Moralische Ordnungen des Nationalsozialismus 9783666369636, 9783525369630, 9783647369631

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Moralische Ordnungen des Nationalsozialismus
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Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung Herausgegeben von Günther Heydemann Band 52

Vandenhoeck & Ruprecht

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Wolfgang Bialas

Moralische Ordnungen des Nationalsozialismus

Vandenhoeck & Ruprecht

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-36963-0 ISBN 978-3-647-36963-1 (E-Book) Umschlagabbildung: Lagertor am Eingang der Gedenkstätte im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz 1 Quelle: picture alliance / Sueddeutsche Zeitung Photo © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Satz: Hannah-Arendt-Institut, Dresden Druck und Bindung: h Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

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Inhalt I.

Einleitung: Stand der Debatte

II.

Die nationalsozialistische Moral

1.

Die weltanschaulich-moralische Krise der Weimarer Republik: Die Diagnose Der moralische Umbau der deutschen Gesellschaft: Die ethische Dimension der nationalsozialistischen Revolution Moral in Übereinstimmung mit den Lebens- und Naturgesetzen: Rasseninstinkt und moralische Urteilskraft Zwischen Pflicht und Neigung: Der kategorische Imperativ des Nationalsozialismus Das Ethos des Dienstes an der Gemeinschaft: Die Persönlichkeit als Verkörperung des Volksganzen

2. 3. 4. 5.

9

19

19 25 39 47 54

III.

Rasse und Moral

63

1. 2.

Nationalsozialistische Ideologie und Rassenmoral Nationalsozialistische Täter mit gutem Gewissen: Die moralische Konditionierung des nationalsozialistischen Rassenkriegers Die ideologische Konstruktion des typisierten Juden: Die moralische Bedeutung jüdischer Existenz Von deutscher Eigenart und Größe: Nordische Rasse und Moral

63

103

IV.

Rasse, Religion und Bürgerlichkeit

111

1. 2.

Rassenreligion und christliche Ethik Bürgerlicher Humanismus und nazistische Rassenethik: Die nationalsozialistische Kritik bürgerlicher Gesellschaft und Moral Weltbürgerlichkeit, Menschheit und Rasse: Von der universellen zur rassischen Werteordnung Kommunikation zwischen unterschiedlichen Rassen

111

3. 4.

3. 4.

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80 88

127 139 150

Inhalt

6 V.

Rasse, Geschlecht und Sexualität

1.

3. 4.

Der „neue Mensch“: „Kämpferische Männlichkeit“ und „neue Frau“ Sexualität im Nationalsozialismus: „Rassenbewusste Gattenwahl und „artgemäße Sexualität“ Die Ehe als Zuchtanstalt: Der Wille zum Kind Rassenschande: Mangelndes Verständnis für Rassenfragen

167 180 190

VI.

Rasse und Biologie

199

1.

Das diskursive Vorspiel: Die Debatte zur Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens Rassenethik und Biopolitik: Aufartung der Hochwertigen und Ausmerze der Minderwertigen Kein Mitleid mit den Schwachen und Minderwertigen: Für eine Moral der Stärke

220

VII.

Der Krieg als „moralische Lehranstalt“

233

1.

3.

Der Krieg als moralische Bewährungsprobe: Todesbereitschaft, Todessehnsucht und Todesverachtung im Kampf der Ideen und Werte Durchhalten im Angesicht des absehbaren Endes: Die Vision der moralischen Wiedergeburt Das Ethos nazistischer Vernichtungspolitik

VIII.

Täter, Opfer, Widerstand

273

1.

Führung und Gefolgschaft: Die nationalsozialistische Wertegemeinschaft in der moralischen Zerreißprobe Die SS als rassischer Neuadel und moralischer Orden Kampf gegen moralischen Verfall und Defätismus Moral trotz alledem: Die „Conditio humana“ in den Lagern

273 282 287 292

2.

2. 3.

2.

2. 3. 4.

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157

157

199 207

233 248 255

Inhalt

7

IX.

Ausblick

303

1.

2. 3.

Entnazifizierung und Kriegsverbrecherprozesse: Die moralische Zurechnungsfähigkeit nationalsozialistischer Täter Moral nach Auschwitz Zum moralischen Profil totalitärer Gesellschaften

303 311 319

X.

Literaturverzeichnis

327

Zeitgenössische Literatur Artikel aus dem „Schwarzen Korps“ Sekundärliteratur

327 342 344

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I.

Einleitung : Stand der Debatte

Der Nationalsozialismus wird als paradoxe Verknüpfung völlig heterogener Phänomene beschrieben, in denen „messianischer Fanatismus und bürokratische Strukturen, pathologische Handlungsantriebe und administrative Erlasse“ sowie „archaische Denkweisen in einer hochentwickelten Industriegesellschaft“1 eine eigentümliche Symbiose eingegangen seien. In einer effektiven Verbindung von politischem Voluntarismus und funktionaler Rationalität sei im Nationalsozialismus ein genozidales Potential moderner Gesellschaften aktiviert worden, das auch ohne die ideologische Indoktrinierung der Täter auskam.2 Die dazu konträre Position verweist auf das komplexe Gebilde nationalsozialistischer Ideologie, die zur weltanschaulichen Bildung und moralischen Konditionierung ideologischer Überzeugungstäter gedient habe. Es besteht eine Diskrepanz zwischen der sehr gut erschlossenen Geschichte von nazistischer Eugenik und Euthanasie3 und den bisher kaum ausgewerteten nationalsozialistischen Versuchen der Begründung und Durchsetzung einer eigenen moralischen Ordnung. Zugleich wird das Verstehen der Ideen, Werte, Überzeugungen, Haltungen und Emotionen, die den Massenmord an den Juden als moralisch gerechtfertigt haben, als ein Schlüssel zum Begreifen des Holocaust gesehen.4 Verwiesen wird auch auf die Schwierigkeit, sich der moralischen Dimension des Holocaust analytisch zu nähern. Vielleicht sei ja kontemplatives Schweigen die angemessene Haltung der moralischen Katastrophe des Holocaust gegenüber, angemessener jedenfalls, als ihn zu einem Gegenstand unter vielen im akademischen Betrieb der Sozial - und Geisteswissenschaften zu normalisieren.5 In Deutschland stehen Forschungen zur nationalsozialistischen Moral und Ethik noch am Anfang. Unter Stichworten wie „nationalsozialistische Täter mit gutem Gewissen“,6 der „Moral der Unmoral“, „nazistischer Transformationsmoral“,7 sogenannter nationalsozialistischer Moral oder einer „Moral in Anführungszeichen“8 hat die Diskussion hier gerade erst begonnen. Hartmut Kuhlmanns Diagnose von 1997, dass Auschwitz als „die Wirklichkeit des moralisch Unmöglichen, das sich widersinniger Weise in der Geschichte offenbarte [...] ein Desiderat geschichtsphilosophischer Forschung“9 darstellt, ist zumindest für die

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Heinsohn, Auschwitz, S. 48. Vgl. Aly, Hitlers Volksstaat, S. 19. Dazu grundlegend Proctor, Racial Hygiene. Vgl. Scarre, Understanding, S. 425. Vgl. Garrard / Scarre ( eds.), Moral Philosophy, S. IX f. – aus : dies., Introduction. Im Anschluss an Arendt, Eichmann. Das für die Bundesrepublik wohl einschlägige Buch zum Thema ist Zimmermann, Philosophie. Vgl. Konitzer, Moral. Kuhlmann, Auschwitz, S. 107.

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10

Einleitung : Stand der Debatte

deutsche Philosophie, trotz einzelner Arbeiten zum Gegenstand, noch immer zutreffend.10 Einige Autoren bezweifeln, dass der Nationalsozialismus überhaupt eine eigene moralische Ordnung entwickelt hat. „Der Erlösungsbegriff, der Züchtungsbegriff, das medizinische Paradigma ( Gesundheit, Parasiten, Volkskörper etc.)“11 als Konzepte der nationalsozialistischen Rassen - und Vernichtungsideologie hätten nichts mit der Moral gemein. Weder Nationalsozialismus noch Bolschewismus hätten „eine philosophischen Ansprüchen genügende Moral oder gar Ethik“12 entwickelt, sondern lediglich die notwendige Abweichung von Regeln einer universellen Moral ideologisch begründet.13 Versucht wird auch, die nationalsozialistische Weltanschauung und Rassenpolitik mit den traditionellen Kategorien westlicher Ethik zu erklären, deren normativen Rahmen sie nicht verlassen habe. Da zwischen der Faktizität der Ereignisse und der Geltung moralischer Normen kein direkter Ableitungszusammenhang bestehe, könnten die faktischen Verbrechen des Nationalsozialismus „apriorische Moralkonzeptionen gar nicht widerlegen oder auch nur fragwürdig werden lassen“.14 Sowohl Hitler als auch Himmler hätten „entweder die Geltung konventioneller Moral anerkannt“ oder danach gestrebt, „jede Moral hinter sich zu lassen“.15 Während etwa Himmler z. B. in seiner Posener Rede eine Art „verantwortungsethische Begründung des Judenmords“ gegeben habe, habe Hitler die Moral durch den Verweis auf „unabänderbare Naturgesetzlichkeiten“16 ersetzt. Weder also könne der Nationalsozialismus als eigenständige moralische Ordnung beschrieben werden noch habe er die Geltung des westlichen Wertesystems in Frage gestellt. „Der moralische Nazi ist ein Utilitarist. Er tötet, weil er glaubt, dies sei seine moralische Pflicht und nur so lasse sich ein großes Übel abwenden.“17 Konturen einer neuen moralischen Ordnung des Nationalsozialismus wurden sowohl in zeitgenössischen sozial - und geisteswissenschaftlichen, und hier insbesondere in philosophischen und medizinethischen Texten, als auch in ideologischen Texten entwickelt. Fragen nationalsozialistischer Ethik und Moral wurden in ideologischen Kampfschriften, essayistischer Publizistik, Prosa und Lyrik18 behandelt, deren Autoren mit moralischen Kategorien wie Anstand und Würde, Ehre und Pflicht operierten. Dabei zeigt sich ein variantenreiches Spektrum ihrer begrifflichen Bestimmung :

10 Zum Stand der Debatte vgl. Konitzer / Gross ( Hg.), Moralität; Gross, Anständig geblieben, S. 7–25. 11 Seel, Universalismus, S. 465. 12 Sukopp, Universalismus, S. 470. 13 Vgl. Hoerster, Universalismus, S. 442. 14 Brumlik, Begründung, S. 430. 15 Ebd. 16 Ebd., S. 431. 17 Hauskeller, Moralentwürfe, S. 435. 18 Vgl. Baird, War Poets.

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Einleitung : Stand der Debatte

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– Als „eugenische Ethik“19 sollte sie auf einem „Rassengewissen“20 gründen. – Als selektive Rassenethik gerichtet gegen eine widernatürliche Moral rassenindifferenter Mitmenschlichkeit war ihr Geltungsbereich auf Angehörige der deutschen Volksgemeinschaft beschränkt.21 – Als natürliche Lebensethik sollte sie die Steigerung des Lebens in Übereinstimmung mit Natur - und Lebensgesetzen bewirken.22 – Als soldatische Ethik stellte sie Kampf, Opferbereitschaft und Charakterstärke gegen „altbürgerliche“ Werte einer übersättigten Gesellschaft, die es verlernt habe, ihr Wertesystem an den Herausforderungen der Zeit zu bewähren und es gegen konkurrierende Wertesysteme durchzusetzen.23 – Als deutsche Ethik sollte sie weder eine Paragraphenethik noch eine Gesetzesethik sein, sondern Moral der Tat, eine Herren- , Volks - und Kampfmoral.24 – Als biologische Ethik zielte sie auf die Wiedergeburt des Instinkts, nachdem das Christentum den biologischen Instinkt für geistige Gesundheit und arteigene Moral durch die Ausbildung einer lebensfremden Feindesliebe zerstört habe.25 Die völkische Rassenethik war unvereinbar mit dem politischen Humanismus der Menschen - und Bürgerrechte und der christlichen Fürsorgeethik unbedingter Nächstenliebe. Rassenbewusstes Verhalten sollte durch die Ausbildung biologischer moralischer Haltungen und Intuitionen zur fraglos selbstverständlichen Routine werden : – Die Deutschen sollten dazu befähigt werden, aus einem Rasseninstinkt heraus moralisch im Sinne des Nationalsozialismus zu urteilen, zu handeln und biologische Verantwortung für die Volksgemeinschaft zu übernehmen. – Während für Angehörige der rassischen Volksgemeinschaft das Prinzip „Gemeinnutz auf Gegenseitigkeit“ als zeitgemäße Haltung ausgezeichnet wurde, sollte „Artfremden“ und Minderwertigen mit einem rassenbiologisch aufgeklärten Eigennutz begegnet werden. – Der „neue Mensch“ des Nationalsozialismus sollte als politischer Soldat und Rassenkrieger im weltanschaulichen Entscheidungskampf bedingungslos der „moralischen Urteilskraft des Blutes“26 vertrauen. Nationalsozialistische Moral hat sich an der Schnittstelle von nationalsozialistischer Ideologie und Herrschaftspraxis entwickelt. Ethik wurde auf Biologie, die Geltung moralischer Werte auf ihre Genese aus rassischer Zugehörigkeit 19 20 21 22 23

Schiller, Eugenik, S. 342. Vgl. Weidner, Denken. Vgl. Schulze, Sittengesetz, S. 27. Vgl. Krieck, Mythologie, S. 86. Vgl. Nationalsozialistisches Jahrbuch, S. 148–163, hier 152 f. – aus dem Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat (1.12.1933/3. 7.1934). 24 Vgl. Hennemann, Grundzüge. 25 Vgl. Pintschovius, Wiedergeburt. 26 Schultze - Naumburg, Bedeutung, S. 27.

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Einleitung : Stand der Debatte

zurückgeführt. Die nationalsozialistische Rassenpolitik zielte auf die Ersetzung des bürgerlich - christlichen Wertesystems, das zum historischen Anachronismus eines vorwissenschaftlichen, die biologischen Gesetze der Rasse ignorierenden Zeitalters erklärt wurde, durch eine selektive rassenbiologische Moral, deren Geltung ausdrücklich auf die Angehörigen der deutschen Volksgemeinschaft beschränkt war. Die Frage, weshalb gerade die Juden zum Objekt von Diskriminierung, Verfolgung und Vernichtung im Nationalsozialismus wurden, rekonstruiert jene historischen und naturgesetzlichen, rassischen und bevölkerungspolitischen, volkshygienischen und biologischen Argumente, mit denen ihre ideologische Stigmatisierung, nach der sie nicht mehr als moralische Subjekte galten, als ethisch richtig und notwendig begründet wurde. Nach dem Ausschluss der Juden aus dem Geltungsbereich moralischer Verpflichtungen konnten sie nicht mehr mit der Empathie und Unterstützung der deutschen Volksgemeinschaft rechnen, der sie nach den Rassengesetzen nicht mehr angehörten. Eine rassenindifferente universalistische Moral wurde als jüdisch apostrophiert, gleichzeitig wurden die Juden als unmoralisch diffamiert. Ihnen wurde vorgeworfen, durch Rassenmischung die moralische Substanz der nordischen Rasse zu schwächen.27 Die nazistische Kritik rassenindifferenter Menschenrechte, christlicher Nächstenliebe und Fürsorge für Bedürftige zielte auf die Vernichtung des bürgerlichen Wertesystems. Im Kampf ums Dasein sollte die nordische Rasse ihr natürliches Recht zur Herrschaft über die Schwachen und Minderwertigen durchsetzen, ohne sich durch moralische Erwägungen einschränken zu lassen. Das Naturgesetz der Durchsetzung gesunder und starker Lebensformen „auf Kosten der schwachen und minderwertigen“ dürfe nicht durch „humanitäre Begünstigung und Erhaltung Minderwertiger [...] gehemmt werden“:28 Wenn man es nicht durch religiöse und moralische Regeln einschränke, setzten sich im Lebenskampf immer diejenigen Arten mit dem stärkeren Lebenstrieb durch.29 Der von biologischen Schranken und moralischen Hemmschwellen befreite Mensch wurde zum Leitbild einer harmonischen und gesunden Sozialordnung. Gegen eine religiöse Moral des Mitleids mit den Schwachen und der Fürsorge Bedürftigen sollte die Geschichte wieder in Übereinstimmung mit den Natur - und Lebensgesetzen gebracht werden, die frei von moralischen Ressentiments waren. In der aggressiven Rhetorik nationalsozialistischer Ideologie wurde die natürliche Auslese des Sozialdarwinismus zur natürlichen Ausmerze radikalisiert : Die Übertreibung des karitativen Gedankens verhindere faktisch die „natürliche Ausmerze“30 aus eigenen Kräften lebensunfähiger Menschen. Die zeitgenössische Mentalität des korrigierenden Eingriffs in menschliche Kultur und Biologie wurde zu einer ideologischen Politik angewandter Biologie. Diese wies das 27 So z. B. Rosenberg, Unmoral im Talmud (1920). In : ders., Schriften, S. 323–394 und Fasolt, Grundlagen. 28 Fritz, Politik, S. 522. 29 Vgl. Franz, Vervollkommnung, S. 257. 30 Riedel, Vernunft, S. 384.

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Einleitung : Stand der Debatte

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durch die bürgerlich - christliche Ethik begründete Recht der Schwachen und Bedürftigen auf Fürsorge und Schutz vor Übergriffen mit dem Argument zurück, dass es das natürliche Durchsetzungsrecht der rassisch Höherwertigen, Starken und Gesunden einschränke. Klassische moralische Denkfiguren wurden im Ergebnis des nationalsozialistischen Wertewandels ersetzt, aber auch übernommen. Zu denen, die übernommen und in die neue moralische Ordnung integriert wurden, gehörten das Gewissen als innere Instanz moralischer Selbstbefragung, die ethische Diskriminierung des Egoismus als unmoralisch, das Zulassen von Bedenken als Zeichen moralischer Ernsthaftigkeit und deren Überwindung als Beleg moralischer Stärke. Die Deutschen sollten der nationalsozialistischen Ideologie und ihren rassenethischen Urteilen mehr vertrauen, als ihren lebensweltlichen Erfahrungen und ihrer eigenen Urteilskraft. Bürgerliche Rassenindifferenz sollte durch einen artgerechten Humanismus abgelöst werden. Im Detail rekonstruiert werden die ideologischen Begründungen des von der nationalsozialistischen Rassenethik als moralisch geboten oder problematisch bestimmten Handelns. An exemplarischen Beispielen wird die nationalsozialistische Auseinandersetzung mit indifferenten, abweichenden oder offen kritischen Haltungen dargestellt, die unter der Losung „Kampf gegen moralischen Verfall und Defätismus“ geführt wurde. Zu den dabei kritisierten Phänomenen gehörten Korruption und die „Beamtenmentalität“ des Ausweichens vor der Übernahme von Verantwortung, die bürokratische Indifferenz gegenüber der weltanschaulichen Dimension der gestellten Aufgaben, Defätismus angesichts der sich abzeichnenden Kriegsniederlage sowie die Kinderverweigerung junger Frauen, die nicht zu Gebärmaschinen werden wollten mit der Aussicht, dass ihre Kinder als Kanonenfutter künftiger Kriege enden würden.31 In diesen Auseinandersetzungen wurde die moralische Ordnung des Nationalsozialismus als funktionierendes Wertesystem zur normativen Orientierung der Deutschen gegen Zweifel und defätistische Auflösungserscheinungen verteidigt. Gefragt wird danach, ob die nationalsozialistischen Täter mit gutem Gewissen32 an ihre eigenen ethischen Begründungen geglaubt haben und deshalb wirklich ihre Taten für moralisch unbedenklich und geboten hielten, oder ob sie lediglich die ihnen von der nationalsozialistischen Rassenideologie bereitgestellten Begründungen rassenbewussten Handelns übernahmen, von dem sie wussten, dass es unmoralisch und kriminell war. In den Kriegsverbrecherprozessen der Nachkriegszeit behaupteten sie, dass die rechtliche, politische und kulturelle Sanktionierung ihres Handelns es ihnen unmöglich gemacht habe, dessen moralische Verwerflichkeit zu erkennen. Mit der Reklamierung moralischer Unzurechnungsfähigkeit zur Zeit der von ihnen persönlich begangenen, angeordneten, stillschweigend geduldeten oder logistisch ermöglichten Verbrechen wiesen sie jede strafrechtlich relevante Schuld von sich. Unter Berufung 31

Zahlreiche dieser Debatten fanden sich im „Schwarzen Korps“. Zum Profil der Zeitschrift siehe Zeck, Korps. 32 Vgl. dazu Fritze, Täter.

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Einleitung : Stand der Debatte

auf das nationalsozialistische Rechts - und Wertesystem verwiesen sie auf die historischen Umstände, die ihnen eigene Entscheidungen, Motive und moralische Urteile abgenommen hätten. Ohne eigene Handlungsspielräume gehabt zu haben, wären sie unter von ihnen nicht selbst gewählten Bedingungen zu konformistischem Verhalten gezwungen worden. Sie behaupteten, manipuliert, getäuscht, verführt oder unter Druck gesetzt worden zu sein oder aber, überzeugt von der Stimmigkeit nationalsozialistischer Konzepte von Volksgesundheit und rassischer Höher - und Minderwertigkeit, ihr Handeln für moralisch unbedenklich oder sogar geboten gehalten zu haben. Ethische und moralische Aspekte nationalsozialistischer Ideologie und Herrschaftspraxis werden an ganz unterschiedlichen Problemen und Praxisfeldern aufgezeigt. Sie spielten nicht nur in der Begründung der moralischen Unbedenklichkeit der Verbrechen nationalsozialistischer Täter eine entscheidende Rolle, sondern auch im Alltag der Deutschen, in dem diese mit der Verfolgung, Stigmatisierung und Ausgrenzung der Juden konfrontiert waren und ihre privaten Beziehungen und ihre Sexualität am Maßstab rassenbiologischer und bevölkerungspolitischer Kriterien ausrichten sollten. Die Untersuchung des moralischen Mikroklimas im nationalsozialistischen Deutschland konzentriert sich auf die Umstellung des Alltagslebens der Deutschen von rassenindifferentem auf rassenbewusstes Verhalten. Dadurch entsteht ein differenziertes Bild der moralischen Haltungen und Motive der Deutschen, die sich in ihrem Alltag und später unter den Bedingungen des Krieges entscheiden mussten, entweder nach ideologischen Vorgaben zu urteilen und zu handeln oder aber an humanistischen Werten festzuhalten. Vorgeführt wird das variantenreiche Spektrum moralisch relevanter Situationen und Konflikte, in denen nationalsozialistische Positionen durchgesetzt werden sollten. Dabei wird aufgezeigt, wie dezidierte Thesen und Argumentationen zu zentralen Themen nationalsozialistischer Rassenethik häufig durch konträre Positionen in Frage gestellt und in ihrem Absolutheitsanspruch relativiert wurden. Das trifft zu für solche Themen wie Hass, Liebe und Sexualität; die Haltung zur Religion und zum Tod und auch die Versuche der Bestimmung einer nationalsozialistischen Moral im Spannungsfeld von Pflicht und Neigungen : Behauptet wurde, die Deutschen seien auf Grund ihrer ritterlichen Haltung habituell unfähig, ihre politischen und militärischen Gegner oder Angehörige anderer Rassen zu hassen, die sie in der dazu konträren Aufforderung unter Überwindung aller antiquierten religiösen und moralischen Vorbehalte bis zur Vernichtung hassen sollten. Sie sollten ihre Sexualität kontrollieren und in den Dienst der Fortpflanzung stellen. Durch rassenbewusste Partnerwahl und die Aufzucht zahlreicher gesunder Kinder sollten sie die bevölkerungspolitische Krise Deutschlands überwinden helfen. Das mache deutsche Frauen jedoch nicht zu Gebärmaschinen ebenso wenig wie deutsche Männer zu Zeugungshelfern degradiert würden. Die Ehe werde nicht zur Zuchtanstalt, sondern lasse Raum für Partnerschaft, Liebe und freie Sexualität. Die Deutschen sollten ihre Sexualität uneingeschränkt ausleben können. Von in traditionellen Moralvor-

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Einleitung : Stand der Debatte

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stellungen befangenen Frauen wurde erwartet, ihre Fixierung auf Ehe und Familie aufzugeben und die legitimen sexuellen Bedürfnisse deutscher Männer zu befriedigen. Die an den Fronten des Krieges kämpfenden deutschen Soldaten wurden aufgefordert, den Tod für Volk und Vaterland als Erfüllung ihres Lebens zu sehen, das sie zugleich nicht leichtsinnig oder todessehnsüchtig riskieren, sondern effektiv für den Nationalsozialismus einsetzen sollten. Die Deutschen sollten ihre eigennützigen Interessen dem Gemeinwohl unterordnen und ihr Leben als Pflichterfüllung im Dienst der Gemeinschaft sehen. Gleichzeitig wurde betont, dass es inhuman, unrealistisch und demnach aussichtslos sei, von Menschen zu erwarten, sich gegen ihre Neigungen zu verhalten und diese im Namen höherer Ideen und Werte zu unterdrücken. Diese Beispiele zeigen die Ernsthaftigkeit und Radikalität, mit der die moralische Umgestaltung der deutschen Gesellschaft verfolgt wurde. Durch die Ausbildung eines Rasseninstinkts und Rassengewissens sollte die Deutschen im Horizont einer eigenen moralischen Ordnung mit gutem Gewissen die nationalsozialistische Rassen - und Judenpolitik unterstützen. Eine rassenbiologische Ethik rechtfertigte den Ausschluss der Juden aus dem Geltungsbereich moralischer Verpflichtungen. Angesichts der Komplexität und Variationsbreite von Täterverhalten und motiven wurde darauf verzichtet, eine exemplarische Täterbiographie mit markanten Abweichungen von einer Normalbiographie herauszuarbeiten. Das hat methodisch den Blick für die Differenz und Vielfalt nationalsozialistischen Täterverhaltens und das ebenso differenzierte Spektrum moralischer Rechtfertigungen der Täter geschärft, deren zumeist unauffällige Persönlichkeitsstruktur in keinem Verhältnis zur Monstrosität der von ihnen begangenen, organisierten oder indifferent akzeptierten Verbrechen stand. Offensichtlich können monströse Taten auch von in ihrer Charakterstruktur und Biographie durchschnittlichen normalen Menschen begangen werden, die unter anderen Umständen weder die Gelegenheit gehabt hätten noch in Versuchung gekommen wären, sich an Verbrechen und Massenmord zu beteiligen. Gerechnet werden muss mit ideologischen Überzeugungstätern ebenso wie mit bürokratischen Schreibtischtätern, mit sadistischen und moralisch pervertierten Tätern ebenso wie mit gewöhnlichen Deutschen und Durchschnittsmenschen. Die Täter wurden in den Konzentrationslagern dazu konditioniert, ihnen als rassisch minderwertig bezeichnete Menschen oder politische Gegner des Nationalsozialismus zu demütigen, zu quälen und wenn nötig zu töten. Nur Angehörige der rassischen Volksgemeinschaft und Anhänger des Nationalsozialismus galten als moralische Subjekte, während Artfremde und Gemeinschaftsschädlinge moralisch gebrochen werden sollten. Die Verfolgung der Juden konnte mit kalter, leidenschaftsloser Rationalität und bürokratischer Perfektion betrieben werden, aber auch mit fanatischer Hysterie. Die Herausbildung einer Rassenmoral sollte aus opportunistischen Anhängern des Nationalsozialismus, die mit der Unterstützung seiner Politik ihren eigenen Vorteil verfolgten, überzeugte Aktivisten nationalsozialistischer Rassenpolitik machen, die deren Durchsetzung als persönliche Verpflichtung übernahmen.

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Einleitung : Stand der Debatte

Der politische Erfolg der nationalsozialistischen Bewegung verdankt sich nicht ausschließlich ihrer effektiven Verbindung von nationalistischer Demagogie und politischem Terror, der Uneinigkeit und wechselseitigen Schwächung ihrer Gegner oder der charismatischen Aura Hitlers. Hinzu kommt ihre plausible Anknüpfung an deutsche Traditionen und nationale Erwartungen in einer historisch einzigartigen Konstellation deutscher und europäischer Geschichte. Antisemitismus und nazistische Rassenpolitik wurden entweder von den meisten Deutschen ausdrücklich unterstützt oder durch ein politisch indifferentes Ethos verlässlicher Pflichterfüllung erst ermöglicht. Dass die nationalsozialistische Weltanschauung, die von einer Mehrheit der Deutschen geteilt oder als moralisch unbedenklich akzeptiert wurde, wahnhaft und pseudowissenschaftlich, abwegig und willkürlich, menschenfeindlich und menschenverachtend war, ist unbestritten, trägt jedoch wenig zum Verstehen ihres Erfolgs bei.33 Da Ideologie nicht einfach als falsches Bewusstsein oder strategische Täuschung zu widerlegen ist, sondern ihre Attraktionskraft gerade ihrer Fähigkeit zur stimmigen Inszenierung ihrer Konstruktionen und der Mobilisierung von Zustimmung und Aktion verdankt, führt der ideologiekritische Nachweis ihrer empirischen Fragwürdigkeit und methodischen Unhaltbarkeit nicht zwingend zu ihrer Diskreditierung bei ideologisch indoktrinierten Anhängern einer Weltanschauungsbewegung. Das Zusammenspiel von Rassenhass, moralischer Indifferenz und ideologischer Konformität in der deutschen Bevölkerung lässt sich nur verstehen, wenn sowohl die Monströsität der Taten wie die Gewöhnlichkeit der Täter, die Radikalität des Bösen ebenso wie seine missverständlich formulierte Banalität zur Sprache kommen. Propagiert wurde die Herausbildung eines neuen Menschen. Dieser sei kein gedankenloser Mitläufer, der blind Befehle ausführe, deren Sinn ihm verborgen bleibe, sondern als Rassenkrieger und politischer Soldat des Nationalsozialismus überzeugt von dessen Weltanschauung, deren Ziele er engagiert und eigenständig verfolge. Gegen Kadavergehorsam wurde Zivilcourage gesetzt, die mit der Beseitigung von Standes - und Klassenunterschieden allen Deutschen entsprechend ihrer verschieden ausgeprägten Fähigkeiten die Gelegenheit gebe, Verantwortung für Rasse, Volk und Vaterland zu übernehmen. Dabei werde keine ideale menschliche Natur angenommen, sondern vielmehr an den aufgeklärten Eigennutz der Deutschen als Angehörigen der nordischen Rasse appelliert, der es ihnen erlauben sollte, in Übereinstimmung mit ihren Neigungen die nationalsozialistische Rassenpolitik durchzusetzen. In geschlechtsspezifischer Bestimmung sollte der neue Mann als Kämpfer agieren, während die nordische Frau als Mutter zahlreicher Kinder ihre Erfüllung finden werde. Die nationalsozialistische Ideologie war kein monolithischer Block, der sich auf wenige, intellektuell anspruchslose Denkfiguren reduzieren ließ. Zwar argumentierte sie unter der Voraussetzung apodiktischer Werturteile wie der Hochwertigkeit der nordischen und der Minderwertigkeit der jüdischen Rasse. Solche 33 Vgl. Steiner, Persons, S. 77.

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Einleitung : Stand der Debatte

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normativen Setzungen, die außer Frage standen, bildeten den Rahmen, innerhalb dessen nationalsozialistische Ideologen und Rassenwissenschaftler aufgefordert waren, sich etwas einfallen zu lassen. Der Rassenbegriff selbst war offen für Interpretationen, Begründungen und disziplinäre Anschlüsse. So spiegelte sich im Rassendenken auf paradoxe Weise das kreative Potential der sozial - und geisteswissenschaftlichen Disziplinen. Die rassenideologische Brechung der disziplinären Methodologien kreierte ein eigenes Genre, das als „wissenschaftliche Weltanschauung“ oder Rassentheorie die Rassenideologie aufwertete. Die Begründung einer originären nationalsozialistischen Moral ordnet sich hier ein. Nachdem die Unwissenschaftlichkeit, Absurdität und Menschenfeindlichkeit des Nationalsozialismus hinreichend nachgewiesen wurde, liegt der Fokus dieses Buches auf der Ausbreitung der Vielfalt seiner ideologischer Diskurse und ihrer tatsächlichen oder konstruierten Probleme und Konflikte. Rekonstruiert wird das Spektrum der Positionen in kontroversen Fragen, das einen Eindruck von der Variationsbreite nationalsozialistischer Ideologie und Weltanschauung vermitteln soll. Rassenideologie und - ethik bildeten dabei den nicht zur Disposition stehenden Rahmen dieses Spektrums, das zugleich in den ideologischen und akademischen Debatten erst inhaltliche Konturen bekam, ohne abschließend auf verbindliche begriffliche Bestimmungen festgelegt zu werden.

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II.

Die nationalsozialistische Moral

1.

Die weltanschaulich - moralische Krise der Weimarer Republik: Die Diagnose

Einig waren sich geschichtsphilosophische Diagnosen der Zwischenkriegszeit weitgehend darin, dass spätestens seit dem Ersten Weltkrieg von einer Humanisierung der Menschheit nicht mehr ausgegangen werden konnte. An die Stelle eines Urvertrauens in die humanistischen Problemlösungskapazitäten der Moderne war die Ahnung ihrer Ambivalenz getreten. Auf der Suche nach „Schichten der Unmittelbarkeit“1 in unüberschaubar komplexen Verhältnissen gewannen Fragen nach der Natur des Menschen und anthropologischen Dimensionen des Politischen an Bedeutung. Nach der Erfahrung der Dehumanisierung im Ersten Weltkrieg wurde durch die anthropologisch - biologische Bestimmung des Menschen versucht, eine neue Perspektive der Humanisierung zu gewinnen, die durch geschichtliche Fehlentwicklungen noch nicht diskreditiert war. Für Carl Schmitt z. B. war der Mensch ein problematisches Wesen, fähig zu moralischem wie unmoralischem Handeln.2 Das Politische führte er auf ein „anthropologisches Glaubensbekenntnis“ und die ihm zugrunde liegenden Voraussetzungen zurück, die sich lediglich darin unterschieden, „ob sie, bewusst oder unbewusst, einen von Natur bösen oder einen von Natur guten Menschen voraussetzen“.3 Seine Existentialisierung des Politischen argumentierte unter der Voraussetzung einer ökonomisch funktionierenden, politisch liberalen Gesellschaft, die mangels identitätsstiftender Werte und Normen jedoch unfähig zur Gemeinschaftsbildung sei. In einer ökonomisch bestimmten Gesellschaft könne von keinem Menschen verlangt werden, im Interesse des ungestörten Funktionierens dieser Gesellschaft sein Leben zu opfern.4 Auch ein aus rein religiösen, moralischen, juristischen oder ökonomischen Motiven geführter Krieg sei sinnwidrig, müsse doch dieser weder religiös, noch moralisch oder rentabel sein.5 Karl Jaspers wiederum fragte, „ob in Menschen etwas liegt, was wie ein dunkler und blinder Wille zum Krieg ist : ein Drang zum Anderswerden, heraus aus dem Alltag, aus der Stabilität von Zuständen, etwas wie Wille zum Tod als Vernichtungswille und Selbstpreisgabe, ein unklarer Enthusiasmus zur Gestaltung einer neuen Welt, oder auch eine die Wirklichkeit nicht kennende ritterliche Kampflust; oder ein Wille zur Selbstbewährung, der sich beweisen will in dem, was er aushalten kann, und frei gewagten Tod dem am Ende eines nicht lohnen-

1 2 3 4 5

Plessner, Stufen, S. 29. Vgl. Schmitt, Begriff, S. 59. Ebd., S. 58 f. Vgl. ebd., S. 49. Vgl. ebd., S. 36.

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den Daseins passiv zu erleidenden Tod vorzieht“.6 Er sah im Krieg das quasireligiöse politische „Pathos : das Leben für seinen Glauben an den unbedingten Wert des eigenen Wesens einzusetzen; lieber tot als Sklave zu sein“,7 weshalb der Krieg zum „Aufschwung im Menschen“8 führen könne. Allerdings markiere der Erste Weltkrieg als „technischer Kampf der Maschinen gegeneinander und gegen die jeweils passiven Bevölkerungen“,9 dem dieses Pathos gerade gefehlt habe, eine Zäsur. An die Stelle unvereinbarer Glaubenssätze oder Werte konträrer Kampfgemeinschaften sei hier die durch das Ertragen des gemeinsamen Schicksals gestiftete Gemeinschaft der Frontsoldaten „in der anhaltenden Gefahr des unberechenbaren und unbekämpfbaren Zufalls“10 getreten. Dieses ideologische Gegensätze überbrückende Gemeinschaftsgefühl hinderte die Soldaten jedoch nicht daran, im nächsten Augenblick wieder aufeinander zu schießen oder einzustechen. In dieser „eigentümlichen Solidarität zwischen Soldaten“, die sich gleichzeitig „auf Leben und Tod bekämpften“,11 kündigte sich eine Zeit an, deren drohender „Abgrund eines kulturellen und sozialen Nichts“12 die totale Politisierung der absoluten Verbindlichkeit einer höheren Sinngebung als Lösung des Werteverfalls nahezulegen schien. Der nationalistischen Hysterie des Ersten Weltkrieges hatte Sigmund Freud 1915 in seinen „zeitgemäßen Betrachtungen über Krieg und Tod“ die Hoffnung auf eine internationale, mindestens aber europäische „Kulturgemeinschaft“13 entgegen gesetzt und dabei die Toleranz für die Verschiedenheit der Völker beschworen. Eine Alternative zum Krieg als der politisch sanktionierten Steigerung des menschlichen Aggressions - und Destruktionstriebes zur patriotischen Pflicht der Tötung des Gegners sah er in „einer Gemeinschaft von Menschen, die ihr Triebleben der Diktatur der Vernunft unterworfen“14 hatten. Gegen die Rhetorik von der organischen Minderwertigkeit des „Erbfeindes“ bei eigener national - kultureller Überlegenheit setzte er die Vision eines friedlichen Zusammenlebens aller „Kulturweltbürger“. Aus „allen Vorzügen und Reizen der Kulturländer“ werde sich „ein neues, größeres Vaterland zusammensetzen“,15 in dem Menschen ihre unterschiedliche Herkunft, Kultur, Sozialisation und Geschichte nicht mehr als Provokation und Anlass zu gegenseitiger Abgrenzung sehen würden, sondern als willkommene Gelegenheit, neue Perspektiven gemeinsamen Menschseins kennenzulernen. Die „großen Völker selbst, konnte man meinen, hätten so viel Verständnis für ihre Gemeinsamkeiten und so viel

6 7 8 9 10 11 12 13 14 15

Jaspers, Situation, S. 82. Ebd., S. 80. Ebd., S. 81. Ebd. Ebd. Ebd. Schmitt, Begriff, S. 92. Freud, Zeitgemäßes, S. 370. Freud, Krieg, S. 24. Freud, Zeitgemäßes, S. 369 f.

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Toleranz für ihre Verschiedenheit erworben, dass fremd und feindlich nicht mehr [...] für sie zu einem Begriffe verschmelzen durften“.16 In dieser Vision eines Paradieses auf Erden, eines friedlichen Gewimmels von Menschen, denen unterschiedliche Herkunft, Kultur, Sozialisation und Geschichte nicht mehr Provokation und Anlass zu gegenseitiger Abgrenzung war, sondern willkommene Gelegenheit zur Übernahme fremder Perspektiven, glich das neue Vaterland einem Museum, in dem verschiedene Typen von Vollkommenheit zu besichtigen waren : „Während er von einem Saale dieses Museums in einen anderen wanderte, konnte er in parteiloser Anerkennung feststellen, was für verschiedene Typen von Vollkommenheit Blutmischung, Geschichte und die Eigenart der Mutter Erde an seinen weiteren Kompatrioten ausgebildet hatten. Hier war die kühle unbeugsame Energie aufs höchste entwickelt, dort die graziöse Kunst, das Leben zu verschönern, anderswo der Sinn für Ordnung und Gesetz oder andere der Eigenschaften, die den Menschen zum Herrn der Erde gemacht haben.“17 In dieser weltgemeinschaftlichen Idylle war für Kriege einfach kein Platz mehr, es sei denn, als „ritterlicher Waffengang“,18 der der Erste Weltkrieg ersichtlich nicht war. Die Sublimierung der menschlichen Natur zur Kultur, so Freuds Überzeugung, war nur um den Preis ihrer Unterdrückung zu haben, weshalb die Menschen daran gehindert werden müssten, ihrer Natur zu folgen.19 Dabei war Natur für ihn Synonym der immer möglichen Regression des Menschen in einen gesellschaftlichen Urzustand, die durch kulturelle Sicherungen gegen uneingeschränkte und unkontrollierte Triebbefriedigung verhindert werden müsse. In den philosophischen Ideen von 1914 wurde der Erste Weltkrieg von deutscher Seite als Möglichkeit der Rückgewinnung existentieller Dimensionen menschlichen Lebens stilisiert, die durch die seelenlose Mechanik von Technik, Industrie und moderner Bürokratie zu ersticken drohten. Imaginiert wurde ein „Weltbürgerkrieg der Ideen“, in dem sich die Innerlichkeit deutscher Kultur gegen die Äußerlichkeit westlicher Zivilisation durchsetzen werde. In diesem Krieg würden die Deutschen Geist, Vernunft und Kultur gegen ihre Bedrohung durch westliche Zivilisation, Kapitalismus und individualistischen Materialismus verteidigen. Ernst Bloch gehörte zu den Wenigen, die der geistig - militanten Verbindung von Preußentum und Sozialismus die Idee eines geistigen Vaterlandes der Vernunft entgegensetzten. „Wenn anders man unter dem Vaterland keinen Stall versteht, in den man hineingeboren wurde, existiert es lediglich [...] als eine verpflichtende Tradition.“20 Ernst Jünger führte als Prototyp des neuen Zeitalters den soldatischen Arbeiter ein, der, geprägt durch das Kriegserlebnis und gewohnt an ein „Leben

16 17 18 19 20

Ebd. Ebd., S. 369. Ebd., S. 370. Vgl. ebd., S. 376. Bloch, Messungen, S. 32.

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in der Beschleunigung“21 im Ausnahmezustand totaler Mobilmachung durch eine habituelle Kombination von Präzision und Gefahr entstanden sei.22 Eben weil es unmöglich sei, „das Leben in den alten Formen fortzuführen“ und so zu tun, als habe es diese Erfahrung des auf seinen funktionalen Wert im Kampf reduzierten Lebens in den „Todeszonen der Vernichtung“ nicht gegeben, werde in „einer Kette von Kriegen und Bürgerkriegen“23 eine neue Weltordnung hergestellt. Eine solche Marginalisierung der Weltkriegserfahrung wurde der Weimarer Republik vorgeworfen, was zu einem allgemeinen Werteverfall und der charakterlichen Deformierung des deutschen Volkes geführt habe. „Seine soldatischen, kämpferischen Eigenschaften, sein angeborenes Herrentum, seine im Boden wurzelnde Führerschicht, sein idealistischer Schwung, seine grüblerische Verinnerlichung, sein Bauernstolz, seine herrische Querköpfigkeit, seine Gewissenhaftigkeit und seine Ehrbegriffe“ – all das sei durch die Republik in Frage gestellt worden, die „den heldischen und soldatischen Menschen“24 bekämpft habe. Der humanistischen Idee einer geistigen Weltgemeinschaft setzte die nationalsozialistische Ideologie die auf Leben und Tod verschworene völkische Schützengrabengemeinschaft der Deutschen entgegen. Im Ersten Weltkrieg formte sich „die Kriegerkaste Deutschlands : Soldaten aus Blut und Rasse heraus, geborene Kämpfer, denen nichts schwerer fiel, als zurückzugehen in einen bürgerlichen Beruf“.25 Der Bürger habe geglaubt, dass er die ihm unbegreifliche dämonische Urgewalt, die sich im Ersten Weltkrieg gezeigt habe, dadurch überwinden könne, dass er sie einfach ignoriere. Diese habe sich dennoch „als ungeistige, anarchische und zerstörerische Gewalt“ behauptet, während sich das Bürgertum in eine „Welt aus Schein und Form wie in eine Festung“26 zurückgezogen habe und zu einer vermeintlichen Normalität zurückgekehrt sei. „Der Krieg hatte die bürgerliche Existenz gefährdet, er hatte die unerhörte Bedrohung aufgezeigt, der alles Bisherige, Gewohnte und Überlieferte ausgesetzt war.“27 Die bürgerliche Festungsmentalität, Erschütterungen ihres Selbstbildes nicht an sich herankommen zu lassen, habe dazu geführt, dass das Bürgertum den Anschluss an die rasanten Veränderungen des Lebens verloren habe. Die Gründung der Republik auf kosmopolitischem Vaterlandsverrat und Pazifismus habe die Generation der Weltkriegskämpfer entwurzelt und ihren Kampf für Deutschland im Nachhinein entwertet. Der Nationalsozialismus sah sich als Erbe des Frontsozialismus und damit zugleich als Versprechen, dass die im Ersten Weltkrieg ausgeprägten Instinkte und moralischen Eigenschaften, die im bürgerlichen Alltag der Nachkriegszeit ihre Bedeutung verloren hatten, wieder die ihnen 21 22 23 24 25 26 27

Jünger, Arbeiter, S. 179. Vgl. ebd., S. 148. Ebd., S. 11 und 78 f. Was wir dazu tun können. In : Das Schwarze Korps vom 7.10.1940. Stellrecht, Wehrerziehung, S. 26. Sind wir Barbaren ? In : Das Schwarze Korps vom 14.12.1944. Ebd.

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angemessene Rolle spielen würden.28 Tugenden, die sich in den Kämpfen des Ersten Weltkriegs herausgebildet hatten, seien in der Nachkriegszeit der Weimarer Republik entwertet worden und mit ihnen das Leben derjenigen, die im Krieg zu neuen Menschen geworden waren. Diesen in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs geformten Frontsoldaten, die in der bürgerlichen Ordnung der Weimarer Republik gar nicht angekommen waren, versprach die nationalsozialistische Bewegung eine ihrer im Krieg erbrachten Leistungen und Opfer angemessene Rolle in der neuen Gesellschaft. Im Kampf um seine Deutung gehe es nach dem Ende des Ersten Weltkrieges darum, die „Niederlage dieses Krieges [...] in einen geistigen Sieg zu verwandeln“,29 hieß es bei Edgar Julius Jung. Nachdem der Ausgang des Krieges militärisch entschieden war, ging der Kampf an der symbolischen Front der Interpretationen und Erinnerungen weiter. Diesen Doppelsinn von Gewinn und Verlust hat Walter Benjamin in einer Rezension zu der von Ernst Jünger herausgegebenen Sammelschrift „Krieg und Krieger“ auf den Punkt gebracht : „Einen Krieg gewinnen oder verlieren, das greift, wenn wir der Sprache folgen, so tief in das Gefüge unseres Daseins ein, dass wir damit auf Lebenszeit an Malen, Bildern, Funden reicher oder ärmer geworden sind.“30 Den Unterlegenen drohe der Verlust historischer Erinnerung. Nur „der Sieger behält den Krieg, dem Geschlagenen kommt er abhanden“.31 Dieser Verlust müsse kompensiert werden durch seine Wendung zum inneren Sieg, die den Ausgang des Krieges durch seine symbolische Fortsetzung in der Nachkriegszeit offen halte. Die philosophischen Ideen von 1914 sah Benjamin als apokalyptische Verklammerung von Technik und deutschem Idealismus zum verspannten Heroismus der Materialschlachten. „Die Friedensgenien“, die die total mobil gemachte Landschaft „so sinnlich besiedeln, sind evakuiert worden und soweit man über den Grabenrand blicken konnte, war alles Umliegende zum Gelände des deutschen Idealismus selbst geworden, jeder Granattrichter ein Problem, jeder Drahtverhau eine Antinomie, jeder Stachel eine Definition, jede Explosion eine Setzung, und der Himmel darüber bei Tag die kosmische Innenseite des Stahlhelms, bei Nacht das sittliche Gesetz über dir. Mit Feuerbändern und Laufgräben hat die Technik die heroischen Züge im Antlitz des deutschen Idealismus nachziehen wollen.“32 Im Kampf um die historische Erinnerung des Ersten Weltkrieges werde dieser weder als ritualisierte historische Erinnerung der ewige bleiben, noch in pazifistischer Schwärmerei der letzte gewesen sein. Die Weimarer Republik habe all das, was den Deutschen heilig gewesen sei und wofür sie ohne Zögern ihr Leben eingesetzt hätten, in Frage gestellt und sie in einem ideologischen Bürgerkrieg als Nation zerrissen. Durch einen krankhaft übertriebenen Individualismus sei das deutsche Volk zu einer anarchischen 28 29 30 31 32

Vgl. Biez, Wehrprinzip, S. 124–127. Jung, Herrschaft, S. 82. Benjamin, Theorien, S. 242 f. Ebd., S. 242. Ebd., S. 247.

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Masse geworden. Deutschland sei in weltanschaulicher Auflösung, kultureller Zersetzung und moralischem Niedergang begriffen. Ohne verbindliche Maßstäbe für die Geltung von Werturteilen habe jede Gruppe eigene, mit denen anderer Gruppen unvereinbare oder ihnen gegenüber indifferente Wertmaßstäbe entwickelt. Die zu Ende gehende liberal - demokratische Epoche habe nur auswechselbare, relative und unverbindliche Meinungen zugelassen, „aber keine Weltanschauung hervorgebracht, die absolut gesetzt und glaubensmäßig vertreten“33 worden wäre. Durch diesen Relativismus sei der weltanschauliche Mittelpunkt aller Lebensordnungen verloren gegangen. Im weltanschaulichen Chaos der ausgehenden liberalen Epoche seien die Deutschen halt- und willenlos dem Abgrund entgegen getaumelt. Jede nur denkbare Meinung sei in dieser glaubens- und ziellos gewordenen Zeit vertreten worden, ohne dass eine von ihnen noch genügend Gewicht und Gestaltungskraft besessen habe, um sich gegen die anderen durchzusetzen. Ohne klare weltanschauliche Ausrichtung sei das deutsche Volk handlungsunfähig geworden. „Die Sinngebung des Daseins gelingt nicht mehr, die Frage nach Inhalt und Aufgabe des Lebens bleibt unbeantwortet. Verbindliche Wertmaßstäbe, gesetzgebende Mächte, zielweisende Menschen fehlen.“34 Menschen, die durch diesen Prozess des Werteverfalls gegangen seien, seien nicht mehr bereit, moralische Verpflichtungen einzugehen und Verantwortung für die Gemeinschaft zu übernehmen. Das Ausleben ihrer egozentrischen Neigungen und Triebe rechtfertigten sie mit der pseudomaterialistischen Behauptung, freie Entscheidungen seien ihnen durch äußere Umstände, Erziehung und Vererbung abgenommen worden. Es sei ihnen gar nichts anderes übrig geblieben, als auf den Druck der Verhältnisse mit der Ausbildung eines gemeinschaftsindifferenten Egoismus als innerer Haltung zu reagieren. Hitler sprach von der „politischen, sittlichen und moralischen Verseuchung des Volkes“ und der „gesundheitlichen Vergiftung des Volkskörpers“35, wodurch das öffentliche Leben der Weimarer Republik zu „einem Treibhaus sexueller Vorstellungen und Reize“36 geworden sei. In den Nachkriegsjahren sei das Erhabene ins Lächerliche, das Heilige ins Gemeine gezogen worden. Auf typisch jüdische Art sei die Moral objektivierend zerlegt und lächerlich gemacht worden. Ein „erotischer Kollektivismus“ habe den Einzelnen zum Glied einer entarteten Herde und Frauen zu „reinen Geschlechtstieren“37 reduziert. Marxismus und bürgerlicher Liberalismus, die prägenden Kräfte der Weimarer Republik, zielten auf die „Herstellung eines unpersönlichen, vom Volkstum losgelösten Einheitsmenschen“.38 Gegen Ehe und Familie, Volk und Rasse sowie Krieg und Heldentum hätten sie „hemmungslose Sinnlichkeit, [...] Rassenschändung durch artfremde Tänze und Niggererotik“ sowie „Abtreibung und natür33 34 35 36 37 38

Mehringer, Sieg, S. 2. Ebd. Hitler, Kampf, S. 269. Ebd., S. 278. Vgl. Hoffmann, Entartung, S. 59–74. Wieneke, Charaktererziehung, S. 22.

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liche Unzucht“39 gesetzt. Ganze Generationen seien in der Weimarer Republik nach antibiologischen, lebensfeindlichen Werten und Wertsetzungen erzogen worden, deren verfehlte Bevölkerungspolitik das Überleben des deutschen Volkes gefährdet habe.40 Während „die Verhinderung der Zeugungsfähigkeit bei Syphilitikern, Tuberkulosen, erblich Belasteten, Krüppeln und Kretins“ in ihr als Verbrechen gelte, so wiederum Hitler, unterbinde sie die „Zeugungsfähigkeit bei Millionen der Allerbesten“.41 Diese lebensgefährliche Erkrankung des deutschen Volkskörpers habe die nationalsozialistische Revolution dadurch beantwortet, dass sie die notwendige Veränderung der Haltung, des Charakters und der Lebensformen der Deutschen begonnen habe.

2.

Der moralische Umbau der deutschen Gesellschaft : Die ethische Dimension der nationalsozialistischen Revolution

Der Nationalsozialismus sah sich als eine politische Bewegung mit einer weltanschaulichen Sendung.42 Deshalb begnügte er sich nicht mit dem Sieg über seine Gegner und der Eroberung der politischen Macht, sondern zielte auf eine ganzheitliche Umwälzung und die Herausbildung eines neuen Menschen. „Alle revolutionären Umwälzungen haben zwei Wurzeln : Unzufriedenheit mit dem Bestehenden und der daraus entspringende Wunsch nach Änderung der gegebenen staatlichen, wirtschaftlichen, geistigen und moralischen Verhältnisse einerseits und Glaube an die Wandlungsmöglichkeit und Besserungsfähigkeit der Menschen andererseits.“43 Mit der Formel vom „weltanschaulichen Entscheidungskampf“ und einer assoziationsreichen politischen Metaphorik mit bewusst unscharf gehaltenen Konturen sprach die nationalsozialistische Bewegung sehr unterschiedliche Schichten an. Dabei war es jeder von ihnen möglich, andere Bausteine der in sich widersprüchlichen und heterogenen Programmatik des Nationalsozialismus als die für sie entscheidenden herauszunehmen. „Was sich auf der Ebene der Ideologie nicht präzisierte, veranschaulichte und erfüllte sich in der Praxis der Bewegung, die Sinnerfüllung, Zielsicherheit, Geborgenheit und Raum zur Artikulation von Aggressivität bot. Das Endziel der Bewegung blieb vage und gerade deshalb unbezweifelbar.“44 Auf geistigen Ideen und Weltanschauungen gegründete Bewegungen ließen sich nicht durch Macht und Gewalt brechen, ohne dass diese selbst „Träger eines neuen zündenden Gedankens, einer Idee oder Weltanschauung“45 sei. Große Umwälzungen könnten nur durch „fanatische, ja hysterische Leidenschaften“, nicht jedoch durch 39 40 41 42 43 44 45

Ebd., S. 24. Vgl. Gross, Erziehung, S. 26. Hitler, Kampf, S. 445. Vgl. Wolfram, Treue ( II ), S. 227. Balling, Moral, S. 272. Peukert, Volksgenossen, S. 46. Hitler, Kampf, S. 187.

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„die bürgerlichen Tugenden der Ruhe und Ordnung“46 siegreich sein. Die „Vernichtung einer Idee“ sei nur möglich durch die „restlose Ausrottung aber auch des letzten Trägers und der Zerstörung der letzten Überlieferung“47 dieser Idee. Die nationalsozialistische Werterevolution behauptete, auf die Herausbildung einer in „gerechten menschlichen Gegenseitigkeitsverhältnissen“48 gegründeten Kultur zu zielen und beschwor Ideale, die den Einsatz des Lebens lohnten. Selbstlosigkeit, Opferbereitschaft, bedingungslose Hingabe an Führer und Volk und ähnliche Pathosformeln sollten den Deutschen das Gefühl geben, in einer Zeit zu leben, die ihnen zwar alles abverlangte, wenn sie dem von ihr gesetzten hohen Maßstab genügen wollten, die ihnen aber auch einzigartige Möglichkeiten persönlicher Profilierung und Entwicklung bot. Den rassisch Hochwertigen sollten durch die rassenpolitische Umgestaltung der deutschen Gesellschaft Möglichkeiten eröffnet werden, die ihnen in einer rassisch degenerierten oder rassenindifferenten Gesellschaft verschlossen waren. Nach der Machtübernahme sei es darum gegangen, „die Revolution, das Lebendige einer umfassenden Bewegung, in die Starre erhärteter Institutionen und Begriffe hineinzutragen. Wir mussten umstoßen, was nach diesem Prozess nicht lebensfähig schien, mit lebendigem Geist neu erfüllen, was sich als brauchbar und verwendungsfähig erwies.“49 Als moralischer und gesellschaftlicher Umbruch zugleich sei die nationalsozialistische Revolution durch den kategorischen Imperativ inspiriert, die geistige und materielle Not der Deutschen zu beenden und ihnen menschenwürdige Zustände zu sichern.50 Nationale Demütigung und Zerrissenheit entlang sozialer Trennungslinien sollten durch die rassische Einigung der Volksgemeinschaft beendet werden und den Deutschen das in der Weimarer Republik verloren gegangene Gefühl zurückgeben, ein großes, anderen überlegenes Volk zu sein. Für die nationalsozialistische „Weltanschauung des deutschen Blutes“51 gebe es keinen Unterschied von Stand oder Klasse. Die Ablösung der bürgerlich - christlichen Moral durch die Rassenethik führte zu einer Neubestimmung dessen, was als moralisch gerechtfertigt und geboten, und was als unmoralisch und verwerflich galt. Wer die neue Rassenmoral als normative Orientierung seines Handelns übernahm, war damit zugleich aus der Verantwortung für die Folgen seines Handelns entlassen. Die Übernahme und Verinnerlichung des rassenethischen Wertesystems sollte es den Deutschen erlauben, im Horizont einer eigenen moralischen Ordnung die nationalsozialistische Rassenpolitik mit gutem Gewissen als moralisch unproblematisch zu unterstützen. Sie sollten in der Überzeu-

46 47 48 49 50 51

Ebd., S. 475. Ebd. Was ist Sozialismus. In : SS - Leitheft ( BArch, NS 31/42, S. 268 f.). d’Alquen, Geschichte, S. 222. Vgl. Schultze, So lebst du deutsch, S. 78. d’Alquen ( Hg.), Hieb, S. 14 f.

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gung handeln, dass ihr Verhalten richtig, notwendig, situativ angemessen und moralisch geboten war. Die nationalsozialistische Revolution habe zum „Durchbruch des durch einen artfremden Humanismus blockierten völkischen Lebens“ geführt und dadurch „die freie Entfaltung der naturgegebenen Kräfte“52 des deutschen Volkes gesichert. Gegen einen lebensfremden rassenindifferenten Humanismus hob die nationalsozialistische Weltanschauung die rassische Differenzierung von hochwertigem Leben, das gefördert, und minderwertigem Leben, das beseitigt werden müsse, hervor. Durch die Rassengesetze wurde sichergestellt, dass die Verfolgung politischer und rassischer Volksschädlinge nach Recht und Gesetz erfolgte. Den Deutschen wurde das Recht zugesprochen, rassisch Minderwertige nach anderen moralischen Kriterien zu behandeln als Angehörige der hochwertigen Rasse. Die moralische Degradierung der Juden war nicht willkürlich, sondern erfolgte systematisch auf der Grundlage entsprechender Gesetze und Verordnungen, die ihnen immer mehr Alltags - und Menschenrechte verweigerten. Im Mittelpunkt stand die rassische Volksgemeinschaft, deren Interesse als rechtmäßig und deren Handeln als moralisch galt. Es wurde zur staatsbürgerlichen Pflicht der Deutschen erklärt, durch rassenbewusstes Handeln zum Schutz und zur Gesundung der rassischen Volksgemeinschaft beizutragen. Nationalsozialistische Rassenpolitik wurde durch ihre Verrechtlichung legitimiert und durch die konzeptionelle Begründung und aggressive propagandistische Verbreitung einer eigenen Rassenethik durchgesetzt, deren Verinnerlichung zur Ausbildung eines „Rassengewissen“ führen sollte. Eine „Reichsbehörde für Volkswachstum, Aufartung und Aufnordung“53 sollte die moralische Umgestaltung der nationalsozialistischen Gesellschaft durch die Herausbildung einer arteigenen Volksgemeinschaft vorantreiben. „Artfremde“ sollen aus dem völkischen Leben ausgeschlossen, Minderwertige zum „Schutz gegen die Vermischung des Blutes mit Fremdrassigen“54 fern gehalten werden. Schließlich trage geistige und weltanschauliche Überfremdung den Keim des Volkstodes in sich.55 Angesichts der drohenden „geistigen Überfremdung durch das Judentum“ müsse „ein weiteres Eindringen jüdischen Blutes“56 verhindert werden. Der Nationalsozialismus war „eine biopolitische Entwicklungsdiktatur [...], die darauf abzielte, die Kontrolle über Geburt und Tod, Sexualität und Fortpflanzung [...] an sich zu bringen, den Genpool der Bevölkerung von allen unerwünschten Beimischungen zu reinigen und auf diese Weise einen homogenen Volkskörper zu schaffen“.57 Durch den 1933 begonnenen Umbruch der deutschen Gesellschaft sei ein „rassengesetzlich verankerter Führerstaat“ geschaffen worden, der darauf zielte, 52 53 54 55 56 57

Rassenpolitik, S. 59. Haase, Vorschlag, S. 287. Schaper, Blutsbewusstsein, S. 163. Vgl. Jeß, Weltkampf, S. 32. Meyers Lexikon, Stichwort Rasse, Sp. 61. Schmuhl, Entwicklungsdiktatur, S. 102.

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„das Volk von dem Wahn internationaler Kreuz - und Querrassigkeit zu befreien und es zurückzuführen zu den reinen Quellen seines Wesens“.58 Durch rassenpolitische Aufklärung müssten den Deutschen zunächst die bevölkerungspolitischen Konsequenzen der Rassenmischung vor Augen geführt werden. „Biologisch - physiologisch hellsichtig geworden, vertrauend auf seine gesunden Erbwerte, ehrfürchtig vor der Rangordnung des Lebens, erfüllt von dem Ideal eines hohen Menschentums, das Kampf gegen die Entartung, Steigerung des Lebens auf seine Fahnen geschrieben“59 habe, werde sich das deutsche Volk nach seiner Befreiung von artfremden Elementen im Rassenkampf durchsetzen. Der rassenbiologische Umbruch ziele darauf, „die den Menschen zerreißende Rassenmischung zurückzudrängen“ und ihnen dadurch die Gelegenheit zu geben, wieder „aus einem Guss“60 zu werden. Dadurch werde das Volk wieder zu „einer Gemeinschaft aus Gliedern, die einander verstehen“.61 Unterstellt wurde, dass Menschen die Sicherheit einer klar definierten, eindeutigen rassischen Zugehörigkeit brauchten. Unterschiedliche, vor allem aber gegenläufige Anteile einer rassischen Mischkonstitution gegeneinander ausbalancieren zu müssen, überfordere sie. Statt weiterhin von unvereinbaren Elementen einer rassischen Mischidentität zerrissen zu werden, wurde ihnen durch den rassenbiologischen Umbruch die Perspektive einer reinrassigen Existenz eröffnet. Für eine Übergangszeit sei das Leben in rassischer Mischexistenz jedoch der Normalfall. Erst künftigen Generationen neuer Menschen werde von vornherein ein Leben im Widerstreit gegensätzlicher, diffuser oder ungeklärter rassischer Zugehörigkeit erspart bleiben. Die bürgerlich - christliche Moral wurde jedoch nicht einfach durch die neue Rassenmoral ersetzt, sondern funktionierte in rassenethischer Modifizierung weiter als eine Art sekundäre Gewissensinstanz. Es gab Dinge, die ein anständiger Deutscher nicht tat : Lüge, Diebstahl, Vorteilsnahme, Korruption, Grausamkeit und Mord galten als unmoralisch und unwürdig. Die Tötung rassisch Minderwertiger dagegen wurde als rassenhygienische Bereinigung bevölkerungspolitischer Fehlentwicklungen gerechtfertigt, die mit Mord nichts zu tun habe. Der Wert hochwertigen Lebens werde durch die Ausmerze entarteten Lebens sogar noch gesteigert. Der natürliche Daseinskampf um die Durchsetzung des Starken und Gesunden sei durch undifferenzierte, rassenindifferente Nächstenliebe ersetzt worden, die allen Menschen unabhängig von ihrer Gesundheit, Rasse oder Kultur ein Recht auf Gleichbehandlung und elementare Bürger - und Menschenrechte zugestehe. Aus nationalsozialistischer Sicht hatte die bürgerliche Gesellschaft eine degenerierte Kultur in Gegenstellung zu einer moralisch indifferenten Natur gebracht. Der von der nationalsozialistischen Ideologie deklarierte moralische Umbruch zielte auf die Umstellung zunächst der deutschen Gesell58 59 60 61

Frick, Gedankengut, S. 261 und 258. Römer, Nietzsche, S. 65. Clauß, Rassenseele, S. 12. Ebd.

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schaft auf rassenbiologische Natur - und Lebensgesetze. Dadurch wurden allgemein menschliche Werte und Haltungen wie Verantwortung für den Mitmenschen oder das in der „goldenen Regel“ formulierte Prinzip egalitärer Gegenseitigkeit auf erbgesunde Angehörige der nordischen Rasse eingeschränkt. Christliche Konzepte von Sünde und Erlösung, Barmherzigkeit und Nächstenliebe wurden durch eine selektive ethnische Rassenmoral und entsprechende Haltungen und Werte ersetzt, die rassenbewusstes Handeln sichern sollten.62 Die nationalsozialistische Revolution habe „die Menschen im Innern verändert. Neue Tugenden entstehen überall, Zeichen der revolutionären Umwälzung, aus denen sie hervorgehen : Großmütigkeit, Heldentum, Männlichkeit, Bereitschaft zum Opfer, Zucht.“63 Dem Nationalsozialismus hätten sich jedoch auch Konjunkturritter der Revolution angeschlossen, denen aufgrund der Verkümmerung ihrer rassenseelischen Anlagen die Kraft zur letzten Konsequenz fehlte. Diese hätten sich in der angeblich von ihnen bekämpften bürgerlichen Gesellschaftsordnung eingerichtet, würden sich mit Scheinerfolgen zufrieden geben und unter dem Schutz einer pseudorevolutionären Rhetorik weiter ihren egoistischen Interessen folgen. Dadurch, dass sie sich anmaßten, als Repräsentanten der Revolution aufzutreten, würden sie diese in Misskredit bringen. Möglicherweise sei der Einbruch fremder, seinem rassisch - seelischen Lebensrhythmus nicht entsprechender Lebensformen ja verheerender als angenommen. Zwar sei die seelische Substanz eines Volkes diesem „von Anbeginn in seinem Blute mitgegeben“.64 Dennoch werde diese Substanz auch durch den Lebensraum und die Lebensordnung geprägt, in dem sich die rassische Eigenart eines Volkes im Lebenskampf behaupte oder aber in ihrem Wesen unterdrückt, verfälscht und beschädigt werde. Die rassische Substanz der Deutschen sei mit den Lebensbedingungen der bürgerlichen Gesellschaft unvereinbar, in der ihre rassischen Instinkte verkümmert seien.65 Das Niederreißen der alten und die Errichtung einer nach neuen Maßstäben, Werten und Gesetzen funktionierenden Ordnung waren in der nationalsozialistischen Rhetorik des moralischen Umbruchs und der rassischen Erneuerung der deutschen Gesellschaft untrennbar miteinander verbunden. Der gleichzeitig beschworene „Vernichtungs - und Aufbauwille“ nahm sich das Recht, „die landläufige Moral zu zerstören“, was jedoch die Pflicht einschließe, „sie durch eine neue [...] sittliche Haltung zu ersetzen“.66 Die landläufige Moral, das war die bürgerlich - christliche Moral rassenindifferenter Menschenrechte und Nächstenliebe, die jeden Menschen als Subjekt moralischer Zuwendung betrachtete. Nationalsozialistische Ideologen waren sich bewusst, dass sie es dabei mit der Mehrheitsmoral der Deutschen zu tun hatten, eben mit dem, was geprägt durch 62 63 64 65 66

Vgl. dazu Pawlikowski, God. Goebbels, Reden Band I, S. 121. Der Geist der Rasse. In : Das Schwarze Korps vom 9.11.1944. Vgl. ebd. Bist Du Nationalsozialist ? In : Das Schwarze Korps vom 18.1.1945.

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bürgerliche und christliche Werte gemeinhin („landläufig“) als moralisch oder unmoralisch galt. Diese durch religiöse und säkulare Traditionen gestützte moralische Ordnung sollte diskreditiert und zerstört und durch eine nationalsozialistische Rassenmoral ersetzt werden. Dem in Anspruch genommenen Recht der Zerstörung korrespondierte dabei die Pflicht zum Wiederaufbau. Weder konnte die Existenz bürgerlich - christlicher Moral neben der neuen nationalsozialistischen Moral zugelassen werden – diese musste vernichtet werden. Noch konnte die deutsche Gesellschaft nach der Zerstörung der alten Moral ohne ein verbindliches moralisches Wertesystem auskommen – durch die Rassenethik sollten die Deutschen zum Dienst an der völkischen Gemeinschaft aller Menschen gleichen Blutes mobilisiert werden.67 Aus nationalsozialistischer Sicht war das Leben ein immerwährender Kampf, gekennzeichnet durch ein Auf und Ab von Siegen und Leiden, den die Deutschen dadurch bestehen würden, dass sie in nationaler und völkischer Pflichterfüllung durch kriegerischen Mut die Angst vor dem Tod überwinden würden. Auch um die unvollkommene Welt am Maßstab des eigenen Wertesystems besser zu machen, brauche es den Bekennermut der moralischen Tathandlung.68 Seit es „Menschen auf der Erde“ gebe, sei „der Kampf zwischen Menschen und Untermenschen“ als „Ringen auf Leben und Tod“69 geschichtliche Regel und Naturgesetz. Es gebe kein Leben ohne Kampf : Leben selbst sei der ewige „Kampf der Werte um die Behauptung der eigenen Art [...] Wer sich bewahren will, muss sich behaupten.“70 Erst im gleichzeitigen Zerbrechen alter und der Durchsetzung neuer Werte im Kampf gegen die Feinde der neuen Ordnung nehme die geistig - moralische Revolution Gestalt an.71 Das alte Wertesystem werde gestürzt; das, was heilig und fest schien, zerfalle. An die Stelle überlieferter Werte setze die nationalsozialistische Revolution das Blut als Synonym für die Gesamtheit aller Erbanlagen des Menschen als kulturellen Leitwert ein.72 Die neue rassenbiologische Rangordnung befreie die „Erektionskraft des Willens“ rassisch hochwertiger Menschen und gebe ihnen die Kraft, in den „Zonen der Gefahr“73 zu bestehen. Die Aktivierung ursprünglicher Tiefenschichten habe das deutsche Volk zu verschütteten Quellen seiner Kraft zurückgeführt.74 Gegründet in den natürlichen Ordnungen des Menschseins könne die rassische Volksgemeinschaft ihre Stärke, Brutalität und Natürlichkeit voll entfalten. Widerstände und Bedenken der Deutschen wurden insofern berücksichtigt, als ihnen für eine Übergangszeit der Ersetzung des alten durch das neue 67 68 69 70 71 72 73 74

Vgl. Was ist Sozialismus. In : SS - Leitheft ( BArch, NS 31/42, S. 273 f.). Vgl. Simoneit, Erziehung. Himmler, Schutzstaffel, S. 3. Die Kraft von innen. In : Das Schwarze Korps vom 25.1.1945. Vgl. Gross, Revolution, S. 442. Vgl. Gross, Stimme, S. 257. Beurlen, Gesetz, S. 44 f. Vgl. Sind wir Barbaren ? In : Das Schwarze Korps vom 14.12.1944.

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Wertsystem Probleme der Umstellung auf das neue Wertesystem zugestanden wurden. In dieser Übergangszeit der Durchsetzung der neuen Rassenmoral und - ideologie gegen die traditionsgestützte bürgerlich - christliche Moral wurde von denjenigen, die noch durch das alte bürgerliche Wertesystem geprägt waren erwartet, sich von ihrer Bindung an das bürgerlich - christliche Wertesystem zu lösen und dem Wertesystem der nationalsozialistischen Moral anzuschließen. Damit das Neue siegen und sich durchsetzen könne, müsse das Alte zunächst entwertet und überwunden werden. Eben das zeichne ja den Umbruch als radikal, total und historisch beispiellos aus, dass er von seinen Protagonisten erwarte, sich nicht einfach opportunistisch im Blick auf den eigenen Vorteil an die neuen Bedingungen anzupassen, sondern sich tatsächlich im moralischen Kern ihrer Persönlichkeit zu verändern. Schließlich würden ihre Haltungen und Handlungen über Erfolg oder Misserfolg dieser Revolution entscheiden. Rassenethische Urteilsfähigkeit könne erst nach dem Abschluss des Übergangs vom alten bürgerlich - christlichen Wertesystem zur neuen Rassenethik erwartet werden. Erst dann werde die nun in ihrem Rasseninstinkt gegründete Urteilskraft des Blutes die Deutschen dazu befähigen, in moralisch relevanten Entscheidungssituationen der Stimme ihres Rassengewissens zu folgen. Immer wieder wurde betont, dass der Nationalsozialismus keine „abstrakte weltanschauliche Konstruktion“ sei, sondern Ausdruck des „innersten Wesens der Deutschen“,75 die vom Menschen und seinen Bindungen an Rasse und Volk ausgehe. Eine Weltanschauung habe nichts mit Wissen zu tun, sondern sei „eine bestimmte Art, die Welt anzuschauen“.76 Allgemeine Weltbilder befassten sich mit den letzten Fragen von Mensch und Leben und gingen eben deshalb weit über jedes mögliche Wissen hinaus.77 Für eine Weltanschauung sei nicht die Differenziertheit der wissenschaftlichen Betrachtungsweise entscheidend, sondern das Grundsätzliche und Wesentliche, das mehr im Instinkt und im Erleben als im Verstand verwurzelt sei.78 Zumindest eine Weltanschauung, die darauf ziele, das Denken, Fühlen und Handeln ganz unterschiedlicher Menschen zu prägen, müsse an dem ansetzen, was ihnen allen gemeinsam sei. Der Nationalsozialismus sei eine Lebensauffassung, keine Wissenschaft. Er sei die politische Ausdrucksform der deutschen Seele und tiefster Ausdruck deutschen Wesens. Zugleich erhob die nationalsozialistische Ideologie den Anspruch, als wissenschaftliche Weltanschauung die Interessen der nordischen Rasse zu vertreten und dabei die praktischen Konsequenzen aus den Ergebnissen biologischer Forschungen zu ziehen. Hitler selbst beschwor die „gesetzmäßige Kraft des apodiktischen Glaubens“,79 aus der der Nationalsozialismus wissenschaftliche Weltanschauung und politisches Glaubensbekenntnis zugleich sei. 75 Hennemann, Grundzüge, S. 14 – zit. aus der Rede Otto Dietrichs an der Universität Köln vom 15.11.1934. 76 Goebbels, Wesen, S. 10. 77 Vgl. Gross, Nationalsozialismus, S. 21. 78 Vgl. Zimmermann, Biologie, S. 148. 79 Hitler, Kampf, S. 417.

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Nationalsozialisten erkenne man an ihrer „anständigen Haltung und aufrechten Gesinnung“.80 Für anständige Deutsche sei das Bekenntnis zum Nationalsozialismus selbstverständlich. 1933 konnte man den Deutschen jedoch nicht einfach sagen : „Lebe anständig und Du lebst nationalsozialistisch !“,81 da das Bewusstsein dessen, was anständig und was nicht anständig war, weitgehend verloren gegangen sei. Auch gemeinschaftsbildende Werte wie Ehre, Treue, und Opferbereitschaft seien unter der Herrschaft individualistischer Lehren und Tendenzen entwertet worden. Schließlich hätten internationale Klassenparolen den völkischen Zusammenhalt gesprengt. Erst der Nationalsozialismus habe den Deutschen das Gefühl der Zugehörigkeit zur Volksgemeinschaft zurückgegeben.82 Moral und Politik werden in dieser Argumentation als symbiotische Einheit gedacht. Die politische Entscheidung für den Nationalsozialismus galt als Ausweis moralischer Gesinnung. Rassisch hochwertige Deutsche, die das Bekenntnis zum Nationalsozialismus verweigerten, verhielten sich damit nicht nur politisch instinktlos, sondern auch unmoralisch. Man könne den Nationalsozialismus nicht lernen, sondern nur durch entsprechende Haltungen und Taten leben. Deshalb sei das Ziel weltanschaulicher Schulung nicht die reine Wissensvermittlung, sondern die Willens - und Charakterbildung der Deutschen.83 Rassenpolitische Schulung müsse ins Seelische vorstoßen und durch gemeinsame Erlebnisse das Gefühl der Zusammengehörigkeit als völkische Gemeinschaft vermitteln.84 Nationalsozialistische Moral sei aus der Gemeinschaft lebende heroische Moral der Tat. Sie sei Herrenmoral, Volksmoral und Kampfmoral. Sich von ihr in seinem Handeln leiten zu lassen, schließe die Bereitschaft ein, für die durch sie verkörperten Werte das Leben zu lassen.85 Nationalsozialisten würden ihre Moral nicht von außen beziehen, sondern aus der inneren Kraft ihrer Rassenzugehörigkeit.86 Aufklärung und Humanismus wurden als Konkurrenten im Kampf um die moralische Vorherrschaft gesehen.87 Entscheidend für den Wert der Ideen sei ihre politische Gestaltungs - und Durchsetzungskraft gegen konkurrierende Ideen. Toleranz gegenüber anderen Wertesystemen werde von den ideologischen Gegnern des Nationalsozialismus als Zeichen der Schwäche im weltanschaulichen Kampf ausgenutzt.88 Eine ganzheitliche Weltanschauung könne keine andere neben sich dulden, sondern müsse ihren absoluten Geltungsanspruch gegenüber anderen Glaubens - und Lebensformen durchsetzen. Ethi80 81 82 83 84 85 86 87 88

Der kritische Punkt der Krise. In : Das Schwarze Korps vom 7.12.1944. Bist Du Nationalsozialist ? In : Das Schwarze Korps vom 18.1.1945. Vgl. ebd. Vgl. Betr. : Dienstanweisung für die Schulungsleiter, Der Reichsführer SS. Der Chef des Rasse - und Siedl. - Amtes der SS, Tgb. Nr. V7455/34 ( BArch, NS 2/277) vom 16. Gilbhart ( Oktober ) 1934. Was sag ich meinem Kinde ? In : Das Schwarze Korps vom 15. 4.1937. Vgl. Wieneke, Charaktererziehung, S. 124 f. Vgl. Appel, Kampf, S. 8. Vgl. Schwarz, Grundlegung, S. 13. Vgl. ebd., S. 10.

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schen Ideen müsse dann das Existenzrecht bestritten werden, wenn sie „eine Gefahr für das rassische Leben der Träger einer höheren Ethik“89 darstellten. Wenn etwa eine kosmopolitische Ethik im Namen des Pazifismus Kraft und Heldentum herabsetze, müsse politisch eingegriffen werden. „Wo jeder tun und lassen kann, was er will, da entsteht nichts Ganzes. Epochen ohne Einheit sind ohne zwingende Macht. Nur wo ein Wille das Leben beherrscht, alle Kräfte auf ein gemeinsames Ziel ausrichtet, da entsteht Größe, die überwältigt.“90 Eine weltanschauliche Revolution beginne nicht mit „Begriffen und Kategorien [...], sondern mit Charakter - Protest, mit geradezu triebhaftem Widerstand, mit Instinkt und Intuition“.91 Sie reagiere auf das Scheitern bisheriger Grundsätze zur verbindlichen Lebensgestaltung der Menschen. Nur „was eine Werthaltung schaffen, einen Stil begründen, ein sittliches Gesetz geben, ein Schicksal auf sich nehmen kann, ist lebendige und damit wahre Weltanschauung“.92 Die nationalsozialistische Bewegung zielte auf eine ihr entsprechende Lebensordnung, weshalb sie „rücksichtslos und fanatisch die Ausschließlichkeit ihrer Grundsätze vertreten“93 müsse, bis diese für das Volk selbstverständlich geworden seien. Im weltanschaulichen Wertekampf sollten konkurrierende religiöse wie säkulare Weltanschauungen ausgelöscht werden, so dass die Deutschen schon mangels einer Alternative die nationalsozialistische Weltanschauung als politisches Glaubenssystem verinnerlichen würden. Kompromisse mit weltanschaulichen Gegnern wurden ausgeschlossen. In einer aufs Ganze gehenden und zielenden Revolution verbiete sich Indifferenz, die zudem Ausdruck moralischen Versagens sei. Wer meine, abwartend abseits stehen zu können, habe sich damit bereits ins Lager der Konterrevolution begeben. Ihn werde die Härte des auf der unmissverständlichen Einnahme einer klaren Position bestehenden revolutionären Gemeinwesens treffen. Nicht nur galt : Wer nicht für uns ist, ist gegen uns, sondern auch : Wer behauptet, für uns zu sein, darf keine Nachsicht mit denen zeigen, die gegen uns sind, sondern muss ihnen mit revolutionärer Härte begegnen.94 Die nationalsozialistische Revolution brach mit den moralischen Werten des Systems, auf dessen Ablösung und Vernichtung sie zielte. „Als weltanschauliche Revolution habe sie einen moralischen Charakter.“95 Religion und Ideologie, Weltanschauung und Moral schlossen sich zu einem vielschichtigen Wertesystem zusammen, das zur moralischen Haltung der Deutschen werden sollte. Die nationalsozialistische Bewegung war aufgeladen mit moralischen Bedeutungen. Moral und Politik standen nicht mehr indifferent neben - oder kritisch gegeneinander, sondern gingen eine Synthese ein : Die Moral von Blut und Rasse wurde 89 90 91 92 93 94 95

Hitler, Kampf, S. 421. Gross, Nationalsozialismus, S. 20. Härtle, Weltanschauung, S. 772. Mehringer, Sieg, S. 4. Ebd. Vgl. Dietrich, Grundlagen, S. 29. Balling, Moral, S. 279.

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im Nationalsozialismus zur Staatspolitik. In dieser Politik ging es darum, rassische und moralische Werte mit „Unbedingtheit und Ausschließlichkeit“ als „tragende Grundsätze der Staatsführung“96 durchzusetzen und „einer ethischen Politik Geltung zu verschaffen“.97 Politik wurde zur ethischen Politik : Die Politik wurde aufgefordert, dem kategorischen Imperativ der Ethik zu folgen.98 Gefordert wurde eine dem biologischen Sein der Rasse gemäße moralische Haltung.99 Das Wertesystem der liberal - demokratischen kapitalistischen Staaten mit ihren bewusst gepflegten Klassengegensätzen sei unvereinbar mit den Prinzipien und Idealen der völkischen Gemeinschaft. Die nationalsozialistische Neuordnung der völkischen Gemeinschaft verlange vom neuen Menschen, durch „die Hingabe des eigenen Lebens für die Existenz der Gemeinschaft“100 den „Schritt vom Nützlichkeitsdenken der Vergangenheit zum idealistischen Opfergedanken des nationalsozialistischen Prinzips, von einer subalternen und kleinbürgerlichen Gefühlswelt zur aristokratischen und heldischen Lebensauffassung“101 zu gehen. Das „religiös - sittliche Fundament des Nationalsozialismus“ beruhe nicht auf Willkür, Freizügigkeit und Gleichmacherei, sondern auf Bindung, Befehl, Gehorsam, Maß und Gesetz.102 Für den Nationalsozialismus sei Moral vor allem Haltung und Gesinnung.103 Der deutsche soldatische Geist habe Freiheit und Verantwortung als Verpflichtung zusammengeführt. Dieser moralische Sozialismus behandle Menschen nicht als Objekte, Sachen und bloße Befehlsempfänger, sondern als selbstverantwortliche Individuen. Gegen die „Vergötterung der nackten Ich - und Selbstsucht, der Brutalität und der Rücksichtslosigkeit“ von angloamerikanischer Welt und Bolschewismus stellte der Nationalsozialismus „die Wiederherstellung von Ehre, Treue und Wahrhaftigkeit, die Erweckung des Gemeinschaftssinnes und die Neuschaffung des Verantwortungsbewusstseins“.104 Die Deutschen hätten die Pflicht, ihre Begabungen und Kräfte auch gegen Widerstände in Taten und Werken zum Wohle der Gemeinschaft zu entfalten.105 Der nationale Sozialismus wurde als Freiheit durch Leistung bestimmt. Sein Erfolg entscheide sich durch die Willensstärke der Volksgenossen, moralisch zu handeln. Er gebe dem arbeitenden Menschen seine Würde und Freiheit und verschaffe ihm Gerechtigkeit und Anerkennung.106 Gegen die intuitive Neigung der Menschen, immer das ihnen „Ange-

96 Der kritische Punkt der Krise. In : Das Schwarze Korps vom 7.12.1944. 97 Simoneit, Wehr - Ethik, S. 33. 98 Vgl. Meltzer, Euthanasie, S. 84 – zit. aus Eugen Freiherr von Reibnitz, Ethische Politik, Völkischer Beobachter ( Norddeutsche Ausgabe ) vom 25. 8.1933. 99 Vgl. Knuth, Ethos, S. 66. 100 Hitler, Kampf, S. 327. 101 Kluck, Mensch, S. 235. 102 Vgl. Vergewaltigung der Wissenschaft. In : Das Schwarze Korps vom 23. 2.1939. 103 Vgl. Wieneke, Charaktererziehung, S. 112. 104 Proklamation der Kriegsziele des nationalsozialistischen Großdeutschen Reiches (Hitler) ( BArch, NS 31/424, S. 145–153, hier 147 f.). 105 Vgl. Schaffner, Leben. 106 Vgl. Schuder, Sozialismus, S. 356.

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nehme und Nützliche [...] zu wählen“, verlangte der Nationalsozialismus „Dienst und Gehorsam“.107 Nach der Herstellung der „Volksgemeinschaft im Inneren“ sollte die Gründung einer „wahren Völkergemeinschaft“108 unter Führung der nordischen Rasse folgen. Von Deutschland aus werde sich der Nationalsozialismus auf Europa und die ganze Welt ausdehnen und dabei „alle arischen, d. h. nicht - jüdischen Völker der Erde“109 erfassen. Im nationalsozialistischen Sprachgebrauch wurden Ethik und Moral häufig synonym verwendet oder aber komplementär gebraucht. Während Ethik die systematische Begründung der Moral und die Verortung des nationalsozialistischen Wertesystems in der Tradition ethischen Denkens oder aber den Bruch mit diesen Traditionen herausstellte, verwies Moral auf als nationalsozialistisch ausgezeichnete Werte und Haltungen, durch deren Übernahme und Verinnerlichung zu einem Rasseninstinkt sich der neue Mensch auszeichnen werde. Mit Blick auf von unterschiedlichen Kulturen zu unterschiedlichen Zeiten immer wieder neu aufgeworfene „ewige Fragen“ wie die nach der Wandelbarkeit oder zeitlosen Beständigkeit ethischer Haltungen und Werte wurde u. a. gefragt : „Gibt es eine Ethik, die absolut und ein für alle Mal in uns Menschen verankert ist ? Besitzt der Mensch ein ethisches Bewusstsein ? Gibt es ethische Gesetze, die unerschütterlich dastehen und die uns genauso den Weg weisen wie z. B. Instinkte und Triebe ?“110 Gegen die Diffamierung menschlicher Instinkte als primitiv setzte die nationalsozialistische Ideologie auf die Ausbildung eines Rasseninstinkts. Ethische Ideale und Weltanschauungssysteme seien nicht das Ergebnis wissenschaftlicher Erkenntnis, sondern in ein logisches System gebrachter Ausdruck der menschlichen Triebe und Instinkte.111 Die Deutschen sollten nicht gegen ihre als egoistisch unterstellten Intuitionen zu moralischem Verhalten gezwungen werden, sondern in Übereinstimmung mit ihrem rassenethischen Gewissen moralisch handeln. Eine entscheidende Frage der Ethik ist die nach dem Charakter von Werturteilen. Sind Werturteile immer relativ in Abhängigkeit von der Kultur, in der sie gelten ? Sind sie subjektiv und deshalb ohne Verbindlichkeit für andere Menschen ? Oder sind zumindest einige Werte objektiv begründet und wahr?112 Auch systematische Begründungsversuche einer nationalsozialistischen Ethik setzten sich mit diesen Grundfragen auseinander. Ihre Antwort auf die Frage nach dem kulturell spezifischen oder universellen Charakter moralischer Werte lautete zumeist : Werte an sich gibt es nicht. Nur innerhalb einer Lebensform und Lebensordnung lasse sich entscheiden, was für diese gut oder schlecht sei. Moral sei immer zeit - und artgebunden : „jede Zeit, [...] jede Rasse trage ihre eigenen 107 Der kritische Punkt der Krise. In : Das Schwarze Korps vom 7.12.1944. 108 Vgl. Wieneke, Charaktererziehung, S. 149. 109 Proklamation der Kriegsziele des nationalsozialistischen Großdeutschen Reiches (Hitler) ( BArch, NS 31/424, S. 145–153, hier 147). 110 Abderhalden, Grundzüge, S. 415. 111 Vgl. Gross, Nationalsozialismus, S. 20. 112 Vgl. Roth, Ethics, S. 77.

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Moralgesetze in sich“.113 Handeln in Übereinstimmung mit der nationalsozialistischen Rassenethik wurden als moralisch sanktioniert und politisch unterstützt, ihre Verletzung entsprechend als unmoralisch stigmatisiert, kriminalisiert und verfolgt. So sei auch Recht nichts anderes als die verbindliche gesetzliche Regelung dessen, was zur Aufrechterhaltung artgemäßen Lebens geschehen dürfe und was nicht.114 Recht und Gesetz würden nur innerhalb gleicher Art gelten. Dabei wurde die „Arterhaltung des deutschen Volkes“ zum moralischen Grundgesetz erklärt. Unmoralisch („unsittlich“) war, „was der Arterhaltung des deutschen Volkes entgegen“115 stand, moralisch deshalb im Umkehrschluss alles, was sie unterstützte. Damit galten die Ausgrenzung und Verfolgung der Juden, Terror und Gewalt gegen politische Gegner und Fremdrassige sowie Eugenik und Euthanasie nicht nur als Säuberung der Volksgemeinschaft von artfremden Elementen, sondern auch als moralisch gerechtfertigt. In der Verschränkung von Moral und Recht wurde der gleiche Grundsatz auch auf das nationalsozialistische Rechtsverständnis angewandt : „Recht ist, was dem Volke nützt, unrecht ist, was dem Volke schadet.“116 Während der Liberalismus das Recht im Individuum verankert habe, sei es im Nationalsozialismus an die Interessen der Gemeinschaft gebunden. Dadurch sei ausgeschlossen, dass im Nationalsozialismus Individuen vermeintliche Rechte gegen die Gemeinschaft durchzusetzen versuchten. Im autoritären Staat habe nur der Führer „selbstherrliche Entschlusskraft und unbegrenzte Auslegungsbefugnis“.117 Im Namen von Toleranz, Neutralität und der Relativität aller Werte habe der Liberalismus den Menschen aus allen verpflichtenden Bindungen gelöst. Diese Relativierung jeder „Totalverpflichtung“ sei der Kern des liberalen Freiheitsbegriffs.118 Die Gesundheitspolitik der Vergangenheit sei von der Gleichheit aller Menschen und dem „Recht des Menschen auf seinen eigenen Körper“119 ausgegangen. In der Vergangenheit habe man keine Rücksicht darauf genommen, „ob der einzelne für das große Ganze wertvoll oder weniger wertvoll oder gar wertlos“120 war. Demgegenüber stehe aus nationalsozialistischer Sicht das Recht des Volkes über dem des Menschen. Die Pflichten des Einzelnen seien gewichtiger als seine Rechte. Lebensgesetzlich gesehen sei Freiheit die Möglichkeit, „den Gesetzen einer Art entsprechend zu leben“.121 Die Losungen von Freiheit, Gleichheit und 113 Moral – kritisch betrachtet. In : Das Schwarze Korps vom 31. 8.1944. 114 Vgl. Stengel - von Rutkowski, Allmacht, S. 141–143. 115 Handblätter für den weltanschaulichen Unterricht, Berlin o. J. Hg. : Der Reichsführer SS, Thema 3 : Wir kämpfen für die Ewigkeit unseres Volkes, S. 6. 116 Handblätter für den weltanschaulichen Unterricht, Berlin o. J. Hg. : Der Reichsführer SS, Thema 18 : Der Jude zerstört jede völkische Lebensordnung, S. 4. Vgl. in ähnlicher Formulierung das Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat, S. 152 f. 117 Das Recht im autoritären Staat. In : Das Schwarze Korps vom 31.10.1940. 118 Vgl. Wieneke, Charaktererziehung, S. 41. 119 Nationalsozialistische Gesundheitsführung, S. 420. 120 Ebd. 121 Stengel - von Rutkowski, Allmacht, S. 147.

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Brüderlichkeit dienten lediglich der Tarnung derjenigen, die „eine lebensgerechte Ordnung wegen der Abartigkeit und Kriminalität ihrer Anlagen“,122 zu fürchten hätten, die sie deshalb zu verbergen suchten. Aufklärung und Französische Revolution werden in dieser Interpretation zum Angriff auf eine lebensgerechte Ordnung erklärt, die für Menschen mit kriminellen Erbanlagen unerträglich sei. Da diese in einer rassischen Lebensordnung keine Gelegenheit haben würden, ihre kriminellen Anlagen zur Geltung zu bringen, unterstützten sie eine liberale Werte - und Gesellschaftsordnung, deren rassenbiologische Indifferenz sie als Gleiche unter Gleichen behandle. Selbstlosigkeit wurde als wahrhaft ethische deutsche Haltung behauptet. Allerdings könne von durchschnittlichen Menschen nicht erwartet werden, dass sie immer und von sich aus selbstlos handeln und sich „tapfer, mutig, treu, kameradschaftlich, gerecht und selbstbeherrscht verhalten“123 würden. Die Zugehörigkeit zur Volksgemeinschaft sei in gemeinsamen, rassisch wertvollen Erbanlagen gegründet. Der anderen Völkern überlegene Wert dieser Erbanlagen müsse wenigstens erhalten, nach Möglichkeit aber weiter verbessert werden, um die politische und kulturelle Hegemonie des deutschen Volkes in der Welt zu behaupten. Das Bekenntnis zum Sozialismus müsse durch den Kampf für die rassenpolitische Gestaltung des eigenen Lebensraums bekräftigt werden. Die Rassenethik sei nicht an eine weltanschauliche Elite von Rassenkriegern adressiert, die ihr Leben in die Ausnahmesituation der unbedingten Verpflichtung auf den höchsten Wert der Rasse gestellt hätten. „Nicht jeder kann und soll ein Märtyrer sein. Es gilt, die Pflichten des Tages zu erfüllen, die Pflichten gegen die Familie und gegen den Staat. Jeder kann an seiner Stelle und jeder kann daher auf andere Weise der Rasse nützen.“124 Von den Deutschen wurden weder „blinder Fanatismus“ noch Askese und Verzicht auf persönliches Glück gefordert. Der Alltag der Durchschnittsdeutschen sollte nach rassischen Gesichtspunkten gestaltet, jedoch nicht der Rasse geopfert und aufgegeben werden. Gerade für Menschen, die persönlich über keine herausragenden Fähigkeiten verfügten, war ihre Aufwertung durch die Zugehörigkeit zu einer höherwertigen Rasse attraktiv, die ihnen keine Leistungen abverlangte, die sie persönlich überfordert hätte. Denjenigen, die nicht zu Helden geboren oder die als Führer untauglich waren, blieb ein Handeln aus eigener Initiative erspart, für dessen Folgen sie die Verantwortung hätten übernehmen müssen. Situationen, deren Bewältigung überdurchschnittliche Fähigkeiten erfordere, mussten sie sich nicht aussetzen. Herausforderungen, denen sie nicht gewachsen waren, hatten sie nicht zu befürchten. Auch durchschnittliche und nur mäßig ambitionierte Menschen wurden auf diese Weise von der nationalsozialistischen Bewegung angesprochen. Ihnen wurde zugestanden, auch weiter vor allem ihre eigenen Interessen und die ihrer Angehörigen zu verfolgen. Verlangt wurde von ihnen lediglich, die nationalsozialistische Weltanschauung und deren rassenpo122 Ebd., S. 149 f. 123 Hennemann, Grundzüge, S. 34. 124 Becker, Geschichte, S. 195 – zit. aus Lenz, Rasse.

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litische Prioritäten als verbindliche Orientierung ihres Lebens anzuerkennen. Es genügte, wenn sie bereit waren, sich entsprechend ihrer Möglichkeiten als „gute Deutsche“ artgemäß zu verhalten und die Rassengesetze zu befolgen. Ihrem Bekenntnis zum Nationalsozialismus sollten sie Taten folgen lassen und entsprechende Konsequenzen für ihr Verhalten ziehen. Nicht das pathetische Bekenntnis zu abstrakten Glaubenssätzen wurde eingefordert, sondern der persönliche Einsatz für den Nationalsozialismus aus weltanschaulicher Überzeugung. Der freiwillige Einsatz für die deutsche Volksgemeinschaft und der Stolz darauf, „diesem Volke angehören und dienen zu dürfen“,125 die Tat also, und nicht das leere, praktisch folgenlose Bekenntnis, kennzeichne den Nationalsozialisten. Die Deutschen sollten sich durch ihre Rassenzugehörigkeit definieren und daraus praktische Schlussfolgerungen für ihr Verhalten ziehen. Das Versprechen der Zugehörigkeit zur Volksgemeinschaft funktionierte als Anreiz, die nationalsozialistische Weltanschauung als verbindlichen Referenzrahmen zu akzeptieren, ohne sich inhaltlich mit ihr auseinandersetzen zu müssen. Die nationalsozialistische Ideologie setzte bei der Rekrutierung von Anhängern vor allem auf die Intensität des Gemeinschaftserlebnisses. Auch ideologisch ungeschulte Deutsche sollten durch die Bereitstellung völkischer Erlebnisangebote ihre gemeinsame Zugehörigkeit zur nordischen Rasse in der Gemeinschaft erleben. Weder wurde die unverbindliche Zustimmung zu den Inhalten der Ideologie akzeptiert, die das eigene Leben im Prinzip unverändert ließ, noch wurde allen die ideologische Indoktrinierung zu fanatischen politischen Soldaten und Rassenkämpfern abverlangt. Es reichte, wenn sie die für ihre Lebenssituation günstigen Konsequenzen dieser Aufwertung qua Gruppenzugehörigkeit akzeptierten, ohne ihre ideologische Begründung in Frage zu stellen. Von ihnen wurde nicht erwartet, sich völlig uneigennützig in den Dienst der nationalsozialistischen Bewegung zu stellen und ihren natürlichen Egoismus zu unterdrücken. Gegenüber Angehörigen minderwertiger Rassen und Völker, die nicht mehr als Menschen galten, denen gegenüber Rücksichten zu nehmen und moralische Verpflichtungen einzuhalten waren, wurden sie zu einem rassenbewussten Egoismus aufgefordert. Moralisch gewichtige Entscheidungen müsse man immer allein in Rücksprache mit seinem Gewissen treffen. Weder Hoffnung auf Lohn noch Furcht vor Strafe, sondern unbedingte Pflichterfüllung motiviere Nationalsozialisten zu moralischem Handeln aus dem inneren Gebot des Gewissens.126 In der Moral gebe es niemanden, der den Menschen an der Hand nehme und zum Guten führe. Sie sei in jedem gesunden Menschen der nordischen Rasse als Streben lebendig. Der deutsche Mensch habe „immer nur in sich selbst das moralische Sittengesetz gesucht und gefunden und es dann in den gestirnten Himmel über sich erhoben. Er brauchte keine Dogmen, keine zehn Gebote, keinen Leitfaden 125 Schulung hat nichts mit Schule zu tun. In : Das Schwarze Korps vom 17. 2.1938. 126 Vgl. Haacke, Pflicht, S. 7.

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Moral in Übereinstimmung mit den Lebens- und Naturgesetzen

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für anständigen Lebenswandel.“127 Sein Gewissen und die Beziehung zum Volksganzen seien hinreichend verlässliche Richtschnur moralischen Handelns und Maßstab aller Werte. Dabei sei die Volksgemeinschaft die Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft des deutschen Volkes. Für Menschen, die nicht nur unbewusst dahin lebende Tiere sein wollten, werde die Moral immer das höchste Gesetz bilden. Nur wer „vor sich selbst [...] in Ehren bestehe“,128 könne von sich sagen, dass er moralisch handle.

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Moral in Übereinstimmung mit den Lebens - und Naturgesetzen : Rasseninstinkt und moralische Urteilskraft

Gefordert wurde schon vor 1933 eine biologische Grundlegung der Moral. Ein Gegensatz zum religiösen Denken sei das nicht. Auch „von den biologischen Grundlagen her“129 könne man schließlich zum Universalismus kommen. Das Ethische sei biologisch gegründet : Auch moralische Werte hätten einen biologischen Unterbau.130 Alle moralischen Gebote hätten einen biologischen Sinn, seien ethischer Ausdruck einer biologischen Notwendigkeit.131 Als Instinkt gesellschaftlich lebender Wesen habe sich die Moral aus ihrer Gegenstellung zur Biologie gelöst. Damit stehe sie in Übereinstimmung mit den Natur - und Lebensgesetzen. Diese Moral könne sich als Hass, Rache, Selbstaufopferung und Vernichtung des Schädlichen äußern.132 Ihre biologische Begründung sollte instinktsicheres moralisches Verhalten ermöglichen. Für Tiere war artgemäßes Verhalten unproblematisch. Es stand außer Frage, dass sie sich im Widerspruch zu ihrer Art verhielten, da sie dadurch ihre Existenz in der Ordnung der Natur gefährdet hätten. Sie müssten nicht erst lernen, sich ihrer Art gemäß zu verhalten, sondern folgten immer ihrem Instinkt, der sie zu artgemäßem Verhalten konditioniere. Tiere, die aus der Art schlagen würden, wären zum Tode verurteilt. Der Wolf, der vor dem Schaf den Schwanz einzieht, das Wild, das zutraulich auf den Jäger zugeht, die Maus, die mit der Katze spielen will – sie alle hätten keine Chance zu überleben. Oder, in Hitlers Version : „Der Fuchs ist immer ein Fuchs, die Gans eine Gans, der Tiger ein Tiger usw., und der Unterschied kann höchstens im verschiedenen Maße der Kraft, der Stärke, der Klugheit, Gewandtheit, Ausdauer usw. der einzelnen Exemplare liegen. Es wird aber nie ein Fuchs zu finden sein, der seiner inneren Gesinnung nach etwa humane Anwandlungen Gänsen gegenüber haben könnte, wie es ebenso auch keine Katze gibt mit freundlicher Zuneigung zu Mäusen.“133 127 128 129 130 131 132 133

Moral – kritisch betrachtet. In : Das Schwarze Korps vom 31. 8.1944. Ebd. Haag, Volk, S. 150. Vgl. Hennemann, Grundzüge, S. 6 f. Vgl. Bogner, Bildung, S. 59 f. Vgl. Müller, Versuche, S. 113. Hitler, Kampf, S. 312.

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Die nationalsozialistische Moral

Der kulturell degenerierte Mensch, dem durch universellen Humanismus und Menschheitsreligion biologisches Denken, Fühlen und Verhalten fremd geworden sei, sei dem von seinen Instinkten und Trieben gesteuerten Tier unterlegen und müsse erst wieder zu instinktsicherem moralischen Verhalten konditioniert werden. Die Deutschen müssten erst wieder lernen, „aus blutsmäßig bedingter Gefühlssicherheit“, aus einem „inneren Sinn“134 heraus artgemäß zu handeln und in Übereinstimmung mit ihrer biologischen Natur ihrem Rasseninstinkt zu folgen, um „fremden, nicht artgemäßen Versuchungen“135 zu widerstehen. Erst das intuitive Zusammenspiel des ethisch und lebensgesetzlich Vollkommenen ermögliche es ihnen, eine den Tieren vergleichbare natürliche Triebsicherheit auszubilden und sich instinktsicher entsprechend der Rassengesetze zu verhalten. Diese Konditionierung zu rassenbewusstem Verhalten könne dadurch unterstützt werden, den Deutschen perspektivisch Versuchungen zu rassenindifferentem Verhalten von vornherein zu ersparen. Die Erlösung unheilbar Erbkranker von ihrem unerträglichen Leiden und ihrer nur noch vegetativen Existenz entziehe einer um volksgesundheitliche Erwägungen unbekümmerten Mitleids - und Fürsorgeethik mangels Adressaten der Boden. Das Verschwinden der Juden aus der deutschen Öffentlichkeit mache artfremde Verhaltensweisen unwahrscheinlich. Mit der moralischen Erziehung zu artgemäßem Verhalten könne gar nicht früh genug angefangen werden, denn wer „die neue Moral nicht als Kind eingeprägt bekommt, dem wird sie später kaum zur zweiten Natur werden“.136 Als sperriger Fremdkörper im komplexen Gefüge der Emotionen, Neigungen und Bedürfnisse hätte die Moral keine Chance, sich als Handlungsmotiv geltend zu machen. So wie die Annahme einer geistig - kulturellen Gründung der Ethik mit moralischen Intuitionen rechnete, zielte auch eine biologische Ethik auf die Habitualisierung moralischen Handelns zum Instinkt. Das bürgerlich - christliche Ethos sollte durch biologische Intuitionen moralischen Handelns abgelöst werden. Die so konditionierten Deutschen sollten ihrem Rasseninstinkt intuitiv folgen können. Das Abwägen von Risiken und Konsequenzen ihres Handelns in moralischen Entscheidungssituationen sollte ihnen erspart bleiben. Geleitet von ihrem Rasseninstinkt und kontrolliert durch ihr Rassengewissen sollte ihnen moralisches Handeln in Übereinstimmung mit ihrer biologischen Natur selbstverständlich werden. Ihre rassenethische Konditionierung sollte ihre moralische Urteilsfähigkeit auf eine sichere biologische Grundlage stellen und dadurch unabhängig von subjektiven Unwägbarkeiten machen. Während „Instinkthandlungen [...] aus dem Kern der Person“ kämen, könnten „zweckbewusste Handlungen [...] oberflächlicher Beeinflussung folgen“.137 Zwar lasse sich die moralische Urteilskraft des Blutes nicht erlernen, sondern werde durch die ange134 Darré, Neuadel, S. 141. 135 Schattenfroh, Wille, S. 182; vgl. auch Dem Leben verschworen. In : Das Schwarze Korps vom 20. 5.1943. 136 Rüdin, Erblehre, S. 736. 137 Hildebrandt, Norm, S. 133.

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Moral in Übereinstimmung mit den Lebens- und Naturgesetzen

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borenen Anlagen der Rasse bestimmt, die jedoch durch kulturelle Überlagerungen artgerechte moralische Haltungen auch bei rassisch hochwertigen Menschen verhindern könnten.138 Als Inkarnation menschlicher Vollkommenheit wurde rassische Hochwertigkeit zum Synonym dessen, was Menschen als unvollkommene Wesen zu erreichen sich vornehmen könnten.139 Angehörige der nordischen Rasse sollten danach streben, die in ihrer Rassenzugehörigkeit liegenden Möglichkeiten auszuschöpfen, auch wenn sie dabei an die Grenzen des ihnen Möglichen stießen. Der Weg zu ihrer rassischen Vervollkommnung, so wurde ihnen bedeutet, liege in der Ausprägung eines moralischen Instinkts. Das instinktgeleitete Handeln rassisch hochwertiger Menschen, die dabei ihrer biologischen Natur folgten, könne gar nicht unmoralisch sein, da ihrer inneren Natur nach „unverfälschte Wesen“140 gar nicht unmoralisch handeln könnten. Die Instinktsicherheit der Triebe galt als Vorbild nationalsozialistischer Moral. Sie sollte die kulturelle Unsicherheit moralischer Urteilskraft ablösen. Auch wenn der Mensch nicht vollkommen sei, wisse er doch „von innen heraus [...], was ethisch ist und was nicht“.141 Dazu bedürfe es keiner philosophischen Begründungen, sondern genüge es, seinem ethischen Instinkt zu folgen. An die Stelle rassisch indifferenter moralischer Intuitionen von Nächstenliebe, Menschenwürde und universellen Menschenrechten sollte die moralische Urteilskraft des Blutes treten. Ziel war die Herausbildung einer instinktgeleiteten Moral. Der letzte Sinn des Lebens erschließe sich intuitiv nur dem Rasseninstinkt.142 Eine Instinkthandlung sei jedoch nur dann ethisch, wenn sie in einer reflektierten Gesinnung gründe.143 Von ihren rassenethischen Intuitionen geleitete Nationalsozialisten sollten wissen und begründen können, weshalb ihr Handeln moralisch gerechtfertigt war. Die Entwicklung moralischer Intuitionen sollte die Entgegensetzung von moralischem und interessegeleitetem Handeln beenden. Rassenbewusst handelnden Deutschen sollte es möglich sein, intuitiv ihren Interessen und Neigungen zu folgen, anstatt diese als vermeintlich unmoralisch unterdrücken zu müssen. Gegen das Naturrecht setzte die nationalsozialistische Ethik das Recht der Natur. Durch Rassenhygiene und Eugenik sollten in Übereinstimmung mit den Lebens - und Naturgesetzen historische Fehlentwicklungen abgebrochen und die Gesundung der deutschen Gesellschaft eingeleitet werden. Das Naturgesetz des Kampfes ums Dasein sollte auch in der Geschichte gelten, um die Vernichtung minderwertiger Rassen und lebensunwerten Lebens zu sichern. Zur Unterstützung der natürlichen Auslese waren die Rassenkrieger bereit, die gezielte Tötung für lebensunwert befundener Menschen als Akt der Rassenhygiene und Volks138 139 140 141 142 143

Vgl. Schultze - Naumburg, Bedeutung, S. 27. Vgl. Franz, Vervollkommnung, S. 262. Schattenfroh, Wille, S. 180 f. Abderhalden, Grundzüge, S. 415. Vgl. Hildebrandt, Norm, S. 138. Vgl. ebd., S. 136.

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Die nationalsozialistische Moral

gesundheit selbst zu übernehmen. Die nazistische Rassenbiologie sah sich dabei in Übereinstimmung mit Naturnotwendigkeit und biologischer Evolution. Die Zivilisation habe dazu geführt, dass sich die Menschen einbildeten, eine Sonderstellung in der Natur zu haben und dass es unter ihrer Würde sei, Naturgesetze zu beachten.144 Tatsächlich seien sie von „ewigen, göttlichen Gesetzen des Lebens und der Natur“145 geprägte Wesen. In der Natur aber gebe es „kein Erbarmen für das Schwache und Kranke, sondern nur einen Sieg des Starken und Gesunden“.146 Der Nationalsozialismus strebe nach der Wiederherstellung einer mit den Gesetzen der Natur und des Lebens übereinstimmenden Ordnung. Die Moral müsse in Übereinstimmung mit dem Lebensrhythmus der Menschen stehen, der Wert der Menschen am Maßstab der Natur bestimmt werden. In der bürgerlichen Gesellschaft seien die Menschen gezwungen, gegen ihren eigenen biologischen Rhythmus zu leben. Dadurch würden die organisch gewachsenen Lebensgesetze entwertet. „Ursprünglich vom Instinkt eindeutig fixierte Werte“ würden so auf unnatürliche, „dem seelischen Lebensrhythmus des Menschen“147 widersprechende, ihn einengende und hemmende Weise verschoben. Nach dieser Verkümmerung und Rückbildung der Instinkte könne der Mensch nicht mehr seiner natürlichen Anlage entsprechend leben. In eine fremde Form gepresst müsse er Tätigkeiten ausüben, die seinem Wesen widersprechen würden. Innerlich unfrei verliere er seine Lebenskraft und werde „zum anonymen Glied einer Gesellschaft, die er nicht mehr als organisch gewachsene Gemeinschaft“148 empfinde. Mitleid mit den Erbkranken verstoße „gegen die Gesetze der Natur und des Lebens, das sich nirgends und niemals um einzelne Individuen und ihr kleines Schicksal kümmert“.149 Wer Erbkranke künstlich am Leben halte, stelle sich damit auch gegen den Willen Gottes, der die Gesetze des Lebens eben deshalb in brutaler Härte geschaffen habe, damit das Kranke vernichtet werde, ehe es zur Gefahr für den Bestand der Rasse werden könne. Dem deutschen Moralgefühl seien natur - und artwidrige Gebote fremd. Die rassische Ordnung der Welt sei Teil der Schöpfung, weshalb Rassenpflege, Rassenreinheit und Rassenauslese göttliche Gebote seien.150 Rassenpolitik diene der Bewahrung der Schöpfung. Durch vermeintlich humanistische Eingriffe in die göttlichen Gesetze natürlicher Auslese seien diese in ihrer absoluten Geltung eingeschränkt oder ganz außer Kraft gesetzt worden. Insbesondere die für die Natur 144 Vgl. Heiraten – aber wen ? In : Das Schwarze Korps vom 18. 5.1944. 145 Vgl. Rassenpolitik, S. 51. 146 So Ministerialrat Eugen Stähle vom württembergischen Innenministerium am 4.12.1940 – zit. bei Schmuhl, Rassehygiene, S. 321, FN 54. 147 Das seelische Erbe. In : Das Schwarze Korps vom 2.10.1944. 148 Ebd. 149 Gross, Politik, S. 413. 150 Vgl. Handblätter für den weltanschaulichen Unterricht, Berlin o. J. Hg. : Der Reichsführer SS, Thema 4 : Als Nationalsozialisten glauben wir an eine göttliche Weltordnung, S. 2.

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Moral in Übereinstimmung mit den Lebens- und Naturgesetzen

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und Gott selbstverständliche Ausmerze aus eigener Kraft nicht lebensfähiger Menschen sei durch die menschliche Anmaßung, das Gottesurteil natürlicher Auslese in Frage zu stellen, verhindert worden. Die natürliche Auslese belege, dass die Natur selbst in der Lage sei, die Menschen nach ihrer Lebenstauglichkeit im Daseinskampf zu sortieren. Aus Demut und Achtung vor der Schöpfung müsse der Mensch das durch Daseinskampf und natürliche Auslese vollzogene Gottesurteil anerkennen. Die kulturelle Entartung und moralische Degeneration des deutschen Volkes durch die Verhinderung der natürlichen Ausmerze Erbkranker habe zu einer überproportionalen Vermehrung der unheilbar Kranken und Minderwertigen geführt.151 Ihr müsse durch Rassenhygiene und Erbgesundheitspflege begegnet werden. So sei die Sterilisierung kein „unberechtigter Eingriff in die Naturordnung“, da „die große Zahl krankhafter Erbanlagen in den heutigen zivilisierten Völkern sich dadurch erhalten und ausgebreitet hat, dass die früher wirkende natürliche Auslese nicht mehr die Selbstreinigung der Rasse besorgt. [...] Die Naturordnung ist also durch die Zivilisation gestört, und die Schäden, die dadurch entstehen, müssen durch die Eugenik korrigiert werden, um die drohende Entartung zu verhindern.“152 Nur in Übereinstimmung mit den Natur und Lebensgesetzen des Daseinskampfes könne sich das deutsche Volk zu der ihm möglichen Höhe entwickeln. Die „Ausmerzung jedes unzulänglichen Lebewesens im Kampf ums Dasein“ sei nötig, um die „Erhaltung und Besserung des Lebens“153 zu sichern. Die Natur räche sich dafür, wenn die Menschen glaubten, das Leben und die Welt besser machen zu können, als ihr Schöpfer. Mitleid aus falscher Humanität habe zur Anhäufung von unsagbarem Elend geführt – zu einer „Anhäufung von [...] Menschen, die aus erblichen Gründen kraftlos und trostlos in die Welt hineingeboren werden und in ihrem ganzen Leben keine Freude und keine Leistungen haben, von denen das deutsche Volk nichts weiß, die lediglich hinter den Mauern der großen Anstalten ihr Leben fristen“.154 Dieser „Raubbau am Leben“ müsse beendet werden. Dazu sei es notwendig, anders zu denken, zu werten und zu handeln als bisher. Mit der ausdrücklichen „Bejahung der Lebensgesetze“ setze der Nationalsozialismus „an die Stelle der alten, zerfallenden, krank und widernatürlich gewordenen kapitalistischen Gesellschaftsordnung eine neue, gesündere, gerechtere und lebensgemäßere“155 Ordnung. Dieser nationale lebensgesetzliche Sozialismus beruhe auf der „Ungleichheit des inneren Ranges und Wertes“.156 Für ihn sei es eine Naturtatsache, dass Menschen durch ihre Erbanlagen 151 Vgl. Zimmermann, Biologie, S. 150. 152 Kaiser u. a. ( Hg.), Eugenik, S. 183–184, hier 184 – aus Otmar Freiherr von Verschuer, Erbbiologische Erkenntnisse zur Begründung der deutschen Bevölkerungs - und Rassenpolitik. 153 Gross, Rasse und Weltanschauung, S. 103. 154 Ebd., S. 103 f. 155 Was ist Bolschewismus ? In : SS - Leithefte ( BArch, NS 31/421, S. 96). 156 Ebd., S. 96.

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Die nationalsozialistische Moral

als ungleich geboren würden.157 Sie seien nicht nur ungleich, sondern auch ungleichwertig. Nicht nur seien sie körperlich verschieden, sondern auch hinsichtlich ihrer geistigen und seelischen Werte.158 Der Sieg des Starken und Gesunden über das Schwache und Kranke ebenso wie die Ausmerze der Schwachen und Minderwertigen durch natürliche Auslese wurde zum biologischen Grundgesetz erklärt, das der nationalsozialistische Staat durch entsprechende Gesetze als geltendes Recht politisch institutionalisiert habe.159 Dagegen hätten widernatürliches Mitleid und eine verkehrte Humanität es nach der „Seligpreisung der Mühseligen und Beladenen und der Armen im Geiste“160 zur moralischen Pflicht erklärt, alles Krankhafte besonders zu pflegen und zu fördern. Das habe durch künstliche Gegenauslese dazu geführt, dass sich Minderwertige und Schwache, die sich im Lebenskampf niemals hätten behaupten und durchsetzen können, stärker als Hochwertige und Starke vermehrt hätten. Damit werde der „Wille der Natur“, der auf die „Ausmerze der Kranken und Schwachen ziele“,161 infrage gestellt. Die Natur kenne keine ethischen Erwägungen und Einschränkungen. Der starke Mensch lebe aus dem gesunden Instinkt der Rasse und bejahe die Welt wie sie ist. Jedes Volk sei verantwortlich für sich selbst und bekomme genau das Schicksal, das es verdiene. So sei der Untergang von Völkern die Konsequenz ihrer Verletzung von Naturgesetzen, wodurch sie unfähig würden, ihre eigene Art zu erhalten. Dabei bediene sich die Natur des Kampfes als Mittel, das Leben stark und gesund zu erhalten. „Denn was im Kampf nicht siegen kann, geht notwendig zugrunde.“162 Eine artfremde Moral rechtfertige „die ungehemmte Entwicklung des erblich und damit moralisch Minderwertigen“ durch die „Hochzüchtung des rassisch Verderbten“163 und verstoße damit gegen das Gesetz des Lebens, alles Schwache und Minderwertige zu vernichten und nur das Starke zur Fortpflanzung zuzulassen.164 Die natürliche Auslese sichere, „dass allein der Tüchtige und Gesunde durch Zeugung und Kampf sich erhält und vermehrt, dass aber alles Kranke stirbt und vergeht“.165 Auch Asoziale seien unfähig, sich als nützliche Mitglieder in die Volksgemeinschaft einzufügen. Weil mit der Selbstausmerze dieser aus unterschiedlichen Gründen Gemeinschaftsunfähigen nicht zu rechnen sei, müsse das Übel durch gezielte Rassenpolitik an seiner biologischen Wurzel ausgerottet werden.166 Die nationalsozialistische Ethik zielte auf die Durchsetzung der Lebens - und Naturgesetze in der Menschenwelt und damit auf die Herausbildung einer Moral 157 158 159 160 161 162 163 164 165 166

Vgl. Was ist Sozialismus. In : SS - Leithefte ( BArch, NS 31/421, S. 116). Vgl. Gross, Rasse und Weltanschauung, S. 104. Vgl. Schinke, Völker, S. 17. Ebd., S. 17 f. Ebd., S. 18. Schinke, Gesetze, S. 29. Arteigene Sittlichkeit. In : Das Schwarze Korps vom 6. 5.1937. Vgl. SS - Mann und Blutsfrage, S. 5. Schinke, Völker, S. 16 f. Vgl. Kranz, Gemeinschaftsunfähige, S. 51 und 75.

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Moral in Übereinstimmung mit den Lebens- und Naturgesetzen

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in Übereinstimmung mit der menschlichen Natur. Der korrigierende Eingriff in die naturwidrige Ordnung rassenindifferenter Kultur versprach, kulturelle Irrwege und naturgeschichtlich abwegige gesellschaftliche Entwicklungen zu korrigieren. Mit der moralischen Rehabilitierung des Gesetzes natürlicher Auslese werde die Entgegensetzung von natürlicher Bestimmung und freier Selbstbestimmung beendet. Gegen das Zersetzende und Auflösende einer an universeller Mitmenschlichkeit und Achtung des Anderen orientierten Moral bürgerlicher Vernunft suche der Nationalsozialismus „die Kultur auf die natürlichen Gesetze des Lebens zu gründen“.167 Egalitäre Phantasien eines rassenindifferenten Humanismus würden Menschen ihrer eigenen Natur entgegensetzen und das Wirken der auch für ihr Zusammenleben geltenden Gesetze natürlicher Auslese verhindern. Die zur Führung berufenen Starken würden daran gehindert, an der Spitze ihres Volkes dessen Interessen in der Auseinandersetzung mit anderen Völkern durchzusetzen. Ein dadurch in seiner Handlungsfähigkeit eingeschränktes Volk habe keine Chance, diese Auseinandersetzung zu seinen Gunsten zu entscheiden. Einige Autoren wiesen die ethische Verpflichtung der nationalsozialistischen Ethik auf ein Sein - Sollendes mit dem Verweis auf die „Objektivität von Werten und die Verbindlichkeit ethischer Forderungen“168 ausdrücklich zurück. Werte seien in der Triebschicht verankerte rassenbiologische Tatbestände, durch die sich ein Volk gegen andere Völker abgrenze.169 Die nationalsozialistische „Weltanschauung des Lebendigen“170 versprach, die Kultur durch die Befreiung des deutschen Volkes von rassenfremden Überlagerungen wieder in Übereinstimmung mit den Grundgesetzen der Natur und des Lebens zu bringen.171 Was die Natur wolle, dem solle sich der Mensch nicht entgegenstellen. Er solle sich hüten, ihr ins Handwerk zu pfuschen. Der Mensch bleibe auch dann Teil der Natur, wenn er sich aus falsch verstandener Humanität, Mitleid und unbedingter Fürsorgepflicht für die Lebensuntüchtigen und Schwachen einsetze. Was wie Humanität aussehe, untergrabe in Wirklichkeit die natürlichen Grundlagen menschlicher Existenz. Im Kampf ums Dasein würden sich naturgesetzlich zwingend die Stärkeren gegen die Schwächeren durchsetzen. Der Selbsterhaltungswille der Völker setze sich über den Egoismus einzelner mit brutaler Kraft hinweg. Je gesünder das Volk sei, umso größer werde auch die Brutalität sein, mit der es seinen Bestand und seine Zukunft sicherstelle. Hier gehe es nur um das Recht des Stärkeren.172 Lebensuntüchtige Schwache und Hilfsbedürftige müssten ihrem Schicksal überlassen werden, anstatt durch Fürsorge und Unterstützung den Daseins167 168 169 170 171 172

Jaensch, Gegentypus, S. XLI. Weidauer, Wahrung, S. 22. Vgl. ebd., S. 30 f. Wieneke, Nationalsozialismus, S. 43. Vgl. Schaper, Blutsbewusstsein, S. 161. Vgl. Ächtung der Entarteten. In : Das schwarze Korps vom 1. 4.1937 ( gemeint sind die Homosexuellen ).

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Die nationalsozialistische Moral

kampf und damit die Lebens - und Naturgesetze zu verfälschen. Nach den durch humanistische Beweggründe geleiteten Eingriffen des Menschen in die vermeintliche Grausamkeit der Natur gelte es, eine Umkehrbewegung zu initiieren. Die „Auslese der besten, lebenstüchtigsten Einzelwesen der Art wurde ursprünglich von der Natur selbst besorgt, von den Menschen aber nur, solange sie in Übereinstimmung mit der Natur handelten. Die ersten menschlichen Eingriffe [...], um der Natur in ihrer Arbeit zu helfen [...] waren [...] hart [...], zum Teil grausam [...] Es fragt sich, ob nicht unsere Zeit dadurch, dass sie zu dem entgegengesetzten Extrem gelangt ist, und alles das, was schwach und verkrüppelt ist, pflegt und erhält, eine neue Grausamkeit begeht, die sich mit der alten an Barbarei messen kann. [...] In unseren Tagen hat diese Entwicklung wider die Natur ihren Höhepunkt erreicht.“173 Durch den „unnatürlichen Schutz der Schwachen“ habe sich die Zahl der „Lebensuntüchtigen“174 gefährlich vermehrt. Dieser Zustand müsse dringend beendet werden, bevor das Volk bleibenden Schaden nehme. Eine dem Prinzip unbedingter Humanität verpflichtete Kultur habe die ursprünglich harten Auslese - und Ausmerzegesetze in ihr Gegenteil verkehrt. Moralischer Verfall und die Verwirrung der natürlichen Instinkte seien die Folge. Nun jedoch würden korrigierende Eingriffe in das Leben und die biologische Konstitution rassisch Minderwertiger nicht mehr moralisch als Übergriffe denunziert, sondern als sozialhygienische Korrekturen unhaltbarer volksgesundheitlicher Zustände durch eine biopolitische Rassenmoral gerechtfertigt. Die Verhinderung ihrer Fortpflanzung und ihre Vernichtung folge den übergeordneten Interessen der rassischen Volksgemeinschaft, in der sie als Ballastexistenzen kein Lebensrecht hätten. Nicht nur die Natur und die in der Tierwelt geltenden, von moralischen Ressentiments freien Lebensgesetze des Daseinskampfes, auch die menschliche Frühgeschichte wurde bemüht, um den Durchsetzungskampf der Stärkeren gegen die Schwachen und Minderwertigen zu rechtfertigen. So führte Martin Staemmler das Gesetz der Auslese als Instrument der Rassenpflege im nationalsozialistischen Staat auf den Lebenskampf in der Frühzeit der Menschheit zurück : „Hart, mitleidslos, ohne Rücksicht, ohne Humanität ist der Kampf. Der Schwächere wird vernichtet, der Stärkere behauptet das Feld. [...] Was schwächlich ist, was erkrankt, geht zugrunde, nur die ganz Widerstandsfähigen bleiben am Leben. [...] Der Kampf ums Dasein, der hier noch in innigster Berührung mit der Natur in voller Schärfe besteht, vernichtet alles Schwache und Kranke, er lässt es nicht zur Fortpflanzung kommen. Was aber übrig bleibt, das ist hart und fest und gewappnet gegen alle Gefahren.“175 Das alles ändere sich mit der Herausbildung einer vermeintlich „höheren Moral“, die mit der Fürsorge für die Kranken und Schwachen zu einer Verschlechterung und Schwächung der Rasse führe. Verfeinerte Lebensgewohnheiten, Kultur und Humanität ersetzten 173 Mjöen, Lebensauffassung, S. 131 f. 174 Ebd. 175 Staemmler, Rassenpflege, S. 36 f.

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Zwischen Pflicht und Neigung

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die Auslese der Natur, so dass jetzt die Gemeinschaft durch planmäßige Rassenpflege übernehmen müsse, wofür sonst die Natur gesorgt habe.176 „Die Menschlichkeit sorgt dafür, dass alles Schwache erhalten bleibt, gehegt und großgezüchtet wird.“177 So könne das nicht weitergehen. Ohnehin setze sich am Ende immer die Natur durch und vernichte alles, was ihren Gesetzen nicht folge. In der Rassenpflege, so das in aller Deutlichkeit getroffene Bekenntnis, sei für Menschlichkeit kein Platz. Dass die Durchsetzung des Gesetzes der natürlichen Auslese als Gestaltungsprinzip der neuen Gesellschaft unmenschlich verfahren musste, stand dabei außer Frage. Als sich die militärische Niederlage Nazideutschlands abzeichnete, diente der Verweis auf die vom Ausgang politischer und militärischer Auseinandersetzungen unberührte Wirkungsmächtigkeit der Natur - und Lebensgesetze dazu, auf einen möglichen Neuanfang des Nationalsozialismus nach der Normalisierung der Lage in Deutschland zu verweisen. In Übereinstimmung mit der natürlichen Lebensordnung habe die nationalsozialistische Revolution nur Forderungen der Zeit und des Lebens zum Ausdruck gebracht. Deshalb sei sie ohne den „Terror der Gewalt“178 ausgekommen. Noch im März 1945 wurde in dieser Diktion der auf lange Sicht zwingende Sieg des Nationalsozialismus beschworen, der schon deshalb siegen werde, da er in seiner Bindung an die natürliche Ordnung der Welt den Gesetzen des Lebens folge.179 Eben weil es der nationalsozialistischen Bewegung nicht gelungen war, durch militärische Gewalt und staatlichen Terror zu siegen, sah sie sich zum Rückzug in die symbolische Anverwandlung an die Natur und das Leben gezwungen.

4.

Zwischen Pflicht und Neigung : Der kategorische Imperativ des Nationalsozialismus

Das Konzept Menschheit wurde von der nationalsozialistischen Ideologie und Philosophie als Kern des deutschen Idealismus identifiziert. Als „Inbegriff höchster, unbedingter, ethischer Zielsetzung“ stand der Menschheitsbegriff für die Gesamtheit „aller geistigen und moralischen Kräfte abendländischer Kultur“.180 Nun jedoch sei „Menschheit“ zum liberalen Kampfbegriff und Schlagwort revolutionärer Agitation verkommen, das allen Menschen unabhängig von ihrer Rassenzugehörigkeit gleiche Lebens - und Menschenrechte zugestehe. Kants Moralphilosophie galt der nationalsozialistischen Ethik als historisches Vorbild, das jedoch rassenbiologisch modifiziert wurde.181 Seine Tugendethik, die die „Tugend als sittliche Stärke des Willens in Befolgung der Pflicht und 176 177 178 179 180 181

Vgl. ebd., S. 38 f. Ebd., S. 40. Der kritische Punkt der Krise. In : Das Schwarze Korps vom 7.12.1944. Vgl. Die Revolution ist stärker. In : Das Schwarze Korps vom 8. 3.1945. Würde, Idee und Macht. In : Das Schwarze Korps vom 1. 9.1938. Vgl. Böhnigk, Kant.

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Die nationalsozialistische Moral

in der Unterordnung der Neigungen und Begierden unter die Vernunft“182 bestimmt habe, wurde in die Begründung einer rassisch - völkischen Gemeinschaftsethik aufgenommen und bei der Bestimmung eines programmatischen Katalogs von Tugenden und Geboten zustimmend zitiert : „Tugend, das ist moralische Gesinnung im Kampfe.“183 Auf eben eine solche Gesinnung aber komme es an, um den Herausforderungen des „Krieges der Werte“ gewachsen zu sein. Kant habe den Rassenbegriff als „Zweckbegriff der menschlichen Vernunft“ wie als „Begriff der Naturgeschichte“184 gefasst und sei damit zum Wegbereiter der Rassenforschung geworden. Mit dieser Doppelbestimmung sei es möglich gewesen, die Rasse als Ausdruck menschlicher Vernunftnatur zu fassen. Dabei spielte die Gedankenfigur des kategorischen Imperativs als konzentrierter Ausdruck seiner Pflicht - und Tugendethik eine besondere Rolle. In Kants Pflichtbegriff sei das persönliche Interesse zurückgetreten hinter das Gesetz einer höheren Ordnung, was seinen Freiheitsbegriff auch für die nationalsozialistische Ethik relevant und vielversprechend mache. Kants Motto „Durch Pflicht in die Freiheit“185 sei erst im Nationalsozialismus durch die bewusste Entscheidung der Deutschen, dem Gebot der Pflicht aus der Freiheit des Willens zu folgen, Wirklichkeit geworden. Kritisiert wurde Kant dafür, dass er in seiner richtigen Akzentuierung der Pflichterfüllung als Ausgangspunkt einer gemeinschaftsorientierten Umwertung der Werte an die mögliche Verinnerlichung eines Gemeinschaftsethos durch die Entwicklung eines ethischen Instinkts nicht geglaubt und deshalb eine tatsächlich für die Übergangszeit der Herausbildung eines solchen Instinkts notwendige Triebkontrolle als moralkonstitutive Triebunterdrückung auf Dauer gestellt habe.186 Seine Überhöhung der Pflicht zu einer asketischen, lebens - und weltfremden moralischen Haltung zeuge von einer tiefen Skepsis gegenüber der Fähigkeit des Menschen, seine egoistischen Neigungen und natürlichen Instinkte, und hier insbesondere seinen Sexualtrieb, in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen und zu kultivieren. Aus Kants Sicht müssten Menschen gegen ihre Neigungen und ihre innere Natur zu moralischem Handeln gezwungen werden. Er war überzeugt davon, dass ohne einen solchen widernatürlichen Zwang zu selbstlosem Handeln Menschen intuitiv immer ihren egoistischen Interessen folgen würden. Deshalb müsse zunächst ihr Wille zur Verfolgung persönlicher Neigungen gebrochen werden, bevor sie moralfähig seien, also bereit, ihren Pflichten aus Prinzip zu folgen. Kants Skepsis gegenüber der natürlichen Moralfähigkeit des Menschen wurde von der nationalsozialistischen Ethik als menschenverachtend und unvereinbar mit der moralischen Haltung des nordischen Menschen abgelehnt. Ras182 Schulze, Sittengesetz, S. 27. 183 Zit. bei Garbe, Zweiweltenlehre, S. 227 – aus Kant, Kritik der praktischen Vernunft, S. 207. 184 Unterhorst, Kant, S. 292–296. 185 Vgl. Strauß, Deutsche, S. 213. 186 Vgl. Hildebrandt, Norm, S. 136.

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sisch hochwertigen Deutschen müsse es möglich sein, ihren artgemäßen Neigungen zu folgen. Die von Kant moralanthropologisch behauptete Affinität des Menschen zu Egoismus und unmoralischem Handeln sei typisch für die Juden. Die jüdische Ethik behaupte, dass der Mensch sich nicht wie innerhalb natürlicher Lebensordnung trotz der zu bekämpfenden Triebe und „Ich - Sucht in der Tiefe des Lebens eins mit dem Guten fühlen, sondern als ein im Wesentlichen Widerstrebender das Sittliche als einen Zwang empfinden“187 müsse. Diese jüdische Sicht der Moral widerspreche der menschlichen Natur. Unter Bezug auf Kants Differenzierung von Marktpreis und Würde wurde die „autonome Freiheit des sittlichen Kämpfers im Reich der Zwecke“188 zum Synonym nordischer Moral erklärt. Kant selbst hatte die Moral als Haltung um ihrer selbst willen, ohne Aussicht auf eine etwaige Belohnung oder Verbesserung der eigenen Lage und Befindlichkeit bestimmt. Als moralisch handelnde Wesen würden Menschen sich nicht gegenseitig als Mittel für ihre eigenen Zwecke gebrauchen, sondern als Personen, frei vom Eigennutz der Verfolgung egoistischer Interessen, anerkennen. Bei Kant heißt es dazu : „Im Reich der Zwecke hat alles entweder einen Preis oder eine Würde. Was einen Preis hat, an dessen Stelle kann auch etwas anderes als Äquivalent gesetzt werden; was dagegen über allen Preis erhaben ist, mithin kein Äquivalent verstattet, das hat eine Würde. Was sich auf die allgemeinen menschlichen Neigungen und Bedürfnisse bezieht, hat einen Marktpreis; [...] das aber, was die Bedingung ausmacht, unter der allein etwas Zweck an sich selbst sein kann, hat nicht bloß einen relativen Wert, d. i. einen Preis, sondern einen innern Wert, d. i. Würde.“189 In einer Gesellschaft, die auf eben diesem Prinzip wechselseitiger Nützlichkeit beruhte, wurde moralisches Handeln zu einer Haltung sublimiert, der es weniger auf die Veränderung der Verhältnisse, als auf die Möglichkeit ankam, sich von diesen Verhältnissen innerlich zu distanzieren. Mit seiner Bestimmung der Moral als Haltung, nicht als eigenständiger Sphäre wie Ökonomie, Politik oder Recht, verwies Kant auf ihre Fragilität in einer nicht nach ethischen Kriterien organisierten Welt. Auch wenn eine solche „Welt vernünftiger Wesen ( mundus intelligibilis )“190 als ein Reich der Zwecke nicht existiere, sei sie doch möglich dadurch, dass Menschen handeln, als ob die Welt nach vernünftigen Maximen gestaltet wäre. Moral ist in dieser Bestimmung „eine praktische Idee, um das, was nicht da ist, aber durch unser Tun und Lassen wirklich werden kann, gemäß eben dieser Idee zustande zu bringen“.191 Gegen Kant bestanden nationalsozialistische Rassenethiker darauf, dass auch die Moral ein Feld natürlicher Auslese sei, auf dem sich „nicht nur die Stärksten und Widerstandsfähigsten, sondern auch die Klügsten und Moralischsten“192 187 188 189 190 191 192

Mandel, Wesen, 2. Teil, S. 281. Garbe, Zweiweltenlehre, S. 229. Kant, Grundlegung, S. 68. Ebd., S. 72. Ebd., Anm. S. 70. Astel, Rassendämmerung, S. 203.

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Die nationalsozialistische Moral

durchsetzen würden. Was als moralisch oder unmoralisch gelte, werde durch den Ausgang des Kampfes zwischen den Wertesystemen entschieden. Deshalb sei die natürliche Auslese auch ein moralisches Gebot : Es wäre unmoralisch, wenn die Starken aus Rücksicht auf die Schwachen darauf verzichteten würden, ihre Durchsetzungsstärke im Daseinskampf auszuspielen. Dennoch wurde Kants Ethik in der nationalsozialistischen Debatte über weite Strecken zustimmend referiert. So wurde sein Sittengesetz als „geradezu klassische Formulierung nationalsozialistischer Ethik“193 gesehen. Kritisiert wurde, dass sein kategorischer Imperativ nicht auf die Volksgemeinschaft, sondern die Gemeinschaft aller Vernunftwesen gezielt habe.194 Jene allen Menschen als Vernunftwesen eigene Würde, von der Kant spreche, gebe es ebenso wenig wie das Sittengesetz ein Faktum der menschlichen Vernunft sei. „Der Mensch als Subjekt einer moralisch - praktischen Vernunft“ sei „eine Konstruktion“,195 die an der Realität der rassisch differenzierten Gesellschaft vorbeigehe. Das Kernstück der Kantschen Vernunft - und Moralphilosophie, sein ausnahmslos alle Menschen einschließender universeller Humanismus, wurde damit aufgegeben. Allerdings hatte Kant auch nicht vom Sittengesetz als Faktum der menschlichen Vernunft gesprochen, sondern moralische Haltungen gegen die faktische Übermacht egoistischer Neigungen eingefordert. Eben deshalb führte er die Moral als Gebot und kategorischen Imperativ der praktischen Vernunft ein, um hier ein normatives Korrektiv gegen die praktische Marginalisierung moralischer Haltungen zu setzen. Menschen sollen sich moralisch verhalten, um ein Gemeinwesen aufeinander abgestimmter Interessen zu gründen. Dem stehe ihr Eigennutz entgegen, den Menschen aus freien Stücken niemals aufgeben würden und der deshalb, so Kant, durch eine rigorose Pflichtethik gebrochen werden müsse. Diese Annahme wurde von der nationalsozialistischen Rassenethik als nicht akzeptabel zurückgewiesen. Mit ihr demütige das moralische Gesetz die Menschen, die doch nicht von ihren Neigungen lassen könnten. Mit seiner Forderung, dass in ihren egoistischen Neigungen befangene Menschen zu ihrem eigenen Besten gezwungen werden müssten, sich moralisch zu verhalten, habe Kant den Boden nordischer Wertsetzung verlassen. Seine rigoristische Ethik misstraue der Fähigkeit des Menschen, aus eigenem Antrieb moralisch zu handeln. Nicht der ganze, seine inneren Turbulenzen in der Spannung von Pflicht und Neigung souverän meisternde Mensch werde von Kant herausgestellt, sondern der blutleere, in seinem Willen gebrochene, seine Neigungen rigoros unterdrückende, seine moralische Pflicht der Beförderung des Gemeinwohls ohne Lust und persönliche Befriedigung erfüllende asketische Tugendmensch – tatsächlich das seines vollen Menschseins beraubte Zerrbild eines Menschen.196 Während Kant darauf bestanden habe, dass der Wille des Menschen erst gebrochen werden müsse, bevor ihm moralisches, gemeinschaftsbewusstes Handeln zugetraut wer193 194 195 196

Dietrich, Grundlagen, S. 23. Vgl. Weidauer, Wahrung, S. 108. Vgl. ebd., S. 95. Vgl. Garbe, Zweiweltenlehre, S. 230.

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Zwischen Pflicht und Neigung

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den könne, setzte die nationalsozialistische Gemeinschaftsethik auf die rassenethische Konditionierung der Deutschen. Die „Brechung des natürlichen Menschen“, in der sich nur der Hass „des Minderwertigen gegenüber allem Hohen und natürlich Geadelten“197 zeige, lehne der Nationalsozialismus ab. „Männlich aufrecht und stolz, innerlich ungebrochen und gerade“,198 das sei die Haltung, die etwa vom SS - Mann erwartet werde. Die Deutschen sollten ihren Neigungen folgen können, ohne sich deshalb als unmoralisch zu disqualifizieren. Aus der Sicht von Kants rigoristischer Pflichtethik drohte der Gegensatz zwischen Pflicht und Neigung den Menschen zu zerreißen. Für den Nationalsozialismus war er mit sich selbst im Reinen und konnte sich als moralisches Wesen aus freiem Entschluss zu seinen Pflichten bekennen. Die Kantsche Forderung der Unterwerfung des Menschen unter Pflichten und Gebote, die seinen Neigungen entgegenstanden, wurde als artfremd zurückgewiesen. Moralisches Handeln könne weder auf der Verletzung natürlicher Lebensgesetze noch auf der Verleugnung und Unterdrückung legitimer menschlicher Neigungen und Instinkte beruhen. Ohne ihren Willen oder gar das Rückgrat ihrer persönlichen Identität zu brechen, sollten die Deutschen ihre erbgenetischen Anlagen zu einem Rasseninstinkt ausbilden. Während Kant meinte, der Mensch sei aus zu krummem (nationalsozialistisch : rassisch gemischtem ) Holz gemacht, um zu aufrechtem Gang ( nationalsozialistisch : rassenbewusstem Verhalten ) in der Lage zu sein, nahm die Rassenethik die rassische Mischung zum Ausgangspunkt der Differenzierung rassisch hoch - und minderwertiger Bestandteile dieser Mischverhältnisse. Der ganzheitsbiologische Normbegriff teile die Kantsche Einsicht vom täuschenden Charakter der Erfahrung mit Blick auf das sittliche Gesetz : Das, was ich tun soll, könne nicht von demjenigen hergenommen oder dadurch eingeschränkt werden, was ist oder getan wird.199 Das Sollen stehe jedoch auch nicht ohnmächtig dem Sein gegenüber, das es nicht seiner eigenen Gesetzlichkeit überlasse, sondern unter das Gesetz des moralischen Imperativs stelle. Ausgangspunkt auch der nationalsozialistischen Anthropologie war die Kantsche Unterscheidung zwischen dem, was die Natur aus dem Menschen macht und dem, was er aus sich selbst machen kann. In Kants Worten : „Die physiologische Menschenkenntnis geht auf die Erforschung dessen, was die Natur aus dem Menschen macht, die pragmatische auf das, was er als freihandelndes Wesen aus sich selber macht, oder machen kann und soll.“200 In der nazistischen Rassenbiologie diente diese von Kant formulierte Grundfrage jeder philosophischen Anthropologie zur Unterscheidung zwischen einer Mehrheit minderwertiger und einer Minderheit höherwertiger Menschen. Im Unterschied zu Kant wurde nicht mehr jedem die Möglichkeit zugestanden, in der Auseinanderset197 198 199 200

Gezeichnet, Ludwig Eckstein. In : SS - Leitheft, 8 (1942) 6, S. 28–29. Ebd. Vgl. Müller, Ganzheitsbiologie, S. 29. Kant, Anthropologie, S. 399.

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zung mit seiner natur - und lebensgesetzlichen Bestimmung eine selbstbestimmte Lebensbalance zu finden. Eine Mehrheit sollte sich mit dem zufrieden geben, was die Natur aus ihnen machte. Nur eine Minderheit rassisch hochwertiger Menschen wurde dazu aufgefordert, sich durch die Ausbildung einer rassenbewussten Haltung und entsprechendes Handeln zu dem zu machen, wozu ihre rassenbiologische Natur sie durch gesunde und hochwertige Erbanlagen prädestiniert hatte. Menschen mit minderwertigen Erbanlagen dagegen sollten sich damit abfinden, dass sie durch ihre rassenbiologische Natur auch als Individuen eindeutig darauf festgelegt waren, was die Natur aus ihnen gemacht hatte. Nur Wenige hätten die Möglichkeit, sich in freier Selbstbestimmung zu höherwertigen Rassenmenschen zu entwickeln. Freiheit, so hieß es dazu in einem zeitgenössischen nazistischen Text, sei nicht menschliches Gattungsmerkmal, sondern ein rassisch Hochwertigen vorbehaltener Persönlichkeitswert, den sich diese durch entsprechendes Verhalten erst erwerben müssten. „Freiheit bedeutet [...] die unterscheidende Auszeichnung der Wenigen, die mehr sein können als das, was die Natur im besten Fall aus dem Menschen machen kann. Sie kennzeichnet diejenigen, die das Werk ihrer selbst sind“201 und unterscheidet sie damit von den Vielen, die sich mit dem begnügen müssen, wofür die Natur sie bestimmt hat. Die nationalsozialistische Anthropologie modifizierte die idealtypische Unterscheidung Kants durch die rassenbiologische Bestimmung der menschlichen Natur und die Einbeziehung der tatsächlichen Deformierung des Menschen durch naturwidrige Umstände und die konzeptionelle Verkennung der menschlichen Natur. Für das biologische Denken gebe es weder einen Normalmenschen, „der in Freiheit alles aus sich machen kann, was er will“, noch einen solchen, „aus dem man alles machen kann, bzw. aus dem die Verhältnisse alles machen können“.202 Weder hätten die Menschen Willensfreiheit noch seien sie lediglich Produkt wirtschaftlicher Umstände, sondern sie seien als „Angehörige von Völkern und Rassen [...] Glied in der Kette der Geschlechter“.203 Die Würde des Menschen liege deshalb auch nicht in einer „von Naturkausalität unbeeinflussten Selbstbestimmung“,204 sondern in Demut gegenüber seiner Wesensbestimmung durch Natur und Rasse. Die freie sittliche Selbstbestimmung sei eine Forderung der praktischen Vernunft artgemäßen Glaubens.205 Die ebenfalls vertretene Gegenposition sah in der Rede vom freien Willen einen rassenindifferenten Mythos, der im Widerspruch zu den Lebens - und Naturgesetzen stehe und mit der rassebiologischen Wirklichkeit nichts zu tun habe.206 Von ihrem Gewissen geleitet, würden die Deutschen dem „sittlichen Imperativ

201 202 203 204 205 206

Böhm, Freiheit. Groos, Willensfreiheit, S. 258 f. Ebd., S. 259. Ebd., S. 260. Vgl. Schulze, Sittengesetz, S. 13 f. So die Argumentation von Schattenfroh, Wille.

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der Pflichterfüllung“207 folgen, anstatt sich in ihrem Handeln an eine übermächtige anonyme Kausalität auszuliefern.208 Naturrechtliches Denken sehe Freiheit als menschliche Anlage, die allen Menschen eigen sei und in der allen Menschen der gleiche Spielraum zur Entfaltung gegeben werden müsse. Die Aufklärung erkläre „die naturgegebene Freiheit des Individuums [...] zum Anrecht auf hemmungslose Befriedigung eines ständig wachsenden Glückshungers. Der durch kein Ethos mehr gezügelte Egoismus der Einzelperson wendet sich zerstörend gegen die Gesetze volkhafter Gemeinschaft und sozialen Zusammenlebens.“209 Diese „Freiheit der Willkür“ kennzeichne den europäischen Nihilismus. Wirkliche Freiheit dagegen sei positive Freiheit, tun zu können, was man muss, nicht die negative, unbestimmte Freiheit des Tun - Könnens, was man will. Wer will, was er muss, gewinnt dadurch die Freiheit zur Selbstbestimmung : Die Kür des Willens wird zur Pflicht des Sollens. Wollen kann, wer will, was er soll.210 „Frei sein heißt nicht, tun dürfen, was wir möchten, sondern tun wollen, was wir müssen“,211 hieß es in einem Wilhelm Schäfer entlehnten Leitwort für die SS. Die Kantische Sittenlehre sei zutiefst zwiespältig, mischten sich doch in ihr „die heiligen Gebote freien nordischen Seelentums“ mit der „artfremden Forderung der Unterwerfung“212 des Menschen unter ihm fremde, seinen moralischen Neigungen und Intuitionen vermeintlich entgegen stehende Gebote. Während die „Kantische Pflichtenethik des freien, selbstgesetzgebenden Streiters im Reich der Zwecke [...] höchste Vollendung nordischen Sittlichkeitserlebens“ sei, kapituliere seine unerbittliche Fronethik vor „fremdrassigen Mächten“,213 die nordischem Erleben zutiefst widerstrebten. Der Einzelne habe vielfältige Möglichkeiten und Gelegenheiten, im Alltag seine rassenbewusste Haltung zu beweisen. Für ihn gelte das Dichterwort : „Und handeln sollst du so, als hinge Von dir und deinem Tun allein Das Schicksal ab, der deutschen Dinge, Und die Verantwortung wär’ dein.“214

In rhetorischer Nähe zu Kant, dessen kategorischer Imperativ das Fundament jedes echten Sozialismus sei, wird dazu aufgefordert, in allem so zu handeln, „als ob das Schicksal Deines ganzen Volkes nur auf Deinen Schultern ruht.“ Nicht zufällig habe Hitler diesen Satz als Motto in die Parteibücher der NSDAP geschrieben. Eben deshalb ergehe an alle Volksgenossen die Losung :

207 208 209 210 211 212 213 214

Simoneit, Erziehung. Vgl. Dvorak, Zukünftige. Böhm, Freiheit. Diese Argumentation ist philosophisch vorbereitet in Gehlen, Theorie. SS - Leitheft, 2 (1936) 5, S. 70. Garbe, Zweiweltenlehre, S. 231. Ebd. Lebensgestaltung, wie wir sie wollen. In : Das Schwarze Korps vom 27. 3.1935.

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Die nationalsozialistische Moral

„Immer strebe zum Ganzen, Und kannst Du selber kein Ganzes werden, Als dienendes Glied schließ’ an ein Ganzes Dich an !“215

Oder auch : „Lebe und handle stets so, dass dein Leben und Handeln allen als Vorbild gelten kann !“216 Dem rassenethischen Imperativ wurde die Mobilisierung der Deutschen zur rassenpolitischen Umgestaltung der Gesellschaft zugetraut. Die Naturwissenschaften hätten das „Leben von den transzendenten Glaubensgrundlagen des Individualismus zurück auf die biologischen Reaktionsbestände der Volksgemeinschaft“ gelenkt und dabei zweifelsfrei nachgewiesen, dass „das Individuum kein frei in sich selbst ruhendes Lebewesen“217 sei, sondern Funktionsexponent des Volkskörpers. Der Einzelne handle nicht „in moralischer Freizügigkeit nach allgemeinen Maximen“, sondern sei „an seine Erbanlagen gebunden“.218 Obwohl der Versuch, sich in freier Selbstbestimmung seiner biologischen Bestimmung zu entziehen, aussichtslos sei, würden selbst erbgesunde Deutsche rassenindifferenten Neigungen folgen. Eben deshalb sollten sie einen gegen Versuchungen artfremden Verhaltens resistenten Rasseninstinkt ausbilden, der es ihnen ermögliche, der nationalsozialistischen Ideologie intuitiv zu folgen.219 Erst dann, wenn sich ein solcher Rasseninstinkt als verlässliche moralische Orientierung bei einer Mehrheit der Deutschen herausgebildet habe, habe der Nationalsozialismus tatsächlich gesiegt. Ein Staat, der auf Dauer seine Bürger durch Disziplinierung und Gewalt dazu zwinge, gegen ihre intuitiven Neigungen zu handeln, müsse politisch scheitern. Die Orientierung des kategorischen Imperativs an Volksgemeinschaft und Führerprinzip erklärte es zur moralischen Pflicht der Deutschen, im übergeordneten Interesse des Volkes so zu handeln, dass sie dadurch vor der moralischen Instanz des Führers bestehen konnten. Dadurch wurden ihnen eigene moralische Urteile, Wertungen und Entscheidungen abgenommen.

5.

Das Ethos des Dienstes an der Gemeinschaft : Die Persönlichkeit als Verkörperung des Volksganzen

Behauptet wurde, dass die „unbiologische Struktur“ der bürgerlichen Gesellschaft, die sich selbst nicht als Organismus, sondern als Interessenverband organisiere, dem Aufbau einer klassenlosen Volksgemeinschaft im Wege stehe. Die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft sei eine vom Willen unabhängige biologische Tatsache des Lebens. Man trete ihr nicht durch freie Wahl bei und könne sie auch nicht willkürlich wieder verlassen. „Das eigene Volk ist keine gewählte

215 216 217 218 219

Wieneke, Charaktererziehung, S. 37. Buck, Schulungsleiter, S. 32. Kolbenheyer, Reden, S. 4 f. Ebd. Vgl. Scarre, Responsibility, S. 110 f.

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Das Ethos des Dienstes an der Gemeinschaft

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Gemeinschaft, der man angehören oder sich entziehen kann.“220 Menschliches Leben sei nicht Selbstzweck, sondern finde seine Bestimmung im Dienst an der Gemeinschaft.221 Nur als Teil der Gemeinschaft könne der Einzelne zur Persönlichkeit werden.222 Während Gemeinschaft durch ein Erlebnis geschaffen werde, werde Gesellschaft organisiert.223 Eine Volksgemeinschaft zeichne sich dadurch aus, dass das Zusammenspiel ihrer Glieder keiner besonderen Koordinierung bedürfe, sondern durch seine Funktionalität für den Organismus gesichert sei. Dabei sei die Rasse der Maßstab dafür, das Abnorme und Dekadente vom rassisch Wertvollen und Unbedenklichen eindeutig zu unterscheiden.224 Das deutsche Beispiel der im gemeinsamen Lebensgefühl der Artgenossen gegründeten Gemeinschaft müsse sich weltweit durchsetzen. Dazu müssten sich die Völker zunächst wieder als Organismen und „biologische Lebensgemeinschaften“ verstehen, deren Mitglieder „durch gleiche Kultur und gleiches Denken, gleiches Erleben und gleiches Schicksal“225 verbunden seien. Gemeinnutz sollte vor Eigennutz gehen, Pflichten sollten vor Rechten kommen.226 Niemand habe auf mehr Rechte Anspruch, „als er selbst Pflichten gegenüber dem Ganzen zu übernehmen fähig und bereit ist“.227 Auch im „Schwarzen Korps“ wurde „Gemeinnutz auf Gegenseitigkeit“228 angemahnt. Nur Angehörigen der nordischen Rasse wurde das Privileg zugestanden, der völkischen Gemeinschaft zu dienen.229 Menschliches Handeln empfange seinen Sinn aus dem Zusammenhang des Ganzen.230 Der Wert der Menschen wurde entsprechend ihrer Rassenzugehörigkeit und erbbiologischen Gesundheit bestimmt. Jeder werde nur nach dem beurteilt, was er für sein Volk leiste und sei eben deshalb nur so viel wert, wie er der Gemeinschaft nütze. Und jeder könne „nur so viel von der Gemeinschaft verlangen [...] als er bereit ist, der Gemeinschaft zu geben“.231 Für jeden Deutschen sei der Dienst für die Volksgemeinschaft oberstes sittliches Gebot, zeichneten sie sich doch gegenüber anderen Nationen dadurch aus, dass sie ihr „Leben in den Dienst einer Sache“232 stellten. In der Krise der moralischen Werteordnung sei statt des völkischen Wir das liberalistische Ich zum moralischen Subjekt geworden. Auf sich selbst fixierte Menschen würden nur Forderungen stellen, ohne Pflichten der Gemeinschaft gegenüber anzuerkennen. Sie seien ihren Trieben ausgeliefert und vom Drang 220 221 222 223 224 225 226 227 228 229 230 231 232

Fritz, Politik, S. 520. Vgl. Harten, Gemeinschaft, S. 67. Vgl. d’Alquen ( Hg.), Hieb, S. 80. Vgl. Lebensstil oder Gesellschaftsform ? In : Das Schwarze Korps vom 29.12.1938. Vgl. Stackelberg, Mutation, S. 532. Eilemann, Weltanschauung, S. 11 – zit. aus von Eickstedt, Rassische Grundlagen des deutschen Volkstums. Vgl. Aberhalden, Gemeinnutz, S. 1. Hebenbrock, Wohlfahrtspflege, S. 440. Das Schwarze Korps vom 28.11.1940. Vgl. Niemeyer, Ehre, S. 35. Vgl. Eberhard, Norm, S. 296. Vgl. Pütz, Wesen, S. 491. Schaper, Führertum, S. 40.

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Die nationalsozialistische Moral

nach Ungebundenheit, Selbstsucht und Rücksichtslosigkeit getrieben.233 Die nationalsozialistische Revolution habe „in Deutschland die Ichzeit [...] beendet und die Wirzeit begonnen“.234 Dieser Schritt vom Ich zum Wir habe artgleiche Menschen aus der Isolation zur völkischen Gemeinschaft geführt. Nur durch ihr praktisches Bekenntnis zur Gemeinschaft seien die Einzelnen vor der immer drohenden Gefahr des Individualismus geschützt und würden zu der ihnen möglichen Leistungsfähigkeit finden.235 Die natürliche Bindung der Deutschen an die rassische Gemeinschaft zerstöre nicht ihre individuelle Einzigartigkeit, sondern ermögliche erst deren Entfaltung.236 Die nationalsozialistische Persönlichkeit forme sich im intensiven Erlebnis der Gemeinschaft, die nur zwischen Artgleichen möglich sei.237 Während der humanistische Liberalismus jedem Individuum Selbstverwirklichung als politisches Grundrecht zugestehe, gehe der nationalsozialistische Humanismus davon aus, dass rassisch hochwertige Menschen das legitime Bedürfnis nach umfassender Entfaltung ihrer Anlagen nur als Glied eines völkischen Ganzen gegenseitiger Verantwortung entfalten könnten.238 Erst in der nordischen Volksgemeinschaft könne sich die rassenbedingte Eigenheit der Deutschen uneingeschränkt entfalten, so dass sie ihrem moralischen Instinkt folgen könnten. Den Anforderungen der neuen Zeit seien nur Menschen gewachsen, die die anthropologische Leitidee des liberalen Zeitalters, wonach der Mensch sich in freier Selbstbestimmung aus allen nicht selbst gewählten Bindungen lösen müsse, in sich überwunden hätten.239 Auch der Nationalsozialismus rechne mit selbstverantwortlich handelnden, sich zwischen verschiedenen Optionen frei entscheidenden Individuen, während Bindungslosigkeit gerade die Selbstbestimmung des Individuums verhindere. Deshalb müssten diese neuen Menschen sich zu ihren Erbanlagen als biologischem Rahmen ihres Handelns in der Volksgemeinschaft bekennen, deren Zusammenhalt auf gegenseitiger Verpflichtung und Verbundenheit ihrer Mitglieder beruhe. Der Nationalsozialismus begreife das Volk als biologische, sittliche und geistige Mitte des Lebens und lehne sowohl Individualismus als auch Universalismus scharf ab. In Verletzung der Gesetze des Lebens habe eine „entartete Menschheit“ das eigenständige „bindungslose Individuum“ an die Stelle der Persönlichkeit als der „Verkörperung der Höchstwerte eines Volkes“240 gesetzt. Die nationalsozialistische Bewegung frage nicht mehr nach Stellung, Rang und Besitz der Deutschen, sondern nach ihrer inneren Haltung, Leistungsfähig233 234 235 236 237 238 239 240

Vgl. Pütz, Wesen, S. 489 f. Buch, Erhaltung, S. 332. Vgl. Kießling, Jugendkunde, S. 69. Vgl. Hennemann, Grundzüge, S. 70. Vgl. Streerbach, Adelstum, S. 270. Vgl. Krieck, Entscheidung, S. 31 f. Zum Verhältnis Bindung – Freiheit vgl. Stellrecht, Erziehung (1943), S. 68–71. Zeitenwende. In : Der Schulungsbrief, (1943) 4, S. 51–54, hier 52.

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keit und Rassenzugehörigkeit. Die Position rassisch hochwertiger Deutscher in der Gesellschaft sollte allein durch ihre menschlichen Qualitäten bestimmt werden. Deshalb habe der Führer nicht zufällig an die Spitze seiner Forderungen die Achtung der Persönlichkeit gestellt. In der deutschen Volksgemeinschaft liege der „Wert eines Menschen ganz allein darin [...], was er ist, will und kann“.241 Der Nationalsozialismus setze auf „die in allen Fähigkeiten und Anlagen vollentwickelte [...] blutsbewusste, willensstarke und charakterfeste Persönlichkeit“,242 die alle ihre Fähigkeiten in den Dienst der rassischen Volksgemeinschaft stelle. Rasse und Person würden im Nationalsozialismus nicht gegeneinander stehen, sondern sich gegenseitig ergänzen, allerdings nur unter der Bedingung, dass die Deutschen ihre „im Unterbewusstsein schlummernden, begehrenden und häufig zerstörerischen Triebe“243 in den Griff bekämen. Der Einzelne müsse seine Interessen gegenüber denen der Gemeinschaft zurückstellen. Das aber könne nicht durch Gesetze erzwungen werden, sondern müsse zur selbstverständlichen „Verpflichtung gegenüber dem Volk als Erbanlagengemeinschaft“244 werden. Als Weltanschauung des kämpferischen Menschen fordere der Nationalsozialismus „Einfachheit, Schlichtheit und Ganzheit in der Lebensführung“.245 Der völkische Staat war als Citoyen - Staat konzipiert, in dem alles dem Interesse des revolutionären Gemeinwesens untergeordnet war. Hier zähle der Einzelne nur in seiner Funktion für das Gemeinwesen, wodurch sich der traditionelle Gegensatz zwischen persönlichen Rechten und den Forderungen der Gemeinschaft auflösen werde. Durch die freiwillige Unterordnung seiner Interessen unter den völkischen Gesamtwillen sollte sein Leben in einer ausgewogenen Balance der bewahrenden Kräfte mit dem Neuen einen höheren Sinn bekommen. Wesentlich an einer ethischen Handlung sei „die selbstlose Preisgabe [...] des eigenen Wohls“.246 Es gehe darum, von einem übersteigerten Individualismus fortzuschreiten zu „opferbereiter Einfügung in das Ganze“.247 Die Gemeinschaft habe das Recht, dem Individuum, das doch nur in der Gemeinschaft zu seiner höchsten Bestimmung finden könne, Schranken zu setzen.248 In der völkischen Gemeinschaft sollte sich ein instinktgeleitetes rassenbewusstes Verhalten herausbilden.249 Für die Angehörigen der völkischen Gemein241 Was ist Sozialismus. In : SS - Leithefte ( BArch, NS 31/42, S. 268). 242 Handblätter für den weltanschaulichen Unterricht, Berlin o. J. Hg. : Der Reichsführer SS, Thema 1 : Allein die nationalsozialistische Weltanschauung sichert uns ein artgemäßes Leben, S. 4. 243 Vergewaltigung der Wissenschaft ? In : Das Schwarze Korps vom 23. 2.1939. 244 Stengel - von Rutkowski, Allmacht, S. 166. 245 Handblätter für den weltanschaulichen Unterricht, Berlin o. J. Hg. : Der Reichsführer SS, Thema 1 : Allein die nationalsozialistische Weltanschauung sichert uns ein artgemäßes Leben, S. 5. 246 Weidauer, Wahrung, S. 93. 247 Hartnacke, Anlage. 248 Vgl. Mündler, Freiheit. 249 Vgl. von Borch, Probleme, S. 239.

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Die nationalsozialistische Moral

schaft sei es selbstverständlich, ihr Triebleben nach rassenbiologischen Gesichtspunkten zu organisieren.250 Die nationalsozialistische Ethik zwinge den Egoismus des Einzelnen unter die Idee der Gemeinschaft.251 Im Grunde sei der Nationalsozialismus eine moralische Haltung, aus der heraus Menschen „aus Selbstdisziplin, Neigung und Überzeugung“252 ihr Verhalten an den Interessen der Volksgemeinschaft ausrichten würden. Ihre innere Konditionierung durch die Ausbildung eines Rassengewissens lasse sie unabhängig und frei von äußerem Zwang in Übereinstimmung mit ihrem Wesen handeln. Nicht Furcht vor Strafe oder Aussicht auf Belohnung, sondern das moralische Prinzip „freier Gebundenheit“ im Dienst der Gemeinschaft bestimme ihr Verhalten : Sie handeln, wie sie handeln sollen – in Übereinstimmung mit ihren Trieben, und dennoch nicht aus Eigennutz, sondern im Interesse des Gemeinwesens. Einer am Individuum orientierten egoistischen Moral fehle dagegen der Sinn für das übergeordnete Interesse des Gemeinwesens, weshalb sie durch einen „rassenhygienischen Altruismus“253 ( Fritz Lenz ) abgelöst werden müsse. An die Stelle fortgesetzter Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Interessengruppen trete die natürliche Harmonie der Volksgenossen. In Anknüpfung an Tönnies’ Unterscheidung von Gemeinschaft und Gesellschaft wurde die nationalsozialistische Volksgemeinschaft als Wertegemeinschaft des Blutes bestimmt. In ihr sei das Volk als Inbegriff eines organischen Ganzen „nicht Kampfplatz für soziale Spannungen und Auseinandersetzungen“, sondern „naturgeborene Blutsgemeinschaft“ und geistige „Wesens - und Wertgemeinschaft“.254 Als eine geschlossene Gemeinschaft geregelter Zugehörigkeit wache die rassische Blutgemeinschaft über die Reinheit des Blutes, indem sie den Zustrom fremden Blutes abwehre. Deutsche und Juden seien bluts - und artfremd und könnten deshalb keine Gemeinschaft bilden. Erst in der arteigenen Gemeinschaft finde der Einzelne den ihm angemessenen Platz.255 Der Einzelmensch könne nicht tun und lassen, was er will, sondern müsse sich einordnen in Rasse und Volk. Ihre Prägung durch die rassenbiologische Lebensführung und Weltanschauung sei der gemeinsame „völkische Lebensgrund“256 der Deutschen. Rassenpolitik diene der Erhaltung und Verbesserung der biologischen Substanz des deutschen Volkes. Sie sei erst dann erfolgreich, wenn die Deutschen sich für eine artgemäße persönliche Lebensführung entschieden.257 Bindungslosigkeit und hemmungslose Freizügigkeit würden jede Gesellschaft ins Chaos führen. Die nationalsozialistische Volksgemeinschaft werde nicht von Nächstenliebe oder Mitleid bestimmt, sondern von der gemeinsamen Verpflich250 251 252 253 254 255 256 257

Vgl. Harten, Gemeinschaft, S. 65 f. Vgl. Kühn, Schafft anständige Kerle, S. 88. Ebd., S. 62. Vgl. Becker, Geschichte, S. 144. Günther, Philosophie, S. 239. Vgl. Hoff, Gedanke, S. 214. Krieck, Volkscharakter, S. 15. Vgl. Günther Hecht : Deutsche Fremdvolkpolitik. In : Kopp ( Hg.), Rassenpolitik, S. 51– 64, hier 61.

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Das Ethos des Dienstes an der Gemeinschaft

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tung der Deutschen auf die Durchsetzung der Rassenpolitik. „Das Recht der persönlichen Freiheit müsse gegenüber der Pflicht der Erhaltung der Rasse zurück treten.“258 Niemand dürfe sich mehr „biologisch als unabhängiges Einzelindividuum fühlen [...], das nur sich selber in seinem Handeln verantwortlich ist“.259 Vielmehr müsse jeder Einzelne biologisch die Verantwortung für den Fortgang der Generationenkette in Übereinstimmung mit den rassischen Naturgesetzen übernehmen, um dadurch „den biologischen Bestand seines Volkes“260 zu sichern. Auf diese Weise würden Rasse und Blut als „Träger des Volkstums und Schöpfer aller Kultur“261 wieder zur Geltung kommen. Wer sich von der Gemeinschaft absondere, sei „überflüssig, wertlos und schlecht“.262 Dabei zähle nicht, ob der Abgesonderte ( oder auch der Ausgesonderte ) ein guter Mensch sei. Gemeinschaft sei als Bund gemeinsamen Willens und Blutes, einer Sprache und eines Glaubens das Ergebnis aristokratischer Auslese.263 Diese Auslese bestehe nur, wer für die Gemeinschaft Entbehrungen auf sich nehme und auf persönliche Vorteile verzichte. Völkische Sittlichkeit setze in verantwortlicher Lebensführung die Lebensehre an die Stelle formaler Ehre.264 Es gehe darum, Materialismus und Selbstsucht durch eine neue Welt - und Lebensauffassung zu überwinden, um die natürliche, gesunde Entwicklung des deutschen Volkes aus Willensfreiheit und Selbstverantwortung zu ermöglichen.265 Übertriebener Individualismus und verantwortungsloser Kapitalismus würden sich gegenseitig ergänzen. Ihrer einseitig zweckgerichteten Auffassung des Lebens entspreche die schrankenlose Profitgier des verantwortungs - , bindungsund wurzellosen Individuums.266 Von der liberalistischen Ideologie geprägte Menschen lehnten die unbedingte Verpflichtung auf absolute Werte als Einschränkung ihrer individuellen Freiheit ab. Jede normative Verpflichtung betrachteten sie als Fessel, der man sich entledigen müsse. Dagegen sei für die nationalsozialistische Ethik der moralisch verantwortliche „Einzelmensch [...] das Maß seiner eigenen Normativität“.267 Nur wenn er der Verpflichtung auf seine rassenbiologische Bestimmung als Teil der Volksgemeinschaft nachkomme, sei der Einzelne lebensfähig. Eine Persönlichkeit erkenne man daran, dass sie sich aus freier Entscheidung uneingeschränkt in den Dienst der Gemeinschaft stelle, der sie in unbedingter Gefolgschaft verpflichtet sei.268 Während die Vernachlässigung der biologischen Bindungen der Menschen das einzelne Individuum unvermittelt der abstrakten Menschheit gegenüber258 259 260 261 262 263 264 265 266

Hitler, Kampf, S. 279. Loeffler, Krise, S. 36. Kranz, Gemeinschaftsunfähigkeit, S. 235. Haase, Nationalsozialismus, S. 342. Eggers, Leben, S. 31. Vgl. ebd., S. 53 f. und 58. Vgl. Stengel - von Rutkowski, Allmacht, S. 152 f. Vgl. Schulze, Sittengesetz, S. 5. Vgl. Handblätter für den weltanschaulichen Unterricht, Berlin o. J. Hg. : Der Reichsführer SS, Thema 18 : Der Jude zerstört jede völkische Lebensordnung, S. 2. 267 Müller, Ganzheitsbiologie, S. 28. 268 Vgl. Treue. In : SS - Leitheft, 6 (1940) 10b, S. 1–3, hier 1.

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stelle, gelinge dem Rassendenken die schlüssige Synthese von Persönlichkeit und Gemeinschaft, Führerprinzip und Gefolgschaft, wodurch der Mensch wieder in seiner natürlichen Bestimmung „aus dem Anlagebestand seines rassenbestimmten Volkes“269 gesehen werde. Die Besinnung auf ihre Erbanlagen ermögliche es den Menschen, sich ihrer Abhängigkeit von Kräften, die ihrem direkten Eingriff entzogen seien, wieder stärker bewusst zu werden. Zwar werde das Individuum als „vorübergehender Träger erblicher Anlagen, die vor ihm waren und nach ihm sein werden“, nicht mehr „als Sinn und Maßstab des Lebens oder auch nur der Zeit“270 empfunden. Dennoch gewinne Individualität in dieser Bestimmung als einmalige und einzigartige Verwirklichung möglicher Anlagenkombinationen an Wert. Das Schwergewicht menschlichen und völkischen Lebens liege jedoch „nicht in den vergänglichen Einzelnen, sondern in den unvergänglichen Anlagen“.271 Unter Verweis auf Bestimmungsgrößen ihres Lebens, auf die sie selbst keinen Einfluss hätten, entwickelten liberalistisch geprägte Menschen häufig eine fatalistische Lebenshaltung. Ihre Behauptung, Menschen seien unfähig, eigenständig Entscheidungen zu treffen und Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen, zeige jedoch vor allem ihre eigene Unwilligkeit und Unfähigkeit zu verantwortlicher Lebensführung, die sie zu ihrer Entlastung als Wesensmerkmal des Menschen verallgemeinerten. Ausschließlich mit sich und der Befriedigung ihrer Bedürfnisse beschäftigt, seien sie indifferent gegenüber den Interessen der Volksgemeinschaft. Die Annahme absoluter Werte und Tugenden relativiere das Konzept der Willensfreiheit : Der Umfang, in dem die Freiheit des Willens zum Tragen kommen könne, sei durch die Erbanlagen vorausbestimmt, gegen die im Namen absoluter Willensfreiheit rebellieren zu wollen, ohne Aussicht auf Erfolg sei. Die nordische Auffassung vom Schicksal habe nichts gemein mit „willenloser Freiheit und ohnmächtigem Fatalismus“.272 Vielmehr gehe es darum, durch die bewusste Annahme des eigenen rassenbiologisch bestimmten Schicksals sein Leben im Rahmen dieser gesetzten Bedingungen frei zu gestalten. Wer sich in freier Wahl und Verantwortung zu seinem Schicksal bekenne, dessen Wesen werde an Bedeutung und Tiefe gewinnen. Bewusst bejahtes Schicksal wirke kraftsteigernd, Feigheit gegenüber dem eigenen Schicksal dagegen führe „zum Fatalismus, zur stumpfen und teilnahmslosen Hinnahme des Verhängten und damit zur Selbstaufgabe“.273 Gerade Deutsche aber seien nicht dafür geschaffen, ein Geschehen blind und ergeben hinzunehmen und sich mit dem abzufinden, was die Vorsehung für sie beschlossen habe. Die ihnen angeborene Freiheit des Willens gebe ihnen die Freiheit zur Entscheidung ihres Schicksals. An die funktionale Stelle absoluter Werte habe der bürgerliche Liberalismus „die Bestimmtheit durch Umwelt, Erziehung, Vererbung“274 gesetzt und als 269 270 271 272 273 274

Gross, Rassengedanke der Gegenwart, S. 520. Ebd. Ebd., S. 521 f. Vgl. Usadel, Zucht sowie Arteigene Sittlichkeit. In : Das Schwarze Korps vom 6. 5.1937. Schicksal und Vorsehung. In : Das Schwarze Korps vom 5.10.1944. Wolfram, Krise, S. 405.

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Das Ethos des Dienstes an der Gemeinschaft

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Rechtfertigung egoistischer Lebensführung benutzt. Die liberalistische Indifferenz gegenüber Wertunterschieden der Rassen gehe davon aus, dass in jedem Menschen die Fähigkeiten und Möglichkeiten zu einem guten Leben gleich verteilt seien. Aus dieser Sicht würden Umwelt, Bildung und Erziehung allein über den Wert eines Menschen entscheiden. Gegen diese Überschätzung äußerer Einflüsse für die Prägung des Menschen bestand die nationalsozialistische Rassenideologie darauf, dass ihre rassische Natur von der Umwelt nicht tangiert werde.275 Auch wenn äußere Bedingungen keinen prägenden Einfluss auf die Lebenstüchtigkeit eines Menschen hätten, entschieden sie doch darüber, auf welche Weise und in welcher Radikalität die Lebenstüchtigen sich gegen Lebensschwache durchsetzten. Persönlichkeit und Charakter eines Menschen könne man durch Erziehung nur bedingt beeinflussen. Schließlich komme der Mensch nicht als ein unbeschriebenes Blatt auf die Welt, das nun seinem Milieu entsprechend erst beschrieben werde. Als Produkt einer durch ihr Erbgut bestimmten Generationenfolge müssten die Angehörigen der nordischen Rasse dennoch durch ihre Taten erst beweisen, was sie persönlich wert seien und was in ihnen stecke.276 Insbesondere bei erblich stark bestimmten Menschen spiele die Umwelt eine relativ geringe Rolle. Der Gutrassige tue seine Pflicht aus Prinzip, nicht im Blick auf Gott, eine Behörde oder Vorgesetzte. „Für ihn gilt das Wort : Deutsch sein, heißt eine Sache um ihrer selbst willen tun. Er fühlt : Um der Ordnung willen muss ich so handeln. Das ist der kategorische Imperativ Kants.“277 Der erblich weniger Bestimmte dagegen werde „vom guten Beispiel zum Guten gelenkt, und er lässt sich vom schlechten Beispiel seine guten Sitten verderben. [...] Er fügt sich in die straffe Ordnung einer sicheren Führung, er verliert jedes Maß, wenn er selbst führen muss.“278 Die rassenbiologische Bestimmung hoch - und minderwertigen Lebens wird hier ergänzt durch die Differenzierung mehr oder weniger starker erblicher Bestimmung, die jedoch nur für rassisch hochwertige Menschen galt. Unterschieden werden Gutrassige, die unbeirrt durch äußere Einflüsse dem kategorischen Imperativ prinzipiengeleiteten Pflichthandelns folgen würden, und Menschen, die trotz Zugehörigkeit zur höheren Rasse Spielball der Einflüsse ihrer jeweiligen Umwelt seien. Während für rassisch hochwertige Menschen mit persönlichen Führungsqualitäten unbedingte Pflichterfüllung selbstverständlich sei, müssten erblich weniger Bestimmte durch straffe Führung zu artgemäßem Verhalten gezwungen werden. Ihr Leben sei in hohem Maße davon abhängig, durch welche Beispiele moralischen oder unmoralischen Handelns sie zur Nachahmung animiert würden. Das Leben des Menschen sei nur denkbar in der Gemeinschaft, in der allein es Wert habe.279 Wer sich aus der Gemeinschaft löse, um das Leben frei von 275 276 277 278 279

Vgl. Gross, Rassegedanke des Nationalsozialismus, S. 15. Vgl. Heiraten – aber wen ? In : Das Schwarze Korps vom 18. 5.1944, S. 4. Stengel - von Rutkowski, Allmacht, S. 146. Ebd. Vgl. Schulze, Sittengesetz, S. 19.

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Die nationalsozialistische Moral

allen einschränkenden Verpflichtungen zu genießen, verrate mit der Gemeinschaft das Leben selbst. Gegen einen solchen individualistischen „Widersinn, der das Leben schmähe, das er selber genießen möchte“, setze sich jedoch „immer wieder der Egoismus des Lebens, die Urkraft allen Seins“,280 durch. Dieser einzig akzeptable Egoismus der Natur nehme den Egoismus des Individuums in den Dienst der völkischen Gemeinschaft. Die symbolische Verklammerung von Staat, Volk und Individuum erklärte Pflichten gegenüber dem Staat zu Pflichten der Menschen gegen sich selbst. Durch die Ausbildung eines zu völkischer Pflichterfüllung mahnenden Gewissens sollten die Deutschen den Staat zum Staat in ihnen selbst verinnerlichen.281 Diese bereits von Hegel in den politikwissenschaftlichen Diskurs eingeführte geschichtsphilosophische Denkfigur des inneren Staates hatte Arnold Gehlen in seiner Leipziger philosophischen Antrittsvorlesung von 1935 zum Verhältnis von Staat und Philosophie wieder aufgenommen. Von der Realpolitik als der von ideellen Wahrheiten und geistigen Bedeutungen freien profanen Wirklichkeit des Politischen unterschied Gehlen eine „eigentliche, wesentliche Sphäre des Politischen“,282 die insbesondere durch Volk und Rasse verkörpert sei. Das Politische bestimmte er als die zweite Natur des Menschen, aus der dieser „lebt, handelt, will und genießt“.283 Im Willen zur Selbstformierung werde die politische Ordnung als „vorentscheidende Gewalt für den engen Spielraum“284 seiner Entscheidungen verinnerlicht : In den Ordnungen des Politischen finde der Mensch seine Bestimmung. Den Staat erklärt Gehlen zum „alter ego“ des Menschen, das ihm nicht nur als institutionelle Realität des Politischen gegenüber stehe, sondern das er selbst sei und zu dem er sich deshalb angemessen nur praktisch verhalten könne, indem er es „auf sich nehme“. Der Staat als formierte Wirklichkeit konstituiere sich erst dadurch, dass sich Menschen ohne Vorbehalt und Distanz auf ihn einließen. Der auf diese Weise politisch formierte Mensch bleibt in einer Art Dauermobilisierung mit diesem Staat als dem Anderen seiner Selbst verbunden.285

280 281 282 283 284 285

Dem Leben verschworen. In : Das Schwarze Korps vom 20. 5.1943. Vgl. Rücksicht am falschen Platz. In : Das Schwarze Korps vom 2. 9.1943. Gehlen, Staat, S. 12. Ebd., S. 15. Ebd., S. 17. Vgl. ebd., S. 19.

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III. Rasse und Moral 1.

Nationalsozialistische Ideologie und Rassenmoral

In der symbiotischen Verbindung mit Antisemitismus und völkischem Nationalismus war die Rassenideologie zweifellos das Kernstück nationalsozialistischer Weltanschauung.1 Dabei gelang es ihr trotz der Zuarbeit von Geistes- und Humanwissenschaftlern, und hier insbesondere von Philosophen, Humanmedizinern und - biologen, nicht, einen verbindlichen und konsistenten Rassenbegriff zu entwickeln.2 Der Begriff der Rasse blieb inhaltlich umstritten und unscharf und war eben deshalb von strategischer Bedeutung für die nationalsozialistische Weltanschauung und Ideologie. Die Integration von Rassenbegriff und rassenbiologischem Denken in die inhaltlichen Debatten der human - und geisteswissenschaftlichen Disziplinen leistete mehr für die Etablierung des Rassendenkens als es seine politisch verordnete Akzeptanz oder begrifflich - inhaltliche Festlegung vermocht hätte. Das ethische Bedeutungsfeld des nationalsozialistischen Rassekonzeptes reichte von seiner Verwendung als ideologischer Kampfkategorie bis zu seiner disziplinspezifischen Bestimmung als Kategorie der Sozial - und Geisteswissenschaften, die aufgefordert waren, Elemente der nationalsozialistischen Weltanschauung in den Kanon ihrer Disziplinen aufzunehmen.3 Dabei blieb es ihnen jedoch überlassen, ob sie beispielsweise Rasse biologisch, kulturell, anthropologisch, geschichtlich oder philosophisch definierten. Ihre Selbstgleichschaltung erübrigte politische Eingriffe und wertete das Rassendenken zum anerkannten zeitgenössischen Paradigma der Sozial - und Geisteswissenschaften auf. Auf diese Weise wurden nicht nur intellektuelle Energien ideologisch gebunden, sondern auch umgekehrt ideologische Versatzstücke wie Rasse, Blut, Volk, Nation und deutsche Eigenart in den akademischen Diskurs eingebaut. Alles andere konnte der internen Dynamik der Disziplinen überlassen werden. So überboten sich methodisch disziplinierte und fachlich kompetente Akademiker der Humanund Sozialwissenschaften gegenseitig in ihrem Eifer, das Rassendenken in den methodischen Kanon ihrer Disziplinen zu integrieren. Anstatt zu nichts verpflichtende politische Bekenntnisse abzugeben, bemühten viele ihren disziplinären Sachverstand, um pseudowissenschaftliche Begründungen des analytischen Potentials der Rassentheorie zu entwickeln. Die historisch - kulturellen, humanwissenschaftlich - medizinischen oder sonstigen Begründungen der qualitativen Differenzierung von Menschen nach ihrer rassischen Zugehörigkeit folgte einer zumeist von den Disziplinen selbst initiierten rassenbiologischen Umstrukturierung der diskursiven Landschaften : Die disziplinspezifische Auseinandersetzung mit dem Rassenkonzept wurde zum 1 2 3

Vgl. Mosse, Geschichte. Vgl. dazu Schmitz - Berning, Vokabular, S. 488–490. Vgl. Steinweis, Jew, S. 92–123.

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selbstverständlichen Bestandteil des akademischen Lebens und der schulischen wie universitären Ausbildung. Entsprechende Lehrstühle und Studiengänge wurden eingerichtet. Es wurde umfangreich zum Thema publiziert und vorgetragen.4 Eine subtile rassenwissenschaftliche Begrifflichkeit vermittelte den Eindruck einer innovativen, lebendigen, keineswegs von außen aufgezwungenen, sondern originär aus den internen Entwicklungen der Disziplinen selbst hervorgegangenen Debattenkultur. Die disziplinäre Auffächerung der Rassenwissenschaften, u. a. von Rassenkulturkunde, Erbgesundheitslehre, Erbcharakterkunde, Rassenseelenkunde5, Kulturbiologie6 und Psycho - Anthropologie7, sollte die Bedeutung der Rasse im Leben der Individuen und Völker in all ihren Facetten erschließen. Es gab in faktisch allen Disziplinen ambitionierte Wissenschaftler, denen mit der engagierten ideologischen Selbstgleichschaltung der Nachweis zeitgemäßer Flexibilität und Existenzberechtigung ihrer jeweiligen Disziplinen im nationalsozialistischen Deutschland gelang und die sich damit zugleich für wissenschaftspolitische Führungspositionen empfahlen.8 Der nationalsozialistischen Ethik liege der „Glauben an den Wert des Blutes und des Lebens“9 zugrunde. In der ethischen Situation helfe reflektierende Beschaulichkeit nicht weiter. Schließlich seien ethische Entscheidungen nicht das Ergebnis theoretischen Beurteilens und Abwägens, sondern Ausdruck einer Haltung und eines bestimmten Lebensgefühls.10 Deshalb könne die neue Moral weder eine Paragraphenethik noch eine Gesetzesethik sein. Als Lebensethik ziele sie auf die Steigerung des Lebens. Ihr Ethos der Lebensführung im Dienst von Volk, Blut und Rasse könne von jedem Deutschen auf sein Leben übertragen werden.11 Es sei geprägt von unbedingter Einsatzbereitschaft für die Volksgemeinschaft sowie Härte ohne Sentimentalität für „Gemeinschaftsschädlinge“.12 Ludwig Ferdinand Clauß’ rassenseelenkundlicher Streifzug, in dem er, reichlich bebildert, den germanischen Menschen vorstellte, eröffnete die 1934 erstmals erschienene Zeitschrift Rasse, die mit ihrem Schwerpunkt auf den „Bindungen zwischen Rasse, Volkstum und Gesittung“13 eine Lücke auf dem Fragen der Rasse gewidmeten Zeitschriftenmarkt schließen sollte und dabei auch Fragen völkischer Moral zu behandeln versprach. Die Zeitschrift informierte in „Mitteilungen zur Rassenpflege und Bevölkerungspolitik“ regelmäßig über solche The4 Zur philosophischen Kommentierung der nationalsozialistischen Rassenideologie und - politik vgl. Tilitzki, Universitätsphilosophie, S. 1041–1074. 5 Bruch, Rassenseelenkunde. 6 Scheidt, Kulturbiologie. 7 Clauß, Rassenseele, S. 6 f. 8 Zur Philosophie im Nationalsozialismus vgl. Haug ( Hg.), Philosophen und Laugstien, Philosophieverhältnisse. 9 Bist Du Nationalsozialist ? In : Das Schwarze Korps vom 18.1.1945. 10 Vgl. Knuth, Ethos, S. 24. 11 Vgl. Bist Du Nationalsozialist ? In : Das Schwarze Korps vom 18.1.1945. 12 Knuth, Ethos, S. 18. 13 Aus dem Geleitwort der Herausgeber zum Erscheinen des ersten Hefts der Zeitschrift im Jahre 1934.

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men wie Ehetauglichkeit, die Strafbarkeit von Rassenschande sowohl für ausländische wie für deutsche Juden im Ausland, statistische Entwicklungen im Blick auf Eheschließungen, Geburten, Schwangerschaftsunterbrechungen oder auch die Zahl unverheirateter Schwangerer u. ä. Vor allem aber versprach sie, zur Klärung der Frage beizutragen, welche moralphilosophisch - ethischen Akzente mit dem Konzept der Rasse als bestimmendem Element der Volksgemeinschaft gesetzt werden sollten. Was also war das Besondere einer rassenbiologischen völkischen Moral ? Lag der Schwerpunkt nationalsozialistischer Ethik auf der Einschränkung des universellen Geltungsanspruchs von Moral auf die als höherwertig behauptete nordisch - arische Rasse ? Handelte es sich dabei um eine neue Moral oder bewegte sie sich, trotz neuer rassenbiologischer Akzente, konzeptionell noch innerhalb der Tradition ethischen Denkens? Peter J. Haas’ Buch „Morality after Auschwitz“ hat in der englischsprachigen Holocaustforschung eine Debatte über die Annahme einer eigenständigen nationalsozialistischen Moral ausgelöst, in der es u. a. um Bedingungen der Plausibilität von Moral und Kriterien der Vergleichbarkeit unterschiedlicher moralischer Systeme ging.14 Neben der Frage, warum die Nazis die Juden verfolgt und umgebracht hätten, müsse die mindestens genau so wichtige Frage beantwortet werden, warum sie den Holocaust nicht als moralisch verwerflich erkannten. Die dichotomische Weltsicht der nationalsozialistischen Weltanschauung operierte mit der komplementären Opposition von Gut und Böse und deren Anschlussdualismen.15 Im wissenschaftlichen Zeitalter sei es vor allem ihre mögliche naturwissenschaftliche Begründung, die einer Ethik Plausibilität verschaffe und Zustimmung sichere. Autoren wie Walter Gross, die gegen eine bürgerlichchristliche Moral eine biologische Rassenmoral durchsetzen wollten, haben tatsächlich immer wieder betont, dass sich eine solche Moral in Übereinstimmung mit den Natur - und Lebensgesetzen und damit auch dem Willen Gottes und dem Gedanken der Schöpfung befinde, also in Übereinstimmung mit etablierten wissenschaftlichen und religiösen Autoritäten. Unter einer Ethik versteht Haas ein in sich stimmiges System von Überzeugungen, Werten und Ideen, das einen Maßstab dafür bereitstellt, Handlungen eindeutig als moralisch oder unmoralisch zu bestimmen. Während eine Ethik die systematische Begründung moralischer Werte leiste, bezeichne eine Moral diejenigen Werte, die zum Bestand einer solchen Ethik gehörten. Eine Ethik müsse bestimmten formalen Kriterien genügen und Standards bereit stellen, die es erlaubten, konkrete Ziele als gut oder schlecht und entsprechende Handlungen als richtig oder falsch, angemessen oder unangemessen zu beschreiben. Formale Eigenschaften seien für ihren Erfolg wichtiger, als ihre besonderen Inhalte. Ethische Theorien ließen sich u. a. danach unterscheiden, ob sie nach dem Universalisierungsgrundsatz einen allgemeinen Geltungsanspruch des von ihnen 14

Zur Debatte u. a. Fellman, Moral Complexity; Roth, Ethics und Garrard, Scarre ( Hg.), Moral Philosophy. 15 Vgl. Haas, Morality, S. 38.

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nach rationalen Kriterien begründeten Wertesystems behaupteten oder ob für sie der kulturelle Kontext der Entstehung und Geltung moralischer Urteile und Wertungen über ihre Plausibilität entschied. Dabei seien die von einer Wertegemeinschaft geteilten kulturellen Denkweisen, also die Anschlussfähigkeit eines neuen Wertesystems an bereits etablierte Weltsichten, entscheidend für deren Durchsetzung. Menschen seien dann bereit, ein ethisches System zu übernehmen, wenn es kohärent und widerspruchsfrei mit ihrer eigenen Weltsicht übereinstimme. Aus seiner Sicht bestimmten grundlegende vorsprachliche Überzeugungen und binäre Gedankenfiguren die ethische Wahrnehmung und moralische Wertung lebensweltlicher Erscheinungen. Haas stellte das System der internen ethischen Begründungen und Rechtfertigungen moralisch legitimen Handelns in den Mittelpunkt, das darüber entscheidet, welches Handeln als moralisch geboten und welches als moralisch bedenklich oder unmoralisch gelten soll. Seine Akzentuierung des internen Geltungssystems von Moral zielte auf die Frage der persönlichen Verantwortung nationalsozialistischer Täter in einem für sie stimmigen, gesetzlich sanktionierten ethischen System. Deren Überzeugung, ihr Handeln sei moralisch gerechtfertigt, gründete sich auf ihrer Zugehörigkeit zur rassischen Volksgemeinschaft, die sich gegenüber anderen Gemeinschaften durch ihre exklusive Binnenmoral definierte und abgrenzte. Wird moralisch als Handeln in Übereinstimmung mit einem internen Geltungssystem definiert, so gelten im Umkehrschluss Menschen und Handlungen außerhalb des Geltungsbereichs dieses Systems interner Regeln als unmoralisch. Mit der Annahme einer ausschließlich internen Begründung von Moral, die über die Überzeugungskraft ethischer Systeme entscheidet, ist es nicht mehr möglich, bestimmte Handlungen oder Urteile von Menschen als moralisch oder unmoralisch von einem Standpunkt außerhalb ihres Wertesystems zu qualifizieren. Das jeweils als moralisch oder unmoralisch qualifizierte Verhalten kann nicht mehr von einem kulturell übergreifenden Standpunkt aus beurteilt werden. Ethische Wertesysteme und Haltungen lassen sich dann nicht mehr nach rationalen Kriterien miteinander vergleichen. Eine universalistische Moral als eine für alle Menschen verbindliche gegenseitige Verpflichtung auf gemeinsame Werte und Menschenrechte würde damit gegenstandslos. Mit der Akzeptanz der nationalsozialistischen Rassenethik als kulturell stimmigem Wertesystem der Deutschen ließen sich nationalsozialistische Verbrechen weder in ihrem eigenen Referenzrahmen noch auf der Grundlage einer anderen Ethik als unmoralisch kritisieren. Angewandt auf den Nationalsozialismus führt die Annahme eines internen Geltungsparadigmas von Moral zu dem Schluss, dass nicht die Täter für den Holocaust verantwortlich sind, sondern das für ihre moralischen Haltungen verbindliche ethische Universum, dem sie angehören. Welches Handeln sie als moralisch unbedenklich oder geboten ansehen und welches sie als moralisch verwerflich oder unmoralisch ablehnen, ist dann ausschließlich abhängig von den in ihrer Wertegemeinschaft geltenden Normen und als moralisch legitim ausgezeichneten Praktiken. Gegen Haas’ Akzeptanz des internen Geltungssystems auch der nationalsozialistischen Ethik wurde ein-

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gewandt, dass es sich bei ihr tatsächlich um eine Weltanschauung gehandelt habe, die politisch durchgesetzt werden sollte.16 Als Schnittstelle nationalsozialistischer Ideologie und Herrschaftspraxis kam der Rassentheorie eine Schlüsselrolle für die Begründung einer neuen Moral zur Rechtfertigung der Vernichtung rassisch minderwertigen Lebens zu. Dabei wurden Rassen als vorgeschichtliche Erbströme verstanden, die in Völkern als Wertungs - und Blutsgemeinschaften historisch Gestalt annahmen.17 Als Synonym für unveränderliches Erbmaterial und die schicksalhafte Bestimmung des Lebens entsprechend der unabänderlichen Zugehörigkeit jedes Menschen zu einer bestimmten Rasse bezeichne sie „eine letzte, nicht mehr ableitbare Tatsache des Lebens“.18 Der „anthropologische Rassebegriff“ definierte Rasse als „eine Menschengruppe [...], die sich durch den gemeinsamen Besitz erblicher Anlagen körperlicher wie geistig - seelischer Art von anderen Menschengruppen unterscheidet“.19 Aber auch das Gegenteil wurde behauptet : Rasse sei „nicht einfach ein wissenschaftlicher Ordnungsbegriff, [...] sondern eine Idee, ein Urbild überpersönlicher Formkräfte von wahrhaftem Wirklichkeitsgehalt“.20 Ihr kulturschöpferisches Potential ziele auf die völkische Gemeinschaft.21 Die Spannbreite der Versuche zur Entwicklung einer wissenschaftlichen Methodologie des Rassendenkens reichte von der einfachen Zusammenfassung biologisch - physischer und geistig - seelischer Besonderheiten und Auffälligkeiten in äußerer Erscheinung und Verhalten zur Kennzeichnung einer bestimmen Rasse bis zum Verständnis des Rassenbegriffs als einer idealtypischen Kategorie, nach deren Vorbild eine nach rassischen Kriterien strukturierte wahre Wirklichkeit geschaffen werden sollte. Rasse sei Körperliches und Seelisches, Biologisches und Psychologisches in der symbiotischen Verschränkung von Blut und Geist bzw. von Biologie und Kultur. Während sich im Blut die Bestimmung des Einzelnen durch die Gemeinschaft zeige, der er angehöre, hebe der Geistbegriff die Bestimmung der Gemeinschaft durch das Individuum hervor.22 „Blut und Geist können nicht ohne einander sein.“23 Zunächst lege die Rassenzugehörigkeit die Lebensbedingungen der Menschen quasi schicksalhaft fest. Rasse sei „die entscheidende und gestaltende Macht im Leben der Völker“.24 Rassen entwickelten sich entsprechend der Vererbungsgesetze durch Auslese und Ausmerze. Ein Volk sei eine „erb - und umweltbedingte Schicksalsgemeinschaft bestimmter rassischer Prägung“,25 eine „lebendige Wesens - , Pflicht - und Schicksals16 17 18 19 20 21 22 23 24 25

Vgl. dazu Fackenheim, Nazi Ethic. Vgl. Lechler, Schau, S. 323 f. v. Hoff, Grundgesetz, S. 143. Gross, Lösung, S. 4, eine nahezu identische Formulierung findet sich bei Hesch, Rasse, S. 397. Unterhorst, Kant, S. 293. Vgl. Hoff, Gedanke, S. 223 Grunsky, Seele, S. 74. Ebd., S. 77. Rassenpolitik, S. 10. Ebd., S. 25.

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gemeinschaft artgleicher Menschen“.26 Entsprechend sei das deutsche Volk „eine Gemeinschaft von Menschen gleicher Sprache und gleicher Kultur, gefestigt durch Bande des Blutes, durch gemeinsame Ziele und Aufgaben“.27 Die Sprache allein entscheide noch nicht über die Zugehörigkeit zu einem Volk. „Die Rasse [...] liegt nicht in der Sprache, sondern ausschließlich im Blute“.28 So sei ein Jude, der Deutsch als Muttersprache spreche, deshalb noch lange kein Deutscher.29 Rasse sei keineswegs etwas Zufälliges, sondern Verpflichtung, Forderung und Schicksal.30 Sie bezeichne keine vererbbaren Eigenschaften wie Tatkraft, Heldenmut, Wahrhaftigkeit oder deren Gegenteil, sondern eine erbgenetische Disposition zu ihrer rassentypischen Ausbildung. Jede Rasse entwickle spezifische Lebensformen sowie seelische und körperliche Ausdrucksformen. So sei der nordische Mensch ein Leistungsmensch.31 Das Gestaltgesetz der Rasse sei ein „Ursprüngliches, die Gegensätze selbst erst aus sich Heraussetzendes“.32 In ihm als der Urform menschlichen Daseins liege das Geheimnis des Lebens.33 Aus der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse entspringe „ein Glauben, eine typische Haltung zu Welt und Mensch, eine Sinnrichtung des Lebens, eine Weise des Erkennens und der Gestaltung der Lebenswirklichkeit : eine Weltanschauung“34 und mit ihr das Bewusstsein einer Sendung. Der Rassenbegriff bezeichne „die Gemeinschaft von Menschen gleichen Blutes und damit gleicher Wesens - und Charakteranlagen“, deren Lebensgefühl durch den gemeinsamen „Glauben an den Wert des Blutes“35 gekennzeichnet sei. „Deutschem Blut“ wurde eine besondere Rolle in der Geschichte zugeschrieben, wie etwa im folgenden Gedicht „Passion“ zum Ausdruck kommt : „Immer stöhnen musst du, deutsches Blut, unterm Stiefel derer, die dich knechten – Immer ringen musst du Bis aufs Blut Nach den vorenthalt’nen Lebensrechten – Immer hassen wird dich dunkles Blut, weil sich Nacht und Tag nie zueinander neigen –

26 27 28 29 30 31 32 33 34 35

Meynen, Deutschland, S. 31. Tuppa, Rassenkunde, S. 8. Hitler, Kampf, S. 342. Vgl. Rassenpolitik, S. 23. Frick, Gedankengut, S. 257. Vgl. Clauß, Erlebnis. Knittermeyer, Einheit, S. 332. Vgl. Hildebrandt, Philosophie, S. 76. Krieck, Volkscharakter, S. 127 und 135. Pütz, Rasse, S. 173.

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Immer musst du siegen, deutsches Blut, weil die Schreie der Gequälten zu den Sternen steigen.“36

Das Blut wurde im Nationalsozialismus als „geistige Ursubstanz“ zum Differenzierungskriterium kultureller Distinktion. Als kulturelle Schicksalsmacht, so wurde behauptet, schreibe rassische Zugehörigkeit auch die seelische Eigenart der Menschen fest. Bei „allen Wandlungen des Schicksals des deutschen Volkes und seiner staatlichen Organisation, [...] eine Schicksalsmacht ist dem deutschen Volke und damit seinem Reich aus den unbekannten Anfängen und durch seine gesamte geschichtliche Entwicklung bestimmend mitgegeben : seine blutsmäßige Eigenart, seine Rassenseele. Hier hat es seine Kraft, von der immer neuer Antrieb ausgeht. Hier ist seine Eigenart gegenüber den anderen Völkern und ihrer geschichtlichen Entwicklung begründet.“37 „Das Blut ist ein schlummernder [...] Gott. Es will alle seine Möglichkeiten, [...] die es in sich trägt, offenbaren“.38 Diese Metaphorik setzt das Blut als säkularen Gott ein. Göttliche Attribute der Offenbarung sollen dem biopolitischen Aktivismus der Rasse die Heilsgewissheit einer Mission geben. „Mythos Deutschland und die ärztlichen Mächte“ hatte Ernst Bloch 1933 als Überschrift gewählt, um die deutschen Zustände nach der nationalsozialistischen Machtübernahme zu beschreiben. Das Volk sei aus der Sicht der nationalsozialistischen Ideologie „medizinisch eine von Blut gefüllte Einheit, ein rein organisches Stromgebiet, aus dessen Vergangenheit der Mensch“39 herkomme. Im Raster des Pathos von Vererbung, Zuchtwahl und dem „Nationalpathos aus Blut“ seien besonders die „Rassenärzte und Hygieniker“40 wichtig. Den Seinen gibts der Herr durch sein Blut : Die von ihm zur Führung erwählte nordische Rasse ist „Blut von seinem Blute“. Blut, „der ganz besondere Saft, soll die Seinen wieder gläubig machen. So tanzen sie ums Feuer. Jugend will brennen und sich verwandeln wie ihre Zeit.“41 Es ist tatsächlich im Faustschen Sinne ein ganz besonderer Saft, der hier als Maßstab rassenbiologisch - kultureller Differenzierung höheroder minderwertigen Menschseins funktioniert. Rassenunterschiede seien sowohl körperlicher als auch geistiger Natur.42 So bestimmte etwa Rosenberg die Rasse als Seele in körperlicher Form, in der äußere Erscheinung und innerer Charakter eine Einheit bilden würden.43 Um „suchenden, fragenden, irrenden Menschen Halt in der Haltlosigkeit zu geben“, müsse die Rassenkunde durch eine „Philosophie der Werte“44 ergänzt werden. 36 37 38 39 40 41 42 43 44

Rogge - Börner, Herz, S. 68. Krüger, Geschichte, S. 13. Schwarz, Reden, S. 429. Bloch, Erbschaft, S. 96. Ebd. Ebd., S. 99. Vgl. Gross, Arzt, S. 186. Zit. bei Ehrhardt, Zusammenhang, S. 161. Leese, Rasse, S. 16.

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Die Rasse sei der Resonanzboden dafür, warum Menschen bestimmten Werten den Vorzug gegenüber anderen geben würden. Sie sei verantwortlich für die Bildung eines Ethos oder einer artgerechten Wertordnung. Rasse sei sowohl Blut als auch Charakter45 – „Blut, das gestaltet, Erbgut, Kraft, Form, Verpflichtung, Haltung“.46 Eine Rasse sei durch die seelisch - geistige Haltung ihrer Angehörigen gekennzeichnet.47 Jede Rasse schaffe sich eine eigene geistige Welt, in der sie die ihr eigentümliche Art des Menschseins verwirkliche.48 Werte seien jedoch nicht einfach biologische Funktionen einer Rassenseele. Unterschieden wurde zwischen dem, was durch naturwissenschaftliche Erbgesetze generiert wurde und dem, was durch die kreative rassische Gestaltung der Lebensverhältnisse erst gesetzt werden müsse. Allein naturwissenschaftlich lasse sich die Rasse in der Vielfalt ihrer Erscheinungsformen und Sinnbezüge nicht erfassen.49 Nur auf Grund von Messungen könne nichts Wesentliches über sie ausgesagt werden. Argumentiert wurde gegen den Rassenmaterialismus, der in Vernachlässigung des Geistigen körperliche Merkmale der Rasse in den Mittelpunkt stelle.50 So hob eine Rezension von Erich Vögelins „Rasse und Staat“ hervor, dass dieser „nicht etwa das Bestehen geistig - seelischer Rassenunterschiede“ bestreite, „sondern nur deren naturwissenschaftliche Erfassungsmöglichkeit“.51 Das sehe die nationalsozialistische Rassentheorie nicht anders. Auch sie gehe davon aus, dass sich die kulturelle Bedeutung der Rasse nicht naturwissenschaftlich erfassen lasse, sondern nur durch geistes - und kulturwissenschaftliche methodische Verfahren wie der Rassenseelenforschung.52 Eine vergleichende Charakterologie der Völker und Rassen sollte deren je einzigartigen Charakter in Glauben, Weltanschauung, Wert - und Lebensordnung detailliert beschreiben.53 Ihr gehe es nicht um das allen Menschen Gemeinsame, sondern um deren unvergleichbare Einmaligkeit.54 Der rassische Grundcharakter eines Volkes zeige sich u. a. in der je spezifischen Ausprägung schöpferischer Individualität, in der es sich von jedem anderen unterscheide.55 Die Rassenhygiene gehe von der Existenz einer leibseelisch - ganzheitlichen Anlage und rassisch - völkischer Lebensbedürfnisse aus56 und ziele auf die Erhaltung der Erbwerte, was nicht „ohne tiefe Eingriffe in Bestehendes möglich“57 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57

Vgl. Eilemann, Weltanschauung, S. 12. Ebd., S. 6. Vgl. Hauptmann, Gedanken, S. 144. Vgl. Behrendt, Blut, S. 41. Vgl. Eilemann, Weltanschauung, S. 6. Vgl. v. Hoff, Rassenmaterialismus ? Resch, Rasse, S. 43. Vgl. Bruch, Rassenseelenkunde, S. 110. Vgl. Krieck, Volkscharakter, S. 24. Vgl. ebd., S. 11 f. Vgl. ebd., S. 118. Vgl. Höft, Rassenkunde, S. 21. Ist der Untergang der Kulturvölker eine biologische Notwendigkeit ? Bericht über die Antrittsvorlesung von Prof. Lothar G. Tirala am Institut für Rassenhygiene in München. In : Der Biologe, 5 (1934) 2, S. 52–53, hier 52.

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sei. Rassenhygiene sei „eben nicht bloß Naturwissenschaft, sondern auch biologische Ethik“.58 Ihr höchster Wert sei das Wohl des Volkes.59 Das Ethos der unbedingten praktischen Umsetzung dessen, was möglich war, setzte ethische Überlegungen und Rücksichten außer Kraft. Menschen, die sich diesem Ethos in ihrem Handeln unterwarfen, setzten sich damit unter Druck, auf gleicher Höhe mit den durch Wissenschaft und Technologie bereit gestellten Möglichkeiten zu agieren, ohne sich dabei von als überholt geltenden moralischen und religiösen Überlegungen einschränken zu lassen. „Der Nationalsozialismus entwarf [...] eine in ihren Mitteln moderne Gesellschaft ohne die Leitbilder der staatsbürgerlichen Gleichheit, der Emanzipation und Selbstbestimmung und der Mitmenschlichkeit. Er führte den utopischen Glauben an die Allfälligkeit wissenschaftlicher Total - Lösungen für gesellschaftliche Probleme bis zu ihrer radikalsten Konsequenz der rassenbiologisch begründeten bürokratischen Erfassung und schließlich Ausmerze alles Unangepassten und Irritierenden.“60 Die Trägheit des Festhaltens an historisch überlebten und anachronistisch gewordenen Traditionen, Werten und Ideen drohe den Menschen von Entwicklungen abzuhängen, die er selbst initiiert habe, deren Konsequenzen er jedoch nicht mehr übersehe, die sein Fassungsvermögen überstiegen und deren Herausforderungen er nicht mehr gewachsen sei. „So ist heute der Mensch in unserer modernen Welt das einzig Unmoderne geworden : er kommt nicht mehr nach.“61 Beklagt wurden moralische Ressentiments, die Menschen daran hinderten, die durch Wissenschaft und Technik bereit gestellten Möglichkeiten unvoreingenommen zu nutzen. An der Oberfläche zeige sich diese Zögerlichkeit als geistige Trägheit, während es tatsächlich darum gehe, durch ein modernes Wertesystem den Anschluss an die ingenieurtechnische Mentalität der Zeit herzustellen. Bei reinrassigen Menschen seien Leib und Seele aus einem Guss,62 auch wenn es Menschen reiner Rasse vorerst nicht gebe, wie in rassenkundlichen Publikationen immer wieder betont wurde. Normal seien vielmehr gemischtrassige Menschen und Völker mit unterschiedlichen Anteilen verschiedener Rassen. Deshalb müsse man in einer Übergangszeit der Mischung verschiedener Rassen mit Menschen rechnen, deren äußere Erscheinung ihre Zugehörigkeit zur nordischen Rasse nahe lege, obwohl es sich bei ihnen um Fremdrassige handle, in der Regel um assimilierte Juden, aber auch mit nordischen Menschen, deren Aussehen weit entfernt von der idealtypischen Phänomenologie der nordischen Rasse sei. In beiden Fällen helfe nur die objektive Feststellung rassischer Erbfaktoren, um die verwirrende Diskrepanz zwischen innerem Charakter und äußerer Erscheinung durch den wissenschaftlichen rassischen Befund aufzulösen. Ein solcher Befund wurde von der rassischen Tiefenpsychologie erwartet, 58 59 60 61 62

Ebd. Vgl. Hennemann, Grundzüge, S. 39. Peukert, Volksgenossen, S. 295 f. Eickstedt, Forschung, Teil 3, S. 2605. Vgl. Clauß, Germanischer Mensch, S. 2.

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die unterhalb des Bewusstseins und der sprachlichen Verständigung nach ursprünglichen seelischen Schichten suchte.63 Die nationalsozialistische Rassentheorie sah Wesensunterschiede zwischen den Rassen, die auch gegen Sinneseindrücke behauptet werden müssten, die eine Gleichheit zwischen Menschen unterschiedlicher Rassenzugehörigkeit nahelegten. Zugleich sollten assimilierte Juden, nachdem sie nicht mehr als Juden erkennbar waren, durch sinnlich wahrnehmbare Zuschreibungen erst wieder als solche identifizierbar werden.64 Der Sinn äußerer Erscheinungen und Gestalten, die tiefere Bedeutung dessen, was unter der Oberfläche der Erscheinungen den fünf Sinnen verborgen bleiben müsse, erschließe sich erst durch die rassenideologische Interpretation.65 Unter der Losung „Zurück zur Natur“ wurde ein rassenindifferenter Humanismus als kulturelle Verformung der menschlichen Natur diffamiert. Die Rehabilitierung biologischer Instinkte und Gefühle sollte die Deutschen für die Unterschiede zwischen höher - und minderwertigen Menschen sensibilisieren. Die Rassenideologie stellte kulturell wirkungsmächtige Bilder und sinnliche Eindrücke bereit, die auch ideologisch ungeschulten Anhängern des Nationalsozialismus ohne ausreichende Sensibilität für den verborgenen Wesenskern der menschlichen Rasse durch die Freilegung ihrer „natürlichen und nur verschütteten Gefühle und Instinkte“66 die lebensweltliche Plausibilität des rassenbiologischen Denkens demonstrieren sollte. Die eigentlichen, wesentlichen Dimensionen des Lebens, so wurde betont, seien den menschlichen Sinnen nicht zugänglich, sondern müssten erst durch die Rassenideologie in ihrer kulturellen Bedeutung aufgeklärt werden. Die Deutschen sollten intuitiv zwischen dem rassischen „Wert oder Unwert eines Menschen“67 unterscheiden können. Eben weil zum strategischen Repertoire der Juden die bewusste Täuschung der Nichtjuden gehöre, müsse deren in ihrer rassischen Konstitution begründete Gefährlichkeit sichtbar gemacht werden. Um zwischen der täuschenden Oberfläche der Dinge und Erscheinungen und ihrem eigentlichen, unter dieser Oberfläche verborgenen Wesenskern unterscheiden zu können, bedürfe es der analytischen Perspektive der Rassenideologie. Menschen, die sich für das Schicksal ihrer Mitmenschen nicht mehr verantwortlich fühlten, die ihren lebensgeschichtlichen Erfahrungen und Intuitionen nicht mehr trauten, die sich ihrer Emotionen und ihrer situativen Urteilskraft nicht mehr sicher waren, waren empfänglich für die Entlastung und neue Sicherheit versprechenden Verheißungen einer ideologischen Rationalität. Dabei wurde von ihnen nicht erwartet, die Begründungen und Argumentationen der Rassenideologie im Detail nachzuvollziehen. Eine besondere Rolle als geistiger Wegbereiter der nationalsozialistischen Rassenethik spielte Fritz Lenz, dessen Schrift von 1917 „Die Rasse als Wert63 64 65 66 67

Vgl. Burkhardt, Tiefenpsychologie, S. 41. Vgl. dazu Hilberg, Vernichtung, Band 1, S. 84. Vgl. Clauß, Germanischer Mensch, S. 8. Gross, Schulung, S. 612. Schultze, So lebst du deutsch, S. 63.

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prinzip. Zur Erneuerung der Ethik“ 1933 neu herausgegeben wurde, da sie entscheidend „zur Vorbereitung der nationalsozialistischen Weltanschauung beigetragen“68 habe. Zu dieser Einschätzung gab es in der Tat gute Gründe, hatte doch Lenz schon 1917 das Volk als Organismus und moralisches Subjekt identifiziert69 und bereits vor der nationalsozialistischen Machtergreifung Hitlers Rassenpolitik und sein eugenisches Verständnis ausdrücklich gelobt. Hitler sei der erste einflussreichen Politiker, „der die Rassenhygiene als zentrale Aufgabe aller Politik erkannt“70 habe. Er habe Baur - Fischer - Lenz während seiner Festungshaft gelesen, manches auch von Theodor Fritsch übernommen, der Einfluss Günthers sei weniger deutlich.71 Von der nationalsozialistischen Bewegung könne man deshalb „Großes für die Durchführung einer wirksamen Rassenhygiene erwarten“.72 1953 kam Lenz auf die Eugenik im Nationalsozialismus zurück. Er bestritt dem Nationalsozialismus nun das Recht der Berufung auf Lebensgesetze und die Biologie. In Wahrheit habe er seinen „Zielen und Ressentiments eine scheinwissenschaftliche Begründung gegeben und Begriffe der Genetik für ( seine ) politischen Zwecke missbraucht.“73 In einem Artikel von 1960 zur „soziologischen Bedeutung der Selektion“ bekannte er sich erneut zur „biologischen und soziologischen Auslese beim Menschen“, grenzte sich aber gleichzeitig von Hitler und Himmler ab, die „ohne Rücksicht auf moralische Bedenken und ohne Einsicht in die Grenzen des psychologisch und politisch Möglichen [...] die Gesundheit und Stärke des deutschen Volkes durch zwangsmäßige Sterilisierung der Erbkranken einerseits, durch positive Züchtung nach einem ihnen vorschwebenden Ideal des nordischen Menschen andererseits“74 hätten heben wollen. Für diese Wahnsinnstaten könne jedoch nicht Darwin verantwortlich gemacht werden. In ähnlicher Diktion argumentierte der nationalsozialistische Anthropologe und Rassentheoretiker Egon Freiherr von Eickstedt mit der Unterscheidung des biologischen Rassenkonzepts von der ideologischen Verwendung des Rassenbegriffs : „Die politische Rassenlehre ist die Ausnutzung einer kulturphilosophischen Theorie vom angeblichen geistigen und charakterlichen Wert oder Unwert bestimmter Völker zum Zweck des Missbrauchs nationaler Eitelkeiten und der Schürung eines politisch gelenkten Völkerhasses : ein politisches Zweckinstrument. Die biologische Rassenkunde ist dagegen das wissenschaftliche Bemühen um die lebensgesetzliche Rolle und Bedeutung des Genotypus in der psychophysischen Weiterentwicklung menschlicher Gemeinschaften : ein biologisches Erkenntnisproblem.“75 Diese Unterscheidung sollte die Rassenbiologie als Wis68 69 70 71 72 73 74 75

Lenz, Rasse, S. 7. Vgl. ebd., S. 15. Lenz, Stellung, S. 308. Vgl. ebd., S. 302 f. Ebd., S. 308. Becker, Geschichte, S. 203 – zit. aus Lenz, Diesseits. Ebd. S. 207 – zit. aus Lenz, Bedeutung. von Eickstedt, Forschung, S. 2245.

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senschaft zur Erforschung der Lebensgesetze des Gemeinschaftsorganismus gegenüber ihrer ideologischen Instrumentalisierung rehabilitieren. Während die Aufklärung den Menschen selbstherrlich als autonomes Wesen gesetzt habe, habe der Nationalsozialismus ihn wieder in den Zusammenhang seiner rassenbiologischen Bindungen und ethischen Verpflichtungen gegenüber seinem Volk gestellt.76 Die Gründung der Moral in der menschlichen Natur sah den Menschen als durch seine Instinkte, Triebe und Erbanlagen biologisch festgelegtes Wesen, das es von seinen kulturellen Überlagerungen und Blockierungen zu befreien gelte. Die rassenbiologische, also naturwissenschaftliche Bestimmung des Menschen sehe ihn als „Krone der Schöpfung“,77 weil er das Triebhafte zum nationalen Ethos kultiviert habe. Durch ihr Bekenntnis zum Nationalsozialismus sollten die Deutschen die verloren gegangene Übereinstimmung mit ihrer biologischen Natur wiederherstellen. Diese wurde nicht länger als unmoralisch diskreditiert. Vielmehr wurde ihre Affinität zur Ausbildung moralischer Haltungen herausgestellt. Ein vitaler Unterbau sei verantwortlich für eine ursprüngliche moralische Grundneigung zu arthaftem Verhalten. Menschen seien in ihrem Handeln nicht frei, sondern abhängig von Art, Rasse und Blut. Ihre rassenspezifische Affinität zum Guten oder Bösen werde durch ihre erbliche Veranlagung entschieden. Zwar zeichne die nordische Rasse die Fähigkeit aus, „allen fremden, nicht artgemäßen Versuchungen“78 zu widerstehen, denen sich die Deutschen jedoch am besten gar nicht erst aussetzen sollten. Werten wurde als „Grundphänomen des Lebens“ gesehen. Dabei könne der grundlegende Wertkonflikt zwischen gut und böse nur von rassengesunden Menschen bestanden werden.79 Um Menschen zum Besseren verändern zu können, müsse zunächst die Frage beantwortet werden, welche Kräfte für das Gute und Böse verantwortlich seien.80 Rassische Erbanlagen legten eine Disposition für gut oder böse, moralisch oder unmoralisch als Differenzierung höher - und minderwertiger Rassen fest, weshalb es möglich sei, eventuelle rassische Defekte bereits vor der Fortpflanzungsfähigkeit zu identifizieren. Von der Analyse des Erbmaterials wurde Aufschluss über die menschliche und moralische Qualität seiner Träger erwartet. Sie werde zeigen, „ob Gutes oder Schlechtes in ihnen steckt“.81 Kein Mensch sei von Natur aus nur gut oder böse. Jeder trage beide Möglichkeiten in sich und habe „je nach seinen Erbanlagen die Möglichkeit für das eine oder andere, in vielen Fällen auch für beides in sich“.82 Für welche dieser Möglichkeiten er sich schließlich in der Auseinandersetzung mit seinen Trieben, Neigungen und Anlagen entscheide, ob er also moralisch oder unmo76 77 78 79 80 81 82

Vgl. Hagen, Wahrheit. Riecke, Rasse, S. 490. Schattenfroh, Wille, S. 193. Vgl. Alverdes, Leben, S. 18 f. und 105. Vgl. Gross, Rasse und Weltanschauung, S. 99. Rüdin, Erblehre, S. 734. Stengel - von Rutkowski, Allmacht, S. 58.

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ralisch, verantwortlich oder verantwortungslos handle, liege in seiner eigenen Verantwortung.83 Durch Erbgut und Blut sei zwar vorherbestimmt, ob die Menschen zu moralischer Vollendung fähig seien. Ihr Verhalten sei durch ihre Erbanlagen jedoch nicht so weit festgelegt, dass sich für sie jede Entscheidung für gut oder böse erübrigen würde. Es liege in der Verantwortung jedes Menschen selbst, ob und auf welche Weise die in ihm erbbiologisch angelegten Möglichkeiten zum Zuge kämen.84 Gerade die Fähigkeit der Deutschen, sich zwischen Gut und Böse zu entscheiden, qualifiziere sie zu moralischen Wesen. Ihre bewusste Entscheidung für moralisches Verhalten müsse ihnen als Verdienst angerechnet werden. Sie ermögliche es ihnen, in Übereinstimmung mit ihrem Gewissen als der inneren Instanz der Gesetze des Lebens moralisch zu handeln. Das marxistisch - jüdische Vollkommenheitsideal und die Annahme, dass der Mensch von Natur aus gut sei, war Gegenstand fortgesetzter nationalsozialistischer Polemik. „Die fortschreitende Aufklärung und gleichzeitig die zunehmende medizinische, hygienische und soziale Bereicherung der Menschheit, meinte man, würde von selbst das Böse überwinden.“85 Die Erwartung, der Fortschritt werde sich gleichsam im Selbstlauf durchsetzen, ohne dass es dafür besonderer Anstrengungen bedürfe, führe zur politischen Lähmung. Appelliert wurde an die rassisch Hochwertigen, nicht darauf zu vertrauen, dass sich die Rassenmoral auch ohne ihren Einsatz im Rassenkampf durchsetzen werde. Es könne nicht dem Schicksal überlassen werden, ob sich das Gute gegen das Böse, also die Moral gegen die Unmoral durchsetze. Nur in der Auseinandersetzung mit der Unmoral würden Menschen eine moralische Haltung ausbilden. Ein gesunder Volkskörper müsse durch Sozialhygiene kontrolliert und durch eugenische Eingriffe vor Schaden und Niedergang bewahrt werden. Dazu gehöre es, diejenigen auszumerzen, die seiner Vervollkommnung im Wege stünden. Der Annahme, in „einer restlos aufgeklärten, gesunden, normalen, vollkommenen Menschheit, geführt vom Willen eines Völkerbundes“86 werde das Gute triumphieren, konnte die nationalsozialistische Ideologie schon deshalb nicht zustimmen, weil aus ihrer Sicht Aussagen über den Menschen unabhängig von seiner rassischen Differenzierung biologische Grundwahrheiten ignorierten und durch das idealistische Pathos von Menschenverbrüderung und Menschheitsethos ersetzten. Der nordische Mensch wisse, dass die Welt weder gut noch böse sei. Entscheidend sei vielmehr, ob die Starken oder die Schwachen sich im Lebenskampf durchsetzen würden, ob also die Starken die „Herrschaft der Gerechtigkeit“ oder aber die Schwachen „ein Schreckensregiment der Willkür“87 errichteten. Ein primär auf das Lustprinzip gegründetes „Schlaraffenland des Guten, also ein Paradies ohne Baum der Bewährung“,88 wäre des Guten 83 84 85 86 87

Vgl. Hartnacke, Willensfreiheit. Vgl. Schultze, So lebst du deutsch, S. 57–61. Wieneke, Charaktererziehung, S. 11. Ebd. Unsere Haltung. Die geistige Haltung des nordischen Menschen in unserer Zeit. In : SS Leitheft 3 (1937) 3, S. 60–62, hier 61, o. A. 88 Beurlen, Gesetz, S. 45 f.

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unwürdig. In der Situation der Bewährung, in der er auch scheitern könne, müsse sich der rassisch höherwertige Mensch für das Wahre und Gute entscheiden. Der Liberalismus nähre hier die Illusion eines unaufhaltsamen Fortschritts ohne eigene Anstrengungen. Das Böse verschwinde jedoch nicht von selbst. Es müsse gezielt bekämpft werden, wozu dank der durch Medizin und Sozialhygiene bereit gestellten Möglichkeiten, es eindeutig zu identifizieren, auch gute Voraussetzungen bestünden. Nachdem die Träger des Bösen bestimmt seien, könne es durch ihre Ausmerze ein für alle Mal aus der Welt geschafft werden. Gut und Böse seien gleich starke Kräfte des Lebens, die sich in einem ewigen Kampf befänden, der unterschiedliche Erscheinungsformen annehme. Gut sei nur die eigene Lebensform, Recht sei, was ihr diene.89 Wer biologisch handle, bejahe sowohl den Sieg des Guten und Gesunden als auch die Verkümmerung des Schlechten und Kranken.90 Gut und gesund aber sei alles, was eine „lebenskräftige Entwicklung“91 sichere. Es gelte jedoch, nicht nur gut und böse, sondern auch das Hohe und Niedere auseinanderzuhalten, was „nicht in jedem Falle moralische Vernichtungsurteile, aber [...] immer Werturteile“92 beinhalte. Nur rassisch unreine Menschen seien vom Bösen als der Inkarnation des Unnatürlichen, der Moral Entgegenstehenden, affiziert. Böswilligkeit sei vor allem erbbedingt, was jedoch kein Freibrief für die Böswilligen sei, sich mit dem Verweis auf ihre unverschuldete Erblast der Verantwortung für ihr unmoralisches Handeln zu entziehen. Auch wenn ihre erbbiologische Bestimmung dafür verantwortlich sei, dass sie sich unmoralisch verhielten, seien sie für das ihnen in der Erbfolge aufgezwungene Dispositiv zu unmoralischem Verhalten verantwortlich. Die innere Wertewelt der Menschen sei Ausdruck ihrer Erbanlagen.93 Das Erbbild eines Menschen sei ein Rohstoff, den man wohl noch formen, aber in seiner Struktur nicht mehr wandeln könne. „Der Mensch wird als Held oder als Feigling, als opferbereiter Idealist oder als asozialer Schwächling, als schöpferische Kraft oder als dumpfe Sklavennatur, als Genie oder als Idiot geboren.“94 Wohl ließen sich „die Fähigkeiten wecken, entwickeln und fördern, die auf dem Boden seines Charakters gewachsen“95 seien. Fähigkeiten, die seiner Veranlagung widersprechen würden, könne er jedoch nicht ausbilden. Seine Erbanlagen würden jeden Menschen durch rassenspezifische Verhaltensdispositionen auf eine bestimmte Bandbreite möglichen Verhaltens festlegen. Was Menschen auf Grund fehlender oder fehlerhafter Anlagen nicht möglich sei, könnten sie auch durch ihre Willenskraft nicht erzwingen : Das rassengenetisch Unmögliche widerstehe dem Willen, es dennoch möglich zu machen. „Da die ethischen Anla89 90 91 92 93 94 95

Vgl. Steinbach, Sieg, S. 50 und 117. Vgl. ebd., S. 94. Vgl. ebd., S. 90. Schott, Welten, S. 51. Vgl. Clauß, Rassenseele, S. 17. Nur keine Gleichmacherei. In : Das Schwarze Korps vom 23. 9.1937. Ebd.

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gen angeboren und unveränderlich sind, können die Menschen also nur nach ihren Anlagen gefördert, genutzt oder unterdrückt werden.“96 Moralische Haltung wurde mit rassischer Reinheit assoziiert, Rassenmischung dagegen mit moralischem Verfall. Mit der Zugehörigkeit zu einer Rasse seien zugleich auch Grundzüge des inneren Wesens der Menschen festgelegt, aus denen sich ergebe, welche Werte, Haltungen und Handlungen für sie als moralisch oder unmoralisch gelten würden und welches Verhalten von ihnen auf Grund ihrer Zugehörigkeit erwartet werden konnte. Auch die Anlage zu einer bestimmten Moral sei rassenbiologisch bestimmt, der individuelle Spielraum zur Ausbildung einer moralischen Haltung durch die Rassenzugehörigkeit eingeschränkt. Die Zugehörigkeit zur nordischen oder jüdischen Rasse entschied darüber, wer auf welche Weise durch die neue moralische Ordnung betroffen war, wem der Status moralischer Subjekte zugestanden und wem er abgesprochen wurde. In der Verschiedenheit moralischer Wertesysteme spiegele sich die artspezifische Verschiedenheit der Menschen. „Kein Mensch kann aus seiner Haut, kann aus der Art und Rasse austreten, in die er geboren wurde.“97 Für rassisch hochwertige Menschen bleibe dennoch genug Spielraum, innerhalb dieses biologisch gesetzten Rahmens verantwortlich zu handeln. Sie sollten sich durch „Einsatz, Kampf und Hingabe der Person“98 in ihrer Zugehörigkeit zur nordischen Rasse bewähren. Eine ausschließlich biologische Lehre vom Menschen ließe keinen Raum für menschliches Handeln in der moralischen Bewährung. Werte, Ideale und Überzeugungen seien Menschen zwar als erbbiologische Dispositionen angeboren, würden sich jedoch erst durch die Ausbildung einer rassenbewussten Haltung und entsprechende Handlungen zu einem rassenethischen Charakter verfestigen. Die moralische Erziehung der Deutschen durch eine biologische Lebenskunde zielte darauf, ihnen klar zu machen, dass sie als Angehörige einer Rasse biologischen Gesetzen unterworfen waren. Ihre Einbindung in einen ihr Leben übersteigenden natur - und lebensgesetzlichen Zusammenhang sollten sie als Verpflichtung zu rassengemäßem Verhalten annehmen. Sie seien jedoch nicht nur der „naturgesetzlichen Notwendigkeit des Nichtanderskönnens“99 unterworfen, sondern stünden auch unter dem Gesetz des Sollens. Ihre biologische Bestimmung allein sichere sie nicht davor, ihren Rassenwert „durch gemeinschaftswidrige oder - gleichgültige Gesinnung und daraus entspringende Handlungen zu verletzen, in den schwersten Fällen sogar zu vernichten“.100 Angehörige der nordischen Rasse müssten die individuelle Berechtigung ihrer Zugehörigkeit durch die Ausbildung einer entsprechenden moralischen Haltung nachweisen.

96 97 98 99 100

Hildebrandt, Norm, S. 406. Buch, Mensch, S. 9. Leese, Rasse, S. 16. Schwulst, Aufgaben, S. 23. Ebd., S. 40.

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Die Übertragung von Darwins These der entscheidenden Bedeutung natürlicher Auslese auf die menschliche Kultur sah auch in Menschen individuelle Träger eines genetisch - rassischen Erbes. Ihr Erbgut stellte hochwertige Menschen unter die Verpflichtung artgemäßen rassenbewussten Verhaltens. Allein ihre Zugehörigkeit zur nordischen Rasse sei noch keine Garantie der politischen Verlässlichkeit oder individuellen Höherwertigkeit der Deutschen, die erst durch das Zusammenspiel von erbbiologischer Auslese und politischer Bewährung gesichert sei. „Es ist durchaus denkbar, dass ein Mensch, der aus einer erbgesunden Sippe stammt, trotzdem nicht politisch einwandfrei ist.“101 Durch rassisches Fehlverhalten könnten ihrer rassenbiologischen Disposition nach Höherwertige ihre Zugehörigkeit zur nordischen Rasse verspielen. Dadurch würden sie sich selbst aus der rassischen Volksgemeinschaft ausschließen und trotz hochwertiger Erbanlagen in der Gruppe der rassisch Minderwertigen enden. Nur wer auch als Person nachweise, dass er seines Erbgutes würdig sei, führe ein Leben auf der Höhe der in ihm liegenden Möglichkeiten.102 Die Zugehörigkeit zur nordischen Rasse müsse immer wieder aufs Neue durch Haltung und Tat „erworben, erkämpft, bewährt“103 werden. Herkunft sei ein Privileg, das zu entsprechendem Verhalten verpflichte. Nationalsozialisten, die sich sicher seien, jeder Versuchung zu rassenindifferentem Verhalten zu widerstehen, suchten nach Gelegenheiten, ihre rassenbewusste Haltung und moralische Stärke nachzuweisen. Deshalb wiesen sie die einfache Übernahme des durch die Umstände als vernünftig nahe Gelegten als verschenkte Gelegenheit rassischer Charakterbildung zurück. Erst in der moralischen Bewährungssituation auch anders möglicher Entscheidungen zeige sich, was die Behauptung unbedingter nationalsozialistischer Gefolgschaft wert sei. Die Neigung, aus Angst vor Versagen solche problematischen Situationen zu meiden, qualifiziere Menschen zu unsicheren Kandidaten der rassischen Volksgemeinschaft. Die Versuchung, inneren Vorbehalten und Bedenken gegenüber nationalsozialistischer Rassepolitik nachzugeben, müsse ausgehalten werden. Wer solche Gelegenheiten persönlicher Bewährung in der Gewissheit suchte, sich in ihnen auszuzeichnen, empfahl sich damit als Aktivist der nationalsozialistischen Bewegung, der sein Schicksal auf Gedeih und Verderb mit ihr verband. Deutsche hofften nicht auf Erlösung, sondern würden ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Gegen die christliche Angst, der Mensch sei nicht in der Lage, Versuchungen zu widerstehen, forderten sie ihren Gott ausdrücklich dazu auf : „Und führe uns in Versuchung! – damit wir auch die Möglichkeit zur Bewährung haben.“104 Eben weil er sich in Übereinstimmung mit seinem Schicksal wisse, könne es der Deutsche selbstbewusst annehmen in der Gewissheit, sich 101 Poliakov, Wulf, Reich, S. 67 – zit. aus einer Stellungnahme des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP zum Problem der erbbiologischen Auslese in ihrem Verhältnis zur Frage der politischen Bewährung vom 19. 5.1942. 102 Vgl. Menzel - Tettenborn, Rassenseelenforschung, S. 695. 103 Stoedtner, Soldaten, S. 27. 104 Ebd.

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an dem zu bewähren, was es für ihn an Herausforderungen bereithalte. „Du sollst den Kampf für dein Erbgut suchen und dich ihm nicht entziehen.“105 Die biopolitische Ordnung der deutschen Gesellschaft entlang der Kategorie der Rasse war auf bestürzende Weise effektiv in der ordnungspolitischen Reduktion und Vereindeutigung komplexer gesellschaftlicher Gemengelagen zur Entgegensetzung rassisch hoch - und minderwertiger Existenz. Fließende Übergänge oder Grauzonen ungewisser Zugehörigkeit waren in dieser rigiden Zuordnung ausgeschlossen. Konstruiert wurde ein Feld symbolischer Differenzierung und Distinktion, das die Juden aus der Volksgemeinschaft ausschloss und nichtjüdische Deutsche dazu zwang, die individuelle Berechtigung ihrer Zugehörigkeit zur Herrenrasse durch den Nachweis arischer Abstammung sowie die Ausbildung einer artgemäßen Haltung und rassenbewusstes Verhalten unter Beweis zu stellen.106 Die Nachweispflicht rassenpolitischer Unbedenklichkeit für jeden Deutschen ließ Fragen nach der Rechtmäßigkeit dieser selektiven Differenzierungspraxis gar nicht erst aufkommen. Insbesondere im Umgang mit den Juden sollten sie ihr rassenethisches Urteilsvermögen schärfen und ihren Werturteilen durch ihre persönliche Beteiligung an der Verfolgung der Juden Taten folgen lassen. Darin wurden sie durch die ideologische Begründung, den rechtlichen Rahmen und inhaltliche Schwerpunkte der Rassenpolitik unterstützt. Der „Ariernachweis“ verwandelte die Differenzierung zwischen jüdischen und nichtjüdischen Deutschen in eine pragmatische Prozedur und propagierte gleichzeitig die Inhalte und Begründungen nationalsozialistische Rassenpolitik. Die neue Qualität des nationalsozialistischen Rassismus lag in der originären Verknüpfung tradierter anthropologischer, eugenisch - rassenhygienischer und antisemitischer Rassismen.107 Diese wurden von der nationalsozialistischen Ideologie radikalisiert, als staatliche Politik institutionalisiert und durch ihre Operationalisierung zu pragmatischen Prozeduren der Diskriminierung, Verfolgung und Vernichtung aus rassischen Gründen aus der Volksgemeinschaft ausgegrenzter Menschen und Gruppen normalisiert. Der Nationalsozialismus konnte dabei an zeitgenössische naturwissenschaftlich - medizinische Entwicklungen und eine ingenieurtechnische Mentalität anschließen, die biologische, eugenische und bevölkerungspolitische Endlösungen sozialer Fragen versprachen.108 Es gehörte bereits zum kulturell akzeptierten, wenn auch nicht unwidersprochen hingenommenen, Selbstverständnis der Humanwissenschaften, die Gesellschaft als Experimentierfeld praktischer Interventionen zu ihrer Perfektionierung zu begreifen. Durch die biopolitische Radikalisierung des Sozialdarwinismus und romantischer Konzepte von Nation und Volk wurden naturwissenschaftlich - technische Lösungen tatsächlicher oder ideologisch konstruierter sozialer Probleme als

105 106 107 108

Decker, Weg, S. 31. Vgl. Hoff, Erbgut, S. 209. Vgl. dazu Becker, Geschichte sowie Hossfeld, Geschichte. Vgl. dazu Gasman, Origins.

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moralisch legitim und wissenschaftlich begründet gerechtfertigt.109 Der Sozialdarwinismus sah in der menschlichen Geschichte in Analogie zur Natur einen andauernden Kampf zwischen unterschiedlichen Kulturen und Rassen um die Vorherrschaft. Wenn ein Volk in diesem Kampf unterliege und damit zeige, dass es entweder „nicht bereit oder fähig“110 sei, im Daseinskampf der Völker zu siegen, so müsse dieser Ausgang als Entscheidung der Vorsehung akzeptiert werden. Hitlers sozialdarwinistische Rassenmoral der Stärke kalkulierte auch den Untergang des deutschen Volkes im Falle einer Kriegsniederlage ein. Sollte sich das deutsche Volk als zu schwach erweisen, um den Sieg im Rassenkrieg zu erringen, so hatte es aus seiner Sicht sein Lebensrecht verwirkt. „Würde das deutsche Volk [...] einmal schwach werden, so verdiente es nichts anderes, als von einem stärkeren Volke ausgelöscht zu werden; dann könnte man mit ihm auch kein Mitleid haben.“111

2.

Nationalsozialistische Täter mit gutem Gewissen : Die moralische Konditionierung des nationalsozialistischen Rassenkriegers

Nach 1. der Abgrenzung der Täter von der Mitte der deutschen Gesellschaft durch ihre Kennzeichnung als pathologische Gewaltverbrecher, 2. der von Hannah Arendt exemplarisch an Eichmann durchexerzierten Gegenthese einer Banalität des Bösen, nach der die unauffällige Persönlichkeitsstruktur der Täter in keinem Verhältnis zur Monstrosität der von ihnen begangenen, administrativ- technisch organisierten oder indifferent akzeptierten Verbrechen stand, und 3. der Anonymisierung der Täter durch ihre Einordnung in die arbeitsteilig organisierten Abläufe einer modernen Industriegesellschaft und den bürokratischen Selbstlauf administrativer Prozesse, hat sich schließlich 4. mit der Formel der „ordinary men“ ( Browning ), der gewöhnlichen Deutschen, die Einsicht durchgesetzt, dass die Täter tatsächlich häufig aus der Mitte der deutschen Gesellschaft kamen, dass also die Suche nach einer exemplarischen Täterbiografie mit trennscharfen Differenzierungen oder markanten Abweichungen von einer Normalbiografie bereits im methodischen Ansatz verfehlt war. Differenzierungen nach weltanschaulichen Überzeugungstätern, bürokratischen Schreibtischtätern, opportunistischen Karrieretätern, psychopathischen Triebtätern oder Ähnlichem ergänzen diese Typologie oder lassen sich ihr zuordnen. Die jüngste Täterforschung untersucht deren Prägung durch die Zugehörigkeit zu ideologisch - professionellen Gruppen und arbeitet zugleich soziokulturell übergreifende und sozialpsychisch prägende gemeinsame Züge der Täter heraus.112 Die

109 110 111 112

Vgl. Weikart, Darwin. Hitler, Kampf, S. 185. Goebbels, Tagebücher II; 7, S. 296 (8. 2.1943). Vgl. Welzer, Täter.

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Bereitschaft, ihnen als minderwertig oder gefährlich bezeichneten Menschen aus ideologischen Gründen die Anerkennung als moralische Subjekte zu versagen, konnte Ausgangspunkt der Akzeptanz oder Unterstützung der nationalsozialistischen Rassen - und Vernichtungspolitik sein. Schließlich gab es auch Täter, die im Schutz der nationalsozialistischen Rassenideologie ihre gestörte Persönlichkeit auslebten. Protagonist des nationalsozialistischen Terrors war für Hannah Arendt der durchschnittliche, um das Wohl und die Sicherheit seiner Angehörigen besorgte Familienvater, der dann, wenn er von jeder Verantwortung für sein Tun entlastet werde, bereitwillig alles tue, buchstäblich alles zu tun, was von ihm verlangt werde. Deshalb seien die Täter eben nicht vorwiegend Sadisten, Fanatiker, Perverse oder Abenteurer gewesen, sondern in erster Linie ganz normale, durchschnittliche Familienväter.113 Die Deutschen sollten sich nach der Verinnerlichung und Habitualisierung der Rassenethik und - ideologie intuitiv moralisch im Sinne des Nationalsozialismus verhalten. Während höherwertiges Leben zur Förderung und „Aufartung“ bestimmt war, sollte minderwertiges Leben physisch vernichtet werden. Der Ausschluss der Juden aus dem Geltungsbereich moralischer Verpflichtungen, also ihre Tötung als moralische Subjekte, bereitete ihre physische Vernichtung vor. In der Perspektive der biologischen Vollstreckung eines rassenpolitischen Todesurteils an Menschen, die nach ihrer moralischen Stigmatisierung als minderwertige Untermenschen nicht mehr mit Empathie oder Mitleid rechnen konnten, erschien ihre physische Vernichtung als schlüssige Konsequenz, die einen bereits laufenden Prozess zu seinem stimmigen Ende brachte. In Begründungsversuchen nationalsozialistischer Ethik wurde immer wieder die Bedeutung des Gewissens als Identitätskern der Menschen hervorgehoben, das ihr normatives Selbstbild mit ihren Handlungen konfrontiere. So wie die Bestätigung ihres Selbstbildes ihnen das gute Gewissen gebe, das Richtige zu tun und moralisch zu handeln, signalisiere ihnen ein schlechtes Gewissen die Diskrepanz zwischen ihren Handlungen und ihrem eigenen Wertesystem. Dadurch werde in den meisten Fällen verhindert, dass Menschen von ihnen selbst als unmoralisch empfundene Taten auch tatsächlich begehen. Im Gegensatz zwischen der notwendigen „Ertüchtigung der Rasse“ und dem „Schutz der Schwachen“ sah Alfred Ploetz einen „Hamletkonflikt“ : „Hamlet ist der Handelnde, der kein Gewissen haben darf und der Betrachtende, der zu viel hat“114 und dadurch in seiner Fähigkeit zu handeln gelähmt ist. Während der Handelnde gewissenlos sein müsse, um handeln zu können, werde der mögliches Handeln Reflektierende durch sein Gewissen überwältigt und faktisch unfähig zu handeln. Gewissenloses Handeln sei ebenso wenig akzeptabel wie untätige Kontemplation. Wenn das Gewissen als moralische Instanz Handeln verhindere, sei das nicht weniger problematisch als ein Handeln frei von mora113 Vgl. dazu Arendt, Guilt, S. 128 f. 114 Becker, Geschichte, S. 91 – zit. aus Friedrich Gundolf, Shakespeare und der deutsche Geist, Godesberg 1947.

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lischen Erwägungen. Diesen Gegensatz zwischen gewissenlosem Handeln und der Handlungslähmung aus schlechtem Gewissen versprach die Rassenethik aufzulösen. Menschen können schuldig werden, ohne sich einer Schuld bewusst zu sein. In Übereinstimmung mit geltenden Werten verfolgen sie ihnen vorgegebene Ziele mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln, ohne das Wertesystem zu hinterfragen, in dem sie sich bewegen. Ihr gutes Gewissen, damit das Richtige und moralisch Gebotene zu tun, ist offensichtlich relativ unabhängig davon, worin diese Werte bestehen. Auch Menschen, die Unrecht tun und unmoralisch handeln, suchen nach Rechtfertigungen für ihr Handeln. Das gilt vor allem dann, wenn sie ausdrücklich gesetzte oder informelle Grenzen einer allgemein anerkannten moralischen Ordnung überschreiten – wenn sie also Dinge tun, die nach geltendem Recht und anerkannten kulturellen Standards kriminell und unmoralisch sind. Gerade dann ist es ihnen wichtig, sich selbst als anständige Menschen und ihr Handeln als moralisch legitim zu sehen bzw. von anderen entsprechend wahrgenommen zu werden. Die an der Diskriminierung, Verfolgung und Vernichtung der Juden beteiligten Täter behaupteten, moralischen Prinzipien eines eigenen Wertesystems zu folgen und machten Gründe für ihr Handeln geltend, die sie für berechtigt hielten. Ohne eine rassenbiologische Umwertung der Werte, die den Juden als einer minderwertigen Rasse den Status moralischer Subjekte absprach, hätte die nationalsozialistische Judenpolitik nicht erfolgreich sein können. Im Bewusstsein, einem moralisch verwerflichen System zu dienen und aus dem Bruch moralischer Verpflichtungen gegenüber ihren Mitmenschen persönliche Vorteile zu ziehen, hätten die Deutschen mit dem schlechten Gewissen agiert, gegen von ihnen selbst anerkannte Gebote und Regeln zu verstoßen. Die moralische Umgestaltung der deutschen Gesellschaft, die auf den ganzen Menschen und seine Lebensumstände zielte, sollte dieses unerfreuliche Szenario vermeiden. Die Deutschen sollten im Selbstverständnis ihrer Zugehörigkeit zur nordischen Rasse die nationalsozialistische Rassenpolitik als moralisch geboten unterstützen. Eine im Prinzip alle Menschen ohne Einschränkung oder Vorbedingungen einschließende Moral sollte durch ein „Rassengewissen“115 ersetzt werden, das nur Artgenossen gegenüber moralische Verpflichtungen anerkannte. Dadurch vollzog sich der Übergang von einer für alle geltenden bürgerlich - christlichen Moral zur rassenethnischen Moral der Differenzierung höher - und minderwertigen Lebens. Ein ethischer Nationalsozialismus gründe im Gewissen der Einzelnen und des Volkes.116 Dieses nationale „Rassengewissen“ sei von der Sorge um die Zukunft des deutschen Volkes geprägt.117 Als „rassenhygienisches Gewissen“118 befähige es den biologischen Soldaten dazu, artfremde, rassisch minder-

115 116 117 118

Staemmler, Aufgaben, S. 41. Vgl. Schling, Nationalsozialismus, S. 291. Vgl. Kötschau, Beitrag (3. Teil ), S. 11. Rüdin, Erblehre, S 738.

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wertige und erbkranke Menschen guten Gewissens auszumerzen im Bewusstsein, dadurch seinem Volk und seiner Rasse zu dienen. Moralisches Verhalten, so hieß es, folge der Stimme des Gewissens, das intuitiv wisse, was Recht und was Unrecht sei. Der Deutsche trage sein Sittengesetz in sich. Sein erfolgreicher Versuch, niedrige Instinkte zu bändigen, habe zur Entstehung einer spezifisch deutschen Ethik geführt. Ausgerüstet mit einem eigenen inneren Maßstab für gut und böse kämen die Deutschen ohne religiöse Gebote aus, da sie ihrer inneren Stimme vertrauen könnten.119 Das Gewissen sei für sie die „ewige Stimme des Schöpfers im Menschen“,120 durch die das Göttliche im Menschen in einem ethischen Gleichgewicht gehalten werde.121 Nordische Menschen folgten ihrem Rassengewissen als „Richtschnur ungeschriebener Gesetze“122 und handelten moralisch aus einer inneren Haltung heraus.123 Als innere Instanz der Triebkontrolle sei das Gewissen verantwortlich für „ein sittliches, die Triebe einschränkendes und beherrschendes Handeln der Menschen“.124 Ein ausschließlich triebgeleitetes Handeln dagegen führe dazu, dass Menschen außer Kontrolle gerieten. Angesichts der Wirkungsmächtigkeit der Triebe ließen sich diese jedoch auch nicht auf Dauer unterdrücken. Eine auf Triebunterdrückung gegründete Moral, die sich gegen die biologische Natur des Menschen durchzusetzen versuche, müsse scheitern und führe nur dazu, dass die Menschen nun mit dem schlechten Gewissen, etwas Unmoralisches zu tun, ihren Trieben folgen würden. Deshalb zielte die nationalsozialistische Rassenethik darauf, moralische Haltungen auf die biologische Natur des Menschen zu gründen. Menschen sollten nicht versuchen, ihre Triebe abzutöten, wie ihnen das vom Christentum mit der Aufforderung zur „Abtötung des Fleisches“125 nahe gelegt werde, sondern lernen, diese zu beherrschen und zu lenken. Die Deutschen sollten guten Gewissens ihren Neigungen und Instinkten folgen können, die nicht länger als möglicher Ausgangspunkt unmoralischen Handelns diskreditiert wurden. Die „Zucht des Gewissens“126 befreie ihre Neigungen und Triebe von artfremden Einflüssen, lege ihre nordische Rassennatur frei und bewahre sie vor naturwidrigen Abwegen. In Übereinstimmung mit ihrer biologischen Natur folgten sie in moralischen Entscheidungssituationen ihrer rassenethischen Urteilskraft, die es ihnen erlaube, intuitiv moralisch zu handeln.127 Genau darum aber gehe es, selbstverständlich so zu handeln, als wäre es gar nicht möglich, anders zu handeln. „Menschliche Lebensstile ( seien ) auf die moralischen Kräfte der 119 Vgl. Posern, Sittlichkeit, S. 5. 120 Glaube. In : SS - Leitheft, 8 (1942) 4, S. 1–2. 121 Vgl. Sie bauten an Deiner Welt. Der neue Geist. In : Das Schwarze Korps vom 30. 6.1938. 122 Hagen, Ganzheit, S. 18. 123 Vgl. Posern, Sittlichkeit, S. 13. 124 Meyer, Mensch, S. 103. 125 Ebd., S. 111. 126 Vgl. Hymnen, Nachbarschaft. 127 Vgl. Schulze, Sittengesetz, S. 32.

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Völker gegründet, so und nicht anders sein zu wollen, so vor ihrem Gewissen sein zu müssen, diese Seite der Welt und des Lebens für die eigentlich wesentliche und lebenswürdige zu halten.“128 Ihre lebensbejahende und diesseitsorientierte Moral zeichne die Deutschen gegenüber anderen Völkern aus. Diese Absage an die Moral als Imagination eines Reiches des Unbedingten, das nicht von dieser Welt sein könne, gegen deren profane und primitive Gewöhnlichkeit es vielmehr das Erhabene und Außeralltägliche setze, soll signalisieren, dass die Deutschen es nunmehr geschafft haben, sich eine Welt nach ihrer Vorstellung zu schaffen. Endlich mit sich im Reinen, müssten sie nicht länger gegen ihr Schicksal aufbegehren, sondern könnten sie es nun als selbstgewählte Bindung an ihre hochwertige rassische Substanz in freier Selbstbestimmung übernehmen. Die Lager funktionierten als Trainingsstätten für die SS.129 In ihnen fand die eigentliche moralische Konditionierung der SS - Männer zu politische Soldaten des Rassenkrieges statt. Die ihnen abverlangte brutale Behandlung der Lagerinsassen wurde ethisch mit der Notwendigkeit begründet, sich unter den kontrollierten Bedingungen der Lager und in Friedenszeiten auf diesen kommenden Rassenkrieg vorzubereiten. Durch entsprechende weltanschauliche Haltungen und bereits praktizierte Härte im Umgang mit Gegnern des Nationalsozialismus sollten die SS - Männer für deren künftige Vernichtung bereit sein. So antwortete Franz Stangl, Kommandant des Vernichtungslagers Treblinka, auf die Frage, „warum all diese Demütigungen und Grausamkeiten“ gegenüber den Insassen der Lager, die doch sowieso umgebracht werden sollten : „Um die, die diese Maßnahmen ausführen mussten, vorzubereiten, um sie zu konditionieren. Damit sie das tun konnten, was sie dann taten.“130 Die SS - Totenkopfverbände „entstanden aus den für die Bewachung der Konzentrationslager 1933 einberufenen Freiwilligen der Allgemeinen SS. Ihre Aufgabe ist neben der Erziehung des bewaffneten politischen Soldaten die Bewachung der in den Konzentrationslagern untergebrachten Staatsfeinde.“131 In ihnen war ein „neuer Typ politischer, weltanschaulich besonders gefestigter Kämpfer [...] im Entstehen, unter besonderen Auslesebedingungen gesammelt und durch besondere politisch - weltanschauliche Erziehung in ihrer Haltung gefestigt“.132 Himmler benannte ausdrücklich moralische Gründe dafür, weshalb er Angehörige der SS zu Wachtruppen in den Konzentrationslagern gemacht hatte, die weder zu Sadisten werden noch Mitleid mit den Gefangenen entwickeln sollten. Aus den Wachtruppen in den Konzentrationslagern seien die Totenkopfverbände hervorgegangen, aus Gefangenenwächtern politische Soldaten geworden, so wie früher oder später alle Deutschen zu Soldaten werden würden. Für die SS - Angehörigen in den Lagern sei es darum gegangen, die Haltung eines Herrenvolkes zur persönlichen Tugend auszubilden. Sie hatten nachzuweisen, 128 129 130 131 132

Rothacker, Mensch, S. 154. Vgl. Hein, Elite, S. 225–240. Sereny, Abgrund, S. 104. d’Alquen, Geschichte, S. 216. Schnabel, Macht, S. 37 – zit. aus Dich ruft die SS.

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dass sie hart sein konnten, „ohne dabei grausam zu sein [...] Ein Herrenvolk muss in der Lage sein, Menschen, die für die Gemeinschaft schädlich sind, aus der Gemeinschaft ohne christliche Barmherzigkeit auszuschalten, dabei jedoch anständig zu sein, nie einen Menschen zu quälen.“133 In den Lagern sei die rassenethische Konditionierung einer Kerntruppe für den Fall eines Krieges erfolgreich vollzogen worden. Diese müsse im Frieden nachweisen, dass sie schwersten Anforderungen gewachsen war, ohne dabei weich oder grausam zu werden, um vorbereitet zu sein auf die kommenden Kriege, die ungleich härter sein würden, als alle bisherigen.134 Diese Kriege der Zukunft würden „nicht ein Geplänkel, sondern eine Auseinandersetzung der Völker auf Leben und Tod“135 sein. In ihnen dürfe es zum Beispiel „niemals einen gefangenen SS - Mann geben“, ebenso wenig wie die deutsche Seite Gefangene machen werde. Bevor er sich gefangen nehmen lasse, habe der SS - Mann „mit seinem Leben Schluss zu machen“.136 Dieser Krieg werde „mit einer Brutalität und mit eisernem Willen“ geführt werden, „wie Deutschland ihn noch nie erlebt“137 habe, weshalb es auch im Inneren weder Drückeberger noch Widerstand irgendwelcher Art geben werde. Die SS müsse zeigen, dass sie „ohne jedes Erbarmen sein“ könne, „wenn es darum geht, ein Volk vor seinem Tode zu bewahren“.138 Spätesten dann, und damit schließt sich der Kreis von Himmlers Argumentation, habe sich die harte Schule der Konzentrationslager, durch die die Totenkopfverbände gegangen seien, ausgezahlt. Die moralische Konditionierung nationalsozialistischer Täter zielte auf die Ausbildung eines „ethnischen Gewissens“, das moralische Verpflichtungen nur gegenüber Angehörigen der eigenen rassischen Gemeinschaft anerkannte. „Artfremden“ und „Gemeinschaftsschädlingen“ wurde moralische Zuwendung verweigert. Mensch - Sein wurde ideologisch differenziert : „Wir wissen wohl“, so heißt es in einer von Himmlers Reden vor Kommandeuren der Einsatzgruppen und vor höheren SS - und Polizeiführern, „wir muten Euch Übermenschliches zu, wir verlangen, dass ihr übermenschlich unmenschlich seid“.139 Hier sprach „ein Gläubiger, dessen Common sense ideologisch zertrümmert und dessen praktische Urteilskraft korrumpiert“ war, der jedoch an seiner „moralischen Integrität“140 nicht im Geringsten zweifelte. In der direkten Konfrontation mit ihren Opfern wurde den Tätern ein gleichsam animalisches Mitleid mit der menschlichen Kreatur nicht mehr zugestanden. Das Mitleid mit den Opfern, das sie nicht haben durften, transformierte sich in das Selbstmitleid der Täter.

133 Himmler, Geheimreden, S. 25–49, hier 32 – zit. aus Himmlers Rede vor SS - Gruppenführern der SS - Standarte Deutschland am 8.11.1938. 134 Vgl. ebd. 135 Ebd., S. 48. 136 Ebd. 137 Ebd. 138 Ebd. 139 Zit. bei Arendt, Eichmann, S. 139. 140 Lübbe, Moralismus, S. 18.

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Rasse und Moral

John Roth hat folgende Unterstellungen bzw. Vorannahmen als Bedingung für die Herausbildung eines solchen „ethnischen Gewissens“ benannt : – Das Leben eines Volkes ist organisch und entwickelt sich zyklisch. Wenn eine Nation sich nicht höher entwickelt und ihren Einfluss ausdehnt, ist sie von Niedergang und Tod bedroht. – Gemeinschaften unterscheiden sich voneinander durch ihre je spezifischen Wertsysteme. Deren Schutz und Weiterentwicklung ist entscheidend für ihre Lebenskraft. – Diejenigen, die die Werte der Volksgemeinschaft nicht teilen oder nicht teilen können, da sie als rassisch minderwertig nicht zur ethnischen Gemeinschaft gehören, sind eine Bedrohung der eigenen Lebensform. Ihre Bekämpfung ist als Akt der Selbstverteidigung unverzichtbar.141 Nachdem rassische Hochwertigkeit zur Bedingung eines individuellen Lebensrechts erklärt wurde, erschien die Vernichtung für lebensunwert erklärter minderwertiger Rassen und Menschen als schlüssige Konsequenz nationalsozialistischer Rassenpolitik. Durch Indifferenz gegenüber dem Schicksal der aus rassischen Gründen zum Tode Verurteilten, aber auch durch die Bereitschaft, dieses Todesurteil an ihnen zu vollstrecken oder seine Vollstreckung logistisch durch ihre Erfassung, Deportation, Selektion und endliche Tötung zu sichern, sollten die Deutschen die Berechtigung ihrer Zugehörigkeit zur nordischen Rasse nachweisen. Durch ihre moralische Konditionierung zu politischen Soldaten und rassenbewussten Weltanschauungskriegern wurde die nationalsozialistische Rassenideologie zum Ethos ihres Handelns. Hannah Arendt hatte das Gewissen als letzte Entscheidungsinstanz moralischen Urteilens und Handelns bestimmt und die Rede vom guten Gewissen der bösen Tat als bewusste Täuschung nationalsozialistischer Täter zurückgewiesen. Für sie waren Unrechtsbewusstsein und schlechtes Gewissen die unausweichliche Konsequenz unmoralischen Handelns. Niemand könne auf Dauer mit dem schlechten Gewissen leben, unmoralisch zu handeln, da er sich sonst eingestehen müsste, seinem Selbstbild des guten Menschen nicht zu entsprechen. Schließlich habe jeder Mensch das Bedürfnis, wenigstens vor sich selbst als guter, moralisch handelnder Mensch da zu stehen. Bei jedem Menschen könne die Fähigkeit vorausgesetzt werden, einen Mord auch dann noch als Mord zu erkennen, wenn er ideologisch als Mittel zum Zweck der Durchsetzung höherer Ziele und Werte gerechtfertigt werde. Das Bewusstsein des Unrechtscharakters der Tat, die Aussicht also, ein Leben lang mit einem Mörder – dem Anderen ihrer selbst – zusammenzuleben, lasse Menschen vor dem Mord zurückschrecken. Die Vorstellung der täglichen Konfrontation mit ihrem Mörder - Ich sei für sie unerträglich. Diese Argumentation geht von der Annahme eines gegenüber Versuchen ideologischer Indoktrinierung resistenten Kerns aus, eben des Gewissens, vor dem Menschen sich, unabhängig von der Anerkennung oder 141 Vgl. Roth, Ethics, S. 87.

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Ablehnung Dritter, in ihrem Handeln rechtfertigen müssten. Für Arendt ist Pluralität der nicht hintergehbare Verweisungshorizont des Selbst. „Selbst wenn ich gänzlich mit mir allein leben müsste, würde ich, solange ich lebe, unter der Bedingung der Pluralität leben. Ich muss mich selber aushalten.“142 Solche Überlegungen helfen bei nationalsozialistischen Tätern mit gutem Gewissen nicht weiter, die deshalb auch in Arendts moralphilosophischen Überlegungen nicht vorkommen. Zwar stellte sie Eichmann als banale Persönlichkeit vor, die nichts Dämonisches an sich hatte, weshalb er mit dem guten Gewissen des rassenpolitischen Funktionärs zu agieren schien. Seine Gewissenslosigkeit interpretierte Arendt jedoch nicht als Unmoral, sondern als Abwesenheit von Moral und Gewissen aus Gedankenlosigkeit. Eichmann habe sich buchstäblich nichts bei der Organisation der Judentransporte in die Vernichtungslager gedacht und konnte eben deshalb weder moralische Bedenken noch ein schlechtes Gewissen haben.143 Während seines Prozesses in Jerusalem gab er zu, für die Deportation der Juden zu den jeweiligen Bestimmungsorten ihrer Vernichtung verantwortlich gewesen zu sein, bestand aber gleichzeitig darauf, dass seine Zuständigkeit vor den Toren der Vernichtungslager beendet gewesen sei : „Ich habe nie einen Sonderauftrag gehabt und habe – ich muss immer wieder dabei bleiben – mit der Tötung nichts zu tun gehabt. Mit der Evakuierung ja – da kann ich mich nicht daran vorbeibewegen, das muss ich gestehen, jawohl ! Aber mit der Ablieferung der Transporte an der Zielstation [...] erloschen meine Zuständigkeiten.“144 Eichmann habe weder „aus niedrigen Motiven“, noch „in voller Kenntnis der verbrecherischen Natur seiner Taten gehandelt“,145 wohl aber „unter Bedingungen [...], in denen das Verbrechen legal und jede menschliche Handlung illegal waren“.146 Deshalb sei es für ihn „beinahe unmöglich“ gewesen, ein „normales Empfinden“147 im Bewusstsein seiner Untaten zu bewahren. Selbst wenn einige der Täter sich im Nachhinein zu ihrer Schuld bekannten, bewies das nicht mehr „als das Eingeständnis der Niederlage. Wem von ihnen hätte das Gewissen geschlagen, wenn sie gewonnen hätten ?“148 Auch Eichmann blieb in seinem Prozess dabei, dass er nichts zu bereuen habe.149

142 143 144 145 146 147 148 149

Arendt, Philosophie S. 389. Vgl. Arendt, Eichmann, S. 78. von Lang, Eichmann - Protokoll, S. 88. Arendt, Eichmann, S. 53. Ebd., S. 311. Vgl. ebd., S. 54 und 326. Ebd., S. 327. Vgl. ebd., S. 52.

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3.

Rasse und Moral

Die ideologische Konstruktion des typisierten Juden : Die moralische Bedeutung jüdischer Existenz

Den Juden wurde die Gefährdung der körperlichen und seelischen Gesundheit des deutschen Volkes durch Rassenmischung und eine rassenindifferente Universalethik vorgeworfen. Durch die visuell eindringliche Darstellung antisemitischer Stereotype und die tatsächliche Verfolgung und Erniedrigung der Juden wurde die ideologische Konstruktion des typisierten Juden zur imaginären Wirklichkeit. Die lebensweltlich - alltäglichen Praktiken der Judenverfolgung schufen erst die ideologische Realität einer tödlichen Bedrohung der rassischen Volksgemeinschaft durch die „jüdische Gefahr“, auf die u. a. mit der Einführung rassenbiologischer Reinheitsgebote geantwortet wurde. Aus dem kulturellen Kontext ihrer Entstehung gerissene und geschickt manipulierte Bilder, unterstützt durch entsprechende Kommentare und vermeintliche empirische und wissenschaftliche Evidenzen, gaben dieser ideologischen konstruierten Wirklichkeit jüdischen Lebens den Anschein von Plausibilität. Um den Wahncharakter des Rassenantisemitismus zu erkennen, hätte der unvoreingenommene Vergleich des ideologisch konstruierten typisierten Juden mit der Realität jüdischen Lebens genügt. Die Indifferenz des Westens gegenüber dem Schicksal der deutschen Juden sahen die Nationalsozialisten als Bestätigung ihrer Judenpolitik, mit der sie offensichtlich Ziele verfolgten, die auch der Westen im Rahmen seines Wertesystems als legitim akzeptierte. Dessen Unfähigkeit, dabei in einer dem Nationalsozialismus vergleichbaren Konsequenz vorzugehen, belegte für sie den Niedergang des westlichen Werte - und Gesellschaftssystems, das nicht mehr in der Lage sei, seine moralischen Prinzipien auch politisch zur Geltung zu bringen. Eben das sei dem Nationalsozialismus überzeugend gelungen. Zum Nachweis der Minderwertigkeit der jüdischen Untermenschen und der untergründigen Gefährlichkeit rassischer Kontaminierung und jüdischer Weltverschwörung begnügte sich der nationalsozialistische Antisemitismus nicht mit abstrakten Zuschreibungen. Auch dem ideologisch ungeschulten Auge sollte die jüdische Gefahr sinnlich anschaulich vermittelt werden. Eben dazu bedurfte es der eindringlichen Bilder, der aussagekräftigen Statistiken und der wissenschaftlichen Expertise, die beispielhaft in der filmischen Stigmatisierung des „Ewigen Juden“ aus dem Jahre 1940 eingesetzt wurden.150 Dieser Film, der die Deutschen auf die Vernichtung der jüdischen Rasse einstimmen sollte, war ein Meisterwerk menschenverachtender Propaganda. Durch ein raffiniertes Zusammenspiel einprägsamer Bilder, signalartiger Schlagworte und suggestiver Beweismittel wurde in ihm ein facettenreiches Bild der jüdischen Gefahr beschworen. Jüdische Skrupellosigkeit, großstädtische Ghettokultur und weltmännisches Auftreten, abgründige Primitivität und listige Verschlagenheit, grenzenlose Anpassungsfähigkeit gepaart mit eiskalter Berechnung, kurz : die Fähigkeit, in 150 Vgl. Moller, Jude.

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Die ideologische Konstruktion des typisierten Juden

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wechselnden Gestalten und unterschiedlichen Rollen mit allen Mittel das eine Ziel zu verfolgen, von dem die jüdische Rasse besessen sei : die Eroberung der Welt durch Finanzspekulation und politische Verschwörung, durch Kapitalismus, Kommunismus und die rassische Kontaminierung ihrer Wirtsvölker – all das ließ nur einen ( ideo )logischen Schluss zu : Im Interesse des Überlebens und der Gesundheit des deutschen Volkes und der nordischen Rasse musste die jüdische Rasse rücksichtslos ausgemerzt werden. Mit zwei Beispielen wird im Film auf die besondere Gefährlichkeit assimilierter Juden verwiesen, die gerade dadurch, dass sie nicht mehr als solche zu erkennen seien, unbemerkt und ungestört an der rassischen Zersetzung des deutschen Volkes arbeiten könnten. Eine Szene des Films zeigt junge Männer, die durch ihre traditionelle Kleidung und ihre Bärte unschwer als Juden zu erkennen sind. In einer anderen Einstellung sind die gleichen Männer dann rasiert, frisiert und in westlicher Kleidung zu sehen, wobei Überblendungen der Bilder den Kontrast zwischen ihrer früheren und der nunmehr an die westliche Gesellschaft assimilierten äußeren Erscheinung noch unterstreichen. Eine andere Szene schließlich zeigt Berliner Salon - und Kaffeehausjuden, die sich im Duktus ihrer filmischen Repräsentation in empörender Selbstverständlichkeit das Milieu dieser kulturellen Orte zu eigen gemacht hätten und für das ideologisch ungeübte Auge nicht mehr von normalen Berlinern zu unterscheiden seien. Wissenschaftliche und religiöse, bevölkerungspolitische und rassenhygienische Begründungen für die Diskriminierung, Verfolgung und Vernichtung der Juden sollten die sachliche und kulturelle Berechtigung nazistischer Judenpolitik nachweisen. Dass die Juden minderwertig, moralisch verdorben und zugleich gefährlich für den deutschen Volkskörper waren, wurde mit frei erfundenen Statistiken und spektakulären Fällen jüdischer Unmoral und Kriminalität belegt. Aussagekräftige, von nazistischen Ideologen selbst produzierte oder willkürlich kompilierte, vorgeblich authentische Dokumente und Texte aus jüdischer Geschichte, Ethik und Religion vervollständigten das Bild. Je ungeheuerlicher die daran geknüpften Anschuldigungen, so die ideologische Erwartung, desto größer würde ihre Glaubwürdigkeit sein, gerade weil sich diese vermeintlich empirischen Evidenzen der Berechtigung von Antisemitismus und Judenvernichtung nicht nachprüfen ließen. Die Juden seien weder eine Eigenrasse, noch eine Glaubensgemeinschaft oder Kulturerscheinung, sondern eine eigentümliche, inzüchtige Mischung verschiedener Rassen.151 Seine wirtschaftlich - politische Übermacht habe das jüdische Kapital dazu benutzt, durch die Überwachung und Beherrschung der Presse ebenso wie durch internationale Vereinigungen das deutsche Volk und andere Völker auch kulturell zu dominieren.152 Durch ihre kühl kalkulierende Rationalität hätten die Juden die geistige Mentalität ihrer „Wirtsvölker“ zu deren Nachteil beeinflusst.153 Seine Ambitionen zur Weltherrschaft verfolge das Juden151 Vgl. Günther, Rassenkunde, S. 16. 152 Vgl. ebd., S. 308 f. 153 Vgl. ebd., S. 314.

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Rasse und Moral

tum durch Kapitalismus und Bolschewismus. Das Judentum sei „die Inkarnation des Bösen, [...] plastischer Dämon des Verfalls und [...] Träger eines internationalen kulturzerstörerischen Chaos“, dass sich in der Sowjetunion bolschewistisch tarne und „in den angelsächsischen Staaten plutokratisch - kapitalistisch“.154 Die Konstituierung einer undurchschaubaren Regeln folgenden Weltgesellschaft wurde einer jüdischen Weltverschwörung zugeschrieben. In dieser national, politisch und kulturell fragmentierten Welt standen die Juden für „die Undurchsichtigkeit im allgemeinen Ringen um Klarheit, die Unbestimmbarkeit in einer nach Gewissheiten dürstenden Welt“.155 In den Umbrüchen der Moderne als dem Verlust traditioneller und der Suche nach neuen Identitäten wurde der typisierte Jude durch die Zuschreibung konträrer Bedeutungen zum Inbegriff der mit dieser Orientierungssuche verbundenen Unsicherheiten und Unwägbarkeiten. „Der Jude galt als Verkörperung all dessen, was man verabscheute und fürchtete. Er war der Träger des Bolschewismus und stand zugleich für den liberalen Geist der dekadenten westlichen Demokratie. Wirtschaftlich gesehen war er Kapitalist und Sozialist in einer Person. Man verunglimpfte ihn als trägen Pazifisten, und merkwürdigerweise galt er gleichzeitig als Anstifter zum Krieg.“156 Dieser objektive Antisemitismus hatte sich von der Realität jüdischer Kultur und Religion gelöst und jüdisches Leben durch den fiktiven Lebensraum des typisierten Juden ersetzt.157 „Die jüdische Lehre des Marxismus lehnt das aristokratische Prinzip der Natur ab und setzt an Stelle des ewigen Vorrechtes der Kraft und Stärke die Masse der Zahl und ihr totes Gewicht. Sie leugnet so im Menschen den Wert der Person, bestreitet die Bedeutung von Volkstum und Rasse und entzieht der Menschheit damit die Voraussetzung ihres Bestehens und ihrer Kultur. [...] Siegt der Jude mit Hilfe seines marxistischen Glaubensbekenntnisses über die Völker dieser Welt, dann wird seine Krone der Totentanz der Menschheit sein, dann wird dieser Planet wieder wie einst vor Jahrmillionen menschenleer durch den Äther ziehen. Die ewige Natur rächt unerbittlich die Übertretung ihrer Gebote.“158 Als „Ferment der Dekomposition von Völkern und Rassen“159 seien die Juden für die Auflösung der Kultur in ihren Gastvölkern verantwortlich. In ihrem ursprünglichen Lebensraum seien alle Rassen gleich hochwertig. Erst „das Eindringen artfremden Blutes“160 führe zu Verwirrungen, Gleichgewichtsstörungen und Verfallserscheinungen. Der Verlust der ursprünglichen Reinheit einer Rasse durch Rassenmischung schwäche diese im Rassenkampf. An die Stelle der souveränen Lebensführung jeder Rasse in ihrem eigenen 154 Goebbels, Aufstieg, S. 167–204, hier 177 f. – aus : ders., Nun, Volk, steh auf, und Sturm brich los ! Rede im Berliner Sportpalast (18. 2.1943). 155 Bauman, Dialektik, S. 71. 156 Weinreich, Hitler’s Professors, S. 28 – zit. nach Bauman, Dialektik, S. 55 f. 157 Vgl. Arendt, Elemente, S. I - XXXVII, hier XII – aus Hans Mommsen, Hannah Arendt und der Prozess gegen Adolf Eichmann. 158 Hitler, Kampf, S. 60. 159 Ebd., S. 498. 160 Hauptmann, Minderwertig, S. 409 f.

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Lebensraum, den sie gegenüber anderen Rassen als das ihr angestammte Territorium behaupte, trete ihr Kampf, in dem sie sich gegenseitig ihren Lebensraum und ihr Existenzrecht bestritten. Unterschieden wurden die Rassen nun nach der Berechtigung ihres Anspruchs, umkämpften Lebensraum für sich zu reklamieren und dieses für sich beanspruchte Territorium von artfremden Eindringlingen zu säubern. Rassische Hochwertigkeit wurde durch die Fähigkeit definiert, den eigenen Lebensraum artgemäß zu gestalten, rassische Minderwertigkeit entsprechend als Unfähigkeit, diesen nach den Kriterien der eigenen Rasse zu prägen. So suchten die Juden ihr Defizit an eigener kultureller Kreativität dadurch auszugleichen, dass sie die überlegene Gestaltungskraft anderer Rassen durch deren geistig - kulturelle oder biologische Kontaminierung schwächten und parasitär für sich nutzten. Gegen die von den Juden strategisch initiierte Rassenmischung, die durch entsprechende Ideen der Aufklärung von rassenindifferenter Menschenverbrüderung und Nächstenliebe unterstützt worden sei, helfe nur die rigorose gegenseitige Abgrenzung der Lebensbezirke von Deutschen und Juden, um die völkischen Werte und Ideale der Deutschen zu sichern. Schon der völkische Rassendiskurs vor der nationalsozialistischen Machtergreifung diagnostizierte eine bevölkerungspolitische Krise des deutschen Volkes durch verantwortungslose Rassenmischung. Als Verursacher dieser Krise wurden die Juden ausgemacht, die bereits erfolgreich einen Rasseninstinkt entwickelt hätten, während die Deutschen erst vergleichbare rassenethische Intuitionen ausbilden müssten. Ihre Instinktsicherheit, mit der sie den Vorteil ihrer Rasse verfolgten, mache die Juden den noch um eine artgemäße Haltung ringenden Deutschen überlegen. Die Juden seien die ersten gewesen, die die Bedeutung der Rassenfrage erkannt hätten. Nur durch ihre ausgeprägte Sensibilität für die Eigenart ihrer Rasse hätten sie als Volk ohne eigenen Lebensraum überleben können. Ihre erfolgreiche Angleichung an andere Völker, mit der sie diese über ihren wahren rassischen Charakter täuschten sowie ihr rassenbewusster Machtwille habe sie dazu befähigt, sich gegen rassenindifferente Völker durchzusetzen, deren rassische Substanz dauerhaft zu schädigen und den von ihnen kulturell dominierten Wirtsvölkern ihre Rassenmerkmale aufzuprägen. Die Vermischung der nordischen Rasse mit der jüdischen Gegenrasse habe „Blut, Charakter und Geist der arischen Völker“161 zersetzt. „Im Blute allein liegt sowohl die Kraft als auch die Schwäche des Menschen begründet. Völker, welche nicht die Bedeutung ihrer rassischen Grundlage erkennen und beachten, gleichen Menschen, die Möpsen die Eigenschaften von Windhunden anlernen möchten, ohne zu begreifen, dass die Schnelligkeit des Windhundes wie die Gelehrigkeit des Pudels keine angelernten, sondern in der Rasse liegende Eigenschaften sind. Völker, die auf die Erhaltung ihrer rassischen Reinheit verzichten, leisten damit auch Verzicht auf die Einheit ihrer Seele in all ihren Äußerungen. Die Zerrissenheit ihres Wesens ist die naturnotwendige Folge der

161 Rassenpolitik, S. 48.

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Zerrissenheit ihres Blutes, und die Veränderung ihrer geistigen und schöpferischen Kraft ist nur die Wirkung der Änderung ihrer rassischen Grundlagen.“162 Die Herausstellung der Gefährlichkeit und Skrupellosigkeit der Juden sollte die rassenpolitische Sensibilisierung der Deutschen unterstützen. Ihnen sollte klar gemacht werden, dass am Ende der Diskriminierung und Verfolgung der Juden nur ihr Ausschluss aus der rassischen Volksgemeinschaft stehen konnte. Die intuitive Regung, auch ihnen als Mitmenschen zu begegnen, gegenüber denen moralische Verpflichtungen bestanden, sollte durch die bewusste Einnahme einer indifferenten Haltung ihrem Leben und Schicksal gegenüber gekontert werden. Die Juden sollten unter ihresgleichen bleiben. Ihre Vermischung mit nichtjüdischen Deutschen war unerwünscht. In der ersten Phase der Erziehung der Deutschen zu Judengegnern mochte das genügen.163 Die weitere Schrittfolge der Bekämpfung des Gegners wird angedeutet : Sollte sich herausstellen, dass die Fremdrassigen nicht nur andersartig, sondern auch minderwertig und gefährlich waren, würde moralische Indifferenz ihnen gegenüber nicht mehr ausreichen. Sie müssten dann aktiv bekämpft werden. Nach ihrem Ausschluss aus dem moralischen Horizont gemeinsamen Menschseins wurden sie zur Entmenschlichung und Vernichtung freigegeben. Ihre Tötung wurde als sozialhygienischer Beitrag zur Volksgesundung und Erlösung von den durch sie verkörperten Übeln gerechtfertigt. In ihrem Kampf gegen die Juden wende sich die nationalsozialistische Bewegung als „eine Genesungsbewegung [...] gegen Krankes“.164 Auch das deutsche Volk sei von der „Krankheit der Zeit“ erfasst – dem bloßen Neben - und Gegeneinander der Menschen, die zum Miteinander nicht mehr fähig seien. Diese jüdische Zersetzung der völkischen Gemeinschaft könne nur durch die Vernichtung der Juden überwunden werden. Ihr Gegentypus der Auflösung und Zersetzung hemme das artgemäße organische Wachstum des kulturtragenden deutschen Typus. Dabei hätten diejenigen, die einem solchen Gegentypus angehörten, persönlich nichts zu befürchten. Schließlich sei der Nationalsozialismus eine humanistische Bewegung, der es nie in den Sinn kommen würde, „den einzelnen Vertreter des Gegentypus als Individuum bekämpfen oder gar ausrotten zu wollen“.165 Die Juden allerdings müssten ausgeschaltet werden, da ihr innerstes Wesen durch diesen Gegentypus zersetzt sei. Sie seien einfach anders als die Deutschen und könnten deshalb nicht Teil des deutschen Volkes sein. Die „Ausmerzung des Judentums aus dem deutschen Volkskörper“166 sei deshalb unvermeidlich. Ihnen gegenüber würde sich Toleranz als verhängnisvolle Schwächung im Rassenkampf auswirken. Die Juden seien erbgenetisch auf die parasitäre Nutzung der Kulturen ihrer Wirtsvölker programmiert. In den fremden Gemeinschaften, in denen sie als Parasiten lebten, hielten sie sich immer „frei von allen moralischen Verpflich162 163 164 165 166

Hitler, Kampf, S. 372. Vgl. Dittrich, Erziehung. Jaensch, Gegentypus, S. XXXII. Ebd., S. XX. Frerks, Deutsche, S. 161 f.

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tungen“.167 Ihr Leben sei nicht auf offenen Kampf, sondern auf List und Tarnung gegründet. Ihre größte Stärke liege in ihrer Fähigkeit, Schwächen anderer Menschen und Gemeinschaften aufzuspüren und rücksichtslos auszunutzen. Als Schädlinge des Volkskörpers müssten die Juden rigoros bekämpft werden. Das deutsche Volk müsse vor ihnen durch eine prophylaktische Rassenhygiene geschützt werden. Der Jude sei kein Mensch, sondern eine Fäulniserscheinung, die sich im deutschen Volk als Spaltpilz eingenistet habe.168 Der Stand der Lösung der Judenfrage zeige sich am Grad der Widerstandsfähigkeit der Deutschen gegen das jüdische „Ferment der Dekomposition“ und den „Spaltpilz der Zersetzung“.169 Sie sei also so lange nicht gelöst, wie der gebildete Jude noch immer gern gesehener Gast in mancher Gesellschaft sei oder der anständige Jude auch weiterhin empfindsame Gemüter beeinflusse.170 Die Juden hätten einen anderen Moralkodex als die Nichtjuden. Eben deshalb könnten sie auch nicht erwarten, nach den moralischen Standards des deutschen Volkes behandelt zu werden. Es sei völlig verfehlt, einer Rasse, die selbst nicht moralisch handle, mit Respekt und Rücksicht zu begegnen. „Die gänzliche Ausschaltung des Judentums aus Europa ist keine Frage der Moral, sondern eine Frage der Sicherheit der Staaten. Der Jude wird immer so handeln, wie es seinem Wesen und seinem Rasseninstinkt entspricht. Er kann gar nicht anders. Wie der Kartoffelkäfer die Kartoffelfelder zerstört, so zerstört der Jude die Staaten und Völker. Dagegen gibt es nur ein Mittel : radikale Beseitigung der Gefahr.“171 Den Juden könne ihr unmoralisches Handeln nicht einmal zum Vorwurf gemacht werden, da sie nur ihrem Instinkt folgten, der sie zur Zerstörung der Staaten und Völker konditioniert habe. Eben weil sie rassenbiologisch auf ihr Verhalten festgelegt seien, müssten sie radikal und mitleidslos bekämpft werden. Jede andere Haltung wäre leichtsinnig und verantwortungslos dem deutschen Volk, ja ganz Europa, gegenüber. Das Ausmaß der Gefahr zwinge zum Handeln. Sie müsse beseitigt werden, schnell, gründlich und ein für alle Mal. Als „Volksschädlinge“ seien die Juden tatsächlich „mit der Krebskrankheit, mit einer wuchernden und zerstörenden Geschwulst“172 vergleichbar. Schädlings - und seelische Seuchenbekämpfung, sozialhygienische Gesundheitsprophylaxe und moralische Erneuerung, Schutz der Volksgemeinschaft vor rassischer Überfremdung und Rassenmischung waren ideologische Begründungen des Kampfes gegen die Juden. Jüdisches Anderssein hatte als Bedrohung und Irritation rassisch - völkischer Identität des Eigenen, das weder tolerierbar noch als zwar anders, aber doch auch anschlussfähig an das Eigene konvertierbar war, eine identitätsbildende 167 168 169 170 171

Pohl, Talmud, S. 114. Vgl. Buch, Menschen, S. 15. Fasolt, Grundlagen, S. 9. Vgl. ebd. Goebbels, Aufstieg, S. 287–306, hier 301 – aus : ders., Überwundene Winterkrise, Rede im Berliner Sportpalast, 5. 6.1943. 172 Der asoziale Mensch. Ein biologisches Gleichnis. In : Das Reich vom 23.11.1941.

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Funktion. Die Juden wurden als Untermenschen und Schädlinge dargestellt, die deutsche Identität und Existenz bedrohten. In ihrer skrupellosen und hinterlistigen Vorgehensweise seien sie der naiven Gutgläubigkeit und Arglosigkeit der geradlinigen nordischen Rasse überlegen. Ihre universalistische Moral des Mitleids und der Empathie mit den Bedürftigen, Benachteiligten und im sozialen Existenzkampf Unterlegenen ziele auf die moralische Schwächung von arischer Rasse und deutschem Volk, die diese daran hindere, ihren legitimen Herrschaftsanspruch mit gutem Gewissen geltend zu machen. Von Antisemiten und Gegnern jüdischer Assimilation wurden sie als gefährlicher Fremdkörper in den jeweiligen Wirtsvölkern für deren kulturelle Degenerierung verantwortlich gemacht. Der „Parasitismus des Judentums“173 sei naturgesetzlich bestimmt. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Judenfrage habe herausgearbeitet, dass auch die Juden keine selbständige Rasse seien, sondern ein Rassengemisch.174 Weil manche Juden sich für den oberflächlichen Betrachter rein äußerlich nicht von Deutschen unterschieden, müsse ihr seelischer Typus herausgearbeitet werden – ihre Eitelkeit und religiöse Unduldsamkeit, ihr eiskalter Verstand und ihre schöpferische Unproduktivität, ihre Habgier, Heuchelei und Unwahrhaftigkeit ebenso wie ihre Verschlagenheit und Feigheit.175 Die Juden seien in der Lage, ihr äußeres Erscheinungsbild und Verhalten nach strategischen Gesichtspunkten zu wechseln, um möglichst effektiv die Schädigung und Schwächung nichtjüdischer Rassen zu verfolgen. Der Jude sei die Verkörperung einer Gegenrasse, der Teufel in der Maske Gottes. „Er gibt sich [...] anders, als er seinem inneren Wesen nach ist.“176 Heuchelei und Unwahrhaftigkeit seien den Juden wesenseigen. Es liege in ihrer Natur, sich unterschiedlichsten Forderungen anzupassen und einen Charakter vorzutäuschen, den sie gar nicht hätten. So wird in einem Text zur Begründung der Einführung des Judensterns die Verstellungskunst der Juden in den Mittelpunkt gestellt : „Genauso wie in seiner Lebensführung hat der Jude auch körperlich die Eigenschaften eines Chamäleons, das jeweils nach den Umständen die Farbe seiner Umgebung annimmt. [...] Gerade für den Schutz gegen diese körperlich getarnten Juden war die Einführung des Judensterns eine Maßnahme der seelischen Seuchenbekämpfung.“177 Nur so ließen sich die Juden unter der Maske ihrer körperlichen Tarnung erkennen. Die facettenreiche Herausarbeitung der charakterlichen und moralischen Minderwertigkeit der Juden sollte die Überlegenheit der nordischen Rasse umso deutlicher hervortreten lassen. Während das Leben des nordischen Menschen Struktur und Ausrichtung habe, sei das Leben der Juden der Augenblick. Der Gedanke, das Leben planvoll aufzubauen, komme den Juden, denen eine noma-

173 174 175 176 177

Schickedanz, Judenfrage, S. 384. Vgl. Pohl, Talmud, S. 56 f. Vgl. Dittrich, Erziehung, S. 6–23. Böttcher, Wer ist Jude ? S. 97. Ahasver. Ein Blick in das Verbrecheralbum. In : Neues Volk, 9 (1941) 12, S. 6–9, hier 6.

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denhafte Unruhe zugeschrieben wurde, gar nicht.178 Krasser Materialismus, der sich u. a. in ihrer manischen Affinität zum Geld zeige, und eine grenzenlose Selbstüberheblichkeit würden ergänzt durch die „Anlage des Judentums zu hemmungsloser Sinnlichkeit und zu Perversitäten“.179 Von den jüdischen Religionsgesetzen wurde behauptet, dass sie „jeden Fremden [...] als menschenunwürdiges Wesen“180 betrachten würden. Das jüdische „Volk des Gesetzes“181 handle immer unter der Androhung von Strafe für Gesetzesverletzungen. Der Gesetzesdogmatismus der Juden lasse die Übernahme persönlicher Verantwortung nicht zu. Sie seien hemmungslos in ihren Lebensgewohnheiten, ihrer Geschlechtlichkeit und in ihrem Hass gegen Nichtjuden.182 Menschen, die nicht zur jüdischen Rasse gehörten, würden von den Juden ohne moralische Skrupel ausgenutzt, ausgebeutet, beherrscht und sexuell missbraucht. Vorgebliche Zitate aus dem Talmud sollten die moralische Verkommenheit der Juden und ihrer Religion belegen. So sei es laut Talmud Juden gestattet, Nichtjuden zu töten, Nichtjüdinnen, sobald sie älter als 3 Jahre seien zu missbrauchen, und sobald sie älter als 12 seien zu schwängern.183 Im Talmud würden Nichtjuden als Nichtmenschen hingestellt, gegenüber denen Rassenschande und Unzucht gerechtfertigt seien.184 Der Talmud verbiete Juden ausdrücklich „jedes moralische Verhalten Nichtjuden gegenüber“.185 Den Juden wurde vorgeworfen, dass sie entweder einen blutleeren, wirklichkeitsfremden Geist oder aber ein zügelloses Triebleben in gegeneinander verselbständigten Welten entwickelten.186 Das Ideal des jüdischen Marxismus sei der gleichförmige Massenmensch, dem höhere Werte und Instinkte fremd seien und der stattdessen, getrieben von einem „Bündel von Trieben wie Hunger, Sexualgier, Zerstörungssucht“, darauf ziele, „alles Edle, Hohe, Wertvolle und sittlich Gute in der arischen Menschheit“187 zu vernichten. Der Grundzug der Juden sei ihr egoistisches Streben nach Mitteln statt nach Werten und ursprünglichen Lebenszielen, was sie zu geborenen Vermittlern mache.188 Die Juden hätten einen messerscharfen Verstand, einen starken Willen zur Macht und eine ungeheure Zähigkeit, diesen Machtwillen auch durchzusetzen.189 In ihrer Obsession der parasitären Eroberung der Welt hätten die Juden immer raffiniertere Methoden entwickelt, um sich in die Seele anderer Völker 178 Vgl. Clauß, semitischer Mensch, S. 166. 179 Der Chef der Sicherheitspolizei und des SD : Der Rassegedanke und seine gesetzliche Gestaltung. o. O., o. J., S. 41. 180 Handblätter für den weltanschaulichen Unterricht, Berlin o. J. Hg. : Der Reichsführer SS, Thema 18 : Der Jude zerstört jede völkische Lebensordnung, S. 2. 181 Fasolt, Grundlagen, S. 14. 182 Vgl. ebd., S. 16 f. 183 Vgl. Der Stürmer, Heft 3, 1938. 184 Vgl. Pohl, Talmud, S. 234. 185 Ebd., S. 114. 186 Vgl. Grunsky, Einbruch, S. 26 f. 187 Was ist Bolschewismus ? In : SS - Leithefte ( BArch, NS 31/421, S. 95). 188 Vgl. Franz, Vervollkommnung, S. 264. 189 Vgl. Meyer, Mensch, S. 80.

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einzuschleichen. Durch die Übertragung ihrer Besessenheit von sinnlichen Ausschweifungen aller Art auf ihre Wirtsvölker hätten sie diese ihrem moralisch verderblichen Einfluss unterworfen. „Die jüdische Sucht nach sinnlichem und verweichlichtem Lebensgenuss“ habe zu einer systematischen „Entsittlichung der Jugend [...] durch übertrieben widernatürliche Sinnlichkeit“190 geführt. Deshalb müsse die deutsche Jugend von jüdischen Einflüssen ferngehalten werden, um sie vor der moralischen Verwahrlosung zu schützen. Der Jude verfüge über eine sprunghafte, ungezügelte, unorganisch arbeitende, das eigene Ich bespiegelnde Einbildungskraft.191 Der jüdische zergliedernde Intellekt habe an die Stelle des Blutes als dem Bindeglied einer menschlichen Gemeinschaft den „vernünftigen, verstandesmäßigen Vertrag, den contrat social“192 gesetzt, der den Kampf aller gegen alle im Naturzustand beendet habe. Seinem eiskalten Verstand bleibe die Tiefe des deutschen Gemüts auf ewig verschlossen. Er habe es ihm ermöglicht, geistige Berufe überproportional zu besetzen und so die geistige Zersetzung des deutschen Volkes zu betreiben. Während die Juden das Leben als Beute sehen würden, mache die in Selbstbeherrschung gegründete Leistung den Lebenssinn des germanischen Menschen aus.193 Statt nach geistiger Entwicklung zielten die Juden darauf, den Geist „immer spitzfindiger, immer lebensfeindlicher zu machen“.194 „Das Fehlen jeder Innerlichkeit und die Unterwerfung unter rein äußerliche Bindungen“195 seien Kennzeichen der jüdischen Rasse. Der zersetzenden Kraft des überzüchteten jüdischen Intellekts, der auf die Zerstörung alles Wertvollen und Heiligen ziele, müsse rechtzeitig und energisch begegnet werden. Für gesunde Deutsche sei „innerer Anstand“ selbstverständlich, nicht jedoch für die Juden. Ihre rassische Minderwertigkeit zeige sich in ihrer charakterlichen Verkommenheit.196 Die Judenfrage müsse der deutschen Jugend auf eine Weise nahe gebracht werden, die sowohl ihr Gefühl als auch ihren Instinkt anspreche. Sie sollte die Juden mit nüchternem Tatsachenblick als zwar unwürdigen und nicht ebenbürtigen, dennoch aber gefährlichen Gegner begreifen.197 Der Nationalsozialismus bestreite nicht, dass auch die Juden Menschen seien, aber eben ganz andere Menschen als die Deutschen : Sie würden anders denken und fühlen und seien eben deshalb den Deutschen fremd. Sogenannte anständige Juden täuschten einen Charakter vor, den sie auf Grund ihrer rassischen Veranlagung gar nicht haben könnten.198 Blutsmäßig und seelisch seien die Juden Fremde im

190 191 192 193 194 195 196 197 198

Pohl, Talmud, S. 114. Vgl. Behrendt, Blut, S. 42. Ellersiek, Seele, S. 85. Vgl. Clauß, semitischer Mensch, S. 168 f. Ebd., S.174. Lorenz, Wirtschaft, S. 111. Vgl. Unterricht über den Gegner. In : SS - Leitheft, 3 (1937) 4, S. 34–37. Vgl. Dittrich, Erziehung, S. 4. Vgl. Unterricht über den Gegner. In : SS - Leitheft, 3 (1937) 4, S. 34–37, hier 34.

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deutschen Volk, stünden sich Deutsche und Juden als „artverschiedene geistige Welten gegenüber“.199 Deutsche, die von sich behaupteten, überzeugte Nationalsozialisten zu sein, müssten die Rassentheorie als das zentrale Element der nationalsozialistischen Weltanschauung akzeptieren. Manche würden zwar zutreffend in den Juden „blutsmäßig Volksfremde“ sehen, dennoch aber darauf bestehen, dass es „auch anständige Juden“200 gebe. Sie betonten, die nationalsozialistische Rassen - und Judenpolitik im Prinzip anzuerkennen, um sie dann im konkreten Fall jedoch anzuzweifeln. Sie akzeptierten die Minderwertigkeit der jüdischen Rasse, gestanden einzelnen Juden jedoch zu, die Bestimmungen ihrer Rasse für sich außer Kraft zu setzen. Dazu Himmler in seiner Posener Rede : „Es gehört zu den Dingen, die man leicht ausspricht. – Das jüdische Volk wird ausgerottet, sagt ein jeder Parteigenosse, ganz klar, steht in unserem Programm, Ausschaltung der Juden, Ausrottung, machen wir. Und dann kommen sie alle an, die braven 80 Millionen Deutschen, und jeder hat seinen anständigen Juden. Es ist ja klar, die anderen sind Schweine, aber dieser eine ist ein prima Jude.“201 Dagegen müsse darauf bestanden werden, dass ausnahmslos alle Juden dem biologischen Schuld- und Schicksalszusammenhang ihrer Rasse unterworfen seien. Wer hier Ausnahmen einfordere, habe die Rassentheorie entweder nicht verstanden oder versuche, sie in ihrer Bedeutung herunterzuspielen, um für sich selbst keine persönlichen Konsequenzen ziehen zu müssen. Die nationalsozialistische Bewegung bekämpfe zwar nicht den einzelnen Juden, sondern die Juden als Angehörige ihrer Rasse. Deren Eigenheit bestehe jedoch gerade darin, dass ihr rassischer Charakter keinen Spielraum für individuell abweichendes Verhalten zulasse. Differenzierungen der Juden nach Alter, Geschlecht, nationaler Herkunft u. ä. wurden schon im Vorfeld ihrer Zurichtung zum Objekt der Vernichtung als belanglos ausgelöscht. Die jüdische Rasse wurde als unmoralisch, minderwertig und dennoch gefährlich für das deutsche Volk und die nordische Rasse dargestellt. Diese Stigmatisierung galt für ausnahmslos alle Juden, denen die Möglichkeit individueller Abweichung vom Profil ihrer Rasse nicht zugestanden wurde. Der christliche Antisemitismus hatte die Juden als Angehörige einer anderen Religion aufgefordert, zum Christentum zu konvertieren. Ihre Assimilation versprach ihnen den Zugang zu Möglichkeiten, die ihnen als Juden verwehrt waren. Als Angehörige der jüdischen Rasse waren sie in der biologischen Generationsfolge für immer auf ihre Zugehörigkeit festgelegt. Reduziert auf ihre Rassenzugehörigkeit waren Konvertierung oder Assimilation für sie prinzipiell ausgeschlossen. Sie waren Juden auf Grund rassenideologischer Zuschreibung unabhängig davon, wie sie selbst ihre kulturelle oder religiöse Identität definierten. 199 Behrendt, Blut, S. 41. 200 Ebd. 201 Himmer, Posener Rede http ://www.nationalsozialismus.de / dokumente / texte / heinrich himmler - posener - rede - vom - 04–10–1943–volltext.html.

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Der bürgerlichen Gesellschaft wurde vorgeworfen, die Assimilation der Juden zu vermeintlich gleichberechtigten Mitgliedern der Gesellschaft nicht nur zugelassen, sondern sogar befördert zu haben. Sobald die Juden Schulbildung, gutes Einkommen und Manieren als die formalen Eintrittsbedingungen in die bürgerliche Gesellschaft erfüllt hätten, habe sie das deutsche aufgeklärte Bürgertum willkommen geheißen. Die Frage der Konfession der Juden, ihrer Staatsangehörigkeit oder Assimilation habe mit der rassischen Zuordnung zum Judentum jedoch nichts zu tun. „Dass 19. Jahrhundert suchte die Lösung der Judenfrage vor allem in der Emanzipation und der Assimilation. Damit, dass der Jude seine orthodoxen Gewohnheiten verließ, sich europäisch kleidete und Schweinefleisch aß, dadurch, dass er sich in Sprache und Geistesleben den Europäern anglich, sollte er aufhören, Jude zu sein. Aber vermöge seiner inzuchtlichen Rasseart blieb er selbst dann noch Jude, wenn er sogar die väterliche Religion abwarf.“202 Ihre Assimilation an das bürgerliche Wertesystem und ihre Integration in die deutsche Gesellschaft mache es Deutschen ohne einen ausgeprägten Rasseninstinkt unmöglich, die Juden unter der Maske ihrer äußerlichen und habituellen Anpassung als rassischen Fremdkörper in der Volksgemeinschaft zu identifizieren. Bereits vor seiner Geburt entscheide sich, welcher Rasse ein Mensch angehöre. Dieser rassenbiologischen Schicksalsmacht stünden „alle Menschen gleich unfrei und gleich ohnmächtig gegenüber“.203 Gerade die „besten Anlagen zu starker, charaktervoller, geistiger und sittlicher Menschlichkeit“204 seien ein Beweis für die Wirkungsmächtigkeit der Rassenbiologie, aber auch für die Notwendigkeit, diesen Anlagen der nordischen Rasse durch eine entsprechende Rassenpolitik Gelegenheit zur Entfaltung zu geben. Jeder Angehörige der nordischen Rasse sei zwar durch seine Erbanlagen eindeutig festgelegt, ohne jedoch dadurch schon als Individuum in seinem Verhalten hinreichend bestimmt zu sein. Menschen mit artfremden bzw. minderwertigen oder defekten und kranken Erbanlagen wurde eine solche Variationsbreite individueller Bewährung oder Versagens nicht zugestanden. Sie waren auf ihr genetisch bestimmtes Verhalten und entsprechende Eigenschaften festgelegt, denen sie sich individuell nicht entziehen konnten. Für Juden blieb es dabei, dass sie ausnahmslos die ihrer Rasse zugeschriebenen Merkmale und Verhaltensmöglichkeiten auch individuell verkörperten.205 Der nazistische Rassenantisemitismus wurde mit der Notwendigkeit gerechtfertigt, darauf zu reagieren, dass sich die jüdische Ethik als artfremdes Element in die christliche Religion eingeschlichen habe. Mit ihren Geboten des universellen Lebensschutzes, der Nächstenliebe und der Gerechtigkeit habe sie die selektive Rassenethik der moralischen Rechtfertigung der Tötung Erbkranker und rassisch Minderwertiger in Frage gestellt. Mit dem Mord an den Juden hät202 203 204 205

Der Jud ist schuld, S. 53–68, hier 63 – aus : Gottfried Feder, Die Judenfrage. Hauptmann, Überheblichkeiten, S. 177. Ebd. Vgl. Cooper, Ideology, in, Garrard, Scarre ( Hg.), Moral Philosophy, S. 9–24, hier 18.

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ten die Nazis versucht, „die Ethik des Judentums zu beseitigen, die ihren überwältigenden Kerngedanken in dem aus der Opferverwerfung resultierenden Recht auf Leben hat. [...] Hitler wollte letzten Endes das gesamte [...] Judentum vernichtet sehen, weil er hoffte, dass mit dem Verschwinden der Juden auch die Thoragesetze des Lebensschutzes sowie der Liebes - und Gerechtigkeitsgebote aus der Welt wären. Die Judenbeseitigung sollte das Recht auf Töten wiederherstellen. [...] Mit der Ausschaltung der jüdischen Ethik wollte Hitler die nordischen Völker vom Gewissens - und Gesetzeskonflikt fürs Töten beim Erobern und Ausmorden von Lebensraum befreien, ihnen also einen entscheidenden strategischen Vorteil verschaffen.“206 Mit der Stigmatisierung des Gewissens als einer jüdischen Erfindung, die als entscheidendes Hindernis auf dem Wege zu einer an archaischen Zuständen orientierten, von moralischen oder sonstigen Ressentiments freien „Humanität der Natur“ beseitigt werden müsse, habe Hitler in den Juden zugleich die „jüdische Tiefenstruktur der okzidentalen Ethik“207 angegriffen. Als Platzhalter einer naturwidrigen Humanität, die das Existenzrecht der Schwachen gegen die Übergriffe der Starken verteidige, hätten die Juden Hitlers Plänen einer Neuordnung der Welt im Wege gestanden. Tatsächlich fanden sich in Begründungen des nazistischen Antisemitismus Argumente, die eine solche Interpretation zu rechtfertigen scheinen. Das jüdische Tötungsverbot sei lebensfeindlich und widernatürlich und gehe an der „Wirklichkeit des Lebens“ vorbei. Selbstverständlich vernichte die Natur das, was nicht lebenstüchtig und nicht lebenswert sei. Deshalb müsse dieses Gebot umformuliert werden in : „Du sollst, wenn es das Leben erfordert, Leben nicht schützen !“ und „Du sollst, wenn es das Leben erfordert, Leben vernichten !“208 Aus eigener Kraft nicht lebensfähige Menschen wurden damit zur Vernichtung freigegeben. Auf das eigene Leben angewandt, müsse das 5. Gebot ersetzt werden durch die folgenden vier Gebote : „Du sollst dein Leben züchten ! Du sollst dein Leben schützen ! Du sollst dich notfalls opfern ! Du sollst dich notfalls vernichten !“209

Das christliche Tötungsverbot wurde in ein gezieltes Tötungsgebot rassisch Minderwertiger verwandelt. Ihnen sollten zunächst menschliche Würde und mitmenschliche Zuwendung verweigert werden, um sie schließlich als lebensunwert zu töten. Faktisch lief die Ersetzung der universellen Moral der Bürger und Menschenrechte durch die selektive Rassenmoral auf die moralische Ungleichbehandlung der Menschen entsprechend ihrer Rassenzugehörigkeit hinaus, die darüber entschied, wer für das Leben in der neuen Ordnung kondi206 207 208 209

Heinsohn, Auschwitz, S. 18. Ebd., S. 142. Tolle, Gesetz, 242. Ebd.

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tioniert oder aber ausgegrenzt und stigmatisiert wurde. Hitlers „Negation der Moral“ zielte auf die „Umkehrung der Zehn Gebote“.210 Himmler sprach von der „widerlichen Pflicht“211 des Tötens. Und Ministerialrat Eugen Stähle, Gauamtsleiter für Volksgesundheit Ministerialdirektor im württembergischen Innenministerium war sich sicher : „Das 5. Gebot : Du sollst nicht töten, ist gar kein Gebot Gottes, sondern eine jüdische Erfindung.“212 Anfang 1936 wurde beklagt, dass die Judengegnerschaft noch kein hervorstechender Zug des deutschen Volkes sei. Das zeige insbesondere das „Mitgefühl mit den aus dem deutschen Leben verbannten Juden“.213 Diese Regung menschlichen Mitleids sei in ihrem Falle völlig unangemessen, sei doch den Juden in der deutschen Revolution nichts Schlimmes widerfahren. So war etwa im „Stürmer“ in einem „Berliner Brief“ als Reaktion auf die „Volkskundgebungen“ vom 9./10 November 1938 zu lesen : „Wie gut hatten es doch die Juden in Berlin. Sie wohnten friedlich neben den Nichtjuden, machten ihre Geschäfte, verdienten gut, tanzten mit deutschen Frauen in öffentlichen Lokalen, besuchten unsere Konzerte und Theater, kurz : Juden wurden wirklich wie Gäste behandelt“.214 Damit sollte es nun vorbei sein. Kontakte zwischen jüdischen und nicht - jüdischen Deutschen wurden immer mehr kriminalisiert.215 Dabei spielte der Stürmer eine entscheidende Rolle bei der moralischen Konditionierung der Deutschen zur Bereitschaft, sich von ihren jüdischen Nachbarn, Freunden, Geschäftspartnern und Kollegen loszusagen und jegliche Beziehungen zu ihnen abzubrechen. Während die einen bereitwillig denunzierten, sollten die anderen durch öffentlichen Druck dazu gebracht werden, ihr judenfreundliches, rassenindifferentes Verhalten zu ändern. Menschen, die sich weigerten, ihr Verhalten nach rassischen Kriterien auszurichten, ob aus Ignoranz oder Indifferenz gegenüber der neuen Rassenmoral oder weil sie diese bewusst ablehnten, wurden durch die Offenlegung ihrer Identität faktisch zum Freiwild erklärt. Für den Fall fortgesetzten Fehlverhaltens wurden ihnen Sanktionen angedroht, die zusammen mit der diffusen Aufforderung der Leser zur Selbstjustiz eine Atmosphäre der Einschüchterung und alltäglichen Dauerüberwachung schufen, von der sich vermuten lässt, dass sie Wirkung zeigte. In jeder Nummer des Stürmer wurden namentlich und mit Adresse nichtjüdische Deutsche benannt, die freundschaftliche Beziehungen zu Juden unterhielten, Geschäfte mit Juden machten oder Juden vertraten, bei Juden kauften oder von Juden Waren bezogen, die jüdische Vertreter beschäftigten oder geschäftlich mit Juden verkehrten, die sich mit Juden in Lokalen trafen oder bei Juden arbeiteten. Auch wer sich von Judenärzten behandeln ließ oder zur Beerdigung von Juden ging, sich öffentlich mit Juden zeigte oder sie in 210 211 212 213 214 215

Vgl. Arendt, Böse, S. 13 und 16. Zit. bei Hilberg, Vernichtung, Band 2, S. 348. Zit. bei Schmuhl, Rassenhygiene, S. 321. Volck, Jude, S. 12. Der Stürmer Heft 48, Dezember 1938. Vgl. dazu Przyrembel, „Rassenschande“, S. 154 f.

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Die ideologische Konstruktion des typisierten Juden

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Schutz nahm, Juden zu Familienfeiern einen Tisch borgte, Juden vor Gericht vertrat oder Juden beschäftigte, wurde im Stürmer als gegenüber nationalsozialistischer Rassenpolitik indifferenter Judenfreund an den Pranger gestellt. Andere besaßen die Frechheit, Juden ein glückliches neues Jahr zu wünschen216 oder hatten einer fetten Jüdin den Handwagen gezogen.217 Verwiesen wurde auf die unmittelbaren Konsequenzen rassenbewussten oder - indifferenten Verhaltens für die Stabilität oder Instabilität familiärer Beziehungen. So wurde der fortgesetzte Einkauf der Ehefrau eines Amtswalters der Partei in jüdischen Kaufhäusern und Geschäften als Scheidungsgrund anerkannt. Das Erkalten seiner ehelichen Gesinnung sei ihm nicht zu verargen.218 Beklagt wurde das Zusammenspiel von „jüdischer Dreistigkeit“ und „weitverbreiteter Instinktlosigkeit unter den deutschen Frauen und Mädchen“, so dass 1935 in Breslauer öffentlichen Lokalen immer noch „schmierige Juden mit arischen Frauen“219 tanzen würden. Unter der Rubrik „Unerfreuliches“ wurde eine Erklärung des Vorstandes der jüdischen Gemeinde Berlin abgedruckt : „Heute wie jederzeit ist äußerste Zurückhaltung die selbstverständliche Pflicht eines jeden verantwortungsbewussten Juden. Er meidet die großen Schankstätten und Cafes, er unterlässt überflüssige Promenaden, er zieht den Aufenthalt im eigenen Hause vor.“220 Die jüdische Gemeinde forderte ihre Mitglieder auf, Anlässe zu antisemitischen Aktionen nicht zu provozieren. Anstatt ihre Rechte zu verteidigen oder sich weiter zu ihrem Deutschsein zu bekennen, sollten sie faktisch unsichtbar werden und aus der deutschen Öffentlichkeit verschwinden. Sie begegnete dem Antisemitismus der Straße dadurch, dass sie die Juden zum Rückzug aus der deutschen Öffentlichkeit aufforderte, aus der sie durch die Rassenpolitik ohnehin verbannt waren oder vertrieben werden sollten. Dieser Versuch der jüdischen Gemeinden, antisemitische Aktionen auf diese Weise ins Leere laufen zu lassen, wurde als unerfreulich rubriziert. Regelmäßige Rubriken heizten den Kampf gegen die Juden an. Die innerhalb dieser Überschriften aufgelisteten Beispiele wiederholten sich. Wer eine Nummer des Stürmer verpasst hatte, konnte sicher sein, in einer beliebigen anderen Nummer die exakt gleiche antisemitische Litanei unter den entsprechenden Überschriften wiederzufinden. Diese lauteten etwa Wie ich Judengegner wurde, Rassenschande ohne Ende oder So ist der Jude, Meister der Tarnung. Kreise und Orte wurden als judenfrei gemeldet, vorgestellt wurden die barbarischen Rassengesetze der Juden. „Wohin mit den Juden ?“, so fragte im Februar 1938 ein Leitartikel des Schwarzen Korps. Weder säßen die Juden auf gepackten Koffern, noch würden sie anderswo erwartet. „Die, die hier sind, wollen nicht fort, und die, die draußen sind, wollen nicht, dass die unsrigen zu ihnen kommen.“221 216 217 218 219 220 221

Vgl. Der Stürmer, Heft 6, Februar 1938. Vgl. Der Stürmer, Heft 42, Oktober 1938. Vgl. Der Stürmer Heft 38, September 1938. Der Weltkampf (1935) 137, S. 151 f. Der Weltkampf (1935) 141, S. 278. Wohin mit den Juden ? In : Das Schwarze Korps vom 10. 2.1938.

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Rasse und Moral

Dies habe zu tun mit ihrem Schmarotzertum : „Es liegt in der Natur des Parasiten, dass es ihn am wenigsten schert, was der Organismus von ihm hält, an dem er schmarotzt.“222 Deshalb könne eine Lösung der Judenfrage nicht unter jüdischer Mitwirkung, sondern nur gegen sie als zwangsweise Aussiedlung der Juden erfolgen.223 Ein Volk, das eine Parasitenrasse in seinem Körper dulde, müsse zugrunde gehen. Nicht von allen könne erwartet werden, die Judenfrage in all ihrer Komplexität zu verstehen. Gelöst werden aber müsse sie trotzdem, und zwar nicht erst dann, wenn das von allen verstanden sei, sondern sofort. Da es dabei um die Sicherheit des Staates gehe, werde, wer hier moralische Bedenken äußere, zum sicherheitspolitischen Risiko. Die Endlösung der Judenfrage sollte eine von der nordischen Rasse dominierte rassenpolitische Weltordnung herstellen. Die Judenfrage lasse sich nicht lösen durch die Vertreibung der Juden aus Deutschland und ihre Ansiedlung in einem anderen europäischen Land. Vielmehr müssten sie aus ganz Europa vertrieben werden. Nachdem diese Frage der Zukunft der Juden in Europa entschieden war – sie hatten hier keine Zukunft, verschob sich der Schwerpunkt der Judenfrage auf die Bestimmung derjenigen, die als jüdisch gelten sollten. Hier dürften „grundsätzlich nur rassische Erwägungen maßgebend sein, nicht aber Fragen der Religionszugehörigkeit oder der Bodenständigkeit, Staatsangehörigkeit und dergleichen“224 und schon gar nicht leichtfertige Schlussfolgerungen, die den persönlichen Eindruck im Umgang mit vermeintlich anständigen Juden höher werteten, als deren rassische Bestimmung. Die nationalsozialistische Ideologie hatte „die Befreiung der Menschheit von den Juden in pseudo - religiösen, messianischen Begriffen“225 angekündigt. Ihr „Erlösungsantisemitismus“226 verband christlichen Antisemitismus und Sozialdarwinismus mit messianischen Hoffnungen und Erwartungen.227 Der „institutionelle Darwinismus“228 des Nazi - Regimes zerstörte als „Rebellion gegen das, was man bis dahin als Menschlichkeit betrachtet hatte“,229 den bürgerlich - christlichen Humanismus universeller Menschenrechte und einer gegenseitigen moralischen Verpflichtung aller Menschen als Angehörigen der menschlichen Gattung bzw. einer Menschheit.

222 223 224 225 226 227 228 229

Ebd. Vgl. ebd. Gross, Lösung, S. 5. Bauer, Seite, S. 42. Vgl. dazu Friedländer, Reich, S. 87–128. Vgl. Bauer, Seite, S. 149. Browning, Weg, S. 24. Bauer, Seite, S. 317.

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Von deutscher Eigenart und Größe

4.

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Von deutscher Eigenart und Größe : Nordische Rasse und Moral

Begründungsversuche einer nationalsozialistischen Rassenethik betonten immer wieder das moralische Wertesystem der germanischen Rasse als ihr historisches Vorbild und sprachen von den „moralischen Gesetzen germanisch - deutschen Lebens“.230 Der Mensch sei von Natur aus ein Gemeinschaftswesen, das in der Vereinzelung verkümmere. Die nordische rassische Wertordnung sei einer eigenen „Tafel der Werte“231 verpflichtet, die im kämpferischen Ethos des nordischen Menschen in einer Synthese von Zucht und Ordnung, Pflicht und Sollen verkörpert seien. Der Nationalsozialismus habe sich dem „Lebensideal germanischer Ethik“232 verschrieben, das jedoch noch weiter entwickelt und entfaltet werden müsse. Gegen die Verflachung des Germanischen in der bürgerlichen Welt müsse dessen „ethische Dynamik“ erneuert werden, wonach jeder positive Wert sein negatives Gegenbild habe, die „Wirklichkeit und Bewegung des Lebendigen“ also in dessen „Polarität“233 gründe. Ursprung der germanischen Ethik sei die Werteordnung der siegesgewissen und freiheitsbewussten Herrenmenschen, die ihre Berufung zur Führung aus dem „Gemeinschafts - und Lebenszusammenhang“234 ableiteten. Dabei wurde das persönliche Beispiel der Führer der germanischen Gemeinschaftsordnung herausgestellt, deren „heldische Haltung, Tapferkeit und Selbstbehauptungswillen das Gefühl der eigenen Würde und Verantwortung [...] und die unbedingte Pflichterfüllung“235 dieses Wertesystem exemplarisch verkörpert habe. Die „heroisch - tragische Lebensauffassung“ der Germanen habe immer wieder den Glauben an die Vorherbestimmung und die „Unentrinnbarkeit des Gesetzes“236 sowie Kampf, Tat und Lebensbejahung betont. Jegliche Todessehnsucht sei den Germanen fremd gewesen. Die Sippe habe ihnen mehr bedeutet als der Einzelne. Auch wenn sich die Zeiten natürlich geändert hätten, es also „dem modernen Deutschen unmöglich sei, sein Leben [...] nach den Unbedingtheiten der Edda“237 einzurichten, gingen doch wichtige Impulse für die Gestaltung des völkischen Lebens und die moralische Vervollkommnung der Deutschen von ihr aus. Die Idee der Ehre sei Mittelpunkt nationalsozialistischen Denkens und Handelns, wobei nur Angehörige der nordischen Rasse ehrfähig seien und Achtung verdienten.238 Sie vertrage kein gleichwertiges Kraftzentrum, gleich welcher Art, neben sich.239 „Ehre ist Zwang genug“, so habe Himmler, unter Berufung auf 230 231 232 233 234 235 236 237 238 239

Decker, Weg, S. 29. Krieck, Entscheidung, S. 29. Vgl. Meyers Lexikon, Stichwort Rasse, Sp. 46. Krieck, Volkscharakter, S. 43 f. Ebd., S. 46 und 51. Schaper, Führertum, S. 46 f. Ritzki, Religiosität, S. 204 f. Ebd., S. 208. Vgl. Weidauer, Wahrung, S. 17. Vgl. Rosenberg, Mythus, S. 514.

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die Edda, das Gesetz germanischen Empfindens und Handelns benannt. Deutsche Ehre offenbare sich „in der Einsamkeit der kämpferischen Entscheidung“.240 Freiheit ohne Ehre sei Anarchie. In der Volksgemeinschaft sei die Anerkennung der Ehre oberstes Gesetz. In der Ehre allein gewinne der Mensch die Kraft zu Leistungen und Entschlüssen im Interesse der Gemeinschaft, die ihn zugleich über sich selber hinausführe.241 Ihn zeichneten Verantwortungsfreude, unbedingte persönliche Verlässlichkeit und bewusste Pflichterfüllung aus.242 Nur der reinblütige Germane sei fähig, eine moralische Haltung auszubilden. In der germanischen Gemeinschaft hätten sich Moral und Schicksal vereinigt : Die in ihr geltende moralische Kausalität folge zugleich einer unbegreiflichen göttlichen Vorsehung.243 Als „Gleiche unter Gleichen“ ohne jegliche Vorrechte habe sich der germanische Blutadel durch seine „charakterlichen Eigenschaften, durch Mut, Tapferkeit und Entschlusskraft, durch größeres Leistungsvermögen und geistige Überlegenheit“244 behauptet. In dieser Tradition sah sich der „neue biologische Adel“245 der nordischen Rasse. Orte des Deutschseins, so hatte es Ernst Bloch formuliert, seien für die Nazis das Blut, „das aufgenordete Vaterland“ und die „Romantik des deutschen Heldentums“.246 Die nordische Rasse sei disponiert „zu Kameradschaft und Uneigennützigkeit, aber auch zu schroffer Härte und erbarmungsloser Rücksichtslosigkeit gegen sich und andere“.247 Die ihr gemäße Verfassung sei die „aristokratische Demokratie“, während der Parlamentarismus im vorderasiatischen und jüdischen Denken verwurzelt sei und „das Volksschicksal in die Hand von [...] bestechlichen Mehrheiten“248 lege. Die Deutschen gehörten als Gleiche unter Gleichen der rassischen Volksgemeinschaft an. Unterschiede zwischen ihnen seien nicht durch Besitz oder Herkunft bestimmt, sondern allein durch ihre Leistung für die Gemeinschaft. Von der Reinblütigkeit der Germanen seien die gemischtrassigen Deutschen jedoch noch weit entfernt. Eben deshalb sollten sie durch die Unterbindung von Rassenmischung den bereits hohen Anteil nordischen Bluts erweitern. Dabei entschied die Konsequenz und Rigorosität, in der sie sich für die Durchsetzung der nationalsozialistischen Rassenpolitik einsetzten, darüber, ob sie sich auch persönlich als Angehörige des Blutadels der rassischen Elite empfahlen. Die unbedingte Verpflichtung der rassischen Lebens - und Blutsgemeinschaft der Sippe gegenüber habe das germanische Verständnis blutsgebundener Sittlichkeit geprägt. Der germanische Blutsgedanke sei schließlich durch die christliche „Gleichwertung aller Rassen“ zerstört worden, die auch 240 241 242 243 244 245 246 247 248

Das Schwarze Korps vom 11.11.1943. Vgl. ebd. Vgl. Vom Schulen und Führen. In : Das Schwarze Korps vom 23.11.1944. Vgl. Eberlein, Gesetz. Schaper, Bedeutung, S. 48. Dürre, Wegweiser, S. 89. Bloch, Erbschaft, S. 94 f. und 99. Meyers Lexikon, Stichwort Rasse, Sp. 42 und 44. Ebd., Sp. 48.

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vor der körperlichen Vermischung nicht halt gemacht und das germanische Blut zersetzt habe. Vor dem germanischen Gott dagegen waren alle gleich, in deren Adern nordisches Blut floss.249 Die nationalsozialistische Bewegung stellte sich in die Tradition germanischer Kultur und Religion und sah in der germanischen Sippengemeinschaft den historischen Präzedenzfall einer rassisch reinen Gesellschaft, der ihr eigenes rassenpolitisches Programm in die Perspektive der Anknüpfung an ein historisches Vorbild stellte. Zugleich wurde betont, dass es ihr nicht um eine einfache Wiederherstellung der germanischen Sippengemeinschaft gehe, auch wenn die rassische Volksgemeinschaft Züge des germanischen Vorbildes trage. Dabei wurden am germanischen Ethos die unbedingte Verpflichtung auf die Gemeinschaft, die Betonung des Kämpferischen, die Herausstellung der eigenen Hochwertigkeit durch die Zugehörigkeit zu einem rassischen Blutadel und die moralische Rigorosität gegenüber gemeinschaftsschädigendem Verhalten, das unnachsichtig geahndet wurde, hervorgehoben. Aber auch das Element des Werdenden, Unausgeglichenen, Formlosen, Drängenden und Sehnsuchtsvollen sei dem deutschen Volk eigen.250 Ihre „geniale Zwecklosigkeit, fern aller händlerischen Überlegung“251 halte in den Deutschen eine Sehnsucht nach Vollendung und Vollkommenheit wach, die sich der Bescheidung mit Kompromissen und der Einrichtung im konkret immer Unvollkommenen verweigere. Ihre „innere Grenzenlosigkeit“ und „formale Unausgeglichenheit“252 zeige, dass das deutsche Volk noch nicht zu seiner eigenen Form gefunden habe. In der Tradition des völkisch - nationalen geschichtsphilosophischen Denkens wurden die Deutschen als ein Volk im Werden, aber auch als exemplarisches Vernunftvolk in Stellvertretung der menschlichen Gattung dargestellt. Die nationalsozialistische Weltanschauung habe den klassischen Humanismus von fremden Elementen befreit und aus dem „Reich des reinen Geistes und der Universalität auf den festen Boden [...] der völkischen Lebenswirklichkeit“253 heruntergeholt. Die Ideologie der reinen Humanität und der universellen Vernunft habe als „Ersatz für die fehlende politische und rechtliche Wirklichkeit des Reiches“254 gedient. Nachdem dieses Reich im Nationalsozialismus Realität geworden sei, habe ein solcher Ersatz seine Existenzberechtigung verloren. Die idealistische Vision eines weltbürgerlichen Reichs der Vernunft sei mit ihrem rassenindifferenten Menschenbild historisch überholt. Ihr berechtigter und verdienstvoller Versuch, Deutschland in Zeiten historischer Zerrissenheit und politischer Schwäche zum historischen Gedächtnis der Nationen ( Schiller ) oder als Ursprung aller weltgeschichtlich folgenreichen Entwicklungen ( Fichte ) im Spiel zu halten, sei durch den rassenpolitisch begründeten Führungsanspruch der 249 250 251 252 253 254

Vgl. Schaper, Bedeutung, S. 52. Vgl. Hennemann, Grundzüge, S. 17 und 22. Rosenberg, Mythus, S. 153 – in Anspielung auf Sombart, Händler. Hennemann, Grundzüge, S. 18 – zit. aus Krannhals, Weltbild, S. 479. Krieck, Volkscharakter, S. 14. Ebd., S. 71.

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Deutschen als Angehörigen der höherwertigen nordischen Rasse eingelöst. So wurden etwa im Anschluss an Fichte die Deutschen als „das Volk schlechthin, als das völkische Volk“255 bestimmt und die Deutschen als Urvolk eines völkischen, rassenbewussten Humanismus aufgebaut.256 Für Helmuth Plessner lag der Schlüssel zur Erklärung einer solchen ideengeschichtlichen Konstellation im Verfall des heilsgeschichtlichen Bewusstseins, was in Deutschland dazu geführt habe, dass anstelle der Soziologie die Biologie zum entscheidenden Faktor politischer Ideenbildung wurde – das Denken wurde dabei von der Geschichte in Richtung auf die untergeschichtlichen und vormenschlichen Kräfte von Blut und Boden abgelenkt.257 Mit Fichte, so Plessner, habe „die Theorie von der Volksnatur der Deutschen, von der Urtümlichkeit, der Tiefe ihrer Kultur, von der Ausnahmenatur ihres Wesens, ihrer geschichtlichen Mission gegen die abstrakte Gleichmacherei westlicher Demokratie, der Kampf gegen den abendländischen Humanismus und Universalismus, die Erhebung der Philosophie zur maßgebenden Instanz des Lebens“258 begonnen, deren Kehrseite die Aufgeschlossenheit der Deutschen gegenüber einem biologischen Naturalismus, ihre Affinität gegenüber einer „in der Logik des Verfalls liegenden Rückführung des Menschen auf seine rein vitalen Schichten“259 sei. Den Deutschen wurde ein geradezu pathologisches Misstrauen gegenüber der Politik bescheinigt, dass sie selbst lange Zeit politisch handlungsunfähig gemacht und dazu geführt habe, dass sie dem Expansionsdrang politisch aggressiver Völker nicht gewachsen waren. Sie seien „harmlos, gutgläubig und politisch unsicher“ geworden und hätten das „Schlagwort vom unpolitischen Volk der Dichter und Denker“260 als schmeichelhafte Anerkennung genommen, anstatt als Zeichen ihrer Schwäche, die von anderen ausgenutzt wurde. Weil die Welt „den totalen Deutschen nicht ertrug“,261 sollten sie sich mit einem Teil ihres Wesens begnügen. Darauf dürften sie sich jedoch unter keinen Umständen einlassen. Gegenüber anderen Völkern zeichneten sie sich durch ihrem Sinn für innere Verantwortung und ihre besondere moralische Haltung aus.262 Die Deutschen seien den ursprünglichen Dingen nahe geblieben.263 Sie seien ein Volk, das immer wieder neu beginnen müsse, ein Volk, dem das Werden mehr bedeute als das Sein, der Quell mehr als der Strom, und das deshalb für Andere verwirrend, ja beängstigend sei.264 Deutsche Unruhe, eine anderen Völkern längst verloren gegangene Nähe zum Ursprung, ein intuitives Gespür für den Kern der Dinge, das sich mit dem oberflächlichen Schein nicht zufrie255 256 257 258 259 260 261 262 263 264

Ebd., Volkscharakter, S. 53. Vgl. Hennemann, Grundzüge, S. 69. Vgl. Plessner, Nation, S. 133. Plessner, Philosophieren, S. 294. Plessner, Nation, S. 132. Rößner, Reich. Ebd. Vgl. ebd. Vgl. Baumann, Gelöbnis. Vgl. Müller, Sein.

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den gebe, seien Kennzeichen eines einzigartigen Volkscharakters, der die Deutschen immer wieder zum Neuanfang befähige. Das Dritte Reich sei ein durch den Bezug auf ursprüngliche Tiefendimensionen „naturgewachsenes Gesamtkunstwerk“.265 Nur die nordische Rasse „konnte eine faustische, eine ewig strebende, [...] dabei nie zur Ruhe kommende, sich an die Welt verlierende, nach dem Unendlichen und Unerfüllbaren greifende werden“.266 Dieses „ewig Suchende im deutschen Menschen gibt sich nicht zufrieden mit dem Errungenen“.267 Im 19. Jahrhundert hätten sich die Deutschen jedoch damit begnügt, ihre Unruhe und Unrast philosophisch und dichterisch auszudrücken, anstatt sie zum Ausgangspunkt eines unwiderstehlichen Drängens in die Welt zu machen. Die „Pionierleidenschaft, in unbekannte Länder einzudringen“,268 Tatsachensinn und Eroberungswillen seien ihnen fremd gewesen. Anstatt sich in Auseinandersetzungen mit anderen Völkern und Kulturen zu erproben, hätten die Deutschen ihre Lebenskräfte unterdrückt. Wahre Leidenschaften, innerer Schwung und elastische Härte hätten ihnen gefehlt. Auch wenn sie immer wieder für Neues zu begeistern gewesen seien, hätten sie sich doch häufig als „zu träge und zu langsam im Abstoßen alter Gewohnheiten“269 erwiesen. Im 19. Jahrhundert seien die Deutschen zu einem Volk geworden, dem in seiner romantischen Verlorenheit der gesunde Sinn für die Wirklichkeit des Lebens abhanden gekommen sei. Es sei ihr Schicksal, nicht einfach in Überfluss und Müßiggang dahinleben zu können, sondern sich alles selbst erkämpfen zu müssen.270 Deutsche Geschichte sei eine Geschichte verpasster Gelegenheiten.271 Für jeden Menschen lege seine Rassenzugehörigkeit „Grundzüge seiner körperlichen Erscheinung und seines inneren Wesens“272 fest. Kennzeichen des nordischen Menschen seien Urteilsfähigkeit, Wahrhaftigkeit, Tatkraft und heldischer Sinn sowie Gerechtigkeitsgefühl und Ritterlichkeit anderen Menschen gegenüber. Sein großes Verantwortungs - und Pflichtbewusstsein mache ihn oft rücksichtslos gegen sich selbst und andere.273 Der nordische Mensch glaube an die eigene Kraft und die Unfehlbarkeit seiner männlichen Lebenshaltung. Insbesondere die Annahme des Bösen als einer den Menschen innerlich zerreißenden übermächtigen Gewalt sei ihm fremd,274 das er stattdessen auf die jüdische Rasse projiziere und dadurch auf Distanz halte. Deren Verfolgung gab insbesondere dem nordischen Mann die Gelegenheit, sich moralisch zu profilieren, wäh265 266 267 268 269 270 271 272

Beurlen, Gesetz, S. 63 f. Rassenpolitik, S. 18. Schultze, So lebst du deutsch, S. 23. Um das nackte Leben. In : Das Schwarze Korps vom 21. 9.1944. Bürgerlicher Weltuntergang. In : Das Schwarze Korps vom 28. 9.1944. Vgl. Eggers, Leben, S. 7. Vgl. ebd., S. 11. Der Chef der Sicherheitspolizei und des SD : Der Rassegedanke und seine gesetzliche Gestaltung. o. O., o. J., S. 32. 273 Vgl. ebd., S. 33 f. 274 Vgl. Verwirrung im Blut. I. Das Gottesbild. In : Das Schwarze Korps vom 8. 6.1939.

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rend die nordische Frau vor der Verführungskraft des jüdischen Mannes geschützt werden müsse. Die nordische Ethik sei lebensbejahend und leistungsorientiert. Sie ziele nicht, wie die jüdische Ethik, „auf die Unterlassung von etwas Verbotenem“,275 sondern auf die Unterstützung und Förderung des aus ihrer Sicht ethisch Gebotenen. Selbst dann, wenn sie auf der Unterlassung moralisch fragwürdigen Verhaltens bestehe, werde ein solches Verbot durch ein komplementäres Gebot ergänzt. So stehe dem Verbot sexueller Beziehungen zu rassenfremden und minderwertigen Partnern die Aufforderung zu rassenbewusster und verantwortlicher arteigener Partnerwahl gegenüber. Im Leben sehe der nordische Mensch die Möglichkeit der Gestaltung der Wirklichkeit in kämpferischer Lebensbejahung und höchster Steigerung der Lebenskraft. Für ihn sei das Leben geprägt durch Arbeit, Kampf ums Dasein sowie den Dienst an einer großen Idee. Dabei sei der nordische Mensch weder süchtig danach, sich durch den Nachweis seiner Leidensfähigkeit auszuzeichnen noch schrecke er vor dem Leiden zurück. Leiden sei für ihn selbstverständlicher Teil des Lebens. Sein Glauben an das Leben überwinde jede erstarrte Moral. Im „Kampf mit den niederziehenden Kräften des Seins“276 entwickle sich dabei die menschliche Natur durch Zucht zu Höherem. Verschiedenen Rassenstilen exklusiv zugeschriebene Charaktereigenschaften dienten dazu, der hochwertigen arischen Rasse durch ihre Differenzierung in verschiedene Rassentypen eine Vielzahl herausragender, sich ergänzender Merkmale zu sichern. Dabei wurde etwa zwischen nordischen Leistungsmenschen, den standfesten fälischen Verharrungsmenschen sowie den expressiven mittelländischen Darbietungsmenschen als Rassenstilen des Erlebens unterschieden.277 Die Deutschen wurden als eine segensreiche Vermischung von Herren und Freisassenrasse vorgestellt.278 Kennzeichen der Herrenrasse seien u. a. Schnelligkeit und Oberflächlichkeit, die Kampf und Abenteuer suche, der es aber an Zähigkeit und Ausdauer fehle. Ihre Angehörigen handelten ruhig und selbstsicher aus starkem Überlegenheitsgefühl und engstirnigem Rassenstolz heraus. Den besiegten Feind würden sie mit schonungsloser Härte zerschmettern, weil für sie das Leben, das fremde wie das eigene, keinen besonderen Wert habe. Als Menschen der weiten Räume und des weiten Blicks seien sie nicht gehemmt durch kleinliche Rücksichten, wie sie überhaupt „ethisch nicht besonders fein organisiert“ seien. Sie seien oft egoistisch, könnten aber auch mit rücksichtsloser Härte fanatisch für ihre heilige Sache kämpfen, dabei „die Andersdenkenden niedertretend“. Triebhaft, zügellos und unbeherrscht würden sie Frauen vorwiegend als Genussobjekte oder Arbeiterinnen schätzen.279

275 276 277 278 279

v. Hoff, Gedanke, S. 216. Arteigene Sittlichkeit. In : Das Schwarze Korps vom 6. 5.1937. Vgl. Bruch, Rassenseelenkunde. S. 110. Vgl. Noltenius, Charakterstudium. Vgl. ebd., S. 234–236.

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Die Freisassen seien dagegen kräftig und zäh in der Behauptung des einmal Eroberten. Rückschläge steckten sie gut weg. Ihre Freiheit und ihre Rechte seien ihnen heilig. Von tiefer Religiosität erfüllt seien sie von beherrschter Ruhe und unbestechlicher Geradheit. Die Frau ehrten sie als Mutter und Herrin des Hofes. Als Führer eigneten sie sich nicht, weshalb sie immer wieder unter die Herrschaft von Diktatoren gerieten, die sie häufig geduldig ertragen würden. Ohne Zwang und Antrieb drohe ihr Leben in Trägheit zu versinken.280 Der nordische Mensch lebe in Distanz zur Welt, weshalb er sie als sachlichen Gegenstand begreife. Auch sich selbst trete er sachlich distanziert gegenüber.281 Er neige zum begrifflichen Denken, sei selbständig gegenüber der Außenwelt und in der Lage, sich selbst Richtung und Aufgabe zu geben. Dank seines starken Wirklichkeitssinnes sei er ein guter Beobachter, der zugleich Wert auf Abstand und Abgrenzung lege.282 Ihre Fähigkeit, unter allen Umständen Haltung zu bewahren, egal, was auf ihn einstürme, ermögliche es den Deutschen, andere Rassen und Völkern ihren Willen aufzuzwingen.283 Konstruiert wurde der Idealtyp des nordischen Menschen, der durch seine Ausdifferenzierung in eine Vielzahl von Unterrassen ein Spektrum wünschenswerter Eigenschaften der Deutschen auf sich vereinigte. Was der einen Unterrasse fehlte, wurde durch die andere ergänzt. Als Verkörperung sich gegenseitig ergänzender herausragender Eigenschaften schien die nordische Rasse tatsächlich zur Führung berufen : Sie war leistungsfähig und standfest, ihren Gegnern im Kampf an todesverachtender Tapferkeit und Härte ebenso überlegen wie an Zähigkeit und Beharrlichkeit in der Verteidigung ihrer Vorteile. Während etwa die Russen „zum Ausweichen, zum Abwarten, zur Untätigkeit, zur Abschiebung von Verantwortung, zur Zerstörung des Gestalteten“ neigten, seien „Einsatz, Verantwortung, Persönlichkeitswille, Gestaltungsdrang, Zusammenschau, Opferbereitschaft für das Ganze, Glaube an ein Höchstes, Treue“284 Kennzeichen der nordischen Rasse. Selbstständigkeit, Wirklichkeitssinn und Beobachtungsgabe, die Fähigkeit zu begrifflichem Denken, strategischem Handeln und objektivierter Sachlichkeit waren natürlich weder nordisch noch in anderer Weise artspezifisch. Die nordischen Menschen zugeschriebene Fähigkeit, sich selbst distanziert in der perspektivischen Verfremdung als einer Sache gegenüber zu treten, stattete sie mit einem Charakterpanzer aus, an dem ihrem Ethos sachlicher Pflichterfüllung hinderliche Emotionen abprallten. Mit kalter Leidenschaft und kontrollierten Emotionen sahen sie sich als Teil eines schicksalhaften Geschehens, das ihnen selbst historische Größe verlieh. Die Deutschen wurden dazu aufgefordert, sich auf ihre rassische Substanz als nordische Menschen zu besinnen,285 die sie im 280 281 282 283 284 285

Vgl. ebd., S. 237–239. Vgl. Clauß, semitische Mensch, S. 168. Vgl. Burckhardt, Merkmale, S. 188 f. Vgl. v. Hoff, Grundgesetz, S. 146. Haase, Nationalsozialismus, S. 329 f. Vgl. Frerks, Anthropologie, S. 662.

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Konfliktfall dazu prädestiniere, anstatt Kompromisse zu schließen, es lieber auf einen Kampf ankommen zu lassen.286 Die arische oder nordische Rasse war eine Art idealtypische Kategorie, die eine ursprüngliche, von Vermischungen freie reine Rassengesellschaft beschwor. Die behauptete rassische Hochwertigkeit der Deutschen wurde an relativ hohen nordischen bzw. arischen Rassenanteilen festgemacht. Aber auch die Deutschen seien durch Rassenmischung und verantwortungslose Indifferenz gegenüber Fragen der Rasse in ihrer rassischen Substanz schwer geschädigt, weshalb nationalsozialistische Rassenpolitik zunächst die deutsche Gesellschaft von rassischen Verunreinigungen säubern müsse.

286 Vgl. Bruchhagen, Trieb, S. 163.

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IV. Rasse, Religion und Bürgerlichkeit 1.

Rassenreligion und christliche Ethik

Noch im Bruch mit der christlichen Religion setzten sich im Nationalsozialismus, der sich verstand als „politisches Bekenntnis, an innerer Kraft dem religiösen Bekenntnis gleich“,1 religiöse Strukturen, Formate und Denkweisen fort. Der Nationalsozialismus sah sich in der Nachfolge der christlichen Religion nicht als atheistische Weltanschauung, sondern als politische Religion der Rasse,2 die er zugleich als historisch - anachronistisches Relikt eines gegenüber Fragen der Rasse indifferenten bürgerlichen Zeitalters durch antireligiöse Kampagnen und Propaganda bekämpfte. Durch wissenschaftliche Aufklärung sollte die deutsche Bevölkerung vom Christentum entfremdet und für den Nationalsozialismus gewonnen werden. Die Orientierung an einem höchsten Gut der Schöpfung, das sich dem menschlichen Willen zur Bemächtigung als heilig und unverletzlich entzog, wurde ersetzt durch eine politische Religion, die die biologische Vervollkommnung des Menschen durch seine Züchtung und die Ausmerze alles Unvollkommenen, Minderwertigen, nicht Entwicklungsfähigen als moralisch geboten begründete. Behauptet wurde, dass sich die nationalsozialistische Rassenmoral der Stärke und des Gesunden in Übereinstimmung mit den Gesetzen von Natur und Leben und dem Willen des Schöpfers befinde. In ihr sei kein Platz für Rücksichten, Empathie und Mitleid gegenüber den Schwachen, Erbkranken und Minderwertigen. In seinem nordischen Kern sei das Christentum mit der rassenbiologischen Politik von Aufartung und Ausmerze vereinbar. Schließlich habe Jesus die ganze Rassenlehre bereits auf die einfache Formel gebracht, dass ein schlechter Baum keine guten Früchte tragen könne und deshalb umgehauen und ins Feuer geworfen werden müsse.3 Damit stehe die moralische Rechtfertigung der Rassenmischung in Widerspruch zur Lehre Christi, auf den sie sich berufe. Gegen den böswillig oder in Unkenntnis unterstellten Gegensatz zwischen Christentum und Nationalsozialismus, der zwischen ihnen eine weltanschauliche Auseinandersetzung provoziere, wird der christlichen Religion eine Affinität zum rassenbiologischen Denken zugeschrieben. Zur Rassenmischung hieß es „Was Gott getrennt hat, soll der Mensch nicht vermischen wollen.“4 Als entscheidende Frage ihres Verhältnisses zum Christentum stellte die nationalsozialistische Ideologie dessen Haltung zum Rassendenken heraus. Da christliche Religion und bürgerliche Ethik den „unbedingten Schutz des Schwachen und damit häufig des Wertlosen“ predigten, würden auch Menschen mit mangelnden Abwehrkräften dem ihnen „sonst drohenden Schicksal der frühzei1 2 3 4

Jung, Sinndeutung, S. 71. Vgl. dazu Rossner, Rasse. Vgl. Arteigene Sittlichkeit. In : Das Schwarze Korps vom 6. 5.1937. Gross, Rasse und Weltanschauung, S. 535.

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tigen Vernichtung“5 entgehen. Das christliche Ethos der Fürsorge müsse den Lebensnotwendigkeiten der Volksgemeinschaft untergeordnet werden. Die Rassenhygiene sollte sich vor allem für gesundes Erbgut und gegen die Vermehrung Erbkranker einsetzen.6 Nur erbgesunde art - und gesinnungsgleiche Hilfsbedürftige könnten mit der sozialen Fürsorge des nationalsozialistischen Staats rechnen. Gegen die „herablassenden Gnade und Barmherzigkeit“7 der Kirchen stelle der Nationalsozialismus das Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Gemeinschaft in den Mittelpunkt. Herausgestellt wurde die Unvereinbarkeit von Gnade und Erlösung als den Schlüsselbegriffen christlicher Moral mit der Selbstverantwortung als Prinzip deutscher Moral. Die christliche Lehre von der Erbsünde leugne die Willensfreiheit und erkläre die Menschen für unfähig, Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen. Nach deutscher Auffassung sei es Sünde, rassisch hochwertige Menschen daran zu hindern, die ihnen zustehende Führungsposition einzunehmen.8 Religiosität wurde zum Indiz rassischer Minderwertigkeit bzw. der Beschädigung rassischer Hochwertigkeit erklärt. Gläubige Christen, so wurde behauptet, seien Menschen, die durch ihre moralische Instinktunsicherheit in die Arme der christlichen Kirche getrieben worden seien. Ihnen sei durch die christliche Doktrin der moralischen Fehlbarkeit der Menschen die Sicherheit der intuitiven Differenzierung von moralisch und unmoralisch genommen worden, weshalb sie durch äußere Sanktionen zu moralischem Handeln gezwungen werden müssten. Unfähig, intuitiv zwischen gut und böse, moralisch und unmoralisch zu unterscheiden, suchten sie in der christlichen Religion die Sicherheit ihrer dogmatischen Bestimmung. Durch die Androhung von Höllenstrafen für unmoralisches und das Versprechen von Belohnungen für moralisches Verhalten zwinge die christliche Religion die Gläubigen in die konfessionelle Zugehörigkeit. Der christlichen Moral wurde vorgeworfen, dass sie nur durch das Zusammenspiel der Drohung, unmoralisches Verhalten zu bestrafen mit der Aussicht auf die Belohnung moralischen Handelns funktioniere. Das Christentum wurde als Zufluchtsstätte rassenbiologisch fehlgeleiteter Menschen diskreditiert, die durch ihre Zugehörigkeit zu einer der christlichen Konfessionen daran gehindert würden, zu ihrer rassischen Bestimmung und einer entsprechenden rassenbewussten Lebensführung zu finden. Nach der Entwertung der Religion als absolutem Glaubensfundament moralischen Handelns traten kulturelle Begründungen von Moral an ihre Stelle. Moralisches Verhalten wurde nun in einer Kombination aus Belohnung und Bestrafung, Anreiz und Abschreckung durch vergleichbar wirkungsmächtige säkulare Sanktionen unterstützt. Der neue Rassenglaube dagegen komme ohne

5 6 7 8

Lebensgestaltung, wie wir sie wollen. In : Das Schwarze Korps vom 27. 3.1935. Vgl. Klee ( Hg.), Dokumente, S. 54 f. – aus : Franz Keller, Das Wesen der katholischen Caritas und ihr Zeitbild. Hebenbrock, Wohlfahrtspflege, S. 440. Vgl. Schultze, So lebst du deutsch, S. 92 f.

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Rückversicherungen aus und rechne mit Gefahren und dem Tod.9 Das moralische Ethos der Deutschen sei weder durch Hoffnung auf Lohn noch Furcht vor Strafe geprägt, sondern durch ihren Charakter, der sie dazu befähige, das Gute um seiner selbst willen zu tun. Ihr artbestimmtes Gewissen motiviere die Deutschen dazu, „aus innerstem Antrieb“10 ewige Natur - und Lebensgesetze durchzusetzen. Die Annahme, die religiöse Gründung der Moral sei nur mit einem Verlust an menschlicher Substanz durch säkulare Begründungen moralischen Handelns zu ersetzen, wurde als „heimlicher Dolchstoß“ gegen die nationalsozialistische Weltanschauung gesehen. Die Doktrin christlicher Moral sei mit der nationalsozialistischen Rassenethik unvereinbar, was sich im katholischen Dogma des Gottes - und Jenseitsglaubens zeige, also der religiösen Gründung der Moral. Entsprechend sehe der Katholizismus die „moralische Autonomie“ als „Selbstvergötterung des Menschen“.11 In seiner Schrift „Warum Konfessionen?“ fragte der Jesuitenpater Friedrich Muckermann rhetorisch : „Kann ein [...] gläubiger Christ den Glauben an den lebendigen Gott eintauschen [...] gegen die unklaren Bekenntnisse des Blutes“, kann er „das Erstgeburtsrecht des Geistes“ aufgeben „zugunsten biologischen Bluterbes, das Heldenideal der Heiligen zugunsten des Nützlichkeitsideals der Rassenverbesserung“ ?12 Natürlich nicht, jedenfalls nicht, ohne damit Grundwerte seines Glaubens aufzugeben. Und der Franziskanerpater Desiderius Breitenstein kritisierte, dass die „verabsolutierte Blutidee [...] das Kollektiv aus dem blutbedingten Untergrund allen Kulturgeschehens herleite“13 Durch die Aufwertung des „Bluthaft - Biologischen“, so lasse sich diese katholische Kritik der nationalsozialistischen Rassenidee zusammenfassen, werde der Geist geleugnet.14 „Die rassenbiologische Eschatologie“15 wurde von der christlichen Weltanschauung als Abfall von Gott abgelehnt. Behauptet wurde, „der nationalsozialistische Rassenbegriff sei Ketzerei, Abfall von Gott und führe zur Selbstvergottung des Menschen“.16 Gegen solche Verleumdungen des Rassenbegriffs wurde hervorgehoben, dass „in der Rasse eines Menschen sehr wohl dessen Geist, seine charakterliche Eigenart, seine sittlichen Werte mitgemeint sind und zusammen mit dem bloß Triebhaften, Gefühls - und Instinktmäßigen als geschlossene, lebendige, ganze Persönlichkeit aufgefasst werden“.17 Die Moral der Deutschen beruhe auf den ethischen Eigenschaften der nordischen Rasse und nicht auf mittelalterlichen katholischen Dogmen. Andere Autoren bestanden dagegen darauf, dass „Moral ohne Gründung in Religion undenkbar“, „ihre selbständige, von der Religion unabhängige Begrün9 10 11 12 13 14 15 16 17

Vgl. van Berk, Auslese, S. 47. Schultze, So lebst du deutsch, S. 46. d’Alquen ( Hg.), Hieb, S. 104. Muckermann, Konfessionen, S. 9 f. Breitenstein, Geist, S. 18. Vgl. Sonderbericht, S. 28. Breitenstein, Geist, S. 13 f. Sonderbericht, S. 37. Ebd., S. 29.

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dung“18 also unmöglich sei. Tatsächlich beruhe „die gesellschaftliche Moral [...] weit eher auf den ethischen Eigenschaften der Rasse als auf der Kanzellehre der mittelalterlichen Jahrhunderte“.19 Die Deutschen treibe nicht „die Furcht vor dem Gebratenwerden in der Hölle, nicht die vor Vergeltung und Strafe durch eine unsichtbare, unerkennbare Macht“20 zum moralischen Handeln, sondern die Liebe zu sich selbst und ihrem Volk. Auf die philosophische Erklärung des Todes Gottes antwortete die nationalsozialistische Ethik mit einer totalen Umwertung menschlicher Werte. Wenn Gott tot war, schien alles möglich – so ihre moralisch - politische Konsequenz. Konnte nicht länger damit gerechnet werden, dass menschliches Handeln durch religiöse, von Gott selbst sanktionierte Gebote eingegrenzt war, so würde sich zeigen, ob moralische Regeln auch ohne die Androhung höllischer Strafen und die Verheißung himmlischer Freuden durchsetzbar sein würden. Das religiöse Netz der Belohnung moralischen und der Bestrafung unmoralischen Verhaltens wurde durch säkulare Gratifikationen abgelöst. Auch die höllische Angst vor irdischen Strafen und die himmlische Lust an profanen Vergnügungen konnten in Verbindung mit der entsprechenden Zuschreibung moralischer Bedeutungen normativ disziplinierend wirken. Als Quintessenz der rassischen Fehlentwicklung durch die religiöse Überlagerung und Verunsicherung intuitiver Rassenmoral wurde die christliche Vorstellung von der Erbsünde des Menschen herausgestellt. Diese habe rassisch hochwertige Menschen moralisch verunsichert und unfähig gemacht, sich entsprechend ihrer Rassenanlagen intuitiv moralisch zu verhalten. Obwohl jeder Mensch mit seiner Geburt erbgenetisch auf ein bestimmtes Verhalten entsprechend seiner Rassenzugehörigkeit festgelegt sei, stünden zumindest Angehörige der hochwertigen nordischen Rasse in der Verantwortung, ihrer natürlichen Bestimmung durch rassenbewusstes Verhalten nachzukommen. Nach Jahrhunderten kultureller Deformierung ihres Rasseninstinkts sei artgemäßes Verhalten für sie nicht mehr selbstverständlich, sondern durch zahlreiche Versuchungen zu rassenindifferentem Verhalten gefährdet, welches in einer durch die christliche Religion geprägten Kultur geradezu ermutigt werde. Im Unterschied zum christlichen Glauben an die sündhafte Geburt des Menschen operiere der Nationalsozialismus mit einer säkularen Variante der Erbsünde, der Sünde wider Blut und Rasse.21 Der aus ihrer Sicht erbbedingten Disposition der Menschen zu unmoralischem Verhalten begegne die christliche Religion mit einer Kombination von Drohungen und Versprechen, die die Gläubigen autoritär gegen ihre intuitiven Neigungen in ein als moralisch sanktioniertes Verhalten zwinge. Der durch die christliche Religion konstruierte moralische Sündenfall, der zur Vertreibung der Menschen aus dem Paradies der Unschuld geführt habe, habe in der Konsequenz zur Abwertung der menschlichen Natur und der Annahme 18 19 20 21

Meyer, Mensch, S. 123. Ebd., S. 105. Vgl. Moral – kritisch betrachtet. In : Das Schwarze Korps vom 31. 8.1944. Vgl. Hitler, Kampf, S. 272.

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geführt, Menschen müsse moralisches Verhalten gegen ihre „sündige Natur“ durch innere und äußere Sanktionen aufgezwungen werden. Diese Diskreditierung der menschlichen Natur durch das christliche Moralverständnis sei dafür verantwortlich, dass die Menschen nicht mehr oder nur noch mit schlechtem Gewissen in Übereinstimmung mit ihrer biologischen Natur leben könnten. Gegenüber dem völkischen Streben nach Erhaltung des ewigen Lebens der Rasse sei die Sehnsucht des Einzelnen nach dem ewigen Leben im Jenseits nichts als Egoismus.22 Am Gegensatz zwischen der rassenbiologischen Annahme der erblichen Ungleichheit der Menschen und der christlichen Behauptung ihrer prinzipiellen Gleichheit vor Gott werde die Unvereinbarkeit beider gleichermaßen mit universellem Geltungsanspruch antretender Weltanschauungen am Deutlichsten. Die nazistische Kritik der christlichen Religion beklagte, dass beide Konfessionen letztlich die rassische Betrachtung des Judenproblems als „Verstoß gegen den Geist des Christentums und der Gleichheit der Menschen“23 ablehnen würden. Auf evangelischer Seite halte insbesondere die „Bekennende Kirche“, die in der Rassenlehre des Nationalsozialismus „eine Versündigung gegen göttliche Vorsehung und Ordnung“24 sehe, hartnäckig daran fest, dass es Wertunterschiede zwischen den Rassen nicht gebe. Dieser Gegensatz sei unüberbrückbar, ein Kompromiss mit dem Christentum in dieser Frage nicht möglich. Die rassenindifferente Annahme der Gleichheit aller Menschen ebenso wie die einer menschheitlichen Mission des Judentums sei für den Nationalsozialismus nicht akzeptabel. Insbesondere mit der durch das Christentum anerkannten Behauptung, das auserwählte Volk Gottes zu sein, hätten sich die Juden selbst aus der deutschen Volksgemeinschaft ausgeschlossen.25 Es könne nur ein auserwähltes Volk Gottes geben, das sich dazu durch überlegene Eigenschaften seiner Rasse empfehle, und das seien die Deutschen als Angehörige der nordischen Rasse. „Ihr Nebeneinander muss in jedem Nationalsozialisten, der gleichzeitig ein gläubiger Christ sein möchte, eine heillose Verwirrung anrichten, die ihm [...] die [...] Entscheidung aufzwingt, entweder ein wahrhafter Nationalsozialist oder ein gläubiger Kirchenchrist zu sein.“26 Die Juden seien ein Fremdkörper der christlichen Religionen, weshalb die Überwindung artfremder Teile der christlichen Moral die Voraussetzung dafür sei, dass sich das Christentum zu den in ihm liegenden Möglichkeiten befreie, um als nordische Religion die religiöse Spiritualität der Deutschen angemessen ausdrücken zu können.27 Ein solches Judenbild erspare gläubigen Nationalsozialisten die unnötige Gewissensentscheidung zwischen seiner Religion und seiner Weltanschauung. So verbat sich etwa Himmler im Juni 1936 auf das Entschiedenste „Extratouren“ bei der weltanschaulichen Schulung und wies 22 23 24 25 26 27

Vgl. Tobias, Gedanken, S. 123 f. Gross, Rasse und Religion, S. 23. Ebd. Vgl. Eggers, Leben, S. 31 f. Hauptmann, Gefährdung, S. 5. Vgl. d’Alquen ( Hg.), Hieb, S. 98.

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Angriffe auf die Person Christus wie etwa seine „Beschimpfung als Juden“28 scharf zurück. Solche Attacken seien des Nationalsozialismus unwürdig. Himmler war es jedoch auch, der die christliche Religion verantwortlich dafür machte, „den rassischen Verfall des deutschen Volkes verursacht“29 zu haben. Das Christentum sei „die größte Pest, die uns in der Geschichte anfallen konnte, die uns für jede Auseinandersetzung schwach gemacht hat“.30 Mit ihm müsse man auch innerlich fertig werden, um den christlichen Größenwahnsinn einer Beherrschung der Erde durch den Menschen zu beenden und auf das richtige Maß zurückzuschrauben. Die Menschen sollten sich mit der ihnen vom Schöpfer zugewiesenen Rolle im Universum zufrieden geben. Der „Maßstab des Makrokosmos und des Mikrokosmos, der Sternenhimmel über uns und die Welt in uns“31 sollten ihnen wieder bewusst machen, dass sie nichts Besonderes seien im Wunder der Welt, der man mit Ehrfurcht gegenüber treten müsse. Artfremde Überlagerungen und Verfälschungen des nordischen Ehr - und Sittlichkeitsgefühls wurden vor allem auf das Menschenbild und die sittlichen Wertungen des „Alten Testaments“ zurückgeführt, dessen blutrünstiger jüdischer Rationalgott keine praktische Bedeutung mehr für das sittliche Verhalten zivilisierter Menschen habe. Leiden und Selbstaufgabe, die typische Haltung des bleichen Gekreuzigten, widersprächen der heldischen Grundhaltung des nordischen Menschen. Jetzt würden selbstverantwortlich handelnde Männer gebraucht, die bereit seien, ihre rassische Lebensform auch mit der Waffe zu verteidigen. Das germanische Menschentum sei unvereinbar mit dem Christentum. Während die Germanen nur das Starke geschätzt hätten, habe die christliche Religion alle natürlichen Werte zugunsten der Schwachen und Bedürftigen umgewertet. An die Stelle der Lebensgesetze sei die Willkür eines persönlichen Gottes getreten, der Gerechtigkeit und Pflicht durch Gnade und Wunder ersetzt habe.32 Es gelte, der konfessionellen Haltung entgegenzutreten, dass „das Kriechen im Staub, das duldende und kampflose Ergeben in das Schicksal“33 erstrebenswert seien. Gerade der nordische deutsche Mensch trete seinem Gott „nicht winselnd, sondern verantwortungsfreudig und verantwortungsbewusst [...] mit stolz erhobenem Haupt aufrecht“34 gegenüber. Der Deutsche begegne seinem Gott auf Augenhöhe. Die Behauptung der Juden, sich durch eine besondere Nähe zu Gott auszuzeichnen, müsse als blasphemische Anmaßung zurückgewiesen werden. Das Verhältnis des Nationalsozialismus zum Christentum entscheide sich durch des28 Weltanschauliche Schulung, Reichsführer SS Himmler, Berlin 28. 6.1937 (BArch, NS 2/277). 29 Himmler, Geheimreden, S. 54–55, hier 55 – aus ders., Blut und Zukunft (1936). 30 Ebd., S. 145–161, hier 159 – aus ders., Rede vor den Oberabschnittsführern und Hauptamtschefs im Haus des Fliegers in Berlin am 9. 6.1942. 31 Ebd., S. 160. 32 Vgl. Unsere Haltung. Die geistige Haltung des nordischen Menschen in unserer Zeit. In: SS - Leitheft 3 (1937) 3, S. 60–62, hier 61 – o. A. 33 Kranz, Aufgaben, S. 801. 34 Ebd.

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sen Haltung zur Judenfrage. Hier habe der Nationalsozialismus eine klare, nicht verhandelbare Position. Gefragt wurde danach, „welche Lehrsätze des christlichen Bekenntnisses gegen das Sittlichkeits - und Moralgefühl“35 verstießen, was also wegen seiner nationaljüdischen Gehalte artfremd am Christentum sei. Identifiziert wurden jüdische Elemente im Alten Testament, die deshalb aus dem christlichen Kanon entfernt werden müssten. Diese jüdische Verfälschung der christlichen Religion sei der Grund dafür, dass die christlichen Konfessionen ein Fremdkörper in der rassischen Volksgemeinschaft seien, verantwortlich für die Untergrabung des germanischen Rassenbewusstseins und den Niedergang der germanischen Volksgemeinschaft. Gerade konfessionell gebundene Deutsche sollten deshalb dankbar sein für den Ausschluss der Juden aus dem Geltungsbereich bürgerlich - christlicher Moral. Die Bereitschaft der christlichen Konfessionen zum Umdenken in der Judenfrage wurde zur Voraussetzung ihrer Existenzberechtigung im nationalsozialistischen Deutschland erklärt. Neben dem Ausschluss jüdischer Kirchenmitglieder und der Tilgung jüdischer Elemente aus dem dogmatischen Kanon der christlichen Religion geht es hier vor allem um die Ersetzung der christlichen Ethik rassenindifferenter allgemeiner Nächstenliebe durch eine Rassenethik der nordischen und erbgesunden Deutschen. Durch die Beseitigung der „jüdischen Grundlagen des heutigen Kirchenchristentums“ müsse das Christentum als „arisch - heldische Religion“ gegen die „jüdisch - materialistische - pazifistische Religion“,36 zu der es degeneriert sei, wiederhergestellt werden. Dann könnten Nationalsozialisten selbstverständlich auch Christen sein. „Mit dem Bekenntnis zur lebensgesetzlichen Bedeutung des Blutes“ grenzte sich der Nationalsozialismus vom Marxismus und Bolschewismus, aber auch von den christlichen Kirchen ab, deren Tolerierung oder sogar Förderung von Völker - und Rassenmischung „alle völkischen Kräfte, Kulturen und Eigenarten“37 zu vernichten drohe. Beklagt wurde, dass die Kirchen noch immer in der biologischen Tatsache einer bindenden Verpflichtung jedes Einzelnen, aber auch des Volkes auf die Naturgesetze „eine Entwürdigung des Menschentums“38 sehen würden. Gegen diese fortgesetzte Ablehnung rassenbiologischen Denkens durch das Christentum wurde darauf bestanden, dass die „Offenbarung des Blutes“ als „sich zum Leben bekennende Diesseitsfrömmigkeit“39 und damit das „Lebensgesetz der Rasse [...] die Grundlage zu einer einheitlichen Wertung aller Lebensäußerungen des Individuums und des Volkes“40 sei. Nicht die Offenbarung Gottes, sondern die des Blutes, nicht der Glauben an ein Jenseits, sondern das Bekenntnis zum Diesseits des Lebens, seien die wichtigsten Bausteine der nationalsozialistischen Rassenreligion. Das Christentum habe bei den Deut35 36 37 38 39 40

Verwirrung im Blut. I. Das Gottesbild. In : Das Schwarze Korps vom 8. 6.1939. Dinter, Rasse - und Judenfrage, S. 104 f. Schaper, Bedeutung, S. 47. Rossner, Rasse als Lebensgesetz, S. 67. Ebd., S. 76 Ebd., S. 72 f.

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schen den biologischen Instinkt für geistige Gesundheit und arteigene Moral durch die Ausbildung einer lebensfremden Feindesliebe zerstört. Durch die geistige Okkupation des Christentums hätten die Juden es geschafft, die nordische Rasse von innen zu schwächen und zu zerstören. Dabei habe ihnen das widernatürliche „Satansevangelium von der Gleichheit aller Menschen“41 als strategische Waffe zur Eroberung der Welt gedient. Diese Unterdrückung der menschlichen Natur durch christliche Moral und Seelsorge habe zur Entwicklung artfremder, triebfeindlicher und vernunftwidriger Institutionen geführt. Die christliche Ethik habe die natürlichen Triebe und Instinkte durch Scham und Schuldgefühle verunsichert. Die notwendige Wiedergeburt des Instinkts sei jedoch auch kein Freibrief für die Triebwelt.42 Insbesondere in der Übergangszeit der moralischen Umgestaltung der deutschen Gesellschaft müsse mit dem Nebeneinander konträrer Wertesysteme und jeweils als moralisch gerechtfertigter kultureller Praktiken gerechnet werden. In dieser unübersichtlichen Gemengelage müsse sich die nationalsozialistische Rassenethik gegen das rassenindifferente Triebleben vieler Deutscher erst durchsetzen. Heroische Lebenshaltung und christliche Erlösungssehnsucht seien unvereinbare Gegensätze. Das verbindliche Ethos der Deutschen in der Verantwortung vor Gott und ihrem Volk sei die „sittlich - religiöse Volksehre“.43 Von Gott erwarteten sie nicht die Erlösung vom Übel des Bösen, das sie als Angehörige einer quasireligiösen Volksgemeinschaft aus eigenen Kräften bereits überwinden könnten. Auch vor der Versuchung eines gemeinschaftsindifferenten Egoismus müsse sie kein Gott bewahren, da eine solche Haltung ihrem rassischen Wesen zutiefst fremd sei. Gegen die christliche Sündenpsychose bestand die nationalsozialistische Ideologie darauf, dass natürliches Empfinden niemals schlecht oder sündig sein könne. Die notwendige Umwertung des moralischen Wertesystems müsse zunächst den artfremden Dualismus von Leib und Seele überwinden, der den gesunden Körper und seine Lebensäußerungen als sündhaft diffamiere und den Volkskörper geistig zersetze. Das jüdisch deformierte Christentum sehe den Körper als ein Gefäß der Sünde und alle körperlichen Belange als minderwertig und schmutzig an. Das habe zu „widernatürlicher Schmierigkeit“44 gegenüber natürlichen körperlichen Verrichtungen wie etwa der Sexualität geführt. Die christliche Diffamierung des irdischen Lebens als Jammertal sei diesseitsfeindlich, lebensverachtend und wirklichkeitsfremd. Dagegen wurde mit dem Konzept des „gesunden Volksempfindens“ eine auf Blut und Rasse gegründete „Einstellung zum Leben und seinen Werten“45 gesetzt. Gegen das christliche Dogma der Erbsünde wurden Zeugung und Geburt nicht als Sünde und Schuld gesehen, sondern als Erfüllung eines göttlichen Willens, ebenso wie der Tod 41 42 43 44 45

Pütz, Aufräumen, S. 175. Vgl. Pintschovius, Wiedergeburt. Volck, Zwielicht, S. 271. Fasolt, Grundlagen, S. 160. d’Alquen ( Hg.), Hieb, S. 80 – zum Konzept des gesunden Volksempfindens im Nationalsozialismus vgl. Rückert, Volksempfinden, S. 214–235.

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„Lebensgesetz, Notwendigkeit und Schicksal“46 sei. Die germanische „Ehrfurcht vor dem Leben“ sei auch für den Nationalsozialismus die angemessene religiöse Haltung gegenüber der göttlichen Weltordnung.47 Eben weil die nationalsozialistische Weltanschauung zutiefst religiös sei, stehe „im Brennpunkt aller Erörterungen über ethische und politische Probleme [...] die Frage nach dem Sinn der Welt und dem Zweck des Lebens“.48 Den Deutschen sei der scheinheilige Puritanismus des Christentums fremd.49 Insbesondere der Katholizismus wurde abgelehnt als eine „biologisch verantwortungslose Organisation“,50 die bedenkenlos biologische Gesetze breche. Gegen die „Abtötung der Sinne“ und die Annahme, alles Körperliche sei minderwertig, sehe eine „lebensbejahende [...] Zeit den Körper als den gesunden Träger allen menschlichen Erlebens“.51 Die Annahme, Körper und Seele stünden sich unvereinbar entgegen, zwinge Menschen in eine selbstzerstörerische, ihre Identität bedrohende Auseinandersetzung. Der nordischen Rasse sei eine solche innere Gegensätzlichkeit, die den Menschen zerreiße, fremd. Ihr Inbegriff einer moralischen Ordnung sei die völlige Harmonie von Seele und Körper.52 Während die christliche Ethik die „Nächstenliebe auf Kosten der Selbstachtung“53 überschätze, seien Selbstverantwortung und das eigene Gewissen die wichtigsten Bausteine des moralischen Empfindens der nordischen Rasse. Die nationalsozialistische „Einstellung zum Leben und seinen Werten“54 schätze Körperlichkeit und Sinnlichkeit als legitime Lebensäußerungen der hochwertigen Rasse. Die nationalsozialistische Ideologie entwickelte eine eigene, am christlichen Vorbild angelehnte Liturgie und Rhetorik, in der insbesondere Hitler immer wieder darauf verwies, in Übereinstimmung mit göttlichem Willen und Vorsehung in Stellvertretung Gottes zu handeln, wofür etwa folgende Anrufung des Segens Gottes für den Kampf der nationalsozialistischen Bewegung und damit die Zukunft Deutschlands stand : „Das deutsche Volk ist nicht mehr das Volk der Ehrlosigkeit, der Schande, der Selbstzerfleischung, der Kleinmütigkeit und Kleingläubigkeit. Nein, Herr, das deutsche Volk ist wieder stark in seinem Willen, stark in seiner Beharrlichkeit, stark im Ertragen aller Opfer. Herr, wir lassen nicht von Dir ! Nun segne unseren Kampf um unsere Freiheit und damit unser deutsches Volk und Vaterland.“55 Als Verkörperung eines „kosmischen Kraftstroms“ stilisierte sich der Nationalsozialismus als „der irdische Vollstre-

46 47 48 49 50 51 52 53 54 55

Schinke, Gesetze, S. 28. Vgl. ebd., S. 29. Sie bauten an Deiner Welt. Der neue Geist. In : Das Schwarze Korps vom 30. 6.1938. Vgl. Volck, Zwielicht, S. 269. Gross, Rassegedanke des Nationalsozialismus, S. 22. d’Alquen ( Hg.), Hieb, S. 116 und 118. Vgl. Verwirrung im Blut. II. Artfremde Moral. In : Das Schwarze Korps vom 15. 6.1939. Verwirrung im Blut. IV. Diesseits und Jenseits. In : Das Schwarze Korps vom 29. 6.1939. d’Alquen ( Hg.), Hieb, S. 80. Domarus, Hitler, S. 264 – Rede Hitlers zum 1. Mai 1933.

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cker der vom göttlichen Wesen für diese Zeitspanne vorgesehenen Absichten“.56 Ein in seinem Wissen, Können und Wollen überwältigend genialer Mensch wie Adolf Hitler sei ohne die Annahme, dass ihn ein göttlicher Wille für seine hohe Mission auserwählt habe, gar nicht vorstellbar. Weite Teile der katholischen Kirche sahen das als Blasphemie, menschliche Selbstüberhebung und Anmaßung. Sie waren nicht bereit, die Ersetzung Gottes oder Jesus durch den Führer als deren selbsternannten Stellvertreter zu akzeptieren. Im Nationalsozialismus trat an die Stelle des Gottesdienstes der christlichen Religionen der Dienst für Volk, Vaterland und Rasse. Im Führer seien diese Elemente praktizierter nationalsozialistischer Weltanschauung als heilige Dreieinigkeit verkörpert. Das Hakenkreuz wurde als Erneuerung der ursprünglichen Bedeutung des Kreuzes zum „Sinnbild der heiligen Ordnung der Welt“57 erklärt. Es stehe für eine artgemäße deutsche Religion und sei natürlicher Teil des Volksganzen. Das Motto der nordischen Religion : „Ein Volk – Ein Glaube – Ein Reich – Ein Führer“ unterstrich den völkischen Monotheismus des nationalsozialistischen Führerstaates, der keine anderen Religionen und Götter neben sich duldete. Ohne Glauben könne der nordische Mensch weder leben noch kämpfen, weshalb seine sittliche Haltung aus seiner Bindung an Gott entspringe. Erst diese Verknüpfung von Glaube und Moral erlaube es den Deutschen, mit religiöser Inbrunst als überzeugte Nationalsozialisten moralisch zu handeln. Für Deutsche sei das Schicksal ihres Volkes immer auch Aufgabe. Gott würden sie als immanente Kraft sehen, keineswegs aber „als plan - und ziellos wirkende anarchische Gewalt“.58 Es sei ein Lebensgesetz, dass moralische Normen aus Instinkt und Glauben sowie dem Willen zur Lebensgestaltung und Selbstaufopferung entspringen würden.59 Der Nationalsozialist glaube daran, dass Gott das Werk des Führers gesegnet habe.60 Deutscher Gottglaube fühle sich dem Blut, dem Boden, dem Schicksal und der freien Selbstbestimmung verpflichtet.61 Die nationalsozialistische Führung war sich der religiösen Bindung einer Mehrheit der deutschen Bevölkerung bewusst, für die Glaube häufig identisch mit religiöser Moral war. Deshalb müsse die Religion für eine Übergangszeit der nationalsozialistischen Werterevolution toleriert werden.62 Anstatt durch aggressive antichristliche Rhetorik einen Kirchenkampf zu riskieren und einen Gegensatz zwischen heidnisch - germanischer Spiritualität und christlicher Religiosität aufzumachen, sollte sich eine rassenbewusste Religion als artgemäßes deutsches Christentum profilieren. Unter keinen Umständen könne geduldet werden, dass „sich zwischen die Selbstverantwortung des einzelnen und den Maßstab der ethischen Werte eine anonyme und noch dazu politische Macht“63 in Gestalt 56 57 58 59 60 61 62 63

Hauptmann, Davidstern, S. 41. Tolle, Gesetz, S. 301. Schicksal und Vorsehung. In : Das Schwarze Korps vom 5.10.1944. Vgl. Glaube. In : SS - Leitheft, 8 (1942) 4, S. 2. Vgl. Nationalsozialistische Gesundheitsführung, S. 427. Vgl. Tolle, Gesetz, S. 298. Vgl. Hitler, Kampf, S. 293. Verwirrung im Blut. I. Das Gottesbild. In : Das Schwarze Korps vom 8. 6.1939.

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der katholischen Priester schiebe. Die öffentliche Moral sei das Gesetz, das ein Volk sich selbst gebe. Moralische Wertungen stellten immer einen Spiegel der jeweiligen gesellschaftlichen Zustände dar. Damit bestand der Nationalsozialismus zum einen auf seinem weltanschaulichen Führungsanspruch gegenüber protestantischer wie insbesondere auch katholischer Religion. Zum anderen sollte die Zugehörigkeit zu einer der christlichen Konfessionen mit aktiver Mitgliedschaft in der nationalsozialistischen Bewegung vereinbar sein, deren Aufgabe nicht die „religiöse Reformation“, sondern die „politische Reorganisation“ des deutschen Volkes sei. Hitler selbst wandte sich gegen die parteipolitische Instrumentalisierung der Religion und hob die Bedeutung beider Konfessionen als sittlich - religiöses und moralisches Fundament des deutschen Volkskörpers hervor.64 In einer für Hitler bestimmten Denkschrift vom 9. Juli 1940 wurde offen das „bewusste planmäßige Vorgehen zur Ausmerzung aller derer an, die geisteskrank oder sonst gemeinschaftsunfähig sind“,65 angesprochen : „Wie weit will man mit der Vernichtung des sogenannten lebensunwerten Lebens gehen ? [...] Wo liegt die Grenze ? Wer ist anormal, asozial, wer ist hoffnungslos ? Wer ist gemeinschaftsunfähig ?“66 Die ohne jeden Rechtsgrundsatz erfolgte Preisgabe des Prinzips der Unverletzlichkeit der Person zeige, wie wenig den Deutschen das Menschenleben noch gelte. Die hoffnungslosen Fälle, die der nationalsozialistischen Rassenpolitik zur Vernichtung freigegeben werden sollten, waren dabei nicht etwa Menschen, die die Hoffnung auf eine dauerhafte Besserung ihres körperlichen oder geistigen Zustandes aufgegeben hatten, sondern diejenigen, die als Nutznießer staatlicher Fürsorgepolitik ohne Gegenleistung als Belastung der begrenzten Ressourcen nationalsozialistischer Sozialpolitik beseitigt werden sollten. Der Staat war ihrer überdrüssig und behauptete, dass auch Gott ihrer überdrüssig wäre, würde er selbst das Schicksal seiner Schöpfung überwachen um zu entscheiden, wer seiner würdig war und also weiterleben durfte und wer nicht. Gegen eine solche Haltung geißelte Landesbischof Wurm „das Problem der Lebensvernichtung“ als Eingriff in den Willen Gottes und Verletzung der Menschenwürde : die Vernichtung des Lebens Schwacher und Wehrloser „nicht, weil sie eine Gefahr für uns sind, sondern weil wir dessen überdrüssig sind, sie zu ernähren und zu pflegen – das ist gegen Gottes Gebot“.67 Er beschwor das „positive Christentum“, auf dessen Boden die Partei doch stehe, weshalb ihre christliche Haltung der Nächstenliebe Maßnahmen der Lebensvernichtung doch eigentlich ausschließe und nahm an, es seien nur bestimmte Kreise der Partei, vertreten etwa im „Schwarzen Korps“, die mit der Beseitigung des Christentums auch den „Bruch mit der christlichen Ethik“ ver64 Vgl. Hitler, Kampf, S. 379 f. 65 Klee ( Hg.), Dokumente, S. 151–162, hier 159 – Denkschrift des Pastor Paul Gerhard Braune für Adolf Hitler vom 9. 7.1940. 66 Ebd., S. 161. 67 Ebd. S. 162–167, hier 165 f. – Brief des Landesbischofs der Evangelischen Landeskirche in Württemberg Theophil Wurm an den Reichsminister des Innern vom 19. 7.1940.

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folgten. Diese Kreise würden zu Recht im Christentum ein Hindernis des nationalsozialistischen Programms gezielter Lebensvernichtung sehen, weshalb es aus ihrer Sicht ausgeschaltet werden musste, um solche Maßnahmen ungehindert durchführen zu können.68 In der Tat sprach die nazistische Herausarbeitung der Unvereinbarkeit von Rasse und Religion die Haltung des Christentums zur Euthanasie an : Das Christentum sei gegen die Euthanasie, da es „gerade in den hilflosen, geistig und körperlich untüchtigen Wesen [...] die Gnade Gottes“ ausmache, die darin bestehe, dass der Anblick ihres Elends die Menschen zu Barmherzigkeit, Mitleid und Selbstlosigkeit zwinge, während sie ohne ihre Existenz „ungerührt weiter sündigen und schließlich in die Hölle fahren“69 würden. Aus christlicher Sicht müssten deshalb solche bedauernswerten Menschen auch für künftige Generationen ausreichend vorhanden sein, um diese zu moralischem Handeln zu motivieren. Auch die Fuldaer Bischofskonferenz protestierte gegen die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ und stellte fest, dass die „Euthanasie [...] mit dem christlichen Sittengesetz [...] unvereinbar“70 sei. Die „Kraft der sittlichen Norm des Tötungsverbots“ dürfe nicht durch Ausnahmeregelungen geschwächt werden. „Die Anerkennung des unersetzlichen Wertes der menschlichen Person“ sei unverzichtbar, das „Leben schuldloser Personen“71 heilig. Schließlich verteidigte auch ein gemeinsamer Hirtenbrief der deutschen Bischöfe das Tötungsverbot als Lebensgesetz der Völker. Eine Tötung Unschuldiger verstoße gegen ein unkündbares Menschenrecht und sei keinesfalls durch ein angebliches Interesse des Gemeinwohls zu rechtfertigen. „Tötung ist in sich schlecht, auch wenn sie angeblich im Interesse des Gemeinwohls verübt wurde : An schuld - und wehrlosen Geistesschwachen und - kranken, an unheilbar Siechen und tödlich Verletzten, an erblich Belasteten und lebensuntüchtigen Neugeborenen, an unschuldigen Geiseln und [...] Kriegs - oder Strafgefangenen, an Menschen fremder Rasse und Abstammung.“72 Der Münsteraner Bischof von Galen wandte sich in einer Predigt ausdrücklich gegen die Rechtfertigung der „Ermordung Unschuldiger“, deren „Leben [...] für Volk und Staat nichts mehr wert“ sei, und die deshalb als „lebensunwertes Leben“73 vernichtet werden sollten. Ein solches Vorgehen widerstreite nicht nur „dem göttlichen und natürlichen Sittengesetz“, sondern sei nach dem STGB Mord, weshalb er hiermit Anzeige erstatte. Insbesondere verwahrte er sich gegen die „Verwilderung der Sitten“, nach der unproduktive Menschen das Lebensrecht verwirkt hätten, wodurch in der Konsequenz keiner seines Lebens mehr sicher sei. „Hast du, habe ich nur so 68 Vgl. ebd., S. 166. 69 Gross, Rasse und Religion, S. 28 f. 70 Ebd., S. 170–173, hier 171 – Protest des Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz vom 11. 8.1940. 71 Ebd., S. 171 f. 72 Ebd., S. 301 f. – Gemeinsamer Hirtenbrief der deutschen Bischöfe über die zehn Gebote als Lebensgesetz der Völker ( verlesen am 26. 9.1943). 73 Ebd. S. 193–198 – Predigt von Clemens August Graf von Galen am 3. 8.1941.

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lange das Recht zu leben, solange wir produktiv sind, solange wir von anderen als produktiv anerkannt werden ?“74 Diese rhetorische Frage erinnerte daran, dass dann, wenn Produktivität die Bedingung dafür war, leben zu dürfen, nicht nur Erbkranke, geistig und körperlich Behinderte oder Asoziale von rassenpolitischer Ausmerze bedroht waren, sondern auch nicht mehr arbeitsfähige Alte und Kranke. Nicht zuletzt hätte es auch diejenigen treffen können, die an der Front als überzeugte Nationalsozialisten auch für die Durchsetzung der nationalsozialistischen Rassenpolitik kämpften, deren Ziel sie dann selbst nach entsprechender schwerer Verwundung werden konnten, nachdem sie zu Fürsorgefällen des Staates geworden waren. Auf eine solche Wehrkraftzersetzung durch die christliche Kritik von Rassenpolitik und Euthanasie reagierte die nationalsozialistische Ideologie mit der Versicherung, dass diejenigen, die im Dienst für Volk, Vaterland und Rasse schwerste Gesundheitsschäden und Behinderungen davongetragen hätten, natürlich sicher sein könnten, auch dann die beste Pflege und Fürsorge zu erhalten, wenn sie dauerhaft auf Kosten der Volksgemeinschaft gepflegt werden müssten. Sie, „die im Kriegseinsatz Gesundheit und Glieder“75 für das deutsche Vaterland geopfert hatten, brauchten im Unterschied zu unheilbar Erbkranken nicht zu befürchten, der Euthanasie zum Opfer zu fallen. Selbst dann, wenn ihr Leben nach den Kriterien nazistischer Rassenideologie lebensunwert geworden war, war das in ihrem Fall nicht das einzige Kriterium, das über ihr Schicksal entschied. Entscheidend war, dass sie ihre Gesundheit im Dienst für Volk, Vaterland und Rasse eingebüßt hatten. Im Kampf zur Durchsetzung des Rassenprinzips konnte von ihnen nicht erwartet werden, diesen Kampf unter Einsatz ihrer Gesundheit und ihres Lebens im Bewusstsein dessen zu führen, dass sie selbst im Falle dauerhafter Beschädigung und Behinderung im Namen eben der Prinzipien ausgemerzt werden würden, für deren Durchsetzung sie gekämpft hatten. Zwar würden auch sie bei nicht therapierbarer Kriegsbeschädigung auf Kosten der Gesellschaft unterhalten werden müssen. Dabei sei es jedoch selbstverständlich, ihnen durch soziale Wohlfahrt und Fürsorge etwas von dem zurückzugeben, was sie für die Volksgemeinschaft gegeben hatten. Entscheidend war das „mehr“ : Sie waren nicht mehr aus eigenen Kräften lebensfähig, waren es aber vor ihrer Kriegsverletzung. Auf Grund von Erbkrankheiten Minderwertige dagegen waren noch nie aus eigenen Kräften lebensfähig und eben deshalb als lebensunwert zum Tode verurteilt. Im Folgenden soll am Beispiel einer nicht nur prinzipiellen, sondern auch im Detail auf die nationalsozialistische Rassenideologie und ihre Kritik der christlichen Religion eingehenden theologischen Auseinandersetzung mit der Rassenbiologie gezeigt werden, wie weit die Kompromissbereitschaft der Kirche in ihrem Bemühen um eine friedliche Koexistenz von Nationalsozialismus und Christentum gehen konnte. Franz Rüsche, zu dieser Zeit Professor an der Philo74 Ebd., S. 196. 75 Es lebe die Ritterlichkeit. In : Das Schwarze Korps vom 20. 7.1944.

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sophisch - Theologischen Akademie in Paderborn, versuchte eine grundsätzliche Bestimmung des Verhältnisses von nordischem Blut und christlichem Geist in der Absicht, Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten, ohne Differenzen zwischen nationalsozialistischer Rassentheorie und - politik und christlicher Fürsorgeethik zu verschweigen oder herunterzuspielen. Er plädierte für eine gegenseitige Akzeptanz der Eigenheit des je Anderen als notwendige Bedingung dafür, Möglichkeiten und Grenzen ihrer Kooperation zu bestimmen. Eine solche auf wechselseitiger Toleranz und gerade nicht gegenseitiger Indifferenz beruhende Zusammenarbeit könne jedoch nur dann gelingen, wenn sich sowohl das Christentum mit seinem Ethos von Gottebenbildlichkeit und Nächstenliebe als auch der Nationalsozialismus mit seinem biologischen Rassenethos so aufeinander zu bewegten, dass sie Grundbestände ihrer Weltanschauung in dieses Zweckbündnis einbringen, konfliktträchtige Differenzen jedoch zurückstellen konnten. Gegen die verbreitete These, der „allgemeine Artbegriff Mensch sei ein abstraktes und leeres Denkgebilde“ und so „etwas wie Menschheit gäbe es daher nicht“, müsse die christliche Kritik des Nationalsozialismus darauf bestehen, dass „die Menschheit [...] eine mächtigere und ontisch tiefgreifendere Lebenswirklichkeit ist als die Rasse“.76 Sowohl biologisch durch ihre Verbundenheit im Blut als auch geistig durch ihre „natürliche Gottebenbildlichkeit“ gehörten die Menschen als Menschheit zusammen. Die Fähigkeit zu freiem Handeln nach eigenen Ideen, Zwecken und Werten, die Übernahme der Verantwortung für die moralische Vervollkommnung der eigenen Persönlichkeit ebenso wie für den Aufbau von Kultur und Geistesleben sei jedem Menschen gegeben. Hier gebe es Ideen und Werte, die unabhängig von der Rasse objektive und allgemeine Geltung hätten. Eine solidarische Schicksalsgemeinschaft der Menschen, gegründet in der gemeinsamen Erbsünde, in christlicher Erlösung und Gnade, verheiße ausnahmslos allen Menschen das ewige Leben. Die Menschheit sei die große Familie Gottes. Christliche Nächstenliebe sei Ausdruck „einer natürlichen, geistigen und religiös - übernatürlichen Verbundenheit der Menschen untereinander“, Menschheit also „kein leerer Begriff, sondern echte Wirklichkeit“.77 Die Betonung von „Geist und Personalität, Gottebenbildlichkeit, höherer Berufung und Würde des Menschen“ müsse einhergehen mit der Anerkennung des in der „vitalen Natur“ verwurzelten „Arteigenen von Rasse und Volk“.78 Umgekehrt müsse jedoch gegen die biologisch - naturalistische Auffassung, der Einzelne sei nichts, sondern Rasse und Volk seien alles, der „unvertretbare personale [...] Selbstwert“ jedes Menschen als dessen „metaphysische und anthropologische Wesensart“79 behauptet werden. Sein und Wert des Menschen könnten niemals im „Erbstrom von Rasse und Volk“80 versinken. Auf der angeborenen Charakteranlage erhebe sich der „ethische Charakter des Menschen“, 76 77 78 79 80

Rüsche, Blut, S. 76 und 78. Ebd., S. 81 f. Ebd., S. 82. Ebd., S. 89 und 83. Ebd., S. 90.

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der in jedem Menschen alle Möglichkeiten der Entwicklung offen halte : „Selbst ein erblich ungünstig Veranlagter kann ein Heiliger werden.“81 Die Vernichtung Erbkranker könne also auch Menschen treffen, die zu Heiligen hätten werden können, abgesehen davon, dass der Wert jedes menschlichen Lebens heilig sei. Gegen einen biologistischen Geschichtsnaturalismus wurde die menschliche Willensfreiheit, gegen die Faktizität des vital - sinnlichen Lebens die „ideale Sinnund Wertgeltung“ gesetzt : Werturteile und moralische Entscheidungen könnten sich nicht auf die „Faktizität des Lebens“ berufen ebenso wenig wie gut oder böse bloße Tatsachenbehauptungen seien, sondern sie lägen in der Verantwortung des Menschen. „Ein Gedanke ist [...] sinnvoll oder sinnlos, ein Urteil wahr oder falsch, eine sittliche Entscheidung gut oder böse.“82 Die übertriebene „Vitalisierung und Biologisierung des Geistes“83 dagegen richte die Geltung von Wahrheit, Sittlichkeit, Religion oder Recht an den Vitalgesetzen einer bestimmten Rasse aus. Gegen eine solche rassenbiologische Übertreibung müsse darauf bestanden werden, dass es eine objektive und allgemein gültige Sittlichkeit gebe, also sittliche Werte und Normen, die nicht bloß für die eine oder andere Rasse, sondern für alle Rassen und Menschen Geltung hätten. Moralisches Handeln sei nicht auf Blut und Rasse festgelegt, sondern müsse sich an der „von Gott gesetzten und gewollten Wirklichkeitsordnung orientieren“, aus der die „sittliche Sollensordnung“ entspringe. Die „Werte des eigenen Blutes und der eigenen Art“ seien nicht der höchste Maßstab sittlich - geistigen Lebens. Ihnen komme jedoch zweifellos eine bestimmte Stelle in der Rangordnung der Werte zu. Neben der allgemein menschlichen gebe es auch eine arteigene Sittlichkeit. Rassenbiologisches Naturrecht sei auf den Menschen als „vernunft - und freiheitbegabtes Wesen“84 jedoch nicht anwendbar. In einer „gottgeschaffenen Wesensordnung des Seins“ würden sich „die Menschen trotz individueller, völkischer und rassischer Differenzen geistig treffen“.85 Diese Position signalisiert Kompromissbereitschaft, verteidigt aber zugleich Grundbestände christlichen Selbstverständnisses. Bestanden wird vor allem darauf, dass das Christentum keine arteigene oder blutsgebundene Religion sei. Es sei kein nordischen Menschen wesensfremder „vorderasiatischer Rassenmythus“, keine „naturwidrige Infektion des germanischen Rassegeistes“,86 wie von einer extremen Rassentheorie behauptet, sondern es habe menschheitlichen Charakter. Sinnhaftigkeit, Wahrheit und Moral wurden in dieser prinzipiellen Verteidigung des christlichen Humanismus gegen die rassenbiologische Relativierung universeller Werte gesetzt. Unter der Bedingung, dass der Nationalsozialismus die übergeordnete Geltung der christlichen Moral gegenüber der Rassenmoral anerkenne, wurde dessen Akzeptanz in Aussicht gestellt. Damit wurde in 81 82 83 84 85 86

Ebd., S. 122. Ebd., S. 144. Ebd. Ebd., S. 153. Ebd., S. 155. Ebd., S. 159.

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der für Kompromisse offenen Behauptung christlicher Positionen versucht, die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Ideologie und Rassenpolitik in moderate Bahnen zu lenken. Die Annahme, dem nationalsozialistischen Staat Bedingungen diktieren und ihn zum Verzicht auf den absoluten Geltungsanspruch seiner Weltanschauung bewegen zu können, verkannte offensichtlich die politische Lage und überschätzte die Machtposition der Kirchen. Zwar war der nationalsozialistische Staat an einer Pazifizierung des Konflikts mit den christlichen Kirchen interessiert, nicht jedoch um den Preis, dafür eigene weltanschauliche Grundpositionen aufzugeben und Abstriche an seiner Rassenpolitik zu machen. Das zeigt die nazistische Polemik gegen einen als Hetze apostrophierten Artikel aus der katholischen Zeitschrift „Das neue Volk“ vom 27. März 1934, der dann zur Illustration auch abgedruckt wurde. In diesem Artikel hieß es u. a.: „In der Natur herrscht der Kampf ums Dasein, und das schwache Geschöpf wird vom stärkeren rücksichtslos verdrängt oder vernichtet.“87 Ein solcher Darwinismus möge für das Tier stimmen, nicht jedoch für den Menschen, der dann, wenn er ihn zum Maßstab seiner Haltung gegenüber anderen Menschen mache, selbst zum Tier werde. Diesen Schritt zur Vertierung des Menschen gehe das zeitgenössische Neuheidentum des Nationalsozialismus, dessen Sterilisationsgesetz Ausdruck einer biologischen Ethik sei, wie sie von Haeckel in seinen „Lebenswundern“ konzipiert wurde. Ja, es gebe sogar Christen, die mit der Idee der Rassenaufbesserung und damit der „Ausmerzung minderwertiger Menschen“88 liebäugelten. Natürliche Zuchtwahl und Rassenpflege würden durch ihre einseitige Betonung materialistischer Werte alles Ideale verkümmern lassen. Entweder man sei ganz Christ oder gar nicht, wobei Leben in der Nachfolge Christi Hingabe an die Hilfsbedürftigen und Armen sei. Nur der Antichrist scheue sich nicht davor, öffentlich die Tötung der Minderwertigen zu fordern. Christen dagegen würden „erst durch die Kranken [...] wahrhaft innerlich gesund und erst durch Schwache wahrhaft innerlich stark“.89 Der Christ sehe in jedem Mitmenschen den Bruder und die Schwester. Das Elend des Nächsten habe für ihn unendlichen Wert für die Vervollkommnung der eigenen Seele. Auch und gerade das Leben der Minderwertigen sei unantastbar. Für sie in echter Liebe und Fürsorge Verantwortung zu übernehmen, steigere die Kultur der ganzen Menschheit.90 Diese katholische Position sah die Kranken und Schwachen als Gelegenheit für die Starken und Gesunden, sich in der Herausforderung durch das Schicksal der Bedürftigen als Christen neu zu finden. Dem Nächsten in seinem Elend in christlicher Fürsorge beizustehen, trage zur eigenen Selbstvervollkommnung bei. Die auf gegenseitige Verpflichtung ohne Vorbehalt gegründeten Haltung war das Konzept minderwertigen Lebens fremd. Die Tötung als minderwertig behaupteten Lebens durch das nationalsozialistische 87 88 89 90

Heiliges Leben, S. 418. Ebd., S. 419. Ebd., S. 421. Vgl. ebd.

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Bürgerlicher Humanismus und nazistische Rassenethik

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Euthanasieprogramm wurde als Werk des Anti - Christ entschieden abgelehnt. Die nationalsozialistische Antwort auf diese Kritik fiel auffällig knapp aus : Die Verhütung erbkranken Nachwuchses sei eine humane Tat. Die Tötung Kranker dagegen lehne der Nationalsozialismus ab.

2.

Bürgerlicher Humanismus und nazistische Rassenethik : Die nationalsozialistische Kritik bürgerlicher Gesellschaft und Moral

Die verbindende Klammer zwischen der nazistischen Kritik bürgerlicher Moral, dem Versuch der Begründung und Durchsetzung einer originär nationalsozialistischen Moral und der moralischen Konditionierung des neuen Menschen war die Infragestellung einer ausnahmslos alle Menschen einschließenden universellen Moral.91 Diese rassenindifferente, den nationalen Organismus schwächende Moral sollte durch einen artgemäßen biologischen Humanismus ersetzt werden. Dafür wurden grundlegende Werte des bürgerlich - christlichen Humanismus rassenbiologisch umgewertet und vereinnahmt. Einerseits verwarf die nazistische Ideologie etablierte Begriffe und Konzepte bürgerlich - christlicher Moral als anachronistisch und nicht mehr zeitgemäß. Andererseits sollten diese nach ihrer ideologischen Umwertung zum ethischen Begründungsrahmen nationalsozialistischer Rassenmoral werden. Im radikalen Bruch mit dem bürgerlichen Wertesystem beanspruchte sie humanistische Grundwerte wie menschliche Würde, Gemeinnutz auf Gegenseitigkeit und Nächstenliebe in rassenbiologischer Konnotation für die eigene moralische Ordnung. Dieser Balanceakt von Kritik und Vereinnahmung humanistischer und christlicher Ethik soll im Folgenden an Beispielen rassenethischer Denkfiguren vorgestellt werden : – Die Deutschen sollten auf die Stimme ihres Gewissens hören und ihren moralischen Intuitionen folgen – geleitet von einem Rasseninstinkt sollten sie intuitiv und guten Gewissens im Sinne der nazistischen Rassenideologie urteilen und handeln. – Appelliert wurde an ihre Urteilskraft, ihre Verantwortungsbereitschaft und ihr Pflichtbewusstsein – an die „Urteilskraft des Blutes“ und ihre Verantwortung gegenüber Rasse und Volk. – Nicht robotergleiche, gesichts - und charakterlose Massemenschen sollten sie sein, sondern Persönlichkeiten mit einem eigenen individuellen Profil – dem des rassenbewussten Volksgenossen. – Plädiert wurde für das freie Spiel der Kräfte – selbstverständlich nur der gesunden Kräfte einer rassischen Lebensordnung.

91 Vgl. Tugendhat, Universalismus.

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Rasse, Religion und Bürgerlichkeit

– Die nationalsozialistische Ideologie versprach, menschlicher Würde den ihr angemessenen Geltungsrahmen zu geben – artgemäße Würde wurde jedoch nur rassenbiologisch leistungsfähigen Menschen zugestanden.92 – Die Ehrfurcht vor dem Leben wurde zur Ehrfurcht vor dessen rassischer Rangordnung uminterpretiert : Aus Ehrfurcht vor dem Leben vernichte der nationalsozialistische Krieger rassisch minderwertiges Leben.93 – Die Deutschen sollten nach dem Prinzip der Nächstenliebe handeln – nachdem sie sich mit Hilfe rassischer Natur - und Lebensgesetze vergewissert hatten, wer als Nächster mitmenschliche Zuwendung verdiene und wem sie aus rassenhygienischen und volksgesundheitlichen Gründen als fremdartig Anderen verweigert werden müsse.94 – Im Mittelpunkt der nationalsozialistischen Werterevolution, so wurde behauptet, stehe der Mensch – der als Individuum jedoch lediglich „das vorübergehende Gefäß für die zeitweilige Aufbewahrung der Erbmasse“95 sei. – Mit Kant wurde „soziale Sittlichkeit“ angemahnt : „Wir dürfen unsere Mitmenschen nicht als Mittel ansehen, sondern als Selbstzweck.“96 Das galt selbstverständlich nur für Angehörige der nordischen Rasse. – Humanismus und Menschenrechte, Glaubens - und Gewissensfreiheit wurden ausdrücklich anerkannt – solange sie nicht im Widerspruch zu den Rassengesetzen standen und in ihrer Geltung auf biologisch vollwertige Menschen eingeschränkt waren.97 An die Stelle von Moral, Blut und Rasse seien in der bürgerlichen Gesellschaft Stand, Bildung und Besitz getreten. Auf den Trümmern dieser auf äußeren Werten gegründeten Gesellschaft müsse sich die neue Gesellschaft wieder auf innere Werte besinnen.98 Der Nationalsozialismus sei eine „unbürgerliche und jugendfrische Erscheinung“ ohne Hemmungen gegenüber dem „absterbenden Bürgertum“,99 dessen Relativismus, Historismus und Skeptizismus zeigten, dass es historisch erledigt sei. Während das Zeitalter des Humanismus auf Erziehung durch Bildung gesetzt habe, stelle der Nationalsozialismus die Willenserziehung in den Mittelpunkt. Sein Ziel : „Wir müssen ein Volk mit Instinkt werden.“100 Der bürgerliche Glauben, Menschen seien Produkte des Milieus, reiße diese in den Strudel der Entwertung aller Werte. Das Vertrauen in die befreiende Tat sei ungleich wertvoller als der analysierende Intellekt. Gegen die Schwächung der völkischen Substanz durch die bürgerliche Moral habe der „deutsche Wille zum Leben ungeheure Kräfte frei gesetzt“.101 92 93 94 95 96 97 98 99 100 101

Vgl. Brunk, Erbpflege und Hebenbrock, Wohlfahrtspflege. Vgl. Eggers, Leben, S. 87. Vgl. Gross, Arbeit. Finck, Volksgesundheit, S. 289. Schultze, So lebst du deutsch, S. 76. Vgl. Hildebrandt, Norm, S. 276. Vgl. Gross, Kritik, S. 384 f. Usadel, Plan, S. 340 und 345. Ebd., S. 359. Eggers, Reich.

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Bürgerlicher Humanismus und nazistische Rassenethik

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Gegen den liberalistischen Gleichheitsindividualismus wurde das aristokratische Prinzip der Persönlichkeit gesetzt. Der neue Mensch sei der politische Soldat, dessen rassische Lebenshaltung ihn zur Führung berufe. Dem auf die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit bezogenen bürgerlichen wurde der an der Zukunft orientierte soldatische Freiheitsbegriff gegenüber gestellt. Während der bürgerliche Freiheitsbegriff sich auf die Frage der Freiheit wovon konzentriere, gehe es dem soldatischen um die Freiheit wozu.102 Der ethische Liberalismus des Bürgertums verherrliche den Egoismus des einzelnen Bürgers, dem die Unterordnung unter ein völkisches Ganzes fremd sei.103 Dieser individuelle Heilsegoismus des Liberalismus erkenne nichts Höheres über sich an. Gern verstecke sich „liberale Verantwortungslosigkeit [...] hinter dem Führerprinzip“,104 um zu verbergen, dass dem Bürgertum Mut und Zivilcourage fremd seien, weshalb es auch nicht fähig sei, Verantwortung für das Ganze zu übernehmen. Mit dieser Deformierung des Menschen müsse die nationalsozialistische Ideologie rechnen. Der von ihr angestrebte Umbau der deutschen Gesellschaft ziele deshalb auf die Verfassung der Menschen selbst, deren Unfähigkeit zur Gemeinschaftsbindung die Ausbildung ihrer Fähigkeiten und Anlagen verhindere. Mit der Losung „Du Einzelner bist nichts, dein Volk ist alles“105 werden sie daran erinnert, dass es nicht auf den Einzelnen ankomme. Nur ihr rassenbewusstes Leben in der Volksgemeinschaft ermögliche es den Deutschen, sich zu den hochwertigen Persönlichkeiten zu entwickeln, die sie auf Grund ihrer erbbiologischen Anlagen sein könnten.106 Gegen den gemeinschaftsindifferenten Heilsegoismus ziele moralisches Handeln auf die körperliche, geistige und seelische Vervollkommnung der Deutschen durch ihre Unterordnung unter die Interessen der Gemeinschaft.107 Das völkisch - ganzheitliche Lebensgesetz wurde gegen die individualistische Lebenshaltung des bürgerlichen Zeitalters gesetzt.108 Die uneingeschränkte Freiheit der Individuen mache diese in ihrer obsessiven Fixierung auf sich selbst unfähig, eine Perspektive auf das Ganze zu entwickeln, Verantwortung zu übernehmen und Opfer für die Gemeinschaft zu bringen. Eben diese Bereitschaft, sich für das Ganze zu opfern, müsse aber von jedem Einzelnen verlangt werden.109 Sie könne jedoch nur dann erwartet werden, wenn diejenigen, denen ein solches Opfer abverlangt werde, sich auch als Teil dieses Ganzen sehen würden. Der bürgerliche Liberalismus ersetze das Miteinander von Menschen, die gefühlsmäßig durch ihre gemeinsame Verpflichtung auf die Gemeinschaft verbunden seien, durch das rational kalkulierte Neben - und Gegeneinander auf sich 102 103 104 105 106

Vgl. Stoedtner, Soldaten, S. 18 f. und 22. Vgl. Reventlow, Nemesis, S. 11. Verantwortung nach oben. In : Das Schwarze Korps vom 10. 6.1943. Straßburg, Volksstaat, S. 311. Vgl. Mensch und Maschine. In : Das Schwarze Korps vom 28. 4.1938 sowie SS - Mann und Blutsfrage. 107 Vgl. Schultze, So lebst du deutsch, S. 52 f. 108 Vgl. Krieck, Bildung, S. 6. 109 Vgl. Hildebrandt, Norm, S. 391.

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selbst gestellter Individuen.110 In der zur Gemeinschaftsbildung unfähigen bürgerlichen Gesellschaft stehe jeder gegen jeden. Ohne rassische Differenzierung zwischen den Individuen sei die bürgerliche Gesellschaft handlungsunfähig. Jeder gehöre irgendwie dazu, keiner sei prinzipiell ausgeschlossen. Für das bürgerliche Wertesystem stehe nicht das Volk im Mittelpunkt, sondern die äußerliche Zugehörigkeit ohne individuelle Verbindlichkeit. Das bürgerliche Wertesystem war unvereinbar mit der nationalsozialistischen Rassenethik. Das Glaubensbekenntnis des bürgerlichen Menschen, der die Religion nicht als mythisches Urerlebnis, sondern als Seelendiät wahrnehme, sei das Prinzip des laisser faire, des gegenseitigen Gewähren Lassens. Der Niedergang der bürgerlichen Welt zeige sich in ihrem religiösen und moralischen Verfall, und hier insbesondere in ihrer heuchlerischen Sexualmoral.111 Der „Gegensatz der Rassetheorie zur Humanitätsidee des bürgerlichen Zeitalters“112 wurde an der bürgerlichen Idee festgemacht, alle Menschen seien in gleicher Weise zu höherer Bestimmung veranlagt und berufen. Der „Einbruch der bürgerlichen Lebensordnung“113 in die deutsche Gesellschaft und eben insbesondere ihrer Idee der Gleichheit aller Menschen habe die rassischen Instinkte der Deutschen zerstört und zu ihrer moralischen Verwahrlosung geführt. Die nationalsozialistische Revolution habe diese „Periode der bürgerlichen Lebensgestaltung und Lebenshaltung beendet“114 und die bürgerliche Ordnung durch eine rassisch - politische „Lebensordnung, die dem freien Spiel der gesunden Kräfte wieder Raum“115 gegeben habe, ersetzt. In der bürgerlichen Gesellschaft könnten die Menschen nicht in innerer Übereinstimmung und Harmonie mit sich selbst leben. Ohne die Möglichkeit, ihre rassischen Anlagen zu entsprechenden Haltungen und Fähigkeiten auszubilden, werde ihre Persönlichkeit unterdrückt, die sich nur in der rassisch - völkischen Gemeinschaft entfalten könne. Der Bürger habe sich als unfähig erwiesen, eine eigene Gemeinschaftsordnung zu begründen. „Indem er die Freiheit des Individuums entdeckte und der schrankenlosen Herrschaft des Ich den Weg bereitete, zerschlug er das Fundament der Gesellschaft, die zu begründen er angetreten war.“116 Eine auf dem Prinzip der uneingeschränkten Freiheit des Individuums gegründete Gesellschaft ohne gemeinschaftliche Bindungskräfte sei selbstzerstörerisch. In der bürgerlichen Gesellschaft sei jeder nur darauf bedacht, seinen eigenen Vorteil ohne Rücksicht auf das Gemeinwesen wahrzunehmen. Im Mittelalter sei Bürgerrecht noch an Besitz, Leistung und Bewährung für die Gemeinschaft gebunden gewesen. Dagegen bestimmte die Aufklärung, die die Freiheit und Gleichberechtigung aller Menschen proklamiert habe, einen 110 111 112 113 114 115 116

Vgl. Schwulst, Aufgaben, S. 32. Vgl. Wider den bürgerlichen Ungeist ! In : Das Schwarze Korps vom 7.10.1937. Krieck, Volkscharakter, S. 148. Fischer, Staat. Krieck, Entscheidung, S. 3. Das seelische Erbe. In : Das Schwarze Korps vom 2.10.1944. Renaissance des Bürgers ? In : Das Schwarze Korps vom 28.12.1944.

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bestimmten Besitz, unabhängig davon, wie er zustande gekommen war, als Bedingung dafür, Bürgerrecht zu genießen. Im großen „Kurssturz der Werte“ des 19. Jahrhunderts sei auch der Begriff der Bürgertugend gefallen. „Das entfesselte Ich jagte dem Glück nach, das sich dem aufgeklärten Bürger nunmehr in materiellen Gütern, in greifbaren Werten manifestierte. Im Taumel einer schrankenlosen Gier nach Besitz und Genuss ertrank alles, was einmal an ewigen und unzerstörbaren Werten die schöne Ganzheit und Harmonie des Lebens gebildet“117 hatte. Ein Bürger sei „ein Mensch, der noch ganz im neunzehnten Jahrhundert wurzelt und der vom Mythus des zwanzigsten Jahrhunderts keinen Hauch verspürt“118 habe. Während das 19. Jahrhundert das des Bürgertums gewesen sei, werde das 20. Jahrhundert in die Geschichte als das des Untergangs bürgerlicher Gesellschaft und Moral eingehen. Die deutsche Neigung zum „Kosmopolitismus, d. h. zum falsch verstandenen Weltbürgertum und zur so genannten Objektivität, ihre Sucht, das Fremde höher zu schätzen als das Eigene“,119 hätten die Zersetzungserscheinungen des 19. Jahrhunderts begünstigt, in dem der bürgerliche Humanismus als schleichendes Gift der Entfremdung vom Volk gewirkt habe.120 Die Zeit des Bürgertums sei vorbei : Es sei instinktlos geworden und müsse eben deshalb untergehen. Da es zeitgemäße moralische Intuitionen nicht ausgebildet habe, sei es halt - und orientierungslos den politischen und kulturellen Turbulenzen des 20. Jahrhunderts ausgeliefert. Sein Setzen auf die uneingeschränkte Souveränität bindungsloser und gemeinschaftsunfähiger Individuen, deren ichbezogene Obsessionen die Gesellschaft moralisch verkommen ließen, habe die bürgerliche Klasse in ihrem kulturellen Führungsanspruch disqualifiziert. Im „Untergang der bürgerlichen Welt“ vollstrecke die „junge soldatische Generation, die sich aus Trümmern, Blut und Leid“ eine neue Gesellschaft baue, einen von der Geschichte „längst gefällten Urteilspruch“.121 Trägheit und Beharrung seien typisch für die Haltung des Bürgertums zum Leben, während der Nationalsozialismus seinen Führungsanspruch auf rassischer Auslese und Leistung gründe. Auch in ihrem Verständnis von Moral und Sittlichkeit unterscheide sich die revolutionäre Bewegung des Nationalsozialismus grundlegend vom Bürgertum. Während die nationalsozialistische Moral „sich selbst die Normen ihre Handelns“ setze, sei die bürgerliche Kultur des Zerfalls, der Entartung und des Untergangs „aus Mangel an innerer Freiheit“122 zur Entwicklung und Durchsetzung eigener Werte unfähig geworden. Gelähmt, handlungsunfähig und ohne Zukunftsvision sehe das Bürgertum dem eigenen Untergang zu, den es als Untergang der Menschheit imaginiere. Der Kampf gegen die bürgerliche Kultur und Moral sei ungleich schwerer, als der gegen die 117 118 119 120 121 122

Ebd. Soldat und Bürger – Zwei Haltungen. In : Das Schwarze Korps vom 24. 4.1935. Zeitenwende. In : Der Schulungsbrief, (1943) 4, S. 51– 54, hier 51. Vgl. Böttcher, Menschheitsbrei, S. 301. Bürgerlicher Weltuntergang. In : Das Schwarze Korps vom 28. 9.1944. Wider den bürgerlichen Ungeist ! In : Das Schwarze Korps vom 7.10.1937.

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Kommunisten, da es in ihm nicht um die Auseinandersetzung mit politischen Gegnern gehe, sondern um die Überwindung einer Untergangsmentalität, die die deutsche Gesellschaft in den Abgrund zu reißen drohe. Deshalb sei die Vernichtung dieser bürgerlichen Mentalität die Voraussetzung dafür, das deutsche Volk in neuem Geiste einer „völlig unbürgerlichen, d. h. naturhaften, lebensvollen, revolutionären, wahrhaft freien und überlegenen Haltung dem Dasein gegenüber, zu einem adeligen Menschentum, das seinen Schwerpunkt in sich selber trägt“,123 zu erziehen. Die Blütezeit des entarteten Bürgertums sei die Aufklärung gewesen – „die Überschätzung der Ratio, des Verstandes, gegenüber dem Primat des Lebens, des Gefühls, der natürlichen Triebkräfte des Menschen“.124 Argumentiert wird gegen die bildungsbürgerliche Unterstellung, der Nationalsozialismus sei eine geistfeindliche Bewegung der ungebildeten Massen, die mit der deutschen kulturellen Tradition radikal gebrochen habe. Auch wenn der Nationalsozialismus tatsächlich mit der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Weltanschauung nichts gemein habe, gehe es ihm doch keineswegs um die Vernichtung des deutschen und europäischen Geistes, sondern ganz im Gegenteil um dessen Wiedergeburt. Die nationalsozialistische Bewegung suche „den Grund wiederzufinden, auf dem der Geist in seiner Urgestalt ruht, mächtig der großen Bilder, unversehrt und vor dem Zugriff der zerfasernden Vernunft behütet, der Geist des Volkes selbst“.125 Gegen eine volksfeindliche bürgerliche „Stufenfolge der Bildung“ wurde eine völkische „neue Werteordnung des Lebens“126 gestellt, die die Leistung, aber auch die Leidens - und Opferfähigkeit des Volkes hervorhob. Die nazistische Kritik von Bürgerlichkeit operierte mit einer begrifflichen Trennung von bürgerlicher und kapitalistischer Gesellschaft. Während der an nationalen Interessen orientierte Kapitalismus auf die ordnende Kraft der Ökonomie setze, von der er annehme, dass sie eine eigene verbindliche Werteordnung erübrige, ersetze die um das universelle Konzept der Bildung organisierte bürgerliche Gesellschaft die Volksgemeinschaft durch die Menschheit als moralisches Subjekt. Während der sich zu seiner nationalen Verankerung und Verantwortung bekennende Kapitalismus meine, ohne ein Ethos auszukommen und stattdessen auf die ökonomische Selbstregulierung setze, habe die bürgerliche Gesellschaft sich aus dem nationalen Zusammenhang gelöst und für eine kosmopolitische Menschheitsmoral entschieden. Diese Diskrepanz zwischen einer Nation ohne Moral und einer Moral ohne nationale Einbindung versprach, die nationalsozialistische Rassenmoral aufzulösen. Der lebens - und wertezerstörenden Kraft des Kapitalismus wurde das Werteuniversum der nach rassischen Kriterien strukturierten Volksgemeinschaft entgegen gesetzt.

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Ebd. Ebd. Geist, Instinkt, Glaube. In : Das Schwarze Korps vom 5.11.1942. Ebd.

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Bürgerlicher Humanismus und nazistische Rassenethik

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Im Kapitalismus entschieden nicht „mehr Blut und Charakter, Haltung und Gesinnung, Tüchtigkeit und Fleiß [...] über die Zukunft“ der Menschen, sondern „die stärkeren Ellenbogen, die größere Brutalität, die Bedenkenlosigkeit, die Weite des Gewissens“.127 Fern von jeglichem Gemeinschaftsgeist und ohne Blick für die wirklich gestaltenden Kräfte des Lebens liefen die Bürger nur noch dem Erfolg hinterher. Der Nationalsozialismus habe die Deutschen wieder als Glieder einer völkischen Gemeinschaft und soldatischen Ordnung eingesetzt. Arbeiter und Bürger seien keine Widersacher mehr, sondern „Träger einer Gesinnung“. Dem Nationalsozialismus gehe es nicht um die Zerstörung bürgerlicher Werte, sondern darum, diese wieder mit Leben zu erfüllen. In ihrer lebensfremden oder - feindlichen, widernatürlichen oder blutarmen Form, die die bürgerlichen Werte in der kapitalistischen Gesellschaft angenommen hätten, seien sie für die Volksgemeinschaft unbrauchbar.128 Bürgerliche Moral sei äußerlich, oberflächlich und heuchlerisch und deshalb ungeeignet zur normativen Orientierung des Lebens. Gewachsen auf dem Boden der bürgerlichen Gesellschaft war der Nationalsozialismus zugleich ihre politisch konzentrierte Vernichtungsdrohung. Gegen kulturzerstörerische Phantasien gleicher Menschen - und Bürgerrechte und die pseudohumanistische Verpflichtung auf den Schutz der Schwachen und Bedürftigen setzte die nationalsozialistische Ideologie die rassenbiologische Neuordnung der Welt. Nachdem Moderne und Aufklärung die naturgegebene Differenzierung der Menschen nach ihrer Rassenzugehörigkeit außer Kraft gesetzt hätten, müsse ein mit den Natur - und Lebensgesetzen in Übereinstimmung stehendes Wertesystem erst wieder etabliert werden. Darüber hinaus hätten diese Entwicklungen bewirkt, dass moralisch relevante Situationen für ein Spektrum unterschiedlicher Interpretationen, Entscheidungen und Entwicklungen offen wurden. Die Eindeutigkeit und fraglose Geltung eines nicht weiter begründungsbedürftigen Wertesystems, das zugleich ein differenziertes Spektrum moralisch gebotenen oder tabuisierten Verhaltens für alle nur denkbaren alltäglichen und außeralltäglichen Situationen festlegte, war damit vorbei. Die Bestimmung des Holocaust als Aktualisierung barbarischer Modernisierungspotentiale des gewöhnlichen Kapitalismus argumentierte gegen seine Instrumentalisierung zur Verschleierung der alltäglichen Kriminalität des gewöhnlichen Kapitalismus. „Die Exzeptionalität der Endlösung ist gebunden an die Normalität des Kapitalismus.“129 Diese Sicht des Nationalsozialismus als auf die unmenschliche Spitze getriebenes System kapitalistischer Ausbeutung führt mit der Annahme der Austauschbarkeit und Zufälligkeit der Rollen von Tätern und Opfern zur moralischen Entlastung der Täter. Diese Konsequenz lässt Peter Weiss in seiner „Ermittlung“ nicht zufällig einen kommunistischen Häftling aussprechen : 127 Renaissance des Bürgers ? In : Das Schwarze Korps vom 28.12.1944. 128 Vgl. ebd. 129 Cohen, Image S. 176.

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„Viele von denen, die dazu bestimmt wurden Häftlinge darzustellen waren aufgewachsen unter denselben Begriffen wie diejenigen die in die Rolle der Bewacher gerieten Sie hatten sich eingesetzt für die gleiche Nation und für den gleichen Aufschwung und Gewinn und wären sie nicht zum Häftling ernannt worden hätten auch sie einen Bewacher abgeben können.“130

Häftlinge und Bewacher der Lager werden hier gleichermaßen zu Opfern des kapitalistischen Systems erklärt, das sie in wechselnden Rollen für seine Profitinteressen agieren ließ und dadurch missbrauchte. Dafür, welche Rolle sie schließlich übernahmen, konnten sie aus dieser Sicht nur bedingt verantwortlich gemacht werden. Zum gleichen Resultat kam eine ökonomistisch reduzierte Kapitalismuskritik, die mit der vulgärmarxistischen Entgegensetzung von „raffendem“ und „schaffendem“ Kapital ein ökonomisches Konkurrenzverhältnis zwischen Juden und Nazis als den Trägern der Zirkulation und Produktion im besetzten Polen unterstellte : „Die faschistische Deportationspraxis wurde also von realen strategischen und taktischen Überlegungen bestimmt, von denen die materiellen letztlich ausschlaggebend waren. Gleichzeitig sind in ihr auch die direkten Einflüsse der Rassenideologie auf die Handelnden nachweisbar, denen die Juden einzig als parasitäre Subjekte galten, nicht produzierend, aber konsumierend, als Schmarotzer also, die angeblich überall von den Arbeitsfrüchten anderer zehrten und den Körper ihrer Wirtsvölker aussaugten und schwächten. Aus diesem Gesichtspunkt mussten die Juden in Polen den Eroberern geradezu als lästige Konkurrenz erscheinen, wollten sich doch nun die deutschen Imperialisten an den Polen, ihrer Arbeitskraft und ihrem Eigentum schadlos halten.“131 In dieser Lesart wird aus der Vernichtung der Juden ein eher unbeabsichtigter Kollateralschaden im Kampf um die ökonomische Vorherrschaft, der die fortschreitende Barbarisierung des Kapitalismus belegte. Verwiesen wurde zugleich darauf, dass dem vom deutschen Idealismus geprägten ethischen Begriff der Menschheit der biologische und rassische Unterbau seiner Verwurzelung im Volk gefehlt habe.132 Weder das allein sich selbst verantwortliche, egoistisch auf seine Interessen und Triebe fixierte Individuum, das seine Indifferenz gegenüber höheren Werten und der Volksgemeinschaft durch die Losung von Selbstverwirklichung und Selbstgesetzgebung rechtfertige, noch die Menschheit, die alle Menschen als gleich ansehe, seien moralische Subjekte für den Nationalsozialismus, sondern allein Rasse und Volk. Der Versuch, im Bewusstsein gemeinsamer Zugehörigkeit zur menschlichen Gattung rassenspezifische Unterschiede durch die Emphase individueller Gleichwertigkeit und Menschheitsverbrüderung zu überbrücken, ignoriere die Gesetze des Lebens und der Natur und müsse deshalb scheitern. Die common sense - Moral 130 Weiss, Ermittlung, S. 328. 131 Pätzold, Vertreibung, S. 227. 132 Vgl. Elefanten im Porzellan. In : Das Schwarze Korps vom 24. 2.1938.

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intuitiver Mitmenschlichkeit sei dabei das individualistische Pendant zum Gattungshumanismus von Menschen - und Bürgerrechten und der unbedingten Anerkennung menschlicher Würde. Beide Komplementärvarianten des bürgerlichen Liberalismus seien gleichermaßen wirklichkeitsfremd, illusorisch und in der Konsequenz verheerend für die nach rassenbiologischen Kriterien des Ausschlusses und der Zugehörigkeit organisierte völkische Gemeinschaft. Hier versprach eine klare Differenzierung von Über - und Untermenschen auf der Grundlage von rassischer Zugehörigkeit und Gesundheit Klarheit gegenüber der Diffusion auf eigenen Erfahrungen und Präferenzen gegründeter moralischer Entscheidungen und Haltungen. Es sei verständlich, dass das Bürgertum den Niedergang seiner Welt und das Ende seines kulturellen Führungsanspruchs nicht wahrhaben wolle und als barbarisch denunziere. Sein Versuch, den Durchbruch einer neuen Welt an den Maßstäben der untergehenden alten beurteilen zu wollen, sei jedoch verfehlt und unangemessen. Die nationalsozialistische Revolution habe einen radikalen Bruch mit dem „nur - geistigen, dem wirklichen Leben entfremdeten Weltbürgertum“133 vollzogen. Schließlich könne eine neue Welt nur gestalten, wer sich von den treibenden Kräften der alten befreit habe. „Wer sich anschickt, eine Welt neu zu gestalten, der muss jedwede Empfindsamkeit aus seinem Leben verbannen, er muss auf jede Art Ballast verzichten, er muss von sich werfen können, was die Gefahr in sich birgt, den Schwung seiner Taten zu hemmen.“134 Insbesondere aber müsse er sich von den Bindungen an nicht mehr zeitgemäße Traditionen befreien. Die nationalsozialistische Ideologie stellte Haltung, Kampf und Leistung als die grundlegenden Werte ihrer Revolution heraus – im Unterschied zum Geld als dem ordnenden Wertprinzip der bürgerlichen Werteordnung. Die bürgerliche Betonung von Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit als unveräußerlichen Menschenrechten stehe „dem Naturgesetz, das die Ungleichheit will“,135 entgegen. Überall dort aber, „wo die regellose, unschuldige und grausame Natur sich [...] der Willkür menschlicher Setzung entgegenstemmte, dekretierte der vom Machtrausch besessene Bürger im Namen der Tugend die Freiheit des Individuums“.136 Die bürgerliche Fixierung auf individuelle Freiheit habe „die natürliche Ordnung der Dinge in ihr Gegenteil verkehrt“.137 Sie habe der Natur Gewalt angetan und die gesunden Instinkte der Völker unterdrückt. Die Leugnung des Elementaren durch die Unterordnung der Natur unter eine gedachte Moral behaupte ein Sittengesetz, das ohne natürliche Bindung auskomme. Eine solche naturwidrige Bindungslosigkeit der Menschen erschöpfe ihre Lebenskraft und verstoße gegen das Lebensgesetz eines notwendigen Wechsels von Bindung und Freiheit, das den Rhythmus alles Geschehens bestimme.138 Diese bezie133 134 135 136 137 138

Sind wir Barbaren ? In : Das Schwarze Korps vom 14.12.1944. Ebd. Revolutionäre Rangordnung. In : Das Schwarze Korps vom 23.11.1944. Ebd. Ebd. Vgl. Stellrecht, Erziehung, S. 747.

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hungs - und bindungslose Freiheit des bürgerlich - liberalen Wertesystems habe in Deutschland zum Glück jedoch nie Fuß gefasst. Deshalb hätten die „Scheinwerte der Demokratie“ die Tiefe deutschen Wesens auch nicht beschädigen können. Kennzeichnend für das Bürgertum sei eine unproduktive, unschöpferische Betätigung und unkämpferische Lebensform. Vor allem aber habe es mit dem Verlust einer ursprünglichen und totalen „Bindung des Lebens an das ethische Gesetz“139 seine ordnende ethische Kraft verloren. Zwar gelinge ihm eine Gleichrichtung materieller Interessen, nicht jedoch eine einheitliche Ausrichtung ethischer Normen. Das liberale Konzept von Freiheit als ungebundener und uneingeschränkter materieller Entfaltung des Einzelnen habe zum Verfall der bürgerlichen Ordnung geführt. Es sei dem Bürgertum nicht gelungen, „eine das ganze Volk bindende und zusammenfügende ethische Norm zu finden, vorzuleben und für alle verbindlich durchzusetzen“.140 Deshalb müsse es durch den kämpferischen soldatischen Geist der rassisch besten Teile des deutschen Volkes überwunden werden. Ethisch habe das Bürgertum versagt. Die Ideen von Gleichheit und Gleichberechtigung hätten zum moralischen Verfall der bürgerlichen Gesellschaft und zur praktischen „Vorherrschaft des Judentums“ geführt. Die bürgerliche Manie, „alles zu verstehen und damit auch alles zu verzeihen“, habe die „natürlichen Werteordnungen“141 erschüttert und die Voraussetzungen für eine an Freiheit und dem Lebensrecht der eigenen Nation orientierte Politik untergraben. Durch eine Rückkehr zu den natürlichen Werteordnungen habe der Nationalsozialismus die moralische Wende eingeleitet, die den Verfall „durch Ausmerzung aller im Mitleid wurzelnden pazifistischen und nihilistischen Ideen“142 zu stoppen versprach. Eine universelle Menschheitsmoral lehnte die nationalsozialistische Ideologie ab. Das bürgerlich - naturrechtliche, rational - humanistische Menschenbild bestimme den Menschen als „von Natur selbständiges Einzelwesen“143 mit einer natürlichen Veranlagung zur Vernunft und den Urzustand der Menschheit als Krieg aller gegen alle. Den Fortschritt sehe es als ewigen Frieden, gesichert durch den humanen Ausgleich aller gleich vernunftbegabten Menschen.144 Dieses bürgerliche Wunschbild habe mit der Wirklichkeit des Lebens und der Menschen nichts zu tun. Der ewige Völkerfriede sei kein wünschenswertes Ziel der Menschheitsentwicklung, ebenso wenig wie die Natur, in der „lebenskräftigere Wesensformen auf Kosten der schwachen und minderwertigen“145 sich durchsetzen würden, ohne Kampf vorstellbar sei. Die Annahme einer „Gleichwertigkeit aller Menschen“ sei nichts als eine ideologische Fiktion, die davon absehe, dass jeder Rasse eine spezifische „Lebensrichtung, eine Lebensart, ein 139 140 141 142 143 144 145

Überwindung des bürgerlichen Geistes. In : Das Schwarze Korps vom 6. 5.1943. Ebd. Ebd. Ebd. Fritz, Politik, S. 522. Vgl. Krieck, Entscheidung, S. 12. Fritz, Politik, S. 521.

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Lebenswillen mit zugehöriger Wertordnung“146 eigen sei, die sie von allen anderen Rassen unterscheide. Erst die Überwindung des Wahns von der Gleichheit aller Menschen werde der arteigenen Vielfalt der Völker gerecht, die sich nicht auf die „Satzungen eines Weltgewissens und [...] die Sittengesetze irgendeiner Religion“147 reduzieren ließen. Gleichwohl war die nationalsozialistische Ideologie gezwungen, auf diesen wirkungsmächtigen Traum menschheitlicher Moral und Völkerverständigung zu reagieren. Ihr Versuch, ihn als Täuschung mit verhängnisvollen Folgen insbesondere für höherwertige Kulturvölker und Rassen zu diskreditieren, stellte folgende Elemente heraus : 1. Der Traum von Völkerverständigung und gegenseitigem Verstehen der Menschen sei verständlich. Das Bedürfnis der Menschen nach Harmonie und fragloser Zugehörigkeit zu einem ihre individuelle Existenz umgreifenden, ihre Endlichkeit übersteigenden größeren Ganzen müsse ernst genommen und angemessen beantwortet werden. Einen Traum als naiv, unrealistisch und illusionär einfach zu zerstören, ohne ihn durch eine andere, realistische Vision von vergleichbar existentieller Tiefe zu ersetzen, wäre unbefriedigend. Gegen die liberale Utopie der Gleichheit und Gleichwertigkeit aller Menschen wurde die nationalsozialistische Vision einer Volksgemeinschaft des neuen Menschen gesetzt, der sich innerlich von allen moralischen und religiösen Hemmungen zur Durchsetzung seiner rassischen Führungsposition befreit habe. In dieser Gemeinschaft werde der neue rassisch hochwertige Mensch die ihm zustehende Führungsposition einnehmen können. 2. Die Fähigkeit, zwischen gut und böse zu differenzieren, durch die sich die Angehörigen eines Volkes auf ein gemeinsames Wertesystem einigen würden, sei allen Völkern gemeinsam. Deshalb anzunehmen, sie könnten sich auf ein gemeinsames moralisches Wertesystem verständigen, sei jedoch abwegig. Versuche, eine solche Verständigung herbeizuführen, seien zum Scheitern verurteilt. Im Grunde seien die Völker unfähig, sich gegenseitig zu verstehen, sich in ihrer Verschiedenheit anzuerkennen und miteinander auszukommen. Die „Werte des Guten und des Bösen, des Hohen und des Niedrigen, des Heiligen und des Teuflischen tragen bei den verschiedenen Rassen ein anderes Gesicht“.148 Die Auseinandersetzung zwischen den Rassen sei auch eine Auseinandersetzung zwischen ihren gegensätzlichen und miteinander unvereinbaren Wertesystemen, bei der es keine Kompromisse geben könne. Eine Einigung auf ein gemeinsames, die Gegensätze ihrer Moralvorstellungen überbrückendes Wertesystem sei ausgeschlossen. Der Rassenkampf könne nur mit der Durchsetzung des höher wertigen gegenüber geringer wertigen Moralsystemen enden. 3. Die aggressive Infragestellung von Assimilation, Mischehen und rassenindifferenten Intimbeziehungen und Freundschaften stellte die Auseinanderset146 Krieck, Entscheidung, S. 18. 147 Kummer, Ehe, S. 109. 148 Gross, Krisis, S. 648.

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zung mit der Rassenmischung in den Zusammenhang des biologischen Überlebenskampfes des deutschen Volkes und der nordischen Rasse, der mit Beginn des zweiten Weltkrieges und dem Zugriff auf die von Juden bevölkerten Territorien Europas zum rassischen Weltbürgerkrieg wurde. Dieser Krieg sei ein Weltenkrieg, „ein Kampf zwischen zwei grundverschiedenen Welten des menschlichen und völkischen Seins. Hier eine Welt der rassischen Reinheit, dort eine Welt jüdisch vermanschten Menschentums. Hier eine Welt biologisch kraftvoller Völker, eine Welt des aufsteigenden Lebens, dort eine Welt von Lebensmattheit und missbrauchter Lebenskraft. [...] Dieser Krieg ist ein eschatologischer Krieg, der geführt wird um die innersten und obersten Anliegen der Menschheit.“149 Beschworen wird ein „Aufmarsch zweier Weltanschauungen zum Endkampfe : hier die siech gewordene jüdisch - liberalistische unter dem Zeichen des Davidsternes, da die christgermanisch nationalsozialistische im Zeichen des Hakenkreuzes. Jene die unsittliche, satanische, weil selbstsüchtige, diese die sittliche, göttliche, weil eigennützige.“150 „Untermenschentum“ kämpfe gegen „Gottmenschentum“ – „die Finsternis gegen das Licht, die Tyrannei gegen die Freiheit, das Gold gegen den Geist.“151 Die nationalsozialistische „Revolution des Blutes“ eröffne den „Endkampf gegen die Juden“.152 Der Zweite Weltkrieg sei „der Kampf zwischen zwei Weltanschauungen und zwei Lebensformen“.153 Im Rassenkrieg würden die heiligen Werte von deutschem Volk und nordischer Rasse gegen ihre drohende Profanisierung und Vernichtung verteidigt. 4. Den Konflikt zwischen Individuum und Gattungswesen führte die nationalsozialistische Ideologie auf die Indifferenz gegenüber der Rasse zurück. Die Werte des Menschen im Guten wie im Bösen seien Ausdruck seiner Erbanlagen.154 Die Geburt der Moral falle damit zusammen, dass sich der Mensch „der Möglichkeit eines Konfliktes zwischen Individuum und Gattungswesen“155 bewusst geworden sei. Die rassenindifferente bürgerliche Moral habe auf diesen Konflikt mit der Indifferenz gegenüber der Rassenzugehörigkeit der Individuen geantwortet. Grundthema auch dieser Moral sei der Konflikt zwischen Individuum und Gattung geblieben. Auch die Position, dass am historischen Ursprung der Moral eine artgerechte Moral gestanden habe, die sich erst im Laufe der Zeit durch artfremde Überlagerungen und Rassenmischung zu einer rassenindifferenten Moral entwickelt habe, wurde vertreten. „Im Anfang haben sich die Begriffe von Ehre und Sitte, die Vorstellungen von Gut und Böse bei den Menschen entwickelt zur Erhaltung ihrer Art, zum Schutze ihres Seins und Wesens. Wie Art und Wesen der Menschen ver149 150 151 152 153 154 155

Pleyer, Volk, S. 243. Hauptmann, Davidstern, S. 40. Ebd., S. 40. Arlt, Endkampf, S. 127. Rassenpolitik, S. 14. Vgl. Gross, Rassegedanke des Nationalsozialismus. Krannhals, Weltbild, S. 16.

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Weltbürgerlichkeit, Menschheit und Rasse

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schieden sind, so sind es auch die Begriffe von Ehre und Sitte, die Vorstellungen von Gut und Böse.“156

3.

Weltbürgerlichkeit, Menschheit und Rasse : Von der universellen zur rassischen Werteordnung

Der politische Humanismus des Westens galt als das entscheidende Hindernis einer rassischen Neuordnung der Welt, die eine Kultur gegenseitiger menschlicher Verpflichtungen durch die ideologische Rationalität rassischer Differenzierung ersetzen sollte. Die völkische Moral von Rasse und Gemeinschaft, die sich in Übereinstimmung mit Naturnotwendigkeit und biologischer Evolution sah, trat an die Stelle einer am Individuum orientierten bürgerlichen Moral. Gegen die Gründung der bürgerlichen Moral auf universelle Prinzipien von Freiheit, Gleichheit und menschlicher Solidarität, die als widernatürliche Regression der menschlichen Rasse denunziert wurde, sollte die Geschichte wieder unter das Naturgesetz des Kampfes ums Dasein nach dem alleinigen Recht des Stärkeren gestellt werden, das keine moralischen Rücksichten gegenüber Schwächeren kannte. Die dazu nachdrücklich eingeforderte moralische Grenzüberschreitung produzierte eine Mentalität, in der Menschen nichts mehr dabei fanden, sich auf eine Weise zu verhalten, die ihnen unter anderen Umständen als unmoralisch erschienen wäre. Eine rassenethische Umwertung aller Werte sollte hochwertige Völker vom Diktat bürgerlich - christlicher Humanität und Rassenindifferenz befreien, deren universelle Moral Empathie mit allen Menschen, insbesondere aber Fürsorge für die Schwachen und Bedürftigen, herausstellte. Die nationalsozialistische Ideologie entwickelte eine selektive Ethik, die Denkfiguren einer universellen Ethik übernahm und in ihrer Geltung auf Angehörige der nordischen Rasse einschränkte oder durch rassenethische Werte und Konzepte ersetzte. Als moralisch ausgezeichnete Haltungen und Werte sollten nur für Angehörige der eigenen Art gelten. Ihre Rassenzugehörigkeit bestimmte die moralische Subjektfähigkeit der Menschen, die nicht durch ihr Verhalten, sondern durch ihr Erbgut entschieden wurde.157 Nur Angehörige der nordischen Rasse seien sich gegenseitig moralisch verpflichtet.158 Nur sie seien zu moralischen Handlungen und Urteilen in der Lage.159 Abweichler von der rassenethischen Normalität wurden als Feinde der politischen Ordnung oder als außerhalb jeglicher moralischen Ordnung stehende asoziale Gemeinschaftsschädlinge behandelt. Die Zugehörigkeit zur rassischen Volksgemeinschaft entschied darüber, wem die Empathie gegenseitiger moralischer Verpflichtung gewährt oder verweigert wurde. Die Unterscheidung der Menschen nach ihrer 156 157 158 159

Buch, Menschen, S. 6. Vgl. Schulze, Sittengesetz, S. 35. Vgl. ebd., S. 27. Vgl. Hagen, Ganzheit.

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Rasse, Religion und Bürgerlichkeit

rassischen Zugehörigkeit war ein moralisches Werturteil. Je nachdem, ob sie und in welchen Anteilen der nordischen oder jüdischen Rasse zugeordnet wurden, galten sie als höher - oder minderwertig, als moralisch oder unmoralisch. Der Ausschluss aus der Volksgemeinschaft, ob aus rassischen, erbgesundheitlichen oder politischen Gründen, war identisch mit dem Verlust der Anerkennung als moralisches Subjekt. Wer nicht mehr dazu gehörte, konnte auch keine moralische Zuwendung erwarten. In ausdrücklicher Gegenposition zu Kants Ethik wurde die Geltung des kategorischen Imperativs auf Angehörige der „gutrassigen“ Volksgemeinschaft eingeschränkt, die aufgefordert wurden, sich in ihrer ausschließlich dem eigenen Volk und der eigenen Rasse geltenden Verpflichtung nicht von egalitären Phantasien einer gleichermaßen allen Menschen eigenen Würde und deren vermeintlich berechtigter Erwartung auf moralische Zuwendung irritieren zu lassen. Sie sollten dem „kategorischen Imperativ der Naturgesetze“160 folgen und die durch naturwidrige Eingriffe in das Gesetz natürlicher Auslese gestörte Ordnung der Natur wieder herstellen. Dieser Imperativ verpflichte sie, gegen Anwandlungen christlicher Nächstenliebe und Fürsorge für Bedürftige in aller notwendigen Härte dafür zu sorgen, dass rassisch minderwertiges Leben ausgemerzt werde, so wie das von der Natur vorgesehen sei. Die rassenbiologische Bestimmung des Menschen wurde zur Begründung der anthropologischen Plausibilität selektiver Moral angeführt. Für die rassische Volksgemeinschaft galten andere moralische Normen, als für Artfremde oder „Untermenschen“ – ein Begriff, der „im Sinne eines Verbrechers, eines sittlich und seelisch Minderwertigen“161 benutzt wurde. Die normative Auszeichnung der nordischen Rasse ersetzte das an ausnahmslos alle Menschen adressierte Vernunftversprechen auf ein Leben in Würde und die christliche Annahme, alle Menschen seien Gottes Kinder. Die Annahme der universellen Geltung moralischer Prinzipien, die von der gegenseitigen Verpflichtung aller Menschen ausging, war mit der Partikularität einer selektiven Rassenethik und völkischen Moral unvereinbar. Gegen die internationalistische Gleichmacherei der Völker, Rassen und Nationen setzte der Nationalsozialismus ihre spezifische Eigenart.162 Im Zentrum einer von der nordischen Rasse dominierten Welt sollten die erbgesunden und artbewussten Deutschen stehen. Die ethnozentrische Rassenethik stellte die Überlegenheit der nordischen Rasse heraus, während den Juden das Lebensrecht bestritten wurde. Das Kulturen übergreifende moralische Grundprinzip des Humanismus, die „goldene Regel“ fairer Gegenseitigkeit, andere Menschen so zu behandeln, wie man selbst von ihnen behandelt werden wollte, wurde eingeschränkt auf die Angehörigen der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft : „Behandle deine Volksgenossen so, wie du behandelt zu werden wünschest !“163 Aus einer unbe160 Rogge - Börner, Gedanke, S. 36. 161 Haug, Volk, S. 5. 162 Vgl. Eilemann, Weltanschauung, S. 2 – aus der Stockholmer Rede von Rudolf Hess vom Mai 1935. 163 Ebd.

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Weltbürgerlichkeit, Menschheit und Rasse

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dingten, für alle Menschen geltenden Regel wurde ein Prinzip der Rechtfertigung ihrer Ungleichbehandlung entsprechend ihrer rassischen Zugehörigkeit, die die Ungleichwertigkeit der Menschen begründete. Wahllos alle Menschen in den Geltungsbereich der eigenen Moral einzubeziehen, zeuge von einer verhängnisvollen Vertrauensseligkeit, die schamlos von den Minderwertigen ausgenutzt werde. Artfremde ebenso zu behandeln wie Artgenossen sei gemeinschaftsschädlich. Der Liberalismus erwarte, dass die Befreiung der Menschen aus allen nicht selbst gewählten Bindungen dafür sorgen werde, dass sich deren Fähigkeiten voll entfalteten. Vom Zusammenschluss der Völker zu einer einheitlichen Menschheit verspreche er sich den ewigen Frieden. All diese Annahmen hätten sich als Illusionen herausgestellt. Faktisch habe die Umstellung der bürgerlichen Gesellschaft auf das Gleichheitsprinzip die Lebensgrundlagen der Völker zerstört und in ihnen, entgegen ihrer humanistischen und pazifistischen Rhetorik, destruktive Triebe freigesetzt, die für zahllose Kriege und Bürgerkriege verantwortlich seien.164 Die „Lehre von der Gleichheit [...] des Menschen, von der Einheit des Menschengeschlechts“ habe sich aus „jüdisch - orientalischen Vorstellungen [...] entwickelt und in Dogmen der christl. Kirchen sowie in den späteren polit. Lehren des humanitären Liberalismus u. des Marxismus Ausdruck gefunden“.165 Die Annahme der Gleichheit und Gleichwertigkeit der Rassen sei eine für ihr Zusammenleben gefährliche Verkehrung des rassischen Wertesystems.166 Unterschiede zwischen Begabten, Lebenstüchtigen, Leistungsund Durchsetzungsfähigen auf der einen und kranken, schwachen und lebensuntauglichen Menschen auf der anderen Seite seien normal. Während die bürgerliche Gesellschaft von Umwelt, Erziehung und Bildung eine Besserung der Menschen erwartet habe, gehe die nationalsozialistische Rassenlehre davon aus, dass Erbanlagen über die Möglichkeiten der Entwicklung von Menschen entschieden. Solche Anlagen könnten gedämpft, geweckt oder unterstützt, nicht aber ausgetauscht und durch andere ersetzt werden. Entscheidend seien die inneren Kräfte der Menschen und ihre politische Gestaltung. Gefragt wurde nach der Gewichtung von Unterschieden und Gemeinsamkeiten zwischen den Menschen, die letztlich die Kontroverse zwischen ihrer vernunftphilosophischen und rassenbiologischen Bestimmung entscheide. „Ist am Menschen maßgebend, was er mit allen andern Menschen gemein hat, oder ist [...] die rassische Komponente [...] so stark, dass die Unterschiede die Einheit überwiegen ?“167 Die Rassenforschung habe zweifelsfrei erwiesen, dass nicht alle Menschen gleich und gleichwertig seien. Nicht nur ihr Lebensstil unterscheide sie voneinander, auch ihrem Wert nach seien die Rassen verschieden. Es gebe „Rassen mit beson-

164 165 166 167

Vgl. Rassenpolitik, S. 6 f. Meyers Lexikon, Stichwort Rasse, Sp. 72. Vgl. Staemmler, Rassenpflege, S. 44. Krieck, Mythologie, S. 79.

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ders reichen Fähigkeiten zu schöpferischer Kulturgestaltung“ und solche, die es über „primitivste Lebensformen“168 nicht hinausgebracht hätten. Die klassische Entgegensetzung von Kultur und Zivilisation wurde rassenpolitisch modifiziert. Im Unterschied zu Zivilisation als der Unterstellung, es gebe einen allen Menschen gemeinsamen virtuellen Lebensraum, die Menschheit, sei Kultur „der einer Rasse ureigene Lebensstil“.169 Nach dieser begrifflichen Vorentscheidung war es nur folgerichtig, minderwertigen Rassen Kultur abzusprechen. Nur die zur „Aufartung“ oder „Aufnordung“ befähigten Rassen seien zu kulturschöpferischen Leistungen fähig. „Es gibt keine Aufwärtsentwicklung der Menschheit, an der alle Völker teilhaben, und es gibt keine einheitliche Menschheitskultur.“170 Universalistische Ideen würden immer am Naturgesetz von Blut und Rasse scheitern. Der Grundsatz der Gleichheit all dessen, was Menschenantlitz trägt, sei widernatürlich und durch „die Feststellung rassischer Verschiedenheiten“171 widerlegt. Es gebe nicht den Menschen schlechthin, sondern immer nur Menschen bestimmter Rassen und Rassenmischungen.172 Der Mensch sei das „Produkt seiner Ahnenreihen und ihrer mehr oder weniger glücklichen Mischungen“.173 Ohne eigenes Zutun oder Verschulden setze dieses Ahnenerbe für jeden Menschen den rassenbiologischen Rahmen des ihm möglichen Lebens. Nachdem lange genug die Gleichheit angebetet worden sei, gelte es nun, wieder die begründete Ungleichheit respektieren zu lernen.174 Die Annahme der Gleichheit aller Menschen halte äußerliche Unterschiede zwischen ihnen wie Größe und Körperform, aber auch Haar und Hautfarbe für Zufall. Menschenzucht lehne sie als unsinnig oder gar unmoralisch ab.175 Die nationalsozialistische Weltanschauung gründe dagegen „auf der Erkenntnis von der Ungleichheit der Menschenrassen“.176 Der Nationalsozialismus sei kein „Sozialismus der Gleichheit“, sondern sehe in der „naturgegebenen und gottgewollten Ungleichheit“177 der Menschen die Grundlage aller Kultur. Eine verantwortliche Lebensführung sei nur bei klar geregelter „Rangordnung nach dem Werte der Menschen“178 möglich. Die Bekämpfung biologischer Degeneration bei gleichzeitiger bewusster Förderung der gesunden Teile des Volkskörpers sollte „ein gesundes, wehr - und leistungsfähiges Volk“179 erzeugen. Als Gegner des nationalsozialistischen Bekenntnisses zur rassischen Ungleichheit der Men-

168 169 170 171 172 173 174 175 176 177 178 179

Rassenpolitik, S. 10. Böttcher, Rasse, S. 428. Rassenpolitik, S. 11. v. Leers, Geschichte, S. 7. Vgl. Gross, Rasse und Weltanschauung, S. 105. Was wir dazu tun können. In : Das Schwarze Korps vom 17.10.1940. Vgl. v. Roß, Individualismus, S. 402. Vgl. Die Rasse ist’s, was wir als Schönheit fühlen. In : SS - Leitheft, 7 (1941) 2a, S. 2–5. Bist Du Nationalsozialist ? In : Das Schwarze Korps vom 18.1.1945. Beurlen, Gesetz, S. 61. Wagner, Gesundheitsführung, S. 46. Ebd.

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schen wurden die Kirchen, der Liberalismus und der Marxismus benannt, die im Wesentlichen alle von Juden gegründet und geprägt seien.180 Nationalsozialistische Wohlfahrtspflege gründe weder „in der verwaschenen Humanität aufgeklärter Demokratie noch in der überstaatlichen Gemeinschaft der Konfessionen“,181 sondern in der blutmäßig gegründeten Solidarität der Gemeinschaft des deutschen Volkes. An die Stelle des auf den Einzelmenschen abgestellten Wohlfahrtsdenkens habe sie „eine der Gemeinschaft verpflichtete, sozialistisch - biologische Wohlfahrtsgesinnung“182 gesetzt. Damit sei sie ausdrücklich gerichtet gegen den marxistischen Glaubenssatz der Systemzeit, dass „alle Menschen in gleicher Weise den höchsten Wert des Lebens darstellen“.183 Die Indifferenz gegenüber rassenbiologischen Unterschieden habe alle Menschen „ohne Rücksicht auf ihre Leistungen für das Ganze“ als gleichwertig betrachtet, den Verbrecher ebenso wie den Heiligen, den Idioten ebenso wie das Genie. Faktisch sei diese volksschädliche Indifferenz auf die bevorzugte Behandlung der moralisch Minderwertigen durch die vollständige Aufhebung der natürlichen Auslese hinausgelaufen. Der Nationalsozialismus ging von der grundsätzlichen biologischen Ungleichheit der Menschen aus. Nur erbbiologisch gesunden und leistungsfähigen Menschen werden Würde und Selbstwert zugestanden.184 Gegen bürgerlich - christliche Gleichheitslehren setzte er die aristokratische Haltung der anderen Rassen durch ihr höherwertiges Erbgut überlegenen nordischen Rasse. Entsprechend der verschiedenen Fähigkeiten, Werte und Leistungen unterschiedlicher Völker müssten auch deren Rechte und Pflichten verschieden verteilt werden. Das sei die sachlich begründete „biologische Wurzel des Führergedankens und des Führerprinzips“,185 das nicht nur in der rassischen Strukturierung eines Volkes, sondern auch für die Regelung der Beziehungen zwischen den Völkern angewendet werden müsse. Der Rassengedanke stehe für eine „gerechte Verteilung der Rechte und Pflichten“ nach dem Leistungsprinzip. In einer solchen Rassengemeinschaft Gleicher entscheide nur die Leistung über die Lebensperspektive ihrer Mitglieder. Nur so könne eine „den Fähigkeiten des einzelnen angemessene Verteilung der materiellen und ideellen Güter“186 gesichert werden. Erst diese „Anerkennung der biologisch unterschiedlichen Leistungsfähigkeit der Menschen macht den Weg zur wirklich gerechten“,187 im Rassengedanken gegründeten sozialistischen Gesellschaft frei. Als Prinzip nationalsozialistischer Verteilungsgerechtigkeit berücksichtige das rassenpolitische Leistungsprinzip die unterschiedlichen Fähigkeiten und Leistungen der Menschen entsprechend ihrer rassenbiologi180 181 182 183 184 185 186 187

Vgl. Rassenpolitik, S. 4–9. Hebenbrock, Wohlfahrtspflege, S. 440. Ebd. Ebd. Vgl. ebd. Gross, Rassengedanke der Gegenwart, S. 518. Ebd., S. 519. Ebd.

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schen Ausstattung. „Eine lebensgesetzlich begründete Gerechtigkeit gibt nicht jedem das Gleiche, sondern jedem das Seine.“188 Der Gegensatz universeller und partikularer normativer Verpflichtungen führe in einen Werte - und Loyalitätskonflikt, der zur Entscheidung für eines der beiden Wertesysteme zwinge. Gegen den rassenindifferenten „Menschheitsbrei“189 des bürgerlichen Humanismus setzte die Rassenbiologie die Differenzierung der Menschheit nach Kriterien rassischer Höher - und Minderwertigkeit und die entsprechende Klassifizierung der Menschen nach ihrer rassischen Zugehörigkeit. „Die Menschheit ist eben nicht die Lebensgemeinschaft aller Menschen, das Wohl der Menschheit nicht ein dem Wohl des eigenen Volkes übergeordneter Wert“.190 Der Kampf ums Dasein bewirke die Auslese der Besten „während die Untüchtigen und Lebensunwerten ausgemerzt werden“.191 Die Annahme der Gleichheit der Menschen sehe keine wesentlichen Unterschiede zwischen ihnen und widerspreche allen Erfahrungen und dem biologischen Denken. Dagegen nehme der Nationalsozialismus an, dass Rechte und Pflichten, Einfluss und Verantwortung der Menschen von ihren jeweiligen Erbanlagen abhängig seien.192 Phantasien einer allgemein menschlichen Natur und der Annahme einer Gleichwertigkeit aller Menschen werde damit der Boden entzogen. Der Rassenbegriff sei unvereinbar mit dem „Gedanken von der Menschheit oder der Gleichheit, einer falsch verstandenen Gerechtigkeit“193 und ähnlichen jüdisch liberalen Ideen rassenindifferenter Humanität und Menschlichkeit, die natürlichen Kampfgeist, Rasseninstinkt und ein von falschen Hemmungen freies Triebleben durch „humanitäre Charakterlosigkeit“194 ersetzen würden. Allen Rassen den gleichen Wert zuzubilligen und Unterschiede nur „in den individuellen Anlagen und äußeren Umständen“ zu sehen, führe „zur Vermischung, Verwässerung, Vernichtung aller Werte“.195 Die kulturelle Wirksamkeit solcher Ideen kompliziere die erfolgreiche „Entfernung jüdischen Geistes und jüdischen Wesens aus dem deutschen Denken und Glauben“.196 Die Abstufung der Menschen nach rassischer Rangordnung wurde als notwendiger Ausgangspunkt einer „Erhöhung des Menschentums“ bestimmt. Der bürgerliche Humanismus habe die Wahrheit der Rasse ignoriert. Die von ihm unterstellte „allgemeine und gleiche Menschheitsvernunft“197 gebe es nicht, sondern nur Menschen verschie-

188 189 190 191 192 193 194 195 196 197

Roßner, Biologie, S. 5. Vgl. Böttcher, Menschheitsbrei. Weidauer, Wahrung, S. 73. Handblätter für den weltanschaulichen Unterricht, Berlin o. J. Hg. : Der Reichsführer SS, Thema 2 : Gesetze des Lebens – Grundlage unserer Weltanschauung, S. 3 f. und 7. Vgl. Gross, Rassegedanke des Nationalsozialismus, S. 14–16. Reche, Sippenschande, S. 296. Wieneke, Charaktererziehung, S. 17 und 19. Hildebrandt, Norm, S. 232. Adam, S. 20. Krieck, Volkscharakter, S. 148.

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dener rassischer Zugehörigkeit, die sich entsprechend ihrer je spezifischen Erbanlagen unterschiedlich entwickeln würden. Wirklichkeitsfremde, lebensfeindliche und naturwidrige Setzungen, wie sich der Mensch in Übereinstimmung mit rassenindifferenten kulturellen Setzungen zu verhalten habe, würden immer durch das Leben selbst korrigiert. „Das Judentum, das die göttliche Ordnung der Natur leugnete [...], erfand die lügnerische Geschichte von Adam und Eva als den ersten Menschen, um die Herkunftsgleichheit aller Menschen zu beweisen, während sie doch in Wirklichkeit die ersten Juden gewesen seien. Auch der Begriff einer Menschheit ist ja eine jüdische Lüge. Es gibt auf der Erde keine Menschheit, ebenso wie es keine Baumheit und keine Vogelheit gibt.“198 Hier werden Adam und Eva als jüdisches Paar behandelt. Den Juden sei es immer vor allem um die „Reinhaltung des Blutes“199 gegangen. „Während er von Aufklärung, Fortschritt, Freiheit, Menschentum usw. überzufließen scheint, übt er selber strengste Abschließung seiner Rasse. Wohl hängt er seine Frauen manchmal einflussreichen Christen an, allein, er erhält seinen männlichen Stamm grundsätzlich immer rein. Er vergiftet das Blut der andern, wahrt aber sein eigenes. Der Jude heiratet fast nie eine Christin, sondern der Christ die Jüdin.“200 Die Gleichheit oder Ungleichheit der Menschen, ihre Gleichwertigkeit oder Ungleichwertigkeit wurde aus ihrer Herkunft abgeleitet. Als Parabel der Herkunftsgleichheit aller Menschen sah der Mythos der Vertreibung aus dem Paradies die Juden als historisch ursprüngliche Rasse, aus der sich alle anderen Rassen entwickelt hatten. In dieser Lesart hatten sich die Juden bereits im historischen Ursprung der Differenzierung der Menschheit als auserwähltes Volk profiliert. Dagegen bestand die nazistische Rassenanthropologie darauf, dass es „keinen einheitlichen Ursprung der Menschen“201 gebe, die vielmehr entsprechend ihrer Zugehörigkeit zu hoch - oder minderwertigen Rassen von unterschiedlichem Wert seien. Deutschen Jungen und Mädchen wurde eingeschärft, dass sie nicht Menschen schlechthin, sondern Kinder des deutschen Volkes seien : „Es gibt nicht eine Menschheit, [...] es ist nicht wahr, dass wir alle ähnlich oder gleich wären, die Juden und die Neger und die Deutschen.“202 Deutsche und Juden seien nicht nur unterschiedlich, sondern auch unvereinbar und unverträglich. Am Ausgangspunkt der Judenfrage stehe die Entscheidung, wer als Nächster mitmenschliche Zuwendung verdiene, und wem sie nicht zukomme. Der biologische Unterricht habe den Schülern beizubringen, „dass Nichtarier, vor allem die Juden, unwürdig sind, in die Gesellschaft deutscher Menschen aufgenommen zu werden. [...] Es muss [...] der deutschen Jugend das Bewusstsein unserer unvergleichbaren rassischen Überlegenheit und der absoluten Minderwertigkeit des 198 199 200 201 202

Adam, S. 21. Hitler, Kampf, S. 336. Ebd., S. 346. Krieck, Volkscharakter, S. 77. Gross, Rede, S. 5.

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Judentums eingeimpft werden.“203 Schon den Kindern müsse klar gesagt werden, „wer uns nahe steht und wer uns wesensfremd ist“.204 Dabei gehe es nicht darum, Nächstenliebe durch Fremdenhass zu ersetzen, sondern klarzustellen, wer als rassisch andersartig kein Recht auf moralische Zuwendung habe. Auch der Nationalsozialismus sei eine Weltanschauung der Nächstenliebe, die allerdings auf Angehörige der eigenen Rasse beschränkt werden müsse. Die Kinder sollen zunächst einmal mit der Idee vertraut gemacht werden, dass es Menschen gibt, die anders sind als sie selbst und von denen sie sich deshalb fernhalten sollen. Christlich - bürgerliche Werte wie undifferenzierte Nächstenliebe und die Annahme einer Gleichheit aller Menschen setzten das Überleben der eigenen Rasse aufs Spiel. Statt der artgemäßen Reproduktion der hochwertigen Rasse regten sie die leichtfertige Vermischung unvereinbarer Rassen an. Gegen ihre diffus christliche oder allgemeinmenschliche Verwässerung wird Nächstenliebe als Haltung zwischen Gleichrassigen definiert. Gegenüber Art - und Wesensfremden seien dagegen Vorsicht und Misstrauen angebracht. „Christ sein heißt: liebe deinen Nächsten wie dich selbst ! Mein Nächster ist mein Volks - und Blutgenosse. Liebe ich ihn, dann muss ich seine Feinde hassen. Wer deutsch denkt, muss den Juden verachten. Das eine bedingt das andere.“205 Die nationalsozialistische Kritik des bürgerlichen Humanismus warf ihm vor, von „einer Einheit und Gleichheit des Menschlichen in einer reinen Menschheits- und Weltvernunft [...] unter Ablösung dieses Prinzips von den naturhaften Grundlagen in Leben und Rassetum“206 auszugehen und in lebensfremder Verleugnung rassenbiologischer Prinzipien den Menschen als reines Vernunftwesen zu unterstellen. Dieser anmaßende Humanismus sei geistiger Imperialismus und löse die Vernunft vom Leben der Menschen ab.207 „Die Humanitätsidee [...] ist das Panier des Kulturimperialismus, die ideologische Begleitmelodie des politischen und wirtschaftlichen Imperialismus der Abendländer.“208 Der Humanismus des 18. Jahrhunderts habe das westliche Wertesystem „zum imperativen Maß aller Menschen dekretiert und [...] mit Mission und Expansion jeder Art die anderen Menschentümer nach dem eigenen, absolut gesetzten Menschenbild zu modellieren“209 versucht. „Aus der christlichen Atmosphäre heraus entwickelte der Liberalismus seine Humanitätsduselei und das Dogma von der Freiheit des Einzelmenschen, vom Recht auf den Körper und von der allgemeinen Gleichheit und Menschenwürde.“210 Dieses Dogma verstoße gegen die offenkundige Tatsache, „dass die Natur die Ungleichheit will und nirgends die Gleichheit“.211 Das Ideal allgemei203 204 205 206 207 208 209 210 211

Hauptmann, Gefährdung, S. 3. Gross, Arbeit, S. 105. Goebbels, Angriff, S. 330 f. (30. 7.1928). Krieck, Anthropologie, Dritter Teil, S. 8. Ebd., S. 17. Ebd., S. 26. Ebd. Lechler, Schau, S. 326. Ebd., S. 320.

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ner Menschlichkeit führe immer dazu, dass sich einzelne Völker als „allein wahre Vertreter des wahren Menschentums“212 sehen würden. Dieser „abstrakte Chauvinismus“ humanitärer Ideologie verachte alle, die von den eigenen Wertmaßstäben abwichen, während der in der Bindung an das eigene Volk gegründeten „naturgesetzlichen Menschlichkeit“213 ein solcher Chauvinismus fremd sei. Prototyp des bürgerlich - liberalen Zeitalters sei der freie, gewissenlose „alle Bindungen verneinende Untermensch“.214 „Der Liberalismus sieht Gleichwertigkeit, Individuen, die multipliziert die Masse ergeben. Wenn alle Menschen gleichwertig sind, so ist es belanglos, wenn ein großer Teil davon vernichtet wird. [...] Der gänzlichen Vernichtung des Gegners steht also kein Gesetz der Moral entgegen. Deshalb wollte der Liberalismus vernichten. [...] Ihn störte kein Gedanke an eine Gegenauslese, an das Auslöschen der Besten, an Blut und Rasse. Alle waren ja gleich und konnten wieder gleich hervorgebracht werden. Wer vernichten will, muss den Feind hassen, sonst wird das Töten [...] zum ekelhaften Geschäft. [...] Er bewegt sich [...] außerhalb jeder Konvention. Er wird den Krieg gegen Frauen und Kinder führen, Verwundete nicht schonen, verbotene Waffen und Mittel verwenden.“215 Diesem liberalistischen Appell an die niedrigsten Instinkte wurden die ritterlichen Rassenkämpfer gegenüber gestellt, die sich in den Materialschlachten des Krieges als Boten einer kommenden Zeit profiliert hätten und die den Gegner als Soldaten und Kameraden achteten. „Sie kämpften schon nicht mehr um des Tötens, des Vernichtens willen, sondern um des Kampfes und des Sieges willen. Sie schießen nicht mehr auf den zu Boden gezwungenen Gegner. Er ist besiegt, das ist genug. [...] Das Auslöschen eines Lebens ist ihnen kein Ziel, sondern der da drüben ist genauso ein tapferer, braver Kerl, dem man jetzt die Hand schütteln wird, nachdem man ihm [...] die Maschinengewehrgarben ins Gesicht jagte, als man schon das Weiße im Auge sah. [...] Der Ritter [...] achtet das Leben. Ihm gelten die Regeln des Kampfes als ein Teil seiner Ehrengesetze.“216 Dagegen ziele der Liberalismus darauf, konkurrierende Völker zu vernichten, „um den Markt allein zu beherrschen“.217 Die „humanistische Weltanschauung“ argumentiere unter der „Voraussetzung einer absoluten und reinen, das heißt von Zeit, Rasse und Volk unabhängigen, überall und jederzeit gleichförmigen Vernunft“.218 Dagegen ziele die nationalsozialistische Revolution als „Aufstand des Lebensprinzips“219 gegen die Gleichschaltungsdiktatur aufklärerischer Vernunft auf die „Steigerung des Lebens [...] in Rasse und Volksgemeinschaft“.220

212 213 214 215 216 217 218 219 220

Gottschewski, Männerbund, S. 37. Ebd., S. 39. Lechler, Schau, S. 320. Stellrecht, Wehrerziehung, S. 27 f. Ebd. Ebd., S. 28 f. Ebd., S. 119. Krieck, Anthropologie, Erster Teil, S. 13. Krieck, Mythologie, S. 86.

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Der bürgerliche Humanismus wurde als ideologische Rechtfertigung eines kulturimperialistischen Expansionismus zur weltweiten Durchsetzung westlicher Werte kritisiert. Mensch und Rasse bzw. politischer Humanismus und Rassenpolitik galten in ihrem jeweils universellen Geltungsanspruch als konkurrierende unvereinbare Konzepte. Das auf dem Konzept der Rasse gegründete Wertesystem stehe im Gegensatz zur Annahme des bürgerlichen Humanismus, jeder Mensch könne unabhängig von seiner Rassenzugehörigkeit als Angehöriger der menschlichen Gattung unveräußerliche Rechte für sich einfordern. Die rassenspezifische Zuschreibung und Aberkennung von Bürger - und Menschenrechten schränkte ihre Geltung auf Angehörige der eigenen Gemeinschaft ein. Da ein Kompromiss zwischen beiden universellen Wertesystemen nicht möglich sei, sei die notwendige Entscheidung der Deutschen für die Rasse zwingend eine Entscheidung gegen das Prinzip unbedingter Humanität. Humanität dürfe nur so weit zugelassen werden, „als dadurch die Qualität der Rasse nicht vermindert wird“.221 Am Beispiel der Menschenrechte, die nur für Angehörige der rassischen Volksgemeinschaft gelten sollen, wird diese Einschränkung konkret. Menschenrechte würden nicht, wie vom bürgerlichen Humanismus behauptet, „durch Geburt erworben, sondern durch biologische Vollwertigkeit“.222 Nur biologisch vollwertige Menschen könnten als moralische Subjekte gelten, weshalb auch nur ihnen Menschenrechte zugestanden wurden. Humanismus und Menschenrechte wurden nicht schlechthin abgelehnt, sondern rassenideologisch vereinnahmt. Nur dem durch die nordische Rasse repräsentierten „besten Menschentum“ wurde das biologische Recht auf unbegrenzten Zugang zu den Ressourcen der Rassengesellschaft zugestanden. Die Menschenrechte wurden dagegen als völkisch verantwortungslose Förderung der Schwachen auf Kosten der Starken denunziert. So hieß es z. B. in direkter Ansprache der Angehörigen der SS : „Meinst Du nicht auch, SS - Mann, dass die Berufung auf das Menschenrecht, auf Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, dem Schwachen dazu dient, den Starken zu sich herabzuziehen und den Pflichten gegenüber der Gemeinschaft zu entgehen ?“223 Eine Gemeinschaft, in der Starke und Schwache gleiche Rechte beanspruchen könnten, zwinge diese auf das Niveau der Schwachen. Durch die Anwendung der Gesetze von Rasse und Vererbung auf die Gesellschaft beanspruchte die nationalsozialistische Bewegung, die deutsche Gesellschaft von Grund auf umzuwälzen. Diese Idee sei zwar nicht grundsätzlich neu, ihre Anwendung jedoch durch die kulturelle Diskreditierung biologischen Denkens erschwert. Die Freilegung der durch historische Fehlentwicklungen unterdrückten und verfälschten anthropologischen Tiefenschicht menschlichen Lebens werde die Biologie als kulturelle Ordnung der Zukunft etablieren. Der bürgerliche Humanismus habe die Biologie durch wirklichkeitsfremde egalitäre Phantasien in den Hintergrund gedrängt. Dadurch sei das gesunde Erbempfinden der Menschen „für die eigene erblich unveränderliche 221 Hildebrandt, Norm, S. 276. 222 Ebd. 223 Leitworte für Sturmappelle. In : SS Leitheft, 2 (1936), S. 2.

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Art“224 verfälscht und verflacht worden. Dem müsse rassenpolitisch offensiv durch die Umstellung des Wertesystems auf das gesunde, für Rasse, Vererbung und die natürliche Auslese Lebensuntüchtiger sensible Empfinden der Menschen begegnet werden. In einem künftigen Deutschland würden sich die Lebens - , Natur - und Rassengesetze gegen den universellen Humanismus der Menschen und Bürgerrechte und die christliche Ethik der Gleichheit aller Menschen vor Gott durchsetzen, die rassische Unterschiede und Gegensätze zwischen den Menschen nivelliere. Dadurch werde das natürliche Recht der rassisch Hochwertigen und Erbgesunden gesichert, über das Schicksal der rassisch Minderwertigen zu entscheiden. Diese Entscheidung könne nicht in der Übernahme der Perspektive der Betroffenen gründen, sondern müsse vor allem die Interessen der Volksgemeinschaft im Auge haben. Der Universalismus war ein umkämpftes, kontrovers diskutiertes Konzept. Einerseits wurde behauptet, für alle Menschen verbindliche absolute Werte könne es in einer rassisch strukturierten Gesellschaft nicht geben, weshalb das Dritte Reich „gegen den Universalismus in all seinen Formen“225 antrete. Die eine, alle Menschen als Angehörige einer Gattung verbindende homogene Menschheit sei eine liberale Illusion.226 In dieser Akzentuierung wurde der Universalismus mit der verhassten bürgerlichen Gesellschaft und ihren universellen Werten gleichgesetzt. Weltbürgerlichkeit und Kosmopolitismus, universelle Bürger - und Menschenrechte wurden zum Inbegriff dessen, wogegen der Nationalsozialismus als Werte - und Gesellschaftsordnung stand. Als Gegenbegriffe des Völkischen signalisierten sie die Gefahr allgemeiner Menschenverbrüderung. Unter der Losung von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit würden die Menschen aus den natürlichen Bindungen von Rasse, Volk und Nation herausgelöst und zu Weltbürgern einer rassenindifferenten Menschheit erklärt.227 Der Kampf gegen den Humanismus, galt als Auseinandersetzung mit einer geistigen Macht der Vergangenheit. Der bürgerliche Humanismus, der von einer allen europäischen Völkern gemeinsamen humanistischen Tradition ausging, sei mit deutscher Art und deutschem Wesen unvereinbar. Seine bildungsbürgerliche Erstarrung zur musealen Erinnerungsstätte habe den „elementaren und dämonischen Urgrund“ 228 des Deutschen unterdrückt. Während der bürgerliche Humanismus von einem eigenständigen „Reich geistiger Formen und Werte“ ausgehe, kenne die rassische Geschichtsauffassung des Nationalsozialismus „keine vom Leben der Völker getrennten Gehalte“.229 Dennoch ging der Kampf hier um den Humanismus, nicht gegen ihn. Ein nationalsozialistischer

224 225 226 227

Jeß, Weltkampf, S. 31. Rosenberg, Reich, S. 74. Vgl. Franz, Sinn, S. 138. Vgl. Handblätter für den weltanschaulichen Unterricht, Berlin o. J. Hg. : Der Reichsführer SS, Thema 19: Die Freimaurerei – Instrument des Weltjudentums, S. 2 und 5. 228 Vgl. Bäumler, Der Kampf um den Humanismus. In : ders., Politik, S. 57–66, hier 57 f. 229 Ebd., S. 65.

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rassischer Humanismus sollte den menschheitlichen Humanismus ablösen. Dagegen sah Hannah Arendt im politischen Humanismus der nordischen Rasse einen radikalen Bruch mit dem europäischen Humanismus. Zugleich warf sie dem westlichen Humanismus vor, angesichts der Herausforderungen des Totalitarismus historisch versagt zu haben. Seine Unfähigkeit, auf inhumane Entwicklungen politisch zu reagieren, habe ihn historisch erledigt. Die Gründe für die Dynamik und politische Durchsetzungskraft totalitärer Bewegungen seien ihm verborgen geblieben.230 Der biologische Naturalismus der Rasse behauptete eine dem Bewusstsein nicht verfügbare biologische Tiefenschicht der Natur und des Lebens. Die psychophysische Realität des Körpers verlange nach lebendigem Ausdruck, den sie nur in Blut und Rasse als ihr einzig gemäßen Ausdrucksformen und natürlichem Daseinsgrund menschlicher Existenz finde. Dabei wurde die Plausibilität der Rassenbiologie durch die Diskreditierung des universellen Wertesystems einer menschlichen Gattungsvernunft vorbereitet. Die nationalsozialistische Bewegung reagierte auf die ideologiekritische Entwertung des Universalitätsanspruchs der Vernunft, die universelle Werte als ideologische Maskierung kultureller Bindungen, historischer Kontexte und politischer und sozialer Interessen herausgestellt hatte, mit einer ideologischen Umkehrbewegung. Am Ende der Vernunftkritik stand der Mythos der Rasse, der die biologische Triebnatur des Menschen unterstrich und die biologische Existenz des Menschen zum exemplarischen Modus seiner Gattungsexistenz kulturell aufwertete. In der experimentellen Anordnung zur Manipulation freigegebener Körper wurde die biopolitische Formierung eines neuen Menschen verfolgt.231

4.

Kommunikation zwischen unterschiedlichen Rassen

Völker und Rassen unterschieden sich durch ihre je spezifischen Werte. Moral und Ethik seien nie allgemein gültig, sondern immer nur auf die eigene Art bezogen.232 Ein Völker und Rassen übergreifendes universelles Wertesystem gebe es nicht. Die Annahme allgemeiner Menschheitswerte widerspreche einer Ethik, die sich zur Letztbegründung durch den Wert der Rasse bekenne. Rassisch eigenständige, gegeneinander abgeschlossene Lebensordnungen seien nicht gleichwertig, sondern in einer bestimmten Rangfolge gegliedert. Jede dieser Ordnungen bestehe auf der ausschließlichen Geltung ihrer Normen in den Grenzen der eigenen Gemeinschaft.233 Gegen die „Lehre von der Gleichheit der Menschen“ habe sich die biologische Auffassung durchgesetzt, dass die Menschen sowohl rassenmäßig als auch individuell verschieden seien.234 230 231 232 233 234

Vgl. Arendt, Problem, S. 10 f. Vgl. dazu Bialas, Deutschland, S. 157–160. Vgl. Schattenfroh, Wille, S. 182. Vgl. Hennemann, Grundzüge, S. 5 f. Vgl. Alverdes, Stellung, S. 13.

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Kommunikation zwischen unterschiedlichen Rassen

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In offensichtlicher Anlehnung an Max Webers These der funktionalen Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Subsysteme und ihrer spezifischen Werteordnungen stellte Walter Gross Religion, Wissenschaft, Kunst und Moral als eigengesetzliche Bereiche heraus. Kulturwerte verdankten ihre Entstehung dem Prozess der Säkularisierung, der die Rasse als lebensgestaltende Kraft in die Funktion eines kulturellen Leitwertes eingesetzt habe. Werturteile seien Ausdruck „rassengebundener Subjektivität“,235 wobei jede Rasse selbstverständlich ihre eigenen Werturteile für richtig und denen anderer Rassen überlegen halte. Ein Werturteilsstreit auf rassischer Grundlage sei deshalb „unsinnig, denn ein absolutes und objektives Urteil würde ja voraussetzen, dass es Menschen gäbe, die keiner Rasse angehören“.236 Nur solche Menschen könnten vom Standpunkt einer nicht rassengebundenen absoluten Vernunft aus urteilen. Eben das aber sei ausgeschlossen. Damit erledige sich auch der Vorwurf, die nationalsozialistische Rassenlehre liefe auf eine „Verherrlichung des nordischen Menschen zu Ungunsten aller übrigen Menschengruppen dieser Welt hinaus und müsse deshalb [...] als Rassenwahn oder Rassenhochmut abgelehnt werden“.237 Es sei eine Verleumdung des Nationalsozialismus zu behaupten, dessen Annahme rassischer Andersartigkeit der Völker und Kulturen gehe von der Höherwertigkeit der Artgleichen und der Minderwertigkeit der Artfremden aus. Vielmehr gestehe der Nationalsozialismus jeder Rasse zu, sich die Entfaltung der eigenen Art als höchstes Ziel zu setzen. Jedes Volk habe seine eigene Art zu leben. Nicht nur das deutsche Volk, „auch die anderen sollen nach ihrer Art leben“.238 Diese artspezifische Entfaltung der Eigenart unterschiedlicher Rassen führe dann selbstverständlich zur Differenzierung höher - und minderwertiger Rassen. Um das Konzept der Rasse wurden eine eigene Wertewelt und entsprechende Maßstäbe dafür entwickelt, was als moralisch oder unmoralisch gelten sollte. Jede Rasse habe ihren eigenen Wertmaßstab, der sich am Maßstab anderer Rassen oder von einem überrassischen Maßstab aus nicht verstehen lasse. Die jeder Rasse artgemäße Wertewelt äußere sich vor allem in rassenspezifischen praktischen Werturteilen.239 Die Rasse sei das Maß aller Dinge, weshalb über Wert oder Unwert menschlicher Lebensäußerungen immer nur vom Standpunkt einer bestimmten Rasse entschieden werden könne. Allgemeingültige Maßstäbe gebe es hier nicht.240 Rassendenken sei wertfrei und ziele gerade nicht auf die „Bewertung oder gar die Abwertung anderer Menschengruppen“.241 Die rein naturwissenschaftliche Feststellung, dass es verschiedenen Menschengruppen gebe, enthalte sich jedes Werturteils. Jede Rasse verfüge über spezifische körperliche und geistige Anlagen, die sie dazu befähigten, die in ihrer unmittelbaren Umwelt anstehenden Aufgaben besser als jede andere Rasse zu bewältigen. 235 236 237 238 239 240 241

Gross, Rassengedanke der Gegenwart, S. 517. Ebd. Ebd. Gross, Rede, S. 5. Vgl. Clauß, Rassenseele, S. 17 f. Vgl. Hügel, Frage, S. 268 f. Gross, Rassengedanke und Welt, S. 26.

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Rasse, Religion und Bürgerlichkeit

Diese rassenspezifischen Herausforderungen und Möglichkeiten ihrer Bewältigung würden es unmöglich machen, den Wert einer Rasse durch den Vergleich ihrer Leistungen mit denen anderer Rassen zu beurteilen. Zu dem je spezifischen Lebensraum einer Rasse hätten andere Rassen keinen Zugang. „Einen für alle Menschen und Rassen gültigen [...] Menschheitsstandpunkt“242 gebe es nicht. Dabei sei „die Besinnung auf die eigene Art [...] keineswegs eine Minderbewertung fremder Völker und Rassen“.243 Nach der Einführung der mimischen Methode des mitlebenden Verstehens in die Rassenkunde verstand es sich von selbst, dass diese Methode auf das jüdische Leben nicht anwendbar war.244 Ein Verstehen zwischen Angehörigen unterschiedlicher Rassen sei ausgeschlossen, weshalb diese gewissermaßen aneinander vorbei denken und fühlen müssten. Zwischen ihnen gebe es „keine geistige Angleichung, kein Hineinlegen von Eigenem in fremdes Seelentum, keine Synthese, kein Brückenschlagen und Übersetzen“.245 Kommunikation zwischen unterschiedlichen Rassen sei also nur als „gegenseitiges Missverstehen“246 und aneinander Vorbeireden möglich. Damit würden jedoch „artgerechte Kulturen anderer Rassen“ nicht herabgesetzt, sondern im Gegenteil „jeder fremden Rasse die ungestörte Entwicklung ihrer eigenen Kultur“247 zugebilligt. Andere Autoren hoben hervor, dass es natürlich einen fruchtbaren geistigen Austausch der Völker gebe, „und nicht nur rassische Überfremdung bzw. Entartung“.248 Zwar seien Vertragstreue oder Gerechtigkeit keine Normen zur verbindlichen Regelung der Beziehungen zwischen den Völkern, sondern den Interessen des eigenen Volkes nachgeordnet. Damit werde jedoch nicht zu „Vertragsbruch und Imperialismus“ aufgefordert. Ein „Kampf aller gegen alle“, der nur in der „gegenseitigen Vernichtung [...] sein Ende finden würde“,249 dürfe nicht zugelassen werden. Die Beziehungen zwischen den Völkern sollten friedlich geregelt werden. Nationalsozialistische Rassenpolitik ziele ausschließlich auf das deutsche Volk, weshalb ihr jeder Missionsgedanke fremd sei. Sie gestehe allen Rassen und Völkern zu, ihrer Art gemäß zu leben. Ohne jegliche Rassenüberheblichkeit unterstütze der Nationalsozialismus selbstverständlich die freie Entwicklung jedes Volkes gemäß seines rassischen Eigenwertes.250 Deutscher Staatsbürger allerdings könne nur sein, „wer deutschen Blutes ist“.251 Der Nationalsozialismus lehne „die gewaltsame Zivilisierung außereuropäischer fremdrassiger Völker“252 ab. Versuche, „das Schwache, Kranke, Untüchtige, Sieche, 242 243 244 245 246 247 248 249 250 251 252

Frerks, Deutsche, S. 159. Ebd. Vgl. Hunke, Verstehen, S. 86. Behrendt, Blut, S. 46. Reche, Rasse, S. 23. Ebd., S. 26. Leese, Rasse, S. 105. Weidauer, Wahrung, S. 75. Vgl. Straßburg, Volksstaat, S. 313. Ebd., S. 314. Gross, Arzt, S. 187.

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Kommunikation zwischen unterschiedlichen Rassen

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Verbrecherische, Fremdartige“253 zu bessern, hätten zum Rassenzerfall und zur kulturellen und wirtschaftlichen Belastung des Volkes geführt. Fremdgeartete in die eigene Volksgemeinschaft einzubeziehen, sie in ihrer Andersartigkeit verstehen und der eigenen Art angleichen zu wollen, um mit ihnen ein Leben auf gemeinsamer sittlicher Grundlage zu führen, gebe diesen nur die willkommene Gelegenheit, in der „Maske äußerer Anpassung“ zur tödlichen Bedrohung der ihnen in jeder Hinsicht überlegenen Rasse zu werden. Deshalb gelte : „Wer über Fremde herrschen will, muss wissen, dass keine Herrschaft deren Fremdheit aufhebt. Er handelt lebenstüchtig und gesund, wenn er sein eigenes Gesetz für das einzig mögliche hält und jedes andere für minderwertig; aber er hüte sich, die Anderen zu bessern, indem er den Ausdruck seiner Art ihnen aufzwingt.“254 Minderwertige Rassen und Völker zivilisieren zu wollen, sei aussichtslos. Ihre Existenzberechtigung bestehe allein in ihrer zeitweiligen Nützlichkeit für rassisch hochwertige Kulturvölker. So wurde Juden und Slawen ein Lebensrecht nur für die Dauer ihrer Verwendung als Dienstleister der nordischen Rasse zugestanden.255 Wurden sie nicht mehr gebraucht, so wurden sie entweder vertrieben oder vernichtet. Wirkliches Verstehen sei nur möglich als in gleicher Rassenzugehörigkeit gegründetes Erleben.256 Das auf dem biologischen Konzept der Rasse gegründete Weltbild sei weder materialistisch, noch chauvinistisch oder imperialistisch. Gegen Versuche, „fremde Kulturen zerstören oder verwandeln zu wollen“, setze es „die gegenseitige Achtung voreinander und auch vor dem Fremden im anderen Volkstum“.257 Überheblichkeit sei diesem Weltbild fremd. Ohne die liberale Anmaßung vermeintlicher Objektivität sei der Nationalsozialismus in der Lage, die spezifischen Leistungen der Menschen und Völker fair zu beurteilen. Weder verachte er andere Rassen noch wolle er sie vernichten. Es gehe ihm lediglich darum, aus Selbsterhaltungstrieb die eigene Rasse soweit rein zu erhalten, als das noch möglich sei.258 Rassenhass könne „ausgelöst werden durch imperialistische u. liberalistisch - kapitalistische Unterdrückung und Ausbeutung rassisch anderer Völker.“259 Gerade „die natürliche Unterschiede leugnenden Gleichheitsideologien“ könnten „wegen ihrer rassisch bedingten Unvereinbarkeit mit der Wirklichkeit [...] aus völkisch - ethischen, kulturellen, weltanschaulichen und religiösen sowie polit. oder wirtschaftl. Gründen“260 Rassenhass entstehen lassen. Dagegen sei für den Nationalsozialismus die „Achtung vor dem erbbedingten natürlichen Anderssein der Völker“ selbstverständlich, eben weil er „jede

253 254 255 256 257 258 259 260

Astel, Rassendämmerung, S. 195. Pleyer, Volk, S. 144. Vgl. Dem Leben verschworen. In : Das Schwarze Korps vom 20. 5.1943. Vgl. Clauß, Rassenseele, S. 15. Gross, Rassengedanke in der weltanschaulichen Auseinandersetzung, S. 29. Vgl. Eilemann, Weltanschauung, S. 18. Meyers Lexikon, Stichwort Rasse, 9. Band, Spalte. 21–77, hier 76. Ebd.

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Rasse, Religion und Bürgerlichkeit

imperialistische und kapitalistische Ausbeutung“261 sowie die Gleichheitsideologie als die Wurzeln des Rassenhasses ablehne. Unmittelbar nach der Machtergreifung legten die Nationalsozialisten Wert auf die Feststellung, dass ihre rassische Weltanschauung die Vielfalt und Differenzen der Völker und Kulturen anerkenne. Die Erziehung der Völker zu bewusster Rassenpolitik werde „den nivellierenden Gedanken von der Rassengleichheit [...] durch die Idee einer auf gegenseitiger Achtung beruhenden Rassenpolitik“262 ablösen und ergänzen. Erst eine ihre Ungleichheit berücksichtigende Rassenpolitik ermögliche es, die Beziehung zwischen unterschiedlichen Rassen auf dem Prinzip gegenseitiger Achtung zu gründen. Das deutsche Volk halte sich keineswegs für das auserwählte Volk, an dessen Wesen die Welt genesen solle. In diesem Sinne hatte auch Hitler selbst versichert, dass Deutschland seine „politischen, sittlichen und wirtschaftlichen Werte“263 für die Zusammenarbeit der Kulturnationen einsetzen werde. Gerade in den ersten Jahren der nationalsozialistischen Machtergreifung wurde immer wieder betont, dass Deutschland Weltherrschaftsambitionen und Chauvinismus fremd seien, das deutsche Volk sich also auch nicht als das auserwählte Volk Gottes sehe.264 Entschieden wurde gegen Spekulationen eines nationalsozialistischen Weltstaates polemisiert, in dem „die einzelnen Völker ihre Eigenart bewahren ( und ) ihr völkisches Leben weiterführen“265 könnten. Solche Überlegungen seien völlig abwegig und würden die nationalsozialistische Idee nur diskreditieren. Der Nationalsozialismus setze andere Rassen und Völker nicht als minderwertig herab, sondern suche lediglich die „besondere blutmäßige Eigenart“ der Deutschen zu erhalten. Deshalb spreche er auch nicht von der Minderwertigkeit fremder Menschengruppen, sondern von ihrer Andersartigkeit. In der gegenseitigen Achtung der Menschen und Völker sehe er die einzig mögliche Grundlage ihrer friedlichen Beziehungen.266 Die Annahme dagegen, alle Rassen seien gleich, ignoriere nicht nur ihre Unterschiede, sondern versage ihnen mit der Anerkennung ihrer jeweiligen Eigenart zugleich die Achtung, die jede Rasse erwarten könne. Diese gegenseitige Anerkennung der Rassen unter der Voraussetzung ihrer Ungleichwertigkeit stellte zugleich explizit fest, dass das Judentum nicht zu „den Völker und Rassen, mit denen Deutschland eine friedliche und achtungsvolle Zusammenarbeit“267 suche, gehöre. Die Achtung, die Deutschland anderen Völkern und Rassen selbstverständlich entgegen bringe, könnten die Juden nicht erwarten. Für sie würden andere Maßstäbe gelten. Die Rassenfrage sei „nicht eine Frage der Höher - oder Minderwertigkeit, sondern 261 Ebd. 262 Rüdin, Erblehre, S. 665. 263 Domarus, Hitler, Band 1, S. 362 – aus Hitlers Rede zum ersten Jahrestag der Machtergreifung vom 30.1.1934. 264 Vgl. Straßburg, Volksstaat, S. 310. 265 Ebd., S. 312. 266 Vgl. Gross, Rassenstolz, S. 561 f. 267 Rüdin, Erblehre, S. 666.

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Kommunikation zwischen unterschiedlichen Rassen

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eine Frage der Verschiedenwertigkeit“.268 Jeder Rasse müsse das Recht zugestanden werden, ein Leben gemäß ihrer eigenen Art zu führen : Der Rassenstandpunkt des Nationalsozialismus beruhe nicht auf einer Geringschätzung oder Minderbewertung anderer Völker, sondern stelle lediglich sachlich deren Verschiedenheiten fest.269 Anstatt anderen Völkern und Rassen das nationalsozialistische Wertesystem aufzuzwingen, werde ihnen zugestanden, nach ihren eigenen Moralvorstellungen zu leben, solange sie unter ihresgleichen blieben. Der Konfliktfall des Aufeinandertreffens unterschiedlicher Rassen und Kulturen im Krieg oder der Normalfall ihres Zusammenlebens in einem Staat wird in dieser Rhetorik der Toleranz von Unterschieden aus der Distanz voneinander isolierter Völker und Rassen nicht berührt. Der Nationalsozialismus betone die Eigenart der nordischen Rasse, ohne „auf andere Rassen mit Verachtung herunterzusehen“.270 Zwar hasse das Minderwertige das Höhere so wie das Schlechte das Gute hasse. Umgekehrt sei dem Höheren und Guten jedoch der Hass des Niederen fremd, dem es vielmehr mit Verständnis und Nachsicht gegenüber trete.271 Entgegen dieser Rhetorik der Toleranz forderte die nationalsozialistische Rassenideologie die Deutschen zum Hass der minderwertigen Rasse bis zu ihrer Vernichtung auf. Nicht jeder könne erwarten, als Person geachtet und respektiert zu werden. Nur Angehörige der nordischen Rasse verdienten menschliche Achtung, während Verachtung die einzig angemessene Haltung gegenüber minderwertiger Rassen sei. Immer wieder wurde betont, dass es aussichtslos sei, die jüdische Rasse bessern zu wollen. Ihr mit Nachsicht zu begegnen, sei verhängnisvoll und werde von den Juden skrupellos ausgenutzt. „Während der Nationalsozialismus, um den Juden die bittere Pille der Rassenkunde schmackhaft zu machen, sich zu versichern beeilt hat, dass für ihn nicht eine Minderwertigkeit, sondern nur eine Andersartigkeit der nichtarischen Rassen in Betracht komme, kokettiert das Judengeschmeiß schon wieder mit seiner allem überlegenen Einzigartigkeit!“272 Offensichtlich verharmlose der versöhnlerische Begriff des bloßen Andersseins der Rassen die Realitäten des Rassenkampfes und die Gefährlichkeit des Rassengegners. Während die „unbedingte Achtung vor jeder Andersartigkeit“ die Grundlage „für ein dauerndes friedliches Nebeneinander und Miteinander aller Rassen, Völker, Sippen und Stände“273 sei, habe das „jüdisch - klerikal - liberalistische Rassenchaos“274 dieses friedliche Zusammenleben der Rassen und Völker zerstört. Nur in einer Ordnung gegeneinander abgegrenzter, sich ihres jeweiligen Eigenwertes bewusster Rassen lasse sich der Rassen - und Völkerfrieden erhalten bzw. wieder herstellen. Diese Argumenta268 269 270 271 272 273 274

Straßburg, Volksstaat, S. 313. Vgl. Gross, Rassengedanke und Weltpolitik. Rüdin, Aufgaben, S. 232. Vgl. Schattenfroh, Wille, S. 358 f. Hauptmann, Überheblichkeiten, S. 177. Hauptmann, Minderwertig, S. 410 f. Ebd., S. 411 f.

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Rasse, Religion und Bürgerlichkeit

tion nimmt Huntingtons These vom Kampf der Kulturen vorweg, der ebenfalls die Reinigung jeder Kultur von fremden Einflüssen zur Bedingung eines friedlichen Nebeneinanderlebens eigenständiger, gegeneinander abgeschlossener Kulturen erklärt hatte.275 Später, im rassischen Vernichtungskrieg, wurde eine spezifisch deutsche Toleranz gegenüber anderen Völkern und Rassen zur Schwäche der Deutschen erklärt, deren Großzügigkeit nur zu oft von ihren Gegnern ausgenutzt worden sei. Auch Fremdrassigen gegenüber hätten sie häufig „ein rassisch bedenkliches Vertrauensverhältnis“276 mit auch biologischen Folgen entwickelt. Völker - und Rassenverständigung wurden nun als Gefahr rassischer Degeneration abgelehnt. „Wir sollten Fremdes verstehen und lieben lernen; wir sollten im Überschreiten aller völkischen und rassischen Grenzen unfähig werden, uns selbst zu erhalten in unserer Eigenart und reif werden für die völlige Bastardisierung.“277 Der Versuch, fremde Rassen und Völker zu verstehen, könne die eigene rassische Identität schwächen, weshalb das deutsche Volk dazu befähigt werden müsse, Artfremde aus prinzipieller rassenbewusster Haltung abzulehnen und zu verurteilen.278 Gegen die abstrakte eine und gleiche Menschheit setze der Nationalsozialismus die Vielheit der Rassen : „Zwischen der Vereinsamung des sich selbst genügenden Individuums und dem grenzenlosen Verlieren an der Utopie einer nur gedachten Menschheit“279 gebe er Rasse und Volk als den schöpferischen Kräften der Kultur wieder den ihnen angemessenen Rahmen. Die Ideologie einer Menschheit, die sich aus gleichwertigen Menschen, Völkern und Rassen zusammensetze, sei wirklichkeitsfremd und indifferent gegenüber ihrer tatsächlichen Vielfalt und Ungleichwertigkeit.280 Dabei wurde die rassische Differenzierung der Menschheit, die ebenso wie das Volk als biologischer Organismus begriffen wurde, als Pluralismus rassischer Vielstimmigkeit gegen das Konzept einer ethnische Vielfalt negierenden menschlichen Gattungsvernunft gesetzt. Mit Hilfe der universellen Gesetze der Biologie, des Lebens und der Rasse sollte die naturwidrige Annahme einer rassenindifferenten Gleichheit aller Menschen widerlegt werden.

275 Vgl. Huntington, Kampf, S. 500–504. 276 Halte Dein Blut rein ! Wie verhalten wir uns Angehörigen fremdrassiger Völker gegenüber ? In : Neues Volk, 8 (1940) 9, S. 4–5, hier 4. 277 Kummer, Schuld, S. 355. 278 Vgl. ebd., S. 363. 279 Gross, Rasse, Weltanschauung, Wissenschaft, S. 27. 280 Vgl. ebd., S. 28.

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V.

Rasse, Geschlecht und Sexualität

1.

Der „neue Mensch“ : „Kämpferische Männlichkeit“ und „neue Frau“

Der Idealtyp des neuen Menschen war der rassenbewusste, ideologisch überzeugte und informierte Weltanschauungskrieger – der politische Soldat,1 den nicht blinder Kadavergehorsam, sondern eigenständiges Mitdenken und - handeln auszeichneten. „Der Kampf verlangt selbstständig denkende und handelnde Kämpfer, die jede Lage überlegt, entschlossen und kühn ausnutzen, von der Überzeugung durchdrungen, dass es zum Gelingen auf jeden ankommt.“2 Der Nationalsozialismus brauche keine gedankenlosen Mitläufer, sondern „ganze Menschen“ und „überzeugte Kämpfer“.3 Nationalsozialisten seien innerlich freie Tatmenschen, denen „subalterne Feigheit“4 fremd sei. In der Volksgemeinschaft beruhe alles auf freiwilliger Gegenseitigkeit.5 Gefordert wird „Zivilcourage im täglichen Leben“,6 aber auch Disziplin, die alles andere sei als Kadavergehorsam.7 Statt im „bequemen Treibholz“ der subalternen Anhänger seine Gefolgschaft zu rekrutieren, suche der Nationalsozialismus diese im „knorrigen Kernholz“8 der eigensinnigen Persönlichkeiten. Gegen die stromlinienförmige Anpassung an den Zeitgeist und den Opportunismus der „Pharisäermasken vor glattrasierten Gesichtern, die sich [...] immer in zeitgemäße Falten zu legen verstehen“,9 wurde rassenbewusstes Handeln aus innerer Überzeugung eingefordert. Nationalsozialisten seien keine gedanken - und bedenkenlosen Befehlsempfänger, sondern würden bewusst die Verantwortung für ihr Leben übernehmen.10 Körperlich und geistig gesund, sei der neue Mensch hart mit sich selbst und wäge jede seiner Handlungen kühl ab, um dann aber, wenn er einmal eine Entscheidung getroffen habe, entschlossen das zu tun, was er für notwendig, gerecht und moralisch halte. Ihn zeichne nicht willenlose Unterwürfigkeit, sondern moralische Urteilskraft und vorauseilendes Mitdenken aus, was ihn zur Pflichterfüllung aus Überzeugung und Verantwortung in „selbstloser Hingabe an die Idee“11 befähige. Durch „rassisch - politische Charakterzucht“ sollten die Deutschen „Zivilcourage, Mut zum Einsatz und die Bereitschaft zur

1 Vgl. Stoedtner, Soldaten sowie zur Diskussion Diehl, Macht. 2 Hesse, Tradition, S. 171–173, hier 172 – Aus den Leitsätzen für die Erziehung und Ausbildung im Heer. (1935). 3 Elefanten im Porzellan. In : Das Schwarze Korps vom 24. 2.1938. 4 Kühn, Kerle, S. 26. 5 Vgl. ebd., S. 8. 6 Ebd., S. 40. 7 Vgl. Stellrecht, Wehrerziehung, S. 57. 8 Kühn, Kerle, S. 151. 9 d’Alquen ( Hg.), Hieb, S. 71. 10 Vgl. Das muß mal gesagt werden ! In : Das Schwarze Korps vom 20. 5.1937. 11 Aly, Volksstaat, S. 22 und 61.

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Rasse, Geschlecht und Sexualität

Verantwortung“12 ausbilden. In der nationalsozialistischen „Jugenddiktatur“ fanden die jungen Leute, was sie suchten : „Eigenverantwortung, noch ungeregelte Verhältnisse, die den Pionier verlangen, den Zwang zur rastlosen Improvisation, zur ständigen Erprobung der geistigen und körperlichen Kräfte.“13 Menschen würden nicht als Helden geboren. Normalerweise scheuten sie vor Veränderungen und unwägbaren Risiken zurück. Dennoch gebe es im Leben jedes Menschen Situationen, in denen das rationale Abwägen des Für und Wider die Routinen des Alltags außer Kraft setze. In solchen Ausnahmesituationen sei es ihnen möglich, über sich hinaus zu wachsen und Dinge zu vollbringen, die normalerweise über ihre Kraft gingen. Als Held, der er von Natur aus nicht sei, erlebe der Mensch dann, dass sein „Wille sich frei schwingt von dem Für und Wider berechenbarer Gründe. In einem solchen Fall hat das Unbedingte einen Menschen aus der alles bedingenden Kette der berechenbaren Möglichkeiten befreit. Das gleiche geschieht in dem äußersten Fall, wo ein Mensch um den Preis seines Lebens das Wagnis vollbringt, das er auch unterlassen könnte. [...] Er verzichtet darauf, ein Für und Wider gegeneinander abzuwägen, und er lässt sich forttragen von der undurchschaubaren Notwendigkeit, deren Gebote er glaubt, [...] ( hier ) ist Freiheit zugegen, ist ein Unbedingtes in den Bedingungszusammenhang eingebrochen, um eine neue Reihe der Begebenheiten einzuleiten. Der Glaube an die Zukunft, an das auf den Menschen verpflichtend Zukommende ist der Quell einer absoluten Spontaneität in seinem Handeln.“14 Menschen, die sich in ihrem Handeln nicht ausrechnen ließen, deren unbedingter Wille sie auf unerwartete und überraschende Weise handeln lasse, hätten das Zeug zu Helden. Sie seien unberechenbar und setzten bedenkenlos das Leben Anderer, aber auch ihr eigenes Leben, aufs Spiel in der unbedingten Verpflichtung auf die Durchsetzung der rassenbiologischen Lebensgesetze. Als Teil eines ihr Leben übergreifenden lebens - und naturgesetzlichen Zusammenhangs der Rasse würden sie ihr Leben nicht als Selbstzweck, sondern als persönliche Verpflichtung auf ihre Rassenzugehörigkeit sehen. Das Ideal des Nationalsozialismus sei „der starke, leistungsfähige, kraftvolle deutsche Mensch, der bereit ist, sein Schicksal zu meistern, für sich, für seine Familie und für sein Volk. Dieser deutsche Mensch glaubt an sein Volk, an sein Blut, an seinen Führer Adolf Hitler.“15 Die rassenbewusste biologische Lebensführung des neuen Menschen zeige, dass er die bürgerliche Gesellschaft als eine untergegangenen Gesellschafts - und Werteformation hinter sich gelassen habe. Diese Haltung mache ihn zum „biologisch vollwertigen Rassenmenschen“,16 der sein Leben einer höheren Funktionalität der Rasse und des Volkes unterordne. „Es gibt Menschen, und es gibt Material, aber es gibt kein Menschenmaterial im ehrfurchtslosen Sinn dieses 12 13 14 15 16

Krieck, Entscheidung, S. 120 und 57. Aly, Volksstaat, S. 14. Knittermeyer, Erbbedingtheit, S. 270 f. Nationalsozialistische Gesundheitsführung, S. 427. Kötschau, Revolution, 4. Beitrag, S. 14.

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Der „neue Mensch“

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Wortes.“17 Auch und gerade im Krieg komme es auf den Menschen und seine Überzeugung von der Sinnhaftigkeit des Kampfes an, mit der er als politischer Soldat, und nicht als seelenlose Kampfmaschine agiere. Auch wenn der Prototyp des kämpferischen Menschen, „der die Gefahr sucht, um sie zu überwinden“,18 insbesondere im Krieg der Soldat sei, müsse dieser Typ des neuen Menschen auch in Friedenszeiten vorherrschen. Der „Robotertyp der östlichen Massenwelt“19 werde durch den biologischen Krieger im Rassenkampf ersetzt. Im Nationalsozialismus verschaffe sich ein Menschentypus Geltung, der dem Wesen des deutschen Volkes entspreche. Letztlich könnten die Deutschen gar nicht anders, als sich dem Nationalsozialismus zu verschreiben, der die ihnen gemäße, ihrer Natur entsprechende Weltanschauung sei. Die „Wiedergeburt der germanischen Weltanschauung durch die nationalsozialistische Bewegung“ lege den „politisch - rassischen Charakter im deutschen Volk“ frei, der zwar in der deutschen Geschichte „verschüttet, verbogen, geschwächt und in Existenzgefahr gebracht worden“20 sei, als völkischer Lebensgrund jedoch überlebt habe. Die nationalsozialistische Weltanschauung sei eben deshalb so erfolgreich gewesen, weil sie dieses Erbgut nordischen Blutes angesprochen habe, das jeder Deutscher in sich trage.21 Die Deutschen wurden aufgefordert, sich moralisch zu verhalten und der Stimme ihres Blutes zu folgen. Auch bei ihnen müsse damit gerechnet werden, dass einige ihrer rassischen Bestimmung gegenüber indifferent blieben. Mit ihrer Entscheidung für die nationalsozialistische Rassenmoral würden sie die persönliche Konsequenz aus ihrer lebensgesetzlichen Bestimmung ziehen und wieder ein Leben in Übereinstimmung mit den Natur - und Lebensgesetzen von Blut und Rasse führen. Jede andere Entscheidung, so die Unterstellung, wäre nicht nur unsinnig, sondern auch naturwidrig. Sie sollten sich auf durchaus individuell spezifische Weise artgemäß verhalten, eben weil auch denkbar war, dass sie sich gegen die Stimme ihres Blutes entschieden.22 Der „Aufbruch aus den germanischen Lebensuntergründen“23 habe der nationalsozialistischen Revolution entscheidende Kräfte zugeführt. „Der deutsche Mensch wird als Nationalsozialist geboren, aber es könnte sein, dass er es nicht weiß.“24 Deshalb ziele nationalsozialistische Schulung auf die Führung der Deutschen zu sich selbst, die im Nationalsozialismus die Chance hätten, sich selbst zu entdecken und die Zwangsjacke fremder Ideen abzulegen.25 Im Umkehrschluss wurde dann die Weigerung, sich zum Nationalsozialismus zu bekennen, als undeutsches Verhalten stigmatisiert.

17 18 19 20 21 22 23 24 25

Pleyer, Volk, S. 32. Das Primat des kämpferischen Menschen. In : Das Schwarze Korps vom 28. 8.1941. Das Ende des Lebens. In : Das Schwarzes Korps vom 25. 3.1943. Krieck, Volkscharakter, S. 22. Vgl. Das Weltbild als Erzieher. In : Das Schwarze Korps vom 13. 4.1944. Vgl. Hennemann, Grundzüge, S. 70. Krieck, Volkscharakter, S. 63. Die Idee wird Gestalt. In : Das Schwarze Korps vom 19. 6.1935. Vgl. Vom Schulen und Führen. In : Das Schwarze Korps vom 23.11.1944.

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Rasse, Geschlecht und Sexualität

Mit der Beseitigung von Standes - und Klassenunterschieden blieben für rassenechte Deutsche nur noch unterschiedliche Grade der Verantwortung entsprechend ihrer verschieden ausgeprägten Fähigkeiten, eine solche Verantwortung zu übernehmen. Nicht Lebenssicherung sei ihr Ziel, sondern der uneigennützige Dienst für das Volk und die Gemeinschaft. Diese neuen Menschen hätten „Bequemlichkeit und Lebensangst“26 in der Behauptung ihres Herrentums überwunden. Die neuen Ostgebiete, aber auch Deutschland insgesamt, müssten „eine Zuchtstätte des kämpfenden Menschentums werden, wo sich unter harten Bedingungen eine stete Auslese“27 vollziehe. Je härter die Bedingungen, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass aus ihnen ein neuer Mensch hervorgehen werde. In der offenen Situation der Bewährung an ihnen unbekannten Herausforderungen könnten Menschen über sich hinauswachsen. In ihr wüssten sie sich getragen von einer ihr Leben übersteigenden höheren Notwendigkeit. In dieser Situation werde das Unbedingte im Menschen angesprochen, das es ihm in der Herausforderung durch ihm unbekannte Situationen erlaube, sich auf eine neue Weise zu erfahren. Dabei würden in ihm Kräfte frei gesetzt, von denen er ohne eine solche Gelegenheit, über sich hinauszuwachsen, nie erfahren hätte, dass er über sie verfügt. Erst in der Ausnahmesituation der Auflösung des bisher fraglos Selbstverständlichen werde das Neue und mit ihm der neue Mensch geboren. Unbedingte Treue, Gehorsam und todesverachtender Mut, der den Schmerz nicht achtet, seien die herausragenden Eigenschaften einer männlichen Haltung in der soldatischen Gemeinschaft des Blutes. Der Soldat und politische Kämpfer sei unpathetisch und spreche nicht von seinen Taten. Wenn es sein müsse, erleide er den Tod wortlos und ohne Klage.28 „Leib und Seele sauber halten, Tapfer dein Geschick gestalten; Niemals von der Wahrheit lassen, Gutes lieben, Böses hassen; Nicht für dich, für Deutschland leben, alles deinem Volke geben. Nur wer tapfer, treu und rein, kann ein deutscher Junge sein.“29

Jeder, der eine solche Haltung vermissen lasse, werde mit Verachtung bestraft. Das Streben nach ihr sei für jeden deutschen Jungen selbstverständlich. „Er kämpft gegen kindliche und knabenhaft - weiche Regungen in sich selber, richtet sich an idealen Vorbildern auf und freut sich jeder Bestätigung vor den Männern.“30 Die Aktivisten der nationalsozialistischen Bewegung wurden ausdrücklich aufgefordert, sich entsprechend ihrer Vorbildwirkung für die heranwachsende Generation so zu verhalten, dass diese sich für den Nationalsozialis26 27 28 29 30

Das Primat des kämpferischen Menschen. In : Das Schwarze Korps vom 28. 8.1941. Ebd. Vgl. Gschwend, Mehr sein als scheinen. An meinen Sohn. In : SS - Leitheft, 7 (1941) 6a, S. 11. Männliche Haltung. In : SS - Leitheft, 7 (1941) 12a, S. 10–11, hier 10.

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Der „neue Mensch“

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mus entscheiden werde. Schließlich liege es an dieser Generation, den Nationalsozialismus in die Zukunft zu tragen. Wer sich die „Vervollkommnung des menschlichen Wesens“31 zum Ziel setze, müsse sich die Frage nach der Wertordnung menschlicher Eigenschaften und Lebenserscheinungen stellen. Der totale Staat bekenne sich zu Arbeitstugenden wie Fleiß und Ausdauer sowie Tugenden des Kampfes wie Tapferkeit, Gehorsam und Härte. Die neue nationalsozialistische Weltordnung brauche starke Menschen, die in der Lage seien, die Geschicke der Völker zu beeinflussen. „Stark und mächtig kann aber nur der sein, der im Innern gesund ist, und gesund der, der natürlich ist.“32 Dem neuen deutschen Menschen sei der romantische Widerstreit zwischen Geist und Leben fremd. Er halte dem Dasein durch „Zucht des Leibes und Disziplinierung des Geistes“33 im Einsatz für die Gemeinschaft stand. Diese Eigenschaften machten ihn zum Träger des neuen Weltbildes. Der erstarrte und tote Überbau des öffentlichen Lebens, der Kultur und des Sozialen müsse wieder auf den Menschen bezogen werden.34 Erst dann, wenn jeder Einzelne „das neue Weltbild als neuer Mensch“35 verkörpere, habe die Revolution gesiegt. Der Mensch sei für den Nationalsozialismus weder „Wunschbild“ noch „philosophisch - moralische Konstruktion“, sondern eine „Person von Fleisch und Blut“ mit einem „bestimmten organischen Erbgut“.36 Anstatt eine ideale menschliche Natur zu unterstellen, müsse man von den egoistischen Neigungen und biologischen Trieben der Menschen ausgehen. Der politische Führer könne nicht damit rechnen, „ideale Universalmenschen“ für die nationalsozialistische Bewegung zu rekrutieren, sondern müsse das „vor ihm liegende Menschenmaterial“ so nehmen, wie es ist, ohne es verbessern oder gar vereinheitlichen zu wollen. Auf diese Weise würden sich die verschiedensten Temperamente, Fähigkeiten und Charaktere in der Bewegung gegenseitig ergänzen.37 Auch wenn der neue Mensch des Nationalsozialismus entscheidend durch rassenspezifische Stereotype „kämpferischer Männlichkeit“38 geprägt war, ließ er doch auch Raum für die geschlechtsspezifische Bestimmung der „neuen nordischen Frau“. Der Kämpfer und die Mutter wurden als die für die nationalsozialistische Bevölkerungs - und Rassenpolitik funktionalen Geschlechterrollen bestimmt, wobei die Emanzipation der Frau zum Synonym der Verweigerung ihrer Mutterrolle erklärt wurde. Bei den Girls oder Flappern, der amerikanischen Spezies von Mädchen, könne man sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass aus ihnen Mütter werden würden : „Ein Wesen zum Vergnügen des 31 32 33 34 35 36 37

Simoneit, Gedanke. Sander, Einheit. Nemitz, Mensch. Vgl. ebd. Bilse, Forderung, S. 264. Wieneke, Charaktererziehung, S. 182. Vgl. Heiden, Geschichte, S. 195 – Aus Hitlers Grundsätzen über die Führerauslese von 1925, abgedruckt im Völkischen Beobachter vom 20. 2.1925. 38 Vgl. Werner, Männlichkeit.

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Mannes geschaffen, ohne jede andere Verpflichtung, als ihm zu gefallen und sich von ihm gebrauchen zu lassen.“39 Auch die jüdische Zersetzung des deutschen Volkes wurde geschlechtsspezifisch dargestellt als Feminisierung und Verweichlichung des deutschen Mannes auf der einen und Vermännlichung oder moralische Verwahrlosung der deutschen Frau auf der anderen Seite. Durch die kulturelle Zersetzung des deutschen Volkes hätten die Juden aus dem heldischen deutschen Kämpfer den femininen Mann, und aus der deutschen Mutter das emanzipierte Weib gemacht.40 Schon kurz nach der nationalsozialistischen Machtergreifung wurde klar ausgesprochen, was von der deutschen Frau erwartet wurde, nämlich das Bekenntnis zu rassenbewusster Partnerwahl und die Bereitschaft, Mutter zahlreicher Kinder für das deutsche Volk zu werden. „Intellektuelle Frauen [...] Weibchen“,41 die sich ihrer Bestimmung zur Mutter verweigerten, brauche man dagegen nicht. Dennoch war das moralische Profil der deutschen Frau wesentlich facettenreicher, als diese Verkürzung auf die Rolle „gebärfreudiger Mütterlichkeit“ zur bevölkerungspolitischen Gesundung des deutschen Volkskörpers nahe legt. So ermutigte ein rassischer Feminismus42 deutsche Frauen dazu, selbstbewusst auf gleichberechtigter Partnerschaft in der rassengesunden Familie zu bestehen und gegen den männlichen Chauvinismus der selbstverständlichen Unterordnung der Frau unter den ihr in jeder Hinsicht überlegenen Mann die aktive Rolle der rassenbewussten Frau in der Volksgemeinschaft einzufordern. So wie in Politik und Weltanschauung die Rasse der Grundwert jeder lebendigen Entwicklung sei, könne auch die moralische Beziehung der Geschlechter nur von der Rasse her erneuert werden. Als Indiz für die Verkehrung der Wertmaßstäbe durch die Männer wurde die Entwertung der Frau zum Lustobjekt genommen.43 So hieß es in einer Polemik gegen den Volkstod durch sittlichen Verfall : „Man kann aus der Einstellung der Völker ihren Frauen gegenüber einen Maßstab für die Höhe ihrer Kultur und für die Richtung ihrer Entwicklung ableiten.“44 Die geschlechtliche Doppelmoral, in der der Mann die Frau in „ungezügelter Sinnlichkeit“ zur Sache erniedrige, sei die Wurzel „rassischer Verkommenheit“.45 Scharf kritisiert wurde die Propagierung der geschlechtlichen Zügellosigkeit des Mannes, die mit der Erniedrigung der Frau einhergehe, zu finden etwa in Darrés „Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse.“46 Es sei verheerend, „in ein so gründlich rassenverwirrtes und gebrochenes Volk, wie das deutsche es heute ist, die Aufforderung zur polygamen Ehe der Hochwertigen zu werfen“.47 Es bedurfte keiner besonderen 39 40 41 42 43 44 45 46 47

Stellrecht, Erziehung (1943), S. 126. Vgl. Pütz, Wesen, S. 486 f. Haase, Reichsrasseamt, S. 295. Vgl. Rogge - Börner, Gedanke. Vgl. Hermannsen, Blome, Warum hat man uns das nicht früher gesagt ? S. 16 f. Hoffmann, Volkstod, S. 39. Rogge - Börner, Gedanke, S. 13 f. Vgl. ebd., S. 20 f. Ebd., S. 39.

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Der „neue Mensch“

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Erwähnung, dass es hier natürlich um die Polygamie des Mannes ging, gegen die polemisiert wurde. Die polemische Auseinandersetzung mit zügelloser bolschewistischer Sexualität, die dem Mann schrankenlose geschlechtliche Freiheit einräume, während von den kommunistischen Mädchen erwartet werde, dass sie jedem zur Verfügung stünden, der sie begehrte, wenn sie es nicht riskieren wollten, in den Ruf der Kleinbürgerlichkeit zu kommen, zielte in die gleiche Richtung.48 Notwendig sei dagegen eine „neue Ethik des Mannes“, eine „völlige Wandlung männlicher Lebensführung“.49 Die männliche Jugend müsse sich ihrer biologischen Verantwortung vor der Zukunft des Volkes stellen, anstatt in ihrer „individualistischen Lebensauffassung und Lebensführung“50 weiter unverantwortlich ihre Triebe zu leben, als ob ihr Körper allein ihnen gehöre und sie niemandem Rechenschaft schuldig seien. Ihre Triebhaftigkeit lasse sie Frauen „als Wesen minderen Grades, als sexuelles Ausbeutungsobjekt“51 sehen. Diese Herausarbeitung des durch die Perspektive der Männer dominierten gender bias, wie ein für geschlechtsspezifische Differenzen und die Unterstellung der männlichen Perspektive als die der Vernunft sensibilisierter Diskurs das heute formulieren würde, stand fest auf dem Boden der nationalsozialistischen Rassenideologie. Durch die Akzentuierung ihrer unreflektiert mitgeführten Geschlechterperspektive wurde diese sogar noch radikalisiert. Gefordert wurden Triebkontrolle im Namen von Rasse und Volk sowie biologische Verantwortung und Disziplinierung des Körpers zu artgemäßer Körperlichkeit und Sexualität. Der „frivole Individualismus männlicher Lebenshaltung“ diffamiere kräftige, eigenständige, wehrhafte Frauen als „Mannweiber“ oder „Frauenrechtlerinnen“, verstehe man doch unter „echt weiblich“ Frauen, die sich „weich, schwach, erotisch, schutz - und hilfsbedürftig und untertänig“52 geben würden. Dieses starke Frauen diffamierende Stereotyp habe mit nordischer „ursprunghafter Weiblichkeit“ nichts mehr zu tun, sondern sei vielmehr Ausdruck einer artfremden „Verirrung in der Geschlechterwertung“.53 In der germanischen Überlieferung würden Mann und Frau immer als Ganzheit auftreten. Sie seien hier „eine unbedingte Lebens - , Schaffens - und Kampfgemeinschaft“, in der sich beide Geschlechter „frei und selbstständig“ entwickelt hätten und es „Bestimmungen über das, was der Frau zukommt oder nicht zukommt“,54 nicht gegeben habe. Immer wieder fänden sich in dieser Überlieferung Beispiele „weiblich - männlicher Doppelführung“ und „absoluter Geschlechterganzheit“, nirgends aber „die Trennung in ein befehlendes und ein gehorchendes Ge48 49 50 51 52 53 54

Vgl. Staemmler, Rassenpflege, S. 55. Rogge - Börner, Mensch, S. 10. Ebd., S. 11. Ebd. Ebd., S. 12 und 15. Ebd., S. 15 f. Ebd., S. 18 f.

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schlecht“.55 Der stärkere Mensch setzt sich durch und übernimmt die Führung, unabhängig davon, welchem Geschlecht er angehört. Weder sei die Frau hier „Arbeitssklave“ noch „Luxusgegenstand des Mannes“ gewesen. Auch sei sie keineswegs im Hintergrund geblieben, während der Mann allein öffentliche Verantwortung trug. Diese „arteigene Geschlechterordnung“ sei unter dem Einfluss des römischen Rechtes verloren gegangen, so dass die Frau schließlich nicht mehr als dem Manne gleichwertig und gleichberechtigt gesehen wurde, sondern als anderswertig. Nun wurde sie zum „Gefäß der Sünde“ erklärt und als leibhaftige „Versuchung zum Bösen“ diskriminiert. Gerade hochwertigen Frauen sei die Entwicklung ihrer Kräfte verwehrt worden. Ohne aktive Beteiligung der Frauen aber sei eine „wahrhafte Volksgemeinschaft“ nicht möglich.56 Die Diskriminierung der Frau zeige sich auch im männlich bestimmten Verständnis von Partnerschaft, etwa im Konzept der „fruchtbaren Zeitehe“, die so aussehe : „Gesunde, gebärtüchtige Jungweiber sollen mit einem rassisch wertvollen Manne solange zusammenleben, bis sie der Mutterschaft entgegensehen, dann ist diese Ehe zu Ende; die Frau gebiert das Kind und lebt im Frauenhaus. Nach zwei Jahren wiederholt sich der Vorgang mit einem anderen Manne; und wenn er sich fünf bis sechs Mal wiederholt hat, dann hat die Frau ihre Pflicht erfüllt. Auch den Zeugungshelfer möchte man in die deutsche Familie einführen.“57 Würden solche Überlegungen Wirklichkeit, so wäre es mit der sittlichen und geistigen Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau zu Ende und beide wären nur noch „Zuchtobjekte“. Diese scharfe Kritik frauenfeindlicher, von Männern dominierter nationalsozialistischer Sexual - und Geschlechterpolitik operierte mit Argumenten und Metaphern, die der Diffamierung des Nationalsozialismus als vermeintlich menschen - und frauenfeindliche Zuchtpolitik durch seine ausländischen, kirchlichen oder liberalen Kritiker bis ins Detail der Wortwahl glich. Gegen den Liberalismus - Vorwurf als Totschlagargument, der jede Kritik am Nationalsozialismus einschließlich derjenigen, die in seinem Namen vorgetragen wurde, bereits im Ansatz unterbinden sollte, versuchten die nationalsozialistischen Befürworterinnen einer egalitären Frauenpolitik diese Kritik durch die Problematisierung des Liberalismus Begriffs rhetorisch zu unterlaufen. Sie verwahrten sich dagegen, das „Streben nach ganzheitlicher Gleichheit der Geschlechter“58 als Liberalismus zu diskriminieren. Gerade der neue, rassischen Werten verpflichtete, Mädchentyp, drohe ehelos zu bleiben. Das habe zur Folge, dass häufig „ein Krieger und eine Gans“59 zusammenfänden. Männer, die in der Frau immer noch die Beute sehen würden, zeigten damit, dass sie im Persönlichen noch in den „Werturteilen des 55 56 57 58 59

Vgl. ebd., S. 20. Vgl. ebd., S. 26–28 und 34. Ebd., S. 70. Vgl. ebd., S. 72. Gottschewski, Frage, S. 769.

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Der „neue Mensch“

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Liberalismus“60 befangen seien. Dieses leidenschaftliche Plädoyer einer neuen nationalsozialistischen Frau für die Gleichberechtigung der Geschlechter stieß in der männerdominierten Welt des nationalsozialistischen Herrschaftssystems erwartungsgemäß auf taube Ohren. Daran änderte auch der souveräne Gebrauch des rassenideologischen Vokabulars seitens der nazistischen Feministinnen nichts.61 Der in den hier zitierten Beispielen offensiv und rhetorisch geschickt vertretene Antisemitismus und Antiliberalismus dieser vom Nationalsozialismus als Versprechen einer Gleichberechtigung der Geschlechter überzeugten Frauen wurde von der nationalsozialistischen Ideologie entweder ignoriert oder als Anmaßung selbst ernannter Aktivistinnen nationalsozialistischer Frauenpolitik zurückgewiesen, die ihre Rolle in der neuen Gesellschaft offensichtlich verkannten. Das traditionelle Bild der Frau, die dem Manne untertan, von ihm abhängig und in ihrer Geschlechterrolle darauf verpflichtet war, ihm unterstützend zur Seite zu stehen, wurde durch seine politische Konnotierung noch bestärkt. Als Mutter seiner Kinder, Sexualpartnerin und Partnerin des politisch aktiven Mannes, dem sie den Alltag von Problemen freihalten sollte, die ihn von seinen höheren Aufgaben abgelenkt hätten, war die deutsche Frau hinreichend ausgelastet. Die neue Frau müsse nach dem Willen und der Vorstellung des Mannes gestaltet werden. „Die Frau bedeutet für den Mann Entspannung, d. h. er sucht bei ihr das, was er nicht selbst hat. Was er in stärkerem Maße besitzt, ist ihm bei der Frau nicht wertvoll.“62 Wenn die Frau nicht mehr „eine Entsprechung des Mannes“ sei, so trete sie „die Flucht ins Körperliche“ an und werde zur „Schlampe“.63 Als Frau war sie durch ihre Geschlechterrolle darauf festgelegt, dem Mann, der soziokulturell und politisch zur Führung bestimmt war, uneigennützig und ohne eigene politische oder kulturelle Ambitionen zu unterstützen, so dass er sich uneingeschränkt auf seine öffentlichen Funktionen konzentrieren konnte. Die liberalistische Auszeichnung „der eleganten, leichten und unbeschwerten, nur mit ihrem eigenen Ich lebenden Frau“ wurde „abgelöst durch das Ideal der sorgenden, im Leben für andere sich erfüllenden, ihrer Verantwortung bewussten Mütterlichkeit“.64 Frauen seien für „das Bewahren, Erhalten, Ordnen, Pflegen“65 dessen zuständig, was der Mann erarbeite. Wenn die nationalsozialistische Ideologie von der neuen Frau sprach, so grenzte sie sich damit ab von der aus ihrer Sicht Auflösung traditioneller Geschlechterrollen in der Weimarer Republik, mit der die Frauen in angemaßter emanzipatorischer Pose die Gesellschaft insgesamt in ihren Grundfesten erschüttert hätten. Gegen krankhafte Künstlichkeit, äußere Vermännlichung und die Verwirrung des Innenlebens, gegen Entsittlichung und Entmütter60 61 62 63 64 65

Ebd. Vgl. dazu Crips, Utopien. Stellrecht, Erziehung (1943), S. 162. Ebd. Gottschewski, Männerbund, S. 24. Frenssen, Lebenskunde, S. 38.

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lichung, die den kulturellen und moralischen Verfall der Weimarer Republik geprägt hätten, wurden Instinktsicherheit und Einfühlungsvermögen, Gewissensklarheit, Urteilskraft und lebensvolle Mütterlichkeit als Wesenskräfte der neuen Frau hervorgehoben.66 Für junge Frauen und Männer wurden geschlechtsspezifische Triebkräfte herausgestellt : Wie der Junge nach Kraft strebe, so das Mädchen nach Schönheit.67 Die neue Frau des Nationalsozialismus sollte aus der Rückbesinnung auf die Bestimmung ihrer Rolle aus der Perspektive des Mannes entstehen. Vertreterinnen einer geschlechtsspezifischen Bestimmung des neuen Menschen dagegen, die vom Nationalsozialismus eine Neubestimmung der Geschlechterbeziehungen und insbesondere die politische Unterstützung der Gleichberechtigung der Frau erwarteten, die über ihre Rolle als Mutter und fürsorgende Gefährtin ihres Mannes hinausging, bestanden darauf, die nationalsozialistische Frau nicht länger darauf festzulegen, dem Mann einen geschützten Raum des Privaten bereit zu stellen, in dem er sich von seinen Anstrengungen zum Wohle der Volksgemeinschaft erholen sollte. Vielmehr forderten sie die Frauen dazu auf, den öffentlichen Raum politischen Handelns nicht mehr den Männern zu überlassen, sondern selbst in ihren für politisch erklärten Frauenrollen öffentlich in Erscheinung zu treten. Dem stand in der offiziellen nationalsozialistischen Familien - und Sexualpolitik die propagandistische Herausstellung von Mutterschaft, Kindererziehung, artgemäßer Sexualität und Partnerschaft gegenüber, die als Dienst oder in der Verweigerung und Abweichung von der rassenideologisch definierten Rolle der Frau im Nationalsozialismus als Verrat am Vaterland bestimmt wurden. Während die Weimarer Republik wegen ihrer liberalen Sexualpolitik und der Toleranz abnormer Sexualpraktiken sowie der Auflösung der Geschlechterdifferenzen kritisiert und in ähnlicher Stoßrichtung der Kritik den Juden ein rassischer Defekt zugeschrieben wurde, der sie genetisch bedingt zu sexueller Perversion und Aggression neigen lasse, wurde der christlichen Religion abwechselnd die Degradierung der Frau zum willenlosen Sexualobjekt des Mannes oder die Verführung des Mannes zu einem verantwortungs - und hemmungslosen Triebleben vorgeworfen, das ihn von seinen eigentlichen höheren Aufgaben im Dienst von Vaterland, Rasse und Volksgemeinschaft ablenke. Die christliche Umwertung aller Werte habe auch die Stellung der Frau getroffen. Für den nordischen Menschen sei sie „Trägerin des Lebenskeimes“.68 Das Christentum habe sie dagegen, nicht zuletzt wegen seiner Pervertierung durch jüdische Elemente, in die Sphäre des Triebhaften und Sündigen gestoßen. Reduziert auf ihr „Geschlecht ohne jeglichen Persönlichkeitswert“ sei die Frau bei den Juden „der Willkür des Mannes schutzlos preisgegeben“ : „Wie eine Ware wird

66 Vgl. Diehl, Frau, S. 60 f. und 90 f. 67 Vgl. Baldur von Schirach, aus : Die Kameradschaft, Folge 17, 24. Nov. 1937. 68 Vgl. Unsere Haltung. Die geistige Haltung des nordischen Menschen in unserer Zeit. In: SS - Leitheft, 3 (1937) 3, S. 60–62, hier 61 – o. A.

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ihr Wert festgestellt.“69 Aus jüdischer Sicht sei Frauen Anstand fremd, Ausschweifung dagegen ihr Element. „Es wird gelehrt : Die Frau ist ein Schlauch voll Unrat, ein Mund voll Blut, dennoch läuft ihr jeder nach.“70 Aus christlicher Sicht sei die Frau die leibhaftige, zum verführerischen Körper gewordene Versuchung des Mannes, seine Berufung zu Höherem, zu verlässlicher Pflichterfüllung und Dienst am Ganzen aufzugeben zugunsten der besinnungslosen Hingabe an sein sexuelles Triebleben.

2.

Sexualität im Nationalsozialismus : „Rassenbewusste Gattenwahl“ und „artgemäße Sexualität“

Mit der Ermahnung zu „rassenbewusster Gattenwahl“ wurden die Angehörigen der nordischen Rasse aufgefordert, unter sich zu bleiben und ihre Sexualpartner nach rassischen Kriterien zu wählen. Die Deutschen müssten „zum lebensgesetzlichen rassischen Denken“71 erzogen werden, um schließlich ganz selbstverständlich nur noch „rassisch ebenbürtige und wertvolle Partner“ zur Gattenwahl zu berücksichtigen. Voraussetzung für eine gelungene Partnerwahl sei die rassenpolitische Unterscheidung aussichtsreicher von aussichtslosen Verbindungen. Aufgabe des Staates sei es, bei den heiratsfähigen jungen Mädchen diejenigen auszusondern, die „wegen körperlicher, sittlicher oder charakterlicher Unter - bzw. Minderwertigkeit für eine Eheschließung mit Kindersegen“72 ausscheiden. Nur die auf rassenbewusster Partnerwahl gegründete Familien - und Bevölkerungspolitik stelle sicher, dass das deutsche Volk perspektivisch biologisch gesunden und dadurch auch politisch und kulturell erstarken werde, so dass es die ihm zustehende führende Rolle unter den Völkern der Welt einnehmen könne. In einer erbgesunden deutschen Ehe gehe es vor allem darum, möglichst viele Kinder zu produzieren. Rassenbewusste Nationalsozialisten suchten in der Ehe nicht Gespielen zu unverbindlichem Vergnügen, sondern verlässliche Gefährten für eine möglichst kinderreiche Ehe. Es gelte, verantwortungsbewusst seinen Partner zu wählen und sich dabei zugleich als Züchter wie Objekt der Züchtung zu betrachten. Das heiße jedoch nicht, seinen Sexual - und Ehepartner ohne Liebe, nur nach praktischen züchterischen Gesichtspunkten zu wählen und zu heiraten, denn das wäre ein trostloses Dasein.73 Gegenseitige Liebe sei unverzichtbar für eine erfüllte Partnerschaft. Dennoch sei die Ehe nicht Selbstzweck, sondern diene „der Vermehrung und Erhaltung der Art und Rasse“.74 Während die Ehe nach liberalistischer Auffassung in erster Linie „Möbelgemeinschaft und Geschlechtsgenuss“ sei, der Marxismus sie als „bür69 70 71 72 73 74

Fasolt, Grundlagen, S. 162 f. Ebd., S. 164. Meyers Lexikon, Stichwort Rasse, Sp. 59. Darré, Blut, S. 36. Vgl. Heiraten – aber wen ? In : Das Schwarze Korps vom 18. 5.1944. Hitler, Kampf, S. 275.

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gerliches Vorurteil“ abtue, die Lebens - und Lustfeindlichkeit des Christentums schließlich auch in seiner Auffassung der Ehe durchschlage, sei sie für den Nationalsozialismus die einzig „würdige, tragfähige und biologische, d. h. lebensgerechte Fortpflanzungsgemeinschaft“.75 In ihr gehe es darum, in lebensbejahender, lustvoller Fortpflanzung „nach sorgsamster Gattenwahl das eigene Erbgut in zahlreichen Kindern dem Volke zu erhalten“.76 Übergeordnetes Ziel sei die glückliche Ehe Erblich - Hochwertiger. Natürlich müssten die beiden Heiratswilligen als Erbträger zusammenpassen, um eine gute Nachkommenschaft zu erzeugen. Das Glück der Ehepartner und ihre gegenseitige Ergänzung seien aber mindestens genauso wichtig.77 Schon im Alter noch unbestimmten Schwärmens müsse das Wunschbild ihres Partners bei Jugendlichen beiderlei Geschlechts „die Züge eines erblich - wertvollen und rassisch überzeugenden Menschenschlags“78 tragen. Der völkische Staat dürfe „die Gattenwahl der Bessergearteten unter seiner Jugend nicht dem Zufall und nicht den wechselnden Stimmungen, Anwandlungen und Begierden der Jugend überlassen“,79 sondern müsse diese entsprechend lenken. Als größtes Hindernis dieser rassenpolitischen Lenkung stellte sich sehr schnell die deutsche Jugend selbst heraus, die rassische Kriterien der Partnerwahl einfach ignorierte. Beklagt wurde immer wieder, dass diese sich in ihren sexuellen Beziehungen zum anderen Geschlecht trotz rassenpolitischer Appelle, sich dabei auf Sexualpartner der nordischen Rasse zu beschränken, auch weiterhin von rassenindifferenten Intuitionen leiten ließ. Noch immer entschieden persönliche Ausstrahlung und sexuelle Attraktivität darüber, wer sich mit wem auf solche Beziehungen einließ. Publizistische Versuche, die Attraktivität der nordischen Frau als Effekt ihrer rassischen Qualität herauszustellen, änderten daran nichts. Dennoch werde sich am Ende das Gefühl der Jugend für rassische Schönheit und Attraktivität gegen die Kälte bürgerlicher Vernunft behaupten. Spätestens bei der Partnerwahl der Jugend würden sich rassenbedingte Begriffe von Schönheit, Tüchtigkeit und Männlichkeit gegen rassenindifferente „Wünsche, Einstellungen und Handlungen“80 durchsetzen. Die Erziehung zu rassenbewusster Gattenwahl sollte sowohl seelisch - geistige als auch körperliche Aspekte berücksichtigen. Zumindest dem Mann könne die „Schätzung weiblicher Schönheit“81 als Element seiner Wahl nicht verwehrt werden. Ziel der Auslese seien brauchbare, anständige und urteilsfähige Menschen.82 Wie dieses ehrgeizige Ziel erreicht werden sollte, junge Leute dazu zu bringen, für rassisch wertvolle Partner des anderen Geschlechts zu schwärmen, und nicht etwa für attraktive Mädchen oder gut aussehende, sportliche Männer, 75 76 77 78 79 80 81 82

Lechler, Schau, S. 319. Ebd., S. 324. Vgl. Günther, Gattenwahl, S. 20 f. Ebd., S. 27. Ebd., S. 28. Die Rasse ist’s, was wir als Schönheit fühlen. In : SS - Leitheft, 7 (1941) 2a, S. 2–5, hier 5. Günther, Gattenwahl, S. 52. Vgl. ebd., S. 142.

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Sexualität im Nationalsozialismus

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unabhängig davon, ob sie der nordischen Rasse angehörten oder nicht, wird nicht weiter ausgeführt. In der Vergangenheit sei immer das rassisch weniger wertvolle Mädchen bei der Heirat bevorzugt worden, da es früher reif sowie sexuell ansprechender und gefügiger gewesen sei als das rassisch wertvolle Mädchen, das das Mauerblümchen war. Nun jedoch komme die Wandlung und ein neues Zeitalter, „in dem das nordische Mädchen geheiratet wird und das andere sitzen bleibt“,83 hieß es optimistisch. Für den rassischen Bestand des deutschen Volkes sei es entscheidend herauszufinden, „warum gerade biologisch und charakterlich wertvolle Mädel oft nicht heiraten, während das sogenannte leichtere Mädel [...] leider auch für die Ehe von vielen Männern bevorzugt wird“.84 Benannt wurden drei mögliche Gründe : „einmal die rassisch bedingte Zurückhaltung als Erbteil der nordischen Rasse [...], zum anderen die durch bürgerliche Instinktlosigkeit anerzogenen Hemmungen und falsche Scham, und zum dritten eine bewusste Zurückhaltung, die sich aus negativen Erfahrungen heraus entwickelt hat“.85 Diese zu Unrecht als lebensfremd und prüde geltenden jungen Frauen seien gerade wegen ihrer ausgezeichneten charakterlichen und biologischen Werte selbstbewusste und anspruchsvolle Persönlichkeiten, die in einer Ehe „das Gleichgewicht der Kräfte“ suchten. Auch diese Frauen wollten zu ihrem Mann aufschauen und ihn als den Überlegenen anerkennen. Auch ihr Idealbild sei „der kämpferisch eingestellte Mann“, dessen Männlichkeit und Todesverachtung ihnen Achtung abnötige, von dem sie „Beherrschung, Anstand und Haltung“, auch Ritterlichkeit erwarteten. Die Grundlage einer wertvollen Ehe seien neben der Gemeinsamkeit in kleinen wie in großen Dingen gegenseitige Achtung, Anerkennung und Selbstdisziplin.86 Es sei bedenklich, dass eine nicht geringe Anzahl der wertvollsten fruchtbaren Mädchen heute nicht zur Fortpflanzung komme. Auf dem Lande oder in kleineren Orten lebend, hätten sie wenig Gelegenheit, geeignete Bekanntschaften zu schließen. Zugleich hinderten aber auch in ihrer rassischen Eigenart und ihrer sittlichen Hochwertigkeit liegende innere Beweggründe diese Mädchen daran, sexuelle Beziehungen einzugehen. Im Bewusstsein echter Weiblichkeit würden sie sich „den Männern gegenüber in taktvoller, schamhafter Zurückhaltung“87 üben, während der leider gerade von rassisch hochwertigen Männern immer noch bevorzugte Typ überschlanker, kraftlos gehungerter, sittlich hemmungsloser Mädchen, die mit allen Geboten weiblicher Psyche und Raffinesse ausgerüstet sexuell leichtes Spiel mit den Männern habe. Das sei umso verheerender, als gerade der wertvolle, häufig verschmähte Mädchentyp zur Mutterschaft neige, während bei dem leichtlebigen „Hetärentyp“, dem „begehrten Girltyp“ der Wille zum Kind nur ungenügend oder gar nicht vorhanden sei. Da bei diesem „städtischen Sexualtyp“ die Sexualität stärker betont sei, als die 83 84 85 86 87

Himmler, Geheimreden, S. 54–55, hier 55 – aus : ders., Blut und Zukunft (1936). Wie eine Frau es sieht. In : Das Schwarze Korps vom 13. 7.1944. Ebd. Vgl. ebd. Gronau, Ehevermittlung, S. 413.

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Fortpflanzung, leide darunter folgerichtig auch ihre Gebärfreudigkeit. Die wählerischen „wertvollen Mädchen“ ihrerseits neigten dazu, nicht die erstbeste Gelegenheit zum Heiraten zu ergreifen, sondern auf einen ebenbürtigen Partner zu warten mit dem Ergebnis, erst spät oder aber gar nicht zu heiraten. Der erhebliche „Ausfall erbgesunder, wertvoller Mädchen für die Fortpflanzung“ könne nicht länger hingenommen werden. Um diesem „Typ der zurückhaltenden Mädchen mit ihrer verschlossenen Glut“ die gleichen Heiratsmöglichkeiten zu bieten, wie anderen Mädchen, brauche es „eine vertrauliche Ehevermittlung“, um gleichwertigen Männern die Gelegenheit zu geben, mit ihnen auf taktvolle Weise Bekanntschaft zu machen. Die so geschlossenen Ehen beruhten auf gegenseitiger Wertschätzung und Achtung, und nicht allein auf sinnlichen Reizen. Sie hätten eine „größere Aussicht auf Glück wie auf zahlreiche hochwertige Nachkommenschaft“ als im „sinnlichen Rausch“88 geschlossene Ehen. Die rassenbewusste Gattenwahl wurde zum entscheidenden Bewährungsfeld nationalsozialistischer ethischer Gesinnung erklärt. Damit die lebenssteigernde Aufartung erfolgreich sein könne, müsse der „gefühlsmäßige rassische Instinkt für körperliche und seelische [...] Schönheitsideale“89 geweckt werden. Bei der Wahl des Ehepartners dürfe nur „der rassische Instinkt“, nicht aber der erotische Trieb eine Rolle spielen, der mit rassenindifferentem Kontrollverlust assoziiert wurde. Den Ehereifen müsse nahegebracht werden, in ihrer Wahl von vornherein rassisch Fernstehende, Minderwertige und Belastete auszuschließen. Unter den zu ihnen Passenden sollten sie dann aber auch mit dem Herzen, nicht allein mit dem Verstand wählen.90 Diese Entgegensetzung von rassischem Instinkt und erotischen Trieben schloss die Möglichkeit ihres intuitiven Zusammenspiels aus : Der erotische Trieb müsse unterdrückt oder als Motiv der Partnerwahl neutralisiert werden, damit der Rasseninstinkt zur Geltung kommen könne. Die Entscheidung für ihren Sexual - und Lebenspartner sollten die Deutschen erst nach der rassenbewussten Vorauswahl möglicher Partner treffen. Erinnert wurde daran, dass die Jugend keine Zeit des Sich - Auslebens sei. Keuschheit bis zur Ehe sei oberstes Sittengebot. „Volksgenossen zur Befriedigung der Geschlechtsgier zu missbrauchen“,91 sei gemeinschaftsschädlich. Der Sexualtrieb sei ein „rassisch nicht gebundener Instinkt“92 und könne deshalb außer Kontrolle geraten, weshalb ein artgerechtes Sexualleben und rassenbewusste Partnerwahl durch die Verinnerlichung einer rassischen Triebhemmung unterstützt werden müsse. Zugestanden wurde damit, dass sich ein solches Sexualleben nicht von selbst einstellen werde. Artfremde Triebe müssten an ihrer Äußerung gehindert werden, bevor sich die ausschließliche Orientierung des Sexualtriebs an Partnern der nordischen Rasse durchsetzen könne. Letztlich 88 89 90 91 92

Ebd., S. 414 f. Kranz, Besinnung, S. 35. Vgl. Welcher Partner passt zu mir ? In : Das Schwarze Korps vom 8. 6.1944. Hoffmann, Entartung, S. 76. Ebd., S. 77.

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Sexualität im Nationalsozialismus

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könne nur die Ausschaltung Artfremder und Minderwertiger sichern, dass sich rassisch Hochwertige ihnen nicht doch sexuell zuwenden würden. Erst wenn nur noch rassisch hochwertige Deutsche zur gegenseitigen Partnerwahl zur Verfügung stünden, bestehe die Sicherheit, dass sie sich auch für gleichwertige Partner entschieden. Der Jugend müsse vermittelt werden, „dass die Gewöhnung an niedere Geschlechtlichkeit die Aussicht auf vollwertige Gattenliebe“93 zerstöre. Sie müssten durchdrungen sein „von der Abneigung gegen alles Widersinnige oder auch nur aus dem natürlichen Zusammenhang herausgerissene Unwesen, gleichviel, ob es in männlichen Abenteurern schillert oder sich als Vamp angeblich von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt, ausleben möchte“.94 Geschlechtlicher Leichtsinn sei „Fahrlässigkeit vor dem Feind der Art, geschlechtliche Verkommenheit [...] Verrat an der Zukunft des Volkes“.95 Dem männlichen Abenteurer ebenso wie dem weiblichen Vamp werden widernatürliche, niedere geschlechtliche Triebe unterstellt. Ihre sexuelle Fahrlässigkeit und Verkommenheit sei mehr als eine persönliche Obsession oder ein Persönlichkeitsdefekt. Als ausschließlich am eigenen Genuss orientierte Haltung, die sexuelle Beziehungen um ihrer selbst willen pflege, trage sie die entscheidende Verantwortung für die bevölkerungspolitische Existenzgefährdung des deutschen Volkes. Abweichungen von den rassenpolitisch sanktionierten Pfaden natürlicher Sexualität werden nicht als verzeihlicher Leichtsinn noch unreifer junger Menschen abgetan, sondern als Verrat an der Sache des Nationalsozialismus zum politisch kriminellen Akt erklärt. Später wurde gegen eine verständliche, aber dennoch unverzeihliche Leichtsinnigkeit im Ausnahmezustand des Krieges argumentiert : „Zahlreiche junge Mädel sind angesichts des Verlustes so vieler junger Männer von der Angst erfüllt, das Leben könnte an ihnen vorbeigehen. Kommt es in ihre Nähe, so neigen sie dazu, sich an die Gelegenheit anzuklammern und ihre Würde zu verlieren. Und mit ihr vergessen sie, zu prüfen und zu wägen, verlieren die Witterung für oberflächliches Spiel oder aber sittlichen Ernst einer echten Bindung, geben ihren inneren Wert preis, straucheln und fallen.“96 Ihre verzweifelte Lebenslust im Angesicht des möglichen Todes und einer ungewissen Zukunft sei vergeblich, steigere sie doch ihre durchaus begründeten Ängste noch zu einer Art panischer Lähmung und Schicksalsergebenheit. Schon Alfred Ploetz, einer der Begründer der Rassenhygiene in Deutschland, plädierte im Interesse der „Möglichkeit guter sexueller Zuchtwahl“ dafür, „Sorge zu tragen, dass junge Männer und Frauen in der ausgiebigsten Weise miteinander in gesellschaftliche Berührung kommen, auch in gemeinsamen Seebädern, dass also jedes Individuum des einen Geschlecht Gelegenheit hat, möglichst viele Individuen des anderen Geschlechts körperlich und geistig ken-

93 94 95 96

Willrich, Blut, S. 59. Ebd. Ebd. Kaufmann, Tapferkeit, S. 543.

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nenzulernen und eine möglichst passende Wahl zu treffen“.97 Dieses Ziel fand auch Eingang in die Satzung der von Ploetz 1905 gegründeten „Gesellschaft für Rassenhygiene“,98 in der es hieß, dass „sittlich, intellektuell und körperlich tüchtige Menschen“ durch die „Förderung einer normalen und rassenhygienisch zweckmäßigen Gestaltung des geschlechtlichen Lebens, der Gattenwahl und der Fortpflanzung“99 unterstützt werden sollten. An diese Tradition knüpfte die rassenpolitische Propagierung artgemäßer Partnerwahl an. Auch sie beklagte nicht nur die offensichtliche Indifferenz insbesondere junger deutscher Männer gegenüber den Rassengesetzen, sondern dachte über praktische Angebote nach, die die deutsche Jugend in ihrer sexuellen Selbstfindung unterstützen sollten. Neben der Verhinderung des Unerwünschten, wenn nötig auch mit Zwang und Gewalt, müsse eben auch das Erwünschte bewusst gefördert werden durch die Bereitstellung von genügenden Möglichkeiten des Sich - Kennenlernens rassisch wertvoller junger Leute beiderlei Geschlechts, das insbesondere bei der städtischen Bevölkerung noch immer häufig dem Zufall überlassen bleibe. Es müssten Einrichtungen geschaffen werden, die „das Kennenlernen zwecks Ehe für wertvolle Menschen in kritischer Lebenslage“,100 insbesondere aber von Männern und Frauen gleicher nationalsozialistischer Gesinnung, erleichtern würden. Besonders die überdurchschnittlich Leistungsfähigen seien durch ihre unzureichenden Möglichkeiten, erbtüchtige Partner mit wertvollem Erbgut kennenzulernen, „bezüglich der Ehewahl am meisten gefährdet“.101 Deshalb müsse die Politik dafür sorgen, dass gerade aus dieser vielversprechenden Gruppe „jeder in verhältnismäßig jungen Jahren eine ausreichend große Zahl von Angehörigen des anderen Geschlechts kennen lernt, und zwar von Menschen möglichst der gleichen [...] biologischen Gruppe mit guten Erbanlagen“.102 Es müsse eine Art Eheanbahnung organisiert werden : „in geeigneten Sommer - oder Winterkurorten könnten z. B. Möglichkeiten des Kennenlernens für junge Leute geschaffen werden, die vorher bezüglich ihrer erblichen Gesundheit und sonstigen Qualitäten und bezüglich ihrer Rassenzugehörigkeit sorgfältig geprüft worden sind, damit jeder Beteiligte die Sicherheit hat, dass hier die Gefahr der Sippenschande ausgeschlossen ist“.103 Die Organisation dieser Beziehungsanbahnung solle durch die Partei und ihre Gliederungen erfolgen. Eine angemessene nationalsozialistische Geselligkeit müsse deutschen Frauen und Männern dabei helfen, geeignete Partner für eine auf rassischem Gleichklang und gegenseitiger Zuneigung gegründete Ehe zu finden. Der Nationalsozialismus ziele zwar auf den ganzen Menschen, wolle jedoch keine neue Priesterkaste heranzüchten, die die 97 Becker, Geschichte, S. 70 – aus Ploetz, Tüchtigkeit. 98 Zur deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene vgl. Popovic, Gesellschaft sowie Schafft, Racism, S. 42. 99 Zit. bei Becker, Geschichte, S. 107. 100 Ebd. 101 Welcher Partner passt zu mir ? In : Das Schwarze Korps vom 8. 6.1944. 102 Ebd. 103 Ebd.

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Lebensfreude als Sünde verdammt. Es sei ein Vorurteil, „dass der Nationalsozialist, weil er geistig immer im Dienst ist, verschlossen und ungesellig sein müsse, dass er es am Ende unter seiner Würde finde, Geselligkeit zu pflegen“.104 Rassisch gegründete Liebesbeziehungen könnten jedoch weder von oben organisiert, noch befohlen oder erzwungen werden. Gerade in der emotional turbulenten Lebensphase der Erprobung ihrer Sexualität, in der sich die jungen Leute noch unsicher über ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse seien, müssten sie dabei unterstützt werden, sich zu rassenbewussten Nationalsozialisten zu entwickeln. Bei der ethischen Bedeutung, die Ehe und Familie für den Aufbau der Volksgemeinschaft zukomme, müssten alle Schranken, die der artgemäßen Partnersuche im Wege stünden, niedergerissen werden. Die nationalsozialistische Gesellschaft müsse sich aus gleichgesinnten und bewusst um eine rassische Lebensgestaltung ringenden Menschen zusammensetzen. Insbesondere Goebbels betonte immer wieder, dass Sexualität die Privatsache jedes Deutschen sei – allerdings unter der Voraussetzung der Wahl eines artgemäßen Sexualpartners, mit dem möglichst viele Kinder gezeugt werden sollten. Er präsentierte den Nationalsozialismus als eine lebensbejahende, sinnenfreudige Bewegung und betonte, dass das nationalsozialistische Deutschland kein prüdes, sexualitätsfeindliches Land werden dürfe. Die von verklemmten Tugendwächtern aufgestellten Regeln eines vermeintlich sauberen und gesunden Sexuallebens, so Goebbels, könnten vielleicht das Leben in einem Nonnenkloster regeln, seien aber in einem modernen Kulturstaat wie Deutschland völlig fehl am Platze. Ihren Versuchen, Deutschland in eine muffige Einöde von Untertanen zu verwandeln, „in der Denunziation, Bettschnüffelei und Erpressung an der Tagesordnung“105 seien, müsse energisch entgegen getreten werden. Diese Philister meinten offensichtlich, es sei „nicht nationalsozialistisch, sich des Lebens zu erfreuen“.106 Stattdessen würden sie die Schattenseiten des menschlichen Lebens betonen und Pessimismus und Menschenhass als angemessene Haltung im „irdischen Jammertal“ herausstellen. Die Moral - Schnüffelei selbsternannter Sittlichkeitsapostel schade der Sache des Nationalsozialismus, indem sie ihn als lebens - und sinnesfeindlich darstelle.107 Der notwendige Ernst, mit dem die Durchsetzung nationalsozialistischer Werte auch im deutschen Alltag verfolgt werden müsse, dürfe nicht zur Einschränkung der Lebensfreude führen. In einer gesunden, vom Rasseninstinkt geleiteten Ehe sei es allein die Sache der Ehepartner zu entscheiden, welche Art Sexualität sie praktizierten, solange ihre Ehe zur Produktion zahlreicher erbgesunder, rassisch hochwertiger Kinder führe.108 Gegen die einseitige Betonung der sexualkonservativen Elemente nationalsozialistischer Sexualpolitik hat Dagmar Herzog in ihrer 104 Wir wollen uns kennenlernen. In : Das Schwarze Korps vom 3. 2.1938. 105 Joseph Goebbels „Mehr Moral, aber weniger Moralin !“ In : Völkischer Beobachter vom 28./29.1.1934. 106 Ebd. 107 Vgl. Pauler, Blutschutz, S. 7. 108 Vgl. Welcher Partner passt zu mir ? In : Das Schwarze Korps vom 8. 6.1944.

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kenntnisreichen und detaillierten Darstellung die Liberalisierung der Sexualität im Nationalsozialismus herausgestellt, „die zu spielerischer, lustvoller Sexualität ermunterte, sofern die Beteiligten dem Regime ideologisch und rassisch genehm waren“.109 Für den Geburtenrückgang wurde die „biologische Willensschwäche“ des „erotischen Liberalismus“110 verantwortlich gemacht – die Scheu vor Verantwortung für Familie und Kinderaufzucht. Wo der Wille zum Kind fehle, werde auch die Sexualität moralisch fragwürdig. Die Orientierung der Sexualität an der ausschließlichen „Befriedigung körperlicher Gelüste“111 zerstöre die Ehe. Ausgiebig zitiert wird Max Marcuse, der das Wesen dieser liberalen Sexualmoral, mit der sich die nationalsozialistische Rassenethik konfrontiert sah, so zusammengefasst habe : „Ihre Kennzeichen sind die Bezweiflung oder gar Leugnung der sexuellen Abstinenz als einer an sich ethischen Verhaltungsweise, die Entwertung der weiblichen Jungfräulichkeit [...], die Anerkennung des Geschlechtsverkehrs als Selbstzweck der Lustgewinnung“,112 die Einschätzung der monogamen Dauerehe als ungeeignet, die individuellen Liebes - und Sexualbedürfnisse zu befriedigen und die Billigung von sexuellen Beziehungen außerhalb der Ehe als ethisch unproblematisch. Im Kampf gegen einen solchen ichsüchtigen, lebensfeindlichen „biologischen Pazifismus“ gebe es keine Toleranz, sondern nur „Zugreifen und Ausrotten“.113 Die Deutschen werden aufgefordert, ihre Sexualität in den Dienst der Reproduktion der Volksgemeinschaft zu stellen und durch die Produktion und Aufzucht gesunder Kinder ihre Pflicht gegenüber Familie, Sippe und Volk zu erfüllen. In der sexuell - ethischen Erziehung müsse neben einer intuitiven Aversion gegen sexuelle Beziehungen mit Artfremden und Rassenmischung die Bereitschaft zur Zeugung einer zahlreichen erbgesunden Nachkommenschaft herausgebildet werden.114 Empfängnisverhütung und Abtreibung sollten als unmoralische und naturwidrige Einschränkung des „Lebensgesetzes der Fruchtbarkeit“ ausgeschlossen werden. Die Verweigerung biologischer Verantwortung durch Kinderlosigkeit aus egoistischen Gründen wie etwa der Unterhaltung oberflächlicher und wechselnder Liebschaften sowie das rassenpolitisch indifferente, ungezügelte Ausleben sexueller Triebe, das keinen Unterschied zwischen rassisch wertvollen und rassisch minderwertigen Sexualpartnern mache, wurden als Gründe des bevölkerungspolitischen Niedergangs Deutschlands ausgemacht. Weder die asketische Verherrlichung der Keuschheit noch „hemmungsloses Sich - Ausleben“ seien eine den Deutschen und der nordischen Rasse angemessene Haltung zur Sexualität. Übertriebene Prüderie, die alles Nackte zur Sünde erkläre und Sexualität als „sündige Fleischeslust“ verdamme, seien 109 110 111 112 113 114

Herzog, Politisierung, S. 36. Hoffmann, Entartung, S. 10. Staemmler, Rassenpflege, S. 56. Zit. ebd., S. 58 – ohne Angaben zur Quelle. Ebd., S. 63 f. Vgl. Zimmermann, Biologie, S. 151.

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dem Nationalsozialismus fremd. Kritisiert wurde „eine konfessionelle Moral [...], die im Körper grundsätzlich etwas Verächtliches sieht, und die die natürlichsten Vorgänge als sündhafte Triebe“115 wertet. Polemisiert wurde sowohl gegen den marxistisch - liberalistischen Satz „Dein Körper gehört dir“, der wüstes Sich - Ausleben anrege, als auch gegen die christliche Anschauung, das Geschlechtliche sei schmutzig oder sündhaft.116 Beiden Anschauungen müsse eine „Propaganda der Zucht und der biologischen Erhaltung“ entgegengesetzt werden, die auf eine „saubere und natürliche Einstellung zum geschlechtlichen Leben“117 ziele. Das Geschlechtsleben sei für die nordische Rasse eine natürliche Lebensäußerung.118 Erotik sei immer rassenspezifisch. So sei jüdische Sexualität pervers und abartig. Zugleich wurde exzessiv und rassenindifferent ausgelebte Sexualität zur bloßen Lust und Triebbefriedigung als jüdisch diskreditiert. Während die jüdische Erotik dominiert sei durch das Sexuelle und Sinnliche, sei die nordische Erotik offen für eine Vielzahl von Nuancen und Sublimierungen des Liebeslebens.119 Die Forderung des sexuellen Sich - Auslebens sei jüdisch - liberalistisch, die Judenfrage so lange nicht gelöst, wie sie auf erotischem Gebiet übersehen werde. Die systematische jüdische Zersetzung der nordischen Moral habe das Leben auf primitive Triebe und Begierden reduziert. „Aus der deutschen Sehnsucht wurde jüdische Begierde und aus der deutschen Liebe jüdische Sexualität.“120 Die NSFrauenwarte kritisierte die „Erniedrigung der Frau zum Vergnügungsobjekt“121 als Beispiel der Tiefenwirkung der jüdischen Zersetzung des deutschen Volkskörpers, durch die die gesunde und natürliche Körperlichkeit der Deutschen zu widerwärtiger unverhüllter Geschlechtsgier verfälscht worden sei. Wer es nicht schaffe, diese jüdische Erotik aus seinem Leben auszumerzen, könne auch kein guter Deutscher sein. Die Ablehnung der Ehe als einer veralteten bürgerlichen Einrichtung, die dem neuen Menschen und seinem modernen Verständnis von Sexualität nicht mehr entspreche, gehe zu weit. Dabei handle es sich nicht um eine „begrüßenswerte Annäherung der Geschlechter“, die frühere Klassenunterschiede und überlebte Moralprinzipien überwunden habe. Vielmehr zerstörten die Ablehnung der Ehe als bürgerliche Einrichtung, die nur Verpflichtungen mit sich bringe und die gleichzeitige Abfertigung der Liebe als überlebter Romantizismus in ihrer pseudoradikalen Emphase die Grundlagen nationalsozialistischer Sexualpolitik. Ritterlichkeit und Anständigkeit galten als überholt und überflüssig. Verantwortung und Aufrichtigkeit, die innerhalb der Volksgemeinschaft selbstverständlich sein sollten, wurde jegliche Bedeutung für das Liebesleben 115 116 117 118 119 120 121

Unzucht in der Soldatenzeit. In : Das Schwarze Korps vom 5. 3.1936. Vgl. Hermannsen, Blome : Warum hat man uns das nicht früher gesagt ? S. 100. Ebd., S. 101 f. Vgl. Darré, Bauerntum, S. 382 f. Vgl. ebd., S. 292 f. Pütz, Wesen, S. 487. Herzog, Politisierung, S. 51 – zit. aus NS - Frauenwarte 8, Nr. 16 ( Februar 1940).

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abgesprochen.122 Unter dem Deckmantel gesunder Erotik und erhöhter Lebensfreude würden die Grundpfeiler der Familie und damit des Staates unterhöhlt. Der Mann, der zum „erotischen Ingenieur“ mutiert sei, schäme sich nicht, moralisch auf Kosten der Frauen und Mädchen zu leben, um sie dann, wenn er sie sittlich verdorben habe, „mit bedauernder Geste einem Volksgenossen zur Heirat zu überlassen“.123 Bindungsunfähige Menschen, die nicht bereit seien, Verantwortung für ein Kind zu übernehmen, setzten die sog. „freie Liebe“ an die Stelle der Ehe. Diese verfehlte Rebellion gegen die bürgerliche Moral lehne jegliche Moral als Einschränkung individueller Freiheit ab. Die „bürgerliche Scheinmoral“ könne jedoch nur dann überwunden werden, wenn sie durch eine bessere Moral mit eigenen Idealen und Werten ersetzt werde. Weder die Utopie des geschlechtslosen Menschen noch das ungezügelte Ausleben freier Sexualität ohne die Absicht einer an Familie und Kinderaufzucht orientierten verbindlichen Beziehung seien eine Alternative zur bürgerlich verklemmten und heuchlerischen Haltung zum Geschlecht. Als Naturmacht im Menschen sei die Sexualität ein wichtiges Element der auf die Übereinstimmung mit den Natur - und Lebensgesetzen zielenden nationalsozialistischen Rassenpolitik.124 Gefordert wurde, das tatsächliche Heiratsalter dem der „biologischen Ehe, d. h. dem Zeitpunkt des ersten Geschlechtsverkehrs“, anzupassen, auch wenn das missverstanden werden könne als Aufforderung, die Ehe in Richtung einer „verantwortungslosen Geschlechtsgemeinschaft aufzulockern“.125 Da der Sexualtrieb nicht daran gehindert werden könne, sich im Geschlechtsverkehr zu befriedigen, wäre es eine verschenkte Gelegenheit nationalsozialistischer Bevölkerungspolitik, nicht so früh wie möglich Kinder zu produzieren, die für das biologische Überleben Deutschlands dringend benötigt würden. Die Legalisierung früher Sexualität durch die Herabsetzung des Heiratsalters sollte natürlich nur für artgerechte Sexualität und die Frühehe von erbgesunden, nordischen jungen Männern und Frauen gelten. Sie war zugleich gedacht als Anreiz, sich in der Erprobung der eigenen Sexualität im Geschlechtsverkehr von vornherein Sexualpartnern der nordischen Rasse zuzuwenden. Zum Synonym des moralischen Niedergangs auf dem Felde der Sexualität wurde das Auseinanderfallen von Sexualtrieb und Fortpflanzung, von Lustgewinn und Zeugungswillen erklärt. Das von Rücksichten auf Rasse und Volk freie Ausleben der Sexualität ohne die Absicht der Zeugung gesunder, rassisch wertvoller Kinder, die den bevölkerungspolitischen Niedergang Deutschlands aufhalten und umkehren könnten, wurde als unmoralisch, egoistisch und verantwortungslos gegenüber der Volksgemeinschaft hingestellt. In den weit verbreiteten unverbindlichen Liebschaften zwischen jungen Leuten zählten nicht ethische Werte wie „gegenseitige Aufrichtigkeit, Opfermut und Einsatzbereitschaft“, son122 123 124 125

Vgl. Hoffmann, Volkstod, S. 29 f. Vgl. ebd., S. 32 f. Vgl. Moral – kritisch betrachtet. In : Das Schwarze Korps vom 31. 8.1944. Hoffmann, Entartung, S. 12 f.

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dern „flüchtiger Lustgewinn ohne gegenseitige Verpflichtung“.126 Der Totalitätsanspruch des Nationalsozialismus an die Menschen könne nicht zulassen, dass unterhalb des Nabels das erotische Faustrecht herrsche.127 Der erotische Individualismus habe zu einer Enthemmung des Trieblebens und zu einer Entseelung des Liebeslebens geführt. Eine sich schrankenlos auslebende Sinnlichkeit habe beide Geschlechter und alle Teile der deutschen Bevölkerung erfasst. Im Mittelpunkt flüchtiger Freundschaften stehe unverbindlicher Geschlechtsverkehr „wie immer, wo immer, mit wem immer“.128 Treue, Aufrichtigkeit oder Schamgefühl würden dagegen als anachronistische Relikte einer vergangenen Epoche abgetan. „Ein junger Mann, der keine Freundin hat, ist von vornherein ein Dummkopf, ein junges Mädchen ohne Freund eine hausbackene Gretchenfigur.“129 Der Krieg verschob die Akzente nationalsozialistischer Sexualpolitik. Propagiert wurde ein neues Verhältnis zur Liebe und zur Frau.130 Kritisiert wurde nun die weltfremde und unzeitgemäße Schüchternheit oder Zögerlichkeit deutscher Frauen, die sich den sexuellen Bedürfnissen der Männern verweigerten, die während ihres Fronturlaubs dringend Zuwendung und Entspannung brauchten, und die natürlich, schon der Unwägbarkeiten des Krieges wegen, keine Garantie für eine dauerhafte Beziehung geben könnten. Solchen Frauen, die sexuelle Beziehungen zu unverheirateten Männern unter Verweis auf Anstand und Sitte ablehnten, wurde entgegen gehalten : „Hat nicht die ehelose Hingabe der Frau ihre sittliche Berechtigung ? Nur vor dem Tode, mitten im Kriege, als letztes und heiligstes Opfer ?“131 Vor allem die unnahbaren, herben und kühlen, durch falschen Stolz und Zurückhaltung gehemmten Frauen müssten zur Einhaltung ihrer Pflichten gegen die Volksgemeinschaft angehalten werden.132 Familienpolitik müsse „Ausnahmemöglichkeiten in einer Ausnahmezeit“ bedenken, ohne damit verantwortungslosen Elementen einen Freibrief für sexuelle „Haltungs - und Hemmungslosigkeit“133 auszustellen. Insbesondere für die Männer, denen sexuelle Rechte eingeräumt wurden, die in Friedenszeiten undenkbar gewesen wären, war der Krieg ein sexueller Ausnahmezustand. Die Frontsoldaten sollten sich einerseits der Liebe und Treue ihrer an der Heimatfront kämpfenden Frauen sicher sein. Gleichzeitig aber sollten sie mit der Bereitschaft deutscher Frauen rechnen können, ihrem Bedürfnis nach Zuwendung und Sexualität während ihres Heimaturlaubes entgegen zu kommen. Soldaten auf Fronturlaub, für die das vielleicht ihr letzter Urlaub sei, hätten ein Recht darauf, in ihrem Urlaub all das zu bekommen, wonach es sie verlange. Sie brauchten Ablenkung, wollten sich entspannen, den Alltag an der Front für den Moment vergessen. Sie wollten Sex. Sie sollten ihn haben, egal, 126 127 128 129 130 131 132 133

Hoffmann, Volkstod, S. 7. Vgl. ebd., S. 9. Ebd., S. 28. Ebd. Vgl. Es lebe die Ritterlichkeit. In : Das Schwarze Korps vom 20. 7.1944. Gottschewski, Frage, S. 770. Vgl. Um die Erhaltung der Rasse. In : Das Schwarze Korps vom 2. 3.1944. Kaufmann, Tapferkeit, S. 541.

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ob sie verheiratet waren oder nicht. Deutsche Frauen sollten durch die Befriedigung der sexuellen Bedürfnisse deutscher Soldaten auf Heimaturlaub ihren Beitrag zu einer effektiven Kriegsführung leisten. Es sei ihre Pflicht, ihnen als Sexualpartner zur Verfügung zu stehen um zu verhindern, dass diese sexuell frustriert und also mit eingeschränkter Kampfkraft und Motivation, ihr Leben für den Sieg Deutschlands einzusetzen, wieder zurück an die Front gingen. Auch Hitler selbst sah Sexualität als Mittel zur Sicherung der Kampftüchtigkeit der Soldaten : „wenn der deutsche Mann als Soldat bereit sein solle, bedingungslos zu sterben, dann müsse er auch die Freiheit haben, bedingungslos zu lieben“134 Der Versuch, in dieser Situation des Kampfes auf Leben und Tod, in dem sich die Zukunft Deutschlands entschied, moralische Bedenken gegenüber solchen Beziehungen geltend zu machen, galt als Wehrkraftzersetzung an der Heimatfront. Viele Deutsche würden noch immer rassenpolitisch verantwortungslos ihrem Sexualtrieb oder einfach ihren Neigungen bei der Wahl ihrer Sexual - oder Lebenspartner folgen, statt sich davon leiten zu lassen, was sie selbst zur Überwindung der bevölkerungspolitischen Krise beitragen könnten. Die rassenbewusste Gattenwahl müsse am Anfang stehen, bevor die Zeugung, Geburt und aufartende Zucht zahlreicher Kinder diese Krise lösen könne.135 Die jüdisch individualistische Lebenshaltung, sich ohne Rücksicht auf bevölkerungspolitische oder rassenhygienische Notwendigkeiten auszuleben und allein den eigenen Neigungen zu folgen, sei auch unter nicht - jüdischen Deutschen weit verbreitet. Nicht einmal Nationalsozialisten seien vor der Versuchung gefeit, ihr aus Bequemlichkeit oder egoistischer Lebenslust zu folgen. Der rassengesunde Nationalsozialist jedoch müsse „eine ihm an körperlichen und geistigen Anlagen ebenbürtige Lebensgefährtin“136 suchen und mit ihr eine Familie gründen. Es sei die Pflicht jedes erbgesunden Deutschen, die Verluste an rassischer Substanz durch rassenbewusste Gattenwahl auszugleichen. Dem hätten sich alle anderen Wünsche nach einem guten und persönlich bequemen Leben unterzuordnen. Allerdings könne von durchschnittlichen Menschen nicht erwartet werden, sich in existentiellen Fragen gegen ihre Neigungen zu entscheiden. Die verlässliche Erfüllung der rassenbiologischen Pflicht artgemäßer Gattenwahl könne nicht auf der Unterdrückung menschlicher Neigungen beruhen. Vielmehr sollten die Deutschen, geleitet von ihrem Rasseninstinkt, in ihrem Sexualleben Pflicht und Neigung verbinden. Gegen das hemmungslose Ausleben persönlicher Genusssucht im Geschlechtsleben, das vom Materialismus propagiert werde, aber auch gegen die entgegengesetzte „Vorstellung von der Sündhaftigkeit alles Geschlechtlichen“, die mit allem Sexuellen „die Vorstellung der Niedrigkeit, Unanständigkeit, des Tierischen, Widerwärtigen und Ekelerregenden“ verbinde, plädiere der Nationalsozialismus für die Rückbesinnung „auf den ursprünglichsten und natürlichs134 Picker, Ritter ( Hg.), Tischgespräche S. 301 f. – Hitler, 23. 4.1942. 135 Vgl. Willrich, Blut, S. 57. 136 Lebensgestaltung, wie wir sie wollen. In : Das Schwarze Korps vom 27. 3.1935.

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ten Zweck der Liebe“137 – die Zeugung von Kindern. Nur so könne der Gefährdung des völkischen Rassenbestandes durch Geburtenbeschränkung begegnet werden. Die eine Säule des Geschlechtslebens sei „das persönliche Glücksbedürfnis des Menschen“, die andere „die biologische Konsequenz dieses Erlebens, das Kind“.138 Der Geschlechtstrieb diene der Erhaltung der Art. Als in der Triebnatur des Menschen verankerter erotischer Impuls sei er stark genug, sich gegen weniger wirkungsmächtige Triebe durchzusetzen. Die Bindung des Geschlechtstriebs an die Arterhaltung bekräftigte die Rasse als höchsten Wert des nationalsozialistischen Wertesystems, dessen Durchsetzung dank seiner biologischen Ursprünglichkeit außer Frage stand. Die Attraktivität des Nationalsozialismus für die deutsche Jugend hatte u. a. mit seiner Sexualpolitik zu tun. Ihr gelang es, eine Alternative zur christlichen Diffamierung von Sexualität als sündiger Fleischeslust bei gleichzeitiger Stigmatisierung einer obsessiv - satanischen jüdischen Sexualität zu entwickeln. Die christliche Abspaltung des sündigen Körpers von einem unkörperlichen reinen Geist bot den Nationalsozialisten die Gelegenheit, sich gegenüber dieser Sexualität verleugnenden und Körperlichkeit abwertenden puritanischen Ethik als dem Leben zugewandte Bewegung zu präsentieren. Gesunde Sexualität und Bejahung des nackten Körpers, das Angebot einer moralisch akzeptablen und lustbetonten artgemäßen Sexualität und Körperlichkeit ließen sie als unverklemmte, die Jugend in ihrer Suche nach natürlicher Sexualität bestärkende Bewegung erscheinen. Gegen die christliche Diffamierung des Körpers als Ausgangspunkt der Sünde wurde die Bejahung artgerechter Körperlichkeit und Sexualität gesetzt. Die vermeintliche Befreiung des Körpers und seiner natürlichen Bedürfnisse von lebensfremder Abwertung und lustfeindlicher Einengung bei gleichzeitiger Projektion perverser, ungesunder und außer Kontrolle geratener sexueller Obsessionen auf die Juden trugen entscheidend zum Erfolg der nationalsozialistischen Bewegung bei. Die „ethische Anziehungskraft des Nationalsozialismus“139 beruhte u. a. auf seiner Verpflichtung auf das christliche Ideal der Reinheit sowie seine überzeugende Verknüpfung von Sexualität und Moral. Der Aufruf zu verantwortlicher Zeugung und Erziehung von Kindern im Rahmen von Ehe und Familie und ihre Unterstützung gesunder Sexualität gaben ihm das Image einer traditionellen Werten verpflichteten und dennoch aufgeklärten Bewegung. Die Bejahung artgemäßer Sexualität in ihrer Kampagne für Anstand und Sauberkeit der deutschen Gesellschaft und Kultur kreierte eine nachchristliche Erotik, die insbesondere die Jugend zum Ausleben ihrer sexuellen Wünsche und Begierden im Rahmen der Volksgemeinschaft ermutigte. Die Herausstellung der menschlichen Biologie und der Aufruf zur Versöhnung mit dem eigenen Körper, der nicht mehr als Inkarnation menschlicher Schwäche und Sündhaftigkeit diffamiert wurde, gab der deutschen Jugend die 137 Um die Erhaltung der Rasse. In : Das Schwarze Korps vom 2. 3.1944. 138 Ebd. 139 Bernauer, Nazi - Ethik, S. 47 und 56 f.

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Rasse, Geschlecht und Sexualität

Möglichkeit, ein Selbstwertgefühl zu entwickeln, das nicht länger auf religiöser Selbstverleugnung und Triebunterdrückung gründete. Die nationalsozialistische Sexualpolitik projizierte die mögliche Gefahr unkontrollierter Sexualität für den deutschen Volkskörper auf die Juden. Zugleich versprach sie, sowohl die christliche Entgegensetzung von Geist und Fleisch bzw. Körper als auch die den Juden unterstellte Entfremdung der Sexualität von Moral und Anstand durch die Unterstützung artgerechter Sexualität zu überwinden.

3.

Die Ehe als Zuchtanstalt : Der Wille zum Kind

Seit der Machtübernahme wurde der Kampf um die „bevölkerungspolitische Bestandserhaltung“140 des deutschen Volkes gegen Geburtenrückgang und moralischen Verfall geführt. Getrieben von einer unnatürlichen und primitiven Reiz - und Vergnügungssucht versuchten manche, „möglichst viel Lustgewinn in die kurze Lebensspanne hineinzupressen“.141 Der Individualismus des liberalistischen Zeitalters habe sich bis ins Dritte Reich hinein erhalten. Natürlichkeit sei durch Überspanntheit abgelöst, Bescheidenheit, Ehre und Moral durch Zynismus ersetzt worden. Sexualität, Partnerwahl und Fortpflanzung sollten nicht mehr dem Zufall oder den persönlichen Neigungen der Beziehungs - und Ehewilligen überlassen, sondern durch rassenbiologische Familienplanung geregelt werden. Männer und Frauen wurden als Träger einer bestimmten Erbmasse gesehen, die durch gezielte Zusammenführung der rassisch wertvollsten Erbanlagen an kommende Generationen weitergegeben werden sollte. „Zucht heißt Auslese, planmäßige Vorsorge für das noch kommende Leben, eine vom Wissen um das Gesetzmäßige im Vererbungsgeschehen und von Verantwortungsfreude gelenkte Zusammenfügung von Erbmasse zu Erbmasse bei der Gattenwahl, der Eheschließung und Zeugung.“142 Die rassenbiologische Auslese sollte mit einer rassenbewussten Lebensführung jedes einzelnen die Aufartung und damit die Zukunft des deutschen Volkes sichern.143 „Du bist nur ein Glied in der Kette des Lebens und ein Tröpfchen im großen Strom des Blutes deiner Rasse, der aus einer unendlichen Vergangenheit hinter uns und in eine unendliche Zukunft vor uns fließt und uns damit die Verantwortung vor Jahrtausenden auflegt. Und deshalb ist es eine im Tiefsten sittliche Forderung, dass jeder einzelne für die Weitergabe seines Bluterbes durch ausreichende Kinderzahlen sorgt, denn nur dadurch erfüllt er seine Pflicht gegenüber der Vergangenheit wie der Zukunft der Nation.“144 „Gemeinnutzmoral“ und „rassenhygienisches Gewissen“145 verlangten von erbgesunden Deutschen eine kinderreiche Familie. Erbdefekten 140 141 142 143 144 145

Hoffmann, Entartung, S. 7. Ebd., S. 9. Korten, Nationalsozialismus, S. 31. Vgl. Günther, Neuadel, S. 161. Gross, Rasse und Weltanschauung, S. 519. Rüdin, Erblehre, S. 738.

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Die Ehe als Zuchtanstalt

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dagegen wurde die Fortpflanzung untersagt. In Übereinstimmung mit der göttlichen Schöpfung müsse gesundes Leben überall gefördert, krankes und minderwertiges dagegen konsequent biologisch ausgemerzt werden. Es sei unmoralisch, „minderwertige Anlagen bewusst oder fahrlässig in unschuldigen Kindern fortzupflanzen“.146 Die Träger des besten Erbgutes müssten sich zur ehelichen Fortpflanzungsgemeinschaft zusammenschließen, um die biologische Höherentwicklung des deutschen Volkes durch die überproportionale Vermehrung rassisch hochwertiger Deutscher zu sichern. Dennoch sei eine gesunde, vom Rasseninstinkt geleitete Ehe keine „menschliche Zuchtanstalt“. Vielmehr seien die Ehegatten durch echte Liebe verbunden.147 Argumentiert wurde gegen die Verleumdung, deutsche Bevölkerungspolitik verfolge die Kindererzeugung mit staatlichem Zwang und verstoße damit gegen Grundsätze der Moral, indem sie den menschlichen Wert von Mann und Frau leugne, beide als Zuchttiere ansehe und behandle und gezielt entwürdigende „Menschenzuchtanstalten“148 anlege. „Der Staat, so behauptet man, erniedrige mit seiner Einwirkung auf die Fortpflanzung den Menschen zum Zuchtvieh. Zudem falle er insbesondere mit seinen Bemühungen um die Ausschaltung Erbkranker dem Schöpfer in den Arm, denn das Leben, so wie es sei, erfülle den göttlichen Willen. Es sei Sünde, an ihm herumbessern zu wollen.“149 Zitiert wird aus einem Artikel der „Pariser Tageszeitung“ mit der Überschrift „SS Vollblut“, in dem es heißt : „Eine neue Brautschulungsstätte ist von den Nazis begründet worden. [...] Vor der Aufnahme gab es eine fünffache Prüfung auf Intellekt, Moral und Physis. Ahnenprobe bis 1800 unerlässlich, arisch bis Urmutter Eva, nazistisch durchgebildet. Und das wichtigste : gute Gebärfähigkeit, ärztlich geprüft und bescheinigt. Nach der Schulung darf geheiratet werden [...] Wenn alles klappt, rechnet man auf gute Zuchtergebnisse.“150 Auf diesen Text antwortete ein Artikel des Schwarzen Korps mit einer Klarstellung nationalsozialistischer Rassenpolitik. Niemand denke daran, „die Rasse gewissermaßen im Laboratorium zu verbessern und Menschen miteinander zu paaren, die nach irgendeiner Theorie einen Nachwuchs nordischer Übermenschen erzeugen könnten“.151 Biologische Rassenpolitik wolle also keineswegs „blond und blau wie ein Stück Vieh züchten“,152 wie ihr das von Kritikern eines Rassenmaterialismus vorgeworfen werde. Es komme vielmehr darauf an, „ungesunde Menschen mit ungesunden Instinkten von der Fortpflanzung abzuhalten und gesunde Instinkte, wenn sie verschüttet wurden, wieder zu erwecken“.153 In diesem Sinne schrieb auch Fritz Lenz : „Von gegnerischer Seite wird den Rassenhygienikern gern unterstellt, sie wollten Menschen züchten, wie man 146 147 148 149 150 151 152 153

Hannemann, Willensfreiheit, S. 478. Vgl. Rassenpolitik, S. 65 f. Gross, Rassengedanke, S. 10 f. Brunk, Erbpflege, S. 356. „SS - Vollblut“ ? In : Das Schwarze Korps vom 25. 3.1937. Ebd. Schattenfroh, Wille, S. 125. „SS - Vollblut“ ? In : Das Schwarze Korps vom 25. 3.1937.

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Rasse, Geschlecht und Sexualität

Vieh züchtet [...] Es wird dadurch die Vorstellung erweckt, die Liebeswahl solle ausgeschaltet und durch zwangsmäßige Paarung ersetzt werden, das Individuum solle überhaupt nicht mehr als Zweck, sondern wie in der Viehzucht nur noch als Mittel für die Zwecke des Züchters angesehen werden. In Wahrheit bedeutet der rassenhygienische Gedanke natürlich keineswegs eine solche Entwürdigung des Menschen. Die Erfahrungen der Tierzucht sind nur insofern lehrreich, als sie zeigen, dass es möglich ist, eine Rasse zu schaffen, die aus lauter wohlgeratenen Individuen besteht. Wenn die Abneigung gegen die Züchtung dahin führt, dass man die menschliche Rasse einfach verkommen lässt, so entspricht das jedenfalls noch weniger der Würde des Menschen, als es eine Züchtung nach Art der Tierzucht tun würde.“154 Der rassenhygienische Zuchtgedanke sei am Individuum und der Würde des Menschen orientiert. Würdelos und menschenfeindlich sei es dagegen, tatenlos zuzusehen, wie die menschliche Rasse durch die uneingeschränkte Freigabe von Fortpflanzung und Rassenmischung verkomme. Menschliche Fortpflanzung dürfe nicht dem Zufall individuell willkürlicher, von unkontrollierten sexuellen Neigungen und Emotionen getriebenen Entscheidungen überlassen werden. Ein Volk sei nun einmal eine erbverbundene Fortpflanzungsgemeinschaft.155 Dabei würden immer diejenigen rassischen Bestandteile den Geburtensieg davon tragen, denen der günstigste Nährboden geboten werde. Dadurch, dass kämpferischen erbgesunden Menschen in allen Lebensbereichen Vorrang gegeben werde, würden sich die wertvollsten rassischen Bestandteile des deutschen Volkes durchsetzen. Diese „rassische Hochzucht“156 werde seine Zukunft sichern. Jeder Deutsche trage Verantwortung für die Gesundung seines Volkes, das durch Missachtung der Lebens - und Rassengesetze entartet und erkrankt sei. In diesem „Sozialismus des Blutes“ stand „das Leben der Gemeinschaft [...] über der Willkür und Ichsucht des einzelnen“.157 Das Schicksal von Völkern entscheide sich dadurch, ob ihnen eine rassenbewusste Gattenwahl und Lebensführung selbstverständlich werde. Die „kinderfeindliche innere Haltung“ vieler Deutscher habe das deutsche Volk in eine lebensbedrohliche Krise gestürzt, der durch die „Aufartung in Kindern aus würdiger Gattenwahl“158 begegnet werden müsse. Eine Verbesserung der Rasse stelle sich erst dann ein, „wenn der richtigen Gattenwahl die Zeugung einer überdurchschnittlichen Zahl von Kindern“159 folge. Deutsche, die sich aus Egoismus, Bequemlichkeit, Verantwortungslosigkeit, Arbeitsscheu oder Genusssucht „der Aufzucht von Kindern oder einer vernünftigen Gattenwahl“ und damit den Interessen von Familie, Sippe, Rasse und Volk entgegenstellten, müssten von der Gemeinschaft in ihre „Schranken gewiesen oder unschädlich gemacht und vernichtet werden“.160 154 155 156 157 158 159 160

Becker, Geschichte, S. 151 – aus Lenz, Menschliche Auslese. Vgl. Rassenpolitik, S. 121. „SS - Vollblut“ ? In : Das Schwarze Korps vom 25. 3.1937. Ebd., S. 30. Willrich, Blut, S. 60 und 57. SS - Mann und Blutsfrage, S. 29. Stengel - von Rutkowski, Allmacht, S. 58.

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Rassenhygiene und „eugenische Moral“ müssten zur Gewissensangelegenheit jedes Deutschen werden. Die Ausmerzung der Minderwertigen nütze nichts, wenn „die Erbtüchtigen sich aus Selbstsucht, Geltungstrieb, Lebensangst und Bequemlichkeit, aus Gleichgültigkeit, Habsucht, plumpem Materialismus, Vergnügungswahn, Verantwortungslosigkeit und Gottlosigkeit ( ihrer ) generativen Pflicht“161 entziehen würden. Das selbstsüchtige Streben der Menschen nach einem guten Leben habe eine bevölkerungspolitische Krise zivilisierter Völker verursacht und die natürlichen Kräfte von Vererbung und Auslese nicht zur Entfaltung kommen lassen. Bequemlichkeit, Selbstsucht und Individualismus lenkten von der Arterhaltung ab.162 Die Trennung von sexuellem Trieb und Fortpflanzung habe den Geschlechtstrieb von der Gesamtpersönlichkeit isoliert163 und zusammen mit der sozialen Fürsorge für rassisch Minderwertige dazu geführt, dass sich diese stärker vermehrten als erbgesunde und rassisch wertvolle Menschen. Hinzu komme die bedenkenlose Vermischung der Deutschen mit Fremdrassigen.164 Eine weitere Ursache des Geburtenschwundes sei neben den Geschlechtskrankheiten der in Deutschland weit verbreitete Präventivverkehr, der die „Trennung von Zeugungswillen und Geschlechtslust“165 belege. Die Emanzipation der Frau und die Vermännlichung der Erotik sowie das Verständnis von Freiheit als verantwortungslosem Sich - Ausleben seien weitere Ursachen von sittlichem Verfall und Geburtenrückgang.166 Polemisiert wurde gegen den „geburtenvernichtenden Materialismus“ und „kinderverneinenden Liberalismus“, der junge Frauen selbstsüchtig verkünden lasse, sie könnten mit ihrem Körper machen, was sie wollten. Schließlich seien sie keine „Gebärmaschinen“.167 Die heuchlerische Verlogenheit der bürgerlichen Moral zeige sich vor allem in ihrer Haltung zum Kind. Einerseits diskriminiere eine bürgerliche Scheinmoral außereheliche Kinder und insbesondere die Frauen, die sich, auch ohne verheiratet zu sein, für ein Kind entschieden hätten. Ihre moralischen Beweggründe für eine solche Entscheidung blieben dabei unberücksichtigt. Vor allem aber vernachlässige eine solche Stigmatisierung unverheirateter Mütter und ihrer Kinder die Frage, auf welche Weise das außereheliche Kind das Wohl der Volksgemeinschaft tangiere. Dem entspreche auf der anderen Seite der „Wille zur Kinderlosigkeit“ aus rein egoistischen Gründen, in dem sich der bürgerliche Individualismus in seinen bevölkerungspolitisch verheerenden Konsequenzen zeige. Im Wandel von der bewussten und gewollten Kinderlosigkeit zum unbedingten Wunsch nach einem Kind manifestiere sich die Überwindung der bürgerlichen durch die nationalsozialistische Moral am deutlichsten. 161 162 163 164 165 166 167

Dürre, Wegweiser, S. 91 f. Vgl. Gütt, Dienst, S. 10. Vgl. Fischer, Staat, S. 11. Vgl. Gütt, Dienst, S. 7. Hoffmann, Entartung, S. 14. Vgl. ebd., S. 22. Valentiner, Ursachen, S. 64, 57 und 61.

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Der „volksbiologische Nutzwert einer Familie“168 müsse durch die Geburt zahlreicher Kinder gesteigert werden. Scharf polemisiert wurde gegen den Egoismus derjenigen, die immer einen Vorwand fänden, durch Kinderverweigerung die Kette des Lebens abzubrechen, der sie selbst ihr Leben zu verdanken hätten. Dabei sei es egal, ob diese in Friedenszeiten unwillig seien, ihr eigenes sorgloses Leben im Wohlstand durch Kinder aufs Spiel zu setzen oder ob sie in vorgeblicher Sorge um das Wohl der Kinder behaupteten, diese „vor wirtschaftlichen Depressionen und beruflicher Ungewissheit“169 bewahren zu wollen. Dem entspreche in Kriegszeiten das Argument, dass Kinder in den unsicheren Zeiten des Krieges besser ungeboren blieben, um ihnen die Erfahrung von Not und Krieg und Tod zu ersparen.170 Der bevölkerungspolitische Defätismus deutscher Männer und Frauen, die sich unter fragwürdigen Vorwänden der Kinderproduktion verweigerten, gefährde den deutschen Sieg im Rassenkampf. Der Kampf gegen den Osten könne nur gewonnen werden, „wenn [...] die deutsche Frau als Mutter“171 dem deutschen Vaterland genügend künftige Soldaten gebäre. Die Weigerung deutscher Frauen, ihrer Gebärpflicht nachzukommen, würde politisch - militärische Siege vergeblich machen. Solange russische den deutschen Frauen an Lebenswillen und Lebenskraft überlegen seien, würde auch die Tapferkeit der deutschen Soldaten nichts an dieser letztlich den Rassenkampf entscheidenden biologischen Überlegenheit des Bolschewismus ändern. Der biologische Aufmarsch des Lebens entscheide über die Zukunft des deutschen Volkes und damit über Leben und Tod von Volk und Rasse. Die Totalität des Kampfes zwinge zur radikalen Ablösung „prüder bürgerlicher Moralvorstellungen“.172 So wie es die größte Ehre des Mannes sei, seiner Wehrpflicht zu genügen, so müsse auch „die Pflicht zu gebären“173 ganz selbstverständlich zur höchsten Ehre deutscher Frauen werden. Von den besten unter ihnen könne erwartet werden, die Geburt zahlreicher Kinder als tiefste Erfüllung ihrer Weiblichkeit zu sehen, so wie die besten Männer im Waffendienst die Krönung ihrer Männlichkeit sehen würden. Grund für die Kinderverweigerung deutscher Frauen seien Verantwortungslosigkeit und Genusssucht. Auch wenn sie sich der Tragweite ihres Egoismus für die Volksgemeinschaft nicht bewusst seien, seien sie doch verantwortlich für die Überwucherung des Gesunden durch das Schwache und Kranke und die mögliche Überwältigung des rassisch hochwertigen Menschen durch den Untermenschen.174 Zitiert wird aus dem anonymen Brief einer jungen Mutter, die ganz offen den Zusammenhang von Kinderproduktion und möglicher Kriegsführung benannt 168 169 170 171 172 173 174

Was wir dazu tun können. In : Das Schwarze Korps vom 17.10.1940. Dem Leben verschworen. In : Das Schwarze Korps vom 20. 5.1943. Vgl. ebd. Vgl. Gross, Rassengedanke des Nationalsozialismus, S. 20. Ebd., S. 21. Ebd. Vgl. Klee ( Hg.), Dokumente, S. 53 f. – aus Hans Knöppler : Vererbung und Verantwortung.

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hatte. Ihr sei sehr wohl bewusst, dass von den Frauen erwartet werde, die Lücken zu schließen, die der Krieg gerissen habe. Schließlich könne man erst dann, wenn deutsche Mütter wieder genug Kinder geboren hätten, wieder an einen Krieg denken. Dazu ziehe man sie ja schließlich groß, damit der Staat, dem sie dann gehören würden, immer in der Lage sei, Kriege zu führen.175 Die unterschwellige Botschaft dieses Briefes, offensichtlich nicht des einzigen seiner Art, ist klar : Wenn auf die Kinder nur Krieg und Tod warteten, lasse man sie besser gleich ungeboren. Die Fokussierung auf das Kinderkriegen taste den Wert des Menschen an und erniedrige Mann und Frau zum Zuchtvieh, mache sie zu „Lieferanten für Kanonenfutter für machtpolitische Ziele“.176 Auf diese grundsätzliche Infragestellung nationalsozialistischer Bevölkerungspolitik wird mit dem Verweis reagiert, dass die Weltgeschichte immer Kriegsgeschichte gewesen sei und nicht Müßiggang, Bequemlichkeit und Lebensgenuss um seiner selbst willen. Der Staat müsse sich zum Vollstrecker natürlicher Gesetze machen und zur Natur zurückfinden, „der der Kampf nichts Fremdes, sondern das Grundgesetz alles Lebens ist“.177 Die übergroße Mehrheit des deutschen Volkes habe das verstanden und sei bereit, die Lücken, die der Krieg im völkischen Strom des Lebens schlage, durch neues Leben auszufüllen, wie etwa die folgende, keineswegs seltene Geburtsanzeige klar zeige : „Die glückliche Geburt eines kräftigen Jungen hat die Lücke geschlossen, die am 29. November 1941 durch den Heldentod unseres Martin im Bestand unseres Volkes entstanden war. Er heißt wieder Martin. Heil Hitler.“178 Diese Anzeige sollte die vorbildliche rassenpolitische Haltung demonstrieren, individuelles Leben nur im Zusammenhang von Rasse und Volk als lebensgesetzlich übergeordneten Einheiten zu sehen. Die Geburt neuen Lebens schließt eine Lücke, die der Tod eines anderen Menschen gerissen hat. Wo ein Mensch durch seinen Tod ausfällt, rückt ein anderer nach, der ihn in eben der Funktion ersetzt, in der er für die Volksgemeinschaft von Bedeutung war. Eine solche, auf das Funktionieren der Volksgemeinschaft oder die Kampffähigkeit im Krieg fokussierte Sicht auf das Individuum lässt für private Gefühle der Trauer und des Verlustes eines geliebten Menschen im Falle seines Todes keinen Raum. Solange der Tote durch einen anderen gleichwertig ersetzbar ist, gibt es keinen Grund zur Trauer. Wie um diesen Verzicht auf Individualität außerhalb des Funktionszusammenhangs, in dem das verlässliche Handeln der Individuen von Bedeutung ist zu unterstreichen, trägt der im zitierten Beispiel neugeborene Sohn den gleichen Namen wie der im Krieg für Deutschland gefallene Sohn, der im Heldentod die Erfüllung seines Lebens gefunden habe. Er wurde geboren, um seinen toten Bruder im Kampf zu ersetzen – ein Versprechen, das trotz seiner pathetischen Überhöhung jedoch nur symbolischen Charakter trug. Zu Martins Einsatz im Kampf um den deutschen Endsieg kam es nicht mehr. 175 176 177 178

Vgl. Dem Leben verschworen. In : Das Schwarze Korps vom 20. 5.1943. Gross, Rassenpolitik und Weltanschauung, S. 236. Dem Leben verschworen. In : Das Schwarze Korps vom 20. 5.1943. Ebd.

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Ausgegangen wurde vom Ehebegriff, den der „Familienrechtsausschuss der Akademie für Deutsches Recht“ wie folgt definiert hatte : „Ehe ist die von der Volksgemeinschaft anerkannte, auf gegenseitiger Treue, Liebe und Achtung beruhende dauernde Lebensgemeinschaft zweier rassegleicher, erbgesunder Personen verschiedenen Geschlechts zum Zwecke der Wahrung und Förderung des Gemeinwohls durch einträchtige Zusammenarbeit und zum Zwecke der Erzeugung rassegleicher, erbgesunder Kinder und ihrer Erziehung zu tüchtigen Volksgenossen.“179 Schon Kant hatte in ähnlich nüchterner Diktion, wenn auch frei von jeder rassischen Konnotation, die Ehe als Zweckgemeinschaft zweier Menschen verschiedenen Geschlechts zum „wechselseitigen Besitz ihrer Geschlechtseigenschaften“180 bestimmt. Ehe und Sexualität seien keine Privatangelegenheit, die jeder für sich lösen könne, wie er wolle. Wer zu verantwortungsvoller rassenbewusster Gattenwahl nicht im Stande sei, dem müsse diese Entscheidung eben abgenommen werden.181 Die Ehepartner wurden darauf verpflichtet, „dem Volk gesunde Kinder zu schenken“ und sie zu „anständigen deutschen Frauen und Männern zu erziehen“.182 „Wer Kinder haben könnte und keine hat, ist minderwertig“.183 Die Ehe sei im Nationalsozialismus nicht Selbstzweck oder lediglich der formelle Rahmen des Sexuallebens der Volksgenossen. Ihr Ziel sei die Aufzucht „erbgesunden, rassisch einwandfreien Nachwuchses“.184 Bei verantwortungsbewussten, rassisch hochwertigen Menschen entstehe daraus ganz von selbst „eine Lebenskameradschaft, die tiefer bindet und mehr Befriedigung und Lebenserfüllung gibt, als es das bloße Liebeserlebnis jemals zu geben vermag, auch wenn man damit nicht bloß das sexuelle Erlebnis meint“.185 Den Einzelnen habe nur zu interessieren, wie weit „sich in ihm der Erbstrom seiner Ahnen, also die Sippe, verkörpert“.186 Zeugen und Gebären müssten als biologischer Lebensgrund des Volkes wieder selbstverständlich werden.187 Dem „dunkel - mächtigen Trieb zum Gatten“ und der „opferwilligen Bereitschaft zum Muttersein“188 müsse Gelegenheit zu freier Entfaltung gegeben werden. Der deutschen Frau wurde als Hüterin der Erbmasse eine entscheidende Rolle bei der Durchsetzung nazistischer Rassenpolitik zugedacht. Wenn im Ausnahmezustand des Krieges aus Mangel an rassengesunden heiratsfähigen Männern eine Partnerschaft nicht möglich sei, dürfe das dennoch nicht dazu führen, dass ehelose Frauen auf Kinder verzichten würden. Gerade angesichts der äußerst kritischen bevölkerungspolitischen Situation sei bürgerliche Scheinmoral hier 179 180 181 182 183 184 185 186 187 188

Zit. bei Magnussen, S. 119 – aus dem Völkischen Beobachter vom 14. 2.1936. Kant, Metaphysik, S. 390. Vgl. Reche, Sippenschande, S. 298 f. Staemmler, Rassenpflege, S. 63. Ebd. Lemme, Rechtsgestaltung, S. 688. Blut und Boden. In : SS Leitheft, 2 (1938) 1, S. 6–14, hier 11. Lemme, Rechtsgestaltung, S. 690. Bilz, Fragen, S. 819. Willrich, Blut, S. 56.

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völlig fehl am Platze. Der „unverheirateten gereiften Frau von guter Art“ müsse es möglich sein, gesunde Kinder zur Welt zu bringen „getreu dem innersten Sinn des Weibes als der Hüterin der Art“.189 Auch Himmler betonte, er sei „froh über jedes Kind, auf welche Art es auch kommt“,190 gehe es doch vor allem darum, die Verluste an Soldaten im Krieg wieder auszugleichen. In einer „Zeit liberalistisch individuellen oder kollektivistisch männerbündlerischen Junggeselleneigennutzes“ müsse verhindert werden, „dass zahllose gesunde, deutsche Mädchen aus bestem Blut und von höchstem geistigem und sittlichem Wert in den kommenden Jahren als nachträgliche Opfer des Krieges die Altersgrenze überschreiten müssen, ohne auch nur in einem einzigen Kinde weiterleben zu dürfen in der heiligen Kette der Geschlechterfolge“.191 Die persönliche Enttäuschung dieser Mädchen, dass ihre Sehnsucht nach Ehe und Familie offensichtlich unerfüllt blieb, sei nur zu verständlich. Oft seien sie sich in „kristallklarer sittlicher Urteilskraft“ der moralischen Zwiespältigkeit und Ungerechtigkeit ihrer Situation bewusst, wie etwa im Aufschrei einer 34 - jährigen Bauerntochter deutlich werde : „Nicht einmal uneheliche Kinder darf ich haben, auch wenn ich sie haben könnte von einem guten stattlichen Mann, wenn ich bloß wollte. Aber ich darf es nicht wollen, nicht, weil ich nicht allein für mich die Schande tragen könnte, aber weil dann meine Familie entehrt dastehen würde ! [...] wenn unsere verheirateten Frauen wenigstens die vorgeschriebenen vier Kinder haben wollten, aber sie wollen sich meistens ja gar nicht damit belasten. Und unsereins, die gern viele Kinder hätte, je mehr desto lieber – von einem ordentlichen Mann – wartet, wartet und wird nun womöglich noch verspottet, weil man älter wird.“192 Ihre zumeist vergebliche Suche nach einem ebenbürtigen Gatten und vollwertigen Mann, der an einer hochwertigen Frau für seine Kinder interessiert sei, verweise eindringlich auf den drohenden „Kahlschlag der Gegenauslese“.193 Es sei erschütternd zu sehen, „wie gerade das edelste Blut vereinzelt und aus innerster Sittlichkeit auf die Paarung mit minderem verzichtet, vergeblich wartet und fruchtlos altert“.194 Das Fortwirken bürgerlicher Scheinmoral drohe, das deutsche Volk verkümmern und aussterben zu lassen, entscheide doch die Geburt und Aufzucht von genügend gesunden Kindern über „Sein oder Nichtsein des deutschen Volkes“. Der gesunden deutschen Frau dürfe nicht „das Recht bestritten werden, wenn ihr schon das Glück der Ehe bis zum 30. Jahre versagt bleibt, dann auch ohne Ehe wenigstens Mutter zu werden“.195 Es müsse alles versucht werden, die Lebenshaltung und Ehre solcher Frauen und ihrer Kinder gegen Diffamierung zu sichern, ohne allerdings Ehe und Familie als 189 Ebd., S. 57. 190 Himmler, Geheimreden, S. 145–161, hier 156 – aus ders. : Rede vor den Oberabschnittsführern und Hauptamtschefs im Haus des Fliegers in Berlin am 9. 6.1942. 191 Willrich, Blut, S. 50 f. 192 Ebd., S. 52. 193 Ebd., S. 53. 194 Ebd. 195 Ebd., S. 54.

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Institutionen in Frage zu stellen. Entscheidend sei, dass die Ahnentafel der unehelichen Kinder genauso einwandfrei sei, wie die irgendeiner deutschen Familie. Unterstützt werde damit nicht moralische Leichtfertigkeit. Diese an Partnerschaft und dem Willen zum Kind orientierte Haltung sei das genaue Gegenteil bolschewistischer Zügellosigkeit und verantwortungslosen Sichauslebens.196 Selbstverständlich sei die eheliche Mutter wertvoller als die uneheliche. Zugleich sei aber „die uneheliche Mutter mehr wert als die Ehefrau, die aus irgendwelchen nicht anzuerkennenden Gründen die Schwangerschaft verhütet oder abtreibt“.197 Über den Wert einer Frau entscheide in erster Linie ihre Bereitschaft und Fähigkeit, Mutter zu werden. Wenn möglich, soll sie ihre Mutterschaft in der Ehe mit einem gesunden, rassisch hochwertigen Partner leben. Frauen, denen das nicht möglich war, wurden zur Mutterschaft außerhalb der Ehe ermutigt. Ihnen wurde zugesichert, nicht länger als uneheliche Mütter und moralisch fragwürdige Personen diskriminiert zu werden. Vielmehr wurden sie nun als Frauen geehrt, die ihre bevölkerungspolitische Pflicht auch unter für sie persönlich ungünstigen Bedingungen erfüllten. In dieser Hinsicht seien sie wertvoller für die deutsche Volksgemeinschaft als jene Frauen, die sich unter durchsichtigen Vorwänden ihrer Mutterpflicht zu entziehen suchten. „Über die Grenzen vielleicht sonst notwendiger bürgerlicher Gesetze und Gewohnheiten hinaus wird es auch außerhalb der Ehe für deutsche Frauen und Mädchen guten Blutes eine hohe Aufgabe sein können, nicht aus Leichtsinn, sondern in tiefstem Ernst, Mütter der Kinder ins Feld ziehender Soldaten zu werden, von denen das Schicksal allein weiß, ob sie heimkehren oder für Deutschland fallen.“198 Mit Hilfe des Lebensborn werde sich die SS der dabei gezeugten Kinder annehmen.199 In diesen Zusammenhang fiel das Gerücht, der Lebensborn werde auch „Zeugungshelfer“ vermitteln, nicht nur für die gesunden Partner kinderloser Ehen, sondern auch für „Frauen, die nicht die Möglichkeit hatten zu heiraten und die dennoch so stark von dem Wunsche nach einem Kind beseelt waren, das sie sich entschlossen hatten, ein oder mehrere uneheliche Kinder zu gebären“.200 Die durch den Beginn des Krieges noch verschärfte bevölkerungspolitische Krise mache es erforderlich, sich über die Grenzen bürgerlicher Gesetze und Moral hinwegzusetzen. Besonders in diesen Zeiten komme es vor allem darauf an, dass auch weiterhin genug gesunde Kinder rassisch wertvoller Eltern geboren würden. Dass diese Kinder mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht in kompletten Familien aufwachsen würden, könne kein Grund sein, sie deshalb nicht zu gebären. Entscheidend sollte der Wille der Frau zum Kind sein. Von den Moti196 197 198 199 200

Vgl. ebd., S. 54 f. Staemmler, Rassenpflege, S. 78 f. Becker, Geschichte, S. 272 – Aus einem Befehl Himmlers vom 28.10.1939. Vgl. Lilienthal, Lebensborn. Becker, Geschichte, S. 273 – Aus einem Befehl des Amtschefs SS - Gruppenführer Hofmann im Rasse - und Siedlungshauptamt.

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ven des Mannes, sich in dieser Situation als „Zeugungshelfer“ zur Verfügung zu stellen, war nicht die Rede. In diesen nur vermeintlich, nämlich nach den nicht mehr geltenden Kriterien bürgerlicher Moral, flüchtigen und oberflächlichen Beziehungen gehe es tatsächlich um das Höchste und Tiefste : um Zukunft und Überleben des deutschen Volkes. Nachdem die Männer ihre Zeugungspflicht erfüllt hatten, waren sie aus der Verantwortung für die Aufzucht der Kinder entlassen. Es war Sache der Frauen, mit Unterstützung des Staates jene Kinder aufzuziehen, von denen das Stigma unehelicher Kinder nun genommen war. Die gesunde deutsche Frau habe ein Recht auf uneheliche Mutterschaft ohne moralische Diskriminierung. In einem Brief an eine unverheiratete Mutter greift Rudolf Hess das Thema der moralischen Ächtung unverheirateter Mütter auf : „Wenn [...] rassisch einwandfreie junge Männer, die ins Feld rücken, Kinder hinterlassen, die ihr Blut weitertragen in kommende Geschlechter, Kinder von gleichfalls erbgesunden Mädchen des entsprechenden Alters, mit denen eine Heirat aus irgendeinem Grunde nicht sofort möglich ist, wird für die Erhaltung dieses national wertvollen Gutes gesorgt werden. Bedenken, die in normalen Zeiten ihr Berechtigung haben, müssen hier zurückstehen.“201 An Stelle des Namens des Vaters werde für diese Kinder im Standesamtsregister die Bezeichnung Kriegsvater gesetzt. „Die Mutter wird unter Beibehaltung ihres Mädchennamens mit Frau bezeichnet und angeredet werden. Mutter und Kind werden die Frage nach dem Vater freien Blicks damit beantworten können, dass er ein Kriegsvater war.“202 So wie sich in Kriegszeiten die Einstellung zum Töten wandle, müsse sich in solchen Zeiten auch „die Einstellung der Allgemeinheit zu unverheirateten Müttern und zu Kindern [...], die nicht in einer Ehe geboren werden“,203 ändern. Das biologische Interesse des Volkes stehe über den Privatinteressen der Einzelnen. Der biologische Kampf des Volkes werde auch „die Überwindung prüder weiblicher Ehrbegriffe erzwingen. Dem gebärwilligen jungen Weib gebührt dieselbe Ehre wie dem kriegsfreiwilligen Mann.“204 Dagegen müssten diejenigen, „die sich trotz ihrer Gesundheit und trotz günstiger Umstände aus Gründen der Bequemlichkeit oder um des gesellschaftlichen Scheines willen ihrer Gebärpflicht“205 entziehen würden, moralisch und gesellschaftlich geächtet werden. Sie seien nicht anders zu behandeln wie männliche Drückeberger, schlimmstenfalls wie fahnenflüchtige Soldaten. Die natürliche Auslese der Tüchtigen müsse durch eine aktive Bevölkerungspolitik unterstützt werden. Als Träger der Zukunft des deutschen Volkes müssten die Kinderreichen auch besonders gefördert werden.206 Gerade diejenigen Frauen, die sich durch den Krieg nicht von ihrem Kinderwunsch abbringen ließen, sondern die daraus sogar die 201 202 203 204 205 206

Hess, Brief, S. 110. Ebd. Ebd., S. 110 f. Gross, Rassegedanke des Nationalsozialismus, S. 21. Ebd. Vgl. Dem Leben verschworen. In : Das Schwarze Korps vom 20. 5.1943.

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Rasse, Geschlecht und Sexualität

Verpflichtung ableiteten, durch zahlreiche Kinder das Überleben des deutschen Volkes zu sichern, würden dadurch ihre nationalsozialistische Gesinnung unter Beweis stellen.

4.

Rassenschande: Mangelndes Verständnis für Rassenfragen

Noch 1941 wird beklagt, wie zäh und schleppend die rassische Bewusstwerdung der Deutschen doch vorangehe. Das „Bewusstsein von der Andersartigkeit und Unverträglichkeit wesensfremder Rassen“ sei jedenfalls noch lange nicht Allgemeingut geworden. Noch immer seien vielmehr „ungezählte Volksgenossen ohne wirkliches Verständnis für Rassenfragen“.207 An ihnen seien offensichtlich alle diesbezüglichen Schulungen spurlos vorüber gegangen. Eigentlich sei das aber auch nicht anders zu erwarten gewesen, liege doch der Rassenbegriff den täglichen Sorgen und persönlichen Erfahrungen der meisten Deutschen viel zu fern, als dass er ihnen in seiner abstrakten Bestimmung verständlich sein könnte. Aufklärung allein oder das Vertrauen auf Gewissen und Verantwortungsbewusstsein der Uneinsichtigen würden hier nicht weiterhelfen. Nicht zuletzt hätten die noch immer weit verbreiteten, vom jüdischen Liberalismus und der Orthodoxie vertretenen Gedanken von Menschheit, Gleichheit und falsch verstandener Gerechtigkeit das Rassendenken diskreditiert und nicht zur Wirkung kommen lassen.208 Im April 1944 vergewissert sich ein Leitartikel aus dem „Neuen Volk“ der Aufgaben des rassenpolitischen Amtes der NSDAP und des Standes ihrer Erfüllung, nachdem bereits 1942 in der Zeitschrift „Rasse“ nüchtern festgestellt worden war, dass es für die meisten Deutschen noch keine Selbstverständlichkeit sei, dass die Volksgemeinschaft nicht nur Rechte einräume, sondern auch Pflichten auferlege. Dieser Grundgedanke der nationalsozialistischen Weltanschauung müsse sich erst noch durchsetzen. Gesetze und Verordnungen allein, so hieß es, könnten die bevölkerungspolitische Krise des deutschen Volkes nicht beenden. Entscheidend sei die Haltung der Deutschen, die ihr Leben nach den Erkenntnissen von Rassenbiologie und Volksgesundheit einrichten sollten.209 Bevor sich eine rassische Lebensführung durchsetzen werde, müsse jedoch noch die mehrheitliche Prägung der Deutschen durch die bürgerlich - christliche Moral überwunden werden. In ihrer Auseinandersetzung mit jüdischer Rassenschande operierte die nationalsozialistische Ideologie auch mit der Kategorie individueller Schuld. Einzelne Juden wurden als Rassenschänder identifiziert, ihre Verbrechen wurden im Detail vorgestellt, um ihre Verurteilung zu unterschiedlichen Haftstrafen oder auch zum Tod zu rechtfertigen. Diese Differenzierung individueller Schuld ging jedoch immer einher mit der propagandistischen Diffamierung der Juden als 207 Reche, Sippenschande, S. 296. 208 Vgl. ebd. 209 Vgl. 10 Jahre Rassenpolitisches Amt der NSDAP. In : Neues Volk, 12 (1944) 2, S. 1–2, hier 1.

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Rassenschande

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Angehörige einer Rasse, die biologisch zur Rassenschande disponiert war. Nach dieser stigmatisierenden Rhetorik war im Prinzip jedem Juden zuzutrauen, sich rassenschänderisch am deutschen Blut zu vergehen. Für die Bestimmung der Rassenschande sei entscheidend, ob Handlungen zwischen Juden und Nichtjuden „der Befriedigung der Geschlechtslust“210 dienten, nicht, ob es zum Beischlaf gekommen sei. So mache sich ein jüdischer Mann auch dann der Rassenschande schuldig, wenn er seine nichtjüdische Partnerin küsse oder andere unzüchtige Handlungen an ihr vornehme in der Absicht, bei ihr „die Lust zum Geschlechtsverkehr hervorzurufen, damit er im Anschluss hieran den Geschlechtsverkehr ausüben kann“.211 Sexuelle Beziehungen zwischen jüdischen und nicht - jüdischen Deutschen wurden als „widernatürlicher Geschlechtsverkehr“ und Unzucht verfolgt.212 Dabei ging die willkürliche Erweiterung des Begriffs Geschlechtsverkehr so weit, dass für Juden auch „das Betrachten eines weiblichen ( deutschblütigen ) Körpers oder [...] das Sprechen über Sexualität als Ehrverletzung deutscher Frauen“ und „entarteter Geschlechtsverkehr“213 kriminalisiert wurden. Jüdische Rassenschande umfasse „außer dem Beischlaf auch alle geschlechtlichen Betätigungen mit einem Angehörigen des anderen Geschlechts [...] Der Austausch allein von Zärtlichkeiten fällt nicht unter dieses Gesetz, womit noch nicht gesagt ist, dass solche Beziehungen vom Gesetzgeber ausdrücklich erlaubt wurden.“214 Tendenziell wurde von jeder von Juden ausgehenden Beziehung zu Deutschen angenommen, dass es insbesondere jüdischen Männern in ihr darum gehe, deutsche Frauen durch Geschlechtsverkehr rassisch zu kontaminieren und dadurch die nordische Rasse auf Dauer zu schwächen. Getrieben von sexuellen Obsessionen und kriminellen Instinkten zielten die Juden auf das Verderben des deutschen Volkes. Vor allem die deutsche Frau sei wegen ihres noch unzureichend ausgebildeten Rasseninstinkts, aber auch wegen der in ihrem Fall besonders verheerenden Folgen für die rassische Volksgemeinschaft das bevorzugte Objekt der Täuschung und Verführung zu rassenfremdem Verhalten. In der „ersten Verordnung zur Ausführung des Gesetzes zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ vom 14. November 1935 heißt es in Paragraph 11, 2 : „Für das Verbrechen der Rassenschande ist der Mann verantwortlich. Daher kann die beteiligte Frau auch nicht wegen Teilnahme [...] bestraft werden.“215 Diese Straffreiheit sollte für jüdische wir für nichtjüdische Frauen gleichermaßen gelten. Auch wenn „die Frau nach dem Blutschutzgesetz

210 211 212 213 214 215

Rumberg, Rassenschande, S. 19. Ebd., S. 36. Vgl. Przyrembel, Rassenschande, S. 166–172. Ebd., S. 377. Deisz, Recht, S. 110. Zit. bei Magnussen, Rüstzeug, S. 57 – Erste Verordnung zur Ausführung des Gesetzes zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre vom 14.11.1935, Par. 11.2. Zur Frage der Schuld oder Schuldlosigkeit der Frau im Straftatbestand der Rassenschande vgl. Przyrembel, Rassenschande, S. 172–182.

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nicht Täter sein“216 könne, widerspreche das doch dem gesunden Volksempfinden, welches „die artvergessene Frau, die sich dem fremdrassigen Mann hingibt, für nicht weniger verwerflich“217 hält als den Mann. Deutsche Mädchen und Frauen ließen sich deshalb mit Juden ein, weil sie noch immer von einem materialistischen Hang zum guten Leben, Nichtstun und Parasitentum getrieben seien. Dafür öffne der Jude willig „den Beutel [...], um seinen asiatischen Gelüsten frönen zu können“.218 Es sei auch falsch, die rassenschänderische Tat des deutschen Mannes, nur weil sie weniger gefährlich für die „Reinheit des deutschen Blutes“ sei, zu verharmlosen oder gar zu dulden, handele es sich doch in seinem Fall um einen Treuebruch am deutschen Volk, der ähnlich schwer wiege, auch wenn natürlich die Frau das „Gefäß der Blutsreinheit“219 sei. Zwar richte der Geschlechtsverkehr deutscher Männer mit jüdischen Frauen keinen bleibenden Schaden am Organismus der rassischen Volksgemeinschaft an, da männliche Rassenschänder auch weiterhin zur Zeugung erbgesunder deutscher Kinder zur Verfügung stünden, im Unterschied zu deutschen Frauen, die nach ihrer Verführung durch jüdische Männer für immer für die nordische Rasse verloren seien. Dennoch sollten ihnen die moralische Verwerflichkeit ihres Tuns und die politische Dimension ihres Verstoßes gegen die nationalsozialistische Rassenpolitik vor Auge geführt werden. „Wenn auch das Blutschutzgesetz hauptsächlich deshalb erlassen ist, um die deutschblütigen deutschen Frauen vor der Geschlechtsgier jüdischer Männer zu schonen, so gilt das Verbot des § 2 doch auch dann, wenn ein deutschblütiger Deutscher mit einer Jüdin außerehelich geschlechtlich verkehrt, denn auch der deutschblütige Staatsangehörige handelt nach dem deutschen Volksbewusstsein selbst ehrlos und befleckt die Ehre des deutschen Volkes, wenn er mit einer Jüdin Geschlechtsverkehr treibt.“220 Im Mittelpunkt der aggressiven antisemitischen Propaganda des „Stürmer“ stand immer wieder der Vorwurf, Juden seien aufgrund ihrer niederen Triebinstinkte zu Rassenschande prädestiniert.221 Als von niederen Instinkten getriebene Sexualmonster seien sie besessen von der Idee, das deutsche Volk durch Rassenschande zu schädigen und zu schwächen. „Planmäßig schänden diese schwarzen Völkerparasiten unsere unerfahrenen, jungen blonden Mädchen und zerstören dadurch etwas, was auf dieser Welt nicht mehr ersetzt werden kann.“222 Dieses Zerrbild der Kontaminierung des deutschen Volkskörpers durch die jüdische Sexualität wurde in sich häufig bis ins Detail gleichenden Beispielen jüdischer Perversion immer wieder warnend beschworen. Den Juden wurde eine bewusste rassenschänderische Absicht zur dauerhaften Schädigung des deutschen Volkskörpers unterstellt. „Ein einziger Beischlaf eines Juden bei 216 217 218 219 220 221 222

Rumberg, Rassenschande, S. 38 f. Ebd., S. 40. Pauler, Blutschutz, S. 6. Ebd., S. 46. Deisz, Recht, S. 124. So z. B. in der Sondernummer des „Stürmer“ vom Januar 1938. Hitler, Kampf, S. 630.

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einer arischen Frau genügt, um deren Blut für immer zu vergiften. Sie hat mit dem artfremden Eiweiß auch die fremde Seele in sich aufgenommen. Sie kann nie mehr, auch wenn sie einen arischen Mann heiratet, rein arische Kinder bekommen, sondern nur Bastarde. [...] Wir wissen nun, warum der Jude mit allen Mitteln der Verführungskunst darauf ausgeht, deutsche Mädchen möglichst frühzeitig zu schänden, warum der jüdische Arzt seine Patientinnen in der Narkose vergewaltigt, warum sogar die Judenfrauen ihren Männern den Verkehr mit Nichtjüdinnen gestatten : Das deutsche Mädchen, die deutsche Frau soll den artfremden Samen eines Juden in sich aufnehmen, sie soll niemals mehr deutsche Kinder gebären.“223 In der Erbfolge derjenigen, die sich durch Rassenmischung gegen ihre innere Natur vergangen hätten, würden auch ihre Nachkommen beschädigt. „Der schwarzhaarige Judenjunge lauert stundenlang, satanische Freude in seinem Gesicht, auf das ahnungslose Mädchen, das er mit seinem Blute schändet und damit seinem, des Mädchens, Volke raubt. Mit allen Mitteln versucht er die rassischen Grundlagen des zu unterjochenden Volkes zu verderben. So wie er selber planmäßig Frauen und Mädchen verdirbt, so schreckt er auch nicht davor zurück, selbst in größerem Umfange die Blutschranken für andere einzureißen. [...] So versucht er planmäßig, das Rassenniveau durch eine dauernde Vergiftung der einzelnen zu senken.“224 Nationalsozialistische Ethik und Rassenhygiene waren eng miteinander verbunden. Artgerechtes, moralisch unbedenkliches oder gebotenes Handeln wurde mit hygienischen Kategorien auch als sauber oder rein, die jüdische Unmoral dementsprechend als schmutzig oder unrein beschrieben. Das Judenproblem sei auch eine Frage des „ethischen Reinlichkeitsgefühls“.225 Die Perspektive eines Volkes und seiner Kultur werde durch die Qualität seines Blutes entschieden.226 Als höchstes Menschenrecht wurde die Reinhaltung des Blutes bezeichnet, die deshalb die entscheidende Bedingung der Herausbildung und Durchsetzung einer nationalsozialistischen Moral sei. Das Eindringen fremden Blutes führe zur „Zersetzung von Glauben, Charakter und Moral“.227 Zum Schutz der eigenen Gemeinschaft und ihres Wertesystems müsse fremdes Blut daran gehindert werden, mit dieser in Berührung zu kommen. Die nationalsozialistische Weltanschauung bestimmte Sexualität als ein Problem des Volkskörpers und seiner Gesundheit. Das Wichtigste sei die Sicherung einer artgemäßen Sexualität der nordischen Rasse, die nur in einem von Rassenmischung freien gesunden Volkskörper möglich sei. Dessen Erkrankung wurde als Invasion artfremder Elemente beschrieben : „Wie Infektionserreger fielen artfremde Elemente über den kranken Volkskörper her, verwirrten auch sein sittliches Denken und raubten ihm so den letzten moralischen Halt.“228 Auffällig 223 Poliakov, Wulf, Reich, S. 424 – zit. aus Deutsche Volksgesundheit aus Blut und Boden, Nürnberg, 3 (1935) 1. 224 Hitler, Kampf, S. 357. 225 von Winghene, Rasse, S. 68. 226 Vgl. Haase, Nationalsozialismus, S. 342. 227 Gross, Politik, S. 412. 228 Stoeber, Sexualproblem, S. 126.

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an dieser Argumentation ist die Abwesenheit jeglichen Vertrauens in die Abwehrkräfte und das Durchsetzungsvermögen der eigenen moralischen Ordnung. Zwar wird als selbstverständlich vorausgesetzt, dass die moralische Ordnung des Nationalsozialismus der zersetzenden Ordnung der jüdischen Moral überlegen sei. Das Risiko ihres Aufeinandertreffens und der möglichen Vermischung unterschiedlicher Moralvorstellungen und - praktiken soll jedoch vermieden werden. Die Gefährlichkeit der Juden wird an der Ausstrahlung ihrer Moral festgemacht. Der Nachweis der Überlegenheit nationalsozialistischer gegenüber jüdischer Moral wird nicht dem Aufeinandertreffen beider Moralvorstellungen überlassen, sondern soll durch die Vernichtung der als unvereinbar mit nationalsozialistischer Moral identifizierten Elemente jüdischer Moral und der Juden selbst entschieden werden. Rassenpolitische Schulung müsse ins Seelische vorstoßen und durch gemeinsame Erlebnisse das Gefühl der Zusammengehörigkeit als völkische Gemeinschaft vermitteln.229 Im Vertrauen auf die für die sexuelle Orientierung prägende Kraft heterosexueller Erstbeziehungen und ihre sensible Aufklärung über die persönlichen und bevölkerungspolitisch verheerenden Konsequenzen der Homosexualität sollte die deutsche Jugend zu artgerechter Sexualität konditioniert werden. Da eine intuitive Abneigung gegen Rassenschande aber nur in den seltensten Fällen vorhanden sei, gelte auch für die Sicherung einer rassisch einwandfreien Sexualität : Wo Freiwilligkeit nicht weiterhilft, muss Zwang her.230 In der stereotypen Benutzung der immer gleichen martialischen Rhetorik zeigte der „Stürmer“ grauenvolle Judenschädel und Teufelsfratzen, hinter deren „Maske der Unschuld“ alle Laster zu erkennen seien. Abgebildet wurden jüdische Rassenschänder, aus deren Gesichtern das Grauen und der Teufel sprachen. Gefordert wurde die Todesstrafe für Rassenschänder, die deutsche Frauen als Freiwild betrachteten. Besonders beliebt zur nachdrücklichen Illustration der jüdischen Kontaminierung des Christentums und damit des deutschen Volkskörpers war die alttestamentarische Szene des Sündenfalls, der Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies. Durch das hier wirkungsmächtig inszenierte jüdische Konzept der Erbsünde sei das Christentum zu einer Religion passiver Schicksalsergebenheit geworden. Im Folgenden nur ein Beispiel der zahlreichen Varianten dieser Argumentation : Es sei klar, dass es sich bei Adam ( semitisch für Mann oder Mensch ) nur um einen jüdischen Mann handeln könne, bei Eva dagegen ( ein arisches Wort, hawa ) um eine arische Frau. Daher ergebe sich für den biblischen Sündenfall etwa folgendes Bild : „Ein Jude kam nach einem von Ariern bewohnten Lande und lernte dort ein arisches Mädchen kennen. Genauso, wie heute noch die Juden nach der blonden Bestie verrückt sind und wie unsere Mädel ihnen heute noch auf den Leim gehen, fiel die hawa auf den Juden herein, und dann ging das Unheil seinen Gang. [...] Das an sich schon minderwertige 229 Vgl. Was sag ich meinem Kinde ? In : Das Schwarze Korps vom 15. 4.1937. 230 Vgl. Reche, Sippenschande, S. 298.

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Mädchen wurde aus der Volksgemeinschaft ausgestoßen und musste das Land verlassen.“231 Erst das Christentum habe diese effektive Praxis zur Reinhaltung der Rasse beendet. Es lohnt sich, diese antisemitische Umschreibung der Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies nach dem Sündenfall genauer zu betrachten. Zunächst wird das Paradies als ein ausschließlich von Ariern bewohntes Land vorgestellt. Dieser paradiesische Urzustand einer von Rassenmischung freien arischen Gesellschaft wurde durch das Eindringen der Juden beendet. Es kommt zu einer sexuellen Beziehung zwischen einem jüdischen Mann und einer arischen Frau, bei der die Initiative von Adam, dem jüdischen Mann, ausging. Er ist der Verführer, der von der Idee der Beziehung zu einer arischen Frau besessen ist. In Abwesenheit arischer Männer, die in dieser Urszene der Rassenschande keine Rolle spielen, wird die arische Frau als „blonde Bestie“ vorgestellt, als die sie, zumindest in den Augen ihres jüdischen Verführers, der „verrückt nach ihr ist“, erscheint. Auch Eva hat in dieser Interpretation ihren Anteil am Sündenfall : Sie ist zu schwach, um den Verführungskünsten des jüdischen Mannes zu widerstehen. Diese Schwäche gefährdet ihre Zugehörigkeit zur arischen Rasse. Ihr Fall wird als eine Ausnahme vorgestellt, der anderen arischen Frauen zur Warnung dienen soll. Dank der funktionierenden Selbstreinigungskräfte der völkischen Gemeinschaft ist diese jedoch nicht ernsthaft gefährdet. Für ihr rassisches Fehlverhalten wird die arische Frau aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Was mit dem jüdischen Verführer passiert, wird nicht thematisiert. Das Schicksal der deutschen Frau, ihr Verstoß aus der Gemeinschaft, zeigt anderen Frauen, womit sie rechnen müssen, wenn sie ihrem Beispiel folgen. Dabei habe sich Adam echt jüdisch verhalten und jede Schuld am Unglück des Mädchens abgestritten, der er vorwarf, dass sie ihn verführt habe. „Um dieser Gemeinheit ein Mäntelchen umzuhängen, schiebt man dem lieben Gott die Verantwortlichkeit zu und erfindet das Märchen vom Baum der Erkenntnis.“232 Behauptet wurde, dass sich diese alttestamentarische Urszene – die Verführung der deutschen Eva durch den jüdischen Adam – bis in die Gegenwart jüdischer Rassenschande fortgeschrieben habe. Durch diese Vergiftung des Blutes der arischen Frau sei diese auf Dauer für die nordische Fortpflanzungsgemeinschaft verloren. Hinreichend bekannt sei, „dass die mit tierischer Sinnlichkeit erfüllten Wüstenbastarde, die sich Gottes auserwähltes Volk nennen, es seit jeher besonders auf blonde deutsche Mädchen und Frauen abgesehen“233 hätten. Noch immer, trotz der ihnen bekannten Bestrafungen für Rassenschande, sei ihr „geschlechtlicher Appetit auf blonde Leckerbissen“234 ungezügelt. Weit mehr, als durch „die Sucht nach Befriedigung der tierischen Sinnlichkeit“235 seien sie 231 232 233 234 235

Teut, Adam, S. 180 f. Ebd., S. 181. Hauptmann, Judas Rache, S. 258. Ebd. Ebd., S. 258 f.

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dabei jedoch getrieben durch ihren Hass gegen das deutsche Wirtsvolk, dem sie unbedingt Schaden zufügen wollten. So habe auch die jüdische Masseneinwanderung nach Berlin den Grund, dass diese Juden den Auftrag hätten, „sich nach Möglichkeit um das rassische Verderben des deutschen Volkes zu bemühen“.236 Bei der Bestimmung des Strafmaßes für „Rassenverbrechen“ diskutierten nationalsozialistische Rassenideologen die Verantwortungs - und Zurechnungsfähigkeit der „Rassenschänder“, um zu entscheiden, ob diese gegebenenfalls mit mildernden Umstände für ihre Taten rechnen oder gar mangels Schuldfähigkeit straffrei ausgehen könnten. Argumentiert wurde, dass es vor allem darum gehe, die Verbrecher unschädlich zu machen, d. h., sie nicht nur zu bestrafen, sondern auch durch Sterilisierung daran zu hindern, weiter minderwertiges Leben zu zeugen. Für Rassenverbrecher, die die gesunde Ordnung des Volkes schädigten, sei Unzurechnungsfähigkeit kein mildernder Umstand, der die Strafe herabsetze, sondern im Gegenteil ein Grund, diese zu verschärfen.237 Neben dem Straftatbestand des Rassenverrats wurde 1937 auch noch der Tatbestand der „Verletzung der Rassenehre“ vorgeschlagen, der „das schamlose öffentliche Verkehren eines Deutschen mit einem Juden“ unter Strafe stelle. Entgegen der gleichzeitig üblichen denunziatorischen Praxis des „Stürmer“ wurde jedoch hier betont, dass damit keineswegs beabsichtigt sei, „jeden öffentlichen Verkehr, also etwa den Geschäftsverkehr oder das öffentliche Zusammensein auf der Straße oder in einem Lokal, mit krimineller Strafe zu bedrohen. Die vorgeschlagene Bestimmung beziehe sich nur auf solchen öffentlichen Verkehr, der in gröblicher Weise gegen das geschlechtliche Schamgefühl verstößt und eben dadurch den Rassenstolz des deutschen Volkes verletzt.“238 Als Beispiel eines solchen Verstoßes gegen das geschlechtliche Schamgefühl wird „das unanständige Tanzen eines Juden mit einer Deutschen in einem öffentlichen Lokal“239 genannt. Vertraut wurde auf den Rasseninstinkt der Deutschen, der sie im Zweifelsfall instinktsicher entscheiden lasse, welches Verhalten gegenüber den Juden angemessen sei und was sich für einen rassenbewussten Deutschen von selbst verbiete : „Der geschäftliche und gesellschaftliche Verkehr zwischen Juden und deutschblütigen Staatsangehörigen wird seine Grenze im Anstandsgefühl eines jeden Volksgenossen finden.“240 Die Denunziation rassenwidrigen Verhaltens wurde auch auf den volksschädlichen Umgang mit Kriegsgefangenen und Fremdarbeitern angewandt. So wurde Anfang 1941 im „Schwarzen Korps“ der Fall eines Anwalts diskutiert, der eine Ehefrau vertrat, gegen die ihr Ehemann Scheidungsklage eingereicht hatte „weil sie sich Kriegsgefangenen gegenüber in unwürdiger und volksschädigender Weise aufführte“.241 Was genau sie getan hatte, wurde nicht weiter ausgeführt, 236 237 238 239 240 241

Ebd., S. 260. Vgl. Rassenpolitik, S. 160. Vollweiler, Schutz, S. 29. Ebd. Deisz, Recht, S. 110. Von Instinkt keine Spur. In : Das Schwarze Korps vom 23.1.1941.

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wohl aber das Anliegen des Mannes als „wohlbegründet und nicht etwa an den Haaren herbeigezogener Scheidungsgrund“242 gerechtfertigt. In dem Artikel ging es weniger um die Angelegenheit selbst, als um die Haltung des Anwalts, der auf skandalöse Weise die gesetzliche Wirksamkeit des „Verbots des persönlichen und vertraulichen Umgangs mit Kriegsgefangenen“243 mit Argumenten einer volksfremden, politisch instinktlosen Formaljuristik angezweifelt habe. Ganz offensichtlich seien ihm Ehre, „gesundes Volksempfinden“ und Rassenstolz fremd, sonst wäre ihm klar, dass es sich bei den Kriegsgefangenen um Angehörige eines feindlichen Volkes handle, das den Deutschen „aus niedrigen Instinkten nach Leben und Besitz“244 trachte. Dabei spiele es keine Rolle, ob der einzelne Kriegsgefangene persönlich schuldig oder schuldlos sei. Kriegsgefangene blieben Todfeinde des deutschen Volkes, auch wenn sie durch ihre Gefangenschaft an weiteren Verbrechen gehindert würden. Jede über ihre Verwendung zu kriegswirtschaftlichen Zwecken hinausgehende Beziehung zu Kriegsgefangenen wurde als Rassenverrat am deutschen Volk geächtet. Der „Kriegsgefangene ist der besiegte Feind, der, wenn er als anständiger Mensch gekämpft hat, jene Achtung verdient, die wir einem ehrlichen Gegner nicht versagen, aber er ist durch eine hohe Schranke von jedem Deutschen getrennt. [...] Wer eine Verbindung mit Kriegsgefangenen eingeht, sabotiert den Kampf um die Erhaltung unserer rassischen Eigenart, begeht Verrat an unserer Front und schließt sich damit aus der Volksgemeinschaft aus.“245 Auch Fremdarbeiter würden die als „Mitarbeiter und Vertreter ihrer Völker“246 selbstverständlich mit der ihnen zukommenden Achtung behandelt. Ähnliches gelte für den Umgang der deutschen Soldaten mit fremdvölkischen Frauen in den von deutschen Truppen besetzten Gebieten.247

242 243 244 245 246 247

Ebd. Ebd. Ebd. Magnussen, Rüstzeug, S. 197. Ebd. Zur sexuellen Gewalt gegen „fremdvölkische“ Frauen vgl. Mühlhäuser, Eroberungen.

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VI. Rasse und Biologie 1.

Das diskursive Vorspiel : Die Debatte zur Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens

Schon vor der nationalsozialistischen Machtergreifung relativierte eine dezidiert antiindividualistische Rassenhygiene den Wert des einzelnen Menschenlebens gegenüber der Volksgemeinschaft, indem sie dazu aufforderte, „zunächst die Lebensauffassung der Menschen gleichsam vom Individualismus zu befreien“ und „den Blick auf den überindividuellen Erbstrom und damit auf das Volksganze und seine letzten biologischen Komponenten“1 zu richten. Stattdessen rückte die Volksgesundheit ins Zentrum therapeutischer Bemühungen, die als Bedingung individueller Leistungsfähigkeit für die Gemeinschaft zur staatsbürgerlichen Pflicht erklärt wurde. Eine durch den Zivilisationsprozess und bürgerlich - christliche Fürsorgeethik eingeschränkte natürliche Auslese sollte durch biologische Interventionen korrigiert werden. So wurden in einem Plädoyer für eine scharfe biologische Auslese drei „Arten der Ausscheidung untauglicher Individuen vom Fortpflanzungsprozess“ benannt : „1. Durch Tötung der Untauglichen vor Erreichung des zeugungsfähigen Alters [...] 2. durch eine über Generationen sich erstreckende allmähliche Verelendung der Mindertauglichen bis zum endlichen Aussterben des betreffenden Stammes und 3. durch Fernhalten der Mindertauglichen vom fruchtbaren Sexualverkehr.“2 Dabei gebiete es die Humanitätsmoral, die sexuelle Auslese gegenüber der letalen und der Auslese durch Verelendung zu bevorzugen. Der Schwerpunkt im Umgang mit biologisch minderwertigen Menschen müsse auf der Verhinderung ihrer Fortpflanzung liegen. Die Verabschiedung des christlichen Prinzips der „allgemeinen Selbstverleugnung“ setzte an dessen Stelle „eine Moral, welche nur dem Höheren gegenüber Selbstverleugnung, im Interessenkonflikt mit dem Niedrigeren aber Selbstbehauptung“3 verlangte. Der Darwinismus habe das Ergebnis des Kampfes um Selbstbehauptung zum moralischen Gottesurteil und obersten ethischen Prinzip erhoben.4 Es müsse der natürlichen Auslese überlassen werden, was sich im Daseinskampf als moralisch durchsetze. Ein aggressiver Sozialdarwinismus hatte lebensunwertes Leben rhetorisch bereits zur Tötung freigegeben, als die nationalsozialistische Rassengesetzgebung die rechtlichen Grundlagen zur Einführung einer praktischen Politik der Ausmerze von „Ballastexistenzen“ und „geistig bereits Toten“5 schuf. Ein „pervertierter therapeutischer Idealismus“ verknüpfte die Aufartung der rassisch 1 2 3 4 5

Kaiser u. a. ( Hg.), Eugenik, S. 116 – aus Muckermann, Wesen. Ehrenfels, Sexualmoral, S. 294 f. Ebd., S. 303. Vgl. ebd. Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene, S. 357–360 sowie als entscheidende programmatische Schrift zur atmosphärischen Vorbereitung dieser Politik Binding / Hoche, Freigabe.

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Hochwertigen mit der „Vernichtung der Unheilbaren“.6 Was aus der begrenzten Perspektive der von Euthanasie Betroffenen als ihre Tötung erscheinen mochte, so die Begründung der gesellschaftlichen Notwendigkeit und moralischen Unbedenklichkeit eugenischer Bevölkerungspolitik, stellte sich aus der höheren Perspektive von Rasse und Volksgemeinschaft als Therapie aus gemeinnützigen Motiven dar. Michael Schwartz hat die inhaltliche Schwerpunktverschiebung der Euthanasie - Debatte in den zwanziger Jahren prägnant beschrieben, in der nicht „mehr das Recht des Individuums zur Selbstverfügung über das eigene Leben“7 im Vordergrund gestanden habe, sondern das Recht der Gesellschaft zur Verfügung über als sinn - und wertlos definiertes individuelles Leben. Der menschliche Körper und menschliches Leben insgesamt wurden zur Verfügungsmasse eines neuen Typs von Politik, der Biopolitik. In ihr ging es um die Formierung, Manipulierung und Mobilisierung des menschlichen Körpers, um die Einführung und Durchsetzung von Standards eines biologischen Idealtyps sowie die Festlegung tolerier - und nicht tolerierbarer Abweichungen von diesem Idealtyp und entsprechende Sanktionierungen bis hin zur therapeutischen Tötung des nicht Tolerierbaren. Menschliches Triebleben und Sexualität, das Unterbewusste und die Welt der Träume sowie die vermuteten Abgründe der menschlichen Seele, all das wurde zur Herausforderung der Politik, diese bisher nicht verfügbaren Räume des menschlichen Selbst unter Kontrolle zu nehmen. Das Konzept der Ausmerze minderwertigen Lebens war weder originär nazistisch noch ein spezifischer Schwerpunkt, mit dem sich deutsche Eugenik von zeitgenössischen eugenischen Debatten anderer europäischer Staaten und der USA unterschieden hätte.8 Nazistische Rassenhygieniker kamen im Vergleich der relativ liberalen deutschen Rassengesetze mit denen der USA sogar zu dem Schluss, dass diese in ihrer Rassengesetzgebung Deutschland weit voraus seien. Während in verschiedenen Südstaaten der USA bereits 1/32 Anteile „schwarzer Erbmasse“ ausreichten, um gesetzlich für „schwarz“ erklärt zu werden, gelte man umgekehrt nach deutscher Rassegesetzgebung noch mit 1/8 oder sogar 1/4 jüdischer Anteile als arisch.9 Während im nationalsozialistischen Deutschland rassenbürokratische Spitzfindigkeiten der Unterscheidung von Voll - und Mischjuden in verschiedenen Anteilen und ihrer entsprechenden rassenpolitischen Behandlung eine konsequente politische Durchsetzung der Eugenik blockiere, hätten die USA zumindest in einigen Südstaaten vergleichbare Probleme längst pragmatisch und radikal gelöst. Besonders einflussreich war in Deutschland das Buch „The Revolt against Civilization. The Menace of the Underman“ (1924) von Lothrop Stoddard, der 6 7 8 9

Schmuhl, Rassenhygiene, S. 366. Schwartz, „Euthanasie“ - Debatten, S. 621. Zum geistes - und sozialgeschichtlichen Kontext dieses Wertewandels, der bis dahin anerkannte Normen wie die Unantastbarkeit menschlichen Lebens in Frage stellte, vgl. Weindling, Health. Vgl. Kühl, Internationale. Zit. bei Proctor, Nazi Biomedical Politics, S. 33.

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in ihm die Gefahr eines durch den Vormarsch der Untermenschen drohenden Kulturumsturzes beschwor. Es erschien 1925 in deutscher Übersetzung und wurde in nazistischen Schriften zur Rassenpolitik immer wieder zustimmend zitiert.10 So schrieb etwa Günther anerkennend, dass in Stoddards Buch zum ersten Mal die Notwendigkeit eines rassischen Neuadels ausgesprochen worden sei.11 Die Erbgesundheitslehre oder Eugenik bestimmte Stoddard als „Wissenschaft von der Artverbesserung“ durch biologische Auslese, die mit der „Absonderung der Geisteskranken und Geistesschwachen durch öffentliche Einrichtungen“12 beginnen müsse. Entartung sei ein „Krebsschaden, der sich beständig ausbreitet, gesunde Bestandteile angreift und verdirbt, artliche Werte vernichtet und die gesellschaftlichen Lasten erhöht“.13 In jedem Falle müsse zur Vervollkommnung der Art die Vermehrung der höherwertigen Menschen mit der „Austilgung nervenschwacher, unvernünftiger, lasterhafter, geistesschwacher und willensschwacher Menschen“14 einhergehen, um gesellschaftliche Zusammenbrüche und Krisen vorausschauend zu vermeiden. Die Minderwertigen seien nicht nur die Entarteten, sondern auch die zur Anpassung und uneigennütziger Leistung für die Gemeinschaft Unfähigen. Der Untermensch sei „der Mensch, der unterhalb des Maßes von Befähigung und Anpassungsfähigkeit steht, das die gesellschaftliche Ordnung, in der er lebt, fordert“.15 Im Bolschewismus sah Stoddard die „Auflehnung der nicht anpassungsfähigen, minderwertigen und entarteten Bevölkerungsteile“16 gegen überlegene Kulturen und damit ein Aufbegehren der Vergangenheit gegen die durch die Biologie verkörperte Zukunft. Gegen die fälschliche und kulturell verhängnisvolle Annahme von einer natürlichen Gleichheit setzte Stoddard das eiserne Gesetz der Ungleichheit: Auch die Natur kenne keine Gleichheit.17 Hier sind im eugenischen Gedankenexperiment Argumentationsfiguren aneinander gereiht, die in der nationalsozialistischen Eugenik zur Rassenpolitik operationalisiert wurden. Im unverschlüsselten Klartext der von Stoddard verwendeten Terminologie, aber auch in der von ihm wie selbstverständlich vorgenommenen Erweiterung des Personenkreises der Menschen, die mit einer Abfolge eugenischer Maßnahmen von der „Absonderung“ bis zur „Austilgung“ zu rechnen hatten, kann er tatsächlich als Vordenker einer radikalen Rasseneugenik und Biopolitik gesehen werden, ohne dass allerdings nazistische Rassenpolitik diese Vorleistung als Inspirationsquelle gebraucht hätte. In jedem Fall bot Stoddards Vorschlag der Ausweitung der Zielgruppe negativer Eugenik breiten Raum für biopolitische Interventionen. Wer oder was etwa als „nervenschwach“ und „unvernünftig“ galt, war vollkommen offen für die zielgerichtete 10 11 12 13 14 15 16 17

Vgl. Stoddard, Kulturumsturz. Vgl. Günther, Frage S. 152. Stoddard, Kulturumsturz, S. 182 und 187. Ebd., S. 187. Ebd., S. 193. Ebd., S. 23. Ebd., S. 181. Vgl. ebd., S. 28.

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Bestimmung von Menschengruppen, die dem System suspekt waren, und die deshalb im Namen der Volksgesundheit ausgemerzt werden sollten. Ähnlich diffus wurden die Unvernünftigen, die Unbelehrbaren und die nicht Anpassungsfähigen bestimmt. Und auch diejenigen, die unter die Kategorie der Lasterhaften und Willensschwachen fielen, hatten nach diesem als Todesurteil formulierten Generalverdacht keine Chance, ihre Laster als moralisch akzeptable Neigungen oder einfach als ihre Privatsache zu verteidigen oder ihre Willensschwäche als begründete Bedenken vorzutragen, sich mit der ganzen Kraft ihres Willens für eine Sache einzusetzen, der sie ambivalent oder ablehnend gegenüber standen. Der deutsche Schlüsseltext dieser Debatte der zwanziger Jahre war Karl Binding und Alfred Hoches „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“18 von 1920. Binding begann seine Argumentation mit einer Unterscheidung von Moral und Recht : Nicht jede unsittliche Handlung sei rechtswidrig ebenso wenig wie jede rechtmäßige Handlung sittlich sei.19 Diese Differenzierung eröffnete ein weites Feld von Möglichkeiten. Sie sollte eine zugleich pragmatische wie eugenisch prinzipielle, vor allem aber rechtlich abgesicherte und ethisch begründete Entscheidung des Schicksals aus eigener Kraft lebensunfähiger Menschen ermöglichen. Deren ohne Aussicht auf therapeutische Verbesserung für lebensunwert befundenes Leben müsse gezielt vorzeitig beendet werden, anstatt es durch weitere Pflege unter Aufwendung beträchtlicher Mittel künstlich zu verlängern. Anstatt sich als Arzt, dem in einer solchen Situation eine entsprechende Entscheidung abverlangt werde, dabei in einem rechtsfreien und moralisch unsicheren Raum zu bewegen, müsse zunächst Klarheit in einer bisher unübersichtlichen, rechtlich und ethisch unsicheren Situation geschaffen werden. Es sei unbefriedigend, für die im Prinzip auch weiterhin geltende Regel des generellen Tötungsverbots gut begründbare Ausnahmen der Sterbehilfe zuzulassen, ohne dass diese rechtlich abgesichert und moralisch gerechtfertigt seien. Es müsse möglich sein, Menschen mit unerträglichen Schmerzen, deren Leben auf einen Dauerzustand des Leidens reduziert sei und für die keine therapeutische Aussicht auf Besserung ihres Zustandes bestehe, Sterbehilfe zu gewähren, ohne dass sich der behandelnde Arzt dadurch moralisch diskreditiere oder strafbar mache. Solange solche in der Verantwortung des Arztes liegenden Entscheidungen zur Erlösung von Patienten durch den Gnadentod weder durch geltendes Recht noch durch geltende Moralvorstellungen gedeckt seien, bestehe immer das Risiko, dass auf eigene Verantwortung handelnde und dabei ausschließlich ihrem Gewissen folgende Ärzte dafür strafrechtlich belangt werden könnten. Die finale Erlösung der betreffenden Menschen von ihrem auf dauerhaftes Leiden reduzierten Leben dürfe den solche Zweifelsfälle entscheidenden Ärzten nicht als Straftatbestand vorsätzlicher Tötung vorgeworfen werden können.

18 Binding, Hoche, Freigabe; zum Buch, seinen Autoren und ihrer systematischen Argumentation vgl. die kenntnisreiche Einführung von Naucke, Rechtstheorie; zur zeitgenössischen Diskussion vgl. Kaiser u. a. ( Hg.), Eugenik, S. 81–95. 19 Vgl. Binding, Hoche, Freigabe, S. 8.

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Durch die Anpassung des Rechts und eine entsprechende Veränderung geltender Moralvorstellungen sollten Rechtsunsicherheit und Zweifel an der ethischen Berechtigung der eigenen Handlungen beendet und Rechtssicherheit und moralische Gewissheit hergestellt werden. Unbezweifelbar sei, dass es Menschen gebe, „deren Tod für sie eine Erlösung und zugleich für die Gesellschaft und den Staat [...] eine Befreiung von einer Last ist“, also „menschliche Leben, an deren weiterer Erhaltung jedes vernünftige Interesse dauernd geschwunden ist“.20 Solches Leben müsse unter bestimmten Bedingungen zur Vernichtung freigegeben werden. Seine „alle Beteiligten erlösende Beendigung“ müsse dann Vorrang haben gegenüber dem Prinzip der „Unangreifbarkeit des Lebens“.21 Voraussetzung dafür sei, dass auch derjenige, dessen Leben vorzeitig beendet werden solle, seine Tötung als Erlösung empfinde, egal, ob er aus unerträglichem Schmerz oder aus schmerzloser Hoffnungslosigkeit nach dem Tod verlange. Diese Erlösungseuthanasie müsse deshalb den Lebenswillen „auch der kränkesten und gequältesten und nutzlosesten Menschen“22 achten. So könne etwa von der Tötung eines Geistesschwachen, der sich in seinem Leben glücklich fühle, keine Rede sein. Die Freigabe der Tötung von Menschen, deren Lebenswille dazu erst gebrochen werden müsse, sei damit ausgeschlossen.23 Sei bei den Betroffenen ein Wille zum Leben erkennbar, so habe eine solche Willensäußerung immer Vorrang gegenüber der Einschätzung Dritter, ob ein Leben lebenswert sei oder nicht, und das unabhängig davon, ob deren Entscheidung zum Weiterleben für Dritte nachvollziehbar und akzeptabel sei. Gegen seinen Willen dürfe kein Mensch getötet werden, auch nicht in der Annahme, damit im unterstellten besten Interesse des Betroffenen diesem eine Entscheidung abzunehmen, die er selbst auf Grund seines Zustandes nicht treffen könne, aber genauso treffen würde, wäre er denn zu einer Entscheidung in der Lage. Das müsse solange gelten, wie die Rechts - und Gesetzeslage eine Auflösung dieses moralischen Dilemmas nicht zulasse. Eben deshalb sei ja eine neue Gesetzgebung nötig, die es Ärzten in solchen Situationen erlauben müsse, eine Gewissensentscheidung zu treffen, ohne rechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen. Wenn es um Leben und Tod, um die Erlösung von unerträglichem Schmerz oder die Beendigung einer hoffnungslosen Lebenssituation gehe, könne es keine moralische Dienstanweisung geben, aus der klar hervorgehe, wie zu handeln sei. Diese Situation sei tragisch im klassischen Sinn der Unentscheidbarkeit eines Wertekonfliktes, in dem sich gleichermaßen gut begründete oder begründbare moralische Prinzipien gegenüber stehen. Weder würden diese Prinzipien durch die Situation, in der sie Orientierung geben sollen, widerlegt, noch ermöglichten sie eine klare Entscheidung der Alternative von Tötung oder Lebenserhaltung, die eben nicht prinzipiell, sondern nur situativ entschieden

20 21 22 23

Ebd., S. 26 f. Ebd. Ebd. Vgl. ebd., S. 32.

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werden kann. Egal, wie diese Entscheidung schließlich ausfiel, das prinzipielle Entscheidungsdilemma bestand fort. Es bleibe die Pflicht des Arztes, „Kranke zu heilen, Schmerzen zu beseitigen oder zu lindern, Leben zu erhalten und so viel wie möglich, zu verlängern“24 auch dann, wenn er es mit unheilbar Kranken zu tun habe, an denen seine ärztliche Kunst an ihre Grenzen komme. Seine grundsätzliche „Aufgabe der Erhaltung fremden Lebens unter allen Umständen“25 sei also keine absolute, sondern eine relative, eben von den Umständen abhängige Verpflichtung. Medizinethische Gründe gegen die Tötung Unheilbarer im Interesse der allgemeinen Wohlfahrt gebe es nicht, die also stattfinden könne, sobald sie nicht mehr strafbar sei. Ärzte würden es vielmehr als eine „Entlastung ihres Gewissens“ empfinden, in ihrem „Handeln an Sterbebetten nicht mehr von dem kategorischen Gebote der unbedingten Lebensverlängerung eingeengt und bedrückt“26 zu sein. Auch wirtschaftlich wäre es eine ungeheure Erleichterung, dem Nationalvermögen in der Übertreibung des „Strebens nach unbedingter Erhaltung lebensunwerter Leben“ nicht länger beträchtliche Mittel für einen „unproduktiven Zweck“27 zu entziehen. Die Erhaltung „leerer Menschenhülsen“ und „Ballastexistenzen“ sei weder ökonomisch vertretbar noch human oder moralisch. Die „Freigabe der Vernichtung völlig wertloser, geistig Toter“28 könne hier eine Entlastung herbeiführen. Allerdings bedürfe es wohl noch einiger Zeit, bevor sich die Auffassung durchgesetzt habe, „dass die Beseitigung der geistig völlig Toten kein Verbrechen, keine unmoralische Handlung, keine gefühlsmäßige Rohheit“, sondern ein „erlaubter, nützlicher Akt“29 sei. Schließlich habe es bereits eine andere, jetzt als barbarisch betrachtete Zeit gegeben, in der die Beseitigung der lebensunfähig Geborenen oder Gewordenen selbstverständlich war. Dem habe sich eine noch laufende Phase angeschlossen, „in welcher schließlich die Erhaltung jeder noch so wertlosen Existenz als höchste sittliche Forderung galt; eine neue Zeit wird kommen, die von dem Standpunkt einer höheren Sittlichkeit aufhören wird, die Forderungen eines überspannten Humanitätsbegriffes und einer Überschätzung des Wertes der Existenz schlechthin mit schweren Opfern dauernd in die Tat umzusetzen“.30 Halten wir fest : Das Streben nach Erhaltung von Leben ist dann unangemessen, eben übertrieben, wenn dieses Leben nicht mehr lebenswert, sondern wertlos ist, weil der geistige Tod bereits eingetreten ist. Die Erlösung solcher geistig bereits Toter ist keine Tötung im eigentlich Sinne, sondern lediglich die physische Vollendung eines bereits eingetretenen geistigen Zustandes. Der Wert 24 25 26 27 28 29 30

Ebd., S. 43 f. Ebd., S. 47. Ebd. Ebd., S. 53 und 51. Ebd., S. 52. Ebd., S. 53. Ebd., S. 58.

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menschlichen Lebens wird dann überschätzt, der Humanitätsbegriff dann überspannt, so die Argumentation, wenn der Unterschied zwischen lebenswertem und lebensunwertem Leben verwischt wird oder keine Rolle mehr spielt. Es gab aber auch die weitsichtige Kritik an einer möglichen politischen Umsetzung solcher biopolitischen Gedankenspiele. So versuchte Emil Abderhalden, Herausgeber der Zeitschrift „Ethik“, schon vor der nationalsozialistischen Machtergreifung „ethische Grundzüge von biologischen Gesichtspunkten aus zu entwickeln“,31 wobei er zugleich Grenzen einer biologischen Grundlegung der Ethik sah. Seine entsprechende Argumentation traf den neuralgischen Punkt des nationalsozialistischen Konzepts einer rassenbiologischen Ethik. Gerade im Umgang mit den Schwachen und Bedürftigen zeige sich die Gefahr einer biologistischen Aufkündigung von Prinzipien der Humanität gegenüber denjenigen, die den biologischen Standards einer gesunden Volksgemeinschaft nicht genügten und die zu schwach seien, selbst für sich zu sorgen oder einzustehen. Visionär nahm Abderhalden künftige Projekte nationalsozialistischer Euthanasie vorweg. Gegen die gebräuchlichen Euphemismen volksgesundheitlicher Fürsorge, wonach die Ausmerze rassisch Minderwertiger letztlich sowohl im Interesse einer gesunden Volksgemeinschaft als auch der Gemeinschaftsschwachen selbst liege, die durch konsequentes volksbiologisches Handeln von ihrem eigenen Leiden erlöst würden, aber auch davon, der Gemeinschaft weiter zur Last zu fallen, schrieb er : „Mit einer rein biologisch begründeten Ethik ist es durchaus vereinbar, Schwächlinge zu vernichten. Der Umstand, dass im Laufe der Zeit die Idee sich siegreich durchgerungen hat, Schwachen zu helfen und ihnen besondere Pflege angedeihen zu lassen, bedeutet gegenüber biologischen Gesichtspunkten etwas ganz Neues. Die Fürsorge für die Schwachen ist so stark gesteigert worden, dass von manchen Seiten aus ernste Bedenken erhoben worden sind. Es ist sogar der Gesichtspunkt vertreten worden, dass so gewaltige Mittel durch die Unterbringung und Unterhaltung von in der Entwicklung zurückgebliebenen oder sonst chronisch erkrankten Individuen“ aufgewendet werden, „dass für die [...] körperlich und geistig gesunden Personen zu wenig übrig bleibe. [...] Von rein biologischen Gesichtspunkten aus könnte man eine Ethik in dem Sinne entwickeln, dass man zum Nutzen der Mitmenschen solche Kranken tötet. [...] Unser ganzes Inneres bäumt sich gegen eine solche Ethik auf.“32 Dieses kritische Referat möglicher Rechtfertigungen und Begründungen der Tötung lebensunwerten Lebens zielte darauf, eine biologische Ethik am Prinzip unbedingter Mitmenschlichkeit zu kontrollieren. Auch der SPD - Reichstagsabgeordnete Julius Moses beschrieb die NS Gesundheitspolitik schon 1932 wie folgt : „Was bisher als ein ethisches und moralisches Gesetz für die Ärzteschaft galt, soll im Dritten Reich über Bord geworfen werden : Der Arzt als Helfer und Freund der kranken Menschen soll verschwinden und an seine Stelle der Selektionsarzt treten, dem die Aufgabe 31 Abderhalden, Grundzüge, S. 413 f. 32 Ebd., S. 413.

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zuteil wird, die sogenannten Ballastexistenzen zu vernichten und die unsinnigen Rassen - und Zuchtprobleme der Nationalsozialisten zu verwirklichen.“33 Die sozialdemokratische Publizistin Oda Olberg - Lerda dagegen argumentierte gegen die aus ihrer Sicht atavistische „abergläubische Hegung des Menschenlebens auch da“, wo es sich eigentlich nicht mehr um Menschen und Leben handle. In solchen Fällen müsse „triebhaftes Erbarmen [...] durch klarsehendes und abwägendes Erbarmen überwunden werden“.34 Anstatt intuitiv und also indifferent gegenüber der Qualität des in Frage stehenden Lebens dessen absolute Unverletzlichkeit zu betonen, sollte die Einschätzung seines Wertes entscheiden, ob es noch lebenswert sei. Es sei denkbar, lebensuntüchtige Kreaturen, die selbst keinerlei Freude mehr an ihrem Leben hätten, aus Erbarmen zu töten. Diese Gegenüberstellung von triebhafter und abwägender Empathie nahm die nationalsozialistische Ethik auf. Das intuitive Erbarmen christlicher Nächstenliebe sollte durch die triebhafte Härte und Erbarmungslosigkeit des Rasseninstinkts abgelöst werden. Die rassenpolitisch entschiedene, intuitive Gewährung oder Verweigerung von Empathie sollte die Abwägung der Umstände und Folgen für den betreffenden Personenkreis erübrigen. Das menschenunwürdige Leben solcher Ballastexistenzen sollte auf jeden Fall beendet werden. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung signalisierten Autoren der Zeitschrift „Ethik“ durch vorauseilende Selbstgleichschaltung rückhaltlose Gefolgsbereitschaft. Mit der These, dass die „ethischen Ziele der nationalsozialen Idee [...] für den Fortbestand und Aufstieg“ des deutschen Volkes „höher zu bewerten seien als seine äußerlichen politischen Erfolge“,35 die jedoch erst die Voraussetzung für die Verwirklichung dieser ethischen Ziele schaffen müssten, stellten sie sich der nationalsozialistischen Bewegung uneingeschränkt zur Verfügung.36 Auch Abderhalden selbst unterstützte nun die nationalsozialistische Rassenpolitik und behauptete zum Beispiel 1939 in einem Artikel die Existenz biochemisch nachweisbarer Rassenmerkmale, so dass „die einzelnen Rassen [...] scharf unterschieden werden können“.37

33 Schwartz, Euthanasie - Debatten, S. 630 – aus Julius Moses : Bildet die Eiserne Front der Frauen ! Frauen, Gesundheitspflege und Nationalsozialismus. In : Arbeiterwohlfahrt 7 (1932), S. 193–200, hier 197–199. 34 Olberg - Lerda, Entartung, S. 40. 35 Niehoff, Bedeutung, S. 17. 36 Zu Abderhalden und der Zeitschrift Ethik, deren Erscheinen 1938 eingestellt wurde, vgl. Frewer, Medizin. 37 Zit. ebd., S. 192.

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2.

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Rassenethik und Biopolitik : Aufartung der Hochwertigen und Ausmerze der Minderwertigen

Die von Hoche visionär vorweggenommene neue Zeit war offensichtlich gekommen, als mit dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14. Juli 1933 sowie dem „Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung“38 vom 24. November 1933 eine rassenpolitische Umwertung der Werte eingeleitet wurde. Hervorgehoben wurde die vorbildliche Eindeutigkeit und Sachlichkeit dieser Gesetze. Bevor allerdings ausmerzende Rassenhygiene auch auf Asoziale oder Gemeinschaftsunfähige angewandt werden könne, müsse zunächst das rassenhygienische Verständnis im Volk, aber auch in der politischen Verwaltung und Führung noch wachsen. Rassische Entartung wurde als durch innere Anlagen bedingte Unfähigkeit dargestellt, dem höheren Wert der Gemeinschaft zuzustimmen und entsprechend zu leben.39 Angegriffen wurde die „human - christlich - marxistische Fürsorgepolitik, die vor 1933 in Deutschland herrschte, die den Kranken und Minderwertigen das Leben und die Vermehrung auf Kosten der Gesunden und Erbtüchtigen leicht machte“.40 Diese sei verantwortlich für die Verschlechterung der rassischen Zusammensetzung des deutschen Volkes. So hieß es in einem Vortragsmanuskript des Psychiaters Hermann Simon von 1931 : „Die Fürsorge kommt nur dem Schwachen und Minderwertigen, dem wenig Widerstandsfähigen, also dem Lebensuntüchtigen zu gut. Der Tüchtige braucht sie nie. Dadurch Verhinderung des natürlichen Ausmerzungsprozesses. [...] Unsere ganze soziale und gesetzgeberische Entwicklung fördert die Vermehrung des Schwachen und hemmt die Erstarkung des Starken. Die notwendige Folge muss Überhandnehmen der Schwäche und der Untüchtigkeit sein [...] Die demokratische Lehre von der Gleichwertigkeit aller Menschen drückt sich verhängnisvoll aus [...] Allgemein ist man dahin gelangt, dass das Untaugliche jeder Art unter günstigere Lebensbedingungen gesetzt wird wie das Gesunde und Tüchtige.“41 Inzwischen hätten die Deutschen aber gelernt, dass es verschiedene Menschen gibt – hochwertige und minderwertige, und eben auch Menschen, deren Leben „nicht lebenswert“42 sei. Deshalb seien sie nicht länger bereit, für Minderwertige unverhältnismäßig viel mehr auszugeben als für Gesunde und Hochwertige. Diese Verpflichtung der Eugenik auf das „Volk der Zukunft“ hatte schon Hermann Muckermann, katholischer Eugeniker und Abteilungsleiter am Kaiser - Wilhelm - Institut für Anthropologie (1927 bis 1933) unterstrichen : „Worauf es der Eugenik ankommt, ist nicht die Fürsorge für die Minderwertigen aufzuheben, sondern durch ideelle und wirtschaftliche Bevorzugung der erblich gesunden Familien die Minderwertigkeit und Fürsorgebedürftigkeit selbst zu 38 39 40 41 42

Vgl. Gütt, Rüdin und Ruttke, Gesetz. Vgl. Burkhardt, Anlagen, S. 185. Rassenpolitik, S. 16. Zit. bei Dörner, Mitleid, S. 58. Lehmann, Wille, S. 35.

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überwinden, um so gleichsam den Nahrungsspielraum wieder in genügendem Maße für jene zu sichern, die ihn erarbeiten.“43 Im Klartext hieß das, Fürsorge und Ernährung für die Minderwertigen so weit einzuschränken, dass sie diese reduzierte Grundversorgung nicht überleben würden. Anstatt sie gezielt auszumerzen, wurde ihre Tötung als Nebeneffekt eingeschränkter Pflege und Versorgung angestrebt, was im Ergebnis auf das Gleiche hinauslief. Die Lebenserhaltung auf Dauer fürsorgebedürftiger Menschen, die wertvolle und begrenzte Ressourcen der Gesellschaft für unproduktive Zwecke verbrauchten, sollte werden. „Durch Auslesen und Ausmerzen von Individuen mit bestimmten Erbanlagen“44 sollte die Höherentwicklung der nordischen Rasse gesichert werden. Nun wurden in der Tat „ethisch hohe völkische Ziele [...] über das Denken des liberalistischen Zeitalters“ und „die Ethik der christlichen Nächstenliebe der vergangenen Zeitrechnung“45 gesetzt. „Im Sinne von Vernichtung lebensunwerten Lebens meinte Euthanasie die Tötung schwacher und kranker, körperlich missgebildeter und geistig behinderter Neugeborener, verstanden als Maßnahme zur Erbpflege, die Tötung von unheilbar Kranken und Behinderten aus Mitleid sowie die Tötung der in psychiatrischen Institutionen untergebrachten Langzeitpatienten, die als behandlungsunfähig galten, aus Gründen der Kostenersparnis.“46 Im Endeffekt lief es immer auf die Tötung von Menschen hinaus, deren Leben aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr für lebenswert befunden wurde. Mit der Diagnose einer nicht therapiefähigen Behinderung oder Erkrankung wurde ihr körperlicher oder geistiger Zustand als hoffnungslos beschrieben. Häufig waren diese Menschen nicht in der Lage, ihren Zustand zu artikulieren, so dass angesichts ihres extrem reduzierten Lebens, das faktisch auf ein Vegetieren hinauslaufe, behauptet wurde, diese selbst könnten ihrem Leben nichts Positives mehr abgewinnen. Von der in jedem Falle notwendigen Achtung des Lebenswillens und Glücksgefühls auch dieser Menschen, die noch bei Binding die unüberschreitbare Grenze eugenischer Eingriffe markiert hatte, war keine Rede mehr. Nationalsozialistische Rassentheoretiker führten die „biologische Lebenskrise“ Deutschlands auf die überdurchschnittliche Vermehrung erblich Minderwertiger bei gleichzeitiger Kinderverweigerung erblich Tüchtiger durch einen „Zeugungs - und Gebärstreik“47 zurück. Den kulturellen Niedergang der Deutschen könne nur „ein neuer kategorischer Imperativ biologischer Art, ein biologisches Sittengesetz“48 aufhalten. Gerade rassisch hochwertige Menschen lehnten biologische Gesichtspunkte jedoch häufig ab und weigerten sich aus wirtschaftlichen und egoistischen Erwägungen, ihr wertvolles Erbgut durch 43 Kaiser u. a. ( Hg.), Eugenik, S. 116 – zit. aus Hermann Muckermann, Wesen der Eugenik und Aufgaben der Gegenwart (1929). 44 Rassenpolitik, S. 16. 45 Klee ( Hg.), Dokumente, S. 53. 46 Schmuhl, Rassenhygiene, S. 355. 47 Dürre, Wegweiser, S. 6 und 83. 48 Ebd., S. 6.

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Fortpflanzung weiterzugeben. Den biologischen Gesetzen stünden sie feindlich, gleichgültig und ahnungslos gegenüber. In ihrer Überheblichkeit glaubten sie, die Natur - und Lebensgesetze hätten für sie keine Bedeutung. Blind für das Wirken der biologischen Gesetze natürlicher und kultureller Auslese vollziehe sich an ihnen eine Gegenauslese, die das deutsche Volk perspektivisch in seiner Existenz bedrohe. Nur die genetische Reproduktion der rassisch Wertvollsten eines Volkes aber könne dessen Fortbestand sichern. Diese würden auch deshalb häufig kinderlos sterben, weil sie bedenkenlos ihr Leben für die Volksgemeinschaft einsetzten.49 Ihre Opferbereitschaft für das völkische Ganze ermögliche zum einen erst dessen Überleben in schweren Zeiten der Not und des Krieges, gefährde mit ihrem möglichen frühen Heldentod zugleich aber auch den Fortbestand der durch sie verkörperten völkischen Tugenden. Der „Opfergedanke des deutschen Idealismus ( sei ) lebendig in den Todesschauern aller deutschen Kriege“.50 Erst das Risiko, bei der Verteidigung der eigenen gegen fremde und feindliche Lebensformen zu sterben, führe zu einer einzigartigen Intensität des Lebens. Die Ausschaltung aller Lebensrisiken dagegen enge den Lebensraum des kämpferischen Menschen ein und fördere Mittelmäßigkeit. Trage die „wohlbehütete, umsorgte, von Kampf und Sorge befreite Mittelmäßigkeit [...] den Geburtensieg davon“,51 so würden aus ihrem Schoße zwar die meisten, aber nicht die besten Kinder entspringen. Einem solchen Volk könne eines Tages gerade „in Stunden der Gefahr jene rassisch wertvollste Oberschicht fehlen, deren Lebensauffassung und Todesbereitschaft allein den Sieg und den Fortbestand des Volkes sichert. Es würde dann sehr viele Menschen geben, deren Lebensideal ein Leben ohne Kampf und ohne Risiko sei, aber nur sehr wenige Menschen, die bereit sind, ein Leben für eine Idee einzusetzen.“52 Die Bereitschaft der rassisch Wertvollsten, ihr Leben für die Idee des Nationalsozialismus einzusetzen, könne durch die risikoscheue Mittelmäßigkeit der Mehrheit zunichte gemacht werden. In der Konsequenz sei dadurch die rassische Substanz des Volkes gefährdet. Die rassisch Hochwertigen, auf die es für das Gemeinwesen letztlich ankomme, würden immer weniger, während die rassenindifferente Mehrheit, ohne selbst etwas dafür tun zu müssen, die Oberhand gewinne. Eben ihr Nichtstun, ihr Zurückscheuen vor der Gefahr, sicherte ihnen das Überleben. Der einzige Ausweg aus dieser bedrohlichen Situation sei die Rekrutierung neuer, von seinen Ideen überzeugter Anhänger des Nationalsozialismus, die bereit seien zum uneigennützigen Dienst und Opfer für das Ganze. In „strenger Lebensform und straffer Lebensführung“ sei diese Elite „auf die Werte des völkischen, wehrhaften und politischen Lebens gestellt“.53 Die Unterordnung ihrer eigenen Interessen unter die der Volksge-

49 50 51 52 53

Vgl. Gross, Völker, S. 5. Decker, Weg, S. 33. Das Primat des kämpferischen Menschen. In : Das Schwarze Korps vom 28.11.1941. Ebd. Krieck, Erziehung, S. 84.

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meinschaft sei ihnen selbstverständlich. Die persönliche Verpflichtung auf den Grundsatz „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“ müsse durch die Opferbereitschaft für das völkische Gemeinwesen unterstrichen werden.54 Wenn nötig, sollten die Deutschen ihre persönlichen Neigungen für die Sicherung der Zukunft des deutschen Volkes zurückstellen.55 Durch Rassenhygiene und eine „Planwirtschaft des Blutes“56 sollten rassische Fehlentwicklungen korrigiert werden. Die Übernahme des Zuchtgedankens und der Erbhygiene für die eigene Lebensführung verpflichte jedoch nicht nur zur Qualität, sondern auch zur Quantität, denn am Ende entscheide die Zahl gesunder, rassisch wertvoller Kinder über die Zukunft Deutschlands. Die Missachtung der Rassenhygiene dagegen werde mit der Ausmerzung derjenigen bestraft, die meinten, die Gesetze der Natur in ihrer Lebensführung ignorieren zu können. „Während die kirchliche Liebestätigkeit eine Vorliebe für Schwache, Kranke, Entartete und Gesunkene hat und eine schwächliche Duldung des Lebensfeindlichen zeigt“,57 komme Förderung im nationalsozialistischen Deutschland ausschließlich den Gesunden zugute. Die Natur zeige die Richtigkeit des Auslesegedankens : „Ohne Ausmerzung des Krankhaften und Schlechten kann das Gesunde und Gute nicht gedeihen.“58 Durch die Missachtung biologischer Gesetze sei „alles Erbkranke mit mehr Sorgfalt gepflegt worden als das Gesunde“.59 Auch seien die Erbkranken nicht daran gehindert worden, sich fortzupflanzen, während die körperlich und geistig Gesunden sich nur zurückhaltend fortgepflanzt hätten. Unfruchtbar gemacht werden sollten die körperlich und seelisch Schwachen und Verkrüppelten, aber auch die unverantwortlichen Schmarotzer, die sich von der Gemeinschaft ohne Gegenleistung unterhalten ließen sowie die moralisch Verkommenen, deren kranke Neigungen die Gemeinschaft schädigen würden. Die unheilbar Kranken, aber auch die „Volksfeinde aus krankem Willen“, müssten ausgelöscht werden, so dass sie nicht weiter die Volksgemeinschaft schädigen könnten. Gegen den bisherigen Standpunkt der Ärzte, auch lebensunwertes Leben zu erhalten, müsse ihnen Sterbehilfe gewährt werden.60 Der Nationalsozialismus sah sich als politischer Ausdruck biologischer Kenntnisse. Seit der Mensch zu Beginn des Jahrhunderts zum biologischen Denken zurückgefunden habe, sehe er seine Bestimmung nicht mehr in einem glücklichen Leben, sondern in seiner Einordnung in ein Gemeinwesen.61 Der Nationalsozialismus habe durch sein Eingreifen in den Ablauf der Geschichte und das Leben des deutschen Volkes diese Entwicklung aufgenommen und zu ihrer politischen Konsequenz geführt. „Das Eingreifen kann bezeichnet werden 54 55 56 57 58 59 60 61

Vgl. Meyer, Mensch, S. 116. Vgl. Gross, Grundsätze. Schicksal und Erbgut. In : Das Schwarze Korps vom 20.1.1944. Schultze, So lebst du deutsch, S. 52. Ebd. Frenssen, Lebenskunde, S. 51. Vgl. ebd., S. 51–55. Vgl. Lang, Nationalsozialismus.

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als biologische Bevölkerungspolitik, biologische, d. h. auf die Lebensvorgänge der Vererbung, der Auslese und Ausmerze gerichtete Erb - und Rassenpflege des Staates.“62 Für die nationalsozialistische Weltanschauung kam der ganzheitlichen Biologie als einer originär rassischen Wissenschaft eine Schlüsselrolle zu.63 In einem Erlass des Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 15. September 1933 hieß es dazu : „Die Kenntnis der biologischen Grundtatsachen und ihrer Anwendung auf Einzelmensch und Gemeinschaft ist für die Erneuerung unseres Volkes unerlässliche Voraussetzung.“64 Nationalsozialismus sei „politisch angewandte Biologie“,65 die nationalsozialistische Weltanschauung im Grunde biologische Weltanschauung. Aus dieser Weltanschauung würden sich für jeden Deutschen verbindliche Richtlinien seines Lebens in der Volksgemeinschaft ergeben. An die Stelle der Religion trete „eine neue Ethik des Staatsbürgers“,66 die seine rassische und völkische Eigenart auf biologische Grundlagen stelle. Hitler habe „den biologischen Staat“67 geschaffen, um die Zukunft der Deutschen in Übereinstimmung mit den biologischen Gesetzen des Lebens zu gestalten. Der Sieg über weltanschaulich - politische Gegner könne nur durch die „Beherrschung und Anwendung biologischer Politik und politischer Biologie“68 gesichert werden. Der Nationalsozialismus gehe vom Primat der Nationalbiologie gegenüber der Nationalökonomie aus, die die nationalen Auswirkungen des biologischen Geschehens in Abhängigkeit von der „Beschaffenheit unserer organischen Erbwerte“69 untersuche. „Biologische Politik“ müsse Staatsmaxime werden und z. B. eine „eugenisch orientierte Steuerreform“70 durchführen. Nach Proctor sah sich der nationalsozialistische Staat in zweierlei Hinsicht als ein biologischer Staat : in seiner Unterdrückung von Abweichungen von einem als gesund und normal unterstellten Standard, durch die ihrer Rasse entfremdete Deutsche zu den biologischen Grundlagen ihrer Existenz zurückfinden sollten, und in seiner Betonung natürlicher Lebensweisen.71 Auch der organische Körper toleriere es nicht, wenn ein Teil mit dem anderen zum möglichen Schaden des Gesamtorganismus kämpfe. Als Lebenskunde trage die Biologie dazu bei, Menschen wieder ein naturgemäßes, ihrer eigenen Art entsprechendes Leben zu ermöglichen, in dem die höheren Werte von den tieferen und vitaleren getragen würden.72 An Menschen und Völker wurde der gleiche rassenbiologische Wertmaßstab angelegt. Der Wert eines Menschen war aus dieser 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72

Fischer, Staat, S. 5. Vgl. Alverdes, Stellung, S. 21. Abgedruckt in Der Biologe vom 14.11.1933, S. 344. Vgl. Lenz, Auslese, S. 417. Feuerborn, Kernstück, S. 104. Timmer, Berufung, S. 139. Stengel - von Rutkowski, Volk, S. 6 ( aus dem Vorwort von 1940). Gütt, Dienst, S. 6. Dürre, Wegweiser, S. 86. Vgl. Proctor, Nazi Biomedical Policies, S. 26. Vgl. Lehmann, Wille, S. 12.

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Sicht durch seine Erbanlagen vorentschieden, deren prägender Kraft er sich nicht entziehen konnte. Je nach seiner Rassenzugehörigkeit hatte diese Kraft entweder zersetzende, wie im Falle der Juden, oder aber, dank ihrer überwiegend nordischen Rassenanteile gemeinschaftsbejahende Wirkung, wie bei den Deutschen. Die nationalsozialistische Revolution wurde als „biologisches Aufbauwerk“73 vorgestellt, die biologische Auffassung folgerichtig als wichtigste der Zeit. Der Biologie kam in der völkischen Revolution der Nationalsozialisten schon deshalb eine besondere Bedeutung zu, weil die Volksgemeinschaft selbst als biologischer Organismus rassisch Gleichgearteter gedacht wurde.74 Der völkische Organismus sei etwas Lebendiges, habe Glieder, Zellen und Organe. Als biologischer Organismus sei das Volk den gleichen Gefährdungen ausgesetzt wie jeder Mensch. Es könne erkranken und bis zur Handlungsunfähigkeit gelähmt sein oder von Parasiten und anderen Schädlingen befallen werden. Aber wie der Mensch, so könne auch das Volk durch entsprechende Gegenmaßnahmen vor diesen Gefahren geschützt oder im Falle bereits erfolgter Erkrankung erfolgreich therapiert werden und wieder gesunden. „Man stellte sich den Volkskörper im Wortsinn als lebendiges Wesen höherer Ordnung vor – ein Wesen das erkranken, entarten, altern, vergreisen, schließlich sterben konnte, das aber auch gesunden und sich verjüngen, das man heilen, reinigen, aufarten konnte“.75 Rassenbewusstes Verhalten müsse als gesundheitsbewusstes Verhalten zur biologischen Selbstverständlichkeit werden. Keinem Menschen könne seine Gesundheit oder die seines Volkes gleichgültig sein. Dabei müsse sich erst noch die Einsicht durchsetzen, dass die Haltung zur eigenen Rassenzugehörigkeit, die Ausbildung also einer rassenbewussten artgemäßen Haltung, über die Gesundheit der Menschen entscheide. Der „Kampf gegen das Fremde, alle Ausmerzung des Kranken und Untauglichen“ diene dem Zweck, „für das Wachstum der eigenen Art in ihren gesunden Gliedern Raum und Lebensmöglichkeit zu schaffen“.76 Die nationalsozialistische Bewegung verfolge ein biologisches Programm, in dessen Mittelpunkt Familie und Rasse und der „Wille zum Kind“77 stehen würden. Sie denke nicht in Kollektiven, sondern „in den lebendigen Zusammenhängen von Fleisch und Blut und Seele“.78 Eine „biologisch denkende Staatsführung“ vertraue dem gesunden rassischen Instinkt. Es sei jedoch nicht möglich, die Jahrhunderte lange kulturelle Unterdrückung des Gesetzes der Auslese „mit einem Schlage wieder dadurch gutzumachen“, dass man z. B. „die Erbkranken zusammentreibt und einfach umbringt“.79 Eine solche Politik der Ausmerze wäre in vergleichbarer Situation 73 74 75 76 77 78 79

Mjöen, Lebensauffassung, S. 131. Vgl. Clauß, Rassenseele, S. 15 Schmuhl, Entwicklungsdiktatur, S. 104 Gross, Arbeit, S. 99. Ebd., S. 100. Ebd., S. 105. Kranz, Besinnung, S. 34.

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vom bolschewistischen Staat zu erwarten, dem alles von den eigenen kulturellen Standards Abweichende oder Fremde suspekt sei. Das nationalsozialistische Ethos des Vertrauens auf die Wirkung natürlicher Auslese, wenn man sie denn kulturell gewähren lasse, schließe eine solche Lösung aus. Rassenhygienische Maßnahmen und bevölkerungspolitische Gesetze könnten jedoch nur dann greifen, wenn ihnen eine entsprechende geistige Grundhaltung des Volkes entgegen komme. Ohne die Anerkennung ihrer moralischen Berechtigung und Dringlichkeit durch eine Mehrheit der Deutschen bleibe die Rassenpolitik dagegen unwirksam. Die Genesung ihres Volkes müsse zur Herzenssache aller Deutschen werden. In Übereinstimmung mit der lebensgesetzlichen Verfassung des Menschen sichere die nationalsozialistische Rassenpolitik, dass rassenbewusstes Verhalten selbstverständlich werde.80 Zu Standhaftigkeit, Einsatzbereitschaft und Tapferkeit könnten jedoch nur diejenigen erzogen werden, die dazu durch ihre Erbanlagen befähigt seien. Das Maß von Haltung und Anstand, das nötig sei, um sich in Pflichterfüllung in die Gemeinschaft einzufügen, könne allen, bis auf den heillos Asozialen, den wüsten Triebmenschen und den rettungslos Willensschwachen, beigebracht werden.81 Diese würden sich durch ihr gemeinschaftsfremdes Verhalten selbst aus der Volksgemeinschaft ausschließen, obwohl sie ihr auf Grund ihrer hochwertigen Erbanlagen angehören könnten. Der Nationalsozialismus habe dem biologischen Denken zum Durchbruch verholfen82 und gezeigt, „dass das Leben der Völker seine eigene biologische Gesetzmäßigkeit hat“.83 Dabei seien die Gesetze der Biologie weder wertvoll oder wertlos, noch gut oder schlecht, sie wirkten einfach.84 Jeder Einzelne habe eine biologische Funktion für das völkische Ganze, die er erfüllen müsse, um seine individuelle Existenzberechtigung nachzuweisen. Der nordische Mensch empfinde seine Einordnung in eine durch Rassengesetze bestimmte Welt nicht als Zwang, sondern als Freiheit, seine rassische Bestimmung leben zu können.85 Die Indifferenz gegenüber den Naturgesetzen habe den Kampf ums Dasein gelähmt und die zu Führung und Herrschaft dank ihrer überlegenen Stärke und Leistung Berufenen in ihrem Handeln entscheidend eingeschränkt. Diese verhängnisvolle Entwicklung sei durch die „biologische Revolution“ des Nationalsozialismus gestoppt worden. Das durch sie ermöglichte Leben in Übereinstimmung mit den Lebens - und Naturgesetzen kenne die Probleme und Krankheiten der Zivilisation nicht.86 Das Volk wurde als biologischer Organismus begriffen, dessen Qualität, Gesundheit und Durchsetzungsfähigkeit sich durch seine Fähigkeit und Konsequenz entscheiden werde, sich intern nach rassischen Kriterien zu orga80 81 82 83 84 85 86

Vgl. Grunsky, Blut, S. 88. Vgl. Hartnacke, Anlage. Vgl. Maß und Wert. In : Das Schwarze Korps vom 16.12.1943. Straßburg, Volksstaat, S. 311. Vgl. Reiter, Erbbiologie, S. 298. Vgl. Stengel - von Rutkowski, Wille, S. 135. Vgl. Die Köstlichkeit des Lebens. In : Das Schwarze Korps vom 27. 4.1944.

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nisieren sowie gegen andere Völker und Rassen abzugrenzen und durchzusetzen. Die rassenindifferente Politik der Weimarer Republik habe den Bestand des deutschen Volkes ernsthaft gefährdet, weshalb die nationalsozialistische Rassenpolitik auf die „Besserung des biologischen Zustandes durch die Mehrung besonders hochwertiger Menschen“87 ziele. Auch für den Menschen seien die Naturgesetze uneingeschränkt gültig. Durch bewusste Züchtung könne jedoch die menschliche Natur verbessert werden. Die angestrebte biologische Erneuerung könne nur dann erfolgreich sein, wenn sich eine neue Haltung gegenüber den rassisch Minderwertigen bei der Mehrheit der deutschen Bevölkerung herausbilde. An die Stelle von Fürsorge und Mitmenschlichkeit den Schwachen und Bedürftigen gegenüber sollten Härte und Unbarmherzigkeit treten, um die Lebensgesetze der Rasse durchzusetzen.88 Die nationalsozialistische Weltanschauung forderte „die Ausmerze alles Erbkranken, alles Unterwertigen, die Gesundung und Höherentwicklung des Volkes“.89 Es sei zum Besten eines Volkes, es durch Auslese zukunftsfähig zu machen und dabei auch jedem Einzelnen die Chance zu geben, das Beste aus sich herauszuholen.90 Nur hochwertige Menschengruppen sollten erhalten und in jeder Hinsicht gefördert, minderwertige dagegen unterdrückt und wenn nötig ausgemerzt werden.91 „Die Minderwertigen werden allmählich ausgemerzt und die Hochwertigen kommen an die Spitze. Natürliche Auslese.“92 Die Differenzierung hoch - und minderwertiger Menschen und Gruppen wurde von der Mehrheit der Deutschen akzeptiert. Als Angehörige der nordischen Rasse waren sie die Nutznießer dieser biopolitischen Neuordnung Deutschlands und Europas, die die Überwindung der existenzbedrohenden bevölkerungspolitischen Krise versprach. Auch deshalb wurde von ihnen erwartet, die politische Durchsetzung dieser Ordnung durch eine rassenbewusste Haltung und entsprechendes Handeln zu unterstützen. Den Deutschen wurde bedeutet, sie seien zu einer rassenpolitischen Neuordnung der Welt nach Kriterien rassischer Höher - und Minderwertigkeit berufen. Mit der Bereitschaft einer Vielzahl ambitionierter Deutscher, ihre Fähigkeiten und gestalterischen Phantasien in den Dienst dieser bevölkerungspolitischen Aufgabe zu stellen, konnte politisch gerechnet werden.93 Die Juden dagegen sollten einsehen, dass sie überflüssig waren. Zahlreiche zucht - und artvergessene Deutsche glaubten an die Lehre von der Gleichheit aller Menschen. Diese Indifferenz gegenüber dem Gesetz der Rasse habe das deutsche Volk in die Krise gestürzt. Ihre Mischung mit anders gearteten Menschen habe die Lebenskraft der Deutschen beschädigt und sie innerlich 87 88 89 90 91 92 93

Arzt, Biologie, S. 150. Vgl. Gross, Volk, S. 147. Abnormitäten unerwünscht. In : Das Schwarze Korps vom 17. 2.1938. Vgl. Rassenpolitik, S. 160. Vgl. Kynast, Hauptgefahr, S. 343. Goebbels Tagebücher I, 1/ III, S. 140 ( Dezember 1928). Vgl. dazu Aly, Heim, Vordenker.

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zerrissen. Nur gleichgeartete Menschen hätten den gleichen Charakter, zu dem „ein artgemäßer Leib, ein Lebensraum, eine Wert - und Lebensordnung“94 gehörten. Gründe für den biologischen Niedergang eines Volkes seien der Rückgang ihrer Bevölkerungszahl und des Anteils der überdurchschnittlich Wertvollen durch Rassenmischung und Gegenauslese durch übertriebene Humanität.95 „Statt des Besten und Tüchtigsten“ sei in falsch verstandener Humanität „gerade das Schwächliche und Kranke besonders“96 gepflegt worden. Dadurch sei das Gefühl für die Reinheit des Blutes und die Gegensätze der Rassen verloren gegangen, wodurch Wert und Leistungsfähigkeit des Volkes entscheidend geschwächt worden seien.97 Um ein Volk zu verstehen, müsse man seinen biologischen Zustand untersuchen, also „seine rassische Zusammensetzung und die innere Bereitschaft seiner Menschen, durch genügende Nachkommenschaft die Erhaltung des Volkes zu sichern, die Vermehrung Minderwertiger zu unterbinden und das Eindringen fremdrassischer Elemente zu verhindern“.98 So führe die insbesondere von rassisch hochwertigen Menschen geübte Geburtenbeschränkung dazu, dass die besten Individuen ungeboren blieben und die Minderwertigen allmählich Oberhand über die Hochwertigen bekämen.99 Nur durch die Zeugung und Aufzucht zahlreicher rassisch hochwertiger Kinder bei gleichzeitiger Verhinderung der Fortpflanzung Minderwertiger könne die bevölkerungspolitische Krise, in der sich Deutschland befinde, gelöst werden. Eine polygame Neuehe sollte es dem rassisch hochwertigen Mann, ungehindert durch überholte, das Bevölkerungswachstum hemmende Moralvorstellungen, ermöglichen, wesentlich mehr gesunde und rassisch wertvolle Kinder zu zeugen, als in der monogamen Ehe. So berichtet ein alter Mann, dem der Ich Erzähler in Bernhard Kummers „Die deutsche Ehe“ begegnet, diesem von der Siedlung Neu - Ehe, in der ein Mann zehn Frauen habe. „Die besten Kerle im Volk setzen zu wenig Kinder in die Welt, und der Untermensch gedeiht auf Kosten der Edelrasse, bloß weil die christliche Institution der Monogamie jedem Manne nur eine Frau erlaubt. [...] Gemeinschaftlich werden die Kinder zu tüchtigen Menschen erzogen, und alle sind ihnen Vater und Mutter. Und nun rechnen sie sich aus, was für ein Strom des Lebens von diesen tausend freien Müttern schon ausgehen kann und was das bedeutet im Zeitalter der alten Jungfern, des Geburtenrückganges und des Rassetodes !“100 Der Ich - Erzähler zeigt sich beeindruckt von den Worten des alten Mannes, der auf „arische Urzeiten“ verweist, wenn er von den heranwachsenden Jungen erzählt, die „nach den Mädels zu haschen beginnen, im ersten Drang des reiferen Geschlechts, und unbehelligt von der Sündenpredigt christlicher Priester und mora94 95 96 97 98 99 100

Krieck, Volkscharakter, S. 154 f. Vgl. Gross, Volk, S. 144. Gross, Rassegedanke des Nationalsozialismus, S. 13. Vgl. ebd., S. 13 f. Arzt, Biologie, S. 149. Vgl. Lebensgestaltung, wie wir sie wollen. In : Das Schwarze Korps vom 27. 3.1935. Kummer, Ehe, S. 78 f.

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lisierender Untermenschen. Dann spürt er [...] arische Urzeitweisen. Orgiasmus des Tanzes ! Wettkampf ungezähmter Urkraft und Leidenschaft ! Heiliger Gattungswille ! Jauchzende Dämonie der Natur“.101 Er bleibt dennoch skeptisch, auch wenn er die Überlegenheit dieser Neu - Ehe gegenüber der „Verlogenheit der Großstadtmoral“102 sieht. Die Notwendigkeit der Ablösung christlicher Fürsorgeethik durch eine „Ethik der Rassenhygiene“ hatte Artur Gütt, einer der geistigen Väter des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“, prägnant formuliert : „Die heute übertriebene Zivilisation und christliche Nächstenliebe verhilft den missratenen und unglücklichen Menschen zur Vererbung und Fortpflanzung, während sie andererseits hochwertige Menschen aus wirtschaftlichen und religiösen Gründen, wie aus Gleichgültigkeit daran hindert. [...] Die heutige Sozialethik und bisher geübte Nächstenliebe sind eine Versicherung auf Gegenseitigkeit, eine missverstandene christliche Religion, die durch einseitige Begünstigung der Minderwertigen und körperlich Schwachen und Kranken zum Untergang des deutschen Volkes führen muss.“103 Es gebe keinen Grund, Bedürftige allein wegen ihrer Bedürftigkeit zu bevorzugen, die doch häufig Folge erblicher Minderwertigkeit sei. Zudem tendierten die Minderwertigen in ihrem Eigennutz dazu, das gesunde Ganze zu dominieren. Dadurch drohe aus einer gemeinnützigen Sozialfürsorge eine Asozialenfürsorge zu werden. Gegen fremdrassige Sentimentalität gelte es, dem Opfertod seinen naturgesetzlichen Sinn wiederzugeben. Geopfert werden sollten die Lebensunfähigen. Ihre Ausschaltung werde zugleich das „Zusammengehörigkeitsgefühl [...] des Volkes“104 stärken. Zur Genesung des Volkes müsse „das unglückliche, lebensunwerte Leben, das sich während der Herrschaft der Minderwertigen“105 angesammelt habe, wieder entfernt werden. Die seelische und biologische Substanz des deutschen Volkes sei schwer geschädigt, aber nicht vollständig zerstört. Ihre Regenerierung durch die Reinigung der nordischen Rasse von artfremden Einflüssen sollte zur Gesundung des deutschen Volkes führen. „Um seinem individuellen Behagen leben zu können, verhütete der liberale Mensch die Geburt von Kindern. Weil sein Geschlecht in der Folge auszusterben drohte, hing er an jedem trotzdem neu entstandenen menschlichen Wesen mit Inbrunst als an etwas unbedingt Erhaltenswertem.“106 Konstruiert wird hier ein fatales Zusammenspiel von Kinderverweigerung aus Bequemlichkeit und Egoismus auf der einen und Fürsorge um jeden Preis für die wenigen geborenen Kinder auf der anderen Seite. Während also einerseits zu wenige Kinder geboren würden, würde andererseits bei diesen wenigen jede Differenzierung 101 Ebd., S. 80. 102 Ebd., S. 81. 103 Kaiser u. a. ( Hg.), Eugenik, S. 121–124, hier 122 – aus Artur Gütt, Denkschrift über Staatliche Bevölkerungspolitik (1932). 104 Astel, Rassendämmerung, S. 210. 105 Ebd., S. 214. 106 Brunk, Erbpflege, S. 356.

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nach rassisch Höher - und Minderwertigen durch ihre rassenindifferente Gleichbehandlung ausgeschaltet, was „gegen die Natur, gegen alles, was göttlich ist“,107 verstoße. Deshalb versuche der Nationalsozialismus, die „Ordnung alles Lebens“ durch „die Förderung der Hochwertigen und die Hemmung der Minderwertigen“108 wiederherzustellen. Dabei müssten der höchstwertigen Rasse die besten Bedingungen für die uneingeschränkte Entfaltung ihrer Anlagen geboten werden. Der von Kant formulierte moralische Imperativ, alle körperlichen und geistigen Fähigkeiten im Dienst an der Gemeinschaft auszubilden, wurde in seiner rassenpolitischen Variante zur moralischen Pflicht, alle erblichen Anlagen als Fähigkeiten und Kräfte zu entwickeln, um dadurch als Glied der ewigen Blutsgemeinschaft Unsterblichkeit zu erlangen.109 In der Metaphorik des Gartens wurde dazu aufgefordert, zunächst das sich rasch vermehrende „menschliche Unkraut in der Kultur“ zu beseitigen um die „Verschlechterung der menschlichen Rasse“110 zu stoppen. Zur Verbesserung von Menschenrasse und Menschenleben bedürfe es jedoch auch einer positiven Eugenik zur gezielten Förderung der Besten, Stärksten, Gesündesten und Fähigsten. Ehe und Familie müssten als „Pflanzgarten des Volkes“ gesehen werden, an dessen Gestaltung sich die Zukunft des deutschen Volkes entscheiden werde. Zu seiner Gestaltung gehöre auch „die Säuberung dieses Gartens von Unkraut“, um „von vornherein ungeeignetes Saatgut und Fremdgewächse aus dem Volksgarten fernzuhalten“. Dieser „Reinigungsprozess“ sei jedoch nur die Vorstufe zur „unerlässlichen Rodungsarbeit [...] ausmerzender Maßnahmen“111 gegen Geistes - und Erbkranke, Trinker und Verbrecher.112 Die „Minderung des Wertarmen und Wertlosen“ müsse mit der „Mehrung des Hochwertigen“113 verknüpft werden. Der „kategorische Imperativ der Naturgesetze“114 sichere, dass sich die Starken gegen die Schwachen durchsetzten, die aus eigener Kraft Lebensunfähigen aber ausgemerzt würden. Während die sich selbst und ihren Gesetzen überlassene Natur dafür sorge, dass alles Ungesunde und Minder wertige von selber aussterbe, müsse in einer kulturell degenerierten Gesellschaft dem Verfall bewusst rassenpolitisch gegengesteuert werden. Ein willkommener Nebeneffekt rassenpolitisch kontrollierter Fortpflanzung sei die zeitliche Begrenzung der Tötung lebensunwerten Lebens. Mit dem natürlichen Ende rassisch Minderwertiger durch die effektive Unterbindung ihrer Fortpflanzung sowie die Sicherstellung, dass nur noch gesunde Kinder geboren würden, werde 107 Ebd. 108 Ebd. 109 Vgl. Irdische Unsterblichkeit. In : SS - Leitheft, 6 (1940) 7a, S. 2; vgl. auch Vergewaltigung der Wissenschaft ? In : Das Schwarze Korps vom 23. 2.1939. 110 Schiller, Eugenik, S. 342. 111 Klee ( Hg.), Dokumente, S. 58–59, hier 59 – aus „... die unerlässliche Rodungsarbeit“. Auszug aus einem Artikel des Jahrbuchs der Caritaswissenschaft, 1937. 112 Zu den „gärtnerischen Ambitionen“ der planenden Gestaltung einer perfekten Gesellschaft vgl. Bauman, Moderne, S. 46–56. 113 Rogge - Börner, Gedanke, S. 81. 114 Ebd., S. 36.

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es bald keine Menschen mehr geben, die aus Gründen der Volksgesundheit und Rassenhygiene ausgemerzt werden müssten. Wenn sich erst einmal rassenhygienische Vorsorge gegen die übertriebene Fürsorge und künstliche Verlängerung des Lebens aus eigenen Kräften nicht lebensfähiger minderwertiger Menschen durchgesetzt habe, werde die Ausmerzung der Erbkranken und Minderwertigen überflüssig, da solche für die Volksgemeinschaft unnützen Esser, die nur Kosten verursachten, gar nicht erst geboren würden oder sich selbst überlassen ohnehin keine Überlebenschance hätten. Alfred Ploetz hatte bereits 1895 prognostiziert, dass die Verhütung einer „Neuerzeugung von Schwachen“ durch eine effektive „Fortpflanzungshygiene“ perspektivisch die „Ausjäte der Schwachen“115 überflüssig machen werde. Im Interesse einer „biologischen Hebung der Rasse“116 sollten die Tüchtigen gefördert werden, während die Schwachen und Kranken ihrem Schicksal überlassen werden sollten. Ihr Schutz durch Hygiene, Medizin und Wohlfahrtseinrichtungen führe dagegen „zur allmählichen Entartung“117 der Rasse, anstatt durch natürliche Zuchtwahl ihre Vervollkommnung zu sichern. Der Greifswalder Rassehygieniker Günther Just erklärte 1932, die Eugenik ziele darauf, „zukünftiges lebensunwertes Leben nicht erst entstehen zu lassen, statt gegenwärtiges lebensunwertes Leben zu vernichten“.118 Mit der Förderung „artgemäßer Menschenhochzucht“119 im nationalsozialistischen Staat werde alles Ungesunde bald von selber aussterben, wodurch negative Eugenik perspektivisch überflüssig werde. Die Rassenpolitik dürfe sich nicht damit begnügen, die Minderwertigen und Erbkranken auszumerzen, sondern müsse gleichzeitig die Neuentstehung minderwertigen Lebens verhindern. Die nationalsozialistische Weltanschauung habe ihre tiefsten Wurzeln im biologischen Geschehen. Ihr höchstes Ziel sei die Erhaltung des arteigenen Blutes. Die Natur habe für die Überproduktion von Individuen und die Auslese der Tüchtigsten durch den Kampf ums Dasein gesorgt. Das Eingreifen des Menschen habe diese Auslese abgeschwächt oder aufgehoben und so zur Entartung geführt. Deshalb müsse die Rassenhygiene dort einspringen, wo Einrichtungen, die in der Natur für die Erhaltung der Art und die Wahrung wertvoller Eigenschaften gesorgt hätten, durch die menschliche Zivilisation wirkungslos geworden seien. Eine an Humanismus und Nächstenliebe orientierte Kultur lasse der Natur nur wenig Möglichkeiten, Minderwertiges auszumerzen. So würde die moderne Medizin gerade jene Menschen schützen, die ohne ihre Hilfe nicht überleben könnten. Deshalb müssten die Hochwertigen gezielt gefördert, Minderwertige dagegen in ihrer Entwicklung gehemmt werden, um die biologische Verbesserung des deutschen Volkes, seine Aufartung, zu sichern.120 Der Nationalsozia115 116 117 118 119 120

Becker, Geschichte, S. 90 – zit. aus Ploetz, Ableitung (1895). Ebd., S. 61 – zit. aus Ploetz, Lebenserinnerungen. Ebd., S. 62 – zit aus Ploetz, Trostworte an einen naturwissenschaftlichen Hamlet. Just ( Hg.), Eugenik, S. 7–37, hier 11 f. – aus Günther Just, Eugenik und Weltanschauung. Neu, Politik, S. 49. Vgl. Brunk, Erbpflege, S. 356.

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lismus sei gegen das vermeintliche Menschenrecht auf Fortpflanzung für jeden Menschen ungeachtet seiner rassischen Komposition und gesundheitlichen Verfassung. Aus Verantwortung gegenüber der Volksgemeinschaft müsse Fortpflanzung dort unmöglich werden, wo sie Leid, Elend und Schaden für den Einzelnen wie für die Gemeinschaft bedeuten würde.121 Der völkische Staat setze die Rasse in den Mittelpunkt des Lebens und sorge für ihre Reinerhaltung. „Er hat das Kind zum kostbarsten Gut eines Volkes zu erklären. Er muss dafür Sorge tragen, dass nur, wer gesund ist, Kinder zeugt; dass es nur eine Schande gibt : bei eigener Krankheit und eigenen Mängeln dennoch Kinder in die Welt zu setzen“.122 Die „Verhinderung der Zeugungsfähigkeit und Zeugungsmöglichkeit seitens körperlich Degenerierter und geistig Erkrankter“ würde in Verbindung mit der „bewussten planmäßigen Förderung der Fruchtbarkeit der gesündesten Träger des Volkstums“123 den körperlichen und geistigen Verfall des deutschen Volkes stoppen und zu seiner Gesundung führen. Die Korrektur naturwidriger Eingriffe in die Schöpfung sollte durch die bevölkerungspolitisch notwendige „Ausschaltung erbkranken Nachwuchses“ 124 die Zukunft des deutschen Volkes sichern. Die nationalsozialistische Rassenpolitik knüpfte an die Unterscheidung zwischen einer ausjätenden und eine fördernden Erbpflege bzw. Eugenik an. Unterschieden wurde zwischen negativen rassenhygienischen Maßnahmen der „Hemmung der Minderwertigen ( Ausmerze )“ und positiven der „Förderung der Höherwertigen ( Auslese )“,125 ihrer Aufartung oder Aufnordung. Während die negative Eugenik der „Verhinderung des erbkranken und asozialen Nachwuchses“ diene, ziele die positive auf die „Bevorzugung, Unterstützung und Förderung der erbgesunden und rassisch wertvollen Familien“.126 Vor allem die negative Eugenik sei, wie nicht anders zu erwarten, auf heftigen Widerstand gestoßen. Schließlich verstoße sie „besonders stark gegen den humanitär - christlichen Standpunkt einer bedingungslosen Gleichmacherei“.127 Da die Auslese in der humanistisch degenerierten modernen Gesellschaft nicht mehr funktioniere, müsse lebensunwertes Leben gezielt ausgemerzt werden. Diese negative Auslese müsse durch die Aufartung und Züchtung der hochwertigen Rasse ergänzt werden. Aufartung sei in der Tat Menschenzucht, die jedoch entgegen verbreiteter Vorurteile nicht gegen die Würde des Menschen verstoße, sondern menschliche Würde durch die Förderung des Vollkommenen erst ermögliche. In der Rassenpolitik müsse eine Vielfalt von Varianten der Ausmerze zum Einsatz kommen. Neben der gewaltsamen und „selektorischen Ausmerze“128 gegen pathologisch Entartete müsse auch die Ausmerze durch ein „Unterlassen“ 121 122 123 124 125 126 127 128

Vgl. Gross, Grundfragen, S. 661. Hitler, Kampf, S. 446. Ebd., S. 448. Kötschau, Beitrag, (3. Teil ), S. 11. Magnussen, Rüstzeug, S. 117. Gütt, Dienst, S. 19. Gross, Grundfragen, S. 661. Hildebrandt, Norm, S. 238 und 269.

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und „versagte Unterstützung“ praktiziert werden, da diese „das Gemüt weniger ( belastet ), weil man das Schicksal walten lässt und die eigenen Hände nicht befleckt“.129 Erbkranke Menschen sollten an der Fortpflanzung gehindert, rassisch Hochwertige zu stärkerer Fortpflanzung animiert werden. Zusammen mit der gezielten Vernichtung Minderwertiger, die ohne Unterstützung ohnehin im Lebenskampf unterliegen würden, sollte dadurch die rassische Genesung des deutschen Volks eingeleitet werden. Der Staat habe das Recht und die Pflicht, das Minderwertige auszumerzen. In den zivilisierten Staaten würden Kranke, Schwache, Minderwertige und Verbrecher geschützt und so vor dem Untergang bewahrt, wodurch ihre natürliche Auslese und Ausmerze verhindert werde. Diese dem Tod geweihten Menschen hätten nur deshalb überlebt, weil eine Kultur der unbedingten Erhaltung jeglichen Lebens auch lebensunwertes und aus eigener Kraft lebensunfähiges Leben vor dem Tod bewahrt habe. Die Erlösung von ihren Leiden befreite zugleich die Gemeinschaft von der Last aufwendiger Fürsorge. Biologische Rassenpflege funktioniere nur im Zusammenspiel von Ausmerze und Auslese : Die Förderung der Höherwertigen müsse deshalb einhergehen mit der Ausmerzung der Minderwertigen, also ihrer Unfruchtbarmachung.130

3.

Kein Mitleid mit den Schwachen und Minderwertigen : Für eine Moral der Stärke

Nietzsche wurde zum Vordenker nationalsozialistischer Moral erklärt, der ihre entscheidenden Elemente bereits entwickelt habe, auch wenn diese in einer durch bürgerlichen Liberalismus und christliche Religion dominierten geistigen Atmosphäre nur bedingt zur Geltung kommen konnten. Begründungsversuche einer nationalsozialistischen Ethik beriefen sich insbesondere auf seine Kritik der christlichen Moral, seinen Sinn für Rangordnungen und die Differenzierung von Herren - und Sklavenmoral. Träger der Herrenmoral sei für ihn die nordische Rasse gewesen, Träger der Sklavenmoral ebenso eindeutig die Juden. Mit den Juden habe „der Sklavenaufstand in der Moral“131 begonnen, der durch ihre moralische Erpressung die Starken daran gehindert habe, mit guten Gewissen über die Schwachen zu herrschen. Zugleich sah Nietzsche in den Juden „die stärkste, zäheste und reinste Rasse“132 Europas, die sich gegen alle anderen durchgesetzt habe. Das heiße jedoch nicht, dass sie „darauf hinarbeiten und Pläne machen würden, [...] die Herrschaft über Europa“ zu erlangen, gehe es

129 Hildebrandt, Norm, S. 269. 130 Der Chef der Sicherheitspolizei und des SD : Der Rassegedanke und seine gesetzliche Gestaltung. o. O., o. J., S. 51 131 Nietzsche, Genealogie, Paragraph 7. – vgl. dazu Gerhardt, Nietzsche, S. 159–167. 132 Nietzsche, Jenseits, Paragraph 251.

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ihnen doch vielmehr darum, „endlich irgendwo fest, erlaubt, geachtet zu sein“133 und ihr Nomadenleben des ewigen Juden zu beenden. Die ihm unterstellte aggressive Polemik gegen die jüdische Rasse, die seiner Philosophie in ihrer rassenbiologischen Vereinnahmung durch die nationalsozialistische Ideologie angeheftet wurde, fehlte jedoch bei Nietzsche.134 Nietzsche habe nicht die Moral abschaffen wollen, sondern lediglich gegen ihre Alleinherrschaft protestiert. „Wo das Moralische der alleinige Maßstab des Lebens wird, da verkümmert das Leben, da entartet der Mensch.“135 Als Konsequenz dieser Ausblendung qualitativer Unterschiede zwischen den Menschen, die ausnahmslos alle in gleicher Weise für wertvoll befinde, habe die Moral selbst durch diese Gleichmacherei ihr normatives Differenzierungsvermögen eingebüßt. Dadurch wurde sie zum Synonym für die Nivellierung aller Unterschiede zwischen den Menschen, die praktisch auf die moralische Diskreditierung der über das Durchschnittsmaß der Masse herausragenden Hochwertigen hinauslief. Die Umwertung der Werte, die biologische Umwertung des Moralbegriffs, die Beschwörung des Ethos von Zucht und Züchtung – all das sei von Nietzsche begonnen worden, der „Strenge, Selbstzucht, Ordnung, Tatkraft, Opferbereitschaft für das Gemeinwesen, die Lust an der Gefahr, Verachtung des leichten Lebens“136 als Bestandteile der Soldatenmoral herausgearbeitet habe. Diese Werteordnung hätten sich die Führer des neuen Europa zu eigen gemacht. Zutreffend habe Nietzsche die Entwertung aller bürgerlichen Werte und den Zerfall bürgerlicher Lebensformen vorhergesagt. Die Grundlagen der christlichen Moral – religiöser Individualismus, Sündenbewusstsein, Demut – seien Nietzsche fremd gewesen. An die Stelle bürgerlicher Moralphilosophie sei bei ihm der Wille zur Macht getreten. Seine aristokratische Ordnung der Natur, der Starken und Gesunden habe die biologische Gesetzgebung des Nationalsozialismus vorweggenommen137 und durch die Ersetzung moralischer durch biologische Wertungen die Entstehung eines neuen Menschen vorbereitet.138 Diese biologische Moral habe den geistigen Gegensatz von gut und böse durch den natürlichen von gut und schlecht ersetzt.139 Nietzsche habe nicht nur die Biologie für die Philosophie wiederentdeckt, sondern auch die Herrschaft der jüdischen Moral im Christentum als Ursache für den Niedergang des europäischen Menschen aufgezeigt. Seine Kritik habe insbesondere der christlichen Mitleidsmoral und der entarteten Moral der Minderwertigen gegolten. Diese jüdisch - christliche Sklavenmoral habe den Schwachen und Niedrigen die Definitionsmacht über die Moral gegeben und es ihnen erlaubt,

133 134 135 136 137 138 139

Ebd. Vgl. Mittmann, Günstling. Härtle, Nietzsche, S. 299. Liebmann, Nietzsche. Vgl. Baeumler, Nietzsche, S. 296 f. Vgl. Vorbild deutscher Lebensführung. In : Das Schwarze Korps vom 20. 4.1938. Vgl. Römer, Nietzsche, S. 61.

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diejenigen, denen sie nicht gewachsen waren, als die Bösen moralisch auf Distanz zu halten.140 Das Christentum habe die Partei der Schwachen und Minderwertigen genommen und sich damit gegen das Leben selbst gestellt. Nietzsche Credo richtete sich explizit gegen die Religion tätigen Mitleidens : „Was ist gut ? – Alles, was das Gefühl der Macht, den Willen zur Macht, die Macht selbst im Menschen erhöht. Was ist schlecht ? – Alles, was aus der Schwäche stammt. [...] Die Schwachen und Mißratnen sollen zugrunde gehn : erster Satz unsrer Menschenliebe. Und man soll ihnen noch dazu helfen.“141 Christliches Mitleid widerspreche dem „Gesetz der Entwicklung, welches das Gesetz der Selektion ist. Es erhält, was zum Untergange reif ist, es wehrt sich zu Gunsten der Enterbten und Verurtheilten des Lebens, es giebt durch die Fülle des Mißrathnen aller Art, das es im Leben festhält, dem Leben selbst einen düsteren und fragwürdigen Aspekt.“142 Ihre Fürsorge der „Missrathenen, Kranken, Entartenden, Gebrechlichen, nothwendig Leidenden“ erhalte zu viele Menschen, die eigentlich „zu Grunde gehn sollten“. Nicht nur gebe sie „den Leidenden Trost, den Unterdrückten und Verzweifelnden Muth“, sondern sie sperre auch „die Innerlich - Zerstörten und Wild - Gewordenen von der Gesellschaft weg in Klöster und seelische Zuchthäuser“.143 In einer Umwertung aller Werte, die „alle Werthschätzungen auf den Kopf stelle“, arbeite sie „mit gutem Gewissen [...] an der Erhaltung alles Kranken und Leidenden“ und bewirke dadurch zugleich die „Unsicherheit, Gewissens - Noth“ der Starken, die an ihrer „Selbstzerstörung“144 zu zerbrechen drohten. Nietzsches Überlegungen zur Rassenhygiene gingen davon aus, dass es keine alle Lebewesen einschließende Solidarität gebe, also „kein gleiches Recht zwischen gesunden und entarteten Teilen eines Organismus“145, die man vielmehr ausschneiden müsse, wenn nicht das Ganze zugrunde gehen solle. Mitleid mit den Missratenen wäre „Widernatur selbst als Moral“.146 Eine Moral der Härte gegen sich selbst überwinde solche widernatürlichen Hemmungen und gehe rücksichtslos gegen diejenigen vor, die biologisch von der Natur zur Ausmerze bestimmt seien. Nietzsche sah „die schonungslose Vernichtung aller Entartenden und Parasitischen“ als notwendige Kehrseite der „Höherzüchtung der Menschheit“.147 Das zeige sich praktisch in einer „neuen Verantwortlichkeit des Arztes“ für solche Fälle, wo das „Interesse des aufsteigenden Lebens [...] das rücksichtsloseste Nieder - und Beiseite - Drängen des entarteten Lebens verlangt – zum Beispiel für das Recht auf Zeugung, für das Recht, geboren zu werden, für das Recht, zu leben“.148 140 141 142 143 144 145 146 147 148

Vgl. Härtle, Nietzsche, S. 299. Nietzsche, Antichrist, Paragraph 2. Ebd., Paragraph 7. Nietzsche, Jenseits, Paragraph 62. Ebd. Römer, Nietzsche, S. 64 f. Ebd., S. 65. Nietzsche, Geburt, Paragraph 4. Nietzsche, Götzen - Dämmerung, Paragraph 36.

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Die Aufwertung des Friedens gegenüber dem Krieg habe Nietzsche als antibiologisches Urteil und „Ausgeburt der Dekadenz des Lebens“149 bezeichnet. Seine Wertschätzung des Krieges sei prinzipiell gewesen. Er wusste : „Der gute Krieg ist’s, der jede Sache bestätigt.“150 Nietzsche habe die Demokratie und insbesondere ihr naturwidriges Prinzip der Gleichheit der Menschen gehasst151 und sich allein an die aristokratischen, verantwortungsfreudigen, selbstbewussten Menschen, an die Gesunden und Starken gewandt. Humanität sei für ihn die Verneinung des Lebens durch diejenigen gewesen, die zu schwach waren, sich seinen Herausforderungen zu stellen. Das Problem der Dekadenz habe er als biologische Grundfrage anerkannt und deshalb „eine neue, herbe, heldische Moral“152 gelehrt, die in dieser humanistisch degenerierten und verweichlichten Welt des Liberalismus natürlich nicht auf Gegenliebe gestoßen sei. Gegen die „Aufklärung mit ihrer Gleichheit, ihrer zucht - und schrankenlosen Freiheit“153 habe er die Persönlichkeit und die rassische Zucht herausgestellt und schon vor dem Nationalsozialismus „die Herrschaft der männlichen Tugenden: Zucht, Mut, Härte, Nüchternheit, Freiheit, Dienst, Aktivität“154 gefordert. Der neue Mensch, der Übermensch wurde geboren durch seine „Entmoralisierung“, mit der er die Geltung der bürgerlich - christlichen Moral für sich außer Kraft gesetzt habe, die ihn nur daran hinderte, sich mit seinen überlegenen Kräften im Daseinskampf durchzusetzen. Aus der Überwindung dieser Moral gehemmter Aggression und Durchsetzungskraft wachse ihm der Wille zur Macht zu. Die Kultur habe „aus dem Raubthiere Mensch ein zahmes und civilisirtes Thier, ein Hausthier“ herausgezüchtet. Die Befreiung von ihren Fesseln beschreibt Nietzsche im Bild „losgelassener Raubtiere“, die sich nun „in der Wildniss schadlos halten für die Spannung, welche eine lange Einschliessung und Einfriedigung in den Frieden der Gemeinschaft giebt“. Mord, Schändung und Folter würden dieses „frohlockende Ungeheuer“, diese „prachtvolle nach Beute und Sieg lüstern schweifende blonde Bestie“ nicht aus dem „seelischen Gleichgewicht bringen“, das sie der „Unschuld des Raubthier - Gewissens“ verdanke. Der „verborgene Grund“ menschlicher Natur müsse sich „von Zeit zu Zeit“ entladen – das Tier, welches der Mensch im Grunde immer noch sei, „muss wieder heraus, muss wieder in die Wildnis zurück“.155 Das Unberechenbare, Unwahrscheinliche und Absurde der Unternehmungen vornehmer Rassen, „ihre Gleichgültigkeit und Verachtung gegen Sicherheit, Leib, Leben, Behagen, ihre entsetzliche Heiterkeit und Tiefe der Lust in allem Zerstören, in allen Wollüsten des Siegs und der Grausamkeit“ im heldischen „Zeitalter von Erz“, in dem sie „hart, kalt, grausam, gefühl - und gewissenlos, Alles zermalmend und 149 150 151 152 153 154 155

Gross, Nietzsche, S. 508. Zit. bei Gross, Propheten, S. 30. Vgl. ebd., S. 29. Ebd., S. 31. Ebd., S. 33. Günther, Nietzsche, S. 563. Nietzsche, Genealogie, Paragraph 11.

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mit Blut übertünchend“ vorgegangen seien, habe einen tiefen Eindruck hinterlassen. Das tiefe Misstrauen, das den Deutsche entgegenschlage, sei „ein Nachschlag jenes unauslöschlichen Entsetzens, mit dem Jahrhunderte lang Europa dem Wüthen der blonden germanischen Bestie zugesehn hat“.156 Gegen die naturwidrige Stigmatisierung des Daseinskampfes als unmoralisch setzte die nationalsozialistische Ethik eine Moral der Stärke. Die bürgerlich christliche Moral habe sich als vor Zugriffen durch die Starken geschützter Raum der Schwachen und Bedürftigen etabliert. Die naturwidrige Moral christlicher Nächstenliebe hindere die Starken durch moralische Erpressung daran, sich im Daseinskampf gegen die Schwachen durchzusetzen. Dadurch würden die Lebensuntüchtigen in ihrer Anmaßung der Schutzbedürftigkeit vor vermeintlich inhumanen Übergriffen durch die rassisch Hochwertigen noch bestärkt.157 Die durch ihre Stärke zur Herrschaft Berufenen sollten guten Gewissens ihre Überlegenheit gegenüber den Schwachen zur Geltung zu bringen. Hier habe Nietzsche hellsichtig die christliche Moral der Nächstenliebe als Ausgangspunkt der Schwächung des Herrschaftsanspruchs der Starken durch ihre moralische Diskreditierung identifiziert. Tatsächlich hatte Nietzsche die Annahme ihrer moralischen Überlegenheit als Versuch der Schwachen herausgestellt, die Starken moralisch zu erpressen : „Von der Stärke verlangen, dass sie sich nicht als Stärke äußere, dass sie nicht ein Überwältigen - Wollen, ein Niederwerfen Wollen, ein Herrwerden - Wollen, ein Durst nach Feinden und Widerständen und Triumphen sei, ist gerade so widersinnig als von der Schwäche verlangen, dass sie sich als Stärke äußere. [...] Wenn die Unterdrückten, Niedergetretenen, Vergewaltigten aus der rachsüchtigen List der Ohnmacht heraus sich zureden : lasst uns anders sein als die Bösen, nämlich gut ! Und gut ist Jeder, der nicht vergewaltigt, der Niemanden verletzt, der nicht angreift, der nicht vergilt, der die Rache Gott übergiebt, der sich wie wir im Verborgenen hält, der allem Bösen aus dem Wege geht und wenig überhaupt vom Leben verlangt, gleich uns den Geduldigen, Demüthigen, Gerechten – so heisst das, kalt und ohne Voreingenommenheit angehört, eigentlich nichts weiter als : wir Schwachen sind nun einmal schwach; es ist gut, wenn wir nichts thun, wozu wir nicht stark genug sind.“158 Diese Verkehrung der natürlichen Werte - und Lebensordnung verkenne, dass nur der Gesunde ein Recht auf Entfaltung habe.159 Aus Schwäche und Bedürftigkeit erwachse kein Anspruch auf Zuwendung, aus Stärke keine Verpflichtung der Zuständigkeit für die Bedürfnisse der Schwachen. Als Angehörige der nordischen Rasse seien die Deutschen durch ihre überlegenen Erbanlagen zur Führung berufen. Nicht Mitleid, sondern Härte sei gegenüber minderwertigem Leben angebracht. Wer sich selbst gegenüber rücksichtslos sei, habe auch ein Recht, rücksichtslos gegen andere durchzusetzen, was er für richtig halte. 156 157 158 159

Ebd. Vgl. Eckstein, Sinn. Nietzsche, Genealogie, Paragraph 13. Vgl. Eggers, Leben, S. 25.

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Unnachsichtig gegen menschliche Schwächen, Verweichlichung und Feigheit gelte es, hart und unerbittlich gegen sich selbst und andere zu sein. Diese Haltung schließe die Bereitschaft ein, im übergeordneten Interesse der Gemeinschaft Unfähige aus der Gemeinschaft auszumerzen.160 Eine „Moral der Herrschenden“ müsse dem Grundsatz folgen, „dass man nur gegen seinesgleichen Pflichten habe“, während man „Wesen niedrigeren Ranges [...] nach Gutdünken“ ohne moralische Skrupel, eben „jenseits von Gut und Böse“,161 behandeln könne. Das werde durch die Entstehungsgeschichte einer auf Rangordnung und Wertverschiedenheit zwischen den Menschen gegründeten „aristokratischen Gesellschaft“ bestätigt, die so verlaufen sei : „Menschen mit einer noch natürlichen Natur, [...] Barbaren [...], Raubmenschen, noch im Besitz ungebrochner Willenskräfte und Macht - Begierden, warfen sich auf schwächere, gesittetere, friedlichere“162 Rassen. Das Leben selbst sei „Aneignung, Verletzung, Überwältigung des Fremden und Schwächeren, Unterdrückung, Härte, Aufzwängung eigner Formen, Einverleibung und mindestens, mildestens, Ausbeutung“.163 Scheu vor unbarmherziger Härte da, wo sie zur Stärkung der Volksgemeinschaft angebracht sei, sei eine verpasste Gelegenheit, eine rassenpolitisch problematische Situation zu bereinigen. Darüber hinaus führe sie zur Verweichlichung rassengesunder Menschen, die zu entschlossenem Handeln in kritischen Situationen nicht mehr fähig seien.164 Hier wird, in einer von Bernhard Schlink vorgeschlagenen Formulierung, die goldene Regel fairer Gegenseitigkeit und Zurückhaltung ersetzt durch die eiserne Regel gegenseitiger Härte. „Die Goldene Regel verbietet in verschiedenen Formulierungen, dem anderen anzutun, was man selbst nicht erleiden will. [...] Das Recht hat seinen Grund nicht in dieser goldenen, sondern in einer eisernen Regel. Was du bereit bist, dir zuzumuten, das hast du auch anderen zuzufügen das Recht. [...] Wem du dich auszusetzen bereit bist, dem hast du auch andere auszusetzen das Recht, was du dir abverlangst, hast du das Recht, auch anderen abzuverlangen usw. [...] Wo ich den Tod gewärtige, habe ich auch das Recht zu töten. Ich gewärtige den Tod, wo ich den Kampf auf Tod und Leben annehme, gleichgültig, ob er erklärt wird und wer ihn erklärt. Die Juden greifen uns nicht an ? Sie wollen in Ruhe ihre Geschäfte machen, ihren Schacher und Wucher treiben ? [...] Das kann sie nicht schützen. Deutschland hat den Kampf auf Leben und Tod mit ihnen angenommen.“165 Menschen, die sich diese eiserne Regel als Maxime ihres Handelns zu eigen machten, seien bereit, anderen das anzutun, was sie sich selbst auch zumuteten. Hart gegen sich selbst unterdrückten sie menschliche Regungen, deren Äußerung sie auch anderen nicht zugestanden. Disziplin, Askese, Opferbereitschaft und Unterordnung der eigenen 160 161 162 163 164 165

Vgl. Kameradschaft. In : SS - Leitheft, 6 (1940) 9b, S. 1–3, hier 1 f. Nietzsche, Jenseits, Paragraph 260. Ebd., Paragraph 257. Ebd., Paragraph 259. Vgl. Eggers, Leben, S. 43. Schlink, Heimkehr, S. 167.

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Interessen unter die der Volksgemeinschaft gingen einher mit der brutalen Unterdrückung, Ausbeutung und Vernichtung gemeinschaftsfremder Volksschädlinge. Gegen sie richtete sich die ganze Härte nationalsozialistischer Rassen - und Vernichtungspolitik. Die Haltung zur Gemeinschaft entschied darüber, ob Menschen als normal, moralisch und gesund oder aber als abartig, unmoralisch und krank galten. Die Diagnose, gemeinschaftsfremd, - schädlich oder - unfähig zu sein, wurde entweder aus der Zugehörigkeit zur jüdischen Rasse oder einer nicht therapierbaren Erbkrankheit abgeleitet. Als dauerhafte Gefahr oder Belastung für die Gemeinschaft bestritt sie den Betroffenen das Lebensrecht. Für eine Übergangszeit der Unterbringung in Ghettos oder Pflege - und Heilanstalten wurden sie von der Gemeinschaft rassisch hochwertiger und erbgesunder Deutscher isoliert, bis sich die Gelegenheit zu ihrer Tötung bot. Die Diagnose „gemeinschaftsfremd“ konnte auch diejenigen treffen, deren „Persönlichkeit und Lebensführung“ erkennen ließ, dass sie nicht imstande waren, „den Mindestanforderungen der Volksgemeinschaft zu genügen ( Versager )“.166 Asozialität und Kriminalität oder auch gemeinschaftsindifferenter Egoismus; rassenindifferente, gleichgeschlechtliche oder ausschließlich lustbezogene Sexualität ohne Absicht der Familiengründung oder Kinderwunsch galten ebenfalls als gemeinschaftsschädlich. Ratten, Wanzen und Flöhe seien ebenso wie Zigeuner und Juden in ihrer äußeren Erscheinung wie ihrem inneren Wesen festgelegt. Daran könne auch ihre rücksichtsvolle Behandlung nichts ändern. Aus Ratten würden nun einmal keine Zuchtpferde ebenso wenig wie aus Juden rassisch hochwertige Menschen werden könnten.167 Deshalb müssten alle diese Schädlinge, zu denen auch entartete Asoziale, Ichsüchtige und Kriminelle gehörten, biologisch ausgemerzt werden. Die lebenslange Unterbringung nicht therapierbar Erb - und Geisteskranker in Pflegeanstalten wurde angesichts knapper Mittel für zu teuer und gegenüber dem gesunden Teil der Volksgemeinschaft für unverantwortlich befunden. Nach der Überwindung religiöser und ethischer Bedenken gegenüber der Tötung für lebensunwert befundenen Lebens waren die entsprechend konditionierten Täter bereit, guten Gewissens das Gottesurteil natürlicher Auslese zu vollstrecken. Damit war der Schritt von der rasseneugenischen Rhetorik zur Pragmatik der Menschenvernichtung vollzogen. Der Wert des Menschen entscheide sich durch seine Bedeutung für die Gemeinschaft, die das Recht habe, alles Schädliche und Verderbliche zu vernichten. Die Schwachen hätten nur dann ein Lebensrecht, wenn sie das Recht der Starken, über ihr Leben nach Belieben zu verfügen, akzeptierten. Dagegen hätten sie ihr Leben verwirkt, wenn sie die Starken moralisch unter Druck setzen und Rechte einfordern würden, die ihnen als rassisch minderwertig nicht zustünden. Dann müssten sie damit rechnen, als Schädlinge behandelt und erbarmungslos vernichtet zu werden. 166 Kaden, Nestler ( Hg.), Dokumente, S. 234 – zit. aus einem Gesetzentwurf zur Behandlung Gemeinschaftsfremder von 1942, seinerzeit gescheitert und unveröffentlicht. 167 Vgl. Hannemann, Willensfreiheit, S. 471.

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Menschen, deren Verhalten als konträr zu nationalsozialistischen Werten und unvereinbar mit nationalsozialistischer Rassenmoral und eben deshalb als gemeinschaftsfremd eingeschätzt wurden, wurden nicht von vornherein und in jedem der für gemeinschaftsschädlich befundenen Verhaltensvarianten für die Gemeinschaft verloren gegeben. Rassisch Hochwertigen, die durch gemeinschaftsschädliches Verhalten auffielen, wurde zugestanden, dass sich ihre Persönlichkeitsdefizite durch Charakterschulung beheben ließen, da sie in ihrem Fall nicht durch artfremdes oder dauerhaft geschädigtes Erbmaterial verursacht seien. Auch wenn sie sich noch nicht artgemäß verhielten, waren sie doch prinzipiell zu rassenbewusstem Denken und Verhalten fähig. Um diese aus der Art geschlagenen, dem Konzept der Rasse indifferent gegenüber stehenden Deutschen wurde gerungen. Ihnen wurde eine „rassenhygienische Erneuerung“ zugetraut. Die Herrschaft der Demokratie habe in Europa dazu geführt, dass hier der Genuss über Freiheit und Pflicht triumphiere. Der Krieger habe hier nicht Fuß fassen können, sondern sei durch den Händler verdrängt worden.168 „Europa verriet das Blut und schändete die Rasse. Es entfesselte die Unterwelt. Wohin das Christentum vordrang, entkräftete es die Gemeinschaft der Starken.“169 Demokratie als die Übertragung gleicher Rechte auf andersartige, meist minderwertige Gruppen sei „die politische Form des rassischen Niederganges eines schöpferischen starken Volkes“.170 Von dieser Scheinmoral der christlichen und beutehungrigen besitzbürgerlichen Welt müsse sich Deutschland abwenden und zur preußischen Kriegermoral zurückfinden, nach der das Schwache sterben müsse, damit der Starke lebe.171 „Der Junge verspricht : Ich will danach trachten, dass die Gier nicht meinen Arm erschlaffen lässt. Ich will mich nicht begnügen mit der Geborgenheit des sichren Eigenlebens. Ich will nicht kämpfen um Besitz, der mich wie eine Mauer trennt von der Gemeinschaft. Ich will nicht um Genuss die Pflicht verraten.“172

Der Krieger sei stark genug, dem verführerischen Trieb, sich auszuruhen und das Leben einfach zu genießen, mit seinem kämpferischen Willen zu begegnen. Seine Willenskraft bändige das Gemeine, Feige und Falsche, so dass das Leben wachsen könne. Der Starke gründe sein Leben auf das Gesetz und stehe in „Ehrfurcht vor dem Leben zugleich im Kampf gegen alles Minderwertige, das der Gestaltung seiner selbst und seiner Gemeinschaft“173 entgegenstehe. Aus Ehrfurcht vor dem Leben bekämpfe er alles Minderwertige, das im Widerspruch zu den Gesetzen des Lebens und der Schöpfung die Gemeinschaft in ihrer 168 169 170 171 172 173

Vgl. Sombart, Händler. Eggers, Leben, S. 73. Rosenberg, Wesensgefüge, S. 11. Vgl. Eggers, Leben, S. 74 f. Ebd., S. 80. Ebd., S. 87.

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Handlungsfähigkeit zu schwächen drohe. Die nationalsozialistische Rassenpolitik versprach, durch die Korrektur widernatürlicher Eingriffe in die Schöpfung die Ehrfurcht vor dem Leben und dem Werk Gottes wieder herzustellen. Das natürliche Gesetz der Durchsetzung der Stärkeren werde konfessionelle Dogmatik, überholte Spätbürgerlichkeit und unreifen Bolschewismus aus den Angeln heben. Im Gegensatz zum Bolschewismus, der auf der gewaltsamen „Niederhaltung der opponierenden menschlichen Natur“174 beruhe und Menschen einer höherer Kultur zu vernichten drohe, gründe der Nationalsozialismus auf der natürlichen Gemeinschaft der Gesündesten, Besten und Willensstärksten.175 Die künstliche Verlängerung des Lebens Minderwertiger stehe im Widerspruch zum Naturgesetz der Auslese der Tüchtigen bei gleichzeitiger Ausmerze der Lebensuntüchtigen. Ihre Tötung diene der Entlastung des Volkskörpers, der frei von Verpflichtungen gegenüber denen sei, die selbst nichts zum Gemeinwohl beitragen würden. Schon Nietzsche, der Vordenker einer nationalsozialistischen Rassehygiene, habe in den Kranken die größte Gefahr für die Gesunden gesehen. „Das Leben selbst erkennt keine Solidarität, kein gleiches Recht zwischen Gesunden und entarteten Teilen eines Organismus an; letztere muss man ausschneiden, oder das Ganze geht zugrunde.“176 Mitleid mit den Missratenen wäre „Widernatur selbst als Moral“.177 Es gebe im Menschen gesunde, wertvolle, aber eben auch geringer wertige Teile. In praktischer Rassenpolitik gehe es darum, „die Fortpflanzung des gesunden, wertvollen Teils“ zu sichern, die „Fortpflanzung der nicht erwünschten fremdrassigen oder unterwertigen Teile“178 dagegen zu verhindern. Im Interesse ihrer Gesundheit müsse die Gemeinschaft alles Ungesunde und Fremde ausmerzen. Die Konsequenzen des Paradigmenwechsels von einer universellen Vernunftethik zu einer selektiven Rassenethik zeigten sich insbesondere in der Medizin und im Gesundheitswesen, die nach rassenbiologischen Gesichtspunkten neu organisiert werden sollten. So sei der Arzt im nationalsozialistischen Deutschland „Gesundheitsführer“, der nicht mehr vor allem „charitative Fürsorge“, sondern „produktive Vorbeugung“179 betreibe. Während der Arzt früherer Zeiten den kranken Einzelmenschen heilen wollte, sei der „nationalsozialistische Mediziner“ nicht mehr „Arzt des Individuums“, sondern „Arzt der Nation“.180 Nur die rassisch Hochwertigen könnten mit medizinischer Fürsorge rechnen, die unheilbar Kranken und Behinderten verweigert wurde. Rassische Begutachtung werde bestimmen, wer innerhalb eines Volkes als körperlich, seelisch und geistig normal gelte.181 Der neue Arzt sollte nicht mehr von „liberalis174 175 176 177 178 179 180 181

Raschhofer, Potenz. Vgl. Sander, Einheit. Römer, Nietzsche, S. 64 f. Ebd., S. 65. Gross, Erziehung, S. 20. Hamann, Standesethik, S. 645. Lang, Ärztebund, S. 39. Vgl. Pfannenstiel, Gedanken, S. 127.

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tisch humanitätsduseligem weichlichem Mitleid“182 gegenüber unheilbar Kranken und geistig Behinderten gehemmt sein. Solche Menschen müssten vielmehr härter angefasst und in den Kampf des Lebens hinein gestoßen werden. Dass sie ohne Hilfe und Zuwendung den Folgen ihrer Behinderung im Lebenskampf ausgesetzt, keine Chance hatten, diesen Kampf zu bestehen, war dabei unterstellt. Aus eigenen Kräften waren sie nicht überlebensfähig. Natürliche Auslese hieß in ihrem Falle Ausmerze. Ein kalter, abgeklärter Humanismus sei nicht mehr zeitgemäß. Die Ärzteschaft brauche keinen eigenen Standesethos, der sie elitär aus den politischen Turbulenzen der Zeit heraushalte, sondern müsse die Weltanschauung des Nationalsozialismus zu ihrem Ethos machen.183 Ethische und religiöse Bedenken gegenüber Eingriffen in die Lebensrechte Erbkranker wurden als unbegründet zurückgewiesen. Es galt als unmoralisch, aus eigener Kraft nicht lebensfähigen Menschen durch staatliche Fürsorge und Pflege ein Leben zu ermöglichen, das eine Normalität und Akzeptanz ihrer erbgesundheitlichen Behinderung suggerierte, die das rasseneugenische Wertesystem gerade ablehnte. Die nationalsozialistische Gemeinschaft sei keine Wohlfahrtseinrichtung, die soziale und medizinische Dienstleistungen für alle und jeden biete. Sie beschränke sich auch nicht auf das Konservieren des Bewährten und die Verhütung unerwünschter Entwicklungen, sondern sie strebe nach Höherentwicklung und Verbesserung des Bestehenden. Die „Auslese im Daseinskampf“ wurde als göttliches Gesetz zur Vernichtung der Untauglichen und Lebensuntüchtigen über die Heiligkeit menschlichen Lebens gestellt.184 Die Durchsetzung dieser Gesetze verwirkliche den „Willen des Schöpfers nach Aufstieg und Gesundheit des Menschengeschlechts, den eine falsche und krankhafte Humanitätsduselei durchkreuzt und verraten“185 habe. Lebensuntüchtige und unheilbar Kranke müssten verpflegt und behandelt, ihre Schmerzen und Leiden gelindert werden. Dennoch dürfe man „der Natur nicht in den Arm“ fallen und „lebensunwertes Leben“,186 das zur Ausmerze bestimmt sei, durch übertriebene Fürsorge und finanzielle Aufwendungen künstlich verlängern. Ziel planmäßiger Rassenpflege sei die „Förderung der Fortpflanzung des Hochwertigen, Ausscheidung des Minderwertigen“.187 Die „Tötung von Minderwertigen“ erspare diesen Menschen unerträgliches Leid und setze dabei zugleich das übergeordnete Interesse der Allgemeinheit durch. Dabei werde das Prinzip der Heiligkeit des Lebens nicht angetastet. Es sei klar, dass der Arzt Arzt bleibe und nicht zum Henker werden dürfe. Mit Ausnahme einer richterlichen Verurteilung zum Tod oder der Tötung aus privater Notwehr oder zur Verteidigung des Volkes in einem gerechten Krieg müsse gelten : „Kein Mensch hat das 182 183 184 185 186

Vgl. Weidner, Denken, S. 489. Vgl. Hamann, Standesethik, S. 642 f. Vgl. d’Alquen ( Hg.), Hieb, S. 169–174. Wagner, Rasse, S. 683. Schwartz, Euthanasie - Debatten, S. 663 – zit. aus F. Liebold : Hat die Arbeit des Geisteskrankenpflegers heute noch Sinn ? In : Der deutsche Krankenpfleger, (1939) 7. 187 Staemmler, Rassenpflege, S. 89

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Recht, das Leben eines Menschen zu verkürzen.“188 Entscheidend sei die Trennung des Minderwertigen vom Hochwertigen, die Klärung der Frage also, „wo die Grenze zwischen hochwertig und minderwertig zu ziehen ist“.189 Gerade mit der Freigabe lebensunwerten Lebens zur gezielten Tötung sichere die nationalsozialistische Rassenpolitik die Heiligkeit und Unantastbarkeit menschlichen Lebens. Unterstellt ist in dieser paradoxen Rechtfertigung der Tötung lebensunwerten Lebens durch den Verweis auf die Heiligkeit des Lebens, dass nur rassisch hochwertiges gesundes Leben als Leben zählt. Assoziiert wird die Unantastbarkeit der Schöpfung, die die praktische Differenzierung hoch - und minderwertigen Lebens durch das Gesetz natürlicher Auslese einschließt. Die „biologische Medizin“ des Nationalsozialismus bekenne sich zur „Lehre vom Werte des Blutes, der Rasse, der Persönlichkeit sowie der ewigen Auslesegesetze“.190 Dieses Bekenntnis müsse auch dem neuen Ethos des deutschen Arztes zugrunde liegen. Vor Gott mochten alle gleich sein, vor dem deutschen Arzt waren sie es nicht. Seine Zuwendung galt ausschließlich allen „hilfesuchenden deutschen Volksgenossen“,191 und auch hier nur denen, die zur gesunden Erbmasse des Volkes gehörten. Der deutsche Arzt müsse ein „Rassengewissen“192 ausbilden und ausgehend von diesem „rassenhygienisches Gewissen“193 Erbkrankheiten und deren Träger ohne konfessionelle oder überholte professionelle Ressentiments eines kranken Zeitgeistes als „biologischer Soldat“194 bekämpfen. Der Arzt früherer Zeiten sei nur auf das Heilen des kranken Einzelmenschen aus gewesen. Aufgabe des nationalsozialistischen Arztes dagegen sei es nicht nur, erkrankte deutsche Volksgenossen zu heilen, sondern sie auch seelisch nach den Grundsätzen der nationalsozialsozialistischen Weltanschauung zu führen.195 Was für den menschlichen Körper gelte, müsse auch für den Volkskörper durchgesetzt werden. Nur ein gesunder Volkskörper sei voll leistungs - , handlungs - und funktionsfähig, weshalb kranke, minderwertige Teile, die von der Volksgemeinschaft unterhalten werden müssten, ohne selbst etwas zu ihrer Prosperität beizutragen, von ihm abgestoßen werden müssten. Das „Schicksal der weißen Völker“ hänge davon ab, dass diese Wende zum „naturgesetzlich Notwendigen“,196 so barbarisch, unmenschlich und hart das auch den immer noch vom bürgerlich - christlichen Wertesystem Befangenen erscheinen möge, rigoros und erbarmungslos durchgesetzt werde. Gerade in Alltagssituationen zeige sich die Kraft der moralischen Selbstreinigung von Gemeinschaften. „Wer das vor188 189 190 191 192 193 194 195 196

Ebd., S. 92. Ebd., S. 99. Weidner, Denken, S. 486. Ebd., S. 524. Ebd., S. 526. Ungern - Sternberg, Rassenhygiene, S. 656. Weidner, Denken, S. 489 f. Vgl. Nationalsozialistische Gesundheitsführung, S. 421. Ebd., S. 197.

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sorgliche Vorausdenken nicht in sich hatte, wer spekulativ, wer unzutreffend dachte [...] der wurde vernichtet [...] Wer den Gefährten im Stich ließ, ihn belog und betrog, wurde, wenn er selbst der Kameradschaft bedurfte, mit Recht im Stich gelassen und ging zugrunde, konnte seine Erbanlagen für Treulosigkeit, für Lüge und Betrug nicht weitergeben an Nachkommen.“197 Diese Kombination von Stärke, Klugheit und Moral sichere die Überlegenheit der nordischen Rasse. Das Eingreifen des Menschen in die natürliche Auslese habe die selbstverständliche Ausmerze rassisch minderwertigen Lebens verhindert. Nun müssten Staat und Gesellschaft immer größere Mittel aufbringen, um Menschen am Leben zu erhalten, die aus eigener Kraft nicht lebensfähig wären, während Gesunde und Arbeitsfähige mittellos auf der Straße lägen. Eine sich selbst überlassene Natur, die das Gesunde und Starke fördere, hätte solche Menschen, die sich selbst und der Gemeinschaft nur zur Last fielen, längst rücksichtslos als lebensunfähig ausgemerzt. Der neue Staat müsse „die hemmungslose Fortpflanzung erblich minderwertigen Lebens verhindern“, um „die Gesetze der menschlichen Gesellschaft wieder mit den größeren der Natur und des Lebens in Einklang zu bringen“.198 Übertriebenes Mitleid mit Minderwertigen und Lebensuntauglichen zeige die Hybris des Menschen, der sich anmaße, Lebens und Naturgesetze ebenso in Frage zu stellen wie die göttliche Schöpfung. „Im Kampf ums Dasein siegt das Starke, verschwindet das Schwache.“199 In falsch verstandener Humanität sei der Kampf ums Dasein durch sentimentale Menschheitsverbrüderung und ein gegen natürliche Rangordnungen indifferentes Ethos des Mitleids weitgehend ausgeschaltet worden, statt ihn zu unterstützen und regulierend einzugreifen. Der Schutz auch derjenigen, deren Leben es nicht wert sei, erhalten zu werden, habe die natürliche Auslese von Hoch - und Minderwertigen unterbunden.200 Eine Moral der Schwäche habe die Natur - und Lebensgesetze daran gehindert, sich im natürlichen Kampf ums Dasein zur Geltung zu bringen. Die biologische Gründung der Ethik sollte rassenindifferente Mitmenschlichkeit und Gegenseitigkeit als unmoralisch, d. i. unvereinbar mit der neuen Rassenmoral ausschließen. Das Naturgesetz des Kampfes ums Dasein kenne keine Einschränkungen durch moralische Erwägungen. Es sei ein Gesetz, das immer zum Vorteil der Starken wirke. Ihnen verhelfe es zu der ihnen zustehenden Führungsposition in der Gesellschaft. Christliche Moralvorstellungen der Nächstenliebe und bürgerliche Menschenrechte gehörten einem durch den Nationalsozialismus überwundenen Zeitalter an. Bedürftigkeit und Schwäche seien kein Zeichen moralischer Auserwähltheit, sondern zunächst einmal ein Indiz für die Unfähigkeit, sich im Daseinskampf zu behaupten. Übertriebene Fürsorge für die Schwachen und Bedürftigen verfälsche den durch Natur - und Lebensgesetze bestimmten Daseinskampf. Moralische Werte wür197 198 199 200

Astel, Rassendämmerung, S. 203. Gross, Stimme, S. 259. Staemmler, Aufgaben, S. 418 f. Vgl. ebd.

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den nicht für alle gelten, sondern ausschließlich für die Starken, Gesunden und Durchsetzungsfähigen. Die rassisch Höherwertigen werden aufgefordert, ihre naturgesetzliche Führungsposition auf eine entsprechende Herrenmoral zu gründen. Dabei müsse Politik immer dann regulierend zur Unterstützung des Naturgesetzes der Stärkeren eingreifen, wenn dieses Gesetz durch moralische Interventionen geschwächt oder eingeschränkt werde. Das nationalsozialistische Rassendenken verwies auf die biologische Basisexistenz der Menschen, deren Unterdrückung und Diffamierung als untermenschlich - tierisch sie von den ursprünglichen Quellen ihrer Vitalität abgeschnitten und ihnen ein kulturell gehemmtes Leben aufgezwungen habe. Die stattdessen von einer universellen Menschheitsmoral behauptete gegenseitige Verpflichtung aller Menschen laufe faktisch auf die einseitige Unterstützung Bedürftiger hinaus. Rassisch Hochwertige würden dadurch gezwungen, Energien und Kräfte aus dem Kampf um eine ihnen angemessene Position abzuziehen und auf die Förderung unproduktiver, minderwertiger und parasitärer Existenzen zu lenken.

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VII. Der Krieg als „moralische Lehranstalt“ 1.

Der Krieg als moralische Bewährungsprobe : Todesbereitschaft, Todessehnsucht und Todesverachtung im Kampf der Ideen und Werte

Der Erste Weltkrieg wurde als gemeinschaftsbildendes Erlebnis höchster Intensität stilisiert : Die deutsche Volksgemeinschaft sei durch „das gemeinsame Erlebnis des Krieges [...] entstanden“.1 Im Krieg werde das üblicherweise Trennende der „Parteien, Klassen und Konfessionen“ durch „die Kameradschaft des gleichen Blutes und der gleichen Sprache“2 der Kämpfenden ersetzt. Der nationalsozialistische Menschentypus habe sich bei ehemaligen Frontsoldaten herausgebildet.3 Der Wert einer moralischen Haltung entscheide sich im Krieg. „Kriege sind im Leben eines Volkes unparteiische Entscheidungen der Geschichte über die Richtigkeit des Maßstabs von Gut und Böse in der Vergangenheit.“4 In dieser geschichtsphilosophischen Dekontextualisierung sind nicht die Völker, und schon gar nicht einzelne ambitionierte Politiker, die sich durch die Anzettelung eines Krieges weltpolitisch zu profilieren versuchen, für den Beginn oder Ausgang von Kriegen verantwortlich. Die Geschichte selbst trifft die Entscheidung über Krieg und Frieden. Immer dann, wenn in Friedenszeiten der Maßstab für moralisch und unmoralisch durch die Krise des moralischen Wertesystems durcheinander zu geraten droht, ist es an der Zeit, diesen Maßstab zu erneuern. Die Kraft zur Erneuerung eines moralischen Wertesystems aber hat nur der Krieg, der so auch die Chance für die an ihm beteiligten Völker ist, durch die Ausbildung einer anderen Völkern überlegenen Moral ihren weltpolitischen Führungsanspruch zu unterstreichen. Über den moralischen Wert der Vergangenheit entscheidet die Gegenwart. Kriege geben Völkern die Gelegenheit, ihr Wertesystem im moralischen Ausnahmezustand der Infragestellung aller historisch überkommenen, vermeintlich für die Ewigkeit gesetzten, Werte zu erneuern und an die Herausforderungen der Gegenwart anzupassen. Für das deutsche Volk gehe es deshalb im Krieg auch darum, eine seiner weltgeschichtlichen Führungsrolle angemessene Weltanschauungsmoral auszubilden.5 Der Krieg galt der nationalsozialistischen Ideologie als Bewährungsfeld der Rassenethik. In ihm sollten die Deutschen unter Beweis stellen, dass sie den rassischen Vernichtungskrieg mit der erforderlichen Härte und Erbarmungslosigkeit führen konnten. Dieser Krieg sei ein weltanschaulicher Krieg, der nur von politischen Soldaten gewonnen werden könne, die die nationalsozialistische 1 2 3 4 5

Engelbrechten, Wille, S. 1270. Ebd., S. 1070 f. Vgl. Soldat und Bürger – Zwei Haltungen. In : Das Schwarze Korps vom 24. 4.1935. Quadflieg, Egoismus S. 210. Vgl. In der Entscheidung. In : Das Reich vom 25. 8.1940.

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Rassenethik und - politik zu einer inneren Haltung ausgebildet hatten und deshalb überzeugt waren, dass Recht und Moral auf ihrer Seite seien.6 Der Selbstbehauptungswillen eines Volkes zeige sich in seiner Wehrethik, die den Kampf gegen seine Gegner auf einem ethischen Unterbau gründe.7 Gerade im Krieg müsse sich der Einzelne der Gemeinschaft unterordnen. Die Wehrkraft der Deutschen gründe in biologischen Voraussetzungen.8 Im Heldischen als dem Rausch des Augenblicks und der Inkarnation höchsten Soldatentums finde der bedingungslose Einsatz für ihr Volk seine Erfüllung. Die soldatische Zucht erlaube dem neuen Menschen, seine besten Tugenden auszubilden, seine Untugenden aber zurückzudrängen. Sein Eigenwille werde gezügelt und in den Dienst der Gemeinschaft gestellt, für deren Wohl er auch zu persönlichem Verzicht bereit sei.9 Durch ihre kämpferische Haltung dem Leben gegenüber und ihre Bereitschaft zu Opfer und Hingabe für Volk und Heimat seien die Soldaten für alle Deutschen ein Vorbild männlicher Kraft und Pflichterfüllung.10 In der ethischen Bluts - , Arbeits - und Schicksalsgemeinschaft des Krieges würden sie sich zur unbesiegbaren Wehrgemeinschaft zusammenschließen.11 Mit Mut, Härte und Entschlossenheit kämpfe der deutsche Soldat unter „bedingungslosem Einsatz seiner Person für Volk und Vaterland bis zur Opferung seines Lebens“.12 Nachdem Goebbels auch die Deutschen an der Heimatfront auf den totalen Krieg eingeschworen hatte, war die Trennung von Krieg und Zivilleben faktisch aufgehoben. Jeder Deutsche stehe nun in der Pflicht, seine Eignung für den Überlebenskampf des deutschen Volkes nachzuweisen. Der totale Krieg fordere ein Leben in Anspannung und Härte und führe zu einem „Umbruch verlogener bürgerlicher Moralbegriffe“.13 Er zwinge den Menschen Einschränkungen, Entbehrungen und Opfer auf und habe wenig Freude zu bieten. Einem solchen Leben seien nicht alle gleichermaßen gewachsen. Schließlich bestehe das deutsche Volk nicht nur aus Helden. Auch in ihm gebe es Schwache, Böswillige und Feige, aber auch die seelisch, geistig oder körperlich weniger Robusten, die den Anforderungen des Alltags im Kriege nur mühsam standhielten, und die es deshalb zu stützen und vor dem Zusammenbruch zu bewahren gelte. Der politische Soldat verkörpere das „andere Deutschland“.14 Mit der Haltung unbedingter Opferbereitschaft für sein Volk, die im „Tod die Erfüllung des Gesetzes [...] und [...] die Krönung der Pflicht“15 sehe, setze er ein Beispiel. Für ihn, der immer 6 Vgl. Handblätter für den weltanschaulichen Unterricht, Berlin o. J. Hg. : Der Reichsführer SS, Thema 20: Dieser Krieg ist ein weltanschaulicher Krieg. 7 Vgl. Biez, Wehrprinzip, S. 125. 8 Vgl. Fergau, Wehrhaftigkeit. 9 Vgl. Pleyer, Volk, S. 11 und 15. 10 Die Pflichten des deutschen Soldaten. In : Der Schulungsbrief, (1939) 3, S. 90. 11 Vgl. Luyken, Soldatentum, S. 53 f. 12 Vgl. Die Pflichten des deutschen Soldaten. In : Der Schulungsbrief, (1939) 3, S. 90. 13 Gross, Der Rassegedanke des Nationalsozialismus, S. 21 f. 14 Vgl. Rößner, Deutschland. 15 Eggers, Leben, S. 67.

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„unter dem Schatten des Sterbens“16 kämpfe, habe der Tod seinen Schrecken verloren. Der Krieg habe die Intensität des Lebens gesteigert und jeden Einzelnen in die Situation existentieller Bewährung gestellt. Er verlange von jedem Einzelnen, dass er mit sich im Reinen sei, wenn der Befehl zum Sterben komme. „Die Völker nehmen ohne Zögern oder Empörung die Leiden furchtbarer Kriege auf sich [...], um eine Idee ihres Wesens zu verwirklichen, die jenseits aller zeitlichen Bestimmung liegt.“17 Das nationalsozialistische Führerprinzip habe es in einer noch der alten Gesellschaftsordnung verhafteten Zeit schwer, sich durchzusetzen. Als Gestaltungsprinzip könne es sich nur dort entfalten, „wo die Voraussetzungen dafür gegeben sind : im soldatischen Raum, vor allem an den Fronten des Krieges“.18 Hier, wo es stündlich um Leben und Tod gehe, hätten die „Ressentiments einer bürgerlich geordneten Welt ihre Bedeutung verloren“.19 Im „Raum bürgerlicher Ordnungsmächte“ dagegen werde Führung häufig noch als Verwalten missverstanden. Dann triumphierten Paragraphen und geschriebene Satzungen über das Leben, so dass „die sture Anwendung äußerer Vorschriften unter völliger Aufhebung der ursprünglichen Sinnsetzung das Gegenteil der beabsichtigten Wirkung“20 erziele. Der Krieg habe die Herausbildung eines neuen Menschen im gemeinsamen, den Tod verachtenden Kampf gegen die Feinde des deutschen Volkes enorm beschleunigt. Die Zertrümmerung eines oberflächlichen Lebensstils und die brutale Entzauberung des Scheins einer gesicherten Welt hätten die Deutschen im Krieg zur Rückbesinnung auf die Urschriften ihres Lebens gezwungen. Der Kampf um das „nackte Leben“ sei zum Kampf um das „neue Leben“21 geworden. Behauptet wird hier nicht weniger, als ein dramatischer Zusammenschluss von Utopie und Lebenskampf : Im Kampf ums Überleben formiere sich der neue Mensch als Vorschein eines neuen Lebens. Nur Pflicht - und Tatmenschen seien Vollmenschen.22 Erst der Krieg gebe ihnen die Gelegenheit zum selbstlosen Opfer unbedingter Kameradschaft. Für deutsche Soldaten sei es eine Sache der Ehre, dass keiner hungern oder dürsten müsse, solange ein Kamerad noch ein Stück Brot und einen Schluck Wasser habe, dass keiner sich verlassen fühle, solange noch ein Kamerad am Leben sei.23 „Der sittliche Wert des kriegerischen Einsatzes und Opfers ist unabhängig von dem Sinn und den Zielen des Krieges. Wer seine Person für ein höheres Ganzes einsetzt, handelt erhaben. Wer sein Leben als Opfer darbietet, ist über sich hinausgewachsen. Der Opfermensch ist der Übermensch.“24 In dieser

16 17 18 19 20 21 22 23 24

Ebd. Oehlmann, Maß. Das seelische Erbe. In : Das Schwarze Korps vom 2.10.1944. Ebd. Ebd. Um das nackte Leben. In : Das Schwarze Korps vom 21. 9.1944. Vgl. Hauptmann, Pflicht - und Tatmenschen. Vgl. Eggers, S. 68. Pleyer, Volk, S. 11.

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metaphysischen Stilisierung des Krieges wird eine gemeinsame moralische Prägekraft der existentiellen Kriegserfahrung herausgestellt, die die grundlegenden Differenzen zwischen den Kriegsparteien ausblendet. Eine solche rassenindifferente Sicht auf den Krieg würde auch den bolschewistischen Untermenschen die Möglichkeit zugestehen, durch Einsatz - und Opferbereitschaft für ihr Gemeinwesen zu Übermenschen zu werden. Davon konnte im Rassenkrieg natürlich keine Rede sein. Der nationalsozialistische Vernichtungskrieg ließ eine solche Anerkennung der Gleichwertigkeit des Kriegsgegners oder die Herausbildung einer virtuellen Gemeinschaft der gleichermaßen durch die Erfahrung der Grausamkeit des Krieges und der Normalität von Todesgefahr und Tötungsbereitschaft geprägten Kriegsparteien, vergleichbar der die Kriegsparteien übergreifenden Frontgemeinschaft im Ersten Weltkrieg, nicht zu. Das Leben im Krieg könne nur von Menschen bestanden werden, die auch unter extremen Bedingungen ihrem Gewissen folgen und ihre Pflicht erfüllen würden. In unsicheren Zeiten beschleiche die Menschen ein dunkles Gefühl, als ob das Schicksal sich gegen sie verschworen habe. Der abendländische Mensch könne jedoch die Unabänderlichkeit des Schicksals, als ob „all sein Bemühen um Gestaltung des Lebens und der Welt nur dem Gestrampel einer komödiantischen Marionette vergleichbar sei, die an einem unsichtbaren Faden hängt“,25 nicht akzeptieren. Gerade Deutsche seien im Bewusstsein ihrer Freiheit verantwortlich handelnde Menschen. Wer sich dagegen mit der Fatalität einlasse, liefere sich mit dem Verlust seiner Freiheit an die Mächte einer anonymen Kausalität aus.26 Der Mensch wisse selten um seine wirkliche Kraft. Erst wenn „das Leben die Forderung nach dem Einsatz des Letzten und Äußersten“ erhebe, zeige sich, was in ihm an „Kraft, an Glauben, an Mut und Tapferkeit, an Hingabe - und Opferbereitschaft“27 stecke. Das deutsche Volk habe an den Fronten des Krieges und „in dem höllischen Erlebnis zahlloser Bombennächte [...] die Bürgerlichkeit hinter sich gelassen“.28 Es habe bewiesen, dass es „nach soldatischem Gesetz“ zu leben wisse. Erst der Krieg erlaube es dem Menschen, über sich hinauszuwachsen. In ihm zeige sich der Mensch in seiner ganzen „Erbärmlichkeit, aber auch in seiner einsamen Größe“.29 Der Krieg lege alle Schichten am Menschen frei, seine Schwächen und Niedrigkeiten ebenso wie seine Stärken. Nur auf diejenigen, die der Extremsituation des Krieges gewachsen seien, komme es letztlich an. Im Krieg zeige sich, dass das Volk nicht im Ergebnis eines freiwilligen Zusammenschlusses oder eines Vertrages auf Gegenseitigkeit entstehe, sondern dass es eine Schicksalsgemeinschaft sei.30 In ihm stehe Wert gegen Wert, wobei sich in den Turbulenzen der militärischen Auseinandersetzungen letztlich die 25 26 27 28 29 30

Dvorak, Zukünftiges. Vgl. ebd. Die Schule des Krieges. In : Das Schwarze Korps vom 4.1.1945. Ebd. Ebd. Vgl. Gross, Rassegedanke des Nationalsozialismus, S. 9.

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moralisch Hochwertigen mit den stärksten Lebensnormen durchsetzen würden.31 Kriege, die das Schicksal der Völker und Rassen bestimmten, seien im tiefsten Sinne biologische Ereignisse. Deshalb könne das militärisch - politische Geschehen nur vor dem Hintergrund der biologischen Vorgänge verstanden und gewertet werden, in die es eingebettet sei. So sei eine militärische Niederlage erst dann endgültig, wenn sie zum biologischen Niedergang eines Volkes führe, ein Sieg nur dann dauerhaft, wenn er die Lebenskraft eines Volkes steigere.32 Angesichts der Zerstörungen des Krieges, die die Menschen der sichtbaren Werte beraubt hätten, werden „die wahren Werte des Lebens“33 beschworen. Die Besinnung auf diese Werte erlaube es, die notwendige innere Stärke zu entwickeln, um Not und Zweifel auch in schweren Zeiten zu überstehen. Die Zerstörung der sichtbaren Zeichen ihrer Leistungen und Erfolge könnten nur innerlich reiche Menschen in Würde bestehen. Nur ihnen sei es möglich, auch in den Trümmern des Krieges ein erfülltes Leben zu führen. Auch hier erweise sich der Krieg als Weltbildner und - wandler, der Menschen auf brutale Weise die Verkehrung der Werte im Zeitalter des Materialismus vorführe. Die Menschen hätten sich daran gewöhnt, den Wert des Lebens nur in seinen sichtbaren Ausdrucksformen zu schätzen, das Unsichtbare, nicht Zählbare jedoch, in dem sich sein eigentlicher Wert verberge, zu ignorieren. Diese verhängnisvolle Entwicklung habe sich im jüdischen Bolschewismus und plutokratischen Amerikanismus vollendet, die auf unterschiedliche Weise den „nackten Menschen ohne Wertbezug“34 zum Träger ihres Weltbildes gemacht hätten. Im Krieg, wo täglich neu für jeden Einzelnen die unkalkulierbare Entscheidung über Leben und Tod falle, nehme „der Wille nach einem erfüllten [...] unter allen Umständen lebenswerten [...] Leben“, unabhängig von „äußeren Ereignissen“,35 Gestalt an. Hier, „aus dem Schatten der Vernichtung“, forme sich das Unzerstörbare menschlicher Werte – das von den äußeren Formen Unabhängige, das Unvergängliche, das in jedem Menschen lebe. Im Krieg, der die äußerlichen Unterschiede sozialer Zugehörigkeit und Bildung einschmelze, zeige sich, was einer persönlich wert sei, wenn es darum gehe, sich im Einsatz für die Gemeinschaft zu bewähren. Wert und Würde könnten nicht verliehen, sondern müssten erkämpft werden.36 Im Krieg und nur im Krieg bilde sich der neue Mensch heraus, ohne den eine neue Gesellschaft nicht möglich sei. Deren Perspektive entscheide sich durch den Charakter der Menschen, die weltanschauliche Ideen entweder als Haltung übernahmen und verinnerlichten oder sie opportunistisch als äußeres Bekenntnis zu einem politischen System vor sich her trugen, von dem sie sich persönliche Vorteile versprachen. Die kriegsentscheidende Überlegenheit der Herrenmenschen zeige sich darin, dass ihnen 31 32 33 34 35 36

Vgl. Zeitenwende. In : Der Schulungsbrief, (1943) 4, S. 51– 54, hier 53. Vgl. Eckstein, Seite, S. 19. Die wahren Werte des Lebens. In : Das Schwarze Korps vom 29. 6.1944. Ebd. Ebd. Vgl. ebd.

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Tapferkeit, Gehorsam und Treue selbstverständlich waren. Sie seien immer da zu finden, wo die Gefahr am nächsten sei – „in der Nähe des Todes“.37 Ihre Bereitschaft zum Opfer des eigenen Lebens für ihr Volk zeige eine Lebensbejahung, die nur Menschen, die der Krieg täglich zwischen Leben und Tod stelle, in dieser Intensität empfinden könnten.38 Auf nationalsozialistischer Seite stehe „der wertvollere Mensch, der reinere Willen, der größere Heldenmut, die höhere und deshalb stärkere Idee“.39 Dieser allen anderen überlegene Mensch werde sich mit seinem Wissen und Können, seiner Leistung und Härte, seiner Haltung, Charakterstärke und seinem Verantwortungsbewusstsein gegen die Mittelmäßigkeit seiner Gegner durchsetzen.40 Der Rassenkampf werde durch die moralische Überlegenheit der nordischen Rasse zu ihren Gunsten entschieden werden. „Nicht Armeen kämpfen [...], sondern Ideen, die sich ihre Soldaten geformt haben.“41 Die deutschen Soldaten wurden zu Kämpfern für die Durchsetzung der Ideale des deutschen Idealismus erklärt, dessen lebendige Kraft sie durch ihren Tod bezeugten. Für sie sei der deutsche Idealismus kein phantastischer und intellektueller Utopismus, kein „Himmelreich der Unerlösten“, sondern lebendige Wirklichkeit. Durch die deutschen Soldaten und Arbeiter, die sich in diesem Krieg an den „härtesten und gefährlichsten Forderungen“ der Wirklichkeit behaupteten, sei dem deutschen Idealismus gesundes, kräftiges Blut zugeströmt. Dieser Idealismus diene „der Ordnung der Starken, der Kommenden, der Ordnung des Lebens“.42 Er ziele nicht vorrangig auf das Glück der Einzelnen, sondern darauf, den Sieg des „völkischen Ethos über die vegetative Existenz der Horde“43 zu sichern. Das Opfer des Einzelnen für die Verwirklichung seiner Ideale bleibe im Ganzen des Volkes erhalten. Die Kraft deutscher Innerlichkeit werde das deutsche Volk aus fremdgeistiger Erstarrung befreien. Der Krieg sei die deutscher Kultur und Lebenshaltung angemessene Lebensform. Hier finde das Geheimnis deutschen Seins seine Lösung. Die Entschlossenheit des Kämpfers, „für eine heilige, jedes Opfer rechtfertigende Sache“ zu sterben, sei „durch keine Gefahr und keine Not“44 zu erschüttern. Carl Schmitts Begriffsbestimmung des Politischen hatte als letzte Konsequenz einer kämpferischen Haltung die Todes - und Tötungsbereitschaft eingefordert. „Die Begriffe Freund, Feind und Kampf“ schlossen die „Möglichkeit der physischen Tötung“45 ein, ohne den Feind zu stigmatisieren. „Der politische Feind braucht nicht moralisch böse, er braucht nicht ästhetisch hässlich zu sein; er muss nicht als wirtschaftlicher Konkurrent auftreten, und es kann vielleicht 37 38 39 40 41 42 43 44

Herrentum, SS - Leitheft, 6 (1940) 9a, S. 3–5, hier 5. Vgl. Spannung und Entspannung. In : Das Schwarze Korps vom 11. 5.1944. Hinweis zur weltanschaulichen Führung in ( BArch, NS 31/424). Vgl. Was ist Sozialismus. In : SS - Leithefte ( BArch, NS 31/421, S. 117). Stellrecht, Wehrerziehung, S. 8. Die Tragik des Idealismus ? In : Das Schwarze Korps vom 24. 6.1943. Ebd. Die Kraft von innen. In : Das Schwarze Korps vom 25.1.1945.

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sogar vorteilhaft scheinen, mit ihm Geschäfte zu machen. Er ist eben der andere, der Fremde, und es genügt zu seinem Wesen, dass er in einem besonders intensiven Sinne existenziell etwas anderes und Fremdes ist, so dass im extremen Fall Konflikte mit ihm möglich sind.“46 Diese Bestimmung ist ausdrücklich gerichtet gegen die liberalistische Vision einer „restlos moralisierten und ethisierten Welt“,47 in der es keine Feinde mehr, sondern nur noch Konkurrenten und Diskussionsgegner gäbe. Zugleich insistiert Schmitt, dass Kampf nur als „Krieg [...] zwischen organisierten politischen Einheiten“48 stattfinde. Seine Begriffsbestimmung des Politischen generalisiert die Weltkriegserfahrung, ohne jedoch den Krieg als normale Verkehrsform zwischen Angehörigen unterschiedlicher politischer Gruppierungen bellizistisch festzuschreiben. Sie setzt die Handlungsfähigkeit des Staates als politische Einheit und damit die Befriedung innenpolitischer Differenzen und Konflikte zwischen den politischen Parteien voraus. Der Staat wird als unparteiischer Vermittler des innenpolitischen Parteienstreites in eine Schiedsfunktion eingesetzt, die von der Priorität der Interessen von Staat und Nation gegenüber den Interessen der Parteien ausgeht. Diese Generalisierung des „Augusterlebnisses“ zur Begriffsbestimmung des Politischen soll sichern, dass es in einer vergleichbaren Ausnahmesituation wiederholbar ist, dass also das Volk in der nationalen Ausnahmesituation politisch mobilisierbar bleibt. Die nationalsozialistische Ideologie bestimmte das Auseinandertreten von Freund und Feind als Gegensatz von Eigenem und Fremdem : „Freund ist, wer aus seinem eigenen Wesen heraus die Existenz der Gemeinschaft bejaht und sich mit dem Leben für sie einsetzt; Feind, wer ihre Existenz verneint und ihre Vernichtung anstrebt.“49 Während der Freund zur eigenen Art gehöre, werde diese vom Feind negiert. Die Bereitschaft, zur Verteidigung der eigenen Existenz zu töten und zu sterben, wurde zum ultimativen Bekenntnis zur Gemeinschaft. „Mut und Todesbereitschaft verbürgen den Bestand eines Volkes. Treue und Gehorsam verbürgen den Sieg im Kampf.“50 Der Krieg biete die einzigartige Chance der persönlichen Bewährung in der existentiellen Herausforderung des Kampfes auf Leben und Tod. Vor dieser Herausforderung weiche zurück, wer sich ihr nicht gewachsen fühle oder zu feige sei, sich ihr zu stellen. Auf diese Weise würden die Starken, Harten und Helden von den Schwächlingen, Weichlingen und Feiglingen geschieden. Die Starken führe der Krieg zu der ihnen möglichen Höchstleistung.51 Die nationalsozialistische Moral sei vor allem kämpferische Moral. Denjenigen, die sich im Kampf von ihr leiten ließen, verleihe sie eine übermenschliche Stärke, die sie faktisch unbezwingbar mache. „Vor sich den Feind, in sich das Gesetz, um sich die Kameraden, so springt der 45 46 47 48 49 50 51

Schmitt, Begriff, S. 33. Ebd., S. 27. Ebd., S. 28. Ebd., S. 33. Harten, Gemeinschaft, S. 146. Unsere Haltung, Vom Sinn deutscher Vorgeschichte. In : SS - Leitheft, 3 (1937) 1, S. 32– 35, hier 34 f. Vgl. Pleyer, Volk, S. 9–11.

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Einzelne über seinen Schatten, und das Menschliche hinter sich lassend, wird er zum Helden“,52 auf den die üblichen menschlichen Maßstäbe nicht anwendbar seien. Natürlich seien auch die deutschen Weltanschauungskrieger nicht vor dem Tod im Kriege gefeit. Und dennoch seien sie unbesiegbar. Ihr Leben werde durch den Heldentod nicht beendet, sondern erfülle und vollende sich in ihm. Für Deutschland seien sie auch zum Opfer des eigenen Lebens bereit.53 Die nationalsozialistische Bewegung sei höheren Werten verpflichtet, wodurch sie Menschen anspreche, denen das Leben für eine Idee wichtiger sei als ein bequemes Leben voller Annehmlichkeiten. Durch die existentielle Verknüpfung seines Lebens mit der Idee der Rasse könne der Mensch den Tod überwinden, auch wenn er als Individuum natürlich sterblich bleibe. Als „Träger und Keimzelle künftigen Lebens“54 stehe der Mensch in der Verantwortung vor der Zukunft. Die Bereitschaft, in der Wahrnehmung dieser Verantwortung wenn nötig auch zu sterben und zu töten, erhöhe den Wert des einzelnen Menschen noch. Als Teil des ewigen Kreislaufs des Lebens und der Rasse würden die Menschen die ihnen als Individuen biologisch gesetzten Grenzen überwinden und unsterblich werden. Seine „Haltung im Sterben“ zeige, was ein Volk wert sei. Der Tod bringe dem Sterbenden „noch einmal zum Bewusstsein, [...] dass er [...] der Lebens - und Sterbensgemeinschaft des kämpfenden Heeres, der unsterblichen Gemeinschaft des Volkes“55 angehöre. Als Angehöriger seiner militärischen Einheit weiß der Soldat, dass zum Leben auch der Tod gehört, während er als Angehöriger der Volksgemeinschaft unsterblich ist. Sein Leben finde im Heldentod für Deutschland seine Erfüllung. Der neue Mensch sei bereit, sein Leben für die Gemeinschaft zu opfern. Nicht der Tod, das persönliche Ausgelöschtsein, sei ihm das Bitterste, sondern die Sorge, sein Opfer könne umsonst gewesen sein.56 In seiner Unausweichlichkeit und Undurchdringlichkeit verbleibe der Tod als überwältigende Grenzerfahrung „in der Zone einer Ungewissheit, der Ahnungen und des Zweifels“ – er sei „nicht nur Zerstörer, sondern auch Schöpfer, nicht Beschließer, sondern Vollender“.57 Nur in der Bejahung des Lebens könne der Mensch die Angst vor dem Tod überwinden. Wer keine Angst vor dem Leben habe, brauche auch das Sterben nicht zu fürchten. Lebensmut eröffne die Aussicht auf „einen Tod aus der Fülle des Daseins, aus der Kraft der Idee“.58 Dabei gebe es vier Möglichkeiten des Todes : 1. den Tod aus der Fülle des Lebens, 2. den Tod in der Erfüllung der Pflicht, 3. das Ende des Schwachsinnigen, Irren oder Kriminellen, der ohnehin nur den Rhythmus der Nation gestört habe und 4. das blinde Ende durch eine äußere Katastrophe.59 Die Haltung zum Tod entscheide sich durch die eigene 52 53 54 55 56 57 58 59

Kaufmann, Tapferkeit, S. 542. Vgl. Vom Wesen der Tapferkeit. In : Das Schwarze Korps vom 5. 8.1943. Beurlen, Gesetz, S. 106 f. Pleyer, Volk, S. 36. Vgl. Schicksal und Erbgut. In : Das Schwarze Korps vom 20.1.1944. Oehlmann, Unsterblichkeit. Pintschovius, Tod. Vgl. ebd.

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Lebensführung und die Qualität der Ideen, an denen sich das Leben orientiere. Entweder vollende sich das Leben im Tod oder aber ein ohnehin reduziertes Leben komme zu seinem natürlichen, bereits überfälligen Ende. Der Nationalsozialismus habe der natürlichen Sehnsucht des Menschen nach Unsterblichkeit durch die Lehre von der ewigen Blutsgemeinschaft die Verheißung möglicher Erfüllung gegeben. Um unsterblich zu werden, müsse der Nationalsozialist seine wertvollen Erbanlagen durch verantwortungsbewusste Gattenwahl und zahlreiche Kinder auf kommende Geschlechter vererben.60 Die tägliche Konfrontation mit dem Tod, die Gewöhnung an den Gedanken, jederzeit im Kampf sterben zu können, habe die Deutschen hart gemacht. Zugleich habe die Nähe des Todes alle ihre Sinne auf eine Weise geschärft, die sie das Leben in höchster Intensität erfahren lasse. Die Erfahrung des Krieges führe zu einer Sensibilisierung der Menschen für die Vielfalt und Intensität des Lebens. „Wir sind ein hartes Geschlecht. Nicht nötig zu sagen, was uns hart gemacht hat. Wir sind. Das genügt. Und wir werden noch härter werden. Immer härter, unsere Leiber und unsere Seelen. Abgetan haben wir alles Fremdwerk und Blendwerk und blicken um uns mit hellen Augen, mit wachen Herzen und mit lebendigen Sinne.“61

Das Verhältnis des nordischen Menschen zum Tode unterscheide sich grundlegend von dem andersrassiger Menschen. Die Angst vor dem Tod sei ihnen eigentlich fremd. Dass dennoch auch Angehörige der nordischen Rasse von ihr affiziert seien, zeige das ganze Ausmaß ihrer weltanschaulichen Überfremdung. Vor ihrer Christianisierung hätten nordische Menschen Todesfurcht nicht gekannt. Die Annahme einer Auferstehung des Fleisches und damit eines ewigen Lebens des physisch - psychischen Individuums sei ihnen immer als naturwidrig erschienen. Wer ein sauberes und anständiges Leben geführt habe, brauche auch nicht mit Furcht und Zittern zu sterben.62 Weder fürchte der Starke den Tod noch suche er ihn. Todessehnsucht und Todesangst seien ihm gleichermaßen fremd. Wenn der Tod ihn denn treffe, dann nehme er ihn gelassen hin.63 Im Unterschied zu denen, die den Tod fürchteten oder ihn aus Lebensüberdruss ersehnten, sei das kämpferische Leben der deutschen Soldaten frei von Eitelkeit und sentimentaler Todessehnsucht. Während der Opfertod am Kreuz nur „Ausdruck der leidenden Ergebung und der Buße für eine imaginäre und abstrakte Welt, für einen Universalismus“64 ohne heilenden Gedanken gewesen sei, sei ihr Tod die Vollendung ihres Lebens. Angehörige der nordischen Rasse kämpften „für den Sieg des Lichtes, aber im Kampfe werden ihre Augen leuchten, und noch im Tode wird ein Lächeln 60 Vgl. Irdische Unsterblichkeit. In : SS - Leitheft, 6 (1940) 7a, 3 Seiten ( o. S.), S. 2. 61 Freund Hein“. Der Tod – wie wir ihn erleben. In: SS-Leitheft, 7 (1941) 7a, S. 1–3, hier 2. 62 Vgl. Verwirrung im Blut. III. Die artfremde Ewigkeit. In : Das Schwarze Korps vom 22. 6.1939. 63 Vgl. Eggers, Leben, S. 92. 64 Das unsterbliche Leben. In : Das Schwarze Korps vom 11.1.1943.

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um ihren Mund spielen, denn sterbend werden sie fühlen : sie haben ihre Sendung erfüllt, treu den Geboten ihres Blutes“.65 Für Angehörige der nordischen Rasse sei der Tod eine Möglichkeit, die sie weder suchen würden noch verdrängen müssten. „Das Ausharren und Aushalten, das Anständig - Sterben, das Nichtverzagen, der Drang nach vorne“66 – diese Tugenden sicherten, dass der Führer sich auf seine Getreuen verlassen könne, die, wenn nötig, lachend sterben könnten. In seiner Loslösung vom Irdischen habe das Mannestum der nationalsozialistischen Kämpfer etwas Erhabenes und Göttliches. Ein solches Pathos todessehnsüchtigen Verlangens, den Heldentod zu sterben, blieb nicht unwidersprochen. Leitartikler des „Schwarzen Korps“ etwa sahen in ihm eine falsche, rührselige Pathetik, die mit der Realität des Krieges nichts zu tun habe. Die Soldaten an der Front, für die es im Gefecht tatsächlich darum gehe, eine Haltung zu ihrem jederzeit möglichen Tod zu entwickeln, würden die Falschheit einer solchen Etappenrhetorik spüren und sie eher als Verhöhnung denn als Ermutigung wahrnehmen. Sachlichkeit, kühle Berechnung, Nüchternheit, nicht große Worte würden im Kampf gebraucht. „Das Kriegstheater kennt kein Pathos, keine Pose, keine Geste. Es kennt dafür das echte Entsetzen, an die Erde gepresste und zusammen gekrümmte Leiber, keuchende Lungen, Erbarmungslosigkeit.“67 In den Deutschen würden sich Todesverachtung und Lebensbejahung auf einzigartige Weise zur rassischen Tugend vereinen. Die todesverachtende Haltung der politischen Soldaten des Nationalsozialismus dürfe ihre Bereitschaft zu unbedingtem Einsatz im Kampf jedoch nicht gefährden. Vor „der ethischen Forderung zur Sterbensbereitschaft“ stehe die „Forderung zur Lebenskampfbereitschaft“.68 Weder also das den Tod suchende Opfer des eigenen Lebens noch die feige Furcht vor dem Tod, sondern die den eigenen Tod einkalkulierende Fixierung auf die Vernichtung des Gegners werden den deutschen Soldaten und insbesondere den SS - Angehörigen als kämpferische Haltung abverlangt. Sie sollen den Tod als Erfüllung ihres Lebens sehen, ihn jedoch nicht vorzeitig suchen. Nicht nur im Opfer, sondern bereits im Einsatz ihres Lebens für Führer, Volk und Vaterland vollende und erfülle sich das Leben überzeugter Nationalsozialisten.69 Diese Haltung der kampf - , opfer - und todesbereiten politischen Soldaten des Führers spiegelt sich wider in den im „Schwarzen Korps“ abgedruckten Todesanzeigen von SS - Angehörigen. Aufschlussreich sind dabei auch die Nuancen und Abweichungen vom rhetorischen Standard der Erfüllung und Vollendung des Lebens der SS - Männer im Heldentod, der in unterschiedlicher Kombination und nur unwesentlich modifiziert die folgenden Textbausteine benutzte : Sie gaben in höchster Pflichterfüllung ihr hoffnungsvolles junges Leben für 65 66 67 68 69

Garbe, Zweiweltenlehre, S. 231. Das gibt uns Härte. In : Das Schwarze Korps vom 19. 3.1942. Pleyer, Volk, S. 35. Simoneit, Wehr - Ethik, S. 104. Vgl. Erziehung zum Vorbild. In : Das schwarze Korps vom 6. 4.1944.

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Deutschlands Freiheit und starben in begeistertem Einsatz für Führer, Volk und Freiheit so, wie sie lebten : furchtlos und tapfer. Ihr Heldentod traf sie im festen Glauben an den Endsieg und in unerschütterlicher Liebe und Treue zu Führer, Volk und Vaterland. Ihr durch den Heldentod gekröntes Leben war Idealismus, Treue und Liebe. Sie alle waren fürsorgliche Väter und treue Lebenskameraden, innigstgeliebte Männer und liebe, hoffnungsvolle und herzensgute Söhne.70 Neben der kämpferischen Rhetorik des Heldentodes sind auch persönliche Töne zu finden, die das Heldenpathos ins Private verschieben, wie etwa das folgende Beispiel zeigt : „Als Soldat und Mensch war er von selbstloser und edler Gesinnung; nur immer bemüht, Gutes zu tun und Freude zu bereiten“71 – der SS - Sturmbannführer und Bataillonskommandant Alois Wild, der über alles geliebte Mann und treue Gefährte der schönsten Jahre seiner hinterbliebenen Frau, überaus gütiger Schwiegersohn und lieber Bruder. Aber auch die knappe, bereits von Ernst Jünger im Ersten Weltkrieg für das soldatische Sterben im Massenkrieg eingeführte Rhetorik, wonach der Soldat in einem solchen Krieg nicht falle, sondern ausfalle, und also vor allem ersetzt werden müsse, damit der Krieg bis zum schließlich siegreichen Ende geführt werden könne, findet sich.72 So wird als Beispiel heroischer Gesinnung aus dem Brief eines Vaters zitiert, der gerade die Nachricht erhalten hat, dass sein dritter Sohn gefallen ist, und der daraufhin an den Einheitsführer seines gefallenen Sohnes schreibt : „Damit die Lücke, in der Kurt gestanden hat, wieder ausgefüllt wird, biete ich der Einheit meine vierten Sohn als Ersatz [...] an [...] auf diese Weise hat die Einheit wieder einen Ersatzmann. Ich hoffe, dass die Einheit auf meinen Vorschlag eingeht. Heil Hitler ! Otto K.“73 Auch weniger heldische, schlicht menschliche Reaktionen auf den Tod des geliebten Mannes, Sohnes oder Bruders gab es, wie das folgende Beispiel zeigt : „Mein Glück und meinen Lebensinhalt habe ich mit ihm verloren“,74 heißt es knapp und ergreifend in einer Anzeige, nachdem auch hier zunächst der unerschütterliche Glaube des Gefallenen an Endsieg und eine schöne Zukunft betont wurden. Oder in einer anderen „Ein hartes Schicksal entriss mir allzu früh mein ganzes, einziges Glück.“75 Je aussichtsloser der Krieg wurde, desto stärker wurden die Tugenden der „Kampf - und Einsatzbereitschaft des seinem Volk in Ehre und Treue verschworenen Mannes“76 beschworen, die trotz verzweifelter Lage am Ende den Sieg des Nationalsozialismus sichern würden. Als es auch für die deutschen Soldaten an der Front und die täglich durch die alliierten Bomberverbände in der Heimat bedrohte deutsche Zivilbevölkerung massenhaft ans Sterben ging, wurde gegen den Tod das unsterbliche Leben gesetzt. Lebensmut lasse sich auch aus der täg70 71 72 73 74 75 76

Vgl. Das Schwarze Korps vom 1. 6.1944. Ebd. Vgl. Jünger, Arbeiter, S. 111. Von der heroischen Gesinnung. In : Das Schwarze Korps vom 29. 3.1945. Das Schwarze Korps vom 11. 5.1944. Ebd. Revolutionäre Rangordnung. In : Das Schwarze Korps vom 23.11.1944.

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lichen Konfrontation mit dem Tod gewinnen. Diese Lebensbejahung in der Todesgefahr zeige umso eindringlicher die ganze Erbärmlichkeit derjenigen, die nur Ironie und Spott für die Helden des Krieges übrig hätten. Ihr Unverständnis für diejenigen, die sich zum Einsatz meldeten, aus dem sie mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht wiederkehren würden, setze sie ab von den Unberechenbaren und Unbedingten, „die alle Möglichkeiten des Lebens auf eine einzige Karte setzen“.77 Deren selbstlose Bereitschaft, ihr Leben für die Gemeinschaft zu opfern, sei für sich an ihr Leben klammernde Defätisten befremdlich und unverständlich. Ihnen erschließe sich nicht, was Menschen veranlassen könnte, ihr Leben im Einsatz für eine große Idee zu geben, dessen Ausgang zweifelhaft sei. Gegen jene Unbedingtheit, die sich dem Kampf auf Leben und Tod ohne Rückversicherung stelle, setzten sie das Mittelmaß, den Ausgleich, das Gewähren - Lassen. Dann, wenn es daran gehe, das „Leben in Gefahr“ zu meistern, würden sie versagen, eben weil es für sie nichts gebe, für das sie, wenn nötig, bereit gewesen wären, ihr Leben zu opfern. Abenteuerlust und Tapferkeit allein würden nicht ausreichen, um die Zerreißprobe des Kampfes auf Leben und Tod im Krieg zu bestehen. Im „kosmischen Lebensrhythmus“ des großen Werdens und Vergehens zeige sich, wer weltanschaulich gefestigt und hart genug sei, das Überflüssige vom Notwendigen in seinem Leben zu trennen und zur Haltung selbstverständlicher Entsagung zu finden.78 Beschrieben wird der Bombenterror, der dennoch nichts an der Haltung der Deutschen ändere : „Einer hält zum anderen. Niemand verlässt seinen Platz.“79 Die zivilen Zerstörungen und Opfer des Krieges, die auch seine sittliche Rechtfertigung in Frage zu stellen schienen, hätten auch Nietzsches Vision von der ewigen Wiederkehr des Gleichen in ein neues Licht gerückt. So könnten die der Gewalt des Krieges hilflos Ausgelieferten „nicht einmal mehr die Frage stellen, ob sie dieses Leben in seinen Freuden, Ängsten, Nöten, in seiner Höhe und in seiner Tiefe noch einmal wiederleben möchten“.80 Nur zu verständlich sei das gierige Lebensverlangen, das in solchen Situationen aufkomme, das „einem Strudel gleich alles an sich saugt, was dem Leben bisher eine kostbare und unersetzliche Würde gegeben hat“.81 In dumpfer Leidenschaft griffen die Menschen in ihrer durch die Nähe des Todes noch gesteigerten Lebensgier nach dem höchsten Glück, ohne jedoch im Rausch der Leidenschaften den Frieden der Erfüllung zu finden. Ihr verzweifelter Versuch, „die letzten großen Erfüllungen des Lebens in einige heiße Stunden und Tage zu pressen“, lasse sie immer wieder „unbefriedigt aus kurzen Räuschen erwachen“.82 Die Autorin sieht „ein wahlloses Zusammenströmen der Geschlechter“, deren verzweifeltes Verlangen sie „in heftigen Genüssen“ vereine und zu immer „neuen unangemessenen 77 78 79 80 81 82

Das unsterbliche Leben. In : Das Schwarze Korps vom 11.1.1945. Vgl. Simoneit, Gedanke. Meyer - Sickendieck, Bombenangriff. Über die Lebenssehnsucht. In : Das Schwarze Korps vom 30. 3.1944. Ebd. Ebd.

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Vereinigungen“ forttreibe und fragt : „Wird im Angesicht des jähen Erlöschens, das die Überlebenden gewahren, nicht ein Gefühl für die Begrenztheit der Lebenswerte wach, muss nicht ein Taumel über den Menschen kommen, schnell, ehe der Atem der letzten Minute ihn umweht, noch einmal die Freude des Lebens an sich zu reißen, gierig, sich selber vergessend und auch die Ordnungen verwerfend, in denen er bisher lebte“ ?83 Diese Lebenssüchtigen meinten, „dem Tode entfliehen zu können, indem sie das Leben noch einmal mit einer wütenden Gebärde an sich“84 rissen. In Wirklichkeit würden sie durch diese Verdrängung den Tod erst recht herbeilocken, werde doch dadurch ihre Widerstandskraft geschwächt, die sich aus dem Glauben an das Leben speise, den diese Verzweifelten verloren hätten. Gegen diese Haltung der Sinnlosigkeit und müden Resignation angesichts des plötzlichen Verlöschens im Krieg wird die Gelassenheit „echter Lebenssehnsucht“ beschworen, die sich „über die lebenssüchtigen Begierden erhoben“85 habe. Das Bewusstsein der Übereinstimmung mit den Notwendigkeiten des Lebens lasse Menschen mit ruhiger Bestimmtheit handeln. Für sie habe der Tod seinen Schrecken verloren. Ihre Lebensbejahung in der Todesgefahr lasse sie im Tod „die höchste Bestätigung und Besiegelung ihres Lebens“86 sehen. Um die Anspannung täglicher Todesgefahr auszuhalten, müsse den Menschen jedoch auch Gelegenheit zur Entspannung gegeben werden. Im Krieg, der „die Gefühle verrohe und die niederen Instinkte wecke“,87 würden Einzelne auch über sich selbst hinauswachsen. Ideale, die sie bisher nur aus der Distanz vertreten hätten, würden für sie nun zur persönlichen Verpflichtung. „Schlacht und Heldentum, Sieg und Heldentod, Verleugnung des Individuums, Dienst an der Gemeinschaft, Opfer und tragischer Untergang, kurzum jene Entselbstung des alltäglichen, des durchschnittlichen Menschen“88 würden im Krieg selbstverständlich. Dieses Leben in der Spannung des Außer - Alltäglichen forme den neuen Menschen. Wer diese Bewährung bestehe, gehe aus ihr als ein anderer Mensch hervor. Durch die Veralltäglichung des Ausnahmezustandes drohe die Spannung des Außer - Alltäglichen sich jedoch aufzulösen. Die Selbstverständlichkeit des Todes, der jeden jederzeit treffen kann, konnte zur panischen Verdrängung der Todesgefahr durch eine besinnungslose Lebensgier führen, die im Rausch der hemmungslosen Befriedigung zu verdrängen suchte, was dennoch jeden Rauschzustand unbeschadet überstand : den möglichen, vielleicht sogar wahrscheinlichen Tod im Krieg, der nun nicht mehr als heldische Erfüllung des Lebens imaginiert werden konnte, sondern als Ende drohte, das alle Hoffnungen und Sehnsüchte zunichtemachen würde.

83 84 85 86 87 88

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Spannung und Entspannung. In : Das Schwarze Korps vom 11. 5.1944. Ebd.

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Gerechnet werden müsse jedoch auch damit, dass die Lebensgier der Schwachen im Ausnahmezustand andauernder Todesgefahr außer Kontrolle geratenen könne : „Nach alter Erfahrung lassen sich die Schwachen in einer panikartigen, hemmungslosen Lebensgier gehen, im Taumel einer nie zu befriedigenden Vergnügungssucht, die wenigstens für Stunden alle Angst um die plötzliche Fragwürdigkeit ihres Lebens betäubt. Diese alle Zucht des Gewissens und der Gesetze durchbrechende Flucht in den Rausch“89 habe es im Ersten Weltkrieg auch in Deutschland gegeben. Jetzt dagegen sei sie kein Problem, da selbst die Mittelmäßigen ein verantwortungsbewusstes Nationalgefühl ergriffen habe, das einer oberflächlichen Lebensgier in der Todesgefahr widerstehe. In Deutschland werde man sich angesichts des Todes der wahren Werte und „todüberlegenen Kräfte“ des Lebens erst bewusst. Hier entstehe eine andere Art Lebensgier, „wenn beispielsweise der Soldat zum Heiraten drängt, weil er sich ein Kind wünscht. [...] Das Kind lässt sein Leben nicht verlöschen.“90 Bei allen höherrangigen Menschen sei der Drang zu beobachten, „ein gleichsam konzentrierteres, dichteres Leben“91 zu führen, das Lebendige nicht zu verneinen sondern mit ihm zu verschmelzen. Die „Nachbarschaft des Todes“ reiße die Menschen aus „allem gleichgültig müden Dahinleben“ und lasse sie ihr Leben „wie etwas fast Fremdgewordenes, wie etwas Neues, wie nach einer Wiedergeburt“92 in einer überwältigenden Intensität wahrnehmen. Die ständige Todesgefahr mache sie nicht nur bescheidener und genügsamer, sondern auch wieder empfänglich für durch die Zivilisation bereits abgestorbene existentielle Tiefen des Lebens. Das Satte und Übersättigte verliere sich, alles gleichgültig Genießerische falle von ihnen ab. Diese Haltung befähige die Soldaten, mit „gläubiger Gelassenheit“ in den Kampf zu gehen, jedoch ohne sich fatalistisch ihrem Schicksal zu ergeben. Im Falle ihres Todes müsse diese Haltung auf die Hinterbliebenen übergehen. Es dürfe nicht zugelassen werden, dass diese in ihrer Trauer von der Einsamkeit und Bitterkeit ihres Schmerzes überwältigt würden. Auch ihr Schicksal sei verschmolzen mit dem der Gemeinschaft, die sie in dieser schweren Zeit auffange. Mit großem Pathos wird die Intensität des Lebens beschworen, die sich durch Leidenschaft, Schmerz und Todesgefahr erst herstelle, während das ängstliche Kalkulieren der Risiken und Gefahren dazu führe, ängstlich Sicherheiten und Routinen eines belanglos gewordenen Lebens zu verwalten und jeder Gefahr in panischer Todesangst aus dem Wege zu gehen. Diese Fixierung auf das einmal Etablierte und Bewährte ersticke jede mögliche Entwicklung bereits im Keim. „Leidenschaften befeuern das Dasein. Schmerzen läutern. Leid vertieft. [...] Tod entbindet, wird Geburt und wandelt ins Wesen. [...] Leben ist etwas Unwahrscheinliches an Gefährdung und Gefahr. [...] Siegen werden die Vollstrecker. Siegen werden, die gehorsam, ohne um ihr Los zu fragen, tun, was zu tun ist. Sie gehen dem fernsten Donner entgegen, weil sie wittern : dort nistet der Blitz. 89 Hymmen, Nachbarschaft. 90 Ebd.

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Sie richten alle Speere auf sich. Sie wagen den Aufgang im Untergang, im Verächtnis das Vermächtnis. Sie kennen nur eines, das Gesetz, das sich seine Täter sucht. Sie sind es, die die Zeiten kürzen. Sie stoßen die Fackel in die Wunde. Sie opfern Geschlechter um ein Geschlecht, das sie überleben soll. Sie tragen in sich das Gesicht eines Bildes, das zu seinem Urbild hinstrebt. [...] Sie wagen den Schritt, den keiner gewagt hat, den Schritt ins Wagnis, das dich [...] sichert.“93 Es fällt schwer, dieses überschwengliche Pathos des Lebens in der Gefahr und Bewährung und die Verklärung des Todes zur Wiederauferstehung in einer höhere Existenzform auf einen sachlichen Kern zu bringen. Leiden und Schmerzen als alltägliche Begleiterscheinungen des Krieges werden als Vorboten des möglichen Todes zum Teil eines apokalyptischen Untergangsszenarios, das, so die Botschaft, dennoch der lähmenden Fixierung auf den Tod vorzuziehen sei, in dem sich weder etwas vollende noch vorbereite oder in neuer Gestalt fortsetze. „Einmal stark zu sein, du Schwacher, lockt dich die Versuchung nicht ? Einmal zu schaudern vorm Verhängnis, lockt dich diese Lebens - Lust nicht ? [...] Oh, diese schmale Spanne Leben, reicht sie der Schöpfung nicht bis auf den Grund ? Sind wir nicht tiefer als der Alltag unserer kindischen Bekümmerung ? Leuchtend zu leben sind [...] wir gezeugt. Ach, was blieb von solcher Sendung ? [...] Es umarmen die Krieger wieder das Leben, nicht irgendein Weib. [...] Sterblich, werden wir menschlicher sein. Die Heere der Toten sind nicht tot. Sie sind uns nur vorausgeschleudert. Wir betreten Stern um Stern. Jahrmillionen wandern wir, von Geburt zu Geburt, ewig umschlungen, furchtlos in Ehrfurcht, gereift, gefeit.“94 Gegen den vergeblichen Versuch, im Alltag die Erfüllung des Lebens zu finden – ein kindisches Bemühen, das zum Scheitern verurteilt sei, wird der Urgrund der Schöpfung gesetzt. Nur im Bezug auf das Urbild möglicher Vollendung im Einklang mit der Ewigkeit und Unvergänglichkeit der Schöpfung könnten Menschen in der ihnen möglichen Intensität leben. Das Tragische sei eine „Urtatsache des Seins“, weshalb es nicht mit „Schmerz, Leiden, persönlicher Schuld und persönlicher Sühne verwechselt oder gar als dunkler Untergrund einer Erlösungssehnsucht gesetzt werden“95 könne. Nur durch „sein Nicht - Ausweichen vor dem tragischen Gegeneinander und Zwiespalt der Werte“,96 die er selbst verkörpere, erlebe der Mensch das Sein in all seiner Tiefe. In der Tragödie hätten wir es nicht mit verletzter oder bestätigter Sittlichkeit, auch nicht mit einer sittlichen Entzweiung zu tun. Hier begegneten Menschen nicht „einem Anruf des Guten im Bösen, nicht [...] einem Rufen nach Licht und Erlösung in der Schuldhaftigkeit“,97 sondern dem tragischen Urphänomen des 91 92 93 94 95 96 97

Ebd. Ebd. Euringer, Furchtlos. Ebd. Schneider, Tragisches. Ebd. Ebd.

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Aufeinandertreffens der Werte. Dadurch, dass der Mensch dem Gegeneinander der Werte ausgesetzt sei, gewinne er Klarheit über sein eigenes Wesen. Im Tragischen begegne er dem Kern seiner Existenz. Dieser unbedingten Bewährung könne er nicht ausweichen. An ihr entwickle er sich entweder zum neuen Menschen oder gehe er unter.98 Die Herausstellung des Eingebundenseins menschlicher Existenz in das Umgreifende des Seins zielt auf die Relativierung seiner existentiellen Ängste und Herausforderungen. Was als tragische Grundierung des Seins den Menschen in übersteigende Zusammenhänge seines Leben stellt, soll ihn in der Situation der Bewährung zum seinsmächtigen neuen Menschen formen, der seine Rolle im Gegeneinander der Werte annimmt und diesen Wertekampf zur Entscheidung führt, auch wenn es nicht in seiner Macht liegt, ihn aus eigenen Kräften selbst zu entscheiden.

2.

Durchhalten im Angesicht des absehbaren Endes : Die Vision der moralischen Wiedergeburt

Der Krieg verlange allen Menschen die Fähigkeit ab, unter primitivsten Lebensverhältnissen auszuhalten, ohne dabei selbst primitiv zu werden oder aus der Not der Kriegsbedingungen die Tugend der vermeintlich notwendigen Abkehr von den hohen Zielen und Idealen der nationalsozialistischen Bewegung zu machen. Die Konzentration aller Kräfte auf den Sieg bereite so zugleich den Übergang zu einem einfachen Leben vor, in dem sich das Echte und Wertbeständige vom Oberflächlichen und Vergänglichen scheiden werde. Der Krieg erzwinge jedoch nicht nur, sondern ermögliche auch den Rückgang auf ein einfaches Leben, das dennoch auch weiterhin „aus tausendfältigen Schichtungen, Empfindungen, Gefühlen“99 bestehe und nichts von seiner Vielfalt und seinem Reiz einbüße. Es sei entscheidend, ob die neue Welt am Reißbrett entstehe oder in der Auseinandersetzung mit „artfremden Elementen“, in der sich der Charakter des neuen Menschen forme. Am Beginn dieses neuen Lebens, das in den Schlachten des Krieges und den Trümmern der zerbombten Städte geboren werde, stehe die Besinnung auf das Notwendige. In diesem Neubeginn erledige sich jedes falsche „Pathos, hinter dem nicht die Tat und die Bereitschaft zum Opfer“100 stehe, von selbst. Der Krieg hatte Bedingungen geschaffen, die denen der natürlichen Auslese nahe kamen. Die Auflösung der klaren Trennungslinien von kämpfender Truppe und Zivilbevölkerung, die tägliche Präsenz des Krieges, der nicht mehr fern der Heimat geführt wurde, schließlich die Einführung des Kriegsrechts und die Erklärung des totalen Krieges, Bombenterror und die Alltäglichkeit des Sterbens hatten die kämpferische Auslese des neuen Menschen nach Deutschland selbst getragen. Es konnte diesem Ausleseprozess überlassen werden 98 Vgl. ebd. 99 Das einfache Leben. In : Das Schwarze Korps vom 30.12.1943. 100 Ebd.

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Die Vision der moralischen Wiedergeburt

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herauszufinden, wer sich in der täglichen Spannung von Bewährung und Versagen bewähren und zum neuen Menschen werden würde und wer den Anforderungen des totalen Krieges nicht gewachsen war. Aus Männlichkeit und Kampf, so die Erwartung, werde in diesem Krieg wahres Heldentum erwachsen, das ohne das falsche Pathos eines wirklichkeitsfremden übersteigerten Heroismus auskomme. Der Kampf allein setze im Mann „jene Kraft der Entscheidung zum Notwendigen frei“, aus der die „Gemeinschaft als Trägerin eines höheren Prinzips“ sichere, dass das deutsche Volk „durch diesen Krieg nicht nur den Lebensraum, sondern auch die Lebensform gewinnt, die alle Gemeinschaft mit dem Wesen der Frontkameradschaft durchdringt“.101 Deren prägende Erfahrung lasse den Einzelnen ganz selbstverständlich in den Dienst der Gemeinschaft und des durch sie verkörperten höheren Prinzips treten. Selbst wenn Deutschland den Krieg verlieren sollte, was im Oktober 1944 auch im „Schwarzen Korps“ als Möglichkeit zugelassen wurde, hätte es doch aus diesem Krieg einen Zugewinn an völkischer Kraft gezogen, der ihm in Friedenszeiten nicht möglich gewesen wäre. Zugewinn noch im Verlust, Sieg noch in der möglichen militärischen Niederlage, diese Interpretation schloss nahtlos an eine vergleichbare Ermutigungsrhetorik nach der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg an. Im Unterschied jedoch zu den geistigen Deutungskämpfen nach dem Ersten Weltkrieg wird hier der Krieg selbst, und nicht sein Ausgang, in seiner menschenbildenden Kraft angerufen. Der Krieg prüfe die inneren Werte der Völker.102 Er habe die Umwertung aller Werte in einer Radikalität und Beschleunigung vorangetrieben, die eben nur im Ausnahmezustand des Krieges möglich sei.103 Der hier geformte neue Mensch wird als das entscheidende Ergebnis dieses Krieges festgehalten, egal wie dieser militärisch ausgehen mag. Das Entscheidende an jedem Krieg sei, dass er „die Menschen vervollkommnende Gesinnungswerte“ hervorbringe. Ein solcher „Gesinnungsgewinn“ mache einen Krieg, unabhängig von seinem militärischen Ausgang zu einem „berechtigten Krieg“.104 In der Tradition der Uminterpretation der militärischen Niederlage des Ersten Weltkrieges in einen geistigen Sieg wurde nun die Rassenbiologie bemüht die versprach, dass die rassische Höherwertigkeit der Deutschen auch durch temporäre Niederlagen nicht gefährdet sei. Auch aus dem härtesten Vernichtungskrieg würden sie sich wieder als Volk in weltgeschichtlicher Führungsrolle regenerieren, selbst wenn sich das Schicksal zeitweise gegen das deutsche Volk wende und es im Kampf für seine Werte untergehe.105 Solange die Deutschen für eine Sache ihr Leben geben, die des Sterbens wert ist, finden sie im Tod die Erfüllung und Vollendung ihres Lebens. In dieser Sicht wäre weder der Tod des Einzelnen vergeblich noch der Untergang des deutschen Volkes tragisch, das 101 102 103 104 105

Vom Wesen der Tapferkeit. In : Das Schwarze Korps vom 5. 8.1943. Vgl. Die Waagschale des Sieges. In : SS - Leitheft, 6 (1940) 4a, S. 2. Vgl. Maß und Wert. In : Das Schwarze Korps vom 16.12.1943. Simoneit, Wehr - Ethik, S. 175. Vgl. Die Tragik des Idealismus ? In : Das Schwarze Korps vom 24. 6.1943.

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sich aus dem Idealismus der Überlebenden regenerieren würde. Die hohe moralische Widerstandskraft der rassischen Gemeinschaft lasse sie auch „ungeheure kulturelle und sittliche Verwüstungen“106 überstehen. Diskutiert wurde die Gefahr, dass gerade die Besten, rassisch Wertvollsten und zum Selbstopfer Bereiten im Krieg fallen würden, diejenigen also, die als politische Soldaten bereits das Ideal des neuen Menschen verkörperten. Ihr Verlust würde nicht ohne weiteres ersetzt werden können, da mit ihnen nicht nur gut ausgebildete und kampferfahrene Soldaten, ausfallen würden, sondern Menschen, die das weltanschauliche Ideal des nationalsozialistischen Rassenkriegers bereits verkörperten. Die Gefahr, dass die durch Kriege verursachte Gegenauslese die rassische Substanz mindern könne, wurde klar gesehen : Die Besten fielen, während die Kranken und Schwachen, die um ihr Leben Besorgten, die sich feige ihrer Verantwortung und damit dem möglichen Tod entzogen, mit höherer Wahrscheinlichkeit und in größerer Zahl überlebten.107 So hatte das auch Hitler formuliert : „Aus einer Vielzahl von Menschen werden die tüchtigsten herausgesucht und dem Kriege [...] zugeführt. Damit wird der Prozentsatz der besten Toten eines Volkes unverhältnismäßig gesteigert, während sich umgekehrt der Prozentsatz der allerschlechtesten im höchsten Maße zu erhalten vermag. Denn dem Extrem idealster Männer, die bereit sind, zugunsten der Volksgemeinschaft das eigene Leben zu opfern, steht die Zahl jener erbärmlichsten Egoisten gegenüber, die in der Erhaltung ihres eigenen [...] Lebens auch die höchste Aufgabe ihres Lebens sehen.“108 Hervorgehoben wurde die rassische Qualität derjenigen, die aus dieser Gegenauslese charakterlich und weltanschaulich gestärkt hervorgehen würden. Der Überlebenskampf im totalen Krieg setze Kräfte frei, die unter Friedensbedingungen bei den meisten Deutschen unentwickelt geblieben wären. Im Krieg, der ihnen die Gelegenheit gebe, alle nicht mehr zeitgemäßen Schichten der bürgerlichen Vergangenheit von sich abzustreifen, werde die Steigerung aller Lebenskräfte zur Normalität. Zwar habe der Weltkrieg zu einer Übersterblichkeit der Besten geführt. Da dabei jedoch die rassische Substanz der Völker keinen Schaden genommen habe, könnten sich diese auch unproblematisch und schnell wieder regenerieren und ihre zahlenmäßigen Verluste durch die Geburt rassisch wertvollen Nachwuchses ausgleichen.109 Gemeint war der Erste Weltkrieg, der in seinen Konsequenzen für die rassische Qualität der Völker diskutiert wurde, ohne selbst schon ein Rassenkrieg gewesen zu sein. Andere Autoren waren weniger zuversichtlich und stellten die verheerenden „rassenbiologischen Wirkungen des modernen Krieges“ heraus. Sie sahen im Krieg den schlimmsten Feind der hochwertigen Rasse, da in ihm der „Teil der Bevölkerung, der kriegerische Rüstigkeit, 106 107 108 109

Stellrecht, Erziehung (1943), S. 51. Vgl. Leer, Krieg. Hitlers zweites Buch, S. 49. Vgl. Eva Scheibe, Rezension von F. Savorgnan, Krieg, Auslese, Eugenik. In : Zeitschrift für Völkerpsychologie und Soziologie, (1927) 1, S. 17–31 – zit. in Archiv für Rassen und Gesellschaftsbiologie, Band 22 (1930) 2, S. 220.

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Mut, Hingabefähigkeit an eine Idee, Intelligenz, Unternehmungsgeist, Abenteuerlust, Draufgängertum“110 verkörpere, wesentlich stärker dezimiert werde, als diejenigen, die sich, aus welchen Gründen auch immer, dem Krieg entzogen. Die „Gegenauslese durch den Krieg“ betreffe die nordische Rasse in besonderer Weise weil sie mehr als andere Rassen bereit sei, „für eine Idee kriegerisch einzutreten“.111 Rassenhygiene und Krieg, so das skeptische Fazit dieser Stellungnahme, seien „unversöhnliche Gegensätze“.112 Zwar mobilisiere der Krieg erst das kämpferische Potential rassisch hochwertiger Menschen, denen er die Gelegenheit gebe, ihre hochwertigen Rassenanlagen zu entwickeln. Eben dadurch, dass sie ohne Rücksicht auf ihr Leben in vorderster Front kämpften, seien diese jedoch auch extrem gefährdet. Der „männermordende Krieg“ treffe die beste rassische Substanz, die jedoch trotz dieser Verluste noch an Wert gewinne : Die Lebenslust der dem Leben unbedingt verschworenen wertvollen Rasse setze sich noch im Heldentod der ideologischen Rassenkrieger gegen die Fixierung der Untüchtigen, Schwachen und Feigen auf ihr fragwürdiges Leben durch, an das diese sich in einer merkwürdigen Mischung aus Lebens - und Todesangst klammerten. Der Tod der Rassenkämpfer zähle mehr als das Leben derjenigen, die nur deshalb überlebten, weil sie sich der Gefahr, im Kampf getötet zu werden, gar nicht erst aussetzten. Mit der absehbaren Kriegsniederlage wurde der kategorische Imperativ der Verpflichtung des eigenen Lebens auf das Schicksal des deutschen Volkes und der nordischen Rasse in neuer Dringlichkeit beschworen. Hingabe, Tapferkeit und bedingungslose Pflichterfüllung in der äußersten Mobilisierung aller Kräfte sollten nun in der Stunde der Verzweiflung vielleicht doch noch, gegen alle Wahrscheinlichkeit, das Wunder der Vernichtung des Gegners vollbringen.113 Im Krieg gelte der kategorische Imperativ soldatischen Lebens : „Handle so, dass die Maxime deines Handelns als Handlungsgrundlage für alle gelten kann ! Handle so, dass du mit deinem Tun und Lassen vor dir selber, vor jedem Deutschen und vor dem Führer bestehen kannst ! Dann erfüllst du deine Pflicht, die Pflicht des Deutschen im Kriege.“114 Aufkommende Zweifel an der nationalsozialistischen Weltanschauung oder dem Endsieg sollten unterdrückt werden. Die Deutschen sollten auch dann bereit sein, das Notwendige zu tun, wenn unklar war, ob ihr Handeln noch den erwarteten Effekt der Beförderung des Endsieges haben würde. Wer nur dann bereit sei, seine Pflicht zu tun, wenn sich das zu seinem Vorteil auszahle und er sicher sein konnte, dass sein Handeln auch zu den gewünschten Ergebnissen führe, unterstütze den Nationalsozialismus eben nicht unbedingt und rückhaltlos, sondern nur unter bestimmten Bedingungen, die noch dazu gerade dabei waren zu zerfallen. Nur wer sich, wie beispielhaft von der SS demonstriert, „instinktsicher für des Führers politische 110 111 112 113 114

Ploetz, Rassenhygiene, S. 364. Ebd., S. 365. Ebd., S. 366. Vgl. Die Pflicht im Kriege. In : Das Schwarze Korps vom 26.10.1944. Ebd.

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Maßnahmen und für die Notwendigkeit des Kampfes“115 entscheide, komme seiner unbedingten Verpflichtung auf den kategorischen Imperativ des Dienstes an Volk, Rasse und Nation nach.116 Wie nach dem 30 - jährigen Krieg, so gehe es auch jetzt, in vergleichbar dramatischer Schicksalsstunde, wieder darum, die Deutschen aus „tiefster Not und Verlorenheit, aus Kampf und Einsatz und Opfer“117 zu ihrem durch ihr Blut geprägten Schicksal zu befreien. Den Deutschen sei jeder Fatalismus fremd, würden sie doch ihr Schicksal nicht als Verhängnis, sondern als Aufgabe und Berufung sehen. Selbst angesichts schwerer Rückschläge und Erschütterungen kämen ihnen keine Zweifel dergestalt, „die Vorsehung habe sich von uns gewandt, und es habe also keinen Zweck, weiter zu kämpfen, da unser Untergang ja offenbar beschlossene Sache und mit keinem Mittel aufzuhalten sei“.118 Der nordische Mensch sehe das Schicksal nicht als blindes Verhängnis, das es eben zu ertragen gelte oder als Macht, gegen die man ohne Aussicht auf Erfolg ankämpfe, sondern als Verpflichtung, der höherwertigen Rasse, den Rassenkampf für sich zu entscheiden.119 Der Hingabe an eine Idee, die aus „Begeisterung“ und „Berufung zur Handlung [...] aus eigenem Entschluss die erahnte Zukunft zu gestalten“ suche, stehe die Gleichgültigkeit gegenüber, die aus dem Glauben an die „Vorherbestimmtheit alles Geschehens“120 folge. Man höre jetzt manchmal die Frage, was es denn für einen Sinn habe, in verzweifelter Lage bis zur letzten Patrone zu kämpfen, und wem denn „damit gedient sei, wenn der Soldat sich für eine aussichtslose Sache opfere“.121 Die Soldaten selbst stellten solche defätistischen Fragen nicht. Auch in der zweifellos angespannten militärischen Situation täten sie, was getan werden müsse, um diesen Krieg zu gewinnen : „Sie haben Angst, wo es instinkthaft richtig ist, Angst zu haben, und sie achten des Todes nicht, wo nur die Todesverachtung das Leben gewinnt.“122 Ihrer Taten und ihres Heldentums werde man nicht gerecht, würde man ihnen unterstellen, sie hätten im Opfer ihres Lebens bewusst die Erfüllung gesucht. „In die Erde verkrallt, verbissen, wütend und hassend tun sie das Notwendige aus dem Antrieb ihres innersten Wesens, das vom deutschen Blut und von deutschen Gedanken geprägt wurde. Sie können gar nicht anders.“123 Was den Ahnungslosen unbegreiflich ist, ist ihnen selbstverständlich. Die Wahrscheinlichkeit, in diesem Kampf, der möglicherweise nicht mehr zu gewinnen war zu sterben, war in der Tat groß. Im Oktober 1944 in aller Vorsicht in Erwägung zu ziehen, dieser Krieg könne verloren sein, war nicht ganz abwe115 Handblätter für den weltanschaulichen Unterricht, Berlin o. J. Hg. : Der Reichsführer SS, S. 6. 116 Vgl. Bilse, Forderung, S. 274. 117 Schicksal und Vorsehung. In : Das Schwarze Korps vom 5.10.1944. 118 Ebd. 119 Vgl. v. Hoff, Grundgesetz, S. 148. 120 Stellrecht, Wehrerziehung, S. 41. 121 Gift bleibt Gift. In : Das Schwarze Korps vom 27. 7.1944. 122 Ebd. 123 Ebd.

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gig. War die militärische Niederlage, die zugleich als Untergang des deutschen Volkes assoziiert wurde, nicht mehr aufzuhalten und damit die Fortführung des Kampfes um den Sieg aussichtslos, in der Tat, warum sollte man dann weiterkämpfen, wenn dieser Kampf am Ausgang des Krieges doch nichts ändern würde ? Warum also nicht, statt weiterhin Menschen zum Opfertod für eine aussichtslos gewordene Sache aufzufordern, sie stattdessen für die Zeit nach dem Krieg aufsparen, wenn sie dringend gebraucht werden würden ? Gegen solche Überlegungen wurde im Angesicht von möglicher Niederlage und Untergang die Schicksalsmetaphorik des Blutes gesetzt. Ginge dieser Krieg verloren, es „würde ihn keiner überleben können, der im folgenden Frieden noch als Deutscher oder als deutsches Volk anzusprechen wäre“.124 Es blieb dabei : Entweder Sieg oder Untergang. „Wir wollen eines vor allem – stets ehrlich vor uns selbst dastehen, wissen, warum wir so und nicht anders handeln und uns klar sein über die Tragweite unserer Handlungen, die Folgen mit klarem Blick abwägen [...] Wir wollen so leben, dass wir stets die Verantwortung vor uns selbst tragen können.“125 Die Verantwortung für sein Handeln übernehmen, das Für und Wider zu treffender Entscheidungen abwägen, anstatt überstürzt zu handeln, Haltung bewahren und Anstand – wer wollte das nicht ? Sich in seinem Handeln von moralischen Werten leiten lassen und der Gerechtigkeit zum Sieg verhelfen. Vor sich selbst gerade stehen können, um guten Gewissens schließlich das zu tun, was notwendig getan werden muss. Im vollen Bewusstsein der Tragweite und Konsequenzen der eigenen Handlungen agieren – nichts an dieser pathetischen Rhetorik der Beschwörung einer zeitlos - zeitgemäßen moralischen Haltung deutet darauf hin, dass hier eine verbrecherische Organisation versucht, sich das Ethos eines verantwortungsbewussten Humanismus anzuheften. Diese Ansprache an den Durchhaltewillen der SS, die in der Schicksalsstunde der Entscheidung über die Zukunft des nationalsozialistischen Deutschland hier nicht etwa an ihren rassenpolitischen Auftrag erinnert, sondern an allgemeine moralische Tugenden und ihre menschliche Verantwortung appelliert, ordnet sich ein in eine seit 1944 auffällige rhetorische Akzentverschiebung, die in verblüffender Selbstverständlichkeit und in der Regel frei von Polemik oder Bezügen auf nationalsozialistisches Rassendenken humanistische Positionen zu vertreten beanspruchte, die eben noch Gegenstand scharfer rassenpolitischer Auseinandersetzung waren. Dafür finden sich besonders im „Reich“ aber auch im „Schwarzen Korps“ zahlreiche Beispiele. Noch Ende Januar 1945 beschwor das „Schwarze Korps“ angesichts der sich abzeichnenden Niederlage im Krieg die noch immer alles entscheidende deutsche Innerlichkeit, die auch diese Probe bestehen und den drohenden Zusammenbruch der europäischen Kultur abwenden werde, während der Feind mit seinen „geballten Massen von Menschen und Material alles daran setze“,126 124 Der geistige Auftrag. In : Das Schwarze Korps vom 18.11.1943. 125 Moral – kritisch betrachtet. In : Das Schwarze Korps vom 31. 8.1944.

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das Leben der Deutschen zu vernichten. Man könne es den Menschen wirklich nicht übel nehmen, wenn sie heute, wo die Bolschewisten vor Berlin und die Amerikaner am Rhein stünden, und wo die großen deutschen Städte in Trümmern lägen, sich die besorgte Frage stellen würden, wie denn dieser Krieg eigentlich noch gewonnen werden könne. Zu fragen sei auch, was denn eigentlich unter einem Sieg verstanden werden solle. Die Antwort : „Siegen heißt in unserem Falle : Überleben, die Handlungsfreiheit behalten. Siegen heißt : den deutschen Volksboden, die Einheit und Freiheit des Reiches bewahren, die Macht behaupten, die seine Grenze sichert. Siegen heißt : nicht ins Sklavenjoch der Feinde geraten, nicht nach Sibirien verschleppt werden, nicht mit Genickschuss enden, nicht verhungern, nicht in Arbeitslosigkeit und Elend verkommen müssen. Siegen heißt : die Ehre bewahren“,127 um den Gefallenen sagen zu können, dass sich ihr Opfer gelohnt habe. Gegen den Anschein, als hätten die Deutschen durch einen solchen Sieg nichts gewonnen, was sie nicht vor dem Krieg schon besessen hätten, wird klargestellt, dass schon die Durchkreuzung der Absicht des Feindes, das deutsche Volk zu vernichten, ein Sieg wäre. In einem Krieg sei immer derjenige Sieger, der seinen Willen durchsetze. Solange es noch Deutsche gebe, denen Deutschland etwas bedeute, sei Deutschland nicht verloren. Noch würden sich die Deutschen mit der möglichen Kriegsniederlage nicht abfinden. Die Welt könne wiedergewonnen werden, auch wenn sie bereits den Weg in den Untergang angetreten habe.128 Die reinigende Kraft des Opfers der Sterbenden und Fallenden werde die Keimzelle der Wiedergeburt des revolutionären Nationalsozialismus sein. Verborgene, untergründige Strömungen des Krieges würden durch ihre qualvolle und blutige Szenerie schon auf einen neuen Zustand der menschlichen Ordnung hinweisen. Was wirklich geschehe, könne man nicht wissen. Man könne jedoch damit rechnen, dass aus dem Leid und Zerfall der Ordnungen sich bereits die Wiedergeburt deutscher Größe ankündige. Wahre Größe liege immer „in der Kraft, die aufsteigt aus bezwungenen Leiden und die in die zerfallenden Ordnungen der Welt ein Beispiel setzt“.129 Auch in Leid und Zerfall bleibe die Erneuerung möglich. In dieser Umbruchsituation stehe wieder einmal die Frage „nach [...] einem neuen Maßstab für menschliche Werte“.130 Das deutsche Volk sei immer unterwegs gewesen „zwischen den Dämmerungen des Todes und den verheißenden Lichtern eines neuen und aufrichtigen Lebens“.131 Es habe in diesem Krieg gezeigt, dass es gerade an den Orten der Entscheidung und in den gefährlichsten Situationen, in denen es um Leben und Tod gehe, zur Auslese der Besten in der Lage sei. In den brennenden deutschen Städten zeige sich schon die Wiedergeburt des 126 Die Kraft von innen. In : Das Schwarze Korps vom 25.1.1945. 127 Vertraut Eurer Kraft. In : Das Schwarze Korps vom 22. 3.1945 ( d’Alquen ). 128 Vgl. Das Prinzip der Gerechtigkeit. In : Das Schwarze Korps vom 29. 3.1945 (d’Alquen ). 129 Vgl. Vertraut Eurer Kraft. In : Das Schwarze Korps vom 22. 3.1945 ( d’Alquen ). 130 Ebd. 131 Ebd.

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Lebens und der künftigen Ordnung. Hier kündige sich bereits das Ende der falschen Götter und des unsicheren Tastens und Wägens an, die eine Krisenzeit zwischen zwei Epochen kennzeichneten. Gerade in der scheinbaren „Ausweglosigkeit, hinter der nur das Nichts und der Untergang zu stehen scheinen“,132 zeige sich das zukünftige Leben. Im Ergebnis dieses Umbruchs werde sich der wahre Charakter der Deutschen offenbaren. Schließlich sei, was sich hier vollziehe, „kein Aufbruch zum Tode, sondern ein Vorstoß ins Leben“.133 Es gehörte schon ein gewaltiges Maß an ideologischer Phantasie dazu, in den zerstörten deutschen Städten den Vorschein der künftigen politischen Ordnung des Nationalsozialismus zu sehen. Es darf bezweifelt werden, dass die in den Ruinen ihrer Städte umherirrenden Deutschen, die froh waren, zunächst wenigstens überlebt zu haben, und die mit hoher Wahrscheinlichkeit einfach ein Ende des Krieges herbeisehnten, ihre Situation als Wiedergeburt des Lebens, Ende der falschen Götter oder Freilegung ihres wahren Charakters sahen.

3.

Das Ethos nazistischer Vernichtungspolitik

Menschliches Handeln wird immer auch im Raster moralischer Kategorien beurteilt, und das nicht nur situativ und aktuell, sondern auch retrospektiv und spekulativ. Die Verwendung solcher Kategorien wie Schuld, Sühne und Vergebung, Gewissen, Reue und Bedauern verweisen darauf, dass Menschen sich mit der moralischen Dimension ihres Handelns beschäftigen. Ein Handeln ohne nachvollziehbare Gründe ist im Rahmen westlicher Rationalität nicht vorgesehen. Dieses Rationalitäts - und Erwartungsmuster hat paradoxerweise die Akzeptanz der nationalsozialistischen Judenpolitik begünstigt. Ihre Unmenschlichkeit trug zur Glaubwürdigkeit ihrer ideologischen Begründung bei. Noch nach dem Ende des Nationalsozialismus führten Versuche, den Holocaust in eine nachvollziehbare Rationalität einzuordnen zu der Annahme, es müsse Gründe für die Verfolgung und Ermordung der Juden gegeben haben. Es könne gar nicht anders gewesen sein, als dass diese für etwas bestraft wurden, dass sie tatsächlich getan hatten. Jede andere Vorstellung erschien absurd. Es musste sich bei dem Holocaust um eine Bestrafung ungeheuren Ausmaßes gehandelt haben, die eine vergleichbare Ungeheuerlichkeit der Verfehlung vermuten ließ. Aus nationalsozialistischer Sicht habe diese Schuld der Juden nur durch ihre Vernichtung gesühnt werden können. Warum hätte ein zivilisiertes Volk wie die Deutschen die Juden derart unmenschlich behandeln sollen, wenn nicht, um sie für Vergehen zu bestrafen oder aber in ihrer Natur liegenden Verbrechen und Greueltaten zuvorzukommen, deren unvorstellbares Ausmaß die Härte ihrer Bestrafung oder ihre vorsorgliche Tötung, um Schaden von der deutschen Volksgemeinschaft abzuwenden, rechtfertigte ? Hier stellte die nationalsozialis132 Ebd. 133 Ebd.

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tische Rassenideologie einen erbbiologischen, generationsübergreifenden Schuldzusammenhang her, der die Juden in Haftung nahm für die Unmoral und die Verbrechen ihrer Vorväter und ihnen zugleich unterstellte, in der genetischen Prägung durch Anlagen ihrer Rasse zu vergleichbaren Greueltaten fähig, ja geradezu erbbiologisch programmiert zu sein. Gesellschaftliche Unruhen und Kriege wurden nicht länger auf politische und ökonomische Ursachen zurückgeführt, sondern als Ausdruck des biologischen Lebenskampfes rassisch ungleichwertiger Völker und Kulturen gesehen. Der Rassenkrieg wurde als Wiederherstellung der aus den Fugen geratenen natürlichen Ordnung der Geschichte gerechtfertigt. In diesem ideologischen Raster erschien die Vernichtung der Juden als Vollstreckung eines durch die Natur selbst ausgesprochenen Todesurteils und Exekution eines höheren Willens.134 Im Selbstverständnis einer ideologischen Mission war die Ausrottung der Juden Selbstzweck, kein Mittel zu einem anderen Zweck. Diese Einsicht hat sich nach der Rekonstruktion der Ereignisse, Abläufe und Entscheidungen, die zum nazistischen Massenmord an den Juden geführt haben, in der Holocaustforschung durchgesetzt. Auch seine plausible Einordnung in ökonomische, politische oder kulturelle Zusammenhänge vermag den eliminatorischen Antisemitismus des Nationalsozialismus nicht schlüssig zu erklären. Die Suche nach rationalen Beweggründen der Täter oder nach Haltungen oder Handlungen der Juden, die einen solchen aggressiven Antisemitismus provoziert haben könnten, zeigt, dass sich ideologische Obsessionen nur bedingt begreifen lassen. Das macht Erklärungsversuche nicht hinfällig, sondern umso dringender. Dabei muss man sich wohl oder übel im Detail auf die ideologische Welt des Nationalsozialismus einlassen. Es reicht hier nicht aus, sich mit den in der Literatur immer wieder zitierten Beispielen kruder und absonderlicher, obszöner und pornographischer, willkürlicher oder systematischer Verfälschungen jüdischer Religion und Kultur oder ideologischer Konstruktionen jüdischen Lebens zu begnügen. Dass die nationalsozialistische Rassenideologie unwissenschaftlich und eklektisch und ihr Zerrbild des typisierten Juden absurd und abwegig war, erklärt gerade nicht, wieso sie propagandistische Wirkung entfalten konnte. Euthanasie und Holocaust können als Varianten rassenbiologisch begründeter Vernichtung von Menschen gesehen werden, denen ein nicht therapierbarer Defekt ihres Erbmaterials bescheinigt wurde. Der Nationalsozialismus bekenne sich zu dem Grundsatz, „dass die Fremdrasse und ihre innere Vermischung mit dem deutschen Erbgut das Wesen unseres Volkes ebenso zerstört, wie das Auftreten von gesundheitlichen Erbschäden“.135 Auch die Juden galten als Angehörige einer gefährlichen, minderwertigen und moralisch degenerierten Rasse. Der Nichttherapierbarkeit der Erbkranken entsprach die Verweigerung von Assimilierung und Konvertierung im Falle der Juden. Zur Rechtfertigung 134 Vgl. Kaplan, Conscience, S. 18 und 50 f. 135 Kaiser u. a. ( Hg.), Eugenik, S. 151–153, hier 151 – aus Martin Staemmler, Die Sterilisierung Minderwertiger vom Standpunkt des Nationalsozialismus. In : Eugenik – Erblehre – Erbpflege, (1933) 3.

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der Erlösungseuthanasie für die unheilbar Erbkranken wurde in der Verschränkung einer ihnen unterstellten Eigenperspektive mit der advokatorisch für sie eingenommenen Perspektive der Volksgesundheit und Rassenhygiene behauptet, mit ihrer Tötung den Betroffenen eine Entscheidung abzunehmen, die sie selbst treffen würden, wären sie nicht durch ihren Zustand gerade daran gehindert, überhaupt Entscheidungen zu treffen. Ihre Tötung wurde als Erlösung aus einem lebensunwerten Zustand dauerhaften Leidens und menschenunwürdigen Vegetierens dargestellt – als eine humane Lösung, die mit Mord nicht das Geringste zu tun habe. Die „Euthanasie in der Ethik des Nationalsozialismus“ habe „einer Gleichschaltung des Erlösungsgedankens“136 entsprochen. Für die Rechtfertigung der Vernichtung der Juden wurde eine solche eugenische Komplementärperspektive gar nicht erst entwickelt. Statt ihre erbgenetisch bedingte Unfähigkeit zur Entwicklung einer Eigenperspektive zu konstatieren, wurde den Juden von vornherein das Recht auf eine solche Perspektive abgesprochen. Im Unterschied zum passiven Vegetieren der aus eigenen Kräften nicht lebensfähigen und deshalb pflege - und fürsorgebedürftigen Erbkranken wurde den Juden eine rassische Disposition zur Schädigung anderer Völker unterstellt, der durch eine aggressive Rassenpolitik begegnet werden müsse. Während die von den Erbkranken ausgehende Gefahr für die Volksgesundheit an der möglichen Verbreitung von Erbkrankheiten durch Fortpflanzung festgemacht wurde, die durch ihre Sterilisierung verhindert werden sollte, wurde den Juden die gezielte Kontaminierung der nordischen Rasse vorgeworfen. Die Gefährlichkeit beider Gruppen für die seelische Gesundheit der nordischen Rasse wurde zugleich ethisch begründet. Während die Erbkranken Mitleid und Empathie der rassisch gesunden Deutschen provozieren und dadurch ihre seelische Gesundheit untergraben würden, dass sie diese zur Ausbildung volksgesundheitlich und rassenhygienisch indifferenter moralischer Haltungen bewegten, habe die jüdische Ethik allgemeiner Menschenliebe und eines unbedingten Tötungsverbotes den normativen Rahmen einer solchen universellen Ethik erst bereit gestellt. Auch wenn kein direkter Weg von der Euthanasie zu Auschwitz führte, lassen sich doch im Blick auf die Technologie der Massentötung, das an den Vernichtungsaktionen beteiligte medizinische Personal und die rassenhygienisch begründete Vernichtung für minderwertig erklärten Lebens Kontinuitäten und Parallelen feststellen : Im Herbst 1941 wurden die Gaskammern der psychiatrischen Kliniken abgebaut und Richtung Osten transportiert, wo sie in Majdanek, Auschwitz und Treblinka installiert wurden. Häufig folgten auch die am Euthanasieprogramm beteiligten Ärzte, Techniker und Pfleger der Vernichtungstechnologie nach, an deren Gebrauch sie sich bereits professionell und menschlich bewährt hatten.137 Sie hatten sich habituell an die Tötung von Menschen gewöhnt und waren mit dem Umgang der Vernichtungstechnologie vertraut, wodurch sie sich als Spezialisten des Massenmordes, vor allem aber durch ihre 136 Baader, Heilen, S. 287. 137 Vgl. Proctor, Nazi Biomedical Policies, S. 37.

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rassenpolitisch modifizierte Haltung gegenüber dem christlich - humanistischen Tötungsverbot, empfahlen. Ohne das christliche Tötungsverbot oder Gebote mitmenschlicher Fürsorge und Nächstenliebe prinzipiell in Frage zu stellen, hatten sie die universelle Ethik unbedingter Gegenseitigkeit durch die Rassenethik ersetzt, die moralische Verpflichtungen nur gegenüber Artgenossen anerkannte. Das Judentum sei gemeingefährlich und müsse vollständig unschädlich gemacht werden, „worunter natürlich nicht die allgemeine Abschlachtung verstanden werden soll, sondern nur eine Art von Internierung [...] wie gegen gemeingefährliche Geisteskranke überall üblich : der geschlossene Abtransport des gesamten Weltjudentums auf ein ihm künftig und für alle Zeiten allein vorzubehaltendes Territorium“.138 Ziel müsse es sein, „die jüdischen Bazillenherde aus den erkrankten Körpern der Wirtsvölker mit Stumpf und Stiehl zu entfernen“.139 Nur selten wurden beide Zielgruppen nazistischer Rassenpolitik, verbunden durch das politischen Handlungsbedarf signalisierende Stigma der Gemeingefährlichkeit, so nah aneinander gerückt, wie in dieser assoziativen Verknüpfung der Juden mit gemeingefährlichen Geisteskranken, um zu begründen, dass beiden gegenüber die gleiche Strategie angemessen sei. Beide wurden als Bedrohung der Volksgemeinschaft dargestellt, die durch ihre Internierung vor ihnen geschützt werden müsse. Im Unterschied zu den in Pflegeanstalten untergebrachten geistig und körperlich durch erbgenetische Defekte beeinträchtigten Erbkranken war für die Juden zunächst keine Internierung in Ghettos vorgesehen. Vielmehr sollten sie in ein möglichst fern von ihren ehemaligen „Wirtsvölkern“ liegendes Territorium ausgesiedelt werden. Sie sollten von der nicht - jüdischen Volksgemeinschaft räumlich isoliert werden, so dass eine Begegnung beider faktisch ausgeschlossen war. Dadurch sollte gesichert werden, dass der gemeinschaftsschädliche Charakter der Juden nicht mehr zum Tragen kommen konnte. Die genozidale Terminologie der „Ausrottung der jüdischen Rasse mit Stumpf und Stiel“ und ihrer „vollständigen Unschädlichmachung“ konnte hier noch als martialische Rhetorik eines von seinem eigenen Pathos überwältigten Antisemitismus erscheinen. Als die Vernichtung der Juden schon in vollem Gange war, hieß es : „Der Krieger vollstreckt die erbarmungslose Auslese, die notwendig ist, damit das Hochwertige nicht vom Minderwertigen überwuchert“140 wird. Auf dem Schlachtfeld entschieden sich „Wert und Unwert der Völker“.141 Da es für die Deutschen keinen Feind gebe, dem sie nicht gewachsen wären, hätten sie auch keine Affinität zum Bösen. Deshalb sei ihnen die Dämonisierung des Gegners fremd, dem sie aus der Distanz rassenbewusster Souveränität begegnen würden, die sich im Einklang mit den Gesetzen der Natur und des Lebens wisse. Die tatsächliche nationalsozialistische Rassenpolitik kümmerte sich nicht um solche Versuche, den Schein fairer, sachlicher Auseinandersetzung 138 139 140 141

Hauptmann, Wahnsinn, S. 357. Ebd., S. 356. Pleyer, Volk, S. 9. Ebd.

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mit Artfremden aufrechtzuerhalten. Die Dämonisierung der Juden, denen insbesondere in Streichers „Stürmer“, aber auch in anderen antisemitischen Publikationen satanische Züge zugeschrieben wurden, war hier selbstverständlicher Bestandteil ihrer Diffamierung. In der antisemitischen Ideologie des Nationalsozialismus wurden sie nicht als ebenbürtige Gegner oder Feinde dargestellt. Ihre Stigmatisierung als Schädlinge und Untermenschen diente vielmehr dazu, die Auseinandersetzung mit den Juden auf ein Terrain zu verschieben, auf dem moralische Regeln nicht mehr galten. Sie sollten nicht besiegt oder für den Nationalsozialismus gewonnen, sondern vernichtet werden. Es sei die „heilige Mission“ der Deutschen, das „Weltgericht an den Verderbern der Menschheit zu vollziehen“ und „dem Weltpolypen die Arme abzuschlagen, mit denen er die göttliche Schöpfung aussaugt, um als ekles Ungeheuer zuletzt allein übrig zu bleiben und im Blutsumpf zu ersticken.“142 Es gelte, „dem Weltparasiten den Garaus zu machen, denn er ist kein Mensch, sondern ein Raubtier in Menschengestalt, das kein menschliches Mitleid verdient und das beseitigt werden muss, wenn die Menschheit Frieden auf Erden haben will“.143 Den Juden gegenüber sei Mitleid unangebracht, Verständigung überflüssig, größtmögliche Härte angemessen. Im Rassenkrieg gehe es darum, den Gegner zu vernichten oder von ihm vernichtet zu werden. Der Sieg in einem solchen Krieg dürfe den Unterlegenen keine Gelegenheit geben, sich von ihrer Niederlage zu erholen und den Kampf fortzusetzen. Hier zeige sich, „dass die Zeiten jener bürgerlichen Kriegführung endgültig vorüber sind, da ein geschlagener Gegner sich mit einer ritterlichen Verbeugung vom Kampffeld zurückziehen kann, um sich zu neuem Waffengang zu rüsten. Die Kriege der neuen Zeit sind Volkskriege, Ideenkämpfe, totale Kriege. Jetzt geht es um totalen Sieg oder totalen Untergang.“144 Im Rassenkrieg werde kein Unterschied mehr zwischen Zivilbevölkerung und kämpfender Truppe gemacht. Alle, die sich der nordischen Rasse in ihrem Kampf um Lebensraum in den Weg stellten oder von ihr als minderwertig und überflüssig bestimmt wurden, mussten mit ihrer Vernichtung rechnen. Keine Rede ist mehr von der Großmut der Deutschen gegenüber dem besiegten Gegner, die nach der notwendigen Härte im Kampf für den Sieg der deutschen Waffen den „Sieg des besten Blutes“ damit bekräftigt, in „ritterlicher Wehrhaftigkeit [...] auch den unterlegenen Völkern und Rassen [...] ein zumutbares Leben nach den Konditionen der Sieger“145 zu sichern. Die „Großmütigkeit im Kampfe“, die „nicht die Vernichtung des Gegners“146 suche, sondern lediglich dessen Anerkennung der eigenen Überlegenheit, habe für den Rassenkrieg keine Geltung. In ähnlicher Diktion hatte Reichsjugendführer Artur Axmann im März 1945 die Absage an einen ritterlichen Waffengang im 142 RSHA 362/ 159/ RG - 15.007M, reel 11/159 S. 20 – fortlaufende Nummerierung S. 129 ( Washington Holocaust Museum ) 143 Ebd. 144 Vom bürgerlichen Mitleid. In : Das Schwarze Korps vom 11. 3.1943. 145 Zimmermann, Biologie, S. 148. 146 Simoneit, Wehr - Ethik, S. 110.

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Rassenkrieg formuliert : „Dieser Vernichtungskrieg lässt keine bürgerlichen Maßstäbe mehr zu. Es gibt kein Zurück mehr, sondern nur ein Vorwärts. Es gibt nur ein Handeln bis zur letzten Konsequenz.“147 Nur zwischen gleichgearteten Kämpfern sei ein ehrlicher, ritterlicher Kampf nach fairen Spielregeln möglich. Ein „Rassenkampf zwischen zweierlei Art“ dagegen könne gar nicht anders als unsittlich und gesetzlos sein. Unterschiedliche Rassen auf gemeinsame moralische Normen zu verpflichten, sei unmöglich. „Ehrlich, edel, ritterlich kann ein Kampf zwischen einander artfremden Menschen niemals werden, sowenig wie ein Kampf zwischen Menschen und Ungeheuern. An einem solchen Kampfe, wenn er einmal entbrannt ist, kann nichts mehr ehrlich sein als nur die Vernichtung des Gegners.“148 Die eingeforderte Achtung des Feindes fand auf die Tötung des Schädlings keine Anwendung. Beschworen wurde ein militärischer Ehrenkodex in einem sauber und ritterlich geführten Krieg. Ein kämpferisches Volk könne ohne ritterliche Haltung nicht leben, ohne den eigenen Wert zu beschädigen. Klar müsse allerdings sein, dass der Kampf der deutschen Soldaten an der Front keinem „ritterlichen Gegner, sondern einem organisierten Verbrechen“149 gelte. Die Unterscheidung des Feindes, des militärischen Gegners im Krieg vom Schädling, der im Rassenkrieg vernichtet werden soll, geschah eher beiläufig. Es war nicht nötig, ihn explizit zu benennen. Um wen es sich dabei handelte, konnte als bekannt vorausgesetzt werden. Dem Gegner im Rassenkrieg gegenüber wäre Ritterlichkeit eine unangemessene Haltung. Man könne die „Größe seines Gegners und damit seinen Wert anerkennen und [...] ihn doch hassen bis zur Vernichtung“.150 Der Hass der minderwertigen Rasse war die Antriebskraft des auf ihre Vernichtung zielenden Rassenkrieges. Die Eroberung fremder Territorien und die Versklavung fremder Völker erweiterten den Zugriff auf Angehörige minderwertiger Rassen und ermöglichte dadurch erst ihre Vernichtung. Die Herausstellung der Gefährlichkeit, Heimtücke und Unberechenbarkeit des Gegners, auch seiner Stärke und Zahl, erhöhte seinen Vernichtungswert. Der Todesgefahr und Tötungsbereitschaft im militärischen Kampf stand die Tötung der Juden im Rassenkrieg gegenüber. Die Notwendigkeit ihrer Vernichtung wurde begründet mit den Überlebensinteressen des deutschen Volkes und der nordischen Rasse. Diese Verknüpfung militärischer und ideologischer Ziele prägte das nationalsozialistische Ethos des rassischen Vernichtungskrieges. Zu einem Zeitpunkt, als die angespannte militärische Situation es geboten hätte, alle verfügbaren Kräfte und Ressourcen für den Krieg zu mobilisieren, entschieden sich die Nationalsozialisten dafür, die Vernichtung der Juden zu forcieren und damit ihr militärisches Ende zu beschleunigen. Sie sahen in der Vernichtung der Juden einen Krieg eigener Art. Dieser rassische Weltanschauungskrieg zielte nicht vorrangig auf die Eroberung von Territorien oder die 147 148 149 150

Aus dem Völkischen Beobachter vom 28. 3.1945. Clauß, David, S. 145. Von Instinkt keine Spur. In : Das Schwarze Korps vom 23.1.1941. Es lebe die Ritterlichkeit. In : Das Schwarze Korps vom 20. 7.1944.

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Ausbeutung ihrer Bevölkerung als billige Arbeitssklaven, sondern auf die Vernichtung des weltanschaulichen Gegners. „Krieg führt man um der Freiheit, der Ehre willen, aber nicht um Provinzen fremden Blutes und fremder Nation zu gewinnen.“151 Die Eroberung und Besetzung riesiger Territorien im Osten mit einem hohen Anteil jüdischer Bevölkerung und die Turbulenzen des Krieges boten die Gelegenheit zum Massenmord an den Juden. Der Eroberungskrieg war konzipiert als Krieg, der mit dem Zugang zu von Juden und anderen minderwertigem Rassen bevölkerten Territorien deren Vernichtung ermöglichen sollte. Er war Mittel zum Zweck der massenhaften Vernichtung von Menschen, für die in der nationalsozialistischen politischen und moralischen Ordnung kein Lebensraum vorgesehen war. Für Hitler war es offensichtlich wichtiger, die Juden zu vernichten, als den Krieg zu gewinnen. So ermahnte er noch in seinem politischen Testament die Deutschen zu rassenbewusster Haltung.152 Diese absolute Priorität der Endlösung der Judenfrage gegenüber militärischen Anstrengungen und ökonomischen Erwägungen erscheint als Wahnidee eines Verrückten, getragen und unterstützt von einem um seinen rationalen Sachverstand gekommenen Volk. Im Nationalsozialismus wurde tatsächlich das Wertesystem von Moral und Vernunft verrückt. Nach der „Totalität des moralischen Zusammenbruchs“153 waren der moralischen Grenzüberschreitung keine Grenzen gesetzt. Verbrechen wurden durch entsprechende Gesetze legalisiert, intuitive Mitmenschlichkeit dagegen als unmoralisch und irrational stigmatisiert.154 Moralische Appelle zu Toleranz und Sensibilität in Glaubensangelegenheiten oder die Beschwörung von Anstand und Fürsorgepflicht gegenüber Schwachen und Hilfsbedürftigen galten nicht für die Juden. So sei es unmoralisch, Dinge zu verspotten, die anderen heilig seien oder nicht für Abwesende, Schwache und Schutzlose männlich und anständig einzutreten.155 Schwach, schutzlos und zunehmend auch abwesend waren die deutschen Juden im Jahre 1941 mit Sicherheit. Das Missverständnis, dass sie mit dieser Aufforderung zur Achtung und Toleranz gemeint sein könnten, war jedoch ausgeschlossen. Dass die beschriebenen moralischen Regeln für sie nicht galten, bedurfte weder einer Begründung noch auch nur einer Erwähnung. Es konnte zu diesem Zeitpunkt bereits als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Die Juden wurden auf Grund ihrer Zugehörigkeit zu einer als minderwertig stigmatisierten Rasse gedemütigt, verfolgt und schließlich ermordet. Ihnen wurden zunächst elementare Bürger - und Menschenrechte bestritten, bevor ihnen das Lebensrecht selbst abgesprochen wurde. Dabei galten ihre individuellen Handlungen und Überzeugungen als irrelevant für ihre Behandlung. Ihnen 151 Stellrecht, Wehrerziehung, S. 29. 152 Vgl. Adolf Hitler, Politisches Testament 1945, http ://www.ns - archiv.de / personen / hitler / testament / politisches - testament.php. 153 Arendt, Eichmann, S. 162. 154 Vgl. ebd. S. 189 und 311. 155 Vgl. Ausspruch des Reichsführers über Treue. In : SS - Leitheft, 7 (1941) 10a / b, S. 1.

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wurde die Möglichkeit abgesprochen, ihre biologische Festlegung auf rassenspezifische Eigenschaften und Verhaltensdispositionen individuell zu modifizieren oder zu widerlegen. Es spielte auch keine Rolle, ob sie gläubige Juden oder zum Christentum konvertiert waren oder aber jeder Religion gegenüber indifferent ihr Deutschsein in säkularer Spiritualität lebten. Immer wieder wurde herausgestellt, dass die Juden „Gegenspieler und Todfeind der höchsten Werte und der tiefsten Ideen der europäischen Völker“156 seien. Ihre Fremdheit habe nichts mit ihrem Glauben, ihrer Moral oder Erziehung zu tun und könne so auch nicht „durch konfessionelle Übertritte, durch Emanzipation und Assimilation [...] geändert werden“.157 Durch ihre angeborenen erblich - rassischen Anlagen seien ausnahmslos alle Juden auf ein bestimmtes Verhalten festgelegt. Die Juden sah Himmler als Volk, „dessen Wunsch die Weltherrschaft, dessen Lust die Zerstörung, dessen Wille die Ausrottung, dessen Religion die Gottlosigkeit, dessen Idee der Bolschewismus ist“.158 Gegen die Unterschätzung des jüdischen Gegners im Rassenkampf stellte er heraus, dass der nordischen Rasse „im Juden, im Untermenschen, und in seinen Hilfsorganisationen kluge, in der Organisation der Zerstörung fähige, in der Verwendung jeder Gelegenheit und jeder Möglichkeit, auf dem Parkett des Salons, im Vorzimmer der Staatsminister und Monarchen, im Attentat, in der Mischung von Gift, im bewusst gelenkten Mörderstrahl, im Verhungernlassen ganzer unerwünschter Volksstämme, im Intrigieren, im Diffamieren einzelner Köpfe, im Auseinanderspielen führender Persönlichkeiten [...] im Kampf auf der Straße genauso wie in den Winkelzügen der Bürokratie, im Entwurzeln des Bauern wie im Missbrauch der Konfession und der Gottessehnsucht – gewandte Gegner gegenüberstehen, die besser erkannt haben als wir, dass es in diesen Kämpfen keine Friedensschlüsse gibt, sondern nur Sieger oder Besiegte und dass Besiegtsein in diesem Kampf für ein Volk Totsein heißt.“159 Der rassenbiologische Antisemitismus stellte den weltanschaulich - ideologischen Begründungsrahmen zur Überführung der sozialdarwinistischen Rhetorik von Daseinskampf und Volksgesundheit in die politische Pragmatik der systematischen Vernichtung der Juden bereit. Die Behauptung einer jüdischen „Erbschuld“ qua rassischer Zugehörigkeit diente als Rechtfertigungsgrund nationalsozialistischer Verfolgungs - und Vernichtungspolitik. In diesem ideologischen Raster galt es als irrelevant, ob die zur Vernichtung bestimmten Juden durch ihr Handeln oder eigene religiöse und kulturelle Haltungen Anlässe oder Gründe für ihre Behandlung geboten hatten. Der Vernichtungskrieg richtete sich sowohl gegen die ihre eigene Kultur und Religion lebenden orthodoxen Juden der Shtetl und Ghettos als auch gegen die kulturell assimilierten oder zum Christentum konvertierten, häufig überdurchschnittlich erfolg - und einflussreichen Juden, die sich oft nicht mehr als Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft 156 157 158 159

Gross, Lösung, S. 5. Ebd. Himmler, Schutzstaffel, S. 30. Ebd., S. 8.

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verstanden oder die als liberale Juden assimiliert waren. Es ging in diesem unterstellten Schuldzusammenhang nicht um die Annahme oder den Nachweis individueller Schuld, sondern darum, ihre biologische Konditionierung zu einem genetisch festgelegten, Angehörige anderer Rassen schädigenden Verhalten zu unterstreichen. Dem „Fluch der Rasse“ konnten die Juden nicht durch eigene Anstrengungen entkommen. An ihrer lebensbedrohlichen rassischen Stigmatisierung konnten sie nichts ändern. Ihnen wurde zynisch bedeutet, ihr Schicksal nicht persönlich zu nehmen, sondern als Durchsetzung von Natur - und Lebensgesetzen zu akzeptieren. Reduziert auf ihre Zugehörigkeit zu einer als minderwertig stigmatisierten Rasse wurden auf sie alle diejenigen Eigenschaften projiziert, die ihrer Rasse zugeschrieben wurden, unabhängig nicht nur davon, ob diese Eigenschaften bei ihnen tatsächlich ausgeprägt waren, sondern auch davon, ob sie sich selbst überhaupt als Juden sahen. Die Rassengesetze fragten nicht danach, ob jemand „Jude sein will oder nicht“.160 Die Juden, jeder Einzelne von ihnen, waren bereits durch ihre Rassenzugehörigkeit als Individuen all dessen schuldig, was ihrer Rasse als Kollektivschuld zugeschrieben wurde. Dass einzelne Juden dem äußeren Anschein nach moralisch, anständig oder harmlos seien, ändere nichts daran, dass das Judentum als Rasse in seiner Gesamtheit parasitär und gefährlich sei. Als Rasse seien die Juden gezwungen, der Stimme ihres Blutes zu folgen und die Herrschaft über andere Völker zu erlangen, um parasitär von deren Arbeit zu leben. In der weltanschaulich - grundsätzlichen Lösung der Frage des Umgangs mit den Juden gehe es dem Nationalsozialismus um eine Gesamtlösung der Judenfrage.161 Die Behauptung einer rassenbiologischen Disposition der Juden zur Kontaminierung, Schwächung und schließlichen Vernichtung anderer Rassen und Völker, die die nordische Rasse und das deutsche Volk in ihrer Existenz bedrohe, rechtfertigte den eliminatorischen Antisemitismus nationalsozialistischer Vernichtungspolitik. Mit der Annahme einer jüdischen Weltverschwörung ermächtigte sich die nationalsozialistische Ideologie zur Lösung der Judenfrage im Namen einer von ihr gleichermaßen betroffenen und bedrohten nicht - jüdischen Welt. Mit der Konzipierung einer „Endlösung der Judenfrage“ wurde unterstellt, es gäbe ein Problem mit den Juden, das nicht länger ignoriert werden könne und eine durch sie provozierte Frage, die gelöst werden müsse. Die Endlösung eines Problems zielt auf dessen Erledigung als Problem. Nach seiner Lösung soll es das Problem nicht mehr geben. Die einzig akzeptable Lösung der Judenfrage sei das Verschwinden der Juden. Solange es ihnen möglich sei, assimiliert und unerkannt oder auch sichtbar anders als orthodoxe Juden inmitten ihrer nichtjüdischen Wirtsvölker zu leben, würden sie deren rassische Substanz und damit den Kern ihrer Identität in beängstigender Effizienz untergraben. Hinzu kam die Unterstützung der nazistischen Vernichtungspolitik durch einen weit verbreiteten Antisemitismus der nichtjüdischen Bevölkerung Osteuropas 160 Hauptmann, Überheblichkeiten, S. 177. 161 Vgl. Die Legende vom anständigen Juden. In : Das schwarze Korps vom 13.1.1938.

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und der baltischen Staaten. Diese Kollaborationsbereitschaft von Teilen der einheimischen Bevölkerung erleichterte es den ausdrücklich zur Vernichtung der Juden abgestellten Sondereinheiten von SS und Polizei, die Vernichtungsaktionen effektiv durchzuführen.162 Die politischen Soldaten des Nationalsozialismus definierten sich durch ihre Zugehörigkeit zur rassischen Volksgemeinschaft, für die an der Front stellvertretend ihre militärische Einheit stand. In ihrem Selbstverständnis verteidigten sie Werte und Bestand des deutschen Volkes in der vordersten Linie des ideologischen Weltbürgerkrieges gegen seine drohende Vernichtung durch den jüdischen Bolschewismus und seine Verbündeten. „Seine Tat wäre sinnlos ohne die Gemeinschaft. Sein Krieg wäre Mordbrennerei ohne die Gemeinschaft.“163 Deutsche Soldaten mordeten in diesem Krieg für einen höheren Zweck, für die Volksgemeinschaft, weshalb dieser ansonsten verwerfliche Akt der Barbarei zu einer patriotischen Tat wurde. Ihre Verpflichtung auf Gemeinschaft, Rasse und Volk hob den Krieg aus den Niederungen des Mordens in die Höhen des Kampfes für eine Mission, deren Verinnerlichung sie dazu befähigen sollte, den Alltag des Krieges durchzustehen. Aus innerer Haltung und Glauben an die gemeinsame Sache wisse sich der politische Soldat in der Sendung für die Gemeinschaft, die ihm gebiete : „Du sollst den starken Feind ehren, aber nicht lieben. Du sollst den Schädling töten. [...] Widerstrebe dem Bösen. [...] Verrate nie deinen Führer.“164

Für die Heiligkeit und Unverletzlichkeit dieser Gebote stehe der deutsche Soldat mit seinem Leben ein. Im Krieg stehe das Ganze auf dem Spiel, dem gegenüber der Einzelne zurücktreten müsse. Der Krieg „fordert von einem Volk eine bedingungslose Hingebungsbereitschaft, die beim Einzelnen bis zum Verzicht auf das eigene Leben geht. [...] Der Mensch tritt wieder in seiner wilden Urform in Erscheinung [...] Es geht nicht mehr so sehr darum, was moralisch und gesittet ist, als vielmehr darum, was Erfolg verspricht.“165 Im Ausnahmezustand des Krieges, in dem die eigene Existenzform auf dem Spiel stand, galt als moralisch, was zum Erfolg führte. In solchen Zeiten sei es unmoralisch und dem eigenen Gemeinwesen gegenüber unverantwortlich, den möglichen Sieg durch humanistische Bedenken bei der rücksichtslosen Vernichtung des Gegners aufs Spiel zu setzen. Von der unbestreitbaren Wahrheit, dass am Ende der Erfolg über Recht und Unrecht entscheide, würden „verlogene Humanitätsphrasen“166 nur ablenken. Der angestrebte Erfolg bestimmte das Vorgehen. Wurden die gewünschten Resultate erreicht, so war dieses Vorgehen als moralisch legitim gerechtfertigt.

162 163 164 165 166

Vgl. Dahlmann, Hilbrenner ( Hg.), Erwartungen. Eggers, Leben, S. 68. Ebd., S. 71 f. Goebbels, Aufstieg, S. 78–85, hier 79 – aus : ders, Über die politische Leidenschaft. Ebd., S. 81.

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In einer „höheren Ethik des Krieges“167 entscheide der Sieger, was moralisch ist und was unmoralisch. Das nationalsozialistische Moralverständnis sprach als minderwertig stigmatisierten Rassen den Status moralischer Subjekte ab. Sie standen außerhalb des Geltungsbereichs der neuen Moral. Zugleich wurde diese Moral auf sie als Objekte der Vernichtung angewandt. Die Reinigung des deutschen Volkes und der nordischen Rasse von artfremden Elementen zielte auf ihre physische Vernichtung, nachdem sie als moralische Subjekte schon nicht mehr existierten. Das deutsche Volk sollte zu biologischen Haltungen und Gefühlen erzogen werden. Es sollte einen Rasseninstinkt entwickeln und ein „ethnisches Gewissen“ ausbilden.168 „Rassesinn und Rassegefühl“ müssten „instinkt - und verstandesmäßig in Herz und Gehirn der [...] Jugend“169 hineingebrannt werden. Gegen eine diffus christliche oder allgemeinmenschliche Nächstenliebe sollte moralische Empathie auf Angehörige der rassischen Volksgemeinschaft beschränkt werden. Rassisch Minderwertige und Fremdrassige waren aus dem Geltungsraum gegenseitiger moralischer Verpflichtungen ausgeschlossen. Dabei konnte die nazistische Judenpolitik daran anknüpfen, dass die Juden bereits durch den traditionellen, vor allem christlichen Antisemitismus als Fremdkörper der deutschen Gesellschaft stigmatisiert waren.170 Wurde Menschen aus ideologischen Gründen ein Platz in der neuen Ordnung verwehrt, waren sie aus biologischen Gründen in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt oder bestanden sie eigensinnig darauf, sich in ihrem Menschsein nicht auf ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse reduzieren zu lassen, so hatten sie damit das Recht auf ein Leben in der neuen Ordnung verspielt. Sie galten als ökonomisch überflüssig, biologisch minderwertig oder als anachronistische Relikte einer Vergangenheit ohne Zukunft. Schließlich wurde ihnen selbst das Recht zu leben abgesprochen. Rein ökonomisch unbrauchbar, rein biologisch ein Ärgernis, rein ordnungspolitisch eine Provokation, war ihre Vernichtung dann nur noch eine Frage der passenden Gelegenheit und geeigneter technischer Prozeduren. Effizienz bei der Umsetzung rassenpolitischer Ziele, deren Berechtigung nicht in Frage gestellt wurde, trat an die Stelle der Anerkennung kultureller Differenzen und Perspektiven von Menschsein. Die Rassenzugehörigkeit wurde zum Kriterium biopolitischer Ordnung und Selektion, nach dem der ökonomische und biologische Lebenswert der Menschen neu vermessen wurde. Spätestens seit 1930, so hat es Klaus Dörner formuliert, habe das „Prinzip, dem Menschen weniger Würde, sondern eher – wie Sachen – einen Wert beizumessen“,171 auch auf das Sozialsystem ausgestrahlt. Das nationalsozialistische Deutschland sei „entschlossen, in ruhiger und überlegter, aber absolut zielbewusster und unerbittlicher Weise für die ganze 167 168 169 170 171

Ebd., S. 95–102, hier 98 – aus : ders., Die Vollendeten. Koonz, Nazi Conscience, S. 108. Hitler, Kampf, S. 475. Vgl. dazu von Braun, Heid, Judenhass. Dörner, Geschichte, S. 379.

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europäische Welt“ eine „definitive, [...] endgültige und zweckentsprechende Lösung“172 der Judenfrage zu finden, so hieß es etwa in Walter Gross’ „Überlegungen zur Lösung der Judenfrage“. Soweit es um die Juden in Europa gehe, sei ihre „Todesstunde unwiderruflich gekommen“.173 Bisherige Lösungsversuche der Judenfrage, ob als ihre Austreibung oder teilweise physische Vernichtung, seien räumlich und zeitlich eng begrenzt gewesen, ohne jede zielbewusste Planung und deshalb letztlich ohne Erfolg. Spontanen Ausbrüchen des Judenhasses seien sehr schnell wieder Gleichgültigkeit, Toleranz oder gar Mitleid gefolgt.174 Dieser wenig verlässlichen Abfolge von spontanem Judenhass und Indifferenz gegenüber der Judenfrage wurde die nüchterne rassenwissenschaftliche Diagnose des Judenproblems entgegen gestellt, das nur durch ihre Beseitigung gelöst werden könne. Diese notwendige „endgültige Ausscheidung des Judentums aus Europa“175 sei die einzig angemessene Reaktion auf die den Juden eingeborenen erblich - rassischen Anlagen, die sich durch keinerlei Einflussnahme verändern ließen. Sie sei keine Straf - , sondern eine Schutzmaßnahme. In einem „kritischen Bericht“ des stellvertretenden Leiters der Ghettover waltung Lodz, Alexander Palfinger, vom 7. November 1940 heiß es : „Völlig gleichgültig, um nicht zu sagen wünschenswert, ist uns das rasche Absterben der Juden insolange als die Begleiterscheinungen das öffentliche Interesse des deutschen Volkes unberührt lassen.“176 Es sei falsch, die Juden nach arischen ( menschlichen ) Maßstäben zu behandeln. Wie bei Nutztieren müsse auch bei den Juden die Zufuhr von Lebensmitteln entsprechend ihrer Leistung und ihres Nutzens reguliert werden.177 Diese umstandslose Gleichsetzung von arisch und menschlich gesteht nur noch Ariern eine humane Behandlung zu. Dabei erübrige das rasche Absterben der Juden mangels ausreichender Ernährung ihre gezielte Tötung. Menschen, deren Leistung für das deutsche Volk nicht gebraucht wird, sollen auch nicht verpflegt und dadurch künstlich über ihren zeitweisen Nutzen hinaus am Leben gehalten werden. Ihre Lebenszeit ist dann abgelaufen, wenn von ihnen krankheits - oder schwächebedingt keine Leistung mehr erwartet werden kann. Ihr Nutzen entscheidet über ihr Lebensrecht. Mit der Vernichtung der Juden wurde die Berechtigung ihrer rassischen Stigmatisierung pragmatisch beglaubigt. Die Monströsität der Tat führte zum ideologischen Ausgangspunkt nationalsozialistischer Vernichtungspolitik zurück. Die Stufenfolge ihrer Radikalisierung von antisemitischer Rhetorik über die Verfolgung, soziale Ausgrenzung, Deportation und schließliche Vernichtung der Juden gab der Ideologie das Gewicht der Legitimation durch praktische Konsequenzen, die daraus folgten, dass der Nationalsozialismus seine eigene 172 173 174 175 176 177

Gross, Voraussetzungen, S. 52. Ebd. Vgl. ebd., S. 53. Ebd., S. 58 f. Zit. bei Browning, Weg, S. 44. Zit. ebd., S. 48 – aus einer Aktennotiz Palfingers vom 7. 4.1941.

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ideologische Rhetorik ernst nahm. Eine Vernichtungspolitik dieses Ausmaßes, so die Unterstellung ihrer möglichen Rechtfertigung durch rationale Gründe, reagierte auf eine durch die Opfer verkörperte tödliche Gefahr für das eigene Gemeinwesen. Als Verkörperung dieser Gefahr hätten die Juden ihr Schicksal selbst provoziert. Der radikale Präventivschlag zur Verteidigung der eigenen völkischen und nationalen Existenz wurde zu einer Frage des Überlebens erklärt. Für das Selbstverständnis der nationalsozialistischen Bewegung war es von außerordentlicher Bedeutung, sich als politische Bewegung in der Bedrohung durch einen skrupellosen, verschlagenen und unberechenbaren Gegner darzustellen, dem mit konventionellen Methoden nicht beizukommen war und der jeden Versuch, den Konflikt durch Kompromisse zu lösen, als Zeichen der Schwäche mit umso größerer Härte beantwortet hätte. Der Krieg als härteste und rücksichtsloseste Form des Kampfes ums Dasein zwischen Völkern und Rassen und ihren jeweiligen Wertesystemen verschärfe die rassenpolitische Situation, vereinfache sie jedoch auch.178 Die Bedrohung der eigenen Lebensform durch die jüdische Vernichtungsdrohung zeige nachdrücklich, dass es im Rassenkampf darum gehe, den Juden durch ihre Vernichtung zuvor zu kommen. In seinem Tagebuch referiert Goebbels Himmler : „Jedermann in Deutschland müsse sich klar darüber sein, dass es sich in diesem Krieg um einen Kampf um Sein oder Nichtsein handele“, für den gelte : „Rotte aus, damit Du nicht selbst ausgerottet wirst.“179 Für den Ausgang des Krieges sei die Rassen - und Bevölkerungspolitik entscheidend. Schließlich hänge es von ihr ab, wie viele und welche Menschen ein Volk im Rassenkrieg zur Verfügung habe. Und umgekehrt werde durch den Rassenkrieg auch entschieden, in welcher Konsequenz und Schwerpunktsetzung Rassenpolitik künftig durchgesetzt werden könne. Die jüdische Strategie, durch gezielte rassische Unterwanderung ihre Wirtsvölker zu schwächen, wurde durch ihre prophylaktische Tötung beantwortet. Die Verfolgung und Vernichtung der Juden wurde mit einer von ihnen ausgehenden Existenzbedrohung für das deutsche Volk begründet, die extreme Maßnahmen zur Abwehr dieser Bedrohung erforderlich gemacht habe. Deshalb behaupteten die Täter, sie hätten in der Überzeugung gehandelt, Vernichtungsplänen gegen das deutsche Volk und die nordische Rasse zuvorkommen zu müssen, bevor es zu spät sei.180 Angesichts der tödlichen Gefahr für die deutsche Volksgemeinschaft, die von den Juden ausgehe, müssten diese mit rücksichtsloser Härte an ihren Vernichtungsplänen gehindert werden. Ihnen wurde vorgeworfen, eben jene Vernichtung zu planen, die für sie beschlossen war. „Als sie gegen das deutsche Volk den Plan einer totalen Vernichtung fassten, unterschrieben sie damit ihr eigenes Todesurteil.“181 Die jüdischen Gemeinden waren zwar

178 179 180 181

Vgl. Schicksal und Erbgut. In : Das Schwarze Korps vom 20.1.1944. Goebbels Tagebücher II; 12, S. 140 (18. 4.1944). Vgl. Scarre, Moral Responsibility, S. 104 f. Goebbels, Aufstieg, S. 263–270, hier 270, aus : ders., Der Krieg und die Juden.

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auf die Diskriminierung und Verfolgung der Juden vorbereitet, ihre geplante Vernichtung lag jedoch jenseits ihres Vorstellungshorizontes. Der verständliche Versuch, die nazistische Judenpolitik in die Geschichte ihrer Diskriminierung und Verfolgung einzuordnen, nahm den Juden die Möglichkeit, die existenzbedrohende neue Dimension des rassenbiologischen Antisemitismus zu erkennen. Allerdings hatten sie angesichts der historischen Beispiellosigkeit nazistischer Vernichtungspolitik auch keine Möglichkeit, das Ausmaß der tödlichen Bedrohung, mit der sie konfrontiert waren, zu erkennen. Dass also etwa die martialische Rhetorik der Ausmerzung rassisch Minderwertiger zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr die Ausschaltung jüdischen Einflusses in deutscher Wirtschaft, Kultur und Geistesleben meinte, sondern unter Ausschluss ökonomischer Erwägungen auf ihre Tötung zielte, blieb ihnen so lange verborgen, bis es mit dem Beginn der Deportationen und dem Anlaufen der Tötungsmaschinerie in den Vernichtungslagern zu spät war, den Widerstand zu organisieren. Der Versuch der Juden, die sachlichen Gründe ihrer Stigmatisierung und Verfolgung zu verstehen und durch kooperatives Verhalten ihre Lebensumstände zu verbessern oder wenigstens ihr Überleben zu sichern, scheiterte. Die Frage, welche politischen oder ökonomischen Interessen das nationalsozialistische Regime mit seiner Judenpolitik verfolgte, unterstellte, dass es solche Interessen gab, die sich in der Aushandlung von Konditionen für das Überleben der jüdischen Gemeinschaft berücksichtigen ließen. Es lag außerhalb ihres Verstehenshorizonts, dass eine an sachlichen Interessen orientierte Rationalität und Grundsätze bürgerlich - christlicher Moral für das nationalsozialistische Regime nicht mehr galten. Die ideologische Rationalität nationalsozialistischer Vernichtungspolitik konnten sie nicht verstehen.182 Dass ein Land, das darauf angewiesen war, alle verfügbaren Ressourcen für den Krieg zu mobilisieren, und das deshalb auch dringend Arbeitskräfte benötigte, auf die Juden als Arbeitskräfte aus rassenideologischen Gründen verzichten und sie stattdessen vernichten würde, kam ihnen nicht in den Sinn. Dass Frauen und Kinder, Alte und Gebrechliche aus den gleichen Gründen ihrer Stigmatisierung als rassisch minderwertige Untermenschen getötet werden könnten, widersprach zutiefst ihren Moralvorstellungen, von denen sie selbstverständlich annahmen, dass sie auch für die zivilisierte deutsche Gesellschaft gelten würden. Die Mitglieder der Judenräte ebenso wie jüdische Hilfspolizisten in den Ghettos waren überzeugt davon, dass sich an der Grundsituation des Ghettos – dem existentiellen Ausgeliefertsein und der tödlichen Bedrohung, nichts ändern lasse. Widerstand hielten sie für aussichtslos. Sie akzeptierten, dass die Mehrzahl der Ghettobewohner sterben würde, hofften aber auf Rettung für eine Minderheit, zu der sie und ihre Familien gehören sollten. Wenn das ihren eigenen Sonderstatus als Überlebende auf Zeit sicherte, beteiligten sie sich häufig auch an der logistischen Unterstützung von Selektion und Deportation, von der

182 Vgl. dazu Diner, Aporie.

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sie wussten, dass sie für die Betroffenen den sicheren Tod bedeutete.183 Andere, wie der Vorsitzende des Judenrates des Warschauer Ghettos, Adam Czerniaków, zerbrachen an dem moralischen Dilemma der von den Nazis suggerierten Opferung der Kranken, Alten und Kinder, um die Arbeitsfähigen zu retten, und begingen Selbstmord.184 In der nazistischen Metaphorik der Menschenverachtung und - vernichtung nahm die zynische Formel „Arbeit macht frei“ einen besonderen Platz ein. Aus der Annahme, die Arbeitskraft der Juden sei kriegsnotwendig und deshalb unverzichtbar, zogen die Judenräte die Hoffnung auf das Überleben wenigstens der arbeitsfähigen Juden. „Die unproduktive Bevölkerung umfasste den größten Teil der Ghettobewohner. In den Augen der Nazis ist jeder, der nicht eine Nadel oder Schaufel zur Hand nimmt, unproduktiv. Auf dieser Basis war die ganze Ghettobevölkerung zur Austreibung vorgemerkt worden. Man versuchte sich daher durch eine neue Wendung zu retten : Ihr wollt, dass wir arbeiten ? Selbstverständlich – nur erlaubt uns zu leben.“185 Wenn Arbeit auch nicht zu ihrer Freiheit führte, so werde sie doch ihr Leben retten. Für diese Aussicht waren sie bereit, das Leben der Kinder und Alten, der Kranken und Schwachen zu opfern. In diesem Sinne äußerte sich z. B. Ephraim Barasz, zweiter Vorsitzender des Judenrates von Bialystok auf einer Krisensitzung am 11. Oktober 1942: „Selbst wenn die Behörden von uns keine Arbeit verlangten, müssten wir selbst uns mit aller Kraft bemühen, in die Wirtschaft einzudringen; damit, falls man uns vernichten wollte, eine Lücke in der Wirtschaft entsteht und man uns deshalb schonen würde. Nur dann besteht Hoffnung für uns; Barmherzigkeit dürfen wir nicht erwarten“.186 Die Judenräte nahmen an, die Deportation und Vernichtung der Juden folge dem ökonomischen Kalkül von Nutzen und Effizienz. Dass die Nazis ihre ökonomischen Interessen und militärischen Ziele zugunsten der Judenvernichtung zurückstellen würden, war ihnen unvorstellbar. Weshalb auch sollten diese gegen ihre eigenen Interessen handeln und unter Kriegsbedingungen, also der notwendigen Konzentration aller Ressourcen und Kräfte auf den militärischen Sieg, technische, menschliche und logistische Kapazitäten von dieser Aufgabe abziehen ? Im Vertrauen auf die ökonomische Vernunft der Nazis setzten die Judenräte auf das gemeinsame Interesse an „Nützlichkeit, Arbeit, Produktivität“.187 Die Handlungsfalle, in die sie durch diese Fehlkalkulation liefen, „mündete praktisch in eine Paralyse bis hin zur anteiligen Selbstvernichtung“.188 Innerhalb des kognitiven und moralischen 183 Als beeindruckendes Zeugnis dieser Haltung und der damit verbundenen moralischen Probleme vgl. Oerechodnik, Mörder. 184 Vgl. Fuks ( Hg.), Warschauer Ghetto. 185 Katsh ( Hg.), Buch, S. 393. 186 Zit. bei Hilberg, Täter, S. 135. 187 Diner, Perspektivenwahl, S. 112. 188 Ebd. Als Hannah Arendt diese These in ihrem Eichmann - Buch formulierte, löste das eine heftige Kritik seitens der jüdischen Gemeinschaft aus. An die Judenräte adressiert, hatte sie hier polemisch gefragt : „Warum habt ihr die Mitarbeit an der Zerstörung eures eigenen Volkes und letztlich an eurem eigenen Untergang nicht verweigert ?“ Denn

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Universums westlicher Rationalität ergab die rassenideologische Fixierung auf den Judenmord keinen Sinn, was zur Einführung des Begriffs der ideologischen Gegenrationalität geführt hat.189 Die nationalsozialistische Führung tat alles, die Judenräte in ihrem Glauben zu bestärken, ihre Judenpolitik stehe in der Kontinuität der Geschichte von Antisemitismus und Judenverfolgung. Indem die Nazis „ihre Aktionen mit dem jüdischen Kalender koordinierten, gaben sie dem archetypischen Denken und Begreifen bei ihren Opfern noch zusätzlich Nahrung. [...] es brachte [...] sie dazu, paradigmatisch auf ihr Elend zu reagieren [...]. So lullten die Nazis ihre Opfer in Analogien ein, ließen gewissermaßen alle vorangegangenen Verfolgungen wiederauferstehen und konnten auf diese Weise in der Tat das, was die gegenwärtige Verfolgung von allen früheren unterschied, so lange verschleiern, bis es zu spät war.“190 Betont wurde immer wieder, dass die moralische Überlegenheit der Deutschen, die gegen die Macht des Bösen als religiöse Krieger ihr Leben für eine heilige Sache einsetzten, den Krieg schließlich zu ihren Gunsten entscheiden werde. Diese religiöse Rechtfertigung des Tötens sollte die deutschen Soldaten von vornherein von dem Verdacht entlasten, aus Freude am Töten oder blindem Hass, also aus persönlichen, egoistischen oder pathologischen Motiven zu kämpfen. „Krieg führen heißt töten. Der Krieger hat das Recht, zu töten, er hat die Pflicht zu töten. [...] Solange gekämpft wird, gibt es kein Erbarmen, wird gekämpft bis zur körperlichen Vernichtung.“191 Der deutsche Soldat aber habe am Töten keine Freude. „Es ist ihm wohl bewusst, dass er [...] nicht nur Männer tötet, sondern Mütter, Frauen und Kinder todunglücklich macht. Aber er weiß auch, dass jeder gut gezielte Schuss das gleiche Unglück von deutschen Sippen abwendet. Der deutsche Soldat tötet, damit sein Volk leben kann.“192 Das unterscheide ihn z. B. vom Engländer, der den Krieg als Sport betrachte und dabei dem Motto folge : „Auf die Löwenjagd gehen, ist gut, auf die Menschenjagd gehen, ist besser.“193 Auch mit dem Sowjetsoldaten und seiner „ausgesprochenen Freude am Töten und Zerstören“194 habe der deutsche Soldat nichts gemein. Der Kampf gegen die Sowjetunion sei ein „religiöser Krieg“ gegen die „Macht des Bösen“ : „Wir kämpfen aus Liebe, die anderen aus Hass. In uns ist der Wille zu schöpferischer Ordnung, jene sind vom Trieb zum Chaos, vom

189 190 191 192 193 194

schließlich, so ihre These : „Wäre das jüdische Volk wirklich unorganisiert und führerlos gewesen, so hätte die Endlösung ein furchtbares Chaos und ein unerhörtes Elend bedeutet, aber [...] die Gesamtzahl der Opfer hätte schwerlich die Zahl von viereinhalb bis sechs Millionen Menschen erreicht.“ Arendt, Eichmann, S. 160. Zur Kritik vgl. Krummacher, Kontroverse. Vgl. Diner, Aporie. Young, Beschreiben, S. 157 f. Pleyer, Volk, S. 33. Ebd. Ebd. Ebd.

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Drang zur Zerstörung besessen.“195 Während die Deutschen in diesem Krieg mit „heroischer Selbstüberwindung und Todesverachtung“ kämpften, seien die Russen in ihrer „Lebensverachtung“ von der verständlichen „Verachtung eines verächtlichen Daseins“196 getrieben. Letztlich sei es der Selbsthass der minderwertigen Rasse, der sich gegen die höherwertige Rasse richte, mit dem sich Juden wir Bolschewiki dem tödlichen Kreislauf ihrer Selbstzerstörung zu entziehen suchten. Die nationalsozialistische Rassebiologie bestritt der für minderwertig und nicht kulturfähig erklärten jüdischen Rasse das Lebensrecht. Dabei wurde der Krieg als einzigartige Gelegenheit gesehen, die Rhetorik der Endlösung der Judenfrage in die Praxis der Judenvernichtung zu überführen. In einer bilanzierenden Schrift zur nationalsozialistischen Rassenpolitik wurde 1943 nüchtern festgestellt : „Durch den Krieg, der uns große Erfahrung in der Lösung völkischer Probleme durch Umsiedlung brachte, wird auch die endgültige Lösung der Judenfrage eine Beschleunigung erfahren.“197 „Es musste der schwere Entschluss gefasst werden, dieses Volk von der Erde verschwinden zu lassen“198 – so Himmler in seiner Rede vor den Reichs - und Gauleitern in Posen am 6.10.1943. Aus diesem in die Praxis des Holocaust übersetzen politischen Willen, „die Erde nicht mit dem jüdischen Volk [...] zu teilen“, hatte Hannah Arendt die Notwendigkeit des Todesurteils für Eichmann abgeleitet : „Keinem Angehörigen des Menschengeschlechts kann zugemutet werden, mit denen, die solches wollen und in die Tat umsetzen, die Erde zusammen zu bewohnen.“199 Der Rassenkampf wurde weder nach Kriterien einer übergeordneten allgemeinmenschlichen Moral geführt und entschieden noch konnten Angehörige der artfremden Rasse erwarten, überhaupt nach moralischen Regeln behandelt zu werden. Die Juden sollten nicht konvertiert, sondern vernichtet werden. Was ( art )fremd war, würde immer artfremd bleiben. Daran änderte auch eine ausdrücklich rassenpolitisch argumentierende weibliche Kritik der massenmordenden Männerkultur nichts, die beklagte, dass dieser Krieg kein heroischer, ritterlicher Waffengang mehr sei. Durch die Anwendung feiger Massenmordwaffen auch gegen die Zivilbevölkerung habe das männliche Zeitalter seine Sinnhaftigkeit verloren. Die Entsittlichung des Kampfes sei „Ausdruck der vom Manne geschaffenen und geführten Kultur“.200

195 196 197 198

Pleyer, Volk, S. 180. Ebd., S. 196. Magnussen, Rüstzeug, S. 54. Himmler, Geheimreden, S. 162–183, hier 169 – aus ders., Rede vor den Reichs - und Gauleitern in Posen am 6.10.1943. 199 Arendt, Eichmann, S. 329. 200 Rogge - Börner, Mensch, S. 85.

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VIII. Täter, Opfer, Widerstand 1.

Führung und Gefolgschaft : Die nationalsozialistische Wertegemeinschaft in der moralischen Zerreißprobe

Das Deutsche Reich sei auf dem „Gefolgschaftsprinzip mit seiner rassischen Werteordnung“ als dem „Rechtsprinzip der Gegenseitigkeit [...] der Gemeinschaftsglieder in Berechtigung und Verpflichtung“1 gegründet und beruhe auf dem doppelten Rechtsgrundsatz : „Gemeinnutz vor Eigennutz“ und „Jedem das Seine gemäß seiner Art und Leistung.“2 In der „Selbstverständlichkeit des Befehlens und Gehorchens“3 könne sich jeder entsprechend der in seiner Natur angelegten Möglichkeiten frei entfalten. Im Führer - Gefolgschaftsverhältnis zeige sich das symbiotische Einverständnis des Führers mit der Gemeinschaft. „Die Meinung, der Entschluss des Führers sind [...] auch die der Gemeinschaft. Vielleicht spricht er etwas aus, tut etwas, was der Gemeinschaft bisher nicht ins Bewusstsein getreten war [...]. Der Führer handelt auch hier aus der Gemeinschaft heraus, die ihn trägt und die in ihm sich selbst erst klar erkennt.“4 Gemeinschaft und Führer bedingten sich gegenseitig : „Die Gemeinschaft herrscht im Führer.“5 Freiheit wurde als Unterordnung unter den überlegenen Willen des Führers bestimmt : „Es ist eine höhere Freiheit und eine höhere Vernunft, sich einem Willen unterzuordnen, der des Sinnes der Begebenheiten kundig ist und die Dinge zu meistern versteht“.6 Freiheit sei kein selbstsüchtiges Ausleben der Triebe, sondern Dienst am Ganzen aus eigener Verantwortung. „Das Recht der persönlichen Freiheit tritt zurück gegenüber der Pflicht der Erhaltung der Rasse ( Hitler ).“7 „Führung im Sinne des Nationalsozialismus ist Verantwortung, Verpflichtung und innere Berufung der nach Charakter, Haltung und Leistung besten Menschen des Volkes [...] Gefolgschaft ist die aus dem freiwilligen Kampf um die höchsten Werte erwachsene Gemeinschaft, in der Gehorsam und Zucht aus innerster Überzeugung und Einsicht bejaht werden.“8 Als lebendige kämpferische Einheit seien Führung und Gefolgschaft durch die Gemeinsamkeit des Blutes verbunden, die es ihnen ermögliche, Ehre, Treue, Kameradschaft, Pflicht und Arbeit als Werte in der gleichen Weise zu schätzen und zu erleben. Ehre sei zunächst Treue gegen sich selbst. Wer sich selbst nicht treu sei, von dem könne auch keine verlässliche Gefolgschaft und unbedingte Hingabe an die absolute Autorität eines Führers erwartet werden. Eine starke Persönlichkeit stehe 1 2 3 4 5 6 7 8

Krieck, Volkscharakter, S. 28 und 69 f. Ebd., S. 145. Vgl. Harten, Gemeinschaft, S. 138 und 144. Stellrecht, Erziehung (1943), S. 53. Eggers, Leben, S. 59. Schwarz, Grundlegung, S. 28. Schultze, So lebst du deutsch, S. 71. Weibetahn, Führung, S. 28.

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Täter, Opfer, Widerstand

auch unter schwierigen Bedingungen zu ihrer Verpflichtung gegenüber der Volksgemeinschaft. Sich selbst treue Menschen würden der Versuchung widerstehen, „früher eingegangene Bindungen an Personen, Ideen oder Sachen“9 durch vermeintlich zeitgemäßere Loyalitäten und Präferenzen zu ersetzen. In der „Treue zu sich selbst“ gehorchten sie nur „sich selbst gegebenen Befehlen“.10 An die Stelle altbürgerlicher Werte traten Kampf - und Opferbereitschaft sowie Selbstlosigkeit und die Anerkennung der unbedingten Autorität des Führers als Eigenschaften „wahrer Sozialisten“.11 „Die Gemeinsamkeit des Lebensgefühls und der Wertvorstellung verbindet sich dann mit dem Willen, die gemeinsame Weltanschauung kämpferisch zu behaupten und als Weltbild zu verwirklichen.“12 Kameradschaft sei kämpferischen Gemeinschaften im Führer - Gefolgschaftsverhältnis vorbehalten, während die bürgerliche Gesellschaft nur Geselligkeit ermögliche.13 Noch von einer bürgerlichen Mentalität geprägte Menschen würden weder innere Freiheit noch Aufruhr und Rebellion kennen. Das von Nietzsche als Synonym der Entwicklungsfähigkeit metaphorisch beschworene „noch Zeugungskraft in sich tragende Chaos“14 sei ihnen fremd. Der bürgerliche Mensch sei niemals politischer Mensch, da er in seiner Selbstbezogenheit zu idealistischem kämpferischem Schwung unfähig sei. Ohne Verbindung mit der Gemeinschaft des Volkes bringe es der Bourgeois höchsten zum Staatsbürger. Er sei der Antipode des Kämpfers und Helden. Das liberale Bürgertum habe noch nie einen Führer gestellt, Angehörige der bürgerlichen Klasse seien unfähig zur Gefolgschaft. Zur Führung berufene Menschen suchten das Wagnis und die Gefahr. Niemals seien sie zufrieden mit dem Erreichten. Getrieben von einer schöpferischen Unruhe würden sie in jedem Sieg nur den Auftakt neuer Kämpfe sehen. Führer und Gefolgschaft bilden eine symbiotische Kampfgemeinschaft, eine „organische Einheit“,15 die sich in der Verantwortung vor der Geschichte sehe. Zusammengehalten wurde diese Gemeinschaft durch die identitätsstiftende Erfahrung Kampfes. Die Vorstellung, dieser Kampf könne irgendwann einmal beendet sein, und sei es mit dem auf Dauer gestellten Sieg der nationalsozialistischen Bewegung, wird als Trauma des möglichen Endes dieser Kampfgemeinschaft zurückgewiesen. Der bleibende Zusammenhalt der Gemeinschaft im Führer Gefolgschafts - Verhältnis ist das übergeordnete Ziel. Dafür muss der Kampf auf unbestimmte Zeit weitergehen. Das großdeutsche Reich sei gegründet „auf das Gefolgschaftsprinzip mit seiner rassischen Werteordnung“.16 Aus der gegenseitigen unbedingten Verpflich9 Ortner, Typen, S. 55. 10 Schnell, Rasse, S. 310. 11 Nationalsozialistisches Jahrbuch, S. 148–163, hier 152 f. – aus : Das Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat. 12 Weibetahn, Führung, S. 28. 13 Vgl. Kameradschaft. In : SS - Leitheft, 6 (1940) 9b, S. 2–3, hier 2. 14 Wider den bürgerlichen Ungeist ! In : Das Schwarze Korps vom 7.10.1937. 15 Schaper, Führertum, S. 40. 16 Krieck, Volkscharakter, S. 28.

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tung von Gefolgschaft und Führer erwachse der germanische Begriff der Treue.17 Die wichtigste Menschenführungsaufgabe der NSDAP bestehe darin, Gefolgschaft aus „freier innerer Entscheidung“ und Überzeugung der Volksgenossen in einer „führergefolgschaftlichen Lebensordnung“18 zu bewirken. Die nationalsozialistische Volksgemeinschaft sei die freiwillige Gefolgschaft echter Persönlichkeiten.19 In ihr zähle der Einzelne nur als Glied der „übergeordneten Lebensganzheit“ seines Volkes, das ihm und seinen Werten erst die Kraft und Richtung gebe, die er brauche, um zur Persönlichkeit zu werden, die als Teil einer sie tragenden Gemeinschaft ihre Ichbezogenheit überwunden habe.20 Die Führer müssten durch ihr Können, ihre Haltung und ihre Gesinnung Vorbild nationalsozialistischer Lebensführung sein, für die es kein unpolitisches Privates gebe.21 Dem allen anderen in jeder Hinsicht überlegenen Führer gegenüber, der mit seinen Gefolgsleuten jedoch das Lebensgefühl und Wertesystem der rassischen Volksgemeinschaft teile, sei nur bedingungslose Gefolgschaft im uneigennützigen Dienst für das Volk angemessen.22 Leitbild eines ethischen deutschen Individualismus sei die herausragende Persönlichkeit des Führers, nicht das vermeintlich souveräne Individuum : Wo der Führer befiehlt, sei es für jeden Deutschen selbstverständlich, diesem Befehl zu folgen. Der Führer verkörpere das Ideal der Persönlichkeit, was jedoch nicht heiße, dass alle anderen zu gesichtslosen Gefolgsleuten würden. Die Ablehnung des Führerprinzips durch Menschen, denen ihre Unabhängigkeit wichtiger sei als die Interessen der Gemeinschaft, führe diese in die Isolation. Ihre Unfähigkeit zur Gefolgschaft mache es ihnen zugleich unmöglich, eine eigene Persönlichkeit auszubilden. Der Wille des Führers war nicht nur die letzte Instanz politischer Entscheidung, sondern auch die moralische Letztbegründung politischen Handelns. Er stand für die Glaubwürdigkeit und moralische Integrität der nationalsozialistischen Bewegung. Auf ihn als Inkarnation der völkischen Gemeinschaft der Deutschen war der kategorische Imperativ zugeschnitten. In der überragenden Persönlichkeit des Führers erwache das Volk zum Leben. Gegen den Intellektualismus, d. i. die innerlich distanzierte, kalte Rationalität unparteiischer Vernunft, setzte der Nationalsozialismus eine neue Gläubigkeit – das politische Glaubensbekenntnis einer Bewegung, die sich durch Gott selbst zur moralischen Erneuerung der Welt berufen sah. Der Mensch sei Objekt geschichtlicher Mächte, aber auch „Handelnder, Mitentscheidender im großen Drama des Lebens“.23 Er sei der Geschichte nicht

17 18 19 20 21

Vgl. Kampfgemeinschaften. In : Das Schwarze Korps vom 27. 5 .1937. Leistritz, Schulung, S. 15. Vgl. d’Alquen ( Hg.), Hieb, S. 28. Vgl. Lebensstil oder Gesellschaftsform ? In : Das Schwarze Korps vom 29.12 .1938. Vgl. Idee und Tat, Lehrstoff für die gesamte weltanschauliche Erziehung der NSDAP, Jahrgang 1943, 1. Folge : nationalsozialistische Lebensgestaltung, S. 32 f. 22 Vgl. Weibetahn, Führung, S. 29 23 Der Generalmarsch der Ehre. In : Das Schwarze Korps vom 7. 9 .1944.

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nur ausgeliefert, sondern auch ihr schöpferischer Gestalter. Gerade in Zeiten, in denen mit der Zukunft der Deutschen ihre Lebensform selbst auf dem Spiel stehe, komme es darauf an, sich auf die deutschen Tugenden zu besinnen und diese zu leben. Appelliert wurde an das Vertrauen der Deutschen in ihre Führer, die als Verkörperung höchster Tugenden diese als Haltung vorlebten, „als wäre jeder Atemzug, jeder Handgriff, jede Geste unter öffentlicher Beobachtung, als wäre das Haus, in dem man wohnt, arbeitet, schläft und isst, aus durchsichtigem Glas und gäbe einer ringsum lagernden Menge freie Einsicht“.24 Der gläserne Führer, dessen „Leben [...] Dienst, ein Fanatismus der Selbstaufgabe, der Loslösung von allen Bequemlichkeiten“25 sei, wurde zur Verkörperung wahrer Tugend und Größe. In heroischer Einsamkeit komme er ebenso wie seinerzeit die preußischen Revolutionäre ohne den flüchtigen Beifall der Menge aus und sei dadurch immun gegen den morbiden Geist von Korruption und Landesverrat. Anlässlich seines 50. Geburtstags wurde der Führer als Vorbild deutscher Lebensführung und Verkörperung der höchsten Werte vorgestellt. Das von ihm begründete neue „Reich sittlicher Werte“ weise den Deutschen den Weg aus Verwirrung und Entartung und führe sie wieder auf sich selbst als Maß aller Dinge zurück. Zwar habe Hitler dem deutschen Volk keine religiöse und ethische Theorie gegeben und sei auch nicht als Moralist durchs Land gegangen. Was er geschaffen habe, sei vielmehr erwachsen aus seiner überragenden Persönlichkeit und dem Ethos, das er dem deutschen Volk vorlebe. Der Führer brauche keine beamteten Moralprediger, die mit erhobenem Zeigefinger umhergingen. Er lasse weder ein religiöses noch ein sittliches Gesetz verkünden. Es bedürfe keiner in Stein gehauenen Gesetzestafeln, sondern dem deutschen Volk genüge das Vorbild seiner Persönlichkeit. Der Führer sei die Verkörperung „geistig - sittlicher Gesetzmäßigkeit“ und Träger höchster Wertfülle. Seine ungeheure Willenskraft wolle nichts für sich selbst, sondern lebe und kämpfe nur für seine Rasse und sein Volk. In seinem „bedingungslosen Gehorsam gegen die Forderungen der Pflicht“ sei Hitler „erster Diener und Soldat seines Volkes“.26 Das ganze Leben des Führers sei gelagert um die Begriffe von Ehre und Freiheit, in denen sich zugleich die wahre Bestimmung des deutschen Volkes ausdrücke, das er wieder zu einem sittlichen Volk erzogen habe. In der Lebensführung des Führers zeige sich „die großartige Bedürfnislosigkeit des innerlich reichen, überlegenen Menschen“,27 der ohne persönlichen Ehrgeiz sei. Vor seinem Urteil als der höchsten moralischen Instanz des deutschen Volkes müsse jegliches Handeln bestehen. Hitler sei Repräsentant der Lebensinteressen des deutschen Volkes. Er habe die „Renaissance des erschlafften Volkskörpers“28 bewirkt, indem er das deutsche Volk zur Entwicklung des Höchsten und Wertvollsten,

24 25 26 27 28

Ebd. Ebd. Vorbild deutscher Lebensführung. In : Das Schwarze Korps vom 20. 4.1938. Ebd. Ebd.

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das es besitze, befähigt, seine zerstörenden Kräfte aber stillgelegt habe. Seine Macht als Volksführer beruhe darauf, dass sich ihm das Volk freiwillig unterordne und dadurch zur alleinigen Verantwortung für das Ganze ermächtige. Das Scheitern des Attentats vom 20. Juli wurde als Gottesurteil und Beleg dafür genommen, dass die Vorsehung mit dem Führer und dem nationalsozialistischen Deutschland sei. Die Verbundenheit von Führer und deutschem Volk habe sich durch diesen klaren Beweis, dass Hitler unter dem besonderen Schutz Gottes stehe, noch gefestigt.29 Nun wurden moralische Fragen in neuer Dringlichkeit und Akzentuierung aufgeworfen. Dabei wurde insbesondere die Ambivalenz der Pflicht zu unbedingtem Gehorsam gegenüber dem Befehl diskutiert. Im Widerstreit gegensätzlicher Befehle und unvereinbarer Loyalitätsgebote reiche dieses Prinzip offensichtlich nicht aus, aus einem Netz der Konspiration heraus verübte Verbrechen gegen den nationalsozialistischen Führerstaat zu verhindern. Gegen die Formalisierung des kategorischen Imperativs im preußischen Pflichtbegriff wurde die Verpflichtung auf die nationalsozialistische Weltanschauung und die Person des Führers erneuert.30 Schließlich hätten die Attentäter ihr Handeln in der Tradition preußischer Tugenden zivilen und auch militärischen Ungehorsams gegen eine für falsch oder unmoralisch empfundene Politik zu begründen versucht, auch wenn diese zynische Vereinnahmung preußischer Traditionen zur Rechtfertigung ihres Vaterlandsverrates zurückgewiesen werden müsse. Vor dem Attentat des 20. Juli wurden die echten Werte der preußischen Staatsethik als Orientierungsgrößen des Nationalsozialismus herausgestellt. Was diese Ethik so wertvoll mache, seien die Betonung von Dienst und Opfer für das deutsche Volk.31 Nach dem Attentat wurde dagegen unterstrichen, dass das preußische Verständnis von Pflichterfüllung wenig gemein habe „mit der Pflicht des Beamten, der korrekt und ordentlich seinen Dienst versieht“.32 Ein solcher bürgerlicher, subalterner Begriff peinlich korrekter Pflichterfüllung, die sich auf das ihr von Amts wegen zugewiesene Ressort zurückziehe, sei den Anforderungen des Krieges nicht gewachsen. Pflicht sei ja nichts Absolutes, um ihrer selbst willen Wertvolles, sie sei kein „Ding an sich, sondern nur denkbar in Beziehung auf eine Sache oder Idee“.33 Schon die preußischen Rebellen, die gegen die vom König verordnete Maxime, Ruhe sei die erste Bürgerpflicht, aufbegehrten, um ihrer patriotischen Pflicht nachzukommen, hätten ein solches formales Pflichtverständnis durch ihre sittliche Tat fürs Vaterland ad absurdum geführt. Ihr verinnerlichtes, an Inhalten orientiertes

29 Vgl. Das Gottesurteil. In : Das Schwarze Korps vom 27. 7.1944 – Auch Himmler sah das Misslingen des Attentats als Beleg, dass Gott und die Vorsehung mit dem Nationalsozialismus und Hitler seien. Vgl. dazu Himmler, Geheimreden, S. 215–237, hier 217 – aus : ders., Geheim ! Rede vor dem Offizierskorps einer Grenadierdivision am 26. 7. 1944. 30 Vgl. Der Befehl ist heilig ! In : Das Schwarze Korps vom 16.11.1944. 31 Vgl. Keudel, Krieg, S. 765. 32 Die Pflicht im Kriege. In : Das Schwarze Korps vom 26.10.1944. 33 Ebd.

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Pflichtverständnis „machte Generale zu Rebellen und ließ Offiziere und Soldaten gegen den Befehl handeln“.34 Der Nationalsozialismus wisse sich dem verpflichtet, was an der preußischen Idee von Pflicht und Gehorsam „ewig und unsterblich ist, weil es auf natürlichen, unveränderlichen Gesetzen beruht“.35 Die Grundsätze des nationalsozialistischen Führerstaates stimmten weitgehend mit denen des friederizianischen Preußen überein. Die dieser Idee inne wohnenden Grundwerte, die den Lebensrhythmus des deutschen Volkes bestimmt hätten und noch immer bestimmten – also z. B. Treue, Ehre und Pflicht, seien als deutsche Werte lebendig geblieben und nicht zu leblosen Formen, Regeln und Konventionen erstarrt. Als deutsche Bewegung könne sich die nationalsozialistische Bewegung „immer nur auf deutsche Werte stützen. [...] Indem der Nationalsozialismus sie [...] zu Grundwerten seiner Weltschau erhob, schmolz er wertvollstes Gut der Vergangenheit in die eigene Lebensform ein. Indem er die Tradition preußisch - deutschen Soldatentums zu neuem blutvollem Leben erweckte, legte er verschüttete Kräfte frei und machte sie fruchtbar für Gegenwart und Zukunft.“36 Die nationalsozialistische Revolution habe keineswegs mit allen Traditionen des deutschen Volkes gebrochen, sondern knüpfe bewusst an die besten Zeiten deutscher Geschichte an, zu denen die Blütezeit Preußens zweifellos gehöre.37 Der nationalsozialistische Anschluss an die Tradition preußisch - deutschen Soldatentums wurde nach dem 20. Juli vor allem damit begründet, dass auch die herausragenden Vertreter preußischer Tugenden vor einer vergleichbaren Situation des Loyalitätskonflikts gestanden hätten, in der sie sich zwischen ihrem Gewissen und ihrer Verantwortung gegenüber dem deutschen Volk und dem unbedingten Gehorsam gegenüber ihrem obersten Kriegsherrn hätten entscheiden müssen. Dass sie sich in der Wahrnehmung ihrer patriotischen Verantwortung gegen die höchste Autorität im preußischen Staat entschieden, gab dieser Traditionslinie, in der sich die nationalsozialistische Bewegung stellte, eine brisante Note, die natürlich nicht zur Sprache kam. Dabei hätten die Verschwörer des 20. Juli die inhaltlich gewichtigeren Gründe gehabt, sich in dieser Traditionslinie der Aufkündigung des Gehorsams gegenüber der höchsten Autorität des Staates zu sehen, der aus ihrer Sicht nicht mehr die Interessen des deutschen Volkes vertrat und gegen den sie sich deshalb wenden mussten, um Schaden vom deutschen Volk abzuwenden – nicht anders als die preußischen Rebellen vor ihnen. Auch von jüngeren, noch unerfahrenen Offizieren könne erwartet werden zu erkennen, wann bei verbrecherischen, gegen Volk und Staat gerichteten Befehlen die Pflicht zum Gehorsam nicht mehr gelte. Entlastung oder mildernde Umstände aufgrund mangelnder Erfahrung oder falsch verstandener 34 35 36 37

Ebd. Der Befehl ist heilig ! In : Das Schwarze Korps vom 16.11.1944. Ebd. Vgl. Handblätter für den weltanschaulichen Unterricht, Berlin o. J. Hg. : Der Reichsführer SS, Thema 21: Die nationalsozialistische Weltanschauung ist Verpflichtung für kommende Geschlechter, S. 1.

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Gehorsamspflicht gegenüber ihren unmittelbaren Vorgesetzten wurde diesen Offizieren nicht zugestanden. Gerade eine jüngere Generation müsse im Fall des Aufeinandertreffens unvereinbarer Loyalitätserwartungen gegen starre Prinzipien und blinden Gehorsam ihre Gesinnung und Haltung unter Beweis stellen. Sich gegenüber schlechten oder gar ehrlosen Vorgesetzten zu behaupten, setze Charakter voraus. „Wer fest genug in sich ruht, wer seiner guten Sache, seiner untadeligen Haltung und seiner ehrenhaften Gesinnung sicher, unbeirrt seine Pflicht erfüllt, ist durch ein Prinzip, und sei es noch so starr, nicht umzuwerfen.“38 Nachdem die Prinzipien versagt hatten, wurde auf Gesinnung, Haltung und Pflichtbewusstsein gesetzt, auf die es in moralischen Entscheidungssituationen vor allem ankomme. Ohne ihre Belebung durch eine nationalsozialistische Gesinnung würden Pflicht und Gehorsam jedoch zu formalen Prinzipien erstarren, die von gesinnungs - und charakterlosen Verrätern missbraucht werden könnten. Nur die unbedingte Loyalität zum Führer, in dem sich die Interessen des deutschen Volkes zusammenfassen würden, sichere, dass die Gehorsamspflicht auch in unübersichtlichen Krisensituationen zur verantwortlichen Entscheidung für den Nationalsozialismus ausfallen werde. Dass die Generäle und Offiziere des 20. Juli aus irregeleiteter Verantwortung oder falsch verstandenem Pflichtverständnis gegenüber dem deutschen Volk gehandelt haben könnten, wurde ausgeschlossen. Stattdessen wurde an die Zivilcourage der Deutschen appelliert, die das Gegenteil einer formalen Pflichterfüllung sei, hinter der sich oft nur Feigheit vor Verantwortung verberge. So habe etwa der Beamte, der 1918 achselzuckend seine Tätigkeit einfach fortgesetzt habe, als sei nichts geschehen, die Idee, aus der heraus seine Pflichterfüllung nur Sinn gemacht hätte, aus Feigheit, Scheu vor Verantwortung und Mangel an Zivilcourage verraten. Der Unterschied zwischen den alten bürgerlichen und den neuen nationalsozialistischen Werten sei der, dass die bürgerlichen nicht kämpfend erworben, sondern traditionell und anerzogen seien. Die Attentäter des 20. Juli hätten sich auf eben solche Werte berufen, die nicht durch die Bewährung in kämpferischen Auseinandersetzungen gegangen seien.39 Ihr Verrat und ihr Versagen habe die Grenzen eines Lebens im Zusammenhang überlieferter Traditionen aufgezeigt. Wegen dieses Mangels an politischer Willens - und Gestaltungskraft sei die preußische Idee von Pflicht und Gehorsam nicht mehr als Prinzip der Orientierung in moralischen Konfliktsituationen geeignet. Ihr militärischer Korpsgeist sei für die verbrecherischen Generäle verpflichtender gewesen als die Verantwortung gegenüber dem deutschen Volk. Gerade die nationalsozialistische Weltanschauung, die auf die Erfassung des ganzen Menschen gerichtet sei, könne keine Sklavenseelen gebrauchen, die vor einer Uniform, einem Rang oder einem Abzeichen in die Knie gingen. „Der deutsche Mensch, der heute an den Grenzen des Reiches um Leben und Zukunft des Abendlandes kämpft, wird dem gesin38 Der Befehl ist heilig ! In : Das Schwarze Korps vom 16.11.1944. 39 Vgl. Der Geist der Rasse. In : Das Schwarze Korps vom 2.11.1944.

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nungslosen Nichts, dem jede Idee und jedes Prinzip nur ein Mittel sind, die eigene Schwäche dekorativ zu tarnen, den im Gluthauch des Krieges gehärteten Charakter, das sichere Maß der in sich selbst ruhenden Persönlichkeit entgegenstellen.“40 Nur eine solche Persönlichkeit sei zu verantwortlichen Entscheidungen fähig, ohne in blindem Gehorsam die eigene Verantwortung an Vorgesetzte zu delegieren. Dem gesinnungslosen Nichts wird der durch den Krieg gehärtete Charakter gegenüber gestellt. Der Wert eines Prinzips sei nur messbar an der Lebenskraft, die ihm innewohne. Über eine solche Lebenskraft verfüge der preußische Pflichtbegriff, der nicht länger kategorischer Imperativ eines gestaltenden Willens sei, offensichtlich nicht mehr. Im nationalsozialistischen Führerprinzip dagegen stehe die unbedingte Gehorsamspflicht „nicht um ihrer selbst, sondern um des Volkes willen. Sie erlischt, wo ihre starre Befolgung das Wohl des Volkes gefährdet.“41 Diese Argumentation vermeidet es, auf von den Verschwörern benannte inhaltliche Gründe der Aufkündigung des unbedingten Gehorsams gegenüber dem Führer gemäß ihres Führereids zu sprechen zu kommen. Die gegen sie geltend gemachte Abweichung vom Willen des Volkes setzt die ungebrochene Einheit von Führerwillen und Volk im Führer - Gefolgschafts - Verhältnis weiter voraus. Erneuert wird der Anspruch des nationalsozialistischen Führerstaates, den Willen des deutschen Volkes politisch zu vertreten. Der nationalsozialistische Staat sei „die Organisationsform eines freien Volkes“, dessen bedingungslose Unterordnung unter den Willen des Führers im besten Interesse des deutschen Volkes sei. Der Führerwille allein entscheide darüber, was dem Volke diene und was ihm schade. „Im Organismus eines solchen Staates werden alle Prinzipien, die für die Führung und Gestaltung des Lebens unerlässlich sind, auf ihren organischen Sinn und auf ihre innere Bedeutung zurückgeführt.“42 Verrat sei nichts Neues in der deutschen Geschichte. Immer wieder, so auch dieses Mal, sei er von maßlosem Ehrgeiz, Machtverlangen und Selbstliebe getragen worden. Die Verräter am deutschen Volk und am Führer, der Kriegswirtschaftsverbrecher wie der revoltierende General, vergingen sich gleichermaßen am Wesen der Epoche, die Gehorsam und Treue fordere. Aus Zweifel und Mangel an Glauben, aus „Gewinnsucht und eigensüchtigem Machtstreben“ hätten sie sich zynisch vom Volk abgewendet. Das Volk, „diese heilige Gemeinschaft der Toten, der Lebenden und der Ungeborenen“,43 sehe in den Verrätern und ihrem Abfall von dem ihnen gewiesenen Weg die Inkarnation des Unnützen und Wertlosen, nicht mehr dem Leben Dienenden – eben Abfall. Der Verrat „einer geistig und biologisch deformierten Schicht“ sei kein Grund zu generellem Misstrauen, das immer „Ausdruck einer innerlichen Unterlegenheit“44 sei. Misstrauen sei allerdings angebracht gegenüber einem selbstherrlichen Indivi40 41 42 43 44

Der Befehl ist heilig ! In : Das Schwarze Korps vom 16.11.1944. Ebd. Ebd. Verrat und Sühne. In : Das Schwarze Korps vom 3. 8.1944. Der Generalmarsch der Ehre. In : Das Schwarze Korps vom 7. 9.1944.

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dualismus, der egoistische Verantwortungslosigkeit als faustisches Verlangen stilisiere. Die Ablehnung jeder Verpflichtung auf ein übergeordnetes Gemeininteresse als vermeintlicher Verletzung des Rechts auf Selbstbestimmung signalisiere die Auflösung aller natürlichen Lebensordnungen und verantwortlicher Lebensführung. Der Führer allein habe das Recht, die unbedingte Verbindlichkeit der Lebensgesetze des deutschen Volkes einzufordern. Jede Abweichung von diesen Gesetzen, jede Auflehnung sei Verrat an Volk und Führer und müsse entsprechend bestraft werden.45 Das Verbrechen des 20. Juli habe gezeigt, dass die Werte der Vergangenheit nicht mehr ausreichten, um den Überlebenskampf des deutschen Volkes weltanschaulich - moralisch zu unterstützen. Dazu bedürfe es „neuer Wertsetzungen, eines neuen, härteren Willens zum Leben“.46 Nach dem Versagen der an preußischen Tugenden unbedingter Pflichterfüllung orientierten weltanschaulich - moralischen Ordnung des Nationalsozialismus sollte diese auf andere Grundlagen gestellt werden. Nach Stalingrad und dann wieder nach dem 20. Juli wurde das deutsche Volk nach Gruppen unterschiedlicher Verlässlichkeit differenziert. Neben einer Minderheit von Verrätern, Zweiflern und Defätisten wurde eine „breite Mehrzahl“, die „anständig, treu und ehrlich weiter ihre Pflicht“47 tue, identifiziert. Aus Pflichtbewusstsein halte diese Gruppe stand, auch wenn ihr die „sieghafte Gläubigkeit“ und der „ungebrochene Schwung“ der nationalsozialistischen Idee fehle. Ihr könne jedoch zugetraut werden, „das Bewusstsein ihrer revolutionären Berufung“48 wieder zurückzugewinnen. Daneben gebe es eine kleine Gruppe der „bewusstesten weltanschaulichen Kämpfer und [...] fanatischsten politischen Soldaten“,49 auf die uneingeschränkt Verlass sei. Ein anderer, in die gleiche Richtung einer Differenzierung ihrer Verlässlichkeit zielender Versuch zur Strukturierung der deutschen Volksgemeinschaft unterschied am Maßstab des Blutserbes und der Annahme unterschiedlicher Grade der Deformierung durch Rassenmischung die Deutschen nach ihrer rassenpolitischen Loyalität. Auch hier wurde zunächst eine verhältnismäßig kleine Schicht derjenigen, deren noch relativ unverfälschtes Blutserbe sie zur Führung berufe, von einer ebenfalls dünnen Schicht unterschieden, in der durch Rassenmischung das dunkle Prinzip zur Herrschaft gelangt sei, die deshalb „um des Volkes willen unschädlich gemacht“, mindestens aber „an der Ausübung ihrer zerstörerischen Triebe gehindert werden“50 müsse. Schließlich sei da noch „die Masse der grundsätzlich sauberen, anständigen Menschen, in denen das gesunde Blutserbe lebendig, aber mehr oder weniger überdeckt“51 sei. Beide Versuche einer differenzierten Bilanz der Loyalität des deutschen Volkes gingen von der Existenz einer 45 46 47 48 49 50 51

Ebd. Der Geist der Rasse. In : Das Schwarze Korps vom 9.11.1944. Mensch oder Material. In : SS - Leitheft ( BArch, NS 31/421, S. 92). Ebd. Ebd. Instinkt und Führung. In : Das Schwarze Korps vom 19.10.1944. Ebd.

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Minderheit fanatischer Nationalsozialisten aus, denen eine andere Minderheit von Gegnern des Nationalsozialismus gegenüber stand, während eine Mehrheit der Deutschen loyal, wenn auch ohne den unbedingten Einsatz und fanatischen Willen des politischen Soldaten und Rassenkämpfers, den Nationalsozialismus durch verlässliche Pflichterfüllung unterstützten. Die Ereignisse des 20. Juli wurden zum Anlass genommen, die Belastbarkeit der moralischen Ordnung des Nationalsozialismus zu diskutieren. Kein Zweifel wurde gelassen an der Verworfenheit und den niedrigen Beweggründen der Protagonisten der Verschwörung, die sich durch den bewussten Bruch des Führereids moralisch diskreditiert hätten. Es sei den Verschwörern jedoch nicht gelungen, die intakte deutsche Gesellschaft ernsthaft zu erschüttern. In einer exemplarischen moralischen Entscheidungssituation habe sich vielmehr gezeigt, dass die Mehrheit der Deutschen auch in einer unübersichtlichen und komplizierten Situation intuitiv zum Nationalsozialismus und seinem Führer Adolf Hitler stehe. Auch wenn Teile der Generalität und des Offizierskorps der Armee politisch und moralisch versagt hätten, habe sich das deutsche Volk in dieser kritischen Situation bewährt und seine Loyalität zum Nationalsozialismus unter Beweis gestellt. Die Verschwörer des 20. Juli sahen sich nach ihrem Misserfolg auf einen ohnmächtigen Aufstand des Gewissens zurückgeworfen.52 Zwar war auch ihr Handeln am Erfolg orientiert, vor allem aber folgten sie dem moralischen Gebot ihres Gewissens. Deshalb stellte das Scheitern des Attentats die Berechtigung ihres für sie aus moralischen Gründen gebotenen Widerstandes nicht in Frage. Weder setzt der politische Erfolg die Sieger moralisch ins Recht noch führt die politische Niederlage zur moralischen Diskreditierung der Unterlegenen, obwohl die nationalsozialistische Propaganda einen solchen Zusammenhang herzustellen suchte. Für eine politische Ethik ist der Erfolg weder prinzipiell moralisch bedenklich noch kann er als Kriterium dafür verwendet werden, was als moralisch oder unmoralisch gilt.

2.

Die SS als rassischer Neuadel und moralischer Orden

Ernst Bloch sah in der nationalsozialistischen Bewegung eine „Erneuerung unbürgerlicher Zucht“ und „die säkularisierte Ethik des Ritterorden“.53 Dieser quasireligiöse Führungsorden einer nach rassischen Kriterien gegliederten Gesellschaft war die SS – „ein nationalsozialistischer soldatischer Orden, zuchtmäßig, blutsmäßig gebunden an das nordische Blut, eine Sippengemeinschaft“.54 Hoch - und minderwertige Menschen wurden von der nationalsozia52 Eine frühe, durch ihre grundlegende und pointierte Argumentation noch immer anregende Arbeit zur moralischen Dimension des Widerstands vom 20. Juli bietet Ehlers, Technik. 53 Bloch, Erbschaft, S. 162. 54 Himmler, Geheimreden, S. 93–104, hier 100 – aus : ders., Homosexualität (1937).

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Die SS als rassischer Neuadel

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listischen Rassenideologie als Einzelmenschen und als Erbträger unterschieden. Dabei müsse die Schaffung eines Neuadels von biologischen Erwägungen und den Lebensgesetzen ausgehen, keineswegs aber von der Betrachtung des Einzelmenschen.55 Nicht intellektuelle Eignung entscheide darüber, wer zum neuen Adel gehöre, sondern „Zucht und biologische Auslese der Besten“.56 Eine kraft ihrer Erbanlagen zur Führung prädestinierte Schicht müsse an der Spitze einer „Volkserneuerung aus biologischem Geiste“57 stehen. Wahren Adel erkenne man an seinem Potential, „der Nation unaufhörlich neue Führungskräfte zu stellen“.58 Immer wieder hob Himmler den Wert des Blutes und der Auslese, Freiheitswillen und Kampfgeist sowie Treue, Ehre und Gehorsam als Tugenden der SS hervor. Das „Schwarze Korps“ sei „ein nationalsozialistischer Orden nordisch bestimmter Männer und eine geschworene Gemeinschaft ihrer Sippen“.59 Die SS als außeralltägliche Gemeinschaft hebe ihre Angehörigen heraus aus dem „oftmals kleinen und kompromissvollen Alltag“.60 Sie sei eine kämpferische Auslese nicht nur der körperlich Besten, sondern auch zuverlässigsten, treuesten und charakterlich wertvollsten Männer aus allen Teilen der Bewegung, deren Bestimmung es sei, die „Auslese und Erhaltung des rassisch und erbgesundheitlich guten Blutes“61 zu sichern und sich selbst als Blutsadel der nordischen Rasse durchzusetzen.62 Als zunächst „nur für den inneren Einsatz bestimmte Organisation politischer Soldaten“ sei die SS zusammengeschweißt durch die „feste gläubige Bindung an den großen Blutstrom des Volkes“.63 Auch wenn sich die SS auf keine Konfession festlege, sei sie kein atheistischer Orden. Vielmehr glaube sie an Gott und die ewigen Gesetze der Welt, nach denen jeder Mensch für seine Taten, Worte und Gedanke verantwortlich sei.64 Allerdings ziehe die SS „einen scharfen und sauberen Strich zwischen kirchlicher, konfessioneller Betätigung und politischem, weltanschaulichem Soldatentum“.65 Die Träger des besten Erbgutes müssten sich zu einem Ausleseorden zusammenschließen, der dafür sorge, dass sich die leistungsfähigsten Glieder der Rasse am stärksten vermehrten und die Gattenwahl ihrer Mitglieder nach dem Prinzip der „Verantwortung für die Zukunft des Volkes“66 erfolge. Bereits 1932 hatte Himmler in einer für Angehörige der SS verbindlichen Heiratsgenehmigung „Pflichten des SS - Mannes bei Verlobung und Heirat“ benannt. Eine solche Heiratsgenehmigung sollte allein nach „rassischen und erb55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66

Vgl. Günther, Neuadel, S. 152. Hennemann, Grundzüge, S. 43 – unter Bezug auf Usadel, Zucht. Vgl. Günther, Frage, S. 151–163. Stellrecht, Erziehung (1943), S. 191. Himmler, Schutzstaffel, S. 31. d’Alquen, Geschichte, S. 202. Ebd., S. 204 f. Vgl. Himmler, Schutzstaffel, S. 19. d’Alquen, Geschichte, S. 210 und 208. Vgl. Himmler, Schutzstaffel, S. 27. Ebd., S. 28. Rassenpolitik, S. 83.

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gesundheitlichen Gesichtspunkten erteilt oder verweigert“67 werden. Damit wurden SS - Angehörige auf erbgesunde Ehepartner der nordischen Rasse eingeschworen. Gegen die bürgerliche Auffassung, dass der Sinn der Ehe in der sogenannten Ergänzung der Partner liege, habe der Heiratsbefehl des Reichsführers mit seiner Herausstellung „der Auslese und der Erhaltung des rassisch und erbgesundheitlich guten Blutes“68 auf die notwendige Verbindung von rassisch Gleichwertigen verwiesen. Dieser Erlass wurde im „Archiv für Rassen - und Gesellschaftsbiologie“ abgedruckt und zustimmend kommentiert als dankenswerter „Versuch rassenhygienischer Lenkung der Ehewahl“, an dessen Bestimmungen nichts auszusetzen sei, würden durch ihn doch viele junge Leute „an den Gedanken gewöhnt, dass rassische Tüchtigkeit von entscheidender Wichtigkeit für die Ehe ist“.69 „Gattenwahl nach rassischen Gesichtspunkten, Heiratspflicht und Kinderreichtum“70 wurden zu den biologischen Grundlagen des rassenpolitischen Führungsanspruchs der SS erklärt. Die SS bekenne sich zur Familie als der Keimzelle des Volkes, zur Ehe und zum Kind. Gegen „Leichtsinn, Oberflächlichkeit und Verantwortungslosigkeit“ als den weit verbreiteten „unsichtbaren Trauzeugen der meisten Eheschließungen“ müsse sich jeder SS - Mann bewusst sein, dass er „nicht nur das Mädchen heiratet, sondern mit dem Mädchen dessen ganze Sippe, deren Blutstrom es in sich trägt“.71 Bevor er sich zur Heirat entschließe, müsse er sich im Klaren über die „Erb - und Rassenveranlagung“ des Mädchens und ihrer Familie, um sicher zu gehen, dass sie als „Trägerin wertvollen Blutes“72 ihm gesunde und wertvolle Kinder gebären könne. Eingeschworen auf Treue und Opfer für ein „freies Deutschland der Guten und Starken“73, sei die SS ein „verschworener Orden der nationalsozialistischen Weltanschauung“,74 ein Neuadel, der die ursprünglichsten Eigenschaften der nordischen Rasse, Kampfgeist und Härte, verkörpere.75 Der politische Führungsorden der SS sei als „Gewissen für rassische und erbgesundheitliche Hochwertigkeit“76 die Avantgarde des rassenbiologischen Umbruchs des deutschen Volkes. Als „Kampftruppe im Dienst der Rasse“ wisse die SS, „dass es auf die verantwortliche Erhaltung und Weiterpflanzung des Blutes“77 ankomme. Sie sei kein Männerbund, sondern ein Sippenorden. Die SS habe den Wert von Auslese und Blut erkannt und umgesetzt. Als „nationalsozialistischer, soldatischer Orden nordisch bestimmter Männer und als eine geschworene Gemein67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77

Ordensgesetze – o. S. Ordensgemeinschaft. In : SS - Leitheft, (1943) 2, S. 1–4, hier 3. Lenz, Versuch, S. 461. Rassenpolitik, S. 83 f. Erläuterungen, S. 2. Ebd., S. 3 Die 12 Sprüche (8. Spruch ). In : SS - Leitheft, 2 (1936) 9, S. 35. Rassenpolitik, S. 68 f. Vgl. Johst, Orden, S. 29. Staemmler, Rassenpflege, S. 10. Vgl. Eckstein, Seite, S. 23.

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Die SS als rassischer Neuadel

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schaft ihrer Sippen“78 ( Himmler ) sei sie das Vorbild der rassischen Erneuerung des deutschen Volkes. Als der „nationalsozialistische Stoßtrupp zur Durchsetzung des Blutgedankens“79 setze die SS die Lebensordnung des Blutes als das „oberste Naturgesetz des Menschen“80 durch. Ihre Rolle als Avantgarde im Rassenkampf qualifiziere sie zur natürlichen Führungsaristokratie der neuen Ordnung. Pflicht und Kameradschaft, Persönlichkeit, Ritterlichkeit und Gerechtigkeit, schließlich Uneigennützigkeit, Wert und Wahrheit seien die wichtigsten Elemente der sittlichen Haltung des SS - Mannes.81 Bei der Wiederherstellung einer „rasse - und blutsgebundenen Auffassung“82 stehe die SS an vorderster Front. Der Wertmesser für die persönliche Ehre liege bei ihr „im untadeligen Leben, in der harten Selbstschulung und der unbedingten Einsatzbereitschaft“83 für die Volksgemeinschaft. Mit ihrer vorbildlichen Haltung in soldatischer, politischer wie rassischer Hinsicht seien die Kämpfer der SS durch ihr persönliches Beispiel das „lebendige Sinnbild“84 des künftigen Deutschland. Die SS lebe die „Verpflichtung zur menschlichen Selbstverantwortung“.85 Als Avantgarde der Bewegung und exemplarische Gemeinschaft der Rassenidee verknüpfe die SS zwei gleichermaßen wichtige Elemente für den künftigen Sieg des Nationalsozialismus. Zum einen setze sie sich als Kampfgemeinschaft entschlossen für ihn ein. Zum andern demonstriere sie durch ihr Gemeinschaftsleben, wie das Leben der Volksgemeinschaft nach dem Sieg der nordischen Rasse aussehen könnte. Mit der Übernahme des nationalsozialistischen Rassenimperativs als moralischer Haltung nehme die SS die Formierung der Deutschen als eines rassenbewussten Volkes vorweg. Durch Erziehung und Auslese nach den Kriterien der Rassengesetze schaffe sie den politischen Soldaten.86 Zugleich sollte der nordische Mensch durch seine Leistung nachweisen, dass er zu Recht der rassischen Elite der neuen Zeit zugerechnet wurde. Die SSAngehörigen zeichneten sich durch Freiheitswille und Kampfgeist, Treue und Ehre, unbedingte Disziplin und bedingungslosen Gehorsam als Avantgarde der nationalsozialistischen Bewegung aus. Todesbereiter Mut und überlegene Selbstdisziplin, gehorsame Treue und freiheitliche Gesinnung werden als Eigenschaften herausgestellt, die den „wahren Deutschen“ als „Bluterbe“ mitgegeben seien, die aber vorerst nur den SS - Mann prägten und damit gegenüber Durchschnittsmenschen auszeichnen würden.87 Die SS strebe die moralische Vollendung der Politik an und lebe dem Volk, in dem in seiner Mehrheit eine solche 78 79 80 81 82 83 84 85 86

Zit. ebd., S. 57. Blut und Boden. In : SS Leitheft, 2 (1936) 2, S. 6–14, hier 11. Ellersiek, Situation, S. 7. Vgl. Sinn. In : SS - Leitheft, 3 (1937) 11, S. 26–28, hier 27. Schaper, Bedeutung, S. 52. Ebd., S. 53. Der Deutsche, von draußen gesehen. In : SS - Leitheft, 7 (1941) 3b, S. 1–3, hier 3. Beantwortung entstandener Fragen. In : SS - Leitheft, 9 (1943) 3, S. 22–23, hier 23. Vgl. Handblätter für den weltanschaulichen Unterricht, Berlin o. J. Hg. : Der Reichsführer SS, Thema 22 : Das ist der Weg der SS, S. 4. 87 Vgl. SS - Leitheft, 3 (1937) 1, S. 32–35

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Haltung noch nicht ausgeprägt sei, als „streng disziplinierte Ordensgemeinschaft“88 die nationalsozialistische Weltanschauung vor. Sie bilde eine „verschworene Lebensordnung“, die auch im privaten Leben ihr Glaubensbekenntnis ernst nehme und der nationalsozialistischen Weltanschauung totale Macht in ihrem Leben einräume.89 Diese unbedingte Befolgung der Rassengesetze in der Verpflichtung auf den kategorischen Imperativ des Dienstes an Volk und Nation90 unterscheide die SS als weltanschaulichen Orden von den gewöhnlichen Anhängern des Nationalsozialismus. Durch ihr persönliches Beispiel im Kampf zeige die SS, dass dieser Krieg nicht von Menschen gewonnen werden könne, die von weltanschauungsfernen geistigen Werten und rein soldatischen Tugenden geprägt seien. Der Ausgang des Krieges entscheide sich durch die ethische Haltung der kämpfenden Truppen ebenso wie der Frauen und Männer an der Heimatfront. Im Krieg zeige sich, dass der deutsche Soldat, der gegen den Bolschewismus kämpfe, diesen Kampf nur aus einer rassisch - völkischen Weltanschauung gewinnen könne.91 Von Angehörigen der SS werde erwartet, dass sie „aus einem sicheren sittlichen Instinkt heraus“92 handeln und ihre moralische Verpflichtung gegenüber der rassischen Volksgemeinschaft aus innerer Überzeugung einhalten. Ihr ethisches Handeln sei die Konsequenz ihrer von biologischer Verantwortung getragenen Weltanschauung, die auch ihre Ordensgesetze und Einrichtungen bestimme.93 Als deutsche Tugend schlechthin sei Treue das Bekenntnis zum „eigenen Inneren, zur eigenen Berufung, zur eigenen Aufgabe“.94 Die SS sei ein Orden der Treue, des Glaubens und der Ehre, die wie „drei Schalen um einen kostbaren Kern“95 ihr einzigartiges inneres Reich, umhüllen würden. Der Korpsgeist der Waffen - SS sei ein „Geist des Ordens höher Verpflichteter“.96 Ihr politischer Wille mache sie unbezwinglich. Wer die Treue verletze, schließe sich aus der Gemeinschaft der SS aus. Treue sei eine Angelegenheit des Herzens, nicht des Verstandes. Damit sei Treue jeder Art gemeint : Treue zum Führer, zum deutschen Volk, zum Blut und zur Sippe, zum Kameraden, aber auch „Treue zu den unverrückbaren Gesetzen des Anstandes, der Sauberkeit und der Ritterlichkeit“.97 Für alle SS - Angehörigen sollte der Grundsatz gelten „Alle für einen und Einer für alle !“98 Himmler formulierte „Kampfspielregeln der SS“, die eine entsprechende Haltung von jedem SS - Mann einforderten : „Das Ziel : Deine Höchstleistung. 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98

Handblätter für den weltanschaulichen Unterricht, S. 4. Vgl. Mayerhofer, Sippenorden, S. 14. Vgl. Bilse, Forderung, S. 274. Vgl. Ordensgemeinschaft. In : SS - Leitheft, 9 (1943) 2, S. 1–4, hier 2. Dein Soldatentum ist Weltanschauung. In : SS - Leitheft, 9 (1943) 1, S. 21–24. Vgl. Eckstein, Sinn, S. 39. Treue. In : SS - Leitheft, 8 (1942) 3, S. 1–2, hier 1. Ebd. Führertum aus Berufung. In : SS - Leitheft, 8 (1942) 2, S. 1–5, hier 3. Ausspruch des Reichsführers über Treue. In : SS - Leitheft, 7 (1941) 10a / b, S. 1. Der Sippengedanke der SS im Kriege. In : SS - Leitheft, 5 (1939) 6a, S. 1.

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Kampf gegen moralischen Verfall

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Der Weg : Deine tägliche Übung. Das feste Band : Die Kameradschaft. Über Deinem Vorteil steht der Sieg der Mannschaft. Im Kampf sei hart und anständig !“99 Im 2. Jahrgang der SS - Leithefte wurden 1937 zwei neue Rubriken eröffnet. Die eine sollte unter der Überschrift „Unsere Haltung“ innere Charakterwerte des SS - Mannes herausstellen, die andere unter der Rubrik „Unser Ziel“ die Auswirkungen der nationalsozialistischen Weltanschauung auf alle Lebensgebiete einschließlich der Moral verfolgen und dabei die Umwertung der Werte in den Mittelpunkt stellen.100 Der SS - Mann müsse lernen, „sich instinktsicher für des Führers politische Maßnahmen und für die Notwendigkeit des Kampfes zu entscheiden“.101 SS - Angehörige wurden aufgefordert, sich moralisch und anständig zu verhalten. Entscheidend sei nicht, was sie taten, sondern aus welchen Motiven sie handelten, wenn sie z. B. Juden töteten. Wenn diese Tötungen politisch autorisiert und befohlen waren, so galten sie für diejenigen, die sie auszuführen hatten, auch als moralisch gerechtfertigt. Bei Tötungen aus eigener Initiative wurde dann von einer Bestrafung abgesehen, wenn die auf eigene Faust agierenden Angehörigen der SS politisch motiviert waren. Handelten sie jedoch aus eigennützigen, sadistischen oder sexuellen Motiven, so wurden sie für Totschlag und Mord juristisch zur Rechenschaft gezogen.102

3.

Kampf gegen moralischen Verfall und Defätismus

Die nazistische Kritik problematischer Haltungen und Handlungen von Teilen der deutschen Bevölkerung vor allem gegen Ende des Krieges gibt Aufschluss über Auflösungserscheinungen und außer Kontrolle geratene Verhaltensweisen vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden militärischen Niederlage. Defätismus, Korruption und Kriegsmüdigkeit, Indifferenz gegenüber der nationalsozialistischen Rassenpolitik und die Torschlusspanik sexueller Zügellosigkeit oder auch das falsche Pathos der Verkitschung oder Profanisierung der heiligen Werte des Nationalsozialismus waren Facetten einer moralischen Destabilisierung der deutschen Gesellschaft, die das Ende des Tausendjährigen Reichs ankündigten. In einer Zeit, wo der totale Krieg den ganzen Einsatz jedes Deutschen verlange, gebe es noch immer Menschen, „die wenig oder gar nichts tun und nur zuschauen. Sie warten auf die einschlägigen Gesetze, und sind diese da, dann beschäftigen sie sich in der Hauptsache mit ihrer Auslegung und prüfen mit Fleiß und Bosheit, ob sie für sie nicht vielleicht doch noch eine Lücke zum Entschlüpfen offen lassen.“103 Wenn nötig, müssten „die radikalsten 99 SS - Leitheft, 3 (1937) 2, S. 61. 100 Vgl. SS - Leitheft, 3 (1937) 11, S. 17. 101 Handblätter für den weltanschaulichen Unterricht, Berlin o. J. Hg. : Der Reichsführer SS, S. 6. 102 Vgl. dazu Wegner, Sondergerichtsbarkeit sowie Vieregge, Gerichtsbarkeit. 103 Goebbels, Aufstieg, S. 159–166, hier 163, aus : ders., Die harte Lehre (7. 2.1943).

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Maßnahmen gegen einen kleinen Kreis von Drückebergern und Schiebern, die mitten im Kriege Frieden spielen und die Not des Volkes zu eigensüchtigen Zwecken ausnutzen“,104 ergriffen werden. Zugestanden wurde, dass in dieser extremen Situation der Gefährdung die Zukunft der Deutschen auf dem Spiel stehe. Was den Deutschen im Falle einer Niederlage drohe, sei nicht weniger als die Vernichtung ihrer rassischen Lebensform. Beschworen wurden deutsche Tugenden und Standfestigkeit sowie die biologische Regenerationsfähigkeit des deutschen Volkes, das schon mehrfach, etwa nach dem 30 - jährigen Krieg, bewiesen habe, dass es sich neu formieren könne, solange nur der deutsche Volkskörper gesund sei. Reagiert wurde auf defätistische Fragen wie : „Ist nicht der Nationalsozialismus an allem schuld ? Hat es nicht schon lange vor dem Kriege begonnen mit den Einschränkungen, mit den Einengungen des persönlichen Lebens ? Mit der Beschneidung der Freiheit ?“105 Eine solche Kritik zersetze die Moral und Wehrkraft des deutschen Volkes. Der Arbeiter, so eine andere Facette dieser Kritik, werde in dieser Situation „zum Roboter, der, ohne irgendwelche Ansprüche an das Leben stellen zu dürfen, seine letzte verfügbare Kraft hergeben müsse [...] für [...] eine fremde, dem Menschen feindliche Macht“.106 Dieser Defätismus nähre die individualistischen Instinkte der Menschen und untergrabe die Widerstandskraft der Gemeinschaft. Begegnet wird dieser Kritik mit der Beschwörung des auch in schwerer Schicksalsstunde unverrückbaren Ziels : der Verteidigung der Festung Deutschland und damit der Ermöglichung deutschen Lebens. Während die Kritik am Nationalsozialismus sehr konkret referiert wird, bleibt die Erwiderung auffällig vage. Herausgestellt wird zwar das nicht zur Disposition stehende Ziel, das jedoch nicht mehr Gewinnung von Lebensraum und Eroberung lautet, sondern, ernüchtert durch die Wende des Krieges gegen Deutschland, lediglich die immer noch mögliche Abwendung der Kriegsniederlage beschwört. Schon dieses Minimalziel, so legt die Rhetorik des Autors nahe, werde schwer genug zu erreichen sein. Gegen die Unterstellung, unter den Bedingungen kriegsbedingter Knappheit sei auch in Deutschland Korruption weit verbreitet und das vielbeschworene Vitamin B, das Verfügen über die notwendigen Beziehungen, „der Stein der Weisen, mit dessen Hilfe man das Dasein im Kriege flugs in ein Leben nach Friedensfasson verwandeln könne“,107 wurde argumentiert, dass gerade im deutschen Volk mit seinem starken und gesunden Rechtsempfinden, seinem Sinn für Ordnung und Sauberkeit, dem das Preußentum im Blute liege, der Nährboden für Korruption fehle. Schließlich sei Preußen kein territorialer Begriff, sondern „Symbol einer Charakterhaltung“ und eines nicht korrumpierbaren Ehrbegriffs. „Preußisch sein, das heißt sich unterordnen in harter Zucht, um in der Auslese 104 Ebd., S. 167–204, hier 201, aus : ders., Nun, Volk, steh auf, und Sturm brich los ! Rede im Berliner Sportpalast (18. 2.1943). 105 Das unverrückbare Ziel. In : Das Schwarze Korps vom 28. 9.1944. 106 Ebd. 107 Vitamin B. In : Das Schwarze Korps vom 19. 3.1942.

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Kampf gegen moralischen Verfall

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zu bestehen. Preußengeist, das ist der opferbereite Dienst nach außen, und die stolz - bewusste Freiheit nach innen.“108 Der preußisch - deutsche Ordnungsstaat sei „gegen den Bazillus der Korruption von Natur aus immun“.109 Deshalb könne davon ausgegangen werden, dass das ganze deutsche Volk dem „Ethos eines Lebens für die Pflicht“110 folge. Die Deutschen zeichneten sich gegenüber anderen Völkern eben dadurch aus, dass sie Erfüllung in ihrem Leben finden würden, ohne materielle Güter anhäufen zu müssen. Nicht die Korruption sei deshalb ein Problem für Deutschland, sondern die wider besseren Wissens denunziatorische Verleumdung des nationalsozialistischen Deutschland als korrupt. Die Unterstellung, auch die nationalsozialistische Gesellschaft beruhe auf der Käuflichkeit eines Vorteils durch die entsprechenden Beziehungen, säe grundsätzliche Zweifel an ihrer gesunden moralischen Verfassung und richte enormen Schaden an. Zwar könnten dem Volk Entbehrungen im Kriege nicht erspart werden. Solange aber „Pflichten und Rechte gerecht verteilt“111 seien, könne kein Zweifel daran bestehen, dass das deutsche Volk diese moralische Bewährungsprobe unbeschadet überstehen werde. Aufschlussreich ist die Argumentation, mit der hier dem Korruptionsvorwurf begegnet wird. Zunächst wird die Situation beschrieben, aus der defätistische Diagnosen des moralischen Zustandes der deutschen Gesellschaft abgeleitet werden. Kriegsbedingt sei vieles knapp, was in der Tat nicht zu bestreiten sei. Da es nicht für alle reiche, würde ihr Egoismus manche Deutsche dazu treiben, nach persönlichen Lösungen für ihre Versorgungsprobleme zu suchen. Das sei in der Tat der perfekte Nährboden für Korruption und Bestechlichkeit. Jeder, der über Beziehungen zu Menschen verfüge, die in Schlüsselpositionen über die Verteilung knapper Güter zu entscheiden hätten, würde ganz selbstverständlich versuchen, diese Beziehungen zu seinem eigenen Vorteil zu nutzen. Diese Beschreibung einer konkreten Problem - und Notsituation wurde jedoch nicht durch den Verweis auf die gerechte Verteilung der knappen Güter beantwortet, die allen Volksgenossen eine ausreichende Versorgung sichere, sondern prinzipiell : Das deutsche Volk sei aufgrund seines gesunden Blutes immun gegen den Bazillus der Korruption. Da damit der rassische Nährboden für Korruption fehle, könne es diese auch nicht geben. Das Problem, mit dem es sich zu befassen gelte, sei somit nicht die Korruption, sondern der Defätismus, der gerüchteweise die gesunde rassische Konstitution des deutschen Volkskörpers in Frage stelle durch die Behauptung, der Egoismus der Volksgenossen und die Bestechlichkeit der Funktionsträger von Partei und Staat hätten sich zu einer volksschädlichen Symbiose zusammen geschlossen. Kurz : Was aus prinzipiellen Gründen nicht möglich ist, kann als gegenteilige Tatsachenbehauptung nur Unruhe stiftende Verleumdung und Lüge sein.

108 109 110 111

Jeserich, Preußengeist, S. 76. Vitamin B. In : Das Schwarze Korps vom 19. 3.1942. Ebd. Ebd.

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Kritisiert wurde auch eine politisch indifferente Bürokratie. So gebe es immer noch Deutsche, die sich durch Dienst nach Vorschrift, den bequemen Rückzug auf bürokratische Routinen und einen eigenen Bereich der Zuständigkeit, der übergreifende Zusammenhänge weder erfasse noch auch nur an ihnen interessiert sei, jeder persönlichen Verantwortung für das völkische Ganze entziehen würden. Mit ihnen lasse sich keine neue Gesellschaft aufbauen. So wurde etwa an junge Beamtenschüler appelliert, gegen die „Scheu vor Initiative und Verantwortung“, die den Bürokraten dazu treibe, sich ängstlich an Paragraphen, Vorschriften und Vorgänge zu klammern und „jede eigene Initiative, jeden freien Entschluss“ zu unterlassen, ihrer eigenen Erfahrung zu trauen und „durch Klugheit, Gefühlssicherheit, Mut und Verantwortungsfreude die Eignung für das Höhere“112 nachzuweisen. Anstatt sich in den undurchdringlichen Paragraphendschungel einer gegen jegliche Inhalte, Ideen und Überzeugungen indifferenten Bürokratie zurückzuziehen, sollten sie Eigeninitiative und Verantwortung entwickeln und sich dadurch für höhere Aufgaben und Ränge in der Hierarchie der Verwaltung empfehlen. Immer, unter allen Umständen und in allen Lebenslagen, gelte es für den Sieg zu kämpfen. Ferien von den Pflichten, die Flucht „in die Verantwortungslosigkeit eines Privatlebens“, könne es angesichts der angespannten Lage nicht geben. Sicher gebe es genügend Gründe zur Unzufriedenheit, auch zum Schimpfen über Unzulänglichkeiten. Solange die grundsätzliche Haltung stimme, am Glauben an den Sieg und der Bereitschaft, bedingungslos für ihn einzutreten, kein Zweifel bestünde, sei das menschlich und verzeihlich. „Schimpfen ist ein notwendiger Stuhlgang für die Seele.“113 Dieses Verständnis gelte jedoch nicht für die unverbesserlichen Pessimisten, Defätisten und diejenigen, die verantwortungslos Gerüchte aller Art verbreiten würden. Ihnen gegenüber könne es Zurückhaltung und Milde nicht geben. Zitiert wird aus dem Brief eines Soldaten, dem im Fronturlaub diese unverbesserlichen Zeitgenossen begegnet seien, und der zu Recht darauf bestehe, dass denen gegenüber, die aus „charakterlicher Minderwertigkeit“ noch immer Gegner des nationalsozialistischen Deutschland seien, jede Rücksicht verfehlt sei. Hier gebe es „kein Überzeugen mehr, sondern nur noch ein Unschädlichmachen, und das rücksichtslos, mit unerbittlicher Folgerichtigkeit“.114 Dass es sich dabei um die Tötung minderwertiger Rassen handeln könne, das zu moralischen Bedenken derjenigen führte, die im Rassenkampf an ihrer Tötung mitwirkten oder von ihr wussten, kam nicht zur Sprache. Unfreiwillig verräterisch ist die Rhetorik der Drohgebärde gegenüber möglichen Kritikern nationalsozialistischer Rassenpolitik, denen selbst angedroht wurde, worüber sie möglicherweise verantwortungslos Gerüchte in die Welt setzten, eben das rücksichtslose und unerbittliche Unschädlichmachen, die rigorose Ausmerze von Artfremden und Gegnern des Nationalsozialismus. Ebenso wenig wie es bei den Juden darum gehen könne, sie von der Notwendig112 Die Grundlagen der Bürokratie. In : Das Schwarze Korps vom 12. 6.1941. 113 Rücksicht am falschen Platz. In : Das Schwarze Korps vom 2. 9.1943. 114 Ebd.

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Kampf gegen moralischen Zerfall

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keit des Rassenverrats zu überzeugen, der für sie, die als Individuen im erbgenetischen Schicksalszusammenhang gefangen waren, keine Option sei, könnten defätistische Gerüchtemacher damit rechnen, dass man sie geduldig von der Verwerflichkeit ihres Tuns zu überzeugen versuche, statt ihnen mit aller Härte zu begegnen. Zugleich rechnete die nationalsozialistische Führung mit moralischen Bedenken ihrer Anhänger gegenüber dem ihnen abverlangten Handeln. Ohne näher darauf einzugehen, was solche Bedenken hervorrufen könnte, wurden diese Handlungen häufig im Vagen belassen und die Bedenken als nachvollziehbar akzeptiert. Appelliert wurde stattdessen an Bedenkenträger, Vertrauen in die moralische Urteilskraft der Führung zu haben, auch wenn deren Entscheidungen vielleicht nicht immer nachvollziehbar seien. Zugestanden wurde den Zweiflern die Ernsthaftigkeit ihres Bemühens verstehen zu wollen, welche in der Tat historisch einzigartigen Haltungen und Handlungen ihnen abverlangt würden. „Dann und wann wird jeder Nationalsozialist einmal Gewissensbisse dem gegenüber haben, was ihm die Führung zumutet. Ganz abgesehen davon, dass ein guter Parteigenosse diese Bedenken an zuständiger Stelle zu äußern weiß, müssen wir aber auch wieder das Vertrauen aufbringen, dass das Zugemutete nichts Unwürdiges sein kann.“115 Das eingeforderte unbedingte Vertrauen in die Führung soll die Urteilsfähigkeit der einfachen Parteimitglieder jedoch nicht ersetzen, sondern vorbereiten : „Nicht urteilslos sollen wir durch die Gegenwart wandeln, sondern urteilsklar.“116 Angesichts möglicher Zweifel an der moralischen Berechtigung des von ihnen erwarteten Handelns wird ein Vertrauensvorschuss in die überlegene moralische Urteilskraft der Führung eingefordert, der durch die schließliche Ausbildung eigener moralischer Urteilsfähigkeit sich im Nachhinein als gerechtfertigt erweisen werde. Polemisiert wurde auch gegen die „Massenverkitschung des Nationalsozialismus“ und die Verwandlung der Revolution in einen „politischen Karneval“.117 „Undeutsche Gefühlsverkitschung“118 entwerte und verkehre die nationalsozialistischen Symbole, Gebräuche und Werte in ihr Gegenteil. Argumentiert wurde gegen die Profanisierung heiliger Begriffe und ihren inflationären Gebrauch durch bombastische und hohle Phrasendrescherei, die etwa in einem weihevollen Akt Radieschensamen der Kraft von „Blut und Boden“ überantwortete oder von schleimlösenden Hustenbonbons neue Wege zur „Kraft durch Freude“119 erwartete. Als Kernstück der nationalsozialistischen Weltanschauung müsse der Rassengedanke gegen seine Trivialisierung und abstruse Konfusionen verteidigt werden, die sich etwa in der verbürgten Antwort eines Prüflings auf die Frage, was er denn über den Geist der nordischen Rasse wisse, zeige. In kruder Vermischung des nordischen Rassengedankens mit der jüdischen Schöpfungsgeschich115 116 117 118 119

Staemmler, Aufgaben, S. 40 f. Ebd., S. 39. Kühn, Schafft anständige Kerle, S. 50 und 53. d’Alquen ( Hg.), Hieb, S. 46 und 90. Ebd., S. 67–71, bes. 68 f.

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Täter, Opfer, Widerstand

te habe dieser „den Geist Gottes, der über den Wassern schwebte, mit dem nordischen Geist“ gleichgesetzt und geantwortet : „Der nordische Geist war bei der Schöpfung beteiligt.“120

4.

Moral trotz alledem : Die „Conditio humana“ in den Lagern

In der moralphilosophischen Diskussion des Holocaust werden die Lager u. a. als Prüfstein für die Belastbarkeit eines auf Humanität, Menschenwürde und gegenseitiger Achtung gegründeten Wertesystems genommen. Von der Analyse des Verhaltens der nationalsozialistischen Täter, aber auch der Insassen der Lager wird Aufschluss über das Verhalten von Menschen im existentiellen Ausnahmezustand erwartet. „Der Holocaust habe gezeigt, wie schwach und zerbrechlich die menschliche Natur“ sei, also zum Beispiel „die natürliche Abscheu und Abneigung gegenüber Mord und Gewalt“, wenn sie auf die „nüchtern - sachliche Effizienz [...] der Zivilisation : der Technologie, den rationalen Entscheidungskriterien und der Tendenz, Denken und Handeln rational zu begründen und berechenbar zu machen“,121 treffe. In Abhängigkeit von den anthropologischen Grundannahmen wird dann entweder behauptet, die menschliche Natur bedrohe den Zivilisationsprozess durch die Urgewalt ihrer archaischen Tiefenstruktur oder aber sie sei zu schwach, um sich gegen die moralisch indifferente Rationalität der modernen Zivilisation durchzusetzen. Dieser Ansatz versucht, aus dem Zusammenbruch moralischer Beziehungen zwischen den Lagerinsassen Schlussfolgerungen für die „Conditio humana“ zu ziehen. Er unterstellt, dass gerade ihre menschenunwürdigen Lebensbedingungen Eigenschaften und Haltungen zum Vorschein gebracht hätten, die in der existentiellen Grenzerfahrung Seiten der menschlichen Natur offenbarten, die unter normalen Bedingungen verborgen geblieben wären. Angeknüpft wird dabei an Kants idealtypische Unterscheidung zwischen einer physiologischen und einer pragmatischen Anthropologie. Entweder sei der Mensch durch seine biologische Natur bestimmt, oder aber er sei in der Lage, jegliche äußere Bestimmung durch seine freien Willen außer Kraft zu setzen. An diese Unterscheidung müsse eine philosophische Anthropologie, die sich der Realität von Repression und menschlicher Erniedrigung stelle, anschließen. In Ergänzung zu dem, was die Natur aus dem Menschen oder er selbst aus sich macht, muss sie thematisieren, was andere Menschen aus ihm machen, indem sie ihn zwingen, etwas aus sich selber zu machen, was weder die Natur, noch er selbst als freihandelndes Wesen aus sich machen würde. In der ideologischen Rechtfertigung ihrer Existenz sollten die Lager nicht nur eine politisch - erzieherische Funktion und eine für Gegner des Nationalsozialismus abschreckende Wirkung haben. Sie wurden auch als Experimentierfeld 120 Garbe, Rassengedanke, S. 181 f. 121 Bauman, Dialektik, S. 27.

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Moral trotz alledem

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geschätzt, auf dem getestet werden sollte, wie sich Menschen in Extremsituationen verhalten. Dieser Zusammenhang wurde von Primo Levi aus eigener Erfahrung berichtet : „Kein Experimentator könnte sich etwas Rigoroseres ausdenken, um zu ermitteln, was vom Verhalten des Lebewesens Mensch im Kampf ums Überleben wesensbedingt und was erworben ist.“122 Auch Viktor Frankl hat das Erlebnis des Konzentrationslagers als „ein einziges großes Experiment“ bezeichnet, das bewiesen habe, „dass der Mensch es in der Hand hat, auch unter den ungünstigsten, den unwürdigsten Bedingungen noch Mensch zu bleiben“.123 Das Leben in den Lagern habe eine Antwort gegeben auf die Frage Was ist der Mensch ?: „Er ist ein Wesen, das immer entscheidet, was es ist. Ein Wesen, das in sich gleichermaßen die Möglichkeit birgt, auf das Niveau eines Tieres herabzusinken oder sich zu einem heiligmäßigen Leben aufzuschwingen. Der Mensch ist jenes Wesen, das immerhin die Gaskammern erfunden hat; aber er ist zugleich auch jenes Wesen, das in eben diese Gaskammern hineingeschritten ist in aufrechter Haltung und das Vaterunser oder das jüdische Sterbegebet auf den Lippen.“124 Zumindest einige hätten durch ihr Verhalten bewiesen, dass man den Menschen in den Lagern alles nehmen konnte, außer der „letzten menschlichen Freiheit, sich zu den gegebenen Verhältnissen so oder so einzustellen.“125 Die Organisation des Lagerlebens zielte auf die moralische Tötung der Häftlinge, deren Lebenswille, Selbstachtung und Würde durch Demütigung und Erniedrigung gebrochen werden sollten, wenn sie nicht, wie in der Massentötungsfabrik Auschwitz und anderen Vernichtungslagern, in ungeheurer Beschleunigung aller Abläufe in kürzester Zeit gleich vernichtet wurden. In den Konzentrationslagern ging es den absoluten Herrschern über Leben und Tod der Häftlinge darum, die Fragilität kultureller und humaner Werte am Objekt zu demonstrieren und die Identität ihrer Opfer auszulöschen. In der Extremsituation der Lager sollten sie sich als moralische Subjekte aufgeben und realisieren, dass Moral, Würde, Scham oder Stolz sich für sie als Nachteil im täglichen Überlebenskampf erweisen würden. „Überleben konnte nur der Listige der sich jeden Tag mit nie erlahmender Aufmerksamkeit seinen Fußbreit Boden eroberte Die Unfähigen die Trägen im Geiste die Milden die Verstörten und Unpraktischen die Trauernden und die die sich selbst bedauerten wurden zertreten“.126 122 123 124 125 126

Levi, Mensch, S. 104. Frankl, Mensch, S. 98. Ebd., S. 99. Ebd., S. 171. Weiss, Ermittlung, S. 280.

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Täter, Opfer, Widerstand

In reflektierten Erinnerungen von Überlebenden des Holocaust wird immer wieder die Sinnlosigkeit erlittener Gewalt hervorgehoben. So sollte ihnen mit dem Zwang nicht zu irgendeiner, sondern zu demütigender Arbeit vermittelt werden, dass Gegner des Regimes nicht würdig waren, „Arbeit im üblichen Sinne dieses Wortes zu verrichten. Ihre Arbeit muss eine Strafe sein : Sie darf keinen Raum lassen für Professionalität, sie muss die von Arbeitstieren sein, ziehen, schieben, Lasten tragen, den Rücken zur Erde beugen.“127 Der Tötung der Juden ging häufig ihre öffentliche Demütigung voraus. Orthodoxen Juden wurden die Bärte und Haare abgeschnitten, bevor sie exekutiert wurden; jüdische Frauen wurden gezwungen, sich nackt zur Schau zu stellen. Die Vernichtungsaktionen wurden von den Tätern als Gelegenheit wahrgenommen, durch Orgien der Gewalt und die Erniedrigung der Opfer ihre Rolle als Herren über Leben und Tod auszukosten. Für die Insassen der Lager war der Alltag ein irrealer Albtraum. „Während der ersten Wochen konnten sie den Wahnsinn der Lager nur als Halluzination erleben.“128 Im Schnellverfahren wurde ihnen beigebracht, dass sie nun in einer Welt angekommen waren, in der nichts von dem mehr zählte, wovon sie meinten, dass es ihre Persönlichkeit ausmache. Sie sollten realisieren, dass sie nicht länger als Menschen galten. Die Zeit vor ihrer Internierung erschien ihnen immer unwirklicher, bis sie schließlich nicht mehr sicher waren, ob es sie wirklich gegeben hatte. Dass sie tatsächlich einmal festtäglich gekleidet in Restaurants gesessen oder in Konzertsälen klassische Musik genossen hatten, dass sie Feste gefeiert und Familie, Freunde und Kollegen gehabt hatten, all die Selbstverständlichkeiten eines bürgerlichen Lebens erschienen ihnen nun wie zu ihrer Verhöhnung gedachte Erfindungen, zu denen ihnen zunehmend der persönliche Bezug fehlte. All das, was sie außerhalb der Lager individuell ausgezeichnet hatte, wurde in den Lagern irrelevant oder aber funktionierte in umgekehrter kultureller Bedeutung. Herkunft, Bildung und kultivierte Umgangsformen wurden nun zum Stigma und Risiko im Überlebenskampf. Es war eine lebensbedrohliche Gratwanderung, die Prozeduren der Demütigung und Erniedrigung widerstandslos über sich ergehen zu lassen, ohne daran moralisch zu zerbrechen. Wer die Auslöschung seiner Individualität nicht aushielt oder sich ihr entgegenstellte und meinte, einen Anspruch auf menschenwürdige Behandlung zu haben, verringerte damit seine Überlebenschancen und wurde entweder umso brutaler gebrochen oder gleich getötet. Für Häftlinge, die bereits mit ihrem Leben abgeschlossen hatten und nur noch willens - und teilnahmslos vor sich hinvegetierten, bevor sie schließlich vor Entkräftung starben oder getötet wurden, hat Primo Levi den Begriff der „Muselmänner“ geprägt.129 Die „Ermordung der moralischen Person“ der Lagerinsassen sei der entscheidende Schritt zur „Präparierung menschlicher 127 Levi, Untergegangene, S. 125. 128 Pres, Überlebende, S. 94. 129 Vgl. Levi, Mensch, S. 106–108.

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Moral trotz alledem

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Leichname“,130 eben der Muselmänner, gewesen, deren finale Tötung dann nicht mehr als Mord galt, sondern als Vollendung eines mehrstufigen Vernichtungsprozesses, der nur mit ihrem Tod enden konnte. Die Ausnahmen von der in den Lagern geltenden Überlebensmaxime, im eigenen Interesse zuerst an sich selbst zu denken, zeigen die Möglichkeit moralischen Handelns auch unter den extremen Bedingungen reduzierter Existenz. Auch in den Lagern war es möglich, menschlich zu bleiben und sich moralisch zu verhalten. Manche Autoren haben daraus geschlossen, dass es einen nicht ausrottbaren moralischen Kern des Menschen gebe. Dieser Umkehrschluss ist nicht weniger problematisch, als die Annahme anderer Autoren, die Lager hätten jegliche Moral ausgelöscht und damit bewiesen, dass mit moralischen Haltungen in extremen Situationen nicht gerechnet werden könne. Wenn es möglich war, die physischen und psychischen Verletzungen in den Lagern nicht nur zu überleben, sondern auch moralisch unbeschädigt und ungebrochen zu überstehen, so wurde argumentiert, dann waren die Lager ja vielleicht doch gar nicht so schlimm. Beide Interpretationen zogen aus dem Leben in den Lagern Schlussfolgerungen über die Belastbarkeit eines am Mitmenschen orientierten, auf Gegenseitigkeit und Achtung gegründeten moralischen Wertesystems. Im täglichen Überlebenskampf waren die Lagerinsassen zu unmoralischen Handlungen gezwungen, die dennoch wegen der beispiellosen Unmenschlichkeit ihrer Lebensbedingungen nicht moralisch verurteilt werden können. In ihren Berichten von der moralischen Verwahrlosung in den Lagern verwiesen sie auch auf ihre eigene moralische Beschädigung : „In dem Bestreben, unter allen Umständen am Leben zu bleiben, taten wir alles, einfach alles. Wir setzten uns souverän über die primitivsten Rechte unserer Kameraden hinweg, wir überlieferten sie auch dem Tode, wenn wir damit unser Leben noch verlängern konnten. Die Begriffe Anstand, Moral, Kultur oder Kameradschaft existierten nicht mehr für uns. Erbarmungslos wie wilde Tiere waren wir geworden.“131 Von Menschen, die gezielt moralisch gebrochen wurden, kann nicht erwartet werden, dass sie sich dennoch moralisch verhalten. Allerdings rechtfertigen solche Bedingungen auch nicht unmoralisches Verhalten. Menschen bleiben auch unter unmenschlichen Lebensumständen für ihr Handeln verantwortlich. Die Hauptverantwortung für ihr unmoralisches Verhalten unter solchen Bedingungen trifft jedoch diejenigen, die Menschen zwingen, unter Bedingungen zu leben, die moralisches Handeln als Gefährdung des eigenen Lebens unwahrscheinlich machen.132 Hunger, Angst, Erschöpfung und die ständige Bedrohung des eigenen Lebens ließen moralische Überlegungen und Handlungen in aller Regel nicht zu. Seine Vernichtung als moralisches Subjekt zu akzeptieren, nahm andererseits den eigenen biologischen Tod durch Selbstaufgabe bereits vorweg. Hier eine Balance zu finden, war extrem schwierig und doch überlebensnotwendig. 130 Arendt, Elemente, S. 692. 131 Klieger, Weg, S. 173. 132 Vgl. Pollefeyt, Victims.

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Ethische Selbstreflexionen von Überlebenden des Holocaust, und hier insbesondere die moralisch reflektierten Arbeiten von Ruth Klüger,133 Primo Levi,134 Jean Amery,135 Bruno Bettelheim136 und Viktor Frankl137 haben beispielhaft die Unmittelbarkeit moralischer Erfahrung in den Lagern mit der reflexiven Durchdringung dieser Erfahrungen verbunden.138 Primo Levi hat den Begriff der Grauzone eingeführt, in der etwa für die jüdischen Sonderkommandos in den Todeslagern moralische Kategorien und Wertungen außer Kraft gesetzt waren. Für sie sei es nur noch darum gegangen zu überleben, sei Leben tatsächlich auf den Imperativ des Überlebens reduziert worden. Die Existenz einer solchen Zone moralischer Indifferenz habe das Grundvertrauen in die Welt als einer verlässlichen moralischen Ordnung für immer erschüttert.139 Die unauslöschliche Erschütterung eines solchen Urvertrauens in die Existenz einer moralischen Ordnung war für Jean Amery das Erlebnis der Folter, die die „Gewissheit, dass der Andere auf Grund von geschriebenen oder ungeschriebenen Sozialkontrakten mich schont, [...], dass er meinen physischen und damit auch metaphysischen Bestand respektiert“,140 als Illusion erledigte : „Wer der Folter erlag, kann nicht mehr heimisch werden in der Welt. Die Schmach der Vernichtung lässt sich nicht austilgen. Das zum Teil schon mit dem ersten Schlag, in vollem Umfang aber schließlich in der Tortur eingestürzte Weltvertrauen wird nicht wiedergewonnen.“141 Die Lager schienen zu beweisen, dass Humanität und Mitmenschlichkeit unter extremen, unmenschlichen Bedingungen nicht mehr galten. „Das ganze Moralgebäude bricht zusammen. Der Trieb, die eigene Existenz zu retten, ist stärker als alle Moralgesetze, die das Leben in einer einigermaßen ausgewogenen Gesellschaft regeln, die aber im Straflager rasch außer Kraft gesetzt werden.“142 Weder den Tätern, und schon gar nicht den Opfern, sei es unter diesen Bedingungen möglich gewesen, sich moralisch zu verhalten. Am Ende hätten in den Lagern nur diejenigen eine Überlebenschance gehabt, die sich radikal auf sich selbst besonnen und das Gesetz des Dschungels am besten beherrscht hätten. Diese Argumentation nahm die Todes - und Konzentrationslager als Beleg dafür, dass sich im Kampf auf Leben und Tod immer derjenige behauptet, der in dieser Extremsituation durch keinerlei moralische Verpflichtungen anderen Menschen gegenüber in seinem Überlebenskampf eingeschränkt ist. Die Zerstörung moralischer Beziehungen unter den extremen Bedingungen der Lager nahm den Anderen, der sich in der gleichen Situation des täglichen 133 134 135 136 137 138 139 140 141 142

Vgl. Klüger, Weiter leben. Vgl. Levi, Untergegangene sowie ders., Mensch. Vgl. Amery, Schuld. Vgl. Bettelheim, Erziehung. Vgl. Viktor, Leben. Siehe dazu Werle, Retrospektiven. Vgl. Levi, Untergegangene, S. 48–60. Amery, Schuld, S. 44. Ebd., S. 58. Heinemann, Auschwitz, S. 61.

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Kampfes ums Überleben befand, nicht mehr als bedürftigen, leidenden und hoffenden Menschen wahr. Sein Bedürfnis nach Zuwendung in existentieller Not wurde von seinen Leidensgenossen ignoriert, die ihre gesamte Energie brauchten, um ihr eigenes Überleben zu sichern, und die in ihrem Selbstverständnis nur deshalb überlebten, weil sie selbst auch nicht mit der Zuwendung Anderer rechneten. Menschen in der gleichen Situation zählten nur noch als Konkurrenten im Überlebenskampf, denen gegenüber Vorsicht und Misstrauen angebracht waren.143 Umso wichtiger waren die Beispiele von Solidarität, Unterstützung und Anteilnahme am Schicksal des Anderen, eben weil mit ihnen nicht selbstverständlich gerechnet werden konnte. Hätte es solche Momente gegenseitiger Hilfe und Empathie nicht gegeben, so wäre das Leben in den Lagern nur schwer auszuhalten gewesen. Zahlreiche Autoren betonen, dass auch in den Lagern moralische Haltungen bei den Häftlingen sehr wohl ausgeprägt gewesen seien. Nur unter extremsten Umständen unmittelbarer Lebensbedrohung seien diese völlig unterdrückt worden oder aber nach dem physischen und psychischen Zusammenbruch von Menschen gegenstandslos geworden. Von solchen extremen Fällen abgesehen, sei es auch unter den Bedingungen der Lager möglich gewesen, sich moralisch zu verhalten. Ruth Klüger berichtet von einer jungen Frau, der sie ihr Überleben der Selektion in Auschwitz zu verdanken hat. Deren Handeln wider aller Wahrscheinlichkeit ist für sie das Beispiel einer „freien, spontanen Tat“, des „Guten schlechthin als Möglichkeit eines Sprungs über das Vorgegebene hinaus“ : „Frei, weil man bei aller Kenntnis der Umstände das Gegenteil vorausgesagt hätte, weil ihre Entscheidung die Kette der Ursachen durchbrach.“144 Moral war eine unzeitgemäße, lebensbedrohliche, irrationale und dennoch auch unter den Bedingungen der Lager unverzichtbare, weil überlebensnotwendige Haltung. In Berichten vom Lageralltag wurden immer wieder Beispiele von Häftlingen angeführt, die anderen halfen, ihnen in Stunden der Verzweiflung Mut zusprachen und die dafür standen, dass der Kern menschlicher Freiheit – die Entscheidung, sich in dieser oder jener Weise zu verhalten – durch den Zwang der Umstände nicht völlig zerstört wurde. Viele der Lagerinsassen hätten ihren Mithäftlingen beigestanden, solange das ohne akute Gefahr für das eigene Leben möglich war. Da sie selbst auf Zuwendung und Empathie angewiesen waren, hätten sie anderen eine solche Zuwendung auch nicht verweigert. Ohne das auch in den Lagern funktionierende Netz gegenseitiger moralischer Verpflichtungen hätten sie nicht überleben können. Dieses Netz war zwar extrem reduziert, aber es hielt und brach nicht vollständig zusammen. Es war das tägliche Erleben von Würde, Solidarität und Überlebenswillen, das den Häftlingen das Leben unter den extremen Bedingungen der Lager überhaupt ermöglichte. Das galt umso mehr, als eine moralische Haltung in den Lagern nicht durch die Verbesserung der eigenen Lage belohnt wurde, sondern unter 143 Vgl. Pollefeyt, Victims. 144 Klüger, Weiter leben, S. 135 f.

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Täter, Opfer, Widerstand

Umständen von Nachteil im täglichen Überlebenskampf war. Es war also keineswegs so, dass die eigenen Überlebenschancen durch moralisches Verhalten stiegen. Moralisches Verhalten, so ließe sich diese Debatte zusammenfassen, kann unter extremen Umständen tatsächlich bis zur Unkenntlichkeit unterdrückt und scheinbar zum Verschwinden gebracht werden. Dennoch bleibt es auch bei ständiger Demütigung und Angst, Hunger und tödlicher Bedrohung möglich. Täter und Opfer sind in der Literatur auch nach ihrer moralischen Qualität unterschieden worden.145 So verweise die Verwendung des Begriffs „Entmenschlichung“ für die Täter darauf, dass diese „ihre Verbindung zu den üblichen moralischen Grundsätzen, die vor 1933 in den meisten europäischen und anderen Gesellschaften galten, verloren hatten“.146 In der Anwendung dieses Begriffs auf die Opfer dagegen gehe es um den Versuch der Täter, diese auf ihre Ebene herabzuziehen und sie damit aus dem Universum moralischer Verpflichtung auszuschließen.147 Tätern und Opfer lebten in moralischen Gegenwelten, die funktional aufeinander bezogen waren. Die Opfer versuchten, die Täter durch Dämonisierung auf Distanz zu halten. Bernard Klieger, Überlebender von Auschwitz, berichtet, „dass nur ganz, ganz wenige Häftlinge ihre Moral aufrechterhalten konnten. Die meisten verloren alles, womit sie vielleicht im bürgerlichen Leben einstmals geglänzt : Höflichkeit, Hilfsbereitschaft, Kultur, Bildung, Moral. Übrig blieb nur der Selbsterhaltungstrieb, diese aber in unwürdiger, in tierischer Form.“148 Von den Prügelorgien der SS schreibt er : „Das waren keine Menschen mehr, die da prügelten. Tiere, entfesselte Bestien waren es. Sie brüllten und johlten, und Schaum trat aus ihren aufgerissenen Fressen. Die Augen waren blutunterlaufen und verdreht. [...] Jetzt erst wusste ich, wie ein Mörder wirklich aussieht, jetzt, nachdem sie ihre Masken abgerissen und nichts als eine blutige, entmenschte, teuflische Fratze übrigblieb. Das also war der homo sapiens, wenn seine tierischen Urinstinkte entfesselt waren.“149 Gegenüber diesen Bestien in Menschengestalt verloren auch manche Häftlinge in ihren Rachephantasien jegliches moralische Maß. So heißt es im Tagebuch eines jüdischen Ghettopolizisten : „Ich habe in meinem Leben noch nicht die Hand gegen den Nächsten erhoben, aber ich spüre, dass ich dann kein Wasser mehr trinken, sondern meinen Durst nur mit deutschem Blut, besonders dem kleiner Kinder stillen würde. Für meine kleine Tochter, für alle jüdischen Kinder würde ich hundertfache Rache nehmen. Mein Herz bebt schon vor Freude, die blassen Wangen erröten freudig bei dem Gedanken, welche psychischen und physischen Torturen ich den Deutschen vor ihrem Tod zufügen würde. Und dann, durch Blut und Rache gesättigt, kann ich zusammen mit meinen Feinden untergehen.“150 145 146 147 148 149 150

Vgl. Heinemann, Auschwitz, S. 34. Bauer, Seite, S. 39. Vgl. ebd., S. 57. Klieger, Weg, S. 90. Ebd., S. 90. Oerechodnik, Mörder, S. 251.

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Erich Fromm hat eine in der menschlichen Natur angelegte Charakterdisposition zu destruktivem und unmenschlichem Verhalten herausgearbeitet, den sadistischen Charakter, der Menschen „in lebende, zitternde, pulsierende Objekte der Herrschaft“ verwandle : „Ihre Reaktionen werden ihnen von dem, der sie beherrscht, aufgezwungen. [...] der Sadist möchte die Empfindung haben, das Leben zu beherrschen und zu ersticken.“151 Wird der Mensch als ein noch immer nur unzureichend in seiner animalischen Bestialität kulturell unter Kontrolle gehaltenes Wesen gesehen, so ist er jederzeit bereit, diese ihm von außen gegen seine Natur aufgezwungenen Sicherungen aufzukündigen, wann immer sich dazu die Gelegenheit bietet. Als Inkarnation dieser unnatürlichen, immer fragilen Domestizierung des Menschen gilt die Moral. Die Gegenposition bestimmte soziokulturelle Bedingungen als entscheidende Ursache unmoralischen Handeln, das sich nicht aus einer psychischen Disposition für inhumanes Verhalten oder animalischen Restbeständen des Menschen ableiten lasse. Auch die Annahme eines „autoritären Charakters“152 oder eines „autoritären Persönlichkeitstypus“153, die einer Humanisierung der menschlichen Natur entgegen stünden, hilft nicht weiter bei der Erklärung der immer möglichen Verknüpfung von anthropologischen Potentialen und sozialen Verhaltensrepertoires zur Inhumanität. „Grausamkeit korreliert mit bestimmten Formen sozialer Interaktion weit mehr als mit Persönlichkeitsmerkmalen oder individueller Veranlagung der Täter. Die Ursachen unmenschlicher Taten sind sozialer und nicht individuell - dispositioneller Natur. In einem sozialen Kontext, der moralische Maßstäbe entkräftet und Unmenschlichkeit legitimiert, wird es auch Menschen geben, die grausam sind.“154 Hervorgehoben wurden die unmenschlichen Bedingungen in den Konzentrationslagern, die zu Exzessen der Gewalt geführt hatten. „In den Exzessen und Massakern verwandelte sich absolute Macht in absolute Aktionsmacht. Die Grausamkeit übersprang alle Grenzen und Hemmungen. [...] Fern davon, eine Folge von Autoritätshörigkeit oder sadistischer Triebnatur zu sein, entstand die Grausamkeit aus einer Konstellation vollkommener Macht. Unmenschlichkeit ist stets eine Möglichkeit des Menschen. Damit sie zutage tritt, bedarf es nur der absoluten Freiheit über den anderen. [...] Der Exzess [...] hantiert mit Körpern. [...] Worauf er vor allem aus ist, ist die Dauer des Schmerzes, der Qual, des Sterbens. Der Exzess transformiert das Töten in einen Vorgang. Er nimmt sich die Zeit, die er braucht.“155 Adorno und Horkheimer haben in ihrer „Dialektik der Aufklärung“ den Faschismus als vorläufigen Höhepunkt einer anthropologischen Regression der Menschheit im Gefolge fortschreitender gesellschaftlicher Arbeitsteilung und Naturbeherrschung interpretiert.156 „Wo Beherrschung der Natur das wahre 151 152 153 154 155 156

Fromm, Anatomie, S. 328 f. Vgl. Adorno, Studien. Fromm, Arbeiter, S. 256 f. Bauman, Dialektik, S. 180. Sofsky, Ordnung, S. 275. Vgl. Horkheimer, Adorno, Dialektik, S. 35.

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Ziel ist, bleibt biologische Unterlegenheit das Stigma schlechthin, die von Natur geprägte Schwäche zur Gewalttat herausforderndes Mal.“157 Unabhängig von der kulturellen Beschaffenheit der Juden hätten die Nazis in einer „pathischen Projektion“158 die von den Beherrschten insgeheim ersehnten Züge – „des Glückes ohne Macht, des Lohnes ohne Arbeit, der Heimat ohne Grenzstein, der Religion ohne Mythos“,159 auf die Juden als Objekt ihres totalitären Vernichtungswillens übertragen. Es ist problematisch, aus dem Verhalten von Menschen, die gezwungen sind, unter menschenunwürdigen Bedingungen zu leben, Einsichten in die „Conditio humana“ gewinnen zu wollen – in das also, was Menschsein im existentiellen Kern ausmacht. Bezweifelt wird, dass die Insassen der Konzentrations - und Todeslager überhaupt eine Wahl zwischen moralischem und unmoralischem Verhalten hatten. So hat Lawrence Langer argumentiert, dass die Annahme, die Insassen der Lager hätten sich unter dem Druck der Umstände im Interesse ihres Überlebens immer pragmatisch verhalten und gegen moralisches Verhalten entschieden, bereits unterstelle, sie hätten eine solche Wahl gehabt. Eben das sei nicht der Fall gewesen. Für ihn waren die Lager „Jenseits von Gut und Böse“, eine Einrichtung, in der die Insassen nicht mehr zwischen moralischem und unmoralischem Verhalten wählen konnten.160 Manche Autoren, die aus dem Leben in den Lagern Schlussfolgerungen für die „Conditio humana“ zu ziehen versuchen, gehen so weit, den Zusammenbruch moralischer Beziehungen zwischen den Lagerinsassen als Beleg dafür zu nehmen, dass die Moral etwas der menschlichen Natur Fremdes sei – ihr aufgezwungen durch die Kultur und immer dann vom Zusammenbruch bedroht, wenn kulturelle und rechtliche Sanktionen zur Erzwingung moralischen Verhaltens ausfallen oder umdefiniert würden. Das Ende der kulturellen Sanktionierung moralischen Verhaltens, so ihre Schlussfolgerung, sei auch das Ende der Moral, die dann als Fremdkörper der anthropologischen Grundverfassung des Menschen aus seinem Verhaltensrepertoire gestrichen werden müsse. Die Unmenschlichkeit des nationalsozialistischen Systems lässt sich weder als Regression auf triebhaft - tierische Restbestände menschlichen Seins erklären, die durch den Abbau oder das Versagen kulturell - zivilisatorischer Sicherungen wirkungsmächtig wurden,161 noch durch ideologische Wahnvorstellungen einer sich zum chirurgischen, sozialplanerischen Eingriff in die Kultur und biologische Natur ermächtigenden höherwertigen Rasse. Unter dafür günstigen Bedingungen – der politischen und gesetzlichen Sanktionierung von Gewalt und Unmenschlichkeit, der Degradierung der Opfer zu rassisch minderwertigen Untermenschen und Schädlingen, die die Gesundheit des deutschen Volkes bedrohen, der Delegierung persönlicher Verantwortung an die Autorität über157 158 159 160 161

Ebd., S. 221. Vgl. ebd., S. 101. Ebd., S. 178. Vgl. Langer, Dilemma und ders., Versions. Vgl. dazu Elias, Prozess.

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geordneter Instanzen – sind die Tugenden des modernen Menschen völlig ausreichend, um sowohl Exzesse der Gewalt als auch die kalte, leidenschaftslose Vernichtung für minderwertig und überflüssig befundenen Menschenmaterials zu sichern. Neugier, Experimentierfreude, die Lust an der Grenzüberschreitung, Phantasie und spielerische Kreativität – diese Tugenden haben ihre Unschuld verloren angesichts des gerade im 20. „Jahrhundert der Lager“ ( Bauman ) dokumentierten Einfallsreichtums bei der Erfindung von Prozeduren der Entmenschlichung. Das gleiche gilt für solche Eigenschaften wie Perfektion, Pflichterfüllung und Verlässlichkeit an der durchschnittlichen Menschen zugewiesenen Stelle in arbeitsteiligen Prozessen auch dann, wenn diese in ihrem Zusammenspiel auf die Massenvernichtung von Menschen aus ideologischen Gründen hinauslaufen.

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IX. Ausblick 1.

Entnazifizierung und Kriegsverbrecherprozesse : Die moralische Zurechnungsfähigkeit nationalsozialistischer Täter

Schuldig können Menschen nur durch eigenes Handeln werden. Verantwortlich dagegen sind sie auch für Dinge, die sie nicht getan haben, also auch für Handlungen ihres politischen Systems, die sie ohne Einspruch akzeptiert haben. Ohne ihr ausdrückliches Veto sind solche Handlungen auch in ihrem Namen begangen worden. In der gemeinsamen Verantwortung aller Gläubigen für ihre Religionsgemeinschaft, aller Parteimitglieder für ihre Partei oder aller Bürger für ihr Land gehören sie einer Verantwortungsgemeinschaft an. Auch in einer nach dem Führerprinzip hierarchisch gegliederten Bewegung, die Verantwortung als Zuständigkeit in einem klar definierten Bereich mit Rechenschaftspflicht gegenüber Vorgesetzten oder Befehlshabern festlegte, war der Einzelne nicht von persönlicher Verantwortung entlastet. Menschen handeln in von ihnen nur bedingt zu verantwortenden und dennoch zugleich auch von ihnen konstituierten, zugelassenen, unhinterfragt akzeptierten oder als unproblematisch unterstellten Kontexten. Der Begriff der Kollektivschuld verweist auf die gegenseitige Haftung einer Gruppe für schuldhaftes Handeln ihrer Mitglieder. Angehörige politisch krimineller Kollektive sind jedoch nicht von persönlicher Schuld für von ihnen verübte Verbrechen entlastet, auch wenn etwa ihre Einbindung in eine militärische Befehlsstruktur und deren Verhaltenskodex ihren individuellen Entscheidungsspielraum einschränkt. Sie können mit dem gutem Gewissen handeln, lediglich ihre Pflicht zu tun, nur Befehle auszuführen, eine ihnen anvertraute Ordnung aufrechtzuerhalten. Da sie nicht auf eigene Initiative gehandelt hatten, überstanden die meisten Deutschen das Ende dieser Ordnung, die sie bis zum Schluss unterstützt hatten, ohne dass dadurch ihr moralisches Selbstverständnis in Frage gestellt wurde. Aus ihrer Sicht empfahl sie diese Haltung auch für die neue Ordnung, der sie sich in der Erwartung, auch diese wisse Verlässlichkeit zu schätzen, zur Verfügung stellten, um sich auch unter den neuen Bedingungen normenkonform zu verhalten. Um Menschen zu regel - und systemkonformem Verhalten zu bewegen, werden ihre eigenen Interessen angesprochen. Der Verweis auf die Leistungen und Zuwendungen, die das System zu bieten hat, soll sie dazu bewegen, sich ihm gegenüber loyal zu verhalten. Systemkonformes Verhalten stimmt mit geltenden Normen und Gesetzen überein und erspart ihnen Konflikte und Nachteile. Auch wenn die Umstände ein bestimmtes Handeln als vernünftig nahe legen, wird ihnen die Entscheidung über ihr tatsächliches Verhalten in moralisch relevanten Situationen jedoch nicht abgenommen. Weder ist ihr Handeln lediglich die Summe der Bedingungen, unter denen es stattfindet, noch sind diese Bedingungen irrelevant für ihre Entscheidungen. Menschen bewegen sich in Zusammenhängen unterschiedlicher Zugehörigkeiten und struktureller Prägungen, die ihnen

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Ausblick

dennoch individuelle Freiräume lassen. Zugehörigkeit lässt sich als normative Verpflichtung gegenüber einer Gemeinschaft bestimmen, die Loyalität von ihren Mitgliedern einfordert und ihnen regelkonformes, konformistisches Verhalten nahe legt. Unter solchen Bedingungen sind unabhängige moralische Urteile alles andere als selbstverständlich. In der Tat leben Menschen in Zusammenhängen, die ihnen subjektiv nur bedingt verfügbar sind. In ihnen müssen sie sich in einem überschaubaren lebensweltlichen Ausschnitt mit eigenen Gewichtungen und Präferenzen als moralisch zurechnungsfähige Subjekte behaupten. Gegen die Reduktion von Rationalität auf die instrumentelle Zweckrationalität arbeitsteiliger Prozesse, die dem Einzelnen jede Verantwortung für sein Handeln abnimmt und ihm die Einsicht in den Zusammenhang verweigert, in dem er agiert, bestand Max Weber darauf, dass jeder Mensch immer wieder zu entscheiden habe, „ob er die Hoffnung auf Realisierbarkeit seiner praktischen Wertungen“ angesichts der Unwahrscheinlichkeit ihres Erfolges als „sterile Donquixotterie“ aufgeben oder aber moralisch bedenkliche Mittel zulassen müsse, wenn er auf der „Durchsetzung des von ihm Erstrebten“1 bestehe. Die nationalsozialistische Weltanschauung war anschlussfähig an die intuitive Weltsicht vieler Menschen, der sie systematische Kohärenz und Plausibilität gab.2 Sie legte ihnen nicht nur moralische Urteile nahe, sondern auch ein bestimmtes Handeln. Das kann, je nach Sichtweise, entweder als ihre Entmündigung oder ihre Entlastung von Verantwortung gesehen werden. Innere Distanz zur nationalsozialistischen Weltanschauung und Indifferenz gegenüber den ideologischen Begründungen der Rassenpolitik waren möglich. Den meisten Deutschen wurde es überlassen, aus welchen Gründen und Motiven sie das nationalsozialistische System unterstützten oder akzeptierten. Aus ihrer mehrheitlichen Zustimmung zu Rassenpolitik und Antisemitismus folgt nicht zwingend, dass alle als weltanschauliche Überzeugungstäter gehandelt haben. Für viele Deutsche traf die von Kant eingeführte Denkfigur des aufgeklärten Opportunismus tatsächlich zu : Solange sie taten, was sie sollten, konnten sie denken, was sie wollten. In seiner Schrift „Was ist Aufklärung ?“ hatte Kant 1784 dafür plädiert, die Haltung innerer Distanz als ungefährlich für ein politisches System zu tolerieren und es als „Pflicht eines Bürgers“ beschrieben, „von Amts wegen“ so zu handeln, wie es dieses Amt vorschreibt. Zugleich sollte Menschen jedoch alle Freiheit der Kritik und der Äußerung „abweichender Urteile und Einsichten“3 gelassen werden, damit sie ihre Dienstpflichten guten Gewissens erfüllen konnten. Kants Quintessenz kann als Paradigma eines systemkonformen Handelns mit innerem Vorbehalt im Rahmen einer definierten Rolle gesehen werden. „Räsoniert so viel ihr wollt und worüber ihr wollt, aber gehorcht“,4 so heißt es knapp und prägnant bei ihm.

1 2 3 4

Weber, Sinn, S. 513. Vgl. Haas, Ethics, S. 110 f. Kant, Beantwortung, S. 60. Ebd., S. 61.

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Entnazifizierung und Kriegsverbrecherprozesse

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Hannah Arendt hat zwischen einem Widerstand aus politischen und einer Verweigerung aus moralischen Gründen als Alternative zu einem aufgeklärten Opportunismus oder dem politischen Aktivismus der Überzeugungstäter unterschieden. Eine Verweigerung politischer Konformität aus moralischen Gründen ziele nicht darauf ab, die Welt zum Besseren zu ändern, sondern in Einklang mit sich selbst zu leben. Der differenziert argumentierende Opportunismus, der Risiken und Chancen der Menschen abverlangten Entscheidungen abwägt, befähigt sie dazu, ihr Verhalten an den jeweiligen Verhältnissen auszurichten. Dabei unterstellt die Annahme, es sei besser, Übel zu leiden, als Übel zu tun, dass sich das fragliche Übel nicht aus der Welt schaffen lässt. Sie verschafft das gute Gewissen, persönlich nicht mehr in Zusammenhängen verstrickt zu sein, in denen Menschen schuldig werden können. Der moralische Vorrang des Übelleidens vor dem Übeltun rechtfertigt einen moralischen Purismus, dem wichtiger ist, sich selbst nicht an unmoralischen Handlungen beteiligt zu haben, als das Übel zu verhindern.5 Viele nahmen an, dass Handlungen in Übereinstimmung mit geltendem Recht und Gesetz auch moralisch unbedenklich seien. Entscheidung - und Verantwortungshierarchien nahmen ihnen die Verantwortung für ihr Handeln ab. Ohne die Möglichkeit zu unabhängigen moralischen Urteilen sahen sie sich als moralisch nicht schuldfähig : Wer nicht verantwortlich ist, kann auch nicht schuldig werden. Sie behaupteten, überzeugt davon gewesen zu sein, dass ihr Handeln moralisch gerechtfertigt war. Dieser Normativität des Faktischen hat Arendt die moralische Instanz des Gewissens gegenüber gestellt, die Menschen in ihrem Handeln mit sich selbst konfrontiere und sichere, dass sie nicht in einer Weise handeln, für die sie sich selbst verachten. Zwar suchen sie auch die Anerkennung anderer Menschen, deren Urteil jedoch nur dann zählt, wenn es sie als diejenigen anspricht, die sie in ihrem Selbstverständnis sind. Anerkennung, die auf der Verkennung ihrer Person beruht, kann nicht wirklich befriedigen. Menschen können sich auch gegen Optionen entscheiden, für die nach Abwägen der Risiken und Chancen unter den gegebenen Umständen alles zu sprechen scheint. Ohne sich überhaupt einer Entscheidungssituation bewusst zu sein, handeln sie dann intuitiv so, wie ihnen das ihr moralisches Empfinden als selbstverständlich nahe legt. In moralischen Grenzsituationen der rational nicht bis ins Letzte kalkulierbaren Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Verhalten hilft das Wissen allein nicht weiter. Im Bedenken des Für und Wider, im Abwägen der Vor - und Nachteile eines bestimmten Handelns gilt die Entscheidung gegen den eigenen Vorteil als irrationales Verhalten, da sie Nachteile in Kauf nimmt, anstatt einen möglichen Vorteil geltend zu machen. Moralisches Handeln definiert sich jedoch nicht durch den bewussten Verzicht auf den eigenen Vorteil. Entscheidend für die Beurteilung menschlichen Handelns ist der ganze Komplex seiner Bedingungen und Folgen, Sachzwänge und Freiheitsgrade und nicht zuletzt der Gründe und Motive, die von den Handelnden für ihre Entscheidung geltend gemacht werden. 5

Vgl. Arendt, Leben, S. 179–181.

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Ausblick

Nationalsozialistische Täter waren durchaus bereit, Auskunft über ihre Motive zu geben, in der Regel allerdings erst, als sie in Kriegsverbrecherprozessen nach Möglichkeiten der Entlastung von persönlicher Verantwortung für ihre Taten suchten. In diesen Prozessen galten ideologische Motive als strafverschärfend, weshalb sich die Angeklagten nun auf ideologieferne Motive wie Angst vor Bestrafung im Fall der Befehlsverweigerung oder die Erfüllung staatsbürgerlicher bzw. beruflicher Pflichten in Übereinstimmung mit geltenden Gesetzen beriefen. Fraglich ist, ob diese offensichtlichen Rechtfertigungsversuche tatsächlich die Motive und Beweggründe der Täter wiedergeben, ob sie also tatsächlich, wie von ihnen behauptet, nicht in der Lage waren, die von ihnen begangenen Verbrechen als solche zu erkennen. Menschen handeln immer in durch ihre Zugehörigkeit festgelegten Rahmenbedingungen eines bestimmten Wertesystems, auf das sie sich, sollten sie unter Rechtfertigungsdruck für ihr Handeln geraten, häufig zu ihrer Entlastung beziehen. So beriefen sich die Täter auf Verantwortungs - und Entscheidungshierarchien, die ihnen keinen Raum für eigene Initiative und Entscheidungen gelassen hätten und bestanden entweder darauf, dass die historischen Umstände und politischen Bedingungen ihnen eigene Entscheidungen, Motive und moralische Urteile abgenommen oder dass sie am unteren Ende hierarchischer Verantwortungsketten lediglich Anweisungen und Befehle ausgeführt hätten. Handlungsmotive spielen jedoch nicht erst dann eine Rolle, wenn die Umstände es erlauben, frei von Befürchtungen über mögliche Konsequenzen der eigenen Entscheidungen zwischen unterschiedlichen Optionen zu wählen. Zugleich verwiesen die Täter auf ihre politische Indifferenz und Naivität, die sie daran gehindert habe, den verbrecherischen Charakter des nationalsozialistischen Systems zu erkennen. Für sie selbst seien verlässliche Pflichterfüllung, Fleiß und Disziplin die entscheidenden Tugenden gewesen. Solche zu ihrer Entlastung gedachten Argumentationen wurden sowohl von den direkt am Holocaust Beteiligten benutzt als auch von denjenigen, die durch ihre Mitwirkung das reibungslose Funktionieren der komplexen Vernichtungsmaschinerie erst ermöglicht hatten. Sie behaupteten, weder aus persönlichen noch aus politischen Motiven gehandelt zu haben. Persönliche Indifferenz gegenüber den ideologisch nahe gelegten Beweggründen, sich an der Verfolgung und Vernichtung der Juden zu beteiligen, stand der Loyalität gegenüber dem nationalsozialistischen System aus Pflichterfüllung nicht im Wege. Zur Zeit der von ihnen begangenen, angeordneten, stillschweigend geduldeten oder durch die Bereitstellung administrativ - logistischer Rahmenbedingungen ermöglichten Verbrechen seien sie wegen ihrer ideologischen Indoktrinierung moralisch unzurechnungsfähig gewesen. Der Schwerpunkt dieser Entlastungsversuche liegt dabei nicht auf den ideologischen Begründungen für den Mord an den Juden, sondern auf der faktischen Unzurechnungsfähigkeit der Täter durch ihre ideologische Verblendung. Ohne in ihrer nicht selbst gewählten Beteiligung am systematisch organisierten Massenmord an den Juden eigene Handlungsspielräume gehabt zu haben, hätten sie sich in Übereinstimmung mit dem geltenden Recht und Wertesystem so

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verhalten, wie das zu dieser Zeit von loyalen, pflichtbewussten, gesetzestreuen Bürgern erwartet werden konnte. Dass eine solche Haltung moralisch verwerflich sein könne, sei ihnen nicht in den Sinn gekommen. Überzeugt von der Stimmigkeit nationalsozialistischer Konzepte von Volksgesundheit und rassischer Höher - und Minderwertigkeit hätten sie ihr Handeln für moralisch unbedenklich und sogar geboten gehalten. Man habe ihren Idealismus und ihre Begeisterung ausgenutzt und für die falschen Ziele missbraucht. Die Frage, welche Bedeutung die moralische Haltung der Täter zu ihren Opfern für ihre moralische Bewertung hat, wird äußerst kontrovers diskutiert. Hält man ihre antisemitischen Äußerungen für authentisch, so waren sie von der Idee besessen, die Juden seien rassisch minderwertige Untermenschen, von denen eine tödliche Gefahr für Gesundheit und Bestand des völkischen Organismus ausging. Diese Gefahr im Überlebensinteresse des deutschen Volkes durch die präventive Vernichtung der Juden abzuwenden, hätten sie als ihre patriotische Pflicht gesehen. Aus Verantwortung gegenüber dem eigenen Volk, Gott, der Rasse, dem Vaterland oder dem Führer hätten sie den Judenmord als moralisch akzeptiert. Es war ihnen wichtig zu betonen, dass sie keineswegs in eigener Verantwortung handelten oder persönlichen Neigungen oder Motiven folgten. Die Abwesenheit persönlicher Gründe galt in dieser Argumentation als Synonym für ein Handeln aus moralischen Beweggründen. Die These, nicht die Schuld der Täter, sondern die Unschuld der Opfer sei entscheidend für die moralische Beurteilung des Holocaust und seiner Täter, ist hoch problematisch.6 Sie provoziert die Frage, welche Schuld Menschen denn auf sich hätten laden müssen, um ihre massenhafte Ermordung zu rechtfertigen. Zugleich unterstellt sie die Möglichkeit, die Täter könnten an die ideologisch konstruierte Schuld der Juden geglaubt haben. Dann wären die Juden zum Zeitpunkt ihrer Ermordung zumindest aus der Sicht ihrer Mörder tatsächlich schuldig gewesen. Diese hätten dann im, wenn auch falschen, Bewusstsein gehandelt, in den Juden Angehörigen einer Rasse gegenüber zu stehen, deren Erbanlagen sie zu unmoralischem und für das deutsche Volk existenzbedrohendem Handeln zwang. Durch ihre Vernichtung eine tödliche Gefahr vom deutschen Volk abzuwenden, sei dann nur folgerichtig gewesen. Unterstellt wird dabei, die Juden könnten Taten begangen haben, die als Sühne oder gerechte Bestrafung ihre massenhafte Vernichtung gerechtfertigt hätten. Dass sich diese Annahme im Nachhinein als bewusst ideologisch gesetzte Lüge und historische Unwahrheit herausgestellt habe, könne den Tätern, die eine Existenzbedrohung des deutschen Volkes durch rassische Kontaminierung und jüdische Weltverschwörung angenommen hätten, nicht zum Vorwurf gemacht werden. Die Annahme, die Schuld der Täter sei von der Schuld oder Unschuld ihrer Opfer abhängig. lenkt die Aufmerksamkeit von den Tätern auf ihre Beziehung zu den Opfern. Sie hält Massenmord dann für moralisch gerechtfertigt und poli6

Vgl. Garrard / Scarre ( Hg.), Moral Philosophy, S. 103–116, hier 113 – aus Geoffrey Scarre, Moral Responsibility and the Holocaust.

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tisch geboten, wenn eine ethnische oder religiöse Gruppe so viel Schuld auf sich geladen und gleichzeitig so viel Droh - und Vernichtungspotential gegenüber anderen Gruppen akkumuliert hat, dass ihre Tötung als einzig verbliebene Möglichkeit erscheint, der eigenen Vernichtung zu entgehen. Dabei wird die vollständige Vernichtung dieser Gruppe dargestellt als letztes Mittel der Abwendung existenzbedrohender Gefahr für das eigene Gemeinwesen. Es bliebe dann nur noch zu klären, ob diese Bedingungen für den Massenmord an den Juden gegeben waren bzw. ob die Täter tatsächlich im Bewusstsein gehandelt haben, bei der Vernichtung der Juden handle es sich um die legitime Reaktion auf ein solches Bedrohungsszenario. Solche den Holocaust relativierenden Argumentationen provozieren Anschlussfragen wie die folgenden : Wäre die Schuld der Täter des Holocaust geringer, hätten sich die Juden tatsächlich der ihnen zum Vorwurf gemachten oder ähnlicher Vergehen schuldig gemacht ? Und wäre ihre Schuld größer, wenn sie sich der moralischen Verwerf lichkeit ihres Handelns bewusst gewesen wären und entsprechend geringer, sollte das tatsächlich, wie von ihnen behauptet, nicht der Fall gewesen sein ? Ändert es also etwas an der Schuld der Täter des Holocaust, ob sie den Juden moralisch indifferent, mit dem schlechten Gewissen der ihnen bewussten bösen Tat oder aber mit einer aggressiven, der moralischen Berechtigung ihres Vorgehens sicheren Vernichtungsmoral begegnet sind ? Sicher nicht. Zweifellos war die nazistische Unterscheidung zwischen höher - und minderwertigen Rassen menschenverachtend, unmoralisch und kriminell. Mit der Realität jüdischen Lebens in Deutschland hatte sie nichts zu tun. Heißt das aber im Umkehrschluss, dass der Holocaust dann moralisch weniger verwerflich, unmenschlich und kriminell gewesen wäre, wenn die nationalsozialistische Ideologie mit ihrer Diagnose rassischer Minderwertigkeit und Gefährlichkeit der Juden für die nordische Rasse richtig gelegen hätte ? Auch eine solche Frage unterstellt zumindest die Möglichkeit, der nationalsozialistische Antisemitismus könne recht gehabt haben oder aber diejenigen, die ihn als Haltung verinnerlicht hatten, könnten sich mit ihrem die Vernichtung der Juden verfolgenden Rassenhass im Recht gefühlt haben. Ein besonders eindringliches Beispiel der Verdrängung aktiver Täterschaft ist der Bericht eines Traums durch Hans Frank, ehemals Generalgouverneur der besetzten polnischen Gebiete, der im November 1945 auf der Anklagebank in Nürnberg aus der Retrospektive des verlorenen Krieges und der Diskreditierung nationalsozialistischer Ideologie eine apokalyptische Vision entwickelte. In dieser Vision verschmolzen Krieg, Judenvernichtung und Bombenterror in Deutschland alle Betroffenen zu einer leidenden Menschenmasse. Seine Vision ging so : „Wir sitzen dem Gericht gegenüber. Und schweigend flutet der endlose Zug der Toten vorbei. Ohne Unterbrechung. Bleich und farblos, ohne Laut fließt der Strom des Elends im trüben gelblich - grauen Licht der Ewigkeit dahin. Sie alle, alle wogen weiter ohne Pause, in trüben Dunst gehüllt, getrieben von den Flammen der Menschheitsqual – hierhin – dorthin – hierhin – weiter und weiter, und es ist kein Ende zu sehen [...] Die Menschen, die in diesem Krieg dem

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Leben entrissen wurden, sind die grausigste Beute des Todes, der voller Hass und Zerstörungslust wütete – Jung und Alt, Wachsen und Gedeihen, Stolz und Demut [...]. Dort gehen sie – Polen, Juden, Deutsche, Russen, Amerikaner, Italiener – alle Nationen, sie bluten und schwinden dahin. Und eine Stimme schreit : Dieser Krieg muss sein, denn nur solange ich lebe kann er kommen ! Oh, was habt ihr leiden müssen, bis es vorüber war, Allmächtiger Gott !“7 Die vielschichtige Realität des Krieges und des Massenmordes an den Juden wird bei Frank zum gleichsam metaphysischen Geschehen von Tod, Elend und Krieg, das menschliches Maß, menschliche Vorstellungskraft und Verantwortung übersteigt. Zwischen Tätern und Opfern unterscheidet er dabei nicht. In der Sequenz des Traumes werden die Menschen zu Statisten einer infernalischen Inszenierung, die solche Unterschiede ebenso wenig kennt, wie religiöse, ethnische und nationale Zugehörigkeiten. Im apokalyptischen Gleichklang des Todes werden Täter und Opfer eins. Selbst die Juden, gerade noch als minderwertige Rasse einem gnadenlosen Vernichtungsprozess ausgesetzt, erscheinen nun als eine Nation unter anderen unter dem kleinsten gemeinsamen Nenner der je spezifischen nationalen Zugehörigkeit, die nun auch ihnen zugestanden wird. Hass und Zerstörungslust werden zu Attributen des Todes, der in einem apokalyptischen Entscheidungskampf mit dem Leben selbst steht. In diesem apokalyptischen Szenario werden Menschen entweder dem Leben entrissen oder aber dem Tod als Beute verweigert. Die Botschaft dieses Weltuntergangsszenarios ist klar : Im Horizont der Ewigkeit und Unermesslichkeit menschlichen Leidens versagen die Kategorien der Differenzierung menschlicher Welten. In einem gleichsam schicksalhaften Geschehen widerfährt Menschen, was sie selbst weder fassen noch beeinflussen können. Was sie sich gegenseitig antun, wird gegenstandslos angesichts der übermächtigen Schicksalsmacht, der sie alle ausnahmslos ausgeliefert sind. Historische Ereignisse werden in die Zeitlosigkeit eines unheimlichen, grauenvollen und bedrückenden Geschehens gehoben und dadurch in ihrer historischen Spezifik unkenntlich. Nur wenige Indizien deuten auf den historischen Ausgangspunkt, in dem sich am Verbluten der Nationen Weltgeschichte zur Apokalypse gesteigert hat. Nachdem alles vorüber ist, wird Gericht gehalten. Es ist die Geschichte selbst, die als Weltgericht im Angesicht des Todeszuges der Opfer Überleben zur Schuld erklärt. Nicht Schuldige werden benannt, sondern die Täter eingereiht in ein Geschehen, das Schuldige und Unschuldige nicht kennt. Wenn es eine Schuld gibt, dann die gemeinsame Schuld der Lebenden, ein solches Grauen überlebt zu haben, gleichgültig, ob sie an der Tötung der Opfer beteiligt waren oder aber auf der Seite der Opfer zufällig die für sie vorgesehene Vernichtung überlebt haben. Nicht die Nationalsozialisten haben in dieser Rhetorik gewütet, sondern der Tod, der ewige Gleichmacher, hat Juden wie Deutsche gleichermaßen aus dem Leben gerissen. Das Leiden einzelner

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Gilbert, Tagebuch, S. 50 – zu Hans Frank vgl. Schenk, Hans Frank.

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Menschen aus Fleisch und Blut wird zur Qual der Menschheit erklärt, die nur Gott allein, allmächtig und unerforschlich in seinem Tun, zu verantworten habe. Die Ernsthaftigkeit von Franks vermeintlichen Gewissensqualen ist von Gilbert, der als Gerichtspsychologe beim Nürnberger Prozess mit ihm zu tun hatte, mit guten Argumenten bezweifelt worden. Als „Schausteller des Gewissens“ habe sich Frank in die „Dramatisierung seiner Scham“8 gesteigert, ohne wirkliche Scham und Trauer über seine Taten zu empfinden. Gilberts Skepsis wird bestätigt durch Frank selbst, der sich nach dem Bericht seiner Traumsequenz bei ihm vergewisserte, dass sein Bericht den gewünschten Eindruck eines ernsthaft um Verstehen Bemühten, vom Ausmaß des Geschehens überwältigten Menschen macht, der ohne eigene Schuld in den Sog apokalyptischer Ereignisse geraten ist. „Ich denke, es macht den Richtern wirklich Eindruck, wenn einer von uns ehrlich und offen ist und nicht versucht, die Verantwortung abzuschieben. Glauben Sie nicht ? Ich war wirklich erfreut darüber, wie meine Aufrichtigkeit sie beeindruckte.“9 Nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus mussten politische Aktivisten des Nationalsozialismus damit rechnen, als Verbrecher behandelt zu werden. Ihre retrospektive Behauptung einer inneren Distanz zum System, in dem sie verlässlich funktioniert hatten, zielte auf ihre Entlastung von persönlicher Schuld und Verantwortung für Verbrechen, die sie initiiert, begangen oder stillschweigend geduldet hatten. Persönliche Verantwortung bestritten sie nun u. a. durch die geschichtsphilosophische Distanzierung und Dramatisierung historischer Ereignisse. Über ihre eigene Beteiligung am Massenmord redeten sie „nach dem Krieg wie über etwas Schicksalhaftes, das ihnen zugestoßen war, und nicht wie über etwas, dass sie anderen zugefügt hatten. Es war, als wären sie willenlos gewesen, hätten nie Entscheidungen getroffen und niemals für ihre Handlungen Verantwortung gehabt. Sie redeten, als wären auch sie Opfer gewesen. In Wirklichkeit hatten sie selbstverständlich Wahlmöglichkeiten gehabt und Entscheidungen getroffen. Verteilt über einen längeren Zeitraum mochte sich unspektakulär das eine aus dem anderen ergeben haben, so dass die Täter, wie von ihnen häufig behauptet, vielleicht tatsächlich keinen speziellen Wendepunkt bemerkt hatten.“10 Das kann ihnen schon deshalb zugestanden werden, weil es einen solchen Wendepunkt von der unauffälligen Normalität routinierter Verrichtungen von Amts oder Berufs wegen zum spektakulären Verbrechen tatsächlich nicht zwingend gab, vielmehr die zuverlässige Aufrechterhaltung dieser Routinen häufig ausreichte, um die Tötungsmaschinerie am Laufen zu halten.

8 Gruen, Fremde, S. 112. 9 Gilbert, Tagebuch, S. 269. 10 Browning, Weg, S. 124 f.

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Moral nach Auschwitz

Überlegungen zu einer Moral nach Auschwitz konzentrieren sich auf die Frage, wie die Erfahrung des Holocaust das normative Selbstverständnis des Westens verändert hat, häufig zugespitzt zu der Alternative, ob der Holocaust historisch - politisch erklärbare Ausnahme und Bruch oder Konsequenz und destruktive Kehrseite des westlichen Werte - und Gesellschaftssystems war.11 Hat die Shoah die Annahme eines auch unter Krisenbedingungen verlässlichen Netzes gegenseitiger moralischer Verpflichtungen widerlegt ? War der Holocaust eine historisch - politisch erklärbare Ausnahme von einer im Prinzip noch immer verlässlichen moralischen Grundordnung menschlichen Zusammenlebens oder aber die Konsequenz der destruktiven Kehrseite des westlichen Werte - und Gesellschaftssystems bzw. einer „janusgesichtigen Moderne“ ( Bauman ) ? Fraglich ist zunächst, ob sich klassische ethische Theorien überhaupt auf extreme Ereignisse wie den Holocaust anwenden lassen, deren Möglichkeit zur Zeit ihrer Formulierung nicht absehbar war, und die deshalb auch nicht in die systematische Begründung solcher Theorien und die Diskussion als moralisch oder unmoralisch herausgestellter Praktiken eingehen konnten.12 Reichen die von diesen Theorien entwickelten moralischen Standards, Urteile und Begründungen aus, um den Holocaust in seiner moralisch - ethischen Dimension zu begreifen ? Häufig hat das Festhalten an einem moralphilosophischen Universalismus nach der Erfahrung des Holocaust mit negativen Kategorien des Mangels oder Verlustes operiert, um auch nach seinem Scheitern dieses Wertesystem im Prinzip aufrechterhalten zu können. Ein Beispiel dafür ist Jaspers’ Beschwörung einer Solidarität der menschlichen Gattung auch nach ihrer partikularistischen Aufkündigung durch die selektive Rassenmoral des Nationalsozialismus. Für das Versagen menschlicher Gattungssolidarität hat Jaspers den Begriff „metaphysische Schuld“ geprägt : „Metaphysische Schuld ist der Mangel an der absoluten Solidarität mit dem Menschen als Menschen.“13 Ebenso wie diese Solidarität universell sein müsse, sei die Schuld, sie verweigert zu haben, absolut. Eine das Leiden und Sterben der Opfer im Nachhinein durch die Reue der Täter ausgleichende Gerechtigkeit ist angesichts der Ungeheuerlichkeit ihrer Schuld weder als ihre angemessene Bestrafung noch als Sühne oder Vergebung möglich. Ohnehin hat es diese Reue faktisch nicht gegeben. Die Philosophie fragt nach der kulturellen Bedeutung des Holocaust für die menschliche Zivilisation, danach also, was die systematische Vernichtung einer nach rassenideologischen Kriterien definierten Opfergruppe für das Verständnis des Menschen und seiner kulturellen Prägungen bedeutet. Auf welche Weise also betrifft der Holocaust das westliche Wertesystem von Humanismus und Universalismus, von Bürger - und Menschenrechten, von Toleranz und Pluralismus ? Hat der Massenmord an den Juden gezeigt, dass der politische Humanis11 Vgl. dazu Bauman, Dialektik. 12 Vgl. Lang, Philosophy’s Contribution, S. 6 f. 13 Jaspers, Schuldfrage, 64 f.

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mus und moralische Universalismus des Westens zu schwach waren, um sich erfolgreich gegen ihre Bedrohung zu wehren ? Oder ist im Holocaust die destruktive Kehrseite von Aufklärung und Moderne sichtbar geworden, die sich zur politischen Pragmatik der Vernichtung radikalisiert hat ?14 Rationalitätstheoretisch wird der Holocaust entweder als radikale Aufkündigung des westlichen Wertesystems oder aber als innere Konsequenz in ihm angelegter destruktiver Entwicklungen gesehen, die in normalen Zeiten kulturell marginalisiert oder unterdrückt wurden. Schon Primo Levi fragte, ob Auschwitz eine irrationale Entgleisung neuzeitlicher Rationalität oder deren logische destruktive Konsequenz war. „Haben wir der rationalen Durchführung eines unmenschlichen Plans beigewohnt oder einem [...] Ausbruch kollektiven Wahnsinns ? Einer Logik, die das Böse wollte, oder dem Nichtvorhandensein von Logik.“15 Behauptet wurde, die Differenz von nationalsozialistischer zu westlicher Ethik lasse sich nicht auf der Ebene moralischer Prinzipien bestimmen, sondern nur mit Blick auf die zur Begründung dieser Prinzipen angeführten empirischen Fakten. Nicht das moralische Prinzip, die Tötung von Menschen im Ausnahmezustand der Existenzbedrohung der eigenen Gemeinschaft zu erlauben, sei spezifisch für die nationalsozialistische Ethik, sondern die ideologische Behauptung, die durch ihre rassische Natur geprägten Juden stellten eine solche Bedrohung dar, was ihre prophylaktische Tötung rechtfertige.16 Mit der Annahme der Kultur als „eines human prägenden, prä - und antisoziale Triebe bändigenden zivilisatorischen Korsetts“17 wurde der Nationalsozialismus als durch Demagogie und Terror forcierte pathologische Abweichung von der Moderne interpretiert, die in ihm ihre destruktive Kehrseite zur Geltung gebracht habe, ohne das normative Selbstverständnis und die Realität westlicher Gesellschaften infrage zu stellen. Wäre nicht zu ihrer ersten Natur der Aggressionen, Triebe und Instinkte im Verlaufe der Menschheitsentwicklung eine zweite, eigentlich menschliche Humannatur hinzugekommen, so würden sich die Menschen immer noch uneingeschränkt aggressiv, triebhaft und instinktgeleitet verhalten. In der Annahme menschlichen Handelns als Vollzug innerer Dispositionen bleibt die archaische Vorgeschichte des Menschen als Bedrohung von Moral, Kultur und Humanität durch immer mögliche eruptive Ausbrüche dieser menschlichen Triebnatur präsent. Aus der sicheren Distanz der moralischen Überlegenheit wird der Nationalsozialismus zum historisch politisch erklärbaren Bruch mit ihrem Wertesystem erklärt, an dessen fortgesetzter Geltung kein Zweifel besteht. Ideologische Substitute moralischer Werte und pathologische Täter wurden dafür verantwortlich gemacht, dass der universelle Geltungsanspruch einer im Prinzip von allen geteilten Moral zeitweise für Deutschland außer Kraft gesetzt war.

14 15 16 17

Zum Stand der Debatte vgl. Bavaj, Ambivalenz. Levi, Untergegangene, S. 109. Vgl. Scarre, Understanding, S. 429. Bauman, Dialektik, S. 18.

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Die nazistische Ethik habe zur Begründung ihrer staatlichen Vernichtungspolitik minderwertigen Lebens auf Denkfiguren westlicher Ethik zurückgegriffen.18 Zugleich habe die Zerstörung bürgerlicher Moral und Vernunft den Anschluss des Nationalsozialismus an bereits bestehende Mentalitäten, Denk und Vorurteilsmuster ermöglicht. Durch eine Logik des Verdachts gegen universelle Werte und Ideen ( Plessner ) sei die bürgerliche Vernunft moralisch diskreditiert und ihre Ersetzung durch eine partikulare Rassenmoral vorbereitet worden. Gegen verspätete und fehl gelaufene deutsche Entwicklungen habe der klassische deutsche Idealismus die antizipatorische Spannung einer weltgeschichtlichen Mission der Deutschen gesetzt und dadurch den Erlösungsantisemitismus und - rassismus der Nazis geistig vorbereitet.19 In der neueren Literatur hat vor allem Hermann Schmitz den Nationalsozialismus in eine ideengeschichtliche Kontinuität als Konsequenz der Fehlentwicklungen des „abendländischen Geistes“ gestellt.20 Dagegen hatte Hannah Arendt den Nationalsozialismus als Gegenentwurf zum „moralischen Gefüge der westlichen Welt“21 gesehen. Das sozialwissenschaftlich - soziologische Pendant dieser ideengeschichtlichen Argumentation erklärt die technologischen Errungenschaften der Industriegesellschaft und die organisatorische Effizienz ihrer Bürokratie zur Ermöglichungsbedingung des Holocaust. Moderne Selbstermächtigungsphantasien sozialer und naturwissenschaftlicher Endlösungen menschheitlicher Probleme hätten sich im Nationalsozialismus zur komplementären Politik der Vernichtung minderwertiger und der Aufartung höherwertiger Rassen radikalisiert.22 „Aus der Beamtenschaft gewann das hierarchische System das Organisationstalent und die bürokratische Gründlichkeit. Vom Militär übernahm die Vernichtungsmaschinerie Präzision, Disziplin und die Affektlosigkeit. Der Einfluss der Industrie machte sich in der Betonung von genauer Buchführung, Wirtschaftlichkeit und optimaler Verwertung sowie in der industriellen Effizienz der Todeslager bemerkbar. Die Partei schließlich durchtränkte den gesamten Apparat mit Idealismus, Sendungsbewusstsein und einem Gefühl historischer Bedeutung.“23 Deshalb habe Auschwitz keinen Bruch der Moderne markiert, sondern die pathologische Mobilisierung immanenter Destruktivkräfte der westlichen Moderne.24 Götz Aly und Susanne Heim sahen im Holocaust „die Abgründe eines planenden, praxisorientierten Rationalismus“ am Werk, „der von sich aus dazu tendiert, moralische Bindungen abzuschütteln, und dafür im Nationalsozialismus 18 19 20 21 22 23 24

Vgl. Haas, Morality, S. 1–9. Vgl. Lukacs, Kritik, S. 226 f. Vgl. Schmitz, Hitler. Arendt, Besuch, S. 23. Vgl. dazu Bauman, Moderne. Kuper, Genocide – zit. bei Bauman, Dialektik, S. 27. Zur Ambivalenz der Moderne im Anschluss an Weber vgl. Peukert, Diagnose S. 69 und generell Bauman, Moderne.

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ideale Bedingungen fand“.25 Für sie war der Holocaust als „staatlich gesteuerte Massenvernichtung von Menschen“26 Teil einer bevölkerungspolitischen Großraumplanung, während Heidegger ihn als Alternative zu den Auflösungserscheinungen der Moderne begrüßt und in seiner Vorlesung zur „Einführung in die Metaphysik“ aus dem Jahre 1935 geschrieben hatte : „Der geistige Verfall der Erde ist so weit fortgeschritten, dass die Völker die letzte geistige Kraft zu verlieren drohen, die es ermöglicht, den ( in Bezug auf das Schicksal des Seins gemeinten ) Verfall auch nur zu sehen [...] Gerade wenn die große Entscheidung über Europa nicht auf dem Wege der Vernichtung fallen soll, dann kann sie nur fallen durch die Entfaltung neuer geschichtlich geistiger Kräfte aus der Mitte.“27 Das Schicksal Europas, das in der Hand der Deutschen liege, werde sich dadurch entscheiden, ob es den Deutschen gelinge, eine der technischen und ökonomischen Mobilisierung überlegene eigene Variante völkischer Mobilisierung zu behaupten. Noch sei „das geistige Schicksal des Abendlandes“ nicht entschieden und Zeit noch nicht auf „Schnelligkeit, Augenblicklichkeit und Gleichzeitigkeit“28 reduziert. In einer durch die Erfahrung des Holocaust inspirierten negativen Anthropologie wurde das Böse als der innere Trieb des Menschen bestimmt, anderen Menschen Leid zuzufügen. Auf ihr Gefühl der Machtlosigkeit und des Ausgeliefertseins an von ihnen nicht selbst gewählte Umstände würden Menschen, wann immer sich ihnen die Gelegenheit dazu biete, mit einem übersteigerten Willen zur Macht reagieren – mit dem Versuch also, sich anderer rückhaltlos zu bemächtigen. Die Mehrheit der Menschen sei für geistige Werte nicht empfänglich und komme ohne sie aus. Jeder universelle Idealismus führe zu Menschenverachtung und Menschenhass, indem er der Leitidee folge, dass nicht der Mensch als solcher Liebe, Respekt und die Anerkennung seiner Würde verdiene, sondern nur die Menschheit in ihm – er, soweit er Träger einer universellen Idee oder eines für absolut erklärten Wertes sei.29 Die nationalsozialistische Anthropologie habe die Menschen darauf reduziert, entweder als Angehörige der nordischen Rasse universellen Ideen zur Durchsetzung zu verhelfen oder aber ihnen als rassisch minderwertig im Wege zu stehen. Da die jüdische Rasse aus ihrer Sicht konstitutiv unfähig sei, sich für höhere Ideen einzusetzen, habe sie im Interesse der Durchsetzung dieser Ideen beseitigt werden müssen. Nazismus und Holocaust haben auch theologische Debatten über die Rolle Gottes als moralischem Gesetzgeber und Letztinstanz einer moralischen Ordnung ausgelöst. Dabei wurde u. a. unter Bezug auf die von Gott geschenkte Freiheit, zwischen Gut und Böse zu wählen, die Frage aufgeworfen, ob dadurch Gott für die Entscheidung von Menschen für das Böse verantwortlich sei, also 25 26 27 28 29

Aly, Heim, Vordenker, S. 19. Ebd., S.10. Heidegger, Einführung, S. 29. Ebd. S. 28 f. Vgl. Bemporad / Pawlikowski / Sievers ( Hg.), Good, S. 93–108, hier 97–105 – aus Emilio Baccarini, Between Will to Power and Dereliction : Speaking of Man after the Shoah.

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für ihre offensichtliche Unfähigkeit, diese Freiheit moralisch verantwortlich zu gebrauchen. Auch die Annahme, dass das Gute wie das Böse von Gott komme, sei letztlich unbefriedigend. Warum sollte Gott das Böse, das er in seiner Allmächtigkeit hätte verhindern können, zugelassen haben ? Plausibler sei die Schlussfolgerung, dass Gott in der Tat nicht mehr allmächtig sei und deshalb auf die Mitwirkung des Menschen angewiesen sei, um gegen das Böse vorzugehen. „Ist Gott allmächtig und allwissend, so kann er nicht gerecht sein, weil er gemäß seiner eigenen moralischen Maßstäbe die Shoah hätte verhindern müssen, es aber nicht tat; [...] Ist er gerecht, so kann er nicht allmächtig sein, denn wäre er es, so hätte er die Shoah verhindert.“30 Im Unterschied dazu gehe der jüdische Fundamentalismus davon aus, dass Gott, weil er absolut gut und gerecht sei, nicht Ursache des äußersten Bösen sein könne. „Gott zieht sich aus der Welt zurück, um dem freien Willen Handlungsfreiheit zu geben, und der freie Wille eröffnet die Möglichkeit, das Böse zu wählen.“31 Der Holocaust habe die Hybris uneingeschränkter menschlicher Freiheit gezeigt, die nicht länger durch religiöse und moralische Regeln in der Balance gehalten wurde. Dem müsse die Verletzlichkeit des Menschen, der selbst Teil der Schöpfung ist und sich deshalb in seinen Bemächtigungsphantasien zurückhalten sollte, als angemessene theologische Antwort auf den Holocaust entgegengesetzt werden.32 Nach der Shoah wurde die Anerkennung der Fragilität des Menschen ethischer Imperativ und moralisches Gebot. Eine Ethik nach dem Holocaust müsse es Menschen selbst überlassen, eine für sie und ihre Erfahrungen, Intuitionen und Weltsichten stimmige moralische Haltung zu entwickeln, um in moralisch relevanten Situationen eigene Entscheidungen zu treffen und auch zu verantworten.33 Trotz unterschiedlicher Erfahrungen, Weltsichten und kultureller Präferenzen können Menschen sich miteinander verständigen. Auch wenn ihre Lebensumstände ebenso wie das ihnen jeweils fraglos kulturell Selbstverständliche verschieden sind, müssen sie sich doch in ihrem Leben mit ähnlichen existentiellen Problemen auseinandersetzen. Neben dem, was sie trennt und voneinander unterscheidet, gibt es auch ein übergreifend Gemeinsames geteilten Menschseins. Mitmenschliche Affinität in der Verschiedenheit menschlicher Lebensformen scheint als interkulturelle Habitusform ausbalancierter Gegenseitigkeit möglich.34 Diskutiert wird auch der Zusammenhang zwischen der Zugehörigkeit zu einer Wertegemeinschaft und der Möglichkeit, für sich die Geltung moralischer Werte in Anspruch zu nehmen. Der Holocaust habe gezeigt, dass Menschen nur als Angehörige eines politischen Gemeinwesens Rechte hätten, deren sie sich auch sicher sein könnten. Die etwa von Zygmunt Bauman beschworene gegen30 Bauer, Seite, S. 235. 31 Ebd., S. 248. 32 Vgl. Bemporad / Pawlikowski / Sievers ( Hg.), Good, S. 54 f. und 60 f. – aus John T. Pawlikowski, God : The Foundational Ethical Question after the Holocaust. 33 Vgl. ebd., S. 109–118, hier 116 f. – aus Haas, Ethics. 34 Vgl. Kaplan, Conscience, S. 14.

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seitige moralische Verpflichtung aller Menschen sei dagegen nichts anderes, als ein sentimentaler, jedoch ohnmächtiger Wunsch der Menschen, von anderen in ihrem Menschsein respektiert zu werden. Es sei eine tödliche Illusion der europäischen Juden gewesen zu meinen, sie lebten im gleichen moralischen Universum wie die Täter. Ihre Vernichtung habe bewiesen, dass es keine natürlichen mitmenschlichen Intuitionen gebe, sondern nur Varianten kulturell spezifischer Differenzierung von Menschen, über deren Zugehörigkeit zu moralischen Gemeinschaften in unterschiedlichen ideologischen, ethnischen, religiösen und anderen Begründungen entschieden werde. Daraus wurde die paradoxe Schlussfolgerung abgeleitet, dass in Auschwitz eigentlich keine Verbrechen begangen worden seien, da die Opfer des Holocaust keinem politischen Gemeinwesen angehörten, weshalb sie von vornherein auch keine Rechte gehabt hätten, die hätten verletzt werden können. Auf die Konsequenzen der Rechtlosigkeit Staatenloser hat Hannah Arendt verwiesen : „Ihre [...] Weltlosigkeit ist wie eine Aufforderung zum Mord, insofern der Tod von Menschen, die außerhalb aller weltlichen Bezüge rechtlicher, sozialer und politischer Art stehen, ohne jede Konsequenzen für die Überlebende bleibt. Wenn man sie mordet, ist es, als sei niemandem ein Unrecht oder auch nur ein Leid geschehen.“35 Sensibilität für die Vielschichtigkeit von Identität und die aus ihrer Komplexität möglichen Loyalitätskonflikte zwischen einzelnen ihrer Elemente ist eine der wichtigsten Bedingungen einer Ethik nach dem Holocaust, die u. a. danach fragt, ob wir zuerst Angehörige einer Nation oder ethnischen Gruppe sind, der wir uns vor allem verpflichtet fühlen, oder aber zunächst einmal Menschen und „Kinder Gottes“ ? Wem gehört unsere Loyalität ? Welcher Gruppe fühlen wir uns zugehörig, wenn die unproblematische Balance verschiedener Zugehörigkeiten in einer sie alle zur stimmigen Biographie integrierenden Identität nicht mehr funktioniert ? Die Beantwortung dieser Frage entscheidet, was die Existenz des Anderen für unsere eigene Identität bedeutet. Wir können sie als Bedrohung unserer eigenen Lebensform empfinden, die fragile kulturelle Arrangements und Kompromisse fragwürdig erscheinen lässt. Diese Seite ist von Horkheimer und Adorno in ihrer diffusen Bedrohlichkeit prägnant beschrieben worden : „Die bloße Existenz des Anderen ist das Ärgernis. Jeder andere macht sich breit und muss in seine Schranken verwiesen werden, die des schrankenlosen Grauens. Was Unterschlupf sucht, soll ihn nicht finden; [...] Was einer fürchtet, wird ihm angetan. [...] Getilgt soll werden, was bloß vegetieren will.“36 Die Annahme, alle Menschen seien gleich – gleich vor Gott, aber auch in ihrem Anspruch auf ein erfülltes Leben und die Anerkennung ihrer Würde und anderer elementarer Rechte, nimmt mit der Metapher vom menschlichen Antlitz Bezug auf die menschlichen Sinne, denen zugetraut wird, aus der Vielfalt sinnlich wahrnehmbarer Erscheinungsformen des Menschseins das ihnen Gemeinsame bzw. in seiner symbolischen Bedeutung auf ein Gemeinsames Verweisende 35 Arendt, Elemente, S. 470. 36 Horkheimer / Adorno, Dialektik, S. 164.

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zu identifizieren. Das menschliche Antlitz wird damit gerade durch seine Verschiedenheit als Verweisungshorizont gemeinsamen Menschseins herausgestellt. Nicht zufällig wurde es von der nazistischen Rassenideologie als Quelle der Täuschung herausgestellt und im Gegenzug von Levinas als Ort unbedingter, nicht auf Gegenseitigkeit verpflichteter Zuwendung zum Anderen benannt. „Der Andere erscheint mir in seinem Gesicht weder als Hindernis noch als Bedrohung, die ich abschätze, sondern als das, was mich misst.“37 Levinas hat die Verantwortung und den asymmetrischen Bezug auf den Anderen, von dem ich nichts erwarte, der aber alles von mir erwarten kann, als essentielle Struktur einer ethischen Haltung herausgearbeitet, die in der Unverletzlichkeit und Heiligkeit des Anderen gründe. Diese Bestimmung bestreitet die Möglichkeit einer klaren Trennung der dunklen Welt des Bösen und der lichten Welt des Guten, durch die Zivilisation und Barbarei als Extreme gegenüber gestellt werden, zwischen denen es fließende Übergänge, gegenseitige Irritationen und Berührungspunkte nicht gibt. Im Anschluss an Levinas hat Bauman in seinen Überlegungen zu einer postmodernen Ethik moralische Haltung als eine Einstellung herausgearbeitet, die das Verhältnis zu anderen programmatisch als nicht - symmetrisch bestimme : Unabhängig „von dessen Vergangenheit oder Gegenwart und von erhoffter oder antizipierter [...] Gegenseitigkeit“38 in einer gerade nicht ausbalancierten Beziehung werde der Andere allein um seiner selbst willen als solcher respektiert. „Die Pflicht des einen ist nicht das Recht des anderen“,39 und eine moralische Haltung ist gerade nicht auf der vagen Erwartung von Reziprozität gegründet, sondern ich bin für den Anderen da, unabhängig davon, ob er für mich da ist oder nicht. Aus meiner eigenen radikal moralischen Perspektive der rückhaltlosen Sorge für den Anderen ist dessen Zuwendung zufällig und für meine eigene Haltung ihm gegenüber irrelevant. Nicht aus kalkuliertem Interesse wende ich mich dem Anderen zu, sondern um einer Nähe willen, die „weder überbrückte Distanz ist noch Distanz, die nach Überbrückung verlangt“.40 Als Chance einer Transzendenz des Seins erhebe ich mich in der moralischen Haltung über die Tatsachen des Seins. Dabei stehe ich dem Anderen nicht als Person gegenüber in einer Maske, die uns gegenseitig in unseren eingenommenen Rollen erkennbar macht, sondern als Antlitz, „das mir durch seinen Gegensatz widersteht und nicht [...] durch seinen Widerstand gegenübersteht“.41 Nicht obwohl, sondern weil die Menschen verschieden sind, muss ihnen gleiche Würde und Wert zugestanden werden. In ihrem Menschsein werden Menschen nicht danach beurteilt, wie leistungs - oder durchsetzungsfähig sie in der Konkurrenz mit anderen Menschen sind oder wie sie nach sozialen, ästhetischen, kulturellen oder anderen Kriterien im Vergleich mit andere abschnei37 38 39 40 41

Levinas, Spur, S. 203. Bauman, Ethik, S. 79 Ebd., S. 90. Ebd., S. 135. Levinas zit. bei Bauman, Ethik, S. 114.

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den. Vielmehr wird ihnen allen in ihrer nicht als besser oder schlechter, sondern einfach als unterschiedlich stehen gelassenen Eigenart menschliche Würde und das Recht auf gleiche Lebenschancen zugestanden. Menschen sind sich gleich in ihrem Anspruch, ein für sie stimmiges Leben zu führen. Die Anerkennung einer Vielfalt unterschiedlicher Lebensentwürfe sieht diese nicht länger als provozierende Gefährdung oder Herausforderung der eigenen Kultur und Lebensweise. Die keine Bedingungen setzende Zuwendung zum Anderen akzeptiert dessen individuelle Einzigartigkeit, ohne ihn daran zu messen, ob sein ganz persönlicher Lebensentwurf und seine lebensweltlichen Prioritäten am angenommenen normativen Maßstab dessen, was als Menschsein gelten soll, legitim sind oder nicht. Nach der Diskreditierung der als fraglos selbstverständlich unterstellten Annahme, eine humanistische Ethik ließe sich aus der gemeinsamen Zugehörigkeit zur menschlichen Gattung und daraus erwachsenden gegenseitigen Verpflichtungen begründen, wurden Ansätze eines neuen Humanismus entwickelt, der das alltägliche Zusammenleben der Menschen als Ressource moralischen Verhaltens hervorhebt. Dieser Humanismus geht von der spezifischen Eigenart unterschiedlicher Gemeinschaften aus, die sich unter Verzicht auf gegenseitige Diskriminierung und Hierarchisierung gegenseitig als gleichwertig anerkennen. Die Naziethik habe nicht einfach Traditionen westlicher Ethik fortgesetzt oder auf problematische Weise rassenbiologisch verengt, sondern in ihr Gegenteil verkehrt und pervertiert. Ein authentischer ethischer Diskurs müsse offen sein für andere religiöse und ethische Traditionen. Für eine Ethik nach Auschwitz hieße das, fundamentale ethische und religiöse Erfahrungen in anderen kulturellen Kontexten zu identifizieren, deren Universalisierungspotential die eigenen kulturellen und historischen Entstehungskontexte und Wirkungsbedingungen transzendiert. Die Geltungsgründe einer Ethik gewinnen ihre Plausibilität aus dem spezifischen religiös - kulturellen Kontext einer Gemeinschaft, in der bestimmte Haltungen und Werte als moralisch ausgezeichnet, andere dagegen als unmoralisch diskreditiert werden. Dennoch kann der universelle Wert einer Ethik nicht allein aus dem Zusammenhang der Gemeinschaft, in der sie Geltung hat, entwickelt und begründet werden. Der universelle Geltungsanspruch moralischer Werte schließlich behauptet ihre kulturübergreifende Relevanz auch für andere Wertegemeinschaften, die mit vergleichbaren Geltungsansprüchen auftreten.42 In der Offenlegung der eigenen moralischen Binnenperspektive muss der Anschluss an andere Gemeinschaften hergestellt werden, um aus der Thematisierung als fraglos selbstverständlich unterstellter Geltungsgründe der eigenen moralischen Ordnung kommunizieren zu können, was im jeweils spezifischen

42 Zur Debatte vgl. u. a. Fackenheim, God’s Presence; Rubenstein, Auschwitz und Bauman, Ethik.

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religiös - kulturellen Kontext konkreter Gemeinschaften als moralisch oder unmoralisch gelten soll.43 Von besonderer Bedeutung in der modernen Ethikdebatte ist die Auseinandersetzung zwischen Universalismus und moralischem Relativismus in ihrer Anwendung auf den Nationalsozialismus. Eine der eindringlichsten Versuche, die Erfahrung des Holocaust moralphilosophisch zu verarbeiten, ist die Weigerung, den ideologisch begründeten Massenmord an den Juden als faktische Widerlegung des anthropologischen und ethischen Universalismus zu interpretieren. Gegen seine ideologische Diskreditierung durch die partikularistische Rassenethik der selektiven Zuschreibung oder Absprechung moralischer Qualitäten je nach rassischer Zugehörigkeit wurde der vernunftphilosophische Universalismus erneuert als Verantwortung, die jeder Mensch ohne Vorbedingungen und Einschränkungen für seine Mitmenschen hat. Die Annahme des gleichen moralischen Status aller sieht in jedem Menschen ein „moralisch zu achtendes und moralischer Haltung fähiges Wesen“.44 Rolf Zimmermann hat den Nationalsozialismus als Projekt der moralischen Transformation des Menschen und den Ausschluss der Juden aus der menschlichen Gattung als „Gattungsnegativismus“45 beschrieben. Gegen einen an Kant orientierten Gattungstraditionalismus plädiert er für einen „historischen Universalismus“, der allein ein geschichtliches Verständnis von Moral ermögliche, das sich reflexiv gegen andere Moralauffassungen zur Geltung bringen könne.46

3.

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Das Verständnis der Moral als einer eigenen Handlungsart kann sich am Maßstab einer Rationalität des Außeralltäglichen verselbständigen zu einer Kultur der guten Absichten und höheren Zwecke, der gegenüber die Mittel zur Durchsetzung dieser Zwecke, wenn sie denn zum Erfolg führen, immer schon gerechtfertigt sind. Als ideologisch spezifischen „Diktaturen der Moral“ ist totalitären Gesellschaften die Aufladung politischen Handelns mit moralischen Bedeutungen gemeinsam. Hermann Lübbe hat betont, dass die moralische Verfassung totalitärer Öffentlichkeit „weder heuchlerisch noch zynisch“, sondern „gesinnungsgeprägt“ und in ihrer „ideologischen Wirklichkeitsorientierung“ durch intensive moralische Reflexion gekennzeichnet sei.47 Es sei äußerst unwahrscheinlich, dass die Täter moralische indifferent gegenüber den Zwecken ihrer Taten gewesen seien. Vielmehr hätten auch die Mitläufer im Interesse ihrer 43 Vgl. Bemporad / Pawlikowski / Sievers ( Hg.), Good, S. 119–137 – aus Didier Pollefeyt, The Morality of Auschwitz ? A Critical Confrontation with Peter J. Haas’ Ethical Interpretation of the Holocaust. 44 Zimmermann, Universalismus, S. 419. 45 Zimmermann, Moral, S. 35. 46 Vgl. Zimmermann, Philosophie, S. 61. 47 Lübbe, Moralismus, S. 16 f.

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moralischen Identität an das glauben müssen, dem sie zunächst lediglich opportunistisch nicht widersprochen hatten.48 Im Anschluss an Heines Beschreibung des moralischen Fanatismus in seiner „Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“ beschrieb Lübbe die nationalsozialistischen Täter als Menschen mit einem „fanatischen Willen, der weder durch Furcht noch durch Eigennutz sich an der Exekution gemeinsinntranszendenter politischer Heilsphilosophie hindern“49 ließ. Insbesondere die Aktivisten totalitärer Bewegungen handelten aus dem Ethos des moralischen Aufbruchs. „Die Bewegungen des 20. Jahrhunderts [...] legitimieren sich ethisch : durch die Erbärmlichkeit des herrschenden Systems, durch den Groll, der sich in den Besten aufgeladen hat, durch die Schmach, die abgeschüttelt werden soll, durch den Zorn der Jugend und durch die Ehre des Kampfs, den sie führen. [...] Sie appellieren [...] an einen bestimmten ethischen Typus, an die Wachen, Kämpferischen, Jungen, Gläubigen in allen Schichten und Lagern.“50 In totalitären Systemen verstehen sich Konformismus und Opportunismus von selbst und bedürfen keiner besonderen Begründung. Um sich systemkonform zu verhalten genügt es, das Naheliegende zu tun. Das muss nicht als Einengung persönlicher Freiheit empfunden werden. Je mehr das, was Menschen abverlangt wird, ihrer vermeintlich freien Entscheidung entspringt, umso wahrscheinlicher ist ihre Zustimmung. Es ist unwahrscheinlich, dass sich Menschen unter Bedingungen politischer Repression, ideologischer Indoktrinierung und der Umkehrung und Deformierung des traditionellen Wertesystems die Unabhängigkeit ihres moralischen Urteils bewahren. An die Stelle des Gewissens als der inneren Zwiesprache mit sich selbst, die Menschen mit ihrem Selbstbild konfrontiert, treten im politischen und moralischen Ausnahmezustand totalitärer Gesellschaften Gesetzestreue, Pflichterfüllung und Gehorsam gegenüber den erteilten Befehlen. In der Rhetorik der ethischen Rechtfertigung nationalsozialistischer Vernichtungspolitik spielte die Berufung auf ihr Gewissen, dass etwa die Rassenkrieger der SS leite, eine herausragende Rolle, häufig auch in expliziter Abgrenzung vom gewissenlosen Terrorregime der Bolschewiki. So hieß es bei Himmler : „Die Kontrolle darf bei uns nicht und niemals – wie in Russland – der Kommissar sein. Der einzige Kommissar den wir haben, muss das eigene Gewissen sein, die Pflichttreue, die Treue, der Gehorsam.“51 Wenn Menschen für sich exklusiv in Anspruch nehmen, was sie anderen Menschen ausdrücklich als Recht absprechen, kann das der Beginn einer hierarchischen Ordnung hoch - und minderwertigen Menschseins sein. Dieser ethische Gründungsakt totalitärer Systeme spricht Angehörigen einer als minderwertig definierten Gruppe die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft moralischer 48 49 50 51

Vgl ebd., S. 9–11. Ebd., S. 51. Freyer, Selbstbewusstsein, S. 12. Rede des Reichsführer - SS bei der SS - Gruppenführertagung in Posen am 4.10.1943 – http ://www.nationalsozialismus.de / dokumente / heinrich - himmler - posener - rede- vom 04–10–1943–volltext /.

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Wesen ab. Mit ihrer ideologischen Stigmatisierung sind diese tatsächlich abgeschrieben. Totalitäre Systeme setzen ihre Definitionshoheit moralischer Fragen rigoros durch und bewerten Menschen unabhängig von ihren Handlungen und Haltungen als moralisch oder unmoralisch je nachdem, ob sie der Gemeinschaft angehören, in der über die Kriterien, Reichweite und Geltungsbedingungen moralischer Werte entschieden wird. Unabhängig von ihren individuellen Eigenschaften, Präferenzen und persönlichen Überzeugungen, auch unabhängig von ihrem tatsächlichen Handeln und Verhalten werden sie als hoch - oder minderwertig, brauchbar oder überflüssig, förderungswürdig oder lebensunwert beurteilt und entsprechend behandelt. Die nach rassen - oder klassentheoretischen, biologischen oder sozialen, religiösen oder kulturellen Kriterien der Zugehörigkeit vorgenommene Differenzierung von Menschen als höher - oder minderwertig sah von ihren individuellen Merkmalen ab. Nicht ihre Überzeugungen und Gefühle, ihr Wissen und ihre Fähigkeiten entschieden über ihre moralische Qualität, sondern ihre Rassen bzw. Klassenzugehörigkeit. Behauptet wurde, dass moralisches Verhalten nur rassisch hochwertigen Menschen bzw. Angehörigen der historisch progressiven Klasse des Proletariats möglich sei, während biologisch und sozial Minder wertige zu unmoralischem Handeln disponiert wären.52 Während in der nationalsozialistischen Perspektive einer Weltgemeinschaft der Völker und Rassen eine idealtypische Rassengesellschaft entworfen wurde, sahen die Bolschewiki eine klassenlose Gesellschaft als Ergebnis eines Sieges des Weltkommunismus. Beide Visionen einer totalitären Auslöschung von Pluralität operieren mit der Annahme einer möglichen politischen Endlösung historisch tradierter Probleme und Konflikte. Zimmermann sieht in Bolschewismus wie Nazismus „moralische Antriebe [...] zum Massenmord“, weshalb es gerechtfertigt sei, von „Rassenmord oder Klassenmord aus Moral“53 zu sprechen. In der Tat benutzten beide totalitären Regime moralische Begriffe zur Rechtfertigung ihrer Verbrechen und entwickelten dafür ein „moralisches Gegenvokabular“.54 Die revolutionäre Erlösungsmoral und die Radikal - Partikularismen von Bolschewismus und Nazismus waren unvereinbar mit der universalistischen Ethik des bürgerlich christlichen Humanismus. Die Verpflichtung auf absolute moralische Imperative und Regeln sollte das Nachdenken über die Begründungen und Folgen des eigenen Handelns erübrigen. Befreit von rassen - bzw. klassenindifferenter christlich - bürgerlicher Humanitätsduselei sollte der neue Mensch zu intuitivem Handeln im Sinne der herrschenden Weltanschauung ideologisch konditioniert werden. Die Ausbildung eines Rassen - bzw. Klasseninstinkts sollte es ihm ermöglichen, die Gegner einer von Rassenmischung freien bzw. klassenlosen Gesellschaft guten Gewissens zu verfolgen und zu vernichten. In totalitären Gesellschaften wurde unmoralisches Handeln politisch und kulturell sanktioniert und durch entsprechende Gesetze als rechtmäßig abgesichert. In ihnen wurden Haltungen 52 Vgl. Kolbenheyer, Einzelne, S. 27. 53 Zimmermann, Universalismus, S. 415. 54 Ebd., S. 416.

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und Handlungen, die nach den Kriterien des bürgerlich - christlichen Humanismus als moralisch galten, politisch kriminalisiert und entsprechend verfolgt. Im Gegenzug wurde die unmenschliche und unmoralische Behandlung der aus dem Geltungsraum moralischer Verpflichtungen ausgeschlossenen „minderwertigen Untermenschen“ oder „Volksschädlinge“ ausdrücklich ermutigt. In totalitären Diktaturen, so Hannah Arendt, handeln Menschen dann moralisch, wenn sie der Versuchung widerstehen, sich politisch bewähren oder auf andere Weise auszeichnen zu wollen. Stattdessen folgen sie ihren mitmenschlichen Intuitionen, denen die Unterscheidung zwischen Menschen, denen Hilfe und Zuwendung gewährt und anderen, denen sie verweigert wird, fremd ist. Menschen in Not können mit ihrer Hilfe rechnen, unabhängig davon, ob sie deren Glauben oder politische Überzeugung teilen oder nicht. Im anderen Menschen sahen sie den Mitmenschen, und nicht den Träger moralischer, ideologischer oder anderer Prädikate, die ihm auf Grund seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe zugeschrieben werden. Die Resistenz gegen die strikte, gegenüber Folgen dieses Handelns für die Betroffenen indifferente Befolgung rigoroser moralischer Regeln, so Arendt, gründet in der Bereitschaft, sich selbst in Bezug auf Andere im Geltungsraum eines gemeinsamen Wertesystems und diese Anderen als Mitbewohner einer Welt zu sehen, für die man gemeinsam verantwortlich ist. Ein solches Verhalten kann in totalitären Gesellschaften nicht damit rechnen, als Haltung gewürdigt zu werden. Es trifft hier nicht nur auf den Repressivapparat des politischen Systems, sondern auch auf Unverständnis und Ablehnung einer opportunistischen Mehrheit der Bevölkerung. Im Nachhinein kann es als heldenhaft, aber auch als leichtsinnig oder verantwortungslos erscheinen, das eigene Leben oder das seiner Nächsten für unbekannte Menschen aufs Spiel gesetzt zu haben aus einem Impuls, der die möglichen Folgen eines Handelns gegen die Verhältnisse ignorierte. Die Wirkungsmächtigkeit von Ideologie besteht u. a. darin, dass sie mit Mord, Gewalt und Zerstörung verbundenen Verbrechen glaubwürdig einen höheren Sinn zuschreibt und die Verfolgung und Vernichtung bestimmter Gruppen nach Maßgabe einer ideologischen Rationalität zum moralischen Gebot und zur patriotischen Pflicht erklärt. An mangelnder „Bereitschaft, unter Umständen andere Menschen zu töten“,55 also an willigen Vollstreckern der massenhaften Tötung von Menschen zu einem höheren Zweck, ist Massen - und Völkermord noch nie gescheitert. Ideologische Überzeugungstäter handeln in einer geschlossenen Welt eigener Bedeutungen so, als ob diese tatsächlich existieren würde. In dieser Welt gelten Regeln, die von einer Position außerhalb ihres geschlossenen Zirkels als irrational erscheinen müssen. Innerhalb dieses Zirkels allerdings haben sie fraglose Gültigkeit. Nur durch besondere Anstrengungen lässt sich eine kritische Perspektive auf diese ideologische Gegenwelt entwickeln. Nach der ideologischen Umwertung humanistischer Werte bedurfte es nur noch günstiger historischer Konstellationen und effektiver Vernichtungspraktiken, um die 55 Fleischer, Betrachtung, S. 59.

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staatliche Vernichtungspolitik objektiver Gegner oder Volksschädlinge in Gang zu setzen. Dazu Goebbels in seinem Tagebuch : „Man darf in diesen Dingen keine Sentimentalität obwalten lassen. Die Juden würden, wenn wir uns ihrer nicht erwehren würden, uns vernichten. Es ist ein Kampf auf Leben und Tod zwischen der arischen Rasse und dem jüdischen Bazillus. [...] Gott sei Dank haben wir jetzt während des Krieges eine ganze Reihe von Möglichkeiten, die uns im Frieden verwehrt wären. Die müssen wir ausnutzen.“56 Totalitäre Politik wurde mit höheren Zielen und Werten gerechtfertigt, die politisch durchgesetzt werden sollten. Totalitäre Moral appellierte an die Opfer - und Tötungsbereitschaft der von der Berechtigung dieser Ziele und Werte Überzeugten. Sie sollten bereit sein, für die Verteidigung des politischen Gemeinwesens zu töten und zu sterben und mit gutem Gewissen Gegner einer von Rassenmischung freien bzw. klassenlosen Gesellschaft verfolgen und vernichten. Totalitäre Bewegungen zielen darauf, Politik und Moral symbiotisch zu verbinden. Sie beziehen ihr Momentum aus dem aggressiven Aktivismus ideologischer Weltanschauungskrieger, die die historische Ausnahmestellung einer bestimmten religiösen, politischen, ethnischen oder anderen Gruppe behaupten, zu deren Begründung sie sich auf die Natur, die Geschichte oder religiös mythische Referenzen beziehen. Daraus leiten sie das Recht und die Pflicht der inhumanen Behandlung und Tötung ihrer Gegner oder als fremd, gefährlich oder überflüssig bezeichneter Gruppen ab. Während die nationalsozialistische Bewegung die nordische Rasse als Protagonisten ihrer missionarischen Erlösungsbewegung auszeichnete, stellten die Bolschewiki die proletarische Klasse als revolutionäres Subjekt ins Zentrum. In der nationalsozialistischen Auseinandersetzung mit dem Bolschewismus wurde die ideologische Unvereinbarkeit mit dem jüdischen Bolschewismus herausgestellt, der im Weltanschauungs - bzw. Rassenkrieg schon deshalb unerbittlich bekämpft werden müsse, um der jüdisch - bolschewistischen Vernichtungsdrohung gegen die bürgerliche Gesellschaft zuvorzukommen. Im Kampf zwischen dem volkverhafteten Nationalsozialismus und dem menschheitsverpflichteten jüdischem Bolschewismus müssten sich die Deutschen entscheiden, ob für sie die Loyalität gegenüber ihrem Volk oder die Menschheit Priorität habe.57 Die bolschewistische Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Gesellschaft als kapitalistischer Klassengesellschaft wurde in dieser Interpretation des Bolschewismus als bürgerlichem Kosmopolitismus ausgeblendet. Seine Bestimmung als politische Radikalisierung des bürgerlichen Liberalismus und der Aufklärung vermied den ideologischen Zweifrontenkrieg gegen das bürgerliche Werte - und Gesellschaftssystem auf der einen und den Bolschewismus auf der anderen Seite, deren ideologische und gesellschaftspolitische Gegensätzlichkeit ignoriert wurden. Als „Organisation des Untermenschen“ verfolge auch der Bolschewismus eine Rassenpolitik, die allerdings im Unterschied zur nationalsozialistischen 56 Goebbels, Tagebücher II, 3, S. 561 (27. 3.1942). 57 Vgl. Scholtz - Klink, Gut.

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Politik der Aufartung der rassisch Hochwertigen bei gleichzeitiger Ausmerze der Minderwertigen gegenteilige Prioritäten setze. Da sich der Untermensch seiner Minderwertigkeit in der rassischen Struktur der Menschheit bewusst sei, könne er gar nicht anders, als „die höhere Rasse bis zur Vernichtung zu bekämpfen“.58 Ziel einer negativen Gegenauslese sei so nicht die „Förderung der rassischen Höherentwicklung“, sondern die Herstellung eines „kulturlosen Rassenbreis als sicherem Fundament der jüdischen Weltherrschaft“.59 Eben weil die Juden und Slawen sich in einer nach ihrer Wertigkeit hierarchisch strukturierten Rassengesellschaft auf Grund ihrer Minderwertigkeit am unteren Ende der Gesellschaft wiederfinden würden, seien die Bolschewiki gezwungen, eine solche höhere Gesellschaft zu verhindern. Allein die fortgesetzte rassische Diffusion ermöglichte es ihnen, im Schutze ungeklärter rassischer Identität und Differenzierung den Rassenkampf mit Aussicht auf zumindest zeitweiligen Erfolg zu führen. Dabei habe der Bolschewismus sich nicht damit begnügt, im eigenen Herrschaftsbereich „alle Menschen auszurotten, die durch Besitz, Bildung oder Lebenserfolg“60 einer besseren Rasse angehörten. „Seine Hassinstinkte und sein aberwitziges Misstrauen trieben ihn weiter. Er hat nach den Großbesitzern auch die Kleinbauern verfolgt und ausgemerzt, die am Besitz hingen und dadurch allein schon den Verdacht erregten, sie könnten Erbträger einer Entwicklungstendenz sein, die ihre Nachfahren befähigen würde, eine neue Oberschicht zu bilden. [...] Und so wütete der Bolschewismus in regelmäßigen Abständen gegen seine eigene Parteioligarchie und sein eigenes Offizierskorps, immer in der grausamen Furcht, aus selbständig denkenden, aufwärtsstrebenden Menschen oder doch wenigstens aus ihren Kindern könnten Schichtungen entstehen, die sich aus dem Rassenbrei des Untermenschentums erheben würden.“61 Aus Angst vor der Überlegenheit eigenständig denkender und handelnder Menschen und Gruppen, denen sie nichts Vergleichbares entgegenzusetzen hätten, seien die Bolschewiki gezwungen, ihre eigene Gesellschaft auf kulturell niedrigem Niveau zu halten, um an der Macht zu bleiben und nicht die Kontrolle über sie zu verlieren. Auch bei der Tötung sog. Ballastexistenzen habe Sowjetrussland keine Skrupel gehabt und sogar normale Menschen getötet, wenn es sie als Gefahr für sein System angesehen habe. Allerdings habe es sich für das Moskauer System gerächt, Religion und Recht für überlebte Begriffe anzusehen. Der nationalsozialistische Staat denke nicht daran, Idioten oder Geisteskranke zu töten und lehne die Euthanasie aus ethischen Gründen ab. Als zivilisierter Staat habe es das nationalsozialistische Deutschland nicht nötig, seine Politik mit moralisch bedenklichen Mitteln durchzusetzen. Eben das unterscheide den Nationalsozialismus von der Barbarei des jüdischen Bolschewismus. In einem als geheim klassifizierten Dokument und also nicht für die Öffentlichkeit bestimmt wurden dagegen zwischen nationalsozialistischer und bolschewis58 59 60 61

Haß der Minderwertigen. In : Das Schwarze Korps vom 29. 4.1943. Ebd. Ebd. Ebd.

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tischer Politik Parallelen bei der effektiven Ausmusterung unerwünschter Elemente hervorgehoben. Hier hieß es : „Die von den Sowjets betriebenen politischen Ausmusterungen entsprechen etwa genau unseren rassischen Musterungen. Was wir als ordentlich und rassisch brauchbar herausgemustert hätten, haben in den verflossenen 20 Jahren die Sowjets als politisch gefährlich und daher für sie unbrauchbar herausgezogen und ausgerottet. Die Zahl der uns sympathisch berührenden Formen ist daher praktisch gleich Null.“62 Herausgestellt wird in dieser nationalsozialistischen Würdigung bolschewistischer Vernichtungspolitik im Vergleich zu ihrer eigenen Rassenpolitik neben ihrer Effizienz auch die ideologische Gegensätzlichkeit beider, die hier als spiegelbildliche Komplementarität dargestellt wird : Die Sowjets waren in ihrer Politik der Ausmusterung für sie gefährlicher und unbrauchbarer Elemente so gründlich, dass in der Tat keine aus nationalsozialistischer Sicht brauchbaren Rassenelemente übrig blieben. Das setzte, ohne dass es hier ausgesprochen werden musste, Maßstäbe : Die nationalsozialistische Politik der Ausmerze rassenfremder und politisch gefährlicher Elemente, also vor allem der Juden und Kommunisten, musste zumindest sicher stellen, dass auch die Sowjets im Falle ihres militärischen Sieges über das nationalsozialistische Deutschland keine für sie brauchbaren Elemente mehr auf deutschem, möglichst auch nicht auf europäischem Boden vorfinden würden. Zugleich konnte die Gründlichkeit bolschewistischer Vernichtungspolitik zur Rechtfertigung dafür dienen, im auf die Vernichtung der jüdisch - bolschewistischen Untermenschen gerichteten Rassenkrieg rücksichtslos vorgehen zu können, da in Sowjetrussland nicht mehr mit rassisch wertvollen Elementen, auf die Rücksicht hätte genommen werden müssen, zu rechnen sei. Diese nationalsozialistische Argumentation ähnelt der später im Historikerstreit von Ernst Nolte entwickelten Position, der Holocaust habe nur auf eine bolschewistische Vernichtungsdrohung der bürgerlichen Welt reagiert. „Vollbrachten die Nationalsozialisten, vollbrachte Hitler eine asiatische Tat vielleicht nur deshalb, weil sie sich und ihresgleichen als potentielle oder wirkliche Opfer einer asiatischen Tat betrachteten ? War nicht der Archipel Gulag ursprünglicher als Auschwitz ? War nicht der Klassenmord der Bolschewiki das logische und faktische Prius des Rassenmords der Nationalsozialisten ?“63 Neben ihrer Abgrenzung vom universellen Humanismus des bürgerlichen Wertesystems stellte die nationalsozialistische Ideologie die bolschewistische Vernichtungsdrohung gegen die bürgerliche Gesellschaft heraus. Dass diese Vernichtungsdrohung ernst gemeint war, zeige die bereits vollzogene Vernichtung bürgerlicher Elemente in Sowjetrussland. In dieser Konstellation konnte sich der Nationalsozialismus als Retter der Zivilisation gegen den Bolschewismus als der „größten nihilistischen Massenmobilmachung der Unterwelt“64 in Stellung 62 Poliakov, Wulf, Reich, S. 69 – aus einer Stellungnahme des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP zur rassischen Betrachtung der Sowjet - Kriegsgefangenen vom 21. 2.1942. 63 Vgl. Historikerstreit, S. 39–47, hier 45 – zit. aus Ernst Nolte, Die Vergangenheit, die nicht vergehen will. 64 Vom bürgerlichen Mitleid. In : Das Schwarze Korps vom 11. 3.1943.

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bringen. Diese politische Mobilisierung der rassischen Untermenschen zur Vernichtung alles Hochwertigen, das ihre minderwertige Existenz bedrohte, müsse als extreme Gefährdung der westlichen zivilisierten Welt und insbesondere des nationalsozialistischen Deutschland ernst genommen werden. In dieser paradoxen Projektion nazistischer auf die bolschewistische Vernichtungspolitik zeigt sich die spiegelbildliche Komplementarität beider Weltanschauungsdiktaturen, die sich nicht nur aneinander als Projektionsfläche ihrer ideologischen Erlösungsmoral abarbeiteten, sondern tatsächlich in symbiotischer Gegensätzlichkeit zum bürgerlichen Werte - und Gesellschaftssystem verbunden waren.

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