem Geiste des Deutschtums das Judentum erfüllte, und dessen Weltmission dadurch von neuem auf ihr prophetisches Ziel hingelenkt wurde, das bis auf jene Tage noch verdunkelt blieb.«251 Der Erwerb der deutschen Sprache war das Vehikel zur Erlösung des Judentums aus dem Ghetto und Mendelssohns sprachschöpferische Leistung ermöglichte überhaupt erst die staatsbürgerliche Emanzipation, durch die das Judentum wieder Anschluss fand an seine abgerissene prophetische Tradition: »Er [Mendelssohn] war Deutscher in seinem ganzen Denken, Schreiben und Dichten. Danzel sagt, dass wenige damals so ausgesprochen als Deutsche geschrieben haben, wie Mendelssohn. Und wie er so in voller Natürlichkeit und Unbefangenheit sich als deutschen Denker fühlte, so auch und gleichsam auf dieser Grundlage fühlte er sich auch als Juden, als deutschen Juden. Aus dieser Einheit seines deutschen und seines jüdischen Wesens erwuchs ihm […] die Kraft, […] den deutschen Juden zu helfen, an das Sonnenlicht der deutschen Kultur und Literatur sie emporzuheben, von dem Jargon des Weltjudentums sie zu befreien und ihnen das Gepräge des deutschen Judentums einzuimpfen. Die Sprache sollte das Mittel werden zu ihrer Erlösung aus dem Ghetto. Und die deutsche Sprache hat er als dieses Heilmittel des Judentums erwählt.«252

Nach Cohen bedingte die Einheit von Mendelssohns deutschen und jüdischen Wesens gleichzeitig seine Beschränkung und Beschneidung. In seiner Bedeutung als Sprachreformator lagen sowohl Versäumnis als Unvermögen begründet, Kants kritische Wende in der Philosophie würdigen und begreifen zu können. Dieses Versäumnis schloss den Begründer der deutsch-jüdischen Mission von deren Erfüllung aus. Es fiel dem philosophisch reiferen Kantianismus zu, Mendelssohns jüdische Mission zu vollenden und den »Schaden, den seine eigene Philosophie für die Würdigung des Judentums zurückließ«, zu heilen.253 Zum besonderen Stein des Anstoßes wurde für Cohen Mendelssohns später Essay Jerusalem, oder über religiöse Macht und Judenthum von 1783. Dass Mendelssohn hier der religionspolitischen Orientierung seines Denkens, die durch sein sprachreformatorisches Wirken bereits nach außen getreten war, einen philosophischen Rahmen gab, verletzte Kants Autonomie-Postulat der Vernunft.254 Mendelssohns philoso-

250 In der Einleitung zur dreibändigen Ausgabe von Hermann Cohens Jüdischen Schriften. Erster Band: Ethische und religiöse Grundfragen, Berlin: C.A. Swetschke & Sohn, 1924, XVII. 251 Hermann Cohen: Deutschtum und Judentum. In: Franz Rosenzweig (Hg.): Hermann Cohens Jüdische Schriften. Zweiter Band. Zur jüdischen Zeitgeschichte. Berlin: C.A. Swetschke & Sohn, 1924, 260f. 252 Cohen, Deutschtum und Judentum, 260. 253 Cohen, Deutschtum und Judentum, 260. 254 Vgl. Mack, The German Idealism and the Jew, 42–46.

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phisches Denken sei partikular-politischen Zielen untergeordnet geblieben, die sein theoretisches Vermögen von vornherein einschränkten und der Spekulation Grenzen zogen. »Der theoretische Ausdruck«, so Cohen selbst, »ist die schwächste Seite an dieser großen Epoche in der Geschichte des Judentums. Schon daß persönliche Anstöße bei der Abfassung d[]er Schrift [Jerusalem] mit im Spiele waren, ist ein Symptom von einer nicht völligen Bewegungsfreiheit der Spekulation, von einer Verschleierung des eigentlichen Problems, von einer Ausweichung vor der letzten Konsequenz der Gedanken«.255 Mendelssohns Befangenheit erwuchs aus seinem problematischen Status als philosophierender Jude. Ein Vorwurf, zu dem sich Cohen selbst bekennt, wenn er Mendelssohns offenen Umgang mit dem eigenen politischen und religiösen Minoritätsstatus kritisiert und den daraus resultierenden politischen Charakter seiner Philosophie ablehnt: »Für Mendelssohn stand unverkennbar in Frage: das Verhältnis von Judentum und Christentum zum Problem der religiösen Macht. Darüber aber durfte er zu seiner Zeit, gewiß noch weit mehr als selbst heutzutage, nur unter diskretesten Reserven sich äußern.«256 Die letzte Konsequenz der Gedanken, welche es erlaubt, das eigentliche Problem zu benennen, wird möglich auf dem Boden einer Verschleierung der politischen Bedingungen, unter denen es formuliert wurde. Die geforderte Trennung von Philosophie und Politik ist nur eine rhetorische, sie geschieht auf Kosten der Nivellierung ethnischer und religiöser Differenzen. Bei Cohen läuft sie auf eine Äquivalenz von Deutschtum und Judentum hinaus, wobei das Judentum zum höchsten Ausdruck des Deutschtums werden muss, um die eigene, jüdische Identität noch rechtfertigen zu können. Hermann Cohen, der »größte Verkünder deutsch-jüdischer Geistesverwandtschaft«257 legte Kant in einem ganzen Lebenswerk solange aus, bis er seine eigene Philosophie unter dem Namen Kants entwickelt hatte, und diese frei von christlicher Terminologie war. Die beiden Schriften Von Kants Einfluß auf die deutsche Kultur (1883)258 und Innere Beziehungen der Kantischen Philosophie zum Judentum (1910) formulierten komplementär Cohens Wissenschaftsprogramm der deutsch-jüdischen Geistesverwandtschaft, das Mendelssohn als Ursprungsmoment und Kant zum Zentrum hat, denn Mendelssohn hatte die postulierte Verwandtschaft des Judentums mit der Aufklärung oder dem Deutschtum auf dem falschen Niveau eingelöst und »den Geist des Judentums

255 Cohen, Deutschtum und Judentum, 257. 256 Cohen, Deutschtum und Judentum, 257. 257 Jacob Katz: Die Entstehung der Judenassimilation in Deutschland und deren Ideologie. In: Ders.: Zur Assimilation und Emanzipation der Juden. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. 1982, 1–82 (Orig.: Diss.: Universität Frankfurt/M., 1934). 258 Cohen hat noch kurz vor seinem Tod den Plan zu einer Schrift Kants Bedeutung für die deutsche Kultur entworfen, der von der anhaltenden Aktualität seines Wissenschaftsprogramms Rechenschaft gibt (zu dem Plan dieser Schrift, vgl. Ernst Cassirer: Vorrede zur 1918 als Abschluss der Gesamtausgabe von Kants Werken publizierten Monographie Kants Leben und Lehre. Berlin: Bruno Cassirer, 1918, XI).

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vollkommen missverstanden.«259 Auf diese Art wurde von Cohen auch Kants geschichtsphilosophische Auffassung vom Judentum gerechtfertigt,260 da sich Kant auf Grund von Mendelssohns Jerusalem zwangsläufig eine falsche Idee vom Judentum habe bilden müssen.261 Jacob Katz wies 1934 darauf hin, dass »in der Wirklichkeit [...] das Judentum seitens derjenigen, die durch die Assimilation hindurchgegangen sind, eine ihrer Situation entsprechende Umdeutung« erfahren hat.262 Cohens Kritik an Mendelssohns Auffassung erfolgte aus eben jener Perspektive der Umdeutung: Weil er nicht der richtigen Aufklärung angehörte, konnte Mendelssohn den Geist des Judentums nur missverstehen.263 Ist so die philosophiegeschichtliche Marginalisierung Mendelssohns mit der Diskussion des Sprachenprojektes unauflösbar verlinkt, deutet Cohens Urteil jedoch auch auf die Notwendigkeit, Mendelssohns Philosophie im Zusammenhang mit dem Sprachenprojekt zu betrachten.

259 Katz, Die Entstehung der Judenassimilation, 12. 260 Zentral für Kants Auseinandersetzung mit dem Judentum ist das Kapitel »Historische Vorstellung der allmähligen Gründung der Herrschaft des guten Princips auf Erden« (Drittes Stück, Zweite Abteilung) in: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft von 1793 (AA VI, 124–147). 261 Katz, Die Entstehung der Judenassimilation, 51. 262 Katz, ebd., 12. 263 Katz, ebd., 51.

II. Übersetzung als Sprachpolitik Die so heterogene und stark perspektivengeleitete Rezeption des Mendelssohn'schen Sprachenprojektes führt zurück zu den Quellen und damit zur Frage, welche Zugänge zur Sprachproblematik Mendelssohn selbst entwickelte. Mendelssohn hatte sich seit 1743 die deutsche Standardsprache autodidaktisch angeeignet. Spätestens seit den fünfziger Jahren bediente er sich dann im größer werdenden Berliner Freundeskreis neben dem Westjiddischen immer stärker des Hochdeutschen. Die Philosophischen Gespräche, sein schriftstellerisches Debüt, das Lessing ohne sein Wissen Anfang 1755 anonym herausgegeben hatte, legen von der souveränen Beherrschung der hochdeutschen Schriftsprache Zeugnis ab und lassen bereits die Ausprägung eines eigenen Schreibstils erkennen. Während in Mendelssohns Privatsphäre alle drei Sprachen von Bedeutung blieben,1 bediente sich Mendelssohn in der Öffentlichkeit ausschließlich des Deutschen und Hebräischen als voneinander verschiedener Kommunikations- und Erkenntnisweisen. Jede der drei von Mendelssohn benutzten Sprachen durchlief in diesem Gebrauch einen paradigmatisch gewordenen Wandlungsprozess, dessen Bedeutung weit über Mendelssohn hinausweist. Zwischen 1750 und 1786 stand er im Zentrum dreier sprachpolitischer Entscheidungsprozesse, deren longue durée bis in das zwanzigste Jahrhundert reicht, und im Zuge derer eine Sprache eine Renaissance erlebt, eine dem Verfall preisgegeben wird und eine neu entsteht: So wurden Mendelssohns publizistische Aktivitäten zur Modernisierung des Hebräischen begleitet von einem umfassenden Engagement bezüglich der Entwicklung des Hochdeutschen und dessen Erschließung für den jüdischen Gebrauch. Der hierdurch eingeleitete Sprachwandel betraf vice versa das Schicksal des Westjiddi-

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Das ist v.a. an Hand der hinterlassenen Briefe zu belegen, die Mendelssohn abhängig von den Adressaten in Jiddisch, Hochdeutsch oder Hebräisch abfasste. Indem die Briefe zu einer QuasiÖffentlichkeit der Aufklärung zu zählen sind, wäre auch die Frage aufzuwerfen, welche Funktion der schriftliche Sprachgebrauch des Jiddischen bei Mendelssohn hat. Der Austausch von Liebesbriefen mit seiner späteren Frau, Frommet Guggenheim, der sich gattungstechnisch in den deutschsprachigen Diskurs der Empfindsamkeit einordnet, aber auf Jiddisch erfolgte, wirft die Frage der Bedeutung von »privat« und »öffentlich« ganz besonders auf (im Schocken-Verlag 1936 unter dem Titel Brautbriefe von Ismar Elbogen erstmals separat veröffentlicht). Zur medialen Bedeutung der Briefkultur im 18. Jahrhundert u.a. Regina Nörtemann: Brieftheoretische Konzepte im 18. Jahrhundert und ihre Genese (1990); sowei die Monographien von Annette C. Anton: Authentizität und Fiktion. Briefkultur im 18. und 19. Jahrhundert (1995), und Albrecht Koschorke: Körperströme und Schriftverkehr. Mediologie des 18. Jahrhunderts (1999).

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schen, an dessen Besiegelung Mendelssohn federführend beteiligt war. Die Besiegelung des Westjiddischen führte zu einer umso stärkeren Vitalisierung des Ostjiddischen. Ein Schüler Mendelssohns, Mendel Lefin Satanower, der eine jiddische Tora-Übersetzung nach dem deutschen Vorbild Mendelssohns anfertigte, spielte beim Transfer der zu Grunde liegenden multilingualen Konzeption auf das Ostjiddische, das anders als das Hebräische im 20. Jahrhundert das volle Erbe des Mendelssohn'schen Sprachenkonzepts antrat, eine zentrale Rolle.2 Mendelssohns jüdische Multilingualität zwischen Hebräisch/Aramäisch, Jiddisch und Hochdeutsch traf auf eine sprachlich stark differenzierte preußische Gesellschaft, deren Kommunikationsräume zwischen Latein, Französisch, Hochdeutsch und den deutschen Dialekten aufgeteilt waren. Jüdisches Leben im absolutistischen Preußen war von einer potenzierten Mehrsprachigkeit geprägt, die zu einer hoch sensibilisierten Wahrnehmung der Sprachproblematik und – nicht nur bei Mendelssohn – zu einem besonderen Bewusstsein für Sprache, Literatur und Übersetzung führte. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass das Übersetzungsschaffen3 in Mendelssohns Werk einen zentralen Platz einnimmt. Die Übertragungen englischer, französischer und lateinischer, zeitgenössischer Werke der europäischen Aufklärung in die hochdeutsche Literatursprache stehen hier neben Übersetzungen aus dem Griechischen und Hebräischen, die jeweils neue Anschlüsse an vormoderne Texttraditionen suchen. Die Übersetzung ist für Mendelssohn ein Genre, eine Gattung bzw. eine Form, die – anders als Literatur – eine Identifikation mit der kulturellen Differenz erlaubt, ohne diese benennen zu müssen. Mendelssohns Sprachkonzept, das von ihm in verschiedenen Schriften reflektiert und entwickelt wird, steht von Anfang an in enger Korrelation zur Übersetzung. Für Mendelssohns Auseinandersetzung mit den Idiomen »Deutsch« und »Hebräisch« sind insbesondere zwei hebräische Schriften relevant: Die frühe Schrift Kohelet Musar4 ist als Apologie einer Übersetzung aus dem Englischen ins Hebräische angelegt, die späte Schrift Or la-Netiva5 von 1782 verteidigt die Übersetzung der Fünf Bücher Mose, das heißt eine Übersetzung aus dem Hebräischen ins Deutsche. Ausgehend von seinen Apologien des Hebräischen und Deutschen lassen Mendelssohns Thesen zu den konkreten Idiomen eine universale Sprach-

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Vgl. hierzu Péter Varga: »Mendel Lefin Satanower – der galizische Mendelssohn« in: Die drei Mendelssohns. Wirkungen der deutsch-jüdischen Aufklärung in Osteuropa. Diss.: Universitas Scientiarum Budapestinensis, 2001, 35–53; zu Lefin‘s Übersetzungskonzept vgl. die philologische Studie von Roland Gruschka: Übersetzungswissenschaftliche Aspekte von Mendel Lefin Satanowers Bibelübersetzungen. Hamburg: Helmut Buske Verlag, 2007. Monika Fick: Übersetzung im 18. Jahrhundert. Lessing als Übersetzer. In: Monika Fick: LessingHandbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart/Weimar 32010, 238–240. Kohelet Musar, JubA 14, 1–21; Andrea Schatz' deutsche Übersetzung ist zu finden in: JubA 20.1, 1–32. Mendelssohn, Or la-Netiva, JubA 14, 209–268.

Mendelssohns Apologien des Hebräischen und Deutschen

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auffassung sichtbar werden, die Mendelssohn explizit auf seine multilinguale Perspektive bezieht: »Man muss verschiedene Länder durchreisen um sein Vaterland zu kennen, weil in der Heimat, wo man keine Gelegenheit zum Vergleichen hat, vieles der Aufmerksamkeit entwischt«.6

Die universale, auf Analogie und Vergleich beruhende Sprachauffassung führt Mendelssohn in Kohelet Musar religionsphilosophisch auf Jehuda Halevi zurück, in Or la-Netiva leitet er sie historiologisch aus der jüdischen Text- und Offenbarungstradition ab. Im Sendschreiben an Lessing, seinen Rezensionen zu Johann David Michaelis' und Herders Sprachaufsätzen, in seinem nicht publizierten Aufsatz Über die Sprache, den Notizen zu Ursprung der Sprache sowie später in Jerusalem begründet er sie im Rahmen der Naturzustandsbetrachtung deistisch. Keine der Perspektiven versucht die je andere zu vereinnahmen, deren wechselseitige Spannung mittels eines agnostischen Arguments vielmehr in der Waage gehalten wird.

i. Mendelssohns Apologien des Hebräischen und Deutschen Die Apologie gehört neben Kommentar und Übersetzung zu den von Mendelssohn am häufigsten benutzten Darstellungsformaten. Immer wieder wählte Mendelssohn für die Präsentation seines Denkens den Duktus der Defensive, der Verteidigung und Rechtfertigung. Hierzu gehören Mendelssohns Verteidigung der Philosophie resp. Logik in seinem Kommentar Millot ha-Higgajon; die Apologie der Unsterblichkeit der Seele als freie Übersetzung von Platons Phaedon (1767); die Apologie der Nützlichkeit der Juden in der Einleitung zu Markus Herz' deutscher Übersetzung von R. Menasseh ben Israels Vindiciae Judaeorum (1782); die philosophische Verteidigung des jüdischen Gesetzes in Jerusalem (1783). Die Frage, gegen welchen Angriff Mendelssohn die Philosophie oder das Gesetz verteidigt, ist in der Vergangenheit sehr unterschiedlich beantwortet worden. Nie ist es allerdings gelungen, den verschiedenen Apologien eine einheitliche Funktion zu unterlegen. Die Spanne reicht hier weit, von Allan Arkushs Behauptung, Mendelssohn sei ein radikaler Deist gewesen bis zu Aaron Guenzbergs These, dass Mendelssohn einen Weg gezeigt hätte, wie der Intellekt dem Glauben untergeordnet werden kann.7 Ebenso wie die Reflexion über Zeichen und Sprache bildet das (religions-)philosophische Darstellungsformat der Apologie einen anderen roten Faden in Mendelssohns Werk. Es ist daher besonders interessant, die Punkte aufzusuchen, wo sich beide Fäden als Sprach-Apologien kreuzen. Denn auch hier trifft man auf eine Matrix widersprüchlicher Variablen: So verteidigt Kohelet 6 7

Mendelssohn, Über die Sprache, JubA 6.2, 17, 10. Vgl. hierzu: Sorkin, The Mendelssohn Myth and its Method, 27.

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Übersetzung als Sprachpolitik

Musar (1755/58), die frühe hebräische Wochenschrift, den profanen Gebrauch der hebräischen Sprache,8 Or la-Netiva (1782) die Übersetzbarkeit der Tora sowie den Gebrauch der deutschen Sprache. Kohelet Musar (Prediger der Moral)9 erschien unter anonymer Autorschaft. Über den Zeitpunkt der Publikation und die zeitgenössische Rezeption ist wenig bekannt, daher werden alle drei Themen in der Mendelssohnforschung gern diskutiert. Obwohl Mendelssohns Autorschaft nie ernsthaft umstritten war, wird die Frage, ob der im Text erwähnte Tobias der Autor sei, oder vielleicht von einer Ko-Autorenschaft auszugehen sei, immer wieder neu aufgeworfen. Es scheint aber, dass sich die Forschung nunmehr weitgehend darin einig ist, in Mendelssohn den alleinigen Autor zu sehen.10 Anhand des in der Schrift vertretenen Sprachkonzepts kann die These der Mendelssohn'schen Autorschaft weiter gestützt werden, da es die späteren Sprachreflexionen antizipiert. Es ist an dieser Stelle, dass sich Mendelssohn überhaupt zum ersten Mal ausführlich und zusammenhängend auf Hebräisch zum Sprachthema äußert. Der vermutete Entstehungszeitraum der Schrift fällt in die Zeit, in der Mendelssohn seine Übersetzung von Rousseaus zweitem Discours anfertigt und das Sendschreiben an Lessing verfasst. Im Zentrum der Sprachreflexionen steht die Apologie des Hebräischen als leshon ha-kodesh (heilige Sprache), deren Gebrauch für alltägliche Bedürfnisse gleichzeitig stärker eingefordert wird. Die Verteidigung der hebräischen Sprache richtet sich an ein jüdisches Publikum, das Hebräisch versteht, beklagt aber gleichzeitig den Verlust der hebräischen Sprache: »Ich sah, dass meine Brüder, die Söhne Israels, unsere Sprache verlassen haben.«11 Mendelssohns Text rekurriert auf ein Wissen, das gleichzeitig in Frage gestellt wird. Damit ist die komplexe Basis, auf der Mendelssohn die Notwendigkeit hebräischen Sprachwissens erörtert, schon in diesem frühen Text angedeutet. Kohelet Musar »ist nicht nur Dokument des Aufbruchs, sondern zugleich des Mangels an sprachlichen Möglichkeiten und 8 9

10

11

Meir Gilon: Mendelssohn's Kohelet Mussar in its Historical Context (Hebr.). Jerusalem: The Israel Academy of Sciences and Humanities, 1979, 37–54. Kohelet Musar, JubA 14, 1–21; Andrea Schatz' deutsche Übersetzung ist zu finden in: JubA 20.1, 1–32; Edward Breuer und David Sorkin englische Übersetzung in: An Annotated Translation of the Kohelet Mussar. In: LBI Year Book XLVIII (2003), 3–24. Ein Überblick über die verschiedenen Spekulationen, die bis 1979 angestellt wurden, findet sich bei Gilon, der auf Grund der stilistischen Differenzen im Text von zwei Autoren ausgeht (Mendelssohn's Kohelet Mussar, 15, 83–96); für Sorkin/Breuer gibt es keinen Zweifel an Mendelssohns alleiniger Autorschaft: Moses Mendelssohn’s first Hebrew Publication, 3; Andrea Schatz hat die von Sorkin und Breuer vertretene These entscheidend gestützt, indem sie auf die geschlossene Anlage der in sechs Briefen verfassten Schrift verwiesen hat (Einleitung zu Kohelet Musar, JubA 20.1, XXX); Die Kohärenz der Sprachkonzeptionen in Kohelet Musar und Bi’ur Millot haHiggajon kann als weiteres Indiz für Mendelssohns Autorschaft der Wochenschrift genommen werden (s.u. Kap. V.iii.); Alexander Altmann ging von einer Ko-Autorenschaft aus, vgl. Moses Mendelssohn. A Biographical Study. London/Portland: The Littman Library of Jewish Civilization, 1998, 83–91. Kohelet Musar, JubA 14, 3: »ʤʹʥʣʷʤ ʥʰʩʰʥʹʬ ʥʡʦʲ ʬʠʸʹʩ ʩʰʡ ʥʰʩʧʠ ʩʺʩʠʸ«.

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der Schwierigkeiten auf dem Weg zu einer Reform der Sprache«.12 Die Wochenschrift ist im Mussiv-Stil geschrieben, der unter dem Einfluss der Renaissance in Italien dem Ideal eines »klassischen Hebräisch« folgt. Jehuda Moscato (ca. 1530– ca. 1593), der vor allem mit seinem Kusari-Kommentar Berühmtheit erlangte,13 schuf mit seinen wortgewaltigen Predigten den Standard für den neuen Stil.14 Wortschatz, Grammatik und Stil dieses Idioms waren nicht mehr vorrangig am rabbinischen Hebräisch oder mittelalterlichen Sprachvarianten orientiert, sondern am biblischen Hebräisch. Die im Mussiv-Stil verfassten Texte bestehen aus Zitaten der rabbinischen und mittelalterlichen Literatur, der jüdischen Philosophie, vor allem aber aus Bibel-Zitaten. Jedes der sechs Kapitel von Kohelet Musar besteht aus einem Geflecht, das Zitate aus der schriftlichen und mündlichen Tradition zu einem neuen Text kombiniert.15 In großer Mehrzahl greift Mendelssohn auf Zitate aus den Propheten sowie auf Bücher zurück, denen eine besonders schöne, kunstvolle, poetische Sprache zugeschrieben wird. Die Bücher Jesaja, Jeremias, Jona, die Psalmen, das Hohelied, Esther und Hiob gehören bei ihm zu den meistzitierten Quellen. Der Text, der so entsteht, ist nicht ganz einfach zu entschlüsseln, da er assoziativ angelegt ist und scheinbar keiner durchgängigen Argumentation folgt. Dass der Text auf ein logisches Argument nicht verzichtet, lässt sich unter anderem an Hand der Sprachreflexionen demonstrieren. Wie Moscato ist Mendelssohn stark von Jehuda Halevi beeinflusst. Im Anschluss an den Kusari,16 das philosophische Hauptwerk Jehuda Halevis, der ca. 1075 in Toledo geboren wurde und 1141 in Palästina starb, ist für Mendelssohn das Hebräische »ha-lashon ’elokit ha-bru’a«, die von Gott erschaffene Sprache.17 Die Idee von der Sakralität des Hebräischen als der von Gott gesprochenen und 12 13 14

15 16

17

Andrea Schatz, Einleitung, JubA 20:1, XXXVf. Jehuda Moscato: Kol Jehuda. Venedig: Giovanni di Gara, 1594. Vgl. hier v.a. die weniger bekannte Predigtsammlung Jehuda Moscatos Nefutzot Jehuda (Venedig: Giovanni di Gara, 1588). Nun auch in englischer Übersetzung: Gianfranco Miletto/Giuseppe Veltri (Hgg.): Judah Moscato. Sermons. Edition and Translation, Vol. 1–2. Leiden/Boston: Brill, 2010–11). Vgl. Meir Gilon, Mendelssohn's Kohelet Mussar, 89–92, 95f. Der Kusari gehört zu den philosophischen Klassikern des jüdischen Mittelalters und wurde von Halevi in der Mitte des 12. Jahrhunderts geschrieben. Ihm wurde im 18. Jahrhundert neues Interesse zuteil, insbesondere im Berliner Umkreis von Moses Mendelssohn, dessen Lehrer Israel Zamośź um 1766 den Kusari-Kommentar Otzar Nechmad (Ein feiner Schatz) schrieb, der erst posthum 1795/96 in Wien (Joseph Hrschansky) erstmals durch Jerucham b. Issachar Beer publiziert wurde. Mendelssohn kopierte den Kommentar Zamośźs zunächst auf den Rand und dann in sein Exemplar der Buxtorf-Edition (Basel 1660) eingelegte Blätter. Das Manuskript ist nicht als Ganzes erhalten geblieben. Teile davon befinden sich im Jewish Theological Seminary, New York und im Jewish Historical Institute, Warschau; vgl. hierzu Gad Freudenthal, Jewish Traditionalism and Early Modern Science, 68, 90; sowie zuletzt und sehr ausführlich Adam Shear in dem Kapitel »The Creation of an Enlightenment Kuzari« in: The Kuzari and the Shaping of Jewish Identity, 209–246. Kohelet Musar, JubA 14, 3.

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offenbarten Sprache hatte sich seit Beginn des Mittelalters in der christlichen und jüdischen Welt durchgesetzt.18 In der jüdischen Tradition ist der Begriff »leshon ha-kodesh« zuerst in der Mischna belegt, um die Lesung bestimmter Perikopenabschnitte in der Liturgie sprachlich zu regeln. Veltri führt die Annahme von der Sakralität des Hebräischen auf die Forderung der genauen Überlieferung der schriftlichen Tora zurück,19 die zu einer Verbindung von Schöpfung und Zeichen der Schrift geführt hat, die später auf die Sprache der Schrift selbst übertragen wurde. Die Begriffe »Sprache des Heiligen« und »heilige Sprache« entstanden erst, als der hebräische Text der Tora nicht mehr verstanden wurde.20 Außerhalb der jüdischen Tradition galt das Hebräische durch das gesamte Mittelalter als Muttersprache der Menschheit, die der babylonischen Sprachverwirrung vorausgegangen und nach der Zerstreuung von den Juden bewahrt wurde. Die Vorstellung von der Vollkommenheit des Hebräischen wurde daher direkt mit Gen 2.19–20 verknüpft und implizierte die wesenhafte Übereinstimmung von Zeichen und Sache, aus der die Universalität des Hebräischen ontologisch abgeleitet wurde.21 Mit den ausgedehnten philologischen Sprachstudien der Renaissance beginnt die Auflösung der Hypothese vom Hebräischen als der Ursprache der Menschheit.22 Ist man anfangs noch bemüht, die je neu im Mittelpunkt des Interesses stehenden Sprachen in die Nähe des Hebräischen zu rücken, so richtet sich das neu entstehende »linguistische« Interesse bald stärker auf eine Klassifizierung von Sprachen in Sprachfamilien als auf die UrsprachenProblematik. Argumentiert wird philosophisch-theologisch an Hand von Gen 10, oder empirisch mit der »Tatsache« vorhebräischer Sprachen. Ist das einerseits der 18

19 20 21 22

Für den allgemeinen mittelalterlichen Kontext, vgl. Umberto Eco, Auf der Suche nach der vollkommenen Sprache. München: dtv, 1997 (Orig.: La ricerca della lingua perfetta nella cultura europea), wo v.a. das von Arno Borst in Der Turmbau zu Babel. Geschichte der Meinungen über Ursprung und Vielfalt der Sprachen und Völker. 4 Bde. Stuttgart: Hiersemann, 1957–63 (Neudruck München 1995) zusammengestellte Material ausgewertet wird; zur rabbinischen Tradition vgl. Giuseppe Veltri: Eine Tora für den König Talmai: Untersuchungen zum Übersetzungsverständnis in der jüdisch-hellenistischen und rabbinischen Literatur. Tübingen: Mohr Siebeck, 1994; sowie den Artikel desselben Autors: Unübersetzbarkeit und Magie der ›heiligen‹ Sprache. Sprachphilosophien und Übersetzungstheorien. In: Tradition und Translation: Zum Problem der Übersetzbarkeit religiöser Phänomen (Festschrift für Carsten Colpe zum 65. Geburtstag). Berlin/N. Y.: Walter de Gruyter, 1994, 299–314.; zur Diskussion in der jüdischen Philosophie des Mittelalters vgl. Irene Zwiep: Mother of Reason and Revelation; einen sehr guten Überblick gibt hier Gad Freudenthal: Dieu Parle-t-il Hébreu? L’Origine - Conventionelle ou Naturelle - Du Langage Humain Selon Quelques Penseurs Juifs Médiévaux. In: Les Cahiers du judaïsme 23 (2008), 4–18; Zeev Harvey: Ha-Dibbur ha-Rishon ve-’Elohej ha-Historia: RIHaL ve-RaCHaK mul RaBa ve-RaMBaM (=Die erste Rede und der Gott der Geschichte: Jehuda Halevi und Chasdai Crescas gegenüber Abraham Ibn Esra und Maimonides). In : Tarbitz 57.2 (1988), 203–216. Vgl. die sogenannte Kanonformel in Deut 4.2. Veltri, Unübersetzbarkeit und Magie der ›heiligen‹ Sprache, 309–313. Eco, Auf der Suche nach der vollkommenen Sprache, 29, 85. Ebd., 96.

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Ausgangspunkt moderner Sprachwissenschaft, so gleichzeitig auch die Voraussetzung für einen Paradigmenwechsel: die Krone der Vollkommenheit kann sich nun, da es keine Übereinkunft in Bezug auf das Hebräische mehr gibt, jede Nation als Sprach- und Volksgemeinschaft insignierend selbst aufsetzen.23 Indem die Vormachtstellung des Hebräischen in Europa schwindet, ändert sich zwar an der innerjüdischen Tradierung des Konzepts der »leshon ha-kodesh« zunächst nichts, jedoch an dessen Bewertung von außen. Der Beginn einer modernen Umdeutung der traditionellen, hebräischen Sprachauffassung erfolgt erst in Reaktion auf den äußeren Druck und dadurch etwas verzögert. Erst im Zuge der osteuropäischen Haskala im 19. Jahrhundert erhält das Hebräische eine den anderen europäischen Nationalsprachen entsprechende, politische Funktion im Hinblick auf die Nation. Mendelssohn steht mit Kohelet Musar ganz am Anfang dieses (oktroyierten) Umdeutungsprozesses und schlägt einen Weg ein, der nicht unkompliziert ist, sich aber den komplexen Herausforderungen des heraufziehenden Nationalsprachengedankens stellt. Mendelssohn geht auf das Mittelalter selbst, das heißt auf die jüdischen Philosophen des spanischen Mittelalters zurück, deren sprachphilosophischen Überlegungen Polyglossie sowie individuelle und kollektive Multilingualität als politische und ästhetische Erfahrungswelten zu Grunde liegen.24 Raphael Jospe, David Sorkin und Adam Shear gehen von einer tiefen Beeinflussung von Mendelssohns Denken durch Jehuda Halevi aus.25 Mendelssohns Kusari-Rezeption ist für die maskilische Beschäftigung mit dem Werk nicht uncharakteristisch.26 Andrea Schatz hat gezeigt, dass das von Halevi im Kusari vertretene Sprachkonzept für Mendelssohns Sprachreflexionen in Kohelet Musar

23 24 25

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Ebd., 105–116. Vgl. hierzu die soziolinguistische Studie von Elaine Rebecca Miller: Jewish Multilingualism: The Use of Hebrew, Arabic, and Castilian in Medieval Spain (1997). Raphael Jospe: The Superiority of Oral vs. Written Communication: Judah Ha-Levi’s Kuzari and Modern Jewish Thought. In: Jacob Neusner et al (Hgg.).: From Ancient Israel to Modern Judaism. Intellect in Quest of Understanding. Essays in Honor of Marvin Fox. Vol. Three. Atlanta: Scholars Press, 1989; Ders.: Biblical Exegesis as a Philosophic Literary Genre: Abraham Ibn Ezra and Moses Mendelssohn. In: Emil L. Fackenheim/Raphael Jospe (Hgg.): Jewish Philosophy and the Academy. London: Associated University Presses, 1996, 81–84; Sorkin, Religious Enlightenment, xxiif, 58; Shear, The Kuzari and the Shaping of Jewish Identity, 216, 223f, 230–35. Die von Shear so beschrieben wird: »The Kuzari’s status as a medieval authoritative work often led later maskilim to cite the Kuzari or Halevi in some manner as precedent for their own activities […]. In many cases, the overall message and specific content in the Kuzari were not terribly important in this process of legitimation. For commentators like Zamosc and Satanow and for others deeply engaged with the work, the ideas contained in the work were important in promoting their intellectual and cultural agendas. Although the work argues against philosophical religion and critizises Aristotelianism, it also contains a great deal of philosophy, especially natural philosophy. As such it could be used as a platform for teaching new scientific and philosophical ideas to a Jewish audience« (ebd., 230).

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zentral ist.27 Es ist zudem der Text Mendelssohns, wo die Beeinflussung Mendelssohns durch Halevi zuerst sichtbar wird. Das von Mendelssohn hier entwickelte hebräische Nationalsprachenkonzept legitimiert sich auf der Grundlage der Sprachendiskussion im Kusari. Wie Halevi geht Mendelssohn von der Auserwähltheit der heiligen Sprache aus. In seinem Kusari-Referat heißt es erklärend: »Denn über alle Sprachen haben die Menschen per Übereinkunft entschieden nachdem das Land geteilt war, aber die heilige Sprache hat Gott an dem Tage erschaffen, an dem er Himmel und Erde gemacht hat, deshalb hat der Kusari sie ›die Erschaffene‹ genannt.«28

Andrea Schatz hat darauf aufmerksam gemacht, dass Mendelssohn mit dieser Interpretation von Kusari IV.25 bis auf eine kleine »signifikante Abweichung« fast wörtlich aus Israel Zamośźs Kusari-Kommentar Otzar Nechmad zitiert.29 Mendelssohn entscheidet sich aber, »die heilige Sprache direkt als Gottes Schöpfung zu bezeichnen und nicht nur davon zu sprechen, dass sie dem Menschen von Gott in den Mund gelegt sei«.30 Das heißt, dass Mendelssohn in der Frage, ob Gen 1 oder Gen 2.19–20 den Anfang von Sprache markieren,31 entgegen Zamośźs Präferenz für die adamitische Namensgebung, die Schöpfungsgeschichte als Urszene der Sprachbetrachtung in den Vordergrund stellt.32 Damit folgt er bewusst Halevis Konzept der heiligen Sprache, das dieser mit Bezug auf den Anfang von Sefer Jetzira entwickelt hatte, was von Mendelssohn auch explizit erwähnt wird.33 Der Schöpfungsakt aus Gen 1 lieferte Halevi die Begründungsformel für die Besonderheit der hebräischen Sprache, welche die einzige Sprache sei, deren Ursprungserzählung nicht auf den Turmbau zu Babel verweise. Entsprechend Halevis Aristotelischer Interpretation von Gen 1.3 versinnbildlicht das dreigliedrige »Gott

27 28

29 30 31 32

33

Schatz, Sprache in der Zerstreuung, 176–94. Kohelet Musar, JubA 14, 3. Meine Übersetzung orientiert sich an der englischen Übersetzung von Edward Breuer und David Sorkin: An Annotated Translation of the Kohelet Mussar. In: LBI Year Book XLVIII (2003), 3–24. Schatz, Sprache in der Zerstreuung, 181. Ebd. Die Spannung zwischen Gen 1 und Gen 2.19–20 hat Umberto Eco zur erkenntnisleitenden Fragestellung seiner Studie Auf der Suche nach der vollkommenen Sprache gemacht (vgl. ebd., 29.). Schatz führt »die kleine Differenz […] darauf zurück[…], dass Zamośź darauf bedacht war, den Verweis auf die adamitische Namensgebung und die schwierige Frage, wie sich hier göttlicher Ursprung und Konvention zueinander verhalten, in seine Auslegung zu integrieren, während Mendelssohn sich von dieser Frage nicht beunruhigt zeigt« (Sprache in der Zerstreuung, 181). In der Analayse von Mendelssohns Kommentar zu Millot ha-Higgajon (s. Kap. V.iii.) werden wir noch sehen, dass Mendelssohn sich mit Halevi in dieser Frage bewusst anders positioniert, gerade weil er die Frage des Verhältnisses von Ursprung und Konvention bedenkt. In Kohelet Musar bleibt Mendelssohn in der Tat zu indifferent. Kohelet Musar, JubA 14, 3, 4; Mendelssohn zitiert Kusari IV.25. Dort entwickelt Halevi sein Sprachkonzept auf der Grundlage von Sefer Jetzira 1; ausführlich zu Mendelssohns und Halevis Konzept der heiligen Sprache in Kap. V.iii.

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sprach, es werde Licht und es wurde Licht« den originären Zusammenhang von Subjekt, Akt und Objekt im Schöpfungsakt.34 Die Benennung ist hier mit dem Wesen und der Natur der bezeichneten Lebewesen und Dinge identisch. Wobei der göttliche Schöpfungsakt die Voraussetzung für die adamitische Namensgebung schafft: »Die heilige Sprache ist ohne Zweifel die vollkommenste von allen Sprachen und in der Benennung angemessener als alle anderen. Wie die Schrift sagt: Und wie der Mensch jedes Lebewesen nennen würde, so sollte sein Namen sein [Gen 2.19], das bedeutet, dass es diesem Namen entspricht, der ihm angemessen ist und Auskunft gibt über seine Natur.«35

Halevis und Mendelssohns Interpretationen speisen sich aus der Aufrechterhaltung der Spannung zwischen Gen 1 und Gen 2.19–20. Nach Jehuda Halevi kann die lebendige Einheit von Namen und Benanntem, von Zeichen und Bezeichnetem, welche die Superiorität der heiligen Sprache ausmacht, vom Menschen nicht erreicht werden. Das heißt aber, dass »die Sprache, die Gott den ersten Menschen lehrte«, eine andere wurde, als Gott sie »auf dessen Zunge und in sein Herz legte«.36 Körper und Seele, Rede und Denken sind die beiden Instanzen, auf die menschliche Sprache im Gegensatz zur göttlichen angewiesen ist. Mendelssohns Rede vom Verlust der hebräischen Sprache in Kohelet Musar bezieht sich vordergründig auf das defizitäre zeitgenössische Sprachwissen. Wenn Mendelssohn jedoch das Schicksal des Hebräischen in messianischer Terminologie beklagt, ist mittelbar der unwiederbringliche, metaphysische Verlust angesprochen: »Ich sehe deutlich, wie unsere Brüder, die Israeliten, unsere heilige Sprache verlassen haben: Und ich bin tief betrübt [Jona 4.9]. Ich weiß nicht, wie ihnen dieses Übel geschehen konnte [Ri 20.3], was sie gesehen haben und ihnen passiert ist [Esther 9.26], die stolze Krone der herrlichen Schönheit [Jes 28.1] auf den Boden zu werfen. Ist sie denn nicht die angesehenste unter den Sprachen?«37

Mendelssohn folgt mit dieser Klage einem Topos, den es seit Saadia Gaon (882– 942) in der jüdischen Philosophie und Linguistik gibt. Saadia, der das erste hebräische Wörterbuch verfasste, um dem Verlust des Sprachwissens unter seinen Zeitgenossen zu begegnen, führte in seinem hebräischen Vorwort zum Sefer ha-Egron den Verlust des hebräischen Sprachwissens auf die Zerstörung des Tempels in Jerusalem und das Exil zurück. Weil die Israeliten begannen, in den Sprachen der Länder zu reden, in denen sie lebten, vergaßen sie die heilige Sprache und began-

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Vgl. hierzu Jospe, The Superiority of Oral vs. Written Communication, 132f; ausführlicher hierzu ebenfalls Kap. V.iii. Kohelet Musar, JubA 14, 3. Ebd. Ebd.

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nen in ihr zu stammeln.38 Saadia wollte mit dem Wörterbuch sein arabischsprachiges, jüdisches Publikum zum richtigen Gebrauch der hebräischen Sprache in den verschiedensten Kontexten anleiten. Das Buch sollte »der Weisheit dienen« und zwar »dem ganzen Volk Gottes und den Tora- und Rechtsgelehrten«, es sollte Instrument der Textauslegung, der Rhetorik, der Gesanges- und Dichtkunst sein, mit seiner Hilfe sollte das Volk reden bei all seinen Tätigkeiten im Alltag, in den Schlafzimmern und mit den Kindern.39 Die Verbesserung der hebräischen Sprache ist auch Mendelssohns Ansinnen in Kohelet Musar. Er kompiliert jedoch kein Wörterbuch, sondern bereichert das Hebräische durch eine Übersetzung aus dem Englischen ins Hebräische: Der letzte Sha‘ar von Kohelet Musar schließt mit der Übersetzung der ersten Strophen von Edward Youngs (1681–1765) The Complaint: or Night-Thoughts on Life, Death & Immortality (1742–45). Das philosophische Gedicht in Blankversen, das nicht nur zur Kampfhymne des Sturm und Drang wurde, sondern auch Friedrich von Hardenberg (Novalis) als Vorlage für seine Hymnen an die Nacht (1800) diente und Heinrich Heines Deutschlandklage (Denk ich an Deutschland in der Nacht) inspirierte, ist in Form eines Klageliedes verfasst. Veranlasst durch die Trauer über den Verlust seiner Frau, meditiert Youngs Gedicht in einer Serie von neun »Nächten« über die Unsterblichkeit, den Tod, die menschliche Nichtigkeit und Fragilität, die Vergänglichkeit des Lebens und seiner Möglichkeiten. Die philosophische Kontemplation über das Gefühl, das ein unwiederbringlicher Verlust hervorruft, die poetische Beschreibung der affektiven Gemütszustände, die der Tod eines nahestehenden Menschen auslöst, die reiterativ formulierte Erkenntnis der eigenen Subjektivität aus dem Gefühl der Einsamkeit und des Alleinseins – all das sind Leitthemen, die Mendelssohn in seinen ästhetischen, metaphysischen und politischen Schriften immer wieder neu variieren wird. Dass er die Teile der ersten beiden »Nächte« ins Hebräische überträgt, belegt sein außerordentlich starkes philosophisches Interesse an dem Gedicht. Dieses Gedicht setzt für ihn den Maßstab, der an die hebräische Sprache herangetragen werden muss. Mendelssohn möchte mit seiner Übersetzung nicht nur die Flexibilität und das poetische Potential des Hebräischen erweitern, sondern dessen ureigenes philosophisches Potential neu zur Entfaltung bringen. Youngs Gedicht wird so zur Allegorie der den Gebrauch des Hebräischen begleitenden Verlusterfahrung selbst. Es handelt sich hier

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Vgl. das hebräische Vorwort zum Sefer ha-Egron in: Nehemya Allony: Ha-Egron. Kitab Usul alSir al-‘Ibrani. Me-et Rav Saadia Gaon. Jerusalem: The Academy of the Hebrew Language, 1969, 156 – 163, bes. 158f. Zu Saadias Sprachauffassung vgl. Jasmin Henle: Die Auslegungsmethode Saadias anhand des ma āz-Konzepts vor dem Hintergrund seiner Vorstellung von Sprache. In: Johannes Thon et al. (Hgg.): Sprachbewusstsein und Sprachkonzepte im Alten Orient, Alten Testament und rabbinischen Judentum: Halle/S.: Universätsverlag Halle-Wittenberg, 2012 (im Druck). Ich danke Jasmin Henle, dass sie mir das Manuskript zugänglich gemacht hat. Saadia, Ha-Egron (Allony), 159.

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um eine große sprachschöpferische Leistung, der man zuweilen die Mühe anmerkt, die sie dem Verfasser bereitet hat. Folgt die Anlage von Kohelet Musar der Rechtfertigung einer Übersetzung aus dem Englischen in die heilige Sprache, verteidigt die Schrift Or la-Netiva eine Übersetzung aus dem Hebräischen ins Deutsche. Diese Schrift ist als Apologie der Bibelübersetzung angelegt, sie verteidigt den jüdischen Gebrauch der deutschen Sprache. Mendelssohns mehrdimensionale Sprachauffassung wird erst durch die Konfrontation beider Texte im ganzen Umfang deutlich, denn die Wirkungsgeschichte beider Texte führt in diametrale Richtungen: Die Bibelübersetzung ist für Hermann Cohen der eigentliche Reformakt Mendelssohns, durch den er »mit dem Geiste des Deutschtums das Judentum erfüllte, und dessen Weltmission […] von neuem auf ihr prophetisches Ziel« hinlenkte.40 Kohelet Musar hingegen wurde von den Gründern des Me’assef, dem ersten modernen hebräischsprachigen Periodikum, das eine wichtige Rolle in der hebräischen Spracherneuerungsbewegung spielte, als wegbereitendes Modell angesehen. Die von Mendelssohn ausgesprochene Forderung nach Erweiterung der Grenzen der hebräischen Sprache geht aber von deren multilingualer Koexistenz neben anderen postbabylonischen Sprachen aus, denen sogar eine gewisse Überlegenheit zugeschrieben wird: »Lasst uns von den anderen Nationen lernen, jede mit ihrer eigenen National/Landessprache. Sie haben weder geruht noch gerastet, bis sie die Grenzen ihrer Sprache erweitert hatten. Warum sollten wir träumend liegen bleiben [Jes 56.10] und nicht ihr Tun nachahmen mit unserer Sprache, die die erhabenste und altehrwürdigste ist.«41

Mendelssohn ruft zu einer Spracherweiterung auf: Die hebräische Nation soll von den anderen Völkern lernen, wie diese soll sie die Grenzen ihrer Sprache erweitern. Hebräisch soll als poetische, Übersetzungs- und Literatursprache, und sogar als Umgangssprache neu etabliert werden,42 aber nicht auf der Grundlage ihrer Superiorität, sondern auf der Grundlage des postbabylonischen Zustands. Hebräisch ist zwar die einzige Sprache, deren Geschichte über den Turmbau zu Babel hinausweist,43 jedoch leitet Mendelssohn hieraus für sie keinen herausgehobenen Status für die Gegenwart ab. Im Gegenteil, er ist bestrebt zu zeigen, dass die Originalität des Hebräischen als Sprache der Schöpfung und Sprache der Offenbarung nicht mehr in einem lebendigen Zusammenhang mit einer Sprechergemeinschaft steht. Hierfür bedient er sich in Or la-Netiva einer historiologischen Argumentation und zielt darauf ab, die deutsche Sprache in Analogie zur Verwendung des Aramäischen, Griechischen, Arabischen und Jiddischen für den jüdischen Gebrauch 40 41 42 43

Cohen, Deutschtum und Judentum, 260f. Kohelet Musar, JubA 14, 4. Ebd. Auch hierin folgt Mendelssohn Saadia, Ha-Egron (Allony), 158.

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zu legitimieren. Seit dem ersten Exil nach der ersten Tempelzerstörung ist der unmittelbare Zusammenhang der heiligen Sprache mit der Lebenswirklichkeit verloren gegangen, indem Hebräisch als gesprochene Sprache abgelöst wurde durch die Sprachen des Exils.44 Ohne dass Mendelssohn es ausdrücklich sagt, ist es der Abfall vom Gesetz gewesen, der dazu führte, dass das Hebräische den Sprachen der anderen Völker vergleichbar wurde. Der Bonus, den Babel den gesetzestreuen Noachiden garantierte, wurde im babylonischen Exil verspielt. Weil sich die Israeliten mit fremden Frauen verheirateten, hörte die hebräische Sprache auf, als lebendige Sprache zu existieren. Fortan sprachen Juden die Sprachen der Völker, unter deren politischer Herrschaft sie lebten. Damit ging der ersten Sprache der Menschheit die Identität von Bezeichnung und bezeichneter Sache, welche den anderen Sprachen nie eignete, verloren. Nur in der Mikra’, der Schrift, ist die Erinnerung an den originalen Zustand noch vorhanden, der im liturgischen Zusammenhang und durch Studium unter Anleitung der mündlichen Tora approximativ eingesehen werden. Die Bedeutung der Schrift reproduziert sich nicht mehr im Gebrauch der Landes- oder Umgangssprache. Auf dieser Grundlage kann das Hebräische selbst nur noch durch Konvention auf die Wirklichkeit bezogen werden. Im Vergleich mit den ursprünglich konventionellen Sprachen fällt Mendelssohn schon in Kohelet Musar auf, dass die Sprachen der anderen Völker, obgleich sie nicht originär sind, in einem Lebenszusammenhang stehen, der dem Hebräischen fehlt. Nur solange die lebenspraktische Einbettung des Hebräischen garantiert war, war die heilige (National-)Sprache der Israeliten vor den konventionellen, postbabylonischen Sprachen privilegiert. Das Hebräische als leshon hakodesh wird zum Symbol, das die ursprüngliche Einheit von Zeichen und Welt, von Sprache und Nation, nur noch als Ideal eines vollkommenen, nicht mehr zu erreichenden gesellschaftlichen Zustandes, transportiert. Wenn Mendelssohn von der Konventionalität der Sprachen spricht, liegt ihr die zur Idee umgeformte metaphysische Verlusterfahrung des Hebräischen zu Grunde. Für Mendelssohn ist daher die Gefahr des Verlustes der hebräischen Sprache ein systematisches Problem und nicht im engeren Sinne vom defizitären, hebräischen Sprachwissen des 18. Jahrhunderts abgeleitet. Der Weg, den er sieht, um diesem Problem zu begegnen, ist die Wiedereinsetzung des Hebräischen in einen natürlichen, profanen Lebenszusammenhang, der es ermöglicht, die Grenzen der Sprache zu erweitern und so die Erinnerung an den vorbabylonischen Sprachzustand wach zu halten. Der heilige Status des Hebräischen wird dadurch von Mendelssohn nicht angegriffen sondern für die Moderne gerettet. Das an Halevi orientierte Konzept der heiligen Sprache ist der Boden für Mendelssohns universale Sprachbetrachtung.

44

Vgl. ebenfalls Saadia, Ha-Egron (Allony), 158f.

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ii. »Von den Übersetzungen« Mendelssohns erste Bildung folgte den Standards des aschkenasischen Curriculums einer religiösen Erziehung. Im Zentrum dieser Ausbildung stand der Talmud. Studiert wurden vor allem Talmud-Kommentare und der traditionelle Apparat zum Erlernen der kasuistischen Logik (Pilpul) als Instrument der Auslegung halakhischer Regeln. Anders als in der traditionellen Ausbildung intendiert, in der das Studium des Chumash (Pentateuch) am Anfang steht und vor allem dem Erlernen der hebräischen Sprache und der Parashot – das heißt der Wochenabschnitte für die liturgische Lesung im Gottesdienst – dient, und im fortgeschrittenen Lernen eine dem Mischna- und Talmud-Lernen untergeordnete Rolle spielt, nahm das Studium des Tanakh45 in Mendelssohns Beschäftigungen einen unvergleichlich hohen Stellenwert ein.46 In seinem Werk, zu dem nicht nur sein Kohelet-Kommentar,47 sondern auch die Psalmen-48 und Shir ha-Shirim-Übersetzung49 gehören, nimmt das von ihm geleitete erste große maskilische Publikationsprojekt der Tora-Übersetzung (1780–1783), Netivot ha-Shalom,50 einen zentralen Platz ein. Mendelssohns Übersetzungsaktivitäten überschreiten mit dem Pentateuch-Projekt den Rahmen einer privaten Beschäftigung und erhalten eine öffentliche Dimension, die vor allem von der zeitgenössischen jüdischen Orthodoxie als unerlaubte Assimilierung an die deutsche Sprachumgebung wahrgenommen und abgelehnt wird.51 Wie ein Sinnbild seiner Zwillingsreform scheint das von Mendelssohn geleitete, erste große maskilische Publikationsprojekt, Netivot ha-Shalom, die Multivalenz von Mendelssohns sprachreformatorischen Absichten abzubilden. Denn allein im Druckbild der Tora-Übersetzung manifestiert sich das komplexe Programm seiner doppelten Sprachpolitik: Der massoretische Text steht im Zent45 46

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»TaNaKh« ist ein Akronym und setzt sich zusammen aus den Anfangsbuchstaben von »Tora«, »Nevi’im«, »Ketuvim«. Vgl. hierzu den Raschi-Kommentar zum Talmud-Traktat Kiddushin 30a, eine der zentralen Stellen im Talmud, wo das Verhältnis von schriftlicher und mündlicher Tora abgehandelt wird. Er fordert eine Drittelung des Studiums: ein Drittel Mikra’, ein Drittel Mischna, ein Drittel Gemara (Talmud), das heißt zwei Drittel Gesetzesauslegung (mündliche Tora), ein Drittel Schriftauslegung (schriftliche Tora); vgl. auch: mAvot 6.6, bShab 31a. JubA 14, 145–207. Originalausgabe in deutscher Sprache: Die Psalmen. Übersetzt von Moses Mendelssohn. Berlin: bey Friedrich Maurer, 1783. JubA 10.1, 239–252. Ein Reprintdruck der posthumen Erstausgabe im Rahmen der fünf Megillot (Esther, Ruth, Klagelieder, Kohelet, Hoheslied) findet sich in JubA 15.1. In Kooperation mit Salomo Dubno und Naftali Hertz Wessely. Vgl. hierzu ausführlich: Alexander Altmann, A Biographical Study, 368–420; aber auch: Christoph Schulte: Die Jüdische Aufklärung. Philosophie, Religion und Geschichte. München: C. H. Beck, 2002, 60f. Zur jüdischen Rezeption vgl. Werner Weinberg, Einleitung, JubA 15.1, LXXIII–LXCIX; aber auch Römer, Tradition und Akkulturation, 92.

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rum der Publikation, die deutsche Übersetzung in hebräischen Lettern ist ihm unter dem Titel »Targum Ashkenasi« außen an die Seite gestellt; unterhalb des hebräischen Textes ist die erste Übersetzung des Bibeltextes in eine andere Sprache, der aramäische »Targum Onkelos«, platziert; unterhalb des »Targum Ashkenasi«, der sich allein durch den Titel in eine Übersetzungs- und Auslegungstradition mit dem aramäischen Targum stellt, befindet sich der große BibelKommentar des aschkenasischen Mittelalters, der »Raschi-Kommentar«; ein neuer hebräischer Kommentar, der Bi’ur, der das hebräische Wort für Kommentar, »bi’ur«, schon lange als Eigennamen beansprucht, ergänzt die Übersetzung und ist in der Publikation unterhalb des Targum Onkelos und des Raschi-Kommentars, jeweils am unteren Ende, sich über die ganze Seite erstreckend, angeordnet; massoretischer Text, aramäischer und deutscher Targum sind in Quadratschrift gesetzt und dadurch aufeinander bezogen, wobei die Wertigkeit der Texte in der Reihenfolge massoretischer Text, Targum und deutsche Übersetzung durch die Größe der Lettern eindeutig definiert ist; die Druckbilder des RaschiKommentars und des Bi’ur hingegen benutzen die sogenannte Raschi-Schrift, eine ursprünglich sefardische Kursive des Hebräischen. Allein durch die graphische Präsentation ist eine Bedeutungslimitierung der neuen, deutschen Übersetzung impliziert, die darüber hinaus durch die Notwendigkeit eines begleitenden hebräischen Kommentars betont wird. Gleichzeitig mit der Übereignung des wichtigsten Textes der jüdischen Tradition an die deutsche Sprache postuliert das hebräische Schriftbild diesen als deren ureigenen Bestandteil. Der Text wird also im selben Moment, in dem er der hebräischen Sprache enteignet wird, wieder in die Tradition zurückgeholt. Insbesondere die Gleichzeitigkeit beider Bewegungen sorgte immer wieder für Verwirrung. Der maskilische, hebräischsprachige Kommentar, der nicht nur einen neuartigen sprachlichen Duktus des Hebräischen zu etablieren versuchte sondern sich mit zeitgenössischen philosophischen, linguistischen und hermeneutischen Auslegungsmaximen auseinandersetzt, verschwindet seinerseits ebenfalls hinter dem graphischen Erscheinungsbild eines traditionellen rabbinischen Kommentars, der anzeigt, dass er die modernisierten Auslegungsmaximen in der Diskussion mit den mittelalterlichen Bibel-Kommentatoren sowie der halakhischen, philosophischen und linguistischen Tradition des jüdischen Mittelalters gewinnt.52 Andererseits wird der Bi’ur allein durch den Fakt der offensichtlichen Notwendigkeit einer deutschen Übersetzung des Textes, den er kommentiert, relativiert. Bei Berücksichtigung all ihrer verschiedenen Facetten sendet die Publikation eine sehr ambivalente, widersprüchliche Botschaft aus, beansprucht aber mit ihrem Erscheinungsbild die gesamte Autorität der jüdischen Überlieferung. Sie platziert sich graphisch in einer

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Nach wie vor am ausführlichsten hierzu Perez Sandler: Ha-Bi’ur la-Tora shel Moshe Mendelson veSi‘ato. Jerusalem: Rubin Mass, 21984, 73–97.

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Matrix von Kontinuität und Wandel, deren innere Dialektik sich nicht auf den ersten Blick erschließt. Mendelssohn hat im zweiten Kapitel von Or la-Netiva seine Apologie der deutschen Übersetzung unter der Überschrift »Von den Übersetzungen« vorgetragen.53 Die hier angestellten Überlegungen stehen im Einklang mit der äußeren Form der Textpublikation, die erstens die Domäne des hebräischen Quellentextes bestätigt, und zweitens bereits den Hinweis auf Mendelssohns Postulat einer jüdischen Übersetzungstradition enthält. Mendelssohn möchte die Bewegung der Übersetzung – vom Hebräischen zum Deutschen – gerade nicht als Abweichung von der Tradition verstanden wissen, sondern sie soll aus der jüdischen Tradition heraus in hebräischer Sprache legitimiert werden. Die Entscheidung für die Dominanz des Quellentextes und dessen traditioneller Verankerung oder für den Text und Kontext der Zielsprache hat Gideon Toury als Basisentscheidung des Übersetzers bzw. »initial norm« der Übersetzung beschrieben. Übersetzungen sind immer das Produkt einer sehr komplexen Prozedur, die unvermeidlich zwei verschiedene literarische oder religiöse Texttraditionen und so mindestens zwei Normen miteinander konfrontiert. Hinter jeder Übersetzung verbirgt sich der Konflikt zweier konkurrierender Wertesysteme, der darüber entscheidet, ob es sich um ein eigenständiges Werk in der Zielsprache (target language) handelt oder um eine Übersetzung, die intendiert, den fremdsprachigen (source language) Quellentext (source text) in der Zielsprache als Teil eines anderen religiösen, kulturellen, literarischen und/oder linguistischen Text- und Deutungssystems zu repräsentieren und damit letztlich eine bestimmte Position innerhalb des Normensystems zu beanspruchen, dem der Originaltext entstammt.54 Letztere Position wird von Mendelssohn und den an der Übersetzung beteiligten Maskilim unwidersprüchlich eingenommen. Dennoch bleibt der Konflikt der Wertesysteme bestehen, denn der zentrale Text der jüdischen Tradition wurde in eine religiös unverbindliche Sprache übersetzt. Mendelssohn verteidigt daher in Or la-Netiva das gleichermaßen Innovative wie Provozierende der Übersetzung so stark als Althergebrachtes, dass es als solches in der Tradition selbst zu verschwinden scheint.55 Es wird in Mendelssohns Argumentation zum unvermeidlichen Nebenprodukt der notwendig einzulösenden Bewahrung der jüdischen Tradition.

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Carola Hilfrich (Lebendige Schrift, 34, 66–73) und Andrea Schatz (Sprache in der Zerstreuung, 242–259) haben Or la-Netiva bereits mit anderem Schwerpunkt untersucht. Meine Analyse versteht sich als deren Ergänzung, welche die politische Dimension des Übersetzungskonzepts stärker herausarbeitet. Gideon Toury: In Search of a Theory of Translation. Tel Aviv: The Porter Institute for Poetics and Semiotics Tel Aviv University, 1980, 52–54. Nur an den scharfen Reaktionen der jüdischen Orthodoxie auf die Übersetzung ist ablesbar, welchen Tabubruch Mendelssohn und die anderen Maskilim begangen haben (s. weiter oben im Kapitel).

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Nachdem Mendelssohn im Eingangsteil den Offenbarungscharakter der Tora und der hebräischen Sprache nachhaltig verteidigt und befestigt hat, konstruiert er aus der rabbinischen Tradition eine Übersetzungsgeschichte der schriftlichen Tora. Er beginnt mit einer Schilderung des einheitlichen vor-exilischen Sprachund Gesellschaftszustandes, in der die ›natürliche‹ Voraussetzung aller Hörer, das Hebräische als Umgangssprache zu benutzen, den Textzugang auf der Grundlage des ›einfachen Wortverständnisses‹ (peshut) bestimmt: »Solange also die Israeliten ihre Sprache nicht veränderten und die Sprache des gelobten Landes dem Munde des Volkes von groß bis klein gewohnt und geläufig war, benötigten sie keine Übersetzung der Bibel. Jeder, der die Bibel aus dem Munde des Vorlesers hörte, der auf die Vokale, die Melodie und die Akzente so achtete, wie es erwünscht war, verstand aus eigener Ansicht die Intention der Rede, gemäß ihres einfachen Schriftsinnes. Denn die Israeliten waren es gewohnt, eine ähnliche Sprache, Stimmen und Akzente bei all ihren Geschäften und Bedürfnissen zu benutzen. An der Stelle, an der die Intention des geschriebenen Wortes damit nicht erreicht wurde, war eine Erklärung nötig. Diese Erklärung vermittelte zwischen verschiedenen Ausdrücken in der heiligen Sprache selbst, nicht mittels einer Übersetzung in die Sprache eines anderen Volkes. Und wenn jemand aus der Quelle des Lebens schöpfen kann, warum sollte er sich zerbrochene Brunnen aushauen?«56

Damit wird in Mendelssohns Darstellung ein politisches Kriterium zum Auslöser einer Umbewertung der jüdischen Tradition. Beginnend mit dem babylonischen Exil konstatiert er einen Abfall von der hebräischen Sprache als gesprochener Sprache und das Ende des monolithischen Sprachzustandes des jüdischen Volkes. Er stützt sich dabei auf Neh 13.23–24: »Als sie aber ins babylonische Asyl auswanderten mischten sie sich unter die Heiden und nahmen sich fremde Frauen und vergaßen ihre Sprache. Nach dem Zeugnis der Schrift (Neh 13.23–24): ›Auch sah ich in jenen Tagen Juden, die aschdodische, ammonitische und moabitische Frauen heimgeführt hatten. Von ihren Kindern sprach die Hälfte aschdodisch. Sie verstanden nicht mehr jüdisch zu sprechen, sondern nur die Sprache des betreffenden Volkes.‹ [...] Bis sie sich endlich daran gewöhnten, in der Sprache ihrer Machthaber zu sprechen und die Gewöhnung an die heilige Sprache nur bei einer kleinen Minderheit, den Weisen der Generation, welche immer über die Tora Gottes nachdenken, erhalten blieb. Und [das blieb so], auch nachdem man wieder nach Jerusalem eingewandert war, denn nur wenige von ihnen kehrten zurück.«57

Für Mendelssohn liegt hier die Motivation für die erste Übersetzung der Tora, dem aramäischen Targum. An dieser Stelle beginnt Mendelssohns Argumentation, die der Übersetzung einen Wert per se zuweist, der darin besteht, dass sie Tradition für die jüdische Mehrheit immer dann bewahrt, wenn die sprachliche Assimilierung an äußere politische Machtverhältnisse nur noch einer intellektuel56 57

Mendelssohn, Or la-Netiva, JubA 14, 232, (Hervorh., G.S.). Ebd., 232.

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len Elite ein Verständnis der zentralen Texte der jüdischen Gemeinschaft erlaubt. Die Übersetzung wird in Mendelssohns Interpretation zum wesentlichen Träger nationaler und religiöser Identität im Zustand der politisch bedingten Di- beziehungsweise Polyglossie, die seit dem ersten Exil die jüdische Realität bestimmt: »Als Esra und seine Gefährten sahen, dass die heilige Sprache vom Volk Israel vergessen worden war, standen sie auf und übersetzten ihnen die Tora in die aramäische Sprache, an welche sie gewöhnt waren und welche sie für alle ihre Betätigungen benutzten. Wie unsere Weisen, gesegnet sei ihr Angedenken, sagten: Die Tora kehrte zurück und wurde Israel in den Tagen Esras in aramäischer Sprache gegeben. Und so sagten sie, ausgelegt – das bedeutet Targum. Sie folgten damit der Absicht, dass man durch die Übersetzung die Tora verstehen und Einsicht in die Werte der Sprache haben sollte, die von ihnen vergessen worden waren. Und so begannen sie erneut, die Tora zu lernen. Denn auf diesem Weg lernt der Mensch eine andere Sprache, an die er nicht gewöhnt ist, zu verstehen.«58

Die Analogie zu den von Mendelssohn etwa zur gleichen Zeit auf Deutsch formulierten staatsphilosophischen Überlegungen in Jerusalem ist nicht zu übersehen. Der vorexilische einheitliche Sprachzustand der Israeliten korrespondiert mit dem politischen Zustand, den das mosaische Verfassungsmodell mit der Einheit von Religion und Staat, von religiöser und bürgerlicher Gesetzgebung garantierte. Der Zustand der Diglossie setzt ein mit dem Leben unter babylonischer Fremdherrschaft. Er wandelt sich mit der Ausbreitung des Griechischen als lingua franca des Mittelmehrraumes in einen Zustand der Polyglossie. Nachdem der aramäische Targum zunächst vergessen wird, stellt ihn der Proselyt Onkelos nach der Zerstörung des Tempels wieder her. Mit den nach Onkelos folgenden Übersetzungen der Tora ins Griechische (Übersetzung des Aquila, Septuaginta und andere) wird Aramäisch als jüdische Sprache nicht aufgegeben: »Als aber die Hand der Griechen über ihnen herrschte, ordneten sie sich schnell unter und verließen auch die aramäische Sprache. Denn sie lernten immer die Sprache der Nation, welche über sie herrscht und regiert. [...] Und am Ende vermischten sie eine Sprache mit der anderen und brachten sie durcheinander. Keiner von ihnen wich auf irgendeinem Wege davon ab, wie es erwünscht gewesen wäre. Und so verlernten sie auch den Targum, den Esra und seine Gefährten ihnen übersetzt (verbessert) hatte. […] Bis dass Onkelos, der Proselyt, in den Tagen R. Eliesers und R. Jehoschuas (beides Schüler von Jochanan Ben Sakkai) nach der Zerstörung des Tempels sich erhob und zurückkehrte, um den in Israel vergessenen Targum neu zu begründen. [...] Nach Onkelos erhob sich ein anderer, griechischer Proselyt, genannt Aqilas oder Aquila, von der Insel Pontos im Mittelmeer, und auch er übersetzte vor R. Elieser und R. Jehoschua die Tora in die griechische Sprache. Es ist wahrscheinlich, dass R. Elieser und R. Jehoschua die Absicht hatten, auch jenen Menschen aus dem Volke Israel

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nützlich zu sein, welche die aramäische Sprache nicht verstanden sondern die griechische Sprache verwendeten.«59

Die gleiche Argumentation kehrt bezüglich der mittelalterlichen arabischen Übersetzungstätigkeit wieder, die erstmals das gesamte Schrifttum der jüdischen Tradition einbezieht: »Am Anfang des achten Jahrhunderts des fünften Jahrtausends erhob sich R. Saadia Gaon, [...] und übersetzte die fünf Bücher der Tora in die arabische Sprache [...] Und in diesen Tagen benutzten auch die Weisen unseres Volkes, welche unter der Herrschaft dieser Nation lebten, wegen ihrer Reinheit und Lieblichkeit, die arabische Sprache. Und sie schrieben in ihr die Bücher, nicht nur wissenschaftliche, ethische, rhetorische und poetische Abhandlungen, sondern auch die Gesetzesbücher, MischnaKommentare und die Neuerungen des Talmud.«60

Indem Mendelssohn mit der Erwähnung der Lieblichkeit und Reinheit der arabischen Sprache die politische Argumentation mit ästhetischen Wertmaßstäben verbindet, weist er auf die Verschränkung zweier Reflexionsdimensionen, die nicht nur Or la-Netiva betreffen, sondern auch sonst in seinem Werk eine zentrale Rolle spielen. Bezüglich der griechischen Übersetzung des Aquila bezog er sich auf folgende Stelle aus dem Talmud Jeruschalmi: »Und so steht es in jMeg 1: […] R. Chija sagte: Aqilas, der Proselyt, übersetzte die Tora vor R. Elieser und R. Jehuda ha-Nasi, die ihn lobten und sagten: er sei der Schönste unter den Menschenkindern. Und es schrieb der Autor von Imre Bina (Kap. 45) [Asaria de´ Rossi], dass dies ein ihm angemessenes Lob gewesen sei. Und zwar deswegen, weil er die Schönheit beschrieb, die von ihnen, gesegnet sei ihr Angedenken, mit der griechischen Sprache verbunden wurde. Sie nannten diese Schönheit in jMeg 1: Seine Schönheit von Jafet.«61

In bMeg 9b heißt es analog: »Die Schönheit des Jafet soll im Zelt Schems sein«. Es handelt sich hier im Hebräischen um ein Wortspiel: »jofiuto shel jefet«, dass dazu auffordert, die griechische Pentateuch-Übersetzung, die in der schönsten Sprache der Nachkömmlinge Jafets, dem zweiten Sohn Noahs, abgefasst ist, im jüdischen Lehrhaus zu benutzen.62 Mendelssohn möchte also die Attraktivität der griechischen Sprache und Ästhetik für das Judentum aus der Tradition heraus legitimieren. Sein Anschluss an den Renaissancegelehrten Azaria de' Rossi (ca. 1513–1578) korrespondiert dieser Argumentation.63 Das letzte Kapitel von De' Rossis Me’or

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Ebd., 233f. Ebd., 240. Ebd., 234. Naomi Seidman widmet der griechischen Übersetzung des Aquila ein ganzes Kapitel in ihrem Buch, unter dem Titel »›The Beauty of Greece in the Tents of Shem‹. Aquila between the Camps« (Faithful Renderings, 73–114). Das von Mendelssohn hier zitierte Imre Bina ist der 3. Teil des Werkes, das 1573 in Mantua auf Hebräisch publiziert wurde. Die Maskilim besorgten im Jahre 1794 in Berlin einen Neudruck

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Enajim64 enthält eine Diskussion biblischer Poetik, die hauptsächlich in der Auseinandersetzung mit verschiedenen Metrik-Theorien geführt wird und gleichermaßen an jüdischen und klassischen Quellen ausgerichtet ist.65 Daher bietet er auch für die poetologische Bibelkritik des Engländers Robert Lowth (1710–1787) ein hohes Maß an Anschlusspotential wie im nächsten Kapitel deutlich werden wird. Mendelssohn stützt sich an vielen weiteren Stellen seiner Darlegung in Or la-Netiva auf de' Rossis Me’or Enajim.66 Er übernimmt De' Rossis historiologische Methode und knüpft damit auch hier – wie schon mit der Aufnahme des MussivStils in Kohelet Musar – an die Ideen der jüdisch-italienischen Renaissance an. De' Rossi thematisierte zweihundert Jahre vor Mendelssohn die Übernahme ästhetischer Kategorien anderer Kulturen in die jüdische Tradition.67 Mit Verweis auf Juda Provenzali, Maimonides, Abraham ben Shem Tov Bibago befestigte de' Rossi seine eigene Position und stützte die zeitgenössische Übernahme poetischer Techniken aus der Tradition der griechischen Antike und den Nationalliteraturen mit dem alten Argument, dass Ideen und Vorstellungen anderer Traditionen im Altertum von früheren jüdischen Ideen antizipiert wurden.68 Das Irritierende an Mendelssohns Argumentation ist, dass er sich mit der Einordnung seiner Übersetzung einer Tradition anschließt, die er eigentlich ablehnt. So erscheint der Abschnitt, der sich der jiddischen Übersetzungstradition der Tora widmet, als geschlossene Argumentationseinheit, die aufgrund ihres polemisch vorgetragenen Inhalts im Widerspruch zum Hauptargument des Textes zu stehen scheint. Das hat zu einer einseitigen Rezeption von Mendelssohns Po-

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(vgl. Yosef Hayim Yerushalmi: Zachor: Erinnere Dich! Jüdische Geschichte und jüdisches Gedächtnis. Übers. von Wolfgang Heus. Berlin: Klaus Wagenbach, 1996, 84). Einen Überblick über den Inhalt des gesamten Werkes findet sich bei Giuseppe Veltri: The Humanist Sense of History and the Jewish Idea of Tradition: Azaria de´ Rossi's Kritik of Philo Alexandrinus. In: Jewish Studies Quarterly 2 (1995), 372–393, 379. Die Sammlung historischer und philologischer Aufsätze Me’or Enajim wird von Yerushalmi als »Frucht einer kreativen Begegnung zwischen der jüdischen Tradition und der Kultur der italienischen Renaissance« beschrieben (vgl. Yerushalmi, Zachor, 79. Adele Berlin hat darauf hingewiesen, dass die Historiker dazu tendieren, wegen der Omnipräsenz historiologischer und chronologischer Fragestellungen im Werk die poetologische Diskussion im letzten Kapitel zu ignorieren (Azariah de´ Rossi on Biblical Poetry. In: Prooftexts 12 (1992), 175–183, 175). Berlin, Azariah de´ Rossi, 180. De´ Rossis Beschreibung der Struktur biblischer Poesie folgt einem dialektischen Umgang mit der Tradition, der Mendelssohns sehr ähnlich ist: einerseits setzt er sich von den mittelalterlichen Bibelkommentaren ab, andererseits entwickelt er seine neuen Thesen und Interpretationen in der Diskussion mit den mittelalterlichen Werken. Mendelssohn, Or la-Netiva, JubA 14, 234–240 (passim). Vgl. hierzu Giuseppe Veltri: The Humanist Sense of History and the Jewish Idea of Tradition: Azaria de´ Rossi's Critique of Philo Alexandrinus. In: Jewish Studies Quarterly 2 (1995), 388f. Vgl. Berlin, Azariah de´ Rossi, 180f ; allgemein zur Geschichte des jüdischen Hellenismus vgl. Yaacov Shavits Studie: Athens in Jerusalem. Classical Anitiquity and Hellenism in the Making of the Modern Secular Jew. London/Portland: The Littman Library of Jewish Civilization, 1997.

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lemik gegen das Jiddische geführt.69 Denn eigentlich bedeutet die Eingliederung der jiddischen Übersetzungen in eine allgemeine jüdische Übersetzungstradition eine enorme Aufwertung dieser Übersetzungen. Die jüdisch-deutschen Übersetzungen von R. Elia ha-Bachur (Konstanz, 1544), R. Jekutiel Blitz (Amsterdam, 1678) und R. Josel Witzenhausen (Amsterdam, 1679) dienen Mendelssohn als legitimierender Ausgangspunkt seiner eigenen Übersetzung. Die Existenz dreier »deutscher« (resp. jüdisch-deutscher) Tora-Übersetzungen erlaubt es Mendelssohn, auf eine prinzipielle (religionspolitische) Begründung der Notwendigkeit einer hochdeutschen Übersetzung zu verzichten. Die Frage, warum überhaupt eine hochdeutsche Übersetzung legitim ist, wird als Fakt durch die drei vorhandenen Übersetzungen vorausgesetzt. Indem Mendelssohn eine neue Übersetzung der Tora vorlegt, muss er sich von den vorhandenen Übersetzungen nur abgrenzen, und es rücken wiederum die ästhetischen Übersetzungskriterien ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Die westjiddischen Übersetzungen von Witzenhausen und Blitz orientieren sich noch stark an den Interlinearübersetzungen des Spätmittelalters. Die Wort-für-Wort-Übertragung bestimmte auch das zweisprachige mündliche Tora-Lernen in den Talmud-Tora-Schulen. Diese Übertragungen waren nur im Zusammenhang mit dem Originaltext zu verstehen und überhaupt nicht an den grammatikalischen Kategorien der Zielsprache orientiert. In Mendelssohns Auseinandersetzung mit der Übersetzung von R. Jekutiel Blitz heißt es dementsprechend: »Aber seine Werke waren allgemein nicht erwünscht, denn er beherrschte die heilige Sprache nicht sehr gut und verstand die Tiefe ihrer [poetischen] Ausdrucksweise nicht. Was er [trotzdem] von ihr erfasste, übersetzte er in sehr verdorbenen und beschädigten Jargon [leshon ‘ilgim]. So dass die Seele des Lesers, der es versteht, rein zu sprechen, diese Sprache verabscheuen muss.«70

Die Polemik gegen das »verdorbene« Westjiddisch geht mit der Forderung der »Reinheit« des Deutschen einher. Die Formulierung dieser Forderung schließt sich lexikalisch direkt an Mendelssohns Bewertung der arabischen Sprache an, wie auch die Rhetorik des Abscheus gegenüber dem Jiddischen ästhetischen Maßstäben folgt. Die deutsche Übersetzungssprache soll die »poetische Tiefe der heiligen Sprache« spiegeln und der deutsche Text soll das angemessene Tora-Verständnis des Übersetzers dokumentieren. Das bedeutet eine enorme Aufwertung des übersetzten Textes, der, wie nun erst sichtbar wird, doch einen eigenständigen Status in der Zielsprache beansprucht.71 Als Reaktion auf den innerdeutschen Sprachwandel im 18. Jahrhundert, der von der Herausbildung einer einheitlichen, normativen, reinen, deutschen Literatur- und Kultursprache bestimmt ist, reagiert Mendelssohn also unmittelbar auf die linguistischen Postulate seiner Zeit. Die 69 70 71

Vgl. aber Römer, Tradition und Akkulturation, 90. Mendelssohn, Or la-Netiva, JubA 14, 242. Zur gleichen Einschätzung gelangt Römer: Tradition und Akkulturation, 102.

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polemische Herabsetzung der deutschen Dialekte als defizitäre Sprachen ist besonders in der Zeit der Suche nach der hochsprachlichen Norm eine weitverbreitete Tendenz.72 Mendelssohns Abwertung der westjiddischen Varietät als »Jargon« steht ganz im Einklang mit dieser Auffassung, erhält im jüdischen Kontext jedoch eine andere Qualität. Indem als Zielsprache der Übersetzung nicht das Jiddische, das im 18. Jahrhundert bereits durch eine fast vierhundertjährige Geschichte als Literatursprache und damit auch als Übersetzungssprache legitimiert ist, sondern das Deutsche gewählt wird, beansprucht Mendelssohn für die deutsche Hochsprache den Status einer jüdischen Sprache und formuliert damit auch einen politischen Anspruch.73 Indem der Geltungsanspruch der Übersetzung nicht unbedingt auf einen jüdischen Adressatenkreis begrenzt bleiben muss, das Postulat der Reinheit der Sprache sowohl vom Hebräischen, als auch vom Griechischen, Arabischen und Hochdeutschen eingelöst wird, verbindet sich mit ihm jedoch kein nationalsprachliches oder -staatliches Ziel. Hinter der Ablehnung des Jiddischen und dem prononciert vertretenen Anliegen der Reinheit der Sprache steht vielmehr die Forderung der Trennung des Staates von der Religion wie aus Mendelssohns juristischer Gutachtertätigkeit zur Reform des Judeneides sichtbar wird.74 Das Westjiddische, das soziolinguistisch auch als »Mischsprache« bezeichnet und (zumindest in der germanistischen Sprachwissenschaft) auf einen »nicht durchgehaltenen Bilingualismus« zurückgeführt wurde, ist eine germanische Sprache mit großen hebräischen und aramäischen Sprachanteilen.75 Für Mendelssohn steht die Vermischtheit des Jiddischen gleichsam paradigmatisch für eine Vermischung der Angelegenheiten von Kirche und Staat, für deren Entflechtung er in Jerusalem vehement eintritt. Mendelssohn argumentiert in Or la-Netiva gegenüber den jiddischen Übersetzungen jedoch nicht politisch sondern ästhetisch. Er begründet die Forderung nach einer »korrekten der Zeit angemessenen« jüdischen Übersetzung mit der ästhetischen Attraktivität der christlichen Übersetzungen: »Seit damals bis in die heutige Zeit hat es niemanden gegeben, der die Absicht hatte, diesem Übel abzuhelfen und die heilige Tora in eine verbesserte, gebräuchliche und unserer Generation gewohnte Sprache zu übersetzen. Und so werden die Kinder der Israeliten, welche die Worte der Weisheit [’imre bina] verstehen wollen, umherirren und das Wort Gottes aus den Übertragungen der christlichen Gelehrten erfragen.

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Vgl. Heinrich Löffler: Probleme der Dialektologie. Eine Einführung. Darmstadt: WBG, 31990, 5. Allgemein zur Genese einer einheitlichen deutschen Literatursprache vgl. Rudolf E. Keller: Die deutsche Sprache und ihre historische Entwicklung. Übers. von Karl-Heinz Mulagk. Hamburg: Helmut Buske, 21995, 470–482. Andreas Gotzmann hat die These »Deutsch als jüdische Sprache« zuerst formuliert (Vatersprache und Mutterland: Sprache als nationaler Einheitsdiskurs im 19. Jahrhundert (2002). Die wichtigste Quelle hierfür ist der Brief von Mendelssohn an Ernst Ferdinand Klein vom 29.08.1782 in JubA 7, 279; ausführlich zur Problematik der Glaubenseide: Kap. VI.ii. Heinrich Löffler: Germanistische Soziolinguistik. Berlin: Erich Schmidt Verlag 21994, 78.

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Denn die Christen übersetzen die Tora in jeder Generation entsprechend dem Anspruch der Zeit, der Korrektheit der Sprache und der Anmut des sprachlichen Ausdrucks in die Sprachen ihrer Völker.«76

Die hierauf folgende vielzitierte Polemik gegen den jüdischen Gebrauch von christlichen Übersetzungen bringt Mendelssohns zentrales Anliegen klar zum Vorschein: eine jüdische Übersetzung der Fünf Bücher Mose zu liefern, die den ästhetischen Vorgaben der christlichen Übersetzungen ebenbürtig ist. Nur in zeitgemäßer moderner Ausdrucksform kann der Tanakh für die jüdische Tradition bewahrt werden. Nur in der Assimilierung an die als universal kommunizierten, zeitgenössischen ästhetischen Kategorien kann für Mendelssohn jüdischer Traditionsbestand unter den politischen Bedingungen der Moderne gesichert werden. Im Vergleich mit Herders monistischem Multilingualismus (der Mendelssohns Sprachenprojekt von allen aufklärerischen Projekten am nächsten kommt) fällt die Tatsache ins Auge, dass bei Mendelssohn nicht eine Nation und eine Sprache, sondern eine Nation und mindestens zwei Sprachen die Achsen der Überlegungen bilden. Herder lässt die Priorität einer einzigen reinen Sprache, neben Herkunft und Geschichte, zum entscheidenden Katalysator werden, der die politische Verfasstheit einer Nation vorwegnehmen, vorbereiten oder stützen helfen soll. In Mendelssohns Entwurf ist es ein ganzer Reigen verschiedener reiner Sprachen, denen in Bezug auf die Nation Bedeutung zugewiesen wird und die Erinnerung an den Einheitszustand von originaler, heiliger, nationaler, staatlicher Sprache aufrechtzuerhalten obliegt. Die einheitliche Sprachverfassung der Israeliten gehört einer historischen Vergangenheit an, in der das mosaische Verfassungsmodell die Einheit von Religion und Staat garantierte. In Jerusalem wird dieser für immer verlorene Zustand zur Idee einer gerechten politischen Ordnung umgedeutet, in »a timeless ideal of what should be«, wie Sorkin es ausgedrückt hat.77 Von Mendelssohn wird nicht die Restituierung der von ihm als historisch-singulär angesehenen »mosaischen Verfassung«, die mit der Zerstörung des zweiten Tempels kollabierte, angestrebt, sondern in ihrer Einheit von Religion und Staat fungiert sie als Ideal für die irdische Politik: »So wie es nach Plato, einen irdischen und auch einen himmlischen Amor geben soll, so giebt es auch, könnte man sagen, eine irdische und eine

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Mendelssohn, Or la-Netiva, JubA 14, 242. Sorkin, Religious Enlightenment, 138; Mendelssohns ahistorisches und hypothetisches Verständnis des Naturzustandes konstruiert ein utopisches Modell, das mit seiner Auffassung der Mosaischen Verfassung identisch ist. Nathan Rotenstreich hat das wie folgt formuliert: »Mendelssohn had contended, as is well known, that in the ancient Jewish state the political authority was the same as the ecclesiastical. Had he applied his principles consistently to this problem, he would have been obliged to conclude that there was no difference in the ancient Jewish state between the natural and the political society. Such a conclusion must be inferred from the general tenor of his argument, although it was not explicitly formulated by him« (On Mendelssohn’s Political Philosophie. In: LBI Yearbook 11 (1966), 28–41, 41).

Der Ursprung der Sprache – Mendelssohns agnostisches Argument

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himmlische Politik.«78 Die irdische Politik selbst folgt dem rabbinischen »dina de malchuta dina« (bNed 28b), das Mendelssohn in Jerusalem zur Unterwerfungsformel für alle umdeutet:79 Jedes partikulare (religiöse) Gesetz soll dem Gesetz des Staates unterworfen werden, so wie es das vorkonstantinische Christentum ebenfalls forderte: »Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist«.80 Diese Unterwerfung unter das Gesetz des Staates bedeutet aber auch die politische und ästhetische Akzeptanz der partikularen, spezifischen Landessprache, die jedoch nicht als Substitut sondern als Ergänzung der multilingualen, jüdischen Sprachtradition fungieren soll.

iii. Der Ursprung der Sprache – Mendelssohns agnostisches Argument Über seine Auseinandersetzung mit dem Hebräischen – geführt auf dem Boden der jüdischen Sprachdiskussion – dringt Mendelssohn bereits in Kohelet Musar zu einer universalen Sprachbetrachtung vor, die ausgehend von der Fehlbarkeit, Unvollkommenheit, Konventionalität und Zeichengebundenheit menschlichen Sprechens die Äquivalenz der partikularen Sprachen behaupten kann. In seinen deutschen Schriften zur Sprachenfrage ist eine universale Sprachauffassung von vornherein die Grundlage aller Sprachreflexionen. Die große Frage, die sich jedoch stellt, ist die, wie Mendelssohn die Legitimationsgrundlagen beider Perspektiven auf den Sprachursprung miteinander vereinbart.81 Mendelssohn erörtert die 78 79 80

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Mendelssohn, Jerusalem, JubA 8, 196. Hierzu Max Wiener, Jüdische Religion im Zeitalter der Emanzipation, 30–32. Vgl. die Schlussworte von Mendelssohns Jerusalem (197, 204), die Mk 12.17 (parr.) paraphrasieren: »Wenn wir dem Kaiser geben, was des Kaisers ist; so gebet ihr selbst Gotte, was Gottes ist! Liebet die Wahrheit! Liebet den Frieden!« Andrea Schatz dringt in ihrer genauen Bestandsaufnahme von Mendelssohns hebräischen und deutschen Sprachkonzepten zu einer Beschreibung des Konflikts vor. So wird Mendelssohn einerseits im Einklang mit den gängigen Nationalsprachenmodellen im Säkularisierungsprozess dort verortet, wo »die Nation als Autor und Adressat der Sprache« über den »göttlichen Urheber« gesetzt wird (vgl. ebd., bes. 193f), andererseits muss Schatz, entsprechend der Gegebenheiten konstatieren, dass Mendelssohn im Gegensatz zu Locke und Leibniz »am Narrativ von der Sprache als göttlicher Schöpfung ausdrücklich fest[hält]«, und »auf einer Lektüre der biblischen Ursprungserzählung [besteht], die von den historischen und anthropologischen Perspektiven auf die Entstehung der Sprache, die unter seinen Zeitgenossen zu dominieren begannen, unberührt bleibt« (Sprache in der Zerstreuung, 221). Entsprechend ratlos fällt dann Schatz' Fazit aus: »Während Mendelssohn in Qohelet musar mit Blick auf die Gegenwart der hebräischen Sprache Schritte der Säkularisierung vollzog, unternimmt er solche Schritte in seinen deutschsprachigen Schriften und Entwürfen hinsichtlich der Anfänge der Sprache. Doch in den folgenden Jahrzehnten zeigt sich weder in seiner Sprachpraxis noch in seinen hebräischen Schriften eine lineare Fortführung dieser Bewegungen. Seinem Aufruf, das Hebräische in eine aktive Sprache der Gegenwart zu verwandeln, folgte eine neue Hinwendung zum Hebräischen als heiliger Sprache und Sprache der Schrift« (ebd., 225).

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Übersetzung als Sprachpolitik

Frage der menschlichen Herkunft der Sprache in verschiedenen Schriften zwischen 1756 und 1783 immer wieder und differenziert so die Parameter seiner Position aus. Mendelssohn diskutiert die Sprachursprungsproblematik erstmals im Sendschreiben an den Herrn Magister Lessing in Leipzig (1756),82 das als Anhang zu Mendelssohns deutscher Übersetzung von Jean-Jacques Rousseaus (1712–1778) Discours sur l’origine de l’inégalité parmi les hommes (1755) gedruckt wurde.83 Im Kontext seiner Rousseau-Kritik im Sendschreiben entwickelte Mendelssohn nicht nur seine ersten sprachphilosophischen Überlegungen, sondern behandelte auch zum ersten Mal Fragen der politischen Philosophie und Naturzustandsdiskussion. Wie in Rousseaus Zivilisationskritik sind Mendelssohns Reflexionen über Sprache und Politik nicht voneinander zu trennen. Er folgt jedoch weder Rousseaus Beschreibung des Naturzustandes als dem vorgeselligen Zustand des unabhängigen Wilden, »der in Wäldern herum irret, ohne Fleiß, ohne Sprache, ohne Wohnhaus, ohne Krieg und ohne Verbindung, ohne seines gleichen zu bedürfen, und ohne Begierde ihnen Uebels zuzufügen«;84 noch folgt er Rousseaus geschichtsphilosophischer Verherrlichung dieses Zustandes.85 Jedoch lehnt er es wie dieser ab, seine Betrachtungen über die natürliche Herausbildung der Sprache auf das Fundament einer eindeutigen Positionierung in der Ursprungsfrage zu stellen: »Ich werde mich nicht aufhalten, alle Schwierigkeiten zu wiederholen, die Rousseau findet, den Ursprung der Sprachen auf eine natürliche Art zu erklähren.«86 Nachdem er die Herausbildung der ersten Laute und den Übergang von den nachahmenden zu den willkührlichen Zeichen beschrieben hat, konstatiert Mendelssohn: »Man siehet wenigstens, daß alles natürlich hat zugehen können, und daß wir nicht nöthig haben das höchste Wesen mit einer Erfindung zu belästigen, die uns nach Rousseaus Meinung so schädlich gewesen ist.«87

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Mendelssohn, Sendschreiben an den Herrn Magister Lessing in Leipzig, in: JubA 2, 81–109. [Moses Mendelssohn]: Johann Jacob Rousseau: Abhandlung von dem Ursprunge der Ungleichheit unter den Menschen, und worauf sie sich gründet. Ins Deutsche übersetzt mit einem Schreiben an den Herrn Magister Leßing und einem Briefe Voltairens an den Verfasser vermehret. Berlin: Christian Friedrich Voß, 1756; Mendelssohns Übersetzung wird hier zitiert nach JubA 6.2, 63– 202. Rousseau, Abhandlung von dem Ursprunge der Ungleichheit (Mendelssohn-Übersetzung), JubA 6.2, 120. An Hand von Rousseaus historischer und geschichtsphilosophischer Auffassung des Naturzustands entwickelte Mendelssohn im in Sendschreiben seine Kritik am Historizismus der Naturzustandstheorie. Von Alexander Altmann analysiert in: Moses Mendelssohn über Naturrecht und Naturzustand. In: Norbert Hinske (Hg.): Ich handle mit Vernunft... Moses Mendelssohn und die europäische Aufklärung. Hamburg 1981, 45–84, bes. 71–75). Altmanns Analyse fußt auf Strauss' Rousseau-Kritik in Natural Right and History. Chicago/London: 1953). Mendelssohns RousseauKritik korrespondiert der Kritik an Lessings Geschichtsphilosophie in Jerusalem (JubA 8, 162f). Mendelssohn, Sendschreiben, JubA 2, 105. Ebd., 108.

Der Ursprung der Sprache – Mendelssohns agnostisches Argument

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In seiner Besprechung von Johann David Michaelis' Preisschrift »Ueber den Einfluß der Sprachen in die Meinungen und der Meinungen in die Sprachen« nimmt Mendelssohn das Thema neu auf. Er bespricht Michaelis' Antwort auf die von der Berliner Akademie der Wissenschaften im Jahre 1757 gestellte Frage im 72. Literaturbrief.88 Es ist in den ersten Zeilen seiner Rezension, dass er die Sprachursprungsproblematik diskutiert und den hypothetischen und spekulativen Charakter aller diesbezüglichen Mutmaßungen hervorhebt: »Warum mag es doch so schwer seyn, über den Ursprung der Sprachen mit einiger Gründlichkeit zu philosophiren? Ich weis wohl, daß sich von geschehenen Dingen, davon wir keine urkundliche Nachrichten haben, selten mehr als Muthmassungen herausbringen lassen. Allein, warum will den Weltweisen auch keine Muthmassung, keine Hypothese glücken? Wenn sie uns nicht sagen können, wie die Sprachen wirklich entstanden, warum erklären sie uns nicht wenigstens, wie sie haben entstehen können?«89

Schon Rousseau hatte auf den Zirkel von Denken und Sprache verwiesen, in den man unweigerlich tritt, wenn die Frage nach dem Sprachursprung gestellt wird: »Denn haben die Menschen eine Sprache nöthig gehabt, um denken zu lernen; so wird es um so viel mehr vonnöthen gewesen seyn, denken zu können, um eine Sprache zu erfinden.«90 Rousseau hatte die Notwendigkeit der Sprache und damit die Überwindung der Schwierigkeiten einer erkenntnistheoretischen Begründung der Sprache hypothetisch gesetzt. Mendelssohn folgt ihm hierin, geht jedoch noch einen Schritt weiter, indem er den hypothetischen Charakter aller Sprachursprungstheorien aus dem Zirkel von Denken und Sprache herleitet: »So wenig die Augen in ihrem natürlichen Zustande, das Werkzeug des Sehens, die Lichtstrahlen, deutlich wahrnehmen, eben so wenig mag vielleicht die Seele das Werkzeug ihrer Gedanken, die Sprache bis auf ihren Ursprung untersuchen können.«91

Den Ursprung der Sprache zu untersuchen, heißt für Mendelssohn, sich vermittels von Hypothesen an den Grenzen der Erkenntnis zu bewegen. Die Metapher von Sehen und Licht, die auf die Sprachgebundenheit der Philosophie genauso verweist wie auf die philosophische Dimension der Sprache, lässt den Historizismus der Ursprungsdiskussion hinter sich und stellt die Frage nach der Funktion der Sprache für den Erkenntnisprozess. Damit folgt Mendelssohn dem Vorgehen Pierre Louis Moreau de Maupertuis' in Reflexiones philosophiques sur l’origine des langues et la signification des mots, 1748. Maupertuis hatte in seinem Sprach-Essay, »die ›question de fait‹ von dem ›point de vue purement hypothéthique‹« getrennt, 88

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Mendelssohn, Von dem von der Berlinischen Akademie ausgesetzten Preise, auf die Lehre von dem Einflusse der Meinungen in die Sprachen. In: Briefe, die neueste Litteratur betreffend, 72. Brief (1759), 365–371; im Folgenden zitiert nach: JubA 5.1, 105–107. Ebd., 105. (Hervorh., G.S.) Rousseau, Abhandlung von dem Ursprunge der Ungleichheit, JubA 6.2, 108. Mendelssohn, Von dem von der Berlinischen Akademie ausgesetzten Preise, JubA 5.1, 105.

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Übersetzung als Sprachpolitik

»um nicht in Widerspruch mit Glaubenswahrheiten zu treten«.92 In den zeitgenössischen Kritiken hatte man ihm deshalb vorgeworfen, »weniger die Entstehung der Sprache als solche als vielmehr ihre Beziehung zum Denken behandelt zu haben.«93 Beide Philosophen verfolgten ein analytisches Interesse, das die Funktion der Zeichen für die Sinneswahrnehmung und den Erkenntnisprozess genauer zu bestimmen suchte.94 Es ist jedoch auffällig, wie wenig Mendelssohn, so rege er die Sprachdebatte auch verfolgte, in sie eingriff. Wie Maupertuis, der unter anderm auch Johann Peter Süßmilchs (1707– 1767) philosophische Verteidigung des göttlichen Ursprungs der Sprache ex neagativo angeregt hatte, war Mendelssohn an beiden Perspektiven auf die Ursprungsproblematik interessiert. In der Allgemeinen deutschen Bibliothek wurde Süßmilchs Versuch eines Beweises, daß die erste Sprache ihren Ursprung nicht vom Menschen, sondern allein vom Schöpfer erhalten habe (1766) von H. A. Pistorius im Jahre 1769 widerlegt, die beiden Sprachursprungsschriften von Herder und Tiedemann, die sich, so Mendelssohn, »insonderheit mit [der] Widerlegung des Süßmilchischen Beweises für den göttlichen Ursprung der Sprache« beschäftigten,95 besprach Mendelssohn in der genannten Zeitschrift 1772 selbst.96 Süßmilch, der sich vorgenommen hatte, »die Unmöglichkeit zu beweisen, daß die erste Sprache ihren Ursprung vom Menschen haben könne, woraus sodann nothwendig folget, daß sie von dem anbetungswürdigsten Schöpfer herrühren müsse«,97 hatte den wunden Punkt der gesamten philosophischen Sprachdebatte berührt. Zwar war die Debatte von so einflussreichen Autoren wie Condillac, Maupertuis, Turgot, de Brosses und Rousseau ganz auf den Boden der menschlichen Herkunft der Sprache gestellt worden, jedoch wartete diese Annahme noch 92

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Daniel Droixhe/Gerda Hassler: Aspekte der Sprachursprungsproblematik in Frankreich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. In: Joachim Gessinger/Wolfert von Rahden (Hgg.): Theorien vom Ursprung der Sprache. Bd. 1. Berlin/N. Y.: Walter de Gruyter, 1989, 312–358, 314. Ebd., 313. Ricken, Mendelssohn und die Sprachtheorien der Aufklärung, 219–225; vgl. auch Kap. IV.ii. Mendelssohn, Herder und Tiedemann. Ursprung der Sprache, JubA 5.2, 174–183, 174; Mendelssohn bemerkt (ebd., 175): »das Urtheil beyder Schriftsteller insonderheit des Hrn. Herders über den Süßmilchischen Beweis [ist]in der Hauptsache beynahe eben dasselbige, was in unserer Bibliothek X. Band I St. S. 174. darüber gefället worden.« Auch Mendelssohns Rezension der beiden Sprachursprungsschriften von Herder und Tiedemann fällt durch ihr besonderes Augenmerk für die Art der Demonstration und Argumentation auf, auf deren Grundlage der menschliche Ursprung der Sprache verteidigt wird: »In diesen beyden Abhandlungen wird der menschliche Ursprung der Sprache behauptet. Aber in der ersten wird derselbe aus der Natur des Menschen und der Sprache, aus dem Bau der ursprünglichen Sprachen und der Geschichte ihrer allmähligen Fortbildung so strenge, als sich eine solche Sache erweisen läßt, dargethan und gezeiget, daß der Mensch vermöge seines eigenthümlichen Unterscheidungscharakters Sprache erfinden konnte und mußte. In der zwoten hingegen wird dieser Ursprung nur wahrscheinlich gemacht« (Mendelssohn, Herder und Tiedemann, JubA 5.2, 174. Johann Peter Süßmilch: Versuch eines Beweises, daß die erste Sprache ihren Ursprung nicht vom Menschen, sondern allein vom Schöpfer erhalten habe. Berlin: Buchladen der Realschule, 1766, 3.

Der Ursprung der Sprache – Mendelssohns agnostisches Argument

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auf ihren unumstößlichen Beweis. Es war Herder, der die reflektierte Spekulation hinter sich ließ und »keine Hypothese, sondern einen Beweis [lieferte], der für eine Demonstration gelten kann, daß auf die von ihm angegebne Weise, Sprache hat entstehen müssen.«98 Herders Geschichtsphilosophie gelang es, ihren demonstrativen Charakter hinter der Rhetorik des Beweises verschwinden zu lassen und die Geschichte als neue Autorität an die Stelle der Offenbarung zu setzen.99 Nur in den unpubliziert gebliebenen Notizen zu Ursprung der Sprache und dem Aufsatz Über die Sprache100 verweist Mendelssohn direkt auf die Offenbarungsfrage: »Die Frage hat zwo Seiten 1) Hat durch die natürliche Kräffte des Menschen irgend eine Sprache entstehen können. 2) hat sie soviel Ordnung und Regelmäßigkeit bekommen können, als wir bey den uns bekanten Sprachen finden. Wenn das Negative erwiesen werden könte, so wäre dieses ein sicherer Beweis, daß die Menschen zu einer gewissen Zeit den Unterricht eines höheren Wesens genossen haben müssen, das keiner Sprache bedarf, um seine Vernunft auszubilden.«101

98 Mendelssohn, Herder und Tiedemann, JubA 5.2, 177. 99 Ausführlich zu Herders Theorie über den Ursprung der Sprache: Kap. I.iii. 100 Mendelssohn, Über die Sprache, JubA 6.2, 5–23; Notizen zu Ursprung der Sprache, JubA 6.2, 25– 28. Über den gernauen Entstehungszeitpunkt beider Texte kann nur spekuliert werden, vgl. hierzu zuletzt ausführlich Pollok, Facetten des Menschen, 364–368. Pollok datiert die Texte in das Umfeld des Preisausschreibens der Berliner Akademie zum Ursprung der Sprachen von 1769. Da beide Texte die Thesen des Sendschreibens weiterentwickeln, können sie aber genau so gut früher entstanden sein. Eva Engel geht daher von dem Jahr 1756 als Entstehungsdatum aus (Einleitung zu Über die Sprache, in: JubA 6.2, XV–XIX). Dass Mendelssohn in den unpublizierten Sprachschriften direkt auf Süßmilchs zentrales Argument reagiert, welches dieser für den göttlichen Ursprung der Sprachen anführt (in: Versuch eines Beweises, daß die erste Sprache ihren Ursprung nicht vom Menschen, sondern allein vom Schöpfer erhalten habe, 1766; auf zwei Vorträgen beruhend, die Süßmilch in der Akademie 1756 gehalten hatte), deutet auf den Entstehungszeitraum des Textes zwischen 1756–66/67. Ordnung, Vollkommenheit, Regelhaftigkeit und Schönheit der Sprachen sind Süßmilch Indiz für den göttlichen Ursprung. Mendelssohn fragt deshalb in Notizen zu Ursprung der Sprache, JubA 6.2, 27: »Hat durch die natürliche Kräffte des Menschen irgend eine Sprache entstehen können. […] hat sie soviel Ordnung und Regelmäßigkeit bekommen können, als wir bey den uns bekanten Sprachen finden«? Zur Debatte zwischen Mendelssohn und Süßmilch, die nicht direkt sondern als Diskussion über Rousseau ausgetragen wurde, vgl. Joachim Gessinger/Wolfert von Rahden: Theorien vom Ursprung der Sprache. In: Diess. (Hgg.): Theorien vom Ursprung der Sprache. Bd. 1. Berlin/N. Y.: Walter de Gruyter, 1989, 1–41, bes. 13–17; Gessinger/von Rahden kommen über die Rekonstruktion der Debatte zu dem Schluss, dass auch Mendelssohns Über die Sprache eine direkte Antwort auf Süßmilch ist. 101 Mendelssohn, Notizen zu Ursprung der Sprache, JubA 6.2, 27; vgl. in abgewandelter Formulierung auch in Über die Sprache, JubA 6.2, 6: »So unphilosophisch es sonst auch scheinen mag, zur Erklärung einer Naturbegebeneit die Dazwischenkunft einer höhern Macht zu Hülfe zu nehmen; so will man es doch in Absicht auf die Sprachen in zwoon Fällen für unvermeidlich halten. 1) wenn die Unmöglichkeit ihrer natürlichen Entstehung erwiesen wäre, oder auch 2) wenn zur Entstehung und mäßigen Ausbildung einer Sprache eine längere Zeit erfordert werden sollte, als das menschliche Geschlecht, nach den Absichten des allerweisesten Schöpfers, hat in dem Stande der Vernunftlosigkeit bleiben sollen. In beiden Fällen hält man es der Gottheit für nicht unan-

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Übersetzung als Sprachpolitik

Mendelssohns Frage leitet auch hier Betrachtungen ein, die von der menschlichen Herkunft der Sprache ausgehen. In der Philosophie bedarf es eines Beweises der Negation der menschlichen Herkunft der Sprache, um ihren Offenbarungscharakter sicher zu stellen. Solange dieser Beweis nicht erbracht werden kann, hat der Philosoph vom menschlichen Ursprung der Sprache auszugehen. Wie aus seinem Kommentar zu Maimonides' Millot ha-Higgajon eindeutig hervorgeht, hält Mendelssohn diesen Beweis für unmöglich, »denn es gibt für etwas, das vergangen ist, keinen Beweis«.102 Offenbarungsereignisse gehören für ihn zu den historischen Wahrheiten, die wir nicht selbst erkennen können, sondern »auf Glauben und Ansehen von andern annehmen müssen.«103 Damit liegt Mendelssohns Sprachbetrachtungen die agnostische These der generellen Unentscheidbarkeit der Offenbarungsfrage zu Grunde. Es ist diese – circa einhundertfünfzig Jahre später auch von Leo Strauss in Philosophie und Gesetz (1935) vertretene – These,104 die es Mendelssohn erlaubt, die Sprachenfrage in seinen deutschen Schriften auf der Grundlage der Offenbarungskritik, hingegen in seinen hebräischen Schriften auf der Grundlage ihres göttlichen Ursprungs philosophiekritisch105 zu diskutieren. In dem kleinen Aufsatz Über die Sprache heißt es dementsprechend: »Was die Allmacht dem erschaffenen Menschen wunderthätig mittheilen kann, das kann sie ihm eben so gut bey der Hervorbringung anerschaffen haben.«106

Da es sich bei beiden Perspektiven auf das Sprachursprungsproblem um Hypothesen handelt, die kein Beweis zu sichern vermag, hat der Philosoph vom menschlichen Ursprung der Sprache auszugehen, denn Mendelssohn hält es für »unphilosophisch […] zur Erklärung einer Naturbegebenheit die Dazwischenkunft einer höheren Macht zu Hülfe zu nehmen«.107 Das heißt jedoch nicht, dass Mendelssohn eine solche Dazwischenkunft für unmöglich hält. Die Religion wiederum ist auf den Beweis, der die Dazwischenkunft einer höheren Macht sicherstellt, nicht angewiesen bzw. hat sich sogar vor ihm zu schützen, da ein solcher

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ständig, der Natur nachzuhelfen, und durch Allmachte geschehen zu lassen, was die allweisesten Mittel nicht, wenigstens nicht eben so gut, bewerkstelligen könen.« Vgl. hierzu Mendelssohns Kommentar zu Kap. 7 aus Maimonides' Logikschrift Millot haHiggajon (BMH, JubA 20.1, 96 (Wenzel-Übersetzung)): »Wer einen stringenten Beweis für ihre [der Offenbarung, G.S.] Wahrheit verlangt, der ist nichts als ein Irrender, denn es gibt für etwas, das vergangen ist, keinen Beweis.« Mendelssohn, Jerusalem, JubA 8, 159. Leo Strauss: Philosophie und Gesetz. Beiträge zum Verständnis Maimunis und seiner Vorläufer. Berlin: Schocken, 1935, 18f; damit erhält die These, dass Strauss' Philosophie als kritische Fortsetzung von Mendelssohns Philosophie zu erschließen ist, ein neues stützendes Argument. Am deutlichsten wird Mendelssohn auch hier in seinem Kommentar zu Millot ha-Higgajon. Mendelssohn diskutiert hier, wie man sich vor der Versuchung schützen kann, das Wunder der Offenbarung mit den Mitteln der Logik zu beweisen (s. dazu oben ausführlich in Kap. V, bes. iii. und iv.). Mendelssohn, Über die Sprache, JubA 6.2, 7. Ebd., 6.

Der Ursprung der Sprache – Mendelssohns agnostisches Argument

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Beweis die Notwendigkeit der Offenbarung wichtiger machen würde als die Offenbarung selbst.108 So wie Mendelssohn seine universale Sprachbetrachtung in den hebräischen Schriften aus der jüdischen Philosophietradition ableitete, stellte er sie in seinen deutschen Schriften komplementär auf den Boden der natürlichen Religion.109 Die Frage, wie das zeichengebundene Denken mit der Wirklichkeit verknüpft ist, bewegte Mendelssohn sein Leben lang und in den verschiedensten Zusammenhängen. Mit dieser Frage steht er mitten in einer der großen Diskussionen der Aufklärung und in einer langen Tradition jüdischer Sprachreflexion. Auf agnostischer Grundlage entwickelte Mendelssohn keinen Skeptizismus, sondern nahm die Diskussion der Ursprungsproblematik in beiden Sphären ernst. Seinem analytischen Interesse folgend, ließ er sich auf die historische Betrachtungsweise ein und differenzierte diese im Sinne seiner eigenen Sprachbetrachtung aus. Diese Position erfährt ihre letzte und umfassendste Bearbeitung 1783 in Jerusalem, oder über religiöse Macht und Judentum.110

108 Mendelssohn, Gegenbetrachtungen, JubA 7, 73: »Ich habe jederzeit die Beweise für die Nothwendigkeit einer Offenbarung für sehr gefährlich gehalten, die allgemeiner sind, als die Offenb. selbst.« Vgl. hierzu Goetschel, Spinozas Modernity, 123f. 109 Zu Mendelssohns Deismus und seinem Konzept der natürlichen Religion vgl. Goetschel, ebd., 123–128. 110 Hierzu ausführlich Kap. VI.i.

III. Der Name Gottes, das Erhabene und die Dichtkunst der Hebräer Mendelssohns Schriften zur philosophischen Ästhetik des 18. Jahrhunderts sind schon sehr früh und auffallend oft gewürdigt worden. Vor allem sein Beitrag zur Erhabenheitsästhetik reichte über den zeitgenössischen Horizont hinaus und half mit, die Ästhetik von ihrer ausschließlichen Fixierung auf das Schöne zu lösen. Mendelssohns Beitrag zur Erhabenheitsdiskussion steht wie der Herders und Hamanns in engem Zusammenhang mit der Sprachendiskussion und der Auslegung des Tanakh resp. des Alten Testaments. Der poetologische und ästhetische Zugang zur Bibel wurde sowohl in der jüdischen als auch in der deutschen Aufklärung als Option entwickelt, die es erlaubt mit einem nicht-religiösen Methodeninventar, den Text des Tanakh neu zu entdecken. Die Entwicklung dieses Zugangs vollzog sich nicht nur zwischen den beiden um Vorherrschaft neuer weltanschaulicher Deutungskompetenz ringenden Diskursfeldern Philosophie und Literatur, sondern auch im Zwischenraum zweier sich neu definierender Religionen – zwischen Protestantismus und Judentum. Das rhetorische Konzept des Erhabenen war der Dreh- und Angelpunkt einer zumindest zeitweise erfolgreichen Adaption des Bibeltextes als poetisches Kunstwerk innerhalb der protestantischen Bibelkritik genauso wie in der Literatur. Indem der Text der Bibel mit dem neuen Instrumentarium der Literaturkritik evaluiert wurde, erfuhr das Konzept des Erhabenen im deutschen Sprachraum ganz unterschiedliche Gestaltungen. Mendelssohns ästhetische Schriften bildeten einen zentralen Beitrag zur Diskussion. Mit seiner berühmten Schrift Betrachtungen über das Erhabene und Naive in den schönen Wissenschaften von 1758 formulierte er einen erkenntnistheoretischen Beitrag zur Erhabenheitsästhetik. Aus der Skalierung der Affekte im Zwischenraum jener zwei Pole, die mit Schönheit und Erhabenheit bezeichnet sind, entwickelt Mendelssohns seine Theorie der vermischten Gefühle. Die erhabene Repräsentation des »unermesslich Großen« universalisiert hier Mendelssohns Position in der jüdischen Diskussion um die Wiedergabe, Abbildung und Aussprache des Gottesnamens. Als Zeichentheorie wird diese Affekttheorie zur Erkenntnistheorie, die die anthropologischen Prämissen Mendelssohns spiegelt. Während sich Mendelssohns Auslegung des Tetragramms in die mittelalterlich-jüdische Tradition einordnet, stehen seine Thesen zur Erhabenheitsästhetik am Anfang einer Ent-

Poetologische Bibelkritik und historisch-kritische Methode

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wicklung, die Carsten Zelle als »Aufklärung über Aufklärung« bezeichnete,1 und die sowohl Moderne als auch Postmoderne (resp. ihrer verschiedenen turns) nachhaltig prägte.

i. Poetologische Bibelkritik und historisch-kritische Methode Dass sich die Bibelauslegung im 18. Jahrhundert der ästhetischen Kritik und den Kategorien eines poetologischen Zugriffs auf die »Heilige Schrift« so stark geöffnet hat, ist nur aus christlichen Wissenskontexten heraus zu verstehen. Mit der Etablierung der historisch-kritischen Methode in den Bibelwissenschaften vollzog sich eine nachhaltige Umbewertung des Alten Testaments. In Deutschland sind es vor allem der protestantische Theologe Johann Salomo Semler (1725–1791) und der Orientalist Johann David Michaelis (1717–1791) gewesen, die der historischkritischen Bibelexegese zum Durchbruch verholfen haben. In der Nachfolge des katholischen Bibelwissenschaftlers Richard Simons (1638–1712) unterzog Semler den alttestamentlichen Kanon einer grundlegenden historischen Kritik.2 Auf das eigene Engagement rückblickend, äußerte sich der Hallenser Theologe in seiner Lebensbeschreibung zum Problem der Kritik und ihrer Anwendung auf den Bibeltext folgendermaßen: »Daß die besondere Übung und Geschicklichkeit, welche man Kritik nennt, durchaus bei der Bibel nicht solle und dürfe angewendet werden, so nützlich sie bei allen alten menschlichen Büchern immer sein möge, habe ich mir durchaus nicht beibringen lassen.«3 Semler formulierte seinen historischkritischen Ansatz in Abgrenzung zu den verschiedenen zeitgenössischen Strömungen der protestantischen Theologie.4 Er distanzierte sich vom Pietismus, der als Gegenposition zu Luther von einer vom Schriftwort unabhängigen propositionellen Geistbegabung ausging. Er setzte sich von Luther selbst ab, der davon ausgegangen war, dass der »Heilige Geist« wortgebunden sei und nur durch das »verbum externum« vermittelt werde. Außerdem stellte er sich gegen eine Historisierung der Bibel, die im 18. Jahrhundert vor allem durch Reimarus vertreten wurde sowie überwand die Positionen der lutherischen Orthodoxie, die unter

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Carsten Zelle: Die doppelte Ästhetik der Moderne. Revisionen des Schönen von Boileau bis Nietzsche. Stuttgart/Weimar: Metzler, 1995, 5. Seine neue Bibel-Auffassung entwickelte er in der Abhandlung von freier Untersuchung des Canons (1771–1775), vgl. hierzu Hans-Joachim Kraus: Geschichte der Historisch-Kritischen Erforschung des Alten Testaments von der Reformation bis zur Gegenwart. Neukirchen: Verlag der Buchhandlung des Erziehungsvereins, 1956, 97f. Semler, zitiert nach: Kraus, Geschichte der Historisch-Kritischen Erforschung des Alten Testaments, 97. Die Darstellung von Semlers Theologie folgt vor allem Gottfried Hornig: Die Anfänge der historisch-kritischen Theologie. Johann Salomo Semlers Schriftverständnis und seine Stellung zu Luther. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 196, bes. 201–209.

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anderem an der typologischen Auslegung festhielt. Semlers Auslegungsintention bestand darin, den ursprünglichen, von den Verfassern intendierten Sinn der neutestamentlichen Texte festzustellen. Es ging ihm nicht um eine Rekonstruktion der im Neuen Testament geschilderten Ereignisse oder um eine Schreibung der Geschichte des Lebens Jesu, sondern um eine historisch-kritische Erforschung der Bedeutung von biblischen Aussagen in ihrem situativen Kontext mit Rücksicht auf die jeweiligen zeitgenössischen Verhältnisse. Sinn und Ziel der Geschichte Jesu Christi würden verfehlt, wenn man sie in ihrer bloßen Faktizität als eine historia externa versteht. Die Geschichte Jesu Christi sei eine Geschichte von Gott für den Menschen, um diesen zur Seligkeit zu führen. Semler hierzu selbst: »Sobald wir die Historie Christi ohne uns, außer uns, gleichsam in abstracto nehmen, so verlieren wir diesen wahren Zusammenhang der Sachen.«5 Semlers historischkritischem Ansatz lag ein christozentrisches Schriftverständnis zu Grunde.6 Zwangsläufig kollidierte diese theologische Setzung mit der exegetischen Forderung, den sensus litteralis zu ermitteln und bedingte Semlers kritische Einstellung zum Alten Testament. Die Deutung auf Christus war für ihn nur noch dort möglich, wo sie sich unmittelbar an den Wortlaut des Textes assoziieren konnte, also an den Text des Neuen Testamentes. Eine hermeneutische Harmonisierung zwischen Altem und Neuem Testament war mit diesem Schriftverständnis nicht mehr möglich, sie wurde auf Kosten der Harmonisierung von historisch-kritischer Methode und neutestamentlicher Theologie preisgegeben. Die meisten Anhänger der historisch-kritischen Exegese haben dies nicht so konsequent zu Ende gedacht. Der Professor für Philosophie und Orientalische Sprachen, Johann David Michaelis, setzte sich im Gegensatz zu Semler textkritisch mit dem Alten Testament auseinander und entwickelte für die Bibelwissenschaften als erster ein philologisches Instrumentarium, das andere orientalische Sprachen, geographische und archäologische Erkenntnisse in die Textanalyse einbezog.7 Theologisch konnte er das nur abstützen, indem er den Dogmen der lutherischen Orthodoxie verbunden blieb.8 Seine Arbeiten zum Alten Testament können so charakterisiert werden, dass hier mit textkritischer Geste und in philologischer Kleinarbeit dogmatische Vor5 6 7 8

Semler, zitiert nach: Hornig, Anfänge der historisch-kritischen Theologie, 201. Hornig, ebd., 196. Kraus, Geschichte der Historisch-Kritischen Erforschung des Alten Testaments, 87f. Michaelis stammte aus dem pietistischen Milieu der Glaucha'schen Anstalten in Halle, er wurde insbesondere durch das Collogium Orientale Theologicum geprägt, das seit 1702 unter der Leitung seines Onkels, Johann Heinrich Michaelis, und seines Vaters, Christian Benedikt Michaelis, stand. Die bibelwissenschaftliche, alttestamentliche, und linguistische Ausrichtung (Grammatik, orientalische Sprachen, Übersetzungen) prägten Michaelis' Wissenschaftsprofil nachhaltig. Von Anna-Ruth Löwenbrück wird Michaelis' geistige Haltung als eine »Mischung von Aufklärertum und orthodoxem Luthertum« beschrieben (Johann David Michaelis und Moses Mendelssohn. Judenfeinschaft im Zeitalter der Aufklärung. In: Michael Albrecht/Eva J. Engel et al. (Hgg.): Moses Mendelssohn und die Kreise seiner Wirksamkeit. Tübingen: Max Niemeyer, 1994, 315–332, 319).

Poetologische Bibelkritik und historisch-kritische Methode

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entscheidungen der lutherischen Orthodoxie neu und vernunftmäßig nachvollziehbar bestätigt werden sollten. Damit ist Michaelis der Neologie zuzuordnen: Kritik und Textkritik sind ihm Instrumente der Dogmatik. Michaelis' Schrift Critisches Collegium über die drey wichtigsten Psalmen von Christo von 1759 ist beredtes Zeugnis eines sehr traditionellen Textzugangs und Indiz seines typologischen Verständnisses.9 Das Alte Testament wird von ihm nur bedingt als eigenständiger Text, sondern vielmehr weiterhin über die Christologie des Neuen Testaments erschlossen. Die christologische Auslegung sichert dem Alten Testament, und für Michaelis damit auch dem Judentum, seinen angestammten Platz im Christentum, impliziert aber auch die Fortsetzung des alten Religionsstreites zwischen Christentum und Judentum.10 Die Auslassung des Hohen Liedes aus seiner auf Vollständigkeit angelegten Übersetzung der Schriften des Alten Testaments ist signifikant für die neu entstehende, unterschwellige Virulenz des Kanonproblems als Folge der Aporien der hermeneutischen Harmonisierung von kritisch gelesenem Bibeltext und lutherischer Theologie.11 Dort also, wo die historisch-kritische Methode konsequent angewendet und christliche Theologie expressis verbis nicht aufgegeben wurde, schied das Alte Testament aus dem Kanon aus (Semler),12 dort, wo der traditionelle Kanon aufrechterhalten werden sollte, 9

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Johann David Michaelis: Critisches Collegium über die drey wichtigsten Psalmen von Christo, den 16ten, 40sten und 110ten. Franckfurt/Göttingen: Johann Gottlieb Garbens, 1759. In der Vorrede heißt es: »Unter den Psalmen sind die, so von Christo handeln, für uns Christen wol ohne Zweifel die theuresten. Diese selbst sind wiederum ihres Inhalts und Deutlichkeit wegen von verschiedener Wichtigkeit. Diejenigen, welche uns das Priesterthum und Opfer Christi vorstellen, sind wol in der Glaubenslehre, und zu unserem eigenen Unterricht, von einem noch größern und ausgebreiterem Nutzen, als andere, die von seinem Reiche unter den Heiden, oder von besondern Umständen seines Leidens handeln: obgleich diese letzten zu Vertheidigung der Lehre, daß Jesus der Messias sey, wider die Juden mit größerem Vortheil gebraucht werden können.« Die christologische Auslegung des 16., 40. und 110. Psalms sind Michaelis der Schlüssel zur christologischen Deutung des gesamten Psalters. Diese Ambivalenz tritt in Michaelis' Stellungnahme im Lavater-Streit deutlich zu Tage, wo er klar zum Ausdruck bringt, dass er Mendelssohn gern konvertieren sähe, aber gleichzeitig jeden Zwang ablehnt, diese Konversion herbeizuführen und damit eindeutig für Mendelssohn Partei ergreift. Michaelis hat vollkommenes »Zutrauen zu der guten Sache [seiner] Religion«, die »von Gott eingesetzt ist, die allgemeine für alle Völker zu seyn« (Göttingische Anzeigen von Gelehrten Sachen, 1 (1770), 39. Stück, 330f); vgl. auch Karlfried Gründer: Johann David Michaelis und Moses Mendelssohn. In: Jacob Katz/Karl Heinrich Rengstorff (Hgg.): Begegnungen von Juden und Deutschen in der Geistesgeschichte des 18. Jahrhunderts. Tübingen: Max Niemeyer, 1994, 25– 50, 37). Vgl. hierzu meinen Aufsatz: Zwischen Sakralität und Säkularität: Die Hohelied-Übersetzung Moses Mendelssohns. In: Leipziger Beiträge für Jüdische Geschichte und Kultur 1 (2003). Ein christliches Kanonproblem, dass seit Marcion immer wieder auftaucht. Dass es sich hier um eine systemische Aporie handelt, wird auch durch die perpetuierende Problematisierung des Themas im 19. und 20. Jahrhundert deutlich. Sowohl Adolf von Harnacks Neo-Marcionismus als auch Friedrich Delitzschs Herleitung des Neuen Testaments aus der babylonischen Kultur sowie Hermann Gunkels Begründung der religionsgeschichtlichen Schule (vgl. sein Resümee in:

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fiel die historisch-kritische Exegese letztlich wieder orthodoxer Dogmatik zum Opfer und die Einheit des Textkorpus' stand zur Debatte (Michaelis). Mit der gleichzeitigen Weitertradierung des Alten Testaments auf ungesicherter theologischer Grundlage und der tendenziellen Abwendung von seiner christologischen Auslegungstradition leitete die Bibelkritik die moderne Entwertung eines kanonischen Textkorpus' ein. Auf Grund des theologisch fragilen Zugangs wurden die Texte des Alten Testamentes nicht nur für geschichtsphilosophische, sondern auch für poetologische und ästhetische Kritik freigegeben. Die Veröffentlichung der Vorlesungsreihe De sacra Poesi Hebraeorum im Jahre 1753 durch Robert Lowth markiert in dieser Hinsicht auch für die deutsche Diskussion einen Wendepunkt. Als Inhaber des Chair of Poetry in Oxford (1741–1750) hatte Lowth im Jahre 1741 erstmals die Vorlesung Praelectiones Acadaemiae Oxonii habitae De sacra Poesi Hebraeorum gehalten und in den folgenden Jahren fortgeführt und weiterentwickelt. Der spätere Bischof von London entwickelte einen systematischen Ansatz, die Bibel als literarisches Kunstwerk, als eine Sammlung poetischer und literarischer Texte zu lesen. Damit wurde nicht nur die Einheit der Texte des Alten Testaments neu begründet, sondern auch die hebräische Dichtkunst aufgewertet und für den stark meinungsbildenden, literarischen Diskurs salonfähig gemacht. Die rhetorische Auseinandersetzung mit dem Bibeltext hatte in der frühen Neuzeit darauf abgezielt, per Nachweis der poetischen Struktur der Bibel, die weltliche Poesie zu legitimieren,13 nun stellte die Poesie ein Mittel vor, welches den obsolet gewordenen theologischen Bedeutungsgehalt der Texteinheit Altes Testament ersetzen, ergänzen bzw. neu zugänglich machen sollte. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass Michaelis Schwierigkeiten mit dem Lowth'schen Ansatz hatte. Er setzte sich jedoch intensiv mit den Vorlesungen seines englischen Kollegen auseinander und publizierte in

13

Was bleibt vom Alten Testament? Göttingen 1916) sind in diesem Kontext zu verstehen; vgl. hierzu Manfred Oemings übersichtlichen Problemaufriss, der auf die anhaltende Virulenz des Themas für die alttestamentliche, protestantische Theologie hingewiesen hat (in: Unitas Scripturae? Eine Problemskizze. In: Jahrbuch Biblische Theologie (1986), 48–70); zu den jüdischen Diskussionen um Tora und Tanakh im deutschen Sprachraum, sowie zur jüdischen Rezeption der protestantischen Kontroversen im 19. und 20. Jahrhundert vgl.: Yaacov Shavit/Mordechai Eran: The War of the Tablets. The Defence of the Bible in the 19th Century and the Babel-Bibel Controversy (Hebr.). Tel Aviv: Am Oved, 2003. Der Germanist Gerhard Kurz sieht auch die Lowth'sche Poetik noch in dieser Tradition, die seit Petrarca und, wie er meint, bis ins 19. Jahrhundert mit diesem Nachweis, die Poesie und das weltliche Schrifttum aufwerten wollte (Athen oder Jerusalem. Die Konkurrenz zweier Kulturmodelle im 18. Jahrhundert. In: Wolfgang Braungart/Manfred Koch (Hgg.): Ästhetische und religiöse Erfahrungen der Jahrhundertwenden I. Um 1800. Paderborn et al.: Ferdinand Schöningh, 1997, 83–96, 91). Die im 17. Jahrhundert weitverbreitete Apologie, dass Römer und Griechen die hebräischen Schriften des jüdischen Altertums nachgeahmt hätten, gehört in dieses Argumentationsmuster. Vgl. Joachim Dyck: Athen und Jerusalem. Die Tradition der argumentativen Verknüpfung von Bibel und Poesie im 17. und 18. Jahrhundert. München: C.H. Beck, 1977, 13–23.

Poetologische Bibelkritik und historisch-kritische Methode

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den Jahren 1753 und 1754 sogar zwei Rezensionen: Eine kurze deutschsprachige Rezension in den Göttingischen Anzeigen von Gelehrten Sachen und eine längere lateinische Rezension ebenfalls in einem Göttinger Organ, den Relationes de libris novis. Michaelis hatte rasch auf die Publikation der Lowth'schen Vorlesungen reagiert und damit Namen und Werk Robert Lowths in akademischen und theologischen Kreisen bekannt gemacht.14 Mendelssohn setzte sich in einem ganz anderen Medium für die Verbreitung der neuen Ideen ein. Er widmete den Oxforder Poetik-Vorlesungen in der Leipziger Bibliothek der schönen Wissenschaften und freyen Künste im Jahre 1757 eine lange, zweiteilige Besprechung. Nicht nur der Publikationsort ist hier von Interesse, sondern auch die Sprache, in der rezensiert wurde.15 Mendelssohn veröffentlichte seine Lowth-Kritik nämlich in der eben erst von ihm selbst, Friedrich Nicolai und Lessing gegründeten Leipziger Bibliothek der schönen Wissenschaften und freyen Künste,16 einem Novum in der publizistischen Landschaft der 50er Jahre.17 Die Publikation war – im Gegensatz zu Michaelis' ausführlicher Besprechung in lateinischer Sprache – nicht nur auf Deutsch verfasst worden, sondern die deutsche Sprache gehörte zum ästhetischen Selbstverständnis der drei Autoren, welche sich mit der neuen Zeitschrift der Kritik, der Pflege der

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Lowths 34 Lektionen zur Bibelpoesie dienten Michaelis als Folie, vor der er seine eigenen historisch-kritischen Theoreme entwickeln und vorführen konnte. Zur inhaltlichen Konfrontation der Rezensionen von Michaelis und Mendelssohn vgl. Rudolf Smend: Lowth in Deutschland. In: Ders.: Epochen der Bibelkritik. Gesammelte Studien, Bd. 3. München: Chr. Kaiser Verlag, 1991, 43–62, bes. 45–49; allgemein zum Verhältnis Mendelssohn – Michaelis vgl. Anna-Ruth Löwenbrück: Judenfeindschaft im Zeitalter der Aufklärung. Eine Studie zur Vorgeschichte des modernen Antisemitismus am Beispiel des Göttinger Theologen und Orientalisten Johann David Michaelis (1717–1791). Frankfurt/M.: Peter Lang, 1995, bes. 123–147, 154–174. Smend hierzu: »Es ist deutlich: Lowth' Werk soll hier über die Fachwissenschaft hinaus der geistigen und literarischen Welt Deutschland zugänglich gemacht werden, was auch und gerade durch Michaelis' Besprechungen nicht geschehen war. Daher die Ausführlichkeit der Inhaltsangaben: Mendelssohn versteht sich nicht zuerst als Kritiker, sondern als Interpret und Fürsprecher« (ebd., 48). Aus Mendelssohns Lowth-Rezension, unter der Überschrift »Robert Lowth. De sacra Poesi Hebraeorum« publiziert, zitiere ich nach JubA 4, 20–62. Zum Profil der Zeitschrift vgl. Anneliese Klingenberg: Ein Projekt zur ›Neuen Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste‹ – Programm für eine Europäische République des Lettres. In: Anneliese Klingenberg et al. (Hgg.): Sächsische Aufklärung. Leipzig: Peter Lang, 2001, 178f. Michaelis erste, sehr kurze und deutschsprachige Besprechung hatte v.a. Anzeigenwert. Die Göttingischen Anzeigen von Gelehrten Sachen, die 1739 als erste deutschsprachige Rezensionszeitschrift gegründet worden war und deren Herausgabe just im Jahre 1753 von der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften übernommen wurde, war ein Bulletin der Göttinger Universität, hier wurden v.a. Bücher rezensiert, die von der Göttinger Universitätsbibliothek neu erworben wurden. Wegen der engen Verbindung zwischen England und Hannover verfolgte die Landesuniversität in Göttingen das englische Geistesleben mit größerem Interesse als anderswo. Eine Kurzcharakteristik des Rezensionsorgans Göttingische Anzeigen von Gelehrten Sachen findet sich in: Frieda Braune: Edmund Burke in Deutschland. Ein Beitrag zur Geschichte des historischpolitischen Denkens. Heidelberg: C. Winter, 1917 (Reprint: Nendeln/Liechtenstein: 1977), 50f.

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»Reinigkeit der Sprache« und der »Richtigkeit des Ausdrucks« verschrieben hatten.18 Mit diesem Periodikum lag eines der ersten Rezensionsorgane vor, dessen Auswahlmodus allein durch den Geschmack und sonst keine politische, religiöse oder moralische Absicht bestimmt war. In Friedrich Nicolais Worten heißt es: »Die Kritik ist es also ganz allein, die unsern Geschmack läutern, und ihm die Feinheit und Sicherheit geben kann, durch die er sogleich die Schönheiten und die Fehler eines Werkes einsieht; und ein feiner Geschmack ist nichts anders als eine Fertigkeit die Kritik jederzeit auf die beste Art anzuwenden.«19 Im Rezensionsvorgang sollte Kritik programmatisch mit der hochdeutschen Sprache und dem ästhetischen Geschmack verbunden werden. Damit wurde der philosophischen Ästhetik ein literarisches und sprachliches Anwendungsfeld geschaffen, das auf der Grundlage der rationalen Diskursivierung von Wahrnehmung, Erfahrung, Empfindung, Sinnlichkeit und Affektion, auch der Vermittlung partikularer und universaler Formate diente. Ebenso wie die Aufwertung der sinnlichen Erkenntnis einen neuen Zugang zur Natur eröffnete und mit ihm einen neuen Literaturbegriff entstehen ließ, ermöglichte die ästhetische Kritik einen individuellen Zugriff auf europäisches Geistesleben, Kultur und Kunst, politische und kulturelle Differenz, sowie die eigene religiöse Zugehörigkeit, einschließlich der mit ihr verbunden Konventionen, Denk- und Texttraditionen. Moses Mendelssohn, der Mitbegründer der Zeitschrift, hat diese Option der ästhetischen Kritik für die jüdische Minorität als Option der bewusst-distanzierten Teilnahme am Majoritätsdiskurs entdeckt und erschlossen. Aamir Mufti sieht in dieser Option der säkularen Kritik aus minoritärer Perspektive »a fundamental and constitutive concern, a condition of possibility of the critical practice itself«.20 Mit Edward Said sieht er in der Figur des deutsch-jüdischen Kritikers das Paradigma des modernen Kritikers überhaupt verkörpert.21 Mendelssohns Rezension der Lowth'schen Vorlesungen kann in diesem Sinne als Urszene moderner Literaturkritik verstanden werden.

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Nach Eva J. Engel in der Einleitung zu JubA 4, XXXVIII. Friedrich Nicolai zum Programm der Zeitschrift in Vorläufige Nachrichten (1756); zitiert nach Engel, ebd., XXXVII. Aamir R. Mufti: Auerbach in Istanbul: Edward Said, Secular Criticism, and the Question of Minority Culture. In: Critical Inquiry 25.1 (1998), 95–125, 96; Mufti, der Edward Saids Begriffe »postcolonial criticism« and »secular criticism« in Orientalism (1978) and The World, the Text, and the Critic (1983) analysiert, versteht »the history of Jewishness-minority as the recurring occasion for crisis and control in post-Enlightenment secularism«, und weist mit Edward Saids Terminologie auf die Möglichkeiten, die die jüdische Minoritätsgeschichte für die distinkte, moderne Aufgabe der Kritik eröffnet (»the possibilities it opens up for the distinctly modern vocation of critique«, ebd., 104). »The German Jewish critic in (‹Oriental») exile becomes for Said the paradigmatic figure for modern criticism, an object lesson in what it means to have critical consciousness: ‹The intellectual’s social identity should involve something more than strengthening those aspects of the culture that require mere affirmation and orthodox compliancy from its members» [Said, The World, the Text, and the Critic]. It is, in other words, highly significant that it is Auerbach – and,

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Die 71 Quarto-Seiten umfassende Lowth-Kritik Mendelssohns erschien gleich im ersten Band des neuen Rezensionsorgans zwischen Besprechungen von Gedichten, Dramen, philosophischen und ästhetischen Schriften, Texten über Malerei und Bildhauerkunst aus den verschiedenen Aufklärungen Europas. Die wohlwollende und ausführliche Rezension Mendelssohns brachte dem Lesepublikum die Lowth'schen Vorlesungen scheinbar wertfrei nahe. Die Wertung lag jedoch gerade in der positiven Besprechung, die den Text des Alten Testaments/Tanakh als Redegegenstand der deutschsprachigen Literaturkritik etablierte. Es sind sowohl der publizistische Ort als auch der Inhalt der Rezension, welche die Außergewöhnlichkeit des Textes ausmachen, der jenseits der theologischen Diskurse Land für die hebräische Bibel erobert. Dieses Land der ästhetischen Bibelkritik sollte später für Herder sehr interessant werden. Und es ist wohl nicht zufällig, dass sich in seinem Nachlass ein annotiertes Exemplar der LowthRezension Mendelssohns findet – ein deutlicher Hinweis darauf, dass er sich eingehend mit dem Text beschäftigt hat.22 Die stärkere Beachtung von Mendelssohns Rezension führt zur Revision einer forschungsgeschichtlichen Konvention, die Rudolf Smend so formulierte: »Lowth als Vorgänger Herders, Herder als Nachfolger Lowth', das ist [...] ein geistesgeschichtlich mindestens ebenso bedeutsames Verhältnis, wie dasjenige zwischen Lowth und Michaelis.«23 Herder, der sein Programm der Ursprungspoesie nach Mendelssohn entwickelte, hat Mendelssohn im Zusammenhang mit Lowth nie erwähnt oder zitiert, dafür aber immer wieder Michaelis. Herder brauchte Michaelis als Sekundanten für seine Parallelismus-Theorie24 und als theologische Autorität, um sein neues, von literaturkritischen und ästhetischen Erwägungen getragenes Verständnis des Alten Testaments zu legitimieren. Ebenfalls von Michaelis übernommen war der kritische Duktus gegenüber Lowth. Jedoch setzte sich Herder immer wieder dort von Lowth ab, wo Mendelssohn diesen mit seiner Rezension in der deutschen Literaturdiskussion verortet hatte.

ii. Parallelismus vs. Silbenmaß Für die literaturkritische Adaption des hebräischen Bibeltextes in Deutschland ist Mendelssohns Lowth-Rezension in der Bibliothek der schönen Wissenschaften und freyen Künste ein Meilenstein gewesen. Sie ebnete maßgeblich den Weg für die produktive Auseinandersetzung mit Lowths Thesen zur Poetizität des Alten Tes-

22 23 24

in Said's more recent work, Adorno – who provides him the model for exile, and not, say Joyce and his contemporaries, let alone Nabokov, Solzhenitsyn, or Brodsky« (Mufti, ebd). Vgl. Hans Dietrich Irmscher: Probleme der Herderforschung. In: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissensschaft und Geistesgeschichte 2 (1963), 272. Smend, Lowth in Deutschland, 53. Ebd., 49.

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taments. Als Jude stand Mendelssohn jenseits des protestantischen Problemhorizontes der Bibelauslegung und somit auch jenseits der Schwierigkeiten um das Alte Testament. Sein Interesse war einem anderen religiösen, kulturellen und politischen Hintergrund geschuldet: Der Rezeptionsakt galt dem Tanakh und der Legitimierung der jüdischen Texttradition in der aufklärerischen Gesellschaft. Die Vagheit des protestantisch-theologischen Zugangs zum Alten Testament bot ihm als Nicht-Christen, der sich nicht zu ihr positionieren musste, einen größeren Feiraum, den Text des Tanakh der ästhetischen Literaturkritik zu öffnen. Die Rezension der Vorlesungen über die heilige Poesie der Hebräer eignete die Bibelauffassung des englischen Lowth der deutschen Literatursprache an und führte eine nicht-christologische Lesart des Alten Testamentes ein. Wegen ihrer Bindung an die deutsche Sprache stellte diese Lesart auch im jüdischen Diskurs ein Novum dar und musste gegen die traditionelle Lehrmeinung dann verteidigt werden, als sie mit Mendelssohns Pentateuch-Übersetzung (1780–83) ans Licht einer größeren Öffentlichkeit trat.25 Indem Mendelssohn zwar Lowths literaturkritisches Analyseinstrumentarium übernahm, jedoch die Diskussion um den Offenbarungscharakter der hebräischen Texte im Gegensatz zu Lowth ausklammerte, definierte er für die ästhetische Literaturkritik klare Grenzen.26 Lowths christologische Allegorie des Hoheliedes referiert Mendelssohn nicht, versehen mit dem Hinweis, dass es unnötig sei, »aus dieser Untersuchung etwas anzuführen, weil der mystische Sinn eines Gedichtes nicht mehr zu dem Gebiethe der Kritik gehört«.27 Für Mendelssohn haben theologische Interpretationen der hebräischen Bibel ihre Berechtigung, gehören aber nicht in das Gebiet der ästhetischen Literaturkritik, 25 26

27

Vgl. hierzu Carola Hilfrichs Analyse von Mendelssohns Apologie der Pentateuch-Übersetzung in Or la-Netiva (Lebendige Schrift, 34, 66–73); vgl. auch Kap. II. meiner Studie. Michaelis hatte in seiner deutschen Rezension die diesbezüglichen Schwierigkeiten Lowths direkt angesprochen. Lowth präsentiere »ein Lob der hebräischen Dicht-Kunst überhaupt. Von dieser redet er […] so, als wäre Gott ihr erster Erfinder, und rühmet, daß sie, als ein Geschenk des Himmels, gleich bey ihrem ersten Ursprung vollkommen gewesen sey: ohne Beweiß dieses Satzes zu dencken, den ihm nicht alle und jede zugestehen werden, und sich seines Satzes wieder zu erinnern, wenn er […] die Worte Lamechs I B.Mos.IV, 23.24 billig für Überbleibsel eines historischen Liedes hält, so noch wol älter seyn müßte als Jacobs Segen« (Rezension zu Lowths Praelectiones: De Sacra poesi Hebraeorum praelectiones academicae Oxonii habitae a Roberto Lowth. In: Göttingische Anzeigen von Gelehrten Sachen 2 (1753), 947–50, 947f). Mendelssohn, Robert Lowth. De Sacra Poesi Hebraeorum, JubA 4, 54. Die Stelle, auf die sich Mendelssohn bei Lowth bezieht, lautet im englischen Text folgendermaßen: »Who this wife of Salomon was, is not clearly ascertained: but some of the learned have conjectured, with an appearance of probability, that she was the daughter of Pharaoh, to whom Solomon was known to be particularly attached. May we not, therefore, with some shadow of reason, suspect, that under the allegory of Solomon choosing a wife from the Egyptians, might be darkly typified that other Prince of Peace, who was to espouse a church, chosen from among the Gentiles?« (Lectures on the Sacred Poetry, Vol. II., Lect. 31, 329f; das ursprünglich lateinisch verfaßte Werk De Sacra Poesi Hebraeorum zitiere ich nach der englischen Übersetzung: Robert Lowth: Lectures on the Sacred Poetry of the Hebrews. Transl. from the Latin, ol. I–II. London: St. Paul’s Church-Yard, 1787).

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denn es sei »dem schönen Geiste vollkommen einerley, ob Homers Iliade außer dem wörtlichen, wie einige glauben, noch einen allegorischen Verstand hat oder nicht.«28 Das, was nur »einige glauben« – sei es der Glaube an die Autorität der griechischen, jüdischen oder christlichen Überlieferung – liegt jenseits der Ägide der Kritik. Mendelssohn fand einen schmalen Grad, zwischen den englischen und deutschen Diskursformationen so zu vermitteln, dass Lowths positive Evaluierung der hebräischen Dichtkunst in die deutsche Literaturdiskussion eingeführt werden konnte. Während Lowth jedoch sein positives Bild der hebräischen Dichtkunst auf der Grundlage ihres Offenbarungscharakters gewonnen hatte, ordnete sich Mendelssohn mit seiner Rezension dort in die philosophische Literaturdiskussion ein, wo seit Gottsched die göttliche Legitimierung der Bibel aufgegeben worden war. Damit gelang es Mendelssohn, das ästhetische Urteil über hebräische Sprache und Dichtung, das die deutsche Diskussion zu seiner Zeit dominierte, nachhaltig zu revidieren. Johann Christoph Gottsched (1700–1766), außerordentlicher Professor für Poesie an der Universität Leipzig (später ordentlicher Professor für Logik und Metaphysik), war in Deutschland der erste, der auf der systematischen Grundlage Wolffianischer Philosophie einen philosophischen Literatur- und Poesie-Begriff formulierte. Durch die große Verbreitung seines Lehrbuchs der Philosophie und seiner deutschen Grammatik29 wirkte er sehr stark meinungsbildend.30 Gottsched hatte die göttliche Legitimierung der Poesie ganz aufgegeben: »Die Poesie«, so schreibt er in der Critischen Dichtkunst, hat »ihren Grund im Menschen selbst, und also geht sie ihn weit näher an. Sie hat ihre erste Quelle in den Gemüthsneigungen der Menschen.«31 Verstanden als sprachlicher Ausdruck der menschlichen Empfindung von Schönheit, wurde die Poesie von ihm »in ihren entscheidenden begrifflichen Elementen in ein Gesamtgebäude der Philosophie eingebunden«. Der Leibniz'sche Begriff der Vollkommenheit wurde von Gottsched mit dem der poetischen Schönheit verbunden und der Dichtung damit die »Aufgabe einer sittlichen Vervollkommnung des Lesers oder Theaterbesuchers« übertragen.32 Gottsched brauchte die Autorität der Bibel als Fundament der Poe28 29 30

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Mendelssohn, Robert Lowth. De Sacra Poesi Hebraeorum, JubA 4, 54. Erste Gründe der gesamten Weltweisheit (1733); Grundlegung einer deutschen Sprachkunst (1748). Zur Bedeutung und Popularität Gottscheds in der Aufklärung ausführlich Ludwig Stockinger, der in seinem Aufsatz »Gottscheds Stellung in der Literaturgeschichte« die Gottsched-Rezeption der Sprach- und Literaturwissenschaften sowie der Philosophiegeschichtsschreibung zusammenführt (in: Kurt Nowak/Ludwig Stockinger (Hg.): Gottsched-Tag. Wissenschaftliche Veranstaltung zum 300. Geburtstag von Johann Christoph Gottsched. Stuttgart: Hirzl, 2002, 15–50). Johann Christoph Gottsched: Versuch einer Critischen Dichtkunst Cap.1 §1. In: Joachim Birke/Brigitte Birke (Hgg.): Johann Christoph Gottsched. Ausgewählte Werke, VI.1. Berlin/N. Y.: De Gruyter, 1973, 115. Hans Poser: Gottsched und die Philosophie der deutschen Aufklärung. In: Kurt Nowak/Ludwig Stockinger (Hg.): Gottsched-Tag. Wissenschaftliche Veranstaltung zum 300. Geburtstag von Johann Christoph Gottsched. Stuttgart: Hirzl, 2002, 66f.

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sie nicht mehr, die nun vielmehr auf den Fundamenten Wolffianischer Philosophie ruhte und metaphysisch legitimiert wurde. Die hebräische Bibel war damit selbst für eine Bewertung innerhalb des Normenkanons der französisch beeinflussten, aristotelischen Regelpoetik freigegeben, was dazu führte, dass sie ihren Status als Werk der Dichtkunst überhaupt verlor. Für Gottsched wurde die Bibel zur Urkunde des unvollkommenen Zustandes der Dichtung in ihren Anfängen, deren Geringschätzung er vor allem formal, das heißt mit dem Fehlen von Silbenmaßen und Reimen begründete:33 »Man kann sich aber leicht einbilden, wie diese ersten Oden geklungen haben. Alle Dinge sind anfänglich rau und grob, oder doch voller Einfalt. Die Zeit bessert alles aus; die lange Übung in einer Kunst bringt sie endlich zu größerer Vollkommenheit: [...] Sätze von ungleicher Größe, ohne eine regelmäßige Abwechslung langer und kurzer Sylben; ja sogar ohne alle Reime, waren bei den ersten Sängern schon Poesie. Die Psalmen der Hebräer, das Lied Mosis, der Gesang der Mirjam beym Durchgange durchs rothe Meer angestimmet, u.a.m. können uns davon sattsam überzeugen. So mühsam sich einige Gelehrte [...] haben angelegen seyn lassen, in diesen alten hebräischen Liedern ein Sylbenmaaß zu finden, so leicht wird doch ein jeder Unparteyischer sehen, dass alle ihre Arbeit vergeben gewesen. Sie haben es mehr hinein gezwungen, als darinn gefunden; und es ist weder wahrscheinlich noch nöthig, dass die Poesie der ältesten Nationen eben die Zierde und Vollkommenheit gehabt haben muß, als sie nachmals bey den Griechen und Römern erlanget. Man hält es also billig mit Jos. Scaligern, [...] ›Die hebräische Sprache ist durchaus nicht auf die Regeln des griechischen oder lateinischen Sylbenmaaßes zu bringen; wenn man gleich Himmel und Erde durch einander mischen wollte.‹«34

Die gebundene Rede als Kriterium für vollkommene Dichtung wertete die alten hebräischen Lieder gegenüber der griechischen und römischen Poesie ab. Rau, grob und voller Einfalt lagen diese als »Erde« unter dem »Himmel« der Vollkommenheit der griechisch-römischen Antike. Diese Opposition war nicht nur statisch gemeint, sondern auch historisch-chronologisch und geschichtsphilosophisch: Die hebräische Dichtung als unvollkommene Vorläuferin der griechischen und römischen Poesie. Das, was in Gottscheds klassizistisch-rationalistischer Kritik einen Mangel darstellte, avancierte bei Lowth zur Besonderheit des Alten Testaments. Einerseits folgte seine Poetik einer Strategie, welche die literarischen und sprachlichen Formen der Schriften des Alten Testaments aus der griechischrömischen Rhetoriktradition erklärte, andererseits war er mit der Beibehaltung des göttlichen Ursprungsargumentes nicht an die philosophische Grundlegung der Dichtung und damit auch nicht an das Vollkommenheitsideal gebunden.

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Ich folge hier weitgehend der Darstellung von Inka Bach/Helmut Galle: Deutsche Psalmendichtung vom 16. bis zum 20. Jahrhundert. Untersuchungen zur Geschichte einer lyrischen Gattung. Berlin/N. Y.: De Gruyter, 1989, 232–235; die auch von Kurz übernommen wurde: Athen oder Jerusalem, 90. Gottsched, Versuch einer Critischen Dichtkunst, Cap.1 §6, 118.

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Lowth konnte so die Besonderheiten der hebräischen Dichtkunst betonen, ohne diese gleichzeitig abzuwerten. Die Vorlesungen wollten »am Beispiel religiöser Poesie demonstrieren«, dass »Dichtung [...] vor allem ein Ausdruck ursprünglicher Begeisterung des Menschen« sei und dass »jeder Dichtung ein religiöses Moment angehör[e].«35 Jürgen Klein spricht bei Lowth von einer »revolutionären subjektiven Wende in der Literarkritik [...], welche die Voraussetzungen dafür schafft, dass Dichtung sich vom klassizistischen Regelzwang entfernen kann.«36 Das gelang Lowth vor allem durch die systematische Einführung einer Begrifflichkeit, die er zwar von Pseudo-Longinus aus der rhetorischen Tradition übernommen hatte, deren Grundlagen aber in der Anwendung auf die hebräische Poesie neu bestimmt wurden: »the sublimity« bzw. das Erhabene.37 Lowth ordnete sich damit in eine allgemeine Tendenz der englischen Poetikentwicklung ein,38 welche das Erhabene aus dem Begriffskatalog der Rhetorik herauszulösen begann und zur wirkungsästhetischen Kategorie umwandelte.39 Die »sublimitas« war in der antiken Rhetorik die höchste Form gehobenen Sprechens, welcher spezifische Sprachregelungen und ein fest umrissener Kanon an sprachlichen Bildern zugeordnet waren, die für Höhe, Würde, Vornehmheit, Größe, Großartigkeit, Erstaunliches 35 36 37

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Jörg Heininger: Erhaben. In: Karl-Heinz Barck et al. (Hg.): Ästhetische Grundbegriffe. Bd. 2. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden. Stuttgart/Weimar: Metzler, 2001, 287. Jürgen Klein: Anfänge der englischen Romantik 1740–1780. Heidelberger Vorlesungen. Heidelberg: C. Winter, 1986, 52. Lowth entwickelte seinen Erhabenheitsbegriff in: Lectures, Vol.1 Lect.14, 302–322. Michaelis hat bereits in seiner ersten Rezension auf die zentrale Stellung des Erhabenheitskonzepts für Lowth's Metrikdiskussion hingewiesen: »Als einen Vorzug der Hebräischen Poesie vor der Lateinischen und Griechischen giebt er […] an, daß, wenn man sie von Wort zu Wort in unsere Sprachen übersetze, man auch ohne Sylben-Maaß Spuren des Erhabenen und der Poesie (disjecti membra poëtae) darin finde« (Michaelis, Rezension zu Lowths Praelectiones, 949); Vgl. auch meinen Aufsatz »Das Erhabene und die Dichtkunst der Hebräer. Transformationen eines ästhetischen Konzepts bei Lowth, Mendelssohn und Herder«, der eine erste Fassung vorliegenden Kapitels ist (in: Christoph Schulte (Hg.): Hebräische Poesie und jüdischer Volksgeist. Die Wirkungsgeschichte von Johann Gottfried Herder im Judentum Mittel- und Osteuropas. Hildesheim et al.: Georg Olms Verlag, 2003, 68–92; sowie Michael C. Legaspi: Lowth, Michaelis, and the Invention of Biblical Poetry. In: The Death of Scripture and the Rise of Biblical Studies. Oxford: Oxford University Press, 2005, 105–128, bes. 111f. Die Rezeption des Erhabenen im achtzehnten Jahrhundert ging auf die französische Übersetzung von Pseudo-Longinus' Schrift Peri hypsos (1. Jh.) durch Nicolas Boileau (1674) Traité du sublime zurück (vgl. Sven Aage Jørgensen, Geschichte der Deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart 6, München 71990, 117). Die englische Diskussion um das Erhabene hat Peter De Bolla rekonstruiert: The Discourse of the Sublime. Readings in History, Aesthetics and the Subject, Oxford/N.Y, 1989. Die Analyse von Lowths Erhabenheitskonzeption allerdings fehlt in der breit angelegten Darstellung. Bach/Galle, Deutsche Psalmendichtung, 287; Zum Beitrag der ersten deutschen Diskussion um das Erhabene zwischen Bodmer, Breitinger und Pyra in den 40-er Jahren des 18. Jahrhunderts vgl. Peter-André Alt: Aufklärung. Lehrbuch Germanistik. Stuttgart/Weimar: Metzler, 1996, 86– 88.

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und Überwältigendes und auch Schauerliches standen. Die Applizierung der rhetorischen Kategorie auf das Alte Testament wurde durch Pseudo-Longinus' Schrift selbst nahe gelegt, denn sie enthält den einzigen alttestamentlichen Beleg im klassischen Kanon. In Kapitel 9.9 von Peri hypsos wird Gen 1.3 als Ausdruck des Erhabenen zitiert: »Ebenso hat auch der Gesetzgeber der Juden, gewiß nicht der erste beste, weil er die Macht des Göttlichen würdig auffaßte, diese auch sprachlich geoffenbart, indem er gleich am Begin seiner Gesetze schrieb ›Gott sprach‹ – was? ›Es werde Licht, und es ward Licht, es werde Land, und es ward‹.«40 Lowth konnte nicht nur an Pseudo-Longinus selbst, sondern an eine mit der Renaissance beginnende Rezeptionstradition der rhetorischen Bibelauslegung anschließen, von der er sich mit seiner neuen Definition der Erhabenheit gleichzeitig absetzte: »The word Sublimity I wish in this place to be understood in this most extensive sense: I speak not merely of that sublimity, which exhibits great objects with a magnificent display of imagery and diction; but that force of composition, whatever it be, which strikes and overpowers the mind, which excites the passions, and which expressis ideas at once with perspicuity and elavation; not folicitous whether the language be plain or ornamented, refined or familiar: in this use of the word I copy Longinus, the most accomplishes author on this subject, whether we consider his precepts or his example.«41

Neu und vor allem innovativ war sein Begriff der Erhabenheit deshalb, weil er die englische Diskussion um »sublimity«, die aus der Physikotheologie und Naturbetrachtung entstanden war, mit der literaturkritischen Lesung des Bibeltextes verband. Hieraus erschlossen sich sowohl für die Bibelexegese als auch für Ästhetik und Literaturkritik ganz neue Dimensionen. Indem der sprachliche Ausdruck der hebräischen Bibel weniger Regeln folge, sondern vielmehr ursprüngliche spontane Empfindung (»native force and beauty«)42 »eines vom Lobe des Schöpfers entzückten Gemüths«43 sei – wie es in Mendelssohns Übersetzung heißt –, wird das Erhabene zu einer Kategorie, mit der versucht wird, das Harsche und Spröde, das Raue und Grobe, die Fremdheit des hebräischen Stils in einer eigens hierfür entwickelten Terminologie poetologisch zu erfassen.44 Der unmittelbare sprachliche Ausdruck von Erhabenheit unterschied dabei »the poetic diction of the hebrews« von der Prosa, »what we meet in common life«.45 Poetisches Sprechen habe in jeder Sprache ihre eigenen unverwechselbaren Stil- und Ausdrucksformen, aber es

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Pseudo-Longinus: Vom Erhabenen. Übers. u. hg. von Otto Schönberger. Stuttgart: Reclam Jun., 1997, 26f. Lowth, Lectures on the Sacred Poetry, Vol.1 Lect.14, 307. (Hervorh., G.S.) Ebd., Vol.1 Lect.2, 44. Vgl. Mendelssohn, Robert Lowth. De Sacra Poesi Hebraeorum, JubA 4, 23. Lowth, ebd., Vol.1 Lect.3, 67: »Hebrew Poetry, which formerly sounded uncommonly harsh and barbarous.« Lowth, ebd., Vol.1 Lect.14, 308.

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sei immer »forcible, magnificent, and sonouros«, »pompous and energetic«.46 Die Erforschung der »force of composition« rückte so ins Zentrum und folgte zwei Zielen: Zum einen, die Eigenarten hebräischer Poesie zu bestimmen; zum anderen, dem klassizistischen Postulat, Werke der Dichtkunst über die gebundene Rede zu spezifizieren, Genüge zu leisten.47 Die Frage nach der metrischen Strukturierung der hebräischen Poesie nahm deshalb in Lowths Werk einen breiten Raum ein und wurde im ersten der drei Teile des Werkes als Eröffnung der gesamten Darstellung unter der Überschrift Of the Hebrew Metre abgehandelt.48 Die Besonderheiten der hebräischen Poesie, welche die Frage nach einem Metrum zu verneinen scheinen, machten es Lowth schwer, sie von der hebräischen Prosa zu unterscheiden: »The Hebrew poets frequently express a sentiment with the utmost brevity and simplicity, illustrated by no circumstances, adorned with no epithets (which in truth they seldom use); they afterwards call in the aid of ornament; they repeat, they vary, they amplify the same sentiment; and adding one or more sentences which run parallel to each other, they express the same or a similar, and often a contrary sentiment in nearly the same form of words.«49

Kürze und Einfachheit des Ausdrucks, der weder durch irgendwelche Einzelheiten veranschaulicht noch durch Epitheta geschmückt ist, Wiederholung, Variation, Verstärkung derselben Empfindung, das Aneinanderfügen zweier oder mehrerer Sätze, die einer zum anderen parallel laufen, die das Gleiche oder Ähnliches und oft auch ein Gegenteiliges in annähernd der gleichen Form der Wörter ausdrücken, charakterisieren einen »prosaic mode of expression« des hebräischen Dichters, der dennoch mehr ist als Prosa.50 Indem er dem Hebräischen einen eigenen unverwechselbaren Sprachgenius beimaß, konnte Lowth das, was nach herkömmlichen Maßstäben als Prosa bezeichnet worden wäre, als gebundene Rede und damit als Dichtung qualifizieren, die aber nach ganz eigenen Formgesetzen organisiert sei: »Each language possesses a peculiar genius and character, on which depend the principles of versification, and in a great manner the style or colour of the poetic diction. In Hebrew the frequent or rather perpetual splendour of the sentences, and the accurate recurrence of the clauses, seem absolutely necessary to distinguish the verse: so that

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Ebd. Lowth selbst problematisiert das Thema (ebd., Vol.1 Lect.3, 56): »But since it appears essential of every species of poetry, that it be confined to numbers, and consist of some kind of verse, [...] in treating of the Poetry of the Hebrews, it appears absolutely necessary to demonstrate, that those parts at least of the Hebrew writings which we term poetic, are in a metrical form, and to inquire whether any thing be certainly known concerning the nature and principles of this versification or not.« Ebd., Vol.1 Lect.3, 55–73. Ebd.,, Vol.1 Lect.4, 100f. Ebd., 101.

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Der Name Gottes, das Erhabene und die Dichtkunst der Hebräer

what in any other language would appear superfluous and tiresome repetition, in this cannot be omitted without injury to the poetry. This excellence therefore the sententious style possesses in the Hebrew poetry, that it necessarily prevents a prosaic mode of expression, and always reduces a composition to a kind of metrical form.«51

Das Fehlen von Reimen und Silbenmaßen im Alten Testament war für Lowth kein Grund, die Frage nach der metrischen Strukturierung negativ zu beantworten. Er begriff das parallele Nebeneinanderlaufen von gleichgebauten Sätzen, die entweder synonym, antithetisch oder synthetisch aufeinander bezogen sein konnten, als eine Art metrischer Form (»a kind of metrical form«). Die Stilfigur des parallelismus membrorum (der Begriff wurde von Lowth selbst noch nicht verwendet) wurde von ihm als textstrukturierendes Prinzip begriffen, welches aus der konkreten historischen Situierung der hebräischen Poesie im Tempelgottesdienst erwachsen war. Zwei Chöre, die im Wechselspiel die hebräischen Hymnen sangen, sollten den psalmodierenden, parallell fortschreitenden Stil der Hebräer geprägt haben.52 Mit der Auffassung, den Parallelismus als eine Art Metrum zu betrachten,53 folgte Lowth dem jüdischen Renaissance-Gelehrten Azaria de' Rossi (ca. 1513–1578).54 Indem er diese Auffassung aber – auf Cicero verweisend – innerhalb der rhetorischen Tradition legitimierte, führte er sein klassizistisches Argument, die Bibel als Kunstwerk zu etablieren, zu Ende.55 Vom deutschen »Literaturpapst« Gottsched wurde es trotzdem nicht akzeptiert, wie eine Bemerkung in seiner Critischen Dichtkunst anzeigt: »Man weiß, daß der Engländer, der kürzlich von dem Sylbenmaaße der Psalmen neue Entdeckungen gemacht zu haben, vorgegeben, nichts besonderes geleistet. Zum wenigsten hat ers nicht erweislich machen können, daß es so sorgfältig als bei den Lateinern und Griechen eingerichtet gewesen.«56

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56

Ebd. Ebd., Vol.2 Lect.19, 24–59. Ebd., Vol.1 Lect.2, 41–54. Ebd., Vol.1 Lect.3, 72. Adele Berlin beschreibt de´ Rossis Theorie der mispar ha-‘injanim als Vorläufer des parallelismus. De´ Rossi verblieb im Rahmen der Metrik, aber seine Aufmerksamkeit galt nicht mehr den ›phonetischen Einheiten‹ der syllabischen Dichtung, sondern den ›semantischen Einheiten‹, den Ideen (Adele Berlin, Azariah de´ Rossi, 178). Vgl. aber schon Jehuda Halevi zum Problem der fehlenden Metrik im Hebräischen, die als poetischer Vorzug interpretiert wird, in: Sefer ha-Kusari. Das Buch Kusari. Hg. und übers. nach den hebr. Text von Jehuda ibn Tibbon von David Cassel. Leipzig: Verlag von Friedrich Voigt's Buchhandlung, 1869, II.72, 17; hierzu ausführlicher Kap. V.iii. Lowth, ebd., Vol.1 Lect.4, 101f: »For, as Cicero remarks, ›in certain forms of expression there exists such a degree of a conciseness, that a sort of metrical arrangement follows of course. For when words or sentences directly correspond, or when contraries are opposed exactly to each other, or even when words of a similar sound run parallel, the composition will in general have a metrical cadence‹.« Gottsched, Versuch einer Critischen Dichtkunst, Cap.1 § 6, 118.

Schönes und Erhabenes – Affekttheorie als Erkenntnistheorie

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iii. Schönes und Erhabenes – Affekttheorie als Erkenntnistheorie Mendelssohns Lowth-Rezension enthielt die ersten publizierten, deutschen Übersetzungsproben Mendelssohns aus dem Tanakh. Dort, wo Lowth seine literarkritische Analyse an Hand hebräischer und lateinischer Passagen des Bibeltextes veranschaulicht hatte, übersetzte Mendelssohn die entsprechenden Abschnitte aus den Büchern Jesaja, Jeremia, Psalmen, Sprüche, Debora, Hiob, Klagelieder, 5. Mose, Hohelied und Hiob ins Hochdeutsche. Nicht nur die ästhetischen Grundlagen seines Übersetzungsschaffens lassen sich hier aufspüren, sondern auch seine Überlegungen zum Konzept des Erhabenen sind durch die Lowth-Lektüre angeregt worden.57 In der Einleitung seiner Rezension stellte er eine Opposition mit großer Tragweite auf, die zwar bei Lowth angelegt, jedoch als derart strikte Gegenüberstellung bei diesem nicht zu finden ist: »So viele Köpfe sich von je her mit der heiligen Schrift, mit diesem göttlichen Schatze von Erkenntniß und Gottesfurcht, beschäftiget haben, so vielfältig sie übersetzt, erklärt, und bald philosophisch, bald theologisch erläutert worden ist; so wenig hat man sich Mühe gegeben, uns die Quelle der Schönheit zu zeigen, die an derselben von Kennern der Grundsprache nicht genug bewundert werden kann. Man lieset den Homer, Virgil und die übrigen Schriften der Alten; man zergliedert alle Schönheiten, die darinn enthalten sind, mit der größten Sorgfalt, und giebt sich alle Mühe unsern Geschmack nach ihrem Muster zubilden; aber selten bekümmert man sich um die Regeln der Kunst, nach welchen jene göttliche Dichter, unter den alten Hebräern, die erhabensten Empfindungen in uns rege machen, und unmittelbar den Weg nach unserm Herzen zu treffen wissen. Der feine attische Geschmack, den wir aus den Schriften der alten Griechen und Römer schöpfen, kann sehr leicht in Weichlichkeit ausarten aber der ächte orientalische Geschmack, der in den Schriften der heiligen Dichter herrschet, ist allzumännlich, allzuedel, als dass er uns je zu unwürdigen Gesinnungen verleiten könnte.«58

Die Opposition, die hier zwischen Griechen bzw. Römern auf der einen Seite und den Hebräern auf der anderen Seite, zwischen zwei verschiedenen Regelwerken der Kunst, zwischen zwei verschiedenen Geschmäckern – dem sehr leicht in Weichlichkeit ausartenden, feinen, attischen und dem allzumännlichen, allzuedlen, echten orientalischen Geschmack – und zwischen zwei verschiedenen Empfindungsweisen aufgemacht wird, diese Opposition entspricht gleichzeitig der zwischen Schönem und Erhabenen. Anders als bei Gottsched ist sie aber nun von ihrer entwicklungsgeschichtlichen und zeitlichen Dimension befreit. Eine Textwelt wird hier gegen die andere gestellt, die hebräische Bibel als alternatives Ästhetikideal zu »Homer, Virgil und [den] übrigen Schriften der Alten« entfaltet. Die Kenntnis der »hebräischen Grammatik«, »Erkenntnis der Sprache«, ein »si57 58

Schon Ludwig Goldstein war dieser Meinung: Moses Mendelssohn und die deutsche Ästhetik. Königsberg: Gräfe & Unzer, 1904, 113. Mendelssohn, Robert Lowth. De Sacra Poesi Hebraeorum, JubA 4, 20.

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chere[r] philosophische[r] Geschmack« und die Fähigkeit, »das Genie verschiedener Völker gegen einander zu halten, und zu unterscheiden« gehören zu den Voraussetzungen, dieser Enteignung des christlichen Alten Testaments und des jüdischen Tanakh in den Bereich des Geschmacks zu folgen, der dadurch selbst eine Veränderung erfährt.59 Schaut man sich die schriftstellerischen Aktivitäten Mendelssohns in den folgenden Jahren an, so wird deutlich, dass die poetologische Auseinandersetzung mit dem Text des Alten Testaments bzw. des Tanakh bei Mendelssohn eine Neuorientierung der ästhetischen Überlegungen herbei führte: Gleich ein Jahr nach der Lowth-Rezension diskutierte er die Kategorie des Erhabenen im Verhältnis zum Naiven in einer eigenen Abhandlung Betrachtungen über das Erhabene und Naive in den schönen Wissenschaften (1758) unter erkenntnisästhetischem Aspekt. Die Schrift hatte Mendelssohn bereits publiziert, bevor er mit Edmund Burkes A philosophical Enquiry into the Origin of our Ideas of the Sublime and the Beautiful (1757) in Berührung kam.60 Im selben Jahr noch, also auch 1758, rezensierte er dann die Schrift Edmund Burkes separat. Die zweite Fassung seiner Betrachtungen über das Erhabene und Naive in den schönen Wissenschaften publizierte er innerhalb der zweibändigen Ausgabe der Philosophischen Schriften von 1761, die zum Original keine großen Veränderungen aufweist,61 in der Mendelssohn jedoch mit der Rhapsodie oder Zusätze zu den Briefen über die Empfindungen die Analyse des Erhabenen in die Theorie der Empfindungen einarbeitete.62 In den nächsten Jahren wird er dann an einer Neufassung seiner Schrift Über das Erhabene und Naive arbeiten, die in der endgültigen Fassung von 1771, das Schöne vom Erhabenen sowohl erkenntnistheoretisch als auch wirkungspsychologisch unterscheidet und die nun spürbar durch Mendelssohns Burke-Lektüre beeinflusst ist. Burkes Enquiry war »neben Kants Analytik des Erhabenen der wirkungsmächtigste Beitrag zur Erhabenheitsdebatte im 18. Jh.«,63 aber es war Mendelssohn, dessen vorgefasstes Interesse am Erhabenen die Bedeutung der Werkes erschloss, mit einer umfassenden Rezension im deutschen Sprachraum bekannt machte und den Grundstein

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Ebd., 20f. Zur Editionsgeschichte des Textes vgl. Goldstein, Mendelssohn und die deutsche Ästhetik, 110– 117, 148–153. »Die Fassung von 1761 [ist] in allem Wesentlichen nichts als ein sorgsam durchgesehener Neuabdruck. Zugekommen sind nur einige Beispiele, besonders aus ›Hamlet‹, und der Schluß behandelt nunmehr ganz kur die Beziehungen des Naiven zum Komischen« (Goldstein, Mendelssohn und die deutsche Ästhetik, 115). Mendelssohn, Rhapsodie, JubA 1, 381–424. Heininger, Erhaben, 288; Immanuel Kant hatte 1764 ebenfalls eine kleine Schrift mit dem Titel Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen geschrieben (AA II, 205–256). Die Kommentare vermerken, dass sie im Anschluss an die Lektüre von Baumgartens Aesthetica (1750) entstand. Der konzeptionelle Einfluss Mendelssohns auf Kants Theoreme ist kaum zu bestreiten (s.u. Kap. III.iv.).

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für eine sehr wichtig Debatte legte.64 In seine eigenen ästhetischen Reflexionen übernahm Mendelssohn von Burke – außer der bereits von Lowth angedachten sensualistischen Ableitung des Sublimen – vor allem die duale Architektur der Ästhetik, in der zum ersten Mal das Erhabene und das Schöne »als nicht vermittelbare Gegensätze« aufgefasst wurden.65 Mendelssohn füllte diese Dualität neu aus, er problematisiert das Schöne wie folgt: »Wir haben gesehen dass das eigentlich Schöne seine bestimmte Grenzen hat, die es nicht überschreiten darf. Wenn der Umfang des Gegenstandes nicht auf einmal in die Sinne fallen kann; so hört er auf, sinnlich schön zu seyn, und wird ungeheuer, oder übermäßig groß in der Ausdehnung. Die Empfindung, die alsdenn erregt wird, ist zwar von vermischter Natur; sie hat aber für wohlerzogene Gemüther, die an Ordnung und Symmetrie gewöhnt sind, etwas Widriges, indem die Sinne endlich die Grenzen wahrnehmen, aber nicht ohne Beschwerlichkeit umfassen und in Eine Idee verbinden können. – Wenn die Grenzen dieser Ausdehnung immer weiter ausgedehnt werden; so können sie endlich für die Sinne ganz verschwinden, und alsdenn entstehet das Sinnlichunermessliche. [...] Das große Weltmeer, eine weitausgedehnte Ebene, das unzehlbare Heer der Sterne, jede Höhe oder Tiefe, die unabsehnlich ist, die Ewigkeit und andere solche Gegenstände der Natur, die den Sinnen unermesslich scheinen erregen diese Art von Empfindung.«66

Das ›eigentlich Schöne‹ wird ganz im Sinne Wolffianischer Schulphilosophie und Gottschedscher Poetik mit den Epitheta der Ordnung, Symmetrie, der einen Idee, einer reinen Empfindung versehen, wird nun aber in Opposition zum Unermeßlichen definiert. Die Nachahmung des Sinnlich-Unermesslichen in der Kunst erzeugt das Gefühl des Erhabenen, das von Mendelssohn nach Größe und nach Stärke unterschieden wird: So wie es ein »Unermeßliches der ausgedehnten Größe nach giebt, […] eben also giebt es ein Unermeßliches der […] unausgedehnten Größe nach«.67 Wir werden in Kap. IV.ii.–iv. noch sehen, welche Rolle die Betrachtung der intensiven, unausgedehnten bzw. unermesslich-kleinen Größen für Mendelssohns zeichentheoretische Grundlegung der Metaphysik spielt. Das Erhabene stellt nun für Mendelssohn das mit den Mitteln der Kunst dar, was die Begriffe vernünftiger Ordnung überschreitet. Es löst als Affekt beim Rezipienten keine reine Empfindung mehr aus, sondern die vermischte Empfindung der Bewunderung, die sich gleichermaßen aus Wohlgefallen, Schwindel und süßem Schauern zusammensetzt.68 Mendelssohn beschreibt das Erhabene in erster Linie

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Zu Mendelssohns Beitrag zur deutschen Burke-Rezeption vgl. Braune, Edmund Burke in Deutschland, 8–10. Heininger, Erhaben, 289. Mendelssohn, Betrachtungen über das Erhabene und Naive in den schönen Wissenschaften (1771), JubA 1, 455f. Ebd., 455. Ebd., v.a. 456–458.

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entsprechend als Wirkung auf den inneren Sinn des Menschen: »das Große ist eben dasjenige für die äußeren Sinne, was das Erhabene für den innern Sinn ist.69 Die ersten Ansätze zu einer Affekttheorie der vermischten Empfindungen hatte Mendelssohn in der Auseinandersetzung mit Lessing und Nicolai im Briefwechsel über das Trauerspiel 1756/57 entworfen.70 In diesem Zusammenhang analysiert Mendelssohn den Affekt der Bewunderung zum ersten Mal systematisch. In Auseinandersetzung mit Aristoteles' Katharsiskonzept hatten die drei Schriftsteller nicht nur nach einer theoretischen Grundlegung des Trauerspiels, sondern auch nach einer Neuevaluierung der Gefühle, Empfindungen, Leidenschaften und Affekte gesucht. Im Gegensatz zu Gottsched diskutieren sie die Möglichkeit der zentralen Kunstgattung der Frühaufklärung nicht mehr unter formalen, sondern vor allem unter wirkungsästhetischen Gesichtspunkten. Im Mittelpunkt standen dabei die Arten der Affektstimulation beim Publikum und deren moralische Folgen, sowie – vor dem Hintergrund der Vorherrschaft eudämonistischer Konzepte – die Frage, welchem Zweck die Abbildung einer tragischen Handlung dienen soll? Dem Gottsched'schen Diktum, dass das Trauerspiel den Menschen bessern solle, stellten sie entgegen: »Die Tragödie soll Leidenschaften erregen.«71 Nach Lessings Auffassung werden in den handelnden Personen alle möglichen Leidenschaften wie Freude, Verliebtsein, Zorn, Rachsucht etc. erregt, im Zuschauer jedoch, da er nicht selbst sondern nur mit den Akteuren mitfühlt, herrscht allein die Regung des Mitleids vor.72 Indem Lessing den Affekt des Mitleidens als durch Konfrontation von großmütiger Tat und Unglück zu erreichende Wirkung forderte, da seines Erachtens mit dem Affekt des Mitleidens sui generis moralische Läuterung verbunden sei, entfernte er sich zwar in der Wahl der Mittel von Gottscheds Position, blieb aber dessen moralischer Intention durchaus verpflichtet. Moralisches Handeln soll zwar nicht mehr durch rationale Erkenntnis ausgelöst, aber durch die mitfühlende Identifikation mit dem scheiternden, aber tugendhaften Helden wirkungsästhetisch erreicht werden: »Die beste Person muss die unglücklichste sein.«73 Die Erweiterung der Fähigkeit des Zuschauers Mitleid zu fühlen und alle anderen Leidenschaften dadurch zu reinigen, wurde für Lessing zur wichtigsten Funktion der Tragödie.74 Wie Friedrich Nicolai hatte sich auch Mendelssohn im Briefwechsel im Fortlauf der Diskussion immer stärker gegen eine moralische Funktionalisierung des Kunstwerks, speziell des Dramas, ge69 70 71

72 73 74

Ebd., 459. Im Anschluss an Friedrich Nicolais Abhandlung vom Trauerspiele, die er in der Bibliothek der schönen Wissenschaften und freyen Künste 1.1 (1757), 17–68 veröffentlichte. Mendelssohn in: Mendelssohn/Lessing/Nicolai: Briefwechsel über das Trauerspiel. In: Wilfried Barner (Hg.): Gotthold E. Lessing 1760–1766. Bd. 5.1. Frankfurt: Klassiker Verlag, 1990, 153– 227, 160f. Ebd., 161. Ebd., 164; hierzu Barner, Lessing, 171. Lessing, Briefwechsel über das Trauerspiel, 209f.

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wendet.75 Von Mendelssohn wird eine Bühnenethik vertreten, die auf einen intentionalen, auf philosophischer Grundlage gebildeten Moralbegriff verzichtet. Moralischen Wert besitzt für Mendelssohn nicht erst die Intention, sondern schon die mittels symbolischer Zeichen zum Ausdruck gebrachte affekthafte Empfindung sowie der Affekt, den diese beim Rezipienten ausgelöst hat. Weder die abgebildete Handlung noch die darstellenden Personen müssen sich im Rahmen eines Tugendkatalogs bewegen. Vielmehr können das Nicht-Schöne, Ungeheuerliches, Hässliches, Schauerliches, Ekel, Schmerz, großes menschliches Leid, Grauen, Schrecken, Barbarei auf dieser Grundlage genauso zu einem (künstlerischen) Ausdruck finden wie das Angenehme und Schöne.76 Wie Lessing verwirft Mendelssohn das Postulat der Mimesis einer harmonischen Gesamtordnung, in das die Teil-Handlungen und -schicksale kausal und final eingewoben sind. Vor dem Hintergrund der liberalen Affekttheorie Mendelssohns bekommt diese Verwerfung jedoch eine neue Bedeutung. Die Auseinandersetzung um die Klassifizierung der Affekte spielte bei dieser Meinungsfindung eine entscheidende Rolle. Im Zentrum stand die Diskussion um die tragischen Affekte der Bewunderung und des Mitleidens. Mendelssohn wollte den Affekt der Bewunderung, der bei Aristoteles eine sehr untergeordnete Rolle spielt,77 für Lessing zunächst nur als »Ruhepunkt des Mitleidens« Bedeutung hatte78 und später ganz aus dem Drama verbannt werden sollte,79 stark aufgewertet wissen.80 Mendelssohn schloss damit zwar an die jüngsten Entwicklungen in der Tragödientheorie und die Einführung der Bewunderung als tragischen Affekt bei Robertelli, Corneille und Curtius an,81 arbeitete jedoch an einer Umdeutung des Begriffes. Schon in der ersten Fassung der Betrachtungen über das Erhabene und Naive in den schönen Wissenschaften von 175882 und kurze Zeit später in einem unmotiviert erscheinenden Supplement zu seiner Rezension des zweiten Teils von Baumgartens Aesthetica verknüpfte Mendelssohn das (gegen Lessings kathartische Mitleidskonzeption) favorisierte Gefühl der Bewunderung mit der Kategorie des Erhabenen und stellte so die Verbindung zwischen dramentheoretischer und poetologischer Gottschedkritik her. Letztere, eingeleitet durch die Schweizer Bodmer und Breitinger, unterschied sich von erstgenannter vor allem durch ihre moralisch-theologische Orientierung. Die Schwei75 76 77 78 79 80 81 82

Zum Verhältnis von Kunst und Moral bei Mendelssohn vgl. Goldstein, Mendelssohn und die deutsche Ästhetik, 25–40. Vgl. Zelle, Die doppelte Ästhetik der Moderne, 142f. Vgl. Max Kommerell: Lessing und Aristoteles. Untersuchungen über die Theorie der Tragödie. Frankfurt/M.: Klostermann, 1984, 88f. Lessing, Briefwechsel über das Trauerspiel, 162. Lessing, ebd., 175. Mendelssohn, Briefwechsel über das Trauerspiel, bes. 167–169. Kommerell, Lessing und Aristoteles, 89. Mendelssohn: Betrachtungen über das Erhabene und Naive in den schönen Wissenschaften. In: Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste 2.2 (1758), 229–267, 230f.

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zer Bodmer und Breitinger waren seit den dreißiger Jahren auf der Suche nach der theoretischen Begründung der Gattung des christlichen Epos. Während die Schweizer die Bewunderung heroisch-erhabener Personen und Handlungsverläufe aus der Trauerspieltheorie zu Gunsten ihrer Aufwertung für die Dichtungstheorie verdrängten, war Lessing zu einer gänzlichen Abkehr von der Kategorie gelangt,83 nachdem er längere Zeit an einer deutschen Übersetzung von Burkes Schrift gearbeitet und den Plan verfolgt hatte, diese Übersetzung kommentiert herauszubringen (was dann erst durch Garve 1773 geschah).84 Ernst Müller führt Lessings letztliches Desinteresse am Erhabenen und dem Affekt der Bewunderung auf deren christlich-gefühlstheologische Provenienz zurück.85 Bodmer und Breitinger stehen inmitten Renaissance des Erhabenen als des Neuen und Wunderbaren, die durch Boileaus kommentierte Pseudo-Longinus-Übersetzung von 1674 eingeleitet worden war. Diese Richtung der Rezeption war bereits durch Boileaus Titel angelegt: Traité du sublime, ou du Merveilleux dans le Discours. »Das Ungewohnte, Nichtalltägliche, Seltsame, Außerordentliche oder«, so die wesentliche Kategorie bei Breitinger, »das Neue«, sind »die Urquelle aller poetischen Schönheit,« wobei das Wunderbare die höchste Stufe des Neuen darstellt und theologisch bestimmt wird.86 Das Erhabene resp. Poetisch-Wunderbare wird überhaupt erst zu einer sinnlichen Kategorie, indem es auf die christlichen Offenbarungswahrheiten bezogen wird. Wie bei Gottsched wird die Dichtungstheorie aus Leibniz' Theodizee abgeleitet. Die poetische Einbildungskraft hat ihren Bezugspunkt jedoch nicht in der besten aller möglichen Welten, sondern imaginiert die bloß möglichen, unsichtbaren Welten. Das heißt, durch sie soll nicht analogisch die Wirklichkeit der prästabilierten Harmonie abgebildet werden, sondern vielmehr ein wahrscheinliches Schöpfungsszenario, das das Wunderbare gleichsam neu generiert. Diese bloß wahrscheinlichen, fiktiven, unsichtbaren Welten beanspruchen den Status von Wundern und Offenbarungswahrheiten. Damit wird nicht nur Leibniz' rationale Grundlegung der Theodizee unterlaufen, sondern auch das philosophische 83

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Hierzu Zelle (Die doppelte Ästhetik der Moderne, 133) wie folgt: »In der von Johann Jacob Bodmer (1698–1783) und Pietro die Conti di Calepio (1693–1762) angestellten ›Untersuchung wie ferne das Erhabene in den Trauerspielen Platz haben könne‹ wird das Erhabene zugunsten sympathetischer Identifikation relativiert und in der Dramaturgie von Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) gänzlich obsolet.« Vgl. Fritz Bamberger, Einleitung zu Schriften zur Philosophie und Ästhetik, JubA 1, XLIII. Vgl. Ernst Müller (Ästhetische Religiosität und Kunstreligion in den Philosophien der Aufklärung bis zum Ausgang des deutschen Idealismus. Berlin: Akademie Verlag, 2004, 77), der allerdings auch in Bezug auf Mendelssohn von einer relativierenden Abwertung des Erhabenen spricht, und übersieht, dass es sich um eine Umdeutung handelt; Lessing ist überhaupt erst durch Mendelssohn auf das Erhabene aufmerksam geworden. In der Forschungsliteratur wird das bis heute oft umgekehrt dargestellt, vgl. aber bereits Goldstein, Moses Mendelssohn und die deutsche Ästhetik, 110– 114. Lessings Übersetzungspläne von Burkes Schrift über das Erhabene und Schöne entstehen erst, nachdem Mendelssohn Lessing auf das Thema gelenkt hatte. Vgl. Müller, ebd., 36.

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Fundament der eigenen Anschauungen. Die philosophische Wendung des rhetorischen Erhabenheitsbegriffes scheint auf den ersten Blick eine theologische zu sein. Auf den zweiten Blick jedoch handelt es sich um eine »Parallelisierung zwischen Gott und Dichter und die Interpretation der Dichtung als Offenbarung.«87 Indem Gen 1.3 das Modell liefert, wie das Erhabene und Wunderbare vom Dichter neu erschaffen werden kann, verliert die überlieferte, sprachliche Repräsentation des Schöpfungsgeschehens und der Offenbarungswahrheiten an Bedeutung. Für Mendelssohns unpolemische Vorgehensweise ist es charakteristisch, dass er sich über die Begriffe, die den Wunderdiskurs bestimmen, nicht in der direkten Auseinandersetzung Klarheit zu verschaffen sucht. Schon im Trauerspielwechsel hatte Mendelssohn auf eine Distinktion der Begriffe »Verwunderung« und »Bewunderung« gedrungen.88 Ausgehend von Baumgartens Betrachtungen über die »Thaumaturgia Aesthetica« gelangt er zu einer detaillierteren Spezifizierung und Differenzierung der Begriffe »Verwunderung«, »Bewunderung« und »Wunder«, und gibt damit der zeitgenössischen, am christlichen Offenbarungsbegriff ausgerichteten Verknüpfung des Erhabenen mit dem Wunderbegriff eine affektpsychologische Wendung: »Wo wir nicht irren, so haben diese Weltweisen das Neue, das Wunderbare und das Bewundernswürdige, (novum, mirabile, admirabile) mit einander vermengt. Eine Sache ist neu, wenn wir sie entweder noch gar nicht, oder noch nie von dieser Seite erkannt haben. Sie ist wunderbar, wenn sie übernatürlich ist, und ästhetisch wunderbar, wenn sie dem schönen Verstande (analogo rationis) übernatürlich scheinet. Hingegen bewundernswürdig ist sie nicht eher als wenn wir eine gute Eigenschaft, eine Vollkommenheit an derselben wahrgenommen, die unsere Erwartung übertrifft.«89

Während die Verwunderung der anschauenden Erkenntnis einer Neuheit entspricht, entspringt die Bewunderung der Anschauung einer ungewöhnlichen Vollkommenheit.90 Die übermächtige Empfindung des Erhabenen, die die Einbildungskraft überwältigt und alle Nebenbegriffe absorbiert,91 entsteht als vermischte Empfindung aus einer Differenzwahrnehmung: Sie setzt die Anschauung einer Vollkommenheit voraus, die allerdings »durch ihre Größe über unsere gewöhnliche Begriffe gehet, […] oder gar alles übersteigt, was wir uns Vollkommenes denken können«.92 Während die Anschauung der Vollkommenheit Wohlgefallen auslöst, erzeugt das gleichzeitige Begreifen ihrer Unermesslichkeit einen 87 88 89 90 91 92

Müller, ebd., 75. Ebd., 171f; Vgl. hierzu Albert Meier: Dramaturgie der Bewunderung: Untersuchungen zur politisch-klassizistischen Tragödie des 18. Jahrhunderts. Frankfurt/M.: Klostermann, 1993, 38f. Mendelssohn, Rezension: Baumgarten, A.G.: Aesthetica. P2. Frankfurt: Kleyb 1758. In: Bibliothek der schönen Wissenschaften und freyen Künste 4.1 (1758), 438–456, bes., 453–455. Ebd., 453. Zu den Nebenbegriffen vgl. Mendelssohn, Betrachtungen über das Erhabene und Naive in den schönen Wissenschaften (1771), JubA 1, 462. Mendelssohn, ebd., 458.

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Schauer. Erst die übertroffene oder radikal in Frage gestellte Vollkommenheitserwartung erzeugt den Affekt der Bewunderung gegenüber dem betrachteten Gegenstand.93 Zu den »Gegenständen«, die diesen Affekt auslösen, gehört auch jede Wahrheit, insofern sie »irgend ein sehr vollkommenes Wesen, als Gott, das Weltall, die menschliche Seele angehet, die von unermesslichem Nutzen für das menschliche Geschlecht ist, oder zu deren Erfindung ein großes Genie erfordert wurde.«94 Das bedeutet, dass Mendelssohn von Wahrheiten ausgeht, die zu vollkommen sind, als dass sie durch Zeichen äquivalent dargestellt werden könnten. Sie sind – wie andere erhabene Gegenstände auch – nur affektiv zugänglich und den Gesetzen der Abbildungsproblematik des Sinnlichunermesslichen in der Kunst unterworfen. »Man hat«, so Mendelssohn, »in der Kunst ein besonderes Mittel, diese Empfindung zu erregen, wo das eigentlich Unermeßliche nicht anzubringen ist. Man wiederholet, nach gleichen Zwischenständen des Raumes oder Zeit, einen einzigen Eindruck unverändert, einförmig, und sehr ofte. Die Sinne nehmen alsdenn keinen symmetrischen Gang, keine Regel der Ordnung wahr, nach welcher sie etwa das Ende dieser Wiederholung vermuthen könnten, und sie gerathen dadurch in eine Unruhe, die dem Schauer des Unermeßlichen nahe kommt«.95

Mendelssohn führt zur Illustration je ein Beispiel aus Architektur, Musik und Dichtkunst an: Der gerade Säulengang ruft durch eine einförmige Reihung einander ähnlicher Säulen in gleichen Abständen den Eindruck einer Größe hervor, die nicht kongruent ist zu den tatsächlichen Ausmaßen des Bauwerkes; Eine ähnliche Wirkung wird erzielt, wenn in der Musik »das Ehrerbietige, das Fürchterliche, das Schauervolle« durch monotone Wiederholung eines einzelnen Tones, einer Kadenz oder Sequenz etc. in gleichen Zeitabständen ausgedrückt wird; Drei rhetorische Stilmittel, durch die in der Sprache eine solche Wirkung erreicht werden kann, werden von Mendelssohn benannt: Zum einen ist das die Häufung von Bindewörtern. Zur Veranschaulichung bringt Mendelssohn zwei Zitate aus Klopstocks Messias, die das Stilmittel des Waw-Konsekutivum benutzen,96 das charakteristisch ist für die Literatursprache des hebräischen Bibeltextes: »Und das Geschrey, und der tödtenden Wut, und der donnernde Himmel«, sowie: » – – – 93

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Mendelssohns provokante Äußerung gegen Lessing im Briefwechsel über das Trauerspiel, dass »jede Illusion von Schrecken, auch ohne Beihülfe des Mitleidens, angenehm sein müsse«, erhält so seine nachträgliche Erläuterung (Briefwechsel über das Trauerspiel, 169). Mendelssohn, Betrachtungen über das Erhabene und Naive in den schönen Wissenschaften (1771), JubA 1, 458. Ebd., 456. Das Waw-Konsekutivum ist im Hebräischen das Tempus für die Erzählung. Zu Mendelssohns eigener Verwendung und Übersetzung des Waw ha-Hemshekh (so der hebräische Begriff) in Sefer Netivot ha-Shalom vgl. Edward Richard Levensons Ausführungen in: Moses Mendelssohn's Understanding of Logico-Grammatical and Literary Construction in the Pentateuch: A Study of his German Translation and Hebrew Commentary (The Bi ur). Diss.: Brandeis University, 1972, 105–115.

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und ist noch, und denkt noch, und fluchet – «97; Als weiteres Stilmittel, das Erhabenheit mittels sprachlicher Mittel erzeugt, nennt Mendelssohn das Beispiel der Aneinanderreihung von Nomina in gleichgebauten elliptischen Sätzen, was von ihm durch Longinus-Zitate aus Xenophon und Demosthenes belegt wird; Das dritte Stilmittel ist die Klimax, die »in gleichen Graden stufenweise zunimmt« (Mendelssohn verzichtet hier auf Beispiele weil die ästhetische Wirkung der Klimax nicht allein durch die Gleichheit bestimmt ist). Alle drei genannten rhetorischen Stilmittel sind mögliche Charakteristika des »Parallelismus«, den als Begriff zu nennen Mendelssohn vermeidet. Aber auch die in eigener Übersetzung zitierten Passagen aus den Psalmen (46.3; 36.6f; 19.6) sind allesamt Beispiele für parallellaufendes Sprechen. Das »Künstlichunermeßliche in der Wiederholung« entspricht in paradigmatischer Weise Mendelssohns Forderung an das »Bild des Erhabenen«, das nie ganz ausgezeichnet werden darf. Hyperbolische Vergrößerung, Unbestimmtheitsstellen,98 »unvollendete Verse, unterbrochene Schlußfälle, einsilbige Versendungen, […] ungeschlossene Kadenzen«99 sind andere Stilmittel, die einen relationalen, kausalen oder finalen Zusammenhang der Zeichen verweigern und an dessen Stelle das Begehren setzen, die Leerstelle, das fehlende Ende oder eine verbindende Ordnung zwischen den graduell, quantitativ und technisch voneinander abgeteilten Zeichen »hinzu zu denken«.100 Mendelssohn hat hier eines der wichtigsten Stilmittel des Minimalismus beschrieben,101 das auch in der Darstellung der Geschichte, Erinnerung und des Gedenkens an die Opfer und Ereignisse der Shoa sehr weitgehende Akzeptanz findet.102 Mendelssohn, ebd., JubA 1, 457. Ebd., 459. Ebd., 465f. Ebd., 466. Robert Fink hat den Zusammenhang von Wiederholung und Erhabenem sowie deren Wirkungen auf den Rezipienten/Konsumenten für die Musik sehr detailliert analysiert in: »The Media Sublime. Minimalism, Advertising, and Television«. In: Ders.: Repeating Ourselves. American Minimal Music as Cultural Practice. Berkeley et al.: University Press, 2005, 120–168. In dem Kapitel »The Culture of Thanatos: Repetition as Mood Regulation« (ebd. 169–236) stellt er nicht nur die Verbindung zur Barockmusik sondern auch zum Zen-Buddhismus her. Auch die von Mendelssohn erwähnte Kombination von Wiederholung und Klimax beschreibt Fink an Hand der »negativen Klimax«, die Godfrey Reggios Film Koyaanisqatsi (1982) eröffnet, hinterlegt mit einem 21-Miunten Crescendo von Philip Glass. Reggio wollte mit dem MusikFilmprojekt »to make the point that we have to make choices between beauty and the beast«. Das Ziel der Autoren, eine Kritik der Industrie- und Konsumgesellschaft zu formulieren, wurde durch die gewählten Stilmittel selbst unterlaufen, indem die ins Bild gesetzte Krise des Spätkapitalismus eine neue ergreifende Ästhetik produzierte. Die Autoren haben sich genau aus diesem Grund von dem Projekt später distanziert (ebd., 161–163). 102 Vgl. Steve Reichs Stück für Streichquartett und Tape Different Trains (1988), das laut Julia Kristeva den »Horror der Identifikation« abbildet (Fink, ebd., 6), aber auch das Berliner Holocaust-Mahnmal von Peter Eisenman, das einem architektonischen Minimalismus-Konzept folgt, das als Symbol das Symbol verweigert. Eisenman hat später resümiert: »Ich glaube, es ist ein biss-

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Ausgehend von diesen Überlegungen baut Mendelssohn die Brücke zu einer zeichentheoretischen Grundlegung der Metaphysik. Das »unermeßliche der Stärke, oder der unausgedehnten Größe«, »das unausgedehnte Unermeßliche« sind die quantitativ bestimmten Operatoren, mittels derer erhabene Qualitäten approximativ eingesehen und beschrieben werden können. Nicht nur »die Macht, das Genie, die Tugend haben ihr unausgedehntes Unermeßliches«,103 sondern jede Wahrheit, die für die Menschheit von unermesslichem Nutzen ist.104 Erst durch ihren praktischen Nutzen, der nicht in Bezug auf den einzelnen Menschen, sondern in Bezug auf die Gesellschaft und die gesamte Menschheit bestimmt wird, erlangt eine Wahrheit den Status des Erhabenen. Das heißt, einer erhabenen Wahrheit eignet per definitionem eine ethische Dimension. In seiner Rhapsodie von 1761, die als ein Bindeglied zwischen seinen ästhetischen und metaphysischen Überlegungen angesehen werden muss, macht Mendelssohn kein Geheimnis mehr aus seiner Bevorzugung der pragmatischen vor der spekulativen Erkenntnis.105 Sein Interesse an der ästhetischen Diskussion rührt wie seine Kritik der theoretischen Erkenntnis106 aus einer klaren Präferenz der

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chen zu ästhetisch. Es sieht ein wenig zu gut aus. Nicht, das ich etwas Hässliches wollte, aber ich wollte nichts, das nach Design aussieht. Ich wollte das Gewöhnliche, das Banale« (Charles Hawley/Natalie Tenberg: »Es ist kein heiliger Ort« – Interview mit Mahnmal-Architekt Peter Eisenman. In: Spiegel, 10. 5. 2005); Kritisch zur funktionalen Verwendung des Erhabenen in der Shoa-Darstellung Zachary Braiterman: Against Holocaust-Sublime. Naive Reference and the Generation of Memory (History and Memory 12.2 (2000), 7–28), der Mendelssohns ästhetische Theorie im Hinblick auf die Holocaust-Repräsentation moralisch bewertet: »Mendelssohn rejected the commonly held view that ›the unpleasant sentiment is a representation we prefer not to have‹. Indeed, we may very often want the representation, if not the evil it presents. These comments regarding mixed sentiments provide a troubling theoretical challenge to Holocaustmemory. The very pleasure cited by Mendelssohn might soon preclude a rhetoric of shock and incomprehensibility for this reason. […] The expression of that shock soon sounds pleasant, sentimental and even maudlin« (ebd., 10f); vgl. aber hier die Studie von Brett Ashley Kaplan: Unwanted Beauty: Aesthetic Pleasure in Holocaust Representation. Urbana: University of Illinois Press, 2006, die zwar den Bezug zu Mendelssohn nicht herstellt, aber das Problem der ästhetischen Ambivalenz in der Holocaust-Repräsentation als literarisches, architektonisches und Phänomen der bildenden Kunst, Photographie und des Films analysiert; In diesen Diskussionskontext gehört auch Saul Friedländers Forderung nach einer eigenen Geschichtspoetik »für die historische Repräsentation von massenhafter Vernichtung und anderen Abfolgen massenhaften Leidens«, die im Gegensatz zur »gewöhnlichen historischen Erzählung« nicht zu »wissenschaftlicher Distanz und ›Objektivität‹« vordringen möchte, um durch historisches Wissen den Affekt zu domestizieren, sondern vielmehr »Hunderte, ja wahrscheinlich Tausende von Zeugen« und ihre individuellen Perspektiven zu Wort kommen lassen will, »ohne das anfängliche Gefühl der Fassungslosigkeit völlig zu beseitigen oder einzuhegen« (Saul Friedländer: Die Jahre der Vernichtung. Das Dritte Reich und die Juden. Zweiter Bd., 1939–1945. München: C.H. Beck, 2006, 23–25). Mendelssohn, ebd., JubA 1, 457. Ebd., 458. Mendelssohn, Rhapsodie, JubA 1, 413. Mendelssohn, ebd., 413.

Schönes und Erhabenes – Affekttheorie als Erkenntnistheorie

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wirksamen Erkenntnis.107 Mendelssohn versucht »vermittelst einer Hypothese, mathematisch zu bestimmen«, wieso »die deutliche Einsicht der Vernunft so wirksam nicht ist, als die undeutliche Erkenntniß der Sinne.«108 Er stützt sich mit dieser Hypothese auf eine dynamische Kalkulation, die Handlung als Bewegung versteht, die unter dem Einfluss verschiedener Kräfte erzeugt oder abgewendet wird. In physikalischer Terminologie bestimmt Mendelssohn die auf die Seele »wirkende Kraft der Triebfedern« psycho-physiologisch als von mindestens drei Variablen abhängig: direkt proportional von dem Grad der Vollkommenheit, die sich der anschauenden Erkenntnis bietet, d. h. von der angestrebten »Quantität des Guten« sowie dem Grad der Erkenntnis, d. h. der »Quantität unserer Einsicht«; umgekehrt proportional von der Zeit, die »erfordert wird, die Vollkommenheiten, die uns ein gewisser Begriff darbietet, zu überdenken«, d. h. der Geschwindigkeit, in welcher die anschauende Erkenntnis sich der Vollkommenheiten vergewissert. Dieses aus drei Größen zusammengesetzte Verhältnis ist idealiter gebildet und lässt sich unter Einbeziehung anderer Nebenbedingungen weiter ausdifferenzieren.109 Es ist der von Mendelssohn vorsichtig ins Spiel gebrachte Zeitfaktor, der die Übermacht der Affekte und der sinnlichen Erkenntnis über die Vernunft rechtfertigt. Die Affekte sind impulsive, heftige Reaktionen, die auf undeutliche, gleichzeitige Vorstellungen des Guten oder Bösen folgen. Grad und Intensität des vorgestellten Guten oder Bösen führen zu einer schnelleren Urteilsfindung, durch die der Handlungsimpuls ausgelöst wird. Die sinnliche Erkenntnis vermag nicht nur eine größere Menge an Merkmalen in kürzerer Zeit wahrzunehmen, sondern ist durch deren »beständige Gegenwart« auch der Aufgabe enthoben, die Vorstellungen des Guten (oder Bösen) immer wieder neu und nacheinander reproduzieren zu müssen.110 Das heißt, dass eine größere Quantität an Vorstellungen gleichzeitig auf die Urteilsfindung einwirkt als es vermittels demonstrativ gebildeter Begriffe der deutlichen Vernunft möglich ist, die nur sukzessive hergeleitet und in Erinnerung gerufen werden können. Diese Übermacht der Sinne in Bezug auf die praktische Erkenntnis beugt selbst »den steifen Nacken des Weisen […] in sein Joch,«111 der deshalb wie jeder Mensch dazu angehalten ist, »durch anhaltende Übung und durch Hülfe der anschauenden Erkenntniß« seine theoretische Einsicht in den »Plan der Schöpfung«, die »Vollkommenheit«112 und »weise

107 »Allein die Demonstration überzeugt, aber sie erweckt selten« (Mendelssohn, Rhapsodie, JubA 1, 420); vgl. auch Klaus-Werner Segreff: Moses Mendelssohn und die Aufklärungsästhetik im 18. Jahrhundert. Bonn: Bouvier Verlag Herbert Grundmann, 1984, 27. 108 Mendelssohn, Rhapsodie, JubA 1, 414. 109 Mendelssohn, ebd., 415. 110 Mendelssohn, ebd., 416. 111 Mendelssohn, Rhapsodie, JubA 1, 412. 112 Ebd., 408.

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eintrachtsvolle Regierung Gottes« zum Ziel der Begierden und zur Richtschnur seines Handelns werden zu lassen:113 »Er muß so lange mit der Übung fortfahren, bis er sich in währender Ausübung, seiner Regeln nicht mehr bewußt ist, bis sich seine Grundsätze in Neigungen verwandelt haben, und seine Tugend mehr Naturtrieb als Vernunft zu seyn scheinet.«114

Nicht die Sinne haben sich der Vernunft zu unterwerfen, sondern vielmehr soll die Vernunft sinnlicher werden und die Fähigkeit erlangen »mit dem Verstande zu empfinden.«115 Später wird Mendelssohn »das Sinnliche in der menschlichen Natur [als] Blume ihrer Vollkommenheit« bezeichnen.116 Die theoretische Erkenntnis der Vollkommenheit Gottes ist so zwar »der höchste Grundsatz in der Sittenlehre, in der Politick, und in den Künsten und Wissenschaften des Vergnügens«,117 bleibt aber solange eine »todte Kraft« wie sie keine tugendhafte Handlung provoziert.118 Um die »todte Erkenntnis der Vernunft zum wahren sittlichen Leben zu erwecken«, reicht es nicht aus, ihr Regelwerk durch Übung zu automatisieren. Vielmehr muss das Regelwerk selbst sinnlich gemacht werden. Der anschauenden Erkenntnis, die allgemeine Begriffe auf einzelne, bestimmte und wirkliche Begebenheiten zurückführt, kommt diese Mittlerfunktion zu.119 Es ist hier, dass die Künste ihren Platz im Erkenntnisprozess, im »Wechselspiel zwischen Abstraktion und Sinnesgebundenheit von Zeichen und Denken« zugewiesen bekommen.120 Mendelssohns von Burke übernommener Vitalismus121 zielt weit über dessen empirisches Interesse am Schönen und Erhabenen hinaus. Während Burkes empirische Materialsammlung »durch die Erforschung der Quellen und Verfolgung des Laufs unsrer Leidenschaften […] dem Geschmack etwas von philosophischer Solidität verleihen [und] von dem Geschmack auf die strengeren Wissenschaften einige Strahlen von Anmut und Eleganz zurückfallen lassen« einer gemäßigten Absicht folgt,122 zielt Mendelssohns Interesse an dem Gegenstand auf die Ästhetisierung der Erkenntnis selbst. Die Zeichenhaftigkeit wird dabei zum tertium comparationis zwischen Ästhetik und Erkenntnis. In Anlehnung an Baum-

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Ebd., 407. Ebd., 421f. Mendelssohn, JubA 5.1, 590. Mendelssohn, JubA 12.1, 183; Vgl. hierzu Ricken, Mendelssohn und die Sprachtheorien der Aufklärung, 238. Mendelssohn, Rhapsodie, JubA 1, 408. Ebd., 413. Ebd., 422. Ricken, Mendelssohn und die Sprachtheorien der Aufklärung, 238. Lyotard, Jean François: Die Analytik des Erhabenen (Kant-Lektionen, Kritik der Urteilskraft §§23–29). München: Wilhelm Fink, 1994, 75. Edmund Burke: Vom Erhabenen und Schönen. Philosophische Untersuchung über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen. Hamburg: Felix Meiner, 1989, 39.

Schönes und Erhabenes – Affekttheorie als Erkenntnistheorie

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gartens cognitio sensitiva entwickelt Mendelssohn eine Semiotik der Künste,123 die zwischen den zeichentheoretischen Besonderheiten der Beredsamkeit und Geschichte, der Dichtkunst und Musik, der Malerey, Bildhauerkunst und Architektur unterscheidet und damit Lessings Laokoon theoretisch vorbereitet.124 Es obliegt den Spezifika der verschiedenen Künste resp. deren natürlicher, willkürlicher und symbolischer Zeichensprache, »jede trockene Wahrheit in eine feuerige und sinnliche Anschauung« zu verwandeln.125 Hatte Mendelssohn in den Briefen über die Empfindungen von 1755 noch »die Eigentümlichkeit des Gefühls der Schönheit,« dessen »eigentümliches Recht gegenüber der klaren und deutlichen Vorstellung« behauptet, so erhält Mendelssohns symbolische Zeichentheorie erst durch die systematische Berücksichtigung der Empfindung des Erhabenen ihre zentrale Stellung sowohl in der Ästhetik als auch in der Metaphysik.126 Denn wie die von Mendelssohns Burke-Lektüre deutlich beeinflusste Rhapsodie nun unmissverständlich herausarbeitet, ist es das Wechselspiel von Lust und Unlust, durch das ein lang anhaltendes (Erkenntnis-)Interesse am Gegenstand bewirkt wird.127 Während die Abbildung und Anschauung des Schönen auf einer Analogie des Vollkommenen beruht und eine angenehme Empfindung hervorruft, die jedoch oftmals in Langeweile, Sättigung, Überdruss und sogar Ekel mündet, transformiert die Darstellung des Erhabenen diese Analogie in eine bipolare, dialektische Disposition, über die der Zusammenhang zwischen Affekt- und Erkenntnistheorie hergestellt wird: Denn die Anschauung der Vollkommenheit geht mit einer Vermischung der Empfindungen einher. Selbst die »unermeßliche Vollkommenheit Gottes«,128 die »über alle Mängel unendlich erhaben ist«,129 erregt diese Art von Empfindung, da das Vergnügen, das die Anschauung der Vollkommenheit auslöst, von der Unlust über die eigene Unzulänglichkeit in Anbetracht dieser Vollkommenheit nicht zu trennen ist. Das heißt, dass sich die ästhetische Autonomie des Subjekts nicht gegen sondern auf der Grundlage einer ethischen Dimension entfaltet, die einer erkenntnis- und zeichenkritischen Disposition entspricht, die 123 Baumgarten, Aesthetica §§14–27. 124 Vgl. v.a. die folgenden Schriften Mendelssohns: Betrachtungen über das Erhabene und Naive in den schönen Wissenschaften, JubA 1, 453–494; Rhapsodie, in: JubA 1, 422f; Über die Hauptgrundsätze der schönen Künste und Wissenschaften, in: JubA 1, 425–452; Zu einem Laokoon-Entwurf Lessings, in: JubA 2, 231–258. Lessings Laokoon gewinnt überhaupt erst durch Mendelssohns kritische Anmerkungen an Gestalt. 125 Mendelssohn, Rhapsodie, JubA 1, 423. 126 Strauss, Einleitung zu den Morgenstunden, JubA 2, LXIV. 127 Sichtlich beeinflusst von Mendelssohns Burke-Rezeption beschreibt auch Kant schon 1764 das Gefühl des Schönen und Erhabenen ebenfalls als ein Wechselspiel von Lust und Unlust, das den Menschen in einen Zustand zwischen Reiz und Rührung versetzt, der länger ohne Sättigung und Erschöpfung« genossen werden kann (Kant, Über das Gefühl des Schönen und Erhabenen, AA II, 207–211). 128 Mendelssohn, Rhapsodie, JubA 1, 398. 129 Ebd., 399.

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Mendelssohn als naiv bezeichnet. Indem die Ohnmacht des Subjekts, das sich einer unverständlichen, nicht fassbaren und unergründlichen Ordnung gegenüber sieht, abbildbar wird, vertritt Mendelssohn zwar die ästhetische Autonomie des Subjekts, nicht jedoch eine Autonomie von Ästhetik und Kunst, die vielmehr durch die Grunddisposition zweier ins Verhältnis gesetzter (erhabener) Entitäten, also als Korrelation zwischen Mensch und Gott ethisch bestimmt sind: »Einige Dinge sind ihrer Natur nach so vollkommen, so erhaben, daß sie von keinen endlichen Gedanken erreicht, durch kein Zeichen gehörig angedeutet, und durch keine Bilder, wie sie sind, vorgestellt werden können, als nemlich Gott, die Welt, die Ewigkeit, u.d.g. Hier muß der Künstler alle Kräfte seines Geistes anstrengen, die würdigsten Zeichen zu finden, dadurch diese unendlich erhabenen Begriffe in uns anschauend erregt werden können. Er kann dieses desto sicherer thun, da die bezeichnete Sache immer noch größer bleibet, als das Zeichen, dessen er sich bedienet, und folglich sein Ausdruck, so voll er ihn auch nimmt, in Vergleichung gegen die Sache immer noch naiv ist.«

Und Mendelssohn fährt fort mit einem Zitat aus Tehilim, das in eigener deutscher Übersetzung die Ausführungen illustrieren soll: »Der heilige Dichter singt: Herr! Deine Gnade reicht über die Himmel, und deine Wahrheit über die Wolken. Deine Gerechtigkeit, wie die Berge Gottes, und dein Recht, eine unergründliche Tiefe! (Ps 36.6f).«130

Die poetischen Worte erfüllen hier den Zweck, die Erhabenheit Gottes vorzustellen, die zwar symbolisch repräsentiert werden kann, der aber die Abbildungsdifferenz qua Wortwahl, Ausdrucksweise und poetischem Stil eingeschrieben bleibt. Der symbolischen Zeichenerkenntnis kommt die Aufgabe zu, das Nichtabbildbare so zu substituieren, dass die Einbildungskraft dazu angehalten ist, die Aufmerksamkeit auf den Gegenstand zu richten und bei ihm zu verweilen. In Bezug auf Gott, den man das »erhabenste Wesen«131 nennt, wird sich der Mensch der eigenen Schwäche bewusst, wird aber gleichzeitig der Erhabenheit der eigenen (sittlichen) Natur gewahr.132 Mendelssohns Argument rekurriert explizit auf Platons Tugendlehre und läuft letztlich auf eine Zurücknahme der aristotelischen Unterscheidung von theoretischer (episteme, theoria) und praktischer Erkenntnis (phronesis) hinaus.133 Spekulation und theoretische Überzeugung stehen hier im Dienste der praktischen Vernunft, die den Menschen zum richtigen, tugendhaf-

130 Mendelssohn, Betrachtungen über das Erhabene und Naive in den schönen Wissenschaften, JubA 1, 465. 131 Mendelssohn, Betrachtungen über das Erhabene und Naive in den schönen Wissenschaften, JubA 1, 193 (1. Fassung). 132 Mendelssohn, Rhapsodie, JubA 1, 420. 133 Ebd., 413f; vgl. hierzu Martin Rhonheimer: Praktische Vernunft und Vernünftigkeit der Praxis: Handlungstheorie bei Thomas von Aquin in ihrer Entstehung aus dem Problemkontext der aristotelischen Ethik. Berlin: Akademie Verlag, 1994, 167.

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ten Handeln anleitet.134 Mendelssohns Ästhetik des Erhabenen scheint Hermann Cohen zu seiner Herleitung der Ethik aus der Logik auf der Grundlage von Platons Ideenlehre inspiriert zu haben.135 Die Nähe zu Mendelssohns Überlegungen ist jedenfalls nicht zu übersehen. Die platonische Transzendenz der Idee des Guten wurde, laut Cohen, in der jüdischen Tradition mit dem monotheistischen Gott identifiziert. Indem dieser dem Menschen verborgen bleibt, da er jenseits allen Denkens und aller Erkenntnis ist, wird das Problem der Metaphysik generiert, das diese auf die Religion angewiesen sein lässt. Folgerichtig steht die Korrelation von Mensch und Gott im Mittelpunkt von Cohens Religionsphilosophie. Diese Korrelation determiniert beides, die Einzigartigkeit Gottes, als auch die unabhängige Sittlichkeit des Menschen. Wie Mendelssohn beschreibt auch Cohen die Korrelation von Mensch und Gott als ein Wechselspiel von Begehren und Mangel, von Lust und Unlust.136

iv. Der Name Gottes als »Denkwort« Mendelssohn vermied es in seiner Schrift Betrachtungen über das Erhabene und Naive in den schönen Wissenschaften (1758/71) einen direkten Bezug zur jüdischen Tradition herzustellen. Übersetzung und Kommentar zu Ex 3.13–15 in Netivot ha-Shalom (= Pentateuch-Projekt) von 1783 jedoch ergänzen die ästhetische Diskussion zum Methoden- und Darstellungsproblem der Abbildung des Unermesslichen um dessen diachrone Einordnung in die jüdische Tradition. Indem Mendelssohn bereits in den Betrachtungen über das Erhabene und Naive den Hinweis auf Gott als das höchste Erhabene gegeben hatte, überrascht es kaum, dass sich seine ästhetischen Überlegungen in den Maximen der Auslegung des Gottesnamens spiegeln, mit denen er sich sehr präzise in eine lange Tradition einordnet. Mendelssohns Auslegung fällt durch ihre zeichentheoretische und linguistische Orientierung auf, die mit der sprachphilosophischen Tradition der Kabbala im Zusammenhang steht, ohne jedoch einer magischen Sprachauffassung zu folgen.137 Mit Franz Rosenzweigs kritischer Evaluierung von Mendelssohns deut-

134 Mendelssohn stellt in der Evidenzschrift, wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, die Zeichenbetrachtung in der Metaphysik auf den Grund der Logik und mathematischen Zeichensprache und erzeugt damit eine Abstraktionsebene, die den Wirklichkeitsbezug ausklammert. 135 Das wird im nächsten Unterkapitel (Der Name Gottes als »Denkwort«) noch deutlicher werden. 136 Vgl. Hermann Cohen: Der Begriff der Religion im System der Vernunft. Hildesheim et al.: Georg Olms Verlag, 1996, III. Kap. »Das Verhältnis der Religion zur Ethik« passim, bes. 36, 37f, 66; Vgl. hierzu Reinier Munk: The Self and the Other in Cohen’s Ethics and Works on Religion. In: Stéphane Moses/Hartwig Wiedebach (Hgg.): Hermann Cohen’s Philosophy of Religion. Hildesheim et al.: Georg Olms Verlag, 1997, 161–181. 137 Vgl. Gershom Scholem: Der Name Gottes und die Sprachtheorie der Kabbala. In: Judaica 3. Studien zur jüdischen Mystik. Frankfurt: Suhrkamp, 21973, 7–70.

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scher Wiedergabe des Tetragramms (jod–he–waw–he) als »der Ewige« ist Mendelssohns Auslegung des Gottesnamens in Verruf geraten.138 Das abwertende Urteil diente vor allem dem Zweck, Rosenzweigs eigene Übersetzung mit »ich bin da« zu rechtfertigen.139 Rosenzweig schrieb im Mendelssohnjahr 1929: »Mendelssohn hat also die Entscheidung falsch getroffen, beeinflußt durch den Vorgang Calvins und einflußempfänglich geworden durch den rationalistisch-klassizistischen Geist seines Jahrhunderts, der sich ihm hier mit dem Geist des von Jugend auf verehrten, doch eben hier wie so oft aristotelisch beeinflussten Maimonides gegen den sicheren Instinkt der jüdischen Tradition verbündete.«140 Es ist Rivka Horvitz zu verdanken,141 dass sie mit dem Vorurteil aufgeräumt hat, Mendelssohns Übersetzung des Gottesnamens orientiere sich vor allem an christlichen Übersetzungen. Sie hat gezeigt, wie Mendelssohn seine Übersetzungsentscheidungen zu Ex 3.13–15 im Bi’ur in der Auseinandersetzung mit traditionellen jüdischen Lehrmeinungen gewinnt. Rosenzweig habe, so Horvitz, »nicht bedacht, dass Mendelssohn ein talmid chakham war, voll von Tora. Er hat Mendelssohns jüdische Bildung nicht abgeklärt und die klassischen jüdischen Kommentatoren nicht nachgeprüft, da er selbst mit dem Hebräischen Mühe hatte. Er hat weder den Kommentar des Nachmanides gelesen noch Josef Gikatilla.«142 Den Abulafia-Schüler Josef Ibn Gikatilla (1248–ca.1305) zitiert Mendelssohn mit seinem Frühwerk Ginat Egoz (Der Nussgarten; 1274), das 1773 in Zolkiew neu gedruckt worden war, konkret zur Frage der Auslegung und Übersetzung des Gottesnamens.143 Die Offenbarung Gottes vor Moses am brennenden Dornbusch in Ex 3 ist einer der zentralen Orte im Tanakh, an die sich die jüdische Diskussion um die Gottesnamen angliedert. Denn Moses fragt hier (3.13): »wen ich nun zu den Kindern Jisraels komme, und sage ihnen, der Got euerer Väter sendet mich. Und sie sprechen, wie ist sein Namen? Was soll ich ihnen sagen?«144 Durch Moses wird die Benennungsfrage als zeichentheoretisches Problem gleichzeitig mit der Frage der Diskursivierung des Gottesnamens aufgeworfen: Wie soll der singuläre Name Gottes, der von einer

138 Franz Rosenzweig: ›Der Ewige‹. Mendelssohn und der Gottesname. In: Martin Buber/Franz Rosenzweig: Die Schrift und ihre Verdeutschung. Berlin: Schocken Verlag, 1936, 184–210. 139 Rosenzweig, Der Ewige, 195; Martin Buber/Franz Rosenzweig: Das Buch Namen. Die fünf Bücher der Weisung. Zweites Buch. Berlin: Verlag Lambert Schneider, 1959, 14f. 140 Rosenzweig, Der Ewige, 195. 141 Vgl. Rivka Horvitz: Moses Mendelssohns Interpretation des Tetragrammaton: ›Der Ewige‹. In: Judaica 55 (1999), 64 –81, 132–152. 142 Horvitz, Tetragrammaton, 134. 143 Vgl. jetzt die umfassende Studie von Elke Morlok: Rabbi Joseph Gikatilla's Hermeneutics. Tübingen: Mohr Siebeck, 2011. 144 Moses Mendelssohn (Mosche ben Menachem): Sefer Shemot ‘im Targum Onkelos, Perush Raschi, Bi’ur ve-Targum Ashkenasi. Sulzbach: S. Arnstein und Söhne, 1829, Ex 3.13 (Mendelssohns Übersetzung).

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»vollkommenen Gesetzeslehre145 über Wirklichkeit und Vorsehung unterrichtet«, kommuniziert werden, wenn dieser »große Name verborgen und versteckt ist vor jeder Nation und Sprache«?146 In Mendelssohns Übersetzung wird die Antwort Gottes an Moses folgendermaßen wiedergegeben: »Got sprach zu Mosheh, ich bin das Wesen, welches ewig ist [= Übersetzung von: ehje asher ehje]. Er sprach nämlich, so sollstu zu den Kindern Jisraels sprechen, das ewige Wesen, welches sich nent ich bin ewig [= Übersetzung von ehje], hat mich zu euch gesandt.«147

Mendelssohn führt zur Auslegung des Gottesnamens ehje einen Midrasch aus Shemot Rabba an, in dem das ehje ascher ehje wie folgt ausgelegt wird: »Ich, der ich war und der ich jetzt bin und der ich sein werde in Zukunft.«148 Weil in Gott alle vergangene, gegenwärtige und zukünftige Zeit präsent ist, gibt es für ihn keinen Wechsel der Zeiten und alle Zeiten werden mit einem einzigen Namen benannt, der alle drei Zeitformen der dem Tetragramm zu Grunde liegenden hebräischen Wurzel haja einschließt. In der deutschen Sprache gibt es wie im Aramäischen und Arabischen keine Entsprechung, die den Bedeutungsumfang des Gottesnamens einfängt,149 der semantisch und grammatikalisch auf ein immerwährendes, notwendiges Sein hinweist, das der Wahrheit, Ewigkeit, Unerschaffenheit, Weltregierung und Vorsehung des Schöpfers entspricht.150 Onkelos (ca. 35–120 u.Z.), Saadia Gaon (882–942) und Maimonides151 entschieden sich aus diesem Grund, so Mendelssohn, für verschiedene Übersetzungen des Gottesnamens und stellten entweder die Bedeutung der Vorsehung, Ewigkeit oder Notwendigkeit in den Vordergrund. Mit der Wahl der Bezeichnung »der Ewige« resp. »das ewige Wesen« stellt sich der deutsche Übersetzer Mendelssohn in die Nähe Saadias, der ebenfalls die Ewigkeit als Entsprechung des Tetragramms hervorhob. Begründet wird das damit, dass sich aus dieser Deutung alle anderen Bedeutungen ableiten 145 Mendelssohn spricht hier in Absetzung zu den »ʤʲʹ ʺʥʠʸʥʤ«, den halachischen Entscheidungen, die an die Zeit gebunden sind, nicht von der »ʺʥʸʥʣʬ ʤʠʸʥʤ«, einer halachischen Entscheidung für die Generationen, die allgemein gilt und auf die Ewigkeit bezogen ist (bSot 22a, bYom 69b, 72a), sondern von einer: »ʤʮʬʹ ʤʠʸʥʤ«, einer »vollkommenen Gesetzeslehre/entscheidung«, die den Zusammenhang zwischen nichtzeitlich/ewig und vollkommen herstellt; Zur Terminologie vgl. Yoseph Shechter: Lexicon of the Talmud (Hebr.: Ozar ha-Talmud). Devir (Tel Aviv): Machad, 1990, 109. 146 Mendelssohn, Bi’ur ve-Targum Ashkenasi, Bi’ur Ex 3.13 (Mendelssohn hat den Kommentar zu Shemot nach dem Zerwürfnis mit Salomon Dubno nahezu allein verfasst; vgl. hierzu Altmann, A Biographical Study, 405). 147 Mendelssohn, ebd., Ex 3.14 (Mendelssohns Übersetzung). 148 Ebd., Bi’ur Ex 3.14. 149 Ebd., Bi’ur Ex 3.14. 150 So Mendelssohn im Anschluss an Gikatilla, ebd., Bi’ur Ex 3.13. 151 Maimonides geht an verschiedenen Stellen im Moreh ha-Nevukhim auf die Gottesnamen, und benennungen ein, vgl. aber besonders Moses Maimonides: Moreh ha-Nevukhim. Übers. von Yosef Qafih. Vol. I–III. Jerusalem: Mossad Harav Kook, 1978, I.61, I.63.

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lassen.152 Gikatilla behauptet die Singularität des Tetragramms im Vergleich zu allen anderen Gottesnamen nicht nur stärker als Maimonides, sondern auf der Grundlage zweier verschiedener Seins-Begriffe. Während das Tetragramm auf die unerschaffene, notwendige Existenz jenseits aller zeitlichen Einteilung verweist, enthält der Gottesname »ehje« in Ex 3.14 einen Hinweis auf ein erschaffenes, abgeleitetes Sein und sei daher gemäß seiner Aussprache vokalisiert. Für Mendelssohn deuten beide Gottesnamen auf dasselbe Sein als unerschaffene, ewige, notwendige Existenz und nur die Relation des Sprechers zu diesem Sein ist in beiden Gottesnamen unterschieden. Mendelssohn nennt diese Differenz der Gottesnamen eine »erhabene« und leitet diese aus ihrer Einbettung in konkrete Redesituationen ab, das heißt aus ihrer Funktion innerhalb einer logischen Aussagestruktur: Weil das ehje asher ehje einer Aussage Gottes in der 1. Person Singular über sich selbst entspricht, ist es korrekt vokalisiert. Subjekt und Objekt sind hier identisch: »Das erhabene Wesen, das in dieser Ausdrucksweise redet, erkennt sein Wesen mit der vollkommensten Erkenntnis, weil es selbst redet und spricht: ehje. Es ist das Erkannte und der sich selbst Erkennende.«153 Das Tetragramm hingegen erinnert an die 3. Person Singular und impliziert so die (limitierte) Perspektive Moses' auf das notwendige, unerschaffene Sein. Die gestörte Subjekt-ObjektBeziehung findet sich in der Sprache symbolisch als Verborgenheit repräsentiert, indem der Gottesname nicht vokalisiert ist und anders ausgesprochen als geschrieben wird. In Analogie hierzu argumentiert Mendelssohn auch in der Einleitung zu Or la-Netiva. Dem Tora-Kommentar des Rabbi Moses ben Nachman (Ramban; 1194–1270) folgend, deduziert Mendelssohn die Frage zum Verhältnis von Tora und Schöpfung aus der auktorialen Rede- oder Erzählhaltung, die der Autor des Bibeltextes einnimmt: »Der Grund, dass Moses unser Lehrer, die Tora nicht in der ersten Person schrieb und sich selbst nicht erwähnte bis er geboren wurde und dann erwähnt ist, als ob jemand anders über ihn berichtete, ist, weil die Tora der Schöpfung der Welt vorausging (es braucht nicht gesagt zu werden vor der Geburt Moses, wie in einer Überlieferung erwähnt wird, dass sie mit schwarzem Feuer auf weißem Feuer geschrieben worden sei und Moses wie ein Schreiber, der von einem alten Buch kopiert …).«154

Indem die Tora von Moses in der 3. Person Singular berichtet, ist nicht nur deren Präexistenz vor der Schöpfung der Welt, sondern auch eine Distanz zur erschaffenen Welt mitgeteilt. Diese Distanz spiegelt die dem Menschen teilweise verborgene Korrelation zu Gott. Mendelssohn deduziert nicht wie Gikatilla zwei verschiedene Seins-Begriffe, sondern zwei distinkte Wirklichkeitsbezüge, die aus der Rede abgeleitet werden. Mendelssohns Auslegung des Gottesnamens deutet daher vor

152 Vgl. ebenfalls Mendelssohn, ebd., Bi’ur Ex 3.14. 153 Ebd., Bi’ur Ex 3.15. 154 Werner Weinberg, Übersetzung von Mendelssohns Or la-Netiva, JubA 9.1, 7 (leicht korrigiert); Faksimile-Druck des zweiten Druckes (Druck B) von 1783 JubA 15.1, 21b.

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allem auf eine Ambivalenz von heiligem Namen und menschlichem Zugang zu ihm, auf die Ambivalenz zwischen der Wirklichkeit Gottes, die sich der Darstellung entzieht, und seiner an Zeichen gebundenen Benennung. Seine Übersetzung des Tetragramms als »das ewige Wesen« beansprucht nicht den Platz des Gottesnamens selbst, sondern ist, wie seine Übersetzung von Ex 3.15 lehrt, als »Denkwort« zu verstehen: »Got sprach ferner zu Mosheh, so sollst Du zu den Kindern Israels sprechen, das ewige Wesen [Mendelssohns »Übersetzung« des Tetragramms], der Got euerer Voreltern, der Got Awraham, Jizchak, und Jaakov sendet mich zu euch. Dises ist immer mein Namen, und dises soll mein Denkwort sein, in zukünftigen Zeiten.«155

Das suffigierte, hebräische Nomen sikhri bedeutet »zu meinem Gedenken« und wird von Mendelssohn mit »Denkwort« wiedergegeben, das auf den symbolischen Charakter des Namens verweist. Soweit ich es sehe, handelt es sich um eine Wortneuschöpfung in der deutschen Sprache. Das Tetragramm ist für immer der Name Gottes, das Wort, mit dem an ihn gedacht werden soll. Mendelssohn führt im Kommentar zu Ex 3.15 aus, dass das Wort le'olam (Übersetzung: immer) im hebräischen Bibeltext nicht mit waw vokalisiert ist, das heißt l´lm geschrieben ist, und so eine zweite Bedeutung reminisziert: »Man hat ihn verborgen: Nicht so wie ich genannt werde, werde ich geschrieben etc.« Der Name Gottes steht für seine Zeitlosigkeit resp. Ewigkeit und als dieser muss er dem Menschen verborgen bleiben. Dass »der heilige Name […] nicht einheitlich vokalisiert ist«, also »manchmal wie adonai und manchmal wie elohim punktiert ist« weist auf diese »seine Verborgenheit und Entzogenheit für jeden Intellekt, der mit diesem Namen an ihn denkt, abgesehen von seinem eigenen«.156 Das Abbildungsgefälle zwischen Bezeichnung und »Sache« begründet den symbolischen Charakter der Zeichen, die das Nichtabbildbare andeuten sollen, denn eigentlich kann »das Wesen des Ewigen […] durch keinen Ausdruck erklärt, sondern nur erfasst werden durch die Feinheit des reinen Nachdenkens«.157 Diese Dialektik zwischen innerem Sinn, äußerem Zeichen und abzubildender »Sache« hat Mendelssohn in seiner Erhabenheitsästhetik beschrieben.158 Auch hier intendiert die ›anschauende Erkenntnis‹ ein »Wahrnehmen und Erkennen der Sache«, nicht das »bloße[] Bewußtseyn der Zeichen und Worte«.159 Laak spricht bei Mendelssohn von einer subjektiven Wende des Erhabenen, »die weiter geht als bei seinen theoretischen und literari155 Mendelssohn, Bi’ur ve-Targum Ashkenasi, Ex 3.15 (Mendelssohns Übersetzung). (alle Hervorh., G.S.) 156 Ebd., Bi'ur Ex 3.15. 157 Ebd., Bi'ur Ex 3.15. 158 Lothar van Laak: Die Bild-Macht des erhabenen Gefühls. Ästhetische Theorie und literarische Praxis des Erhabenen im 18. Jahrhundert. In: Wolfgang Braungart/Manfred Koch (Hgg.): Ästhetische und religiöse Erfahrungen der Jahrhundertwenden I. Um 1800. Paderborn: Schöningh, 1997, 35–60, 51. 159 Mendelssohn, Rhapsodie, JubA 1, 385.

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schen Vorläufern und dennoch einen objektiven Bezug nicht aufgeben will«.160 Man könnte auch sagen, dass bei Mendelssohn der starke Subjektbezug gerade durch den »auf ein Korrespondenzverhältnis reduziert[en]« Bezug auf ein erhabenes Objekt gesichert bleibt.161 Kants idealistische Wende verlegt diese Dialektik in das Subjekt selbst, die so ihre zeichentheoretische Grundlegung verliert. Die Kritik der reinen Vernunft (1781) wollte zwar »Sinnlichkeit und Verstand als die zwei irreduziblen Grundquellen der Erkenntnis« bestimmt wissen,162 um die Notwendigkeit ihrer funktionalen Relation aufzuzeigen (»Gedanken ohne Inhalt sind leer, [sinnliche] Anschauungen ohne Begriffe sind blind«),163 löste jedoch das Ziel der systematischen Grundlegung einer undogmatischen Metaphysik ein, indem »von allen empirischen Bedingungen unter denen der Verstand ausgeübet wird«, abstrahiert wird, also »z.B. vom Einfluß der Sinne, vom Spiele der Einbildung, den Gesetzen des Gedächtnisses, der Macht der Gewohnheit, der Neigung etc., mithin auch den Quellen der Vorurtheile, ja gar überhaupt von allen Ursachen, daraus uns gewisse Erkenntnisse entspringen, oder untergeschoben werden mögen.«164 Kant holte die Anschauung selbst in den Bereich der Begriffe. Indem die »reine Anschauung« und der »reine Begriff« voneinander isoliert werden, wird das getrennt, was Kant als Spiel zwischen Rezeptivität und Spontaneität, Affektion und Hervorbringung, Passivität und Aktivität, Anschauung und Begriff beschrieben hatte. In diesem Sinne konsequent wird das Gefühl des Erhabenen in der Kritik der Urteilskraft (1790)165 radikal subjektiviert und als »reines Gefühl« verstanden, »das vom affizierenden Gegenstand absieht« und »gänzlich auf die Wirkung des Erhabenen im Betrachter konzentriert« ist.166 Mendelssohn gleichsam invertierend liegt für Kant die Erhabenheit in der menschlichen Vernunft selbst, wobei der erhaben scheinende Gegenstand dem Betrachter »die Überlegenheit der Vernunftbestimmung unserer Erkenntnisvermögen über das größte Vermögen der Sinnlichkeit gleichsam anschaulich« macht.167 Laak hat deshalb die Kantische Vernunft als »säkularen Erben des erhabenen Gottes« bezeichnet.168 160 161 162 163 164 165

Laak, Bild-Macht des erhabenen Gefühls, 52. Ebd. Georg Mohr/Markus Willaschek, Einleitung: Kants Kritik der reinen Vernunft, 19. Kant, KrV B, AA III, 75. Kant, ebd., 76. Kants ausführliche Analytik des Erhabenen taucht recht unvermittelt und bezugslos in seiner letzten Kritik auf und Lyotard hat angemerkt, dass »diese Analytik […] unzweifelhaft nicht ›eingeführt‹ [wird]. Mit anderen Worten: Ihre Notwendigkeit wird im kritischen Sinne nicht ›deduziert‹« (Lyotard, Analytik, 66). Kant selbst bezeichnet die Analytik des Erhabenen in der Kritik der Urteilskraft als »bloßen Anhang zur ästhetischen Beurtheilung der Zweckmäßigkeit der Natur« (Kant, KU, AA V, 246 (B78)). 166 Laak, Bild-Macht des erhabenen Gefühls, 53; vgl. Kant KU §28 (»Vom Dynamisch-Erhabenen der Natur«), AA V, 260–264 (B102–109). 167 Kant, KU, AA V, 257 (B97). 168 Laak, ebd.

Herders Geschichtsphilosophie des »Erhabenschönen«

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v. Herders Geschichtsphilosophie des »Erhabenschönen« Herders und Mendelssohns Beschäftigungen mit dem Text des Alten Testaments bzw. dem Tanakh verliefen merkwürdig parallel. Beide rezipierten sie in den 50er, 60er Jahren den poetologischen Zugang zur Bibel bei Lowth. Beide übersetzten in den 70er Jahren mit dem Lied der Lieder das poetischste, heiligste169 und umstrittenste aller Bücher des jüdischen und christlichen Kanons und beide traten Anfang der 80er mit einem großen Korpus an die Öffentlichkeit, der im Rekurs auf die je eigene religiöse Identität und Texttradition die Option eines neuen Zugriffs auf die Bibel entwarf: Mendelssohn mit Netivot ha-Shalom (=Pentateuch-Projekt), dem größten Unternehmen der frühen Haskala (1780–1783); Herder 1782/84 mit dem Geist der Hebräischen Poesie. Die poetologische Auseinandersetzung mit dem Text des Tanakh und des Alten Testaments verlängerte sich bei beiden in ganz verschiedene, die Moderne prägende Diskurse und hat sich in diesen abgelagert: In der ästhetischen Diskussion via Mendelssohn, in der Diskussion um Nationalliteratur und Volkspoesie via Herder. Herders Anschluss an Robert Lowths De sacra Poesi Hebraeorum weist also in eine ganz andere Richtung als die LowthRezeption Mendelssohns, dennoch ist sie nicht weniger folgenreich. Sie bildete den Ausgangspunkt seiner Schrift Vom Geist der hebräischen Poesie, die 1782/83 in zwei Bänden erschienen ist. Seine Leser suchte Herder unter den »Liebhabern der ältesten, simpelsten und erhabensten Poesie überhaupt«.170 Herders Würdigung Lowths war ambivalent und einflussreich. Sie hat dazu geführt, dass man Lowth in Deutschland bald vergessen hatte, die poetologische Bibelkritik jedoch in der der alttestamentlichen Wissenschaft und der Literaturkritk fest etabliert wurde. Herder bemängelte zum einen Lowths klassizistisches Analyse-Instrumentarium,171 zum anderen entwickelte er eine regelrechte Begeisterung für dessen Theorie des Parallelismus: »Lowth hats bewiesen, daß die ganze hebräische Dichtkunst einen Parallelismus, eine Symmetrie von Zeilen liebe, die bald Synonymisch, bald Antithese, bald Veränderung des vorigen Sinnes ist: und das kann niemand läugnen, der Psalmen, Propheten und Hiob gelesen.«172

169 Vgl. Mischna-Traktat mJad 3.5: »Rabbi Akiva sagte: […] Denn alle Schriften sind heilig, aber Shir ha-Shirim ist das Heiligste des Heiligen.« 170 Herder, Vom Geist der Hebräischen Poesie (Entwurf des Buchs), FA 5, 663. 171 Im zweiten der Briefe, das Studium der Theologie betreffend schreibt Herder: »Er [Lowth] wollte seinen Gegenstand ab ovo aufnehmen und nach griechischer Art behandeln; er wählte also auch römische und griechische Namen und beliebte das Fachwerk der neueren Poetik ob es gleich seinen uralten, morgenländischen, heiligen Objekten nicht immer angemessen war« (in: FA 9.1, 152f (2. Brief), 164f (3. Brief)). 172 Johann Gottfried Herder: Fragmente zu einer Archäologie des Morgenlandes (1769). In: Johann Gottfried Herder: Sämmtliche Werke. Bd. 6. Hg. von Bernhard Suphan. Berlin: Weidmannsche Buchhandlung, 1883, 40.

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Der Name Gottes, das Erhabene und die Dichtkunst der Hebräer

Für Herder verlor die Herkunft des Parallelismus aus dem tempelgottesdienstlichen Zeremoniell an Bedeutung, »parallelisches« Sprechen wurde bei ihm zum ursprünglichen Ausdruck eines mit sich selbst identischen Sprechens, welches weder an den Tempel, noch an das Hebräische und auch nicht mehr an den Orient gebunden, sondern überall dort anzutreffen war, wo wilde Völker ihre Lieder dichteten, sich einander zujauchzten und entgegentanzten:173 »Alle orientalische Dichtkunst ist im Grunde eben so Parallelisch [wie die Ebräische]: so selbst ihre Fragen und Antworten, ihre Segnungen und Flüche, ihre Lehrsprüche und Sentenzen, ihre Räthsel und Gleichniße – alles hinkt auf zwo Seiten, oder wenn man will, geht zweifüßig erhaben daher. Wie? und alle diese Morgenländer waren im Tempel zu Jerusalem erzogen? Ihre Sprache und Tanz und Gesang unter den Priesterchören der Juden gebildet? – Ja endlich, warum Morgenländer allein? Alle alte einfältige Poesien wilder Völker lieben diesen zweistimmigen Rhythmus: sie mögen in Norden und Westen, in Wäldern oder auf Bergen gewohnt haben: Skandinavier und Nordamerikaner, Letten und Lappländer: je mehr sich ihre Sprache Poesie, und ihre Poesie dem Liede, dem Erhabnen, dem Zaubermäßigen nähert, desto mehr wird sie Antiphonie! Parallelismus!«174

Der Parallelismus wird bei Herder zum Formelement, das wilder Formlosigkeit Gestalt verleiht. Es charakterisiert nicht nur hebräische und orientalische Volkspoesie, sondern Volkspoesie überhaupt. Der Parallelismus wird zum Signalwort für die spontane, leidenschaftliche Äußerung in der Dichtkunst: Keine Ordnung, keine »Regel in der Welt ist natürlicher, ungekünstelter, einfältiger, als eben dieser Parallelismus«.175 Lowth hatte versucht, mittels des Parallelismus als textstrukturierendes Konzept, das Ungeordnete, Wilde und Ungestüme des hebräischen Stils zu bändigen. Herder interessierte die Frage nach dem Metrum nicht mehr, die ja in den Kontext der Rechtfertigung der Bibelpoesie gehörte, vielmehr schien er gerade die systematische Unentschiedenheit zwischen ordnender Form und ungezügelter Formlosigkeit zu suchen. Der Parallelismus wurde ihm zum Grundelement jeder wahren Poesie und zum philosophischen und theologischen Fundament seines Poesie-Begriffs: »Indem die Welt durch den Begriff eines Schöpfers zu einer Welt [...] ward, machte sich auch der Abglanz derselben, das Gemüt der Menschen dazu und lernte Weisheit, Ordnung und Schönheit. Welche Lehre und Poesie der Erde hierzu beigetragen hat, hat die nützlichsten Dinge bewirket; unsre Poesie hat’s vorzüglich. Sie ist der älteste Damm gegen die Abgötterei gewesen, den wir kennen: sie goß den ersten schönen Lichtstrahl der Einheit und Ordnung ins Chaos der Weltschöpfung. Und wissen Sie, wodurch dies alles bewirket? [...] Durch ein sehr einfaches Ding, den Parallelismus Himmels und der Erde.«176

173 174 175 176

Herder, Vom Geist der Hebräischen Poesie, FA 5, 685. Herder, Fragmente zu einer Archäologie des Morgenlandes, 40f (Suphan-Ausgabe Bd. 6). Ebd., 42. Herder, Vom Geist der Hebräischen Poesie, FA 5, 706.

Herders Geschichtsphilosophie des »Erhabenschönen«

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Die parallele Anlage des ersten Schöpfungsbildes wird Herder zum erhabensten Sinnbild des Einheitsprinzips der Poesie, das in der »Einheit Gottes«,177 im Parallelismus des ersten Sprech- und Schöpfungsaktes sein Vorbild findet: »Gott sprach: sei Licht!/und es ward Licht«.178

Die in der Rede Gottes angewiesene Ordnung des Chaos' der Weltschöpfung, »sei Licht!«, entfaltete sich in der parallel gesetzten irdischen Erfüllung dieser Rede, »und es ward Licht«. Himmel und Erde, Gott und Welt, Vernunft und Sinnlichkeit, Unendliches und Endliches, Erhabenes und Schönes sind so im Medium poetischen Sprechens, in der konkreten Form des Parallelismus miteinander verbunden. Die duale Architektur des Erhabenen und Schönen wird so zwar erhalten, aber in einer Einheit aufgehoben: »Alles Erhabene will etwas Unendliches und Unermeßliches, kurz Himmels-Höhe, so wie alles Schöne und Wahre bestimmte Schranken will, das ist Erde.«179 In der Parallelisierung von Sprache und Schöpfung, gibt Gen 1.3 Herder den Modus vor, wie der (volksnahe) Dichter Poesie hervorbringt. Der Dichter tritt an die Stelle Gottes. Er gießt nun den »Lichtstrahl der Einheit und Ordnung ins Chaos der Weltschöpfung« und verbindet so das Erhabene und Schöne in der Volkspoesie des Parallelismus. Herder ist nicht nur hier von Hamann stark beeinflusst, für den sich »der erste Ausbruch der Schöpfung, und der erste Eindruck ihres Geschichtsschreibers; – – Die erste Erscheinung und der erste Genuß der Natur […] in dem Worte: Es werde Licht!« vereinigen. Die »Empfindung der Gegenwart der Dinge« leitet sich sowohl bei Hamann als auch bei Herder aus der Analogie zum göttlichen Schöpfungsakt ab.180 Indem die Auslegung von Gen 1.3 auch für Mendelssohns Sprachauffassung grundlegend ist,181 ist ein Bezugspunkt gefunden, der es ermöglicht, Herders Literaturbegriff resp. Nationalsprachenkonzept mit Mendelssohns Ästhetik resp. multilingualer Sprachpolitik direkt zu vergleichen. Dass dieser Bezugspunkt in einem Offenbarungstext gefunden wurde, weist nachdrücklich auf die Deutungsvakanz geschichtsphilosophischer Säkularisierungstheoreme, nicht nur im Hinblick auf die Erklärung moderner Phänomene christlich-jüdischer Differenz.182 Herders späte Schrift, Kalligone (1800), nimmt das Thema des Erhabenen noch einmal neu auf und entwirft nun dessen Entwicklungsgeschichte, die den theologischen Hintergrund der Auslegung von Gen 1.3 vollständig sichtbar werden lässt.

177 178 179 180

Ebd., 705. Ebd., 709. Ebd. Die These von der Geschichtsschreibung als Poesie und der Poesie als Geschichtsschreibung – wird sowohl von Hamann als auch von Herder aus Gen 1.3 abgeleitet (vgl. Hamann, Aesthetica in Nuce, N II, 197). Zu Hamanns Johannitischem Sprachkonzept ausführlich Kap. VI.iii. 181 Vgl. Kap. II.i u. V.iii. 182 An dieser Stelle sei nochmals auf Habermas Artikel »Dialektik der Säkularisierung« (2008) verwiesen. S. bereits oben Kap. I.ii.

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Der Name Gottes, das Erhabene und die Dichtkunst der Hebräer

Der erste alttestamentliche Schöpfungsbericht ist hier nur noch der Ausgangspunkt der geschichtsphilosophischen Erzählung: »Ich will eine Geschichte des Schönen und Erhabnen erzählen. [...] Im Anfange der Zeiten, erzählt die Sage, war in der Natur nichts als Höhe und Tiefe [...]. Die Stimme der Schöpfung erschallte; das Hohe stieg nieder, die Tiefe empor und es ward Ordnung [...]. Noch standen Fluten über der Erde, ein erhabner Anblick. Wolken brüteten über dem Erdkern in einer fast unbegrenzten Atmosphäre; rings um den Erdkern krachten und spieen Feuerschlünde. Fluten und Wolken senkten sich; der Dunstkreis klärte sich auf, allmählich schwieg das Grimmen der Erde, und es ward eine bewohnbare Welt [...]. Leben regte sich in der Schöpfung; Krieg aller gegen alle gibt dem rohen Sinn ein wildes Erhabene. Hier nicht also. Die Grenzen der Geschlechter wurden geteilt; der Mensch, begabt mit Vernunft, erschien; das erhabenste Geschöpf. Wodurch erhaben? Durch Vernunft, durch Ordnung. Stämme und Völker tobten gegeneinander; schreckliche Taten geschahn und wurden angestaunet; Menschen, die sie vollbrachten, Mörder, Räuber, Unterdrücker standen als Götzen auf den Altären; das war, sagt man, die Zeit des Erhabnen. Die Vernunft der Menschen klärte sich auf, die Billigkeit erwachte; und die Altäre der Götzen sanken! [...] Die Zeit des roh-Erhabnen ward eine Zeit des sittlich-Schönen. [...] Das einst nur angestaunte Erhabne ward jetzt ein mit dem Geist erfaßtes Erhabenes [...], das Wohltätigste.«183

Herder unterscheidet in Kalligone verschiedene Stufen des Erhabenen. Das rohe, wilde Erhabene gehört einer Zeit an, die nach der Ordnung des Urchaos durch die Schöpfung anbrach und vom Krieg aller gegen alle, von Abgötterei, Polytheismus, Chaos und Krieg in der Menschheitsgeschichte beherrscht war, und ihr Ende findet, als »der Mensch, begabt mit Vernunft, erschien; das erhabenste Geschöpf«. Das Zeitalter der Vernunft brach an und verschmolz das Erhabene mit dem Schönen. Das Erhabene wurde nun zur höchsten Form des Schönen, zum »Erhabenschönen«, das sich als »schönes Erhabene[s]« erfüllt.184 Herder hat seine Auslegung des ersten Schöpfungsbildes hier auf die Geschichte übertragen. Chaos und Ordnung sind nun kein Wechselspiel mehr, sondern gehören verschiedenen Epochen der Menschheitsgeschichte an. Der initiale, biblische Schöpfungsakt ist nur noch das erste ordnende Moment der Geschichte, denn erst das Erscheinen des vernunftbegabten Menschen, des erhabensten Geschöpfes, schafft die Voraussetzung für die Entfaltung des Erhabenschönen und stellt die eigentliche Ordnung her. Die Subtexte dieser Geschichte des Erhabenen sind Lessings Erziehung des Menschengeschlechts (1780) und die typologische Auslegung des Alten Testaments. Herders Entwicklungsgeschichte vom roh-Erhabenen zum Erhabenschönen folgt dem Muster einer progressiven Geschichtsphilosophie, die jedoch durch zwei Einschnitte geprägt ist: Die Schöpfung (Altes Testament) und das Erscheinen des erhabensten Menschen (Neues Testament). Diese Entwicklungsgeschichte wird von Herder als individuelle Bildungsgeschichte auf den Menschen 183 Herder, Kalligone, FA 8, 865. 184 Ebd., 871.

Herders Geschichtsphilosophie des »Erhabenschönen«

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appliziert,185 um immer mehr Herders eigene zu werden, an deren Ende dann seine kritische Auseinandersetzung mit den zeitgenössischen Theoremen zum Erhabenen steht. Herders eigene Entwicklung und die Theoriebildung werden so zum Paradigma der geforderten Einheit. In Burkes Trennung des Erhabenen und Schönen sieht Herder die Harmonie des Erhabenschönen schon angelegt, denn seiner Geschichte des Erhabenheitsbegriffs entsprechend, gehört Burke ja dem Zeitalter der Vernunft, des sittlich-Schönen und Erhabenschönen an: »Nicht Gegensätze sind das Erhabne und Schöne, sondern Stamm und Äste Eines Baums; sein Gipfel ist das erhabenste Schöne.«186 In anti-Kantischer Geste löste Herder die dichotomische Spaltung von Erhabenem und Schönen auf. Damit wurden implizit auch Mendelssohns Ideen abgelehnt. Von diesen ist Herder zudem durch seine Geschichtsphilosophie getrennt, welche die von Lowth text- und literaturkritisch, von Mendelssohn erkenntnisästhetisch vertretene Spannung zwischen Athen und Jerusalem, Schönem und Erhabenem, Vernunft und Religion im sinnlichen Erfahrungsakt nivelliert. Wenn Herder den vernunftbegabten Menschen zum Meister über das Erhabenschöne macht, hat das nicht nur eine theologische sondern auch eine philosophische Bedeutung. Herder kehrte die erkenntniskritische Konfrontation des Schönen und Erhabenen ins Ontologische:187 Die angemessene Entwicklung und Übung der Sinne leiten zur Erfahrung der vernünftigen Ordnung der Welt. Damit wird von Herder das Theodizee-Problem in den Menschen selbst verlegt und das moderne Spiel mit einem gefährlichen Feuer beginnt.188 Die sinnliche Erfahrung der Welt steht im Zentrum dieses monistischen Ansatzes, der die Leibniz'sche Idee vom Ganzen – also ein in Gott gegründetes harmonisches Wesen der Welt – mit der Entwicklungsidee zusammendenkt, wobei »das Normative [...] dadurch gefestigt [wird], daß es in die Tiefe des Sinnlichen selbst hineingesteckt wird«.189 Diese idealisierte, an der Theodizee ausgerichtete Norm fand Herder in der Johannitischen Deutung des Schöpfungsaktes. Auf dieser Basis konnte das Alte Testament als universale Ursprungspoesie verstanden, und als solche zur potentiellen Gründungsurkunde jeder monokulturell angelegten Nationalliteratur werden.190 Die Nähe oder Ferne zur Ursprungsnorm diente Herder als Gradmesser der Originalität,

185 Ebd., 866. 186 Ebd., 873. 187 Panajotis Kondylis: Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1986, 628. 188 Zum Theodizee-Problem in der deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts vgl. Wolfgang Braungart: Die Geburt der modernen Ästhetik aus dem Geist der Theodizee. In: Ders./Manfred Koch (Hgg.): Ästhetische und religiöse Erfahrungen der Jahrhundertwenden I. Um 1800. Paderborn et al.: Ferdinand Schöningh, 1997, 17–34. 189 Kondylis, Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus, 619. 190 Zur Ambivalenz von kulturellem Universalismus und Nationalismus bei Herder vgl. Ludwig Stockinger, Sprachkonzept und Kulturnationalismus, 71–84.

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Kreativität und Vitalität der verschiedenen Nationalliteraturen. Jochen SchulteSasse sieht in Herder einen anti-modernen Denker, weil er eine Versöhnung der Brüche der Moderne für möglich hält.191 Aus genau den gleichen Gründen, sah Isaiah Berlin in Herder einen Repräsentanten der Gegenaufklärung, der sich wie Hamann auf dem Boden der Rationalität als anti-rationaler Denker etablierte, und so die großen Katastrophen der Moderne vorbereiten half.192

vi. Das Erhabene als Kritik der Indifferenz Hatte sich die Ästhetik anfangs mit der Aufwertung der sinnlichen Wahrnehmung in Bezug auf das Schöne als Wissenschaft vom Konkreten der Hegemonie frühaufklärerischer Metaphysik entgegengestellt,193 markiert die Einführung des Erhabenen in die ästhetische Diskussion eine Zäsur, die die Ästhetik ins Zentrum der philosophischen Aufklärungsdiskussion rückte, indem sie die »Aufklärung über Aufklärung als Kritik des Schönen durch das Erhabene« einleitete.194 Diese Zäsur hat jedoch nicht nur die philosophische Diskussion geprägt, sondern auch den zeitgenössischen Kunst- und Literaturbegriff nachhaltig und folgenreich verändert. Ebenso zeigt die ästhetische Konzipierung des Erhabenen, wie sehr die Offenbarungstraditionen Referenzpunkt gerade der kritischen Aufklärung geblieben sind. Mit Mendelssohns frühem, wichtigem Beitrag zur Diskussion ist auf die Diversität dieses Referenzpunktes verwiesen, das heißt auf die Mannigfaltigkeit der Traditionsbezüge, welche mit der Einführung des Erhabenen in den ästhetischen Diskurs möglich wurden. Die Verknüpfung des Schönen und Erhabenen mit Athen und Jerusalem machte die ästhetische Diskussion zu einem Ort, wo die doppelte Herkunft der Aufklärung aus Religion/Christentum und Philosophie verhandelt werden konnte. Mit Robert Lowths großangelegter Systematisierung der klassischen, rhetorischen Zuordnung des Erhabenen zum Alten Testament, insbesondere zu Gen 1.3, fand eine Konzeption des Erhabenen in die ästhetische Literaturkritik Eingang, welche nicht am christlichen Wunderdiskurs orientiert war. Mendelssohn bot dies die Möglichkeit, die eigene (jüdische) Differenz zum Majoritätsdiskurs in diesen selbst einzuschreiben. Kontradiktisch stellte Mendelssohn dem am Schönen orientierten Kunst-Geschmack der griechisch-römischen Tradition die alternative Geschmacks-Erfahrung des Erhabenen gegenüber. In der 191 Jochen Schulte-Sasse: Herder's Concept of the Sublime. In: Kurt Mueller Vollmer (Hg.): Herder Today. Berlin/N. Y.: De Gruyter, 1990, 268–291. 192 Vgl. die jüngste Debatte in Amerika um das Erbe Isaiah Berlins und deren kritische Sichtung von Steven Lestition: Countering, Transposing, or Negating the Enlightenment? A Response to Robert Norton. In: Journal of the History of Ideas. 68:4 (2007), 659–681. 193 Terry Eagleton: Ästhetik. Die Geschichte ihrer Ideologie. Übers. von Klaus Laermann. Stuttgart/Weimar: Metzler, 1994 (Orig.: The Ideology of the Aesthetic, 1990), 13–17. 194 Zelle, Die doppelte Ästhetik der Moderne, 5.

Das Erhabene als Kritik der Indifferenz

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Ablösung von den historischen Kontextuierungen dieser Opposition gelangte er in seinen ästhetischen Schriften zur Formulierung eines erkenntnistheoretischen Problems, welches die Grundlagen Wolffianischer Philosophie und frühaufklärerischer Poetik hinterfragte. Unter dem weitreichenden Einfluss von Gottscheds Literaturbegriff war die Funktion des (schönen) Kunstwerks bis in die fünfziger Jahre des 18. Jahrhunderts klar bestimmt gewesen: Es hatte den vernunft- und zweckmäßigen Aufbau der Welt zu spiegeln. Dichtung sollte »fiktionale Darstellung der Wahrheit der Theodizee sein«.195 Bei Mendelssohn trat die Nachbildung des Affektes, der auf die sinnliche Erfahrung der Welt als unbegreifbare Totalität zurückgeht, neu in den Fokus. Die Darstellung des Erhabenen verweist bei ihm auf die Grenzen der Vernunft, indem die Mimesis des Totalen und Vollkommenen verweigert wird. Die Fiktion der Darstellung bezieht sich so nicht auf die Mimesis der prästabilierten Harmonie, das heißt auf die Differenz zu metaphysischer Wahrheit oder zur Wirklichkeit selbst, sondern auf die Insuffizienz und Beschränkung der Erkenntnis selbst. Mendelssohn leistete damit einen wichtigen Beitrag zur Wolff- und Leibnizkritik. Der bewusste Anschluss an Edmund Burke196 ermöglichte es ihm, das Erhabenheitskonzept in erkenntnisästhetischen Kategorien, losgelöst vom konkreten Traditionsbezug, weiterzuentwickeln. Dies bildete die Grundlage dafür, dass Kant, ausgehend von seinem Kritik- und Systemgedanken, mit der Kritik der Urteilskraft an den Diskurs über das Erhabene anschließen konnte. Mendelssohns Erhabenheitsbegriff steht damit am Beginn der modernen Geschichte des Erhabenen, der im doppelten Sinne »Grenzerfahrungen vermittelt« und als Hybridbegriff ästhetische Reflexion an religiöse und philosophische Tradition, an Moral, Politik und Zivilisationskritik bindet.197 Indem die von Theodor Adorno und Jean-François Lyotard neu ausgelöste Diskussion um das Erhabene im 20. Jahrhundert an Kants idealistische Inversion des Erhabenen anknüpfte, wurde der Umweg über die Kant-Kritik notwendig, um wieder zu dessen Rückbindung an zeichentheoretische Reflexionen vorzudringen.198 Mendelssohns Erhabenheitskonzept muss jedoch nicht nur als eigenständiger Beitrag zur kritischen Ästhetik, sondern auch in seiner Dimension der theoretischen Konzipierung von kultureller Differenz und minoritärer Existenz beschrieben werden. Auf Grund der zeichentheoretischen Bestimmung des Erhabenen ließ Mendelssohns Theorem den Bezug zur eigenen partikular-jüdischen Texttradition zu. Schon in der ersten Fassung von Mendelssohns Betrachtungen über das 195 Stockinger, Gottscheds Stellung in der deutschen Literaturgeschichte, 30. 196 Mendelssohns erste Fassung der Betrachtungen über das Erhabene und Naive in den schönen Wissenschaften war noch nicht von Edmund Burke beeinflusst. 197 Heininger, Erhaben, 276f. 198 Vgl. bes. die letzten beiden Kapitel in Lyotards Analytik des Erhabenen (»Die Mitteilung des Geschmacks«; »Die Mitteilung des erhabenen Gefühls«), die das Erhabene wieder in eine Rhetorik resp. Hermeneutik einbinden.

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Erhabene und Naive in den schönen Wissenschaften traten Mendelssohns Übersetzungen von hebräischen Bibelzitaten wie selbstverständlich als Fallbeispiele an die Seite von Belegen aus der griechischen und römischen Texttradition sowie der zeitgenössischen deutschen und englischen Literatur. Auch waren die zeichentheoretischen Maximen seiner Erhabenheitsästhetik aus der jüdischen Diskussion um die Gottesnamen entlehnt. Indem sie jedoch auf alle Wahrheiten der Metaphysik übertragen werden sollten, war eine allgemeine Erkenntnistheorie intendiert. Der reflektierte Zeichenbezug bot ihm die Möglichkeit, den subjektiven, ästhetischen Erfahrungs- und Bezeichnungsakt aus zweifacher Perspektive zu erfassen: Zum einen anthropologisch in Abhängigkeit von den Gegebenheiten der Sinnesorgane als Affekt-Theorie der gemischten Gefühle; desweiteren, indem im Gefühlsausdruck verschiedene partikulare Konventionen, Denk-, Text-, Geschmackstraditionen etc. spontan aufeinander bezogen werden, in seiner ethischen und praktischpolitischen Relevanz.199 Mendelssohn löste die ästhetische Reflexion von dem Bezug zu einem konkreten, philosophischen oder theologischen Moralkodex, ohne damit jedoch die Autonomie der Kunst zu vertreten. Die naive Grunddisposition desjenigen, der sich dem Unermesslichen aussetzt, bestimmt nicht nur Mendelssohns Zugang zur Erkenntnis und Metaphysik, sondern wird auch zum Ausgangsmoment, dem kulturell oder religiös Unterschiedenen, dem Fremden und Anderen, dem Nebenmenschen in einem unendlichen Prozess der Begriffsbildung zu begegnen.200 Differenz wird so zur universalen Kondition, die im singulären Akt der anschauenden Erkenntnis als Bezeichnungsakt wirksam wird.201 Mit seiner Ästhetik dringt Mendelssohn zu einer anthropologisch-politischen Bestimmung kultureller Diversität vor, die das Verhältnis von Majoritäts- und Minoritätsdenken auf den Boden der ästhetischen Kritik versetzt.202 Das hohe Maß an theoretischem Anschlusspotential, welches die aktuellen Forschungsprojekte zu

199 Diese Dimension seiner ästhetischen Zeichentheorie wird Mendelssohn im Rahmen seiner politischen Philosophie in Jerusalem ausführlich diskutieren, vgl. hierzu Kap. VI.i. 200 Vgl. hier die in Kap. VI.iii. vollständig zitierte Passage zur kultur- und religionsübergreifenden Begriffsbildung in Abhängigkeit von den inneren Empfindungen: »Ich und mein Nächster, wir können unmöglich mit eben denselben Worten eben dieselben innern Empfindungen verbinden; denn wir können diese nicht anders gegen einanderhalten, mit einander vergleichen und berichtigen, als wiederum durch Worte« (Mendelssohn, Jerusalem, JubA 8, 134). 201 In diesem Kontext sind auch Mendelssohns Schlussworte in Jerusalem zu verstehen: »Brüder! ist es euch um wahre Gottseligkeit zu thun; so lasset uns keine Uebereinstimmung lügen, wo Mannigfaltigkeit offenbar Plan und Endzweck der Vorsehung ist. Keiner von uns denkt und empfindet vollkommen so, wie sein Nebenmensch; warum wollen wir denn einander durch trügliche Worte hintergehen?« (ebd., 202f). 202 An dieser Stelle sei nochmals auf Mufti verwiesen, der mit Said auf die Bedeutung der jüdischen Minoritätsgeschichte für die moderne Aufgabe des Kritikers aufmerksam gemacht hat (Auerbach in Istanbul, 96, 104); s.o. Kap. III.i.

Das Erhabene als Kritik der Indifferenz

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»public feeling«, »political feeling« etc. um Lauren Berlant an der University Chicago hier bieten, muss im Detail noch erschlossen werden.203 Weil Mendelssohn nicht versuchte, das griechische Ideal durch ein orientalisches zu ersetzen (diese Tendenz ist bei Lowth vorhanden), oder geschichtsphilosophisch miteinander zu verschmelzen (Herder) bzw. das orientalische Ideal ganz zu ignorieren (Kant),204 sondern vielmehr Athen und Jerusalem aus seiner entwicklungsgeschichtlichen und zeitlichen Dimension befreite und in ein bipolares Spannungsfeld stellte, schuf er die Voraussetzung für die Transformation zweier konkurrierender Denk- und Geschmackstraditionen in eine universal-ästhetische Disposition. Er formulierte eine Meta-Ästhetik, die die doppelte Dialektik von Athen und Jerusalem – als christliche und innerjüdische Formation – zum erkenntnistheoretischen Fundament der Ästhetik selbst erklärte. Mendelssohn unterwanderte den Selbstbestimmungsdiskurs des christlichen Abendlandes, welches mit der Gegenüberstellung von Athen vs. Jerusalem seit jeher die eigene Herkunft aus dem (vorrabbinischem) Judentum und der griechischen Philosophie verhandelt hatte, indem er die lange Tradition der innerjüdischen Integration Athens205

203 Vgl. die hervorragende Online-Darstellung von Lauren Berlants »Feel Tank Chicago« auf: http://feeltankchicago.net/. 204 Im Gegensatz zu Lowth, Michaelis, Mendelssohn, Hamann und Herder wird das Thema Athen und Jerusalem von Kant gemieden. Das trifft auch für seine frühe Schrift Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen von 1764 zu, die lange vor seiner system-philosophischen Beschäftigung mit dem Thema liegt und einem moral-praktischem Interesse folgt (vgl. AA II, 252, 254). Ähnlich wie Burke verteilt Kants Schrift in langen Aufzählungen geschmackliche Evaluierungen an »unterschiedene[] Gegenstände[] des Gefühls vom Erhabenen und Schönen«, die den »Menschen überhaupt« betreffen sowie das »Gegenverhältniß beider Geschlechter« und die »Nationalcharaktere« (ebd., 205–256). Die jüdische Nation fehlt in Kants Aufzählung ganz, dafür sind die Araber die »edelsten Menschen im Oriente«, wobei deren Neigung zum Erhabenen nicht als Vorteil, sondern vielmehr ihr fehlender Sinn für das sittlich Schöne als Mangel hervorgehoben wird. Im Anschluss an Hume (vgl. David Humes Essay »Of National Characters«, bes. in der zweiten Edition von Essays, Moral and Political von 1742) gehören für Kant Schwarze und Weiße zwei verschiedenen Menschengeschlechtern an, die sich »in Ansehung der Gemüthsfähigkeiten, als [auch] der Farbe nach« so gravierend voneinander unterscheiden, dass »unter den […] Schwarzen […] nicht ein einziger jemals gefunden worden, der entweder in Kunst oder Wissenschaft, oder irgend einer andern rühmlichen Eigenschaft etwas Großes vorgestellt habe, obgleich unter den Weißen sich beständig welche aus dem niedrigsten Pöbel empor schwingen und durch vorzügliche Gaben in der Welt ein Ansehen erwerben« (Kant, ebd., 253). Zu Kant und der Genderfrage vgl. Ursula Pia Jauch: Schopenhauer or Kant: Gender Difference Between Critique and Spirit of the Age. In: Herta Nagl-Docekal/Cornelia Klinger (Hgg.): Continental Philosophy in Feminist Perspective. Re-Reading the Canon in German. University Park: Pennsylvania State University Press, 2000, 101–112. 205 Das ist die große These von Yaacov Shavits Athens in Jerusalem. Classical Anitiquity and Hellenism in the Making of the Modern Secular Jew. Shavit unterscheidet drei verschiedene Zugänge zum Thema Athen–Jerusalem: Jerusalem als Gegenbild zu Athen, Athen als Modell für Jerusalem und Athen als integraler Bestandteil Jerusalems; sein Buch belegt für die jüdische Geschichte auf 560 Seiten überzeugend letzters; vgl. hierzu und zur Problematisierung der Kontradiktion Athen vs.

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in den Majoritätsdiskurs überführte. Gerade über die Sprach- und Zeichenproblematik ist dieses alternative, philosophische Hinterland ausgezeichnet zu erschließen.206 Das philosophische Jerusalem wird so zur aktuellen, konkreten Kritik an der Indifferenz des christlichen Athen.207 Indem Mendelssohn die Transzendenz zweier Philosophietraditionen herstellt, reicht sein Beitrag zum Ästhetikdiskurs über eine affirmative Verhältnisbestimmung von Partikularität und Universalität weit hinaus.

Jerusalem: Willi Goetschel: Athens, Jerusalem, and the Orient Express of Philosophy. In: Bamidbar 1.1 (2011), 9–34, 14. 206 Vgl. bes. Kap. V.i.–iv. 207 Vgl. Mufti, Enlightenment in the Colony, 63.

IV. Zeichensprache in Mathematik und Metaphysik Wie Ulrich Ricken richtig beobachtete, zeichnet sich Mendelssohns Sprach- und Zeichentheorie generell dadurch aus, dass sie »innerhalb übergeordneter Zusammenhänge« ihre Konturen gewinnt.1 Abgesehen von den unpublizierten Sprachreflexionen Über die Sprache und Notizen zu Ursprung der Sprache existiert keine Schrift Mendelssohns, die sich ausschließlich dem Sprachthema widmet.2 An Hand der Sprach- und Zeichenproblematik führten Kapitel II und III bereits in die komplexen Verflechtungen von Sprachbetrachtung, Übersetzungspolitik, Schrift-Auslegung und Ästhetik ein. Die von Mendelssohn innerhalb der Erhabenheitsästhetik entwickelten methodischen Parameter zur Zeichen- und Abbildungsproblematik legten den Grundstein für Mendelssohns zeichentheoretische Herangehensweise an die Probleme der Metaphysik. Es handelt sich um das theoretische Kernstück von Mendelssohns Sprachphilosophie. Anders als die sprachphilosophischen Thesen, die Mendelssohn in seiner späten Schrift Jerusalem, oder über religiöse Macht und Judentum von 1783 entwickelte, sind seine frühen Ausführungen zur Zeichentheorie in der Metaphysik wenig beachtet worden. Entsprechend der allgemeinen Prägung der europäischen Aufklärung entwickelt Mendelssohn seine »Theorie der Zeichen als Instrument des Denkens« in enger Auseinandersetzung mit dem Zeichensystem der Mathematik.3 Wie Descartes, Spinoza, Hobbes, Newton und Leibniz war er dabei an den neuesten Erfindungen auf dem Gebiet der höheren Mathematik orientiert. In welcher Weise Mendelssohn Absichten, Möglichkeiten und Grenzen mathematischer Prozeduren im Hinblick auf deren Anwendbarkeit für Logik und Metaphysik prüft, soll im folgenden Kapitel an Hand seiner Diskussion des Wahrscheinlichkeits- und Infinitesimalkalküls gezeigt werden. Anlass für beide Diskussionen war die neu virulent gewordene Evidenzproblematik der Metaphysik, deren Methode sich seit Descartes an der Mathematik ausrichtete. Mendelssohn fordert nicht nur dazu auf, die Infinitesimalrechnung als neue Grundlegung der gesamten Mathematik zu weiterzuentwickeln, sondern parallelisiert das symbolische Verfahren der Zeichengebung in der höheren Mathematik dem allgemeinen Prozess der Sprachund Zeichenbildung beim Menschen. Die zeichentheoretische und begriffliche Mimesis des Unermesslich-Großen, die er im Rahmen des Erhabenheitskonzeptes 1 2 3

Ulrich Ricken, Mendelssohn und die Sprachtheorien der Aufklärung, 207. Mendelssohn, Über die Sprache, JubA 6.2, 5–23; Notizen zu Ursprung der Sprache, JubA 6.2, 25–28. Ricken, ebd., 206.

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Zeichensprache in Mathematik und Metaphysik

entwickelte, wird von Mendelssohn als Modus auf die Repräsentation des Unermesslich-Kleinen übertragen und damit zum Paradigma der Darstellungsproblematik überhaupt. Die Fragen nach den Grenzphänomenen führen zur Betrachtung der allgemeinen philosophischen Fragen: Welche Funktion hat das Zeichen, wenn es etwas abbildet und damit sinnlich erfassbar werden lässt, das die sinnliche Wahrnehmung übersteigt? Wie können unendlich kleine Größen abgebildet werden? Wie das unendlich Große? In welchem Verhältnis stehen Zeichen und Bezeichnetes, Sinnlichkeit und Vernunft, Körper und Seele, Qualität und Quantität, wenn man deren quantitative Extrema betrachtet? Alexander Altmanns Untersuchung zu den frühen metaphysischen Schriften Mendelssohns, publiziert 1969,4 ist immer noch der Referenzpunkt der wissenschaftlichen Diskussion.5 Da jedoch Sprach- und Zeichentheorie nicht im Zentrum von Altmanns Forschungsinteressen standen, lassen sich aus der neu eingenommenen Perspektive interessante Entdeckungen machen, welche Altmanns Thesen einer Prüfung unterziehen.

i. Evidenz und Wahrscheinlichkeit Mendelssohns Schrift Abhandlung über die Evidenz in den metaphysischen Wissenschaften ist aus Anlass einer Preisfrage der »Classe de Philosophie spéculative« der Preußischen Akademie der Wissenschaften in den Jahren 1761–1762 entstanden. Der Schrift wurde am 26. Mai 1763 der erste Preis zugesprochen. Unter der großen Anzahl derer, die sich um den Preis bewarben, waren auch Johann Heinrich d’Lambert, Thomas Abbt und Immanuel Kant. Kant war Mendelssohn nur knapp unterlegen, und erhielt mit seiner Abhandlung Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral (1763) den zweiten Preis. Angeregt wurde das Thema des Preisausschreibens durch eine Schrift des Mathematikers Pierre Louis Moreau de Maupertuis, der bis 1756 selbst das Amt des Präsidenten der Berliner Akademie inne gehabt hat. In Examen philosophique de la preuve de l'existence de Dieu employée dans l'Essay de Cosmologie behauptete er 1758, dass »Evidenz und Übereinstimmung der Meinungen nur in den mathematischen Wissenschaften« möglich sei.6 Im Gegensatz zur Mathematik, die mit Quantitäten operiere und evidente Aussagen über den ihr eigenen Gegenstand machen könne, müsse die Metaphysik, deren Gegenstand die Qualitäten seien, sich damit begnügen, die Wirkungen der Ursachen zu evaluieren. Diese These

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Alexander Altmann: Moses Mendelssohns Frühschriften zur Metaphysik. Untersucht und Erläutert. Tübingen: Mohr (Siebeck), 1969. Vgl. zuletzt Anne Pollok: Facetten des Menschen (2010). Strauss, Einleitung zu Abhandlung über die Evidenz, JubA 2, XLVII.

Evidenz und Wahrscheinlichkeit

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bildete die Grundlage der von der Akademie gestellten Preisfrage, die wie folgt lautete: »Les vérités métaphysiques en général, et en particulier, les premiers principes de la Théologie naturelle et de la morale, sont-elles susceptibles de la même évidence que les vérités geometriques? et au cas qu’elles n’en soient pas susceptibles, quelle est la nature de leur certitude? A quel degré peut-elle parvenir, et ce degré, suffit-il pour la conviction?«7

Das Preisausschreiben der Akademie griff mit der Evidenzproblematik einen Fragenkomplex auf, der die philosophische Debatte schon seit längerem zentral beschäftigt hatte. Bereits 1724 hatte der Mathematiker und Philosoph Willem 'sGravesande (1688–1742) im Rahmen seiner programmatischen Abschiedsrede als Rektor der Universität Leiden erstmals ein Konzept vorgestellt, das den von Descartes,8 Pascal, Leibniz und Locke übernommenen philosophischen Evidenzbegriff mit den neuesten mathematischen Errungenschaften auf dem Gebiet der Wahrscheinlichkeitstheorie in Verbindung brachte. 'sGravesande behauptete in seiner Oratio de Evidentia die strukturelle Identität von mathematischgeometrischem und moralisch-historischem Wissen.9 Die aristotelische Unterscheidung zwischen evidentem Wissen in Philosophie und Wissenschaften sowie kontingentem historischen bzw. moralischen Wissen wurde so auf ihre Einheit hin befragt. Die Einheit von Wissen, das auf notwendigen Kausalbeziehungen permanenter Entitäten beruht, und Wissen, dessen Evidenz auf empirischer Wahrnehmung basiert, wurde von ihm im Referenzpunkt der Evidenz gefunden. Die Evidenz sei es, die der Aufspaltung in Notwendiges und Zufälliges, Permanentes und Veränderliches, in scientia und historiae vorausgehe.10 'sGravesandes Anliegen war die Entwicklung eines Darstellungsmodus, der die vollkommene Evidenz in der Mathematik genauso umfassen sollte wie die un7

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Zitiert nach Altmann, A Biographical Study, 113; Zu Geschichte, Hintergründen und Bewerbern der Ausschreibung vgl. Strauss, Einleitung zu Abhandlung über die Evidenz, JubA 2, XLV–LIII; Altmann, A Biographical Study, 112–130; Cornelia Buschmann: Wie bleibt Metaphysik als Wissenschaft möglich? Moses Mendelssohn und seine Konkurrenten um den Preis der Preußischen Akademie für 1763. In: Michael Albrecht/Eva J. Engel (Hgg.): Moses Mendelssohn im Spannungsfeld der Aufklärung. Stuttgart, Frommann-Holzboog, 2000, 38–49. Descartes hat in seiner Schrift Regulae ad directionem ingenii (ca. 1628) die Problematik von Evidenz und Gewissheit in der Metaphysik an die mathematische Methode gekoppelt und damit die Grundlage für die Diskussion geschaffen. Vgl. hierzu Gideon Freudenthal: Atom und Individuum im Zeitalter Newtons. Zur Genese der mechanistischen Natur- und Sozialphilosophie. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1982, 130–132. Posthum durch seinen Schüler Jean Nicolas Sébastien Allamand publiziert im Rahmen von Oeuvres philosophiques et mathématiques. Vol. 2. Amsterdam, Marc Michel Reye, 1774, 330–345. Vgl. Rüdiger Campe: ›Improbable Probability‹: On Evidence in the Eighteenth Century. In: Germanic Review 78 (2001), 143–161, 144; Vgl. auch die deutsche Fassung: »Unwahrscheinliche Wahrscheinlichkeit«. Evidenz im 18. Jahrhundert. In: Roland Borgards, Johannes Friedrich Lehmann (Hgg.): Diskrete Gebote. Geschichten der Macht um 1800. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2002, 15–32.

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Zeichensprache in Mathematik und Metaphysik

vollkommene Evidenz in der Wahrnehmung von Dingen und Ereignissen. Auf dieser Grundlage wurde für 'sGravesande die Evidenz selbst zum Darstellungsproblem und als solches zum Objekt einer Theorie. Die eben erst von den Brüdern Bernoulli, insbesondere von Jacob Bernoulli, entwickelte mathematische Wahrscheinlichkeitstheorie schien den Maßgaben einer solchen einheitlichen Betrachtungsweise hervorragend zu entsprechen.11 Für Jacob Bernoulli selbst hatte die Entwicklung der Wahrscheinlichkeitstheorie jedoch keine Relevanz im Hinblick auf die Evidenz der Metaphysik. Die Determiniertheit des Universums wurde durch sie weder befestigt noch in Frage gestellt, sie stand genauso außer Frage, wie das Unvermögen des Menschen sie ganz umfassen und abbilden zu können. Ja, die Einsicht in die Begrenztheit der menschlichen Erkenntnis ließ die Entwicklung der Wahrscheinlichkeitstheorie erst als Desiderat erscheinen. Auch Leibniz, der mit beiden Bernoullis in ausgedehntem Briefwechsel stand, und so an der Entwicklung der Wahrscheinlichkeitstheorie unmittelbar beteiligt war, war sich der praktisch-philosophischen und moralischen Nutzanwendung einer »Kunst, die Wahrscheinlichkeiten abzuschätzen« gewiss.12 Sowohl Jakob Bernoulli als auch Leibniz gingen von der Prämisse aus, dass es in der Realität keine bloß wahrscheinlichen Tatbestände gibt. Eine Wahrscheinlichkeitstheorie – entwickelt auf der Grundlage einer Mathematik der Glücksspiele – sollte daher auch keine notwendigen Konstellationen und Ereignisabläufe abbilden, sondern praktikable Algorithmen bereitstellen, die es ermöglichten, Vorhersagen über das Zusammenspiel verschiedener Sequenzen, Kombinationen, Serien, Vorgänge, Entwicklungen und Geschehnisse aufzustellen.13 Diese Theorie sollte nicht das Universum abbil-

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Vgl. Jacob Bernoulli: Ars Coniectandi (1713), aber auch den vorausgehenden Briefwechsel mit Leibniz zum Problem der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Zu letzterem vgl. den aufschlußreichen Artikel von Edith Dudley Sylla: The Emergence of Mathematical Probability from the Perspective of the Leibniz-Jacob Bernoulli Correspondence. In: Perspectives on Science 6.1&2 (1998), 41–76. Vgl. hierzu Sylla (ebd., 73), die darauf hingewiesen hat, dass genauso wie den Brüdern Bernoulli ein Anteil an der Erfindung des Kalkulus zugestanden werden muss, Leibniz umgekehrt nicht nur ein passiver Anteil an der Erfindung der Wahrscheinlichkeitstheorie zukommt. Sylla, (Emergence of Mathematical Probability, 73): »The art of conjecturing or the logic of probabilities is not an empirical physical science, but rather a practical or moral discipline supporting prudent decision-making in situations in which complete certainty is impossible. Here there is a similarity to the status of the Leibnizian calculus, as stated in Leibniz’s 26 November 1703 letter to Jacob.« Sylla gibt eine englische Übersetzung der erwähnten Briefstelle: »It is shown that in infinite series and in our calculus of sums and differences the calculations are not to be extended beyond the cases in which the matter can be reduced to a rigorous demonstration in the traditional way. Our method is only a contraction of the traditional one, suited for invention. I take large or small quantities of any size in place of infinitely large or infinitely small ones, and if in this way the error can be made smaller than any given error, then the method is safe« (Orig. in: Andre Weil/Clifford Truesdell/Fritz Nagel (Hgg.): Jacob Bernoulli. Der Briefwechsel von Jacob Bernoulli. Basel: Birkhauser, 1993, 121).

Evidenz und Wahrscheinlichkeit

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den, sondern auf den »schwachen Begriffen« ruhen, die der Mensch von der »göttlichen Vollkommenheit« nur haben kann.14 Für 'sGravesande hingegen schien mit den mathematischen Notationen von bloß wahrscheinlichen Kombinationen und Abläufen auch die Möglichkeit der Verknüpfung von Notwendigem und Zufälligem gegeben. Der Evidenz der mathematischen Methode, speziell der Wahrscheinlichkeitsrechnung, wurde hier also eine Bedeutung für die Metaphysik zugeordnet. Gerade dies führte aber dazu, dass die Evidenz der Mathematik viel stärker in ihre Schranken verwiesen wurde, indem die Mathematik umso deutlicher auf ein Demonstrations-, Darstellungsund Zeichensystem reduziert wurde. Da das Ineinanderspiel von Wahrscheinlichkeiten und Zufällen jedoch nicht zu evidentem Wissen führt, weisen die durch diesen Modus prognostizierten graphischen und symbolischen Repräsentationen von Ereignissen auf eine Differenz zwischen der Evidenz der Darstellung und der mangelnden Evidenz der durch sie abgebildeten bloß wahrscheinlichen Konstellationen und Abläufe.15 Die Evidenz des Wahrscheinlichkeitskalküls deckte somit im Hinblick auf die ihm zu Grunde liegenden kontingenten Tatbestände nachdrücklich die Konstruktivität des mathematischen Diskurses auf. Eine Erkenntnis, die keinesfalls neu, auch ohne die Wahrscheinlichkeitsrechnung zu gewinnen war und das Defizit der Metaphysik gegenüber der Mathematik neu befestigte. Die Preisfrage der Preußischen Akademie der Wissenschaften vierzig Jahre nach 'sGravesandes gescheitertem Versuch, der Metaphysik mit Hilfe der Wahrscheinlichkeitstheorie ein neues Fundament zu geben, belegt die anhaltende Virulenz der Thematik auch in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts. Moses Mendelssohn hatte sich schon in den fünfziger Jahren des 18. Jahrhunderts intensiv mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung und den Thesen Leibniz', Bernoullis und 'sGravesandes beschäftigt, um deren Potential für die Metaphysik auszuloten. Das philosophische Interesse an der Thematik kommt in seiner frühen Schrift Gedanken von der Wahrscheinlichkeit klar zum Ausdruck. Die Eingangspassage vermerkt: »Die Mathematiker, die die Grenzen ihrer Wissenschaft schneller erweitert, als die Weltweisen, haben in dem letzten Jahrhunderte auch in dem Felde des Wahrscheinlichen grosse Entdeckungen gemacht. In allen Arten von Glücksspielen, Wetten, Assecurantzen, Lotterien, in einigen Rechtshändeln, ja so gar in Ansehung der historischen Glaubwürdigkeit, haben sie die wahrscheinlichen Fälle gegen einander berechnet, und die Größe der Erwartung, oder den Grad der Wahrscheinlichkeit nach dieser Ausrechnung bestimmt. Man braucht nur die Namen Pascal, Fermatius, Hugens,

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Leibniz äußert sich an verschiedenen Stellen seiner Nouveaux essais sur l`entendement humain, das als eigentliche Quelle seiner Philosophie gilt, zum Problem der Wahrscheinlichkeit und der Evidenz. Vgl. bes.: Gottfried Wilhelm Leibniz: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand. Übersetzt, mit Einleitungen und Anmerkungen versehen von Ernst Cassirer. Felix Meiner, 1996, 391, 474, 479f, 495–497, 504–506. Campe, Improbable Probability, 146.

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Zeichensprache in Mathematik und Metaphysik

Halley, Craig, Petty, Montmort, Moivre, Bernoulli und Euler zu kennen, um sich von ihren Entdeckungen den würdigsten Begriff zu machen.«16

Mendelssohns Interesse an der Erweiterung der Grenzen der Wissenschaft ist für ihn das Movens, sich mit den neuesten Erkenntnissen in den Naturwissenschaften zu beschäftigen, um sie auf die Metaphysik zu applizieren. Dieses Interesse, insbesondere an der höheren Mathematik, durchzieht Mendelssohns gesamtes Werk. Eine rege Korrespondenz mit Mathematikern wie auch das posthum herausgegebene Verzeichniß der auserlesenen Büchersammlung des seeligen Herrn Moses Mendelssohn belegen, dass er die neuesten Entwicklungen auf dem Gebiet der Mathematik, Physik und Astronomie kontinuierlich verfolgte – was im 18. Jahrhundert unter Intellektuellen keine Besonderheit darstellte.17 Seine Privatbibliothek enthielt zahlreiche Abhandlungen zur Mathematik allgemein, zur Arithmetik, Geometrie und angewandten Mathematik insbesondere, außerdem zur Physik, Astronomie und Geologie, einschließlich spezieller Abhandlungen zur Optik, Mechanik und Elektrizitätslehre. Im Bibliotheksverzeichnis finden sich Schriften von Euklid, Blaise Pascal, Galileo Galilei, Tycho Brahe, Johannes Kepler, den Brüdern Bernoulli, Descartes, Newton, Leibniz, Wallis, de Maupertuis und Euler.18 Seine kurze Abhandlung Gedanken von der Wahrscheinlichkeit, die Mendelssohn im Jahre 1757 publizierte, nahm den von ‘sGravesande eröffneten Problemhorizont von Metaphysik, Mathematik und Evidenz auf der Grundlage von Christian Wolffs Logik-Auffassung und David Humes' skeptizistischer Kritik des Analogieverfahrens, der Induktionsschlüsse und der Erfahrung neu auf.19 Die Schrift ist wie die bereits 1755 veröffentlichten Philosophischen Gespräche als Verteidigung der Metaphysik angelegt. Dort ließ Mendelssohn den Dialogpartner Philopon das Schicksal der Metaphysik expressis verbis beklagen: »Gott! In was für Verachtung schmachtet sie, die weyland Königin der Wissenschaften!« Nicht nur Spinozas Religionskritik, sondern auch Humes' und Bayles radikale MetaphysikKritiken hatten Atheismus und Materialismus Tor und Tür geöffnet. Mendelssohns frühe philosophische Schriften reagierten auf diesen Status Quo und widmeten sich vor allem der Verteidigung gegen die schärfsten Attacken auf die Metaphysik. Die Auseinandersetzung mit der radikalen Aufklärung bildete auch die Grundlage für die Verteidigung der Metaphysik in der Wahrscheinlichkeitsschrift, die sich dem Verhältnis von Wahrscheinlichkeit, Determiniertheit und Gewissheit ausführlich widmet. Was dabei sofort ins Auge fällt, ist Mendelssohns Substi-

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Mendelssohn, Gedanken von der Wahrscheinlichkeit, JubA 1, 150. Publiziert gleich nach seinem Tod in Berlin 1786; Neudruck: Berlin 1926. Vgl. Hans Lausch: Moses Mendelssohn und die zeitgenössische Mathematik. In: Michael Albrecht/Eva J. Engel (Hgg.): Moses Mendelssohn im Spannungsfeld der Aufklärung. Stuttgart, Frommann-Holzboog, 2000, 119–135. Mendelssohn, Gedanken von der Wahrscheinlichkeit, JubA 1, 158.

Evidenz und Wahrscheinlichkeit

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tution des Evidenzbegriffs durch den Begriff der »Gewissheit«.20 Von Evidenz spricht er nur an einer einzigen Stelle des Textes.21 Mendelssohns Wahrscheinlichkeitsschrift reagierte unmittelbar auf die deutsche Publikation von Humes Enquiry concerning Human Understanding (1748) und hier vor allem auf den vierten Teil der Abhandlung, die in der 1755 von Sulzer edierten deutschen Übersetzung den Titel »Sceptische Zweifel in Ansehung der Wirkung des Verstandes« trägt.22 Die von Hume bereits in Treatise of Human Nature (1739/40) entwickelte Kritik am Kausalitätsprinzip bestimmt auch Humes Erkenntniskritik im Enquiry in etwas modifizierter Form. Seine radikale Erkenntniskritik hinterfragt die Allgemeingültigkeit, welche die Verstandestätigkeit auf der Grundlage des kausalen Schlussverfahrens beansprucht. Indem die Logik bislang die Evidenz der metaphysischen Spekulation garantierte, ist Humes Angriff auf das Schlussverfahren ein Frontalangriff auf die Metaphysik selbst.23 Seine Entblößung aller Erkenntnis als Erfahrungserkenntnis entzieht dem UrsacheWirkungs-Zusammenhang die Begründungsformel, genauer gesagt: die Letztbegründungsformel. Die »Erkenntnis der Verknüpfung von Tatsachen [ist nun] ganz auf den Bereich der kontingenten Wahrheiten eingeschränkt, also immer nur wahrscheinlich«.24 Der Angriff Humes ist aber nicht nur gegen den Rationalismus gerichtet, sondern auch gegen den Empirismus, der im umgekehrten Verfahren auf der Grundlage des Induktionsschlusses Erfahrung allgemein begründen möchte. Es ist Mendelssohn oft vorgeworfen worden, dass er den Umfang und das Ausmaß dieser Kritik nicht versteht.25 Er ist jedoch im deutschen Sprachraum der erste, der Humes Kausalitätskritik als Herausforderung an die Metaphysik ernst nimmt.26 Sowohl Kants als auch Johann Nicolaus Tetens’27 und Friedrich

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Ebd., passim. Ebd., 151. Vgl. Fritz Bamberger, Einleitung zu Schriften zur Philosophie und Ästhetik I, in: JubA 1, XXV; Mendelssohn, Gedanken von der Wahrscheinlichkeit, JubA 1, 156f. Vgl. Astrid von der Lühe: Kausalität und Induktion bei Hume und Mendelssohn. In: Michael Albrecht/Eva J. Engel (Hgg.): Moses Mendelssohn im Spannungsfeld der Aufklärung. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog, 2000, 137–158, 140f. Lühe, Kausalität und Induktion bei Hume und Mendelssohn, 141. Die Einleitung von Fritz Bamberger zu Mendelssohns Wahrscheinlichkeitsschrift legt diese Fährte selbst. Vgl. JubA 1, XXVf; Selbst Astrid von der Lühe folgt hier dem gängigen Urteil (Kausalität und Induktion bei Hume und Mendelssohn, 147); Vgl. aber Manfred Kuehn: David Hume and Moses Mendelssohn. In: Hume Studies XXI.2 (1995), 197–220, und nun auch die relativierende Darstellung von Anne Pollok: Mendelssohns Auseinandersetzung mit »Hume’s problem« (Facetten des Menschen, 248–261). Zur philosophischen Situation in Berlin sowie den französischen Haltungen (J. B. Merian, J. H. S. Formey, P.L.M. de Maupertuis, Euler) gegenüber Hume im Umfeld der Akademie der Wissenschaften vgl. ebenfalls Kuehn, David Hume and Moses Mendelssohn, 201f; Kuehn spricht davon, dass Mendelssohn eine »fundamentale Auseinandersetzung mit Hume« geführt hat (ebd., 203); vgl. hierzu auch Lühe, Kausalität und Induktion bei Hume und Mendelssohn, 139, 147.

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Zeichensprache in Mathematik und Metaphysik

Heinrich Jacobis Hume-Rezeptionen sind wesentlich durch Mendelssohns kritische Bestandsaufnahme inspiriert worden.28 Der bloß wahrscheinliche Charakter aller menschlichen Erkenntnis nahm Hume zum Anlass, sich auf die »Insel des Skeptizismus« zu flüchten, insofern von der reinen Spekulation, theoretischer Erkenntnis, abstrakter Demonstration – »the understanding, when it acts alone«29 – die Rede ist. Nur vor dem praktischen Horizont des »common life« wird dem Verstand als »common sense« noch eine Funktion zugeschrieben, der im Dienste der Neigungen, Leidenschaften, Triebe und Instinkte den praktischen Wissenschaften wie Moral, Politik und Ästhetik zuarbeitet.30 Mendelssohn stimmt dieser skeptizistischen Bestandsaufnahme Humes' in den wesentlichen Punkten zu, allerdings ohne mit ihr die Möglichkeit von theoretischer Wissenschaft aufzugeben. Mendelssohns Subjekt ist kein Schiffbrüchiger, kein Gestrandeter auf einem Felsen, sondern – wie bei Max Horkheimer und Theodor W. Adorno – der reisende Odysseus, der an der Insel vorbeifährt.31 Mendelssohns Reisender wird jedoch weder von der Sinnlichkeit noch von der Vernunft verführt, sondern rettet sein Leben, indem er sich von konventionellen Vorurteilen leiten lässt.32 Man könnte sagen, Mendelssohn verharrt von vornherein dort, wohin sich Hume aus der verlorenen Einsamkeit des reinen Spekulierens wieder zurückflüchtet: »in the common affairs of life«.33 Humes skeptizistisches Dilemma findet in der radikalen Unterwerfung der Vernunft unter das Gefühl den einzigen Ausweg. Evidenz ist bei ihm nur noch als Gefühl zugänglich, das durch den Glauben an die Reproduzierbarkeit natürlicher Abläufe erzeugt wird.34 Humes Glaube wird Mendelssohn zum Ausgangspunkt seines Wissenschaftsbegriffs, der auf der Einsicht in die Subjektivität des Schlussverfahrens beruht, das heißt auf der »wahrscheinlichen Erkenntnis […], die nur in

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Johann Nicolas Tetens: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwicklung (1777). Zum Einfluss von Mendelssohn auf Kant vgl.: Kuehn, David Hume and Moses Mendelssohn, 213; In der Kant-zentrierten deutschen Aufklärungsforschung ist dieser Umstand nur von wissenschaftshistorischem Interesse gewesen, da die Hume-Rezeption in Deutschland vorwiegend im Hinblick auf Kant und ihren Beitrag zur Vorbereitung von Kants »Kopernikanischer Wende« zur Transzendentalphilosophie beschrieben wurde. Vgl. hier z.B. Günter Gawlick/Lothar Kreimendahl: Hume in der deutschen Aufklärung. Umrisse einer Rezeptionsgeschichte. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog, 1987. David Hume: A Treatise of Human Nature. Being an Attempt to introduce the experimental Method of Reasoning into Moral Subjects. London: White Hart, 1739/40, 464 (Book I: »On the Understanding«, Part IV, Sect. VII). Lühe, Kausalität und Induktion bei Hume und Mendelssohn, 145–147. Ausführlicher zu Mendelssohns Auslegung der Sirenen-Parabel der Odyssee in der Evidenzschrift, s. Kap. V.v. Mendelssohn, Evidenzschrift, JubA 2, 295–296. Hume, Treatise of Human Nature, 467. Lühe, Kausalität und Induktion bei Hume und Mendelssohn, 148.

Evidenz und Wahrscheinlichkeit

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Ansehung unsers eingeschränkten Verstandes statt findet.«35 Die auf der Grundlage der begrenzten, erfahrungs- und gefühlsgeleiteten, bloß-wahrscheinlichen, vorurteilslastigen Erkenntnisfähigkeit des Menschen ruhende Wissenschaft erhebt nicht den Anspruch auf Objektivität, sondern lediglich auf Nachvollziehbarkeit. Mendelssohn, der sein Logikverständnis auch in der Auseinandersetzung mit Christian Wolffs lateinischer Logica ausbildete, findet in der Wahrscheinlichkeitsrechnung ein Mittel, die Logik von Wolff in ein quantifizierendes Verfahren aufzulösen, an Hand dessen wahrscheinliche Prognosen und Urteile über das Eintreten eines Ereignisses in Abhängigkeit von dem Wissen um die Randbedingungen, durch die es bestimmt wird, gefällt werden können.36 Damit distanziert er sich auch methodologisch von Wolffs deterministischem Wahrscheinlichkeitsbegriff, für den die hypothetische Möglichkeit des realen Eintreffens nur eines einzigen Ereignisses bestimmend bleibt.37 Diese Kritik an Christian Wolff wird gern übersehen, weil Mendelssohn explizit von der »ungemeine[n] Fruchtbarkeit der Wolfischen Definitionen« ausgeht, denn Wolffs Wahrscheinlichkeitsbegriff ermöglichte es ihm, auf Folgen zu kommen, auf die ihn »weder die Bernoullische, noch die ‘sGravesandische Definition von der Wahrscheinlichkeit geleitet haben würden.«38 Wie 'sGravesande bestimmte Wolff Wahrscheinlichkeit im Hinblick auf den einen, notwendigen Fall, der durch das tatsächliche Eintreffen »in der Natur« bestimmt ist. Mendelssohn aber versteht nicht, »wie diese eine hypothetische Bestimmung in der Natur« mit dem mathematischen Wahrscheinlichkeitsbegriff in Widerspruch geraten sollte, für den gilt: »Wie sich die Anzahl der Fälle, in welchen ein gewisser Erfolg erhalten wird, zu der Zahl aller möglichen Fälle verhält; so verhält sich die Wahrscheinlichkeit dieses Erfolgs zur Gewißheit.«39 Der Grad der Wahrscheinlichkeit, der erreicht wird, hängt dabei von der Kenntnis der relevanten Wahrheitsgründe und Bewegungsgründe ab, die den Propositionen oder Vordersätzen der traditionellen Logik entsprechen. Was auf der Grundlage der Logik erreicht werden kann, ist nicht Wahrheit, sondern Überzeugung von einer Wahrheit. Diese »Überzeugung erlangt den Namen einer mathematischen Evidenz«, wenn alle Wahrheitsgründe bekannt sind, und wir begreifen, »wie aus ihnen das Prädicat nothwendig erfolge«; sie ist bloß wahrscheinlich, wenn uns »nur

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Mendelssohn, Gedanken von der Wahrscheinlichkeit, JubA 1, 162. Vgl. zum Anschluss an Wolffs aus der Logik abgeleiteten Wahrscheinlichkeitsbegriff v.a.: Gedanken von der Wahrscheinlichkeit, JubA 1, 150–152. Christian Wolff: Logicae pars II sive practica. Sectio I. Usu logicae in vero a falso, certoque ab in certo dijudicando, Caput III: De certo, incerto atque probabili, §573–588. In: Jean École et al. (Hgg.): Christian Wolff. Gesammelte Werke. II. Abteilung, Lateinische Schriften, Bd. 1.2: Christian Wolfii: Philosophia Rationalis sive Logica, Pars II. Hildesheim et al.: Georg Olms Verlag, 1983, 434–441. Mendelssohn, Gedanken von der Wahrscheinlichkeit, JubA 1, 150. Ebd., 152.

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Zeichensprache in Mathematik und Metaphysik

einige von diesen Wahrheitsgründen gegeben sind.«40 Der Maßstab für die veränderliche Größe der Wahrscheinlichkeit ist der Idealfall der völligen Gewissheit, in der sämtliche Bestimmungen eines Subjekts bekannt sind, aus denen sich das Prädikat ableiten lässt. Die eineindeutige Ursache-Wirkung-Analogie ist Mendelssohn so zwar auch der Präzedenzfall für die völlige Gewissheit, den Rang der mathematischen Evidenz erreicht sie jedoch nur dem Namen nach und verbleibt also in der Sprache. Dies ist ein früher Hinweis auf Mendelssohns ausgeprägten Nominalismus, der in der Wahrscheinlichkeitsschrift vorsichtig in die Metaphysik eingeführt wird. Wahrheit als Funktion von Rede, Rede als Funktion von Logik, Logik als Funktion von Sprache, Sprache als Korrelativ des Denkens sind, wie wir noch sehen werden, die Stützen, auf denen Mendelssohns Philosophie- und Wissenschaftsauffassung ruht.41 Wie grundsätzlich diese Kritik an der zeitgenössischen Verwendung des Evidenzbegriffs gemeint ist, wird durch Mendelssohns intensive Beschäftigung mit Hume deutlich. Dessen Frontalangriff auf die Metaphysik sah er schon in 'sGravesandes Evidenzbegriff angelegt. Indem dieser die Zuverlässigkeit der Experimentalschlüsse aus dem Willen Gottes erklärt, werde den Skeptikern und Atheisten »gleichsam auf[gedrängt], daß sie alle Schlüsse leugnen könnten, welche auf der Analogie beruhen«.42 Mit dem Zweifel an der Begründungsformel kann dann nämlich nicht nur das Schlussverfahren, sondern jegliches rationale Verfahren der vernichtenden Kritik ausgeliefert werden. Mendelssohn ist daher bestrebt, die begrenzte, bloß wahrscheinliche Natur der menschlichen Erkenntnis zu betonen, »die nur in Ansehung unsers eingeschränkten Verstandes statt findet.« Mendelssohn folgt hier, wie Alexander Altmann richtig feststellte, Leibniz' und Bernoullis subjektivistischer Auffassung von der Wahrscheinlichkeit,43 die jedoch von ihm vom »durchgängigen Determinismus im Weltgeschehen« deutlich abgesetzt wird.44 Diese Wahrheit sei durch einen unendlichen Verstand determiniert, der »von allen möglichen Dingen eine gewisse Erkenntnis« habe und dem »keine Wahrheitsgründe verborgen seyn können. […] In Ansehung seiner«, so Mendelssohn weiter, »findet keine Wahrscheinlichkeit statt.« 45 Das heißt aber trotzdem, dass Mendelssohn »in der Sache selbst […] mit Bernouilli, s’Gravesand und Wolf eine determinirte Wahrheit voraus« setzt. Als »unendlicher Verstand […], dem keine Wahrheitsgründe verborgen seyn können« und der »von allen möglichen Dingen eine gewisse Erkenntnis«

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Ebd., 151. (Hervorh., G.S.) Altmann hat auf den Einfluss hingewiesen, den Mendelssohns Verknüpfung von Linguistik und Logik auf die Entwicklung der hebräischen Grammatik ausgeübt hat (A Biographical Study, 365). Mendelssohn, Gedanken von der Wahrscheinlichkeit, JubA 1, 157f. Altmanns ausführliche Besprechung der Wahrscheinlichkeitsschrift in seiner Monographie Moses Mendelssohns Frühschriften zur Metaphysik, bes. 213–240. Mendelssohn, Gedanken von der Wahrscheinlichkeit, JubA 1, 162. Ebd.

Evidenz und Infinitesimalgrößen

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hat, liefert er die Antithese zur bloß wahrscheinlichen Erkenntnis.46 Mendelssohn geht sogar so weit, dass er die »Weltgebäude« der Metaphysik selbst als bloß wahrscheinlich bezeichnet und postuliert, dass es möglich sei »gewisser massen den Grad der Wahrscheinlichkeit [zu] bestimmen, den das neue Weltgebäude vor den alten voraus hat«.47 Mendelssohn hat hier eine Wissenschaftstheorie auf skeptischer Grundlage im Sinn, deren Ausarbeitung als »Vernunftkunst des Wahrscheinlichen«48 er als Aufgabe für die Zukunft formuliert. Dass Mendelssohn mit diesen Theoremen auch vor der eigenen Wissenschaftsauffassung nicht halt macht, belegen seine ständig wiederkehrenden Devotionsformeln, die mehr als rhetorische Floskeln darstellen und einer systematischen, konstruktiven Vernunftkritik entspringen.49 Der Begriff der mathematischen Evidenz bezeichnet in der Wahrscheinlichkeitsschrift die völlige Gewissheit in der Sprache. Indem die Mathematik von Mendelssohn als Teilgebiet der Logik bestimmt wird, bleibt die nominalistische Bestimmung des Evidenzbegriffes widerspruchsfrei. Gleichzeitig impliziert diese Begriffsbestimmung eine Kritik des zeitgenössischen Evidenzbegriffes. Mit der Abhandlung über die Evidenz in den metaphysischen Wissenschaften nimmt Mendelssohn die Diskussion über die Relevanz von geometrischer, mathematischer und logischer Evidenz/Gewissheit für die Metaphysik neu auf und bindet sie systematisch an die Zeichen- und Darstellungsproblematik.

ii. Evidenz und Infinitesimalgrößen Mendelssohns Behandlung der Zeichenproblematik als Gegenstand der Metaphysik in der Evidenzschrift korrespondiert den Sprachreflexionen in dem bereits mehrfach erwähnten Aufsatz Über die Sprache. Die kleine Abhandlung steckt die verschiedenen Dimensionen der Sprach- und Zeichenproblematik und damit den allgemeinen Rahmen ab, innerhalb dessen auch die Spezifika der Zeichenreflexion in der Evidenzschrift situiert werden müssen. Wie bereits in Kap. II.iii. gezeigt, vertritt Mendelssohn in Über die Sprache nicht nur die Möglichkeit des menschlichen Ursprungs der Sprache, sondern trägt die historische Genese der Zeichenentwicklung als Hypothese vor.50 Über die Entwicklung des Zeichens von den

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Ebd. Mendelssohn, Gedanken von der Wahrscheinlichkeit, JubA 1, 161. Ebd., 150. Das im Gegensatz zu von Lühes Bestandsaufnahme, die in Humes' Erkenntniskritik die Selbstkritik der Vernunft systematisch angelegt sieht, diese Mendelssohn aber abspricht (Kausalität und Induktion bei Hume und Mendelssohn, 155f). Mendelssohn, Über die Sprache, JubA 6.2, 13: »Da ich hier eine bloße Hypothese vortrage, ohne vor der Hand, versichern zu wollen, daß dieses die Hypothese der Natur sey«; vgl. auch Kap. II.iii.

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Zeichensprache in Mathematik und Metaphysik

natürlichen, hin zu den nachahmenden und willkürlichen51 Zeichen wird die Verbindung zwischen sinnlichem Eindruck und Allgemeinbegriffen sowie sinnlicher und deutlicher Erkenntnis als natürlicher Zusammenhang dargestellt.52 Die natürliche Erklärung willkürlicher und symbolischer Zeichenbildung im Zuge der Sprachentwicklung53 ist von Mendelssohn dabei weniger evolutionshistorisch gemeint,54 sondern enthält vielmehr eine allgemeine Aussage über die Sprachfähigkeit des Menschen und deren Funktion für den erfahrungsgeleiteten Erkenntnisprozess: »Sprache ist […] zum Denken unentbehrlich. Ohne dieselbe müssten wir, bey jedem Vorfall, so oft wir eine Eigenschaft zu betrachten haben, die Operation [der Absonderung vom Ganzen auf die Bestandteile] wiederholen, und sie entweder durch das Ueberdenken, oder durchs Vergleichen absondern müssen. Wie mühsam und beschwerlich würde dies sein! Indem wir aber jedes Merkmal mit einem eigenen Zeichen verbinden; so begnügen wir uns, in dem Laufe der Gedanken, die Zeichen zu denken, und uns nur dunkel zu erinnern, daß das Bezeichnete derselben durch eine Operation heraus gebracht worden, die wir wiederholen können; so oft wir es für nöthig finden. Die bloß anschauende Erkenntnis führt einen sehr beschwehrlichen Weg, auf dem wir mit der äußersten Anstrengung nicht fortkommen würden.«55

Mendelssohn verweist deshalb auf das Verfahren der Algebra, die »symbolische Zeichen an Statt der anschauenden« benutzt, als ein Verfahren, das auch dem Sprachgebrauch zu Grunde liegt.56 Dass die menschlichen Sprachen, die vor allem mit willkürlichen Zeichen operieren, Spuren von natürlichen und nachahmenden Zeichen aufweisen, deutet auf ihre allererste Funktion: »sinnliche Gegenstände« zu benennen.57 Die willkürlichen Zeichen werden dabei vor allem auf analytischem Wege gewonnen,58 indem sich der sinnliche Eindruck zunächst auf eine ganze Klasse von Gegenständen bezieht und deren Benennungen »Collektivwörter« darstellen. Erst durch Vergleichung der Eigenschaften der einzelnen Gegenstände untereinander, können diese in der Benennung voneinander unterschieden und »von allgemeinen Namen auf besondere« geschlossen werden;59 Ebenso ist für Mendelssohn der umgekehrte Weg denkbar, nämlich, wie im Falle der visuellen Wahrnehmung, »auf synthetische Weise zu allgemeinen Begriffen zu

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Ebd., 10. Ebd., 15–19. Mendelssohn, Über die Sprache, JubA 6.2, 17. Hierzu ausführlich Kap. VI.i. Ebd., 17. Ebd. Mendelssohn, Über die Sprache, JubA 6.2, 10f. Ebd., 15–17. Ebd., 15f; Zur Funktion der »Beywörter« [=Adjektive] für die analytische Methode, mit Hilfe derer »wir die Eigenschaften und Merkmale der Substanzen, oder vielmehr die Art und Weise, wie die Substanzen durch die dieselben abgeändert werden«, bezeichnen (ebd., 16).

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gelangen«, indem die besonderen Merkmale einer Erscheinung akkumuliert und zusammengesetzt werden.60 Das analogische Verfahren dominiert die Sprachbildung: »Der Weg der Vergleichung und des Ueberdenkens« führt zu den allgemeinen Begriffen.61 Die Beobachtung, dass die verschiedenen Sinneseindrücke »in einigen transcendentalen Bestimmungen übereinkommen, und sich einander ähnlich« sind, »bahnte den Weg, die Sprache des einen Sinnes in das Gebiet der übrigen Sinne zu übertragen, die Worte Höhe und Tiefe von Schall und Farbe, stumpf und scharf von Gegenständen des Gesichts, rau, hell[,] klar vom Laut, hart, sanft, süß von Tönen, u.s.w. zu gebrauchen.«62 Dieses Verfahren der Transzendierung habe, so Mendelssohn, nicht nur »die Grenzen der Sprache« und den »Umfang der Erkenntniß auf eine erstaunliche Weise […] erweitert«, sondern: »diente […] so wohl zum Erfindungskunstgriff als zum Bezeichnungsmittel. Zum Erfindungskunstgriff, indem man durch Hülfe der Reduktion, das auf den inneren Sinn anzuwenden suchte, was man bey den Eindrücken der äussern Sinne unterschieden hatte; und zum Bezeichnungsmittel, indem man dieselben Wörter und Zeichen aus diesem Gebiete in jenes übertrug. So entstanden die Wörter Begriff, Vorstellung, Bild, Einsicht, Verstand, Höhe und Tiefe der Erkenntniß, Klarheit und Licht, Feinheit und Schärfe des Verstandes und alle übrigen Ausdrücke für die inneren Würkungen unserer Seele, die aus dem Gebiete der äussern Sinne entlehnt worden sind.«63

Mit dieser Übertragung sind nicht nur die Grenzen der Sprache erweitert, sondern auch die Grenzen der anschauenden Erkenntnis überschritten. Nicht das symbolische Bezeichnungsverfahren der Algebra liefert für diese Transzendierung einen reproduzierbaren Modus, sondern vielmehr das der Infinitesimalrechnung, die einen Schritt weitergeht und symbolische Zeichen an die Stelle von Größen setzt, die sich der Anschauung entziehen. Es ist dieses Verfahren, das für die Sprache der Metaphysik von besonderem Interesse ist und dem sich Mendelssohn in der Evidenzschrift zuwendet. Ernst Cassirer hat Mendelssohns Ausgangspunkt für die dort geführte Diskussion des zeichentheoretischen Problems sehr treffend zusammengefasst: »Die Metaphysik [verfügt] über weit weniger vollkommene Zeichen als die Mathematik […]. Sie ist zur Darstellung ihrer Sätze auf das Mittel der Sprache, d.h. auf ein Ganzes rein willkürlicher und konventioneller Zeichen angewiesen, die die Natur des Gegenstandes immer nur symbolisch andeuten, den Gegenstand selbst aber niemals adäquat auszudrücken, geschweige zu erschöpfen vermögen. Aus dieser Unangemessenheit des Zeichens gegenüber dem Begriff und der Sache selbst ergibt sich die relative Unsicherheit, an der die Metaphysik leidet, ergibt sich der fortgesetzte und schein-

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Ebd., 18f. (Hervorh., G.S.) Ebd., 19. Ebd., 21. Ebd.

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bar unausrottbare Meinungsstreit in ihr, der jedoch nach M. im Grund nichts anderes als bloßer Wortstreit ist.«64

Auf Grund seiner einschlägigen Vorarbeiten mag es zunächst erstaunen, dass Mendelssohns Abhandlung über die Evidenz in den metaphysischen Wissenschaften darauf verzichtet, die Frage nach der Evidenz der Metaphysik nicht mehr in Bezug auf das Wahrscheinlichkeitskalkül sondern an Hand der zweiten großen, zeitgenössischen Errungenschaft auf dem Gebiet der Mathematik zu diskutieren: der »Fluxionalrechnung«, resp. Infinitesimalrechnung. Gehört die Wahrscheinlichkeitstheorie, als Teilgebiet der Stochastik, heute zur angewandten Mathematik, ist die Infinitesimalrechnung eines der Kerngebiete der höheren Analysis. Während die Lehre von der Wahrscheinlichkeit versucht, kausale Zusammenhänge sehr komplexer Ereignisse und Abläufe entlang der Zeit zu beschreiben, ist das Problem, dem sich das Infinitesimalkalkül stellt, elementarerer Natur: Mit Hilfe von Infinitesimalen können funktionale Abhängigkeiten veränderlicher Größen modelliert werden, die u.a. dazu dienen können, Ereignisräume überhaupt erst zu definieren. Damit ist – wie wir bereits gesehen haben – das Wahrscheinlichkeitskalkül für die Logik von zentraler Bedeutung, das Bezeichnungsverfahren des Infinitesimalkalküls hingegen für die Systematisierung der nichtontologischen Begriffsbildung in der Metaphysik grundlegend. Das Bezeichnungs- und Darstellungsproblem wird von Mendelssohn klar unterschieden von zwei weiteren Schwierigkeiten, mit denen die Metaphysik konfrontiert ist: Erstens werden von der Metaphysik im Unterschied zur Mathematik Aussagen über die Wirklichkeit der abgebildeten Relationen verlangt; zweitens folgt die Metaphysik der Absicht, den Menschen von philosophischen Wahrheiten zu überzeugen.65 Gerade weil Mendelssohn die Aporien der Metaphysik nicht ausschließlich auf zeichen- und abbildungstheoretische Fragen zurückführt, 64

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Ernst Cassirer: Die Philosophie Moses Mendelssohns. In: Moses Mendelssohn zur 200Jährigen Wiederkehr seines Geburtstages. Hg. von der Encyclopaedia Judaica. Berlin: Verlag Lambert Schneider, 1929, 40–68, 49; Cassirer geht auf Mendelssohns Bemerkungen zur Zeichengebung in der höheren Mathematik nicht ein, was insofern erstaunt, da er sich selbst intensiv mit den konzeptuellen Bezügen von Metaphysik und höherer Mathematik beschäftigt hat: Vgl. u.a. Ernst Cassirer: Die Idee des ›unendlichen Verstandes‹ und die Theorie der Differentiale. In: Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit, Bd. 3. Die nachkantischen Systeme. In: Ernst Cassirer: Gesammelte Werke. Hamburger Ausgabe, Bd. 4. Hg. von Birgit Recki. Hamburg: Felix Meiner, 2000, 93–100; sowie Ernst Cassirer: Kant und die moderne Mathematik. Mit Bezug auf Bertrand Russells und Louis Couturats Werke über die Prinzipien der Mathematik (1907). In: Aufsätze und kleine Schriften (1902–1921). In: Ernst Cassirer: Gesammelte Werke. Hamburger Ausgabe, Bd. 9. Hg. von Birgit Recki. Hamburg: Felix Meiner, 2001, 37–82, bes. 37–39; Um die Abhängikeiten zu klären, müsste Cassirers Beschäftigung mit dem Thema im Zusammenhang mit seiner kritischen Mendelssohnlektüre rekonstruiert werden. Ein solcher Vergleich von Mendelssohns und Cassirers Theoremen zu den Infinitesimalen kann sowohl der Mendelssohn- als auch der Cassirerforschung neue Impulse bringen. Mendelssohn, Abhandlung über die Evidenz (im Folgenden nur noch als Evidenzschrift aufgeführt), JubA 2, 133f.

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schafft er die Voraussetzung dafür, Möglichkeiten und Grenzen der zeichentheoretischen Grundlegung der Metaphysik exakter zu erfassen. Der von ihm zur Begutachtung durch die Akademie der Wissenschaften vorgelegte Essay teilt sich in vier Abschnitte, die je von der Evidenz in den Anfangsgründen 1.) der Mathematik, 2.) der Metaphysik, 3.) der natürlichen Gottesgelehrtheit und 4.) der Sittenlehre handeln. Es ist der Versuch, die Mathematik als Grundlagenwissenschaft für Metaphysik, natürliche Religion und Sittenlehre neu zu definieren. Insbesondere die ersten beiden Teile der Abhandlung sind daher fast ausschließlich dem Darstellungsproblem der Mathematik und Metaphysik gewidmet. Leo Strauss hat in seinem Kommentar zu Mendelssohns Evidenzschrift behauptet, dass Mendelssohn der von der Akademie gestellten Frage, ob die Metaphysik der gleichen Evidenz fähig sei wie die Mathematik, aus dem Wege geht und sie zu leugnen scheint, wenn er in der Einleitung schreibt: dass »die metaphysischen Wahrheiten […] derselben Gewissheit, aber nicht derselben Faßlichkeit fähig sind als die geometrischen Wahrheiten.«66 Mendelssohn weiche mit einem semantischen Spiel der Begrifflichkeiten, durch welches das Kriterium Evidenz/Gewissheit durch Fasslichkeit korrigiert wird, dem Evidenzproblem einfach aus. Strauss selbst weist aber auf den Widerspruch hin, dass die Frage der Akademie am Ende der Abhandlung von Mendelssohn expressis verbis negativ beantwortet wird, wenn er schreibt: »Einige Weltweise haben den Grund der vorzüglichen Evidenz, die man in den Anfangsgründen der Mathematik antrifft, einzig und allein in die mathematische Methode setzen wollen. Sie haben sich daher die Hoffnung gemacht, durch Einführung derselben Lehrart in den philosophischen Wissenschaften auch dieselbe Evidenz zu erhalten. Man weiß, wie wenig der Erfolg dieser Hoffnung entsprochen hat.«67

Indem Mendelssohn bereits in seinem Vorwort auf den methodischen Erkenntniswert der Infinitesimalrechnung aufmerksam macht, gibt er einen Hinweis auf sein Schluss-Resümee.68 Es ist daher auch kein Zufall, dass Mendelssohn das Kriterium der besseren Fasslichkeit ausschließlich auf die geometrischen Wahrheiten anwendet und nicht allgemein auf die Mathematik. Das erste Kapitel der Schrift gibt hierüber hinreichend Aufschluss. Die Evidenzschrift bildet somit keinen Erkenntnisprozess oder gar eine esoterische Kritik an der Metaphysik ab – wie Strauss' Darstellung das gern suggerieren möchte – sondern verteidigt von Anfang an eine spezifische Position der Evidenzkritik. Dementsprechend wird der Hinweis auf die methodische Relevanz der Infinitesimalrechnung von Leo Strauss zwar wahrgenommen, aber nicht für die Interpretation der Schrift fruchtbar gemacht.69 Auch Alexander Altmann konstatierte in seiner Monographie zu den 66 67 68 69

Mendelssohn, Evidenzschrift, JubA 2, 272. Ebd., 329f. Ebd., 271. Vgl. Einleitung zu Abhandlung über die Evidenz, JubA 2, XLIX.

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Frühschriften: »Innerhalb der Mathematik unterscheidet er [Mendelssohn] die Geometrie von der Arithmetik und Algebra, ohne auf die in der Einleitung kurz berührte Infinitesimal-Rechnung näher einzugehen.«70 Dass Mendelssohn das Scheitern des Versuches, mit Hilfe der mathematischen oder geometrischen Methode die Wissenschaftlichkeit der Metaphysik zu etablieren,71 in aller Deutlichkeit konstatiert, gibt Strauss auf Grund anderer Beobachtungen dennoch zu: Mendelssohn erteile eine eindeutige Absage an den »Versuch Wolffs und seiner Schule, der Metaphysik die Evidenz mathematischer Beweise zu geben.«72 Richtig bemerkt er weiterhin, dass dies trotzdem keine Folgen für die Autarkie der wichtigsten demonstrativen Disziplin – der Metaphysik – habe, da diese nur insofern attackiert werde als die Evidenz der Mathematik allein auf die mathematische Methode zurückgeführt wird.73 Im Gegensatz zu Strauss' inkohärenter Bestandsaufnahme konstatiert Ernst Cassirer: »Die Scheidung der Gewißheitsarten und die kritische Grenzbestimmung zwischen der mathematischen, der empirischen und der metaphysischen Wahrheit bildet eine der fruchtbarsten Leistungen von M.s Philosophie.«74 In der Nachfolge von William Warburton lehnte es Mendelssohn genauso wie Kant ab,75 die Vergleichbarkeit der Evidenz von Mathematik und Metaphysik auf der Grundlage des damit implizierten Mathematikverständnisses zu diskutieren. Während Kant jedoch darauf abzielte, die Methode der Mathematik stärker einzugrenzen und in Abgrenzung zur Methode der Metaphysik zu spezifizieren, schlägt Mendelssohn den entgegengesetzten Weg ein. Kants berühmt gewordene Unterscheidung von synthetischer (Mathematik) und analytischer Methode (Metaphysik) folgte der Intention, die Beantwortung der Frage nach der Evidenz der Metaphysik von der mathematischen Methode abzukoppeln. Indem Mendelssohn nach Randbedingungen und Intention der Mathematik fragt, nähert er sich dem Evidenzproblem durch eine Kritik der Evidenz der mathematischen Methode selbst. Einerseits werden auf dieser Basis Mathematik und Metaphysik auf neue Weise methodisch vergleichbar, andererseits wird der besondere Status der Metaphysik nicht mehr über die Methode sondern gemäß ihrer Absicht bestimmt. 70

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Altmann, Frühschriften zur Metaphysik, 278; Erst Dominique Bourel hat den Zusammenhang zwischen Mendelssohns Bemerkung aus der Einleitung mit dem Argument der Schrift in Verbindung gebracht: Bourel, Moses Mendelssohn, 211f. Im gleichen Sinne Alexander Altmann, A Biographical Study, 118. Leo Strauss, Einleitung zu Morgenstunden und An die Freunde Lessings, in JubA 3.2 LXVI. Leo Strauss, ebd. Cassirer, Die Philosophie Moses Mendelssohns, 50. Vgl. Kants Preisschrift, die explizit auf Warburton rekurriert: »Wir haben namhafte und wesentliche Unterschiede gesehen, die zwischen der Erkenntniß in beiden Wissenschaften anzutreffen sind, und in Betracht dessen kann man mit dem Bischof Warburton sagen: daß nichts der Philosophie schädlicher gewesen sei als die Mathematik, nämlich die Nachahmung derselben in der Methode zu denken« (Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral, AA II, 283).

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Alexander Altmann hat die methodologischen Unterschiede in der Herangehensweise Mendelssohns und Kants deutlich herausgearbeitet. Seine Analyse der beiden konkurrierenden Evidenzschriften evaluiert Mendelssohns Ansatz jedoch aus der Perspektive Kants. Demgemäß schreibt er: »Mendelssohn geht vom gegenständlichen der Mathematik und Metaphysik aus und behandelt die in beiden angewandte Methode gewissermaßen nur en passant. Kant hingegen nimmt seinen Ausgangspunkt vom Problem der Methode und gelangt daher zu wesentlich neuen Einsichten. Die Mathematik, so lehrt er, verfährt synthetisch, die Philosophie aber analytisch.«76 Der scharfe Trennungsstrich, den Kant zwischen Mathematik und Metaphysik zieht, wird von Altmann zum Maßstab erhoben, an dem Mendelssohns Grundsatz von der Einheit der Methode von vornherein scheitern muss. Indem das Moment der Begriffszergliederung bei Mendelssohn mit anderen, dem synthetischen Beweisverfahren entlehnten Elementen verbunden werde, verfalle Mendelssohn in »eine gewisse Zweideutigkeit.«77 Altmann, der im Zusammenhang mit der Wahrscheinlichkeitsschrift sehr wohl Mendelssohns Beitrag zur Wissenschaftstheorie zu würdigen wusste, kommt im direkten Vergleich mit Kant zu der paradoxen Schlussfolgerung, dass Mendelssohn mit seinem Vorgehen die Sicherung der Evidenz der Mathematik anstrebte.78 Mit dieser Fehleinschätzung kann Alexander Altmann dem Erkenntnisinteresse, welches Mendelssohns Abhandlung leitet, nicht angemessen folgen. Dabei werfen Mendelssohns methodologische Vorentscheidungen eine Reihe von wissenschaftstheoretisch hochbrisanten Fragen auf: Inwieweit bezieht die Mathematik ihre Evidenz aus der Methode? Woher rührt die postulierte Evidenz in der Mathematik? Wo stößt sie an ihre Grenzen und welche Folgen hat das für die Metaphysik? Mendelssohns Aussagen am Anfang und Ende der Abhandlung sind, wenn überhaupt, nur scheinbar von widerstreitender Natur. Mit der Beantwortung der methodischen Leitfragen der Abhandlung werden sie auf einen Nenner gebracht. Es sind insbesondere die ersten beiden Abschnitte der Abhandlung, die sich der methodologischen Problematik widmen, sie entwickeln die These von der angewandten und theoretischen Mathematik als einer Wissenschaft der ausgedehnten Größen in Abhängigkeit von der ihr zu Grunde gelegten Zeichensprache. Mendelssohns Augenmerk liegt vor allem auf der Frage, wo die leichtere Fasslichkeit der Mathematik ihre Grenzen hat und wie diese Grenzen bezeichnet werden. Ausgehend von der Maupertuis'schen Unterscheidung von Mathematik (resp. Geometrie) als Wissenschaft der Quantitäten vs. Metaphysik als Wissenschaft der Qualitäten, zielt seine Argumentation auf den Punkt, wo sich beide Wissenschaftsmethodiken berühren. Die bereits in der Wahrscheinlichkeitsschrift diskutierte Spannung zwischen Determiniertheit und Gewissheit erfährt mit der 76 77 78

Altmann, Frühschriften zur Metaphysik, 276. Ebd., 277. Ebd.

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Diskussion um das Verhältnis von Evidenz und Fasslichkeit in der Preisschrift eine Erweiterung. Die Gewissheit in der Mathematik führt Mendelssohn auf das logische Axiom zurück, »dass nichts zugleich sein und nicht sein könne.«79 Das Fundament dieser Gewissheit ist der Satz des Widerspruches, durch den die Gültigkeit einer Aussage als bewiesen gilt. Die Existenz einer Größe wird in der Mathematik aus der Relation zweier Entitäten erschlossen und definiert damit die Größe als Gegenstand der Mathematik und die Mathematik als Teilgebiet der Logik. Als ein Sonderfall der Mathematik wiederum gilt die Geometrie, die »unsere Begriffe von der Ausdehnung entwickelt und auseinandersetzt«.80 Mendelssohn interessiert nun insbesondere, dass zum Gegenstand der Mathematik, insofern sie mit Graden von Größen befasst ist, auch unausgedehnte Größen gehören müssen. Die Mathematik selbst überschreitet in der Behandlung der unausgedehnten Größen eine Grenze, die nicht ohne Auswirkung auf die ihr zugeschriebene Evidenz bleibt. In der Überschreitung dieser Grenze komme sie, so Mendelssohn, den Darstellungsschwierigkeiten in der Seelenlehre nahe: »Wenn wir die Mathematik von dieser Seite betrachten, welch ein außerordentliches Licht zündet sie uns nicht in der von ihr so weit entfernt scheinenden Seelenlehre an! Welche Tiefe! Jeder gemeine sinnliche Eindruck trägt in seinem Schoße ein unermessliches Meer von ewigen Wahrheiten. Jeder Begriff verlieret sich von unsern Augen in eine Unendlichkeit.«81 Das Metaphernfeld, von dem Mendelssohn hier in einer Weise Gebrauch macht, die dem Enthusiasmus des Sturm und Drang in nichts nachsteht und dem Problem der Erfassung von unausgedehnten Größen in der Mathematik zunächst kaum angemessen erscheint, ist dem Repertoire der klassischen Erhabenheitsrhetorik entlehnt. Es dient dort nicht der Bezeichnung des »unermesslich Kleinen« sondern des »unermesslich Großen«. In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre hatte Mendelssohn – an die neuesten Entwicklungen der Ästhetik anschließend – den entscheidenden Schritt in der erkenntnistheoretischen Umdeutung der Kategorie der Erhabenheit vorgenommen.82 In der Auseinandersetzung mit den Theoremen der zeitgenössischen Mathematik taucht die Abbildung des »Unermesslichen« im Hinblick auf das »unermesslich Kleine« als Denkfigur in einem neuen Kontext auf. Die Attribute »unausgedehnt«, »unermesslich klein«, »intensiv« und »unendlich« sind unterschiedliche Spezifizierungen der quantitativen Grenzwertbetrachtung und beschreiben die semantische

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Mendelssohn, Evidenzschrift, JubA 2, 273. Ebd.; zur Begründung der Geometrie als Sonderfall der Mathematik Mendelssohn selbst: »Denn die Ausdehnung ist nichts anders als eine stetige Quantität, deren Teile nebeneinander anzutreffen sind. Wenn die Quantität nicht stetig ist oder nicht als stetig betrachtet wird, so wird die Wissenschaft derselben Arithmetik genennet« (ebd., 277). Ebd., 277f. Zu dieser Problematik s. Kap. III.

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Matrix, die der zeichentheoretischen Grundlegung der höheren Mathematik vorausgeht.83 Die mathematische Erfassung von unausgedehnten Größen war von Isaac Newton (1643–1727) – ausgehend von dem Problem der physikalischen Erfassung der Momentangeschwindigkeit – als Fluxionalrechnung bzw. Infinitesimalrechnung entwickelt worden, von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) aus Anlass der geometrischen Beschreibung des Tangentenproblems unter dem Namen Differentialrechnung bekannt gemacht geworden. Die Leibniz'sche Notation des Tangenten-Problems ist heute die bekanntere der beiden Formulierungen und dient in mathematischen Lehrbüchern als Einführung in die Differentialrechnung, die zum »Einmaleins« der höheren Mathematik geworden ist. Mit der Differentialrechnung wird die Änderung einer Quantität y in Abhängigkeit von der Änderung einer anderen Quantität x bestimmt. Sie beruht auf der Verhältnisbestimmung von Größen-Intervallen, die gegen Null strebend gedacht werden. Der Differentialquotient, welcher der ersten Ableitung einer stetigen Funktion y = f (x) entspricht, wird ermittelt, indem der Grenzwert des Quotienten zweier solcher Größenintervalle errechnet wird.84 Die Entdeckung und Ausformulierung der Fluxional-, Differential-, Integraloder Infinitesimalrechnung – so die verschiedenen Namen, unter denen diese mathematische Innovation firmierte – gehörte zu den wichtigsten Ereignissen in der Mathematikgeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts. Zur Zeit der Preisfrage der Akademie galt sie noch lange nicht als etabliert. So wird von dem Astronomen und Physiker Franz Ulrich Theodosius Aepinus (1724–1802), den Leonhard Euler (1707–1783) für die Berliner Akademie der Wissenschaften angeworben hatte und der nicht nur eine Zeit lang mit Mendelssohn dieselbe Sozietät besuchte,85 sondern ihn erst in den Streit um die metaphysische Bedeutung der Wahrscheinlichkeitsrechnung verwickelt hatte, gerade der Verlust an Evidenz bemängelt, der mit der Differentialrechnung in die Mathematik Einzug hält: »Überhaupt glauben wir, dass die neuen Matematici, welche die unendlich kleinen Größen in die Geometrie gebracht haben, nicht vielen Dank verdienen. Alle sich darauf gründenden Beweise haben bei weitem nicht die Deutlichkeit, Gründlichkeit und das Überzeugende, das man in der übrigen geometrischen Demonstration antrifft, an sich.«86

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Vgl. hierzu Jesseph, Leibniz on the Foundations of the Calculus: The Question of the Reality of Infinitesimal Magnitudes. In: Perspectives on Science 6.1&2 (1998), 6–40. Vgl. z.B. W. Gellert et al. (Hgg.): Kleine Enzyklopädie. Mathematik. Basel: Pfalz Verlag, 1969, 414–419. Zitiert nach Hans Lausch: »The Ignorant Hold Back their Judgment and Await the Conclusions of the Knowing«: Moses Mendelssohn and Other Mathematicians. In: Aleph. Historical Studies in Science and Judaism 2 (2002), 93–109, 93. Zitiert nach Lausch: Mendelssohn und die zeitgenössische Mathematik, 129. (Quelle: Gelehrte Nachrichten auf das Jahr 1753. Rostock/Wismar, 1753, 3, Beilage, 148)

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Dass die Beschäftigung mit den unendlich kleinen Größen in der Mathematik Deutlichkeit, Gründlichkeit und Überzeugung der auf ihrer Grundlage geführten Beweise beeinträchtige, war im 18. Jahrhundert ein Gemeinplatz. Noch im Jahre 1784 veranlasste der anhaltende Streit um Vor- und Nachteile der Infinitesimalrechnung die Preußische Akademie der Wissenschaften zu einem Preisausschreiben. Der Ruf nach einem sicheren, klaren Grundbegriff, welcher der Mathematik ihre alte Evidenz zurückzugeben in der Lage ist, bestimmte den Ausschreibungstext: »Die höhere Geometrie benutzt häufig unendlich große und unendlich kleine Größen; jedoch haben die alten Gelehrten das Unendliche sorgfältig vermieden, und einige berühmte Analysten unserer Zeit bekennen, daß die Wörter ununendliche Größe widerspruchsvoll sind. Die Akademie verlangt also, daß man erkläre, wie aus einer widersprechenden Annahme so viele richtige Sätze entstanden sind, und daß man einen sicheren und klaren Grundbegriff angebe, welcher das Unendliche ersetzen dürfte, ohne die Rechnung zu schwierig oder zu lang zu machen.«87 Auch der heftige und berühmt gewordene Streit um Leibniz' Anteil an der Entdeckung der Infinitesimalrechnung ist als Reaktion auf den Verlust der Sicherheiten der klassischen mathematischen Standards und im Kontext der allgemeinen scharfen Kritik zu verstehen, welche Leibniz' Herleitung des Differentialquotienten galt.88 Der Plagiat-Vorwurf hatte Leibniz' letzte Lebensjahre bestimmt, dem die Angelegenheit so wichtig war, dass er sie bis vor die britische Royal Society brachte, die eine Untersuchungskommission einsetzte, um seine Ansprüche auf die Erfindung zu klären. Dass die Kommission zugunsten von Isaac Newton entschied, war nur ein retardierendes Moment in der Erfolgsgeschichte der Leibnizschen Notationen des Problems. Entgegen der allgemeinen Skepsis, welche die Einführung des Unendlichen in die Mathematik im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts immer wieder neu hervorrief, hatte Mendelssohn schon 1760 im 134. Literaturbrief einen Auszug aus der Einleitung von Leonard Eulers Institutiones calculi differentialis (1755) dem deutschsprachigen Publikum bekannt gemacht.89 Leibniz' unabhängig von Newtons Formulierung des Theorems entwickelte Darstellung des Differentials wurde von Leonard Euler in der von Mendelssohn rezensierten Schrift verteidigt. Eulers Werke Institutiones calculi differentialis

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Zitiert nach: Hans Wuaing: 6000 Jahre Mathematik: Eine kulturgeschichtliche Zeitreise 2: Von Euler bis zur Gegenwart. Heidelberg: Springer, 2009, 233. Vgl. Douglas M. Jesseph (Leibniz on the Foundations of the Calculus, 6–40, 6): »The Leibnizian calculus at least appears to violate traditional strictures against the use of infinitary concepts, and critics charged Leibniz with abandoning classical standards of rigor and lapsing into incoherence and error. In response, Leibniz argued that his methods were rigorous and that they did not suppose the reality of infinitesimal quantities.« Moses Mendelssohn: Von Herrn Eulers Entscheidung des Streits von der Erfindung der Differentialrechnung. In: Briefe, die neueste Litteratur betreffend, 134. Brief (1760), 327–331, Üs.: 328–330; vgl. auch: JubA 5.1, 307–308.

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(1755) und Institutiones calculi integralis (1768–1770) markieren eine wichtige Etappe in der Mathematikgeschichte. Ein Großteil der heutigen mathematischen Zeichensprache geht auf die dortigen Formula der Differential- und Integralrechnung zurück.90 Mendelssohns Besprechung besteht wie so oft in der fast kommentarlosen Präsentation der neuesten Erkenntnisse der Zeit auf einem bestimmten Wissensgebiet und artikuliert so eine starke Aussage im Duktus des Understatements. Indem er Eulers Perspektive auf die sehr junge Geschichte der Infinitesimalrechnung auf Deutsch zugänglich macht, erkennt er dessen Autorität und Verdienst um ihre Weiterentwicklung an. Außerdem vermittelt er dessen harmonisierende Sicht auf die Geschichte der Entdeckung an ein Publikum, das nicht in erster Linie in Mathematik und Geometrie spezialisiert ist. Sowohl Newton als auch Leibniz werden bestimmte Anteile an der Erfindung zugewiesen und somit der Interessenfokus von der Sensation des Gelehrtenstreites und der generellen Fragwürdigkeit der Methode auf deren verschiedene Anwendungspotentiale gelenkt. Die Erfindung der Infinitesimalrechnung selbst vergleicht Mendelssohn mit der Erfindung des Buchdrucks, der medialen Revolution des 16. Jahrhunderts. Dieser Superlativ bleibt allerdings wiederum vorsichtig in stilistische Untertreibung eingebettet: »Ich habe Ihnen diese schöne Stelle hieher gesetzt, damit sie das Vergnügen haben mögen, die Geschichte zweyer wichtiger Erfindungen miteinander zu vergleichen, deren jede in ihrer Sphäre zur Erweiterung der menschlichen Einsicht viel beygetragen.«91 Mendelssohns Evidenzschrift fußt also nicht nur auf mathematischen Einsichten, die er vor der Akademiepreisfrage gewonnen, sondern deren wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung er von vornherein richtig einzuschätzen gewusst hatte. Bereits in den wenigen sekundierenden Bemerkungen zur Übersetzung von Eulers Schrift über die Differentialrechnung im 134. Literaturbrief finden sich einige prägnante Formulierungen, die Mendelssohns metaphysisches Interesse an der mathematischen Erfindung belegen. So siedelt er den Ursprung der Erfindung dort an, wo »die allerletzten Verhältnisse« zur Debatte stehen, denen »sich die Abund Zurechnungen der veränderlichen Größen desto mehr nähern, je kleiner sie angenommen werden.«92 Die allerletzten Verhältnisse aber sind Gegenstand der Metaphysik und nicht der Mathematik. Sie werden dann völlig erreicht, wo die veränderlichen Größen so klein sind, dass sie gänzlich verschwinden. Genau diese philosophische Betrachtung des Grenzwertproblems nimmt Mendelssohn mit seiner Evidenzschrift auf. Das bedeutet, dass das mit dem Aufkommen der Wahrscheinlichkeitsrechnung virulent gewordene Evidenzproblem der Metaphysik an 90

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Vgl. Carl B. Boyer: A History of Mathematics. Princeton: Princeton University Press, 1985, 483: »Moreover, in most respects Euler wrote in the language and notations we use today, for no other indivudual was so largely responsible for the form of college-level mathematics today as was Euler, the most successful notation-builder of all times.« Mendelssohn, ebd., 330. Mendelssohn, ebd., 328.

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Hand des Infinitesimalproblems von Mendelssohn neu aufgefaltet wird. Er sucht in der Mathematik gerade den Punkt auf, der die Evidenz der Mathematik selbst zu untergraben scheint, und proklamiert auf dieser Basis einen Mathematikbegriff, der die Darstellungsaporien von Mathematik und Metaphysik vergleichbar werden lässt. Während also 'sGravesandes Monismus auf eine Einheit der mathematischen und moralischen Evidenz zielte, leitet Mendelssohn aus den Grenzen der mathematischen Evidenz die Notwendigkeit einer anderen Betrachtungsweise in der Metaphysik ab.

iii. Das Kriterium der Unermesslichkeit in Mathematik und Philosophie Mendelssohns Evidenzschrift verteidigt nicht nur den schon vorher postulierten Status der Infinitesimalrechnung, sondern fordert dazu auf, die Berechnung unausgedehnter Quantitäten als neue Grundlegung der gesamten Mathematik zu entwickeln. Das heißt, Mendelssohn begreift die mathematische Innovation, welche andernorts für große Verwirrung sorgte, als Standard, auf dessen Basis er ein Desiderat formuliert. Für Mendelssohn kommen die ausgedehnten und unausgedehnten Größen im Hauptbegriff der Quantität überein. Wenn sich der Begriff der ausgedehnten Größe so zergliedern lässt, dass er zu einem bündigen System wird, so muss dies auch in Absicht auf die unausgedehnten Größen möglich sein.93 Eine solche Theorie hat jedoch mit Schwierigkeiten zu kämpfen, welche das Gebiet der herkömmlichen Mathematik überschreitet. Während sich hier – und am anschaulichsten in der Geometrie – die Teile der ausgedehnten Größe mit den Sinnen unterscheiden lassen, da sie entweder räumlich oder zeitlich nebeneinander fallen, lassen sich die Teile der unausgedehnten Größen nicht durch die Sinne unterscheiden, da sie ineinander fallen. Ist es die deutliche Erkenntnis ihrer Schranken, die das Ausmessen einer Quantität erst ermöglicht, so folgt die Schwierigkeit der Ausmessung der unausgedehnten Größe hieraus unmittelbar. Will man nämlich die Grenzen einer unausgedehnten Größe bestimmen, so muss man auf den »Stoff der Größe« bzw. deren »Qualität« zurückgehen. Es gelte dann, die »inneren Merkmale« dieser Qualität deutlich zu unterscheiden.94 Nur wenn man davon ausgeht, dass jede Quantität als Eigenschaft einer Qualität existiert, ist es möglich, Grenzbestimmungen unausgedehnter Größen vorzunehmen. Die Bestimmung des Differentialquotienten liefert genau diesen Modus einer relationalen Grenzwertbestimmung. Die Ableitungen einer Funktion y = f (x) sind dementsprechend Beschreibungen der Qualität dieser Funktion. Eine Theorie der Grade und ihrer 93 94

Mendelssohn, Evidenzschrift, JubA 2, 279. Ebd., 280.

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Ausmessungen, d.h. eine allgemeine Theorie der unausgedehnten Quantitäten in der Mathematik, wäre dann eine allgemeine Theorie der Qualitäten, d.h. eine Theorie, die sich von der Metaphysik nur dadurch unterscheidet, dass in ihr alle Probleme der Metaphysik in abstrakter Form enthalten sind. Folgerichtig ist auch das Beispiel, das Mendelssohn wählt, um die Darstellungsschwierigkeiten einer auf dieser These aufbauenden Theorie zu veranschaulichen, kein mathematisches oder geometrisches Exemplum, sondern stammt aus dem Bereich der Ethik: Es ist die Frage, durch welche Methode die »Grade[] der moralischen Vollkommenheit eines Charakters« bestimmt werden können?95 Mit dem Beispiel wirft Mendelssohn zum einen ein Schlaglicht auf die Behandlung der Probleme der Sittenlehre im letzten Abschnitt der Abhandlung, und hebt damit den nur vorbereitenden, theoretischen Charakter der logischen, mathematischen und metaphysischen Spekulationen hervor. Zum anderen gibt der konkrete Einblick in die Schwierigkeiten der Evaluierung einer moralischen Qualität einen Vorgeschmack auf die Komplexität »einer richtigen Theorie«, welche die »Merkmale einer Qualität überhaupt« umfassen soll.96 Das bisherige Fehlen einer solchen Theorie, welche die allgemeinen Merkmale der Qualität zu umfassen vermag, entspringt für Mendelssohn einer gewissen Folgerichtigkeit, da diese Merkmale in der Natur der Dinge zu tief verborgen sind. Eine solche Theorie sei, so Mendelssohn, allenfalls rudimentär in den neueren Arbeiten zur »Ausmessung der Bewegungskräfte, der Geschwindigkeit, der Wärme, des Lichts usw.« angelegt.97 Von einer Wissenschaft sei hier noch kaum zu sprechen. Der »Kunstgriff«,98 unausgedehnte Größen durch Linien und Figuren (d.h. ausgedehnte Größen) auszudrücken, ersetze hier das Fehlen einer Wissenschaft, welche die ersten Grundsätze der unausgedehnten Quantität darzulegen habe.99 Daher stellt sich zunächst viel dringlicher – bevor eine so komplexe Theorie überhaupt denkbar wird – das viel konkretere Problem der Zeichengebung im Hinblick auf ein bündiges System der unausgedehnten Größen. Mendelssohn lenkt also sein Augenmerk von der Entwicklung einer komplexen Wissenschaftstheorie, die ihm ja auch schon in der Wahrscheinlichkeitsschrift vor Augen stand,100 auf das viel überschaubarere Problem der Grundlegung einer Zeichengebung, welche die Option einer allgemeinen Wissenschaftstheorie mit umfasst. In Analogie zur Verfahrensweise der höheren Mathematik versteht Mendelssohn daher Zeichen, Wörter und Begriffe als ausgedehnte Repräsentationen unausgedehnter Qualitäten. Die Klärung von Bedeutung, Funktion 95 96 97 98

Ebd., 280. Ebd., 281. Ebd., 278. Auch in Über die Sprache hatte Mendelssohn in Bezug auf die Transzendierung der Zeichen für Dinge der äußeren Wahrnehmung auf die des inneren Sinns vom »Erfindungskunstgriff« geprochen (vgl. Über die Sprache, JubA 6.2, 21). 99 Ebd., 279. 100 Vgl. Mendelssohn, Gedanken von der Wahrscheinlichkeit, JubA 1, 150.

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und Anwendung der Zeichengebung in der Mathematik bildet hierbei die Grundlage seiner zeichentheoretischen Auffassung in der Metaphysik. Für Mendelssohn sind nun nicht nur »die Worte und Buchstaben in den bekanntesten Sprachen« willkürliche Zeichen, sondern auch die Wissenschaften und die mechanischen Künste operieren in den meisten Fällen mit ihnen.101 Willkürliche Zeichen stehen »mit dem Bezeichneten in keiner objektiven Verbindung«, sind aber von uns in dieser Absicht so oft zusammen gedacht worden, dass sie in einer stabilen Verknüpfung stehen: »Je öfter wir diese willkührliche Zeichen mit den Dingen, die sie begreifen sollen, zusammen denken, desto fester und dauerhafter wird die subjektive Verknüpfung zwischen denselben, desto leichter gehet auch die Seele von dem einen auf das andere über.«102 Eine Ausnahme stellt die Mathematik dar. Mendelssohn startet seine Überlegungen ausgehend von den Verhältnissen in der Geometrie. Hier komme der Mathematiker ganz ohne willkürliche Zeichen aus, und »die Linien [sind] wesentliche Zeichen der Begriffe, die wir von ihnen haben.«103 Er verwendet ausschließlich reelle und wesentliche Zeichen, »die ihrer Natur und Verbindung nach mit der Natur und Verbindung der Gedanken übereinkommen.«104 In der Arithmetik sind die einfachen Zeichen, wie Zahlen, Buchstaben und Verbindungszeichen, nur willkürlich. Eineindeutig bestimmt sind hier nur zusammengesetzte Zeichen, wie Formeln und Gleichungen, in denen die Verbindungen der Zeichen mit den Verbindungen der Gedanken übereinkommen.105 Im Vergleich mit den empirischen Sprachen kommt die Sprache der Arithmetik jedoch mit einer sehr geringen Anzahl willkürlich gewählter Zeichen und Verbindungsregeln aus, die nur gelernt werden müssen. Weil alle Begriffe in der Sprache der Mathematik mit der Idee der Größe resp. Ausdehnung verknüpft sind, müssen im Begriff der Ausdehnung selbst, so Mendelssohn, sämtliche geometrischen Wahrheiten »eingewickelt anzutreffen sein«.106 Kant hatte dies als ein Spezifikum der analytisch vorgehenden Metaphysik ausgemacht: »Es Mendelssohn, Über die Sprache, JubA 6.2, 10. Ebd. Mendelssohn, Evidenzschrift, JubA 2, 281. Ebd., 281f; Ernst Cassirer hierzu: »Der Mathematiker bedarf der willkürlichen Zeichen nicht; denn er kann reelle und wesentliche Zeichen an ihre Stelle setzen, die ihrer Natur und Verbindung nach mit der Natur und Verbindung der Gedanken übereinkommen. So sind die geometrischen Linien wesentliche Zeichen der Begriffe, und in den Figuren werden diese Linien auf ebendie Art und Weise zusammengesetzt, wie die Begriffe in unserer Seele zusammengesetzt werden« (Die Philosophie Moses Mendelssohns, 49f). 105 In Ernst Cassirers Referat heißt es dementsprechend: »Was die Arithmetik und die Algebra anlangt, so sind hier zwar die einfachen Zeichen, nämlich die Zahlen, die Buchstaben und die Operationszeichen bloß willkührlich; aber in den zusammengesetzten Zeichen, in den Formeln und Gleichungen, ist alles derart bestimmt, daß die gedankliche Beziehung, die funktionale Abhängigkeit, die wir zwischen den einzelnen Größen feststellen, sich in der Verbindung der Zeichen unmittelbar widerspiegelt« (Die Philosophie Moses Mendelssohns, 50). 106 Ebd., 273.

101 102 103 104

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ist das Geschäfte der Weltweisheit, Begriffe, die als verworren gegeben sind, zu zergliedern, ausführlich und bestimmt zu machen.«107 Während Mathematik und Geometrie »niemals durch Zergliederung einen gegebenen Begriff, sondern durch willkürliche Verbindung ein Object, dessen Gedanke eben dadurch zuerst möglich wird« erklären.108 Für Mendelssohn entspringt das Gebiet der Geometrie und Arithmetik einer begrifflichen Grenzziehung, die aus dem Satz des Widerspruches abgeleitet ist, deren Gegenstand also wie der der Metaphysik aus der Logik entwickelt wird. Das Kriterium der Evidenz wird aber auch auf dem Gebiet der Mathematik nur dann erfüllt, wenn eine »notwendige Verknüpfung der Begriffe«109 vorliegt. Genau das ist ausschließlich für den Fall der ausgedehnten Größen garantiert. Im Unterschied dazu sind nämlich die »Anfangsgründe der Fluxionalrechnung ebenso unleugbar als die geometrischen Wahrheiten, aber so einleuchtend, so faßlich sind sie nicht.«110 Das Kriterium der Fasslichkeit bezeichnet also die Grenzen der mathematischen Evidenz. Nur dort, wo vollkommene Kongruenz zwischen Zeichenrelation und Gedankenrelation erreicht wird, spricht Mendelssohn von Evidenz.111 Die Vorstellung, dass Teile einer Größe nicht nebeneinander, sondern ineinander fallen, bleibt der graphischen Darstellung entzogen. Ihrer zeichentheoretischen und begrifflichen Mimesis ist so das Abbildungsgefälle von vornherein eingeschrieben. In der Bezeichnung dieser unausgedehnten Größen ist im Vergleich zur traditionellen Mathematik alles willkürlich. Diesem Mangel zu begegnen, bedient sich die höhere Mathematik symbolischer Zeichen, indem sie ausgedehnte Größen zur Bezeichnung der unausgedehnten verwendet, d.h. eine Art operative »Evidenz« mittels wesentlicher Zeichen künstlich erzeugt. Damit parallelisiert Mendelssohn das Verfahren der höheren Mathematik dem allgemeinen Prozess der Sprach- und Zeichenbildung beim Menschen, der für ihn in der Nachfolge Leibniz' untrennbar mit dem Erkenntnisprozess verflochten ist.112 Wenn Geometrie und gemeine Mathematik aus der Warte der höheren Mathematik nur noch einen idealen Sonderfall darstellen, dann stellt sich das Bezeichnungsproblem in der Mathematik ebenso grundsätzlich, radikal und komplex wie in der Metaphysik. Eine Theorie, welche die unterschiedlichen Merkmale und Verbindungsarten der unausgedehnten Größen wie der ausgedehnten gleichermaßen zu umfassen sowie auf allgemeine Regeln zurückzuführen 107 Kant, Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral, AA II, 278. 108 Ebd., 280. 109 Mendelssohn, Evidenzschrift, JubA 2, 277. 110 Mendelssohn, Vorrede zur Evidenzschrift, JubA 2, 271. 111 Ebd. 112 Zur natürlichen Erklärung willkürlicher und symbolischer Zeichenbildung im Zuge der Sprachentwicklung vgl. die bereits mehrfach erwähnte Schrift Mendelssohns Über die Sprache (JubA 6.2, 17).

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vermag,113 kann daher auch zur Grundlegung der demonstrativen Methode der Metaphysik beitragen bzw. deren Randbedingungen, Schranken und Möglichkeiten erhellen. Kant beansprucht in seiner Schrift das Kriterium der Unerweislichkeit für die Metaphysik. In der »Aufsuchung d[]er unerweislichen Grundwahrheiten« besteht für ihn »das wichtigste Geschäfte der höhern Philosophie«. Der »viel schwererern Begreiflichkeit einer philosophischen Idee« stellt Kant »die leichte Faßlichkeit eines arithmetischen Gegenstandes« gegenüber.114 Die Unterscheidung der beiden Wissenschaftsgebiete nach ihrem Gegenstand – in eine Wissenschaft der Größen (Mathematik) und eine Wissenschaft der Beschaffenheiten (Metaphysik)115 – liefert Kant die Begründung für die Distinktion von synthetischer und anlytischer Methode: »Da die Größe den Gegenstand der Mathematik ausmacht, und in Betrachtung derselben nur darauf gesehen wird, wie vielmal etwas gesetzt sei, so leuchtet deutlich in die Augen, daß diese Erkenntnis auf wenigen und sehr klaren Grundlehren der allgemeinen Größenlehre (welches eigentlich die allgemeine Arithmetik ist) beruhen müsse […]. Indessen […] der Qualitäten, die das eigentliche Objekt der Philosophie ausmachen, sind unendlich vielerlei, deren Unterscheidung überaus viel erfordert.«116 Im Gegensatz dazu wird in Mendelssohns Argument die konventionelle Unterscheidung von Mathematik und Metaphysik sowohl nach der Methode als auch nach ihrem Gegenstand obsolet, wenn deren Korrelation in der Betrachtungsweise aufgezeigt wird. Auf der Grundlage der Infinitesimalrechnung postuliert Mendelssohn also einen Zusammenhang zwischen Quantitäten- und Qualitätenproblem: Fragt die Metaphysik nach Merkmalen, die einem Ding entweder zukommen oder nicht, erwägt die Mathematik, in welchem Maße sie diesem Dinge zukommen. Indem durch die Quantität die Grenzen einer Qualität bestimmt werden, sind beide

113 Mendelssohn, Evidenzschrift, JubA 2, 282f. 114 Kant, Über die Deutlichkeit der Grundsätze, AA II, 281f. 115 Die Auffassung der Metaphysik als scientia qualitatum übernimmt Mendelssohn nicht nur von de Maupertuis, der auf ihrer Grundlage die Preisfrage formuliert hatte, sondern vom Wolffianer Baumgarten (vgl. Ricken, Mendelssohn und die Sprachtheorien der Aufklärung, 198f). Strauss folgerte hieraus unmittelbar: »Vom Boden der Leibniz-Wolffischen Philosophie aus also weist Mendelssohn die Kritik Maupertius' an der Metaphysik ab« (Einleitung zu Abhandlung über die Evidenz, JubA 2, XLVIII). Einerseits ordnet sich Strauss hier in die Kommentierungstendenz der Jubiläumsausgabe ein, andererseits lenkt Strauss mit solcherart Statements von einer alternativen Deutung von Mendelssohns Metaphysik-Auffassung ab. Es handelt sich um systematisch angestellte Beobachtungen, die vor allem für die eigene politischen Philosophie fruchtbar gemacht wurden, jedoch in den Mendelssohn-Kommentaren nur thesenhaft auftauchen und unausgewertet bleiben. 116 Vgl. Kant, Über die Deutlichkeit der Grundsätze, §4 (»Das Objekt der Mathematik ist leicht und einfältig, der Philosophie aber schwer und verwickelt«), AA II, 282; vgl. diese Prämisse in Kants Preisschrift passim.

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durch die Grenzwertbetrachtung untrennbar miteinander verknüpft.117 Stellt sich so für die höhere Mathematik selbst die Frage der Evidenz, kann ihr Verfahren, wesentliche Zeichen als Vehikel für nicht repräsentierbare Quantitäten (i.e. unausgedehnte Größen) zu benutzen, auf die Metaphysik, natürliche Theologie und Sittenlehre appliziert werden. Da in der Mitte des 18. Jahrhunderts die Infinitesimalrechnung selbst noch in den Kinderschuhen steckte, musste auch die Entwicklung einer ihr angemessenen Zeichentheorie noch defizitär sein. Das Postulat der Übertragung ihrer Grundlagen auf die Metaphysik, das heißt das Hilfsmittel der wesentlichen Zeichen auch für die Weltweisheit zu entwickeln, scheint daher auf eine ferne Zukunft gerichtet zu sein. Jedoch ist damit etwas viel Gravierenderes über die Metaphysik selbst gesagt, nämlich: dass wesentliche Zeichen in der Metaphysik immer nur ein Hilfsmittel bleiben werden. Vollkommene Evidenz – d.h. die vollkommene Übereinstimmung einer Zeichenrelation mit der durch sie abgebildeten Gedankenrelation – ist in der Metaphysik genauso wenig möglich wie in der natürlichen Theologie und der Sittenlehre. Altmann bemerkt daher richtig: »Im Grunde ist also der Mangel an einer symbolischen Zeichensprache für die Schwierigkeit des philosophischen Beweisverfahrens und selbst der Begriffsanalyse verantwortlich. Von hier aus versteht man das große Interesse, dass Mendelssohn den von Leibniz angeregten Bemühungen um eine universelle Zeichensprache in der Philosophie analog der algebraischen entgegenbrachte.«118 Mendelssohns methodische Überlegungen zu einer zeichentheoretischen Grundlegung der Metaphysik und deren Grenzen sind als bedeutender Schritt auf dem Weg zur modernen Wissenschaftstheorie zu verstehen, die gleichzeitig Kants Unterscheidung von mathematischer und philosophischer Methode prinzipiell in Frage stellen.119 Die Möglichkeit eines Übergangs von der höheren Mathematik zur Metaphysik liegt für Mendelssohn nicht mehr in deren Evidenz begründet, sondern geht auf den Modus der konvergenten Repräsentation zurück, einer auf relationaler, unendlicher Annäherung beruhenden Darstellungsform. Mendelssohn ist daher mit vollem Recht zu den Vordenkern einer Logik der Relationen, des Logik- bzw. Relationskalküls im 20. Jahrhunderts zu rechnen.120 Es ist in die117 Salomon Maimon wird die Problematik der Korrelation zwischen quantitativer und qualitativer Bestimmung auf der Grundlage der kantischen Philosophie im Zusammenhang mit dem »Ding an sich« neu aufgreifen und ebenfalls an Hand des mathematischen Apparates der Infinitesimalrechnung diskutieren (vgl. Salomon Maimon: Versuch über die Transzendentalphilosophie. Mit einem Anhang über die symbolische Erkenntnis und Anmerkungen. Ges. Werke, Bd. 3. Hildesheim et al.: 2000, 33f., bes. 356f; Ernst Cassirer diskutiert Maimons Thesen unter der bereits oben erwähnten Überschrift »Die Idee des ›unendlichen Verstandes‹ und die Theorie der Differentiale (in: Das Erkenntnisproblem, Bd. 3., bes. 97–99). 118 Altmann, Frühschriften zur Metaphysik, 291f. 119 Ebd., 290f. 120 Gemeint sind hier neben dem bereits erwähnten Louis Couturat vor allem Ernst Schroeder, Bertrand Russell, C.S. Peirce, Kurt Gödel, Karl R. Popper. Vgl. dazu neben Ernst Cassirers Aufsatz »Kant und die moderne Mathematik«, Hermann Deuser: Evolutionäre Metaphysik als Theorie

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sem Zusammenhang interessant, dass Ernst Cassirer auf der Basis der mathematischen Kant-Kritik von Louis Couturat behauptete, dass das Band zwischen Philosophie und Mathematik der Entstehungsort der kritischen Philosophie sei. Cassirers gesamtes Werk kann als systematischer Versuch gelesen werden, Kants methodische Trennung der Mathematik und Metaphysik, die auch das Fundament seiner kritischen Philosophie bildet, auf neukantianischer Grundlage zu revidieren. So warnte er eindringlich: »Das Schicksal und die Zukunft der kritischen Philosophie wird durch ihr Verhältnis zur exakten Wissenschaft bedingt. Wenn es gelänge, das Band zwischen ihr und der Mathematik und mathematischen Physik zu zerschneiden, so wäre sie damit ihres Wertes und Inhalts beraubt. Wie hier die geschichtlichen Wurzeln ihrer Entstehung liegen, so kann auch ihre Fortdauer nur durch diesen lebendigen Zusammenhang gesichert werden.«121 Damit knüpfte er an ein sowohl von Leibniz als auch von Mendelssohn vertretenes »vorkritisches« Wissenschaftsverständnis an. Wenn Alexander Altmann im Vergleich der Preisschriften Kants und Mendelssohns zu der Schlussfolgerung kommt, dass sich »die Wendung zur kritischen Philosophie […] in Kants Antwort auf die Preisfrage bereits von Ferne an[kündigt], während sowohl Mendelssohn wie Lambert im Bereich der Wolff'schen Metaphysik verharren«, ignoriert er Mendelssohns Vordenkerleistung für die Kantkritiken Salomon Maimons, Hermann Cohens und Ernst Cassirers.122 Gerade für die fruchtbare philosophische Auseinandersetzung mit dem Unendlichen und der Infinitesimalmethode hat Mendelssohns Evidenzschrift Pionierarbeit geleistet. Der Mendelssohn-Rezeption Maimons kommt hierbei eine Scharnierfunktion zu. In Zukunft müssen daher die Philosophien der jüdischen Denker Mendelssohn, Maimon, Cohen und Cassirer nicht mehr nur im Hinblick auf Kant, sondern stärker an Hand wissenschaftstheoretischer Prämissen und Kriterien vergleichend ausgewertet werden. Nur dann kann Mendelssohns

des menschlichen Selbst. Beiträge zum Begriff religiöser Erfahrung. In: Wilfried Härle/Reiner Preul (Hgg.): Das Selbst in der Evolution. Marburg: N.G. Elwert Verlag, 2004, 45–78, bes. 45– 63. 121 Vgl. v.a. Ernst Cassirers Schrift »Kant und die moderne Mathematik. Mit Bezug auf Bertrand Russells und Louis Couturats Werke über die Prinzipien der Mathematik« (1907). In: In: Ernst Cassirer: Gesammelte Werke. Hamburger Ausgabe, Bd. 9. Hg. von Birgit Recki. Hamburg: Felix Meiner, 2001, 37–82, bes. 37–39. 122 Altmann, Frühschriften zur Metaphysik, ebd., 236, 238; Während Altmann also Mendelssohns Vordenkerleistung für das Gebiet der Wahrscheinlichkeitslogik anerkennt, reproduziert seine Kritik an Mendelssohns Preisschrift die Kantische Perspektive auf das Problem des Verhältnisses von mathematischer und metaphysischer Methode (ebd., 238). Wie die philosophischen Reflexionen über die Infinitesimalmethode bei Cassirer, Cohen und Maimon miteinander zusammenhängen hat Gregory B. Moynahan gezeigt: Hermann Cohen's ›Das Prinzip der Infinitesimalmethode‹, Ernst Cassirer, and the Politics of Science in Wilhelmine Germany. In: Perspectives on Science 11.1 (2003), 35–75 (zu Maimon bes. 50f).

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Bedeutung für das jüdische, philosophische und wissenschaftstheoretische Denken des 20. Jahrhunderts angemessen gewürdigt werden.

iv. Zeichengebung und Wirklichkeit Ohne es zu wissen – denn die Preisschriften entstanden ja unabhängig voneinander – postulierte Mendelssohn die Einheitlichkeit der wissenschaftlichen Methodik gegen Kant. Er möchte die allgemeinen Grundsätze einer Theorie der intensiven, unausgedehnten Größen in der Mathematik gleichermaßen »auf den Wert der Dinge, auf ihre Möglichkeit, Würklichkeit, Vollkommenheit und Schönheit, auf den Grad der Wahrheit, Gewißheit, Deutlichkeit, und innerer Würksamkeit unsers Erkenntnisses, auf die Güte moralischer Handlungen usw.« angewendet sehen. Qualitäten werden so systematisch über ihre Gradienten erfaßt, die als »wahre Quantitäten […] einer Ausmessung und verhältnismäßigen Vergleichung fähig« sind.123 Mendelssohn will nicht nur die einzelnen Schwierigkeiten sondern die gesamte Diskussion um die Fragen der Metaphysik selbst im Sinne einer graduellen, relationierenden Annäherung verstanden wissen. Weil das Instrumentarium, das dem Philosophen zur Verfügung steht, sich nicht von dem des Mathematikers unterscheidet und an Zeichen gebunden bleibt, gilt auch hier der Grundsatz, dass die intensive Größe nur quantifizierend, auf der Grundlage sinnlicher Wahrnehmung und der Distinktion extensiver Ereignisse und Begebenheiten qua Zeichenerkenntnis erfasst werden kann. Wird aber die Einheitlichkeit der wissenschaftlichen Methode so stark vertreten, entsteht die Notwendigkeit, die Unterschiede zwischen Mathematik und Metaphysik neu zu spezifizieren. Hierüber gibt bereits die Systematik der Evidenzschrift Auskunft. Relevanz und Komplexität der abgehandelten Themen bestimmen die klimaktische Darstellung der vier Kapitel: Das erste Kapitel entwickelt das mathematische Instrumentarium, mit dem die ersten Gründe von Welt und Natur beschrieben werden, welche wiederum direkt auf die Wissenschaft von Gott verweisen. Erst mit der Einsicht in die Wirklichkeit der Natur und die Wirklichkeit Gottes ist die Basis für die Entscheidung zur moralisch richtigen Handlung gegeben. Kontemplation, Demonstration und Logik werden so in den Dienst der Natur-, Wahrheits- und Gotteserkenntnis gestellt, welche ihrerseits im Dienste der richtigen Handlung stehen. Für Mendelssohn ist die tätige, wirksame und moralische Handlung Leitidee, Fluchtpunkt und Endziel der metaphysischen Demonstration. Im Unterschied zur Mathematik werden von Metaphysik und natürlicher Theologie handlungsrelevante Aussagen über die Wirklichkeit verlangt. Das Interesse der Metaphysik an der Wirklichkeit gründet für Mendelssohn in diesem Zusammenhang. Dass die Abhandlung mit dem Abschnitt »Evidenz 123 Mendelssohn, Evidenzschrift, JubA 2, 278.

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und Sittenlehre« schließt, entspricht dieser Auffassung. Die Frage nach der richtigen Handlung und nicht die wissenschaftliche Methode, auf deren Grundlage die Frage beantwortet wird, trennt also die Metaphysik von der Mathematik. Und es ist auch diese Frage, welche die zusätzlichen Schwierigkeiten der Metaphysik – jene also, die über das Abbildungs-, Bezeichnungs- und Darstellungsproblem hinausweisen – generiert. Für die Mathematik ist die Frage, ob Begriffe eine Wirklichkeit kongruent abbilden, nicht relevant. Hier ist es ausreichend, beständige Erscheinungen anzunehmen, die an gewisse Regeln gebunden sind und diese Regeln a priori zu beweisen. Die Philosophie kann sich damit nicht begnügen: »Der Weltweise [...] muß den Grund seines Gebäudes tiefer legen, wenn es unerschüttert stehen soll, denn er muß ein wahres Vorhandensein der Dinge, nicht bloß ihre Verknüpfung der Begriffe beweisen.«124 Und eben weil der philosophische Beweis den Übergang von der Demonstration zur Wirklichkeit anstrebt, ist er Bedingungen unterworfen, die das Kriterium der Evidenz auf Grund seiner Voraussetzungen von vornherein einer Anwendung entzieht, es sei denn man definiert den Evidenzbegriff neu. Im Unterschied zur Mathematik wird also die Überwindung der Schwierigkeit, einen adäquaten sprachlichen Ausdruck zu einem Gedanken zu finden, von einer zweiten, unüberwindbaren Schwierigkeit begleitet, nämlich den sprachlichen Ausdruck »auf die dadurch bezeichneten Sachen zurück[zuführen]«.125 Denn anders als in der Mathematik kommt die Ordnung und Verbindung, in der die Zeichen stehen, nicht »mit der Ordnung und Verbindung der Gedanken überein«.126 Für Mendelssohn fällt nichts dem Verstande schwerer als der Übergang von den Begriffen zu den Wirklichkeiten. Demzufolge hat jede Beweisart ihre Schwierigkeiten und kann niemals so eindeutig vorgetragen werden, wie es zu wünschen wäre.127 Seit De Saussure gehört die doppelte Determiniertheit des Zeichens zu den Grundlagen der modernen Sprachtheorie.128 Jedoch geht es Mendelssohn nicht um eine deskriptive Matrix des Zeichens, die Entwicklung einer strukturalistischen Sprachtheorie oder die Formulierung einer skeptizistischen Sprach- und Erkenntniskritik, sondern um die exakte Auslotung der Grenzen der Sprache im Allgemeinen und des Zeichens im Besonderen.129 Deshalb rekurriert

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Ebd., 299. Ebd., 293. Ebd. Ebd., 295. Ricken und Levy haben Mendelssohns Sprachtheorie deshalb mit dem Strukturalismus in Verbindung gebracht. 129 Mendelssohn ist daher eher mit dem Erkenntnispragmatismus' Charles S. Peirce in Verbindung zu bringen, der die Repräsentations- und Erkenntnisfunktion von Zeichen im Hinblick auf Kommunikation und Erkenntnis unterscheidet; vgl. hierzu: Michael H.G. Hoffmann: Erkenntnisentwicklung. Ein semiotisch-pragmatischer Ansatz. Frankfurt/M.: Vittorio Klostermann, 2005, 52f.

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Mendelssohn hier auch nicht mehr auf die mangelnde Evidenz der höheren Mathematik, sondern bemüht den Vergleich mit der gemeinen Mathematik. Dieser Trick sichert ihm nicht nur eine höhere Anschaulichkeit, sondern garantiert im Vergleich zwischen der Vagheit der Metaphysik und der unumstößlichen Evidenz der gemeinen Mathematik einen Fixpunkt. Indem Mendelssohn den direkten Vergleich zwischen der Unbestimmtheit der höheren Mathematik und der Unbestimmtheit der Metaphysik scheut, schützt er den Leser vor der Gefahr des Skeptizismus und der Abwertung der Metaphysik an Hand der alten Maßstäbe. Anders als bei Leibniz ist diese Undeutlichkeit jedoch rhetorisch und deutet nicht auf systematische Schwierigkeiten, die mathematische Infinitesimalmethode auf die Metaphysik zu übertragen. Und obwohl Mendelssohn auf Leibniz zurückgriff, dessen Reflexion über Zeichen, Sprache und Denken in der Methode unmittelbar an der Zeichensprache der höheren Mathematik orientiert war, ging er einen anderen Weg als Leibniz. Mit seinen Meditationes de Cognitione, Veritate et Ideis von 1684 führte Leibniz die folgenreiche Unterscheidung von cognitio intuitiva und cognitio symbolica wieder neu in die Metaphysik ein. Er entwickelte in den Meditationes eine systematische, zweifach dichotomisch angelegte Theorie der Erkenntnisbildung und des Wissenserwerbs. Nach Leibniz, wird Erkenntnis innerhalb eines Systems symbolischer Repräsentationen, das sprachähnliche Strukturen besitzt, gewonnen. Sie wird entlang einer hierarchischen Skala evaluiert, die von der dunklen (cognitio obscura) über verschiedene Zwischenstufen bis hin zur deutlichen Erkenntnis (cognitio clara, distincta et adaequata) reicht. Die Unterscheidung von intuitiver und symbolischer Erkenntnis findet nur auf die letzten beiden Erkenntnisstufen Anwendung. Sie basiert auf der Einsicht in die Grenzen, die der intuitiven Erkenntnis durch die Darstellungsproblematik gesetzt werden. Nicht durch die Unmittelbarkeit zum Objekt der Erkenntnis, sondern »durch die Simultaneität in der Auffassung der distinkt angebotenen Kennzeichen (notae)« ist die symbolische Erkenntnis bestimmt.130 Auf der Grundlage zeichentheoretischer Überlegungen aus der Mathematik entwickelt Leibniz das Instrument der symbolischen Repräsentation, welches »für das Operieren mit komplexen Begriffen unumgänglich ist.«131 Um die anschauliche Vorstellung eines komplexen Gegenstandes zu erzeugen, bedarf die Erkenntnis eines zeichentheoretischen Hilfsmittels. In den Meditationes demonstriert Leibniz das Erfordernis einer solchen Zeichenapplikation an einem Beispiel, das aus dem Grenzbereich der gemeinen zur höheren Mathematik stammt: Da die anschauliche Erfassung im Gegensatz zur figürlichen Darstellung der geometrischen Figur eines Tausendecks nicht möglich ist, benutzt

130 Vgl. Gerold Ungeheuer, Sprache und symbolische Erkenntnis bei Wolff. In: Werner Schneiders (Hg.): Christian Wolff 1679–1754. Interpretationen zu seiner Philosophie und deren Wirkung. Hamburg: Felix Meiner, 21986, 89–112, bes. 89f. 131 Ricken, Mendelssohn und die Sprachtheorien der Aufklärung, 199.

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der Verstand anstelle der anschaulichen Vorstellung das Hilfsmittel der willkürlichen (symbolischen) Bezeichnung »Tausendeck«. Das Wort ist hier der figürlichen Darstellung analog und gleichzeitig Vehikel der symbolischen Erkenntnis. Es steht stellvertretend für ein Konzept, das die Vorstellung übersteigt. Derselbe Band der Acta Eruditorum von 1684, in welchem auch die Meditationes veröffentlicht wurden, enthält eine weitere Schrift Leibniz’, die den Titel trägt: Nova Methodis pro Maximis et Minimis, itemque Tangentibus, quae nec fractas nec irrationales quantitates moratur, et singulare pro illis calculi genus.132 Es handelt sich um die erste Publikation Leibniz' zum Thema der Differentialrechnung. Wie oben schon erwähnt, wird der Differentialquotient von Leibniz aus dem Tangentenproblem hergeleitet. Im Zentrum steht hier die (symbolische) Vorstellung, dass die Kurve einer Funktion y = f (x) als Polygon mit einer unendlichen Anzahl von unendlich kleinen Seiten betrachtet werden kann. Die Fläche unter der Kurve y = f (x) – abgebildet in einem Cartesischen Koordinatensystem – kann ermittelt werden, indem die Abszisse in eine unendlich große Anzahl unendlich kleiner Abschnitte geteilt wird, und die Summe der so entstehenden Parallelogramme einer unendlichen Annäherung an die Fläche des Polygons, das durch die Kurve und die beiden Achsen des Koordinatensystems beschrieben wird, entspricht. In den Meditationes bediente sich Leibniz nun aber des Beispiels der willkürlichen Bezeichnung eines Tausendecks, um den Zeichencharakter der symbolischen Erkenntnis zu veranschaulichen. Obwohl das Beispiel des Tausendecks als eine Art Vorüberlegung zur mathematischen Herleitung des Kalkulus angesehen werden kann, bleibt ein markanter Unterschied: Während das Tausendeck nur die Vorstellung übersteigt, aber durchaus abbildbar bleibt, ist das Polygon mit einer unendlich großen Anzahl unendlich kleiner Seiten nicht nur der Vorstellung entzogen, sondern seine Darstellung enthält darüber hinaus einen Widerspruch, da sie das Unbeschränkte bestimmt und eingrenzt. Darstellung und Bezeichnung eines solchen »Polygons« entsprechen nicht nur einer symbolischen sondern einer paradoxen Fiktion.133 Das Beispiel des Tausendecks zur Illustration der Verfahrensweise der symbolischen Erkenntnis wurde daher von Leibniz wohl nicht zufäl132 Erstmals in deutscher Übersetzung unter dem Titel »Neue Methode der Maxima, Minima sowie der Tangenten, die sich weder an gebrochenen, noch an irrationalen Grössen stösst, und eine eigentümliche darauf bezügliche Rechenart« publiziert in: Gerhard Kowalewski (Hg.): Leibniz über die Analysis des Unendlichen. Eine Auswahl Leibnizscher Abhandlungen aus dem Lateinischen übersetzt. Leipzig: Verlag von Wilhelm Engelmann, 1908, 2–11. 133 Vgl. hierzu Ernst Cassirer: Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit, Bd. 2. In: Ernst Cassirer: Gesammelte Werke. Hamburger Ausgabe, Bd. 3. Hg. von Birgit Recki. Hamburg: Felix Meiner, 1999, 127: »Gegenüber jeder realistischen Deutung, die die Materie aus unendlich kleinen Partikeln zusammengesetzt denkt, hat daher Leibniz stets von neuem den Charakter der Infinitesimalgröße als einer rein methodischen ›Fiktion‹ betont: Einer Fiktion, die nichtsdestoweniger notwendig und unentbehrlich ist, da […] alles in den Dingen sich so verhält, a l s o b sie unbedingte Wahrheit wäre. Allgemein kommt dem Unendlich-Kleinen die volle Geltung eines begrifflichen Grundes, aber keinerlei Art tatsächlicher Sonderexistenz zu.«

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lig aus dem Bereich der gemeinen Mathematik gewählt. Leibniz zögert vor dem Schritt, seine mathematischen Erkenntnisse auf die Metaphysik anzuwenden.134 Die Infinitesimalrechnung ist bei ihm fiktionaler Modus zur Lösung spezifischer Probleme der Mathematik und Physik, der nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat. »Unendlich-kleine Größen« und das »aus Teilen zusammengesetzte[] unendliche[] Ganze« enthalten als Begriffe einen Widerspruch und kommen in der Realität nicht vor, sie sind abstrakte Konstruktionen, mit deren Hilfe Phänomene sehr genau beschrieben werden können.135 Was metaphysisch real ist, diktiert das Prinzip der prästabilierten Harmonie endlicher Monaden.136 Die mathematischzeichentheoretischen Überlegungen geraten aber bei Leibniz in Konflikt mit der Begründung in der Monadenlehre und der Theorie der prästabilierten Harmonie.137 Der Begriff der »Monade« wird von Leibniz seit 1696 benutzt. Sie ist die einfache, nicht mehr teilbare, immaterielle Substanz, ein »Wesen«, das mit der Fähigkeit zu wirken ausgestattet ist. Solche wechselseitig aufeinander wirkenden Kräfte sind über die gesamte Welt verteilt und gliedern als die wahren Einheiten der Natur das Universum. Wird sich die Monade ihrer selbst bewusst, »so erhebt sie sich zum Geiste oder zur vernünftigen Seele, die nur dem Menschen zukommt. […] Eine deutliche Kenntnis von allem, was da ist, hat nur Gott, die höchste Monade, denn er ist die Quelle von allem.«138 Menschliche Seele und Gott werden von Leibniz innerhalb eines aufsteigenden Systems in eine hierarchische Stufenfolge gestellt: Monade, bewusste Monade (Mensch), höchste Monade (Gott). Der Begriff der Monade subsummiert Mensch und Gott unter einem einheitlichen Konzept.139 Die Vollkommenheit Gottes und die graduell abgestufte 134 Vgl. Jesseph, ebd., 35f. 135 Vgl. Leibniz, Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand, II.17, 131. 136 Cassirer, ebd., 152f: »Die verschiedenen ›Subjekte‹ entfalten völlig unabhängig voneinander den Inhalt ihrer Vorstellungen; aber alle diese subjektiven ›Bilder‹ machen dennoch nur ein einziges Universum der Erscheinungen aus, da zwischen ihnen allen eine konstante Ordnung und Entsprechung besteht.« 137 Vgl. Jesseph, ebd., 35f. 138 Vgl. Karl Vorländer: Geschichte der Philosophie, II. Band. Die Philosophie der Neuzeit bis Kant. Leipzig: Felix Meiner, 1927, 147f., 149. 139 Vgl. Leibniz, Monadologie, §85f: »Unter andern Arten des Unterscheids / welche sich zwischen denen ordinairen Seelen und denen Geistern befinden / und wovon ich bereits einen Teil angemerket habe / ist doch dieser merkliche Unterscheid zu beobachten / daß die Seelen überhaupt lebendige Spiegel oder Abbildungen des ganzen Umfangs der Kreaturen oder des WeltGebäudes sein; hingegen daß die Geister auch überdem gewisse portraits der Gottheit selbst oder des Urhebers der Natur sind / welche die Fähigkeit haben / den Bau der großen Welt zu erkennen und denselben durch die nach der Bau-Kunst eingerichtete und aufgeführte Muster einiger maßen zu imitieren; indem ein jedweder Geist in seinem Bezirk gleichsam eine kleine Gottheit ist. Hierdurch geschiehet es / daß die Geister geschickt sind / mit GOtt in eine gewisse Art der Societät zu treten / und daß er in Ansehung ihrer nicht alleine dasjenige / wovor ein Erfinder in Absicht auf seine Machine gehalten wird / dergleichen GOtt in Betrachtung aller Geschöpfe ist;

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Unvollkommenheit des Menschen sind unterschiedliche Wertigkeiten auf einer Skala. Ihre hierarchische Anordnung garantiert die Differenz der qualitativen Evaluierung. Bei Mendelssohn ist die Grenze viel schärfer gezogen. Außerdem bedient sich Mendelssohns Definition keiner politisch-hierarchischen, sondern einer juristischen Metaphorik. Die späten Schriften Mendelssohns zur Metaphysik werden das viel deutlicher formulieren. »Eine gewisse Gleichheit von Gott und Mensch« ist hier für Mendelssohn »selbstverständliche« und »maßgebende Voraussetzung«. Mensch und Gott gehören zwei voneinander getrennten, autonomen Rechtsbezirken an und beanspruchen eine »gewisse Gleichheit der Rechte«.140 Das Bewusstsein des Menschen seiner selbst als eines eingeschränkten endlichen Wesens ist Bedingung und Folge seiner »außergöttlichen Substantialität«.141 Während Leibniz' Schwierigkeiten hat, dem Unendlichen Realität zuzuweisen, ist Mendelssohn das Unendliche menschliches Attribut der höchsten Wirklichkeit. Der Begriff des Unendlichen und dessen geringe Fasslichkeit sind Mendelssohn Mittel, um die Rechtsräume voneinander abzugrenzen. Die Fasslichkeit des Unendlichen stellt ein menschliches Paradoxon dar und verweist auf den Rechtsbezirk Gottes, der nur approximativ eingesehen werden kann. Der Begriff des Unendlichen selbst dient der wesentlichen Bezeichnung dessen, was für den Menschen unfassbar, unvorstellbar und nur symbolisch darstellbar bleibt. Das Unendliche kann nur quantifizierend und auf der Grundlage sinnlicher Wahrnehmung sowie extensiver Ereignisse und Begebenheiten erfasst werden. Der semantische Gehalt des Begriffes spiegelt genau dieses quantifizierende Vorgehen. Unendlich ist das, was ohne Ende ist, das heißt, dessen Grenzen nicht eingesehen werden können und aus den Sinnen fallen. Es wird also als das NichtQuantifizierbare spezifiziert. Indem Mendelssohn so Qualität als NichtQuantität beschreibt, denkt er konsequent in logischen Kategorien. In der Rhapsodie schreibt er komplementär: »Alle endliche Dinge haben bejahende und verneinende Merkmale«.142 Wenn Mendelssohn also vom Unendlichen spricht, dann deutet er auf etwas, das in den Kategorien der Logik nicht erfasst werden sondern auch dasjenige ist / was ein Prinz in Relation auf seine Untertanen / und was ein Vater in regard seiner Kinder ist sein muß.« Das französische Original von Leibniz' Extrait wurde erst 1880 veröffentlicht. Mendelssohn kannte den 1714 als Brief an Eugen von Savoyen geschriebenen Text in der von Heinrich Köhler besorgten deutschen Ausgabe Des Herrn Baron von Leibnitz Lehr-Sätze von den Monaden / von der Seele des Menschen, von seinem Systemate harmoniae praestabilitae zwischen der Seele und dem Körper, von GOtt, seiner Existenz, seinen andern Vollkommenheiten und von der Harmonie zwischen dem Reiche, der Natur und dem Reiche der Gnade. Franckfurth/Leipzig: Joh. Meyer in Jena, 1720. 140 Leo Strauss, Einleitung zu Morgenstunden und An die Freunde Lessings, JubA 3.2, LXXIII: »Mendelssohn behauptet nicht bloß die Außergöttlichkeit, die Substantialität des Ich, sondern auch die Urbildlichkeit des Ich.« 141 Mendelssohn, Morgenstunden, JubA 3.2, 117–119, 123f. 142 Mendelssohn, Rhapsodie, JubA 1, 384.

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kann. Die Frage, ob das »Unendliche« real oder fiktional sei, hat für Mendelssohn keine ontologische Relevanz und kann ohne Mühe beantwortet werden: »Eine unendliche Zahl, eine unendliche Linie, sind nichts anders als Zahlen und Linien, deren Grentzen man nicht bestimmt. […] In diesem Verstande sagen die Leibnitzianer auch, die Materie sey unendlich theilbar.«143 »Mit welchem Grunde aber«, fragt Mendelssohn, seine erste Kritik an Leibniz in den Philosophischen Gesprächen von 1755 einleitend, »kann dieses von der Menge der wirklich existirenden Substanzen behauptet werden? Müssen diese nicht, nach Leibnitzens Begriffen selbst von allen Seiten her vollkommen bestimmt seyn? Wie kann also ihre Anzahl unbestimmt bleiben?«144 Schon Altmann hat auf die rhetorische Qualität der kleinen philosophischen Abhandlung in Dialogform hingewiesen, denn Mendelssohn gelingt es hier, qua dezidierter Kritik an Spinoza diesen als Erfinder der Lehre von der prästabilierten Harmonie zu exponieren145 und so zu betonen, »dass auch ein anderer als ein Deutscher […], daß ein anderer als ein Christ, daß Spinosa an der Verbesserung der Weltweisheit einen großen Antheil hat.«146 Jedoch ist die Anlage der Schrift noch komplexer. Denn indem Spinoza als Vordenker Leibniz' gewürdigt wird, ist nicht nur seine Anerkennung als Philosoph vollzogen, sondern hat Mendelssohn sich selbst die Möglichkeit geschaffen, die Kritik an Leibniz als Spinoza-Kritik vorzutragen. Mendelssohns Argumentation ist verwirrend und als solche auch so angelegt. Sie weist zunächst auf einen Widerspruch zwischen den beiden Leibniz'schen Herleitungen der Lehre von der vorherbestimmten Harmonie hin. Während Leibniz sie 1695 im Journal de Savans (Tagebuch der Gelehrten) außerhalb seines Systems, aus der Körper-Seele-Problematik heraus entwickelte, vertrat er sie später auf der Grundlage seiner Lehre von den Monaden, das heißt aus seinem System heraus:147 143 Mendelssohn, Philosophische Gespräche, JubA 1, 27 (1. Fassung). 144 Die Schrift wurde von Mendelssohn 1771 im Rahmen der Philosophischen Schriften zum zweiten Mal publiziert. 145 1. und 2. Fassung der Philosophischen Gespräche sind an dieser Stelle identisch: JubA 1, 7–10; JubA 1, 342–345. Mendelssohn; Die 1. Fassung der Philosophischen Gespräche stammt aus dem Jahre 1755 und findet sich in JubA 1, 1–39; Die 2. Fassung der Philosophischen Gespräche erscheint als Teil der Philosophischen Schriften. Erster Theil im Jahre 1761 unter dem Titel »Gespräche«, und wird hier nach der endgültigen Fassung in der 2. Auflage der Philosophischen Schriften von 1771 zitiert, zu finden in: JubA 1, 335–377; Zur Genese der Philosophischen Schriften vgl. die Einleitung von Fritz Bamberger in: JubA 1, XVII–XLVIII. Im Folgenden werde ich die erste Fassung unter dem Titel Philosophische Gespräche, die 2. Fassung mit dem Kürzel Gespräche zitieren, und darauf hinweisen, wenn 1. und 2. Fassung stark voneinander abweichen. 146 Mendelssohn, Gespräche, JubA 1, 349. 147 Ebd., 340; Bayle hatte Leibniz' Theorie der prästabilierten Harmonie in der Darstellung von 1695 in dem Artikel »Rorarius« seines Dictionaire historique et critique (Rotterdam 1695–1697) angefochten. Leibniz reagierte darauf 1698 mit Histoire des ouvrages des savans. Auf weitere Einwände Bayles antwortete er mit Schediasmata (vgl. hierzu Anmerkungen, JubA 1, 614f).

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»In der Monadologie zeigt er sie als eine Folge aus seinem Systeme von den Monaden. Hier ist es, wo sie in ihrem völligen Lichte strahlet, wo sie in der That aufhöret, eine Hypothese zu seyn, und unter den erwiesenen Wahrheiten ihren Rang behauptet. […] Sobald man diese [die Monaden] in dem Verstande, in welchem sie Leibnitz genommen hat, zugiebt; so ist man genöthiget alle physikalische Einwirkung der Substanzen aus der Natur zu verbannen, und sodann haben die Vertheidiger der Harmonie gewonnen Spiel. Allein unser Weltweise wollte das Schicksal der Harmonie nicht schlechterdinges von dem Schicksale der Monaden abhängen lassen.«148

Die Schwierigkeiten sieht Mendelssohn dort, wo Leibniz das, was in der Monadenlehre theoretisch und »von allen Substanzen behauptet« wird, für den Übergang von unausgedehnter Substanz und ausgedehntem Körper selbst postuliert. Leibniz konnte sich nämlich hier »wider Baylen nur derjenigen Waffen bedienen, die ihm die gemeine Philosophie [nicht die theoretische] an die Hand gab«. Die »Theorie von den ursprünglichen Kräften der einfachen Wesen«, das heißt die Monadenlehre, die aus der Zusammensetzung der Monaden »die Erscheinungen der Ausdehnung und Bewegung« ableitet, »konnte ihm wider diesen Gegner zu nichts helfen«.149 Mit der Applikation seiner Theorie »auf diese ausser uns sichtbare Welt«150 behauptete Leibniz die Harmonie von Körper und Seele nicht nur für das Urbild, in dem der »Begriff, der die menschliche Seele ausdrückt, keine Substanz [ist], keine besondere Kraft, die Veränderungen wirken könnte«, sondern auch für die wirkliche Welt.151 Dabei gelangte er zu der gleichen Beobachtung, die Spinoza zu einem Harmoniebegriff geführt hatte, durch welchen die autonome Substantialität der Seele bestritten wird, nämlich, »daß sich die Veränderung in der Seele durch eben den Grund erklären ließen, durch welchen die Veränderungen in der sichtbaren Welt begriffen werden können, daß alles in der Seele eben so auf einander folge, wie es in dem Zusammenhange der Dinge auf einander folget. Was heißt dieses anders, als was Spinosa in den angeführten Worten sagt: ›Die Ordnung und die Verknüpfung der Begriffe ist mit der Ordnung und der Verknüpfung der Dinge einerlei?‹«152

Mendelssohn verteidigt Spinoza, indem er darauf verweist, dass »die Welt des Spinosa […] eine idealische Welt« sei, die »nach Leibnitzens Systeme, vor dem Rathschlusse [Gottes] das Urbild zu dieser wirklichen Welt gewesen« sei,153 und dass erst die Analogie von Gott und wirklicher Welt die Probleme des spinozisti-

148 Mendelssohn, Gespräche, JubA 1, 340. 149 Ebd., 340f, sowie 361–366; die 2. Fassung der Philosophischen Gespräche ist hier viel ausführlicher als die 1. Fassung. 150 Mendelssohn, Gespräche, JubA 1, 344. 151 Ebd., 353; Mendelssohn, Philosophische Gespräche, JubA 1, 10–11. 152 Ebd., 345; Spinoza, Ehtica II.7. (Hervorh., G.S.) 153 In Leibniz' Terminologie das »antecedenter ad decretum«; Vgl, hierzu Mendelssohn, Gespräche, JubA 1, 344: Die Welt, die »vor dem Rathschlusse Gottes […] als ein möglicher Zusammenhang verschiedener Dinge, in seinem Verstande existirt hat.«

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schen Denkgebäudes generiert, nicht die Theorie selbst, die vielmehr zur Vorlage von Leibniz' (idealischer) Monadologie wurde. – Gleichzeitig stimmt Mendelssohn der Umdeutung Spinozas durch Leibniz zu, der der Welt als Urbild und Nachbild »gleichsam ein zweyfaches Daseyn bey[legt]«.154 Denn nur auf der Grundlage der Unterscheidung von Urbild und Nachbild kann der menschlichen Seele eine eigene wirkende Kraft, Existenz, Substantialität, Freiheit, Autonomie etc. zugestanden werden. Gott steht ihr gegenüber als Vertreter einer anderen Rechtssphäre: Seine »Rechte können mit den Unserigen nie in Streit und Irrung kommen«,155 denn Gott ist per definitionem uneingeschränkt und unendlich. Auch in den Morgenstunden liefern Mendelssohn diese Überlegungen noch den »entscheidende[n] Einwand gegen den Spinozismus«: Die Transzendenz Gottes bedingt für ihn überhaupt erst »die urbildliche Substantialität des Ichs als eines ›abgeschlossenen‹ Bewußtseins«, denn »auch Gottes Gedanken von dem endlichen Ich [sind] lediglich Abbilder dieses Urbildes«.156 Goetschels Spinoza-Lektüre eröffnet an dieser Stelle neue Interpretationsmöglichkeiten. Ihm zufolge bleibt vieles, was Mendelssohn von Spinoza gelernt hat, unausgesprochen oder zwischen den Zeilen.157 So ist davon auszugehen, dass Mendelssohn das anti-hierarchische Moment seiner Metaphysik von Spinoza übernommen hat.158 Indem er es auf den Boden der Leibniz'schen Monadologie stellte, jedoch deren Applikation auf die wirkliche Welt ablehnt, verstärkt er Spinozas nominalistische Tendenz, die seiner Verhältnisbestimmung des Einzelnen zum Ganzen, des Partikularen zum Universalen eignet,159 und gibt ihr so ein besseres theoretisches Fundament. Mit der urMendelssohn, Gespräche, JubA 1, 352. Mendelssohn, Jerusalem, JubA 8, 127. Leo Strauss, Einleitung zu Morgenstunden und An die Freunde Lessings, JubA 3.2, LXXIII. Goetschel ist hierzu sehr ausführlich, vgl. bes. seine Analyse von Mendelssohns SpinozaRezeption in Jerusalem: Spinoza’s Modernity, bes. 166–169. 158 Vgl. Goetschel, Spinoza’s Modernity, 26: »For Spinoza, ontology is a way of opening up a critical perspective. His terminological notation highlights the underlying connections that link everything with everything else in an all-inclusive ontological nexus. This pointedly anti-hierarchical bent carries revolutionizing implications or the way in which the idea of the great chain of being is recast. This ontological order no longer imagines the world hierarchically. Rather, emphasis on the functional aspect frees from the perspective of a preordained hierarchy and allows for a view from which phenomena can be interpreted in the light of the new science, but – and this is the turn Spinoza’s ontology adds – without losing sight of the fact that individual data need always to be interpreted in the light of the whole.« 159 Vgl. auch hierzu Goetschel, Spinoza’s Modernity, 26: »According to Spinoza, all of our discursive knowledge remains necessarily partial and gains its meaning only in connection with the whole, which, however, can never be fully determined in itself but instead is a dynamic concept fueled by the expansion of the knowledge of particulars. The dynamic moment that defines the relationship between the universal and the particular is a constitutive element, endowing Spinoza’s nominalism with its critical force«; Zu Spinozas Anwendung der mos geometricus in der Metaphysik vgl. ebenfalls Goetschel, der auf den »funktionalen, systemischen Aspekt der Konstruktion von Wissen/Erkenntnis«, die mit Spinozas Gebrauch der geometrischen 154 155 156 157

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bildlichen Substantialität der menschlichen Seele verankert Mendelssohn Spinozas epistemologische Prämissen in der Ontologie. Diese Prämissen fasst Goetschel wie folgt zusammen: »According to Spinoza’s metaphysics, everything that exists is a part, and therefore an expression, of God, that is, Nature or Substance. Substance is the ground from which all being originates. But we cannot perceive this underlying primary Substance directly. It manifests itself only through its attributes, two of which are perceptible by us, as human nature is a part of them as well: res cogitans and res extensa, the thinking thing and the extended (i.e., corporal or bodily) thing.«160 Mendelssohn ist an der Leibniz'schen Unterscheidung von möglichen Welten und wirklicher Welt deswegen so interessiert, weil sie als rationale Simulation des göttlichen Schöpfungsaktes sowohl Beschränktheit als auch Autonomie des menschlichen Erkenntnisvermögens sichert. Um so deutlicher jedoch wehrt er den Tendenzen in Leibniz' Philosophie, die Analogie bzw. Proportion zwischen Vernunft und Welt vorauszusetzen, denn für ihn ist ausgemacht: »Die Ordnung der Natur ist nicht die Ordnung unserer Methode im Denken.«161 Auch in Ernst Cassirers Deutung der Leibniz'schen Metaphysik findet sich die Beobachtung, dass hier nicht nur »die abstrakte Wahrheit der notwendigen Wissenschaften auf einer bestimmten ›Proportion‹ oder ›Relation‹ der Ideen selbst« ruht, sondern »auch die empirische Wahrheit einer einzelnen Erscheinung einzig auf ihrer harmonischen Zusammenstimmung mit den reinen Vernunftegeln und der Gesamtheit aller übrigen Beobachtungen« gestellt ist.162 Von Louis Couturat und Aron Gurwitsch ist Leibniz' philosophisches System deshalb als Panlogismus bezeichnet worden, von dem ausgehend das gesamte Universum als Inkarnation von Logik verstanden wird: jede logische Struktur ist auch ontologisch und umgekehrt.163

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Demonstration impliziert ist, hinweist: »The geometric order – Spinoza does not speak of method but of mos – emphasizes the constructivist aspect of metaphysics. The Latin term mos, often mistranslated › method‹‹ , suggests custom, habit, manner, mores, law, prescription, order. While › method‹‹ implies metatheoretical reflection, the semantic field of mos points to ehtical and moral connotations« (ebd., 31). Eine vergleichende Untersuchung zu Mendelssohns und Spinozas Anwendung der mathematischen resp. geometrischen Demonstration auf die Metaphysik steht noch aus; Vgl. aber die eben erschienene Monographie zu Spinozas Geometrie von Valtteri Viljanen: Spinoza's Geometry of Power. New York: Cambridge University Press, 2011. Ebd.; Zu den Bezügen von Mendelssohns Sprachauffassung zur Attributenlehre vgl. Kap. V.iii; Auch Mendelssohns Adaption der Conatus-Theorie in seinem Kommentar zu Millot ha-Higgajon weist auf Spinozas Einfluss, vgl. Kap. V.i. Mendelssohn, Über die Sprache, JubA 6.2, 22. Ernst Cassirer: Newton und Leibniz. In: Ernst Cassirer: Philosophie und exakte Wissenschaft. Kleine Schriften. Eingeleitet und erläutert von Wilhelm Krampf. Frankfurt/M.: Vittorio Klostermann, 1969, 132–164, 154. Vgl. Volker Peckhaus: Logik, Mathesis universalis und allgemeine Wissenschaft. Leibniz und die Wiederentdeckung der formalen Logik im 19. Jahrhundert. Berlin: Akademie Verlag, 1997, 61.

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Der Theorie der prästabilierten Harmonie voneinander unabhängiger Monaden sind einerseits – wie den Operationen der gemeinen Mathematik – endliche, bestimmte, abgeschlossene Entitäten zu Grunde gelegt. Während der gemeinen Mathematik oder Geometrie aber ausgedehnte Größen zu Grunde liegen, geht die Monadenlehre auf die Vorstellung unausgedehnter Substanzen zurück. Die Darstellungsproblematik unausgedehnter Größen hatte Leibniz mit der Infinitesimalrechnung auf einer abstrakten Ebene im Rahmen der höheren Mathematik erörtert. Die mathematische Mimesis unausgedehnter Größen, die sich in der Zeichensprache der Infinitesimalrechnung vollzieht, geht von einem nichtharmonischen Verhältnis zwischen Ausgedehntem und Nichtausgedehntem und zwischen Zeichen und Vorstellung aus. Sie nähert sich der Einheit des Abzubildenden und Vorzustellenden durch Verknüpfung von Grenzwerten nicht-quantifizierbarer Größen. Letztlich beansprucht aber Leibniz' Monadenlehre die Gültigkeit eines Verfahrens der gemeinen Mathematik und Geometrie für die Metaphysik. Die Relation ausgedehnter Zeichen, Figuren und Begriffe liefert das Modell für die Relationen zwischen den unausgedehnten Ideen in der Sphäre der notwendigen Wahrheiten, wird jedoch ihrerseits auf die im Bereich der Wirklichkeit angesiedelten Ideenverbindungen zurückgeführt. Es ist genau dieser Übergang der Metaphysik von der Demonstration zur Wirklichkeit, den Mendelssohn in seinem Traktat über die Evidenz in den metaphysischen Wissenschaften problematisiert und damit seine früheren Überlegungen in den Philosophischen Gesprächen ergänzt. Indem Mendelssohn die zeichentheoretischen Grundlagen von Mathematik und Metaphysik gleichermaßen in einer Logik der unausgedehnten Größen begründete, schuf er die Voraussetzung für eine methodische Vergleichbarkeit von Mathematik und Metaphysik auf neuer Grundlage. Die Relationierung von Grenzwerten erlaubt eine Transzendierung der Betrachtung von Größen in eine der Grade, von Quantitäten in eine der Qualitäten, von Phänomenen in eine der Ideen.164 Mit der Grenzwertbetrachtung von Quantität und Qualität vermag die symbolische Methode der höheren Mathematik Probleme abzubilden, die herkömmlicherweise von der Metaphysik aufgeworfen werden. Damit ist die zeichentheoretische Grundlegung der Metaphysik auf dasselbe Fundament gestellt,

164 Zum Begriff des mathematisch Transzendenten vgl. Herbert Breger: »Der Begriff transzendent wurde von Leibniz in die Mathematik eingeführt. Das Wort findet sich zum ersten Mal in einer Handschrift aus dem Jahre 1675 und tritt dann ab 1682 in verschiedenen Aufsätzen in den Acta Eruditorum im Druck auf. Ein Aufsatz im Journal des Sçavans von 1692 ist ausschließlich der Einführung des Transzendenten gewidmet. Die besondere Bedeutung, die Leibniz dem Transzendenten beimaß, wird schon daraus deutlich, dass er seine Differenzial- und Integralrechnung als ›verum Algebrae supplementum pro transcendentibus‹ bezeichnet« (Leibniz' Einführung des Transzendenten, in: Albert Heinekamp (Hg.): 300 Jahre «Nova methodus« von G.W. Leibniz (1684–1984). Symposion der Leibniz-Gesellschaft. Stuttgart: Franz Steiner Verlag Wiesbaden GmbH, 1986, 119–132, 119.

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das in der Erhabenheitsästhetik die Relativierung des Schönen implizierte und der Hierarchisierung von Vernunft und Sinnlichkeit den sicheren Boden entzog. Mit der systematischen Einführung des mathematisch Transzendenten in die Metaphysik wird eine nicht-physikalische, rein zeichentheoretische Bestimmung des Zusammenhangs von denkender (res cogitans) und ausgedehnter Substanz (res extensa) möglich. Auf derselben Grundlage werden Vernunft und Welt nicht mehr in ein Analogie-Verhältnis gesetzt. Der Gottesbeweis, der den Übergang von der Demonstration zur Wirklichkeit und das »Prinzip der logico-ontologischen Äquivalenz«165 impliziert, stellte auf dieser Grundlage eine besondere Herausforderung dar, der sich Mendelssohn nicht nur in der Evidenzschrift selbst, sondern 1785 in den Morgenstunden sogar noch einmal neu stellte. Erst Salomon Maimon wird an die von Mendelssohn aufgeworfenen Probleme anknüpfen.166 Mendelssohn entwirft mit der Evidenzschrift die Vision einer nichtontologischen mathesis universalis, die die Möglichkeit einer lingua universalis der Metaphysik einschließt. Damit nimmt er das Programm, das Leibniz als characteristica universalis entwarf, kritisch auf und entwickelt es auf anderer Grundlage weiter.167 Der geschwächte Status der Metaphysik in der Mitte des 18. Jahrhunderts erlaubte es ihm, mit Hilfe der höheren Mathematik auf deren endlichen, demonstrativen, menschlich-konstruierten, theoretischen, zeichenhaften und symbolischen Charakter vehement hinzuweisen. Die Bestimmung der Möglichkeiten und Grenzen der demonstrativen Methode und ihres Wahrheitsanspruches sollten ihr jedoch nicht den Todesstoß versetzen, sondern auf der Grundlage von neuen Grenzziehungen zu einer Neubesinnung führen. Mendelssohns explizit ausgesprochenes Anliegen, das Wesen der Metaphysik nicht über die Methode sondern ihren Zweck zu bestimmen, ist der Versuch, die Metaphysik nicht aus, sondern trotz ihres schwachen Status' zu retten. Seine fallibilistische Philosophieund Wissenschaftsauffassung, die die Endlichkeit der menschlichen Erkenntnis aus der vorausgesetzten Existenz, Notwendigkeit, Ewigkeit, Vorsehung und Vollkommenheit Gottes erst ableitet, entwickelt Mendelssohn in seinen deutschen Schriften in der Auseinandersetzung mit Humes Agnostizismus und Skeptizismus. Mit dieser Position rückt Mendelssohn in die Nähe von Karl R. Poppers kriti165 Aron Gurwitsch: Leibniz. Philosophie des Panlogismus. Berlin: De Gruyter, 1974, 3f. (zitiert nach Volker Peckhaus, Logik, Mathesis universalis und allgemeine Wissenschaft, 60). 166 Vgl. Salomon Maimons Leibniz-Kritik in Veranlasst durch die Preisfrage der königl. Akademie zu Berlin von 1792: »Was hat die Metaphysik seit Leibniz und Wolf für Progressen gemacht?« In: Ges. Werke, Bd. 4. Hildesheim et al.: Georg Olms Verlag, 1970, 23–80. 167 Zur »Idee der mathesis universalis bei Leibniz« vgl. Peckhaus, Logik, Mathesis universalis und allgemeine Wissenschaft, 25–63; Peckhaus zur characteristica universalis bei Leibniz: »Das Leibnizsche Programm einer universellen Rekonstruktion des Wissenschaftssystems stützte sich auf eine einheitliche Wissenschaftssprache, deren Kernstück eine universelle Zeichenlehre, eine charcteristica universalis sein sollte. Diese characteristica universalis ist das Organon der scientia generalis […], ein Werkzeug, das es gestattet Denkstrukturen auf ein Zeichensystem abzubilden und Denkprozesse durch Veränderungen der Zeichen zu versinnbildlichen« (27–32, bes. 31).

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schem Rationalismus, in dessen Zentrum das Kriterium der Falsifizierbarkeit steht. Wie Kant und Mendelssohn entwickelte Popper seine Wissenschaftstheorie in der Auseinandersetzung mit den Naturwissenschaften. Während Kant und Mendelssohn jedoch ihre Wissenschaftsauffassungen ausprägten, als man vor dem Hintergrund der verblüffenden Genauigkeit von Newtons physikalischer Theorie von der Metaphysik die gleiche Evidenz verlangte, fällt die Entwicklung von Poppers Wissenschaftstheorie in eine Zeit, in der Einsteins Relativitätstheorie den hypothetischen Charakter der Newton'schen Theorie offenlegte. Mathematik und Naturwissenschaften waren damit zur gleichen, grundsätzlichen Kritik wie die Metaphysik freigegeben. Karl Popper hat in seiner Theorie der Erkenntnis drei Standpunkte unterschieden. Einen optimistischen Standpunkt: Wir können die Welt erkennen; sowie zwei Formen der Skepsis: Einen pessimistischen, oder skeptizistischen Standpunkt, der besagt, dass dem Menschen Erkenntnis generell versagt sei; und eine zweite Form der Skepsis im Sinne von »skeptomai« – überprüfen, überlegen, forschen, das heißt: »Wir haben kein Wahrheitskriterium, kein sicheres Wissen; aber wir können suchen und, im Laufe der Zeit, suchend, das Bessere finden.«168 Der dezidierte Anhänger der zweiten Art der Skepsis stützte seine Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie auf Kant ab; Dieser hatte »vom Humeschen Skeptizismus ausgehend gefragt:169 Wie ist reine Naturwissenschaft, oder – was für ihn wegen der angenommenen Gleichheit der Methode nur die Zuspitzung war – wie ist reine Mathematik möglich?« Kants Antwort hierauf war, so Popper, dass »der Verstand die Gesetze der reinen Naturwissenschaft nicht aus der Natur schöpft, sondern sie dieser vorschreibt.«170 Popper nennt, Kant nicht unwesentlich korrigierend, eine Theorie nicht das, was unser Verstand der Natur vorschreibt, sondern das, was unser Verstand der Natur vorzuschreiben versucht, »etwas, dass sich die Natur aber oft nicht vorschreiben lässt; eine zwar von unserem Verstand geschaffene aber […] sicher nicht notwendigerweise erfolgreiche Hypothese«.171 Es ist »die[se] Idee der Unsicherheit oder der Fehlbarkeit aller menschlicher Theorien, auch der am besten bewährten«, die Popper in der Folge von Charles S. Peirce Fallibilismus genannt hat. Es ist, wie er schreibt, »kaum etwas anderes als das sokratische Wissen des Nichtwissens.«172

168 In dem Anfang der 30er Jahre konzipierten, von Troels Eggers Hansen 1979 erst nachträglich aus verstreuten Fragmenten wieder zusammengestelltem Werk Karl R. Poppers: Die beiden Grundprobleme der Erkenntnistheorie. Aufgrund von Manuskripten aus den Jahren 1930–1933. Tübingen: Mohr, 21994, XVI. 169 Ebd., XVII. 170 Ebd. 171 Ebd., XVII. 172 Ebd., XXI.

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Poppers Wissenschaftstheorie geht von der Kritik an der Sprachkritik Wittgensteins und des »Wiener Kreises«173 aus. Zum »Wiener Kreises« gehörten u.a. Moritz Schlick (mit dem Popper sich vorrangig auseinandersetzte), Hans Hahn, Friedrich Waismann, Otto Neurath und Herbert Feigl. Popper selbst war zu dem Kreis nie eingeladen. In dem Kreis wurden sowohl Wittgensteins frühe Sprachphilosophie als auch Carnaps sprachlogische sowie Russels und Whiteheads wissenschaftstheoretische Arbeiten diskutiert. Diese Diskussionen sind der Kern dessen, was man seit den 60er Jahren den »linguistic turn« in der Philosophie des 20. Jahrhunderts zu nennen pflegt. In dem Kreis wurde ein positivistischer Empirismus gepflegt, der sich hauptsächlich gegen die Metaphysik richtete, deren Probleme als subjektive und Scheinprobleme aufgefasst, und als solche zu Problemen der Sprache und Sprachlogik wurden. Für Popper liegt das Problem des Positivismus darin, dass dieser von einem falschen Verständnis der Induktion ausgeht, welches sich in David Hume legitimiert. Mit dem induktiven Verfahren werde die logische Rechtfertigung universaler Aussagen über die Realität angestrebt. Eine solche Rechtfertigung könne es nicht geben, weil die universalen Aussagen nicht wirklich universal seien. Mit einer solchen Argumentation muss aber zwangsläufig das Verfahren der Induktion generell abgelehnt werden. Für Popper tritt daher der unendliche »Induktionsregress« an die Stelle der Induktion.174 Es handelt sich hier um ein operatives Verfahren, das sich in Mendelssohns Programm der »Vernunftkunst des Wahrscheinlichen« ohne weiteres würde einfügen lassen. Damit haben sich die Gemeinsamkeiten der Wissenschaftsprogramme jedoch noch nicht erschöpft, denn wie Mendelssohn sieht Popper das größere Problem dieser Art der radikalen Philosophiekritik darin, dass sie keine klare Trennlinie zwischen wissenschaftlichen und metaphysischen Systemen zieht. Beide erhalten den gleichen Status und münden via Kritik der Induktion in einer antimetaphysischen Grundausrichtung.175 Popper fordert gegen diese Wissenschaftshaltung die angemessene Charakterisierung von empirischer Wissenschaft in Abgrenzung zur Metaphysik ein, wobei er keine neue Dogmatik im Sinn hat. Vielmehr strebt er ein gegenseitiges Einvernehmen, eine Wissenschaftskonvention an: »Im Gegensatz zu diesen ›antimetaphysischen‹ Versuchen sehen wir unsere Aufgabe nicht darin, die Metaphysik zu überwinden, sondern darin, die empirische Wissen-

173 Zu Poppers Verhältnis zum Wiener Kreis vgl. ausführlich: Malachi Haim Hacohen: Karl Popper – The Formative Years 1902–1945. Politics and Philosophy in Interwar Vienna. Cambridge et al.: Cambridge University Press, 2000, 178–213. 174 Popper zum Induktionsprinzip erster Ordnung: »Es gibt Gesetzmäßigkeiten (allgemeine Sachverhalte), das heißt, Sachverhalte von der Art, wie sie durch streng allgemeine Wirklichkeitsaussagen – durch Naturgesetze – dargestellt werden« Grundprobleme der Erkenntnistheorie, 36); Zum Induktionsprinzip zweiter Ordnung: »Es gibt Gesetzmäßigkeiten, es gibt allgemeine Sachverhalte von der Art, wie sie durch Sätze über Naturgesetze, also durch Sätze vom Typus eines Induktionsprinzips dargestellt werden« (ebd., 38). 175 Karl R. Popper: Logik der Forschung. Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 101994, 11f.

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schaft in zweckmäßiger Weise zu kennzeichnen, die Begriffe ›empirische Wissenschaft‹ und ›Metaphysik‹ zu definieren. Und zwar derart, daß wir auf Grund dieser Kennzeichnung von einem Satzsystem sagen können, ob seine nähere Untersuchung für die empirische Wissenschaft von Interesse ist.«176

Wissenschaftliches Interesse an der näheren Untersuchung ist das Ziel Poppers und nicht »ein System von absolut gesicherten, unumstößlich wahren Sätzen aufzustellen.«177 Sicherheit oder auch Gewissheit und Wahrheit werden Popper zu Konzepten der Grenzziehung. Wahrheit ist für Popper ein logischer Begriff, der etwas über die Eigenschaft von Sätzen sagt. Gewissheit und Sicherheit sagen etwas aus über die subjektive Überzeugung, inwieweit die Wahrheit des Satzes mit den Tatsachen übereinstimmt. Universelle Sätze und Theorien sind ihrer Natur nach »grundsätzlich hypothetisch oder konjektural, weil sie nicht als wahr entscheidbar sind. […] Das bedeutet aber nicht, daß sie nicht wahr sein können. Wir können nur nicht ihrer Wahrheit sicher sein.«178 Der Status der Metaphysik wird dadurch nicht angegriffen, sondern befestigt, denn, »wenn wir uns bei unseren Vorschlägen von Wertschätzungen leiten lassen, so verfallen wir damit keineswegs in den Fehler, den wir dem Positivismus vorgeworfen haben: die Metaphysik durch Wertungen abzutun. Wir sprechen ihr nicht einmal jeden ›Wert‹ für die empirische Wissenschaft ab: Man kann nicht leugnen, daß es neben metaphysischen Gedankengängen, die die Entwicklung der Wissenschaft hemmten, auch solche gibt (wir erwähnen nur den spekulativen Atomismus), die sie förderten. Und wir vermuten, daß wissenschaftliche Forschung, psychologisch gesehen, ohne einen wissenschaftlich indiskutablen, also, wenn man will, ›metaphysischen‹ Glauben an [rein spekulative und] manchmal höchst unklare theoretische Ideen wohl gar nicht möglich ist.[179] Dennoch halten wir es für die wichtigste Aufgabe der Erkenntnislogik, einen Begriff der empirischen Wissenschaft anzugeben, der den schwankenden Sprachgebrauch in möglichst eindeutiger Weise festlegt und damit insbesondere auch eine klare Abgrenzung gegenüber diesen historisch-genetisch manchmal so förderlichen metaphysischen Bestandteilen gestattet.«180

Popper, der eher zurückhaltend war, was die exakte Spezifizierung des Wertes, der Ziele und Aufgaben der Metaphysik sowie deren Zusammenhang mit der empirischen Wissenschaft anbelangt, verwies zu diesem Zweck auf Albert Einsteins kurzen Text »Religiosität der Forschung«: Für Einstein ist der Forscher eine »religiöse schöpferische Natur«, dessen »Religiosität […] in dem verspielten Staunen über die Harmonie der Naturgesetzlichkeit [liegt], in der sich eine so überlegene Vernunft offenbart, dass alles Sinnvolle menschlichen Denkens und Anordnens dage-

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Popper, Logik der Forschung, 12. Ebd., 12. Popper, Grundprobleme der Erkenntnistheorie, XXVI. Popper verweist an dieser Stelle auf Max Plancks Aufsatz: Positivismus und reale Außenwelt von 1931, sowie auf Albert Einsteins Religiosität der Forschung, in: Mein Weltbild (1934), 43. 180 Popper, Logik der Forschung, 13 (Hervorh., G.S.).

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gen ein gänzlich nichtiger Abglanz ist. Dieses Gefühl ist das Leitmotiv seines Lebens und Strebens.«181 Es gibt hier nicht nur den gleichen Grundgedanken der komplementären Ergänzung von beschränkter menschlicher Vernunft und der Gegebenheit einer dem Menschen »so überlegenen« (Einstein/Popper) oder »unendlichen« (Mendelssohn) Vernunft, sondern auch die Grundlegung der Erkenntnis in einem gemischten Gefühl zwischen »verspieltem Staunen« in Anbetracht der überlegenen Vernunft und der ohnmächtigen Empfindung, dass das menschliche Denken nichts als ein »gänzlich nichtiger Abglanz« sei. Der Unterschied zu Mendelssohns Erhabenheitskonzeption ist nun, dass dieser die Kehrseite der menschlichen Fallibilität zweifach exakt spezifiziert, nämlich indem er sie zum einen an einen konkreten Begriff der Metaphysik bindet, der in der Auseinandersetzung mit Leibniz und Wolff entwickelt wird, und zum anderen aus einer konkreten, partikularen, religiösen Denktradition ableitet. Mendelssohns Wissenschaftsverständnis verortet sich dezidiert in der jüdischen Philosophietradition und gibt die Autorität der Gesetzesoffenbarung nicht nur nicht auf, sondern speist sich aus ihr. Mendelssohn, der mit seiner Evidenzschrift – im Gegensatz zu Kant – die Einheit der Methode für Mathematik, Geistes- und Naturwissenschaften behauptete, rückt so zwar in die Nähe moderner Wissenschaftstheorien, unterscheidet sich von ihnen aber durch die konkrete Bezugnahme auf die jüdische Offenbarungstradition. In Mendelssohns hebräischer Vorrede und dem Kommentar zu Maimonides' Logikschrift Millot ha-Higgajon findet sich dieser methodische Fallibilismus als Verteidigung der Philosophie gegenüber der Verbindlichkeit der göttlichen Tora wieder. Zeichenerkenntnis und Logik sind Charakteristikum, Instrument und Grundpfeiler dieser Wissenschaftsauffassung zugleich. Die Forderung nach einer Systematik der »wesentlichen« Zeichen zur Grundlegung der Metaphysik ist ihr inhärent und geht mit dem Postulat einer Systematik auf der Basis logisch und demonstrativ begründeter Evidenz einher. Letztere ist das Thema von Mendelssohns Logikkommentar und deren Analyse Gegenstand des nächsten Kapitels.

181 Albert Einstein: »Religiosität der Forschung«. In: Mein Weltbild. Amsterdam: Querido Verlag, 1934, 43.

V. Logos und Offenbarung Mendelssohn erhielt seine erste philosophische Prägung nicht durch Leibniz oder Wolff, sondern durch Rabbi Moshe ben Maimon (1135–1204),1 der allerdings unter dem Akronym Rambam und seinem lateinischen Namen Maimonides bekannter ist. Im Alter von zehn Jahren begann sich Mendelssohn unter der Aneitung von R. David Fraenkel (1707–1762) systematisch mit jüdischer Philosophie zu beschäftigen. Fraenkel war 1742 der Initiator des Jessnitzer Neudruckes von Maimonides' philosophischem Hauptwerk Der Führer der Unschlüssigen (Moreh ha-Nevukhim). Die hebräische Übersetzung des arabischen Werkes von Samuel ben Jehuda ibn Tibbon (1160–1230) führte Mendelssohn in die jüdische Philosophie des Mittelalters und in die Philosophie überhaupt ein. Mit vierzehn Jahren folgte er seinem Lehrer von Dessau nach Berlin, um seine Studien fortsetzen zu können.2 Erst dort kam er mit anderen jüdischen Gelehrten und den zeitgenössischen Strömungen der europäischen Aufklärung in Berührung. Der Rabbiner Israel ben Moses Halevi von Zamośź (1700–1772), der im Jahre 1741 über Frankfurt/Oder nach Berlin gekommen war, wurde sein wichtigster philosophischer Lehrer.3 Gemeinsam mit Aaron Emmerich Salomon Gumpertz (1723– 1769),4 dem frühen Freund Lessings, der 1751 in Frankfurt/Oder zum Doktor der Medizin promoviert wurde und zeitweise als persönlicher Sekretär des Präsidenten der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Pierre Louis Moreau de Maupertuis, tätig war, erhielt er zwischen 1739–1742 Unterricht in jüdischer Philosophie, aber auch in Logik, Mathematik, Physik, Astronomie, Optik und anderen Naturwissenschaften. Zamośź veröffentlichte 1744 ebenfalls in Jessnitz seinen Kommentar zu Ruach Chen, dem mittelalterlichen Kompendium zu Maimonides' Moreh ha-Nevukhim. Gumpertz und Mendelssohn studierten auch seinen Kom1 2 3

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Sorkin, Religious Enlightenment, 4. Sorkin, ebd., 5. Vgl. Gad Freudenthal: Hebrew Medieval Science in Zamosc, ca. 1730: The Early Years of Rabbi Israel ben Moses Halevi of Zamosc. In: Resianne Fontaine et al. (Hgg.): Sepharad in Ashkenaz. Medieval Knowledge and Eighteenth-Century Enlightened Jewish Discourse. Amsterdam: Koninklijke Nederlandse Akademie van Wetenschappen, 2007, 25–68, 55. Gumpertz ist der Verfasser von Ma’amar ha-Mada (=Abhandlung über die Wissenschaften). Zu Gumpertz' Wissenschaftsauffassung vgl. Thomas Kollatz' Aufsatz: Under the Cover of Tradition: Old and New Science in the Works of Aron Salomon Gumpertz. In: Resianne Fontaine et al. (Hgg.): Sepharad in Ashkenaz. Medieval Knowledge and Eighteenth-Century Enlightened Jewish Discourse. Amsterdam: Koninklijke Nederlandse Akademie van Wetenschappen, 2007, 147–156.

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Logos und Offenbarung

mentar zu Jehuda Halevis Kusari, der unter dem Titel Otzar Nechmad erst 1795/96 in Wien publiziert wurde und seitdem zu den Standardkommentaren des Textes gehört.5 Hiervon zeugen, wie oben schon erwähnt, Mendelssohns handschriftliche Eintragungen in ein Exemplar der Baseler Edition des Textes von Johannes Buxtorf (1660).6 Auf Grund seiner terminologischen Nähe zu Wolffs philosophischer Begrifflichkeit, aber auch wegen seiner Maimonides-Kritik in Jerusalem ist Mendelssohns erste philosophische Prägung, wenn nicht ganz übersehen, so doch oft unterbewertet worden. So schrieb Julius Guttmann 1933 in seiner weit rezipierten Philosophie des Judentums: »Moses Mendelssohn ist in seiner Jugend durch die Schule des Maimonides gegangen. Seine selbständige philosophische Arbeit aber steht ganz auf dem Boden der modernen Philosophie.«7 Nach Guttmanns Meinung lehrte die deutsche Aufklärungsphilosophie nichts, was Mendelssohn von seinem »jüdischen Standpunkt« aus nicht hätte bejahen können.8 Dieses Urteil läßt sich weder verifizieren noch falsifizieren, da es einen fixen »jüdischen Standpunkt« voraussetzt. Hier kann nur eine Expertise Abhilfe schaffen, die aufklärt, wo sich Mendelssohn in den philosophischen Diskussionen der jüdischen Tradition verortete und welchen Strömungen der Aufklärungsphilosophie ihn das nahe brachte. Mendelssohns erste hebräische Texte sind für die Abhängigkeit seines Denkens von der jüdischen mittelalterlichen Tradition besonders aufschlußreich, da sie die Schwierigkeiten thematisieren, die Mendelssohn auf Grund seiner philosophischen Prägung durch die Begegnung mit der europäischen MetaphysikTradition erwachsen mussten. Die Erörterung der Sprachenfrage hatte schon Mendelssohns ersten hebräischen Text, Kohelet Musar, der wahrscheinlich Mitte der 1750er Jahre entstanden war, eingeleitet. 1761/1764 hat Mendelssohn neben der Evidenzschrift einen hebräischen Kommentar zur Neuedition der Termini der Logik (arab.: Makala fi san̗at `al-mantik; hebr.: Millot ha-Higgajon) von Maimonides vorgelegt, der sich wie jene mit dem Status der Philosophie auseinandersetzt. Mendelssohns hebräische Vorrede zur zweiten Auflage des Kommentars beginnt wie Kohelet Musar mit einer Positionierung in der Sprachenfrage. Sie verteidigt die Philosophie, insbesondere die Logik vor einem

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Adam Shear geht davon aus, dass Mendelssohn den Kusari mit Zamośź Ende der 40er, Anfang der 50er Jahre studiert hat, auf jeden Fall aber vor der Niederschrift von Kohelet Musar, die zwischen 1755–58 angenommen werden muss (The Kuzari and the Shaping of Jewish Identity, 223f). Zu Zamośź und seinem Kusari-Kommentar vgl. auch Kap. II.i. Guttmann, Philosophie des Judentums, 301. Guttmann, Philosophie des Judentums, 304; Es spiegelt sich in dieser Aussage Guttmanns die gleiche Ambivalenz wieder, die sein Opus Magnum von 1933 als Ganzes kennzeichnet: die neue Öffnung gegenüber der mittelalterlich-jüdischen Philosophietradition geht mit deren neokantianischer Überwindung einher, die damit ihrerseits einen Platz in der jüdischen Philosophie beansprucht (vgl. zu diesem Themenkomplex Thomas Meyer, Vom Ende der Emanzipation, 61– 130).

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Forum, für das die Autorität der jüdischen Tradition verbindlich ist. Sie ähnelt also auch in der rhetorischen Anlage derjenigen des Kohelet Musar. Verteidigte Mendelssohn dort den profanen Gebrauch der hebräischen Sprache, welcher deren Status als »heilige Sprache« unangetastet lassen sollte, ist die Vorrede zu Maimonides' Logik-Kompendium als Apologie der Philosophie und insbesondere der Logik angelegt, durch welche wiederum die jüdische Offenbarungsauffassung unberührt bleiben sollte. Mendelssohns Logik-Kommentar ordnet sich so in eine Wissenschaftstradition ein, die durch den Einfluss seines Lehrers Israel Zamośź weit über die frühe Haskala hinaus bis ins 19. Jahrhundert hinein prägend wurde. Sie zeichnet sich durch eine »traditionelle Rhetorik« aus, mittels derer »moderne Ideen in Form von Kommentaren zu klassischen Texten der jüdischen Rationalismus-Tradition präsentiert werden«.9 Mendelssohns Logik-Kommentar steht so u.a. in einer Reihe mit Israel Zamośźs Ruach Chen (1744), Satanows Publikation und Kommentar zur Nikomachischen Ethik Aristoteles' (1790) und Salomon Maimons Kommentar zu Maimonides' Moreh ha-Nevukhim (1791). Gad Freudenthal hat das Paradox dieser Texte so beschrieben: »In Western Europe, the medieval heritage was shaken off in the first half of the seventeenth century; but in Zamośź (and in Jewish culture in Poland generally), more than a century later, medieval Hebrew science was used to promote progress.«10 Das hier zu Grunde liegende Wissenschaftsverständnis, das mit R. Mose ben Israel Isserles (1525–1572)11 und R. Jehuda Löw ben Bezalel (Maharal, 1512/1525–1609) beginnt, hat sich nie als Antithese zur Halakha verstanden, sondern »interpretierte die talmudischen Texte im Licht der Wissenschaft und legitimierte die Anpassung an nicht-jüdische Wissenschaftsauffassungen«.12 Für Mendelssohn ist es der Ausgangspunkt einer Umdeutung der Metaphysik, die er nie als Differenz, sondern nur in Anlehnung an bestehende Zeitströmungen formulierte. Mendelssohns hebräischer Logik-Kommentar, der im folgenden Kapitel unter verschiedenen Fragestellungen analysiert wird, deckt auf, wo die fallibilistische Argumentation der Evidenzschrift in der jüdischen Philosophietradition verankert ist.

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Gad Freudenthal, Hebrew in Medieval Science in Zamośź, 54. Gad Freudenthal (ebd.) im Anschluss an Amos Funkenstein: Das Verhältnis der jüdischen Aufklärung zur mittelalterlichen jüdischen Philosophie. In: Karlfried Gründer/Nathan Rotenstreich (Hgg.): Aufklärung und Haskala in jüdischer und nichtjüdischer Sicht. Heidelberg: 1990, 13–21; vgl. ebenfalls Funkenstein, Perceptions of Jewish History, (Berkeley, 1993), 234–47. Isserles ist ein Vorfahre Mendelssohns und war im 16. Jahrhundert einer der bedeutendsten aschkenasischen Gelehrten in Polen. Er hat ein Werk hinterlassen, das zwischen Halakha, Schriftauslegung, jüdischer Philosophie und Kabbala angesiedelt war. Zu den familiären Verbindungen vgl. die umfangreiche Studie von Max Freudenthal: Aus der Heimat Mendelssohns. Moses Benjamin Wulff und seine Familie, die Nachkommen des Moses Isserles. Berlin: F.E. Lederer (Franz Seeliger), 1900. Gad Freudenthal, Hebrew in Medieval Science in Zamośź, 33.

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Apologie der Logik

i. Apologie der Logik Im Jahre 1761 wird Mendelssohns hebräischer Kommentar zur Neuedition von Moses Maimonides' Millot ha-Higgajon (Termini der Logik) unter dem Namen R. Samson Kalir erstmals publiziert. Der Band enthält außerdem eine zweite Schrift Maimonides' – Tchiat ha-Metim (Auferstehung der Toten).13 Christoph Schulte hat vorgeschlagen, den Text als »jüdische Einführung in die Begriffe von Aristoteles' Logik und Metaphysik« zu lesen, die den »jüdische[n] Leser [...] terminologisch gut auf die Lektüre der nichtjüdischen Philosophie der Aufklärung vorbereitet«, und den kommentierten hebräischen Text als »unverdächtige Vorlage für eine Einführung in die philosophische Begrifflichkeit Europas« anzusehen.14 Der Kommentar wird so einem Begriff von Volksaufklärung unterstellt, der schon allein durch die Wahl der Sprache untergraben wird, denn Hebräisch ist im 18. Jahrhundert die Sprache der jüdischen Eliten und kaum ein geeignetes Medium zur Aufklärung der Massen.15 Mendelssohns verstreute Hinweise auf begriffliche Distinktionen wie »innen« und »außen«,16 »esoterisch« und »exoterisch«,17 »Eingeweihte« und »Ausgeschlossene«,18 »echt« und »unecht«,19 »großer Haufe« und »Weltweise«20 sind Zeugen eines differenzierteren Aufklärungsverständnisses. Trotzdem ist es natürlich möglich, Mendelssohns Kommentar zu Millot ha-Higgajon als Wörterbuch der Logik zu benutzen. Viele der Definitionen erklären konventionelle Begriffe aus der jüdisch-arabischen Philosophietradition oder von Mendelssohn neu ins Hebräische eingeführte philosophische Begriffe. Zur Hilfestellung gibt Mendelssohn in Klammern oft die deutschen Entsprechungen mit an die Hand (selbstverständlich in hebräischen Lettern). Reduziert man Mendelssohns Kommentar allerdings auf die Idee eines Wörterbuches, fragt sich natürlich, warum Mendelssohn kein Wörterbuch philosophischer Termini verfaßt hat, sondern einen Kommentar zu einer längst vergessenen Schrift, die Maimonides zugeschrieben wird. Es ist also

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Die Autorschaft Maimonides' ist für diese Schrift ebenfalls umstritten, zur Publikations- und Rezeptionsgeschicht des Textes: Fred Rosner (Hg.): Moses Maimonides' Treatise on Resurrection. Lanham: A Jason Aronson Book, 1982, 7–14. Christoph Schulte: Der doppelte Moses. Die hebräischen Schriften des Aufklärers Mendelssohn, in: Neue Zürcher Zeitung, 1. Sept. 2005; vgl. aber Edward Breuer, der Mendelssohns Kommentar inhaltlich auswertet: Of Miracles and Events Past: Mendelssohn on History. In: Jewish History 9.2 (1995), 27–52. Diese Funktion erfüllt im 18. Jahrhundert allein das Westjiddische. S.u. Kap. V.iii. Mendelssohn spricht im Phädon oder die Unsterblichkeit der Seele von »exoterischer Philosophie« (JubA 3.1, 33). Mendelssohn, Jerusalem, JubA 8, 197. Ebd., 197. Ebd., 176.

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zu fragen, wie Mendelssohn selbst die Beschäftigung mit der kleinen LogikEinführung begründete und ob ihr nicht vielleicht doch ein philosophisches oder erkenntnistheoretisches Interesse zugesprochen werden kann. Die zweite Publikation des Kommentars im Jahre 1765 gibt hierüber genauere Auskunft. Sie ist nun autorisiert durch Mosche ben Menachem und ergänzt um eine ausführliche hebräische Vorrede. Millot ha-Higgajon ist als Jugendwerk Maimonides' überliefert, seine Autorschaft allerdings bis heute umstritten. Während in Europa bis in die Mitte des zwölften Jahrhunderts nur die ersten beiden Bücher des Organon von Aristoteles', nicht aber die beiden Analytica, die Topica und sophisticis elenchis bekannt waren, gehörten diese Texte im arabischen Sprachraum seit langem zum philosophischen Kanon. Durch die Übertragung der sogenannten Logica Nova ins Lateinische durch Jacob von Venedig wurde den bis dato fehlenden Teilen des Organon sehr spät auch in Europa die bislang ausgebliebene Rezeption zuteil. Maimonides' arabische Abhandlung Makala fi san̗at `al-mantik (Abhandlung über die Kunst der Logik) steht nicht in der europäischen sondern in der arabischen Philosophietradition und ist von den Logik-Schriften von Alfarabi, Ibn Sina (Avicenna), Algasali und Ibn Ruschd (Averrroes) abhängig. Sie erklärt nicht nur die wichtigsten logischen Termini und Operationen, sondern auch zentrale Begriffe der Mathematik, Physik, Metaphysik, Ethik und Politik. Das Büchlein Millot ha-Higgajon (MH) wurde kurz nach seinem Erscheinen im Jahre 1202 dreimal ins Hebräische übertragen, was auf seine hohe Popularität deutet.21 Die bekannteste Übersetzung wurde von Mose ben Samuel ibn Tibbon bereits um 1255 angefertigt. Sie diente auch Mendelssohn als Vorlage, der die Cremonaer Ausgabe von 1566 benutzte, die ein verderbter Nachdruck der Venezianischen Publikation von 1550 war.22 Bis heute sind eine ganze Reihe von Manuskripten des Textes erhalten, was ebenfalls den großen Bekanntheits- und Verbreitungsgrad der Logik-Einführung belegt.23 Mendelssohns kommentierte Edition ist allein für die Rezeptionsgeschichte des Maimonides-Textes von wichtiger Bedeutung, da sie die jüdische Logik-Einleitung erstmals nach über zweihundert Jahren neu erschließt. Wie für Alfarabi und Maimonides ist die klassische Logik für Mendelssohn ausdrücklich (genauso wie die gemeine Mathematik) zur vollkommenen Evidenz fähig, da sie anders als die Metaphysik nur im Bereich der Ideen verbleibt und den Übergang zur Wirklichkeit nicht anstrebt. Die Logik hat für Mendels21

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Vgl. Israel Efros: Introduction. In: ʯʥʩʢʤʤ ʺʥʬʩʮ. Maimonides' Treatise on Logic (Makalah FiSina´at Al-Mantik). The Original Arabic and Three Hebrew Translations. Critically edited on the basis of manuscripts and early editions and translated into English by Israel Efros. New York: American Academy for Jewish Research, 1938, 3f. Dem Venezianischen Druck von 1550 war 1526 schon die Baseler Ausgabe vorangegangen. Zu den verschiedenen Ausgaben vgl.: Heinrich Simon, Einleitungen, JubA 20.1, XLV. Ebd., 6–8.

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sohn drei verschiedene Funktionen, sie ist 1.) eine Universallehre des Redens und Denkens und als solche eine Wissenschaft, deren Zweck in der »Mitteilung der Wege« liegt, »auf denen wir zur Unterscheidung der Wahrheit vom Trug und des Guten vom Bösen gelangen«;24 2.) ein Tableau der Kommunikation, ein Ort, an dem sich »alle Bewohner der Erde, mögen sie sich noch so sehr unterscheiden in Sitten, Meinungen und Religionen,« begegnen und verständigen können; 3.) ein Werkzeug, ein neutrales Mittel zur Geburtshilfe von Einsichten sowie zur Erinnerung an Sachen und Zusammenhänge, die flüchtig sich verlieren würden, wenn sie nicht mittels logischer Verknüpfungs- und Schlussverfahren nachvollziehbar blieben. In Analogie zur Sprachtheorie unterscheidet Mendelssohn zwischen Logik als discourse, Instrument der Kommunikation zwischen Menschen, Zeiten und Völkern, und ihrer mnemonischen Funktion im Hinblick auf den Erkenntnisprozess.25 Als Grundlagenwissenschaft der Metaphysik und Philosophie besitzt die Logik jedoch selbst keinen direkten Zugang zu Wahrheit, Wirklichkeit und Einsicht in die moralische Handlung. Es gibt hier einige kleine Abweichungen zwischen Maimonides' und Mendelssohns LogikAuffassungen, die aber keinen Widerspruch erzeugen. Im Unterschied zu Maimonides ist Mendelssohn aber viel stärker bemüht, den Zusammenhang der verschiedenen Funktionen der Logik in der Sprache aufzuzeigen. Im Zentrum von Bi’ur Millot ha-Higgajon (BMH) steht die Untersuchung von Sprache als Rede und diskursive Voraussetzung des Denkens. Dabei stehen weniger die Begriffe selbst als Methode und Regeln ihrer Bildung bzw. Verknüpfung im Vordergrund. Die propositionale Rede wird als Bedeutungs- und Wahrheitsträger, das heißt im Hinblick auf die Philosophie untersucht. Der Zusammenhang zur Evidenzschrift, in der die Zeichen als kleinste Einheit der Repräsentation und Vehikel der symbolischen Erkenntnis analysiert werden, wird durch Mendelssohns Vorrede hergestellt. Hier geht er ausführlich auf den psycho-physiologischen Aspekt der Logik ein. Das was von Maimonides als »regelhaftes Ineinanderwirken von denkender Seele, innerer und äußerer Rede« beschrieben wird, wird von Mendelssohn viel stärker zergliedert. Mendelssohn beginnt mit einer Worterklärung des hebräischen Wortes – higgajon – bzw. der diesem zu Grunde liegenden Wurzel hgh. Im Tanakh kann hgh gleichermaßen die innere gedankliche Rede resp. Meditation wie auch die äußere gesprochene Rede bezeichnen. Für die erste Bedeutung der Wurzel hgh als Meditation führt Mendelssohn Jos 1.8, Ps 77.13 und 143.5 an; für die zweite Bedeutung der Wurzel hgh, die das »Sprechen mit den Lippen meint«, werden die Stellen Hiob 27.4, Ps 37.30, Jes 59.3, Ps 115.7 und Hiob 37.2 angeführt. Mit ha-hoge et ha-

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Mendelssohns Vorrede zu Millot ha-Higgajon, im hebräischen Original in: JubA 14, 25–31; in der Übersetzung von Leo Strauss: JubA 2, 206f; in der Übersetzung von Rainer Wenzel: JubA 20.1, 37–46. Vgl. Kap. VI.iii zu den Parallellen zu Hobbes' Nominalismus.

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shem be-’otiotaw wird in der Mischna (mSanh 10.1) derjenige bezeichnet, »der die Buchstaben des Gottesnamens über seine Lippen bringt«.26 Indem Denken und Sprechen in einem Begriff aufgehoben sind, weist der Tanakh auf dieselbe Verknüpfung von Denken und Sprache wie man sie im griechischen logosBegriff antrifft. Mendelssohn, der diese Zweiheit im Bi’ur zu Ex 3.15 mit der deutschen Wortneuschöpfung »Denkwort« zum Ausdruck bringt,27 spezifiziert in der Vorrede zu MH den Zusammenhang beider Bedeutungen wie folgt: »Man verwendet für die erwähnten beiden Bedeutungen ein Wort auf Grund des Verhältnisses, das zwischen ihnen besteht; denn Sprechen und Denken sind wie Körper und Seele unzertrennlich miteinander verknüpft. So wie der Körper, wenn sich die Seele von ihm trennt, wie ein lebloser Stein zurückbleibt, und die Seele ihrerseits, wenn sie sich nicht mit dem Körper bekleidet, der Wahrnehmung aller Sterblichen entschwindet, da sie sich dem Menschen während seines Lebens nur vermittelst ihrer Tätigkeiten zu erkennen geben kann: ebenso verhält es sich mit der Rede und dem Gedanken. Das Sprechen ohne Meinungen und Gedanken ist nichts als bloßer Schall, gleich dem Laut des Donners und dem Laut des Erdbebens, kein Laut von Worten; und der flüchtige innerliche Gedanke kann nur, wenn er sich mit einem körperlichen Gewand bekleidet hat, vermittelst der körperlichen Bewegung sich offenbaren [jitgale] und einen Eindruck in der Außenwelt hervorrufen.«28

Strauss und Wenzel übersetzen beide das hebräische jitgale mit dem deutschen Wort offenbaren. Im Gegensatz zu Wenzel macht Strauss' weitere Übersetzung klar, dass dies eine sehr bewusste Übersetzungsentscheidung war, denn er lässt Mendelssohn fortfahren: »Diese Offenbarung geht in der Weise vor sich, daß der Gedanke von der Seele des Redenden zum Gehirn übergeht, von dort zu den Gliedmaßen der Bewegung, zu welchen die Sprechwerkzeuge gehören, von dort in die Luft, woselbst er mannigfache Bewegungen hervorruft, von der Luft in das Ohr des Hörenden, bis schließlich der Hörende die Absicht des Redenden versteht. Diese Verbindung zwischen dem Geistigen und dem Körperlichen ist ein gar wunderbarer Gegenstand.. Um ihretwillen sprechen wir jeden Tag die Lobsagung: ›... und Wunder tut‹, wie R. Mose Isserles im Orach Chajim VI, i (s. daselbst) sagt.29 Keine Forschung kann sie durchdringen, kann verstehen, wie sich die körperliche Bewegung im Gehirn in etwas Geistiges, nämlich in die Vorstellung und Empfindung der Seele, verwandelt; und ebenso, wie aus dieser geistigen Vorstellung eine körperliche Bewegung im Gehirn entsteht.«30

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Übersetzung von Leo Strauss in: JubA 2, 199; vgl. auch die Übersetzung von Rainer Wenzel, BMH. In: JubA 20.1, 38; Hebräischer Text: Mendelssohn, BMH, JubA 14, 25. S.o. Kap. III.iv. Ebd. Mose ben Israel Isserles' Darkei Moshe ha-Arokh zu Orach Chajim wurde 1760 in Fürth neu aufgelegt (EJ, Bd. 9, 1083). Übersetzung von Leo Strauss in: JubA 2, 199f.

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Apologie der Logik

Mendelssohn verlegt die »Offenbarung« in den Menschen hinein, dorthin, wo im Menschen selbst der Übergang vom Geistigen zum Materiellen auf wunderbare Weise stattfindet. In Mendelssohns Sprachgebrauch ist »Wirklichkeit« nicht nur ein Attribut Gottes, sondern bezeichnet, auf den Menschen angewandt, den Übergang vom Geistigen zum Materiellen und umgekehrt. Weder das Reich der Ideen noch die körperliche, materielle Welt allein haben Zugang zur Wirklichkeit, die dort entsteht, wo beide sich auf wunderbare Weise berühren. »Vermittelst der Tätigkeit« hat der Mensch teil an der Schöpfung, ohne einen direkten Zugang zu ihr zu besitzen.31 Mendelssohns besonderes Interesse an der Übergangsproblematik von Qualität und Quantität bekommt im anthropologischen Teil der Sprachtheorie seinen konkreten Hintergrund. Es erinnert stark an Überlegungen, die Hobbes' im Rahmen seiner Conatus-Theorie in De Corpore angestellt hat und die den frühen Leibniz bei der Entwicklung des Infinitesimaltheorems beeinflußt haben. Das Nachdenken über den Zusammenhang von Körpern, Flächen, Linien, Punkten, Bewegung, Geschwindigkeit, Beschleunigung etc. führte Leibniz zu einer ähnlichen Grenzwertbetrachtung von Physik und Metaphysik wie sie Mendelssohn impliziert, wenn er das Zusammenspiel von Körper und Seele beschreibt: »(17) Nullus conatus fine motu durat ultra momentum praeterquam in mentibus. Nam quod in momento eft conatus, id in tempore motus corporis: hic aperitur porta prosecuturo ad veram corporis mentisque discriminationem, hactenus a nemine explicatam. Omne enim corpus eft mens momentanea, seu carens recordatione, quia conatum fimul fuum & alienum contrarium (duobus enim, actione & reactione, seu comparatione, ac proinde harmonia, ad sensum, & sine quibus sensus nullus est, voluptatem vel dolorem opus est) non retinet ultra momentum: ergo caret memoria, caret sensu actionum passionumque. Suarum, caret cogitatione. «32

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Der Einfluss kabbalistischer Sprachtheorien auf Mendelssohns Sprachauffassung ist nicht zu leugnen, vgl. Gershom Scholem: Der Name Gottes und die Sprachtheorie der Kabbala. In: Judaica 3. Studien zur jüdischen Mystik. Frankfurt: Suhrkamp, 21973, 7–70, bes. 56. Leibniz, Theoria Motus Abstracti seu Rationes Motuum Universales, A Sensu et Phaenomenis Independentes. In: Hypothesis physica nova (1670); Vgl. auch die Übersetzung von Jesseph, Leibniz on Calculus, 15: »No conatus without motion lasts longer than a moment except in minds. This opens the door to the true distinction between body and mind, which no one has explained heretofore. For every body is a momentary mind, or one lacking recollection, because it does not retain its own conatus and the other contrary one for longer than a moment. For two things are necessary for sensing pleasure or pain, action and reaction, opposition and then harmony. […] Hence body lacks memory; it lacks the perception of its own actions and passions; it lacks thought« (Leibniz, GP IV, 230); Vgl. aber Christian Wolff zum Leib-Seele-Problem als »Vorherbestimmte Harmonie« in: Vernünftige Gedancken (2). Von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt, § 765, 478: »Da nun die Seele ihre eigene Kraft hat, wodurch sie sich die Welt vorstellet (§ 753): hingegen auch alle natürliche Veränderungen des Leibes in seinem Wesen und seiner Natur gegründet sich (§ 630); so siehet man leicht, daß die Seele das ihr für (479) sich thut, un der Cörper gleichfals seine Veränderungen für sich hat, ohne daß entweder die Seele in den Leib, und der Leib in die Seele würcket, oder auch GOtt

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Für den frühen Leibniz ist jeder Körper ein momentaner Verstand, umgekehrt verflüchtigt sich für Mendelssohn die innere Rede und ist der Wahrnehmbarkeit entzogen, wenn sie nicht körperlich wird. Gedanken überdauern den Moment, sind aber auf den Ausdruck und das physische Zeichen angewiesen, sollen sie festgehalten, erinnert und mitgeteilt werden. Mendelssohns ausgreifende Affekttheorie ruht auf diesen Grundsätzen und hat nicht nur eine erkenntnistheoretische Funktion, sondern läuft auf eine komplexe, korrelative Hermeneutik und Rezeptionsästhetik hinaus: Derjenige der mittels einer Körperbewegung seine Gedanken äußert, ist genauso involviert, wie derjenige, der den dadurch hervorgerufenen Eindruck in der Außenwelt aufnimmt und dessen Absicht versteht.33 Der ontologische Gottesbeweis Descartes’, den Mendelssohn abgewandelt sowohl in der Evidenzschrift demonstriert als auch in den Morgenstunden erneut vorführt, ist das Fallbeispiel für Mendelssohns philosophische Prämissen. Denn der Gottesbeweis beruht auf der Annahme, dass aus der Möglichkeit Gottes, dessen Wirklichkeit logisch überführt und menschlich fassbar gemacht werden kann. Die so abgeleitete Wirklichkeit Gottes hat für Mendelssohn aber nur Wert auf der Ebene der Demonstration. Soll die Einsicht in die Wirklichkeit Gottes bei dem erreicht werden, der den Beweis nachvollzieht, soll also mit Hilfe der Logik der Übergang zur Wirklichkeit geleistet werden, ist diese den gleichen Bedingungen ausgesetzt wie jede andere menschliche Äußerung auch. Die logische Schlüssigkeit des Beweises ist auf das gleiche Wunder angewiesen, das uns die Natur erlebbar macht, ein Kunstwerk als schön oder hässlich erscheinen läßt oder den Psalmen-Dichter in den Zustand versetzte, die Psalmen zu versprachlichen:34 »Kein Verehrer der Gottheit« darf daher »den mindesten Beweisgrund verwerfen, der nur einige Überredungskraft mit sich führet.«35 Wie schon im III. Kapitel aus der Erhabenheits-Ästhetik entwickelt, wird Mendelssohns Metaphysik als Affekttheorie zur Erkenntnistheorie: »Denn da die Lehre von Gott nicht nur überzeugen, sondern auch rühren, das Gemüt bewegen und zu einem dieser Lehre gemäßen Wandel antreiben soll, so ist es mit den bloß demonstrativen Beweisgründen nicht genug, sondern das Leben der Erkenntnis muß durch eine Menge von überführenden Gründen angefeuert werden. Die praktische Überzeugung gehet hierin von der bloß theoretischen ab. Diese begnügt sich mit der trockensten Demonstration, mit der bloß deutlichen Erkenntnis, jene aber erfor-

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durch seine unmittelbahre Würckung solches verrichtet, nur stimmen die Empfindungen und Begierden der Seele mit den Veränderungen und Bewegungen des Leibes überein. Und solchergestalt verfallen wir auf die Erklärung, welche der Herr von Leibnitz von der Gemeinschaft des Leibes mit der Seele gegeben, und die vorherbestimmte Harmonie oder Übereinstimmung genennet.« Vgl. die Parallelen zu Halevi (Kusari, II.72), von wo aus sich gleichermaßen Mendelssohns an den Akzenten orientierte Übersetzungskonzeption erhellt wie auch die platonische Bevorzugung der Mündlichkeit. Vgl. Mendelssohns Vorrede zur Psalmen-Übersetzung, JubA 10.1, 6f. Mendelssohn, Evidenzschrift, JubA 2, 151.

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Die Logik im System der Wissenschaften

dert nicht ausdrücklich Deutlichkeit und Gewißheit, sondern vornehmlich eine lebendige würksame Erkenntnis, einen starken und lebhaften Eindruck in das Gemüt, dadurch wir angetrieben werden, unser Tun und Lassen dieser Erkenntnis gemäß einzurichten. Jede Wahrscheinlichkeit, jeder beredende Beweisgrund trägt zu diesem Leben der Erkenntnis etwas bei.«36

Vorstellung und Empfindung der Seele rücken bei Mendelssohn so dicht zusammen, dass die Wolffianische Unterscheidung in untere und obere Seelenvermögen vollständig aufgehoben ist. Wenn Mendelssohn der Vergänglichkeit aller philosophischen Wahrheiten und Systeme die Beständigkeit und Zuverlässigkeit der »Empfindung der Schönheit und Ordnung« gegenüberstellt,37 dann hat man mitzudenken, dass die »ächte«38 Empfindung der Schönheit und vollkommenen Ordnung für Mendelssohn in der gemischten Empfindung der Bewunderung des Erhabenen liegt und dass dieser Empfindung nicht nur die Abbildungsdifferenz sondern auch der Fallibilismus von vornherein eingeschrieben ist. Ganz im Einklang mit den ästhetischen Schriften Mendelssohns werden sowohl in der Evidenzschrift als auch in BMH Spekulation und theoretische Überzeugung auf den Boden der Ästhetik, Erkenntnispraxis und Tätigkeit gestellt.39 Wie Mendelssohn das Maimonidische System der Logik aufgefasst wissen möchte, ist damit bereits durch die Vorrede zu MH klar expliziert.

ii. Die Logik im System der Wissenschaften Der Logik-Traktat von Maimonides umfaßt 14 Kapitel, deren Aufbau nicht an Aristoteles sondern an Alfarabis Logik-Einführung orientiert ist. Kapitel 1 erklärt den Zusammenhang von lingustischer Grammatik und Logik. Kapitel 2 behandelt die Satzlehre, das heißt die Lehre von den Aussagen oder Propositionen, aus der Perspektive der von Quantität und Qualität (Subjekt-Prädikat-Beziehung, die bejaht oder verneint wird). Es werden sechs Klassen von Aussagen unterschieden: universal affirmativ, universal negativ, partikular affirmativ, partikular negativ, unbestimmt und singulär. Kapitel 3 diskutiert die Begriffe, die dem Prädikat anhängt werden können und solcher Art sind wie: möglich, unmöglich, zulässig, notwendig etc., das heißt als Ausdruck von Modalitäten Teil der Proposition sind. Kapitel 4 diskutiert die Klassifikation der Propositionen aus der Perspektive der Wahrscheinlichkeit, das heißt in Begriffen von Zufälligkeit und Notwendigkeit als Kennzeichnung nichtausgedrückter Modalitäten zwischen Subjekt und Prädi-

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Mendelssohn, Evidenzschrift, JubA 2, 150f. JubA 1, 269; hierzu: Strauss, Einleitung zu Morgenstunden, JubA 3.2, LXV. Mendelssohn, Lowth-Rezension, JubA 4, 20. S.o. Kap. III.iii.. Explizit in: Mendelssohn, Anweisung zur spekulativen Philosophie, für einen jungen Menschen von 15 bis 20 Jahren, JubA 3.1, 307.

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kat.40 Kapitel 5 befasst sich mit richtigen und falschen Umkehrungen der Sätze. Kapitel 6 analysiert die Struktur der aus Schlüssen zusammengesetzten Beweise. Hier kommt Maimonides auf die Unterschiede zwischen der menschlichen und der Erkenntnis der Propheten zu sprechen. Kapitel 7 handelt vom Syllogismus, dem Kernstück der aristotelischen Logik, wobei Mendelssohn die drei Schlussfiguren bei Aristoteles und auch Maimonides um die galenische Schlussfigur erweitert. Kapitel 8 behandelt die vier Klassen von Aussagen, die keinen Beweis benötigen.41 Kapitel 9 widmet sich dem Zusammenhang von metaphysischer Spekulation und Logik. Kapitel 10 diskutiert Aussagen und Definitionen. Kapitel 12 handelt von den fünf Modi der Priorität (Kategorien),42 Kapitel 13 diskutiert figurative Begriffe und erklärt grammatikalische Termini des Arabischen; Kapitel 14 enthält Maimonides' Diskussion über die »innere Rede« und »äußere Rede« als gleichberechtige Gegenstände der Logik, ein Thema, das von Mendelssohn bereits in der Vorrede aufgegriffen wird. Außerdem erläutert das Kapitel die Grundlagen der Logik und gibt Hinweise auf das Sprachkonzept. Das letzte Kapitel ist gleichzeitig das berühmteste der Abhandlung und wurde bekannt, weil es die Logik-Theorie in ihrem Verhältnis zum System der Wissenschaften erklärt.43 Durch die Wissenschaftssystematik in Kapitel 14 geht der Traktat über ein bloßes Handbuch der Logik hinaus und wird zu einer Einführung in Philosophie und Wissenschaft ist. Es ist zudem das einzige Werk Maimonides' (insofern es überhaupt aus seiner Feder stammt), das als philosophisches im engeren Sinne bezeichnet werden kann. Ansonsten widmen sich seine Schriften spezifischen philosophischen, religionsphilosophischen und theologischen Problemen, die im Kontext konkreter Fragestellungen diskutiert werden und als solche erst Anlaß zu allgemeinen Schlussfolgerungen geben.44 Ein Verfahren, das sich in ähnlicher Weise bei Mendelssohn wieder findet.

40 41 42

43

44

Vgl. Efros, Treatise on Logic, 23. Alfarabi unterscheidet fünf Klassen, vgl. Shukri B. Abed: Aristotelian Logic and Arabic Language in Alfarabi. N. Y.: State University of New York Press, 1991, 91. Vgl. Aristoteles: Metaphysik, IV. In: Aristoteles: Philosophische Schriften, Bd. 5. Übers. von Hermann Bonitz, Eugen Rolfes, Horst Seidl und Hans Günther Zekl. Hamburg: Felix Meiner, 1995. Vgl. die beiden berühmten Aufsätze von Wolfson und Strauss: Harry Austryn Wolfson: Note on Maimonides' Classification oft the Sciences. In: JQR (New Series) 26:4 (1936), 369–377; Leo Strauss: Maimonides' Statement on Political Science. In: Proceedings of the American Academy for Jewish Research, 22 (1953), 115–130; vgl. Auch die Diskussion von Wolfsons und Strauss' Positionen durch Lawrence V. Berman: A Reexamination of Maimonides' »Statement on Political Science«. In: Journal of the American Oriental Society 89:1 (1969), 106–111. Vgl. hierzu Harry Austryn Wolfson: Maimonides on the Internal Senses. In: JQR (New Series) 25:4 (1935), 441–467, 444: »Maimonides' works, with the exception of his Millot ha-Higgayon, are not manuals of philosophy. They are discussions of certain philosophical and theological problems in which formal summaries of philosophic views appear only incidentally whenever they are required by the occasion.«

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Die Logik im System der Wissenschaften

Im Folgenden soll kurz skizziert werden, wo Maimonides die Logik im System der Wissenschaften gemäß der Darstellung in Kapitel 14 des Traktats verortet. Maimonides beginnt mit einer Erläuterung des arabischen Nomens Mantik,45 das von den drei hebräischen Übersetzern unterschiedlich entweder mit dibbur oder higgajon wiedergeben wird.46 Mantik bzw. higgajon werden dem griechischen logos gleichgesetzt. Maimonides' Situierung der Logik im System der Wissenschaften folgt der Methode des Organon: Sie entwickelt das System an Hand von Worterklärungen. Die den Wörtern unterliegenden Konzepte sind konventionell auf der Grundlage der Übereinkunft der antiken Philosophen gebildet. Das arabische Nomen Mantik wird als Homonym eingeführt, dessen drei verschiedene Bedeutungsdimensionen Maimonides wie folgt benennt: 1.) das Vermögen zur Rede bzw. »die redende Seele«, 2.) das »Gedachte selbst«, also das, was vom Menschen schon erkannt wurde und auch »die innere Rede« genannt wird, und 3.) »den sprachlichen Ausdruck« dessen, was in die Seele eingeschrieben wurde und auch die »äußere Rede« genannt wird.47 Die Funktion der Wissenschaft oder Kunst der Logik liegt für Maimonides in der Bereitstellung eines Regelwerkes, das allen Sprachen gemeinsam ist und den Zusammenhang von Denkvermögen, innerer und äußerer Rede reproduzierbar werden lässt. Sie ist für die Vernunft das, was die Grammatik für die Sprache ist.48 Erklärtermaßen gehört die Logik damit nicht zum System der Wissenschaften, sondern ist lediglich Werkzeug desselben. Das Nomen Kunst wiederum kann sowohl die theoretische Wissenschaft als auch die praktische Technik benennen. In seiner Bedeutung als theoretische Wissenschaft wird es synonym zum Nomen Philosophie gebraucht, das seinerseits ein Homonym ist, indem es auch für die Beweiskunst stehen kann. Die Philosophie in ihrer Bedeutung als Wissenschaft teilt sich auf in die theoretische und die praktische Philosophie, die auch die menschliche Philosophie oder die politische Philosophie genannt wird. Die theoretische Philosophie zerfällt in drei Teile: 1.) die Mathematik, 2.) die Physik, 3.) die Theologie. Die praktische Philosophie oder politische Wissenschaft ist unterteilt in folgende vier Gruppen: 1.) die Leitung der Seele, 2.) die Leitung des Haushaltes, 3.) die Leitung des Stadtstaates und 4.) die Leitung einer großen Nation oder der Nationen. Alle Wissenschaften haben den Wirklichkeits- und Handlungsbezug miteinander gemein. Dieser fehlt der Logik. Sie beschreibt das regelhafte Ineinanderwirken von denkender Seele, innerer und 45

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Vgl. die Einleitung in Maimonides: Terminologie Logique. Edition crititque du texte hébreu traduit et commenté en français, avec Introduction et Lexique hébreu, arabe, grec, latin, allemand, anglais et français. Edition de l’original arabe des chaptitres existants. Hg. Von Moshe Ventura. Paris: Librairie Philosophique J. Vrin, 21982, 14f. Mose ben Samuel ibn Tibbon: »shem ha-dbr« (Efros, Treatise on Logic, 59); Isaac ben Achituv: »ha-shem higgajon« (Efros, ebd., 96); Joseph ibn Vivas: »shem ha-dibbur« (Efros, ebd., 126). Vgl. Maimonides, MH, Kap. 14, Tibbon-Version: ʯʥʡʺ ʯʡʠ ʬʠʥʮʹ ʯʡ ʤʹʮ 'ʸ ʭʥʢʸʺ in: Efros, ebd., 59. Maimonides, MH, JubA 14, 112f; JubA 20.1, 148.

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äußerer Rede, ohne über die Wirklichkeit eine Aussage zu machen. Als Instrument der Wissenschaften kann sie nicht gleichzeitig Teil des Systems sein. Mendelssohns Evidenzschrift reproduziert diese klimaktische Systematik, wobei ihr Schwerpunkt auf der theoretischen Philosophie liegt. Mendelssohn beginnt mit der Evidenz der Mathematik, behandelt im zweiten Abschnitt die Evidenz der Metaphysik und im dritten die der Theologie, das heißt der »Natürlichen Gottesgelahrtheit«. Nur das letzte Kapitel widmet sich der Ethik (»Seelenlehre«) und damit der kleinsten Einheit der politischen Wissenschaft. Dass Mendelssohn mit der Politik den Fluchtpunkt von Maimonides' Klassifikation übernommen hat, wird im zweiten Abschnitt der Evidenzschrift selbst klar, wenn Mendelssohn die politisch-praktischen Konsequenzen intellektueller Despotie diskutiert.49

iii. Logik und heilige Sprache? Mendelssohn handelt seine eigenen grundsätzlichen Überlegungen zu den von Maimonides am Ende der Abhandlung erörterten Fragen außerdem in der Vorrede zu BMH ab. Sind Mendelssohns eigene philosophische Thesen als Auslegungstendenz auch im Kommentar enthalten, der allerdings vorrangig dem Zweck der Erhellung unklarer Stellen bei Maimonides dienen soll,50 beanspruchen die Thesen der Vorrede stärker Mendelssohns eigene Autorschaft. Das um so mehr, als erst die zweite Auflage, welche Mosche ben Menachem als Autor enthüllt, um die Vorrede ergänzt wurde. Die Einleitung Mendelssohns zum ersten Kapitel des Traktats stellt diese Klammer expressis verbis her: »Das Ziel der Kunst der Logik ist es, wie der Rav am Ende der Abhandlung erinnert, die erkennende Seele darauf auszurichten und darin zu üben, zwischen Wahrheit und Trug zu unterscheiden.«51 Indem so Vorrede und Kapitel 14 der Abhandlung direkt miteinander in Verbindung stehen, wird eine Spannung zwischen Maimonides' und Mendelssohns Logik-Auffassung erzeugt, welche direkt zum Kernproblem führt, das durch eine Logik in der heiligen Sprache provoziert wird. Für jede der postbabylonischen Sprachen ist die konventionell – das heisst in menschlicher Übereinkunft – gebildete Sprache eine Selbstverständlichkeit. Keine dieser Sprachen steht einer konventionellen Grundlegung der Logik, wie sie von Mendelssohn ihm Anschluss an Maimonides vertreten wird, entgegen. Anders als 49

50

51

Mendelssohn, Evidenzschrift, JubA 2, 297: »Wer sich über […] Freyheit beklagt, der hegt despotische Absichten, und ist ein gefährlicher Bürger in der Republik der Weltweisheit.« S. hierzu auch Kap. V.v. Vgl. Mendelssohn selbst in der Einleitung zu Kapitel 14 von Millot ha-Higgajon: »ich wollte mich nicht mehr als angemessen von der Absicht des Rav, gesegneten Angedenkens, entfernen, nachdem ich nichts anderes beabsichtigte als seine Worte zu erklären« (JubA 14, 112; JubA 20.1, 147). Mendelssohn, JubA 14, 33.

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für Maimonides musste jedoch für Mendelssohn, der seinen Logik-Kommentar ja nicht in der Landessprache, sondern auf Hebräisch schrieb, das Problem der Superiorität der hebräischen Sprache im Hinblick auf das Postulat der Konventionalität virulent werden. Die autoritativen Texte der jüdischen Tradition weisen dem Hebräischen einen Status zu, der sich von dem aller anderen (menschlichen) Sprachen unterscheidet. Gott erschuf die Welt, indem er sprach, und er kreierte die Dinge, indem er sie benannte: das Licht, die Erde, die Materie, die Körper, den Himmel, die Himmelskörper, die Pflanzen, Tiere etc. Die ersten Zeilen des ersten der fünf Bücher Mose bestimmen den Zusammenhang von hebräischen Namen und den durch sie bezeichneten Dingen als original, natürlich, essentiell, wesenhaft.52 Im Gegensatz dazu geht Maimonides' Logik-Schrift, die auf dem Boden der arabischen Aristoteles-Rezeption steht, wie Aristoteles von der Konventionalität der Sprache aus: »Die Worte beruhen auf Übereinkommen, weil es von Natur keine Worte gibt, sondern nur dann, wenn sie zu einem Zeichen gemacht werden; denn auch die unartikulirten Laute offenbaren zwar etwas, wie bei den Thieren, aber es fehlen ihnen doch die Worte.«53

Eine Logik in hebräischer Sprache bedarf damit einer besonderen Rechtfertigung, da sie einen Ausnahmestatus vor den partikularen Sprachen beansprucht und also das Verhältnis von singulärer und konventioneller Sprache bestimmen muss. MH geht auf dieses Problem nicht ein, da Konventionalität hier nicht historisch oder in Bezug auf die Offenbarung sondern aristotelisch in Bezug auf den Zusammenhang von Repräsentation, Signifikation, Denken und Wirklichkeit erkenntnistheoretisch definiert wird.54 Maimonides' diesbezügliche Position kann daher nur aus seinen anderen Schriften rekonstruiert werden. In den Medizinischen Aphorismen überträgt er Galens These von der logischen und ästhetischen Superiorität des Griechischen auf eine ganze Sprachfamilie. In Anlehnung an Alfarabi vertritt er die These, dass Sprachen in Abhängigkeit vom Klima weniger oder höher entwickelt sind. Klimaunterschiede erzeugen anatomische und physiologische Unterschiede zwischen den Menschen, die zu Divergenzen der Sprach- und Sprechfähigkeiten zwischen den Völkern führen. Sieben verschiedene Klimazonen bedingen die Diversität der Sprachen, wobei den Nationen der gemäßigten Klimazone des Mittelmeerraums eine Vorrangstellung vor den Völkern und Sprachen der extremeren Klimata eingeräumt wird. Die Exklusivität des Griechischen wird so für alle Sprachen des Mittelmeerraums behauptet, denn auch Arabisch, Hebräisch, Aramäisch und Persisch profitieren vom idealen Klima der Region. 52 53 54

Freudenthal, Gad: Dieu parle-t-il hébreu? De l’origine du langage humain selon quelques penseurs juifs médiévaux. In: Les Cahiers du judaïsme 23 (2008), 4–18, 4f. Aristoteles: Das Organon. Hg. von Julius A. Kirchmann. Heidelberg: Weiss, 1883, II (Peri hermeneias), 2.24. Irene E. Zwiep: Mother of Reason and Revelation. A Short History of Medieval Jewish Linguistic Thought. Amsterdam: J.C. Gieben, 1997, 76.

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Hebräisch, Arabisch und auch Aramäisch sind für Maimonides verwandte und benachbarte Sprachen. Die Superiorität des Hebräischen wird so zugunsten des Griechischen und Arabischen (das nicht nur zu Zeiten Maimonides' als die schönere, lieblichere, feinere etc. Sprache galt) nivelliert und, was entscheidender ist, nicht im Rahmen der jüdischen Tradition sondern (natur)wissenschaftlich, universalhistorisch und -geographisch begründet. Mendelssohn, der wie Maimonides von der Konventionalität der Sprachen ausgeht, genügt diese Begründung nicht. Wie wir noch sehen werden, ist er vielmehr bemüht, die Konventionalität der Sprache vor dem Forum der heiligen Sprache, das heißt gegenüber der Tradition zu verteidigen. In seinem religionsphilosophischen Hauptwerk, dem Moreh ha-Nevukhim, folgt Maimonides keiner anderen Sprachauffassung und geht von der Koexistenz distinkter lingualer Konventionen und Partikularsprachen aus.55 Wieso Maimonides auf die traditionell begründete Superiorität der heiligen Sprache verzichten kann, erschließt sich jedoch nicht aus seiner geophysikalischen, sondern nur aus seiner Interpretation der aristotelischen, das heißt erkenntnistheoretischen Sprachbetrachtung. Für Maimonides ist der Wirklichkeitsbezug nicht über das Verhältnis der Zeichen zu den Dingen definiert, sondern über den Zusammenhang der Vorstellungen zu den Dingen. In Aristoteles' Organon heißt es hier: »Die gesprochenen Worte sind die Zeichen von Vorstellungen in der Seele und die geschriebenen Worte sind die Zeichen von gesprochenen Worten. So wie nun die Schriftzeichen nicht bei allen Menschen dieselben sind, so sind auch die Worte nicht bei allen Menschen dieselben; aber die Vorstellungen in der Rede, deren unmittelbare Zeichen die Worte sind, sind bei allen Menschen dieselben und ebenso sind die Gegenstände überall dieselben, von welchen diese Vorstellungen die Abbilder sind.«56

Die Vorstellungen der Seele sind Abbilder der Gegenstände und wie diese universal. Zeichen und Rede bilden diese universale Relation symbolisch ab, was soviel heißt, als dass die Relation von Zeichen und Vorstellung willkürlich ist und partikularen Konventionen folgt, die zwischen den Nationen variieren.57 Demzufolge handelt es sich auch bei den Termini der Logik um Einteilungen in der Sprache und nicht in der Wirklichkeit. Maimonides geht jedoch von einer Analogie des menschlichen und göttlichen Intellekts aus. Im Moreh ha-Nevukhim schreibt er »dass es also klar sei, dass die Einheit von Subjekt, Aktion und Objekt nicht allein in Bezug auf den Schöpfer gilt, sondern in Bezug auf jeden Intellekt, insofern er in Aktion ist.«58 Damit liegt seinem Denken dieselbe Analogie zu Grunde, die Mendelssohn auch in Leibniz' Lehre von der prästabilierten Harmonie vorsichtig ab-

55 56 57 58

Maimonides, Moreh ha-Nevukhim, II.29; hierzu: Zwiep, Mother of Reason, 75f, 196; Raphael Jospe, The Superiority of Oral vs. Written Communication, 128. Aristoteles, Organon, II (Peri hermeneias), 2.24. Vgl. Zwiep, Mother of Reason and Revelation, 33. Maimonides, Moreh ha-Nevukhim, I.68; Aristoteles, Metaphysik, XII.7.

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lehnt. Offenbarungswahrheiten und philosophische Wahrheiten sind in Maimonides' Religionsphilosophie auf ein und derselben Skala angeordnet: Offenbarte Wahrheiten sind dem menschlichen Intellekt qua Kontemplation in verschiedenen Stufen, die sich der Gotteserkenntnis annähern, zugänglich. In immer neuer Tätigkeit ist es dem Denken möglich, sich auf die von den Propheten erreichte, höchste Stufe des Erkennens zu erheben und die Einheit Gottes zu erkennen.59 Mendelssohn greift folgerichtig in BMH nicht auf Maimonides' eigene Überlegungen im Moreh ha-Nevukhim zurück, sondern erörtert das Thema gleich am Anfang des Kommentars mit Verweis auf die erkenntnistheoretische Sprachbetrachtung von Maimonides' Antipoden, Jehuda Halevi.60 Das bedeutet nichts anderes, als dass Maimonides' Logik-Einführung aus der Perspektive der sprachtheoretischen Überlegungen von Halevi gelesen werden soll. In seinem Kommentar ist Mendelssohn bemüht, sich eben jenen Folgen für Religion und Philosophie, die aus Maimonides' Logikauffassung erwachsen, zu entziehen und sich von ihnen abzugrenzen. Das ist möglich, weil MH selbst auf das Verhältnis von Logik und Wirklichkeit und über die Möglichkeit einer Logik in der hebräischen Sprache nicht eingeht. Der Hinweis auf Halevi macht daher deutlich, worüber Maimonides' Logik-Text nicht spricht. Schon in Kohelet Musar hatte Mendelssohn den profanen Gebrauch der hebräischen Sprache für Zwecke der Wissenschaft, Philosophie, Kunst und Poesie, Politik etc. verteidigt. Die Abhandlung endete mit einer Übersetzung von Teilen aus Edward Youngs Night Thoughts aus dem Englischen ins Hebräische. Auch hier rechtfertigte Mendelssohn bereits den konventionellen Gebrauch des Hebräischen auf der Grundlage von Halevis Kusari.61 Im Folgenden soll daher noch einmal ausführlicher auf Halevis Auseinandersetzung mit dem Thema eingegangen werden. Halevi behandelt die Sprachproblematik an drei verschiedenen Stellen im Kusari. Er verteidigt zunächst die Konventionalitätsthese gegen die Ursprungsthese:62 Rabbi: »Denkst Du, dass die Sprachen unerschaffene sind, ohne Anfang?« Kusari: »Nein, sie sind erschaffene, über die man übereingekommen ist […].«63 Rabbi: »Hast Du jemals einen gesehen, oder über einen gehört, der sich eine Sprache nach eigenem Belieben erdichtet hat?«

59

60 61 62 63

David Kaufmann: Geschichte der Attributenlehre in der jüdischen Religionsphilosophie. Gotha: Friedrich Andreas Perthes, 1877, 369–371, 456f; Harry Austryn Wolfson: Hallevi and Maimonides on Prophecy. In: The Jewish Quarterly Review (New Series) 32:4 (1942), 345–370, 348f. In der Kommentierung zu Maimonides' Vorbetrachtung (die seiner eigenen Vorrede unmittelbar folgt): JubA 14, 33; Zu Halevis Anti-Aristotelismus vgl. Kusari I.62–67. Vgl. Kap. II. Kusari I.49–67. Kusari I.54: »ʭʤʩʬʲ ʭʫʱʥʮ ʺʥʹʣʧ ʭʤ«

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Kusari: »Nicht gesehen und nicht gehört; und es gibt keinen Zweifel, dass vor der Generation, in der man zu ihr gelangt ist, keine Sprache war, über die sich eine Nation per Konvention geeinigt hätte: keine Nation über keine Sprache.«64

Halevi lässt den Rabbiner die These der Unerschaffenheit (resp. Ursprünglichkeit, Ewigkeit der Sprache)65 und den Chasaren-König die Antithese der Erschaffenheit vertreten. Dies entspricht einer Verteilung der Positionen, die man genau umgekehrt erwartet hätte, da die Ursprungsthese Aristoteles' Auffassung von der Unendlichkeit der Welt zitiert, die These von der Erschaffenheit hingegen der Schöpfungsgeschichte in Gen 1 sekundiert. Was also ist der Hintergrund dieser Umverteilung der Argumente und Positionen? Schon die Fragestellung Halevis (durch den Rabbi) suggeriert eine Betrachtungsweise, die sich der philosophischen Konventionalitätsthese entgegenstellt, indem sie diese auf die Offenbarung selbst bezieht. Indirekt stärkt Halevi so die Konventionalitätsthese,66 gibt ihr jedoch eine nicht-aristotelische Basis. Seine eigene Position ist implizit schon mitgeteilt, wenn Halevi die Frage der Erschaffung der Welt auf die Frage des Sprachursprungs überträgt.67 Anders als bei Aristoteles kommt Halevis These von der Konventionalität der Sprache eine philosophische Bedeutung zu. Dementsprechend endet Halevis erste Erörterung des Problems mit dem vorläufigen68 Fazit des Rabbis (Chaver): »Die Frage der Erschaffenheit [chidush] und Ursprünglichkeit [kadmut] ist eine sehr schwierige, die Argumente für beide wiegen sich einander auf; für die Erschaffenheit entscheidet die prophetische Überlieferung von Adam und Noah bis Moses, die ohne Zweifel mehr Glauben verdient, als die Speculation. Ja, wäre ein Bekenner der Tora gezwungen, an die Hyle, die unerschaffene Materie, und an viele Welten vor dieser Welt zu glauben, so würde das seiner Religion keinen Eintrag thun; denn vermöge dieser glaubt er, daß die jetzige Welt seit einer gewissen Zeit entstanden ist und daß die ersten Menschen darauf Adam und Eva waren.«69

Nachdem im Gespräch zwischen dem Chasaren-König und dem Rabbi alle Argumente für und gegen Erschaffenheit und Ursprünglichkeit vorgebracht wurden, 64 65

66 67 68 69

Kusari I.53–56. Cassel hierzu: »Die Frage, ob die Welt einen Anfang gehabt oder nicht […] ist eine derjenigen Untersuchungen, welche die Religionsphilosophie des Mittelalters am eingehendsten beschäftigt hat« (Cassel, Kusari (Anmerkungsapparat), 48); Maimonides übernimmt im wesentlichen Halevis Standpunkt: Da die Frage nach Ursprünglichkeit und Erschaffenheit der Welt auf der Grundlage der Spekulation nicht entschieden werden kann, die Ursprünglichkeit also nicht notwendig und die Erschaffenheit nicht unmöglich ist, so entscheidet er gegen Aristoteles und folgt der von den Propheten vorgegebenen Lösung (vgl. Moreh ha-Nevukhim, II.15). So auch (auf unterschiedlichem Wege) Jospe, The Superiority of Oral vs. Written Communication, 127–129, und Zwiep, Mother of Reason, 138–142. Diese Übertragung wird nicht reflektiert, sondern liegt als Einverständnis der beiden Dialogpartner über den Redegegenstand der Problemdiskussion bereits zu Grunde. Vgl. Kusari I.68. Kusari I.67 (Cassel-Übersetzung, 48f).

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Logik und heilige Sprache?

wird die Erschaffenheitsthese bevorzugt vertreten, da sich diese nicht wie die Ursprungsthese allein auf Spekulation stützt, sondern qua Autorität der Überlieferung befestigt werden kann. Es deutet sich in dieser Passage bereits an, dass Halevi die Konventionalität der Sprache nicht gegen, sondern auf der Grundlage ihres Offenbarungscharakters verteidigt. In Kusari 2.67–73 führt er die Diskussion fort, indem er die größere Vollkommenheit des Hebräischen vor allen anderen Sprachen, insbesondere aber vor dem Arabischen rational begründet (miderekh hasabra’).70 Das ist in Halevis Zeiten keine besonders leichte Übung, da das Arabische als die höher entwickelte Sprache gilt: Kusari: »Ist denn das Hebräische erhaben über die arabische Sprache, die doch offensichtlich vollkommener und reicher ist als jene?« Rabbi: »Es ging der Sprache wie ihren Trägern. Sie verarmte als diese verarmten und sie geriet in Bedrängnis als diese zur Minderheit wurden. Aber ihrem Wesen nach ist sie die bedeutendste der Sprachen. Gemäß Überlieferung und Vernunft ist sie die Sprache, in der Gott zu Adam und Eva, und in der diese miteinander gesprochen haben.«71

Das entscheidende Argument für die Überlegenheit des Hebräischen ist Halevi zunächst das Fehlen eines hebräischen Metrums. Die metrische Überformung der Sprachen deutet auf eine Entfernung von der lebendigen, mündlichen Ausdrucksform, die allein Verstehen und Kommunikation ermöglicht, denn »der Zweck des Sprechens ist, daß das, was in der Seele des Sprechenden vorgehe, in die Seele des Hörenden gelange. Dieser Zweck wird vollkommen nur dann erfüllt, wenn man von Angesicht zu Angesicht spricht, weil Gesprochenes immer einen Vorzug vor Geschriebenem hat; daher man auch sagt: ›Von den Schreibenden, nicht vom Geschriebenen‹.«72

Indem Halevi die Kommunikations- und Verständnisfunktion der Sprache in den Vordergrund rückt, wird ihr ästhetischer Aspekt umgedeutet. Die Schönheit, der Wohlklang der arabischen Sprache ist kein Argument mehr für ihre Überlegenheit. Mendelssohns Kritik des Schönen durch das Erhabene ist so im Argument des Kusari bereits angelegt.73 Die Akzente, die dem Text der Schrift beigegeben sind – die in ihren poetischen Teilen keiner Metrik, sondern parallelem Sprechen folgt – sind Halevis Argumente für den erhaltenen Tätigkeitscharakter der hebräischen Sprache, der über die logische Funktion von Sprache hinausreicht. Die Kantillitationszeichen (ta‘amej ha-mikra’) ergänzen das in Schrift fixierte Sprechen um die Informationen, die im mündlichen Gespräch das Verstehen der intendierten Bedeutung produzieren. Dort, wo sonst Empfindungen, Gefühle, Leiden70 71 72 73

Kusari II.68. Ebd., II.68 Ebd., II.72 (Cassel-Übersetzung, 171). Es wird hier insbesondere deutlich, wie sehr Mendelssohns Vorrede zur 2. Auflage von BMH durch Halevi beeinflusst ist. S.o. Kap. III.iii.

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schaften und Affekte in Gestik, Mimik und Augensprache umgesetzt werden und Pause, Verbindung, Trennung, Frage, Antwort etc. signalisieren, stellt die jüdische Überlieferung der Schrift das Instrument der Akzente als Substitut zur Verfügung.74 Verständlichkeit, Mündlichkeit, Lebendigkeit, Natürlichkeit sind die Attribute, an Hand derer Vollkommenheit und Vorzug des Hebräischen dialogisch demonstriert werden (Kusari II.68–73). Ausgangspunkt dieser Demonstration ist Gen 2.19–23. Die erste Ansprache Gottes an den Menschen findet in dem Moment statt, als Adam Eva an die Seite gestellt und der Mensch zum gesellschaftlichen Wesen wird. Die Reproduktion des ersten Sprechaktes im Sprechakt zwischen Mensch und Mensch ist so in der Namensgebung selbst angelegt (Gen 2.19f). Damit sind der mündliche und Vertragscharakter der hebräischen Sprache gleichermaßen erklärt, nicht jedoch deren Natürlichkeit selbst begründet. Erst in Kusari IV.25 werden die Inkonsistenzen zwischen Schöpfungsthese, Superiorität und Konventionalität der hebräischen Sprache systematisiert,75 indem Halevi sie auf den Schöpfungsakt als Sprechakt selbst bezieht. Innerhalb seiner Interpretation des Sefer Jetzira überträgt Halevi die Aristotelische Einheit von Subjekt, Akt und Objekt auf die drei sefarim.76 Das in der jüdischen Tradition Abraham zugeschriebene Sefer Jetzira (Buch der Schöpfung) ist das wichtigste Buch aus den Anfängen der Kabbala und enthält eine vollständige Kosmologie, die an Hand der Zahlen (zehn Sefirot) und zweiundzwanzig Buchstaben des hebräischen Alphabets entwickelt wird. Es beginnt mit den Worten: »Gott […] schuf seine Welt mit/durch drei sefarim: sefar, sippur und sefer.«77 Halevis Auslegung nun überträgt diesen trichotomischen Schöpfungsakt auf die Struktur der Spracherzeugung und definiert so das Konzept leshon ha-kodesh, das Konzept der heiligen Sprache. Die drei Elemente des derart erfassten Sprechaktes werden jedoch nicht als unterschiedliche Dimensionen eines einheitlichen Konzeptes verstanden, sondern dienen der Unterscheidung von heiliger und menschlicher Sprache. Die heilige Sprache wird von Halevi als Tätigkeit verstanden, in der das Objekt durch das Subjekt hervorgebracht wird. Das Ineinanderwirken von 1.) sefar, dem gedanklichen Abwägen, 2.) sippur, der (göttlichen) Rede und 3.) sefer, der Schrift wird von ihm der aristotelischen Einheit von Subjekt, Akt und Objekt gleichgesetzt, die damit eine andere Bedeutung zugewiesen bekommt:

74 75 76 77

Kusari, II.72. Zwiep spricht von nicht auflösbaren Inkonsistenzen in Halevis Sprachtheorie, übersieht aber die epistemologische Dimension (Mother of Reason, 141, 149). Kusari IV.25; Jospe, The Superiority of Oral vs. Written Communication, 132f. Sefer Jetzira, I.1: ʸʴʱʥ ʸʴʱʡ :ʭʩʸʴʱ ʤʹʥʬʹʡ ʥʮʬʥʲ ʺʠ ʠʸʡ […] ʭʩʩʧ ʭʩʤʬʠ ʬʠʸʹʩ ʩʤʬʠ ʺʥʠʡʶ 'ʤʩ […]« ».ʸʴʱʥ

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»Unter Sefar ist verstanden das (quantifizierende) Abmessen und Abwägen der erschaffenen Körper […]; Längenmaß, Hohlmaß, Gewicht, das Verhältniß der Bewegungen, die Harmonien in der Musik, alles ist in der Zahl, das heißt im Sefar. […] Unter Sippur ist verstanden die Rede und die Stimme, aber die göttliche Rede und die Stimme der lebendigen Worte Gottes, in welcher die Wirklichkeit ihres Inhaltes sei und das Abbild durch das sie ausgedrückt wird, wie [in der Schrift] gesagt ist: ›es werde Licht und es wurde Licht, es werde Ausdehnung...‹; und die Rede trat nicht nach außen, bis die Sache selbst da war; unter Sefer soll verstanden werden die Schrift, und die Schrift Gottes, das sind seine Schöpfungen, und das Wort Gottes entspricht seiner Schrift und die Spekulation Gottes entspricht seinem Wort.«78

Halevi dienen die aristotelischen Einteilungen von Subjekt, Prädikat, Objekt, die sowohl sprachlogisch als auch ontologisch gemeint sind, nur zur Kennzeichnung der kreativen Einheit Gottes. Die Fusionierung der philosophischen Begrifflichkeit mit der Schöpfungsterminologie des Sefer Jetzira enthält eine dezidierte Kritik an Aristoteles, entwickelt aber gleichzeitig eine philosophische Neudeutung der Schöpfungskosmologie. Während Maimonides ganz aristotelisch die Einheit von Subjekt, Prädikat und Objekt auch für die menschliche Erkenntnisfähigkeit geltend macht, wird von Halevi die Ansicht vertreten, dass das Erkannte in seiner Bezeichnung mit der Sache, die es bezeichnen soll, nur identisch ist, wenn die Sache mit der Bezeichnung selbst hervorgebracht wurde. Dieser Fall ist in Gen 1.3 gegeben: »Gott sprach: Es werde Licht, und es wurde Licht«. In Halevis Kommentar heißt es deshalb erklärend: »Die Rede trat nicht nicht nach außen, bevor die Sache selbst da war.«79 In Bereshit ist für Halevi der originäre Zusammenhang von sekhel, maskil, muskal, so die hebräischen Termini, als Einheit von Idee, Aktion und Geschaffenem gegeben. Diese Einheit allein garantiert die Identität von Zeichen und Sache. Halevi, der die »ganze Theorie der Intellekte, einschließlich des aktiven Intellekts, ablehnt,«80 entwickelt eine Spannung zwischen zwei grundsätzlich verschiedenen Sprachbegriffen, wobei das menschliche Sprachkonzept erst gegenüber der Superiorität der heiligen Sprache seine Konturen gewinnt: »Im Schoße Gottes ist Sefar, Sippur und Sefer ein(e) einzige(s) Sache/Wort [davar] und im Schoße des Menschen sind es drei, da dieser mit seinem Verstand spekuliert, mit seinem Mund spricht und mit seiner Hand jene Rede niederschreibt, mit Hilfe derer er Dich über eine Sache/Wort [davar] aus den Schöpfungen des Schöpfers (gepriesen sei er) unterrichtet. Das (quantifizierende) Spekulieren des Menschen, seine Rede und seine Schrift sind Zeichen, die auf das Wesen und nicht auf den Körper der Sache verweisen. Aber das Spekulieren Gottes und sein Wort ist die Sache selbst und das ist seine Schrift.«81

78 79 80 81

Kusari, IV.25. Kusari, IV.25. Wolfson, Hallevi and Maimonides on Prophecy, 345f. Ebd.

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»Konventionalität«, »Arbitrarität«, »Symbolhaftigkeit«, »Zeichengebundenheit« werden zu Eigenschaften der unvollkommenen, menschlichen Sprache und leiten sich als Antithesen aus der (göttlichen) Einheit der heiligen Sprache ab,82 die, da sie nur mit Hilfe der unvollkommenen Sprache erfasst werden kann, ebenfalls in Form von Attributen beschrieben wird: kreativ, wirklich, lebendig, essentiell etc.83 Mendelssohns eindeutiger Bezug auf Halevi im Kommentar zu Maimonides' Logikschrift ist Ausdruck einer sehr bewussten Positionierung zwischen Halevi und Maimonides. Während Mendelssohn in der Sprachenfrage Halevi folgt, misst er der Spekulation und Demonstration einen größeren Wert zu als dieser84 und gelangt auf anderer Grundlage wieder in die Nähe Maimonides'. Mendelssohn weist dem Zeichencharakter der Sprache als solchem philosophische Bedeutung zu, hingegen für Maimonides die Sprach- und Zeichenbetrachtung nicht im engeren Sinne zur Philosophie gehört. In seiner Erläuterung zu Maimonides' Eröffnung von MH, wo die Logik als konventionelles Handwerk eingeführt wird, schreibt Mendelssohn:85 »Denn obwohl die heilige Sprache jede Sache bei ihrem eigentlichen Namen und gemäß seiner Natur benennt, also die wahre Sprache ist, wie der Autor des Kusari sagt, gibt es in der Kunst der Logik keinen Weg außer der Konvention.«86

Mendelssohns sprachphilosophische Grundlegung der Logik im allgemeinen und einer hebräischen Logik insbesondere ordnet sich als neues und innovatives Projekt in die jüdische Philosophietradition ein. Ja, man könnte sagen, dass Mendels82

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Adam Shear hat im Zusammenhang mit Israel Zamosczs (von Jehuda Halevi geprägtem) wissenschaftlichem Fallibilismus auf »Halevi's basic position on the ultimate reliability of divine revelation and the fallibility of human reason« hingewiesen (Shear, The Kuzari and the Shaping of Jewish Identity, 222). Saadia Gaon war der erste jüdische Philosoph, der sich mit der Attributenvielheit auseinandergesetzt hat und die göttlichen Attribute als Unterscheidungen in der Sprache markierte: Alle »Bestimmungen über Gott und seine Handlungen [sind] nur als sprachliche Metapher aufzufassen«; ausführlich zur Rolle der Sprache in der Attributenlehre Saadiahs: David Kaufmann: Geschichte der Attributenlehre in der jüdischen Religionsphilosophie, 24–29, 58f., Zitat: 24f; Saadiah, Emmunot ve-Deot, 52. Halevis Antithesen antizipieren Maimonides' Theologie der negativen Attribute, vgl. Jospe, The Superiority of Oral vs. Written Communication, 132f. Zur Halevis Abwertung der Spekulation vgl. u.a. Kusari I.67; V.1; V.14. Maimonides führt das Anliegen, die Kommunikationssituation und den Anspruch der Schrift folgendermaßen vor Augen: »Es fragte ein herausragender Gesetzesgelehrter sowie Meister der reinen Sprache und arabischen Redekunst einen, der die Kunst der Logik studiert hat, ob er ihm die Bedeutung der Namen, die in der Kunst der Logik häufige Erwähnung finden, sowie die Konventionen der Logiker gemäß ihrer willkürlichen Übereinkünfte, erläutern könne […]« (JubA 14, 33); Mendelssohn erläutert aus diesem Abschnitt zwei Begriffe: 1.) haskamot (Konventionen) und 2.) le-fi ma she-hiskimu ‘alaw (in Mendelssohns eigener Übersetzung: »willkürlich über ein gekommen«). Mendelssohn, BMH (Kommentar zur Vorbemerkung), JubA 14, 33: ʹ"ʮʫ ʩʺʩʮʠʤ ʯʥʹʬʤ ʠʥʤʥ, ʥʲʡʨ ʩʴʬʥ ʥʬ ʺʥʠʰʤ ʥʮʹʡ ʸʡʣ ʬʫʬ ʠʸʷʩ ʹʣʥʷʤ ʯʥʹʬʹ ʳʠ ʺʮʠʡ ʩʫ« .»ʤʮʫʱʤʤ ʪʬʤʮʡ ʺʫʬʬ ʭʠ ʩʫ ʥʰʬ ʯʩʠ ʯʥʩʢʤʤ ʺʫʠʬʮʡ ʮ"ʮ ,ʩʸʦʥʫʤ ʬʲʡ

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Logik und heilige Sprache?

sohn die Grundlegung einer Logik in hebräischer Sprache erst das Mittel an die Hand gibt, die Möglichkeit von Logik auf einer nicht-aristotelischen Basis überhaupt zur Sprache zu bringen. Denn wie für Halevi transportiert für Mendelssohn die heilige Sprache die menschliche Unzugänglichkeit ihres vollen Vermögens als Idee und deutet somit auf die Notwendigkeit eines anderen, menschlichen Sprachkonzepts. Die lebendige Einheit von Zeichen und Bezeichnetem, die in Bereshit die Superiorität der heiligen Sprache charakterisiert, kann vom Menschen nicht reproduziert werden. Der Akt der Zeichenbildung kann bei ihm nur Eineindeutigkeit erreichen in Bezug auf die Kongruenz von Idee und Zeichen, nicht in Bezug auf die Identität von Bezeichnung und bezeichneter Sache. Diese Zuordnung beruht allein auf Konventionen, Überlieferungen und Offenbarungstraditionen. Der Weg der Übereinkunft ist die einzige Möglichkeit der menschlichen Sprachbildung und Kommunikation und damit auch Grundlage einer hebräischen Logik. Mit Mendelssohns erkenntnistheoretischer Grundlegung der Logik in der Sprachbetrachtung muss Sorkins These, dass Mendelssohn der andalusischen Philosophie-Tradition zuzuordnen sei, einer Revision unterzogen werden.87 Diese Tradition erhält, laut Sorkin, ihre Konturen in der Zurückweisung von Maimonides' Aristotelismus und dessen systematisch-philosophischem Zugriff auf das Judentum, bei gleichzeitiger Anerkennung seiner Autorität in der Gesetzesauslegung und der Ethik.88 Sie zeichnet sich dadurch aus, dass Philosophie, Wissen und Erkenntnis dem Gesetz untergeordnet werden, ohne den Rationalismus ganz abzuweisen. Abgesehen davon, dass Sorkin, meines Erachtens, einem zu engen Verständnis von der andalusischen Philosophietradition folgt, wertet Mendelssohns Logik-Kommentar den Rationalismus entschieden auf, und das, obwohl er Maimonides' Logiktraktat die aristotelische Grundlegung entzieht. Damit setzte er einen neuen Akzent in der Diskussion.

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Sorkin, Religious Enlightenment, xxiif: »Mendelssohn relied on what one scholar called the ›Andalusian‹ tradition in medieval Jewish thought. [...] Its defining characteristic was that it kept philosophy subordinate to piety and observance by refusing to admit a contemplative educational ideal that promoted a search for ultimate truths or secret knowledge. By denying the possibility of a comprehensive science of the divine and thereby limiting the reach of human knowledge, the Andalusian tradition established boundaries to rationalism yet did not reject rationalism itself. Instead, it aimed to create a pietist or practical rationalism devoted to ethics and observance through a broad curriculum that ›embraced several different disciplines that enriched each other without any one dominating entirely of crowding the others out‹ – philosophy and biblical exegesis, Hebrew language and rabbinic literature. [...] The tradition can be traced to Saadia Gaon in the tenth century and includes the works of Judah Halevi (The Book of the Kuzari) in the twelfth century and Nahmanides in the thirteenth.« Mendelssohn ausdrücklich in: Jerusalem, JubA 8, 167.

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iv. Konvention und Tradition im System der Logik Mendelssohns Apologie des Studiums der Logik vertritt einen Zugang zur Philosophie und zum Philosophieren, welcher das geoffenbarte Gesetz, die mündliche und schriftliche Tora, anerkennt und in keiner Weise relativiert. Im Gegenteil, die Philosophie empfängt ihre Parameter und Grenzen erst durch dessen Existenz. Sowohl Erkenntnis als auch Erkenntniskritik sind so gleichermaßen auf ein fallibilistisches Fundament gesetzt. Mendelssohns BMH bekennt sich so deutlich wie kein anderer Text von ihm zur traditionell-jüdischen Offenbarungsauffassung. In der Vorrede schreibt Mendelssohn: »Der menschliche Verstand [sekhel] allein, ohne die Tora und die Überlieferung [kabbala] kann die Seele nicht sättigen, die danach lechzt [Jes 29,8; Ps 107,9] sich durch das Licht des Lebens [Or ha-Chajim]89 zu sublimieren. Denn wenn der Mensch sich auf den Geist seiner Vernunft allein verlässt, ohne Hilfe und Schutz von Tora und Überlieferung, tastet er wie ein Blinder in der Finsternis [Deut 28,29] und es genügen die Wege der Logik nicht, um ihn vor Verwirrung und Verhängnis zu bewahren.«90

Die Voraussetzung der Gesetzes-Offenbarung stellt die Philosophie viel grundsätzlicher in Frage als das Evidenzproblem. Gemäß der Tradition ist das von Gott gegebene Gesetz vollkommen und genügt notwendig, um den Menschen zum richtigen Handeln anzuleiten.91 Als vorphilosophisches Faktum wirft das Gesetz die Frage nach dem Sinn des Philosophierens auf und erzeugt den problematischen Status und apologetischen Charakter der Philosophie als systematisches Problem. Strauss hat daher Mendelssohn zu Recht an das Ende der islamischjüdischen Tradition des Mittelalters gestellt.92 Sowohl die Anlage von Mendelssohns Apologie der Logik als auch die der Verteidigung der Metaphysik spiegeln die Matrix eines universalen Problems, das in der jüdischen Philosophie seit dem Mittelalter immer wieder zu neuen Formulierungen gefunden hat.93 Es scheint so, dass die zeitgenössische Anfechtung der Philosophie Mendelssohn nur den Anlass für deren prinzipielle Verteidigung lieferte.94 Die Kritik an der Zulänglichkeit der demonstrativen Philosophie in der Evidenzschrift und der damit vorgenommenen

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Zeitgenössischer Tora-Kommentar von Rabbi Chaim ben Moses Attar (1696–1742). Mendelssohn, Vorrede zu MH, JubA 14, 28. Mendelssohn, BMH, in: JubA 14, 117 (vgl. auch die deutsche Übersetzung von Rainer Wenzel in: JubA 20.1, 155f); Leo Strauss, Philosophie und Gesetz, 69. Vgl. Strauss, ebd.; sowie Leo Strauss: Persecution and the Art of Writing. Chicago: University of Chicago Press, 1952, 20; aber auch Levenson, Mendelssohn’s Understanding, 2: »Mendelssohn[’s] work is a major link in the tradition and one of pivotal importance in the transition from medieval to modern scholarship.« Zur Apologie in der jüdischen Philosophie: Yossef Schwartz/Volkhard Krecher (Hgg.): Religious Apologetics – Philosophical Argumentation. Tübingen: Mohr (Siebeck), 2004. Strauss versucht das in seiner »Einleitung zu Morgenstunden und An die Freunde Lessings« (JubA 3.2, LXVIf) anzudeuten.

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indirekten Konsolidierung ihres Autoritätsverlustes,95 wird in ihrer Bedeutung und Motivation erst aus dem hebräischen Logik-Kommentar kenntlich.96 Spiegelbildlich wird die klassische Logik hier gerade auf Grund ihres Unvermögens, den Übergang zur Wirklichkeit zu leisten, verteidigt. Im sicheren Raum der hebräischen Sprache spricht Mendelssohn der Logik expressis verbis eine ontologische Funktion ab. Haim Borodianski hat zu Recht darauf hingewiesen, »daß die Logik des Maimonides erst durch Mendelssohns Kommentar […] zu einem Volksbuch werden konnte.«97 Noch zu Lebzeiten Mendelssohns ist der Kommentar dreimal erschienen und wurde später noch zwölf Mal gedruckt. In der Publikations-, Editions- und Rezeptionsgeschichte des Textes im 20. Jahrhundert wird Mendelssohns Anteil an der Wiederentdeckung des Textes gern unterschlagen.98 Aber nicht nur das, auch in seiner theoretischen Bedeutung für Mendelssohns Werk ist der Text lange Zeit nicht angemessen erfasst worden. Für Mendelssohns Philosophie-Begriff sind sowohl die Evidenzschrift als auch der Logik-Kommentar von zentraler Bedeutung. Vor dem Forum der europäischen Aufklärung wird die in ihrer Beweiskraft erschütterte und Autorität hinterfragte Metaphysik verteidigt, nach der anderen Seite erfährt sie eine Absicherung ihrer Daseinsberechtigung vor dem Hintergrund der Anerkennung der jüdischen Offenbarung. Es steht, schon allein auf Grund der zeitlichen Nähe ihrer Entstehung, außer Frage, dass jede der beiden Verteidigungsreden das je andere »Tribunal« anerkennt und respektiert.99 Mendelssohn entwickelt in der Evidenzschrift eine fallibilistische Position, die nicht für jedermann sichtbar an der Oberfläche liegt, sondern sich nur durch sorgfältige Analyse erschließen läß. Selbst Alexander Altmann hat daher diese Dimension, die geprägt ist durch Mendelssohns Auseinandersetzung mit Humes Agnostizismus und Skeptizismus, übersehen. Der Logik-Kommentar jedoch expliziert Mendelssohns erkenntniskritische Position so deutlich, wie das in deutscher Sprache nicht möglich gewesen wäre. Das hebräische Werk gibt der Philosophie eine andere Berechtigung als im Hinblick auf die systematische Begründung von philosophischen Wahrheiten. Mendelssohns rationale Rechtfertigung des Judentums, wie er sie in seinem Opus Magnum Jerusalem, oder Über religiöse Macht und Judenthum von 1783 vornahm, hebt diese Prämissen nicht

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Strauss spricht etwas unbestimmt von einer Umdeutung der Metaphysik, die Mendelssohn mit der Evidenzschrift anstrebt. Vgl. Strauss, Einleitung zu Abhandlung über die Evidenz, JubA 2, XLVIIIf., LIIf. Strauss, Einleitung zu Morgenstunden und An die Freunde Lessings, JubA 3.2, LXVII. Vgl. Heinrich Simon, Einleitungen, JubA 20.1, XLVII. Vgl. u.a.: Efros, Introduction. Nicht nur Strauss, sondern auch Altmann hat beide Schriften aufeinander bezogen: Strauss passim in: Einleitung Abhandlung über die Evidenz, JubA 2, XLV–LIII; Altmann explizit in A Biographical Study, 119.

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auf. Seine rationale Verteidigung der Offenbarung geht von deren Anerkennung aus, die also für Mendelssohn vorphilosophisch ist. Leo Strauss, der für seine ambivalente Mendelssohn-Rezeption bekannt ist, stellte Mendelssohns Vorrede und Kommentar zu Maimonides' Logik-Traktat als erster in einen philosophischen Kontext.100 Sowohl Vorrede und Kommentar Mendelssohns als auch der Maimonides-Text selbst haben nachhaltig Spuren in Strauss' eigenem Wissenschaftsprogramm hinterlassen.101 Während Strauss' Einleitung in der Jubiläumsausgabe die Vorrede in einen Kontext stellt, der bestimmend für seinen eigenen philosophischen Ansatz werden sollte,102 spielt insbesondere Kapitel 14 in der Auseinandersetzung mit Harry A. Wolfson um die Maimonidische Klassifikation der Wissenschaften und die Stellung der Politik im System der Wissenschaften eine große Rolle.103 Strauss' viel diskutierter Übergang von der (jüdischen) Philosophie zu den politischen Wissenschaften kann vor dem Hintergrund der intensiven Beschäftigung mit dem Logik-Traktat plausibel erklärt werden. Als zwei verschiedene Facetten des gleichen Denkens lassen sie sich auch in Mendelssohns Werk nachweisen. Im Hinblick auf Mendelssohns Verteidigung einer Logik in hebräischer Sprache kann die Strauss'sche Perspektive helfen, Mendelssohns Philosophie- und Aufklärungsverständnis näher zu bestimmen. Strauss hat in seiner kurzen Inhaltszusammenfassung von Maimonides' LogikTraktat lakonisch behauptet: »The Treatise on the Art of Logic is not a Jewish book.«104 Obwohl Mendelssohn in diesem Zusammenhang keine Erwähnung fin100 Leo Strauss, JubA 2, 198–228. Die Einleitung von Strauss ist ausgesprochen kurz. Erst seit Erscheinen von JubA 20.1 im Jahre 2004 ist aus Anlass der ersten kompletten Übersetzung der Schrift ins Deutsche durch Rainer Wenzel eine umfangreichere Einleitung von Heinrich Simon vorhanden. Strauss übersetzte die Vorrede und Ausschnitte des Kommentars für den zweiten Band der Jubiläumsausgabe aus dem Hebräischen und schrieb auch die Einleitung. 101 Die spärliche Erwähnung der Texte kann hierüber kaum hinwegtäuschen, denn Strauss zitiert Mendelssohns Kommentar zwar selten, aber verstreut über sein Werk immer wieder, z.B. in: Philosophie und Gesetz, 69; Maimonides' Statement on Political Science, 116f, Persecution and the Art of Writing, 20; vgl. auch Strauss' Beschäftigung mit dem Original im Kontext seiner Maimonides-Forschung, u.a.: Note on Maimonides' Treatise on the Art of Logic. In: Leo Strauss: Studies in Platonic Political Philosophy. With an Introduction by Thomas L. Pangle. Chicago: University of Chicago Press, 1983, 208f. 102 Strauss, Einleitung zu BMH, JubA 2, XLI. Strauss' eigenes philosophie- und aufklärungskritisches Anliegen war die Ausbildung einer neuen Rationalität, die bestimmt ist durch »eine gesetzliche Begründung der Philosophie, d.h. eine Rechtfertigung des Philosophierens vor dem Forum der Offenbarung.« 103 Die Abhängigkeit Strauss' von Mendelssohns Rezeption der Logik-Schrift spielte in der StraussForschung bislang eine untergeordnete Rolle und soll hier auch nicht Gegenstand der Analyse sein. Wolfsons Arbeiten nehmen den Kommentar Mendelssohns scheinbar überhaupt nicht zur Kenntnis. 104 Strauss fährt fort: »He wrote it in his capacity as a student of logic at the request of a master of the legal (religious) sciences, of a man of high education in the Arabic tongue who whished to have explained to him as briefly as possible the meaning of the terms frequently occurring in the art of logic« (Note on Maimonides' Treatise on the Art of Logic, 208).

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det, enthält dieser Satz einen Vorwurf an ihn und seinen Kommentar. In der Einleitung zu den hebräischen Schriften Mendelssohns in der Jubiläumsausgabe, die noch 1938 erscheinen konnten, hatte Borodjanski darauf hingewiesen, dass erst »durch die Verbindung mit [Mendelssohns] Kommentar […] die logische Schrift des Maimonides zu einer jüdischen Logik« werden konnte.105 Sowohl Strauss als auch Borodianski lassen die Rezeptions- und Übersetzungsgeschichte des Textes unberücksichtigt, die den Logik-Traktat schon lange vor Mendelssohn zu einem »jüdischen« Buch gemacht hatte. Während Borodjanski an Mendelssohns Kommentar jedoch gerade das »jüdische« hervorhob, wurde es Strauss zum Attribut, das den universalen Charakter des Büchleins unerlaubt einschränkte.106 Sein Interesse gilt Maimonides und ostentativ nicht Mendelssohn, suggeriert aber die direkte Konfrontation des hebräischen Kommentars mit der arabischen Vorlage. Was sich für Strauss hinsichtlich Maimonides als sehr aufschlußreich erwies, ist es in Bezug auf Mendelssohn nicht minder. Edward Breuer hat hervorgehoben, dass es gerade die Neutralität des Textes war, die Mendelssohn reizte, der sich »free of Jewish sources or references, and not anchored in any particular pre-modern philosophical system« präsentierte.107 Während das arabische Original des Textes in Maimonides' Werk eine Ausnahme darstellt, insofern es sein einziges Werk ist, das auf einen jüdisch-philosophischen, jüdisch-theologischen oder jüdischexegetischen Kontext ganz verzichtet, gehört Mendelssohns hebräischer LogikKommentar zu dem viel kleineren Teil seines Werkes, welcher sich explizit mit der jüdischen Philosophie-Tradition auseinandersetzt. Die Konfrontation von Philosophie und jüdischem Gesetz, die Maimonides in seiner Logik-Einführung in die universale Spannung von »Philosophie« und »göttlichen Angelegenheiten« (‘injanim elohiim) transformierte,108 kommt in Mendelssohns Evidenzschrift, die als universal-philosophisches Statement wie Maimonides' Logik-Büchlein nicht auf Hebräisch sondern in der Landessprache verfasst ist, als Fallibilismus und Dialektik des Vorurteils ebenfalls transformiert zur Sprache. Der Kommentar übersetzt somit den Ausgangspunkt von Maimonides' allgemeiner Gegenüberstellung von Philosophie und Offenbarung zurück in den jüdischen Kontext. Mendelssohn geht es in beiden Schriften um die Legitimation der Philosophie. Die Verteidigungsreden stellen sich jedoch zwei verschiedenen Foren: Die Evidenzschrift der aufklärerischen »Gelehrtenrepublik der Weltweisen«, der Logik-Kommentar der jüdischen Tradition. Hatte Mendelssohn in der Evidenzschrift gefragt: ›Ist die Metaphysik zur selben Evidenz fähig wie die Mathematik‹? und die Metaphysik trotz ihrer mangelnden Evidenz verteidigt, so stellte Mendelssohn in seiner Vorrede zur zweiten Auflage der Neupublikation von Maimonides' arabischem Ju-

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Haim Borodianski, Vorbemerkung, JubA 14, V. Strauss, Maimonides' Statement on Political Science, 116. Edward Breuer, Of Miracles and Events Past: Mendelssohn on History, 30. Maimonides, MH, JubA 14, 114.

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gendwerk die Frage nach dem Sinn des Philosophierens prinzipiell und grundsätzlich: »Was habe ich mit dem Sohn des Nikomachus zu tun, dass ich an seinen Türen wachen soll, um von ihm die Wege der Weisheit zu lernen?«109 In Strauss' assoziativer Übersetzung, die Platon in das Zitat hineinschmuggelt, heißt es hier: »Was hat der Jude mit Platon oder Aristoteles zu schaffen, daß er an ihrer Tür wachen sollte, um von ihnen Weisheit zu lernen?«110 Mendelssohns Frage – das wird vor allem durch Strauss' Verallgemeinerung des Mendelssohn'schen »Was habe ich« (ma li) in »Was hat der Jude« deutlich –,111 reproduziert eine Dynamik zwischen Singularität, Partikularität und Universalität, die in der islamischjüdischen Philosophie des Mittelalters intensiv diskutiert wurde. Die methodischen Differenzen zum Maimonidischen Traktat lassen sich daher nicht aus Mendelssohns »jüdischer« Entscheidung für die hebräische Kommentierung eines arabischen Textes ableiten, vielmehr ergeben sie sich aus Mendelssohns erkenntniskritischen und zeichentheoretischen Vorentscheidungen. Mendelssohns Kommentar zu Kapitel 8 der Logikschrift macht noch stärker als Kapitel 14 deutlich, wo die Maimonidischen Grenzziehungen überschritten werden. In Anlehnung an Alfarabis Klassifizierungen führt das ursprüngliche (Maimonidische) Kapitel aus, wo im System der Logik Konventionen und Traditionen ihren Platz haben. Die generischen Begriffe werden in Mendelssohns Kommentar auf die Eigenbegrifflichkeit der jüdischen Tradition selbst übertragen und somit als Vorgabe genutzt, um den Ort der Offenbarung am Sinai innerhalb des Systems der Logik zu bestimmen. Maimonides behandelt Konventionen und Traditionen im Kontext der Vordersätze, die keinen Beweis benötigen und als evident gelten, »ohne daß ihre Wahrheiten bewiesen und demonstriert werden müßte«.112 Alfarabi unterscheidet fünf Klassen solcher Sätze:113 1.) die von einer Gruppe oder einem Individuum akzeptierte Voraussetzung (maqbulah); 2.) eine allgemein anerkannte Voraussetzung (mashhurah); 3.) den empirischen Fakt (mahsusah); 4.) die angeborenen Ideen oder das Apriori (ma‘qulah bi’-l-tab‘), das heißt die universalen Prämissen (muqqadimat kulliyyah) die uns immanent sind, wie evidente Wahrheiten und 109 Mendelssohn, BMH, JubA 14, 29. 110 Mendelssohn, BMH, JubA 2, 204–207, 205; Wenn man bedenkt, wie zentral Strauss die rhetorische Frage Mendelssohns in seinem Argument in Philosophie und Gesetz (69) platziert, und dass das Zitat seine Platon-Deutung des aristotelisch geprägten, jüdischen Mittelalters einleitet, handelt es sich um keinen geringen Fauxpas. 111 Strauss beschäftigt sich weniger mit Mendelssohn als vielmehr konfrontativ mit der Frage, wie Maimonides' Logik-Traktat auszulegen ist, wenn angenommen wird, dass Maimonides mit »wir« nicht »wir Juden« meint, wie Mendelssohns Kommentar suggerieren möchte (was von Strauss allerdings nur spärlich erwähnt wird), vgl. Maimonides' Statement on Political Science, 116f, 118, passim. 112 Mendelssohn, Einleitung zu Kap. 8 von BMH, JubA 20.1, 88 (Wenzel-Übersetzung). 113 Vgl. Shukri B. Abed: Aristotelian Logic and Arabian Language in Alfarabi. N. Y.: State University of New York Press, 1991, 91.

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evidentes Wissen (‘ilm yaqin), ohne dass wir uns bewusst sind, woher diese kommen, wie z.B. die Aussage »vier ist eine gerade Zahl«; 5.) den Syllogismus, wobei die Vordersätze evidenter Syllogismen Schlüsse aus anderen Syllogismen sein können, die auf einem der fünf genannten Wege bekannt geworden sind. Maimonides zählt den Syllogismus nicht unter die evidenten Aussagen und unterscheidet nur vier Klassen von Vordersätzen, die keinen Beweis benötigen und die er zudem in eine andere Ordnung bringt. Seine aufsteigende Klassifizierung, welche die empirisch gewonnenen Vordersätze an den Anfang und die Traditionen ans Ende stellt, ist so angelegt, dass sie im Hinblick auf verschiedene Überlieferungen gelesen werden kann. Maimonides unterscheidet: 1.) die Sinneswahrnehmungen (muchashim), »wie unser Wissen, dass dieses schwarz oder weiss ist, und jenes süß oder bitter«;114 2.) die Axiome (muskalot), »wie unser Wissen darüber, dass das Ganze größer ist als der Teil und zwei eine gerade Zahl ist, und die Sachen, die einer Sache X gleichen, sich alle untereinander gleichen«;115 3.) die Konventionen (mefursamot), »wie unser Wissen, dass das Entblößen der Scham tadelnswert und die Spende eines großzügigen Wohltäters als angenehm und üblich angesehen ist«;116 4.) die Traditionen (mekubbalot), das heißt alles, was durch eine oder mehrere Autoritäten überliefert wird. Anders als in Alfarabis platonischer Definition der Axiome, wird von Maimonides der Bezug zu einem spezifischen Lehrgebäude der Philosophie vermieden. In unserem Zusammenhang ist insbesondere von Interesse, wie Maimonides »Traditionen« und »Konventionen« näher bestimmt und wie diese Bestimmungen von Mendelssohn interpretiert werden. Im Gegensatz zu den Sinneswahrnehmungen und den Vernunfterkenntnissen, die anthropologisch determiniert und bei allen Menschen gleich sind, spezifiziert Maimonides Konventionen als ethisches Wissen mit konkretem Handlungs- und Praxisbezug, Traditionen hingegen als Wissen, das durch Autoritäten legitimiert ist. Die Unterschiede zwischen beiden sind bei Maimonides nur dahingehend greifbar, dass Konventionen im Hinblick auf Urteile, Traditionen im Hinblick auf ihre Autorisierung beschrieben werden. Beide sind nicht universal, sondern können von Nation zu Nation variieren. Je breiter jedoch deren Akzeptanz, desto höher ist ihre Evidenz.117 Mendelssohn führt in seinem Kommentar eine klare Unterscheidung von Konventionen und Traditionen ein: Erstere »sind Sachen, hinsichtlich derer nicht wahr oder falsch, sondern löblich und tadelnswert gilt«, letztere solche »die auf Grund des Zeugnisses eines glaubwürdigen Mannes oder des Zeugnisses vieler Glaubwürdi-

114 Mendelssohn, JubA 14, 67; Zum Vergleich siehe die englische Übersetzung in: Efros, Maimonides' Treatise on Logic, 47; Textkritische Version der hebräischen Tibbon-Übersetzung: Efros, ebd., 40–59. 115 Ebd. 116 Ebd. 117 Maimonides, MH, 72f.

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ger als wahr gelten.«118 Bei den Traditionen geht es also um Wahrheit, bei den Konventionen um Praxisregeln. Das Beispiel, das Mendelssohn anführt, um seine Begriffsdistinktionen zu »illustrieren«, ist das Wissen um die Offenbarungsereignisse am Sinai, das durch mündliche Überlieferungsketten, die bis zu Josua und Moses selbst reichen, autorisiert ist.119 Mendelssohn lässt so die Offenbarung (wie auch den Wunderglauben) zu einem Vordersatz werden, dessen Wahrheit autorisiert ist und nicht nur keines Beweises bedarf, sondern gar nicht bewiesen werden kann, da er in der Vergangenheit gebildet wurde: »Wer einen stringenten Beweis für ihre Wahrheit verlangt, der ist nichts als ein Irrender, denn es gibt für etwas, das vergangen ist, keinen Beweis.«120 Der Platz, den Mendelssohn der Offenbarung innerhalb der Logik zuweist, ist keine Gefahr, sondern vielmehr ein Schutz für die Autorität der Offenbarung. Jeder, der dieser Grammatik des Denkens folgt, wenn er in Glaubenssachen, Anschauungen und Gesetzesangelegenheiten über wahr und falsch zu entscheiden hat, ist geschützt vor der Versuchung, das Wunder der Offenbarung mit den Mitteln der Logik beweisen zu wollen: »Auch derjenige, der die Tora erwählt hat und vollkommen und wahrhaftig an die Reden seiner Propheten und Weisen glaubt, wird dafür nicht der Notwendigkeit entkommen, zwischen wahr und falsch zu unterscheiden und sich selbst vor Irrtümern zu schützen: in Glauben, Anschauungen und Gesetzen, deren Subtilitäten und Details; sowie in allem, was die Weisen (chasal) mit Hilfe der Regeln (middot) der ToraAuslegung erklärt haben. […] Und wenn einer sagte, ›Ich möchte weise werden, aber die Modi der Logik nicht benutzen‹, wäre das nicht, als würde er sagen ›Ich möchte meine Augen schließen und die Sterne oben am Himmel erblicken‹, oder ›Ich möchte mit den Menschen sprechen und Bücher schreiben, aber die grammatikalischen Regeln der Sprache nicht benutzen‹?«121

Mendelssohn kann so auch die Talmud-Hermeneutik explizit als Beispiel für die sprachen- und traditionsübergreifende Signifikanz der Logik anführen.122 So erwähnt er die häufige Anwendung des indirekten Beweises im Talmud123 und die 13 middot des R. Jishmael dienen ihm als Beispiele für die Schlussrede.124 Das Fazit ist etwas irritierend: Mit seinem deutschen, philosophischen Werk setzt Mendelssohn die Tradition fort, die Maimonides' Logik-Traktat begründete, mit seinem hebräischem Kommentar zu selbigem bricht er mit der innerjüdischen 118 Mendelssohn, BMH, JubA 20.1., 94f (Wenzel-Übersetzung). 119 Vgl. Pirqei Avot 1.1. 120 Mendelssohn, BMH, JubA 20.1., 96 (Wenzel-Übersetzung). Mendelssohns Kritik der christlichen Offenbarungsauffassung in Jerusalem ist hier bereits angelegt. 121 Mendelssohn, BMH, JubA 14, 28f. 122 Ebd., 28. 123 Ebd., 65. 124 Im Maimonidischen Original nur als Hinweis vorhanden (JubA 14, 67): ,ʭʩʩʸʥʺʤ ʭʩʰʩʣʤ ʩʹʷʤ« »ʭʤʩʫʸʣʡ ʥʰʧʰʠʹ ʤʮʡ ʭʸʫʦʬ ʭʩʰʴ ʯʩʠʥ; Mendelssohns Kommentar dazu vgl. JubA 14, 66; hierzu Wenzel, Anmerkungen, JubA 20.1, 433; zur Talmudhermeneutik allgemein und den 13 Middot insbesondere vgl. Stemberger, Einleitung in Talmud und Midrasch, 25–40.

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Dialektik des Vorurteils – Zu Mendelssohns Projekt der Aufklärung

Konvention, die der Philosophie und Logik ihren Platz in den Sprachen der Völker zuweist.125 Mendelssohns Denken ordnet sich, indem es den Tabubruch vollzieht, mit diesem in die Tradition ein.126 Diese doppelte Widerständigkeit verteidigt er nicht nur nach innen, sondern auch nach außen im vorgegebenen Rahmen religionskritischer Aufklärungsphilosophie. Sorkin stellte Mendelssohn daher bereits 1996 in den Kontext der »religiösen Aufklärung«, die es als solche erst noch zu spezifizieren galt. Das hat Sorkin mit seiner Aufklärungsstudie The Religious Enlightenment. Protestants, Jews, and Catholics from London to Vienna (2008) nachgeholt. Sie zeigt auf, dass Mendelssohn mit seinem Werk auch in einem relgionsübergreifenden Subtext von Religionskritik und -apologie steht. Gleichsam exemplarisch deckt Mendelssohns hebräischer Logik-Kommentar jedoch auf, welche vom Majoritätsdiskurs abweichenden Text-, Denk- und Handlungswelten sich hinter Mendelssohns deutschsprachigem Aufklärungsprogramm verbergen. Sein widerständiger Begriff des »Vorurteils«, der an prominenter Stelle in der Evidenzschrift diskutiert wird, vermag hier weiteren Aufschluss zu geben.

v. Dialektik des Vorurteils – Zu Mendelssohns Projekt der Aufklärung Mendelssohns Aufklärungsparabel in der Evidenzschrift ist bislang weitgehend unbeachtet geblieben. Sie soll hier kurz besprochen werden, da sie es erlaubt, Mendelssohns logische, philosophische und metaphysische Betrachtungen in den größeren Zusammenhang der Aufklärungskritik einzuordnen.127 Auch sonst scheint die Forschungsliteratur um Mendelssohns Auslegung von Homers SirenenPassage einen Bogen gemacht zu haben. Im Gegensatz zu Horkheimer/Adornos Kantischer Interpretation der Passage umspannt Mendelssohns Auslegung ein Paradox, das die Dialektik der Aufklärung nicht als Dichotomie von Vernunft und Sinnlichkeit sondern von Vorurteil und Vernunft erfasst.128 Die vernünftige Überwindung des Vorurteils wird nicht als Fortschritt aufgefasst, sondern vielmehr von

125 Mendelssohn, MH, JubA 14, 29. Vgl. aber die hebräischsprachige Logik-Tradition des jüdischen Mittelalters, an die Mendelssohn bewusst neu anschließt; hierzu Charles H. Manekin: Logic in Medieval Jewish Culture. In: Gad Freudenthal (Hg.): Science in Medieval Jewish Cultures. Cambridge/N. Y.: Cambridge University Press, 2011, 113–135. 126 Diesselbe Denk- und Vorgehensweise legitimiert seine Pentateuch-Übersetzung, wie in Kapitel II gezeigt. 127 Vgl. Rainer Godel: »Eine unendliche Menge dunkeler Vorstellungen«. Zur Widerständigkeit von Empfindungen und Vorurteilen in der deutschen Spätaufklärung. In: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 76.4 (2002), 542–576; Godel geht leider in seiner ausgezeichneten Überblicksdarstellung zu Mendelssohns Vorurteilsbegriff auf die Evidenzschrift nicht ein. 128 Mendelssohn, Evidenzschrift, JubA 2, 295–296.

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Mendelssohn als lebensbedrohlich dargestellt. Mendelssohns Parabel warnt davor, was Max Horkheimer und Theodor W. Adorno als die Folgen von Kants Vernunft- und Kritikbegriff benennen. Für sie führt die »Kritik der Vernunft« zur unumgänglichen »Selbstzerstörung« der Vernunft, die sich nur reflektieren nicht aber aufzuheben vermag.129 Die Unterwerfung der menschlichen Triebe, der Sinnlichkeit und der Natur unter die Herrschaft der Ratio führt in einer »Kreisähnlichkeit der Geschichte« immer wieder neu in die Barbarei.130 Das Destruktive des Fortschritts sei daher als rückläufiges Moment des Denkens zu akzeptieren, um damit dem unbedingten Herrschaftsanspruch einer ausschließlich rational begründeten Moral Einhalt zu gebieten. Ohne die Annahme einer alternativen Autorität führt das zu den gleichen Widersprüchen, die bereits Kants Kritik-Begriff eignen. Für Gianni Vattimo liegt daher das Dilemma der kritischen Theorie darin, »dass Horkheimer und Adorno in ihrer ›Dialektik der Aufklärung‹ den metaphysischen Gehalt des Aufklärungsdenkens nicht verabschieden, sondern in einer veränderten Form aufbewahren.«131 Horkheimer und Adorno entblößten jedoch in bis dato kaum gekannter Schärfe Kants systematischen Anspruch des Vernunftbegriffs und die schematisch-systematische Grundlegung seiner Wissenschaftsarchitektur.132 Sie decken jenen schillernden Machtanspruch der Vernunft auf, vor dessen gefährlichem Zauber Mendelssohns Deutung der Sirenen-Passage bereits 1764 warnt, bevor Kant mit seiner Kritik der reinen Vernunft sämtliche Korrektive der Vernunft der Ägide der Kritik und damit dem Instrument der Vernunft selbst unterwarf.133 Die zum Mythos gewordene, erfolgreiche Passage des Odysseus vorbei an den Verlockungen der Sirenen liefert Mendelssohn das allegorische Bild für die Schwierigkeit und gleichzeitige Notwendigkeit der vernunft-alternativen Instanz des Vorurteils. Im Gegensatz zur Mathematik, wo der Ausgang einer Untersuchung auf die Lebensart des Menschen keinen Einfluss hat, hat »die Weltweisheit auch mit Vorurtheilen zu kämpfen«. Dass für Mendelssohn diese Vorurteile nicht nur »Wahn und Aberglauben« sind, die aus der ›Schanze vertrieben werden müssen‹, deutet sich schon an, wenn er von den »Lehren derselben« spricht.134 Im Angesicht des übermächtigen Vorurteils nämlich, an das sich der Mensch freiwillig

129 Max Horkheimer/Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung: Philosophische Fragmente. Leipzig: Reclam, 1989, 11. 130 Ebd., 50, 63. 131 Gianni Vattimo: Das Ende der Geschichte. In: Harry Kunneman/Hent de Vries (Hg.): Die Aktualität der Dialektik der Aufklärung. Zwischen Moderne und Postmoderne. Frankfurt a. M./N. Y. 1989, 168–209, 175. 132 Vgl. bes. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 98–103. Eine ähnliche Radikalität des Arguments ist in Friedrich von Hardenbergs Die Lehrlinge zu Saïs zu finden, das die Folgen eines dogmatischen Vernunftbegriffs als nahezu apokalyptisches Szenarium prophezeit. 133 Kant, KrV A, AA IV, 9. 134 Mendelssohn, Evidenzschrift, JubA 2, 295.

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Dialektik des Vorurteils – Zu Mendelssohns Projekt der Aufklärung

fesselt, weil es »einen Theil seiner Glückseligkeit ausmacht«, erscheint nicht das Vorurteil sondern der Zauber der Vernunft als Gefahr für das eigene Leben.135 In Anbetracht des existentiellen, lebenserhaltenden Potentials des Vorurteils »gehöret hartnäckige Geduld, Ergebung und Selbstverleugnung dazu, alle seine Vorurtheile und Lieblingsgedanken durch das Feuer dieser Gottheit zu führen, und mit trockenen männlichen Augen abzuwarten, ob sie in Rauch aufgehen, oder in verklährter Schönheit wieder hervorkommen werden.«136 Mendelssohn warnt nicht vor einer Vernunft, die die Gewaltherrschaft über die menschlichen Triebe, die Sinnlichkeit und die Natur bereits angetreten hat,137 sondern vor jener, die den Menschen verlocken möchte, lebenserhaltende, praxisrelevante Konventionen, die »einen so unmittelbaren Einfluß in unsere Lebensart, Glückseligkeit und Meynungen« haben, aufzugeben.138 Die Sirenen repräsentieren in Mendelssohns Aufklärungsrätsel daher nicht die Verführung durch die Sinne sondern durch die (sinnliche) Vernunft:139 »Der größte Theil der Menschen gehet mit Wahn und Aberglauben zu Schiffe, des festen Vorsatzes mit ihnen die Farth dieses Lebens zu beschliessen. Man bewilligt der Stimme der Vernunft niemals ein Gehör, ohne sich von seinen Vorurtheilen, wie Ulysses von den Reisegefährten anbinden zu lassen, und ihnen zum voraus den Befehl zu geben; je beweglicher ich um mein Loßlassung bitten werde, desto fester ziehet die Stricke zusammen, bis wir die Sirene aus den Augen werden verlohren haben.«140

In diesem Bild fallen Vernunft und Sinnlichkeit so dicht zusammen wie Qualität und Quantität in der Grenzwertbetrachtung unendlich kleiner Größen. Damit wird aber nicht die Vernunft ab- sondern lediglich das nur scheinbar irrationale Vorurteil aufgewertet. Mendelssohn spielt mit der Bedeutung und Verwendung des Wortes »Vorurteil«. Die ursprüngliche juristische Bedeutung, die mit Vorurteil – entsprechend dem lateinischen »praejudicium« – ein dem Endurteil vorhergehendes gerichtliches Urteil meint,141 bezeichnet erst seit dem 17./18. Jahrhundert eine negativ bewertete Vorgefasstheit. In dieser Bedeutung wird »Vorurteil« von Mendelssohn benutzt, um auf die unausgesprochenen Voraussetzungen des aufklärerischen Rationalismus hinzuweisen. Jedoch gibt er dem Begriff eine Wendung, indem er ihn im Sinne einer erwünschten Vorgefasstheit gebraucht.142 135 Ebd., 295; vgl. außerdem Mendelssohns Brief vom 18. November 1783 an Elise und J. A. H. Raimarus, in: JubA 13, 159 136 Mendelssohn, Evidenzschrift, JubA 2, 295. 137 Horkheimer/Adorno, ebd., 63. 138 Mendelssohn, Evidenzschrift, JubA 2, 295. 139 Vernunft und Sinnlichkeit fallen in Mendelssohns Allegorie so dicht zusammen wie Qualität und Quantität in der Grenzwertbetrachtung unendlich kleiner Größen. 140 Mendelssohn, Abhandlung über die Evidenz in Metaphysischen Wissenschaften, JubA 2, 296. 141 Vgl. den Eintrag in Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Leipzig 1854–1960, Bd. 26, Sp. 1856. 142 Strauss übernimmt Mendelssohns dialektischen Vorurteilsbegriff, vgl.: Philosophie und Gesetz, 9.

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Nicht die Triebe werden von der Vernunft unterdrückt und gefesselt, sondern die eigenen Vorurteile behüten den Menschen vor den Verlockungen der Stimme der Vernunft, deren Gesang die Sinne betört. Der Mensch soll daher eher »seinen geringen Einsichten gemäß urtheile[n], als dass er einen philosophischen Pabst erkenne, und blindlings nachgehe, wohin ihn jener führen will.«143 Godel hat darauf hingewiesen, dass Mendelssohns Vorurteilsbegriff die »negativ konnotierte Resistenz von Vorurteilen beim Individuum« ins Positive kehrt.144 »Die Widerständigkeit der Vorurteile behindert bei Mendelssohn nicht mehr den als vernünftig gedachten Aufklärungsprozeß, sondern sie ist im Gegenteil dessen essentielle Bedingung.«145 Mit dieser enormen Aufwertung des Vorurteils schafft Mendelssohn auch Raum für das eigene Vorurteil, welches jedoch durch das mögliche Nebeneinander verschiedener Vorurteile relativiert wird und damit mehr ist als nur ein »rhetorisches Mittel zur Scheidung von Eigen- und Fremdgruppe.«146 Die dialektische Betrachtungsweise findet sich bei Mendelssohn nicht nur dort, wo das Vorurteil wie ein Amulett gegen den Zauber der Vernunft hochgehalten wird, sondern wo es selbst zum Gegenstand der Kritik wird. Denn bei aller Sympathie für Vorurteil, Parteinahme und eigener Meinung sieht Mendelssohn durch diese eine politische Freiheit angelegt, mit der auch die Gefahr der Anarchie heraufzieht: »In der Weltweisheit, in der Sittenlehre, in der Politik« wird nämlich nicht »der Ausspruch der Kenner erwartet«, sondern »ist jedes Menschen Gesichte dreiste genug, das Richteramt zu übernehmen. Jeder Thor mustert Systeme, beurtheilet sittliche Handlungen und tadelt Regierungsforme.«147 Weil die Steuerung der Anarchie die Gefahr des Despotismus in sich birgt, muss der Wissende, der Philosoph, der Weltweise, der Berater des Steuermanns jedoch damit leben, »daß jedermann seine Meynung sage, so ungereimt sie auch sey.« Es sei immer besser, dass jeder »seinen geringen Einsichten gemäß urtheile, als daß er einen philosophischen Pabst erkenne, und blindlings nachgehe, wohin jener ihn führen will.«148 Die Aufgabe des Philosophen liege daher in der Duldung und vorsichtigen Einhegung der Anarchie, ohne dabei dem Despotismus zu verfallen, der von Mendelssohn als die gefährlichste aller politischen Verwerfungen angesehen wird.149 Die politisch-praktische Dimension seines Vorurteilsbegriffs differenzierte Mendelssohn in seinem Essay Über die Frage: was heißt aufklären? weiter aus.150 Mendelssohn, Evidenzschrift, JubA 2, 296f. Godel, Zur Widerständigkeit von Empfindungen und Vorurteilen, 575. Godel, ebd., 575. Godel, ebd., 571. Mendelssohn, Evidenzschrift, JubA 2, 296. Ebd., 296f. Zur Interpretation dieser Passage in der Evidenzschrift vgl. auch: Goetschel, Mendelssohn and the State, 491f. 150 Mendelssohn, Über die Frage: was heißt aufklären?, JubA 4.1, 113–119.

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Dialektik des Vorurteils – Zu Mendelssohns Projekt der Aufklärung

Vorurteile werden von ihm nun klar nach theoretischer Relevanz im Hinblick auf die »Aufklärung« und praktischer Relevanz für »Kultur« und »Bildung« unterschieden.151 Mendelssohns dialektische Umdeutung, Rehabilitierung und Kritik des Vorurteils formulierte einen wichtigen Beitrag zur aufklärerischen Vorurteilsdiskussion.152 Sie korrespondiert aber auch mit Jehuda Halevis dialektischer Betrachtung des Konventionsbegriffs, der sich, wie wir gesehen haben, überhaupt erst aus dem Bekenntnis zur jüdischen Offenbarungstradition ableitet.153 Mendelssohns Deutung des Vorurteilsbegriffs impliziert auf logischer Ebene eine Dialektik zwischen Singularität, Partikularität und Universalität, deren Spur in BMH verfolgt werden konnte, sowie in praktischer Hinsicht eine Dialektik zwischen Religion, Philosophie und Politik, die der Gegenstand von Mendelssohns Hauptwerk Jerusalem ist.

151 So sind »Lehren und Vorurteile, die nur theoretisch falsch sind […] nicht schädlich« (Godel, Zur Widerständigkeit von Empfindungen und Vorurteilen, 569). 152 Ebd., 571. 153 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Hans-Georg Gadamers viel spätere Rehabilitierung des Vorurteils im Rahmen der Aufklärungskritik in Wahrheit und Methode. Hierzu L. M. Palmer: Gadamer and the Enlightenment’s ›prejudice against all prejudices‹. In: Clio 22.4 (1993), 369– 377.

VI. Sprache und Politik Für Leo Strauss erhält der die platonische Staatsidee mit der jüdischen Philosophie des Mittelalters eine wertvolle methodische Ergänzung. Strauss, der vor allem an der politischen Dimension des Platonismus interessiert ist, sieht in der an der Idee des Guten ausgerichteten, gerechten Ordnung nicht den Monotheismus, sondern die Möglichkeit der jüdischen Gesetzesoffenbarung philosophisch vorweggenommen.1 Indem die Offenbarung am Sinai die Idee des Gesetzes geboren habe, könne aber dessen Eigenart des Gegebenseins viel besser zur Geltung gebracht werden als von Platon selbst. Nicht nur die Prophetologie Alfarabis und der islamischen Aristoteliker, der Aristotelismus Maimonides',2 der Deismus R. Levi ben Gershons stünden in dieser Tradition, sondern auch »die Offenbarungslehre Mendelssohns, der […] den Platonisch-mittelalterlichen Gesetzesdanken zu restituieren versuchte«.3 Die einheitliche Sprachverfassung der Israeliten, in der heilige, National-, Amts- und Umgangssprache ein einziges Idiom darstellten, gehört für Mendelssohn zu jener unwiederbringlichen Vergangenheit, in der die mosaische Verfassung die Einheit von Staat und Religion garantierte.4 Als solche ist diese Sprachverfassung Teil des singulären, historischen Paradigmas einer idealen, gerechten Gesellschaft, dem Mendelssohn eine Funktion im Hinblick auf 1 2

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Strauss, Philosophie und Gesetz, 65. Vgl. aber Amos Funkenstein, der von einer metaphysischen Gesetzesinterpretation bei Maimonides ausgeht: Gesetz und Geschichte: Zur historisierenden Hermeneutik bei Moses Maimonides und Thomas von Aquin. In: Gesetz und Geschichte. Zur Historischen Hermeneutik bei Moses Maimonides und Thomas von Aquin. In: Viator. Medieval and Renaissance Studies 1.1970, 147– 178, bes. 153. Vgl. Strauss, Philosophie und Gesetz, 59–66. Mit anderer Intention wies auch Simon Rawidowicz auf den stark ausgeprägten Charakter des Gegegebenseins in Mendelssohns Konzept vom Judentum und fand hier den Entwurf für eine nicht-kantianische, existentialistische Beschreibung des jüdischen Gesetzes: »Mendelssohn's Judaism is […] something primary, beyond any apology and justification, elementary, natural […]. Mendelssohn’s system of defense is far removed from the Jewish apologetics in the 19th and 20th centuries. While Jewish apologists usually follow an a priori method, Mendelssohn starts a new method, a posteriori, if I may say so. While they used to demonstrate the truthfulness, beauty, divinity, and usefulness of Judaism in order to find an apology or justification for the right of existence of Jewry – Mendelssohn followed the opposite way: the very fact of our being Jews should demonstrate the truth of Judaism. Not Judaism qua religion or philosophy justifies the existence of Israel qua nation people or community, but on the contrary« (Moses Mendelssohn, the German and Jewish Philosopher. In: Benjamin C.I. Ravid (Hg.): Studies in Jewish Thought by Simon Rawidowicz. Philadelphia: The Jewish Publication Society of America, 1974, 344). Vgl. Kap. II.ii.

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Sprache und Politik

seine normative Staatsidee zuweist, welche sich ihrerseits auf eine zu reformierende politische Praxis bezieht. Für diese fordert Mendelssohn in Jerusalem, oder über religiöse Macht und Judentum (1783) eine klare Trennung der Belange von Staat und Religion. Der erste Abschnitt Jerusalems widmet sich diesen Grenzziehungen und expliziert die politisch-praktische Dimension von Mendelssohns Sprachauffassung im Hinblick auf den Staat. Im zweiten Abschnitt von Jerusalem zeigt Mendelssohn, wie sein Verständnis der jüdischen Offenbarungstradition gleichsam idealtypisch die Anforderungen erfüllt, die der Religion im politischen Zustand der Trennung von Kirche und Staat obliegen. Es wird deutlich, dass seine Staatsidee aus der idealtypischen Beschreibung der jüdischen Traditions-, Schriftund Sprachauffassung erst gewonnen wurde. Mendelssohns Apologie des jüdischen Zeremonialgesetzes ist auf der Grundlage der Kritik des schriftlichen Zeichens vor allem eine Apologie der mündlichen Lehre, die wie Platons Phaidros sowohl einer erkenntnistheoretischen als auch politischen Absicht folgt. Die Erschließung der zeichentheoretischen Grundlegung von Mendelssohns Apologie aus der Perspektive seiner Sprach- und Zeichenbetrachtungen in den ästhetischen und philosophischen Schriften steht am Anfang des letzten Kapitels. Die Unterkapitel VI.ii. und iii. widmen sich den bislang vergleichsweise wenig von Interesse gewesenen sprach- und zeichentheoretischen Überlegungen aus dem ersten Abschnitt von Jerusalem. Im Mittelpunkt steht hier die Auseinandersetzung mit Thomas Hobbes' (1588–1679) Sprachauffassung, die den Nominalisten Johann Georg Hamann (1730–1788) zu einer scharfen Attacke herausforderte, welche Hobbes genau so galt wie Mendelssohn.

i. Das Zeremonialgesetz als Zeichensprache Jerusalem, oder über religiöse Macht und Judentum ist das bekannteste und am häufigsten interpretierte Werk Mendelssohns.5 Er publizierte die zweiteilige Schrift im Jahre 1783 aus Anlaß einer in den Göttingischen Gelehrten Anzeigen anonym (August Friedrich Cranz) erschienenen polemischen Rezension,6 die ihm vorwarf, als Angehöriger der »mosaischen Religion« »bewafnetes Kirchenrecht« zu vertreten:7 »Das bewafnete Kirchenrecht ist immer eine der vorzüglichsten Grundsteine der jüdischen Religion selbst, und ein Hauptartikel in dem Glaubenssystem Ihrer Väter. In wiefern können Sie, mein lieber Mendelssohn, bey dem Glauben Ihrer Väter

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Vgl. hierzu die Einleitung des Buches. August Friedrich Cranz: Das Forschen nach Licht und Recht in einem Schreiben an Herrn M. Mendelssohn auf Veranlassung seiner merkwürdigen Vorrede zu Manasseh Ben Israel. Berlin 1782; (JubA 8, 73–87). Mendelssohn, Jerusalem, 152.

Das Zeremonialgesetz als Zeichensprache

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beharren, und durch Wegräumung seiner Grundsteine das ganze Gebäude erschüttern, wenn Sie das durch Mosen gegebene, auf göttliche Offenbarung sich berufende Kirchenrecht bestreiten?«8

Dass es ein polemischer Anlass, eine Konversionsaufforderung war, die Mendelssohns Jerusalem provozierte, hat in der Vergangenheit oft dazu verleitet, das Werk philosophisch nicht ernstzunehmen. Hier ginge es, wie Hermann Cohen konstatierte, um Religionspolitik, um »das Verhältnis von Judentum und Christentum zum Problem der religiösen Macht«.9 Die auf einem solchen Boden entwickelte, interessengeleitete Idee vom Judentum müsse zwangsläufig eine falsche sein. Die Spuren dieses Erbes reichen bis in die aktuelle Mendelssohnforschung. Erst in den letzten Jahren sind mehrere Interpretationen des Textes entstanden, die aus dessen minoritätspolitscher Agenda und dem philosophischen Gehalt keinen Widerspruch mehr konstruieren, sondern im Gegenteil, das eine für das andere fruchtbar machen (vgl. v.a. C.-F. Berghahn (2001), Hilfrich (2001), Goetschel (2004), Mufti (2007)). Auch Leo Strauss hat bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine bislang zu wenig beachtete Perspektive auf den Text ermöglicht, welche die von Mendelssohn gewählte Darstellungsform der Apologie im Rahmen der jüdischen Philosophietradition verortet. Jerusalem kann auf dieser Grundlage nicht nur als Verteidigung gegen eine deistische Konversionsattacke verstanden werden, sondern als Apologie des Judentums vor dem Forum der Philosophie.10 Dem entspricht auch Mendelssohns eigene Ankündigung des Textes in einem Brief an Herz Homberg. Dort schreibt er: »Jerusalem ist ein Büchlein der besonderen Art […], es ist von einer Beschaffenheit, wie es weder Orthodoxe noch Heterodoxe beyder Nationen erwartet haben. Denn alle erwarteten Religionszank, und ich sehe mich, meiner bösen Gewohnheit nach, bey jedem Schritte nach speculativer Materie um, die ich anknüpfen kann, und lasse den Streitkolben darüber aus den Händen fallen.«11 Meine Interpretation des Textes nimmt diesen Hinweis ernst und versucht, eine neue Facette in Mendelssohns philosophischem Argument sichtbar zu machen, indem die zeichentheoretische Bestimmung des jüdischen Zeremonialgesetzes aus der Perspektive seiner erkenntnisästhetischen Sprachbetrachtungen untersucht wird.12

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Ebd., 152f. Cohen, Deutschtum und Judentum, 257; vgl. auch Kap. I.v. Strauss, Einleitung zu BMH, JubA 2, XLI.; vgl. auch Kap. V.iv. Moses Mendelssohn an Herz Homberg, 14. Juni 1783, JubA 13, 112. Mendelssohns Verteidigung des Zermonialgesetzes ist auch im Hinblick auf dessen zeichentheoretische Grundlegung in den letzten Jahren mehrfach untersucht worden, jedoch bislang kaum mit den Sprachreflexionen in den übrigen Schriften verbunden worden. Vgl. hierzu das Forschungsreferat in der Einleitung.

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Sprache und Politik

Mendelssohns Apologie des Zeremonialgesetzes13 im zweiten Abschnitt von Jerusalem wird mit einer Entstehungsgeschichte der Schriftsprache eingeleitet. Damit knüpft Mendelssohn an seine im Sendschreiben an Lessing und in dem Aufsatz Über die Sprache ausdifferenzierte These der natürlichen Genese von Zeichen und Sprache an.14 Mendelssohn nahm sich nun der Problematik zum letzten Mal an. Im Zentrum des Arguments steht nicht mehr nur die Funktion der Zeichenbildung für den Erkenntnisprozess, die von Mendelssohn in der Evidenzschrift entscheidend weiterentwickelt worden war,15 sondern der Übergang zwischen den verschiedenen Sinneseindrücken, und daraus abgeleitet, die Unterscheidung der Funktion schriftlicher und mündlicher Zeichen für die zwischenmenschliche Kommunikation und das gesellschaftliche Zusammenleben.16 In der jüngeren Forschungsliteratur ist wiederholt auf Mendelssohns Abhängigkeit von Étienne Bonnot de Condillac (1714–1780) hingewiesen worden,17 dessen Sprachursprungstheorie die anthropologische Sprachdiskussion der Aufklärung nachhaltig prägte. Condillacs Essai sur l'origine des connaissances humaines von 1746 hat nicht nur Rousseau, sondern auch Diderot, d'Alembert, Maupertuis und Herder stark beeinflusst. Condillac geht wie Mendelssohn von der Sprach- und Zeichengebundenheit des Denkens aus. »Sprache ist für Condillac das Ergebnis eines langen Prozesses der Wechselwirkung zwischen sensations und Zeichen.«18 Er entwirft eine Entwicklungsgeschichte der Sprache, die den allmählichen Übergang von einer 13

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Der deutsche Begriff »Zeremonialgesetz« geht auf den von Thomas Aquinas geprägten Terminus »caeremonialia« zurück, der von einem christo-zentrischen, typologischen Schriftverständnis ausgehend das jüdische Religionsgesetz evaluierte. Die protestantische Ethnographie der frühen Neuzeit adaptierte den Begriff auch für die Beschreibung anderer, fremder Religionen und Kulturen. Seit Josef Albo (Sefer ha-Ikkarim, 1485) hat es eine jüdische Auseinandersetzung mit dem Begriff gegeben, die von Simone Luzzatto (Discorso circa il stato de gl'Hebrei et in particolare dimoranti nell'inclita Città di Venetia, 1638) und Spinoza (Tractatus theologico-politicus, 1670) fortgesetzt wurde. Mendelssohns Jerusalem, oder über religiöse Macht und Judentum (1783) reiht sich in diese jüdische Diskussion des Begriffs ein, gleichzeitig ist es die erste deutsch-sprachige Auseinandersetzung mit dem Konzept. Vgl. hierzu: Giuseppe Veltri: Geborgte Identität im Zerrspiegel: ‹Jüdische Riten» aus philosophisch-politischer Perspektive. In: Frankfurter Judaistische Beiträge 33 (2006), 111–129; Yaacov Deutsch: A View of Jewish Religion: Conceptions of Jewish Practice and Ritual in Early Modern Europe. In: Archiv für Religionsgeschichte 3 (2000), 273–295; sowie konkret zu Mendelssohn: Daniel Krochmalnik: Mendelssohns Begriff ‹Zeremonialgesetz» und der europäische Antizeremonialismus. Eine begriffsgeschichtliche Untersuchung. In: Ulrich Kronauer/Jörn Garber (Hgg.): Recht und Sprache in der deutschen Aufklärung. Tübingen: Max Niemeyer, 2001, 128–160. Vgl. Kap. II.ii. u. IV.ii. Vgl. Kap. IV.ii–iv . Mendelssohn, Jerusalem, JubA 8, 171, 173. Vgl. u.a. Ricken, Mendelssohn und die Sprachtheorien der Aufklärung, 202–205; Goetschel, Spinozas Modernity, 161f; Mufti, Enlightenment in the Colony, 61f, Schatz, Sprache in der Zerstreuung, 222–225; Pollok, Facetten des Menschen, 359–363. Cordula Neis: Sprachdenken des 18. Jahrhunderts: Die Berliner Preisfrage nach dem Ursprung der Sprache (1771). Berlin/N. Y.: De Gruyter, 2003, 52.

Das Zeremonialgesetz als Zeichensprache

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Aktionssprache (langage d'action) zu einer abstrakten, rationalen Kalkülsprache (langue de calcul) vertritt. Die Zeichenentwicklung beschreibt Condillac entlang dieser Setzungen: Die natürlichen, auf Nachahmung beruhenden Zeichen der primitiven Gebärdensprache werden zu einer artikulierten Lautsprache, die sich willkürlicher Zeichen bedient, fortentwickelt.19 Schon 1773 problematisierte Mendelssohn Condillacs Evolutionsthese: »Die Sprache, die der Mensch als Thier hat, dies Geschrey, worinn sich jede lebhafte Empfindung ohne Absicht und ohne Willkühr äussert, muß mit der, die er als Mensch hat, nicht verwechselt werden. Vergeblich hat sich daher Condillac, nebst andern mehr bemühet, den Ursprung dieser aus jener herzuleiten.«20

Abgesehen davon, dass Mendelssohns Interesse an der Sprachentstehung nur bedingt ein historisches, sondern vielmehr ein analytisches ist, welches versucht, Sprachproduktion begrifflich zu erfassen,21 bezieht sich Mendelssohns Kritik an Condillac konkret auf dessen These von der natürlichen Genese der sinnlichen/natürlichen Zeichen der Laut- und Gebärdensprache hin zu den »aus natürlichen und willkührlichen Zeichen zusammengesetzten Sprachen der Menschen«.22 »Dieser Übergang«, so Mendelssohn, »scheinet einen Sprung, und der Sprung mehr als gemeine Kraft zu erfordern.«23 Die gesamte Sprach- und Schrifttheorie in Jerusalem beruht auf der Interpretation dieses Sprunges, den Mendelssohn, im Gegensatz zur konträren Einleitungsrhetorik, zu rationalisieren versucht.24 Sein Argument beruht dabei auf den früheren Sprachbetrachtungen, die hinsichtlich des Übergangs von den sinnlichen zu den willkürlichen Zeichen korrigiert, überdacht und verfeinert werden.25 Die Entstehung der willkürlichen Zeichen wird nun eng mit der Schriftentwicklung verknüpft und ganz konkret an die

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Mufti, Enlightenment in the Colony, 61. Mendelssohn, Herder und Tiedemann. Ursprung der Sprache, JubA 5.2, 177. Mendelssohn hatte schon in Über die Sprache keine Aussage über die konkrete Verortung seiner Thesen in der Geschichte gemacht, die Daten einer konkreten historischen Entwicklung interessieren ihn wenig: »Man lasse der ersten Anlage zur Sprache so viel Zeit, als man für nöthig hält, Jahrhunderte, wenn man will, um sich fest zusetzen, und den Gemüthern recht einzuprägen. […] Ich kann der Jahrhunderte soviel einräumen, als man verlanget« (JubA 6.2, 13). Goetschel verweist ebenfalls auf den hypothetischen Charakter der Evolutionsthese (Spinozas Modernity, 126). Dass auch Condillacs Interesse an der Sprachentstehung vorwiegend analytisch ist, machen erst seine späteren Schriften deutlich, vgl. v.a. La Logique ou l'art de penser (1780), La Langue des calculs (1798, posthum). Mendelssohn, Jerusalem, JubA 8, 171. Mendelssohn, ebd., 174. Diese Bemerkung bezieht sich konkret auf das System der sichtbaren Zeichen, das heißt auf den Übergang von der Hieroglyphik zur alphabetischen Schrift. Es handelt sich um ein Indiz, dass auch hier das skeptische Moment die (hypothetische) Darstellung bestimmt. In Über die Sprache hatte Mendelssohn wie Condillac die Entwicklung der natürlichen und nachahmenden Zeichen hin zu den willkürlichen noch als eindimensionale Genese dargestellt, vgl. Über die Sprache, JubA 6.2, 14.

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Sprache und Politik

kognitive Fähigkeit des Menschen, die Transzendenz zwischen den verschiedenen Sprachen der Sinne herzustellen, gebunden.26 Die klare Distinktion der fünf Sinne und der zugehörigen Zeichensysteme bildet in Jerusalem das Fundament für die Darstellung der allgemeinen Sprach- und Schriftentwicklung. In Über die Sprache finden sich die ersten Schritte einer Evaluierung der verschiedenen Sinne für den Prozess der Sprach- und Erkenntnisbildung, aus denen die Entscheidung, die Schriftentwicklung neu in den Mittelpunkt der Sprachgenese zu stellen, unmittelbar folgt.27 Für Mendelssohn haben »die Sinne des Geschmaks und des Geruchs« am wenigsten Sprache. Sie »sind unter allen die langsamsten und verwirrtesten« und haben deshalb »zum Vorrath der deutlichen Erkenntniß den geringsten Beitrag geliefert«.28 Für die Sprachbildung sind sie dennoch von Bedeutung, weil ihre gegenseitige Nähe und Ähnlichkeit, die Idee der Übertragung überhaupt erst nahegelegt haben mag, und von hier geschlossen werden konnte, »daß auch die Eindrücke der übrigen Sinne in einigen transcendentalen Bestimmungen übereinkommen, und sich einander ähnlich sind.«29 Die größte Relevanz für die deutliche Erkenntnis ordnet Mendelssohn dem Gesichtssinn/Sehsinn zu, da er der einzige Sinn ist, der systematisch auf synthetischem Wege zu Allgemeinbegriffen gelangen kann: »Er zählet uns […] die Merkmale gleichsam einzeln zu; zeigt uns zuerst die Materie, so denn Aussenlinien der Figur, hierauf Bewegung des Ganzen, deren Farbe, und endlich Lage und Bewegung der Theile. Alles dieses giebt er uns aus demselben Gesichtspunkte, in verschiedenen Standorten zu erkennen. Verändern wir den Gesichtspunkt; so bekommen wir an demselben Gegenstande andere Seiten der Figur und eine andere Abwechslung von Licht und Schatten zu sehen.«30

Auch den anderen Sinnen ordnet Mendelssohn besondere Spezifika zu. Er unterscheidet das Sehen von Figuren und Farben und vergleicht letzteres mit dem Hören von Tönen. Hier ist das Gehör dem Gesichtssinn an Schnelligkeit überlegen: Der Mensch kann »in einer gegebenen Zeit weit mehr auf einander folgende Töne, als auf einander folgende Farben unterscheiden«.31 Das Gehör kann zwar »nicht mehrere Eindrücke neben einander unterscheiden«, jedoch ist es durch die 26

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Konkret von den Sprachen der Sinne spricht Mendelssohn in: Über die Sprache, JubA 6.2, 21. Die aus den transzendentalen Bestimmungen der verschiedenen Sprachen der Sinne abgeleitete Transzendenz zwischen dem inneren und den äußeren Sinnen ist für die Grundlegung der Sprach- und Zeichentheorie der Metaphysik im Bezeichnungsmodus des Infinitesimalkalküls bestimmend; vgl. Kap. IV.ii. Mendelssohn, ebd., 18–21; vgl. auch die hieraus entwickelte Semiotik der Künste in Mendelssohns Kunstphilosophie; hierzu ausführlich Pollok, Facetten des Menschen, 212–220. Mendelssohn, ebd.; Mendelssohn ordnet dem Geschmackssinn einen größeren Beitrag zur deutlichen Erkenntnis zu, da er »zu mehrern allgemeinen Begriffen scheinet Gelegenheit gegeben zu haben, als der Geruch« (ebd., 21). Ebd. Ebd., 19. Ebd., 20.

Das Zeremonialgesetz als Zeichensprache

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schnelle Aufeinanderfolge der Eindrücke ein hervorragendes Instrument des Vergleiches, und hat daher ebenfalls »zu einer nicht geringen Anzahl von allgemeinen Begriffen verhelfen können«.32 Das Gefühl (=Tastsinn) hat dem Gehör, Geschmack und Geruchssinn voraus, dass es synchron verschiedene Gegenstände auf einmal wahrnehmen kann. Anders als beim Gesichtssinn ist hier jedoch die Anzahl der gleichzeitig wahrnehmbaren Gegenstände sehr begrenzt, was den Prozess der Absonderung und distinkten Vergleichung erleichtert. Der Tastsinn ergänzt, korrigiert und verdeutlicht so die Begriffe, die mit Hilfe des Gesichtssinns gebildet wurden: Er »hilft die Bilder gleichsam aus[zu]zeichnen, die das Gesicht nur entworfen hat; indem [es] durch fühlbare Eindrücke, von der Ausdehnung, Figur, Bewegung und Lage der Theile unterrichtet«.33 Mendelssohn geht davon aus, dass jeder der fünf Sinne sein eigenes, unabhängiges Zeichensystem ausbildete. Außerdem evaluiert er die Sinne im Hinblick auf deren Relevanz für die Zeichenerkenntnis und favorisiert hier eindeutig den Gesichtssinn und das Gehör, das heißt insbesondere: Das »Sehen der Figuren« und das »Hören der Töne«.34 Es handelt sich hier um die ästhetischen Konzepte, die Schrift und Rede/Sprache antizipieren. Mendelssohns kleine Entstehungsgeschichte der Schrift-Sprache in Jerusalem beruht auf diesen erkenntnisästhetischen Setzungen.35 Sie beginnt mit der natürlichen Genese der ersten sichtbaren Zeichen aus den Dingen selbst, hin zu den Hieroglyphen: »Die ersten sichtbaren Zeichen, deren sich die Menschen zu Bezeichnung ihrer abgesonderten Begriffe bedient haben, werden vermuthlich die Dinge selbst gewesen seyn. Wie nämlich jedes Ding in der Natur einen eigenen Charakter hat, mit welchem es sich von allen übrigen Dingen auszeichnet; so wird der sinnliche Eindruck, den dieses Ding auf uns macht, unsere Aufmerksamkeit hauptsächlich auf dieses Unterscheidungszeichen lenken, die Idee desselben rege machen, und also zur Bezeichnung desselben gar füglich dienen können. […] Mit der Zeit kann man es bequemer gefunden haben, anstatt der Dinge selbst, ihre Bildnisse in Körpern oder auf Flächen zu nehmen; endlich der Kürze halber sich der Umrisse zu bedienen, sodann einen Theil des Umrisses Statt des Ganzen gelten zu lassen, und endlich aus heterogenen Theilen ein unförmliches, aber bedeutungsvolles Ganze zusammenzusetzen; und diese Bezeichnungsart ist die Hieroglyphik.«36

Die Hieroglyphik ist Sprache/Zeichenssystem des Gesichtssinns. Die Schriftsprache hingegen bezieht sich auf zwei verschiedene Zeichensysteme: Das Lautsystem und die Alphabetschrift. Der Übergang von der Hieroglyphik zur alphhabetischen 32 33

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Ebd. Ebd., 19. Die Passage über den Tast- und Gesichtssinn weist in seiner gedruckten Fassung in der Jubiläumsausgabe m.E. einige Transkriptionsfehler auf, die nur im Vergleich mit dem OriginalManuskript korrigiert werden können. Ebd., 20. Mendelssohn, Jerusalem, JubA 8, 173–183. Ebd., 173f.

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Sprache und Politik

Schriftsprache ist daher die eigentliche Schwierigkeit37 und kann nicht eindimensional und als lineare Entwicklung beschrieben werden, wie von Condillac und anderen vorgeschlagen:38 »Daß […], wie einige glauben, unsere alphabetische Schrift blos Zeichen der Laute, und nicht anders, als vermittelst der Laute, auf solche Sachen und Begriffe anzuwenden seyn sollte, ist völlig ohne Grund.«39 Der Schriftsprache liegen vielmehr zwei verschiedene Zeichensysteme zu Grunde, die anthropologisch unterschiedlicher Herkunft sind und dementsprechend unterschiedlichen menschlichen Bedürfnissen dienen: »Die Bezeichnung der Begriffe ist also doppelt notwendig: einmal für uns selbst, gleichsam als Gefäß, worinnen sie verwahrt, und zum Gebrauch bey der Hand bleiben mögen, und sodann um unsere Gedanken anderen mittheilen zu können.«40 Die intersubjektive Kommunikation ist dabei vor allem auf die phonetischen Zeichen angewiesen, denn »die Laute, oder die hörbaren Zeichen [haben] in letzterer Rücksicht einigen Vorzug; denn wenn wir unsere Gedanken andern mittheilen wollen, so sind die Begriffe schon in der Seele gegenwärtig, und wir können, nach Erfordern, die Laute hervorbringen, durch welche sie bezeichnet werden.«41 Die visuellen Zeichen hingegen sind, »weil sie fortdauernd sind, und nicht immer wieder hervorgebracht werden müssen«, für den subjektiven Erkenntnisprozess unentbehrlich. Sie sind ein Mittel, mit dessen Hilfe wir bereits »abgesonderte Begriffe zu einer andern Zeit wieder in der Seele erwecken und vermittelst der Zeichen in Erinnerung bringen können.«42 Nur indem eine Relation zwischen phonetischem und visuellem Zeichensystem hergestellt wurde, konnten die alphabetische Schriftsprache und die »lebendigen ausgebildeten Sprachen« entstehen:43 »Schrift in Rede und Rede in Schrift zu verwandeln, und also die hörbaren Zeichen mit den sichtbaren zu vergleichen; so kann man gar bald bemerkt haben, daß sowohl in der Redesprache dieselben Laute, als in verschiedenen hieroglyphischen Bildern dieselben Theile öfters wiederkommen, aber immer in anderer Verbindung, wodurch sie ihre Bedeutung vervielfältigen. Endlich wird man gewahr worden seyn, daß die Laute, die der Mensch hervorbringen und vernehmlich machen kann, so unendlich an der Zahl nicht sind, als die Dinge, welche durch sie bezeichnet werden.«44

Indem die Sprachen des Gehörs (Lautsprache) und des Gesichtssinns (Hieroglyphik) analogisch aufeinander bezogen wurden, konnte Struktur in die unermessliche Anzahl von hieroglyphischen Bildern (und Dingen) gebracht, 37 38 39 40 41 42 43 44

Ebd., 174. Vgl. Mufti, Enlightenment in the Colony, 62. Mendelssohn, ebd.,174. Ebd.,173. Ebd. Ebd.; Mendelssohns Zeichentheorie der Metaphysik und Wissenschaftstheorie ist daher ausschließlich an der (visuellen) Geometrie und Mathematik orientiert. Ebd., 175. Ebd., 174f.

Das Zeremonialgesetz als Zeichensprache

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konnte die Anzahl der Hieroglyphen systematisch auf die Zeichen der Alphabetschrift eingegrenzt werden. Auch das Lautsystem hat mit dem Schriftbezug eine Reduktion erfahren, denn die Alphabetschrift ist »bey weitem so mannigfaltig nicht, als die Rede«.45 Anders als die Hieroglyphen beziehen sich die alphabetischen Zeichen nicht mehr nur auf die Wahrnehmung und Bezeichnung der Dinge, sondern auf ein zweites Zeichensystem, das Lautsystem. Für Mendelssohn ist dieser Übergang, dieser Doppelbezug des Zeichens, »eine der herrlichsten Entdeckungen des menschlichen Geistes«, die zeigt, dass der Mensch »allmählig, ohne Flug der Erfindungskraft, darauf geführt [habe] werden können, sich das Unermeßliche als meßbar zu denken, gleichsam den gestirnten Himmel in Figuren abzutheilen, und so jedem Sterne seinen Ort anzuweisen, ohne die Anzahl der Sterne zu wissen.«46 Die Schriftsprache ist damit für Mendelssohn das erste transzendente Ausdrucksmittel, dessen sich die Menschen bedient haben. Sie determiniert die Grenzen der Sprache und als solche die Grenze des Denkens und kommt so in ihrer wesentlichen Bestimmung mit der des Erhabenen und der Sprache der Metaphysik überein. Die der Zeichensprache der Metaphysik zu Grunde liegende Transzendenz zwischen dem inneren Sinn und den äußeren Sinnen stellt dabei die höchste Abstraktionsstufe von Mendelssohns transzendentaler Bestimmung des Sprachdenkens dar.47 Die symbolische Zeichensprache der Metaphysik und die Schriftsprache beruhen beide auf der (methodischen) Prämisse, dass »die Ordnung der Natur […] nicht die Ordnung unserer Methode im Denken« ist.48 Die Schriftsprache erweitert die Möglichkeiten der Sprach- und Zeichenproduktion nicht quantitativ, sondern im Hinblick auf die Sprachbildungsmuster der Lautund Bilderschrift qualitativ; Mendelssohn spricht nicht zufällig von einem Sprung. Der natürlichen und nachahmenden Zeichengebung stellt sie die Möglichkeit der rein willkürlichen Zeichenproduktion an die Seite, welche Mendelssohn als reziproke Wechselwirkung von Schrift und Sprache resp. Schriftlichkeit und Mündlichkeit beschreibt, welcher wiederum die Korrelation von erkenntnistheoretischer Dimension und kommunikativ-kultureller Praxis zu Grunde liegt. Wird das Wechselspiel der Sinne und ihrer Zeichensprachen gestört oder eingefroren, führt das, was »Fortgang und Verbesserung der Begriffe, Meinungen und Kenntnisse […], Verbesserung des menschlichen Zustandes« bewirken sollte, »in Verderben und Verschlimmerung.«49 Entsprechend der Schriftgebundenheit von Kultur und Religion konstatierte Mendelssohn den folgenreichen Einfluss der Schriftzeichen auf Aufklärung und Religion, auf die »Revolutionen der menschli-

45 46 47 48 49

Ebd., 175. Ebd. Vgl. Kap. IV.ii. Mendelssohn, Über die Sprache, JubA 6.2, 22. Ebd., 176.

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Sprache und Politik

chen Erkenntnisse« und die »mannigfaltigen Abänderungen ihrer Meinungen und Begriffe in Religionssachen«.50 Wird von Mendelssohn der Prozess der Entstehung der Schriftsprache als Urszene lebendiger Spracherzeugung, Erkenntnis- und Gemeinschaftsbildung beschrieben, so werden hiervon die Auswirkungen des Gebrauchs der Alphabetschrift kulturkritisch unterschieden. Denn gerade weil die Schrift auf einer Reduktion beruht und die »Mannigfaltigkeit der Redesprache« einschränkt, eintöniger, elementarischer macht, wird der lebendige Austausch zwischen Schrift und gesprochener Sprache gestört:51 »Bilder und Bilderschrift führen zu Aberglauben und Götzendienst, und unsere alphabetische Schreiberey macht den Menschen zu spekulativ. Sie legt die symbolische Erkenntnis der Dinge und ihrer Verhältnisse gar zu offen auf der Oberfläche aus, überhebt uns der Mühe des Eindringens und Forschens, und macht zwischen Lehr und Leben eine gar zu weite Trennung.«52

Die spekulative Gefahr der Schrift auf der Grundlage ihrer eigenen Mittel abzuwenden, führt nur tiefer in die Spekulation hinein. Für Mendelssohn geht es deshalb darum, das theoretische Potential von Schriftsprache und Metaphysik – die für Mendelssohn untrennbar miteinander verbunden sind – zu retten, ohne dabei deren Autonomie zu vertreten. Das Regulativ »der religiösen und sittlichen Erkenntnisse« findet er im »alltäglichen Thun und Lassen der Menschen«.53 Die Zeichensprache des geoffenbarten Zeremonialgesetzes erfüllt diese regulative Norm, die Mendelssohn an Aufklärung und Religion, an Staat und Kirche heranträgt, idealtypisch: »Lehrbegriffe und Gesetze; Gesinnungen und Handlungen. Jene waren nicht an Worte und Schriftzeichen gebunden, die für alle Menschen und Zeiten, unter allen Revolutionen der Sprachen, Sitten, Lebensart und Verhältnisse immer diesselben bleiben, uns immer dieselbe steife Formen darbieten sollen, in welche wir unsere Begriffe nicht einzwängen können, ohne sie zu zerstümmeln. Sie wurden dem lebendigen, geistigen Unterrichte anvertrauet, der mit allen Veränderungen der Zeiten und Umstände gleichen Schritt halten, und nach dem Bedürfnis, nach der Fähigkeit und Fassungskraft des Lehrlings abgeändert und gemodelt werden kann.«54 50 51 52

53 54

Mendelssohn, Jerusalem, JubA 8, 171. Ebd., 175f. Ebd., 184. Vgl. hier auch die Parallelen zu Platons Schriftkritik, im Dialog mit Phaidros lässt Platon Sokrates sagen: »Dieses Mißliche nämlich, o Phaidros, hat doch die Schrift, und sie ist darin der Malerei gleich. Denn die Erzeugnisse auch dieser stehen wie lebendig da; wenn du sie aber etwas fragst, schweigen sie sehr vornehm. Geradeso auch die Reden: du könntest meinen, sie sprechen, als verständen sie etwas; wenn du aber in der Absicht, dich zu belehren, nach etwas von dem Gesprochenen fragst, zeigen sie immer nur eines und dasselbe an« (Platon: Phaidros. In: Platon: Sämtliche Werke. Bd. II. Hg. von Erich Loewenthal. Übers. von Ludwig Georgii. Heidelberg: Lambert Schneider, 1982, 275d). Mendelssohn, Jerusalem, JubA 8, 184. Ebd., 168f.

Das Zeremonialgesetz als Zeichensprache

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Das als mündliche und schriftliche Tora geoffenbarte Gesetz wurde der jüdischen Nation vom »Gesetzgeber« als eine »Art von Schrift«55 gegeben, die nicht durch Konvention, sondern auf der Grundlage der Autorität der jüdischen Offenbarungstradition partikular legitimiert war.56 Sie schrieb den Angehörigen dieser Nation »blos Handlungen, blos Thun und Lassen« vor:57 »An Handlungen und Verrichtungen sollten sie gebunden seyn, und diese ihnen statt der Zeichen dienen, ohne welche sie sich nicht erhalten lassen. Die Handlungen der Menschen sind vorübergehend, haben nichts Bleibendes, nichts Fortdauerndes, das, so wie die Bilderschrift, durch Mißbrauch oder Mißverstand zur Abgötterey führen kann. Sie haben aber auch den Vorzug vor Buchstabenzeichen, daß sie den Menschen nicht isolieren, nicht zum einsamen, über Schriften und Bücher brütenden Geschöpfe machen. Sie treiben vielmehr zum Umgange, zur Nachahmung und zum mündlichen, lebendigen Unterricht.«58

Die geoffenbarte Zeichensprache des Gesetzes bezieht sich nicht, wie die Schriftsprache, auf die mittels der sinnlichen Wahrnehmung gebildeten, hörbaren und sichtbaren Zeichen, sondern auf Handlungen und Tätigkeiten. Indem das Zeremonialgesetz seinen Bezugspunkt in der Offenbarung der Tora hat, ist für Mendelssohn – entsprechend seines von Jehuda Halevi übernommenem, göttlichen Sprachursprungsarguments – das Verhältnis zur Schrift zweifach bestimmt: Während die menschliche Schrift auf der Trennung von geistiger Tätigkeit (sefar), Rede (sippur) und Schrift (sefer) basiert, ist die Schrift Gottes Einheit von sefar, sippur und sefer. Die göttliche Schrift (mikhtav ‘elohim) diktiert so die Grenzen der menschlichen Schrift.59 Indem die Offenbarung keine symbolischen Bücher und Glaubensartikel,60 sondern Gesetze und Handlungen vorschreibt, die als mündliche und schriftliche Tora tradiert werden, ist die Einhaltung dieser Grenzen im Zeremonialgesetz selbst angelegt. Als eine »Art von Schrift« bezieht es sich auf die Gesamtheit der menschlichen Repräsentation der Schrift Gottes,61 das heißt auf die qualitative, zeitliche und physische Trennung von Denken, Rede und Schrift. Die auf vorübergehende und prozessuale Zeichen, i.e. bedeutungsvolle Handlungen, bezogene Schrift des Gesetzes spricht den Menschen in seiner ganzen Körperlichkeit, in der mehrdimensionalen Komplexität seiner Sinne, so55 56 57 58 59 60 61

Ebd., 169. Vgl. Auch Mufti, Enlightenment in the Colony, 62. Ebd., 184. Ebd. Vgl. Jehuda Halevi, Kusari, IV.25; hierzu ausführlich Kap. V.iii. Ebd., 167. Willi Goetschel hat darauf hingewiesen, dass Mendelssohn das unendliche Sinn-Potential des Zeremonialgesetzes, das durch Worte nur angedeutet werden kann, entgegen seiner sonst üblichen Verurteilung als unflexibel und statutarisch, herausarbeitet (Spinoza's Modernity, 160).

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Sprache und Politik

wie als denkende Seele an. Gleichzeitig gewährleistet sie durch ihre Anlage den Tätigkeitscharakter der menschlichen Repräsentation der heiligen Sprache. Das, was Mendelssohn der Schriftsprache in ihrem Gründungsmoment zubilligt – das lebendige Wechselspiel der Sprachen der Sinne, das Neben- und Ineinander von nachahmender und willkürlicher Zeichengebung, von erkenntnistheoretischer Dimension und kommunikativ-kultureller Praxis, von Sprache und Schrift, Mündlichkeit und Schriftlichkeit – wird durch die Zeichensprache des Gesetzes garantiert: »Alle Gesetze beziehen, oder gründen sich auf ewige Vernunftwahrheiten, oder erinnern und erwecken zum Nachdenken über dieselben; so daß unsere Rabbinen mit Recht sagen: die Gesetze und Lehren verhalten sich gegen einander, wie Körper und Seele.«62 Mendelssohns Sprachargument in Jerusalem ist für seine Sprach- und Zeichentheorie so zentral, weil hier die These der Konventionalität der Sprachen mit der mündlichen und schriftlichen Offenbarung der Tora konfrontiert wird.63 Die Verteidigung des jüdischen Zeremonialgesetzes als mehrdimensionale Zeichensprache, als »lebendige, Geist und Herz erweckende Art von Schrift«,64 setzt die jüdische Tradition der Sprach- und Zeichenskepsis gegen die Missbrauchstendenzen der konventionell gebildeten (Schrift-)Sprachen. Mendelssohn lässt in Jerusalem seine beiden Sprachursprungsargumente aufeinandertreffen und kann so das Zeremonialgesetz rational verteidigen, ohne es anzutasten.65 Indem er die jüdischen Ritualgesetze erkenntnisästhetisch und sprachphilosophisch universalisiert, ist impliziert, dass ihre diesbezügliche Bedeutung für Aufklärung und Kultur auch außerhalb des Judentums zugänglich ist.66 Dass Mendelssohn trotzdem an der Partikularität der jüdischen Gesetzestradition festhält, weist auf deren politische Dimension. In einem Brief an Herz Homberg äußerte er sich in dieser Hinsicht unmißverständlich: »Über die Notwendigkeit der Ritualgesetze sind wir nicht einer Meinung, wenn auch ihre Bedeutung als Schriftart oder Zeichensprache ihren Nutzen verloren hätte, so hört doch ihre Notwendigkeit als Band der Vereinigung nicht auf; und diese Vereinigung selbst wird in dem Plane der Vorsehung nach meiner Meinung so lange erhalten werden müssen, so lange noch Polytheismus, Anthropomorphismus und religiöse Usurpation den Erdball beherrschen.«67

62 63 64 65 66 67

Ebd., 166. Zu Mendelssohns Konfrontation von konventioneller und Sprache der Offenbarung vgl. auch Willi Goetschel, Spinoza's Modernity, 162f. Ebd., 169. Vgl. das Kap. II.iii.: »Der Ursprung der Sprache – Mendelssohns agnostisches Argument«. Mendelssohn verweist z.B. auf die Zeichensysteme anderer Religionen, die nur auf den ersten Blick Götzendienst vermuten lassen (ebd., 179f). Mendelssohn an Herz Homberg, 22. Sept. 1783, JubA 13, 134.

Innerer Sinn und äußerliches Zeichen

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Mendelssohn, der eine sprachphilosophische Idee des Judentums entwickelt, belässt diese in der Spannung zur jüdischen Offenbarungstradition. Die über das Judentum hinausreichende Bedeutung der jüdischen Gesetzestradition ist für ihn keine philosophische, sondern eine politische: Als partikulares, historisches Band der Vereinigung einer religiösen Minorität ist sie im Hinblick auf eine gerechte, politische Ordnung bestimmt. Besser als Aamir Mufti es gesagt hat, kann es nicht ausgedrückt werden: Für Mendelssohn fungiert das jüdische Zeremonialgesetz als Mittel zur Regulierung der menschlichen Gesellschaft. Faktoren wie äußere Erscheinung, Zubereitung des Essens, Einhaltung des Shabbat – das heißt eben jene Zeichen der jüdischen Differenz, die vielen »aufgeklärten« Christen als Zeichen der jüdischen Widerständigkeit gegenüber den Anforderungen der Moderne galten, und daher den Ausschluss der Juden von der Emanzipation nahelegten – wurden Mendelssohn zu den Mitteln, durch welche die Versprechen der Aufklärung realisiert werden können.68

ii. Innerer Sinn und äußerliches Zeichen Die Apologie des Judentums als Zeremonialgesetz im zweiten Abschnitt des Jerusalem-Essays steht in einem komplexen Zusammenhang mit Mendelssohns politischer Philosophie im ersten Abschnitt. Hier unternahm Mendelssohn den Versuch einer neuen Verhältnisbestimmung von Staat und Religion auf der Basis modernen Naturrechts, das als theoretische Reaktion auf die Konfessionalisierung Europas die Möglichkeit einer nicht religiös legitimierten Staatsverfassung diskutierte. Die »unglückselige Spaltung«69 der christlichen Religion, die Konfessionskriege und der Verlust der Einheit von Staat und Religion bilden die Fluchtpunkte naturrechtlichen Argumentierens,70 das jedoch theologische Fragestellungen

68

69 70

Mufti, Enlightenment in the Colony, 62f: »Judaism's ceremonial law in its function as a means to the regulation of the human body […], governing such factors as physical appearance, preparation of food, and observation of the Sabbath – precisely those signs of Jewish difference which are, for many ‹enlightened» Christians, the signs of Jewish intransigence in the face of modernity and hence cause for the Jews' disqualification from emancipation – become in Mendelssohn's account the means through which the promise of Enlighenment can be realized.« Charles de Secondat Montesquieu: Vom Geist der Gesetze. Hg. u. übers. von Kurt Weigand. Stuttgart : Reclam jun., 1994, 369. Vgl. Kap. 24, 25 in Vom Geist der Gesetze, wo »die Gesetze in ihrem Bezug [zur] Religion« behandelt werden (ebd., 364); Bei Rousseau bildet die Theorie der religion civile den Fluchtpunkt von Du contrat social (Vom Gesellschaftsvertrag. In: Jean-Jacques Rousseau: Kulturkritische und Politische Schriften in zwei Bänden. Hg. von Martin Fondius. Berlin: Rütten & Loening, 1989, 495–505); vgl. hier auch: Sonja Asal: Der politische Tod Gottes: Von Rousseaus Konzept der Zivilreligion zur Entstehung der Politischen Theologie. Dresden: Thelem bei w.e.b., 2007.

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Sprache und Politik

ostentativ ausblendet.71 Die Basis neuzeitlicher Staats- und Naturrechtstheorie war nicht mehr das göttliche Naturrecht, sondern der Mensch selbst wurde zum neuen Äquivalent der Naturstandsbetrachtung. Vor diesem Hintergrund verraten schon die ersten Sätze von Mendelssohns Jerusalem eine Interessenverschiebung: »Staat und Religion – bürgerliche und geistliche Verfassung – weltliches und kirchliches Ansehen – diese Stützen des gesellschaftlichen Lebens so gegen einander zu stellen, daß sie sich die Waage halten, daß sie nicht vielmehr Lasten des gesellschaftlichen Lebens werden, und den Grund desselben stärker drücken, als was sie tragen helfen – dieses ist in der Politik eine der schwersten Aufgaben, die man seit Jahrhunderten schon aufzulösen bemühet ist, und hie und da vielleicht glücklicher praktisch beygelegt, als theoretisch aufgelöset hat.«72

Staat und Religion werden von Mendelssohn als gleichberechtigte Stützen des gesellschaftlichen Lebens angesehen und sollen als »verschiedene Verhältnisse des geselligen Menschen in moralische Wesen« abgesondert werden, deren »Gebiet, besondere Rechte, Pflichten, Gewalt und Eigenthum« in Abgrenzung zueinander zu bestimmen sind.73 Die moderne Naturrechtsbetrachtung wird von Mendelssohn nicht als Substitut, sondern als Ergänzung des traditionellen Naturrechts verstanden, denn die moderne Verhältnisbestimmung von Religion und Politik steht vor einem Problemhorizont, den »man seit Jahrhunderten schon aufzulösen bemühet ist«.74 Für ihn ist die Naturstandsbetrachtung eine nützliche Erfindung der Sittenlehre, das heißt der praktischen resp. politischen Philosophie.75 Schon 71

72 73 74 75

Vgl. ebenfalls Montesquieu, ebd., 364: »Ich bin in diesem Werk nicht Theologe, sondern politischer Schriftsteller«; Montesquieu interessierte sich für die »verschiedenen Religionen der Welt lediglich im Bezug zu dem Wert, [...] der daraus im Gesellschaftszustand erwächst, gleichviel ob [sie] im Himmel ihre Wurzeln« haben oder »auf der Erde« (ebd.). Mendelssohn, Jerusalem, JubA 8, 103. Ebd. Ebd. Vgl. Mendelssohns vorsichtige Einleitung seiner naturrechtlichen Erörterungen in Jerusalem, 114: »Ich bin in Gefahr, für manche Leser zu spekulativ zu werden. Allein hat doch jeder die Freyheit das zu überschlagen, was nicht nach seinem Geschmacke ist. Den Freunden des Naturrechts dürfte es nicht unangenehm seyn, zu sehen, wie ich mir die ersten Grundsätze desselben zu erörtern gesucht habe.« Viel klarer gibt Mendelssohn seine Distanz an anderer Stelle zu verstehen (Briefe, die Neueste Litteratur betreffend, 22. Brief, 143f): »Zu wie viel seltsamen Folgerungen hat nicht der Begrif vom Stande der Natur Anlaß gegeben, nachdem man ihn sich als einen wirklichen Zustand eingebildet, darinn die Menschen einst gelebt? Und dennoch ist er nicht anders als eine bequeme Erdichtung der Sittenlehre, um die erworbenen Rechtsame, die zugezogenen Pflichten und Obliegenheiten von den Ursprünglichen zu trennen. Der Name hat verführt; man hat den abstracten Begrif für etwas wirkliches gehalten.« Mendelssohns früheste Äußerung zu dem Thema stammt aus dem Sendschreiben an Lessing, JubA 2, 92: »Wenn die Gelehrten zu allen Zeiten es für nöthig erkannt haben den Menschen in seinem natürliche Zustande zu betrachten, um ein Recht der Natur auf sichere Gründe bauen zu können; so müssen sie es gantz anders genommen, oder eine offenbare Ungereimtheit behauptet haben. Ich vermuthe das erstere. […] Allein sie haben den Menschen aus der Gesellschaft gerissen, das heist, sie haben von allen Obliegenheiten abstrahiret, deren sich die Menschen zum Besten der Gesellschaft

Innerer Sinn und äußerliches Zeichen

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»Mendelssohns früheste Äußerung zu diesem Gegenstand bejahte den logischen Charakter des Naturzustands als eines Denkmodells im Gegensatz zu Rousseaus [geschichtsphilosophischer] Auffassung im Discours sur l’origine de l’inégalité parmi les hommes (1755), den er ins Deutsche übersetzt hatte«.76 In der Auseinandersetzung mit Montesquieu, Hobbes, Locke, Bellarmin, Pufendorf, Cumberland u.a. verortert Mendelssohn im ersten Abschnitt des Buches seinen staatstheoretischen Entwurf in der Diskussion der europäischen Aufklärung. Der zweite Abschnitt des Textes nähert sich der Verhältnisbestimmung aus der singulären Perspektive des Judentums und situiert die neu vorgenommene Verhältnisbestimmung von Staat und Religion nicht nur in Bezug auf die jüdische Offenbarungstradition, sondern zeigt, wie Mendelssohns eigener Begriff der jüdischen Tradition die Argumente für die universalen Thesen zu Staat und Kirche, Macht und Recht, Zwangsgewalt und bürgerlicher Freiheit erst hervorgebracht hat.77 Moses Mendelssohn gab sich mit seinem Jerusalem-Essay unmißverständlich als kritischer Hobbesianer zu erkennen.78 In erster Linie trat er mit dem Text das volle Erbe des Hobbes'schen Nominalismus an. Darüber hinaus muss Jerusalem auch als Reaktion auf Kants erste Kritik verstanden werden.79 Mendelssohns implizite Kritik an Kants Vernunft-Konzept läuft auf eine zeichen-, sprach- und diskurstheoretische Verhältnisbestimmung der drei Entitäten Vernunft – Religion – Politik hinaus. Es leiteten ihn also ganz ähnliche Motive wie Hamann bei der Ab-

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willkührlich unterzogen. Sie haben nur dasjenige betrachten wollen, was an und für sich selbst, und ohne Einwilligung aller Nationen rechtmäßig ist.« Altmann, Moses Mendelssohn über Naturrecht und Naturzustand, 72. Vgl. Alexander Altmanns Einleitung zur englischen Arkush-Übersetzung von Jerusalem: »Jerusalem reaffirms (in Section I) his strong conviction that neither religion nor the state is authorized to coerce the consciences of men, and seeks to show (in Section II) that Judaism honors this principle.« Für ihn ist Jerusalem »a classical document of the new age that was ushered in by the American Revolution« (Altmann, Introduction to Mendelssohn’s Jerusalem (in: Moses Mendelssohn: Jerusalem, or, On religious Power and Judaism (translated by Allan Arkush). Hanover/London: University Press of New England, 1983, 3); vgl. aber seine Einleitung zur kritischen Textedition von Jerusalem in JubA 8, die dessen polemischen Gehalt in den Vordergrund stellt und von Mendelssohns confessio judaica spricht: »Diese Schrift, die im ersten Teil Mendelssohns naturrechtliches Bekenntnis enthält und im zweiten seine lang erwartete, schon Ende 1769, gelegentlich des Lavater-Streits von Herder erbetene confessio judaica entwickelt, verdankt ihr Entstehen einer literarischen Herausforderung, die der Lavaters nicht unähnlich war« (ebd., XXIII). Den theoretischen und politisch-praktischen Zusammenhängen von Mendelssohns Jerusalem und den Ereignissen im amerikanischen Kontext ist Jaques Picard nachgegangen: Moses Mendelssohn in New York. Über die Idee der Menschenrechte und die Paradoxie von Universalität und Partikularität in der Moderne, passim. Mendelssohn, Jerusalem, JubA 8, 105: »Im Grunde liegt in allen Behauptungen des Hobbes viel Wahrheit.« Michael Mack spricht von »Mendelssohn's other Enlightenment«, die Kants Autonomie-Postulat einen heteronomen Vernunftbegriff entgegensetzt (German Idealism and the Jew), 79–88.

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Sprache und Politik

fassung seiner beiden Kant-Schriften Kritik der reinen Vernunft (1781) und Metakritik über den Purismum der Vernunft (1784). Mendelssohns Hobbes-Kritik richtet sich zunächst gegen Hobbes' anthropologische Prämissen. Bei Hobbes ist das Gefühl des Elends im Anblick des Chaos des Naturzustandes der Movens für den friedliebenden Menschen, der sich – dieses Zustandes überdrüssig – freiwillig einer Obrigkeit unterwirft, die den Status der Ruhe und Sicherheit im Tausch für dessen Mündigkeit, Autonomie und bürgerliche Freiheit herstellt. Das »Gefühl des Elends« ist auch für Mendelssohn der Movens für den Eintritt in das erste gesellige Milieu. Der vorgesellige Mensch, der sich in seiner existentiellen Einsamkeit als Person erkennt, hat nicht nur das Verlangen nach Pflichten gegen sich selbst, sondern auch gegen Gott und gegen seinen Nächsten. Diese Bedürfnisse freilich können miteinander in Widerstreit geraten. Der erste gesellschaftliche Zustand, aus dem sich Staat und Religion als seine »öffentlichen Anstalten« entwickeln, entsteht bei Mendelssohn nicht aus der Kollision der verschiedenen Egoismen, Religions- resp. Gottesauffassungen, sondern ist ein willentlich intendierter und aktiv eingeleiteter, der den Menschen aus seinem vorsozialen Dunkel erlöst. Wird von Mendelssohn die präsoziale existentielle Einsamkeit des Subjekts als Quelle des Elends beschrieben und dient als Ausgangsthese der Naturstandsbetrachtung, so unterscheidet Hobbes nicht zwischen vorgeselligem und sozialem Zustand, vielmehr erfüllt die Fiktion des ersten sozialen Zustandes als Krieg und Chaos in seinem Argument die Funktion einer Antithese. Deren Überwindung durch den Staat macht dem unerträglichen Elend des Subjekts ein Ende. Das heißt, in beiden Interpretationen wird der Wille zur Überwindung eines unerträglichen Ausgangszustandes zum Movens einer gesellschaftlichen Veränderung, die den Staat notwendig macht. Hobbes' naturrechtliche Begründung des Staates impliziert eine spezifische Regierungsform, die als Verwandte des römisch-katholischen Despotismus, »jene fürchterliche Ruhe« garantiert, »die Abends in einer Festung ist, welche des Nachts mit Sturm übergehen soll«, so Mendelssohn in spöttischer Montesquieu-Referenz.80 Die »Einheit und Unzertrennlichkeit der höchsten Gewalt im Staate«81 gewährleistet auf Kosten der moralischen und religiösen Mündigkeit des Individuums den ersehnten Zustand der Ordnung, des Friedens und der Sicherheit. Die Furcht vor dieser Gewalt soll zum Garanten der neuen Ordnung werden.82 Der gleiche Mensch, 80 81 82

Mendelssohn zitiert hier Montesquieu als Gewährsmann seiner Kritik des Despotismus der »römisch-katholischen Grundsätze der Verfassung« (Jerusalem, JubA 8, 104). Ebd., 104f. Das Gefühl der Furcht bestimmt Hobbes wie folgt: »Aversion, with opinion of Hurt from the object, Feare« (Thomas Hobbes: Leviathan, Or the Matter, Forme, and Power of a CommonWealth Ecclesiasticall and Civill. Hg. von C. B. Macpherson. London: Penguin Books, 1985, 123 (Ch. I.6: »Of the Interieur Beginnings […] the Passions. And the Speeches by which they are expressed«)); vgl. auch ebd., 188 (Ch. I.13: »Of the Naturall Condition of Mankind, as concerning their Felicity, and Misery«): »The Passions that encline men to Peace, are Feare of Death; Desire

Innerer Sinn und äußerliches Zeichen

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der in einem rationalen Akt den Großteil seiner natürlichen Rechte freiwillig an den Souverän abgibt, ist beherrscht von der Furcht vor seinem übermächtigen Vertragspartner. Es handelt sich hier um einen Widerspruch, der nicht nur von Mendelssohn gesehen wurde.83 Hobbes habe, so der Kern von Mendelssohns Kritik, »Ruhe und Sicherheit« an die Stelle »menschlicher Glückseligkeit« und »Furcht vor der Obrigkeit« an die Stelle »bürgerlicher Freyheit« gesetzt.84 Mit der naturrechtlichen Begründung der »Despotie«, das heisst mit Hobbes' Souveränitätslehre, war eine Differenz geboren, die es im traditionellen Naturrecht nicht gegeben hatte, da Furcht vor der Obrigkeit und Furcht vor Gott hier identische Größen darstellten. Die Trennung von öffentlicher und privater Vernunft, von positiven Gesetzen und individuellen Überzeugungen, von äußerlich und innerlich sind die radikalen Konsequenzen, die Hobbes forderte. Mendelssohn forderte in seiner Nachfolge die weitgehende Trennung von Kirche und Staat85 sowie die Unterscheidung von Gesinnung und Handlung im Hinblick auf Kirche und Staat, um die Sicherheit des Individuums im Gemeinwesen nicht von einer Gewissensentscheidung, einem Glaubens- bzw. Wahrheitsbekenntnis abhängig zu machen. Schon für Isaiah Berlin war Jerusalem deshalb »a celebrated work […], which is really a plea for toleration for minorities in general and the Jews in particular«.86 Religion wird konsequent der Idee eines Staates unterworfen, der die Freiheit der Gesinnung für Angehörige verschiedener Konfessionen, Religionen und Kulturen per Gesetz gewährleisten und ihr friedliches Nebeneinander garantieren soll. Wie ein solches Staatskonzept mit Mendelssohns eigener Religion zu vereinbaren ist, demonstriert der zweite Abschnitt von Jerusalem. Bereits in der Vorrede zu Millot ha-Higgajon war Mendelssohn über die Reflexion von Innen und Außen, von Konzept und Zeichen, von Körper und Seele

83

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of such things as are necessary to commodious living; and a Hope by their Industry to obtain them«; sowie ebd., 196 (Ch. I.14 »Of the first and second Naturall Lawes, and of Contracts«): »the bonds of words are too weak to bridle mens ambition, avarice, anger, and other Passions, without the fear of some coercive power.« Hans Kelsen hat darauf hingewiesen, dass Hobbes' Vertragstheorie dem Menschen im Naturzustand nicht nur eine verderbte Natur, sondern ebenso ein moralisches Vermögen unterstellt. Nur so könne er überhaupt der Forderung »pacta sunt servanda« entsprechen (Der soziologische und der juristische Staatsbegriff, 140f). Vgl. denselben Einwand bei Moses Mendelssohn (Jerusalem, JubA 8, 106): »Sind die Menschen von Natur an keine Pflicht gebunden, so liegt ihnen auch nicht einmal die Pflicht ob, ihre Verträge zu halten.« Ebd., 104f. »Kirche« steht bei Mendelssohn stellvertretend für religiöse Institutionen verschiedener Religionsgemeinschaften und Konfessionen, er übernimmt damit die Terminologie seines Herausforderers Cranz, gibt ihr aber eine neue Bedeutung. Isaiah Berlin: Two Enemies of the Enlightenment. The first Onslaught: J.G. Hamann and his Disciples. Woodbridge Lectures, Columbia University, N. Y., 25.–28.10.1965. In: The Isaiah Berlin Virtual Library: http://berlin.wolf.ox.ac.uk/lists/nachlass/hamann.pdf, 1–26, 20; Berlins »value pluralism« hat bei Mendelssohn sicher mehr Anleihen gemacht, als seine ausgedehnten Hamannstudien das zunächst vermuten lassen.

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zu jener Leerstelle vorgedrungen, die auch als erkenntnispraktische Verteidigung und Notwendigkeit der Tora gelesen werden kann. In Entsprechung dazu leitet ihn die Reflexion über die Dichotomie von Innen und Außen, Äußerlich und Innerlich, Veräußerlichem und Unveräußerlichem in Jerusalem zu einer Spezifizierung der politischen Dimension seiner Zeichentheorie. Ausgangspunkt ist die Kritik an Hobbes' Souveränitätslehre, die er immer noch im Bannkreis der Idee eines »Jus circa sacra« sieht: »Noch ist mir kein Schriftsteller bekannt, der diese Fragen berührt hätte. Sie gehen alle von dem Punkte aus, daß es ein Jus circa sacra gebe; nur modelt es ein jeder nach seiner Weise, und belehnet damit bald eine unsichtbare, bald diese oder jene sichtbare Person. Selbst Hobbes, der hierin sich am weitesten von den eingeführten Begriffen zu entfernen wagt, hat sich von dieser Idee nicht völlig loswinden können. Er giebt ein solches Recht zu, und sucht nur die Person auf, der man es mit dem geringsten Schaden zutrauen darf.«87

Indem Hobbes dem Verhältnis des Souveräns zu Gott einen besonderen Status beimisst, rekurriert er auf ein zentrales Element des traditionellen Naturrechts, das die Deutungshoheit christlicher Theologie auch im Rahmen pragmatischer und utilitaristischer Staatsräson gewährleistete. Zumindest dem äußeren Bekenntnis nach, blieb der Untertan dem Bekenntnis des staatlichen Oberhaupts verpflichtet. Diese Vermischung politischer und religiöser Obliegenheiten ist für Mendelssohn an einen spezifischen Gebrauch von Sprache geknüpft, den er im ersten Teil von Jerusalem am Beispiel einer konkreten, zeitgenössischen, juristischen Praxis diskutiert. An Hand des Rechtsinstruments des Glaubenseides88 demonstriert Mendelssohn, welche Gefahren auch von Hobbes' Souveränitätslehre noch ausgehen, wenn der Souverän zeichentheoretischen Grundentscheidungen verpflichtet bleibt, die nur innerhalb eines partikular-religiösen Kontextes autorisiert sind. Paolo Prodis Versuch einer ahistorischen Definition des juristischen Brauches des Eidsprechens liest sich wie eine Beschreibung von Mendelssohns liberaler und pluralistischer Position in dieser Frage: »Der Eid [...] ist die Anrufung der Gottheit als Zeuge und Garant der Wahrheit einer Aussage oder Behauptung oder eines Versprechens bzw. der Verpflichtung, in Zukunft bestimmte Handlungen zu vollführen (oder ein bestimmtes Verhalten beizubehalten). Mit der eidlichen Anrufung begründet der einzelne nicht nur eine Sozialbindung zu anderen Personen, sondern auch zu der ganzen Gruppe, der er angehört; entsprechend allgemeiner Glaubensvorstellungen, die die Sphäre des

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Mendelssohn, Jerusalem, JubA 8, 151. Zu den historischen Hintergründen des sogenannten »Judeneides« und der Einbettung von Mendelssohns Position bzgl. der Glaubenseide in die zeitgenössischen Diskussionen vgl. die sehr gute Überblicksdarstellung von Marcus Twellmann: Von der Beratung zur Kritik der Regierung. Moses Mendelssohn über Eide. In: MLN 122 (2007), 493–521.

Innerer Sinn und äußerliches Zeichen

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Politischen überschreiten, setzt er dabei sein physisches und spirituelles Leben zum Pfand.«89

Der Glaubenseid »setzt sich aus der Eidesformel und einer Eidesnorm zusammen, mit welcher der Schwörende die Wahrhaftigkeit seiner Aussage [vor Gericht] versichert«, ist also ein Sprechakt, dessen Inhalt einem anderen Bedeutungssystem angehört als der institutionelle Kontext, in dem er ausgeführt wird.90 Das heißt, dass der Akt des Sprechens des Glaubenseides seine juristische oder politische Wirksamkeit innerhalb eines Bedeutungsrahmen realisiert, der einer spezifischen Religion entlehnt ist, aber beansprucht komplex, universal und allgemein verbindlich zu sein. Mendelssohn spricht in der Kritik dieser Praxis ein Problem an, welches in multiethnischen und -religiösen Staaten für Angehörige religiöser Minderheiten durch Sprachgebräuche generiert wird, an Hand derer sich die politische und Rechtssphäre als Teil einer allgemein verbindlichen, überpolitischen Sphäre definiert, die als solche jedoch in einer partikularen Tradition verankert ist. Mendelssohn arbeitete gemeinsam mit dem preußischen Juristen Ernst Ferdinand Klein (1743–1810) an einer Reform der Eidesformel des preußischen Judeneides.91 In seinem Gutachten forderte Mendelssohn, »die Eides Formel der Juden mit ihren Gebräuchen und der bei jüdischen Gerichten eingeführten, durch die Satzungen der Rabbinen geheiligten Förmlichkeit übereinstimmend zu machen«.92 Der geforderte Gottesbezug in der Eidesformel stellte für Mendelssohn gleichsam paradigmatisch das Konzept des Glaubenseides selbst in Frage. Auf sein Gutachten hin erarbeitete Klein die neuen preußischen Formula des Eidsprechens für Juden. In der Criminalordnung §337 heißt es (in erstaunlich weitgehender Übereinstimmung mit Mendelssohns Auslegung des Gottesnamens):93 »In der Eidesformel muß das Wort Adonai mit den hebräischen Mitlautern des Wortes ›Jehova‹ verzeichnet sein«; in §340 heißt es weiter: »derjenige, welcher den

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Paolo Prodi: Der Eid in der europäischen Verfassungsgeschichte. In: Paolo Prodi/Elisabeth Müller-Luckner (Hgg.): Glaube und Eid. Treueformeln, Glaubensbekenntnisse und Sozialdisziplinierung zwischen Mittelalter und Neuzeit. München: R. Oldenbourg, 1993, VII–XXIX, VIII. Twellmann, ebd., 508. Vgl. in JubA 7 (253–293) die Briefe und Schriften, die im Zusammenhang mit dieser Reform stehen; vgl. auch Ernst Ferdinand Klein: ›Über die Eide‹. Vermischte Abhandlungen über Gegenstände der Gesetzgebung und Rechtsgelehrsamkeit. Bd. I. Leipzig: 1779; in Österreich wurde im Anschluss an das Toleranz-Edikt von 1781 ein Hofdekret verabschiedet, dass die Eidesformel vereinheitlichte (»So wahr mir Gott helfe«). In Preußen wurden weiterhin verschiedene Formeln (vgl. Twellmann, Moses Mendelssohn über Eide, 508f. Wie sehr Mendelssohn die Problematik der Eide beschäftigt hat, wird auch daran deutlich, dass er auf Michaelis' Jerusalem-Kritik, die insbesondere Mendelssohns Eid-Verständnis attackierte, reagierte und damit seinen Entschluss, auf Jerusalem-Rezensionen generell nicht zu antworten, dieses eine Mal unterläuft (vgl.: Über die 39 Artikel der englischen Kirche und ihre Beschwörung, JubA 8, 213–224). Mendelssohn, JubA 7, 257. Vgl. Kap. III.iv.

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Sprache und Politik

Eid abnimmt, [darf] das Wort Adonai nicht mit vorsagen, sondern nur gedachtes Wort auf der in der Schule befindlichen Tafel dem Schwörenden vorzeigen, damit er solches selbst ausspreche«.94 Dem Schwörenden wird das Tetragramm als »Denkwort« vorgehalten, damit er den Namen Gottes »durch die Feinheit des reinen Nachdenkens« erfassen und ihn, den Sprachregelungen der Tradition gemäß, zum Ausdruck bringen kann: »Nicht so wie ich genannt werde, werde ich geschrieben etc«.95 Mendelssohn begegnet dem Konzept des Glaubenseides mit der gleichen Dialektik von innerem Sinn, äußerem Zeichen und Abzubildendem, die seiner Erhabenheitsästhetik eignet und auf der seine Logikauffassung beruht, und stellt so das juristische Konzept selbst in Frage. Die für die jüdische Minorität in höchstem Maße praxisrelevanten, juristischen Regelungen nahm Mendelssohn zum Anlass, die politische Dimension seiner Sprachauffassung kenntlich zu machen. Um auf die möglichen Folgen einer falschen Sprachpolitik hinzuweisen, und diese nicht als partikular-jüdische Angelegenheit sondern als universale zu kennzeichnen, wählt er zur Demonstratiom ein Exemplum, das die Frage nach der Möglichkeit politischer Äquivalenz in pluralistischen Konstellationen für einen anderen Minoritätskontext aufwirft. Nicht als Jude in Berlin, sondern im Namen eines Diaspora-Christen, der seine Relgion unter muslimischer Regierung praktiziert, fragt Mendelssohn: »Soll dieser die Rechte der Menschheit entbehren«, »weil er nicht sagen kann: ich glaube, wo er nicht glaubet; nicht mit dem Munde Muselmann, und im Herzen Christ seyn will?«96 Der Brauch, einen Glaubenseid für juristisch relevante Entscheidungen zu fordern, deutet nach Mendelssohn auf zweierlei, auf eine ungesundes Verhältnis von Zeichen und Wahrheit, sowie auf eine gefährliche Beziehung zwischen Kirche und Staat. Der Glaubenseid führt letztlich zur Belohnung und Bestrafung von Gesinnungen und kann leicht gefährlich oder auch zum »armseligen Blendwerk« werden.97 Eine Institution wie der Glaubenseid benutzt Formeln, die oft über Jahrhunderte Geltung beanspruchen und die Ideen »verschiedene[r] Menschen, in verschiedenen Zeiten und Jahrhunderten« an dieselben äußerlichen Zeichen binden.98 Damit wird eine diachrone Kohärenz der Gesinnung vorausgesetzt, die Mendelssohn auf der Grundlage seines Sprachkonzeptes ablehnen muss: »Die Wahrnehmungen des innern Sinnes sind an und für sich selbst selten so handgreiflich, daß der Geist sie mit Sicherheit feste halten, und so oft es verlangt wird, von sich geben könne. Sie entschlüpfen ihm zuweilen, indem er sie zu fassen glaubt. Wovon ich itzt versichert zu seyn glaube, darüber schleichet oder stielt sich in dem nächsten Augenblicke ein kleiner Zweifel ein, und lauert in einer Falte meiner Seele, ohne 94 95 96 97 98

Mendelssohn, JubA 7, 268; hierzu ebenfalls Twellmann, Moses Mendelssohn über Eide, 508– 510. Mendelssohn im Bi’ur zu Ex 3.15, vgl. Kap. III.iv. Mendelssohn, Jerusalem, JubA 8, 128f. Ebd., 129. Ebd., 134.

Innerer Sinn und äußerliches Zeichen

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daß ich ihn gewahr worden. Viele Behauptungen, über die ich heute zum Märtyrer werden möchte, können mir morgen vielleicht problematisch vorkommen. Soll ich diese innern Wahrnehmungen gar durch Worte und Zeichen von mir geben, oder auf Worte und Zeichen schwören, die andere Menschen mir vorlegen; so ist die Unsicherheit noch weit größer. Ich und mein Nächster, wir können unmöglich mit eben denselben Worten eben dieselben innern Empfindungen verbinden; denn wir können diese nicht anders gegen einanderhalten, mit einander vergleichen und berichtigen, als wiederum durch Worte. Wir können die Worte nicht durch Sachen erläutern; sondern müssen wiederum zu Zeichen und Worten unsere Zuflucht nehmen, und am Ende zu Metaphern, weil wir, durch Hülfe dieses Kunstgriffs, die Begriffe des innern Sinnes auf äussere sinnliche Wahrnehmungen gleichsam zurückführen. Was für Verwirrung und Undeutlichkeit muß aber auf solche Weise in der Bedeutung der Worte zurückbleiben, und wie sehr müssen die Ideen verschieden seyn, die verschiedene Menschen, in verschiedenen Zeiten und Jahrhunderten, mit denselben äusserlichen Zeichen und Worten verbinden?«99

Die von Mendelssohn an anderen Orten entwickelten, unterschiedlichen Parameter seiner erkenntnisphysiologischen und logisch-diskursiven Sprach- und Zeichentheorie erscheinen erst in ihrer politischen Relevanz als aufeinander bezogene Einheit. Anthropologische, erkenntnistheoretische sowie logische und kommunikative Funktion der Sprache sind erst durch die praktische Anwendung miteinander verbunden. Die Kritik der Rechtspraxis des Glaubenseides ist somit politische Kritik, Sprach- und Religionskritik zugleich, insofern die kritisierte juristische Praxis durch eine religiöse Praxis sekundiert sein muss, deren Lehre derart an kanonische Schriften, Zeichen und Symbole gebunden ist, dass sie einen possessiven Wahrheitsbegriff vermittelt. Hobbes' rechtspositivistische Vertragstheorie ist in dieser Hinsicht nicht ganz eindeutig. Indem mit ihr die Neutralisierung, politische Bedeutungslosigkeit und auch Verleugnung des individuellen Religionsbekenntnisses intendiert sind, und gleichzeitig das Religionsbekenntnis des Souveräns die Stabilität des Gemeinwesens gewährleisten soll, impliziert sie eine Indifferenz gegenüber der Religion. Mendelssohn vertritt deshalb die Meinung: Wenn »Gott der Obrigkeit an Macht unendlich überlegen ist,«100 dann kann die Gottesfurcht »doch auch im Stande der Natur für jeden einzelnen Menschen eine Quelle der Obliegenheiten werden«.101 Mendelssohns Vertragstheorie baut auf diesen Prämissen auf. Jeder individuelle Gottesbezug bekommt die gleiche Dignität zugesprochen. Ja, der individuelle Gottesbezug ist bei Mendelssohn ein entscheidendes Argument sowohl für die Autonomie der Person als auch für die Gleichheit der Menschen untereinander.102 Der Vertrag zwischen Mensch und Souverän wird so von der religiösen Konnotation befreit, welche nicht nur eine

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Ebd. Ebd., 105. Ebd., 107. Hierzu Leo Strauss, Einleitung zu Morgenstunden und An die Freunde Lessings, JubA 3.2, LXXIII.

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Sprache und Politik

politische, sondern auch religiös determinierte Hierarchie von Untertan, Souverän und Gott implizierte. Der Mensch tritt so in eine Doppelbeziehung zum Souverän/Staat und zu Gott/Religion. Diese Aufspaltung verhindert, dass das religiöse Bekenntnis des Untertans zur Hypokrisie gerät, insofern es von dem des Staatsoberhauptes verschieden ist. Der Staatsvertrag kann damit auch auf eine Übereinkunft zwischen Mensch und Mensch zurückgeführt und die Gesellschaft als Vorstufe des Staates interpretiert werden.103 Die korrelative Vereinbarung über Zeichen, Wörter und Sprache gehört dann ganz natürlich zur ersten sozialen Interaktion, denn der angeborene Gesellschaftstrieb »führet unmittelbar zu der Veranlassung die Sprachfähigkeit in Ausübung zu bringen«.104 Dabei ist der Staat per Übereinkunft angehalten, die Pflichten und Rechte, die der Mensch durch den naturrechtlich begründeten Gesellschaftsvertrag erhält,105 als Zwangsrechte im Gesetz zu garantieren, und ist befugt, diese mit Gewalt zu erpressen.106 Der Religion hingegen obliegen die Gewissenspflichten, sie macht daher »keinen Anspruch auf Zwangsrecht und kann durch alle Verträge in der Welt kein Zwangsrecht erhalten«.107 Mit der Unterscheidung von Handlung und Gesinnung108 appliziert Mendelssohn diese Grenzziehungen auf den Menschen, wobei das Verhältnis von Handlung und Gesinnung sich in Bezug auf Zwangsrechte/-pflichten anders bestimmt als in Bezug auf Ansprüche/Bitten und Gewissenspflichten: »Jene sind äußerlich«, also für den Staat, der »sich allenfalls mit todten Handlungen, mit Werken ohne Geist, mit Übereinstimmung im Thun, ohne Übereinstimmung in Gedanken« begnügt. »Diese aber nur innerlich«, also für die Religion »die kein Werk ohne Geist, keine Übereinstimmung im Thun, ohne Übereinstimmung im Sinne« kennt: »Religiöse Handlungen, ohne religiöse Gedanken, ist leeres Puppenspiel, kein Gottesdienst.«109 Hiernach gibt es keine Instanz, welche die Einheit von Handlung und Gesinnung einklagen kann, die natürlich erwünscht ist: Dem Staat genügt die Handlung ohne Gesinnung; der Religion – welche die Übereinstimmung von Handlung und Gesinnung im Tun voraussetzt – ist jegliche Zwangsgewalt entzogen, um diese einzufordern. Die Unterscheidung vollkom103 Mendelssohn folgt hier Richard Cumberlands und James Tyrells Hobbes-Kritiken, die ebenfalls von einer ursprünglichen socialitas ausgehen, vgl. Alexander Altmann, Moses Mendelssohn über Naturrecht und Naturzustand, 45–84, bes. 83f. 104 Mendelssohn, Über die Sprache, JubA 6.2, 7f. 105 Die Moral des Staates beschränkt sich auf die vollkommene Einhaltung der »Unterlassungspflichten und Rechte […] im Stande der Natur«, die Mendelssohn auf ein reziprokes Naturrecht zurückführt: »Ich bin vollkommen verpflichtet, niemanden zu schaden, und vollkommen berechtigt, zu verhindern, das niemand mir schade« (Mendelssohn, Jerusalem, JubA 8, 117). 106 Ebd., 114. 107 »Der Staat besitzet vollkommene, die Kirche bloß unvollkommene Rechte« (ebd.). 108 Zur »wahren Erfüllung unserer Pflichten [gehöret] zweierlei: Handlung und Gesinnung. Durch die Handlung geschieht das, was die Pflicht erfordert, und die Gesinnung macht, daß es aus der wahren Quelle komme, d.i. aus ächten Bewegungsgründen geschehe« (ebd., 109f). 109 Ebd., 113, 115.

Zeichen der Macht: Hobbes, Mendelssohn und Hamann

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mener Rechte (Staat) und unvollkommener Rechte (Kirche) gibt der Religion ihren herrschaftsfreien Platz im ersten geselligen Milieu des Menschen.

iii. Zeichen der Macht: Hobbes, Mendelssohn und Hamann In dem Aufsatz »Thomas Hobbes' Doctrine of Meaning and Truth«110 hat Dorothea Krook Hobbes' Nominalismus als philosophisches Fundament seines moralischen, politischen und religiösen Denkens analysiert. Sie zeigt, dass Hobbes' Lehre von »meaning« und »truth« auf eine Schlüsselbeziehung zwischen Sprache und Philosophie zurückführt. Krook unterscheidet bei ihm zwei Typen von Sprachtheorie. Die erste behandelt Sprache als ein System von Zeichen (mündlicher oder schriftlicher Natur), die in ihrer Funktion als mnemonische Merkzeichen im Hinblick auf eine psycho-physiologische Erkenntnistheorie sowie als Instrumente der Kommunikation zwischen den Zeiten und Völkern analysiert werden.111 Die zweite Theorie behandelt Sprache als discourse und beschreibt diese in ihrer Eigenschaft als Bedeutungs- und Wahrheitsträger, das heißt in ihrer Funktion der logischen Fundierung von Hobbes' Nominalismus.112 Die logische Sprachtheorie setzt dabei, so Krook, eine Zeichentheorie zwar voraus, nicht notwendigerweise jedoch Hobbes' eigene; Umgekehrt legt die Zeichentheorie weder die nominalistische Begriffs- und Wahrheitslehre zu Grunde, noch bedingt sie sie. Daher müßten, so Krook, die zwei Theorien in jeder Diskussion über Hobbes' Sprachbetrachtung strikt getrennt gehalten werden.113 Krooks Interesse gilt vor allem Hobbes' logischem Nominalismus. Er folgt einer klaren Grenzziehung, die von ihr so beschrieben wird: »For Hobbes, universals are names, and nothing but names, and it is a great, and persistent, error (he insists repeatedly) to suppose that they are, in any sense, ›things‹.«114 Hobbes' Nominalismus entspricht einer propositionalen Logik, die per definitionem kein Urteil über oder Bekenntnis zu non-linguistischen Fakten und Angelegenheiten enthält. Vielmehr erschließen sich Sinn und Wahrheit als Funktion von Aussagen, deren Struktur streng linguistisch oder logisch verstanden, zwei »Namen« derart in Relation setzt, dass der eine durch den je anderen bezeichnet, verstanden, er110 Dorothea Krook: Thomas Hobbes' Doctrine of Meaning and Truth. In: Philosophy (The Journal of the Royal Institute of Philosophy) XXXI.116 (1956), 3–22, 4f. 111 Hobbes, Leviathan, 100, (Ch. I.4: »Original of Speech«): »A profitable Invention for continuing the memory of time past, and the conjunction of mankind, dispersed into so many, and distant regions of the Earth; and with all difficult, as proceeding from a watchfull observation of the divers motions of the Tongue, Palat, Lips, and other organs of Speech; whereby to make as many differences of characters, to remember them.« 112 Krook, Meaning and Truth, 4f. 113 Ebd., 5. 114 Ebd.

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klärt, begriffen, näher bestimmt, definiert wird. Selbst dort, wo er im Leviathan auf den ersten Sprechakt der Welt zu sprechen kommt, der für ihn nicht mit Gen 1.3, sondern mit Gen. 2.19 gegeben ist,115 wird man vergeblich nach einer außerlinguistischen Erklärung von Sprache suchen: »The first author of Speech was God himself, that instructed Adam how to name such creatures as he presented to his sight.«116 Diese Initiation genügte als Anleitung, um Adam selbst in die Lage zu versetzen, neue Namen, das heißt Bezeichnungen (appellations) hinzufügen zu können, wenn Erfahrung und Gebrauch dies nötig machten. Hobbes findet keinen Hinweis in der Schrift, dass Adam über alle Bezeichnungen von Figuren, Zahlen, Maßeinheiten, Farben, Tönen, Fantasien, Beziehungen in Kenntnis gesetzt wurde und noch weniger von Wörtern unterrichtet wurde, wie generell, speziell, affirmativ, negativ, und am allerwenigsten wohl in solchen wie Entität, Intentionalität, Wesen und anderen signifikanten Ausdrücken der philosophischen Schule. Auf einen Unterschied zwischen den »Namen«, die auf den göttlichen Sprechakt zurückgehen, und den Bezeichnungen, die vom Menschen neu hinzugefügt wurden, geht Hobbes nicht ein: »For the Scripture goes no further in this matter.«117 Menschliche Übereinkunft, Konvention und Vertrag sind die tragenden Säulen von Hobbes' Sprachauffassung. Sprache ist für Hobbes das erste ordnungsstiftende Element, welches das Chaos und den barbarischen Ausgangszustand ablöst, in dem Menschen genauso friedlich sind wie wilde Löwen, Bären oder Wölfe. Die soziale Ordnung selbst ist so für ihn unauflöslich mit der linguistischen Ordnung verbunden. Ohne Sprache, so Hobbes, »there had been amongst men, neither Commonwealth, nor Society, nor Contract, nor Peace«.118 Missbrauch der Sprache stellt daher für Hobbes eine Gefährdung des Gemeinwesens dar.119 Entsprechend Krooks konziser Bestandsaufnahme gehören für Hobbes Sprache und Rede zu den Garanten einer friedlichen, sozialen Ordnung. Missbrauch der Sprache führt zur Gefährdung der sozialen Ordnung und provoziert den Aufruhr (»sedition«). Missbrauch entsteht für ihn dann, wenn der Mensch Wörter nicht gemäß der Übereinkunft, sondern nach Belieben, Leidenschaften 115 Auf wen die Erfindung von Buchstaben oder Zeichen zurückgeht, erörtert Hobbes historisch und nur sehr kurz: »But who was the first that found the use of Letters, is not known. He that first brought them into Greece, men say was Cadmus, the sonne of Agenor, King of Phaenicia« (Leviathan, 100 (Ch. I.4)). 116 Ebd.; Von Hobbes ist der erste (göttliche) Sprechakt die Anrede Gottes an Adam, was die Analogie zum menschlichen Sprechakt nahelegt. 117 Hobbes' These von der Konventionalität der Sprache wird von dieser Indifferenz nicht berührt, da alle von Gott offenbarte, durch Adam und seine Nachkommen erweiterte Sprache beim Turmbau zu Babel wieder verloren ging. Gott, der hier nochmals direkt ins Geschehen eingriff, bestrafte die Menschen für ihre Rebellion gegen Gott mit der Zerstörung des Turms von Babel, ihrer Zerstreuung in verschiedene Teile der Welt sowie der Diversität der Sprachen, die sich von nun an entsprechend der jeweiligen Bedürfnisse neu entwickelten (Hobbes, ebd., 101). 118 Ebd., 100. 119 Krook, Meaning and Truth, 20.

Zeichen der Macht: Hobbes, Mendelssohn und Hamann

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und eigener Meinung benutzt. Das Naturrecht, das der Mensch daher als erstes bereit sein muss an den Souverän abzugeben, ist das Recht, Wörter nach eigenem Belieben zu benutzen.120 Mendelssohns fallibilistischer Nominalismus ist wie bei Hobbes das philosophische Fundament seines moralischen, politischen und religiösen Denkens. Sein Kommentar zu Maimonides' Logik-Schrift räumt alle diesbezüglichen Missverständnisse aus dem Weg. In Anlehnung an die arabische Philosophietradition sind für ihn Universalien nichts als Namen und Wörter: »Bekanntermaßen ist es dem Menschen allein vermittelst der Rede möglich, die Allgemeinheiten der Dinge zu abstrahieren und sie in seinem Denken sich vorzustellen […] Und weil alle Vernunfterkenntnisse um allgemeine Begriffe kreisen, so ist es unmöglich, ohne die äußere Rede über sie nachzudenken.«121

Rede folgt den Regeln einer propositionalen Logik. Diese Regeln sind »fern von den Prinzipien der Religion, des Glaubens und den Grundlehren der Tora«, die von Mendelssohn nicht angezweifelt werden.122 Logik kann auch für Mendelssohn kein Bekenntnis zu außersprachlichen Fakten enthalten. Anders als Hobbes, der die Erörterung des Zusammenhanges von Sprache und Schöpfung resp. Offenbarung vermeidet, ist Mendelssohn in diesem Punkt in seinen hebräischen Schriften sehr klar. Hobbes' Fallibilismus wird jedoch in der Betrachtung des Gottesbegriffs deutlich:123 Gott, Offenbarung, Schöpfung, die Wahrheiten der christlichen Evangelien etc. werden von Hobbes als zeichen- und diskurstheoretische Fakten erörtert: »Whatsoever we imagine, is Finite. Therefore there is no Idea, or conception of anything we call Infinite. No man can have in his mind an Image of infinite magnitude; nor conceive the ends, and bounds of the thing named; having no Conception of the thing, but of our own inability. And therefore the Name of GOD is used, not to make us conceive him; (for he is Incomprehensible; and his greatnesse, and power are unconceivable;) but that we may honour him.«124

Wie alle Wahrheiten ist Gott für den Menschen nur demonstrativ erfassbar.125 Konsequent stellt Hobbes daher auch die theologische Lehre des Christentums auf nominalistische Basis: »Now forasmuch as we give names not only to things natural, but also to supernatural; and by all names we ought to have some mean120 Krook, ebd. 121 Mendelssohn, Vorrede zu Millot ha-Higgajon, JubA 14, 26 (Übersetzung von Wenzel, JubA 20.1, 39). 122 Mendelssohn, ebd., JubA 20.1, 44f (Wenzel-Übersetzung). 123 Georg Geismann: Politische Philosophie – hinter Kant zurück? Zur Kritik der »klassischen« Politischen Philosophie. In: Jahrbuch für Politik 2 (1992), 319–336, 320f. 124 Hobbes, Leviathan, 99 (Ch. 1.3: »Of the Consequence or Trayne of Imaginations«). 125 Ebenso wie die politische Theorie des Gemeinwesens von Hobbes auf die Sprachenfrage zurückgeführt wird, so auch das christlich-theologische Konzept von Gott. Vgl. hierzu ebenfalls Krook, Meaning and Truth, 21f.

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ing and conception.«126 Abseits dieser linguistischen Konventionen, Sprachregelungen und institutionalisierten Redeweisen über Gott, können wir nichts über Gott wissen.127 Mit diesen nominalistischen Prämissen ist nicht nur Mendelssohns Erhabenheitskonzeption kongruent, sondern auch seine Metaphysik-Kritik und Logikauffassung folgt dieser zeichen- und begriffstheoretischen Grenzwertbetrachtung. Dieser Nominalismus rückt Mendelssohn in die Nähe Hamanns, der ebenfalls auf nominalistischer Basis128 den Zusammenhang zu vormodernen Konstellationen bewusst her- und sich dem Kantischen Postulat von der Autonomie der Vernunft mit dem Triangel »Religion – Vernunft – Politik« entgegenstellt.129 Wie Mendelssohns Jerusalem wenden sich Hamanns späte Texte vehement »gegen den Versuch, die Vernunft von aller Überlieferung, Tradition […] unabhängig zu machen.«130 Sprache ist für beide Denker das Band, das Vernunft und Tradition verbindet. Wohl gerade weil Hamanns Streitschrift Golgatha und Scheblimini so polemisch formuliert und auf den Gegner Mendelssohn fixiert ist, sind die beiden nominalistischen Kant-Kritiken bislang kaum unter vergleichendem Gesichtspunkt analysiert worden.131 Vielmehr wurde die Kontroverse unter verschiedenen, emblematisch zu verstehenden Kontradiktionen – wie Irrationalismus vs. Rationalismus, Gegenaufklärung vs. Aufklärung, lutherischer Protestantismus vs. Judentum – interpretiert. Während jedoch Hamanns Sprachtheorie im Zuge des »linguistic turn« eine große Renaissance erlebte,132 geriet Mendelssohns alternativer Nominalismus vollständig aus dem Blick133 – auch wenn Kant selbst den prin126 Thomas Hobbes: Elements of Law, Natural and Politic. To which are subjoined selected extracts from unprinted mss. Of Thomas Hobbes. Hg. von Ferdinand Tönnies. London: Simpkin/Marshall, 1989, 1, 53 (Ch. I.XI: »What imaginations and passions men have, at the names of things supernatural«). 127 Krook, Truth and Meaning, 22. 128 Vgl. Isaiah Berlin: »Hamann is a genuine Nominalist, as is made clear in his theory of language« (in: The Magus of the North. In: Henry Hardy (Hg.): Three Critics of the Enlightenment. Vico, Hamann, Herder. Princeton/Oxford: Princeton University Press, 2000, 243–358, 291). 129 Mendelssohn und Hamann reagieren insbesondere auf die berühmte Fußnote Kants, die Hamann als Einleitung zu seiner Besprechung der Kritik der reinen Vernunft zitiert, in Kant, KrV A, AA IV, 9: »Unser Zeitalter ist das eigentliche Zeitalter der Kritik, der sich alles unterwerfen muß. Religion durch ihre Heiligkeit und Gesetzgebung durch ihre Majestät wollen sich gemeiniglich derselben entziehen.« Vgl. Hamann, Metakritik über den Purismum der reinen Vernunft, N III, 277. Reinhart Koselleck widmete dieser Fußnote mit Kritik und Krise 1956 ein ganzes Buch. 130 Hamann, ebd., 284. 131 Vgl. aber den bereits zitierten Aufsatz von Ze’ev Levy, Hamann's Controversy with Mendelssohn. 132 Andre Rudolph: Figuren der Ähnlichkeit. Johann Georg Hamanns Analogiedenken im Kontext des 18. Jahrhunderts. Tübingen: Niemeyer, 2006, 93. 133 Ein Grund hierfür ist sicher darin zu suchen, dass Mendelssohn 1785 seinen Nominalismus in den Morgenstunden oder Vorlesungen über das Daseyn Gottes nochmals befestigte, diese Schrift aber im Zuge des Spinozastreites vollkommen diskreditiert wurde.

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zipiellen Einwand von Mendelssohns Sprachkritik sehr gut verstanden hatte. Posthum machte er sich über Mendelssohn lustig, indem er ihn der »Logomachie« und »Logodädalie« bezichtigte.134 Auch Hamanns Text macht vom Mittel der Ironie extensiven Gebrauch, um die Distanz zu Mendelssohn ins Bild zu setzen: Golgatha und Scheblimini ist eine sprachliche und inhaltliche Parodie auf Mendelssohns Jerusalem. Damit setzt er ein altes Spiel zwischen den beiden Schriftstellern fort, das Mendelssohn mit seiner Rezension zu Hamanns Sokratischen Denkwürdigkeiten einst begann.135 Mendelssohn hatte damals Hamanns eigene stilistische Methode parodistisch nachgeahmt und auf dessen Text selbst angewandt. Seine Rezension ist aus verschiedenen Hamann-Zitaten komponiert. Der Briefwechsel zwischen beiden führte dieses Sprachspiel fort, Hamanns Golgatha-Schrift jedoch gab ihm eine harte Wendung. Dem Text ist die Aufregung anzumerken, die Mendelssohns Text bei ihm ausgelöst hat.136 Mit der scharfen institutionellen Trennung von Staat und Kirche hört für Hamann nämlich nicht nur der Spass am Spiel, sondern alle »menschliche und göttliche Einheit auf«:137 »Das ganze Penelopengewebe läuft auf die Behändigkeit hinaus, jedes von dem andern unzertrennliche Eins zwiefach erscheinen und widerum flugs ineinander fallen zu lassen, daß durch dergleichen Hocuspocus unter beiderley Gestalt alle Augenblicke Standpunkt und Gesichtskreis verrückt, der spekulative Buchstäbler aber auf der schmalen Tanzleine schwindlich wird.«138

Mendelssohns »heuchlerisches« Prinzip, das den Staat zu einem »Körper ohne Geist und Leben«, zu einem »Aas für Adler«, und die Kirche zu einem »Gespenst, ohne Fleisch und Bein«, einem »Poppanz für Sperlinge« degradiere,139 ist für Hamann in dessen Sprachkonzept gegründet. Abgesehen von der polemischen Auswertung, ist diese Beobachtung Hammans richtig, denn wie keine andere deutsche Schrift deckt Jerusalem den ausgeprägten Nominalismus Mendelssohns und die philosophischen Grundlagen seiner zeichentheoretischen und konventionalistischen Sprachauffassung auf. Gleichzeitig ist die logische Argumentation des Textes auf den Boden begrifflicher Distinktionen verpflanzt und damit 134 Vgl. Ludwig Heinrich Jakob: Prüfung der Mendelssohnschen Morgenstunden oder aller spekulativen Beweise für das Daseyn Gottes in Vorlesungen. Nebst einer Abhandlung von Herrn Professor Kant. Leipzig: Johann Samuel Heinsius, 1786, LXXII; hierzu Leo Strauss, Einleitungen, JubA 3.2, LXIX. 135 Moses Mendelssohn: Sokratische Denkwürdigkeiten für die lange Weile des Publikums. In: Briefe, die Neueste Litteratur betreffend, 113. Brief (1760), 385–400. 136 Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Hamanns Schriften. In: Ders.: Sämtliche Werke. Neue kritische Ausgabe. Bd. XI, Berliner Schriften 1818–1831. Hg. von Johannes Hoffmeister. Hamburg: Felix Meiner, 1956, 163. 137 Hamann, Golgatha und Scheblimini, N III, 291–320, 303; vgl. Isaiah Berlin, The Magus of the North, 291f, 327. 138 Hamann, ebd., 302. 139 Ebd., 303.

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nicht nur inhaltlich, sondern als Demonstration der sprachphilosophischen Axiome zu verstehen. Hamann, für den die Sprache »das einzige, erste und letzte Organon und Kritierion der Vernunft« ist,140 hatte in Mendelssohn einen viel ernsthafteren Gegner gefunden als in Kant, denn hier stand nun ein Nominalismus gegen den anderen. Die Argumentation der Golgatha-Schrift setzt sich aus polemischen und rationalen Elementen zusammen, die jedoch nicht voneinander zu trennen sind. In unglaublichem Metaphernreichtum und aus immer neuen Wendungen komponiert Hamann das Leitthema seiner Polemik, das vor allem im ersten Teil von Mendelssohns Gespaltenheit, Doppelzüngigkeit und Heuchelei in der Sprache erzählt.141 Mendelssohn verwendet ›schielende Ausdrücke‹ (295); sitzt in ›Zwickmühlen philosophischer Unbestimmtheit‹ (ebd.); wandelt in ›labyrinthischen Spatziergängen und peripatetischen Labyrinthen‹ (304); bedient sich ›Wortschrauben‹ (296), der ›Sprache als eines leeren Puppenspiels‹ (301) sowie ›Wortspielen physiognomischer und hypokritischer Unbestimmtheit‹ (303); wird des ›Missbrauchs‹ (301) und ›Schlangenbetrugs der Sprache‹ (298), ›welscher Praktik, Maschinerey, Schulfüchserey und Marktschreierey‹ schuldig und verursacht eine ›Sprachverwirrung der Begriffe‹ (302, 303); nicht zuletzt ist er ›talmudischen und dialektischen Zweifeln‹ verfallen (305) und »rühmt sich einer Weisheit«, so Hamann in seiner kleinen Golgatha-Nachschrift, »die nicht von oben herab kommt, sondern irdisch, menschlich, dämonisch, jüdisch und rothwelsch« ist (319). Für Hamann ist Mendelssohn eine Neuauflage des atheistischen Hobbes, »a man who wished to cut into the living flesh of society and turn it into a utilitarian device«, wie Isaiah Berlin anmerkte.142 Seinem konkreten Widersacher – dem »Rationalisten«, »Dialektiker«, »Philosophen« und »Juden« Mendelssohn – setzt er das Fundament der eigenen Sprachauffassung entgegen. Seine gesamte Argumentation läuft auf die Frage nach dem Zusammenhang von Sprache und Offenbarung hinaus und welche Konsequenzen sich aus diesem Zusammenhang für Wahrheit, Wirklichkeit, Denken und Handeln ergeben. Im Anschluss an die johannitische Auslegung von Gen 1 (Joh 1,1) ist für Hamann die ganze Schöpfung ein Übertragungsgeschehen und jedes Sprechen nimmt als Medium der Offenbarung an diesem Prozess teil. Der menschliche Sprechakt wird von Hamann als eine Handlung angesehen, die in Analogie zum göttlichen Sprechakt, mit der Bezeichnung die Sache selbst hervorbringt: »Er spricht: so geschichts! – ›und wie der Mensch alle Thiere nennen würde, sollten sie heißen‹. – Nach diesem Vor- und Ebenbilde der Bestimmtheit sollte jedes Wort eines Mannes die Sache selbst seyn und bleiben.« Worte sind für Hamann »die natürlichen Zeichen unserer Gesin140 Hamann, Metakritik über den Purismum der reinen Vernunft, N III, 284. 141 Mit seiner Mendelssohn-Polemik bereitete Hamann dem linguistischen Antisemitismus des 19. Jahrhunderts den Weg, hierzu: Sander Gilman, Jewish Self-Hatred. Anti-Semitism and the Hidden Language of the Jews, bes. 85f. 142 Berlin, The Magus of the North, 327; Hamann, Golgatha und Scheblimini, N III, 294, 302f.

Zeichen der Macht: Hobbes, Mendelssohn und Hamann

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nungen«, die als Taten ihre Wirksamkeit in der Welt entfalten. Dieses Einheitskonzept bedingt das erste und einzige »Recht der Natur«, das jeden ermächtigt, »sich des Worts, als des eigentlichsten, edelsten und kräftigsten Mittels zur Offenbarung und Mittheilung unserer innigsten Willenserklärung zu bedienen«. Indem der Mensch spricht, handelt auch Gott. Hierauf sei, so Hamann in Stoßrichtung gegen das konventionelle Naturrecht, »die Gültigkeit aller Verträge gegründet«. Luthertum und deutsche Sprache bilden die »feste Burg«, die aller »im Verborgenen liegenden Wahrheit« den nötigen Schutz bietet und »aller welschen Praktik, Machinerey, Schulfüchserey und Marktschreyerey überlegen« ist. Der richtige Sprachgebrauch ist an die richtige Offenbarung, deren richtige Auslegungstradition und die richtige Sprache geknüpft, und als solche ist sie das Fundament bzw. »das erste Gesetz der Vernunft«. Missbrauch der Sprache ist Meineid und damit (wie bei Hobbes und Mendelssohn auch) dezidiert politisch denotiert. Er tritt dann ein, wenn der Einheitscharakter der Sprache, ihr Zusammenhang mit der christlichen Offenbarung und/oder deren lutherische Repräsentation in der deutschen Sprache negiert werden. Dieser Missbrauch charakterisiert nicht mehr wie im voraufklärerischen Offenbarungsstreit den Religionsfeind, sondern den »Menschenfeind, Hochverräther und Widersacher deutscher Aufrichtigkeit und Redlichkeit.«143 Bei allem Hang zu mystifizierender Wortspielerei sind Hamanns rationale und politische Argumente gegen Mendelssohns zeichentheoretische Offenbarungsauffassung überraschend klar ausgeführt. Für Mendelssohn stellt die menschliche Beanspruchung der Einheit des Sprechaktes als Einheit von Konzept, Rede und Schrift/Sache eine Gefahr der Entgrenzung und Entfesselung menschlichen Handelns dar, egal für welche partikulare Sprache diese Einheit behauptet wird. Sie definiert auch die Grenzen des menschlichen Gebrauchs des Hebräischen, der »heiligen Sprache« (leshon hakodesh). Die Zuspitzung von Mendelssohns Sprach- und Zeichenkritik in Jerusalem auf die Kritik des schriftlich fixierten Zeichens, den Buchstaben, hat genau damit zu tun. Sie richtet sich gegen die mit der schriftlichen Repräsentation imaginierte Identität von Bezeichnung, Sache und Idee, welche durch das Fixieren der Rede in Schrift nahegelegt wird. Die lebendige Rede verliert so an Bedeutung und der vorläufige Tätigkeitscharakter der Sprache steht in permanenter Gefahr, vergessen zu werden. Schon sehr zeitig lehnte sich Mendelssohn an Jehuda Halevis Auslegung von Gen 1.3 und seiner Interpretation der Superiorität der »heiligen Sprache« an, nach welcher der originäre Zusammenhang von Idee, Aktion und Geschaffenem im Zeichen allein durch den göttlichen Schöpfungsakt gegeben ist und vom Menschen nicht erreicht werden kann.144 Als originale, vitale, vollkommene Einheit deutet das Konzept der »heiligen Sprache« selbst auf die

143 Alle Zitate vgl. Hamann, ebd., 300f. 144 Mendelssohn, Kohelet Musar, JubA 14, 3f; sowie: Kommentar zu Millot ha-Higgajon, JubA 14, 33.

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Sprache und Politik

Unzugänglichkeit ihres vollen Vermögens als Idee resp. Begriff und somit auf die Notwendigkeit eines anderen »menschlichen« Sprachkonzepts,145 dessen Lebendigkeit sich aus dem immer wieder neu zu definierenden Verhältnis von Konzept und Zeichen sowie aus der Grenzwertbestimmung von Zeichen und Sache herleitet.146 Auf dieser von Halevi übernommenen erkenntnistheoretischen Sprachbetrachtung ist Mendelssohns berühmte zeichentheoretische Offenbarungskritik angesiedelt, die von Hobbes ganz ähnlich formuliert wurde: Offenbarung bleibt als »zeitliche oder historische Wahrheit« immer nur durch Schriftvermittlung und menschliche Überlieferung zugänglich.147 Wegen ihrer menschlichen, zeichengebundenen Vermitteltheit kann Offenbarung keine sicheren Lehrmeinungen, keine Heilswahrheiten und keine allgemeingültigen Vernunftsätze enthalten: »Diese offenbart der Ewige uns [...] allezeit durch Natur und Sache, nie durch Wort und Schriftzeichen.«148 Eine Religion, die Anspruch auf schriftlich fixierte Glaubenswahrheiten erhebt, steht in Gefahr politisch zu instrumentalisieren oder instrumentalisiert zu werden, indem »irgendeine ewige Wahrheit, ohne welche die bürgerliche Glückseligkeit bestehen kann, in ein Gesetz« verwandelt oder »eine dem Staate gleichgültige Religionsmeinung [zur] Landesverordnung« gemacht wird.149

145 146 147 148 149

Halevi, Kusari, IV.25. Mendelssohn, Morgenstunden, JubA 3.2, 10f. Mendelssohn, Jerusalem, JubA 8, 157f. Ebd., 157. Ebd., 203.

Schluss Moses Mendelssohn wurde im Jahre 1762 von Isaak Iselin (1728–1782) aufgefordert, der neu gegründeten »Patriotischen Gesellschaft« beizutreten. Er reagierte mit einer Ablehnung, die alle rhetorischen Anforderungen an eine stilsichere captatio benevolentiae erfüllt, was vom Empfänger des Scheibens auch gebürtig honoriert wird. Darüber weit hinausgehend, enthält Mendelssohns Antwortschreiben eine staatsphilosophisch begründete Einschätzung der eigenen sozialen Lage als Schriftsteller: »Sie scheinen mich für fähig zu halten, in dem Felde, das Sie beeifern, und die patriotische Gesellschaft mit vereinigten Kräften anzubauen Vorhabens ist, einen Mitarbeiter abzugeben, und ich habe die gegründedsten Ursachen vornehmlich in diesem Stüke in meine Fähigkeiten kein geringes Misstrauen zu setzen. Geburt, Erziehung und Lebensart zeigen ihren Einfluß in die Denkungsart des Menschen nie so sehr, als wen von diesem edleren Theile der Weltweisheit die Rede ist. Der glükliche Republikaner übersiehet die menschliche Gesellschaft aus einem weit höhern Gesichtspunkte, als der monarchische Unterthan, und der monarchische Unterthan ist noch weit über den Standort hinweg, der mir im bürgerlichen Leben angewiesen worden. Zwar blühet unter der Regierung eines Friedrichs die Freyheit zu denken fast in republikanischer Schönheit; allein Sie wissen, wie wenig Antheil meine Glaubensbrüder an allen Landesfreyheiten zu haben pflegen. Die bürgerliche Unterdrückung, zu welcher uns ein zu sehr eingerissenes Vorurtheil verdamt, liegt wie eine todte Last auf den Schwingen des Geistes, und macht sie unfähig, den hohen Flug des Freygebohrnen jemals zu versuchen. Ich besitze Selbsterkenntnis genug, um in diesem Stüke meine Schwäche einzusehen, und allzu viel Hochachtung für die Gesellschaft, um Ihr dieselbe nicht zu gestehen.«1

Mendelssohn gehörte einer oft verfolgten, religiösen Minorität – der jüdischen Minorität – an. Das Wissen um diesen Status ist selbstverständliche Voraussetzung eines Denkens, das sich selbst politisch dort einordnet, wo die von Hobbes postulierte politische Gleichheit der Bürger als Untertanen ihre Grenzen hat. Die Ignoranz dieser Grenzen implizierte für die jüdische Minorität seit dem 18. Jahrhundert einen Zwang zur Freiheit, und dieser wiederum die Freiheit zu neuen Zwängen. Der jüdische Sprachphilosoph Fritz Mauthner bezeichnete daher »die Worte: Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit« als das neue »Schiboleth der Er-

1

Moses Mendelssohn an Isaak Iselin, 30. Mai 1762, JubA 11, 338f.

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Schluss

de«.2 Mendelssohns Schrift Jerusalem, oder über religiöse Macht und Judentum scheint in diesem Sinne ein paradigmatisches Schicksal ereilt zu haben: Während sie im Vorfeld der französischen Revolution stark rezipiert wurde, schien sie bereits sechs Jahre nach ihrem Erscheinen ebenso unzeitgemäß wie obsolet. Die historische Wende von 1789 formulierte auf dem europäischen Kontinent eine politische Agenda, die sich von der Mendelssohns graduell unterschied: Volksherrschaft, Nationalstaat, Emanzipation und Überwindung der Religion galten von nun an als die anerkannten Vehikel und Implikate für Aufklärung, Moderne und Fortschritt. Durch sie sollte die Einlösung universaler Menschen- und Bürgerrechte garantiert sein. Demgegenüber entwickelte Mendelssohn seine politische Philosophie auf der Grundlage einer Sprach- und Zeichentheorie, die weder eine demokratische Herrschaftsform favorisierte, noch auf radikaler Religionskritik basierte. Vielmehr erklärte sie offen ihren partikularen Zusammenhang mit der jüdischen Tradition, ohne dabei einen monistischen Nationalismus oder gar eine Theokratie zu vertreten. Mendelssohns Position in der Sprachenfrage war in dieser Hinsicht von Anfang an auch dort deutlich, wo sie nicht im Hinblick auf ihre politischen Konsequenzen vorgetragen wurde. Seine Reflexionen über die heilige, die hebräische und die deutsche Sprache sind genauso wie sein Übersetzungsverständnis und seine anthropologischen Sprachbetrachtungen Zeugnis der außerordentlich komplexen Anlage seines Denkens. Die Initiation zweier Sprachreformen, die Hinterlassenschaft einer Sprachphilosophie, die sich weder auf die eine (Hebräisch) noch auf die andere Sprache (Deutsch) exklusiv bezieht, deuten auf das »Unzeitgemäße« der politischen Philosophie Mendelssohns, die keine Aussage im Hinblick auf den am Horizont aufziehenden Nationalstaat enthielt und viel weniger noch einen Hinweis auf dessen nationalsprachliche Konsolidierung. In seiner Bipolarität stellte Mendelssohns sprachpolitisches Wirken die nach seinem Tode dominierenden Theorien und Konzepte zur Bildung der Nationalsprachen auf die Probe. Das ist durch den Vergleich von Herders und Mendelssohns Sprach- und Ästhetikkonzepten gerade dort deutlich geworden, wo die universalen Denkmuster auf ihren Zusammenhang mit dem jeweiligen partikularreligiösen Hintergrund befragt wurden. Die komplizierte und widersprüchliche Rezeptionsgeschichte Mendelssohns in den letzten zwei nationalstaatlich geprägten Jahrhunderten ist in seinem Werk genauso angelegt, wie das zunehmende Interesse postkolonialer Politik- und Kulturtheorie an seinen Thesen in den letzten Jahren. Das philosophische Denken seiner Zeit wurde von Mendelssohn aus einer nominalistischen Perspektive, das heißt als philosophische Begriffssprache verstanden, deren Gebrauch ihre Offenheit und Flexibilität für neue Denkmuster immer wieder neu zu perpetuieren hatte. Dieser Nominalismus wurde von Men2

Fritz Mauthner: Beiträge zu einer Kritik der Sprache: Zur Sprache und Psychologie. Stuttgart: Cotta, 1901, 143.

Schluss

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delssohn bewusst als Alternative zum Systemdenken der deutschen Philosophietradition vertreten. Die philosophische Bedeutung von Christian Wolff sah er nicht in dessen System verwirklicht, sondern vielmehr in der Ausbildung einer umfassenden, philosophischen Begriffssprache: »Wolfens lateinische Schriften machen zusammen eine kleine philosophische Encyklopädie aus. Nur Schade! daß die Sachen nicht in eine alphabetische Ordnung gestellt sind. Ein Dictionnaire sol unser Jahrhundert verewigen, aber kein philosophisches System.«3

Fundament der Philosophie war für Mendelssohn eine definierte Begriffssprache – ein Wörterbuch. In dieser Sprache konnten universal-philosophische, anthropologische, ästhetische, ethische, allgemein-menschenrechtliche Fragestellungen verhandelt werden, ohne durch ihre Verwendung partikulare Gesprächszusammenhänge, hermeneutische Praktiken, überkommene Reflexionen und Ausdrucksweisen ersetzen zu wollen. Für Mendelssohn traten mit der Deutung der Zeichen, Wörter und Begriffe verschiedene Konventionen aufeinander, die nicht nur auf divergierende Autoritäten und Traditionen verwiesen, sondern mit diesen auch auf spezifische politische, religiöse, ethische etc. Praktiken. Es ist vor allem diese Akzeptanz von und Auseinandersetzung mit verschiedenen erkenntnisleitenden Terminologien (in verschiedenen Sprachen), die die Originalität von Mendelssohns eigenen Sprachreflexionen in deutscher und hebräischer Sprache ausmachen. Philosophische Spekulation hatte bei Mendelssohn entweder in einer fremden Sprache, dem Deutschen, oder in der heiligen Sprache der jüdischen Tradition, dem Hebräischen, statt. Während jene die Partikularität universalen (Sprach)denkens evozierte, schien die Singularität dieser das Philosophieren ganz zu verbieten. Diese Konstellation hatte Folgen für Mendelssohns Philosophiebegriff, der ohne einen ontologischen Anspruch zu postulieren, an Sprache und Zeichen gekoppelt bleibt und eine komplexe Dynamik zwischen Universalität, Partikularität und Singularität eröffnet. Die nie auszuklammernde Sprachlichkeit der universalen Reflexion machte das Partikulare zu deren festem Bestandteil. Religiöse Differenz konnte so als bilaterale Hermeneutik entwickelt, jüdisch-christliche Differenz auf der Ebene der Begriffszergliederung und des konzeptuellen Vergleichs diskutiert werden. Ziel der Arbeit war es, Mendelssohns Reflexionen partikularsprachlicher Konzepte qua differenzierter Betrachtung von Landessprache, Nationalsprache und heiliger Sprache mit seinen erkenntnistheoretischen und -logischen Sprachreflexionen in der Metaphysik und Ästhetik zu konfrontieren. Die Analyse hat gezeigt, dass Mendelssohns logisches, zeichengebundenes, fallibilistisches Wissenschaftsverständnis sich dezidiert in der jüdischen Philosophietradition verortet und die Autorität der Gesetzesoffenbarung nicht nur nicht aufgibt, sondern sich aus ihr speist. Mendelssohn, der mit seiner Evidenzschrift – im Gegensatz zu 3

Mendelssohn, »Gedanken V«, JubA 2, 121.

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Schluss

Kant – die Einheit der Methode für Mathematik, Geistes- und Naturwissenschaften behauptete, rückt so zwar in die Nähe moderner Wissenschaftstheorien, unterscheidet sich von ihnen aber durch die konkrete Bezugnahme auf die jüdische Offenbarungstradition. Die Mitinitiation zweier einflußreicher Sprachreformen der Moderne wird so zum Indiz der Originalität der universalen sprachphilosophischen und -politischen Setzungen, die aus der Dialektik zwischen heiliger und menschlicher Sprache, zwischen Metaphysik und Zeichentheorie, Erkenntnistheorie und Erhabenheitsästhetik sowie theoretischer und praktischer Philosophie gewonnen wurden. Diese spekulative Dialektik wird von Mendelssohn dort, wo sich praktisch-politische Fragen stellen, gern in triadische Begriffskonstellationen umgewandelt, denen (wie der Dreipunktauflage in der Mechanik) eine eindeutige Lage im Raum zugeordnet werden kann.4 Paradigmatisch für diese Methode der dreipoligen Begriffsrelationierung sind hier seine Unterscheidungen von »Aufklärung – Bildung – Kultur«5, »Politik – Religion – Gesinnung«,6 sowie die von Jehuda Halevi übernommenen Kategorien von »sefar – sefer – sippur« (Denken – Rede – Schrift/Schöpfung), die gleichsam als die menschlichen Zergliederungen und Repräsentationen des göttlichen Schöpfungsaktes nie vollständig zu erreichende Einheit spiegeln: Während das Wort Gottes seiner Schrift, und seine Spekulation seinem Wort entspricht, spekuliert der Mensch mit dem Verstand, spricht mit dem Mund, und schreibt mit der Hand seine Rede nieder. Während die Rede Gottes ihre Objekte als Schrift physisch kreiert, sind Rede und Schrift des Menschen nur Zeichen, die auf die ontologischen Schöpfungen Gottes verweisen. Schon Halevi hatte die schöpfungskosmologischen Begriffe aus dem Sefer Jetzira mit den Aristotelischen Zergliederungen des Denkens in Subjekt, Akt und Objekt in Verbindung gebracht.7 Die Logik selbst erscheint so als dreigliedrige, erhabene Repräsentation des göttlichen Schöpfungsakts in Gen 1. Nicht zuletzt setzt die auf eine zu reformierende politische Praxis gerichtete, normative Distinktion von »Politik – Religion – Gesinnung«8 die Einheit und Singularität der mosaischen Verfassung voraus, welche zur Idee einer vollkommenen, gerechten, sozialen Ordnung wird: »So wie es nach Plato, einen irdischen und himmlischen Amor geben soll, so giebt es auch, so könnte man sagen, eine irdische und eine himmlische Politik.«9

4

5 6 7 8 9

Ein Vergleich mit Charles S. Peirce' Konzept der triadischen Zeichenrelationen kann hier in der Zukunft weiteren Aufschluss über Mendelssohns semiotische Setzungen bringen; zu Peirce vgl. H.G. Hoffmann, Erkenntnisentwicklung. Ein semiotisch-pragmatischer Ansatz, 53–62. Mendelssohn, Über die Frage: Was heißt aufklären? In: JubA 4.1, 113–119. Mendelssohn, Jerusalem, JubA 8, 103. Halevi, Kusari IV.25; Jospe, The Superiority of Oral vs. Written Communication, 132f. Mendelssohn, ebd. Ebd., 196.

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Register Alphabetschrift s. Schriftsprache Abed, Shukri B. 195, 211

Aqilas 83f

Achituv, ben Isaac 196 adamitische Namensgebung 201–203, 242

des jüd. Gesetzes: 184, 208f, 220– 222, 230f

74f,

Adorno, Theodor W. 103, 137, 148, 214–216 Aepinus, Franz Ulrich Theodosius 159 Affekte 76, 96, 102, 111–25, 130, 137f, 193, 203 Akzente s. ta‘mei ha-mikra’ Albrecht, Michael 3, 12f, 98, 143, 146f Alt, Peter-André 107 Altmann, Alexander 4, 6, 70, 79, 90, 127, 142f, 150, 155–157, 167f, 175, 208, 233, 240 analytische Methode der Sprachbildung: 152 (Mendelssohn); der Metaphysik: 156f, 164f (Kant); s. synthetische Methode

Aquin, Thomas von 124, 219, 222 arabische Philosophietradition 188f, 198f, 210f, 243

185,

arabische Sprache 54, 76f, 84, 86f, 127, 195f, 199, 202, 205 aramäische Sprache 21, 68, 77, 80– 84, 87, 127, 199 Arbitrarität des Zeichens 29f, 205; s. Zeichen, willkürliche Aristoteles 114f, 187–189, 194f, 198– 201, 204, 211 Arkush, Allan 2, 7–9, 12, 69, 233 Asal, Sonja

231

Ascher, Saul 62 Ästhetik Erhabenheits~: 15, 96, 111– 125, 129 (Mendelssohn), 130 (Kant), 138, 141, 180, 238, 252; kritische Ästhetik: 137

Anderson, Benedict 29f, 39, 59

Athen u. Jerusalem 106, 111, 135f, 139f

Antijudaismus 22, 62,

Attar, Chaim ben Moses 207

Antisemitismus 4, 10, 22, 54f, 101, 246

Attribute 158, 174, 178, 192, 200, 203, 205

Apologie 53, 61, 68–70, 100, 214; der Pentateuch-Übersetzung: 77, 104, 81; von Philosophie u. Logik: 77, 104, 81, 184, 187f, 207–210;

Baader, Benjamin Maria

46

Bamberger, Fritz 4, 18, 116, 147, 175 Barner, Wilfried 114 Barzilay, Isaac E. 14, 57

289

Register

Bauer, Bruno

23

Brief als Gattung 67

Baumgarten, Alexander Gottlieb 112, 115, 117, 123, 166

Bruer, Albert 18

Behm, Britta L. 24

Burke, Edmund 101, 112f, 116, 122f, 135, 137, 139

Bendavid, Lazarus

62

Buber, Martin 4, 59, 126

Bennewitz, Susanne 21

Burnett, Richard E. 39, 42

Berghahn, Cord-Friedrich 11f, 61, 221

Buschmann, Cornelia

Berkovitz, Michael 58

Carnap, Rudolf 182

Berlant, Lauren

Cassirer, Ernst 13, 63, 65, 145, 153f, 156, 164, 167f, 172f, 178

139

Berlin, Adele 85, 110

Campe, Rüdiger

143

143, 145

Berlin, Isaiah 16, 31, 61, 136, 235, 244–246

Characteristica universalis

Berman, Lawrence V. 54, 195 Bernoulli, Jacob 144–146, 149f

Cohen, Hermann 56, 60, 63–66, 77, 125, 168, 221

Bernoulli, Johann 144, 146

conatus 178, 192f

Bersohn, Nehama R. 26

Condillac, Étienne Bonnot de 222f, 226

Bewunderung 113–118, 194 Bilderschrift

s. Hieroglyphik

Bhaba, Homi K. Blake, Michael

29–31

Blattberg, Charles 34, 42 Bolla, Peter De 107 43

Borodianski, Haim 4, 208, 210 Borst, Arno

72

Bourel, Dominique 156 Braese , Stephan 23, 48 Brahe, Tycho 146 Braiterman, Zachary

Christologie 98–100, 104, 134

13, 92,

Hume, David 61, 139, 146–151, 180–182, 208 dina de malchuta dina (Gesetz ist das Landesgesetz) 89

32f

Bollacher, Martin

180

Differenz ethnische: 57; kulturelle: 68, 102, 136, 231, 251; religiöse: 65, 133, 231, 239; theoretische Bestimmung von: 117, 128, 136– 140, 251 Diversität der Sprachen lingualismus

s. Multi-

Derrida, Jaques 32, 39 Descartes, René 141, 143, 146, 193

120

Braune, Frieda 101, 113

De Sacra Poesi Hebraeorum (Lowth) 100–110

Braungart, Wolfgang

Despotismus 217, 234

100, 129, 135

Brenner, Michael 23, 27 Breuer, Edward 8, 26, 70, 74, 188, 210

deutsche Sprache passim, bes. 1–16; 17–66, 67–89, 244–248, 249–252

290

Register

Dilthey, Wilhelm 39–42

Fishman, David E.

Dohm, Christian Conrad Wilhelm 19, 26f

Foucault, Michel

29

Frankel, Jonathan

2

Dramentheorie 114–117

Fränkel, David 47

Durkheim, Emile 30

französische Sprache 20, 27f, 41, 43, 48, 53, 68, 107, 174

Dyck, Joachim

100

Eagleton, Terry

136

Eco, Umberto

59

Freudenthal, Gad 25, 71f, 185, 187, 198, 214

42, 72, 74

Einstein, Albert

181, 183f

Freudenthal, Gideon

143

Eisenman, Peter

119f

Freudenthal, Max 25, 187

Elbogen, Ismar 4, 67

Friedländer, David

Emanzipation 2, 8f, 11f, 18f, 23–28, 34, 43, 45, 48, 53, 57, 60f, 63f, 231, 250

Friedländer, Saul 120

Empfindung vermischte: 96, 113f, 117; innere: 138, 239

Furcht 111, 118, 234f, 239

Engel, Eva

Galater-Brief 40

Engel-Holland, Eva 3, 13, 93, 98, 102, 143, 146f

Galileo, Galiei

Euchel, Isaac 5, 45, 62 Fallibilismus 31f (Gellner); 31, 180– 183 (Popper); 183f (Einstein); 205 (Halevi); 243 (Hobbes); 180, 184– 188, 194, 207f, 210, 243, 251 (Mendelssohn); s. Skepsis Feiner, Shmuel

6, 7f, 12, 25f

Feuchtwanger, Ludwig 63 Fink, Robert 119

146

Galle, Helmut 106f 47

Erkenntnis anschauende: 117, 121f, 129, 138, 152f; deutliche: 121, 123, 152, 162, 171, 194, 224; praktische: 121–125; symbolische: 12, 124, 167, 171f, 190, 228; theoretische: 120, 122–125, 148; undeutliche: 121

Faschismus 4, 16, 29

Funkenstein, Amos 12, 18, 25, 187, 219 Gadamer, Hans-Georg 39, 218

s. Eva Engel-Holland

Ense, Karl August Varnhagen von

46

Gawlick, Günter 148 Geismann, Georg 243 Gellner, Ernest

29–32

Gen 1.3 108 (Pseudo-Longinus); 117, 133 (Herder); 133 (Hamann); 136, 204f (Halevi); 242 (Hobbes); 74, 133, 247 (Mendelssohn) Gen 2.19–20 72 (Eco); 74f (Mendelssohn); 203 (Halevi); 242 (Hobbes) Geometrie 146, 156–162, 164f, 178f, 226 Geschichtsphilosophie und Altes Testament: 100, 106; bei Herder: 35–39, 44, 93, 131–136, 139; bei Kant: 61, 66; Kritik der: 19, 21 (Koselleck); 90, 233 (Mendelssohn);

291

Register

und Säkularisierung: 14, 19, 30, 89, 133; und Zeichenkritik: 29–31 Giesen, Bernhard 28, 51 Gikatilla, Josef Ibn

126–128

Gilman, Sander S. 27, 43, 146 Gilon, Meir 70f Glaubenseid 87, 236–239 Godel, Rainer

214, 217f

Goetschel, Willi 12f, 56, 61, 95, 140, 177f, 217, 221–223, 229f Goldstein, Ludwig 111f, 115f Gottesbeweis 180, 193

Hamann, Johann Georg 2f, 10, 15f, 31, 37, 43, 61, 96, 133, 136, 139, 220, 233, 235, 241–247 Handlung ästhet. Bestimmung der: 121f; u. Gesinnung: 228, 235f, 240f; göttliche: 205 (Saadia), 229f (Mendelssohn); u. jüd. Zeremonialgesetz: 228f; moral./sittl./tugendhafte: 122, 169f, 190, 197; u. Religion: 240f; tragische: 114f, 116 Haramati, Shlomo

59

Harshav, Benjamin

58

Harvey, Zeev 72

Gottlieb, Michah 9f Gottsched, Johann Christoph 20, 105f, 110–116, 137

Haskala 1f, 5, 8, 11, 13, 22–26, 45f, 56, 62, 73, 79–81, 131, 187

’sGravesande, Willem 143–146, 149f, 162

hebräische Sprache passim, vgl. bes. Einleitung: 1–16; Kap. I.: 20–29, 33, 38–60; Kap. II.i–ii: 67–89; Kap. III.ii: 103–110; Kap. III.iv: 125– 130; Kap. V.iii: 197–206

griechische Sprache 29, 41 54, 68, 77, 83f, 85, 106f, 138, 191, 198f

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 61, 245

Grossert, Werner

Heininger, Jörg 107, 112f, 137

Gotzmann, Andreas 23, 87 Graetz, Heinrich 55f

46

3,

Grossman, Jeffrey A. 34f, 37, 43f

Henle, Jasmin

Gründer, Karlfried 18, 61, 187

Herder, Johann Gottfried 2f, 13–15, 31–44, 51–54, 58, 60, 69, 88, 92f, 96, 103, 107, 131–136, 139, 222, 233, 244, 250

Gruschka, Roland 68 Gumpertz, Aaron Salomon

25, 185

Gunkel, Herrmann 39, 99 Gurwitsch, Aron

178, 180

Guttmann, Julius 4, 63, 186 Habermas, Jürgen 19, 21, 30, 133 Hacohen, Malachi Haim

182

Halevi, Jehuda 69, 71–75, 78, 110, 186, 193, 200–206, 218, 229, 247f, 252

76

Herder (Schriften) Abhandlung über den Ursprung der Sprache: 34f, 37, 93; Älteste Urkunde des Menschengeschlechts: 33, 40, 106; Briefe das Studium der Theologie betreffend: 131; Briefe zur Beförderung der Humanität: 40–44; Fragmente zu einer Archäologie des Morgenlandes: 131f; Journal meiner Reise: 36, 38, 41; Kalligone: 133–135; Lieder der

292

Register

Lieder: 33, 131; Über die neuere deutsche Literatur: 34, 36–38, 41, 44; Über die Wirkung der Dichtkunst auf die Sitten der Völker: 41; Vom Geist der Hebräischen Poesie: 38, 40f, 131f

Joh 1.1 133, 246 Jospe, Raphael 8, 73, 75, 199, 201, 203, 205, 252 Josua

213

Judeneid s. Glaubenseid

Herz, Markus 62, 69

jüdische Aufklärung s. Haskala

Herzl, Theodor 18, 58

Kant, Immanuel 2f, 11, 15, 60–66, 112f, 130, 135–139, 142, 147f, 154–157, 164–169, 173, 181, 184, 186, 214f, 233f, 242–246, 252

Hertzberg, Arthur 22 Hieroglyphik 223, 225–229 Hilfrich, Carola

6, 12, 81, 104, 221

Hinske, Norbert

3, 90

Hobbes, Thomas 10, 15, 19, 141, 190, 192, 220, 233–236, 239–249 Hobsbawm, Eric J.

29

Hoffmann, Michael H.G. 170, 252 Holocaust

s. Shoah

Homberg, Herz

24, 221, 230

Horkheimer, Max 148, 214–216 Hornig, Gottfried

97f

Kant (Schriften) Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen: 112, 139; Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft: 66; KrV: 61–63, 130, 215, 234, 244; KU: 122, 130, 137; Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral: 142, 156, 165f. Kantillationszeichen (masoret.) ta‘amej ha-mikra’ Kaplan, Brett Ashley

Horvitz, Rivka 126 Hsia, Ronnie Po-chia

120

Katz, Jacob 4, 20, 65f, 99

22

Hume, David 61, 139, 146–151, 180–182, 208

Kaufmann, David 25, 200, 205 Kayserling, Meyer

5f

Iggers, Georg G. 34

Keller, Rudolf E.

Induktion 146–149, 182 (Hume), 182 (Popper)

Kelsen, Hans 30, 235

Infinitesimalrechnung 15, 141, 151– 179, 188, 192, 224

Kepler, Johannes

Irmscher, Hans Dietrich

103

Klein, Jürgen 107

Isserles, Mose ben Israel

187, 191

Klingenberg, Anneliese 101

Jafet 84 Jauch, Ursula Pia

Kennecke, Andreas

5 146

Klein, Ernst Ferdinand 87, 237

Knobloch, Heinz 139

87

18

Köhler, Heinrich

174

159f, 173, 192

Kollatz, Thomas

185

jiddische Sprache 1, 20–24, 28, 48f, 58f, 67f, 77, 85–87, 188

Kommerell, Max

115

Jesseph, Douglas M.

s.

293

Register

Kondylis, Panajotis 135 Konvention und philosophische Begriffssprache: 153f, 188, 196, 198–206 (jüd. Diskussion); und Politik: 242, 245, 247, 251; und relig. Zugehörigkeit: 102, 138; und Sprache: 74, 78, 89, 153, 197–206 (Halevi), 211f (Maimonides), 212f (Mendelssohn), 230; und Tradition: 211–214 (Mendelssohn); und Vorurteil: 148, 216–18 Körper u. Seele 75, 91, 121, 142, 153, 174f, 174–180, 190–194, 229f, 235f Koschorke, Albrecht 67 Koselleck, Reinhart 18–23, 244

lateinische Sprache 10, 29, 38, 41, 47f, 54, 68, 101, 104, 106f, 110f, 189 Lautsprache s. Mündlichkeit Lauer, Gerhard

22f

Lausch, Hans 146, 159 Legaspi, Michael C. 107 Leibniz, Gottfried Wilhelm 18, 36, 62, 89, 105, 116, 135, 137, 141, 143–146, 150, 159–161, 165–168, 171–180, 184f, 192f, 200 Lepschy, Giulio

38

leshon ha-kodesh 70–77 (Kohelet Musar), 77f (Or la-Netiva), 203–206 (Kusari)

Kreimendahl, Lothar 148

Lessing, Gotthold Ephraim 3, 12f., 18, 25, 27, 33f, 55f, 62, 67, 69f, 90, 101, 114–118, 123, 134, 156, 174, 177, 185, 207f, 232, 239

Kremer, Arndt

Lestition, Steven 136

Kraft, Werner 60 Kraus, Hans-Joachim 87f 23

Kritik der Aufklärung: 11, 21, 31, 45, 102, 214, 218; der Bibel: 15, 85, 96–101, 103, 131; der Erkenntnis: 61, 135, 147, 151, 170, 207f, 211; der Offenbarung: 94, 248; der Religion: 8, 9, 21f, 61, 146, 214, 239, 250; Vernunft: 2, 61, 62, 151, 215 Krochmal, Nachman

48

Krochmalnik, Daniel

222

Krone, Kerstin von der

241–244

Kuehn, Manfred

147f

Kurz, Gerhard Laak, Lothar van

Liberalismus 9, 11f, 21, 27f, 32–34, 43, 45f, 50–54, 62, 115, 236 Librett, Jeffrey S. 12, 63 Liebeschütz, Hans 22, 63 Lilla, Mark

10

Locke, John 89, 143, 233 Löffler, Heinrich 87

100, 106 129f

Lambert, Johann Heinrich

Levy, Ze’ev 3, 61, 170, 244

linguistic turn 182, 244

46

Krook, Dorothea

Levenson, Edward Richard 118, 207

142, 168

Logik kasuistische: 79 (s. TalmudHermeneutik); propositionale: 190, 241, 243; Wahrscheinlichkeits~: 149 (Wolff), 149–151, 154, 168 (Mendelssohn), 178, 182f (Popper); der Relationen: 168; in der deutschen Philosophietradition: 105,

294

Register

146; in der arabisch-jüdischen Philosophietradtion: 94, 185–197; und Ethik: 125 (Cohen), 169f (Mendelssohn), 196f (Maimonides); und Gottesbeweis: 166, 180; und heilige Sprache: 15, 197–206; und Mathematik: 154, 165; und Metaphysik: 179f (Mendelssohn), 183f (Popper); und mathematische Zeichensprache: 125, 141, 151–181; und Offenbarung: 94, 184, 186– 194; und Ontologie: 175–180; und Vorurteil: 214–218; s. indirekter Beweis, Induktion, Proposition, Satz des Widerspruchs, Quantität/ Qualität, Syllogismus, Vorurteil logischer Schluss

s. Syllogismus

Löwenbrück, Anna-Ruth 98, 101 Lowth, Robert 15, 39, 85, 100–113, 131f, 135f, 139, 194 Luther, Martin 20, 38, 40, 42, 48, 54, 97f, 99, 244, 247 Lyotard, Jean-François 122, 130, 137 Mack, Michael 12, 64, 233 Maimon, Salomon 62, 167f, 180, 187 Maimonides, Moses 5, 9, 15, 72, 85, 94, 126–128, 184–213, 219, 243 Maimonides (Schriften) Millot haHiggajon: 15, 94, 186, 188–190, 194–197; Moreh: 127, 185, 187, 199–201 Marx, Karl

18, 23

Mathesis universalis

180

Maupertuis, Pierre Louis Moreau de 91f, 142, 146f, 157, 166, 185, 222 Mauthner, Fritz 63, 249f Mehrsprachigkeit s. Multilingualismus

Meier, Albert 117 Meier, Brigitte

19

Menachem, Mosche ben s. Moses Mendelssohn Mendelssohn, Moses passim Mendelssohn (Schriften) Bi‘ur laTora: 24, 80, 126–129, 190f, 238; Bi‘ur Millot ha-Higgajon: 15, 69f, 74, 94, 178, 184, 186, 188–190, 197, 235, 243, 247; Briefwechsel über das Trauerspiel: 114f, 118; Evidenzschrift: 125, 148, 151–169, 180, 184, 186–88, 190, 193f, 197, 207f, 210, 214–217, 222, 251; Gedanken von der Wahrscheinlichkeit: 145–151, 163; Jerusalem: passim, bes. 219–252; Kohelet Musar: 15, 68–71, 73–78, 85, 89, 186f, 200, 247; Lowth-Rezension: 101, 111f, 194, 103–105, 108; Morgenstunden: 3, 62f, 123, 174, 177, 180, 193, 244f, 248; Notizen zu Ursprung der Sprache: 69, 93, 141; Or la-Netiva: 15, 54, 68–70, 77, 79–89, 104, 128; Pentateuch-Üs.: 5, 15, 26, 38f, 45, 47–49, 54, 57, 59, 68f, 77, 79–89, 104; Philosophische Gespräche: 175f; Rhapsodie: 112, 120–124, 129, 174; Sendschreiben: 69f, 90, 93, 222, 232; Über das Erhabene und Naive: 96, 112f, 115, 117f, 123–125, 137; Über die Sprache: 69, 93f, 141, 151f, 163–165, 178, 222–224, 227, 240; Vorrede zu Vindiciae Judaeorum: 43, 69; Was heißt aufklären?: 217, 252 Menschenrechte 11, 51, 233, 251 Meyer, Michael A. 27 Meyer, Thomas 4, 186 Michaelis, Johann David 39, 69, 91, 97–107, 139, 237

295

Register

Michaelis, Paul 27 Miller, Elaine Rebecca Minderheit

Muncker, Franz 55f, 60 73

s. Minorität

Minimalismus

Munk, Reinier 56, 125

119f

Minorität Krise der: 11, 27f, 45, 53, 102f, 249f; und kritisches Denken: 15f, 25, 65, 102f, 137–140, 249f; und Majorität: 45, 102f, 138–140; und Politik: 1, 13, 20f, 26f, 43, 52f, 55, 65, 221, 237–239, 249f; und Religion: 231, 237–239 Mirabeau, Honoré Gabriel de Riquetti, Marquis de 27 Mischna

72, 79, 84, 131, 191

Missbrauch der Sprache 230, 242, 246f Mitleid 114f, 118 Mittwoch, Eugen

Mündlichkeit 58, 193, 202f, 220, 222, 227, 229f, 241

4

Nachman, Moses ben (auch: Nachmanides, Ramban) 126, 128 Nationalliteratur 36, 40–42, 52, 59, 85, 131, 135f; s. Poesie, Volkspoesie Nationalsozialismus 4, 10, 16, 29, 119f Nationalsprache 14f, 21, 27–44, 50f, 54, 58–60, 73f, 89, 133, 250f Naturwissenschaft 15, 25f, 146, 181, 184f, 252 Naturzustand

s. Stand der Natur

Nominalismus 15, 150, 190, 233, 241, 243–46, 250

Mohr, Georg 61, 130

Newton, Isaac 161, 181,

Monadenlehre 173–179

Nicolai, Friedrich 34, 101f, 114

Montesquieu, Charles de Secondat, Baron de 231–234

Noah 84, 201

Morlok, Elke 126

Onkelos 83, 127

mosaische Staatsverfassung 3, 83, 88, 219, 252

Ontologie und Sprache: 29f, 33, 72, 154, 180, 204; und Logik: 178, 180, 193, 204, 208

Moscato, Jehuda

71

141, 143, 146, 159–

Oeming, Manfred 100

Moses 106, 126–129, 201, 213, 221

Orach Chajim 191

Mosse, George L.

Or ha-Chajim

34

Moynahan, Gregory B.

168

muchashim s. Sinneswahrnehmung Mufti, Aamir R. 11f, 26, 28, 43, 45, 102f, 138, 140, 221–226, 229, 231

207

Panlogismus 178, 180 Partikularität 23, 51, 89, 140, 177, 194, 198, 211, 218, 230, 251 Pascal, Blaise 143, 146

Müller, Ernst 116f, 237

Peckhaus, Volker

Multilingualismus 1, 7, 14, 21, 25, 32–34, 40–42, 45f, 48, 50, 54f, 58, 68, 73, 86–89, 133, 198f, 242

Peirce, Charles S. 167f, 181, 252

178, 180

Pelli, Moshe 26, 45f Picard, Jaques 233

296 Pirqei Avot

Register

213

Plato 69, 88, 124f, 211f, 219f, 228, 252 Poesie hebräische: 40, 49, 85, 100f, 104, 106–110, 131–133, 200; philosophischer ~begriff: 105f; Volks~: 26, 35, 37, 40, 42–44, 132; Ursprungs~: 40, 103, 135 Pollok, Anne 10f, 93, 142, 147, 222, 224

Rousseau, Jean-Jacques 93, 222, 231–233

35, 70, 90–

Rudolph, Andre 244 Russell, Bertrand 154, 167f, 182 Saadia, ben Joseph 75–78, 84, 127, 205f Sandler, Perez

80

Satanow, Isaak 25f, 73, 187 Satz des Widerspruchs 158, 165

Polyglossie 7, 32, 73, 83

Saussure, Ferdinand de

Popper, Karl Raimund 31, 167, 180– 184

Schatz, Andrea 13f, 21, 26, 46, 49, 68, 70, 73f, 81, 89, 222, 249

prästabilierte Harmonie 116, 137, 173, 175, 179, 200

Schlick, Moritz

Prodi, Paolo 236f

Schottelius, Georg

Proposition 149, 194f, 211–213

Schriftsprache

Pulzer, Peter 18

Schulte, Christoph 6, 23, 26, 43, 62, 79, 107, 136, 188

Qantität/Qualität 142, 157–159, 162f, 166f, 169, 172, 174f, 179, 192, 194, 216, 227, 229

170

182

Scholem, Gershom 4, 60, 125, 192 41

67, 222, 225–230

Schulte-Sasse, Jochen 136 sefarim 203f, 229, 252

Rawidowicz, Simon 3f, 12, 219

Sefer Jetzira

Rede 82, 225; gebundene: 106, 109; göttliche: 72, 128, 133, 203f, 242, 247; innere u. äußere: 190, 193, 195–197, 243; und Logik: 150, 190, 199, 205, 243; Schluss~: s. Syllogismus; und Schrift: 225–229

Sefer ha-Kusari 8, 71–74, 110, 186, 193, 200–205, 229, 248, 252

Relativitätstheorie

Shear, Adam 8, 71, 73, 186, 205

181

Rhonheimer, Martin

124

Ricken, Ulrich 12–14, 92, 122, 141, 166, 170f, 222 Römer, Nils 20 Rose, Paul Lawrence 54

4, 203f

Segreff, Klaus-Werner 121 Seidman, Naomi

12, 28, 84

Shavit, Yaacov 34, 85, 100, 139 Shemot Rabba 127 Shoa Repräsentätion der: 119f, Skepsis 15f, 151, 181, 223, 230; s. Fallibilismus

Rosenzweig, Franz 4, 60, 63f, 125f

Skeptizismus 61, 95, 146, 148, 270f, 180f, 208

Rossi, Asaria ben Moses de´ 84f, 110

Silberstein, Laurence J. 58

Rotenstreich, Nathan 18, 88, 187

297

Register

Singularität 40, 42, 88, 126, 128, 138, 194, 198, 211, 218f, 233, 251f

Sutcliffe, Adam

21f

Sinne 36, 113f, 118, 121f, 130, 135, 138, 153, 162, 174, 216f, 227, 229f; Sprachen der: 153, 224, 227, 230; äußere ~ u. innerer Sinn: 153, 224, 227, 238f (polit. Dimension)

Syllogismus 146f, 150, 195, 212f

Sylla, Edith Dudley 144

Sinneseindrücke 153, 222

synthetische Methode der Sprachbildung: 152; der Begriffsbildung: 157 (Mendelssohn); und Mathematik: 156, 166 (Kant); s. analytische Methode

Sinneswahrnehmung 92, 239, 212

ta‘amej ha-mikra’ 82, 193, 202f

Smend, Rudolf 101, 103

Talmud-Hermeneutik 127, 213

Smolenskin, Perez

Targum Onkelos 80, 83, 126f

2, 14, 56f, 59

Sokrates 228

Tätigkeit 191f, 194, 200, 202f, 229f

Sorkin, David 2, 6–14, 26, 48, 69– 74, 88, 185, 206, 214

Tetragramm 96, 126–129, 238

Souveränitätslehre 19, 27, 50, 174, 217, 234–236, 239f, 243, 249 Spinoza, Baruch de 12f, 18, 60f, 95, 141, 146, 175–178, 222f, 229f, 244 Spinoza-Streit 3, 61–63 Sprache und Denken: 190f, 196f, 226, 235f, 243; heilige: 15, 21, 40– 42 (Herder), 50, 197f, s. leshon hakodesh; konventionelle: s. Konvention; Ursprung der: 90–95, 106, 141, 151, 200–202, 222f, 229f

Thon, Osias 58 Tibbon, Jehuda ibn (Kusari-Übers.) 110 Tibbon, Samuel ben Jehuda ibn (Moreh-Übers.) 185 Tibbon, Mose ben Samuel ibn (Millot ha-Higgajon-Übers.) 189, 196, 212 Tora, mündl. u. schriftliche 78f, 82, 86, 207, 213, 229f Toury, Gideon 81

Sprachpolitik 7, 16, 34, 44f, 59, 67, 79–89, 133, 238, Kap. VI: passim

Toury, Jacob

Sprachreform 1, 15, 33, 38f, 44, 48– 50, 56, 63f, 79, 250, 252

Transzendenz Gottes: 177 (Mendelssohn); der Idee des Guten: 125 (Platon, Cohen); mathematische: 179 (Leibniz), 180 (Mendelssohn); und Schriftsprache: 227; zwischen innerem u. äußerem Sinn: 153, 224, 227 (Mendelssohn); zwischen den Sprachen der Sinne: 153, 224 (Mendelssohn)

Stand der Natur 69, 88, 90, 232–235, 240f, 255 Stockinger, Ludwig 31, 34f, 41, 105, 135f Strauss, Bruno 4 Strauss, Leo 4, 9f, 90, 94, 123, 142f, 155f, 166, 174, 177, 190–195, 207– 221, 239, 245 Süßmilch, Johann Peter 92f

46

Transzendentalphilosophie

148, 167

Tsamriyon, Tsemah

46

Twellmann, Marcus

236–238

298

Register

unendlich 123f, 133, 158–160, 166– 168, 172–175, 177, 182, 184, 201, 216, 226, 239; unendlicher Verstand: 150, 154

Wissenschaftstheorie 151, 157, 163 (Mendelssohn), 167 (Kant), 181f (Popper), 184 (Mendelssohn)

Universalität 218, 251

Wolf, Herbert

19, 31, 72, 140, 211,

Wittgenstein, Ludwig 31f, 182 20

Wolf, Joseph 46f

Ungeheuer, Gerold 171 Varga, Péter 46, 68 Vattimo, Gianni 39, 115 Veltri, Giuseppe 71f, 85, 222

Wolff, Christian 13, 20, 62, 137, 146, 149, 156, 168, 171, 184–186, 192, 251

Vierhaus, Rudolf 18

Wolfson, Harry Austryn 195, 200, 204, 209

Viljanen, Valtteri

Wright, Sue 29, 33f, 43f

178

Vivas, Joseph ibn 196

Wuaing, Hans 160

Volkov, Shulamit 58

Yerushalmi, Yosef Hayim

Rechte und Pflichten, vollkommene u. unvollkommene 240f

Yildiz, Yasemin

Vordersatz s. Proposition

Zamośź, Israel ben Moses Halevi 71, 73f, 185–187, 205

Vorländer, Karl

173

85

32

Young, Edward 76, 200 25,

Wahrscheinlichkeit 141 – 151, 154, 157, 159, 161, 163, 168, 194f

Zeichen nachahmende: 90, 113, 152, 223, 227, 229f; natürliche: 152, 164, 222f, 225, 227, 246; symbolische: 15, 115, 123, 128f, 141, 152f, 165, 167, 172, 174, 179, 22; willkürliche: s. willkürliche Zeichen

Weinberg, Werner 57, 79, 128

Zelle, Carsten 97, 115f, 136

Withehead, Alfred North 182

Zunz, Leopold

48–55

Wiener Kreis 182

Zwiep, Irene E.

72, 198–203

Vorurteil 130, 148f, 210, 214–218, 249 Wagner, Richard 12, 52, 54–56

Wiener, Max 4, 8f, 89 Willaschek, Markus 61, 130 willkürliche Zeichen Entstehung der: 223, 227; und Erkenntnis: 152f, 199 (Arist.); in der Kunst: 123; in der Mathematik: 164f, 172; in der Wissenschaft, 164; und Zeremonialgesetz: 230; s. Arbitrarität des Zeichens

,ʯʥʥʢʤʮ ʭʬʲʰ ʺʩʰʡʺʤʥ ,ʺʩʰʡʺʤʮ ʭʬʲʰ ʸʺʥʩ ʺʥʮʹʢʤʥ ,ʺʥʮʹʢʤʮ ʭʬʲʰ ʭʶʲʤʥ ,ʭʶʲʤʮ ʭʬʲʰ ʲʡʨʤʥ ,ʲʡʨʤʮ ʺʮʬʲʰ ʹʴʰʤʥ ʹʴʰʤʮ ʭʬʲʰ ʬʫʹʤʥ (ʢʿʡʹʸ)