Moderner Muskelkult: Zur Sozialgeschichte des Bodybuildings [1. Aufl.] 9783839423769

Bodybuilding polarizes: in bodybuilders, some see crazy freaks instead of athletes. Others, on the other hand, are excit

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Polecaj historie

Moderner Muskelkult: Zur Sozialgeschichte des Bodybuildings [1. Aufl.]
 9783839423769

Table of contents :
Einleitung
I. Soziale Evolutionstheorie als Analyseraster
1 Gesellschaftliche Differenzierungstypen
1.1 Segmentäre Gesellschaftsformationen
1.2 Stratifikatorische Gesellschaftsordnungen
1.3 Funktional ausdifferenzierte Gesellschaften
II. Vormoderne Formen des Krafttrainings
2 Körperkraft und Kraftkörper
2.1 Kräftigungspraktiken in den Athletikschulen der Antike
2.2 Kraftproben in Militär und Erziehung des Mittelalters
2.3 Körperlichkeit im Kontext der aufkommenden Moderne
III. Bodybuilding und funktionale Differenzierung
3 Frühformen des Bodybuildings
3.1 Herkunftsmilieu: Zirkus und Varietee
3.2 Bodybuilding in der Lebensreform
4 Orte des Kraftsports: ›Muckiebuden‹ und High-Tech-Studios
4.1 Kommerzialisierung der Fitness-Studios
4.2 Vergemeinschaftung in Studios jenseits der Sportvereine
4.3 Trainingsmaschinen vs. Freihanteln
IV. Binnendifferenzierung im modernen Bodybuilding
5 Identität der Kraftsportler – vom Pluralisten zum Spezialisten
5.1 Ein- und Abgrenzungen im Kraftsportsektor
5.2 Ausbildung einer ›Hardcore‹-Szene
5.3 Antriebsmotive zeitgenössischer Bodybuilder
Resümee: McDonaldisierung des Bodybuildings
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Siglen
Literatur

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Mischa Kläber Moderner Muskelkult

KörperKulturen

Mischa Kläber (Dr. phil.) arbeitet als Ressortleiter für Präventionspolitik und Gesundheitsmanagement beim Deutschen Olympischen Sportbund. Zudem ist er Lehrbeauftragter für Sportsoziologie an der Technischen Universität Darmstadt.

Mischa Kläber

Moderner Muskelkult Zur Sozialgeschichte des Bodybuildings

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Patrik Naumann / photocase.de Lektorat & Satz: Mischa Kläber Druck: CPI – Clausen & Bosse, Leck ISBN 978-3-8376-2376-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Einleitung | 7 I. Soziale Evolutionstheorie als Analyseraster | 31 1 Gesellschaftliche Differenzierungstypen | 40 1.1 Segmentäre Gesellschaftsformationen | 46 1.2 Stratifikatorische Gesellschaftsordnungen | 50 1.3 Funktional ausdifferenzierte Gesellschaften | 54 II. Vormoderne Formen des Krafttrainings | 69 2 Körperkraft und Kraftkörper | 75

2.1 Kräftigungspraktiken in den Athletikschulen der Antike | 79 2.2 Kraftproben in Militär und Erziehung des Mittelalters | 92 2.3 Körperlichkeit im Kontext der aufkommenden Moderne | 102 III. Bodybuilding und funktionale Differenzierung | 117 3 Frühformen des Bodybuildings | 121 3.1 Herkunftsmilieu: Zirkus und Varietee | 124 3.2 Bodybuilding in der Lebensreform | 131

4 Orte des Kraftsports: ›Muckiebuden‹ und High-Tech-Studios | 141 4.1 Kommerzialisierung der Fitness-Studios | 151 4.2 Vergemeinschaftung in Studios jenseits der Sportvereine | 159 4.3 Trainingsmaschinen vs. Freihanteln | 166 IV. Binnendifferenzierung im modernen Bodybuilding | 179

5 Identität der Kraftsportler – vom Pluralisten zum Spezialisten | 183 5.1 Ein- und Abgrenzungen im Kraftsportsektor | 187 5.2 Ausbildung einer ›Hardcore‹-Szene | 197 5.3 Antriebsmotive zeitgenössischer Bodybuilder | 205 Resümee: McDonaldisierung des Bodybuildings | 231 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis | 249 Siglen | 251 Literatur | 253

Einleitung

Die eindrucksvolle Aufwertung des Körperlichen, wie sie mit unterschiedlicher zeitlicher Konsistenz und sozialer Wirksamkeit primär in Gestalt des Bodybuildings, aber auch des Bodyshapings, des gesundheits- oder fitnessorientierten Hanteltrainings, des Aerobics, des dazugehörigen Bräunungskults und anderer Formen der Inanspruchnahme des Körpers in den Hallen der Fitness-Studios erfolgt, ist typischerweise auf ein bestimmtes Idealbild der »Körperästhetik« ausgelegt. Mit jenem Ideal ist zugleich ein jugendlicher sowie sportiv wirkender Körper untrennbar verbunden. Eine derartige Körperoptik gilt es möglichst (sozial-)wirksam zu inszenieren. Der Körper kann dabei jedoch auch dadurch eine gesellschaftliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen, indem man ihn bewusst gegen hoch gehandelte Werte wie Gesundheit, Schönheit oder Natürlichkeit verstoßen lässt. Dies geschieht in den zumeist kommerziell wirtschaftenden Fitness-Studioeinrichtungen der (westlichen) Industrienationen in vielfacher Weise. Im Bodybuilding macht sich dieser Umstand daran fest, dass ab einem überdurchschnittlichen Leistungsniveau das Körperpanorama eines Bodybuilders in eine für den externen Beobachter hypermutierte Monstrosität abdriftet und der daran gekoppelte Lebensstil als der Gesundheit nicht mehr unbedingt zuträglich gilt. Neben der weit reichenden Versportlichung von Mode und Alltagskleidung, dem durch unzählige Sonnen-Studios geschürten Bräunungskult oder der allgemeinen Fitness-Bewegung – Lauf-Bewegungen u.Ä. – stellt insbesondere das traditionelle Bodybuilding ein Beispiel par excellence für eine weitere Erscheinungsform der Körperaufwertung dar, die in funktional ausdifferenzierten Gesellschaften simultan zu einer

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modernitätsbedingten Körperdistanzierung verläuft (vgl. Bette 1989).1 Mit Blick auf ein Ideal körperlicher Vollkommenheit und perfekter Proportioniertheit kommt es, wie der Begriff BODYBUILDING bereits verrät, zu einer Herstellung erkennbarer Muskulatur im Rahmen zweckrationaler Trainingsmaßnahmen. Das äußere Erscheinungsbild, das man umgangssprachlich als Figur bezeichnet, wird überaus zeit- und energieintensiv mit Hilfe neuester Trainingsgerätschaften sowie konspirativer Erkenntnisse aus den Bereichen der Ernährungs- und Diätgestaltung, aber auch diverser Pharmazeutika aufpoliert und neudimensioniert. Der individuelle Körper wird zum Fetisch, an dem wie an einem hochgezüchteten Rennwagen der Formel 1 fleißig herumgebastelt sowie -experimentiert wird. Generell scheint für den körpermodellierenden Kraftsportler der »perfekte Körper« als Endziel unerreichbar zu sein; daher ist nach dem Selbstverständnis von ambitionierten Bodybuildern der Weg bereits das Ziel. Gewissermaßen als ein Gegenprogramm zur Technisierung, Körperverdrängung und die dadurch hervorgerufene Atrophie des Muskelapparats erfolgt in Gestalt des genuinen Bodybuildings in einer zum gesellschaftlichen Differenzierungsprinzip komplementär ablaufenden Weise eine milieuspezifische Fixierung – teilweise sogar eine »kollektivierte Verherrlichung« – des Körperlichen (vgl. Schimank/Volkmann 1999: 6f.). Unter dem fiktiven Leitbild einer ganzheitlichen Behandlung des Körpers kommt es zu einer beispiellosen Einseitigkeit. Denn der Körper wird paradoxerweise explizit nicht in seiner »Ganzheit« bearbeitet; vielmehr wird er in einzelne Muskelgruppen aufgegliedert und entsprechend mit Hanteln oder Geräteapperaturen mit unterschiedlichen Belastungswinkeln isoliert trainiert: Rücken-, Arm-, Bauch-, Schulter-, Brust-, Beinmuskulatur etc. Das im Zivilisationsprozess für die mittle-

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Die Entdeckung des Bodybuildings als »Forschungsgegenstand« der Wissenschaft kann als ein Indiz für einen enormen Bedeutungswandel dieses lebensweltlichen Kommunikations- und Handlungsfelds begriffen werden. Erst eine durch prominente Einzelpersonen forcierte und durch spezifizierte Umweltbezüge aus den Massenmedien, der Wirtschaft, dem Gesundheitssystem etc. flankierte soziale Aufwertung konnte zumindest vereinzelt ein etwas regeres wissenschaftliches Interesse geweckt werden (vgl. Bednarek 1984, 1985; Honer 1985a, b).

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ren und oberen Gesellschaftsschichten langsam verloren gegangene Attribut der Körperkraft wird im Bodybuilding veräußerlicht und auf die Spitze getrieben. Die »Körperkraft« wird über einen stark hypertrophierten Muskelkörper sichtbar gemacht und als »Kraftkörper« wirkungsvoll präsentiert – nicht zuletzt mit Hilfe einer Bekleidung, die besonders »gut« modellierte Körperpartien betont. Hemden ohne Ärmel oder die szenetypischen Muscle-Shirts, die die Unterarm- und Oberarmmuskeln freilegen, sind Garanten für eine bizarre Inszenierung im sozialen Umfeld. Eine korrespondierende körperbetonende Kleidungsweise erlaubt den Blick auf ein ungemein imposantes Muskelpanorama und provoziert die Attraktion eines Optik-Spektakels. Der »Bodybuilderkörper« wird in seinem Muskelapparat anhand des Codes dick/dünn oder auch hart/weich systematisch-planvoll überarbeitet, und nicht etwa, wie das Voluminöse der äußeren Erscheinung oberflächlich andeutet, dem Schematismus stark/schwach entsprechend. Wer eine markante Körperkraft zu erlangen gedenkt, muss nach anderen Krafttrainingsprinzipien trainieren, als es körperoptikfixierte Bodybuilder zu tun pflegen (vgl. Darden 1997: 147f.). Die Annahme, Schönheit und Harmonie per Bodybuilding-Techniken herstellen und sogar in einem Wettbewerb durch ein Juryvotum messen und vergleichen zu können, ähnelt den Machbarkeits- sowie Vergleichsvorstellungen, die auch in anderen Lebensbereichen zu beobachten sind, so zum Beispiel in der Anti-Aging-Bewegung des Gesundheitssystems (vgl. Viehöver/ Wehling 2011). Die Majorität der Menschen, die sich in Fitness-Studios anmeldet, nimmt am Raster gewisser Körpervorbilder aus den Bereichen ProfiSport, Kinofilm, Highsociety oder des Modellbereichs einen ›Kampf‹ auf, der eine Beseitigung der in den individuellen Körper eingefrästen »Folgen« (subkutane Fettpölsterchen oder abgeschlafftes Gewebe) der zivilisatorischen Wandlungen zur Zielsetzung hat. Der Muskelapparat soll aus dem Zustand der Atrophie herausgeholt und in Spannung versetzt werden: gegen ein oftmals nicht geringes Entgelt, unter mehr oder weniger kompetenter Anweisung, umgeben von verchromten, blitzenden und mancherorts computertechnisch aufgerüsteten Trainingsmaschinen, angeregt durch gedämpfte – oder auch lautstarke – melodische Endlosmusik, gilt es, das »träge« und »unwillige« Fleisch des individuellen Körpers wieder und wieder zu traktieren. Dass das Bodybuil-

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ding eine Angelegenheit der unteren Gesellschaftsschichten sei – mit eklatanten Ausnahmen, auf die später noch detaillierter eingegangen wird –, hängt mit dem Alltagsverständnis vom unterschiedlichen »Gebrauch« des Körpers im modernen Arbeitsprozess zusammen.2 Dabei scheint zumindest auf den ersten Blick das zuzutreffen, was Bourdieu (1982: 339) in seiner Habitusforschung konstatiert: »Das instrumentelle Verhältnis zum eigenen Körper, das die unteren Klassen in allen Betätigungen und Praxisformen zum Ausdruck bringen, in denen der Körper wesentlich beteiligt ist – Ess- und Trinkverhalten, Körperpflege, Verhältnis zu Krankheit und Gesundheitspflege –, schlägt sich unter anderem auch in der Wahl solcher Sportarten nieder, die höchsten Krafteinsatz und – wie Boxen – eine bestimmte Schmerzunempfindlichkeit erfordern oder sogar den Einsatz des ganzen Körpers.«

Die rohe Körperkraft als genuines Attribut der Unterschicht wird durch die sich in den letzten Jahrzehnten drastisch vermehrenden Fitness-Studios, die sich über ihre durchschlagenden Kommerzialisierungsbestrebungen sowie Spezialisierungstendenzen auszeichnen, auch anderen Sozialschichten oder -kategorien als stark viril geprägtes Körperangebot unterbreitet. Dabei wird dieses Körperangebot – wie es scheint – nicht nur von Männern, sondern auch von Frauen in zunehmendem Maße akzeptiert. Das einst starre Verhältnis von Schicht und Körpernutzung geht mehr und mehr verloren, »wenn die physische Formwelt der Unterschicht von unten nach oben diffundiert, um dort als Medium der Sichtbarmachung des modernen Subjekts zum Einsatz zu kommen« (Bette 2005: 117). Prozesse der Binnendifferenzierung führten in diesem extrem körperorientierten Kraftsportmilieu dazu, dass sich ein Normal- und ein Leistungssektor (konkreter: Freizeit- und Wettkampfbodybuilder oder auch Natural- und Hardcorebodybuilder) ausdifferenzierte, wobei der hauptsächlich für den Wettkampf getrimmte Bodybuilderkör-

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Zum physischen Körper als Basiskategorie einer soziologischen Handlungstheorie vor dem Kontext einer Auseinandersetzung mit der historischen Gewachsenheit der Körpersoziologie als Teildisziplin der Soziologie vgl. Gugutzer (2004).

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per bei denjenigen, die im Normalsektor trainieren, gelegentlich sogar Abscheu und Ekel hervorruft. Der Körper wird in dem vom Wettbewerbsgedanken bestimmten Leistungsbereich im Sinne einer ständigen Leistungssteigerung versportlicht. Das bedeutet: der Körper wird durch Körperfettreduktion zum ausdefinierten, in seine einzelnen Muskelstränge abgegrenzten sowie gleichsam filetierten Muskelkörper. Die individuelle Körperhülle wird für die zu antizipierende »externe« Bewertung durch die Öffentlichkeit oder eine objektive Jury transformiert. Es ist ernüchternd und erschreckend zugleich, dass in diesen finanziell uninteressanten Sportbereichen – wie es von Insidern immer wieder berichtet wird – auch die Anwendung einer Vielzahl an Dopingsubstanzen in keinster Weise verpönt ist (vgl. Kläber 2010). Dopingpräparate finden in den Fitness-Studios seit langem einen nicht abreißenden Absatzmarkt. Und »wer als Studiobesitzer diese Kraftnahrung nicht anbieten will oder kann, hat am Markt gegenüber denjenigen, die sie unter dem Tisch anbieten, gravierende Wettbewerbsnachteile« (vgl. Bette 2005: 118). Selbst Freizeitbodybuilder, die keine Wettkampfambitionen aufweisen, bleiben diesbezüglich nicht abstinent. Dieser Befund, der hauptsächlich eine eklatante Dopingaffinität der Bodybuilder anzeigt, wird von betroffenen Insidern meist reflexhaft als Unterstellung abgetan. Bereits Honer (1985b: 155ff.) sprach die zur Mutmaßung degradierte Hypothese eines flächendeckenden Dopings aus. Gemeint ist die Unvermeidbarkeit eines Medikamentengebrauchs – oder konkreter: Medikamentenmissbrauchs – im Bodybuilding.3 Heute stellt es kein Geheimnis mehr dar, dass sich viele körpermodellierende Kraftsportler in den pleomorphen Fitness-Studios bereitwillig verschreibungspflichtiger Dopingsubstanzen bedienen (vgl. Müller 2004: 97ff.). Dessen ungeachtet liegt der Schwerpunkt dieser Studie auf der Sozialgeschichte des Bodybuildings und nicht auf der interessanten wie auch meistens dominanten Facette des Dopings. Auffallend ist, dass der (sport-)wissenschaftliche Erkenntnisstand über Bodybuilding inklusive seiner Variationen in Gestalt des Fitness- oder Gesundheitssports zu wünschen übrig lässt. Obgleich man einräumen muss, dass einige Sach-

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Zum (kollektivierten) »Medikamentenmissbrauch im Bodybuilding« vgl. ausführlicher Kläber (2008).

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verhalte vergleichsweise gut erforscht sind, andere hingegen kaum oder gar keine Beachtung fanden (vgl. Gomer 1995: 134ff.). Zum aktuellen Stand der Forschung Studien gemäß einem quantitativ soziologischen Empirie-Verständnis legte Bednarek (1984, 1985) vor. Er hat u.a. verschiedene Aspekte eines zumeist angestrebten körperlichen Idealzustands empirisch untersucht und offen gelegt, wie ein »perfekter Körper« nach dem Selbstverständnis von Bodybuildern zu gestalten ist. Auch Emrich und Pitsch (1992) beschäftigten sich im Rahmen einer empirischen Untersuchung mit dem Bodybuilding, das sie als (die) Keimzelle des kommerziellen Sport-Studiobereichs und des in ihm stattfindenden »Körperkults« interpretiert sehen möchten.4 Ihr empirisches Datenmaterial basiert auf standardisierten Befragungen von ca. 500 aktiven Bodybuildern, die sowohl aus dem deutschen Wettkampf- als auch dem Freizeitsport rekrutiert wurden. Emrich und Pitsch (1992: 73ff.) untersuchten Variablenbereiche, wie etwa »Motivation zum Bodybuilding, soziale Vermittlung, Fragen zum Studio, Bodybuilding als spezifischer Lebensstil, gruppenspezifische Aspekte des Bodybuildings, Selbst- und Idealbild von Bodybuildern und ökonomische Aspekte des Bodybuildings«. Die vergleichsweise geringe Anzahl an empirisch-quantitativ motivierten Studien, die gegenwärtig vorliegen, hat den Erkenntnisstand hinsichtlich des Bodybuildings und damit auch im Hinblick auf jedwedes körperoptisch orientiertes Krafttraining schleppend vorangebracht. Dennoch wurden bestimmte Aspekte, wie beispielsweise »Entwicklungsgeschichte, Organisationsstruktur, ökonomische Aspekte, Freizeitfunktionen und sportwissenschaftliche Dimensionen des Bodybuildings, als Indikatoren [sichtbar], die es uns bereits erlauben, von einer Teilzeit-Kultur im Kontext aktueller Körper- und Fitness-Kulte zu sprechen« (Honer 1995: 182). Zwar liegen noch weitere empirisch-quantitative Studien mit den unterschiedlichsten Zielsetzungen zum Bodybuilding vor, allerdings sind diese meist der Psychologie zuzuschlagen und für eine soziologi-

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Aufgrund forschungsmethodischer Mängel ist diese Untersuchung nur begrenzt generalisierbar. Allerdings konstatiert auch Gießing (2002b: 23f.) für das Bodybuilding einen flächendeckenden Dopinggebrauch.

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sche Bearbeitung des Bodybuildings weniger von Nutzen. Außerdem handelt es sich dabei nicht selten um überaus aufwändig und kompliziert konzipierte Untersuchungspläne, was auf ein äußerst anspruchsvolles, aber meist auch einseitig quantitatives Methodenverständnis der federführenden Forscher rückschließen lässt. Der Vollständigkeit wegen gilt es, zumindest einige dieser Untersuchungen zu nennen. Hierfür bietet sich eine Einordnung in Querschnitt- und Längsschnittuntersuchungen an. So liegen Querschnittuntersuchungen von Leithwood (1987), Thirer und Gneer (1981), Darden (1972) oder Fuchs und Zaichkowsky (1983) vor. Längsschnittuntersuchungen wurden von Tucker (1982), Trujillo (1983) sowie Melnick und Mookerjee (1991) durchgeführt. Rein subjektive Erfahrungsberichte, die »wissenschaftlichen« Ansprüchen nicht genügen, liegen beispielsweise zur Beziehung zwischen einem systematisch-planvoll betriebenem Bodybuildingtraining und ersehnten Persönlichkeitsveränderungen oder zu gewissen Aspekten des Selbstkonzepts in größerer Anzahl vor (vgl. Lyon/Hall 1983; Schwarzenegger 1982; Strzeletz 1982). Diese Berichte zeichnen ein einseitiges Bild einer charakteristischen Bodybuilderpersönlichkeit, weil sie lediglich »positive Erfahrungen« berücksichtigen. Nur Bednarek (1985) hat sich in wissenschaftlichen Analysen ›objektiv‹ – in Form eines empirisch-quantitativen Forschungsverständnisses – mit psychischen Effekten eines regelmäßig betriebenen Bodybuildingtrainings auf das subjektive Körperbewusstsein und die Selbstdarstellungsfähigkeit der Athleten auseinandergesetzt. Unabhängig davon weisen viele wissenschaftliche Publikationen zum Bodybuilding stereotype Züge auf. Meistens wird dabei das Bodybuilding ohne Einbeziehung empirischen Datenmaterials – weder qualitativer noch quantitativer Art – in Zusammenhang mit psychischen Effekten gebracht, wie beispielsweise der Verarbeitung, Kompensation sowie ggf. Überkompensation von Minderwertigkeitsgefühlen (vgl. Harlow 1951; Thirer/Greer 1981; Würzberg 1987). Zum Bodybuilding in Verbindung mit Themen wie z.B. »Identitätsbewusstsein«, »Arbeit in der Freizeit«, »Enteignung von Körper und Geist« oder »Kulturindustrie« liegen ebenfalls Analysen vor, die vornehmlich auf (inter-)subjektive Erfahrungsberichte von Spitzenbodybuildern rekurrieren (vgl. Kirchhoff 1980; Bednarek 1984; Honer 1985a, b; Würzberg 1987). Besonders Honer und Würzberg erhoben zur Bodybuildingthematik exorbitante Mengen an empirischem Daten-

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material. Beide Autoren begaben sich unabhängig voneinander und in Form einer teilnehmenden Beobachtung – aber als ›Externe‹ wahrgenommen – direkt ins Fitness-Studiomilieu. Honer (1985a; 1995) plante, die Akteure des Bodybuildings unmittelbar in ihrem Lebensmilieu, also in den Räumlichkeiten der Fitness-Studios und in ihren entsprechenden Netzwerken, zu beschreiben sowie zu analysieren, wozu sie zusätzlich zu den zweijährigen Beobachtungen mehrere Dutzend – primär narrativer – Interviews durchführte. Ihre Klassifizierungskriterien beinhalten in erster Linie motivationale Aspekte (vgl. Honer 1985a: 133ff.). Inwiefern das tradierte Krafttraining einen Einfluss auf gewisse psychische Dispositionen hat, bleibt unzulänglich beantwortet, ist jedoch für eine soziologische Studie auch nur von marginaler Bedeutung. Aus der subjektiven Perspektive der Kraftsportakteure rekonstruiert Honer (1985b) die »soziale Veranstaltung« Bodybuilding als eine Sinnprovinz neben vielen anderen in den Lebenswelten von heute. Konkret hebt sie auf jenen – von allen in die Sinnprovinz Bodybuilding Inkludierten geteilten – Wissensvorrat ab, der dem individuellen Akteur zu Eigen ist. Gemäß Honer lassen sich durch eine ganze Reihe stark divergierender Sinngebungen, wie Riten, Verhaltensstandards, Normen oder Konventionen, deutliche Grenzen zwischen »der Sinnprovinz Bodybuilding« und anderer Sinnprovinzen moderner Gesellschaften ziehen. Derartige Sinnstrukturen können in recht unterschiedlicher Weise expliziert werden. So wird beispielsweise Bodybuilding als eine Art sinngenerierender (Meta-)Ideologie – »hier verstanden als System von Aussagen mit handlungsleitendem Charakter sowie verschleierndem Effekt« (Emrich 1992: 12ff.) – mit den folgenden Analysefacetten konstruiert: Bodybuilding als Sport, Bodybuilding als Arbeit, Bodybuilding als Kunst und Bodybuilding als Religion. In Anlehnung an Honer (1985a, b) gilt es im Rahmen der Skizzierung des aktuellen Forschungsstandes zum Bodybuilding diese Facetten detaillierter zu diskutieren und dabei in einen übergeordneten Sinnzusammenhang zu stellen. a) Bodybuilding als nicht-sportlicher Sport Frappierenderweise haben Dietrich und Heinemann (1989) das genuine Bodybuilding in die Kategorie des »nicht-sportlichen Sports« eingeordnet. Während sich Bodybuilder in ihrem soliden Selbstverständnis zweifelsohne als originäre Sportler begreifen, möchten Kritiker dem

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Bodybuilding gerne jeglichen Sportcharakter absprechen. Ganz unbegründet scheint eine Negierung des Bodybuildings als »echte« Sportart auch nicht zu sein. So gehören die hiesigen Bodybuildingverbände, wie etwa der Deutsche Bodybuilding und Fitness-Verband (DBFV) oder die German Natural Bodybuilding and Fitness Federation (GNBF) nicht dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) an und Bodybuilding stellt derzeit keine olympische Disziplin dar. Trotzdem wird das Bodybuilding meist der Kategorie Sport zugeschlagen, da es in allen wichtigen Punkten mit dem konventionellen Verständnis von Sport übereinstimmt. Zudem definiert sich eine Sportart als Sport nicht allein darüber, ob sie eine olympische Disziplin ist oder einem bestimmten Verband angehört. Sonst wären neben Bodybuilding auch weitere Sportarten, wie z.B. Kick-Boxen, Tanzen, Surfen oder Baseball, nicht als Sport zu deklarieren. Nach Krockow (1974) kann immer erst dann von Sport die Rede sein, wenn Menschen gezielt dafür trainieren, dass sie (»individuelle«) Höchstleistungen erbringen, um sich dann wiederum in Wettkämpfen oder unter wettkampfähnlichen Konkurrenzbedingungen gegenseitig zu messen. Weiterhin müsse das »Prinzip der Gleichheit« gegeben sein. Streng genommen wäre daher ein schlichter Waldlauf, bei dem es keinen unmittelbaren Gegner (bzw. Konkurrenten) gibt und bei dem nicht selten auch keine bestimmte Zeit intendiert ist, ebenfalls nicht als Sport aufzufassen. Im Bodybuilding gibt es aber durchaus eine überdeutliche Orientierung an Höchstleistungen. Auch existieren dort klare Regelungen zur Vergleichbarkeit von Leistungen sowie zum Konkurrenzdenken. Selbst das »Prinzip der Gleichheit« hat dabei seine Gültigkeit. Jeder Bodybuilder ist stets bestrebt Höchstleistungen zu erbringen – einerseits im Trainingsalltag und andererseits im Hinblick auf die Trainingseffekte (Muskelmasse, Körperfettanteil etc.). Bei Bodybuildern manifestiert sich die sportliche Leistung direkt über ihre Körperoptik. Die Hauptintention des Bodybuildings liegt darin, größtmögliche Muskelmasse bei möglichst niedrigem Körperfettanteil zu erlangen, wobei eine symmetrische Entwicklung einzelner Körperpartien niemals vernachlässigt werden darf. Jeder Bodybuilder, der seinen Sport ernsthaft betreibt, wird während jedes Trainings bis an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit gehen, um so den optimalen Hypertrophiereiz zu setzen. Das permanente

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Streben nach Höchstleistungen, das sich im Training in besonderer Weise darin äußert, dass stets bis zum absoluten Muskelversagen trainiert wird, ist unterdessen nicht nur bei Profibodybuildern zu beobachten, sondern auch bei immer mehr Freizeitbodybuildern. Krockow (1974, zit. nach Honer 1985: 158ff.) gemäß ist jedoch nicht die freiwillig erbrachte Leistung per se als Sport zu begreifen; vielmehr konstituiere sich eine Sportart erst durch einen Vergleich der erbrachten sportspezischen Leistungen. In diesem Sinne erweist sich das Aufzeigen einer objektivierten Vergleichbarkeit von Leistungen für das Bodybuilding als ziemlich schwierig, denn in diesem Sport geht es nicht um eindeutig messbare oder errechenbare Leistungen, wie es sich etwa in der Leichtathletik mit deren stringenten Zentimeter-Gramm-Sekunden-Orientierung (ZGS-Sportart!) verhält; vielmehr werden sportliche Leistungen im Bodybuilding nach qualitativen Merkmalen unmittelbar am zu beurteilenden Körper festgemacht und lassen sich demzufolge nicht ohne weiteres operationalisieren. Neben einer möglichst voluminösen Muskelmasse bei geringem Körperfettanteil – von oft weniger als sechs Prozent – steht im klassischen Bodybuilding die harmonische sowie symmetrische Muskelentwicklung im Vordergrund. Erst im Wettkampfgeschehen auf einer entsprechenden Bühne wird der individuelle Körper durch das sog. Posing5 vor einer (qualifizierten) Jury zum Besten gegeben. Dabei präsentieren sich die Wettkampfbodybuilder in heroisch wirkenden Posen auf einer imposant dekorierten Wettkampfbühne, stets untermauert durch eine die Gesamttheatralik des Auftritts optimierenden Liedsequenz. Leistungsindikatoren wie Definition, Harmonie oder Symmetrie lassen aber automatisch subjektive Momente des Entscheidungsfindungsprozesses der Wettkampfjury in Bezug auf Sieg oder Niederlage erahnen. »Eben darin aber, in der Frage nach objektiven Kriterien zum Vergleich sichtbarer, messbarer oder errechenbarer Leistungen, liegt auch die sportliche Problematik des Bodybuildings« (Honer 1985: 158ff.).

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Das sog. Posing der Bodybuilder erinnert an die kraftvollen Posen der antiken griechischen Statuen und zeigt zugleich starke Parallelen zwischen dem antiken Körperideal und dem der heutigen Bodybuilder. Doch scheint das Körperideal der modernen Bodybuilder in den letzten Jahren in wahnwitzige Sphären abzudriften (vgl. Bednarek 1984: 52f.).

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Allerdings sehen sich viele andere Sportarten – und davon nicht wenige Olympische, wie beispielsweise Turnen, Eiskunstlauf, Ringen, Judo etc. – ebenfalls mit dieser Problematik einer objektiven Leistungsbewertung nach qualitativen – und damit oft automatisch subjektiv durchdrungenen – Gesichtspunkten konfrontiert. Konsequenz: »Die Willkür von Nominierungsentscheidungen und Kampfrichterurteilen erzeugt auf Seiten der betroffenen Sportler und Sportlerinnen oftmals das Gefühl des Ausgeliefertseins und der Ohnmacht« (Bette 2002: 143f.), was wiederum dazu führen könne, dass Akteure gewisser Sportarten in einem größeren Ausmaß zum Doping gedrängt werden. Vielleicht sollten die Tugendwächter des »klassischen Sports« mit ihrer Kritik am Bodybuilding nicht bei der zugegebenermaßen problematischen Quantifizierung der sportlichen Leistungen ansetzen, sondern bei der offensichtlichen Unmöglichkeit ohne einen Verstoß gegen die geltenden Anti-DopingBestimmungen des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) auch nur bei der kleinsten Regionalmeisterschaft zu reüssieren (vgl. Honer 1985: 156f.). Um dem Bodybuilding auf eine legitime Weise jeglichen Sportcharakter abzusprechen, bedarf es folglich mehr, als die im Lager der Kritiker tradierten Argumente offerieren. Denn Bodybuildingmeisterschaften weisen meist alle Merkmale konventioneller Sportveranstaltungen auf. Im Bodybuilding gibt es eine stringente Einteilung in Alters- und Gewichtsklassen, eine klare Trennung in Frauen- oder Männerklassen, strenge Bekleidungsvorschriften sowie exakte Zeitvorgaben für die Gesamtdauer der einzelnen Präsentationsrunden – Pflicht und Kür in je zwei Wertungsrunden. Die Bewertung der Athleten erfolgt durch ein detailliertes und hochdifferenziertes Punktesystem, das eine intersubjektive Bewertung von Einzelleistungen erlaubt und zur Errechnung der jeweiligen Gesamtleistung dient (vgl. Bednarek 1984: 54). Durch die strikte Aufteilung der Gesamtpräsentation in einerseits vorgeschriebene »Pflichtposen« und andererseits in eine vom Athleten selbstständig zu performenden »Kür« liegt da capo ein sportartübergreifender Vergleich mit dem Turnsport nahe (vgl. Honer 1985: 158ff.). Resümierend ist zu konstatieren, dass es sich als diffizil herausstellt, dem Bodybuilding seinen Sportcharakter in Abrede zu stellen, ohne dabei auch andere Sportarten in große Verlegenheit zu bringen.

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b) Bodybuilding als Wiederkehr körperlicher Arbeit In der systematischen und zielgerichteten Einwirkung auf den individuellen Körper in Gestalt eines mühsamen Bodybuildingtrainings könnte man versucht sein, einen Reimport der Arbeit in die moderne Gesellschaft zu sehen. Denn die harte körperliche Arbeit wird in den durch Maschinen, Computer, Roboter u.Ä. hochtechnisierten (westlichen) Industrienationen zunehmend an den Rand gedrängt und erfährt nicht selten nur noch über bestimmte Entwicklungen innerhalb des Sports eine Art Renaissance. Analysiert man Bodybuilding in Zusammenhang mit dem heutigen Profibodybuilding, erscheint eine Betrachtung des Bodybuildings als eine Form der gewerblichen Arbeit als evident. Professionelle Bodybuilder verdienen sich ihren Lebensunterhalt (ausschließlich) über den körpermodellierenden Kraftsport und gehen nur selten weiteren existenzabsichernden Arbeiten nach. Berufsbodybuilder dienen der nationalen und internationalen Fitness-Industrie als Werbeträger für Szene-Bekleidung, neue Trainingsgeräte oder Nahrungsergänzungspräparate. Die Anzahl derjeniger, die ihren Lebensunterhalt via Profi-Wettkampfbodybuilding erwerben, ist allerdings weltweit verschwindend gering. Selbst wenn es auf den ersten Blick etwas verwunderlich zu sein scheint, dass auch das Bodybuilding auf Freizeit- sowie Breitensportebene Arbeit ist, muss man Bodybuilding durchaus als »Arbeit an und mit dem eigenen Körper« interpretieren (Honer 1985: 156). Hierbei ist der Bodybuilderkörper immer nur Mittel zum Zweck. Da unter Bezugnahme auf die phänomenologischen Darstellungen von Schütz und Luckmann (1984) die Grundform jeder »herkömmlichen Arbeit« das planvolle Handeln des Menschen ist, muss auch die intentionale Handlung des Bodybuilders im Fitness-Studio als Arbeit gewertet werden. Dabei soll aus dem individuellen Körper, der immer nur so ist, wie ihn die Natur geschaffen hat – zumeist schmächtig und schwach –, oder aus einem sozial deformierten Alltagskörper, der nach Ansicht der Kraftsportler aus trägem und fettem Fleisch bestehe, ein athletischer, muskulöser wie auch kraftvoller Körper geformt werden (vgl. Honer 1985: 156f.). Um diese Zielsetzung zu erreichen, ist harte körperliche Arbeit vonnöten. Es darf dabei durchaus von Arbeit gesprochen werden, wenn gegen die eigene träge Masse und den – zumindest in der Regel – »unwilligen Geist« angekämpft wird (vgl. Kapitel 4.3).

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Der Bodybuilderkörper mutiert in der Folge sowohl zum Werkzeug als auch zum Roh- und Endprodukt. Das Endprodukt dieser Arbeit (des Bodybuildingtrainings), also der gewünschte Körperbau bzw. die Figur, wird – wie oben bereits umschrieben – durch eine Zergliederung des Körpers in seine einzelnen Muskelpartien erreicht, die möglichst isoliert voneinander zu trainieren sind (vgl. Bette 1989: 113f.). Bodybuilder zergliedern ihren Körper nahezu vollständig, um eine effektivere Bearbeitung der separierten Körperteile, wie etwa der Brust, dem Rücken, der Arme, der Beine, der Waden etc., zu gewährleisten (vgl. Würzberg 1987: 67ff.). Da viele Athleten das Bodybuilding in der Öffentlichkeit gewöhnlich durch ein sog. ganzheitliches Training zu legitimieren versuchen, drängt sich an diesem Punkt eine erste Paradoxie auf. Pointiert formuliert: »Unter dem fiktiven Leitbild einer ›ganzheitlichen‹ Behandlung des Körpers kommt es zu einer neuen Einseitigkeit« (Bette 1989: 113), die es noch detaillierter herauszuarbeiten gilt. Fernab von einer ganzheitlichen Bearbeitung hat sich das Prinzip einer Zergliederung des Körpers im Bodybuilding flächendeckend durchgesetzt und ist zugleich eine gute Metapher für die Partialisierung der Arbeitsprozesse im Alltag moderner Groß-Industrien. Damit ist gemeint, dass sich das Individuum in einer »Organisationsgesellschaft« verflüchtigt und nur noch in spezifischen Teilbereichen – oder isolierten Arbeitsschritten – von Bedeutung ist (vgl. Schimank 2001: 280ff.). Daher steckt in der rigiden Zergliederung des Körpers in kleinste Muskelgruppen oder sogar einzelne Muskelstränge eine Parallele zu dem nach seinem Erfinder (Entdecker) benannten »Taylorismus«.6 Dieser Gedankengang untermauert wiederum bestimmte Teilsegmente einer Analyse

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Als Taylorismus wird das von dem US-Amerikaner Frederick Winslow Taylor (1856 bis 1915) begründete Prinzip einer Prozesssteuerung von Arbeitsabläufen bezeichnet. Im Taylorismus strebt man eine Steigerung der Produktivität menschlicher Arbeit an, indem man den gesamten Arbeitsprozess in isolierte Arbeitsschritte aufteilt. Als Grundlage für eine »adäquate Aufteilung der Arbeit« dienen zumeist Zeit- und Bewegungsstudien (vgl. Esser 1999: 303ff.).

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von Rigauer (1969),7 nach der eklatante »Strukturähnlichkeiten« von Arbeit und Sport bestünden sowie das Primat des Leistungsprinzips als vorherrschende Norm der Arbeitswelt auch im Hochleistungssport zu finden sei. Der gegenwärtige Sport übernehme generell »eine für die Industriegesellschaft typische Anpassungsfunktion« und sei schon »längst zu einem Sektor der Arbeitsrationalisierung geworden« (vgl. Rigauer 1981: 11f.). Ein derartig gnadenloses Leistungsprinzip lässt sich insbesondere beim Bodybuilding aufzeigen, da sich Bodybuilder auf Grund der unmittelbaren Sichtbarkeit ihrer Körper fortwährend mit Leistungsbewertungen durch ihre Studiokollegen – und andere Umfeldakteure – konfrontiert sehen und daher ständig unter Leistungsdruck stehen. Kein Kraftsportler, der als Bodybuilder etwas auf sich hält und von seinem Umfeld auch als solcher wahrgenommen werden will, kann es sich erlauben, seinen Körper ›außer Form‹ geraten zu lassen. Und hierbei ist es irrelevant, ob sich der betreffende Bodybuilder als Freizeit-, Breitenoder Hochleistungssportler versteht. Bodybuilder sind zu einem Sinnbild eines für den modernen Sport charakteristischen Leistungsindividualisten geworden, den es in dieser strikt körperorientierten Form in anderen Gesellschaftsbereichen nicht mehr zu geben scheint. c) Bodybuilding als Ausdruck einer höheren Kunstform Die meisten Bodybuilder reduzieren ihren Sport nicht darauf, (nur) eine Sportart zu sein, sondern interpretieren Bodybuilding als hohe »Kunstform«.8 So beharrt beispielsweise Lisa Lyon – seinerzeit die erste (regu-

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Rigauers Exkurs über den Warencharakter des Sports zeigt die Defizite bei der Gegenüberstellung von traditioneller und kritischer Sporttheorie auf. Inwiefern die industriellen Produktionsverhältnisse den Sport strukturieren und was dies möglicherweise für den Handlungs- und Erfahrungsraum des Sportlers bedeutet, von diesen »abhängig« zu sein, werde nur unzureichend erörtert. Zudem werden seiner Auffassung nach die Einflüsse aus der Wirtschaft auf den Hochleistungssport generell weitgehend verkannt (vgl. Rigauer 1981). Lenk (1985: 111f.) möchte den Sport neben den sieben griechischen Künsten – der Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie – generell zur »achten Kunst« befördern. Dies gelingt ihm

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läre) Weltmeisterin im Frauenbodybuilding – auf dem Standpunkt, dass es wahrhaftige Kunst sei, »was sie vermittels ihres Körpers präsentiere: eben Körper-Kunst« (Honer 1985: 159). Sie und weitere namhafte Bodybuilder sehen sich in einer geradezu überschwänglichen Weise nicht nur als »ultimative Athleten«, sondern vor allem als darstellende Künstler. Die Majorität der Bodybuilder teilt indessen diese als anmaßend erscheinende Auffassung mitnichten und relativiert sie unmissverständlich sowie mit großem Nachdruck. Trotz allem versteht sich »ein erheblicher Prozentsatz der Bodybuilder (wenn auch oftmals in funktionaler Weise) als Künstler, als Bildhauer und Architekt des [eigenen] Körpers« (Klein 1991a: 193f.). Den body-gebildeten Körper gilt es in Bestform oder auch Wettkampfform zu bringen und sodann möglichst lange in besagter Form einzufrieren, wobei diesbezüglich ausschließlich optische Gesichtspunkte von Interesse sind und konditionelle Aspekte regelrecht in der Bedeutungslosigkeit verschwinden. Oft haben Bodybuilder am Ende eines jahrelangen Trainingsprozesses einen weitgehend dysfunktionalen Körper ausgebildet, durch den selbst die simpelsten Alltagsbelastungen – etwa Treppensteigen – zu einer körperlichen Tortur ausarten können. Solche doch sehr gravierenden physiologischen Defizite konzentrieren sich nicht nur auf Ausdauerleistungen, sondern darüber hinaus auch auf statische Kraftleistungen. So haben Bodybuilder oftmals Probleme mit dem Föhnen der eigenen Haare oder dem Streichen einer Wanddecke, da die Schultermuskeln durch die statische Haltearbeit der Arme über dem Kopf in solchem Maße mit Blut zulaufen, dass ein Verharren in diesen Positionen nur kurze Zeit möglich ist. In dieser Beziehung lässt sich beobachten, dass sich mit steigender Muskelmasse auch obige Symptome intensivieren. Durch unterstützende Maßnahmen, wie Solariumgänge, Bräunungscreme, Posingöl etc., bekommt das Gesamtkunstwerk, also der Athletenkörper, den letzten Schliff, bevor er im Wettkampf vor einem voyeuristischen Publikum in eleganten Posen präsentiert wird (vgl. Bednarek 1984: 54f.). Als richtungweisendes Vorbild oder Ideal in Zusammenhang mit dem Bodybuildingsport als Kunstform werden häufig Männerkörper

aber nur bedingt, was vor allem daran liegen dürfte, dass er sich dem älteren Verständnis von Kunst als »techne« bedient.

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von antiken Statuen angebracht. »Von derlei entrückten Vorbildern ist es dann natürlich auch nicht mehr weit bis zum prinzipiellen Anspruch von Bodybuildern, ihre selbstbewusste Körpergestaltung sei auch, ja im Grunde sogar vor allem Kunst« (Honer 1989: 69). Doch sind diese antiken Kunstwerke zumeist weniger unter den Einflüssen authentischer Körpervorlagen zu Stande gekommen als durch eine künstliche oder künstlerisch überspitzte Vorstellung oder durch tradierte Körperidealfiktionen der entsprechenden Zeitepoche. Dennoch bedient sich die globale Bodybuildinggemeinde dem ungemein archaisch, heroisch sowie überaus virilen Körperideal insbesondere der griechischen Antike, um ihren Sport in der öffentlichen Reputationshierarchie nach vorne zu bringen (vgl. Honer 1985: 159ff.). »Körperzustände werden im Bodybuilding als Resultat technisch umgesetzter Willensanstrengung aufgefasst, als sportlich-künstlerische Bearbeitung von Rohmaterial« (Honer 1989: 70). Jedoch steckt hinter der Anpreisung des Bodybuildings als eine höhere Kunstform vorwiegend eine instrumentelle Zielsetzung. So strebt man mit Hilfe der Gleichsetzung des Bodybuilderkörpers mit einem authentischen Kunstwerk eine höhere Toleranz sowie Akzeptanz für das Bodybuilding an – besonders in der allgemeinen Kommunikationssphäre der Gesellschaft. Es darf aber nicht der Eindruck entstehen, als könnten Bodybuilder an der Gesellschaft, also an spezifischen Kommunikationszusammenhängen, nicht teilhaben.9 Vielmehr ist man speziell auf der Funktionärsseite bemüht, Bodybuilding ›salonfähig‹ zu gestalten. Unter dem Vorwand – gesellschaftlich zumeist positiv konnotierte – Kunst zu sein, wird die »Andersartigkeit« der Bodybuilder in einem vorteilhaften Sinne relativiert und damit die Abnormalität und partielle Perversion der gegenwärtigen Bodybuilderkörper aufgewertet. So polierte auch Schwarzenegger (zit. nach Kirchhoff 1980: 7f.) das damalige Bodybuildingimage mit der folgenden Erklärung auf: »Für mich ist Bodybuilding zweifelsohne eine Kunstform – ›Bildhauerei‹ ohne Hammer und Meißel, am eigenen Körper«. Doch auch wissenschaftliche Analysen hauen in diesel-

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»Teilhaben« ist hierbei im systemtheoretischen Sinne als Störung oder Irritierung von Kommunikation durch die einzelnen Bewusstseinssysteme von Anwesenden zu verstehen (vgl. Kneer/Nassehi 2000: 81f.).

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be Kerbe und befördern Bodybuilding zu einer aparten Form der modernen Kunst. In einer provokanten wie auch amüsanten Weise spricht Scheller (2010) in seiner umfassenden Abhandlung zum Ursprung und Sinngehalt des klassischen Bodybuildings, die den Titel »No Sports! Zur Ästhetik des Bodybuildings« trägt, dem Bodybuilding (implizit) den Status einer Sportart ab; vielmehr sieht er in Bodybuildern postmoderne Bildhauer, die an einer »kulturellen Leitidee« andocken – und zwar an der der autarken Selbstgestaltung des (modernen) Subjekts. Dabei könne sich der Mensch – der Bodybuilder! – selbstbestimmt formen und dadurch in gewisser Weise auch völlig neu erschaffen. Geistige Arbeit an der inneren Statue werde mittels Bodybuilding durch eine künstlerische Arbeit an der äußeren Statue ersetzt. Der Sportcharakter des Bodybuildings sei dabei lediglich ein Mittel zum Zweck, um die individuelle Existenz auf unbestimmte Zeit in ein lebendiges Kunstwerk zu transformieren. d) Bodybuilding als Lebensstil und Ersatzreligion »Was Menschen tun, wie sie sich kleiden, welche Nahrungsmittel sie bevorzugen, welchen Sport sie treiben, bezeichnet man in der Lebensstilforschung als Performanzen. Diese informieren über Mentalität, über die Art und Weise, wie Personen über Angelegenheiten des täglichen Lebens denken. Performanzen und Mentalitäten sind Indizien für einen Lebensstil.« (Schlicht/Strauß 2003: 6)

Die von Bodybuildern an den Tag gelegten Performanzen sprechen eindeutig dafür, dass Bodybuilding als ein spezifischer Lebensstil, wenn nicht sogar als eine Ersatzreligion, zu interpretieren ist. Viele Bodybuilder oder zumindest jene, die ihren Sport passioniert betreiben, »leben« sprichwörtlich Bodybuilding. Das bedeutet, sie sind 24 Stunden am Tag Bodybuilder. Sie empfinden das Bodybuilding nicht nur als Hobby, als Sport oder als Kunst, sondern vielmehr als eine Art Wegweiser bzw. als eine Lebensphilosophie. Ihr gesamter Tagesablauf dreht sich lediglich um das eine Thema, nämlich um den Bodybuildingsport. Man darf in diesem Zusammenhang nicht dem Irrglauben aufsitzen, dass sich Bodybuilding lediglich auf das schweißtreibende Training im Fitness-Studio

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reduziert. Vielmehr setzt diese Form des Kraftsports einen bis ins kleinste Detail geplanten Tagesablauf voraus. Jede umfassendere körperliche Aktivität – meist sogar der Sexualakt – wird zeitlich mit den Trainingseinheiten abgestimmt, so wie jede noch so kleine Mahlzeit. Um das intendierte Muskelwachstum zu erlangen, müssen Bodybuilder pedantisch auf ihre Ernährungsweise achten. Gewöhnlich werden dazu sechs bis acht üppige sowie besonders eiweißreiche Mahlzeiten pro Tag verzehrt. Jede Mahlzeit wird sorgfältig abgewogen und in Hinblick auf ihren Nährstoffgehalt ausgewählt. Zudem haben Bodybuilder auf genügend Schlaf zu achten, um Regenerationsprozesse zu optimieren. Dazu werden üblicherweise acht bis neun Stunden Schlaf pro Tag veranschlagt – und wenn möglich, ein kleines Nickerchen am Nachmittag. Zudem wird meistens auf den Konsum von Alkohol und Nikotin verzichtet. Bodybuilder sind im Prinzip zwölf Monate im Jahr auf Diät – entweder als eine konventionelle Diät, also zum Abbau des Körperfettanteils, oder als Aufbaudiät in der sog. Massephase. In der entbehrungsreichen Wettkampfvorbereitung der Bodybuilder, durch die die ohnehin ungemein beherrschte Lebensweise der Athleten weiter intensiviert wird, manifestiert sich die enorme Verzichtsbereitschaft der Athleten. Demzufolge kann man dem Lebensstil der Bodybuilder einen asketischen Charakter zusprechen.10 Auch nehmen viele Bodybuilder den immerzu angestrebten Pump (eine stark durchblutete Muskelpartie) während des über die Schmerzgrenzen hinausgehenden Trainings als eine Art Euphorie wahr. Der qualvolle Trainingsprozess wird aber bei weitem nicht als Horrortrip empfunden. Die partiell schmerzliche Askese eines Bodybuilders wird vielmehr zur »gesuchten Ekstase« (vgl. Caysa 2002: 46f.). Nach religionssoziologischen Erkenntnissen kommt dieser asketische und ekstatische Charakter des Bodybuildings sogar einer »religiösen Funktion« nahe. Religiosität ist eine spezielle Erfahrungsmodalität. Als eine »Einübung und Einzwängung in ein das Einzeldasein transzendierendes Sinngefüge« bezeichnet Luckmann (1980: 176) die soziale

10 »Man fühlt sich durch das Training nicht nur physisch fitter, sondern auch psychisch wohler, und vor allem fühlt man sich als überaus disziplinierter, charakterstarker, selbstbestimmter Willensmensch.« (Honer 1989: 65)

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sowie individuelle Funktion von Religion und bezeichnet religiös als »jene Schichten der gesellschaftlichen Wirklichkeitskonstruktionen, die Transzendenzerfahrungen entspringen und mehr oder minder nachdrücklich als auf eine nichtalltägliche Wirklichkeit bezogen erfasst werden« (ebd.: 176). Die großen Konfessionen spielen in modernen Gesellschaften als normbildendes sowie normgebendes Wertesystem eine stetig geringer werdende Rolle. Zwar prägt das Christentum noch immer die Wertvorstellungen hinsichtlich Recht und Unrecht – kurzum: unser Moralverständnis –, allerdings wird das Bedürfnis nach traditioneller Religiosität, durch die der Mensch Eindrücke jenseits des unmittelbar und rational Erfahrbaren erleben will, nicht mehr nur allein durch die traditionellen Institutionen der Kirchen befriedigt. Durch Prozesse der Profanisierung und Säkularisierung, die mit Beginn der Aufklärung11 in weiten Teilen Europas einsetzten, konnten die großen Kirchen ihre ehemals monopolistische Verbindlichkeit bezüglich ihrer sozial vermittelten Weltdeutungen nicht länger aufrecht erhalten. Folglich ist Religiosität nicht mehr auf explizit dafür spezialisierte Institutionen, wie die katholische oder die evangelischen Kirche(n), beschränkt (vgl. Honer 1985: 164). Mit dem »tendenziellen Verschwinden der Religion«12 ist jedoch auch eine hochmoralische und sinnstiftende Instanz verloren gegangen, für die unsere Gesellschaft (noch) keinen adäquaten Ersatz ausgebildet zu haben scheint. Dabei darf es als unumstritten angesehen werden, dass der Mensch immerwährend nach festen Normen und Werten verlangt, die seinem meist als »Verdammtsein zur Existenz« empfundenen Dasein – um es mit Sartres (1993) Worten zu sagen – ein wenig Sinn einhauchen. Folglich ist in funktional differenzierten Gesellschaften das Einzeldasein, das sich mit einer erschlagenden Vielfalt an Sinnangeboten konfrontiert sieht, individuell zu organisieren.

11 Aufklärung ist gemäß Kant als der Ausgang des Individuums aus einer selbstverschuldeten Unmündigkeit zu interpretieren, indem das Individuum lernt, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Zur Kritik an der Epoche der Aufklärung vgl. Horkheimer und Adorno (2001). 12 Der Prozess der Säkularisierung lässt sich mit dem wohl bekanntesten Diktum Nietzsches auf den Punkt bringen: »Gott ist tot.«

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Das moderne Subjekt ist darauf angewiesen, seine »religiösen Bedürfnisse« privat zu befriedigen, da kein sozial unumgängliches, religiöses Modell mehr vorzufinden ist (ebd.: 165ff.). Damit lassen sich auch viele der in den letzten Jahren festzustellenden Trends, wie der einer Hinwendung etlicher Menschen zu Sekten oder der einer stark boomenden Esoterik, plausibel erklären. Zudem findet in modernen Gesellschaften eine quasi-religiöse Behandlung von an sich Profanem statt, was z.B. durch den sakralen Charakter der Olympischen Spiele transparent wird. Große Sportwettkämpfe ähneln nicht selten religiösen Zeremonien. Im Zuge besagter Beobachtungen wurde von Bellah (1967) explizit der Begriff »Zivilreligion« geprägt. Sport und somit auch Bodybuilding sind demnach vor einem Kontext säkularisierter Gesellschaften durchaus als Ersatzreligion13 zu deuten. »Dabei wird die Art und Weise der körperlichen Zurichtung, also Bodybuilding und Fitness-Sport, sowie dessen Endprodukt, also muskulöse Körper, zunehmend als Ersatzphilosophie und als sinnstiftende Lebenswelt empfunden, dessen Regeln Halt geben sollen in einer entzauberten Gesellschaft, in der sinngebende Instanzen wie Religion oder Familie angeblich im Schwinden begriffen sind.« (Wedemeyer 1999a: 411)

Konform zu den Betrachtungen von Aufmuth (1996: 121f.) zum Extrembergsteigen als eine Abenteuersucht kann man auch fürs Bodybuilding festhalten, dass es sich dabei nicht nur um einen Sport handelt, sondern in erster Linie um eine »Lebensform«. Man kann diese Lebensform nicht nebenher betreiben. Vielmehr absorbiert Bodybuilding die gesamte Lebenszeit sowie -energie seiner Akteure. Anders formuliert: »Es ist existenzbeherrschend. Alle anderen Lebensbereiche – Gelderwerb, Partnerschaft – sind nachgeordnet« (Aufmuth 1996: 121). Bodybuilding beinhaltet – einer Religion gleich – ein komplettes Lebenspro-

13 Vgl. hierzu auch Weis (1995): Sport als Religion. Sport als soziale Institution im Dreieck zwischen Zivilreligion, Ersatzreligion und körperlich erlebter Religion. In: J. Winkler und K. Weis (Hrsg.): Soziologie des Sports. Theorieansätze, Forschungsergebnisse und Forschungsperspektiven. Opladen: Westdeutscher Verlag, 127-152.

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gramm, quasi einen ›roten Leitfaden‹ fürs gesamte Leben. Dabei wird durch konkretisierte Leitvorschläge und Regeln, deren Einhaltung für den erhofften Erfolg als essentiell anzusehen ist, grundlegend Einfluss auf das Leben eines jeden einzelnen Bodybuilders ausgeübt. Deshalb gibt Bodybuilding dem Leben des individuellen Athleten – wenn auch zumeist implizit – Sinn und Halt und ermöglicht so dessen Identitätsfindung. Ein frappanter Unterschied zu den (konventionellen) Religionen besteht dahingehend, dass jene ihre Erfüllung im Jenseits sehen, wohingegen Bodybuilder die Erfüllung in ihrer Körperlichkeit im Diesseits suchen. Bodybuilding ist somit einer Religion in vielerlei Hinsicht ähnlich, dennoch orientiert sich die Operationslogik des Bodybuildings nicht etwa an der binären Codierung Immanenz/Transzendenz des Religionssystems (vgl. Luhmann 2000: 77f.), sondern weitestgehend am Sieg-/Niederlage-Code des Sportsystems. Die soeben angestellten Reflexionen zum Bodybuilding als Lebensstil oder Ersatzreligion lassen sich mit Honers Worten (1985: 164) in treffender Weise zusammenziehen: »Alltagstranszendenter Lebenssinn wird über allerlei politische, ökonomische, sexuelle und andere Großideologien zur jeweiligen Anhängerschaft transportiert. Aber auch die kleineren gesellschaftlichen Formationen, kleine soziale Lebens-Welten wie das Bodybuilding, vermitteln sich, wie wir gesehen haben, über die begrenzte pragmatische Thematik hinaus als handlungs-legitimatorische symbolische Sinnsysteme.«

Ausgangsthese: Sinngenerierung durch Bodybuilding In funktional differenzierten Gesellschaften, in denen den Massenmedien eine zunehmend größere Relevanz zugeschrieben wird,14 bekommt das Individuum die »Nichtigkeit des Seins« und die Machtlosigkeit, et-

14 Die ›Medien‹ sind es, die unser Wissen über die Welt bestimmen. Dabei wechseln die Fernsehanstalten immer häufiger aus der Rolle der passiven Übertragungsinstanzen in die Rolle des aktiven Ereignisinszenierers. Sie berichten über eine Wirklichkeit, die sie selbst mitkonstruiert haben (vgl. Bette/Schimank 2000: 92ff.). Vgl. auch Luhmann (1996).

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was an der Welt verändern zu können, insbesondere über die Nachrichten der TV-Sender, des Hörfunks oder der Printmedien unaufhörlich ins Bewusstsein gerufen. Dem modernen Subjekt mangelt es an konkreten Machbarkeitserfahrungen.15 »Positive Veränderungen«, die beispielsweise durch die heutige Politik als nicht mehr machbar erscheinen, gelingen im Bodybuilding zwar nicht mühelos und schlagartig, aber immerhin doch in kleinen und kontrollierbaren Schritten. Daher kann man den gegenwärtigen »Körperkult« durchaus als einen Ruf nach Athletik statt (nutzloser) Politik deuten (vgl. Apraku/Nelles 1988: 9). Das Subjekt – auf der Suche nach Sinn und Halt im eigenen Leben – verliert sich häufig gänzlich in modernen Gesellschaften. Durch eine systematisch-planvolle Modellierung des individuellen Körpers nach einem »persönlichen Idealbild« sind im Bodybuilding Machbarkeitsphantasien auslebbar. Kurz: »Du kannst heute an der Welt nicht mehr viel ändern – also veränderst du dich selbst« (Arne, Fitness-Sportler, 28 J., zit. nach Würzberg 1987: 9). An die Stelle der zuvor Sinn und Halt generierenden Instanzen, wie der Familie, dem Beruf oder der Religion, tritt für passionierte Bodybuilder in zunehmendem Maße das Bodybuilding. Der hiermit korrespondierende Lebensstil sieht den individuellen Körper als festen Bezugspunkt in einer sich permanent verändernden Welt. Etwas anders formuliert: »Wahr ist, was fühlbar ist. Der Körperkult wird so zu einer Form der Zurückweisung des tristen und illusionslosen Alltags, zu einem Lebensstil, in dem sich Bilder der Massenmedien – Film, Fernsehen, Werbung – untrennbar mit der Unmittelbarkeit sinnlicher Körpererfahrung verschränken.« (Apraku/Nelles 1988: 8)

Bodybuilder konstituieren ihren (persönlichen) Sinn und Halt durch Bodybuilding und machen es dadurch zu einer sozialen Sinnprovinz. In

15 In Zusammenhang mit der »Erziehung zur Mündigkeit« spricht Adorno diesbezüglich von einer Ohnmacht des modernen Individuums gegenüber den gesellschaftlichen Zwängen, die für das jeweilige Individuum automatisch in geringeren Machbarkeitserfahrungen resultieren (vgl. Adorno/Kadelbach/Becker 1981).

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dieser Subsinnwelt Bodybuilding ist der Körper nicht mehr nur ein klares Indiz für eine wie auch immer geartete »Befindlichkeit« des Subjekts und auch nicht lediglich Ausdrucksform kommunikativer Zeichen. Vielmehr ist der Körper zugleich sowie intendiertermaßen ein Symbol eines unkonventionellen und nicht alltäglichen Bewusstseinszustands (vgl. Würzberg 1987: 13f.). Es darf in besagtem Zusammenhang durchaus davon ausgegangen werden, »dass in dem Maße, in dem sich ein Mensch als Bodybuilder begreift, ihm auch das Bodybuilding zu einem relevanten Wissenssystem, ja zu einer symbolischen Subsinnwelt, mithin zu einer umfassenden und bedeutungsträchtigen Ordnung und Erklärung von Welt schlechthin« (Honer 1985: 156f.) wird.16 Mit dem Bodybuilder-Sein geht immer auch eine Internalisierung einer besonderen Wirklichkeitssicht einher, in der der Körper zum absoluten Mittelpunkt avanciert ist. Nachdem der aktuellste Stand der vorwiegend soziologischen, aber z.T. auch anderweitig orientierten Forschung aufgezeigt wurde, ist nunmehr die Gliederung der vorliegenden Studie zu erörtern. Unabhängig von der in die Bodybuildingthematik einführenden Einleitung definiert Kapitel I konkrete Vergleichsgesichtspunkte und Epochenbegriffe, die für eine Auseinandersetzung mit der historischen Gewachsenheit des Kraftsports (bzw. des Bodybuildings) unverzichtbar sind. Die »soziale Evolutionstheorie« à la Niklas Luhmann dient dabei als Analyseinstrumentarium und historische Kategorisierungsschablone. Kapitel 1 behandelt im Anschluss die gesellschaftlichen Differenzierungstypen im Detail. Da diese Studie hauptsächlich in der Sportsoziologie angesiedelt ist, und nicht »nur« im Bereich einer vorwiegend personen- und datenorientierten Sportgeschichte, wird als Leitorientierung auf Erkenntnisse aus der soziologischen Differenzierungstheorie zurückgegriffen. Kapitel II hat dagegen die Zielsetzung, die wechselnde Bedeutung von Körperkraft und Kraftkörper in Analogie zum Differenzierungsmodus moderner Gesellschaften – von segmental differenzierten Gesellschaftsformen über stratifizierte bis hin zur Entstehung funktional differenzierter Gesellschaften – zu explizieren. Hierbei wird analytisch darauf vorbereitet, dass die als ›Gegenreaktion‹ auf Technisierung, Kör-

16 »Auch die Bodybuilding-Welt ist, solange man sich ihr zuwendet, in ihrer eigenen Weise real.« (Schütz 1972; zit. nach Honer 1985: 156)

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perverdrängung, Verstuhlung sowie die dadurch hervorgerufene Atrophie des Muskelapparates entstandene Bodybuildingbewegung in einer verhüllten Art komplementär zum gesellschaftlichen Differenzierungsprinzip verlief – und noch heute verläuft. Ein analytischer Dauerbezug auf Luhmanns Vorschlag zu einer für die Systemtheorie anschlussfähigen Theorie des sozialen Wandels (soziale Evolution) kann allerdings im Rahmen der hier intendierten Anwendung seiner Gesellschaftstheorie nicht kontinuierlich durchgehalten werden. Es ist zwar das primäre Anliegen dieser Studie, durch Luhmanns sozialer Evolutionstheorie den Kraftsport und ab Kapitel III und Kapitel IV explizit das Bodybuilding – inklusive seiner historischen Vorformen – analytisch zu erhellen, doch soll dabei das Analyseinstrumentarium, also die soziale Evolution, nicht zu sehr ins Zentrum der Betrachtungen gerückt werden, sondern weitestgehend im Hintergrund mitlaufen. In Kapitel 2 geht es schwerpunktmäßig um das Beziehungsgeflecht von Körperkraft und Kraftkörper. Dabei werden die historischen Entwicklungsetappen von frühen Kraftsportformen zum Bodybuilding nachgezeichnet. Die Zeitepochen, die in diesem Zusammenhang behandelt werden, reichen von den Athletikschulen der griechischen sowie römischen Antike über die sog. Kraftproben vor dem Kontext mittelalterlicher Militär- und Erziehungspraktiken bis hin zum Krafttraining der Neuzeit. Erste Vorformen des Bodybuildings verortet Kapitel 3 in Zirkus und Varietee sowie in den ungemein körperkraft-fixierten Praktiken der Lebensreformbewegung um 1900. Als Orte und Organisationen des Kraftsports behandelt im Anschluss Kapitel 4 zunächst die ›Muckiebuden‹ vergangener Tage und danach die ›High-Tech-Studios‹ der heutigen Zeit. Mit Ausführungen über die Identitätsarbeit der Kraftsportler und die in diesem distinktionsfreudigen Sozialmilieu vorfindbaren Inund Outgroupdefinitionen rundet Kapitel 5 die Gesamtanalyse ab. Das Ende dieser Studie zur Soziogenese des Bodybuildings bildet das Resümee, das sich unter Bezugnahme auf Ritzers (2006) sog. McDonaldisierungsthese an einer Prognose versucht.

I. Soziale Evolutionstheorie als Analyseraster

Aus einer wissenschaftlich-interdisziplinären Perspektive begutachtet, wurde in den letzten Jahren – genau genommen Jahrzehnten – kaum einer anderen Theoriekonzeption mit vergleichbarer Kontinuität derartig viel Aufmerksamkeit geschenkt wie der Luhmannschen Systemtheorie. Den Modetrends des Bekleidungssektors gleich, sehen sich innovative Theorieschulen in Bezug auf ihre Reputation in der Scientific Community einem ständigen Auf und Ab ausgesetzt. Manche Theorieansätze – und vereinzelt Gesellschaftstheorien in ihrer hochkomplexen Gesamtheit – erfahren in der Wissenschaft einen regelrechten »Hype«. Dann verlieren sie urplötzlich wieder an Aktualität oder verschwinden in der Versenkung (vgl. Schwanitz 1999: 346ff.). Die neuere soziologische Systemtheorie ist hingegen in ihrer Aktualität stets relativ konstant gewesen; das wissenschaftliche Interesse an diesem durchaus auch kontrovers diskutierten Theorietypus riss parallel zu den vielfältigen Problemfeldern moderner Gesellschaften nie vollends ab. Insofern kann man die Systemtheorie mit bestem Gewissen als einen »Theorie-Longseller« der (soziologischen) Wissenschaftslandschaft bezeichnen. Soziale Evolution – oder bisweilen auch soziokulturelle Evolution genannt – ist ein Oberbegriff für sozialwissenschaftliche Theoriekonzepte der sozialen (oder kulturellen) Evolution, die die polymorphen Veränderungen von Gesellschaften oder Kulturen ins analytische Visier nehmen. Aus verschiedensten Wissenschaftsdisziplinen, wie etwa der Archäologie, Ethnologie, Anthropologie oder Soziologie, liegen recht unterschiedliche Theorien vor, die allerdings den gemeinsamen Nenner

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aufweisen, dass sich Gesellschaften auf divergenten Stufen der »sozialen Entwicklung« befinden. Alle Evolutionstheorien besagen, dass sich Gesellschaften immer von einem »primitiven« Zustand ausgehend hin zu einer »zivilisierten« Gesellschaftsform entwickeln (vgl. Elias 1976a, b). Dabei wird die Kultur und Technologie der (westlichen) Industriegesellschaften meist unreflektiert mit Fortschritt gleichgesetzt. Bereits Adam Smith1 stellte fest, dass jede »zivilisierte« Gesellschaft in ihrem Entwicklungsprozess vier Entwicklungsstufen passiert habe: 1. 2. 3. 4.

Stufe: Jäger und Sammler Stufe: Viehzucht und Nomadentum Stufe: Landwirtschaft Stufe: Handel

Dieser Ansatz ist so schlicht, wie er selbsterklärend ist und bedarf daher keiner weiteren Erläuterung. In der historischen Genese soziokultureller Evolutionstheorien gab es neben Smith noch viele weitere Promotoren, die hier nicht alle genannt werden müssen. Wichtig ist, dass aus den frühen Theoriemodellen zunehmend differenziertere und in sich komplexere Theoriekonzeptionen hervorgingen. Um sich nicht zu sehr in der Historie einer evolutionären Theorierichtung zu verlieren, wird nun der Blick auf eine gegenwärtig in sozialwissenschaftlichen Forschungskreisen dominante, weil überaus umfassende sowie erklärungskräftige Gesellschaftstheorie gerichtet: die Luhmannsche Systemtheorie. Niklas Luhmanns Gesellschaftstheorie ist eine geradezu revolutionäre Theoriekonzeption, die dem Leser die Umstellung des alt-europäischen ontologischen Denkens auf eine funktionale Sichtweise abverlangt. Dadurch wird ihre Rezension nicht gerade erleichtert. Luhmanns Systemtheorie setzt sich analytisch mit der Struktur und Funktionsweise sozialer Systeme auseinander. Da Luhmanns Überlegungen zur sozialen Evolution, die für die vorliegende Studie als Analyseinstrumentarium Anwendung fanden, lediglich als ein kleines Theoriefragment seiner systemtheoretischen Gesamtkonzeption in Erscheinung treten, sind ge-

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Dazu vgl. ausführlicher Smith, Adam, 1776: Über den Wohlstand der Nationen. Eine Untersuchung über seine Natur und seine Ursachen (Auflage von 1974). München: Beck Verlag.

S OZIALE E VOLUTIONSTHEORIE ALS A NALYSERASTER | 33

wisse Grundkenntnisse für ein adäquates Verständnis unverzichtbar. Dabei sind – um es im Vorfeld klarzustellen – soziale Systeme nichts anderes als Kommunikation. Gesellschaft2 ist somit aus einer systemtheoretischen Perspektive betrachtet als spezifischer Kommunikationszusammenhang zu verstehen und nicht als eine ›bloße‹ Ansammlung von Menschen. Menschen sind zwar Voraussetzung für Kommunikation, aber dennoch nicht Bestandteile der Gesellschaft. Die erklärte Zielsetzung der Systemtheorie liegt darin, unterschiedliche soziale Phänomene mit Hilfe des von ihr entwickelten theoretischen Analyseinstrumentariums zu beobachten, zu beschreiben und zu analysieren (vgl. Bette 1999: 9ff.). Hierbei sollen die erstaunliche Komplexitätsfülle sowie mannigfaltige Differenzierungsprozesse der modernen Gesellschaft – beispielsweise der westlichen Industrienationen –, die das gesellschaftliche Zusammenleben seit Ende des 18. Jahrhunderts grundlegend prägten, Berücksichtigung finden. Durch dieses Vorgehen trachtet die Systemtheorie der Komplexität funktional differenzierter Gesellschaftsformen ein ihr entsprechendes Maß an theoretischer Eigenkomplexität entgegenzustellen (vgl. Willke 1999: 65ff.). Multilaterale Mechanismen, die hinter dem Rücken des modernen Subjekts ablaufen, sind durch eine stringent durchgehaltene Entsubjektivierung des komplexen Gesellschaftsbegriffs wesentlich effizienter zu erhellen (vgl. Bette 1999: 10f.). Allerdings steht dieses Vorgehen dem ansonsten üblichen Subjektbegriff humanistisch geprägter Gesellschaften, der sich seit Beginn der Aufklärung3 gerade in den modernen Gesellschaftsformen etabliert hat, diametral entgegen. So maßt sich die Systemtheorie an, das durch die Aufklärung ›heilig gesprochene‹ Subjekt vom goldenen Podest zu stoßen und in die Umwelt der Gesellschaft auszulagern; sie sieht den Menschen nicht mehr als Zentrum der Gesell-

2

3

»Als Gesellschaft wird dasjenige soziale System bezeichnet, das alle sinnhaften Kommunikationen einschließt und sich immer dann bildet, wenn in Anschluss an vorige Kommunikation oder im Hinblick auf weitere Kommunikation (also: autopoietisch) kommuniziert wird.« (Luhmann 1990: 267) Zu den Folgen der Aufklärung und der damit einhergehenden »Ohnmacht gegenüber gesellschaftlichen Zwängen« vgl. auch Horkheimer und Adorno (2001).

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schaft und definiert demzufolge das Verhältnis von Gesellschaft und Mensch komplett neu (vgl. Bette 1999: 108ff.). Systemtheoretische Ansätze denunzieren oder degradieren das moderne Subjekt in keinster Weise; sie beobachten es lediglich anders. In den mittlerweile unzähligen Publikationen zur Kritik an systemtheoretischen Positionen kristallisiert sich wieder und wieder ein hartnäckiger Kritikpunkt heraus und zwar der einer angeblich drastischen »Abwertung« des modernen Subjekts durch die Systemtheorie (vgl. Pongratz 2005: 91ff.). Mit der humanistisch konnotierten Begrifflichkeit »Mensch« gehen seit jeher stark normative Erwartungen einher. Dabei ist immer wieder nicht nur von Interesse, was der Mensch ist, sondern zugleich, was er zu sein hat. Da jeder griffigen Theorie ein konkretisiertes Menschenbild inhärent ist oder zumindest sein sollte, wird auch der Systemtheorie ein solches und zwar fälschlicherweise in rein ontologischer Tradition verstandenes Menschenbild zugeschrieben. In dem falsch ausgelegten Menschenbild der Systemtheorie liegt einer der Schlüssel für viele Fehlinterpretationen. Denn die neuere soziologische Systemtheorie hat sich von der alt-europäischen ontologischen Denktradition analytisch distanziert (vgl. Luhmann 2002b: 67ff.). Die Systemtheorie begreift den Menschen nicht als eine Einheit oder als ein ganzheitliches System, sondern als System-Mix. Sie vollzieht eine klare Trennung von physiologischem (bzw. biologischem), psychischem und sozialem System (vgl. Bette 1999: 49ff.). Diese drei verschiedenartigen Systeme zeichnen sich zwar durch ihre »operative Geschlossenheit« aus, stehen aber über »strukturelle Kopplungen« miteinander in Verbindung. Die physische Basis existiert auf der Grundlage von »Leben« und sichert ihr Bestehen durch eine stetige Reproduktion von Zellen. Das psychische System funktioniert lediglich auf der Basis von Bewusstsein, das sein Fortbestehen durch das Anstoßen von einzelnen Gedanken sichert. Endlose Gedankensequenzen entstehen, indem ein diffuser Gedanke den nächsten Gedanken anstößt – dem Dominoprinzip ähnelnd. Soziale Systeme, wie etwa Gesellschaften oder Organisationen, in die auch Menschen inkludiert sind, existieren folglich auf der Grundlage von Kommunikation. Zwar stehen die drei Systemtypen des System-Mixes Mensch in einem (direkten) Abhängigkeitsverhältniss zueinander, denn Bewusstsein kann beispielsweise ohne eine biologische Basis nicht funktionieren und soziale Systeme

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bedürfen stets kommunizierender Bewusstseinseinheiten, aber dennoch ist der Mensch als »ganzheitliche Einheit« gedacht nicht mehr als eine Fiktion und daher analytisch nur wenig ertragreich. Das Hauptdifferenzierungsschema der Systemtheorie macht sich an der Unterscheidung von System und Umwelt fest. Aus dem spezifischen Blickwinkel, der sich aus besagter Differenzierung ergibt, beobachtet und analysiert die Systemtheorie die »reale Welt«. System und Umwelt sind keine völlig unabhängig voneinander existierenden Größen, denn erst durch die Abgrenzung voneinander nehmen sie eine eigene Struktur an. Eine Umwelt kann nur im Gegensatz zu etwas existieren, das sie umgibt sowie umgekehrt (vgl. Luhmann 2002b: 66). Durch strukturelle Kopplungen4 sind soziale Systeme dazu in der Lage, eine Beziehung oder Verbindung zu ihren Umwelten aufzunehmen, ohne dabei die je eigene in sich geschlossene Steuerungsstruktur anzutasten. Beobachtet man mehrere soziale Systeme im Zusammenhang, ist es unerlässlich zu unterscheiden, welche Momente für das jeweilige System zur Innen- oder Außenperspektive zählen. Systeme sind immer weniger komplex als ihre Umwelt. Denn soziale Systeme haben es sich zur Aufgabe gemacht, Komplexität zu reduzieren. Die »System-Umwelt-Theorie«5 rekurriert auf drei fundamentalen theoriegeleiteten Konzeptionen, die hier aus Umfangsgründen nur kurz Beachtung finden: (1) Codierung und Programmierung, (2) Offenheit durch Geschlossenheit und (3) Unterscheidung zwischen trivialen und nicht-trivialen Systemen. Zu (1): Damit sich ein Sozialsystem von seinen Umwelten trennscharf abgrenzen und »selbstreferentielle« Kommunikationszusammenhänge ausbilden kann, ist es von Nöten, einen eigenständigen Code6 auszuprägen. So gilt im modernen Rechtssystem beispielsweise die Ori-

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Vgl. ausführlicher Luhmann (2002b: 118 ff.). Vgl. Luhmann (2002b: 66ff.) sowie Bette (1999: 31ff.). »Codes bestehen aus einem positiven und einem negativen Wert und ermöglichen die Umformung des einen in den anderen. Sie kommen durch eine Duplikation der vorgefundenen Realität zustande und bieten damit ein Schema für Beobachtungen an, innerhalb dessen alles, was beobachtet wird, als kontingent, das heißt: als auch anders möglich, erscheint.« (Luhmann 1990: 266)

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entierungsregel durch den »binären Code«: Recht/Unrecht (vgl. Luhmann 1990: 76ff.). Er fungiert als systemimmanenter Filter zur Steuerung des Verhältnisses von System und Umwelt. Zu betonen ist, dass binäre Codes nicht als psychologisiert und individualisiert zu interpretieren sind, denn sie beziehen sich nur auf soziale Systeme, nicht auf Menschen. Vielmehr hat jeder Code eine Ausbildung von ›Sondersprachen‹ in den entsprechenden Teilsystemen moderner Gesellschaften – Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Religion, Erziehung, Kunst, Sport etc. – zur Folge. Die komplette Informationsverarbeitung der Sozialsysteme vollzieht sich durch die Einteilung in »positiv« oder »negativ«. Die eine Position definiert sich, indem sie die jeweils gegensätzliche verneint. Codierungen besitzen stets den Charakter von Absolutheit. Sie werden innerhalb des jeweiligen Systems nicht hinterfragt. Durch seine »operative Geschlossenheit« auf der Codeebene besitzt ein Subsystem die Freiheit, sich auf der Programmebene seiner Umwelt nach Maßgabe systemimmanenter Regeln zu öffnen. Aus der Umwelt stammende Informationen werden dahingehend überprüft, ob sie von ›Vorteil‹ oder Nutzen sein können und werden nur bei positiver Bewertung durch die systemeigene Struktur extrahiert (vgl. Kneer/Nassehi 2000: 111ff.). Aus diesem Konzept der Codierung und Programmierung ergibt sich für Subsysteme das überdeckende Prinzip der »Offenheit durch Geschlossenheit«7. Zu (2): Auf der Grundlage einer Schließung der basalen Operationen – im gewissen Sinne der Autonomiebildung – kann sich ein soziales System Offenheit erlauben; somit ergibt sich eine nachhaltige Simultanität von einerseits Offenheit und andererseits Geschlossenheit. Für Sozialsysteme hat das zur Konsequenz, dass sie eine codeförmige »Autonomie« besitzen und dennoch in einem Interdependenzverhältnis zur Umwelt fortbestehen (vgl. Luhmann 2002b: 95ff.). Infolgedessen ist die Aussage, dass Autopoiesis »als solipsistische Isolation« zu denken ist, eine Fehlinterpretation. Denn selbstreferenzielle Geschlossenheit meint eben gerade nicht Isolation, wie es von Pongratz (2003: 87f.) irrtümlich gedeutet wurde.

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Zur hochkomplexen Thematik der Geschlossenheit sowie Offenheit ganzer Teilsysteme vgl. Schimank und Volkmann (1999: 11ff.).

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Zu (3): Das letzte der obigen drei Konzepte besteht aus der Unterscheidung zwischen trivialen und nicht-trivialen Systemen. Ein triviales System, wie eine Maschine, zeichnet sich dadurch aus, dass es bei gleichem Input stets denselben Output produziert (vgl. Luhmann 2002a: 97ff.). Sein Handeln ist somit vorhersagbar und ahistorisch. Nicht-triviale Systeme, wie etwa Menschen oder Sozialsysteme, sind dagegen unberechenbar sowie rückbezüglich. Sie können bei gleichem Input mit ungleichem Output reagieren. Zudem orientieren sie sich maßgeblich an ihrer Vergangenheit (vgl. Bette 1999: 31f.).8 Die drei theoriegeleiteten Konzeptionen, auf die die System-Umwelt-Theorie aufgebaut ist und die hier vorgestellt wurden, können hier nicht erschöpfend behandelt werden, da eine weiterführende Auseinandersetzung den Rahmen dieser Studie sprengen würde. Die offerierten Literaturhinweise müssen diesbezüglich genügen. Die Systemtheorie dient in erster Linie der theoretischen Auseinandersetzung mit »selbstreferentiellen Systemen«9, die nach den Prinzipien der Rekursivität und operativen Geschlossenheit funktionieren (vgl. Schimank/Volkmann 1999: 11ff.). Neben dem zuletzt genannten Prinzip, das gewissermaßen die Vorrausetzung für die bereits angesprochene Offenheit der operativen Geschlossenheit darstellt, bezieht sich das »Prinzip der Rekursivität« auf das Fortbestehen hochkomplexer, immerzu selbstbezüglich ausgerichteter Systeme. Die kleinsten Elemente, aus denen sich ein Sozialsystem (Kommunikationszusammenhang) zusammensetzen, werden mit der Unterstützung dieser erzeugt und vervielfältigt. Aus dem niemals abreißenden Selbstbezug konstituiert sich »die Idee der operativen Geschlossenheit« (Bette 1999: 25ff.). Der Systemkern steht in keinerlei direktem Abhängigkeitsverhältnis zu seiner Umwelt, was zur Folge hat, dass die Systeme hinsichtlich ihrer inneren Steuerungsstruktur geschlossen bleiben. Beziehungen zur Umwelt sind nur unter selbst definierten Sonderbedingungen realisierbar. Alle Sozialsysteme stehen zudem unter dem Zwang, die sie definierenden und zeitlich begrenzenden Ereignisse unentwegt zu reproduzieren, um selbst fortzubestehen. Ohne das Perpetuieren der basalen Ereignisse kann ein Sozialsystem auf Dauer nicht bestehen (vgl. Bette 1999: 26ff.).

8 Zur Selbstreferenz vgl. ausführlicher Luhmann (1984: 57ff.).

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Die Theorie selbstreferentieller Systeme kopuliert wiederum zwei gut ausgereifte Theorieelemente in sich,10 die zugleich als Charakteristika für die Luhmannsche Systemtheorie dienen. Zum einen Heinz von Foersters (1985) »Kybernetik zweiter Ordnung« und zum anderen Batesons (1988) neue »Informationstheorie«: Foersters Kybernetikansatz befasst sich mit der Beobachtung von Beobachtung und mit dem Erscheinen eines Beobachters im beobachtenden System.11 Wobei jeder Beobachter (individuelle) Differenzierungsschemata ausprägt, mit Hilfe derer er bestimmte Ereignisse observiert. Diese Differenzierungsschemata gehen unvermeidlich mit »blinden Flecken« einher, die als Metapher für diejenigen Dinge stehen, die dem Beobachter stets verborgen bleiben. Vereinfacht formuliert: Ein Beobachter kann nicht sehen, was er nicht sehen kann! Das gilt für den historisch motivierten Sozialwissenschaftler im gleichen Maße. Da der Beobachter seinen blinden Fleck nicht eigenständig identifizieren kann, ist ein »Beobachter zweiter Ordnung«12 von Nöten, um den blinden Fleck zu orten und zu benennen (vgl. Bette 1999: 27f.). Allerdings hat auch der Beobachter zweiter Ordnung – um strikt in der Logik zu bleiben – einen blinden Fleck; denn auch er kann nicht sehen, was er nicht sehen kann. Aufgrund dieses Theorieelements relativiert sich die Systemtheorie selbst und distanziert sich von dem Anspruch, die eine »Wahrheit« gefunden zu haben (vgl. Kneer/Nassehi 2002: 100ff.). Neben Foersters Theorieansatz ist Batesons (1988) »Informationstheorie« für die Systemtheorie von großer Wichtigkeit. Sie geht davon

10 Bette (1999: 26ff.) führt drei Theorieelemente an, die in der Theorie selbstreferentieller Sozialsysteme zusammenlaufen. Aus Umfangsgründen sei auf das dritte Element, das für diese Studie nicht von Relevanz ist, lediglich verwiesen. Es handelt sich dabei um George Spencer Browns (1969) »Logikkonzept«. 11 »Der Begriff Beobachtung ist auf dem Abstraktionsniveau des Begriffs der Autopoiesis definiert. Er bezeichnet die Einheit einer Operation, die eine Unterscheidung verwendet, um die eine oder die andere Seite dieser Unterscheidung zu bezeichnen. Die Art der Operation kann wiederum Leben, Bewusstsein oder Kommunikation sein.« (Luhmann 1990: 266) 12 Zur Beobachtung als Instrument zur Erschließung von »Wirklichkeit« vgl. auch Willke (1999: 22ff.).

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aus, dass es nur möglich ist, die Welt zu verstehen, indem man bei der Informationsverarbeitung mit den Mitteln der Differenzierung arbeitet. Die Verwendung von Differenzierungen, wie z.B. System/Umwelt oder Subjekt/Objekt, ermöglichen es bei der Informationsverarbeitung sowie -umsetzung Strukturen zu destillieren. Anders: »Nur dadurch, dass ein System vergleicht, [also] Differenzen setzt, kann es Regelmäßigkeiten, Gleichheiten und Ungleichheiten ausmachen und voneinander abgrenzen« (Bette 1999: 28). Soziale Systeme orientieren und definieren sich mit Hilfe von Differenzbildung und grenzen sich so deutlich gegenüber anderen Sozialsystemen ab (vgl. Kneer/Nassehi 2002: 96ff.). Nachdem eine fundamentale – wenn auch nur »mosaikhafte« – Einleitung in die Grundlagen systemtheoretischen Denkens offeriert wurde, ist nunmehr im Hinblick auf eine sozialgeschichtlich motivierte Analyse des Kraftsports der Brückenschlag zu den Luhmannschen Überlegungen zur sozialen Evolutionstheorie von Nöten. Generell gilt: »Soziale Evolution als Evolution sozialer Systeme beruht auf Zufall, ist unwahrscheinlich und findet trotzdem laufend statt« (Krause 2001: 18). Zur Plausibilisierung einzelner Entwicklungsetappen und -dynamiken von Gesellschaftsformen (Sozialsystemen), konzipierte Luhmann ein Evolutionsmodell, das sich an Darwins klassische Evolutionstheorie anlehnt. Seine Überlegungen basieren auf der dreifach selektiven Gesamtheit von Variation, Selektion und Restabilisierung. Die Variation ist hierbei den Elementen eines Systems zuzuschlagen, während die Selektion der Systemstruktur und die Restabilisierung dem System selbst zugehörig sind. Da es in der Systemtheorie keine »stabilen« Umwelten gibt, ist die Funktion der Restabilisierung von zentraler Bedeutsamkeit. Einmal getroffene Selektionsentscheidungen müssen nicht zwingend zu stabilen Systemzuständen führen, da die Umwelt immer um ein vielfaches komplexer und variabler ist. Infolgedessen müssen Systeme – um an einem evolutionären Prozess partizipieren zu können – selbst für die dazu erforderliche Stabilität Sorge tragen. Hierzu dient die Restabilisierung, die im übergeordneten Sinn eine Voraussetzung für die endgültige Durchsetzung gesellschaftlicher Differenzierungstypen war und ist.

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1 G ESELLSCHAFTLICHE D IFFERENZIERUNGSTYPEN Die eigentliche Tragweite und Potenz der Adaption darwinistischer Mechanismen – so wie sie Luhmann für die Systemtheorie umgesetzt hat – wird erst vor dem Hintergrund seiner oben vorgestellten Kommunikationstheorie und Theorie sozialer Systeme transparent. Eine eingehende Auseinandersetzung mit Luhmanns Vorschlag zu einer für die Systemtheorie anschlussfähigen »Theorie des sozialen Wandels« (Soziale Evolutionstheorie) kann die in Kapitel I vorgenommene mosaikhafte Rekonstruktion seiner komplexen Gesellschaftstheorie nicht leisten. So ist es zwar ein Anliegen dieser Studie mittels Luhmanns sozialer Evolutionstheorie den Kraftsport und dabei insbesondere das Bodybuilding inklusive seiner historischen Vorformen analytisch zu erhellen, jedoch soll dabei das Analyseinstrumentarium, also die soziale Evolution, nicht zu sehr in den Mittelpunkt gerückt werden, sondern lediglich im Hintergrund mitlaufen. Intendiert ist also ein – angesichts der hohen Theoriekomplexität – zwangsläufig unzureichender, grober Einblick für den systemtheoretischen Laien. Bevor mit der Erklärung gesellschaftlicher Differenzierungstypen begonnen wird, ist eine detailliertere Differenzierung der Sozialsysteme unabdingbar. Von einem Sozialsystem kann man immer dann sprechen, wenn Handlungen mehrerer Personen sinnhaft aufeinander bezogen werden und dadurch in ihrem Zusammenhang von allem Nichtdazugehörigem (bzw. der Umwelt des Systems) abgrenzbar sind. Jede Form der Kommunikation unter Menschen führt stets zur Bildung sozialer Systeme. Die Umwelt bietet immer deutlich mehr an Entscheidungsmöglichkeiten und Optionen für ein soziales System, als dieses zu »verarbeiten« im Stande ist. Durch die Selektion bestimmter Möglichkeiten definiert oder konstituiert sich ein soziales System aus sich heraus. Luhmann (2005: 10) nennt dies »Selbstselektion«. Die Bildung und Erhaltung des Systems »impliziert eine Reduktion der Komplexität des überhaupt Möglichen«. Sozialsysteme können sich auf verschiedene Weise ausbilden und zu ihrer Umwelt abgrenzen. Die Elemente Selbstselektion und Grenzziehung bedürfen daher einer prägnanten Erläuterung. Die Selbstselektion beschreibt die Umstände sowie die im Rahmen von Kommunikation gefällten Entscheidungen, die zur Entstehung oder Weiterentwicklung eines sozialen Systems führen oder die die Zugehö-

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rigkeit einer Person zu einem System bestimmen. Explizite Beispiele werden an späterer Stelle bei der Darstellung der einzelnen Systemtypen genannt. Die Grenzziehung kann stets äquivalent zur Selbstselektion beschrieben werden. Dabei handelt es sich jedoch um Umstände und Entscheidungen, die zum Ausschluss von Elementen der Umwelt aus dem sozialen System führen. Die Grenze wird wiederum zwischen einem Sozialsystem und dessen Umwelt ersichtlich. Luhmann unterscheidet drei Typen sozialer Systeme, die man als Orientierungsgrundlage sowohl für originär soziologische als auch historische Überlegungen anwenden kann: a) Interaktion (= Makroebene) b) Organisation (= Mesoebene) c) Gesellschaft (= Mikroebene) Die folgenden Unterpunkte entsprechen einer Zusammenfassung der Ausführungen Luhmanns (2005: 9f.) zur Differenzierung von sozialen Systemtypen. Diese Explizierung dient sodann als Kategorisierung der Analyseebenen für die im weiteren Verlauf der vorliegenden Studie angestellten Überlegungen. a) Interaktion Interaktion entsteht immerzu dort, wo Anwesende sich wechselseitig wahrnehmen. Dies beinhaltet, dass die sich wahrnehmenden Personen auch das Sich-Wahrnehmen wahrnehmen. In einem solchen Fall ist die Anwesenheit sowohl das Selektions- als auch das Grenzbildungsprinzip. Wer anwesend ist, kann auch an der Kommunikation teilnehmen, ihr folgen oder sie gegebenenfalls sogar »unterbrechen«. Wer hingegen gar nicht anwesend ist, hat besagte Optionen nicht. Mit Anwesenden kann über Anwesende gesprochen werden, jedoch nicht mit Abwesenden über Anwesende. Die Umwelt kann mittels Sprache innerhalb des Interaktionsgeschehens thematisiert werden, was aber die Beziehung der Interaktion zur Umwelt weiter intensiviert und verdichtet (vgl. Luhmann 2009a: 10ff.). Alle Interaktionssysteme haben entscheidende Beschränkungen: Zu einem bestimmten Zeitpunkt kann immer nur ein Anwesender (effizient) über genau ein Thema sprechen. Wird etwas anderes versucht,

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werden die Interaktionspartner relativ schnell feststellen, dass die Verständlichkeit der Beiträge in einen unakzeptablen Bereich abdriftet und die Koordinierbarkeit der Beiträge eklatant leidet oder gar nicht mehr möglich ist. Das bedeutet, dass immer nur ein Thema im Zentrum der gesamten Aufmerksamkeit stehen kann und dass dem Interaktionsgeschehen eine innere Ordnung abverlangt wird – insbesondere wenn höheren Ansprüchen genügt werden soll. Das Interaktionssystem bietet mitnichten gleichverteilte Chancen für seine Teilnehmer. Das obligate thematische Nacheinander ist äußerst zeitraubend und für sachlich komplexe Kommunikation ungeeignet. Mit diesem Sozialsystemtyp ist in Bezug auf deren eigenen »inneren« Möglichkeiten sowie deren Umweltbeziehungen nur eine relativ geringe Komplexität erreichbar. Gemäß Luhmann (2009a: 11f.) gibt es folgende Beispiele für Interaktionssysteme: »das gemeinsame Mittagessen in der Familie (nicht die Familie selbst), die einzelnen Kabinettsitzungen (nicht die Regierung als solche), das Schlangestehen an der Theaterkasse, eine Skatrunde, eine Massenversammlung, eine Schlägerei, eine Taxifahrt. In all diesen Fällen genießen die Anwesenden eine bevorzugte Beachtlichkeit«. b) Organisation Die Organisation ist dasjenige Sozialsystem der drei Systemtypen, das sich zuallerletzt entwickelt hat und das in einer Ebene zwischen Interaktion und Gesellschaft einzuordnen ist. Die Organisation stellt eine relativ eigenständige Entwicklung mit neuartigen Prinzipien für Grenzziehung und Selektion dar. Dieser Systemtyp lässt sich weder auf die Interaktion noch auf die Gesellschaft zurückführen. Denn die Ein- oder Austritte sind von bestimmten Bedingungen abhängig, die am Anfang der jeweiligen Organisation von dem oder den Organisationsgründer(n) festgelegt werden. Das vermutlich bekannteste Beispiel stellt ein Arbeitsverhältnis, also die Autoritätsunterwerfung gegen Gehaltszahlung, dar. Verhaltensanforderungen des Systems sowie Verhaltensmotive der Mitglieder können »unabhängig« voneinander variieren. Trotzdem und trotz der meist freiwilligen Mitgliedschaft, ist es stets möglich, »hochgradig künstliche Verhaltensweisen relativ dauerhaft zu reproduzieren« (Luhmann 2009a: 14). Dazu muss sichergestellt sein, dass ein Gleichgewicht zwischen der Attraktivität des Systems und den Verhaltensanforderungen besteht.

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Gewachsene Motive oder moralischer Konsens werden für die Einzelhandlung weitgehend unwichtig, da die Motivlage über die Mitgliedschaft und damit über die Anerkennung der Bedingungen generalisiert wird. »Die Soldaten marschieren, die Schreiber protokollieren, die Minister regieren – ob es ihnen in der Situation nun gefällt oder nicht« (ebd.: 15). Durch die Motivgeneralisierung kann auch eine sachliche und zeitliche Generalisierung und eine Vielzahl mannigfaltigen Handelns erreicht werden. Durch unmissverständlich definierte Mitgliedschaftsregeln »können differenzierte Ämterstrukturen und Kommunikationsschranken, Rechte auf Mittelgebrauch und Verantwortlichkeiten, Wirkungsketten und Kontrollmechanismen eingerichtet werden, zu deren Pauschalanerkennung der Eintretende verpflichtet wird« (ebd.). Die Organisation zeichnet sich demnach durch eine exorbitante Flexibilität und Anpassungsfähigkeit aus, solange die Mitgliedschaft für ihre Mitglieder vorteilhafter bleibt als die Nicht-Mitgliedschaft. c) Gesellschaft Der Sozialsystemtyp Gesellschaft kann sich nicht von Interaktionen, wohl aber von deren Beschränkungen unabhängig machen. »Gesellschaft ist das umfassende Sozialsystem aller kommunikativ füreinander erreichbaren Handlungen« (Luhmann 2009a: 12). Heutzutage sind die kommunikativ füreinander erreichbaren Handlungen stark relativiert, denn die permanent fortschreitende Technisierung sorgt dafür, dass es nur noch eine Weltgesellschaft gibt. Es muss jedoch beachtet werden, dass dies so nicht immer der Fall war und dass hier ein Begriff gebraucht wird, der auch die Existenz mehrerer Gesellschaftssysteme anzeigen kann. Gesellschaft ist demnach ein anderer Systemtyp höherer Ordnung und nicht nur eine bloße Summation an Interaktionen. Gesellschaft »muss in der Lage sein, auch die möglichen Kommunikationen unter Abwesenden oder mit jeweils Abwesenden mitzusystematisieren« (ebd.). Die Grenzen des Interaktionssystems werden überschritten und die Gesellschaft unabhängig von deren Selektions- und Grenzbildungsprinzipien. In diesem Fall sind die »Grenzen« des Systems die Grenzen möglicher und sinnvoller Kommunikation. Ein besonderes Augenmerk liegt hierbei auf der Erreichbarkeit und Verständlichkeit. Diese Grenzen sind wesentlich abstrakter und viel unschärfer als die des Interaktionssystems.

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»Jede Kommunikation führt, da sie einen Prozess wechselseitiger Selektion in Gang setzt, zwangsläufig zum Aufbau von Strukturen, die dann ihrerseits als Bedingung der Möglichkeiten weiterer Kommunikation fungieren« (ebd.: 13). Luhmann bezeichnet dies als das ›Prinzip der Geschichtsbildung‹, während er Prozesse zum Aufbau hochkomplexer Gesellschaftssysteme als »soziokulturelle Evolution« bezeichnet. Evolution ist an Geschichte gebunden, da sie am Gegebenen ansetzt, befreit aber gleichzeitig von diesem, weil durch Evolution ›Neues‹ entwickelt wird, was vorher Gegebenes ersetzt. Es findet also kein (simples) Vergessen statt, wie es im Rahmen der Interaktion der Fall ist, die die Möglichkeit besitzt, einfach aufzuhören und neu anzufangen; vielmehr muss eine Gesellschaft seine Änderungen an das vorhandene System anschließen, also gewissermaßen einen Prozess funktionaler Substitution ausführen. An dieser Stelle sei ein Definitionsvorschlag zur Luhmannschen Begrifflichkeit der Ausdifferenzierung gegeben: Soziologische Differenzierungstheorie beschreibt gesellschaftliche Evolution als einen Ausgliederungsprozess spezialisierter Funktionsbereiche bzw. Teilsysteme – Wirtschaft, Recht, Wissenschaft, Politik, Militär, Religion, Kunst, Sport etc. – aus einer Matrix vorher diffus zusammenhängender Sozialbereiche. Während noch im Mittelalter bis in die Zeit der Aufklärung hinein Militär, Politik, Religion, Wirtschaft und Wissenschaft unter der Regentschaft eines Königs oder gar Kaisers in einer Lebenswelt, wie man es auch nennen könnte, ineinander verwoben waren, sind diese ehemals diffus verschränkten Lebensbereiche heute entfusioniert (vgl. Luhmann 2009a: 187). Dieser komplexe Sachverhalt wird in Kapitel 1.3 neu aufgegriffen und detaillierter erörtert. Die geschichtliche Entwicklung der westlichen Industrienationen wird – in Analogie zu biologischen Prozessen – als ein evolutionärer Prozess gedeutet: Durch eine funktionale Spezialisierung (Arbeitsteilung) der einzelnen Teile wird das System in seiner Gesamtheit komplexer und zugleich leistungsfähiger. Wie ein biologisches System erzeugt sich jedes soziale System ebenfalls fortwährend aus sich selbst heraus (Autopoiesis-Konzept13). Dieser Prozess einer funktionalen Dif-

13 »Der Begriff bezieht sich auf (autopoietische) Systeme, die alle elementaren Einheiten, aus denen sie bestehen, durch ein Netzwerk eben dieser Ele-

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ferenzierung ist ein originär »evolutionärer« Vorgang, der nicht von den Individuen geplant oder gesteuert wird. Kleine Einheiten sozialer Systeme sind nach Luhmann nicht Individuen, sondern – wie oben expliziert – immer nur Kommunikationen. Der sich stetig vollziehende Evolutionsprozess wird durch Variation vorangetrieben. Dabei kommt es vereinzelt zum Auftreten gänzlich neuer Möglichkeiten – beispielsweise durch Innovationen wie den Buchdruck. Durch den Prozess der Selektion kommt es zur Auswahl bestimmter Möglichkeiten aus der unendlichen Anzahl an Möglichkeiten, um auf diese Weise neue Formen der Reduktion von Komplexität zu etablieren. Durch die Stabilisierung der erreichten Problemlösungen werden die zuvor ausgewählten Möglichkeiten sodann konsolidiert (ebd.: 188f.). Als irritierender Umstand erweist sich für jeden Nicht-Systemtheoretiker, dass die im Nachfolgenden zur Anwendung kommende Theoriekomponente der sozialen Evolution bereits hochgradig voraussetzungsvoll ist. Denn soziale Evolution ist lediglich ein kleiner Baustein im Begriffsapparat der Systemtheorie. Die hierbei verwendeten Begriffe basieren auf den Semantiken von anderen Begriffen, die sich wiederum aus Verweisen und Verbindungen zu anderen Begriffen speisen, wie es im vorhergehenden Kapitel ersichtlich wurde. Darum gilt es in den nächsten drei Kapiteln, die für die grundsteinlegenden Ausführungen zur Geschichte des (modernen) Bodybuildings wichtigen historischen Epochenbegriffe und theoretischen Grundlagen Luhmanns sozialer Evolutionstheorie zu erläutern. Konkret gilt es nun die »gesellschaftlichen Differenzierungstypen«, die Luhmann für die Systemtheorie ableitet, in ihren Kernelementen zu skizzieren. Um dabei das Theorieniveau nicht abermals anzuheben, bleiben die Darstellungen weitestgehend deskriptiv und werden zum leichteren Verständnis via Abbildungen visualisiert. So werden dem Leser soziologisch motivierte Geschichtskategorien angeboten, die einen »verstehenden Nachvollzug« der sozialgeschichtlichen Entwicklungsmuster von den antiken Vorformen des Kraftsports bis hin zum modernen Bodybuilding immens erleichtert.

mente reproduzieren und sich dadurch von seiner Umwelt abgrenzen – sei es in der Form von Leben, in der Form von Bewusstsein oder (im Falle sozialer Systeme) in der Form von Kommunikation. Autopoiesis ist die Reproduktionsweise dieser Systeme.« (Luhmann 1990a: 266)

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Luhmann erkennt im Erbe Darwins eine systemtheoretische Anschlussmöglichkeit, um diverse Probleme der bis dato lediglich auf der Organismusanalogie und somit auf der ›Idee‹ einer auf ontogenetischer Entfaltung fußenden Evolutionstheorie endgültig zu überwinden. Der Hauptmechanismus der sozialen Evolution besteht aus der oben angesprochenen »Trinität« von Variation, Selektion sowie Restabilisierung, die über das ›Zufallsprinzip‹ aufeinander bezogen sind und zugleich selbst Resultat der Evolution sind. Sie werden in verschiedenen historischen Gesellschaftsordnungen, die sich in der historischen Abfolge von segmentär, stratifikatorisch und funktional ausdifferenziert manifestieren, in unterschiedlicher Weise eingelöst (vgl. Luhmann 1984: 260f.).

1.1 Segmentäre Gesellschaftsformationen Eine elementare Verständnisvorrausetzung ist es, zu begreifen, wie außerordentlich wichtig es ist, Luhmanns historischen Rückgriff zu erfassen, um seine theoretische Gesamtkonzeption besser nachvollziehen zu können. Er konstatiert, dass der Wechsel der Erkenntnisweisen mit dem Wechsel der Gesellschaftsordnungen korreliert. Angesichts der Vielfalt historischer Entwicklung und ihrer frappanten Dynamik kann man nur mit äußerster Vorsicht von klaren Übergängen der einen Gesellschaftsformation auf die nächste sprechen – und noch vorsichtiger von trennscharfen Einschnitten. Solche Übergänge vollziehen sich außerordentlich langsam; sie erstrecken sich in der Regel über mehrere Jahrhunderte. Dennoch gibt es auch benennbare Typenunterschiede und Entwicklungssequenzen, die direkt auf den vorherigen Errungenschaften aufbauen (vgl. Luhmann 2009b: 190). Die Entwicklungsmöglichkeiten innerhalb der stabilisierten Gesellschaftsordnung sind relativ begrenzt; insofern erklärt sich die augenfällige Langsamkeit sozialer Evolution. Stoßen alle Entwicklungsmöglichkeiten an ihre Grenzen, kommt es vereinzelt zu einem evolutionären – meist ungemein gemächlichen – Übergang zur nächsten Differenzierungsform. Die Bedeutsamkeit von Differenzierungsformen für soziale Evolution geht auf zwei interdependente Bedingungen zurück: (1) Innerhalb vorherrschender Differenzierungsformen gibt es immer nur stark begrenzte Entwicklungsmöglichkeiten. (2) In den jeweiligen Differenzierungsformen können immer schon auch Vorformen von Ordnungsmus-

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tern der nächsten Differenzierungsform auftauchen – oder im Umkehrschluss gewisse Ordnungsmuster der alten Differenzierungsform in den neuen enthalten bleiben (vgl. Schimank/Volkmann 1999: 15ff.). So können sich in segmentären Gesellschaften größere wiederum segmentäre Einheiten ausbilden – beispielsweise Stämme oberhalb von Haushalten sowie Familien oder in stratifikatorischen Gesellschaftsordnungen innerhalb der Grundordnung von einerseits Adel und andererseits Volk wiederum klasseninterne Hierarchisierungen (bspw. Kaiser, Herzöge, Fürsten etc.). So kann ein Familienhaushalt innerhalb segmentärer Gesellschaften frappierende Prominenz gewinnen oder durch Erbe erlangen – beispielsweise als Häuptlingsfamilie oder auch Priesterfamilie, in der das entsprechende Amt ausschließlich auf den männlichen Erstgeborenen übergeht. Die theoretischen Differenzierungsformen lassen sich »analytisch« nicht sonderlich trennscharf voneinander abgrenzen. Ebenso wenig lassen sich »exakte« historische Zeitpunkt des Übergangs von segmentär zu stratifikatorisch oder von stratifikatorisch zu funktional differenziert lokalisieren. Soziale Evolution erfordert an derartigen Bruchstellen eine Art latente Vorbereitung und eine Entstehung neuer Ordnungen innerhalb des alten Ordnungsmusters. Dieser Prozess kippt an einem gewissen Punkt und nimmt dem Schneeballeffekt14 getreu eine neuartige Eigendynamik an. Wenn also die neueren Ordnungsmuster ausgereift genug sind, um sich als dominierende Gesellschaftsordnung vollständig durchzusetzen und so der vorhergehenden Gesellschaftsordnung die Überzeugungsgrundlage entzieht, kommt es zu einem Schneeballeffekt. Auf diese Weise bilden sich in segmentären Gesellschaftsformationen schrittweise Hierarchien heraus, so dass durchaus behauptet werden kann, dass in segmentären – oft tribalen – Gesellschaftsformen immer auch schon Vorformen der nächsten Gesellschaftsordnung, nämlich einer stratifikatorischen Gesellschaftsordnung, existieren.

14 Der sog. Schneeballeffekt beschreibt redensartlich sich aufschaukelnde Kettenreaktionen, die häufig auch auf gesellschaftliche Bereiche bezogen werden. So kann sich beispielsweise ein aggressiv wirkender Blick einer Person (ungewollt) zum Streit und dieser zu einer Massenschlägerei entwickeln.

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Die nachstehende Abbildung Nr. 1 illustriert den Aufbau sowie die inhärente Struktur einer segmentären Gesellschaftsordnung. Eine Familie erscheint dabei als eine segmentäre Einheit innerhalb einer segmentären Großeinheit – wie beispielsweise die Familie innerhalb eines bestimmten Indianerstammes oder noch eine Stufe davor der Erstgeborene innerhalb einer Großfamilie. Abbildung 1: Segmentäre Gesellschaftsform

Familien Mann, Frau, Kinder, … Familienoberhaupt »Mutter«, Jäger

Stämme Männer, Frauen, Kinder, … Schamane / Medizinmann Krieger, Jäger

Segmentär differenzierte Gesellschaftsordnungen zeichnen sich hinsichtlich ihres primären Gliederungsprinzips durch gleichartige, aber ungleichrangige Ordnungen aus. Familien oder ganze Stämme sind solche segmentär differenzierten Lebensbereiche, die sich durch niedrige Komplexität und hohe Autonomie auszeichnen. So weisen FamilienClans in tribalen Gesellschaften, wie man sie beispielsweise noch heute bei den Naturvölkern im Amazonas vorfindet, keine oder aber nur eine rudimentäre – meistens nach Geschlecht festgelegte – Arbeitsteilung auf. Der rollenbedingte Spezialisierungsgrad ist vergleichsweise gering. So ist der Mann (als Familienvater) in der Regel für die Nahrungsversorgung via Jagd sowie die verbale und physische Verteidigung der Familie gegenüber den stammesinternen sowie –externen Bedrohungen zuständig. Die Frau – oder in manchen Fällen auch die Frauen – des männlichen Familienoberhaupts ist hingegen für die Nahrungszuberei-

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tung und spezielle Aufgaben im Bereich der Nachwuchsarbeit (Gebären, Erziehen, Umsorgen etc.) verantwortlich. Die leibliche Nachkommenschaft ist zugleich eine Art existentielle Absicherung für die unsichere Zukunft der jeweiligen Familie – und das insbesondere für die Eltern. Denn umso mehr Kinder von den Eltern in die Welt gesetzt werden, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Eltern auch im hohen Alter gut um- und versorgt bleiben. Durch den ziemlich geringen Komplexitäts- und Arbeitsteilungsgrad sind Teileinheiten, wie beispielsweise Familien, in tribalen Gesellschaftsformen im Vergleich zu stratifizierten oder zu funktional ausdifferenzierten Gesellschaftsordnungen nur »begrenzt« effizient. So umschrieb bereits Thomas Hobbes vor dem Kontext der Kolonialisierung des 17. Jahrhunderts den sog. primitiven Menschen als einsam, materiell verarmt, hässlich, bestialisch und von lediglich kurzer Lebenserwartung; er vertrat demzufolge das seinerzeit tradierte Bild des »Wilden«, dem es an Schrift, Kunst und anderen kulturellen Errungenschaften mangele.15 Die Aufgabenverteilung in einem primitiven Stamm war – und ist auch heute noch – erfahrungsgemäß multifunktional ausgerichtet: jeder macht im Notfall alles. Männer sind Krieger, Jäger, Stammesbeiratsmitglied, Familienoberhaupt etc. in einer Person. Hier gibt es noch keine Rollenspezialisierungen nach gegenwärtigem Verständnis (vgl. Schimank/Volkmann 1999: 13ff.). Bestenfalls könnte man Vorformen der modernen Rollenspezialisierung im »Amt« des amtierenden Häuptlings oder des Medizinmanns erkennen. Das reale Erleben der in die Familie oder den Stamm inkludierten Individuen ist immer orts- sowie zeitgebunden; es zeichnet sich durch Face-to-Face-Beziehungen und somit durch eine unmittelbare Interaktionsnähe aus. Jedermann kennt jeden und jeder hilft jedem – ganz im Sinne einer großen Lebensgemeinschaft mit all ihren Vorzügen, aber auch ihren eklatanten Nachteilen. Alle gleichgeschlechtlichen Stammesmitglieder haben aufgrund der stark konvergierenden Aufgabener-

15 Vgl. ausführlicher Thomas Hobbes (1651 englische Fassung, 1670 editierte lateinische Fassung): Leviathan or The Matter, Forme and Power of a Common Wealth Ecclesiasticall and Civil bzw. die deutsche Übersetzung: Klenner; Hermann, 1996: Leviathan. Übersetzt von J. Schlösser. Hamburg: Meiner.

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wartungen, die an sie gestellt werden, im Wesentlichen die gleichen sozialen Rollen inne, was sich dann erst im Übergang zur nächsthöheren – hier nicht im wertenden Sinne gemeinten – Gesellschaftsordnung, also der stratifikatorischen Gesellschaft, im größeren Umfang ändert.

1.2 Stratifikatorische Gesellschaftsordnungen Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaftsformen ist immer auch eine Geschichte von mehr oder weniger erbitterten Klassenkämpfen gewesen (vgl. Marx 1872). Freier und Sklave, Patrizier und Plebejer, Baron und Leibeigener, Zunftbürger sowie Geselle standen sich als divergente Gesellschaftsgruppen in einem asymmetrischen Verhältnis gegenüber. Dabei galt die eine Gruppe stets als Unterdrücker und die andere als Unterdrückte. Beide Lager trugen zu allen Zeiten erst einen versteckten Kampf, dann aber immer öfter auch brachiale Kriege mit offenem Visier aus. Nicht immer endeten die kriegerischen Auseinandersetzungen mit der erhofften revolutionären Umgestaltung der Gesellschaftsordnung zugunsten der Unterdrückten, wie es sich beispielsweise in den Jahren 1789/90 bei der Französischen Revolution verhielt. So wurde etwa im Antiken Rom des Jahres 73 v.Chr. der Gladiatorenaufstand um den legendären Thraker Spartacus, der zu einem Sklavenaufstand größeren Ausmaßes arrivierte, von den damaligen Befehlshabern des Römischen Reiches mit härtester Brutalität niedergeschlagen. Marx sagt man unterdessen nach, dass er in der Person des rebellischen Gladiatoren Spartacus einen wahren Vertreter des römischen Proletariats sah. Generell gilt Spartacus bis heute als die Symbolfigur gegen Unterdrückung und Knechtschaft. In den vormodernen Epochen der europäischen Gesellschaft findet man eine nahezu flächendeckende Gliederung der Gesellschaft in verschiedenste Stände. Dies kam einer mannigfaltigen Abstufung der gesellschaftlichen Stellungen gleich: im Antiken Rom gab es die Patrizier, Ritter, Plebejer, Sklaven etc. und im Mittelalter Feudalherren, Vasallen, Zunftbürger, Gesellen, Leibeigene etc. Ferner gab es in fast jeder dieser Klassen nochmals subtilere Abstufungen, welche sich in einer Zusammenschau als unmissverständliche und unhintergehbare Hierarchie manifestieren.

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Stratifikatorisch differenzierte Gesellschaften zeichnen sich generell durch eine stringente und unhintergehbare (Sozial-)Hierarchie aus. Als Beispiele sind weite Teile der antiken Hochkultur und insbesondere das gesamte europäische Mittelalter unter der Obhut der römisch-katholischen Kirche zu nennen. Alle stratifikatorischen Gesellschaften differenzieren sich nach hierarchischen Sozialschichten oder auch »Klassen« (Adel, Bürger, Bauern, Besitzlose o.Ä.). So gehörte ein Individuum im Mittelalter immer nur einer Schicht an, die ›qua Geburt‹ vorbestimmt war und unwiderruflich feststand. Nur in den seltensten Fällen ist es einem gewöhnlichen Bauern möglich gewesen, beispielsweise zum Ritter geschlagen zu werden, geschweige denn in den höheren Adelsstand aufzusteigen. Ausnahmen sind in diesem Zusammenhang keine Widerlegung der Regel, vielmehr sind sie eine Bestätigung. Zugleich ist der unverhoffte, soziale Aufstieg eines »Unterprivilegierten« entweder auf einen raffinierten Betrugsfall oder auf eine Aneinanderkettung äußerst glücklicher Umstände zurückzuführen. Zumindest sind derartige Fälle die Ausnahme und daher auch oft Gegenstand von Mythen oder Legenden, die jedermann zu Genüge bekannt sind.16 Zwischenfazit: »So ist […] für archaische Gesellschaften der Stabilisierungsmechanismus segmentärer Differenzierung, für Hochkulturen der Stabilisierungsmechanismus schichtenmäßiger Differenzierung, für die moderne Gesellschaft der Stabilisierungsmechanismus funktionaler Differenzierung vorherrschend. Segmentäre Differenzierung ist auf eine geringe endogen erzeugte Variation und hohe Umweltgefährdung eingestellt durch Differenzierung in gleiche Einheiten (Wohngemeinschaften, Familien, Stämme) und kann Teilvernichtung durch Tod oder Sezession überdauern. Schichtung ist eingestellt auf Zentralisierung der Ressourcen und Kontrolle einer schon beträchtlichen Variation durch ›Herrschaft‹ der maiores partes.« (Luhmann 2009a: 191)

Abbildung Nr. 2 skizziert die stringent hierarchische Ordnungslogik der stratifizierten Gesellschaftsformen, die auch heute noch in nicht wenigen Regionen der Welt – insbesondere der sog. Dritten Welt – in Ge-

16 Hierzu vgl. auch Weichslgartner (1971).

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stalt klassischer Monarchien oder diktatorischer und totalitärer Staatssysteme als reale Gesellschaftsordnung existent sind. Abbildung 2: Stratifikatorische Gesellschaftsordnung

Adel Klerus

Bürgertum

Bauern, Vagabunden, Aussätzige

Das Gliederungsprinzip stratifizierter Gesellschaften ist ungleichartig sowie ungleichrangig. Ein eklatantes Erkennungsmerkmal dieses mittelkomplexen Differenzierungstyps ist eine nahezu unhintergehbar hierarchische Gesellschaftsstruktur. Die der jeweiligen stratifikatorischen Gesellschaftsordnung inhärente Hierarchie manifestiert sich über Klassen, Kasten, Schichten u.Ä., die sich durch ein ordinalskaliertes Ordnungsmuster auszeichnen. Die soziale ›Wertigkeit‹ der in die jeweiligen Klassen inkludierten Subjekte nimmt von unten nach oben überproportional zu. Der stratifizierte Differenzierungstyp erreicht durch seinen mittleren Komplexitätsgrad im Vergleich zur segmentären Gesellschaftsordnung bereits eine mittelmäßige Effizienz. Zudem beginnen sich separierte Funktionssysteme auszubilden und es entstehen parallel zur Herausbildung der Funktionssysteme immer stabilere Interdependenzen. Die Effizienz stratifikatorischer Gesellschaften ist im Vergleich zu funktional differenzierten Gesellschaften aber noch relativ gering.

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Viele der noch heute existierenden stratifikatorisch organisierten Gesellschaften, wie etwa eine afghanische Gesellschaft oder diverse afrikanische Gesellschaften, sind oftmals nicht dazu im Stande ihre Bürger mit den nötigsten Grundbedürfnissen (Wasser, Nahrung, Bildung, Medizin etc.) zu versorgen. Dem ungeachtet entwickeln sich in ihnen in zunehmendem Maße Organisationen (Schulen, Krankenhäuser, Kindergärten, Kirchen etc.), die zum einen die gesamtgesellschaftliche Effizienz und Produktivität nachhaltig erhöhen und zum anderen Vorboten einer funktionalen Ausdifferenzierung darstellen (vgl. Schimank 2001: 278ff.). In stratifikatorischen Gesellschaftsordnungen sind – wie oben erläutert wurde – immer schon gewisse Vorformen der funktional ausdifferenzierten Gesellschaften beinhaltet. In diesem Zusammenhang erörtert Luhmann, dass die Politik der Territorialstaaten in Europa bereits im 15. Jahrhundert eine bezeichnende Unabhängigkeit gegenüber der Religion erringen konnte (vgl. Luhmann 2010: 51ff.). Es entstanden unabhängige politische Funktionssysteme, die sich bis in die Gegenwart im Rahmen der heute gültigen nationalen Grenzen weiter stabilisierten. Man kann zudem die sukzessive Ablösung der Wirtschaft von der Politik historisch rekonstruieren (vgl. Luhmann 1988: 13ff.). Ein Beispiel par excellence dafür ist der geschäftstüchtige Familien-Clan der Fugger, der eine beachtliche Unabhängigkeit vom Kaiser erlangte und so ökonomisch avantgardistisches leistete. Bereits im 14. Jahrhundert zog es mehr und mehr Menschen unter der Parole »Stadtluft macht frei« in die expandierenden Städte. Bauern, Handwerker, Tagelöhner und Söldner strömten zu Hunderttausenden in die Ballungsgebiete – stets getragen von der Hoffnung, dort endlich ein besseres Leben zu führen. Das forcierte einen sich vom Adel allmählich loslösenden Prozess der territorialen Ökonomisierung, der als eine Art historische Vorhut eines erheblich später einsetzenden »Industrialisierungsprozesses« zu interpretieren ist. Im ähnlichen Ausmaß gewann die Wissenschaft zunehmend an »Eigenständigkeit« als ein sich separierendes Funktionssystem. Die Wissenschaft war nicht mehr an den jeweiligen Hof des Kaisers, Fürsten oder Grafen gebunden, sondern bekam in Gestalt der Universitäten seinen eigenen Raum sowie anwachsend mehr Unabhängigkeit (vgl. Luhmann 1992: 271ff.). Folglich fand im Laufe

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der frühen Neuzeit in Europa ein historisch einzigartiger Wandel in Form einer funktionalen Differenzierung statt. Es handelt sich bei den – bisher nur angedeuteten – gesellschaftlichen Umbauprozessen um eine parallel und z.T. auch simultan verlaufende Ausdifferenzierung einer Vielzahl sozialer Funktionssysteme, die zuvor diffus miteinander verschränkt waren. Erst wenn hinreichend viele Funktionen einer Gesamtgesellschaft durch Teilsysteme abgedeckt sind, kann man diese neue Gesellschaftsordnung aus sich selbst heraus als funktional ausdifferenziert interpretieren. Das ist letztendlich dann der Fall, wenn für Politik nur noch die Politik, für Wissenschaften nur noch die Wissenschaft sowie für Sport nur noch der Sport zuständig ist. Dann kommt es zum allmählich Umschlag und zur Herausbildung einer komplett neuen Gesellschaftsordnung: die funktional differenzierte Gesellschaftsform.

1.3 Funktional ausdifferenzierte Gesellschaften Luhmann analysierte gewisse Teilsysteme moderner Gesellschaften – Wirtschaft, Recht, Wissenschaft, Religion, Kunst etc. – unter dem spezifischen Blickwinkel deren jeweiligen Funktion für die ihr zugehörige »Gesamtgesellschaft«. Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts sei eine zunehmend gezielte Ablösung dieser Funktionssysteme von Schichtprämissen und die Neutralisierung von Schichteinflüssen zu konstatieren (vgl. Luhmann 1984: 30ff.). Ein gutes Beispiel dafür ist die Umstellung des Erziehungssystems auf (öffentliche) Schulen für die Gesamtbevölkerung. Ursprünglich konnten sich lediglich Vertreter der höheren Sozialschichten eine Schule oder einen Hauslehrer für ihre Sprösslinge leisten. Ab dem 19. Jahrhundert kam eine stetig professioneller werdende Durchorganisierung des Prüfungswesens inklusive einer Spezialisierung auf die in Schulen und Universitäten selbst erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten hinzu. Dieser Durchorganisierungsprozess des Bildungssystems (konkreter: Erziehungssystems) strecke sich bis in die heutige Zeit hinein und werde durch mannigfaltige Binnendifferenzierungs-, Bürokratisierungs- und Professionalisierungsprozesse flankiert (vgl. Luhmann 2002a: 48ff.).

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»Funktionale Differenzierung schafft [im obigen Sinne] ungleichartige Einheiten, so dass jedes der Teilsysteme je besondere, von keinem anderen wahrgenommene Beiträge zur Reproduktion der Gesellschaft leistet. So steuert die Politik kollektiv bindende Entscheidungen, die Wissenschaft wahre Erkenntnisse oder die Wirtschaft Güter und Dienstleistungen zur Bedürfnisbefriedigung bei. Kein Teilsystem kann in dieser Hinsicht durch ein anderes ersetzt werden. Aber diese allseitige Unersetzbarkeit begründet letztlich auch eine grundsätzliche Gleichrangigkeit der Teilsysteme.« (Schimank/Volkmann 1999: 6)

In funktional ausdifferenzierten Gesellschaftsformen der Gegenwart gibt es keinen hierarchisch gegliederten Aufbau der Systeme mehr. Diese Systeme nennt Luhmann, wie bereits besprochen, aus diesem Grund auch Subsysteme oder Teilsysteme der Gesellschaft. Sie sind gewissermaßen Untersysteme des Gesamtsystems Gesellschaft. So kann die Politik nicht mehr, wie einst gedacht oder im »real existierenden« Kommunismus vergebens versucht, die Steuerung oder Leitung der Gesellschaft übernehmen (wovon man einst in der Corpus-Metapher mit der Politik als Spitze der Gesellschaft noch ausging). Die »Gesamtgesellschaft« besteht heute vielmehr aus nebeneinander existierenden Funktionssystemen, von denen keines mehr Vorrang hat – auch oder gerade die Politik nicht. Alle Funktionssysteme sind in sich geschlossene Systeme, die sich ausschließlich aus sich selbst heraus erhalten und strickt von allen anderen Funktionssystemen abgrenzen. Andere Subsysteme sind für das zu interessierende Subsystem, wie es Kapitel I expliziert, immerzu Umwelt. Das System setzt dabei selbst die Grenzen zu seiner Umwelt und bestimmt selbst, was an Kommunikationen zu ihm gehört – und was nicht; es konstituiert sich und erhält sich dadurch, dass es die Grenzen aufrecht erhält und nur das ›unternimmt‹, was für die je eigene Systemstabilisierung als zweckmäßig erscheint (vgl. Luhmann 1990: 62ff.). Ein System kann ein anderes System zwar irritieren, aber ob das betroffene System daraufhin seine Operationen ändert, ist fraglich. Irritation und Operation sind zwei Schlüsselbegriffe aus Luhmanns sozialer Evolutionstheorie (vgl. Luhmann 2009a: 187ff.). Die politische Planung der Regierung ist beispielsweise ein Angebot an andere Systeme, die

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vorgeschlagene Variation ihres bisherigen Verhaltens im Sinne einer Steigerung des »Gemeinwohls« wahrzunehmen und sich dadurch irritieren zu lassen. Diese Irritation kann zur tatsächlichen Umstellung der eigenen Operationen führen und sodann ein Restabilisierungsproblem aufwerfen. Die evolutionäre Abfolge ist demnach folgende: Die Politik bietet Reformen an, die vom Erziehungssystem vernommen werden – oder auch nicht. Das Erziehungssystem lässt sich irritieren. Dann ist es die Frage, ob es sich darüber hinaus auch determinieren lässt. Ist das der Fall, variiert es seine eigenen Operationen, die im Anschluss neu abgestimmt werden müssen. Das ist wiederum mit Restabilisierung gemeint. Subsysteme verbinden sich demzufolge zum Gesamtsystem einer funktional differenzierten Gesellschaftsformation. Abbildung Nr. 3 illustriert diese Gesellschaftsordnung. Dazu wird eine Darstellung ausgewählter Subsysteme vorgenommen, da die moderne Gesellschaft in ihrer komplexen Gesamtheit nur schwer abbildbar ist. Abbildung 3: Funktional ausdifferenzierte Gesellschaft

Wirtschaft

Erziehung

Bedürfnisse befriedigen

nachfolgende Generationen erziehen

Sport ???

Medizin Wissenschaft

Krankheiten heilen

Wahrheit produzieren

Politik Kollektiv bindende Entscheidungen treffen

Funktional ausdifferenzierten Gesellschaften haftet ein ungleichartiges sowie gleichrangiges Gliederungsprinzip an. Folglich handelt es sich bei diesem Differenzierungstyp um eine Heterarchie, die keine ›Spitze‹ und kein Zentrum hat. Der Sport steht mitnichten im Zentrum moderner

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Gesellschaften, wie man es aufgrund von Abbildung Nr. 3 fehlinterpretieren könnte. Vielmehr stehen die einzelnen Funktionssysteme, die man um etliche andere – wie etwa Kunst, Militär, Massenmedien, Religion etc. – erweitern müsste, unabhängig und gleichberechtigt nebeneinander. Die zahlreichen Verbindungslinien sollen das außerordentlich hohe Komplexitäts- und Interdependenzniveau zum Ausdruck bringen. Dabei wird im Vergleich zu den beiden vorangestellten Differenzierungstypen eine beachtliche – zuvor nie da gewesene – gesamtgesellschaftliche Effizienz erreicht (im positiven wie auch im negativen Sinne). In diesem Zusammenhang ist gemäß Schimank (2001: 278ff.) festzuhalten, dass »eines der augenfälligsten Merkmale, das die moderne Gesellschaft von allen vormodernen Gesellschaftsformen unterscheidet, die flächendeckende Durchsetzung nahezu aller Lebensbereiche mit formalen Organisationen [ist].« Funktionale Differenzierung zusammengefasst: An die Stelle der sozialhierarchischen Schichten als eine Art teilsystemische Funktionsäquvivalente traten in einem langwierigen Transformationsprozess (autarke) Funktionssysteme, wie beispielsweise die Politik, die Wirtschaft, das Recht, die Medizin, die Wissenschaft, der Sport etc., die sich verselbstständigten und autonome Regeln und einen je eigenen binären Code entwickelten, so dass sie nicht (mehr) auf andere Funktionssysteme zurückgreifen müssen, sondern nur noch auf sich selbst (Selbstreferentialität)17. Das heutige Subjekt gehört typischerweise bei den von ihm zu spielenden, überaus unterschiedlichen, sozialen Rollenfiguren stets verschiedenen Funktionssystemen an (vgl. Goffman 2006: 221ff.). Das stellt im Vergleich zu den segmentären oder stratifikatorischen Gesellschaftsordnungen völlig neue Anforderungen an die Individuen moderner Gesellschaften (Zeitökonomie, Anpassungsfähigkeit, Selbstkontrol-

17 »Gemeint ist hiermit jede Operation, die sich selbst auf anderes und dadurch auf sich selbst bezieht. Reine Selbstreferenz, die nicht den Umweg über anderes geht, liefe auf eine Tautologie hinaus. Reale Operationen bzw. reale Systeme sind auf eine ›Entfaltung‹ bzw. Enttautologisierung dieser Tautologie angewiesen, weil sie nur so erfassen können, dass sie in einer realen Umwelt nur auf eingeschränkte, nichtbeliebige Weise möglich sind.« (Luhmann 1990a: 269)

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le etc.), die sich zwischen den Subsystemen im Sinne einer ständigen In- und Exklusion ›hin- und herbewegen‹ müssen. Funktionssysteme moderner Gesellschaften begründen hochspezifische Sinnwelten, die sich durch eine ihnen inhärenten Eigenlogik und Eigendynamik auszeichnen. Von zentraler Bedeutung ist hierbei der jeweilige systemspezifische Code. Damit ist gemeint, dass jedes Subsystem einen speziellen Handlungstypus ausbildet. Als Vorraussetzung für die eigene soziale Reproduktion ist die Entwicklung von hochkomplexen Mechanismen zu verstehen, so dass einerseits eine eigene Identität definiert werden kann und andererseits das Eigene nicht nur irgendwie weitergeht, sondern sich in einer bestimmten Art und Weise vollzieht (vgl. Bette 1999: 31ff.). Strukturelle Vorkehrungen sind dann wiederum Voraussetzung für entsprechende reproduktive Operationen, die sich personenunabhängig und permanent vollziehen. Kurz: Funktionssysteme konstituieren in sich geschlossene Sinnsphären, die sich der Selbstreferenzialität gemäß nur auf sich selbst beziehen. Dies gilt es nun am Beispiel des Hochleistungssports zu explizieren, um dadurch eine höhere Plausibilität zu generieren. Sport als ausdifferenziertes Teilsystem In Abbildung Nr. 3 steht der Sport als ein Subsystem moderner Gesellschaften nicht ohne Grund im Zentrum des Schaubildes, denn er bietet sich nicht nur a la bonne heure zur Plausibilisierung der Operationsweise(n) von Funktionssystemen an, sondern steht in dieser Studie, welche die Sozialgeschichte des Bodybuildings zum Gegenstand hat, evidenterweise im Fokus der analytischen Aufmerksamkeit. Der Sport hat sich – insbesondere in Gestalt des Hochleistungssports – aus den allgemeinen lebensweltlichen Bezügen gelöst, mit denen er zuvor diffus verschränkt war. Während man in vormodernen Zeiten beispielsweise Kraftsportformen vornehmlich zur Wehrhaftmachung von Soldaten im Militärbereich einsetzte oder Kräftigungsübungen zur Gesundheitspflege und im Sinne einer angestrebten »Ganzheitlichkeit« – getreu dem Motto: nur in einem gesunden Körper herrscht ein gesunder Geist! – zu Erziehungszwecken propagierte, betreibt man heute Kraftsport allein des Kraftsports wegen. Der moderne Sport begründet ein eigenes Subsystem, das via dezidierte Strukturbildung in Form von Sportorganisationen, Regelwerken, Rollenspezialisierungen, Umweltbezügen etc. seine Reproduk-

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tion sichert. Allem, was nicht immediat zur Sache gehört, zeigt sich das Sportsystem indifferent gegenüber. Typisch für den Leistungssport ist überdies, dass nur der »Erfolg« im Zentrum des Systeminteresses steht und nicht etwa die Herkunft oder Rassenzugehörigkeit seiner Hauptakteure (der Sportler). Der »Systemcode« des Leistungssports als Funktionssystem ist der Sieg-/Niederlage-Code. Jeder Sportler ist an Siegen – oder in abgestufter Form an sportlichen Erfolgen – interessiert, die den primären Handlungsantrieb ausmachen. Programme dagegen spezifizieren sowie regulieren den Siegescode durch sportartspezifische Regelwerke, konkrete Förderoptionen, Fairnesspostulate u.Ä. Die Autopoiesis (bzw. Selbstreferenzialität) schlägt sich demgemäß auf einer sachlichen, zeitlichen, sozialen und räumlichen Ebene nieder. Auf der sachlichen Ebene steht das jeweilige – zumeist überaus detaillierte – Regelwerk im Vordergrund. Auf der zeitlichen Ebene lassen sich Sonderzeiten (Trainings-, Wettkampf- und Erholungszeiten) festmachen. Auf der sozialen Ebene sind hochspezialisierte Rollenausprägungen (Trainer, Athlet, Zuschauer etc.) zu identifizieren und auf der räumlichen Ebene Sonderräume des Sports (Stadien, Sporthallen, Sportparks, Fitness-Studios etc.) unverkennbar. Die strikte Leistungsorientierung wie auch weit fortgeschrittene Spezialisierung auf der Programmebene hat im Sportsystem ein kollektiviertes Rekordstreben sowie eine anhaltende Professionalisierung nach sich gezogen (vgl. Bette/Schimank 1995: 95ff.). Indem der Sport sich als Subsystem ausgliederte, wurde er zwar relativ autonom, blieb und bleibt aber notwendigerweise – jedoch nicht unmittelbar bzw. direkt – auf andere gesellschaftliche Subsysteme bezogen. Dem ungeachtet ist der Sport eine eigenständige und eigensinnige Sphäre gesellschaftlichen Handelns. Der erbarmungslose Sieg-/Niederlage-Code des Sports ist binär codiert – schließt also dritte Möglichkeiten, wie etwa richtig/falsch oder arm/reich rigoros aus. Durch diese Striktheit des Sieg-/Niederlage-Codes war der beachtenswerte Auf- und Ausbau der äußerst hohen Binnenkomplexität des Leistungssports überhaupt erst möglich. Die rigide Zuteilung von Sieg oder Niederlage soll und wird allein nach sportlichen Kriterien vorgenommen. Dabei ist ein Bedeutungsgewinn immer nur über den jeweils anderen Codewert möglich, denn ohne Verlierer (Unterlegene) gibt es keine Sieger – und umgekehrt. Die binäre Leitorientierung des Leistungssports stimuliert, si-

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chert, generalisiert und legitimiert die sportspezifischen Handlungsmotive. Dieser binäre Code ist zum ›Dreh- und Angelpunkt‹ für sämtliche Kommunikation über den Leistungssport geworden (ebd.: 21f.). Wer sein sportliches Handeln in systemtypischen Situationen an codegestützten Regelungen ausrichtet, ist von weiteren Erklärungen entlastet. Der Siegescode ist strikt personenunabhängig strukturiert, gleichwohl motiviert er individuelles Sportlerhandeln. Resümierend: Der binäre Code überwölbt als soziale Rahmung die spezifische Situation, so dass selbst »individuelles« Handeln teilsystemisch vorgeprägt ist. Der Siegescode ist somit zum »Prägestempel« eines jeden leistungsorientierten Sports avanciert. Die charakteristischen Kennzeichen der Sieg/Niederlage-Logik können zugleich dabei helfen, den Sport als Subsystem moderner Gesellschaft noch besser zu explizieren. So setzt sich das Sportsystem durch Schrankenlosigkeit und innere Unendlichkeit von den anderen Subsystemen moderner Gesellschaften ab. Sport weist einen universellen und transnationalen Geltungsanspruch auf – man denke nur an den Olympismus durch den der Sport »als globalisiertes Phänomen« in regelmäßigen Abständen in Erscheinung tritt. Der Sport generiert eine weltweite Institutionalisierung von Konkurrenz, in der sich eine Verabsolutierung des Rekordstrebens analog zur Überbietungslogik und der im Sport tradierten Steigerungsmentalität Ausdruck verleiht (vgl. Bette 2011: 7f.). Durch einen Verweis auf Bette (1999) macht Eisenberg (2002: 15f.) darauf aufmerksam, dass sich durch die Hervorhebung der obigen dynamischen Komponente die originär »historisch-sozialwissenschaftliche« Sportforschung deutlich von einer systemtheoretischen Soziologie unterscheide: »Für Sporthistoriker waren solche Beobachtungen faszinierend, nicht zuletzt weil sie ihren Gegenstand aufwerteten. Denn sie zeigten, dass der moderne Sport keineswegs nur ein Spiegel der Gesellschaft war, wie gern dahergesagt wird. Er war vielmehr ein relativ autonomes gesellschaftliches Subsystem, das aufgrund des ›eingebauten‹ Spielcharakters nach eigenständigen Regeln funktionierte und in manchen Situationen eine relativ autonome, in mancher Hinsicht unberechenbare Entwicklungsdynamik aufwies. Wo dieses Subsystem mit seiner sozialen und ökonomischen Umwelt in Austauschbeziehungen trat,

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konnte es Elemente dieser Umwelt nicht nur in sich aufnehmen, sondern die Umwelt auch seinerseits beeinflussen und nachhaltig prägen. Der Sport konnte dazu beitragen, dass sich überkommene Traditionen wie z.B. vormoderne Wertsysteme oder soziale Ungleichheiten abschliffen, und gleichermaßen konnte er die Lebensspanne von Anachronismen verlängern. Er war ein aktiver und zugleich selektiver Faktor sozialen Wandels.«

Als Grundprämissen zur Durchführung des Sports treten die formale Gleichheit und das Fairnessprinzip auf den Plan. Des Weiteren muss der Erfüllung des Leistungsprinzips immer eine klar geregelte sowie nachvollziehbare ›Leistungsgerechtigkeit‹ vorausgehen. Der Zugang zu Wettkämpfen muss generell für jedermann möglich sein und der Wettkampfausgang hat prinzipiell offen zu sein. Ziel des konventionellen Hochleistungssports ist eine Herstellung von Ungleichheiten durch die erbrachten sportlichen Leistungen und zwar mit Hilfe von Rangskalierungen, Tabellenplätze, Rekordstatistiken etc. Die dabei erzeugte sportspezifische Spannung ist gegenüber den Konkurrenz- und Spannungssituationen anderer Subsysteme, wie etwa bei Klausuren im Erziehungssystem oder gelegentlich bei Wahlen in der Politik, von besonders hoher Qualität. Denn die »Spannung« als ein Erlebniskorrelat des Siegescodes und damit des Sports ist kein existenziell wichtiges Erfordernis für die Reproduktion moderner Gesellschaften, sondern stellt »nur« ein harmloses Erleben dar, indem Spaß, Unterhaltung sowie Zerstreuung vortrefflich ausgelebt werden können. Dieser – recht kompelx anmutende – Sachverhalt lässt sich mit der banalen Alltagsformel ›des Sports als schönste Nebensache der Welt‹ analytisch auf den Begriff bringen. Bodybuilding als Teilbereich des Sportsystems Für den modernen Bodybuildingsport hat sich während des Verlaufs seiner geschichtlichen Genese als organisierter Wettkampfsport, der sich als ein Teilbereich des Sportsystems ausdifferenziert hat, lediglich ein großer sowie international anerkannter Dachverband herausgebildet. Demnach existieren im Bodybuilding nicht mehrere, autonom arbeitende Verbände gleichzeitig – wie man es beispielsweise vom Boxsport kennt –, vielmehr wird das gesamte Wettkampfsystem von einem Verband federführend durchstrukturiert. Dadurch wird die Möglichkeit aus-

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geräumt, dass es mehrere amtierende Weltmeister in ein und derselben Gewichtsklasse simultan gibt. Besagter Welt-Dachverband ist die monopolistische International Federation of Bodybuilding (IFBB).18 Sie war ursprünglich nur einer unter vielen Bodybuildingdachverbänden. Jedoch schafften es die Begründer, die Gebrüder Weider, die IFBB durch ihr geschäftliches Geschick und vortrefflich organisierte Wettkämpfe mit pompösen Bezeichnungen, wie Mr. World, Mr. Galaxy, Mr. Universum oder – dem legendärsten aller Wettkämpfe im Bodybuilding, dem Mr. Olympia – sich gegen die große Konkurrenz durchzusetzen (vgl. Dilger 2008: 289ff.). Die Weider-Brüder stellten den damals tradierten Amateurwettkämpfen, bei denen es (noch) hauptsächlich um Ruhm und nicht um Geld ging, erstmals finanziell lukrative Profi-Wettbewerbe entgegen (vgl. Wedemeyer 1996: 37f.). Aktuell stehen alle aufstrebenden und populären Profibodybuilder bei Joe und Ben Weider unter Vertrag.19 Lediglich die National Amateur British Bodybuilding Association (NABBA) versuchte sich in den letzten Jahrzehnten neben der IFBB als weiterer Dachverband zu etablieren. Allerdings reduziert sich der Erfolg dieser Etablierungsbestrebungen auf England und einige weitere Staaten des British Empire. In Deutschland und den meisten anderen Ländern jenseits des Empire ist die NABBA indessen wieder in der Bedeutungslosigkeit versunken. Der Deutsche Bodybuilding- und Fitness-Verband (DBFV), mitsamt seinen einzelnen Landesverbänden, gehört der IFBB an. Auch der Hessische Kraftsport und Bodybuilding Verband (HKBBV) ist dem DBFV untergeordnet und somit automatisch der IFBB zugehörig. Am Ende dieser langen Kette stehen registrierte Fitness-Studios als ordentliche Mitglieder der entsprechenden Landesverbände. Sie bilden gewissermaßen das Fundament des deutschen Bodybuildings, aus dem sich dann

18 Allerdings darf nicht unterschlagen werden, dass es inzwischen neben der IFBB, die das traditionelle und oftmals dopingaffine Bodybuilding vertritt, auch sog. Natural Bodybuildingverbände gibt, die sich als Reaktion auf das Dopingproblem des klassischen Bodybuilings konstituiert haben (vgl. Müller 2004: 125f.). 19 Zum globalen Weider-Imperium und der Vermarktung einflussreicher Bodybuilder vgl. ausführlicher Dilger (2008: 182ff.).

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auch der Nachwuchs für den Wettkampfbetrieb rekrutiert (vgl. Dilger 2008: 280ff.). Obwohl Bodybuilding (noch) keine Olympische Sportart ist und der DBFV nicht dem Deutschen Olympischen Sportbund (kurz: DOSB) angehört, sind bedeutende Funktionäre der IFBB – und somit auch des DBFV – bemüht, alle Voraussetzungen für eine Aufnahme in den Kreis der Olympischen Disziplinen zu erfüllen. Die vier grundlegenden Wertungskriterien des Wettkampfbodybuildings sind Masse, Definition, Harmonie und Symmetrie. Diese werden während des Wettkampfgeschehens von einer akkreditierten Jury nach strengen Vorgaben beurteilt. Bodybuilding ist sowohl im Wettkampfbereich als auch als nicht-wettkampforientierter Freizeitsport ohne »sozialen Vergleich« undenkbar. Auch der Freizeitbodybuilder braucht den unmittelbaren Vergleich mit anderen Athleten, um eruieren zu können, wie er seine Leistung im Bodybuilding einzuschätzen hat oder wo er von seinem körperlichen Entwicklungsstand her gesehen steht. Das Sich-Messen an anderen Sportlern oder im Notfall auch an Nicht-Bodybuildern wäre für genuine Bodybuilder aufgrund der divergenten Zielsetzungen der jeweiligen Sportarten vermutlich wenig reizvoll. Daher werden zum Zweck der Selbstevaluation, also als eine Art Leistungsreflexion, in einigen bodybuilding-orientierten Fitness-Studios kleine sog. Studio-Meisterschaften ausgetragen (vgl. Kläber 2008: 43ff.). Solche »Pseudomeisterschaften«, die meist von den Studiobesitzern organisiert werden, ermöglichen es auch denjenigen Bodybuildern, die ohne jede Wettkampfambition dem Kraftsport frönen, sich mit anderen Bodybuildern zu messen. Dies geschieht via Figur-Vergleich im Rahmen eines Posingprogramms, während man nebeneinander steht. Es gilt sich studiointern zu profilieren, um mehr Respekt sowie Anerkennung unter den Studio- und Bodybuildingkollegen zu erhaschen. Durch die Analogien zum regulären Wettkampfbodybuilding dürfte auch die Notwendigkeit des direkten Vergleichs einzelner Athleten für die Bewertungsarbeit einer »professionellen« Jury ausreichend erklärt sein. Resümierend formuliert: Der durchgeführte rein optische Direkt-Vergleich der Wettkämpfer stellt ein entscheidendes Moment der versportlichten Bodybuildingveranstaltungen dar; denn nur auf diese Weise kann die individuelle Leistung für andere sichtbar gemacht und letztendlich per Wertungsbogen quantifizierend ermittelt werden (vgl. Bednarek 1984: 61f.).

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Bei Bodybuildingwettkämpfen gibt es neben einer Aufteilung in Frauen- oder Männerklassen auch eine strikte Einteilung in Alters- und Gewichtsklassen. So gibt es eine Jugendklasse für Männer, eine Juniorenklasse für jeweils beide Geschlechter und eine Frauen- und Männerklasse sowie bei genügend Teilnehmern auch eine Seniorinnen- und Seniorenklasse. Nach der offiziellen Alterseinteilung starten Athleten, die das 21. Lebensjahr nicht vollendet haben, bei den Juniorinnen oder Junioren. Ältere haben bei den Frauen oder den Männern teilzunehmen. Darüber hinaus gibt es bei ausreichend großer Nachfrage (Teilnehmerzahl) für alle, die das 50. Lebensjahr erreicht haben, noch zusätzlich zu der Frauen- und Männerklasse die Möglichkeit einer Teilnahme in den Seniorinnen- und Seniorenklassen. Für männliche Wettkämpfer, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, gibt es darüber hinaus eine Jugendklasse.20 Das Wettkampfgeschehen beginnt am frühen Morgen mit dem Wiegen der Athleten. Die angemeldeten Wettkampfteilnehmer werden nach dem Wiegen, das cleverer Weise bei ›nüchternem‹ Magen und lediglich mit Posingslip bekleidet erfolgen sollte, in drei bzw. vier verschiedene Gewichtsklassen eingeteilt. Diese streng einzuhaltenen Gewichtsklassen, die sich durch eine akkurate Abstufung auszeichnen, gestalten sich wie folgt: - Frauen I: bis 52 kg - Frauen II: bis 57 kg - Frauen III: über 57 kg

-

Männer I: Männer II: Männer III: Männer IV:

bis 70 kg bis 80 kg bis 90 kg über 90 kg

Der Wettkampf unterteilt sich in zwei Hauptteile. Es gibt einerseits die Vorwahl, die üblicherweise am Vormittag stattfindet, und andererseits nach einer längeren Mittagspause das Finale, das meistens am späten Nachmittag beginnt und bis in den Abend hinein andauert. Diese zwei großen Hauptteile sind erneut in jeweils zwei sog. Wertungsrunden gegliedert, woraus insgesamt vier Runden resultieren. In der ersten Wer-

20 Zum Reglement des Wettkampfbodybuildings vgl. ausführlicher das Regelwerk des DBFV sowie zu Mr.-Wahlen und Meisterschaften im Bodybuilding Dilger (2008: 295ff.).

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tungsrunde, die den Juroren einen Gesamteindruck und Überblick vermittelt, präsentieren sich die Athleten erst von vorne, dann von links, danach von hinten und zuletzt von rechts unter muskulärer Grundspannung. Im Anschluss sind in der zweiten Wertungsrunde alles in allem sieben Pflichtposen unter lautstarkem Kommando des Wettkampfleiters, bei angehaltenem Atem (bei sog. Pressatmung) und unter größtmöglicher Muskelanspannung zu inszenieren. Gemäß dem aktuell geltenden Reglement der IFBB sind die von den Athleten zu absolvierenden Pflichtposen folgende: -

Doppelbizeps-Vorderseite Latissimus von vorne seitliche Brustpose Doppelbizeps-Rückenseite Latissimus-Rückenseite seitliche Trizepspose Bauch und Beine

Bei den einzunehmenden Pflichtposen kommen evidenterweise auch alle anderen durch die jeweilige Perspektive sichtbaren Muskelgruppen des menschlichen Körpers sehr gut zur Geltung. So ist das ›Verstecken‹ von muskulären Schwächen in dieser Wertungsrunde für den individuellen Athleten nahezu unmöglich. Dabei ist es ungemein anstrengend größere Muskelgruppen bei Pressatmung angespannt zu halten. Daher gelingt dies den Wettkämpfern auch nur über eine kurze Zeit. Während in dieser Runde Muskelentwicklung, Muskelteilung sowie Definition zu bewerten sind, geht es in der dritten Wertungsrunde primär um das Präsentationsvermögen des Athleten. Da es bei dieser Runde um eine möglichst vorteilhafte wie auch originelle Präsentation des eigenen Körpers geht, bezeichnet man sie als Kür. Die Darbietung einer solchen Kür hat in flüssigen, ineinander übergehenden Posen zu erfolgen, die durch eine zur Gesamtpräsentation passenden Musik untermalt werden (vgl. Bednarek 1984: 62ff.). Für diese Wertungsrunde ist das passende Musikstück vom Wettkämpfer auszusuchen. »Hierbei wird die kreative Gestaltung, der Bewegungsablauf, die Übergänge der einzelnen Posen, das Umsetzen der Musik in Bewegung unter Berücksichtigung von Proportion und Muskulosität bewertet.« (ebd.: 62)

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In der letzten, also der vierten Wertungsrunde, werden von der Jury einige Athleten nach festgelegter Reihenfolge – normalerweise jeweils zu dritt – zu einem sog. Direkt-Vergleich aufgerufen. Hierbei will die Jury jene Athleten, die in der bisherigen Punktewertung nahe beisammen liegen, erneut unmittelbar nebeneinander stehend begutachten. Dabei werden einige Athleten häufiger aufgerufen und andere nur ein- bis zweimal, wobei die bloße Anzahl der Aufrufe nichts über den Gesamtpunktestand oder die endgültige Platzierung eines Teilnehmers aussagt. Mit dem Pose Down – oder einem freien Posen, wie man es auch nennt – wird die Bewertung der Wettkämpfer abgeschlossen. Im Anschluss geben alle Mitglieder der Jury die ausgefüllten Wertungsbögen bei der obersten Wettkampfleitung ab (vgl. Kläber 2008: 46ff.). Nach der finalen Auswertung der zuvor eingesammelten Wertungsbögen und der Ermittlung des Gesamtpunktwertes für jeden einzelnen Athleten, finden die Siegerehrungen der entsprechenden Gewichtsklassen statt. Alle vier Wertungsrunden verlaufen für jede Alters- und Gewichtsklasse stets nach derselben Prozedur. Die Abhandlungsreihenfolge der unterschiedlichen Klassen ist ebenfalls penibel festgelegt. Alle Bodybuildingveranstaltungen folgen dem gleichen Verlaufsschema von der jüngsten zur ältesten Klasse und innerhalb einer Altersklasse immer von der leichtesten zur schwersten Klasse. Abgesehen von der Jugendklasse, die es nur für Männer gibt, wird generell die jeweilige Frauenklasse der betreffenden Alters- und Gewichtsklasse vor der ihr entsprechenden Männerklasse abgehandelt. Das absolute Highlight einer jeden Bodybuildingveranstaltung – sei sie noch so klein und ›bedeutungslos‹ – ist jedes Mal die höchste Gewichtsklasse (Männer IV), die lediglich durch einen gecharterten Gaststar – meist ein populärer Profibodybuilder – hinsichtlich ihres Sensationsgehaltes noch übertroffen werden kann. Diese manifeste Begeisterung für extrem »überproportionale« Muskelberge treibt die Athleten auf der Bühne, ebenso wie das Publikum solcher Wettkämpfe, beinahe unaufhaltsam in einen bedenklichen »Massewahn«. Dadurch erklärt sich auch, weshalb das tradierte Körperideal des Bodybuildings schon seit Jahrzehnten dabei ist, in wahnwitzige Sphären abzudriften. Dieser Muskelmassewahn der Bodybuilder ist aber kein Phänomen jüngerer Zeit, sondern resultiert aus der in frühen Jahren dieser Kraftsportform etablierten Operationslogik, nämlich der, eine größtmögliche Muskel-

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masse bei geringstem Körperfettanteil zu erlangen. So kann man ohne weiteres die »drakonische Rekordsucht« des gegenwärtigen Hochleistungssports für den Bodybuildingsport auf die Muskelmasse beziehen und eine kollektivierte »Massesucht« bei ambitionierten Bodybuildern konstatieren (vgl. Caysa 2002: 58f.). Der binäre Code, anhand dessen der Muskelapparat eines Bodybuilders überarbeitet wird, ist hauptsächlich der von dick/dünn (vgl. Bette 1989: 114ff.). Dabei ist es für einen Bodybuilder typisch, dass er seine Muskeln – seien sie noch so gut entwickelt – immer als zu dünn empfindet. Ähnlich dem Magersüchtigen, der sein Spiegelbild als zu »fett« wahrnimmt, obwohl er kaum noch ein Gramm subkutanes Körperfett an sich hat, sind etliche Bodybuilder nicht mehr dazu imstande ihre Körperhüllen »objektiv« – zumindest aus einer außenstehenden Perspektive bewertet – wahrzunehmen.21 Ähnlich wie bei Sportarten, die in ihrer Leistungsentwicklung durch die Olympische Maxime: citius, altius, fortius (übersetzt: schneller, höher, kräftiger) geprägt sind, ist der Fortschritt des Bodybuildings ebenfalls durch einen simplen Grundsatz determiniert: Masse, Masse und nochmals Masse! Diesbezüglich dürfte ein kurzer Blick auf die sensationellen Fortschritte in der »physischen Konstitution« von Profibodybuildern über die letzten Jahre sowie Jahrzehnte hinweg, wie beispielsweise einer auf jene Athleten, die an Mr.Olympia-Wettkämpfen teilnahmen, als ›Beleg‹ genügen (vgl. Scheller 2010: 196ff.).

21 Pope, Phillips und Olivardia (2001: 117ff.) erörtern »Muskeldysmorphie« (umgangssprachlich: Muskelsucht) als drastischstes Beispiel aller Formen des »Adonis-Komplexes«.

II. Vormoderne Formen des Krafttrainings

Die Anwendung körperlicher Gewalt ist im Verlauf des Modernisierungsprozesses, also ausgehend von der stratifikatorischen zur funktional differenzierten Gesellschaftsordnung, zunehmend zurückgedrängt worden. Wie Norbert Elias (1976a: 369f.) überaus anschaulich aufzeigt, bildete sich im französischen Absolutismus eine »gute Gesellschaft« heraus, die relativ gewaltabstinent lebte. Neue Formen von Zwang und Gewalt bildeten sich im sog. Königsmechanismus heraus, um die Gunst der Hierarchiespitze auf sich zu ziehen. An die Stelle der noch interaktionsnah ausgetragenen Gewalt der primitiven Krieger segmentärer Gesellschaften traten ein zunehmend besser organisiertes Soldatentum sowie eine »körperlose Form der Gewalt« am Hofe. Die Intrige als ein Kampf, bei dem um Karriere oder sozialen Erfolg allein mit »der Macht des Wortes« gerungen wurde, war eine völlig neue Form der »zivilisierten Gewaltausübung«. Dafür waren entsprechende Interaktionsstrategien zu erlernen, um am Hofe nicht unterzugehen. Das berechnende Handeln auf längere Zeit, Selbstbeherrschung, Affektkontrolle, subtilste Menschen- und Kontextkenntnisse wurden immens wichtig, um sich als Subjekt am Hofe entsprechend einzuordnen. Eine »Verhöflichung der Krieger« begann erst im 11. oder 12. Jahrhundert und fand gemäß Elias (ebd.: 372ff.) dann auch erst im 17. und 18. Jahrhundert ihren Abschluss. Während die Menschen in segmentären Gesellschaftsordnungen – wie z.B. die frühen Germanenstämme – noch räumlich vergleichsweise weit voneinander entfernt lebten und so auf ihr unmittelbares lokales Lebensmilieu fixiert waren, entwickelten sich ab der späten Antike und dem frühen Mittelalter im Schnittpunkt europäischer Verkehrskreise vermehrt höfische Lebens- und Machtver-

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hältnisse. Menschen, die an besagten Territorialhöfen lebten, hatten ihre Lebensführung adäquat anzupassen, da ihr individuelles Handeln plötzlich in neuartige Interdepenzgeflechte eingebunden war und zu einem Bestandteil deutlich länger gewordener Handlungsketten wurde. Nachdem Kapitel I einen verdichteten Einblick in die Luhmannsche Evolutionstheorie gewährleistet, schenkt Kapitel II in aufeinander aufbauenden Analyseschritten sein Hauptaugenmerk der dezidierten Auseinandersetzung mit der sozialgeschichtlichen Genese des Kraftsports. Ziel ist es, ein grundlegendes Vorverständnis für die sozial stimulierten Entwicklungsdynamiken einiger sehr »bodybuildingähnlichen« KörperPraktiken zu offerieren, bevor auf die historische Gewachsenheit des heutigen Bodybuildings eingegangen wird. Versucht man den momentanen Entwicklungsstand in direkten Zusammenhang mit dem Bodybuilding – oder jüngeren Erscheinungsformen, wie dem Fitness- oder Gesundheitssport – objektiv zu erfassen, »dann stehen wir in Gefahr, es zu reifizieren, es ganz abzulösen von den Intentionen, den Wünschen, den Bedürfnissen, den Einstellungen, Meinungen und Anschauungen der Menschen, die es hervorbringen, erhalten und verändern, kurz: die es betreiben.« (Honer 1995: 182) Den von Honer aufgezeigten ›Bedenken‹ wird dadurch vorgebeugt, dass ab Kapitel III und Kapitel IV gewisse Aspekte zum modernen Bodybuilding mit Hilfe der Erkenntnisse aus dem Fundus des empirischen Datenmaterials einer Studie über ›Doping im Fitness-Studio‹ angereichert werden. Besagte Studie wurde ebenfalls vom Verfasser der vorliegenden Analyse durchgeführt. Da im Rahmen besagter Dopingstudie mehrere Dutzend Bodybuilder, Fitness- und Gesundheitssportler sowie Fitness-Studiobesitzer und Trainer mittels qualitativer Interviews auch über die Dopingthematik hinaus zu kraftsport- bzw. bodybuildingspezifischen Themenkomplexen interviewt wurden, bietet sich eine erneute Heranziehung des damals erhobenen »Datenmaterials« an (vgl. Kläber 2010). Folgende Themenbereiche fanden in den einzelnen Interviews detailliert Berücksichtigung: individuelle Identitätskonstruktion, angestrebtes Körperideal, grundlegendes Kraftsportverständnis, persönliche Trainingskonzeptionen, einschlägige Wettkampferfahrungen, internalisiertes Körperverständnis, ausgebildete Ernährungsweise, erreichtes Inklusionsniveau, Schulbildung sowie Beruf, Freunde bzw. Lebensgefähr-

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te, Bedeutsamkeit des heimischen Fitness-Studios, sportliche Umfeldakteure sowie der Zugang zu gewissen (User-)Netzwerken.1 In dieser Studie wird zudem der Versuch unternommen, ausgewählte Innenperspektiven zum real existierenden Bodybuildingmilieu des Fitness-Studiosektors in Form von Aussagen einiger Hauptakteure, also Kraftsportler, miteinfließen zu lassen, um vermeintlich komplexe Sachverhalte in ihrer Anschaulichkeit zu verbessern. Von weiten Bevölkerungskreisen wird das (körpermodellierende) Kraftsportmilieu, das sich durch ein apartes Verhaltensstereotyp (den kollektivierten Muskelfetisch) auszeichnet, als befremdlich und bisweilen gar »anrüchig« empfunden. Genuine Bodybuilder, aber durchaus auch nicht bodybuildingbetreibende Kraftsportler, wie etwa Bodyshaper, Gewichtheber, Powerlifter u.Ä., sehen sich mit recht unterschiedlichen Klischees und Intoleranzen konfrontiert und vermeiden daher öffentliche Bekenntnisse zu ihrem Sport (vgl. Gießing 2002a: 31ff.); sie gehen vorzugsweise auf Nummer Sicher und weichen daher nervenaufreibenden Auseinandersetzungen mit Außenstehenden aus. Nach Jaspers (2004: 127) benötigt ein soziales Phänomen aber gerade aus diesem Grund die Aufmerksamkeit der Wissenschaften. Denn prinzipiell gilt: »Wo geheim gehalten wird, ist etwas nicht in Ordnung« und somit meistens mit einem hohen Spannungsgrad versehen. Bodybuilder weichen oft jeglicher Stellungnahme zu wissenschaftlichen Anfragen aus und lassen sich normalerweise nur unter Gleichgesinnten zu originären Bodybuildingthemen aus. Durch dieses Verhalten, das zum (präventiven) Selbstschutz dient, intendieren die Akteure sich den üblichen Diffamierungen zu entziehen. Handelt es sich dann auch noch um einen ›erfolgsverwöhnten‹ Bodybuilder, der durch sein überproportioniertes Erscheinungsbild für jedermann leicht zu identifizieren ist, verschärfen sich die Vorurteile durch Außenstehenden zusehends. »[Bodybuilder] gelten als aufgeblasene, angeberische, eitle ›Popanze‹, die mit ihren Muskeln überhaupt nichts anzufangen wüssten, denen bei jeder Dauerbelastung die Luft wegbleibe und die zu allem Über-

1

Zur empirischen Vorgehensweise im Rahmen besagter Doping-Studie vgl. ausführlicher Kläber (2010: 16ff.).

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fluss (wegen all der Steroide, die sie andauernd einnähmen) auch noch impotent seien.« (Honer 1985b: 155)

Nicht wenige Menschen sehen in voluminösen Bodybuildern spleenige Freaks, extravertierte Homosexuelle oder prinzipiell psychisch stark Gestörte, die ihre psychischen Komplexe mit Muskeln zu verdecken trachten (vgl. Pramann 1983: 15f.). Ähnliche Klischees, von denen der wissenschaftlichen Neutralität wegen Abstand zu nehmen ist, ermittelte Darden (1972) durch standardisierte Befragungen. Er konstatiert, dass derartige stereotype Züge unabhängig vom sportlichen Exotenstatus – den Bodybuilder ohne Zweifel in den meisten (westlichen) Industrienationen seit jeher besitzen – bei der Majorität der Nicht-Kraftsportler fest verankert sind und sich hartnäckig halten. Diesbezüglich wäre es im Sinne des »Soziologen als Mythenjäger« (Elias 2000: 51ff.) nicht nur interessant, sondern längst überfällig, sich mit der eigentümlichen wie auch frappierenden Beständigkeit gewisser Alltagsmythen über Bodybuilding eingehender auseinanderzusetzen. Leider kann dies im Rahmen einer sozialhistorisch-orientierten Studie nicht geleistet werden, ohne sich zu sehr vom Wesentlichen zu entfernen. Immer wieder unterstellen Außenstehende passionierten Kraftsportlern – unabhängig davon, ob diese bodybuilding-, kraft- oder fitnessorientiert trainieren – einen Mangel an Männlichkeit, homosexuelle Tendenzen, Narzissmus, Hypochondrie oder mangelhaftes Selbstvertrauen (vgl. Bednarek 1984: 54f.).2 Die vorliegende Studie muss von einer intensiveren Auseinandersetzung mit solchen Plattitüden absehen, selbst wenn sie in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit noch so weit verbreitet sein mögen. Der Hinweis auf Studien, die viele tradierte Vorurteile gegenüber Kraftsportlern widerlegt haben, soll hier genügen. Generell ist in dieser Studie eine ausgewogene Kombination aus soziologischer Theoriearbeit und Historizismus angestrebt, die einen nüchternen Einblick in die hochkomplexe Geschichte des Bodybuildings in Aussicht stellt. Eine solche Vorgehensweise birgt jedoch immer die Gefahr in sich, dass diese Studie von den Historikern als zu soziologisch-theore-

2

Auch Scheller (2010: 24f.) erörtert, dass derartige Alltagstheorien, die sich meist aus psychologischen Erklärungsansätzen zum Bodybuilding speisen, jeglicher wissenschaftlicher Grundlage entbehren.

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tisch und von den Soziologen als zu historisch – bzw. daten- sowie personenorientiert – aufgefasst wird (vgl. Bourdieu 2002: 78f.). Dennoch ist es ein Anliegen des Verfassers, beiden Lagern hinsichtlich ihrer wissenschaftlichen Ansprüche zu genügen.3 Unter Berücksichtigung des aktuellen Diskussionsstandes und kompatibler soziologischer Theorieangebote wird sich das folgende Kapitel 2 den Vorformen des klassischen Bodybuildings mittels eines ›historischen Abrisses‹ annähern. Kapitel III behandelt daran anknüpfend die geschichtlichen Teiletappen des systematisch-planvollen Krafttrainings bis zur Geburtsstunde des Bodybuildings, aus dem sich ein facettenreicher sowie aktuell immer noch expandierender Fitness-Studioboom entwickelte. Die Historisierung des zu analysierenden Kraftsports ist jedoch keine Wiedergabe im Sinne einer simplen geschichtlichen Nachzeichnung. Vielmehr wird das gesamte Kapitel II durch eine fortlaufende soziologische Reflexionsarbeit supplementiert. Denn nach Foucault (2002a) ist Geschichte explizit nicht nur das, was die Historiker unter ihr verstehen. Diese Wissenschaftsakteure würden sich selbst zwar als Spezialisten für die Realität(en) vergangener Tage begreifen, jedoch werde von ihnen das »reale« einfache Leben (der Alltag) der damaligen Menschen nicht angemessen behandelt, sondern lediglich große Ereignisse wie etwa Seuchen, Kriege, Naturkatastrophen oder Revolutionen. Um diesen Missstand zu vermeiden, gilt es in Anlehnung an Foucault (ebd.) eine »Archäologie des Wissens« zu betreiben. Generell ist für jegliche gelungene soziologische Vorgehensweise die Berücksichtigung historischer Dimensionen essentiell. Dagegen ist die aktuell dominante quantitativ-orientierte Sozialforschung ihrer Gegenstandsauffassung nach »ahistorisch«. Sie verstellt daher den Blick auf Veränderungsprozesse oder komplizierte geschichtliche Zusammenhänge. Nicht wenige Ergebnisse, denen ausschließlich eine Quantifizierung zugrunde lag, mussten nach einer Analyse des historischen Kontextes zurückgenommen oder neu interpretiert werden (vgl. Mayring 2002: 34ff.). Der Kontext eines sozialwissenschaftlichen Forschungsgegenstands ist folglich historisch determiniert und die Situationen, in denen konkrete Interaktion(en) stattfinden, sind schwer reproduzierbar.

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Zu einem ausgewogenen Verhältnis von Empirie und Theorie bei soziologischen Untersuchungen vgl. ausführlicher Bourdieu (2002b).

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Denn Interaktionssituationen sind genauso einmalig, wie die Interviewten der zitierten Doping-Studie (individuelle) Subjekte in jeweils spezifischen Handlungskontexten sind (vgl. Kläber 2010). Da diese Studie auf kennzeichnende Muster sozialen Handelns von Bodybuildern sowie z.T. Fitness-Sportlern zu schließen trachtet, reklamiert sie – gemäß der strikten Generalisierbarkeitsprämisse der positivistischen Forschungsauffassung – ebenfalls generalisierbare Elemente, selbst wenn sich diese nur in Tendenzen äußern. Wichtig ist, dass nach Lamnek (1995: 232) die Beschreibung derartiger Regelmäßigkeiten oder Tendenzen auch den historischen Bezug enthält. »Unter Soziologen gibt es heutzutage einen breiteren Konsens über die Notwendigkeit einer Synthese von Soziologie und Geschichte, als dies in den 50er und 60er Jahren der Fall war, als statistische Formen des Funktionalismus sowie der Ansatz, der von C. Wright Mills als ›abstrakter Empirismus‹ bezeichnet wurde, nahezu die Alleinherrschaft innehatten.« (Elias/Dunning 2003: 40)4

Hervorzuheben ist, dass eine Vernachlässigung der historischen Dimension – wie sie einem rein quantitativen Untersuchungsdesign in der Regel anhaften würde – für diese Studie besonders fatal wäre, da sie an Ursachen sowie erklärungskräftigen Aussagen interessiert ist. »Die Gegenstandsauffassung im qualitativen Denken muss immer primär historisch sein, da humanwissenschaftliche Gegenstände immer eine Geschichte haben, sich immer verändern können« (Mayring 2002: 34). Jedoch ist – wie bereits angesprochen – keine klassische historische Deskription des systematisch-planvoll betriebenen Hanteltrainings im Sinne eines »Rezitierens« des vorliegenden geschichtlichen Erkenntnisstandes geplant. Vielmehr werden in den folgenden Kapiteln historische Erkenntnisse über diverse Vorformen und ähnliche Formen des Krafttrainings mittels soziologischer Theoriearbeit präzisiert durchleuchtet und vor dem Hintergrund aktueller Begebenheiten neu interpretiert.

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Zur Syntheseforderung von Geschichte und Soziologie vgl. auch ausführlicher Mills (1963).

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2 K ÖRPERKRAFT

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Frappierend ist, dass sich das Trainieren mit hantelähnlichen Gegenständen gemäß einer Kraft- und Körperschulung, einem roten Faden gleich, von der Antike bis in die Gegenwart hinein durch die gesamte (»Sport-«)Geschichte zieht – auch wenn die gegenwärtigen Kraftsportpraktiken eine ganz andere Qualität aufweisen als beispielsweise die der griechisch-antiken Olympioniken, die an den damals üblichen Wettkämpfen stets völlig nackt teilnahmen, oder den römischen Gladiatoren, die trotz ihrer hochfunktional gepanzerten Rüstungen noch immer genug »imposantes Muskelfleisch« zur Schau stellten (vgl. Rarges 1909: 261ff.). In den Olympischen Spielen der Antike »Sport« zu sehen, ist eine oft begangene Fehlinterpretation. Die Begrifflichkeit »Sport« ist generell auf die Entstehung des Sports in England zu beziehen, der sich erst ab Ende des 18. bzw. zu Beginn des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart hinein konstituierte und etablierte. Alle anderen historischen oder kulturellen Formen der Körperübungen sowie -spiele sind deshalb anders zu benennen, weil sie sich vom modernen Sport unterscheiden, wie umgekehrt.5 Einleitend lässt sich jedoch feststellen, dass die übergroße Faszination für menschliche – in erster Linie ›männliche‹ – Körperkraft, und damit verbunden auch eine gewisse Begeisterung für extrem glorifizierte (Muskel-)Helden, ein universelles Menschheitsthema darstellt. Diese Faszination lässt sich bis in die Anfänge menschlicher Kultur zurückverfolgen. Körperkraft, und damit einhergehend die menschliche Muskulatur, ist etwas, das die Menschen schon immer in ihren Bann gezogen hat. Kraft und Muskeln bedingen einander.6 Von jeher lag eine der bevorzugten Deskriptionstechniken für das Kraftpotential

5

6

Zu den »sieben Wesensmerkmalen« des modernen Sports – Weltlichkeit, Chancengleichheit, Rollenpezialisierung, Rationalisierung, Bürokratisierung, Quantifizierung und Rekordsuche – vgl. Guttmann (1979: 25ff.). Ein größerer Muskelumfang resultiert nicht zwingend in einer besseren Kraftleistung. Das dürfte hinlänglich anerkannt sein. Aber dass ein positiver Zusammenhang zwischen Kraft und Muskelmasse besteht, lässt sich ebenfalls nicht mehr von der Hand weisen (vgl. Ehlenz/Grosser/Zimmermann 2003).

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des Menschen – im Besonderen des Mannes – bei Schriften in der wörtlichen Attestierung und bei Kunstwerken in der meist gemalten Darstellung einer überdurchschnittlichen Muskelmasse. Schon in der Bibel – genauer: im Alten Testament – ist von muskelbeladenen ›Persönlichkeiten‹ wie dem gefürchteten Goliath oder dem Helden Samson die Rede (vgl. Dorsch 2004: 9ff.). Unabhängig von der unerwarteten Niederlage Goliaths im Kampf gegen den kleinen David vom Stamme der Hebräer, wurde Goliath zuvor stets als stärkster Mann sowie »unbesiegbarer Krieger« durch seinen eigenen Stamm (die Philister) verehrt. Man beschrieb ihn auch im Lager seiner Feinde stets als Riese mit ungewöhnlich stark ausgeprägter Muskulatur – im Sinne einer segensreichen Laune der Natur oder der Götter.7 Samsons übernatürliche Körperkräfte hingegen waren definitiv keine Gunst der Natur, sondern beruhten auf dessen lang gewachsener Haarpracht. Von ihm ist überliefert, dass er (als erhoffter Retter der Israeliten) die Säulen eines Tempels allein durch seine Muskelkraft zum Einsturz brachte. Als ihm jedoch seine Geliebte – die bezaubernd schöne – Delilah vom verfeindeten Stamm der Philister eines Nachts im Schlafe seine lange Haarpracht abschnitt, verlor er durch diesen hinterlistigen Akt des Verrates alle »übernatürlichen« Kräfte und konnte demnach auch seine Mission der Rettung Israels nicht mehr erfolgreich zum Abschluss bringen (vgl. Bredenkamp/Krägermann/Urbansky 1993: 25ff.). Ruft man sich neben der Bibel die griechische Sagenwelt – mit all ihren Göttern, Titanen oder glorreichen Helden – in Erinnerung, ist wiederum die Bedeutsamkeit von zwar menschlicher, aber meist von Göttern vergebener Körperkraft und Muskelmasse unverkennbar. Homers Welt der »Ilias« und »Odyssee« ist voll mit unglaublichen Kraftakten und kriegerischen Auseinandersetzungen (vgl. Sörös/Vogl 2008: 24ff.). Unzählige kluge Heldentaten, aber auch barbarische Akte der Gewalt ziehen sich durch Homers gesamtes literarisches Lebenswerk; Herkules8 ist darin unbezweifelt das mythologische Urbild eines modernen

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8

Vgl. hierzu ausführlicher »David und Goliath«. In: Die Bibel. Stuttgarter Bibel, 2004. Stuttgart: Belser Verlag (3. Auflage), 12: 16, 10; 15: 18, 2; 42: 16, 12; 54: 21, 10. Auffallend ist, dass in Kinofilmen die Rolle des Herkules vorzugsweise mit Bodybuildern – ja sogar berühmten Profibodybuildern – besetzt wurde.

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Muskel-Helden. Seine eindrucksvollen Abenteuer sind stets geprägt von seiner bestechenden Muskulatur und seiner von den Göttern gegebenen Körperkraft. »Das leuchtende Vorbild und zugleich der spätere Schutzgott aller starken Männer und Athleten war bei den Griechen bekanntlich der gewaltige Herakles (Herkules) […]. Sein Typus, wie er uns durch zahlreiche Bildwerke überliefert ist, zeigt die gedrungene, muskelbeladene Figur des echten Schwerathleten mit kurzem Stiernacken, kleinem Kopf, ziemlich kurzen Armen, schmalen Hüften und mächtiger Brust.« (Rarges 1909: 265)

Göttervater Zeus, der Vater des »tapferen« Herkules, verlieh seinem Sohn dermaßen übermenschliche Körperkräfte, »dass der griechische Sagenheld noch heute als Sinnbild der Stärke gilt« (Groth 1987: 12f.). Nicht wenige Bodybuilder unserer Zeit verweisen bezüglich ihres Körperideals auf den antiken Herkules, den sie mit den Körpern von Schauspielern gleichsetzen, die oft aus dem Bereich des professionellen Bodybuildings herstammen. Auch Henke und Scheele (1995: 16) schauen sich den mächtigen Herkules etwas detaillierter an, »der durchtrainiert und athletisch nicht nur ein erstrebendes Ideal für Griechen und Römer war, sondern auch in der Renaissance ein neues Aufblühen fand und schließlich in unserer Gegenwart ein zu erreichendes Vorbild für weite Teile Sportinteressierter ist«. Herkules ist mit seiner überragenden Intelligenz, seiner vollkommenen Körperlichkeit und seinem makellosen ›Innenleben‹ ein virtuoses Sinnbild für jeden ganzheitlichen Ansatz, die sich durch die Fiktion eines Einklangs von Körper, Geist und Seele auszeichnen (vgl. Bette 2005: 22ff.). Als weiteres Beispiel für die Relevanz von Muskelkraft in der griechischen Mythologie kann man auf den Titanen Atlas hinweisen; denn dieser verfüge ebenfalls über immense Kräfte. Aufgrund sei-

Besonders authentisch wirkend spielten beispielsweise die drei Mr.-Universum-Sieger Steve Reeves, Arnold Schwarzenegger und Lou Ferrigno die Rolle des legendären Herkules. Aber auch andere Bodybuildinggrößen, wie Ralf Möller, spielten die Rollen weiterer Muskel-Helden nicht weniger beeindruckend (vgl. Pramann 1983: 8f.).

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ner provozierenden Arroganz wurde er von den Göttern bestraft, indem er bis in alle Zeiten die Weltkugel auf seinen Schultern zu halten habe. Es gibt sehr viele Kunstwerke, die ihn mit beachtlichen Muskelbergen zeigen. In der Sage heißt es unterdessen weiter, dass er die Erdkugel auf dem Rücken einer Schildkröte bis in alle Ewigkeit zu stemmen habe (vgl. Dorsch 2004: 9f.). Um es schon im Vorfeld der folgenden Kapitel bereits klarzustellen: Es macht für das Anliegen dieser Studie nur wenig Sinn, über die geschichtliche Herkunft des systematisch-planvollen Hanteltrainings zu spekulieren oder gar alle bodybuilding- sowie fitnessähnlichen Formen körperlicher Betätigung, die es historisch nachweisbar einmal gegeben hat, zu kommentieren. So stellte Rarges bereits im Jahr 1909 für den deutschen Kraftsport fest: »[…], dass dieser Sport in seiner gegenwärtigen Bedeutung als selbstständiger Faktor leiblicher Erziehung ganz wie das deutsche Turnen eine rein neuzeitliche Erscheinung ist ohne rechten Vorgänger in der frühen Geschichte der Gymnastik. Man müsste denn die Zyklopen der alten Hellenen und die Riesen der germanischen Sage, die ihre rohe Kraft so gern an ausgerissenen Bäumen und gewaltigen Felsblöcken erprobten, als die Stammväter des modernen Schwerathleten in Anspruch nehmen.« (Rarges 1909: 264)

Allerdings sollen die vormodernen Zeitepochen nicht komplett ausgespart werden, wie es in den wenigen bereits existierenden Veröffentlichungen zur Geschichte oder ›Urgeschichte‹ des Krafttrainings Usus zu sein scheint. Denn beinahe alle wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit »der« Geschichte des Bodybuildings, das man als ursprüngliche Form jedweden körpermodellierenden Hanteltrainings postuliert, setzen meistens im ausgehenden 19. Jahrhundert an (vgl. Gießing 2002a, b; Wedemeyer 1996, 2004; Würzberg 1987). Nur Pramann (1983: 115ff.) beschreibt in sehr geraffter Gestalt erste Ansätze bodybuildingähnlicher Körperpraktiken von der Antike ausgehend bis in die Moderne. Um jedoch aufzuzeigen, dass die historischen Wurzeln eines systematischplanvoll betriebenen Krafttrainings, wie es sich im Bodybuilding- und Fitness-Sport manifestiert, in der Tat wesentlich tiefer liegen, wird im

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Folgenden das vormoderne Krafttraining seit den ersten Hochkulturen des Altertums sowie der Antike etwas umfassender thematisiert.

2.1 Kräftigungspraktiken in den Athletikschulen der Antike Erste fundierte Nachweise für Sport – oder treffender formuliert: sportähnliche Körperpraktiken – seit dem Beginn der Menschheitsgeschichte sind aus der kretisch-mykenischen Zeitepoche um 1600 - 1200 v. Chr. überliefert.9 Jedoch bezeichnete man damals den Sport noch als Leibeserziehung. Ferner war zu diesen Zeiten die Leibeserziehung den »höheren Gesellschaftsschichten« vorbehalten. Im Rahmen diverser kultischreligiöser Veranstaltungen, wie beispielsweise Hochzeiten oder spezifischen Festivitäten zu Ehren bestimmter Götter, wurden sport-ähnliche Wettkämpfe ausgetragen. In Verbindung mit diesen Wettkämpfen entwickelt sich auch Olympia zu der Kultstätte schlechthin, die letztlich zum Vorbild der Olympischen Spiele der Neuzeit werden sollte (vgl. Krüger 2004: 88ff.). In der daran anschließenden Epoche, also im Zeitalter um 800 - 500 v. Chr., erfährt der wettkampforientierte »Sport« einen stetig höher werdenden Stellenwert in der griechischen Gesellschaft, da man zu Ehren der Götter immer häufiger Wettkämpfe bestritt. In diesem Zeitalter war der »Sport« ein essentieller Bestandteil der Religion(en). Ab 776 v. Chr. fanden daher primär zu Ehren des Gottes Zeus in einem Zyklus von vier Jahren heilige Spiele statt (vgl. ebd.: 119ff.). Später im Zeitalter der Klassik um 500 - 300 v. Chr. entstanden dann die ersten systematischen Planungskonzepte für eine gezielte Leibeserziehung. Vor allem der »Gymnastik« wies man vielseitige gesundheitliche Funktionen zu. In Folge dieser progressiven Entwicklung entstanden spezialisierte Bildungsstätten wie ›Palästra‹ und ›Gymnasion‹. Die sog. Palästra war ursprünglich eine mit feinem Sand bedeckte Trainingsfläche für Ringkämpfer und ein Ort für entsprechende Wettkäm-

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Im Zentrum der kretisch mykenischen Epoche stehen Gebiete um die ägäischen Inseln (Ägäis) und die auf dem griechischen Festland herrschende Kultur (nach ihrem damaligen Machtzentrum Kreta und nach Mykene [Peloponnes] auch kretisch-mykenische Kultur genannt).

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pfe. Auch Faustkämpfe fanden hier statt. Das Gymnasion hingegen war eine Trainingsstätte für Athleten anderer »Sportdisziplinen«. Die gesamte klassische Antike war maßgeblich geprägt durch die ›Geschehnisse‹ (bzw. Kriege) im Raum um die damalige Großmacht Griechenland und dem späteren Römischen Imperium. In den Jahrhunderten um 500 - 200 v. Chr. kam es zu schwerwiegenden gesellschaftlichen Umwälzungen. Nach Außen war Griechenland mit dem eingefahrenen Krieg gegen das Persische Großreich beschäftigt. Dabei wurde Athen durch strategisch günstige Erfolge für seine Handelsflotte immer reicher und mächtiger. Nach der Niederlage Athens im ca. dreißig Jahre anhaltenden Peloponnesischen Krieg gegen die Spartaner kam es zum temporären Abstieg Athens, bis es ab 400 v. Chr. durch die Schwächung Spartas (aufgrund der Machtbestrebungen Thebens) erneut zum Aufstieg Athens kam. Als einige Zeit später unter Führung von König Philipp II. von Makedonien ganz Griechenland erobert sowie vereinigt worden war, eroberten die Griechen unter Führung Alexander des Großen auch Persien. Damit begann das Zeitalter des Hellenismus, also die Verbreitung der griechischen Kultur im gesamten östlichen Mittelmeerraum, Kleinasiens, Mesopotamiens und Persiens, bis diese Gebiete ab 200 v. Chr. Stück für Stück dem Römischen Imperium einverleibt wurden. Demzufolge sind die Römer zu Erben der griechischen Kultur geworden. Die bereits in der Klassik entdeckten gesundheitlichen Funktionen wurden in der hellenistischen Epoche um 336 - 30 v. Chr. vermehrt genutzt und es entstand eine spezielle Lehre über die gesunde Lebensführung (Diätetik). Dadurch kam dem damaligen Bildungswesen nicht nur eine immer größere Bedeutsamkeit hinsichtlich einer Schulung des Geistes, sondern zunehmend auch einer des Körpers zu. Die Leibeserziehung erlangte dementsprechend eine äußerst wichtige Rolle in der antiken Erziehung. Da aber die Entwicklung der Gymnastik eher zu einer gesundheitsorientierten Leibeserziehung tendierte, wurde die agonale (wettkampforientierte) Gymnastik mehr und mehr vernachlässigt. Agonale Gymnastik ist letzten Endes fast nur noch von Berufssportlern praktiziert worden. Die sportlichen Wettkampfereignisse bei den einst kultischen Spielen fanden dann nur noch als reine Schaukämpfe statt. »Sport« kam in diesem Zeitalter immer häufiger lediglich als Unterhaltungsmaßnahme zur Geltung.

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Annähernd zeitgleich war im frühen Römertum um 500 - 200 v. Chr. die »sportliche« Erziehung lediglich für das Militär von Bedeutung. Daher war eine körperliche Ertüchtigung sukzessiv als probates Mittel der Militärerziehung ausgebaut geworden. Ranghohe Militärs trainierten den Soldaten so simpel wie zweckorientiert Härte, Ausdauer sowie Kraft an. Die Trainingsmethoden zur körperlichen Ertüchtigung waren u.a. das Laufen, das Schwimmen und das Fechten. Der »Sport« hatte zu dieser Zeit vor allem für junge Männer, die auf Kriege vorzubereiten waren, eine überlebensnotwendige Bedeutung. »Sport« für Frauen wurde in dieser Zeit vernachlässigt und die Ausübung tendierte gegen Null. Selbst Wettkämpfe spielten im frühen Römertum (nur) eine marginale Rolle. Es ist evident, dass in diesen hauptsächlich vom Krieg und Militär geprägten Zeiten der soldatische Körper (Kriegerkörper) – ob nun naturgegeben oder antrainiert – im Gegensatz zum Sklavenkörper von besonderem Interesse war. Denn immerhin kam der körperlichen Verfasstheit der Soldaten im unmittelbaren Kampf ums individuelle wie auch stämmische Überleben eine essentielle Funktion zu. Dem ungeachtet kann das Athletentum zu keinem Zeitpunkt der Antike als ausgestorben gelten (vgl. Krüger 2004: 142ff.). »Gewiss gab es auch im Altertum und zu allen Zeiten starke Männer, die durch ihre Naturkraft imponierten. Aber sie war ihnen dann eben angeboren, und wenn sie, wie im späteren Hellenismus und bei den Römern, systematisch geübt und durch streng geregelte Lebensweise, bei der viel Schlaf und ungeheure Portionen bester Fleischnahrung neben geschlechtlicher Enthaltsamkeit die Hauptrolle spielten, sozusagen kultiviert wurde, so diente diese Art Schwergewichtstraining immerhin nur als Mittel zu anderem feineren gymnastischen Zweck, insofern verschiedene gymnastische Berufsarten wie das Gladiatorentum der römischen Kaiserzeit, der Faustkampf und der Allkampf (Pankration) des späteren Griechenlands in der Anzüchtung großer Muskelkraft und widerstandsfähiger Fleischmassen eine Vorbedingung des Erfolges fanden.« (Rarges 1909: 264)

Der historische Ursprung des Krafttrainings als zielgerichtetes Arbeiten am eigenen Körper lässt sich – wie bereits angebahnt – nicht exakt festmachen und die Meinungen der Fachleute unterscheiden sich diesbe-

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züglich eklatant voneinander. Trotzdem liegen etliche archäologische Funde vor, die für eine Existenz systematisch-planvoll betriebener Körperertüchtigungsprogramme sowie -strategien schon zu Zeiten der antiken Hochkulturen sprechen. Vereinzelt gab es spezielle institutionsartige Stätten, also eine Art Athletikschulen, für die Durchführung von Körperertüchtigungsprogrammen (vgl. Pramann 1983: 115ff.). Für einige Fachleute sind bereits ca. 5000 Jahre alte ägyptische Zeichnungen u.Ä. eindeutige Indizien für eine intendierte Körperformung zur Zeit der ägyptischen Hochkultur und Pharaonen (vgl. Bredenkamp/Krägermann/Urbansky 1993: 12f.); obwohl über ein Krafttraining mit Gewichten kaum etwas Konkretes überliefert ist. Zumindest sind sich Historiker sowie Archäologen darin einig, dass sowohl die Ägypter als auch große Teile der asiatischen Welt »eine von Jahrtausenden geprägte Körperkultur gehabt haben« (Diem 1971: 108ff.). Der Fokus lag anfänglich allerdings eindeutig auf dem physischen Attribut der Körperkraft. Eine »sportive« Körperoptik nach modernem Verständnis spielte dabei vermutlich nur eine untergeordnete Rolle und die Bedeutung des Muskelumfangs – zumindest auf optische Gesichtspunkte reduziert – ist noch als gering zu erachten. Von Menschengedenken an setzte sich die Menschheit mit den Kräften der Natur sowie den Kräften des eigenen Körpers auseinander. Es hat vermutlich zu jeder Zeit irgendwelche Formen des Wettkampfs und der »Sport«-Spiele gegeben, die die archaische und sozial konstruierte Dichotomie von Körper- und Naturkraft zum Inhalt hatten. Viele Jahrhunderte vor den neuzeitlichen Sportdisziplinen, wie Hammerwerfen, Kugelstoßen, Diskuswerfen, Gewichtheben, Kraftdreikampf, Ringen u.Ä., gab es in bestimmten Regionen sowie Kulturen unseres Erdkreises lange Traditionen ähnlicher wettkampfmäßig betriebener KraftVergleiche. Doch kann hierbei noch nicht von »Wettkampfsport« im modernen Sinne die Rede sein. Bezeichnend ist nach Dorsch (2004: 7): »[…], dass trotz der dominierenden Rolle der Muskelkraft bei so vielen sportlichen Aktivitäten, gerade bei dem sportlichen Feld der Kraftathletik bisher nur sehr wenige systematische Versuche unternommen wurden, die Schwerathletik in einem möglichst umfassenden und ganzheitlichen Rahmen, sowohl bezüglich ihrer Entwicklungsge-

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schichte(n) und Differenzierungen, wie auch ihrer soziokulturellen Funktionen im gesellschaftlichen Kontext zu beschreiben.«

In der Antike genoss das physiologische Attribut der Kraft zweifellos einen besonders hohen Stellenwert. Hauptsächlich von den Antiken Griechen ist überliefert, dass sie die oben erörterten ›Athletikschulen‹ gründeten, um die Körperkraft ihrer Schüler für klassische Disziplinen, wie dem Diskus- oder Speerwurf, zu optimieren (vgl. Groth 1987: 15f.). In diesen »Schulen« wurden effiziente Trainings- sowie Ernährungstechniken erlernt. Alles, was für die Leistungssteigerung als förderlich erschien, wurde an den Schülern getestet und – sofern es effektiv war – weiter modifiziert. Diem (1964: 47f.) deklariert die vermeintliche »Kampfprobe Gewichtheben oder das Stoßen mit Steinen, von denen Reste in Athen, Olympia, Pompeji, Epidauros und Thera gefunden worden sind«, als erste »wettkampfmäßige« Kraftvergleiche. Nur mit solchen Kräftetests konnte man entwickelte Trainings- und Ernährungstechniken auf ihre reale Effizienz hin überprüfen. Ab 800 v. Chr. hatten urgriechische Völker ganz Griechenland und die ägäischen Inseln besiedelt. Von 800 - 100 v. Chr. wurden die griechischen Könige durch den Adel zunehmend entmachtet und es bildeten sich einzelne, fast autonome Stadtstaaten als politische Machtzentren: Athen, Sparta, Korinth, Theben etc. Trotz der Konkurrenzverhältnisse untereinander, beabsichtigte man das Zusammengehörigkeitsgefühl aller Griechen mit Hilfe gemeinsammer Feste, Bräuche und nicht zuletzt auch der bereits erwähnten Wettkämpfe zu erhalten. Da in dieser Zeit alle aristokratisch geprägten Kulturen »sportlich« waren, waren es die Griechen auch. So gab es die Wettkämpfe in Olympia, die ab 767 v. Chr. dokumentiert sind und bis 393 n. Chr. alle vier Jahre unter streng eingehaltenem Waffenstillstand stattfanden. Diem (1964) sieht in erhaltenen Kunstwerken und Utensilien aus der Antike einen aussagekräftigen Beleg für damals erbrachte nichtalltägliche Kraftleistungen, die von prominent gewordenen Kraftmenschen vollbracht wurden. So führt er beispielsweise als Beleg eine kleine etruskische Bronze an, auf der ein brachialer Steinstoß eines muskelbeladenen Mannes illustriert ist, oder eine kunstvoll bemalte Schale, auf der das Anheben eines voluminösen Steines durch einen Athleten abge-

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bildet ist (Vorform des Steinhebens).10 Derartige Indizien für extrem außergewöhnliche Kraftleistungen, die auch damals unter hartnäckigem Konkurrenzkampf vollzogen wurden, sind auf zahlreichen antiken Statuen, Plastiken sowie anderen Kunstwerken zu finden. Lehmann (2003) erklärt, dass den Kunstgegenständen – speziell den Athletenstatuen – aus dem Griechenland der Antike, die z.T. noch in erstaunlich gutem Zustand zur Analyse vorliegen, bei der Rekonstruktion der damaligen Verhältnisse eine fundamentale Bedeutung zukommt. Altgriechische Statuen11 fungieren als ›stille Zeitzeugen‹ und lassen erahnen, welch nahezu übermenschlicher Ruhm den erfolgreichen Athleten zuteil wurde (vgl. Pramann 1983: 115ff.). Darüber hinaus verweisen sie auf eine überaus stark ausgeprägte Verbindung zur Religion. »Allein durch ihre auftrumpfende Größe und ihren nackten Körper werden Athletenstatuen zu komplexen Ausdrucksträgern, deren riesiges Maß übermenschliche Werte suggeriert und die mächtige religiöse Symbole sind« (Lehmann 2003: 17f.). Auch in einigen Regionen Kleinasiens zeugt eine bemerkenswerte Vielzahl an Inschriften in Siegessäulen oder kleineren Tontafeln von den abnormen Kraftleistungen einzelner Personen, die beispielsweise bei einem Steinwurf12 erbracht wurden (vgl. Diem 1964: 47ff.). »Bereits bei den Griechen finden sich hantelähnliche Gebilde« (Emrich 1992: 9f.), die eine erhebliche Ähnlichkeit zu den handelsüblichen Hanteln der heutigen Zeit aufweisen. Vom Antiken Griechenland weiß

10 Schwarzenegger (1993: 24ff.) macht darauf aufmerksam, dass sich einerseits aus der alten Tradition des Steinhebens die moderne Form des Gewichthebens entwickelt habe und andererseits eine enge »Verwandtschaft« zwischen dem Gewichtheben und dem Bodybuilding bestehe. 11 Zur analytischen Deutung griechischer Athletenstatuen vgl. ausführlicher Lehmann (2003: 17ff.). 12 Diem (1964: 47ff.) erwähnt in vielen seiner Arbeiten über die Geschichte des Sports durchgehend von der Antike bis ins 19. Jahrhundert hinein immer wieder, dass der Stein als Gerät zum Wettkampf der Athleten gehörte, die ihre Körperkraft messen wollten. Im Mittelalter wurde der Steinstoß in der Regel sowohl zwecks körperlicher Ertüchtigung als auch zu Wettkampfzwecken auf wichtigen Festen o.Ä. durchgeführt. Vgl. dazu auch Moraw (1996: 73f.).

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man zudem, dass es durchaus üblich war, sowohl die Kraftleistung als auch die Körperoptik durch ein gezieltes Training, gekoppelt an eine entsprechende Ernährungsweise, zu beeinflussen. Für die Griechen war die Körperkraft keine isolierte Eigenschaft des menschlichen Körpers. Vielmehr sahen sie schon damals in Kraft und Muskelmasse ein Korrelat. Sie gingen davon aus, dass eine üppige Muskulatur automatisch mit enormen Kräften einhergeht. Auch Wedemeyer-Kolwe (2004: 290ff.) macht unter dem Titel »Kraft und Schönheit« auf die historische Kontinuität der Annahme aufmerksam, dass eine »zielgerichtete und definierte Kraftgewinnung und [eine] Umformung des Körpers« in direktem Zusammenhang miteinander stehen. Dass die Griechen in den Athletikschulen nicht nur die Kraftkomponente, sondern auch die Muskelmasse der Athleten zu verbessern trachteten, lässt sich durch historische Schriften und Zeichnungen rekonstruieren. »Zur Schulung der Muskeln gehörten viele Widerstandsübungen, wie Huckepacktragen, Herabdrücken der Hände oder der Arme des Partners, Einander-Wegziehen mit Einhaken der Arme, Partnerübungen mit Nackenzug, Rumpfdrehungen gegen die Kraft des Lehrers, Schwingen mit Kugeln und Hanteln, Freiübungen, Seilklettern und Klimmzüge am Querbaum.« (Diem 1971: 203)

Die außerordentlich hohe Bedeutsamkeit einer adäquaten Ernährungsweise zur Kraft- oder Muskelmassesteigerung wurde auch in der Antike nicht verkannt (vgl. Pramann 1983: 117f.). Erstaunlicherweise wurden damals schon eiweißhaltige Lebensmittel favorisiert. Ringer, Boxer und andere Kraftathleten bekamen eine ausgeklügelte Beköstigung, die Unmengen an Fleischspeisen enthielt (vgl. Strzeletz 1982: 16ff.).13 Nach damaliger Auffassung schlug das Essen am besten an, wenn die Athleten unmittelbar nach den schweißtreibenden Kraftübungen besonders viel aßen und anschließend ausgiebig schliefen – was sich von der favo-

13 Die von den Schwerathleten der Antike tradierte Ernährungsweise und der Ernährungsstil der heutigen Bodybuilder weisen in nicht wenigen Punkten starke Ähnlichkeiten auf und erinnern in Teilen an Verfahren der modernen Schweinemast.

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risierten Trainingsphilosophie heutiger Bodybuilder im Kern kaum unterscheidet. Selbst erste explizite Dopingversuche sind aus dieser Zeitepoche überliefert.14 So aßen etwa die griechischen Olympioniken – insbesondere die Schwerathleten – um 300 v. Chr., aber ebenso die stämmigen Gladiatoren15 zu Zeiten des Römischen Reichs regelmäßig Stierhoden, um sich die Kraft dieser Tiere anzueignen (vgl. Diem 1971: 211f.). Da dieses Tierorgan reich an »Testosteron« oder zumindest essentiellen Aminosäuren ist, scheint ein positiver Effekt auf die Kraft sowie den Muskelquerschnitt auf den ersten Blick gar nicht so abwegig zu sein. Wahrscheinlich ist deshalb der Verzehr von Stierhoden unter Bodybuildern und anderen Kraftsportlern noch heute weit verbreitet. Ähnliches zu expliziten Dopingversuchen in der Antike hält auch Müller (2004: 12) fest: »Nach Philostratos und Galen sollen Athleten der alten Olympischen Spiele schon am Ende des 3. Jahrhunderts vor der Zeitrechnung mit allen möglichen Mitteln – u.a. Hoden von Rindern und Hunden, Pflanzensamen und auch Pilzen – versucht haben, ihre Leistung zu verbessern.« Schon Jahrzehnte bevor das Römische Reich seine Blütezeit erreichte, kämpften anfangs ausschließlich Sklaven und später immer häufiger auch »freie Bürger« als Gladiatoren in gewaltigen Arenen (vgl. Groth 1987: 16ff.). Vor gigantischen Zuschauermassen kämpften sie um ihre Freilassung – oder auch nur um Ruhm sowie finanziellen Wohlstand. Anhand sterblicher Überreste etlicher Gladiatoren, die man auf ausgehobenen Gladiatorenfriedhöfen gefunden hat, konnte man mit Hilfe innovativer Arten der Knochenanalyse herausfinden, dass diese Kämpfer ein recht ausgewogenes Training absolvierten und keineswegs ein »brachiales«, wie man bisher annahm (vgl. Langenfeld 1992: 388f.). Deutlich weniger sensationell war dabei, dass die analysierten Knochenfunde übersäht waren mit verschiedenartigen Kampfverletzungen. Doch dass diese Knochen Anzeichen für eine systematisch eingeleitete Gene-

14 Vgl. ausführlicher Sörös und Vogl (2008: 24ff.). 15 »Gladiatoren waren im alten Rom Zweikämpfer, die in speziellen Schulen (ludi) trainiert haben, und zur öffentlichen Unterhaltung bereit waren, in verschiedenen Formen des Fechtens ihr Leben aufs Spiel zu setzen.« (Krüger 2003: 156)

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sung zeigen, überraschte dafür umso mehr. Da keine Ermüdungsbrüche, größere Abnutzungen o.Ä. aufzuzeigen waren, geht man von einem bemerkenswert hohen Trainings-, Regenerations- und Ernährungsstandard sowie einer famosen medizinischen und im weitläufigeren Sinne physiotherapeutischen Betreuung aus (vgl. Strzeletz 1982: 16ff.). Obendrein lässt sich nachweisen, dass die Gladiatoren vor den groß inszenierten Schaukämpfen in den gewaltigen Arenen in sehr kurzer Zeit noch einmal an Körpergewicht zulegten, was für subtile Diätstrategien spricht. Sie verfolgten eine zweckorientierte Ernährungsmast, die hauptsächlich aus Getreidebrei und Unmengen an Bohnen bestand. Damit erreichten sie einen äußerst muskulös-bulligen Körperbau,16 der für den Kampf um Leben und Tod immer von Vorteil war. ExperimentalArchäologen vermochten die hohen Standards in puncto Training, Ernährung, Diätetik und medizinischer Betreuung zu belegen. Krüger (2003: 155ff.) arbeitete vor diesem Hintergrund Parallelen zwischen den Gladiatoren des alten Roms und den heutigen Leistungssportlern heraus. Er begreift moderne Hochleistungssportler als »Hightech-Gladiatoren«, die – nach dem Vorbild ihrer historischen Vorgänger – ebenfalls die Bereitschaft mitbrächten, im extremsten Fall ihr Leben zu lassen. Denn heutige Gladiatoren würden sich der Logik des Spitzensports gemäß »immer der bestmöglichen technologischen Verfahren bedienen« (ebd.: 164f.). Das ließe die Vermutung zu, dass sich die Majorität der Spitzensportler früher oder später auf Doping einlassen wird. Als M. Fulvius Noblior im Jahre 186 v. Chr. griechische Athleten nach Rom einlud, kamen die Römer aus dem Staunen kaum noch heraus. Denn ihre Gäste aus Griechenland erbrachten extraordinäre Kraftleistungen. Als Reaktion darauf ahmten viele römische Athleten das

16 Das bullige, aber dennoch athletische Erscheinungsbild der Gladiatoren spiegelt sich in antiken Kunstwerken (Statuen, Zeichnungen, Gemälden etc.) wieder. Die muskelbepackten Kämpfer waren – den gegenwärtigen Sportstars ähnlich – die Superstars ihrer Zeit. Auch galten sie als wahrhafte Sexsymbole. Es gibt einige Überlieferungen, die von sexuellen Ausschweifungen ruhmreicher Gladiatoren mit vornehmen Frauen auf den Banketten kurz vor den Kämpfen berichten. Auch der Name Gladiator kommt vom griechischen »Gladius«, was übersetzt Schwert oder Penis meint (vgl. Langenfeld 1992: 389ff.).

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Training der Griechen nach – inklusive der von ihnen tradierten Ernährungs- und Diätvorschriften. »Eine davon, eine Art Doping, beschreibt Plinius: Sie nahmen nach einem 24stündigen Fasten drei Tage lang vor dem Rennen einen abgekochten Saft von Equisetum zu sich. Saft vom Schachtelhalm« (Pramann 1983: 122). Im Vergleich zu den ›Zirkusspielen‹ in Rom weiß man über die antiken Olympischen Spiele, dass nicht nur die messbaren Leistungen prämiert wurden, sondern auch der Athlet mit dem »besten« bzw. muskulösesten Körper. Die Athleten gingen in Griechenland – wie bereits bemerkt – völlig nackt an den Start (vgl. Strzeletz 1982: 14f.), was nicht etwa an den sommerlichen Temperaturen lag, sondern daran, dass sie den Zuschauern ihre überaus gut gebauten und daher ästhetischen Körper präsentieren wollten (vgl. Pramann 1983: 118f.). So geht aus den erhaltenen antiken Statuen der muskulöse und fettarme Körper als Schönheitsideal jener Epoche hervor. Denn: »die Modelle für viele Skulpturen aus der Zeit der griechischen Klassik waren sehr gut durchtrainierte Athleten.« (Möller 1998: 14) Selbst erste wichtige dokumentierte Erfahrungswerte für die Trainingswissenschaft schreibt man diesem Zeitalter zu. So gilt ein gewisser »Milon aus Kroton«17 als Erfinder der progressiven Belastung,18 wie sie noch heute Gegenstand der Ausbildung in der Trainingslehre ist. Man sagt ihm nach, er habe einst begonnen, ein junges Kälbchen mehrmals am Tag zu stemmen, und dies führte er über viele Jahre hinweg fort, bis aus dem Kälbchen eine ausgewachsene Kuh geworden war (vgl. Strzeletz 1982: 16ff.). Obwohl aus einer trainingswissenschaftlichen Sichtweise hierbei primär die Kräftigung – im Sinne eines Maximalkrafttrainings – im Mittelpunkt steht und weniger die Ästhetik seiner Körperoptik (Hypertrophietraining), waren für die Menschen der

17 Milon war sechsfacher Olympiasieger der antiken Olympischen Spiele und »soll vor den Augen der Zuschauer einen jungen Stier auf seiner Schulter im Stadion herumgetragen und ihn dann an einem Tag aufgegessen haben« (Diem 1971: 211f.). Er wird heute als der erfolgreichste Kraftathlet der Antike gesehen. Seinen Bezwinger fand er schließlich im griechischen Rinderhirten Tittormos, der einen riesigen Stein in die Höhe hob, den Milon nicht einmal zu bewegen vermochte (vgl. Lehmann 2003: 31ff.). 18 Vgl. Martin, Carl und Lehnertz (1993): Handbuch der Trainingslehre. Schorndorf: Hofmann.

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Antike Kraft und Muskelmasse untrennbar miteinander verbunden. In diesem Zusammenhang passt auch schön ins Bild, dass die berühmte Bronzestatue des einmaligen Milon einen atemberaubenden Körper zeigt (vgl. Lehmann 2003: 31ff.). Doch ist eine derartig ausgeprägte Muskelmasse angesichts der damaligen Möglichkeiten wohl nur durch eine künstlerische Intervention zu plausibilisieren. Rarges (1909: 264) berichtet zu Milon von Korton folgendes: »Von einem berühmten griechischen Athleten, der unzählige Siege gewann, wird uns ein wirklich rationelles Training im Gewichtheben oder Tragen berichtet. Es ist dies der starke Milon von Kroton (Unteritalien), der sich ein junges Kalb als Übungsgerät erwählte und mit diesem auf den Schultern täglich einen Spaziergang um die Rennbahn machte, bis das Kalb ein ausgewachsener Ochse wurde, der seine Schultern nun nicht mehr bedrückte als ehedem das vielfach leichtere Jungtier. Schließlich beendete er diese tägliche Kraftproduktion mit einem Faustschlage, der den Ochsen tot zu Boden streckte. Das geschlachtete Tier wurde dann von ihm allein verzehrt. In welcher Zeit wird leider nicht gesagt.«

Im kriegerischen Sparta war eine hochdisziplinierte »Kräfte-Schulung« im Hinblick auf kommende Schlachten ein essentielles Moment der Kriegsvorbereitung. Aber nicht nur im Soldatentum, sondern zunehmend auch in der Erziehung des Nachwuchses wurde die gezielte Kräftigung des Körpers unentbehrlich. So waren für spartanische Jünglinge regelmäßige Kräftigungsübungen eine Art offizielle Bürgerpflicht. »Spartanische Jünglinge beispielsweise mussten sich jeden zehnten Tag den Ephoren, den höchsten Staatsbeamten, vorstellen und ihre Körperbeschaffenheit prüfen lassen. Hohes Lob wurde jenen zuteil, deren Leib bildhauerischer Harmonie nahe kam. Wer jedoch sportlich inaktiv war, schlaff oder gar Fettansatz zeigte, musste Züchtigungen ertragen. So forderte das Gesetz Lykurgs.« (Pramann 1983: 117).

Von den Spartanern abgesehen waren besonders Formen bodybuildingund fitnessähnlicher Körperpraktiken, die von einer Vielzahl an Bürgern des Römischen Reiches regelmäßig durchgeführt wurden, für die

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Etablierung des systematischen Krafttrainings wegweisend.19 Selbstverständlich konnten sich nur Menschen aus der Oberschicht das Ausüben derartiger Betätigungen ›leisten‹. Denn das gemeine Volk hatte täglich großen Hunger zu erdulden und stets um existenzielle Notwendigkeiten zu fürchten, was alle körperlichen Ressourcen absorbierte. Das damals tradierte Freizeitprogramm römischer Oberschichten lässt sich nach Weiler (1996: 42ff.) in vier wesentliche Bereiche differenzieren: erstens in die schichtübergreifende Leidenschaft für die pompösen Zirkusspiele; zweitens in die »athletischen« Wettkämpfe, bei denen ein Sieg automatisch Ruhm sowie Ehre einbrachte; drittens in die Gladiatorenspiele20 und Tierhetzen, die hinsichtlich ihrer Brutalität und ihres Spannungsgehaltes kaum zu überbieten waren; und letztlich viertens in die Körperübungen sowie Kräftigungspraktiken im Umfeld der Thermalanlagen. Für diese Studie sind unterdessen hauptsächlich die »athletischen« Wettkämpfe und die Körperübungen in den stets gut besuchten Thermalanlagen von Bedeutung. Sämtliche Wettkämpfe der Athleten wurden stets in eigens dafür errichteten Arenen ausgetragen. Diese »Sport«-Stätten waren gigantische Bauten, die teilweise noch heute als Touristenattraktion dienen – diesbezüglich sei z.B. an das Kolosseum in Rom erinnert. In ihnen wurden in erster Linie die klassischen Disziplinen betrieben, die von den Griechen kultiviert wurden. Gemeint sind leicht- sowie schwerathletische Disziplinen, wie beispielsweise Waffenkämpfe, Boxen, Ringen, Laufen, Diskus- oder Speerwurf (vgl. Weiler 1996: 45ff.). Für die Genese des körpermodellierenden Krafttrainings wesentlich bedeutender war jedoch das planmäßige Kräftigungstraining innerhalb der Thermalanlagen. In diesen – den heutigen Fitness-Studios nicht un-

19 Zu den Körperertüchtigungsformen und dazugehörigen Trainingsstätten des Antiken Roms vgl. auch Galsterer (1983: 36ff.). 20 Die geschichtliche Entwicklung der Gladiatur begann in der Campania und gelangte über die Etrusker nach Rom. Zunächst handelte es sich bei den Gladiatorenspielen um private Totenspiele, die dann aber immer mehr zu privaten Schauspielen entarteten. Es brauchte wiederum einige Zeit, bis diese sich zu den legendären Kämpfen unter Aufsicht der Praetoren entwickelt hatten. Die ersten pompöseren Gladiatorenkämpfe in Rom fanden 264 v. Christus statt (vgl. Krüger 2003: 157f.).

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ähnlichen – Einrichtungen fand man neben den Räumlichkeiten eines typischen römischen Bades hochfunktionale Schwimmbecken, Übungshallen, Gymnastikräume, Ballspielplätze sowie Palästren (vgl. Weiler 1996: 51ff.). Die abwechslungsreichen Übungsformen, die in der Palästra durchgeführt wurden, zählten zu den bevorzugten Körperpraktiken reicher Römer. In Zusammenhang mit diesen »Trainingspraktiken« berichten Weiler (1996: 51ff.) und Galsterer (1983: 38ff.) vom Philosophen Seneca21, der einige Zeit über einem Thermalbad wohnte. In dessen noch erhaltenen »Sommerfrische« (Brief 56) zeichnet Seneca ein lebhaftes Bild vom damaligen Geschehen in römischen Bädern. Besonders vehement klagt er über jene Leute, die mit Hanteln turnen und dabei immerzu ächzen, kurze Pfiffe ausstoßen oder angestrengt keuchen. »[…] Kraftmenschen üben hier, schwingen ihre hantelbeschwerten Hände, bringen sich dabei in Schweiß oder tun zumindest so. Jetzt hört man sie stöhnen; wenn sie den angehaltenen Atem wieder ausstoßen, klingt es wie ein Zischen. Dann vernimmt mein Ohr einen Masseur der gewöhnlichen Art; ich höre seine Hand auf die Schultern klatschen; je nachdem, ob sie hohl oder flach auftrifft, sind die Töne verschieden […] – dazu aber die dünne, schrille Stimme des Haarausrupfers, der immer schreien muss, um sich bemerkbar zu machen, und erst dann schweigt, wenn er einem die Achselhaare ausrupft, wofür dann der Gerupfte losbrüllt. Und schließlich all die Lärmerei, wenn Wurst- wie Kuchenhändler und alle Imbissbudenbesitzer ihre Waren, jeder in der ihm eigenen Tonart, anpreisen.« (Übersetzung nach Glaser-Gerhard, zit. nach Galsterer 1983: 38)

Alle obigen Punkte sprechen für eine lange Tradition der Hantelbetätigung, die auch schon den alten Römern zur Optimierung ihrer Körperkraft und -optik diente. Zwar liefert uns Seneca vereinzelte, aber dafür bemerkenswerte Angaben zur Gängigkeit eines systematisch-planvollen Krafttrainings, doch wird durch seine Kritik gleichsam deutlich, dass das Körperbild der Antike und des Altertums keinesfalls ein durchweg positives war, wie es uns so manche wissenschaftliche Darstellung ger-

21 Zur Philosophie Lucius Annaeus Senecas vgl. auch ausführlicher dessen Grundsteinwerk »Vom glücklichen Leben« .

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ne weismachen will. Vielmehr war auch das Körperideal jener Zeit offensichtlich ein ambivalentes. Körperertüchtigung hatte wohl genauso viele Gegner, wie es Befürworter hatte. Diesbezüglich sei erneut Seneca zitiert (epist. Ad. Lucil 15, 1-2; zit. nach Galsterer 1983: 43): »Ein besonders kräftiger Körper kann genauso gut einem gesunden Menschen gehören wie einem rasenden und geisteskranken. Sorge also vor allem für die Gesundheit von Seele und Geist, in zweiter Linie erst für die des Körpers […], denn die Armmuskeln zu stählen, den Nacken zu dehnen, die Brust zu kräftigen – das ist törichte, keineswegs für einen Wissenschaftler passende Betätigung. Mag dir die Mästung deines Körpers auch gelingen, mögen deine Muskeln wachsen und wachsen: die Kräfte oder das Gewicht eines feisten Stieres erreichst du doch nicht, ganz abgesehen davon, dass von der gewaltigen Körpermasse der Geist geradezu erdrückt wird und seine Beweglichkeit einbüßt. Daher halte, so weit anhängig, deinen Körper kurz und schaffe Raum für den Geist.«

Die sich bei Senecas Zitaten Luft verschaffende Kritik an den systematisch-planvollen Kräftigungspraktiken mit körperoptischen Verbesserungsbestrebungen, wird durch das sich an die Antike anschließende Mittelalter auf die Spitze getrieben. Als das Christentum ca. 380 n. Chr. nach einer langen Zeit erbarmungsloser Christenverfolgung schließlich zur offiziellen Staatsreligion des Römischen Reichs avancierte, setzte sich eine bis dato beispiellose Körperdistanzierung bzw. leibfeindliche Einstellung in der damaligen Gesellschaft durch. Das bedeutete für den sich noch in der konstituierenden Vorphase befindlichen »Sport«, dass er wieder mehr und mehr in den Hintergrund geriet.

2.2 Kraftproben in Militär und Erziehung des Mittelalters Das frühe Mittelalter von 500 - 1000 n. Chr. ist eine Zeit des schwungvollen Übergangs zu kirchlich dominierten Herrschaftsverhältnissen, in der sich methodische Leibesübungen zu einem typisch mittelalterlichen »Sport« – im Sinne eines spezifischen Körperertüchtigungsprogramms – entwickelte; allerdings nur in der kleinen sozialen Nische des Ritter-

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tums. Ansonsten war das gesamte Mittelalter durch die unbändige Einflussnahme der Kirche zu einer regelrecht »sportfreien« Zeitspanne verkommen, die obendrein einem kollektivierten Körperverdrängungsprozess gewaltigen Vorschub verlieh. »Und wenn während des Mittelalters überhaupt von einem Körperideal gesprochen werden konnte, dann war es ausgerechnet der geschundene, tote, von Folter gezeichnete ›Leib‹ Christi am Kreuz.« (Bredenkamp et al. 1993: 82) In einem elitären Gesellschaftsbereich wurde Sport bereits während der Wanderzeit (200 - 500 n. Chr.) zu einem Mittel der aristokratischen Selbstdarstellung, wie etwa durch die Jagd oder durch die ritterlichen Wettkämpfe. Diese sportähnlichen Körperpraktiken wurden explizit dazu genutzt, um adlige Machtverhältnisse darzulegen und um sich vom gemeinen Pöbel zu distinguieren. Die schulische Leibeserziehung, die sich als eine Vorform auf leibeserzieherische Aktivitäten – wie Tanz-, Fecht- und Reitunterricht – durch ›private Hauslehrer‹ für die adlige Nachkommenschaft reduzieren ließ, entwickelte sich in diesem Zeitraum nicht nennenswert weiter. Durch die Etablierung des Ritterstandes im hohen Mittelalter um 1000 - 1300 n. Chr. kam es zu einer tief greifenden gesellschaftlichen Konsolidierung, die die dominierende Ständegesellschaft nochmals intensivierte. Gezielte körperliche Ertüchtigungen spielten aufgrund der militär-schürenden Funktion des Ritterstandes fortan auch in den mittleren Ständen wieder eine bedeutungsvollere Rolle. Geradezu »wettkampfsportliche« Höhepunkte gab es auf den vortrefflich inszenierten Ritterturnieren22, die neben dem eigentlichen Wettkampferlebnis überaus wichtige Gesellschaftsereignisse darstellten, bei denen man kirchliche sowie weltliche Politik betrieb. Jegliche Form der »gesundheitsorientierten« Leibeserziehung war damals stark marginalisiert. Im späten Mittelalter – in der Epoche des Humanismus und des Absolutismus (1300 - 1800 n. Chr.) – veränderte sich die Gesellschaft durch den wirtschaftlichen Aufschwung in der bürgerlichen Schicht. Dabei entstanden spezielle Formen des »Sports«, wie z.B. Reiten und Tanzen auf sportlichem Niveau, und für einige von ihnen wurden sogar hochfunktionale Bauwerke (Fechthäuser etc.) geschaffen. An den Gym-

22 Eine sehr anschauliche wie auch illustre Ausführung zu Ritterturnieren bieten Bredenkamp, Krägermann und Urbansky (1993: 94ff.).

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nasien und Universitäten wurde der mittelalterliche »Sport« als ›Freizeitaktivität‹ gefördert. Außerdem entstanden mehr und mehr spezialisierte Sportvereinigungen. In unruhigen Zeiten des Umbruchs, also zur Zeit der Neuorientierung des mittelalterlichen »Sports« während des Humanismus, verbreitete sich erneut gewissermaßen die »schulische« Leibeserziehung. Dennoch gab es immer noch keine einheitliche Entwicklung; vielmehr beschränkte sich die Leibeserziehung auf das Leben außerhalb der Schule – oder private Schulen bildeten die Schüler nur in speziellen »Sportarten« aus. Nebenbei gewannen damals die Ritterakademien aufgrund ihrer hochqualifizierten Ausbildung an gesellschaftlicher Reputation. Die Sozialstände blieben bei der Ausübung der Sportarten jedoch unter sich; weiterhin trieben Frauen und Männer getrennt voneinander und in deutlich konvergierender Ausführung »Sport« (geschlechtsspezifisches Tanzen, Reiten, Fechten etc.). Den niedrigeren Sozialschichten, wie den Bauern oder den Tagelöhnern, war es finanziell nicht möglich dem Fechten in einem Fechthaus zu frönen. »Die Edelknaben (Pagen) [durchliefen] schon ab ihrem 7. Lebensjahr eine knochenharte Ausbildung, die insgesamt 14 Jahre dauern sollte. Genaueres ist zwar nicht überliefert, aber wir wissen, dass die Knappen, also junge Männer in der Ritterlehre, intensiv im Ringen, Reiten, Laufen, Werfen und Schwimmen (!) geschliffen wurden. In jahrelangem Training entwickelten sie einzelne Bewegungsabläufe bis zur Perfektion. Die körperliche Ausbildung stand bei der Erziehung absolut im Vordergrund.« (Bredenkamp et al. 1993: 90)

Alle in Europa vorherrschenden Gesellschaftsformationen des Mittelalters ähnelten einer »Pyramide« hierarchisch gegliederter Sozialschichten (vgl. Abbildung Nr. 2). Besagte Gesellschaftsform war weitgehend statischer Art. Jeder Mensch blieb immer in der sozialen Schicht, in die er hineingeboren worden war – Ausnahmen gab es kaum. Einen Unterschied zwischen persönlicher Identität und sozialer Rolle – wie man es von funktional differenzierten Gesellschaftsformen kennt – gab es damals nicht. Aus diesem Grund wurde kein allzu großer Wert auf Originalität gelegt. In Bereichen der Kunst wurde beispielsweise nicht das Persönliche, sondern lieber das Typische betont. Ungerechtigkeiten, die mit der sozialen Pyramide einhergingen, wurden durch die Religion

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kompensiert. So wurde beispielsweise behauptet, dass diesseitige »Nachteile« durch jenseitige »Vorteile« nivelliert würden. Doch auch die Ordnung des Jenseits wurde gewissermaßen als Hierarchie aufgefasst, denn ein anderes Ordnungsmuster war schlichtweg nicht bekannt und daher nicht vorstellbar. »Bei allen ethisch, regional und national unterschiedlichen Ausprägungen zeigte das Mittelalter gemeinsame Grundzüge in der ständisch geordneten Gesellschaft von Bauern, Bürgern, Adel und Klerus sowie in der religiösen Geisteshaltung, Kunst, Literatur und Wissenschaft, die es rechtfertigen vom ›Mittelalter‹ als einer eigenständigen Kulturepoche zu sprechen.« (Krüger 2004: 169)

In der kollektivierten Vorstellung über das Jenseits gab es nicht nur ›Himmel‹ oder ›Hölle‹, sondern außerdem noch das ›Fegefeuer‹, in dem all diejenigen verharren mussten, die weder unschuldig noch schuldig waren. Das Christentum – samt der sich aus ihm herausbildenden Organisationsstrukturen in Gestalt der römisch-katholischen Kirche – war im Mittelalter nach einer anfänglichen Zeit der Verfolgung auf dem Höhepunkt der Machtentfaltung angekommen und zu einer unhintergehbaren Größe im Gefüge der adligen Machtverhältnisse avanciert. Nach dem sukzessiven Niedergang des Römischen Weltimperiums, das durch die Etablierung einer neuen Macht (das sog. Papsttum) verschleppt wurde, brechen jegliche Indizien für hanteltrainingsähnliche Betätigungen vorläufig ab. In der Zeit der edlen Rittersleute,23 die dem Mittelalter als Charakteristikum zuzuordnen ist, spielten sowohl Körperkraft als auch Körperertüchtigungsprogramme dennoch eine nicht zu unterschätzende Rolle. So soll der edle Rittersmann Bayard zur Belustigung der damals Anwesenden sein Pferd durch den Burghof getragen haben (vgl. Dorsch 2004: 10ff.). Jedoch ist abgesehen von den großen Ritterturnieren, die sich im Grunde lediglich am ritterlichen Kampfe orientierten, nur wenig Konkretes zu ›Kräftigungsprogrammen‹ jener Zeit überliefert. Das hängt damit zusammen, dass der Körper damals

23 Zu den konkreten Bedingungen für die Etablierung des »Rittertums« vor dem Kontext der damaligen Rolle der Körperlichkeit vgl. ausführlicher Schulz (1983: 52ff.).

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nicht so präsentiert wurde wie bei den nackten griechischen Athleten in Olympia. Vielmehr pflegte man die edlen Ritterkörper hinter ungemein dicken Rüstungen oder großflächigen Gewändern verborgen zu halten (vgl. Ader 1999: 8f.). Rohe Körperkraft, Geschicklichkeit sowie Standhaftigkeit waren trotzdem wesensbestimmende Merkmale der edlen Rittersleute und somit evidenterweise auch obligate Elemente der ritterlichen Erziehungsmaßnahmen. Dazu meint Schulz (1983: 55): »Das ganze Leben [wurde] vom körperlichen Einsatz geprägt: Training, Turniere, Jagd, Krieg, Kampf«. Auch wenn viele Texte (nur) diffuse Hinweise zu besonderen Kraftleistungen und Körperertüchtigungsprogrammen liefern, ist dennoch von deren Existenz auszugehen. So schreibt Rarges (1909: 265): »Auch das eiserne Mittelalter weiß natürlich eine Reihe gewaltiger Reden aufzuzählen, die unter ihren starken Genossen durch besondere mehr oder weniger glaubliche Kraftstücke auffielen. Genannt seien Frundsberg, August der Starke, König von Sachsen und Polen, Marschall Moritz von Sachsen, Herzog Christoph von Bayern, der sich in jeder Leibeskunst auszeichnete; von den altgermanischen, wunderstarken und gewandten Helden, einem Siegfried, Dietrich von Bern u.a. ganz zu Schweigen.«

Folgerichtig liegt auf der Hand, dass über die gesamte Zeitspanne des Mittelalters stets spezielle Kräftigungsübungen zur körperlichen Leistungssteigerung ausgeübt wurden, wenn auch vornehmlich von Rittern, Söldnern u.Ä. »Berufsgruppen« (vgl. Groth 1987: 18ff.).24 Die Übungen bestanden hierbei hauptsächlich aus Steinheben sowie -werfen und erinnern an die heutigen sog. Strong-Men-Wettbewerbe, die sich unter Kraftathleten der Gegenwart großer Beliebtheit erfreuen. Insbesondere die Tradition des Steinhebens ist in mehreren Kulturkreisen aufzuzeigen. Auch in China war während der Tschou-Dynastie das Steinheben als »standardisierte« Kräftemessung im sozialen Kontext fest etabliert. Es gibt Dokumente, die besagen, dass unter Kaiser Tschou nur derjenige Soldat werden durfte, der es vermochte, seine individuellen Körper-

24 Vgl. dazu auch Weichslgartner (1971); Bredenkamp, Krägermann und Urbansky (1993: 80ff.) sowie Schwarzenegger (1993: 24f.).

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kräfte unter Beweis zu stellen. Das geschah unter anderem dadurch, dass man einen außerordentlich schweren Steinbrocken zu heben hatte. Wie schwer die Steinbrocken letztendlich genau waren, ist nicht überliefert (vgl. Dorsch 2004: 8f.). Auf den Südseeinseln wie den Fidschi oder Rurutu wurden im Rahmen eines alljährlichen Fests zum Unabhängigkeitstag oder am Amoraa Ofae – als Teil eines Mehrkampfes – Steinbrocken mit einem Gewicht von 110 bis 140 Kilogramm bis auf Schulterhöhe angehoben. Neben der reinen Körperkraft wurden aber noch andere Faktoren, wie etwa das optische Erscheinungsbild (Muskulatur), die traditionsgerechte Tracht des Athleten sowie das Verhältnis von Eigengewicht zum Gewicht des Steins, mitberücksichtigt (vgl. ebd.: 8ff.). Auch im Baskenland, in Schottland,25 in Irland, in den Siedelgebieten der Wikinger26 oder im deutschsprachigen Raum und dabei speziell in Bayern sowie Österreich hatte das Steinheben eine bemerkenswert lange Tradition. Über Herzog Christoph aus dem 15. Jahrhundert ist in verschiedenen Quellen überliefert, dass er in München einen rund 180 Kilogramm schweren Steinbrocken gestemmt und sogar geworfen habe (vgl. Weichslgartner 1971: 29f.). Ähnliche historische Spuren und Hinweise bezüglich des Steinhebens lassen sich in vielen weiteren Ländern und Kontinenten des Erdballs aufspüren und nachverfolgen (vgl. Bürger/Weidt 1985). Frappierend ist, dass alle genannten Kraftproben meist in einem militärischen Kontext zu verorten sind. Denn die »sportaffinen« Akteure

25 Berichte über Kraftleistungen beim Steinheben und bei artverwandten Übungen, die heute noch Disziplinen im Kanon der ›Highland Games‹ darstellen, gehen zurück bis in die Zeit des Römischen Imperiums. 26 Auch die sog. Nordmänner (Wikinger) führten Wettkämpfe durch, die den Highland Games oder anderen Strongman Wettbewerben der heutigen Zeit ähneln. Wikingererzählungen schildern erstaunlich detailliert, wie diese Spiele aussahen. Sie lassen sich kategorisieren in (1) athletische Übungen, wie den Stones of Strength, (2) kriegerische Disziplinen, wie Speer- und Beilwerfen sowie Bogenschießen, und (3) geistige Fertigkeiten wie Poesie, Rätsel sowie Geschichtenerzählen. Dabei wird deutlich, dass – im Gegensatz zu dem, was viele Kinofilme transportieren – die Stämme der Wikinger ein kulturell überaus weit entwickeltes Volk gewesen sind (vgl. Dorsch 2004: 9ff.).

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des Mittelalters waren im Vergleich zu den Athleten der Antike, die nicht selten Berufsathleten waren, häufig Hauptakteure aus dem entsprechenden Militärwesen. Vogt (2007: 247ff.) konstatiert, dass sowohl das moderne als auch vormoderne Militärwesen sowie der »Sport« (genauer: seine vielfältigen Vorformen) in weiten Teilen miteinander korrelieren: »Immerhin verrät die Sprache des Militärs und des Sports die gemeinsame Herkunft. Wie beim Militär muss auch der Körper des Sportlers trainiert, geschliffen und getrimmt werden, aber nicht in der Weise, dass er im Kollektiv aufgeht, sondern so, dass er exakt und zuverlässig funktioniert wie ein Uhrwerk.« (ebd.)

In der spätantik-mittelalterlichen Tradition gab es – wie es nicht oft genug wiederholt werden kann – noch keine Formen des Sports im engeren Sinne, so wie man es zumindest in Ansätzen in den antiken Olympischen Spielen erkennen könnte (vgl. Scheier 2003: 95ff.).27 Sport als Selbstzweck existierte zu jener Zeit noch nicht. Alle sportähnlichen Körperpraktiken erfüllten – wie eh und je – in erster Linie lediglich die Funktion, Soldaten angemessen auf das Kampfgeschehen vorzubereiten oder sie in temporären Friedenszeiten körperlich »fit« zu halten. Seinerzeit war man fortwährend bemüht, die stärksten, mutigsten sowie klügsten Männer unter den zur Auswahl Stehenden auszuspähen, um möglicherweise neue Anführer (Offiziere) zu bekommen. Denn das Überleben ganzer Volksstämme hing vom Nachwachsen körperlich und geistig starker Kriegerpersönlichkeiten ab (vgl. Pramann 1983: 122f.). Sieht man hingegen vom Krieger- und Soldatentum ab, wurde die physiologische Hülle des Menschen während des gesamten Mittelalters – besonders durch den stark wachsenden Einfluss der Kirche – als »sündhaftes Fleisch« aufgefasst (vgl. Jäger/ Quarch 2004: 70ff.). Das spiegelte sich nachvollziehbarerweise auch in den damaligen Erziehungspraktiken jenseits des Militärs wider. Zudem wird transparent, dass in jeder Epoche ein anderer Begriff und damit verbunden auch ein anderes Verständnis vom menschlichen »Leib« dominierten. Gelegentlich gewann ein bestimmtes Körperverständnis plötzlich an Aktualität und manch-

27 Zur englischen Definition des Sports vgl. Eisenberg (2002: 7f.).

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mal verlor es schon bald wieder seine blitzartig erreichte Reputation in der Gesellschaft. Die Begriffe »Körper« und »Leib« meinen aber nicht dasselbe und sind daher differenzierter zu betrachten. Sie stehen auch keineswegs nur für einen divergierenden methodischen Zugang – vielmehr entsprechen die beiden Begriffe der doppelten Gegebenheitsweise des Gegenstands Körper. Hinzu kommt: »Jedes Mal liegt ein epochal anderer Begriff des Leibes zugrunde, der in der Philosophie auch jedes Mal als logisches Verhältnis von Leib, Selbst und Welt entfaltet wird« (Scheier 2003: 95). Die historische Dynamik dieser Begriffe erschwert allerdings eine differenziertere Bestimmung. Dass die tradierten Definitionen in den modernen Wissenschaftsdisziplinen, wie der Theologie, Philosophie, Soziologie, Biologie, Physik etc., klar divergieren, verdeutlicht nochmals die Schwierigkeit einer exakten Begriffsbestimmung. Trotz allem sei hier ein Versuch unternommen: Als Körper betrachtet ist der körperliche Leib »nur« Objekt neben anderen Objekten. Als Leib interpretiert ist er der lebendige, der gelebte Körper, und dadurch zugleich immer das menschliche Selbst, dem sich andere Objekte und auch der eigene Körper präsentieren. Es ist »der eine Gegenstand«, in dem der Leib und der Körper miteinander verschränkt sind. Diesen tituliert Jäger (2004) mit dem Neologismus des »körperlichen Leibes«; er erlaube es, den einstweilen abstrakten Terminus der »Inkorporation« gesellschaftlicher Ordnung genauer zu erfassen und ermögliche es zugleich, die Bedeutung von Leiblichkeit als soziologischer Basiskategorie adäquat zu berücksichtigen.28 Im sich immer wieder konsolidierenden Christentum29 des Mittelalters wurde der menschliche Körper als etwas Hinderliches, ja sogar als eine Art Gefängnis oder »diabolische Verführungsinstanz der Seele«30

28 Zur Soziologie des Körpers vgl. ausführlicher Gugutzer (2004). 29 Bredenkamp, Krägermann und Urbansky (1993: 71f.) sehen im sich durchsetzenden »Christentum« seit Kaiser Konstantin das alte Welt- und Menschenbild Roms, das mit der katholischen Kirche über Jahrhunderte weiterlebte und das im Mittelalter das vorläufige Aus für die »Körperkultur« bedeutete. 30 Foucault (2001: 166ff.) sieht dementgegen in der Seele den »Sitz der Gewohnheiten«.

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begriffen. Allerdings gab es ähnliche Tendenzen schon bei den Griechen und Römern der Antike. Sie gewannen aber erst ab jener Epoche gewissermaßen die Oberhand (vgl. Galsterer 1983: 43f.). Vereinzelt versuchen Theologen immer wieder die Leibfeindlichkeit des Christentums durch das katholische Dogma der »Auferstehungslehre«, also genau genommen durch die Wiederkehr des Leibes von Jesus Christus aus dem Reich der Toten, zu relativieren (Scheier 2003: 97ff.); dem ungeachtet lässt sich eine fundamentalisierte Differenz in den Körper (oder den Leib) auf der einen Seite und die Seele auf der anderen Seite für das gesamte Mittelalter nicht verleugnen. Bei den dichotomen Leib-Seele-Differenzierungen kamen besonders zur Hochkonjunkturzeit des Christentums nur der Seele alle positiven Attribute zu. Allen sündenhervorbringenden Trieb- und Verführungsmomenten des physischen Körpers galt es gnadenlos zu trotzen (vgl. Jäger/Quarch 2004: 69f.). Gegenüber dem an und für sich in so vielerlei Hinsicht eher unasketischen Jesus von Nazareth installierte erst der heilige Paulus – dem Anschein nach stark beeinflusst durch die stoische Philosophie sowie die altjüdische Tradition – im christlichen Glauben einen geradezu ›verkrampften‹ Hang zur Askese, der abermals an eine sehr ausgeprägte Geringschätzung des Körperlichen gekoppelt war (vgl. Galsterer 1983: 43ff.). Simultan zur hier skizzierten Körperfeindlichkeit innerhalb der damaligen Kirchenlandschaft gab es doch immer wieder auch einige Stimmen, die ein uneingeschränkt positives Körperverständnis artikulierten.31 Der französische Philosoph Montaigne forderte z.B.: »Es ist nicht genug die Seele zu kräftigen, auch die Muskeln müssen gestählt werden« (1580; zit. nach Pramann 1983: 129f.). Gleichwohl konnte die katholische Kirche trotz einiger durchaus ernst gemeinter Bemühungen ihren festsitzenden negativen Leibbegriff zu keiner Zeit ganz ablegen.

31 Im Neuen Testament finden sich auch Metaphoriken mit Bezug auf vormoderne Wettkampfformen, die die geforderte Zielstrebigkeit eines Christen besser veranschaulichen sollten: »Ihr kennt das doch: Von allen Läufern, die im Stadion zum Wettlauf starten, gewinnt nur einer den Siegeskranz. Lauft so, dass ihr ihn gewinnt« (1. Korinther 9, 24). Weiter heißt es: »Wer im Wettkampf siegen will, setzt dafür alles ein. Ein Athlet verzichtet auf vieles, um zu siegen.« (1. Korinther 9, 25a)

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Im Gegenteil! Er wurde via Aufkommen des sich außerordentlich rasch verbreitenden Mönchtums,32 und dabei speziell von seinem Begründer Pachomius, sogar noch in vielerlei Hinsicht forciert (vgl. Galsterer 1983: 44f.). Klöster stellten damals – wie auch heute noch – eine Hochform religiösen Gemeinschaftslebens dar. Wie bei Hochleistungssportlern geht es in Klöstern äußerst diszipliniert und asketisch zu. Mönche leben nach einem eisern eingehaltenen Tagesprogramm, das durch eine fein abgestufte Diät, regelmäßige geistige Übungszeiten in Gebet oder in Andacht und den Rest des Tages durch nützliche Arbeit als Aufbautraining vorstrukturiert ist. Der Wahlspruch der Mönche, der auf den Heiligen Benedikt zurückgeht, lautet: ora et labora (übersetzt: bete und arbeite)! Letzten Endes muss man resümierend und nüchternerweise festhalten, dass die mittelalterliche Kirche einer sich schrittweise entwickelnden Körperdistanzierung und -tabuisierung bis in die Moderne hinein kontinuierlich Vorschub geleistet hat. Dieser Distanzierungsprozess vom Körper, der sich z.T. in einer Körper- sowie Affektdisziplinierung äußert, versteht man auch als Resultat des Zivilisationsprozesses.33 So arbeitete Elias (1976a, b) Entwicklungsmodalitäten im Hinblick auf entsprechende gesellschaftliche Veränderungen zwischen dem 15. und dem 19. Jahrhundert heraus. Das meint, dass dieser Entwicklungsprozess bis weit in unsere Moderne (oder die sog. Postmoderne) hineinreicht. In direkter Verbindung mit der Geschichte einer »europäischen Zivilisation«34 bringe insbesondere besagter Prozess eine zunehmende

32 Zur in weiten Teilen extrem körperfeindlichen Einstellung in Mönchsorden und der christlich-religiösen Bewegung vgl. Schulz (1983: 56ff.). 33 Elias erklärt seine Figurationssoziologie im Rahmen der Theorie über den Zivilisationsprozess zusammen mit Dunning (2003) auch am Sport und dabei speziell am Beispiel des Fußballspiels. 34 Generell ist der Zivilisationsprozess kein Prozess der sich nur in Europa oder dem westlichen Kulturkreis vollziehen kann, sondern in allen Ländern der Welt, die sich durch eine arbeitsteilige Gesellschaftsform und ein herausgebildetes Gewaltmonopol auszeichnen. Außerdem hat dieser Prozess weder einen klar bestimmbaren Anfang noch ein absehbares Ende; er darf folglich keineswegs linear oder kontinuierlich gedacht werden (vgl. Gugutzer 2004: 50ff.).

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Körper- und Affektdisziplinierung zur Geltung, die bis in unsere Zeit hinein anhalte. Allerdings ist in Elias Hauptwerk, das den Titel »Über den Prozess der Zivilisation« trägt, nur indirekt eine Theorie des Körpers enthalten. Etwas anders formuliert: »Eine Theorie, die zeigt, wie der empirische Zivilisationsprozess seine Spuren am Körper der Menschen hinterlassen hat« (Gugutzer 2004: 50). Da in dieser Studie dem modernen Körper eine exorbitante Bedeutung zukommt, ist eine theoretische Fundierung zur Körperlichkeit in der Moderne erforderlich.

2.3 Körperlichkeit im Kontext der aufkommenden Moderne Das Programm der sog. Moderne, das in diesem Kapitel angesprochen wird und als zentrale Bezugsgröße für die Soziogenese des Bodybuildings anzusehen ist, bezeichnet den Umbau von einer Schichtordnung stratifizierter Gesellschaften zu einer horizontalen Matrix relativ autonomer gesellschaftlicher Teilsysteme und deren anschließende eigendynamische Entfaltung. Es bezieht sich demnach auf den Vorgang einer »Entfusionierung« vormals diffus verschränkter Lebenswelten und den Prozess einer Auflösung von traditionalen Gesellschaftsformationen, wie er sich in Europa ab dem 18. Jahrhundert mit anschließenden weltweiten Ausstrahleffekten ereignet hatte. Die Etablierung hochspezialisierter, ihre eigene Dynamik erzeugenden wie auch vorantreibenden, Funktionsbereiche – beispielsweise Wirtschaft, Recht, Wissenschaft, Politik, Sport etc. – ist demnach kein homogenes Projekt, das von einer als Makrosubjekt gedachten Gesellschaft in einem Akt der selbstreflexiven Vernünftigkeit installiert, durchrationalisiert und auf einen Zustand des »Gut-Seins« hin justiert worden wäre. Subjektorientierte Überlegungen in dieser Art suggerieren immer gesellschaftliche Transparenz, Planbarkeit und Interventionschancen, versprechen jedoch insgesamt keinen besonders lohnenden Erkenntnisgewinn (vgl. Bette 2005: 16ff.). Der Ausdifferenzierungsprozess in einzelne Teilsysteme der modernen Gesellschaft wird gemäß Elias (1976a, b) von einem Prozess der sukzessiven Zivilisation flankiert. Das eigentliche Verlaufsschema des abendländischen Zivilisationsprozesses ist zugleich eine Geschichte veränderter Einstellungen und Haltungen zu allen denkbaren Dimensionen des Körperlichen – angefangen bei der Hygiene (der Körperpflege)

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über diverse Sexualakte (Masturbation, Koitus etc.) bis hin zum Essverhalten. Dies verlief synchron zu einer zunehmenden ›Indienstnahme des Körpers‹ während des Verlaufs der europäischen Industrialisierung. Dazu erörtert Emrich (1992: 11): »Die Beherrschung der Sinne, die Lenkung von Bedürfnissen, das Zurückdrängen körperlicher Regungen in gesellschaftlich eigens dafür definierte Bereiche führen in Verbindung mit einer zunehmenden Abstraktion von allem Natürlichen zu einem Verlegen körperlicher Bereiche hinter die Kulissen des gesellschaftlichen Alltages.«

Das heute oft genutzte Begriffspaar des »zivilisierten Körpers« vermag die angedeuteten Entwicklungsprozesse sowie deren Resultate auf den individuellen Körper etwas treffender zu beschreiben (vgl. Gugutzer 2004: 51ff.). Unabhängig davon, dass bei Elias vorwiegend von einer Körperund Affektdisziplinierung die Rede ist, verweist er explizit auch auf eine zunehmende Körperdistanzierung. Unter anderem beschreibt er minuziös Veränderungen alltäglichen Verhaltens, wie das langsame Aufkommen von Tischmanieren, welche beispielsweise die Nutzung einer Gabel statt der Hände beim Akt des Essens vorsehen. So entstanden subtile Tischsitten. Darüber hinaus wurden auch allgemein verbindliche Umgangsformen sowie Anstandsregeln kultiviert (vgl. Kamper 1997: 409f.). Getreu der Theorie des Zivilisationsprozesses lerne die Menschheit im Verlaufe ihrer Geschichte für alle Lebensbereiche »zivilisierter« miteinander umzugehen; deshalb seien auch mehr und mehr sog. Manierenbücher – oder Benimm-Bücher – entstanden, die diesen besagten Prozess komplementär begleiteten (vgl. Elias 1976a: 66ff.). Elias deutet den Prozess der voranschreitenden Zivilisierung zum einen als Konsequenz der zunehmenden Arbeitsteilung35, der weiter wachsenden Spezialisierung, der wechselseitigen Abhängigkeit und der verlängerten Handlungsketten. Zum anderen sei er aber auch eine Folge der Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols und der damit ein-

35 Die »Arbeitsteilung« und die daraus resultierenden Spezialisierungen sind als die fundamentalsten Merkmale westlicher Industrienationen zu verstehen. Dazu vgl. ausführlicher Durkheim (1977).

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hergehenden Kontrollierbarkeit von Gewalt und Aggression (vgl. Heinemann 1998: 30ff.). Resümierend stellt der Zivilisationsprozess für das Individuum ein Produkt der »Verinnerlichung« von zunächst extern determinierten Zwängen dar. Aber »was zunächst als (äußerer) Fremdzwang entsteht, entwickelt sich im Prozess der Zivilisation zunehmend zu einem Selbstzwang, d.h., die Pression wird verinnerlicht und als eigener Handlungsantrieb erlebt.« (ebd.) Die zunehmende gesellschaftliche Abstraktheit sowie Körperdistanzierung manifestiert sich zudem in einem weiteren Zusammenhang: In segmentär differenzierten Gesellschaften galt und gilt das Recht des Stärkeren. Wer in der Lage und bereit dazu war, seine überlegene Körperlichkeit in Gestalt besonders kriegstüchtiger Fähigkeiten bis hin zum Risiko des eigenen Todes einzusetzen und im Umgang mit seinem Bedrohungspotential erfolgreich war, hatte Macht über andere. Er konnte diese Macht, so wie es noch in stratifizierten Gesellschaften der Fall war, für Herrschaftsziele – beispielsweise für den Erwerb von Privilegien und anderer knapper Güter – einsetzen und im Laufe der Zeit herrschaftsmäßig stabilisieren und über Geburtsprinzipien sowie Standesregeln reproduzieren und auf Dauer absichern. Die enge Beziehung von sowohl Körperlichkeit als auch Macht auf der Grundlage (unmittelbarer) physischer Gewalt wird im Laufe der europäischen Zivilisation jedoch immer weiter aufgehoben (vgl. Bette 2005: 25ff.). Mit der Entwicklung des Territorialstaats im Übergang zur Neuzeit kam es zu einer »Monopolisierung der physischen Gewalt« zugunsten zentraler politischer Instanzen. Die Ausübung körperfundierter Gewalt wird heutzutage (in funktional differenzierten Gesellschaften) kontrolliert und aus dem Freiraum einer affektiven Beliebigkeit weitgehend herausgeholt. Dadurch, dass ein nicht-staatlicher Gewalteinsatz völlig ausgeschlossen und mit Sanktionen belegt ist, konnte ein »gewaltfreier Raum« geschaffen werden. Dies war eine überaus gewichtige Prämisse für die »sozio-evolutionäre Weiterentwicklung« der gesellschaftlichen Teilsysteme (vgl. ebd.: 26f.). Die Funktion der Politik, kollektiv bindende Entscheidungen herzustellen, kann allerdings selbst nicht ohne das Zwangsmittel der physischen Gewalt sowie Gewaltandrohung auskommen. Der Staat muss mit Gewalt drohen und sie mit Hilfe von Spezialinstanzen (Polizei, Militär u.Ä.) im Extremfall auch durchsetzen können, wenn beispielsweise ein

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Konsens fehlt – oder eventuell von »gewaltbereiten« Minoritäten nicht akzeptiert wird. Der Körper verliert infolgedessen seine Legitimationsbasis für Drohung und Einschüchterung. Machtträger und Machtmittel werden gewissermaßen vom Körperbezug getrennt. Heute können vor Gericht auch ›Kleine‹ und ›Schwache‹ ihr Recht bekommen (vgl. Luhmann 1993). Die Bestrafung, die im mittelalterlichen Rechtsvollzug unmittelbar am Körper ansetzte – öffentlich vollzogene Verstümmelungen oder bewusst zum Amüsement des Publikums herausgezögerte Folterungen sowie Hinrichtungen –, war damals gang und gäbe, ist aber im gesamtgesellschaftlichen Rationalisierungsprozess zivilisiert worden. Wie Foucault (2001) in seiner Analyse von Überwachung und Strafe im mittelalterlichen und neuzeitlichen Rechtsverständnis darstellt, verschwindet der gefolterte und hingerichtete Körper des Delinquenten ab dem 19. Jahrhundert beinahe vollständig aus der Öffentlichkeit. Formalisierte, generalisierte und personenunabhängige Rechtskriterien, die ihren Referenzpunkt nicht mehr am Körper des Verurteilten finden, sorgen dafür, dass die Strafvollstreckung in die »Privatheit« von Spezialinstitutionen – Gefängnisse, Besserungsanstalten oder Kliniken – verlagert wird. Man wird in funktional differenzierten Gesellschaftsformen also nicht mehr auf ein Streckrad gespannt oder gar gevierteilt, sondern lediglich physisch aus dem Verkehr gezogen. Folglich hat sich im Bestrafungswesen ein von humanistischen Werten getragener Zivilisierungsprozess durchgesetzt. Der Zivilisationsprozess wurde von Elias und Dunning (2003) auch auf den modernen Sport übertragen, indem sie eine stetig weiter ausreifende Zivilisierung in den jeweiligen Regelwerken gewisser Sportformen mit Hilfe einer Gesamtanalyse deren Entwicklung in den vergangenen Jahrhunderten oder Jahrzehnten herausarbeiteten. Ihrer Auffassung nach seien im gegenwärtigen Sport Emotionen zunehmend gebändigt, Scham- sowie Peinlichkeitsschwellen beharrlich weiter vorgerückt und Gewalt durch eindeutige Regeln kontrollierbar gemacht worden (vgl. Imhof 1983: 65ff.). Dementsprechend werde der menschliche Körper im Verlauf des Zivilisationsprozesses zunehmend diszipliniert, werden Gefühle stärker kontrolliert und äußere Zwänge in Selbstzwänge transformiert. Kurz: »Der Körper wird vergesellschaftet« (Krauß 2000: 12f.). Eine Inkorporierung verdeutlicht analog dazu, dass sich soziale Ordnungen im Körper niederschlagen und durch diese Materialisierung

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reproduzieren. Allerdings ist für den Zivilisationsprozess auch ein entgegengesetzter Effekt kennzeichnend, den man als »Individualisierung« menschlicher Körper analytisch aufschlussreich auf den Begriff bringen kann (vgl. Bette 1993: 34ff.). Dies muss jedoch vorerst unkommentiert bleiben. Lediglich eine inhaltliche Weiterführung und bei weitem kein alternatives ›Gegenmodell‹ zur Zivilisationstheorie ist in der jüngeren »Informalisierungsthese« von Wouters (2001) zu sehen. Ein Kerngedanke in Elias Zivilisationstheorie ist derjenige, dass im stetigen Verlauf der europäischen Geschichte Selbstzwang und Kontrolliertheit im Umgang der Menschen miteinander unaufhörlich weiter zunehmen. Dem widerspricht die These einer Informalisierung unter Verweis auf vielfältigste Lockerungen in den modernen Umgangsregeln und Benimmformen – wie etwa gelockerte Grußregeln, vermehrtes Duzen, legere Kleidungsregeln oder Ungezwungenheit im alltäglichen Umgang zwischen den Geschlechtern. Einige Verhaltensweisen, die in früheren Jahrhunderten schrittweise durch immer straffer werdende »Zwangsjacken« von streng festgesetzten Vorschriften blockiert worden waren, wurden im Verlauf des 20. Jahrhunderts peu à peu wieder entkrampft (vgl. Gugutzer 2004: 58f.). Diese Entwicklungen ermöglichten es zu guter Letzt auch dem Bodybuilding (oder Kraftsport) – von vielen Menschen heute noch immer als »anrüchig« und »exhibitionistisch« wahrgenommen (vgl. Bednarek 1984: 54) –, sich beständig und stellenweise sogar sprunghaft zu formatieren. Festzuhalten ist, dass Elias in seiner Zivilisationstheorie von der »Zurückdrängung des Körpers« ausgeht (Schlicht/Strauß 2003: 7f.). Allerdings war es gerade diese fortschreitende »Distanzierung« von allem Körperlichen, die wiederum ungleich geartete Ausprägungen der Körperaufwertung provozierte. Bette (2005: 17ff.) thematisiert in diesem Zusammenhang in einer dem Forschungsgegenstand Körper angemessenen theoretischen Komplexität die »Gleichzeitigkeit von Körperdistanzierung und -aufwertung im Rahmen des europäischen Zivilisationsprozesses«. Einer der Hauptgründe dafür, dass sowohl die »Quantität« als auch die »Qualität« des geschichtlichen Erkenntnisstandes über vormoderne Körperertüchtigungsprogramme frappanterweise ab dem Einsetzen des Mittelalters einen eklatanten Abriss erleiden, liegt vermutlich in der Genese und Weiterentwicklung der oben skizzierten Formen mit-

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telalterlicher Leib- sowie Körperfeindlichkeit, die sich damals auf alle anderen Gesellschaftsbereiche gleichermaßen auswirkten (vgl. Bredenkamp/Krägermann/Urbansky 1993: 70ff.). Auch vom Spätmittelalter bis hin zum Ende des sog. viktorianischen Zeitalters war der menschliche Körper etwas, das eher versteckt als bewusst in Szene gesetzt wurde. Ein Verweis auf die Gewohnheiten in zurückliegenden Zeitepochen, in denen sich Akteure der höheren Gesellschaftsschichten vorzugsweise einpuderten und parfümierten als sich angemessen zu waschen (vgl. Sandow 1902: 20ff.), demonstriert die damals tradierte Einstellung zum individuellen Körper besonders anschaulich. Zieht man zum bisher Geschilderten eine erste Bilanz, ist mit Imhof (1983: 9) festhalten, »dass immer wieder mal die körperfeindlichen Strömungen die Oberhand hatten, ein andermal und wie es gerade jetzt wieder der Fall zu sein scheint, die mehr körperfreundlichen.« Im Zeitraum der Aufklärung konnten, wenn auch nur mit wenig gesellschaftlicher Durchschlagskraft, spezifische Formen der Körperaufwertung simultan zur weiter voranschreitenden Körperdistanzierung in immer größerem Umfang wiederbelebt werden. Die noch während der Aufklärung von 1600 - 1800 durch die »Oberschicht« stark bekämpften geistigen und kulturellen Reformbestrebungen des aufsteigenden Bürgertums gewannen an Einfluss auf die Menschen. Im Rahmen der Reformbewegung wurde im größeren Maße durch die Philanthropen ein quantitativ und qualitativ anspruchsvolles System für körperliche Bildung (»Gymnastik«) konzipiert (vgl. Krüger 1993a: 25f.). Die Philanthropen leiteten folglich auch die erste planmäßige Sporterziehung in schulischer Form ein. Noch während des Idealismus und der »nationalen Bewegung« von 1780 - 1815 entstanden sowohl ein humanistisch-idealistisches Menschenbild als auch die Etablierung eines neuen Bildungsideals. »Sport« – noch primär in Gestalt des Turnens und der Gymnastik – spielten eine wichtige Rolle in der Konzeption der damaligen Bildungsziele, wie etwa dem von Pestalozzi. Im Jahre 1842 wurde das Turnen dann auch »offiziell als Erziehungsmittel für die Schulen anerkannt« (ebd.: 64ff.). Zuvor lösten insbesondere die Französische Revolution um 1789 und die daran anschließende Fremdherrschaft durch Napoleon Bonaparte in Deutschland eine zuvor nie dagewesene Bildungsreform aus. Dazu gehörten im Besonderen das Jahnsche Turnen und die Gymnastik der Phi-

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lanthropen. Das Deutsche Turnen nach Prägung ›Turnvater‹ Jahns wird nun als Form einer nationalen wie auch volkstümlichen Leibeserziehung angesehen und beharrlich weiter ausgebaut (ebd.: 77ff.). Nach der folgenreichen Neuordnung der europäischen Großmächte in der Zeit von 1814 - 1815 wurde die Turnerschaft in politische Konflikte verwickelt. Es kam von 1820 bis 1822 sogar zu einer Turnsperre. Trotzdem gewann das Deutsche Turnen in seinem Renommee an Bedeutung – nicht zuletzt durch die sich zunehmend gründenden TurnVereine. Daneben wurde die Leibeserziehung für Kinder und Jugendliche – wie weiter oben bereits vorweggenommen – verpflichtend, indem sie als ein Pflichtfach einheitlich in alle Schulen installiert wurde. Es kam zum »Frühstadium« eines Schulsports nach heutigem Strickmuster. In England kam es indessen zum ersten Auftreten einer neuen Form der Leibesübungen und zwar die des Sports nach neuzeitlichem Verständnis. Typische Erkennungsmerkmale des Sports sind in Anlehnung an Guttmann (1979): ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾

Weltlichkeit Chancengleichheit Rollenspezialisierung Rationalisierung Bürokratisierung Quantifizierung Rekordsuche

Zur Weltlichkeit: In sog. primitiven Kulturen, also in segmentären oder in stratifizierten Gesellschaften des alten Europas, gibt (bzw. gab) es keinen Sport im heutigen Sinne. Alle körperlichen Übungen, Spiele sowie Wettkämpfe unterlagen immer einem übergeordneten Zweck; sie fanden entweder aus militärischen Funktionsüberlegungen heraus statt oder waren Bestandteil religiöser Rituale sowie kultischer Praktiken. Vormoderne Menschen in Europa liefen, ringten, warfen oder spielten beispielsweise mit Bällen, um ihren Göttern zu gefallen, Hilfe von ihnen zu erflehen, vermeintliche ›Dämonen‹ zu verbannen, Krankheiten zu heilen, Regen herbeizurufen, Fruchtbarkeit zu beschwören oder um sich auf kriegerische Auseinandersetzungen vorzubereiten. Wichtig ist, dass es damals nicht primär um das Erringen sportlicher Siege, um Er-

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folge und Rekorde ging, sondern meistens »nur« um die Teilnahme an kultischen Zeremonien oder um Wehr- und Verteidigungszwecke. Die zeremoniellen Veranstaltungen wurden stets von Tänzen, Festessen und Feiern umrahmt. Ein Beispiele: Die Wettkampfspiele amerikanischer Indianerstämme geben das polare Weltbild sog. primitiver Kulturen wieder. Mond und Sonne stehen für die Differenz von Mann und Frau oder Tier und Pflanze. In einem Staffellauf wurde diese Dualorganisation symbolisch abgebildet. Es ging weder um (individuelle) Leistungen noch um körperliche Rekorde. Das Ballspiel der Maya sowie der Azteken – als vorantike Hochkulturen – war strikt eingebunden in den Mond-Mythos. Die antiken Olympischen Spiele waren stark kultisch-religiös durchdrungen und wiesen in weiten Teilen deutlich sakrale Züge auf. Sie waren zuerst fester Bestandteil antiker Leichenspiele und wurden dann explizit zu Ehren der damaligen Götter – Zeus, Poseidon u.a. – durchgeführt. Zeit und Ort der Spiele galten als »heilig« und wurden durch ein Friedensgebot umrahmt. Mädchen und Frauen waren als Zuschauer grundsätzlich von den »Sport«-Veranstaltungen der Männer ausgeschlossen. Anfangs gab es einfache Stadionläufe, nach 778 v. Chr. wurden andere Körperpraktiken hinzugefügt – beispielsweise Langläufe, Wagenrennen, Boxen, Ringen, Pankration, Diskus- und Speerwurf. Es gab Wettkämpfe für Knaben und später auch für Trompeter oder Herolde. An bestimmten Tagen wurden religiöse Zeremonien und Feste ergänzend zu den Wettkämpfen durchgeführt (vgl. Krüger 1993a). Gleichzeitig gab es eine sog. Athletik sowie Gymnastik, die aus militärischen Funktionsüberlegungen und erzieherischen Absichten heraus betrieben wurden. Nach wie vor unterlagen alle körperlichen Praktiken übergeordneten Zwecken. Jedoch gab es bereits erste Verweltlichungstendenzen; der »Sport« wurde allmählich Teil des Alltagslebens, aber ohne dass er aufhörte, der religiösen Verehrung zu dienen oder von erzieherischen sowie militärischen Absichten bestimmt zu sein. In der römischen Gesellschaft stand ein vormilitärisches Körpertraining im Vordergrund (Boxen, Ringen, Pankration). Schönheit sowie Grazie wurden belächelt. Der damalige Geschmack zeigte sich in den blutrünstigen Gladiatorenkämpfen. Die Religion trat dabei in den Hintergrund. »Brot und Spiele« wurden propagiert, um breite Zuschauermassen zu unterhalten und das Volk zu besänftigen bzw. bei Laune zu halten.

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Mit Beginn des 19. Jahrhunderts begann der »Sport« weltlicher zu werden. Es ging nicht mehr um Religion; der Sport selbst wurde als eine Ersatzreligion gepriesen (Coubertin: »religio athletae«). Dessen ungeachtet: der moderne Sport ist profan, nicht sakral motiviert. Die Menschen der Moderne laufen oder spielen gegeneinander, lediglich um zu gewinnen, und nicht mehr um ihre Götter oder ihren Gott zu ehren bzw. anzubeten – oder den Regen herbeizuflehen. Sport wird heutzutage ausschließlich des Sports wegen betrieben. Zur Chancengleichheit: Der moderne Sport setzt stets Chancengleichheit voraus. Zum einen bei der Vorbereitung auf Wettkämpfe und zum anderen bei der Durchführung von Wettkämpfen. Im Laufe der Zeit ist der zweite Gleichheitsgedanke dominant geworden. Die Idee der absoluten Gleichheit bei der Abwicklung von Wettkämpfen – etwa in Form verschiedener Gewichtsklassen, geschlechtshomogener Wettkämpfe oder Handicap-Regelungen – ist in allen regulären Sportarten verpflichtend. Damit geht der Sport konsequent auf Distanz zu jenen Zuteilungsprinzipien, die im vormodernen »Sport« noch anzutreffen waren – etwa Rasse, Kaste, Stand, Clanzugehörigkeit, Alter, Religion, Geburt. Das dominante Sinnprinzip heißt nun ausschließlich Leistung. Und um Leistung sinnvoll messen und vergleichen zu können, muss die Gleichheit der Akteure vorausgesetzt sein. Schon bei den Antiken Griechen war das körperliche Leistungsprinzip deutlich stärker ausgeprägt als im »primitiven Sport«. Die Gleichheitsidee konnte sich aber noch nicht voll durchsetzen. Von den Olympischen Spielen und vielen anderen Festspielen waren Frauen prinzipiell ausgeschlossen. Es gab jedoch auch Spiele von marginaler Bedeutung, an denen ausschließlich Frauen teilnehmen durften. An den Olympischen Spielen durften hingegen nur Männer und auch nur »freie Griechen« teilnehmen, nicht Sklaven oder Barbaren. Jenseits dieser rigorosen Ausschließungen gab es durchaus eine gewisse Chancengleichheit, die durch Schiedsrichter mit Sanktionsandrohungen überwacht wurde. Auch die Zugehörigkeit zum Adelsstand schützte im »Sport« der Antike keineswegs vor Strafe. In der griechischen Polis gab es also bereits umfangreiche Vorkehrungen, um eine gewisse »Gleichheit« im körperlichen Wettstreit sicherzustellen. »Abgespeichert« wurde diese Gleichheitsidee in Form von Regeln. Knaben durften nicht gegen Männer antreten. Die römische Leichtathle-

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tik nahm die griechische zum Vorbild und versuchte die Gleichheit der Wettkampf-Umstände herzustellen. Die Gladiatorenkämpfe hingegen folgten anderen Einteilungsprinzipien: Menschen gegen Tiere, Schwertkämpfer gegen Netz- und Dreizackkämpfer oder Frauen gegen Zwerge. Alle Gladiatoren waren anfangs ausschließlich römische Bürger, später fast immer Sklaven – was der griechischen Auffassung über die Teilnahme an den Olympischen Spielen widersprach. Im Mittelalter war die Teilnahme an einem Turnier nur Rittersleuten gestattet. Die Herkunft mußte über die Aufzählung der Ahnenreihen ausführlich belegt werden. Derjenige, der seinen Stand dabei vertuschte, um an einem Turnier teilnehmen zu können, mußte mit der Todesstrafe rechnen. Die Gleichheitsidee wurde im mittelalterlichen Wettkampf häufig dadurch unterminiert, dass der Sieg in einem Turnier mißachtet wurde und dass er letztlich (auch) von der Hierarchie derjenigen abhing, die gegeneinander antraten. Das Standesdenken gefährdete somit die Einhaltung der Spielregeln. Das bedeutet: Der feudale Sport war noch durch starke Ungleichheiten geprägt, die sich erst langsam veränderten. Das spätmittelalterliche Tennisspiel war beispielsweise nur der Aristokratie erlaubt, nicht dem gemeinem Volk. Diese Praxis setzte sich auch in den englischen Kolonien fort. Im 17. Jahrhundert mußte z.B. ein Schneider eine hohe Geldstrafe bezahlen, weil er sich anmaßte mit seinem eigenen Pferd gegen einen Adeligen anzutreten. Der neuzeitliche Sport hat besagte standesberücksichtigenden Regeln aufgehoben. Niemand darf heute wegen seiner Standes- oder Schichtzugehörigkeit vom Wettkampfsport ausgeschlossen werden. Ähnliches gilt für die Zugehörigkeit zu ethnischen Minoritäten oder Rassen. Erst 1970 wurden Farbige voll in der National Football League integriert. Doch auch heute noch gibt es heimliche Diskriminierungen, um Zuschauer mit weißer Hautfarbe nicht in ihrer »Identifikationsbereitschaft« zu düpieren (vgl. Bette 2011: 183ff.). Zur Rollenspezialisierung: Gewisse Rollenspezialisierungen finden sich bereits in der griechischen Antike. Seinerzeit gab es bereits Berufsathleten und Profitrainer. So gab es beispielsweise Spezialisten für den Fünfkampf oder für das Boxen oder das Ringen. Auch in Rom gab es Berufsathleten. Der »Sport« im europäischen Mittelalter war dagegen deutlich weniger spezialisiert als die antiken Vorbilder. Der zeitgenössische Sport hat die Rollenspezialisierung inzwischen auf die Spitze ge-

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trieben. Je nach Funktion werden Spezialisten in den einzelnen Sportarten trainiert und nachgefragt (Verteidiger, Torwart, Stürmer, Rechtsoder Linksaußen etc.). Spezialisierung heißt: Fokussierung der Aufmerksamkeit auf (nur) eine Sache und Ausprägung einer Indifferenz gegenüber allem, was nicht dazugehört. Die Spezialisierung im Sport kann so absorbierend sein, dass Sportler keinen Beruf mehr nebenbei ausüben können. Dies wird am heutigen Profi-Sport ersichtlich und bedarf keiner weiteren Erklärung. Zur Rationalisierung: Der zeitgemäße Sport hat sowohl im Hinblick auf das Training als auch den Wettkampf eine starke »Zweck-MittelRationalität« ausgeprägt. Selbst die Spielregeln sind letztlich lediglich Mittel zum Zweck. Antiquierte Regeln wurden abgeschafft und durch neue Regeln ersetzt (Beispiele: Ballfarbe im Tischtennis oder kurze Hosen im Frauenvolleyball), um beispielsweise die Dramaturgie der Wettkämpfe ›mediengerecht‹ zu gestalten. Die vormodernen Spielregeln waren hingegen traditionell und heilig. Moderne Spielregeln sind positiviert. Nicht wenige Sportarten sind künstliche Erfindungen, wie etwa Basketball. Manchmal werden vormoderne Praktiken modernisiert und in völlig neue Sportarten transformiert, wie beim Modernen Fünfkampf. Während die sog. Urvölker »Sportarten« lediglich übten, absolvierten die kultivierten Griechen der Antike ein systematisch-planvolles Training nach zweifellos zweckrationalen Prinzipien (vgl. Krüger 1993b). Zur Bürokratie: Der moderne Sport ist zum bürokratisch verwalteten Sport geworden. Erst seit Beginn des 19. Jahrhunderts entstanden die ersten sportartspezifischen Sportorganisationen, die heute das gesamte Wettkampfsystem auf den verschiedenen Niveauebenen systematisieren und auf Dauer sicherstellen. So können beispielsweise sportliche ›Höchstleistungen‹ (Rekorde) registriert sowie memoriert werden. Zunächst entstanden nach und nach immer mehr nationale Sportorganisationen und sodann internationale Dachverbände, die wiederum Neugründungen diverser Sportorganisationen auf nationaler Ebene stimulierten (vgl. Schimank 1988). Zur Quantifizierung: Jedes sportliche Ergebnis wird heute quantifiziert und gemessen (Zentimeter, Gramm, Sekunden – kurz: ZGS, Eindruck sowie Komposition etc.). Spezielle Ligen entstanden, in denen Mannschaften nach ihrem Leistungsniveau strikt hierarchisiert werden. In der griechischen Polis sah die Situation noch anders aus. Man hielt

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die »Sieger« fest, aber man maß nicht deren Leistung. Es ging nicht um eine absolute Vergleichbarkeit von Leistungen, sondern vielmehr um das Festhalten situativer Differenzen. Im Antiken Rom hingegen wurden Rangplätze festgehalten, ohne dass gemessen wurde. Die damalige Quantifizierung hatte noch nicht ihre metrische Exaktheit von heute erreicht. Doch noch heute tauchen Probleme bei der Quantifizierung auf – beispielsweise bei ästhetischen Leistungen in kompositorischen Sportarten (Turnen, Tanzen etc.); dies betrifft – wie es die Einleitung behandelt – auch das Wettkampfbodybuilding. Wie lässt sich Ästhetik adäquat messen und vergleichen? Wie kann man ästhetische Ausdrucksformen quantifizieren? Diesbezüglich hat das Bodybuilding in Gestalt dezidierter Wertungsbögen eine Lösung vorgelegt (vgl. Kapitel 1.3). Zur Rekordsuche: Die allgegenwärtige Quantifizierung im modernen Sport hat zu einer extremen Rekordorientierung geführt. Der Rekord überführt Körperhandeln und Wettkampfresultate in Zahlen, die wiederum in Büchern u.Ä. festgehalten werden können. Rekorde formulieren ein drakonisches »Überbietungsgebot« (vgl. Bette/Schimank: 1995). Unterstützt wird diese Rekordmanie durch die modernen Massenmedien, die ihrer Operationslogik (Personalisierung, Sensationsorientierung etc.) entsprechend über aktuelle Rangplätze, veränderte Leistungshierarchien und neue Rekorde berichten können. Dabei ist Spannung, Distinktion, Personalisierbarkeit von Leistungen und dies alles ›Live‹ (bzw. in Echtzeit) und unbeeinflussbar immer gegeben. Die Rekordorientierung spiegelt zusammengefasst die Fortschrittsidee der modernen Gesellschaft wider. Tabelle Nr. 1 fasst alle Wesensmerkmale des Sports in Anlehnung an Guttmann (1979: 61f.) zusammen und zeigt dabei auf, in welchen »Zeitepochen« bestimmte Merkmale als gegeben zu erachten sind und in welchen nicht.

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Tabelle 1: Wesensmerkmale des Sports

Vorantiker »Sport«

Antiker »Sport«

Mittelalter & »Sport«

Neuzeit & Sport

ja & nein

ja & nein

ja & nein

ja

Gleichheit

nein

ja & nein

nein

ja

Spezialisierung Rationalisierung Bürokratisierung

nein nein nein

ja ja ja & nein

nein nein nein

ja ja ja

Quantifizierung Rekordsuche

nein nein

nein nein

nein nein

ja ja

Weltlichkeit

Um die Wende des 18. und 19. Jahrhunderts begann demzufolge die Ausbildung eines charakteristischen Erscheinungsbildes des modernen Sports in Form von Meisterschaften, Regelwerken etc. Man bezeichnet diesen Aufschwung des Sports daher auch als »Versportlichung« oder »Versportung«, welche sich auch hier in Deutschland in den 1880ern und 1890ern bis zum endgültigen ›Durchbruch‹ des Sports Luft verschaffte. Die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert ist gekennzeichnet durch die industrielle Revolution, die sich nach und nach in allen europäischen Ländern vollzog. Die daran gekoppelten Umstellungen im gesamtgesellschaftlichen Zusammenleben erzeugten abermals ein neues Leibverständnis. Es entstand eine Jugendbewegung und die Reformpädagogik. Die Neuorientierung der Leibeskultur richtete sich schließlich nach dem Olympiagedanken der Moderne. Denn seit dem Jahr 1896 fanden – mit wenigen kriegsbedingten Unterbrechungen – jedes vierte Jahr die Olympischen Spiele der Neuzeit statt, die inzwischen neben der Fußballweltmeisterschaft als ein sog. Mega-Event des modernen Sports weltweit ein Millionenpublikum in Begeisterungszustände versetzt. Bereits die Epoche der Aufklärung kann man als Initialzündung für eine vermehrte theoretische Auseinandersetzung mit verschiedenen modernen Körpermodellen ansehen (vgl. Krüger/Wedemeyer 1995: 7ff.). Momente der konkreten Beschäftigung des Subjekts mit dem individu-

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ellen Körper, der für den persönlichen Lebensentwurf zunehmend wichtiger wurde, nahmen seit der Aufklärung eklatant zu und verschärften sich zusehends. Horkheimer und Adorno (2001: 246ff.) machen auf ein negativ zu deutendes »Interesse am Körper« aufmerksam, das sich in einer starken gesellschaftlichen Vereinnahmung manifestiere. Dennoch ist für sie das Verhältnis des Menschen zu seinem Körper nicht nur einseitig negativer Art, sondern immer ein ambivalentes. Sie postulieren eine sprichwörtliche »Hassliebe« gegenüber dem Körper,36 die durch facettenreiche unterirdisch verlaufende Entwicklungsprozesse der Moderne kontinuierlich weiter vorangetrieben werde. Eine »Wiederkehr des Körpers« wird von Kamper und Wulf (1982) im Rahmen eines Sammelbandes diagnostiziert. In ihm setzen sich alle beteiligten Autoren mit dem vorübergehend »verloren« geglaubten Gedanken einer »Einheit von Körper und Geist« und den teils offenen, teils versteckten Symptomen einer beispiellosen Wiederkehr des Körperlichen um 1900 auseinander. Im besonderen Maße wird dabei auf die historische Vernachlässigung der Körperlichkeit (der Somatik) zugunsten der Vernunft (der Ratio) aufmerksam gemacht. Daneben wird mittels mehrschichtiger Bedeutungsebenen durchleuchtet, wie der vernachlässigte und unterdrückte – nicht selten sogar völlig in Vergessenheit geratene – Körper sich durch physische, psychische sowie soziale Zeichen allmählich wieder in Erinnerung brachte (vgl. Krüger/Wedemeyer 1995: 5ff.). Allerdings liegt die Ursache besagter Körperaufwertung nicht etwa in der Eindämmung der vorausgehenden Dominanz der Körperdistanzierungsprozesse; vielmehr sind »neue« Formen der Körperaufwertung als eine Gegenbewegung zu interpretieren, die sich aus der weiter voranschreitenden Tendenz zur Körperverdrängung parasitär nährt(e). Ein Beispiel par excellence dafür ist die Soziogenese des Bodybuildings, die man nur vor dem Hintergrund der funktionalen Differenzierung in modernen Gesellschaften zu verstehen imstande ist.

36 Bezüglich einer »Hassliebe gegen den Körper« vgl. Krauß (2000: 76ff.).

III. Bodybuilding und funktionale Differenzierung

Erst auf der flächendeckenden Grundlage codegestützter Kommunikation – wie in der Wissenschaft: wahr/unwahr oder dem Rechtssystem: recht/unrecht etc. – konnten die existierende Differenzierungsvielfalt und der vorherrschende Möglichkeitsreichtum, wie es für die moderne Gesellschaft charakteristisch ist, zustande kommen. Was sich in Bezug auf den sukzessiven Umbau von stratifikatorischer auf eine funktionale Differenzierung als außerordentlich wirksam und letztlich unverzichtbar erwies, sorgte gleichzeitig dafür, dass der Körper radikal marginalisiert und in manchen Gesellschaftsbereichen bis aufs Äußerste auf Distanz gesetzt wurde. Dies geschah ohne jegliche menschliche Planung im Sinne einer bewussten Steuerung – gewissermaßen als nicht-intendierter Effekt. Wo elaborierte Spezialsprachen – man denke beispielsweise an medizinische Fachterminologie – gewisse Kommunikationszusammenhänge engführen und autonome Funktionssysteme freigesetzt werden, in denen es auf den individuellen Menschen nicht mehr ankommt, verliert der physische Körper zunehmend an gesellschaftlicher Relevanz (vgl. Bette 2005: 25ff.). Dieser gesellschaftliche Umbauprozess wird dann zur optimalen Grundlage für ungemein körperorientierte Sportpraktiken wie dem Bodybuilding. Das ursprüngliche Bodybuilding konstituierte sich vor dem Hintergrund der aufkommenden Moderne gerade deshalb, weil in ihm Momente der »frühen« und der »späten« funktionalen Differenzierung aufeinander treffen und sich miteinander in einer neuen hocheffizienten Weise vermischen. Die »frühe Phase« meint die sich allmählich durch-

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setzende Moderne – also gewissermaßen die Einleitungsphase der Moderne, in der die vormodernen Sozialverhältnisse Schritt für Schritt beseitigt und ersetzt wurden, um dem Prozess der funktionalen Differenzierung zum Durchbruch zu verhelfen und das Verhältnis von Mensch und Gesellschaft in einer spezifischen Weise neu zu ordnen. Diese einleitende Phase führte auch zu einer weiteren Distanzierung zwischen Mensch und Natur; sie verdrängte den menschlichen Körper vor dem Kontext der aufkommenden Industrialisierung nicht mehr durch religiöse Vorgaben, sondern zunehmend durch technische Errungenschaften. Generell lösten sich multifunktionale – zuvor diffus miteinander verbundene – Sozialbereiche auf und es entstanden gesellschaftliche Teilsysteme (Politik, Wirtschaft, Recht, Wissenschaft, Erziehungssystem etc.), die strikt ihrer systemeigenen Logik entsprechend und weitgehend unabhängig voneinander operieren (vgl. Schimank/Volkmann 1999). Während der »späten Phase« der funktionalen Differenzierung wird auf die Resultate der Einleitungsphase dahingehend reagiert, dass deren Folgeprobleme zu thematisieren und zu bearbeiten sind. Diese fortgeschrittene Phase der Differenzierung ruft eine neue Sensibilität bezüglich des Verhältnisses von Mensch und Natur hervor, lässt unzivilisierte Körperlichkeit selektiv und episodenhaft wieder zu, regt konkrete Versuche der Selbstermächtigung in Zusammenhang mit dem eigenen Gestalten des Körpers an und führt auch hinsichtlich der Legitimationsbedürfnisse sowie -zwänge in bestimmten Sportarten zum Nachdenken über die Prämissen und Konsequenzen der Moderne. Anzumerken ist, dass sich die frühe und die späte Differenzierungsphase zeitlich nicht klar voneinander trennen lassen. Die hier angestellten Überlegungen zur Bedeutung der funktionalen Differenzierung für den Bodybuildingsport lassen sich noch in einer weiteren Hinsicht verdichten: Bodybuilding hat nämlich einen Gegenund einen Entsprechungscharakter zu Ausprägungen unserer modernen Gesellschaft entwickelt. Es ist zugleich Negation und Bejahung von Modernität. Es ist einerseits hochmodern, weil es ungemein leistungsorientiert ist und weil es mit Hilfe von ausgeklügelten Kraftmaschinen, elaborierten Trainings- sowie Ernährungstechniken und häufig auch diverser Dopingtechnologien betrieben wird (vgl. Kläber 2010: 32ff.). Andererseits ist Bodybuilding aber immer auch eine theatralisch inszenierte »Gegenbewegung« zur Moderne, die Erscheinungsformen und

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Konsequenzen der modernen Gesellschaft zu hinterfragen und zu kritisieren imstande ist. Auf dieser Grundlage zielt die Programmatik dieses Sports darauf ab, gesellschaftlich Exkludiertes unter neuen Bedingungen zu inkludieren. Resümierend ist festzuhalten, dass das Bodybuilding von Beginn an moderne und anitmoderne Züge zugleich aufweist. Diese vorerst nur angedeutete und nicht weiter ausgeführte gegenläufige Ausrichtung des Bodybuildings findet jedoch keinesfalls jenseits, sondern innerhalb der modernen Gesellschaft statt. Daher ist es evident, dass es in bodybuildingspezifischen Handlungsfeldern zur Entstehung von Widersprüchen und Paradoxien kommen muss, die die dort handelnden Akteure und entscheidenden Organisationen unter Druck setzen und zu bestimmten Reaktionen drängen. Auf der einen Seite werden durch die Fitness-Studioleitung Parkplätze in unmittelbarer Studio-Nähe geschaffen, damit alle Mitglieder ohne größeren Laufaufwand und mit ruhiggestellten Körpern in Sitzposition regelrecht ins FitnessStudio hineinfahren können, um sich in besagtem Sonderraum sodann unter extremen Körpereinsatz auf einem Fahrradergometer oder Laufband zum Schwitzen zu bringen. Dabei werden die zuvor meist aus Bequemlichkeitsgründen vermiedenen Bewegungsabläufe des Fahrradfahrens oder Laufens simuliert und als rein zweckorientiertes Mittel – im Sinne der Rational-Choice-Theorie (vgl. Hill 2002) – zur Vorbereitung auf ein Hanteltraining oder zur Stoffwechseloptimierung im Rahmen einer körperfettsenkenden Diät verwand. Auf der personalen Ebene werden Widersprüche sowie Paradoxien des Bodybuildings am ambivalenten Gesundheitsverständnis vieler Fitness-Studiomitglieder transparent. Auf der einen Seite möchten sie mit den enormen Trainingsstrapazen ihrer Gesundheit als Reaktion auf den zunehmenden Bewegungsmangel, die steigenden Adipositaszahlen und der allgemeinen Körperdistanzierung in modernen Gesellschaften im Konkreten etwas Zuträgliches tun. Auf der anderen Seite eifern sie den makellos schönen, perfekt inszenierten und nicht selten künstlich durch Schönheitsoperationen, Hormontherapien und anderen Fremdeingriffen aufpolierten Körpern der Profibodybuilder oder bestimmter Filmstars derart pedantisch nach, dass sie beim Diäthalten oder Trainieren den gesundheitszuträglichen Bereich vollen Bewusstseins verlassen – von den überaus gesundheitsgefährdenden Dopingmaßnahmen einmal ganz zu schweigen. Um das heutige Bodybuilding samt seiner historischen Ge-

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wachsenheit angemessen verstehen zu können, ist nunmehr ein Blick auf dessen Entstehungsgeschichte unabdingbar. Unmittelbar auf die historischen Fragmente zu den ›Vorläufern‹ des Hantel- bzw. Krafttrainings aufbauend, erörtert Kapitel 3 Frühformen des modernen Bodybuildings, welche als Wiege des körpermodellierenden Kraftsports zu verstehen sind. Daran anknüpfend setzt sich Kapitel 4 mit der Entstehung der Fitness-Studios als eine sich ausbildende Organisationsebene des sich konstituierenden Körperkults auseinander. Kapitel 5 analysiert den Wandel im Hinblick auf die Identität und das Selbstverständnis der heute in Fitness-Studios aktiven Kraftsportler. Von besonderem Interesse ist hierbei die Entwicklung einer (intersubjektiv) sehr unterschiedlich wahrgenommenen Athletenrolle, die langsam zur Herausbildung diverser Athletentypen geführt hat (vgl. Fuchs/ Fischer 1989: 160f.). Während das Bodybuilding gegenwärtig immer noch eine kleine soziale Szene darstellt, nämlich eine in sich geschlossene Gruppe fanatischer Eisensportler, hat sich die kommerzialisierte Fitness-Szene als ein modernes Massenphänomen in allen (westlichen) Industrienationen etablieren können. Momentan trainieren in Deutschland in über 6.500 Studios mehr als 7 Millionen Männer und Frauen (vgl. Geipel 2008: 14f.). Im Vergleich dazu sind in den Vereinigten Staaten über 20 Millionen Amerikaner als aktive Mitglieder in Fitness-Studios registriert. Allein in New York gibt es rund 200 verschiedene Fitness-Studioanbieter (vgl. Wedemeyer 1999b: 407ff.). Für immer mehr Menschen ist ein systematisiertes Hanteltraining – vorerst egal aus welcher Intention heraus betrieben – zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Wochenplanung und nicht selten sogar der Tagesplanung geworden. Frappierend ist, dass im Gegensatz zu dem, was Würzberg (1987: 131ff.) zum »FitnessTyp« formuliert, im 21. Jahrhundert die ernsthaften Fitness-Sportler den Bodybuildern im Hinblick auf ihre radikalen und den Körper stark instrumentalisierenden Einstellungen zum Eisensport in nichts nachstehen (vgl. Lütz 2002: 70f.). Um sich dem Bodybuilding- und Fitness-Milieu schrittweise zu nähern, empfiehlt es sich, nunmehr die historischen Wurzeln, die diese beiden Milieus sowie andere artverwandte Milieus aus dem sportlichen Umfeld des Bodybuildings miteinander verbinden,

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detaillierter zu analysieren. Denn das im kommerziellen Sportzweig1 heute augenfällig dominierende fitness- sowie gesundheitsorientierte Sportverständnis und die damit eng verbundene und erstaunlich erfolgreiche Entwicklung der primär privatwirtschaftlich operierenden SportStudioartenvielfalt haben ihren gemeinsamen Ursprung in der frühen Bodybuildingbewegung um 1900 – so weit die Ausgangsthese der folgenden Kapitel (vgl. Müller-Platz/Boos/ Müller 2006: 8ff.).

3 F RÜHFORMEN

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Die paradoxe Gleichzeitigkeit von Körperverdrängung und -aufwertung, die sich im Verlauf der »soziokulturellen Evolution« in der Gesamtgesellschaft etappenweise vollzogen hat, wurde speziell von Bette (1989, 2005) eingehend analysiert. Unabhängig davon ist für den Hintergrund dieser Studie grundsätzlich festzuhalten, dass man sich die Vorzüge eines systematisch planvoll betriebenen Muskel- oder Krafttrainings durchaus auch schon in vormodernen Zeiten zu Nutze machte. Insbesondere im Bereich der Erziehung sowie des Militärs wurde eine systematische Kräfte- und Muskelschulung in nahezu jeder Epoche der Menschheitsgeschichte bewusst eingesetzt, um bestimmte körperliche Leistungsfaktoren zu optimieren (vgl. Galsterer 1983: 35ff.). Allerdings wurde – etwas ›platt‹ formuliert – der Kraftsport noch nicht um des Kraftsports wegen betrieben. Obwohl die derzeit gebräuchlichen Begrifflichkeiten »Bodybuilding«, »Gesundheitssport« und »Fitness« noch lange auf sich warten ließen, bereiteten die in Kapitel II mosaikhaft dargestellten Vorformen des zweckbestimmten Krafttrainings den Weg zu einem modernen Körperkult zumindest in weiten Teilen vor. Auf der Informationsbasis von qualitativen Interviews, die mit den verschiedensten Akteuren besagter

1

Dietrich und Heinemann (1989) subsumieren den Sportbetrieb in kommerziellen Fitness-Studios und weitere Sportarten, die nicht dem traditionellen Sportmodell im Sinne der genuinen Olympischen Disziplinen entsprechen, unter der Bezeichnung des »nicht-sportlichen Sports«. Zur begrifflichen Abgrenzungen kommerzieller Fitness-Studioanbieter vgl. auch Schubert (2008: 143ff.).

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Körperkult-Szene geführt wurden, skizzieren Apraku und Nelles (1988: 130ff.) die Auswüchse dieses neuen Massenphänomens moderner Freizeitgesellschaften. Wichtig sei ihrer Auffassung nach, dass sich diese »Sportarten« – oder vielleicht besser: sportähnliche Körperpraktiken2 – durch eine frappierende Parallele auszeichnen, nämlich der geradezu obstinaten »Rücksichtslosigkeit« gegenüber der Gesundheit ihrer aktiven Akteure und das im besonderem Maße ab einem überdurchschnittlichen Leistungsniveau (vgl. Mangweth 2004: 106f.). Die frühmodernen Formen der Körper- und Kräfteschulung kann man zwar noch nicht als reguläre Sportarten bezeichnen, allerdings entwickelte sich aus ihnen neben dem Bodybuilding noch eine weitere klassische Sportart, die seit etlichen Jahrzehnten zum Repertoire der Olympischen Sportdisziplinen gehört: das Gewichtheben. Schon im Jahre 1896 wurde Gewichtheben zur Olympischen Disziplin erklärt und seit 1893 gab es in regelmäßigen Abständen sehr gut organisierte Deutsche Meisterschaften im Schwergewicht. Anfangs wurde Gewichtheben noch in den traditionsreichen Turnvereinen betrieben, bis sich um 1880 selbstständige Schwerathletikvereine herausbildeten (vgl. WedemeyerKolwe 2004: 295f.). Die Hauptklientel der frühen, aber auch die der späten Entwicklungsphase des Gewichthebens entstammte überwiegend dem kleinund unterbürgerlichen Milieu. Für diese Menschen lag das Körperideal in einer bestmöglichen Kraftentwicklung und weniger in einer harmonischen Körperoptik bzw. Figur. Letzteres war für die neuen Bürgerlichen kennzeichnend. Im Gegensatz zu herkömmlichen Darstellungen fand sehr wohl eine wechselseitige Beeinflussung zwischen Gewichthebern und Bodybuildern statt. Es gab nicht nur einen emsigen Austausch hinsichtlich neuer, innovativer Trainingstechniken, sondern auch einen Austausch hinsichtlich der Optimierungsmöglichkeiten, was beispielsweise Rahmenbedingungen, wie Regeneration, Ernährung, Motivation u.Ä., anbelangte (vgl. ebd.).

2

Apraku und Nelles (1988) zählen neben dem – extrem körperfixierten – Bodybuildingsport auch Abenteuerurlaub unter lebensgefährlichen Bedingungen sowie tollkühne Extremsportarten, wie Triathlon oder Supermarathon, zum heutigen Phänomen der »Körperkulturwelle«.

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Betrachtet man ›die‹ Historie der Sportvereine und -verbände, so hat es den Anschein, als sei das moderne Bodybuilding lediglich ein Resultat einer sportlichen Abspaltung, die sich innerhalb des Kraftsportsektors – allen voran des Gewichthebens – vollzog. »In Wirklichkeit sind die Wurzeln dieser beiden Disziplinen eng ineinander verschlungen« (Würzberg, 1987: 85f.). Wo um 1900 mit Gewichten trainiert wurde, übte man – zumindest nach heutigem Verständnis – mehrere Sportarten gleichzeitig aus. So wurden in den ersten Kraftsport-Vereinen jener Zeit Elemente aus dem Gewichtheben, Bodybuilding, Ringen und Boxen sowie diverse esoterische und fernöstliche Körperübungen gemischt. Der gemeinsame Nenner lag aber in einem gezielten sowie allumfassenden Widerstandstraining. »In diesen Vereinen wurde mit Hanteln und Gewichten, aber auch mit Expandern und Gummizügen und Kraftmaschinen Muskelaufbau und Kraftzuwachs betrieben« (Wedemeyer-Kolwe 2004: 295). All diese Betätigungsformen waren noch nicht unter der ›Obhut‹ eigenständiger Dachverbände organisiert, zudem gab es noch keine niedergeschriebenen Regelwerke. Letztendlich kann man dabei also nicht von Sportarten im eigentlichen Sinne sprechen. Die Geburtsstunde des Bodybuildings wie auch des Fitness-Sports lässt sich nicht exakt datieren. Doch nach aktuellstem Stand der vorliegenden (sport-)historischen Literatur beziffert man sie für das Bodybuilding in etwa um den Beginn des 20. Jahrhunderts. Allerdings tritt das frühe Bodybuilding keineswegs als eine einheitliche Sportart mit festgeschriebenen Regeln in Erscheinung, sondern als eine »Bricolage« verschiedener kraft- und körperoptikorientierter Betätigungsformen mit Sportcharakter. Die ersten Athleten, die durch ein zielgerichtetes Hanteltraining einen Muskelaufbau und Kraftzuwachs anstrebten, waren noch keine Hardcorebodybuilder, Naturalbodybuilder, Bodyshaper oder FitnessSportler nach heutigem Begriffsverständnis. Deutlich treffender beschrieben waren sie bizarre Paradiesvögel, die sich aus einem extravaganten Milieu rekrutierten. Kurz: »Die Protagonisten des frühen Bodybuildings um 1900 entstammen dem Zirkus- und Berufsartistenmilieu« (Wedemeyer-Kolwe 2004: 297), auf das das folgende Kapitel näher eingeht. Konkret versucht sich Kapitel 3.1 an einer Aufarbeitung des damaligen Phänomens der sog. Kraftathletik, deren Betreiber meist immens populäre wie auch ungewöhnlich starke Männer (in Ausnahmefäl-

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len auch Frauen) waren. Sie gilt es vor dem Hintergrund der gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen jener Zeit, also der »frühen Phase« funktionaler Differenzierung – allen voran der Industrialisierung, aber auch der kapitalistischen Weltwirtschaft – sowie vor dem Hintergrund einer in weiten Teilen noch unausgesprochenen und demnach eher latenten Kritik an der Moderne eingehender zu analysieren.

3.1 Herkunftsmilieu: Zirkus und Varietee Die eigentlichen Initiatoren des voranschreitenden Körperkults und des Bodybuildings als das Sinnbild eines modernen Muskelfetischs waren die starken Männer und Frauen im Zirkus, »jene gesellschaftlichen Außenseiter, die zwar ob ihrer Kraft und Muskelformung angestaunt wurden, aber aufgrund ihres Berufes jenseits jeder bürgerlichen Existenz standen« (Wedemeyer 1999b: 415). Im auslaufenden 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren Kraft- und Körperdarbietungen in funktional ausdifferenzierten Gesellschaften ›heiß‹ begehrt und hoch angesehen. Kraftathleten präsentierten sich auf farbenfrohen Jahrmärkten mit überaus beeindruckenden Leistungen. Zugleich waren sie aufgrund ihrer austrainierten Körper begehrte Modelle für Maler und Bildhauer – wie einst die ästhetischen Körper griechischer Athleten der Antike. Zirkusleute wurden aufgrund ihres berufsbedingten äußerst muskulösen Äußeren von jedermann bestaunt und bewundert. Nicht nur rohe Körperkraft, sondern auch die pompöse Körperoptik wurde bewusst und gekonnt zur Schau gestellt. »Männer der ersten Stunde, die sich öffentlich bewundern ließen, wobei sie auch Kraftübungen zeigten, waren Eugen Sandow, George Hackenschmidt, Herman Goerner und viele andere« (Möller 1998: 14). Jahrmarkt, Zirkus sowie Varietee hatten zu dieser Zeit, in der es noch keine Massenmedien im Sinne der heutigen Radio- und Fernsehsender gab, eine enorme gesellschaftliche Bedeutung – natürlich vornehmlich als Unterhaltungsform. Während man sich heutzutage von der Optionsvielfalt der Fernsehkanäle berieseln lässt (vgl. Penz 1992: 18), ging man um 1900 mit größter Begeisterung und Freude in den Zirkus. Dort ließ man sich durch die eindrucksvollen Shows unterhalten und wurde zugleich für eine gewisse Zeitspanne von den schweren Nöten des Alltags abgelenkt. Für viele Menschen kam der Zirkusbesuch einem

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Festakt gleich und war demzufolge eine äußerst begrüßenswerte Ergänzung zum sonstigen Highlight der Wochengestaltung, dem sonntäglichen Kirchgang. »The period dating from the 1870s is also the inception oft the ›strong man era‹, in which proponents of strength and muscularity toured the country putting on shows for millions« (Klein 1993: 34f.). Das damals übliche Showprogramm beinhaltete abwechslungsreiche Kraftakte, wie beispielsweise das Verbiegen einer Eisenstange, Kettenzerreißen oder sogar »das Stemmen eines Klaviers samt Klavierspieler« (Wedemeyer 1996: 101). Überaus anspruchsvolle akrobatische Kunststücke wurden spektakulär zum Besten gegeben. Es gab Kämpfe mit alten oder gezähmten Löwen und Tigern. Tiere aus weit entfernten Regionen, wie beispielsweise Elefanten, wurden in den Showablauf integriert. Clowns gaben belustigende Einlagen. Kurz gesagt: Dem stets gespannten Publikum wurde ein vielfältiges und hochspektakuläres Showprogramm dargeboten. Auch der damals noch obligatorisch veranstaltete Gewichtheberwettkampf, bei dem jeder Beliebige nicht nur mitmachen konnte, sondern obendrein den Gewinn eines beachtlichen Geldbetrags in Aussicht gestellt bekam, durfte bei keiner Vorführung fehlen (vgl. Groth 1987: 46ff.). Allgemein lässt sich festhalten, dass der Anteil an spektakulären und manchmal auch äußerst waghalsigen Kraftleistungen oder teilweise gar abstrus wirkenden Kraftwettbewerben, wie beispielsweise Elefantheben, Pferdtragen, Kanonenkugel-Auffangen, Menschenpodest-Bewegen etc., damals nicht nur obligatorischer Bestandteil des Showprogramms war, sondern größtenteils die Hauptattraktion darstellte (vgl. Wedemeyer 1996: 26ff.). Andere Elemente aus einem repräsentativen Zirkusprogramm, die man heutzutage vorführt, wie das Balancieren auf einem Drahtseil, luftakrobatische Einlagen am Trapez oder die vielseitigen Tierdressurnummern, waren damals lediglich Beiwerk des Gesamtprogramms und alles andere als Hauptattraktionen. Das begeisterungswilllige Publikum lechzte geradezu nach muskelbepackten Kraftathleten, und je »bizarrer« diese optisch wirkten, umso größer war die Resonanz. Artisten aus Zirkus und Varietee lebten zur damaligen Zeit in ihrer privaten, kleinen, familiären und nach außen oftmals strikt abgekapselten sozialen Lebenswelt; sie waren eine Eindruck schindende, stark extravertierte, aber auch in sich geschlossene Gruppe völlig unterschiedli-

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cher Charaktere. Der gemeine Bürger wurde von ihnen in den Bann der Verzückung versetzt.3 Interessanterweise bekannten sich Anfang des 20. Jahrhunderts viele Intellektuelle zum Kraft- bzw. Hantelsport. In Deutschland kam der leicht anrüchige und dubiose Ruf dagegen erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs auf. Wer es sich davor finanziell leisten konnte, lebte bewusst, »gesund« und stemmte regelmäßig Hanteln. Franz Kafka z.B. war absolut einem überschwänglichen Gesundheitstrip verfallen. Er schwor auf Naturheilverfahren und versuchte fortwährend auch seine Verlobte zum Hanteltraining zu überreden. Von Franz Wedekind weiß man sehr genau, dass er ein frenetischer Zirkusfreund und Athletenfan war. Seine starke Leidenschaft für den sich konstituierenden Körperkult lebte er nicht zuletzt auch literarisch aus: »Kraft-Menschen, Zirkus-Athleten und Gewichtheber bevölkern seine Dramen in geradezu penetranter Weise.« (Dorsch 2004: 13) Seinerzeit himmelte man muskelbeladene Kraftmenschen an und sah in ihnen Künstler und ›Paradiesvögel‹, die es im positiv konnotierten Sinne wagten, aus den vorherrschenden Zwängen der bürgerlichen Gesellschaft auszubrechen – ganz speziell hinsichtlich der ansonsten verpönten Zurschaustellung körperlicher Reize (vgl. Groth 1987: 30ff.). Nicht selten kam durch die knappe sowie stets eng anliegende Bekleidungsweise der Akrobatinnen beim männlichen Publikum ein unterschwelliger erotischer Kitzel zur Geltung. Wohingegen sich das weibliche Publikum nur einem kontrollierten und leisen erotischen Prickeln hingeben durfte (vgl. Gugutzer 2004: 54f.), wenn sie die gut durchtrainierten, gestählten und vor ›Männlichkeit‹ geradezu strotzenden Körper der Kraftathleten und -akrobaten in der Anonymität der Zuschauermasse bestaunten. Nur in ihrer individuellen und für andere unzugänglichen Gedankenwelt (ihrem Bewusstseinssystem) konnten sie diese männlichen ›Prachtexemplare‹ ungeniert und ungestüm begehren (vgl. Wedemeyer 1996: 23f.). Damals wie noch heute spielte ein sexuelles Moment (die Erotik) in der Unterhaltungsbranche bezüglich seiner Bedeutung eine keineswegs zu unterschätzende Rolle. Bette und Schimank (1995: 78f.) zählen u.a. Voyeurismus als einen wesentlichen Gesichtspunkt des »Publikumsin-

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Zur Sozialfigur des Kraftkerls als eine imposante wie auch interessante Kuriosität vgl. ausführlicher Müller (2004: 129ff.).

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teresses« am Sport auf. Dieser kann durchaus sexueller Natur sein und reduziert sich nicht nur auf eine Sensationslust im Hinblick auf immer bessere Höchstleistungen oder melodramatische Sportunfälle. Dafür, dass subtile erotische Momente vom modernen Sportsystem auch bewusst genutzt werden, um die Zuschauer auf Dauer zu binden, spricht beispielsweise die Änderung der Kleiderordnung im Beachvolleyball; hier werden Frauen nur noch in sehr stoffarmer Bekleidung zu den offiziellen Wettkämpfen zugelassen. Analog dazu wirkte sich auch damals schon die Möglichkeit einer legitimierten Fleischbeschau in Zirkus und Varietee ungemein positiv auf die Zuschauerzahlen aus. Die fast nackten Körper, die stets geschmackvoll zur Schau gestellt wurden, erwiesen sich schnell als Kassenmagnet (vgl. Dutton 1995: 229f.). Nur in der Zirkusmanege konnte man sich in der ansonsten weitestgehend (noch) prüden, weil partiell streng religiösen Gesellschaft erotische Anregungen holen. Außerdem war es für den individuellen Zuschauer überaus praktisch, dass man während der voyeuristischen Tätigkeit in der Anonymität der Zuschauerränge nicht auffiel. Von bestimmten Zirkusartisten, die es gut verstanden ihren Körper zu vermarkten, stammen auch die ersten Bodybuildingtrainingsbücher4 sowie Poster (vgl. Wedemeyer 1996: 34ff.). Hauptsächlich die Fotografie und damit verbunden die Verbreitung und Vermarktung diverser Athleten-Poster machten die Kraftathletik zunehmend populärer. Noch heute spielt die Fotografie eine sehr wichtige Rolle in der KörperkultSzene. Mertens und Vahl (1995: 32ff.) zeichnen anhand einer Vielzahl von Anleitungsbüchern für effektives Hanteltraining, die oft ohne fotografische Unterlegung nicht auskommen, die »Körperkulturideologie« der jeweiligen Zeitspanne nach. Mittels exemplarischer Beispiele aus der Hochkonjunkturzeit der Produktion an Bodybuildingtrainingsbüchern im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts sowie später speziell ab der Zeit um 1980 wird herausgearbeitet, wie solche Publikationen nicht nur der Verbreitung tradierter Trainingsmethoden und -techniken, sondern auch einer nachhaltigen Vermittlung gewisser Körperideologien nutz-

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Zur gesellschaftlichen Funktion und Wirkung von szeneüblichen Trainingsbüchern – ausgehend von denen Sandows über die von Pearl bis hin zu denen von Yates – vgl. Mertens und Vahl (1995: 32ff.).

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ten, welche auch für die Gegenwart noch uneingeschränkte Geltung besitzen. Bodybuildingbücher zielen auf eine Art Vervollkommnung privater Glücksseligkeit via systematisch-planvollem Hanteltraining ab und postulieren eine Art »Ersatzreligion« (vgl. Weis 1995). Jedoch gilt es hierbei zu verdeutlichen, dass diese Bücher auf keinen Fall aus uneigennützigen Beweggründen geschrieben wurden. Vielmehr wollten ihre Autoren möglichst viel Geld erwirtschaften. Nicht etwa Altruismus stand im Vordergrund, sondern nur Profitmaximierung. So verdiente sich z.B. Eugen Sandow5 (1867-1925) sowohl durch seine »Kraftsportschulen«, die man aus heutiger Perspektive heraus betrachtet als eine Vorform der Fitness-Studios bezeichnen kann, als auch durch seine präferierten Trainingssysteme, die er in unzähligen Büchern und Artikeln publizierte, ein achtenswertes Vermögen (vgl. Dutton 1995: 119ff.). Sandow, der bereits als Halbwüchsiger um 1880 mit kleineren Zirkussen und Schaustellern durch ganz Europa zog, war der Sohn eines relativ dürftig situierten Königsberger Gemüsehändlers. Durch die Bekanntschaft mit Prof. Attila,6 der ebenfalls ein ausgewiesener Kraftmensch war und zu dieser Zeit durch geschicktes Management schon zu großem Reichtum gekommen war, lernte Sandow aus seiner unglaublichen Kraft und seinem phänomenalen Körperbau Profit zu schlagen (vgl. Wedemeyer-Kolwe 2004: 298). »By the beginning of the twentieth century, Eugen Sandow was one oft the best known men in the world. Perhaps just as significantly, he was the possessor of the world’s best known body« (Dutton 1995: 124f.). Während er den Zenit seiner Karriere erreichte, besaß Sandow neben einem ausgeprägten Geschäftssinn auch den Ruf ›stärkster Mensch der Welt‹ zu sein. Das war sicherlich die ausschlaggebende Prämisse für seinen geschäftlichen Supererfolg (vgl. Strzeletz 1982: 19ff.).

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Das Leben, Handeln und Wirken des Bodybuilding-Superstars Eugen Sandow zeichnet Wedemeyer (1996: 94ff.) nach. Vgl. dazu auch ausführlicher Chapman (2006). 1844 in Karlsruhe geboren, ging Louis Dürlacher alias Prof. Attila als Lehrmeister des »großartigen« Sandows sowie als Besitzer des damals bekanntesten Sport-Studios in New York in die Annalen der modernen Kraftsportgeschichte ein (vgl. Würzberg 1987: 90ff.).

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Sandow war ohne jeden Zweifel der Glamour-Athlet seiner Zeit (vgl. Klein 1991: 191f.). Allerdings war es damals so eine Sache mit dem Attribut »stärkster« Mensch (bzw. Mann) der Welt. Denn »es gab weder Vorschriften noch Regeln, noch irgendeine einheitliche Meßlatte zur Ermittlung von Kraftleistungen« (Wedemeyer 1996: 25) für den Zirkus- und Varieteebereich. So ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass es immer mehrere Athleten gleichzeitig gab, die sich als »stärkster Mann« der Welt bezeichnen ließen.7 Trotzdem wurden analog zu den Siegern bei den neuzeitlichen Olympischen Spielen die Kraftmenschen zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts immer »mit den höchsten aller sportlichen Superlative (schnellster Mann der Welt/stärkster Mann der Welt) ausgezeichnet« (Gebauer 2002: 103f.). Sprachliche Übertreibungen dieser Art entsprechen einerseits der Logik des jeweiligen Diskurses, etwa der Struktur des olympischen Diskurses oder der des zirkusspezifischen; andererseits aber auch der Logik des modernen Marktes. »Bald interessierte sich das Publikum mehr für Sandows Körper als für seine Kraftakte, und er ging dazu über, auf die Darbietung von Kraftakten ganz zu verzichten und lediglich mit einem Feigenblatt bekleidet zu posieren« (Gießing/Hildenbrandt 2005: 141). Dies wird oft als der eigentliche Entstehungszeitpunkt des Bodybuildings gedeutet. Weltweiten Ruhm erlangte Sandow, der »Stärkste« unter den Stärksten der Welt, letztendlich jedoch dadurch, dass er sich das revolutionäre Bildmedium, also die Fotografie, sehr geschickt zu Nutze machte (vgl. Würzberg 1987: 92ff.). Etliche Bilder von ihm mit geschmackvoll abgestimmten Hintergrundmotiven und kraftvollen Posen, in denen er seinen Körper in atemberaubender Weise zur Schau stellt, waren besonders in Nordamerika und Europa zum regelrechten Verkaufsschlager geworden (vgl. Bredenkamp/Krägermann/Urbansky 1993: 155ff.). Ein Foto, das ihn lediglich mit einem Feigenblatt bekleidet in einer eleganten und dennoch sehr kraftvollen Pose zeigt, gilt selbst heute noch als Klassiker in der Bodybuildingszene und dient als Dekoration vieler Studiowände (vgl. Schwarzenegger 1993: 25f.). Die Popularität von

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Wie es Wedemeyer (1996: 25ff.) berichtet, dokumentierte der Münchner Sportjournalist Josef Haupt in seiner populärsten Publikation »Die Stärksten« aus dem Jahr 1928 in frappierender Anschaulichkeit etliche Höchstleistungen verschiedener Kraftmenschen seiner Zeit.

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Athleten mit Format eines Sandows war zu ihren Lebzeiten so hoch, dass man sie durchaus mit dem Bekanntheitsgrad heutiger Spitzensportler vergleichen kann (vgl. Gießing/Hildenbrandt 2005: 140f.). Sandow und Konsorten konnten Veranstaltungshallen, wie etwa die »Royal Albert Hall« in London, mit bis zu 15000 Zuschauern füllen, die den Kraftdarbietungen der Muskelmenschen mit größtem Entzücken von der ersten bis zur letzten Minute folgten (vgl. Müller 2004: 7ff.). Dementsprechend waren sie die ersten Athleten, die sich auch außerhalb der Zirkuszelte einem zahlenden Publikum präsentierten. Leider können in der vorliegenden Studie nicht alle Kraftathleten, die für die geschichtliche Entwicklung des Bodybuildings sowie des Fitness-Sports wichtig sind, namentlich erwähnt und im angemessenen Maße gewürdigt werden. Das bleibt den sportgeschichtlich inspirierten Abhandlungen zu dieser Thematik überlassen, so wie sie beispielsweise von Gießing (2002a: 11ff.), Schwarzenegger (1993), Strzeletz (1982), Wedemeyer-Kolwe (1996; 2004) oder auch Würzberg (1987) auf den Weg gebracht wurden. Sandow nimmt dabei eine hervorzuhebende Rolle unter den zahlreichen Top-Athleten und Avantgardisten der frühen Bodybuildinggeschichte ein.8 Denn nur durch ihn wurde der Terminus »Bodybuilding« überhaupt erst zu einer gesellschaftlich etablierten Begrifflichkeit. Er veröffentlichte im Jahr 1905 ein Buch mit dem Titel »Bodybuilding or Man in the Making«, das nicht nur ein Klassiker werden sollte, sondern einer sich neu konstituierenden Sportform bzw. Sportart seinen Namen gab. In diesem Buch wird in ersten Ansätzen auch die Bedeutsamkeit des Bodybuildings für die moderne Gesellschaft diskutiert – besonders im Hinblick auf Fehlentwicklungen der neuen, also der modernen Lebensweise (vgl. Wedemeyer 1996: 104f.).9 Aus diesem Buch Sandows ist zu ersehen, dass Bodybuilding angeblich mehr darstelle als lediglich eine »Sportart«, da es vielseitige positive Auswirkungen auf andere Lebensbereiche habe (1905, zit. nach Schwarzenegger 1993: 25). Sandow moniert speziell die eklatant »grobe Vernachlässigung des Körpers«, die für ihn durch die damaligen ge-

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Zu Eugen Sandow und die Geburtsstunde des Bodybuildings vgl. ausführlicher Chapman (2006). Hierzu vgl. auch Wedemeyer (1999b: 416ff.).

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sellschaftlichen Begebenheiten determiniert sei. Er bemerkt in einem seiner anderen Bücher: »Der Druck und der Kampf des modernen Lebens haben gesunde Gewohnheiten ziemlich erheblich unterdrückt. Es gibt tausende und abertausende unserer Bevölkerung, welche nachts müde zu Bett gehen und morgens müde wieder aufwachen. Ein vielleicht noch größerer Teil weiß, was es heißt, Tag und Nacht unter nervösen Anspannungen zu leiden, welche durch die übermäßige Konkurrenz verursacht worden sind. […] Das ist ein Leben, in welchem das körperliche Element nicht existiert und welches absolut sicher mit vollständigem körperlichem Ruin endigen wird.« (Sandow 1902: 22)

Sandow und viele seiner Mitstreiter legten dem von Dekadenz befallenen Menschen der funktional differenzierten Gesellschaft ein erfolgsversprechendes Gegenmittel nahe, nämlich das des Bodybuildings. Mit gezieltem Hanteltraining solle man dem Körper und dem Geist wieder zu neuer Kraft verhelfen (vgl. Wedemeyer 1999b: 417). Auf diese Art und Weise argumentierten sie mit großer Vehemenz, wenn auch größtenteils nur implizit, fürs Bodybuilding als eine vielversprechende Gegenmaßnahme oder sogar als essentielles Gegenprogramm zu einer gesellschaftlichen Entwicklung, in der sich das zeitgemäße Subjekt von seinem Körper weiter und weiter zu distanzieren schien. Jedoch muss man nochmals betonen, dass auch Sandows primäres Ziel im Geldverdienen lag und nicht in der Erfüllung der Rolle eines altruistisch motivierten Gesellschaftskritikers.

3.2 Bodybuilding in der Lebensreform Obgleich die meisten prominenten Athleten und Protagonisten des frühen Bodybuildings viel zur Entwicklung und Ausreifung dieser Sportart beigetragen haben (vgl. Emrich 1992: 10), waren sie doch alle hauptsächlich an ihrem eigenen wirtschaftlichen Profit interessiert, was ihre Leistungen für das Bodybuilding allerdings in keiner Weise schmälert. Unabhängig von diesen namhaften Persönlichkeiten konnte sich das Bodybuilding – auf längere Sicht gesehen – nur erfolgreich konstituieren, weil es eine alternative sowie antimoderne Lebensform – oder noch

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etwas rabiater ausgedrückt: eine Protestbewegung – zu gewissen Gesellschaftsentwicklungen dieser Zeit darstellte (vgl. Wedemeyer 1999b: 414ff.).10 Es ist ein elementarer Wesenszug der Moderne, dass sich aus ihr heraus auch lautstarke Kritiken gegen die Moderne formieren, »dass sich viele Stimmen immer wieder von den Errungenschaften dieses Entwurfs distanzieren und nach Alternativen suchen« (Dewald 2005: 238). Analog dazu führte auch die Zurückdrängung des Körpers zu gegenläufigen Protestbewegungen. »In die Reihe dieser Bewegungen ist auch jene Form des Umgangs mit dem Körper einzureihen, die man als Bodybuilding bezeichnet.« (Emrich 1992: 10) Schwarzenegger (1993) zeichnet in seinen glorifizierenden Ausführungen zur Entstehung und Gesamtgeschichte des modernen Bodybuildings nach, wie sich zunächst das Krafttraining und Gewichtheben – man könnte sagen: die Vorformen des Bodybuildings – als Reaktion auf die vielen negativen Folgeerscheinungen einer entstehenden ›Megaindustrienation‹, nämlich den Vereinigten Staaten von Amerika (USA), konstituierten. Denn das Projekt der Moderne blieb auch in den USA nicht von Kritik verschont. Dieser Umstand der umfassenden kritischen Reflexion der modernen Gesellschaft durch die moderne Gesellschaft bildete den optimalen Nährboden für die Entstehung sowie Etablierung des Bodybuildings. Den USA kommt dabei ohne jeden Zweifel eine besonders avantgardistische Rolle in der Etablierungsgeschichte des körpermodellierenden Kraftsports zu (vgl. Dilger 2008: 93ff.). Speziell im aufstrebenden Amerika, in dem die Industrialisierung Ende des 19. Jahrhunderts schon längst in vollem Gange war, interessierte man sich für den Zusammenhang zwischen einer gut austrainierten muskulösen Körperlichkeit und einer dadurch eventuell begünstigten Gesundheit, wobei die festgelegte Richtung dieses ohnehin lediglich unterstellten Korrelats bis heute in Kraftsportkreisen niemals ernsthaft in Frage gestellt worden ist (vgl. Burrmann 2008: 369f.).11 Viele prominente Bodybuilder zog es im Verlauf ihrer Karriere in die USA, wo sie

10 Als Ergänzung zur These des Bodybuildings als eine Gegenbewegung zur Moderne vgl. auch Müller (2004: 40f.), der den modernen Sport zu einem Resultat des »Maschinenzeitalters« erklärt. 11 Dass körperliche Aktivität und Gesundheit nicht zwingend miteinander korrelieren, fanden u.a. Singer und Wagner (2001) heraus.

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bessere Bedingungen für das Ausüben ihres Sports vorfanden als etwa in Europa. So gilt Venice Beach in Kalifornien damals wie heute als Mekka des Kraftsports. Somit erklärt sich, dass vom »nordamerikanischen Bodybuilding« von Beginn an relativ starke Ausstrahlungseffekte auf andere Regionen der Welt ausgingen. Auch waren es Bodybuilder der amerikanischen Westküste, von denen dokumentiert ist, dass sie sich bereits Ende der 1940er Jahre mit Hormonen – vornehmlich mit Testosteron12 – dopten (vgl. Müller 2004: 7f.). Ein erheblicher Bevölkerungsanteil lebte während der vorindustriellen Blütezeit der Agrarbewirtschaftung noch auf dem Land. Das damalige Dasein zeichnete sich primär durch eine enge Verbindung mit der Natur – unter Berücksichtigung ihrer Rhythmen und Zyklen – aus. Nachdem man sich im Laufe der Modernisierung vom traditionellen Leben auf dem Land abwandt, wurde prompt das Landleben von diversen Pro-Naturbewegungen als ›Idylle‹ rekonstruiert, »in der die Bevölkerung in vertrauten Gemeinschaften ein hartes, aber gesundes, vom Diktat der Natur und nicht der Zeit bestimmtes Leben führen konnten« (Dewald 2005: 239). Vorwiegend durch den Industrialisierungsprozess initiiert, setzte eine starke Landflucht ein. Menschen zogen massenhaft von den Farmen und den Kleinstädten in die ›hypermodernen‹ Großstädte, um dort Arbeit sowie materielles Glück zu finden. Die urbanen Großstädte waren das Herzstück des wirtschaftlichen Modernisierungsprozesses. Wer direkt in ihnen lebte, lebte am Puls der Zeit. Der Ausbau des öffentlichen Verkehrsnetzes (Straßenbahnen, U-Bahnen, Busse etc.) und ganz besonders die allmähliche Verbreitung des Automobils ermöglichte den Menschen eine tief greifende Mobilitätssteigerung. Derartige Veränderungen in der Gesellschaft, »die auch als Modernisierung oder Strukturwandel bezeichnet [werden] oder als Transformationsprozess einer Arbeits- und einer Wissensgesellschaft« (Bruns 2007: 67f.), verlaufen auf der zeitlichen Ebene bis in die Gegenwart zunehmend schneller. Modernste Technik ersetzte den menschlichen Körper in vielerlei Hinsicht und machte ihn in weiten Teilen sogar überflüssig. »Technisie-

12 Kemper (1990) plädiert bezüglich einer Auseinandersetzung mit sozialen Strukturen und Testosteron für einen interdisziplinären Zugang, bei dem Soziologie, Psychologie und Endokrinologie zu verbinden seien.

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rung und Industrialisierung heben die vormals enge Verbindung von Körper und Arbeit auf« (Bette 2005: 28). Eine zweckdienliche Grundtendenz, durch die der Mensch in etlichen Bereichen der wirtschaftlichen Produktion durch Maschinen verdrängt wurde und noch wird, setzte damals ein und spitzt sich zu. Weber und Winckelmann (2002: 873f.) demonstrieren mit Hilfe einer systematisierenden Analyse, wie durch »Rationalisierungsbestrebungen« der Wirtschaft der »psychophysische Apparat des Menschen völlig den Anforderungen, welche die Außenwelt, das Werkzeug, die Maschine, kurz die Funktion an ihn stellt, angepasst« wird. Damit deuten sie den menschlichen Körper – der nach industriellen Maßstäben zugerichtet sei – als Maschine um, die nur noch nach standardisierten Leistungsnormen funktioniere (vgl. Krauß 2000: 74f.).13 Parallel zur fortschreitenden »Technologisierung« der Wirtschaft breitete sich ab 1900 die vermehrt sitzende Lebensweise in rasanter Geschwindigkeit aus, woraufhin sich in der sog. Volksgesundheit schnell die ersten gravierenden Probleme abzeichneten. Damals wie heute resultieren viele der weit verbreiteten Gesundheitsdefizite fast ausschließlich aus falscher Ernährungsweise, dauerhaftem Stress sowie chronisch gewordenem Bewegungsmangel (vgl. Schwarzenegger 1993: 24). Diese Fehlentwicklungen haben allem Anschein nach gegenwärtig noch nicht ihren Höhepunkt erreicht. Die Primärfunktion des muskulösen Körpers veränderte sich damals von Grund auf. Zusammengefasst: »Da der muskulöse Körper in der automatisierten Industriegesellschaft seine Aufgabe als nützliches und funktionierendes Arbeitswerkzeug weitgehend verloren hat, wandelte sich seine Funktion all-

13 Vor diesem Hintergrund ist zum Doping im Hochleistungssport resümierend festzuhalten, dass sich der traditionelle Wettkampfsport industrieller Technologien bedient, die den menschlichen Körper durch den Beitrag verschiedener Wissenschaftsdisziplinen in eine leistungsfähige und unermüdliche Maschine verwandeln sollen. Speziell die Logik der Konkurrenz, die sich aus dem Sieg-/Niederlage-Code speist, macht den Rückgriff auf verbotene Substanzen und zweifelhafte Trainingsmethoden für viele Athleten unausweichlich (vgl. Hoberman 1994).

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mählich zu einem Symbol für Ästhetik, Gesundheit und Identität um.« (Wedemeyer 1999b: 409)

Die neue Funktion des muskulösen Körpers ist demnach nicht mehr in seiner industriellen Verwendung, sondern in seiner individuellen Präsentation zu sehen und das auch in Lebensbereichen jenseits der Wirtschaft. Das Resultat dieser (negativen) Folgeerscheinungen der Industrialisierung liegt u.a. in den »Körperkulturbewegungen«, die sich ab dem Ende des 19. Jahrhunderts unter dem Deckmantel straff organisierter, aber in weiten Teilen auch non-formaler Gegen- oder Protestbewegungen kundtaten.14 Zu ihnen zählt man z.B. die »sozialen Utopien« im Rahmen der Freikörperkultur, der Rhythmischen Gymnastik oder des Bodybuildings (vgl. Wedemeyer 1999b: 414f.). Diese Facetten der Lebensreform15 waren Teil einer breit angelegten Bewegung, die das Verhältnis der Menschen zu ihren Körpern nachhaltig beeinflusste. »Die Körperkulturbewegung war auf geistige und körperliche Fitness ausgerichtet und wird […] mit dem zeitgenössischen Begriff ›Bodybuilding- und Fitnessbewegung‹ bezeichnet. Sie spiegelt die Bedürfnisse der Gesellschaft im Deutschen Kaiserreich und der darauf folgenden Zeit der Weimarer Republik nach Individualisierung und Sinnsuche wider.« (Dilger 2008: 46)

Alle in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts tradierten Gesundheits- und Hygienegewohnheiten, die Ernährungstaktiken sowie die gesamte Körperideologie des frühen Bodybuildings konvergierten mit den

14 Emrich (1992: 10ff.) deutet die »Körperkonjunkturbewegung« in modernen Gesellschaften, an deren Spitze das klassische Bodybuilding steht, »als [einen] Reflex gegen die Vereinnahmung des Körpers im industriellen Produktionsprozess.« 15 Die sog. Lebensreform ist in engem Zusammenhang mit der Körperkulturbewegung um 1900 zu verstehen. Die beiden Begrifflichkeiten lassen sich definitorisch kaum voneinander trennen. Zeitgenossen betrachteten die Körperkulturbewegung als Element der deutschen Leibesübung und damit als eine neue eigenständige Säule neben dem Turnen und dem Sport (vgl. Wedemeyer-Kolwe 2004).

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Vorstellungen anderer zeitgenössischer Sozialbewegungen. Es gab frappierende Parallelen zum aufkommenden Vegetarier-Kult – und mit den zunehmend boomenden fernöstlichen Gymnastikpraktiken (wie z.B. mit dem Yoga). Grundsätzlich gab es zur Lebensreform in ihrer facettenreichen Gesamtheit vielseitige Entsprechungen (vgl. Wedemeyer-Kolwe 2004: 296f.). Dies wird eindrucksvoll durch die Konzepte der 1901 eröffneten »Trainerschule für Körperkultur«, die vom legendären Athletenvater Theodor Siebert16 geleitet wurde, anschaulich bestätigt. Nach Emrichs (1992: 10ff.) Recherchen eröffnete Siebert in Alsleben an der Saale das erste professionell geleitete deutsche Fitness-Studio. Siebert war selbst passionierter Kraftsportler, Vegetarier und praktizierender Buddhist (vgl. Wedemeyer-Kolwe 2004: 12ff.). Sein ausgeklügeltes Körperertüchtigungsprogramm, das den Athleten (im soziologischen Sinne einer Hyperinklusion) alles abverlangte, beinhaltete über die mannigfachen Kraftübungen hinaus einen akribisch geplanten Tagesablauf mit stark ausgeprägten asketischem Gehalt.17 Sexuelle Enthaltsamkeit, Verzicht auf Fleisch und Alkohol, Zyklen des hartnäckigen Fastens, zeitlich pedantisch abgestimmte Gymnastikeinheiten oder ausgedehnte Spaziergänge waren an der Tagesordnung. Summa summarum war Siebert einer der reputationsträchtigsten Persönlichkeiten und Promotoren im Kraftsport, und dies sowohl in Zusammenhang mit dem Bodybuilding als auch mit der Lebensreform (vgl. Wedemeyer 1999a). Zu Beginn des 20. Jahrhunderts forderte man im Rahmen der Lebensreformbewegung, die eine Erneuerung der bisher üblichen Lebensführung beabsichtigte, gravierende Änderungen im Umgang mit dem eigenen Körper. Nach Bernett (1992: 257f.) sind die wichtigsten Forderungen folgende: Erstens eine Pflege des Körpers in seiner Gesamtheit. Zweitens ein natürlicher und ungezwungener Umgang mit dem physischen Körper, woraus die Begrifflichkeiten »Nacktkultur« und »Freikörperkultur« (FKK) als wohl diejenigen mit der größten historischen Kontinuität hervorgegangen sind. Und drittens ein gezieltes Training der ›verkümmerten‹ Körperfunktionen, die als eine unmittelbare Folge des Zivilisationsprozesses zu bewerten seien – selbstverständlich waren

16 Zur Biographie Theodor Sieberts vgl. auch Wedemeyer (1999a). 17 Zur »Askese« vor dem Kontext sportlicher Aktivitäten vgl. ausführlicher Koßler (2001: 288ff.).

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die praktizierten Formen der Körperertüchtigung immerzu mit der Zielsetzung der muskulären Anpassung an den jeweiligen Belastungsreiz zu betreiben. Die Lebensreformbewegung kann man in Anlehnung an Wedemeyer (1999b: 414ff.) etwas simplifizierend als die größte »Zurück-zur-Natur-Bewegung« benennen. Die moderne Zivilisation, die mit einer unnatürlichen Lebensweise verbunden sei, sollte hinsichtlich der verkommenen Haltung zum eigenen Körper im Rahmen dieser Bewegung umgekehrt werden. Dazu schreibt Sandow (1902: 17): »Die Schäden auszumerzen, für die die Zivilisation und all die Anhängsel, die sie in ihrer Begleitung mit sich gebracht hat, verantwortlich gewesen sind, indem sie die Menschen ihre Körper leicht vernachlässigen ließ, das ist das Ziel der Körperkultur.«

Natürlich sah Sandow insbesondere im Bodybuilding die ›erhabenste‹ Form einer praktischen Umsetzung der oben dargestellten Zielsetzungen wie auch Inhalte der Lebensreform, da das Bodybuilding alle skizzierten Forderungen uneingeschränkt erfülle. Die Lebensreform entwarf ein antiindustrielles sowie rückwärtsgewandtes Gesellschaftsbild. Das Endziel lag in einem »ganzheitlichen«, gesunden, spirituell bewussten und körperlich harmonischen Menschen. Dazu formuliert Honer (1995: 183): »Den Körper gilt es wiederzuerobern gegen eine degenerierende Umwelt, gegen eine zermürbende Zivilisation, gegen einen allzu bequem gewordenen Alltag«. Nicht selten übernahm das Bodybuilding eine vorkämpferische Rolle in der Entwicklungsdynamik dieser Alternativ-Bewegungen, die sich unter dem Begriff der Lebensreformbewegung subsumieren lassen. Kurz: »Etliche Ideen der Bodybuilder wie etwa die Neigung zum Nacktsport, die Ausrichtung von Muskelkonkurrenzen oder die Gründung von Sportluftbädern sind bereits vor der eigentlichen FKK-Bewegung formuliert worden« (Wedemeyer-Kolwe 2004: 297). Nun stellt sich die Frage, welche gesellschaftlichen Bedingungen konkret zu diesen Reformbewegungen geführt haben. Dies lässt sich mit dem Einsetzen und Fortschreiten der Industrialisierung in ersten Ansätzen recht gut beantworten. Einige sportwissenschaftliche Publikationen liefern unter Bezugnahme auf soziologische Theorien gute Argu-

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mente, die das Sportsystem und die Wachstums- oder Strukturwandlungsprozesse der Industriegesellschaft als Korrelat thematisieren (vgl. Eichberg 1979). Mit diesen Wandlungsprozessen, die in Deutschland erst Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzten, sind beispielsweise die neue wirtschaftliche Produktion, die neuartigen Energiequellen, das stärker ausgeweitete Verkehrsnetz, die besseren Kommunikationsmedien, die sich beständig ausbreitende Verstädterung, die sprunghaften Fortschritte im Gesundheitswesen, das deutlich optimierte Nahrungsmittelangebot, das jeden erfassende Ausbildungswesen – anders gesagt: die späte Phase der funktionalen Differenzierung gemeint. Obwohl alle genannten Wandlungsprozesse auf den ersten flüchtigen Blick positiv zu sein scheinen, ist dieser Fortschritt dennoch stets ein ambivalenter. Denn simultan entstehen auf der Kehrseite der Medaille wirtschaftliche Depressionen, politische Kontroversen, soziale Konflikte und ungleiche Chancenverteilungen. Auch gegenwärtig immer noch gebräuchliche Schlagworte, wie etwa Spezialisierung, Bürokratisierung, Anonymität, Sinnleere oder Entfremdung,18 bekamen eine gänzlich andere Bedeutung und wurden als negative Folgen des Industrialisierungsprozesses immer häufiger und drastischer in den verschiedensten Formulierungszusammenhängen argumentativ angeführt (vgl. Begov 1990: 179ff.). Das Bodybuilding hat sich als eine günstige Chance angeboten, den mannigfaltigen Fehlständen der Moderne mit Vehemenz entgegenzuwirken. Viele schlechte Einwirkungen auf die physische und psychische Gesundheit glaubte man durch ein systematisch-planvolles Krafttraining inklusive des bodybuildingspezifischen Lebensstils umkehren zu können. Der Kraftsport nährte sich gewissermaßen aus den Defiziten der (westlichen) Industrienationen. Dadurch lässt sich auch begründen, warum sich das Bodybuilding gerade in den großen Industrienationen dauerhaft etablieren und – im Sinne einer Binnendifferenzierung – immer weiter ausdifferenzieren konnte. Ohne eine derartig parasitäre Entwicklung wäre die Erfolgsgeschichte von der Zirkusattraktion hin zur

18 »Überall ist der Mensch von sich selber weggekommen; überall hat er seine echten menschlichen Daseinsmöglichkeiten verloren. Das ist der Sinn dessen, was Marx die ›Selbstentfremdung‹ des Menschen nennt.« (Wieschedel 2001: 253)

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Sportart Bodybuilding, und dann ein wenig später hin zum Massenphänomen Fitness, kaum möglich gewesen. Bodybuilding war und ist eine besonders subtile Form des Protestes, die sich als Gegenbewegung mit entsprechendem ideologischem Unterbau zu vermarkten wusste – und auch heute noch weiß. Als Beleg sei hierbei nur an die Vielzahl an Veröffentlichungen zur Praxis des Bodybuildings erinnert, die sich seit dem 19. Jahrhundert angesammelt hat (vgl. Mertens/Vahl 1995). Anders artikuliert, kann man den Bodybuildingsport auch als Gegenwelt19 zur Moderne begreifen. Der Kraftsport als eine eigene »Sinnprovinz«, in der das Subjekt den Verlockungen und Gefahren der Industrialisierung stur trotzt (vgl. Meinberg 2002: 100ff.). In ihr werde die weit verbreitete Bequemlichkeit und der ausufernde Bewegungsmangel eines weitestgehend vom sinnlichen Genuss (Essen, Sex, Alkohol etc.) dominierten modernen Lebensstils in sein radikales Gegenteil verkehrt, wie an späterer Stelle noch genauer beschrieben wird. Jedoch mangelt es diesem Ansatz an aussagekräftigen Erklärungen. Extrem unterschiedliche Erklärungsansätze für die Entstehung und Weiterentwicklung des systematisch-planvollen Hanteltrainings und somit auch des Bodybuildings in seiner hochkomplexen Gesamtheit lassen sich von Begov (1990: 180ff.) ableiten. Analog zu seinem Erklärungsmodell für den aus England stammenden modernen Sport in seiner heutigen Gestalt ergeben sich folgende Ansätze: 1. Bodybuilding entstand in etwa zeitgleich mit der Industrialisierung: Als Bekräftigung dieser These lässt sich auf die frühe Historie des Bodybuildings verweisen, die parallel zum Industrialisierungsprozess bodybuildingspezifische Formen der Bewegung, Motivation und letzten Endes auch eigenständige Einrichtungen bzw. Organisationen (Studios, Verbände u.Ä.) hervorbrachte. 2. Bodybuilding weist kongruente Strukturen mit der Industrialisierung auf: Als Beleg kann man unter Verweis auf Punkt a) hinzufügen, dass eine Rationalisierung und Leistungsoptimierung als cha-

19 Zur Begrifflichkeit der Gegenwelt vgl. auch Meinberg (2002: 96f.) und Dewald (2005: 237ff.).

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rakteristische Kennzeichen der Moderne auch den Bodybuildingsport mehr und mehr prägten.  3. Bodybuilding kompensiert Mängel der industrialisierten Moderne: Diese Hypothese sieht im Bodybuildinglebensstil eine komplementäre Lebensform zu dem ansonsten in industrialisierten Gesellschaften üblichen Lebensstil. Das gegenwärtige Bodybuilding baut seine großen Fortschrittserfolge auf dem Vorzug auf, dass es sich als geeignet erweist, die vielen negativen Folgeerscheinungen der Industrialisierung auszugleichen.  4. Bodybuilding stellt ein Phänomen dar, das im Gegensatz zur Moderne steht: Dies wird durch die leicht erkennbare Andersartigkeit des Bodybuildings im direkten Vergleich zur Industriegesellschaft deutlich. Gegenüber der Kompensationshypothese von Punkt c), die das Bodybuilding als Folgeerscheinung versteht, gilt es bei diesem Ansatz, die generelle Eigenständigkeit und das Moment der Freiwilligkeit in Bezug auf das Bodybuilding in Abgrenzung zur industriellen Arbeit hervorzuheben.

Offenbar kommen im Bodybuilding stets moderne und anti-moderne Momente simultan zum Ausdruck. Da sich dies auch auf der Mesoebene, also der Organisationsebene der Systembildung (vgl. Kapitel 1), in vielfacher Weise niederschlägt, sind in Kapitel 4 nun die Orte des Kraftsports in Gestalt der kommerziellen Fitness-Studioeinrichtungen genauer zu beleuchten. Nach Dietrich et al. (1990: 35) meint kommerziell »[…] eine erwerbswirtschaftliche Organisationsweise, d.h., es handelt sich um eine über Markt und Geld vermittelte Erstellung eines ›Gutes‹, wobei das Ziel des Anbieters […] die Erwirtschaftung von Mitteln zur Sicherung seines Lebensunterhaltes ist«. Mit dem Begriff FitnessStudios sind heutzutage große Sport-Anlagen gemeint, die sich auf ein Ausüben sportlicher Betätigung (Kraft-, Kardio- und Aerobic-Training) spezialisiert haben. Im Zentrum steht immer das systematisch-planvolle Kräftigungstraining mit Widerstandsgeräten, Hanteln und Trainingsmaschinen.

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»Als ›Fitnessbranche‹ ist der große Wirtschaftszweig zu bezeichnen, der in diesem Zusammenhang expandierte und immer zahlreichere und verschiedenartigere Sparten bzw. Unternehmen, Institutionen, Organisationen etc. anzog und neu entstehen ließ, die die Entwicklung weiter vorantrieben.« (Dilger 2008: 40)

4 O RTE DES K RAFTSPORTS : ›M UCKIEBUDEN ‹ UND H IGH -T ECH -S TUDIOS Nachdem sowohl »vormoderne« als auch moderne Entwicklungsstufen des systematisch-planvollen Hanteltrainings vor dem jeweiligen gesellschaftlichen Kontext diskutiert wurden, ist eine Thematisierung der dazugehörigen Institutionen bzw. Organisationen unerlässlich. Das heißt, dass sich die nachfolgenden Kapitel hauptsächlich mit der Entstehung und Entwicklung kommerzieller Fitness-Studios beschäftigen, denen als räumliche Beheimatung des systematisch-planvollen Hanteltrainings – oder treffender formuliert: des körpermodellierenden Krafttrainings – in dieser Studie eine zentrale Rolle zukommt. Denn es ist kein Zufall, dass sich das Bodybuilding gerade vor dem Hintergrund funktional differenzierter Gesellschaften zu konstituieren begann, für die ein zahlenmäßiger Anstieg hochspezialisierter Organisationen kennzeichnend ist (vgl. Schimank 2001: 278ff). Vorweg seien einige generelle Überlegungen zu Organisationen in funktional ausdifferenzierten Gesellschaften angestellt: Das heutige Alltagsleben der Menschen wird in weiten Teilen durch Organisationen vorbestimmt. Vom ersten Atemzug nach der Geburt an bis zum finalen Tod sind es verschiedenartige Organisationen, wie etwa Krankenhäuser, Kirchen, Unternehmen, Ämter, Schulen, Universitäten, Gefängnisse etc., die den einzelnen Menschen während seines gesamten Lebenswegs gewollt oder ungewollt inkludieren. Die von den Organisationen vorab festgelegten Regeln und Vorschriften stecken den individuellen Handlungsspielraum der Menschen weitgehend ab. Neben den Interessensorganisationen (Feuerwehrverein, Mietervereinigung, Sportverein etc.), in denen man »freiwillig« Mitglied werden kann, existieren auch Arbeitsund Zwangsorganisationen (Schule, Arbeitsamt, Unternehmen, Gefäng-

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nis etc.), denen sich der Einzelne kaum oder gar nicht entziehen kann. Generell gilt: »Menschen werden in organisatorisch bestimmten Milieus immer nur in eng begrenzten Rollenausschnitten wahrgenommen und nachgefragt. Die Chancen, sich jenseits der erwarteten Verhaltenspflichten sichtbar zu machen, sind dabei eher gering. Dies hat damit zu tun, dass Menschen in Organisationen häufig nur in Publikums- und Klientenrollen bedeutsam sein dürfen. Man darf zwar handeln, meist aber nur nach Anweisung, ansonsten wird man im Handeln betreut, überwacht oder ist in der einen oder anderen Weise Leistungsempfänger.« (Bette 2011: 29)

Generell sind Menschen in Organisationen unproblematisch und jederzeit austauschbar. Das führt zu Gefühlen der Entfremdung oder zu einer Gewissheit über die eigene ›Unbedeutsamkeit‹. Bei all dem Guten, das Organisationen für den Menschen hervor gebracht haben (Risikominimierung, Planungssicherheit, Grundabsicherung u.Ä.) – denn ohne vermehrte Organisationsbildungen wäre wohl auch keine funktionale Differenzierung der Gesellschaft (als eine Wohlstandsgesellschaft) möglich gewesen – haben Organisationen in Form von Nichtigkeitsgefühlen, Machtlosigkeit, Entmündigung u.Ä. auch viel Negatives für das moderne Individuum mit sich gebracht (vgl. Schimank 2001: 283ff.). So »droht das einzelne Subjekt in der Organisationsgesellschaft subtil zu verschwinden« (Bette 2011: 29f.). Dabei hat man als Subjekt unweigerlich zu lernen, sich mit den strukturell erzeugten Ambivalenzen sinnvoll zu arrangieren. Bodybuilding ermöglicht in diesem Zusammenhang eine Sichtbarwerdung oder -machung einzelner Personen, die sich dann auch in einem Kollektiv an Gleichgesinnten von allen Anderen zu distinguieren wissen. Insbesondere die Zunft der Bodybuilder ist ein strikt in sich geschlossener Zirkel von Individualisten, von denen man jeden Einzelnen als Inkarnation des Außeralltäglichen bezeichnen kann. An den muskelbeladenen Bodybuildern lässt sich sehr schön zeigen, dass das moderne Individuum auch in der organisationsdominierten Gegenwartsgesellschaft noch gut zur Geltung kommen kann, sofern man dazu bereit ist, durch Training erbarmungslos an seiner Körperoptik zu arbeiten. Body-

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builder sind auf Dinge spezialisiert, an denen es in der Gegenwart oft fehlt: Sichtbarkeit, Außeralltäglichkeit, geballte soziale Aufmerksamkeit oder Anerkennung – um nur einige wenige Aspekte zu nennen. Bodybuilding eröffnet seinen Akteuren die Möglichkeit, »aus dem Einerlei ihres Alltags, aus den Routinen einer ›nivellierten Wohlstandsgesellschaft‹ und der damit verbundenen lähmenden Mittelmäßigkeit über [spezielle Individualisierungsmaßnahmen] zumindest zeitweise auszubrechen« (ebd.: 29). Die den Veränderungen auf der Organisationsebene geschuldeten Umstellungsprozesse auf der Akteursebene (bzw. der Interaktionsebene) strahlen sodann wieder auf die Organisationsebene zurück und initiieren dort erneut Veränderungen. Mit der oben skizzierten allmählich konkreter werdenden Prioritätenverschiebung vom Attribut der Körperkraft zum Attribut der Muskeloptik veränderte sich auch die Fitness-Studiolandschaft in ihrer organisationalen Grundstruktur zusehends. Die gegenwärtige Organisationsstruktur der kommerziellen Fitnessbranche in ihrer Gesamtheit – und dabei insbesondere die des Bodybuildingsektors – hat ihren Ursprung zweifellos in den ersten Fitness-Studio-ähnlichen Trainingsinstitutionen, die jedoch von der Begrifflichkeit »Fitness« noch weit entfernt waren. Diesen organisationalen Uterus der frühen Fitness-Studios gilt es im Folgenden mehr analytische Aufmerksamkeit zu widmen. Die ersten Fitness-Studio-ähnlichen Institutionen oder Trainingsstätten nach heutigem Muster entstanden in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts. Doch bereits 1854 gab es im Zentrum von Paris eine geräumige, mit großflächigen Zuschauerrängen ausgestattete Halle, in der in regelmäßigen zeitlichen Abständen Boxkämpfe veranstaltet und bald täglich in eingeschworenen Trainingsgruppen schweißtreibende Hantelund Kräftigungsübungen absolviert wurden (vgl. Wedemeyer-Kolwe 2004: 301f.). In derartigen meist ziemlich trostlosen sowie »heruntergekommenen« Hallen oder Kellern, die nicht selten düsteren Katakomben ähnelten, gab es die ersten Trainingsgemeinschaften schon lange Zeit bevor sich die kommerzialisierten Kraftsportschulen und -vereine als Vorformen der heutigen Sport-Studios vollends etablieren konnten. Anzumerken ist: »Die Kraftschulen vor und während der Zeit Sandows waren nicht nur zum vorzeigbaren Muskelaufbau konzipiert, der Effekt wurde nicht nur im Posing demonstriert, sondern sehr wohl auch in angestrebten Höchstleitungen im Gewichtheben« (Klein 1991a: 191).

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Im Alltagsgeschehen der damaligen Kraft-»Vereine«, Kraftschulen oder Sport-Studios – wie auch immer man sie benennen mag – konnte man den Gewichtheber kaum vom Bodybuilder unterscheiden. Beide Gruppierungen trainierten ohne jegliche Zwietracht Seite an Seite und kein Spezialistentum betrübte die Beziehungen, die man untereinander pflegte – was sich aber im Laufe der Zeit ändern sollte, wie es Kapitel 5 detailliert thematisiert. Zusätzlich wurden nicht selten auch Boxen, Ringkampf und artistische oder yoga-ähnliche Übungen erlernt (vgl. Dorsch 2004: 16ff.). Die Athletenrolle jener Zeit kam einer »Bricolage« gleich. Man bastelte sich seine eigene Sportform selbstständig zusammen. Der eine Athlet nahm dabei eine deutlich stärkere Gewichtung zugunsten der Schwerathletik vor, der andere bevorzugte höhere Anteile am Kampfsport. Wedemeyer-Kolwe (2004: 310ff.) konstatiert, dass die zunächst vergleichsweise langsame Ausbreitung der bundesdeutschen Sport-Studiolandschaft kein Sonderfall war, sondern sich im Rahmen der internationalen Entwicklungsdynamik kommerzieller Sport-Studios bewegte. Daher hat die folgende Darstellung der deutschen Studioentwicklung von ihren Grundzügen einen sehr hohen Übertragungswert auf andere westliche Industrienationen. In diesen Ländern stand zuerst die Demonstration der ›reinen‹ Körperkraft oder deren Umsetzung in kämpferischen Auseinandersetzungen innerhalb eines Ringes im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses (vgl. Groth 1987: 46f.). Eine kollektive Leidenschaft für die bloße Zurschaustellung einzelner Muskelgruppen zeichnete sich erst später ab. Der erste Mensch, der explizit den wettkampfmäßigen Vergleich der Muskeloptik in den Vordergrund stellte und nicht das messbare Resultat, also die Konzentration auf eine metrisch erfassbare Kraftleistung, war der Württemberger Max Sick (geb. 1882).20 Er war es, der den Aufbau des Athletenkörpers ausschließlich zugunsten optischer Gesichts-

20 Sicks Methode beinhaltete die bewusste Herrschaft über eine (isolierte) Muskelregion während des Trainingsprozesses, wobei die gebündelte Konzentration des individuellen Geistes voll und ganz dem zu trainierenden Muskel zu widmen sei (vgl. Würzberg 1987: 104f.). Diese Methode ist als die Geburtsstunde des sog. Splittrainings zu deuten. Zum Splittraining vgl. Weider (1991).

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punkte entfunktionalisierte. Folglich wird er und nicht Eugen Sandow von manchen als der eigentliche Erfinder des Bodybuildings gepriesen (vgl. Würzberg 1987: 104ff.). Von ihm stammt auch das erste Buch explizit zum Thema »Muskelposen« (vgl. Sick 1910), das den gleichnamigen Titel trägt. Mit besagtem Buch setzte ein Entwicklungsschub bezüglich des »ästhetischen Posens« ein, worauf weitere Publikationen zu dieser genuin bodybuildingspezifischen Thematik folgten (vgl. ebd.: 105ff.). Speziell im Dritten Reich der Nationalsozialisten zwischen 1933 und 1945 wusste man um die Möglichkeit, den individuellen Körper durch ein systematisch-planvolles Hanteltraining gezielt zu stärken und zu formen.21 Für die Nationalsozialisten besaß der austrainierte, muskulöse und vor Kraft geradezu strotzende Körper ohnehin eine außerordentliche Bedeutsamkeit. Ihr Körperideal lag in einem »athletischen« und extrem muskelbeladenen Erscheinungsbild – getreu dem alt-griechischen Vorbild (vgl. Wildmann 1998). Zur genaueren Veranschaulichung sei an den Einspann von Leni Riefenstahls Filmdokumentation über die Olympischen Spiele von 1936 in Berlin erinnert (Titel: Fest der Völker und Fest der Schönheit). »Ästhetisch wurde [dieses] Körperideal von Leni Riefenstahl in der Eingangssequenz ihres Olympiafilms 1936 inszeniert: der einsame, nackte Diskuswerfer, kräftig, selbstbezogen und sehr rein« (Krauß 2000: 78). Kein Geringerer als Adolf Hitler in persona verweist in seinem Buch »Mein Kampf« mit Nachdruck darauf, dass man die schönsten Körper zu finden habe, um dadurch mitzuhelfen, dem sog. »Volkstum« frische Schönheit und Stärke zu verleihen (vgl. Wedemeyer 1996: 175). Hitlers Vorliebe für besonders muskulöse Körper manifestierte sich einerseits in den Skulpturen seines Bildhauers Arno Breker (vgl. Bredenkamp/Krägermann/Urbansky 1993: 172ff.).22 Andererseits wurde sein reges Interesse an kraftvollen Männern bei den Olympischen Spielen 1936 für jedermann offenkundig. So wohnte er damals voller Begeiste-

21 Zum Verbreitungsgrad und der allgemeinen Funktion des Kraftsports in der NS-Zeit vgl. ausführlicher Pramann (1983: 144ff.). 22 Sämtliche Skulpturen Brekers weisen auf ein Körperideal hin, das dem der damaligen Bodybuildingszene zum Verwechseln ähnelt (vgl. Wildmann 1998: 18ff.).

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rung und mit bemerkenswerter Kontinuität den Gewichtheberausscheidungswettkämpfen bei. »Der ›Führer bei den Gewichthebern‹ titelte die Kreuz Zeitung am 7. August und fuhr fort: ›Der letzte Kampfabend der Gewichtheber in der Deutschlandhalle erhielt sein besonderes festliches Gepräge durch die Anwesenheit des Führers, der die Uebungen mit großem Interesse verfolgte‹«. (Wedemeyer 1996: 175) Die Nationalsozialisten und speziell deren Kampfverbände, wie anfänglich die Sturm-Abteilung (SA) und später die Schutzstaffel (SS), wussten sich die Kraftschulen und Sport-Studios zu Nutze zu machen. »Muskelkraft, Ausdauer und aggressiver Elan waren gefragt« (Ader 1999: 13). Die deutschlandweit gefürchtete SA war allerdings nichts anderes als eine gut organisierte Schlägertruppe. Ihre Mitglieder profitierten bereits zur Zeit der Weimarer Republik von einem systematischplanvollen Kräftigungstraining. SA-Chef Röhm war es, der ein ausgiebiges Hanteltraining in Kombination mit klassischem Box-Training favorisierte, um bei den tagtäglichen Straßenkämpfen – unter anderem mit den unterorganisierten Kampfverbänden der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) – zu reüssieren (vgl. Pramann 1983: 147ff.). Demnach wurden die bereits etablierten Institutionen zur Leibesertüchtigung während der NS-Zeit mitnichten verboten, sondern mit Wohlwollen geduldet und von den Nazis selbst bereitwillig genutzt – konform zu Hitlers Postulat eines »Heranzüchtens kerngesunder Körper« (zit. nach Henke/Scheele 1995: 23f.). Dessen ungeachtet erlag das damalige wirtschaftliche Wachstum der kommerziellen Studiobranche aufgrund der (neuen) staatlichen Zwänge einem vorübergehenden Stillstand. Festzuhalten ist, dass sowohl die konkrete Organisationsstruktur der damaligen Kraftsporteinrichtungen als auch die eingenommene Rolle der Bodybuilding- bzw. Fitnesslehrkräfte aufgrund der Erkenntnislücken, die in den historischen Überlieferungen zwischen 1933 und 1945 diesbezüglich aufklaffen, stark verschleiert bleiben (vgl. Wedemeyer-Kolwe 2004: 396ff.). Komprimiert zusammengefasst: Das genuine Bodybuilding lässt sich als sozialer Uterus der internationalen Fitnessbranche interpretieren. Aus den frühen Anfängen im Zirkus- und Varieteebereich um 1900, als vorerst noch Kraftleistungen im Vordergrund standen und erst danach immer häufiger auch imposant inszenierte Darbietungen extravaganter Körperhüllen, ging sowohl das Olympische Gewichtheben als

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auch das moderne Bodybuilding hervor (vgl. Wedemeyer-Kolwe: 2004: 290ff.). Nach der sukzessiven sportlichen Trennung trainierten die körperkraftfixierten Gewichtheber – angegliedert an das klassische Sportvereinswesen – vornehmlich in den Krafträumen der lokalen Turnvereine. Die körperoptikfixierten Bodybuilder wie auch einige andere Kraftsportbegeisterte (etwa Kraftdreikämpfer, Powerlifter, Bodyshaper etc.) zogen sich in die Räumlichkeiten privater Keller zurück (vgl. Wedemeyer 1996: 141f.). Zur Zeit der katakombenhaften Kellerstudios, aus denen sodann die ersten ›Muckiebuden‹ der sich allmählich konstituierenden kommerziellen Fitness-Studiobranche hervorgingen, trainierte man größtenteils noch an selbstkonstruierten Trainingsgeräten und mit primitivstem Hantelequipment. Diese meist noch sporadisch-organisierten Trainingsgemeinschaften wurden immer größer und größer, so dass auch die Orte des Kraftsports größer werden mussten. So konstituierten sich die ersten größeren (privatwirtschaftlichen) Fitness-Studios, die aufgrund der rasant anwachsenden Nachfrage schon bald von einem beachtenswerten Ökonomisierungsprozess erfasst wurden, der sich bis in die Gegenwart hinein stetig steigerte (vgl. Wedemeyer 1996: 129f.). Zeitgemäße Fitness-Studios – als »Sportorganisationen« betrachtet – zeichnen sich durch Pluralismus und ansteigende Komplexität aus. Die Veränderungen und Entwicklungen dieser in der Regel rein kommerziell operierenden Sportstätten, die sich auf sachlicher, zeitlicher, räumlicher und sozialer Ebene verbuchen lassen, werden immer unübersichtlicher und stehen somit einer einheitlichen Betrachtungsweise entgegen. So haben sich in den vergangenen 30 Jahren auch auf sachlicher Ebene hochspezialisierte Grundausrichtungen in der deutschen Fitness-Studiobranche etablieren können. Fitness-Studios mit originär medizinischem Schwerpunkt in der Rehabilitation und Prävention, große Studioketten mit hohem Animations- sowie Spaßcharakter oder technologisch stark aufgerüstete ›High-Tech-Studios‹ kombiniert mit »alter Kraftsporttradition«. Auf zeitlicher Ebene sind länger werdende Öffnungszeiten zu erkennen. Einige Studios haben inzwischen 24 Stunden am Tag geöffnet. Auch die vielen Kursangebote – Aerobic, Step-Aerobic, Tae Bo, Rentner-Boxen, Power-Yoga, Spinning, Fatburning, Pump etc. – werden zeitlich betrachtet stetig weiter ausgebaut.

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Auf räumlicher Ebene stellen die Fitness-Studios zunehmend mehr Raum für ihre Kundschaft zu Verfügung. Je nach Studiogröße gibt es neben obligatorischen Trainingsflächen sowie Geräteparks einen Bistro- und Thekenbereich, eine Solarium- und Saunalandschaft, oft auch noch einen separierten Ruheraum und eventuell einen Shop für Nahrungsergänzungsmittel, Sportartikel, Sportbekleidung u.Ä. (vgl. Möhring 2005: 239f.). Auf sozialer Ebene können Fitness-Studios mehr und mehr Alterskohorten als Stammkundschaft für sich gewinnen. Vom Jugendlichen bis zum Rentner gibt es für jede Altersgruppe Fitness-Studios mit entsprechender Schwerpunktsetzung oder zumindest passenden Kursangeboten. Grundlegend ist hierbei deutlich zu machen, dass sich kommerzielle Fitness-Studios durch eine doppelte Einbindung in einerseits das Sportsystem sowie andererseits das Wirtschaftssystem auszeichnen. Dieser Umstand einer doppelten Einbindung bringt sowohl für die Organisationsform Fitness-Studio als auch deren Hauptakteure (den Fitness-Studiokunden) sowohl Vor- als auch Nachteile mit sich. So sind FitnessStudios zwar relativ autonom operierende – von übergeordneten Verbänden u.Ä. weitgehend unabhängige – Sportorganisationen, allerdings wird ihnen im Vergleich zu den traditionellen Sportvereinen (Non-Profit-Organisationen) keine finanzielle Unterstützung durch öffentliche Gelder zuteil. Man kann es auch positiver formulieren und konstatieren, dass kommerzielle Sportanbieter nicht am finanziellen Tropf des Staates hängen. Letztlich sind Fitness-Studios zwingend auf wirtschaftliche Gewinne angewiesen, um dauerhaft auf dem Fitnessmarkt reüssieren zu können. Das individuelle Fitness-Studiomitglied ist demnach auf der einen Seite Kunde eines strikt auf Profit ausgelegten Wirtschaftsunternehmens mit samt den Vor- und Nachteilen in der klassischen Kundenrolle, ordnet sich jedoch auf der anderen Seite freiwillig den teilsystemischen Begebenheiten des Sportsystems in Form des Siegescodes und den sportartspezifischen Trainings- sowie Ernährungstaktiken auf der Programmebene unter (vgl. Kapitel 5.3). Abbildung Nr. 4 visualisiert die doppelte Einbindung von kommerziellen Fitness-Studios ins Sportund Wirtschaftssystem:

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Abbildung 4: Teilsystemische Einbindung der Fitness-Studios Fitness-Studios

Sportsystem

Wirtschaft

binäre Codierung: Sieg-/Niederlage -Code

binäre Codierung: Zahlung-/NichtZahlung-Code

Medium: Rangplatz

Medium: Geld

Bette (1999); Becker (1987: 19ff.)

Luhmann (1988); Luhmann (2009b: 256ff.)

Die körperliche Leistungserbringung ambitionierter Fitness-Studiobesucher orientiert sich demnach an der Operationslogik des Sportsystems und somit an der Sieg-/Niederlage-Codierung oder aber an Abstufungen, wie sie von Stichweh (1990: 348ff.) oder Cachay und Thiel (2000: 135ff.) beispielsweise mit dem Leisten-/Nicht-Leisten-Code formuliert wurden. Dagegen orientieren sich Fitness-Studioleiter und deren Trainerpersonal in ihren systeminternen Handlungen rigoros an der Zahlen/Nicht-Zahlen-Codierung und bieten sich als Steigbügelhalter der sportspezifischen Leistungssteigerung nur soweit an, als dass es der verbesserten Kundenzufriedenheit und somit der Kundenbindung dient. Zur Erinnerung: Die teilsystemspezifische Codierung fungiert als Leitunterscheidung der systemspezifischen (bspw. der wirtschaftsspezifischen) Kommunikationen und macht sie als systemzugehörig erkennbar. Im Wirtschaftssystem erhöht der binäre Code Zahlen-/Nicht-Zahlen die Wahrscheinlichkeit, dass auf jede Zahlung eine neue Zahlung folgt. Dies funktioniert mittels des »symbolisch generalisierten Kommunikationsmediums« des Geldes, das die letzte Zahlung mit aktuellen verknüpft. Würde Geld nicht mehr als Medium akzeptiert, hätte das Wirtschaftssystem funktional ausdifferenzierter Gesellschaften seine systemische Anschlussfähigkeit definitiv verloren (vgl. Luhmann 2009b: 267ff.).

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Ein hartes Bodybuildingtraining hingegen, das eine stetige Verbesserung der Körperoptik nach »den« Normen des Bodybuildingsports beabsichtigt, fällt zweifelsohne ins Sportsystem, da sich die Handlungen der Bodybuilder eher am Sieg-/Niederlage-Code denn am Zahlen/Nicht-Zahlen-Code orientieren. Bei diesem systemtheoretischen Kategorisierungsschritt bahnen sich erste Spannungen an. So geht es dem Bodybuilder im Fitness-Studio primär um die körperliche Eigenleistung im Hinblick auf einen intendierten »Sieg« – beispielsweise bei einem regulären Wettkampf oder in Bezug auf einen informellen Wettkampf in der Studio-internen Peergroup – oder allgemeiner, um eine sportliche Leistungssteigerung unter Berücksichtigung der bodybuildingspezifischen Operationslogik (Logik der unentwegten Körperoptik-Perfektionierung) im Sinne eines imaginären Wettkampfs gegen sich selbst. Dem stehen ökonomischen Interessen der Organisation Fitness-Studio (samt der Kundenrekrutierung, Kundenbindung, Profit etc.) gegenüber. Bevor die Differenzierung von einerseits dem Sportsystem und andererseits dem Wirtschaftssystem wieder dem sozialhistorischen Analyseblick nachgeordnet wird, sind noch einige grundlegende Bemerkungen zur sportlichen Leistungserbringung beim Bodybuilding voranzustellen: Bodybuilding im engeren Sinne (als Sportart!) wird hauptsächlich an Leistungssteigerung und Wettbewerb ausgerichtet und führt zu einer permanenten Leistungsoptimierung vor dem Hintergrund eines Rekordstrebens oder einer entfesselten Selbstüberbietungslogik, die sich schon lange nicht mehr auf das Lager der Profibodybuilder reduzieren lässt. Vielmehr übt das bodybuildingspezifische Leistungsprinzip (bzw. die primäre Logik der Leistungssteigerung) auch auf Bodybuilder, die als Breiten- und Freizeitsportler zu begreifen sind, eine nicht zu unterschätzende »Bannkraft« aus. Allgemein weist der moderne Sport nach Becker (1987: 19) eine Kontingenzformel auf, mit Hilfe derer man klarstellt, welche körperlichen Betätigungen als ›richtiger‹ Sport zu deklarieren sind und welche nicht. Diese Kontingenzformel ist gemäß Becker auf Leistungsfähigkeit und auf Leistungssteigerung ausgelegt und mündet in ein apodiktisches Prinzip der systematisch-planvollen Leistungsoptimierung, so wie es für jedes Bodybuilding kennzeichnend ist. Leider kann hier nicht ausführlicher auf die Kontingenzformel des Sports in Anlehnung an Becker eingegangen werden, aber mit den darin enthaltenen »generalisierten

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Orientierungsmustern« lassen sich Sexual- oder auch Yoga-Praktiken unmissverständlich als nicht zum Sport (bzw. zum Bodybuilding) hinzu gehörig bestimmen. Doch welche Entwicklungsstadien hatte die Fitness-Studiobranche von der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die Gegenwart hinein konkret durchlaufen? Um diese Frage in den folgenden Kapiteln zu erhellen und dabei nicht den Überblick zu verlieren, sei die von Dilger (2008: 245) vorgenommene Zeiteinteilung zumindest als Hintergrundinformation genannt, auch wenn diese nicht eins zu eins auf die folgenden Ausführungen übertragen wird. Dilger unterteilt die Entwicklungsstufen der deutschen Fitness-Studiobranche in drei Phasen, die vom Autor dieser Studie in weiten Teilen – jedoch mit einer vierten vorgeschalteten Phase sowie mit kleinen zeitlichen Divergenzen versehen – mitgetragen werden: Tabelle 2: Entwicklungsstufen der deutschen Fitness-Branche

Zeitraum 1945 - 1955 1955 - 1980 1980 - 1990 ab 1990

Phasenbezeichnung AlliiertenBodybuilding Bodybuildingphase Fitnessphase Gesundheitsphase

Dominantes Milieu Bodybuilding-Pluralisten Hardcorebodybuilder Fitness-Sportler Fitness- & WellnessSportler

4.1 Kommerzialisierung der Fitness-Studios Ein moderner Körperkult, und ein sich etappenweise entfaltender Boom der Fitness-Studios, setzte erst einige Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ein. So eröffnete 1955 ein US-amerikanischer Soldat ein kommerzielles Fitness-Studio in Schweinfurt und reaktivierte damit das westdeutsche Bodybuilding der Nachkriegszeit, allerdings nach klar amerikanischem Maßstab (vgl. Wedemeyer 1996: 179ff.).23 Die Begrifflichkeit FitnessStudio mag hierbei irritieren, da es sich anfangs ausnahmslos um Bodybuilding-orientierte Studios handelte. Der Fitness-Sport, so wie wir ihn 23 Vgl. auch Bredenkamp, Krägermann und Urbansky (1993: 214ff.).

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von heute kennen, hatte sich zu jener Zeit noch nicht vollständig aus dem Bodybuilding ausdifferenzieren können. Gleichwohl hieß die Majorität der Sport-Studios schon damals Fitness-Center, Fitness-Treff, Fitness-Tempel, Fitness-Zentrum oder schlichtweg Fitness-Studio. Eine Studiobezeichnung, die explizit die Begrifflichkeit Bodybuilding beinhaltet, konnte sich zu keiner Zeit – auch in den ersten Jahrzehnten der Nachkriegszeit nicht – dauerhaft durchsetzen. Selbst heute noch vermarkten sich die althergebrachten »Bodybuilding-Studios« (Muckiebuden) vorzugsweise mittels eines Namens mit Fokus auf den Fitnessbegriff – vermutlich um sich dadurch den »potentiellen Kundenstamm« nicht einzuschränken. Während sich nach dem Zweiten Weltkrieg die Termini »Fitness« und »Fit« im Lexikon noch vergeblich suchen ließen, erfuhren sie ab den 1970ern eine ungeahnte Aufwertung (vgl. Pramann 1983: 19f.). Nach der tragischen Trennung Deutschlands in die Deutsche Demokratische Republik (DDR) und die Bundesrepublik Deutschland (BRD) entwickelte sich das systematisch-planvolle Krafttraining mit diversen Hanteln – Kraftdreikampf, Bodybuilding, Fitness, »Gesundheitssport«, Körperkulturistik etc. –, und dadurch bedingt nachweislich auch die gesamte Fitness-Studiolandschaft, in Ost und West sehr unterschiedlich. 24 Henke und Scheele (1995: 16ff.) behandeln neben der FKK-Bewegung um 1900 und der Körperkultur im Dritten Reich auch das Körperbild des Bodybuildings der DDR, das »Kulturistik«25 genannt wurde. Sie erläutern, wie unterschiedliche Ideologien sich ähnlicher Körperbilder bemächtigten und diese sowohl mit kulturkritischen als auch mit faschistischen oder sozialistischen Inhalten füllten. Während sich das »gesamtdeutsche Bodybuilding« in einer – man kann durchaus sagen – opportunistischen Art und Weise dem jeweiligen politischen Regime angepasst hat, steckte die Fitness-Szene – zumin-

24 Das Training mit Gewichten (Hanteln) genoss in der DDR ein überaus hohes Ansehen. Denn besonders die Gewichtheber sowie Kraftsportler wussten sich in der Tradition des 1906 gegründeten sog. Arbeiter- und Athletenbundes. Besagter Bund sah seine primäre Aufgabe darin, »die Gesundheit der Arbeiterklasse zu verbessern und sozialistische Erziehungsgrundsätze durchzusetzen.« (Dorsch 2004: 17) 25 Vgl. ausführlicher Müller (2007).

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dest was sie als Sportart anbelangt – noch in den Kinderschuhen. Fitness wurde weitgehend mehr als sportliche Betätigungsform denn als eine reguläre Sportart begriffen. In diesem Sportfeld gab es noch keine eigenständigen Wettkämpfe. Die Wahlen zum Mr. oder zur Ms. Fitness sowie die gesonderten Fitness-Klassen bei renommierten Bodybuildingwettbewerben sind ausnahmslos Entwicklungen der jüngeren Zeit (vgl. Müller 2007: 49ff.). Gleichwohl musste das Bodybuilding sowohl in Ost- als auch in West-Deutschland ex aequo um seine Anerkennung als reguläre Sportart kämpfen,26 woran sich im Grunde auch nach der Wiedervereinigung Deutschlands im Jahre 1989 nichts änderte. Die meist sehr emotional geführte Diskussion, ob das Bodybuilding überhaupt würdig sei, als Sportart bezeichnet zu werden, hält bis in die Gegenwart an. Nicht wenige scharfzüngige Kritiker würden dem Bodybuilding den Sportcharakter sehr gerne vollständig absprechen. Diesbezüglich arbeitet Honer (1985: 157f.) heraus, dass man bei einem solchen Unterfangen nicht bei den Prämissen, wie sie u.a. von Krockow (1974: 92ff.) formuliert wurden, ansetzen sollte. Nicht die Fragen, ob (1) die Tendenz zur Höchstleistung, (2) die Tendenz zur Vergleichbarkeit von Leistungen (Konkurrenz) oder (3) das Prinzip der Gleichheit vorliegen, seien zu stellen. Vielmehr müsse man ihrer Ansicht nach vorrangig bei der faktischen Unmöglichkeit, »ohne die Einnahme von Hormonpräparaten im Bodybuilding auch nur im überregionalen Bereich erfolgreich zu sein«, (Honer 1985b: 158) ansetzen. Und explizit zu diesem – von der Allgemeinheit als negativ empfundenen – Wesensmerkmal des Bodybuildings tragen in einem erheblichen Maße unterschiedliche Einflüsse bei, die sich in Fitness-Studios lokalisieren lassen (vgl. Kläber 2010: 185ff.). Anders angesetzt: Da die Sport-Studioszene nur aus ihrem historischen Kontext heraus adäquat zu verstehen ist, dürfen Fitness-Studios trotz anderer interessanter Fragestellungen, wie z.B. Doping, nicht aus den Augen verloren werden. Zu einer explosionsartigen Vermehrung der Fitness-Studios kam es in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts. Obwohl die damaligen Studios alle noch stark Bodybuilding-orientiert waren, entstand noch eine weitere ›Bewegung‹, die sich rasch als äußerst bereichernd für die gesamte

26 Zur jeweiligen Entwicklung des Bodybuildings in der DDR und BRD vgl. auch Wedemeyer (1996: 178ff.).

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Fitnessbranche erwies. Gemeint ist das sog. Aerobic,27 das bis in die heutige Zeit hinein die Studiolandschaft frappant prägt (vgl. Schwarzenegger 1993: 24). Durch das öffentliche Interesse am Aerobic – geschürt durch seine Begründerin Jane Fonda – sind viele Menschen überhaupt erst auf den ein wenig »exotisch« wirkenden Bodybuildingsport aufmerksam geworden. So sagte Fonda (1983: 49): »Unser Körper will nicht nur benutzt, sondern echt gefordert werden«. Sie machte im Wesentlichen mit Trainingsbüchern und Aerobic-Videos für eine ausgewogene Kombination aus Aerobictraining und einem umfassenden Krafttraining an Geräten oder mit Gewichten massenwirksam Reklame. Man kann durchaus resümieren, dass das Bodybuilding bezüglich seiner gesellschaftlichen Akzeptanz einem »Parasiten« gleich von der ungemein stark boomenden Aerobicbewegung sehr profitierte (vgl. Fuchs/Fischer 1989: 167ff.). In Anlehnung an Schubert (2008: 149f.) stellt sich ein »Prozess der beschleunigten Kommerzialisierung in den 1980er und 1990er Jahren« ein, der sich auf den ersten Blick mit Dilgers (2008: 312ff.) zeitlicher Einteilung in eine Fitnessphase (1980 - 1990) gut erklären lässt. Allerdings ist dies nicht so zu verstehen, dass in den 1980er Jahren das Bodybuilding bereits rückläufig gewesen wäre; vielmehr hatte die deutsche Bodybuildingbewegung zu dieser Zeit gerade erst ihren Zenit erreicht und wirkte als Promotor der sich erst konstituierenden Fitnessbewegung. Unter den Dächern kommerzieller Fitness-Studioeinrichtungen vereint, wurden Bodybuilding sowie Aerobic in der Gesamtgesellschaft stetig beliebter (vgl. Pramann 1983: 21). Der schwungvolle Zugewinn an Popularität, dessen sich das Bodybuilding jener Zeit erfreuen durfte, ist in hohem Maße einer einzelnen Person zuzuschreiben: dem österrei-

27 Aerobic ist eine spezielle Form von Fitnesstraining, welches besonders unter den jüngeren Frauen äußerst beliebt ist. Es handelt sich dabei um ein Koordinationstraining, das herkömmlicherweise in Gruppen durchgeführt wird. Eine Trainerin, oder in seltenen Fällen auch ein Trainer, macht die Übungen vor und fungiert als Motivator für die Kursteilnehmer. Das Ganze wird durch moderne Musik untermauert. Die Übungen sind ein Mix aus freiem Tanz und klassischer Gymnastik (vgl. Dilger 2008: 324ff.)

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chischen Spitzenbodybuilder Arnold Schwarzenegger.28 Vorwegnehmend lässt sich hierzu mit Weider (1991: 18) feststellen: »Je populärer Schwarzenegger wurde, desto mehr stieg auch die Popularität des Bodybuildings. Er warb so intelligent und redegewandt für seinen Sport, dass Menschen auf der ganzen Welt bald nur so in die Bodybuilding-Studios strömten.«

Pramann (1983: 7) skizziert äußerst anschaulich, wie scharfsinnig, frech und schlagfertig Schwarzenegger in TV-Shows und bei Interviews mit Journalisten oder Radiomoderatoren auftrat und dabei für den Bodybuildingsport warb, den er stets als eine wahrhafte Passion darzustellen pflegt. Schwarzenegger gewann 1980 den Titel des Mr. Olympia29 zum siebten Mal, während er seinen Körper für den Film »Conan – der Barbar« in Topform brachte. »In the first of many successive personae, he was to revolutionise the image of the bodybuilder« (Dutton 1995: 144). In der Bodybuildingszene war Schwarzenegger, den man damals auch ganz lapidar ›Big Arni‹ nannte, bereits Anfang der 1970er Jahre sprichwörtlich eine lebende Legende, aber spätestens mit dem Kinoerfolg des Kassenfüllers »Terminator« wurde er weltweit zum absoluten Superstar (vgl. Wedemeyer 1996: 65). Er beschleunigte einen bereits bestehenden Prozess der beständigen Körperaufwertung,30 der durch andere populäre

28 Der gebürtige Österreicher Arnold Schwarzenegger ist sowohl fünfmaliger Mr. Universum als auch siebenmaliger Mr. Olympia und gilt als »erfolgreichster Bodybuilder aller Zeiten« (vgl. Pramann 1983: 7f.). Er machte nicht nur im Kraftsport eine unvergleichliche Karriere, sondern auch als Schauspieler, Buchautor, Geschäftsmann und Spitzenpolitiker der USA (vgl. Vogt 2007: 250ff.). 29 Die sog. Mr.-Olympia-Wahl ist weltweit der bedeutenste Wettbewerb im Bodybuilding, was nicht nur aus der hohen Qualifikation der Teilnehmer resultiert, sondern vornehmlich aus der geschäftlichen Brillanz seiner Begründer, den kanadischen Brüdern Joe und Ben Weider (vgl. Wedemeyer 1996: 37ff.). 30 Anders formuliert: »Die moderne Gesellschaft stimuliert sowohl Prozesse der Körperverdrängung als auch der Körperaufwertung« (Bette 1999: 118). Hierzu vgl. auch Bette (1989; 2005a).

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Namen des Bodybuildings, wie etwa Steve Reeves oder Reg Park – die als Herkules und Sindbad zu großem Ruhm gelangten – vor allem in der Filmindustrie eingeleitet war, um ein Vielfaches. Nur Schwarzenegger vermochte es, diese Körperaufwertung in Kino sowie Fernsehen auf die Spitze zu treiben (vgl. Würzberg 1987: 30ff.). In seiner Autobiographie meint Schwarzenegger: »Als ich erstmals mit der Filmindustrie in Kontakt kam, meinten viele, ich würde es sehr schwer haben Rollen zu finden, weil mein Körper zu gut entwickelt sei. Inzwischen sieht es so aus, als würde mir jedermann in Hollywood nacheifern« (Schwarzenegger 1986: 84f.). Auch der erfolgsverwöhnte Schauspieler Sylvester Stallone ist ein großer Anhänger von Reeves, Park und nicht zuletzt von Schwarzenegger, der ihn für die Kinofilme »Rocky III« und »Rambo II« höchstpersönlich trainierte. Schwarzenegger ging sogar so weit zu behaupten, er selbst habe das Bodybuilding zu einem unverzichtbaren Bestandteil eines progressiven Kinos gemacht (vgl. Wedemeyer 1996: 64f.). Mit Fug und Recht kann man für Schwarzenegger festhalten, dass er zu einem Sinnbild des ›American Dream of Life‹ geworden ist und wie kaum ein Anderer die Bodybuildingbewegung auf der ganzen Welt bekannt und attraktiv gemacht hat (vgl. Dilger 2008: 188ff.). Allerdings hatten sich schon andere Bodybuilder vor Schwarzenegger in der Filmbranche etablieren können. Denn das Zeitalter der hyperstarken Kino-Helden, wie etwa Flash Gordon, Superman, der von Miles O’Keefe gespielte neue Tarzan oder ein noch massigerer Herkules mit Reeves31 sowie die Erfolgsserie »Hulk« mit dem ehemaligen Profibodybuilder Lou Ferrigno, zeichnete sich seit längerem ab (vgl. Pramann 1983: 10f.). Muskelbeladene Bodybuilder galten zu dieser Zeit als physische Leitbilder oder Vorbilder32 und verschafften dem muskulösen und nackten Körper nach einer längeren Abwesenheit sowohl im Film als auch in der Öffentlichkeit wieder eine energische Aufwertung (vgl. Dilger 2008: 246ff.). Gegenwärtig gilt daher folgende Aussage mehr denn je: »Kino- und Fernsehfilme kommen ohne durchtrainierte ästhetische Körper kaum noch aus« (Wedemeyer 1999b: 409).

31 Zu Reeves und seiner Bodybuilding- und Film-Karriere vgl. auch Bredenkamp, Krägermann und Urbansky (1993: 183ff.). 32 Zur Funktion der Vorbilder im Sport vgl. Bruns (2007: 59ff.).

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Die theatralische Aufwertung der extrem muskulösen physischen Konstitution in Gestalt außerordentlicher Muskelkörper beschränkte sich keineswegs auf die Kinoleinwände. Vielmehr ist sie aus heutiger Perspektive als mitverantwortlich für das Auslösen und Etablieren eines sich permanent verstärkenden Fitnessbooms zu werten, der sich hauptsächlich in den (westlichen) Industrienationen vollzog und weiterhin vollzieht (vgl. Wedemeyer 1996: 64ff.). Würzberg (1987: 30f.) schreibt den Kinofilmen, in denen Bodybuilder zunehmend als heroische Helden kultiviert wurden und werden, im Hinblick auf die wirtschaftliche Erfolgsstory der Fitness-Studios eine immens hohe Bedeutung zu. Inspiriert durch die außeralltäglichen Körper der verschiedenen Kinostars zog es mehr und mehr Menschen in die Hallen der Fitness-Studios. Apraku und Nelles (1988: 21ff.) zeichnen sehr anschaulich den Alltag in einem (kommerziellen) Fitness-Studio der 1980er Jahre nach. Eher implizit kann man an ihren Ausführungen festmachen, dass es sich aufgrund der Bodybuilding-lastigen Darstellungen zum Zeitpunkt ihrer Datenerhebung offensichtlich um die Blütezeit des Bodybuildings gehandelt haben muss. Die ›Glanzzeit‹ des Bodybuildings muss man als den eigentlichen Startschuss für die spätere Fitnesseuphorie in den westlichen Gesellschaftsformen begreifen (vgl. Gießing/Hildenbrandt 2005: 142ff.). Mit dem eigenen Körper ließen sich noch gewisse Hoffnungen verbinden, und das in einer hochzivilisierten Gesellschaftsform, die sich in weiten Teilen durch ein stark distanziertes Verhältnis zum Körperlichen auszeichnete. Gemeint ist eine für das Individuum dramatisch beschleunigte und extremst absorbierende Gesellschaftsform, in der Stress-Symptome, Identitätsprobleme und Sinnkrisen fast tagtäglich empfundene Normalität war (vgl. Junge 2002: 12ff.). »Der Fitness-Begriff ist die Entsprechungsformel zum Stress: mit einem durchgearbeiteten Körper hält man Belastungen besser aus, die man nicht mehr so ohne weiteres für sinnvoll hält« (Rittner 1982: 48). In Zusammenhang mit den obigen Erläuterungen stellt sich für eine (sport-)soziologische Arbeit über die Historie kommerzieller Sport-Studios stets auch die Frage nach den Beweggründen für den regelmäßigen Studiobesuch. Als gewichtige Motive für die Nachfrager der Dienstleistungsware Bodybuilding ermittelt Emrich (1992: 13ff.): »Gesunderhaltung, körperliche Fitness, individuelles Wohlbefinden, Lustgewinn,

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Körpererfahrung und eine individuellere Handhabung des Sportverständnisses und eine individuellere Ausprägung von Lebensstilen«. Darüber hinaus gilt es, die Funktion der Fitness-Studios auch aus der Perspektive ihrer Mitglieder – und dabei speziell unter sozialen Gesichtspunkten – zu betrachten. Da nun das Subjekt im Mittelpunkt der Überlegungen steht, macht es Sinn, der soziologischen Betrachtungsweise eine sozialpsychologische »ergänzend« zuzumischen. Angesichts vieler Überschneidungen von charakteristischen Forschungsgebieten der Soziologie mit denen der Sozialpsychologie ist dieser interdisziplinäre Exkurs nicht nur vertretbar, sondern darüber hinaus äußerst vielversprechend. Zuerst ist unmissverständlich zwischen Bodybuilding-orientierten sowie anderweitig orientierten Sport-Studios zu differenzieren. Denn die bemerkenswerte Eigenkomplexitätssteigerung der letzten Jahrzehnte hatte innerhalb der Fitnessbranche eine zunehmende Binnendifferenzierung zur Folge (vgl. Bette 1989: 43ff.).33 Mittlerweile haben sich die verschiedensten Orientierungen innerhalb der kommerziellen Studioartenlandschaft ausgebildet. Die Bandbreite reicht von Gesundheitszentren über Kampfsportschulen bis hin zu traditionellen Gymnastik- und Tanz-Studios oder hochmodernen Wellness-Studios. Wahrscheinlich ist daher auch eine – oben angesprochene – Dopingnutzung im jeweils anderen Ausmaß bei den besagten Orientierungen vorfindbar. Man kann diesbezüglich davon ausgehen, dass den bodybuildingorientierten Fitness-Studios bezüglich des in ihnen praktizierten Dopings im Vergleich zu der Vielzahl an anderen Studios der Löwenanteil zufällt (vgl. Gießing 2002b: 23f.). Dem klassischen Bodybuilding kommt, wie bereits deutlich geworden sein dürfte, hinsichtlich der Soziogenese des kommerziellen SportStudiobereichs eine Schlüsselrolle zu. Das hat für diese Studie zur Konsequenz, dass das Hauptaugenmerk zwar auf die klassischen Muckiebuden gerichtet ist, was jedoch nicht heißt, dass die fitness- und gesundheitsorientierten Studios ausgespart werden.34 Lediglich die relativ neuartigen Wellnesseinrichtungen und die hochspezialisierten Kampfsport-

33 Vgl. auch ausführlicher Fuchs und Fischer (1989: 160ff.). 34 Grundsätzlich findet im Folgenden der Begriff Fitness-Studio als Synonym für Bodybuilding-Studio Verwendung.

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studios, die man ebenfalls der kommerziellen Sport-Studiobranche zuschlägt, sind aufgrund ihrer geringen Anzahl und ihrer grundlegend andersartigen Zielsetzungen für diese Studie nicht von Interesse. Denn im analytischen Fokus stehen kommerzielle Fitness-Studios, in denen individuelle Körperhüllen zielgenau nach kollektiv verbindlichen Körperidealen modelliert werden, und zwar primär mit Hanteln und Trainingsmaschinen (vgl. Schubert 2008: 144f.).

4.2 Vergemeinschaftung in Studios jenseits der Sportvereine Für den Bereich des traditionellen Sports sind es die Sportvereine, die nationalen Sportverbände, die internationalen Dachorganisationen und diversen Leistungszentren, Olympiastützpunkte, Sportstiftungen, Sportinternate sowie die Eliteschulen des Sports, die die Organisationslandschaft seit Jahrzehnten federführend prägen. In ihrer Anzahl deutlich aufholend und daher für wissenschaftliche Belange interessanter geworden sind allerdings auch jene (»außersportlichen«) Organisationen, die den Sport in ihre eigene Programmatik zu inkludieren wussten. Zu nennen wären beispielsweise der Sportbetrieb im Gesundheitssystem (Rehabilitation oder Sporttherapie), der Sport im Kontext des Wirtschafts-, Bildungs- oder Militärsystems, also Sport in Betrieben, in Institutionen der Tourismusbranche, an Volkshochschulen, an Universitäten, in Militäreinrichtungen etc. In diesem Zusammenhang führt Bette (2011: 229) weiter aus: »Da der Sport in Deutschland seit Anfang der 1970er Jahre schwerpunktmäßig nicht mehr nur in den traditionellen Sportvereinen stattfindet, sondern auch in kommerziellen Fitness-Studios, sind auch diese sportbezogenen Wirtschaftsorganisationen soziologisch in zunehmender Weise interessant geworden […]. Bis in die 1980er Jahre galt das Hauptaugenmerk der Sportsoziologie den traditionellen Trägern des Sports in der Bundesrepublik, den Sportvereinen und ihren übergeordneten Instanzen.«

Durch Befragungen deutscher Bodybuilder fand man heraus, dass diese zumeist eine gewisse Abneigung gegenüber dem traditionellen Vereins-

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sport empfinden.35 Die von den Athleten am häufigsten angeführten Gründe dafür waren »Vereinsmeierei, Trainingspflicht bei gleichzeitiger Ungewissheit, in der Wettkampfmannschaft aufgestellt zu werden, Grüppchenbildung und Cliquenwirtschaft« (Bednarek 1984: 55). Eine nachhaltige Bindung an einen Sportverein mit all den Konsequenzen und den damit einhergehenden Verpflichtungen wird in schnelllebigen Industriegesellschaften oft nur noch als eine äußerst »unangenehme Last« empfunden. Es verwundert daher kaum, dass derart eindeutige Auffassungen in Überflüssigkeitsempfindungen resultieren (vgl. Fuchs/ Fischer 1989: 161ff.).36 Vereine werden von mehr und mehr Menschen als überregulierte sowie stark bestimmende Organisationen aufgefasst. Derweil treibt der zwanglose Charakter der kommerziellen Fitness-Studios die Menschen in zunehmendem Maße in deren Trainingshallen (vgl. Bette 1989: 43). Im Fitness-Studio kann man eine individuelle Zeitplanung vornehmen und hat nicht die vielen Pflichten zu erfüllen, die mit der Mitgliedschaft in einem traditionellen Sportverein zwangsläufig verbunden sind. Dennoch haben einige der alten Vereinstugenden wie Loyalität, Kooperation sowie Identifikation auch in Fitness-Studios weiter Bestand (vgl. Bednarek 1984: 55). Selbst wenn sich an dieser Stelle eine tiefgründige Diskussion zum Konkurrenzverhältnis von traditionellen Sportvereinen vs. kommerziellen Fitness-Studios geradezu aufdrängt,37 wird diese Thematik dennoch nicht weiter vertieft. Es sei aber zumindest auf Emrich (1992: 13ff.) verwiesen, der sich dieser Frage im Rahmen einer

35 Vgl. dazu Bednarek (1984: 50ff.). Auch die Geselligkeit scheint sich in den Fitness-Studios in einigen Punkten von dem Verständnis von Geselligkeit zu unterscheiden, das gemeinhin als sog. Vereinsgeselligkeit beschrieben wird (vgl. Schmitt 1990: 153ff.). 36 Zu den Werbeaktionen für einen »Vereinssport ohne Grenzen« sowie weitere Maßnahmen des damaligen Deutschen Sportbunds (DSB) vgl. ausführlicher Schulz und Allmer (1991: 118ff.). 37 Inzwischen haben einige traditionelle Sportvereine auf den anhaltenden »Boom« der kommerziellen Fitness-Studios dahingehend reagiert, dass sie vereinseigene Studios erbauen ließen. Damit gedenken sie das konkurrierende Angebot der kommerziellen Anbieter zu imitieren, um keine Mitglieder an diese zu verlieren (vgl. Ilker/Ramme 1990).

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empirischen Untersuchung angenommen hat. Eine detailliertere Auseinandersetzung mag interessant erscheinen, wäre für die vorliegende Studie jedoch nicht sonderlich ertragreich.38 Deshalb kommen wir nunmehr wieder – ohne weitere Umwege – auf die Gründe für einen regelmäßigen Fitness-Studiobesuch zu sprechen. Eine stattliche Zahl sowohl an Fitness-Sportlern als auch an Bodybuildern legt überaus großen Wert auf eine dauerhafte Kopräsenz anderer (Sport-)Asketen, da diese die eigene Trainingsmotivation zu erhöhen imstande sind. »Im Grunde genommen kommt hier ein Affiliationsmotiv zum Vorschein; denn mit der Abkehr vom traditionellen Vereinswesen werden die Ansprüche auf Befriedigung sozialer Bedürfnisse offenbar nicht gänzlich mit aufgegeben. Abgelehnt wird eher die Art und Weise, in der dies im Verein möglich ist.« (Bednarek 1984: 56)

Es trainiert sich in kommerziellen Fitness-Studios unter Menschen, die dieselbe Passion ausgebildet haben, erheblich leichter und genau aus diesem Grund meist auch effektiver. Man wird vom Tatendrang oder Elan anderer Bodybuilder geradezu mitgerissen und das eigene Training scheint dann viel einfacher von der Hand zu gehen. Dessen ungeachtet sind körpermodellierende Kraftsportler seit Jahrzehnten Opfer gesellschaftlicher Stigmatisierungen, »was zur Folge hat, dass die Befriedigung sozialer Bedürfnisse verstärkt in der Bezugsgruppe gesucht, ein System gemeinsam geteilter Bedeutungen, Normen und Werte entwickelt und eine strikte Abgrenzung nach außen vollzogen« (ebd.: 55) wird. Besonders Bodybuilder fühlen sich unter ihresgleichen am wohlsten. Im Fitness-Studio bekommen sie nicht nur ein entsprechendes Verständnis, sondern auch den – ihrer Meinung nach – angebrachten Respekt und die ihrer Leistung entsprechende Bewunderung entgegengebracht. Gespräche vor, während sowie nach dem Krafttraining sind stets eine spezifische Form geselliger Konversation (vgl. Schmitt 1990: 153ff.). In Fitness-Studios kommt oft gerade das zur Sprache, was man

38 Zur Entwicklung der kommerziellen Sportanbieter vgl. Kosinski und Schubert (1989: 139ff.).

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im sonstigen Alltag, wie etwa bei der Arbeit oder zu Hause beim Lebensgefährten, vorzugsweise verschweigt. Neben trainingsspezifischer Konversation über Übungen, Ernährung, Supplements, Wettkämpfe, Doping etc. reicht die Bandbreite an Gesprächsthemen von oberflächlichen und eher lustigen Themen über Erfahrungsaustausch im Sexualbereich bis hin zu ernsten Sorgen oder Problemen höchst privater Natur. Oder anders: »Das Fitness-Studio ist ein Café für Leute im Sportdress. Und eine Couch für Problembeladene, wie jeder andere soziale Treffpunkt eigentlich auch« (Wedemeyer 1996: 145). In der Regel herrscht in Fitness-Studios ein Laissez-faire und unter den Bodybuildergruppierungen eine außerordentlich kameradschaftliche Atmosphäre vor. In der Sozialpsychologie gibt es unter vielen Theorieangeboten zum Thema der Gruppenbildung – bzw. zu den Motiven für Affiliation39 – neben einem soziobiologischen Ansatz und der Theorie der sozialen Vergleichsprozesse auch eine psychodynamische Perspektive. Während der wesentlich ältere soziobiologische Ansatz auf die Evolutionstheorie Darwins zurückgreift und im Drang des Individuums, sozialen Anschluss herzustellen, ein biologisch, genetisch verankertes Bedürfnis sieht, geht Festingers (1950; 1954) Theorie der Vergleichsprozesse von einem starken Bedürfnis nach Orientierung aus. Dazu gehört die Bewertung eigener Ansichten und Fähigkeiten. Kurz: Der soziale Vergleich mit Personen aus Bezugsgruppen dient zur Ermittlung des eigenen Status quo (vgl. Frey/Greif 1997: 330f.). Die psychodynamische Perspektive40 setzt dagegen einen oft unbewussten Prozess der Identifikation mit der Mutter, dem Vater oder den Geschwistern voraus, der durch einen intuitiven Sozial-Mechanismus der Übertragung auf die primäre Bezugsgruppe (Peergroup) projiziert wird. Demzufolge ist unter einem Gruppenanschluss eine instinktive Maßnahme zur Wiedererlangung eines Gefühls der familiären Geborgenheit zu begreifen. Die

39 Vgl. ausführlicher Frey und Greif (1997) sowie Stroebe, Hewstone und Stephenson (1997). 40 Sigmund Freuds »psychodynamische Perspektive« wurde von Schutz (1958) zur FIRO-Theorie (Fundamental Interpersonal Relation Orientation) weiterentwickelt, deren relativ plakative Kernaussage folgende ist: »people need people.«

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Peergroup arriviert dabei zum höchst authentischen Familienersatz (vgl. Buunk 1997: 363ff.). Diese letztere sozialpsychologische Perspektive, die für das moderne Subjekt eine Tendenz zur Ersetzung der (leiblichen) Familienwärme konstatiert, lässt sich auf das soziale Geschehen in Fitness-Studios passgenau übertragen. Denn häufig wird in der Person des Studioleiters, der nicht selten ein Wettkampfbodybuilder ist oder zumindest einmal war und daher über einen ausgeprägten Erfahrungshaushalt verfügt, eine Art Ersatzvater gesehen. Dieser ist für einige Mitglieder – speziell für jugendliche Kraftsportler – Bezugsperson Nummer eins. Zu ihm schaut man respektvoll auf und ihn fragt man bevorzugt um Rat. Dabei reduzieren sich die gestellten Fragen nicht nur auf den Kraftsport, sondern zielen auf alle erdenklichen Bereiche des modernen Lebens ab. Auch dem Trainingspartner, sofern einer vorhanden ist, kommt eine gewichtige Rolle zu. Ihm wird nicht nur im Trainingsprozess blindes Vertrauen entgegengebracht, sondern auch in allen anderen Lebensbereichen – selbst in außerordentlich privaten Obliegenheiten. Meist wird der momentane Trainingspartner als eine Art Bruder oder Schwester angesehen, eben als zur Familie gehörig. Auch nach den Ergebnissen von Emrich und Pitsch (1992: 81f.) lassen sich Parallelen zu familiären Geschwisterverhältnissen leicht belegen. Unter den meisten Bodybuildern und Fitness-Sportlern ist es üblich, dass sie einen großen Teil ihrer Freizeit im Fitness-Studio verbringen; was aufgrund des zeitintensiven Trainings kaum zu vermeiden ist. Mancher verbringt sogar lieber seine Zeit in den ihm vertrauten Studiohallen als mit seiner leiblichen Familie. »Die größere Zahl der Kunden ist miteinander bekannt und befreundet, an Sommerabenden besucht man nach dem Training gemeinsam Biergärten und Cafés«, so konstatieren Apraku und Nelles (1988: 24f.) in ihrer Feldstudie zum Thema FitnessStudios. Sie schreiben den Fitness-Studios eine fundamentale Rolle im Privatleben passioniert trainierender Mitglieder zu, die nicht selten ihren gesamten Freundeskreis samt Lebenspartner aus den Reihen der Studiokollegen rekrutieren (vgl. Emrich/Pitsch 1992: 28f.). Damit wird das Fitness-Studio zum Dreh- und Angelpunkt genuiner Kraftsportler. Es erscheint plausibel, dass den Fitness-Studios eine grundlegende Rolle im Leben eines jeden treuen Mitglieds zukommt. Ferner ist eine Titulierung der Einrichtung Fitness-Studio als Familienersatz angesichts ei-

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ner Analyse des dazu vorliegenden empirischen Materials ohne weiteres gerechtfertigt (vgl. Apraku/Nelles 1988: 21ff.). Die Majorität der passionierten Kraftsportler eines Studios stellt demnach meistens eine informelle Gruppe dar, die über ein ausgeprägtes »Wir-Gefühl« verfügt und so eine große innere Homogenität aufweist (vgl. Emrich/Pitsch 1992: 57ff.). Dies führt häufig automatisch zu einer Schließung dieses kleinen sozialen Netzwerks. Durch die frappierende Gruppenkohäsion und die demonstrative Einigkeit gegenüber Gruppenexternen – ganz besonders vor dem Hintergrund der üblichen Vorurteile,41 denen sie sich oft genug ausgesetzt sehen (vgl. Bednarek 1984: 55f.) – kommt es unter den Bodybuilding- und Fitness-Gruppen zu einem Gruppenbewusstsein bzw. Groupthink (vgl. Manstead/Semin 1997: 80ff.). Dieser Gruppengeist – wie man es auch nennen kann – führt zu einem Konformitätsdruck und einem mangelnden Reflexionsvermögen, das wiederum in einem unter den Kraftsportgruppen gern verwendeten Handlungstypus münden kann, nämlich dem des Dopings. Solche sozialen Kollektive, die geschlossene Gruppen darstellen, haben zudem eine mehr oder weniger eigene Form der Sprache ausgebildet. Innerhalb dieser Sondersprache nehmen die Begrifflichkeiten »Hardcorebodybuilding«, »Fitness«, »Bodyshaping« sowie »Naturalbodybuilding« eine spezifizierte Funktion ein, wie es Kapitel 5 expliziert. Resümierend und aus dem Dargelegten resultierend, haben Bodybuilder eine ungewöhnlich stabile emotionale Bindung an ihr jeweiliges Fitness-Studio, das zudem »Säule der eigenen Identitätskonstruktion sein kann« (Heinemann 1998: 130) und nicht selten sogar als die wichtigste Institution überhaupt aufgefasst wird. Nun stellt sich die Frage, warum sich so viele Fitness-Studiokunden ausgerechnet einer Einrichtung verschreiben, die sich auf augenfällige Schmerzen, Schweiß und – präziser ausgedrückt – Trainingsqualen spezialisiert hat. Die Antwort liegt in der Wiederkehr harter körperlicher Arbeit als ein Sinnmotiv, das durch eine absolute körperliche Verausgabung gekennzeichnet ist und das in modernen Gesellschaften fast nur noch im Sport zur Geltung kommt.

41 Zu eruierten Vorurteilen gegenüber klassischen Kraftsportlern, die aus der spezifischen Sicht aktiver Bodybuilder stammen, vgl. ausführlicher Emrich und Pitsch (1992: 53ff.).

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Wo eine Wiederkehr diagnostiziert wird, muss zunächst einmal etwas im Begriff gewesen sein, sich zu verflüchtigen. Es mag zwar unzählige Sachverhalte geben, bezüglich deren man von einer Wiederkehr des Verdrängten42 sprechen könnte, doch macht dieser Umstand den oben gewählten Ansatz für die Begebenheiten in Fitness-Studios nicht weniger interessant. Für eine soziologische Untersuchung ist nicht nur von Interesse, was im Konkreten die Menschen in derart großen Massen in die Fitness-Studios treibt (vgl. Dilger 2008: 376), sondern viel grundsätzlicher stellt sich die Frage, auf welche sozialen Bedingungen oder Begebenheiten der derzeitige Boom der Fitness-Studios zurückzuführen ist? Besagtem Fragemuster folgend wurde Bodybuilding zum einen als ein ›Produkt‹ der Moderne – und zwar in Form einer Gegenbewegung dargestellt – und zum anderen als eine Entsprechung zur Moderne. Allerdings passt dieser Ansatz auf alle sozialen Bewegungen sowie auf die Lebensreform in ihrer facettenreichen Gesamtheit. Im Folgenden gilt es, das Kraftsportspezifische an einer Wiederkehr körperlicher Arbeit aus dem momentanen Fitness-Studioboom samt seiner beschleunigten Kommerzialisierung in den 1980ern zu erarbeiten (vgl. Schubert 2008: 149ff.). Dafür ist zu analysieren, was denn tatsächlich in den »altehrwürdigen« Muckiebuden vergangener Tage und insbesondere in den modernen Fitness-Studios der Gegenwartsgesellschaft im Konkreten passierte und noch passiert. Was ist der ›Motor‹ der nicht abreißenden Erfolgsgeschichte kommerzieller Fitness-Studios? Durch makroanalytische Betrachtungen werden gewisse Sachverhalte erhellt und erste Erklärungsansätze auf den Weg gebracht. Um dabei eine komplexitätsadäquate Analyse zu gewährleisten, ist eine Beschäftigung mit dem Sport – und im engeren Sinne mit dem Kraftsport – als eine der beliebtesten modernen Freizeitbeschäftigungen notwendig. Hierzu bietet die in Fitness-Studios tradierte materielle Ausstattung der Trainingsfläche(n) zweckdienliche Denkanstöße, die es beim Analysegeschäft zu fokussieren gilt.

42 Eine »Wiederkehr des Verdrängten«, die auf Freuds Universaltheorie der Psychoanalyse zurückgeht, könnte man soziologisch betrachtet als »Inklusion des einst Exkludierten« beschreiben (vgl. Bette 1989: 43ff.; 1999: 212f.). Vgl. auch Bourdieu (1982: 796ff.).

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4.3 Trainingsmaschinen vs. Freihanteln Einleitend sind einige Überlegungen sowie Bestimmungen zum Terminus Freizeit von Nöten, um das Geschehen in den Trainingshallen der Fitness-Studios makroanalytisch besser fassen zu können, bevor darauf aufbauend die (materielle) Ausstattung ins Blickfeld gerückt wird: Die gegenwärtige Form der freien Zeit (Freizeit)43 als Konzept oder Idee ist grundsätzlich am einfachsten als Gegensatz zu den üblichen Vorstellungen von Arbeit zu begreifen. Dem Sport komme nach Ader (1999: 7ff.) aufgrund seiner exzellent ausgebauten Organisationsstruktur und seines großen Begeisterungspotentials als eine unter mehreren Optionen der heutigen Freizeitgestaltung ein überaus hoher Stellenwert zu. Somit erklärt sich von selbst, warum sich viele Wissenschaftler darum bemühten, den Sport als Gegensatz zur Arbeit verständlich zu machen (Kontrasthypothese). Nach neueren Untersuchungen nimmt der Sport nach dem Flanieren in Form eines schlichten Spazierengehens oder Schaufensterbummelns den zweiten Rang auf der Beliebtheitsskala der Deutschen ein. Auf Rang drei liegt die Lektüre von Trivial- bzw. Unterhaltungsliteratur – während sich erstaunlicherweise erst auf Rang vier das Fernsehschauen platziert (vgl. Lüdtke 2001: 64f.). Freizeit wird häufig als ein Zustand dargestellt, in dem Aktivitäten einzig und allein um ihrer selbst willen ausgeübt werden. Etwas anders erklärt: Man treibt z.B. Sport um des Sports willen. Auch im heutigen Sprachgebrauch werden Freizeit und damit jegliche Form der Freizeitaktivität als Antonym zur beruflichen Arbeit verstanden (vgl. Bourdieu 2000: 53f.). In den funktional differenzierten Gesellschaften sind diese zwei Arten von Betätigung ihrer Definition nach strikt voneinander zu

43 Tokarski (1985: 241ff.) reduziert die theoretischen Ansätze zur modernen Freizeit in drei Hypothesen. Alle weiteren seien lediglich Spezifikationen der folgenden: (1) »Wenn die Freizeit sich deutlich von der Arbeit unterscheidet oder der Rahmen der Freizeitaktivität sehr stark zu dem der Aktivität in der Arbeit in Kontrast steht, trifft die sogenannte Kontrasthypothese zu«. (2) »Wenn Ähnlichkeiten zwischen Freizeit und Arbeit auftreten, trifft die sogenannte Kongruenztheorie zu«. (3) »Wenn keine unmittelbaren Zusammenhänge zwischen Arbeit und Freizeit bestehen, trifft die Neutralitätshypothese zu«.

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trennen. Arbeit versteht man dabei als produktive – daher sinnhafte – Tätigkeit, wohingegen man fast alle Formen der Freizeitbeschäftigungen als nichtproduktive, also »wenig sinnhafte« Tätigkeit ansieht (vgl. Opaschowski 1992: 6ff.).44 Das Besondere am Sport liegt dabei in der Freiwilligkeit der erbrachten Leistung. Gemeint ist »die Tatsache, dass im Sport nichts getan wird, das getan werden muss« (Müller 2004: 36). In Kontrast dazu waren in segmentären Gesellschaftsformen Arbeit und Freizeit nicht derart starr voneinander getrennt. Mit dem Einsetzen des Industrialisierungsprozesses und der allmählichen Etablierung des Kapitalismus wurde zunächst der Wert der Arbeit gegenüber dem Wert der Freizeit ›drastisch‹ aufgewertet. Das international immer dominanter werdende Wertesystem der Industrienationen speiste sich am Anfang aus »einer mehr oder weniger säkularisierten protestantischen Ethik« (Dunning 1976: 25). Die Polarisierung von Freizeit und Arbeit stellt folglich ein Phänomen der Moderne dar. Erst im Verlauf des 20. Jahrhunderts, also in der Zeit des Spätkapitalismus, gewinnt die Freizeit allmählich mehr an Bedeutung (vgl. Lüdtke 2001: 58f.). Die Fragestellung, ob Sport den »Charakter« von Arbeit oder den einer Freizeitbeschäftigung hat, ist für eine soziologische Betrachtung zwar von Interesse, aber für das Anliegen dieser Studie keinesfalls essentiell. Dennoch folgen einige Überlegungen zu dieser Thematik. Es gibt sowohl plausible Argumente, die dafür sprechen, dass der Sport ein reines Freizeitvergnügen ist, als auch schlüssige Argumente dafür, dass der Sport eine neue Ausformung von Arbeit sei.45 In direktem Zusammenhang mit dem Profitum des Hochleistungssports liegt die Antwort offenbar auf der Hand. Nach einer kritischen Analyse von

44 Opaschowski (1992) hält monokausale Erklärungsansätze für eine wissenschaftliche Analyse der gegenwärtigen und zukünftigen Freizeitentwicklung, in der Sport weiterhin eine wesentliche Rolle spielen wird, für ungenügend. Er postuliert ein Freizeitverhalten, das sich im Zusammenspiel einer Vielzahl von Beziehungen, Einflüssen und Wirkungen der persönlichen Situation eines Menschen ergibt. Gleichzeitig gibt er zu bedenken, dass die Arbeitssituation das Freizeitverhalten beeinflusst ebenso wie das Freizeitverhalten Rückwirkungen auf das Verhalten am Arbeitsplatz habe. 45 Vgl. auch ausführlicher Ader (1999: 26ff.).

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Rigauer (1969)46 weisen Sport und Arbeit Strukturähnlichkeiten auf. Das Primat des »Leistungsprinzips« als vorherrschende Norm der Arbeitswelt sei auch im Hochleistungssport zu finden. Sport übernehme »eine für die Industriegesellschaft typische Anpassungsfunktion« und sei dabei schon »längst zu einem Sektor der Arbeitsrationalisierung geworden« (Rigauer 1969: 11). Doch reduziert sich diese Analyse auf den Spitzensport, und die vorliegende Studie betrachtet zusätzlich den Breiten- und Freizeitsport. Aus diesem Grund sind spezielle Ausführungen zum professionellen Sport nur wenig lohnend, da sie sich nicht problemlos auf andere Sportbereiche übertragen lassen. Zumal der Vorwurf, Sport sei Arbeit, viel zu pauschal ist – zumindest im linkspolitischen Sinne einer ausbeuterischen Zwangstätigkeit. Dieser Hypothese fehle jedoch noch immer »jegliche empirische Basis« (vgl. Heinemann 1998: 242f.).47 In vielen Situationen besitzt der Sport, wie er uns heute vertraut ist, zweifellos einen ausgeprägten Spiel-Charakter (vgl. Lenk 2002: 53ff.). In anderen Situationen kommt im Sport eine frappierende Ernsthaftigkeit und eklatante Erfolgsorientierung zum Vorschein. Selbst in der einschlägigen Literatur herrscht diesbezüglich alles andere als Einigkeit vor. Entspricht die Natur des Sports eher dem Konzept des »plays« oder dem des »games«? Edwards vertritt die Ansicht, dass der Sport mit dem

46 Rigauers (1969) Exkurs über den Warencharakter des modernen Sports zeigt gewisse Defizite bei der Gegenüberstellung von traditioneller und kritischer Sporttheorie auf. Inwieweit die industriellen Produktionsverhältnisse »den Sport strukturieren«, was dies dann für den Handlungs- und Erfahrungsraum des Sportlers genau bedeutet, von ihnen abhängig zu sein, wird u.a. nur unzureichend erörtert. Im Prinzip knüpft Rigauer an die These von Habermas (1967: 28ff.) an, nämlich dass sich im Sport die Arbeitswelt verdopple. Allerdings reduziere eine derartige Analyse den modernen Sport auf den Hochleistungssport (vgl. Lenk 1976: 156f.). 47 Von neomarxistischen Kritikern werden die verschiedenen Funktionen des Sports auffallend gerne auf wenige Aspekte reduziert: (1) Zweckdienlichkeit in Bezug auf eine Anpassung an Arbeitsnormen; (2) Verhaltensgewohnheiten und Dispositionen, die im Arbeitsprozess gefordert sind; oder (3) den Ablenkungseffekt in Zusammenhang mit zentralen Problemen und Konflikten in unserer Gesellschaft (vgl. Heinemann 1998: 245ff.).

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Spiel überhaupt nichts gemeinsam habe. Vielmehr behauptet er, dass die Charakteristika des sportlichen Verhaltens der Arbeit entsprechen (zit. nach Dorsch 2004: 6). Er führt weiter aus: Sport beinhaltet immer physische Anstrengung, hat eine strikt formale Struktur und Organisation, setzt ein Befolgen von feststehenden Traditionen voraus, verfolgt einen ernsthaften Zweck, fordert akkurate Vorbereitung und daneben sind alle Rollen und Positionen explizit benannt sowie definiert. Dabei muss kritisch angemerkt werden, dass diese Position primär am Sport der (westlichen) Industrienationen ansetzt. Sack hat im Gegensatz zu Edwards ein integratives Erklärungsmodell formuliert, bei dem beide Aspekte des Sports (Spiel und Arbeit) in einer Definition miteinander kopuliert sind. Sport wird von Sack in erster Linie als institutionalisiertes Spiel verstanden, das von originär physischen Fähigkeiten abhängig ist. Ihm werden verschiedene Anteile von Spiel sowie Arbeit zugeschrieben, selbstverständlich abhängig von der »Natur« der jeweiligen Aktivität wie etwa Fitness oder Bodybuilding. Zu dieser Hauptunterscheidung fügt er noch zwei weitere Dimensionen hinzu. Einerseits die Dimension des athletischen und andererseits die Dimension des nichtathletischen Einsatzes – was vor dem Hintergrund des Kraftsports eine interessante Überlegung darstellt (vgl. ebd.: 7f.). Für die gegenwärtige gesellschaftliche Situation liefert Scalla (2001: 156f.) eine zynische, aber trotzdem treffende Zustandsbeschreibung: »Der Körper ist weitgehend durch Maschinen ersetzt; er ist freigesetzt von Feld- und Fabrikarbeit, zur Freizeit verdammt […]«. Von der typisch modernen Langeweile getrieben, beschließen viele Menschen sich ohne Fremdzwang wieder und wieder körperlichen Qualen auszusetzen. So schinden sich beispielsweise Fitness-Studiokunden im Rahmen ihrer nahezu tagtäglichen Trainingsprozeduren bis aufs Äußerste, so wie es selbst Schwerarbeiter nur (noch) selten tun. Außerdem gehen sie diese immer wieder aufs Neue zu ertragenden Selbstgeißelungen nicht etwa für einen Spitzenlohn – oder sonstige existenzielle Vergütungen – ein; vielmehr machen sie es ›aus freien Stücken‹. Honer (1995: 183) hält in diesem Zusammenhang für den Bodybuilder fest: »Und nicht nur, dass er seine Freizeit im Mief der dampfenden Leiber abarbeitet, er bezahlt auch noch dafür, an den schrecklichen Maschinen schuften zu dürfen«. Angesichts der gesamtgesellschaftlichen Tendenz, durch Technisierungen übermäßig harte körperliche Arbeit möglichst vollständig aus

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dem Alltagsleben der Menschen zu verbannen, erscheint die genannte Entwicklung im Sportbereich bei einer kritischen Reflexion als grotesk. Denn, wie eingangs erwähnt, wo etwas wiederkehrt, muss sich zunächst einmal etwas im Prozess des Verschwindens befunden haben. Und es ist davon auszugehen, dass etwas nicht grundlos verschwindet oder verdrängt wird. »Ein muskulöser Körper war früher das Nebenprodukt eines von Schwerstarbeit bestimmten Lebens unterer sozialer Klassen und mithin ein Zeichen für die vom Bildungsbürgertum verpönte körperliche harte Arbeit.« (Wedemeyer 1999b: 409) Bourdieus (1982) »feine Unterschiede« lassen sich am Habitus der Vertreter aus den verschiedenen gesellschaftlichen Schichten, an deren sprachlicher Ausdrucksweise, genereller Verhaltenweise und Körperlichkeit aufzeigen. Er fasst körperliche Äußerungen als »Stil« einer sozialen Schicht und als Objektivation des Klassengeschmacks auf. Die Erlangung eines Kraft- sowie Muskelkörpers ordnet er vornehmlich der ›Arbeiterklasse‹, also dem Proletariat zu.48 Wohingegen der Wunsch nach physischer und psychischer Gesundheit durch Gymnastik u.Ä. für bürgerliche Kreise typisch sei (vgl. Bourdieu 1982: 334f.). Indessen hat das einst kraftsportspezifische – nach immer größeren Muskeln strebende – Körperideal auch bei den sog. feinen Leuten an Prestige gewonnen. Dies veranschaulicht Girtler (1989: 84) mit einem bloßen Verweis auf die »Noblesse des Fitness-Studios«, wo »dem Kunden eine erhebliche Eintrittsgebühr und ein gediegener Mitgliedsbeitrag abverlangt wird […], um das Fitnesstraining zu einer noblen Angelegenheit zu machen«. Man versuchte also ein Modell zu entwerfen, das den gekräftigten Muskelkörper in ein größeres soziales Umfeld einzuordnen erlaubt. Während man in der ökonomischen Arbeitswelt schwerste körperliche Tätigkeiten durch Maschinen zu ersetzen trachtet, um einerseits vermehrt Profit zu machen und andererseits den Menschen ein heilsameres Dasein und eine bessere Lebensqualität für den Berufsalltag zu ermöglichen (vgl. König 1989: 63ff.), betreiben unzählige Bodybuilder und Fitnessfanatiker unter völliger Hingabe ein extrem schweißtreibendes Krafttraining. Bodybuilder, die aus verschiedenen sozialen Schich-

48 Vgl. auch Roundtree (2007: 65f.).

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ten entstammen,49 setzen sich freiwillig größten Strapazen aus. Drastischer formuliert: »Trainieren heißt vor allem Vergewaltigung, Folterung, Überwältigung des eigenen Leibes, heißt wüten gegen das schwache Fleisch und gegen den vielleicht unwilligen Geist« (Honer 1985b: 175). Der von Fitness-Studiokunden bei standardisierten Befragungen relativ häufig genannte Spaßfaktor spielt beim Bodybuilding im Vergleich zu anderen körpermodellierenden Betätigungen (Aerobic, Fitness-Training, Bodyshaping etc.), die in Fitness-Studios betrieben werden, weniger eine Rolle.50 Bodybuilding ist alles andere als eine »FunSportart« und will von seinen Akteuren auch keinesfalls als solche verstanden werden (vgl. Dietrich/Heinemann/Schubert 1990: 65ff.). Vielmehr komme das Krafttraining der Bodybuilder einer echten Schinderei – oder anders formuliert: einer extrem harten Arbeit – gleich.51 Allerdings ist hierbei eine harte Arbeit mit Fokus auf originär physiologische Aspekte und nicht etwa auf ideologische Ansichten gemeint. Analytische »Gleichsetzungsbestrebungen« von Bodybuilding- und Fitnesstrainings mit beruflichem Arbeitshandeln mag viele externe Betrachter im ersten Moment ein wenig verwundern. Mit dieser Problematik hat sich auch Honer (1985b: 156ff.) weiterführend beschäftigt. Sie kommt unter Bezugnahme auf Schütz und Luckmann (1984) ebenfalls zu der Schlussfolgerung, dass Bodybuilding vor allem anderen Arbeit sei und zwar Arbeit an und mit dem eigenen Körper. Analog dazu konstatieren auch Lyon und Hall (1983: 28f.), dass Bodybuilding Arbeit sei, die einem ein beispielloses Engagement und eine enorme Disziplin abverlange – was ihrer Meinung nach in einem auffälligen Kontrast zur sonst üblichen, weitgehend bequemlichkeitsorientierten Grundhaltung innerhalb moderner Wohlstandsgesellschaften stehe. Der weit verbreite-

49 Emrich und Pitsch (1992: 22ff.) zeigen auf, dass Bodybuilder aus verschiedenen Sozialschichten stammen, wenn auch mit unterschiedlicher Häufigkeit. Noch in den 1980ern meinte man, dass Bodybuilder primär der sozialen Unterschicht entstammen (vgl. Rigauer 1982: 101f.). 50 Auch Würzberg (1987: 126f.) expliziert unter Bezugnahme auf die Ergebnisse aus narrativen Interviews, dass der Spaßfaktor kein besonders wichtiger Motivationsaspekt für Bodybuilder darstelle. 51 Zum Vergleich von Bodybuilding und gewerblicher Arbeit vgl. auch Honer (1985b: 156ff.) sowie Lyon und Hall (1983: 28ff.).

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te Wunsch, nicht mehr körperlich arbeiten zu müssen und jegliche Form der Anstrengung – sowohl körperlicher wie auch geistiger Art – gänzlich zu vermeiden, ist ein dominantes Anliegen (vgl. Lyon/Hall 1983: 28ff.). Offensichtlich handelt es sich bei der Ausweisung des Krafttrainings als Arbeit um eine paradoxe Angelegenheit, die es detaillierter zu betrachten gilt. »Von ›Arbeit‹ als spezifischer sportlicher Tätigkeit zu reden, falsifiziert die These, der Sport weise keinerlei arbeitskonforme Handlungselemente auf« (Rigauer 1969: 65f.). Die ökonomische Arbeit ist nicht per se in Abgrenzung zu Spiel, Sport, Hobby oder Freizeit bestimmt. Über den Umweg einer Hintertür gelangte etwas, das es im Rahmen des Zivilisationsprozesses (vgl. Elias 1976a, 1976b) weitestgehend zu verdrängen galt, wieder in den Alltag der Menschen zurück. Gemeint ist: die Arbeit im herkömmlichen Sinne. Und zwar diejenige, die unter hoher physischer sowie psychischer Anstrengung durch den eigenen Körper entrichtet wird. Neben den Bodybuildern plagen sich inzwischen mehrere Millionen Fitness-Sportler, Bodyshaper und Gesundheitsfanatiker mit disziplinierter Beständigkeit in den heutigen Fitness-Studios ab (vgl. Kosinski/Schubert 1989: 139). Man kann leicht beobachten, dass in den unzähligen Fitness-Studios die (mühsame) körperliche Arbeit zum Zweck einer grundlegenden Überarbeitung oder Umgestaltung der individuellen Körperoptik nach diversen kollektivierten Schönheitsidealen – oder vielleicht auch aus Beweggründen der persönlichen Gesundheit, Fitness oder Natürlichkeit – massenhaft reanimiert wird (vgl. Bette 1989: 115ff.). An dem immensen und nicht abreißenden Zuspruch der Fitness-Studios manifestiert sich demgemäß die Wiederkehr schwerer körperlicher Arbeit, die ihrerseits nur als Gegenbewegung zu einer Verdrängungsdynamik (und zwar weg von der Arbeit!) adäquat zu begreifen ist. Vornehmlich in Form eines gegenläufigen Prozesses konnte die übermäßig anstrengende Betätigung des (individuellen) Muskelapparates auf das Parkett des gesellschaftlichen Lebens zurückkehren. In ihrem hochintensiven Training heben Bodybuilder »die Marginalisierung harter körperlicher Arbeit freiwillig auf« (Bette 2004: 75f.). Diese geradezu paukenhafte Rückkehr harter körperlicher Arbeit in Gestalt des Bodybuildingtrainings – sowie anderer leistungsfixierter Sportdisziplinen – ist als eine dem Sport per se inhärente Grundtendenz zu deuten und steht im Kontext der »Wiederkehr des Körpers«, wie sie etwa von Kamper

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und Wulf (1982) oder am Rande auch von Würzberg (1987: 53ff.) thematisiert wurde. Zwischenfazit: »Hinter den Türen zeitgenössischer Fitness-Studios realisiert sich am Körper das Prinzip größtmöglich kontrollierbarer Intensität« (Körner 2002: 66). Für denjenigen, der sich durch systematisches Krafttraining zwangsläufig Schmerzen zufügt, »gibt es immer mehr und immer schönere Fitness-Center, die uns das geben, was uns die Technik nimmt: Schweiß« (Schuller 2000: 585ff.). Permanent neue und stets noch ausgeklügeltere Maschinen erobern den Fitness-Markt. Diese sollen ihre Anwender durch optimale Belastungswinkel wieder ein wenig von der harten Arbeit im Training entlasten. Dieser sich neuerdings abzeichnende Trend resultiert aus dem Umstand, dass zwar immer mehr Menschen in Fitness-Studios trainieren, dessen ungeachtet aber viele nicht mehr dazu bereit sind, sich den erforderlichen Trainingsqualen auszusetzen (vgl. Lyon/Hall 1983: 28ff.). Sie wollen zwar die Körperoptik eines mit Muskeln beladenen ›Adonis‹, wollen jedoch nicht den dafür notwendigen Preis zahlen. Sprich: Sie wollen nicht körperlich hart arbeiten. Diese Haltung hat einen starken Einfluss auf die Ausstattung und das Angebot der Fitness-Studios (z.B. Hanteln, Geräte, Sauna, Solarium, Kursangebote, Bekleidungsshop etc.). Natürlich hinterlässt dieser Umstand auch deutliche Spuren auf der Trainingsfläche, die das Herzstück eines jeden Fitness-Studios darstellt. Zu Beginn der Fitness-Studioentwicklung, als die Bodybuildingbewegung gewissermaßen noch in den Kinderschuhen steckte, wurde vornehmlich mit Freihanteln trainiert. Dies war die von heutigen Bodybuildern unaufhörlich gehuldigte Zeit, in der noch das (»primitive«) Kurzund Langhanteltraining das Trainingsgeschehen in den Fitness-Studios beherrschte. Jedem Sportler, der selbst schon einmal eine Zeit lang regelmäßig mit Hanteln trainiert hat, sind vermutlich die alten Hanteln, die aus einem Guss bestehen und an beiden Enden in eine kanonenkugelähnliche Form überlaufen, aus älteren Trainingsstätten vertraut (vgl. Würzberg 1987: 87ff.). Sie bildeten das Hauptinventar der ersten KraftStudios, die an vormoderne »Folterkammern« – ganz im Stil der Heiligen Römischen Inquisition – erinnern. Der Folterkammer-Vergleich hat sich im Übrigen als abwertende Betitelung für (kommerzielle) FitnessStudios, besonders für Bodybuilding-lastige Studios, bis in die heutige Zeit hinein hartnäckig halten können (vgl. Honer 1989: 65f.).

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Neben den präferierten freien Gewichten vollzog sich aber sehr früh ein eindeutiger Trend hin zu Trainingsmaschinen wie Kabelzügen u.Ä. Man wollte mit weniger physischem Einsatz eine deutlich höhere Trainingsintensität erlangen (vgl. Strzeletz 1982: 27ff.) – ein genereller Trend, der in weiten Teilen bis in die Gegenwart anhält. Was eine bedachte Verwendung von den nicht selten relativ futuristisch anmutenden Trainingsmaschinen betrifft, fanden sich schnell namhafte Befürworter. Zu nennen wären Athleten wie etwa Theodor Siebert oder George Hackenschmidt.52 Nach Letzterem wurde eine Kniebeugemaschine (der sog. Hackenschmidt-Kniebeuger) benannt (vgl. Wedemeyer 2004: 348ff.). Allerdings muss man hierbei klarstellen, dass man mit diesen ersten Maschinen eine effektive Intensitätssteigerung für das Training verfolgte und keineswegs ein ›Umgehen‹ oder Abmildern von körperlichen Anstrengungen. Daher ist zwischen einem frühen und einem späten Maschinentrend zu differenzieren. Das erste Studio mit viel Maschineninventar – fast nach heutigem Muster – eröffnete Krajeski bereits 1885 in St. Petersburg (vgl. Dorsch 2004: 13ff.), woran die lange Tradition des Maschineninventars in Fitness-Studios deutlich wird. Am Maschinentrend innerhalb der Studiobranche wird wiederum anschaulich, dass etwas gesellschaftlich Verdrängtes eine Wiedergeburt erfahren kann, wenn auch oftmals in einer völlig neuen Gestalt. In diesem Zusammenhang erleben die elementarsten Bewegungsformen – angestoßen durch die Einführung spezieller Trainingsmaschinen – als »Inklusion des Exkludierten« eine paradoxe Wiederkehr. So werden motorische Grundabläufe, wie Treppensteigen, das im Alltag durch Rolltreppen sowie Aufzüge substituiert wurde, oder ›Gehen‹ bzw. ›Laufen‹, das

52 Georg Hackenschmidt wirkte als Athlet in der Zeit von 1899 bis 1930 und trug den kraftvollen Beinamen: »Der Russische Löwe«. Als einer von Sieberts (der »Athletenvater«) Schülern gewann er Gewichthebermeisterschaften und mehrere Weltmeisterschaften als Ringer (vgl. Strzeletz 1982: 20). Er war der ideale Beweis dafür, dass sich Körperkraft und Intelligenz nicht gegenseitig ausschließen müssen. So debattierten mit ihm Intellektuelle, wie z.B. Georg Bernard Shaw oder auch Albert Einstein, über philosophische Grundfragen. Zudem publizierte er ein philosophisches Werk mit dem Titel »The Origins of Life« (vgl. Bredenkamp/Krägermann/Urbansky 1993: 140f.).

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durch motorisierte Fortbewegung (Zug, Bus, Auto, Schiff, Flugzeug u.Ä.) immer weiter in den Hintergrund gedrängt wurde, via moderner Trainingsmaschinen reanimiert. Mit derartigen Maschinen, die die verdrängten Bewegungsabläufe simulieren, sind z.B. Stepper, Crosstrainer, Laufband u.Ä. gemeint. Daher kann man in diesem Kontext erneut von einer Wiederkehr des Verdrängten in der materiellen Grundausstattung der Fitness-Studios sprechen. Da, wie weiter oben detailliert beschrieben ist, jede gesellschaftliche Bewegung oder auch Entwicklung in der Regel eine bestimmte Gegenentwicklung mit sich bringt (vgl. Bourdieu 1982: 796), ist das Bodybuilding resümierend als ein charakteristisches Phänomen der Moderne zu deuten. Analog dazu brachte auch der erörterte Maschinentrend innerhalb der Entwicklungsdynamik der Sport-Studios eine (explizit) gegen Trainingsmaschinen gerichtete Bewegung mit sich. Teilweise heftigste Kritik an den hochtechnologisierten Maschinen breitete sich insbesondere in der außerordentlich leistungsbereiten Bodybuildingszene unaufhaltsam weiter aus: »Die Maschinen geben die Bewegung und die Belastung vor; alles ehemals Kreative des Trainings, nämlich die Entwicklung und Erfindung neuer oder anderer Hantelübungen für vernachlässigte Muskelgruppen, die Entdeckung alternativer Abläufe von vermeintlich eingefahrenen Bewegungen alter Übungen, das Aus- und Rumprobieren neuer Methoden für das Training verschwindet mit dem Siegeszug der Maschine.« (Wedemeyer 1996: 148)

Als Konsequenz der unreflektierten Maschinen-Verherrlichung, wie sie angeblich von der Majorität der Fitness- und Gesundheitssportler in (kommerziellen) Fitness-Studios betrieben werde, kristallisierte sich bei etlichen passionierten Bodybuildern immer deutlicher eine strikte Abkehr von Trainingsmaschinen heraus. Das Motto hieß und heißt: Back to the roots! Mehrfach wurden von Wissenschaftlern Ähnlichkeiten zwischen Fitness-Studios inklusive der Gerätschaften und industriellen Fabriken einschließlich ihres Maschineninventars angedeutet (vgl. Scalla 2001: 157), was vor dem Hintergrund der Kompensationshypothese als nicht uninteressant erscheint. Einige frappierende Ähnlichkeiten sind auch

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tatsächlich nicht von der Hand zu weisen. Allerdings stellt sich nunmehr die Frage, ob dieser Trend hin zu ausgeklügelten Trainingsmaschinen, der der Modernisierung voll und ganz zu entsprechen scheint, von allen Fitness- und Gesundheitssportlern gleichermaßen getragen wird, oder ob es in diesen Szenen nicht auch einige gibt, die – den Bodybuildern gleich – skeptisch gegenüber dem Maschinentraining sind? In Fitness-Studios ist es leicht zu beobachten, dass die Ernsthaften unter den körpermodellierenden Kraftsportlern diesem Trend nur bedingt Folge leisten, was sowohl für Bodybuilder als auch für ambitionierte Fitness-Sportler gilt. Ein passionierter Bodybuilder distinguiert sich von anderen Athleten durch das Favorisieren eines disziplinierten und drakonischen Trainingsstils, der größtenteils Freihantelübungen beinhaltet, die im Bodybuildingjargon auch als Grund- oder Fundamentalübungen bezeichnet werden. Zu diesen meist hochkomplexen und hochintensiven Übungen zählt man z.B. Kniebeugen, Kreuzheben, Langhantelrudern, Bankdrücken, Lang- und Kurzhantelcurls etc.53 Viele Bodybuildingbücher, oft geschrieben von Ikonen des Kraftsports, wie Möller (1998), Schwarzenegger (1982; 1991; 1993; 1999) oder Weider (1991), raten ebenfalls von der überzogenen Maschinennutzung ab und propagieren eine Rückbesinnung auf die altbewährten freien Gewichte und somit auf das klassische Kurz- und Langhanteltraining (vgl. Pramann 1983: 33f.). Anzumerken ist, dass man im Zuge der jüngsten Fitness- und Wellnessentwicklung dem Bodybuilding – in der Szene als Hardcorebodybuilding tituliert (vgl. Kapitel 5.2) – seit den 1980er Jahren (der Fitnessphase) und noch vehementer seit den 1990er Jahren (der Gesundheitsund Wellnessphase) zunehmend den Rücken zukehrt. Momentan ist der »fitte« und »durchtrainierte« Körper angesagt und mitnichten der übertrieben hypertrophierte Muskelkörper (vgl. Wedemeyer 1999b: 408ff.). Diese Entwicklung hat allerdings nicht mal ansatzweise zu einer Dopingeindämmung im Fitness-Studiobereich geführt, da sich auch immer mehr Fitness- und Gesundheitssportler neue Dopingtechnologien zu Nutze machen (vgl. Kläber 2010). Die Dopingsituation hat sich hier offensichtlich in weiten Teilen weiter verschlechtert, da es diverse Ausstrahlungseffekte vom Doping der Bodybuilder auf andere Sportberei-

53 Vgl. ausführlicher Weider (1991).

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che – speziell in den Fitness-Studios auf den Fitness- und Gesundheitssport – gegeben hat. Das sog. ausgewogene Krafttraining54 sowie ein sich schwungvoll weiter entwickelndes und stark variierendes Kursangebot von Aerobic, Step-Aerobic, Spinning, Tae-Bo bis hin zu Thai-Chi, Manager-Boxing, Power-Yoga etc. prägen das gegenwärtige Bild der Fitness-Studiolandschaft mit Nachdruck und machen diese für eine breitere Masse an Menschen attraktiv. Kurz: Der Fitnesskörper liegt voll im Trend (vgl. Körner 2002: 65). Evidenterweise hatte das auch direkte Auswirkungen auf die einzelnen Fitness-Studio-Anbieter zur Folge. So wirkt die Majorität der heutigen Fitness-Studios im Vergleich zu früheren Zeiten hochgradig steril und ähnelt eher den großen High-Tech-Rehabilitationszentren als irgendwelchen Folterkammern (vgl. Lütz 2004: 146). Die Ära der patriarchalischen Athletenschmieden, die viele bedeutende Bodybuilder (Reeves, Pearl, Park, Schwarzenegger, Ferrigno etc.) hervorgebracht haben – von denen nicht wenige populäre Filmhelden des Kinos wurden –, scheint endgültig vorüber zu sein (vgl. Bredenkamp/Krägermann/Urbansky 1993: 183ff.). In der Gegenwartsgesellschaft sind kommerzielle Fitness-Studios mit einer Vielzahl an Ausdauergeräten gewünscht, die nicht nur gesellschaftlich verdrängte Bewegungsabläufe simulieren, sondern darüber hinaus einen positiven Effekt auf das kardiovaskuläre System haben. Außerdem haben große Fitness-Studios ihrer Kundschaft ein abwechslungsreiches und innovatives Kursangebot zu unterbreiten, um als Wirtschaftsunternehmen in der extrem konkurrenzintensiven Fitnessbranche auf Dauer reüssieren zu können. Gleichwohl gilt: »Die heutigen Fitness-, Health- und Wellnesscenter entwickelten sich aus den Sportbzw. Bodybuildingstudios, in denen in den Anfangszeiten nur Hantelsport bzw. Bodybuilding [...] ausgeübt wurden.« (Dilger 2008: 245f.) Im aktuellen Angebot der angesagten Fitness-Studios findet man kaum noch klassisches Bodybuilding (vgl. Apraku/Nelles 1988: 21ff.). Der Trend zur Körpermodellierung, den die Bodybuilder in den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in die Wege leiteten, hat

54 Allgemein zum »ausgewogenen Krafttraining« und dabei insbesondere zum »sanften Krafttraining« vgl. Buskies (1999) oder Boeckh-Behrens und Buskies (2000).

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sich nunmehr gegen sie selbst gerichtet (vgl. Wedemeyer 1996: 153f.). Immer häufiger verhält es sich so, dass Fitness-Studios keine wuchtigen Bodybuilder mehr aufnehmen möchten, da diese angeblich die breitere Masse an fitness- sowie gesundheitsorientierten Kunden einschüchtern und letzten Endes vergraulen würden. Allerdings verzichten Bodybuilder »erfahrungsgemäß mit [einem] müden Lächeln auf eine Mitgliedschaft, wenn sich beim ersten Rundgang durch das Studio herausstellt, dass die wuchtigen Hanteln nicht zur Ausstattung gehören« (Apraku/ Nelles 1988: 26f.). Bedenkt man alle angeführten Aspekte, kommt man zu der Schlussfolgerung, dass das Bodybuilding derzeitig wieder ›ins Abseits‹ der pluralistisch gewordenen Sportartenlandschaft55 gedrängt wird; folglich erscheint der klassische Bodybuilder heute als ein Exot unter der Überzahl anderweitig orientierter Fitness-Studiokunden.

55 Zum gegenwärtig vorherrschenden Pluralismus im Sport als ein Resultat der gesteigerten Individualisierungsbestrebungen des modernen Individuums vgl. ausführlicher Bette (1999: 180ff.).

IV. Binnendifferenzierung im modernen Bodybuilding

Eugen Sandow, der Gründer, Namensgeber und sicherlich bedeutendste Wegbereiter des klassischen Bodybuildings, sah entsprechend den Ausführungen von Bette (2011: 209ff.), die degenerierte Nervenkraft seiner Zeitgenossen als eine für die Moderne »repräsentative« Volkskrankheit an. Durch gezielte Körperertüchtigungsprogramme, die speziell auf eine nachhaltige Optimierung der individuellen Körperoptik ausgerichtet waren, meinte er sog. Zivilisationskrankheiten – Bluthochdruck, Übergewicht, Adipositas, Gicht, Allergien, Krebs, Depressionen, Ess-Störungen etc. – aus der Welt schaffen zu können. Er benannte verschiedene Symptome, die heute dem Burnout-Syndrom zugeordnet werden und moniert: »Ein vielleicht noch größerer Teil weiß, was es heißt, Tag und Nacht unter nervösen Anspannungen zu leiden, welche durch die übermäßige Konkurrenz verursacht worden sind« (Sandow 1902: 22). Um dem Abhilfe zu leisten, riet er seinen Anhängern zu speziellen Krafttrainingsprogrammen mit Hilfe von – zumindest aus heutiger Sicht antiquierten – Kurz- und Langhantelequipment. Dabei intendierte er, durch das schweißtreibende Krafttraining nicht nur Muskeln zu bilden und zu formen, sondern ebenso die Willenskraft zu schulen und die »Gewohnheiten der Selbstkontrolle und Mäßigung zu üben« (ebd.: 23). Nicht die Zielerfüllung sei dabei die Belohnung für den Kraftsportler; vielmehr sei bereits der Weg dahin das Ziel. Wie es Bette (2011: 210) prägnant erschließt, »brachte Sandow seine Ideen in korporalisierter Form auf die Bühne«, um möglichst viele Menschen für sein körperideologisch hochaufgeladenes Anliegen, das

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letztlich aber doch ein hauptsächlich wirtschaftlich gewinnorientiertes ›Unterfangen‹ darstellte, zu gewinnen. Nichtsdestotrotz faszinierte und begeisterte der clever wirtschaftende Sandow »sein Publikum weltweit mit eigenen Kraftdemonstrationen und Vaudeville-Shows und wurde um die Wende zum 20. Jahrhundert zum ersten und häufig kopierten Propagandisten des modernen Kraftsports und Bodybuildings« (ebd.). Sandow kämpfte gegen Tiere (Elefanten, Pferde etc.) oder Menschen; er ließ sich mit mutigen – und zum Kraftvergleich bereiten – Männern aus seinem Publikum auf waaghalsige Wetten ein, in denen man in einem Ring im sog. Allkampf gegeneinander antreten musste oder Eisenstangen zu verbiegen hatte. Auch nutzte er das damals noch neue Medium der Fotografie1 für seine Zwecke ungemein geschickt. Auf unzähligen Bildern imitierte er vorzugsweise die Posen antik-griechischer und -römischer Statuen. Bei all seinen fotografischen Darstellungen inszenierte sich Sandow gekonnt als die »virtuose Inkarnation« männlicher Schönheit und Vollkommenheit. Dazu meint Bette (2011: 211): »Er lieferte damit Vorbilder, auf die heute noch Bodybuilder in ihren Präsentationen zurückgreifen. Sandow ergänzte die bisherigen Ideale männlicher Schönheit und Kraft durch das Bild der muskelbasierten Hypermaskulinität und Virilität. Er wurde so zu einem Objekt weiblicher und männlicher Begierden, zumal er in seinen Shows häufig nur mit Feigenblatt und römischen Sandalen auftrat, was nicht nur zu jener Zeit durchaus ungewöhnlich war. Er etablierte damit den nackten, weißen, muskulösen Männerkörper sowohl als dominante ästhetische Referenzgröße als auch als Materialitätsbasis für Zeichen der wiedererstarkten männlichen Determiniertheit und des Willens zur Selbstmetamorphose. In seinen Auftritten überraschte er bisweilen dadurch, dass er aus der Masse der Zuschauer kam und beeindruckende körperliche Klasse zeigte, um nach seinen Shows mit Hilfe einer verhüllenden Kleidung wieder in eine Alltagsrolle zurückzu-

1

Zur Wirkung der Fotografie konstatiert Bette (2011: 213): »Die Massenpresse und die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts neu aufgekommene Fotografie sorgten dafür, dass diese auf Hypertrophie und physische Raumexpansion hinauslaufende Einwirkung auf den männlichen Körper eine weltweite Aufmerksamkeit erhielt«.

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schlüpfen. Er gab seinen männlichen Zeitgenossen gleichsam das Versprechen, dass auch sie ihre Wunschkörper mit einem ausgeklügelten Training und einer entsprechenden Willensstärke und Askesebereitschaft real erreichen könnten.«

Auf der Grundlage kulturkritischer und medizinischer Einschätzungen sowie männlicher Perfektionsvorstellungen forderte Eugen Sandow zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Umorientierung im Umgang mit dem eigenen Körper und sprach sich klar für ein ganzheitliches Krafttraining aus, das mit diversen Gymnastik-, Yoga-, Ausdauer- und Kampfsportelementen im Vergleich zu den aktuell üblichen Bodybuildingprogrammen auffallend vielseitig erscheint. Die Identität der Kraftsportler wurde von Sandow und weiteren Wegbereitern des Bodybuildings der ersten Stunde bewusst als eine pluralistische konzipiert. In den 1960er und 70er Jahren, in denen besonders Sergio Oliva und Arnold Schwarzenegger als Protagonisten des sich nur langsam etablierenden Wettkampfbodybuildings in Erscheinung traten, war die Identität der Kraftsportler noch nicht so hochspezialisiert, wie es heutzutage der Fall ist. Für das gegenwärtige Bodybuilding stellt sich die Frage, wohin die Reise führen soll? Betrachtet man die aktuelle Situation des Profibodybuildings, das noch immer die Maßstäbe für die gesamte BodybuildingCommunity grundlegend mitbestimmt, erkennt man sehr leicht, dass ›Masse und Härte um jeden Preis‹ – auch auf Kosten der Körperkraft – zur allgemeinen Maxime des Bodybuildings avanciert zu sein scheint. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass es klare Bewertungskriterien für die sog. Proportion, also die Symmetrie im Verhältnis zur Muskelmasse und zur Definition gibt. Große und kleine Bodybuildingwettkämpfe werden in der Regel mit imposanter Masse gewonnen; »Massemonster«, wie einst Arnold Schwarzenegger und Franco Columbo oder momentan Ronnie Coleman und Jay Cutler dominieren das Wettkampfgeschehen. Angesichts der mittlerweile erreichten Körpermaße im Profibodybuilding ist es fraglich, wie sich die deutsche Bodybuildingszene in Punkto Muskelmasse noch weiterentwickeln wird. An diesem Punkt schieden sich bereits vor Jahrzehnten die Geister und das klassische Bodybuilding zerfiel in der Folge in zwei große Lager: das des Hardcorebodybuildings und das des Naturalbodybuildings – innerhalb derer sich wiederum verschiedene Lager herausbildeten.

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Unterdessen wurde eine »Vernachlässigung des Körpers« und dabei besonders seiner Erscheinungsform (der Körperhülle) sowohl zu Zeiten Sandows als auch Schwarzeneggers von allen Kraftsportakteuren als »Sünde« angesehen. Daher mahnten alle Protagonisten des Bodybuildings bis in die heutige Zeit eine nachhaltige Fürsorge für den eigenen Körper an. Während sich anfänglich Gewichtheber, Kraftdreikämpfer, Ringer, Powerlifter, Bodybuilder etc. noch nicht voneinander abgrenzten und auch für die Athleten gar nicht deutlich war, als was sie sich zu begreifen haben, sind die einzelnen Kraftsportformen inzwischen durch Binnendifferenzierungsprozesse sehr strikt voneinander getrennt. Diese beachtenswerte Dynamik der Binnendifferenzierung im Kraftsportsektor hat sich sodann auch auf das Bodybuilding übertragen und schließlich zu subtilen Ausdifferenzierungsformen geführt, die es in Kapitel IV zu bestimmen gilt. Der Sport wurde von Kapitel 1.3 in zwei separaten Unterpunkten als ein ausdifferenziertes Teilsystem der funktional differenzierten Gesellschaft bestimmt und als ein autopoietisches Sozialsystem mit sporteigener binären Codierung (dem Sieg-/Niederlage-Code) und hochkomplexer Programmebene (Sportorganisationen, sportspezifische Orte, sportinterne Rollendifferenzierungen, sportartenspezifische Reglements etc.) erörtert. Im Anschluss an diese Ausführungen wurde das traditionelle Bodybuilding – insbesondere in Gestalt des Wettkampfbodybuildings – als ein Teilbereich des Sportsystems identifiziert, wobei schon auf bestimmte Binnendifferenzierungsprozesse hingewiesen wurde. Im Folgenden geht es darum, die Binnendifferenzierung nicht nur im Sinne einer Entstehung neuer Sportarten sowie -formen, die im Laufe der Entwicklungsgeschichte der kommerziellen Fitness-Studiobranche aus dem Bodybuilding heraus entstanden sind, zu skizzieren; vielmehr gilt es speziell die langjährige Binnendifferenzierung innerhalb des genuinen Bodybuildings, das als eine Überkategorie verschiedener bodybuildingspezifischer Ausformungen – vornehmlich Hardcorebodybuilding und Naturalbodybuilding – zu verstehen ist, detaillierter zu erörtern. Folglich sollen nicht lediglich der Fitness- und Gesundheitssport in seinen Abgrenzungsbestrebungen zum klassischen Bodybuilding thematisiert werden, sondern vornehmlich die Ausdifferenzierung divergenter Bodybuildingverständnisse, aus denen wiederum ›autark‹ operierende Organisationsstrukturen und separierte Programmebenen entstanden sind.

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Kapitel 5 behandelt als letzter Analyseschritt dieser Studie zur Soziogenese des Bodybuildings die »Identität der Kraftsportler«, die vorerst durch ein überaus breites Selbstverständnis der Athleten gekennzeichnet war und sich gegenwärtig durch einen immensen Spezialisierungsgrad auszeichnet. Während die nun schon über ein Jahrhundert andauernde Identitätsentwicklung vom Kraftsportler als ein »Pluralist« hin zum Kraftsportler als Spezialist in drei Unterkapiteln nachgezeichnet wird, verdeutlicht sich die hohe Potenz der Binnendifferenzierung im modernen Bodybuilding. Kapitel 5.1 expliziert zunächst Ein- und Abgrenzungen vor dem Hintergrund der kollektivierten Identitätsbildung im Kraftsportsektor, zu dem auch Sportarten, wie Kraftdreikampf, Powerlifting etc., hinzuzuzählen sind. Nach den primär mikrosoziologischen Betrachtungen der tradierten Distinktionsweisen der Bodybuilder bringt Kapitel 5.2 die Ausbildung einer avantgardistischen Hardcoreszene auf der Mesoebene analytisch auf den Punkt, indem der Hardcorebodybuilder in seinem Selbstverständnis als der »einzig wahre« Bodybuilder dargestellt wird. Abschließend behandelt Kapitel 5.3 die Antriebsmotive moderner Bodybuilder auf der Makroebene – unter Berücksichtigung einer sich etablierenden Bodybuildingszene; gemeint ist das Naturalbodybuilding, das für sich beansprucht, wieder zu den Ursprüngen des Bodybuildings zurückgekehrt zu sein. Dies ist als eine Gegenbewegung zum Hardcorebodybuilding bzw. als Reaktion auf dessen Vormachtstellung im Bodybuilding zu deuten. Gewissermaßen ist das Naturalbodybuilding damit zur Gegenbewegung innerhalb des Bodybuildings (heute: Hardcorebodybuilding) geworden, das sich – wie bereits dargestellt – ebenfalls als Gegenbewegung zum typisch modernen Lebensstil konstituierte.

5 I DENTITÄT DER K RAFTSPORTLER – VOM P LURALISTEN ZUM S PEZIALISTEN Noch in den 50er und den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts kümmerte man sich im ›Lager‹ derer, die ein systematisches Krafttraining propagierten, verhältnismäßig wenig um irgendwelche Unterschiede untereinander. Gemeinsamkeiten standen bei den frühen Eisensportlern, die man im Sportsystem gemeinhin als Randgruppe wahrnahm, noch im

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Vordergrund. Dagegen dominiert derzeitig das Trennende. Vielfältige Abgrenzungstendenzen lassen sich aufzeigen. Schranken werden absichtlich konstruiert, um sich von den jeweils Anderen zu distinguieren (vgl. Dorsch 2004: 16f.); es findet gewissermaßen eine kollektive Identitätsarbeit statt. Aus diesem Grund haben einst auch ambitionierte Bodybuilder ihre eigene Wettkampfform erfunden.2 Gleiches zeichnete sich zeitlich deutlich später im Lager der Fitness-Sportler ab. Auch sie sind momentan im Begriff, eine selbständige Wettkampfform zu generieren. Erste Impulse dazu kamen ironischerweise aus dem Bodybuildingsport. Dort versuchte man schon vor Jahrzehnten den reinen Bodybuildingklassen eine Fitnessklasse sowohl für Männer als auch für Frauen hinzuzufügen – jedoch bisher nur mit bescheidenen Erfolgen (vgl. Hoffmann 1999: 11ff.). Grundsätzlich sind Fitnessversierte vermutlich wenig daran interessiert, in einer Unterkategorie des Bodybuildings ein Schattendasein zu führen. Vielmehr will man als selbstständige Sportart, die ihre eigenen Wettkämpfe austrägt, im Gesamtkanon der Sportarten endgültig Anerkennung finden. Derartige sich vermehrt abzeichnende Abgrenzungen führen zu einer immer stärkeren Identitätsbildung innerhalb der sich sukzessiv ausdifferenzierenden Sportformen oder -arten (vgl. Emrich/ Papathanassiou/Scheller 1992: 101ff.). Vollends überzeugte Bodybuilder begreifen sich unterdessen nicht selten »nur« noch als Bodybuilder und nicht mehr als Kraftsportler, Eisensportler oder Ähnliches. Wo früher Einigkeit und Brüderlichkeit unter den verschieden Minderheiten des Kraftsportsektors dominierten, wird heute das Trennende betont. Nicht mehr Einheitsgedanken, sondern brachiale Distinktionsbestrebungen3 prägen nunmehr das Bild des Kraftsports. Inzwischen hat sich die Situation dermaßen zugespitzt, dass die Einen den Anderen mit starkem Argwohn – stellenweise sogar mit Verachtung – begegnen. So haben sich beispielsweise als Erstes die Gewichtheber nachhaltig von den Bodybuildern distanziert, was sich u.a. durch eine sozialräumliche Segregation in strikt getrennte Trainingsstätten – die Gewichtheber im (traditionellen) Sportverein und die Bodybuilding im (kommerziellen) Fit-

2 3

Zu den Bodybuildingwettkampfregeln vgl. Bednarek (1984: 61ff.) und das Reglement des DBFV (vgl. www.dbfv.de: Wettkampfregeln). Zum »Sinn« sozialer Distinktion vgl. Bourdieu (1982: 405ff.).

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ness-Studio – auf der räumlichen Ebene manifestierte. Gewichtheber schätzen die im Wesentlichen auf Körperoptik ausgelegte Sportform ihrer einstigen Brüder nicht nur deutlich geringer; sie stellen daneben auch grundsätzlich in Frage, ob es sich beim Bodybuilding überhaupt um eine Sportart handele. Dabei wird der Umstand, dass das Gewichtheben eine Olympische Sportart mit langer Tradition darstellt, von seinen Akteuren als strategischer Vorteil in den meist ungestümen Auseinandersetzungen – fast schon routinemäßig – argumentativ verwendet. Aber auch Kraftdreikämpfer (bzw. Powerlifter) und Gewichtheber pflegen alles andere als ein harmonisches Verhältnis zueinander. Die Kraftprotze des Kraftdreikampfes halten sich gerne für die »einzig wahren« Kraftsportler unter den sog. Schwerathleten. Das extrem herablassende Verhältnis der Kraftdreikämpfer zu den Bodybuildern veranschaulicht Dorsch (2004: 16) mit dem Verweis auf den in Powerlifterkreisen beliebten T-Shirt-Slogan: »Powerlifter eat Bodybuilders for Breakfast«. Ähnliche Abgrenzungsweisen auf der symbolischen wie auch kommunikativen Ebene gibt es auch unter dem Kundenstamm kommerzieller Fitness-Studios. Bodybuilder sind in diesem Zusammenhang immerzu bestrebt, sich insbesondere über ihre distinktionsstarken Körperhüllen von anderen Kraftsport-Akteuren abzugrenzen: »Der Körper, der den öffentlichen Teil des Ichs darstellt, ist zudem das Persönlichste, zu dem jedes Ich ein spezifisches und eigenständiges Verhältnis hat. Die Feststellung ›Das bin ich‹ zeigt den Rückgriff auf den Körper zur Identitätsbildung und die besondere Bedeutung, die der Körper für jedes Ich hat. Diese markierte Zugehörigkeit und der Besitzanspruch des Ichs an den eigenen Körper […] führen jedoch zu einer Entfremdung des Körpers und zu einer paradoxen Ambivalenz: der eigene Körper ist vorwiegend fremdbestimmt und dem Ich nicht ausschließlich zugeordnet.« (Steuerwald 2010: 34)4

Die paradoxe Ambivalenz, dass der Körper eines Bodybuilders, der seine Körperhülle scheinbar nach individuellen Vorstellungen umgestaltet, hauptsächlich fremdbestimmt sei, zeigt sich daran, dass man zunächst einmal einen bestimmten – alles andere als alltäglichen – Körper benö-

4 Zum Thema Körper und Identität vgl. ausführlicher Gugutzer (2002).

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tigt, um sich glaubwürdig als Bodybuilder verstehen zu können. Bodybuilder grenzen sich in einer beispiellosen Weise als Kollektiv durch ihr über Jahrzehnte tradiertes Körperideal von anderen Kraftsportgruppen ab. Aber was macht den genuinen Bodybuilder im Konkreten aus? Wissenschaftlich integere Auseinandersetzungen mit den Hauptakteuren des Bodybuildings als ein besonderer Typus unter den FitnessStudiokunden sind spärlich. Lediglich Bednarek (1984: 54ff.), Würzberg (1987: 134ff.) und in Ansätzen Honer (1985a: 131ff.) versuchen sich an einer Klassifizierung der unterschiedlichen Persönlichkeitstypen, wie man sie im Alltagsgeschehen kommerzieller Fitness-Studios vorfindet.5 Eine relativ simple Unterscheidung nimmt dabei Honer vor. Ihrer Auffassung nach lassen sich zwei Typen trennscharf voneinander unterscheiden: zum einen der Fitness- oder Ausgleichssportler, den sie ferner als »unechten Bodybuilder« oder Pseudobodybuilder deklariert, und zum anderen der sog. Leistungsbodybuilder, der allein das Prädikat »echter Bodybuilder« von Honer zugeschrieben bekommt (vgl. Honer 1985a: 131f.). Allein schon durch die Formulierung, dass Bodybuilder mit dem terminologischen Zusatz »Leistung« bedacht werden, wird zugleich impliziert, dass nur Bodybuilder »leistungsorientiert« trainieren und alle anderen dementsprechend nicht. Den Fitness- oder Gesundheitssportlern werden folgerichtig eine erheblich geringere Leidenschaft und dadurch indirekt auch ein deutlich geringeres Leistungsniveau hinsichtlich ihres Trainings attestiert. Dies lässt sich angesichts existenter Studien, die konstatieren, dass etliche Fitness-Sportler den gleichen Fanatismus und die gleiche Instrumentalisierungsbereitschaft gegenüber ihren Körpern aufzubringen imstande sind, nicht aufrechterhalten (vgl. Kläber 2010). Denn durch »die grenzenlose Begeisterung nimmt bei den Anhängern [des Fitness-Sports] schnell das ganze Leben unbeschränkt ergreifende, totalitäre Züge an« (Lütz 2002: 70). Davon unabhängig ist Honers Differenzierung aus den 1980er Jahren in Anbetracht des beachtlichen Pluralisierungsprozesses und der immensen Komplexitätssteigerung innerhalb der Branchenstruktur kommerzieller Fitness-Studios für die akuten Verhältnisse zu eng gefasst. Ein Bodybuilder ist zunächst:

5

Vgl. auch Gomer (1995: 135ff.).

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»[…] in aller Regel Kunde eines privatwirtschaftlichen Unternehmens der Freizeitindustrie. Er schließt gegen Entrichtung einer Gebühr einen zeitlich befristeten Vertrag ab, der ihm gestattet, innerhalb der Öffnungszeit jederzeit und lediglich unter Berücksichtigung seiner eigenen Zeiteinteilung die verschiedenen Einrichtungen des Studios (z.B. Maschinen und freie Gewichte, Umkleideräume, Duschen, evtl. Sauna, Solarium, Bar usw.) zu nutzen.« (Honer 1989: 65)

Dabei favorisiert der klassische Bodybuilder nahezu ausschließlich bodybuilding-orientierte Fitness-Studios und ist somit nur selten in anderen Fitness-Studios angemeldet, die beispielsweise vornehmlich auf Fitness- oder Gesundheitssport mit Schwerpunkt im präventiven und rehabilitativen Bereich ausgelegt sind. Wie Kapitel 4.2 zeigt, neigen Bodybuilder dazu, sich ein Umfeld zu suchen, das die persönlich internalisierten Wertemuster und Ansichten in vielerlei Hinsicht teilt. So konstituieren sich Subkulturen. Je unorthodoxer die eigene Denk- sowie Handlungsmaxime ist, desto mehr wird man dazu geneigt sein, sich mit Menschen zu umgeben, die dieselbe Maxime vertreten, sei es im realen Leben, also etwa auf Meisterschaften, im Fitness-Studio etc., oder auch im virtuellen Leben, wie z.B. in bodybuildingspezifischen Internetforen. Denn durch die Peergroup erhält man das, wonach man strebt: Anerkennung und Respekt. Durch den Zusammenschluss mehrerer Gleichgesinnter ist sodann die Ausbildung der Gruppenidentität auf den Weg gebracht, die sich schließlich mit der Identität anderer ähnlich gesinnter Gruppen an anderen Orten vermengt und letztlich zur ortsübergreifenden, subkulturspezifischen (Kraftsport-)Identität führt. Nachdem die kollektivierte Kraftsportidentität etabliert war, galt es sich als Bodybuilder von den anders gesinnten Kraftsportgruppen abzugrenzen.

5.1 Ein- und Abgrenzungen im Kraftsportsektor Gewöhnlich gehört ein waschechter Bodybuilder einer in sich geschlossenen Gruppe an, die sich zu anderweitig orientierten Gruppen eher distanziert verhält. Das heißt jedoch nicht, dass man sich nicht gelegentlich mit anderen Studiokollegen unterhält oder es den einen oder ande-

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ren Athleten gibt, der es als Einzelgänger bevorzugt, für sich alleine zu bleiben. »Sowohl unter Bodybuildern wie unter Fitness-Sportlern gibt es Individualisten, die am liebsten allein trainieren« (Bednarek 1984: 55f.). Dennoch bleibt der genuine Bodybuilder ungeachtet der grundlegenden Ausrichtung des Fitness-Studios, in dem er aktuell angemeldet ist und regelmäßig trainiert, bevorzugt unter seinesgleichen und meidet in vielerlei Hinsicht den engeren Kontakt zu nicht Bodybuilding betreibenden Studiokollegen (vgl. Kapitel I 4.2). Zu betonen ist, dass die echten Bodybuilder in fast allen Sport-Studios unverkennbar in der Minderzahl sind, selbst in den stark bodybuilding-lastigen Trainingszentern. Dazu erörtert Gomer (1995: 135), wenn auch etwas pauschal formuliert: »Ungefähr ein Drittel der Leute wollen Muskeln aufbauen, die zweite Gruppe besteht aus Leuten, die mit ihrer Figur unzufrieden sind […]. In dieser Gruppe sind mehr Frauen als Männer. Das sind 50 Prozent aller Mitglieder. Dann haben wir noch 20 Prozent. Das sind die Leute, die in Büros sitzen, den ganzen Tag in Autos sitzen und ganz einfach einen Ausgleich zu ihrer bewegungsarmen Tätigkeit suchen.«

Würzberg (1987: 128f.) kategorisiert – in streng wissenschaftlicher Manier – sämtliche Besucher kommerzieller Fitness-Studios in vier grundverschiedene »Typen«: Erstens den Powerlifter, der vornehmlich für Kraftdreikämpfe u.Ä. trainiert; zweitens den Instrumentalisten, der nur als Ergänzung zu einer anderen – von ihm favorisierten – Sportart etwas mit Gewichten trainiert; drittens den Fitness-Typen, der sich Würzbergs Auffassung nach in kein festes Schema zwängen lässt; und viertens den passionierten Bodybuilder, der im Kraftsport voll und ganz aufgeht.6 Im Folgenden wird auf zwei dieser Typen detaillierter eingegangen, nämlich auf den Bodybuilder und den Fitness-Typen. Dadurch, dass nunmehr der Fitness-Typ gewissermaßen als Vergleichswert herangezogen wird, ist ein »verstehender Nachvollzug« des Bodybuildings samt seiner Akteure leichter zu erzielen. Denn durch die Kontrastierung mit anderen Kraftsportgruppen wird das Wesentliche des Bodybuildings über-

6

Vgl. auch Wedemeyer (1996: 144ff.).

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haupt erst erkennbar (vgl. Fuchs/Fischer 1989: 160ff.). Die anderen beiden Typen von Würzbergs Kategorisierungsvorschlag sollen »nur« kurz Erwähnung finden, da sie für den Kontext dieser Untersuchung weniger interessant sind, zumal sie – selbst wenn man sie summiert – lediglich eine verschwindend geringe Minderheit der Studiokunden darstellen. Zu den Powerliftern bemerkt Würzberg, dass sie die kleinste Randgruppe bilden. Diese – im wörtlichen Sinne – Kraftsportler existieren nur noch in wenigen Fitness-Studios als Peergroup und sind daher analytisch leicht abzugrenzen. Ein Powerlifter trainiert immer mit dem ihm schwerstmöglichen Gewicht, um seine Maximalkraftleistung für gewisse Disziplinen, wie etwa Bankdrücken, Kreuzheben oder Kniebeugen,7 beharrlich zu verbessern. Die Körperoptik ist für ihn sekundär und große Muskeln sind bestenfalls ein erfreulicher Nebeneffekt. Die Körperkraft steht beim Powerlifting im Vordergrund – ähnlich wie es einst in der griechischen Antike der Fall war (vgl. Würzberg 1987: 128ff.). Die Instrumentalisten bilden ebenfalls eine Minderheit. Sie rekrutieren sich größtenteils aus aktiven oder ehemaligen Leistungssportlern verschiedenster Sportarten. Ihre Motivation für ein geregeltes Krafttraining ist funktional-pragmatischer Natur, denn sie trainieren, um ihre allgemeine sportliche Leistungsfähigkeit zu erhöhen oder – noch banaler – um die bereits erlangte Leistungsfähigkeit zu erhalten (vgl. ebd.: 129f.). Resümierend ist zu bemerken: »Die drei Begriffe Fitness, Kraftsport und Bodybuilding meinen hinsichtlich ihrer Grundfunktion bzw. ihrer Trainingsmechanik mehr oder weniger dasselbe: progressives Widerstandstraining« (Wedemeyer 1999: 408). Analog zu dieser Feststellung divergieren Fitness-Sportler, Bodyshaper und Bodybuilder in ihren konkreten Trainingspraktiken und -modalitäten nur gering. Schon die Ähnlichkeit der Termini Bodybuilding und Bodyshaping lassen auf stark ausgeprägte Parallelen schließen. Während Bodybuilding in die deutsche Sprache übersetzt das »Bilden« von Muskeln meint, steht Bodyshaping dagegen für das »Formen« von Muskeln. Daraus lassen sich zwei wenig voneinander abweichende Intentionen ableiten. Denn das eine geht praktisch zwangsläufig mit dem anderen einher.

7

Die oben angeführten Übungen sind zwar die klassischen Disziplinen des Kraftdreikampfes, jedoch trainieren Dreikämpfer ebenso regelmäßig Reißen und Stoßen, das eigentlich aus dem Gewichtheben stammt.

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Das Bilden und das Formen der Muskeln bedingen sich einander. Beim Bodybuilding steht immer die Erarbeitung größtmöglicher Muskelmasse im Vordergrund. Wohingegen beim Bodyshaping vornehmlich die »optimale« Ausformung der bereits antrainierten Muskelmasse interessiert. So liegt beim Muskelformen der Schwerpunkt eindeutig auf Ästhetik, Harmonie und Symmetrie (vgl. Honer 1989: 67ff.). Allerdings verfeinern auch Bodybuilder ihre hart erarbeitete Muskelbeschaffenheit nach bestimmten (subkulturspezifischen) Kriterien der Symmetrie und Harmonie, die denen der Bodyshaper sehr ähneln. Auch streben beide Fraktionen einen Körperfettanteil an, der so gering wie nur irgendwie möglich zu sein hat, damit die vorhandene Muskulatur möglichst eindrucksvoll zur Geltung kommt (vgl. Strzeletz 1982: 81f.). Die grundlegende Differenz liegt im »absoluten Anteil« an Muskelmasse (vgl. Bednarek 1984: 52f.). Die Muskelgruppen bzw. -partien der Bodybuilder sind wesentlich ausgeprägter und weisen somit die weitaus größere Muskelmasse auf. Hier gibt es bezüglich der Masse nach obenhin keine feste Grenze. Entsprechend dem Motto: Je mehr Masse, desto besser! Bodyshaper hingegen möchten zwar ebenso Muskelwachstum stimulieren, doch die Gesamtmuskelmasse soll noch in einem für den »Normalbürger« als akzeptabel geltenden Bereich bleiben. Hierin unterscheiden sich die Bodyshaper in keiner Weise von den Fitness-Sportlern, bei denen noch weniger die Optik als die physiologische Optimierung aller Körperfunktionen – besonders im Hinblick auf den »Gesundheitszustand« – von Interesse ist. Selbstverständlich ist auch für den Fitness-Sportler eine überdurchschnittlich gute Figur verpflichtend. Denn ein schlanker und sportiv wirkender Körper signalisiert so effizient wie nichts anderes Fitness, Jugendlichkeit und Gesundheit (vgl. Bette 1999: 127ff.). Vereinzelt gibt es Leute, die den Unterschied zwischen einerseits Bodybuilding und andererseits Fitness und Bodyshaping auch darin sehen, dass nur beim Bodybuilding eine Dopingmitteleinnahme per se unumgänglich sei.8 »›Bodyshaping‹ und ›Bodystyling‹ sind moderne Schlagworte der Fitness-Szene, die mit dem Bodybuilding im engeren Sinne nichts zu tun haben, weil es hierfür keiner chemischen Keule bedarf« (Moosburger 2004: 126). Das mag prinzipiell richtig sein, heißt

8

Vgl. ausführlicher Kläber (2008a: 74ff.).

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aber keinesfalls, dass nicht auch Bodyshaper und Fitness-Sportler im Hinblick auf ihre individuelle Zielsetzung von Dopingmaßnahmen profitieren können. Schulz hingegen (1997ff.) preist das Bodybuilding unabhängig von der Dopingthematik als die mit Abstand »beste« Trainingsform für die Figur wie auch die Fitness an. So trainieren die meisten Anhänger der genannten Sportformen nach den tradierten Trainingsprinzipien des Bodybuildings, die auf das über Jahrzehnte hinweg angesammelte Erfahrungswissen unzähliger populärer sowie weniger populärer Bodybuilder zurückzuführen sind (vgl. Gießing 2002a: 7). An und für sich lässt sich dieses Trainingssystem – simpel erklärt – auf ein schwerstmögliches Hypertrophietraining mit einem Wiederholungsbereich von 6 bis 15 definitorisch reduzieren. Höhere sowie niedrigere Wiederholungszahlen werden unterdessen nur selten und wenn dann wohldosiert ausgeführt. Festzuhalten ist, dass das Trainingsgeschehen in den derzeitigen Fitness-Studioanlagen maßgeblich von diversen Trainingsmethoden der Bodybuilder beeinflusst wird, völlig unabhängig davon, welche Zielsetzung das Krafttraining im Detail verfolgt. Schlumberger und Schmidtbleicher (1999: 10f.) machen vor diesem Hintergrund auf Folgendes mit großem Nachdruck aufmerksam: Die konzedierte Effizienz des bodybuilding-typischen Trainingssystems führte dazu, dass ein kritischeres Hinterfragen der verwendeten Methoden als überflüssig erschien.9 Nur Fitness-Sportler trainieren ab und an auch mal im Kraftausdauerbereich, also mit mehr als 15 Wiederholungen. Dennoch trainieren auch sie weitestgehend nach den Trainingsprinzipien der Bodybuilder, die u.a. Weider (1991) detailliert zusammengetragen hat. Diese opulente Publikation wird in Bodybuildingkreisen als Meisterwerk, ja sogar als »Bibel des Bodybuildings« angepriesen. Mittlerweile haben sich etliche Trainingsmethoden und -techniken des Bodybuildings auch innerhalb der Trainingswissenschaften etablie-

9

Hinzuzufügen ist, dass häufig auch die Diät- und Ernährungsstrategien sowie die Prinzipien zur Regenerationsoptimierung aus dem Bodybuildingsport für andere Sportarten entliehen werden.

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ren können (vgl. Gießing 2002a: 83ff.).10 Für das wöchentliche Trainingspensum – und damit die Makroplanung – ist ein sog. Splittraining stets verbindlich. Die Muskelgruppen, die gewöhnlich in Brust-, Schulter-, Arm-, Rücken- sowie Beinmuskulatur unterteilt werden, sind an verschiedenen Tagen und immer isoliert voneinander zu bearbeiten (vgl. Gießing/Hildenbrandt 2005: 143f.). Zum Repertoire der Trainingsgestaltungsoptionen zählen beispielsweise: Erzwungene Wiederholungen, Vorermüdung, Super- und Megasätze, Negativwiederholungen, Intensivwiederholungen, Planvolles Abfälschen, Einsatzprinzip, MegaSplit, Abnehmende Sätze, Schocktraining, Mammutsätze etc. (vgl. Weider 1991).11 Mögen die Ähnlichkeiten zwischen dem Fitness-Sport, dem Bodyshaping und dem Bodybuilding bei einem »objektiven« – und mit der angebrachten Distanz versehenen – Blick noch so groß erscheinen, so empfinden sich die einzelnen Fraktionen keinesfalls als sich ähnelnd oder sportartenverwandt. Im Gegenteil: Schon die begriffliche Abgrenzung vom jeweils Anderen ist gewollt und prinzipiell bereits ein unverkennbares Indiz für sorgsame Abgrenzungsbestrebungen. So würde sich ein ernsthafter Bodybuilder niemals als Fitness-Sportler bezeichnen und ein Bodyshaper sich nur widerwillig in die Niederungen des Bodybuildings herablassen. Daher gilt es detaillierter darzustellen, wie und warum es zu solchen Distinktionsprozessen innerhalb der Fitness-Studiogemeinschaft kommt. Die Pioniere des Bodybuildings und damit sämtliche namhafte Athleten der ersten Stunde übten, wie bereits erarbeitet worden ist, immer mehrere Sportformen (Kraftakrobatik, Yoga, Ringen, Boxen, Gewichtheben u.Ä.) parallel aus. Allmählich setzte sich jedoch eine Spezialisierungstendenz durch. Immer mehr Kraftsportler betrieben entweder nur noch Gewichtheben oder nur noch Bodybuilding. Man konzentrierte sich lieber vollständig auf eine Disziplin, um dadurch die Erfolgsaussichten zu optimieren. Zudem fand z.T. eine räumliche Abgrenzung

10 Um es zu belegen, dass viele Bodybuildingprinzipien durchaus in der Trainingswissenschaft reüssieren, genügt ein Blick in einige Standardwerke (vgl. Schnabel/Harre/Borde 1997; Martin/Carl/Lehnertz 1993). 11 Zu den tradierten Trainingsmethoden des Bodybuildings vgl. Gießing (2002a: 63ff.).

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voneinander statt (vgl. Wedemeyer 2004: 290ff.). Besonders bedingt durch die zunehmende Ausdifferenzierung spezialisierter Organisationen (Sportvereine, Sportschulen, Fitness-Studios, Gesundheitszentren etc.) trainierten fortan Ringer nur noch in Ringervereinen, Boxer nur noch in gesonderten Box- oder Kampf-Sportschulen, Kraftakrobaten nur noch in den Manegen von Zirkus oder Varietee, Yogis nur noch in Yogaschulen und Bodybuilder in ihren Fitness-Studios. Viele Fitness-Studios waren damals schon privatwirtschaftliche Unternehmen und konnten es sich somit nicht leisten, nur eine kleine Klientel, wie die der Bodybuilder, zu bedienen (vgl. Dilger 2008: 215ff.). So waren die Studiobesitzer, dem Profitwillen und somit der Operationslogik des Wirtschaftssystems12 gemäß, darauf angewiesen, ihren Kundenstamm stetig zu vermehren. Da Bodybuilder nach Emrich und Pitsch (1992: 22ff.) hauptsächlich der sozialen Unterschicht oder unteren Mittelschicht entstammten, musste man etwas Neues bzw. Andersartiges kreieren, um die Fitness-Studios auch für die gehobenen sozialen Schichten ›attraktiv‹ zu machen. Ferner sind Bodybuilder – einmal abgesehen von den Zeiten im Zirkus- und Varieteebereich – von jeher Opfer gesellschaftlicher Stigmatisierungen (vgl. Honer 1985b: 155ff.), was besagte Problematik nicht gerade erleichterte. Irgendwie musste man – vorrangig aus ökonomischen Gründen – das Bodybuilding für jedermann interessanter machen. In den 80ern des 20. Jahrhunderts war man auch innerhalb des Bodybuildings bestrebt, den Bodybuildingsport gesellschaftlich salonfähig zu gestalten. Dieses Unterfangen kann man angesichts der weitgehend desolaten Situation, in der sich der organisierte Bodybuildingsport aktuell befindet, zumindest für Deutschland als kläglich gescheitert einstufen. Statt mehr Menschen vom Bodybuildingsport zu überzeugen, spalteten sich nach und nach neue Sportformen vom klassischen Bodybuilding ab. »Diese Entwicklung äußerte sich auch in solchen Schlagwörtern wie ›Bodywellness‹, ›Bodystyling‹, ›Bauch-, Beine- und Pogymnastik‹, ›Low impact Aerobic‹ usw. Während dies jedoch im Grunde nur abgemilderte und ›gesündere‹ Formen des herkömmlichen Bodybuildings und der ursprünglichen ›Power-Aerobic‹ sind, sind sie doch

12 Zur Operationslogik des Wirtschaftssystems vgl. Luhmann (1999).

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auch Ausdruck einer nahezu revolutionären Entwicklung des Sports in den letzten Jahren, des Gesundheitssports.« (Gehrke 2009: 6f.)

Die ersten ›Abtrünnigen‹, wie man sie neben anderen Denunzierungen in orthodoxen Bodybuildingkreisen zu bezeichnen pflegt, waren die Bodyshaper, deren Ähnlichkeit zu den Bodybuildern noch recht groß war. Durch die sukzessive Etablierung eines selbständigen FitnessSports, und seit einigen Jahren auch des Gesundheitssports, hat man sich immer weiter vom ursprünglichen Bodybuilding entfernt. Polymorphe Fitness-Lebenskonzepte verkaufen sich heutzutage bestens und versprechen Erfolg, Gesundheit, Attraktivität sowie höhere Lebensqualität (vgl. Wedemeyer 1999b: 408ff.). Hierbei handelt es sich um jene Versprechungen, mit denen zuvor bereits das genuine Bodybuilding lautstark für sich warb. Um die Majorität der fitness- und gesundheitsorientierten Studiokunden nicht gegen sich aufzubringen, »behilft sich die Intelligentia mit der bauernschlauen Differenzierung, die meisten Körperfans betrieben eher ›Fitness‹ als Bodybuilding« (Wedemeyer 1996: 12ff.). Oder: »Bodybuilding für die Unterschicht, Fitness für die Yuppies« (ebd.). Was sich jedoch tatsächlich hinter dieser Entwicklung – man kann durchaus von einer Abspaltung sprechen – verbirgt, ist lediglich eine Transformation des Bodybuildings auf eine niedrigere Niveaustufe. Man trainiert nicht mehr so hart, nicht mehr so lang, nicht mehr so häufig und man ernährt sich nicht ganz so diszipliniert, wie es Bodybuilder handhaben. Anstelle von Bodybuilding betreibt man heute eher ein moderates Fitness- oder Gesundheitstraining, welches aber die gleiche Trainingsbzw. Lebensphilosophie beinhaltet. Würzberg (1987: 131f.) hält für den Fitness-Typ fest, dass dieser nur zwei- bis dreimal pro Woche trainiert und dann kaum länger als eine Stunde. Beim Training verausgabt er sich nicht allzu sehr, nutzt jedoch die Infrastruktur des Fitness-Studios, wie beispielsweise das Solarium, die Sauna, eventuell Squash etc., vollumfänglich.13 Die Gründe für eine

13 Emrich und Pitsch (1992: 43) konnten empirisch belegen, dass Frauen im Vergleich zu den Männern ein deutlich höheres Interesse an Sauna, Whirlpool, Ruheraum, Solarium u.Ä. aufweisen und sich ihr Fitness-Studio gezielt unter Berücksichtigung dieser Aspekte aussuchen.

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dauerhafte Studiomitgliedschaft sind beim Fitness-Typ nicht unbedingt in dessen Sportambitionen zu sehen; vielmehr besucht er meist nur sporadisch ein renommiertes Sport-Studio, weil es heute angesagt ist, weil man dort nette Leute kennen lernen kann oder eventuell, um dort den Lebenspartner zu finden. Der Auslöser für einen erstmaligen FitnessStudiobesuch kann aber auch in einer Unzufriedenheit mit der eigenen Figur, dem Körpergewicht, der Fitness, dem körperlichen Befinden oder auch in der subtilen Angst vor dem körperlichen Zerfall liegen, der durch den Alterungsprozess unweigerlich verursacht wird (vgl. Würzberg 1987: 132ff.). Einige Fitnessversierte sind zudem ehemalige Leistungssportler, die der Ansicht sind, ohne irgendwie Sport zu treiben nicht existieren zu können. Einst hatten sie sich mit all ihrer Kraft einer einzigen Sportart gewidmet, nun aber genießen sie die Vielfalt des Angebots moderner Fitness-Studios. Allgemein ist der Fitness-Sport eine typische Frauendomäne. Denn die Zahl der männlichen Fitness-Sportler, die diese Form des Kraftsports kontinuierlich betreiben, ist vermutlich geringer, als man allgemeinhin annimmt. »Das Fitness-Training hat eher den Charakter eines Durchgangsstadiums – hin zum Bodybuilding« (Würzberg 1987: 133f.). Unter klassischen Kraftsportlern ist demgemäß folgende Meinung weit verbreitet: Echte Kerle haben stets ›knallhart‹ zu trainieren und nicht so verweichlicht, wie die »zerbrechlich« zierlichen Frauen zu trainieren pflegen.14 Während des sportlichen Werdegangs denken früher oder später nicht wenige der männlichen Fitness-Sportler radikal um. Nicht die Fitness oder die zuvor genannten Gründe für die Trainingsaufnahme sind mehr von Interesse, sondern zunehmend nur noch das körperliche Erscheinungsbild und hierbei besonders die Muskulatur. Daher neigen auch Fitness-Sportler zu einem Masse- bzw. Muskelwahn,15 den auch Bednarek (1984: 58) anspricht. Für wahre Männer schicke es sich nicht, so zu trainieren, wie es das vermeintlich »schwache Geschlecht« tue.

14 Zum Thema Frauen und Krafttraining sowie Frauen und Bodybuilding im Speziellen vgl. auch Lyon und Hall (1983). 15 Der spezifische Muskelwahn von Fitness-Sportlern – weniger der von Bodybuildern – wird von Pope, Phillips und Olivardia (2001) mit der Begrifflichkeit »Adonis-Komplex« tituliert.

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Muskeln seien typisch männliche Merkmale; daher habe speziell der Muskelaufbau im Vordergrund jeder Trainingsbemühungen eines Mannes zu stehen (vgl. Lyon/Hall 1983: 27f.) – soweit zu einer im heutigen Bodybuilding weit verbreiteten Ansicht. Bodybuilding erscheint hierbei gewissermaßen als letzte männliche Bastion. Während die Majorität der männlichen Fitness-Studiomitglieder ein reges Interesse an einer Muskelmassezunahme bei möglichst geringem Körperfettanteil aufweist, haben weibliche Mitglieder ihren Schwerpunkt oft ausschließlich im Bereich der Körperfettreduktion. Ihnen geht es folglich weniger bis gar nicht um einen Muskelmassezuwachs, sondern um eine Reduktion unliebsamer Fettpölsterchen. In Interviews äußern nicht wenige weibliche Fitness-Studiomitglieder gar eine regelrechte Angst vor zu großer Muskelmasse. Sie verfolgen also primär ein Schlankheitsideal, dass durch die »perfekten« Frauenkörper der Massenmedien oder der Model-Branche bestimmt ist. Nicht die Muskeln, sondern ein straffes, schlankes, aber dennoch auch sportlich wirkendes Körperideal steht bei Frauen im Zentrum der Aufmerksamkeit (vgl. Kläber 2010: 34ff.). Das führt dazu, dass die Majorität der Frauen in Fitness-Studios weniger ein klassisches Hypertrophie-Training betreibt; vielmehr praktizieren sie ein softes und ganzheitliches Krafttraining zum Zwecke der Gewebestraffung oder der Fettstoffwechseloptimierung. Viele Frauen bevorzugen den Kardio-Bereich und absolvieren dort ein stundenlanges, schweißtreibendes, aerobes Ausdauertraining, das die hartnäckigen Fettpolster zum Schmelzen bringt; oder man findet sie in den vielfältigen Kursangeboten wie etwa Step-Aerobic, Tae-Bo, Bauch-Beine-Po, Fatburning, Pump etc. Auch die Aerobic-Bewegung hat eine enorme Binnendifferenzierung vollzogen, so dass es unentwegt »neue« Kursangebote in diesem ertragreichen Angebotsstrang der Fitness-Studios gibt, die speziell von Frauen bereitwillig getestet werden. Hat sich ein Kraftsportler erst einmal zu einer eventuellen »Konvertierung« zum Bodybuilding bekannt, möchte er in vielen Fällen überhaupt nicht mehr wahrhaben, dass er sich anfangs noch zierte, sich als Bodybuilder zu bezeichnen. Nun ist er stolz darauf, ein Bodybuilder zu sein. Viele Konvertiten möchten dann mit Fitness-Typen nichts mehr zu tun haben. Um sich konsequenter von diesen zu distinguieren, wurden spezielle Bezeichnungen konzipiert, die heute für divergente – man kann sagen – Subkulturen des Bodybuildings stehen. Hierbei spielt das

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Hardcorebodybuilding16 eine besonders gewichtige Rolle. Vergleichbar mit dem, was Girtler (1995: 141ff.) für Sportkletterer konstatiert, versucht sich ein traditionsbewusster Bodybuilder durch das Ausüben von Hardcorebodybuilding von gewöhnlichen Menschen und anderen artverwandten Sportlern (Wanderern bzw. Naturalbodybuildern) explizit abzusetzen.

5.2 Ausbildung einer ›Hardcore‹-Szene Die Gemeinschaft der Bodybuilder wird von Würzberg (1987: 135ff.) nochmals in einerseits »heimliche« und andererseits »offene« Bodybuilder unterteilt. Beide Lager begreifen sich als leistungsorientierte und ungemein begeisterte Bodybuilder. Man erkennt sie daran, dass sie, scheinbar in ihren eigenen Anblick vertieft, posend vor einem Spiegel17 stehen oder an der Studiotheke voller Stolz ein Maßband an ihrem zuvor mit Blut aufgepumpten Oberarm anlegen. »Die Tatsache, dass die Trainingsräume der Bodybuilder mit großen Spiegeln ausgerüstet sind, ist nicht nur Ausdruck einer narzisstischen Selbstverliebtheit, sondern der Spiegel ist hier auch das Instrument einer äußerst kritischen Selbst- und Sozialkontrolle.« (Gießing/Hildenbrandt 2005: 147)

16 Im Zusammenhang mit der existierenden Körperkultur um die vorletzte Jahrhundertwende hält Klein (1991b: 192f.) fest, dass mit dem Verlust einer Massenbasis für das Bodybuilding lediglich »eine mehr oder minder anrüchige Subkultur der ›hardcore‹-Fans« übrig geblieben ist, »die ihrer Leidenschaft im Verborgenen frönten oder in der Trainingspartnerschaft mit den Gewichthebern anfällig für deren sich in dieser Zeit rasch entwickelnden Sport- und Rekorddenken wurden. Ziel also wurde mehr und mehr die bloße ›Steigerung‹ der Muskelberge – unterstützt durch die Mästung mit eigens entwickelten Nährmitteln und durch anabole Steroide«. 17 Zur unabdingbaren Funktion des Spiegels im Bodybuilding vgl. auch Rigauer (1982: 104f.).

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Spiegel und Maßband sind für einen Bodybuilder völlig alltägliche sowie unverzichtbare Instrumente, um die Fortschritte in seiner Körperentwicklung abwägen zu können. Denn die bloße Ermittlung des Körpergewichts mit Hilfe einer gängigen Waage erlaubt dem Bodybuilder keine objektiven Rückschlüsse auf die erzielten oder auch nicht erzielten Verbesserungen (vgl. Bednarek 1984: 56). Denn dabei bleiben z.B. temporäre Wassereinlagerungen, die durch zu salzreiche Nahrungsmittel verursacht wurden, komplett unberücksichtigt. Dagegen täuscht das Spiegelbild eines herkömmlichen Spiegels in keinster Weise, sondern konfrontiert den Bodybuilder schonungslos mit seinen körperoptischen Unzulänglichkeiten. Die »demaskierte Wahrheit« liegt für Bodybuilder ausschließlich im individuellen Spiegelbild (vgl. Rigauer 1982: 105f.). Kurz: »Im Spiegel kann die Bildhaftigkeit der angestrebten Körperumbildung wahrgenommen werden und gleichsam der Eindruck auf das Auge der Öffentlichkeit vorhergesehen werden« (Gießing/Hildenbrandt 2005: 147). Durch die subtile Art und Weise des Umgangs mit den bevorzugten Überprüfungsinstrumenten (Spiegel und Maßband) während des essentiellen Figurenabgleichs unterscheiden sich die »heimlichen« von den »offenen« Bodybuildern. Bei Letzteren stellen das Maßband und das Sich-Einlassen auf das individuelle Spiegelbild eine auch in der kollegialen Öffentlichkeit des heimischen Fitness-Studios täglich praktizierte Selbstverständlichkeit dar; wohingegen der eher zurückhaltende »heimliche« Bodybuilder diese Praktiken der Selbstkontrolle oder auch sportspezifischen kritischen Selbstreflexion vorzugsweise in die sichere Anonymität seiner Wohnung umsiedelt (vgl. Würzberg 1987: 135ff.). Aufgrund des unkomplizierteren und transparenten Forschungszugangs gilt es für diese Studie, besonders dem »offenen« Typus des Bodybuilders, der sich meist im Bereich des Hardcorebodybuildings lokalisieren lässt, den analytischen Vorrang zu geben. Jegliches Streben nach größerer Muskelmasse ist strukturell immerzu an ein bestimmtes – im jeweiligen Bodybuildingkollektiv tradiertes – Körperideal gekoppelt. Vor diesem Kontext hat der sog. Hardcoreathlet definitiv das extremste Körperideal vor Augen. Denn er zielt auf eine mehr als nur überdurchschnittliche Muskelentwicklung ab (vgl. Honer 1989: 69ff.). Intendiert sind Körpermaße im Umfang eines Schwarzeneggers, Sylvester Stallones etc. – oder, wenn möglich, noch voluminöser. Als wegweisende Vorbilder dienen meist Profibodybuilder, die in-

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zwischen ein schier unglaubliches Niveau hinsichtlich Muskelmasse sowie Definition18 erlangt haben. Weitere Massesteigerungen sind trotz des bereits erreichten immens hohen Niveaus für die Zukunft des Hardcorebodybuildings vorhersehbar (vgl. Emrich/Papathanassiou/Scheller 1992: 103ff.). Vielen Nicht-Bodybuildern erscheinen diese professionellen Athleten mit ihren monströsen Muskelbergen als eine starke Perversion einst natürlicher Körper. Während die Körperstaturen der Fitness-Sportler von der Durchschnittsbevölkerung gerade noch akzeptiert werden, denunziert man hierzulande die karikaturähnlichen Körperhüllen der hochumstrittenen Profibodybuilder landläufig vergleichsweise heftig. Analog zu dem vom Fitness-Sportler klar abweichenden Körperideal manifestiert sich – wie bereits in ersten Ansätzen dargestellt – selbst in der Trainingsauffassung der ungleichen Athletenlager eine (große) Kluft zwischen Bodybuilding- und Fitness-Sport. Ein passionierter Bodybuilder müsse ein »Hardcore-Training« absolvieren, so wie es etwa Darden (1997) in seiner gleichnamigen Publikation expliziert, die in Bodybuildingkreisen eine sehr hohe Resonanz erzeugte. Bei diesem aufzehrenden Trainingsstil trennt sich sodann – zumindest nach Auffassung der Insider – die Spreu vom Weizen oder anders formuliert: der »echte« vom Möchtegern-Bodybuilder. Besonders mit der Begrifflichkeit »Hardcore« will man sich von diversen Strömungen oder von bestimmten ›Verunglimpfungen‹ des Bodybuildings mit terminologischem Nachdruck abgrenzen – um es auch einmal mit dem Wort Verunglimpfungen so auszudrücken, wie es von Bodybuildern sehr häufig getan wird. Mit diesen angeblichen Fehlentwicklungen sowie Entartungen in den eigenen Reihen ist vor allem das »Naturalbodybuilding«19 oder prinzipiell jede Form eines ›sauberen‹ – im Sinne von dopingfreien – Wettkampfbodybuildings gemeint – also alle neuen Formen des organisierten Bodybuildings, die gezielt auf ei-

18 Unter der Begrifflichkeit »Definition« versteht man im Bodybuilding stark simplifiziert einen außerordentlich geringen Körperfettanteil und im engeren Sinne daher optisch deutlichere Einschnitte in der Muskulatur, wie etwa die Querstreifenoptik auf dem Gluteus Maximus. Vgl. auch Gießing und Hildenbrandt (2005: 145f.). 19 Vgl. ausführlicher Breitenstein (2003) und Müller (2004).

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nen Dopingmittelgebrauch zu verzichten beabsichtigen oder dies eventuell auch nur simulieren. Insbesondere das Naturalbodybuilding, das sich in Deutschland eine kurze Zeit lang großer Beliebtheit erfreute, aber letztlich paradoxerweise durch frappierend viele Dopingskandale wieder stark an Prestige einbüßen musste (vgl. Ritsch 2003: 128), wird von der Majorität der aktiven Hardcorebodybuilder nicht nur mit Argwohn betrachtet, sondern darüber hinaus regelrecht verachtet. Natural-Athleten gelten demzufolge als die schlimmsten unter all den »Nestbeschmutzern« und werden daher von Hardcorebodybuildern meist sehr herablassend behandelt. Man bezichtigt sie der Lüge und der Heuchelei auf allerhöchstem Niveau (vgl. Hoffmann 1999: 11f.). Dies geschieht besonders, weil sie eine Dopingabstinenz vortäuschen würden, die im körperoptikfixierten Bodybuilding angeblich nicht mehr realisierbar sei, was die überdurchschnittlich vielen ›positiv‹ getesteten Dopingproben bei Bodybuildingwettkämpfen zu belegen scheinen. Dazu erklärt der Verbandsarzt des DBFV Ritsch (2003: 130): »Auf deutscher Ebene wird zusätzlich die Männer-Body-FitnessKlasse getestet. Auf vielfachen Wunsch von Athleten und Studiobesitzern wurde diese Klasse eingeführt, damit auch weniger massige Athleten die Möglichkeit haben, an Wettkämpfen teilzunehmen. Gerade diese Klasse ist es jedoch, die die meisten positiven Dopingfälle hervorbringt.«

Diese weniger muskelmasseorientierte Wettkampfklasse für Männer ist vermutlich zu einer Art Sammelbecken für »genetisch benachteiligte« Bodybuilder – sog. Hardgainer – entartet, die selbst mit Hilfe von hochriskanten Dopingmitteln keine bemerkenswerten Resultate bzw. Fortschritte im Muskelmassezugewinn oder in der Ausgestaltung ihrer Körperhüllen zu erzielen imstande sind. Der genuine Bodybuildertypus, der sich selbst oft als ›Vollblutbodybuilder‹ oder gar Nativ-Bodybuilder begreift, unterliegt einem narzisstischen Körperbild20 sowie einer Tendenz zum Exhibitionismus. Doch sind nach psychologischen Maßstäben die üblichen Ausprägungsgrade

20 Zum »Narzissmusansatz im Bodybuilding« vgl. ausführlicher Wedemeyer (1996: 23ff.).

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bei Bodybuildern noch nicht als »bedenklich« einzustufen (vgl. Honer 1985b: 163ff.). Nahezu in sich selbst verliebt, präsentiert der Nativ-Bodybuilder seinen muskelbeladenen Körper, wo immer er nur kann. Sein extravagantes Bedürfnis nach permanenter Inszenierung der zweifellos hart antrainierten Muskelmasse ist einerseits exhibitionistische Provokation, aber andererseits auch symbolischer Narzissmus (vgl. Fuchs/Fischer 1989: 171ff.). Für ihn besitzt konsequenterweise nur sein geliebter Kraftsport, also das Bodybuilding, oberste Priorität im Leben. Das meist tagtägliche Hanteltraining ist für einen im höchsten Maße leistungsfixierten Hardcorebodybuilder – ganz im Sinne einer stoffungebundenen Suchtform – längst zwanghafter Natur geworden (vgl. Kläber 2010: 251ff.). Denn Rückschritte im Hinblick auf den körperlichen Entwicklungstand sind prinzipiell undenkbar geworden und dadurch nicht tolerierbar. So verwundert es nicht, dass auch nur der winzigste Schwund an Muskelmasse oder die kürzeste Stagnation beim Muskelaufbauprozess mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit leichte bis schwere psychische Verstimmungen hervorrufen, die sich durchaus auch bis in den krankhaften Bereich steigern können (vgl. Bednarek 1984: 60f.). Diese wahrhaften Bodybuilder sind dermaßen stolz auf ihre mit extrem viel Disziplin antrainierten Muskelberge, so dass sie keine Gelegenheit auslassen, diese vor einem begierigen Publikum imposant in Form eines ambitionierten Posings21 zur Schau zu stellen. Mit totaler Hingabe und mit großer Routine nehmen extravertierte Hardcorebodybuilder ihre mühsam einstudierten Posen ein, die häufig ihren Ursprung in altgriechischen Statuen haben. Kurzum: Hardcoreathleten lieben das Bodybuilding und treten daher auch in der Öffentlichkeit energisch für diesen Sport ein. Generalisierend beurteilt sind Bodybuilder, wie auch Gewichtheber und andere Kraftsportler, tendenziell den unteren Sozialschichten – primär der Arbeiterklasse – zuzuordnen (vgl. Bette/Schimank et al. 2002: 125f.).22 Und das, obwohl die Körperkraft, und damit indirekt auch der

21 Zu den Pflicht- und Kürposen des regulären Wettkampfbodybuildings vgl. Müller (2004: 161f.). 22 In (empirischen) Untersuchungen jüngeren Datums wird deutlich, dass dopende Kraftsportler immer häufiger aus höheren sozialen Schichten stam-

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muskulöse Körperbau, als typische Merkmale der Unterschicht »durch die in den letzten Jahren eröffneten Studios und Kommerzialisierungsbestrebungen auch anderen Sozialschichten sowie -kategorien als viriles Körperangebot unterbreitet« (Bette 1989: 115) wurden. Zwar wurde das Bodybuilding in den 80er Jahren und Anfang der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts zunehmend auch von Frauen akzeptiert und von einigen wenigen auch betrieben (vgl. Lyon/Hall 1983; Schwarzenegger 1982); doch ist dieser leichte Trend gegenwärtig wieder stark rückläufig. Das lässt sich an den sinkenden Teilnehmerzahlen der genuinen Bodybuildingklassen für Frauen (Frauen I bis III)23 aufzeigen. Demzufolge erscheint Bodybuilding noch immer als ein originärer Männer- und Arbeitersport, was sich mit den üblichen Äußerungen von Insidern zum Bodybuilding als ein »echter« Männersport und den Angaben zur beruflichen Tätigkeit im Rahmen bereits genannter – wenn auch in den meisten Fällen älterer – empirischer Studien (vgl. Honer 1985a; Bednarek 1985; Würzberg 1987) weitgehend deckt. Die wenigen weiblichen Fitness-Studiomitglieder, die derzeit noch ein ernsthaftes Krafttraining oder Bodybuilding betreiben, werden von vielen Männern – häufig unbewusst – nicht mehr als »richtige« Frauen angesehen; vielmehr gelten diese extrem leistungsorientierten Frauen oftmals als Kumpeltypen. Ferner müssen sowohl diejenigen Frauen, die keinerlei Anabolikapräparate konsumieren, als auch diejenigen, die diese männlichen Sexualhormonverbindungen regelmäßig exogen zuführen, mit bestimmten – für die Dopenden häufig irreversiblen – Virilisierungserscheinungen rechnen. Gedopte und »cleane« Schwerathletinnen haben, um dem Körperideal des Bodybuildings zu genügen, einen dermaßen niedrigen Körperfettanteil zu erlangen, dass ihre Gesichtszüge meist männlich herb wirken und die weiblichen Brustformen fast völlig dahin schmelzen (vgl. Kläber 2010: 35ff.). Überzeugte Bodybuilderinnen scheinen allerdings den oft drastischen Weiblichkeitsverlust bereitwillig in Kauf zu nehmen, im Besonderen diejenigen, die sich auf einen

men und eben nicht mehr ausschließlich aus der Arbeiterklasse (vgl. Striegel/Simon 2006: 64; Emrich/Pitsch 1992: 22f.). 23 Nach dem offiziellen Regelwerk des Deutschen Bodybuilding und Fitness Verbandes (DBFV) gibt es drei Gewichtsklassen im Frauenbodybuilding, wohingegen es bei den Männern vier sind.

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regelmäßigen Konsum von Anabolika eingelassen haben. Dies ist aber, wie schon angedeutet, die Minderheit! Grundsätzlich ist festzuhalten: Für den genuinen Bodybuilder ist das Hardcorebodybuilding die ursprünglichste sowie unverfälschteste Form und somit das einzig wahre Bodybuilding. Wobei allein schon die Lobpreisung des Hardcorebodybuildings automatisch eine implizite Abwertung anderer Bodybuildingverständnisse mitbeinhaltet. Im frappierenden Gegensatz zu den als »Pseudo-Bodybuildern« deklarierten Athleten stehen die meisten derer, die sich selbst zur Hardcorebodybuildingszene subsumieren, kurioserweise ehrlich und in keiner Weise beschönigend zur kollektiven Befürwortung diverser Dopingpraktiken innerhalb der Bodybuilding-Community. Auch wenn es evident ist, dass sich aktive Wettkampfbodybuilder hinsichtlich Statements, die in diese Richtung abzielen, eher bedeckt halten, steht Doping – als ein Essential verstanden – in dieser körperoptikfixierten Kraftsportart ohne jeden Zweifel schon seit vielen Jahrzehnten auf der Tagesordnung seiner Hauptakteure (vgl. Bette 1989: 115f.). Dopingmittelkonsum ist innerhalb der Hardcoreszene offensichtlich ein normales Verhaltensmuster und angesichts der Operationslogik des Bodybuildings, die auf eine permanente Körperoptikverbesserung ausgerichtet ist, auf den ersten Blick sogar eine plausibel erscheinende Handlung, die es jedoch in dieser Studie nicht näher zu betrachten gilt. In Umkehrung zu »einem Verstehen des Normalen über das Abnorme« ist das für jeden Externen eher »abnormal« erscheinende Doping nur über die Normalität des Sich-Dopens innerhalb der hier dargestellten Hardcoreszene adäquat zu begreifen (vgl. Foucault 2002b). Nicht wenige Freizeitbodybuilder sprechen geradezu unverblümt über ihre Vorliebe für bestimmte Medikamentensupplementierungen – wobei Steroidpräparate zum unangefochtenen Lieblingsmittel avanciert sind. Für die meisten Hardcorebodybuilder ist folglich der regelmäßige Konsum von Anabolika genauso selbstverständlich wie der tagtägliche Eiweißshake (vgl. Kläber 2010). Die »Individualisierungsbestrebungen« des einzelnen Bodybuilders münden zwangsläufig in eine »Paradoxie der Individualität«, so wie sie Bette (1993: 50f.) besonders anschaulich erarbeitet hat. Denn die Individualisierungsbestrebungen der anderen Bodybuilder, die letztlich mit organisatorischer Unterstützung einer ganzen Industriebranche (body-

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buildingspezifische Kleidermarken, spezielle Nahrungsergänzungspräparate, Trainingsvideos von und für Hardcorebodybuilder, Bodybuildingfachmagazine etc.) dieselben Ziele verfolgen, holen den einzelnen Bodybuilder ein. Zur Entparadoxierung hilft dann für den Bereich des Hardcorebodybuildings ausschließlich ein weiteres Andrehen der auf Eskalation vorprogrammierten Muskelmasse-Spirale: Die bereits »extrem überdimensionale Muskelmasse« der heutigen Hardcoreathleten muss durch eine noch extremere Muskelmasse übertrumpft werden. Ein avantgardistisches Vordringen in bis dato noch nicht erreichte Dimensionen der Muskelentwicklung kann im individuellen Athleten zumindest temporär das Gefühl aufkommen lassen, ein »einzigartiges Individuum« zu sein oder zumindest aktuell der massigste Athlet im heimischen Fitness-Studio. Ein weiteres Problem drängt sich dabei auf: Anders zu sein als die Anderen stößt spätestens dann in einer individuellen Biographie an Grenzen, wenn der eigene Körper die stets extremer werdenden Trainingseinheiten und eventuell auch noch die immer riskanteren Dopingpraktiken nicht mehr auszuhalten imstande ist. An diesem biographischen Scheidepunkt drängt sich dann bei nahezu allen Athleten Doping als eine Copingstrategie auf (vgl. Kläber 2010: 126ff.). Doch nicht jeder Bodybuilder der Gegenwart ist uneingeschränkt dazu bereit, diese immensen Trainingsbelastungen und insbesondere die »exorbitanten Gesundheitsrisiken« des Dopings einzugehen. Daher hat sich in den letzten Jahrzehnten – ganz im Sinne einer Gegenbewegung zum soeben skizzierten Hardcorebodybuilding – das Naturalbodybuilding auch in Deutschland etablieren können, das nun als ein funktionales Äquivalent zum Hardcorebodybuilding die internationale Bodybuildingszene ergänzt. Das Hardcorebodybuilding ist mit seinen ultra-extremen Körperpraktiken auf der Handlungsebene und seinen strengen Autonomiebestrebungen auf der Organisationsebene währenddessen zu einer »paradoxen Sportart« mutiert: Wenn sich das Hardcore-Lager von dem Mittelmaß, den Risikoaversiven, der Natürlichkeitsvorstellung und den Sicherheitsbedürfnissen der Naturalbodybuilder abgrenzt, tut es nur das, was aufgrund der in Kapitel 5.2 erörterten Identitätsbestrebungen von ihm erwartet wird, aber in vielerlei Hinsicht zu den anfänglichen Intentionen der Bodybuildingbewegung konträr steht. Dem derzeitig aktuellen Anspruch der Hardcorebodybuilder, den Körper bis an die Grenzen des Machbaren zu belasten und dabei sogar Kopf und Kragen

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zu riskieren, nur um Einzigartigkeitsmomente zu erlangen und diese dann körperlich-performativ für andere zu inszenieren, steht mit dem Naturalbodybuilding eine wesentlich moderatere Bodybuildingvariante entgegen. So ist etwa auf dem Einband von Müllers (2004) Publikation zu lesen: »Zurück zum Wesentlichen – Natural Bodybuilding.«

5.3 Antriebsmotive zeitgenössischer Bodybuilder Dieses letzte Unterkapitel von Kapitel 5 expliziert die intransparenten Antriebsmotive heutiger Bodybuilder vor dem Kontext der mitlaufenden Ausdifferenzierung des Bodybuildings in einerseits Hardcorebodybuilder und andererseits Naturalbodybuilder mittels einer Anwendung anschlussfähiger Theorieangebote. Im Zentrum der folgenden Ausführungen steht die Frage, warum sich Bodybuilder – ob sie sich nun eher als Hardcore- oder Naturalbodybuilder begreifen – in einer aus der Perspektive von Außenstehenden unnötigen sowie sinnfrei erscheinenden Weise nahezu tagtäglich enormen Trainingsbelastungen bis hin zu manifesten Körperqualen aussetzen? Es gilt aufzuzeigen, dass die hintergründig wirkenden Motive für das verausgabende Krafttraining inklusive des asketischen Lebensstils der Bodybuilder auf unzeitgemäß gewordene Bedürfnisse und Sehnsüchte verweisen, die speziell in funktional differenzierten Gesellschaften zunehmend marginalisiert werden. Kapitel 5.3 geht über bisherige wissenschaftliche Erkenntnisse zum Bodybuilding und die von Kraftsportlern vorzugsweise angeführten Erklärungen weit hinaus. Die in dieser Studie bereits angesprochenen, aber nur kurzzeitig wirkenden Motive für die Aufnahme des Bodybuildingtrainings – wie etwa Gesundheits-, Fitness- oder Jugendlichkeitsfokussierung – wurden ja bereits als paradoxiebehaftet und wenig erklärungskräftig enttarnt. Stattdessen sind das Primärmotiv (die Körpermodellierung) und die Sekundärmotive (Identitätsarbeit, Sozialdistinktion, Einzigartigkeit) in den Fokus der Betrachtungen gerückt worden. Nun gilt es, die Tertiärmotive für das Betreiben von Bodybuilding auf der überindividuellen Ebene detaillierter zu betrachten (vgl. Tabelle 3). Damit die im Folgenden darzustellenden Tertiärmotive heutiger Bodybuilder an Plausibilität gewinnen, muss etwas weiter ausgeholt werden. Die Kompensationshypothese steht grob umrissen, und dabei eher indirekt, für den Ausgleich »negativer« Entwicklungen, die sich im

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Verlauf der Modernisierung und Industrialisierung besonders in funktional differenzierten Gesellschaften ausgebreitet haben. Unter anderem an diesem nebensächlich anmutenden Gesichtspunkt des theoretischen Modells der Kompensation knüpft dieses Kapitel an. Hierbei wird eine Gesundheitsgesellschaft24 vorausgesetzt, der ein spezieller Gesundheitsethos anhaftet, das sowohl eine physische als auch psychische Kernkomponente umfasst. Denn die üblicherweise genannten Fehlentwicklungen und diskutierten Kritikpunkte an den westlichen Industrienationen erfahren ihre eigentliche Dramatik erst unter Verweis auf gesundheitliche Konsequenzen, die bei einer dauerhaften Ignorierung drohen (vgl. Lütz 2002: 15f.). Bezüglich des Gesundheitsversprechens, an das die Naturalbodybuilding-Bewegung wieder anzudocken gedenkt, wird zugleich ein elementarer Unterschied zum Hardcorebodybuilding transparent, dessen Akteure in allen wesentlichen Belangen – Training, Ernährung, Doping etc. – ein deutlich höheres Gesundheitsrisiko einzugehen bereit sind. In den nun zu erörternden Tertiärmotiven, die in den divergenten Bodybuildingsubmilieus in unterschiedlichen Niveau-Ausprägungen zur Geltung kommen, sind prinzipiell Ausdrucksformen einer Kompensation moderner Verlusterfahrungen zu sehen, die allesamt auf gesellschaftliche Umbauprozesse und Umstrukturierungen inklusive der damit einhergehenden Kosten für das Subjekt zurückverweisen. Um einen Gesamtüberblick zu ermöglichen, illustriert Tabelle Nr. 3 zusammenfassend sowohl das bereits zu Genüge erarbeitete Primärmotiv samt der Sekundärmotive als auch vorwegnehmend die zu erörternden Tertiärmotive. Das offenkundige Hauptmotiv der Körpermodellierung und die Sekundärmotive Identitätsarbeit, Einzigartigkeit und Sozialdistinktion bedürfen keiner erneuten Erklärung, da sie zum einen während der gesamten Studie explizit – oder implizit – behandelt wurden und zum anderen von etlichen Bodybuildern mehr oder weniger direkt artikuliert werden. Ganz im Gegensatz zu den Tertiärmotiven, die lediglich als soziologische Interpretation an Transparenz gewinnen. Im Anschluss an Tabelle Nr. 3 wird Bodybuilding im Sinne einer soziologischen Bilanz

24 Lütz (2002: 274) zeigt, dass eine »Gesundheitsgesellschaft« nicht nur positiv zu werten ist, sondern auch Gefahren und Irrwege in sich birgt: »Nichts ist so krank wie unser Streben nach Gesundheit«!

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als hochintensives Körpererfahrungsprogramm, zeitgemäße Körpergestaltungsoption, unvergleichliches Authentizitätsgefühl, nachhaltiges Echtzeit-Erleben sowie sinngeladener Muskelfetisch in Gestalt von hintergründig wirkenden Antriebsmotiven dargestellt. Tabelle 3: Antriebsmotive moderner Bodybuilder

Primärmotiv

Sekundärmotive

Tertiärmotive

Identitätsarbeit

intensive Körpererfahrung zeitgemäße Körpergestaltung

Körpermodellierung

Einzigartigkeit

unvergleichliche Authentizität nachhaltige Echt-Zeit

Sozialdistinktion

sinngeladener Muskelfetisch

Bodybuilding als hochintensives Körpererfahrungsprogramm In der modernen Gesellschaft wurde die Bedeutsamkeit des menschlichen Körpers durch interne Strukturveränderungen reduziert. Auch die Vielzahl an Individuen, die sich gegenwärtig in Sportvereinen körperlich betätigen oder die beharrlich steigende Zahl derer, die in (kommerzielle) Fitness-Studioeinrichtungen strömen, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Körper in modernen Gesellschaften in zunehmendem Maße verbannt wird und z.T. sogar obsolet geworden ist. Um den Bedeutungsverlust des physischen Körpers anschaulich darzustellen, sind einige Aspekte prägnant zu erörtern: (1) Technisierungen des Transportwesens (Eisenbahn, Flugzeug, Automobil, Dampfschiff u.Ä.) machten die eigene körperliche Fortbewegung in etlichen Lebensbereichen verzichtbar und stellen den physischen Körper beim Durchqueren des Raumes ruhig. (2) Maschinen, Computer und Roboter verdrängen harte körperliche Arbeit zunehmend aus der Arbeitswelt. Der moderne Mensch ist immer häufiger an den Schreibtisch gebunden und verbringt den Großteil seiner Arbeitszeit nur noch sitzend. (3) Die technischen Fortschritte in Bereichen der Kommunikation (Telefon, Fax, Internet

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u.Ä.) haben dazu beigetragen, dass die physische Anwesenheit im Kommunikationsgeschehen nicht mehr zwingend erforderlich ist und haben so zu einer allgemeinen Körperabwertung geführt. In der unerschöpflichen Nachfrage an Sportangeboten ist demzufolge auch eine simultan zu dieser Körperverdrängung ablaufende – beinahe protesthafte – Körperaufwertung zu sehen (vgl. Bette 1989). Gewöhnlich wird Sport als perfekter Ausgleich für Bewegungs- sowie Belastungsdefizite eingesetzt, die für industrialisierte Gesellschaften symptomatisch sind und die von den beruflichen Arbeitsbedingungen oder gewissen nicht-sportlichen Freizeitaktivitäten – wie etwa Lesen, Fernsehen, Computerspielen etc. – forciert werden. So ist Sport zur Kompensationsinstanz für multilaterale Gesundheitsmängel oder -schäden – Muskelatrophie, Adipositas, Arthrose etc. – avanciert, die größtenteils durch die Industrialisierung hervorgerufen wurden. Daher besitzt auch der Bodybuildingsport auf der einen Seite einen Kompensationswert für die individuelle Athletenbiographie, da er negative Facetten beispielsweise beruflicher Arbeit ausgleicht. Auf der anderen Seite erfährt die ausrangierte harte körperliche Arbeit insbesondere via Hardcorebodybuilding in den Athletenbiographien eine Renaissance. Das (tägliche) Hanteltraining samt den ersehnten Fortschritten in der körperlichen Entwicklung übt eine auffallend große Faszination aus. Apraku und Nelles (1988: 8f.) halten dazu fest: »Wahr ist, was fühlbar ist. Der Körperkult wird so zu einer Form der Zurückweisung des tristen und illusionslosen Alltags, zu einem Lebensstil, in dem sich Bilder der Massenmedien – Film, Fernsehen, Werbung – untrennbar mit der Unmittelbarkeit sinnlicher Körpererfahrung verschränken«. Die Autoren verweisen auf ein intensiviertes Körpererleben während des Krafttrainings. Evident ist, dass sich Bodybuilder, ohne eine überaus passionierte Einstellung zu dem zu haben, was sie im heimischen Fitness-Studio tun, wohl kaum jeden Tag aufs Neue für das an sich stupide und mühsame Eisenstemmen motivieren könnten. Es ist leicht zu beobachten, dass Hardcorebodybuilder wie auch Naturalbodybuilder mit größter Inbrunst ihr Training absolvieren und eine extrem hohe Begeisterung für das damit einhergehende hochintensive Körpererleben entwickeln. Auf den ersten Blick scheint diese Feststellung banal zu sein, denn, dass das Krafttraining für langjährige Bodybuilder zur Passion arriviert, liegt auf der Hand. Daher ist eine differenziertere Analyse notwendig.

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Einerseits verschafft ein regelmäßiges Krafttraining den Athleten die Möglichkeit innerhalb eines gesellschaftlich etablierten und akzeptierten Rahmens am Schlankheits-, Fitness- sowie Gesundheitsversprechen des Sports teilzuhaben (vgl. Wedemeyer 1999b: 408), wobei sich dieser Sachverhalt im biographischen Verlauf – besonders, wenn es auf Hardcorebodybuilding hinausläuft – meist schnell ins Gegenteil verkehrt. Dem ungeachtet kann die Teilhabe an der Öffentlichkeit in Form eines imposanten körperlichen Erscheinungsbildes in markanter Weise die eigene Individualität darstellen. Andererseits wird durch intensivstes Bodybuilding »einem Verlust des Selbst- und Körpererlebens« entgegengewirkt (Bette 1993: 40). Das profane sportliche Handeln fungiert während des aktiven Körpererlebens beim Trainingsprozess als ein Hilfsmittel zur Reaktivierung spezifischer Gefühlslagen, die im Verlauf der Modernisierung sukzessiv marginalisiert wurden. Bodybuilder genießen den Belastungsschmerz während und nach einer Trainingseinheit im gleichen Maße, wie sie das angenehme körperliche Kaputtsein am Tagesende und den Muskelkater am darauf folgenden Tag genießen. Wenn der physische Körper ohne Umwege auf sich selbst aufmerksam macht, indem der Puls nach den körperlichen Anstrengungen förmlich rast, das Herz einem regelrecht bis zum Halse klopft, keuchend nach Atem gerungen werden muss und den Bodybuilder schlimmste Seitenstiche quälen, wird die Aufmerksamkeit auf den Körper und seine Signale gelenkt. Dadurch fühlt der Athlet seinen Körper wieder völlig »neu«, den er zu anderen Zeiten des Alltags kaum noch bewusst wahrnimmt. In solch einem Augenblick empfinden sich Bodybuilder mit ihrer Umwelt im harmonischen Einklang. Das hochintensive Körpererleben während einer Trainingseinheit ist so angenehm, dass es von vielen Athleten – einer Verhaltenssucht gleich – in regelmäßigen Abständen immer wieder aufs Neue hergestellt wird. Auf der Gesellschaftsebene ist zu konstatieren, dass der Bodybuildingsport ein Beispiel par excellence für eine exorbitante Körperaufwertung ist, die sich als ein Gegenprogramm zur bereits thematisierten – alle Lebensbereiche umfassenden – Körperverdrängung konstituierte. Gießing und Hildenbrandt (2005: 142f.) halten in einer Abhandlung zur Trainingsmethodik des genuinen Bodybuildings fest, dass das praktizierte Training immer ein »anaerob-alaktazides Erschöpfungstraining« ist und der Fokus der Trainingskonzeptionen von Bodybuildern auf eine

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vollständige Erschöpfung der zu trainierenden Muskelgruppen gerichtet sei. Jeder Bodybuilder pumpt seine Muskulatur mit Blut auf – egal, ob er einen Muskelmassegewinn anstrebt oder eine fettfreie und gut ausdefinierte Körperoptik. Der physiologische Zustand eines stark mit Blut aufgepumpten Muskels wird im Bodybuildingjargon als Pump25 bezeichnet. Dabei handelt es sich um eine durch systematisch-planvolle Trainingsmaßnahmen initiierte extrem durchblutete Muskelpartie, die – etwas übertrieben formuliert – den Eindruck erweckt, als sei das gesamte verfügbare Blut des Athletenkörpers in den trainierten Muskel gepumpt worden (vgl. Pramann 1983: 14). Der exorbitant hohe körperliche Aktivitätsgrad, der die Prämisse für den Pumpzustand ist, divergiert mit dem Aktivitätsgrad des unsportlichen bzw. faulen Durchschnittsbürgers. Daher ist es nicht jedermann vergönnt, diese Körperempfindung zu erfahren. Um das sportartspezifische hochintensive Körpererleben des sog. Pumps systematisch einzuleiten, werden die einzelnen Muskelgruppen – wie z.B. Latissimus, Pectoralis, Bizeps, Trizeps, Soleus etc. – meistens isoliert voneinander trainiert (vgl. Gießing 2002b: 71ff.).26 Während in der hochfunktionalen Trainingsgestaltung der Bodybuilder eine Entsprechung zur Moderne zu sehen ist, stellt das Körpererleben beim Trainieren als sinnliche Erfahrung ein »Kontrastprogramm« zu den allgemeinen Körperverdrängungstendenzen dar, die sich durch steigendes Maschineninventar am Arbeitsplatz oder den Alltag erleichternde technische Errungenschaften (Aufzüge, Rolltreppen, Waschmaschinen, Küchengeräte etc.) manifestieren. Bodybuilder beschreiben das intensivierte Körpererleben während eines Pumps als Nonplusultra der Glück-

25 »Wird ein Muskel gegen einen hohen Widerstand belastet, erfolgt unmittelbar danach eine verstärkte Durchblutung seines Gewebes (Pumpeffekt), wodurch die Muskulatur mit Sauerstoff und Nahrung versorgt und so zum Wachstum angeregt wird sowie Abbauprodukte des Stoffwechsels abtransportiert werden.« (vgl. Bednarek 1984: 52) 26 Rigauer (1969: 38ff.) konstatiert im Rahmen eines analytischen Vergleichs von Sport und Arbeit, dass die meisten Sportarten die »Arbeitsteilung« aus dem Rationalisierungsprozess der Werksarbeit übernommen haben. In der Trainingslehre spricht man diesbezüglich vom sog. »Splittraining.«

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seligkeit und räumen diesbezüglich vereinzelt ein gewisses Suchtverhalten ein, welches einer stoffungebundenen Sucht entspricht. Schwarzenegger stellt im Dokumentarfilm »Pumping Iron«, der in der Bodybuildingszene als der Klassiker gilt, sogar Analogien zum Orgasmus beim Geschlechtsverkehr her: »Eisen pumpen ist ein phantastisches Gefühl. Es ist wie Sex mit einer schönen Frau. Ich bin high. Ich bin im Himmel« (Schwarzenegger 1982, zit. nach Pramann 1983: 15). Er führt sinngemäß aus, dass der sog. Pump einem Orgasmus gleiche, man habe ihn während des Trainings nur wesentlich länger und intensiver. Besonders durch den Pump verschafft sich das hochintensive Körpererleben der Bodybuilder Ausdruck und wird als solches von den Akteuren überhaupt erst wahrgenommen. Daher messen Bodybuilder dem Pump eine sehr hohe Bedeutung bei, die mit essentieller Sinnhaftigkeit aufgeladen und so stabilisiert wird.27 Bodybuilding als zeitgemäße Körpergestaltungsoption Beim Sporttreiben – und speziell beim Bodybuilding! – kann man mit dem eigenen Körper und sich selbst kontrollierter, aber zugleich auch freier umgehen, als es in anderen Lebensbereichen des modernen Alltags möglich ist. Da dieses Betätigungsfeld – von Berufsbodybuildern u.Ä. einmal abgesehen – stets in den Bereich der Freizeit fällt, herrscht ein wohliges Moment der Selbstbestimmung vor. Im Vergleich zum traditionellen Vereinssport ist die Selbstbestimmung in kommerziellen Fitness-Studios um ein Vielfaches höher zu veranschlagen.28 Hier teilt man sich die Trainingszeiten autonom ein, man kann den Trainingspartner frei wählen und ist für sein Trainingsprogramm ab einem gewissen Leistungsniveau selbst verantwortlich. Dessen ungeachtet ist der Sport für viele Menschen generell zu dem »sozialen Fluchtpunkt« schlechthin avanciert, da man sich beim Sporttreiben im Vergleich zu vielen anderen Tätigkeitsfeldern der modernen Gesellschaft als deutlich handlungsfähiger wahrnimmt. Schlagworte, wie z.B. Entfremdung, Bürokratisie-

27 Auch im Aerobicbereich wird der Begriff ›Pump‹ zur Kursbezeichung für Trainingseinheiten mit kleinen – der entsprechenden Belastung angemessenen – Kurz- und Langhanteln verwand, wodurch die Popularität des Pumps nochmals unterstrichen wird. 28 Vgl. hierzu Bednarek (1984: 55ff.).

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rung, Spezialisierung, Zeitknappheit sowie Anonymität, stehen nur für einige Merkmale, die für Industrienationen typisch sind (vgl. Begov 1990: 180f.). Diese Entwicklungen sind zwar immer als ambivalent zu begreifen, denn sie haben evidenterweise auch viel Gutes mit sich gebracht, doch für das (subjektive) Empfinden des modernen Subjekts sind sie eher negativ konnotiert. Sportliche Aktivitäten, bei denen Körpermodellierung im Mittelpunkt steht, besitzen in diesem Zusammenhang ein außerordentlich hohes Ausgleichspotential. Gemeint ist der Ausgleich oder die Entschärfung von eklatanten Mängelzuständen, die aus den negativen Merkmalen des Industrialisierungs- und Modernisierungsprozesses als logische und z.T. unvermeidbare Konsequenzen resultierten. Derartige Mängel äußern sich am Individuum u.a. in Gestalt einer »Ohnmacht gegenüber gesellschaftlichen Zwängen«, um es mit Adorno und Kadelbach (1981) auszudrücken. Besagte Diagnose, die von der markantesten Form der Machtlosigkeit, also der Ohnmacht, ausgeht, plausibilisiert sich durch weiter schwindende Gestaltungsoptionen, mangelnde Authentizitätsgefühle, gesuchte Echtzeit-Erlebnisse und steigende Sinnleere. Auffällig sind Parallelen zwischen der ursprünglichen Kompensationshypothese, die sich hauptsächlich am Verhältnis von Person und Arbeit festmacht, und dem Theoriekonzept der »Selbstermächtigung« des modernen Subjekts, das auf das Verhältnis von Person und Organisation zurückgeht. Bette (2004: 12ff.) geht in einer soziologischen Analyse über den Abenteuer- und Extremsport von einer anwachsenden Asymmetrie bezüglich Person und Organisation aus. Und dabei sei angemerkt, dass moderne Gesellschaftsformen weitgehend als »Organisationsgesellschaften« funktionieren.29 Die Ausbildung unterschiedlicher Organisationen – z.B. von Ämtern, Kasernen, Unternehmen, Schulen, Universitäten, Kirchen, Sportverbänden etc. – sind symptomatisch für funktional differenzierte Gesellschaften. Sie folgen dabei immer der »Operationslogik« desjenigen Teilsystems, in das sie überwiegend eingebettet sind. Doch sind viele dieser Organisationen nicht »nur« einem Teilsystem zuzuordnen. So liegen beispielsweise nach Kurtz (1997: 181) Universitäten im Überschneidungsbereich zwischen einerseits dem Wissenschaftssystem sowie andererseits dem Erziehungssystem. Orga-

29 Vgl. ausführlicher Schimank (2001).

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nisationen beabsichtigen durch eine Reduktion von Komplexität30 mehr Ordnung in die sozialen Lebensbereiche zu bringen. Dabei »wurden die Menschen mit einer Regeldichte überzogen, die nicht nur neue Möglichkeiten und mehr Sicherheit schuf, sondern simultan auch Entscheidungsfreiräume einengte und Gefühle der Abhängigkeit und Fremdsteuerung hervorrief« (Bette 2004: 24). Das moderne Subjekt wird in zunehmendem Maße durch Organisationen verdrängt und somit in gewisser Weise überflüssig gemacht. Für Organisationen ist jedes Subjekt austauschbar und alles andere als unersetzlich. Eine adäquate Deutung von Organisation ist letztlich nur unter Verweis auf ihren ambivalenten Charakter zu gewährleisten. Das existierende Missverhältnis zwischen der »Macht« der Organisationen auf der einen Seite und dem Individuum auf der anderen Seite ist unauflösbar (vgl. Adorno 1972: 454ff.). Aus diesem ungleichen Verhältnis von Person und Organisation resultieren Erfahrungen der Machtlosigkeit und Nichtigkeit, die sich am Subjekt in unterschiedlicher Weise äußern können. Von eher leichten Stimmungsschwankungen über chronische Depressionen bis hin zum finalen Suizid ist auf der negativen Seite alles denkbar. Analog zu Bettes (2004: 23ff.) Deutungen zum Abenteuer- und Extremsport kann man Bodybuilding ebenfalls als »soziale Nische« auffassen, die dem Subjekt zur Selbstermächtigung dient. Durch ein anstrengendes Krafttraining mit Hanteln oder anderen Gerätschaften, das häufig – einer physischen Tortur gleich – bis zur absoluten Schmerzgrenze betrieben wird, beginnt das körpermodellierende Individuum sich selbst wieder ein Stück weit »mächtiger« zu fühlen. In einer funktional differenzierten Gesellschaft, in der den Medien eine immer größere Relevanz zukommt, bekommt das Subjekt »die Nichtigkeit des Seins« und die Machtlosigkeit, nichts daran verändern zu können, ständig ins Bewusstsein gerufen (vgl. Bette 2004: 23ff.). Dem Subjekt fehlt

30 Sozialsysteme wie auch Organisationen als mittlere Ebene der Systembildung, die aus Kommunikationen und nicht aus Menschen bestehen, haben die Funktion Komplexität zu reduzieren. Dabei gilt: »Nur Komplexität kann Komplexität reduzieren« (Luhmann 1987: 49).

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es an Gestaltungsmöglichkeiten31, mögen sie noch so genügsam sein. Positive Veränderungen, die in der Politik als nicht mehr möglich erscheinen, gelingen via Bodybuilding zwar nicht mühelos und schlagartig, aber immerhin in kleinen, für den Athleten kontrollierbaren Schritten. Unter kognitiven Umwegen kann man den gegenwärtigen »Körperkult« auch als einen Ruf nach Athletik statt Politik interpretieren (vgl. Apraku/Nelles 1988: 9f.). Denn beim Bodybuilden sind positive Veränderungen in Bezug auf die persönliche Leistungsfähigkeit in jedem Alter und auf jeder Niveaustufe realisierbar. Durch ein systematisch-planvolles Hanteltraining ist es dem Bodybuilder möglich, den Körper gezielt nach seinen (»individuellen«) Vorstellungen zu formen. Das angestrebte Körperideal ist allerdings immer auch maßgeblich sozial determiniert. Dabei ist an den großen Einfluss der fitness-studiointernen Peergroup(s), der szenetypischen Zeitschriften oder der muskelbeladenen Kinohelden zu erinnern. Mit Hilfe von Dopingmitteln kann man im Hardcorebodybuilding eine unter »natürlichen Bedingungen«, wie es eventuell im Naturalbodybuilding gegeben ist, unerreichbar erscheinende Leistungsdimension moderner Körpergestaltung kennen lernen (vgl. Taylor 1990: 95ff.). Da man als Einzelperson an den Teilsystemen oder der Gesamtgesellschaft nichts Nennenswertes verändern kann, sucht sich das Subjekt Alternativen, damit es das Bedürfnis nach Gestaltbarkeit ausleben kann (vgl. Lütz 2002: 42f.). Hier bietet der körpermodellierende Kraftsport einen auf den ersten Blick virtuos erscheinenden Ausweg an. Durch subtilste Körpergestaltungsmaßnahmen an der physischen Hülle, die sich primär am Idealbild, also am favorisierten Körperideal des entsprechenden Bodybuildingsubmilieus ausrichtet, kann man mittels Bodybuilding oder FitnessSport Gestaltungsbedürfnisse so effizient befriedigen wie in kaum einem anderen Sport. Bodybuilder teilen daher das Credo: »Du kannst heute an der Welt nicht mehr viel ändern – also veränderst Du Dich selbst« (zit. nach Würzberg 1987: 9).

31 Im Rahmen seiner »Erziehung zur Mündigkeit« spricht Adorno von der »Ohnmacht des Individuums gegenüber den gesellschaftlichen Zwängen«, die für das moderne Individuum geringe Gestaltungserfahrungen mit sich bringe (vgl. Adorno/Kadelbach/Becker 1981: 124f.).

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Im körperoptikfixierten Bodybuilding scheint eine zielgenaue Intervention noch möglich, wenn auch »lediglich« in einem individuell vorgegebenen genetischen Rahmen. Einem Künstler gleich bearbeitet ein Bodybuilder den Körper durch beharrliches Hanteltraining gekoppelt an durchdachte Ernährungsstrategien wie ein »organisches Kunstwerk«. Hier ein paar Nuancen mehr Muskelmasse, dort ein wenig mehr Tiefe, also Definition mit klaren Muskelteilungen, und prompt hat sich die Gesamtoptik des Bodybuilderkörpers auffallend verändert. Manche Athleten gehen so weit, dass sie ihren Körper tatsächlich als Kunstwerk bezeichnen. Prominente Fürsprecher des Bodybuildings gehen noch einen Schritt weiter und erklären, dass Bodybuilding sogar die höchste Form jedweder Kunst sei (vgl. Honer 1985b: 159ff.). Durch ein planvolles Armtraining vermag der Bodybuilder dem Bizeps sichtbar mehr an Höhe zu verleihen. Spezielle aerobe Aktivitäten auf einem Fahrradergometer, Stepper oder Cross-Trainer kombiniert mit einer eiweißhaltigen und kohlenhydratarmen Diätstrategie verhelfen zu einer schmalen Taille und bringen selbst hartnäckige subkutane Fettablagerungen buchstäblich zum Schmelzen. Scalla (2001: 158) hält in einer Analyse des – wie er es zu nennen pflegt – weit verbreiteten »Fitnesswahns«, den er als ein charakteristisches Phänomen der Moderne diskutiert, mit großem Nachdruck und generalisierend fest: »Wo Globalisierung und Deregulierung die Gesellschaft als undurchsichtig und dem menschlich bewussten Eingriff entzogen vorstellen, bietet der eigene Körper das verlockende Ziel einer gelungenen Modellierung«. Bodybuilding als unvergleichliches Authentizitätsgefühl Affektdisziplinierung und Gefühlsdämpfung sind Resultate des Zivilisationsprozesses, der sich immer auch auf der subjektiven Ebene niederschlägt (vgl. Elias 1976a, b). Der moderne Mensch hat während seines Alltagsgeschäftes im Beruf, in der Familie, bei Parteisitzungen oder Gesangstunden stets seinen Gefühlshaushalt im Zaum zu halten; er hat sich den Verhaltenserwartungen in Zusammenhang mit einem »zivilisierten Auftreten« in der Öffentlichkeit zu unterwerfen. Wutausbrüche oder Gewaltexzesse, wie man sie beispielsweise von der Hooliganszene aus dem Fußballbereich kennt, gehen heute mit dem Risiko einher, dass gesellschaftliche Kontrollinstanzen (Polizei, Jurisprudenz etc.) diese inakzeptablen Verhaltensweisen mit Strafen belegen. Fitness-Studios sind

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vor diesem Kontext zu einem zentralen Raum für das Ausleben außeralltäglicher Gefühlslagen geworden, denn im heimischen Fitness-Studio kann man sich in einem begrenzten Umfang noch ungehemmt latent archaischen Verhaltensweisen hingeben. Zu Keuschen oder zu Stöhnen ist hier keinesfalls anrüchig, sondern ein Zeichen für ein beherztes und verausgabendes Training. In den Räumlichkeiten der Studios ist demzufolge in einem dosierten Maße ein affektives Ausleben möglich, das in sonstigen Alltagsituationen einer strengen sozialen Kontrolle unterliegt. Das geht mit unvergleichlichen Authentizitätsgefühlen einher. Durch den Zivilisations- sowie den Modernisierungsprozess hat das Subjekt bestimmte Körperäußerungen zu unterbinden gelernt. Noch zu Martin Luthers Zeiten galten völlig andere Sozialnormen; er fragte beispielsweise: Warum rülpset und furzet ihr nicht? Hat es euch nicht geschmacket? Heute sind derartige Verhaltensweisen ebenso wenig gesellschaftlich tragfähig wie etwa ein herzhaftes Aufstoßen, lautstarke Flatulenz, brunftschreiähnliche Geräusche, ein gesteigertes Schwitzen oder die damit einhergehenden oft recht unangenehmen Körpergerüche. Beim Krafttraining sind Schreigeräusche, Schweiß und Naturdüfte zwar nicht als salonfähig zu bezeichnen, aber doch akzeptierter als anderswo. Paradoxerweise sind es im Besonderen die verspürten physischen Schmerzen bis hin zu manifesten Körperqualen bei den schweißtreibenden Trainingstorturen, die für Bodybuilder von hoher Wichtigkeit sind. So kann man das, was Aufmuth (1984: 99) für Alpinisten konstatiert, auf Hardcorebodybuilder und Naturalbodybuilder gleichermaßen übertragen: »Körperliche Leiden haben mit der Lust eines gemeinsam – auch sie sind ein elementares Stück gefühlter Lebendigkeit.« Während einer schmerzhaften Trainingsprozedur löst sich das im Alltag dominierende Gefühl der Zerrissenheit und es entwickelt sich eine Empfindung von Ausgeglichenheit sowie Ganzheitlichkeit. Daher stellt für jeden ambitionierten Bodybuilder sein außerordentlich extremes Training, das jedes Mal bis an die Grenze der menschlichen Leistungsfähigkeit zu betreiben ist, eine wahrhaftige Wohltat dar. Das Krafttraining besorgt dem Athleten ein überschwängliches Gefühl des Lebendig-Seins, aber vor allem eines der Authentizität. Die körperliche Anstrengung und die dabei zu erduldenden Schmerzen werden zum Garant für manifeste Authentizitätsgefühle. Ein mit Schweiß überströmter und gnadenlos ›drangsalierter‹ Bodybuilderkörper ist ein fortwährender

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Ausdruck für ein hoch aufgeladenes Lebendigkeitsgefühl, bei dem sich Bodybuilder gut und ausgesprochen unverfälscht fühlen – zwei positive Gefühlszustände, die im sonstigen Alltag weitgehend verloren gegangen sind. Pointiert formuliert: »Ermüdung, Schweiß und völlige Verausgabung sind vormoderne Körperzustände, die erst der exzessiv betriebene Sport wieder mit Sinn ausgestattet hat« (Bette 2005c: 309). Askese und körperliche Verausgabung eignen sich in modernen Gesellschaften, die sich durch ein Überangebot an Erzeugnissen, einen bacchantisch konsumatorischen Lebensstil und eine auffallende Tendenz zur Bequemlichkeit auszeichnet, famos für soziale Distinktionsbestrebungen (vgl. Bette ebd.: 314ff.). Mit Askese ist in diesem Zusammenhang eine Form der Enthaltsamkeit im nicht sexuellen Sinne gemeint. Durch die außerordentliche Verzichtbereitschaft der Bodybuilder in Bezug auf ernährungsbedingte Genusserlebnisse wie auch erquickender Körperträgheit trennt sich im Lager der Kraftsportler sprichwörtlich die Spreu vom Weizen. Erst über ein immens hohes Level an Verzichtbereitschaft und die grundlegende Bereitschaft sowie die Fähigkeit zur exzessiven Energievergeudung während der Trainingseinheiten sind im Bodybuilding dauerhaft Erfolge zu verbuchen, die für den jeweiligen Athleten oftmals mit beachtlichen Reputationsgewinnen innerhalb, aber auch außerhalb der Peergroup einhergehen. Zudem lösen Bodybuilder das heroische Bild vom disziplinierten und äußerst belastbaren ›homo sportivus‹ ein (vgl. Lenk 2007: 46f.). Im Trainingsprozess fühlt sich der Bodybuilder unvergleichlich authentisch – einem Meditierenden gleich, völlig bei sich selbst, gewissermaßen in einem Zustand körperlicher Versenkung. Ein erhabenes Gefühl der Selbstdisziplinierung und letztendlich auch Selbstbeherrschung macht sich breit und spitzt sich weiter zu. Wenn man erschöpft und stöhnend die Hanteln beiseite legt, steht man nicht mehr gestresst neben sich selbst, sondern empfindet sich als außerordentlich willensstarker und deutlich erhöhter Charaktermensch. Extreme Energievergeudungen während der stets aufreibenden Kraftanstrengungen adeln letzten Endes das Trainingshandeln der Bodybuilder, welches im Unterschied zur Ernährungsweise für jeden Anwesenden im Fitness-Studio unmittelbar beobachtbar ist. Während der Vorbereitungsphase auf die imminente Sommersaison mit Hilfe hochdisziplinierender Diätstrategien, durch welche die ohne-

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hin sehr asketische Lebensweise der Bodybuilder nochmals intensiviert wird, zeigt sich die enorme Verzichtbereitschaft, über die sich die Majorität der Bodybuilder von anderen Freizeitsportlern abgrenzt und sich hinsichtlich der Hochleistungssportler als durchaus ebenbürtig erweist. Der individuelle Bodybuilderkörper ist demzufolge längst »zum Träger sozialer Distinktion« geworden (Möhring 2005: 242f.). Kein Bodybuilder, der ein höheres Leistungsniveau erlangt hat, kann oder möchte es sich erlauben, während der sommerlichen Badesaison ›außer Form‹ zu sein – zu negativ wäre die Resonanz von Seiten der Peergroup (vgl. Ladewig 2002: 45ff.). Folglich wird für den Waschbrettbauch gehungert und trainiert bis zum Äußersten. Besonders im Sommer, wenn man durch stoffarme Bekleidung mehr Haut zeigt als sonst, gilt es für Bodybuilder in sog. Top-Form zu sein. Jedoch wird nicht nur im Sommer fleißig trainiert und strikt Diät gehalten. Bodybuilder favorisieren diesen spartanischen Lebensstil das gesamte Jahr über. Im Sommer kalorienarme Diäten, um immer noch ›definierter‹ zu werden, und im Winter kalorienreiche Diäten für den ersehnten Muskelmasseaufbau und das begleitet von einem Krafttraining, das für den Laien Analogien zur Selbstgeißelung aufwirft. Dem typischen Lebensstil von Bodybuildern ist zweifelsohne ein asketischer Charakter abzugewinnen.32 Denn »man fühlt sich durch das Training nicht nur physisch fitter, sondern auch psychisch wohler, und vor allem fühlt man sich als überaus disziplinierter, charakterstarker, selbstbestimmter Willensmensch« (Honer 1989: 65). Pedantisch durchgeplante Trainingseinheiten strukturieren die gesamte Athletenbiographie. Das Ausmaß an Verzichtbereitschaft, das Bodybuilder aufzubringen imstande sind, sucht im Freizeitsport seinesgleichen und ist im besten Falle vergleichbar mit der Verzichtbereitschaft von Hochleistungssportlern aus trainingsintensiven Disziplinen. Diese Bereitschaft zur Selbstdisziplinierung oder gar Selbstgeißelung wird dann mit scheinbar

32 Im alltäglichen Sprachgebrauch verbindet man mit dem Askesebegriff diverse Formen der Enthaltsamkeit und des Verzichts. Bei genauerer Betrachtung – insbesondere religiöser Askesevirtuosen – geht es allerdings primär um Naturbeherrschung, indem man menschliche Bedürfnisse und Triebkräfte ein Stück weit zu beherrschen lernt. Askese wird hierbei zur Kunst des Sich-Übens.

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unverfälschten Authentizitätsgefühlen im »Gegenwartsgeschehen« entlohnt. Dabei werden im Training Auseinandersetzungen mit der Vergangenheit oder Antizipationsbemühungen im Hinblick auf die Zukunft vorübergehend ausgesetzt. Bodybuilding als nachhaltiges Echtzeit-Erleben Ein ambitioniert praktiziertes Bodybuildingtraining geht mit manifesten Schmerzempfindungen einher, die vor ihren gesellschaftlichen Kontext gestellt eine aparte Bedeutung annehmen. Folglich bedürfen sie jenseits biologischer und psychologischer Überlegungen einer besonderen analytischen Aufmerksamkeit. Schmerzempfindungen, die beim Bodybuilding aufgrund des über die Schmerzgrenze hinausgehenden Trainierens unvermeidbar sind, stellen auf der rein kognitiven Ebene Erfahrungen dar, die für den Bodybuilder alles andere als unnütz sind. Denn sie ermöglichen es dem Bodybuilder, »die Indifferenzschwelle des Bewusstseins gegenüber der eigenen Körperumwelt zu überspringen und eine Simultanität von Bewusstsein und Körper in der Jetzt-Zeit gezielt herzustellen« (Bette 1999: 162). Intensiver trainierende Athleten erlangen über die Irreversibilität der Zeit abspeicherbare Evidenzerlebnisse im kognitiven Bereich, die in der modernen Gesellschaft, welche für die Subjekte stets komplexer zu werden scheint, als anstrebenswert gelten. Reale Körperqualen in Form extremen Trainingsschmerzen, die bis zum absoluten Muskelversagen zu erdulden sind, zeigen dem Bodybuilder die individuelle Grenze körperlicher Leistungsfähigkeit auf. Stark zitternd und mit letzter Körperkraft wird das Trainingsgewicht ein letztes Mal zur Brust abgesenkt, bevor es wieder in die entsprechende Halterung der Bankdrückapparatur gehievt wird. »Der Punkt des momentanen Muskelversagens wird definiert als der Moment, an dem nichts mehr geht und keine weitere konzentrische Bewegung mehr möglich ist« (Gießing/Hildenbrandt 2005: 142f.).33 Doch ausgerechnet im Moment der völligen Erschöpfung fühlt sich ein Bodybuilder mit Abstand am besten. Caysa (2002: 44) erläutert zum sportiven »Extrem-Sein« bei

33 Bodybuilder müssen stets über das sog. Muskelversagen hinaus trainieren, indem sie sog. Intensitätstechniken, wie z.B. Intensivwiederholungen, Abfälschung, Reduktionssätze, Teil-Wiederholungen etc., durchführen (vgl. Gießing 2002: 83ff.).

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intensivsten Betätigungen, »dass Sport manchen gerade deshalb gut tut, weil es wehtut. Schmerzen werden auch deshalb per Extrembelastung gesucht, weil sie ein affektives Gefälle in uns wachrufen, von dem wir annehmen, dass wir darin das Leben erleben«. Demgemäß könnte man Bodybuilder sogar als Schmerzfetischisten bezeichnen. Mit der – zeitweise en voguen – Theoriekonzeption des Flow-Erlebnisses beschreibt Csikszentmihalyi (1987)34 den Gefühlszustand, der durch die Freude am »reinen Vollzug« sowie ein vollständiges Aufgehen in der entsprechenden Betätigungsform entsteht; er veranschaulicht ein nachhaltiges Echtzeit-Erleben, das sich im kognitiven Bereich durch ein positives Begleitgefühl Ausdruck verleiht. Daher nimmt ein Bodybuilder die sportliche Betätigung im Fitness-Studio als ein einheitliches »Fließen« von einem Augenblick zum nächsten wahr – quasi als Flow. Ein Satz Bizepscurls wird mit einer flüssigen Abarbeitung der einzelnen Wiederholungen in moderater Geschwindigkeit ausgeführt. Daraus resultiert eine ungestörte Zentrierung der Aufmerksamkeit, die dazu führt, »dass Zweck und Ziel der Handlung in die Tätigkeit selbst verlagert werden« (ebd.: 138f.). Der Körper macht sowohl durch den Pump während der Trainingsprozedur als auch durch Körperschmerzen, die das ersehnte Muskelversagen flankieren, auf sich selbst aufmerksam. Dadurch ist der Bodybuilder veranlasst, sich noch intensiver sowie ausschließlicher mit dem eigenen Körper und dessen Erscheinung zu befassen. Für irgendwelche kritischen Reflexionsarbeiten – egal welcher Art und Weise – bleibt kein Raum. Engagierte Bodybuilder sind in Fitness-Studios daran zu erkennen, dass sie, in ihren eigenen Anblick vertieft auf der von Spiegeln umgebenen Trainingsfläche mit bedingungsloser Hingabe mit Hanteln und anderen Trainingsgerätschaften trainieren oder posend vor einem Spiegel35 verharren. »Die Tatsache, dass die Trainingsräume der Bodybuilder mit großen Spiegeln ausgerüstet sind, ist nicht nur Ausdruck einer narzisstischen Selbstverliebtheit, sondern der Spiegel ist hier auch das Instrument einer sehr kritischen Selbst- und Sozialkontrolle« (Gießing/ Hildenbrandt 2005: 147). Der Spiegel ist für Bodybuilder ein essentielles Instrument, um einerseits während des Trainings die technische

34 Vgl. ausführlicher Csikszentmihalyi (1987). 35 Zum Spiegel im Bodybuilding vgl. auch Rigauer (1982: 104ff.).

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Ausführung der Übungen besser überwachen zu können und um andererseits die Fortschritte in der Körperentwicklung einzuschätzen. Etwas anders: »Im Spiegel werden Fehler bei der Übungsausführung und körperliche Mängel in ästhetischer Hinsicht registriert« (Möhring 2005: 243f.). Denn eine bloße Ermittlung des aktuellen Körpergewichts mit Hilfe einer Waage erlaubt dem Bodybuilder keinen »objektiven« Rückschluss auf die erzielten oder auch nicht erzielten körperoptischen Verbesserungen (vgl. Bednarek 1984: 56f.). Dagegen trügt das Spiegelbild eines entblößten Körpers auf keinen Fall. Die Wahrheit liegt für Bodybuilder im Spiegelbild. Kurz: »Im Spiegel kann die Bildhaftigkeit der angestrebten Körperumbildung wahrgenommen werden und gleichsam der Eindruck auf das Auge der Öffentlichkeit vorhergesehen werden« (Gießing/Hildenbrandt 2005: 147). Ein zusätzlicher Vorzug der Spiegelnutzung während des Krafttrainings liegt in der Möglichkeit für eine verbesserte Kopf-Muskel-Verbindung, wie man es im Bodybuildingmilieu zu nennen pflegt. Mittels einer Spiegelbildbeobachtung beim Ausführen der einzelnen Trainingsübungen ist die Aufmerksamkeitsfokussierung auf die zu trainierende Muskelpartie optimierbar. Das beharrlich beobachtete Spiegelbild während des Trainings ist somit als Fokussierungshilfe zu interpretieren und gleichsam als Instrument, um die als angenehm empfundenen Fließerfahrungen des Flows zu forcieren (vgl. Möhring 2005: 239f.). Das oben dargestellte extrem körperbezogene Selbsterleben generiert im Bodybuilder die Fiktion einer ›Verschmelzung von Körper und Geist‹ – oder systemtheoretisch formuliert: die Fiktion einer ganzheitlichen Einheit von physisch-organischem und psychischem Sozialsystem. Flow-Erlebnisse bewirken ein totales Ausblenden von jedweder Reflexionsarbeit und eine vollständige Hinwendung zum individuellen Körper. Das Resultat liegt in einer psychischen Entspannung, in der Alltagsprobleme vorübergehend in Vergessenheit geraten. Mit Schwarzeneggers Worten ausgedrückt: »Regelmäßiges Training ist dazu geeignet, schädlichen Stress und Angstgefühle abzubauen, die ansonsten zu Ermüdungserscheinungen und vorzeitigem Altern führen« (zit. nach Wedemeyer 1999b: 410). Das oben skizzierte Erlebnispanorama – in seiner Gesamtheit betrachtet – entspricht pointiert formuliert einem qualitativhochwertigen Erleben nachhaltiger Echtzeit-Momente.

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Bodybuilding als sinngeladener Muskelfetisch Der sukzessive Bedeutungsverlust traditioneller Sinninstanzen (Familie, Arbeit, Religion etc.) hat zu einer Aufwertung des menschlichen Körpers geführt. Der Körper ist immediat zugänglich; er lässt sich sowohl in physischen als auch in optischen Bereichen beeinflussen. Mit Hilfe des körpermodellierenden Kraftsports kann man via Bodybuildingtechniken am Körper für jedermann gut erkennbar Spuren hinterlassen, die »bestimmte Botschaften« transportieren. Die Sichtbarkeit des Körpers wird genutzt, um sich anderen in berechnender Weise zu präsentieren und sich zu beweisen. Der individuelle Körper wird zur Kommunikationsinstanz, die spricht, selbst wenn der Bodybuilder schweigt. Die Suche nach einer nachhaltigen Individualität reduziert sich dann auf die Genese eines hypertrophierten Körpers, der gleichsam zum Dreh und Angelpunkt der jeweiligen Athletenbiographie wird. Für jeden Bodybuilder – und dabei insbesondere für Hardcorebodybuilder – avanciert der Körper zur »absolut gesetzten Sinninstanz« und wird so zu einem wahrhaften Fetisch (vgl. Rittner 1986: 47ff.). Die maßgeblich durch den Industrialisierungsprozess marginalisierte harte körperliche Arbeit und damit der industriell durch Maschinen sowie Roboter verdrängte Körper – speziell der männliche Kraftkörper – erlebt durch den Kraftsport eine Wiederkehr. Diese Wiederkehr des Kraftkörpers erfährt neben anderen Kraftsportarten – Gewichtheben, Powerlifting, Strongman u.Ä. – im körpermodellierenden Kraftsport als eine »Inklusion des Exkludierten« seinen Höhepunkt. Allerdings steht bei letzterem nicht mehr das Attribut der Körperkraft im Mittelpunkt, sondern die optische Simulation von Kraft über den monströs und hypermaskulin wirkenden Muskelkörper, der das Sinnbild des Bodybuildings schlechthin darstellt. Jeder passionierte Bodybuilder trainiert in der Regel unter totaler Hingabe, um seinen Körper nachhaltig in der Optik zu verbessern. Das im Training verwendete Gewicht spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Die absolute Höhe des verwendeten Trainingsgewichts ist für die Modellierungszwecke des Körpers sekundär. Beachtliche Gewichtslasten sind nur Mittel zum Zweck. Und der Zweck besteht darin, »die Muskulatur einem überschwelligen Reiz auszusetzen, der mit Hypertrophie be-

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antwortet wird« (Gießing/Hildenbrandt 2005: 142f.). Hypertrophie36 – damit ist das Dickenwachstum der Muskeln gemeint – ist schließlich die oberste Zielsetzung aller Trainingsbemühungen des Hardcorebodybuilders. Naturalbodybuilder intendieren ebenfalls eine Bildung neuer Muskelmasse, obwohl sie mehr an Muskelqualität im Sinne bestechender Körperdefinition und -harmonie denn an reiner Muskelquantität interessiert sind (vgl. Bednarek 1984: 52ff.). Wieder und wieder verweisen Bodybuilder unter größter Furore auf die Adaptionsfähigkeiten des menschlichen Körpers und besonders auf die der menschlichen Muskulatur. Für sie ist es faszinierend und segenreich zugleich, wie rasch der physische Körper auf systematisch-planvolles Hanteltraining anspricht. Speziell das »progressive Widerstandstraining« hat sich bezüglich des gezielten Muskelaufbaus als außerordentlich wirksam erwiesen (vgl. Gießing 2002: 63ff.). Sichtbare Resultate lassen sich schnell unmittelbar am eigenen Körper festmachen, obwohl sich anfängliche Fortschritte im biographischen Verlauf mehr und mehr verlangsamen oder von Phasen längerer Stagnation und des Rückschritts begleitet werden. Nun stellt sich aber vor dem Hintergrund der sozialen Wandlungsprozesse die Frage, was eine muskulöse Körperoptik neben den genannten Punkten für den Bodybuilder als »sinnvoll« erscheinen lässt, so dass der Körper tatsächlich zum Fetisch wird? Hierzu kurz vier Grundüberlegungen, die mehr als Hypothesenbildung denn als ausführliche Analyse verstanden sein sollten: (1) Der Körper fungiert in der modernen Gesellschaft, in der ein höheres Sicherheitsbedürfnis vorherrscht, für viele Bodybuilder als Drohkulisse. Gegen die hochabstrakte und -komplexe Welt der Bürokratie in den Organisationen, die alle Lebensbereiche der modernen Gesellschaft durchziehen und die sich im Verhältnis zum Individuum durch eine klare Asymmetrie zu Ungunsten des Subjekts manifestieren (vgl. Coleman 1986), bringen Bodybuilder ihren Muskelkörper ein, um zumindest in Face-to-face-Situationen zu reüssieren. Viele männliche Bodybuilder

36 Das Phänomen der Hypertrophie meint – schlichter formuliert – eine Querschnittsvergrößerung der Muskelfasern, während die Hyperplasie von der Neubildung von Fasern ausgeht. Im Vergleich zur Theorie der Hypertrophie, die als wissenschaftlich abgesichert gilt, stehen bezüglich der Hyperplasie wissenschaftliche Belege noch aus (vgl. Marées 2003: 194ff.).

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verwenden den muskelbeladenen Körper als Abschreckungsmittel, um im Falle eines plötzlichen zivilisatorischen Rückfalls ins Faustrecht einen manifesten Vorteil gegenüber dem Kontrahenten zu besitzen und ausspielen zu können. Man denke dabei beispielsweise an die Akteure von gewaltbereiten Straßengangs oder an Türsteher, die sich alleine durch ihre meist äußerst einschüchternde Körperlichkeit Respekt verschaffen. Auch die legitimierten Gewaltanwender, wie etwa Polizisten oder Soldaten, die im Berufsalltag in polymorpher Weise sowohl von einem durchtrainierten Körper als auch einer respekteinflößenden Körperoptik profitieren, sind in diesem Zusammenhang zu nennen. (2) Der Körper wird von nicht wenigen männlichen Bodybuildern bewusst zur Virilitätssteigerung genutzt. Ein muskulöses Äußeres ist auch in modernen Gesellschaften ein klares Indiz für genuine Männlichkeit – insbesondere in Anbetracht einer weit fortgeschrittenen Körperverdrängung sowie Frauenemanzipation. Hypermaskulinität ist auch als eine Reaktion auf die fortschreitende Emanzipation der Frauen zu deuten, durch die sich Bodybuilder in ihrer Männlichkeit gefährdet, benachteiligt und zum Teil sogar ›entmannt‹ fühlen. Der durchschnittliche Männerkörper sei nach Ansicht vieler Bodybuilder im Laufe der Moderne zu einem dekadenten, weil atrophierten oder adipös gewordenen Körper mutiert. In Anbetracht dessen transformieren Bodybuilder ihre Körper in Muskelkörper, um damit Hypermaskulinität zu erlangen und sich so vom »dekadenten Durchschnittskörper« zu distinguieren. Demnach haben männliche Bodybuilder oft ein archaisches und hinsichtlich der Frauenemanzipation rückwärts gewandtes Körperverständnis, das sich durch ein – andere moderne Körperverständnisse überlagerndes – Verlangen nach möglichst viel Muskelsubstanz und damit Männlichkeit manifestiert. Der äußerst viril wirkende Muskelkörper ist die Antwort der Bodybuilder auf den gesellschaftlichen Vormarsch der Frauen und wird nicht selten als letzte Bastion einer »unverfälschten Männlichkeit« interpretiert. (3) Der Körper wird entgegen dem eben Skizzierten von weiblichen Bodybuildern paradoxerweise als ein Emanzipationsinstrument zum Einsatz gebracht, um in männerdominierten Lebensbereichen, wie dem Bodybuildingmilieu, ernst genommen zu werden und Anerkennung zu erfahren. Das kann dazu führen, dass Frauen – insbesondere Bodybuilderinnen – von Männern nicht mehr als Frauen, sondern als Mannswei-

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ber wahrgenommen werden (vgl. Möhring 2005: 243). So wirkt ein unverhältnismäßig muskulöser Frauenkörper auf den Durchschnittsmann häufig befremdlich oder gar einschüchternd. Bodybuilderinnen fühlen sich dagegen durchaus feminin, vertreten jedoch ein athletisch-viriles Körperbild; sie empfinden den durchschnittlichen Frauenkörper zumeist als »schwach« und »hilfsbedürftig«. Ein untrainierter Frauenkörper, der ihrer Ansicht nach für die Majorität der heutigen Frauen Usus sei, lasse sich mit den Emanzipationsbestrebungen im Rahmen der Frauenbewegung nicht vereinbaren. (4) Der Körper dient männlichen wie auch weiblichen Bodybuildern als ein Sexsymbol; denn der anvisierten Körperoptik wird eine gewaltige sexuelle Anziehungskraft zugeschrieben. Auch in der Gesamtbevölkerung sieht man in sportiven sowie durchtrainierten Körpern eine hohe sexuelle Potenz. Dagegen attestiert man den muskelbeladenen Hardcorebodybuildern aufgrund ihres angeblichen Anabolikamissbrauchs Impotenz. Unabhängig von diesen Klischees fühlen sich Bodybuilder sexuell attraktiv und kleiden sowie bewegen sich dementsprechend. Man denke hierbei beispielsweise an Stripgruppen wie die California Dreamboys oder die Chippendales, die mit überaus muskelbeladenen Körpern, die mit denen von Bodybuildern gut vergleichbar sind, auftrumpfen und Frauen scharenweise in »erotische Verzückung« versetzen. So verwundert es nicht, dass der Ursprung des modernen Bodybuildings sowohl im Bereich des Zirkusses, des Jahrmarkts und des Varietees als auch des erotisch hochaufgeladenen Revuetheaters des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts liegt (vgl. Wedemeyer 1996: 23). Dort wurden – quasi als eine Vorform zum Striptease – erotisch anmutende Muskelkörper in einstudierten Posen oder Tanzeinlagen zum Besten gegeben. Der Modernisierungsprozess hat in den Biographien der derzeitigen Menschen klare Spuren hinterlassen. Millionenfach bangen Menschen um ihre Jobs. Nicht wenige haben ihre Arbeit bereits verloren und haben größte Schwierigkeiten wieder eine neue Stelle zu finden. Die Ehe oder neuartige Varianten der Intimbeziehung werden in ihrer Konsistenz brüchiger und sind zeitlich nur wenig beständig. Die Zahl derer, die Wochenendbeziehungen führen oder zwei getrennte Haushalte haben müssen, nimmt stetig zu. Auch die Zahl der Patchwork-Familien und dauerhaften Singles steigt drastisch an. Freundschaftsbeziehungen zerreiben sich unter dem Druck der allgemeinen gesellschaftlichen Be-

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schleunigung und den Anforderungen des modernen Alltags. Der zeitgemäße Mensch ist geplagt durch vielfältige – teilweise gravierende – »biographische Brüche« (Arbeitslosigkeit, Scheidung u.Ä.), die beim Eintreten meist mit einem kolossalen Identitätsverlust verbunden sind. Der Sport – und dabei besonders der körpermodellierende Kraftsport – bietet sich in diesem Zusammenhang als biographischer Fluchtpunkt an, der die Identität und somit die entsprechende Biographie nachhaltig zu stabilisieren hilft. Einen ansehnlichen Muskelkörper ersehnen sich Bodybuilder nicht (nur) für sich selbst, sondern hauptsächlich um ihn sozial wirkungsvoll in Szene zu setzen. Dabei wird die große Sehnsucht nach einer soliden Identitätskonstruktion deutlich. Viele Bodybuilder ›verwirklichen‹ sich im Vergleich zu anderen Freizeitsportlern oder zur Majorität der NichtSportler weniger über den Beruf oder über andere Lebensbereiche und die damit verbundenen Rollenausprägungen – Filialleiter, Kirchenvorstand, Familienvater etc. –, sondern primär durch Erfolge im Bodybuilding. Das für externe Beobachter sinnfrei erscheinende Hantelstemmen gewinnt während des biographischen Verlaufs eines jeden Bodybuilders im Hinblick auf dessen Identitätsaufbau eine zunehmend zentrale Bedeutung. Auch die von Bodybuildern praktizierte Form der Selbstdarstellung und -inszenierung verweist auf diverse gesellschaftliche Umwandlungsprozesse. Der daraus resultierende Zusammenhang von Bodybuilding, Identitätsarbeit und Gesellschaft ergibt sich wie folgt: Die vielfältigen Individualisierungsbestrebungen der Menschen sind als Folgeerscheinungen der Moderne zu interpretieren.37 Während der vormoderne Mensch noch durch hierarchische sowie solide traditionelle Bestimmungen und Zwänge geprägt war, sieht sich das moderne Subjekt mit einer – nie da gewesenen – Vielzahl von Freiheitsgraden konfrontiert (vgl. Rittner 1984: 4f.). Dieser Zugewinn an Freiheit und diese

37 Begriffe wie z.B. Individualisierung, Diversifizierung oder Entstrukturierung wurden von Beck (1983: 40f.) wiederbelebt. Er stellt anschaulich dar, wie sich von den späten 1950ern bis Anfang der 1980er ein »sozialstruktureller Wandel« vollzog. In diesem Rahmen habe sich ein »Individualisierungsprozess von bislang unbekannter Reichweite und Dynamik vollzogen« und vollziehe sich auch heute noch. Zur Individualisierung im Sport vgl. auch Bette (1993).

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neue Optionenvielfalt38 birgt allerdings eine folgenschwere Dialektik in sich. Einerseits eröffnet sie den Subjekten die Chance, ihr Leben im höheren Maße als zuvor unabhängig von sozialhierarchischen Vorgaben selbstbestimmt zu gestalten. Andererseits bricht eine sicherheitsspendende Möglichkeit, sich in seiner »Ganzheit« einem Sozialgebilde, wie etwa seiner Familie, zugehörig fühlen zu dürfen, weitgehend weg (vgl. Bette 1993: 36f.). Unterdessen verteilt sich das heutige Leben der Menschen auf unterschiedliche Milieus und die darin zu »spielenden« Rollen. Morgens Familienvater, über den Tag Bankdirektor, abends Dorfbeiratsvorsitzender und wiederum Familienvater zu sein, ist typisch für die Rollenparzellierung in modernen Gesellschaften. Um dem zu entgehen, wird für Bodybuilder im Verlauf ihrer Biographie das heimische Fitness-Studio zu einem sozialen Fluchtpunkt und für nicht wenige zu einem regelrechten Familienersatz. Wechselnde – oft auch widersprüchliche – Anforderungen werden in der modernen Gesellschaft permanent an einen herangetragen. Und jeder Einzelne hat auf derartige Situationen stets adäquat sowie flexibel zu reagieren, um den unterschiedlichen Erwartungen oder Ansprüchen des Teilsystems, in dem man sich gerade bewegt, also in das man aktuell inkludiert ist, entsprechen zu können (vgl. Bette 1999: 147ff.). Das Subjekt hat durch die zuweilen erschlagend wirkende Komplexität moderner Lebenssphären zu lernen, seine eigene Persönlichkeit nur noch mosaikhaft zu präsentieren. Gugutzer (2005: 327) meint, dass »der Individualisierungsprozess zur Erosion traditioneller Werte und Sinninstanzen, zur Auflösung traditioneller Geschlechterrollen und -identitäten sowie zu einer Pluralisierung familialer Lebensreformen geführt [habe]«. Nach Beck (1986) gibt es ein frappierendes Mehr an Einkommen, Freizeit, Bildung, Mobilität, Gesetzlichkeit, Wissenschaftlichkeit sowie Massenkonsum. Funktional differenzierte Gesellschaften seien insgesamt eine »Etage höher gefahren«. Beck führt für diesen gesellschaftlichen Wandel, der eine Verbesserung der allgemeinen Bedingungen für seine Akteure mit sich brachte, die Metapher des »Fahrstuhl-Effektes« ein. Damit beabsichtigt er zu illustrieren, wie schnell sich auf der zeitlichen Ebene und wie gravierend sich auf der sachlichen Ebene diese Veränderungen vollzogen haben. Doch bringen diese – auf den ersten

38 Zur Multioptionsgesellschaft vgl. ausführlicher Gross (1996).

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Blick positiv wirkenden – Entwicklungen auch einige Nachteile für das moderne Subjekt mit sich. Funktional differenzierte Gesellschaften müssen ihren Akteuren deutlich mehr an Neutralität, Differenzierungsfähigkeit wie auch Oberflächlichkeit abverlangen. Dies setzt aber ein beachtlich hohes Maß an Selbstkontrolle, -organisation und -steuerung voraus (vgl. Bette 1999: 152ff.). Die neu erlangte Freiheit und Selbstbestimmtheit schließt die Möglichkeit eines selbstbestimmten Scheiterns stets mit ein. Da das Subjekt die äußeren Umstände immer öfter selbst bestimmen muss, kann es ein Nichtgelingen nicht mehr bequem auf diese zurückführen. Durch die heutige Selbstverantwortlichkeit eines jeden Einzelnen werden alle Formen des Nichtgelingens zu einem »persönlichen Versagen«. Heidegger erklärt diesen Sachverhalt mit dem bekannten Satz: Der Mensch wird auf sich selbst zurückgeworfen. Diese Umstände können in Gefühlen der Überforderung, Entfremdung und Kontingenz resultieren (vgl. Bette 1999: 150ff.). Bodybuilding als körperorientierter Sozialbereich eignet sich angesichts der negativen Begleiterscheinung(en) dieser Optionenvielfalt und des damit verbundenen Individualisierungsstrebens exzellent als rettendes Ufer.39 Der typische Bodybuildinglebensstil tritt bei der Identitätsarbeit über Bodybuilding zumeist als Copingstrategie im Hinblick auf biographische Risiken auf den Plan. Allerdings lässt sich die Identitätsarbeit der Bodybuilder nur unter einer Inkaufnahme der sich aufdrängenden Paradoxie der Einzigartigkeit intensivieren, die sich durch ein ewiges Kopieren und Kopiert-Werden Ausdruck verleiht. Unabhängig von dieser bisher lediglich angedeuteten Paradoxie bietet sich die Bezugsgröße Körper in modernen Gesellschaften, die sich durch Sinnsuche, Fragmentierung und Kontingenz auszeichnen, exzellent für Selbstverwirklichungs- und Individualisierungszwecke an. Dabei dient die gut sicht- und greifbare physische Körperhülle dem Individuum als ein Kommunikationsmedium und wird vorzugsweise zur Darstellung der eigenen Existenz sowie Individualität gebraucht (vgl. Rittner 1984: 5ff.). Welche Rolle das Subjekt auch einzunehmen hat, eine

39 »Die Orientierung an Fitness, Sport und Gesundheit, überhaupt an Formen der Körperbetonung, ersetzen in weiten Teilen die alten Präge- und Sinninstanzen. Als neue Sinngeber für viele Menschen ermöglichen sie Identifikation am eigenen Leib.« (Rittner 1984: 5)

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Größe und Sicherheitsbasis bleibt ihm immerzu erhalten: seine höchstindividuelle Körperoptik. Zudem ist die Körperoptik eine für alle Mitmenschen leicht beobachtbare Größe, also ein Kommunikationsmedium, mit Hilfe dessen das moderne Subjekt seine Individualität sozial sichtbar machen kann, um sie in berechnender Weise im sozialen Umfeld zu präsentieren. Mit seiner Kleidung, subtilen Gestik oder den offen zur Schau getragenen ›Vorlieben‹ zeigt das Subjekt allen anderen, wozu (oder zu wem) es gehört und was oder wer nicht zu ihm gehört. Das körpermodellierende Subjekt betreibt – bewusst oder unbewusst – nichts anderes als Sozialdistinktion. Etliche Bodybuilder geben klar zu verstehen, dass sie sich hinsichtlich ihrer Trainingskonzeption, Ernährungsweise und eventuell auch Dopinggewohnheiten zu einem elitären Personenkreis – bzw. Personen-Netzwerk – hinzuzählen (vgl. Kläber 2010: 185ff.), das sich durch eine alle anderen Sportarten übertreffende Form der sportartspezifischen Rationalisierung auszeichnet.

Resümee: McDonaldisierung des Bodybuildings

Das Bestreben hochmotivierter Bodybuilder, Individualität durch eine möglichst einzigartige Körperlichkeit zum Ausdruck zu bringen, hat ein unentwegtes Kopieren von (körperoptischen) Vorbildern und ein Kopiert-Werden als Vorbild für andere Bodybuilder zur Folge. Alle Bodybuilder – ob sie sich als Naturalbodybuilder oder Hardcorebodybuilder definieren – streben eine einzigartige Körperhülle an; sie wollen aufgrund eines außergewöhnlichen Körpers gesehen und bewundert werden. Dabei produzieren sie durch ihr konvergentes Handeln in Bezug auf Training, Ernährung und Doping uniforme Körperhüllen. Im Bodybuildingsport werden aufgrund der für alle gleichen ›Inhalte‹ auf der Programmebene – beispielsweise durch ähnliche Trainings- oder Ernährungspläne – nach den tradierten Idealvorstellungen des jeweiligen Submilieus (Natural- oder Hardcorebodybuilding) nivellierte Körper produziert. Wenn aber Unvergleichlichkeit nicht ausgedrückt werden kann, weil kollektivierte Idealvorstellungen von Einzigartigkeit dominieren, ist die anfänglich intendierte Individualität als paradoxie-behaftet zu werten (vgl. Bette 1993: 46). Der Bodybuilder hyperinkludiert sich bei seinen Bemühungen, Einzigartigkeit durch Abweichung von geltenden Normen zu erlangen, in eines der beiden Submilieus und treibt seine Individualisierungswünsche sukzessiv auf die Spitze. Doch wie ist diese frappierende Sehnsucht nach Einzigartigkeit zu erklären und wie sieht die paradoxe Situation, in die sie führt, konkret aus? Die vielfältigen Sozialmilieus, in die sich das moderne Subjekt in der funktional differenzierten Gesellschaft (optional) inkludieren kann,

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wie beispielsweise die Punker-, Gothic-, Biker- oder Skaterszene, sind als ›Sozialverbände von Gleichgesinnten‹ zu interpretieren, indem alle Akteure einer identischen – oder zumindest konvergenten – Zielsetzung nacheifern. Daher wird auch die von der Bodybuildingszene postulierte hypertrophierte Körperhülle unter Berücksichtigung der submilieu-spezifischen Subtilitäten von allen Akteuren gleichermaßen angepeilt. Besagter Sachverhalt hat im Lager der Natural- und Hardcorebodybuilder in Bezug auf die Athletenkörper eine starke Uniformitätstendenz zur Konsequenz. So wirken die nebeneinander stehenden, solariumgebräunten und z.T. mit Farbe angemalten und eingeölten Athletenkörper auf der Bühne bei Bodybuildingwettkämpfen für das ›Laienauge‹ identisch. Selbst Insidern fällt es schwer, noch irgendwelche Unterschiede in der Körperoptik zu erkennen. Im Zentrum der bodybuildingspezifischen Betrachtung steht dessen ungachtet immer der hypertrophe Körper. »In diesem Kontext zeigt sich, wie eine bestimmte Ästhetik der Machbarkeit und machbaren Verschönerung ›normativ‹ wirkt: Alle wollen sportiv und gut aussehen, aber nicht nur weil sie es als schön empfinden« (Caysa 2008: 248f.). Als Bodybuilder genügt ein sportives Aussehen schon lange nicht mehr; man benötigt darüber hinaus ein distinktionsfähiges Muskelpanorama. Die Gestalten samt ihrer eindrucksvollen Körper, die das Bodybuilding bevölkern, erscheinen als fleischgewordene Spielzeugfiguren à la He-Man, Skeletor und Konsorten oder als muskelbepackte Comicfiguren (z.B. Superman, Batman etc.), die zugleich die Hauptakteure heldenhafter Comic-Stories darstellen. Die fiktiven Spielzeug- und Comicfiguren erzeugen mit ihren Körpern und ihren Kostümen wie auch ihren Verhaltensweisen nicht selten Gewalthandlungen, die sowohl Bewunderung als auch in Bezug auf die jeweiligen Gegenspieler der entsprechenden Heldenfigur Abneigung oder Ekel hervorrufen. Die dabei zur Schau gestellten Körper weichen deutlich von den real existierenden Alltagskörpern in modernen Gesellschaften ab. Sie sind größer, stärker, massiger und insgesamt: auffälliger sowie distinktionsfähiger und haben letztlich mehreren Generationen – insbesondere der Männer – als körperoptische Vorbilder gedient. Aber auch für Frauen gab es ein entsprechendes Angebot an Spielzeugfiguren, wie Shera, Barby etc., die als Vorbilder herangezogen wurden und noch heute werden. Während noch in den 1980er Jahren ›He-Man and the Masters of the Universe‹,

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von ihrer Körperoptik her betrachtet, den meisten Menschen als unerreichbar galten, so sehen gegenwärtig speziell Profi-Bodybuilder wesentlich futuristischer aus als die damaligen Spielzeug-Vorbilder. Ein Bodybuilderkörper hat nicht die Funktion höher zu springen, weiter zu stoßen oder etwa schneller zu laufen. Seine Funktion ist primär auf körperoptische Aspekte reduziert und liegt im Wesentlichen in einem hypertrophen Körper. Der Körper eines Bodybuilders besteht im Grunde aus zwei Körpern: Erstens aus dem Körper, der »überdurchschnittlich muskulös« zu sein hat. Gemeint ist damit das sog. Massemonster (bzw. der Hardcorebodybuilder), für das Aspekte wie Definition, Symmetrie und Harmonie zwar nicht unwichtig sind, jedoch von sekundärem Rang. Zweitens als Pendant zum ersten Körper aus dem Körper, der »möglichst natürlich« wirken muss und deshalb deutlich weniger Muskelmasse aufweist. Gemeint ist der sog. alternative Bodybuilder (bzw. der Naturalbodybuilder), für den qualitative Aspekte wie Definition, Symmetrie und Harmonie ausschlaggebend sind. Bodybuilder müssen in Bezug auf ihren Körper dennoch stets beides vorweisen: überdurchschnittliche Quantität sowie Qualität. Um dies zu erreichen, ist Wehleidigkeit keine Sache von Bodybuildern, ob sie nun als Hardcore- oder Naturalbodybuilder aktiv sind. Das Publikum – sowohl bei Bodybuildingmeisterschaften als auch im Fitness-Studioalltag – belohnt nur diejenigen mit entsprechenden Reputationszugewinnen, die entweder im Bereich der Muskelquantität oder der -qualität durch »Erfolge« brillieren (vgl. Kläber 2010: 32ff.). Re-Archaisierung des Körpers, insbesondere des Männerkörpers – groß, muskelstark, massig etc. – ist zugleich eine Reaktion auf die kritische Hinterfragung des Männerbildes durch die Frauenemanzipation. Differenzsetzung durch hypertrophe Körperlichkeit wird jedoch, wie im voranstehenden Kapitel ausgeführt, auch von einigen Frauen explizit genutzt, um sich adäquat zu emanzipieren und sich vom allgemeinhin als weich, schwach und degeneriert geltenden, durchschnittlichen Frauenkörper klar abzusetzen. Maskulin und feminin wirkende Bodybuilderkörper sind Inkarnationen einer imaginierten Vormoderne, die es in dieser Form nie gegeben hat. Waren z.B. die Gladiatorenkämpfe der Römischen Antike ursprünglich Teil von Bestattungsriten, mit denen der Name des Verstorbenen und der Familie unwiderruflich in das Gedächtnis der Zeitgenossen eingebrannt werden sollte, treten die selbster-

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nannten »modernen Gladiatoren« des Bodybuildings aus völlig anderen Gründen an. Die Körper, die im derzeitigen Bodybuilding zur Schau gestellt werden, entsprechen nicht dem typischen Athletenkörper der Antike, bei dem der reinen Körperkraft noch eine wesentlich höhere Bedeutung zukam als dem optischen Kraftkörper. Bodybuilder sind – zumindest aus externer Perspektive betrachtet – eher stark hypertrophierte, aus den Fugen geratene oder auf andere Weise von »der« Norm abweichende Gestalten, z.T. extrem monströs, unglaublich muskulös oder erschreckend fettarm und durchdefiniert – gleichsam filetiert. Ein hart erarbeiteter Bodybuilderkörper eignet sich beim direkten Vergleich mit Nicht-Bodybuildern hervorragend dafür, Individualität und Einzigartigkeit zum Ausdruck zu bringen. Doch innerhalb der Bodybuildingszene lassen sich in Bezug auf Einzigartigkeit körperoptische Pioniergewinne nur sehr schwer verbuchen. Denn: »Die Verfahren, mit denen [kurzzeitig] Unikate hergestellt wurden, werden nämlich in unserer Kultur per ›Vermarktung‹ verallgemeinert. Die Körperherstellung wird so serialisiert und die möglichen Körper werden, vermittelt durch globalisierte Körperbilder, standardisiert und normiert« (Caysa 2008: 251). Aufgrund der daraus zwangsläufig resultierenden Uniformitätstendenz in Bezug auf die Körperhüllen der Bodybuilder ist der Einzigartigkeitsstatus des Athleten niemals dauerhaft zu erhalten, sofern man überhaupt jemals temporäre Einzigartigkeit zu erlangen im Stande ist. So galt beispielsweise Schwarzenegger auf dem Zenit seiner Bodybuildingkarriere als Meilenstein der Bizepsentwicklung und ist selbst heute noch für seine legendäre Doppelbizepspose weltberühmt. Damals diente er mit seinen dicken Oberarmen, die bereits in den 1970er Jahren erstaunliche 56 cm Umfang aufwiesen, unzähligen Bodybuildern als Kopiervorlage. Heute stellt ein Bodybuilder mit derartigem Armumfang nichts »Besonderes« mehr dar und wird somit auch nicht als außergewöhnlich angesehen. Zumal ein solcher Armumfang inzwischen sogar auf kleinen Regionalmeisterschaften keine Seltenheit mehr ist. Bodybuilder sind Parasiten am gesellschaftlichen Modernisierungsprozess; denn sie nutzen die gesamte Bandbreite an Kompensationsmöglichkeiten, die das Bodybuilding zu bieten hat – besonders im Hinblick auf die dargestellten Verlusterfahrungen –, um ihre Identität mit Hilfe des eigenen Körpers zu generieren und zu stabilisieren. Wenn allerdings zu viele Menschen dem (extravaganten) Lebensstil der Body-

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builder nacheifern und sich so dem Alltagshandeln der Durchschnittsbevölkerung verweigern, wären solide Einzigartigkeitsmomente in diesem Bereich noch schwieriger zu realisieren, als sie es ohnehin schon sind. Bodybuilding wäre nicht mehr außergewöhnlich und nur noch begrenzt distinktionsfähig. So gesehen profitiert das deutsche Bodybuilding von seinem Exotenstatus, der in diesem Buch bereits mehrfach zur Geltung gekommen ist. Abschließend ist festzuhalten, dass ein strikt auf Einzigartigkeit ausgerichteter hypertropher Körper im Bodybuilding kopierbar wird und dadurch die gewünschte Einmaligkeit einen dramatischen Auraverlust erleidet (vgl. Bette 1993: 48). Dies hat zur Folge, dass Bodybuilder bemüht sind, sich durch zunehmend »radikaler« werdende Ernährungs-, Trainings- und Substitutionshandlungen von anderen Mitmenschen hinsichtlich ihrer sportlichen Leistung abzusetzen. Der immense psychische Druck, über voluminösere Bizepse, ausladendere Deltamuskeln oder noch feinere Querstreifen auf dem Gesäß (Glutaeus Maximus) zu verfügen, mündet in einen ›Spießroutenlauf‹. Neben dem beharrlich intensiver werdenden Hanteltraining wird auch die Ernährungsweise der Bodybuilder im Verlauf des biographischen Werdegangs stetig radikaler – und zwar in dem Sinne, dass alle erfolgsrelevanten ›Aspekte‹ des Bodybuildings einem umfassenden und sich zuspitzenden Rationalisierungsprozess unterzuordnen sind (vgl. Kläber 2010: 126ff.). Die Einzigartigkeitsbemühungen heizen letzten Endes eine McDonaldisierung des Bodybuildings an. McDonaldisierungstendenzen in allen wesentlichen Kernbereichen des heutigen Bodybuildings werden zur kollektivierten Copingstrategie für die globale Bodybuildinggemeinschaft, um die auf beständige Körperoptikverbesserung gegründete Identitätsbehauptung der Bodybuilder zu unterstützen. Caysa (2008: 252) formuliert dies etwas allgemeiner: »Trotz scheinbarer Vielfalt und Individualität kommt es [insbesondere im Bodybuilding] deshalb doch zu einer McDonaldisierung der Körperwelt: es kommt zu einer Vereinheitlichung und Egalisierung der Körperformen und Körperselbstverständnisse nach transnationalen Schemata, es kommt zur globalen Vorherrschaft bestimmter Körperformen und zur globalen Herstellung standardisierter Körper auf

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der Basis von Einfachheit, Effizienz, Berechenbarkeit, Kontrollierbarkeit, Planbarkeit und vor allem Machbarkeit.«

George Ritzer hat 1993 die erste Auflage seiner Theorie »Die McDonaldisierung der Gesellschaft« in den Vereinigten Staaten von Amerika publiziert. In dieser Publikation, die später auch in die deutsche Sprache übersetzt wurde und inzwischen in der vierten (völlig neuen) Auflage erschienen ist, setzt Ritzer sich mit Themenfeldern wie etwa Globalisierung, Moderne sowie Postmoderne, Amerikanisierung und nicht zuletzt schwerpunktmäßig mit der Konzeptualisierung der McDonaldisierungstheorie auseinander. Obwohl diese – überaus weit gefasste – Themenfelder hochspezielle wie auch komplexe Forschungsgebiete der Allgemeinen Soziologie darstellen, erscheint Ritzers Theorie der McDonaldisierung im Hinblick auf eine Analyse des Bodybuildings durchaus als anschlussfähig. Daher wird im letzten Analyseschritt der vorliegenden Studie zur Sozialgeschichte des Bodybuildings auf den verbleibenden Seiten des Resümees der Ist-Zustand des heutigen Bodybuildings mittels der Theoriekonzeption zum Prozess der McDonaldisierung bilanzierend auf den Punkt gebracht. Dabei ist in erster Linie unter Berücksichtigung der Basiselemente und der Kernaussage der McDonaldisierung zusammenfassend der historische Bogen zum Status Quo des Bodybuildings zu schlagen. Ritzer (2004) erläutert den gesellschaftlichen Prozess der McDonaldisierung in einer anschaulichen und in Teilen äußerst amüsanten Weise als einen »weltweiten Rationalisierungsprozess«, der in versportlichter Gestalt auch im Bodybuildingsport zum Tragen kommt. Der weltweit bekannte Firmenname »McDonald’s« wird hierbei primär als ein Paradebeispiel und Synonym für verschiedenartige Gesellschafts- und Wirtschaftsbereiche verwendet, die dem beschriebenen Prozess untergeordnet sind. Zu diesen Bereichen gehören insbesondere die Gastronomie, die moderne Arbeitswelt, das Reisen, die Freizeitgestaltung, oder die Ernährung, die Politik sowie die Familie (vgl. Ritzer 2004: 15f.). Ritzer arbeitet intensiv mit praktischen Beispielen und scheut sich dabei nicht davor, die angegriffenen Firmen oder Institutionen beim Namen zu nennen. Abgesehen von weiteren Beispielen aus dem Bereich der FastFood-Restaurants, wie Burger King, nennt er vorzugsweise Beispiele, die international weit verbreitet sind.

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Der Firmenname McDonald’s ist letzten Endes aber problemlos austauschbar und folglich nicht von größerem analytischen Gehalt. Wichtig ist allerdings die Vorreiterrolle, die McDonald’s zweifellos in Bezug auf die Umsetzung und Verbreitung bestimmter Betriebsprinzipien zukommt. McDonald’s sei keineswegs als Erfinder neuer Vorgehensweisen oder Firmenprinzipien zu verstehen. Davon abgesehen manifestiere sich in McDonald’s in besonderer Weise die wesentlichen Komponenten der an Max Weber (1922) angelehnten Rationalisierungstheorie à la Ritzer und habe diese in seinen unzähligen Filialen (weltweit) institutionalisiert. McDonald’s ist für Ritzer gewissermaßen das »Sinnbild« für einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandlungsprozess. Dieser Prozess samt der Prinzipien für die McDonald’s einstehe, komme jedoch nicht aus dem Nichts, sondern habe historische Vorläufer (vgl. Ritzer 2004: 47f.). Bestimmte Innovationen des 20. Jahrhunderts, die den Prozess der McDonaldisierung einst anfachten und bis heute beständig forcieren, sind z.B. die Erfindung des Fließbands (der Fordismus) oder der wissenschaftlich fundierten Betriebsführung (der Taylorismus). Essentiell für die McDonaldisierung ist die »Rationalisierung«, ein soziologischer Fachterminus, der besonders durch Weber geprägt wurde. Daher versteht Ritzer seine Theorie auch als Weiterentwicklung von Webers Analysen zur Rationalisierung, Bürokratie und dessen Konzept des »eisernen Käfigs«. Gemäß Giddens (1999: 622ff.) fasst Weber »die Entwicklung von Wissenschaft, moderner Technologie und Bürokratie« unter dem Terminus der Rationalisierung zusammen. Dieser meine »die Organisation des sozialen und wirtschaftlichen Lebens gemäß den Prinzipien der Effizienz und auf der Basis des technischen Wissens« (ebd.). Bei einer derartigen Erörterung denkt man geradezu automatisch an die in dieser Studie getroffenen Aussagen zum Bodybuildingsport, dessen Operationslogik sich auf effizienzorientierte Maßnahmen der Körperoptikmodellierung reduziert und zugleich den aktuellen Stand der Wissenschaften – Ökotrophologie, Sportmedizin, Trainingswissenschaft, Pharmakologie etc. – berücksichtigt. »Ratio« bedeutet Vernunft und »rationales Handeln« ist demzufolge ein überlegtes, stets kalkulierendes Handeln, so wie es für Bodybuilder im Hinblick auf ihre Trainingsgestaltung, Ernährungsweise oder Supplementierungstaktiken repräsentativ ist (vgl. Kläber 2010: 153ff.). Die zu antizipierenden Konsequenzen des individuellen Handelns werden in

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die zu treffenden Entscheidungen miteinbezogen. Laut Rational Choice Theorie wird vernünftiges Handeln in Anlehnung an Hill (2002: 29f.) dadurch zu einem »zielgerichteten« – hauptsächlich zweckrationalen – Handeln. Hauptziele dabei sind Effizienz, Koordination und Kontrolle über die jeweilige Umwelt des Bodybuilders.1 Die Bürokratie ist Webers Paradebeispiel für Rationalisierung. Deshalb hat sich Ritzer (2004: 47f.) ebenfalls detailliert mit Bürokratie befasst: Das »Wesen der Bürokratie« werde daran deutlich, dass gewisse Vorgehensweisen auf der überindividuellen Ebene exakt durchstrukturiert sowie durch strenge Regeln determiniert seien. Der gewünschte Output soll unabhängig von der ausführenden Person (inklusive der emotionalen und kognitiven Bewusstseinszustände) und der momentanen Umwelteinflüsse (materielle Rahmenbedingungen u.Ä.) sein. Bezüglich McDonald’s kann man dies folgendermaßen beschreiben: Jeder Hamburger gleicht jedem anderen, unabhängig davon, wann er wo von wem hergestellt, verkauft oder gegessen wird. Beginnend bei der konkreten Menge und dem Zustand der Zutaten, über die Zubereitung und den Verkauf, ja sogar bis hin zum Verzehr (man ist dazu gezwungen, mit den Fingern, in wenigen Minuten und direkt vom Tablett – oder zumindest ohne Teller – sein Menü zu verzehren), gibt es Regeln, die einzuhalten sind, damit jedes Mal der gleiche Output entsteht. Analog zum oben Geschilderten gibt es im Bodybuilding tradierte Trainingsmethoden und Ernährungsstrategien, die z.B. über Fach- und Insiderliteratur, Kraftsportforen im Internet, weltweit vertriebene Bodybuildingmagazine und nicht zuletzt via Mundpropaganda in Bodybuildinggemeinschaften auf der ganzen Welt bekannt gemacht werden. So unterscheiden sich die meisten Trainingsprogramme von Profibodybuildern – unabhängig von deren nationalen Zugehörigkeit oder dem jeweiligen Wohnort des Athleten – häufig nur in Nuancen. Vielleicht verfolgt man unterschiedliche Trainingsphilosophien, wie z.B. ein Volumentraining oder ein Einsatz-Training; vielleicht präferiert man divergierende

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Verallgemeinernd hält Caysa (2008: 251) in diesem Zusammenhang fest: »Körperindustrialisierung im Kontext von Körperkapitalisierung bedeutet die Rationalisierung der Körperselbstverständnisse im Sinne der Effektivierung des Körperumgangs nach einem Kosten-Nutzen-Kalkül in Verbindung mit einem Zweck-Mittel-Kalkül.«

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Diät-Taktiken, wie etwa kohlenhydratarme oder -reiche Diätvarianten, aber innerhalb dieser Nuancen orientiert man sich an denselben Erfahrungswerten, Traditionen, Normen sowie Werten des Bodybuildings. Trainings- oder Ernährungsratgeber treten schließlich explizit mit dem Postulat an, bei gleichem Input den gleichen Output zu generieren. McDonald’s und die McDonaldisierung der modernen Gesellschaft sind also nichts Neues, sondern schlichtweg die analytische Beschreibung und theoretische Einbettung eines umfassenden Rationalisierungsprozesses, der sich einem roten Faden gleich durch das ganze 20. Jahrhundert ziehe und bis heute anhalte. McDonald’s hat in einer äußerst konsequenten wie auch eloquenten Weise die Prinzipien der modernen Bürokratie und des Fließbands im weitesten Sinne zusammengeführt und so zur Entstehung der McDonaldisierung beigetragen (vgl. Ritzer 2004: 68ff.). In Bezug auf das Bodybuilding ist beim Fließbandverweis beispielsweise an die Isolierung und Parzellierung der einzelnen Muskelgruppen während des Trainingsprozesses zu denken und beim Bürokratieverweis auf die zwanghafte Protokollierung der Trainingsaktivitäten, Ernährungsgewohnheiten und Supplementierungstaktiken zu verweisen (vgl. Kläber 2010: 153f.). Welche konkreten Auswirkungen eine derart bürokratisierte Grundstruktur der Hamburger-Herstellung – oder auf das Bodybuilding gemünzt: der Bodybuilder-Körper-Herstellung – hat, weshalb dieses Prinzip weltweit so erfolgreich ist und für welche Bereiche der funktional differenzierten Gesellschaft daraus eventuell »Vorteile« entstehen, analysiert Ritzer mit Hilfe der Charakterisierung seiner Theorie durch die folgenden vier Komponenten (Effizienz, Berechenbarkeit, Vorhersagbarkeit und Kontrolle), die man problemlos und mit analytischen Gewinn am Bodybuilding plausibilisieren kann. (1) Effizienz: »Effizienz bedeutet, dass man die optimalen Mittel zum Erreichen eines Zwecks auswählt« (Ritzer 2004: 73). Die Effizienz wird in Bezug auf McDonald’s vom Kunden und dem Unternehmen gleichermaßen gewünscht. Den Kunden geht es hauptsächlich darum, möglichst schnell, also ohne großen Zeit- oder Tätigkeitsaufwand, ein Bedürfnis möglichst kostengünstig zu befriedigen – bzw. den ›Hunger‹ zu stillen. Dem Unternehmen geht es hingegen nur darum, beim Kunden explizit diese Illusion zu implementieren. Ritzer beschreibt vor diesem Hintergrund, warum die Effizienz für den Kunden nur eine Illusion sei. Beispiel Selbstbedienung: Ritzer erörtert sie als die Beschäftigung

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von Kunden und somit als eine Art unbezahlter Arbeitskräfte. Zudem gebe es für den Kunden diesbezüglich keine Wahlmöglichkeit. Ähnlich verhält es sich mit dem Trainer-Athleten-Verhältnis in Fitness-Studios, das sich in der Regel dadurch auszeichnet, dass man alle Mitglieder zu einem weitestgehend selbstbestimmten Training zu befähigen gedenkt (vgl. Kläber 2010: 47ff.). Denn nur auf diese Weise werden die offiziellen Trainer, die zu bezahlen sind, in einem wesentlich geringeren Umfang benötigt. Der Job des Trainers besteht letztlich darin, sich selbst überflüssig zu machen. Im Idealfall werden »neue« Fitness-Studiokunden durch erfahrene Bodybuilder rekrutiert und von Anfang an von diesen im Training als deren Trainingspartner betreut, so dass die Zurverfügungstellung bezahlter Trainer obsolet wird. Effizienz meint für Unternehmen, dass alles nach ihrem Sinne – gemäß ihrer Strukturen und Regeln – gehandhabt wird. Ein Hauptprinzip von McDonald’s ist es, lediglich ein begrenztes Warenangebot zu haben und Sonderwünsche nicht bzw. nur bedingt zuzulassen. Ein wichtiges Element der Effizienz ist, dass viele Tätigkeiten sowie Bedürfnisbefriedigungen gleichzeitig ausgeführt werden (vgl. Ritzer 2004: 73ff.). Auf den ersten Blick scheint das Bodybuilding mit der dargestellten Komponente der Effizienz nur schwer vereinbar. Zwar ist das Trainingsgeschehen, wie es diese Studie wiederholt darlegt, nicht ganz so ›perfekt‹ standardisiert wie der Herstellungsprozess eines Hamburgers, aber beim weiterführenden Vergleich vieler bodybuildingspezifischer Handlungen zur Erlangung des Bodybuilding-Körpers werden konvergierende Tendenzen, Gemeinsamkeiten oder – um es im Sprachduktus Webers darzustellen – »Idealtypen« transparent. Zur Erläuterung der einzelnen Komponenten bedient sich Ritzer einer Fülle an Beispielen aus verschiedensten Markt- und Lebensbereichen, die nicht alle genannt werden müssen und die auch nicht alle so ohne weiteres auf das Bodybuilding übertragbar sind. Darum etwas verkürzt und generalisiert: »In einer mcdonaldisierten Gesellschaft [, die nur als eine funktional differenzierte Gesellschaft denkbar ist,] suchen Menschen kaum einmal selbst nach dem besten Mittel zum Erreichen eines Zwecks. Stattdessen greifen sie auf bereits bekannte, institutionalisierte Mittel zurück« (Ritzer 2004: 73). Wenn sich also jemand dazu entscheidet, von nun an Bodybuilding zu betreiben, ist keinesfalls zu erwarten, dass er alles, was für das Bodybuilding von Relevanz ist, völlig

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neu erlernt und damit gewissermaßen das Rad neu erfindet. Vielmehr durchlaufen Anfänger in ihren Fitness-Studios eine informelle Schulung durch das jeweilige Bodybuildingmilieu oder durch (sub-)milieuspezifische Massenmedien und lernen dabei, wie der effizienteste Weg zum Erreichen ihrer körperoptischen Zielsetzungen – nach dem bisherigen Erfahrungsstand des jeweiligen Submilieus entsprechend, dem sie sich zugehörig fühlen – aktuell aussieht (vgl. Kläber 2010: 215ff.). (2) Berechenbarkeit: Eine weitere Komponente und demzufolge ein Prinzip der mcdonaldisierten Gesellschaft ist die Berechenbarkeit. Damit ist zwangsläufig ein Kalkulieren, Zählen und Quantifizieren verbunden (vgl. Ritzer 2004: 105ff.). Auch das Bodybuilding funktioniert per se nach dem Prinzip der Berechenbarkeit wichtiger Aspekte des Trainings, der Ernährung sowie der Supplementierung. Trainingsleistungen werden als bewältigte Gewichtsleistungen oder mit Hilfe von Wiederholungs- oder Satzzahlen quantifiziert. Für eine bodybuildingadäquate Ernährungsweise werden Kalorien und Nährwertangaben gewissenhaft gezählt; generell ist es für Bodybuilder unumgänglich, hinsichtlich der Wechselwirkungen von Training, Ernährung, Supplementierung und Regeneration immer wieder diverse Kalkulationen anzustellen und diese regelmäßig upzudaten. Ein Bodybuilder, der pedantisch über alle wichtigen Aspekte Protokoll führt, muss selbstverständlich von der »Berechenbarkeit« seiner körperoptischen Entwicklung ausgehen; ansonsten würde die »idealtypische Vorgehensweise« unzähliger passionierter Bodybuilder auf der ganzen Welt keinen Sinn ergeben. Das meint, dass Bodybuilder von der »Planbarkeit« eines hocheffizienten Trainings, einer zweckdienlichen Ernährungs-, Supplementierungsund Regenerationsweise auszugehen haben. Am wichtigsten sei es in Bezug auf die McDonaldisierungstheorie, dass möglichst viel »verkauft« werde. Die Qualität der Produkte und Dienstleistungen ist gemäß Ritzer nicht mehr ausschlaggebend für den Konsum und noch nicht einmal für den Gegenstand der Werbung – was aber nicht bedeute, dass die Qualität obsolet geworden sei. Ritzer beschreibt die verschiedenen Mittel, derer sich Unternehmen bedienen, um dem Kunden die ›Illusion‹ zu vermitteln, als bekomme man relativ viel für vergleichsweise wenig Geld. Die inszenierte Günstigkeit bringt für die Kunden oft fehlende Qualität mit sich. Dies ist aber angesichts der konstanten Produktbeschaffenheit, welche (starke) Gefühle der Ver-

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trautheit stimuliert, und des gleichbleibenden Serviceniveaus nicht weiter tragisch. Auch Bodybuilder haben Kompromisse einzugehen, um eine möglichst hohe Effizienz zu erlangen. So legen Bodybuilder im Winter, in der sog. Massephase, häufig fünf bis zehn Kilogramm zu und nehmen dabei für einen besseren Muskelmasseaufbau auch ein bisschen mehr Körperfett bewusst in Kauf. Im Umkehrschluss müssen Bodybuilder in der Sommersaison oder gar während einer rigorosen Wettkampfdiät für den gewünschten Körperfettanteil von oft weniger als fünf Prozent stets einen Verlust an hart antrainierter Muskelmasse hinnehmen. Im Bodybuildingjargon gesprochen: Muskelquantität gibt es nur auf Kosten der Muskelqualität – und im Umkehrschluss Muskelqualität nur auf Kosten der Muskelquantität. Folglich haben Bodybuilder diesem Dilemma durch ein berechnendes Handeln entgegenzutreten. (3) Vorhersagbarkeit: Für die mcdonaldisierte Gesellschaft, die sich zugleich auch als eine »Organisationsgesellschaft« darstellen lässt (vgl. Schimank 2001), ist zu konstatieren: »In einer rationalisierten Gesellschaft legen die Menschen Wert darauf, dass sie in nahezu jedem Umfeld und zu fast jedem Zeitpunkt wissen, was ihnen bevorsteht. Sie wünschen keine Überraschungen und rechnen auch nicht damit« (Ritzer 2004: 133). Daher sind sowohl auf organisationaler Ebene als auch auf individueller Ebene Eigenschaften wie etwa Disziplin, Ordnung, Systematisierung, Formalisierung, Routine, Einheitlichkeit und methodisches Vorgehen essentiell. Dazu ist die Durchstrukturierung und ausführliche Regelung jedes einzelnen Arbeitsschrittes besonders wichtig. Diese Beschreibung ist geradezu kennzeichnend fürs Bodybuilding. In dieser Studie wird mehrfach gezeigt, dass genuine Bodybuilder außerordentlich disziplinierte, im allerhöchsten Maße systematisierende und überdurchschnittlich routinierte Sportler sein »müssen«, um im Bodybuilding zu reüssieren. Dabei ist es irrelevant, ob man sich als Bodybuilder dem Naturalbodybuilding oder dem Hardcorebodybuilding zugehörig fühlt. Ebensowenig macht es einen Unterschied, ob man den Bodybuildingsport auf freizeit- oder wettkampfsportlichem Niveau betreibt. Stringent durchgeplante Trainingseinheiten strukturieren die Bodybuilderbiographie in ihrer Gesamtheit. Die sog. Mikroplanung des Trainings sorgt für eine ›hyperstabile‹ Verankerung in der Tagesgestaltung. Bodybuilder haben feststehende Trainingszeiten und organisieren sonstige ›Alltagsangelegenheiten‹ um ihre Trainingseinheiten herum. Das

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Training hat hinsichtlich der Freizeitgestaltung höchste Priorität und die Mesoplanung des Krafttrainings strukturiert dabei die gesamte Wochenplanung. Trainingseinheiten sind stets verbindliche Termine, die nur in Ausnahmefällen verschoben werden – niemals aber ausfallen. Ebenso strikt werden die notwendigen Erholungstage eingeplant. Die Makroplanung teilt dagegen die gesamte Jahresplanung in spezifische Zyklen ein, in denen phasenweise mit unterschiedlichen Intensitäten und Zielsetzungen (Muskelaufbau oder Fettreduktion) trainiert wird. Bodybuilder praktizieren diesbezüglich meistens eine Differenzierung in Masseund Definitionsphase. Das »Ritual der Trainingswiederholung« schafft Kontinuität in den Biographien (vgl. Kläber 2010: 108). Die daraus resultierende Zeitstruktur und damit einhergehende Trainingsrhythmik inklusive ihrer Vorhersagbarkeit verleihen den individuellen Biographien Evidenz sowie Sinn und Halt; sie ordnen Tage, Wochen, Monate und Jahre – und strukturieren auf diese Weise die Gesamtbiographie des Bodybuilders. Bodybuilding wird im übertragenen Sinne zu einer Simplify-your-Life-Methode und ermöglicht biographische Verlässlichkeit und Vorhersagbarkeit, die in weiten Teilen hochmoderner Gesellschaften als kaum noch realisierbar erscheinen. (4) Kontrolle: Bei der Komponente der Kontrolle expliziert Ritzer einen sukzessiven Übergang von der »menschlichen Arbeitskraft« zur hochindustriellen Maschinenarbeit, die im ›Normalfall‹ exakter und zuverlässiger sei sowie weniger von äußeren oder inneren Einflüssen irritierbar. Ritzer (2004: 161f.) unterscheidet einerseits zwischen »menschlichen Technologien« – wie z.B. der Schraubenzieher oder der Eiweißdrink –, die von Menschen kontrolliert werden, und andererseits »nichtmenschlichen Technologien« – wie z.B. der Autoschalter oder das Trainingshandbuch –, die die Menschen mehr oder weniger kontrollieren. Fitness-Studiobetreiber führten zur besseren Kontrolle und effizienteren Isolierung der zu trainierenden Muskeln in zunehmendem Maße (computergestützte) Trainingsmaschinen ein, die die Bewegungsabläufe der Bodybuilder während eines sog. Satzes exakt vorgeben und somit eine bessere Kontrolle der angewandten Trainingstechniken gewährleisten. Das gängige Entwicklungsschema bezüglich des Trainings sieht gewöhnlich wie folgt aus: Zunächst absolviert man als Anfänger im Bodybuilding unter Anweisung des Trainers ein Zirkeltraining, das sich häufig auf die Verwendung von Trainingsmaschinen reduziert. Hier ist

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die koordinative Beanspruchung noch nicht sonderlich hoch, da die Maschinen den gesamten Bewegungsablauf vorgeben (vgl. Möhring 2005: 241f.). Danach wird man in die sog. Grundübungen des Bodybuildings eingeführt. Diese vom Bewegungsablauf her sehr komplexen Übungen, die hauptsächlich mit Freihanteln (Kurz- oder Langhanteln) zu absolvieren sind, werden für fortgeschrittene Bodybuilder im Rahmen eines Splittrainings2 organisiert und vom Trainerpersonal kontrolliert. Hat der Anfänger dann die technisch korrekte Ausführung der meisten Grundübungen vollständig internalisiert, wird er implizit oder explizit dazu gedrängt, sein Training immer wieder aufs Neue nach dem Individualitätsprinzip zu modifizieren (vgl. Fuchs/Fischer 1989: 170ff.). Hierbei wird die Kontrollaufgabe der Trainer sukzessive auf den oftmals noch unerfahrenen Bodybuilder übertragen. Tätigkeiten in Zusammenhang mit »menschlichen Technologien«, die die Menschen (oder Kunden!) selbstbestimmt und somit sich selbst überlassen durchzuführen haben, werden von besonders stark mcdonaldisierten Fitness-Unternehmen – wie Mc Fit – soweit wie möglich kontrolliert. Ein Mittel dazu ist beispielsweise eine hohe »Arbeitsteilung«. Im Idealfall führen alle Bodybuilder die gleichen ›Handgriffe‹ an den gleichen Trainingsgeräten aus, wodurch die Gefahr von Variationen in der Durchführungsweise weitgehend beschränkt bleibt. Die Fitness-Studioleitung kann so das Gesamtgeschehen auf der Trainingsfläche besser antizipieren und kontrollieren. Dazu ist es bei großen Studioketten notwendig, dass von ein- und demselben Trainingsgerät mehrere Exemplare zur Verfügung stehen, so dass es an einzelnen Geräten nicht zu Kollisionen oder längeren Wartezeiten kommt. Ritzer umbeschreibt dies anhand einer Gesellschaft, in der eigenständiges Denken in bestimmten Bereichen unerwünscht sei. Bodybuilder sollen möglichst keine neuarti-

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Nach Gießing und Hildenbrandt (2005: 143) hat sich das Splittraining schon seit Jahrzehnten in der Bodybuildingszene durchgesetzt. Will man die für eine Muskelhypertrophie unbedingt notwendige Intensität erlangen, kann man pro Trainingseinheit maximal zwei Muskelgruppen, wie beispielsweise Rücken und Schultern, effektiv trainieren. Dagegen trainiert man beim sog. Doppel-Split z.B. Rücken am Morgen und Schultern am Abend. So werden bis zu zwölf hochintensive Trainingseinheiten pro Woche ermöglicht.

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gen Übungen konzipieren oder einzelne Trainingsgeräte umfunktionalisieren, sondern nur die vorgegebenen Trainingsbedingungen individuell auf sich selbst abgestimmt nutzen. Denn die Studioleitung kann nur auf diese Weise die Kontrolle über ihren Binnenraum aufrechterhalten. Da Bodybuilder aber im Hinblick auf Training, Ernährung und Supplementierung als »experimentierfreudig« gelten, gelingt dies im Vergleich zu Fitness- und Gesundheitssportlern nur bedingt (vgl. Kläber 2010: 23f.). Alle Hauptkomponenten (Effizienz, Berechenbarkeit, Vorhersagbarkeit und Kontrolle) von Ritzers McDonaldisierungstheorie finden sich in einem gewissen Maß in Webers Theoriearchitektur wieder – so auch die These »der Irrationalität des Rationalen«. Ritzer (2004: 36ff.) beschreibt dies folgendermaßen: Irrationalität bedeute, dass an sich »rationale Systeme« immer auch in Teilen Irrationales hervorbringen. Kurz: »Rationale Systeme dienen dazu, die Vernunft des Menschen zu leugnen; rationale Systeme sind häufig unvernünftig«. Demnach sind rationale Systeme entmenschlichende Systeme. Die Irrationalität der an sich stringent durchrationalisierten Welt von McDonald’s – sowie von all denen Unternehmen, für die McDonald’s als Synonym steht – bestehe hauptsächlich darin, dass Illusionen vorgetäuscht werden. Meist sei die Inanspruchnahme der Dienstleistungen, die geboten werden, gar nicht viel zeitsparender – etwa dann, wenn sich lange Schlangen an der Kasse bilden – und anstatt bestimmte, althergebrachte Tätigkeiten wie Kochen zu übernehmen, nimmt man andere Tätigkeiten wie Selbstbedienung in Supermärkten, bei Bankautomaten oder eben im Restaurant auf sich, die in pre-mcdonaldisierten Gesellschaften noch von menschlichen Arbeitskräften übernommen wurden. Diese »Welt vermehrter Illusionen« wird durch die Schaffung von Pseudo-Ereignissen nochmals verstärkt. Der Einkauf oder der Restaurantbesuch sollte oder muss Spaß bereiten (vgl. Ritzer 2004: 201f.), so auch der Fitness-Studiobesuch. Denken wir etwa an den Aspekt der Geselligkeit, der in Zusammenhang mit der Erfolgsgeschichte kommerzieller Fitness-Studios in dieser Studie behandelt wird. Speziell das Krafttraining muss trotz seiner »unangenehmen« Seiten (Schmerz, Schweiß etc.) immer auch zu einem angenehmen Ereignis werden. Ritzer beschreibt derartiges als Teil der kollektiven »Vergnügungssucht«. Vergnügungsparks oder durchorganisierte Reisen sind dazu da, dem Konsumenten das Gefühl zu geben, etwas zu erleben; doch in der

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Realität sind alle Arten von Unterhaltung durchgeplant, durchkalkuliert und somit durchrationalisiert. So wird auch in vielen Fitness-Studios nichts dem Zufall überlassen. Ritzer beschreibt den McDonaldisierungsprozess als zwangsläufig und unentrinnbar. Dem ungeachtet gibt er diverse Ratschläge, wie man diesem Prozess als »Einzelner« entgegenwirken könne. Ritzer räumt ein, dass die McDonaldisierung zweifellos viele Vorteile mit sich bringt, allerdings in erster Linie für Unternehmer und nicht für deren Kunden. Die Schwierigkeit, der McDonaldisierung auszuweichen, erörtert Ritzer mit der Metapher des »eisernen Käfigs«, einer Begrifflichkeit, die er von Weber übernahm (vgl. Ritzer 2004: 51ff.). Wie bereits erwähnt, bedient sich Ritzer vieler Beispiele verschiedener Art – in erster Linie aus dem US-amerikanischen Kulturkreis – und beschreibt diese teilweise äußerst minuziös. Gleichzeitig ist seine Theorie immer extrem provozierend, weil sich jeder angesprochen fühlen muss. Ritzer kritisiert den gesellschaftlichen Weg, den die USamerikanische Nation als Avantgarde in den letzten Jahrzehnten eingeschlagen habe und attackiert damit auch das »Gesellschaftssystem des Kapitalismus«, das insbesondere aufgrund der Ausdifferenzierung einzelner Funktionssysteme überhaupt erst weltweit so dominant werden konnte, wie es heute ist. Doch was bedeutet dies abschließend für ein komplett durchrationalisiertes Bodybuilding und die Einzigartigkeitsbestrebungen von Bodybuildern? Bodybuilding dient – um es pointiert zusammenzuziehen – den passionierten Athleten sowohl zum soliden Identitätsaufbau als auch zur Identitätsabsicherung. Für Bodybuilder gibt es keine effizientere Möglichkeit als durch eine »hervorragende Muskulatur« sowie ein Eindruck schindendes körperliches Erscheinungsbild Einzigartigkeit für ihr soziales Umfeld zu signalisieren. Oft definieren sich exorbitante Muskelmänner wie auch -frauen vollständig über ihre Bodybuilder-Rolle (vgl. Wedemeyer 1999b: 417). Das konvergiert mit dem artikulierten Selbstverständnis, also vielseitiger Selbstbeobachtungen, von Bodybuildern rund um den Globus. Zudem glauben sich Bodybuilder aufgrund ihrer beachtlichen Muskelpakete der Bewunderung durch ihr soziales Umfeld – und dabei auch über die Studiogrenzen hinaus – als absolut sicher. Selbst wenn man weder Respekt noch Bewunderung erhasche, dann zumindest ungeteilte Aufmerksamkeit und das sogar in den trivialsten Alltagssituationen wie beispielsweise beim Einkauf im Supermarkt.

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Die Majorität der Bodybuilder glaubt für das Betreiben des Bodybuildings eigene (bzw. persönliche) Motive zu haben, die meist in sehr subjektiver Art und Weise artikuliert werden. Trotz der zweifellos vorhandenen Subjektivität, bildet sich diese jedoch immer nur vor einem sozialen Hintergrund ab. Folglich konstituiert sich die biographische Entscheidung für ein Bodybuildingtraining mitnichten in einem luftleeren Raum, sondern ist immer in einen soziokulturellen Kontext eingebettet. Alle zuvor erörterten Antriebsmotive haben Wechselwirkungen zwischen dem individuellen Athleten und der Gesellschaft herausgestellt. Kein Antriebsmotiv (hochintensives Körpererfahrungsprogramm, zeitgemäße Körpergestaltungsoption, unvergleichliche Authentizitätsgefühle, nachhaltiges Echtzeit-Erleben etc.) steht und wirkt nur für sich allein, sondern ist stets Teil eines Interdependenzgeflechts. Grundsätzlich ist in Bezug auf die Antriebsmotive heutiger Bodybuilder zu resümieren, dass sich durch ein (regelmäßiges) Hanteltraining unzeitgemäß gewordene Bedürfnisse kompensieren lassen. Zudem ist zu konstatieren: (1) Bodybuilding kann – muss aber nicht – hervorragend zur Kompensation körperlicher Unterbelastung oder psychischer Überlastung beitragen. Die sehr kopflastigen sowie wenig körperlichen, weil überwiegend sitzenden Tätigkeiten im Berufsalltag resultieren in geringen körperlichen Anforderungen. Beständiger Zeitdruck und meist zu komplexe Aufgabenstellungen münden in psychischer Überlastung – was sich wiederum in Kombination mit permanenter physischer Unterforderung (man kann von »chronisch« gewordenem Bewegungsmangel sprechen) äußerst negativ auf den Gesundheitszustand auswirken kann. (2) Durch Bodybuildingtraining kann man körper- sowie emotionsbezogene Kontrollzwänge ausgleichen. Der nach Selbstbestimmung strebende Mensch unterliegt immer einer sozialen Kontrolle durch bestehende gesellschaftliche Normen und Regeln (externale Kontrolle). Wenn die externale Kontrolle deutlich höher ist als die internale, wie es im Extremfall für die vollständig fremdbestimmten Insassen eines Gefängnisses der Fall ist, führt das zu massivem Unwohlsein. Das kann sich dann wiederum somatisieren. Das »mcdonaldisierte Bodybuilding« kommt auf der individuellen Ebene in den behandelten Antriebsmotiven zu sich selbst und wird gegenüber der Moderne in Teilen paradoxerweise zu einem Kontrastprogramm, das sowohl anti-moderne als auch moderne Züge aufweist. Die

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enorme Faszination des Bodybuildings liegt für seine Akteure in der Möglichkeit, durch ein völlig durchrationalisiertes Bodybuilding Machbarkeitsfantasien am eigenen Leib und dabei auf allerhöchstem Niveau auszuleben. Durch den enormen McDonaldisierungsgrad des Bodybuildingsports sind Bodybuilder dazu imstande, durch außergewöhnliche körperliche Eigenleistung nachhaltig Identitätsarbeit zu leisten und an dieser »extravaganten« Körperkultur zu partizipieren. Kurz: »Dadurch scheint eine neue körpertechnologische Evidenz möglich zu sein: Ich mache mich selbst, ich stelle meinen Wunsch-Körper selbst her – also bin ich« (vgl. Caysa 2008: 254). BODYBUILDING wird durch das in hohem Maße mcdonaldisierte BUILDING des BODYS zu einer Option höchstindividueller Sinngenerierung. Dabei ist die McDonaldisierung des heutigen Bodybuildings – auf der überindividuellen Ebene betrachtet – als »Resultat der Individualisierungsbestrebungen« von Bodybuildern auf der individuellen Ebene zu interpretieren und nicht etwa als ein Widerspruch dazu.

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abbildungen Abbildung 1: Segmentäre Gesellschaftsform | 48 Abbildung 2: Stratifikatorische Gesellschaftsordnung | 52 Abbildung 3: Funktional ausdifferenzierte Gesellschaft | 56 Abbildung 4: Teilsystemische Einbindung der Fitness-Studios | 149

Tabellen Tabelle 1: Wesensmerkmale des Sports | 114 Tabelle 2: Entwicklungsstufen der deutschen Fitness-Branche | 151 Tabelle 3: Antriebsmotive moderner Bodybuilder | 207

Siglen

BISp BRD DBFV DDR DOSB DSB EBFF FIBO FIRO HKBBV IFBB IOC KPD NABBA NSDAP SA SS

Bundesinstitut für Sportwissenschaft Bundesrepublik Deutschland Deutscher Bodybuilding- und Fitness-Verband Deutsche Demokratische Republik Deutscher Olympischer Sportbund Deutscher Sportbund European Bodybuilding and Fitness Federation Internationale Messe für Fitness und Bodybuilding Fundamental Interpersonal Relation Orientation Hessischer Kraftsport- und Bodybuilding-Verband International Federation of Bodybuilding International Olympic Committee Kommunistische Partei Deutschlands National Amateur British Bodybuilding Association Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Sturm-Abteilung Schutzstaffel

Literatur

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